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German Pages 196 Year 2014
Hartmut Bomhoff Ernst Ludwig Ehrlich – prägende Jahre
Europäisch-jüdische Studien Beiträge
Herausgegeben vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien, Potsdam, in Kooperation mit dem Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg Redaktion: Werner Treß
Band 25
Hartmut Bomhoff
Ernst Ludwig Ehrlich – prägende Jahre Eine Biographie
Das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk dankt der Leo Baeck Foundation für die Unterstützung des vorliegenden Bandes.
ISBN 978-3-11-041406-6 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041421-9 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041429-5 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/München/Boston Satz: Dr. Rainer Ostermann, München Personen- und Sachregister: Pierke Bosschieter, Stitswerd (Niederlande) Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Fünf Jahre Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk
Vorwort: Ein Leben für Dialog und Erneuerung „Begegnung braucht menschliche Beziehung“, lautete ein Leitmotiv von Ernst Ludwig Ehrlich. Der Satz mutet vielleicht banal an, bekommt aber eine ganz besondere Bedeutung, wenn man sich den Lebensweg dieses Mannes vor Augen führt. Ich habe Ehrlich vor allem als Wortführer im jüdisch-christlichen Dialog und als unermüdlichen Fürsprecher für die Erneuerung jüdischen Lebens in Erinnerung. Dieses Buch beschreibt die vielen Brüche, die zu Impulsen für sein Wirken für Verständigung wurden; es zeichnet auch nach, wie sehr seine Jugend und Studienzeit von Unsicherheit und Einsamkeit geprägt waren. Dass Ernst Ludwig Ehrlich trotz allem zu einem bedeutenden Brückenbauer werden konnte, berührt mich sehr. Ehrlichs Biographie umfasst die Erfahrung von Verfolgung und Wiederaufbau des europäischen Judentums im 20. Jahrhundert. Vieles darin ist mir vertraut, auch wenn er mir eine halbe Generation voraus war und in Berlin bereits bei Rabbiner Leo Baeck studierte, als ich noch ein kleines Kind war. Uns verbindet die Haltung unserer Väter, deren Judentum aufs Engste mit der Liebe zu ihrer deutschen Heimat einher ging. Beide haben wir erleben müssen, wie unseren Angehörigen ihre Würde, ihre Kraft und schließlich ihr Leben genommen wurde. Dass wir selbst die Nazi-Zeit überlebten, war nur dank nichtjüdischer Helfer möglich. Aus Ehrlichs späterem Einsatz für den Dialog und für die jüdischen Gemeinschaft spricht schließlich die unerschütterliche Hoffnung, die mir auch mein g‘ttseliger Vater vererbte. Als Schirmherrin des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerkes ist es mir wichtig, das Engagement seines Namensgebers aufzugreifen und fortzuführen. Unser Studienwerk macht mit der finanziellen und ideellen Unterstützung jüdischer Studierender wett, was Ehrlich selbst während seines Studiums in Basel an Defiziten erfuhr, sei es nun die ständige Abhängigkeit von zufälligen kleinen Stipendien oder auch das Fehlen von Mentoren und gleichgesinnten Kommilitonen. Die bewusste Förderung begabter, junger jüdischer Menschen ist heute Beleg meiner Hoffnung auf ein pluralistisches, strahlkräftiges und gesellschaftlich bereicherndes jüdisches Leben in Deutschland und Europa. Dr. h.c. Charlotte Knobloch Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern
Inhalt
Inhalt
Charlotte Knobloch Vorwort: Ein Leben für Dialog und Erneuerung 1 1.1 1.2
1 Zur Einführung Der Forschungsstand Die Quellensituation
VII
3 5
2
Erinnern und Vergessen. Die Erinnerungsliteratur in der Nachkriegszeit in Westdeutschland 7 2.1 Die Wiener Library Eyewitness Accounts 7 2.2 Erinnerung aus zweiter Hand: Friedrich Strindberg: „Under jorden i Berlin“ 9 2.3 Von der Verfolgungsgeschichte zum Beispiel sittlicher Kraft 10 2.4 Erste Erinnerungsarbeit zwischen Belastung und Überwindung 13 2.5 „Worauf es ankam – unterblieb“ 18 20 3 Kindheit und Jugend in Berlin 3.1 Städtische und private Schulen 22 3.2 Wissenschaft des Judentums: Der Lehrer Leo Baeck 3.3 Zwangsarbeit 33
27
4 4.1 4.2
39 Überleben im Untergrund Unterschlupf bei christlichen Helfern 41 Der Passfälscher Cioma Schönhaus 44
5 5.1 5.2 5.3 5.4 5.5
47 Fluchtziel Schweiz Grenzwechsel: „Wo es hell ist, dort ist die Schweiz.“ 48 Das Fluchthilfenetzwerk um Luise Meier (Berlin) 49 Der Fluchthelfer Josef Höfler 52 Wegweisend: Die Flucht von Lotte Kahle, Mai 1943 53 Zur Schweizer Flüchtlingspolitik 55
6
Neuanfang in Basel
7 7.1
63 Leo Baeck als Mentor Die Schuld der deutschen Intellektuellen
59
64
X 7.2 7.3
Inhalt
Suche nach beruflichen Perspektiven 67 Baecks Liebesgaben für bewährte Freunde 71
73 8 Amerika, die unerreichbare Alternative 8.1 Hoffnungen auf das Hebrew Union College 73 8.2 Neuorientierung 74 79
9
Ein Rabbinerseminar für Europa?
10
Ein freier Wissenschaftler auf der Suche nach Perspektiven 83
11
Rückkehr nach Berlin
12 12.1 12.2
91 Leiden an Deutschland Zur Haltung Martin Bubers 93 Zur Unsicherheit jüdischer Existenz
13
Einstieg in die Publizistik
14
Wissenschaft vom Judentum
15
Leo-Baeck-Preis 1958
16
„Eine Brücke zueinander erschien kaum vorstellbar“: Die Haltung der Kirchen 111 Zur Entnazifizierung der Kirchen 111 Das Befreiungsgesetz (1946) 112
16.1 16.2
85
96
99 105
109
117 17 Hinwendung zum christlich-jüdischen Gespräch 17.1 Die Thesen von Seelisberg (1947) 118 17.2 Begegnung braucht menschliche Beziehung 120 17.3 Leo Baeck und das Christentum 122 17.4 Der Freiburger Rundbrief 125 17.5 Karl Thieme (1902–1963) 126 17.6 Gertrud Luckner (1900–1995) 129 17.7 Die Anfänge christlich-jüdischer Zusammenarbeit in Westdeutschland 131 18
Die Wiederbegegnung von Christen und Juden
137
Inhalt
19 19.1 19.2
143 Heimat Basel Liberales Judentum in der Schweiz 144 Ein Leben für Dialog und Erneuerung 146
20
„Historiker, nicht Opfer“
Bildteil
155
Quellen
161
Literatur
161
Über den Autor
169
Personen- und Sachregister
171
151
XI
1 Zur Einführung
Zur Einführung
Es gilt in großem Maße als Verdienst des Religionswissenschaftlers und Publizisten Ernst Ludwig Ehrlich (1921–2007), dass sich Christen und Juden nach der Schoa nähergekommen sind: erst in der deutschsprachigen Schweiz, dann der alten Bundesrepublik und in Österreich und schließlich mit dem Zweiten Vatikanum1 auch weltweit. Was aber brachte ihn, den jüdischen Flüchtling aus Berlin mit Wohnsitz in der Schweiz, dazu, die „physische und moralische Wüste“2 nach Verfolgung und Flucht wieder zu beleben und dazu auch das Gespräch mit den Kirchen zu suchen? Ehrlich selbst stellte diese Frage zu Beginn eines Vortrags, den er 1990 anlässlich der Verleihung der Würde eines Honorarprofessor an der Berner Evangelisch-Theologischen Fakultät hielt: „Wer eine solche Ehrung erhält […], tut gut daran, zurückzuschauen, wer ihm auf seinem Weg begegnet ist, ihm die Impulse gab, dem Verstehen zwischen Christen und Juden zu dienen.“3 Der Inhalt dieses Vortrags ist mit dem seiner Dankesrede für die Buber-RosenzweigMedaille von 1976 nahezu identisch und ebenfalls eher Kommentar denn Lebenszeugnis.4 Beide Texte lassen so gut wie keine Rückschlüsse auf Ehrlichs persönliches Erleben zu. So heißt es darin jeweils nur knapp: „Neubeginn in Basel im Oktober 1943“ ohne Verweis darauf, dass Ehrlich in Berlin der Deportation entgangen war, indem er sich gerade noch rechtzeitig in den Untergrund begeben hatte; seine Mutter wurde Anfang März 1943 in Auschwitz ermordet. Ein silberner Serviettenring mit ihrem Monogramm solle ihn bis zu seinem eigenen Tod Tag für Tag an sie erinnern, so wie vieles andere auch – doch der Befund, trotz allem überlebt zu haben, kam bei Ehrlich so gut wie nie zur Sprache. Seine knappe Auskunft dazu war: „Ich bin Historiker, nicht Opfer.“5
1 1965 eröffnete das II. Vatikanisches Konzil mit der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“ neue Perspektiven für das christlich-jüdische Gespräch. 2 Aus der Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der Festveranstaltung „60 Jahre Deutscher Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit“ am 7. Juli 2009 in Berlin. http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Bulletin/2009/07/83-2-bkingeburtstag.html (07. Oktober 2014). 3 Ehrlich, Ernst Ludwig: Christen und Juden auf meinem Weg. In: Judaica. Beiträge zum Verstehen des Judentums 1 (1990). S. 1–11. 4 Ehrlich, Ernst Ludwig: Dankesrede. In: Münz, Christoph und Rudolf W. Sirsch (Hrsg.): „Denk an die Tage der Vergangenheit – Lerne aus den Jahren der Geschichte“. 40 Jahre Buber-Rosen zweig-Medaille. Berlin 2009. S. 103–111. 5 Hunt, Julie: Holocaust-Überlebender dank Pass-Fälscher. Rundfunkinterview vom 20.12.2004, Swissinfo. http://www.swissinfo.ch/ger/holocaust-ueberlebender-dank-pass-faelscher/4264622 (07. Oktober 2014).
2
Zur Einführung
Ernst Ludwig Ehrlich, der am 27. März 1921 in Berlin-Charlottenburg als einziges Kind von Martin Ehrlich und seiner Frau Eva (geborene Borkowsky) zur Welt gekommen war, verstand sich Zeit seines Lebens als liberaler Jude. Als Zwölfjähriger erlebte er in Berlin den Umsturz und den Machtantritt der Nationalsozialisten als Auftakt der zunehmenden Ausgrenzung der Juden aus dem öffentlichen Leben und ihrer Ghettoisierung. Nach seinem Abitur setzte er seine Studien von 1940 bis 1942 an der Berliner Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums fort, wo Rabbiner Leo Baeck (1873–1956) sein Lehrer wurde. 1943 gelang ihm nach gut vier Monaten in der sogenannten Illegalität die Flucht in die Schweiz, wo er nach der Internierung in mehreren Flüchtlingslagern in Basel seine neue Heimat fand. Ernst Ludwig Ehrlich nahm 1946 auf Einladung von Leo Baeck an der Grün dungstagung des International Council of Christians and Jews, der internationalen Bewegung für christlich-jüdischen Zusammenarbeit, in Oxford teil und wurde schließlich zu einem maßgeblichen Wortführer im christlich-jüdischen Dialog. Die unveröffentlichten Briefwechsel Ehrlichs mit seinem Mentor Leo Baeck und mit seinem Helfer Franz Schürholz (1894–1987) geben Auskunft über seine persönliche Entwicklung, während seine Beiträge im Freiburger Rundbrief sein öffentliches Wirken dokumentieren. Ernst Ludwig Ehrlich hat das Trauma seiner Verfolgung mühsam selbst bewältigen müssen. Aus der Erfahrung von Entrechtung, Flucht und Tod hat er einen Weg gefunden, auf seine Umwelt zuzugehen und mit der Schuld der Anderen konstruktiv umzugehen. Sein Überlebensbericht von 1959, den Ehrlich für die Wiener Library in London formulierte, markiert auch einen Entwicklungsprozess: Das Opfer erscheint nicht nur als Überlebender, sondern als lebendiger Akteur, der seine Geschichte selbst erzählt und fortgestaltet. In dieser Monographie soll der Weg nachgezeichnet werden, der zu dem Selbstverständnis führte, aus dem Ernst Ludwig Ehrlich heraus schließlich sagen konnte, dass er Historiker sei, nicht Opfer. Der Begriff Überlebende bezeichnet heute im deutschen Kontext vor allem Überlebende, die als Jüdinnen und Juden in den Jahren von 1939 bis 1945 die nationalsozialistische Vernichtungspolitik in Deutschland und im besetzten Europa überlebten. Wer sich rechtzeitig ins Exil flüchten und dort überleben konnte, wird hingegen in der Regel als Exilant oder Emigrant bezeichnet. Im Sinne eines erweiterten Begriffsverständnisses soll die Bezeichnung Überlebende im Folgenden auch für Ernst Ludwig Ehrlich und seine Freunde verwendet werden, die sich durch die Flucht in die neutrale Schweiz vor der Deportation und Ermordung retten konnten.6 Diese Darstellung umfasst Ehrlichs prägenden Lebensjahre bis hin zu den frühen 1960er Jahren, in denen er als Zentralsekretär der Christlich6 Auf dem handschriftlich ausgefüllten Gedenkblatt Nr. 1632853 der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem für seine Mutter vom 13. Oktober 2004 gibt Ehrlich an: „I am a survivor“.
Der Forschungsstand
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Jüdischen Arbeitsgemeinschaft und als Europa-Direktor von B’nai B’rith zu einer festen Berufsanstellung fand und sich endgültig für Basel als Wohnsitz entschied. Dabei wird immer dann ausführlich aus Briefen und Presseartikeln zitiert, wenn diese Beiträge unveröffentlicht oder nicht ohne weiteres einsehbar sind und diese Art der Montage Ehrlichs Werdegang noch anschaulicher werden lässt.
1.1 Der Forschungsstand Die Überlebensgeschichte von Ernst Ludwig Ehrlich, der vom 26. Februar bis zum 13. Juni 1943 bei nichtjüdischen Helfern in Berlin Unterstützung und Unterkunft fand, und seine Flucht in die Schweiz sind verhältnismäßig gut dokumentiert, zuletzt in der Darstellung „Wo es hell ist, dort ist die Schweiz“ von Franco Battel.7 Die Berliner Gedenkstätte Stille Helden in der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand erinnert unter anderem auch an Franz Schürholz, der Ernst Ludwig Ehrlich 1943 während dessen Zeit in der sogenannten Illegalität wesentlichen Beistand leistete, und macht den Ausstellungsbesuchern in diesem Zusam menhang eine Reihe von Photographien und Dokumenten aus dem Nachlass von Ernst Ludwig Ehrlich zugänglich, ohne aber dabei ein umfassendes Lebensbild zu vermitteln. Insbesondere für seine „formative years“ zwischen Grenzübertritt und beruflicher Etablierung, die Zeit von 1943 bis 1962, liegt aber bislang kein ausführlicher Lebenslauf vor. Ehrlich lehnte eine Autobiographie oder Biographie zu Lebzeiten nach Auskunft seiner Witwe Sylvia Ehrlich stets ab.8 Die Festschrift, die Ehrlichs Werk und Wirkung anlässlich seines 70. Geburtstages würdigte, ließ die (Wieder-)Anfänge christlich-jüdischer Zusammenarbeit nach Zweitem Weltkrieg und Schoa und den Anteil, den Ehrlich daran hatte und nahm, in ihren inhaltlichen Beiträgen weitgehend außer Acht, gab aber eine umfassende, wenn auch nicht vollständige, Bibliographie Ehrlichs wieder.9 Nach dem Tod von Ernst Ludwig Ehrlich erschienen ihm zu Ehren zwei Aufsatzsammlungen. Die eine, „‚Was uns trennt, ist die Geschichte‘. Ernst Ludwig Ehrlich – Vermittler zwischen Juden und Christen“, greift im Titel, so die Herausgeber, „ein Leitmotiv seines Denkens und Wirkens“ auf: „Ehrlich meint die 7 Battel, Franco: „Wo es hell ist, dort ist die Schweiz“. Flüchtlinge und Fluchthilfe an der Schaffhauser Grenze zur Zeit des Nationalsozialismus. Zürich 2000. 8 Statement von Sylvia Ehrlich anlässlich der Eröffnung des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerkes am 11. November 2009 in Berlin. 9 Marcus, Marcel [u.a.] (Hrsg.): Israel und die Kirche heute. Beiträge zum christlich-jüdischen Gespräch. Für Ernst Ludwig Ehrlich. Freiburg i. Br. 1991.
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Zur Einführung
2000-jährige Entzweiungsgeschichte zwischen Christen und Juden, die es aufrichtig und unbeschönigt zu bearbeiten gilt, damit die nach der Schoa eingeleitete Wende zu Dialog und Begegnung Zukunft hat.“10 Der andere Band, „Ernst Ludwig Ehrlich: Von Hiob zu Horkheimer. Gesammelte Schriften zum Judentum und seiner Umwelt“, erinnert an „einen talmid chacham, der mit seiner religiösen Liberalität die Brücke zum deutschen Judentum der Vorkriegszeit geschlagen hatte und dabei die Tradition in moderne Formen hineinzuholen verstand.“11 Ein Talmid Chacham ist nach jüdischem Verständnis eine Person, die weise ist, dieses Wissen anderen vorlebt und dafür geehrt wird. Die Person selbst allerdings ist sich bewusst darüber, dass jüdisches Lernen niemals abgeschlossen ist. Grundsätzlich ist festzustellen, dass das öffentliche Interesse an den Lebensgeschichten von Menschen, die während der nationalsozialistischen Diktatur verfolgten Juden wie Ernst Ludwig Ehrlich halfen, nur sehr allmählich gewachsen ist. Dies gilt auch für die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema, für die das Forschungsprojekt zur „Rettung von Juden im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1945“, das von 1997 bis 2002 am Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin durch geführt 12 wurde, einen wesentlichen Impuls gab. Die Anfänge der christlich-jüdischen Zu sammenarbeit im Nachkriegsdeutschland sind bislang lediglich mit Blick auf ihre Institutionalisierung in Form der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit dokumentiert worden.13 Eine umfassende Studie zur Entwicklung und Profilierung des Freiburger Rundbriefes steht noch aus; ein erster Ansatz dazu findet sich in einem Aufsatz von Elias Füllenbach.14 Einen allgemei-
10 Heinz, Hanspeter und Hans Hermann Henrix (Hrsg.): „Was uns trennt, ist die Geschichte“. Ernst Ludwig Ehrlich – Vermittler zwischen Juden und Christen. München/Zürich/Wien 2008. S 16. 11 Homolka, Walter und Tobias Barniske (Hrsg.): Ernst Ludwig Ehrlich: Von Hiob zu Horkheimer. Gesammelte Schriften zum Judentum und seiner Umwelt. Berlin /New York 2009. S. IX. 12 Vgl. Benz, Wolfgang (Hrsg.): Überleben im Dritten Reich. Juden im Untergrund und ihre Helfer. München 2003; Kosmala, Beate und Claudia Schoppmann: Überleben im Untergrund. Hilfe für Juden in Deutschland 1941–1945. Berlin 2002. 13 Vgl. Foschepoth, Josef (1993): Im Schatten der Vergangenheit. Die Anfänge der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. Göttingen 1993; Münz, 40 Jahre Buber-RosenzweigMedaille. 14 Füllenbach, Elias H.: Das katholisch-jüdische Verhältnis im 20. Jahrhundert. Katholische Initiativen gegen den Antisemitismus und die Anfänge des christlich-jüdischen Dialogs in Deutschland. In: Boschki, Reinhold und Albert Gerhards (Hrsg.): Erinnerungskultur in der pluralen Gesellschaft. Neue Perspektiven für den christlich-jüdischen Dialog. Paderborn u.a. 2010. S. 143–163.
Die Quellensituation
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nen, wenngleich auch sehr kurzen Überblick zur Entwicklung der christlich-jüdischen Zusammenarbeit bietet die Theologische Realenzyklopädie.15
1.2 Die Quellensituation Der Nachlass von Ernst Ludwig Ehrlich befindet sich im Archiv für Zeitgeschichte (AfZ) der Eidgenössischen Technischen Hochschule in Zürich. Generell sind die Jahre ab etwa 1977 bis zu wenigen Jahren vor Ehrlichs Tod durchgehend dokumentiert; die Lückenhaftigkeit der Dokumentation vor 1977 erklärt sich nach Auskunft des Archivs „höchstwahrscheinlich dadurch, dass Ernst Ludwig Ehrlich in diesem Jahr von Basel nach Riehen umzog, und dabei wohl den Großteil seiner gesammelten Unterlagen entweder entsorgt oder weggegeben hat. Über den Verbleib dieser Unterlagen ist nichts weiter bekannt.“16 Der Zürcher Bestand setzt sich aus mehreren Teilablieferungen zusammen. 2004 übergab Ernst Ludwig Ehrlich dem AfZ einen ersten Teil seiner Unterlagen, dem er 2007 eine kleine Nachlieferung folgen ließ. Beide Teile wurden im AfZ 2007 weitestgehend erschlossen. Nach Ehrlichs Tod folgte 2008 eine erste umfangreiche Nachlieferung, übergeben von seiner Witwe Sylvia Ehrlich geb. Lüthi, wodurch der Bestand erheblich erweitert und ergänzt wurde. Zwischen 2008 und 2010 kamen mehrere kleinere Nachlieferungen durch Sylvia Ehrlich hinzu. Thematische Schwerpunkte des Bestandes sind Ehrlichs vielfältiges Engagement für den christlich-jüdischen Dialogs sowie seine Tätigkeit für B’nai B’rith Europe.17 Das achtseitige Typoskript des Berichtes, in dem Ernst Ludwig Ehrlich im September 1959 für die Londoner Wiener Library seine Ausbildung in Berlin, Zwangsarbeit, sogenannte Illegalität und die Flucht in die Schweiz schilderte, ist bislang unveröffentlicht.18 Dies gilt auch für die Briefe Leo Baecks an Ernst Ludwig Ehrlich aus den Jahren 1946–1956, die im Nachlass liegen und mir von 15 Wahle, Hedwig: Christlich-jüdische Zusammenarbeit. In: Krause, Gerhard und Gerhard Müller: Theologische Realenzyklopädie (Studienausgabe, Teil 1, Bd. 8). Berlin/New York 1993. S. 64–68. 16 http://onlinearchives.ethz.ch/Detail.aspx?guid=acee28ff46bc4e5388179ffcdcb3455c (07. Ok tober 2014). 17 B’nai B’rith (hebr. „Söhne des Bundes“), bezeichnet eine internationale jüdische Vereinigung, die 1843 in den USA gegründet wurde, sich der Traditionspflege, Geselligkeit und Wohltätigkeit widmet und auf lokaler Ebene in Logen organisiert ist. 18 Wiener Library P III d (Berlin), No. 1141 (Testaments to the Holocaust: Series One): Einer der drei überlebenden Absolventen des letzten Jahrganges der Berliner „Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums“ berichtet über sein „illegales Leben“. London, September 1959.
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Zur Einführung
Sylvia Ehrlich freundlicherweise in Kopie zur Verfügung gestellt worden sind, sowie für die 36 Briefe von Ernst Ludwig Ehrlich an seinen Helfer Franz Schürholz, die ich auf einen Hinweis von dessen Sohn Franz Hellmut Schürholz (Sachsenheim, Kreis Ludwigsburg) hin in der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand einsehen konnte. Zu den weiteren Selbstzeugnissen von Ernst Ludwig Ehrlich, auf die auch für diese Arbeit zurückgegriffen werden konnte, zählen Beiträge aus der Zeitschrift Freiburger Rundbrief und aus der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland sowie drei Gespräche mit Ernst Ludwig Ehrlich, die 1984, 1988 und 2000 veröffentlicht wurden.19 In der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand befindet sich auch die unveröffentlichte Verschriftung eines gut einstündigen Interviews, das der amerikanische Politologe Manfred Wolfson (1923–1887), ein gebürtiger Berliner, um 1966/67 mit Ehrlichs Helfer Franz Schürholz führte. Vier von den Briefen Leo Baecks an Ernst Ludwig Ehrlich aus den Jahren 1946 und 1947 sind auch in Auszügen in der Gesamtausgabe der Werke Baecks wiedergegeben.20
19 Vogel, Rolf: Gespräch mit Ernst Ludwig Ehrlich (1983). In: Vogel, Rolf (Hrsg.): Ernst Ludwig Ehrlich und der christlich-jüdische Dialog. Frankfurt am Main 1984. S. 13–69; Kardinal König und Franz und Ernst Ludwig Ehrlich: Juden und Christen haben eine Zukunft [ein Gespräch, moderiert von Bernhard Moosbrugger]. Zürich 1988; Battel, Franco: „Wo es hell ist, dort ist die Schweiz“. Flüchtlinge und Fluchthilfe an der Schaffhauser Grenze zur Zeit des Nationalsozialismus. Zürich 2000. S. 334–338. 20 Meyer, Michael A. (Hrsg.): Leo Baeck Werke. Briefe, Reden, Aufsätze; Bd. 6. Gütersloh 2003. S. 637–642.
2 Erinnern und Vergessen. Die Erinnerungs2 literatur in der Nachkriegszeit in West2 deutschland […] Es ist eine Gnade des Schicksals beim Einzelmenschen, dass er vergessen kann. Wie könnten wir als einzelne leben, wenn all das, was uns an Leid, Enttäuschungen und Trauer im Leben begegnet ist, uns immer gegenwärtig sein würde! Und auch für die Völker ist es eine Gnade, vergessen zu können. Aber meine Sorge ist, dass manche Leute in Deutschland mit dieser Gnade Missbrauch treiben und zu rasch vergessen wollen. Wir müssen das im Spürgefühl behalten, was uns dorthin geführt hat, wo wir heute sind. Das soll kein Wort der Rachegefühle, des Hasses sein. Ich hoffe, dass wir dazu kommen werden, nun aus dieser Verwirrung der Seelen im Volk eine Einheit zu schaffen. Aber wir dürfen es uns nicht so leicht machen, nun das vergessen zu haben, was die Hitlerzeit uns gebracht hat.21
Theodor Heuss (1884–1963) sprach in seiner Antrittsrede, die er am 12. September 1949 vor dem ersten Deutschen Bundestag unmittelbar nach seiner Vereidigung als erster Bundespräsident hielt, einerseits von der versöhnenden Kraft des Vergessens, andererseits von seiner Sorge, dass die Ereignisse und Erlebnisse aus der Zeit des Dritten Reichs im kollektiven Gedächtnis der Westdeutschen gut vier Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus zu wenig präsent seien. Zu dem, „was die Hitlerzeit uns gebracht hat“, gehörte selbstverständlich die Erfahrung von Verfolgung aus sogenannten rassenpolitischen Gründen und die Schoa – eine Erfahrung, die für den Großteil der Bundesbürger, an die sich Heuss 1949 wandte, aber zur Erinnerung „der anderen“ zählte. Ernst Ludwig Ehrlich, dessen Überlebensbericht von 1959 im Mittelpunkt dieser Arbeit steht, erklärte zwanzig Jahre später in knappen Worten, was es mit dieser anderen Erinnerung auf sich hat: Die nichtjüdische Welt „weiß von Verbrechen, kennt diese anonyme Zahl von sechs Millionen, wir jedoch erinnern uns an unsere Eltern und Geschwister, Onkel und Tanten, an alle Verwandten, Freunde und Bekannten, die in dieser Hölle umkamen.“22
2.1 Die Wiener Library Eyewitness Accounts Ehrlichs Bericht, den er 1959 der Wiener Library in London zu Protokoll gab, folgt wichtigen biographischen Einschnitten. Ehrlich beschreibt darin, wie durch
21 Zitiert nach: http://www.kas.de/wf/de/71.7356/ (August 2011). 22 Ehrlich, Ernst Ludwig: Die Bedeutung von Auschwitz für das Bewusstsein der Juden.: In: Reformatio 27 (1979) 5. S. 262.
8
Erinnern und Vergessen
den Staat und dessen Vertreter in seinen Lebenslauf eingegriffen wurde, und gibt seinem Bericht damit öffentlich-politische Bedeutung, repräsentativ für den akkulturierten Berliner jüdischen Mittelstand, grundsätzlich aber auch für die Alltagsgeschichten des Dritten Reiches und für die jüdische Perspektive in Mitteleuropa zur Zeit des Nationalsozialismus. Seine Erinnerungen sind Teil der Wiener Library Eyewitness Accounts. Diese gut 1.200 persönlichen Zeugnisse des Lebens im Nationalsozialismus geben Einblicke in die Innenpolitik des nationalsozialistischen Deutschland, das jüdische Leben in Deutschland von 1933 bis in die Nachkriegszeit, das Leben in den Konzentrationslagern, im Untergrund und im Exil. Die Sammlung beruht auf Interviews, die die Wiener Library zwischen 1954 und 1960 mit Flüchtlingen und Überlebenden erst in Großbritannien, dann auch in Mitteleuropa durchführte; finanziert wurde dieses Projekt aus Mitteln der Conference on Jewish Material Claims Against Germany. Die Augenzeugenberichte bilden zusammen mit über 4.000 Photographien, mehr als 400 nationalsozialistischen Propagandaartikeln und -schriften, sowie eigenen Veröffentlichungen der Wiener Library und mit den biographischen Indexkarten der Bibliothek die Testaments to the Holocaust, die inzwischen als digitale Sammlung zugänglich sind.23 Die Wiener Library, benannt nach Alfred Wiener (1885–1964), wurde 1933 in Amsterdam als Jewish Central Information Office (JCIO) in Amsterdam gegründet, um über die Verfolgung von Juden durch die Nationalsozialisten zu informieren. Die Bibliothek, heute Institute of Contemporary History and Wiener Library, wurde 1939 nach London verlegt. Die Wiener Library hatte zunächst Anzeigen in überregionalen britischen Zeitungen geschaltet, um so Interviewpartner zu finden, hatte dann aber auch anhand persönlicher Kontakte, Gerichtsakten und Zeitungsartikeln Listen potentieller Kandidaten zusammengestellt. Nachdem die Quellen in Großbritannien erschöpft waren, wurden weitere Augenzeugen in Mitteleuropa ausfindig gemacht und von erfahrenen Gesprächspartnern befragt. Die Berichte derjenigen, die sich mit einem Interview einverstanden erklärt hatten, wurden von Mitarbeitern der Wiener Library gegengelesen und redigiert und dann noch einmal zur Korrektur vorgelegt, bevor sie von der Bibliothek katalogisiert und indiziert wurden. Ob dieser letzte Korrekturschritt auch im Falle von Ehrlichs Bericht erfolgte, ist angesichts der Flüchtigkeitsfehler darin fraglich; unklar ist auch, wie das Interview mit Ernst Ludwig Ehrlich 1959 überhaupt zustande kam. Mag sein, dass Ehrlichs persönliche Bekanntschaft mit Eva Gabriele Reichmann (1897–1898) zu dem Interview geführt hatte. Reichmann war von 1933 bis 1938 Schriftleiterin der liberalen jüdischen Monatsschrift Der Morgen in Berlin gewesen; 1939 war ihr die Auswanderung nach Großbritannien gelungen. Sie war Rabbiner Leo Baeck 23 Testaments of the Holocaust. http://www.tlemea.com/testaments (07. Oktober 2014).
Erinnerung aus zweiter Hand:
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seit ihrer Kindheit in Oppeln eng verbunden, nahm 1954 ebenso wie Ehrlich und Baeck an der westeuropäischen Rabbinerkonferenz in Knokke teil und wurde in den 1960er Jahren an der Seite von Ernst Ludwig Ehrlich und Robert Raphael Geis zu einer wichtigen Gesprächspartnerin im christlich-jüdischen Dialog. Reichman war von 1945 bis 1960 Mitarbeiterin, seit 1955 Leiterin der Forschungsabteilung der Wiener Library in London.24 Es mag sein, dass Ehrlich auch Dr. Alfred Wiener selbst bei dessen Vorträgen in Deutschland begegnet war; Wiener sprach auf der zweiten Nachkriegsstudientagung über „Kirche und Judentum“, die der Deutsche Evangelische Ausschuss für Dienst an Israel vom 27. Februar bis zum 3. März 1950 in Kassel veranstaltete,25 und reiste in den 1950er Jahren regelmäßig durch die Bundesrepublik, um Vorträge für Jugendliche zu halten und Kontakte zu kirchlichen Organisationen zu knüpfen. In der zweiten durchgesehenen und erweiterten Auflage ihres Kataloges „Persecution and Resistance under the Nazis“, die die Wiener Library 1960 veröffentlichte, sind die Wiener Library Eyewitness Accounts mit Ehrlichs Erinnerungen noch nicht erfasst, wenngleich die Bibliotheksleiterin Ilse R. Wolff (1908– 2001) in ihrer Einleitung auch auf diese Sammlung von Augenzeugenberichten, „partly written by themselves, partly recorded by our interviewers“, aufmerksam machte.26
2.2 Erinnerung aus zweiter Hand: 2.2 Friedrich Strindberg: „Under jorden i Berlin“ Ehrlichs Überlebensbericht für die Wiener Library wurde 1959 festgehalten, zehn Jahre nach den oben zitierten Worten von Theodor Heuss. Bemerkenswerterweise waren die gemeinsamen Untergrund- und Fluchterlebnisse von Herbert A. Strauss, dessen Verlobter Lotte Kahle geb. Schloss und ihm aber schon 1945 zum Thema eines Romans geworden. Diese Erinnerung aus zweiter Hand stammte von Friedrich Strindberg (1897–1978) und erschien im Februar 1945 im Stockholmer Verlag Albert Bonniers unter dem Titel „Under jorden i Berlin“ („Im Untergrund in Berlin“) – wohl die einzige Darstellung des Überlebenskampfes von Berliner Juden im Jahr 1943, die noch vor Kriegsende veröffentlichte wurde. Ob dieses Buch aber im Nachkriegsdeutschland überhaupt zur Kenntnis genommen wurde, 24 Vgl. Reichmann, Eva G.: Größe und Verhängnis deutsch-jüdischer Existenz. Zeugnisse einer tragischen Begegnung. Heidelberg 1974. 25 Vgl. Freiburger Rundbrief, II. Folge 1949/1950, 7 (1950) April. S. 14f. 26 Wolff, Ilse R. (Hrsg.): Persecution and Resistance under the Nazis. London 21960. S. 11. (The Wiener Library Catalogue Series No. 1).
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Erinnern und Vergessen
ist fraglich. Als es 1958 im München zu einem Wiedersehen von Strindberg und dem Ehepaar Strauss kam, soll Strindberg es wegen der schriftstellerischen Freiheiten in seinem Werk vermieden haben, den beiden Einblick in das deutschsprachige Manuskript zu gewähren.27 Die Begebenheiten, die Strindberg schilderte, werden aber auch in den Memoiren wiedergegeben, die Herbert A. Strauss („Über den Abgrund“) und Lotte Strauss („Über den grünen Hügel“) 1997 auf Deutsch veröffentlichten. Herbert A. Strauss widmete dem schwedischen Autor, der ihm in Berlin mehrmals Unterschlupf gewährt hatte, darin mehrere Seiten und befand: „Ich habe Strindberg und seine Frau Utje als gute Freunde in Erinnerung behalten.“ Strindbergs Buch wurde 2002 vom Verlag Bonniers neu aufgelegt.28
2.3 Von der Verfolgungsgeschichte zum Beispiel 2.3 sittlicher Kraft
sittlicher Kraft
Große Resonanz im deutschsprachigen Raum erfuhr hingegen ein Buch, das ebenfalls aufs Engste mit den Fluchterlebnissen von Ehrlich und dem Ehepaar Strauss verbunden ist und das 1945 in Zürich erschien. Bei der Autorin handelt es sich um Else R. Behrend-Rosenfeld (1891–1970), der 1944 so wie zuvor Ehrlich und Strauss und mit Hilfe desselben Netzwerkes von Helfern die Flucht in die Schweiz gelungen war. Behrend hatte 1919 zum Dr. phil. promoviert und war Lehrerin geworden. Von 1928 bis 1933 war sie Fürsorgerin in einem Berliner Frauengefängnis gewesen, nach ihrer Konversion zum Judentum 1937 von 1938 bis 1942 Sozialarbeiterin in der Israelitischen Kultusgemeinde in München. Nach ihrer Verpflichtung als Wirtschafterin in das Internierungslager Berg am Laim im Juni 1941 erlebt sie dort den Beginn der Deportationen. Als ihr selbst die Deportation droht, taucht sie am 15. August 1942 unter und flieht mit Hilfe einer Freundin nach Berlin, von wo aus sie im April 1944 nach Freiburg im Breisgau reiste. Am 20. April 1944 gelang ihr die Flucht in die Schweiz, wo Ende 1945 ihr Tagebuch veröffentlicht wurde; 1946 zog sie zu ihrem Ehemann nach Großbritannien. Else Behrend-Rosenfeld kehrte 1953 nach dem Tod ihres Mannes nach Deutschland zurück, wo sie als Fürsorgerin in bayerischen Gefängnissen, Gefangenen- und Entlassungslagern tätig war, und starb 1970 in Birmingham. In ihren Tagebuchblättern von 1939 heißt es: Aufschreiben, „was wir seit 1933 erlebt haben […] es kann auch sein, dass wir beide und vor allem die Kinder ganz gerne nachlesen werden, was unserer und noch mehr ihrer Erinnerung teilweise ent27 Vgl. Reinert, Jochen: Strindbergs Sohn. In: Ossietzky. Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/ Wirtschaft 7 (2005). 28 Strindberg, Friedrich: Under jorden i Berlin (Underground in Berlin). Stockholm 2002.
Von der Verfolgungsgeschichte zum Beispiel sittlicher Kraft
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schwunden sein wird. Mir ist alles so nahe und gegenwärtig, dass es mir fast wie eine Entlastung vorkommt, es aufzuschreiben und dann etwas mehr aus dem Gedächtnis zu verlieren.“ (S. 24). Ihr Buch „Verfemt und Verfolgt. Erlebnisse einer Jüdin in Nazi-Deutschland (1933–1944)“, eine Mischung aus Erinnerungen und Tagebucheinträgen, erschien zunächst unter dem Namen Rahel Behrend 1945 in der Büchergilde Guttenberg in Zürich, dann 1949 bei der Europäischen Verlagsanstalt in Hamburg und erneut 1963, dieses Mal mit einem Nachwort der Autorin versehen. Die dritte Auflage in der Europäischen Verlagsanstalt Köln folgte 1979 unter dem Namen Else R. Behrend-Rosenfeld und mit dem Titel „Ich stand nicht allein. Leben einer Jüdin in Deutschland 1933–1945“; Behrends Nachwort schließt mit den Worten: Ein reiches, volles Leben liegt hinter mir, aber so sehr meine Erinnerungen mir lieb und nahe sind wie die mir verbundenen dahingegangenen Menschen, ich lebe in der Gegenwart mit allem, was sie in sich birgt.
Als die erste Auflage dieser Tagebuchblätter erschien, schrieb die Basler Natio nalzeitung: „Ein Buch, das ganz ohne Wehleidigkeit und Ekstase geschrieben ist. Eine hoch gebildete Frau kämpft bis zum Rest ihrer Kraft um das Schicksal der anderen. Und immer wieder zeigt sich, dass es die sittliche Kraft ist, die die Welt bewegt.“ Ganz ähnlich heißt es im Verlagstext auf dem Umschlag der dritten deutschen Auflage: „Das Buch spiegelt das Leben einer bewunderungswürdigen Frau, die im Angesicht bitterster Erfahrungen und schwerster Leiden zu schreiben vermochte: ‚Waren wir doch glücklicherweise völlig einig darin, dass wir unter keinen Umständen Hass und Erbitterung zu Herren über uns werden lassen, mochten Verfolgungen noch so schwerer und ungerechter Art über uns hereinbrechen.‘“ Die Änderung von Autorennamen und Titel, der Wechsel von der Verfolgungsgeschichte „Verfolgt und verfemt“ hin zum Beispiel sittlicher Kraft und menschlicher Solidarität, „Ich stand nicht allein“, markierte eine Wende vom jüdischen Partikularismus hin zum allgemein gültigen Universalismus, wie er auch in der Editionsgeschichte von „Das Tagebuch der Anne Frank“ deutlich wird – ein Wandel, mit dem vor allem den Bedürfnissen des westdeutschen Buchmarktes Rechnung getragen worden sein dürfte. „Das Tagebuch der Anne Frank“ wurde zum Publikumserfolg und war damit eine Ausnahme im Schweigen der 1950er Jahre. Otto Frank wollte gern einen deutschen Verlag für die Aufzeichnungen seiner in Bergen-Belsen umgekommenen Tochter Anne Frank (1929–1945) finden, die 1947 in den Niederlanden unter dem Titel „Het Achterhuis“ erschienen waren: „Im Allgemeinen wartete ich, bis Verlage in anderen Ländern Kontakt mit mir aufnahmen, aber in einem Land ergriff ich selbst die Initiative: in Deutschland. Ich fand, dass sie es lesen
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müssten.“29 „Das Tagebuch der Anne Frank“ erschien 1950 im Verlag Lambert Schneider (Heidelberg) in einer Auflage von 4.500 Exemplaren, die sich aber ebenso wie die zweite Auflage von 1954 nur schleppend verkaufte.30 1955 folgt eine sehr erfolgreiche Taschenbuchausgabe im Verlag S. Fischer: Vom FischerTaschenbuch Nr. 77 konnte bis 1959, dem Jahr, in dem Ernst Ludwig Ehrlich seinen Überlebensbericht abgab, 653.000 Exemplare verkauft werden.31 In der Wahrnehmung des Mädchens Anne Frank traten keine Täter auf; die deutsche Überarbeitung (die komplizierte Editionsgeschichte kann an dieser Stelle nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden) vermied überdies alle Schärfen des Originals, die in Deutschland als Ressentiments hätten gelesen werden können, etwa die Erwähnung der Feindschaft der Deutschen gegenüber den Juden oder die Zweifel daran, dass Deutsch eine Kultursprache sei. Eine vollständige textkritische Ausgabe des Tagebuchs erschien erst 1988 in Übersetzung von Mirjam Pressler im S. Fischer Verlag; darin wird auch auf die Überlieferungsgeschichte der erhaltenden Manuskripte eingegangen, die Otto Frank zu einem Typoskript zusammengefügt hatte.32 In den ersten Ausgaben wich die spezifisch jüdische Opferperspektive zu Gunsten einer universalistischen Weltsicht; so wurde Anne Frank noch nach ihrer Verhaftung mit den Worten zitiert: „Trotz allem glaube ich noch an das Gute im Menschen.“ Anne Frank ließ sich nicht als von Deutschen ermordete Jüdin lesen, sondern als ein verfolgtes Kind, dessen Tagebuch frei von Vorwürfen an ihre späteren deutschen Leser war. Von Adorno ist noch aus den 1950er Jahren das folgende Diktum überliefert: „Man hat mir die Geschichte einer Frau erzählt, die einer Aufführung des dramatisierten Tagebuchs der Anne Frank beiwohnte und danach erschüttert sagte: ja, aber das Mädchen hätte man doch wenigstens leben lassen sollen.“33
29 Zitiert nach: www.annefrank.org/de/.../Reaktionen-auf-das-Tagebuch (07. Oktober 2014). 30 Vgl. Schneider, Lambert: Rechenschaft. 1925–1965. Ein Almanach. Heidelberg 1965. S. 173. 31 Vgl. Koch, Karen: Die ersten hundert Nummern der Fischer-Bücherei. In: Stiftung zur Förderung der Kultur und Erwachsenenbildung in Ostholstein (Hrsg.): Macht unsre Bücher billiger. Die Anfänge des deutschen Taschenbuchs 1946 bis 1963. Bremen 1994. S. 148. 32 Die Tagebücher der Anne Frank. Vollständige, textkritische, kommentierte Ausgabe, aus dem Niederländischen von Mirjam Pressler. Frankfurt am Main 1988. 33 Adorno, Theodor W.: „Was bedeutet Aufarbeitung der Vergangenheit“. In: Ders.: Kulturkritik und Gesellschaft II. Gesammelte Schriften, Bd. 10.2., Frankfurt am Main 1977. S. 570.
Erste Erinnerungsarbeit zwischen Belastung und Überwindung
2.4 Erste Erinnerungsarbeit zwischen Belastung 2.4 und Überwindung
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und Überwindung
Der Roman von Strindberg und die Tagebuchblätter und -briefe von Else Behrend sind Beispiele für die erste Welle von Erinnerungen (im Falle Strindbergs Erinnerungen aus zweiter Hand) von jüdischen Verfolgten aus Deutschland, die noch in den 1940er Jahren aufkam. Zur selben Zeit erschienen auch in Emigrantenzeitungen Erinnerungen an das Leben in Deutschland vor 1933, an Ausgrenzung, Verfolgung und Flucht.34 Dass es in den ersten Jahren nach der Befreiung von den Nationalsozialisten in Deutschland keine Erinnerungen gab, die für eine breite Leserschaft gedacht und zugänglich gewesen wären, mag auch mit an Papierknappheit und der Lizenzvergabe durch die Alliierten gelegen haben. Eine umfassende Bibliographie veröffentlichter deutsch-jüdischer Autobiographien, die 560 Titel umfasst, weist für die Jahre von 1945 bis 1949 lediglich fünfzehn Werke auf.35 So erschien im Jahr 1945 neben den Erinnerungen von Else Behrend noch „Kehre wieder über die Berge: eine Autobiographie“ von Walther Victor (1895–1971). 1946 waren es „Das Buch der Erinnerung“ von Max Dessoir (1867–1947) und die „Selbstdarstellung“ von Sigmund Freud (1856–1939); 1947 „Die Jugend eines Träumers: autobiographischer Roman“ von Béla Balázs (1884–1949), „Lichter im Dunkel: Flucht und Rettung eines jüdischen Ehepaares im Dritten Reich“ von Max Krakauer (1888–1965) und „Thema und Variationen: Erinnerungen und Gedanken“ von Bruno Walter (1876–1962); 1948 „Ein Schwabe studiert Amerika“ von Alfred Auerbach (1873–1954), „Das Wirtshaus zur verlorenen Zeit: Erlebnisse und Bekenntnisse“ von Raoul Auernheimer (1876–1948) und „Das Bild meines Lebens“ von Adele Gerhard (1868–1956); 1949 „Das Licht der Welt: Geschichte eines Versuches als Dichter zu leben“ von Felix Braun (1885– 1973), „Schicksalsreise: Bericht und Bekenntnis“ von Alfred Döblin (1878–1957), „Blätter aus 50 Jahren“ von Wieland Herzfelde (1896–1988), „Erinnerungen: vom Journalisten zum Historiker der deutschen Arbeiterbewegung“ von Gustav Meyer (1871–1948), „Namen und Menschen: unpolitische Erinnerungen“ von Erich Mühsam (1878–1934). Unter diesen fünfzehn Titeln entsprechen aber allein die Erinnerungen des Berliner Ehepaares Ines und Max Krakauer, das von Januar 1943 an im Untergrund lebte und die Zeit bis zur Befreiung mit Hilfe christlicher 34 Als ein Bespiel unter vielen seien hier die Erinnerungen des gebürtigen Leipzigers Cheskel (Hans) Zwi Kloetzel (1891–1951), von dem „Eine jüdische Jugend in Deutschland“ 1947/48 im Mitteilungsblatt der Irgun Olej Merkaz Europa in Tel Aviv erschien. Von ihm stammt auch der undatierte Brief an einen unbekannten russischen Soldaten, „So Yo Are in Berlin Now“, in der Palestine Post (1945). 35 Vgl. http://www.markus-malo.de/Autobiographien_Bibliographie.html (Oktober 2011).
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Helfer in Verstecken überstand, den Überlebensberichten von Else Behrend und Ernst Ludwig Ehrlich. Der 1960 veröffentlichte Katalog der Wiener Library bestätigt diese überschaubare Zahl; er führt in der Rubrik „Individual Accounts“ für die Jahre von 1945 bis 1959 fünfundzwanzig Titel auf, darunter auch die bereits genannten Erinnerungen von Else R. Behrend-Rosenfeld und Hugo Marx.36 Diese geringe Zahl an Veröffentlichungen in den ersten Nachkriegsjahren bis zur Gründung der Bundesrepublik darf indes nicht darüber hinwegtäuschen, dass es aus dieser Zeit eine Vielzahl von unveröffentlicht gebliebenen oder erst Jahre später publizierten Erinnerungen gibt. Ein Beispiel dafür ist Hugo Marx Buch „Die Flucht. Jüdisches Schicksal 1940“, das 1955 im Verlag Allgemeine Jüdische Wochenzeitung in Düsseldorf erschien. Der ehemalige Landgerichtspräsident Dr. Hugo Marx (1892–1979) setzte seinem Buch die Widmung „Einer zum Gedenken. Den Kindern ein Andenken. Für viele ein Denkmal.“ voran und erläuterte in einer Nachschrift die Entstehungsgeschichte seines Buches: Diese Niederschrift wurde im Jahre 1948 begonnen mit der Absicht, den nachfolgenden Generationen der Familie auf wenigen Seiten ein Zeugnis zu erhalten, was es bedeutet, Jude zu sein, und ein Bild zu entwerfen, wie in der historisch immer wiederkehrenden Reihe der Verfolgungen ihre Vorfahren ein solches Erlebnis über sich haben ergehen lassen müssen. Dieses Erlebnis zu reproduzieren, bedeutete von neuem eine so starke psychische Erregung, dass ich nach den ersten dreißig Seiten das Manuskript abbrach und liegen ließ. Ich dachte, es sei besser, alles dem Vergessen anheimfallen zu lassen […].
Marx beendete seine Erinnerungen schließlich im Sommer 1953; sie erschienen quasi im Selbstverlag, im Düsseldorfer Zeitungsverlag seines Sohnes Karl Marx (1897–1966). Während das Aufschreiben Else Behrend die Möglichkeit bot, Belastendes aus der eigenen Erinnerung auszublenden, ging die große seelische Erschütterung, die die Vergegenwärtigung der eigenen Erlebnisse aufs neue bedeutete, bei Hugo Marx mit dem Wunsch nach Vergessen einher – ein häufiges Muster bei Flüchtlingen und Überlebenden, die es große Überwindung kostete, sich die eigenen Erfahrungen von Verfolgung und Verlust einzugestehen. So schrieb Agnes M. Weiler Wolf (1919–2008), der es 1936 gelungen war, aus München nach Nahariya im damaligen Palästina auszuwandern, über ihre eigene Haltung zwischen Vergessen und Erinnerung: We simply did not want to talk about that period in our lives when we were declared to be non-persons, deprived of all human rights, only because we were born as German Jews.
36 Wolff, Ilse R. (Hrsg.): Persecution and Resistance under the Nazis (The Wiener Library Catalogue Series No. 1). London 21960. S. 111f.
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Many of us who had been fortunate enough to leave Germany in time, refused to speak the German language, or to identify with any part of the German culture, and tried to forget the entire past. I felt this way for many years, but now the time has come to remember.37
Von Emmanuel Levinas (1906–1995) stammt eine eindrückliche Beschreibung von Erinnerung als Lebensstigma: Hat man im Gedächtnis diesen Tumor, so können ihm […] Jahre nichts anhaben. Der Tod wird zweifellos bald das unverdiente Privileg, sechs Millionen Tote überlebt zu haben, wieder aufheben. Wenn aber während dieser Galgenfrist Zeitvertreib und Unterhaltung aufs Neue das Leben füllen […], so hat doch nichts von alledem den klaffenden Abgrund auffüllen oder auch nur zudecken können. Von den Schlupfwinkeln unserer täglichen Zerstreuungen aus kehren wir […] zu ihm zurück, und der Schwindel, der uns an seinem Rande ergreift, ist immer doch derselbe.38
In den späten 1940er Jahren boten Zeitschriften und Wochenzeitungen ein alternatives Forum für Erinnerungen und für erste Studien über den Nationalsozialismus. Eine dieser Zeitschriften war Der Weg. Zeitschrift für Fragen des Judentums, die von der Jüdischen Gemeinde zu Berlin verantwortet und ab 1949 als monatliche Beilage zur Berliner Ausgabe der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland von Karl Marx herausgegeben wurde und von 1946 bis 1953 erschien. Der Weg veröffentlichte 1946 erstmals Deportationslisten, die eine Aufstellung sowohl der sogenannten Osttransporte als auch der „Alterstransporte nach Theresienstadt“ samt Transportnummern, Zeitpunkt und Anzahl der Deportierten enthielten.39 Für ausführliche persönliche Erinnerungen war hier aber kein Platz. Erich Nehlhans (1899–1950?), der im 1946 gewählten Berliner Gemeindevorstand für das Kultuswesen zuständig war, schrieb am 1. März 1946 in einem programmatischen Artikel in Der Weg: „Unsere Gemeinde soll eine kleine Heimat für jüdische Menschen sein, bis unsere große Heimat Palästina die Tore öffnet und wir das Land der Verheißung betreten. Sie will die Schwachen stützen und ihnen Halt geben im Streit mit der noch immer von Vorurteilen und Hass erfüllten Umwelt. Wir wollen unsere Brüder zu wahrer Religiosität zurückführen und ihnen den Weg zu einem Leben als bewusste Juden weisen.“ Karl Marx, der 1946 aus dem Exil in Großbritannien zurück nach Deutschland gekommen war und die Herausgeberlizenz für das in Düsseldorf erscheinende 37 Weiler Wolf, Agnes M.: Notes from an Extinct Species, New Paltz, o. J. (1988?). S. i, (LBIJMB, MM II 17). 38 Levinas, Emmanuel: Eigennamen. Meditationen über Sprache und Literatur. München u. a. 1988. S. 102. 39 Vgl. Maas, Werner: Besuch eines seltsamen Friedhofs. In: Der Weg (6.12.1946).
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Jüdische Gemeindeblatt für die britische Zone (seit 1949 Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland) erhalten hatte, begriff seine Zeitung in erster Linie als eine jüdische politische Zeitung, wobei die Probleme Israels und der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland im Vordergrund der Berichterstattung standen. Karl Marx beschrieb die „erweiterten Aufgaben und Ziele“ seiner Zeitung so: Wir haben es uns zu unserer Aufgabe gemacht, unserer Zeitung den Charakter einer wirklich jüdischen Zeitung zu geben. Und wir brauchen Mitarbeiter […], Menschen, die als bewusste Juden aus dem Kampf der verflossenen Jahre hervorgegangen sind und die sich bereit erklären, an einer Stärkung des Judentums mitarbeiten. […] Besondere Aufmerksamkeit wollen wir den kulturellen Dingen widmen, der Literatur, der jüdischen Literatur und der 1933 verbrannten.40
Dieser Appell, gemeinsam eine wehrhafte Aufbauarbeit zu leisten, auch angesichts der, so Nehlhans, „noch immer von Vorurteilen und Hass erfüllten Umwelt“, bot wenig Raum für Reflektionen über Verfolgung und Verlust. Marx gab zusammen mit Addi Bernd 1947/48 auch die kurzlebige Zeitschrift Zwischen den Zeiten. Jüdisches Leben – Jüdisches Wissen heraus, die in neun Ausgaben im Koblenzer Humanitas-Verlag erschien und heute weitgehend vergessen ist. Im Vorwort zum ersten Heft heißt es: Erhaltung geistigen Erbes, das ist der Leitgedanke, unter dem die Zeitschrift […] herausgegeben wird: Leid, Unterdrückung und Verfolgung, die ihre Jahrtausend alte Geschichte kennzeichnen, haben die Liebe der Juden zu geistigem Gut und Werk und namentlich zur Betrachtung und friedfertigen kritischen Beurteilung ihrer eigenen Lebensfragen nicht zu ersticken vermocht – selbst da, wo Ausrottungspolitik tiefe und breite Wunden geschlagen hat. Die Liebe zu geistigem Schaffen, die Pflege kultureller Werte und darüber hinaus der Drang zum Genuss geistiger Erzeugnisse sind nimmer erloschen. Es scheint daher fast ein Gebot, dass man in dem chaotischen, anormalen, unsicheren Stadium, in dem wir leben, die Werte einer großen Vergangenheit und einer ehrbaren Tradition – sozusagen zwischen den Zeiten – in die Zukunft, in ein Zeitalter der Hoffnung und der Erfüllung hinüberretten und in die Ideen und Interessen kommender Tage hineinweben will.
Mit dem Vorsatz, aus dem kulturellen Erbe der Zeit vor 1933 eine hoffnungsvolle Zukunft zu schöpfen, blieb die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus aber nicht nur in der Zeitschrift Zwischen den Zeiten außen vor. Die individuellen Erfahrungen und Erinnerungen der Opfer wurden zu Gunsten universeller Werte ausgeblendet, so wie dies zur gleichen Zeit auch in ganz ähnlicher Weise das Bedürfnis von Tätern und Mitläufern war. Die deutsche Literatur flüchtete sich in den 1950er Jahren oftmals in eine falsche Idylle. Autoren wie Hans Carossa oder 40 Jüdisches Gemeindeblatt für die britische Zone, Düsseldorf (15. November 1946).
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Werner Bergengruen wurden dafür von Theodor W. Adorno gegeißelt. So schrieb er über Bergengruens Gedichtband „Heile Welt“, der 1950 in Zürich erschien: „Der Band ist nur ein paar Jahre jünger als die Zeit, da man Juden, die man nicht gründlich genug vergast hatte, lebend ins Feuer warf.“41 Zeitschriften boten auch für nichtjüdische Publizisten, Autoren und Leser eine erste Möglichkeit, das allgemeine Beschweigen der jüngsten Vergangenheit zu umgehen. So erschien 1947 im Verlag Frankfurter Hefte auch Eugen Kogons Dokumentation „Der SS-Staat“, die die Verschränkung von Gewalt und Macht im Nationalsozialismus darstellte, aber erst in den 1960er Jahren von einer breiteren Öffentlichkeit wahrgenommen wurde. Der französische Schriftsteller und politische Aktivist David Rousset (1912–1997) hatte schon ein Jahr zuvor, 1946, in Die internationale Umschau von seiner Zeit im Konzentrationslager berichtet.42 Jörg Döring hat die Wirkungsabsicht derartiger Berichte und die zu überwindenden Widerstände eindrücklich dargestellt. So zitierte er aus einer Zeitschriftenrezension über „Berichte aus den Konzentrationslagern“ von 1947: „Das subjektive Bedürfnis der Überlebenden, vor aller Welt ein dokumentarisches Zeugnis über die furchtbare Wirklichkeit des faschistischen Alltags abzulegen, entspricht zugleich einer sachlichen Notwendigkeit, denn das gigantische Verbrechen, das unter der Ägide des Deutschen Reiches im Namen des deutschen Volkes geschehen ist, muss durch einwandfreie Beweise eines jeden Zweifels enthoben werden.“43 Die gesellschaftliche Wirkkraft dieser ersten wenigen Versuche der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus war gering. Das musste auch Ernst Ludwig Ehrlich feststellen, als er 1952 an einem Gymnasium in West-Berlin ein Experiment unternahm. Aus seiner Korrespondenz mit Karl Thieme (1902–1963) geht hervor, dass Ehrlich die neunzehnjährigen Gymnasiasten mit einem Hörspiel über den Warschauer Ghettoaufstand konfrontierte; er wollte die Schüler, die bei Kriegsende zwölf Jahre alt gewesen waren, damit zu einer Diskussion über den Rassismus der Nationalsozialisten anstacheln, und stieß dabei auf einen unverblümt rassistischen Jargon und völlige Unkenntnis darüber, dass auch die Berliner Juden ihres Jahrgangs ermordet worden waren und nicht etwa alle nur auf eine andere Schule gingen.44 Zu dieser Zeit kamen auch mehr und mehr Er41 Adorno, Theodor W.: Jargon der Eigentlichkeit. Zur deutschen Ideologie. Frankfurt am Main 1964. S. 23. 42 Rousset, David: Die Tage unseres Sterbens. In: Die internationale Umschau (1946). S. 33–41. 1947 veröffentlichte er dann den dokumentarischen KZ-Roman „Les Jours de notre Mort“ in der Edition du Pavois in Paris. 43 Vgl. Döring, Jörg: „… ich stellte mich unter, ich machte mich klein…“. Wolfgang Koeppen 1933–1948. Frankfurt am Main 2003. S. 267. 44 Korrespondenz zw. Ernst Ludwig Ehrlich und Karl Thieme im Münchner Institut für Zeitgeschichte, FD 163/17.
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innerungen von Nationalsozialisten auf den Markt; so erschien 1953 das Buch des früheren Generalgouverneurs des besetzten Polens, Hans Frank (1900–1946), „Im Angesicht des Galgens. Deutung Hitlers und seiner Zeit auf Grund eigener Erlebnisse und Erkenntnisse“.
2.5 „Worauf es ankam – unterblieb“ Es ist bereits deutlich geworden, dass in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Westdeutschland nur eine kleine Zahl von Erinnerungstexten deutsch-jüdischer Flüchtlinge und Überlebender zur Veröffentlichung kam. In Michael Brenners umfassenden „Bibliographischen Essay“ von 1995, der den Anhang zu seinem Buchs „Nach dem Holocaust: Juden in Deutschland 1945–1950“ bildet und alle relevanten Titel zur jüdischen Identität und zum jüdischen Leben in der Nachkriegszeit aufführt, die bis 1994 erschienen sind, finden derartige Quellentexte gar keine Erwähnung.45 Für die Auseinandersetzung mit den (Über-)Lebenszeugnissen gilt somit, was die Allgemeine Wochenzeichnung der Juden 1950 so bezeichnete: „Worauf es ankam – unterblieb“. Es hieß dort: […] Nur ein paar Fragen: Wo blieb und bleibt die so dringend erforderliche historische Untersuchung und Darstellung der gegenüber dem Judentum zwischen 1933 und 1945 verübten Nazi-Verbrechen? Wo blieb und bleibt das, wenn wir es so nennen wollen, Weißbuch über die uns zugefügten Verluste an Menschen, Siedlungen und Vermögenswerten? Wo bleibt die politische und soziale Kritik gegenüber den seit 1945 in Deutschland sowohl positiven wie auch negativen Erscheinungen, die heute und morgen das Leben und die Existenz jedes einzelnen jüdischen Individuums in diesem Lande beeinflussen werden? Wo bleibt die Beobachtung antisemitischer Vorkommnisse ebenso wie der Ermutigung der sich andererseits allmählich regenden humanistischen Gesinnung nicht unbedeutender deutscher Institutionen?46
Für die Augenzeugenberichte in der Wiener Library gilt, dass sie in zu großem Abstand zum darin beschriebenen Geschehen entstanden sind, um noch als Quellentexte zu zählen; für die geschichtswissenschaftliche Darstellung in Westdeutschland erschienen sie wiederum zu früh und wohl auch abseits der allgemeinen Wahrnehmung; Nicolas Berg hat in seinem Buch „Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung“ (2003) auf die 45 Brenner, Michael: Nach dem Holocaust: Juden in Deutschland 1945–1950. München 1995. S. 228–237. 46 Landau, Ernest: Worauf es ankam – unterblieb. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 30. Juni 1950. Zitiert nach: Ernest Landau: Wir Juden uns unsere Umwelt. In: Ganther, Heinz (Hrsg.): Die Juden in Deutschland. Ein Almanach. Hamburg 1959. S. 285.
