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German Pages 217 [220] Year 2008
Ariane Bentner / Marie Krenzin (Hg.)
Erfolgsfaktor Intuition Systemisches Coaching von Führungskräften
Mit 30 Abbildungen und einer Tabelle
Vandenhoeck & Ruprecht
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-40323-5
© 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen. Internet: www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz: Barbara Brendel, Leipzig Druck & Bindung: l Hubert & Co, Göttingen
Inhalt
Ariane Bentner und Marie Krenzin Coaching zwischen Seelentrost und Strategie-Beratung? Zur Einleitung ..............................................................................
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Marie Krenzin Braucht der flexible Mensch einen Coach? Oder muss er auf die Couch? .....................................................
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Marie Krenzin »Dass wir etwas wissen, ohne zu wissen, warum ...«. Intuition im Coaching ................................................................
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Molly von Oertzen Führen Erstgeborene anders? Geschwisterposition und Führungsverhalten ......................................................................
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Ariane Bentner Coaching als Lernformat für Führungskräfte. Systemische und lösungsfokussierte Perspektiven für die Einzelberatung ................................................................. 105 Marie Krenzin »… und diese positive Sicht – danach bin ich süchtig«. Was erleben Führungskräfte im Coaching? ............................. 151 Ariane Bentner und Marie Krenzin Team- und Leitungs-Coaching mit der Methode der systemischen Strukturaufstellungen ......................................... 189 Literatur ........................................................................................ 211 Die Autorinnen ............................................................................ 216
Ariane Bentner und Marie Krenzin
Coaching zwischen Seelentrost und Strategie-Beratung? Zur Einleitung
Der amerikanische Kultursoziologe Richard Sennett (1998; 2005) hat in seinen Werken die dramatischen Veränderungsprozesse, denen wir im Zuge der turbulenten Entwicklung fortschreitender Modernisierung und Globalisierung seit über dreißig Jahren unterliegen, sehr eindringlich beschrieben. Charakteristisch sind aus seiner Sicht ein fundamentaler struktureller Wandel in den Produktionstechnologien und ihre unmittelbaren Auswirkungen auf Führungskräfte und Teams gleichermaßen. Unsere These ist, dass sich dieser Wandel – wenn auch langsamer – auf alle anderen Bereiche der Gesellschaft ausgedehnt hat und heute keine Organisation mehr überleben kann, die sich gegen die Veränderung stemmt. Oder anders gesagt: Es gehört zunehmend zu den Skills von Führungskräften, Teams und anderen Menschen, Veränderung als Phänomen zur Kenntnis zu nehmen und mit ihr umzugehen, auch wenn dieser Umgang häufig unangenehm und sogar schmerzlich erscheinen mag – und es auch ist – und viele individuelle Verwerfungen nach sich zieht. Was hat sich genau verändert? Bis in die 1970er Jahre hinein war nach Sennett (2005) die Unternehmenswelt überschaubar strukturiert: Konzerne und Firmen glichen ebenso wie Behörden und Krankenhäuser von ihrer Struktur her im Prinzip Pyramiden, die streng hierarchisch aufgebaut und im Sinne Max Webers bürokratisch und unpersönlich geführt wurden. Führungskräfte führten über das militärische Prinzip von Befehl und Gehorsam, delegierten nach dem Anweisungsprinzip und erwar-
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teten dafür Loyalität und Dienstfertigkeit ihrer Untergebenen. Manche tun das heute noch. Der einzelne Mitarbeiter war im Prinzip austauschbar und es war ausreichend, wenn er seine Funktion im Unternehmen erfüllte. Jeder kannte seinen Platz in diesem »stahlharten« Gefüge, konnte aber schwer daraus ausbrechen (Sennett, 2008). Etwa Mitte der 1970er Jahre beginnen sich für die Unternehmen im Zuge einer Welle von Produktionsverlagerungen (nicht nur, aber auch) ins günstigere Ausland diese harten Strukturen zwangsweise zu verflüssigen: Neue Technologien halten Einzug in die Produktionsstätten und mit ihnen kommen erstmals Fremdkapital (Venture Capital, Private Equity) und neue Management-Methoden ins Haus. Vorreiter ist hier wie so oft die Automobilindustrie, die beginnt, die tayloristisch-fordistische Fließbandproduktion in der Fabrik auszutauschen gegen eine Auslagerung von hoch spezialisierten Produktionseinheiten, die nun als Zuliefererbetriebe in aller Welt die Mutterkonzerne mit Einzelteilen bzw. ganzen Produkten (wie Steuerräder, Bremssystemen, Lichtanlagen usw.) zu versorgen haben. Dabei werden diese ursprünglich zum Mutterkonzern gehörenden Zulieferer(-töchter) unter massiven Zeit-, Qualitäts- und Kostendruck gesetzt. Solchen Anforderungen kann nicht mehr mit statischen Ablaufprozessen und Dienst nach Vorschrift genügt werden, sondern nur durch hochgradige Flexibilität aller Beteiligten. Starre Hierarchien werden teilweise durch kleine‚ selbstverantwortlich arbeitende Teams und Gruppen abgelöst, die unter hohem Arbeitsdruck stehen und gemeinsam Ergebnisse erzielen müssen. Der Druck auf den Einzelnen, der sich auch in einem gewandelten Verständnis des Zeitbegriffs zeigt, steigt immens. Hinzu kommt eine engmaschige Überwachung der gesamten Produktionsprozesse – einschließlich der Arbeitenden – durch den Einsatz moderner Kommunikationsmittel. Es entstehen global agierende Unternehmen mit unübersichtlichen Strukturen und prinzipiell flacheren Hierarchien, die von Führungskräften und Teams gleichermaßen eine hohe Flexibilität erwarten und einfordern. Die heutige Arbeitswelt erfordert den flexiblen Menschen, der zu fast allem bereit ist: unbegrenzte
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Leistungsbereitschaft, Arbeitszeiten und Engagement für das Unternehmen, unternehmerisches Mitdenken, Mehrsprachigkeit und interkulturelle Sensibilität, mobil und jederzeit zum beruflich bedingten Wohnortwechsel bereit. Der flexible Mensch ist vom Prototyp her Single und einsam, denn eine Familie kann er sich bei diesen Anforderungen kaum leisten. Außerdem nimmt die Unsicherheit des Arbeitsverhältnisses zu und das frühere Modell lebenslanger Zugehörigkeit zu einer Organisation wird immer mehr zur Ausnahmeerscheinung. Traditionelle europäische Tugenden und Werte wie Bindungen, Treue und Verantwortungsbewusstsein stehen den neuen Anforderungen im Wege und stören, weshalb zum Beispiel ältere Arbeitnehmer und Führungskräfte bis vor kurzem tendenziell immer früher aus dem Arbeitsprozess ausgesteuert wurden und Frauen sich langfristig für Karriere oder Familie entscheiden mussten. Sennett (2008) spricht vom Einzug des »mp3-capitalism«, der Beliebigkeit und Schnelligkeit als Maxime hat. Anders als früher kommt es nicht mehr so sehr darauf an, dass ein Mensch eine bestimmte handwerkliche oder berufliche Fähigkeit entwickeln kann und diese dann gut beherrscht (das sog. Craftmanship). Was im Zuge der Globalisierung gebraucht wird, ist vielmehr die Fähigkeit, sich ständig auf neue Gegebenheiten flexibel einstellen und mit Komplexität und Unübersichtlichkeit umgehen zu können. Genau diese Fähigkeit scheint es auch zu sein, die Menschen früher oder später an ihre Grenzen bringt. Angst, Unsicherheit und Hilflosigkeit sowie instabile Beziehungen und daraus folgende psychische Erkrankungen nehmen zu. Im professionellen Kontext hat die Nachfrage nach qualifizierter Beratung und Begleitung parallel dazu zugenommen und wird vermutlich noch weiter zunehmen. Coaching als Beratungsformat wurde seit Anfang der 1990er Jahre zuerst für Leistungssportler, dann aber schnell auch für Führungskräfte und mittlerweile auch für Teams zum Begleitprogramm vor allem in Sachen Flexibilität. Coaching ist eine Institution geworden, in der erschöpfte Führungskräfte einen Boxenstopp einlegen und überlegen können, wie es weitergehen kann. Der Coach ist mal Seelentröster, mal Strategieberater und manchmal auch Ersatz
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für verlorengegangene soziale Beziehungen. Und Coaching ist zum (heimlichen) Fortbildungsprogramm für Führungskräfte geworden, die zunehmend an sich selbst, ihrer Persönlichkeit, ihren Soft Skills in einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess arbeiten sollen. Von diesen Prozessen handelt unser Buch. Auch wenn der Veränderungswind der Flexibilisierung nicht alle Unternehmen, Behörden, Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser gleichermaßen und in der gleichen Windstärke durchrüttelt und das Veränderungstempo bei den einen noch etwas gemächlicher daherkommt als bei den anderen: Wir können nicht umhin, zur Kenntnis zu nehmen, dass wir offenbar im Zeitalter der schnellen Veränderung leben und unser Leben von diesen Prozessen getrieben wird. Wir wissen, dass menschliche Systeme nicht ohne Not Veränderungsprozessen zustimmen und dass diese Prozesse für manche Organisationen besonders langwierig und schwer sein können (vgl. Bentner, 2007). Coaching könnte in diesem Zusammenhang auf der Mikroebene ein sozialer Baustein zur Begleitung von Menschen in Veränderungsprozessen sein. Hierbei kann Intuition – auch als emotionale Intelligenz bekannt – eine zentrale Funktion übernehmen. In den vergangenen Jahren wurde Intuition zunehmend zum Forschungsgegenstand. Verschiedene Studien haben gezeigt, dass Intuition eine wichtige Rolle in Entscheidungssituationen spielen kann (Gigerenzer, 2007; Ruthenbeck, 2004) und dass es oftmals besser ist, intuitiv auf sein Bauchgefühl zu hören, anstatt sich zu lange mit Gedanken zu befassen. In Beratungsprozessen konnte gezeigt werden, dass Intuition auch eine wichtige Kompetenz für Beratende darstellt (Hänsel, 2002), die darüber hinaus auch erlernbar und trainierbar ist (Zeuch, 2004). Weiterhin haben Studien gezeigt, dass gerade für Führungskräfte Intuition bei der Planung, Entscheidung und Problemlösung eine wichtige Rolle spielen kann. Somit hat Intuition in wirtschaftlichen und organisationellen Kontexten eine Relevanz, da intuitives Vorgehen eine Ergänzung zu rein bewusst-rationalem Vorgehen darstellen und für den flexiblen Menschen quasi einen Kompass im Meer der Unübersichtlichkeit bilden kann. Es hat sich gezeigt, dass intuitive berufliche Handlungen
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sogar effektiver und effizienter sind als rein rationales Vorgehen (Agor, 1989/1994). Wir haben daher verschiedene Facetten des Coaching als moderner Beratungsform beleuchtet, um mehr darüber zu erfahren, was Intuition im Coaching genau bedeutet, welche Aspekte dabei wichtig sind, welche Methoden und Konzepte von den gecoachten Führungskräften als hilfreich und nützlich erlebt werden und welche vielleicht weniger. Weiterhin interessierte uns, was genau der Outcome für Kunden im Coaching ist, was sie dort erleben und inwieweit dieses Erleben hilfreich sein kann für die Bewältigung ihres komplexen Arbeitsalltags. Dazu hat Marie Krenzin im Rahmen ihrer Diplomarbeit eine empirische Untersuchung vorgelegt, in der sie 25 Führungskräfte zu ihrem Erleben im Coaching befragt hat. In ihrem Beitrag »Braucht der flexible Mensch einen Coach? Oder muss er auf die Couch?« geht es um die Abgrenzung zwischen Coaching und Psychotherapie, aber auch um die Gemeinsamkeiten. Dabei richtet sich der Fokus auf das Einzel-Coaching mit einem externen Coach. Weiterhin wird der Frage nachgegangen, welche Anforderungen inzwischen Coachs, Klienten und Unternehmen erfüllen müssen, vor allem im Hinblick auf den Coaching-Erfolg. Dazu werden aktuelle Studien vorgestellt und aufgezeigt, welche Faktoren ein Coaching erfolgreich machen und welche eher hinderlich erscheinen. Im nächsten Beitrag von Marie Krenzin mit dem Titel »›Dass wir etwas wissen, ohne zu wissen, warum ...‹. Intuition im Coaching« wird das weite Feld der Intuition beleuchtet. Ausgehend von der Frage, was Intuition überhaupt ist und in welchen Formen sie sich äußern kann, geht sie auf die unterschiedlichen Funktionen der Intuition ein und stellt in einem Streifzug durch die weite Forschungslandschaft einige zentrale Forschungsergebnisse zur Intuition dar. Ausgehend von Theorien und Konzepten zur Intuition wird die Wichtigkeit der intuitiven Kompetenz im Berufsalltag von Führungskräften betont. Marie Krenzin zeigt, welche Möglichkeiten die systemische Beratung für intuitive Prozesse bietet und wie bedeutend die Intuition als Arbeitsinstrument im Coaching sein kann.
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Molly von Oertzen geht der Frage nach, ob Erstgeborene anders führen. Dabei beschäftigt sie die biografische Frage nach dem Zusammenhang von Geschwisterposition und Führungsverhalten bei Leitungskräften. Nach einem kurzen Überblick über den bisherigen Stand der Forschung zur Geschwisterposition und den Zusammenhang zwischen der Geschwisterposition und dem Führungsverhalten stellt sie eine eigene Studie zu diesem Thema vor. Hierbei geht sie unter anderem der Frage nach, ob Erstgeborene oder Nesthäkchen häufiger in Führungspositionen anzutreffen sind und speziell ob es im Erleben der Leitungskräfte Unterschiede gibt. Von besonderem Interesse ist auch der subjektiv erlebte Zusammenhang zwischen Erlebnissen und Erfahrungen aus der Rolle als Erstgeborenes, mittleres Kind oder Nesthäkchen und dem eigenen Führungsverhalten. Zu guter Letzt wird die Bedeutung der Frage nach der Geschwisterposition für den Coaching-Prozess diskutiert. Ariane Bentner nimmt die eingangs gestellte Frage auf, was Führungskräfte vor dem Hintergrund der von ihnen verlangten zunehmenden Flexibilisierung im Coaching genau lernen können. Sie stellt die Hypothese auf, dass Coaching im Zeitalter schneller Veränderungen einen Lernprozess für Führungskräfte und Coachs gleichermaßen darstellt, weil der Coach heute nicht mehr mit starren Tools auf seinen Kunden losgehen kann, sondern, wenn er seriös arbeitet, seinerseits eine gewisse Rüst- und Lernzeit benötigt, um Anliegen, Aufträge und Hintergründe seines Klienten hinreichend verstanden zu haben, damit der Prozess fruchtbar verlaufen kann. Jeder Coach hat andere Stärken, Erfahrungen und Skills, aber auch Schwächen, Nicht-Erfahrungen und unter Umständen Verständnisprobleme, mit denen es umzugehen gilt. Anhand von vier ganz unterschiedlichen Fallbeispielen aus ihrer Beratungspraxis als Coach stellt sie charakteristische Problemlagen von Führungskräften aus der Welt des öffentlichen Sektors, der Wissensorganisationen, der Non-ProfitOrganisationen und einem typischen Global Player vor und zeichnet die Entwicklungsprozesse von Coachee und Coach nach. Dabei werden die angebotenen und angewendeten Methoden und Konzepte aus der systemischen und lösungsfokussierten Beratung vorgestellt und ihre Auswirkungen auf die Coachees
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analysiert. Ein grundlegendes Problem von Coachs kann sein, dass ihr oder ihm im Nachhinein noch gute Ideen, Intuitionen oder Impulse einfallen, die dem Handlungsdruck der CoachingPraxis in der aktuellen Sitzung zum Opfer und insofern dem Vergessen anheim gefallen sind. Wie Coachs damit umgehen können, dieses Phänomen als Ressource zu nutzen, zeigt der Beitrag von Ariane Bentner ebenfalls. Im Beitrag »›… und diese positive Sicht – danach bin ich süchtig‹. Was erleben Führungskräfte im Coaching?« von Marie Krenzin geht es um die Ergebnisse der empirischen Befragung von Führungskräften zu ihren Erfahrungen im Coaching. Hierzu wurde ein Interviewleitfaden entwickelt, um intuitive Prozesse im Coaching genauer zu erfassen. Ohne allzu viel vorwegnehmen zu wollen, lässt sich an dieser Stelle schon sagen, dass der Einfluss intuitiver Ereignisse im Coaching als Ressource für das Finden von Lösungen nicht unterschätzt werden sollte. Wie man eine Führungskraft und ihr Team in einem Veränderungsprozess mit methodisch ganz anderen und spannenden Mitteln begleiten kann, darum geht es im letzten Beitrag von Ariane Bentner und Marie Krenzin »Team- und LeitungsCoaching mit der Methode der systemischen Strukturaufstellungen«. Wir haben ein kleines Team in einer zentralen Phase seines Umstrukturierungsprozesses ein Stück begleiten dürfen und konnten den Prozess gut dokumentieren. Nach einem Überblick über die Geschichte und Methodik der systemischen Aufstellungsarbeit zeigen wir den Ablauf des von uns moderierten Team-Workshops mit Hilfe einer speziell für Teams entwickelten Form der systemischen Strukturaufstellungsarbeit. Anliegen, Prozess, Resonanz und Ausgang des Workshops werden transparent nachgezeichnet und von uns kommentiert. Dieser TeamWorkshop zeigt sehr anschaulich, wie intuitive Prozesse in der Beratungspraxis verlaufen können.
Marie Krenzin
Braucht der flexible Mensch einen Coach? Oder muss er auf die Couch?
Coaching als professionelle Beratungsdisziplin für Einzelpersonen und neuerdings auch für Teams hat sich seit den 1990er Jahren zunehmend verbreitet und popularisiert. Die Hauptzielgruppen von Coaching in Unternehmen sind nach wie vor das mittlere und obere Management. Der Non-Profit-Sektor hat unterdessen ebenfalls den Coaching-Boom für seine Führungskräfte entdeckt und sein Topmanagement zeigt weniger Berührungsängste mit Coaching, als dies in der Wirtschaft der Fall ist (vgl. hierzu den Artikel von Bentner in diesem Band). Mittlerweile erhalten auch arbeitslose Menschen von den Arbeitsagenturen Gutscheine für Coaching-Beratung bei renommierten Unternehmensberatungen. Über 200 Coachs arbeiten beispielsweise mittlerweile bundesweit im Projekt »Coaching für Arbeit« ehrenamtlich mit (wie auch die Autorin selbst). Es hat sich schnell gezeigt, dass gezieltes Coaching arbeitsloser Menschen die Chancen zum beruflichen Wiedereinstieg signifikant verbessern kann. Die enorme Nachfrage nach dieser besonderen Form der Einzelberatung ist kein Zufall, sondern kann von der gesellschaftlichen Entwicklung her in Zusammenhang gesehen werden, etwa mit den gestiegenen Anforderungen an qualifiziert berufstätige Menschen, die Leistung erbringen wollen, sollen oder müssen und die von Richard Sennett als »flexibler Mensch« charakterisiert werden. Dem flexiblen Menschen im alten Europa werden zunehmend Skills abverlangt, die ihn auch in jungen Jahren schnell an seine Grenzen bringen können: Er soll hochqualifiziert sein und gleichzeitig wenig kosten, er soll möglichst mobil sein und gleichzeitig familiär gebunden, er soll möglichst jung
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und belastbar sein und dabei möglichst viel Erfahrung und Reife mitbringen, um den zunehmenden Verdichtungen und gestiegenen Anforderungen der Arbeitswelt möglichst gut entsprechen zu können. Die Reihe der paradoxen Gegensatzpaare ließe sich beliebig fortführen. Es versteht sich von selbst, dass der solchermaßen flexible Mensch diese Themen ins Coaching mitbringt und sie dort zu verarbeiten versucht. Dabei verschwimmen zwangsläufig die Grenzen zwischen Coaching und anderen, persönlicheren Beratungsformen wie etwa der Psychotherapie, wenn nämlich die eingebrachten Anliegen der Coachees an deren persönliche Grenzen gehen. Um diese Grenzen geht es in diesem Beitrag. Ich möchte am Beispiel einer Fallstudie aus meiner Praxis zeigen, wie leicht die Grenzen zwischen Psychotherapie und Coaching sich zum Beispiel durch das Eintreten krisenhafter Ereignisse verflüssigen können und wie ein Coach damit umgehen kann. Im Anschluss zeige ich einige Befunde aus der Wirksamkeitsforschung von Coaching und Psychotherapie und versuche, eine theoretische Abgrenzung zwischen den beiden Beratungsdisziplinen zu finden.
Fallbeispiel Frau Schneider Frau Schneider, eine junge Frau von 27 Jahren, erhält als hochqualifizierte Akademikerin von der Arbeitsagentur einen Beratungsgutschein. Frau Schneider kommt zu fünf Sitzungen zu mir ins Coaching. Sie ist studierte Diplom-Gesundheitswissenschaftlerin, hat aber aufgrund der Geburt ihrer Kinder noch nicht in ihrem Beruf gearbeitet. Nach ihrem Realschulabschluss hatte sie zunächst eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen und nach wenigen Wochen wieder abgebrochen. Daraufhin hatte sie in einem Altenheim gearbeitet und parallel zu dieser Arbeit ihr Fachabitur nachgeholt, um studieren zu können. Frau Schneiders Anliegen im Coaching ist es, herauszufinden und sich bewusst zu werden, welche Stärken, Schwächen und
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verdeckten Fähigkeiten sie hat. Darauf aufbauend wünscht sie sich Ideen für neue berufliche Möglichkeiten und Orientierungshilfe. In ihrem studierten Beruf möchte sie momentan nicht arbeiten, sie wünscht sich vielmehr eine kreative und sinnstiftende Tätigkeit. Frau Schneider ist eine junge und sehr offen wirkende Frau. Sie ist alleinerziehende Mutter von zwei Kindern und hat sich erst kürzlich von ihrem Mann getrennt, was ihr emotional sehr zu schaffen macht. Der Umzug in eine neue Umgebung und der Druck, eine geeignete Teilzeitstelle zu finden, sind weitere Anlässe, das Coaching in Anspruch zu nehmen. Frau Schneider zeigt sich mir von Anfang an als hochgradig flexibler Mensch, der versucht, eine qualifizierte Ausbildung mit einem gelungenen Berufseinstieg in einen qualifizierten Beruf, für den es wenig Nachfrage gibt, zu verbinden und dabei noch eine gute alleinerziehende Mutter zu sein. Außerdem möchte sie auch noch ihre frische Trennung und Scheidung bestmöglich emotional bewältigen. Die Klientin strebt also die Quadratur mehrerer Kreise an ... Schon während der ersten Sitzung legen sich erste Schatten auf diese ambitionierten Vorhaben. Es wird deutlich, dass Frau Schneider aufgrund ihrer bisherigen Lebenserfahrungen eine eher negative Einstellung hinsichtlich ihrer sozialen Umgebung und ihres Umfeldes entwickelt hat. Dies zeigte sich beispielsweise in der Beschreibung eines Gespräches mit der Erzieherin ihres Sohnes, in dem sie sich angegriffen fühlte und der Erzieherin schlechte Absichten unterstellte. Auf meine Nachfrage, ob man dieselbe Gesprächssituation auch ganz »anders« verstehen könne, nickte sie erleichtert. Daraufhin frage ich Frau Schneider, ob sie nicht ab und zu einmal die rosarote Brille aufsetzen und beobachten möchte, ob die positive Wahrnehmung einen Unterschied für sie mache oder nicht. Diesen Vorschlag konnte Frau Schneider annehmen und sie wollte die Brille einmal ausprobieren. Die Klientin erzählt im Coaching sehr freimütig über ihren familiären Hintergrund und aufgrund ihrer Fähigkeit, sich selbst sehr gut zu reflektieren, äußert sie, dass ihr biografischer Hintergrund ihr sehr zu schaffen mache und sich unmerklich auf viele Bereiche ihres Lebens auswirke.
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Frau Schneider ist die Älteste von drei Geschwistern, zu denen sie jedoch keinen Kontakt mehr hat und auch keinen möchte. Schon im jungen Alter von acht Jahren hat sie die Verantwortung für ihre jüngere Schwester übernehmen müssen, da die Mutter arbeiten gehen musste. Zu Hause übernahm sie regelrecht die Mutterrolle, da ihre Mutter psychisch erkrankt war und vielen Haushaltsaufgaben nicht nachkommen konnte. Durch die Scheidung ihrer Mutter und einen neuen Stiefvater in der Familie, mit dem sie sich nicht verstand, zog die Klientin im Alter von 18 Jahren von zu Hause aus. In dieser Zeit hat sie ihrer Meinung nach viel gelernt und sich selbst bestärkt, trotz dass sie ihre Familie so unglücklich in Erinnerung hat. Mit 22 Jahren wurde sie zum ersten Mal Mutter und drei Jahre später kam ihr zweites Kind zur Welt. In dieser Zeit absolvierte Frau Schneider nebenbei auch ihr Studium. Der Traum von einer eigenen Familie hat sie stets begleitet und auch erfüllt, bis es zur Trennung kam. Hier zeigen sich bereits erste Gratwanderungen zwischen Coaching-Themen und Themen, die womöglich besser in einer Therapie bearbeitet würden. Während der Sitzungen, in denen zwar ihre berufliche Orientierung und Möglichkeiten weiterer Qualifizierungsmaßnahmen im Mittelpunkt standen, zeigten sich immer wieder Überschneidungen aus ihrer Vergangenheit, die in ihre heutigen Anliegen hineinregieren. Frau Schneider berichtete mir von Situationen, in denen sie ihrer Meinung nach emotional überreagieren und es einfach nicht mehr schaffen würde. Die Trennung von ihrem Mann und letztlich der Scheidungstermin waren seelisch einschneidende Erlebnisse, die sie mit in die Coaching-Sitzung brachte. Sie wünschte sich dort Anregungen und Ideen, wie sie diese Situation besser bewältigen könne. Daraufhin versuchte ich im Coaching-Prozess häufiger, den Fokus von Frau Schneider auf ihren persönlichen Bereich zu lenken, wo sie mit ihren negativen Gedanken und Einstellungen der Umwelt gegenüber immer wieder auf Hindernisse und negatives Feedback stieß und sich dort bessere Coping-Strategien von mir wünschte. Ein plötzlicher Ohnmachtsanfall und ein darauffolgender Krankenhausaufenthalt erschütterten sie so sehr, dass ich der Klientin die Hausaufgabe mitgab, sich erstmals eine Auszeit in Form von
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»Urlaub« bezüglich zukünftiger beruflicher Ideen und Möglichkeiten zu erlauben. Auch dieser Zusammenbruch wäre aus meiner Sicht eine klare Indikation für eine Psychotherapie. Die Idee einer Auszeit bewirkte bei Frau Schneider eine große Erleichterung und den Wunsch nach mehr »Urlaub«. Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem grenzgängigen Coaching-Prozess war der verbesserte Umgang mit Reaktionen aus ihrer Umwelt, da sie täglich den Druck spürte, sich für ihre aktuelle Situation als alleinerziehende, arbeitssuchende Mutter rechtfertigen zu müssen. Damit einher ging die Nicht-Würdigung, Nicht-Anerkennung und Nicht-Entlohnung ihrer täglichen Arbeit als Mutter und Hausfrau. Im Coaching-Prozess erarbeiteten wir langsam die Stärken und Schwächen von Frau Schneider und schauten, wo und wie sie geeignet im beruflichen Kontext einzusetzen sein könnten. Frau Schneider konnte dabei für sich erkennen, dass sie eine Arbeit mit Fakten und Projekten sucht, d. h., dass sie Anerkennung für das erhalten möchte, was sie selbst gemacht und vollbracht hat. Besonders hilfreich im Coaching war die Bearbeitung des Themas »Entspannung und Erholung«, da Frau Schneider hochmotiviert und leistungsorientiert ist und sich bisher wenig Zeit für sich selbst genommen hatte. Positiv anzumerken ist, dass Frau Schneider sich in ihrer Einstellung und in ihrem Verhalten verändert hat. Sie sieht jetzt viele Situationen positiver, ist dadurch motivierter und erhält wie durch ein Wunder jetzt auch mehr positives Feedback von ihrem Umfeld. In der Abschlusssitzung wirkt Frau Schneider sehr emotional bedrückt und beschreibt ihre aktuelle Situation als schlimm und ohne Ausweg. Den Scheidungstermin empfand sie als sehr belastend und sie könne sich auch emotional noch nicht ganz davon distanzieren. Ihre eigene Unzufriedenheit und Unlust übertrage sie dann auf ihre Kinder, die ja gar nichts dafür können. Aus eigener Motivation habe sie auch schon eine Erziehungsberatungsstelle aufgesucht, was sich bisher auch als hilfreich erwies. In dieser Sitzung wird deutlich, dass eine berufliche Weiterbildung und Auseinandersetzung mit dem Thema Beruf zurzeit noch nicht möglich ist. Vielmehr steht der Wunsch nach eigener
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Zeit, Raum und Gesundheit im Mittelpunkt. Daher empfehle ich ihr nun eine Therapie bei einem professionellen Therapeuten, da es in ihrer aktuellen Lebenssituation wichtiger ist, erst einmal noch besser für sich zu sorgen, gesund zu werden und nach all den belastenden Ereignissen der Vergangenheit erst einmal zur Ruhe zu kommen.
Was ist Coaching? In seiner ursprünglichen Bedeutung bezeichnet das englische Wort Coach »Kutsche« bzw. der »Kutscher«. Dieser Begriff ist demnach ein Instrument, der Menschen von einem Ort zum anderen bringt. Der Coachee formuliert das Ziel und der Coach begleitet ihn als neutralen Gefährten dorthin. Mitte der 1980er Jahre erfuhr Coaching in Deutschland einen Bedeutungszuwachs. Coaching entwickelte sich als Beratungsmaßnahme für Manager durch externe Berater. Schließlich wurde Coaching zum Modewort, das als imagebildendes Etikett für die unterschiedlichsten Vorgehensweisen verschiedenster Anbieter herangezogen wurde (Böning, 1994). Anfang der 1990er Jahre erlangte der Begriff »Coach« bei der psychologischen Betreuung von Sportlern ein hohes Maß an Popularität (Böning, 1994; Schreyögg, 1995). Dort ist er nicht nur als Trainer, sondern auch als Begleiter und Motivator tätig: der Coach als Trainer der mentalen Fähigkeiten und Fertigkeiten der Sportler. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass der Auftrag des Coachs nicht darin besteht, Lösungen für den Coachee zu finden, sondern ihn auf dem Lösungsprozess zu unterstützen und zu begleiten. Coaching wurde in den USA auf den betrieblichen Bereich übertragen, wodurch zunächst ein entwicklungsorientiertes Führen der Mitarbeiter durch den unmittelbar Vorgesetzten verstanden wird. Backhausen und Thommen (2004) verstehen unter Coaching eine allgemeine Umschreibung aller Konzepte, die in professioneller Form individuelle Beratung im beruflichen Kontext anbieten.
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Vor dem Hintergrund zahlreicher Begriffsdefinitionen wird für diesen Artikel eine Definition nach Rauen (1999) zugrunde gelegt, die nach meiner Meinung umfassend und gleichzeitig prägnant das Charakteristische des Coachings erfasst. Demnach ist Coaching: 1. ein personenzentrierter Beratungs- und Betreuungsprozess, der berufliche und private Inhalte umfassen kann und zeitlich begrenzt ist; 2. eine auf der Basis einer tragfähigen und durch gegenseitige Akzeptanz gekennzeichnete Beratungsbeziehung, die in mehreren freiwilligen und vertraulichen Sitzungen abgehalten wird; 3. für eine bestimmte Person mit Managementaufgaben; 4. angewendet von einem Berater mit psychologischen und betriebswirtschaftlichen Kenntnissen sowie praktischer Erfahrung bezüglich der thematischen Problemfelder; 5. auf der Basis eines ausgearbeiteten Coaching-Konzeptes. Ziel ist immer die Wiederherstellung und/oder Verbesserung der Selbstregulationsfähigkeiten des Klienten, d. h., der Coach sollte den Klienten derart beraten bzw. fördern, dass dieser ihn nicht mehr benötigt (Rauen, 1999, S. 64). Die Definition zeigt, dass Coaching häufig im Management und Vertrieb eingesetzt wird, darüber hinaus aber auch im sozialen und persönlichen Bereich, wenn es sich um Fragen der beruflichen Weiterentwicklung, Krisen oder Probleme handelt. Kurzum: Ziel des Coaching-Prozesses ist es, die Handlungsfähigkeit des Klienten wiederherzustellen und zu erweitern. Coaching ist somit Hilfe zur Selbsthilfe.
Was ist Psychotherapie? Psychotherapie ist ein Sammelbegriff für verschiedene Formen der Behandlung von psychischen Störungen. Die Psychotherapie besteht in erster Linie aus einem Gespräch zwischen Patient und Therapeut, für die eine vertrauensvolle Beziehung unabdingbar
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ist. Diese Beziehung ist das wichtigste Mittel im therapeutischen Prozess zur Genesung der Störung oder des Problems des Klienten. »Psychotherapie ist die gezielte, professionelle Behandlung psychischer und/oder bedingter körperlicher Störungen mit psychologischen Mitteln« (Häcker u. Stapf, 1998, S. 702). Psychologische Mittel umfassen in erster Linie Gespräche, häufig aber auch Methoden und Techniken wie Verhaltensübungen. Mitunter erfolgt die Psychotherapie auch in Kombination mit einer Medikation. Die Indikationen werden inzwischen spezifisch nach einzelnen Störungen und Merkmalen von Patienten vorgenommen. Anwendungsbereiche können Einzel-, Gruppen-, Paar- und Familientherapie sein, die ambulant, stationär oder teilstationär durchgeführt werden. Therapeuten sind entweder Ärzte oder Psychologen mit postgraduierter Zusatzausbildung. Insgesamt gilt die Wirksamkeit von Psychotherapie und ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis generell als gut belegt, wobei zwischen verschiedenen Patientengruppen und Therapieverfahren zu unterscheiden ist. Der therapeutische Prozess hat vier Ziele: 1. Diagnose der psychischen Störung: Die Diagnose kann schon als Einordnung des Problems in eines der gängigen psychiatrischen Klassifikationssysteme (DSM-IV; ICD-10) für psychische Erkrankungen erfolgen. 2. Aufdeckung der Ätiologie: Es wird nach möglichen Ursachen der Störung gesucht und die Funktionen (der Zweck) der aktuellen Symptome werden ermittelt. 3. Aufstellung einer Prognose, Abschätzung des weiteren Krankheitsverlaufs und Erfolgsaussichten – mit und ohne therapeutische Begleitung. 4. Einführung einer bestimmten Therapie (Behandlung), mit dem Ziel, die belastenden Symptome und ihre Ursachen zu minimieren oder auch zu beseitigen. In diesem Prozess wird häufig zweigleisig verfahren. Entweder werden biologisch-medizinische Therapien verordnet, die zum Ziel haben, Hirnfunktionen mittels physikalischer oder chemischer Interventionen zu modifizieren, etwa durch chirurgische Eingriffe oder der Einnahme von Medikamenten, die direkt auf
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Verbindungen der Gehirnfunktionen und damit auf physische Prozesse einwirken. Oder es werden psychologische Behandlungsmethoden wie Psychotherapie eingesetzt. Dabei sollen die unangemessenen Verhaltensweisen, die in der Vergangenheit erlernt wurden (wie Gedanken, Glaubenssätze, Interpretationen, Rückmeldungen, die unsere Lebensstrategien beeinflussen und lenken), durch therapeutische Interventionen verändert werden. Ziel der Psychotherapie und deren Interventionen ist es, den Leidensdruck des Klienten zu reduzieren und sein Wohlbefinden zu steigern. Der Klient wird dabei unterstützt, effektivere Bewältigungsstrategien für den Umgang mit den alltäglichen Anforderungen und Stressoren zu entwickeln (Zimbardo u. Gerrig, 1999).
