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German Pages XIII, 90 [100] Year 2020
Martin Schnaack
Experience first – Marken erlebbar machen Erfolgreich sein in der Experience Economy
Experience first – Marken erlebbar machen
Martin Schnaack
Experience first – Marken erlebbar machen Erfolgreich sein in der Experience Economy
Martin Schnaack Avantgarde Gesellschaft für Kommunikation GmbH München, Deutschland
ISBN 978-3-658-31184-1 ISBN 978-3-658-31185-8 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-31185-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Rolf-Guenther Hobbeling Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany
Vorwort: Mein Weg in die Experience Economy
Hätte die Ludwig-Maximilians-Universität in München Anfang der 80er Jahre mehr Augenmerk auf eine gute Experience gelegt, hätte ich vielleicht nicht bereits am ersten Tag mein Studium geschmissen. Mein Kontakt mit der „Marke“ Physik geriet zum Reinfall: das Audimax randvoll mit männlichen Nerds, ich bekam nur noch einen Stehplatz in der allerletzten Reihe. Was der Professor in der Ferne sagte, war akustisch unverständlich; was er mit Kreide an die Tafel schrieb, blieb rätselhaft. Eine Marke ist mehr als ein Logo. Ist mehr als Farbe und Typografie. Eine Marke ist ein Konstrukt, das in den Köpfen von Menschen holistisch zusammengesetzt wird aus all den Erfahrungen, die mit der Marke an den verschiedensten Kontaktpunkten gemacht wurden. Ein Brand ist dementsprechend keine Momentaufnahme, sondern das kumulierte Ergebnis einer längeren Reise: der Customer Journey. Die Customer Experience beschreibt das gesamte Kundenerlebnis im Kontakt mit der Marke und an den unterschiedlichen Touchpoints. Eine positive Brand Experience begünstigt die Kaufentscheidung. Ein negatives Markenerlebnis kann den Entscheidungsprozess abrupt V
VI Vorwort: Mein Weg in die Experience Economy
beenden. Mir war nach 30 Minuten im stickigen Audimax klar: Das wird nichts mit der Physik und mir. München in den Achtzigern: Von Events – heute eine Marketing-Floskel von großer Beliebigkeit – redete damals kaum jemand, geschweige denn von Brand Experiences. Gesellschaftliche Erlebnisse fielen bestenfalls in den Verantwortungsbereich der klassischen Kulturstätten wie Oper, Theater, Museum. Demonstrationen gegen Atomenergie oder für den Frieden waren die kollektiven Erlebnisse der damals jungen Generation. Ein Gefühl für Mode, für individuellen Style fehlte, auch weil Fashion etwas war, das lediglich in der „Vogue“ und auf den großen Laufstegen in Paris oder New York stattfand und keinerlei Street Credibility besaß. In diese gesellschaftliche Saturiertheit platzte die erste Avantgarde Fashion Show 1985 wie eine Bombe. Meine Mitstreiter und ich hatten sie entwickelt als Plattform für junge Designer fernab des etablierten Modebetriebs. Gloria von Thurn und Taxis, damals eine der schillerndsten Szene-Figuren der Bundesrepublik, krakeelte von der Bühne herab ins Publikum und machte damit die Show zum Medienereignis. Bald standen große Markenkonzerne Schlange, um Sponsor unserer nächsten Fashion Show zu werden. Nach etwa einem halben Jahr war mir klar, dass ich mein Thema gefunden hatte. Avantgarde wurde gegründet als unternehmerische Basis für die gleichnamige Modemesse. In den Jahren darauf entwickelte sich Avantgarde zu einer Agentur für Eventmarketing. Wir dachten damals tatsächlich, dass wir dies für die nächsten 30, 40 Jahre machen würden. Heute ist Avantgarde ein weltweit führendes Unternehmen in der Experience Economy, der Spezialist für Brand Experiences. Die Genese der Experience Economy: Wir haben sie nicht erfunden, aber frühzeitig erkannt und mitgestaltet. Seither haben wir viele Unternehmen begleitet auf ihrer Transformation in die Erlebnis-Ökonomie, haben sie beraten und für sie Konzepte für gelungene Markenerlebnisse entwickelt. „Creating Fans“ lautet der Slogan von Avantgarde. Denn niemand ist loyaler zu einer Marke als ein echter Fan. Zu einem solchen aber wird ein Kunde nur durch Erlebnisse, die unter die Haut gehen. Ich bin der festen Überzeugung, dass die Experience Economy keine Modeerscheinung ist, kein Wirtschaftstrend, der schon morgen wieder
Vorwort: Mein Weg in die Experience Economy VII
im Archiv des kollektiven Bewusstseins abgelegt wird. Die Erlebnisökonomie verändert die Wirtschaft ähnlich umfassend wie vor gut einem Jahrhundert die Industrialisierung. Die Experience Economy bietet Lösungen für viele Probleme, die durch die disruptiven Veränderungen in Folge der Digitalisierung in nahezu allen Branchen und Geschäftsmodellen entstanden sind. Die Corona-Pandemie hat Befürchtungen geweckt, die tiefen wirtschaftlichen Einschnitte könnten bereits wieder das Ende der Experience Economy bedeuten. Die großen kollektiven Erlebnisse des Jahres 2020 – Festivals, Sportereignisse, Konzerte – entfielen oder wurden verschoben, ganze Länder wurden in die Selbstisolation geschickt. Kann eine erlebnisbasierte Wirtschaftsform weiterhin erfolgreich sein, wenn der Mitmensch als potenzieller Gefährder gilt und zwei Meter Abstand die neue Nähe sind? Ich glaube, dass die Experience Economy von Corona nicht beendet wird, sondern langfristig sogar an Bedeutung gewinnt. Unser Bewusstsein für den Wert von persönlichen Kontakten und Erlebnissen hat sich in den Wochen und Monaten der Kontaktbeschränkungen geschärft. Zurückgeworfen auf unsere engsten Beziehungen, rückten Partnerschaft und Familie in den Fokus. Herausgerissen aus der beruflichen Hektik, griffen viele Menschen wieder zum Telefon: Lange Gespräche mit echten Stimmen statt verstümmelter WhatsApp-Dialoge. Der Spieleabend im Familienkreis feierte ein Comeback. Am Küchentisch traf Homeoffice auf Schülerportal, wurde wieder miteinander gekocht, gebacken und geredet. Vor allem die jüngere Generation gab in Umfragen an, an diesen neuen Gewohnheiten auch weiterhin festhalten zu wollen. Das kollektive Erlebnis wiederum wanderte zwischenzeitlich komplett in die sozialen Medien ab. Das spontane Balkonkonzert in Italien, die Fitness-Session im Livestream oder die #Stayathome-Challenge auf Instagram sind Beispiele für Gruppen erlebnisse, die auch bei Einhaltung der nötigen Distanz Nähe entstehen lassen und grenzüberschreitend geteilt werden.
VIII Vorwort: Mein Weg in die Experience Economy
Auch wenn die Experience Economy kurzfristig aus dem Takt kommen könnte: Das Bedürfnis nach Experiences selbst bleibt bestehen. Denn der Mensch ist und bleibt ein neugieriges und ein soziales Wesen, das zum Überleben nicht nur Nahrung und Sicherheit braucht, sondern auch zwischenmenschlichen Kontakt, den Austausch mit anderen sowie Gemeinschaftserfahrungen außerhalb seiner Wohnhöhle. Dieses Bedürfnis hat Corona nicht vernichtet, sondern verstärkt. Seit Adam und Eva will der Mensch verführt werden. Im täglichen Trott sucht er nach den einzigartigen Momenten, die ihm in Erinnerung bleiben werden. Er sehnt sich nach Erlebnissen, die ihn auf allen Sinneskanälen ansprechen, überraschen, berühren, womöglich sogar verändern werden. Eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey von 2017 [1] belegt, dass die Konsumausgaben für Erlebnisse in den letzten Jahren fast viermal so schnell gestiegen sind wie die Ausgaben für Waren. Diese Entwicklung betrifft und bedroht tradierte Geschäftsfelder in nahezu allen Branchen. Vom kleinständischen Gewerk bis hin zum multinationalen Konzern: Unternehmen, die diese Art der Disruption nicht wahrhaben wollen und lieber weiter in Produkte investieren als in Erlebnisse, werden langfristig untergehen. Für alle anderen bietet die Experience Economy die Chance, sich markenstrategisch neu aufzustellen und dadurch ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern. Und womöglich sogar neue Erlösströme für die eigene Marke zu generieren. Anmerkung: Anglizismen sind aus der Sprache des Marketings nicht mehr wegzudenken. Deshalb habe ich in diesem Buch Begriffe wie „Erlebnisse“ und „Experiences“, „Touchpoints“ und „Berührungspunkte“ oder auch „Marke“ und „Brand“ synonym verwendet – auch um den Lesern allzu häufige Wortwiederholungen zu ersparen. Aus Gründen der Lesbarkeit wurde ebenfalls auf die Verwendung der gendergerechten Sprache verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten selbstverständlich für alle Geschlechter.
Vorwort: Mein Weg in die Experience Economy IX
Literatur 1. https://www.mckinsey.com/industries/private-equity-and-principalinvestors/our-insights/cashing-in-on-the-us-experience-economy#. Zugegriffen: 8. Juni 2020.
Inhaltsverzeichnis
1 Willkommen in der Experience Economy 1 1.1 Erlebnisse sind die neue Währung 1 1.2 Von der Service Economy in die Experience Economy 5 1.3 Immer im Blick – der Markenkern 9 1.4 Die Zutaten für die perfekte Experience 11 1.5 Digitalisierung als Katalysator 18 1.6 Experience und Purpose Economy 24 Literatur 30 2 Ganzheitlich denken: Die Experience Economy ist überall 33 2.1 Brand Experience im B2B-Geschäft 36 2.2 Brand Experience aus nächster Nähe: Employee Experience 38 2.3 Banken und Versicherungen – Late Adopter der Experience Economy 43 2.4 Vom Marketing-Tool zum Businessmodell: Erlebnisse als neue Einnahmequelle 46 Literatur 49 XI
XII Inhaltsverzeichnis
3 So werden Unternehmen fit für die Experience Economy 51 3.1 Mehr drin als gedacht: die sechs Erlebnis-Dimensionen 51 3.2 Was Experience mit Storytelling zu tun hat 55 3.3 Storydoing: Der Kunde wird zum Teil der Geschichte 62 3.4 Der Point of Sale als Point of Experience 65 Literatur 76 4 Best Cases: Erfolgreiche Erlebnispioniere 79 4.1 Starbucks: der dritte Ort der Gen Y 79 4.2 Red Bull: Zu extrem? Gibt’s nicht 80 4.3 Virgin: Hauptsache anders 82 4.4 Rapha: You never ride alone 83 4.5 AirBnB: Mehr als eine Luftmatratze 84 Literatur 85 5 Fazit 87
Über den Autor
Foto: Philippe Arlt
Martin Schnaack, geboren 1963, wuchs erst in Brandenburg und später in Oberbayern auf. Ein Physikstudium in München beendete er nach nur einem Tag an der Universität. Stattdessen gründete er 1985 Avantgarde und entwickelte das Unternehmen von der EventAgentur zum globalen Multiplayer in der Experience Economy. Mit mehr als 850 Mitarbeitern weltweit berät Schnaack Markenunternehmen strategisch bei der Entwicklung von holistischen Markenerlebnissen sowie bei der Digitalisierung von Erlebnisräumen.
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1 Willkommen in der Experience Economy
1.1 Erlebnisse sind die neue Währung „What people really desire are not products but satisfying experiences“. Aufgestellt wurde diese Behauptung 1955 von dem US-Politiker und Gelehrten Lawrence Abbott in dem Aufsatz „Quality and Competition: Essay in Economy Theory“ [1]. Anders ausgedrückt bedeutet das: Selbst wenn ein Produkt erworben wird, geht es dem Käufer letztendlich um ein anderes Konsumziel – die Experience, also das Erlebnis, das dem Produkt innewohnt, es ergänzt oder erst durch das Produkt ermöglicht wird. Gefühlt wissen wir alle, was ein Erlebnis ist. Es in Worte zu fassen und wissenschaftlich abzugrenzen, fällt schwerer. Im „Handbook on the Experience Economy“ definieren die Sozialwissenschaftler Jon Sundbo und Flemming Sørensen den Begriff ‚Experiences‘ als „(…) activities carried out in the public and private sectors that focus on fulfilling peoples’ need for experiences“. Bei einer Experience handle es sich um ein geistiges Phänomen, das – anders als Produkte und Dienstleistungen – keine physischen, materiellen oder intellektuellen Bedürfnisse stille. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Schnaack, Experience first – Marken erlebbar machen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31185-8_1
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Eine Experience wird nach Sundbo und Sørensen ausgelöst von äußeren Reizen, die alle Sinneskanäle betreffen können. [2] „Erlebnisse werden nicht vom Subjekt empfangen, sondern von ihm gemacht“, ergänzt darüber hinaus der Bamberger Soziologe Gerhard Schulze [3]. Etwas, das von außen kommt, „wird erst durch Verarbeitung zum Erlebnis.“ Dieser Aspekt schließe zunächst scheinbar aus, dass das Erlebnis selbst „Produkt oder unternehmerische Leistung“ sein kann, schlussfolgert der US-amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin, Gründer der Foundation on Economic Trends [4]. Stattdessen gehöre die Zukunft seiner Meinung nach den sogenannten Erfahrungsindustrien. Dieser Industriezweig offeriere nicht das Erlebnis selbst, sondern lediglich das Angebot, ein solches zu machen, führt Schulze weiter aus: „Jeder muss sich seine Erlebnisse selbst machen, welche Angebote auch immer ihm dabei zur Verfügung gestellt werden.“ [5] Der Mensch als ein neugieriges Wesen strebt jenseits seiner Grundbedürfnisse (Luft, Essen, Trinken, Schlaf, Wärme, Sicherheit) nach „Spannung und Erregung“, formuliert es der Sozialpsychologe Erich Fromm [6]. In der von dem US-amerikanischen Psychologen Abraham Maslow entwickelten und mehrfach modifizierten Bedürfnispyramide [7] finden wir diese Sehnsucht in der oberen Hälfte der Pyramide wieder (vgl. Abb. 1.1). Je weniger sich eine Gesellschaft Gedanken über die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse machen muss, desto mehr konzentriert sich das ökonomische Interesse auf die übergeordnet gelagerten Bedürfnisse. Bei einem Restaurantbesuch etwa geht es dann weniger darum, satt zu werden, sondern um das besondere Erlebnis vor Ort. Beispiel: Das Londoner Restaurant Inamo Im Londoner Restaurant Inamo können Gäste nicht nur die Farbe ihres virtuellen Tischtuchs selbst einstellen, sondern dank E-Table-Technology eine Mahlzeit auf den Tisch projizieren lassen, bevor sie diese bestellen. Während der Wartezeit können sie in einem anderen Raum Retro-Games spielen oder dem Chefkoch via Tablet bei der Arbeit zusehen. Durchsichtige „Dining Pods“ ermöglichen Mahlzeiten in privater Atmosphäre unter freiem Himmel – egal bei welchem Wetter.
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Abb. 1.1 Bedürfnishierarchie nach Abraham Maslow, 1971 [7]
Hotels können nicht mehr alleine damit punkten, dass sie in der Fremde ein bequemes Bett in einem sicheren Raum offerieren. Selbst der Obstteller auf dem Zimmer, die Nespresso-Maschine und das Kopfkissenmenü sind Standard geworden und haben damit ihren Wert als Differenzierungsmerkmal verloren. Wir nützen Fahrzeuge aller Art – Autos, aber auch E-Scooter, Bikes etc. – weiterhin zum Transport von A nach B, aber darüber hinaus auch als Vehikel für das besondere Fahrerlebnis. Soziologe Gerhard Schulze spricht hier von einer zunehmenden „Innenorientierung“, die gerade in der Verkehrsbranche eine so große Bedeutung gewonnen habe, dass bereits ganze Industriezweige davon leben: „Würde die innenorientierte Komponente im Transport von heute auf morgen wegen einer kollektiven Konversion zur Askese entfallen, so hätte dies eine volkswirtschaftliche Krise zur Folge.“ [3] Dabei präzisiert Schulze: „Innenorientierung ist
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rlebnisorientierung. Erlebnisorientierung richtet sich auf das Schöne. E Das Projekt des schönen Lebens ist das Projekt, etwas zu erleben.“ Besitztümer anzuhäufen macht immer weniger Menschen glücklich: Von dem Zweitwagen kann man in Zeiten des Klimawandels nicht mehr uneingeschränkt mit Stolz erzählen, das neue Gadget scheint angesichts des schnellen technologischen Wandels bereits wenige Wochen später veraltet. Schrei vor Glück? Das Zalando-Konzept ist überholt. Im Schnitt macht der Kauf eines Produktes nur einen Tag lang glücklich, belegt eine psychologische Studie (Carter u. Gilovich, 2010). [8] Um den seligen Zustand weiterhin zu erleben, muss erneut gekauft werden. Und danach ein weiteres Mal. Das Ergebnis sind überquellende Schränke – und Marie Kondos Aufräum-Bestseller „Magic Cleaning“ im Bücherregal. Erlebnisse dagegen als ein geistiges Phänomen machen längerfristig glücklich. Wirtschaftspsychologe Michael Norton hat den Zusammenhang zwischen Geld und Glück wissenschaftlich untersucht. In seinem Buch „Happy Money“ [9] nennt er fünf Tipps, wie sich Geld in Glücksgefühle umwandeln lässt. Tipp 1 dabei: Erlebnisse statt Produkte kaufen. „Wir neigen dazu, zu glauben, dass Dinge werthaltiger sind als Erlebnisse, weil wir sie auf Dauer besitzen. Erlebnisse wie zum Beispiel Reisen sind einmalig und irgendwann unwiederbringlich vorbei. Also kauft man lieber ein Haus, ein Auto, einen Fernseher. Aber was man nicht bedenkt: Sobald man etwas gekauft hat, steigen die Begehrlichkeiten weiter. (…) Das, was man hat, ist dann nicht mehr das Tollste, was es gibt. Wenn man eine Reise macht, ist das unvergleichlich. Man ist deshalb zufriedener damit, kann sich mit Freunden darüber austauschen, denkt gern daran zurück. Das ist etwas Bleibendes.“ [10] Zusammenfassung • Der Mensch als ein neugieriges Wesen besitzt eine natürliche Sehnsucht nach neuen und einzigartigen Erlebnissen. Sie beeinflussen sein Konsumverhalten weit stärker als Preis- und Produktvorteile. • Produktkonsum selbst macht den Menschen nur kurzfristig glücklich; nach dem Kauf wächst relativ schnell das Bedürfnis nach neuem Konsum, um das Glücksgefühl erneut zu erlangen.
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• Erlebnisse dagegen machen nachhaltig zufrieden, da sie memoriert und geteilt werden können. In Zeiten des zunehmenden Konsumverdrusses wächst das Bedürfnis nach Experiences.
1.2 Von der Service Economy in die Experience Economy „Welcome To The Experience Economy“. Mit diesem Gruß betitelten die US-amerikanischen Wirtschaftsautoren B. Joseph Pine II und James H. Gilmore 1998 ein Essay in der Harvard Business Review. Kurz darauf folgte die Veröffentlichung ihres Sachbuches „Experience Economy: Work is Theatre and Every Business is a Stage“ [11], im Dezember 2019 in der dritten Neuauflage erschienen. Das wichtigste Postulat darin: „Goods and services are no longer enough“ – Produkt und Dienstleistung alleine reichen für das Überleben eines Unternehmens nicht mehr aus. Pine und Gilmore beschreiben den Wandel, der in den letzten 100 Jahren stattgefunden hat, plakativ am Beispiel einer Hausfrau, die einen Kuchen für den Geburtstag ihres Kindes benötigt. Anfang des letzten Jahrhunderts stellte sich diese Hausfrau Agrarprodukte wie Mehl, Butter, Zucker, Milch und Eier auf den Küchentisch und mixte daraus den Kuchenteig. Kosten: wenige Pfennige. Das Industriezeitalter (Industrial Economy) brachte Erleichterung, die ersten Backmischungen kamen in die Regale. Die Arbeitsschritte wurden weniger, der Preis stieg moderat an. Bald darauf folgte das Dienstleistungszeitalter (Service Economy): Die Frau, inzwischen womöglich eine gestresste Mutter mit Teilzeit-Job, backt nicht mehr selbst, sondern lässt backen. Eine Bäckerei liefert den fertigen Kuchen für ein Mehrfaches des Wertes, den die Zutaten eigentlich haben. Heute ist die persönliche Freizeit (nicht allein der Mütter) noch einmal deutlich knapper und dadurch wertvoller geworden. Nun wird nicht mehr nur die Herstellung des Geburtstagskuchens ausgelagert, sondern gleich die gesamte Organisation und Durchführung der Party. Gut möglich, dass die geladenen Kinder dabei unter Anleitung von
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pädagogisch geschulten Back-Experten selbst Geburtstagskuchen herstellen. Die nun entlastete Mutter hat Zeit, das Ereignis zu beobachten, zu fotografieren und auf den sozialen Medien zu teilen. Für die gebuchte Leistung – Party-Organisation plus Personal plus Zutaten – zahlt sie gerne weitaus mehr als 100 EUR. Welcome to the experience economy. Lange wurde die Erlebnis-Ökonomie nicht als eine eigene Stufe im Wandel der Wirtschaft angesehen, sondern schlicht als ein Add-on zur Service Economy. Das aber würde bedeuten, die in der Experience Economy liegende Kraft zu unterschätzen. Sie hat sehr wohl die Macht, Produkte und Dienstleistungen auf ein neues ökonomisches Niveau zu heben. Ein Beispiel: Was kostet eine Kaffeebohne? Ihr eigentlicher Wert liegt im Cent-Bereich. Eine Tasse Cappuccino, zu Hause aufgebrüht, schlägt dementsprechend – abhängig von Menge und Qualität der Bohnen – mit 10 bis 25 Cent zu Buche. Gekauft an einem Bahnhofskiosk und getrunken aus einem To-Go-Becher, werden dafür bereits etwa zwei Euro fällig. Hergestellt von einem Barista und serviert in einem Großstadt-Café, kostet die gleiche Menge Cappuccino schon 4,50 EUR. Beispiel: Starbucks Coffee-Shop in Shanghai In der Millionenstadt Shanghai wurde 2018 auf knapp 2700 m2 an der renommierten Nanjing Road der größte Starbucks Coffee-Shop weltweit geöffnet [12]. Mit der üblichen Starbucks Systemgastronomie weltweit hat dieser Tempel des Kaffees wenig zu tun. Wer in dem Shanghai-Store einen Cappuccino trinken möchte, wartet zunächst in der Schlange, bis der Platzanweiser einen freien Tisch zur Verfügung hat. Im Zentrum des Shops steht eine Kaffeerösterei. Über Augmented Reality kann sich der Kunde auf dem Handy die wichtigsten Funktionen der Röstmaschine erklären lassen, durch eine Glasscheibe sieht er den Bäckern bei ihrer Arbeit zu. Es gibt in diesem Starbucks kein Stück Plastik, vom Tablett aus Holz bis zum Porzellangeschirr strahlt alles Luxus aus. Der Café Latte kostet umgerechnet 6,30 EUR. Wer will, kann Möbel, Kleidung und Accessoires der Marke Starbucks kaufen. „Pures Entertainment“, schwärmen Besucher auf der Plattform Tripadvisor: „Kaffeegenuss in einer anderen Dimension“. Und: „Ein echtes Erlebnis“. [13]
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Eine gute Brand Experience ist offensichtlich in der Lage, das Preisniveau eines Cappuccinos auf das mehr als 40-fache des reinen Zutatenwertes zu katapultieren. Und zugleich den Konsumenten das Gefühl zu geben, dass das Produkt durch die zugehörigen Serviceleistungen dieses Geld wert ist. Denn der Kaffeegenuss ist letztendlich nach kurzer Zeit beendet. Durch ein ganz besonderes Erlebnis im Zusammenhang mit der Tasse Cappuccino wird aber daraus eine Erinnerung mit Langzeitwert. Eine Story, die man weitererzählen und dadurch immer wieder neu zum Leben erwecken kann. Produkte oder Dienstleistungen haben einen Preis. Die Experience Economy aber verkauft Momente, die dem Konsumenten im Idealfall unbezahlbar erscheinen und ein emotionales Band zwischen Mensch und Produkt knüpfen. Das gilt nicht alleine für das produzierende Gewerbe. Frisöre beispielsweise, die sich dem harten Preiskampf der Branche entziehen wollen, sind dazu übergegangen, sich von der Konkurrenz nicht mehr alleine durch Preis und Qualität zu differenzieren, sondern stattdessen die Experience in den Mittelpunkt zu stellen. Heute bietet der Frisör, der sich dann Hairstylist nennt, zusätzlich Kopfhautmassage an, Makeup-Kurse oder die Freitagabend-Party mit DJ, während der ursprüngliche Service (Haarschnitt) wie beiläufig passiert. „Zeit ist die Währung von Erlebnissen“, proklamieren Pine und Gilmore. [14] Demzufolge konkurrieren Marken heutzutage nicht mehr alleine um das Geld des potenziellen Kunden, sondern auch um dessen Zeit und Aufmerksamkeit. Zeit ist Mangelware für den modernen Menschen, und schon deshalb geht er zunehmend ökonomisch mit dieser wertvollen Ressource um und überlegt sich genau, in was er sie investiert. Demzufolge sehen Pine und Gilmore die vorrangige Aufgabe der Produkt- oder Dienstleistungsanbieter darin, Zeiträume zu gestalten – und zwar so, dass der Kunde sie gerne „betritt“. „Services are about time well saved“, unterscheiden die Autoren dabei – „while experiences are about time well spent.“ [14] Längst gibt es bereits Cafés, – beispielsweise das „Ziferblat“ in Großbritannien und Russland oder das „be’kech“ in Berlin –, in denen Kunden nicht mehr pro Getränk bezahlen, sondern pro Minute. Der Konsum innerhalb der gebuchten Zeit dagegen ist gratis. Amerikaner geben inzwischen im Schnitt mehr Geld in Restaurants, Coffee Shops und Bars (Dienst-
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leistung plus Experiences) aus als in Supermärkten (Produkte plus Dienstleistung). Die Übernachtungs-Plattform AirBnB vermittelt längst nicht mehr nur zwischen Bett-Anbieter und Gast, sondern auch Erlebnis-Angebote, größtenteils offeriert von „locals“, also nicht- bis semi-professionellen Gastgebern am Zielort. Dabei unterscheidet die Experience Economy zwei Arten von Erlebnissen: Das kollektive Erlebnis bringt Menschen zusammen, der Einzelne erlebt sich als Teil einer Gemeinschaft und eines größeren Ganzen. Beim New-Hippie-Festival Coachella etwa kommen im kalifornischen Coachella Valley zehntausende Menschen zusammen, um drei Tage lang miteinander Musik zu erleben und Teil des ganz besonderen Coachella-Spirits zu werden. Als Gegenbewegung zum kollektiven Erlebnis etabliert sich die individualisierte Experience mit dem Ziel, sich abzuheben von der Masse. Immer mehr Menschen geben tausende von Euros für exklusive Himalaya-Trekkings aus in der Hoffnung, dann ganz alleine auf dem Dach der Welt zu stehen. Der neue Geheimtipp unter den Szene-Clubs, der paradiesisch leere Strand einer thailändischen Insel: Die sozialen Medien sind voll von Erlebnis-Posts, die Einzigartigkeit belegen sollen. Die Experience wird zum Status-Symbol und zum Investment in die eigene Person als Marke. Status zu erlangen ist wiederum eine mögliche Antwort auf menschliche Grundbedürfnisse wie die nach Gemeinschaft, Anerkennung und Wertschätzung. Der Soziologe Gerhard Schulze hat diese Entwicklung in Richtung Experience Economy bereits Anfang der 90er Jahre diagnostiziert: „Wir stehen vor dem Phänomen einer innengerichteten Modernisierung. (…) Erlebnisse werden nicht bloß als Begleiterscheinung des Handelns angesehen, sondern als dessen hauptsächlicher Zweck. [3] Die von ihm postulierte „Erlebnisgesellschaft“ bezeichnet „eine Gesellschaft, die (…) relativ stark durch innenorientierte Lebensauffassungen geprägt ist“. [3] Der kategorische Imperativ im Sinne des neuen Zeitgeistes laute: „Erlebe dein Leben!“ [3] Folgerichtig beinhaltet heute jeder Teebeutel, jedes Duschgel bereits im Namen ein Erlebnisversprechen: „Innere Harmonie“. „Augenblicke der Freude“. „Wild Life“.