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Diskrepanz zwischen Quellenlage und Forschungsstand aufmerksam gemacht.47 Ebenso unbeachtet blieben die sogenannten Unbesungenen Helden, die nichtjüdischen Fluchthelfer, die in Berlin zu eben der Zeit geehrte wurden, in der auch die Überlebensberichte für die Wiener Library aufgezeichnet wurden. Karl Grossmann (1897–1972), der aus Deutschland nach New York emigriert war, hatte 1957 die Geschichten untergetauchter Juden und ihrer nichtjüdischer Helfer unter dem Titel „Die unbesungenen Helden“ veröffentlicht und den damaligen Berliner Innensenator Joachim Lipschitz (1918–1961) zur Ehrung von 836 Berliner Bürgern veranlasst, „die in der NS-Zeit Verfolgten uneigennützig Hilfe gewährt“ hatten.48 Erst in den 1960er Jahren kam es mit der Berichterstattung über den Jerusalemer Eichmann-Prozess und über die Frankfurter Auschwitz-Prozesse zu einer verstärkten Rezeption von Dokumentationen und (Über-)Lebenszeugnissen. Neben den Übersetzungen von Berichten von Überlebenden, etwa von Elie Wiesels deutschsprachiger Ausgabe von „Nacht“ (1958) und Primo Levis Buch „Se questo è un uomo“ (1947), das 1961 als „Ist das ein Mensch?“ erschien, kam 1960 auch Gerhard Schoenberners Buch „Der gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945“ auf den Markt. Schoenberners Studie, die die Perspektive der Überlebenden neben die bislang dominierende Sicht der Täter stellte, war die erste fundierte zeithistorische Dokumentation und Aufarbeitung der Judenverfolgung während des Nationalsozialismus, die in der Bundesrepublik erschien. Diese nun schnell wachsende Zahl von Übersetzungen und Literarisierungen von Überlebensberichten scheint die Erinnerungen aus dem Kreis der kleinen Gemeinschaft deutscher Juden in der Bundesrepublik, aber auch die der deutschsprachigen jüdischen Flüchtlinge im Ausland, bald überlagert zu haben. Deren Erinnerungen verschwanden in den Archiven und fanden erst in den 1990er Jahren in Deutschland Aufmerksamkeit. Als beispielsweise 1997 die schon erwähnten Erinnerungen von Herbert und Lotte Strauss erschienen, war in der Kritik davon die Rede, dass „die Fluchthelfer, die für sie ihr Leben riskierten, […] hier zum ersten Mal genannt und gerühmt werden. […] Das eine wie das andere, in diesen Büchern zur Sprache gebracht, bleibt rätselhaft und staunenswert zugleich. Es sind Dokumente eines Lebens am Abgrund, in Zeiten des Terrors und der Menschlichkeit. Es sind dann auch authentische Zeugnisse des Trostes.“49 Der Augenzeugenbericht des jungen Historikers Ernst Ludwig Ehrlich, der in den folgenden Kapitel dieser Buches vorgestellt und in Bezug zu anderen Lebenszeugnissen Ehrlichs 47 Berg, Nicolas: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung. Göttingen 2003. 48 Vgl. dazu das Kapitel Überleben im Untergrund. 49 Strothmann, Dietrich: Leben am Abgrund. Die Erinnerungen von Herbert und Lotte Strauss. In: Die ZEIT 44 (1997).
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gesetzt wird, ist eher Protokollierung der Erinnerung als deren Fiktionalisierung. Dem Leser begegnet darin ein Zeitzeugnis, in dem individueller Eindruck gegenüber dem Fremdwissen überwiegt. Ehrlich gewährt dabei in seinem ganz eigenen Duktus Einblicke in eine Erfahrungswelt, die als Teil des kulturellen Gedächtnisses erst noch wahrgenommen werden will. Warum die Berichte deutscher Juden an Ausgrenzung, Verfolgung und Schoa bislang so wenig Aufmerksamkeit erfahren haben, erläuterte Ehrlich später selbst, als er auf die Asymmetrien im christlich-jüdischen Gespräch der Nachkriegszeit zu sprechen kam. Dass von jüdischer Seite manches ungesagt bleibt, erklärte er damit, dass die jüdischen Gesprächspartner „zu höflich, zu gehemmt oder zu entjudaisiert“ seien.50 In jüngster Zeit ist der Überlebensbericht der jungen Berliner Jüdin Marie Jalowicz „Untergetaucht“ zu einem Bestseller geworden. Fünfzig Jahre nach ihrem Entschluss „Ich will mich retten. Ich werde nicht mitgehen, ohne mich zu wehren. Denn das wäre der sichere Tod“ erzählte Marie Jalowicz Simon (1922–1998) ihrem Sohn Hermann Simon ihre Geschichte, die dieser 2014 veröffentlichte.51
50 Ehrlich, Ernst Ludwig: Rezension von: Berkovits, Eliezer: Faith after the Holocaust. In: Freiburger Rundbrief XXV (Dezember 1973) 93/96. S. 161. 51 Jalowicz Simon, Marie: Untergetaucht. Eine junge Frau überlebt in Berlin 1940–1945. Frankfurt am Main 2014.
3 Kindheit und Jugend in Berlin Wegen fehlender Dokumente wäre es vermessen, die Kindheit von Ernst Ludwig Ehrlich rekonstruieren zu wollen. Anhand seines Berichtes für die Wiener Library und seiner späteren verschrifteten Gespräche lassen sich wesentliche Stationen in Ehrlichs Kindheit und Jugend aber recht genau nachzeichnen. Ernst Ludwig Ehrlich kam am 27. März 1921 als einziges Kind von Martin Ehrlich (25.05.1878– 14.10.1936) und seiner Ehefrau Eva geborene Borkowsky (09.05.1886–01.03.1943) zur Welt.52 Das Paar hatte 1908 geheiratet; der Bahnbeamte Martin Ehrlich stammte aus Arnswalde in der Neumark, seine Frau aus Werneuchen bei Altlandsberg, wo die Borkowskys seit 1834 als angesehene Kaufleute lebten. In ihrem Haus in der Poststraße 15 von Altlandsberg, der heutigen Apotheke, befand sich auch der Synagogenraum der jüdischen Gemeinde dieses brandenburgischen Städtchens. Vor dem Haus erinnern heute Stolpersteine an den Textilkaufmann Egon Borkowsky (1894–1941) und an dessen Frau Frieda und Sohn Günter, die beide deportiert wurden.53 Vermutlich waren auch die Ehrlichs in Arnswalde zunächst als Kaufleute tätig gewesen; für 1870 ist für das dortige Grundstück Am Markt 9 ein Ernst Ehrlich als Eigentümer belegt, der in seinem Haus ein Kolonialwarenund Zeuggeschäft betrieb.54 Das älteste Dokument im Zürcher Nachlass ist ein Brief eines C.F. Ehrlich aus Berlin, datiert auf den 6. Januar 1842. Unter den veröffentlichten Selbstzeugnissen von Ernst Ludwig Ehrlich findet sich kein Hinweis auf die weitere Verwandtschaft seiner Eltern; aus dem Rechtsstreit um Restitutionsansprüche um das Grundstück Ermeler Str. 15/Pintschstraße 23 in Berlin-Friedrichshain geht allerdings hervor, dass zu den Angehöri gen väterlicherseits Dr. jur. Ernst Ehrlich und Dr. jur. Hans Ehrlich und Berta Lehmann, geborene Ehrlich in Berlin sowie Erwin Ehrlich und Rosette Salinger, geborene Ehrlich in Breslau gehörten. Auf dem Friedhof der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in Weißensee sind die Eltern von Berta Lehmann, geborene Ehrlich sowie ein Benno Ehrlich bestattet.55 Berta Lehmann wurde am 28. Mau 1943 in das Ghetto Theresienstadt deportiert. In welchem genauen Verwandtschaftsver hältnis diese Personen zu Ernst Ludwig Ehrlich standen, lässt sich aber aus den 52 Die Lebensdaten von Martin Ehrlich sind in den Friedhofsunterlagen im Archiv der Stiftung Neue Synagoge Berlin – Centrum Judaicum erhalten; die Lebensdaten von Eva Ehrlich sind dem Gedenkbuch für die Charlottenburger Juden entnommen. 53 Vgl. Rohmann, Eva: Gedenken durch Stolpersteine. In: Altlandsberger Stadtmagazin 8 (29.04.2010). S. 3. 54 Vgl. Jüdische Familien in Arnswalde – Ein lebendiges Bild aus dem Leben einer ostdeutschen Kleinstadt zwischen 1850 und 1945. In: Heimatgruß-Rundbrief aus den ehemaligen Kirchengemeinden im Kreis Arnswalde (Neumark) 223/224/225 o. O. 1993 (Auszüge). 55 Auskunft von Rechtsanwalt und Notar Olaf S. Ossmann (Winterthur/Tel Aviv) vom 24.02.2009.
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vorliegenden Angaben nicht nachvollziehen. Ein Sohn von Ernst Ehrlich, Friedrich Ehrlich, überlebte die Schoa offenbar im Versteck, wurde von einer Familie Schwarz adoptiert und verstarb als Claudio Schwarz in Australien. Eine Tochter von Margarethe Arendt, geborene Ehrlich, Ilse Arendt, konnte sich 1943 in die Schweiz retten und emigrierte in die USA; ihre Mutter war bereits am 3. Oktober 1942 nach Theresienstadt deportiert worden, wo sie am 4. September 1943 starb.56
3.1 Städtische und private Schulen Nach der Geburt ihres Sohnes, der in der Familie stets „Lutz“ gerufen wurde, zogen die Ehrlichs von der Pestalozzistraße 51 in die ebenfalls gutbürgerliche Windscheidstraße 10 in Charlottenburg, in den 1920er und 1930er Jahren neben Wilmersdorf der Bezirk mit dem höchsten Anteil jüdischer Bevölkerung in Berlin. Hier lebten um 1933 27.000 von den etwa 160.000 Berlinern jüdischen Glaubens.57 Martin Ehrlich war wie viele Angehörige des liberalen jüdischen Bürgertums Mitglied des 1893 in Charlottenburg gegründeten Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, der größten jüdischen Organisation in Deutschland, die 1938 zwangsaufgelöst wurde.58 Im Zürcher Nachlass findet sich neben Ansichtskarten der Eltern aus Bad Elster und dem österreichischen Bad Gastein auch eine Reihe von Kinderphotos, die den Jungen zusammen mit den Eltern in Bad Elster, mit einer Betreuerin in einem Krankenheim in Herford oder auch mit seinem Vater in Bad Kudowa zeigen. Auf seinem Einschulungsphoto ist Lutz mit übergroßer Zuckertüte zu sehen. Der Junge besuchte zunächst die 1. Volksschule in der Charlottenburger Witzlebenstraße, dann das Kaiser-Friedrich-Gymnasium am Savigny platz. Die Familie besuchte die Gottesdienste in der Synagoge in der Fasanenstraße, die dem liberalen Ritus folgten; die Eltern hatten dort seit der Eröffnung der Synagoge 1912 ihre ständigen Plätze. „Ich entsinne mich“, so Ehrlich, „dass ich bereits als Kind von drei oder vier Jahren mit meinem Vater dort in diese Synagoge ging.“59 Am 2. Juni 1934 fand dort auch seine Einsegnungsfeier statt; Eva Ehrlichs Menükarte vom anschließenden Festessen ist erhalten. Welcher Rabbiner den Jungen einsegnete,
56 Vgl. Bundesarchiv (Hrsg.): Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933–1945. Koblenz 1986. 57 Vgl. Verein zur Förderung des Gedenkbuches für die Charlottenburger Juden e. V. (Hrsg.): Juden in Charlottenburg. Ein Gedenkbuch. Berlin 2009. 58 Vgl. Borut, Jacob: Die jüdischen Abwehrvereine zu Beginn der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts. In: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 7 (1997) 2. S. 467–494. 59 Vogel (wie Anmerkung 18). S. 42.
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ist nicht überliefert; wahrscheinlich ist, dass es sich dabei um Rabbiner Manfred Erich Swarsensky (1906–1981) handelte.60 Ehrlich berichtete, sein Vater habe anfangs gemeint, die nationalsozialistische Politik würde sich nicht gegen die deutschen Juden richten, sondern gegen „die anderen“, die sogenannten Ostjuden. Zu denen gab es bei allen Vorbehalten denn doch Kontakte: Auf der anderen Seite bin ich bereits in der Volksschule mit zwei Juden aus Osteuropa zur Schule gegangen, so dass mir das nicht so ungemein fremd war, wenn auch meine Eltern meinten, dass diese Buben eigentlich kein Umgang für mich seien. Das ist das eine. Als ich dann 1931 auf das öffentliche Gymnasium kam, lag das in einer Berliner Gegend, die von vielen Juden bewohnt wurde, so dass wir in der Klasse Juden sehr verschiedenen Herkommens hatten. Von 1931 bis 1936 bin ich also mit deutschen und nicht-deutschen Juden aufgewachsen.61
Die Ehrlichs waren bereits früh Opfer nationalsozialistischer Drangsalierung geworden. Sein Vater habe, so Ehrlich, 1933 ein Verfahren wegen „Beschimpfung des Reichskanzlers“ gehabt. „Ich bin ein Deutscher, dieser Adolf Hitler ist ein hergelaufener Österreicher“, soll der inkriminierte Satz gelautet haben, der dazu geführt habe, dass Martin Ehrlich seiner Funktion als Dezernent in der Reichsbahndirektion enthoben und auf eine Nebenstelle abgeschoben worden sei. „[Das] hat sicherlich zu seinem frühen Tod im Jahre 1936 beigetragen.“62 Im Gespräch mit Franz Kardinal König berichtet Ehrlich, dass sein Vater damals zu drei Monaten Gefängnis verurteilt worden sei.63 1934 war Ehrlichs Vater bereits schwer erkrankt gewesen. In seiner Todesanzeige, die in der C.V.-Zeitung erschien, heißt es: „Am 14. Oktober 1936 entschlief nach langem, schweren, mit großer Geduld ertragenem Leiden mein lieber Mann, mein guter, treusorgender Vater, unser Bruder, Schwager und Onkel, der Reichsbahnamtmann i. R. Martin Ehrlich.“ Die Beisetzung fand am 19. Oktober 1936 auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee statt.64 Die Frage der Auswanderung von Eva Ehrlich und ihrem Sohn wurde erst einmal zurückgestellt: „Die Witwenpension und unser ererbter Grundbesitz, meine nicht abgeschlossene Ausbildung und die ungeklärte Frage, wovon wir in der Emigration im Ausland leben sollten, hielten uns doch zurück.“65 Eva Ehrlich 60 Vgl. http://www.wisconsinhistory.org/HolocaustSurvivors/Swarsensky.asp (07.10.2014). 61 König/Ehrlich (wie Anm. 19), S. 23. 62 Vogel (wie Anm. 19), S. 42. 63 Vgl. König/Ehrlich(wie Anm. 19), S. 17. 64 Central-Verein-Zeitung. Allgemeine Zeitung des Judentums 15 (15. Oktober 1936) 42. S. 3. 65 Vogel (wie Anm. 19). S. 43.
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hatte keinen Beruf erlernt und war Hausfrau, kümmerte sich aber auch um die Verwaltung des familieneigenen Immobilienbesitzes. Ehrlich war 1936 auf die Jüdische Private Waldschule Grunewald übergewechselt, die sich in der Hagenstraße/Ecke Kronberger Straße befand und von Toni Lessler und ihrer Schwester Clara Heine geführt wurde; Direktor war Oberstudiendirektor i. R. Kurt Landsberg (1892–1964), der protestantischer Konfession war und im Sinne der nationalsozialistischen Rassengesetze als „Mischling 1. Klasse“ galt. Landsberg überlebte Weltkrieg und Schoa und wurde später Professor für Geschichte an der Berliner Hochschule für Musik. Ehrlich zu seinem Schulwechsel: „Und 1936 bin ich nicht gezwungen worden, das Gymnasium zu verlassen; ich bin freiwillig gegangen, weil das Klima sich immer mehr verschlechterte.“66 „Wir lebten in einem weiträumigen und daher freundlichen Getto“, beschrieb Ehrlich diese Zeit im Gespräch mit Rolf Vogel. „Die Gettomauern waren damals noch recht weit, und wir konnten normale Schulausflüge machen und das normale Leben junger Menschen führen.“67 Eine Möglichkeit, die wohl nur in Berlin bestanden habe, wo es sehr viele Juden gab und auch viele jüdische Lehrer, die aus den öffentlichen Schulen entlassen worden waren und nun an jüdischen Schulen unterrichteten: „Sie waren hoch qualifiziert für die allgemeinen Fächer und haben uns auch eine gute jüdische Bildung auf breiter Basis vermittelt, so dass mir meine Schulzeit der Jahre 1936 bis 1940 in angenehmer Erinnerung bleibt, trotz der äußeren Verfolgung. Rückblickend erscheint mir diese Tatsache auch merkwürdig.“68 Auf Privatphotos aus den 1930er Jahren ist Ehrlich beim Skifahren, Schwimmen und Sonnenbaden zu sehen, außerdem bei einem Wettlauf des jüdischen Turn- und Sport-Vereins Bar Kochba-Hakoah auf dessen Sportplatz in BerlinGrunewald. Wie es jüdischen Sportclubs bis zu ihrer erzwungenen Auflösung nach dem Novemberpogrom 1938 gelang, jüdischen Jugendlichen während eines immer virulenter werdenden Antisemitismus einen autonomen Raum zu schaffen und Selbstvertrauen und Selbstachtung zu vermitteln, hat zuletzt Hans Joachim Teichler dargestellt.69 Die zunehmende Isolierung von der nichtjüdischen Gesellschaft ging für Ehrlich und seine Mitschüler und Freunde mit einer Selbstvergewisserung als bewusste Juden einher: „Da wir durch die Verfolgungssituation auf unser Jude66 König/Ehrlich (wie Anm. 19), S. 23. 67 Vogel (wie Anm. 19), S. 44. 68 König/Ehrlich (wie Anm. 19), S. 23. 69 Vgl. Teichler, Hans Joachim: Jüdisches Sportleben in Berlin. Von der Gründung des Turnvereins Bar Kochba bis zum Untergang des jüdischen Sports in der Nazizeit. In: Herrmann, Klaus [u.a.] (Hrsg.): History und Oral History – Jüdisches Leben in Berlin. Berlin 2010. S. 21–32.
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Sein zurückgeworfen wurden und wir zudem eine uns genehme jüdische Erziehung genossen, sind manche von uns damals an den Freitagabenden und am Sabbat in die Synagoge gegangen.“ Die Synagoge spielte für Ehrlich als Institution in der NS-Zeit eine völlig andere Rolle als vor- und nachher: „Sie war der Ort, wo Juden versuchten, sich ihre Würde zu erhalten und sich seelisch wieder zu stärken.“70 Er erinnerte sich daran, dass einige Berliner Rabbiner, deren Gottesdienste in einer heute nicht mehr vorstellbaren Weise stark besucht waren, dazu entscheidend beigetragen hätten; sie hätten den jüdischen Menschen in den Jahren 1933 bis 1940 viel gegeben und sie zumindest für kurze Zeit aufgerichtet. Ein weiteres Photo zeigt den Teenager auf der Freitreppe der Lessler-Schule oberhalb seiner Mitschüler. Die Privatschule wurde Ende 1938 zwangsweise geschlossen; Ehrlich musste nunmehr die Oberschule der Jüdischen Gemeinde in der Wilsnackerstraße 3 in Moabit besuchen. Diese Schule wurde 1938 vom Stadtpräsidenten „im Interesse der Rassentrennung“ anerkannt, von Studienrat a. D. Jacques Rabau geleitet und 1940 in das ehemalige Schulgebäude der Adass Jisroel, Siegmundshof 11, verlegt. „Unsere Klasse bestand aus etwa 20 Schülern, die einzige Schülerin war Hilde Loewy, die im Jahre 1943 in Berlin hingerichtet wurde, weil sie an der jüdisch-kommunistischen Widerstandsbewegung [Gruppe Herbert Baum, Anm. d. Autors] teilgenommen hatte“, gab Ehrlich 1959 an. Auf einem Photo dieser vorletzten Abiturklasse, von der fünf Schüler überlebten, ist auch der spätere Politikwissenschaftler Gerd Wilhelm Ehrlich (1922–1998) zu sehen, der sich später so wie sein Namensvetter in die Schweiz retten konnte, 1946 nach New York übersiedelte und später, von 1983 bis 1993, wiederholt als Gastprofessor in Köln und Marburg lehrte.71 Ernst Ludwig Ehrlichs Reifezeugnis der Privaten höheren Schule der Jüdischen Gemeinde Berlin vom 6. März 1940 ist im Zürcher Nachlass erhalten. In Zusammenhang mit der Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 kam Ehrlich im Gespräch mit Kardinal König schließlich auf die direkte „Konfrontation mit dem Teuflischen“ zu sprechen, mit dem Teuflischen als Phänomen, das der nationalsozialistischen Bewegung manifest gewesen sei, „vor allem in diesem einen Individuum und den vielen, die ihm bedingungslos folgten und genau wussten, was sie taten, [die] keineswegs nur kleine Mitläufer und Opportunisten waren.“ Er selbst habe das einmal selbst erfahren: „Am 9. November 1938, als ein Mann von der deutschen Arbeitsfront zu uns kam und meine Mutter ausplünderte. Er beschlagnahmte unsere Grundstücke, setzte Zwangsverwalter ein,
70 Vogel (wie Anm. 19), S. 44. 71 Vgl. den Nachruf auf Gerd W. Ehrlich in The Baltimore Sun, 11. Juli 1998.
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zwang meine Mutter, eines zu verkaufen, weil wir die Judenmilliarde72 mitbezahlen mussten; als sie zögerte, erklärte er, sie habe da einen Sohn, den könnte man ja vielleicht in das Konzentrationslager stecken…“73 Bemühungen der Mutter um eine gemeinsame Auswanderung im Jahre 1939 blieben ohne Erfolg und wurden mit den Kriegsbeginn am 1. September 1939 nichtig.74 Am 23. Oktober 1941 erging schließlich für sämtliche in Deutschland lebenden Juden ein Ausreiseverbot. 1940 bestand Ernst Ludwig Ehrlich die deutsche Reifeprüfung. Die Abiturrede hielt Ehrlichs Freund Peter Lewinski [später Nathan Peter Levinson] am 21. März 1940 in der Aula der Joseph-Lehmann-Schule in der Joachimsthaler Straße; in diesem früheren Logensaal des B’nai B’rith, der ab 1935 vom Bildungsverein der Jüdischen Reform-Gemeinde genutzt wurde, befindet sich seit 1960 die orthodoxe Synagoge der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Lewinski beschloss seine Ansprache mit hebräischen Zeilen aus dem Buch Amos: Bajom hahu akim er sukkat david hanofelet/w’gadarti pirzehen/waharissotaw akim uw’nitiha kime olam – „Am selbigen Tage werde ich aufrichten die verfallene Hütte Davids und vermauern ihre Risse, – ja, ich richte auf ihre Trümmer wie in den Tagen der Vorzeit“ (Amos 9,11).75 Die Rede war voller Bezüge auf die aktuelle Situation der jüdischen Gemeinschaft, verunklarte dies aber in allgemeinen Bildern und folgte damit dem Beispiel der Lehrvorträge, wie sie auch Leo Baeck angesichts der allgegenwärtigen Kontrolle durch die Nationalsozialisten gehalten hatte. Einer dieser Lehrvorträge Baecks – Predigten waren nicht länger gestattet – hatte nach der Zerstörung der Synagoge Fasanenstraße in der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 am selben Ort, in der Aula der Joseph-Lehmann-Schule, stattgefunden. „Er bot damals einen hinreißenden ‚Lehrvortrag‘ über den Propheten Jeremias. Am Schicksal des Propheten Jeremias stellte er unser eigenes Schicksal dar, eine Rede, die ich nie vergessen werde.“76 Mit der Rede von Jeremias verband sich aber auch große Hoffnung, denn schließlich war das Babylonische Exil, das Jeremias einst beklagt hatte, überwunden worden. 72 „Judenmilliarde“ meint die sogenannte Judenvermögensabgabe von einer Milliarde Reichsmark als „Sühneleistung“ für „die feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk“. Göring schriebe dazu in einem Vermerk an den Reichsverteidigungsrat am 18. November: „Sehr kritische Lage der Reichsfinanzen. Abhilfe zunächst durch die der Judenschaft auferlegte Milliarde und durch die Reichsgewinne bei der Arisierung jüdischer Unternehmen.“; vgl. Mairgünther, Wilfred: Reichskristallnacht. Hitlers Kriegserklärung an die Juden. Kiel 1987. S. 132. 73 König/Ehrlich (wie Anm. 19), S. 32. 74 Vogel (wie Anm. 19), S. 17f. 75 Lewinski (Levinson), Peter: Rede zur Abiturfeier, in: Marcus, Marcel [u.a.] (Hrsg.): Israel und Kirche heute. Beiträge zum christlich-jüdischen Gespräch. Für Ernst Ludwig Ehrlich. Freiburg/ Basel/Wien 1991. S. 294–297. 76 Vogel (wie Anm. 19), S. 48.
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Nicht weniger Eindruck hatte die Predigt gemacht, die Baeck zu Jom Kippur 1938 mit Bezug auf einen Vers aus dem 71. Psalm, „Verwirf uns nicht vor deinem Angesicht. Verlass uns nicht, wenn unsere Kräfte schwinden“, in der Joachimsthaler Straße gehalten hatte. Ehrlich kommentierte diese Predigt später so: „Es war gewissermaßen ein Aufschrei einer untergehenden Gemeinschaft. Nicht mehr der Ausdruck einer Hoffnung […], sondern nur noch eine letzte Bitte vor der bereits eingeleiteten Katastrophe.“77 Schon 1935 hatte Leo Baeck einen Hirtenbrief zu Jom Kippur für die Gemeinden in ganz Deutschland formuliert, der Standhaftigkeit in aller Bedrängnis zum Thema hatte und wegen dessen er kurzzeitig inhaftiert wurde.78 Dazu bemerkte Ehrlich später: Vor einer Begriffsbestimmung dessen, was das Judentum charakterisiert, versagte bekanntlich schon der Heide Bileam, wenn er meinte: ‚Da, ein Volk, einsam wohnt es, unter die Erdstämme rechnet es sich nicht‘ (Num 23,9). Diese Einsamkeit der Juden ist während der Herrschaft der Nationalsozialisten ein wesentliches Merkmal des jüdischen Volkes gewesen, als viele sich von den Juden zurückzogen und ihren eigenen Interessen nachgingen. Diese Tatsache gilt vor allem auch für die beiden großen Kirchen in Deutschland, welche die Juden weitgehend im Stiche ließen. Ihre Stimme gegen den Antisemitismus hatten sie zwar vor 1933 erhoben und dann schließlich wieder in der zweiten Hälfte des Jahres 1943, als es schon kaum noch Juden in Deutschland gab, denen man mit einem öffentlichen Appell hätte helfen können.79
3.2 Wissenschaft des Judentums: Der Lehrer Leo Baeck Als Ernst Ludwig Ehrlich im Sommer 2007 in der Neuen Synagoge in Berlin von der Union progressiver Juden in Deutschland für sein Lebenswerk mit dem IsraelJacobson-Preis gewürdigt wurde, wurde dies zu seinem letzten öffentlichen Auftritt. „Ich persönlich bin dankbar für die letzte Begegnung mit Ernst Ludwig Ehrlich“, schrieb der damalige Bundesminister des Inneren, Wolfgang Schäuble, wenige Wochen später an Ehrlichs Witwe Sylvia, „als er, der Geehrte, in Berlin, dem Ort seiner Geburt und Vertreibung, an das Zeugnis von Leo Baeck erinnerte, an seine Lehre eines ‚vollen Judentums mit seiner langen Tradition‘. Es war in 77 Ehrlich, Ernst Ludwig: Leo Baeck – Rabbiner in schwerster Zeit. In: Homolka und Barniske (wie Anm. 10), S. 297. 78 Vgl. Marx, Dalia S.: Liturgy Composed on the Brink of Catastrophe: Examination of “Akdamut Millin” by R. Meir from Worms and R. Leo Baeck’s Hirtenbrief for Kol Nidre Service. In: Leo Baeck – Philosophical and Rabbinical Approaches, hrsg. von Walter Homolka. Berlin 200. S. 89–96. 79 Ehrlich, Ernst Ludwig: Das Scheitern der deutschjüdischen Beziehung. In: Orientierung 47 (31. Januar 1983) 2. S.16.
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dieser bewegenden Stunde in Berlin für alle spürbar, dass sich auch Ernst Ludwig Ehrlich bis zuletzt in der Pflicht sah, von diesem Erbe Zeugnis abzulegen.“80 Rabbiner Leo Baeck (1873–1956) hatte Ehrlich von Jugend an begleitet. Er erlebte Baeck anfangs als Gemeinderabbiner, dann als seinen Lehrer an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums in Berlin. Baeck war von 1912 an zunächst Gemeinderabbiner der Synagogen Pestalozzistraße und Levetzowstraße gewesen, die beide dem „Neuen Ritus“ folgten, und amtierte von 1930 an zumeist in der ebenfalls liberal ausgerichteten Synagoge Prinzregentenstraße; er unterrichtete zudem von 1934 an am Freien Jüdischen Lehrhaus, das sich in einem Seitentrakt der Synagoge in der Fasanenstraße befand. Ehrlich stand nach Zweitem Weltkrieg und Schoa wieder in einem regelmäßigen Gedankenaustausch mit Baeck und vermochte seinen Lehrer eindrucksvoll darzustellen: Die Bedeutung seiner Persönlichkeit tritt erst ans Licht, wenn man versucht, ihn als einen der großen Lehrer des Judentums zu beschreiben – der er gewesen ist. Nur so ist auch seine Wirkung und Ausstrahlung zu verstehen und die Stärke der Erinnerung, die die Menschen an ihn haben, die mit ihm zusammengetroffen sind. Seine Persönlichkeit enthielt all das, was das Beste des deutschen Judentums in sich aufgenommen und ausgedrückt hat.81
Ein Studentenausweis der Berliner Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums, ausgestellt auf Ernst Ludwig „Israel“ Ehrlich, markiert seine prägenden Jahre als Schüler von Leo Baeck.82 Ehrlich besuchte dieses liberale Rabbinerseminar in der Artilleriestraße 14 (heute Tucholskystraße 9) von April 1940 bis Juni 1942. Er hörte dort Midrasch und Homiletik bei Rabbiner Leo Baeck, Geschichte bei Eugen Täubler (bis 1941), Talmud bei Rabbiner Heinrich Gescheit, Bibel bei Rabbiner Manfred Gross, Religionsphilosophie bei Rabbiner Julius Lowkowitz und Allgemeine Philosophie sowie Griechisch bei Ernst Grumach. „Nachfolger von Professor Täubler als Geschichtsdozent war Rabbiner Lucas, früher Glogau“, erinnerte sich Ehrlich 1959. „Den Sprechunterricht erteilte der Vortragskünstler Barnstein, später der letzte Intendant des Kulturbundes Fritz Wisten (heute Intendant der Volksbühne in Berlin-Ost). Sportlehrer der Lehranstalt war Herr Rosenbaum.“ „Die bestimmende Figur an dieser Hochschule war Baeck“, bemerkte Ehrlich gegenüber Kardinal König. „Im Jahr 1938, also zwei Jahre bevor ich auf die Lehran80 Kondolenzschreiben des Bundesministers des Inneren an Sylvia Ehrlich, Oktober 2007. 81 Ehrlich, Ernst Ludwig: Leo Baeck, der Mensch und sein Werk. In: Leo Baeck – Philosophical and Rabbinical Approaches, hrsg. von Walter Homolka. Berlin 2007. S. 19. 82 Am 10. Januar 1939 hatte der Berliner Polizeipräsident verfügt, dass die ab 1. Januar 1939 von den Juden zu führenden Zwangsvornamen Sara und Israel unmittelbar vor den Familiennamen zu setzen seien.
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stalt kam, schrieb er eines der wesentlichen Bücher über unser heutiges Thema, über den christlich-jüdischen Dialog, nämlich: ‚Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte‘.“ Die Haltung von Leo Baeck habe, so Ehrlich, seine zwei Jahre Studium an der Lehranstalt mitbestimmt. Baeck habe in seinen Vorlesungen das Christentum ständig mit einbezogen, insbesondere das Evangelium, und in schärfster Weise gegen eine übersteigerte Rechtfertigungstheologie polemisiert, wie sie sich im orthodoxen Luthertum finde.83 1976, als Ernst Ludwig Ehrlich mit der Buber-Rosenzweig-Medaille des Deutschen Koordinierungsrates der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit ausgezeichnet wurde, schilderte er den Eindruck, den Baeck auf ihn gemacht hatte, so: 1940, als neunzehnjähriger Student in Berlin, war Leo Baeck das große menschliche Erlebnis, damals, während des Krieges, zur Zeit der Judenverfolgung und des gelben Sterns. Das Studium an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums war möglich bis Juni 1942. Der Eindruck ist unvergesslich: Ein vitaler Siebzigjähriger, der angesichts des Untergangs der Juden in Deutschland von der Aufgabe des Tages sprach, von der Größe des Judentums und von seiner Hoffnung, trotz allem.84
Auch Ehrlichs Kommilitone Wolfgang Hamburger hat die Lehranstalt in der Zeit nach dem Novemberpogrom von 1938 als ein besonderes Refugium beschrieben: Indeed, it was saved not only for the few who still hoped to leave it with a rabbinical diploma, but also for those who, by law, had lost their right to engage in their various occupations, and who found at the Lehranstalt an island where they could give their shattered existence a new meaning and a new content by living completely for the Bildungsideal. The number of these extra-mural students of both sexes (ausserordentliche Hörer, as they were called) was at least four times as great as that of the regular students (about 13). They belonged to all age groups and came from every walk of life.85
Hamburger kam in seinem Aufsatz auch darauf zu sprechen, dass der Lehrbetrieb zum Schluss gar nicht mehr im eigenen Haus in der Artilleriestraße stattfinden konnte. Die Lehranstalt wechselte zunächst Ende 1941 in die Meinekestraße 10 in Wilmersdorf über, wo sich zuvor das Palästina-Amt und andere zionistische Verbände befunden hatten, und kam schließlich im Gebäude des früheren Hildesheimerschen Rabbinerseminar in der Artilleriestraße 31 unter, in dem sich 83 König/Ehrlich (wie Anm. 19), S. 13. 84 Münz, Christoph und Rudolf W. Sirsch (Hrsg.): „Denk an die Tage der Vergangenheit – Lerne aus den Jahren der Geschichte“. Berlin 2009. S. 104. 85 Hamburger, Wolfgang: Teacher in Berlin and Cincinnati. In: Leo Baeck Institute Year Book, Vol. II (1957). London 1957. S. 30.
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damals auch die Büros des Hilfsvereins der deutschen Juden befanden. Der Unterricht war noch bis zum 19. Juni 1942 gestattet. Im November 1942 war die Demontage der Lehranstalt beendet; die Bibliothek der Lehranstalt wurde vom Reichssicherheitshauptamt konfisziert; den Abbau der Regale am 12., 13. und 14. November hielt Johanna Nathan in einem minutiösen Bericht fest.86 In den Jahren 1940 bis 1942 mag es laut Ehrlich etwa zwölf eingeschriebene Studenten gegeben haben, dazu eine größere Anzahl von Gasthörern. „Der Lehrbetrieb verlief fast vollkommen ungestört und harmonisch. Die Schwierigkeiten begannen, als Stern-Trägern die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel verboten wurde. Die Studenten der Lehranstalt wurden zu den Feiertagen für das Predigt-Amt verwendet, besonders in den Altersheimen“, berichtete er 1959. Einer dieser Hilfsprediger war Herbert A. Strauss, der drei Jahre älter war als Ehrlich, die Lehranstalt seit Oktober 1936 als außerordentlicher Hörer besucht hatte, dort 1939 voll immatrikuliert worden war und im Herbst 1940 von Baeck an seine Pflicht erinnert wurde, der Gemeinschaft zu dienen. „Meine Aufgabe war es, Gottesdienste zu leiten und an jüdischen Feiertagen die Rolle des Predigers zu übernehmen. Er wusste, dass ich nicht den Beruf eines Rabbiners anstrebte.“87 Im Sommer 1941 wurde Strauss von der Lehranstalt nach seinem Abschlusszeugnis freigestellt, um die Jüdische Oberschule zu besuchen, wo er mit dem letzten Jahrgang im März 1942 sein Abitur nachholte.88 An der Lehranstalt gab es eine Hebräischlehrerin, Fräulein Rotbart, deren nichtjüdischer Schwager als Außenhandelskaufmann oft in Polen war und von systematischen Ermordungen, auch von Vergasungen berichtete. Sie erzählte, sie habe gehört, dass es in Polen Badeanstalten gäbe, aus deren Duschen kein Wasser, sondern Gas käme; auf diese Weise würden die Juden umgebracht. „Ich glaubte dieser Erzählung sofort“, sagte Ehrlich zu diesem Bericht, den er auf März 1942 oder kurz danach datierte. „Für mich stand jetzt fest, dass etwas zu geschehen habe, damit wir überleben könnten.“89 Viele seiner Kommilitonen hätten das nicht glauben können. „Im Gegensatz zu meinen Schulkollegen glaubte ich, was ich hörte. Für mich war es eine Bestätigung, eine Tatsache.“90 Wahrscheinlich habe es gestimmt, dass man in Berlin zumindest bis Januar 1943 nichts von Auschwitz und einem systematischen Mord an den Juden wusste. Um
86 Vgl. Fehrs, Jörg H.: Von der Heidereutergasse zum Roseneck. Jüdische Schulen in Berlin 1712–1942. Berlin 1993. S. 220. 87 Strauss, Herbert A.: Über dem Abgrund. Eine Jugend in Deutschland 1918–1943. Frankfurt am Main 1997. S. 155. 88 Strauss (wie Anm. 87), S. 201. 89 Vogel (wie Anm. 19), S. 50. 90 Battel (wie Anm. 6), S. 334.
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die Umstände, unter denen er mit den Nachrichten aus Polen konfrontiert wurde, noch einmal zu bestätigen, stellte Ehrlich 1996 fest: Leonard Baker zitiert mich richtig wie folgt: ‚Ernst Ludwig Ehrlich dagegen erzählt, er habe von einer Hochschulangestellten – deren nichtjüdischer Schwager oft in Polen war – gehört, es gäbe in Polen Lager mit riesigen ,Becken‘, jedoch mit Gas statt mit Wasser gefüllt. ,Wir wussten es‘, sagt Ehrlich. ,Ich glaubte es‘. Aber er räumt ein: ‚Es war schwer, es zu glauben!‘ Dieses Zitat stimmt, nur geht daraus klar hervor, dass von Auschwitz oder sonst einem Lager nicht die Rede war, sondern allgemein nur von Polen.91
Im Juni 1942 wurde die Lehranstalt von den Nationalsozialisten geschlossen. Kurz vorher hatte Ehrlich noch sein Zwischenexamen als akademischer Religionslehrer und Prediger ablegen können. In seiner Funktion als Präsident der Reichsvereinigung trug Baeck seinen früheren Studenten unter anderem auf, Deportationsbescheide zu überbringen. Ehrlich erhielt seiner Erinnerung nach drei dieser Bescheide zur Weiterleitung: „Der eine galt einem Baron Bleichröder, der nur ironisch lachte und erklärte, seine Familie sei längst nicht mehr jüdisch.“ Im Berliner Adressbuch von 1942 ist ein Edgar von Bleichröder verzeichnet. Der Historiker Fritz Stern fand im Archiv des deutschen Innenministeriums ein Schreiben vom 7. Januar 1942, in dem Edgars Bruder Curt von Bleichröder um die Befreiung von der Pflicht, den Davidsstern zu tragen, und um Anerkennung als Arier ersuchte. Er berief sich dabei auf seine Verdienste an der Front während des Ersten Weltkrieges. Das Schreiben beendete er mit „Heil Hitler“.92 Curt (eigentlich Kurt Wilhelm Albert) von Bleichroeder glückte im September 1942 die Flucht in die Schweiz. Den zweiten Empfänger traf ich nicht an, ein älteres jüdisches Dienstmädchen nahm das Schreiben entgegen und erhängte sich in derselben Nacht. Als ich davon hörte, beschloss ich, mich in Zukunft zu weigern, solche Briefe zu verteilen. Baecks Sekretärin gab mir wiederum einen Stoß Briefe, den ich dann aber ablehnte, was sie unverzüglich Baeck meldete. Darauf ließ mich Baeck zu ihm kommen. Ich teilte ihm meinen Entschluss mit, und die Sache war erledigt.93
Dieses letzte Treffen fand wenige Tage vor Baecks eigener Deportation in der Kantstraße 158 statt, dem Sitz der Reichsvereinigung, die im Juni 1943 von den 91 Ehrlich, Ernst Ludwig: Leo Baeck – Rabbiner in schwerster Zeit. In: Homolka und Barniske (Hrsg.) (wie Anm. 10), S. 297; vgl. Baker, Leonard: Hirt der Verfolgten. Leo Baeck im Dritten Reich. Stuttgart 1982, S. 365. 92 Geremek, Bronislaw: Laudatio auf Fritz Stern anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels am 17. Oktober 1999. Geremek zitiert darin aus: Stern, Fritz: Gold and Iron. Bismarck, Bleichröder, and the Building of the German Empire. New York 1977. 93 Ehrlich, Ernst Ludwig: Leo Baeck – Rabbiner in schwerster Zeit. In: Homolka und Barniske (wie Anm. 10), S. 298f.
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Nationalsozialisten aufgelöst wurde. „Ich sagte ihm, ich sei bereits auf dem Weg in die Illegalität, und er billigte mein Verhalten. Ich bat ihn darum, irgendetwas zur Rettung meiner Mutter zu unternehmen. Freilich war diese Bitte eigentlich überflüssig, mir hätte klar sein sollen, dass er dazu gar nicht in der Lage war.“94 Rabbiner Leo Baeck wurde am 27. Januar 1943 in seiner Wohnung in Berlin-Schöneberg festgenommen und umgehend nach Theresienstadt deportiert. Von Baecks Studenten aus dem Jahre 1942 haben nur drei die Verfolgung überlebt: Neben Ehrlich waren dies sein Freund Herbert A. Strauss (1918–2005), der nach seinem nachgeholten Abitur neben der Zwangsarbeit als Straßenkehrer noch Lehrveranstaltungen an der Lehranstalt besuchte und mit dem er sich 1943 in die Schweiz retten konnte, sowie Wolfgang Hamburger (1919–2012). Peter Lewinski (Nathan Peter Levinson, geb. 1921) war zwar ebenfalls von 1940 an Hörer der Lehranstalt, konnte Berlin aber am 17. März 1941 zusammen mit seiner Familie verlassen und gelangte über Russland und Japan in die USA.95 Wolfgang Hamburger hatte sein Studium an der Berliner Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums im Herbst 1939 aufgenommen. Ab 1941 musste er Zwangsarbeit leisten, tauchte unter und überlebte in Stettin, wo ihn seine nichtjüdische Mutter nach Rücksprache mit Leo Baeck versteckt hatte. Nach der Befreiung 1945 nahm er dann 1946 als einer der ersten Studenten ein Studium an der wiedereröffneten Humboldt-Universität in Berlin auf und wirkte als Prediger der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, bis er 1947 schließlich in die USA auswanderte. Er studierte an der University of Cincinnati und am Hebrew Union College in Cincinnati und war Rabbiner der Ohev Sholom Congregation in Huntington, West Virginia. 2004 schenkte Hamburger dem Jüdischen Museum Berlin seine Ausgabe von Leo Baecks Aufsatzsammlung „Aus drei Jahrtausenden. Wissenschaftliche Untersuchungen und Abhandlungen zur Geschichte des jüdischen Glaubens“, die der Berliner Schocken-Verlag im Jahr 1938 mit Zustimmung der Gestapo veröffentlich hatte; Unmittelbar nach Erscheinen des Bandes zog die Gestapo diese Zustimmung jedoch wieder zurück, so dass fast die gesamte Auflage eingestampft werden musste. Hamburger Namenszug im Buch ist mit „12. März 1942“ datiert. Nur einige wenige weitere Exemplare, die noch vor dem Verbot ins Ausland gelangt waren, überdauerten in Bibliotheken in den USA, in Jerusalem und Kopenhagen. Hamburger starb am 20. März 2012 in St. Joseph, Missouri, USA.
94 Ehrlich, Ernst Ludwig: Leo Baeck – Rabbiner in Schwerster Zeit. In: Homolka und Barniske (wie Anm. 10), S. 299. 95 Vgl. Levinson, Nathan Peter: Ein Ort ist, mit wem du bist. Lebensstationen eines Rabbiners. Berlin 1996. S. 53–70.
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3.3 Zwangsarbeit Die Rekrutierungswelle von Juden zur Zwangsarbeit, die im Oktober 1940 im gesamten Reichsgebiet einsetzte, betraf vor allem auch Berlin. Jüdische Männer und Frauen wurden vermehrt in der Industrie eingesetzt, und zwar getrennt von sogenannten „Ariern“. Die Zwangsarbeit deutscher Juden im Altreich wurde allerdings erst am 3. Oktober 1941 mit der „Verordnung über die Beschäftigung von Juden“ legalisiert. Am 20. August 1941 hatte Hitler seine Zustimmung zur Einführung des „Gelben Sterns“ im Deutschen Reich gegeben, woraufhin Reichspropagandaminister Joseph Goebbels ein Muster entwarf; das Reichsinnenministerium und das Reichssicherheitshauptamt formulierten eine entsprechende Polizeiverord nung zum Tragen eines „Judensterns“, die zum 19. September 1941 in Kraft trat. Die etwa 200.000 auf deutschem Reichsgebiet verbliebenen Juden, die älter waren als sechs Jahre, mussten fortan in der Öffentlichkeit auf der linken Brustseite ihrer Kleidung einen sechszackigen gelben Stern mit der Aufschrift „Jude“ tragen. Vom 13. März 1942 an wurden auch von Juden bewohnte Wohnungen mit einem Davidstern gekennzeichnet. Diese Kennzeichnungspflicht war in den kumulativen Maßnahmen zur Einschränkung des jüdischen Lebensbereiches ein Höhe- und Wendepunkt. Hans Mommsen bemerkt dazu: „Mit dem Verschwinden der jüdischen Bürger aus dem Gesichtsfeld der ‚Volksgenossen‘ trat deren Existenz aus dem öffentlichen Bewusstsein fast völlig zurück – bezeichnenderweise bewirkte die Kennzeichnung vom September 1941, dass Juden überhaupt wieder wahrgenommen wurden.“96 In einem Nachruf von Kerstin Decker auf HansOskar Baron Löwenstein de Witt (1926–2004) heißt es im Berliner Tagesspiegel zu dieser Kennzeichnung: „In der letzten Stunde hatten sie Deutsch bei Herrn Levin. Die Klasse las Rilkes Gedicht ‚Herbsttag‘. Es war der 18. September 1941. Am Stundenende las Herr Levin ‚Herbsttag‘ noch einmal. Und dann sagte er, dass keiner vergessen dürfe, morgen den Stern zu tragen.“97 Löwenstein de Witt besuchte damals die Joseph-Lehmann-Schule der Jüdischen Reformgemeinde in der Joachimsthaler Straße. Im Oktober 1941 setzten die ersten Deportationen von Berliner Juden und Jüdinnen mit Sonderzügen der Reichsbahn ein; unter den Personen, die bis zum
96 Mommsen, Hans: Das NS-Regime und die Auslöschung des Judentums in Europa. Göttingen 2014. S. 113. 97 http://www.tagesspiegel.de/wirtschaft/unternehmen/hans-oskar-baron-loewenstein-dewitt/563956.html (07.10.2014).
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5. November 1941 in das Getto Lietzmannstadt (Łodz) verschleppt wurden, befanden sich auch 4.187 Berliner und Berlinerinnen.98 Am 20. Juni 1942 wurde die Reichsvereinigung dazu angehalten, ihr seit 1939 separat organisiertes Schulwesen mit Wirkung zum 30. Juni 1942 einzustellen. Dies betraf auch die Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums. Die Studierenden wurden ebenso wie alle übrigen Schüler ab 14 Jahren den Arbeitsämtern zum Zwangseinsatz gemeldet. Ernst Ludwig Ehrlich wurde auf dem Arbeitsamt in der Fontanepromenade zur Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik (D.W.M.) in Borsigwalde zwangsverpflichtet, einem Werk des Quandt-Konzerns, das während des Krieges vor allem Flammenwerfer, Geschosse und Gewehrpatronen herstellte und dafür fast 4.000 Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen beschäftigte. In den Gebäuden am Eichborndamm 103–127 befindet sich heute das Berliner Landesarchiv. Unter den Zwangsarbeitern dort war auch Löwenstein de Witt. Als einer der wenigen jungen Männer in seiner Gruppe wurde Ehrlich vom Vorarbeiter als Hilfsdreher angelernt; die Arbeit an der Drehbank wurde mit 90 Pfennig pro Stunde etwas besser bezahlt als andere Tätigkeiten. Ehrlich berichtete 1959, dass er für einige Monate an der Drehbank gearbeitet hatte und dass die Arbeitszeit von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends in der Tagesschicht dauerte, in der Nachtschicht von 6 Uhr abends bis 6 Uhr morgens. „Juden wurden auch manchmal sonntags zur Arbeit geholt. Die Arbeiter denunzierten gelegentlich die Juden, die dann sofort deportiert wurden. Als ich eines Tages infolge völliger Übermüdung nicht ganz vorschriftsmäßig mit meiner Drehbank umging, wurde ich zum Personalchef bestellt, der mich der Gestapo ausliefern wollte. Es gelang mir jedoch, ihn von diesem Vorhaben abzubringen.“ Diana Schulle weist in ihrem Aufsatz zur Zwangsarbeit darauf hin, dass es den deutschen Juden schnell klar geworden sei, dass nur Beschäftigung sie davor schützen konnte, deportiert zu werden, und zitiert dazu einen Augenzeugenbericht von 1942, in dem auch von dem von Ehrlich erwähnten Arbeitsamt in der Fontanepromenade die Rede ist: „Das jüdische Arbeitsamt in der Rosenstraße stand […] in steter Verbindung mit dem Arbeitsamt in der Fontanepromenade, und hatte oft, bevor noch die Gefahr der Evakuierung drohte, an Juden […] die Frage gerichtet, ob sie arbeiten und welche Arbeiten sie wohl verrichten können.“99
98 Vgl. Gruner, Wolf: Judenverfolgung in Berlin 1933–1945. Eine Chronologie der Behördenmaß nahmen in der Reichshauptstadt. Hrsg. von der Stiftung Topographie des Terrors. 2. Aufl. Berlin 2009. S. 139, 147. 99 Schulle, Diana: Zwangsarbeit. In: Meyer, Beate und Hermann Simon: Juden in Berlin 1938– 1945. Berlin 2000. S. 153.
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In seinem Bericht erwähnt Ehrlich allerdings auch einen Vize-Meister, der sich nach Kräften jüdischer Zwangsarbeiter angenommen und sie so weit wie möglich in seinen Bereich gezogen habe, um sie so der schlechten Behandlung von Seiten der anderen zu entziehen. Ehrlich wurde zunächst zur Kontrollgruppe eingestellt, in der zumeist Frauen arbeiteten und in der Geschützhülsen geprüft werden mussten. Später musste er ölige Geschützhülsen waschen. Ihm wurde langsam deutlich, dass seine Tätigkeit in der Rüstungsindustrie ihn auf Dauer nicht vor der Deportation bewahren würde: „Mir fiel allmählich auf, dass immer mehr Russinnen in der D.W.M. beschäftigt wurden. Diese waren vollkommen zerlumpt, wir konnten auch manchmal beobachten, dass sie ein völlig unzureichendes Essen bekamen. Es handelte sich um zwangsverpflichtete Russinnen. Ihre vermehrte Einstellung stimmte mich nachdenklich, zumal offenbar beabsichtigt war, Juden durch Russinnen zu ersetzen.“100 Eva Ehrlich und ihr Sohn wohnten zu dieser Zeit in der Levetzowstraße 9 in Berlin-Moabit gegenüber der früheren Gemeindesynagoge, die seit Oktober 1941 auf Anordnung der Gestapo als Sammellager für zur Deportation bestimmte Juden diente. Ihre Wohnung in der Windscheidstraße hatten die beiden im Zuge der von Generalbauinspektor Albert Speer angeordneten Räumung von „Judenwohnungen“ 1941 aufgeben müssen. Bemerkenswerterweise war ihnen ihre frühere Hausangestellte Emma Haamel in die sogenannte Judenwohnung in Moabit als Mitbewohnerin gefolgt.101 „Ich begann“, so Ehrlich, „mir zu überlegen, wie ich der Deportation entgehen könnte. Dies war nur möglich, wenn ich in Ruhe alle Vorbereitungen dazu traf. Die Voraussetzung dafür bestand jedoch darin, dass ich mich der Zwangsarbeit entzog.“ In dieser Zeit festigt sich auch die Freundschaft mit seinem Kommilitonen Herbert A. Strauss: „Um die Verbindung zueinander aufrechtzuerhalten und über Kontakte informiert zu sein, die für das aktuell Wichtige und Nötige entscheidend waren, traf ich mich des öfteren mit einigen der Männer (keine Frauen!), die wie wir in den Untergrund gegangen waren“, berichtete Strauss in seiner Biographie. „Einer von ihnen war Lutz. Wir hatten uns an der Hochschule miteinander angefreundet und festgestellt, dass wir uns, obwohl wir sehr verschieden waren, gut ergänzen. 1942, wahrscheinlich noch bevor wir ‚untertauchten‘, waren Lotte [Kahle] und ich mit ihm zusammen an dem Versuch beteiligt gewesen, seiner Mutter das Leben zu retten, indem wir ihr halfen, einen Selbstmord vorzutäuschen.“102 Dies geschah, als Eva Ehrlich im Haus Levetzowstraße 9 abgeholt und zum Sammelpunkt in der Nachbarschaft, dem Synagogengebäude 100 Ehrlich, Ernst Ludwig: Illegales Leben. S. 3. 101 Vgl. Vogel (wie Anm. 19), S. 50. 102 Strauss (wie Anm. 87), S. 255.
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gegenüber, gebracht werden sollte. Sie wurde nach der Einnahme einer Überdosis Schlafmittel ins Jüdische Krankenhaus in der Iranischen Straße gebracht und wieder nach Hause entlassen. Selbstmorde als Ausflucht vor der Deportation waren gang und gäbe. So soll es an einem einzigen Tag im Oktober 1941 bei Beginn der Deportationen in Berlin 280 Suizide von Juden und Jüdinnen gegeben haben.103 Ehrlich täuschte einen Arbeitsunfall vor, verletzte sich selbst mit Säure und setzte so durch, dass er arbeitsunfähig geschrieben wurde. Als die Brandwunden geheilt waren, behauptete er zur Verlängerung seiner Arbeitsunfähigkeit eine schwere Entzündung der Krampfadern. Durch einen bestechlichen Personalsachbearbeiter der D.W.M. erwarb er zudem den alten Werksausweis eines ehemaligen „arischen“ Arbeiters, mit dessen Hilfe er wiederum zu einem gültigen Postausweis gelangte: „.Ich ging mit diesem Ausweis auf das für den ehemaligen Arbeiter namens Adolf Werner zuständige Postamt und beantragte die Ausstellung eines Postausweises. Der Postbeamte hatte schwerste Bedenken, da der Ausweis ihm keinen Vertrauen erweckenden Eindruck machte. Als er sich schließlich bereit erklärte, mir den gewünschten Postausweis auszustellen, machte er jedoch die Bedingung, dass er ihn mir nicht aushändigen, sondern durch den Briefträger zustellen lassen werde. In einem sehr barschen Ton erklärte ich ihm, dass meine gesamte Familie sich im totalen Kriegseinsatz befände und ich sehr erstaunt darüber wäre, wie wenig er als deutscher Beamter die Zeichen der Zeit verstanden hätte. Mein unverschämter Ton machte auf den Beamten Eindruck und trotz sichtlich schwerster Bedenken gab er mir schließlich den Ausweis.“ Dieser Wagemut, eine Mischung aus Kalkül und Intuition, den Ehrlich an den Tag legte, zeichnete sein Verhalten auch in den folgenden Monaten aus. „Das war zwar gefährlich, aber man war damals jung und hat Dinge getan, die man als älterer Mensch nicht getan haben würde.“104 Immer mehr Juden wurden deportiert, und es war abzusehen, dass auch jene an die Reihe kommen würden, die wie Ehrlich noch in der Rüstungsindustrie tätig waren. Daher beschloss er, sich nach einem Versteck umzusehen. Er war jetzt auf sich selbst gestellt und auf fremde Helfer angewiesen. „Wir hätten diese Zeit nicht durchgestanden und überlebt, wenn uns nicht Freunde, Bekannte und Fremde im Kleinen und Großen zur Seite gestanden hätten“, resümierte Herbert Strauss in seinen Jugenderinnerungen. „Mit dem Ende unserer ‚legalen‘ Existenz waren mit einer einzigen Ausnahme alle meine Beziehungen zu Kommilitonen abgebrochen, von so engen Freundschaften, wie sie mich mit Ruth [Basinski, Anm. d. 103 Wolf (wie Anm. 98), S.147. Vgl. auch: Fischer, Anna: Erzwungener Freitod. Spuren und Zeugnisse von in den Freitod getriebener Juden der Jahre 1938–1945 in Berlin. Berlin 2007. 104 König/Ehrlich (wie Anm. 19), S. 19.
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Autors] oder Lutz verbanden, einmal abgesehen. Wenn unsere Gemeinschaft als Ganze je diesen Namen verdiente, so brach sie in dem Augenblick auseinander, als jeder auf seine Weise den Gefahren zu begegnen suchte.“105 Für Ernst Ludwig Ehrlich sollte in dieser Situation der Berliner Unternehmer Franz Schürholz zum rettenden Helfer werden.
105 Strauss (wie Anm. 87), S. 233f.
4 Überleben im Untergrund „Ja, er erschien eines Tages, ich weiß nicht wie und wo, bei mir und erzählte mir von seinen Schwierigkeiten“, berichtete Franz Schürholz um 1966/67 in seinem Gespräch mit Manfred Wolfson.106 „Mir imponierte dieser junge Mann, mit welchem Mut und mit welcher Lust zum Mut er sich durch verschiedene Situationen in Berlin so durchgeschlagen hatte. Und so kamen wir uns näher, ich sah es sehr schnell als meine Aufgabe an, ihm zu helfen.“ Im Rahmen des Forschungsprojekts „Rettung von Juden im nationalsozialistischen Deutschland“ (1997–2002, am Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin) wurden laut Beate Kosmala 3.000 Namen und Geschichten von Frauen und Männern ermittelt, die nachweislich an der Rettung verfolgter Juden beteiligt waren – ein Großteil dieser Namen stammt aus einer vergessenen Aktensammlung des schon genannten Berliner Innensenators Joachim Lipschitz (1918–1961), auch er ein aus „rassischen Gründen“ Verfolgter. Er wollte Berliner Bürger, die im Dritten Reich Juden geholfen hatten, als „unbesungene Helden“ auszeichnen und den Bedürftigen unter ihnen eine Ehrenrente verschaffen. Im Rahmen dieser Initiative, die von 1958–1966 umgesetzt wurde, gingen etwa 1.500 Anträge ein, 736 davon wurden anerkannt.107 Die Unterstützung, die Ernst Ludwig Ehrlich 1943 von dem ihm zuvor unbekannten Helfer erfuhr, fand in dieser Ehrungsinitiative keine Erwähnung, was darin begründet sein mag, dass dieser nach Kriegsende seinen Wohnsitz nicht mehr in West-Berlin hatte und daher nicht die Voraussetzungen für eine Ehrung durch den Senat erfüllte. Dr. Franz Schürholz (1894–1987) stammte aus Hervest-Dorsten in Westfalen, hatte nach dem Ersten Weltkrieg, an dem er als Freiwilliger teilgenommen hatte, in Köln Staatswissenschaft und Volkswirtschaft studiert und 1922 bei Leopold von Wiese über „Die soziale Bedeutung des berufsständischen Gedankens in der Gegenwart“ promoviert. Der Diplom-Volkswirt, der 1925 Leiter des Arbeitsausschusses für Berufsbildung im Reichsverband der Deutschen Industrie wurde und eine Reihe wissenschaftlicher Arbeiten veröffentlichte, darunter „Die Grundlagen einer Wirtschaftspädagogik“ (1928), stand dem katholischen Zentrum nahe, galt nach 1933 wegen seines politischen Engagements als gefährdet und gründete eine eigene Kokosmattenweberei. Schürholz wurde nach Kriegsbeginn von der Wehrmacht eingezogen und nach einem Kriegsgerichtsverfahren wegen „defätistischer Äußerungen“ 1942 aus gesundheitlichen Gründen aus der Armee
106 Die Transkription findet sich im Bestand der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand. 107 Vgl. Riffel, Dennis: Unbesungene Helden. Die Ehrungsinitiative des Berliner Senats 1958 bis 1966. Berlin 2007.
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entlassen. Zusammen mit seiner zweiten Ehefrau Berna versuchte Schürholz auch schon vor seiner Begegnung mit Ehrlich jüdischen Freunden zu helfen.108 Dr. Georg R. Israel (geb. am 13. Juli 1897 in Berlin), der den Kontakt zu Schürholz herstellte, war der Vater eines Freundes von Ernst Ludwig Ehrlich und lebte in der Neidenburger Allee 7 in Charlottenburg, ganz in der Nähe von Franz Schürholz, wo er 1950 auch wieder als Rechtsanwalt und Notar praktizierte. Simone Ladwig-Winters hat recherchiert, dass Israels Ehefrau Erna geb. Schäfer als „arisch“ galt; Israel wurde im Frühjahr 1933 mit Berufsverbot belegt, war Ladwig-Winters zufolge nach Angaben seiner Tochter vom November 1943 bis zum April 1945 inhaftiert und emigrierte danach nach Santiago de Chile, von wo aus er schließlich nach Berlin zurückkehrte. In Ehrlichs Zürcher Nachlass findet sich ein Photo, das das Ehepaar Israel in den 1970er Jahren zeigt. Sein Todesdatum ist nicht bekannt.109 Ehrlich beschrieb seine erste Begegnung mit Schürholz, den er als Nazigegner und fortschrittlichen, politisch aktiven Katholiken bezeichnete, der mit vielen führenden Katholiken der damaligen Zeit bekannt und befreundet gewesen sei, im Rückblick so: Ich traf ihn in der Nacht des 26. Februar in seiner Wohnung [in der Neidenburger Allee 46]. Die Unterhaltung mit ihm war sehr anregend und wesentlich für uns beide. In dieser Nacht begann unsere Lebensfreundschaft. Er erklärte sich bereit, mich aufzunehmen und auch für meine Mutter ein Quartier zu suchen.110
Ehrlich teilte seiner Mutter nachts noch mit, dass sie jetzt ein Quartier hätten, dass ihre Rettung bevorstünde und Schürholz ihnen helfen würde. Sie ließ sich aber nicht davon abbringen, am nächsten Morgen zur Arbeit zu gehen, wo sie dann im Zuge der Großrazzia aufgegriffen und in eines der Deportationszentren gebracht wurde.111 „Ich habe vergeblich versucht, etwas über das Schicksal meiner Mutter zu erfahren, auch die Leute von der jüdischen Gemeinde konnten mir nichts sagen“, berichtete er Vogel. Nach dem Krieg habe ich in den Akten des Oberfinanzpräsidenten den von ihr mit zittriger Schrift ausgefüllten Bogen gesehen; das letzte, was ich von ihr gesehen habe. Die Trans-
108 Vgl. die Kurzbiographie von Franz Schürholz in der Gedenkstätte Stille Helden in der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand. 109 Ladwig-Winters, Simone: Anwalt ohne Recht. Das Schicksal jüdischer Rechtsanwälte nach 1933. Berlin 1998. S. 147. 110 Vogel (wie Anm. 19), S. 53. 111 Eva Ehrlich war Zwangsarbeiterin bei der metallverarbeitenden Firma Krone & Co., Fabrik elektrotechnischer Apparate, Berlin-Baumschulenweg.
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porte vom 28. Februar bis 6. März, das konnte man feststellen, sind sofort ins Gas nach Auschwitz gekommen.112
Ein silberner Serviettenring mit dem Monogramm seiner Mutter sollte den Sohn bis zu seinem Tod im Oktober 2007 als Erinnerungsstück begleiten. Vergleicht man die Geschichte von Ernst Ludwig Ehrlich mit den Biographien anderer Berliner Juden, die wie er Zwangsarbeit leisten mussten, so wird deutlich, dass drei Entscheidungen nötig waren, um sich selbst eine Überlebenschance zu eröffnen. Marie Jalowicz Simon etwa entzog sich der Zwangsarbeit bei Siemens, legte den gelben Stern ab und beschloss unterzutauchen. Ganz anders Kurt Fischer (1910–1943), dessen spärlichen erhaltenen biographischen Informationen Indra Hemmerling zusammengetragen hat.113 Fischer musste wie Ehrlich Zwangsarbeit bei der Deutschen Waffen- und Munitionsfabrik in Borsigwalde leisten. Im Oktober 1942 erlebte er mit, wie der 68jährige Max Schwarz und dessen Tochter Ruth Manasse aus der gemeinsamen Wohnung in der Schönhauser Allee 113 deportiert wurden. Die sogenannte Fabrik-Aktion Ende Februar machte dem 41-Jährigen wohl deutlich, dass seine Situation in Berlin aussichtslos geworden war und dass selbst die Zwangsarbeit in einem kriegswichtigen Betrieb keinen Schutz vor der Deportation mehr bot. Er beging am 1. März 1943 Selbstmord.