Ist Psychotherapie wirksam? Wie kann ich mir sicher sein, dass eine Psychotherapie mir überhaupt bei meinem Problem helfen kann? Vor Jahren erzeugte Hans Eysenck (1952) einen regelrechten Aufstand, weil er die Wirksamkeit von Psychotherapie generell in Frage stellte. Nach seiner Inspektion mehrerer Veröffentlichungen zu den Effekten unterschiedlicher Therapieformen kam er zu dem Schluss, dass Personen mit Störungen, die keine Therapie in Anspruch nahmen, dieselbe Heilungsrate aufzeigen wie diejenigen, die psychotherapeutisch behandelt worden sind. Darüber hinaus postulierte Eysenck, dass etwa zwei Drittel aller Menschen mit neurotischen Problemen innerhalb von zwei Jahren nach dem erstmaligen Auftreten der Störung eine Spontanremission erleben, das bedeutet, dass aus einer Folge von Ursachen heraus die Störung auch ohne professionelle Hilfe verschwindet. Eysencks Kritik veranlasste, dass bei der Evaluation therapeutischer Effektivität nun adäquatere Methoden angewendet wurden und nicht zuletzt der Einsatz von Kontrollgruppen unverzichtbar wurde. Dadurch sollte gezeigt werden, dass mit einer Therapie häufigere und größere Fortschritte erzielt werden, als
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wenn sie nicht in Anspruch genommen wird. Der Therapieerfolg ist durch die erfolgreiche Behandlung einer Störung des Klienten gekennzeichnet und nicht auf die Heilungserwartungen des Klienten zurückzuführen. Bei Letzterem geht es um den Placeboeffekt, der besagt, dass sich psychische und physische Gesundheit allein deshalb verbessert, weil die betroffene Person an die eigene Genesung glaubt. Gerade in der therapeutischen Situation wird dieser Glaube durch die Rolle des Therapeuten als Heiler verstärkt. Dennoch ist hier anzumerken, dass die Erwartung und der Glaube des Klienten durchaus eine positive Wirkung auf den Therapieprozess haben. Es bleibt die Frage, ob Psychotherapien Wirkungen haben, die über die Spontanremission und den Placeboeffekt hinausgehen. Die Antwort lautet: Ja. Die Ergebnisse von 100 Therapieerfolgsstudien lassen den Schluss zu, dass Psychotherapie in 80 % der Fälle zu größerem Fortschritt führt als die Spontanremission (Meltzoff u. Kornreich, 1970). Dies unterstützen auch die Ergebnisse einer Metaanalyse (dabei werden die Ergebnisse einer Vielzahl von Studien zusammengefasst, indem jedes einzelne Ergebnis interpretiert wird, genauso wie in einer Einzelstudie die Resultate eines einzelnen Probanden betrachtet werden). In den Therapieverlaufsstudien wurden auch kleine positive Effekte registriert, die über die Auswirkungen von »keine Behandlung« oder »Placebo« hinausgehen (Lipsey u. Wilson, 1993). Zusammenfassend wirkt die Psychotherapie und verdeutlicht, dass es die speziellen Prozesse und Erfahrungen selbst sind, die psychisch kranken Menschen helfen können. Auf der Grundlage dieser Befunde beschäftigt sich die derzeitige Therapieforschung weniger mit der Frage, ob Psychotherapie überhaupt wirkt, sondern vielmehr geht es darum, wie sie wirkt. Welche Therapieform ist am wirkungsvollsten bei welcher Störung und welchen Klienten (Goldfried et al., 1990)? Wichtige Faktoren, die einen Einfluss auf den Therapieerfolg haben könnten, sind leider schwer zu kontrollieren. Dennoch zeigen sich einige Bedingungen, die den Erfolg einer Therapie begünstigen, wie die Berufserfahrung des Therapeuten, die Therapiedauer, die Korrektheit der Diagnose, der Schweregrad der Störung, die Stimmigkeit zwischen Patientenerwartung und
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ausgewählter Therapieform und der Zeitraum bis zu einer Nachuntersuchung zur Evaluation des Therapieerfolgs (Kazdin, 1986).
Wo hört Coaching auf und wo beginnt Psychotherapie? Coaching ist keine Psychotherapie und soll auch nicht als solche verstanden werden. Dennoch stellt Coaching in Abgrenzung zur Therapie für Führungskräfte eine sozial legitimiertere Form der Beratung dar. Häufig werden mit Psychotherapie Konstrukte wie »verrückt sein«, »krank«, »psychisch labil« assoziiert (Bentner, 2007). Daher gehe ich der Frage nach, wann Coaching eine adäquate Maßnahme darstellt und wann der Einsatz einer anderen Maßnahme, wie die der Psychotherapie, geeigneter und sinnvoller erscheint. Coaching ist eine personenbezogene Maßnahme. Häufig liegt der Fall vor, dass ein auf der Organisationsebene angesiedeltes Problem auf die Person verlagert wird. Aus systemischer Sicht bezeichnet man die betreffende Person als »Symptomträger« oder »Indexpatient«. Looss (1999) leitet daraus für die Problembearbeitung folgendes ab: »Lässt sich eine organisatorische Problemlage im Verhalten eines Rollenträgers deutlich erkennen, ist sie nicht mehr allein auf der Struktur- und Prozessebene zu lösen« (S. 29). Demnach sind Heß und Roth (2001) der Meinung, dass Coaching als Beratungsform nur dann eingesetzt werden soll, wenn sich Probleme zu einer persönlichen Rollenschwierigkeit verstärken, im Arbeitsalltag erlebt werden und nicht aus eigener Kraft veränderbar sind. Aufgrund der Sichtweise, Coaching nur dann einzusetzen, wenn diese Anlassbedingungen gegeben sind, sollen andere organisatorische Maßnahmen wie Teamentwicklungsprozesse nicht automatisch ausgeschlossen werden. Dabei geht es vielmehr um eine Verknüpfung von personen-, gruppen- und strukturzentrierten Arbeitsformen. Inzwischen handelt es sich dabei um einen Sowohlals-auch- und nicht um einen Entweder-oder-Fall. Demzufolge entsteht eine Wechselwirkung zwischen Organisation, Rolle und Person. Erhält der Coach einen Auftrag, so kann er weitere Per-
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spektiven der Problembeschreibung anbieten. Seine Aufgabe liegt in der »Auffächerung von Komplexität« der Situation (Looss, 1999, S. 32). Aufgrund des Wechsels auf die Metaperspektive, wird es dem Coach ermöglicht, dem Klienten weitere Problemdefinitions-Ebenen (strukturelle, fachliche, kulturelle Ebene) aufzuzeigen. Durch die gleichzeitige Berücksichtigung mehrerer Ebenen kann, je nach Problemfokus, ein professionelles Handeln hinsichtlich Strategie und Auswahl der Methoden abgestimmt werden. Daher ist es wichtig, dass der Coach erkennt, wenn das Problem auf einer rein persönlichen Ebene angesiedelt ist, d. h., wenn die Führungskraft selbst unter Störungen leidet, sich dies jedoch nicht eingesteht und zum Coach geht, anstatt auf die Couch. Die Aufgabe des Coachs besteht demnach darin, dies auch transparent zu machen und gegebenenfalls eine Therapie zu empfehlen. Schwierig ist es jedoch zu erkennen, wo die Grenzen zwischen Therapie und Beratung liegen. Dies scheint immer wieder abhängig von der Auftragsklärung. Daher nehme ich an, dass der Klient einen Arbeitskonflikt im Coaching lösen möchte, und im Prozess kann dann deutlich werden, dass den Klienten ein gravierenderes persönliches Problem stark beeinträchtigt. Hierbei ist es sinnvoll, wenn der Coach seine Ideen über die zugrunde liegende Problematik unabhängig vom Auftrag transparent macht. Coaching heißt für mich Kurzzeit-Beratung, damit meine ich, ein Problemanliegen sollte in wenigen Sitzungen gelöst werden. Dennoch taucht die Schwierigkeit auf, gerade bei länger andauernden Coaching-Prozessen, dass sich der Klient an den Coach gewöhnt und die Gelegenheit nutzen möchte, sich zu Anliegen unterschiedlicher Art beraten zu lassen. Hierbei soll ein professioneller Coach den Klienten und auch sich selbst an das Ziel des Coachings erinnern – Hilfe zur Selbsthilfe! Die Verantwortung des Coachs liegt darin, den Klienten darin zu bestärken, dass er mit seinem durch den Coaching-Prozess gewonnenen Verhaltens- und Handlungskompetenzen seine beruflichen und persönlichen Anliegen allein bewältigen kann. Zusammenfassend möchte ich hier noch einmal betonen: Wenn im Coaching-Prozess Problembereiche wie Abhängigkeitserkrankungen und neurotische oder psychotische Zustände of-
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fenbart werden, dann sollte der Coach den Klienten an andere Institutionen wie Selbsthilfegruppen oder Therapien überweisen. Die folgende Übersicht zeigt, welche Gemeinsamkeiten (Tabelle 1) zwischen Coaching und Psychotherapie bestehen. Tabelle 1: Gemeinsamkeiten von Coaching und Psychotherapie (Quelle: Lippmann, 2006, S. 34) Gemeinsamkeiten von Coaching und Psychotherapie
Orientierung an den Zielen des Kundensystems bzw. der Auftraggeber
Orientierung an Zielen, die mit der »erlebbaren Eigenkompetenz der Beteiligten realisierbar sind«
Wahrnehmungs- und Verhaltenserweiterung bzw. Förderung des beim Kunden gespeicherten Potenzials für das gewünschte Ziel
Berater in der Rolle als Prozessberater ist Experte für die Gestaltung des Beratungsprozesses
Verwendung von Methoden und Interventionen aus psychotherapeutischen Richtungen
Hauptsächlich (Coaching) bzw. ausschließlich (Therapie) durch externen Berater praktiziert
Tabelle 2 verdeutlicht die Unterschiede zwischen Coaching und Psychotherapie. Unterschiede sehe ich vor allem in der Aufgabe des Coachs und des Therapeuten. Die Therapie ist vergangenheitsorientiert und es wird nach der Ursache für ein auftretendes Problemverhalten gesucht. Das Therapie-Setting ist durch eine asymmetrische Beziehung gekennzeichnet, der Therapeut ist der Helfer und der Klient der Hilfesuchende. Die Arbeit beansprucht eine gewisse Nähe und kann in die Tiefen der eigenen Persönlichkeit des Patienten gehen. Eine Gefahr sehe ich dabei, dass es zu einer Abhängigkeitsbeziehung vom Patienten zu seinem Therapeuten kommen kann.
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Braucht der flexible Mensch einen Coach? Tabelle 2: Unterschiede Coaching und Psychotherapie (Quelle: Lippmann, 2006, S. 34) Coaching
Psychotherapie
Im Mittelpunkt stehen Anliegen im Zusammenhang mit beruflichen Problemen, Veränderungen, Führungsproblematiken
Indikation aufgrund persönlicher, privater und beruflicher Schwierigkeiten, manchmal verbunden mit auffälligen Symptomen
Fokus liegt auf der Gestaltung der Beziehungen und Interaktionen im beruflichen Kontext
Bearbeitung von Beziehungen und Interaktionen in verschiedenen Kontexten
Zielgruppe sind Personen aus dem Führungs- und Managementbereich
Keine Einschränkung der Zielgruppe
Häufig relativ geringe emotionale Tiefe der thematisierten Anliegen
Interventionen mit tieferer emotionaler Involvierung sind Teil des therapeutischen Settings
Selbstmanagementfähigkeiten des Kunden müssen funktionstüchtig sein, deshalb nicht indiziert bei schwerwiegenden psychischen Problemen
Meist eingeschränkte Selbstmanagementfähigkeiten beim Klienten, deshalb besonders indiziert bei schweren psychischen Problemen
Organisationspsychologische und betriebswirtschaftliche Kompetenz und Beratungskompetenz beim Coach
Ausbildung in Psychotherapie notwendig, nicht jedoch in Organisationspsychologie
Coach richtet den Beratungsprozess nach den Anliegen des Kunden, Kunde behält Verantwortung für sein Handeln
Je nach Therapieverständnis und je nach Schwere der Krise oder der Symptomatik übernimmt der Therapeut in starkem Maß Verantwortung für den Prozess, Inhalt und Ablauf der Therapie
Kosten übernimmt häufig teilweise oder ganz die Organisation, vor allem in der Wirtschaft hoher Stundensatz
Kosten übernimmt häufig oder teilweise die Krankenkasse, Therapiekosten sind häufig geringer als Coaching-Honorare Fortsetzung nächste Seite
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Coaching
Psychotherapie
In der Regel kurz- bis mittelfristige Maßnahme, häufig große Abstände zwischen den einzelnen Sitzungen
Je nach Therapierichtung durchaus längere Maßnahme, vor allem bei akuten Problemen zwischen einzelnen Sitzungen
Kann an verschiedenen Orten stattfinden
Findet meist in der psychotherapeutischen Praxis statt
Im Coaching steht die professionelle Distanz im Vordergrund. Es wird am Anliegen des Klienten gearbeitet, dabei steht die Hilfe zur Selbsthilfe des Klienten im Vordergrund. Beide Parteien sind auf einer gleichwertigen Ebene anzusiedeln, beide sind Experten für ihren professionellen Bereich.
Was viel kostet, muss auch viel bewirken? Coaching-Erfolg wird häufig daran gemessen, ob ein qualitatives Ziel oder Ergebnis erreicht wurde. Dies scheint mir zu kurz gegriffen. Natürlich ist auf der anderen Seite zu bedenken, dass der Klient innerhalb des Coaching-Prozesses zu vielfachen AhaErlebnissen oder Lösungen seines Anliegens gelangt, dennoch scheint dies ebenfalls ein unzureichendes Kriterium für den Coaching-Erfolg zu sein. Denn der Transfer in den beruflichen Alltag gestaltet sich häufig schwieriger als zuvor angenommen.
Was ist Coaching-Erfolg? Coaching fokussiert auf die berufliche Entwicklung und ist zeitlich begrenzt. Die eigene Lösungsfindung des Klienten wird durch den externen Coach gewährleistet. Coaching wirkt nachhaltig, da es in der Eigenverantwortung des Klienten liegt und somit der Handlungs- und Entscheidungsspielraum erweitert
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werden. Firmen kaufen Coaching für ihre Leistungsträger ein, um auf dem Markt konkurrenzfähig zu bleiben. Führungskräfte müssen sich mitentwickeln und ihre individuelle Leistungsfähigkeit steigern, um in den sich wandelnden Veränderungsprozessen zu bestehen. Coaching passt sich genau den individuellen Bedürfnissen und Zielen an (Rohmert u. Schmid, 2003). Die Studie von Rohmert und Schmid konnte zeigen, dass Führungskräfte während ihres Coachings im Vergleich zu drei Monaten vorher noch kaum positive Veränderungen wahrnehmen. Drei Monate nach dem Coaching ist ein Kompetenzzuwachs von 27 % zu vermerken, das bedeutet eine Effizienzsteigerung des Coachings auf drei Ebenen: der individuellen, sozialen und funktionalen Ebene. Nach vier Sitzungen zeigen sich deutlich messbare Erfolge und ein großer Nutzen für die Klienten bei der Klärung funktionaler Fragen und der effizienten Auseinandersetzung mit sich selbst, darüber hinaus eine positive Entwicklung in der Gesamtbetrachtung auf den Coaching-Prozess. Demnach soll Coaching »nachverdaut« werden, bevor sich positive Folgen zeigen können (Rohmert u. Schmid, 2003). Nach den Autoren stellt professionelles Coaching als Maßnahme ein gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis dar, denn es erfüllt als Methode alle Anforderungen an wirkungsvolles Lernen erwachsener Menschen. Weitere Studien (Schmidt, 2003) haben gezeigt, dass der Coaching-Erfolg im Besonderen von der Qualifikation des Coachs abhängt, zum einen von persönlichen Qualitäten, etwa der Glaubwürdigkeit, und zum anderen von der Beziehungsgestaltung, die wichtiger scheint als die Feldkompetenz des Coachs (die Kenntnis über das Arbeitsfeld des Klienten). Ein wichtiger Faktor scheint das Involvement des Coachs zu sein, darunter wird das Interesse am Klienten, seiner Entwicklung und das gegenseitige Vertrauen verstanden. Weiterhin soll der Coach die Fähigkeit besitzen, den Coaching-Prozess so transparent wie möglich zu gestalten in Form von Rollenklarheit bezüglich des Spannungsfeldes Klient, Unternehmen und Coach. Zusammenfassend lassen sich neun (hierarchisch geordnete) Erfolgsfaktoren bestimmen (Schmidt, 2003): 1. Qualifikation des Coachs, 2. Involvement des Coachs,
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Klarheit und Ziele, Entlastung und Weiterentwicklung, Coaching-Setting, Autonomie des Coachs, Kooperation, Methodische Vielfalt sowie Problempräzision.
Weitere Studien (Jansen, Mäthner u. Bachmann, 2004) über Wirkfaktoren von erfolgreichem Coaching konnten ebenfalls zeigen, dass die Zufriedenheit der Klienten und der Grad der Zielerreichung von einer guten Beziehung zum Coach abhängen. Dabei zeigte sich, dass die Beziehungsgestaltung am besten über Gemeinsamkeiten oder Anderssein im Sinne von Vorbildfunktion oder Rollenmodell (Fähigkeiten des Coachs, die sich der Klient aneignen möchte) gelingt. Weitere erfolgsrelevante Merkmale aus Sicht der Klienten waren die Erfahrung und das Verständnis für den beruflichen Alltag des Klienten, soziale Kompetenzen wie Zuhören, Integrität, Glaubwürdigkeit und Strukturierungskompetenzen, demnach soll der Coach über Methoden, Modelle und Prozesse verfügen, die einen strukturierten Coaching-Prozess ermöglichen. Konstruktives und wertschätzendes Feedback wurde als weiteres Erfolgskriterium von Seiten der Klienten identifiziert. Darüber hinaus zeigte sich, dass eine Veränderungsmotivation des Klienten hinsichtlich konkreter und verbindlicher Ziele, die gemeinsam erarbeitet wurden und auf der Verhaltensebene konkretisiert wurden, eine weitere wichtige Erfolgsvoraussetzung im Coaching ist. Andere wichtige Vorteile von Coaching liegen aus Sicht der Befragten in der individuellen Ausrichtung auf die Bedürfnisse des Gecoachten, der Möglichkeit zur Aufarbeitung konkreter Problemstellungen und der guten Übertragbarkeit der Lernresultate in die Praxis. Letztlich zeigte sich die Evaluation als wichtiger Bestandteil der Qualitätssicherung (Jansen, Mäthner u. Bachmann, 2004). Für den Erfolg eher hinderlich sind die Gratwanderung zwischen Diskretion und Informationsbedürfnis der Organisation, die Unsicherheit hinsichtlich der Qualifikation des Coachs, die Skepsis des Gecoachten hinsichtlich Wirksamkeit des Coachings,
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mangelnde Akzeptanz des Coachs durch den Gecoachten und überzogene Erwartungen des Gecoachten (Lippmann, 2006). In Tabelle 3 werden Erfolgsfaktoren und hinderliche Faktoren bezogen auf den Coaching-Erfolg aus Sicht der Klienten zusammengefasst. In den Erfolgsfaktoren spiegeln sich die Misserfolgsfaktoren bzw. die eher hinderlichen Faktoren. Andere Studien (Stahl u. Marlinghaus, 2000) zeigten, dass 52 % der Drittpersonen den Coaching-Nutzen hoch einschätzten. Gefragt nach der Anzahl der Coaching-Fälle, bei denen die Ziele aus Sicht der Unternehmen voll erfüllt wurden, nannten Personalverantwortliche eine Erfolgsquote von 71 % und die Coachs eine von 77 %. Darüber hinaus würden alle Befragten Coaching weiterempfehlen. Außerdem zeigte sich, dass vor allem das unabhängige Feedback und die Hilfe beim Erwerb von Führungskompetenz von den befragten Personalverantwortlichen und den Führungskräften geschätzt werden. Tabelle 3: Wirkfaktoren von Coaching-Erfolg Erfolgsfaktoren Persönliche Kompetenzen des Coachs: Glaubwürdigkeit soziale Kompetenz Beziehungsgestaltung Involvement Erfahrung und Verständnis Autonomie Kooperation Problempräzision konstruktives und wertschätzendes Feedback Fachliche Kompetenzen des Coachs:
Methodenvielfalt Rollenklarheit Qualifikation
Hinderliche Faktoren Persönliche Merkmale:
mangelnde Akzeptanz überzogene Erwartungen an Coach
Unsicherheit hinsichtlich Qualifikation des Coachs
Fachliche Merkmale:
Misstrauen und Skepsis gegenüber Coachingmaßnahme Unsicherheit hinsichtlich Qualifikation des Coachs
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Zusammenfassend lässt sich hieraus entnehmen, dass Coaching wirkt. Klienten fühlen sich durch Coaching emotional entlastet, bauen Stress ab, entwickeln neue Sichtweisen, erhöhen ihre Reflexionsfähigkeit und Führungskompetenzen, verändern ihre Beziehungsgestaltung, handeln und kommunizieren effektiver und verhelfen sich selbst und ihrer Organisation zu mehr Erfolg. Weiterhin unterstützt das Coaching die Klienten bei der Zielerreichung und bei der Problemlösung. Darüber hinaus würden die Klienten Coaching auch weiterempfehlen, der Nutzen von Coaching zeigt sich nachhaltig und die Klienten sind zufrieden (Lippmann, 2006).
Qualitätssicherung im Coaching Unter Qualitätssicherung wird im Allgemeinen verstanden, eine angestrebte Qualität erreichbar und überprüfbar zu machen (Meinhold, 1998). Dabei stellt sie keinen linearen Prozess dar, sondern eher eine spiralförmige Entwicklung, bei der durch wiederholte Durchgänge ein Ist-Soll-Vergleich abgestimmt werden kann und es somit zu einem ständigen Anpassungsprozess kommt. Qualitätssicherung wird daher zu einem »Running Target« oder zu einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess (Lenz, 1998). Nach Lenz ist die Evaluationsforschung eine empirisch fundierte Vorgehensweise zur systematischen Qualitätsprüfung und Interpretation. Sie bildet die empirische Basis für fortlaufende Analysen und Weiterentwicklung der Qualität von Dienstleistungen und Beratungen. Die Qualität einer Coaching-Maßnahme kann anhand von drei Qualitätsdimensionen, Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität, festgestellt werden (Heß u. Roth, 2001). Da nahezu fast jede Form von Training, Beratung, Instruktion, Schulung als »Coaching« bezeichnet wird, stellt sich die Frage nach der Qualitätssicherung. Es liegt offenbar eine mangelnde Begriffseindeutigkeit mit problematischen Konsequenzen vor. »Wer heute von Coaching spricht, ist mithin gewissermaßen verpflichtet, vollständig zu erklären, welche Form von berateri-
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scher, instruierender, begleitender Interaktion bzw. welche Art von Tätigkeit eigentlich gemeint ist« (Looss, 1999, S. 106). Sowohl auf fachlicher Seite als auch auf Seiten der Klienten besteht Unsicherheit und Verwirrung, in welcher Situation und für welche Problemlage welche adäquate Variante von Coaching eingesetzt werden soll (Looss, 1997). Studien (Freitag, 2003) zur Qualitätssicherung im Coaching haben zeigen können, dass bis dato eine dürftige Auswertungspraxis vorherrscht. Gerade einmal 17 % der Personalentwickler verwenden strukturierte Auswertungsfragebögen, um den Coaching-Nutzen zu messen, lediglich zwei von drei Auftraggebern führen Gespräche mit Coach und gecoachten Mitarbeitern und ein Viertel der Befragten geben an, dass sie keine Evaluation nach dem Coaching machen würden, trotz ansteigendem Coaching-Volumen. Dabei konnte gezeigt werden, dass durch Evaluation ein Verstärkungseffekt auftritt. Zum einen kann durch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Lernprozess der eigene Fortschritt auf Seiten des Klienten bestärkt werden, zum anderen scheint die Evaluation für das auftraggebende Unternehmen sinnvoll zu sein, da sie wichtige Hinweise auf Themen und Bedarf aufzeigen kann. Für den Coach stellt die Eigenevaluation ein wichtiges Instrument dar, um den Entwicklungsprozess des Klienten zu verfolgen, darüber hinaus, um seine eigenen beraterischen Kompetenzen weiterzuentwickeln, zu modifizieren und zu verbessern (Freitag, 2003). Idealerweise sollte der Coach nach jeder Coaching-Sitzung mit Skalierungsfragen arbeiten, da sie Aufschluss über den Grad der Zielerreichung geben können. Nach Abschluss des gesamten Coaching-Prozesses sollte von beiden Parteien ein Fragebogen ausgefüllt werden, um sich selbst und sein Gegenüber noch einmal zur Reflexion anzuregen. Weiterhin hat sich gezeigt, dass eine Evaluation drei Monate später eine gute Einschätzung zum Erfolg des Coachings sein kann (Rohmert u. Schmid, 2003).
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Anforderungen an den Coach und den Klienten Der Klient gibt die Indikation zum Coaching vor, da er sich entweder selbst für diese Maßnahme entschieden hat oder sie von Seiten des Auftragsgebers empfohlen wurde. Daraus ergibt sich zwischen Coach und Klient eine Beratungsbeziehung, in der der Klient die Verantwortung selbst trägt und die Aufgabe des Coachs darin besteht, ihn bei der Problemlösung zu begleiten und zu beraten. Wichtig dabei ist, dass bei dem Klienten ein Problembewusstsein vorliegt, für das er selbst keine Lösung oder Klärung findet. Während des Prozesses nimmt der Klient aktiv teil, bestimmt die Interventionen und trägt die Problemverantwortung. Innerhalb der gleichwertigen Beziehung zwischen Berater und Klient wird eine Kommunikationsstruktur gebildet, in der die Wahrheit nicht durch fachliche Expertise, sondern gemeinschaftlich hergestellt wird (Heß u. Roth, 2001). Der Coach hilft, Prozesse zu steuern, Ressourcen des Klienten zu aktivieren und zu entwickeln und dem Klienten neue Handlungsmöglichkeiten und Gestaltungsräume zu eröffnen. Dadurch werden Lern- und Erfahrungsbildung sowie Hilfe zur Selbsthilfe des Klienten gefördert (Heß u. Roth, 2001). Die Beziehung zwischen beiden Parteien unterliegt jedoch verschiedenen Interessen, die des Auftraggebers, des Klienten und schließlich des Coachs. Daher werde ich im Folgenden die Voraussetzungen aller drei Parteien erläutern, damit ein Coaching erfolgreich sein kann.
Der Klient Der Klient darf nicht mit zu hohen oder falschen Erwartungen ein Coaching in Anspruch nehmen, wie etwa den Coach als »Messias« wahrzunehmen, dies sollte schon im Erstgespräch geklärt werden. Hinsichtlich der Angemessenheit von Coaching bei einem mittleren Leidensdruck auf Seiten der Klienten handelt es sich häufig um Situationen, die für den Betreffenden nicht allein zu bewältigen sind oder bei denen er an seine Grenzen gelangt ist. Er befindet sich vor bevorstehenden oder in schon
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stattgefundenen Veränderungen. Eine wichtige Bedingung für den Coaching-Prozess ist die Einsicht des Klienten, dass ein Problembewusstsein vorhanden ist, darüber hinaus die Freiwilligkeit des Klienten und die Veränderungsbereitschaft, sich während und außerhalb der Coaching-Sitzungen auf Klärungs- und Lernprozesse einzulassen und eigene Wahrnehmungs-, Einstellungs- und Verhaltensmuster kritisch zu hinterfragen. Dies hat eine aktive Mitarbeit und Eigenverantwortlichkeit des Klienten zur Folge. Letztlich bedarf es einer Akzeptanz von auftretenden Verunsicherungen, die im Zusammenhang mit der Reflexion von Gefühlen, Einstellungen, Verhalten, Stärken und Schwächen stehen (Looss, 1999).
Der Coach Die Ausbildung und Qualifikation eines Coachs stellt eine wichtige Qualität der beraterischen Tätigkeit dar. Daher wären als geeignete Maßnahme zur systematischen Überprüfung und Förderung der Qualifikation des Coachs die Ausbildung und Fortbildung sowie die Supervision und Intervision zu nennen (Fengler, 1986). Die Aufgabe des Coachs ist es, sein Wissen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen zu vereinen. Diese interdisziplinären »Schnittfeldqualifikationen« (Looss, 1999) entstammen dem humanwissenschaftlichen, sachrationalen und technischwirtschaftlichen Bereich. Weiterhin beinhaltet die fachliche Qualifikation Kenntnisse über betriebswirtschaftliche Strukturen, Abläufe, Zusammenhänge und Probleme, da Coaching häufig vor dem Hintergrund einer Organisation abläuft. Hinzu kommen Kenntnisse über Teilbereiche des Managements, wie beispielsweise das Wissen über Aufgaben, typische Probleme, Denkweisen, Handeln und Sprache der Führungskräfte. Demnach ist diese Feldkompetenz eine wichtige Schnittfeldqualifikation des Coachs. In der Literatur ist die Feldkompetenz umstritten, zum einen wird sie als unabdingbar angesehen (Schreyögg, 1995), zum anderen wird befürchtet, dass die Sachkenntnis des Coachs die Eigenverantwortung des Klienten verringern würde. Als
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Mindestanforderung kann das Interesse und Engagement des Coachs für das Berufsfeld des Klienten und dessen Entwicklung formuliert werden (Schreyögg, 1995). Nach Rauen (1999) ist letztlich ein gewisses Maß an Feldkompetenz für den Beziehungsaufbau und die Akzeptanz des Coachs von Seiten des Klienten von Vorteil.
Der Auftraggeber »Soviel Transparenz wie möglich und soviel Diskretion wie nötig« (Looss, 1999, S. 129). Jedes Unternehmen hat eine andere Einstellung gegenüber Personen, die ein Coaching in Anspruch nehmen. Wenn externe Auslösebedingungen vorhanden sind (Beförderungen, Vernetzungen, Auslandsaufenthalte), wird Coaching eher als nützliche Maßnahme wahrgenommen. Liegen jedoch persönliche Probleme vor, dann ist es häufig von der vorherrschenden Unternehmenskultur, deren Normen, der Personalabteilung abhängig, wie die Maßnahme bewertet wird. Ist Coaching in einem Unternehmen als Maßnahme stark anerkannt und besteht Handlungsbedarf, kann man es einer Person verordnen. Der Klient sollte sich idealerweise selbst zum Coaching anmelden und nicht davon überzeugt werden müssen. Das Unternehmen steht vor der Tatsache, dass es in den CoachingProzess nicht eingreifen kann und eine klare Entscheidung im vornherein treffen muss, bei der der Ausgang ungewiss ist. Das Unternehmen hat keinen Einfluss auf die Arbeitsweise des Coachs, denn »absolute Unabhängigkeit des Coach ist eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der Maßnahme« (Rückle, 1992, S. 133). Wenn der Chef oder die Personalentwicklung Auftrag- und Geldgeber für das Coaching sind, hat sich der Dreiecksvertrag als günstig erwiesen. Dadurch sind Transparenz, Klarheit und Vermeidung von Interessenkonflikten gewährleistet. Das Konzept des Dreiecksvertrags beschreibt die Beziehung zwischen den drei Parteien Auftraggeber, Klient und Coach. Inhaltlich hat er zum Ziel, gemeinsame Verabredungen für Ziele und Vorge-
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hensweisen zu vereinbaren (Schmid, 2006), d. h., von allen drei Parteien wird gemeinsam festegelegt, was zu tun ist, woran gearbeitet werden soll und welche gegenseitigen Erwartungen bestehen. 1. Beziehung zwischen Coach und Auftraggeber Klärung der Ziele des Auftraggebers und nach welchen Kriterien der Erfolg der Maßnahme festgestellt wird. 2. Beziehung zwischen Auftraggeber und Klient Klärung der Maßnahme hinsichtlich Ziele und Erwartungen beider Seiten. Was will der Klient vom Auftraggeber und was will der Auftraggeber für den Klienten? 3. Beziehung zwischen Coach und Klient Klärung der Ziele und Erwartungen von Seiten des Klienten und Vertrag über die weitere Beratungsarbeit. Der Dreiecksvertrag verdeutlicht, wie wichtig es ist, die gegenseitigen Erwartungen und Arten der Informationen zu klären, vor allem implizite Anteile an Verträgen zu beachten, d. h. unausgesprochene Erwartungen, Phantasien und Hoffnungen, die sich mit dem Coaching verbinden (Lippmann, 2006).
Fazit Der Anspruch nach allgemeinen Standards, ja einer Grundausbildung und Absicherung für die Beratungsform Coaching bleibt bestehen. Natürlich kann mittlerweile fast jeder Mensch eine Coaching-Ausbildung oder therapeutische Verfahren wie Gestalttherapie, Gesprächstherapie, NLP usw. absolvieren, unabhängig davon, welchen Grund-Ausbildungsberuf er erlernt hat. Schließlich sind wir flexible Menschen, die sich verändern und entwickeln müssen und teilweise auch wollen. Im Zuge der gesamten wirtschaftlichen Veränderung in unserem Land ist es nur berechtigt, offen für neue berufliche sowie persönliche Wege zu sein. Dennoch sollte eine gewisse Affinität schon im Vorfeld vorhanden sein, besonders bei Menschen, die andere Menschen beraten wollen – und nicht nur des Geldes wegen, sondern auch
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weil der Coach ein gewisses Maß an Empathie und Wertschätzung für sein Gegenüber mitbringen muss. Daher ist die Frage nach der Würde des Menschen für mich die Vorraussetzung, um einen anderen Menschen zu beraten oder zu therapieren. Im Beratungsprozess ist das höchste Gut des Beratenden, dass er sein Gegenüber zunächst so annehmen kann, wie es ist, in seinem System und mit seiner Vergangenheit. Wenn dies möglich ist, dann ist schon einmal ein Kriterium für die Absicherung einer guten Beratung gegeben. Die Grenzen von Coaching und Psychotherapie verlaufen schwammig. Ich glaube, die Hauptaufgabe und Verantwortung liegt in den Händen des Coachs. Daher wäre der Weg auch von der Couch zum Coach gut möglich. Denn ein Patient, der eine jahrelange Therapie hinter sich hat, ist sensibilisiert für selbstreflexive Prozesse. Geht auch beides gleichzeitig? Ich meine, nein. Erst sollten in einer Therapie die persönlichen Probleme geklärt werden und ein gesunder Grundbaustein gelegt werden und darauf aufbauend kann dann ein Coaching für berufliche Anliegen und Themen erfolgreich sein. Daher denke ich auch nicht, dass ein guter Coach gleichzeitig ein guter Therapeut sein kann. Vom Ausbildungshintergrund her wäre dies vielleicht schon denkbar, dennoch sollte man sich für eine Richtung entscheiden, sonst würde der Beratende im Beratungsprozess ständig zwischen beiden Richtungen hin und her pendeln, seine Energie würde sich verstreuen, und in keinem Feld könnte er wirklich kompetent sein. Ist es besser, als Führungskraft einen Coach zu suchen, der selbst einmal in einem Unternehmen in einer Leitungsfunktion tätig war? Genauso verhält es sich mit einem Therapeuten, der eine Angststörung behandelt. Ist er empathischer, wenn er das selbst einmal erlebt hat oder nicht? Ich denke ja, denn zu einer erfolgreichen Beratung oder Therapie gehört nicht nur das emotionale Verständnis, die Empathie für die Problemlage des Klienten, sondern auch die Authentizität. Wenn ich mein Gegenüber gut beraten möchte, dann sind Kenntnisse, eigene Erfahrungswerte wichtig, um in das Problemfeld des Klienten auch eintauchen zu können und Ideen zu entwickeln. Allein von der Begriff-
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lichkeit her ist es wichtig für den Berater, die gleiche Sprache sprechen zu können. Damit die Qualitätssicherung von Coaching-Prozessen transparenter wird, wäre meine Idee, ähnlich wie beim Bewertungssystem von Ebay oder Amazon zu verfahren: Beide Parteien könnten eine Bewertung abgeben, wobei die Bewertung des Klienten gewichtiger ist. Mein Eingangsfallbeispiel mit Frau Schneider aus meiner noch jungen Beratungspraxis beschreibt, wie fließend die Grenzen zwischen Coach und Couch sind. Auf der einen Ebene ist es nachvollziehbar, dass eine junge, hochqualifizierte Frau ein Coaching in Anspruch nimmt zur Unterstützung ihrer beruflichen Einmündung und Findung von geeigneten Perspektiven. Auf der anderen Ebene tauchen durch die Auseinandersetzung mit sich selbst akute Krisen, Probleme und neue Ideen auf, die manchmal psychisch schwer zu ertragen sind, weil sie die junge Frau an dieser Stelle überfordern. Dabei gelangt man auch als Coach schnell an den Scheideweg: Bearbeite ich in erster Linie die beruflichen Anliegen oder empfehle ich zunächst den Weg zum Therapeuten, um die persönliche Situation erst zu klären? Frau Schneider hat sich meiner Meinung nach für den richtigen Weg entschieden, indem sie eine Psychotherapie begonnen hat und sich damit ihrer persönlichen Situation stellt. Die krisenhafte aktuelle Situation von Frau Schneider kann als ein Prototyp einer jungen Frau von heute gesehen werden, die sich eigentlich nur den Traum einer eigenen Familie und einer qualifizierten Berufstätigkeit gleichermaßen erfüllen will. Dabei wird sie von ihrer Vergangenheit eingeholt und die Gegenwart erteilt ihr einen gewaltigen Dämpfer, weil sie trotz allen Bemühens ohne ein funktionierendes soziales Netzwerk diese Herausforderung nicht allein wird bewältigen können. Persönliche Lebenskrisen sind somit auch Chancen zum Innehalten und Reflektieren, Ausruhen und Erholen. Sie führen uns aber auch die Grenzen der Flexibilität vor Augen und zeigen, dass wir ohne Unterstützung verloren sind.
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»Dass wir etwas wissen, ohne zu wissen, warum ...«1 Intuition im Coaching
Wozu Intuition? Wo ist die Intuition im systemisch-lösungsorientierten Coaching anzusiedeln und welche intuitiven Kompetenzen können im beruflichen Alltag von Führungskräften wichtig und hilfreich sein? Der bisherige Forschungsstand zur Intuition zeigt, dass hier in den vergangenen zwanzig Jahren eine große Entwicklung stattgefunden hat. Insbesondere die Gehirnforschung hat verdeutlicht, wie bestimmte Prozesse im menschlichen Gehirn ablaufen, die für die Entscheidungsfindung relevant sind. In diesem Artikel geht es mir zunächst einmal darum, das weite Feld der Intuition im Sinne eines Streifzuges durch die Forschungslandschaft etwas genauer auszuleuchten. Dabei interessiert mich, in welchen verschiedenen Formen sich Intuition äußern kann, welche wichtigen Funktionen sie in unserem beruflichen und privaten Alltag einnehmen und wie sie im Coaching optimal genutzt werden kann. Dies ist für mich deshalb besonders interessant, weil meine Arbeit insbesondere im lösungsorientierten Coaching ganz überwiegend von intuitiven Prozessen gesteuert wird. Was wird alles unter dem Phänomen Intuition verstanden? Synonym gebrauchen wir häufig Konstrukte wie Ahnungen, Eingebungen, Erkenntnisse, zündende Idee, kreativer Einfall, Aha-Erlebnis, Geistesblitz oder Bauchgefühl, wenn wir Intuition 1 Mack, 1999, S. 163.