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Zusammenfassung • Die Experience Economy ist mehr als ein Add-on für Produkte oder Dienstleistungen. Ihr wohnt die Macht inne, ein Business auf ein anderes Preisniveau zu heben. • Zeit ist die Währung der Experience Economy. Ein klug konzipiertes Erlebnis verführt den Kunden dazu, seine kostbare Zeit zu investieren. • Aufgabe der Unternehmen in der Erlebnisökonomie ist, Zeiträume so zu gestalten, dass der Kunde sie gerne betritt.
1.3 Immer im Blick – der Markenkern Die Autoren Pine und Gilmore betrachten die Erlebnisökonomie als vierte Stufe eines gesamtwirtschaftlichen Entwicklungsprozesses. Die Erlebnisqualität beschreiben und bewerten sie ausschließlich aus der Sicht des Kunden. Ist die Experience für den Customer neu und überraschend, findet sie auf dem optimalen Erregungsniveau statt und spricht sie möglichst viele Sinne an, dann handelt es sich nach Pine und Gilmore um eine gut konzipierte Erfahrung. Die Trennschärfe zwischen den einzelnen Stufen des Modells von Pine/Gilmore (Agrarwirtschaft, industrielle Wirtschaft, DienstleistungsÖkonomie, Erlebnis-Ökonomie) ist dabei nicht hoch. Analog zum Kommunikations-Axiom von Paul Watzlawick („Man kann nicht nicht kommunizieren“) erlebt der Mensch, ob er will oder nicht. Jedes Produkt, jede Dienstleistung beinhaltet immer auch die Erlebnis-Dimension. Jeder Kontakt mit einem Produkt oder einem angebotenen Service ist eine Customer Experience beziehungsweise User Experience. Ein gutes Customer Experience Management entlang der vielen Berührungspunkte des Kunden mit dem Produkt stärkt die positive emotionale Bindung zwischen Anwender und Produkt. Beispiel: Was im Inneren des Geräts passiert, ist egal Kaum jemand vor ihm hat dem Kundenerleben so viel Bedeutung zugemessen wie Steve Jobs. „You’ve got to start with the customer experience and work back toward the technology – not the other way around“, postulierte er bei der World Wide Developer Conference von
10 M. Schnaack Apple 1997. Was im Inneren eines Gerätes passiert, ist dem Kunden in der Regel relativ egal. Ihm geht es vielmehr darum, dass das Gerät die Bedürfnisse des Nutzers erfüllt. Produkte des Apple Konzerns werden seit Steve Jobs konsequent aus der Kundenperspektive erdacht: Was will der künftige Käufer? Was braucht er? Wovon träumt er? Und wie kann ihm die aktuelle Technologie dabei helfen? Was Apple-Produkte darüber hinaus aber auch auszeichnet: Jede Customer Experience an allen Touchpoints ist konsistent vom Markenkern gedacht – ein Ansatz, der bei Pine und Gilmore keine Beachtung findet. Apple: Das ist maximale Einfachheit bei gleichzeitig hoher Qualität. Ein Brand Core, der an allen Berührungspunkten mit dem Unternehmen oder Produkt zumindest im Subtext mitklingen soll. Die Stores weltweit? Edel möbliert und übersichtlich gestaltet mit höchst funktionaler Präsentation der Ware. Der Aufbau der Webseite? Funktional, viel Weißraum. Der Bestellprozess? Reibungsarm. Die Verpackung der zugesandten Ware: schnörkellos und haptisch angenehm. Das Produkt? Nahezu selbsterklärend. „Apple makes technology so simple that everyone can be part of the future“, formulierte es Steve Jobs 1997 [15].
Eine an der Marke ausgerichtete Customer Experience genügt immer den gleichen, vom Markenkern vorgegebenen Grundkriterien, egal an welchem Touchpoint Kunde und Produkt aufeinandertreffen. Wenn beim Autohersteller BMW der Markenkern „Freude am Fahren“ lautet, muss diese Emotion auch in jeder Customer Experience und im 360-Grad-Umfeld spürbar werden. Es reicht eben nicht aus, dass der Besuch beim Autohändler und die Probefahrt ein reines Vergnügen waren und dass die Übergabe des Neuwagens zur bühnenreifen Inszenierung wurde, wenn dann der erste Reifenwechsel in der Markenwerkstatt eine unerfreuliche Erfahrung wird. Das Customer Experience Management (CEM) ist ein entscheidender Faktor für wirtschaftlichen Erfolg. Die Watermark Consulting 2019 Customer Experience ROI Study [16] bringt seit 2010 die Wertentwicklung von börsennotierten Konzernen in Verbindung mit deren Positionierung auf dem Customer Experience Index von Forrester Research. Jedes Jahr belegt die Studie erneut, dass jene Firmen, die zu den Top Ten in Bezug auf CEM zählen, auch die größten Kurszuwächse verbuchen können – während die CEM-Verweigerer in Schnitt deutlich schlechter dastehen.
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Bis Mitte der 1950er Jahre spielte das Erlebnis als Teil des Produktnutzens wirtschaftlich gesehen keine große Rolle: Dem nach dem Krieg großen Produkthunger der Konsumenten stand eine noch nicht ausreichend große Anzahl an technischen Lösungen gegenüber; die Nachfrage überstieg das Angebot, die Consumer-Ansprüche waren verhältnismäßig niedrig. Das aber hat sich drastisch geändert; selbst technische Nischen sind inzwischen mehrfach besetzt, der Kunde ist in seinem Produktverlangen gesättigt. Von dem Bedeutungsverlust der bisher als erstrebenswert geltenden Konsumgüter profitiert dementsprechend die Experience Economy: Wenn materieller Besitz vermehrt als Belastung statt als Bereicherung erfahren wird, dann wird das Geld vermehrt in Erlebnisse investiert. Eine Analyse der Unternehmensberatung McKinsey belegt, dass sich zwischen 2014 und 2016 die Ausgaben für den privaten Konsum (Personal-Consumption Expenditures, PCE) im Bereich Experiences (etwa Restaurantbesuch, Reisen, Konzertbesuche, Vergnügungsparks) nahezu um das Vierfache besser entwickelt haben als die Ausgaben für Produkte [17]. Zusammenfassung • Es ist zwingend für jedes Unternehmen, sämtliche Berührungspunkte des Kunden mit der Marke entlang der Customer Journey zu identifizieren und als bedeutsame Experiences zu verstehen. • Jedes dieser Brand Experiences muss zum Markenkern passen, um dem Kunden eine in sich stimmige, holistische Markenbegegnung zu ermöglichen.
1.4 Die Zutaten für die perfekte Experience Wann sind Erlebnisse „satisfying“ [1], also zufriedenstellend im Sinne von Lawrence Abbot? Wie müssen sie gestaltet sein, damit sie den Kunden so nachhaltig berühren, dass er eine emotionale Bindung, im besten Fall eine Loyalität gegenüber der Marke entwickelt? Dieser Langzeiteffekt wohnt nicht jedem Erlebnis automatisch inne. Vieles ist ebenso schnell wieder vergessen wie erlebt. Ziel der Experience
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Economy ist aber, eine Marke möglichst nachhaltig zu verankern im Konsumenten-Denken. Was also macht eine solche Experience aus? Zunächst einmal: Brand Experiences werden oftmals mit Events gleichgesetzt. Diese Betrachtungsweise ist grundfalsch, weil veraltet, und für heutige Verhältnisse viel zu verengt. Ein Event ist nur ein Format, in dem eine Marke erlebbar wird, aber bei weitem nicht das einzige oder das wichtigste. Bis Ende der 80er Jahre galt noch eine andere Marketingphilosophie: Events galten damals quasi als die Kirsche auf dem Kuchen – etwas, das sich ein Unternehmen ergänzend zu allen weiteren Marketingmaßnahmen gönnte. Heute ist es unbedingt erforderlich, sich – um in der Metapher zu bleiben – den ganzen Kuchen anzuschauen: Passen alle Bestandteile zueinander? Die kandierte Kirsche obendrauf ist verschwendet, wenn sie nicht mit dem Rest des Kuchens eine Einheit bildet. Die Torte muss in all ihren Bestandteilen schmecken. Und die einzelnen Geschmacksnuancen müssen vor allem ein stimmiges Geschmacksbild abgeben. Für Unternehmen und ihre Marken bedeutet das: Eine Marke muss an allen Punkten überzeugen, an denen der Kunde mit ihr in Berührung kommt, und dieses Markenerlebnis muss an allen Touchpoints deckungsgleich sein. Denn jeder einzelne Kontakt mit einer Marke gestaltet das holistische Markenerlebnis mit. Schon der erste äußere Eindruck bestimmt die Richtung der Wahrnehmung. Und bereits ein einzelner Ausreißer kann das Gesamterlebnis zerstören. „Tell me and I will forget, show me and I will remember, involve me and I will understand“: Egal ob nun Konfuzius oder doch US-Präsident Benjamin Franklin der Urheber dieses Zitats ist – der Inhalt dieses beliebten Satzes ist etwas, das wohl jeder aus eigener Erfahrung nachvollziehen kann. Hören, sehen, tun: drei Verben, die die Stufen einer Nachhaltigkeits-Skala kennzeichnen. Je mehr aktive Teilnahme ein Erlebnis erfordert und je mehr der Mensch zum Teil einer Geschichte wird, desto größer seine emotionale Beteiligung. Der Soziologe Gerhard Schulze differenziert hier zwischen Erlebnisnachfrage und Erlebnisangebot. Erlebnisangebote definiert er als „jedes Produkt“, „dessen Nutzen überwiegend in ästhetischen Begriffen definiert wird (schön, spannend, gemütlich, stilvoll, interessant, usw.)“. Ein Traktor dagegen ist nach Schulze „auch dann kein Erlebnisangebot,
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wenn es jemanden gibt, der sich nur zum Vergnügen einen Traktor kauft“ [3]. Zugleich gesteht er aber auch ein, dass eine Vielzahl von Produkten in jüngster Zeit „an Gebrauchsbedeutung verloren haben, um Erlebnisbedeutungen dazuzugewinnen“ – es gäbe schlicht „immer mehr Produkte, deren Erlebniskomponente immer mehr in den Vordergrund tritt“. Ein Fünf-Gänge-Menü in einem Sternerestaurant etwa ist in erster Linie ein Erlebnisangebot und weniger eine Aneinanderreihung von zubereiteten Lebensmitteln, um den Hunger zu stillen. Ein gut konzipiertes Markenerlebnis weckt Emotionen. Begeistert, berührt, reißt mit. Warum ist das so wichtig? Weil Menschen sich emotional für oder gegen den Kauf eines Produktes entscheiden. Das ist noch eine verhältnismäßig junge Erkenntnis. Bis Anfang der 80-er Jahre herrschte die Vorstellung, dass der Kaufprozess beim Homo oeconomicus rein rational ablaufe und das Ergebnis eines kognitiven Informationsverarbeitungsprozesses sei, der in erster Linie von Fragen nach dem Nutzen geleitet wird [18]. Die Marketingexperten Elizabeth C. Hirschman und Morris B. Holbrook bereiteten dieser Idee ein Ende. Sie betonen den hedonistischen Aspekt des Konsumentenverhaltens („hedonic consumption“), definiert als „consumers’ multisensory images, fantasies and emotional arousal“ [19]: Emotionen wie Spaß, Begeisterung, Vergnügen in der Konsumsituation haben ebenfalls Auswirkungen auf die Kaufentscheidung. Rationale sowie hedonistische Aspekte bestimmen gemeinsam das Verhalten des Konsumenten. In unserer Überflussgesellschaft trifft der Mensch seine Kaufentscheidungen überwiegend aus emotionalen Gründen, versucht allerdings im Nachhinein, seinen Kaufimpuls rational zu begründen: Es müssen diese teuren Laufschuhe sein, weil sie im Test besonders gut abgeschnitten hatten, weil sie den Knöchel besser stützen, weil sie für Asphalt geeignet sind. Und nicht etwa, weil das Design gefällt, weil ein Role Model diese Schuhe trägt oder weil der so sympathische Verkäufer sie empfohlen hat. Soziologe Gerhard Schulze unterscheidet zwischen außen- und innenorientiertem Konsum: „Der innenorientierte Konsument sucht eine Brille, mit der er sich schön fühlt, ein Auto, das ihn fasziniert, eine Mehlsorte, mit der er etwas erleben kann: Erlebnismehl. Was uns heute absurd erscheint, kann morgen bereits selbstverständlich geworden sein. Jedes Produkt kann innenorientiert angeboten und
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nachgefragt werden; dem Mehl steht jene Umdeutung vielleicht nur noch bevor, die bei Brillen und Autos schon weit vorangeschritten ist.“ [3]. Es sei, so Schulze, bereits schwer geworden, noch Produkte mit rein außenorientierter Kaufmotivation zu finden. Das trifft umso mehr auch auf Dienstleistungen zu, die – stärker noch als Produkte – bewusst als ein Erlebnis wahrgenommen werden. Welche Fluggesellschaft etwa gewählt wird, ist, rational gesehen, eine Frage von Abflugzeiten, Beinfreiheit und Preis. Doch damit alleine lassen sich viele Ticketkäufe nicht erklären, sondern auch durch übersichtliche Buchungsplattformen, einen reibungsfreien Check-In-Ablauf und souveränes Boden- und Bordpersonal. Solche Mikro-Erlebnisse tragen in Summe zu dem guten Gefühl bei, dass diese Airline alles im Griff hat und deshalb sicher ist. Die Autoren B. Joseph Pine und James H. Gilmore klassifizieren Experiences anhand eines Zwei-Achsen-Koordinatensystem. Die eine Achse wird begrenzt durch die Endpunkte „passiv“ und „aktiv“, die andere bezeichnet die Art der Verbindung zwischen Kunde und Erlebnis: Absorbiert die Experience die Aufmerksamkeit eines Menschen eher, oder verschmilzt er geradezu mit dem Geschehen? Je nachdem, in welchem Feld des Koordinatensystems das Erlebnis liegt, kann es einer von vier Erlebnis-Sphären zugeordnet werden (vgl. Abb. 1.2). • Das edukative Erlebnis bezieht den Kunden aktiv mit ein und absorbiert seine Aufmerksamkeit insofern, dass dieser sich fokussiert auf das Geschehen. • Entertainment bindet ebenfalls die Aufmerksamkeit, allerdings in einer eher passiven Weise (etwa Kino- oder Theaterbesuch). • Ästhetische Erlebnisse involvieren den Menschen passiv, etwa mit einer Kombination aus Varieté und Restaurant. • Eskapistische Erlebnisse dagegen involvieren den Menschen aktiv in ein Erlebnis, etwa beim Spielen eines eGames oder beim exklusiven Fahrerlebnis mit einem Luxusauto. Welche dieser Erlebnisse bleiben am längsten in Erinnerung, gehen am ehesten unter die Haut? „…involve me, and I will never forget“: Es sind vor allem solche, die den Menschen aktiv einbeziehen und ihn zum Teil
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Abb. 1.2 Die vier Erlebnisräume. Nach Pine & Gilmore, 1999. (Quelle: [11])
einer Geschichte machen. Dies sind die Experiences, die lange erinnert und gerne weitererzählt werden. Am Anfang einer positiven emotionalen Beziehung zu einer Marke steht in der Regel ein erfreuliches Erlebnis. Um Menschen zu berühren, müssen Brand Experiences allerdings die mitunter hohe Erwartungshaltung der Menschen knacken und diese – auf positive Weise – überraschen. Das ist einfach bei Kindern, für die noch nahezu alles neu und aufregend ist. Was ein Grund ist dafür, dass gerade Initiationserlebnisse – der erste Schultag, der erste Stadionbesuch, der erste Kuss – einen Ehrenplatz im Langzeitgedächtnis erhalten. Der erste Stadionbesuch beispielsweise kann junge Fußballfans zu lebenslangen Anhängern eines Vereins machen. Das erste selbst gekaufte Auto führt zu einer stärkeren emotionalen Markenbindung als alle späteren Autokäufe. Deutlich schwerer ist ein ähnlicher Effekt bei Menschen, die mit einer hohen Erwartungshaltung zu einer Veranstaltung wie einer Messe oder einer Produktpräsentation kommen. Sie jenseits ihrer Vorstellungen positiv
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zu überraschen und emotional zu berühren, ist die hohe Kunst der Experience-Konzeption. Wenn der Kunde seine Kaufentscheidungen vorwiegend aus dem Bauch heraus trifft und erst im Nachhinein mit dem Verstand begründet, ist es aus Unternehmenssicht von größerem Vorteil, seine Emotionen anzusprechen als seinen Intellekt. Der Königsweg in die Gefühlswelt erfolgt über die fünf Sinne: „Alles, was das menschliche Gehirn über die fünf Sinne aufnimmt, wird mit Emotionen versehen und abgespeichert, ob positiv oder negativ“, sagt Felix van de Sand, Director Design Strategy der Münchner Agentur COBE [20]. Das menschliche Gehirn ist darauf ausgelegt, die Welt multisensorisch wahrzunehmen und diese Wahrnehmungen miteinander zu integrieren. Sehen, hören, schmecken, riechen, fühlen: Der Mensch begegnet seiner Umwelt mithilfe der fünf Sinne. Aus all diesen Reizen, ob bewusst oder unbewusst aufgenommen, setzt sich die Gesamtwahrnehmung eines Erlebnisses zusammen. Erlebnisse wirken umso stärker, je mehr Sinne sie ansprechen. Umgekehrt kann bereits eine Sinneswahrnehmung die im Gehirn dazu passenden anderen Regionen aktivieren. So weckt beispielsweise der Geruch von Zimt die visuelle Vorstellung von leckerem Weihnachtsgebäck aus, und man glaubt, den Zimtstern bereits im Mund zu schmecken. Nicht alle Sinneskanäle wirken gleich stark, können sich aber zu einer gewissen Stärke addieren. Der dänische Marken-Experte Martin Lindstrom untersuchte die Effektivität der Information über verschiedene Sinneskanäle und kam zu dem Ergebnis, dass lediglich etwa 20 bis 30 % der Informationen einer Situation über das Auge aufgenommen werden. In der Kombination aus visuellen, akustischen und taktilen Reizen dagegen hat der Mensch bereits 80 bis 90 % der möglichen Informationen erfasst [21]. Visuelle Eindrücke, so Lindstrom, sind „wesentlich wirkungsvoller und bleiben besser im Gedächtnis, wenn sie mit einem anderen Sinneseindruck verbunden sind, beispielsweise einem Geräusch oder einem Geruch“ [22]. Ein Lagerfeuer, aus der Ferne betrachtet, wirkt deutlich schwächer als in der Nähe, wenn die Hitze auf der Haut spürbar wird, das Knistern des Holzes zu hören ist, der Brandgeruch wahrgenommen wird.
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Kein noch so aufwendig hergestellter Werbeclip für ein neues Automodell kann eine reale Probefahrt ersetzen mit all ihren Facetten: das Leder der Sitze zu riechen, dem satten Motorengeräusch zu lauschen, die Beschleunigung im ganzen Körper zu spüren. Mercedes Benz hat 2020 für die G-Class nahe Graz ein Experience Center eröffnet, das Kunden ermöglicht, den Kult-Geländewagen on- und offroad auszuprobieren: bis zu 100 % Steigung, Flussdurchquerung, über große Steine hinwegbrettern – wer danach aus dem Wagen aussteigt, ist zum Markenfan geworden [23]. Porsche Austria hat 2019 in Salzburg das Erlebniszentrum Mooncity eröffnet, das aus dem sperrigen Thema Elektromobilität eine sinnliche Experience machen und selbst Zweifler zu E-Fans wandeln soll. Virtual Reality, Augmented Reality und Mixed Reality entführen auf eine Mond-Mission. Die Wahrnehmung von Brands kann durch gekonnte Orchestrierung unterschiedlicher sensorische Reize eine ungeheure Intensität erreichen. Eine von Lindstrom in Auftrag gegebene Studie ergab, dass „sich in den Gehirnen der Probanden immer dann, wenn sie starke Marken wahrnahmen – ein Apple-Gerät, eine Harley-Davidson, einen Ferrari und andere –, die gleichen Aktivitäten abspielten wie beim Anblick religiöser Bilder“. Mit anderen Worten: „Unsere Forschung zeigte, dass die Emotionen, die wir (…) empfinden, wenn wir einen iPod, ein Glas Guinness oder einen Ferrari Sportwagen sehen, ähnlich den Gefühlen sind, die religiöse Symbole (…) hervorrufen. [22] Zusammenfassung • Ziel einer gelungenen Marken-Experience ist, den Konsumenten jenseits seiner Erwartungshaltung positiv zu überraschen und emotional zu berühren mit dem Ziel, eine Markenbindung herzustellen. • Experiences lassen sich anhand der Koordinaten Absorption/ Involvement und Aktivität/Passivität in eine Matrix einordnen und in Erlebnisse unterschiedlicher Nachhaltigkeit einteilen.