4.1 Unterschlupf bei christlichen Helfern Franz Schürholz nahm Ernst Ludwig Ehrlich in seinem Büro in der Markgrafenstraße/Ecke Lindenstraße in Kreuzberg auf und versorgte ihn dort auch mit Essen. Nachdem die Anwesenheit eines Fremden in dem Bürohaus bemerkt worden war, gelang es Schürholz, Ehrlich bei einem ebenfalls „links-katholischen“ Freund in Schöneberg in der Nähe des Bayerischen Platzes unterzubringen. Dazu Ehrlich: „Zwischen März und Juni 1943, als ich Berlin verließ, erlebte ich lediglich eine schwierige Woche. Ich kam so zu dem mit Herrn Schürholz befreundeten Ehepaar Fütterer, die mir nach Möglichkeit auch zu essen gaben, bei denen ich es sehr gut hatte.“ Das Berliner Adressbuch von 1942 weist einen Karl Fütterer in der Innsbrucker Str. 6 auf. Der Kaufmann Dr. Karl Fütterer war für einen Industrieverband tätig; der gebürtige Westfale hatte wie sein Freund Schürholz dem links-katholischen „Zentrum“ angehört. Die Zentrumspartei hatte sich auf Druck der Natio nalsozialisten am 5. Juli 1933 als letzte der so genannten bürgerlichen Parteien selbst aufgelöst. Die „links-katholischen“ Zentrumsanhänger, auf die Ehrlich 112 Vogel (wie Anm. 19), S. 53. 113 http://www.stolpersteine-berlin.de/de/biografie/6866 (07. Oktober 2014).
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traf, dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Partei, die sich nach dem November 1919 noch zu den Ergebnissen der Revolution und zum republikanischen Verfassungsstaat bekannt hatte, seit Mitte der 1920er Jahre zu einer stark konservativen und autoritären Politik tendierte. Offenbar standen weder Franz Schürholz noch das Ehepaar Fütterer mit den institutionalisierten Hilfsangeboten der Katholischen Kirche in Berlin in Verbindung. Jana Leichsenring erwähnt in ihrer Studie zu der Frage, wie die Katholische Kirche mit jenem Teil ihrer Gläubigen verfuhr, die die Nationalsozialisten zu „Juden erklärten und aus „rassischen Gründen verfolgten, weder diese Helfer noch Luise Meier oder Josef Höfler (siehe das Kapitel Das Fluchthilfenetzwerk um Luise Meier [Berlin]). Leichsenring macht vielmehr deutlich, dass die Angebote des Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat in Berlin ohnehin nur der Seelsorge für „katholische Nichtarien“ galten, also getauften Christen jüdischer Herkunft: „Leben zu retten betrachtete das Hilfswerk hingegen nicht seine Aufgabe, obgleich die deutschen Bischöfe genaue Informationen über die Judenverfolgun gen und die Deportationen besaßen.“114 Auch die frühere Hausangestellte der Ehrlichs nahm den jungen Mann, den sie von klein auf kannte, nach der Auflösung der Wohnung für einige Nächte auf; Emma Haamel wohnte damals bei einer Cousine in der Windscheidstraße in Charlottenburg. „Die Treue dieses herzensguten und lebensklugen Menschen wiegt schwerer als die Gemeinheit und der Opportunismus vieler sogenannter Gebildeter“, urteilte Ehrlich 1984.115 Eine Hilfe waren für ihn auch die kleinen Gesten der Aufmerksamkeit im Alltag. Ein Beispiel: Ich erinnere mich, dass ich den Judenstern doch einmal trug, als ich mit der Berliner S-Bahn fuhr. In den fast leeren Wagen kam eine Schaffnerin, trat auf mich zu und sagte ‚Judenschweine haben hier nicht zu sitzen. Stehen Sie auf!‘ Und ich stand auf. Ein Wehrmachtsangehöriger, der die Szene mitbekommen hatte, deutete mir an, ich sollte mich neben ihn setzen – was ich aber nicht tat. Diese Situation war nicht untypisch: auf der einen Seite das üble Verhalten der Schaffnerin, auf der anderen Seite der Mut und der Anstand des Obergefreiten.116
Ehrlich verbrachte im Frühling 1943 viel Zeit im Freien, um seinen Helfern nicht zur Last zu fallen. „Ich ging spazieren, fuhr an den Wannsee zum Schwimmen, ging ins Kino oder trieb mich sonst wie herum.“117 Er machte das Beste aus seiner 114 Jana Leichsenring: Die Katholische Kirche und „ihre Juden“. Das „Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin“ 1938–1945. Berlin 2007. 115 Vogel (wie Anm. 19), S. 54. 116 Vogel (wie Anm. 19), S. 64. 117 Vogel (wie Anm. 19), S. 55.
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Situation: „Zwei Abende später“, heißt es etwa bei Herbert A. Strauss in einem Rückblick vom Juli 1943, „hatte uns Lutz Karten für Shaws ‚Heilige Johanna‘ besorgt [wohl im Preußischen Staatstheater am Gendarmenmarkt, Anm. d. Autors], mit Käthe Gold, die ganz ergreifend und überzeugend war.“ Bei Strauss ist für den Frühling 1943 auch davon die Rede, dass man „in einigermaßen leidliche Restaurants gegangen sei, um nicht kochen zu müssen.“118 Aus einem Brief, den Ehrlich am 21. Juli 1945 aus Basel an Schürholz schrieb, geht hervor, dass er sich im Nachhinein durchaus bewusst war, dass er sich in den Monaten, in denen er in dessen Büro unterkommen konnte, nicht immer besonders geschickt angestellt hatte: „Erinnern Sie sich noch, wie unpraktisch ich einst in Berlin war. Ich ertüchtige mich jetzt hier gewaltig und habe in praktischen Dingen schon sooo viel gelernt!“ Ehrlich erkannte bald, dass er als unversehrter junger Mann in Zivil im Straßenbild auffallen musste. Er war mit seinen zweiundzwanzig Jahren genau in dem Alter, in dem andere zum Wehrdienst eingezogen wurden. „Und in den Monaten März bis Juni 1943 […] gab es bereits nicht wenige Deserteure. Es war nach Stalingrad119, und es war während, beziehungsweise nach dem Rückzug aus Nordafrika. […] Ich hatte eigentlich nie Angst, als Jude entdeckt zu werden, aber ich hatte große Angst davor, dass man meine Papiere daraufhin überprüfen könnte, ob ich nicht vielleicht ein Deserteur wäre.“120 Auch andere untergetauchte Juden wussten um die Bedeutung einer Uniform. So griff Ehrlichs früherer Mitschüler Gerd Wilhelm Ehrlich, der sich am 9. Oktober 1943 in die Schweiz retten konnte, kurz vor seiner Flucht zur Tarnung auf eine Hitlerjugend-Uniform zurück.121 In seinem Bericht für die Wiener Library beschrieb Ernst Ludwig Ehrlich 1959, wie er während seiner Spaziergänge in der Nähe seines Quartiers die Verwaltungsstelle des Deutschen Roten Kreuzes entdeckte und sich als wegen seiner technischen Kenntnisse bei der D.W.M. dienstverpflichteter Student ausgab, der infolge einer Schusswunde am Bein, die er im Polen-Feldzug erlitten habe, für die Armee untauglich sei; um sich ganz seinem Vaterland widmen zu können, wolle er neben seinen Schichtdienst bei der D.W.M. vormittags gerne ohne Entschädigung beim Deutschen Roten Kreuz arbeiten. „Man stellte mich dort ein, und ich hatte mein Ziel erreicht: ich erhielt einen Hausausweis sowie die Möglichkeit, in der Kantine zu essen, gleichzeitig fiel ich meinen Freunden wenigstens am 118 Strauss (wie Anm. 87), S. 289. 119 General Friedrich Paulus hatte am 31. Januar 1943 mit seinen ihm verbliebenen Einheiten nach der Schlacht von Stalingrad kapituliert. 120 König/Ehrlich (wie Anm. 19), S.21. 121 Vgl. Wyden, Peter: Sonst kommst Du nach Auschwitz. Stella – eine Jüdin auf Judenjagd für die Gestapo im Berliner Untergrund (II). In: DER SPIEGEL 44/1992 (26.10.1992).
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Vormittag nicht mehr zur Last.“ Ehrlich bearbeitete die Bücherwünsche deutscher Kriegsgefangener in Australien und Kanada; unter seinen Mitarbeiterinnen waren zwei Frauen, die aus ihrer Abneigung des Nationalsozialismus ihm gegenüber kein Hehl machten, nämlich Inge Bleyle, „die geschiedene Ehefrau eines jüdischen Textilfabrikanten“ und frühere Lebensgefährtin von Generaloberst Ernst Udet, der sich 1941 das Leben genommen hatte, sowie Gräfin Welczek, die Schwiegertochter des letzten deutschen Botschafters in Paris, die „durch ihren Mann katholisch gebunden“ war.122 Ehrlich fiel durch seine Fragen nach einer Uniform und nach einem Wehrpass auf, wurde ins Wehrkreiskommando bestellt und beschloss, sich vom Deutschen Roten Kreuz abzusetzen. „Ich wartete ab, bis sämtliche Angestellten beim Mittagessen waren, dann packte ich Briefpapier und Stempel des Roten Kreuz ein und verschwand.“
4.2 Der Passfälscher Cioma Schönhaus Trotz seines Rote-Kreuz-Ausweises fehlte Ehrlich noch immer ein Ausweisdokument der Deutschen Wehrmacht. Er nutzte die Gelegenheit, an einem Sonnabendnachmittag in die unbewachte Wehrmachtsdienststelle für das Kriegsgefangenenwesen in der Badischen Straße in Wilmersdorf einzudringen und im Büro des ihm von der Kriegsgefangenenbetreuung namentlich bekannten Major Clement Stempel und Schreibpaper des Oberkommandos der Wehrmacht an sich zu nehmen. Eine Sekretärin, die kurz darauf auf ihn aufmerksam wurde und ihm mitteilte, dass am Sonnabendnachmittag in der Dienststelle nicht gearbeitet werde, brüskierte Ehrlich seiner Erinnerung nach mit den Worten: „Wie bitte, Sie arbeiten am Sonnabendnachmittag nicht für Führer, Volk und Vaterland? Ich habe gedacht, Sie arbeiten für den Sieg!“123 Dank des ihm eigenen Wagemuts konnte sich Ehrlich mit den entwendeten Unterlagen nun Schriftstücke ausstellen, nach denen er beim Deutschen Roten Kreuz tätig und mit dem Einsatz von Kriegsgefangenen in der deutschen Industrie betraut war. „Für Berlin mochten diese meine Papiere zur Not ausreichen, für eine Flucht aus Berlin aber genügten sie jedoch nicht“, resümierte Ehrlich 1959. Über seinen Freund Herbert Strauss gelang es ihm im Juni 1943 schließlich, zu einem Blanko-Ausweis zu kommen, ausgestellt durch den Reichsminister für Bewaffnung und Munition. Strauss hatte den ehemaligen Staatsanwalt Dr. Rudolf Caspary (1893–1944) und den Juristen Dr. Franz Kaufmann (1886–1944) durch seine Lebensgefährtin Lotte Kahle geb. Schloss kennengelernt; beide 122 Gemeint ist Sigrid von Laffert. 123 Zitiert nach Battel (wie Anm. 6), S. 336.
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waren Christen, galten aber wegen ihrer jüdischen Herkunft als „Volljude“ beziehungsweise als „privilegiert“.124 Die zwei Ausweise waren allerdings ohne Dienststempel. „Wir gaben ihm [Caspary] freiwillig dafür 50 Mark, damit er damit andern Juden helfen konnte“, erinnerte Ehrlich sich 1959 und fuhr fort: „Diesen [Ausweis] ließen wir uns von einem jüdischen Graphiker, der ebenfalls illegal in Berlin lebte, nach einer Vorlage kunstgerecht anfertigen.“ Bei dem Graphiker handelte es sich um Samson „Cioma“ Schönhaus (geb. 1922); den Kontakt zu ihm stellte offenbar Franz Kaufmann her, der als Mitglied der Bekennenden Kirche zusammen mit Helene Jacobs ein Netzwerk aufgebaut hatte, das verfolgten Juden Unterkunft gewährte, sie mit Nahrungsmitteln unterstützte und ihnen mit den von Schönhaus Pässen zur Flucht verhalf.125 Karin Rudolph hat das Leben von Franz Kaufmann (1886–1944) nachgezeichnet. Als Sohn eines Rechtsanwalts jüdischer Herkunft getauft und evangelisch erzogen, studierte er Jura und arbeitete bis 1914 an Gerichten in Kiel und Berlin. Im Ersten Weltkrieg hoch dekoriert, gelangte er über verschiedene berufliche Stationen 1928 zum Reichssparkommissar, bis er im Dezember 1935 wegen seiner ‚rassischen Herkunft‘ aus dem Dienst ausscheiden musste. In der Folge intensivierte er seine Tätigkeit im Rahmen der Bekennenden Kirche (auch wenn er ihr formal erst 1943 beitrat) und kümmerte sich insbesondere um die Belange der „nichtarischen Christen“. Hieraus entwickelte sich mit Einsetzen der Deportationen 1941 eine illegale Tätigkeit, mit der Kaufmann und seine Helfer sich für untergetauchte Menschen einsetzten, vor allem durch die Beschaffung gefälschter Papiere und Lebensmittelkarten. Seiner Gruppe zuzuordnen sind – um nur die prominentesten Personen zu nennen – Helene Jacobs, Cioma Schönhaus und Gertrud Staewen. Kaufmann und eine Reihe seiner Helfer wurden im August 1943 von der Gestapo verhaftet. Er selbst wurde am 17. Februar 1944 in Sachsenhausen erschossen; die Sterbeurkunde wurde vom Standesamt Oranienburg ausgestellt.126 Caspary wurde am 9. März 1944 mit dem 50. Osttransport nach Auschwitz deportiert.127 Die russischen Eltern des Graphikers Samson „Cioma“ Schönhaus waren 1920 aus Minsk nach Berlin gekommen, nachdem sein Vater aus der Roten Armee desertiert war. Schönhaus wuchs zunächst im Berliner Scheunenviertel auf. Von
124 Vgl. Grossmann, Kurt R.: Die unbesungenen Helden. Menschen in Deutschlands dunklen Tagen. Berlin 1957. S. 81–85. 125 Vgl. Jacobs, Helene: Illegalität aus Verantwortung. Dr. Franz Kaufmann zum Gedächtnis. In: Unterwegs 3 (1947). Berlin 1947. S. 10–19. 126 Vgl. Rudolph, Katrin: Hilfe beim Sprung ins Nichts. Franz Kaufmann und die Rettung von Juden und „nichtarischen“ Christen. Berlin 2005. 127 Vgl. Strauss (wie Anm. 87), S. 282.
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Überleben im Untergrund
1924 bis 1925 hielt sich die Familie in der Nähe von Haifa im damaligen Palästina auf, kehrte aber dann nach Berlin zurück. 1940 besuchte er ein Jahr lang eine Kunstgewerbeschule. Von 1941 an musste er unter anderem in einem Rüstungsbetrieb arbeiten. Nach der Deportation seiner Eltern im Juni 1942 tauchte er in Berlin unter. In der Illegalität fertigte der Graphiker Schönhaus gefälschte Pässe für andere im Untergrund lebende Juden an, darunter für Ehrlich. Dabei arbeitete er mit Mitgliedern der Bekennenden Kirche zusammen, unter anderem mit dem Rechtsanwalt und Pfarrer Kurt Müller, der von 1938 bis 1942 bei Ehrlichs späterem Lehrer Karl Barth Theologie studierte und anschließend nach Deutschland zurückkehrte. Für die gefälschten Pässe erhielt Schönhaus von einem Helferkreis um den Juristen Franz Kaufmann Lebensmittelkarten, sodass er eine scheinlegale Existenz aufbauen konnte. Dafür benutzte er die Namen „Günther Rogoff“, „Peter Schönhausen“ und „Peter Petrow“. 1943 gelang Schönhaus die Flucht in die Schweiz, wo ihm der Theologe Karl Barth ein Stipendium vermittelte. An der Kunstgewerbeschule in Basel absolvierte er eine Ausbildung zum Graphiker und arbeitete später in diesem Beruf. Ehrlich kannte den Fälscher Schönhaus schon „von früher her“. Im Gespräch mit Franco Battel sagte er 1996: „Schönhaus war der Stempel-Spezialist. Er hat in meinem Ausweis Photo und Stempel angebracht. Der Ausweis lautete natürlich nicht auf meinen richtigen Namen, sondern auf Adolf Wagner. Hätte ich diesen Ausweis nicht gehabt, wäre eine Flucht bis an die Schweizer Grenze nicht denkbar gewesen.“128 Cioma Schönhaus gelangte später, am 4. Oktober 1943, auf demselben Weg wie Ehrlich und Strauss in die Schweiz und lebt heute in Basel. Seine Lebensgeschichte erschien 2004. Darin findet sich auch eine Selbstauskunft von Franz Kaufmann, in der dieser seine Gründe für seine Handlungsweise niederlegte: Durch die Verwurzelung in christlicher Auffassung und auch durch vorgerücktes Alter habe ich wohl ein verstärktes Gefühl für Not und Leid, das den Einzelnen mehr oder weniger unverschuldet trifft. Dadurch wurde ich, ohne es zu wollen, ein Anziehungs- und Sammelpunkt für jüdische Flüchtlinge. Sie ließen sich mit ihrem Vertrauen und ihrer Hoffnung, dass ich auch seelisch helfen könne, nicht abweisen. Meine Hilfe galt nicht den Juden, weil sie Juden waren, sondern weil sie Menschen waren in Nöten und Ängsten.129
128 Battel (wie Anm. 6), S. 336. 129 Schönhaus, Cioma: Der Passfälscher. Die unglaubliche Geschichte eines jungen Grafikers, der im Untergrund gegen die Nazis kämpfte. Frankfurt am Main 2004. S. 232.
5 Fluchtziel Schweiz Der am 18. August 1938 von der Schweiz verhängte Visumszwang für jüdische Deutsche kam einer kompletten Grenzsperrung gleich. Man übernahm dabei quasi die Definition der Nürnberger Gesetze130 und unterschied zwischen „arischen“ (etwa Deserteure) und „nichtarischen“ deutschen Flüchtlingen. Verfolgte Juden wurden nicht zu den „politischen“ Flüchtlingen gezählt, so dass man den Schein wahren und bei gleichzeitiger stringenter Flüchtlingspolitik politisches Asyl der Form nach tolerant gewähren konnte. Nach der Deportation der badischen Juden im Oktober 1940 und dem Wegfall der Fluchthilfe durch diese Gruppe waren jüdische Flüchtlinge bei dem Grenzübertritt im Bodenseegebiet nunmehr auf die Hilfe nichtjüdischer Deutscher angewiesen. Legale Reisepässe jüdischer Deutscher besaßen seit dem 5. Oktober 1938 – nach Verhandlungen mit der Schweiz – für das Ausland nur mit einem von der Passbehörde eingestempeltem „J“ Gültigkeit. Im August 1942 schloss die neutrale Schweizer Regierung schließlich ihre Grenze für jüdische Flüchtlinge und erklärte, Jüdinnen und Juden seien nicht politisch verfolgt, ein Asyl komme für sie nicht in Frage. Zumindest erwachsene jüdische Flüchtlinge sollten an der Schweizer Grenze abgewiesen werden. Wenn sie es aber schafften, illegal einzureisen, mussten sie mit ihrer sofortigen Rückstellung oder gar mit der Ausliefe rung an die SS rechnen. „Dies“, so Stefan Keller, „obwohl die Schweizer Behörden 1942 schon recht gut Bescheid darüber wussten, was mit den Juden und Jüdinnen im deutschen Machtbereich geschah und obwohl die Schweizer Presse zu jener Zeit über Deportationen ‚nach dem Osten‘ und über den ‚sicheren Untergang‘ der ‚verschwundenen‘ Juden und Jüdinnen berichtete. In der Tat orientierte sich die eidgenössische Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg mit wenigen Ausnahmen direkt am Rhythmus der nationalsozialistischen Rassenpolitik: Immer dann, wenn im Deutschen Reich oder in den besetzten Ländern neue antisemitische Maßnahmen ergriffen wurden, wenn die Verfolgung zunahm und sich Menschen davor zu retten versuchten, verschärfte die Schweiz ihre Asylbestimmungen.“131
Die Schweizer Abweisungspolitik ist in den vergangenen Jahren verstärkt zum Thema der Geschichtsforschung geworden. Diese Auseinandersetzung dürfte auch Folge des Gesetzes sein, das die Schweizer Regierung am 20. Juni 2003 annahm und das die Rehabilitierung von Personen regelt, die einst verurteilt wurden, weil sie zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgten Menschen zur Flucht 130 Das Reichsbürgergesetz und das „Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre“, beide vom 15. September 1935. 131 Keller, Stefan: Fluchthilfe. Nur die Erwischten sind bekannt. In: Die Wochenzeitung [Zürich] (01.09. 2005) 35.
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Fluchtziel Schweiz
verholfen hatten. Die wichtigsten Veröffentlichungen erschienen allerdings schon vor 2003, darunter „Die Schweiz und die Juden 1933–1945“ von Jacques Picard (Zürich 1997), „Die Rückkehr des J-Stempels“ von Georg Kreis (Zürich 2000), „‚Wo es hell ist, dort ist die Schweiz‘. Flüchtlinge und Fluchthilfe an der Schaffhauser Grenze zur Zeit des Nationalsozialismus“ von Franco Battel (Zürich 2000) sowie „Insel Schweiz. Hilfs- und Rettungsaktionen sozialistisch-zionistischer Jugendorganisationen 1939–1946“ von Heini Bornstein (Zürich 2000). Ehrlich äußerte sich 1996 in einem Interview dazu folgendermaßen: Die Flüchtlingspolitik im Zweiten Weltkrieg ist zutiefst unethisch und zweifellos von antisemitischen Bestrebungen beeinflusst gewesen. Als nämlich im Jahre 1943 italienische Soldaten in die Schweiz flüchteten, da war das Boot, das 1942 angeblich voll war, wie es sich um Juden handelte, 1943 gar nicht mehr voll, und Zehntausende wurden aufgenommen. Die Flüchtlingspolitik des Bundesrates – es hat wenig Sinn, einzelne Namen herauszuklauben, es war der Gesamtbundesrat – hatte mit christlicher Ethik nichts mehr zu tun, und wenn solche Leute sich auf das Christentum beriefen, wären sie Heuchler.132
5.1 Grenzwechsel: „Wo es hell ist, dort ist die Schweiz.“ Ihr unübersichtlicher Verlauf in Zickzack-Linien machte die Grenze in der Umgebung des badischen Dorfes Gottmadingen im Landkreis Konstanz zu einer der am besten geeigneten Übergangsstellen für eine Flucht in die Schweiz, ebenso die Tatsache, dass ihre Überschreitung hier nicht durch ein Hindernis wie den Rhein erschwert ist. Der erste schweizerische Ort, das Dörfchen Buch, liegt drei Kilometer entfernt. Ortsfremde Flüchtlinge liefen in den frühen 1940er Jahren allerdings gerade nachts Gefahr, den eidgenössischen Boden zu verfehlen und unversehens wieder auf deutsches Territorium zu kommen. So war Luise Meiers Hinweis „Wo es hell ist, dort ist die Schweiz“ für Strauss und Ehrlich eine wichtige Hilfe, denn im Kanton Schaffhausen bestand zwar ebenfalls eine Verdunkelungsvorschrift, doch diese wurde nicht durchweg eingehalten, auf dass alliierte Bomber nicht irrtümlich Schweizer Orte trafen. Die Schweiz leuchtete also. Insgesamt stammten von den 55.000 Zivilflüchtlingen, die zwischen 1933 und 1945 in die Schweiz gelangten, nur 2.592 Flüchtlinge aus dem deutschen Altreich, unter ihnen 1.404 Personen jüdischer Herkunft. Entgegen den restriktiven Regelungen aus Bern – die eidgenössische Polizei gab am 13. August 1942 Weisung, jeden jüdischen Flüchtling nach geglückter Flucht wieder auszuweisen – schafften es ab 1942 insgesamt 95 jüdische Verfolgte über Südbaden in den Kanton 132 Minikus, Marlene: Ernst Ludwig Ehrlich – Anwalt biblischer Ethik. In: Stiftung z’Rieche (Hrsg.): Jahrbuch Z’Rieche 1996. Riehen 1996.
Das Fluchthilfenetzwerk um Luise Meier (Berlin)
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Schaffhausen, wo sie dann auch befristet bleiben durften. Für diese Gegend sind nur fünf Fälle von Ausweisung belegt. Der Kanton setzte also die Vorgaben des Bundes nicht um. Dieser nahm erst Mitte 1944, nach der Landung der Alliierten in der Normandie, für „wirklich an Leib und Leben gefährdet[e]“ Personen die Anordnung zurück. „Die tolerantere Handhabung war wohl nur möglich, da der Grenzabschnitt bei Schaffhausen insgesamt ein Nischendasein im öffentlichen Interesse der Schweiz führte“, meint Ilse Maas-Steinhoff. „Das Hauptaugenmerk richtete sich auf die Westgrenze der Eidgenossen. Zudem war die Zahl jüdischer Flüchtlinge verschwindend klein gegenüber Tausenden entflohener Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter.“133 Inzwischen hat die Forschungsgruppe „Diplomatische Dokumente der Schweiz“ die wichtigsten Dokumente aus dem Schweizerischen Bundesarchiv online frei zugänglich gemacht. Dazu berichtete das jüdische Schweizer Magazin Tachles: Die Originaldokumente zeigen unter anderem die Haltung der Bundesbehörden zur Flüchtlingskonferenz von Evian 1938 auf, dokumentieren das deutsch-schweizerische Abkommen zur Einführung des sogenannten „Judenstempels“, versammeln mehrere Berichte des eidgenössischen Diplomatenkorps zur deutschen Vernichtungspolitik und ebenso die Präsidialverfügung des Bundesrats 1942, Flüchtlinge künftig zurückzuweisen. Dazu gehört auch die berüchtigte Rede von Bundesrat Eduard von Steiger mit der Formulierung ‚das Boot ist voll‘. Auch Kenntnisse von Bern über die Vernichtungslager sind belegt.134
5.2 Das Fluchthilfenetzwerk um Luise Meier (Berlin) Fluchthilfe wurde sowohl von Einzelpersonen als auch von Netzwerken geleistet. Kurt Schilde benennt neben dem Kreis um den Berliner Kunstmaler und Galeristen Franz Heckendorf (1888–1962) das Netzwerk um die katholische Witwe Luise Meier (1885–1979) und ihrem Helfer Josef Höfler in Gottmadingen, das bis zum Frühjahr 1944 bestand.135 „Die Fluchthilfe um Luise Meier und Josef Höfler lässt sich“, so Franco Battel, „als ein kompliziertes Netz von Kontakten und Verbindungen verstehen, das teil-
133 Maas-Steinhoff, Ilse: Zur Solidarität mit verfolgten Juden während der NS-Zeit: Das Flüchtlingsnetzwerk um die Soesterin Luise Meier. In: Verein für Geschichte und Heimatpflege Soest e.V. (Hrsg.), Soester Zeitschrift 116 (2004). 134 „Diese Woche: Dokumente zur Schweiz im Krieg“. In: Tachles 4 (24. Januar 2014). S. 5. 135 Kurt Schilde: Grenzüberschreitende Flucht und Fluchthilfe (1941–1945): Ereignisse, Interessen und Motive. In: Kosmala, Beate und Claudia Schoppmann (Hrsg.): Solidarität und Hilfe für Juden während der NS-Zeit, Bd.5. Berlin 2002. S. 151–166.
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weise zufällig, teilweise sehr zielgerichtet entstand.“ Das Hilfsnetz ist vergleichsweise gut dokumentiert; neben einer Reihe von Berichten von Geretteten (neben Ernst Ludwig Ehrlich auch von Elisabeth Behrend-Rosenfeld, Herta Mamelok, Jitzchak Schwersenz und Lotte und Herbert A. Strauss) liegt in der Wiener Library in London auch ein Bericht von Luise Meier selbst aus dem Jahr 1955 vor. Meier und Höfler gelang es, etwa 30 jüdische Flüchtlinge in die Schweiz zu bringen. Im Bericht von Luise Meier heißt es dazu: Ich habe achtundzwanzig Menschen zur Flucht über die Schweizer Grenze verholfen. Geld oder Schmuck als Gegenleistung für meine Hilfe nahm ich niemals an. Meine Ausgaben für Reisen und anderes in Zusammenhang mit meiner Tätigkeit wurde von denen gedeckt, denen ich habe helfen können. Sie alle verfügen über genügend finanzielle Mittel. Ich hatte keine Verbindung zu irgendeiner Organisation, niemand stand ‚hinter mir‘. Mein einziger Kontakt war Herr Höfler und sein jeweiliger Helfer.136
Für Beate Kosmala steht „das Beispiel der Fluchthelferin Luise Meier aus Berlin, einer Katholikin, deren drei Söhne an der Ostfront kämpften, […] für zahlreiche Frauen, die an riskanten Aktionen beteiligt waren, die großes ‚logistisches‘ Geschick erforderten. Bei der Hilfe für Verfolgte machten sich Frauen das vorherrschende Frauenbild, das ihnen Widerstand nicht zutraute, zunutze und schufen sich spezifische Handlungsspielräume.“137 Luise Meier geb. Bemm kam am 13. Januar 1885 in Vorhalle bei Hagen zur Welt. Nach ihrer Heirat lebte sie insgesamt fünfundfünfzig Jahre lang in Soest; von 1909 bis 1930 und als Witwe von 1945 bis zu ihrem Tod 1979. In der Bördestadt wurden zwischen 1910 und 1918 ihre vier Kinder geboren. Ihr Ehemann Karl Meier arbeitete als Kaufmann zunächst bei dem 1936 Autowerk Feldmann, später in leitenden Positionen der Firmen Hermann Milke und Strabag. Dann führte sein beruflicher Werdegang ihn und seine Familie 1930 nach Köln und schließlich 1936 nach Berlin. Luise Meier verlor 1942/43 kurz nacheinander ihren Ehemann durch Krankheit und zwei ihrer drei Söhne an der Front; sie war vom Mai 1944 bis Kriegsende elf Monate lang in Gefängnissen in Stockau und Singen inhaftiert und kehrte nach der Befreiung am 21. April 1945 in ihr altes Haus in Soest zurück. Die Nachbarschaft mit Juden, der Verlust von Mann und Söhnen sowie ihr gelebter katholi scher Glauben gaben den Ausschlag für das ungewöhnliche 136 Zitiert nach Schoppmann, Claudia: Fluchtziel Schweiz. In: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Überleben im Dritten Reich: Juden im Untergrund und ihre Helfer. München 2003. S. 207. 137 Kosmala, Beate: Verbotene Hilfe. Rettung für Juden in Deutschland 1941–1945. Vortrag, gehalten auf einer Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung in Verbindung mit dem Verein „Gegen Vergessen – Für Demokratie“ am 28. September 2004 in Bonn, hrsg. vom Historischen Forschungszentrum der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn 2004. S. 32.
Das Fluchthilfenetzwerk um Luise Meier (Berlin)
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Engagement von Luise Meier. Aus ihrem Satz „Furchtbar war, was die Juden litten und man selbst auch“ spricht reine Empathie.138 In ihrem Bericht für die Wiener Library in London aus dem Jahr 1955 heißt es: Wir wohnten seit 1936 in Berlin Taubertstrasse 5. Im gleichen Haus hatte eine jüdische Dame eine Pension für Juden, die auf ihre Ausreise warteten. Einige kamen noch fort, aber die Mehrheit war gezwungen unterzutauchen, illegal zu leben. Wenn sie von der Gestapo abgeholt werden sollten, waren die meisten heimlich unterrichtet worden. Sie suchten dann bei mir Zuflucht. Als man den Juden die Telefone nahm, ließ ich sie auch bei mir telefonieren. Es geschah häufig, da sie bei den verschiedenen Konsulaten wegen ihrer Ausreise anriefen. Denn wenn sie persönlich hingingen, wurden sie von der Gestapo aufgeschnappt.“ [die Beschlagnahme von Telefonen jüdischer Haushalte war reichsweit bis Ende September 1940 angeordnet, erfolgte in Berlin aber schon vier Wochen früher].
„Wer Juden hilft, wird selbst verhaftet!“ Entgegen dieser allgegenwärtigen Drohung nahm Luise Meyer Anfang März 1943, kurz nach der sogenannten Fabrik-Aktion, eine jüdische Verfolgte, Wally Heinemann, in ihrer Wohnung auf. Zuvor hatte sie sich bereits als Fluchthelferin für ihre jüdischen Nachbarn engagiert: „Bevor ich die Eheleute Schindler nach Belecke ins Versteck [in Westfalen] gebracht hatte, habe ich den Eheleuten Perls zur Flucht in die Schweiz verholfen. Ich habe bei dieser Flucht denselben Weg genommen, den [andere] einige Zeit vorher gegangen waren.“ Im Frühjahr und Herbst 1941 waren Tausenden jüdischer Mieter die Wohnungen gekündigt worden. Sie mussten so wie Ernst Ludwig Ehrlich und seine Mutter in bestimmten Berliner Stadtteilen in sogenannte „Judenhäuser“ und „jüdische Pensionen“ ziehen. Im Juni 1941 wurde auch die jüdische Pension in der Nachbarwohnung Luise Meiers geschlossen [Battel spricht von „gegenüber“]; die sechs dort verbliebenen Pensionäre wurden gezwungen umzuziehen. Die Pensionseigentümerin Fedora Curth konnte ein Jahr später, am 11. November 1942, gemeinsam mit einer Freundin namens Ilse Franken im heutigen Dreiländereck zwischen Höchst und St. Margarethen den Rhein durchqueren und in die Schweiz fliehen. Jörg Krummenacher hat diese Flucht ausführlich beschrieben.139
138 Meier, Luise: Eidesstattliche Erklärung vom 29. 4. 1957 (Personalakte Luise Meier P 606 im Stadtarchiv Soest, zitiert nach: Ilse Maas-Steinhoff (wie Anm. 133). 139 Krummenacher, Jörg: Flüchtiges Glück. Die Flüchtlinge im Grenzkanton St. Gallen zur Zeit des Nationalsozialismus. Zürich 2005.
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5.3 Der Fluchthelfer Josef Höfler Josef Höfler (1911–1974) stammte aus Bietingen und hatte den Beruf des Huf- und Wagenschmieds erlernt. Nachdem er mehrere Jahre als Schlosser gearbeitet hatte, ging er 1941 zur Aluminium Singen. Hier war er als Facharbeiter in der Rüstungsindustrie „u.k.” gestellt, also unabkömmlich und damit vom Kriegsdienst an der Front befreit. So konnte er auch als „wehrfähiger” junger Mann jederzeit begründen, warum er sich frei bewegte. Diesen Umstand hat er genutzt, um sich aktiv in der Fluchthilfe für verfolgte Juden zu betätigen. Nach dem Krieg hatte er in Gottmadingen zunächst wieder als Schlosser gearbeitet, ging dann aber aus gesundheitlichen Gründen Ende 1946 als Postbetriebsassistent zur Post. „Josef Höfler war ein Gottmadinger Bürger“, erinnerte sich Roland Huber vom örtlichen Förderkreis für Heimatgeschichte im März 2001. „Ich habe ihn gut gekannt. Als kleiner Postbeamter verteilte er Briefe und Pakete in meinem Heimatort. Direkten Kontakt zu ihm ergab sich im SPD-Ortsverein. Josef Höfler gehörte auch zu den Gründungsmitgliedern des hiesigen Angelsportvereins. Er war beliebt und geachtet. Die meisten im Dorf wussten, dass er im Krieg Juden geholfen hat. Allerdings mehr wollte man nicht davon wissen. Nicht wenige meinten, er habe es ja nur wegen Geld und anderen Wertsachen getan. In den 80er Jahren bekam er auf Betreiben des SPD-Ortsvereines das Bundesverdienstkreuz. Aber auch bei dieser Gelegenheit wurde öffentlich nicht darauf eingegangen, dass er 16 jüdische Menschen vor dem sicheren Tod gerettet hatte und dass er aufgrund eines Bombenangriffes in Berlin vor dem Galgen oder dem Schafott des Volksgerichtshofes bewahrt blieb. Am 1. Januar 1994 starb Josef Höfler in Gottmadingen.“140 Unklar ist, ob Höfler stets uneigennützig handelte. „1944 kostete eine Flucht auf der Route von Josef Höfler 6.000 Mark“, schreibt Stefan Keller. „Der Preis war jedoch verhandelbar, wie sich im Fall von Jitzchak Schwersenz zeigte, einem Zionisten, der lange im Berliner Untergrund gelebt hatte und sich im Mai 1944 mit Höflers Hilfe doch noch in die Schweiz retten konnte.“ Von Ernst Ludwig Ehrlich hatte Höfler für seine Hilfe ein Fahrrad, einen Photoapparat und einen kleinen Geldbetrag erhalten. Auch hier zeigte sich einmal mehr Ehrlichs Wagemut: Juden war mit einer Verfügung vom 13. November 1941 der Besitz von Fahrrädern verboten worden; Mitte Juni 1942 mussten auch alle elektrischen und optischen Geräte entschädigungslos abgeliefert werden. Luise Meier, eine gläubige Katholikin, verstand ihre Hilfe offenbar auch als Sühneleistung. Zwei ihrer Söhne waren als Soldaten der Wehrmacht gefallen, 140 Huber, Roland: Stille Helden. In: Lerncafé. Online-Journal zur allgemeinen Weiterbildung. Ausgabe 49 (2009): Die Welt im Museum. www.lerncafe.de.(07. Oktober 2014).
Wegweisend: Die Flucht von Lotte Kahle, Mai 1943
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dekoriert mit hohen Tapferkeitsmedaillen. Einer der beiden war seit 1934 Mitglied der „SS-Leibstandarte Adolf Hitler“. Sie befürchtete Jitzhak Schwersenz zufolge, dem sie im Februar 1944 über die Grenze half, dass ihre Söhne an den Gräueln gegen Juden beteiligt gewesen waren, und sorgte sich wohl um deren Seelenheil.141 Sie selbst half dafür Anderen. Auch die Höflers waren religiös; bevor etwa Lotte Kahles Fluchtversuch unternommen wurde, hatte Elise Höfler für das Vorhaben gebetet. Von einer Verbindung des Netzwerkes um Lise Meier zum reichs weiten katholischen Hilfsnetz für Verfolgte der NS-Rassenideologie, namentlich zum Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin, ist nichts bekannt; hier gilt Meiers Bemerkung, dass keine Organisation hinter ihr gestanden habe.142 Schoppmann zitiert einen Satz aus einem Brief, den Höflers Gehilfe Willy Vorwalder 1946 am Luise Meier schrieb: „Auf alle Fälle haben wir ein gutes Werk getan und vielen armen Menschen das Leben gerettet.“143 Luise Meier, Josef Höfler und Elise Höfler wurden am 16. Juni von der israelischen Gedenkstätte Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ anerkannt. Die Hilfeleistung des Ehepaars Höfler und von Luise Meier wurde von Herbert A. Strauss und Ernst Ludwig Ehrlich bezeugt.144
5.4 Wegweisend: Die Flucht von Lotte Kahle, Mai 1943 Der Anfang war kompliziert: Jean-Edouard Friedrich, schweizerischer Delegierter des Internationalen Roten Kreuzes in Berlin, wandte sich mit der Bitte von Ludwig Schöneberg, dem in Lausanne ansässigen Onkel einer Freundin von Ilse Franken (Schöneberg war ihr Chef gewesen), an Luise Meier, dessen Nichte Lotte Kahle geb. Schloss (die spätere Ehefrau von Herbert A. Strauss) zur Flucht zur verhelfen, und übergab ihr die beiden gefälschten Pässe von Fedora Curth und Ilse Franken. Schöneberg hatte von der Schweiz aus über einen Mittelsmann in der Grenzgegend bei Singen am Hohentwiel – westlich des Bodensees – einen ortskundigen Fluchthelfer gewonnen. Ihm sollte Luise Meier, der diese Gegend wiederum von Urlaubsreisen her vertraut war, die Nichte zuführen, dabei aber
141 Vgl. Battel (wie Anm. 6), S. 221. 142 Vgl. auch Leichsenring, Jana: Die Katholische Kirche und „ihre Juden“. Das „Hilfswerk beim Bischöflichen Ordinariat Berlin“ 1938–1945. Berlin 2007. 143 Schoppmann (wie Anm. 136), S. 218. 144 Die entsprechende Feierstunde fand am 27. März 2003 in der Synagogengemeinde Köln statt. Die Initiative ging von Klaus Heiliger aus, der im März 2001 an einer Veranstaltung der Kulturstiftung der Deutschen Bank in Berlin zum Thema „Stille Helden” teilgenommen hatte, die vom Autor mit organisiert worden war.
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aus Sicherheitsgründen nicht direkt mit ihm zusammentreffen. Lotte (Kahle-) Strauss (geb. 1913–) hat ihre Flucht in ihren Erinnerungen beschrieben.145 In Folge eines nicht vorgesehenen Zwischenfalls am Singener Bahnhof kam es schließlich doch zur persönlichen Begegnung von Luise Meier und dem Fluchthelfer aus dem kleinen badischen Grenzort Gottmadingen, Josef Höfler. Am 2. Mai 1943 gelang der Grenzübertritt; Lotte Kahle wurde auf Schweizer Gebiet sehr schnell von den Wachen aufgegriffen und der Polizei übergeben, anschließend kam sie in ein Flüchtlingslager. Bei diesem ersten Zusammentreffen mit Höfler bat „Tante Luise“, so der künftige Deckname von Luise Meier, auch um Hilfe für Wally Heinemann, die sie bereits zwei Monate lang in ihrer Wohnung versteckte. Josef Höfler stimmte zu und kam – wie später des Öfteren – nach Berlin, um die Flucht genau zu planen. Dort traf er auch auf Ehrlich. Dessen Bahnfahrt über Stuttgart nach Singen, wo Ehrlich auf Strauss traf, wurde von beiden mehrfach ausführlich beschrieben und soll an dieser Stelle nicht nachgezeichnet werden.146 In Singen wurden die beiden Männer von Josef Höfler in Empfang genommen und nach Gottmadingen geführt. Um ihr Versprechen zu gegenüber Lotte Kahle einzulösen, verhalf Luise Meier am 12. Juni 1943 Herbert A. Strauss und seinem Freund Ernst Ludwig Ehrlich mit Unterstützung von Josef Höfler zur Flucht. Luise Meier berichtete darüber folgendermaßen: „Kurz vor dem Platz, wo der Posten stand, bogen wir ab in den Wald und stolperten über Baumwurzeln bis zu dem Dickicht, das uns oft als Versteck diente. Ich unterrichtete die Jungen so gut ich konnte über den Verlauf der Grenze und bedeutete ihnen, dass sie immer dorthin gehen müssten, wo es hell sei – die Schweiz verdunkelte nicht. […] Als es völlig dunkel war, ging ich Höfler holen. Auf dem Weg zur Grenze mussten wir […] auch unter der Bahnunterführung durch, wo oft Posten standen. Höfler hatte kurz vorher die Stelle geprüft, ob sie frei war. Wir kamen glücklich durch. Nun musste ich zurückbleiben, da ich, wenn es zum Laufen kam, nicht so schnell war. Alle Nerven angespannt lag ich auf den Knien. Nach wenigen Minuten kam Höfler zurück, die drei [sic] waren drüben.“147 Nach einiger Zeit wurden Ehrlich und Strauss durch einen Schäferhund gestellt. „Ein Mann leuchtete uns mit der Taschenlampe an und auf unsere bange Frage, ob er ein Schweizer sei, gab er eine bejahende Antwort. Er nahm uns in seine Hütte, gab uns Milch zu trinken und lieferte uns beim Polizei-Inspektor in Ramsen ein,
145 Strauss, Lotte: Über den grünen Hügel. Erinnerungen an Deutschland. Berlin 1997. 146 Vgl. Strauss, Herbert A.: Über dem Abgrund. Eine jüdische Jugend in Deutschland 1918– 1943. Frankfurt am Main/New York 1997.). S. 265–297; Battel. S. 337f. 147 Zitiert nach Maas-Steinhoff (wie Anm. 133). Mit der dritten Person meinte Meier womöglich Lotte Kahle, die sich bereits auf der Schweizer Seite befand.
Zur Schweizer Flüchtlingspolitik
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der uns am nächsten Tag nach der Anfertigung eines Protokolls nach Schaffhausen ins Gefängnis brachte“, berichtete Ehrlich 1959. Am 1. November 1943 folgte Ehrlichs Cousine Ilse Edith Arendt (geb. 1920) ihm in die Schweiz. Er hatte sie noch vor seiner Abreise im Juni in Berlin mit Luise Meier bekannt gemacht und ihr einen Ausweis gegeben, den er mit Hilfe der beim Deutschen Roten Kreuz entwendeten Unterlagen angefertigt hatte. Arendt machte sich zusammen mit ihrem Lebensgefährten Hanns Kornblum auf, der am 30. August 1908 in Dresden geboren wurde, verfügte wie Ehrlich über einen Ausweis des Reichsministers für Bewaffnung und Munition, wurde aber vor dem Grenzübertritt in Singen entdeckt und verhaftet; er wählte am 5. November in Singen den Freitod. In Berlin-Charlottenburg erinnert heute in der Goethestraße 69 ein Stolperstein an ihn. „Aber meine Cousine ist durchgekommen“, berichtete Ehrlich.148 Bei Franco Battel und in der Gedenkstätte Stille Helden in der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand gibt es leider keinen Hinweis auf den weiteren Werdegang von Ilse Arendt. Eine erste Recherche hat jedoch ergeben, dass sie als Ilse Gutstein in der Bronx in New York City lebte. Ein gutes Jahr nach Ehrlichs Grenzübertritt wurde der gescheiterte Fluchtversuch von Emmi Brandt Luise Meier zum Verhängnis. Nach ihrer Festnahme am 22. Mai 1944 gab Brandt die Namen aller Beteiligten und ihre Kenntnisse über neunzehn vorherige Fluchtverläufe preis. Binnen weniger Stunden wurden Luise Meier, Josef Höfler und die anderen Fluchthelfer festgenommen. Elise Höfler konnte in die Schweiz entkommen. Zuerst sollte der Prozess gegen Meier und Höfler in Singen, dann beim Sondergericht in Freiburg und schließlich vor dem Volksgerichtshof in Berlin stattfinden, doch dazu kam es nicht mehr. Der Schweizer Delegierte des Roten Kreuzes, Jean-Edouard Friedrich, der erste Fluchthilfekoordinator, wurde offenbar strafversetzt, da er seine Regeln gebrochen und die Zensur umgangen hatte. Ernst Ludwig Ehrlich schrieb dazu am 21. Juli 1945 an Franz Schürholz: „Der Herr, den Straußens kannten, ist ihretwegen nach Kairo strafversetzt worden.“
5.5 Zur Schweizer Flüchtlingspolitik Ehrlich und Strauss waren die ersten beiden jüdischen Männer im wehrpflichtigen Alter, denen die Flucht aus Deutschland in die Schweiz glückte. Auffällig ist, dass Ehrlich in seinen späteren Veröffentlichungen zur Schweizer Flüchtlingspolitik mit keinem Wort auf die eigene Flucht und auf die anschließende Internierung zur Sprache kam, weder in seinem ausführlichen Aufsatz „Schweizerische 148 Vgl. Battel (wie Anm. 6), S. 337.
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Fluchtziel Schweiz
Flüchtlingspolitik 1939–1942“149 noch in seiner Rede zum 100. Geburtstag von Konsul Carl Lutz, der als Schweizer Botschaftssekretär 1944 in Budapest unzähligen Juden das Leben gerettet hatte.150 Sogar in seinem Vorwort zu der Dokumentation „‚Fast täglich kamen Flüchtlinge.‘ Riehen und Bettingen – zwei Schweizer Grenzdörfer in der Kriegszeit“ fehlt jeder Verweis auf seine persönlichen Erleb nisse. „Erfreulicherweise hat sich auch während des Krieges der Kanton BaselStadt nach Möglichkeit gegen die eidgenössische Fremdenpolizei gestellt und 1.158 jüdischen Flüchtlingen während des Zweiten Weltkrieges ein Refugium geboten“, schrieb Ehrlich, ohne zu erwähnen, dass er selbst einer dieser Flüchtlinge gewesen war.151 Er sparte in seinem Vorwort aber nicht an deutlicher Kritik an der Flüchtlingspolitik der Schweiz von 1933 bis 1945: Konnte anfangs noch angenommen werden, bei den Massnahmen der Nationalsozialisten handle es sich nicht um eine Frage von Leben und Tod, so war spätestens im Jahre 1942 dem Bundesrat absolut klar, dass alle im deutschen Bereich befindlichen Juden zur Ermordung bestimmt waren. Es besteht kein Zweifel daran, dass der Flüchtlingspolitik des Bundesrates eine antisemitische Gesinnung zugrunde lag. Schon sehr früh wandte man sich ‚gegen eine Festsetzung wesensfremder Elemente‘, und vollends wird diese Haltung deutlich, wenn man den Anteil des Bundesrats am berüchtigten ‚J-Stempel‘ in den deutschen Pässen von Juden in Rechnung stellt. Dabei hatte zu jener Zeit die Schweiz nicht mehr als insgesamt 5000 Flüchtlinge. Die eindeutige Haltung des Bundesrats wurde durch die gesamte Terminologie deutlich, wenn man sich etwa ‚gegen die Verjudung der Schweiz‘ wandte.152
Ehrlich trennte also auch in diesem Fall alles Biographische von seiner wissenschaftlichen Arbeit, Privates von Öffentlichem. 1970 hatte er sich aber als einer der wenigen Schweizer Juden neben Rabbiner Lothar Rothschild (1909–1974) für die Rehabilitation von Paul Grüninger engagiert: „Wir haben – wie bekannt – in der Schweiz nicht allzu viele Persönlichkeiten, die wegen unerschrockenen Einsatzes zugunsten der Flüchtlinge eine Ehrung verdienen. Paul Grüninger jedoch gehört zu den wenigen, die sich in dunkelster Zeit für verfolgte Menschen eingesetzt haben.“153 149 Ehrlich, Ernst Ludwig: Schweizerische Flüchtlingspolitik 1939–1942. Unveröffentlichtes 17seitiges Typoskript, o.J. 150 Ehrlich, Ernst Ludwig: Grußwort anlässlich des 100. Geburtstags von Generalkonsul Carl Lutz (1895–1975). Unveröffentlichtes 4seitiges Typoskript. Bern, 3. April 1995. 151 Seiler, Lukrezia und Jean-Claude Wacker: „Fast täglich kamen Flüchtlinge.“ Riehen und Bettingen – zwei Grenzdörfer 1933–1948, hrsg. von der Stiftung z’Rieche (= Beiträge zur Basler Geschichte), Neuauflage der ersten Ausgabe von 1996. Riehen 2013. S. 13. 152 Ebenda. 153 Leserbrief in: Der Schweizerische Beobachter 44 (30. April 1970) 8, zitiert nach: Bickenbach, Wulff: Gerechtigkeit für Paul Grüninger. Verurteilung und Rehabilitierung eines Schweizer Fluchthelfers (1938–1998). Köln/Weimar/Wien 2009. S. 218.
Zur Schweizer Flüchtlingspolitik
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Paul Grüninger (1891–1972) war Kommandant der Kantonspolizei St. Gallen und hatte in den Jahren 1938 und 1939 eine große Zahl jüdischer Flüchtlinge vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten gerettet, indem er ihnen die Aufnahme in die Schweiz ermöglichte. Dabei nutzte er alle Handlungsspielräume, die sich ihm aufgrund einer in Flüchtlingsangelegenheiten mehrdeutigen Rechtsprechung eröffneten. Vor Gericht wurde seine tagtäglich praktizierte Flüchtlingshilfe im Jahre 1939 jedoch als Verstoß ausgelegt. Grüninger wurde fristlos und ohne Pensionsanspruch aus dem Polizeidienst entlassen. Er wurde erst 1995 posthum rehabilitiert; 1998 erfolgte die materielle Entschädigung für seine Nachkommen.
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Nach wenigen Tagen im Gefängnis von Schaffhausen wurden Ehrlich und Strauss in das Auffanglager Büsserach verlegt. Für Ehrlich folgte ein zufälliger Aufenthalt in einem Serben- und Kroatenlager, aus dem er aber Mitte Juli auf eigene Initiative hin nach Bourrignon in ein Lager für jüdische Internierte überstellt wurde: „Ich sagte der Lagerleitung, ich könne nicht bleiben, da ich orthodoxer Jude sei und nur koscher essen würde“.154 „Am 13. Oktober 1943 wurde ich entlassen und begann mein Studium an der Universität von Basel“, heißt es am Ende von Ehrlichs Bericht von 1959. Der ‚Fond Européen de Secours aux Etudiants‘ (Genf) hatte mir ein Stipendium bewilligt. Immatrikulation an der Universität und Bescheinigung über das Stipendium waren die notwendigen Voraussetzungen, um die Polizei-Abteilung in Bern dazu zu bewegen, mich aus dem Arbeitslager frei zu geben. Ich galt als ein in Basel internierter Flüchtling.
Nachdem er anhand seiner aus Berlin mitgenommenen Unterlagen auch ein ordnungsgemäßes Abitur nachweisen konnte, nahm Ernst Ludwig Ehrlich sein Studium an der Universität Basel auf. Das Hauptfach, das er an der EvangelischTheologischen Fakultät belegte, war Altes Testament. Sein Lehrer Walter Baumgartner (1887–1970), ein reformierter schweizerischer Christ, galt auf dem Gebiet der alttestamentlichen Wissenschaft als einer der bedeutendsten Gelehrten dieser Zeit. „Bei ihm war zu lernen, was kritische Wissenschaft bedeutet, und dass es nicht angeht, theologische Ideen in einem Vorverständnis in die Texte hineinzulegen“, würdigte Ehrlich gut dreißig Jahre später seinen Doktorvater, um gleich danach auf eine zweite Persönlichkeit zu sprechen zu kommen: „In jenen Jahren herrschte in Basel Karl Barth, der damals noch wenig Verständnis für das Judentum besaß, wohl für Juden als verfolgte Menschen.“155 Karl Barth (1886–1968), in dessen Haus Ehrlich verkehrte und mit dessen Sohn Markus Barth (1920–1994) er befreundet war, lehrte an der EvangelischTheologischen Fakultät.156 Daneben hörte Ehrlich Islamwissenschaft bei Rudolf Tschudi (1884–1960), der sich zuvor bei der Fremdenpolizei für sein Studium eingesetzt hatte. Wegen seiner Mühe mit dem Spracherwerb im Arabischen gab Ehrlich die Islamwissenschaft nach etwa sechs Semestern wieder auf. Er studierte außerdem Philosophie und Semitistik (Aramäisch und Syrisch) sowie Archäolo154 Zitiert nach Battel (wie Anm. 6), S. 338. 155 Ehrlich, Ernst Ludwig: Dankesrede zur Buber-Rosenzweig-Medaille 1976. In: Münz, Christoph und Rudolf W. Sirsch (Hrsg.): „Denk an die Tage der Vergangenheit – Lerne aus den Tagen der Geschichte“. 40 Jahre Buber-Rosenzweig-Medaille. Berlin 2009. S. 104f. 156 Ernst Ludwig Ehrlich an Franz Schürholz am 12. August 1945.
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gie. Der Einstieg in das Studium war für Ehrlich nicht leicht: „Das Stipendium war minimal und die Schweiz mir völlig fremd.“ Er sei mit seiner Sprache, die durch seine Berliner Kindheit und Jugend geprägt worden sei, dorthin gekommen und nicht überall mit seiner Mentalität und seiner Lebensweise auf volles Verständnis gestoßen. Er bewegte sich in Basel zunächst weitgehend in einem jüdischen Milieu, in dem er seinen Worten nach verhältnismäßig gut und freundschaftlich aufgenommen wurde. Allmählich habe es sich dann auch ergeben, dass er Zugang zu christlichen Kreisen fand, und zwar auf eine schöne Weise. Sein Stipendium von 160 Franken reichte nicht für das Essen während eines vollen Monats; er hatte Geld für die Miete, nicht aber für Kleidung und erst recht nicht fürs Essen: „Daher bekam ich Mittagstische bei Juden und bald auch bei Christen, regelmäßige Mittagstische.“157 Ehrlich konnte in Basel bald auch Studienerfolge vorweisen. In einem Brief vom 17. Dezember 1946 gratulierte ihm dazu Leo Baeck: „Durch Herbert Strauss habe ich von dem Fakultätspreise erfahren, der Ihnen verliehen worden ist – ich muss schon dieses feierliche Wort gebrauchen. Ich habe mich ganz besonders darüber gefreut.“ Von Basel aus schrieb Ehrlich an 3. Februar 1944 seinem Helfer Franz Schürholz, der inzwischen in Wangen lebte, unter dem Namen „Erika Witzig-Boldt“ einen verschlüsselten Brief, in dem er Schürholz Mitteilung über seine erfolgreiche Flucht in die Schweiz machte. Das Antwortschreiben an Erika Witzig-Boldt, das Ehrlich in Basel erreichte, ist ebenfalls erhalten.158 Nach der Befreiung im Mai 1945 wurde die Korrespondenz zwischen Schürholz und Ehrlich wenigstens bis in die 1960er Jahre fortgeführt. Schürholz war nach der Zerstörung seines Berliner Betriebes und seiner Wohnung 1943 nach Wangen am Bodensee übergesiedelt, wo er sich mit der Übernahme eines Garten- und Obstbaubetriebes eine neue Existenz aufbaute und sich nach Kriegsende in der Kommunalpolitik engagierte. Schürholz wurde 1973 auf Vorschlag von Ernst Ludwig Ehrlich, der ihn als „kompromisslosen Gegner des Nationalsozialismus“ bezeichnete, von Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ geehrt. Er starb am 29. April 1987. In seinen Briefen an Schürholz blieb Ehrlich stets bei der Anrede „Sie“ und „Herr Doktor“; Ehrlich gab darin keine rein persönlichen Dinge preis. Den Briefen an Schürholz und denen von Rabbiner Leo Baeck, mit dem Ehrlich bis zum Sommer 1956 korrespondierte, sind aber Ehrlichs Basler Adressen abzulesen. Demnach wohnte er zunächst am Wielandplatz 10, dann in der Missionsstraße 45 und zwischenzeitlich kurz in der Dammerkirchstraße. Leo Baeck gratulierte ihm am 6. Dezember 1950 zu seiner neuen Wohnung in der Furkastraße 75. Mitte 157 König/Ehrlich (wie Anm. 19), S. 59. 158 Beide Schreiben sind in der Ausstellung der Gedenkstätte Stille Helden in der Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand einsehbar.
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der 1960er Jahre wohnte Ehrlich in der Rudolfstraße 39. Zusammen mit seiner Ehefrau Eleonora (Nora) und deren Tochter lebte er zunächst im Basler Stadtteil Bruderholz, bevor die Familie schließlich 1977 nach Riehen zog, einem Vorort von Basel an der deutschen Grenze. Dies ersten Jahre in der Schweiz bedeuteten für Ehrlich eine unsichere Existenz: „Jedes Jahr fragte mich die Fremdenpolizei, wann ich das Land verlasse. Ich sagte ihnen, ich wolle zuerst meine Studien beenden. 1950 dann, als ich das Gesuch für die Aufenthaltsbewilligung stellte, lehnte das Arbeitsamt das Gesuch ab, die Fremdenpolizei hieß es jedoch gut.“ Seine Berliner Anschrift in den 1950er Jahren lautete Dernburgstraße 47 in Charlottenburg. Über die genauen Wohn- und Lebensverhältnisse geben die erhaltenen Briefe aber keinerlei Auskunft; auch über die Art und Weise, wovon er sein Leben bestritt, machte Ehrlich keine klaren Angaben. In einem Brief an Schürholz bemerkte er dazu beispielsweise am 29. April 1950 nur vage, dass er drei Mal wöchentlich in Baden bei Zürich sei, ohne aber Einzelheiten zu nennen.
7 Leo Baeck als Mentor Rabbiner Leo Baeck war für Ernst Ludwig Ehrlich Zeit seines Lebens die maßgebliche Bezugsperson. In seinen Aufsätzen „Leo Baeck – Rabbiner in schwerster Zeit“ und „Leo Baeck (1873–1956). – Mein Lehrer“ hat er ein anschauliches Bild dieses wohl bedeutendsten Repräsentanten des liberalen Judentums im 20. Jahrhundert gezeichnet, den er sich zum Vorbild nahm.159 Lehrer und Schüler kamen nach Zweitem Weltkrieg und Schoa erneut ins Gespräch und wurden in Briefen und Begegnungen zu Partnern, wobei aber stets die Konvention gewahrt wurde: In der Anrede blieb es bei „Herr Doktor“. Baeck war nach seiner Befreiung in Theresienstadt zu seiner Tochter Ruth Berlak und deren Familie nach Hendon bei London übergesiedelt. Er nahm dort sein Amt als Präsident der World Union for Progressive Judaism wieder auf und engagierte sich auch als Präsident des Council for the Protection of the Rights and Interests of Jews from Germany sowie der London Society for Jewish Study. 1948 unternahm er eine Vortragsreise durch liberale jüdische Gemeinden in den USA und nahm eine Gastprofessur am Hebrew Union College in Cincinnati, Ohio, an, wo er bis 1953 regelmäßig Jüdische Religionsgeschichte unterrichtete. Drei Jahre nach seiner Befreiung in Theresienstadt kehrte der 75jährige für drei Wochen nach Deutschland zurück. Von Hamburg aus reiste er im Oktober 1948 durch die britische und die amerikanische Besatzungszone, gab Vorträge und predigte zu den Feiertagen und zu Schabbat in den sich gerade erst wieder konsolidierenden jüdischen Gemeinden, so auch in Düsseldorf. Dort hörte ihn zufällig auch der junge Johannes Rau. 1951 besuchte er Berlin und predigte in der Synagoge Pestalozzistraße. Im Juli 1954 empfing Bundespräsident Theodor Heuss ihn in Düsseldorf. Baeck sprach damals im Düssel dorfer Landtag über „Maimonides, der Mann, sein Werk und seine Wirkung“ – für den Zentralrat der Juden in Deutschland und für die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland ein Zeichen des „ewigen Dennochs“ und die bis dahin bedeutendste Veranstaltung in der jüdischen Nachkriegsgeschichte.160 Walter Homolka hat darauf aufmerksam gemacht, dass Baeck mit seinem Vortrag „auch auf die aktuelle Situation der Juden in Deutschland anspielte, denen man nur wenige Jahre zuvor das ‚Eigene‘ genommen hatte. […] Baeck schilderte Maimonides vor allem als einen Juden, der auch nach seinem Weg ins 159 Ehrlich, Ernst Ludwig: Leo Baeck – Rabbiner in schwerster Zeit. In: Theresienstädter Studien und Dokumente, Prag 1996. S. 130–135; Ders.: „Leo Baeck (1873–1956) – Mein Lehrer; Vortrag, gehalten am 14. Januar 2004 am Institut für Jüdisch-Christliche Forschung der Universität Luzern. 160 Vgl. Homolka, Walter: Leo Baeck. Jüdisches Denken – Perspektiven für heute. Freiburg i. Br. 2006.
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Exil seine innere Autonomie bewahrt hatte.“161 So sagte Baeck: „Dieser Mann hatte vieles geschaffen und vieles vollbracht, und hinter allem stand und bestand immer er selbst, die Persönlichkeit. […] Er war ein Eigener, ein Jude im Eigenen, ein Denker im Eigenen, ein Eigener auch inmitten der Tage des Schicksals. […] Für die anderen zu leben und doch im Eigenen zu stehen, Maimonides hat es erfüllt.“162
7.1 Die Schuld der deutschen Intellektuellen Der Briefwechsel von Ehrlich und Baeck aus den Jahren von 1946 bis 1956 illustriert das Schüler-Lehrer-Verhältnis zwischen den beiden. Leider sind daraus nur 65 Briefe und Karten Baecks an Ehrlich zugänglich. In ihrer Korrespondenz ging es zunächst um zwei Themen: die Schuld der deutschen Intellektuellen und die aktuelle Entwicklung der Zionistischen Bewegung163, schließlich auch um die geistige Stärkung der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Baeck kritisierte am Beispiel des Historikers Friedrich Meinecke (1862–1954), dessen Buch „Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen“ 1946 erschienen war, den „Bankrott der Universitäten“. In seinem Brief vom 10. November 1946 an Ehrlich heißt es: Was Sie über das Buch von Meineke [sic] sagen, stimmt mit dem überein, was ich von hieraus auch an Prof. Sigmund Schulze, der mir das Buch geschickt hatte, schrieb.: Das Buch ist im Grunde eine Verteidigungsschrift für Professor Meineke [sic], etwa auf der Linie der Schacht’schen Apologie: ich bin ja immer schon dagegen gewesen.164 Und das Interessante ist auch bei ihm, worüber er schweigt. Er schweigt von dem Bankrott, der ihn doch zuerst angehen sollte, von dem Bankrott der Universitäten. Er schweigt auch, obwohl er von Treitschke immer wieder redet, von der Vorarbeit, die dieser sowohl dem gewissenlosen Militarismus wie dem Nazitum geleistet hat. Er schweigt auch von Houston Stuart Chamberlain, dem die Kreise, die M. nicht fern stehen, so gern huldigten. Und er schweigt schließlich, von der großen Schuld der schweigenden und dabeistehenden Kirchen; das Goethe-Kränzchen am Schluss wirkt dann, soll man sagen: noch lächerlicher, oder noch dümmer.165 161 Homolka, Walter: Leo Baeck: Jüdisches Denken – Perspektiven für heute. Freiburg im Breisgau 2006. S. 77. 162 Leo Baeck: Maimonides – der Mann, sein Werk und seine Wirkung. In: Friedlander, Albert H. und Bertold Klappert (Hrsg.): Leo Baeck Werke, Band 5. Gütersloh 2002. S. 157. 163 Vom 9.–22. Dezember hatte in Basel der 22. Zionistenkongress stattgefunden, auf dem Chaim Weizmann als Präsident der World Zionist Organization zurückgetreten war. 164 Der frühere Präsident der Reichsbank und Reichswirtschaftminister Hjalmar Schacht (1877– 1970) veröffentlichte seine faktenferne Apologie 1948 unter dem Titel „Abrechnung mit Hitler“. 165 Brief Leo Baecks vom 10. November 1946. In: Meyer, Michael A. (Hrsg.): Leo Baeck Werke, Band 6, Briefe, Reden, Aufsätze, Gütersloh 2003. S. 637.