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meinen. Manchen Menschen wird quasi naturgemäß ein hohes Maß an Empathie, Sensibilität oder Einfühlungsvermögen zugesprochen, sie gelten dann als intuitiv begabt oder emotional intelligent. Besonders Frauen wird gerne die sogenannte weibliche Intuition oder der siebte Sinn unterstellt. Intuition nimmt in unterschiedlichen Feldern eine bedeutende Funktion ein und kann sich in ganz verschiedenen Formen zeigen, etwa im Bereich der Medizin in der Arzt-PatientenBeziehung, die ein hohes Maß an Empathie voraussetzt. Fehlt die ärztliche Empathie, so wird der Patient es unmittelbar merken und sich schlechter auf die medizinische Behandlung einlassen können (Mosimann in Ausfeld-Hafter, 1999). In Religion und Philosophie wirkt die Intuition häufig als unmittelbares Erkennen von Wahrheiten, Zusammenhängen oder dem Erschließen neuer Hypothesen über mögliche Wirklichkeiten (Hänsel, 2002). Gerade im wissenschaftlichen Bereich zeigt sich die Intuition als Prozess bedeutsamer Erkenntnisse, wie beim berühmten Beispiel des Wissenschaftlers Kelkulé, von dem überliefert ist, dass ihm bei der Entdeckung des Benzolrings in einem Traum das Bild einer sich in den Schwanz beißende Schlange erschienen ist (Boden, 1990). Darüber hinaus ergaben Untersuchungen unter Nobelpreisträgern, dass 72 von 93 Befragten ihre Intuition als maßgeblich für ihre erfolgreiche Forschertätigkeit einschätzten (Marton, 1994). Auch im Bereich der Werbung spielt die Intuition als unbewusster Kanal für mögliche manipulative Einflüsse eine große Rolle. Ausgehend von der Theorie der subliminalen Wahrnehmung werden die Zuschauer unbewussten, eben subliminalen Einflüssen ausgesetzt, die sich der bewussten Kontrolle entziehen. Dennoch haben Konsumenten auch ihren kritischen Verstand, um den Dingen auf den Grund zu gehen (Kast, 2007). Im Bereich der Pädagogik wird Intuition als Kompetenz angesehen, als eine Fähigkeit, die lehr- und lernbar ist und jedem Menschen zur Verfügung steht (Vaughan, 1988; Zeuch, 2004). Auch in der Psychologie ist Intuition ein bedeutsames Phänomen; sie wird als wichtiger Aspekt in Entscheidungssituationen angesehen, besonders in Situationen, die eine hohe Komplexität aufweisen und in denen Zeitdruck vorherrscht (Ruthenbeck,
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2004). In den letzten Jahren ist vor allem in der Entscheidungsforschung ein großer Fortschritt zu beobachten, da man inzwischen mittels computergestützten Verfahren genau verorten kann, welche Gehirnregionen bei welcher Entscheidung aktiviert sind (Gigerenzer, 2007). Intuition wird auch bei Coachs und Beratern als ein persönliches Kompetenzmerkmal angesehen und kann entsprechend entwickelt und geschult werden (Hänsel, 2002; Zeuch, 2004).
Was ist Intuition? Es gibt keine einheitlich allgemeingültige Definition von Intuition. Um das weite Spektrum an Gemeinsamkeiten und Unterschieden aufzuzeigen, werde ich unterschiedliche Definitionen von Intuition beschreiben. Das Wort stammt vom lateinischen intuitio, intuere ab, was übersetzt »genau hinsehen« bedeutet. Ursprünglich wurde Intuition als Anschauung und Betrachtung verstanden, später als »geistige Schau, eingebungsartige, nicht durch Erfahrung oder Überlegung, sondern durch unmittelbares Erfassen des Wesens einer Wirklichkeit gewonnene, der Offenbarung ähnliche Einsicht« (Häcker u. Stapf, 1998, S. 414). Darüber hinaus wird Intuition auch als Erfahrungsdenken und intuitives Denken definiert, dessen einzelne Schritte nicht mehr voll bewusst zurückverfolgt werden können (Duden, 2004). Weitverbreitete Synonyme für Intuition sind Empfindungen, Gefühle, Gespür, innere Stimme, Bauch, Ahnung, plötzliche Erkenntnis, Unterbewusstsein, Idee (Duden, 2004). Schon zu Beginn der 1980er Jahre formulierte Goldberg (dt. 1993) Intuition etwas metaphorisch: »[...] während Vernunft und empirische Beobachtung den Gang der Forschung lenken und die leidenschaftliche Suche nach Wahrheit gewissermaßen den Brennstoff liefert, ist die Intuition der Zündfunke. Das läuft nicht nur bei großen Entdeckungen so, sondern auch bei alltäglichen Entscheidungsprozessen und Problemlösungen« (1993, S. 93; Hervorh. M. K.). Auch Zehnder formulierte Intuition als eine »Art zündenden Zusammenfallens aller menschlichen Möglichkeiten des Emp-
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findens und Erkennens« (1986, S. 80), das heißt, sie benötigt sowohl Wissen als Basis der Rationalität als auch Engagement als Substrat der Emotionen. Demnach wird die Intuition auch als ganzheitliches Empfinden betrachtet. Nach Spälti (in Bechtler, 1986) besteht eine intuitive Erkenntnis aus einer unmittelbar individuellen Gesamtschau auf ein Geschehen. Eine intuitive Erkenntnis resultiert aus unbewussten Faktoren, sie muss nicht notwendigerweise irrational sein, dennoch ist eine rationale, kollektive Begründung zunächst nicht vorhanden. Sie manifestiert sich erst einmal in einer subjektiven und individuellen Form. Insofern erscheint die Intuition neutral, denn ihren Wert erhält sie erst durch die Beurteilung des jeweiligen Individuums und den zugrunde liegenden Faktoren wie Erfahrung, Instinkt und Gespür. Schmid, Hipp und Caspari verstehen unter Intuition »Wissen, das auf Erfahrung beruht und durch direkten Kontakt mit dem Wahrgenommenen erworben wird, ohne dass der intuitiv Wahrnehmende sich oder anderen genau erklären kann, wie er zu der Schlussfolgerung gekommen ist. Intuition meint ein Urteilen über Wirklichkeit, ohne dass der Beurteilende weiß, wie er sein Urteil bildet, und oft ohne dass er in Worten beschreiben kann, worin sein Urteil besteht. Die Urteile zeigen sich jedoch in seinen Handlungen. Intuition kann daher als Handlungswissen bezeichnet werden« (1992, S. 3). Nach Mack (1999) zeigt sich die Intuition dadurch, dass wir etwas wissen, ohne zu wissen, warum wir etwas wissen. Dabei geht es um einen komplexen Prozess, der sehr schnell abläuft und sich vom sukzessiven Denken unterscheidet. Bei einer Intuition fügt das Gehirn innerhalb kürzester Zeit eine Vielzahl von Detailinformationen zu einem ganzen Bild zusammen. Nach Hänsel, Zeuch und Schweitzer (2002, S. 3) wird Intuition häufig als sprunghaft und irrational erlebt und verstanden. Für die meisten Menschen ist sie das Gegenteil des logischen, rationalen Denkens. Allgemein verstehen die Autoren unter dem Begriff der Intuition »ein Bündel an kreativen und meist unbewussten Kompetenzen und Wissensbeständen«. Zusammenfassend lässt sich aus den Definitionen zur Intuition Folgendes ableiten: Intuition wurde schon Anfang der
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1980er Jahre als etwas Ganzheitliches verstanden, das sich sowohl aus Ratio als auch aus Emotionen zusammensetzt. Die Intuition fügt in kurzer Zeit Detailinformationen zu einem Gesamtbild zusammen, das sich als plötzliche, unbewusste, vorerst nicht begründbare intuitive Erkenntnis äußert (vgl. Spälti u. Zehnder in Bechtler, 1986). Zu Beginn der 1990er Jahre wurde das Erfahrungswissen hinzugezogen, nun sah man Intuition als auf den Erfahrungen basierend, die das Individuum im Laufe seines Lebens gesammelt hat. Das individuelle Erfahrungswissen kann sich in Handlungswissen äußern, auch wenn es zum Teil unbewusst und unbegründet ist. Intuition ist für mich das Erfahrungswissen eines Individuums und die Fähigkeit zur Erfassung, Erkenntnis und Wahrnehmung von Sinnzusammenhängen, Ereignissen und Situationen. Sie kann sich als Handlungswissen äußern, dabei wirkt sie unmittelbar, umfassend und ganzheitlich. Sie wird als schöpferischer Geistesblitz mit einer emotionalen Komponente erfahren und bewirkt neue Ideen und Sichtweisen. Dabei bleibt sie für das logisch-rationale Denken häufig nicht nachvollziehbar und erklärbar.
Was ist emotionale Intelligenz? Der traditionelle Begriff vom Intelligenz-Quotienten (IQ) reduziert den Probanden auf eine Bandbreite seiner sprachlichen und mathematischen Fähigkeiten. Demnach gilt der IQ-Wert als Prädiktor für möglichen schulischen oder laufbahnorientierten Erfolg. Nach Goleman (1998) sollte mittlerweile der Intelligenzbegriff weiter gefasst werden. Er versteht unter Intelligenz das, was ein Individuum braucht, um ein gelungenes und erfolgreiches Leben zu führen. Er definiert emotionale Intelligenz als die Fähigkeit, eigene Emotionen zu kennen und sie bewusst wahrzunehmen, eine angemessene Kontrolle über seine Emotionen zu besitzen, Emotionen in die Tat umzusetzen sowie Empathie und Umgang in Beziehungen zu zeigen. Goleman (1998) unterteilt die emotionale Intelligenz in die interpersonelle und die
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intrapersonale Intelligenz. Mit der interpersonellen Intelligenz ist die Fähigkeit gemeint, andere Menschen hinsichtlich ihrer Motivation, Arbeit und ihrer Kooperation mit anderen zu verstehen. Unter der intrapersonalen Intelligenz wird eine nach innen gerichtete Fähigkeit verstanden, die darin besteht, ein angemessenes, wahrheitsgemäßes Modell von sich selbst zu bilden und mit dessen Hilfe ein erfolgreiches Leben zu führen. Unter interpersonaler Intelligenz fasst er die »Fähigkeit, die Stimmungen, Temperamente, Motivationen und Wünsche anderer Menschen zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren« (Goleman, 1998, S. 60), während aus Golemans Sicht die intrapersonale Intelligenz der Schlüssel zur Selbsterkenntnis ist, unter der er den »Zugang zu den eigenen Gefühlen und die Fähigkeit, zwischen ihnen zu unterscheiden und sein Verhalten von ihnen leiten zu lassen«, versteht (Goleman, 1998, S. 61). Daher wird angenommen, dass die interpersonale Intelligenz mit der Qualität der Empathie verglichen werden kann, während intrapersonale Intelligenz mit Intuition in Verbindung gebracht werden kann.
Was ist Empathie? »Empathie« als Begriff wurde erstmals in den 1920er Jahren von E. B. Titchener eingeführt. In der wissenschaftlichen Bedeutung wird dabei gerne von »motorischer Mimikry« gesprochen (Goleman, 1998). Empathie ist etymologisch vom griechischen Wort empatheia für »Einfühlung« abgeleitet. Später bezeichneten Theoretiker der Ästhetik Empathie als die Fähigkeit, das subjektive Erleben eines anderen Menschen wahrzunehmen. Titcheners Theorie geht davon aus, dass Empathie auf einer Art physischer Imitation der Emotionen eines anderen beruht, die dann bei der Person selbst ähnliche Emotionen hervorruft. Empathie unterscheidet sich von Sympathie und Mitgefühl darin, dass das Schicksal eines anderen nachempfunden wird, ohne dabei mitzufühlen und die Gefühle des anderen zu teilen. Das Fundament der Empathie ist Selbstwahrnehmung. Je besser und offener wir
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mit den eigenen Emotionen umgehen, desto eher können wir die Gefühle unseres Gegenübers wahrnehmen und deuten. Gefühle werden stärker durch nonverbale Zeichen ausgedrückt und weniger durch Worte. Um die Gefühle des anderen zu erfassen, muss man die nonverbalen, also körperlichen Signale wahrnehmen und deuten wie den Klang der Stimme, Mimik, Gestik und Gesichtsausdruck. Goleman formuliert es folgendermaßen: »Während die rationale Seele sich durch Worte ausdrückt, ist die Sprache der Emotion nonverbal« (1998, S. 129). Emotionen sind nach Goleman übertragbar. Bei jeder zwischenmenschlichen Kommunikation werden Emotionen subtil ausgetauscht und sind somit Bestandteil unbewusster Kommunikation. Demnach werden Stimmungen übertragen und empfangen. Goleman spricht von einer »unterirdischen Ökonomie der Psyche, in der gewisse Begegnungen giftig und andere stärkend sind« (1998, S. 149). So senden wir bei jeder zwischenmenschlichen Begegnung emotionale Signale aus, die einen Einfluss auf unser Gegenüber haben. Emotionale Intelligenz impliziert, dass man sich diesem emotionalen Austausch bewusst ist und ihn auch zu steuern weiß, das heißt Kontrolle über die ausgesandten Signale ausüben kann. Goleman vermutet, dass die Übertragung sehr wahrscheinlich auf die menschliche Grundfähigkeit zur Imitation zurückzuführen sei. Demnach imitieren wir unbewusst die Emotionen, die ein Gegenüber aussendet, also nonverbale Signale wie den Gesichtsausdruck, die Gebärden, den Tonfall der Stimme. Aufgrund dieser Imitation wird bei uns die Stimmung des anderen erzeugt. Cacioppo hat den subtilen Austausch von Emotionen untersucht und kommentiert dazu: »Es genügt, bei jemandem den Ausdruck einer Emotion zu beobachten, um in uns selbst diese Stimmung hervorzurufen, auch wenn wir gar nicht merken, dass wir den Gesichtsausdruck nachahmen. Das passiert ständig. Man kann von einem Tanz, einer Synchronisation, einer Übertragung der Emotionen sprechen. Es hängt von dieser Synchronisation der Stimmungen ab, ob man das Gefühl hat, dass eine Interaktion geklappt hat oder nicht« (in Goleman, 1998, S. 151). Die Stärke der Kongruenz in zwischenmenschlichen Begegnungen spiegelt sich in dem Grad der nonverbalen Kommunikation wider. Cacioppo
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geht weiter davon aus, dass ein Erfolgsfaktor im interpersonalen Bereich die Handhabung darstellt, mit der diese emotionale Synchronisation herbeigeführt wird. Demnach läuft die Interaktion auf der emotionalen Ebene umso stimmiger ab, je besser die Menschen sich auf die Stimmungen ihres Gegenübers einzustellen wissen. Die Arbeit mit dieser emotionalen Stimmigkeit ist eine grundlegende Methodik in allen lösungsorientierten Konzepten wie beim NLP und bei den hypnotherapeutischen Ansätzen. Im Umkehrschluss dazu haben Menschen häufiger Beziehungskomplikationen, die Stimmungen und Emotionen anderer nicht empfangen und ausstrahlen können.
Die Spiegelneuronen – eine neurophysiologische Erklärung der Intuition? Was Goleman Ende des 20. Jahrhunderts herausfand, hat sich bis heute weiterentwickelt. Bauer (2006) bezeichnet die »Synchronisation der Stimmungen« als Resonanzphänomene, die das Einschwingen auf den emotionalen oder körperlichen Zustand eines anderen Menschen ermöglichen. Im neurobiologischen Verständnis handelt es sich dabei um die Spiegelnervenzellen oder Spiegelneuronen. Nach Bauer werden Intuition und Empathie durch sie beschreibbar. Er definiert Resonanz so: »Diese Wahrnehmungen, egal ob bewusst oder unbewusst, werden nicht nur in uns abgespeichert, sondern können auch Reaktionen, Handlungsbereitschaften sowie seelische und körperliche Veränderungen in Gang setzen aufgrund der Spiegelneuronen« (2006, S. 10). Goleman (1998) und Bauer (2006) stimmen damit überein, dass Menschen sich in Interaktionen auf die Stimmungen und Situationen ihres Gegenübers einlassen und die zu einem Gefühl dazugehörigen Verhaltensweisen unbewusst imitieren oder reproduzieren. Blicke anderer Menschen lösen unbewusst Reaktionen aus. Dadurch entsteht zwischen den Menschen eine kontinuierliche, ähnlich verlaufende Aufmerksamkeit. Dieses Phänomen wird in der neurobiologischen Fachsprache als »joint
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attention« bezeichnet (Bauer, 2006). Das Individuum ist darauf angewiesen, sich durch beobachtetes Verhalten ein sofort verfügbares intuitives Wissen über den weiteren Verlauf eines Ereignisses zu verschaffen. Gerade in Gefahrenlagen kann es überlebenswichtig sein, intuitiv zu spüren, was zu erwarten ist. Das Gehirn hat ein Schnellerkennungssystem perfektioniert, um aus körperlichen Bewegungen anderer intuitiv richtige Schlüsse zu ziehen und hierfür benötigt es wenige Merkmale. Studien haben gezeigt (Bauer, 2006, S. 90), dass Personen im dunklen Raum anhand nur weniger Lichtpunkte genau erkannt werden können. Daher kann der Mensch mit wenigen Signalen erkennen, was eine beobachtete Person in ihrer Bewegung gerade tut oder beabsichtigt. Nach Bauer leben Menschen in einem gemeinsamen, zwischenmenschlichen Bedeutungsraum, in dem man die Gefühle, Handlungen und Absichten anderer intuitiv verstehen kann. In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass das System der Spiegelneuronen die neuronale Grundlage für diesen Bedeutungsraum ist. Die entsprechende Hirnregion arbeitet spontan und unabhängig vom analytischen Verstand. Die Befähigung, intuitive Vorstellungen und Gewissheiten über die Gefühle und Absichten eines anderen Menschen zu gewinnen, wird heute als die Fähigkeit zur Theory of Mind (TOM) bezeichnet. Die Fähigkeit des Menschen zu emotionalem Verständnis und Empathie wird darauf zurückgeführt, dass sozial verbindende Vorstellungen nicht nur untereinander ausgetauscht werden, sondern im Gehirn des jeweiligen Empfängers auch aktiviert und spürbar werden. Demnach muss ein System wirksam sein, dass den Austausch von inneren Vorstellungen und Gefühlen ausführt und darüber hinaus die ausgetauschten Vorstellungen im Empfänger zu einer Resonanz bringen lässt. Dieser zwischenmenschliche Bedeutungsraum, der die Austausch- und Resonanzphänomene möglich macht, ist das System der Spiegelneuronen im Gehirn (Bauer, 2006). Demnach kann intuitives Handeln mit dem Vorhandensein der Spiegelneuronen erklärt werden. »Die Beobachtung von Teilen einer Handlungssequenz eines anderen reicht aus, um im Beobachter dazu passende Spiegelneurone zu aktivieren, die
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ihrerseits aber die gesamte Handlungssequenz wissen« (Bauer, 2006, S. 39). Die Fähigkeit des Menschen, Teile von Handlungssequenzen zu ergänzen, wird als intuitives Verstehen bezeichnet. Dies wird durch die Vorerfahrungen des Individuums, die im Gehirn gesammelt und gespeichert werden, begründet. Dabei ist es unerheblich, ob negative oder positive Erfahrungen gemacht wurden, sie alle werden im Gehirn gespeichert und in ähnlichen Momenten abgerufen respektive gespiegelt. Dennoch unterliegt die Intuition auch bewusster Irreführung und Selbsttäuschung, deshalb ist es nach Bauer (2006) besonders wichtig, den Verstand und die rationale Analyse hinzuzuziehen, um eine Situation richtig bewerten zu können. Intuitives Wahrnehmen geschieht immer in Verbindung mit Körperempfindungen, mit unseren Gefühlen, auf welche die Spiegelneuronen einen großen Einfluss ausüben. Durch das Zusammenspiel der Intuition mit der intellektuellen Analyse und Ratio kann erst eine vernünftige und stimmige Entscheidungsfähigkeit zustande kommen. Zusammenfassend lässt sich daraus ableiten, dass Spiegelneurone Intuition, Empathie und emotionale Intelligenz neurophysiologisch erklären können.
Qualitätsmerkmal Intuition? oder: Rationale Anliegen intuitiv lösen »Rationale Anliegen rational lösen«, so lautete das Credo in Problemlösung und Forschung früher. Inzwischen zeigen sich die Grenzen der Rationalität und die Dichotomie von Verstand und Gefühl gerät ins Wanken. Wo Komplexität und Unübersichtlichkeit an der Tagesordnung sind, helfen rein analytische Vorgehensweisen allein kaum noch weiter. Es gibt inzwischen einfach zu viele Fakten und Kombinationen von Fakten, die durch den Verstand allein nicht mehr zu lösen sind. Je komplexer die Aufgaben werden, desto schneller addieren sich die Komplikationen auf und der rationale Verstand ist überfordert und schaltet sich aus. »Wenn dein einziges Werkzeug ein Hammer ist, dann beginnst du alles unter dem Gesichtspunkt von
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Nägeln zu sehen« (Maslow, zit. n. Goldberg, 1993, S. 23). Wenn die einzigen Werkzeuge eines Menschen rein rational-analytisch sind, dann wird sich sein Blick auch nur darauf beschränken, was analysiert werden kann und messbar ist. Das Gegenteil von Intuition ist nicht Rationalität, denn Intuition ist eine Erfahrung des Erlebens und ein irrationales Element in einer Entdeckung (Goldberg, 1993). Nach Bauer (2006) sind Intuition und rationale Analyse gleich relevant und sollten gemeinsam in Anspruch genommen werden. Die größte Wahrscheinlichkeit zur richtigen Bewertung einer Situation ist dann gegeben, wenn sich beide ergänzen und somit zu ähnlichen Ergebnissen führen. Studien von Gigerenzer (2007) mit Studierenden zum Kauf von Aktien oder von Frühstücksmarmelade zeigen, dass in vielen Situationen das Bauchgefühl dem analytischen Verstand überlegen ist. Dementsprechend führt mehr Analyse nicht unbedingt zu besseren Entscheidungen. Begründet wird dies durch die begrenzte Kapazität der Ratio im Gehirn. Das Bewusstsein kann nur ungefähr 50 Basiseinheiten von Information (Bits) pro Sekunde verarbeiten. Dagegen kann das Unbewusste Millionen von Bits gleichzeitig verarbeiten. Unsere Sinne verarbeiten in jeder Sekunde mehrere Millionen von Bits, aber nur ein Bruchteil davon dringt ins Bewusstsein (Kast, 2007). Nach Kutschera (1998) verlaufen unsere Prozesse zu 80 % unbewusst und die restlichen 20 % bewusst, also benutzen wir nur ein Fünftel unserer Gehirnaktivität. Daher kann das Unbewusstsein eine Vielzahl von Informationen gleichzeitig verarbeiten. Das wirkt sich besonders vorteilhaft in komplexen Situationen aus (vgl. Ruthenbeck, 2004), denn wir verschaffen uns schnell einen Überblick, benötigen nur einige wenige Hinweisreize, um dann spontan aus dem »Bauch« heraus zu reagieren. Die bewusste Ratio dagegen kann sich nur auf einige wenige Anhaltspunkte konzentrieren und läuft stets Gefahr, dabei den Blick über das Gesamte zu verlieren. Der Verstand ist mit einem Scheinwerferlicht vergleichbar, der einen Punkt im Raum klar ausleuchtet. Die Bühne und der ganze Rest des Theaters bleiben im Dunkeln. Das bewusste Denken fokussiert nur einen Aspekt und verliert daher schnell das große Ganze aus den Augen. Das Unbewusste hingegen ähnelt eher einem schwachen Flutlicht,
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mit dem zwar nicht jede Feinheit gesehen wird, aber es werden die ganzen Umrisse der Bühne sichtbar. Daher eignet sich diese Strategie gerade in komplexen Situationen als eine Art Handlungskompass (Kast, 2007). Demzufolge sollte der Zuschauer gleichzeitig von zwei Perspektiven aus, dem Scheinwerferlicht und dem Flutlicht, die Bühne betrachten, um letztlich seine Entscheidung zu treffen. Ich gehe daher von einer komplementären Beziehung aus. Intuition und Ratio sind gleichwertig und sollen sich ergänzen. Intuition ist eine kreative und handlungsleitende Kraft, die wir in verschiedenen Bereichen ergänzend zu unserem Verstand optimal einsetzen können, um einen größtmöglichen Nutzen zu erzielen.
Wie äußert sich Intuition? Woran merke ich, dass ich intuitiv bin? »Vorsicht, da kommt eine Intuition!« Woran erkenne ich, dass ich eine Intuition habe? Intuition kann sich in unterschiedlichen Formen zeigen und wahrgenommen werden. Dies verdeutlicht sich auch im Sprachgebrauch wie zum Beispiel »das habe ich intuitiv richtig gespürt« oder »das war meine Intuition« oder »mein Bauchgefühl sagt mir …«, »meine innere Stimme …« – gemeinsam ist den Ausdrücken, dass eine Person etwas spürt, was als richtungweisend empfunden wird und nicht näher definiert werden kann, sondern unter dem Wort »Intuition« subsumiert wird. Es handelt sich dabei um einen subjektiv wahrgenommenen Zustand, den ein Individuum erfährt, ohne eine logische Erklärung dafür zu haben, dennoch begleitet ist durch ein Gefühl der Stimmigkeit bzw. Richtigkeit. Hänsel, Zeuch und Schweitzer (2002) gehen davon aus, dass Intuition in drei unterschiedlichen Formen erlebt und wahrgenommen werden kann, nämlich als Handlungswissen, als intelligentes Körpergefühl und als Geistesblitz. 1. Intuition als Handlungswissen zeigt sich, wenn Menschen das Gefühl haben, dass ein »innerer Autopilot« die Steuerung
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übernommen hätte. Sie handeln dann so, als ob sie genau wüssten, was zu tun ist, ohne dass sie die einzelnen Schritte bewusst steuern oder kontrollieren. Intuition wird in dieser Form als unbewusst angewandtes Erfahrungs- oder Handlungswissen erlebt, auch als »Tacit Knowledge« oder »implizites Wissen« bekannt. 2. Intuition als Körpergefühl wird häufig als Signal von Menschen in Entscheidungssituationen wahrgenommen. Sie erleben ein gutes oder schlechtes Bauchgefühl oder Anspannungen im Körper bezogen auf die zu treffende Entscheidung. Solche »intelligenten« Körpergefühle werden als »somatische Marker« (Damasio, 2005) bezeichnet und geben wichtige Hinweise in Entscheidungs- und Handlungssituationen, da sie vielfältige Erfahrungswerte und Informationen erkennen lassen. 3. Intuition als Geistesblitz nach einer schöpferischen Pause wird häufig dann erfahren, wenn man sich mit komplexen Problemen beschäftigt und das Gefühl hat, dass man festgefahren ist und »nichts mehr geht«. Dabei kann es hilfreich sein, sich abzulenken und sich mit etwas anderem zu beschäftigen. Häufig kommt es dann in diesen gedankenlosen Situationen zu so genannten Geistesblitzen oder intuitiven Erkenntnissen, die entweder das Problem lösen oder eine neue Idee entstehen lassen. In der Kreativitätsforschung wird dieses Phänomen »Inkubation« genannt. Wie kommt nun eine intuitive Erkenntnis oder ein Aha-Erlebnis genau zustande? Woher kommen Kreativität, Erfindungen und Innovationen? Wie ist das »Heureka«-Erlebnis nach Archimedes entstanden? Nach Locher (1986) ist der Ursprung für solche Erfahrungen, Erscheinungen und Geschehnisse im Individuum zu finden. In diesem Zusammenhang wird häufig von Intuition gesprochen, das heißt der Fähigkeit, Vorgänge und Wesenszusammenhänge emotional richtig zu erfassen. Der Weg dahin wird nach Locher (in Bechtler, 1986, S. 178) durch »realistisch sein, aber sich erlauben, etwas unrealistisch zu denken« erreicht, denn nur dadurch lassen sich Zusammenhänge erkennen, die vorher nicht gesehen wurden. Am Resultat eines kreativen Pro-
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zesses kann man selten erkennen, welche Stadien dieser Prozess bereits durchlaufen hat. Das Individuum versucht dennoch, den Prozess zu verstehen und zu beeinflussen, das Ergebnis aber kann nicht beeinflusst werden. Intuition und Kreativität werden häufig in enger Verbindung beschrieben. Helmholtz und Poincaré beschreiben ihre eigenen mathematischen Entdeckungen als einen kreativen Prozess, der in vier Phasen ablief (Goldberg, 1993) (Abb. 1). 1. Präparationsphase Die bewusste Beschäftigung mit einem Problem oder einer Aufgabe. Die Suche nach Informationen für eine Lösung.
4. Verifikationsphase Die Lösung wird überprüft anhand von bestimmten Zielkriterien oder es erfolgt eine direkte Umsetzung in Handlung.
3. Illuminationsphase Die Idee wird geboren und sichtbar in Form eines einfallsartigen Impulses, der zu der Lösung des Problems beiträgt.
4-PhasenModell der Intuition
2. Inkubationsphase Keine bewusste oder absichtliche Beschäftigung mit dem Thema, dabei findet eine unbewusste Verarbeitung des Themas oder Problems statt. Diese Phase wird meist der Intuition zugeordnet.
Abbildung 1: Vier-Phasen-Modell der Intuition nach Helmholtz und Poincaré
Das Vier-Phasen-Modell von Helmholtz und Poincaré erklärt, welche Phasen ein Individuum durchläuft, ausgehend vom Problem, bis es zu einer neuen kreativen Idee gelangt. Dabei sind unbewusste Prozesse beteiligt (Inkubationsphase), aber erst durch das Zusammenspiel von Intuition und Ratio wird ein Ergebnis erreicht (Verfizierungsphase). In der psychologischen Forschung wird der Frage nachgegangen, welche unbewussten Prozesse es gibt und welche Rolle sie in der Psyche spielen können. In der Kognitionspsychologie kommt diesen Prozessen vermehrt Auf-
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merksamkeit zu, zum Beispiel im Rahmen der Wahrnehmungsverarbeitung, Wissensrepräsentationen, Problemlöseprozessen, Lernen und Kompetenzentwicklung (Gigerenzer, 2007; Kast, 2007). In Problemlöseprozessen beschreibt Bowers die Struktur der Intuition aufgrund verschiedener Wahrnehmungs- und Gedächtnisexperimente folgendermaßen: »Accordingly, our model of intuition implies that a pattern of clues more or less unconsciously and automatically activates relevant mnemonic and semantic networks, thereby guiding thought tacitly to an explicit hypothesis or hunch« (Bowers et al., 1990, S. 84). Demnach teilt Bowers den intuitiven Prozess in zwei Schritte ein: Während eines intuitiven Problemlöseprozesses werden für die Lösung relevante semantische Netzwerke (Erfahrungswissen) aktiviert durch zentrale, meist unbewusst aufgenommene Hinweise auf Kohärenz. In einem ersten, führenden Schritt werden die Kohärenzhinweise wahrgenommen, verarbeitet und ermöglichen das zunehmende Verständnis eines Problems. In dem zweiten, integrativen Schritt können diese unterhalb der Bewusstseinsschwelle ablaufenden Prozesse die Bewusstseinsschwelle übertreten und werden dann als Ahnung oder plötzliches Bewusstwerden wahrgenommen. Dem Übergang von impliziter zu expliziter Wahrnehmung einer Intuition geht oft ein Gefühl der Vor-Ahnung voraus. Intuition hängt unmittelbar mit der bereits gemachten Erfahrung in einer bestimmten Situation zusammen, die sich in Gedächtnisnetzwerken manifestiert. Bowers (Bowers et al., 1990) schlussfolgert, dass sich der intuitive Problemlöseprozess parallel zum Bewusstsein entwickelt und auf unbewusstem Niveau kontinuierlich verläuft. Wenn der Prozess an einer bestimmten Stelle die Schwelle des Bewusstseins überschreitet, entsteht das plötzliche Einsichtserleben oder die intuitive Erkenntnis. In diesem Modell verläuft die unbewusste Informationsverarbeitung kontinuierlich als kognitiver Parallelprozess, sie tritt diskret ins Bewusstsein ein. Die Vorläufer der eigentlichen intuitiven Erkenntnis werden experimentell als »feeling of warmth« erfasst. Eine Versuchsperson äußert wiederholt, wie nahe sie sich der Lösung einer Aufgabe fühlt. Wenn das Gefühl mit der tatsächlich richtigen Lösung übereinstimmt, dann ist das »feeling of warmth« sehr zutreffend.
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Zusammenfassend kann festgehalten werden: Intuition zeigt sich als Ergebnis, ohne dass das Individuum begründen kann, wie es dazu kam. Oder Intuition stellt sich als plötzlich, unmittelbar auftauchende Idee dar, die faktisch nicht begründbar ist. Beiden gemeinsam sind das begleitende Körpergefühl und die Emotionen, die dem Individuum bestätigen, ob sich die Erkenntnis stimmig anfühlt oder nicht.
Welche Funktionen kann Intuition erfüllen? In welchen Situationen sollte man demnach lieber auf sein Bauchgefühl hören und wann den Kopf einschalten? Für eine Antwort auf diese Frage sind die von Goldberg (1993) identifizierten sechs unterschiedlichen Funktionen der Intuition hilfreich (Abb. 2). 1. Die intuitive Entdeckung 6. Illumination
5. Die prognostische Intuition
4. Die operative Intuition
Funktionen von Intuition
2. Die kreative Intuition
3. Die intuitive Evaluation
Abbildung 2: Funktionen von Intuition nach Goldberg
Die ersten fünf Kategorien stehen in enger, reziproker Beziehung zueinander und können in verschiedenen Kombinationen vorkommen; sie erfassen das gesamte Spektrum gewöhnlicher Erfahrungen. Die Sechste unterscheidet sich von den restlichen fünf, da sie als mystische Erfahrung bezeichnet wird. 1. Die intuitive Entdeckung ist eine plötzliche, das bisherige Wissen und Logik transzendierende Entdeckung im Hinblick
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auf eine bestimmte Frage- oder Problemstellung. Häufig wird sie als Inkubationsphase während einer längeren Beschäftigung mit einem Thema beschrieben. Die kreative Intuition befasst sich mit Alternativen, Optionen oder Möglichkeiten. Dabei erzeugt sie Ideen und mögliche Lösungen für ein Problem, ohne dass ein bestimmtes Ergebnis gesucht wird. Die Intuitive Evaluation beschreibt die Bewertung von Entscheidungsalternativen in Bezug auf eine bestimmte Frage, ohne dass für die Bewertung Fakten oder klare Gründe angegeben werden können. Diese Bewertung erfolgt häufig in Form eines Gefühls oder auch einer »inneren Stimme«. Gerade wenn keine Fakten für eine Entscheidung vorhanden oder relevant sind, kommt dieser Funktion eine hohe Bedeutsamkeit zu. Die operative Intuition wird als inneres Phänomen gesehen, das die Handlungsgestaltung direkt in der Situation des Handelns betrifft und als richtungweisend empfunden wird. Der sogenannte innere Kompass wird oft als wirkende Kraft wahrgenommen, die die Aufmerksamkeit in eine bestimmte Richtung lenkt, ohne dass dafür logische Gründe gegeben werden. Die prognostische Intuition stellt eine Form der Erkenntnis dar, die sich auf die Zukunft bezieht. Ähnliche Begriffe sind die der Ahnung oder des Gespürs. Jede Hypothesenbildung hat etwas implizit Prognostisches, da man aufgrund ihrer Validität immer Zukunftskonstruktionen und Konzepte macht. Illumination ist der Prototyp der Intuition und nach Goldberg die Erleuchtung, die alle anderen Formen transzendiert. Besonders kennzeichnend dafür ist die Erfahrung eines Bewusstseinszustands, in dem Subjekt-Objekt-Dualität aufgehoben ist, also das Einssein mit allem direkt erfahren wird.
Die Funktionen der Intuition nach Goldberg (1993) werden als unbewusste Prozesse beschrieben und von der Ratio abgegrenzt. Übereinstimmend mit Hänsel, Zeuch und Schweitzer (2002) beschreibt er Intuition als »Geistesblitz« nach einer Inkubationsphase während eines Lösungsfindungsprozesses, der der intuitiven Entdeckung entspricht. Darüber hinaus kann die intuitive
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Evaluation den somatischen Markern (Damasio, 2005) entsprechen und die operative Intuition wird als Erfahrungswissen verstanden, das sich im Handlungswissen zeigt.
Welche Rolle spielt die Intuition in Entscheidungsprozessen? In den vergangenen Jahren zeigte die Entscheidungsforschung große Fortschritte (Gigerenzer, 2007; Betsch, 2004). Dies kann man sich durch die inzwischen entstandene Multioptionsgesellschaft erklären. Mit dem technischen Fortschritt und der komplexen, computerisierten Wirtschaftswelt lautet die Anforderung an den flexiblen Menschen, schnelle und intelligente Entscheidungen zu treffen. Gleichzeitig etablierte sich in den vergangenen Jahren ein Entscheidungszwang mit dem Anstieg der Möglichkeiten, die unendliche Konsequenzen nach sich ziehen können – was sich letztlich auch in der Sprache der Menschen niederschlägt: Sätze wie »Eigentlich müsste ich …«; »Ich könnte …«, »vielleicht«, »Ja, aber …« gehören zur alltäglichen Kommunikation. Diese Entscheidungsunfreudigkeit spiegelt sich ebenfalls in unseren privaten Beziehungen wider. Dabei beobachte ich häufig, dass Menschen dem Glaubensatz anhängen, je länger sie ihre Entscheidung (etwa bezüglich Studienfach- und Berufswahl, Heirat und Kinder) hinauszögerten, desto besser würde die Qualität ihrer Entscheidung. Der Weg zur richtigen Entscheidungsfindung wird dabei häufig als Leidensweg empfunden. Es findet ein andauernder Abwägungsprozess statt, bei gleichzeitig ansteigendem Druck, die beste Entscheidung treffen zu müssen. Diesem Druck können sich auch Führungskräfte nicht entziehen. Dass dabei zwangsläufig auch Entscheidungen getroffen werden, die sich im Nachhinein als falsch erweisen, gehört zur Multioptionsdynamik der heutigen komplexen Welt dazu (vgl. dazu den Beitrag »Coaching als Lernformat für Führungskräfte« von Bentner in diesem Band).