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1.5 Digitalisierung als Katalysator Digitalisierung und Erlebnisse – zwei Begriffe, die sich auf den ersten Blick diametral gegenüberstehen. Doch bei genauerer Analyse zeigt sich, dass die Digitalisierung nicht die Erlebnisökonomie ausbremst, sondern ihr vielmehr als Katalysator dient. Die Entwicklung, die B. Joseph Pine und James H. Gilmore beschrieben haben, hat durch den Markteintritt des Smartphones, durch den Siegeszug von Apps und sozialen Medien, durch die technischen Möglichkeiten von Virtual und Augmented Reality sowie die vielfältigen Big-Data- und KI-Anwendungen einen immensen Schub bekommen. Nicht nur, dass auch digitale Erfahrungen als eine Form der Experience gewertet werden können: Gerade im Kontrast zur digitalen Welt haben „echte“ Erlebnisse an Bedeutung gewonnen. Die Sehnsucht nach besonderen Momenten ist heute größer denn je – allen Kulturpessimisten zum Trotz, die vorhergesagt hatten, dass Virtual und Augmented Reality den analogen Experiences bald den Rang ablaufen würden. Analoge und digitale Erlebnisse sind nicht mehr getrennt zu betrachten, sondern verschmelzen zu einem Ganzen. Mixed Reality Experiences setzen die technischen Möglichkeiten von Virtual und Augmented Reality nicht ein, um reale Erlebnisse zu ersetzen, sondern um diese anzureichern (Enhanced Experiences). Im legendären Camp Nou etwa, dem Heimstadion des FC Barcelona, haben Besucher nicht mehr nur die Möglichkeit, in der Umkleidekabine der Star-Kicker zu sitzen und einen Blick in die stadioneigene Kapelle zu werfen. Eine VR-Brille ermöglicht es ihnen darüber hinaus, die Atmosphäre im Stadion während eines Spieles zumindest virtuell zu erleben, die Gesänge der Fans auf den Rängen zu hören und aus dem Blickwinkel eines Spielers auf das Tor zu schauen – eine Experience, die Emotionen in einem ganz anderen Ausmaß weckt als etwa der Blick allein auf Lionel Messis Pokalsammlung in einer Glasvitrine. SevenAdFactory und Starwatch Entertainment entwickelten zusammen mit der AvantgardeAgentur 361/DRX im Mai 2020 für die 15. Staffel der TV-Castingshow „Germany’s Next Topmodel“ die Augmented-Reality-Fotoaktion
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#PoseAtHomeChallenge, mit der Fans ein Selfie mit ihrer Lieblingskandidatin machen konnten, ohne tatsächlich neben ihr zu stehen. Der virtuelle Ersatz für die echte #GNTM Experience, wie sie noch ein Jahr zuvor nicht möglich gewesen war, löste große Begeisterung bei den „GNTM“-Anhängern aus. „Time is the currency of experiences“, postulieren Pine und Gilmore [14]: Der Wert von Erlebnissen bemisst sich darin, wie viel Zeit wir bereit sind in sie zu investieren. Vor allem die Veränderung der Arbeitswelt durch das Internet mit seiner 24/7-Verfügbarkeit haben die Zeit zu einer raren und damit wertvollen Ressource gemacht. In der heutigen Wohlstandsgesellschaft müssen Unternehmen deshalb weniger direkt um das Geld des Konsumenten konkurrieren, sondern mehr um seine Zeit und Aufmerksamkeit, um Umsatz zu machen. Der Verbraucher geht zunehmend ökonomisch mit dem wertvollen Gut namens Zeit um und überlegt sehr genau, worin seine Rendite für die investierte Zeit bestehen könnte. Was nicht bedeuten muss, dass die vorhandene Freizeit nur für langfristig lohnende Unternehmungen ausgegeben wird; durch kurzfristige Ablenkung, Spaß und Spannung können auch die Stunden, die etwa für ein Online-Game verwendet werden, subjektiv gewinnbringend sein. Mehr als 270 Millionen Menschen spielen beispielsweise weltweit das Mobile-Game „Candy Crush“. Mehr als neun Millionen von ihnen verbringen drei bis sechs Stunden pro Tag damit, virtuelle Bonbons platzen zu lassen. Auf den Markt gebracht wurde das Spiel 2011 von King Digital Entertainment. Bereits vier Jahre nach der Geburt von „Candy Crush“ wurde der Onlinegame-Anbieter für 5,9 Mrd. US$ verkauft [24]. „Je mehr positive Aufmerksamkeit erzielt werden kann, desto wertvoller ist das Unternehmen, der Brand oder auch der Mensch, der es versteht, diese Aufmerksamkeit für sich zu gewinnen“, schlussfolgert der Wirtschaftsinformatiker Kevin Goldhausen [25]. Da der Mensch erleben will – ob on- oder offline –, sind Experiences eine unschlagbare Möglichkeit, Aufmerksamkeit zu gewinnen, Werte zu generieren und die Bindung des Customers an eine Marke zu festigen: Die Erschaffung eines Erlebnisses, das überraschender, spannender, nützlicher ist als alle zum Zeitpunkt X konkurrierenden Alternativ-Erlebnisse, bringt Konsumenten dazu, Zeit (und damit in der Regel auch Geld) zu investieren.
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In Zeiten, in denen die Zurschaustellung von Besitztümern nicht mehr einhellig nur Lob und Bewunderung hervorruft, ist die Experience zum Statussymbol avanciert. Ähnlich wie vor 50 Jahren der Zweitwagen für alle Nachbarn sichtbar vor dem Haus abgestellt wurde, werden heute Erlebnisse in den sozialen Medien „geparkt“. „Instagramable Moments“ von der Teilnahme am Marathon, dem Hiking-Trip mit Freunden oder dem Festival-Besuch bringen heute meist mehr Likes als ein zur Schau gestellter Konsum, was wiederum den subjektiven Wert eines Erlebnisses noch einmal steigert. Soziale Medien schenken Erlebnissen außerdem eine neue zeitliche Dimension: Hier gelagerte Erinnerungen können – im Gegensatz zum analogen Fotoalbum oder Dia-Abend – jederzeit und überall hervorgeholt und vorgezeigt werden. Und so immer wieder nacherlebt werden, was wiederum die gefühlte Rendite der investierten Zeit erhöht. Analog hier, digital da: Die gelernte Grenzziehung funktioniert also nicht mehr. Off- und Online sind heute zu einem untrennbaren Ganzen verwoben, auch wenn das noch nicht alle Unternehmen wahrhaben wollen; Großkonzerne tun sich mit dem Perspektivenwechsel deutlich schwerer als agile Start-ups. Die Kunden indes unterscheiden längst nicht mehr zwischen analogem und digitalem Markenauftritt. „Anscheinend erleben wir zum ersten Mal, dass Konsumenten technologische Fortschritte deutlich schneller adaptieren, als Unternehmen in der Lage sind, diesen zu folgen“, konstatieren etwa der Wirtschaftsinformatiker Andreas Rusnjak und der Transformationsexperte Daniel R. A. Schallmo [26]. Die digitale Transformation zwingt die allermeisten Firmen von Grund auf neu zu denken: die verwendete Technik und das bisherige Datenmanagement, die Produkte und Services sowie Marketing und Vertrieb, aber auch die bisher genutzten Kommunikationswege und unternehmerischen Strategien. Denn das wirtschaftliche Fundament – die Beziehung zwischen Konsumenten und Marke – hat sich in Folge der Digitalisierung verändert. Das Machtgefälle zwischen dem Kunden und dem Hersteller von Ware oder Dienstleistung existiert nicht mehr. Wenn alle Inhaltsstoffe eines Lebensmittels noch vor dem Supermarkt gegoogelt werden können, wenn jeder Konsument in sozialen Medien und auf Bewertungsportalen zum Rezensenten werden kann, wenn
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die Krisenkommunikation eines Unternehmens etwa auf Twitter oder Facebook in Echtzeit weltweit mitgelesen werden kann, sitzt der Konsument am Machthebel. „Es gibt nur einen Boss: den Kunden“, erkannte Walmart-Gründer Sam Walton schon früh. „Er kann jeden im Unternehmen feuern, von der Geschäftsleitung abwärts, ganz einfach, indem er sein Geld woanders ausgibt.“ Durch soziale Medien allerdings hat sich die Hebelkraft des einzelnen Kunden vervielfacht. Beispiel: Vier freie Plätze für die Crew 10. April 2017: Der Flug UA 3411 von Chicago nach Louisville ist bereits überbucht, doch United Airlines benötigt vier freie Plätze, um eine komplette Crew baldmöglichst an ihren nächsten Dienstort zu bringen. Die Bitte der Airline an Passagiere, freiwillig die Reise zu verschieben, läuft ins Leere. Kurz darauf zeigen erste Smartphone-Videos, von Passagieren online gestellt, wie ein Mann gewaltsam vom Bordpersonal durch den Flugzeuggang geschleift wird; sein Pulli ist hochgerutscht, seine Brille hängt schief, er schreit. In kürzester Zeit wird einer der Clips auf Facebook weltweit mehr als 15 Mio. Mal angeschaut. Ein Ereignis, das 20 Jahre zuvor bestenfalls eine Randspalten-Meldung in der Lokalzeitung von Chicago nach sich gezogen hätte, beschert United Airlines nun einen veritablen Shitstorm. Mit einem eher hilflosen E ntschuldigungs-Statement auf Twitter versuchte der Vorstandsvorsitzende Oscar Munoz die Wogen zu glätten: „This is an upsetting event to all of us here at United. I apologize for having to re-accomodate these customers.“ [27] Zwei Tage nach dem Vorfall waren die Aktien der Airline um 1,1 % gefallen. [28]
Ausgerechnet der technologische Fortschritt hat den Menschen in den Mittelpunkt gerückt. Das Zeitalter des Kunden ist angebrochen. Ein Zeitalter, in dem • „Menschen mit nur einem 140-Zeichen-Tweet in Sekunden Millionen von Menschen erreichen und beeinflussen können. • wir anerkennen müssen, dass unser Smartphone uns besser kennt als unsere Eltern oder unsere Partnerin bzw. unser Partner es tut. • wir erwarten, dass nicht nur wir und unsere Mitmenschen stets online, erreichbar und miteinander verbunden sind, sondern auch
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die Produkte, Unternehmen und Gegenstände, die uns umgeben und begleiten.“ [25] Wenn ein Interessent via Internet jederzeit Modell- und Preisvergleiche anstellen kann, dann verschwimmt das einzelne Produkt in der schier unermesslichen Angebotsmasse. Die Customer Experience in den Mittelpunkt zu stellen, birgt hingegen die Möglichkeit, sich abzuheben von den Marktbegleitern. Die Transformation in die Experience Economy wird durch die Digitalisierung also nicht gestoppt, sondern nur umso dringlicher. Erfolgreiche Marken zeichnen sich zunehmend durch eine starke emotionale Beziehung zu ihren Kunden aus. Die stärkste Bindung, die größte Loyalität zur Marke aber entsteht durch emotionale Momente. Die Digitalisierung hat die Customer Journey aber nicht nur inhaltlich verändert, sondern auch verlängert durch die Erhöhung der Anzahl der Berührungspunkte mit der Marke. Trafen Mensch und Marke früher erstmals im Geschäft real aufeinander, hat sich dieser Touchpoint nun ins Netz und damit zeitlich nach vorne verlagert. Im Web wird oftmals ein Produktinteresse erst geweckt; hier kann das Produkt bereits lange vor der Kaufentscheidung begutachtet werden. Der gesamte Kaufprozess ist branchenübergreifend online durchführbar geworden. Produkte werden digital individualisiert, Kundenfragen werden im Netz entgegengenommen, Reklamationen bearbeitet. Lange verstand man unter Kundenbeziehung das unternehmerische Bemühen, „Transaktionen möglichst effizient durchzuführen und abzuarbeiten“ sowie den Bedürfnissen des Kunden „insofern gerecht zu werden, als dass man ein funktionierendes, zuverlässiges und anwenderfreundliches Produkt oder eine Dienstleistung zur Verfügung stellt“ [25]. Doch die Zeiten, in denen das Customer Experience Management mit dem erfolgreichen Kaufabschluss endete, sind endgültig vorbei. Der einst die Kaufhandlung beendende Standardsatz „Bei Problemen wenden Sie sich bitte an unsere Reklamationsstelle“ hat ausgedient. Vor Abschluss des Kaufvertrags umworben werden und sich dann bei den ersten Problemen mit einem externen Call Center irgendwo im Nirgendwo auseinandersetzen müssen? Das geht nicht mehr.
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Customer Experience Management erfordert infolge der Digitalisierung einen 360-Grad-Ansatz, also die integrierte, intelligente Nutzung aller verfügbaren Kommunikationskanäle. Ob Web, App oder Store, ob Telefon, Mail oder Chat, ob PC, Smartphone oder Tablet: Der Kunde setzt als selbstverständlich voraus, auf vielfältige Art mit dem Unternehmen in Kontakt treten zu können. Mit der Implementierung von Kontaktpunkten entlang der Customer Journey ist es dabei noch nicht getan. Um Kunden nicht nur zu gewinnen, sondern auch langfristig an eine Marke zu binden, sind weitere Maßnahmen nötig. Der Kunde erwartet, immer und überall einbezogen zu werden. Er rechnet mit 24/7-Kommunikation. Und setzt maximale Transparenz sowie Authentizität vonseiten der Unternehmen voraus. Nicht nur die analogen, sondern nun auch die vielen digitalen Berührungspunkte mit der Marke als Unternehmen wahrzunehmen, sie zu kontrollieren und aus dem Markenkern heraus konsistent zu gestalten, ist eine der Herausforderungen für Brands in der digitalen Transformation. Dabei genügt es nicht, aus der Komfortzone des Produzenten auf die End-to-End-Kette zu blicken, sondern diese mit den Augen des Users zu sehen: Was erwartet er? Was braucht er? Was hält ihn? Wie findet der Interessent die nötigen Informationen, wie reibungsarm erfolgt die Registrierung auf unterschiedlichen Geräten oder Plattformen, welche Begleitung bis zur Kaufentscheidung ist notwendig, welche Serviceangebote schließen sich an den Kauf an? Eine starke Markenidentität setzt eine passgenaue Brand Experience entlang der gesamten Customer Journey voraus. Die Übergänge von einem Medium zum anderen für den Kunden sollten „seamless“, also nahtlos sein. Zusammenfassend für Unternehmen in der Experience Economy hat der Unternehmensberater und Publizist Daniel Newman sieben Gesetze für die digitale Transformation formuliert [29]: 1. Die ganzheitliche Customer Experience ist das Herz der digitalen Transformation. 2. Customer Experience bedeutet immer die komplette Customer Journey.
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3. Die Customer Journey endet nicht mit dem Kauf eines Produktes oder einer Dienstleistung. Feedback des Kunden zur Verbesserung der Customer Experience ist obligatorisch. 4. Alle Berührungspunkte entlang der Customer Journey müssen einprägsam und wirkungsvoll gestaltet sein. 5. An allen Touchpoints muss die Customer Experience einfach, intuitiv, reibungsfrei, individuell, innovativ, funktionell, einzigartig und teilbar sein. 6. Ziel der Gestaltung eines jeden Kundenerlebnisses ist die Steigerung des bestehenden Engagements des Kunden sowie seiner Loyalität gegenüber der Marke. 7. Für ein nahtloses Kundenerlebnis müssen alle Touchpoints konsistent über alle Geräte und Plattformen integriert sein.
Zusammenfassung • Digitalisierung ist ein wichtiger Beschleunigungsfaktor für die Experience Economy – je mehr Bereiche in die virtuelle Welt wechseln, desto wertvoller werden reale Erlebnisse. Analoge und digitale Erlebnisse verschmelzen zu Mixed Reality Experiences. • Die Digitalisierung hat das Machtverhältnis zwischen Unternehmen und Customer verändert – jetzt ist endgültig der Kunde der Boss. • Nahtloser Wechsel zwischen digitalen und analogen Erlebnissen • Digitale Möglichkeiten werten analoge Erlebnisse auf • Die Qualität der Experiences ersetzt den Preis als Differenzierungsmerkmal
1.6 Experience und Purpose Economy 2016 stellte der amerikanische Selfmade-Unternehmer und Publizist Aaron Hurst eine gewagte Prognose: „2020 wird zum Wendepunkt in Richtung Purpose Economy“, postulierte er in einem Artikel in „Psychology Today“ [30]. Die Purpose Economy, zu deutsch Sinn-Ökonomie, werde dann zum vorherrschenden Organisations prinzip, und das wiederum würde eine tektonische Verschiebung in der
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Wirtschaft nach sich ziehen – ähnlich des Siegeszuges der Technologien Ende des letzten Jahrhunderts. Hurst, Autor des Bestsellers „The Purpose Economy“, gründete seine Vorhersage auf einer Studie der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC [31], dem 19th Annual Global CEO Survey von 2016. Interviewt wurden dafür 176 CEOs in 62 verschiedenen Ländern. 85 % von ihnen gaben an, dass wirtschaftlicher Erfolg in der Postwachstumsökonomie durch mehr definiert werde als alleine durch den finanziellen Profit. 30 % der Unternehmenslenker bestätigten, dass ihre Unternehmenswerte und -ziele sich innerhalb der letzten drei Jahre in Richtung gesellschaftlicher Einflussnahme gewandelt haben; weitere 12 % bekräftigten entsprechende Überlegungen und Planungen. Diese Veränderungen im Bereich „Purpose & Values“ auch an die einzelnen Stakeholder-Gruppen zu kommunizieren, wird als eine Notwendigkeit gesehen. Ihren Ursprung hat die Entwicklung in Richtung Purpose Economy in einer veränderten Haltung der Millennials zur Arbeitswelt. Für die Generationen Y und Z hat die extrinsische Job-Motivation etwa durch ein hohes Gehalt an Bedeutung verloren, während zugleich die intrinsische Motivation im Beruf umso wichtiger geworden ist. Natürlich: Auch die jungen Arbeitnehmer wollen gut verdienen. Doch darüber hinaus erwarten sie, dass Unternehmen mehr als nur Geld zu bieten haben. Auch hier spielt die wachsende Bedeutung der persönlichen Ressource Zeit eine Rolle. Wenn die neue Arbeitnehmer-Kohorte 40 plus X Stunden pro Woche mit einer Tätigkeit verbringt, soll diese sie nicht nur auf der Karriereleiter, sondern auch in der persönlichen Entwicklung voranbringen. Sie wollen wachsen an ihren Aufgaben. Nicht allein die Zeit um den Job herum, sondern der Job selbst soll dem Leben einen Sinn verleihen, indem er einen Beitrag zum gesellschaftlichen Wohl leistet. „Die Millennials fragen: Warum sollte ich dieses Produkt kaufen? Warum sollte ich diesem Job die besten Jahre meines Lebens opfern?“, schreibt Aaron Hurst. „Sie wollen Arbeit, die etwas bewegt.“ [32] Der Wirtschaftsprüfer Deloitte hat für sein „Millennial Survey 2019“ [33] 13.416 Millennials (geboren zwischen 1983 und 1994)
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aus insgesamt 42 Ländern weltweit befragt sowie 3009 Angehörige der Generation Z (geboren zwischen 1995 und 2002) aus zehn Ländern. 46 % der Millennials und 47 % der Generation Z nannten „Make positive impacts on community/society“ als eine ihrer Lebensprioritäten – während das Ziel „Have children/start families“ nur noch von 39 % (Millennials) und 45 % (Gen Z) bestätigt wurde. Absolute Top-Priorität war bei beiden Gruppierungen mit 57 % der Punkt „See/Travel the world“. Der Glaube daran, dass vorrangig die Regierungen für die Beseitigung globaler Missstände wie wirtschaftliche Ungleichheiten oder Umweltprobleme verantwortlich seien, ist in der jungen Generation mehrheitlich nicht mehr verankert. Nur 19 % finden, dass die politische Elite ihres Landes einen positiven Einfluss auf die vorherrschenden Lebensbedingungen ausübe; 57 % attestieren der Politkaste dagegen einen schlechten Einfluss. Wirtschaftsunternehmen werden gleichzeitig verstärkt in der Verantwortung gesehen – und zugleich als einflussreiche Player, die noch weit unterhalb ihrer Möglichkeiten agierten. In der Purpose Economy wird von Wirtschaftsorganisationen mehr erwartet als die Herstellung von Produkten, Gewinnmaximierung und die Schaffung von Arbeitsplätzen. Nun sollen sie zusätzlich noch die Welt retten. In der Sinn-Ökonomie „dreht es sich darum, Menschen ein erfülltes Arbeitsleben zu ermöglichen, indem sie für sich und andere einen Mehrwert schaffen, der nicht nur ökonomischer Natur ist“, konstatiert Aaron Hurst. „Die Ressource, die es zu verteilen gilt, heißt Sinn – etwa durch Hilfe für Bedürftige, durch die Entfaltung des eigenen Ich oder durch die Schaffung von Communities.“ [32] Müssen sich Unternehmen diesen Ansprüchen der neuen Generationen anpassen? Angesichts des veränderten Konsumverhaltens und des bereits spürbaren Fachkräftemangels wird ihnen wenig Anderes übrigbleiben. Antworten zu finden auf die Sinn-Frage, stärkt die Position im Kampf um die besten Arbeitskräfte und birgt zugleich das Potenzial, den wirtschaftlichen Erfolg zu steigern. Eine vom Lehrstuhl „Gemeinwohl-Ökonomie“ der Universität Valencia durchgeführte Studie belegt, dass sich wirtschaftliche Effizienz und gesellschaftlicher Impact nicht ausschließen müssen. 95 % der befragten Unternehmen
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gaben in der Untersuchung an, dass eine positive Gemeinwohl-Bilanz (Bewertungsverfahren, das prüft, inwiefern ein Unternehmen oder eine Organisation dem Gemeinwohl dient; in die Bewertung fließen ökologische, soziale und andere Aspekte ein) sich nicht negativ auf den Umsatz auswirkt. 26 % sprachen sogar von einem positiven Einfluss auf die Verkaufszahlen. 85 % sahen ebenso keinen negativen Effekt auf den Gewinn, 19 % bestätigten eine verbesserte Rentabilität. [34] Lebenssinn-Provider und nachhaltiges Unternehmertum: Was mit den Ansprüchen der nächsten Generation Arbeitnehmer begann, hat auch das Marketing verändert. „Stand vor einigen Jahren vor allem noch das Produkt selbst im Fokus des Marketings, so geht der Trend jetzt dahin, den produktspezifischen Beitrag zur Allgemeinheit hervorzuheben“, sagt Simon Aschermann, Mitautor der Purpose-Studie 2018 der Beratungsfirma Globeone. Im Marketing habe in den vergangenen Jahren eine stille Revolution stattgefunden. Das Beben allerdings haben noch längst nicht alle mitbekommen. Erst 18 % der deutschen Unternehmen hatten 2018 laut der Globeone-Purpose-Studie ihren Markenclaim bereits in Richtung Allgemeinwohl umformuliert; international traf das sogar nur auf 11 % zu. [35] Startups scheint das leichter zu fallen, womöglich, weil sie bereits Kinder der Purpose Economy sind und dafür nicht erst eine lange Firmenhistorie umschreiben müssen. Das Startup Share beispielsweise basiert auf der Idee, dass mit dem Kauf eines jeden Produkts ein gleichwertiges Produkt an einen bedürftigen Menschen gespendet wird. „Wir nennen es das 1+1 Prinzip“, werben die Gründer auf ihrer Webseite [36]. Der Kauf einer Share-Reispackung beim deutschen Lebensmittelhändler Rewe etwa beinhaltet die Spende einer Mahlzeit an einen Menschen in Not. Mit dem Konsum einer Handseife hierzulande wird auch anderswo auf der Welt einem Mensch Hygiene ermöglicht. Dass die Produkte ökologisch nachhaltig sind, teilweise auch vegan, versteht sich fast von selbst. Das Start-up refurbed verkauft online runderneuerte Mobilgeräte mit der Mission, nicht nur profitabel zu sein, sondern „den refurbed-Gedanken in ganz Europa bekannt zu machen und dadurch zu einer nachhaltigeren Welt beizutragen“ [37]. Das Startup Too Good To Go hat sich den Kampf gegen Lebensmittelverschwendung auf die Fahne geschrieben; via App werden Lebensmittel in Standortnähe
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offeriert, die ansonsten wohl entsorgt werden müssten und deshalb auch vergünstigt abgegeben werden – eine win-win-win-win-Lösung für den Konsumenten, den Lebensmittel-Produzenten, das Start-up und die Umwelt. Unternehmen wie diese überwinden die wachsende Kaufhemmung des Consumers, indem das Produkt einen übergeordneten Sinn als „Add-on“ erhält. Der Konsum wird dadurch gesellschaftlich akzeptabel und auch kommunizierbar. Storytelling spielt bei der neuen Form von Marketing eine große Rolle: „Im Idealfall kommuniziert ein Unternehmen seinen höheren Zweck im Rahmen einer authentischen Corporate Story, die veranschaulicht, warum das Unternehmen existiert, und dadurch eine starke emotionale Bindung zu seinen Stakeholdern aufbaut“, rät die Beratungsfirma Globeone [35]. Auch hier haben junge Unternehmen einen gewissen Vorsprung, müssen sie doch in der „Über uns“-Section der Firmen-Webseite meist nur die Gründungsgeschichte darlegen, anstatt – wie viele etablierte Konzerne – glaubwürdig eine Kehrtwendung innerhalb der Firmengeschichte zu erläutern. Die hohe Kunst bei letzterem ist, nicht nur die Abkehr vom bisherigen Weg gut zu begründen, sondern dabei auch Herkunft und Historie nicht zu verleugnen. Der Grad an Ehrlichkeit und Authentizität ist entscheidend, sowohl in der internen wie externen Kommunikation. Was nicht authentisch wirkt, sondern nach schlecht verstecktem Gewinnstreben, nach moralischer Heuchelei oder Green Washing klingt, kann bei Stakeholdern zu extremen Abstoßungsreaktionen führen und das Markenimage langfristig beschädigen. Die Unternehmensberatung Globeone hat für das Gelingen der Transformation in Richtung Sinn-Ökonomie den sogenannten Purpose Readiness Index entwickelt, der anhand von zehn Markenattributen die Glaubwürdigkeit eines Unternehmens in Sachen Sinnhaftigkeit beim Konsumenten bemisst. Als glaubwürdigste Marken mit einem Index über 70 stehen 2019 Aldi, Rewe, Continental und Bosch an der Spitze der in die Untersuchung einbezogenen 52 Unternehmen, Organisationen und Parteien. Am anderen Ende mit einem Index unter 50 finden sich mit großen Glaubwürdigkeitsdefiziten die CDU, der Immobilienkonzern Vonovia, die SPD und die Bundesregierung,
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außerdem die Boulevard-Zeitung Bild, die Deutsche Bank, Facebook, der Autokonzern Volkswagen sowie das Chemie- und Pharmaunternehmen Bayer. [38] Ist die Purpose Economy damit die ökonomische Weiterentwicklung der Experience Economy? Wird sie diese womöglich eines Tages ganz verdrängen? Eher nicht. Die Purpose Economy ist vielmehr im Idealfall ein Bestandteil der Experience Economy. Denn was wäre ein Purpose wert, wenn er nicht vom Unternehmen und allen Mitarbeitenden gelebt wird sowie für den Konsumenten erlebbar wird? Reduziert auf ein paar nicht weiter im Alltag verankerte und umgesetzte Versprechen auf der Webseite oder im Flyer, bleibt der angekündigte Purpose nicht nur wirkungslos, sondern kann der Marke im Extremfall ihre gesamte Glaubwürdigkeit rauben. Konsumenten sind sehr sensibel und auch nachtragend, wenn Unternehmen Wasser predigen, sich selbst aber Wein einschenken. Gerade weil der übergeordnete gesellschaftliche Einfluss für die Konsumenten eine immer größere Bedeutung einnimmt und dadurch auch dessen Kaufentscheidung beeinflusst wird, ist es für einen Markenhersteller von größter Bedeutung, den Purpose in das gesamte Unternehmensgewebe einfließen und an möglichst vielen Stellen der Customer Journey durchscheinen zu lassen beziehungsweise den Konsumenten einzubeziehen und den Purpose mit ihm zu teilen. Das Streben nach Purpose kann so als eine zusätzliche Erlebnis-Dimension der Experience einen Mehrwert verschaffen. Es kann ein individuelles oder kollektives Erlebnis adeln durch einen höheren Sinn jenseits von Spaß und Spannung. In der Purpose Economy geht es um etwas, das größer ist als das Ich. Aber das Ich und seine Experience stehen weiterhin im Zentrum. Beispiel: Patagonia Als einer der best cases für die Transformation in die Purpose Economy gilt Patagonia, ein kalifornischer Hersteller von Outdoor-Bekleidung. Das Unternehmen, 1973 gegründet von Yves Chouinard, bekennt sich in seinen Werten zu nachhaltigem Wirtschaften und verantwortungsbewusstem Wachstum, also einem Wachstum, das auch die sozialen und ökologischen Folgen bedenkt. 2011 forderte Patagonia auf Werbe-
30 M. Schnaack plakaten und in Anzeigen pünktlich zum Start des Weihnachtsgeschäfts: „Kauft diese Jacke nicht!“ Damit wollte der Hersteller auf den ökologischen Fußabdruck dieser sehr beliebten Jacke aufmerksam machen: Für dessen Herstellung werden 135 L Wasser benötigt und 10 kg Kohlendioxid erzeugt. Kauft sie nicht zum Spaß, wollte Patagonia mit seinen Anzeigen sagen, sondern nur dann, wenn ihr sie wirklich braucht. Acht Jahre vor dem von Greta Thunberg provozierten Konsumzweifel war das ein nahezu revolutionärer Gedanke. Heute bietet Patagonia beispielsweise das „Worn Wear Programm“: Der Kunde erhält Anleitungen zu Pflege und Reparatur der Kleidung, so dass diese möglichst lange getragen werden können. Gebrauchte Kleidung wird zurückgenommen und dann weiterverkauft oder aber recycelt. Dafür gibt es beispielsweise die „Worn Wear“-Tour: Zu festen Terminen werden vor Ort Kleidungsstücke (nicht nur von Patagonia) gratis repariert. Auf der Webseite lädt Patagonia außerdem seine Kunden ein, die Story ihrer Patagonia-Klamotte zu erzählen und so mit anderen zu teilen: Purpose trifft Experience!