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In einem weiteren Brief vom 17. Dezember 1946 an Ehrlich erklärt Baeck: Sie haben durchaus recht in Bezug auf Meineke [sic]: Männer wie er sind geschichtlich die Schuldigsten; er und seinesgleichen haben gelehrt, sich vor jeder Macht, die massiv wurde, d. h. Macht auch, bedenkenlos, ausübte, gehorsam und schließlich bewundernd zu werden. […] Es gibt einen ‚Historismus‘, der der Schlupfwinkel, der so bequeme und schöne, für die Feigheit [ist]. Man ist, so bequem und so schön, der Stellungnahme enthoben, wenn man die historischen Gründe und Hintergründe nur aufzeigt, moralische Tapferkeit wäre ja so unhistorisch. Und nebenbei ist man in seiner gehorsamen Feigheit dann auch noch historisch gerechtfertigt; denn die Niedertracht erscheint nun als historischer Process.“
Schon der Titel von Meineckes Buch, „Die deutsche Katastrophe“, war in seiner Ambivalenz selbst einer persönlichen Bekannten und Kollegin wie der Historike rin Annelise Thimme nicht verständlich, so dass sie fragte, ob er „die Katastrophe von 1933 oder die von 1945 oder sogar die noch von früher meine.“166 Meinecke scheute in seiner Darstellung des Antisemitismus im Kaiserreich auch nicht vor antijüdischen Klischees zurück: „Die Juden, die dazu neigen, eine ihnen einmal lächelnde Gunst der Konjunktur unbedacht zu genießen, hatten mancherlei Anstoß erregt seit ihrer vollen Emanzipation. Sie haben viel beigetragen zu jener allmählichen Entwertung und Diskreditierung der liberalen Gedankenwelt, die seit dem Ausgange des 19. Jahrhunderts eingetreten ist.“167 Mit Blick auf die Zukunft forderte Meinecke, „im Zeichen der Humanität an der Reinigung und Verinnerlichung unseres seelischen Daseins zu arbeiten.“168 Er schlug dazu regelmäßige Zusammenkünfte von Sitzungen von „Goethegemeinden“ vor; eine Vorstellung, der Baeck wie oben bereits erwähnt nichts abzugewinnen wusste. In einem seiner Briefe an Theodor Heuss heißt es dazu: „Goethe wurde der Mann für die stillen Stunden unter der mit dem Schirm bedeckten Lampe, leider, leider, und daher so oft die Zuflucht für die moralischen Drückeberger, leider, leider; es ist bezeichnend, dass ein jämmerliches Buch eines bedeutenden Mannes mit dem Aufruf zum ‚Goethekränzchen‘ schließt.“169 Baeck verurteilte Meineckes Haltung immer wieder aufs Schärfste. So schrieb er am 15. April 1947 mit Bezug auf eine vernichtende Kritik im Literary Supple ment der Times an Ehrlich: „Der Tod einiger Freunde von Prof. Meineke [sic] hat offenbar sein Mitempfinden so ganz beansprucht, dass für die Millionen der Hingeopferten in ihm nichts mehr an Mitempfinden übrig blieb. Haben Sie feststel166 Zitiert nach: Berg, Nicolas: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung. Göttingen 2003. S. 64. 167 Meinecke, Friedrich: Die deutsche Katastrophe. Wiesbaden 1946. S. 29. 168 Ebenda, S. 164. 169 Brief Leo Baecks vom 26. September 1951. In: Meyer, Michael A. (Hrsg.): Leo Baeck Werke, Band 6, Briefe, Reden, Aufsätze. Gütersloh 2003. S. 684.
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len können, wie die Schweizer und die deutsche Presse das Buch aufgenommen haben?“ In den Briefauszügen, die Michael A. Meyer in Baecks Werkausgabe veröffentlichte, wurde dieser Brief ausgespart.170 Baeck stellte Meinecke Karl Jaspers (1883–1969) gegenüber, Ehrlichs späteren Lehrer in Basel, der 1946 seine Schrift „Die Schuldfrage. Ein Beitrag zur deutschen Frage“ veröffentlicht und darin das moralische Versagen Deutschlands eingestanden hatte.171 Der Philosoph und Heidelberger Ordinarius Jaspers (1883– 1969) war wegen seiner jüdischen Ehefrau 1937 zwangspensioniert worden und trug nach Kriegsende wesentlich zum Wiederaufbau der Heidelberger Universität bei. Im Wintersemester 1945/46 hielt er eine Vorlesung über die geistige Situation in Deutschland; seine Ausführungen zur Schuldfrage wurden im Frühjahr 1946 veröffentlicht. Jaspers unterschied zwischen krimineller, politischer, moralischer und metaphysischer Schuld. Kriminelle Schuld hat demnach jemand auf sich geladen, der „objektiv nachweisbare Handlungen, die gegen eindeutige Gesetze verstoßen“, begeht.172 Politische Schuld ergibt sich aus der Mitverantwortung für die Taten wie Untaten des Regimes, das man gewollt oder geduldet hat; in Folge dessen ist man verpflichtet, „an den in Rechtsform zu bringenden Wiedergutmachungen“ mitzuwirken.173 Aus der moralischen Schuld derer, die an einem verbrecherischen Regime Teil hatten oder es unterstützten, „erwächst Einsicht, damit Buße und Erneuerung. Es ist ein innerer Prozess, der dann auch reale Folgen in der Welt hat.“174 Metaphysische Schuld hingegen, so Jaspers, [...] ist der Mangel an der absoluten Solidarität mit dem Menschen als Menschen. Sie bleibt noch ein unauslöschlicher Anspruch, wo die moralisch sinnvolle Forderung schon aufgehört hat. Diese Solidarität ist verletzt, wenn ich dabei bin, wo Unrecht und Verbrechen geschehen. Es genügt nicht, wenn ich mein Leben mit Vorsicht wage, um es zu verhindern. Wenn es geschieht und wenn ich dabei war und wenn ich überlebe, wo der andere getötet wird, so ist in mir eine Stimme, durch die ich weiß: dass ich noch lebe, ist meine Schuld.“175
Jaspers führte als Beispiel für diese unterschiedlichen Dimensionen von Schuld die Haltung der deutschen Bevölkerung im November 1938 und danach an: Als im November 1938 die Synagogen brannten und zum erstenmal Juden deportiert wurden, war angesichts dieser Verbrechen zwar vor allem moralische und politische Schuld. Beide 170 Vgl. Meyer, Michael A. (Hrsg.): Leo Baeck Werke, Bd. 6. Gütersloh 2003. S. 637–642. 171 Jaspers, Karl: Die Schuldfrage. Heidelberg 1946. 172 Ebenda, S. 19. 173 Ebenda, S. 55. 174 Ebenda, S. 23. 175 Ebenda, S. 54.
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Weisen der Schuld lagen bei denen, die noch Macht hatten. Die Generale [sic] standen dabei. In jeder Stadt konnte der Kommandant eingreifen, wenn Verbrechen geschahen. Denn der Soldat ist zum Schutz aller da, wenn Verbrechen in einem Umfang geschehen, dass die Polizei sie nicht verhindern kann oder versagt. Sie taten nichts. Sie gaben die früher ruhmvolle sittliche Überlieferung der deutschen Armee in diesem Augenblick preis. Es ging sie nichts an. Sie hatten sich von der Seele des deutschen Volks gelöst zugunsten einer absolut eigengesetzlichen Militärmaschinerie, die Befehlen gehorcht. Unter unserer Bevölkerung waren wohl viele empört, viele tief ergriffen von einem Entsetzen, in dem die Ahnung kommenden Unheils lag. Aber noch mehr setzten ohne Störung ihre Tätigkeit fort, ihre Geselligkeit und ihre Vergnügungen, als ob nichts geschehen sei. Das ist moralische Schuld. Diejenigen aber, die in völliger Ohnmacht verzweifelt es nicht verhindern konnten, taten wiederum einen Schritt in ihrer Verwandlung durch das Bewusstsein der metaphysischen Schuld.176
„Das ist ein Buch“, so Baeck, „voller Rechtschaffenheit des Denkens und Klarheit der Erkenntnis. Sie haben es gewiss gelesen […].“ Tatsächlich findet sich unter den Büchern in Ehrlichs Nachlass auch eine Ausgabe von Jaspers „Die Schuldfrage“ von 1946 mit einer Widmung des Autors an Ernst Ludwig Ehrlich.177 Jaspers erklärte an anderer Stelle: „Wir Überlebenden haben nicht den Tod gesucht. Wir sind nicht, als unsere jüdischen Freunde abgeführt wurden, auf die Straße gegangen, haben nicht geschrien, bis man uns vernichtete. Wir haben es vorgezogen am Leben zu bleiben mit dem schwachen, wenn auch richtigen Grund, unser Tod hätte nichts helfen können. Daß wir leben, ist unsere Schuld. Wir wissen vor Gott, was uns tief demütigt.“178 Den Mangel an der absoluten Solidarität mit dem Menschen hatten Baeck und Ehrlich selbst erfahren müssen; die Rede von der „Schuld des Überlebens“ dürfte für sie indes andere Assoziationen geweckt haben als von Jasper intendiert.
7.2 Suche nach beruflichen Perspektiven Die Haltung deutscher Hochschullehrer sollte auch für Ernst Ludwig Ehrlich immer wieder ein Thema sein. So schrieb er am 20. Dezember 1951 an Franz Schürholz in Bezug auf die 1948 gegründete Freie Universität Berlin, dass diese zum „Hort aller Nazis“ geworden sei.
176 Ebenda, S. 54f. 177 Der Band mit der Signatur CI 3204 S386 befindet sich derzeit als Teil der nachgelassenen Privatbibliothek von Ernst Ludwig Ehrlich in der Bereichsbibliothek Erziehungswissenschaft, Psychologie und Fachdidaktik der Freien Universität Dahlem. 178 Jaspers, Karl: Hoffnung und Sorge. Schriften zur deutschen Politik. 1945–1965, München 1965. S. 32
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Ehrlich hielt sich 1950/51 für mehrere Monate in Berlin auf, um unter anderem Entschädigungsfragen zu regeln. Ein Abschluss seiner Rabbinerausbildung in den USA und mögliche Berufsperspektiven in Berlin oder auch Paris sind weitere wichtige Aspekte in dieser Korrespondenz, die in Verbindung mit Ehrlichs Briefen an Franz Schürholz Einblick in seine Lebensverhältnisse geben. Im Nachlass von Ehrlich ist auch ein Brief Baecks an Ernst Gottfried Lowenthal179 vom 19. März 1954 enthalten. Darin findet sich eine treffende Charakterisierung Ehrlichs: Er hat schwere Jahre in Berlin versteckt gelebt und dann als illegaler Flüchtling in der Schweiz tapfer bestanden. In Basel hat er eine ausgezeichnete Dr.-Arbeit verfasst, und er hat Ihnen gewiss berichtet, wie er seine wissenschaftlichen Arbeiten fortzusetzen versucht und daneben im deutschen Rundfunk tätig ist. Ich schätze ihn als einen vortrefflichen und unbedingt zuverlässigen Charakter und einen Menschen von rechtschaffenen und unermüdlichen geistigen Streben. In Basel hat er keinen eigentlichen Kollegen und Studiengenossen gehabt und so ist er geneigt, seinem Urteil einen Ton von Selbstüberheblichkeit zu geben. Aber er ist für jede Kritik und jede Belehrung dankbar. Ich setze auf ihn manche Hoffnung.180
Ehrlich hatte Baeck in Berlin das letzte Mal kurz vor dessen Deportation, etwa Mitte Januar 1943, in seinem Büro in der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland in der Kantstraße in Charlottenburg besucht.181 Über ihre Beziehung in der Nachkriegszeit schreibt er: Nach dem Kriege traf ich Baeck jedes Jahr in Zürich, London, oder auf Tagungen, wo er seine alten Kollegen traf – von seinen eigentlichen Schülern der letzten Jahre waren ja nur zwei übrig geblieben. Das erste Treffen fand in London statt, auf einer Tagung der World Union for Progressive Judaism, zu der er mich eingeladen hatte. Anschließend an diese Konferenz fand in Oxford eine Tagung statt, zu der er eingeladen war. Er wusste zwar nicht ganz genau, worum es sich handelte, fragte mich aber, ob ich mitkommen wolle. Es war dies die Gründung des International Council of Christians and Jews.
179 E.G. Lowenthal hatte Baeck im Herbst 1948 während seines siebenwöchigen DeutschlandBesuchs begleitet. 180 Dazu folgende handschriftliche Randbemerkung von Michael A. Meyer vom 26. März 2000: „Dear Prof. Ehrlich, Since you were kind enough to send me Baeck material, I am hereby reciprocating by sending you a copy of a letter that I just read today. Baeck could be a very severe critic of others. His evaluation of yourself, despite some critique, is really quite complimentary.” 181 Am 17. September 1933 war nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten die Reichsvertretung der deutschen Juden zur Vertretung jüdischer Interessen in der Öffentlichkeit gegründete worden. Diese Organisation war bald umstrukturiert und „gleichgeschaltet“ worden, hieß 1935 Reichsvertretung der Juden in Deutschland, musste vom Februar 1939 an den Namen „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ tragen und wurde im Juli 1939 der Kontrolle des Reichsicherheitshauptamtes (RSHA) unterstellt.
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Die 5. Internationalen Konferenz der World Union for Progressive Judaism, die vom 25.–30. Juli 1946 in London stattfand, hatte das Thema „The Task of Progressive Judaism in the Post-War World“. Leo Baeck war damals Präsident dieses 1926 gegründeten Weltverbandes für religiös-liberales Judentum; Ehrlich ist im Konferenzbericht neben den Delegierten als einer von drei Gästen aus der Schweiz aufgeführt.182 Die anderen beiden Schweizer Teilnehmer waren demnach Rabbiner Eugen Messinger (Bern) und Ehrlichs Freund Herbert A. Strauss (Bern), der zum Schluss der Konferenz laut Protokoll auch das Wort ergriff. Ehrlichs späterer Wegbegleiter im jüdisch-christlichen Gespräch, Rabbiner Robert Raphael Geis, wurde im Zuge dieser Londoner Konferenz als liberaler Rabbiner ins besetzte Deutschland entsandt.183 Dass Geis, der von 1934 bis 1937 bereits Rabbiner in Mannheim gewesen war, nach Deutschland zurückkehrte, verdankte sich unter anderem auch den Bemühungen des evangelischen Theologen Hermann Maas (1877–1970), der im August 1946 wiederum einer von vier deutschen Teilnehmern an der Konferenz in Oxford war. Interessanterweise wird diese Tagung, die in einem 104 Seiten starken Protokoll dokumentiert ist, in Michael A. Meyers umfassender Geschichte der jüdischen Reformbewegung, „Antwort auf die Moderne“, nicht erwähnt. Meyer beginnt seine Darstellung der Reformbewegung in der Nachkriegswelt mit der 1949 in London stattfindenden zweiten Versammlung der World Union nach dem Krieg.184 In seiner Londoner Rede vom 28. Juli 1946 beschrieb Baeck den unerhörten Verlust, den das jüdische Volk und die ganze Menschheit seit der vierten WUPJKonferenz in Amsterdam im Jahr 1937 erfahren hatten. Er verwies aber auch auf die Anzeichen von neuem jüdischen Leben in Kontinentaleuropa, „trotz allem“: Since the last Conference of our World Union, a terrible ordeal has swept over the Jewish people and over humanity; it has once again proved true that the Jewish People and humanity are inseparable from one another […] During the time of horror, not only Jewish communities were destroyed as before, but whole Jewish regions. All and everything of the manifold forms of Jewish life has been hit by the severity of the loss and of the suffering. We must never forget what we have lost or whom we have lost. We must conserve this emotion within us – ‚lest we forget, lest we forget’ […]. Furthermore, on new soil, new seed was sown to ripen towards days of harvest; in South Africa and in Australia, in Canada and South America and in age-hallowed India. And deeply moved we stand watching how, on the martyred soil of the European Continent, in spite of everything, Jewish willpower is 182 The World Union for Progressive Judaism: The Task of Progressive Judaism in the Post-War World. S. 6. 183 The World Union for Progressive Judaism (wie Anm. 182). S. 87. 184 Vgl. Meyer, Michael A.: Antwort auf die Moderne. Geschichte der Reformbewegung im Judentum. Wien/Köln/Weimar 2000. S. 491.
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active, Jewish life, as in all forms thus also in that of our Progressive Judaism, endeavours to and will revive […].
Bemerkenswert ist dabei, dass Baeck in seiner Rede nicht die Liberalität der progressiven Bewegung betonte, sondern vielmehr ihr Judentum: This is what we must hold on to, what we must become ever more sure of: that Progressive Judaism can have its significance only in the midst of the whole of Judaism, of all Jewish life, only with a strong feeling for the common tasks, for the whole, that is before and above all the parts, for the ‘K’lal Israel’. We do not want to be a mere party, great or small, but a movement; not a sect, but an energy in Judaism […]. Judaism must not stand aside, when the great problems of humanity, which are reborn in every new epoch, struggle in the minds of men to gain expression, battle in the societies of mankind to find their way […]. We are Jews also for the sake of humanity; we should be there, quite especially in this world after the war; we have our questions to raise and have to give our answer. We know what history has spoken to us and what we have to say. We fight the Jewish fight for the world of men, the world of God’s children; fight for it with the strength of what is ours.
Einen Monat später, am 28. August 1946, schrieb Baeck an Ehrlich: Aber zum Schluss das Wesentlichere: Ich habe es als wirkliche Freude empfunden, dass es mir möglich wurde, Ihnen und Herbert Strauss den Weg zur Reise hierher zu öffnen und Sie beide wiederzusehen. Ich hoffe, nun bald wieder mit Ihnen zusammen zu sein.
Auf dieses erste Wiedersehen in London folgte eine Reihe von Begegnungen in der Schweiz sowie bei weiteren Tagungen der World Union for Progressive Judaism. Am 10. April 1951 lud Baeck Ehrlich anlässlich des 25. Jubiläums der World Union for Progressive Judaism für den Juli zu einer Tagung nach London ein. 1953 trafen die beiden sich in Luxemburg, Anfang Juni 1954 bei der Westeuropäischen Rabbinerkonferenz im belgischen Knokke, 1955 in Kopenhagen. Am 17. Februar 1955 teilte Baeck Ehrlich dazu mit: Für den 16. und 17. Mai ist eine Tagung der Konferenz Europäischer Rabbiner in Kopenhagen in Aussicht genommen. Falls Sie an ihr teilzunehmen wünschen und ich glaube, dass die Beratungen Ihnen vielerlei Anregungen geben werden, so will ich veranlassen, dass Ihnen rechtzeitig eine Einladung zugeht. Sie sind ja öfter in Deutschland und von dort aus ist der Weg nach Kopenhagen nicht mehr all zu weit.
Ehrlich kam auch Schürholz gegenüber auf die Kopenhagener Konferenz zu sprechen: „Dort versammelt Baeck dieses Jahr seine Getreuen, und er würde es nicht gerne sehen, wenn ich dabei fehle.“ Zuvor kam es aber noch zu einem Treffen in der Schweiz. „Ich freue mich, Sie am 8. Mai in Basel zu sehen“, schrieb Baeck am 1. April 1955 an Ehrlich, der kurz darauf an einem Kongress von Reli-
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gionswissenschaftlern in Rom teilnahm. Für Ehrlichs spätere Karriere dürfte aber ein Besuch Baecks in Basel ein halbes Jahr später entscheidend gewesen sein: Am 4. September 1955 fand dort die Installation der B’nai B’rith DistrictsGross-Loge Kontinental-Europa XIX statt, für die Ehrlich von 1961 an als EuropaDirektor tätig werden sollte. Die Rede, die Leo Baeck als Ehren-Großpräsident von B’nai B’rith in Basel hielt, machte deutlich, wie sehr die Logenarbeit Teil seiner eigenen Geschichte und Identität war. Einige programmatische Sätze daraus, so etwa Baecks Appell: „Verschiedenheit innerhalb der Einheit – nicht Uniformität. Uniformität ist immer das geistige Ende. Verschiedenheit in der Einheit, aber Ein heit in der Verschiedenheit. Nicht Eigenbrödelei!“185 wurden von Ehrlich in der Zukunft immer wieder aufgegriffen, beispielsweise noch in einer Predigt, die er Anfang der 1990er Jahre in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin hielt und in der er eben auch diese Sätze von Baeck, „unser aller Lehrer“, zitierte.186
7.3 Baecks Liebesgaben für bewährte Freunde An dieser Stelle soll auch ein besonderes Projekt Erwähnung finden, das Baeck und Ehrlich in den Nachkriegsjahren verband. Aus dem Briefwechsel der beiden geht hervor, dass Ehrlich von der Schweiz aus 1946/47 für Baeck Lebensmittelpakete an eine Reihe von dessen Freunde in Deutschland schickte, sogenannte Liebesgaben. „Könnten Sie mir Adresse und eventuell Katalog der Stelle senden, die die Pakete nach Deutschland verschickt?“, erkundigte sich Baeck bei Ehrlich und teilte ihm im Oktober 1946 mit, dass er ihm von London aus die Adressen für die Pakete schicken werde. Bei den Adressaten handelte es sich unter anderen um Maria von Hollitscher-Bogićerić im württembergischen Wolfegg, Martha Kosakowski in Berlin, Baron Igor de Launitz in Frankfurt am Main und HansHasso von Veltheim-Ostrau in Solingen sowie um Hans Walz in Mariahof bei Überlingen, also um Personen aus Baecks Netzwerk von Freunden und Bekannten, die ihn während des Nationalsozialismus unterstützt hatten; Maria von Hollitscher hatte beispielsweise nach Baecks Deportation persönliche Gegenstände und Manuskripte aus dessen Wohnung Am Park 15 in Berlin-Schöneberg an sich genommen und bei dem Privatgelehrten Hans-Hasso von Veltheim auf dessen 185 Baeck, Leo: Rede anlässlich der Installation der Districts-Gross-Loge Kontinental-Europa XIX in Basel (4. September 1955). In: Friedlander, Albert H. und Berthold Klappert (Hrsg.): Leo Baeck Werke. Nach der Schoa – Warum sind Juden in der Welt? Schriften aus der Nachkriegszeit, (Bd. 6). Gütersloh 2002. S. 463–471. 186 Ehrlich, Ernst Ludwig: Predigt zu Rosch Haschana. 4seitiges unveröffentlichtes Typoskript, Berlin o.J.
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Leo Baeck als Mentor
Schloss in Ostrau an der Saale aufbewahrt. Baron von Veltheim (1885–1956) und Leo Baeck hatten sich 1923 in Berlin kennengelernt.187 Die Beziehung von Hans Walz (1883–1974), dem Geschäftsführer der Robert Bosch AG, zu Leo Baeck und seine Rolle im deutschen Widerstand gegen die Nationalsozialisten sind ebenfalls bekannt;188 bei Baron de Launitz kann es sich um Igor Baron Schmidt von der Launitz (1895–o.A.) handeln, wobei nicht klar ist, in welchem Verhältnis er zu Baeck stand. Schwieriger ist es hingegen, Martha Kosakowski zuzuordnen. In einem Sachverständigen-Gutachten zur Bemessung des Wertes der verschollenen Berliner Privatbibliothek Baecks vom 25. September 1954 wurde aber zu deren Beschlagnahmung durch die Gestapo eine „Zeugin Kosakowski“ genannt, die mit ihr identisch sein dürfte.189
187 Vgl. Den Brief von Hans-Hasso von Veltheim –Ostrau an Leo Baeck vom 12. September 1945 in: Meyer, Michael A. (Hrsg.): Baeck Werke, Bd. 6. Gütersloh 2003. S. 616f. 188 Vgl. Baeck, Leo: Referenz für Hans Walz. In: Meyer, Michael A. (Hrsg.), Leo Baeck Werke, Bd. 6. Gütersloh 2003. S. 375. 189 Das Gutachten befindet sich in der Leo Baeck Collection des Archivs des Leo Baeck Institute in New York.
8 Amerika, die unerreichbare Alternative Eine Hoffnung, die Ehrlich auf Baeck und auf dessen Einfluss in der World Union for Progressive Judaism und am Hebrew Union College in den USA setzte, sollte sich nie erfüllen: sein Wunsch, die in Berlin abgebrochene Rabbinerausbildung in New York oder in Cincinnati zum Abschluss zu bringen. Seinen drei Berliner Studienfreunden war der Wechsel in die USA gelungen (Peter Lewinski, der seinen Namen in Nathan Peter Levinson umgeändert hatte, studierte seit 1941 am liberal ausgerichteten Hebrew Union College in Cincinnati; Herbert A. Strauss war 1946 nach New York übergesiedelt und Wolfgang Hamburger nahm 1947 sein Studium in Cincinnati auf). Neben Hamburger und Levinson wurden zu dieser Zeit am Hebrew Union College noch vier Studenten, die aus Deutschland gekommen waren, für das Rabbinat ausgebildet: Ernst Conrad, Albert H. Friedlander, Walter Plaut und Steven Schwarzschild. Ehrlichs weiterer Weg nach dem Abschluss seiner Basler Studien schien also vorgezeichnet, zumal das College personell aufs Engste mit der früheren Berliner Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums verbunden war: 1935 waren bereits fünf Studenten aus Deutschland am Hebrew Union College aufgenommen worden, und es war dem College-Präsidenten Julian Morgenstern schließlich gelungen, acht jüdischen Gelehrten die Einreise in die USA zu ermöglichen, nämlich Samuel Atlas, Alexander Guttmann, Abraham Heschel, Franz Landsberger, Franz Rosenthal, Isaiah Sonne und Eugen Täubler, bei dem Ehrlich selbst noch in Berlin studiert hatte.190 Am 21. Juli 1945 teilte er Franz Schürholz mit: „Meine Zukunftspläne gehen erstmal nach USA, aber ich muss abwarten…“ Dieses Abwarten sollte denn auch die nächsten Jahre bestimmen.
8.1 Hoffnungen auf das Hebrew Union College „Es wird Ihnen wohltun, wieder einmal hier zu sein, und es ist auch gut, dass Sie einige der Gäste aus America kennenlernen“, schrieb Leo Baeck am 7. April 1949 mit Bezug auf die kommende 6. Internationale Konferenz der World Union for Progressive Judaism in London und dachte dabei zweifellos an mögliche Ansprechpartner für Ehrlich in den USA. Er hatte Ehrlichs Amerika-Pläne schon vorher gut geheißen. So heißt es in einem Brief vom 24. Dezember 1946: „An Stephen Wise soll der Brief noch abgehen; er ist ein hilfsbereiter, gütiger Mensch, und man darf ihm nachsehen, dass er gern auftritt. Sie werden in America Ihren Weg gehen. Meine herzlichen Wünsche kommen zu Ihnen“, und am 17. Januar 1947 schrieb 190 Vgl. Meyer, Michael A.: The Refugee Scholars Project of the Hebrew Union College. In: A Bicentennial Festschrift for Jacob Rader Marcus. Cincinnati 1976.
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er: „Haben Sie bestimmte Pläne? Ich bemühe mich, Ihnen den Weg in America zu ebnen. Morgen will mich Dr. Senator aus Jerusalem, der dorthin fährt, aufsuchen. Ich will ihm Aufträge im Interesse von Strauß und Ihnen mitgeben.“191 Die Antwort von Rabbiner Stephen S. Wise (1874–1949), der Gründer und Leiter des Jewish Institute of Religion in New York192 war, fiel offenbar günstig aus, denn am 28. Februar 1947 teilte Baeck Ehrlich mit: „Dieser Tage erhielt ich von Stephen Wise einige Zeilen, in denen er mir u. a. mitteilt, dass er Sie gerne in seinem Institute aufnimmt. Ich vermute, dass er es Ihnen auch mitgeteilt hat. Was sind Ihre Pläne?“ Am 22. April schrieb Baeck nach seinem Aufenthalt in den USA: „Mit Strauss war ich selbstverständlich des öfteren zusammen und ich freute mich, seine Frau und die Tochter, die prächtig gedeiht, kennen zu lernen. Es geht ihnen gut und ich bin überzeugt, dass der Weg ihn vorwärts und aufwärts führen wird. Wir sprachen selbstverständlich von Ihnen des öfteren und davon, dass Sie nun wohl bald auch in New York sein werden. Ich zweifle nicht, dass Sie auch Ihren Weg dort finden werden.“ Kurz darauf, am 1. Juni 1949, folgte erneut die Frage nach Ehrlichs Plänen, zumal sich die Situation in den USA für ihn inzwischen geändert hatte: „Halten sie an Ihrer Absicht noch fest, nach Studienabschluss nach Amerika zu gehen, oder haben Sie andere Pläne? Sie wissen es sicherlich, dass Dr. Stephen Wise im April entschlafen ist, und dass das Institute of Jewish Religion [sic] in New York mit dem Hebrew Union College in Cincinnati vereinigt worden ist. Es ist eine Vereinigung des stärkeren und älteren Bruders mit dem jüngeren und schwächeren.“ Eine Woche später, am 8. Juni 1949, befand Baeck dann: „Wenn Sie hier sind [in London], werde ich mit Ihnen über Ihre amerikanischen Pläne auch sprechen können. Ich glaube auch, dass es richtig ist, dass Sie zunächst nach New York gehen.“
8.2 Neuorientierung Zwischenzeitlich sah Ernst Ludwig Ehrlich offenbar auch in Berlin eine berufliche Perspektive als Mitarbeiter der dortigen Jüdischen Gemeinde. Baeck dankte ihm nämlich am 28. April 1950 für seine Bereitschaft, für einige Zeit in Berlin zu arbei191 Mit Dr. Senator war zweifelsohne Werner David Senator (1896–1953) gemeint, Sozialpolitiker und Führungspersönlichkeit in einer Reihe jüdischer Organisationen in Berlin, der 1935 nach Palästina emigriert war, wo er in der Administration der Hebräischen Universität in Jerusalem tätig wurde. 192 Das New Yorker Jewish Institute of Religion wurde 1949 mit dem Hebrew Union College in Cincinnati vereinigt.
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ten, und schrieb, dass er den Plan, der Miss Montagu193 schon vorläge, zu fördern suche. Keine Woche später, am 3. Mai 1950 teilte er Ehrlich dann aber mit, dass endgültige Pläne für den „temporary Rabbi“ in Berlin noch nicht getroffen seien, und schrieb: „Die ganze Angelegenheit, auch die einer definitiven Bestellung eines Rabbiners, ist noch in der Schwebe. – Wenn Ihr Aufenthalt dort auch vorerst Ihrer privaten Wiedergutmachungsfrage gilt, so würde es doch sehr nützlich sein, wen etwas Ihrer Zeit auch der Jüdischen Gemeinde zur Verfügung gestellt werden könnte.“ Am 17. Mai 1950 teilte Baeck Ehrlich mit, dass er an einen Bekannten, der der Berliner Gemeinde-Verwaltung angehöre – Dr. Hugo Ehrlich194 – geschrieben und ihn angekündigt habe. Seinen Brief vom 7. Juni 1950 adressierte Baeck an Ehrlich „c/o Rechtsanwalt Israel, Neidenburger Allee 7, Berlin-Charlottenburg 9“, um ihn wissen zu lassen, dass er inzwischen auch mit Peter Levinson hier gesprochen und sich von ihm berichten gelassen habe; er freue sich sehr über die positive Einstellung der Herren des Gemeindevorstandes. Mit Blick auf die Finanzierung bemerkte Baeck: „Ich will mich auch gerne bemühen, bei der World Union in finanzieller Hinsicht etwas zu erreichen. Freilich bin ich nicht sehr hoffnungsvoll. Die Finanzen der Union sind sehr angespannt, und die Subvention, die für das Rabbinat in Berlin gewährt wird, hängt selbst wieder von einer Subvention seitens des Joints195 ab, die für dieses Jahr noch nicht bewilligt ist.“ Statt Ehrlich kehrte aber 1950 schließlich sein Jugendfreund Nathan Peter Levinson als Rabbiner nach Berlin zurück; er folgte Rabbiner Steven S. Schwarzschild (1924–1989) nach, der zwei Jahre lang auf Vermittlung der World Union for Progressive Judaism in Berlin amtiert hatte. Levinson war von der World Union eingeladen worden, in Berlin eine Probepredigt zu halten, die Bedingungen dort kennenzulernen und unter Umständen einige Jahre lang das Berliner Rabbinat zu übernehmen. Levinson zufolge war es Leo Baeck gewesen, der ihn für dieses Amt vorgeschlagen hatte.196 Ob Ehrlich seinerzeit wohl schon um diese Zusammenhänge wusste? Levinson wurde für drei Jahre der liberale Gemeinderabbiner von Berlin. Baeck teilte Ehrlich in diesem Zusammenhang am 30. August 1950 mit:
193 Lily Montagu (1873–1963) war 1926 Mitbegründerin der World Union for Progressive Judaism und amtierte von 1955–1959 als deren Präsidentin. 194 Der Rechtsanwalt und Notar Dr. Hugo Ehrlich war langjähriges Mitglied des Vorstandes und der Repräsentanz der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Er war in der Nachkriegszeit Baecks Berliner Rechtsbeistand und starb am 6. Dezember 1958 im Alter von 75 Jahren. 195 Kurzform für das American Jewish Joint Distribution Committee, eine seit 1914 vor allem in Europa tätige Hilfsorganisation US-amerikanischer Juden. 196 Nathan Peter Levinson: Ein Ort ist, mit wem du bist. Lebensstationen eines Rabbiners. Berlin 1996. S. 104.
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Es ist schade, dass die Berliner Gemeinde Ihre Kraft sich nicht nutzbar macht; es hätte doch manchen Nutzen für so manche bringen können. Inzwischen ist Rabbi Levinson in Berlin eingetroffen, den Sie vielleicht von der Lehranstalt her mit seinem alten Namen Levinsky [sic] noch kennen, Ich hoffe, dass Sie ihn schon gesehen und zu ihm Beziehungen angeknüpft haben. Er selbst wird sich sicherlich freuen, Sie dort in seiner Nähe zu haben.
Baecks Brief vom 19. September 1950 schloss daran an: „Ich freue mich sehr, dass Sie mit Rabbiner Levinson zusammenkommen. Ich las in der Allgemeinen Zeitung für die Jüdischen Gemeinde [sic] einen kleinen Aufsatz von ihm aus Anlass des neuen Jahres. Der Aufsatz ist ganz ausgezeichnet.“ Eine Bemerkung gegenüber Franz Schürholz macht deutlich, dass sich Ehrlich 1950 noch um andere Berufsmöglichkeiten bemühte. Er kündigte an, vom 12. bis zum 15. Mai 1950 an der Sitzung des Jewish World Congress in Paris teilzunehmen, bei dem er sich auch um eine Stelle beworben habe. Nachdem eine Anstellung in Berlin nun nicht mehr in Frage kam, war wieder von Amerika die Rede. Am 22. September 1950 schrieb Baeck: Ihr Entschluss ist der richtige, und ich denke, dass alles Erforderliche rasch geregelt sein wird. Ich hoffe auch, dass die Zahl der verlangten Semester vernünftig geordnet werden wird. In diesem Winter will ich wieder in U.S.A. tätig sein, aber vorsorglicherweise will ich nächster Tage an den Dean des Institut of Religion, Dr. Slonimsky schreiben. Es ist erforderlich, dass Sie unter Berufung auf den Bescheid, den Sie von Stephan Wise erhalten hatten, nochmals Ihren Antrag bei dem Institute einreichen.
Henry Slominsky (1884–1970) stammte aus Minsk, war als Kind in die USA gelangt und hatte 1912 bei Hermann Cohen in Marburg promoviert. Er ging 1952 in den Ruhestand. Eine Nachricht von ihm aus New York ließ offenbar auf sich warten, denn am 6. Dezember 1950 antwortete Baeck Ehrlich vom Hebrew Union College in Cincinnati aus: Es ist gut, dass Sie mich erinnert haben. Ich hätte schon längst bei Dr. Slonimsky anfragen sollen. Aber ich will es nun baldigst tun, vielleicht sogar, was am besten sein wird, telephonisch, um bald den Bescheid zu haben. In jedem Fall ist es recht, dass Sie sich bei dem Generalkonsul haben registrieren lassen, da man sich dort mit der Erledigung meistens sehr viel Zeit lässt. Was das Rabbiner-Examen in New York anbetrifft, so wird es das Richtigste sein, dass alles an Ort und Stelle zu besprechen.
Kurz darauf, am 18. Dezember 1950, hieß es dann aus Cincinnati: „Ich habe mich wie angekündigt mit Dean Sloniminsky in Verbindung gesetzt; die Sache kommt in Gang. Hoffentlich ist sie noch 1950 erledigt.“ Das war sie nicht, doch Ehrlich bestätigte Franz Schürholz noch am 13. März 1951, dass seine eigenen Pläne
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unverändert seien: „Nicht Deutschland oder Berlin, sondern USA; ich hoffe im Oktober herüberzukommen.“ Aus dieser Hoffnung wurde nichts. Am 23. März 1951 schrieb Baeck an Ehrlich: „Aus Ihrem Brief habe ich zu meinem Bedauern vernommen, dass Sie von Dr. Slonimsky noch keinen Bescheid erhalten haben. Ich kann es mir nur dadurch erklären, dass er seit Monaten erkrankt und nur zum Teil arbeitsfähig ist und jetzt einen längeren Urlaub antreten will. Ich will dort dafür sorgen, dass Sie bald den zusagenden Bescheid erhalten.“ Am 10. April 1951 kündigte Baeck die Übersendung der Abschrift eines Briefes von Dr. Orlinsky an Ehrlichs Adressen in Berlin und Basel an. Harry M. Orlinsky (1908–1992) vertrat zu dieser Zeit den Dean des Jewish Institute of Religion, Henry Slominsky. In seinem Brief an Leo Baeck machte Orlinsky darauf aufmerksam, dass Ehrlich sich offenbar nie formell um die Aufnahme am Institut beworben habe; jedenfalls läge seine Bewerbung nicht vor. Er schrieb: I have gone over the correspondence between Dr. Ehrlich and Dr. Wise and I find that Dr. Ehrlich did not respond to Dr. Wise’s letter of February 17, 1947, in which Dr. Wise asked him to write about his plans and to make application for admittance to the Jewish Institute of Religion.
Baeck bat daraufhin Ehrlich, doch selbst ein aufklärendes Scheiben an Orlinsky zu senden, und ließ ihn am 6. Juni 1951 noch wissen, dass er sich gefreut habe, „dass die Frage Ihres Visums für die Reise nach Amerika gut erledigt ist. Inzwischen haben Sie gewiss an Prof. Orlinsky nochmals geschrieben, so dass ich hoffen kann, Sie im Spätherbst in New York zu sehen, aber ich hoffe, Sie vorher schon zu sehen und zu sprechen.“ Danach war von Ehrlichs Amerika-Plänen keine Rede mehr. „Ich bin nach wie vor in Europa und gedenke es noch etliche Zeit zu bleiben“, teilte er am 21. Februar 1952 von Basel aus Franz Schürholz mit. Nathan Peter Levinson verließ Berlin 1953 und ging zurück in die USA. Sein Weggang eröffnete Ehrlich aber keine Chancen, als Prediger in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin unterzukommen. Leo Baeck ließ ihn am 28. August 1953 wissen, dass er dort Dr. Schreiber treffen könne, der früher in Potsdam Rabbiner gewesen sei und nun die Feiertagsgottesdienste in Berlin abhalten werde. Hermann Schreiber (1882–1954) starb 1954 nach seiner Neujahrspredigt in der Synagoge Pestalozzistraße in Berlin. Am 29. September 1953 wünschte Baeck Ehrlich: „Nun hoffe ich, dass die Unesco Ihnen das Tor öffnen wird.“ Zwischenzeitlich war für ihn auch Paris eine Option. Im Sommer 1953 hatte Ehrlich auf der Durchreise dort auch bei der UNESCO in Paris Halt gemacht. Im November 1953 schickte er seine Bewerbung nach Paris und Köln abgeschickt und hoffte auf Unterstützung dafür von Franz
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Thierfelder, dem Leiter des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart, und von Walter Erbe, dem Präsidenten der Deutschen UNESCO-Kommission in Köln. Eine Rückmeldung blieb offenbar aus. „Diese endlose Warterei macht keinen Spaß“, schrieb Ehrlich am an Schürholz. „Mein Plan mit der UNESCO besteht weiter. Es ist nicht leicht, aber weiter verlockend für mich, umso mehr als in Paris demnächst ein modernes Rabbinerseminar eröffnet wird, an dem ich vielleicht lehren könnte, aber natürlich nicht ohne die materielle Sicherung durch die UNESCO, da Paris bekanntlich inflatorisch teuer ist“, erläuterte Ehrlich Schürholz seine Pläne. „Im Grunde passe ich nach meiner Vorbildung und meinen Interessen nur in eine Abteilung hinein, und es ist die Frage, wann dort mal etwas frei werden wird.“
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Ein Rabbinerseminar für Europa?
In den ersten Jahren nach Kriegsende war in Deutschland an eine institutionalisierte Form von Wissenschaft des Judentums noch nicht zu denken. Rabbiner Leo Baeck war zunächst an der Rettung von Bibliotheksbeständen gelegen, die er für eine Society for Jewish Learning197 nach London zu holen gedachte: Es würde darauf ankommen festzustellen, wo vor allem sich die Bücher der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums befinden, und sie, damit nicht – je länger, desto mehr – Liebhaber für sie finden, nach England zu bringen. Ich nenne diese Bibliothek vor allen, weil ich der einzige noch übriggebliebene von den Dozenten und von der Verwaltung der Lehranstalt bin. Ein Interesse würde ich auch an meiner eigenen Bibliothek haben. Erich Warburg hatte meine Wohnung in Berlin besucht. Das Haus ist ausgebrannt, am wenigsten meine Parterre-Wohnung. Aber es ist in ihr keine Spur meiner Bibliothek zu finden, und alles deutet darauf hin, dass sie abgeholt wurde, um irgendwo in Verwahrung genommen zu werden. Daneben kämen die Bibliotheken der Jüdischen Gemeinde in Berlin, des Jüdisch-Theologischen Seminars in Breslau, des Rabbiner-Seminars in Breslau und die Bibliothek der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt/Main in Betracht.198
Einer der Ersten, die die Schaffung einer zentralen neuen Lehrstätte für Kantoren und jüdische Lehrer in Nachkriegsdeutschland anmahnte, war Magnus Davidsohn (1877–1958), einst Hauptkantor von Ehrlichs Synagoge in der Fasanenstraße in Berlin, der sich 1939 nach Großbritannien hatte retten können und 1956 von London nach Düsseldorf zog. Er forderte 1953 in einem Zeitungsartikel eine entsprechende Einrichtung als Ersatz für die zwangsweise geschlossenen Ausbildungsstätten der Vorkriegszeit, um das religiöse Wissen und die bedeutenden liturgischen Traditionen zu bewahren und weiterzugeben.199 Sein Appell blieb aber ohne Folgen. In der jüdischen Gemeinschaft Deutschlands wurde Anfang der 1950er Jahre immer wieder ein Mangel an Rabbiner beklagt. In seinem Aufsatz zur religiösen Situation im Nachkriegsdeutschland stellte Hugo Nothmann (1889–1979) dar, dass es in der Bundesrepublik lediglich drei Landesrabbinate gab, nämlich in Karlsruhe für Baden, in Frankfurt für Hessen und in Hamburg für Niedersachsen und Schleswig-Holstein, während München als damals größte jüdische Gemeinschaft ohne Landesrabbiner oder oberstem Gemeinderabbiner sei; es gebe zwar einige ostjüdische Rabbiner, insbesondere in München und Fürth, die aber in der 197 Gemeint sein dürfte die London Society for Jewish Study. 198 Baeck, Leo: Brief an Ernst G. Lowenthal vom 3. Januar 1947. In: Meyer, Michael A. (Hrsg.), S. 662. 199 Davidsohn, Magnus: Mangelnder Nachwuchs an Kantoren. In: Allgemeine Jüdische Wochen zeitung, 9. Oktober 1953.
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Öffentlichkeit nur wenig hervorträten und mehr im ostjüdischen Element wirkten. Tägliche Früh- und Abendgottesdienst gab es 1952 demnach nur in Berlin, Frankfurt a. M. und Fürth; in einer Reihe von Großstädten wurden Freitagabends und am Schabbatmorgen Gottesdienste abgehalten, an weiteren Orten nur an Neujahr und zum Versöhnungstag. Die Rabbiner besuchen gelegentlich die kleineren jüdischen Zentren, halten dort Ansprachen an die Gemeindemitglieder. Gelegentlich, z. B. in Hamburg und Köln, zeigen Laien ihren guten Willen, Sorge für die geistlichen Probleme der Gemeinde zu tragen, ebenso wie sie fast überall die Vorbeter stellen, weil es fast nirgends geschulte und geeignete Kantoren gibt. Überhaupt sind die Gemeinden alten Stils mit einem Rabbiner, Kantor, Religionslehrer usw. fast verschwunden.200
Die Besetzung dieser drei Landesrabbinate wechselte anfangs häufig. Wilhelm Weinberg (1901–1976), ein Absolvent der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, war von 1948 bis 1951 Rabbiner in Frankfurt und wanderte dann in die USA aus. In seiner Abschiedspredigt im November 1951 erklärte er: „Auch die politisch Blinden merken es allmählich, dass durch die deutschen Lande wieder jene Gestalten geistern, die für die reibungslose Durchsetzung der braunen Ordnung und des nazistischen Welteroberungszuges gearbeitet haben.“201 Rabbiner Siegbert Neufeld (1891–1971), ebenfalls Absolvent der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums, der 1951 von der Israelitischen Religionsgesellschaft Württembergs angestellt worden war, konstatierte rückblickend: „In der langen Zeit, in der ich fast allein in Deutschland war, wurde ich häufig, zum Teil auch telegrafisch oder telefonisch, aus den verschiedensten Gemeinden Deutschlands um religiöse Auskünfte gebeten. Ich spürte manchmal das Verlangen, mich mit einem Kollegen auszusprechen, aber es war keiner da.“202 Ernst Ludwig Ehrlich gab die Hoffnung auf einen Abschluss seiner Rabbinerausbildung nicht auf, auch wenn der Befund aus New York 1951 für ihn eine große Enttäuschung bedeutet haben musste. Im Briefwechsel mit Baeck kam er 1954/55 auf die Errichtung eines Rabbinerseminars zu sprechen, das seinen Platz offenbar in Europa haben sollte. Am 25. Juni 1954 dankte Baeck Ehrlich für dessen Auskünfte über die Haffkine-Stiftung, verwies auf den Kontakt zu Willy Dreyfus und schrieb: 200 Ebenda, S. 232. 201 Zitiert nach Romberg, Otto R. und Susanne Urban-Fahr (Hrsg.): Juden in Deutschland nach 1945. Bürger oder „Mit“-Bürger? Frankfurt am Main 1999. S. 138. 202 Zitiert nach Brenner, Michael: Religiöser Wiederaufbau. Rabbiner im Nachkriegsdeutschland – Zu einem Forschungsprojekt an der LMU München. In: Akademie aktuell, Zeitschrift der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 10 (2010) 1. S. 11.
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Ich bin allerdings zweifelhaft, ob die Satzung der Stiftung es zulassen wird, der von Dr. Meyer geplanten Anstalt eine wesentliche oder auch nur irgendwelche Beihilfe zuzuwenden. Doch ich will mich darum bemühen. Ich bin inzwischen von der Claims Conference um ein Gutachten angegangen worden und habe es auch bereits dorthin gesandt. Ich stimme Ihnen darin bei, dass Ihr Fall ein test case sein wird. Wenn irgend jemand, so haben Sie den Anspruch auf eine Beihilfe. Sie erfüllen alle die Voraussetzungen, an die gedacht werde könnte.
Am 15. September 1954 bat Baeck Ehrlich, ihn bei Willy Dreyfus zu entschuldigen, und fügte an: „Vielleicht kann im Wege der Korrespondenz das erledigt werden, was zu besprechen leider nicht möglich war. Ich fürchte zudem, dass die Sache nicht eilig ist, da die Haffkine-Stiftung doch eine Bewilligung aussprechen kann erst, wenn die geplante Anstalt etwas bestimmtere Formen angenommen hat.“ Die Initiative verlief zunächst offenbar im Sande, denn am 17. Februar 1955 teilte Baeck Ehrlich mit: „Die Frage der Rabbiner-Anstalt ist leider noch nicht vorwärts gekommen. Es besteht keine große Aussicht, dass ein ausreichender Betrag, wenn überhaupt irgendeiner, von der Claims Conference bewilligt wird. Ich versuche es aber, wenn auch bisher ohne sichtbaren Erfolg, auf anderen Wegen; vielleicht führt der eine oder andere nun doch vorwärts.“ In Verbindung mit Ehrlichs Brief an Schürholz, in dem er auf ein „modernes Rabbinerseminar“ in Paris verweist, wird deutlich, um wen es sich bei dem von Baeck zitierten „Dr. Meyer“ gehandelt haben mag. Er bezog sich sehr wahrscheinlich auf Rabbiner Louis-Germain Lévy (1870–1946), der 1945 nach Paris zurückgekehrt war und sich dort um den Wiederaufbau der liberalen jüdischen Gemeinde in der Rue Copernic bemüht hatte. Unter seinem Nachfolger André Zaoui eröffnete die World Union for Progressive Judaism im Oktober 1955 in Paris das Insti tut International d`Études Hébraiques mit sieben Studenten, die Rabbiner oder Lehrer werden wollten; die Finanzierung wurde durch die World Union, den Joint, deutschen Reparationszahlungen und einzelnen Förderern ermöglicht. Das Institut erlebte laut Michael A. Meyer aber bald einen Rückgang und wurde schließlich zu einer Erwachsenen- und Lehrerfortbildungseinrichtung – unter anderem deswegen, weil in der progressiven jüdischen Gemeinschaft das Englische vorherrschend und französischsprachiger Unterricht nur für wenige Rabbinatsstudenten attraktiv war.203 Unter den Rabbinerstudenten, die ihre Ausbildung in Paris aufgenommen hatten, war auch Michael Leipziger (geb. 1937 in Beuthen/ heute Bytom), der sein Studium nach der Auflösung dieses Studienganges am Jewish Theological Seminary in New York zu Ende brachte. Eine zweite Person, die Baeck nannte, ist leichter zu identifizieren: Willy Dreyfus (1885-1977) hatte das Bankhaus J. Dreyfus & Co. seit 1909 als persönlich 203 Vgl. Meyer, Michael A.: Antwort auf die Moderne. S. 493.
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haftender Gesellschafter geleitet und war seit 1927 an der Seite von Eugen Landau und Max M. Warburg einer der drei Vizevorsitzenden des Hilfsvereins der deutschen Juden unter dem Vorsitz von James Simon gewesen. 1938 emigrierte Dreyfus in die Schweiz.204 Die Basler Schwestergesellschaft, die von einem anderen Familienzweig geführt wurde, blieb von der Arisierung in Deutschland unberührt, firmiert als Dreyfus Söhne & Co. und ist seit 1942 Aktiengesellschaft; dadurch, dass der Sohn von Willy Dreyfus in diese Schweizer Bank eintrat, war die Gründerfamilie wieder vereint. Mit der Haffkine-Stiftung ist die Fondation Haffkine in Lausanne gemeint, die 1929 von Waldemar Mordecai Wolff Haffkine (1860–1930) mit dem Ziel eingerichtet wurde, die traditionelle jüdische Erziehung in Osteuropa zu fördern. Sie besteht laut Schweizer Handelsregistereintrag bis heute. Ob es an Ehrlichs unzureichenden Französischkenntnissen oder an Geldmangel lag, dass er die Pariser Option 1955 nicht für sich nutzte, lässt sich nicht nachvollziehen. Zur selben Zeit nahmen auch in London die Pläne für eine Ausbildungsstätte für Rabbiner Gestalt an. Den deutsch-jüdischen Emigranten in Großbritannien war es ein Bedürfnis, mit ihrem kulturellen Erbe auch die Wissenschaft des Judentums für die Nachwelt zu erhalten. Kurz nach der Übersiedlung Leo Baecks nach London war dort die Society for Jewish Study ins Leben gerufen worden, und anlässlich von Leo Baecks 80. Geburtstag wurde 1953 ein Fonds “for the purpose of endowing scholarships for the training of Ministers and Teachers“ eingerichtet. Am 30. September 1956 eröffnete Rabbiner Werner van der Zyl (1902– 1984) das Jewish Theological College an der West London Synagogue. Leo Baeck konnte an der Gründungsveranstaltung dieser Ausbildungsstätte der Association of Synagogues in Great Britain noch teilnehmen; als er zwei Monate später starb, wurde die Einrichtung in Leo Baeck College umbenannt. Das Vorbild war auch hier die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin, und viele der dort lehrenden Rabbiner hatten noch als Schüler Baecks an der Berliner Hochschule studiert.205 Für Ehrlich kam aber offenbar auch London nicht in Frage, um sein Rabbinatsstudium formell abzuschließen.
204 Vgl. Röder, Werner und Herbert A. Strauss (Hrsg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933. Bd. 1: Politik, Wirtschaft, Öffentliches Leben. München 1980. S. 138. 205 Vgl. Magonet, Jonathan: From Artilleriestrasse to Upper Berkeley Street. The Origins of a Rabbinical College. In: European Judaism 1 (2006).
10 Ein freier Wissenschaftler auf der Suche 10 nach Perspektiven Ein freier Wissenschaftler auf der Suche nach Perspektiven Ein freier Wissenschaftler auf der Suche nach Perspektiven
Am 18. April 1950 schrieb Ehrlich an Schürholz, dass er am Tag zuvor um 12:10 Uhr sein Doktorexamen bestanden habe: „Besonders Jaspers war sehr nett und die Prüfung angenehm.“ Baeck gratulierte ihm am 28. April 1950 zum ausgezeichneten Erfolg. Einen Tag zuvor hatte Ehrlich Schürholz gegenüber festgestellt: „Das Doktordiplom speit leider keine Dukaten.“ Der Dissertationsdruck musste von Ehrlich selbst bezahlt werden und schlug beträchtlich zu Buche. „Erfreuliches geschieht nicht, eine Stellung habe ich nicht, und Siebeck wird mein Buch kaum nehmen können“, lautete Ehrlichs Bestandsaufnahme gegenüber Franz Schürholz vom 5. Oktober 1951. Nach seiner Promotion hatte Ernst Ludwig Ehrlich über fast zehn Jahre hinweg keine berufliche Perspektive und wurde unwillentlich zum freien Wissenschaftler und Publizisten, was mit viel Geschäftigkeit und wenig Einkünften verbunden war. Zur ersten festen Anstellung kam es erst 1958, als er Zentralsekretär der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz wurde; er übte dieses Amt bis 1996 aus. Von 1961 bis 1994 war er zudem Direktor des Europäischen B’nai B’rith. Er machte offenbar trotz der unsicheren Lage eine gute Miene. In der Allge meine Wochenzeitung der Juden in Deutschland hieß es im Dezember 1958: Dr. Ehrlich sprüht von Plänen und hat einige interessante Arbeitsprojekte. Bereits in Druck ist das für März 1959 geplante Werk ‚Kultsymbolik des Alten Testaments und des nachbiblischen Judentums‘, am 1. Januar 1959 wird er mit seiner Kollegin Dr. Eleonore Sterling, Assistentin am Institut für Politische Wissenschaft. Frankfurt a. M., im Auftrag des Münchener Institut für Zeitgeschichte eine ‚Modellstudie über jüdische Gemeinden in Deutschland im Zeitraum von 1930 bis zu ihrer Vernichtung‘ beginnen. Außerdem plant er eine ‚Dokumentensammlung zur Geschichte der Juden im 19. und 20. Jahrhundert‘.
Die Zusammenarbeit mit Eleonore Sterling (1925–1968), die 1959 mit dem LeoBaeck-Preis ausgezeichnet wurde, fand anscheinend aber nicht statt, und auch die Dokumentation kam nicht zu Stande. Dennoch blieb Ehrlich diesem optimistischen Tenor in seiner Selbstdeutung zumindest nach außen hin treu. Gegenüber Rolf Vogel ließ er 1984 die 1950er Jahre mit folgenden Worten Revue passieren: Im Verlag Walter de Gruyter konnte damals auch meine Dissertation veröffentlicht werden: das Buch ist inzwischen längst vergriffen. In den Jahren 1950 bis 1952 erhielt ich dann die Gelegenheit, beim NWDR Berlin die jüdischen Sendungen mitzugestalten. Als freier Wissenschaftler kam ich allmählich zu einer regelmäßigen Vortragstätigkeit in der Schweiz und in Deutschland. Einiges wurde in wissenschaftlichen Zeitschriften veröffentlicht. Damals begann ich auch Material für die beiden Bücher zu sammeln, die in den folgenden Jahren
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Ein freier Wissenschaftler auf der Suche nach Perspektiven
erschienen: ‚Geschichte Israels im Altertum‘ (1958, seitdem auch in japanischer, englischer, amerikanischer und spanischer Ausgabe) sowie ‚Kultsymbolik des Alten Testaments und des nachbiblischen Judentums‘ (1959). 1955 bekam ich das Angebot, an der Universität Frankfurt regelmäßig im Rahmen der Loeb Lectures zu wirken. Professor Max Horkheimer hatte zur Vorbereitung eines Lehr stuhls für die Wissenschaft des Judentums Gelder aus Amerika bekommen, und bald war ich derjenige, der regelmäßig jedes Semester für Blockvorlesungen eingeladen wurde. Diese Tätigkeit erstreckte sich über sieben Jahre. 1958 und 1959 war ich zusätzlich Gastdozent an der Freien Universität Berlin, am Seminar für evangelische Theologie, bevor dort ein eigener Lehrstuhl errichtet wurde. Der Frankfurter Lehrstuhl hatte Tradition. Martin Buber war als Honorarprofessor bis 1933 in Frankfurt tätig. Und man wollte nun wieder einen Lehrstuhl schaffen. 1963 bekam ich vom damaligen Kultusminister des Landes Hessen, Schütte, den Ruf als erster Lehrstuhlinhaber für den Lehrstuhl für die Wissenschaft des Judentums in Frankfurt.206
Das Selbstbild, das Ehrlich sowohl Hermann Lewy für die Allgemeine Wochenzeitung der Juden als auch zweieinhalb Jahrzehnte später Rolf Vogel vermittelte, lässt all die Sorgen außer Acht, die aus seinen Briefen sprechen, die er in den 1950er Jahren an Franz Schürholz schrieb. In ihnen ist von Berufs- und Perspektivlosigkeit nach der Dissertation die Rede, von Geldsorgen und Unbehagen an Deutschland.
206 Vogel (wie Anm. 19), S. 61.
11 Rückkehr nach Berlin
Rückkehr nach Berlin
„Die Prägung gerade durch die Hochschule für die Wissenschaft des Judentums wird entscheidend“, charakterisierte Pater Willehad Paul Eckert Ehrlich, dem er erstmals in den 1950er Jahren in Basel begegnet war. „Dadurch kann er das beste Erbe des deutschen Judentums in sich aufnehmen, verarbeiten, neu realisieren.“207 Die Vertreter eines aufgeklärten liberalen Judentums waren nach Verfolgung, Flucht und Schoa im Nachkriegsdeutschland aber in der Minderzahl. „Nach 1945 konnte man diese deutsch-jüdischen Traditionen nur noch in der Emigration finden, von London über New York bis Montevideo“, schreibt dazu Michael Brenner. In Deutschland selbst jedoch setzte sich die jüdische Bevölkerung größtenteils aus osteuropäischen Juden zusammen, die ganz andere Traditionen mit sich brachten. Das dabei heute herrschende Missverständnis macht ihre Nachkommen oftmals zu ‚Orthodoxen‘, die streng an den jüdischen Religionsgesetzen festhalten. Dies trifft jedoch nur auf eine verschwindend kleine Minderheit zu. Wenn trotzdem die meisten ‚Drei-Tage-Juden‘ an den Hohen Feiertagen eine orthodoxe Synagoge besuchen, so hat dies vor allem mit einer gefühlsmäßigen Bindung an familiäre Traditionen zu tun.208
Eine Ausnahme bildete Berlin, wo Heinz Galinski (1912–1992) sich als Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Berlin dafür einsetzte, „dass liberale und orthodoxe Gottesdienste unserer Tradition gemäß stattfinden, das Lehren und Lernen jüdischer Inhalte, das Vermitteln und Erleben jüdischer Identität durch die Gemeinde ermöglicht werden.“209 Walter Homolka hat in „Neuanfang und Rückbesinnung. Das liberale Judentum in Deutschland nach der Schoa“ die Kontinuitäten und Brüche benannt, die liberale Rabbiner und Laien in der Nachkriegszeit in Deutschland wahrnahmen.210
207 Eckert, Willehad Paul: Laudatio auf Ernst Ludwig Ehrlich. In: Münz, Christoph und Rudolf W. Sirsch (Hrsg.): „Denk an die Tage der Vergangenheit – Lerne aus der Geschichte“. 40 Jahre Buber-Rosenzweig-Medaille, Berlin 2009. S. 98. 208 Brenner, Michael: Als in der Synagoge die Orgel erklang: Reinheit des Glaubens oder Einheit der Gemeinden? Zur Geschichte des Streits zwischen orthodoxen und liberalen Juden. In: Die Welt (14.05.2004). 209 Zitiert nach: „… um der Menschheit zu ersparen, was uns nicht erspart geblieben ist …“. Burkhard Asmuss und Andreas Nachama im Gespräch mit Heinz Galinski anläßlich seines 70. Geburtstages [1982]. In: Nachama, Andreas und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Aufbau nach dem Untergang. Deutsch-jüdische Geschichte nach 1945. In memoriam Heinz Galinski, Berlin 1992. S. 67. 210 Vgl. Homolka, Walter: Neuanfang und Rückbesinnung. Das liberale Judentum in Deutschland nach der Schoa. In: Elke-Vera Kotowski (Hrsg.): Das Kulturerbe deutschsprachiger Juden . Eine Spurensuche in den Ursprungs-, Transit- und Emigrationsländern. Berlin 2014 (im Druck).