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Wie kann man dem entgegenwirken? Was sind die Vorteile, sich erst einmal nicht zu entscheiden? Ein einfacher Weg bestünde auch aus lösungsorientierter Sicht darin, der eigenen Intuition mehr zu vertrauen, mehr auf seine innere Stimme zu hören. Hierzu hat sich in der Beratungspraxis besonders die Arbeit mit dem »inneren Team« besonders bewährt (vgl. Schultz von Thun, 1998). Mittlerweile wird die Intuition als wichtiges Navigationssystem für menschliche Entscheidungen angesehen, da sie in der Lage ist, die Grenzen der Ratio zu überwinden. Gigerenzer beschäftigt sich schon seit über zehn Jahren mit der Erforschung der Intuition in Entscheidungsprozessen. Hierzu werden Tests, Experimente und Hirndurchleuchtungsverfahren verwendet, um bei Entscheidungsprozessen, wie der Wahl zwischen Marmelade- oder Kaffeesorten, in das Gehirn und damit sozusagen in das Unbewusste blicken zu können. Gigerenzer (2007) geht davon aus, dass Intuition für viele Problembereiche eine hilfreiche Lösung sein kann. Er verwendet die Begriffe Bauchgefühl, Intuition und Ahnung synonym, um ein Urteil zu benennen, 1. das rasch im Bewusstsein auftaucht, 2. dessen tiefere Gründe uns nicht ganz bewusst sind und 3. das intensiv genug ist, um danach zu handeln. Intuition ist nach Gigerenzer et al. (in Witte, 2006) einerseits angeboren und resultiert andererseits aus Erfahrungen, die ein Individuum im Laufe seines Lebens gesammelt hat. Er beschreibt Intuitionen mit einfachen und schnellen Regeln, beruhend auf der Annahme, dass Menschen zur Problemlösung und Entscheidungsfindung verschiedene Heuristiken zur Verfügung stehen, und zwar in Form eines »adaptiven Werkzeugkastens«, auf den sie zurückgreifen können. Laut Gigerenzer (in Witte, 2006) gibt es drei zentrale Eigenschaften von Heuristiken: 1. Heuristiken nutzen im Laufe der Evolution entwickelte Fähigkeiten, sogenannte evolvierte Fähigkeiten; 2. Heuristiken nutzen Umweltstrukturen und 3. Heuristiken sind Prozessmodelle. Mit dem Modell der Heuristik lassen sich neben dem Ergebnis auch Prozesse beschreiben, die zu einer Entscheidung geführt haben. Beispielsweise erfüllt nach Gigerenzer die Blickheuristik
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die Kriterien einer Intuition, da sie verdeutlicht, wie komplexe Probleme leicht gelöst werden, alle kausalen Informationen ausklammert und einzig den Blickwinkel berücksichtigt. Die Blickheuristik lässt sich sehr anschaulich an einem Beispiel erklären: Wenn wir eine viel befahrene Straße überqueren wollen, nutzen wir unsere Erfahrungen aus der Vergangenheit (erst nach links, dann nach rechts schauen), messen wir in Sekundenschnelle die Entfernung eines entgegenkommenden Auto und den Weg über die Straße plus unsere eigene Fußschnelligkeit (also wie lange wir zum Überqueren der Straße brauchen) und spüren gleichzeitig ein Go- oder Stop-Signal im Körper. Für einen kurzen Moment sind wir hochkonzentriert, angespannt und entscheiden uns intuitiv. Ein weiteres Beispiel für eine Heuristik, auf die wir täglich zurückgreifen, ist die Rekognitionsheuristik. Sie bezeichnet das Wiedererkennen von Objekten zur Vorhersage eines Kriteriums. Wenn eines von zwei Objekten wiedererkannt wird, hat dieses Objekt einen höheren Wert als Kriterium als das Unbekannte. Das heißt, wenn wir uns zwischen Alternativen entscheiden müssen, wählen wir diejenige aus, die uns vertrauter erscheint. Somit erkennt unsere Intuition die relevanten Charakteristika einer Situation, weil sie auf Erfahrungen, die das Individuum bisher gemacht hat, zurückgreift und unsere Gedächtnisinhalte nutzt, ohne dass es uns bewusst ist. Und gerade diese Gedächtnisinhalte ermöglichen unsere intuitive Reaktion. Das Modell der Heuristiken erklärt uns, wie Erfahrungswissen und Handlungswissen unsere Entscheidungen zum Teil auch unbewusst beeinflussen, wobei die Stimmigkeit der Entscheidung von unseren Gefühlen, den sogenannten Bauchgefühlen, abhängt.
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Wie effektiv ist die Intuition als Entscheidungsgrundlage in komplexen Situationen? Der Beantwortung dieser Frage hat sich Ruthenbeck (2004) gewidmet. Er definiert Intuition als eine höhere kognitive Fähigkeit, die unmittelbares Erkennen, Erfassen und Erleben erlaubt. Angesichts der Fähigkeit zum ganzheitlichen Erfassen geht er davon aus, dass die Intuition eine wichtige Rolle in der Entscheidungsfindung spielt und darüber hinaus in komplexen Situationen eine richtungweisende Funktion einnimmt. Sie stellt somit eine einfache und schnelle Heuristik dar (vgl. Gigerenzer, 2007). Mitunter können dabei die rational-analytischen Fähigkeiten optimal eingesetzt werden. Daher nimmt er an, dass die Intuition als Entscheidungsgrundlage in komplexen Situationen besonders effektiv sein kann. Ruthenbeck (2004) untersuchte, ob der bewusste Einsatz der Intuition bei der erfolgreichen Bewältigung von komplexen Aufgaben eine entscheidende Rolle spielt. Dazu sollten zwei Gruppen von Versuchspersonen das computersimulierte komplexe Szenario »Utopia« spielen. Die Gruppen erhielten verschiedene Instruktionen. Die eine Gruppe sollte bei den Aufgaben intuitiv vorgehen, während die andere Gruppe aufgefordert wurde, rational-analytisch zu entscheiden. Es fanden sich dadurch zwar keine Unterschiede in Bezug auf die Lösungsgüte. Dennoch zeigte die intuitive Vorgehensweise bei gleicher Qualität weniger Aufwand und mehr Initiative unter Misserfolgseinfluss, ein gesünderes Risikoverhalten und mehr Flexibilität. Es ergab sich kein Zusammenhang zwischen den Spielresultaten und Persönlichkeitsfaktoren, die intuitive Fähigkeiten vermuten lassen. Personen, die bei wichtigen Entscheidungen auf die innere Wahrnehmung vertrauten, erzielten im Computerszenario »Utopia« bessere Ergebnisse als diejenigen, die sich auf äußere Umstände verließen. Die Studie zeigt, dass Intuition als wichtiges Entscheidungsinstrument in komplexen Situationen anzunehmen ist. Dabei ist es unerheblich, ob ihr Einsatz bewusst oder unbewusst erfolgt. Intuitive Fähigkeiten werden häufiger von Personen genutzt, die sie auch im Alltag gebrauchen. Daher können wir zwischen der intuitiven Wahr-
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nehmung und der konkreten Umsetzung in Situationen unterscheiden. Hierbei stellt sich die Frage, wann wir nach unserem Bauchgefühl und wann mit unserem Verstand entscheiden sollen. Oder vielmehr: Unterscheiden sich Menschen grundsätzlich darin, wie stark sie bei Entscheidungen auf ihr Gefühl hören bzw. wie intensiv sie nachdenken, bevor sie entscheiden? Epstein et al. (1996) untersuchten, ob Personen sich darin unterscheiden, inwieweit sie bevorzugt intuitiv oder reflexiv-analytisch entscheiden. Beide Entscheidungsmodi (Intuition vs. Deliberation) ziehen unterschiedliche Konsequenzen nach sich. Beispielsweise kann bei einem gewählten Objekt, je nachdem ob intuitiv oder reflexiv-analytisch entschieden wurde, die Entscheidungszufriedenheit oder die Güte von Schätzungen variieren. Solche Phänomene erklären sich mit unterschiedlichen theoretischen Modellen und daher werden zwei Modi der Informationsverarbeitung und der Urteilsbildung angenommen: der intuitive Modus, das heißt, Menschen entscheiden bevorzugt auf der Basis von Gefühlen und automatischen Affekten; oder der deliberate Modus, der von analytisch-planvollem und kontrolliertem Entscheidungsverhalten geprägt ist. Nach Betsch (2004) hat der bisherige Forschungsstand zu diesen beiden Modi eine wesentliche Komponente außer Acht gelassen, und zwar die Frage nach der individuellen Präferenz für einen der beiden Modi. Um dies zu überprüfen, wurde der »Fragebogen Präferenz für Intuition und Deliberation« (PID) konstruiert und validiert. Dadurch konnte unterschieden werden, ob Personen dazu tendieren, aufgrund von Gefühlen und Affekten oder aufgrund von bewussten, planvollen Überlegungen zu entscheiden. Wichtig hierbei ist, dass Intuition und Deliberation nicht als Gegensatz verstanden wird, sondern als zwei voneinander unabhängige Konstrukte. Die Ergebnisse zeigen, dass Präferenz für Deliberation im Zusammenhang mit Gewissenhaftigkeit, Perfektionismus und Bedürfnis nach Strukturiertheit steht, aber unabhängig von der Fähigkeit zum logischen Denken ist. Ein positiver Zusammenhang bestand zwischen Präferenz zur Intuition und schnellem Entscheiden, Extraversion und Verträglichkeit, ebenfalls unabhängig vom logischen Denken.
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Zusammenfassend zeigen die Studien (Gigerenzer, 2007; Epstein et al., 1996; Betsch, 2004), dass Intuition eine wichtige Funktion in Entscheidungsprozessen einnimmt, besonders wenn es sich um komplexe Situationen handelt. Darüber hinaus gibt es bei Menschen eine Präferenz, wie sie bei Entscheidungen vorgehen. Intuition ist eine Fähigkeit, die jeder Mensch besitzt. Dabei stellt sich die Frage, welche Möglichkeiten es gibt, Intuition als Fähigkeit bewusster wahrzunehmen und im privaten als auch im beruflichen Alltag stärker zu integrieren und vor allem kommunizieren können.
Was haben Intuition und Emotion gemeinsam? Von einer engen Beziehung zwischen Intuition und Emotion ausgehend, erläutere ich, wie dieser Zusammenhang durch neurophysiologische Erkenntnisse belegt werden kann und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können. Körper, Emotion und Vernunft spielen bei vielen Alltagsanforderungen zusammen. Diese enge Verknüpfung wird mit dem Begriff des somatischen Markers zusammengefasst (Damasio, 2005). Die Theorie der somatischen Marker geht davon aus, dass bestimmte Vorstellungsbilder, die in einem Denkprozess entstehen, unmittelbar von bestimmten Körpergefühlen begleitet und damit markiert werden. Eine exakte Alltagsbeschreibung dieses Prozesses ist das bekannte »komische Gefühl im Bauch«, das bei Entscheidungen oftmals auftritt. Die somatischen Marker können zwei Grundfunktionen erfüllen: 1. Ein negativer Marker entsteht als Warnfunktion, wenn ein Vorstellungsbild negative Handlungsweisen nach sich ziehen kann. Sie werden vom Individuum als Stoppsignal wahrgenommen. 2. Ein positiver Marker deutet auf positive Handlungsoptionen hin und wirkt als Startsignal zur Ausführung dieser Handlung. Die somatischen Marker stellen einen Tendenzapparat dar, der das bewusste Denken zwar nicht ersetzt, aber Unterstützung leistet. Eine Beziehung zur Intuition zeigt sich dabei auf verschiedenen Ebenen: Die somatischen Marker übernehmen meh-
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rere Funktionen, die der Intuition zugesprochen werden, wie das Antizipieren zukünftiger Ergebnisse, die Einschätzung von Handlungsmöglichkeiten und ihr unmittelbares Auftreten. Sie wirken sich durch eine »Hemmung« (Stoppsignal) der Handlungsrichtung oder eine Verstärkung (Startsignal) des Handlungsimpulses aus. Oft wirken sie verdeckt, das heißt, das Empfinden dringt nicht oder nur teilweise ins Bewusstsein. Anstatt sich bewusstrational mit einer unendlichen Zahl von neuen Wahl- und Kombinationsmöglichkeiten zu beschäftigen, trifft ein »biologischer Mechanismus die Vorauswahl, sichtet die Kandidaten und lässt nur einige wenige zum Abschlussexamen zu« (Damasio, 2005, S. 258). Der Intuitive muss sich also nur mit wenigen Möglichkeiten prüfend auseinandersetzen. Wie kann man sich die somatischen Marker in der Praxis vorstellen? Das Konzept des Züricher Ressourcen-Modells (ZRM) (Storch u. Krause, 2003) bezieht sich auf die Theorie der somatischen Marker nach Damasio (2005), beruhend auf der Annahme, dass das emotionale Erfahrungsgedächtnis in Entscheidungssituationen anhand somatischer Marker Bewertungen macht. Auch wenn die Bewertungsprozesse häufig unbewusst verlaufen, können deren Signale wahrgenommen werden. Sie können von der Person selbst wie auch von Außenstehenden beobachtet und wahrgenommen werden, da sie sich in Körperreaktionen zeigen. Beispielsweise treten bei einem Menschen positive somatische Marker auf und er beginnt zu strahlen oder zeigt ersichtliche Zufriedenheit in einem Lachen, Veränderung der Körperhaltung, der Atmung oder einer erhöhten Durchblutung des Gesichts. Das Züricher Ressourcen-Modell geht davon aus, dass jeder Mensch wesentliche Ressourcen ins sich trägt, die er für die Umsetzung seiner Ziele benötigt. Die Aufgabe der Therapie oder Beratung besteht darin, diese verborgenen Ressourcen zu entdecken und konsequent anzuwenden. Dies heißt konkret, maladaptives Wissen zu verlernen und wohladaptives Wissen zu erlernen, indem wohladaptives Wissen identifiziert wird und geeignet erscheint, maladaptives zu ersetzen. Dazu wurde aufbauend auf dem Rubikon-Modell von Heckhausen (1998) ein heuristisches Modell ergänzt und entwickelt und als Rubikon-
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Prozess bezeichnet. Der Rubikon-Prozess ist ein motivationspsychologisches Modell zielrealisierenden Handelns. Es erklärt, welche Stadien ein Individuum vom Bedürfnis zum Wunsch bis zur Handlungsumsetzung durchläuft. Eine wichtige Funktion in der Psychotherapie und Beratung ist der motivationale Klärungsprozess, bei dem eine Intention herausgebildet wird. Im Rubikon-Modell ist die Phase vom Motiv zur Intentionsbildung der geeignete Ansatzpunkt für eine therapeutische Intervention bzw. zur Herbeiführung einer Veränderung. In diesem Prozess wird eine Entscheidung gefällt, metaphorisch wird hier der Rubikon überschritten. Im menschlichen Erleben wird der Unterschied zwischen Motiven und eindeutiger Intention charakterisiert, also die Differenzierung zwischen Wählen und Wollen. Der Unterschied zwischen diesen beiden Stadien wird durch Gefühle bestimmt. Der Such- und Abwägungsprozess wird in Wollen, Entschlossenheit und Handlungsgewissheit transformiert. Demnach ist ein stark positiver Affekt dafür verantwortlich, dass Menschen den Rubikon überqueren: Wenn sich ein gutes Gefühl einstellt, dann ist entschieden, was gewollt wird, und es kann im nächsten Schritt zur Umsetzung kommen. Anknüpfend an die Theorie der somatischen Marker nach Damasio (2005), sind es die sogenannten »Stop and go«-Signale, die unsere Motivationsprozesse beeinflussen. Demnach lässt sich vermuten, dass positive Gefühle den Schritt über den Rubikon ermöglichen und diese mit den somatischen Markern identisch sind. Darüber hinaus konnte Damasio (2005) zeigen, dass nicht alle Menschen ihre somatischen Marker wahrnehmen, wobei ihr Vorhandensein über physiologische Werte (z. B. Hautwiderstandsmessungen) nachgewiesen werden konnte. Demnach kann man Menschen, die in langen Abwägungsprozessen festgefahren sind, darin unterstützen den Rubikon zu überqueren, indem man im Beratungsprozess das Augenmerk auf die somatischen Marker richtet, die aus dem Unbewussten kommen, anstatt auf der Bewusstseinsebene nach weiteren Lösungen zu suchen. Aufbauend auf der Annahme, dass die somatischen Marker »GoBefehle« für die Überschreitung des Rubikons geben können, resultieren daraus bestimmte psychologische Vorgehensweisen. Positive Gefühle werden leichter durch visuelle Vorstellungen als
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durch Sprache bewirkt. Also werden Verfahren gefördert, die das unbewusste System in einer Bildsprache anregen, damit es zu Lösungen kommen kann. Dies könnten beispielsweise Kreativitätstechniken, hypnotherapeutische Verfahren oder körperbezogene Methoden sein. Das Züricher Ressourcen-Modell-Training unterstützt die Theorie der somatischen Marker und zeigt darüber hinaus, wie neurophysiologische Erkenntnisse in die Praxis umgesetzt werden können und welche Interventionen in Beratung und Therapie erfolgen können. Wie dieser Streifzug durch die Forschungslandschaft gezeigt hat, kann Intuition mit verschiedenen Erlebensweisen in Zusammenhang gebracht werden wie der Wahrnehmung körperlicher Veränderungen, emotionalem Erleben, ideomotorischer Handlungssteuerung, Informationsgewinnung und häufig mit der Abgrenzung zum rational-analytischen Denken. Intuitive Prozesse sind durch Ganzheitlichkeit gekennzeichnet, der Beobachter kann den Prozess nicht in klar voneinander getrennte Einzelschritte zergliedern und nachvollziehen. Da der Handelnde häufig nicht erklären kann, wie es zu einem Ergebnis kam, kann davon ausgegangen werden, dass unbewusste Prozesse beteiligt sind. Intuition als Ergebnis eines nicht nachvollziehbaren Prozesses erhält man in Form einer Richtung, eines Ziel oder eines Impulses für einen weiteren Schritt. Der Prozess und das Ergebnis werden häufig als erfolgreich bewertet, ohne dass dafür adäquate Erklärungen gegeben werden können. Intuition wird als Fähigkeit angesehen, die sich durch implizites Wissen äußert und darüber hinaus erlernbar und trainierbar ist. Intuition kann komplexe Zusammenhänge erfassen und wichtige, bedeutsame Informationen in kurzer Zeit zusammenfügen. Darüber hinaus ist sie Teil eines kreativen Denk- und Handlungsprozesses.
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Was sind intuitive Kompetenzen im Arbeitskontext? Ziel dieses Beitrags ist es zu zeigen, dass intuitive Fähigkeiten nicht nur als bloße Zufallsereignisse und Erfahrungen im privaten und persönlichen Bereich auftauchen, sondern im beruflichen Alltag von Coaching und Beratung durchaus eine wichtige Funktion einnehmen können. Im Folgenden möchte ich drei Bereiche herausgreifen, in denen die Intuition bewusst einsetzbar ist: 1. Die Intuition als persönliches Kompetenzmerkmal von Coachs und Beratern 2. Die Entwicklung und Schulung intuitiver Kompetenzen und 3. der effektive Einsatz intuitiver Fähigkeiten im Arbeitsbereich.
Intuition als persönliches Kompetenzmerkmal von Coachs und Beratern Hänsel (2002) beschäftigte sich mit der Frage, inwieweit Intuition ein persönliches Kompetenzmerkmal von professionellen Organisationsberatern darstellt und wie diese Kompetenz im Kontext systemischer Beratung entwickelt und geschult werden kann. Ausgehend von grundsätzlichen Ansätzen der Kompetenzentwicklung und der damit zusammenhängenden Lerntheorie sowie der systemischen Beratung werden einige zentrale Merkmale erkannt: Die Intuition stellt einen Komplex aus verschiedenen Wahrnehmungsformen, Interpretation, Schlussfolgerung und Handlungssteuerung mit einem hohen Anteil unbewusster und unwillkürlicher Informationsverarbeitung dar. Hänsel (2002) untersuchte den Erwerb intuitiver Kompetenzen von Lehrtrainern und Fortbildungsteilnehmern, die als Coachs oder Berater tätig sind, und zeigte, dass bei einer erfolgreichen Selbststeuerung in Beratung und Fortbildung intuitive Kompetenzen in einer sich ergänzenden Beziehung zu rationalen analytischen Kompetenzen erlebt werden. Daraus werden wichtige Interventionsformen für Berater herausgearbeitet, wie aktives Selbstmanagement, günstige Arbeitsgestaltung und Integration von methodischer und intuitiver Vorgehensweise. Weitere
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relevante Lernschritte zur intuitiven Kompetenzentwicklung sind in der Differenzierung der Selbstwahrnehmung und der Integration von Intuition in das Selbstkonzept zu sehen. Es zeigte sich, dass bei der Fortbildung als wesentliches Merkmal eine Lehr- und Lernkultur vorhanden sein sollte, die eine wertschätzende und offene Haltung gegenüber intuitiver Kompetenz schafft. Eine Transferuntersuchung bekräftigte den positiven Kompetenztransfer. 81 % der Befragten gaben an, den intuitiven Kompetenzerwerb der Fortbildung in den Alltag integriert zu haben. Die Ergebnisse zeigen, dass Intuition als wichtiges Kompetenzmerkmal von Organisationsberatern erkannt wird und darüber hinaus auch erlernbar und lehrbar ist.
Die Entwicklung und Schulung intuitiver Kompetenzen Intuition ist demnach eine Fähigkeit, die als wichtige Beratungskompetenz angesehen werden kann. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit die Intuition auch erlernbar bzw. trainierbar ist. Oder ist sie lediglich angeboren? Zur Beantwortung der Frage hat Zeuch (2004) ein »Training professioneller intuitiver Selbstregulation« theoretisch entwickelt und empirisch untersucht. Dabei waren zwei Fragen bedeutsam: 1. Lässt sich professionelle intuitive Selbstregulation trainieren, und wenn ja, wie? 2. Wie könnten mögliche Effekte eines solchen Trainings evaluiert werden? Zeuch (2004) geht von einer multidisziplinären Definition von Intuition aus und fügte aus verschiedenen Erklärungstheorien eine multidisziplinäre Intuitionstheorie zusammen. Er versteht unter der »professionellen intuitiven Selbstregulation« die »selbst initiierte Regulation von Kognitionen, Emotionen und/oder Verhalten im beruflichen Kontext, die sich aus intuitiven Prozessen ergibt«. In einer Grundlagenstudie führte Zeuch Interviews und Befragungen mit Organisationsberatern durch. Aus den Ergebnissen entwickelte er ein Trainingsdesign, das ebenfalls mit Organisationsberatern durchgeführt und evaluiert wurde. Durch die Befragung wurde Interesse an einem Intuitionstraining geäußert.
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Hinsichtlich des Trainings selbst hat sich herausgestellt, dass die Einstellung zu Intuition, ihre Wahrnehmung, subjektive Theorien sowie die Handhabung von Intuition einen Einfluss auf die professionelle intuitive Selbstregulation haben. Die Ergebnisse zeigen ein Konzept des »idealen« Trainings zur Entwicklung professioneller intuitiver Selbstregulation. Demnach ist Intuition nicht nur eine Fähigkeit, die jedem Menschen zur Verfügung steht, sondern kann durch geeignete Trainingsdesigns und Fortbildungsmethoden weiterentwickelt werden.
Der effektive Einsatz intuitiver Fähigkeiten im Arbeitsbereich Intuitive Kompetenzen sind also erlernbar und trainierbar. Übertragen auf den Arbeitskontext zählen Hänsel, Zeuch und Schweitzer (2002) acht Funktionen auf, die intuitive Prozesse im Arbeitskontext erfüllen können (Abb. 3): Problemlösung und Entscheidungsfindung Zukunftsgestaltung Umgang mit Komplexität Beziehungsgestaltung Förderung von Synergien
Sinn fürs Wesentliche
Intuitive Kompetenzen im Arbeitskontext
Entwicklung neuer Ideen Gespür für das richtige »Timing«
Abbildung 3: Intuitive Kompetenzen im Arbeitskontext
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(1) Intuition spielt eine wichtige Rolle bei der Problemlösung und Entscheidungsfindung, gerade wenn wenig Zeit vorhanden ist und die Informationen unzureichend sind oder sich widersprechen. (2) Intuition kann beim Umgang mit Komplexität helfen, handlungsfähig zu bleiben und auf intuitive Entscheidungen zu vertrauen. (3) Bei der Entwicklung von neuen Ideen kann sie sich durch Kreativität und generative Aufgaben zeigen. (4) Darüber hinaus ist ein Gespür für das richtige Timing gerade in Veränderungsprozessen oder der Umsetzung von Projekten wichtig, dies kann durch einen unmittelbaren Handlungsimpuls signalisiert werden. (5) Zukunftsgestaltung und Visionen sind wichtig im Arbeitskontext, daher stellt die Intuition einen Zugang zu Symbolen oder Metaphern her, darüber hinaus aber auch eine Beziehung zu unbewussten Ebenen. (6) Bei der Beziehungsgestaltung spielen nonverbale Signale eine wichtige Rolle, diese Informationen werden oft unbewusst wahrgenommen. (7) Die Förderung von Synergie beinhaltet, dass bei der Zusammenarbeit von Teams oder Gruppen ein gemeinsames Ziel wichtig ist, um die Energie innerhalb der Gruppe zu bündeln und auszurichten. Es hat sich gezeigt, dass durch eine intuitive Abstimmung und explizite Regeln von Abläufen die Performance deutlich besser war. (8) Intuition weist auf den Sinn für Wesentliches hin: Die Intuition kann hier Hinweise auf wichtige Aspekte und Informationen geben. Zusammenfassend zeigen die Funktionen der Intuition im Arbeitsbereich, dass der Einsatz intuitiver Kompetenzen dort besonders effektiv ist. Daraus ergibt sich die Frage, ob derartige Fähigkeiten für Führungskräfte von besonderer Bedeutung sind bzw. inwieweit sie diese in ihren beruflichen Alltag integrieren.
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Gesucht: Führungskraft mit Bauchgefühl Unser Bildungssystem fördert und fordert fast ausschließlich das Einprägen und Erinnern von Fakten und das Einhalten von vorgegebenen Methoden bei der Lösung von Problemen, wobei Anfang und Schluss vordefiniert sind. Kreativität, Einfühlungsvermögen oder intuitive Vorstellungen werden häufig ignoriert oder als primitives Rätseln oder Mutmaßen abgewertet, gerade wenn die betreffende Person nicht sofort eine logische Rechtfertigung für ihre Idee parat hat (Goldberg, 1993). Eine Hauptaufgabe von Führungskräften ist es, Komplexität zu reduzieren und zu vereinfachen, eine unüberschaubare Informationsmenge oder andere Einflussfaktoren in einfache und leicht kommunizierbare Ausführungen zu verdichten. Darüber hinaus liegen im weiteren Aufgabenbereich die Selektion von Mitarbeitern, die Reglementierung von Organisationsstrukturen und die Steuerung und Kontrolle der laufenden Geschäftstätigkeiten im Hinblick auf die Zielsetzung und Identifikation der Wertvorstellungen und Kultur des Unternehmens. Nach Bechtler (1986) nutzen Führungskräfte unterschiedliche Entscheidungsmechanismen und Denkmethoden, um der Vielzahl an unterschiedlichen Aufgaben gerecht zu werden. Aufgrund der sich rasch wandelnden Umwelt werden analytische Denkprozesse und ein stets vorausschauender Blick gefordert, um mögliche Risiken zu vermeiden und gleichzeitig den Einsatz von Ressourcen zu begrenzen. Führungskräfte werden geradezu zum rational-analytischen Denken gezwungen. Bechtler (1986) fordert daher eine zweifache Führungskompetenz, damit Unternehmen erfolgreich sein können: Eine Führungskraft muss rationale und intuitive Aspekte verknüpfen können, das heißt, Intuition spielt eine zentrale Rolle im Managementbereich und sollte als eine Ergänzung zum analytischen Denken verstanden werden. Es werden zwei Denkmethoden unterschieden: das wissenschaftliche Denken und die Intuition. Das wissenschaftliche Denken umfasst die Rationalität, Analyse und Systematik und beruht auf der Annahme, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt, die begründet werden kann. Das intuitive Denken hingegen erfasst die unmittelbare Gesamtheit
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einer Problemsituation und findet spontan zu Überzeugungen oder Lösungen. Entscheidungen werden intuitiv getroffen und bleiben unbegründet. Gerade bei der Lösung von »offenen und weichen« Problemen, die häufig durch Komplexität und Abhängigkeit charakteristisch sind, ist die intuitive Vorgehensweise von Bedeutung. Dementsprechend sind beide Denkstile problemabhängig und nicht persönlichkeitsbedingt. Nach Bechtler (1986) ist ein janusköpfiger Führungsstil die Bedingung für seine Effizienz. Eine rational-analytische Vorgehensweise soll bei harten Problemen gewählt werden und bei offenen und weichen Problemen die intuitive ganzheitliche Perspektive. Dies erhebt den Anspruch zweier unterschiedlicher Denkmethoden, Arbeitsstile, Menschentypen und Organisationskulturen. Die flexible Anwendung beider Denkmethoden zeichnet nach Bechtler (1986) eine erfolgreiche Führungskraft aus. In einer groß angelegten Studie des amerikanischen Wissenschaftlers Weston Agor (1989/1994) mit über 6000 Topmanagern großer Unternehmen wie Walt Disney Enterprises und Tenneco Oil zeigte sich, dass für Führungskräfte Intuition bei der Planung, Entscheidung und Problemlösung durchaus eine wichtige Rolle spielt. Die Höhe der Führungsebene scheint sich proportional zu den Ergebnissen der intuitiven Fähigkeiten und deren Einsatz zu verhalten. In sämtlichen von Agor (1989/1994) untersuchten organisatorischen Bereichen verfügte das Topmanagement über mehr intuitive Fähigkeiten und setzte diese öfter ein als die mittlere und untere Führungsebene. Somit hat Intuition in wirtschaftlichen und organisatorischen Kontexten eine wichtige Bedeutung, da intuitives Vorgehen eine Ergänzung zu rein bewusst-rationalem Vorgehen darstellt. Professionelle Handlungen werden effektiver und effizienter als bei dem rein rationalen Vorgehen. Hierbei geht es darum, die Dominanz des rationalen Denkens durch eine Aufwertung intuitiven Handelns auszubalancieren, intuitives und rationales Arbeiten konstruktiv zu ergänzen. Trotz allem können unbewusste Prozesse durch Gewohnheiten und starre Schemata eingeschränkt werden. Deshalb ist es wichtig, dass die Intuition von Führungskräften weiterentwickelt und professionalisiert wird. Im unternehmerischen Alltag kann
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die intuitive Antizipation zukünftiger Entwicklungen von entscheidender Bedeutung sein. Für das Management ist die Intuition noch eine weitgehend ungenutzte Ressource. Wenn Entscheidungen zu treffen sind oder zukünftige Entwicklungen eingeschätzt werden sollen, meldet sich häufig die innere Stimme. In der aktuellen Unternehmenswelt wird Intuition jedoch oft noch als »irrationales Hirngespinst« abgetan (Hänsel u. Zeuch, 2003). Hänsel und Zeuch stellen vier Bereiche dar, in denen die Intuition für Führungskräfte eine wichtige Rolle spielen kann. Sicherheit im Handeln trotz diffuser Entscheidungslage Einer der größten Anwendungsbereiche für intuitive Entscheidungen ist eine unzureichende Informationslage. Es fehlen Daten und Fakten, es sind zu viele Informationen unter Zeitdruck zu verarbeiten oder aber zu viele gleichwertige vorhanden. Dies stellt oftmals ein Problem für Führungskräfte dar, gerade bei der aktuellen Lage anwachsender Informationsmengen. Hier stellt die Intuition eine Möglichkeit der Komplexitätsreduktion dar, da sie sehr subtile und weiträumige Informationen unbewusst verarbeitet und dann zu unmittelbaren Realitätsurteilen kommt. Instinkt für erfolgreiche Projekte Die Aufgabe von Führungskräften ist es, zu entscheiden, welche Unternehmen, welche Projekte erfolgversprechend sind. Diese Entscheidung gilt es häufig, auf unzureichender Informationslage zu treffen. Hierbei ist es wichtig für Führungskräfte, einen zunehmend sicheren Geschäftsinstinkt zu entwickeln. Gespür für neue Wege und Ziele Einige bekannte Wissenschaftler, wie Kekulé oder Einstein, nannten immer wieder die Bedeutung der Intuition für ihre Forschungsergebnisse. Schöpferische Einsichten und Ahnungen des Möglichen, abseits der ausgetretenen Lösungswege, bekamen sie durch Visionen oder Imaginationen. Ähnlich verhält es sich im Rahmen von Unternehmensentscheidungen, denn das rationale Denken verbleibt meist im alten Rahmen. Kreative Prob-
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lemlösungen entstehen oftmals durch assoziatives Denken, das auch wesentliche Grundannahmen in Frage stellen kann. Legitimation intuitiver Entscheidungen Viele Führungskräfte verschweigen die Quelle von Informationen oder erfinden a posteriori allgemein akzeptierte Gründe für intuitive Entscheidungen, da Konventionen der Handlungsbegründung in wirtschaftlich-organisatorischen Umfeldern häufig durch intuitive Entscheidungen verletzt oder in Frage gestellt werden. Daher ist es im wirtschaftlichen Umfeld wichtig, zum einen die Intuitionsfähigkeit und zum anderen auch die anschließende Präsentation der durch die Intuition gewonnenen Handlungssteuerung zu schulen (Hänsel u. Zeuch, 2003). Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass Intuition im wirtschaftlichen Bereich eine bedeutende Funktion einnimmt. Führungskräfte nutzen intuitive Fähigkeiten und integrieren sie auch in ihren beruflichen Alltag. Auf welche Weise intuitive Entscheidungen von Führungskräften begründet oder kommuniziert werden, hängt von der jeweiligen Unternehmenskultur ab. Darüber hinaus wird die Intuition als Ergänzung zur rationalen Vorgehensweise betont.
Wie können intuitive Prozesse im Coaching gefördert werden? »Man kann ein Problem nicht mit der gleichen Denkweise lösen, mit der es erschaffen wurde« (Albert Einstein).
Nachdem ich nun das weite Feld der Intuition beschrieben habe, möchte ich nun eine Antwort auf meine Eingangsfrage geben: Wo ist die Intuition im systemisch-lösungsorientierten Coaching anzusiedeln? Was heißt zunächst »systemisch«? Ganz kurz und knapp: Den systemischen Ansatz in der Beratung und im Coaching möchte ich als ein »Mobile« verstehen. Indem ein Element des Mobile-
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Systems angestoßen wird, bewegen sich automatisch auch die anderen Teile mit. Wir gehen also im systemischen Coaching von einem System aus, in dem der Klient nicht isoliert betrachtet, sondern immer in Beziehung zu anderen Beteiligten gesehen wird. Ziel der systemischen Beratung ist es, einen Unterschied in der Wirklichkeitskonstruktion des Klienten zu machen. Der Klient soll im Beratungsprozess leicht »verstört« oder »irritiert« werden, seine Wirklichkeitskonstruktion wird mit einer anderen, neuen Wirklichkeit konfrontiert, damit eine neue Sichtweise entstehen kann. Dem lösungsorientierten Ansatz liegt die Annahme zugrunde, dass es für jedes Problem eine Lösung gibt, auch wenn sie noch nicht sichtbar ist. Häufig werden Lösungen im Beratungskontext durch entscheidende Neuorientierung und Perspektivwechsel gefunden, darüber hinaus durch eine differenzierte Zukunftsaussicht. Eine wesentliche Annahme der systemischen und der lösungsorientierten Beratung ist, dass jedes Individuum bereits die Lösung in sich trägt, zu der der Zugang offensichtlich verwehrt ist. Demnach gilt es, die verschütteten Ressourcen zu entdecken und mögliche Verhinderungsfaktoren zu identifizieren (von Schlippe u. Schweitzer, 1996). Nach Watzlawick (2006) werden zwei Wirklichkeitsaspekte unterschieden, die für die Beratungsarbeit zentral sind. Die Wirklichkeit erster Ordnung orientiert sich an der physikalischen Eigenschaft eines Objekts, die Wirklichkeit zweiter Ordnung hingegen bezieht sich auf den subjektiven Wert eines Objektes, also die von einem Menschen vorgenommene beobachtete Zuschreibung. Demnach wird angenommen, dass jede sogenannte Wirklichkeit jeweils eine Wirklichkeit zweiter Ordnung ist und konstruiert wird durch die Zuschreibung von Sinn, Bedeutung oder Wert an die betreffende Wirklichkeit erster Ordnung. Demzufolge wird dieselbe Wirklichkeit erster Ordnung zu zwei grundverschiedenen Wirklichkeiten zweiter Ordnung. Nach Watzlawick (2006) behält das Kriterium der Wirklichkeitsanpassung nur seine Gültigkeit, wenn beide Wirklichkeiten verknüpft werden. Und auch wenn die Wirklichkeit erster Ordnung unverändert bleibt und sich nur in der Wirklichkeit zweiter Ordnung etwas Entscheidendes wandelt, dann ist im »objektiveren« Sinne
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die eine Wirklichkeit nicht »wahrer« oder »richtiger« als die andere. Das Prägnante an der neuen Sicht ist, dass sie häufig weniger Leid verursacht. Die Aufgabe des Beraters ist es, eine neue Wirklichkeit aufzuzeigen, neue Perspektiven zu eröffnen, die bisher bei der Sicht des Klienten außer Acht gelassen wurden. Die neue Wirklichkeit entsteht durch Berater und Klient als gemeinsames Produkt. Das stimmige Zusammenspiel zwischen beiden forciert einen Zusammenstoß, das System soll verstört, gerüttelt werden und sich neu sortieren. Der Rahmen bleibt der gleiche, die Wirklichkeit erster Ordnung bleibt erhalten. Die Intuition im systemisch-lösungsorientierten Coaching möchte ich als »die Einführung einer neue Wirklichkeit« bezeichnen. Denn durch sie kommt es zu einer Veränderung in der Wirklichkeitslogik des Klienten und diese Veränderung führt letztlich dazu, dass sie einen Unterschied macht. Grundsätzlich gelten als Voraussetzung für intuitive Prozesse im Coaching zum einen der fundierte Ausbildungshintergrund und die eigene Intuition des Coachs und zum anderen das Vertrauen und die Offenheit auf Seiten des Klienten. Aus der Hypnotherapie sind Metaphern und Trancen bekannt, um den Klienten zu seinem Unbewussten zu führen. Konkret heißt dies im ersten Schritt: Welche Gefühle, Bilder, Töne und Gerüche tauchen in mir auf, wenn ich an jene problematische Situation denke? Im nächsten Schritt geht es dann um die Fragen: Wie erzähle ich diese Geschichte lösungsorientiert weiter? Was erscheint mir hilfreich und was bewirkt erneut einen Unterschied zu vorher? Die Antworten sind bei dem Klienten zu finden. Wie sieht es währenddessen bei dem Berater aus? Wie kann ich als Coach dem Klienten meine eigenen intuitiven Bilder, die während seiner Problemschilderung in mir auftauchen, kommunizieren?