Zusammenfassung • Unternehmen stehen zunehmend unter dem Druck, nicht nur rentabel zu arbeiten, sondern auch gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Gerade die jüngeren Kunden und Arbeitnehmer stellen die Frage nach dem Purpose einer Marke. • Die Purpose Economy ersetzt nicht die Experience Economy, sondern ergänzt sie in erster Linie.
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„Skate to where the puck is going. Not where it has been“, lehrte der Kanadier Walter Gretzky seinen Sohn, den späteren Eishockey-Star Wayne. Die Wirtschafts-Ikonen Steve Jobs und Warren Buffett haben sich immer wieder auf dieses Zitat bezogen, erzählt es doch von der erfolgsentscheidenden Gabe, den Trends entgegen anstatt hinterher zu laufen. Gute Puck-Visionäre haben nicht nur das Potenzial der Digitalisierung für ihre Branche erkannt und genutzt, sondern auch aus der sich verändernden Machthierarchie zwischen Kunde und Company die richtigen Schlüsse für ihr Geschäftsmodell gezogen: Kundenloyalität gibt es nicht mehr geschenkt, ein Unternehmen muss sie sich verdienen durch Stärkung der emotionalen Bindung zwischen Marke und Verbraucher. Jede einzelne Interaktion mit dem Kunden kann diese Verbindung festigen. Oder schwächen. „Dragons“, Drachen, nennt der Publizist und Transformationsexperte Daniel Newman solche Unternehmen: Konzerne, die sich unabhängig von ihrer Größe oder Historie die Denkweise und Agilität eines Start-ups erhalten haben – allzeit bereit, sich an neue Marktbedingungen anzupassen oder aber als disruptiver Faktor die Branche aufzumischen. „Dragons are everything unicorns aren’t“, konstatiert © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Schnaack, Experience first – Marken erlebbar machen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31185-8_2
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Newman [1]: „Alert, adaptive, innovative, agile, sustainable, profitdriven, resilient, and wise.“ Dabei trennt Daniel Newman die Echsen der Wirtschaftswelt in zwei Unterarten: Zum einen in die sich immer wieder häutenden Drachen („changeling dragons“), die sich nicht nur der sich verändernden Umgebung anpassen, sondern diese Veränderung im Idealfall voraussehen und sich präventiv verändern, sodass sie der Konkurrenz immer einen Schritt voraus sind. Als Beispiel nennt Newman hier etwa den Autobauer BMW: Als sich erst ganz in der Ferne Veränderungen in der urbanen Mobilität abzeichneten, investierte der Konzern bereits unter anderem in die Entwicklung von Car-Sharing-Modellen, autonomen Transport-Varianten und in die Planung künftiger Infrastruktur-Varianten wie der Car-to-X-Kommunikation, in der sich etwa Auto und Ampel miteinander vernetzen. Das Carsharing-Angebot von BMW (zuerst DriveNow, heute Share Now als Joint Venture mit Daimler), gestartet 2011 in München, zählt nun zu den größten in Deutschland. Die andere Strategie ist die des sich vermehrenden Drachen („seeding dragon“): Diese Unternehmen halten weniger an einem Wirtschaftsstrang fest, sondern orchestrieren viele kleine Testballons, um jederzeit startklar zu sein, sobald der gesellschaftliche Wind sich in die eine oder andere Richtung dreht. Sony, Samsung, Alphabet sind für Newman klassische Vertreter dieser Drachen-Art. Den aufkommenden Erlebnisfaktor übersehen oder aber dessen Veränderungspotenzial unterschätzt haben bereits einige Unternehmen in den letzten Jahrzehnten. Mitunter hatte das fatale Folgen, wie kommendes Beispiel zeigt. Beispiel: Blockbuster Inc Im Jahr 2000 verpasste John Antioco eine Jahrhundert-Chance. Und ruinierte damit ein Unternehmen, das einmal 8,4 Mrd. US$ wert gewesen war. John Antioco war einst CEO von Blockbuster Inc., einer weltweit erfolgreichen Franchisekette für Verkauf und Verleih von DVDs und Blu-Rays. Im Jahr 2000 boten ihm Marc Randolph und Reed Hastings, die Gründer eines drei Jahre zuvor entwickelten Start-ups namens Netflix, einen Deal an: den Kauf von Netflix für 50 Mio. US$. Antioco lachte nur
2 Ganzheitlich denken: Die Experience Economy ist überall 35 über die Offerte. Der Deal kam nicht zustande. 2010 musste Blockbuster Inc. Insolvenz anmelden. Und Netflix verzeichnete einen Marktwert von zehn Milliarden US-Dollar. Der sich bis Ende 2018 noch einmal verzehnfachte. Wie konnte das geschehen? In erster Linie durch die unterschiedliche Bedeutung, die beide Unternehmen der Customer Experience beigemessen hatten. Blockbuster machte damals einen großen Teil seines Umsatzes damit, Kunden für die verspätete Rückgabe einer DVD zur Kasse zu bitten. „Everyone hated Blockbuster“, schreibt Netflix-Gründer Marc Randolph in „That will never work: The Birth of Netflix and the Amazing Life of an Idea“ [2]. „This, after all, was a company that had managed dissatisfaction as a central pillar of its business model. It knew that most customers didn’t enjoy the experience of renting from it, so its goal as a company wasn’t so much to make the customer happy as it was to not piss them off so royally that they’d never come back. And there was a lot to piss them off: late fees, crappy selection, dirty stores, poor service—the list went on.“ Zusammengefasst heißt das: Das Geschäftsmodell von Blockbuster beruhte darauf, seine Kunden ohne Wertschätzung zu behandeln und sie abzustrafen. Netflix dagegen setzte bereits anno 2000 nicht auf Einzelbuchungen, sondern auf komfortable Flatrates: Für feste Monatsbeträge konnte der Kunde eine bestimmte Anzahl von Filmen ausleihen. Und behalten, so lange er wollte. Bei welchem DVD-Anbieter fühlte er sich wohl besser behandelt? Zudem begann sich das Online-Streaming ausgerechnet in dem Moment zu entwickeln, als Blockbuster – bedrängt durch agilere Konkurrenten wie Netflix – finanziell ins Trudeln geriet. Die bisherige Stärke des Unternehmens (Stores weltweit) zählte immer weniger, der Umbau in Richtung Online-Unternehmen dagegen hätte immense Kosten verursacht. Die späte und vor allem nur halbherzige digitale Transformation kostete Blockbuster letztendlich die Zukunft. Netflix dagegen hatte (auch in Ermangelung eines großen Store-Netzwerkes) schon früh auf Online-Vertriebswege gesetzt; 2007 stellte das Unternehmen dann komplett um auf Streaming. Von dem einstigen Weltunternehmen Blockbuster Inc. ist (Stand 2020) noch genau eine Filiale übriggeblieben: in Bend, Oregon. Netflix zählte (Stand Ende 2019) dagegen 158 Mio. Kunden weltweit.
Es gibt keine Branche und kein Unternehmen, die es sich künftig noch leisten können, die vielen Dimensionen der Customer Experience unberücksichtigt zu lassen. Die Taktik, dieser Marktveränderung gegenüber die Augen zu verschließen und darauf zu setzen, dass auch dieser Sturm vorüberziehen wird, geht nicht auf.
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Die gute Nachricht, die Daniel Newman postuliert: „Not all dragons are born. Dragons can be made. They can be built.“ [1] Jedes Unternehmen – selbst diejenigen, die in der Experience Economy nicht zu den „early adopters“ zählen – könne sich in diese Richtung entwickeln. Vorausgesetzt, der Wille dazu besteht.
2.1 Brand Experience im B2B-Geschäft Markenerlebnisse sind nur etwas für den Endkunden? Unternehmen, die dieser Meinung sind, springen zu kurz. Die Experience Economy betrifft sehr viel mehr als das reine B2C-Geschäft. Denn auch der Businesspartner ist ein Kunde, dessen Loyalität und Zufriedenheit die Basis ist für eine langfristige Bindung an eine Marke. Ebenso wie die Customer Journey ist auch die Businesspartner Journey eine Aneinanderreihung von Berührungspunkten mit der Marke. Vom Erstkontakt auf der Webseite über den Empfang an der Pforte, von der Wahl der Kommunikationswege bis hin zum Geschäftsessen und den großen Firmen-Events muss sich auch die Businesspartner Experience konsequent aus dem Markenkern heraus entwickeln und ein stimmiges Markenkonstrukt ohne Wahrnehmungsbrüche auf Kundenseite ergeben. Auch wenn hier nach wie vor in erster Linie der persönliche Kontakt die Beziehung prägt, hat doch die Digitalisierung auch im B2B-Bereich vieles unverbindlicher gemacht. Hoflieferant seit 1796? Solche Kundenbeziehungen sind Relikte der Vergangenheit, und trotzdem glauben gerade im B2B-Geschäft klein- und mittelständische Unternehmen oft noch, dass die Kundentreue ein unvergängliches Gut ist. Auch hier gefährdet das Internet mit seinen 24/7-Recherche- und Vergleichsmöglichkeiten selbst solche Geschäftsbeziehungen, die seit Generationen bestehen. Klug konzipierte, in sich lückenlos stimmige Brand Experiences können dieser emotionalen Erosion entgegenwirken. Eine große Bedeutung haben hier beispielsweise die B2B-Messen. Einfach nur mit einem Stand anwesend zu sein, reicht schon lange nicht mehr. Messen stehen heute in Konkurrenz zu den Angeboten der Unterhaltungs- und Freizeitmärkte, postuliert das Institut für
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Publikumsforschung (IfP), das in Kooperation mit dem Verband der deutschen Messewirtschaft (AUMA) und der Internationalen Tourismusbörse Berlin (ITB) eine Studie zum Thema „Erlebnis Messe“ durchgeführt hat. „Ähnlich wie an medialen Inszenierungen vor Ort unbewusst der Maßstab von Hollywood-Trickeffekten angelegt wird, oder an eine Show vor Ort der Maßstab der verfilmten L ive-Show, müssen sich Messen mit anderen ‚Unterhaltungsangeboten‘ vergleichen lassen.“ [3] Zugleich betonen aber auch die Forscher, dass die technische Inszenierung nicht ausschlaggebend sei für das Messe-Erlebnis: „Entscheidend ist das gemeinsame Erleben von Technik, die geteilte Begeisterung respektive die Möglichkeit zur Erzählung derselben.“ Recherchieren, begutachten, vergleichen, Informationen einholen: All das kann der (Geschäfts-)Kunde auch online. Um einem Produkt eine emotionale Erlebnisdimension zu geben, ist eine Messe dagegen ein guter Ort. Der Trend weg von der reinen Schau-Messe hin zu einem Event mit aktiver Einbindung der Besucher hat die Messelandschaft bereits erreicht. Die Modemesse Bread & Butter sieht sich nun als „Festival of Style and Culture“. Im Bereich der Markenkommunikation lädt Autohersteller Audi seit 2017 zum Audi Summit – einer Brand Show mit dem Ziel, ein neues Modell den Händlern, Medienvertretern und Influencern nicht einfach nur vorzustellen, sondern es erlebbar und „erzählbar“ zu machen. Giga-Unternehmen wie Apple und Google veranstalten eigene Hausmessen; ihre Produktpräsentationen sind ikonische Multimedia-Inszenierungen, die stets einen medialen Hype auslösen und im kollektiven Gedächtnis bleiben. „Die Basis der Messe – die Ausstellung, die Begegnungs- und Kontaktmöglichkeit – bleibt“, schlussfolgern die Studien-Leiter. „Der Kern ist stabil. Jedoch wird diese Umsetzung neu interpretiert.“ Damit ein Messe-Erlebnis erinnert wird, der Besucher es also in ein Narrativ verpackt und als ein solches auch weitergibt, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Es gehe dabei „um anregende Gespanntheit und Energetisierung des Moments, des Körpers, des Geistes“, fasst die Studie die Ergebnisse zusammen. „Es geht um das wirklich Einzigartige in Bezug auf die eigene Person und das eigene Umfeld; es geht um die genussvoll erlebte Ansprache auf mehreren Sinn- und Sinnesebenen,
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sodass der Eindruck von Vollständigkeit und Sinnhaftigkeit hinterlassen wird; und es geht um die aktive Teilnahme.“ [3] Dabei dürfe über das eigentliche Erlebnis hinaus auch das Davor, das Drumherum sowie das Danach nicht aus den Augen verloren werden: Wie gut ist der Service vor Ort, wie reibungsfrei klappen Anund Abreise beziehungsweise der Transport vor Ort? Welche Arten der Kommunikation (davor, währenddessen, danach) sind geplant? Welche „Memorabilien“ jenseits der berühmt-berüchtigten Messe-Tasche nimmt der Besucher mit nach Hause und teilt sie etwa als Foto, Clip oder Post auf sozialen Medien? Persönliche Erfahrungen nach der eigentlichen Experience können alle Bemühungen zunichtemachen – oder aber diese verstärken: „Die Chance, dass ein positiver letzter Eindruck den Gesamteindruck ‚Erlebnis Messe‘ färbt, ist hoch“, mahnt die IfP-Studie. Zusammenfassung • Auch der Businesspartner ist ein Kunde, dessen Markenloyalität nicht vorausgesetzt werden darf, sondern mittels Brand Experiences gestärkt werden muss. • B2B-Messen müssen sich von reinen Schau-Plätzen zu Orten der Experience entwickeln.
2.2 Brand Experience aus nächster Nähe: Employee Experience „Your brand is the sum of how the world perceives and experiences you. Each one of your employees is a potential sales person for your organisation.“ [4] Diese Sätze sind das achte der zehn Gebote für den „Dream Employer“, den Traum-Arbeitgeber. Aufgestellt hat diese Gebote der schwedische HR-Experte Svante Randlert. Dass eine Marke sich zusammensetzt aus der Summe aller Wahrnehmungen und Erfahrungen, die Menschen weltweit im Kontakt mit der Marke machen – diesen Punkt würden vermutlich alle Wirtschaftslenker unterschreiben. Dass
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aber auch jeder einzelne Mitarbeiter – vom Kollegen an der Pforte über den Vertriebsmitarbeiter und die Fachkraft im Call Center bis hin zu dem in den Medien sichtbaren CEO – potenziell Einfluss hat auf den Branding-Prozess: Diese Tatsache entgeht oft der Aufmerksamkeit. Doch bei der Transformation in die Experience Economy ist jeder Mitarbeiter, unabhängig von der hierarchischen Ebene, auf beiden Seiten unterwegs: als derjenige, der als Markenbotschafter die Customer Experience mitgestaltet – und als jemand, der immer wieder selbst die Marke erlebt, ob nun am Arbeitsplatz oder als Kunde. Das Konzept des Employer Brandings trägt dieser Idee Rechnung. Grundannahme beruht darauf, dass Markenbildung nicht ausschließlich eine externe Aktivität ist, sondern sich auch nach innen richten muss. „Employer Branding ist die identitätsbasierte, intern wie extern wirksame Positionierung eines Unternehmens als glaubwürdiger und attraktiver Arbeitgeber“, definiert es die Deutsche Employer Branding Akademie (DEBA) [5]. Maßnahmen in diesem Bereich würden die Mitarbeitergewinnung sowie deren langfristige Loyalität und Leistungsbereitschaft optimieren, verspricht die DEBA weiter. Und: „Mittelbar steigert Employer Branding außerdem Geschäftsergebnis sowie Markenwert.“ Employer Branding ist in Zeiten von sozialen Medien und Arbeitgeber-Bewertungsportalen keine Einbahnstraße mehr. In dem Maße, in dem sich die Machthierarchie zwischen Kunde und Marke verschoben hat, veränderte sich auch das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Jobsuchende lassen sich nicht mehr so leicht von Hochglanz-Broschüren, imposanten Stellenanzeigen oder einem großen Stand auf der Karrieremesse beeindrucken. Stattdessen recherchieren sie auf Arbeitgeber-Bewertungsportalen und in Jobnetzwerken wie Xing oder LinkedIn nach dem, was aktuelle und ehemalige Mitarbeiter über ihre Chefs und Unternehmen sagen: reale Alltagsberichte statt artifizieller Markenbotschaften. Das klassische Employer Branding hat deshalb einen Sidekick aus der Erlebnis-Branche bekommen: Employee Experience. Hier steht die echte Erfahrung der Menschen mit und in einem Unternehmen im Zentrum. Im Idealfall arbeiten Employer Branding und Employee Experience nicht gegeneinander, sondern transportieren das gleiche Bild.