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Rückkehr nach Berlin
Im Juli 1951 hielt Heinz Galinski auf der internationalen Tagung zum 25jährigen Bestehen der World Union for Progressive Judaism in London einen vielbeachteten Vortrag, in dem er die Aufbauarbeit in der Jüdischen Gemeinde zu Berlin seit Kriegsende schilderte und versprach, sich für einen Ausgleich zwischen liberalen und orthodoxen Juden einzusetzen.211 „Nach sieben Jahren erzwungener Abwesenheit kehrte ich im Jahre 1950 nach Berlin zurück“, schrieb Ernst Ludwig Ehrlich 1992 in „Aufbau nach dem Untergang. In memoriam Heinz Galinski“.212 Während seines Studiums hatte Ehrlich in Basel entgegen eines Verbotes jüdischen Religionsunterricht erteilt und damit etwas Geld hinzuverdient, um nicht ständig auf die Wohltätigkeit anderer angewiesen zu sein. Während der Prüfungsvorbereitungen war dieser Zuverdienst dann nicht mehr möglich gewesen. Ehrlich kam aber ein glücklicher Zufall zu Hilfe: Ein Emigrantenfonds wurde liquidiert, und er erhielt etwa 400 Franken, die es ihm erlaubten, nach Berlin zu fliegen. „Ich kenne außer Israel in Berlin kaum jemanden mehr“, schrieb Ehrlich am 27. April 1950 an Franz Schürholz. Mit „Israel“ war Georg Israel gemeint, der Rechtsanwalt, durch dessen Vermittlung die beiden sich im Februar 1943 kennengelernt hatten und der ihm nun bei der Durchsetzung von Restitutionsansprüchen half. Das am 10. November 1947 verkündete Rückerstattungsgesetz trug zu einer ersten Existenzsicherung der Juden im Nachkriegsdeutschland bei. Die Wiederherstellung des Rechtes auf dem Weg hin zur sogenannten Wiedergutmachung sorgte dafür, dass es wieder Privatbesitz geben konnte und dass Juden deutscher Herkunft wieder die Möglichkeit hatten, sich mit Hilfe ihres rückerstatteten Eigentums ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Im Zuge der Feststellung des ehemaligen jüdischen Eigentums zeigte sich aber auch, wie sehr die Substanz des deutschen Judentums vernichtet worden war. Ehrlichs Familie hatte Anteile an einem Haus in der Badstraße besessen, die sie auf Druck der Nationalsozialisten zwangsverkauften mussten. Als Ernst Ludwig Ehrlich 1950 nach Berlin zurückkehrte, war der Käufer, der diese Anteile übernommen hatte und in dem Haus ein florierendes Wollwarengeschäft betrieb, so entgegenkommend, ihm dafür DM 6.000,- zu überlassen. „Das war viel Geld nach der Währungsreform“, stellte er 1984 gegenüber Rolf Vogel fest.213
211 Vgl. „AJR Reception for Berlin Guests”. In: Association of Jewish Refugees from Germany( Hrsg.): ARJ Information, August 1951. S. 7; Nachama, Andreas (Hrsg.): “Ich weiß, ich bin kein Bequemer …“. Heinz Galinski – Mahner, Streier, Stimme der Überlebenden. Berlin 2012. S. 77. 212 Ehrlich, Ernst Ludwig: Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der christlich-jüdische Dialog. In: Nachama, Andreas und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Aufbau nach dem Untergang. Deutsch-jüdische Geschichte nach 1945. In memoriam Heinz Galinski. Berlin 1992. S. 323. 213 Vogel (wie Anm. 19). S. 60.
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Es gelang Ehrlich zudem, ein Trümmergrundstück zu verkaufen, auf dem einst ein Haus gestanden hatte, dass ihm schon in den 1930er Jahren überschrieben und seinen Worten nach in den letzten Kriegstagen von der SS angezündet worden war. „So hatte ich nach 1950 etwas Geld, bevor die eigentliche Entschädigung erfolgte.“ Um diese durchzusetzen, brauchte es allerdings Belege und Beweise, und Ehrlich schrieb mehrfach an Franz Schürholz, bis er von ihm endlich die nötige Bescheinigung erhielt, dass er sich vom 27. Februar bis zum 13. Juni 1943 mit kurzer Unterbrechung illegal in dessen Büro aufgehalten und keine Lebensmittelkarten bezogen hatte. Am 16. September 1950 teilte er Schürholz mit: „Ich erhielt zuletzt von Ihnen die Bestätigung meiner Illegalität, für die Bescheinigung danke ich Ihnen übrigens noch nachträglich.“ Ehrlich bezeichnete Berlin in seinen Briefen an Schürholz nur einmal als „das Tränental“, nämlich am 16. September 1950, als er in der Stadt war, um seinen „Besitz zu realisieren.“ In den übrigen Kommentaren unterschied er stets zwischen (West-) Berlin und dem reaktionären Klima in Westdeutschland. Am 28. Mai 1952 meinte er: „Ich fühle mich in Berlin ganz wohl – wenn doch nicht zuhause – und diese Heimatlosigkeit, die natürlich nicht mir allein zueigen ist, trägt auch nicht zum allgemeinen Wohlbefinden bei. Immerhin kann man in Berlin leben“, am 8. März 1953 stellte er fest, dass die Leute in Berlin wohl doch noch etwas besser als woanders seien, auch das politische Anti-Naziklima sei ganz erfreulich, und am 25. September 1953 befand er schließlich: „Ich fühle mich doch in Berlin sehr zu Hause, und es gibt dort recht erfreuliche Kreise. Jedenfalls herrscht eine durchaus erfreuliche Atmosphäre. Westberlin ist eben doch etwas ganz besonderes.“ Ehrlich traf in Ost-Berlin auch die frühere Hausangestellte und Helferin Emma Haamel (1887–1957) wieder. So kam er in einem Brief an Frau Schürholz am 28.11. 1950 auf ein Päckchen von Frau Haamel zu sprechen, das ihm über Wangen zugestellt werden sollte, und erwähnte am 9. April 1951 seine Bibliothek, die nach Osten verlagert worden sei und aus der nun sechs Kisten über Wangen nach Basel geschickt werden sollten. Lotte Strauss bemerkte über das frühere Dienstmädchen der Ehrlichs: „Sie bewahrte die Ehrlichschen Besitztümer während des Krieges und gab sie anschließend an Lutz zurück.“214 Zu den „erfreulichen Kreisen“ dürften auch Gleichgesinnte innerhalb der Jüdischen Gemeinde zu Berlin gehört haben, die damals – am 1. April 1955 – nach den statistischen Angaben der Zentralwohlfahrtstelle der Juden in Deutschland 4.386 Mitglieder zählte.215 214 Strauss, Lotte: Über den grünen Hügel. Erinnerungen an Deutschland. Berlin 1997. S. 101. 215 Vgl. Landau, Ernest: Die Bevölkerungsstatistik: Wenig Geburten – viele Todesfälle. In: Ganther, Heinz (Hrsg.): Die Juden in Deutschland. Ein Almanach. Hamburg 1959. S. 460.
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Es war unter anderem der Arbeitskreis von B’nai B’rith, der für deutsche Juden im Nachkriegsberlin ein Stück Gemeinschaft bot und mit der auch Ernst Ludwig Ehrlich in Verbindung stand.216 „Als im Jahre 1945 die Überlebenden des Holocaust das Wagnis unternahmen, die jüdische Gemeinde in Berlin wieder aufzubauen, hat sie vielleicht im Unterbewusstsein Leo Baecks Ausspruch vom ‚Ewigen Dennoch‘ zu dieser Tat beflügelt“, sagte Rabbiner Manfred Lubliner anlässlich des 25jährigen Jubiläums der Berliner Leo Baeck-Traditionsloge im Dezember 1984. Dieses ‚Ewige Dennoch‘ mochte auch die wenigen ehemaligen Mitglieder des Unabhängigen Orden B’nai B’rith’, die die Verfolgung durch die Nationalsozialisten überlebt hatten und nach Berlin zurückgekehrt waren, dazu bewogen haben, sich bereits 1946 auf Initiative von Adolf Schoyer zu einem Bruderkreis zu vereinen, um den Logengedanken von „Wohltätigkeit, Brüderlichkeit, Einheit“ zu bewahren und einander ein Stück Heimat zu geben. Der erste Präsident der Berliner Leo Baeck-Traditionsloge, Wilhelm Grzyb, sagte anlässlich der Installation am 13. Dezember 1959: Aufgabe der Loge muss es jetzt sein, mitzuhelfen, dass die geschlagenen Wunden heilen. Wer wollte es den Brüdern, die aus den Lagern zurückgekehrt sind oder aus der Illegalität, verdenken, dass sie ihr inneres Gleichgewicht noch nicht völlig wieder gefunden haben? Das gleiche gilt von den Brüdern, die aus den verschiedensten Ländern zurückkehren und niemand von ihren Verwandten oder ihren alten Freunden wieder finden. Ihnen wollen wir unsere brüderliche Hand entgegenstrecken.217
Auf Dauer mochte Ehrlich aber nicht in Berlin leben. Am 20. Dezember 1951 schrieb er an Schürholz: „Meine Absicht ist es nach wie vor in die USA auszuwandern, aber erst muss alles in Deutschland abgewickelt sein und ich möchte eigentlich auch noch die Korrekturen der Arbeit hier zu Gesicht bekommen. – Beruflich haben sich in Deutschland keine besonderen Möglichkeiten gezeigt; Sie wissen ja am besten, wie kompliziert und verwickelt das in jeder Beziehung ist!“ Bemerkenswerterweise kam es in Berlin nie zu einem Wiedersehen von Ernst Ludwig Ehrlich und Leo Baeck. Als Baeck im August 1951 in Berlin zu Besuch war und in der Synagoge in der Pestalozzistraße sprach, war Ehrlich nicht zugegen; Baeck war damals bei Nathan Peter Levinson zu Gast.218 Die christlich-jüdische
216 Auskunft des letzten Vizepräsidenten der Leo Baeck-Traditionsloge, Nathan Milgrom (Berlin). 217 Vgl. Bomhoff, Hartmut: „Inmitten meines Volkes lebe ich“. Leo Baeck zu Ehren: 50 Jahre B’nai B’rith in Berlin. In: Deutscher Koordinierungsrat der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (Hrsg.): In unserer Mitte leben: Mit uns Leben. Themenheft zur Woche der Brüderlichkeit 1996. Frankfurt am Main 1995. S. 35–36. 218 Levinson, Nathan Peter: Ein Ort ist, mit wem du bist. Lebensstationen eines Rabbiners. Berlin 1996. S. 120.
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Zusammenarbeit war dabei nur am Rande Thema. Nicht Levinson oder Ehrlich, sondern die Berliner SPD-Bundestagsabgeordnete Jeanette Wolff (1888–1976), die 1951 an der Tagung der World Union for Progressive Judaism in London teilgenommen hatte, versuchte im selben Jahr Namen der Berliner Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit „Herrn Rabbiner Dr. Leo Baeck zu sprechen, der einen starken Einfluss im ausländischen Judentum besitzt und auch unseren Bestrebungen gegenüber sehr positiv eingestellt ist“, um ihn für ein „Internationales Gespräch mit jüdischen Mitbürgern des Auslands und Deutschen“ in Berlin zu gewinnen – ein Gespräch, das so aber nie zu Stande kam.219 Drei Jahre später hatte dann offenbar auch Ehrlich mit der Berliner Gesellschaft und ihrem Anliegen zu tun, denn einige Zeilen des Briefes, den Baeck am 6. Oktober 1954 an Ehrlich schrieb – „Nach Berlin werde ich leider nicht reisen können. Ich muss meine übliche Reise nach Amerika Anfang November wieder antreten… Aber vielleicht kann ich später einmal für Berlin zur Verfügung sein.“ – entspricht fast wörtlich dem Wortlaut des Briefes, den Baeck am Tag zuvor an den evangelischen Vorsitzenden der Berliner Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, Senator Joachim Tiburtius, gerichtet hatte: „Zu meinem aufrichtigen Bedauern werde ich nicht in der Lage sein, im November nach Berlin zu kommen. Seit 8 Jahren bin ich als visiting professor einigen amerikanischen Hochschulen für die Wintermonate verpflichtet, und ich muss so auch dieses Jahr Anfang November wieder nach den Vereinigten Staaten reisen. […] Vielleicht fügt es sich später einmal so.“220 Zu den prägenden Begegnungen Ehrlichs im Nachkriegsberlin gehörte seine Bekanntschaft mit dem späteren Gemeindevorsitzenden Heinz Galinski (1912– 1992), die Jahrzehnte währen sollte. „42 Jahre sind es her, daß Heinz Galinski und ich uns kennenlernten. Nach sieben Jahren erzwungener Abwesenheit kehrte ich im Jahre 1950 nach Berlin zurück. Unsere Begegnung war zwangsläufig. Wer in Berlin etwas mit Judentum zu tun hatte, traf notwendigerweise das damals schon geschäftsführende Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde“, schreibt er 1992 in einem Aufsatz in memoriam Heinz Galinski.221
219 Vgl. Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Berlin e.V. (Hrsg.): 50 Jahre im Gespräch. Eine Festschrift. Berlin 1999. S. 85. 220 Zitiert nach: Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Berlin e.V. (Hrsg.): 50 Jahre im Gespräch. Eine Festschrift. Berlin 1999. S. 68. 221 Ehrlich, Ernst Ludwig: Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der christlich-jüdische Dialog. In: Nachama, Andreas und Julius H. Schoeps (Hrsg.): Aufbau nach dem Untergang. Deutsch—Jüdische Geschichte nach 1945. In memoriam Heinz Galinski, Berlin 1992. S. 323.
12 Leiden an Deutschland „Der Sinn für Demokratie fehlt den Deutschen restlos“. Dies war wohl das entschiedenste Verdikt von Ernst Ludwig Ehrlich nach seiner Rückkehr nach Berlin, so formuliert in einem Brief an Franz Schürholz am 28. Mai 1952. Mit seinen Vorbehalten stand Ehrlich bei weitem nicht allein. „Worauf es ankam – unterblieb“, hieß es wie bereits zitiert am 30. Juni 1950 in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland. Als Bundespräsident Theodor Heuss während seines Antrittsbesuches in Hessen am 7. Dezember1949 auch der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Wiesbaden einen Besuch abstattete, führte er in seiner Ansprache anstelle der Rede von einer Kollektivschuld den euphemistischen Begriff der „Kollektivscham“ ein: Es hat keinen Sinn, um die Dinge herumzureden. Das scheußliche Unrecht, das sich am jüdischen Volke vollzogen hat, muss zur Sprache gebracht werden in dem Sinne: Sind wir, bin ich, bist du schuld, weil wir in Deutschland lebten, sind wir mitschuldig an diesem teuflischen Verbrechen? […] Man hat von einer ‚Kollektivschuld‘ des deutschen Volkes gesprochen. Das Wort Kollektivschuld und was dahinter steht, ist aber eine simple Vereinfachung, es ist eine Umdrehung, nämlich der Art, wie die Nazis es gewohnt waren, die Juden anzusehen: dass die Tatsache, Jude zu sein, bereits das Schuldphänomen in sich eingeschlossen habe. Aber etwas wie eine Kollektivscham ist aus dieser Zeit gewachsen und geblieben. Das Schlimmste, was Hitler uns angetan hat – und er hat uns viel angetan –, ist doch dies gewesen, dass er uns in die Scham gezwungen hat, mit ihm und seinen Gesellen gemeinsam den Namen Deutsche zu tragen.222
Die Rede, die den Titel „Mut zur Liebe“ trug, stieß auf vielfältige Resonanz; Flüchtlinge machten vor allem auf das ihnen widerfahrene Unrecht und auf die beträchtlichen deutschen Opfer aufmerksam. Für Heuss bot der Begriff der Kollektivscham aber die Möglichkeit, zwischen den zwei Polen zu vermitteln, nämlich zwischen von der breiten Bevölkerung pauschal abgelehnten Rede von der Kollektivschuld einerseits und dem Ruf nach einem „Schlussstrich“ andererseits. Leo Baeck, der Theodor Heuss erstmals 1937 persönlich begegnet sein dürfte,223 hieß den Begriff grundsätzlich gut: Alle Individualität, diese wahrste Grenze, wurzelt in der Ewigkeit; die Politik mit ihren fabrizierten Grenzen wohnt in Tagen und Jahren. Echt ist nur, was irgendwie aus der Ewigkeit herkommt, auch die wahre Scham kommt von dort. In der Collectiv-scham [sic] – dieses Ihr
222 Zitiert nach Dahrendorf, Ralf und Martin Vogt: Theodor Heuss Politiker und Publizist, Tübingen 1984. S. 381f. 223 „Ich habe, ich glaube es war 1937, Dr. H. und seine Frau kennengelernt. Vgl. den Brief Baecks an Robert Raphael Geis vom 10. März 1950.
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Wort wird ein geschichtliches bleiben – wird darum im Volke wie zu einer Gemeinde, die vor den ewigen Gott hintritt, und die Grenze, die er gesetzt hat, nun erfährt.224
Gegenüber Robert Raphael Geis gab Baeck aber auch seinen Vorbehalten Ausdruck: Der Eindruck, den ich von der Rede empfing, ist ein zwiespältiger. Einerseits spricht aus ihr der Wunsch anständig zu sein – in den Jahren der Bösartigkeit ringsum hatten manche Deutsche diesen Wunsch, und sie flüchteten gern in dieses Wunschland, und manche meinten damit dem Gewissen Genüge getan zu haben. […] Aber es ist eine anständige Rede, davon darf nichts abgezogen werden, und das Wort von der Kollektivscham ist ein rechtschaffenes. Aber auf der anderen Seite war ich betrübt, als ich die Rede las. Von dem, warum wir Juden in Deutschland uns deutsche Juden nannten, was dort wuchs mit tiefen Wurzeln und die [sic] starke Stämme hatte, dort, wo jetzt der schwarze Abgrund gähnt, davon weiss oder sagt diese Rede nichts. Mit all dem Guten, was diese Rede will, wird sie doch zum Zeugnis dessen, wie einsam wir Juden unter allen den Menschen im deutschen Lande waren, und wir selber ahnten es kaum. Nur einige wenige hatten wir ringsum.225
Karl-Josef Kuschel, der in seinem Buch „Theodor Heuss, die Schoah, das Judentum, Israel. Ein Versuch“ das Eintreten des ersten deutschen Bundespräsidenten für „eine wahrhaftige Erinnerungskultur“ würdigt, verweist darin zwar auf erstgenannten Brief Baecks, lässt aber dessen Worte gegenüber Geis außer Acht.226 Heuss selbst suchte vor allem gangbare Wege für die Zukunft. So schrieb er am 18. Juni 1951 an Hans-Joachim Schoeps (1909–1980) in Erlangen: „In zahlreichen Unterhaltungen mit Deutschen jüdischen Glaubens, mit solchen, die aus der Emigration zu Besuch hier weilten, mit solchen, die in Deutschland leben, aber auch mit Juden anderer Nation ist von mir der ganze Problemkreis oft durchgegangen worden, und ich blieb auch immer bemüht, auf diesem von Bosheit und Schuld so verwüsteten Gelände an dem Bau gangbarer Wege mitzuarbeiten.“227 Auf die Frage nach möglichen Hassgefühlen entgegnete Ehrlich 1984: Ich habe beide Seiten gesehen. Einerseits konnte ich die Mörder meiner Mutter nicht vergessen, andererseits habe ich die Menschen in Erinnerung behalten, die mir geholfen haben. Ich habe beides erlebt, die abgrundtiefe Gemeinheit einzelner Menschen, die mir nicht abstrakt, 224 Brief an Theodor Heuss vom 26. September 1951. In: Meyer, Michael A. (Hrsg.), Leo Baeck Werke. S. 685. 225 Brief an Susanne und Robert Raphael Geis vom 10. März 1950. In: Meyer, Michael A. (Hrsg.), Leo Baeck Werke. S. 658f. 226 Vgl. Kuschel, Karl-Josef: Theodor Heuss, die Schoah, das Judentum, Israel. Ein Versuch, Tübingen 2013. S. 291–308. 227 Heuss, Theodor: Brief an Hans-Joachim Schoeps vom 18. Juni 1951. In: Becker, Ernst Wolfgang [u.a.] (Hrsg.): Theodor Heuss: Der Bundespräsident. Briefe 1949–1954. Berlin und Boston 2012. S. 243.
Zur Haltung Martin Bubers
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sondern sehr konkret widerfuhr, wie auch die Anständigkeit der Menschen, die mir beispielsweise Unterschlupf gewährten oder den Ausweis besorgten, der meine Flucht ermöglichte.228
„Meine geistige Verbindung mit Deutschland ist heute [1984] stärker als vor dreißig Jahren. Damals habe ich auf Schritt und Tritt in fast jedem Deutschen, der mir entgegenkam, einen Nazi vermutet, einen Nazi, der möglicherweise mit dem Mord an meiner Familie zu tun hatte.“229 Dass ihm, dem deutschsprachigen Ausländer, Anfang der 1950er Jahre in Frankreich keine offenen Ressentiments entgegen schlugen, wunderte ihn seinerzeit sehr. Am 7. Januar 1951, nach dem Jahreswechsel in Paris, äußerte er sich dazu gegenüber Schürholz so: „Erstaunt war ich über den fehlenden Deutschenhass, den man den Franzosen so gerne andichtet. Aufgrund meines ungeübten Französisch wurde ich überall als ‚allemand‘ erkannt, und kein Mensch nahm daran Anstoß.“
12.1 Zur Haltung Martin Bubers Wie ambivalent seine Haltung zu Deutschland und den Deutschen zunächst war, belegt Ehrlichs Brief vom 29.12.1953 an Schürholz. Darin beklagte er einerseits, dass Martin Bubers Rede zum Friedenspreis des Deutschen Buchhandels im Isra elitischen Wochenblatt der Schweiz entstellt worden sei, und schrieb andererseits, dass man sich seiner Bekannten in Deutschland nicht sicher sein könne. Martin Buber hatte in seiner Rede am 27. September 1953 in der Paulskirche zu Frankfurt am Main auch über die Deutschen gesprochen: Wenn ich an das deutsche Volk der Tage von Auschwitz und Treblinka denke, sehe ich zunächst die sehr vielen, die wussten, dass das Ungeheure geschah, und sich nicht auflehnten; aber mein der Schwäche des Menschen kundiges Herz weigert sich, meinen Nächsten deswegen zu verdammen, weil er es nicht über sich vermocht hat, Märtyrer zu werden. Sodann taucht vor mir die Menge all derer auf, denen das der deutschen Öffentlichkeit Vorenthaltene unbekannt blieb, die aber auch nichts unternahmen, um zu erfahren, welche Wirklichkeit den umlaufenden Gerüchten entsprach; wenn ich diese Menge im Sinne habe, überkommt mich der Gedanke an die mir ebenfalls wohlbekannte Angst der menschlichen Kreatur vor einer Wahrheit, der sie nicht standhalten zu können fürchtet. Zuletzt aber erscheinen die mir aus zuverlässigen Berichten an Angesicht, Haltung und Stimme wie Freunde vertraut Gewordenen, die sich weigerten, den Befehl auszuführen oder weiterzugeben, und den Tod erlitten oder ihn sich gaben, oder die erfuhren, was geschah, und sich dagegen auflehnten und den Tod erlitten, oder die erfuhren, was geschah, und weil sie nichts dawider unternehmen konnten, sich den Tod gaben. Ich sehe diese Menschen ganz nah vor mir, in jener besonderen 228 Vogel (wie Anm. 19), S. 63. 229 Vogel (wie Anm. 198), S. 65.
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Intimität, die uns zuweilen mit Toten, und mit ihnen allein, verbindet; und nun herrscht in meinem Herzen die Ehrfurcht und die Liebe zu diesen deutschen Menschen.230
Ehrlich sah sich genötigt, Buber gegenüber dem Israelitischen Wochenblatt der Schweiz zu verteidigen, und protestierte zusammen mit der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft beim Israelitischen Gemeindebund der Schweiz gegen die Entstellung von Bubers Rede: „Wir wollten mit der Stellungnahme erreichen, dass das Judenblättli seine antideutsche Hasskampagne endlich einstellt und sachlicher wird.“ In „Das echte Gespräch und die Möglichkeiten des Friedens“ knüpfte Buber unmittelbar an seine vor 1933 entwickelte Dialogphilosophie an, was ihm von Seiten des Zürcher Publizisten Hans Klee (1907–1959) den Vorwurf der allzu frühen Versöhnungsbereitschaft einbrachte.231 Bubers Vortrag, konstatierte Ehrlich über vierzig Jahre später, „markierte einen Beginn, nicht nur für Bubers eigenes Wirken in der Bundesrepublik, sondern auch für ein neues Mitein ander zwischen Deutschen und Juden in diesem Lande.“232 Im Frühjahr 1947 waren Paula und Martin Buber während ihrer ersten Europa-Reise nach dem Zweiten Weltkrieg in London auf einer Tagung des Council of Jews from Germany auch mit Leo Baeck zusammengetroffen, der damals mit Blick auf die deutsche Bevölkerung ohne jede Zuversicht war; gerade die Jüngeren, namentlich die Hitler-Jugend, seien „durch und durch verrottet und pervertiert. Sie ist so verdorben, daß ich nicht sehe, wie Re-Education hier noch helfen kann. Eine Neu-Erziehung der Deutschen hat eigentlich nur Zweck bei den Kindern unter sechs Jahren.“233 Der spätere bundesdeutsche Außenminister Heinrich von Brentano, 1945 Mitbegründer der Christlich-Demokratischen Union in Hessen, hatte diese Situation 1946 selbst so beschrieben: Aber ein Volk, das in seinem Denken und Handeln, in seinen Sorgen und Plänen überschattet ist von den Sorgen des Alltags, die in einem erschreckenden Maße zunehmen, Menschen, die hungern und frieren, denen das Dach über dem Kopfe fehlt, vor denen das Gespenst der Arbeitslosigkeit auftaucht, werden leicht eine Beute nihilistischer Verzweiflung oder ein Opfer völliger Agonie. Not, Sorge und Kummer bilden keinen Nährboden für eine neue Demokratie.234 230 Vgl. http://www.boersenverein.de/de/96671?pid=133370 (02.10.2014). 231 Vgl. Ewige Feindschaft? Hans Klee und Martin Buber über das Verhältnis zwischen Juden und Deutschen. In: Freiburger Rundbrief, VII. Folge, 1954/55, Nr. 25–28, September 1954. S. 46f. 232 Ehrlich, Ernst Ludwig: Martin Buber (1878–1965); in: Erler, Hans [u.a.] (Hrsg.): „Meinetwegen ist die Welt erschaffen“. Das intellektuelle Vermächtnis des deutschsprachigen Judentums. 58 Portraits. Frankfurt a. M./New York 1997. S. 33. 233 Gespräch mit Leo Baeck. In: Aufbau, 21.12.1945; zit. nach: Heuberger, Georg und Fritz Backhaus (Hrsg.): Leo Baeck 1873–1956. Aus dem Stamme von Rabbinern, Frankfurt am Main 2001. S. 130. 234 Die Landtagsrede anlässlich der Konstituierung der ersten frei gewählten Regierung in
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Ein Besuch in Deutschland stand damals auch für Buber noch nicht zur Diskussion, weil „für mich seit dem, was von Deutschen, sowohl Massen wie einzelnen, in der Hitler-Zeit den Juden angetan worden ist – dem Ungeheuren, mit dem sogar die Weltgeschichte des jüdischen Martyriums nicht verglichen werden kann –, der Deutsche als Menge, als öffentliches Wesen gesichtslos geworden ist. Ich aber kann nur zu Menschengesichtern reden, die mit ihren persönlichen Sinnen mein Wort aufnehmen.“235 Im Januar 1952, anderthalb Jahre vor der Preisverleihung schrieb Buber dem damaligen Rektor der Hamburger Universität, dem Philologen Bruno Snell (1896– 1986): So sehr es mir gewährt ist, in jeder echten Begegnung mit einem deutschen Menschen ihn als Person rückhaltlos anzunehmen, und demgemäß auch, mit jedem aus solchen Personen gebildeten Kreis zu kommunizieren, so ist es mir doch bisher nicht möglich geworden, die seit den Vorgängen von 1938–44ff. für mich bestehende Antlitzlosigkeit der deutschen Öffentlichkeit zu überwinden.236
Er lehnte es jedoch grundsätzlich ab, ein Volk als Volk zu verdammen, wie die christlichen Kirchen so oft das jüdische Volk insgesamt als Messiasmörder verdammt haben. Ich fühle mich in die Pflicht genommen, in jedem Volke, von dem aus Untaten – und seien sie noch so monströs – geschehen sind, grundsätz lich und nach Möglichkeit auch praktisch zwischen aktiv Schuldigen, passiv Schuldigen und Nichtschuldigen (ich sage nicht: Unschuldigen, das ist keiner) zu unterscheiden.237
Dass Vorbehalte durchaus angebracht waren, stand auch für Ernst Ludwig Ehrlich außer Frage: „Es ist ja das Schauerliche heute in Deutschland, dass man Menschen, die man früher kannte oder auch die man heute erst kennenlernt, wirklich genau prüfen muss (wenn immer man das nur könnte), was sie während der zwölf Jahre getan und geschrieben haben. Da das fast nicht möglich ist, kommen viele [Emigranten] nicht zurück“, schrieb er am Schürholz. Dieses grundsätzliche Unbehagen formulierte Jahre später auch Ernest Landau, indem er feststellte: „Das Problem, vor dem jeder einzelne Jude sich befindet, der Bürger
Hessen ist nachzulesen in: Brentano, Heinrich von: Deutschland, Europa und die Welt. Reden zur deutschen Außenpolitik. Bonn 1962. S. 19–32. 235 Buber, Martin: Nachtrag zu einem Gespräch. In: Die Neue Zeitung [München] (21.02.1951). S. 7. 236 Brief Martin Bubers an Bruno Snell vom 25.01.1952. In: Schaeder, Grete (Hrsg.): Martin Buber. Briefwechsel aus sieben Jahrzehnten, Bd. III, Heidelberg 1975. S. 310. 237 Buber, Martin: Zur Klärung. In: Mitteilungsblatt des Irgun Olei Merkas Europa [Tel Aviv], Jahrgang XXII (1954), Nr. 23 (04.06.1954). S. 6.
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Deutschlands ist oder in diesem Land lebt, kann auf einen ganz einfachen Nenner gebracht werden: Inwieweit kann ich, darf ich, soll ich Vertrauen haben?“238
12.2 Zur Unsicherheit jüdischer Existenz Anfang der 1950er Jahre war das Eis noch dünn und Vertrauen auf Seiten der Überlebenden kaum gegeben. Als etwa Schürholz anregte, jüdischen Kindern aus Israel Ferien in Deutschland zu ermöglichen, entgegnete ihm Ehrlich am 1. Februar 1952: „Die Eltern der Kinder würden das nie erlauben, dass ihre Kinder deutschen Boden betreten, die Stimmung ist einfach nicht danach. ¾ der primitiven Juden wären der Ansicht, dass man auf diese Weise den übrig gebliebenen Kindern ein Leid antun wollte.“ Er befürwortete stattdessen Baumspenden als Zeichen des guten Willens. Am 28. Mai 1952 sinnierte Ehrlich Schürholz gegenüber über das geistige Profil der jüdischen Gemeinschaft und kam dabei auch auf die symptomatische Haltung des Auswärtigen Amtes zu sprechen. „Man darf aus dem ausgerotteten deutschen Judentum von einst keine Schlüsse auf zufällig heute dort lebende [Glaubensgenossen] schließen, dass muss notwendiger Weise zu Enttäuschung führen“, konstatierte er: Von den Juden sei eigentlich nur die damals geleistete Arbeit übrig geblieben, nicht aber die Menschen, und die fehlten nun in Deutschland. Wie könne man einem Juden raten nach Deutschland zu kommen und dort Pionierarbeit zu leisten? Die Herren vom alt-neuen Auswärtigen Amt seien doch viel bequemer und sie verkörperten die deutsche Tradition der Friseurstätigkeit, das „Was steht zu Diensten?“. Die Unsicherheit jüdischer Existenz im Berlin der 1950er Jahre beschreibt der Artikel „Statt Wiedergutmachung“, von Heinz Galinski, der im Juni 1954 in der Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung erschien, kaum rezipiert zu sein scheint und deswegen hier als Zeitdokument vollständig wiedergegeben werden soll: Vor einigen Tagen ging durch die Berliner Presse die Nachricht, daß sich der 46jährige Günther Prinz. der vor kurzem aus Bolivien zurückgekehrt ist, das Leben genommen hat. Als Grund wurde Enttäuschung über die Schwierigkeiten angegeben, die ihm bei dem Versuch, seine Entschädigung zu erlangen, gemacht wurden. Soweit die Pressemeldung! Prinz kehrte voller Hoffnung und mit dem Ziel in seine Heimat zurück, seinen ehemaligen Konfektionsbetrieb wieder einzurichten. aber alle seine Bemühungen, vom Entschädigungsamt die notwendigen Kredite zu erhalten, schlugen fehl, so daß er keinen anderen Ausweg als den Freitod sah. Dieses Einzelschicksal, hinter dem unendlich viel Leid
238 Landau, Ernest: Wir Juden in unserer Umwelt. In: Ganther, Hans (Hrsg.): Die Juden in Deutschland. Ein Almanach. Hamburg 1959. S. 241.
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und Enttäuschung steht, sollte eine Warnung sein. Wir wissen wohl, wie hart das Los der Emigration ist. Und es ist verständlich, daß die Emigranten die Hoffnung in ihrer Heimat suchen, aber dieser Fall soll ein Beweis dafür sein, daß die Informationen in den verschiedenen Ländern über die Situation in Deutschland falsch sind. Es werden den Menschen im Ausland übertriebene Hoffnungen gemacht, daß sie bei einer etwaigen Rückkehr nach Deutschland sofort eine materielle Wiedergutmachung erhalten und daß sie alle Chancen haben, ihre Eingliederung in das Wirtschaftsleben zu ermöglichen. Es ist daher in jedem Falle angebracht, daß jeder, der sich entschließt, aus seinem Emigrations-Land zurückzukehren. die Verbindung mit der zuständigen jüdischen Gemeinde aufnimmt, um sich über den tatsächlichen Sachverhalt zu informieren und sich vor Enttäuschungen zu bewahren. Dem Fall des Günther Prinz liegt noch die besondere Tragödie zu Grunde, daß er alle Mittel einsetzte, um nach 1945 die schweren Zeiten der in Deutschland lebenden nichtjüdischen Menschen überwinden zu helfen. Er sammelte Gelder und schickte dafür Lebensmittelpakete an die, die damals noch hungerten. Welch eine Ironie des Schicksals, das diesem Mann, der sich menschlich auf diese Weise bewährte, eine Wirklichkeit in Deutschland widerfuhr, die ihn in den Tod trieb! Das Entschädigungsamt in Berlin mag in diesem Fall keine Schuld treffen, aber es sollte doch Anlaß sein, das Los der zurückkehrenden Emigranten ernster zu beachten. Namhafte politische Persönlichkeiten der Bundesregierung erließen Aufrufe, um Menschen zur Rückkehr nach Deutschland zu bewegen. Ihre Erfahrungen stehen im Gegensatz zu den Versprechungen. Noch immer besteht der Stichtag vom 31. Dezember 1933, der alle späteren Rückkehrer von dem Anspruch auf PrVRente (Politisch, religiös Verfolgte) ausschließt. Die klare Forderung ist, daß für diesen Personenkreis, der seinerzeit Deutschland nicht freiwillig, sondern unter dem Zwang der Gestapo verlassen mußte, jeder Stichtag in Fortfall kommen muß. Menschen, die einst in diesem Land gelebt haben, und ihre Existenz aufgeben mußten, haben das Recht, jederzeit hierher zurückzukommen, und die verantwortlichen Stellen haben hier gutzumachen. was einst gesündigt wurde ... Wenn wir die Hilfeleistungen für die ehemals Verfolgten mit denen für andere Gruppen, Spätheimkehrer und dergleichen vergleichen, dann müssen wir die Benachteiligung der Verfolgten des Nationalsozialismus feststellen. Den anderen Gruppen werden alle Möglichkeiten, und zwar schnellstens, geboten, ihre wirtschaftliche Existenz zu sichern, während die einst vertriebenen Juden auf die soziale Fürsorge angewiesen sind. Es muß die Pflicht der verantwortlichen Instanzen sein, hier schnellstens eine Wandlung zu schaffen. Wir fordern nicht allein die Gewährung einer Versorgungsrente, die von keinem Stichtag abhängig sein darf, sondern die Schaffung eines Fonds für mittellose Rückkehrer, aus dem ihnen eine Überbrückung oder Mittel zum Beginn einer Existenz gewährt werden können. Ein enttäuschter Rückwanderer sieht nur in dem Freitod die einzige Lösung seiner schwierigen Situation. Ein Mensch, der Deutschland liebte, dessen sehnlichster Wunsch es war, hier von neuem zu beginnen, mußte erleben, wie seine guten Taten vergolten wurden. Versprechungen und Erklärungen werden solange keinen Sinn haben, bis die Unmenschlichkeit von einst durch Beweise der Humanität ihre Wiedergutmachung findet. Noch ist es Zeit, an den Lebenden wieder gutzumachen. Das soll kein Appell an das Mitleid. sondern an die Gerechtigkeit sein, und der Fall des Günther Prinz sollte eine ernste Mahnung bedeuten.239
239 Galinski, Heinz: Statt Wiedergutmachung. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden IX (18. Juni 1954) [Düsseldorf]. S. 11.
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Ernst Ludwig Ehrlich hielt sich mit Emotionen in der Öffentlichkeit und in seinen Veröffentlichungen stets zurück, womöglich der Wissenschaftlichkeit wegen. Nur in der Gesellschaft jüdischer Weggefährten, quasi in einem geschlossenen Milieu, kamen gelegentlich sogenannte Jom Kippur-Gedanken auf, beispielsweise in einen Brief an Rabbiner Robert Raphael Geis, in dem Ehrlich sich auf 1963 auf Rolf Hochhuths Stück „Der Stellvertreter“ bezog: „Als ich am 27. Februar 1943 erlebte, wie meine Mutter in Berlin auf einen Lastwagen verladen nach Auschwitz transportiert wurde, und als ich vorgestern hier in der Hochhuth-Aufführung neben einem KZ-Insassen saß, da sagten wir uns leise, damals haben wir den Augenblick ersehnt, wann wir es denen einmal heimzahlen können. Jetzt ist der Augenblick da…“240 In seinen Veröffentlichungen brachen sich solche Gedanken nur sehr selten Bahn. Eine Ausnahme stellt Ehrlichs Beitrag aus einer Sendereihe des Süddeutschen Rundfunks „Die Zehn Gebote“ dar; in der verschrifteten Form seines Vortrag von 1962, der einer Predigt glich, wurden auch Polemik und nur allzu berechtigte Anklage laut. Zum Dritten Gebot stellte Ehrlich fest: Erinnern wir uns nicht alle daran, dass einer der größten Verbrecher der Menschheitsgeschichte gurgelnd und gellend den Namen der ‚Herrgotts‘ angerufen hat? […] Das Volk Israel hat es in unseren Tagen erfahren, was es bedeutet: ‚Du sollst nicht morden‘, denn es wurde millionenfach gemordet. Die Tage gehen weiter, als ob nichts geschehen wäre; die Mörder berufen sich auf Befehle, auf Führereide, und die Mordhelfer leben mitten unter uns, gedeckt und geschützt durch ein pervertiertes Gefühl von Solidarität. ‚Du sollst nicht morden‘, so ertönte es am Sinai. Du hast gemordet, so wissen wir es heute. ‚Du sollst nicht stehlen‘, und du hast gestohlen, dass du sogar den Opfern das Zahngold aus dem Munde gerissen hast und darüber als pflichtgetreuer Beamter Buch führtest.241
So deutlich wurde Ehrlich ansonsten in der Öffentlichkeit nie, nur nach innen, in seinen späteren Predigten zu den Hohen Feiertagen in Berlin – dort hatte seine Botschaft angesichts der ganz anderen Adressaten aber auch einen ganz anderen Tenor und war eher Trauerarbeit. In den anfangs genannten Bibliographien von 1970 und 2009 und in den beiden Aufsatzsammlungen, die nach Ehrlichs Tod erschienen, kommt dieser zornige Beitrag nicht vor, obwohl er vom Stuttgarter Kreuz-Verlag mehrfach aufgelegt wurde.
240 Goldschmidt, Dietrich: Leiden an der Unerlöstheit der Welt. Robert Raphael Geis 1906– 1972. München 1984. S. 233f. 241 Ehrlich, Ernst Ludwig: Die Zehn Gebote im Volke Israel. In: Bauer, Günther (Hrsg.): Die Zehn Gebote. Fragen aus unserer Zeit. Zweite Aufl. Stuttgart 1962.. S. 83–89.
13 Einstieg in die Publizistik Besonderen Eindruck machte in den Nachkriegsjahren Eugen Kogon (1903–1987) auf ihn, damals der Herausgeber der Frankfurter Hefte. „Ich halte ihn für den gescheitesten und ehrlichsten Publizisten, den es heute in Germany gibt“, meinte Ehrlich am 27. April 1950 gegenüber Schürholz, bedauerte am 1. November 1950 dann aber auch, dass dessen Energie zu Ende ginge: „Was Kogon betrifft, so ist er durchaus eine Maschine, die abläuft.“ „Ich arbeite mit verbissener Wut an der Kürzung meines Buches, auf das es ein Bestseller auf dem theologischen Buchmarkt werden wird“, schrieb Ehrlich am 12. November 1950 an Franz Schürholz. „Der Titel [‚Der Traum im Alten Testament‘] ist das Beste daran. Hoffentlich fliegen [fallen? Anm. d. Autors] viele Leute darauf hinein.“ Nachdem die Verhandlungen mit Siebeck in Tübingen gescheitert waren, konnte er ihm ein gutes Jahr später, am 20. Dezember 1951, mitteilen, dass er nun auch endlich einen Verlag für seine Arbeit gefunden habe. „Ich hoffe, dass ich nun endlich mit de Gruyter in Berlin einig werde, ein sehr guter Verlag.“ Ehrlichs Dissertation, „Der Traum im Alten Testament“, kam 1953 im Berliner Verlag Alfred Töpelmann in der Verlagsgruppe Walter de Gruyter & Co. heraus. Die Widmung darin lautet schlicht „Meinen Eltern “ לּ´´זּ.242 Leo Baeck bedankte sich von London aus am 20. August 1953 für das Exemplar, das sein Schüler ihm geschickt hatte: „Doppelt kam heute Freude von Ihnen zu mir: am Vormittag traf Ihre Arbeit ein und nachmittags Ihr Brief.“ Im Jahr darauf sandte Baeck ihm am 6. Oktober 1954 gute Wünsche zu den Hohen Feiertagen, dazu die Zeilen „Ich freue mich sehr, dass das alte Jahr Ihnen noch die Freude der scholarship gebracht hat. Für mich ist es sehr wohltuend, dass ich ein wenig dafür mithelfen durfte.“ Um welches Stipendium es sich hier handelte, ist nicht nachzuvollziehen. Am 28. März 1955 ließ Ehrlich aber Schürholz wissen, dass er vor einiger Zeit ein kleines Forschungsstipendium bekommen habe, um über Dämonologie in der jüdischen Tradition zu arbeiten. „Vor allem interessiert mich Lilith, das Dämonenweib.“ Aber dieses Thema stoße sich mit einem Auftrag für ein Handbuch zur Geschichte des Alten Israels. Baeck bemühte sich offenbar immer wieder, Ehrlich von Fall zu Fall zu unterstützen. So schrieb er ihm am 10. August 1955: Herzlich habe ich mich auch damit gefreut, dass die Arbeit, die Sie für die große Darstellung der Jüdischen Geschichte übernommen haben, Ihnen Freude macht. Mir steht die Freude, Ihre Darlegungen zu lesen, bevor. Seinerzeit war ich zur Mitarbeit an diesem großen Werke aufgefordert worden. Ich hatte es ablehnen müssen, da ich damals anderes vorhatte, das
242 Die hebräische Abkürzung steht für zichronam livracha, „seligen Angedenkens“.
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jetzt auch als erste Pflicht noch vor mir steht. Ich hatte damals auf Sie auch hingewiesen und eine Mitteilung erhalten, dass Sie zur Mitarbeit aufgefordert seien. […] So geht denn Ihr Weg vorwärts und ich hoffe: Weiter nach vorn und nach oben.
Von welchem Werk 1956 die Rede war, ist nicht deutlich. Ob hiermit vielleicht schon die Ausstellung „Monumenta Judaica. 2.000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein“ gemeint war, die Jahre später, vom 15. Oktober 1963 bis zum 15. März 1964 im Kölnischen Stadtmuseum gezeigt werden sollte? Ehrlich war an dem Handbuch, das diese Ausstellung begleitete, mit einem längeren Beitrag zur Geschichte und Kultur der Juden in den rheinischen Territorialstaaten beteiligt.243 Im Juni 1956 kam ein kleines Bändchen von Ehrlich heraus, das große Wirkung zeitigte, nämlich seine „Geschichte der Juden in Deutschland“. Das gut einhundert Seiten zählende Heft erschien in der Reihe „Geschichtlicher Quellenschriften“ im Pädagogischen Verlag Schwann in Düsseldorf. Der Inhalt reicht von der Judengesetzgebung Konstantins bis hin zu Auszügen aus einer Rede des Bundespräsidenten Theodor Heuss; der Schwerpunkt liegt bei Quellen aus dem Mittelalter und der frühen Neuzeit. Ehrlich verwies in seinem knappen Vorwort auch auf ein Thema, das in dem Quellenheft zu kurz gekommen war und dem er sich in späteren noch ausführlich widmen sollte: „Ein besonderes Thema ist schließlich auch das Problem ‚Kirche und Synagoge‘; die wenigen hier vorgelegten Texte können von dieser Frage natürlich kein vollständiges Bild vermitteln.“ So wie in seinem kurz zuvor erschienenen Dissertationsband findet sich auch in diesem Quellenheft kein Verweis auf die Biographie des Autors. Einziger Hinweis auf Ehrlichs Hintergrund ist auch hier die Zueignung. Die Widmung lautet: „Dem Andenken meines Freundes Georg K. R. Israel (geb. am 4.12.1921 in Berlin), von den Nationalsozialisten am 5.4.1944 im Konzentrationslager Sachsenhausen ermordet.“ Ehrlichs Jugendfreund war der Sohn des Rechtsanwaltes, der ihn 1943 mit seinem Helfer Franz Schürholz bekannt gemacht hatte und der ihn nun nach beider Rückkehr nach Berlin als Rechtsbeistand in Res titutionsfragen unterstützte. Über dessen Sohn, der in Großbeeren umkam (das dortige Arbeitserziehungs- und Gestapolager war ein Zweiglager des AEL Wuhlheide) finden sich einige Zeilen in der Autobiographie von Herbert A. Strauss. Er zitierte darin aus einem eigenen Brief vom 24. Juli 1943, den er kurz nach seiner Ankunft in der Schweiz schrieb und in dem er unter anderem auf die Berliner Freunde zu sprechen kam:
243 Ehrlich, Ernst Ludwig: Geschichte und Kultur der Juden in den rheinischen Territorialstaaten. Vom Beginn der Neuzeit bis zum Absolutismus. In: Monumenta Judaica, Handbuch. Köln 1963. S. 242–280.
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Georg Israel ist zu einem Jahr Zuchthaus verurteilt worden (ein haarsträubendes Urteil, Mordjustiz… unbegreiflich, dass der Vater als Anwalt nicht die Einwilligung dazu gibt, dass Georg flitzt, und an die Justiz glaubt.) Die arme Mutter! Ich war dort, sie trägt alles mit Fassung, aber es ist unfasslich! Es steht zu befürchten, dass er ins KZ kommt. Caspary setzte seine ganzen Beziehungen zu Justiz und Gestapo ein, um etwas zu erreichen – und er ist ein entfernter Verwandter Israels. Georgs Schulfreunden indessen geht es gut, sie hielten alle meinen Versuch, hierher [in die Schweiz] zu kommen, für eine Art von besserem Selbstmord, und denken nicht daran, ihr bequemes Leben aufzugeben… Aufs Ganze gesehen hat dieses ¾ Jahr Versteck eigentlich wenig menschliche Enttäuschungen gebracht… dagegen eine Fülle erfreulichster menschlicher Beziehungen: Man muss erst in Not kommen, damit die Schale bricht, die sich einem ums Herz legt in normalen Zeiten…244
In der Besprechung im Freiburger Rundbrief, die in ihrer Wortwahl ein eigenständiges Zeitdokument ist, hieß es dann 1957: Dieses höchst verdienstliche Bändchen erschien im Rahmen von J. Hartmann herausgegebener ,Geschichtlicher Quellenschriften‘ für den Unterricht an der Höheren Schule und bietet gut gewählte Ausschnitte aus Gesetzestexten, Urkunden, Chroniken und anderen Dokumenten über die Lage der Juden im Sacrum Imperium und bis in die deutsche Gegenwart hinein, wobei das Schwergewicht (54 S.) auf der Zeit von Karl d. Gr. bis zu Karl V. liegt, die seitherige Geschichte (mit 32 S.) verhältnismäßig spärlicher dokumentiert ist, wohl wegen des vom Verfasser (S. 5) beklagten Raummangels. Die humane Judenpolitik der meisten Päpste (S. 8, 17. 39 ff.) und Kaiser (S. 9 f., 13, 24 ff.) kommt ebenso deutlich zum Ausdruck wie das Versagen so vieler andrer geistlicher und weltlicher Obrigkeiten. (Vielleicht hätte immerhin S. 14 ff. deutlich werden dürfen, dass wenigstens der Speyrer Bischof noch die Judenverfolger beim 1. Kreuzzug hart bestraft hat.) Im ganzen ist — vom Thema her mit Recht — mehr die Geschichte der Beziehungen zwischen Wirtsland und Judenheit dokumentiert als deren Selbstdarstellung (immerhin S. 18 ff., 36, 63 f., 69, 73 ff., 83 ff.), so dass man zur Ergänzung möglichst bald ein ähnliches Quellenbuch wünschen möchte, das der deutschen Schuljugend vorzuführen hätte, wie das jüdische Volk im Laufe der letzten 2000 Jahre seiner Geschichte gelebt und wie es sich selbst und seine Sendung verstanden hat.245
Zwei Jahre später zeigte der Freiburger Rundbrief die „eben so knappe wie sorgfältig gearbeitete ‚Geschichte Israels von den Anfängen bis zur Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) von Ernst Ludwig Ehrlich“ an, die als Band 231/231a der Sammlung Göschen erschien (Walter de Gruyter & Co., Berlin 1958), „in mancher Hinsicht ausgeglichener und so gerade für den Laienleser brauchbarer als das weit größer angelegte aber einseitigere berühmte Werk von Noth [gemeint ist Martin Noth: Geschichte Israels, Göttingen 1950, Anm. d. Autors], besonders bezüglich der Früh- und der Makkabäerzeit, wo sich Noth noch diesseits der bahnbrechenden Forschungen Bickermanns bewegt, Ehrlich dieselben schon 244 Strauss (wie Anm. 87), S. 289f. 245 Freiburger Rundbrief X (Oktober 1957) 37/40. S. 99.
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kritisch besonnen verarbeitet hat.“246 1959 erschien schließlich Ehrlichs Buch „Kultursymbolik im Alten Testament und im nachbiblischen Judentum“; die Arbeit sollte ursprünglich als ein Artikel im „Handbuch der Symbolik“ veröffentlicht werden, kam dann aber in der von Ferdinand Herrmann herausgegebenen Reihe „Die Symbolik der Religionen“ als eigenständige Monographie heraus.247 Weniger erfolgreich war Ernst Ludwig Ehrlichs Arbeit für den Rundfunk. Am 28. Mai 1952 bezeichnete er sich als „redaktioneller Berater beim NWDR“, am 31. Oktober 1952 diskutierte er mit Schürholz über mögliche Beiträge, nämlich „konkrete christlich-jüdische-biblische Themen mit einem besonderen Bezug auf die Tagesprobleme“, am 25. September 1953 berichtete er: „Meine Hauptarbeit ist noch der Funk. Da meine Berliner Sendereihe jetzt über den gesamten NWDR geht und von Hamburg aus besorgt wird, so habe ich nun den nächsten Monat dort zu tun.“ Am 28. November 1953 hieß es dann: „In Berlin ist meine Rundfunktätigkeit beendet, da die Sendungen nach Hamburg transferiert worden sind. Was nun in Zukunft daraus wird, ist mir nicht ganz klar.“ Ehrlich nutzte später immer wieder die Gelegenheit, als Herausgeber von Reihen Öffentlichkeit und Aufmerksamkeit für seine Arbeit zu gewinnen. So sollte eine Bibliotheca Judaica als Veröffentlichungsreihe des kontinentaleuropäischen Distriktes die Vielseitigkeit des Interessenkreises von B’nai B’rith spiegeln. Der erste Band wurde 1964 dem verstorbenen Großpräsidenten des B’nai B’rith, Edwin Guggenheim, gewidmet.248 In dieser von Ehrlich verantworteten Bibliothek erschienen schließlich 1968 Franz Rosenzweigs Aufsätze, Übertragungen und Briefe, „Die Schrift“, herausgegeben von Karl Thieme. Zu seinen weiteren publizistischen Initiativen gehörte auch eine Schriftenreihe der Europäischen Anti-Defamation League-Kommission des B’nai B’rith, die Anfang der 1980er Jahre in Wien erschien und mindestens sechs Titel umfasste, darunter Ehrlichs lichkeiten und Grenzen des christlich-jüdischen Gesprächs“, Beiträge „Mög „Die 10 Gebote – aktuell“, „Gibt es eine Holocaust-Theologie?“ (zusammen mit Clemens Thoma), „Gedanken zum Buch Jona oder Die Flucht vor der Verantwortung“ und „Judenfeindschaft. Von der Spätantike bis zum frühen Mittelalter. Ein historischer Rückblick.“ Einen besonderer Beitrag zur Judaistik gelang Ernst Ludwig Ehrlich mit der Herausgabe der Reihe Studia Judaica. Forschungen zur Wissenschaft des Juden tums, die er 1961 bei dem angesehenen Verlag Walter de Gruyter begründete, dem 246 Freiburger Rundbrief XI (9. November 1958) 41/44. S. 64. 247 Ehrlich, Ernst Ludwig: Kultussymbolik im Alten Testament und im nachbiblischen Judentum. Stuttgart 1959. 248 Jacob, Paul und Ernst Ludwig Ehrlich: Littera Judaica in memoriam Edwin Guggenheim. Frankfurt a. M. 1964.
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er selbst seit der Veröffentlich seiner Dissertation 1953 verbunden war. Mit diesem Forum für wissenschaftliche Studien und Editionen aus allen Epochen der jüdischen Religionsgeschichte vermochte Ehrlich insbesondere auch herausragende israelische Gelehrte in englisch- und deutschsprachigen Veröffentlichungen in Europa und Nordamerika bekannt gemacht. Dank seiner persönlichen Beziehungen und seines besonderen Einsatzes konnte Ehrlich 1962 auch Gershom Scholems „Ursprung und Anfänge der Kabbala“ als dritten Band in den Studia Judaica unterbringen, die heute von Günter Stemberger herausgegeben werden.
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„Ich muss jetzt jeden Freitag (unbezahlte) Vorlesungen in Freiburg über jüdische Geschichte halten“, klagte Ehrlich am 21. Februar 1952 in einem Brief an Franz Schürholz. Zweiter Weltkrieg und Schoa hatten der Wissenschaft des Judentums in ihrem Ursprungsland ein Ende gemacht. Aber sogar Leo Baeck sagte, noch nachdem er das Konzentrationslager Theresienstadt überlebt hatte, dass das deutsche Judentum, auch wenn es nicht mehr auf deutschem Boden lebte, noch nicht zu Ende gekommen sei: „Denen, die dort gelebt haben, die am Leben geblieben und über viele Länder verstreut sind, ist etwas anvertraut worden, was nicht verloren gehen darf: ein Sehnen nach geistigen Dingen, nach dem Menschlichen, Messianischen, nach allem, was groß, schön und harmonisch ist. Dies wertzuschätzen ist zur weltweiten Aufgabe aller Juden geworden.“249 Im Nachkriegsdeutschland begann man damit, an den Universitäten Judentumskunde anzubieten, zumeist unter dem Dach der christlichen Theologien. Am 16. September 1950 konstatierte Ehrlich, dass das Fach an der Freien Universität Berlin kaum vertreten werde, am 10. Oktober 1950 dachte er über eine Tätigkeit an der Berliner Hochschule für Politik nach, wo es keinen Vertreter für israeliti sche und jüdische Geschichte, Probleme des Zionismus und Antisemitismus gebe. Nicht nur Ehrlich beklagte diese Defizite. Die Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland berichtete im Februar 1951 von einer Forderung von Vorlesungen über Jüdische Kultur- und Geistesgeschichte: Die Studentenvertretung der Westberliner Freien Universität will ihre Vertreter in den Fakultäten und im Senat beauftragen, sich für öffentliche Vorlesungen über jüdische Kultur- und Geistesgeschichte einzusetzen. Der Vertreter der Studentenschaft im Kuratorium soll sich dafür verwenden, dass die notwendigen Mittel zur Errichtung eines Lehrstuhls für Jüdische Kultur- und Geistesgeschichte bereitgestellt werden. Die Vollversammlung der philosophischen Fakultät der Freien Universität hat einstimmig diesen Beschluss der Studentenvertretung gebilligt.250
Ehrlich stand dabei aber wohl nicht als Dozent zur Debatte. Ende der Jahres, am 20. Dezember 1951 teilte er Schürholz mit: „Als Renommierjuden hat man jetzt einen Basler Juden dorthin geholt: Michael Landmann, der Sohn des verstorbenen Kieler Nationalökonomen.“ Die Judaistik wurde aber erst in den 1960er Jahren als eine eigenständige, wissenschaftliche Disziplin in den Fächerkanon der deutschen Universitäten aufgenommen; viele große Universitäten begnüg249 Vgl. Baker, Leonard: Days of Sorrow and Pain. Leo Baeck and the Berlin Jews. New York 1978. S. 323. 250 Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland V (16. 2. 1951) 45. S. 1.
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ten sich allerdings auch weiterhin mit Lehraufträgen, so etwa die Universität München, wo Leo Prijs als Privatdozent für „Wissenschaft vom Judentum“ unterrichtete.251 „Heidelberg will vielleicht einen Lehrauftrag für Judaistik schaffen“, teilte Ehrlich im Dezember 1951 Franz Schürholz mit. „Ich würde das gerne machen, doch es müssten für mich wenigstens die Spesen gedeckt sein. Heidelberg könnte ich von Basel aus beackern.“ Hermann Maas (1877–1970) bemühte sich damals, die Judaistik in Heidelberg universitätsfähig zu machen, doch Ehrlich wusste schon: „Aber derlei Projekte scheitern ja in Deutschland an Budgetfragen.“ Er musste sich mit seinem Lehrauftrag in Freiburg begnügen, zu dem ihn Leo Baeck am 24. April 1952 immerhin beglückwünschte: „Es ist etwas Gutes und Wichtiges, was Sie damit tun. Eine besondere Freude machen Sie damit gewiss Frl. Dr. Luckner.“ Am 23. Juli 1952 teilte Baeck ihm mit, dass er sich freue, dass Ehrlich im Oktober in Basel wieder seine Vorlesungen halten wolle. Im Februar 1956, ein halbes Jahr vor seinem Tod, kam Leo Baeck nach Frankfurt, um in der Universität die Loeb Lectures, die Vorlesungsreihe über jüdische Philosophie, Religion und Literatur, mit einem Vortrag „Revolution und Wiedergeburt“ feierlich zu eröffnen. Er beendete seinen Vortrag mit den Worten: „Nicht durch seine Siege gewinnt ein Volk, und kein Volk stirbt an seinen Niederlagen.“ Innere Wiedergeburt entstehe aus sittlichen Quellen. Initiator dieser Vorlesungsreihe, die bis in die 1960er Jahre hinein bestand, war Max Horkheimer, von 1951 bis 1953 Rektor der Frankfurter Universität; finanziert wurde sie vom Eda K. Loeb Fund, einer amerikanisch-jüdischen Stiftung. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtete am 31.Dezember 1959, dass im Rahmen der Loeb Lectures bereits 50 Dozenten 150 Stunden gehalten hätten. Auch Ernst Ludwig Ehrlich las im Rahmen dieser Vortragsreihe wiederholt an der Frankfurter Universität. Ihn verband eine Reihe von persönlichen Begegnungen mit Max Horkheimer, dem er nach dessen Tod am 7. Juli 1973 einen ausführlichen Nachruf widmete, in dem er Horkheimers Stellung zum Judentum beschrieb.252 In der schon bekannten Manier verzichtete er wohl um der Wissenschaftlichkeit willen darauf, in diesem Beitrag auch auf den privaten Horkheimer einzugehen, „der sich an jüdischen Feiertagen in die Synagoge nach Lugano herunter [aus] Montagnola fahren ließ, den Horkheimer, der in traditioneller Weise am Grabe seiner vor ihm dahingegangenen Gattin Kaddisch sagte, den Horkheimer, der
251 Freiburger Rundbrief XIV (23. September 1962) 53/56. S. 22. 252 Ehrlich, Ernst Ludwig: Max Horkheimers Stellung zum Judentum. In: Emuna. Horizonte zur Diskussion über Israel und das Judentum VIII (Nov./Dez. 1973) 6. S. 457–460.
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in seiner Zunz-Bibel wohl kaum eine Zeile aus den biblischen Propheten nicht unterstrichen hätte.“253 Am 21. Mai 1959 beantragte die Philosophische Fakultät beim Hessischen Ministerium für Erziehung und Volksbildung, Rabbiner Kurt Wilhelm (1900– 1965), der mehrfach im Rahmen der Loeb Lectures gelesen hatte, zum Honorarprofessor für die „Wissenschaft vom Judentum“ zu ernennen. Dabei bezog sie sich auf die „Frankfurter Tradition der Tätigkeit von Martin Buber“, der aber eigentlich andere Fachgebiete vertreten hatte. Die Honorarprofessur wurde einer neuen Abteilung „Religions- und Geistesgeschichte des Judentums“ zugeordnet.254 In Berlin fanden schon seit dem Sommersemester 1952 regelmäßig Gastvorlesungen zur jüdischen Geschichte und Literatur statt, für die zunächst Adolf F. Leschnitzer (1899–1980) gewonnen werden konnte, der schon vor seiner erzwungenen Emigration in Berlin studiert und gewirkt hatte, unter anderem als Leiter der Erziehungsabteilung der Reichsvertretung der deutschen Juden. Im Mittelpunkt standen nun vor allem Themen zum sogenannten deutsch-jüdischen Verhältnis und zum Antisemitismus. Seit Mitte der 1950er Jahre lehrten neben Ernst Ludwig Ehrlich auch Hermann Levin Goldschmidt (1953, 1955 und 1956), Johann Maier und Jacob Taubes an der Philosophischen Fakultät der Freien Universität, wobei jetzt Themen aus sehr unterschiedlichen Bereichen der „Wissenschaft vom Judentum“ (so die offizielle Bezeichnung im Vorlesungsverzeichnis seit dem Wintersemester 1960/61) zum Lehrangebot gehörten. Während die Wissenschaft des Judentums eine Disziplin von Juden für Juden gewesen war, was das neue Fach nunmehr vor allem Judentumskunde für Nichtjuden. Hermann Levin Goldschmidt (1914–1998) stammte wie Ehrlich aus Berlin und war im März 1938 in die Schweiz emigriert; er promovierte 1941 in Zürich mit einer Dissertation über „Der Nihilismus im Licht einer kritischen Philosophie“, engagierte sich ebenfalls wie Ehrlich von 1946–1949 als Mitglied der christlichkämpfung des Antisemitismus in der jüdischen Arbeitsgemeinschaft zur Be Schweiz, war in Frankfurt am Main Gastdozent im Rahmen der Loeb Lectures und 1956 Gründungsmitglied der Vereinigung für religiös-liberales Judentum in der Schweiz. 1957, ein Jahr vor Ehrlich, wurde er mit dem Leo-Baeck-Preis ausgezeichnet. Nach dem II. Vatikanischen Konzil wurde Hermann Levin Goldschmidt
253 Ehrlich, Ernst Ludwig: Dankesrede zur Buber-Rosenzweig-Medaille 1976. In: Münz/Sirsch. S. 109f. 254 Vgl. Jäger, Gudrun: Meist ohne „festen Wohnsitz“. Zur wechselvollen Geschichte der konfessionellen Lehre – am Beispiel der jüdischen Religionswissenschaft. In: Forschung Frankfurt (hrsg. von der Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt), Nr. I. Frankfurt a. Main. 2008.