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Fazit Intuition besitzt im alltäglichen Leben Bedeutung und rückt mit dieser Bedeutung mehr und mehr in das öffentliche Bewusstsein. Dies ist anerkannter Forschungsstand und im Zuge einer Medienbeobachtung kaum zu übersehen. Auch das Coaching an sich gewinnt gesellschaftlich vor dem Hintergrund der zunehmenden Komplexität in beruflichen Alltag der Menschen mehr und mehr an Bedeutung. Mit diesem Beitrag möchte ich dafür plädieren, den Faktor Intuition bewusst und verstärkt in Beratung und Coaching einzubringen und ihm methodisch Raum zu verschaffen. Um dies zu gewährleisten, empfiehlt sich in Anbetracht der bisherigen Erkenntnisse eine gezielte Weiterbildung von Coachs. Ziel von Beratung ist (fast) immer eine Veränderung im Klientensystem. Dies kann durch intuitionsfördernde Mittel oder Methoden erreicht werden, wie sie zum Beispiel im Beitrag von Bentner in diesem Band beschrieben werden. Die Bedeutung der Intuition innerhalb des Coachings ist eine zweifache: Einerseits bezieht sie sich als Erfolgsfaktor auf das Coaching an sich und gleichzeitig stellt sie eine im Coaching vermittelbare und zu stärkende Kompetenz für Leben und Beruf dar. In Anbetracht der Aktualität beider Erscheinungen stellt sich die Frage, ob das Coaching nicht nur ein vielversprechendes Feld zur Erforschung der Intuition darstellt, sondern sich auch als wichtige Instanz bei der Entwicklung und Nutzung intuitiver Potentiale in der Gesellschaft etablieren kann. So könnte intuitives Coaching eine Keimzelle darstellen für eine kulturelle Veränderung hin zu mehr Wertschätzung und bewusster Handhabe intuitiver Prozesse. Beispielsweise könnten Führungskräfte darin bestärkt und geschult werden, trotz einer eventuell bestehenden gegenläufigen Unternehmenskultur gezielt auch ihrem Bauchgefühl zu folgen, wenn es um Entscheidungsfindung geht. Insbesondere vor dem Hintergrund der Globalisierung und der verschärften Konkurrenzsituation auf dem Weltmarkt sollten diese möglichen menschlichen Ressourcen und Entwicklungschancen aus unternehmerischer Sicht – auch im Sinne der interkulturellen Zusammenarbeit – mehr beachtet werden.
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Führen Erstgeborene anders? Geschwisterposition und Führungsverhalten
In diesem Beitrag möchte ich mich mit der Fragestellung beschäftigen, ob es einen Zusammenhang zwischen der Geschwisterposition und dem Führungsverhalten von Leitungskräften gibt. Hierbei stehen mehrere Fragen im Vordergrund: Gibt es Unterschiede im Führungsverhalten von Erstgeborenen und Letztgeborenen? Sehen Führungskräfte einen Zusammenhang zwischen ihrer Geschwisterposition und ihrem Führungsverhalten? Gibt es bestimmte Stärken oder Probleme im Führungsalltag, die sich mit der Sozialisation als Erstgeborenem, SandwichKind oder Letztgeborenem in Verbindung bringen lassen? Besonders hat mich interessiert, welche Bedeutung der Frage nach der Geschwisterposition im Coaching zukommt. Dazu möchte ich die Ergebnisse meiner qualitativen Befragung vorstellen, die ich mit 20 Führungskräften durchgeführt habe, die fast alle Coaching-Erfahrung hatten.
Bisheriger Forschungsstand Die Forschung zum Thema Geschwisterposition hat ihre Wurzeln besonders in der Psychoanalyse. Unter den frühen Psychoanalytikern war Alfred Adler der erste, der neben den Beziehungen und Interaktionen zwischen dem Kind und seinen Eltern auch die Rolle der Geschwisterbeziehungen erwähnte. Einen besonderen Beitrag zur Erforschung der Geschwisterkonstellationen leistete Walter Toman, ein Wiener Psychoanalytiker und Professor für Psychologie. Er untersuchte seit 1956 nicht nur die
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Geschwisterpositionen von Menschen, sondern auch die ihrer Eltern und die Beziehungen der Eltern und Kinder zueinander und untereinander sowie den Einfluss von Personenverlusten. Seine Theorie, die 1961 zunächst in den USA in dem Buch »Family Constellation« und 2005 in der achten deutschen Ausgabe erschien, beruht auf empirischen Untersuchungen, die Toman und seine Mitarbeiter an mehreren tausend Familien durchführten. Es ist unumstritten, dass die Erfahrungen, die wir als Kinder im Umgang mit unseren Geschwistern machen, unsere Entwicklung beeinflussen. Natürlich spielen bei der Sozialisation neben unserer Geschwisterposition auch viele andere Gegebenheiten eine Rolle. So hat es natürlich Konsequenzen, was für eine Einstellung Eltern ihren Kindern, abhängig von Alter und Geschlecht, entgegenbringen und welche Erwartungen sie an diese richten. Toman (2005) geht in seinem Buch auch auf die Bedeutung häufiger Wohnortwechsel und des Verlusts wichtiger Personen für die Persönlichkeitsentwicklung ein. Sicherlich darf auch die Rolle späterer Beziehungen außerhalb der Familie nicht unerwähnt bleiben. Neben der Position in der Geschwisterfolge ist vor allem das Geschlecht ein entscheidender Faktor. Ein großer Bruder eines Bruders macht eben andere Erfahrungen als ein großer Bruder einer Schwester. Auch der Altersabstand zwischen den Geschwistern verändert die Geschwisterkonstellation. Bei einem großen Altersabstand können sich die Geschwister gegebenenfalls als Einzelkinder gefühlt haben und eher Erfahrungen gemacht haben, die typisch für Einzelkinder sind.
Was macht die Unterschiede zwischen Erst-, Zweit- und Letztgeborenen aus? Beginnen wir mit den Erstgeborenen. Die Geburt eines Erstgeborenen stellt auch für die Eltern ein besonderes Ereignis dar: Sie werden zum ersten Mal Eltern. Dementsprechend ist die Aufmerksamkeit, die sie ihrem Erstgeborenen widmen, auch besonders hoch (Hertkorn, 2007). Gleichzeitig wächst das Erstgebore-
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ne – im Gegensatz zu allen nachfolgenden Kindern – zunächst vorwiegend mit Erwachsenen auf. Zumindest in den ersten Jahren sind die ihn umgebenden Menschen meist Erwachsene. Somit kann das erstgeborene Kind auch erst einmal nur von Erwachsenen lernen. Sie dienen als Vorbild und das Kind lernt an ihrem Modell, Verhaltens- und Persönlichkeitsmerkmale zu entwickeln (Leman, 2004). Dies kann dazu führen, dass Erstgeborene stärker als ihre jüngeren Geschwister die Werte und Handlungsweisen ihrer Eltern übernehmen (Hertkorn, 2007). Forer und Still (1979) beschreiben Erstgeborene als meist gewissenhafter, eifersüchtiger und unbeherrschter als ihre jüngeren Geschwister. Außerdem seien sie häufig nervös, angespannt und gehetzt, was Forer und Still darauf zurückführen, dass sie nach der Geburt des nächsten Kindes nicht mehr die ungeteilte Aufmerksamkeit der Eltern bekommen. Laut Forer und Still zeigen Erstgeborene häufig ein hohes Erfolgsbedürfnis, hohes Verantwortungsbewusstsein, eine starke Selbstdisziplin und das Bedürfnis, Bestätigung von anderen zu bekommen. Außerdem beobachten Forer und Still bei ihnen eine höhere Empfänglichkeit für sozialen Druck und mehr Autoritäts- und Regelkonformität als bei Nachgeborenen. Erstgeborene sind häufig stärker leistungsorientiert als ihre jüngeren Geschwister, sie schlagen eher eine berufliche Richtung ein, die der ihres Vaters entspricht, und brauchen mehr Zuspruch von außen (Forer u. Still, 1979). Sobald die jüngeren Geschwister hinzukommen, ändert sich die Situation des Erstgeborenen. Bisher genoss es allein die Aufmerksamkeit seiner Eltern, jetzt muss diese geteilt werden. Hinzu kommt, dass es als Erstgeborenes zunehmend Verantwortung für seine jüngeren Geschwister übernehmen soll. Es übernimmt eine Vorbildfunktion und muss den Kleinen auch helfen, wenn diese etwas noch nicht können. Erstgeborene wachsen damit auf, Verantwortung für andere zu übernehmen und die kleinen Geschwister zu führen. Es sollte daher anzunehmen sein, dass ihnen vor diesem Hintergrund die Übernahme einer Führungsposition näher liegt und eventuell leichter fällt. Bis zur Geburt eines jüngeren Geschwisters sind Erstgeborene Einzelkinder. Dementsprechend gelten viele für Einzelkinder formulierte Tendenzen auch für Erstgeborene. Im Gegensatz zu
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Erstgeborenen genießen Einzelkinder nicht nur eine gewisse Zeit, sondern ihre ganze Kindheit über die volle Aufmerksamkeit ihrer Eltern. Nach Forer und Still (1979) scheint der in der Kindheit fehlende Wettbewerb besonders bei Jungen das Selbstbewusstsein zu steigern. Außerdem beschreiben sie Einzelkinder als häufig dominant, wortgewandt und perfektionistisch. Einzelkinder neigen nicht so sehr zur Eifersucht, da ihre Position in der Kindheit nie bedroht war. Auch wenn sie Aufgaben und Probleme gut allein lösen können, sind sie meist bemüht, ihren Autoritätspersonen zu gefallen. Alle Geschwister, die nach dem Erstgeborenen folgen, sind Nachgeborene. Bliss (1970, zit. n. Forer u. Still, 1979) bemerkt, dass Nachgeborene eher dazu neigen, über persönliche Dinge zu sprechen als ihre älteren Geschwister. Während Erstgeborene gerne mit Ideen arbeiten und intellektuelle Aktivitäten vorziehen, sind ihre jüngeren Geschwister häufig stärker an praktischen Tätigkeiten interessiert. Hierunter wird von den Autoren auch die soziale Interaktion gezählt. Sie konnten beobachten, dass Nachgeborene in höherem Maße kreative und künstlerische Berufe annehmen als Erstgeborene. Bliss (1970, nach Forer u. Still, 1979) erklärt dies damit, dass Nachgeborene in ihrer Arbeit unabhängiger sind und soziale Isolierung besser ertragen können. Nachgeborene Kinder müssen sich grundsätzlich stärker um Aufmerksamkeit bemühen als ihre erstgeborenen Geschwister. Und Aufmerksamkeit gibt es am ehesten dort, wo noch niemand ist. Wurden die Werte und Handlungsweisen der Eltern, etwa das Leistungsdenken, schon vom Erstgeborenen übernommen, so müssen die nachfolgenden Geschwister neue Wege oder auch Nischen finden, in denen sie ihr ausreichendes Maß an Aufmerksamkeit bekommen. Auch die Rolle desjenigen, der Aufmerksamkeit und Anerkennung für die Übernahme von Verantwortung bekommt, ist schon besetzt. Nachgeborene müssen daher schon früh kreativ werden, um neue Strategien und Verhaltensweisen zu finden, um die Aufmerksamkeit ihrer Eltern auf sich zu ziehen (Hertkorn, 2007). Auch die Entwicklung von Empathie und Einfühlungsvermögen wird bei Nachgeborenen und besonders Letztgeborenen früh gefördert und von ihnen gefordert. Als kleine Geschwister sind
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sie den Großen grundsätzlich erst einmal zumindest physisch unterlegen. Um dennoch neben den großen Geschwistern bestehen zu können und diese eventuell auch einmal auszustechen, müssen sie deren Schwächen erkennen. Und um dies zu können, müssen sie Empathie und Einfühlungsvermögen entwickeln (Hertkorn, 2007). Mittlere oder sogenannte Sandwich-Kinder zeichnen sich daher häufig durch diplomatisches Geschick aus. Sie können gut verhandeln, da sie früh lernen mussten, sich mit ihren älteren Geschwistern zu arrangieren. Demgegenüber bleiben die Nesthäkchen ihr Leben lang das Baby der Familie und können hieraus die Erwartung entwickeln, dass immer jemand da ist, der sich um sie kümmert. Sie sind häufig charmant, verspielt und leichtlebig (Forer u. Still, 1979).
Brüderchen und/oder Schwesterchen? Die Rolle des Geschlechts in der Geschwisterreihe Wie ich schon erwähnte, ist es ein wichtiger Unterschied, welches Geschlecht die Geschwister haben. Ein großer Bruder von Brüdern wird etwas andere Tendenzen entwickeln als ein großer Bruder von kleineren Schwestern. So wird der große Bruder von jüngeren Schwestern eher in der Lage sein, sich in das andere Geschlecht hineinzuversetzen. Er hat ja von frühster Kindheit an gelernt, mit den Eigenarten der Mädchen umzugehen (Schreyögg, 2004). In Bezug auf das Führungsverhalten wäre anzunehmen, dass ein großer Bruder von Brüdern gut geeignet ist, einen Männerbetrieb zu leiten, während ein großer Bruder von Schwestern eventuell eine hervorragende Führungskraft für Frauen darstellt. Entsprechendes gilt natürlich für die große Schwester von Brüdern und die große Schwester von Schwestern. Bei der Geschlechterfrage spielen aber zunächst auch die Eltern eine entscheidende Rolle. Haben sie verschiedene Erwartungen an ihr Kind, je nachdem ob es ein Mädchen oder ein Junge ist, so wird das Geschlecht in dieser Familie eine große Rolle bei der Ausprägung von Verhaltens- und Erlebensweisen spielen. In diesem Zusammenhang sei auch der Einfluss der Gesellschaft und gesellschaftlicher Normen und Werte erwähnt.
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Viele Studien zum Thema Geschwisterkonstellation stammen aus den 1970er und 1980er Jahren. Ich gehe davon aus, dass sich die Rollenbilder von Mädchen und Jungen in der Zwischenzeit gewandelt haben und dementsprechend auch andere Konstellationseffekte eintreten.
Wie wirken sich die Altersabstände aus? Für die Beziehung zwischen Geschwistern spielt natürlich auch der Altersabstand eine Rolle. Laut Toman (2005) konkurrieren Geschwister mit nur ein bis zwei Jahren Altersunterschied stärker um Zärtlichkeitsbezeugungen, Aufmerksamkeit und Hilfeleistungen der Eltern. Beträgt der Altersabstand hingegen drei bis vier Jahre, so fühlt sich das ältere Kind laut Toman (2005) eher in seiner Machtausübung und Kontrolle über die Eltern bedroht. Bei einem solchen Altersabstand kommt für das ältere Kind noch die Erfahrung hinzu, selbst Aufgaben von den Eltern gestellt zu bekommen, um Vergünstigungen oder Gegenleistungen der Eltern zu erlangen, während das jüngere Geschwister dies nicht tun muss. Liegen die beiden Geschwister vier oder fünf Jahre auseinander, kommt es nach Toman (2005) auf das Geschlecht des Nachgeborenen an, ob das ältere Kind es als Konkurrenten erlebt oder nicht. Im Alter von vier bis fünf Jahren hat das Kind bereits gelernt, sich geschlechtsspezifisch zu verhalten, und wird ein gleichgeschlechtliches Geschwister eher als Konkurrenten erleben als ein gegengeschlechtliches. Diesem wird es eher den Hof machen und um seine Gunst werben. Ab einem Altersunterschied von sechs Jahren spricht Toman (2005) von Quasi-Einzelkindern. In diesem Alter hat das ältere Kind sich bereits seinen Platz in der Familie gesichert, meistens geht es schon in die Schule und braucht zu Hause nicht mehr so viel Aufmerksamkeit. Die beiden kommen sich in ihren Bedürfnissen erst einmal nicht in die Quere.
Führen Erstgeborene anders?
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Welche Rolle spielt die Geschwisterposition der Eltern? Ich hatte schon erwähnt, dass die Geschwisterposition der Eltern bei der Betrachtung von Geschwisterkonstellation nicht fehlen sollte. Besonders Toman (2005) hat sich mit der Geschwisterkonstellation der Eltern und den Beziehungen zu ihren Kindern beschäftigt. Ich möchte hier nur einen kurzen Überblick geben. Wir gehen davon aus, dass jede Geschwisterposition mehr oder weniger einzigartig ist. Ich habe ja schon dargestellt, dass die Erfahrungen, die wir in unserer Geschwisterposition machen, stark vom Geschlecht und Altersabstand abhängen. Auch unsere Eltern sind in einer Geschwisterkonstellation aufgewachsen und haben die Erfahrungen einer ganz speziellen Geschwisterposition gemacht. Wenn sie nun selbst Kinder haben, stellt sich die Frage, mit welchem Kind sie sich am besten identifizieren können, wen sie am besten verstehen und wer von ihnen am meisten lernen kann. Eine Mutter, die als große Schwester von Schwestern aufwuchs, kann sich wahrscheinlich mit einer großen Schwester von Schwestern am besten identifizieren. Ist ihre Tochter aber die große Schwester von Brüdern, so wird sie schon etwas mehr Probleme haben, das Verhalten ihrer Tochter im Umgang mit den Brüdern zu verstehen. Grundsätzlich gilt, dass »die Identifikation eines Elternteils [...] am ehesten mit jenem Kind erfolgt, das nach Geschlecht, nach Altersrang unter den Geschwistern und nach der Geschlechtserfahrung mit den Geschwistern dem betreffenden Elternteil am ähnlichsten ist« (Toman, 2005, S. 118). Auch das entsprechende Kind kann von diesem Elternteil in Bezug auf den Umgang mit seinen Geschwistern am meisten lernen.
Was sagt die Forschung über den Zusammenhang zwischen der Geschwisterposition und dem Führungsverhalten? Sonja Bischoff stellte in ihrer 2005 veröffentlichten empirischen Studie zum vierten Mal fest, dass die verbreitete Annahme, in Führungspositionen seien vor allem Erstgeborene vertreten, so nicht zutrifft. In ihrer Stichprobe mit 334 Führungskräften des
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Mittelmanagements in Deutschlands Wirtschaftsunternehmen sind 40 % der Leitungskräfte in der Position der ältesten Schwester oder des ältesten Bruders aufgewachsen. Dem gegenüber stehen 12 % Einzelkinder, 33 % Jüngste und 15 % mittlere Kinder. Die Rolle als ältestes Kind der Familie scheint also keinen allzu großen Einfluss auf die Übernahme einer Führungsposition zu haben. Sonja Bischoff (2005) stellt jedoch einen Zusammenhang zwischen der Herkunft und der Führungsposition fest. Besonders betont sie den Einfluss der Berufstätigkeit der Mütter auf die Berufswahl der Töchter. Nur 19 % der befragten Frauen haben Mütter, die sogenannte Nur-Hausfrauen waren. Im Vergleich zu ihren Studien in den Jahren 1991 und 1998 ist der Anteil der Nur-Hausfrauen sowohl bei den weiblichen als auch den männlichen Führungskräften kontinuierlich gesunken. Der Großteil der Mütter ist heute also berufstätig, wenn auch mit 39 % auf eher niedrigem Niveau und nur 13 % in höheren Positionen. Die berufstätigen Mütter scheinen besonders für ihre Töchter eine wichtige Vorbildfunktion zu besitzen, denn bei den Frauen ist der Anteil hochqualifizierter Mütter mit 15 % (zum Vergleich: Männer 9 %) besonders hoch. Allerdings ist auch die fehlende Vorbildfunktion kein Hindernis für eine erfolgreiche Karriere bei Frauen. In der ersten Führungsebene hatten in Bischoffs Studie 56 % der Frauen Mütter, die einen vergleichsweise niedrigen sozialen Status hatten. Eine große Rolle scheint die Vorbildfunktion der erfolgreich berufstätigen Mutter aber in Hinblick auf den finanziellen Erfolg zu spielen. Unter den Hochverdienerfrauen (Bischoff, 2005, S. 41) findet sich der geringste Anteil von Müttern, die Nur-Hausfrauen waren. Der Zusammenhang zwischen beruflichem Erfolg des Vaters und dem eigenen Verdienst ist auch bei den Männern sehr hoch. 79 % der Spitzenverdiener hatten in dieser Studie Väter, die in ranghöchsten Positionen tätig waren. Mit der Bedeutung der Geschwisterposition für das Coaching hat sich auch Astrid Schreyögg (2004) befasst. Sie nutzt den Ansatz von Toman (2005) im Coaching vor allem »für die Rekonstruktion und Bearbeitung von Konflikten und für Progno-
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sen bzw. für Anregungen bei der Karriereberatung« (Schreyögg, 2004). Führungsprobleme entstehen ihrer Meinung nach häufig aus der Beziehung zu den Eltern. Wenn zwischen den Eltern und den Kindern Konflikte aufgrund der Geschwisterpositionen bestehen, so kann dies Auswirkungen auf das Führungsverhalten haben, indem etwa den Eltern ähnliche Verhaltensweisen vermieden werden, auch wenn sie im Rahmen der Führungsposition durchaus angemessen wären. Entstehen Führungsprobleme aus der Geschwisterbeziehung heraus, so beschreibt Schreyögg (2004) zwei Varianten. Im einen Fall kann es sich um symmetrische Probleme handeln, wenn beide Konfliktparteien in ihrer Familie die gleiche Geschwisterposition innehatten, zum Beispiel als Älteste. Dies kann im Arbeitsalltag zu Rivalität und damit einhergehenden Konflikten führen. Im anderen Fall handelt es sich um komplementäre Beziehungen, die dazu führen können, dass unbewusst wieder Rollenmuster aus der Kindheit eingenommen werden, die aber wiederum der Rolle als Führungskraft widersprechen. Für die Karriereberatung betont Schreyögg (2004) insbesondere den Rang in der Geschwisterreihe und die Geschlechterverhältnisse als bedeutsam. Wenn sich bei einer Arbeitsstelle Konstellationen ermitteln lassen, die den früh gelernten ähnlich sind, so kann dies eine Entscheidung für oder gegen diese Stelle erleichtern. Schreyögg (2004) betont jedoch auch, dass bei der Beachtung der Geschwisterposition Vorsicht geboten ist. Die Ergebnisse Tomans beruhen zwar auf statistischen Erhebungen an vielen Personen, sind aber in ihrer Gültigkeit für den Einzelnen begrenzt. Die Theorie der Geschwisterkonstellation sollte daher in erster Linie als »Folie zur Hypothesenbildung« genutzt werden (Schreyögg, 2004).
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Eigene Studie Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine rein beschreibende. Vor Untersuchungsbeginn lagen keine Hypothesen über den Zusammenhang zwischen der Geschwisterposition und dem Führungsverhalten vor. Mein Anliegen bei der Planung und Durchführung der Untersuchung lag vielmehr darin, zu erfassen, ob die befragten Führungskräfte selbst einen Zusammenhang zwischen ihrer Geschwisterposition und ihrem heutigen Führungsverhalten sehen. Darüber hinaus möchte ich versuchen, Antworten auf folgende Fragen zu finden: Gibt es Unterschiede zwischen dem Führungsverhalten von Erstgeborenen und Letztgeborenen? Berichten die Interviewteilnehmer von bestimmten Stärken oder Problemen im Führungsalltag, die sich mit ihrer Geschwisterposition in Verbindung bringen lassen? Und welche Bedeutung könnte die Frage nach der Geschwisterposition für den Coaching-Prozess haben? Um den subjektiven Zusammenhang zwischen der Geschwisterposition und dem Führungsverhalten zu erfassen, führte ich Telefoninterviews mit 20 Führungskräften durch. Als Führungskräfte bezeichnen wir alle Personen, die entweder Personalund/oder Budgetverantwortung tragen. Dies traf auf die Befragten zu (vgl. Tab. 1). Die Interviews waren halb strukturiert, das heißt, es lag ein Fragenkatalog vor, die Reihenfolge der Fragen konnte jedoch variiert werden, außerdem konnte ich durch gezieltes Nachfragen weitere Informationen erfassen. Alle Interviews wurden mit Hilfe eines MP3-Players aufgezeichnet und transkribiert.
Teilnehmende Bei den Teilnehmenden der Interviews handelt es sich fast ausschließlich um Kunden der Darmstädter Beratungsfirma »Bentner Systemische Organisationsberatung und Personalentwicklung«. Die Akquisition der Teilnehmer erfolgte über ein persönliches Anschreiben. Die Befragten hatten entweder selbst ein Coaching in Anspruch genommen oder sie waren von befreun-
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deten Führungskräften als Interviewpartner angesprochen worden. Da die Teilnahme an den Interviews freiwillig war, kann von einer doppelten Vorselektion ausgegangen werden. So ist anzunehmen, dass die Teilnehmenden eine gewisse Offenheit für das Thema und die Methode des Telefoninterviews mitbrachten.
Auswertung Die Auswertung erfolgte zunächst über die Errechnung von Häufigkeiten. Um zu untersuchen, ob sich Unterschiede zwischen den Geschwisterpositionen finden lassen, verglich ich an einigen Stellen die Häufigkeiten unterteilt nach den Geschwisterpositionen. Da mich besonders die inhaltlichen Aussagen der Führungskräfte interessierten, habe ich die meisten Ergebnisse mit Zitaten aus den Interviews ergänzt und ausgewählte Aussagen über den Zusammenhang zwischen Geschwisterposition und Führungsverhalten zusammengestellt.
Ergebnisse Unter den befragten Führungskräften befinden sich zwölf Frauen und acht Männer im Alter zwischen 36 und 58 Jahren. Während des Interviews bat ich die Führungskräfte, den Zusammenhang zwischen Führungsverhalten und Geschwisterposition, so wie sie ihn für sich persönlich wahrnehmen, auf einer Skala von 1 bis 10 einzuschätzen. Eine 1 entspricht dabei einem sehr geringen Zusammenhang, eine 10 einem sehr hohen. Die Antworten der Führungskräfte variierten bei dieser Einschätzung von 1 bis 9. Der Mittelwert lag für die 20 Befragten bei 5,8. Abbildung 4 gibt einen Überblick über die Einschätzungen der Führungskräfte.
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Molly von Oertzen 4,5 4,0 3,5 3,0 2,5
Häufigkeit
2,0 1,5 1,0 ,5 0 9,
5 8,
0 8,
7,5
0 7,
0 6,
5 5,
5,0
4,5
0 4,
0 3,
2,0
0 1,
Zusammenhang
Abbildung 4: Subjektiver Zusammenhang zwischen Führungsverhalten und Geschwisterposition
Immerhin 14 Führungskräfte schätzen den Zusammenhang auf 5 oder höher. Dieses Ergebnis zeigt, dass die meisten Führungskräfte der Meinung waren, die Geschwisterposition stehe im Zusammenhang mit ihrem Führungsverhalten. Es gab jedoch auch einige, die den Einfluss gering einschätzten. In diesen Fällen spielten häufig andere Faktoren eine subjektiv bedeutendere Rolle, zum Beispiel die Rolle eines Elternteils. Um die Einschätzungen der befragten Führungskräfte zu diesem Zusammenhang anschaulicher zu machen, folgen hier einige ausgewählte Statements der befragten Führungskräfte. Ich möchte an dieser Stelle die von Toman (2005) vorgeschlagene Codierung einführen, um die Betrachtung der Geschwisterkonstellationen zu erleichtern. Hierbei steht ein »b« für Bruder und ein »s« für Schwester. Geschwister werden in eine Klammer gesetzt. Ein großer Bruder von zwei kleinen Schwestern
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würde demnach folgendermaßen codiert: b(ss). Das erste Zitat liest sich so: Die befragte Führungskraft ist die jüngere Schwester eines älteren Bruders. (b)s: »[...] der Einfluss heute ist nicht mehr so [...] dann würde ich das ansiedeln zwischen 4 und 5. Heute aber! Ursprünglich denke ich schon, hat das eine höhere Auswirkung gehabt [...] ich habe mir weniger zugetraut als Zweite, mir wurde auch weniger zugetraut, denn da war ja immer ein großer Bruder da. Das hat sich mit der Zeit verändert.« (bs)s(ssb): »[...] da würde ich sagen, das ist schon recht hoch [...] ich glaube, das, was ich mir dort angeeignet habe und erlernt habe, dass sich das schon so durchzieht, auch wenn Weiterbildungen, Fortbildungen etc. das Augenmerk hin und wieder auf andere Dinge lenken, kommen doch gewisse Schemata doch immer wieder durch [...] also so bei 7, 8 sicherlich.« (b)s: »[...] vielleicht bei 3, ich denke da sind für mich andere Sachen prägender gewesen, also zum Beispiel die Rolle des Vaters als jetzt die Rolle des Bruders [...]« (s)b: »[...] also zur Geschwisterposition in der Mitte, so eine 5, wenn Sie mich fragen würden nach dem gesamten Familienumfeld, sprich Vater, Mutter und Schwester würde ich [...] sagen eine 7 bis 8.« (b)b(bss): »[...] bewusst nehme ich es nicht wahr, ob es ein starker [Zusammenhang] ist, aber ich vermute dass er stärker ist, als man annimmt [...]«
Führen mehr Erstgeborene oder Nesthäkchen? Die weitläufige Meinung, in Führungspositionen seien vor allem Erstgeborene zu finden, lässt sich auch an dieser Stichprobe nicht bestätigen. Zwar bilden die Ältesten mit acht Personen eine große Gruppe, ihnen stehen aber ebenso acht Jüngste gegenüber, so dass beide Positionen in meiner Studie gleich stark vertreten sind. Drei der befragten Führungskräfte wuchsen in mittleren Geschwisterpositionen auf, eine als Einzelkind. Die Anzahl der Geschwister variierte von keinen bis fünf Geschwistern. Das heißt, die meisten der befragten Führungskräfte haben in der Kindheit gelernt, mit mehreren Geschwistern umzugehen (vgl. Abb. 5 und 6).
90
Molly von Oertzen 10
8
Absolute Werte
4
2
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Geschwisterposition 10
8
Absolute Werte
4
2
0 0
1
2
3
4
5
Anzahl Geschwister
Abbildung 5 und 6: Geschwisterposition und Anzahl der Geschwister bei Führungskräften
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Betrachten wir nun das Geschlecht der Geschwister (s. Abb. 7), so fällt auf, dass zehn der befragten Führungskräfte mit mehr als einem Geschwisterteil aufgewachsen sind. Von diesen haben neun sowohl Schwestern als auch Brüder gehabt. Sechs Führungskräfte wuchsen unter Schwestern auf und vier unter Brüdern. Das häufigste Muster bei den befragten Führungskräften ist also die biografische Erfahrung, mit Geschwistern beiderlei Geschlechtes aufgewachsen zu sein. 10
8
Absolute Werte
4
2
0
es
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Abbildung 7: Geschlecht der Geschwister
r te
G ne
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i ke
u Br
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Geschlecht der Geschwister
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In welchen Führungspositionen führen die befragten Leitungskräfte? Die befragten Führungskräfte wurden im Interview gebeten, sich einer Führungsebene zuzuordnen. Von den 20 befragten Führungskräften gehören drei der obersten Führungsebene an, sieben der zweiten und weitere fünf der mittleren Führungsebene. Eine Person beschreibt ihre Position als zur untersten Führungsebene gehörig. Vier Personen konnten sich momentan keiner Führungsebene zuordnen, das heißt, wir haben hier ähnlich wie in der Studie von Bischoff (2005) eine starke Repräsentanz im mittleren Management. Abbildung 8 stellt die Verteilung auf die Führungsebenen dar. 8 7 6 5
Absolute Werte
3 2 1 0
ge
FE
FE ste
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so
er
E eF ler itt
FE
ob
m
2.
Führungsebene heute Abbildung 8: Auf welcher Führungsebene führen die Befragten? (FE = Führungsebene)
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Betrachten wir die Führungsebenen im Zusammenhang mit der Geschwisterposition (vgl. Abb. 9), so zeigt sich, dass auf der obersten Führungsebene kein Nesthäkchen, sondern zwei Älteste und ein mittleres Kind vertreten sind. Auf der zweiten Führungsebene bilden die Nesthäkchen hingegen mit vier Personen die größte Gruppe, verglichen mit einem mittleren Kind und zwei Ältesten. Hierzu eine Aussage eines Nesthäkchens: (b)s: »[...] ich denke, ich musste mir eine gewisse Sicherheit erst erarbeiten, weil ich immer so das Gefühl hatte, über mir muss noch jemand stehen, der älter ist [...] ich wollte zwar Abteilungsleiterin sein, aber es war klar, da gibt es noch einen Geschäftsführer, der übergeordnet ist.«
5 Geschwisterposition Älteste Nesthäkchen
4
Mittlere Position Einzelkind
Absolute Werte
3
1
0 r te un E
Abbildung 9: aktuelle Führungsebene und Geschwisterposition (FE = Führungsebene)
F ste
E
FE ste
eF
e tig ns so
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l er itt m
FE 2.
Führungsebene heute
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Molly von Oertzen
Auf der mittleren Führungsebene bilden die Nesthäkchen hingegen die Minderheit. Hier sind in erster Linie Älteste und ein Einzelkind vertreten. Zwei Nesthäkchen, ein mittleres Kind und ein Ältester konnten oder wollten sich momentan keiner Führungsposition zuordnen. Die unterste Führungsebene wird in unserer Stichprobe durch ein Nesthäkchen vertreten. In Abbildung 10 sind die Führungsebenen für die beiden Hauptgruppen der Ältesten und Nesthäkchen dargestellt. 5 Geschwisterposition Älteste Nesthäkchen
4
Absolute Werte
3
1
0 r te un F ste E
E
FE ste
eF
e tig ns so
er ob
l er itt m
FE 2.
Führungsebene heute
Abbildung 10: Aktuelle Führungsebenen der Ältesten und Nesthäkchen (FE = Führungsebene)
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Führen Erstgeborene anders?
Mit zehn Führungskräften ist der Großteil der befragten Personen im öffentlichen Dienst beschäftigt, fünf der Personen haben eine Führungsposition in einer Non-Profit-Organisation und weitere fünf sind in einem Wirtschaftsunternehmen beschäftigt (s. Abb. 11). 11 10 9
Absolute Werte
5 4 3 2 1 0
NPO
ö. D.
WU
Bereich
Abbildung 11: In welchen Bereichen sind die befragten Führungskräfte tätig? (NPO = Non-Profit-Organisation, ö. D. = öffentlicher Dienst, WU = Wirtschaftsunternehmen)
Betrachten wir auch hier noch die Verteilung der Geschwisterpositionen auf die verschiedenen Bereiche. Da die Nesthäkchen und Ältesten die größten Gruppen bilden, möchte ich mich hierbei auf diese beiden Positionen beschränken. Älteste und Nesthäkchen arbeiten zu gleichen Teilen in Non-Profit-Organisationen, dem öffentlichen Dienst und Wirtschaftsunternehmen (vgl. Abb. 12).
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5 Geschwisterposition Älteste
4
Nesthäkchen
Absolute Werte
3
1
0 NPO
ö. D.
WU
Bereich Abbildung 12: Arbeitsbereiche der Nesthäkchen und Ältesten (NPO = Non-Profit-Organisation, ö. D. = öffentlicher Dienst, WU = Wirtschaftsunternehmen)
Wer führt wen? Die Anzahl der geführten Mitarbeiter variiert bei den von mir befragten Führungskräften sehr breit von keinem bis zu immerhin 450 Mitarbeitern. Im Durchschnitt werden 46 Mitarbeiter geführt. Wer führt nun genau wie viele Mitarbeiter und in welcher Position? Einen Überblick über Führungspositionen, Geschwisterkonstellationen und Anzahl der Mitarbeiter gibt Tabelle 4. Weiter oben hatte ich bereits auf die Bedeutung des Geschlechts der Geschwister aufmerksam gemacht und die Vermutung geäußert, dass es leichter sein sollte, Mitarbeiter zu führen, die dem Geschlecht der eigenen Geschwister angehören, als andersge-
Führen Erstgeborene anders?