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„Lovebrands“ nennt Transformationsexperte Daniel Newman solche Marken, die von der Mehrheit der Kunden geliebt werden. Kennzeichnend für solche Lovebrands sei, dass sie nicht nur die externe Customer Experience im Blick haben, sondern auch die interne. Sie sind sich der vielen Berührungspunkte innerhalb des Unternehmens bewusst. Newman zählt hier als Touchpoints auf: [1] • jede Interaktion zwischen Management und Mitarbeiter • jede Interaktion zwischen dem Mitarbeiter und dem Werkzeug (Geräte, Hardware, Software…), das ihm zur Verfügung gestellt wird • jeder Verhaltenscodex innerhalb des Betriebs • Inhalt und Ton jeder internen Mail • jeder Arbeitsplatz und jeder Meeting-Raum • die Häufigkeit und Effektivität jedes Meetings, zu dem der Mitarbeiter gebeten wird • jeder einzelne Schritt vom ersten Handschlag beim Bewerbungsprozess bis hin zur Verabschiedung beim Ausscheiden aus dem Unternehmen Auch die Employee Experience ist also eine Art Customer Journey entlang vieler dicht gedrängter Berührungspunkte mit der Marke. Diese Reise beginnt spätestens mit dem Recruiting- und Auswahlverfahren. Für manche Bewerber endet sie hier auch bereits wieder. Wie aber geht ein Unternehmen mit Kunden um, die für eine gewisse Zeit zu potenziellen Mitarbeitern werden? Virgin Media hat 2014 gemessen, welche wirtschaftlichen Folgen ein als negativ empfundene Umgang mit abgewiesenen Bewerbern haben kann [6]: Eine Umfrage unter abgelehnten Bewerbern ergab, dass 18 % von ihnen vor dem Verfahren Virgin-Kunden gewesen waren. Etwa sechs Prozent (ca. 7500 Kandidaten) wechselten innerhalb von sechs Monate nach der Ablehnung als Kunden zu einem Virgin-Konkurrenten. Das wiederum kostete Virgin Media etwa 4,4 Mio. britische Pfund. Um dem entgegen zu wirken, wollte Virgin Media zunächst die Experience abgelehnter Bewerber verbessern, entschied sich dann aber für die große Lösung: das End-to-End-Verfahren für Job-Kandidaten in ein positives Markenerlebnis umzuwandeln – unabhängig davon,
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ob der Bewerber am Ende Mitarbeiter wird oder nicht. „Unser Ziel war es, uns innerhalb der Branche einen Ruf aufzubauen nicht nur als die Telekommunikationsfirma, die zuhört, sondern als Unternehmen, das zuhört und entsprechend handelt“, erklärt Neil Chivers, damals HR-Experte bei Virgin Media. „Dies stellte uns vor die Frage, wie wir Bewerber während des gesamten Recruiting-Prozesses unterstützen und fördern können. Selbst wenn sie keinen Job bei Virgin Media bekommen, haben sie viel Zeit und Mühe in den Bewerbungsprozess investiert, und das Letzte, was wir wollen, ist, dass sie einen negativen Beigeschmack davon zurückbehalten.“ [6] Der gesamte Bewerbungsprozess wurde also durchleuchtet und technisch auf den neuesten Stand gebracht, die Plattform durch informelle Inhalte wie Bewerbungstipps und Videoclips mit Blicken hinter die Kulisse bei Virgin Media ergänzt. Die Unternehmensbewertung von Bewerbern verbesserte sich daraufhin dramatisch; es entstanden mehr und bessere Social-Media-Interaktionen. Zudem brachten die Neuerungen dem Unternehmen weltweite Aufmerksamkeit, was wiederum dem Marken- und Arbeitgeberimage zugutekam. Die Generationen Y und Z als die neuen Mitarbeiter-Kohorten haben die Arbeitswelt verändert. Die Employee Experience als das alltägliche Arbeitserlebnis hat eine neue Bedeutung bekommen. Wiederum preschen hier die Start-ups vor: Dank Coffee-Lounge, Fußball-Kicker, Bällebad und wöchentlichem Obstkorb ist der Arbeitsplatz vielerorts zu einer Mischung aus Wohnküche und Kinderzimmer geworden. Feel Good Manager werden eingestellt, um die Millennials bei Laune und dadurch im Job zu halten. Denn die Bindungsfähigkeit der Generation Tinder ist gering, die Wechselbereitschaft hoch – und die Konkurrenz um die besten Köpfe dank Fachkräftemangel groß. Die Kündigung eines echten Leistungsträgers kostet ein Unternehmen im Schnitt das 1,5-fache von dessen Jahresgehalt, hat das National Business Research Institute in Texas ausgerechnet – und bei dieser Summe sind langfristige Folgen wie eine mögliche Verunsicherung der bleibenden Mitarbeiter und eine verminderte Produktivität in der Einarbeitungszeit des neuen Kollegen noch nicht einmal einberechnet. Eine positive Employee Experience kann diese unnötigen Kosten verhindern; sie birgt die Chance, Mitarbeiter emotional anzusprechen und so deren
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Loyalität und Leistungsbereitschaft zu erhöhen: „Organisationen mit engagierten Mitarbeitern sind zu 57 % effektiver, die Mitarbeiter verlassen diese zu 87 % weniger, und der Drei-Jahres-Umsatz zeigt ein 2,3 Mal höheres Wachstum als eine durchschnittliche Organisation“, zählt das Wirtschaftsberatungsunternehmen Deloitte in einem White Paper zur Employee Experience auf [7]. Employee Experience ist deshalb mehr als nur ein HR-Buzzword. Unternehmen müssen gerade in Zeiten des „War of Talents“ dazu übergehen, ihre Mitarbeitenden wie ihren allerbesten Kunden behandeln. Denn so wie jede positive Interaktion mit dem Kunden dessen Markenloyalität stärkt, wächst das Engagement der Mitarbeiter mit der Anzahl der erfreulichen Momente innerhalb des Arbeitsalltags. Auch die Employee Journey muss an all ihren Touchpoints kritisch beleuchtet werden. Wie konsistent werden etwa die Werte, mit denen das Unternehmen nach außen auftritt, auch nach innen gelebt? Wie reibungsfrei ist der Arbeitsalltag gestaltet, welche Unterstützung erfährt der Einzelne dabei, technisch wie personell? Wie transparent werden Unternehmensentscheidungen hierarchieabwärts kommuniziert, wie authentisch ist die Führungsebene dabei? Welche Wertschätzung wird dem Einzelnen gegenüber gezeigt, welche Weiterentwicklungschancen werden geboten? Dabei geht es nicht alleine um die reale Erfahrung am Arbeitsplatz, sondern auch um die digitale Employee Experience. Wie im Privatleben auch, setzen gerade jüngere Mitarbeiter voraus, dass die Übergänge zwischen on- und offline fließend sind. Sie wollen auch berufliche Informationen so personalisiert wie möglich erhalten und von verschiedenen Orten und Geräten aus auf Systeme zugreifen können. Als während der Corona-Pandemie 2020 in vielen Branchen beinahe von einem Tag auf den nächsten vom Office ins Homeoffice gewechselt werden musste, waren jene Unternehmen im Vorteil, die bezüglich Employee Experience schon Vieles umgesetzt hatten. Deren Belegschaft war nicht nur technisch in der Lage, vom heimischen Küchentisch aus auf die notwendigen Arbeitsinhalte zuzugreifen, sondern fühlte sich auch dann noch als Teil eines größeren Ganzen, als weder räumliche Nähe noch Top-down-Kontrolle gegeben waren.
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Zusammenfassung • Auch jeder Mitarbeiter ist Markenbotschafter und potenzieller Kunde. • Das Machtverhältnis zwischen Unternehmen und Belegschaft hat sich – unter anderem als Folge der Digitalisierung – verschoben. • Employee Experiencing ist zum notwendigen Bestandteil von Employers Branding geworden.
2.3 Banken und Versicherungen – Late Adopter der Experience Economy Der Transformation in die Experience Economy kann sich branchenübergreifend kein Unternehmen entziehen. Manchen allerdings fällt der Wechsel leichter als anderen. In der Service-Branche etwa ist der Übergang bereits nahezu komplett vollzogen, da das Verständnis für die Notwendigkeit einer Emotionalisierung der Kundenbeziehung brancheninhärent ist. Sich als Marke zu differenzieren, geht in der Dienstleistungsbranche allein über Customer Experience. Nur durch ein außergewöhnliches Kundenerlebnis können heute in der Dienstleistungsbranche höhere Preise gerechtfertigt werden. Galten etwa beim Frisör Gratis-Kaffee und Kopfhautmassage noch vor wenigen Jahren als erwähnenswerter Zusatz-Service, ist das bereits Standard geworden. Im Restaurant qualitativ hochwertiges Essen serviert zu bekommen, setzt der Gast voraus; eine schlechte Akustik, störende Musik, eine zu klein gedruckte Speisekarte oder ein unfreundlicher Kellner können das Gesamterlebnis dagegen so nachhaltig stören, dass es kein „nächstes Ma(h)l“ geben wird. Umgekehrt tröstet eine perfekte Atmosphäre viele Kunden über ein vielleicht nur mittelmäßiges Essen hinweg, sodass sie dennoch wiederkommen. In die Transformation geschubst wurde die Hotelbranche: Plattformen wie AirBnB und Housetrip als Vertreter der Sharing Economy haben die etablierten Unternehmen zum Umdenken gezwungen. Die Hotelbranche reagierte beispielsweise, indem sie durch Umbau der
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Lobby in eine Art Wohnzimmer das „Daheim“-Gefühl der Gäste verstärkte, in den Zimmern Küchenzeilen installierte oder gleich Cooking Classes für Gäste in der hoteleigenen Großküche als Experience offerierte. Die Hotelkette Marriott versucht seit Mitte 2019, den aufstrebenden Konkurrenten AirBnB in deren Revier zu attackieren und gründete mit „Home & Villas“ eine eigene Home-Sharing-Plattform – allerdings dem Kundenstamm entsprechend ausschließlich für Top-Immobilien wie der Karibik-Villa für 4097 US$ pro Nacht oder dem Schweizer Chalet für 8145 Schweizer Franken. Auch in seinem Loyalitäts-Programm setzt Marriott bereits auf die Kraft der Brand Experiences: Anstatt Kundentreue wie bisher mit Gratis-Übernachtungen zu belohnen, können Kunden nun bei jedem Aufenthalt Punkte „sammeln für fantastische Erlebnisse“, wie die Webseite verspricht [8]. Auf dem Programm stehen Experiences, die in der Regel mit Geld nicht zu kaufen sind: Exklusiv-Zugänge zu Konzert-Events, eine Masterclass mit Snowboarder Shaun White, VIPAccess zum Super Bowl in den USA. Auch Konkurrent Accor verlässt sich nicht mehr alleine auf Hotelübernachtungen: 2016 kaufte die Hotelkette die Home-Sharing-Plattform OneFineStay. Und „Accor Live Limitless“ tauscht ebenfalls die Bonuspunkte der Kunden in ganz besondere Erlebnisse ein. Gegen den Sog der Experience Economy stemmen sich dagegen noch viele Banken und Versicherungen. Die Digitalisierung hat sie die meisten ihrer bisherigen analogen Berührungspunkte mit dem Customer gekostet: Bankfilialen werden längst nicht mehr nur auf dem Land geschlossen. Und auch der Versicherungsvertreter „Herr Kaiser“ macht keine Hausbesuche mehr: Nach der Übernahme der Hamburg-Mannheimer durch die Ergo-Lebensversicherung wurde die Werbefigur (Bekanntheitsgrad innerhalb Deutschlands: 86 %!) kurzerhand in Rente geschickt. Der Kunde vergleicht inzwischen Versicherungen online und schließt diese auch vermehrt im Internet ab, ohne seinen persönlichen „Herrn Kaiser“ jemals getroffen zu haben, so eine Untersuchung des Digitalverbandes Bitkom [9]. Die Touchpoints des Versicherungskunden mit der Marke beschränken sich dadurch zunehmend auf negative Erlebnisse: Erst wenn ein Schaden entstanden ist, kommt es zu einem mehr oder
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weniger persönlichen Kontakt. Banken haben mit dem Filialabbau auch positiv besetzte Berührungspunkte wie den Weltspartag aufgegeben: Die spezielle Spardose, die live geöffnet wurde, der freundliche Banker, der das Kleingeld zählte, die stolze Summe, die als Ergebnis ins Sparbuch eingetragen wurde plus Giveaway als Dankeschön für den Besuch – emotionale Kindheits-Momente, die viele Menschen bis heute gerne erinnern und mit ihrer Bank verbinden. Heute wird bereits das Eröffnen eines Girokontos zum Ärgernis durch komplizierte Identitätsnachweise, die zu erbringen sind; später beschäftigt man sich vor allem mit dem Thema Bank, sobald der Dispo überschritten ist oder die Kontoführungsgebühr erhöht wird. Fintech-Unternehmen stellen die Branche nun unter Druck. Apple Pay startete 2014 als digitales Zahlungssystem, Facebook plant mit diversen Kooperationspartnern eine eigene Digitalwährung (Libra). Crowdfunding-Plattformen sind längst eine Alternative zum traditionellen Kreditantrag, Plattformen (z. B. Auxmoney, Smava) vermitteln im Internet Darlehen zwischen Privatleuten (peer-to-peer, P2P). Die Direktbank N26 hat die emotionale Verbindungslücke zwischen Marke und Kunde erkannt und wirbt mit besseren Experiences: Kontoeröffnung binnen Minuten, Kontoführung per App, einfache Spar-Features. Die Premium-Kontovarianten beinhalten zudem ein Versicherungspaket sowie spezielle Partnerangebote. N26 hat ebenfalls keine Filialen, verspricht aber kumpelhaft: „Wir sind für dich da – per Chat oder E-Mail, in 5 Sprachen“. 2015 gestartet, zählte das Fintech N26 nach eigenen Angaben Anfang 2020 bereits fünf Millionen Kunden. „Langfristig wollen wir 100 Mio. Kunden weltweit erreichen“, erklärte N26-Chef Valentin Stalf zuversichtlich. Damit wäre N26 eine der größten deutschen Banken [10]. Auch die neuen Mitbewerber haben kaum bis keine Touchpoints im realen Leben: keine Filialen, keine Menschen vor Ort, kein Herr Kaiser. Doch die virtuelle Experience zieht darauf ab, das reale Leben der Kunden einfacher zu machen durch smarte Digitallösungen. Die Ansprache und Einfachheit in der Kommunikation suggerieren eine Nähe, die sich gerade für die jüngere Generation persönlicher anfühlt als der reale Kontakt mit dem Bankangestellten.
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Inzwischen gibt es aber erste Schritte auch der kritischen Branchen in Richtung Experience Economy. Die Allianz Direct Versicherung etwa wirbt nun damit, dass der Kunde in nur drei Schritten sein Auto versichern lassen kann, online natürlich: „Im Nullkommanix erledigt!“ Der Kunde wird konsequent geduzt. Und als Markenbotschafter fungiert der ehemalige Olympionike Usain Bolt, ein Symbol für Schnelligkeit und Effizienz – vielleicht damit der neue Herr Kaiser für die Millennials. Zusammenfassung • Manchen Branchen fällt die Transformation in die Experience Economy leichter als anderen – doch ihr entziehen kann sich auf Dauer kein Wirtschaftszweig. • Schwer fällt die Umstellung aktuell vor allem den Banken und Versicherungen. FinTech-Unternehmen füllen nun die entstandene Experience-Lücke.
2.4 Vom Marketing-Tool zum Businessmodell: Erlebnisse als neue Einnahmequelle Und bei den Konsumgütern? Nimmt die Reise in Richtung Experience Economy bereits richtig Fahrt auf. Im Fall Porsche beispielsweise in Leipzig, Silverstone, Atlanta, Le Mans, Los Angeles, Shanghai und am Hockenheimring. Der neue Porsche Experience Center Hockenheimring umfasst 160.000 m2 mit On- und Offroad-Parcours, außerdem einen Schleudersimulator sowie drei Kreisfahrbahnen für diverse Fahrund Trainingsangebote. Unwegsames Gelände, Steigungen von bis zu 70 %, Schräglagen, Gräben sowie Baumstämme und Felsbrocken als Hindernisse ermöglichen eine driving experience jenseits des Gewohnten. Denn zunehmend ernsthaft wird in Deutschland diskutiert über ein Tempolimit auf den Autobahnen. Luxuskarossen von Porsche, Ferrari & Co. haben im Zuge des neuen Umweltbewusstseins als Statussymbol an
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Bedeutung verloren. Und in Großstädten haben Car S haring-Angebote zumindest den Zweit- und Drittwagen überflüssig gemacht. Die Autobranche ist gezwungen, nicht nur über neue Mobilitäts- und Marketingkonzepte, sondern auch über neue Erlösmodelle nachzudenken. Mercedes Benz hat für seine legendären Geländewagen nahe des Grazer Flughafens ins Österreich den G-Class Experience Center gebaut: Ein Erlebnis-Dorado für Fans des Modells und solche, die es werden wollen. BMW hat mit der „BMW und Mini Driving Academy“ in Maisach bei München seit 2012 ein firmeneigenes Gelände, auf dem der Markenclaim „Freude am Fahren“ erlebbar wird. Auf 130 ha können Fahranfänger ebenso wie Straßenroutiniers gegen Gebühr lernen, ihren Wagen oder ihr Motorrad in Extrem- und Gefahrensituationen zu beherrschen. VW hat die Autostadt Wolfsburg wie eine Art Freizeitpark gestaltet und verlangt auch entsprechend Eintrittsgelder. Zusätzlich können hier etwa Offroad-Abenteuer im Tuareg und Tiguan oder diverse Sicherheitstrainings gebucht werden. Auch seinen neuen VW kann man persönlich in der Autostadt abholen, anstatt ihn zum Händler vor Ort liefern zu lassen. Das kostet zwar Zeit und Geld, doch das Erlebnis und die erlebte Nähe zur Marke sind ist es vielen Neuwagen-Besitzern wert. Oder nehmen wir den Buchhandel: die Branche, der seit Aufkommen von Amazon immer wieder der nahe Tod prophezeit wird. Kluge Buchhändler haben deshalb das Produkt Buch durch die Erlebnisdimension ergänzt – etwas, das außerhalb des Möglichen für den Online-Händler Amazon liegt. In der Buchhandlung „Schwarz auf Weiß“ in Buxtehude bei Hamburg beispielsweise kann man nach Ladenschluss die Nacht verbringen – für 80 EUR pro Person, inklusive Büchergutschein, Nachtlager, Handtücher, Leselampe und dem Frühstück in dem Café um die Ecke. Eine der Münchner Filialen des Buchhändlers Hugendubel besitzt den weltweit ersten „Escape Room“ in einem Buchladen, der freitags und samstags an rätselfreudige Kunden vermietet wird.
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Beispiel: Das Museum of Ice Cream in New York Mitunter ist die Experience auch das einzige Geschäftsmodell. Das Museum of Ice Cream in New York beispielsweise ist kein Museum, sondern eher eine Mischung aus begehbarer Pop-Art-Exhibition und Spielplatz für Erwachsene: Ein Pool voller bunter Streusel, ein Raum mit Bananenschaukeln, bonbonfarbene Rutschen und Bolder-Wände vereinen sich zu einem wahr gewordenen Willy-Wonka-Traum – und das in einer Zeit, in der Zucker unter Hipstern als der Sündenfall schlechthin gilt. Ja, es gibt im Museum of Ice Cream auch Eis. Aber: Die aktuell 38 US$ Eintritt pro Person werden vor allem gezahlt, um in stylish-surrealer Umgebung „instagramable moments“ zu sammeln, also Fotos zu schießen, die Beifall in den sozialen Medien bringen. Gestartet 2016 in Manhattan, gibt es vier Jahre später bereits MOIC-Ableger in Los Angeles, Miami und San Francisco. Inzwischen rät Gründerin Maryellis Bunn Besuchern sogar, das Smartphone gar nicht erst mit hineinzunehmen ins MOIC: „We can give people the opportunity to make choices and the autonomy to not use their phones. And give them an experience that is so mind-blowing, their phone is the last thing they’re thinking about.“ [11]
Die Experience-Economy-Pioniere Pine und Gilmore empfehlen Markenunternehmen sogar explizit, Brand Experiences nicht gratis anzubieten, sondern Geld dafür zu verlangen. Zum einen werden diese auf Unternehmensseite dann ernster genommen, da ihnen ja ein Erlösmodell zugrunde liegt. Und es müssen nicht die Produkte selbst verteuert werden, um die Kosten für die Experiences über Bande wieder einzuspielen. „In the full-fledged Experience Economy, we will see not only portions of retail stores but entire shopping malls charge admission before a person is allowed to set foot in a store“, prognostizieren die beiden Autoren [12]. Zusammenfassung • Brand Experiences müssen Unternehmen nicht Geld kosten, sondern bergen die Chance für neue Revenue Streams. • Auch als Erlösmodell ergänzen Experiences den Branding-Prozess und helfen bei der Abgrenzung zur Online-Konkurrenz.
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Literatur 1. Newman, D., & Blanchard, O. (2016). Building dragons. Digital transformation in the experience economy. Illinois: Broadsuite, Inc. 2. https://www.vanityfair.com/news/2019/09/netflixs-crazy-doomedmeeting-with-blockbuster. Zugegriffen: 9 Juni 2020. 3. https://www.auma.de/de/medien_/publikationen_/Documents/erlebnismesse-management-review/erlebnis-messe-management-review-download. pdf. Zugegriffen: 9 Juni 2020. 4. http://dreamemployer.se/tours/8-ambassadors/. Zugegriffen: 9 Juni 2020. 5. https://employerbranding.org/about/employer-branding-definitionmission-und-grundsaetze/. Zugegriffen: 9 Juni 2020. 6. https://www.avature.net/de/virgin-media-wie-sie-ihre-kandidatenerfahrung-von-grund-auf-umgestalten-koennen/. Zugegriffen: 9 Juni 2020. 7. Deloitte: Employee Experience – HR als gestaltende und strategische Kraft. Über: https://www2.deloitte.com/de/de/pages/human-capital/ articles/employee-experience-mitarbeitererfahrung.html. Zugegriffen: 9 Juni 2020. 8. https://www.marriott.de/loyalty.mi. Zugegriffen: 9 Juni 2020. 9. https://www.dasinvestment.com/bitkom-umfrage-welche-versicherungendie-deutschen-online-abschliessen/. Zugegriffen: 9 Juni 2020. 10. https://www.businessinsider.de/wirtschaft/finanzen/n26-hat-jetzt-5millionen-kunden-das-steile-wachstum-wirf-jedoch-fragen-zur-statistikauf/. Zugegriffen: 9 Juni 2020. 11. https://www.forbes.com/sites/karineldor/2019/03/07/maryellis-bunnfounder-of-museum-of-ice-cream-has-plans-to-change-the-world/. Zugegriffen: 9 Juni 2020. 12. Pine B. J. II, & Gilmore, J. H. (1999). The experience economy: Work is theatre & every business a stage. Boston: Harvard Business Press Review.
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3.1 Mehr drin als gedacht: die sechs ErlebnisDimensionen Menschen – vor allem, aber nicht nur Vertreter der Generationen Y und Z – kaufen zunehmend Erlebnisse anstelle von Produkten. Dieser Fakt ist eines der Hauptbeweggründe für die Transformation von Unternehmen in die Experience Economy. Einer Studie des Beratungsunternehmens McKinsey zufolge haben sich die Ausgaben der Privatkonsumenten für Erlebnisse vier Mal so schnell entwickelt wie die Ausgaben für Produkte [1]. Das bedeutet branchenübergreifend für Brands, dass sie sich spätestens jetzt auf den Weg machen müssen in die Erlebnisökonomie. Die richtige Markenpositionierung innerhalb der neuen Wirtschaftsstrategie ist allerdings ein Balanceakt. Wahllos Erlebnisse und Eventformen als Add-on an ein bestehendes Produkt zu haften, funktioniert nicht. Sich jedoch als Markenunternehmen in der Experience Economy von Grund auf neu zu erfinden, würde bedeuten, weit über das Ziel hinauszuschießen. Im Idealfall ersetzt die Experience nicht das bis© Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Schnaack, Experience first – Marken erlebbar machen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31185-8_3
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herige Markenprodukt, sondern wächst systemisch aus dem bisherigen Markenkern heraus. Stellt man sich eine Marke als eine Persönlichkeit mit diversen äußeren Merkmalen und Charaktereigenschaften vor, dann ist der Markenkern so etwas wie die DNA dieser Persona: Sie bestimmt – dem Erbgut gleich –, was innerhalb der Marke möglich ist und was nicht. Es würde beispielsweise nicht zu einer Marke wie Meister Proper passen, Veranstalter eines hippen Musikfestivals zu werden. Ebenso wenig wäre es glaubwürdig, wenn die Textilmarke H&M ihr Portfolio um Philosophie-Talks im Shop erweitert. Es ist demzufolge der Brand Core, der im Transformationsprozess die Richtung vorgibt und diesem die Leitplanken setzt. Das traditionelle „Angrillen“ bei Opel – Präsentation der neuesten Modelle plus Wurst vom Grill – passt perfekt zum Markenkern des Rüsselsheimer Autobauers („deutsch, nahbar, aufregend“) [2] und wird auch sehr von Stammkunden geschätzt; die gleiche Veranstaltung würde dagegen bei Audi („Vorsprung durch Technik“) deplatziert wirken. Als einer der testosteron-reichsten Brands überhaupt, die Motorradmarke Harley Davidson („American by birth. Rebel by choice“), sowohl Markennamen als auch Logo hergab für Babykleidung und Parfum, reagierten Hardcore-Fans mit Empörung und Enttäuschung. Menschen werden zu Fans einer Marke, weil deren Markenpersönlichkeit sie anspricht und sie eine emotionale Beziehung zu dieser aufbauen. Zugleich aber haben Kunden ein sehr sensibles Gespür dafür, ob die einzelnen Charakteristika und Erscheinungsformen zueinander passen oder ob es Brüche innerhalb des Markenauftritts gibt. Ein Brand ist dann erfolgreich, wenn alle Merkmale der Marke, aber auch alle Touchpoints konsistent zum Markenkern sind. Das Bild, das im Konsumenten entsteht, muss zwingend in sich stimmig sein. Nur dann wird eine Marke als authentisch wahrgenommen. Unternehmen, die sich dieses Balanceaktes bewusst sind, leiten deshalb alles aus dem Markenkern ab, beispielsweise sämtliche CI-Merkmale, die Einrichtung der Büros, die verwendeten Geräte, die Gestaltung der Webauftritte, der Umgangston untereinander sowie die Kommunikation mit Geschäftspartnern und Kunden. Mit anderen Worten: jeden einzelnen Touchpoint mit der Marke, ob intern oder
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extern. Je sorgfältiger ein Markenunternehmen sämtliche Berührungspunkte identifiziert und an der Marke ausgerichtet hat, umso stärker und wahrhaftiger wird diese Marke wahrgenommen. Experiences, die eine Markenbindung provozieren sollen, müssen aber nicht nur den Markenkern widerspiegeln, sondern vor allem den Kunden emotional berühren. Die Intensität der Berührung ist abhängig von der Anzahl der Wahrnehmungsebenen, die das Erlebnis beim Kunden anspricht. Der Marketingexperte und Markenberater Bernd Schmitt unterscheidet hier fünf verschiedene Erlebnisdimensionen [3]: • Sensorisch: Anregung der einzelnen Sinne des Konsumenten, also hören, sehen, riechen, schmecken, fühlen. Dabei kommt es darauf an, das Ausmaß der Reize hoch genug anzusetzen, um die Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten – aber auch nicht zu hoch, um den Konsumenten nicht zu erschrecken, zu überfordern oder abzustoßen. • Affektiv: Erlebnisse, die beim Customer eine positive Emotion (Freude, Genuss, Entspannung, Aufregung…) auslösen und ihn in eine beabsichtigte Stimmung versetzen • Kognitiv: Erlebnisqualitäten, die das Denken (z. B. Problemlösungsverhalten, Kreativität) des Kunden anregen • Verhaltensbezogen: Provokation von Involvement oder Engagement des Kunden – alles, was ihn zu Interaktion und Kommunikation animiert sowie eine Verhaltensantwort erfordert („Call to Action“) • Sozial: Eingriff in das soziale Gefüge zwischen Kunden, etwa durch Verstärkung des Gemeinschaftsgefühls, der Verbundenheit. Gentile et al. [4]. haben diese fünf Punkte noch ergänzt durch eine Lifestyle-Dimension des Erlebnisses, die den Kunden in seiner Wertewelt und in seinen Meinungen bestätigt und dadurch eine emotionale Bindung an die Marke entstehen lässt. Eine der grundlegenden Aufgaben bei der Transformation in die Experience Economy ist deshalb, nicht nur die Customer Journey samt ihrer Touchpoints auf Kompatibilität zum Markenkern abzuklopfen, sondern auch, aus dem Brand Core heraus mögliche – und möglichst unterschiedliche – Erlebnisdimensionen zu entwickeln.