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zu einem der ersten ernsthaften Gesprächspartner im Dialog mit der katholischen Kirche. Sein Nachlass befindet sich im Archiv für Zeitgeschichte in Zürich.255 Bei aller Ähnlichkeit der Lebenswege von Ehrlich und Goldschmidt findet sich kein Hinweis auf eine persönliche Freundschaft der beiden. Ehrlich unterrichtete 1958 und 1959 am Seminar für Evangelische Theologie der Freien Universität Berlin. 1964 wurde dort schließlich der erste deutsche Lehrstuhl für Judaistik eingerichtet. Der Beschluss zur Gründung des Instituts für Judaistik erfolgte im Zuge der Berufungsverhandlungen des Religionsphilosophen Jacob Taubes (1923–1987) von der Columbia University, New York, der dem Institut dann bis zum Jahr 1979 vorstand. Für Ehrlich war eine derartige Professur zu dieser Zeit schon keine Option mehr. Nachdem der liberale Rabbiner Kurt Wilhelm (1900–1965), der aus Deutschland stammte und damals als Oberrabbiner von Stockholm tätig war, 1959 von der Frankfurter Universität zum Honorarprofessor für Wissenschaft des Judentums berufen worden war, erhielt Ehrlich 1963 vom damaligen Kultusminister des Landes Hessen, Ernst Schütte, den Ruf als erster Lehrstuhlinhaber für den Lehrstuhl für die Wissenschaft des Judentums in Frankfurt am Main. Ehrlich lehnte ab. In seinem Gespräch mit Rolf Vogel erklärte er dies 1984 so: 1958 wurde ich zum Zentralsekretär der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz gewählt und 1961 zum Direktor des Europäischen B’nai B’rith. Ich hätte die beiden Tätigkeiten wieder aufgeben müssen, wäre ich dem Ruf gefolgt. Ich habe die Berufung auf den Frankfurter Lehrstuhl nicht angenommen. Das war für mich eine schwere Ent scheidung. Wahrscheinlich werde ich erst an meinem Lebensende wissen, ob ich richtig gehandelt habe.256
255 Goldschmidts Kurzbiographie findet sich in der Übersicht von Nachlässen und Einzelbeständen im Online-Archiv des Archivs für Zeitgeschichte der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich unter http://onlinearchives.ethz.ch/Detail.aspx?guid=9f6cdf454ab148d1831 a160edd70804e (07. Oktober 2014). 256 Vogel (wie Anm. 19), S. 61f.
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Leo-Baeck-Preis 1958
Ende Dezember 1958 gab Hermann Lewy in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland ein Gespräch mit Ehrlich wieder. In seinem Bericht heißt es: „Seit acht Jahren ist Dr. Ehrlich nun wieder in Berlin und aus dem kulturellen jüdischen Leben nicht mehr wegzudenken; wir danken dem Menschen Ernst Ludwig Ehrlich, der vom jüdischen Bewusstsein erfüllt ist und es versteht, dies auf andere zu übertragen, danken dem Menschen, dem glutvoll ein hilfsbereites jüdisches Herz schlägt.“257 Diese Fähigkeit, jüdisches Bewusstsein zu vermitteln, dürfte für den Zentral rat der Juden in Deutschland mit ein Beweggrund gewesen sein, Ehrlich im Dezember 1958 zusammen mit H.G. Adler (1910–1988)258 und Erwin Sylvanus (1917–1985) den Leo-Baeck-Preis 1958 in Höhe von jeweils DM 1.000,- zuzusprechen. Der Preis, der 1956 vom Zentralrat und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland gestiftet worden war, sollte laut der Pressemeldung vom 11. Dezember 1958 Persönlichkeiten gelten, „deren Leistung, Forschungspläne und Gesamtpersönlichkeit zu der Hoffnung berechtigten, dass sie Baecks Religiosität, Begeisterung für Wissenschaft und Forschung, Humanität und Friedensliebe weitertragen werden“. Der Preis war erstmals 1957 verliehen worden, und zwar an Peter Adler und Hermann Levin Goldschmidt. Anstelle einer Begründung wurden in der Pressemitteilung lediglich die Biographien und Publikationen der Preisträger genannt; im Fall Ehrlichs schließt der Artikel mit dem Verweis darauf, dass er seit Beginn der Loeb Lectures der Frankfurter Universität dort regelmäßig Vorlesungen gehalten habe, seit 1957 auch an der Freien Universität Berlin, und auch in Fachzeitschriften als Forscher auf judaistischem Gebiet hervorgetreten sei. Bemerkenswerterweise wurde sowohl in der Pressemeldung des Zentralrats als auch in deren Veröffentlichung in der Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland, die dem Artikel von Hermann Lewy vorausging, ein falsches Geburtsdatum von Ehrlich angegeben, nämlich der 21. Juli 1921. Als Geschäftsführer des Preisrichterkollegs fungierte Hans Lamm, der damalige Kulturdezernent des Zentralrats der Juden in Deutschland; unter den Preisrichtern befanden sich mit Baecks Tochter Ruth Berlak (London), Zentralratspräsident Hendrik George van Dam (Düsseldorf), Rabbiner Robert Raphael Geis (Karlsruhe), Max Horkheimer (Frankfurt am Main), Ellen Littmann (London), 257 Hermann Lewy: Von jüdischem Bewusstsein erfüllt. Begegnung mit Dr. Ernst Ludwig Ehrlich in Berlin. In: Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland XIII (26.12. 1958) 39. 258 Hans Günter Adler nannte sich nach seiner Befreiung aus dem KZ Langenstein-Zwieberge wegen der Namensähnlichkeit mit SS-Sturmbannführer Hans Günther, dem Vertreter von Adolf Eichmann in Prag, nur noch H. G. Adler.
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Leo-Baeck-Preis 1958
Karl Heinrich Rengstorf (Münster) und der Bundestagsabgeordneten Jeanette Wolff (Berlin/Bonn) also lauter persönliche Bekannte Ehrlichs. Ellen Littmann hatte an der Berliner Hochschule für die Wissenschaft des Judentums studiert, war 1935 nach Palästina emigriert und lehrte schließlich am Leo Baeck College in London Bibel. In seinem Artikel, der auf die Preisverleihung folgte, griff Lewy zunächst die ungewöhnlichen Lebensumstände Ehrlichs auf: Ein Gast aus Basel, der ein gebürtiger Berliner sei und sowohl im Gastland wie auch in der Heimatstadt seinen Wohnsitz habe, gehöre selbst in ihrer Zeit der Paradoxe zu den Seltenheiten. Warum zwei Wohnsitze? Die für seine Arbeiten unerlässlichen Studien erforderten, dass Ehrlich gelegentlich dort lebe, wo eine unzerstörte Judaica-Bibliothek vorhanden sei, daher die Schweiz und insbesondere die Wahlheimat Basel. Berlin besitze leider keine derartige Bibliothek, da die umfangreichen Judaica-Bestände der ehemaligen Staatsbibliothek verlagert worden seien und als verloren gelten müssten. Lewy schilderte kurz das besondere Berliner Fluidium und erklärte in seltsam vagen Worten, dass der „Tod und Verderben speiende braune Sturm auch den Studenten Ehrlich [gezwungen] hatte, die Heimat zu verlassen“, bevor er auf einen wesentlichen Beweggrund für Ehrlichs Präsenz in Berlin zu sprechen kam: Die Hoffnung auf einen Lehrstuhl an der Freien Universität. Dazu Hermann Lewy: Wir hörten die interessante, lehrreiche, mit großem Temperament und fundiertem Wissen vorgetragene Eröffnungsvorlesung, in der Professor Dr. Michael Landmann den Gastdozenten mit dem Hinweis vorstellte, dass die Freie Universität einen Lehrstuhl für die Wissenschaft des Judentums einrichten werde, dass dazu jedoch noch die Zustimmung des Senators für Volksbildung aussteht. Wir begrüßen in unser aller Interesse der jungen Studierenden diesen Plan der Freien Universität und hoffen sehr, dass ihn der Senat von Berlin bald realisiert.
Lewy war voll des Lobes über Ehrlich. Er stellte in der Unterhaltung mit ihm fest, dass dieser nicht zu den Wissenschaftlern zähle, die im elfenbeinernen Turm leben, sondern dass er mit den aktuell-politischen wie mit den sozialen Fragen jener Tage ebenso vertraut sei wie mit seiner Spezialwisssenschaft. So erfolgreich Ehrlichs Einführung in die israelitisch-jüdische Religionsgeschichte im Wintersemester 1958 auch war: Seine Hoffnung auf eine Professur an der Freien Universität Berlin erfüllte sich nicht.
16 „Eine Brücke zueinander erschien kaum 16 vorstellbar“: Die Haltung der Kirchen Von einer Begegnung von Christen und Juden konnte nach Weltkrieg und Schoa zunächst keine Rede sein. Das Versagen der Kirchen während des Nationalsozialismus hatte in den Nachkriegsjahren nur bedingte Selbstreflexion zur Folge. „Im sogenannten Stuttgarter Schuldbekenntnis von 1945, ohnehin nur auf Druck des Auslandes zustande gekommen, erscheinen Juden überhaupt nicht, als ob nicht vor allem an ihnen gerade von dem Volk, das hier ein Schuldbekenntnis ablegte, die ungeheuerlichsten Verbrechen begangen worden waren“, merkte Ehrlich dazu an. „Eine Brücke zueinander erschien kaum vorstellbar“: Die Haltung der Kirchen
Am 8. April 1948 verabschiedete der Bruderrat der Evangelischen Kirche in Deutschland in Darmstadt ein Wort zur Judenfrage. Darin heißt es unter anderem: ‚Indem Israel den Messias kreuzigte, hat es seine Erwähnung und Bestimmung verworfen […].‘ Und an anderer Stelle. ‚Israel unter dem Gericht ist die unaufhörliche Bestätigung der Wahrheit, Wirklichkeit des göttlichen Wortes und die stete Warnung Gottes an seine Gemeinde. Dass Gott nicht mit sich spotten läßt, ist die stumme Predigt des jüdischen Schicksals, uns zur Warnung, den Juden zur Mahnung, ob sie sich nicht bekehren möchten, zu dem, bei dem auch allein ihr Heil steht […].‘ Auf katholischer Seite ist die Lage kaum anders.259
16.1 Zur Entnazifizierung der Kirchen Selbstverständlich waren auch „die evangelische und die katholische Kirche in Deutschland, die in den Jahren des Nationalsozialismus vieles getan und manches unterlassen [haben]“260, von intensiven Säuberungen betroffen. Die Kirchen hatten unmittelbar nach der Befreiung Kritik an der gerade erst beginnenden Entnazifizierung durch die Besatzungsmächte geübt. So schrieb der Mainzer Bischof Albert Stohr (1890–1961) im Juni 1945 an Papst Pius XII., dass „das radikale Beseitigung aller Nazis’ eine ‚Sinnlosigkeit‘ darstelle, an der die ganze Verwaltung zusammenbrechen müsse und nur der Kommunismus Freude haben könne“261. 259 Ehrlich, Ernst Ludwig: Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der christlich-jüdische Dialog (wie Anmerk. 212): S. 324. 260 Arndt, Adolf: Die Evangelische Kirche in Deutschland und das Befreiungsgesetz. In: Frankfurter Hefte. Zeitschrift für Kultur und Politik (hrsg. von Eugen Kogon unter Mitwirkung von Walter Dirks), Heft 5. Frankfurt am Main 1946. S. 35. 261 Zitiert nach Vollnhals, Clemens: Evangelische Kirche und Entnazifizierung 1945–1949. München 1989. S. 62.
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Nicht allein die Verwaltung, sondern auch die pfarrgemeindliche Betreuung drohte durch die Entnazifizierung zusammenzubrechen. Schöllgen macht das anhand von Zahlenbeispielen für die evangelischen Landeskirchen deutlich: In der Hessischen und Württembergischen Kirche galten etwa ein Drittel aller aktiven Pfarrer als „belastet“, in der Bayrischen Kirche ein Viertel, in Bremen 51 von 55 Pfarrern.262 In der katholischen Kirche Bayerns waren die Kirchengemeinden besonders stark betroffen: in Regensburg wurden schließlich 77,1 % der Mitarbeiter mit Berufsverboten belegt, in Augsburg sogar 82,2 %. Michael Kardinal Faulhaber (1869–1952) wandte sich in München in seinem Protest anlässlich der Entlassung von Kultusminister Otto Hipp am 12. August 1945 mit diesen Worten Cpt. William M. Landeen als Vertreter der Education and Religious Affairs Branch der amerikanische Militärregierung: „Ich weiß, […] mit welchem Freimut die Bischöfe gegen einen neuen, an die Nazi-Zeit erinnernden kirchenfeindlichen Kurs ihre Stimme erheben würden.“263 Der Randvermerk „Bitte verbrennen“ in den Akten Faulhabers wurde glücklicherweise nicht befolgt.
16.2 Das Befreiungsgesetz (1946) Nachdem deutlich geworden war, dass das am 5. März 1946 in Kraft tretende Befreiungsgesetz alle Personen aus dem gesellschaftlichen Leben ausschließen sollte, die „die nationalsozialistische Gewaltherrschaft aktiv unterstützt oder sich durch Verstöße gegen die Grundsätze der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit oder durch eigensüchtige Ausnutzung der dadurch geschaffenen Zustände verantwortlich gemacht [hatten], unterschrieb Bischof Theophil Wurm (1868–1953), der erste Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands, am 26. April für die EKD eine Eingabe, in der erklärt wurde, dass dieses Gesetz neue Schuld und neues Unrecht bewirke: „Unsere Bedenken richten sich gegen die Grundauffassung des ganzen Gesetzes. Das Gesetz steht nicht in allen Stücken im Einklang mit dem natürlichen Rechtsempfinden. Es beachtet nicht alle elementaren Rechtsgrundsätze, die die Rechtsordnung von Kulturstaaten kennzeichnen und die ihre letzte Bindung an Gottes Gebot nicht verleugnen […].“264 Wurm lehnte eine Entnazifizierung der Kirche durch die Obrigkeit mit Verweis auf die Unabhängigkeit der Kirche bei der Entscheidung über die Be262 Schöllgen, S. 31f. 263 Zitiert nach Müller, Winfried: Schulpolitik in Bayern im Spannungsfeld von Kultusbürokratie und Militärregierung 1945–1949 (= Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, Bd. 36). München 1995. S. 27. 264 Ebenda, S. 73.
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fähigung zur Ausübung des geistlichen Amtes ab. Diese Haltung stieß wiederum auf entschiedene Kritik von kirchenfernen Intellektuellen. So resümierte die Schriftleitung der Frankfurter Hefte, die damals unter Aufsicht der Military Government Information Control standen, im August 1946: Nun stehen wir vor einer neuen Krise: bei der Übertragung des deutschen Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus aus dem amerikanischen Besat zungsgebiet Deutschlands in die übrigen Zonen droht eine Flut abermaliger Missverständ nisse – in ihrem Gefolge von Erschwernissen auf vielen Gebiete – über die Gemüter, die endlich der Ruhe und des Gleichmaßes bedürfen, hereinzustürzen, wenn Einwände bestehen bleiben, wie sie der Vorläufige Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland am 26. April 1946 gegen das Gesetz erhoben und der Amerikanischen Militärregierung in Berlin eingereicht hat. Das Schreiben zirkuliert in weites Kreisen des deutschen Volkes. Im Interesse aller: der Kirchen, der Alliierten, der Bevölkerung der vier Zonen, im Interesse einer gesunden deutschen Entwicklung halten wir uns für verpflichtet, gegen Form und Inhalt dieser Eingabe einem Mitarbeiter an jenem Gesetz das Wort zu geben. Es hat den Anschein, also ob der eigentliche Sinn und die wahre Absicht des Befreiungsgesetzes, mag es stellenweise auch Mängel aufweisen, von vielen noch immer nicht begriffen würden. Die nachstehenden Darlegungen tragen hoffentlich zur Aufklärung und zur Befriedung im Lande bei.
Allein dass die EKD im April 1946 Beschwerde gegen eine „Richtlinie Nr. 24 zu dem Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ einlegte, zeugt von Verständnisproblemen bei der Unterscheidung zwischen den Richtlinien des Kontrollrates, die am 12. Januar 1946 erlassen worden waren, und dem deutschen Gesetz, das am 5. März 1946 verkündet worden ist. Die Kirche machte zudem geltend, dass das Gesetz das Rechtsempfinden erschüttere, weil es Handlungen und Gesinnungen verurteile, die vom damaligen Gesetzgeber als rechtmäßig und gut eingeführt worden seien. Dazu Adolf Arndt in seinem Beitrag in den Frankfurter Heften:265 Die Eingabe verwechselt hier Recht und Gesetz. […] Unmöglich konnte der Grundgedanke des Befreiungsgesetzes klarer ausgedrückt werden, als es in seinem ersten Artikel geschehen ist: dass alle, die sich durch eine aktive Unterstützung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft verantwortlich gemacht haben, von der Einflussnahme auf das öffentliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben ausgeschlossen und zur Wiedergutmachung verpflichtet werden sollen. Nicht also um Strafe handelt es sich, sondern um politische Folgen einer politischen Verantwortung.
265 Arndt, Adolf: Die Evangelische Kirche, S. 37.
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Arndt schließt sein Plädoyer mit: Nationalsozialismus und Militarismus müssen um unser selbst willen und von uns selbst innerlich überwunden werden – eine Aufgabe, die uns keine Armee von außen und keine Militärregierung von oben abnehmen kann –, aber auch für den Frieden der Welt. Dieser Frieden kommt nicht von allein, wir müssen ihm entgegengehen. Auch wird er nicht von Diplomaten paragraphiert, sondern das ganze Volk muss in ihn hineinwachsen. Die deutsche Delegation in Stuttgart [dort waren am 4. Dezember 1945 dem Länderrat der amerikanischen Zone in Stuttgart die ersten Gesetzesentwürfe Bayerns und Hessens vorgelegt und auch nach Neujahr 1946 die Ausschuss-Besprechungen über diese Entwürfe begonnen worden] war sich ausgesprochen im Klaren darüber, dass das, was dort verhandelt wurde, ein erster Schritt zum Frieden war, vielleicht der schwerste. Wenn der Vorläufige Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland aussprach, er sei nicht in der Lage, dieser Bemühung ‚im Vollmaße seine Unterstützung zu verleihen‘, – wusste er, was er tat?
Dass das Plädoyer Arndts zur kritischen Reflexion der Kirchen über die nationalsozialistische Vergangenheit und die kirchlichen Verstrickungen darin bei der EKD nicht die erhoffte Resonanz fand, belegt eine Abkündigung von Martin Niemöller (1892–1984), des Präsidenten der Evangelischen Landeskirche in Hessen und Nassau, vom 1. Februar 1948. Niemöller, der als Wortführer des Pfarrernotbundes und der Bekennenden Kirche zur Ikone des christlichen Widerstandes gegen den Nationalsozialisten wurde, verbot in diesem „Wort an die Gemeinden“, das er gleichzeitig in über 1.000 hessischen und nassauischen Kirchen verlesen ließ, den Pfarrern tatsächlich, bei der Entnazifizierung der Gesellschaft mitzuwirken: Sie sei nicht der Weg zur Versöhnung, sondern Mittel der Vergeltung und ein „politisches Machwerk“, um die deutsche Intelligenz zu beseitigen.266 Dies entspricht allerdings grundsätzlich der Einschätzung von Major Marshall Knappen aus dem Jahr 1944: „Nicht alle antinazistischen Elemente innerhalb der deutschen Kirchen können als wirklich demokratisch bezeichnet werden und vernünftigerweise sollte nicht von allen die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit einem künftigen demokratischen Programm erwartet werden.“267 Der SPIEGEL berichtete in seiner Ausgabe vom 7. Februar 1948 unter der Überschrift „Ein schweres Ärgernis“ umgehend von dieser Kehrtwende Niemöllers und zitierte ausführlich aus seinem „Wort an die Gemeinden“:268 Die Kirchenleitung […] hat seit dem Antritt ihres Amtes sehen müssen, daß unser Volk nicht den Weg zu Versöhnung geht, daß vielmehr Lieblosigkeit und Haß um sich griffen. Und 266 Zitiert nach Vollnhals, Clemens: Die Evangelische Kirche zwischen Traditionswahrung und Neuorientierung. In: Broszat, Martin [u.a.] (Hrsg.): Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. München 1990. S. 117. 267 Ebenda, S. 118. 268 DER SPIEGEL 6/1948 (07.02.1948). S. 4f.
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damit kommt es immer wieder an den Tag, daß ein großer Teil der herrschenden und wachsenden Verbitterung auf die Handhabung der sogenannten Entnazifizierung zurückzuführen ist. […] Die evangelische Kirche hat sich von Anfang an für eine rechte Befreiung unseres Volkes von dem Ungeist des Nationalsozialismus eingesetzt. Aber sie hat auch schon beim Erlaß des Befreiungsgesetzes darauf hingewiesen, daß es leicht zur Unbußfertigkeit führen und zu einem Instrument der Vergeltung gemacht werden könne. […] Diese Befürchtungen sind weit übertroffen worden. Der Versuch, den Nationalsozialismus so auszurotten, ist auf der ganzen Linie gescheitert. Dagegen hat die Art der Entnazifizierung zu Zuständen geführt, die auf Schritt und Tritt an die hinter uns liegenden Schreckensjahre erinnern.
So wie zuvor Kardinal Faulhaber verwechselte nun auch Niemöller die Entnazifizierungsmaßnahmen mit Kirchenfeindlichkeit. Der SPIEGEL-Bericht vermerkt aber auch die Reaktionen in einer Wiesbadener Kirchengemeinde auf das Kanzelwort. „Die Zuhörer schreckten aus ihrer Andacht hervor“, heißt es dort. „Pfarrer Fries zog eine krause Stirn. Es war totenstill in der Kirche.“ Der hessische Befreiungsminister Gottlob Binder (SPD) erklärte daraufhin laut SPIEGEL, dass er „erwarte, dass die evangelische Kirche die in ihrem Boykottbeschluß aufgestellten Behauptungen wenigstens nachträglich überprüft und sich dabei weniger von dem Ressentiment ihrer eigenen Nazis als von der Stimme ihrer Opfer während der Nazizeit leiten läßt.“269 Das Kanzelwort Niemöllers, das dieser nicht namentlich unterzeichnet hatte, fiel in eine Zeit, in der die amerikanische Militärregierung im Begriff war, sich dem Standpunkt der deutschen Entnazifizierer anzunähern. Der Hirtenbrief wurde am 1. Februar 1948 erlassen, zehn Tage nach Bekanntgabe neuer Anordnungen. Dazu DER SPIEGEL: Captain Kenny, Offizier für religiöse Angelegenheiten bei der hessischen Militärregierung, glaubt, eine Erklärung für das Vorgehen der Kirche zu haben. Das ‚Wort an die Gemeinde‘ war schon am 5. Januar aufgesetzt worden, am 15. Januar wurde es vervielfältigt in den Brief kasten geworfen, und am 20. Januar kamen wichtige Erleichterungen für die Denazifizie rung heraus. Da aber sei es für die Kirchenleitung zu spät gewesen, die Botschaften aus den weitverstreuten Gemeinden zurückzuziehen. Im übrigen habe die evangelische Kirche ja schon vor zwei Jahren, zum Osterfest 1946, in einem Kanzelbrief auf die Gefahren des Denazifizierungssystems hingewiesen.
Gemeint sind die oben genannten Äußerungen Bischof Wurms. General Clay befand am 4. Februar 1948 zu dieser unzulässigen Einmischung der Kirche in die Belange des Staates: „Es ist schmerzlich für mich, daß Vertreter eines religiösen Glaubens sich zu Fürsprechern der Mißachtung und Verletzung des Rechtes machen.“ Am 6. Februar unternahmen die Vertreter der evangelischen Kirchen 269 Ebenda.
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der amerikanischen Zone in einer gemeinsamen Erklärung einen neuen gemeinsamen Vorstoß gegen die Entnazifizierung: Zu schweren Bedenken gab ferner Anlaß, dass auf Grund des Gesetzes auch solche Handlun gen und Gesinnungen unter Strafe gestellt werden konnten, die zu keiner Zeit strafwürdig waren. […] Die automatischen Wirkungen der kollektiven Schuldvermutung erzeugten weithin das Bewusstsein, dass schweres Unrecht geschieht. Dazu kommet, dass nicht selten versucht wurde, die Spruchkammern zum Austrag politischer Gegnerschaft und persönlicher Feindschaft zu missbrauchen. Auch das Denunziantentum fand Gelegenheit, sich zu betätigen.270
Aus der Rückschau ist die Haltung von Bischof Wurm und Kirchenpräsident Niemöller umso erstaunlicher, als dass die beiden zu den Unterzeichnern des Stuttgarter Schuldbekenntnisses der EKD vom Oktober 1945 gehörten. Damals hatte eine Delegation aus der Ökumene an der zweiten Ratssitzung der EKD in Stuttgart am 18. und 19. Oktober 1945 teilgenommen. Es scheint, dass das kircheninterne Bekenntnis zur Mitschuld am Zweiten Weltkriege, das der Erklärung der katholischen Fuldaer Bischofskonferenz vom 21. August 1945 folgte, vor allem ein Weg zur Aufnahme in den Ökumenischen Rat der Kirchen war, nicht aber als Grundlage für eine Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit gedacht war. Der Gedanke an eine Begegnung von Christen und Juden um eines glaubhaften, gleichberechtigten Verhältnis beider Religionen willen war noch weit entfernt. Auch die möglichen jüdischen Gesprächspartner hielten sich zurück, so etwa Heinz Galinski: „Er verhielt sich damals diesen Bestrebungen gegenüber mit Recht skeptisch, ja mißtrauisch, denn es gab dafür noch keine Basis.“271 Ehrlich stellte fest, dass die beiden großen Kirchen im Jahr 1949 noch über keine soliden Grundlagen für das christlich-jüdische Gespräch verfügt hätten: Als im Jahre 1949 der Deutsche Koordinierungsrat [der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit] gegründet wurde, war die psychische und moralische Wüste, in der Deutschland sich befand, noch weitgehend vorhanden, jedenfalls im Bewußtsein der meisten Deutschen sowie der anderen Völker, besonders derer, die unter der NS-Barbarei zu leiden hatten. Andererseits gab es damals noch viel Selbstgerechtigkeit, die sich in dem Schlagwort artukulierte: ‚Wir haben davon nichts gewußt.‘ Ein Jude, der 1949 in diesem Land lebte oder es oft besuchte, vermochte schwer in eine Kommunikation mit der nichtjüdischen Umwelt treten, weniger weil diese ihm noch feindlich gesinnt war, als die Erinnerungen Erlebnisse, Erfahrungen, Assoziationen zu verschieden war. Eine Brücke zueinander erschien kaum vorstellbar. Es war keine gute Zeit für menschliche Begegnungen, wenn es sich um Juden handelte.272 270 Zitiert nach Vollhans, S. 108. 271 Ehrlich, Ernst Ludwig: Die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit und der christlich-jüdische Dialog (wie Anmerk. 212). S. 323. 272 Ebenda, S. 323f.
17 Hinwendung zum christlich-jüdischen 17 Gespräch Hinwendung zum christlich-jüdischen Gespräch
„Meine Hinwendung zum christlich-jüdischen Dialog entwickele sich allmählich; es dauerte Jahre, bis ich die Wichtigkeit dieser Beziehungen erkannte, zugleich aber auch eine Möglichkeit sah, mich aktiv an einer Organisation zu betätigen.“273 Die Weichen für späteres Engagement im interreligiösen Gespräch hatte laut Ehrlich aber schon Baeck im Sommer 1946 in Oxford gestellt, als er ihn mit Gertrude Luckner bekannt machte: Durch diesen scheinbaren Zufall bin ich nun seit über 50 Jahren zu dieser Art von Tätigkeit gekommen. Nicht direkt damit zusammenhängend – wohl aber innerlich – wie sich bald zeigte, war ein Treffen in einem Hotelzimmer in London, als ich Baeck, wie auch sonst, besuchte und eine ältere kleine Frau auftauchte, mit der Baeck aus der Verfolgungszeit her sehr vertraut war. Es handelte sich um Frau Dr. Gertrud Luckner. Das Schicksal will es, dass ich bis zum heutigen Tage zur Mitarbeiterschaft und Beratung des Freiburger Rundbriefes gehöre, den sie wenige Jahre später herausgab und der heute eine angesehene Zeitschrift ist. Baecks Ausstrahlung wirkt also bei einem seiner Schüler recht direkt weiter.274
An anderer Stelle machte Ehrlich aber deutlich. dass er schon 1943 einen wesentlichen Impuls in Sachen christlich-jüdisches Gespräch erfahren hatte: Wenn wir uns vergegenwärtigen wollen, wie sich eine Entwicklung anbahnte, so soll auch daran erinnert werden, dass ein Jahr später, im Jahre 1943, bereits in der Illegalität in Berlin, ein nun auch schon verstorbener Katholik, der uns Unterkunft gewährte, Rechenschaft über bestimmte Termini Baecks forderte, die dieser in seinem Aufsatz über das Christentum, ‚Romantische Religion‘, verwendet hatte. Christlich-jüdischer Dialog in der Grenzsituation des Lebens in Berlin im Mai 1943.275
Im Gespräch mit Franz Kardinal König (Wien) beschrieb Ernst Ludwig Ehrlich die Begegnung in Oxford über 40 Jahre später, im Januar 1988, so: Nach dem Kriege, im Jahre 1946, hat mich Leo Baeck, der Theresienstadt überlebt hatte, zu sich nach London eingeladen. Und er fragte mich, ob ich ihn nach Oxford begleiten möchte. In Oxford fände nämlich eine, wie ihm scheine, nicht uninteressante Tagung statt. Ich hatte gar keine Ahnung, was das für eine Tagung sein könnte, fuhr aber mit nach Oxford; es war die Gründungstagung der internationalen Bewegung für christlich-jüdische Zusammenarbeit, an der sich alle Länder der Welt beteiligten, die überhaupt für diese Dinge Inter-
273 Vogel (wie Anm. 19), S. 13f. 274 Ehrlich, Ernst Ludwig: Leo Baeck (1873–1956) – mein Lehrer. In: Homolka und Barniske (wie Anm. 10), S. 306. 275 Ehrlich, Ernst Ludwig: Christen und Juden auf meinem Weg. Judaica, 45 (1990) 1. S. 2.
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Hinwendung zum christlich-jüdischen Gespräch
esse hatten. Übrigens auch Deutschland, mit Vertretern, die damals schon nach London kommen konnten: der ehrwürdigen Frau Gertrud Luckner, einer alten Weggenossin von Leo Baeck, die für die Hilfe an den Juden zweieinhalb Jahre im Konzentrationslager Ravensbrück gewesen war, und von evangelischer Seite Probst Grüber, der ebenfalls im Konzentrationslager gewesen war. Auf diese Weise bin ich, schicksalsmäßig sozusagen, in diese Problematik hineingeworfen worden.276
Für Ehrlichs katholischen Freund und Weggefährten Pater Willehad Paul Eckert war es der persönlich Kontakt mit christlichen Theologen, die wesentliche Impulse gab: „Gerade die Jahre des Studiums in Basel haben ihn zur Begegnung mit den christlichen Denkern geführt, haben ihn zum Gesprächspartner im Gespräch von Juden und Christen werden lassen.“277
17.1 Die Thesen von Seelisberg (1947) Ein Jahr später war Ehrlich dann auf Einladung eines angloamerikanischen Komitees Teilnehmer der internationalen „Dringlichkeitskonferenz gegen den Antisemitismus“, die vom 30. Juli bis 5. August 1947 im Hotel Kulm auf dem Seelisberg südöstlich von Luzern die Grundlagen für eine europaweite christlich-jüdische Zusammenarbeit schuf. „Der neue Dialog zwischen Juden und Christen begann für uns in Seelisberg in der Schweiz“, berichtete Ernst Ludwig Ehrlich gleich zu Beginn seines Gespräches mit Rolf Vogel. „Hier wurde versucht, durch zehn einfache, auf historischen Tatsachen beruhende Thesen die ärgsten theologischen Vorurteile über Juden und Judentum abzubauen und der Frage nach zugehen, wie Christen den Religionsunterricht gestalten sollten.“278 Die christlichen Konferenzteilnehmer formulierten unter dem Titel „Eine Ansprache an die Kirchen” zehn Thesen für ein geändertes Verhältnis der Christen gegenüber den Juden.279 Auf nationaler Schweizer Ebene hatte sich zu dieser Zeit bereits die „Christlich-jüdische Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung des Antisemitismus“, kurz CJA, gebildet, die aus der evangelischen Flüchtlings- und Sozialhilfe entstanden war. Ein erstes Treffen im appenzellischen Walzenhausen, an dem 34 Juden und Christen beteiligt gewesen waren, hatte im November 1945 den Anti276 König/Ehrlich (wie Anm. 19) S. 13f. 277 Eckert, Willehad Paul; Laudatio auf Ernst Ludwig Ehrlich, in: Münz und Sirsch (wie Anm. 207). S. 97. 278 Vogel (wie Anm. 19), S. 13. 279 Der deutschsprachige Wortlaut der Seelisberger Thesen findet sich in: Konrad-AdenauerStiftung (Hrsg.): Die Berliner Thesen. Zeit zur Neuverpflichtung. Berlin 2009. S. 51f.
Die Thesen von Seelisberg (1947)
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semitismus aufs schärfste verurteilt. In einer Rede, die Ernst Ludwig Ehrlich 1999 in Liestal hielt, führte er aus: „Die CJA ist am 28. April 1946 gegründet worden. Es ist klar, warum dies geschehen musste. Die Schoa hatte deutlich aufgewiesen, in welcher Weise das Verhältnis zwischen Juden und Christen auch in der Schweiz gestört war. Ein wirkliches Miteinander gab es nicht. Das Nebeneinander war oft kühl und distanziert, und der Antisemitismus war nicht selten spürbar. Vorurteile herrschten, und die jüdische Minderheit galt vielen als Fremdkörper.“280 Der Schweizer Arbeitsgemeinschaft war die erste derartige Vereinigung auf dem europäischen Kontinent und eine Initiative „von unten“; ihr erster Sekretär wurde Dr. Hans Ornstein (1893–1952), ein Jude, gebürtiger Wiener und Rechtsanwalt, der über Großbritannien in die Schweiz gelangt war. Präsident der CJA wurde Erich Bickel (1895–1963), der eine Professur für Werkzeugmaschinen und Fertigungstechnik an der ETH Zürich innehatte und wie Ehrlich aus Berlin stammte.281 Die 65 Persönlichkeiten aus 19 Ländern, die 1947 auf dem Seelisberg zusammenkamen, waren aufgrund ihrer Expertise und ihres Engagements in der Überwindung des Antisemitismus und der Erneuerung des jüdisch-christlichen Verhältnisses eingeladen worden, um das Anliegen der Konferenz anschließend in ihre Gemeinschaften und in die Gesellschaft hineinzutragen. Neben Lösungsvorschlägen für unmittelbare Probleme wie die Niederlassung und den Lebensneuanfang für die Kriegsflüchtlinge und Kriegsüberlebenden im britischen Mandatsgebiet Palästina wurden die zehn programmatischen Thesen als „Botschaft an die Kirchen“ verabschiedet, also unabhängig von Landeskirchen oder Kirchenta gen. In ihnen wurden die grundlegenden Zielsetzungen jüdisch-christlicher Zusammenarbeit formuliert, darunter die professionelle Erforschung des Antisemitismus und die Entwicklung von Strategien zu seiner Überwindung, ihn durch erzieherische, politische, soziale und religiöse Aktionen zu überwinden. Anders als in den kirchlichen Erklärungen von Stuttgart und Treysa im Jahr 1945 bezog man auf dem Seelisberg Stellung zu gesellschaftlichen Fragen, die die konkreten Erfahrungen und Erwartungen der jüdischen Repräsentanten einbezogen. Fast alle dieser gut 30 jüdischen Persönlichkeiten waren Opfer von Verfolgung gewesen: Ernst Bickel und Ernst Ludwig Ehrlich hatten sich aus Deutschland in die Schweiz retten können; Jules Isaac hatte seine Frau, seine Tochter und seinen Schwiegersohn in der Schoa verloren; der Zürcher Rabbiner Chaim Taubes war aus der Ukraine geflohen; Professor Selig Brodetsky gehörte einer bri 280 Zitiert nach Levy, Philippe: „Unterschiede akzeptieren und respektieren“. Standortbestimmung der CJA Bern. (2003). http://www.cja-bern.ch/dokumente/Artikel_unterschiedephlevi.pdf (07.10.2014). 281 Vgl. Keller, Zsolt: Der Blutruf (Mt 27,25): eine schweizerische Wirkungsgeschichte 1900– 1950. Göttingen 2006. S. 118.
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Hinwendung zum christlich-jüdischen Gespräch
tisch-jüdischen Familie an, die Ende des 19. Jahrhunderts den Pogromen in Russland entkommen war, während sich die Familie des französischen Oberrabbiners Jacob Kaplan nach Pogromen in Litauen nach Frankreich geflüchtet hatte. Der rumänische Rabbiner Alexandre Safran hatte während der Schoa bei der Antonescu-Regierung interveniert, um Juden retten zu können. Unter den christlichen Teilnehmern aus Deutschland waren Gertrud Luckner und Adolf Freudenberg.282
17.2 Begegnung braucht menschliche Beziehung Ernst Ludwig Ehrlich verstand theologische Studien, die Kenntnis vom Judentum und vom Christentum, als Voraussetzung für eine tiefgehende Begegnung mit Christen beziehungsweise mit Juden. Entscheidender als die reine Kenntnis wichtiger Bücher seien für ihn aber die menschlichen Beziehungen gewesen, befand er 1988 im Gespräch mit Franz Kardinal König. Diese Beziehungen hätten ihn geprägt und seien sein ganzes Leben lang so wichtig gewesen, dass der christlichjüdische Dialog für ihn zum Teil seiner eigenen Existenz geworden sei: „Nicht dass Wissen aus Büchern und Quellen wie der Hebräischen Bibel und dem Neuen Testament allein, sondern der geistige Austausch mit Menschen, die menschli chen Beziehungen zu Christen, haben es mir ermöglicht, so vorurteilslos zu sein, wie das uns schwachen Kreaturen gegeben ist.“ Er wisse nicht, ob er alle Vorurteile in sich überwunden habe, doch die Begegnung mit Christen sei zumindest förderlich, diese Vorurteile im sich zu bekämpfen, sagte er gegenüber dem Wiener Kardinal.283 Zu diesen prägenden menschlichen Beziehungen zu Christen gehörten für Ehrlich auch die Begegnung mit denjenigen Personen, dank derer Hilfe er überlebt habe. Dies seien neben dem evangelischen Dienstmädchen Emma Haamel, das damals schon 35 Jahre bei den Ehrlichs gelebt hatte, die zwei Katholiken gewesen, Franz Schürholz und Karl Fütterer, die ihn aufgenommen hatten. Zwei Katholiken, die beide geistige Menschen waren; der eine konfrontierte mich bereits am ersten Abend, den ich in seinem Haus verbrachte, mit theologischen Fragen. Er, der Katholik, zog das Buch eines Juden heraus – es war Leo Baecks Aufsatz mit dem Titel ‚Romantische Religion‘284; darin hatte er gewisse Termini gefunden, die ihn als Katholik störten. In der Grenzsituation meines Lebens – ich verbarg mich vor den Nazis, die mich deportieren
282 Vgl. Kohlbach-Bickel: Family Papers 1860–1952, Mss Col 6305, The New York Public Library, Humanities and Social Sciences Library, Manuscripts and Archives Division. 283 Ebenda, S. 15f. 284 Baeck, Leo: Romantische Religion. In: Friedlander, Albert H. [u.a.] (Hrsg.): Leo Baeck Werke, Bd. 4. Gütersloh 2000. S. 59–129.
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wollten – stellte mir ein katholischer Christ, der, weil er mich verborgen hielt, sein Leben riskierte, entscheidende theologische Fragen!
Rückblickend, so Ehrlich habe er damals mit Sicherheit völlig unzureichend geantwortet.285 Anderthalb Jahrzehnte später war der Ehrlich in der Lage, die Frage nach Baecks Verständnis von romantischer Religion auf akademischem Niveau zu erläutern. Er publizierte einen entsprechenden Beitrag in der Theologischen Lite raturzeitung, also in einer Zeitschrift, die 1876 von Leo Baecks späterem Kontrahenten Adolf von Harnack mitbegründet worden war. Da dieser Artikel, der auch in Ehrlichs Bibliographien von 1971 und 2009 nicht aufgeführt wird, weitgehend unbekannt dürfte, soll hier daraus ausführlich zitiert werden: In dem Aufsatz ‚Romantische Religion‘ unternimmt Baeck den Versuch einer grundsätzlichen Unterscheidung zwischen Judentum und Christentum. Als Exponenten einer ‚romantischen Religion‘ sieht hier Baeck vor allem Paulus, wobei aber offenbar die hellenistischen Elemente der paulinischen Theologie über Gebühr betont werden. Die Forschung des letzten Jahrzehnts hat nun erwiesen, dass kleinasiatische Mysterien von geringerem Einfluss auf Paulus geblieben sind, als man dies früher annahm. Von größerer Bedeutung ist vermutlich die Verarbeitung sektiererischer jüdischer Theologie gewesen, die Paulus umformte und so dem urchristlichen Glauben anpasste […]. Von ungeminderter Aktualität ist dann freilich Baecks Auseinandersetzung mit der lutherischen Gesetzesfeindlichkeit. Im Unterschied zum Jakobusbrief, der Glauben und Werke anerkennt, hat Luther das Gesetz aus dem Evangelium eliminiert. Religion ist auf diese Weise zum kontradiktorischen Gegensatz zur Ethik geworden: Entweder Glaube oder Ethik! Der Protestantismus hat schließlich in der Nachfolge Luthers die Sittengebote in das Gebiet des Bürgerlichen verwiesen: Der Landesherr wird zum ‚Wächter der beiden Gesetzestafeln‘ (Melanchthon), so dass das Sittliche ohne religiös Fundierung bleibt. Die Geschichte hat gezeigt, welche Gefahren die Beseitigung des Sittlichen aus der Religion in sich birgt: Ohne beunruhigt zu sein, konnten Menschen vieles mitansehen; man wusste sich als eine ganz andere Welt, so dass in dieser Welt manches sich (bzw. dem ‚schlechten Landesherrn‘) überlassen bleiben konnte. Der fromme Glaube hatte die irdische Tat als ein Geringes angesehen; das Bekenntnis begnügte sich mit sich selbst, denn „wer an diesen glaubt, ist gerecht.‘ Baecks Kennzeichnung der Gefahren des ‚sola fide‘ dürfte in vielem zuzustimmen sein, nicht zuletzt die jüngste Vergangenheit sollte uns in dieser Beziehung manches gelehrt haben! Immerhin wäre aber doch zu fragen, ob hier nun die Kategorie des ‚Romantischen‘ völlig ausreicht, und ob man das Christentum in den Griff bekommt, wenn man vom ‚Glaubenserlebnis‘, der ‚romantischen Kirche‘, der ,romantischen Wahrheit‘ und dem ‚Sentimentalen‘ spricht. Es scheint eher, dass gerade diese Begriffe dann wieder von jenem Zentralen hinwegführen, das auch heute noch als Aufgabe und Problem vor jedem Christen steht: seine Erlösungsgewissheit mit dem religiösen Gebot zu vereinen.
285 König/Ehrlich (wie Anm. 19), S. 16.
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Der Duktus, in dem Ehrlich Baecks Aufsatz zusammenfasste, ähnelt sehr dem Ton, in dem sich Baeck 1946 über Friedrich Meinecke und die deutschen Historiker äußerte. Ehrlich übernahm in der Nachfolge von Baeck in seinen Vorträgen und Veröffentlichungen viel von dessen Lehrmeinungen, Redewendungen und Satzfiguren, wobei diese Übernahmen im Sinne der Rhetorik stets Respektsbekundung und niemals Plagiat waren. Er folgte auch in seinen Predigten Baecks mäanderndem Vorbild, unterschied sich darin aber nicht wesentlich von anderen Schülern, die so wie etwa Nathan Peter Levinson ebenfalls bei Baeck Homiletik studiert hatten. Die enge Verbundenheit Ehrlichs mit Baeck legt es nahe, hier auch kurz das Verhältnis seines Lehrers zum Christentum darzustellen.
17.3 Leo Baeck und das Christentum Baecks Bibliographie weist mehr als dreißig Arbeiten über das Thema Judentum und Christentum auf, siebzehn davon aus der Zeit der Weimarer Republik, fünf der wichtigsten aus dem Dritten Reich.286 Sein Werk ist geprägt von einer anhaltenden Auseinandersetzung mit dem Christentum, selbst in schwierigster Zeit. In der breiteren Öffentlichkeit wurde Baeck durch seine Kritik an dem liberalen protestantischen Theologen Adolf von Harnack (1851–1930) und dessen Buch „Das Wesen des Christentums“ bekannt. Harnack hatte in seinen sechzehn Vorlesungen an der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, die diesem Buch zu Grunde lagen, die rabbinische Literatur bei seiner Beschreibung des Frühchristentums völlig außer Acht gelassen. Diese Darstellung sei so aber zutiefst apologetisch und ohne historisches, wissenschaftliches Fundament, urteilte Baeck in seiner Rezension, die 1901 in der Monatsschrift für die Geschichte und Wissenschaft des Judentums287 erschien. 1905 veröffentlichte Baeck dann sein grundlegendes Werk „Das Wesen des Judentums“, das bis 1933 sechs Auflagen erlebte. Das Christentum wird darin kaum genannt, doch der implizite Vergleich beider Religionen ist offensichtlich; Baeck folgte dabei einer Methode, die Reinhold Mayer später als „Polemik des Schweigens“288 bezeichnete. Baecks Interesse am Christentum dauerte an, und er beschäftigte sich bis zu seinem Lebensende vor allem mit dessen formativen Stadien. Ihn interessierten Jesus als Jude, der „Hellenist“ Paulus oder das „Evangelium als Urkunde der jüdi-
286 Vgl. Wiener, Theodore: The Writings of Leo Baeck. Cincinnati 1954; Geis, Robert R.: Versuche des Verstehens. München 1966. S. 50. 287 Monatsschrift für die Geschichte und Wissenschaft des Judentums. Breslau 1901. S. 97–120. 288 Mayer, Reinhold: Christentum und Judentum in der Schau Leo Baecks. Stuttgart 1961. S. 90.
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schen Glaubensgeschichte“.289 Er begriff das Werden des Christentums dabei als ein sich dem Judentum entfremdendes Phänomen – eine Vorstellung, die später auch für Ernst Ludwig Ehrlich wesentlich sein sollte. Baeck betonte lange Jahre den Gegensatz von Judentum und Christentum, klassischer und romantischer Religion, Gesetz und Gnade, Gebot und Geheimnis. Schon Abraham Geiger (1810– 1874) hatte das Christentum als die „Mutter der Romantik“ bezeichnet, und dem entsprechend stellte Baeck Judentum und Christentum in seinem polemischen Aufsatz „Romantische Religion“ von 1922, der später bei Ehrlichs Helfer Franz Schürholz das schon erwähnte große Unbehagen auslöste, einander als „klassische“ beziehungsweise „romantische“ Religion gegenüber.290 Dass das Empfinden alles bedeuten soll, darin liegt das Eigentümliche, das Wesentliche der Romantik. […] Ihre Gefahr, der sie nicht entgeht, ist, dass dieses alles besagende Gefühl sich schließlich entweder im Wesenlosen oder im Surrogat oder in der Erstarrung befindet. Und vorher ist sie auf die Bahn immer geführt worden, dass sie ins Sentimentalisieren bald und bald in die Phantastik gelangte, dass sie aller Wirklichkeit, zumal der des Gebotes auswich, zur Passivität wurde gegenüber der sittlichen Aufgabe des Tages; die Einfühlung sollte vieles ersetzen und hat die Freiheit gegeben, welche frei war von der Entscheidung, unabhängig war von jeder inneren Verpflichtung.291
Baeck ging hier über eine rein theologische Argumentation hinaus; aus seiner Polemik wird deutlich, als wie stark er den Mangel an moralischer Entschiedenheit bei vielen deutschen Theologen empfand, so wie er dies später auch den deutschen Historikern anlastete. Baeck stellte in seinem System der Polarität den ethischen Monotheismus des Judentums dem Mysterium der Gnade im Christentum gegenüber und deutete, wie es dann Ehrlich auch in seiner Besprechung von 1959 aufzeigte, Luthers programmatische Formel „sola fide“ dahingehend, dass in ihr der Mensch zum Geschöpf der göttlichen Gnade gemacht wird und nicht mehr Subjekt seines eigenen sittlichen Handelns ist. Im Rückblick auf sein Studium bei Baeck an der Berliner Lehranstalt betonte Ehrlich, wie ungewöhnlich es gewesen sei, dass ein Student, der sich Anfang der 1940er Jahre in den Fächern der Wissenschaft des Judentums umhören wollte, bei einem Rabbiner das Christentum kennenlernte und von Jesus und Paulus hörte: „Eine gespenstige Vorstellung, wenn man sich vergegenwärtigt, wann dies geschah: In den Jahren, als sogenannte Christen ihren Herrn Jesus Chris-
289 Baeck, Leo: Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte. Berlin 1938. 290 Festschrift zum 50jährigen Bestehen der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums. Berlin 1922. 291 Baeck, Leo: Aus drei Jahrtausenden. Tübingen 1958. S. 119.
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tus immer aufs Neue ans Kreuz schlugen, indem sie sich millionenfach an Juden vergingen.“292 In seinem Aufsatz „Die Evangelien in jüdischer Sicht“ griff Ernst Ludwig Ehrlich 1968 Baecks Auseinandersetzung mit dem jüdischen Jesus auf und schlug den Bogen von dessen erster Kritik an Harnack, in der er Jesus 1901 als „eine echt jüdische Persönlichkeit“ bezeichnet hatte, zu einem der letzten Vorträge seines Lehrers: 55 Jahre später, im Jahre 1956, wenige Monate vor seinem im November desselben Jahres erfolgten Ableben, beschäftigt sich Leo Baeck noch einmal, nun zum letzten Male, mit Jesus und dem Christentum. In diesem Vortrag, der als Privatdruck erschien, heißt es: ‚Er war, nach allem, was wir wissen und hören, ein Mann von großer Eigenart, ein Mann, in dem sich Weisheit des Denkens, Kraft des Hoffens und eine Anmut des Wesens miteinander vereinten. Sein Leben war kurz. Menschen rings um ihn glaubten, er sei der Verheißene […] So war auch Jesus dahingegangen […] Aber der Glaube an ihn blieb in seinen Anhängern.‘293
Bei dem von Ehrlich genannten Vortrag im Jahr 1956 handelte es sich um die Rede, die Leo Baeck am 22. April 1956 anlässlich der Studientagung der DistrictsGross-Loge Kontinental-Europa XIX in Brüssel hielt und in der er ein halbes Jahr vor seinem Tod die Gemeinsamkeiten von Judentum, Christentum und Islam benannte und einen gemeinsamen Weg der drei Religionen wies. Baeck endete mit einer messianisch anmutenden Hoffnung: „Dann werden gute Tage kommen. Menschen und Völker und Bekenntnisse werden geschieden bleiben, werden in ihrer Besonderheit weiterleben, aber sie werden wissen, dass sie zusammen gehören, Teile der einen Menschheit sind, zusammenleben sollen auf dieser unserer Erde, einander sehend und einander verstehend, und, wenn es Not tut, einander helfend.“294
292 Ehrlich, Ernst Ludwig: Dankesrede zur Buber-Rosenzweig-Medaille 1976. In: Münz, Christoph und Rudolf W. Sirsch (Hrsg.): „Denk an die Tage der Vergangenheit – Lerne aus den Tagen der Geschichte“. 40 Jahre Buber-Rosenzweig-Medaille. Berlin 2009. S. 105. 293 Ehrlich, Ernst Ludwig: Die Evangelien in jüdischer Sicht. In: Freiburger Rundbrief XXII (1970) 81/84. S. 61–68. 294 Baeck, Leo: Judentum, Christentum und Islam. Rede anlässlich der Studientagung der Districts-Gross-Loge Kontinental-Europa XIX in Bruxelles (22. April 1956). In: Friedlander, Albert H. und Bertold Klappert: Leo Baeck Werke. Bd. 5: Nach der Schoa – warum sind Juden in der Welt? Schriften aus der Nachkriegszeit. Gütersloh 2002. S. 489.
Der Freiburger Rundbrief
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17.4 Der Freiburger Rundbrief Im Herbst 1951 wurde Ernst Ludwig Ehrlich von den damaligen Herausgebern des Freiburger Rundbriefs gebeten, „uns als jüdischer Mensch, der die Verfolgung in Deutschland überlebt hat, ungeschminkt zu schreiben, wie sich, von der jüdischen Seite aus gesehen, die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel nach der Bonner Regierungserklärung [vom 27. September 1951 über die Wiedergutmachung] ausnehmen“. Unter dem Titel „Deutschland und Israel“ schrieb er daraufhin in der Dezember-Ausgabe einen energischen Artikel. Man dürfe nicht in voreilige Euphorie fallen: „Das deutsche Volk hat bisher einfach nicht bewiesen, dass es den Willen hat, elementarste Gerechtigkeit zu üben. […] Auch die Aufbringung der Reparationen als solche kaufen Deutschland nicht von der Schuld seiner traurigen Vergangenheit los.“ Es müssten noch größere Anstrengungen unternommen werden, „um den Neonazismus, die nationalistische Restauration und den Antisemitismus zu bekämpfen“.295 Der Freiburger Rundbrief war 1948 als Zeitschrift mit Beiträgen „zur Förderung der Freundschaft zwischen dem Alten und dem neuen Gottesvolk – im Geiste der beiden Testamente“ von Gertrud Luckner und Karl Thieme begründet worden. Als im Frühjahr 1948 in Freiburg in einem kleinen Kreis Interessierter erörtert wurde, welche Konsequenzen aus der Tatsache zu ziehen sei, dass „in der Hitlerzeit zum ersten Mal Christen und Juden gemeinsam verfolgt worden waren“, wurde auch die Herausgabe einer Korrespondenz angeregt, die das Verhältnis zwischen den Angehörigen des alten und denen des neuen Gottesvolkes informierend und klärend behandeln und so die verhängnisvolle gegenseitige Unkenntnis überwinden helfen sollte. „Schweigen; Gleichgültigkeit und Verständnislosigkeit liegen über der Ermordung von Millionen“, hieß es im Geleitwort der ersten als Manuskript hektographierten Ausgabe des Freiburger Rundbriefs vom August 1948. „Inzwischen sind Abneigung und Judenhass als Folge mancher verhängnisvoller Entwicklung dieser Jahre erneut im Wachsen. […] Es bedarf auch einer grundsätzlichen Besinnung der Christen, um alte Vorurteile zu überwinden. Eine Beziehung zwischen Menschen ist unmöglich, wenn ein Gespräch nicht zustande kommt.“296 Bemerkenswert ist, dass Ehrlich die schweizerische Zeitschrift Judaica. Bei träge zum Verständnis des jüdischen Schicksals in Vergangenheit und Gegenwart, die erstmals am 31. März 1945 im Zürcher Zwingli-Verlag erschien und damals vom Basler Verein der Freunde Israels herausgegeben wurde, nicht als Forum wahrnahm; mag sein, dass ihn der Missionierungsgedanke des 1830 gegründeten 295 Freiburger Rundbrief III./IV (Dezember 1951) 12/15. S. 14f. 296 Freiburger Rundbrief 1 (August 1948) 1. S. 1.
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Vereins verschreckte – grundsätzlich dürfte es aber eben die persönliche Verbundenheit mit Gertrud Luckner gewesen sein, die Ehrlich für den Freiburger Rundbrief einnahm..297 In derselben frühen Nummer des Freiburger Rundbriefs, in der 1951 Ehrlichs erster Artikel erschien, war er auch mit einem längeren Leserbrief vertreten. In den Bibliographien von 1991 und 2009 ist dieser zweite bekannte literarische Beitrag Ehrlichs in missverständliche Weise als „Zur Parallele Bar Kochba – Hitler, zusammen mit K. Thieme“ aufgeführt. Tatsächlich wandte sich Ehrlich in diesem Leserbrief aber gegen seinen damaligen Basler Gesprächspartner Karl Thieme, der den jüdischen Freiheitskämpfer Bar Kochba mit Hitler verglichen hatte.298 Dieses Mit- und Gegeneinander sollte typisch sein für das Verhältnis der beiden, das sich grundsätzlich auch von Ehrlichs Beziehung zu Gertrud Luckner unterschied. „Hat Karl Thieme die theologische Last getragen, so bringt Gertrud Luckner neben ihrer unermüdlichen Energie und inneren Kraft etwas anderes ein, was stets neben der theologischen Leistung zu stehen hat, ansonsten es zu keiner Begegnung mit den Juden kommen kann. Die menschliche Weite, die Lebenserfahrung, die Kenntnis des jüdischen Menschen und seiner Probleme, die Beziehung zum Lande der Juden, zu Erez Israel, zum Staate Israel.“299 Was Ehrlich 1968 zum über die Rolle der beiden für den Freiburger Rundbrief sagte, galt grundsätzlich auch für sein eigenes Verhältnis zu den Thieme und Luckner und deren Verständnis von Dialog mit dem Judentum.
17.5 Karl Thieme (1902–1963) „Als ich dann 1950 promoviert hatte, habe ich mich weiter mit diesen Dingen beschäftigt. Es war ein Katholik, ein Pionier auf diesem Gebiet, mit dem ich die wirklich ersten Dialoge hatte: Karl Thieme.“300 Karl Otto Thieme, ein gebürtiger Leipziger, war ein deutscher Historiker, Politologe und Theologe, der ab 1927 als Dozent an der Berliner Hochschule für Politik lehrte, von 1931 bis 1933 Professor für Geschichte und Staatsbürgerkunde an der Pädagogischen Akademie in Elbing war und 1933 wegen seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus aus dem Amt
297 Heute wird die Zeitschrift von der Stiftung Zürcher Lehrhaus Judentum, Christentum, Islam herausgegeben und zählt zu den wichtigsten judaistischen Periodika im deutschsprachigen Raum. 298 Freiburger Rundbrief III./IV. (Dezember 1951) 12/15. S. 35f. 299 Ehrlich, Ernst Ludwig: Karl Thieme – und wo stehen wir heute? In: Freiburger Rundbrief XX (Dezember 1968) 73/76. S. 24. 300 König/Ehrlich (wie Anm. 19), S. 14.
Karl Thieme (1902–1963)
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entfernt wurde. 1934 konvertierte Thieme zum Katholizismus, ein Jahr später emigrierte er in die Schweiz, wo er ab 1943 in Läufelfingen, Kanton Basel-Landschaft, heimatberechtigt war. Er zog nach Kriegsende nach Lörrach, dem deutschen Grenzort vor Basel; von 1947 an lehrte er am Auslands- und Dolmetscherinstitut der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz (Germersheim), wo er 1953 ordentlicher Professor für Europäische Geschichte, Philosophie und Deutschtumskunde wurde und dessen Leitung er von 1954 bis 1959 innehatte. Ernst Ludwig Ehrlich war zwischenzeitlich nicht immer gut auf Thieme zu sprechen. Am 27. Juni 1951 schrieb Ehrlich an Schürholz „Ich muss mit Thieme zusammenarbeiten, der der einzige ist, der überhaupt noch etwas arbeitet, wenngleich er auch als Konvertit nicht die nötige Freiheit und den Abstand hat. Immerhin organisiert er etwas.“ Zehn Tage später kam er Schürholz gegenüber wieder auf Thieme zu sprechen: „Da er aber die jüdisch-christliche Zusammenarbeit gepachtet zu haben scheint, sehe ich keine andere Möglichkeit als mit ihm zusammenzuarbeiten. Er tut manchmal Bedenkliches, aber bisweilen auch Rechtes, und man muss sich heute leider mit mancherlei Brüdern zusammentun.“ Ehrlich unternahm damals „Tournées“, wie er es nannte, Vortragsreisen, die Thieme für ihn organisierte. „Ich muss doch schließlich mal etwas tun! Seit über einem Jahr bin ich arbeitslos und ich sehe keine andere Betätigungsmöglichkeit. In Berlin will ich mich nicht festsetzen.“ Mag sein, dass sich Ehrlichs Unmut im Sommer 1951 von der schon erwähnten Parallele herrührte, die Thieme zwischen Bar Kochba und Hitler gezogen hatte. Was Thiemes Dominanz in der christlich-jüdischen Zusammenarbeit betrifft, so lässt sich nur mutmaßen, dass Ehrlich damit die Rolle meinte, die Thieme bei einer Versammlung spielte, die vom 19. bis 21. Mai 1951 in Basel stattfand. Damals trafen sich Vertreter von Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit aus Belgien, Frankreich, Großbritannien, Holland, Österreich, der Schweiz und Westdeutschland mit dem Ziel, ihre in wesentlichen Grundzügen identische Arbeit zu koordinieren. Das Treffen fand in den Räumen der RömischKatholischen Kirchgemeinde Basel statt, als deren Delegierter bei der ChristlichJüdischen Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz Karl Thieme die Vertreter der anderen sieben europäischen Arbeitsgemeinschaften begrüßte.301 Andererseits war Thieme 1951 aus seiner Stellung als Berater in religiösen Angelegenheiten beim Deutschen Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit wieder ausgeschieden. Ein Jahr zuvor hatte Thieme Ehrlich in Berlin eingeholt: Am 16. Mai 1950 sprach er auf der Gründungsversammlung des Interkonfessionellen Ausschusses der Berliner Gesellschaft für christlich-jüdi-
301 Freiburger Rundbrief III/IV. Folge 1951/1952 (Dezember 1951) 12/15. S. 30.
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sche Zusammenarbeit über „Respektierbare Differenzen und unüberwindbare Vorurteile.“302 In anderen Dingen waren sich die beiden einig, etwa in der Einschätzung von Simone Weil (1909–1943), dieser, so Ehrlich „merkwürdigen Jüdin mit stark katholischen Tendenzen und gefährlichem Antijudaismus“, deren Werke „La pesanteur et la grâce“ und „Attente de Dieu“ 1952 und 1953 in deutscher Übersetzung erschienen. „Thieme und ich lehnen diese heute gefeierte Dame vollständig ab“, stellte Ehrlich am 7. Dezember 1952 gegenüber Schürholz fest. Ein Jahr später hieß es dann sogar: „Mit Thieme stehe ich mich recht gut, wir arbeiten zusammen, wann immer es möglich ist. So haben wir alle Artikel über Judentum des Großen Herderlexikons miteinander aufgeteilt.“ In diesem Brief vom November 1953 verglich Ehrlich auch seinen Werdegang mit dem von Thiede, der gerade auf seine ordentliche Professur in Mainz berufen worden war, und schöpfte daraus wohl auch Mut für sich selbst: „Er brauchte nun auch volle acht Jahre, bis Thieme eine vernünftige Tätigkeit gefunden hat.“ Eine der letzten Arbeiten von Karl Thieme, die wenige Monate vor seinem Tod im Jahr 1963 erschien, war der Band „Judenfeindschaft“ in der Fischer-Bücherei, für den er auch Ernst Ludwig Ehrlich als Mitarbeiter gewonnen hatte; Ehrlich schrieb darin eine geschichtliche Übersicht zu „Judenfeindschaft in Deutschland. Von der Römerherrschaft bis zum Zeitalter der Totalität“.303 Zwei Jahre zuvor war Ehrlich einer der beiden jüdischen Beiträger für die Veröffentlichung des „FunkSymposiums Juden-Christen-Deutsche“ des Süddeutschen Rundfunks gewesen, einer Vortragssammlung, die von Wolf-Dieter Marsch und Karl Thieme herausgegeben wurde. Fünf Jahre nach Thiemes Tod zeichnete Ehrlich die Entwicklung nach, die dieser in seiner Auseinandersetzung mit dem Judentum genommen hatte, um schließlich verstehen zu können, „worum es sich bei dieser notwendigen Span nung zwischen Christen und Juden eigentlich handelt“; in dieser Abfolge von Stufen brachte Ehrlich zugleich sein eigenes Verständnis von den Qualitäten des christlich-jüdischen Dialoges zum Ausdruck. Er schrieb: Die erste Stufe ist der christliche Wunsch, das Anliegen, die Forderung, die Juden mögen sich bekehren, Israel hätte seine Rolle ausgespielt, indem es leichtfertig den ihm gesandten Messias verworfen habe. Auch Karl Thieme hat in einem solchen Denken begonnen, das Problem zu sehen. Auf der zweiten Stufe pflegt dem Christen die eigentliche Bekehrung heute und jetzt eher etwas fragwürdig zu erscheinen, vollends als eine an den Juden zu
302 Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Berlin e.V.: 50 Jahre im Gespräch. Eine Festschrift. Berlin 1999. S. 57. 303 Thieme, Karl (Hrsg.): Judenfeindschaft. Darstellungen und Analysen. Frankfurt a. M. 1963.