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schlechtliche. Daher habe ich die Führungskräfte im Interview auch gefragt, ob unter den geführten Mitarbeitern überwiegend Frauen oder Männer vertreten sind. Betrachten wir die Befragten unter dem Aspekt der Geschlechtsbeziehungen in der Kindheit und der heute geführten Mitarbeiter, so fällt auf, dass der Großteil heute vorwiegend Mitarbeiter eines Geschlechts führt, mit dem er auch in der Kindheit Erfahrungen machen konnte. Sieben der von mir befragten Führungskräfte wuchsen sowohl mit Brüdern als auch mit Schwestern auf, so dass diese Personen für die Führung von Frauen und Männern gleichermaßen gewappnet sein sollten. Nur eine Minderheit von fünf der Befragten führt heute zum Großteil Mitarbeiter, die nicht dem Geschlecht ihrer Geschwister entsprechen. Die Frage nach dem Geschlecht der Geschwister und der Mitarbeiter kann vor allem bei Konflikten in der Arbeitsbeziehung hilfreich sein. So können Konflikte mit einem bestimmten Mitarbeiter durchaus dadurch verstärkt werden, dass er das Geschlecht eines Geschwisters hat und dadurch frühere Konfliktkonstellationen auf diese Arbeitsbeziehung übertragen werden. Eine männliche Führungskraft [(b)b(bss)] beschreibt diese Gefahr so: »[...] es könnte natürlich sein, dass man dadurch, dass man lange mit diesen Geschwistern zusammen war, gewisse Muster hat, die einem vielleicht eher entsprechen oder nicht, und man dann quasi das auch auf andere überträgt [...] ich sag es jetzt extrem, es würde jetzt jemand meinem Bruder gleichen und er würde sich am Anfang noch so verhalten, würde ich wahrscheinlich annehmen, er funktioniert fast gleich [...] das ist vielleicht eine Gefahr, wo man aufpassen muss, dass man nicht voreingenommen ist.«
Andererseits könnte sich zum Beispiel ein Bruder, der nur unter Brüdern aufgewachsen ist, mit der Führung von Frauen schwer tun, da er im Umgang mit diesen nicht auf frühere Erfahrungen zurückgreifen kann. Unsere Erfahrungen mit Geschwistern des anderen Geschlechts können als Übungsfeld für spätere Arbeitsbeziehungen dienen. Eine weibliche Führungskraft [(b)s], die auf der zweiten Führungsebene tätig ist und vorwiegend Männer führt, berichtet:
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»[...] in Bezug auf meinen Bruder wäre vielleicht das Einzige, weil ich zu meinem Bruder auch ein gutes Verhältnis habe und einen guten Zugang, dass ich vielleicht durch ihn sehr gut mit Männern umgehen kann oder einen guten Zugang habe [...] durch das gute Verhältnis auch jetzt noch, wir haben viele Gespräche und sehr offen, ich habe mit Männern eine sehr gute Ebene, was nicht heißt, dass ich nicht mit meinen Mitarbeiterinnen auch total gut kann also aber [...] ja so wie Männer denken, dass sie auch ganz andere Ansätze haben oder auch ganz andere Schwerpunkte wie Frauen [...] und das Schöne ist halt, dass wir im Laufe der Kindheit das ganze Spektrum des Sozialverhaltens durchlebt haben gemeinsam [...]« Tabelle 4: Führungsebene, Geschwisterposition, Anzahl der geführten Mitarbeiter, das vorwiegende Geschlecht der Mitarbeiter Führungsebene
Oberste Führungsebene
Zweite Führungsebene
Mittlere Führungsebene
Unterste Führungsebene Sonstige
Geschwisterposition (b)s(s) s(s) s(bss) (bb)s (b)s (b)b (s)b (bss)s(s) b(bs) s(ssb) s s(s) b(bbsbb) b(s) (s)b
Anzahl Mitarbeiter
führt vorwiegend:
450 5 43 1 11 100 7 20 5 109 17 12 35 30 23
Frauen Frauen Frauen Frauen Männer Männer Frauen Frauen Männer Frauen Männer Frauen Männer Männer Männer
(s)b
18
Männer
s(bsb) (bs)s (b)s (b)b(bss)
0 0 24 10
keine Angabe keine Angabe Frauen Männer
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Was sagen die Führungskräfte über den Zusammenhang zwischen ihrer Führungsposition und ihrem Führungsverhalten? Mein Hauptinteresse bestand bei dieser Befragung darin zu erfahren, wie die Führungskräfte selbst den Zusammenhang zwischen ihrer Geschwisterposition und ihrem heutigen Führungsverhalten wahrnehmen und sehen. Um einen inhaltlichen Einblick zu ermöglichen, möchte ich nun einige Aussagen der Führungskräfte in Abhängigkeit von ihrer Geschwisterposition darstellen. Führungskräfte, die Älteste sind: s(bss): »[...] ich denke jetzt schon, dass es einen Zusammenhang gibt, einmal dass ich in einer Familie aufgewachsen bin mit mehreren Kinder und dass ich da als Älteste, ja dass sich das jetzt auch auf mein Führungsverhalten auswirkt. Zwei Beispiele: Übernahme von Verantwortung und ja schon auch Versuche, Dinge auch transparent zu machen [...] mein Anliegen ist, möglichst Dinge vom Werdegang her den Mitarbeitern rüberzubringen [...] das erklärt sich für mich schon ein Stück weit aus dieser Geschwister-, also auch dieser Mehrkindfamilie, in der ich aufgewachsen bin [...] Ich habe schon erlebt, dass ich mich als Älteste verantwortlich gefühlt habe [...] ohne dass mir das ausdrücklich übertragen wurde [...]« s(s): »[...] spontan hätte ich gesagt keinen, denn ich habe leider in der heutigen Position einen zu starken Muttertrieb, den hatte ich gegenüber meiner Schwester überhaupt nicht. Aber vielleicht ist es doch im Zusammenhang, dass ich mich genau entgegengesetzt dem verhalte, wie ich mich früher meiner Schwester gegenüber verhalten habe [...] also was sicherlich aus dieser Zeit einfach mal rührt, ist dieses gelernt haben auf andere Menschen zu achten, also immer noch einen anderen Menschen im Blick haben, im Gegenteil sogar, eher stärker den anderen im Blick haben wie sich selbst im Blick haben. Das kann manchmal sehr lösungsorientiert sein, das kann aber auch manchmal gerade in der Führungsposition zum Konflikt werden [...] ich hab da einen absoluten Beschützerinstinkt, ich halte auch den Kopf hin [...] und das ist sicherlich so wie früher.« s(bsb): »[...] ich denke, dass Führung nichts Ungewöhnliches für mich ist, also dass das vielleicht selbstverständlicher für mich ist, weil ich
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auch bei den Geschwistern diejenige war, die die Richtung angegeben hat. Also dass das einfach für mich natürlicher und selbstverständlicher ist.«
Erstgeborene scheinen also häufig schon als Kind gelernt zu haben, Verantwortung für ihre Mitmenschen zu übernehmen und bei Entscheidungen auf die anderen zu achten. Besonders interessant finde ich hier die Aussage, sich verantwortlich gefühlt zu haben, ohne dass diese Verantwortung explizit übertragen wurde. Es scheint also gar nicht entscheidend zu sein, ob Eltern ihren Ältesten auftragen, auf die Jüngeren aufzupassen und Acht zu geben. Hier könnten natürlich implizite Erwartungen der Eltern eine Rolle spielen, die nie ausdrücklich formuliert, vom Kind aber dennoch verstanden und umgesetzt wurden. Führungskräfte, die eine mittlere Geschwisterposition innehaben (Sandwich-Kinder): (b)s(s): »[...] was ich immer wieder merke bei mir als Führungskraft, ist, dass es mir wichtig ist zu vermitteln, dass es zu einem Konsens kommt, ich glaube, das hat damit zu tun, dass ich auch viel zwischen meinem Bruder und meiner Schwester vermittelt habe [...]. Also wenn es um Lösungsstrategien geht, die ich anwende in meinem Arbeitsalltag, dann hat das immer damit zu tun, dass ich alle an einen Tisch bringe [...]. Also möglicherweise ja, ich habe auch bei den Konflikten zwischen meinen Geschwistern nie wirklich eingegriffen und gesagt, da ist jetzt Schluss damit, das ist einfach nicht unsere Familienstruktur gewesen, und möglicherweise ist das im Beruf auch so [...]. Ich weiß nicht, ob Sandwich-Kinder für eine Führungsposition geeignet sind, weil ich glaube, dass sie manchmal zu sehr vermittelnd eingreifen [...] ich glaube, das Vermitteln ist wirklich spezifisch für mich als Sandwich-Kind und, ja das glaube ich, das habe ich hier in meinem Führungsverhalten auch.« (b)b(bss): »[...] eines hat sicher einen Vorteil, dass man gewohnt ist, mit anderen Menschen umzugehen [...] versucht man wahrscheinlich schon, die anderen mit einzubeziehen [...] eher kooperativ [...] gehe ich auf die Leute zu [...] wie sie die Sachlage sehen [...] zusammen weiterentwickeln [...] es gibt immer mehrere Lösungen für ein Problem.«
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Die Führungskräfte mit mittlerer Geschwisterposition zeigen sich in dieser Untersuchung sehr lösungsorientiert und vermittelnd. Dieses Verhalten lässt sich sehr gut mit den Erfahrungen eines Sandwich-Kindes in Zusammenhang bringen. Diese Kinder haben häufig schon in jungen Jahren die Rolle des Vermittlers zwischen den Großen und den Kleinen übernommen. Während ein Ältester sein Leben lang der Älteste der Familie bleiben wird und ein Nesthäkchen der Jüngste, macht das mittlere Kind die Erfahrung sich wandelnder Rollen. Eine Weile der Jüngste gewesen, wird es plötzlich ein Älterer und von seiner Nesthäkchenposition vertrieben. Er muss also lernen, sich einer neuen Position und Rolle entsprechend zu verhalten und sich dieser anzupassen. Dies erfordert ein hohes Maß an Flexibilität und könnte das Verständnis für Personen in anderen Positionen erleichtern. Führungskräfte, die Nesthäkchen sind: (bb)s: »Ich glaube, dass ich sehr teamorientiert bin und versuche, die Meinungen und Haltungen anderer zu integrieren [...] schwer zu sagen, ob das jetzt an der Nesthäkchen-Position liegt [...] erlebe mich als sehr kommunikationsstark [...] gerade dadurch, dass ich dazugekommen bin und schon andere da waren, musste ich mir meine Position suchen und vielleicht auch ein bisschen anders sein [...]. Was ich denke, was eine Rolle spielt ist, dass ich gerne jemanden über mir habe, [...] dass es großen Mut erfordert, an erster Stelle zu stehen [...] glaube, dass das was mit der Geschwisterposition zu tun hat, dass immer jemand da war [...] nicht nur die Eltern, sondern auch die großen Brüder [...]« (b)s: »Vielleicht war bei mir und meinem Bruder das nicht so ganz typisch, die Konstellation, weil mein Bruder eher der ruhigere ist und ich die Dinge alle erkämpfen musste, also eigentlich war ich immer derjenige, der die Dinge vorangetrieben hat [...] man lernt mit den Jahren sehr viel dazu durch die Erfahrungen, die man macht [...] bin sehr ausgleichend, versuche meinen Mitarbeitern viel zu geben [...] vielleicht insofern, dass ich [...] das wäre das Einzige, wenn Sie mir jetzt diese Frage stellen in Bezug auf meinen Bruder, wäre vielleicht das Einzige, weil ich zu meinem Bruder auch ein gutes Verhältnis habe und einen guten Zugang, dass ich vielleicht durch ihn sehr gut mit Männern umgehen kann oder einen guten Zugang habe [...] gut vielleicht habe ich durch die Geschwisterkonstellation mit dem älteren Bruder, da-
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durch, dass ich die Kämpfernatur war, gelernt mich durchzusetzen und zu kämpfen, das kann sein, aber das kann ich nicht beurteilen, weil ich nur diese Konstellation für mich hatte [...] durch das gute Verhältnis auch jetzt noch, wir haben viele Gespräche und sehr offen, ich habe mit Männern eine sehr gute Ebene [...] was nicht heißt, dass ich nicht mit meinen Mitarbeiterinnen auch total gut kann also, aber [...] ja so wie Männer denken, dass sie auch ganz andere Ansätze haben oder auch ganz andere Schwerpunkte wie Frauen [...] und das Schöne ist halt, dass wir im Laufe der Kindheit das ganze Spektrum des Sozialverhaltens durchlebt haben gemeinsam [...]« (b)s: »[...] ich denke, ich musste mir eine gewisse Sicherheit erst erarbeiten, weil ich immer so das Gefühl hatte, über mir muss noch jemand stehen, der älter ist [...] ich wollte zwar Abteilungsleiterin sein, aber es war klar, da gibt es noch einen Geschäftsführer, der übergeordnet ist [...] vielleicht, dass ich eher kollegial führe und nicht hierarchisch [...] ich hatte eine Kollegin, die sehr starke Grenzen eingefordert hat [...] sie hat mir immer zu verstehen gegeben, du bist Chefin, also verhalte dich auch so. Das war für mich zunächst problematisch, dann hab ich aber gedacht, okay, wenn das so ist, dann kriegt sie sie, dann habe ich aber auch gemerkt, dass das gar nicht so schwierig ist für mich, also dass ich das kann [...]«
Bei den Aussagen der Nesthäkchen fällt besonders auf, dass Sicherheit in einer Führungsposition nicht selbstverständlich war, sondern erst erarbeitet werden musste. Auch der Wunsch, jemanden über sich zu haben und nicht an erster Stelle zu stehen, wird genannt. Dieser Wunsch ist aus den Erfahrungen eines Nesthäkchens nur zu gut zu verstehen, hat es doch in seiner Kindheit nie erlebt, dass niemand über ihm stand, der stärker und älter war. Jedoch zeigt sich auch, wie sehr die Erfahrungen, die aus einer Geschwisterposition entstehen, auch vom Charakter und Verhalten der Geschwister abhängt. Nachgeborene müssen häufig anders sein als ihre älteren Geschwister, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Wenn nun aber die älteren Geschwister die Rolle des Führenden und Verantwortung Übernehmenden nicht ausfüllen, kann es durchaus sein, dass ein Nesthäkchen diese Eigenschaften entwickelt.
Führen Erstgeborene anders?
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Welche Bedeutung kommt der Frage nach der Geschwisterposition für das Coaching zu? Fast alle Führungskräfte berichteten, erst durch das Interview über das Thema nachgedacht zu haben. Einige hatten sich schon in der Zeit zwischen der Terminabsprache und dem Gespräch Gedanken gemacht, bei vielen war während des Gesprächs zu bemerken, dass ein Reflexionsprozess in Gang gekommen war. s(bss): »[...] bis zu Ihrer Anfrage habe ich mir die Frage vor diesem Hintergrund noch nie gestellt. Ich denke jetzt schon, dass es einen Zusammenhang gibt [...]« (b)b(bss): »Habe ich noch gar nie überlegt, ob es einen [Zusammenhang] gibt […] ich sag jetzt mal grundsätzlich, ich glaube, dass es Zusammenhänge gibt, aber ich hab mir nie überlegt, welche Zusammenhänge da wirklich bestehen [...]«
Ein Interviewteilnehmer änderte im Lauf des Gesprächs seine Einschätzung des Zusammenhangs von 1 auf 7, da ihm mit der Zeit Übereinstimmungen zu seinen Geschwisterbeziehungen auffielen. So hatte ich immer wieder den Eindruck, dass das Thema auf großes Interesse stieß und Selbstreflexionsprozesse in Gang brachte. Viele der Befragten bestätigten mir dies mit Aussagen wie »darüber werde ich noch weiter nachdenken [...]« oder »[...] wir werden da jetzt bestimmt noch mal drüber diskutieren«. Eine Teilnehmerin meinte, Fortbildungen und Trainings zu diesem Thema wären sehr sinnvoll. Die Beobachtung, dass Aussagen, die Ähnlichkeiten des heutigen Erlebens und Verhaltens zu denen der Kindheit bestätigten, zu Beginn des Gesprächs häufig zögerlich, mit der Zeit aber immer zahlreicher und detaillierter wurden, zeigt mir die Möglichkeiten, die in dieser Fragestellung auch für den Coaching-Prozess liegen. Bei einigen Leitungskräften schien schon während des Gesprächs eine Art AhaErlebnis und ein Erkenntnisgewinn stattzufinden.
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Molly von Oertzen
Fazit Obwohl ich in meiner Studie keine eindeutigen Unterschiede zwischen dem Führungsverhalten von Nesthäkchen und Erstgeborenen feststellen konnte, zeigen die Ergebnisse, wie stark unsere Erfahrungen aus der Kindheit und unsere Sozialisation mit unseren Geschwistern das Verhalten im späteren Leben beeinflussen können. Die Ergebnisse der Untersuchung erlauben es zwar nicht, generalisierende Aussagen über das Führungsverhalten von Personen aus den verschiedenen Geschwisterkonstellationen zu treffen. Sie zeigen dafür umso mehr, wie hilfreich es sein kann, sich die individuellen Erfahrungen in der eigenen Geschwisterposition anzusehen, um aktuelle Verhaltens- und Erlebensweisen vor diesem Hintergrund neu zu betrachten und verstehen zu lernen. Ich glaube daher, dass die Betrachtung der Geschwisterkonstellation einen wertvollen Beitrag für den Coaching-Prozess leisten kann, gerade wenn es darum geht, eigene Verhaltenstendenzen im Umgang mit Mitarbeitern zu verstehen und zu ändern (vgl. hierzu die Fallbeispiele aus der Praxis im Beitrag von Bentner in diesem Band).
Ariane Bentner
Coaching als Lernformat für Führungskräfte Systemische und lösungsfokussierte Perspektiven für die Einzelberatung
»Im Arbeitsalltag siegt Pragmatik. Letztlich zählt für das Coaching von Führungskräften [nicht nur, A.B.] in interkulturellen Kontexten, dass dem Klienten geholfen wird, Interaktionen dauerhaft effektiv und erfolgreich zu gestalten« (Barmeyer, 2007, S. 226).
Coachs sind Menschen, die qua Profession versuchen, Führungskräfte darin zu unterstützen, ihre Interaktionen noch zielführender und erfolgreicher werden zu lassen. Dabei werden sie im Coaching-Alltag vom aktuellen Erleben, Leiden und Handlungsdruck ihrer Kunden abgeholt, manchmal auch eingeholt und überrollt. Für eine vertiefte Reflexion und Analyse des Coaching-Erlebens fehlt oft die Zeit, und das ist schade. Eine genauere Analyse des Coaching-Geschehens ex post kann verblüffende Erkenntnisse darüber generieren, was der Kunde womöglich an Handreichung oder Perspektivwechsel noch hätte gebrauchen können oder welche Erkenntnisse zu seinem Fall noch möglich gewesen wären. Ich möchte in diesem Beitrag zeigen, wie nicht nur die Kunden vom systemisch-lösungsorientierten Coaching profitieren, sondern auch, wie Coachs als Prozess- oder Expertenberater von und mit ihren Kunden lernen können, trotz der im Coaching geforderten Praxis, nützliche und womöglich auch neue Perspektiven auf ihre Arbeit zu gewinnen und die Kunden daran teilhaben zu lassen. Dies werde ich anhand einiger Fallbeispiele aus meiner Praxis demonstrieren.
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Ariane Bentner
Wer kommt mit welchem Hintergrund ins Coaching? Führungskräfte sind Menschen, die sich früher oder später daran gewöhnen müssen, dass ihre Entscheidungen umgesetzt werden, dass sie Einfluss ausüben und die Geschicke ihrer Organisation aktiv gestalten und steuern können. Das Ausmaß, in dem ihnen diese Gestaltungsmacht bewusst wird, hängt u. a. davon ab, aus welchem sozialen und kulturellen Milieu sie stammen und inwieweit sie bereits von Kindheit an gelernt haben, dass andere auf das hören, was sie zu sagen haben. Dies haben – führungsbiografisch gesehen – am ehesten Führungskräfte aus der Wirtschaft gelernt. Warum? Neuere Befunde zur Führungskräfteforschung haben gezeigt, dass das männliche Topmanagement in Deutschlands Wirtschaftsunternehmen nach wie vor aus der dünnen Oberschicht stammt, die Elite genannt wird und die sich nach Untersuchungen des Darmstädter Soziologen Michael Hartmann (2007) quasi selbstreferentiell reproduziert, seinen Nachwuchs also überwiegend aus seinesgleichen rekrutiert. Hartmann hat am Beispiel der Karriereverläufe von 6500 promovierten Akademikern in Deutschland zeigen können, dass der Aufstieg nach ganz oben insbesondere in Unternehmen ausschließlich gebildeten Männern vorbehalten bliebt, deren Väter schon Unternehmer, Grundbesitzer, akademische Freiberufler, leitende Angestellte oder höhere Beamte oder Offiziere waren. Frauen und Arbeiterkinder oder Menschen beiderlei Geschlechts mit dem sogenannten Migrationshintergrund bleiben hier außen vor. In eine ähnliche Richtung weisen auch die Wiederholungsstudien der Hamburger Betriebswirtschaftlerin Sonja Bischoff (2005, S. 56), die seit 1986 immer wieder weibliche und männliche Führungskräfte befragt hat. Sie hat in ihrer neuesten Studie mit 191 Frauen und 143 Männern herausgefunden, dass Männer – anders als Frauen – in Führungsverantwortung auf der obersten Führungsebene meist aus Familien stammen, in denen der Vater bereits einer hochqualifizierten Berufstätigkeit nachging, während Frauen auf dieser Ebene weniger bzw. eher im Mittelstand präsent sind. Weibliche Führungskräfte finden sich weiter unten auf der zweiten und dritten Führungsebene wieder,
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wohin sie in der Regel durch sozialen Aufstieg aufgrund ihrer guten Ausbildung gelangt sind und wo sie im Durchschnitt »deutlich weniger« verdienen als Männer (Bischoff, 2005, S. 30). Frauen können hier als soziale Aufsteigerinnen schlechthin gelten, denn: »Insbesondere Frauen aus Familien mit weniger privilegierter Stellung des Vaters haben den Aufstieg geschafft: 36 % der [befragten] Frauen gaben an, dass ihr Vater Arbeiter oder einfacher Angestellter bzw. Beamter ist« (S. 37). Insgesamt dürfte der Frauenanteil an den Führungskräften der deutschen Unternehmen sich nach Schätzungen Bischoffs nach wie vor im bescheidenen Bereich »irgendwo zwischen 9 % und 13 %« bewegen (S. 36). Wie rekrutiert sich nun die deutsche Wirtschaftselite? Hartmann (2007) hat herausgefunden, dass neben den »harten« Kriterien wie einem entsprechenden Bildungsabschluss bei der Selektion der Führungspersonen gerade die Intuition, das Bauchgefühl, eine große Rolle spielt, um sicher zu gehen, ob man einer angehenden Führungskraft vertrauen kann: »Man müsse sich einen Vorstand, so ein interviewter Topmanager, in der Regel als eine Art Schicksalsgemeinschaft vorstellen, die gemeinsam erfolgreich sei oder aber scheitere. Maßgeblich dafür, ob man glaubt, jemandem vertrauen zu können, und damit auch für die Entscheidung, ob diese Person als Vorstandskollege akzeptiert wird, ist letztlich der Habitus der Person« (Hartmann, 2007). Das Habitus-Konzept des französischen Soziologen Pierre Bourdieu (1982) beschreibt die unausgesprochenen Regeln des sozialen Miteinanders der Oberschicht, die in Frankreich traditionellerweise mehr vom Adel als vom Bürgertum bestimmt ist. Zu diesen Regeln oder Persönlichkeitsmerkmalen gehören eine genaue Kenntnis der Benimm- und Dresscodes, der ausgesprochenen und unausgesprochenen Regeln in den Chefetagen, eine gute Allgemeinbildung sowie persönliche Souveränität im Auftreten und Verhalten, um zu gewährleisten, dass die Führungskraft ihren komplexen Aufgaben weitsichtig gewachsen ist. Sozial gänzlich undurchlässig scheinen in Deutschland die Vorstandetagen der Wirtschaftsunternehmen, während die politischen Eliten die größte Durchlässigkeit zeigen. Führungskräfte dieser wirtschaftlichen Elite nehmen Coaching kaum in An-
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spruch, da sie sich einerseits in vertrauten Kreisen unter sich bewegen und austauschen können und andererseits in ihrer Biografie bereits gelernt haben müssen, Entscheidungen zu treffen, mit Macht umzugehen und entsprechend selbstsicher aufzutreten (vgl. Böning, 2006). Etwas heterogener sind offenbar in allen Bereichen die zweite und dritte Führungsebene besetzt, hier haben nach Jahren des Stillstands zunehmend auch Frauen bessere Aufstiegschancen (vgl. Bischoff, 2005). Was bedeutet nun Führen und Leiten für die, die sich den Aufstieg auch sozial erarbeiten mussten, wie wachsen sie in ihre Position hinein und welche Fallstricke warten auf sie? Ich möchte als Antwort die These wagen, dass Coaching gerade für solche Führungskräfte eine wichtige Lernveranstaltung darstellen kann, für die aus Gründen ihrer Biografie und/oder ihres sozialen und kulturellen Herkunftsmilieus der Aufstieg in die Führungsposition nicht selbstverständlich erschien, vielleicht sogar vorbildlos war wie im Fall der meisten Frauen und die anfangs mit gewissen führungsfachlichen Unsicherheiten umgehen lernen müssen. Der Weg zum Coach erscheint dann als das Mittel der Wahl und Lösungsversuch par excellence, weil die Führungskraft sich hier Unterstützung, Verständnis, Reflexionsmöglichkeiten und Handlungsorientierung für ihren Führungsalltag versprechen und in einem sehr geschützten Rahmen idealerweise auch erhalten kann. Umgekehrt verfügt der Coach (hoffentlich) auch über eigene Berufs- und Führungserfahrung in einem nichtberatenden Beruf, die es ihr oder ihm ermöglicht, die Dilemmata und Problemlagen der Führungskraft angemessen nachvollziehen und verstehen zu können. Coaching stellt dann ein speziell auf Führungskräfte zugeschnittenes, sehr individuelles Lernformat dar, in dem jeder sich das holen kann, was gerade gebraucht wird. Insbesondere jüngere Führungskräfte formulieren es nicht selten so, dass sie beispielsweise ihre führungsrelevanten Soft Skills im Coaching gern verbessern möchten. Auch können jüngere Nachwuchsführungskräfte sich bei einem erfahrenen Coach erkundigen, welche Spielregeln im Umgang mit Mitarbeitern und älteren Kollegen sie möglicherweise übersehen haben, nachdem sie sich bereits
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mit einem blauen Auge in einem Fettnäpfchen wiedergefunden haben. Erfahrene Manager aus dem Topmanagement sind dafür bekannt, dass sie sich gern einen Coach als Sparrings- und Diskussionspartner halten, mit dem man bestimmte strategische Entwicklungen im Unternehmen einmal in Ruhe durchdiskutieren und im geschützten Rahmen eine andere Meinung einholen kann. Dagegen nutzen weibliche Führungskräfte das Coaching gerne dazu, sich Feedback geben zu lassen und rückzuversichern, ob sie alles richtig gemacht haben, und vielleicht einmal durchzuspielen, was passieren würde, wenn sie eine unpopuläre Entscheidung treffen würden. Auch heiklere Themen wie möglicherweise der eigene soziale Aufstieg können im Coaching diskret thematisiert und reflektiert werden. In der Regel kommen Führungskräfte also mit ganz persönlichen Anliegen ins Coaching, für die sie sich auf der Handlungsebene Lösungen wünschen. Klassische Anliegen sind beispielsweise die Klärung der Zusammenarbeit zwischen Vorgesetzten, Mitarbeitern oder Kollegen. Diese weisen immer eine ganz individuelle und einzigartige Bewandtnis und Gestalt auf. Führungskräfte tun sich jedoch oft schwer, das persönlich Erlebte in einem größeren organisationalen Kontext zu sehen und einzuordnen, da sie sich ja persönlich betroffen fühlen. Ich glaube, dass es möglich ist, gerade über die Bearbeitung dieser konkreten persönlichen Anliegen bei Führungskräften auch ein tieferes systemisches Verständnis für die Kontexte und Zusammenhänge zu wecken, in denen ihre Anliegen auftauchen, das es ihnen erleichtert, zukünftige, ähnlich gelagerte Konfliktfelder anders als bisher anzugehen. Coaching als Lernformat für Führungskräfte kann so eine spezifische Bewältigungsform für komplexe Situationen darstellen, die im Führungsalltag erlebt werden. Komplexität bedeutet, den Überblick über bestimmte Situationen und Sachverhalte zu verlieren oder sie nicht steuern zu können. Komplexe Situationen sind aufgrund der Anzahl und Frequenz ihres Auftretens, ihrer Undurchschaubarkeit und Heterogenität sowie unserer menschlichen Unfähigkeit, den Überblick über all diese Phänomene zu behalten, charakteristischerweise unübersichtlich. Was wir in komplexen Situationen erleben, ließe sich psychologisch
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am ehesten mit Kontrollverlust beschreiben. »Komplexe Phänomene sind gleichzeitig [...] Phänomene, die wir zwar nicht verstehen, mit denen wir jedoch gleichwohl interagieren können, und die mit Hilfe von Beobachtungen, die darauf hinauslaufen, Erfahrungen mit Erwartungen abzugleichen und diese Erwartungen dementsprechend laufend zu korrigieren. Das jedoch kann man nur, wenn man in der Lage ist, das eigene Wissen im Kontext von Nichtwissen laufend zu reevaluieren und zu diesem Zweck vom eigenen Nichtwissen und nicht vom Wissen auszugehen« (Baecker, 2006, S. 6). Solche Situationen sind für Führungskräfte, die ja angehalten sind, Organisation und Mitarbeiter zu steuern und die Dinge »im Griff« zu halten, verständlicherweise schwer zu ertragen. Ich möchte im Folgenden an einigen Fallbeispielen aus der Praxis zeigen, wie man diese Situation im systemischen Coaching als Ressource nutzen und Führungskräfte dabei systemisch und lösungsorientiert unterstützen kann, Erlebnisse und kritische Situationen aus dem Führungsalltag als persönliches Fortbildungscurriculum zu nutzen. »Nebenbei« oder »unter der Hand« kann der Coach auch viel über systemisches Verständnis von Management vermitteln, was beim Coachee einen Unterschied zum bisherigen Führungswissen auslösen und entlastend wirken kann. Außerdem kann er ständig neue Fallgeschichten kennen lernen, die es ihm ermöglichen, über den Tellerrand seiner eigenen bisherigen beruflichen Sozialisation hinauszublicken und dank seiner Klienten Lösungen für neue Problemlagen zu (er-) finden. Alle Namen und Zusammenhänge wurden so verändert, dass eine Anonymität der Coachees gewährleistet ist. Auswahl und Struktur der vorgestellten Fallbeispiele erfolgten nach dem Kriterium, was über die geleistete eigentliche Beratungsarbeit im Coaching hinaus theoretisch noch an Entwicklungen und Lernschritten möglich gewesen wäre oder beim nächsten Mal möglich sein könnte und was Coachee und Coach aus dieser Zusammenarbeit noch lernen könnten. Das aktuelle CoachingGeschehen mit seiner starken Ausrichtung auf der Handlungsebene stellt ja jeweils nur eine von vielen Möglichkeiten dar und es wären noch ganz andere Erkenntnisse und Entwicklungen für
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die Anliegen und Situationen der Coachees denkbar. Insofern stellen die hier präsentierten Fallstudien auch ein Reflexionsund Lernfeld ex post für die Autorin als Coach und für die interessierten Lesenden dar und zeigen, dass Fallreflexion einen großen Zugewinn an Erkenntnis und damit Lernen auch für Coachs darstellen kann.
Fallbeispiel 1: Mitarbeiter führen und mit Macht umgehen Frau Tauber ist seit einem guten Jahr Amtsleiterin in einer kommunalen Verwaltung. Es ist ihre erste richtige Leitungsposition, auf die sie relativ unvorbereitet berufen wurde. Es ist eine große Aufstiegschance für Frau Tauber, die zuvor eine gute Sachbearbeiterin und rechte Hand eines Dezernenten in einem ganz anderen Feld war. Da sie vermutet hatte, dass eine solche Chance nicht mehr wiederkommen würde, nahm Frau Tauber ohne lange zu zögern die Herausforderung an, dieses als schwierig geltende Amt zu übernehmen. Erfahrung in der Führung von Mitarbeitern hatte sie bisher nicht. Als Begleitung und explizite Möglichkeit zur individuellen Fortbildung erhält Frau Tauber von ihrem Arbeitgeber ein intensives Coaching-Angebot, das sie gerne in Anspruch nimmt. Frau Taubers Anliegen an das Coaching ist es, bei den vielen anstehenden Aufgaben in ihrem neuen und schwierigen Amt eine »moralische Unterstützung« durch den Coach zu erfahren. Sie möchte auf ihrem Weg auch ein wenig von ihrem Coach an die Hand genommen und geführt werden. Im Amt möchte sie einiges bewegen und verändern, obwohl das Personal sich als sehr beharrungsfreundlich gezeigt hat und Veränderungen jeglicher Art nicht positiv gegenübersteht. Frau Tauber hat im ersten halben Jahr ihrer Amtsleitung den Eindruck gewonnen, dass die Mitarbeiter nicht richtig »funktionieren« und unselbstständig arbeiten. Frau Tauber wünscht sich, dass ihr Team selbstverantwortlicher arbeitet, und möchte gerne herausfinden, was sie dazu beitragen könnte.
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Nach anfänglicher Euphorie fühlt sich Frau Tauber nun von ihrer Stellvertreterin hintergangen und »gemobbt«. Die Stellvertreterin belüge und hintergehe sie ständig, und sie müsse dieses Verhalten dann nach oben und außen decken und habe das bisher auch immer getan. Die Stellvertreterin habe bereits ihren Vorgänger »hinausgemobbt« und in die Psychiatrie getrieben. Außerdem sei die Stellvertreterin selbst gerne Amtsleiterin geworden, was sie aber nachträglich leugne. Frau Tauber habe schon viel Zeit mit der Stellvertreterin verbracht und es habe sich nicht viel verbessert, so dass sie diese nun gerne loswerden möchte (»vom Hals schaffen«). Als erste Maßnahme hat Frau Tauber nun das Gespräch mit ihren Vorgesetzten gesucht. Mit ihnen wurde bereits überlegt, die Stellvertreterin zu versetzen (»Strafkolonie«) und von einer »harten« Führungskraft anderswo »gnadenlos« führen zu lassen. Gleichzeitig äußert Frau Tauber aber auch immer wieder den Wunsch nach einer vertrauensvollen Zusammenarbeit und dem Ziehen an einem Strang mit ihrer Stellvertreterin, was nur leider mit dieser Person nicht möglich scheint. Diese Ambivalenz Frau Taubers der Stellvertreterin gegenüber fällt mir zunehmend auf, einerseits nehme ich ein großes Bedürfnis nach Kooperation wahr und andererseits nach »Abstoßung«. Wir können die Ambivalenz vorerst nicht bearbeiten, da immer neue tagesaktuelle Themen im Raum stehen. Nach vier Sitzungen im Zeitraum von fünf Monaten hat sich im Umfeld von Frau Tauber wenig verändert. Eine Strukturaufstellung ihres Amtes im Coaching hat den ernüchternden Befund ergeben, dass sie als Leiterin ziemlich auf verlorenem Posten steht und wenig Unterstützung aus ihrem Team erhält. Außerdem hat sich gezeigt, dass ihre Stellvertreterin mit einem Teil des Teams in Allianz ist und die Loyalität zur neuen Chefin gering ausfällt. Das Team selbst wirkt gespalten und mit sich selbst beschäftigt. Frau Tauber nimmt das relativ gelassen auf. Ich thematisiere das und frage sie, ob es in ihrem Interesse wäre, wenn wir vor diesem Hintergrund den Fokus unserer Aufmerksamkeit erst einmal auf ihre Person richten, bevor wir zum Umfeld schauen, das ja momentan als schwer veränderbar erscheine und aus systemischer Sicht fast schon als Restriktion betrachtet werden müsse. Die größten Chancen für neue Er-
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kenntnisse verspreche ich mir derzeit von der Sicht auf die Führungskraft und ihren Möglichkeiten, diese schwierigen Rahmenbedingungen zu gestalten. Ich biete Frau Tauber daher eine Exkursion in ihre Familiengeschichte an und frage sie, was sie in ihrer Familie zum Thema Führen und Leiten gelernt habe. Ich bin überrascht zu hören, dass sie sich mit diesem Thema schon öfter beschäftigt habe und meint, das sei ein Fall für den Therapeuten. Ich frage sie, da wir momentan gerade keinen Therapeuten verfügbar haben, ob es für sie auch denkbar sei, dass wir es zu zweit probieren. Frau Tauber ist einverstanden, obwohl sie einige Befürchtungen hat. Unsere Exkursion in ihre Familiengeschichte zeigt, dass Frau Tauber die ältere von zwei Schwestern ist – S(s)2. Ihre Mutter hat die gleiche familienbiografische Konstellation, ist also eine älteste Schwester einer jüngeren Schwester. Frau Tauber stammt aus einfachen Verhältnissen. Ihr Vater war Arbeiter, die Mutter selbstständige Friseurin. Nach neun Jahren als Einzelkind fühlte sie sich durch die Geburt der jüngeren, süßen Schwester von den Eltern geradezu hintergangen und entthront. Die Eltern, mit denen sie bis dahin in recht beengten Verhältnissen gelebt hatte, hatten ihr nämlich ein eigenes Zimmer versprochen, das sie auch gerade bezogen hatte, als die Schwester geboren wurde. Bis zu ihrem Auszug mit 18 Jahren musste Frau Tauber das Zimmer mit der Schwester teilen. Eigene Freundschaften, besonders zum anderen Geschlecht, konnte sie sich in der Pubertät kaum erlauben, da die Schwester ja immer im Zimmer war. Die jüngere Schwester erlebte Frau Tauber von Anfang an als Eindringling und Störenfried, die von den Eltern noch dazu bevorzugt und von der weiteren Familie mit Geschenken überhäuft wurde, während Frau Tauber kaum Geschenke erhielt und nur über Leistung im Mittelpunkt stehen konnte. Außerdem musste sie nach der Schule den Haushalt 2 Nach der Codierung von Toman (2005) steht S für große Schwester, s = kleine Schwester, B = großer Bruder und b = kleiner Bruder. Die Geschwister der betroffene Person werden dabei in Klammern gesetzt, daher im Fall Frau Taubers S(s) = ältere Schwester einer jüngeren Schwester.