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Beispiel: Ikea Der schwedische Einrichter IKEA hat Brand Experiences frühzeitig als Differenzierungsmerkmale erkannt und diese eingesetzt, um sich von anderen Möbelherstellern abzusetzen. Die Customer Journey bei IKEA (1974 in Deutschland angetreten als „das unmögliche Möbelhaus aus Schweden“) beinhaltet beispielsweise den berühmten Katalog, der dank langjähriger Tradition schon Kultstatus hat und Kunden alleine dadurch emotional anspricht, auch wenn er längst nur noch einen Bruchteil der real existierenden Ware enthält und eher Inspiration (kognitive Erlebnisdimension!) als Informationsquelle sein soll. Bei der Shopping-Tour durch eines der blau-gelben Verkaufshäuser kann man jedes Möbelstück anschauen, anfassen, probesitzen oder auch -liegen. Je näher man dem Restaurant kommt, desto stärker riecht es nach schwedischen Köttbullar, hinter der Kasse dann nach HotDog. Jedes Produkt hat nicht alleine eine Bestellnummer, sondern auch einen (schwedischen) Namen, was die emotionale Beziehung zur Marke noch einmal verstärkt. Der Kunde wird (typisch schwedisch) geduzt. Er darf sich selbst an der Gestaltung seiner Küche versuchen, an der Konstruktion seines Pax-Kleiderschrankes, am Heimtransport der gekauften Ware sowie am Zusammenschrauben derselben: Erlebnisdimension Verhalten. Und anlässlich von „Knut“ seinen Weihnachtsbaum bei IKEA abliefern. Der IKEA Family-Club generiert ein Gemeinschaftsgefühl, das auch international trägt: Es gibt deutsche Expats, die – wo auch immer sie gerade im Einsatz sind – ab und an zu IKEA gehen, um dort Heimatgefühl zu tanken. Weil IKEA weltweit gleich ist. Was IKEA zunehmend Probleme bereitet, ist das Image des wenig nachhaltigen Wegwerf-Möbels. Der Möbelbauer hat aber bereits darauf reagiert – etwa durch Produkte wie Duschköpfe, die Wasser einsparen. Durch die Verwendung von Recycling-Materialien. Durch Initiativen wie „Lebensmittel sind wertvoll“, die sich für die Reduktion der Lebensmittelverschwendung einsetzen. Durch einen vegetarischen Hot Dog auf der Speisekarte. Außerdem hat IKEA die Plattform „IKEA Zweite Chance“ entwickelt, auf der man Gebrauchtmöbel an den Möbelhändler zurückverkaufen kann. Eine echte Brand Experience bietet die App „IKEA Better Living“ mit Informationen und Tipps für einen nachhaltigeren Lifestyle, Gewinnspielen und Challenges: Eine gelungene Gamification des Öko-Themas, dem allzu oft ein Spielverderber-Image anhaftet. Ab 2020 will IKEA außerdem in den Möbelverleih einsteigen: Wer etwa nur auf absehbare Zeit in einer Stadt oder Wohnung leben wird, kann Einrichtungsgegenstände leasen, anstatt sie zu erstehen, nur um sie kurz darauf wieder zu entsorgen. Dadurch werden die Möbel selbst zwar nicht nachhaltiger, fühlen sich aber für den Konsumenten so an und beseitigen mögliche Zweifel an seiner Bindung an die Marke IKEA. Kaufst du noch oder mietest du schon?
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Zusammenfassung • Vielfältig denken: Marken enthalten bis zu sechs Erlebnisdimensionen, auf denen Experiences aufbauen können. • Je mehr Erlebnisdimensionen von einer Brand Experience berücksichtigt werden und je intensiver diese gestaltet werden, desto länger und intensiver wirkt das Erlebnis auf die emotionale Bindung zwischen Mensch und Marke.
3.2 Was Experience mit Storytelling zu tun hat 3.2.1 Das ultimative Ziel: Creating Fans Authentizität, Emotion und Empathie: Dieses magische Dreieck beschreibt die Bindungsqualität zwischen Customer und Brand. An hohen Werten in allen drei Kategorien erkennt man den „Markenfan“: Die Marke wird als ehrlich wahrgenommen, der Kunde hat positive Gefühle ihr gegenüber entwickelt und fühlt sogar mit ihr mit. Ein Markenfan zeichnet sich aus durch hohe Loyalität gegenüber der Marke. Er wählt sie nicht nur bei der Kaufentscheidung, sondern wirbt darüber hinaus als eine Art ehrenamtlicher Markenbotschafter in seiner Peergroup etwa auf Social Media für sie und hält ihr sogar in schweren Zeiten (z. B. bei einem Firmenskandal) die Treue – ähnlich dem Fan eines Fußballvereins, der auch dann Fan bleibt, wenn der Verein verliert oder absteigt. Die wahrgenommene Authentizität einer Marke ist ein zartes Pflänzchen, und zahlreiche Flops und mediale Shitstorms erzählen davon, wie schnell sie geknickt werden kann. Deshalb muss die Markenkommunikation – in welcher Form auch immer sie stattfindet – auf den Markenkern abgestimmt sein. Alles, was in Richtung Kunde gesendet wird, muss zwingend kongruent mit den Unternehmenswerten sein und darf auch dann nicht davon abweichen, wenn der Wind mal aus der anderen Richtung weht. 64 % der Verbraucher, die selbst davon sprechen, eine Beziehung zu einer Marke aufgebaut zu haben, geben „gemeinsame Wertevorstellungen“ als Grund für diese gefühlte Nähe an
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[5]. Zugleich hat der Kunde, 24/7 beschossen mit Werbebotschaften, ein sehr gutes Gefühl dafür, wenn die Aktionen eines Unternehmens nicht mit den vorgegebenen Werten deckungsgleich sind. Er fühlt sich betrogen. Und wie bei einer echten Freundschaft ist so ein Bruch schwer zu kitten. Beispiel: Deplazierte Dose Pepsi 2017 launchte der Getränkehersteller Pepsi einen Werbespot, in dem das US-amerikanische Model Kendall Jenner – bis dahin nicht aufgefallen durch fundierte politische Äußerungen – auf einer Demo einem Polizisten als eine Art Friedensgeste eine Dose Pepsi reicht, der sie dann fröhlich trinkt, woraufhin die angebliche Demo-Gruppe spontan in Beifall ausbricht [6]. Auf dem Höhepunkt der Rassenunruhen in den Vereinigten Staaten und vor dem Hintergrund der damaligen #BlackLiveMatters-Bewegung wirkte der Spot verharmlosend und deplatziert. Nach massiven Protesten vor allem über die sozialen Medien wurde der Spot von Pepsi innerhalb von 24 h zurückgenommen.
Vermutlich liegt es auch an wenig authentischen Marketingaktionen wie diesen, dass Marken den Konsumenten zunehmend suspekt geworden sind. Laut der Studie b4p Trends der Gesellschaft für integrierte Kommunikationsforschung (GIK) glaubten 2019 nur noch 31 % der Deutschen, dass Markenprodukte besser sind als No-Name-Ware. 20 Jahre zuvor waren davon noch 59 % überzeugt. [7] 73 % der Befragten gaben dort auch an, dass in ihren Augen Marken einander so ähnlich seien, dass man nicht wirklich eine vorziehen könne. Zugleich konstatierten 77 %, sie würden lieber eine Marke kaufen, die eine gesellschaftlich verantwortungsvolle Haltung vertritt, etwa im Bereich Ökologie, Nachhaltigkeit oder Arbeitsbedingungen. Glaubhaft Haltung zu kommunizieren, die deckungsgleich ist mit dem Markenkern, gehört zur hohen Schule des Marketings, bedeutet es doch den Schritt in einen eher unberechenbaren Öffentlichkeitsbereich. Viele Unternehmen bleiben hier sicherheitshalber lieber unterhalb ihrer theoretischen Möglichkeiten. Andere navigieren mutig in offene Gewässer – und erleiden mitunter Schiffbruch.
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Beispiel Gillette und Otto Der Rasierklingen-Hersteller Gillette wagte 2019 einen schwierigen Balanceakt: Ausgehend von der #MeToo-Bewegung, wurde der eigene Markenkern („Das Beste im Mann“) in einem Werbespot zur Diskussion gestellt – „Is this the best a man can get?“ fragt die Stimme aus dem Off angesichts von Mobbing-Szenen, sexueller Belästigung, Brutalität durch Männer und Rassismus [8]. Gestern noch Vertreter der Idee, dass keine Frau einer gut rasierten Männerwange widerstehen kann – und heute Botschafter einer neuen Männlichkeit? Die öffentlichen Reaktionen auf den Spot waren gespalten, es gab zahlreiche Aufrufe zum Boykott von Gillette-Produkten. Doch Gillette hielt an dem eingeschlagenen Weg fest. Und legte sogar noch nach mit einem Spot, in dem der Transgender-Mann Samson Brown vor laufender Kamera Rasiertipps von seinem Vater entgegennimmt. Die erste Rasur – ein Initiationserlebnis für jeden Jungen. Zumindest die LGBTQ-Community applaudiert. Der Versandhaus Otto dagegen gelang in Sachen Haltung Anfang 2020 ein echter Spontan-Coup. Auf Twitter regte sich eine Userin über den hohen Anteil an Models mit (vermutetem) Migrationshintergrund auf: „Es widert mich nur noch an. Da will man ein Kundenkonto eröffnen, klickt entsprechend, glotzt mich Afrika an. Ich will das nicht mehr sehen müssen! Das ist nicht unsere Gesellschaft, das ist die Gesellschaft, die wir werden sollen. Ohne mich! Otto_de find ich scheiße…“ Otto reagierte darauf spontan und sehr souverän mit einer Antwort-Tweet: „Es widert uns auch an. Da will man Twitter öffnen, klickt entsprechend, glotzt uns erneut so ein absurder Tweet an! Wir wollen das auch nicht mehr sehen müssen! Das ist nicht unsere Gesellschaft. Ohne uns! [9] Für das klare Anti-Rassismus-Statement wurde der Versandhändler in den sozialen Medien sowie der Presse regelrecht gefeiert – auch Menschen, die vermutlich bislang nicht zur Otto-Stammkundschaft gehörten, bekannten sich nun öffentlich zur Marke. Und bescherten dem Hersteller eine positive mediale Aufmerksamkeit, die auch mit einem großen Marketingbudget kaum zu erkaufen gewesen wäre.
Zusammenfassung • Markenfans zeichnen sich nicht nur durch eine hohe Loyalität gegenüber der Marke aus, sondern werden im Idealfall selbst zu Markenbotschaftern. • Eine enge emotionale Beziehung zwischen Customer und Marke basiert auf geteilten Werten.
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• Stehen Marketing-Aktionen im Widerspruch zu den vorgegebenen Unternehmenswerten, verletzt dies nachhaltig die Markenbindung.
3.2.2 Mehr Geschichten: Telling the story Selbst starke Marken müssen Mission und Werte immer wieder neu kommunizieren. Und zwar idealerweise so, dass die Botschaft als authentisch wahrgenommen wird und beim Customer positive Emotionen auslöst sowie nachhaltig in Erinnerung bleibt. Weil Menschen seit den langen Nächten am Lagerfeuer anno Steinzeit Geschichten lieben, werden Markenwerte idealerweise in Geschichten verpackt: je persönlicher, desto besser. Beispiel: #inspiredbyHeimweh von Lufthansa „Social Media Only“: Das entschied der Flugkonzern Lufthansa 2016 für seine Marketing-Kampagne #inspiredbyHeimweh. Wo komme ich her? Wo will ich hin? Wo liegen meine Wurzeln – und was hat mich das Reisen gelehrt? All diesen Fragen stellen sich in Clips unbekannte Menschen, aber auch Prominente. Die dänischen Designer Satoru und Kiyoshi Inhoue beispielsweise suchen in Japan nach ihren Ursprüngen. „Man vergisst oft, dass es nicht das Gleiche ist, von einem Ort gehört zu haben und wirklich dort zu sein“, erklärt in dem Fünf-Minuten-Video einer der Inhoue-Brüder. Auf der Suche nach ihrem persönlichen Woher und Wohin reist Schauspielerin Emilia Schüle für die Lufthansa in ihren Geburtsort Blagoweschtschensk in Sibirien – und nimmt dafür sogar den Zug. Ein Lufthansa-Flieger taucht in diesem Clip nicht auf, dafür ein Boot, ein Auto, eine Herde wilder Pferde. Im Mittelpunkt dagegen steht die persönliche Erfahrung des Reisens – die Neugier auf das Fremde und die Freude, darin mehr Bekanntes gefunden zu haben als vermutet. Die Welt ist ein wunderbares Abenteuer, lautet die Botschaft im Subtext dieser Storys. „Aus der Grundidee, was Menschen zum Reisen bewegt und was Reisen mit ihnen macht, entwickeln wir die Heimweh-Idee weiter, um große, integrierte Kampagnen zu kreieren“, erklärt Benita Struve, bei Lufthansa als Senior Director Marketing Communications verantwortlich für die Kampagne. „Wir verstehen Content-Marketing als authentisches Storytelling, das echte Einblicke in die menschliche Psyche über alle Kanäle hinweg trägt.“ [10]
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Menschen lieben Geschichten. Storytelling wird dadurch zum perfekten Transportmittel für Markenwerte. Diese Form der Kommunikation liefert keine Slogans und keine nüchterne Information, sondern verpackt Unternehmenswerte in Geschichten, die vorrangig die Emotionsebene ansprechen. Eine klug entwickelte und umgesetzte Story gibt den Kunden ein Gefühl dafür, wofür die Marke beziehungsweise ein Unternehmen steht. Mit Storytelling können Markenunternehmen Kunden auf einer höheren Ebene begegnen und diese im Idealfall dazu animieren, sich mit den Protagonisten der Geschichte – und damit mit der Marke – zu identifizieren. Aus den auf einem Papier oder einer Webseite fixierten Werten und Visionen entsteht ein Narrativ. Die DNA einer Markenpersönlichkeit wird zum Leben erweckt und als Lebensgefühl wahrnehmbar für den Customer. Storytelling kann die Einführung eines neuen Produktes kommunikativ begleiten, die Gründungsgeschichte eines Start-ups erzählen oder den Kunden die Werte und die Mission eines Unternehmens nahebringen. Unabhängig vom Kommunikationsziel funktionieren alle guten Geschichten nach einem sehr ähnlichen Baukasten-Prinzip. Sie alle benötigen • Eine Kernbotschaft: Was soll mit der Geschichte vermittelt werden? Was soll sie bewirken? • Einen (oder eine überschaubare Menge an) Protagonisten, mit dem/ denen sich das Publikum gerne identifiziert. • Einen Konflikt, der den Protagonisten (persönlich, seine Familie, sein Team, seinen Konzern, seinen Traum…) in einer bestimmten Weise gefährdet und den der Held lösen muss • Eine Auflösung des Konflikts • Einen Spannungsbogen, der an den wichtigsten Stationen der Heldenreise (Startpunkt, Konfliktsituation, Lösungsfindung) entlangführt. In dem Buch „The Seven Basic Plots: Why We Tell Stories“ [11] hat der britische Journalist Christopher Booker sieben Plots herauskristallisiert, die seines Erachtens die Grundmuster sämtlicher bislang erzählten Geschichten darstellen.
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1. Ocercoming the Monster: das Besiegen eines übergroßen Gegners, etwa im Dienst einer rettenden Mission 2. Rags to riches: Die „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ – oder auch Cinderella-Variante 3. The Quest – die Suche nach etwas Großem, Bedeutsamen über alle Hindernisse, etwa wie bei „Der Herr der Ringe“ 4. Voyage and return: die Odyssee-Version – der Held muss eine lange Strecke zurücklegen, um schließlich geläutert und erfahrener zurückzukehren 5. Comedy: auf unterhaltende Weise wird die Wandlung vom Bösen ins Gute erzählt 6. Tragedy: ein Drama, mitunter ohne happy ending; Geschichten des unternehmerischen Scheiterns fallen beispielsweise in diese Kategorie 7. Rebirth: die Geschichte vom Phönix aus der Asche – obwohl bereits totgeglaubt, arbeitet sich der Held wieder nach oben ans Licht Gelungenes Storytelling besitzt die Macht, die der Marke innewohnenden Werte an die sichtbare Oberfläche zu holen, der Marke Relevanz zu verleihen und die emotionale Beziehung zwischen Mensch und Marke zu stärken. Es transportiert die Mission einer Marke, deren Purpose. Vermittelt Erfahrung, zeigt Lösungsmöglichkeiten auf, regt zum Denken und Hinterfragen an. Und unterhält dabei auch noch. Gutes Storytelling wirkt zudem nicht nur auf der B2C-Ebene, sondern auch in Richtung Employer Branding. „Start with why“ empfiehlt der britisch-amerikanische Unternehmensberater Simon Sinek in seinem gleichnamigen Buch [12]. In seinem berühmten TED-Talk [13] analysiert er, warum ausgerechnet Menschen wie Martin Luther King und Steve Jobs andere Menschen inspirieren konnten. Sie hatten, so Sinek, ein starkes „Warum“ und stellten es in den Mittelpunkt ihrer Kommunikation. Sie redeten weniger darüber, was sie wie taten, sondern vor allem darüber, warum sie es taten. Auf der Basis dieser Erkenntnis entwickelte Sinek den „Golden Circle“, den Goldenen Kreis – bestehend aus drei ineinander liegenden Ringen.
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Das „What“ („Was“) im äußersten Kreis erklärt die harten Fakten, die ein Unternehmen ausmachen: Produkt, Zahlen, Daten. Jeder Mensch und auch jeder Konzern weiß ziemlich genau, was er macht. Und relativ viele wissen auch, wie es gemacht wird („How“ bzw. „Wie“ im mittleren Kreis des „Golden Circle“): die ganz spezielle Art und Weise, wie beispielsweise etwas hergestellt, erarbeitet, in Gang gesetzt wird. Doch nur wenige Unternehmen, postuliert Simon Sinek, wissen, warum sie machen, was sie machen. Das „Why“, also das große „Warum“, steht im Zentrum seines Goldenen Kreises. Gewinn zählt nach Sineks Logik nicht als Warum: Geld ist ein Ergebnis, kein Warum. Inspirierende Menschen und auch Unternehmen aber haben ein starkes „Why“. Sie verkaufen nicht ein ganz besonderes Produkt oder einen ganz besonderen Service, sondern eine Idee, ein Lebensgefühl. Ein Warum. Martin Luther King sagte nicht, was er wie machen will. Er sagte: „Ich habe einen Traum.“ Und bewegte damit die Menschen dazu, diesen Traum auch zu ihrem zu machen. Und das, was sie wie machen, diesem Warum unterzuordnen. „Start with Why“ bedeutet in Bezug auf das Storytelling, dass der Purpose eines Unternehmens oder einer Person den Kern der Geschichte ausmacht: Welche Ideale werden verfolgt, was ist dem Unternehmen in gesellschaftlicher Hinsicht wichtig, welche Werte werden darin gelebt? Was würde der Gesellschaft fehlen, wenn es dieses Produkt, diese Dienstleistung nicht gäbe? Was bringt die darin arbeitenden Menschen dazu, jeden Morgen wieder zur Arbeit zu erscheinen? Wieder: Geld (=Gehalt) zählt nicht, es ist Ergebnis, kein Motiv. Erst zweit- und drittrangig erzählt die Story, wie das Unternehmen seine Idee umsetzt und wodurch. Der größte Unterschied dabei: Während diese beiden Punkte den Verstand des Konsumenten ansprechen, zielt des Why direkt auf die Gefühlswelt des Kunden. Es geht idealerweise unter die Haut und trifft ins Herz oder besser in den Bauch. Denn dort werden in Wahrheit die meisten Kaufentscheidungen getroffen: aus dem Bauch heraus. „People don’t buy what you do. They buy why you do it“, erklärt Simon Sinek. [13]
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Beispiel: Das „Warum“ von Microsoft Als Bill Gates gemeinsam mit Paul Allen 1975 Microsoft gründete, lieferte er damit zugleich ein großes „Warum“ in seiner Unternehmensvision mit: „Ein PC in jedem Haus und an jedem Schreibtisch“. Und das, obwohl Microsoft ja gar keine Computer baute. Doch die Software von Microsoft sollte eben das möglich machen: dass jeder durchschnittliche Mensch in die Lage versetzt wird, diese damals neue Technologie zu nutzen. Windows, die Erfolgs-Software aus dem Hause Microsoft, sollte vor allem ein gesellschaftlicher Gleichmacher sein, der allen Menschen unabhängig von ihren technischen Kenntnissen den Eintritt in die Computerwelt ermöglicht.
Die Kommunikation in der Experience Economy fokussiert nicht auf das „Was“ und „Wie“ eines Unternehmens, sondern stellt das große „Warum“ in das Zentrum der Geschichten und macht es damit emotional erlebbar. Denn die Antwort auf diese Frage ist auch eine mögliche Antwort auf die Fragen des Konsumenten, warum er aus der großen Vielfalt von Angeboten ausgerechnet dieses spezielle Produkt oder diese eine Dienstleistung auswählen sollte.
3.3 Storydoing: Der Kunde wird zum Teil der Geschichte Menschen lieben Stories. Doch selbst eine klug konzipierte und aus dem Markenkern heraus entwickelte Geschichte lässt sich in der Wirkung noch toppen – durch eine Geschichte, die zur Interaktion auffordert. Storydoing involviert den Kunden, macht aus passiven Empfängern aktive Teilnehmer. Und lässt so den Worten Taten folgen. Beispiel: Dove Projekt für mehr Selbstwertgefühl Der Kosmetikhersteller Dove hat es sich auf die Fahne geschrieben, dem sogenannten Body Shaming den Kampf anzusagen, indem er das körperliche Selbstbewusstsein gerade von Frauen fördert. Die Kernbotschaft von Dove ist: „Schönheit sollte eine Quelle des Selbstvertrauens sein – nicht
3 So werden Unternehmen fit für die Experience Economy 63 des Selbstzweifels.“ Die Mission lautet dementsprechend: „Wir sind der Meinung, dass sich alle Menschen so lieben sollten, wie sie sind. Daher wollen wir Menschen unterstützen beim sich selbst Wohlfühlen.“ Auf dieses Statement auf ihrer Homepage folgt eine Aufforderung: „Mach mit.“ [14] Das „Dove Projekt für mehr Selbstwertgefühl“ ist ein gutes Exempel für gelungenes Storydoing. Das Unternehmen belegt die Ernsthaftigkeit seiner Mission durch zahlreiche Studien, Aktionen und Einzel-Storys zum Thema Selbstwertgefühl. In dem preisgekrönten Video „Dove Real Beauty Sketches: You’re more beautiful than you think“ etwa zeichnet ein Phantomzeichner Frauen zweimal – einmal nach ihrer eigenen Beschreibung, und einmal nach der eines Außenstehenden. Es ist berührend, wie die Frauen anschließend vor ihren beiden Bildern stehen und erkennen, um wie viel negativer sie sich selbst sehen als andere. Das Video auf YouTube wurde bislang (Stand 2020) knapp zehn Millionen Mal angeklickt und mehr als 4000 Mal kommentiert.