Gertrud Luckner (1900–1995)
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richtende Forderung. Man beginnt die neutestamentlichen Quellen zu befragen, und eine sachgerechte, urteilslose Exegese führt den Christen dann dazu, das Bekehrungsanliegen in Frage zu stellen. Auf der dritten Stufe fragt sich der Christ, wie er denn nun dem Juden begegnen soll, wenn jenem doch nur die Hoffnung bleibt, Israel würde zu seiner vermeintlich wahren Bestimmung doch noch heimfinden, welche für den Christen ja nicht zweifelhaft zu sein pflegt. Man entscheidet sich auf dieser Stufe für den ‚Dialog‘, um den Juden zumindest wissen zu lassen, worauf er verzichtet. Die vierte Stufe ist etwas anderes: Hier ist man sich scharf dessen bewusst, was man gemeinsam hat, ferner was Christen und Juden trennt, und was von beiden gefordert wird: Kenntnis und Achtung.304
17.6 Gertrud Luckner (1900–1995) Während Ehrlich sich mit Karl Thieme oft schwer tat, galt der Initiatorin des Freiburger Rundbriefs zur Förderung der Freundschaft zwischen dem alten und dem neuen Gottesvolk im Geiste beider Testamente305, Gertrud Luckner (1900–1995), stets seine uneingeschränkte Sympathie. Er hatte von der beherzten Pazifistin, die als Angestellte des Deutschen Caritasverbandes verfolgten Juden half und am 24. März 1943 – währenddessen er selbst in Berlin untergetaucht war – denunziert wurde und wegen „projüdischer Betätigung und Verbindungen mit staatsfeindlichen Kreisen“ schließlich als politischer Häftling im Konzentrationslager Ravensbrück schwere Zwangsarbeit leisten musste, nie etwas gehört, bis Leo Baeck die beiden mit einander bekannt machte. Durch Luckners Verbundenheit mit Baeck erhielt auch Ehrlichs Beziehung zu ihr eine besondere Qualität. Gertrud Luckner wurde zum Inbegriff des „anderen Deutschlands“. Ehrlich erinnerte sich in einem Grußwort zu Luckners 85. Geburtstag an ihre erste Begegnung: Es war in Zürich, im Jahre 1946. Dort traf ich meinen Lehrer, Rabbiner Dr. Leo Baeck, wieder. Wir hatten uns zuletzt im Januar 1943 in Berlin gesehen, wenige Tage bevor er ins KZ Theresienstadt deportiert worden war. Plötzlich kam eine mir damals unbekannte Deutsche. Sie schien mit Dr. Baeck seit langem sehr vertraut zu sein. Und durch ihn erfuhr ich hernach, woher er sein Bild von dem andern Deutschland erhalten hatte: Gertrud Luckner, mit der er in jenen schwersten Jahren in ständiger Zusammenarbeit stand. Eine Frau, eine Katholikin, eine Deutsche. Damals, in jenen Tagen des Jahres 1946 verstand ich, was Baeck uns während des Studiums der Jahre 1940–1942 vermitteln wollte: Nicht alle Deutschen sind Verbrecher oder Zuschauer, nicht wenige Frauen waren tapferer als opportunistische Männer, und die Katholizität, da, wo sie wirklich ausstrahlt und gelebt wird, ist biblischen 304 Ehrlich, Ernst Ludwig: Karl Thieme – und wo stehen wir heute? In: Freiburger Rundbrief, XX (Dezember 1968) 76. S. 24. 305 Seit 1993 erscheint der Freiburger Rundbrief in Neuer Folge vierteljährlich mit dem Untertitel „Zeitschrift für christlich-jüdische Begegnung“.
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Geistes. An diese Frau Gertrud Luckner hat Leo Baeck in seiner Freitagmorgen-Vorlesung gedacht, wenn er über diese Dreiheit sprach: Deutsche, Frau und Katholizität.306
Ehrlich erkannte Luckner also als Baecks Gegenüber während seiner eigenen Studienzeit bei ihm und sollte ihr Leben beinahe 50 Jahre lang begleiten, „indem sie mich meistens nachts zwischen 10 und 11 Uhr kontaktierte.“307 1995 und 1996 griff Ehrlich ihr Beispiel in seinen Predigten zu Rosch Haschana in den Synagogen Pestalozzistraße und Fränkelufer in Berlin auf. Er sagte: „Je länger der Abstand zur Schoa wird, desto mehr denken wir darüber nach, desto brennender wird die Erinnerung.“ Gerade an einem Rosch Haschana, so Ehrlich, werde man überlegen, wie wir für uns selbst mit diesem Geschehen umgehen, und solche Gedanken mögen einem gerade in der Synagoge an einem Feiertag kommen: Mir selbst wurde das alles bewusst, als ich seinerzeit die Grabrede für Gertrud Luckner in Freiburg hielt. Sie ist eine der wenigen Deutschen gewesen, die bis zur ihrer Verhaftung 1943 Juden halfen, sie zu retten versuchten, und die darin ihre Aufgabe sahen. Dieses Tun endete im KZ Ravensbrück. Anlässlich ihres Dahinscheidens wurde mir klar, wie wenige es waren, die sich für uns Juden exponierten. Meist siegte die Freiheit oder der Opportunismus. Wir wurden im Stich gelassen. Man stand mit dem Rücken zu uns und dachte nur an seine eigenen Interessen.
Diese Predigt ist eine der wenigen schriftlichen Äußerungen Ehrlichs, aus der persönliches Erleben und eine andauernde Verletzung sprechen. Er verwies in seiner Predigt auf die talmudische Legende vom Märtyrertod des Rabbi Hananya Ben Tradyon, in der dieser in Torarollen gewickelt verbrannt wird und seinen Schülern noch sagen kann, dass er sehe, wie das Pergament verbrennt, die Buchstaben aber durch die Luft schweben und in die Welt gehen. Ehrlich schlug in dieser Predigt den Bogen in die Gegenwart: „Es gibt Christen, die inzwischen gemerkt haben, dass jene Buchstaben, die durch die Luft schweben, auch zu dem gehören, was sie glauben.“ Sein nächster Gedanke galt dann der Stelle im Gebetbuch, die man nach Auschwitz nur mit Zögern beten könne: Ahava rabba ahav tanu, „denn Du hast uns geliebt mit großer Liebe.“308 Ob die erste Begegnung Ehrlichs mit Luckner wirklich in London stattfand, ist allerdings fraglich; Ehrlich nannte selbst an anderer Stelle ja wie anfangs erwähnt vielmehr Zürich als Ort: 306 Freiburger Rundbrief XXXVII/XXXVIII (1985/86). S. 43. 307 Ehrlich, Ernst Ludwig: Dr. Gertrud Luckner (1900–1995). In: Heinz, Hanspeter und Hans Hermann Henrix (Hrsg.): „Was uns trennt, ist die Geschichte“. Ernst Ludwig Ehrlich – Vermittler zwischen Juden und Christen. München/Zürich/Wien 2008. S. 226. 308 Unveröffentlichtes Typoskript im Nachlass von Ernst Ludwig Ehrlich.
Die Anfänge christlich-jüdischer Zusammenarbeit in Westdeutschland
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Ich habe Gertrud Luckner zuerst im Jahre 1946 kennen gelernt. Ich erinnere mich heute, nach 54 Jahren, noch genau an diese Szene. Es war in einem Hotel in Zürich, als ich meinen Lehrer Rabbiner Dr. Leo Baeck dort besuchte, mit dem Gertrud Luckner eng in ihrer Hilfstätigkeit zusammengearbeitet hatte. Vorher hatte ich nie etwas von ihr gehört, erst durch Leo Baeck erfuhr ich von ihren Taten. Zwei Jahre später, als sie den Rundbrief begründete, kam ich wiederum mit ihr in Beziehung durch Karl Thieme, der ihr theologischer Berater war bis zu seinem Tod im Jahre 1961. […] Im Umgang war sie einerseits eigensinnig, anderseits aber durchaus kompromissbereit, wenn man ihr klarmachte, dass dieses oder jenes dem Wohle des Rundbriefes vielleicht doch nicht diente. In der Sache jedoch war sie unerbittlich und nahm auf niemanden Rücksicht, wenn es darum ging, das Judentum korrekt darzustellen oder Judenfeindschaft zu bekämpfen. Hier war sie kompromisslos und weigerte sich, selbst Autoritäten der Kirche zu schonen. Das hat ihr nicht nur Freunde eingebracht.309
In der oben genannten Grabrede auf Luckner skizzierte Ehrlich nicht nur deren Beziehung zu Leo Baeck, sondern bestätigte auch, dass ihre erste Begegnung in Zürich stattgefunden hatte: Eine freilich andere Autorität war für sie der Rabbiner Leo Baeck, mit dem sie bis zu dessen Deportation nach Theresienstadt Anfang 1943 zusammenarbeitete. An ihm richtete sie sich auf, wenn andere ihr leider allzu oft Anlaß gaben, das Haupt zu verhüllen. Leo Baeck war für sie die moralische Autorität in dieser und auch in der späteren Zeit bis zu Baecks Ableben im Jahre 1956. Es ist daher kein Zufall, daß ich Gertrud Luckner bei ihm anläßlich eines Besuches in Zürich 1946 zuerst getroffen habe, also vor fast 50 Jahren. Er hat ihr wahrscheinlich auch ihr Grundwissen über das Wesen des Judentums vermittelt, durch die Ausstrahlung seiner Persönlichkeit und durch seine Werke.310
17.7 Die Anfänge christlich-jüdischer Zusammenarbeit 17.7 in Westdeutschland Die Anfänge christlich-jüdischer Zusammenarbeit in Westdeutschland
„Das“, so Ernst Ludwig Ehrlich 1959, „ist also nun das Neue: Nicht mehr Mission, sondern ein Gespräch, in dem jeder das eigene vertritt, ein Dialog, in dem sowohl die Auffassung des Judentums, das muss man den Christen sagen, als aber auch die des Christentums, das muss man vielen Judensagen, voll zur Geltung kommt, ohne jede Harmonisierung, aber auch ohne jede Diffamierung, von welcher Seite
309 Dr. Gertrud Luckner (1900–1995), Vortrag von 2000, veröffentlicht in: Heinz, Hanspeter und Hans Hermann Henrix (Hrsg.): „Was uns trennt, ist die Geschichte“. Ernst Ludwig Ehrlich – Vermittler zwischen Juden und Christen. München/Zürich/Wien 2008. S. 222–227. 310 Ehrlich, Ernst Ludwig: Gertrud Luckner (1900–1995). Ansprache am Grab, 7. September 1995. In: Orientierung 59 (30. September 1995) 18. S. 194.
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auch immer.“311 Der Weg dorthin war schwierig und brauchte bald anderthalb Jahrzehnte christlich-jüdischer Verständigung. Anders als in der Schweiz, wo die christlich-jüdische Zusammenarbeit aus der Flüchtlingshilfe erwachsen war und auf die Bekämpfung des Antisemitismus zielte, waren die Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Westdeutschland Produkt der amerika nischen Reeducation-Maßnahmen. General Lucius D. Clay, der amerikanische Militärgouverneur, beschloss im August 1947, mit Vereinigungen nach dem Vorbild der 1927 zur Abwehr von Rassismus gegründeten National Conference of Christians and Jews (NCCJ) zum Erfolg der demokratischen Umerziehung des deutschen Volkes beizutragen. Beauftragt, den Dialog zwischen Christen und Juden voranzubringen, reiste der methodistische Pfarrer Carl F. Zietlow als einer der langjährigen Direktoren der North Central Region des NCCJ 1948 nach Deutschland. In den Jahren 1948 und 1949 entstanden unter maßgeblicher Beteiligung Zietlows in München, Stuttgart, Wiesbaden, Frankfurt am Main und Berlin erste Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Sie wollten eine neue Gemeinschaft von Christen und Juden entwickeln helfen und sich am Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg schwer zerstörten Landes beteiligen. Um die Arbeiten dieser Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit abzustimmen, konstituierte sich im September 1949 der Deutsche Koordinierungsrat, dessen Satzung am 26. Februar 1950 auf der Gründungsversammlung verabschiedet wurde.312 Aus dem Zahlenverhältnis von Christen und Juden im Nachkriegsdeutschland – am 1. April 1955 zählten die jüdischen Gemeinden in der Bundesrepublik samt Berlin 15.684 Mitglieder313 – mussten sich zwangsläufig eine Asymmetrie auch in den Gremien der christlich-jüdischen Zusammenarbeit und Probleme bei der paritätischen Besetzung der Vorstände ergeben, von inhaltlichen Differenzen nicht zu reden. Noch 1970 bemerkte Willehad Paul Eckert dazu: „Nicht nur die Tatsache, dass die Zahl der Juden in Deutschland so klein geworden ist, macht das Gespräch zwischen Juden und Christen so schwer, sondern nicht minder die Vorurteile oder zumindest recht einseitigen Vorstellungsbilder von Juden und Judentum, die in den christlichen Gemeinden weit verbreitet sind.“314
311 Freiburger Rundbrief XII (28. Dezember 1959) 45/48. S. 17. 312 Foschepoth, Joseph: Das Kreuz mit dem Davidstern. Die Gründung der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit. In: Weigel, Sigrid und Birgit R. Erdle (Hrsg.): Fünfzig Jahre Danach. Zur Nachgeschichte des Nationalsozialismus. Zürich 1996. S. 379–401. 313 Vgl. Landau, Ernest: Die Bevölkerungsstatistik. In: Ganther, Heinz (Hrsg.): Die Juden in Deutschland. Ein Almanach. Hamburg 1959. S. 460. 314 Eckert, Willehad Paul: Die Gemeinde und die jüdischen Mitbürger in der Arbeitsgemeinschaft 23 des 83. dt. Katholikentages. In: Freiburger Rundbrief XXII (1970) 81/84. S. 53.
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Ernst Ludwig Ehrlich war die verordnete christlich-jüdische Zusammenarbeit in ihren Anfangsjahren suspekt. Am 27. Juni 1951 schrieb er an Schürholz: „Sonst plane ich für den Herbst eine Vortragsreise für die christlich-jüdische Zusammenarbeit durch Deutschland. – Gerade bei der christlich-jüdischen Zusammenarbeit ist der Schmutz besonders hoch, turmhoch“; die Gesellschaften waren für ihn eine „Kampfliga gegen Bolschewismus“. „Das Problem bei dem Verein ist das Geld. Die Amerikaner zahlen und wollen dementsprechend herrschen, und das Wort ‚jüdisch‘ ist so unmodern und überflüssig, dass man aus dem Verein etwas ganz anderes machen will. Jüdisch-christlich ist eine hinderliche Bezeichnung und schreckt Nazis ab!“ Ein Jahr zuvor, am 27. April 1950, beklagte Ehrlich gegenüber Schürholz auch die unverhohlene Missionsabsicht, die oftmals aus der christlicher Haltung in der christlich-jüdischen Zusammenarbeit spreche: „Ich zücke ja auch nicht mein Taschenmesser, um die christlichen Theologen aller Konfessionen zu beschneiden.“ Tatsächlich hatte sich die Seelisberger Tagung 1947 in ihrem praktischen Ansatz sehr von kirchlichen Versammlungen in Westdeutschland unterschieden, etwa von der Tagung des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands, die vom 10. bis 15. Oktober 1948 in Darmstadt stattfand. Bei der dortigen Studientagung des „Deutschen evangelischen Ausschusses für Dienst an Israel“ versuchten deutsche und ausländische evangelische Christen der verschiedensten Schattie rungen zusammen mit einigen Katholiken und nicht zuletzt auch Sprechern aus dem Judentum Klarheit über das gegenseitige Verhältnis von „Kirche und Judentum“ zu gewinnen. „Dienst an Israel“ implizierte dabei ganz selbstverständlich auch den Auftrag, Zeugnis abzulegen. Der Ausschuss war erst im selben Jahr von Karl Heinrich Rengstorf (1903–1992) und andere Judenmissionaren gegründet worden. Tagungspräsident Rengstorf sprach über „die eine Kirche aus Juden und Heiden“; gefährlicher als alle anderen Zertrennungen wäre für die Kirche ein Riss zwischen Christen jüdischer und nichtjüdischer Abstammung; sie zerfiele dadurch in zwei Sekten, die auch im Falle organisatorischer Zusammenfassung nicht mehr als das eine neutestamentliche Gottesvolk gelten könnten. Auf Einladung des hessisch-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller (1892–1984) sprach Leo Baeck in Darmstadt über „Das Judentum auf neuen und alten Wegen“; in seinem Vortrag zeichnete er den Weg des europäischen Juden vom „homo mysticus“ des östlichen Chassidismus hin zum „homo rationalis“ der westlichen Emanzipationsbewegung nach und wies auch auf die Nähe bestimmter religiöser Bewegungen in Christen- und Judentum hin, etwa auf den Pietismus des Grafen Zinzendorf und den Chassidismus des Baal Schem Tow. Baeck schilderte die jüdische Erfahrung dabei aber nicht als etwas Partikula ristisches: „Die Bedrückung der Juden ist in der Tat niemals etwas nur für sich gewesen, sondern ein Teil, allerdings wohl der schlimmste, in einer allgemeinen
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Bedrückung der Schwachen, und die Emanzipation der Juden ist desgleichen hier nicht etwas Isoliertes gewesen, sondern ein Teil der großen Befreiung der Geknechteten“. Baeck griff am Ende seines Vortrages auch den Gedanken der Judenmission auf – „Der fromme Christ harrt des Tages, an dem das Judentum seinen Weg zum Christentum finde.“ – und machte deutlich, dass „Dienst an Israel“ nicht Mission sein dürfe.315 Am Schluss des offiziellen Darmstädter Tagungsberichts wurde auf die Tatsache hingewiesen, dass die meisten getauften Juden durch die Güte und Hilfsbereitschaft rechter Nachfolger Jesu Christi gewonnen worden sind. Das sei für alle Christen „eine Mahnung, die nicht überhört werden sollte. Die Erkenntnis, dass das Problem ‚Kirche und Judentum‘ nur im Geiste christlicher Liebe selbst werden kann, war der wichtigste Ertrag der Tagung.“ Die vordringliche Sorge um Gruppe der getauften Juden, die Rede vom christlichen Zeugnis an den Juden und der implizierte Missionsgedanke machen deutlich, dass in Darmstadt noch keine Rede von Dialog auf Augenhöhe sein konnte, zumal die traditionelle Ersetzungslehre, laut der die Kirche an Stelle des jüdischen Bundesvolkes getreten war, erst auf der EKD-Synode in Berlin-Weißensee vom 27. April 1950 offiziell abgeschafft wurde. Als besonders vermessen erscheint aus heutiger Sicht die Darmstädter „Bitte an die Juden, sich der deutschen Bevölkerung gegenüber durch Persönlichkeiten vertreten zu lassen, die alles vermeiden, was den Graben vertiefen könnte.“316 Auf katholischer Seite war die Haltung nicht weniger voreingenommen. Kurz zuvor, vom 1. bis 5. September 1948, hatte in Mainz der 72. Deutsche Katholikentag stattgefunden; dabei behandelte eine Arbeitsgemeinschaft für „Übernationale Zusammenarbeit“ die Beziehungen der deutschen Katholiken zu den nicht deutschen Glaubensbrüdern, zu den Juden und den Menschen anderer Religionen, wobei Karl Thieme das Grundsatzreferat hielt. Verfolgt sein, so sagte er, gehöre nicht zufällig, sondern wesentlich zur Definition zweier Gemeinschaften, der Kirche und der Synagoge. Ursache dafür sei in beiden Fällen auf verschiedene Weise das Verhältnis dieser Gemeinschaften zur göttlichen Offenbarung, insbe sondere zum Gesetz. Es buchstabengetreu zu halten, habe Gott selbst, besonders eindringlich vom babylonischen Exil bis zu den Zeiten des Herodes, von seinem Volk gefordert, womit dessen Selbstaussonderung aus den Völkern und Verfolgtwerden durch sie wesensnotwendig verbunden gewesen wäre. Durch Jesus Christus habe Er das Buchstabengesetz „aufgehoben“, aber die Synagoge habe dies nicht gewollt und werde darum weiter verfolgt. Thieme schloss mit dem Appell: 315 Baeck, Leo: Das Judentum auf alten und neuen Wegen. In: Friedlander, Albert H. und Berthold Klappert (Hrsg.): Leo Baeck Werke, Bd. 5. Gütersloh 2002. S. 36–48. 316 Vgl. Freiburger Rundbrief (März 1949) 2/3. S. 33–36.
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Mehr ist nicht zu sagen, als dass vor allen denen, die an alledem beteiligt sind, die unermesslich große Aufgabe steht, aus dem furchtbarsten Verbrechen, das dem jüdischen Volke je unter den Völkern geschehen ist, den Weg zu der sich wie von fern abzeichnenden fruchtbarsten Begegnung zwischen diesem Volke und allen denen zu bahnen, die sich aus den Völkern zur Umkehr, zum Glaubensgehorsam gegenüber dem Gott Abrahams rufen ließen durch Jesus von Nazareth, Jehoschua Nosri.317
Dieser Hoffnung auf eine „sich wie von fern abzeichnenden fruchtbarsten Begegnung“ stellte Ernst Ludwig Ehrlich in seinen Beiträgen die Vergegnungen in der bald 2000jährigen Beziehungsgeschichte von Christen und Juden gegenüber – ganz ähnlich wie Leo Baeck 1948 in Darmstadt, wenngleich auch plakativer. Welche Resonanz er dabei fand, beschrieb ebenfalls der Freiburger Rundbrief: Der Vortrag Dr. Ehrlichs über die ‚Christlich-jüdische Wiederbegegnung‘ war in seiner Konsequenz nichts weniger als erschütternd. Es wurde in aller Offenheit gesagt, dass es weniger die Verfolgung der Juden im Dritten Reich war, die den Christen die Augen gegenüber dem Wesen des Antisemitismus öffnete, sondern die Einsicht, dass 2000 Jahre lang ähnliches von der Kirche praktiziert worden war‘. Die Motive waren zwar verschieden —‚ früher hatte man die Juden erschlagen, weil sie bei der Wurzel blieben‘ — das Resultat war jedoch das gleiche. Die Zerstörung von Synagogen und der gelbe Fleck wurden immerhin von Christen angeregt. Erst in jüngster Zeit begann eine Neubesinnung, als man einzusehen begann, dass eine Ausscheidung des Judentums aus dem Christentum eine fatale Verfälschung zur Folge hätte. Man erkannte endlich, dass der Jude ein Mensch ist — vorher trug das Bild des Juden im Christentum kaum noch menschliche Züge: das ist das schlechthin Neue. Man erkannte, dass in jedem Juden, der in Auschwitz ermordet wurde, auch Christus als Jude getötet wurde. Ein entscheidender Faktor in den christlich-jüdischen Beziehungen ist auch der Schulunterricht. Katholische Kinder werden vielerorts in dem Eindruck bestärkt oder belassen, als ob die heute lebenden Juden die Nachfahren der ‚Mörder Christi‘ seien. Dieser primitive Geist ist zwar nicht maßgebend für eine ganze Kirche, aber man sollte ihn nicht unterschätzen. Das Verständnis des Judentums sollte nicht akademisch bleiben, sondern bis in jedes Dorf kommen. Man sollte jedem Katecheten ein Buch in die Hand geben, das ihm vernünftig Auskunft über das Judentum gibt. Vom Judentum wiederum muss erwartet werden, dass es das Christentum als echten Partner des Judentums erkennt und anerkennt. In der Tat gibt es heute kaum einen jüdischen Gelehrten, der sich nicht ernsthaft mit dem Christentum auseinandersetzt.318
Auch wenn Ehrlich stets auf die 2000jährige Entzweiungsgeschichte von Christen und Juden verwies, so war für ihn die Anerkennung des gemeinsamen Grundes von Judentum und Christentum wesentlich: „Es sollte daher auch deutlich geworden sein, dass Juden und Christen eine gemeinsame jüdische Basis besitzen. Der lebendige Dialog zwischen Christen und Juden wird sich darauf zu beschrän317 Vgl. Freiburger Rundbrief (März 1949) 2/3. S. 2. 318 Freiburger Rundbrief XII (28. Dezember 1959) 45/48. S. 15.
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ken haben, diesen Urgrund jüdischer Lehre sichtbar zu machen. Der christliche Monolog hingegen ist ein Zeugnis, die jüdische Antwort darauf ein Hören und ein Schweigen in Ehrfurcht vor dem Glauben des anderen.“319 Ehrlich war mit seinen Vorbehalten gegenüber der institutionalisierten christlich-jüdischen Zusammenarbeit nicht allein. Im Dezember 1951 veröffentlichte der Freiburger Rundbrief einen Brief von Kurt Kaiser-Bluth an Karl Thieme von Ende Oktober. Darin hieß es unter anderem: Der Großteil der Deutschen quittiert Ihre idealistischen Bestrebungen mit Indifferenz und mit Feindseligkeit. Die Juden begegnen Ihrem Koordinierungsrat mit Misstrauen. Die Basis Ihrer Tätigkeit ist zu eng. Ihre Zielsetzungen sind zu abstrakt. Sie erschöpfen sich im Theoretischen. Sie sind Theologe und ich bin der Letzte, der für Ihre These der Fixierung der gemeinsamen religiösen Werte nicht ehrliche menschliche Achtung empfinden würde. Aber das Judentum von heute ist weit mehr als ein historisch- moralischer Faktor, als eine Art Respekt gebietendes Museum der Religionsgeschichte.320
Zehn Jahre später warnte Rabbiner Robert Raphael Geis im Freiburger Rundbrief vor falscher Euphorie: „Man möchte geradezu warnen, nach einer Zeit abgrundtiefen Hasses zu einer kritiklosen Bewunderung alles Jüdischen und jedes Juden hinüberzuwechseln. Es müsste eine neue Gefährdung eines Tages daraus erwachsen.“321
319 Freiburger Rundbrief XIII (11.Juni 1961) 45/48. S. 50. 320 Kaiser-Bluth, Kurt: Zur Sinnfrage christlich-jüdischer Freundschaftsarbeit. In: Freiburger Rundbrief III./IV. Folge 1951/1952 (Dezember 1951) 12/15. S. 40. 321 Freiburger Rundbrief XIII (11.Juni 1961) 50/52. S. 80.
18 Die Wiederbegegnung von Christen und Juden Ernst Ludwig Ehrlich sprach in den 1950er und 1960er Jahren wiederholt von der Wiederbegegnung von Christen und Juden. Der Begriff ist missverständlich; gemeint war die Besinnung auf das gemeinsame Fundament, die schon zitierte „gemeinsame jüdische Basis“; ein Wiederanknüpfen an eine Zusammenarbeit von Juden und Christen an die Zeit vor Nationalsozialismus, Weltkrieg und Schoa konnte gar nicht sein nicht sein, weil es diese Zusammenarbeit vor 1933 so noch nicht gegeben hatte. Die Anstöße zu Gesprächen auf Experten- oder Liebhaber ebene waren in der Weimarer Republik zumeist von der jüdischen Seite ausgegangen und ohne Ausstrahlung auf die breite Öffentlichkeit geblieben. Ein erstes bekanntes Gespräch hatte Franz Rosenzweig (1886–1929) am 7. Juli 1913 mit seinem evangelisch getauften Cousin Eugen Rosenstock-Hussey (1888–1973) geführt. Leo Baeck, Juda Bergmann, Julius Guttmann und Michael Guttmann waren unter den jüdischen Gelehrten, die 1925/26 in einer ersten Vortragsreihe am Berliner Institutum Judaicum der Universität Berlin ihr Verständnis von jüdischer Geschichte einem protestantischen Auditorium zu Gehör brachten, also im Rahmen einer Einrichtung, die zunächst auf die Judenmission ausgerichtet gewesen war.322 Baeck war 1922 auch Gast in der 1920 von Hermann Graf Keyser ling (1860–1946) gegründeten Schule der Weisheit gewesen, in der Fragen von Philosophie und Religion unabhängig von Universität und Kirche, aber auch fern von der breiten Gesellschaft diskutiert wurden. Weitere jüdische Denker, die sich um Wege hin zu einem Dialog von Juden und Christen bemühten, waren Hermann Cohen (1842–1918), Rabbiner Benno Jacob (1862–1945), Rabbiner Max Dienemann (1875–1939), Eduard Strauss (1876–1952) und Rabbiner Max Wiener (1882–1939). Robert Raphael Geis und Hans-Joachim Kraus haben mit ihrer Dokumentation von 1966, „Versuche des Verstehens“, an diese ersten Ansätze jüdisch-christlicher Begegnung in der Jahren von 1918 bis 1933 erinnert.323 Einen ersten Überblick über die zeitgenössischen Diskussionen gab aber schon 1927 das Sonderheft „Judentum und Christentum“ der Zeitschrift Der Jude mit seinem „Versuch, […] offene Aussprache zwischen Vertretern der deutsch-christlichen und der jüdischen Geistes“ […] „auf diese höhere Ebene Die Wiederbegegnung von Christen und Juden
322 Gressmann, Hugo (Hrsg.) : Entwicklungsstufen der jüdischen Religion. Vorträge des Institutum Judaicum an der Universität Berlin 1 (1925/1926). Gießen 1927. 323 Geis, Robert Raphael und Hans-Joachim Kraus (Hrsg.): Versuche des Verstehens. Dokumente jüdisch-christlicher Begegnung aus den Jahren 1918–1933 (= Theologische Bücherei, Neudrucke und Berichte aus dem 20. Jahrhundert, Band 33). München 1966.
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zu bringen“.324 Das wohl erste Periodikum, das als Forum jüdisch-christlicher Begegnung diente, war Martin Bubers überkonfessionelle Vierteljahresschrift Die Kreatur, die er zusammen mit dem exkommunizierten katholischen Theologen Joseph Wittig und dem protestantischen Neurologen und Psychosomatiker Viktor von Weizsäcker herausgab und die von 1926 bis 1930 bei Lambert Schneider in Berlin erschien.325 „Ein Jude, ein Katholik, ein Protestant, jeder eigentümlich geprägt, jeder unbeirrbar in seiner religiösen Haltung, wollten sich im Gespräch vereinen. Das war ein faszinierender Gedanke, den ich mich mit Enthusiasmus zur Verfügung stellte“, erinnerte sich der Verleger 1965 in seinem Almanach „Rechenschaft“.326 Am 14. Januar 1933 hatte im Jüdischen Lehrhaus Stuttgart ein letztes öffentliches Zwiegespräch zu „Kirche, Staat, Volk, Judentum“ zwischen Martin Buber (1878–1965) und dem protestantischen Exegeten Karl Ludwig Schmidt (1891–1956) stattgefunden. Schmidt war nach seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten von 1935 bis 1953 Professor für Neues Testament in Basel. 1947 traf Ernst Ludwig Ehrlich mit Buber zusammen, allerdings nicht bei Schmidt, sondern im Haus des Philosophen Herman Schmalenbach (1885–1950) in Riehen bei Basel. Er erlebte Martin Buber im Anschluss daran dann auch bei einer Veranstaltung im Basler Stadtcasino: „Da fiel alles Literarische von diesem Mann ab, jedes Experiment im Geistigen, da ging es wirklich um das Wesen dessen, wofür Buber einstand: Um die Wirklichkeit des Moralischen auch in der Politik, eben um den uns auch heute noch aufgegebenen biblischen Humanismus.“327 Hier bei Basel hinter der „sicheren“ Deutsch-Schweizer Grenze kam Buber 1947 auch mit seinem Heidelberger Verleger Lambert Schneider (1900–1970) zusammen, bei dem 1948 „Das Problem des Menschen“ erschien, Bubers erstes Buch in Deutschland nach seiner Emigration.328 Es gab also nichts an christlich-jüdischem Gespräch aus der Zeit vor Weltkrieg und Schoa, an das man hätte in den 1950er Jahren wieder hätte anknüpfen können; vor allem fehlte es nun aber nun auf jüdischer Seiten an Gesprächs-
324 Vgl. Jeremias, Alfred: Christentum und Judentum. In: Der Jude 9 (1925–1927) 4 („Judentum und Christentum“). S. 41–50. 325 Vgl. Petuchowski, Elizabeth: Die erste jüdisch-christliche Zeitschrift „Die Kreatur“. In: Freiburger Rundbrief 3 (1996), Seite 111–120. 326 Schneider, Lambert: Rechenschaf über vierzig Jahre Verlagsarbeit: 1925–1965, Heidelberg 1965. S. 14. 327 Ehrlich, Ernst Ludwig: Dankesrede zur Buber-Rosenzweig-Medaille 1976 (wie Anm. 4). S. 105. 328 Schneider, Lambert: Rechenschaft, S. 90.
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partnern: Das Fazit von Geis lautete mit Blick auf die Schoa lapidar „Es gibt den jüdisch-theologischen Vertreter nach dem Gewesenen eben kaum mehr.“329 Als Ernst Ludwig Ehrlich 1959 „das Neue“ beschrieb, folgte er den Worten von Leo Baeck, die er selbst an anderer Stelle zitierte: „Es werden sich immer Juden und Christen zusammenfinden können, im Bewusstsein dessen, was sie unterscheidet und im Bewusstsein dessen, was sie eint. So allein sehen Menschen einander, im Einenden und Trennenden […] Nicht das Trennende übersehen oder verschweigen, aber auch nicht das Einende übersehen und verschweigen. Beides zusammen, um zu begreifen, um zu verstehen.“330 Interessant ist aber, dass Ehrlich später Leonhard Ragaz (1868–1945) als den wichtigsten Vorläufer einer das Judentum einschließenden Ökumene würdigte. 1988 sagte er, Ragaz sei für ihn „der eigentliche Pionier des christlich-jüdischen Dialogs“ gewesen. Ehrlich verwies dabei auf den Vortrag „Judentum und Christentum – Ein Wort zur Verständigung“, in dem Ragaz 1921 als erster christlicher Theologe der Judenmission eine dezidierte Absage erteilt habe.331 Das Verbindende sollte für Ehrlich die Exegese sein, die er als Historiker des Judentums betrieb, nicht als Theologe. Am 28. Mai 1958 stellte er beim Basler Christlich-Jüdischen Theologengespräch dazu fest: „Es hat gestern ein Problem gegeben, wo die Scheidung nicht zwischen Juden und Christen verlief, sondern quer hindurch, das der Exegese, die als solche ja nicht christlich-jüdisches Gespräch ist, sondern dessen Voraussetzung, einerseits geschichtliche Exegese, anderseits theologische, die bei Juden und Christen verschieden ist.“332 Ehrlich unterschied interessanterweise zwischen Religion und Theologie; er zitierte den aufgeklärten französischen Katholiken Aimé Pallière (1868–1949), um diese Unterscheidung zu erklären: „Aimé Pallière sagte: ‚Es war die Religion, die Juden und Christen getrennt hat, es ist die Religion, die sie wieder beide zusammenbringen muss.“ Pallière sprach nicht von der Theologie, er sprach von der Religion. Die Theologie kann uns nicht zusammenbringen, aber die Religion vermag es vielleicht, denn Religion ist mehr als Theologie: es ist der ständige Versuch, mit Gottes Liebe zu wetteifern. Intoleranz bedeutet wetteifern mit Gottes Gericht, mit seinem Urteil und seinem Rechtsspruch.“333 Interessant ist auch, dass Ehrlich 329 Geis, Robert Raphael: Rezension von: Marsch, Wolf-Dieter und Karl Thieme (Hrsg.): Christen und Juden. In: Freiburger Rundbrief XIII (11. Juni 1961) 50/52. S. 80. 330 Zitiert nach Ehrlich, Ernst Ludwig: Dankesrede zur Buber-Rosenzweig-Medaille 1976 (wie Anm. 4). S. 105 331 Vgl. Spieler, Willy: Ernst Ludwig (Lutz) Ehrlich (1921–2007). In: Neue Wege – Zeitschrift des Religiösen Sozialismus 101. (Dezember 2007) 12. S. 362f.; Leonhard Ragaz: Judentum und Christentum. Ein Wort zur Verständigung. Erlenbach 1922. 332 Freiburger Rundbrief XI (9. November 1958) 41/44. S. 46. 333 Freiburger Rundbrief XII (1959) 45/48. S. 19.
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professionelle Dialogiker im interreligiösen Gespräch entschieden ablehnte: „Christen sollen sich nicht durch das Auftreten von ‚Paradejuden‘, die den christ lich-jüdischen Dialog professionell pflegen, täuschen lassen.“334 Ehrlichs älterer Freund und Wegefährte Robert Raphael Geis kam 1962 in einer Rezension auf die schon genannte Asymmetrie in der christlich-jüdischen Zusammenarbeit zu sprechen; er charakterisierte Ehrlich durch dessen „wissenschaftlich vortrefflich fundierte Darstellung“ und unterschied ihn in seinem Zugang nachdrücklich von einem anderen jüdischen Berliner in der Schweiz, Hermann Levin Goldschmidt (1914–1998), der laut Geis „Kompliziertheit des Stils mit Tiefe des Gedankens“ verwechselt hatte.335 Goldschmidt war ein Jahr vor Ehrlich mit dem Leo-Baeck-Preis ausgezeichnet worden. Ehrlich selbst war weit entfernt davon, sein Judentum im Gespräch um des lieben Friedens willen und in falscher Harmonie zu veräußern. Grade in seinen späteren Berliner Predigten zu den Hohen Feiertagen kam der eigene jüdische Standpunkt in Bezug auf die Mehrheitsgesellschaft immer wieder zum Ausdruck. „Unsere Sensibilitäten sind eben verschieden“, konstatierte er. „Auch die zweite jüdische Generation nach der Schoa trägt in sich das Wissen darum, zu welchen Möglichkeiten an Untaten solche fähig waren, die, wie Martin Buber es einmal ausdrückte, mit anderen Individuen die menschliche Dimension nur zum Schein gemeinsam hatten.“336 Ehrlich betonte stets, dass Christen und Juden aus unterschiedlichen Positionen heraus aufeinander zugehen: „Wollen jene die Religion des Volkes Israel ignorieren, schneiden sie sich selbst die Wurzeln ab, von denen sie theologisch leben; der Jude hingegen kann ein vollgültiges religiöses Leben führen, ohne je etwas von Jesus und dem Evangelium gehört zu haben.“337 Die Entwicklung einer Holocaust-Theologie war für ihn kein Thema. Ehrlich fragte nicht, wie sich Auschwitz in die jüdische Theologie einordnen lasse oder ob nach Auschwitz Theologie oder religiöses Judentum überhaupt noch möglich sei. Seine Frage lautete: „Wo war der Mensch in Auschwitz?“338 Dass Ernst Ludwig Ehrlich nicht zum Funktionär des christlich-jüdischen Gesprächs wurde, schrieb sein katholischer Freund und Weggefährte Pater Wille-
334 Vogel (wie Anm. 19), S. 18. 335 Geis, Robert Raphael: Rezension von: Marsch, Wolf-Dieter und Karl Thieme (Hrsg.): Christen und Juden (wie Anm. 330). S. 80. 336 Eckert, Willhad Paul: Laudatio auf Ernst Ludwig Ehrlich zur Buber-Rosenzweig-Medaille 1976 (wie Anm. 207),. S. 100. 337 Ehrlich, Ernst Ludwig: Eine jüdische Auffassung über Jesus. In: Eckert, Willhad Paul und Hans Hermann Henrix (Hrsg.): Jesu-Jude-Sein als Zugang zum Judentum. Aachen 1976. S. 36f. 338 Ehrlich, Ernst Ludwig: Predigt in der Synagoge Pestalozzistraße zu Rosch Haschana 1995, 2. Tag. 6seitiges unveröffentlichtes Typoskript.
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had Paul Eckert (1926–2005) dessen Vitalität zu.339 Was es mit dieser Vitalität auf sich hatte, war schon 1964 in einer Rezension eines gemeinsamen Buches von Ehrlich und Eckert nachzulesen. Der Utrechter Monsignore Antonius Cornelis Ramselaar schrieb dazu: Der bewegliche Ehrlich beherrscht nur schwer die Kräfte seines sensiblen Temperamentes. Seine Sensibilität lässt ihn oft leiden. Er schaut mit prophetischem Blick in die Geschichte. Das menschliche Leid geht ihm sehr nahe, und es ist sehr beeindruckend, wie ihn in seiner bewegten Liebe zum Menschen das menschliche Drama beunruhigt, das sich unter den Christen abspielt, wie auch der innere Zwiespalt der Kirche, der so unerwartet und unwiderlegbar zum Ausdruck kommt in der großen Wende der Kirche gegenüber den Juden.340
339 Ehrlich, Ernst Ludwig: 11seitiges unveröffentlichtes Typoskript eines Vortrages zu Auschwitz und einer gemeinsamen Zeugenschaft von Juden und Christen. O.O., o.J.(nach 1978). 340 Msgr. A. C. Ramselaar über: Eckert, Willhad Paul und E. L. Ehrlich: Judenhass — Schuld der Christen?! Versuch eines Gesprächs. Essen 1964. In: Freiburger Rundbrief XVI/XVII (Juli 1965) 61/64. S. 142.
19 Heimat Basel „Ich lebe nun 16 Jahre in dieser Stadt und fühle mich dort zu Hause“, bemerkte Ernst Ludwig Ehrlich im September 1959 in seinem Bericht für die Wiener Library über seinen Wohnsitz Basel.“ Nach seinen langen Aufenthalten in Berlin, währen derer sich für ihn keine beruflichen Perspektiven aufgetan hatten, dürften seine beiden neuen Aufgaben in Basel – seit 1958 war er als Zentralsekretär der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz tätig, ab 1961 auch als Direktor des Europäischen Distrikts von B’nai B’rith – für Ehrlich den Ausschlag für seinen Wohnsitz in der Schweiz gegeben haben. Der Anfang war allerdings nicht leicht gewesen „In der Schweiz kann ich mich nicht voll eingliedern, weil ich nicht darf“, hatte Ehrlich gegenüber Schürholz am 16. September 1950 geklagt. Gegenüber Vogel machte Ehrlich 1984 aber auch die Vorbehalte seiner späteren Ehefrau Nora für seine Entscheidung gegen Frankfurt am Main geltend: „Ich will nicht verschweigen, dass sie nicht von der Vorstellung begeistert war, Basel wieder verlassen zu müssen.“341 Die Heirat mit Eleonora (Nora) Sterc fand 1967 statt; seine Frau, Tochter des Kunstprofessors Otto Sterc, war 1922 in Teplitz geboren worden, tschechoslowakische Regierungsangestellt und 1958 in die Bundesrepublik Deutschland, nach Stuttgart, geflüchtet; sie brachte ihre 1951 geborene Tochter Blanka mit in die Ehe. Die passionierte Lehrerin starb im Januar 1996 kurz nach ihrem 74. Geburtstag. Bei ihrer Beerdigung am 29. Januar 1996 auf dem Friedhof der Israelitischen Religionsgemeinde Basel kam ein langjähriger Freund der Familie, der Basler Neutestamentler Ekkehard W. Stegemann, in seinem Nachruf auch auf die besagte Entscheidung Ehrlichs gegen Frankfurt zu sprechen: Und als Lutz einen Ruf auf Martin Bubers Lehrstuhl in Frankfurt erhielt, verbunden mit der Perspektive auf einen durchaus weitergehenden, wichtigen und verantwortungsvollen Tätigkeitsbereich in der Bundesrepublik, da hat sie ihn überredet – und sie konnte ja auch durchaus beharrlich sein –, in der Schweiz zu bleiben. Sie wusste wohl, was es für ihn bedeutete, aber sie wollte die Schweiz nicht verlassen, auch weil die damaligen Verhältnisse in Deutschland ihr kein Vertrauen gaben, aber eben auch, weil sie sich hier wohlfühlte.342
Die Charakterisierung, die Stegemann in seiner Grabrede auf Nora Ehrlich vornahm, lässt auf eine große Übereinstimmung mit dem Wesen von Ernst Ludwig Ehrlich selbst schließen: Sie hat selten über die Zeit der Verfolgung, über die Entwürdigung und Verfemung, über die Entrechtung, über die Zeit des Ueberlebens in der Illegalität in Prag, über den Mord
341 Vogel (wie Anm. 19), S. 62. 342 Zitiert nach dem Wortlaut aus einer Email von Ekkehard Stegemann vom 09. April 2009.
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Heimat Basel
an lieben Menschen ihrer Familie und Freundschaft, über die schwierigen Zeiten und die Enttäuschungen nach dem Krieg gesprochen. Aber es war ihr, wie allen, die ähnliches erlitten haben und von denen ja einige heute unter uns stehen und ihr die letzte Ehre bezeugen, ständig präsent, unauslöschlich in die Seele eingeschrieben. Und dies prägte, meine ich, ihre Sehnsucht nach dem Schönen, ihre Suche nach der humanen Gestaltung des Lebens.343
1984 rief Ehrlich Vogel gegenüber auch noch einmal seine eigenen Erfahrungen mit der Schweiz in Erinnerung: Es ist kein Geheimnis, dass Flüchtlinge, nicht nur jüdische, auch politische, in der Schweiz nicht freundlich behandelt wurden. Man ließ sie spüren, dass sie unerwünschte Ausländer waren, die man möglichst rasch wieder loswerden wollte. Das änderte sich erst allmählich nach dem Ende des Krieges. Als ich Mitte der fünfziger Jahre die Niederlassung beantragte, um ständigen Wohnsitz und die Arbeitserlaubnis zu erhalten, gab der Leiter des Arbeitsamtes ein negatives Votum ab: Meine Dissertation sei in Deutschland verlegt worden, ich solle meinem geistigen Erzeugnis nachreisen. Der zuständige Beamte der kantonalen Fremdenpolizei formulierte aber den für meine Niederlassungsbewilligung entscheidenden Satz: ‚Basel ist für Ehrlich zur zweiten Heimat geworden.‘ Entgegen meinen Befürchtungen habe ich ähnliche Schwierigkeiten bei der Einbürgerung nicht erlebt. Innerhalb nur eines Jahres wurde ich eingebürgert, und man gab mir das Gefühl, Gemeinde und Kanton von Basel-Stadt freuten sich über den Neubürger. Alle beteiligten Instanzen verhielten sich mir gegenüber wohlwollend.344
19.1 Liberales Judentum in der Schweiz „Die jüdische Schweiz war immer nur Hinterland, aber jetzt hat sie ihr Vorderland verloren“, konstatierte Leo Baeck am 15. April 1947 in einem Brief an Ehrlich: Das französische Judentum ist zu schwach, um hier das deutsche zu ersetzen. Wenn wenigstens einige starke Persönlichkeiten da wären, um die wenigen viel sein zu lassen. In Zürich hatte ich den Eindruck, dass es dort eine starke Sehnsucht gebe, zum jüdischen Geiste hingeführt zu werden. Sie haben vielleicht erfahren, dass Dr. Geis, der in Cassel Rabbiner war, dann nach Palästina auswanderte, aber dort nicht hat Wurzeln fassen können, als Nachfolger von Katzenstein gewählt worden ist und die Genehmigung der Schweizer Behörde nur noch abwartet. Die Wahl ist, wie ich glaube, eine recht gute; er findet jedenfalls lohnende Arbeit.
Die jüdischen Gemeinden in der Schweiz bildeten in der Nachkriegszeit ein geschlossenes traditionsverbundenes Milieu. Bemerkenswerterweise kamen wichtige Impulse für innerjü dische Debatten zur Erneuerung des jüdischen 343 Ebenda. 344 Vogel (wie Anm. 19), S. 63.
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Selbstverständnisses gerade von jüdischen Persönlichkeiten, die wie Ehrlich aus Deutschland stammten, namentlich von Hermann Levin Goldschmidt (1914– 1998) und dem aus Karlsruhe stammenden St. Galler Rabbiner Lothar Rothschild (1909–1974). Sie waren in den 1950er Jahren für den Beginn einer religiösen Erneuerungsbewegung verantwortlich, der auch Ehrlich nahestand, an der er aber von Basel aus nicht aktiv teilhatte, und zu deren Forum die am 27. Januar 1957 gegründete „Vereinigung für Religiös-Liberales Judentum“ wurde. Es war diese Vereinigung, die unter dem Vorsitz des Berner Unternehmers Victor Loeb zunächst in der Deutschschweiz mit Vorträgen und vereinzelten Gottesdienste mit „Reformelementen“, etwa mit einer nicht mehr nach Geschlechtern getrennten Sitzordnung, den Diskurs über die Möglichkeiten einer Anpassung der jüdischen Religionspraxis an die aktuellen gesellschaftlichen Bedürfnisse beförderte. Außerhalb von Bern und St. Gallen stießen diese Neuerungen auf erhebliche Ablehnung: die orthodox ausgerichtete Israelitische Religionsgesellschaft Basel, der Ernst Ludwig Ehrlich bis einige Jahre vor seinem Tod angehörte, blieb von ihnen unberührt. Die Vereinigung wurde zur Schweizer Sektion der World Union for Progressive Judaism. Rabbiner Rothschild war der Gründer und Redaktor der Zeitschrift Tradition und Erneuerung, zu der auch Ernst Ludwig Ehrlich beitrug. Rabbiner Robert Raphael Geis, den Baeck 1947 als Nachfolger des Zürcher Rabbiners Martin E. Katzenstein erwähnte, spielte für die Vereinigung keine Rolle. Er hatte nur kurz als Religionslehrer in Zürich Halt gemacht, war 1949 von der Schweiz in die Niederlande gewechselt und dann von 1952 an für vier Jahre als Landesrabbiner von Baden in Karlsruhe tätig geworden – 1956 gab er den Berufs des Gemeinderabbiners ganz bewusst auf.345 Rabbiner Lothar Rothschild war Ernst Ludwig Ehrlich besonders verbunden. 1975 hielt er nach Rothschilds Tod bei einer Feierstunde der Jüdischen Gemeinde Kreuzlingen zu den Schloschim, dreißig Tage nach der Bestattung, die Gedenkrede „Lothar Rothschild: Rabbiner und Freund“.346 Zu den jüdischen Freunden in Basel, die Ehrlich sechzig Jahre lang bis zu seinem Tod verbunden waren, gehörte insbesondere die Familie Kaufmann. Dr. Eugen Kaufmann (1877–1953) stammte ursprünglich aus Gailingen; die Familie war 1925 in die Schweiz übergesiedelt. Leo Baeck erinnerte sich nach Kaufmanns Tod in seinem Brief vom 28. August1953 an ihre gemeinsame Begegnung: „Er hatte mir eine herzliche Freundschaft bewiesen. Als ich vor einigen Jahren in Basel war, war ich in seinem Hause mit Ihnen zusammen.“ Dieses Treffen fand womöglich um Baecks Vortrag herum statt, den er am 23. September 1949 in der 345 Goldschmidt, Dietrich: Robert Raphael Geis. Ein später Zeuge des deutschen Judentums. In: Emuna. Horizonte zur Diskussion über Israel und das Judentum VIII (1973) 6. S. 424–427. 346 Ehrlich, Ernst Ludwig: Lothar Rothschild. Rabbiner und Freund. Gedenkrede gehalten an der Feier der jüdischen Gemeinde Kreuzlingen aus Anlass der Schloschim. Kreuzlingen 1975.
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Basel-Loge von B’nai B’rith gehalten und den er Ehrlich drei Tage zuvor brieflich angekündigt hatte. Ende Dezember 1953 verwies Ehrlich Schürholz wegen medizinischer Fragen an einen Basler Freund, Dr. Herbert Kaufmann, der kurz zuvor als Assistenzarzt nach Boston übergesiedelt sei. Herbert J. Kaufmann (geb. am 10. Juni 1924 in Frankfurt am Main, gest. am 15. April 2010 in New Milford, CT, USA) war eines der drei Kinder von Eugen und Margarethe Kaufmann, an die Baeck am 17. Februar 1955 durch Ehrlich auch noch einmal Grüße ausrichten ließ.
19.2 Ein Leben für Dialog und Erneuerung Von der Schweiz aus wurde Ernst Ludwig Ehrlich für über vier Jahrzehnte zum Europäer und zum Brückenbauer zwischen den Religionen, zwischen den Generationen, zwischen West und Ost und auch über Parteigrenzen hinweg. Sein besonderes Augenmerk galt weiterhin der Haltung der Kirchen. So schrieb er am 26. November 1960 an Franz Schürholz über die Evangelische Kirche in Deutschland: „Man kann hier von einem wirklichen Wandel in der Einstellung sprechen.“347 Von der katholischen Kirche erwartete er aber noch „anderes und mehr“: „Dass ist vielleicht meine persönliche Auffassung aufgrund meines Schicksals, dass ich von der katholischen Kirche anderes und mehr verlange und verlangt habe als von den Protestanten.“348 Zum Durchbruch im Verhältnis von Katholiken und Juden wurde schließlich die Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils zu den nichtchristlichen Religionen, die 1965 beschlossen wurde und das Judentum als von Gott gestiftete Religion gelten ließ, in der das Christentum wurzele. Ehrlich hatte und nahm großen Anteil an dem Diskussionsprozess, der zu dieser Erklärung führte und der für ihn mit einer persönlichen Begegnung in Basel begann: „Für mich war in diesem Zusammenhang das Jahr 1961 von Bedeutung. Am Jom Kippur, am Versöhnungstag dieses Jahres, habe ich erstmals Kardinal Bea getroffen.“349 Sein Weg führte damals direkt von der Synagoge zum Jesuitenhaus schräg gegenüber, in dem der Kardinal damals abgestiegen war. Diesem ersten Treffen in Basel, die Ehrlich später als „relativ förmliche Begegnung“ beschrieb, folgten viele weitere, vor allem während des Konzils in Rom: 347 Aus einer „Arbeitsgruppe Juden und Christen“ beim Evangelischen Kirchentag in München 1959 ging 1961 die Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen hervor. Sie bestand aus 28 Personen, darunter auf jüdischer Seite Schalom Ben-Chorin, Robert Raphael Geis, Ernst Ludwig Ehrlich, Eva Gabriele Reichmann und Eleonore Sterling und auf christlicher Seite Helmut Gollwitzer, Hans-Joachim Kraus, Günther Harder und Adolf Freudenberg. 348 Vogel (wie Anm. 19), S. 36. 349 Vogel (wie Anm. 19), S. 23.
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Diese Zusammenkünfte im Brasilianischen Kolleg [dem Wohnsitz Kardinal Beas] waren freundlich, und er sagte, er betrachte mich in gewisser Weise als Landsmann; er stamme schließlich aus dem Schwarzwald und ich aus Basel. Als einmal eine offizielle B’nai B’rithDelegation bei ihm war, verabschiedete er die Herren und hielt mich einen Moment zurück. Dann kam er heraus und legte den Arm um mich, um auf diese Weise zu zeigen, dass er mich offenbar schätzte.350
Typisch für Ehrlichs Selbstdarstellung ist, dass er Privates und Öffentliches stets zu trennen wusste. So wurde in seinem Nachruf auf Augustin Kardinal Bea, der 1968 im Schweizer Israelitischen Wochenblatt erschien, nicht deutlich, dass sich die beiden persönlich begegnet waren. Ehrlich schrieb: Mit Juden und Judentum hatte er wenig zu tun; er mag auch kaum persönliche Kontakte mit Juden gehabt haben. Das wurde mit einem Schlage anders, als Papst Johannes XXIII. Kardinal Bea in einer Audienz am 18. September 1960 den Auftrag erteilte, eine Erklärung vorzubereiten, welche die Beziehungen der Kirche zum jüdischen Volke betraf. Kardinal Bea hat später einmal die Meinung geäußert, Johannes XXIII. habe damals wohl kaum geahnt, zu welchem Endergebnis seine Weisung führen würde. Und auch Kardinal Bea dürfte wohl auch damals durchaus im unklaren darüber gewesen sein, was für ihn diese fünf Jahre bedeuten sollten, bis nämlich am 28. Oktober 1965 die Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen vom Konzil erlassen wurde. Es war jene Zeit, in der Kardinal Bea zum ersten Male in einen persönlichen Kontakt und Gedankenaustausch mit jüdischen Menschen trat, und wo ihm plötzlich auch gegenwärtig wurde, welche Widerstände gegen Juden in seiner Kirche bestehen.351
Ehrlich mochte sich nie mit ersten Erfolgen begnügen. So resümierte er drei Jahre nach der Konzilserklärung: Zahlreiche Fragen treten auf: Wer soll was unternehmen Wozu können sogenannte ‚Dialoge‘ führen? Wer kann Partner in den ‚brüderlichen Gesprächen‘ sein? Müssen sich Priester nun auf die Jagd nach Rabbinern begeben (je orthodoxer, desto besser), um der Konzilsdeklaration in etwa Genüge zu tun? Von wem soll die Initiative ausgehen? Sind Mammutkonferenzen zu organisieren, auf denen Quantitäten von wohlmeinenden Katholiken und Juden sich versichern, wie sympathisch sie sich sind, und die Katholiken sich gegenseitig vergeben, was den Juden in Jahrhunderten angetan wurde? Oder aber ist die seelische Energie der Katholiken vielleicht mit der Konzilsdeklaration erschöpft, und es hätte damit sein Bewenden, und das katholische ‚Soll‘ wäre nun erfüllt? Derartige Fragen können nunmehr auftauchen, da ja — zumindest im mittel- und westeuropäischen Raum — seit der Verabschiedung der Konzilsdeklaration über die jüdische Religion am 28. Oktober 1965 fast nichts gesche350 Heid, Hans: Interview mit Prof. Dr. Ernst Ludwig Ehrlich in Basel am 19. August 1997. In: Heid, Hans (Hrsg.): Augustin Bea (1881–1968). Über Leben, Person und Werk eines badischen Kardinals. Rastatt 2000. S. 467ff. 351 Ehrlich, Ernst Ludwig: Unsere Pflichten zur Wahrheit und Gerechtigkeit. Zum Ableben von Kardinal Augustin Bea. In: Das Israelitische Wochenblatt der Schweiz (22. 11. 1968) 68/47. S. 5f.
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hen ist, und das sind nun immerhin drei volle Jahre. Dieser Hinweis auf die verstrichene Zeit bedeutet keinen Vorwurf, sondern ist eher ein Zeichen, wie schwer es ist, überhaupt herauszuarbeiten, was heute auf diesem Gebiet geschehen kann und sinnvoll zu realisieren ist.352
Ehrlich stellte zugleich fest, „dass auch heute noch viele Christen nicht die Wirklichkeit des Juden, des jüdischen Volkes und Israels wahrzunehmen vermögen. Der Grund besteht in der noch immer nachwirkenden Konzeption von einem fossilen Judentum, das nach der Auferstehung Jesu eigentlich keine eigene Geschichte mehr haben dürfte.“ Und er fügte hinzu, ja wiederholte: „Dass Christen — übrigens auch gerade nach der Konzilsdeklaration — sich gegenüber Juden und Judentum so hilflos zeigen und noch relativ wenig Konstruktives geschehen ist, hängt mit der mangelnden Kenntnis der Wirklichkeit des Judentums zusammen. Zunächst einmal ist man sich auf christlicher Seite allzu oft über die Vielfalt der Möglichkeiten im unklaren, Jude zu sein. Das Judentum ist weder hierarchisch gegliedert, noch besitzt es eine Weltzentrale. Es vermag in seinem vielräumigen Haus die verschiedensten Bewohner zu dulden. Sie werden zwar unter sich nicht immer besonders gut übereinander sprechen, die Form der Gottesdienstausübung des anderen Juden nicht schätzen, einander vorwerfen, intolerant, zu orthodox, zu liberal, zu chauvinistisch, zu universalistisch, zu assimilatorisch, zu gettohaft, zu kritisch, zu wenig kritisch, zu wissenschaftlich oder zu fundamentalistisch zu sein. Aber es sind alles Juden, und vor allem: Sie erkennen sich gegenseitig als Juden an […] Zur Wirklichkeit des Judentums gehört seine Vielfalt, sein Pluralismus.353
„Werden die Juden eine Antwort erhalten?“ lautete die Frage, die Ehrlich im Januar 1965 in der Zeitschrift Orientierung stellte, und kam zu dem Schluss: Das Konzil ist ein katholisches Gremium. Juden hören zwar, was es auch ihnen zu sagen hat, aber sie sind daran nicht beteiligt. Das Judentum und die Juden haben eine zweitausendjährige, ihnen allzu oft durch Christen verursachte Leidensgeschichte überlebt. Israel wird auch überleben, wenn das Konzilsdokument über die Juden wider alles Erwarten nicht promulgiert werden sollte. Die Juden haben trotz mannigfacher Widerstände bis zum heutigen Tage treu an ihrer biblischen Berufung festgehalten und sie werden, weil Gott es will und ihnen verheißen hat, auch alle Stürme der Geschichte überdauern, bis der Herr dieser Geschichte den Tag in seiner Gnade und Güte herbeiführen wird, ‚an welchem die Menschen IHN mit einer Stimme anrufen und IHM einträchtig dienen‘ (Weish 3,9 ; Jes 6,13; Ps 65,4). Aber, so dürfen wir wohl abschließend fragen, kann es sich die Christenheit, zu ihrem eigenen Heile und Wohle, leisten, weiter unbiblische Irrlehren über die Juden zu verbreiten, und bedürfen nicht die Christen gerade eines solchen Dokumentes, um sich neu auf das Volk besinnen zu können, dem sie so unendlich viel verdanken, in Wahrheit alles, was das Fundament ihres Glaubens bildet? Es ist eine Frage, und es geziemt allein, die Frage zu
352 Ehrlich, Ernst Ludwig: Karl Thieme – und wo stehen wir heute? In: Freiburger Rundbrief XX (Dezember 1968) 73/76. S. 24. 353 Ebenda, S. 22f.
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stellen. Die Antwort darauf haben nicht wir zu geben, sondern die Väter des ökumenischen Konzils.354
Zur Zeit des Konzils traf Ehrlich mit John Maria Oesterreicher (1904–1993) zusammen, den er so charakterisierte: Gegenüber den Juden hatte er die Haltung der Kurie zu verteidigen und sie damit zu trösten, daß ‚Nostra Aetate‘ schließlich erst ein Anfang wäre. Gerade während des Konzils wurde die ganze Problematik seiner starken Persönlichkeit deutlich. Das, was Martin Buber 1933 über den jüdischen Menschen gesagt hat, konnte man bei John Oesterreicher während des Konzils erleben: ‚Der jüdische Mensch von heute ist der innerlich ausgesetzte Mensch unserer Welt. Die Spannungen des Zeitalters haben sich diesen Punkt ersehen, um an ihm ihre Kraft zu messen. Sie wollen erfahren, ob der Mensch ihnen noch zu widerstehen vermag, und erproben sich am Juden. Wird er standhalten? Wird er in Stücke gehen? Sie wollen durch sein Schicksal erfahren, was es um den Menschen ist. Sie machen Versuche mit dem Juden, sie versuchen ihn. Besteht er’s?‘.355
Der weitere Lebensweg Ernst Ludwig Ehrlichs nach seiner beruflichen Etablierung in der Schweiz kann an dieser Stelle nur grob skizziert werden. Von 1972 war er als Honorarprofessor für Neuere Jüdische Geschichte und Jüdische Literatur und Religion/Literatur an der Theologischen Fakultät der Universität Bern tätig. Im selben Jahr übernahm er das Amt des Co-Präsidenten der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft beim Schweizeri schen Katholischen Kirchenbund sowie 1990 das Amt des Präsidenten der Jüdisch-Römisch-Katholischen Gesprächskommission der Schweizer Bischofskonferenz. Er war Mitglied des International Jewish Committee for lnterreligious Consultations. Darüber hinaus engagierte er sich beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund und beim Gesprächskreis Juden und Christen des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. B’nai B’rith Europe blieb Ehrlich bis zu seinem Tode als Ehrenvizepräsident verbunden. Ernst Ludwig Ehrlich verfasste zahlreiche Schriften zu Themen aus dem Bereich jüdischen Religionsgeschichte, wurde für sein Engagement mit Ehrendoktorgraden der Universität Basel (1986), der Freien Universität Berlin (2003) und der Universität Luzern (2005) ausgezeichnet und nahm bis ins Alter aktiv am öffentlichen Gespräch über das Verhältnis von Juden und Christen in Geschichte und Gegenwart teil. So beschloss er seinen Vortrag „Juden und Christen im neuen Europa“, den er an 7. März 2005 in Prag hielt, ganz im Geiste von Leo Baeck und dessen Brüsseler Rede von 1956 mit den Worten: 354 Ehrlich, Ernst Ludwig: Neubesinnung der Kirche auf ihre Verbundenheit mit Israel. In: Orientierung 29 (15. Januar 1965) 1. S. 7. 355 Ehrlich, Ernst Ludwig: John Oesterreicher (1904–1993). In: Orientierung 57 (31. Mai 1993) 10. S. 110.