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»schmeißen«, kochen und putzen und die kleine Schwester betreuen, nachdem die Mutter ihre Berufstätigkeit wieder aufgenommen hatte. Stets wurde Frau Tauber als Älteste von den Eltern zur Verantwortung gezogen, wenn etwas nicht in Ordnung war im Haushalt. Dennoch war Frau Tauber eine fleißige und gute Schülerin, die gerne Leistung erbrachte. Zur Schwester entwickelte sie ein ausgesprochenes Konkurrenzverhältnis, die beiden stritten sich viel, was von der Mutter mit den Worten »der Klügere gibt nach« an ihre Adresse kommentiert wurde. Frau Tauber musste ihre kleine Schwester immer im Schlepptau mitziehen, auf Kosten ihrer eigenen Interessen, und hat damit ein häufiges Muster von Erstgeborenen erlernt (vgl. den Beitrag von von Oertzen in diesem Band). Frau Tauber sieht einen starken Zusammenhang zwischen dem, was sie zu Hause in der Herkunftsfamilie über das Thema Führen und Leiten gelernt hat, und ihrem heutigen Führungsverhalten. Dies sei jedoch eine »unbewusste Sache«. Sie hatte bisher keine berufliche Leitungserfahrung. Diese Stelle hat sie angenommen, weil es ihr wichtig war, beruflich weiterzukommen, und sie nicht wusste, ob sie noch einmal eine solche Gelegenheit bekommen würde. Auf Führungsaufgaben wurde sie nicht vorbereitet. Als Kind hat sie schon sehr früh gelernt, (zu viel) Verantwortung für andere zu übernehmen. Deshalb konnte sie sich diese schwierige Amtsleitung ohne weiteres zutrauen. Als ihre eigentlichen Stärken in der Führung sieht sie den Umgang mit Männern, da sie als Kind viel mit Jungen gespielt hat. Diese kommen im derzeitigen Job nicht zur Geltung, da sie bisher ein reines Frauenteam führt. Zu Frauen hat Frau Tauber jedoch ein sehr ambivalentes Verhältnis, das insbesondere im Umgang mit ihrer Stellvertreterin schnell in Konkurrenzverhalten abdriftet. Manches ließe sich womöglich mit der Stellvertreterin deeskalierend klären, wo Frau Tauber sofort mit einer Unterstellung oder einem Vorwurf zur Stelle ist. Frau Tauber kann oft nicht unterscheiden, ob sie im Hier und Jetzt als erwachsene Führungskraft unterwegs ist oder als kleines Mädchen in ihrer Herkunftsfamilie. »Es« passiert ihr vieles unbewusst. Verstärkt wird dieses Muster noch dadurch, dass ihre Mutter die gleiche Positionierung in der Geschwisterreihung
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innehat – S(s) – und zu Hause ohnehin den Ton angab und es gewohnt war, viel Verantwortung zu übernehmen, während der Vater sich eher passiv im Hintergrund hielt. Auf meine Frage, ob es für Frau Tauber nicht perspektivisch sinnvoller wäre, eher ein Männerteam zu führen, ist sie erst einmal unsicher. Sie hat sich schon sehr auf diese jetzige Konstellation fokussiert. Gleichzeitig weiß sie, dass sie mit Männern partnerschaftlicher umgehen kann. Dann fällt ihr jedoch ein, dass sie bei der Neubesetzung einer Stelle bereits einen Mann »durchgeboxt« und damit einen Einstieg in eine Musterveränderung gewagt hat. Von der Stellvertreterin möchte sie nach wie vor versuchen, sich zu trennen, hier sind die dysfunktionalen Beziehungsaspekte zwischen den Frauen zu groß. Frau Tauber wünscht sich beruflich ein Team, von dem sie auch einmal etwas abgenommen bekommt. Wir vereinbaren folgende Übungshausaufgabe: Frau Tauber beginnt mit Zielvereinbarungen mit ihrer Stellvertreterin, setzt Grenzen und unterlässt es zukünftig, für sie die Kohlen aus dem Feuer zu holen. In die nächste Sitzung kommt Frau Tauber sehr entspannt und aufgeräumt. Auf meine Frage, wie es ihr mit ihren Hausaufgaben ergangen sei, lässt sie mich wissen, dass das Thema sie noch »ziemlich umgetrieben« habe. Sie habe sich viele Gedanken darüber gemacht, woher es komme, dass sie sich bisher so viel über Leistung definieren musste und damit verbunden sehr schwer abgeben und delegieren konnte. Aus ihrem Team seien ganz unerwartet zwei Mitarbeiterinnen auf sie zu gekommen und hätten ihr ein Feedback gegeben, das bei ihr ein Aha-Erlebnis ausgelöst habe. Das sei in der Folge sehr entlastend für Frau Tauber gewesen, da ihre Mitarbeiterinnen sich danach als durchaus selbstständig mitdenkend und -handelnd erwiesen hätten und im Unterschied zu früher jetzt auch ganz eigenständig Arbeiten vorbereiteten. Auch mache ihr Team insgesamt einen viel motivierteren Eindruck als zuvor. Es erscheine ihr wie ein Wunder, sie habe keine Erklärung für diese Veränderung. Mir ging es beim Zuhören so, dass ich den Eindruck hatte, als spreche Frau Tauber von ganz neuen Mitarbeiterinnen in einem ganz anderen Team.
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Auch im Hinblick auf ihre Stellvertreterin hatte sich Unglaubliches getan: Frau Tauber hatte den Eindruck, als habe diese »etwas kapiert«. Frau Tauber war ihre Hausaufgabe offensiv angegangen und hatte ihrer Stellvertreterin klar kommuniziert, was sie von ihr erwarte, welche Arbeitsbereiche sie gerne von ihr verantwortet sehen würde und dass sie zukünftig regelmäßige Zielvereinbarungsgespräche mit ihr führen wolle. Es war sogar möglich geworden, die Hintergründe des als »Abblocken« und »Lügen« erlebten Verhaltens der Stellvertreterin zu erhellen. Diese hatte im vertraulichen Gespräch eingeräumt, dass sie manchmal formale Fehler mache und dann aus Angst, jemand könne ihr deshalb »am Zeug flicken«, einfach alles abstreite und »mauere«, um sich vor Angriffen zu schützen. Diese Offenheit war für die beiden Frauen geradezu revolutionär und das Bauchgefühl von Frau Tauber, ihre Stellvertreterin belüge sie, erwies sich als richtig. Das Ergebnis des gemeinsamen Gespräches war erstmals ein »entspanntes Miteinander«, wie Frau Tauber es sich immer gewünscht hatte. Frau Tauber erschien es so, als habe sie vorher eine Blockade gehabt, die sie daran gehindert hatte, so zu führen, wie es ihrer Intuition, ihrer Kompetenz und ihrem Wunsch entsprach. Die Blockade sei jetzt wie aufgelöst und habe es ermöglicht, dass sie erstmals professionelle Führungsinstrumente anwenden konnte wie gezielte Mitarbeitergespräche, über die wir im Coaching schon seit Monaten gesprochen hatten, die aber bisher graue Theorie geblieben waren. Die Frage nach ihrer Position in der Geschwisterreihung hatte sich so (vom Coach eigentlich ganz unbeabsichtigt) als sehr starke und wirkungsvolle Intervention erwiesen, die eine ganze Reflexionswelle bei der Klientin ausgelöst hat. Es zeigte sich, dass Frau Tauber bisher und möglicherweise aufgrund der fehlenden Führungserfahrung unbewusst auf diejenigen Verhaltensmuster zurückgegriffen hatte, die sie als Älteste in ihrer spezifischen Familienkonstellation erlernt hatte: ein Übermaß an Verantwortung, Ambivalenz gegenüber Frauen und ausgeprägtes Konkurrenzverhalten. Die anfangs geschilderte große Wut und die Bestrafungsphantasien für ihre Stellvertreterin gehörten wahrscheinlich in einer früheren Zeit an die Adresse ihrer kleineren
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Schwester und wären sicher für Psychoanalytiker hochinteressant zu deuten ... Stattdessen konnte Frau Tauber sich im Coaching nun ihre eigenen, intuitiven Reflexionsschleifen in die familiäre Vergangenheit erlauben und angemessene Lösungen im Kontext ihrer heutigen Position als Leiterin finden. Mit dem Fokus auf Lösungen für die Zukunft wurde es möglich, dass die Klientin intuitiv die entsprechenden inneren Prozesse in Gang setzen konnte, wo bisher Hindernisse aus der Familienbiografie im Weg gestanden hatten. In weiteren Sitzungen konnte Frau Tauber erarbeiten, dass sie aufgrund ihrer familienbiografischen Erfahrung als klassische Älteste und soziale Aufsteigerin ohne weibliche Rollenvorbilder schnell dazu neigt, sich zum Konkurrenzverhalten einladen zu lassen, aus Angst, etwas falsch zu machen oder Anforderungen nicht genügen zu können. Sie entschloss sich, zukünftig viel mehr auf die Beziehungsseite zu schauen im Umgang mit ihrem Team und nicht mehr jede Einladung zur Überverantwortung und Konkurrenz anzunehmen. Für mich als Coach war es beeindruckend zu sehen, mit welchem Elan die Kundin an ein von vorneherein als »schwierig« definiertes Aufgabengebiet herangegangen ist und wie viel Energie sie im ersten Jahr dafür aufgewendet hat, ihr Amt (bisher allerdings ohne größeren Erfolg) zu reorganisieren oder vielleicht besser gesagt: zu einer neuen Kultur, zu einem anderen Muster zu führen. Trotz ihrer geringen Erfolge oder wegen der großen Fähigkeit ihres Amtes zur Nicht-Veränderung hat Frau Tauber sich nicht von ihrem Kurs abbringen lassen, bis sie schließlich fast schmerzhaft erkennen musste, dass dieser Weg nicht erfolgversprechend ist. Als Coach hat mich ihre große Entschlossenheit enorm beeindruckt. Ich habe mich immer wieder gefragt, wozu Frau Tauber als Führungskraft erst in der Lage wäre, wenn Team und Stellvertretung besser zu ihr passen würden und welche Hindernisse Frau Tauber überwinden müsste, damit sie ihr Potenzial noch besser entfalten könnte. Und: Was wäre, wenn sie es sich erlauben könnte, mit Frauen mehr zu kooperieren und vielleicht den Wettbewerb eher sportlich zu sehen?
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System- und andere theoretische Überlegungen Frau Tauber kann in einiger Hinsicht als typische weibliche Führungskraft gelten: Ihre soziale Herkunft aus eher einfachen Verhältnissen entspricht dem von Bischoff (2005, S. 56) in mehreren Wiederholungsstudien gefundenen Muster, wonach »Frauen in Führungspositionen [...] häufiger denn je (36 %) aus Familien [stammen, A. B.], in denen Väter Arbeiter, einfacher Angestellter oder Beamter waren. Dies gilt nicht im gleichen Maße für Männer.« Die Mütter dieser Frauen sind häufiger als die männlicher Führungskräfte selbst berufstätig (15 %) in einem qualifizierten Beruf (gewesen) als selbstständige Handwerkerin, Freiberuflerin, Unternehmerin, leitende Angestellte oder Beamtin. Gleichzeitig besteht für Frauen in Führungspositionen nach wie vor das Dilemma der fehlenden Rollenvorbilder in einem hochqualifizierten Beruf, wie sie ihn selbst ausüben. Der Weg zu einem weiblichen Coach könnte diese Lücke möglicherweise füllen helfen und für weibliche Führungskräfte ein Lösungsversuch sein. Was könnte Frau Tauber nun aus systemischer Sicht aus ihrer Situation lernen? Es wäre möglicherweise hilfreich, wenn ihr Coach einmal das Thema Rollen als Führungskraft und als Mitarbeiter ansprechen würde. Denn gerade am Anfang hat Frau Tauber ihren Coach dazu eingeladen, die Dinge sehr persönlich zu betrachten. Nehmen wir jedoch das soziologische Rollenkonzept zu Hilfe, so kann sich unser gemeinsamer Lernfokus erweitern: »›Rolle‹ ist eines der klassischen Konzepte der Soziologie [...] Bezeichnet wird damit ein Bündel charakteristischer Verhaltenserwartungen. Unterschiedliche Personen als Träger derselben Rollen sind mit denselben Rollenerwartungen konfrontiert. Durch Konstanz der Rollen können Verhaltenserwartungen über die Zeit reproduziert und soziale Strukturen stabil gehalten werden« (Simon, 2007, S. 44). Konkret heißt das, dass es erlaubt ist, als Führungskraft und neue Amtsleitung an seinem Rollenprofil zu arbeiten und dieses den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen dann zu präsentieren. Ebenso ist es legitim, den Teammitgliedern immer wieder in Erinnerung zu rufen, welche Arbeitsleistung genau von ihnen erwartet wird und was zu ihrer
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Rolle als Mitarbeitende eines neu geführten Amtes gehört und was eher nicht. Aus der Sicht der Rollentheorie geht es also für neue Führungskräfte darum, sensibel auszutesten, wie die bisherigen Rollenerwartungen verändert und an die neue Situation angepasst werden müssen, damit Führung und Team kompatibel werden können. Frau Tauber scheint eine längere Zeit über diesem für sie heiklen biografischen Thema gebrütet zu haben und konnte sich irgendwann erlauben, das in der Familie erlernte Rollenverhalten einer typischen Ältesten aus einem einfachen sozialen Milieu (Überforderung und Übernahme von zu viel Verantwortung für andere) durch ein jetzt angemesseneres zu ersetzen. Mancher verzweifelten Führungskraft und vielleicht auch Frau Tauber mag sich die Frage stellen: Wozu überhaupt Mitarbeiter? Wo man doch eigentlich alles viel besser selber machen könnte ... Die Antwort der Systemtheorie: Eine Organisation braucht deshalb menschliche Mitarbeiter, weil sie selbst nichts sinnlich wahrnehmen kann und daher auf die psychischen Wahrnehmungsfähigkeiten ihrer Mitglieder angewiesen ist. Allein die physische Anwesenheit von Personal hilft der Organisation jedoch noch nicht viel weiter. Wichtig ist es, die Wahrnehmungsfähigkeit der Mitarbeitenden als Ressource schätzen und nutzen zu können. Wenn die Wahrnehmungen der Mitarbeiter in einer Organisation nicht kommuniziert werden, nimmt auch die Organisation nichts wahr und kann nichts lernen. Darum sind lernende Organisationen unmittelbar angewiesen auf eine sorgfältige Austausch- und Feedback-Kultur über die Beobachtungen und Wahrnehmungen ihrer Mitarbeiter. Umgekehrt lässt sich ebenfalls beobachten, dass Organisationen, die sich mit Organisationslernen am schwersten tun (wie etwa Ämter und Behörden), in der Regel keine funktionierenden internen FeedbackProzesse aufweisen. Bei Frau Tauber war es so, dass offenbar die Mitarbeiter entschieden haben, wann der richtige Zeitpunkt war, um der Chefin ihre Wahrnehmungen rückzukoppeln und damit einen wechselseitigen Entwicklungsprozess auszulösen. Umgekehrt hat es lange nicht funktioniert. Damit sind Mitarbeiter und Organisation systemtheoretisch also strukturell aneinander gekoppelt. Wenn die Mitarbeiter
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etwa unzufrieden sind, kann das im Extremfall eine Veränderung in der Organisation auslösen, sofern diese Informationen dort verarbeitet werden können. »Aber nicht nur die Rekrutierung, Auswahl und Entwicklung des Personals hat eine entscheidende Bedeutung für die Entwicklungsmöglichkeiten einer jeden Organisation, sondern auch die Frage, wie die nicht der direkten Beobachtung zugänglichen psychischen (sensorischen, geistigen, kreativen, emotionalen etc.) Potenziale der Mitarbeiter überhaupt in die Wahrnehmung der Organisation gebracht werden können« (Simon, 2007, S. 41). Dazu ist es nötig, mit den Mitarbeitenden in Dialog zu treten, ihr Vertrauen zu gewinnen und sie von ihrer Wichtigkeit in der Organisation zu überzeugen. Dies fällt vielen Führungskräften schwer, die explizit oder implizit auf das alte Maschinenmodell des 19. Jahrhunderts sozialisiert sind und glauben, Führung bedeute, Anordnungen auszusprechen, und dann laufe der Laden schon. Dies war auch eine Falle, in die Frau Tauber anfangs immer wieder hineingestolpert ist. Vielleicht wäre es auch nützlich, wenn der Coach mit Frau Tauber einmal über das Thema Macht und Führung sprechen würde. Denn gerade Frauen in Führungsverantwortung neigen häufig dazu, mehr ihre eigene Ohnmacht zu sehen und weniger die Macht, die sie haben oder haben könnten. Dies lässt sich auch empirisch belegen: In ihrer Untersuchung mit Führungskräften beiderlei Geschlechts hat Sonja Bischoff (2005, S. 296) festgestellt, dass Frauen in Führungspositionen kaum Machtbewusstsein besitzen und nach wie vor weniger aufstiegsorientiert sind als Männer. Systemisch gesehen hat »die faktische Macht in einer Organisation [...] immer der, dessen Funktion für das Überleben oder die Zielerreichung der Organisation [...] weniger austauschbar ist als die des anderen« (Simon, 2007, S. 92). Für Frau Tauber könnte es entlastend sein, sich ihrer formalen Macht bewusster zu werden, um sie selbstbewusster nutzen zu können. Schließlich ist sie ja als Amtsleiterin eingesetzt worden. Das ist natürlich allein noch keine Garantie für eine konstruktive Zusammenarbeit, aber es kann einen Unterschied für alle Beteiligten machen. Was genau aber bedeutet nun Macht? Macht beschreibt diejenige Funktion in einer Organisation, die Unsicherheit anderer
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durch seine Entscheidungen zu steigern oder zu verringern (z. B. Aufbau oder Abbau von Geschäftsfeldern, Arbeitsplätzen, Fortbildungsprogrammen usw.). Wer dazu befugt ist, hat Macht. Macht ist in fast allen Kulturen gebunden an Hierarchie, aber auch Mitarbeiter dürfen Macht ausüben, je nachdem, welche Teilhabe ihnen rechtlich zugesichert wird (z. B. Streikrecht). Auf der Ebene der Beziehungsgestaltung ist Macht ganz im Sinne Max Webers eine Form der Asymmetrie: Der eine möchte etwas und hat auch die Mittel, dies durchzusetzen, was der andere möglicherweise nicht will und nicht durchsetzen kann (z. B. Geschäftsleitung gibt eine Dienstanweisung für das Personal heraus – nicht aber die Mitarbeitenden für die Geschäftsleitung). Macht ist ein zentrales Steuerungsmedium in Organisationen, wobei die ungleichen Rollen von den Beteiligten idealerweise so akzeptiert werden (»Du bist die Chefin und ich dein Assistent«), damit Macht funktionieren kann. In manchen Organisationen und besonders im öffentlichen Dienst wird diese asymmetrische Beziehung von Personal manchmal umzudrehen versucht – dabei handelt es sich um eine Machtdemonstration und oft auch um einen Machtkampf, der verunsichert. Macht basiert immer auf der Möglichkeit, andernfalls Sanktionen einsetzen zu können. Die Sanktionen tatsächlich einsetzen zu müssen, ist jedoch ein Zeichen des Machtverlustes und oft der Beginn eines Konflikts (z. B. Streik, Erpressung). Manchmal kann es Führungskräften gut tun, sich dessen bewusst zu sein, dass sie Macht einsetzen könnten, wenn sie wollten. Und in manchen Situationen ist es zieldienlich, genau das auch zu tun (Simon, 2007, S. 87 ff.). Und natürlich auch umgekehrt, sich dessen bewusst zu sein, dass sie schon verloren haben können, wenn sie ihren Mitarbeitern erst mit dem Einsatz von Machtmitteln drohen müssen. Dies hat sich Frau Tauber glücklicherweise durch ihren eigenen, intuitiv gesteuerten und vom Coaching lediglich gerahmten Entwicklungsprozess ersparen können. Es gab sogar ein Happyend: Das Führungsinstrument »Zielvereinbarungsgespräch« zeigte nach ersten »Holprigkeiten« ungeahnte Wirkungen und hat maßgeblich dazu beigetragen, dass Frau Tauber und ihre Stellvertreterin heute rollenadäquat und konstruktiv zusammenarbeiten können und das sogar gerne tun.
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Fallbeispiel 2: Entscheidungen treffen in Organisationen Herr Meier ist Geschäftsführer des Vorstandes einer großen Non-Profit-Organisation. Er kommt auf Empfehlung einer seiner Mitarbeiterinnen ins Coaching, die der Meinung ist, er führe nicht klar genug und mache durch seinen unklaren Führungsstil den Mitarbeitern das Leben schwer. Herr Meier ist dieser Empfehlung gerne gefolgt, denn er hatte bisher noch nie ein Coaching für sich in Anspruch genommen und wollte einfach mal schauen, ob er hier etwas für sich dazu lernen könne. Im Erstgespräch stellt sich heraus, dass Herr Meier bisher einen eher partizipativen Führungsstil praktiziert, wie er in manchen NonProfit-Organisationen üblich ist, und mit seinen Mitarbeitern und Teams viele Themen in langwierigen Gesprächen ausdiskutiert hat, obwohl es im Grunde gar nichts zu diskutieren gab, da die Entscheidung eigentlich schon getroffen war. Als Erklärung für sein widersprüchliches Verhalten gibt Herr Meier an, dass eine Seite von ihm noch immer Mitarbeiter sei und viel Verständnis für die Belange von Mitarbeitern aufbringe. Er traue sich nicht, die diskussionswilligen Mitarbeiter einfach mit seiner Entscheidung als Führungskraft zu konfrontieren, weil er dieses Verhalten als junger Mitarbeiter bei seinen damaligen Vorgesetzten als sehr unangenehm erlebt habe und es besser machen wolle. Gleichzeitig ist es Herrn Meier auch sehr wichtig, möglichst gute Beziehungen zu seinen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen zu pflegen. Insbesondere seine Assistentin genießt sein vollstes Vertrauen und zu ihr unterhält er eine sehr gute Arbeitsbeziehung. Vom Coaching wünscht sich Herr Meier, seinen bisherigen Führungsstil zu überprüfen. Der Coach soll ihm rückmelden, was er richtig und was er eher falsch mache. Außerdem wünscht er sich eine Stärkung in seiner Rolle als Führungskraft. Ich lade Herrn Meier ein, gemäß seinem persönlichen Anliegen zunächst einmal zu schauen, wo und was er bisher zum Thema Führen und Leiten gelernt hat. Dazu bietet sich auch hier ein Blick auf seine Führungsbiografie an. Bezüglich seiner Herkunftsfamilie ist hier bedeutsam, dass Herr Meier recht einsam aufgewachsen zu sein scheint und wenig nahe Kontakte in seiner
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Familie erleben konnte. Den besten »Draht« hatte er zu seiner Mutter, während der Vater emotional immer neutral blieb. Herr Meier hat seine Familie recht früh verlassen und ist nach Abschluss der Schulzeit gleich ausgezogen. Dies könnte auf der persönlichen Ebene erklären, warum ihm so viel daran gelegen ist, möglichst gute (Arbeits-)Beziehungen zu seinen Mitarbeitern zu pflegen und viel im Konsens zu entscheiden. Um zu einem neuen Muster der Entscheidungsfindung zu kommen, sprachen wir eine charakteristische Situation durch, in der Herr Meier sich über sein Team und sich selbst sehr geärgert hatte, weil er viel Zeit damit verbracht hatte, mit dem Team Themen zu besprechen, die eigentlich auf anderer Ebene bereits entschieden waren. Dabei hatte jeder Mitarbeiter quasi einen anderen Vorschlag, der in erster Linie die Interessen des Teams widerspiegelte. Herr Meier fühlte sich in solchen Situationen irgendwie hilflos und wie gelähmt, er traute sich nicht, die langatmige und ausufernde Diskussion zu beenden. Es zeigte sich, dass es daran lag, dass Herr Meier auch in dieser Situation zu sehr auf die gute Beziehung zu seinen Mitarbeitern fokussierte und darüber die Tatsachen auf der Sachebene in den Hintergrund rückten. Er geriet in eine tiefe »Beziehungstrance« und erlebte hinterher ein böses Erwachen auf der Sachebene. Verständlicherweise ärgerte er sich über sich selbst. Als methodisches Handwerkszeug bot ich Herrn Meier eine systemische Denkfigur an und bat ihn, mit seinem Team einmal genau zu besprechen, was denn die Auswirkungen der jeweiligen Vorschläge seiner Teammitglieder zu dem entsprechenden Sachverhalt sein würden. Ich bat ihn, auch selbst einen Vorschlag zu formulieren und hier das Team in die Überlegungen der Auswirkungen mit einzubeziehen. Erstaunlicherweise fand Herr Meier diese einfache Strategie sehr überzeugend und entlastend und nahm sich vor, es genauso beim nächsten Team-Meeting auszuprobieren. Wo bisher endlose Diskussionen die Zeit aufgefressen hatten, konnte Herr Meier nun mit Hilfe von Kriterien für Entlastung sorgen und sich vor einer unangemessenen Beziehungstrance schützen und einen klaren Kopf behalten. In der vorletzten Sitzung überraschte mich Herr Meier mit der Information, er habe nach einjähriger Quälerei mit einer
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»schwierigen« Mitarbeiterin entschieden, sich von ihr zu trennen. Ich war überrascht, eine ganz neue Seite an Herrn Meier kennen zu lernen. Von mir wünschte er sich, die Sache mit ihm noch einmal durchzusprechen und zu prüfen, ob er etwas übersehen habe. Seine Entscheidung stehe jedoch schon fest. Er habe sich die ganze Sache nun lange genug angeschaut und er habe jetzt genug. Zufällig hatte ich kurz zuvor eine Fortbildung zum Thema Arbeitsrecht besucht. Beim Zuhören des Kündigungsszenarios von Herrn Meier beschlichen mich leise Skepsis und Zweifel, ob sein Plan realistisch sein könne. Es stellte sich heraus, dass er diesen Plan bisher noch nicht mit einem Arbeitsrechtler durchgesprochen, sondern allein geschmiedet hatte. Er wollte zunächst mit dem Personalrat sprechen und seinen Plan dort vorstellen. Auf meine Nachfrage stellte sich heraus, dass es beim Personalrat massive Skepsis ihm gegenüber gab und er keineswegs mit einer Zustimmung zur Kündigung würde rechnen können. Das schreckte Herrn Meier nicht davon ab, seinen Plan genauso umzusetzen wie gedacht. Meine Zweifel blieben und das schien Herrn Meier nicht weiter zu stören. Am nächsten Morgen erhielt ich eine E-Mail von Herrn Meier, in der er mir etwas kleinlaut schrieb, der Personalrat habe den heutigen Gesprächtermin mit ihm platzen lassen, weil das Vertrauen in die gemeinsame Zusammenarbeit durch die Kündigungspläne von Herrn Meier zerstört worden sei. Herr Meier habe sich entschlossen, nun doch zuerst eine arbeitsrechtliche Beratung einzuholen und die weiteren Schritte mit seinem Rechtsberater abzustimmen, um Fehler zu vermeiden. In die nächste Sitzung kommt Herr Meier sehr aufgeräumt und gestärkt. Er ist froh, dass das Gespräch abgesagt wurde und er die Gelegenheit nutzen konnte, sich vorab noch mit einem Arbeitsrechtler zu beraten. Das Ergebnis dieses Gespräches war eindeutig, dass eine Kündigung der schwierigen Mitarbeiterin ohne weiteres möglich sei. Er habe jedoch entschieden, ihr zunächst eine Änderungskündigung anzubieten mit einem anderen Tätigkeitsgebiet, mit dem Ziel, sie in der Organisation zu halten und ihr eine Chance zu geben. Lehne sie diese ab, könne er ihr immer noch ordentlich kündigen. Mit diesem Szenario war Herr Meier sehr zufrieden und auch stolz auf sich, weil er es nicht nur
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der Führungskraft, sondern auch dem Mitarbeiter in sich recht machen konnte.
Systemtheoretische Überlegungen Was könnte Herr Meier in diesem Coaching sonst noch lernen? Dies könnte zum Beispiel ein Kapitel systemischer Organisationstheorie sein zum Thema »Entscheidungen treffen in Organisationen« (hierzu und im Folgenden vgl. Simon, 2007, S. 66 ff.). Umgekehrt könnte man auch fragen, was können wir von Herrn Meier aus diesem Fallbeispiel über die Charakteristik der Entscheidungsfindung in Organisationen lernen? Aus der Sicht der (nicht nur systemischen) Organisationstheorie besteht eine der Haupttätigkeiten für Führungskräfte darin, Entscheidungen zu treffen. Grundsätzlich gilt dabei, dass man vorher nicht wissen kann, ob die getroffene Entscheidung richtig war oder nicht, sondern bestenfalls hinterher. Denn systemtheoretisch gesprochen ist eine Entscheidung immer eine Form mit den zwei Seiten Entweder/Oder. Daher kann jede Entscheidung nur entweder richtig oder falsch sein. Diese Ambivalenz ist für Menschen grundsätzlich schwer auszuhalten. Zugespitzt lässt sich sogar sagen: »Wie entschieden wird ist im Prinzip egal, solange überhaupt entschieden wird [...] Entscheidungen sind die Operationen, durch die Organisationen sich reproduzieren: ohne Alternativen keine Unsicherheit, ohne Unsicherheit keine Entscheidungen, ohne Entscheidungen keine Organisation« (Simon, 2007, S. 69). Am Beispiel von Herrn Meier lässt sich gut nachzeichnen, wie sensibel und riskant der Prozess der Entscheidungsfindung in Organisationen verlaufen kann. Herr Meier war ja von seiner vorausschauenden Mitarbeiterin – quasi Bottom-Up – zum Coaching geschickt worden, weil er bisher seine Rolle als Führungskraft mindestens in einer Hinsicht nicht ausreichend ausgefüllt hatte, nämlich in punkto Entscheidungsfindung. Entscheidungen helfen Eindeutigkeit herzustellen, wo vorher Unsicherheit und Unübersichtlichkeit, also zuviel Komplexität herrschte. Wenn eine Führungskraft nun zu wenig entscheidet (und zu viel diskutiert) und damit zu viel Un-
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eindeutigkeit ausstrahlt, erleben die Mitarbeiter eine Irritation. Entscheidungen zu treffen, auch falsche, ist deshalb wichtig, weil Unsicherheit ein Grundprinzip für jede Organisation darstellt, das man sich bemüht, so klein wie möglich zu halten und vor den Mitarbeitern zu verbergen. Manche Organisationen haben sich in den fetten Jahren eine Schale von scheinbarer Sicherheit zugelegt, in der sich auch ihre Mitarbeiter wiegen konnten. Im Zuge der Globalisierung ist die Scheinsicherheit größtenteils verloren gegangen, während das Bedürfnis danach innerhalb der Organisationen größer geworden zu sein scheint. Unsicherheit besteht deshalb, weil es Menschen unmöglich ist, die Zukunft vorherzusagen. Trendforschung ist beispielsweise ein solcher Versuch, sich möglichen Zukünften in bestimmten Kontexten anzunähern. Dabei wird versucht, Trends so früh wie möglich aufzuspüren und ihre weiteren Verläufe zu prognostizieren. Manche Trendvorhersagen treffen ein, andere nicht. Woraus setzen sich nun Entscheidungen zusammen? Sie basieren sowohl auf dem Erfahrungswissen aus der Vergangenheit als auch auf dem Nichtwissen über die Zukunft und sie sind in jedem Fall riskant. Von Herrn Meier können wir lernen, wie leicht es möglich ist, eine vielleicht für die Organisation richtige Entscheidung getroffen zu haben, die aber nicht ohne weiteres praktisch umsetzbar ist aufgrund bestimmter Rahmenbedingungen (systemisch: relevanter Umwelten). Nachdem eine Entscheidung einmal getroffen wurde, verhalten sich die Mitglieder einer Organisation so, als ob die Zukunft sicher wäre. Dadurch entsteht das Gefühl von Sicherheit, wo vorher Unsicherheit und Ambivalenz herrschten. Dieses Phänomen ließ sich auch bei Herrn Meier gut beobachten: Nachdem er seine Entscheidung einmal getroffen hatte, ließ er sich durch niemanden mehr davon abbringen, auch nicht durch die Skepsis seines Coachs. Er war auch bereit, die Konsequenzen zu tragen. Auch das gehört zu den Aufgaben einer Führungskraft.
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Fallbeispiel 3: Vernunft und Unvernunft in Organisationen Herr Kühn findet auf Empfehlung eines Kollegen zu mir. Er ist in leitender Position auf der zweiten Führungsebene einer großen Forschungsinstitution tätig. Herr Kühn ist gelernter Naturwissenschaftler und auch nach vielen Jahren an der Unternehmensspitze schlägt sein Herz noch für die Wissenschaft. Er hat Personal- und Fachverantwortung für mehrere hundert Mitarbeiter. Seit einiger Zeit hat er einen neuen Chef, mit dem er nicht zurechtkommt. Es hatte verschiedene kritische Ereignisse im Unternehmen gegeben, die Auswirkungen auf die Umwelt hatten, für die der Chef Herrn Kühn verantwortlich gemacht hat. Herr Kühn stellt sich mir als loyaler und fachlich sehr engagierter und ambitionierter Experte vor, dem es auch nach vielen Jahren Zugehörigkeit zur Organisation nie in den Sinn käme, Dienst nach Vorschrift zu machen. Er räumt ein, in der Vergangenheit Fehler gemacht zu haben und Dinge nicht rechtzeitig erkannt zu haben, die zu den kritischen Ereignissen geführt haben. Sein Chef scheint von Herrn Kühn mittlerweile genug zu haben, und ihn elegant »abschieben« zu wollen, indem er den persönlichen Kontakt meidet und einem klärenden Gespräch aus dem Weg geht. Herr Kühn hat das Gefühl, dass er »kaltgestellt« werden solle, obwohl er seine Fehler eingeräumt und über die Jahre »wie ein Tier« gearbeitet habe. Als Anliegen ans Coaching bringt er die Frage mit, welche Strategien hilfreich sein könnten im Umgang mit diesem Chef. In den folgenden Sitzungen zeigt sich, dass unabhängig von den genannten kritischen Ereignissen der neue Chef und seine Assistentin auch den Kollegen von Herrn Kühn wenig Zutrauen entgegenzubringen scheinen und nicht davor zurückschrecken, altgediente Führungskräfte zu degradieren, wenn sie ihnen schon nicht kündigen können. Herrn Kühn hat das alles sehr mitgenommen, er fühlt sich sehr gekränkt und sein Selbstwertgefühl ist massiv beeinträchtigt. Es gab auch einen Suizid eines Kollegen im Institut, den Herr Kühn mit dem Gebaren des neuen Chefs in Zusammenhang bringt. Es geht ihm selbst körperlich nicht gut.
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Auf einer Skala von 0 bis 100 (0 = katastrophal, 100 = hervorragend) stuft Herr Kühn seine derzeitige berufliche Zufriedenheit bei 10 ein. Den besten Wert erreicht mit 30 Punkten die Familie, mit der er eigentlich recht glücklich ist. Nur wird dieses Glück momentan getrübt durch seine berufliche Krisensituation. Auffällig ist, dass Herr Kühn so gut wie keine Hobbys angeben kann und bisher offenbar völlig auf seine berufliche Karriere fokussiert hatte. Obwohl er quasi unkündbar ist, wäre es für Herrn Kühn undenkbar, eine andere Arbeitshaltung an den Tag zu legen und es etwas legerer angehen zu lassen. Auch erscheinen ihm neue Freizeitaktivitäten wie etwa Bewegung und Sport derzeit wenig attraktiv. Diese Arbeitshaltung ist ganz charakteristisch für insbesondere männliche Führungskräfte, deren durchschnittliche Wochenarbeitszeit sich nach der Befragung von Bischoff (2005, S. 35) zwischen 51 und 60 Stunden bewegt. Wir entwickeln daher zunächst verschiedene lösungsfokussierte Szenarien, was Herr Kühn tun könnte, damit es ihm wenigstens ein ganz kleines bisschen besser gehen kann. Da er bisher seine gesamte Energie auf die Karriere (und später auf die Beobachtung des neuen Chefs und seiner Umtriebe) verwendet hat, wünscht er sich jetzt für die Zukunft doch mehr Zeit für seine Hobbys, die er überhaupt noch ausbauen könnte. Es zeigt sich, dass Herr Kühn bisher als Lösungsversuch die Strategie der inneren Emigration gewählt hatte und sich immer mehr in sich zurückgezogen hat. Nun wird ihm bald deutlich, dass diese Strategie in seiner Position auf Dauer schwer durchzuhalten sein wird und dass es darum gehen muss, Strategien zur aktiveren Mitgestaltung zu entwickeln und zu erproben. Deshalb möchte Herr Kühn in der zweiten Sitzung schon ganz konkrete Tipps zur Gesprächsführung von mir bekommen und lernen, wie er zukünftig mit seinem Chef sprechen könne, ohne sich verletzen zu lassen. Es stellt sich heraus, dass er bisher noch keine Fortbildungsangebote zu diesem Thema in Anspruch genommen hat. Wir sprechen ein entsprechendes Konzept durch und erproben es in Rollensimulationen. In die dritte Sitzung kommt Herr Kühn entspannt und locker. Er fühlt sich entlastet, weil der Chef in Urlaub ist und er sich eine Verschnaufpause gönnen kann. Herr Kühn lässt sich nicht
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mehr alles bieten wie früher. Nach seiner Wahrnehmung ist er bereits einen großen Schritt in die Lösungsrichtung gegangen. Die Übungen zur Gesprächsführung haben ihm dabei Sicherheit vermittelt. Ich lade auch Herrn Kühn in dieser etwas entschärften Situation ein, einmal einen Blick auf seine Führungsbiografie zu werfen und zu prüfen, ob und was er bisher zum Thema Führen und Leiten gelernt hat und was möglicherweise noch nicht. Es ergibt sich folgendes Bild: Herr Kühn ist der ältere von zwei Brüdern – B(b). Er stammt aus einer Familie, die sich aus widrigen und einfachen Umständen nach dem Krieg hochgearbeitet hat und viel Wert auf eine gute Ausbildung und Bildung ihrer Kinder gelegt hat. Herr Kühn kam im Alter von 10 Jahren in ein katholisches Internat, wo er viel über das Leben in einer Gemeinschaft, das Führen von Gruppen und die Bedeutung von christlichen Werten gelernt hat. Gegenseitige Unterstützung war immer wichtig, auch in seiner Familie. Gelernt hat Herr Kühn über Führen und Leiten vor allem die Aspekte der Leistung (dem Besten gebührt die Führungsrolle), des sozialen Miteinanders und die Bedeutung von Werten. Außerdem sind ihm das Auftreten und »gutes Benehmen« mit den entsprechenden höflichen Umfangsformen wichtig. Was er nicht gelernt hat in diesem Umfeld, ist die Fähigkeit, sich durchzusetzen, vielleicht sogar auch einmal mit Aggression durchzubeißen – das war im Internat nicht erwünscht und auch nicht in seiner Herkunftsfamilie. Für seine bisherige Karriere hat er es nicht gebraucht, er ist über Leistung nach oben gekommen. Es zeigt sich, dass Herr Kühn dadurch auch nicht gelernt hat, mit Kränkungen umzugehen. Als ich das Wort ausspreche, ist Herr Kühn schockiert: »Ich bin zusammengezuckt beim Thema Kränkungen.« Es fehlt ihm der Wille und die Erfahrung, »mit der Faust« zu kämpfen. Er habe zwar kämpfen gelernt, räumt Herr Kühn ein, aber mit anderen, intellektuellen Mitteln. Das kann erklären, warum Herr Kühn so lange in einer Art Schockzustand verharrt ist über das für ihn unglaubliche Verhalten seines neuen Chefs. Dieser tut fast all das, was für Herrn Kühn von seiner Führungsbiografie und seinem Wertesystem her undenkbar wäre.