Ty Montage, Gründer des Beratungsunternehmens co:collective, beschreibt in seinem Buch „True Story: How to Combine Story and Action to Transform Your Business“ [15], was Storydoer von Storytellern unterscheidet: • Sie haben eine Mission, die weit über kommerzielle Aspekte hinausgeht und mit der sie etwas (Gesundheit, Gesellschaft, Ökologie…) verbessern wollen (purpose) • Diese Mission ist Kernbotschaft ihrer Story. • Die Story ist nicht Endergebnis der Kommunikation, sondern vor allem dazu da, um als Unternehmen aktiv zu werden. • Die Story beeinflusst alle Bereiche des Unternehmens (Produktentwicklung, HR, PR, Partner, Kooperationen, etc.). • Die Story bleibt nicht zweidimensional, sondern wird in Aktionen umgesetzt. • Kunden, aber auch Mitarbeiter und Businesspartner werden in die Story einbezogen und können die Story als Grundlage für eigene Geschichten nutzen. Im Mittelpunkt beim Storydoing steht ähnlich dem Storytelling nicht das angebotene Produkt oder die offerierte Dienstleistung, sondern das
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Why, das allem zugrunde liegende Motiv nach Simon Sinek. Dadurch, dass die Botschaft B2C, B2B und auch B2E involviert, entsteht ein Gemeinschaftsgefühl – eine Gruppe, die von der Marke zusammengehalten wird. Jeder darf sich als Teil einer Mission fühlen, die weit über das Produkt hinausgeht. Co:collective hat in einer Studie bekannte Storydoing-Unternehmen (z. B. Apple, Tesla, Walt Disney, Red Bull…) hinsichtlich bestimmter Kriterien verglichen mit Storytelling-Unternehmen wie McDonalds, Pepsi, Samsung, Visa, Dell. Storydoer erzielten trotz geringerer Marketing-Ausgaben höhere Einnahmen als Storyteller. Vor allem aber erzielten sie deutlich mehr positive Erwähnungen in den sozialen Kanälen. [16] Gutes tun und darüber reden: Storytelling und Storydoing sind keine Konkurrenten, sondern Partner in der Experience-Kommunikation. Storytelling erzählt eine Geschichte – und Storydoing nützt diese, damit neue Geschichten entstehen und weitererzählt werden. Kunden werden aktive Gestalter und nehmen Einfluss auf die Story. Die dadurch im Idealfall zur unendlichen Geschichte wird. Beispiel: #wieeinmädchen Always (Procter & Gamble) als Produzent von Hygieneprodukten hat sich zum Ziel gesetzt, das Selbstwertgefühl von Mädchen zu stärken. Unter #wieeinmädchen (#likeagirl) versammeln sich nicht nur Aufklärungsprogramme und inspirierende TED-Videos, eine weltweite Konferenzreihe und Emoji-Kreationen, die Frauenpower symbolisieren sollen, sondern auch die Aufforderung an alle Mädchen: „Sei dabei. Erzähle uns, wie du Sachen ausprobierst, Fehler machst, dazulernst und weitermachst #WieEinMädchen, um auch andere dazu zu inspirieren.“ [17] Die Kampagne gilt als eine der erfolgreichsten in den letzten Jahren und wurde mit zahlreichen Werbepreisen ausgezeichnet.
Eine Marke wird Story wird Aktion. Das dadurch entstehende Wir-Gefühl um die Marke herum bringt Menschen dazu, ihre persönliche Story in Bezug auf diese Mission mit anderen zu teilen als eine Art kollektive Experience – in persönlichen Begegnungen, aber vor allem auch über soziale Medien.
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Zusammenfassung • StoryDoing involviert den Kunden in das Narrativ und fordert ihn zur Interaktion auf. • Im Mittelpunkt sowohl beim Storytelling als auch -doing steht nicht das Produkt selbst, sondern der Grund, warum es überhaupt existiert. • Storytelling kann für Erhöhung der Emotionalisierung und damit der Markenloyalität in den Bereichen B2B, B2C und B2E eingesetzt werden. • Im Idealfall konkurrieren Storytelling und Storydoing nicht miteinander, sondern ergänzen sich.
3.4 Der Point of Sale als Point of Experience 3.4.1 Der rein stationäre Einzelhandel hat ausgedient Zumindest bis zu Beginn der Corona-Krise im Frühjahr 2020 galt: Es wird gekauft. Und zwar immer mehr. Zwischen 2010 und 2019 konnte der deutsche Einzelhandel laut dem „Handelsszenario 2030“ des Kölner Institut für Handelsforschung (IFH Köln) [18] seinen Umsatz um 134 Mrd. EUR steigern. Paradoxerweise leidet der stationäre Einzelhandel trotzdem; immer mehr Shops müssen schließen, die Innenstädte veröden zunehmend. Zwischen 2010 und 2019 gingen fast 39.000 Geschäfte verloren [19], lediglich bei Filialen der Fachmärkte und Filialisten wurde ein Plus verzeichnet, das allerdings den Shop-Schwund bislang nicht ausgleichen konnte. Und der Abwärtstrend bleibt: Bis 2030 werde die Zahl der in 2020 noch vorhandenen 226.000 Einzelhandelsunternehmen deutschlandweit noch einmal um bis zu 64.000 sinken, prognostiziert das IFH im „Handelsszenario 2030“. Dabei sind die aktuell nur zu vermutenden langfristigen Auswirkungen der Corona-Krise vom IFH in die Prognose noch nicht einmal mit einbezogen worden. Wie kann es sein, dass trotz Umsatz-Zuwächsen so viele Einzelhändler kapitulieren müssen? Das IFH sieht hier vor allem den Siegeszug des Onlinehandels als eine entscheidende Ursache: Lediglich der E-Commerce verzeichnete in den letzten zehn Jahren kontinuierlich
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steigende Umsätze, während der stationäre Handel nahezu stagnierte (vgl. Abb. 3.1). Betroffen von der Umsatz-Abwanderung ins Netz sind aktuell die Bereiche Mode, Elektronik, der Buch- und Spielwarenhandel sowie der Handel mit Wohnaccessoires. Appelle des Einzelhandels (etwa „buy local“) an die Solidarität der Konsumenten und plakative Warnungen vor verödenden Innenstädten haben da wenig bis nichts bewirkt. Lokale Internet-Marktplätze wie flensburg-shopping.de, kauf-im-allgaeu.de oder die Online-City Wuppertal sind gut gemeinte Versuche, die Abwanderer ins Internet abzufangen und zumindest virtuell in der Innenstadt zu halten. Doch diese eher halbherzige Strategie vieler Händler hat sich bislang nicht ausgezahlt; nicht nur in den realen, sondern auch in den digitalen Einkaufszonen ist wenig los. „Der Versuch, durch lokale Online-Marktplätze die Innenstädte zu beleben, ist gescheitert“, erklärte Ende 2019 der Handelsexperte Gerrit Heinemann von der Hochschule Niederrhein gegenüber der Deutschen Presse Agentur. „Lokale Marktplätze funktionieren im Internet einfach nicht. Es fehlt ihnen an allem, was das Einkaufen im Internet attraktiv macht, von der großen Auswahl bis zu den günstigen Preisen.“ Zusätzlich ein bisschen online: so einfach ist es eben doch nicht. Entscheidend ist, den Online-Handel nicht als ein Add-on zur Marke zu sehen, sondern als einen ganz natürlichen Bestandteil der Customer Journey. Der Kunde soll den Online-Marktplatz nicht nur mühelos
Abb. 3.1 Umsatzentwicklung des Handels online und stationär. (Quelle: [19])
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finden, sondern möglichst ohne Reibungsverluste zwischen on- und offline wechseln können. Warum das so wichtig ist? Weil der Siegeszug des Internets und vor allem der mobilen Geräte (Smartphone, Tablet) das Einkaufsverhalten der Kunden verändert hat – vor allem in der jüngeren Generation der Digital Natives, aber auch in der Generation der kaufkräftigen, servicebewussten Best Ager. Während im Fast Moving Consumer-Markt (FMCG), also im Warenbereich der Lebensmittel, Körperhygiene und Reinigungsprodukte, laut GfK Consumer Panel noch 82 % der Käufer ausschließlich offline shoppen, trifft das im Nonfood-Bereich nicht einmal mehr auf jeden zweiten Käufer zu [20]. Und das wiederum sollte auch den Drogerien und Lebensmittelhändlern zu denken geben, da das „Betrachten der aktuellen Nonfood-Entwicklung eine Art Blick durchs Fernglas auf eine mögliche Entwicklung der FMCG-Märkte ist“, glaubt die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Während sich im FMCG-Bereich erst 18 % zu den sogenannten Omnichannel-Käufern zählen, die je nach Bedürfnislage flexibel zwischen On- und Offline-Shopping wechseln, trifft das bei Nonfood bereits auf 58 % der Käufer zu. Die höchsten Wachstumsraten bei Online-Käufen zwischen 2014 und 2018 verzeichneten laut GfK Elektrogeräte (+54 %), DIY (42 %) und Fashion/Lifestyle (+28 %) [20]. Grund für diesen Zuwachs ist vor allem die Loslösung des Online-Verkaufs vom PC. Eingekauft werden kann jetzt dank Smartphone und Tablet nicht nur immer, sondern auch überall. Dementsprechend wuchs auch laut IFH Köln der Umsatz, der online inzwischen über mobile Geräte getätigt wird [21] (vgl. Abb. 3.1). Angesichts der wachsenden Bedeutung von Käufen auf mobilen Geräten bedeutet eine gelungene Customer Journey aber auch, nicht nur die Übergänge zwischen On- und Offline möglichst komfortabel zu gestalten, sondern den Kunden außerdem innerhalb der virtuellen Welt von einem Portal zum nächsten zu geleiten und ihm zuvorkommend sämtliche Türen zu öffnen. Aktuell, so das Ergebnis einer Untersuchung des HDE Handelsverband Deutschland [22], läuft da aus Kundensicht noch nicht alles optimal; vor allem im Punkt Benutzerfreundlichkeit schneidet der Shoppingbegleiter Smartphone schlechter ab als die Kollegen PC und Laptop.
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Abb. 3.2 Onlineumsatz-Anteile von Smartphone, Tablets und Desktop-PCs/ Notebooks am Onlineumsatz in Prozent. (Quelle: [21])
Die Verschmelzung von realer und virtueller Welt ist dabei keine Einbahnstraße, die nur von off- nach online funktioniert. Klassische Online-Heros wie Amazon, Home24, Zalando oder Mister Spex haben längst ganz reale (Outlet-)Läden eröffnet und das durchaus erfolgreich. Da noch der weitaus größte Umsatzanteil stationär gemacht wird, wollen auch die Online-Riesen ihr Stück vom Kuchen. „Die Strategie, in beiden Vertriebskanälen – also on- und offline – aktiv zu sein, scheint sich auszuzahlen“, schlussfolgert das EHI Retail Institute und ziehen etwa Mediamarkt.de, Saturn.de und Ikea. de als gelungene Beispiele heran [23]. Diesen Unternehmen ist offenbar geglückt, woran noch zu viele scheitern: aus Kundensicht eine Markeneinheit zu bilden, sodass der Customer zwar variiert zwischen stationärem und Online-Kauf, aber trotzdem der Marke treu bleibt. Beispiel: B8ta Stores in den USA Die B8ta Stores in den USA sehen weniger nach Shops als nach wildem High-Tech-Sammelsurium aus – Tablets lagern auf Holztischen neben elektrischer Zahnbürste, Proteinpulver neben Lautsprecherboxen und Fitness-Wearables. Das Sortiment, allesamt Innovationen aus unterschiedlichen Bereichen, wechselt regelmäßig, teilweise sogar wöchentlich. B8ta (die Filiale in San Francisco wurde 2018 zum „Shop of the Year“ gekürt)
3 So werden Unternehmen fit für die Experience Economy 69 zielt nicht in erster Linie auf den Verkauf, sondern möchte vor allem, dass die Kundschaft die Ware anfasst, bewegt, ausprobiert. Denn B8ta ist kein ganz gewöhnlicher Shop, sondern eher eine Art reale Plattform, auf der sich Startup und Customer begegnen können. Ist weniger Verkaufsfläche als eher ein Labor, in dem Entwickler herausfinden können, wie ihr Produkt beim Interessenten ankommt und wie dieser damit umgeht. Neben jedem High-Tech-Teil ist ein sogenanntes „Brick“ montiert, über das der Kunde Informationen abrufen kann. Die Art der Fragen und Interaktionen wiederum ermöglichen der Marktforschung Rückschlüsse über Potenzial und Probleme eines Produkts. Eine klassische Kasse sucht der Kunde bei B8ta übrigens vergebens: Bezahlt wird ausschließlich digital und die Ware wird nicht vor Ort verpackt und mitgenommen, sondern nach Hause versandt – in der Regel noch am selben Tag.
On- oder offline? Das ist längst nicht mehr die Frage. Der moderne Einzelhandel muss sich als Hybrid-Modell betrachten, das dem Konsumenten einen fließenden Wechsel zwischen den Medien ermöglicht und die Vorteile des lokalen Shoppings mit sinnvollen digitalen Dienstleistungen nutzt und so zum Cross- und Omnichannel-Shopping einlädt. Werbung über Newsletter und Flyer haben ausgedient – das Smartphone etwa ermöglicht eine sehr viel individuellere, direktere Ansprache des Kunden vor Ort. Über sogenannte Beacons kann die exakte Position des Kunden im Store erfasst werden, sodass er etwa über eine App mit genau der Information oder auch mit Aktionspreisen/ Coupons zu dem Produkt versorgt wird, vor dem er gerade steht. Aus seinem bisherigen Einkaufsverhalten und dem anderer Kunden kann auch eine weitere Warenauswahl erstellt werden („Wenn Ihnen das gefallen hat, gefällt Ihnen womöglich auch…“) – technologischen Dienstleistungen, die sich aus der Online- auch auf die Offline-Welt übertragen lassen.
3.4.2 Die Experience als USP des stationären Handels Stores müssen nicht zwangsweise die Verlierer der Handelswelt von morgen sein – wenn sie sich auf ihre Stärken besinnen und auf das, was sie dem E-Commerce voraushaben: das unmittelbare, multisensorische Erleben des Produkts. Geschultes Personal kann Kunden individuell
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informieren und beraten, Experiences können sie inspirieren, involvieren und emotionalisieren – der Schlüsselfaktor für Markenbindung. „Kaufen hat immer mit Entscheidungen zu tun (…), hierfür sind Emotionen verantwortlich. In der richtigen Emotionalisierung und der authentischen Kommunikation liegt die Zukunft des stationären Einzelhandels“, weiß Achim Fringes, Unternehmensberater und Gründer der Neuro Merchandising Group [24]. In puncto Emotionen und Authentizität ist der stationäre Einzelhandel schlechter aufgestellt, als ihm offensichtlich selbst bewusst ist. Die Unternehmensberatung PwC hat dazu mehrere Studien erstellt – mit dem Ergebnis, dass beim Erlebnis vor Ort noch viel Luft nach oben besteht. „Viele Konsumenten bewerten das Serviceangebot im Handel als deutlich ausbaufähig“, stellt PwC etwa in der Studie „Kunden begeistern – vom Einkauf zum Erlebnis“ [25] fest. Dabei fehlt es oft bereits an den Grundlagen: 59 % der Befragten etwa mussten bei ihrem letzten Einkauf das Verkaufspersonal aktiv ansprechen, um beraten zu werden. Während des Gesprächs dann konnten nur 38 % der Verkäufer tatsächlich zu dem gewünschten Produkt informieren; gerade mal jeder dritte war in der Lage, darüber hinaus Produktempfehlungen zu geben. „Ich habe beim letzten Einkauf keinen Verkäufer gefunden“, sagen sogar 13 % der Befragten. „Kompetente Beratung könnte ein entscheidender Differenzierungsfaktor gegenüber dem Onlinehandel sein“, mahnt PwC. Doch in Sachen Beratungskompetenz bestehe im stationären Handel in Deutschland erheblicher Nachholbedarf. Im E-Commerce dagegen setzen bereits immer mehr Anbieter auf Kundennähe und -komfort, etwa durch den Einsatz von Chatberatung in der Kommunikation mit dem Customer. Ein Blick auf die Generation der unter 30-Jährigen zeigt auf, in welche Richtung der Einzelhandel sich bewegen sollte, um auch künftig noch Menschen in ihre Läden zu locken. Digitale Services etwa haben für die über 30-jährigen Konsumenten aktuell noch wenig Bedeutung. Die Generation der Millenials dagegen legt zunehmend Wert darauf. 43 % würden laut PwC-Befragung gerne die Produktverfügbarkeit bereits vorab online einsehen können (alle Konsumenten: 26 %). Jeder dritte junge Kunde wüsste gerne noch vor dem Shoppen, wie stark frequentiert der Store gerade ist – das interessiert nur 16 % der Älteren.
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Und immerhin schon ein Viertel der Youngster zeigt sich interessiert an einem individuell vorgefertigten Warenkorb, während nur 13 % der übrigen Kundschaft gerne darauf zurückgreifen würde [25]. Der stationäre Einzelhandel hat – im Gegensatz zur O nlineKonkurrenz – die große Chance, dem Kunden echte Erlebnisse als einen Mehrwert beim Einkaufsbummel anzubieten. Und tatsächlich wünschen sich, auch das ergibt die PwC-Studie [25], 85 % der Deutschen einen Zusatznutzen beim Einkaufen: Etwas, das sie über das Produkt hinaus dazu motiviert, das heimische Sofa zu verlassen und in den Laden zu gehen. Dabei sind viele Ansätze denkbar, wie die Befragung zeigt. Um sein Überleben im Markt von morgen zu sichern, muss der Einzelhandel sich also nicht nur markenkonform digital erweitern, sondern außerdem im „real life“ ein Umfeld schaffen, das weit über die reine Produktpräsentation hinausgeht. Geschäfte müssen zu sozialen Treffpunkten werden, an denen der Kunde das Produkt, aber auch etwas darüber hinaus erlebt. Entertainment, kulturelle Events, interaktive Dienste, Restaurants und Food Courts beispielsweise weiten den Store zum Erlebnisraum, der Kunden immer wieder aufs Neue in den Shop holt und so langfristig bindet. Es ist das einzigartige Erlebnis, das den stationären Handel auch künftig vom E-Commerce abhebt. Denn es ist nicht so, dass die kommende Shopper-Generation kein Interesse mehr hat am Einkauf vor Ort – im Gegenteil. Laut des Gen-Z-Reports des Commerce-Marketing-Unternehmens Criteo [26] stöbern auch bei den zwischen 1994 und 2002 geborenen Mitgliedern der Generation Z noch 80 % gerne in Geschäften, sofern sie die Zeit dazu haben. Parallel allerdings gaben 77 % der 940 Befragten (USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Brasilien und Japan) an, dass sie es vorziehen, so viele Einkäufe wie möglich online zu tätigen. 70 % nutzen im Geschäft ihr Smartphone, um sich für den geplanten Kauf noch einmal auf den neuesten Informationsstand zu bringen. Zugleich aber kaufen 62 % ungern Dinge, die sie vorab nicht ausprobieren können. „Für Händler ergeben sich daraus zwei Schlussfolgerungen: Einerseits gilt es, diese mobile-fokussierte Generation mit einem hohen Grad an Personalisierung anzusprechen, was auch Ads und Apps beinhaltet. Andererseits gewinnen überzeugende
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mnichannel-Konzepte zusätzlich an Bedeutung“, schlussfolgert O Alexander Giesswein, bei Criteo Regional Managing Director DACH, MEA und Russland. Für den stationären Handel ergeben sich aus neuen digitalen Technologien eine Vielzahl von Möglichkeiten, die einerseits das Einkaufserlebnis für den Kunden einfacher, schneller und damit besser machen und andererseits dem Bedürfnis gerade der Smart Digital Natives nach Individualisierung nachkommen können. Chatbots und Roboter können das reale Verkaufspersonal ergänzen, neue Check-Out- und Self-Scanning-Systeme entlasten Kassierer und ersparen dem eiligen Kunden das Warten an der Kasse. Beispiel: Plauderkasse Oft ist es aber gerade die Kombination aus „echtem Menschen“ und digitaler Lösung, die besticht. So installierte die niederländische Jumbo-Kette nicht nur Scan Systeme, an denen sich der Customer im Zeitstress schnell selbst abkassieren kann, sondern auch eine „Kletskassa“ – auf deutsch etwa „Plauderkasse“, an der es nicht auf Tempo beim Scannen und Einpacken der Ware ankommt, sondern immer Zeit ist für einen kleinen Ratsch mit dem Verkaufspersonal – so wie einst bei den Tante-Emma-Läden. „Wir möchten, dass das Einkaufen Spaß macht“, sagt Filialleiter Dick de Fijter. Zudem bietet Jumbo auch in Zusammenarbeit mit der Stiftung „Alles voor Mekaar“ („Alles für einander“) eine „Koffiecorner“ an, in der ehrenamtlich arbeitende Menschen für einen Plausch bereitstehen – in erster Linie als Antwort auf die wachsende Einsamkeit von Senioren und in Großstädten. [27]
Der Einkaufsort wächst über seinen eigentlichen Zweck hinaus und wird neben Produktpräsentation und -verkauf zu einem Ort, der inspiriert und Erlebnis sowie Gemeinschaft möglich macht. Wie wichtig diese zusätzlichen Bedeutungen sind, ist vielen Menschen erst in der Corona-Pandemie klargeworden, als etwas so Alltägliches wie Shopping plötzlich nicht mehr möglich war, und Online-Kauf keine Option, sondern ein Muss war. In dieser Zeit hätten viele Menschen erst erkannt, „wie enorm wichtig die sinnliche Tätigkeit des Kaufens eigentlich ist“, so Neuromerchandising-Experte Achim Fringes [28].
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Doch schon vor der Krise sei zumindest ihm schon immer klar gewesen: „Handel ist nicht nur Bereitstellung von Ware, sondern immer auch Begegnung von Menschen.“ So sehr Kunden die Dinge mögen, die sie erwerben: „Ohne das Glück und die Erinnerungen an den Moment des Erwerbens sind sie nur halb so schön.“ Beispiel: Das US-amerikanische Beauty-Label Glossier Das US-amerikanische Beauty-Label Glossier – 2014 von Bloggerin Emily Weiss gegründet – ist eine nicht zu Unrecht gehypte Mischung aus Onund Offline-Shopping. In den Stores warten freundliche Mitarbeiterinnen, die der Kundin das Sortiment erklären und bei der Auswahl der passenden Produkte helfen. Alles, wofür sich der Customer entscheidet, wird nicht in einen realen, sondern per Tablet in einen virtuellen Warenkorb gelegt. Nach dem Bezahlen – mit Karte oder Smartphone, versteht sich – wartet man in einem gesonderten Raum zusammen mit anderen Kundinnen auf das Überreichen der Produkte. Jede Käuferin wird namentlich aufgerufen und erhält ihre Ware in einer schönen, handbeschrifteten Tüte. „We think a lot about hospitality rather than traditional sales“, erklärt Gründerin Emily Weiss in „The Guardian“ [29]. Ihr Ziel sei, der Kundin nicht nur Beauty-Produkte, sondern ein ganz besonderes Einkaufserlebnis zu verkaufen, von dem sie am nächsten Tag ihren Freundinnen erzählt: „O my God, I went to Glossier yesterday.“ Aus der eigentlichen banalen Tätigkeit des Einkaufens wird ein Narrativ, das persönlich oder über soziale Medien weitergetragen wird: Glossier hat (Stand Juni 2020) 2,8 Mio. Instagram-Abonnenten. „Konnte gerade keinen Stift finden, also habe ich mit Glossier Eyeliner unterschrieben“, schreibt etwa Userin Katie – gefällt 46.154 Mal [30].