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In diesem Zusammenhang muss auch eine Aufgabe genannt werden, nämlich der interreligiöse Dialog. Er ist wichtig, um gemeinsam den Sinn von Religion auch in der modernen Welt aufzuzeigen und zu stützen, um die ‚Grundwerte‘, die den Religionen gemeinsam sind, zu festigen und um gemeinsam sowohl in den einzelnen Ländern als auch weltweit Religionsfreiheit und gegenseitige Achtung, Frieden und Solidarität zu fördern. Dabei ist in Europa der Dialog besonders wichtig mit dem Judentum, das zu den Fundamenten und Wurzeln des Christentums gehört, und mit dem Islam, der einerseits mit dem Judentum und dem Christentum zu den abrahamitischen Religionen gehört und andererseits eben auch heute die religiöse Überzeugung vieler Mitbürger in den meisten Ländern Westeuropas dar stellt.356
Nicht weniger wichtig als das interreligiöse Gespräch war ihm die Erneuerung beziehungsweise die Konsolidierung jüdischen Lebens in Europa, insbesondere aber in Deutschland. Dazu zählte für ihn auch die Rabbinerausbildung am Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam. Anlässlich eines Berliner Studientags zu Ehren Leo Baecks wandte Ehrlich sich im Mai 2006 mit den folgenden Worten an den damaligen Bundesminister des Inneren, Wolfgang Schäuble: Als letzter aktiver Schüler der letzten Generation der Lehranstalt spüre ich die tiefe Verpflichtung zu helfen, dass das Abraham Geiger Kolleg sich in einer Weise entwickeln kann, dass es in der Geschichte einmal als eine direkte Fortsetzung der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums verstanden wird. Nur so wird es gelingen, den Tausenden von Juden, die in den letzten Jahrzehnten nach Deutschland gekommen sind, eine geistige jüdische Identität zu vermitteln, die ihnen bisher verwehrt war.357
Ernst Ludwig Ehrlich verstarb am 21. Oktober 2007 in Riehen bei Basel und wurde auf dem Friedhof der Liberalen Jüdischen Gemeinde Or Chadasch in Zürich bestattet.
356 Ehrlich, Ernst Ludwig: Juden und Christen im neuen Europa. Vortrag bei der KonradAdenauer-Stiftung am 7. März 2005 in Prag. In: Heinz/Henrix (wie Anm. 10), S. 111. 357 Ehrlich, Ernst Ludwig: Grußwort zur Eröffnung des Studientages „Leo Baeck: Philosophische und rabbinische Annäherungen“ am 22. Mai 2006 in der Europäischen Akademie Berlin.
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Die Lebensgeschichte des Historikers und Judaisten Ernst Ludwig Ehrlich umfasst die Erfahrungen von Verfolgung und Judentum des europäischen Judentums im 20. Jahrhundert. In seiner persönlichen und beruflichen Entwicklung bis Anfang der 1960er, die im Mittelpunkt dieses Buches steht, sind die Brüche und Kontinuitäten der deutschen Gesellschaft und damit auch des deutschen Judentums eingeschrieben: „Ich liebe nicht die Deutschen, ich liebe nicht die Schweizer ... Ich liebe meine Freunde“, zitierte Ernst Ludwig Ehrlich vor über dreißig Jahren Annette Kolb (1970–1967), um diesen Satz dann auf sich und sein Verhältnis zu Deutschland zu beziehen. Er fügte hinzu: „Wenn man älter wird, kehrt man an seine geistigen Ursprünge zurück.“358 Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Ehrlich sich von diesen geistigen Ursprüngen aber nie wirklich gelöst hatte. Leo Baecks Wunsch als Lehrer war es, dass seine Studenten „ein Gefühl für den unveränderlichen Kern des Judentums entwickeln sollten […], um auf einen ergiebigen Dialog mit den zeitgenössischen Strömungen vorbereitet zu sein.“359 Die Haltung, die Ehrlich seinem Leh rer Baeck zuschrieb, galt schließlich unter anderer Vorzeichen manches Mal auch für ihn selbst, etwa wenn er schrieb: „Baeck hat wie selten ein Jude vor ihm ohne jede Scheu seine kritische Haltung gegenüber christlichen Gedankengebäuden geäußert, und er war zugleich ein gerade von diesen Christen anerkannter und ständig gesuchter Partner im christlich-jüdischen Gespräch.“360 Diese Identifikation mit Baeck hatte auch Herbert A. Strauss beobachtet und festgestellt, dass er sich selbst nicht in dem Maße als Schüler Baecks sehe wie etwa Ernst Ludwig Ehrlich.361 Auch wenn er seine Rabbinerausbildung zu keinem formellen Abschluss bringen konnte, entsprach Ehrlich ganz dem Typus des Rabbiners, den sein Kommilitone Wolfgang Hamburger als Vermittler des Wissens beschrieb, aus dem die Freiheit des Denkens entwickelt und gepflegt werden kann: „Ihm [dem Rabbiner, 358 Vogel (wie Anm. 19), S. 64f. 359 Liebeschütz, Hans: Judaism and History of Religion in Leo Baeck’s Work. In: Leo Baeck Institute Year Book, II, London 1957. S. 13. Im Original heißt es dort: “He wished that the students whom he trained for office in the Jewish communities should develop a feeling for the permanent core of Judaism, which had to be preserved in a truly productive dialogue with the currents of the contemporary world.” 360 Ehrlich, Ernst-Ludwig: Erinnerungen an Leo Baeck. In: Heuberger, Georg und Fritz Backhaus (Hrsg.): Leo Baeck 1873–1956. Aus dem Stamme von Rabbinern. Frankfurt am Main 2001. S. 189. 361 Strauss, Herbert A.: Erinnerungen an Leo Baeck. In: Heuberger/Backhaus (wie Anm. 253), S. 191.
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Anm. d. Autors] stehen dafür drei Gelegenheiten zur Verfügung, die Predigt, der Vortrag und die Arbeitsgemeinschaft.“362 Ob Baeck sich selbst auch als den „väterlichen Freund“ begriff, als den ihn Ehrlich schilderte?363 Dass Ernst Ludwig Ehrlich nie zu einem formellen Abschluss seiner Rabbinerausbildung fand, setzte ihn bereits gegenüber seinem Kommilitonen Nathan Peter Levinson zurück, der in Baecks Briefen mit „Lieber Kollege Levinson“ angeredet wurde.364 Diese Arbeit zeigt, dass das Leben nach dem Überleben für Ernst Ludwig Ehrlich von zahlreichen Enttäuschungen gekennzeichnet war. Die bald zehn Jahre, die er teils in Basel, teils in Berlin verbrachte, machten ihm deutlich, dass er quasi den Anschluss verpasst hatte: seinen Platz im Berliner Rabbinat, auf den seine Ausbil dung an der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums hatte vorbereiten sol len, nahmen in der Nachkriegszeit andere ein, so dass aus den wenigen verblei benden Freunden Konkurrenten wurden. Diese Konkurrenzsituation ergab sich später aufs Neue: Im Zürcher Nachlass findet sich die Bewerbung Ernst Ludwig Ehrlichs für die Leitung des neu zu errichtenden Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. Als Gründungsdirektor wurde aber 1982 Ehrlichs früherer Kommilitone und Freund Herbert A. Strauss nach Berlin berufen.365 Die World Union for Progressive Judaism vermochte ihm keine beruflichen Perspektiven aufzuzeigen, weder in den USA noch in Europa, und auch in der deutschen Universitätslandschaft war für Ehrlich, der doch noch einmal in sich beste deutsch-jüdische Tradition vereinigte, in den 1950er Jahren noch kein Platz. Dass es Ehrlich dennoch gelang, sich in dieser von ihm selbst beklagten „endlosen Warterei“ aus eigener Kraft als „freier Wissenschaftler“ zu erfinden, zeugt von seiner schon zitierten Vitalität. Als ihn Gertrud Luckner und Karl Thieme 1951 um einen Beitrag für den Freiburger Rundbrief baten, war er zunächst noch Stellvertreter einer nahezu verschwundenen Gemeinschaft, ein „jüdischer Mensch, der die Verfolgung in Deutschland überlebt hat“. Aus dem jungen Historiker des Judentums wurde in den gut zwanzig Jahren, die diese Arbeit nachzeichnet, dann sehr schnell ein Akteur des lebendigen Judentums, ein turgaman und Dolmetscher: „Den Christen gegenüber wurde er zum Interpreten des Judentums, den Juden
362 Hamburger, Wolfgang: Erinnerungen an Leo Baeck. In: Heuberger/Backhaus (wie Anm. 253), S. 197. 363 Ehrlich, Ernst Ludwig: „Auch nach dem Krieg hat sich Baeck mir gegenüber als ein wirklich väterlicher Freund gezeigt“. In: Vogel (wie Anm. 19), S. 49. 364 Vgl. Levinson (wie Anm. 209) S. 122f. 365 Vgl: AfZ: Antrag auf Posten als Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin. NL Ernst Ludwig Ehrlich / 994.
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gegenüber zum Anwalt der Notwendigkeit eines jüdisch-christlichen Dialogs.“366 Ernst Ludwig Ehrlichs Judentum war quasi auch Religion aus Erfahrung, die er mit dem sozialen Auftrag der biblischen Propheten verband. Humanität und Gerechtigkeit galten ihm mehr als bloße Form und leeres Ritual. Er lebte einen Satz von Baeck, den dieser 1928 in „Die Lehren des Judentums“ formuliert hatte: „Das Leben wählen und gestalten, das ist die Forderung, die das Judentum an den Menschen richtet.“367 Gerade auch seiner Bereitschaft zum Dialog mit der katholischen Kirche lagen persönliche Erfahrungen zu Grunde. Diese Arbeit stellt dar, dass es Katholiken waren, von denen Ernst Ludwig Ehrlich die entscheidende Hilfe erhielt, die ihm das Leben in der Illegalität und die Flucht aus Berlin in die Schweiz ermöglichte. Sie taten dies aber als Privatpersonen ohne institutionelle Anbindung. Umso mehr war er darüber enttäuscht, „dass die katholische Kirche als Institution nicht größeren Widerstand geleistet und vor allem kein stärkeres Engagement für die Juden gezeigt [hatte].“368 Dass es die Schweiz war, von wo aus Ehrlich zum Schrittmacher des christlichjüdischen Gespräches gerade in Deutschland wurde, entspricht dem Spannungs verhältnis von Distanz und Nähe, das über Jahrzehnte hinweg sein Schaffen ausmachte. Er wurde aus persönlicher Betroffenheit zum Brückenbauer, kam in der Öffentlichkeit und in seinen Veröffentlichungen aber um der Wissenschaftlichkeit seiner Arbeit willen so gut wie nie auf diese Erlebnisse zu sprechen. Aus der Auseinandersetzung mit seiner Biographie wird deutlich, dass diese Distanz wohl auch geboten war, um nicht ein Leben lang vor allem als Überlebender zu gelten. Ernst Ludwig Ehrlich brachte sein Selbstverständnis, das auch die vorliegende Arbeit darzustellen versucht, 2004 in einem kurzen Interview im Schweizer Radio International so zum Ausdruck: Er sei Historiker, nicht Opfer.369 Die Hilfe durch nichtjüdische Einzelpersonen, die Ernst Ludwig Ehrlich im Frühling 1943 erfahren hatte, wurde aber zum Beweggrund für sein persönliches Engagement im interreligiösen Dialog und für die Erneuerung des Judentums in Deutschland. Heute sind es der Ernst-Ludwig-Ehrlich-Masterstudiengang für Geschichte, Theorie und Praxis der Jüdisch-Christlichen Beziehungen an der Freien Universität Berlin und das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützte Begabtenförderungswerk für jüdische Studenten und Promovierende, das Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk (ELES), die dieses Engagement fortführen. 366 Eckert, Willehad Paul: Ernst Ludwig Ehrlich, ein Vorkämpfer der christlich-jüdischen Begegnung. Laudation auf Dr. Ernst Ludwig Ehrlich anlässlich der Verleihung der BuberRosenzweig-Medaille, Düsseldorf 1976. In: Emuna/Israel-Forum. Vereinigte Zeitschriften über Israel und Judentum (1976) 3. S. 5. 367 Baeck, Leo: Sittlichkeit als Grundforderung des Judentums. In: Verband der Deutschen Juden (Hrsg.): Die Lehren des Judentums nach den Quellen, Bd. I, Teil I, Leipzig 1928. S. 14. 368 Vogel (wie Anm. 19), S. 37. 369 Vgl. Julie Hunt im Gespräch mit Ernst Ludwig Ehrlich (wie Anm. 5).
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Alle Bilder außer Nr. 6 und Nr. 13 sind dem Nachlass von Ernst Ludwig Ehrlich im Archiv für Zeitgeschichte, ETH Zürich, entnommen.
Abb. 1: Ernst Ludwig Ehrlich mit seinen Eltern.
Abb. 2: Ernst Ludwig Ehrlich bei seiner Einschulung.
Abb. 3: Speisekarte zur Barmizwa-Feier 1934.
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Abb. 4: Ehrlich (ganz oben) mit Mitschülern der Lessler-Schule.
Abb. 5: Auf dem Sportplatz von Bar Kochba-Hakoah, Berlin-Grunewald.
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Abb. 6: Rabbiner Leo Baeck (© Marianne C. Dreyfus)
Abb. 7: Studentenausweis der Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums.
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Abb. 8: Ehrlichs Helferin und frühere Hausangestellte Emma Haamel.
Abb. 9: Ehrlich (4. v. l.) bei der Westeuropäischen Rabbinerkonferenz in Knokke 1954.
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Abb. 10: Berlin-Friedrichstraße (o. J.).
Abb. 11: Am Titus-Bogen in Rom (ca. 1955).
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Abb. 12: Porträt aus den 1970er Jahren.
Abb. 13: Ernst Ludwig Ehrlich und Rabbiner Prof. Dr. Walter Homolka im Mai 2007 am Abraham Geiger Kolleg an der Universität Potsdam (© Tobias Barniske).
Quellen Ehrlich, Ernst Ludwig: Einer der drei überlebenden Absolventen des letzten Jahrganges der Berliner „Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums“ berichtet über sein „illegales Leben“. Unveröffentlichtes Typoskript in der Wiener Library London). London, September 1959, 18 Seiten (Testaments to the Holocaust: Series One, P III d (Berlin), No. 114). Ehrlich, Ernst Ludwig: Briefe an Franz Schürholz, 1944–1965. Dossier Franz Schürholz, Stiftung Gedenkstätte Deutscher Widerstand, Berlin. Baeck, Leo: Briefe an Ernst Ludwig Ehrlich, 1946–1956. Nachlass Ernst Ludwig Ehrlich: AfZ: NL Ernst Ludwig Ehrlich / 67. Baeck, Leo: Freiburger Rundbrief, Alte Folge, I (1948) 1 bis XX (Dezember 1968) 73/76. Wolff, Ilse R. (Hrsg.): Persecution and Resistance under the Nazis. 2. Aufl. London 1960 (The Wiener Library Catalogue Series No. 1). World Union for Progressive Judaism (Hrsg.): The Task of Progressive Judaism in the Post-War World. Report of the Fifth International Conference held in London July 25th to July 30th, 1946. London o.J. [1946]. Battel, Franco: Interview mit Ernst Ludwig Ehrlich vom 1. März 1996. In: Battel, Franco: „Wo es hell ist, dort ist die Schweiz“. Flüchtlinge und Fluchthilfe an der Schaffhauser Grenze zur Zeit des Nationalsozialismus. Zürich 2000. S. 334–338. Heid, Hans: Interview mit Prof. Dr. Ernst Ludwig Ehrlich in Basel am 19. August 1997. In: Heid, Hans (Hrsg.): Augustin Bea (1881–1968). Über Leben, Person und Werk eines badischen Kardinals. Rastatt 2000. S. 467–478. König, Franz Kardinal und Ernst Ludwig Ehrlich: Juden und Christen haben eine Zukunft [ein Gespräch, moderiert von Bernhard Moosbrugger]. Zürich 1988. Minikus, Marlene: Ernst Ludwig Ehrlich – Anwalt biblischer Ethik. In: Jahrbuch Z’Rieche 1996. Hrsg. von der Stiftung z’Rieche. Riehen 1996. Vogel, Rolf: Gespräch mit Ernst Ludwig Ehrlich (1983). In: Vogel, Rolf (Hrsg.): Ernst Ludwig Ehrlich und der christlich-jüdische Dialog. Frankfurt a. Main. 1984. S. 13–69.
Literatur
Literatur
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Über den Autor Hartmut Bomhoff M.A. (geb. 1965) hat in Göttingen und Berlin Neuere Geschichte, Kunst- und Literaturwissenschaft sowie Holocaust Communications studiert. Er verantwortet seit 1999 die Öffentlichkeitsarbeit des Abraham Geiger Kollegs an der Universität Potsdam und ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der dortigen School of Jewish Theology. Zahlreiche Veröffentlichungen zur jüdischen Religion, Geschichte und Kultur. Mitglied des Kuratoriums der Gedenkstätte für jüdische Flüchtlinge in Riehen (Schweiz).
Personen- und Sachregister Personen- und Sachregister Abraham Geiger Kolleg (Universität Potsdam), 150 Adler, Hans Günter, 109 Adler, Peter, 109 Adorno, Theodor W., 12, 17 Allgemeine Wochenzeitung der Juden in Deutschland, 6, 15, 16, 18, 63, 76, 83, 84, 91, 96, 105, 109–110 Alterstransporte, 15 alttestamentliche Wissenschaft, 59 Antisemitismus, 24, 47–48, 56, 65, 107, 118–120, 132, 135 Antwort auf die Moderne (Meyer), 69 Arbeitsämter, 34 Archiv für Zeitgeschichte (AfZ) (Eidgenössische Technische Hochschule), 5 Arendt, Ilse Edith, 55 Arndt, Adolf, 113–114 Association of Synagogues in Great Britain, 82 Atlas, Samuel, 73 Attente de Dieu (Weil), 128 Aufbau nach dem Untergang. In memoriam Heinz Galinski (Nachama & Schoeps), 86 Auffanglager Büsserach, 59 Aus drei Jahrtausenden. Wissenschaftliche Untersuchungen und Abhandlungen zur Geschichte des jüdischen Glaubens (Baeck), 32 Auschwitz-Prozesse, 19 Baeck, Leo, 157 – Ansprachen/Vorträge – – „Maimonides, der Mann, sein Werk und seine Wirkung“, 63–64 – – Berliner Institutum Judaicum, 137 – – B’nai B’rith Basel 1955, 71 – – Districts-Gross-Loge Kontinental-Europa XIX, 124, 149 – – EKD-Tagung, 133–134 – – Loeb Lectures, 106 – – WUPJ-Tagung 1946, 69–70 – Beziehungen zu – – Ehrlich, 28, 63, 68, 70–72, 99–100, 122
– – Levinson, 88, 122, 151 – – Meinecke, 122 – – Reichmann, 8–9 – Briefwechsel mit – – Ehrlich, 2, 5, 43, 60, 63, 64–66, 73–77, 80–81, 99–100 – – Geis, 92 – – Lowenthal, 68 – Erinnerungen an, von Ehrlich, 27–29, 63, 123–124 – Lebensgeschichte – – Berufliche Tätigkeiten – – – Council for the Protection of the Rights and Interests of Jews from Germany, 63 – – – London Society for Jewish Study, 63 – – – Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, 31, 68 – – – Society of Jewish Learning (London Society of Jewish Study), 79 – – – World Union for Progressive Judaism, 63, 69 – – Kriegsjahre, Deportation von, 31–32 – – Nachkriegszeit – – – Besuch in Berlin, 88 – – – Liebesgaben, 71–72 – – – Tod, 82 – – Rolle im christlich-jüdischen Dialog, 137, 151 – – Unterricht – – – am Hebrew Union College (Ohio), 63 – – – im gerade befreiten Deutschland, 63 – – – Lehrevorträge/Predigten, 26–27 – – – Studenten von, 32 – Meinungen von – – über apologetischer Historiker, 64–66 – – über Buch Jaspers, 66–67 – – über Christentum, 122–124 – – über christlich-jüdischen Dialog, 29, 133–134, 139 – – über deutsches Judentum, 105 – – über Ehrlich, 68 – – über Haltung zu Deutschland/Deutschen, 94
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Personen- und Sachregister
– – über Harnacks Das Wesen des Christentums, 122 – – über Rede Heuss, 91 – – über Schweizer Judentum, 144 – – über WUPJ, 69–70 – Tagungen – – EKD Darmstadt 1950, 133 – – World Union for Progressive Judaism, 1946, 68 – – WUPJ-Tagung 1946, 133 – Veröffentlichungen von – – Aus drei Jahrtausenden. Wissenschaftliche Untersuchungen und Abhandlungen zur Geschichte des jüdischen Glaubens, 32 – – Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte, 29 – – Romantische Religion, 120–122, 123 – – Das Wesen des Judentums, 122 Baker, Leonard, 31 Barnstein (Vortragskünstler), 28 Barth, Karl, 46, 59 Barth, Markus, 59 Battel, Franco, 3, 46, 49–50, 55 Baumgarten, Walter, 59 Bea, Augustin, 146–147 Befreiungsgesetz (1946), 112–116 Behrend-Rosenfeld, Else R., 10–11, 50 Bekennende Kirche, 45, 46, 114 Berg, Nicolas, 18–19 Bergengruen, Werner, 17 Bergmann, Juda, 137 Berlak, Ruth, 63, 109 Berlin – Ehrlichs Rückkehr nach, 86–88 – Freie Universität, 67, 84, 105, 107, 108, 110, 153 – Friedrich-Wilhelms-Universität, 122 – Institutum Judaicum, 137 – Juden in, Deportationen von, 33–34 – jüdische Gemeinde in, 88 – – Rabbiner, 75–76, 77 – Katholische Kirche, 42, 53 – Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums, 28–31, 34, 80, 150 – NWDR, 83, 102 – Schulen in, 25, 26, 33
– Synagogen in, 27 – Technische Universität, 4, 39, 152 Berliner Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, 89, 127–128 Bernd, Addi, 16 Bibliotheca Judaica, 102 Bibliothekbestände, Rettung von, 79 Bickel, Erich, 119 Bickermann, Elias, 101 Binder, Gottlob, 115 Bleichröder, Curt von, 31 Bleichröder, Edgar von, 31 Bleyle, Inge, 44 B’nai B’rith Europe – Districts-Gross-Loge Kontinental-Europa XIX, 71, 88, 124 – Ehrlichs Tätigkeit für, 5, 83, 143 – Europäische Anti-Defamation LeagueKommission, 102 – Leo Baeck-Traditionsloge, 88 Borkowsky, Familie, 21 Brandt, Emmi, 55 Brenner, Michael, 18, 85 Brentano, Heinrich von, 94 Brodetsky, Selig, 119 Buber, Martin, 84, 93–95, 138, 140 Buber, Paula, 94 Buber-Rosenzweig Medaille, 1, 29 Büchergilde Guttenberg, 11 Bundesrepublik Deutschland – . siehe Westdeutschland/Deutschland Caspary, Rudolf, 44–45, 101 Centralverein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens, 22 Chamberlain, Houston Stewart (Stuart), 64 Christlich-Jüdische Arbeitsgemeinschaft beim Schweizerischen Katholischen Kirchenbund, 149 Christlich-Jüdische Arbeitsgemeinschaft zur Bekämpfung des Antisemitismus in der Schweiz, 83, 94, 107, 118–119, 127 christlich-jüdischer Dialog/Zusammenarbeit – Meinungen über – – von Baeck, 29, 133–134, 139 – – von Ehrlich, 116, 117–118, 119, 128–129, 131, 133, 139–140, 149–150
– im Nachkriegsdeutschland, 4–5, 89, 131–136 – Rolle in – – von Baeck, 137, 151 – – von Ehrlich, 2, 5, 146–147, 152–153 – – von Geis, 9, 69, 137 – – von Goldschmidt, 108 – – von Reichmann, 8–9 – – von Thieme, 127 – – von Wolff, Jeanette, 89 – und die Thesen von Seelisberg (1949), 118–120, 133 – in der Weimarer Republik, 137–138 Claims Conference, 81 Clay, Lucius D., 115, 132 Cohen, Hermann, 76, 137 Columbia University (New York), 108 Conference on Jewish Material Claims Against Germany, 8 Conrad, Ernst, 73 Council for the Protection of the Rights and Interests of Jews from Germany, 63 Council of Jews from Germany, 94 Curth, Fedora, 51, 53 Dam, Hendrik George van, 109 Davidsohn, Magnus, 79 Decker, Kerstin, 33 Deportationen – von Baeck, Leo, 31–32 – von Berliner Juden, 33–34 – von Ehrlich, Eva, 40 – von Juden, 10, 45, 46 Deportationslisten, 15 Deserteure, 43 Deutsch Evangelischer Ausschuss für Dienst an Israel, 9, 133 Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen (Meinecke), 64 Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik (D.W.M.), 34 Deutschenhass, 92–93 Deutscher Katholikentag, 134 Deutscher Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, 29, 116, 127, 132 deutsch-jüdische Verhältnisse, 107 „Deutschland und Israel“ (Ehrlich), 125–126
Personen- und Sachregister
173
Dialogphilosophie (Buber), 94 Dienemann, Max, 137 Districts-Gross-Loge Kontinental-Europa XIX (B’nai B’rith), 71, 88, 124 Döring, Jörg, 17 Drangsalierung, 23 Dreyfus, Willy, 80, 81–82 Dringlichkeitskonferenz gegen den Antisemitismus (1947), 118–120 Eckert, Willehad Paul, 85, 117, 132, 140–141 Eda K. Loeb Fund, 106 EDK (Evangelische Kirche Deutschlands), 112–114, 133–134, 146 Education and Religious Affairs Branch (amerikanische Militärregierung), 112 Ehrlich (geb. Sterc), Eleonora (Nora; 1. Ehefrau von Ernst Ludwig), 60, 143–144 Ehrlich, Ernst Ludwig (Lutz), 159–160 – Ansprachen/Vorträge – – Dankrede Buber-Rosenzweig Medaille, 1, 29, 59, 106–107, 123–124, 138, 139 – – Gedenkrede Rothschild, 145 – – Liestal 1999, 119 – – Loeb Lectures, 84, 106 – – Prag 2005, 149 – Aufsatzsammlungen über, 3–4 – Beziehungen zu – – Baeck, 28, 63, 68, 70–72, 99–100, 151 – – Galinski, 89 – – Levinson (Lewinski), 76 – – Luckner, 129–131 – – Rothschild, 145 – – Thieme, 127–128 – Briefwechsel mit – – Baeck, 2, 5, 60, 63, 64–66, 73–77, 80–81, 99–100 – – Geis, 98 – – Schürholz, 2, 6, 43, 60, 70, 76–78, 83, 84, 86–87, 88, 93, 95, 99, 105–106, 127–128, 143, 146 – Erinnerungen an – – von Eckert, 85 – – von Strauss, 35, 36, 43 – Erinnerungen von – – an Nachkriegszeit in Berlin, 87–88 – – an Baeck, 27–29, 63, 123–124
174
Personen- und Sachregister
– – an Baumgarten, 59 – – an Deportation Mutter, 40–41 – – an Haamel, 42 – – an Luckner, 129–131 – – an Neuanfang in Basel, 59–60 – – an Reichsprogramnacht 9./10. November 1938, 25–26 – – an Schönhaus, 46 – – an Schürholz, 40 – – an Tod seines Vaters, 23 – – an Zwangsarbeit bei D.W.M., 35 – Gespräche mit – – Battel, 46 – – König, 23, 25, 28–29, 117, 120 – – Vogel, 6, 24, 40–41, 42, 83–84, 108, 118, 143–144 – Lebensgeschichte – – Hintergrund Familie, 21–22 – – Jugend, 155–156 – – – Barmizwa, 22–23 – – – Schulzeit, 22, 24, 25, 26 – – – Studienzeit, 2, 28–29, 157 – – Kriegsjahre – – – Arbeitsunfall D.W.M., 36 – – – Einbruch Wehrmachtsdienststelle, 44 – – – Fluchtversuch in die Schweiz, 54–55 – – – Gefängnis von Schaffhausen, 55, 59 – – – Hilfe von Haamel, 42 – – – Hilfe von Schürholz, 6, 39, 41, 120, 153 – – – Hilfe von Strauss, 44 – – – in der Illegalität, 6, 39, 41, 42–44 – – – Internierung, 55, 59 – – – Postausweis, 36 – – – Rotes Kreuz, 43–44 – – – Studium Universität Basel, 59 – – – und Überbringen der Deportationsbescheide, 31–32 – – – Zwangsarbeit D.W.M., 34–35, 36 – – Nachkriegsjahre – – – Abschluss seiner Rabbinerausbildung, 73–74, 80, 82, 151–152 – – – Amerika-Pläne, 73–74, 76–77 – – – Basel, 59–61, 143–144 – – – Co-Präsidenten der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft beim Schweizerischen Katholischen Kirchenbund, 149
– – – Direktor des Europäischen B’nai B’rith, 5, 83, 143 – – – Ehrendoktorate, 149 – – – Entschädigung, 86–87 – – – Freie Universität Berlin, 84, 108, 110 – – – freier Wissenschaftler, 83–84 – – – und Hörspiel über den Warschauer Ghettoaufstand, 17 – – – International Jewish Committee for lnterreligious Consultations, 149 – – – Lehrauftrag in Freiburg, 105, 106 – – – NWDR Berlin, 83, 102 – – – Präsident der Jüdisch-RömischKatholischen Gesprächs kommission der Schweizer Bischofskonferenz, 149 – – – Prediger in Berlin, 74–75, 77 – – – Promotion und Dissertation, 83 – – – Rolle im christlich-jüdischen Dialog, 2, 5, 146–147, 152–153 – – – Rückkehr nach Berlin, 68, 86–88 – – – SDR, 98 – – – Stipendium, 99 – – – Tod, 150 – – – UNESCO, 77–78 – – – Universität Bern, 149 – – – Universität Frankfurt, 84, 143 – – – Wohnsitze, zwei, 110 – – – Zentralsekretär der Christlich-Jüdischen Arbeitsgemeinschaft der Schweiz, 83, 143 – – Nachlass von, 5–6 – – Rolle der Synagoge, 22, 25 – – Überlebungsbericht (1959), 2, 5, 7–8, 19–20, 21, 43, 143 – Meinungen über – – von Geis, 140 – – von Ramselaar, 141 – Meinungen von – – über Baecks Romantische Religion, 121–122 – – über Buber, 138 – – über christlich-jüdische Verhältnisse in der Schweiz, 119 – – über christlich-jüdischen Dialog, 116, 117– 118, 128–129, 131, 133, 139–140, 149–150
– – über Einsamkeit der Juden, 27 – – über evangelische Kirche, 146 – – über gemeinsame jüdische Basis, 135, 137 – – über Haltung deutscher Hochschullehrer, 67 – – über jüdische Haltung zu Deutschland/ Deutschen, 92–93, 95, 98 – – über katholische Kirche, 146, 153 – – über Kogon, 99 – – über Konsolidierung jüdisches Leben in Deutschland, 150 – – über Konzilserklärung, 147–148 – – über Luckner, 117–118 – – über menschliche Beziehungen zu Christen, 120 – – über Oesterreicher, 149 – – über Schuld des Überlebens, 67 – – über Schweizer Flüchtlingspolitik, 47, 55–56, 144 – – über Thieme, 127–128 – – über Unterschied Religion und Theologie, 139 – – über Versagen der Kirchen während des Nationalsozialismus, 111 – – über Versagen der Kirchen während Nationalsozialismus, 111 – – über Wiederbegegnung Christen und Juden, 135–136 – Predigten, 130, 140 – Preise/Auszeichnungen – – Buber-Rosenzweig Medaille, 29 – – Israel-Jacobson-Preis, 27 – – Leo-Baeck-Preis, 109–110 – Tagungen – – Dringlichkeitskonferenz gegen den Antisemitismus (1947), 118 – – Jewish World Congress, Paris 1950, 76 – – Konferenz Europäischer Rabbiner, Knokke 1954, 9, 158 – – World Union for Progressive Judaism, 1946, 68 – Veröffentlichungen von, 99–103 – – „Deutschland und Israel“, 125–126 – – „Die Evangelien in jüdischer Sicht“, 124 – – in Freiburger Rundbrief, 6, 117, 125–126, 135–136
Personen- und Sachregister
175
– – „Gedanken zum Buch Jona oder Die Flucht vor der Verantwortung“, 102 – – Geschichte der Juden in Deutschland, 100–101 – – Geschichte Israels im Altertum, 84 – – Geschichte Israels von den Anfängen bis zur Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.), 101 – – „Gibt es eine Holocaust-Theologie?“, 102 – – „Judenfeindschaft in Deutschland. Von der Römerherrschaft bis zum Zeitalter der Totalität“, 128 – – „Judenfeindschaft. Von der Spätantike bis zum frühen Mittelalter. Ein historischer Rückblick.“, 102 – – Kultsymbolik des Alten Testaments und des nachbiblischen Judentums, 83–84, 102 – – „Leo Baeck – Rabbiner in schwerster Zeit“, 63 – – „Leo Baeck (1873–1956). – Mein Lehrer“, 63 – – „Möglichkeiten und Grenzen des christlich-jüdischen Gesprächs“, 102 – – Nachkriegsjahre, Freiburger Rundbrief, 125–126 – – in Orientierung (Zeitschrift), 148–149 – – Studia Judaica. Forschungen zur Wissenschaft des Judentums, Herausgabe der Reihe, 102–103 – – in Theologischer Literaturzeitung, 121 – – Der Traum im Alten Testament, 99 – – Die Zehn Gebote, 98 – – „Die 10 Gebote – aktuell“, 102 – – „Zur Parallele Bar Kochba – Hitler, zusammen mit K. Thieme“, 126 Ehrlich (geb. Borkowsky), Eva (Mutter von Ernst Ludwig) – Deportation von, 40 – Ermordung von, 1 – Familie von, 21 – und Reichspogromnacht 9./10. November 1938, 25–26 – und Tod Martin, 23–24 – vorgetäuschter Selbstmord von, 35–36 – Wohnsitz von, 35
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Personen- und Sachregister
– Zwangsarbeit von, 40 Fn. 111 Ehrlich, Gerd Wilhelm, 25, 43 Ehrlich, Hugo, 75 Ehrlich, Martin (Vater von Ernst Ludwig), 2, 21, 23 Ehrlich (geb. Lüthi), Sylvia (2. Ehefrau von Ernst Ludwig), 3, 5–6 Ehrlich, Familie, 21–22 Eichmann-Prozess, 19 Emigrantenzeitungen, 13 Entnazifizierung, der Kirchen, 111–116 Entschädigung – . siehe Restitutionsansprüche/ Entschädigung Erbe, Walter, 78 „Erika Witzig-Boldt“, 60 Erinnerungen – als Lebensstigma, 15 – Zeitschriften als Forum für, 15, 16–17 Erinnerungstexte – deutsch-jüdische – – von Behrend-Rosenfeld, 10–11, 14 – – von Ehepaar Strauss, 19 – – von Ehrlich, 2, 5, 7–8, 19–20 – – von Frank, Anne, 11–12 – – Haltung zwischen Vergessen und Erinnerung und, 14–15 – – für die Jahre 1945 bis 1949, 13–14 – – von Jalowicz Simon, Marie, 20 – – Knappheit an, 18 – – von Krakauer, Ehepaar, 13–14 – – von Marx, Hugo, 14 – – von Strauss, Ehepaar, 9–10 – – in Zeitungen, 15, 16–17 – von Nationalsozialisten, 17–18 Ermordungen, systematische, von Juden, 8, 30–31 Ernst-Ludwig-Ehrlich-Masterstudiengang für Geschichte, Theorie und Praxis der Jüdisch-Christlichen Beziehungen (Frei Universität Berlin), 153 Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerk, VII, 153 Europäische Verlagsanstalt, 11 „Die Evangelien in jüdischer Sicht“ (Ehrlich), 124 Evangelische Kirche Deutschlands (EKD), 112–114, 133–134, 146
Das Evangelium als Urkunde der jüdischen Glaubensgeschichte (Baeck), 29 Faulhaber, Michael, 112 Fischer, Kurt, 41 Fischer-Bücherei, 128 Die Flucht. Jüdisches Schicksal 1940 (Marx), 14 Fluchthelfer – nichtjüdische, 19 – Religiosität von, 52–53 – (un)eigennütziges Handeln von, 52–53 – . siehe auch Fluchthilfenetzwerk; unter Namen von Helfern Fluchthilfenetzwerk – um Heckendorf, 49 – um Kaufmann, 45 – um Meier & Höfler, 10, 49–52 Fond Européen de Secours aux Etudiants, 59 Fondation Haffkine (Haffkine-Stiftung), 80–81, 82 Frank, Anne, 11–12 Frank, Hans, 18 Frank, Otto, 11–12 Franken, Ilse, 51, 53 Frankfurter Allgemeine Zeitung, 106 Frankfurter Hefte, 113 Frankreich, Deutschenhass in, 93 Freiburger Rundbrief, 2, 4, 6, 101, 117, 125– 126, 135–136 Freie Universität Berlin, 67, 84, 105, 107, 108, 110, 153 Freudenberg, Adolf, 120 Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, 93 Friedlander, Albert H., 73 Friedrich, Jean-Edouard, 53, 55 Friedrich-Wilhelms-Universität (Berlin), 122 Füllenbach, Elias, 4–5 Funk-Symposium Juden-Christen-Deutschen, 128 Fütterer, Karl, 41, 120 Galinski, Heinz, 85–86, 89, 96–97, 116 „Gedanken zum Buch Jona oder Die Flucht vor der Verantwortung“ (Ehrlich), 102 Gedenkstätte Deutscher Widerstand, 3, 6, 55
Gefängnis von Schaffhausen, 55, 59 Geiger, Abraham, 123 Geis, Robert Raphael – Briefwechsel mit – – Baeck, 92 – – Ehrlich, 98 – Gemeinderabbiner, 144, 145 – Meinungen von – – über christlich-jüdischen Dialog, 136 – – über Ehrlich, 140 – – über Goldschmidt, 140 – Preisrichter Leo-Baeck-Preis, 109 – Rolle im christlich-jüdischen Dialog, 9, 69, 137 Der Gelbe Stern. Die Judenverfolgung in Europa 1933 bis 1945 (Schoenberner), 19 Gelber Stern, 33 Gescheit, Heinrich, 28 Geschichte der Juden in Deutschland (Ehrlich), 100 Geschichte Israels im Altertum (Ehrlich), 84 Geschichte Israels von den Anfängen bis zur Zerstörung des Tempels (70 n. Chr.) (Ehrlich), 101 Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit, 132 – . siehe auch Berliner Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit; Deutscher Koordinierungsrat der Gesellschaften für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit Getto Lietzmannstadt (Łodz), 34 „Gibt es eine Holocaust-Theologie?“ (Ehrlich), 102 Goebbels, Joseph, 33 „Goethegemeinden“, 64–65 Gold, Käthe, 43 Goldschmidt, Hermann Levin, 107–108, 109, 140, 145 Göring, Hermann, 26 Fn. 72 Gottmadingen, 48, 49, 52, 54 Gross, Manfred, 28 Grossmann, Karl, 19 Grüber, Probst, 117 Grumach, Ernst, 28 Die Grundlagen einer Wirtschaftspädagogik (Schürholz), 39
Personen- und Sachregister
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Grüninger, Paul, 56–57 Grzyb, Wilhelm, 88 Guggenheim, Edwin, 102 Gutstein (geb. Arendt), Ilse, 55 Guttmann, Alexander, 73 Guttmann, Julius, 137 Guttmann, Michael, 137 Haamel, Emma, 35, 42, 87, 120, 158 Haffkine, Waldemar Mordecai Wolff, 82 Haffkine-Stiftung (Fondation Haffkine), 80–81, 82 Hamburger, Wolfgang, 29, 32, 73, 151 Harnack, Adolf von, 122 Hassgefühle, 92–93 Hebrew Union College, 63, 73, 74 Heckendorf, Franz, 49 Heidelberger Universität, 66 Heile Welt (Bergengruen), 17 Heine, Clara, 24 Heinemann, Wally, 51, 54 Hemmerling, Indra, 41 Herrmann, Ferdinand, 102 Heschel, Abraham, 73 Heuss, Theodor – Ansprachen/Vorträge, 7, 91, 100 – Begegnung mit Baeck, 63 – Briefwechsel mit, Schoeps, 92 Hilfsverein der deutschen Juden, 82 Hipp, Otto, 112 Hitler, Adolf, 33 Hitler-Jugend, 94 Hochhuth, Rolf, 98 Hochschule für die Wissenschaft des Judentums (Berlin) – . siehe Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums Hochschullehrer, 67 Höfler, Elise, 53, 55 Höfler, Josef, 42, 49, 52, 54, 55 Hollitscher-Bogićerić, Maria von, 71 Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung (Berg), 18–19 Holocaust-Theologie, 140 Homolka, Walter, 63–64, 85 Horkheimer, Max, 106–107, 109
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Personen- und Sachregister
Huber, Roland, 52 Humanitas-Verlag (Koblenz), 16 Ich stand nicht allein. Leben einer Jüdin in Deutschland 1933–1945 (Berend-Rosenfeld), 9–10 Im Angesicht des Galgens. Deutung Hitlers und seiner Zeit auf Grund eigener Erlebnisse und Erkenntnisse (Frank, H.), 18 Institut International d’Études Hébraiques, 81 Institute of Contemporary History and Wiener Library, 8 – . siehe auch Wiener Library (London) Intellektuelle, deutsche, 64–65 Interkonfessioneller Ausschuss der Berliner Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit, 127–128 International Council of Christians and Jews, 2, 68 International Jewish Committee for lnterreligious Consultations, 149 Die internationale Umschau, 17 Isaac, Jules, 119 Islamwissenschaft, 59 Israel, 125 – . siehe auch Palästina Israel, Georg K. R., 100 Israel, Georg R., 40, 86 Israel (geb. Schäfer), Erna, 40 Israel-Jacobson-Preis, 27 Israelitische Religionsgesellschaft Basel, 145 Israelitisches Wochenblatt der Schweiz, 93–94 Israelitischer Gemeindebund der Schweiz, 94 Ist das ein Mensch? (Levi), 19 Jacob, Benno, 137 Jacobs, Helene, 45 Jalowicz Simon, Marie, 20, 41 Jaspers, Karl, 66–67 Jesus von Nazareth, 122, 124, 135 Jewish Central Information Office (JCIO), 8 – . siehe auch Wiener Library (London) Jewish Institute of Religion (New York), 74, 77 Jewish Theological College (London), 82 Jewish Theological Seminary (New York), 81 Jewish World Congress, Paris 1950, 76
Johannes XXIII., Papst, 147 Joseph-Lehmann-Schule (Berlin), 26, 33 Judaica. Beiträge zum Verständnis des jüdischen Schicksals in Vergangenheit und Gegenwart, 125 Judaistik, 105–108, 110 Der Jude (Zeitschrift), 137 Juden – Nachkriegsjahre – – Anzahl, 132, 138–139 – – Beziehungen zu Deutschland, 92–96, 98 – – Entschädigung von, 96–97 – – Missionsabsichten gegenüber, 133–134 – – Rückkehr von, 96–97 – – Suizide von, 96–97 – – und die Wiedergutmachung, 86, 97 – unter dem Nationalsozialismus, 30–31 – – Beschlagnahme von Telefonen, 51 – – Deportation von, 10, 31–32, 33–34, 36, 40, 45, 46 – – und Einführung des Gelben Sterns, 33 – – Fluchtversuche in die Schweiz von, 9–10, 31 – – Helfer/Fluchthelfer, 6, 19, 39, 41, 42 – – Räumung von Wohnungen von, 35, 51 – – Suizide von, 36, 41 – – Verfolgung/Ermordung von, 8, 30–31 – – Zwangsarbeit von, 32, 33–35, 36, 40 Fn. 111, 41 – in Weimarer Republik, Missionsabsichten gegenüber, 137–138, 139 – . siehe auch christlich-jüdischer Dialog/ Zusammenarbeit; Judentum Judenfeindschaft (Thieme), 128 „Judenfeindschaft in Deutschland. Von der Römerherrschaft bis zum Zeitalter der Totalität“ (Ehrlich), 128 „Judenfeindschaft. Von der Spätantike bis zum frühen Mittelalter. Ein historischer Rückblick.“ (Ehrlich), 102 Judenmilliarde, 26 Judenmission, 139 Judenstern, 33 Judentum – Erneuerung/Konsolidierung, 150 – liberales, 85, 144–146 – . siehe auch Juden; jüdische Gemeinde Judentumskunde, 105
jüdisch-christlicher Dialog – . siehe christlich-jüdischer Dialog/ Zusammenarbeit jüdische Gemeinde – in der Schweiz, 144–145 – in Westdeutschland/Deutschland, 88, 132 – . siehe auch Judentum „Eine jüdische Jugend in Deutschland“ (Kloetzel), 12 Fn. 34 Jüdische Private Waldschule Grunewald, 24 Jüdisches Gemeindeblatt für die britische Zone (Zeitung), 16 Jüdisch-Römisch-Katholische Gesprächs kommission der Schweizer Bischofs konferenz, 149 Kahle, Lotte – . siehe Strauss (geb. Schloss, vorher Kahle), Lotte Kaiser-Friedrich-Gymnasium (Berlin), 25 Kaplan, Jacob, 120 Katholische Kirche, 42, 53, 146 – . siehe auch II. Vatikanisches Konzil Kaufmann, Eugen, 145–146 Kaufmann, Franz, 44–46 Kaufmann, Herbert, 146 Kaufmann, Margarethe, 146 Keller, Stefan, 47, 52 Keyserling, Hermann, 137 Kirche und Judentum (Studientagung), 9 Kirchen – Entnazifizierung der, 111–116 – Versagen der, während des National sozialismus, 111 – Widerstand gegen das Befreiungsgesetz, 112–116 – . siehe auch Bekennende Kirche; Evangelische Kirche Deutschlands (EKD); Katholische Kirche Klee, Hans, 94 Kloetzel, Cheskel (Hans) Zwi, 12 Fn. 34 Kogon, Eugen, 17, 99 Kolb, Annette, 151 Kollektivscham, 91–92 Kollektivschuld, 91 Kölnisches Stadtmuseum, 99 Konferenz Europäischer Rabbiner
Personen- und Sachregister
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– Knokke 1954, 9, 70, 158 – Kopenhagen 1955, 70 König, Franz, 23, 25, 28–29, 117, 120 Kornblum, Hanns, 55 Kosakowski, Maria, 71–72 Kosmala, Beate, 39, 50 Krakauer, Ines, 13–14 Krakauer, Max, 13–14 Kraus, Joachim, 137 Die Kreatur (Vierteljahresschrift), 138 Kreuz-Verlag, 98 Krummenacher, Jörg, 51 Kultsymbolik des Alten Testaments und des nachbiblischen Judentums (Ehrlich), 83–84, 101 Kuschel, Karl-Josef, 92 Ladwig-Winters, Simone, 40 Lambert Schneider Verlag, 12 Lamm, Hans, 109 Landau, Ernest, 95 Landau, Eugen, 82 Landeen, William M., 112 Landmann, Michael, 105, 110 Landsberg, R. Kurt, 24 Landsberger, Franz, 73 Launitz, Igor de, 71–72 Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums (Berlin), 28–31, 34, 80, 82, 150 Leichsenring, Jana, 42 Leipziger, Michael, 81 „Leo Baeck – Rabbiner in schwerster Zeit“ (Ehrlich), 63 „Leo Baeck (1873–1956). – Mein Lehrer“ (Ehrlich), 63 Leo Baeck-Traditionsloge (B’nai B’rith), 88 Leo-Baeck-Preis, 83, 109–110 Leschnitzer, Adolf F., 107 Lessler, Toni, 24 Lessler-Schule (Berlin), 25 Levi, Primo, 19 Levinas, Emmanuel, 15 Levinson, Nathan Peter (vorher Lewinski, Peter) – und Baeck, 88, 122, 151 – und Ehrlich, 26
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Personen- und Sachregister
– Flucht nach USA, 32 – Rabbiner in Berlin, 75–76, 77 – Studium Hebrew Union College, 73 Lévy, Louis-Germain, 81 Lewinski, Peter (später Levinson, Nathan Peter) – . siehe Levinson, Nathan Peter Lewy, Hermann, 84, 109–110 Lichter im Dunkel: Flucht und Rettung eines jüdischen Ehepaares im Dritten Reich (Krakauer, M.), 13–14 Liebesgaben, 71–72 Lipschitz, Joachim, 19, 39 Literatur, deutsche, der 1950er Jahre, 16–17 Littmann, Ellen, 109–110 Loeb, Victor, 145 Loeb Lectures, 84, 106, 107, 109 Loewy, Hilde, 25 Löwenstein de Witt, Hans-Oskar, 33, 34 Lowenthal, Ernst Gottfried, 68 Lowkowitz, Julius, 28 Lubliner, Martin, 88 Luckner, Gertrude – Erinnerungen an, von Ehrlich, 129–131 – und Freiburger Rundbrief, 125–126, 152 – Meinungen über, von Ehrlich, 117–118 – und Seelisberger Tagung, 120 Luther, Martin, 121, 123 Lutz, Carl, 56 Maas, Hermann, 69, 106 Maas-Steinhoff, Ilse, 49 Maier, Johann, 107 Maimonides, 63–64 „Maimonides, der Mann, sein Werk und seine Wirkung“ (Baeck; Vortrag), 63–64 Mamelok, Herta, 50 Manasse, Ruth, 41 Marsch, Wolf-Dieter, 128 Marx, Hugo, 14 Marx, Karl (Sohn von Hugo), 14, 15–16 Mayer, Reinhold, 122 Meier, Karl, 50 Meier, Luise, 42, 48, 49–51, 52–55 Meinecke, Friedrich, 64–66, 122 Messinger, Eugen, 69 Meyer, Michael A., 66, 68 Fn. 180, 69, 81
Missionsabsichten, gegenüber Juden, 133– 134, 137–138, 139 „Möglichkeiten und Grenzen des christlichjüdischen Gesprächs“ (Ehrlich), 102 Mommsen, Hans, 33 Monatsschrift für die Geschichte und Wissenschaft des Judentums, 122 Montagu, Lily, 75 Monumenta Judaica. 2.000 Jahre Geschichte und Kultur der Juden am Rhein, 1 Fn. 2, 99 Der Morgen (Monatsschrift), 8 Müller, Kurt, 46 Nach dem Holocaust: Juden in Deutschland 1945–1950 (Brenner), 18 Nacht (Wiesel), 19 Nathan, Johanna, 30 National Conference of Christians and Jews (NCCJ), 132 Nationalsozialismus – Juden und, 30–31 – – Beschlagnahme von Telefonen, 51 – – Deportation von, 10, 31–32, 33–34, 36, 40, 45, 46 – – und Einführung des Gelben Sterns, 33 – – Räumung von Wohnungen von, 35, 51 – – Suizide von, 36, 41 – – Verfolgung/Ermordung von, 8, 30–31 – – Zeugnisse des Lebens von, 8–10 – – Zwangsarbeit von, 32, 33–35, 36, 40 Fn. 111, 41 – Versagen von Kirchen während des, 111 Nationalzeitung (Basel), 11 NCCJ (National Conference of Christians and Jews), 132 Nehlhans, Erich, 15 Neuanfang und Rückbesinnung. Das liberale Judentum in Deutschland nach der Schoa (Homolka), 85 Neue Synagoge (Berlin), 27 Neufeld, Siegbert, 80 Niemöller, Martin, 114–115, 116, 133 Der Nihilismus im Licht einer kritischen Philosophie (Goldschmidt), 107 Nordwestdeutcher Rundfunk (NWDR), 83, 102 Noth, Martin, 101
Nothmann, Hugo, 79 NWDR (Nordwestdeutscher Rundfunk), 83, 102 Oberschule der Jüdischen Gemeinde (Moabit; Berlin), 25 Oesterreicher, John Maria, 149 OMGUS (US-Militärregierung), 112, 115 Orientierung (Zeitschrift), 147–148 Orlinsky, Harry M., 77 Ornstein, Hans, 119 Ostjuden, 23 Osttransporte, 15 Pädagogischer Verlag Schwann, 100 Palästina, 119 – . siehe auch Israel Pallière, Aimé, 139 Paris, 76, 81 Passfälscher, 45–46 Paulus, Friedrich, 43 Fn. 119 Perls, Ehepaar, 51 Persecution and Resistance under the Nazis (Katalog Wiener Library), 9 La pesanteur et la grâce (Weil), 128 Pfarrernotbund, 114 Pius XII., Papst, 111 Plaut, Walter, 73 „Polemik des Schweigens“, 122 Polen, 30–31 Pressler, Mirjam, 12 Prijs, Leo, 105 Prinz, Günther, 96–97 Quandt-Konzern, 34 Rabau, Jacques, 25 Rabbiner – Ausbildung von – – in Berlin, Lehranstalt für die Wissenschaft des Judentums (Berlin), 28–31, 34, 80 – – Errichtung eines Europäischen Seminars, 80–81 – – Hebrew Union College, 63, 73, 74 – – in London, Jewish Theological College, 82 – – in New York – – – Jewish Institute of Religion, 74, 77
Personen- und Sachregister
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– – – Jewish Theological Seminary, 81 – in Berlin, 74–76, 77 – Mangel an, 79–80 Rabbinerkonferenz – . siehe Konferenz Europäischer Rabbiner Ragaz, Leonhard, 139 Ramselaar, Antonius Cornelis, 141 Rau, Johannes, 63 Rechtfertigungstheologie, 29 Reichmann, Eva Gabriele, 8–9 Reichspogromnacht 9./10. November 1938, 25–26 Reichsvereinigung der Juden in Deutschland, 31–32, 34, 68 Rengstorf, Karl Heinrich, 110, 133 Restitutionsansprüche/Entschädigung, der Familie Ehrlich, 21, 83, 86 Rettung von Juden im nationalsozialistischen Deutschland 1933–1945 (Forschungsprojekt), 4, 39 Romantische Religion (Baeck), 120–122, 123 Rosenbaum (Sportlehrer), 28 Rosenthal, Franz, 73 Rosenzweig, Franz, 102, 137 Rotbart, Fräulein (Hebräischlehrerin), 30–31 Rotes Kreuz, 43–44 Rothschild, Lothar, 56, 145 Rousset, David, 17 Rückerstattungsgesetz, 86 Rudolph, Karin, 45 S. Fischer Verlag, 12 Safran, Alexandre, 120 Schäuble, Wolfgang, 27, 150 Schilde, Kurt, 49 Schindler, Ehepaar, 51 Schmalenbach, Herman, 138 Schmidt, Karl Ludwig, 138 Schmidt von der Launitz, Igor, 71–72 Schneider, Lambert, 138 Schocken-Verlag (Berlin), 32 Schoenberner, Gerhard, 19 Schoeps, Hans-Joachim, 92 Scholem, Gershom, 103 Schöneberg, Ludwig, 53 Schönhaus, Samson „Cioma“, 45–46 Schoppmann, Claudia, 53
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Personen- und Sachregister
Schoyer, Adolf, 88 Schrieber, Hermann, 77 Schuld des Überlebens, 67 Die Schuldfrage. Ein Beitrag zur deutschen Frage (Jaspers), 66–67 Schuldfrage, 64–67 Schulle, Diana, 34 Schulwesen, 34 Schulze, Sigmund, 64 Schürholz, Berna, 40 Schürholz, Franz – Briefwechsel mit, Ehrlich, 2, 6, 43, 60, 70, 76–78, 83, 84, 86–87, 88, 93, 95, 99, 105–106, 127–128, 143, 146 – Erinnerungen an, von Ehrlich, 40 – geehrt von Yad Vashem, 60 – Gespräche mit, Wolfson, 6, 39 – und Hilfe Ehrlich, 3, 39, 41, 120, 153 – Lebensgeschichte, 39 – Meinungen von, über Rede Buber, 93–94 – Veröffentlichungen von, Die Grundlagen einer Wirtschaftspädagogik, 39 Schürholz, Franz Hellmut, 6 Schütte, Ernst, 108 Schwarz, Max, 41 Schwarzschild, Steven, 73 die Schweiz – als Fluchtziel, 48–49 – Ausweisung geflüchteter Juden, 47, 48–49 – christlich-jüdische Beziehungen in, 119 – Flüchtlingspolitik, 47–48, 55–56, 144 – Fluchtversuche in, 9–10, 31, 53–55 – jüdische Gemeinde in, 144–145 Schweizerischer Evangelischer Kirchenbund, 149 Schwersenz, Jitzchak, 50, 52–53 SDR (Süddeutsche Rundfunk), 98, 128 Se questo e un uomo (Levi), 19 Seelisberger Tagung (1947), 118–120, 133 Selbstmord – . siehe Suizide Simon, Hermann, 20 Simon, James, 82 Slominsky, Henry, 76–77 Snell, Bruno, 95 „So Yo Are in Berlin Now“ (Kloetzel), 12 Fn. 34 Society for Jewish Study (London), 63, 79, 82
Sonne, Isaiah, 73 Spätheimkehrer, 97 Speer, Albert, 35 Der SPIEGEL, 114–115 Sportclubs, jüdische, 24 Der SS-Staat (Kogon), 17 Staewen, Gertrud, 45 Stegemann, Ekkehard W., 143–144 Der Stellvertreter (Schauspiel; Hochhuth), 98 Stempel, Clement, 44 Sterling, Eleonore, 83 Stern, Fritz, 31 Stohr, Albert, 111 Strauss, Eduard, 137 Strauss, Herbert A. – Berufliche Tätigkeiten – – als Hilfsprediger, 30 – – am Zentrum für Antisemitismusforschung (TU Berlin), 152 – Erinnerungen von – – an Ehrlich, 35, 36, 43 – – an illegalen Existenz, 37–38, 43 – – an Israel, Georg K. R., 100–101 – Fluchthilfenetzwerk Meier, 50 – Fluchtversuch in die Schweiz, 9–10, 19, 32, 54–55 – Hilfe Ehrlich, 44 – Meinungen von, über Ehrlichs Identifikation mit Baeck, 151 – Tagungen, World Union for Progressive Judaism, 69 Strauss (geb. Schloss, vorher Kahle), Lotte – Fluchthilfenetzwerk Meier, 50 – Fluchtversuch in die Schweiz, 9–10, 19, 53–54 – über Haamel, Emma, 88 – Hilfe Ehrlich, 44 – und vorgetäuschter Selbstmord von Ehrlichs Mutter, 35 Strindberg, Friedrich, 9–10 Strindberg, Utje, 10 Studia Judaica. Forschungen zur Wissenschaft des Judentums,, 102 Stuttgarter Schuldbekenntnis der EKD, 116, 119 Sylvanus, Erwin, 109 Süddeutsche Rundfunk (SDR), 98, 128
Suizide, von Juden, 36, 41, 96–97 Swarsensky, Manfred Erich, 23 Synagoge, Rolle in Ehrlichs Leben, 22, 25 Tachles (Schweizer Magazin), 49 Das Tagebuch der Anne Frank (Frank), 11–12 Taubes, Chaim, 119 Taubes, Jacob, 107, 108 Täubler, Eugen, 28, 73 Technische Universität Berlin, 4, 39, 152 Theodor Heuss, die Schoah, das Judentum, Israel. Ein Versuch (Kuschel), 92 Theologische Literaturzeitung, 121 Theologische Realenzyklopädie (Wahle), 5 Thesen von Seelisberg (1947), 118–120, 133 Thieme, Karl Otto, 17, 102, 125–129, 134–135, 152 Thimme, Annelise, 65 Thoma, Clemens, 102 Tiburtius, Joachim, 89 Times Literary Supplement, 65 Tradition und Erneuerung (Zeitschrift), 145 Der Traum im Alten Testament (Ehrlich), 99 Tschudi, Rudolf, 59 Über dem Abgrund (Strauss, A.), 10 Über den grünen Hügel (Strauss, L.), 10 Überlebende, Begriff, 2–3 Udet, Ernst, 44 Die unbesungenen Helden (Grossmann), 19 Under jorden i Berlin (Underground in Berlin; Strindberg, 9 UNESCO, 77–78 Union progressiver Juden in Deutschland, 27 Universität Frankfurt, 84, 106, 108, 109, 143 – . siehe auch Loeb Lectures Universität Hamburg, 95 Universität Heidelberg, 105, 106 Universität München, 105 Universitäten – Bankrott der, 64 – Wissenschaft vom Judentum an, 105–108, 110 Untergetaucht. Eine junge Frau überlebt in Berlin 1940–1945 (Jalowicz Simon), 20 Ursprung und Anfänge der Kabbala (Scholem), 103 US-Militärregierung (OMGUS), 115
Personen- und Sachregister
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Veltheim-Ostrau, Hans-Hasso, 71–72 Verein der Freunde Israels (Basel), 125 Vereinigung für Religiös-Liberales Judentum in der Schweiz, 107, 145 Verfemt und Verfolgt. Erlebnisse einer Jüdin in Nazi-Deutschland (Berend-Rosenfeld), 9–10 Verfolgungsgeschichte, 9–13 Verlag Alfred Töpelmann, 99 Verlag Allgemeine Jüdische Wochenzeitung, 14 Verlag Frankfurter Hefte, 17 Verlag Kreuz, 98 Verlag Walter de Gruyter, 99, 101, 102 Vogel, Rolf, 6, 24, 40–41, 42, 83–84, 108, 118, 143–144 Von Hiob zu Horkheimer. Gesammelte Schriften zum Judentum und seiner Umwelt von Ernst Ludwig Ehrlich (Homolka & Barniske), 3–4 Vorwalder, Willy, 53 Walz, Hans, 71–72 Warburg, Max M., 82 Warschauer Ghettoaufstand, 17 Was uns trennt, ist die Geschichte. Ernst Ludwig Ehrlich – Vermittler zwischen Juden und Christen (Heinz & Henrix), 3–4 Der Weg. Zeitschrift für Fragen des Judentums, 15 Weil, Simone, 128 Weiler Wolf, Agnes M., 14–15 Weimarer Republik – Beziehungen, christlich-jüdische, 137–138, 139 – . siehe auch Westdeutschland/Deutschland Weinberg, Wilhelm, 80 Weizsäcker, Victor von, 138 Welczek, Gräfin, 44 Das Wesen des Christentums (Harnack), 122 Das Wesen des Judentums (Baeck), 122 Westdeutschland/Deutschland, 18 – Beziehungen – – christlich-jüdische, 4–5, 89, 131–136 – – zu Israel, 125 – – zu Juden, 92–96, 98 – Drittes Reich im kollektiven Gedächtnis, 7
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Personen- und Sachregister
– Juden in – – Erinnerungstexte von, 9–13 – – Haltung zu Deutschland, 92–96 – – Rückkehr von, 96–97 – – Unsicherheit der Existenz von, 96–97 – – und die Wiedergutmachung, 86, 97 – Judentum in – – jüdische Gemeinde in, 88, 132 – – liberal, 85 – – Mangel an Rabbiner, 79–80 – – orthodox, 85 – Konsolidierung jüdischen Lebens in, 150 – und der Sinn für Demokratie, 91, 94 – Spätheimkehrer, 97 – . siehe auch Weimarer Republik Widerstandsbewegung, jüdischkommunistische, 25 Wiedergutmachung, 86, 97 Wiener, Alfred, 8, 9 Wiener, Max, 137 Wiener Library Eyewitness Accounts, 7–9, 18, 19 Wiener Library (London), 2, 5, 7–8, 14, 50 Wiese, Leopold von, 39 Wiesel, Elie, 19 Wilhelm, Kurt, 107, 108 Wise, Stephen S., 73–74 Wissenschaft des Judentums, 105–108, 110 Wittig, Joseph, 138 „Wo es hell ist, dort ist die Schweiz“. Flüchtlinge und Fluchthilfe an der Schaffhauser Grenze zur Zeit des Nationalsozialismus (Battel), 3 Wolff, Ilse R., 9 Wolff, Jeanette, 89, 110 Wolfson, Manfred, 6, 39 World Union for Progressive Judaism (WUPJ) – Baecks Tätigkeiten für, 63 – und Ehrlich, 152 – und Institut International d‘Études Hébraiques, 81 – Meinungen über, von Baeck, 69–70
– Tagungen – – London 1946, 68–69 – – London 1949, 69 – – London 1951, 70, 86, 89 – und Vereinigung für Religiös-Liberales Judentum, 145 WUPJ – . siehe World Union for Progressive Judaism Wurm, Theophil, 112–113, 115–116 Yad Vashem, 53, 60 Zaoui, André, 81 „Die 10 Gebote – aktuell“ (Ehrlich), 102 Die Zehn Gebote (Rundfunksendung; Ehrlich), 98 Zeitschriften, als Forum für Erinnerungen, 15, 16–17 Zeitungen – deutsch-jüdische Erinnerungstexte in, 15, 16–17 – jüdische politische, 15–16 – und nichtjüdische Publizisten, 17 – . siehe auch Emigrantenzeitungen; unter Namen von Zeitungen Zentralrat der Juden in Deutschland, 109 Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland, 109 Zentrum für Antisemitismusforschung (TU Berlin), 4, 39, 152 Zentrumspartei, 41–42 Zietlow, Carl F., 132 Zionistische Bewegung, Entwicklung der, 64 „Zur Parallele Bar Kochba – Hitler, zusammen mit K. Thieme“ (Ehrlich), 126 Zwangsarbeit – von Ehrlich, Ernst Ludwig, 34–35, 36 – von Ehrlich, Eva, 40 Fn. 111 – von Juden, 32, 33–35, 41 II. Vatikanisches Konzil, Konzilserklärung, 10, 108, 146 Zwischen den Zeiten. Jüdisches Leben – Jüdisches Wissen (Zeitschrift), 16 Zyl, Werner van der, 82