Der Retail bleibt auch weiterhin ein Ort der Haptik, an dem Produkte sensorisch erfahrbar sind. Doch zugleich wird er immer mehr zu dem, was Soziologen als „dritter Ort“ bezeichnen – eine Art Außer-Haus-Zuhause, das zum Verweilen einlädt, an dem man sich gerne auf- und auch unterhält. Den Begriff des dritten Ortes („third place“) beschrieb der US-amerikanische Soziologieprofessor Ray Oldenburg erstmals 1989 in seinem Buch „The Great Good Place“ [31] als einen Ort, der als Ausgleich zwischen Familien- und Arbeitsleben gilt. Den „dritten Ort“ machte Oldenburg an folgenden Kriterien fest:
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• Neutralität des Ortes • einfach zu erreichen • Abmilderung sozialer Unterschiede • Konversation möglich oder gar erwünscht • Gestaltung definiert sich nicht an seiner Funktion • hat Stammgäste, die sich untereinander als eine Art „Zweitfamilie“ betrachten • spielerische Stimmung; ernste Themen haben keinen Platz Als typische dritte Orte nennt der Soziologe etwa die Wiener Kaffeehäuser, die bayerischen Biergärten und britischen Pubs; sie dienen dem Stressabbau und der Erholung nach der Arbeit, ohne den Besucher gleich wieder mit Anforderungen im Haushalt (putzen, kochen, Kinder) zu konfrontieren. Der stationäre Handel wandelt sich zunehmend vom klassischen Einkaufsgeschäft zu einem halb-öffentlichen Lebensraum, an dem sich der Kunde zumindest zeitweise ein bisschen zu Hause fühlen kann. Shopping Malls kommen diesem Bedürfnis längst nach, aber auch der Buchhandel, der mit einer Cafeteria kooperiert, oder der Herrenausstatter, der außerdem eine Vinothek beherbergt, entwickeln sich in diese Richtung. Im Berliner Voo-Store können Gäste Kaffee trinken und in Magazinen blättern, um dann, oft beim Hinausgehen, noch ganz nebenbei zu shoppen. Die Tätigkeit des funktionalen „Buying“ wird zur Nebensache und künftig womöglich größtenteils dank IoT („Internet of Things“) von künstlicher Intelligenz in Geräten wie Kühlschrank, Spül- und Waschmaschine erledigt. Stattdessen tritt das „Shopping“ als Freizeitaktivität in den Vordergrund: Der Einkaufsbummel dient nicht mehr vorwiegend der Erfüllung eines bestimmten Bedarfs, sondern entspricht dem menschlichen Bedürfnis, in den freien Stunden etwas alleine oder mit Gleichgesinnten zu erleben. Gekauft werden künftig stationär weniger die Produkte als die Experiences, die damit möglich sind. Für den Retailer bedeutet das, weniger in Ware und mehr in Erlebnissen pro Quadratmeter Ladenfläche zu denken. Nur ein überzeugendes Markenund Serviceerlebnis erhöht dann noch Kundenfrequenz und Aufenthaltsdauer.
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Ein verändertes Kundenverhalten, steigende Mieten, wachsende Dominanz des E-Commerce: Retailer stehen zunehmend unter Druck. Die Notwendigkeit für Stores, ihre Wirtschaftlichkeit neu zu definieren, steigt jährlich. Produkt- in Experience-Fläche umzuwandeln und dabei auch neue Formen der Monetarisierung von Laden-Quadratmetern zu entwickeln, ist unumgänglich für alle Händler, die auch in Zukunft noch morgens ihre Ladentür aufschließen möchten. YogaKurse nach Ladenschluss, Koch-Events in der Show-Küche, Lesungen im Garten-Center – alles möglich, solange es zum Markenkern passt, die Kunden in den Store holt und ihr Wohlgefühl dort stärkt. Beispiel: House of Vans 1966 gründete Paul van Doren mit drei weiteren Partnern in Kalifornien den ersten Vans-Shop, spezialisiert auf Produkte (vor allem Schuhe) für Trendsportarten wie Skateboarden, Snowboarden oder BMX. Vans sind bis heute Kult-Schuhe, die ihrem Träger eine gewisse Coolness verleihen. Das House of Vans, wie es etwa in London, New York und Berlin existiert, ist nicht einfach ein Flagship-Store, in dem Produkte ausprobiert und gekauft werden können. Es will vielmehr ein Ort sein, der mit Kunstinstallationen, Workshops und Konzertbühnen die Fantasie anregt und jeden inspiriert, der herein geht oder eben rollt. [32] Das House of Vans will Plattform sein für seine Fangemeinde, „um Vans ‘Off The Wall’-Geist zu erleben und sich darauf einzulassen“. Dafür werden dort regelmäßig Konzerte veranstaltet und Kunst präsentiert, gibt es Cafés und Bars, und natürlich jede Menge Gelegenheit für Skater, sich auszuprobieren auf Rampen und Betonschalen. Damit ist das House of Vans so etwas wie ein trendiger Mix aus Kulturzentrum, Underground-Szenerie und Sportplatz. Die Botschaft: Vans sind mehr als nur Sportschuhe, sie stehen für einen Lifestyle. Und das ist der Ort, an dem die Community zusammenkommt.
Wie könnte also der Shop der Zukunft aussehen? Auf der Suche nach einer Antwort auf diese Frage hat sich die Unternehmensberatung McKinsey unter die Retailer begeben und in der Mall of America, dem größten Einkaufsmall der USA, einen Shop eröffnet. Im sogenannten Modern Retail Collective werden neue Technologien live getestet, die das Shopping-Erlebnis revolutionieren können. Kunden probieren hier vor Augmented-Reality-Spiegeln virtuell Kleidung an oder erhalten
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per Smartphone-Scan Informationen über das Produkt, das sie gerade in der Hand halten. Bezahlt wird mit Kryptowährung. „Das Modern Retail Collective wird Einzelhändlern Möglichkeiten aufzeigen, wie sie den stationären Handel durch neue Erlebnisse und Technologien neu gestalten und das Kundenerlebnis verbessern können“, verspricht Tiffany Burns von McKinsey [33]. Zusammenfassung • Um dem E-Commerce zu trotzen, muss der stationäre Handel seine Online-Welt als einen Teil der Customer Journey mitdenken und sie nahtlos mit den Offline-Touchpoints verbinden. • Es gibt nicht den Online- oder Offline-Kunden; gekauft wird vorwiegend omnichannel: Das Ziel ist ein holistisches Shopping-Erlebnis. • Experiences haben die Chance, zum Differenzierungsmerkmal des stationären Handels zu werden. Gerade die Generationen Y und Z legen Wert auf digitale Services und Inspiration. • Der stationäre Handel hat als PoE die Chance, zum „dritten Ort“ zu werden und ein Gemeinschaftsgefühl zu vermitteln.
Literatur 1. https://www.mckinsey.com/industries/private-equity-and-principalinvestors/our-insights/cashing-in-on-the-us-experience-economy. Zugegriffen: 9. Juni 2020. 2. https://dieautoseiten.de/2018/07/24/deutsch-nahbar-aufregend/. Zugegriffen: 9. Juni 2020. 3. Schmitt, B., & Mangold, M. (2004). Kundenerlebnis als Wettbewerbsvorteil: Mit Customer Experience Management Marken und Märkte Gewinn bringend gestalten. Wiesbaden: Springer Gabler. 4. Gentile, C., Spiller, N., & Noci, G. (2007). How to sustain the customer experience: An overview of experience components that cocreate value with the customer. European Management Journal, 25, 395–410. 5. https://hbr.org/2012/05/three-myths-about-customer-eng. Zugegriffen: 9. Juni 2020. 6. https://www.youtube.com/watch?v=dA5Yq1DLSmQ&feature=youtu.be. Zugegriffen: 9. Juni 2020.
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4 Best Cases: Erfolgreiche Erlebnispioniere
4.1 Starbucks: der dritte Ort der Gen Y Die Kaffeehaus-Kette Starbucks gilt als der Pionier der Experience Economy und wird von den Autoren Pine und Gilmore als Paradebeispiel erwähnt bei der Illustration der einzelnen Wirtschaftsformen (von der Agrar- bis zur Erlebnis-Ökonomie). Entstanden ist das Erfolgsunternehmen als ein klassischer Vertreter der Waren-Ökonomie: Die College-Kumpel Zev Siegel, Jerry Baldwin und Gordon Bowker eröffneten 1973 in Seattle einen Store für Liebhaber von exzellenten Kaffeebohnen, Tees sowie exotischen Gewürzen. Bis Anfang der 80-er Jahre gab es von Starbucks drei weitere Filialen in der Stadt. Dann stieg Howard Schultz in das Unternehmen ein. Auf einer Geschäftsreise nach Italien erlebte er, „dass der Genuss einer einfachen Tasse Kaffee eine Verbindung zwischen Menschen schaffen und ein Gefühl von Gemeinschaft stiften kann“ [1]. Doch die Starbucks-Gründer widersetzten sich der Idee, die Stores in Coffee Shops umzuwandeln. 1987 kaufte Schultz die Rösterei samt der damals sechs Filialen. Und machte daraus eine der heute bekanntesten Marken weltweit – durch Erfindung des „Starbucks-Erlebnisses“, wie Schultz es nannte: „Bei © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Schnaack, Experience first – Marken erlebbar machen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31185-8_4
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Starbucks ging es immer um so viel mehr als um Kaffee“. Grundidee war, das Getränk aus den Privat- und Büroküchen zu holen und ihm einen dritten Ort („third place“) zu geben: das Kaffeehaus. Ein Ort, an dem der Customer mit seinem Vornamen angesprochen wird, wenn sein Getränk fertig ist. An dem man in bequemen Lounge-Sesseln versinken, einen Moment der Ruhe genießen oder sich mit Freunden treffen kann. Das „Starbucks-Erlebnis“ nennt Schultz eine „erschwingliche Notwendigkeit“: Für aktuell 5,25 EUR kaufen die Customer nicht nur ihren „Tall White Chocolate Mocha“, sondern auch das gemütliche Ambiente sowie das Gefühl, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die sich einen Kaffee für 5,25 EUR leisten kann und will. Howard Schultz nimmt für sich – vermutlich zu Recht – in Anspruch, „die Beziehung von Millionen Menschen zum Kaffee auf eine andere Ebene gehoben“ zu haben. Und auch wenn Starbucks im Laufe der Jahre an Konkurrenz gewonnen und an Ansehen verloren hat, stehen doch immer noch Menschen Schlange, wenn in einer der großen Metropolen dieser Welt ein neuer Starbucks Flagship Store eröffnet wird – eine ebenso teure wie in ihren Augen wertvolle „Coffee Experience“ zu erleben.
4.2 Red Bull: Zu extrem? Gibt’s nicht Taurin heißt der Stoff, der Flügel verleihen soll. Der österreichische Unternehmer Dirk Mateschitz, der durch ein taurinhaltiges Getränk reich geworden ist, hat die Substanz nicht erfunden, sondern aus Asien nach Europa geholt. Aus einem Joint Venture mit dem thailändischen Hersteller des Energydrinks „Krating Daeng“ entstand 1987 das Produkt Red Bull (Krating Daeng auf Englisch). 2019 wurden davon weltweit 7,5 Mrd. Dosen verkauft. Konzernumsatz 32 Jahre nach Gründung: 6,067 Mrd. EUR [2]. Diesen immensen wirtschaftlichen Erfolg verdankt Dirk Mateschitz nicht alleine dem Produkt. Sondern vor allem der Welt, die er – basierend auf dem Marken-Claim „Red Bull verleiht Flügel“ – rund um seinen Energydrink aufgebaut hat. „Wir bringen das Produkt nicht zu den Leuten“, sagt Mateschitz. „Wir bringen die Leute zum Produkt.
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Wir stellen es bereit. Und die, die unseren Stil lieben, kommen zu uns.“ [3] Red Bull ist längst kein Getränkeproduzent mehr, es ist ein komplexes Geflecht aus vielen verschiedenen Tochterunternehmen, die Rennstrecken, Restaurants und Hotels betreiben, die Zeitschriften herausgeben und Fernsehen machen. Red Bull finanziert Formel-1-Teams, Fußballvereine etwa in Leipzig, Salzburg und New York und veranstaltet mit dem Red Bull Air Race eine Art Slalomrennen am Himmel. Zahllose Olympioniken stehen bei Red Bull unter Vertrag. Gründer Dirk Mateschitz selbst bezeichnet Red Bull inzwischen als einen Marketing-Konzern, der ihn zum aktuell reichsten Österreicher gemacht hat. Base Jumping, Wakeboarding, Ultrarunning, Drifting, Parcours und E-Sport: Alles, was Spaß macht, riskant ist und sich abseits des Mainstreams im Höchstleistungsbereich abspielt, ist interessant für Red Bull. Den Claim „Red Bull verleiht Flügel“ setzte der österreichische Extremsportler Felix Baumgartner ganz direkt um, als er im Rahmen der Red Bull Stratos 2012 aus der Stratosphäre sprang und damit diverse Rekorde aufstellte. Als Kooperationspartner oder Alleinveranstalter bietet Red Bull vielfältige Events, etwa den „Red Bull Homerun“, nach Konzernaussage „das verrückteste Ski- und Snowboard-Downhill-Rennen Deutschlands“. Oder das „Red Bull Can You Make It“: Internationale Studententeams treten gegeneinander an beim Versuch, in sieben Tagen schnellstmöglich Berlin zu erreichen – mit Red Bull Dosen als einziges Bezahlungsmittel. Das Produkt wird zur Nebensache, ist Mittel zum Zweck. Denn der besteht darin, etwas zu erleben. „Meistere Challenges und teile die besten Momente mit deinen Freunden“, wirbt das Unternehmen auf der Webseite für den Berlin-Wettbewerb. [4]: „Es ist kein Rennen. Es ist das Abenteuer deines Lebens.“
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4.3 Virgin: Hauptsache anders „Flying used to be one of the most arduous, unglamorous, boring tasks imaginable. The service was terrible, you were lucky if a frowning cabin crew member dumped a lump of cold chicken on your lap, and the entertainment was non-existent”, erinnert sich der britische Konzerngründer Sir Richard Branson 2014 in einem LinkedIn-Post [5]. „Frequent flying was a necessary evil of running a record company; I used to fly across the world scouting bands, meeting label bosses and signing bands. I’ve always believed in using every second to do something useful, so I spent a lot of time learning about the aviation industry while I flew. I’ve always been curious and would jot down notes about what each airline did well and what they could improve.“ 1984 übernahm Richard Branson, damals bereits erfolgreicher Plattenproduzent und -händler, die British Atlantic Airways, nannte sie um in Virgin Atlantic Airways und brachte all seine bisherigen Flugerfahrungen ein in die Gestaltung der Flieger, der Flüge und auch in die Customer Experience am Boden. Als erste Fluglinie weltweit führte Virgin Atlantic mit der Premium-EconomyKlasse eine Preiskategorie zwischen Business und Economy ein; in allen Klassen konnte der Passagier schon früh individuell über das Bord-Entertainment-Programm entscheiden. Die Business-Class zeichnet sich durch flache Betten in der sogenannten „Herringbone“Ordnung (jeder Passagier kann auf den Gang treten, ohne einen anderen zu stören) aus sowie durch eine Bar. An diversen Flughäfen weltweit betreibt Virgin Atlantic ihre „Clubhouse“ genannten Lounges, die tatsächlich mehr von einen Londoner Nachtclub erinnern als an eine klassische Airport-Lounge. „Business travellers usually have a lot in common, and by giving them the chance to mingle, thousands of great ideas have been devised on board flights“, erklärt Branson auf LinkedIn. „This also continues on the ground, as we invested in our Clubhouses for passengers to unwind, work or celebrate before and after flights. It helps build a community, and our airlines have stronger brand affinity because of that.“
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Virgin Hotels, Virgin Holidays, Virgin Trains, Virgin Experience Days, Virgin Balloon Flights und schließlich Virgin Galactic, das – wenn alles wie geplant läuft – eines Tages VIP-Touristen ins All transportieren wird: Richard Branson hat seine Virgin Group als einen Mischkonzern konzipiert, der in erster Linie durch die Klammer Customer Experience zusammengehalten wird. Nicht immer gingen seine wirtschaftlichen Experimente gut aus, doch stets ist Branson der selbst auferlegten Vision von Virgin treu geblieben: „Creating smart disruptions“ – mit dem Ziel, „the world’s most irresistible brand“ zu werden.
4.4 Rapha: You never ride alone Als die Briten Simon Mottram und Luke Scheybeler 2004 in London die Radbekleidungsmarke Rapha gründeten, war die Produktion von Premium-Sportkleidung nicht ihr Hauptziel. Es ging ihnen um mehr: darum, der Welt zu zeigen, wie großartig Radsport sein kann. „That’s why Rapha was born“, erklärt Mottram in dem YouTube-Video „The Rapha Why“ [6]. „There is a sense of mission about what we are doing, and everyone gets that.“ Rapha hat seit Gründung die Customer Experience ausschließlich in der eigenen Hand gehalten, da die Produkte nur direkt verkauft werden. Das beinhaltet auch individuell gestylte Outfits für Biking-Clubs, einen kostenlosen Reparaturservice für Rapha-Kleidung sowie die Option, nach einem Gewichtsverlust das Lieblings-Trikot in einer kleineren Größe mit einem 50-Prozent-Rabatt zu kaufen. Die Gründer setzten nicht auf klassische Werbung, sondern auf hoch professionelle Filme, die vom Abenteuer Cycling erzählen: „It’s an experience“, erklärt Mottram in einem dieser Clips, „a transformation experience that makes people’s lifes better when they really get into it.“ Um der Unternehmens-Mission gerecht zu werden, hat Rapha weltweit Rapha Cycling Clubs (RCC) gegründet als eine „globale Gemeinschaft von leidenschaftlichen Radsportlern“, die sich nicht nur regelmäßig treffen für Touren, sondern auch exklusiven Zugang zu Produkten bekommen. Eine soziale App fungiert als
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ustausch-Medium untereinander; Rapha-Stores heißen „Clubhouse“, A um den Community-Gedanken zu unterstreichen. Für die Mitglieder werden „Tours“ und „Escapes“ organisiert: gemeinsame Erlebnisse, die lange nachwirken und nachhaltig an die Marke binden. 12 Jahre nach Gründung machte Rapha weltweit bereits 70 Mio. EUR Umsatz. 2017 erwarben die US-amerikanischen Walmart-Erben Steuart und Tom Walton über ihre Investmentfirma RZC die Mehrheit der Nobel-Sportmarke Rapha – für kolportierte 220 Mio. EUR.
4.5 AirBnB: Mehr als eine Luftmatratze Airbedandbreakfast.com. So lautete der volle Name der Plattform, die Brian Chesky, Joe Gebbia und Nathan Blecharczyk 2008 gründete. Eine Luftmatratze und ein Frühstück: Die Ansprüche an die Unterbringung waren bei den ersten Buchungen nicht groß. Die Träume der Gründer dagegen waren umso größer: „It would be easy to think of the very first Airbnb stay as just that, a stay. But it was actually an experience as well“, beschreiben sie in ihrem Rückblick auf die ersten zehn Jahre von AirBnB. „Even in our earliest days, we approached home stays as a gateway to an end-to-end travel experience. Beyond sharing our own home on Rausch Street, we also shared with our first three guests our favorite, lesser-known and truly authentic places to visit in San Francisco.“ [7] Die Plattform AirBnB hat die Hotelbranche erschüttert, indem sie die Hotelklassiker Sicherheit und Service durch Erlebnis ersetzte: Der Reisende soll sich in der Fremde nicht wie ein Tourist, sondern wie ein willkommener Gast fühlen. Er steht nicht als Beobachter am Rande des Geschehens, sondern darf Einheimischer auf Zeit spielen. Ein Konzept, das auf Vertrauen beruht: Darauf, dass der Fremde – ob Besucher oder Gastgeber – prinzipiell auch ein Freund sein kann. Und darauf, dass die Generationen Y und Z das Gästesofa eines Unbekannten dem austauschbaren Doppelzimmer im Motel One vorziehen. 2018, also zehn Jahre nach Gründung, nächtigten mehr als 100 Mio. Menschen in einem AirBnB-Bett. Und die Plattform machte in den USA mehr Umsatz als die Hotelkette Hilton.
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2016 folgte dann die nächste Skalierungsstufe: AirBnB gründet AirBnB Experiences. Jetzt können Reisende nicht nur ein Bett und ein Dach darüber buchen, sondern auch Erlebnisse vor Ort. Die Kanutour auf der Berliner Spree, der Pasta-Kochkurs in Rom bei einer italienischen Nonna, ein Trekking-Trip im Oman – auf der Plattform bieten vorwiegend Locals das an, was sie von ihrer Heimat zeigen können und wollen. Keine Massenabfertigung im Hop-on-Hop-off-Bus, sondern außergewöhnliche Experiences mit Einheimischen: Das kommt vor allem den Bedürfnissen der Millennials nach Authentizität, Individualität und Abenteuer nach. Für 2020 plant AirBnB den Börsengang.
Literatur 1. Schultz, H. (2013). Onward: Wie Starbucks erfolgreich ums Überleben kämpfte, ohne seine Seele zu verlieren“. Weinheim: Wiley-VCH. 2. https://www.redbull.com/de-de/energydrink/red-bull-unternehmen. Zugegriffen: 9. Juni. 2020. 3. https://www.welt.de/wirtschaft/article11092220/Der-unglaubliche-Erfolgdes-Red-Bull-Gruenders.html. Zugegriffen: 9. Juni. 2020. 4. https://www.redbull.com/de-de/events/can-you-make-it. Zugegriffen: 9. Juni. 2020. 5. https://www.linkedin.com/pulse/20140804231941-204068115-outof-office-my-worst-travel-experience-airlines-from-1950-to-1984/. Zugegriffen: 9. Juni. 2020. 6. https://www.youtube.com/watch?v=9xhdxRSm-MU. Zugegriffen: 9. Juni. 2020. 7. https://news.airbnb.com/10-years-of-community/. Zugegriffen: 9. Juni. 2020.
5 Fazit
Willkommen in der Experience Economy – so ist das erste Kapitel dieses Buches überschrieben, auch als Hommage an die Erlebnis-Pioniere B. Joseph Pine und James H. Gilmore. Doch dieser Satz ist mehr als nur eine nette Begrüßung. Zwischen den Zeilen steckt eine sehr ernst gemeinte Aufforderung zum Eintritt in die Experience Economy. Denn für Markenunternehmen, die auch jetzt noch diesen überfälligen Schritt nicht wagen wollen, könnte sich die Tür bald ganz schließen. Eine Tür zum Markt der Zukunft, an der dann ein Schild hängt mit der Aufschrift „Nur für Mitglieder“. Der Wechsel in die Experience Economy ist dabei leider nicht mit einem einzigen Schritt getan, sondern erfordert eine ziemlich komplexe Schrittkombination. Die Customer Journey etwa muss an all ihren Berührungspunkten hinsichtlich Kundenerlebnis abgeklopft werden: Ist das Markenerlebnis stets konsistent mit dem Markenkern? Wie reibungsfrei läuft die Reise des Konsumenten ab, wie nahtlos verschmelzen on- und offline miteinander? Der Konsument im dritten Jahrtausend ist ein Multichannel-Käufer, der sich fließend zwischen realer und virtueller Welt hin und her bewegen will, ohne jeweils bei der Grenzüberquerung komplizierte Eintrittsverfahren bewältigen zu © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert durch Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 M. Schnaack, Experience first – Marken erlebbar machen, https://doi.org/10.1007/978-3-658-31185-8_5
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müssen. Das stellt vor allem an den Handel, aber auch an Branchen wie Banken und Versicherungen große Transformationsanforderungen, eröffnet aber dafür auch ganz neue Möglichkeiten der Kundenansprache und -bindung. Dank der Digitalisierung ist der Kunde nicht mehr nur König, sondern längst Kaiser mit einem nahezu uneingeschränktem Machtpotenzial. Rund um die Uhr und von überall aus hat er via Internet Zugriff auf eine immense Produkt- und Dienstleistungsfülle. Preisetikett und Verfügbarkeit haben dadurch als Differenzierungsmöglichkeit verloren. Es ist die Customer Experience, die nun eine Marke hervorheben kann aus der Masse. Eine klug konzipierte Experience spricht möglichst viele Erlebnisdimensionen einer Marke an und überrascht den Konsumenten positiv jenseits seiner Erwartungshaltung. Ein so angesprochener Kunde entwickelt auf diese Weise eine emotionale Bindung zur Marke und dadurch Markenloyalität – angesichts der maximalen Flexibilität der Generation Tinder ein ungemein wertvolles Gut. Das Urteil des Konsumenten, über soziale Medien weltweit zugänglich, kann über die Zukunft von Marken und dadurch auch von Unternehmen entscheiden. Der Kunde darf dabei semantisch nicht zu klein interpretiert werden: Als Markenempfänger und damit Ansprechpartner in der Experience Economy gilt längst nicht mehr nur der Endkonsument, sondern auch der Businesspartner und der Mitarbeiter. Sie alle haben Markenkontakt, sind potenzielle Markenbotschafter und teilen mit dem Endkonsumenten eine gewisse Machtposition gegenüber dem Unternehmen. Die Transformation in die Experience Economy beginnt und endet deshalb nicht beim B2C-Geschäft, sondern involviert ebenso auch B2B und B2E. Der Mensch an sich, ob jung oder alt, ob Chef oder Angestellter, Produzent oder Konsument, erlebt sich im Erlebnis, er sehnt sich nach den ganz besonderen Experiences, die ihn herausheben aus dem Einerlei. Für alle, die langfristig wirtschaftlich erfolgreich bleiben wollen, bedeutet das: Experience first.