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Der Umgang mit Kränkungen ist in Deutschland nach Ansicht des Psychoanalytikers Wolfgang Schmidbauer (2007, S. 65 ff.) deutlich unterentwickelt. Dies zeigt nicht zuletzt die fortgesetzte Debatte zum Thema Mobbing, wo Betroffene häufig nicht mehr unterscheiden können zwischen berechtigter Kritik an ihrem Verhalten und gezieltem Ausgestoßen-Werden. Dabei werde die eigene Verantwortung und Beteiligung des sogenannten Mobbing-Opfers gerne unterschlagen und übersehen. Auch Herr Kühn fühlte sich ja anfangs als Mobbing-Opfer, wobei eine genauere Prüfung der geschilderten Erlebnisse dies nicht bestätigen konnte. Außerdem war er sich über seine Fehler bewusst, die intern Anlass zur Kritik gegeben hatten. Dennoch beobachtete Herr Kühn seinen verhassten Chef lange Zeit wie das Kaninchen die Schlange und konnte somit eine Auseinandersetzung mit seinem eigenen Tun und Lassen vermeiden. Lösungsoptionen waren anfangs kaum besprechbar und Herr Kühn driftete immer wieder in die Opferrolle zurück. Nach Schmidbauer gehört zu einer gesunden Persönlichkeit neben einem stabilen Selbstwertgefühl auch die Fähigkeit, Kränkungen aushalten bzw. angemessen auf sie reagieren zu können. Dieses Verhalten konnte von der traumatisierten Kriegsgeneration nicht an ihre Kinder weitergegeben werden, im Gegenteil: »Die Kriegsgeneration [...] hat eine sehr unsichere und anlehnungsbedürftige Generation herangezogen. Die Kinder dieser traumatisierten Generation sind die 68er-Eltern, die von ihren Kindern mit Vornamen angeredet werden und ganz dicht bei ihnen sein wollten. Auch diese Nähe und die damit verknüpfte Angst vor Konflikten [...] kann die Kränkungsverarbeitung behindern« (Schmidbauer, 2007, S. 65). Wichtig dafür sind stabilisierende Parameter in Kindheit, Familie, Partnerschaft und/oder am Arbeitsplatz, zumindest in einem dieser Bereiche. Da dies bei Herrn Kühn der Fall ist, scheint es mir lohnenswert, mit einer ersten Lektion Kränkungsmanagement zu beginnen. Dazu kann gehören, unterschiedliche Strategien zu erlernen und zu erproben, die in angemessener Weise helfen können, das Selbstwertgefühl zu erhalten, wenn der Wind einem rau ins Gesicht weht. Manchmal bedeutet das nichts anderes, als eine zweitbeste Lösung zu finden. Oder wie Schmidbauer es nennt: »Wir müssen
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das kleinere Übel finden und nicht glauben, dass wir immer nur das große Gute kriegen können« (S. 66). Bei Herrn Kühn scheint mir der Knackpunkt zu sein, dass er lernen muss, von seinen moralisch überlegenen Werten, wie er sie im Elternhaus und Internat gelernt hat, zu abstrahieren und zu akzeptieren, dass man mit diesen Werten in der heutigen Zeit nicht immer gewinnen kann. Als erste Übung zum Umgang mit Kränkungen gebe ich Herrn Kühn die Hausaufgabe mit, dafür zu sorgen, dass er an einer Konferenz teilnehmen kann, wo er bereits als Referent angemeldet war und der Chef ihn »hintenherum« wieder absetzen wollte. Es geht also darum zu lernen, wie es ist, wenn Herr Kühn für seine Sache kämpfen muss. Er probiert es aus und berichtet mir, er habe »ansatzweise« gekämpft. Immerhin habe er es versucht. Das Ergebnis steht noch aus. Wichtig ist für Herrn Kühn, dass wir immer wieder alle denkbaren Gesprächssituationen mit dem Chef miteinander üben und durchspielen, die zu seinen Ungunsten ausgehen könnten. Das Lernen stärkender Verhaltensweisen steht für den Klienten also ganz klar im Vordergrund des Coachings.
Systemtheoretische Überlegungen Was lässt sich aus dieser scheinbar so persönlichen Fallstudie über eine vermeintlich gemobbte Führungskraft über Vernunft und Unvernunft in Organisationen lernen? Welche weiteren Wissensbestände könnten möglicherweise sogar eine Hilfe für Herrn Kühn darstellen bei der Verarbeitung seiner schwierigen beruflichen Situation? Herr Kühn arbeitet in einem Institut, das schon lange existiert. Dabei wird gern vergessen, dass Organisationen, vor allem langjährig existierende, sich in erster Linie selbst erhalten wollen. In Organisationen wirken menschliche Akteure, die durchaus unterschiedliche Interessen verfolgen. Ein gemeinsames Ziel ist eher die Ausnahme als die Regel, insbesondere in Non-ProfitOrganisationen und Behörden. Herr Kühn geht aufgrund seiner spezifischen biografischen und beruflichen Sozialisation irrtüm-
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licherweise davon aus, dass in seiner Organisation zumindest auf den oberen Führungsebenen eine Übereinstimmung hinsichtlich der geteilten Unternehmenswerte herrsche, wie das möglicherweise beim vorherigen Chef auch noch der Fall gewesen sein mag. Im Zeitalter der Globalisierung lässt sich jedoch eine deutliche Beschleunigung beim Tempo der Veränderung von Organisationen kaum vermeiden. Dabei werden erfahrungsgemäß und oft über die Hintertür andere Werte eingeführt, die an die bisherige Kultur wenig anschlussfähig sind (vgl. Bentner, 2007). Dies führt zu Enttäuschungen und Kränkungen. Dass die beteiligten Akteure in der Organisationen durchaus unterschiedliche Interessen verfolgen, wird häufig erst sichtbar, wenn es zu Konflikten kommt wie in diesem Fall. So dienen Unternehmen zum Beispiel ihren Mitarbeitern in erster Linie dazu, ihren Lebensunterhalt zu sichern, den Führungskräften, Karriere zu machen, während die Eigentümer oder Aktionäre mehr an der Rendite interessiert sind. Die Kunden interessiert am Unternehmen die Befriedigung ihrer Konsumbedürfnisse und der Staat möchte damit Steuern einnehmen. Und die Chefetagen möchten womöglich als neue Besen besonders gut kehren und mit mancher Tradition brechen oder neue Strukturen einführen und die Organisation effektiver machen. Daher werden in der Praxis in Organisationen oft nicht die besten Lösungen gewählt, sondern die, die den meisten Interessen dienen und damit zufriedenstellend sind. Das können auch ganz persönliche Interessen von Vorgesetzten sein, die mit manchen ihrer Führungskräfte – warum auch immer – nicht zurechtkommen und das Bedürfnis haben, diese zu entmachten (vgl. Simon, 2007, S. 31). Diese Prozesse werden gerade in Organisationen mit behördenähnlicher Struktur nicht offen thematisiert, sondern auf manchmal im wahrsten Sinne des Wortes »krummen« Wegen unschön ausagiert. Im Nachhinein werden dann oft logisch klingende Begründungen für scheinbar irrationale Entscheidungen kommuniziert, die im Interesse der einen oder anderen Akteure getroffen wurden, die den Anschein der Rationalität aufrechterhalten (»Wir konnten Herrn Kühn nicht zu dieser Konferenz schicken, weil wir ihn an anderer Stelle dringend brauchten«). Insofern handeln Organisationen und ihre
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Akteure durchaus unvernünftig und kurzsichtig, auch wenn sie das offiziell als »reine Vernunftsache« verkaufen. »Die Zweckrationalität von Organisationen ist ein Mythos, der eng mit dem Ingenieurs- und Maschinenmodell verbunden ist. Denn schließlich baut man ja auch Maschinen und Apparate (Staubsauger zum Beispiel) als Mittel zum Zweck, damit sie tun, was man persönlich nicht tun kann oder mag (Staub saugen). Dass Organisationen oft zum Erreichen konkreter Ziele ins Leben gerufen werden, ändert nichts an ihrer davon unabhängigen Eigenlogik, d. h. der Autonomie autopoietischer Systeme« (Simon, 2007, S. 29). Es scheint mir wichtig, dass Führungskräfte auch die Eigenlogik von Organisationen besser verstehen lernen, um das Erlebte nicht nur auf der persönlichen Ebene wahrnehmen, verstehen und lösen zu können, auch wenn dieser Weg in die Abstraktion für betroffene Führungskräfte wie Herrn Kühn im ersten Moment als Überforderung erscheinen mag. Mit mehr Distanz zum Geschehen dürfte es leichter werden.
Fallbeispiel 4: Interkulturelles Dechiffrieren und Problemlösen im Coaching David ist Anfang 30 und Einkäufer in einem international tätigen amerikanischen Technologieunternehmen, einem typischen Global Player mit Standorten in der ganzen Welt. Die Firma ist als schwer durchschaubare Matrix-Organisation strukturiert, in der viel Unklarheit über Entscheidungswege und Kompetenzen besteht. David gilt als besonders vielversprechende Nachwuchsführungskraft (»High Potential«) und wird zusammen mit anderen jungen Führungskräften in besonderen Programmen gefördert. Darüber hinaus erhält David von der Personalabteilung seiner Firma die Aufforderung zum Coaching, weil er trotz seines Potenzials als »auffällig« gilt. Seine Personalentwicklerin sagt mir im Überweisungsgespräch, David habe nicht das Gewicht, das er haben könnte, erreiche seine Ziele selten und sei ein Chaot, der Termine vergesse und unzuverlässig sei. In seinem letzten
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Assessment-Center sei ihm aufgetragen worden, mit Unterstützung eines Coachs danach zu schauen, wie David zukünftig klarer Prioritäten setzen und fokussierter arbeiten könne. David kommt im Zeitraum von anderthalb Jahren fünfmal zum Coaching zu mir. David wirkt schon im Erstkontakt am Telefon sehr sympathisch. Er erzählt mir, dass er US-Amerikaner ist, aus New York stamme und teilweise in Deutschland studiert habe. Sein exzellentes und akzentfreies Deutsch fällt mir gleich positiv auf. Ich frage ihn, ob er das Coaching lieber auf Englisch führen möchte, was er verneint. Schon in unserem ersten Telefonat äußert sich David vom Anliegen her sehr personenbezogen: Er möchte gern im Coaching in die Tiefe gehen und mit meiner Hilfe herausfinden, »warum ich so bin wie ich bin«. Er möchte »Symptome« bearbeiten und gleichzeitig »effizienter« werden in der Arbeit. Ich bin etwas verunsichert, ob Coaching hierfür das richtige Format sein kann oder ob David nicht eher mit einer Therapie gedient wäre. Für David ist das kein Problem und er versichert mir ganz pragmatisch, dass wir das schaffen werden. Um seinen Tatendrang zu unterstützen, bitte ich David am Telefon, bis zu unserem ersten Termin aufmerksam zu beobachten, was sich bei ihm bis zu unserem ersten Treffen im Hinblick auf sein Anliegen schon verbessert haben wird. Da es sich hier – sowohl vom internationalen Charakter der Firma als auch bei David als Person – um ein Coaching mit interkulturellem Hintergrund handelt, scheint mir als Kompass für unsere Zusammenarbeit das modifizierte Coaching-Konzept von Kinast und Schroll-Machl (2003, zit. n. Barmeyer, 2007, S. 227) hilfreich. Dabei fokussieren Coach und Coachee abwechselnd auf die Aspekte der am Fall beteiligten Personen, Kulturen sowie Kontexte (Abb. 13). Die Autorinnen des Konzeptes gehen davon aus, dass im interkulturellen Coaching diese drei Perspektiven entscheidende Einflussfaktoren für interkulturell relevante Situationen bilden. Da ich als Coach nicht davon ausgehen kann, dass meinem Klienten oder mir der jeweilige Hinter- oder Untergrund eines geschilderten Ereignisses sofort verständlich sein wird, kann dieses Modell eine wichtige Heuristik und Dechiffrierungshilfe für unsere Zusammenarbeit im Coaching darstellen.
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Coaching-Kompass: Fokus im interkulturellen Coaching
Person(en) Alter, Geschlecht Herkunft, Biografie Kompetenzen Erfahrungen Interessen Bedürfnisse
Kultur
Kontext
Referenzsystem Hierarchie Zeit Kommunikation Werte
Komplexität Strukturen Zeitdruck Macht, Konflikte Bedeutung
Abbildung 13: Kompass für interkulturelles Coaching
Zur ersten Sitzung kommt David sehr reflektiert und vertrauensvoll auf mich zu. Verbesserungen kann er noch keine berichten. Er wünscht sich im Coaching, mehr Aufmerksamkeit auf sich selbst richten zu können, da er sich von seinem beruflichen Umfeld belastet fühle. Er habe drei bis vier ganz verschiedene Aufgabenbereiche in der Firma zu betreuen und frage sich, ob das überhaupt möglich sei. Sein Problem sei, dass er sich häufig in den verschiedenen Situationen verliere und sie nicht mehr gut steuern könne, was dazu führe, dass er chaotisch wirke und die Kontrolle verliere. Vom Coaching verspricht er sich, verschiedene Methoden und neue Perspektiven kennen zu lernen, die ihm helfen können, mentale Barrieren abzubauen und den Mut aufzubringen, Dinge auch mal durchzusetzen und »kantig« zu sein. Es geht ihm auch um das Thema Grenzen setzen, mit dem er sich schwertue. Das kann ich mir gut vorstellen, denn David
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wirkt äußerst smart und gefällig, ein Everybody’s Darling. Ich könnte mir vorstellen, dass David gern viel verspricht und sich dabei auch gern übernimmt. Damit sind wir bereits bei der Perspektive auf die Person angelangt. David erzählt von sich aus sehr viel über sich, ohne dabei allerdings allzu konkret zu werden. Auffällig ist, dass er dabei – typisch amerikanisch? – mit der Aufmerksamkeit sehr viel um sich selbst kreist und mit fast schon psychoanalytischem Blick bestrebt ist, seine Handlungsmotive zu ergründen. Ich habe Mühe herauszufinden, was genau David eigentlich ergründen möchte, und fühle mich in der ersten Sitzung tatsächlich ein wenig wie eine Psychoanalytikerin wider Willen. Von daher bin ich froh um meinen interkulturellen Kompass, der mich durch die weiteren Sitzungen hoffentlich gut begleiten wird. Es wäre aus meiner heutigen Sicht vielleicht sogar günstiger gewesen, wenn wir mit einer Betrachtung des beruflichen Kontextes von David hätten beginnen können, denn: »Systemisch gesehen finden Handlungen nicht in interessenund machtfreien Räumen statt, sondern innerhalb eines Kontextes, der eine Vorgeschichte hat. Dies ist bedeutend, denn meistens wird Interkulturalität erst dann problematisch, wenn es Interessen- und Meinungsverschiedenheiten oder Kosten- und Zeitdruck gibt, wie es im Business-Alltag oft der Fall ist. Es gilt daher, das System zu konkretisieren« (Barmeyer, 2007, S. 227). David scheint – warum auch immer – genau daran wenig Interesse zu haben. In der zweiten Sitzung wirkt David zuversichtlich. Es sei ihm gut ergangen seit dem letzten Mal, er habe in einem Meeting eine mentale Strategie erfolgreich angewandt, die wir im Coaching erprobt hatten, und er habe sich sehr gut gefühlt. Er sei entspannt und wünsche sich, dass es in Zukunft so weitergehen möge. Möglicherweise war es für ihn erst einmal wichtig, Vertrauen zu mir aufbauen zu können und mich als Zuhörerin zu erleben. Allerdings hat David nun festgestellt, dass er gegenüber seinem Chef einen Groll empfinde. Dabei kommt ihm sein Ehrgeiz in die Quere. Ich frage David, ob er daran interessiert sei, der Geschichte seines Ehrgeizes einmal nachzuspüren, da ich davon ausgehe, dass der Ehrgeiz einen wichtigen Baustein seiner bishe-
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rigen Karriere ausmache. Meine Hypothese ist, dass wir mit dieser Strategie über den Fokus auf der Person und ihrer Biografie auch etwas mehr über den biografischen und kulturellen Kontext von David erfahren werden. David stimmt begeistert zu und erzählt mir folgende Geschichte: Seine Eltern waren und sind sehr ehrgeizig. Er stammt aus einer ursprünglich armen jüdischen Familie, die vor zwei Generationen aus Russland in die USA eingewandert ist. Davids Großvater war Handwerker, der sich in New York ein erfolgreiches Familienunternehmen aufgebaut hat. Gleichzeitig waren die Großeltern sehr religiös und der jüdischen Gemeinde sehr verbunden. Wichtig waren immer der Glaube und die Zuversicht, dass es den Kindern einmal besser gehen solle. Dies ist auch eingetreten: Davids Vater ist Ingenieur geworden, die Mutter Künstlerin. Die Familienbeziehungen sind sehr eng, (materieller) Erfolg und sozialer Aufstieg sehr wichtig und Bildung spielt für Davids Familie eine zentrale Rolle. David beschreibt den Ehrgeiz in seiner Familie als treibenden Faktor, ja, für sie gehören Liebe und Leistung zusammen. Das hat David sehr verinnerlicht. Ich frage ihn, wie hoch denn nach seiner Einschätzung der EhrgeizFaktor in seiner Familie sei auf einer Skala von 1 (= überhaupt nicht ehrgeizig) bis 100 (= total ehrgeizig). David kann für die männlichen Mitglieder seiner Familie die Zahl 86 sagen, für die Frauen die Zahl 85 (da die Frauen etwas weniger bzw. etwas anders ehrgeizig seien). Ich bin überrascht von dem großen Ehrgeiz in Davids Familie und äußere nochmals meine Hypothese, wonach ich mir vorstelle, dass ein guter Teil von Davids bisheriger Erfolgsgeschichte mit seiner Verbundenheit mit dem familiär so bedeutsamen Ehrgeiz zusammenhänge. Dies zeige mir nicht nur, wie tüchtig David bisher gewesen sei, sondern auch, wie sehr er sich seiner in den USA lebenden Familie auch über den großen Teich verbunden fühle. Diese Intervention löst bei David eine starke Betroffenheit aus. Während er bisher viele Themen nur angerissen hatte, erlebe ich ihn an dieser Stelle äußerst konzentriert und fokussiert auf dieses Thema. David erklärt mir, wo genau sein Problem mit dem Ehrgeiz vermutlich liege: Durch die enge Kopplung von Liebe und Ehrgeiz in seiner Familie hat er dort auch gelernt, für
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Ariane Bentner
gute Leistungen sehr geliebt und damit auch sehr gelobt zu werden. Dies kennt er überhaupt aus der amerikanischen Kultur, dass man dort viel Anerkennung und positives Feedback für Leistung und sozialen Aufstieg erhält. Die Migrationsgeschichte seiner russisch-jüdischen Familie ist eine dem amerikanischen Aufstiegsmythos entsprechende Erfolgsgeschichte und hat die Familie über zwei Generationen gestärkt. Damit nähern wir uns über das Verständnis des biografischen Kontextes des Kunden dem für sein Anliegen möglicherweise zentralen Thema Kultur. Trotz seiner hervorragenden deutschen Sprach- und Kulturkenntnisse leidet David als Elite-Migrant in Deutschland darunter, dass in seiner Firma zwar »Lob kommt«, aber nicht in der Intensität und Frequenz, wie David es gerne hätte, bräuchte und aus seiner Herkunftskultur gewohnt ist. Hinzu kommt, dass er in Deutschland ausgerechnet an einem regionalen Standort seiner Firma arbeitet, der aufgrund seiner stark protestantischen Prägung sehr sparsam und verhalten mit Lob umgeht. Dafür steht das für David schier unerträgliche süddeutsche Sprichwort: »Nix g’sagt isch g’nug g’lobt«, das ihm von seinen Kollegen und vom Chef schon flachsig entgegengebracht wurde. So erscheint der Groll gegenüber dem Chef in ganz neuem Licht: David ist unzufrieden, weil er nicht genügend Anerkennung von ihm erhält, wie er es von zu Hause gewohnt ist. Aus der Metaperspektive betrachtet zeigen sich also zwei interkulturell relevante Probleme für David, die für ihn trotz hoher interkultureller Sensibilität und Erfahrung bisher nicht lösbar erscheinen: Zum einen erlebt er hinsichtlich des kulturellen Eigenmusters Anerkennung und Lob hier in Deutschland ein großes Befremden, das in der regionalen Subkultur, in der er fatalerweise lebt, einen inneren Clash of Cultures bei ihm auslöst. Dieses emotionale Befremden beeinträchtigt auch die Interaktionen mit seinem Vorgesetzen, der David als Chaoten erlebt und nicht versteht, was ihn umtreibt. Zum anderen hat sich David durch seinen amerikanischen Bias berufsspezifisch in eine fatale Situation hineinmanövriert: Sein (übertriebener) Ehrgeiz hat ihn dazu getrieben, in der Firma mehrere Jobs gleichzeitig zunehmen, die ihm nun über den Kopf wachsen. Da er in der Heimatkultur daran gewöhnt ist, als Belohnung für starken Ehrgeiz viel
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Anerkennung und Liebe zu bekommen, kommt es auch hier zu einer im interkulturellen Kontext üblichen Überschneidungssituation: David hat sich in einen Teufelskreis hineinkatapultiert, aus dem er schwer wieder hinausfindet. Er produziert viel Chaos, weil seine Firma aufgrund ihrer komplexen internationalen Struktur ohnehin schon chaotisch organisiert ist, er mutet sich zu viel zu, weil er als High-Potential gilt, und statt Liebe und Anerkennung erntet er den Ruf, ein Chaot zu sein, was schmerzlich sein muss. David hat noch nicht gelernt, dass Liebe in der deutschen Kultur ein sehr persönliches Gefühl darstellt, das der Privatsphäre vorbehalten bleibt und in Organisationen mit ihrer hohen Sachorientierung nicht vorkommt. Insofern liegt bei David hier möglicherweise eine kulturell bedingte Kontextvermischung vor. Liebe, wie er sie aus seinem Heimatkontext kennt, wird David hier im Beruf wohl schwerlich erfahren können, und auch Anerkennung nicht in der gewohnten, emotional aufgeladenen Form, sondern eher sachlich-nüchtern. Dies wäre zum Beispiel der Expertenteil der Coach-Rolle, David dies zu verdeutlichen. Diese interkulturell relevanten Hintergründe gemeinsam mit dem Klienten zu dechiffrieren und zu verstehen, um Lösungen finden zu können, scheint mir die Hauptarbeit in diesem Coaching-Prozess zu sein. Nach diesem »Kulturschock« geht es nun darum, welche Konsequenzen David hieraus für sich ziehen kann. David realisiert schmerzlich, dass Anerkennung für ihn wie eine familiär und kulturell erlernte Droge ist, ohne die er Entzugserscheinungen und schlechte Laune bekommt. Die Irritation seines erlernten Musters in Deutschland führt zu massiven Nebenwirkungen. Neben dem Groll auf den Chef leidet David unter Schlafstörungen und fühlt sich gesundheitlich beeinträchtigt. Außerdem kommt die Beziehung zu seiner Freundin zu kurz, da er dauernd beruflich unterwegs sein muss, durch die Welt jettet und dabei viel Chaos veranstaltet. Die Freundin ist verständlicherweise unzufrieden mit dieser Situation, so dass auch im privaten Umfeld momentan ein Krisenherd flackert. Ich stelle David an dieser heiklen Stelle im Coaching die Wunderfrage (vgl. hierzu ausführlich das lösungsfokussierte Interview
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Ariane Bentner
der Milwaukee-Schule in Bentner, 2007, S. 35 ff.), um zu prüfen, welches Lösungspotenzial David aktivieren könnte: Was wäre anders, nachdem ein Wunder für David geschehen wäre? David fällt viel dazu ein. Wenn ein Wunder geschehen würde, so würde er mehr Gelassenheit erleben, er wäre entspannter und selbstsicherer, zuverlässiger, balancierter und ausgeglichener. David könnte sich nach dem Wunder erlauben, seine Aufmerksamkeit stärker auf das zu richten, was Priorität hat, er könnte mehr Klarheit zeigen, müsste weniger Chaos produzieren und weniger Termine verschieben. Dies würde nicht zuletzt positiv auf seine Umgebung ausstrahlen. Diese würde das Wunder bei David daran merken können, dass er mehr Selbstkontrolle ausüben würde und sich weniger fremdsteuern ließe. Den Chef würde er nicht mehr als Konkurrenz erleben, und deshalb müsste dieser ihm weniger Druck machen. Das wäre neu für den Chef! Mit seiner Freundin könnte David nach dem Wunder mehr Zeit verbringen, er wäre pünktlich zu Hause und sie könnten mehr gemeinsame Zeit miteinander genießen. Auf meine Frage, wer sich alles freuen würde, nachdem ein solches Wunder bei David geschehen wäre, antwortet er: »Meine Eltern und ihre Eltern.« Damit können wir sicher sein, dass das Wunder auch familien-kontextuell erwünscht wäre und David es nicht aus Familienloyalität bekämpfen müsste. Das ist ganz wichtig, da Davids Familienbeziehungen ja sehr stark und von ihrem Wertekodex her für ihn sehr bedeutsam sind. Wie immer geht es auch bei David nach der Wunderfrage darum, zu prüfen, welche der im »Tranceraum Wunder« erlebten Kompetenzen und Ressourcen der Klient jetzt schon ansatzweise realisieren könnte. David beschließt als guter Manager sofort, sich einige Ziele zu setzen und bis zum nächsten Mal damit zu experimentieren: Er nimmt sich vor, einmal in der Woche schon um 17 Uhr nach Hause zu kommen, mehr Sport mit seiner Freundin zu treiben und einen Urlaub nur zu zweit zu planen. Er geht sehr erschöpft und nachdenklich aus dieser zweiten Sitzung. Einige Wochen später kommt David demotiviert in die nächste Sitzung. Er hat viel zu tun und ihm fehlen Lust und Energie.
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Sein (amerikanischer) Ehrgeiz hat keine Ruhe gegeben und ihn immer wieder zu neuen »Baustellen« getrieben. Es zeigt sich, dass nicht David den Ehrgeiz steuert, sondern umgekehrt David vom Ehrgeiz vor sich her getrieben wird. Das Einhalten der vorgenommenen Ziele hat nicht besonders lange geklappt, aber immerhin ist ein Anfang gemacht. Ich biete David nun eine Aufstellungsarbeit mit dem »inneren Team« an (vgl. Schultz von Thun, 1998). Das Ergebnis zeigt, dass David sehr große Mühe hat, den Ehrgeiz im Zaum zu halten, und dass es auch eine Seite in ihm gibt, die sehr zart und unsicher ist, was er bisher erfolgreich mit Leistung einerseits und dem Anzetteln von Chaos andererseits überspielen konnte. Eine gute Balance seiner vielen inneren Anteile ist an dieser Stelle fast unmöglich. Im Wachstum begriffen sind aber Selbstmanagement-Anteile, die David erst seit kürzerem bei sich wahrnimmt. Ich bin beeindruckt, wie David es bisher geschafft hat, seine teilweise sehr widerstreitenden inneren Anteile und Seiten im Zaum zu halten. Es zeigt sich bei dieser Visualisierungsarbeit auch erstmals eine bisher unausgesprochene Unzufriedenheit in der Firma. In die zweitletzte Sitzung kommt David sehr aufgeräumt. Ihm ist klar geworden, dass er zu viele »Hüte« auf dem Kopf trägt. Er möchte zukünftig nur noch zwei Hüte tragen: Er nennt sie »Leading« und »Doing«. David möchte sich auch seinem Chef mehr als »Leader« präsentieren, und weniger wie bisher als begnadeter Chaos-Veranstalter. Das Verhältnis zum Vorgesetzten hat sich verbessert, David kümmert sich um eine bessere Beziehung zu ihm. Der Klient hat sich intensiv mit seinem Ehrgeiz auseinandergesetzt und ist zu der Erkenntnis gekommen, dass dieser Teil seiner amerikanischen Familienkultur zwar zentral zu ihm gehört, aber hier in der anderen Kultur Deutschlands auch an einen anderen Platz rücken sollte – nämlich nicht mehr in der ersten Reihe. David möchte sich jetzt ganz bewusst mit dem Thema Kultur beschäftigen und herausfinden, wie er als Führungskraft kulturangemessen sich selbst und seine Mitarbeiter so führen kann, dass Zuverlässigkeit und das Einhalten von Zielen besser möglich wird. Hierzu erarbeiten wir einige konkrete Strategien, die David bis zum nächsten Mal in der Praxis erproben kann. Ich lade ihn abschließend dazu ein, vor dem Hintergrund
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seiner eigenen kulturellen Vielfalt (Stichwort »Diversity«) auch seiner chaotischen Seite etwas mehr Wertschätzung entgegenzubringen, da sie ihm aus meiner Sicht ermögliche, sehr flexibel auf die durchaus chaotischen Ablaufprozesse in seiner vom Wind der Globalisierung aufgewirbelten Firma und auf die Selbstorganisationsprozesse seines Teams zu reagieren. David findet das eine sehr nützliche Anregung. In die letzte Sitzung kommt David wieder in schwankender Stimmung. Trotz aller guten Vorsätze hat wenig geklappt. Er ist unzufrieden und frustriert. Interessant ist, dass die im Wunder erlebten Wahrnehmungen von Gelassenheit und Entspannung für David realiter eingetreten sind, als er seiner Familie in New York einen längeren Besuch abstatten konnte. Dort hatte er auch ein vielversprechendes Vorstellungsgespräch bei einer anderen Firma. Ich bin selbst etwas ratlos über Davids Hin- und Hergetriebensein zwischen Gefühlen und Kulturen und nehme diese Situation zum Anlass, ihn zum Abschluss einmal einzuladen, herauszufinden, wo genau für ihn eigentlich das Problem liegt und wie eine gute Lösung für ihn aussehen könnte. Methodisch arbeiten wir mit der sogenannten Problemlösungstreppe aus dem Spektrum der lösungsfokussierten Methoden. Die Grundidee dieser Methode ist die Hypothese (die insbesondere im Management anschlussfähig ist), wonach Probleme eher menschliche Konstruktionen sind als objektive Tatsachen. Es geht darum, den Klienten dazu anzuregen, nachzuforschen, wie er zu seinem Problem gekommen ist und es quasi konstruiert hat und wie er es wieder loswerden und quasi dekonstruieren könnte. Wichtig ist dabei die Betonung der Eigenaktivität und Selbststeuerung des Klienten – er wird in seiner Selbstwahrnehmung gestärkt, die Dinge selbst in der Hand zu halten und steuern zu können. Dies ist für Manager sehr wichtig und kann im interkulturellen Coaching sehr hilfreich sein.
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3. Stufe
1. Stufe wie angefangen?
Ziel?
2. Stufe wie schlimmer geworden?
2. Stufe und danach?
3. Stufe jetzt: noch schlimmer?
1. Stufe erste kleine Schritte Tal der Tränen
Abbildung 14: Problemlösungstreppe
Methodisch arbeite ich bei der Problemlösungstreppe zunächst in einer Abwärtsbewegung in drei Stufen. Die erste Frage lautet: »Wie war es, bevor das Problem auftrat, als die Sache noch halbwegs im Lot war?« Die Äußerungen des Klienten schreibe ich direkt in das Schema hinein. Auf der zweiten Stufe lautet die Frage: »Und was ist passiert, so dass es schlimmer wurde?« Die dritte und letzte Stufe visualisiert den vorläufigen Tiefpunkt des Problems (»Und was ist geschehen, als es schlimmer nicht mehr kommen konnte?«). 1. Stufe: Auf meine Frage, wie David eigentlich zu seinem Problem gekommen ist, zeigt sich schnell, dass es damit angefangen hat, dass er von seiner Firma aus den USA vor fünf Jahren nach Deutschland gekommen ist und dort schnell Karriere machen konnte. Aufgrund seiner überdurchschnittlichen deutschen Sprachkenntnisse und weil er in Deutschland studiert hatte, wurde er von der Firma nicht als klassischer Expatriate betrachtet und »gepampert«, sondern wie ein deutscher Manager behandelt. Hierbei kam ihm sein Ehrgeiz zu Gute. Bei dieser Form der Elite-Migration blieben seine starken Bindungen an die Heimatkultur sowie seine Freunde und die jüdische Familie
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zurück. Dies hat David emotional mehr betroffen, als ihm vorher klar sein konnte: David ist quasi unbemerkt zum Opfer eines in seiner amerikanischen Heimatkultur herrschenden Glaubenssatzes geworden: Sei ehrgeizig und erfolgreich! Dieser Glaubenssatz war ja auch das Erfolgsrezept seiner eingewanderten russischen Großeltern. Er hat es auch versucht und fängt schnell an, unter den Konsequenzen zu leiden, die ihn in der fremden Kultur in Deutschland erwarten, u. a. die ausbleibende Anerkennung, nach der er »süchtig« ist. 2. Stufe: Auf der nächsten Stufe abwärts beginnen ihm die sozialen Beziehungen zu fehlen, die er von den USA kennt. Er realisiert, wie schwer es für ihn und sein Frau ist, hier Freundschaften zu gewinnen. Insbesondere die Region, in der seine Freundin und er leben, erleben beide als sozial sehr ausgrenzend. 3. Stufe: Schlimmer ist es geworden, als im folgenden Jahr erste Probleme mit dem Chef dazukommen. In der Firma häufen sich Personalprobleme und Fluktuation im Team – es geht chaotisch zu. David erlebt die deutsche Unternehmenskultur seines Konzerns – anders als die amerikanische – sehr fehlerfokussiert und technokratisch. Was ihn am meisten schmerzt, ist die Tatsache, dass im familiären Kontext seine Schwester sich nun weigert, nach Deutschland zu Besuch zu kommen »wegen des KZThemas«, wie David den Holocaust nennt. Offenbar hat sein Umzug nach Deutschland in seiner jüdischen Familie für einigen Sprengstoff gesorgt – eine für mich neue Information, die sein bisheriges emotionales Getriebensein erklären hilft. David nimmt bei sich eine immer größer werdende soziale Einsamkeit wahr, als das einzige Ehepaar, mit dem er und seine Lebensgefährtin sich bisher anfreunden konnten, aus der Region wegzieht. Es berührt mich als Coach, auf diese Weise soviel persönliche Offenheit und Vertrauen von David zu erfahren. Aus meiner Erfahrung wäre das für einen deutschen Manager eher untypisch, dass er seinem Coach auch so viel Persönliches anvertraut. Wieder fühle ich mich ein wenig »psychoanalytisch«, und das kann interkulturelle Gründe haben. Möglicherweise ist dies ein kulturelles Beratungsmuster, das David von der gebildeten OstküstenKultur der USA mitgebracht hat und nun auf mich überträgt.
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Anschließend frage ich (aus der Talsohle des Problemtiefpunkts heraus), was das Ziel wäre, das der Klient gern erreichen würde, damit es besser werden könnte. 1. Stufe: Als erste Aufwärtsstufe nennt David das Thema Vertrauen. Er würde gern zunächst mit seiner Freundin sprechen und ihr vorschlagen, umzuziehen in eine andere Region, die etwas städtischer und weltoffener ist und wo die Möglichkeit, soziale Kontakte zu finden, leichter gegeben ist. Eine Idee wäre auch, Kontakt zu einer deutsch-amerikanischen Gruppe zu suchen oder sich ehrenamtlich zu engagieren, wie David das aus seiner Heimat kennt (»Charity«). Dabei könnten seine internationalen Erfahrungen gut zum Einsatz kommen. 2. Stufe: Anschließend würde nach Davids Vorstellung ein kleines Wunder geschehen können, indem er nämlich zukünftig früher nach Hause käme, in der Firma öfter einmal Nein sagen würde. Außerdem würde er an einem anderen Standort (dieser oder auch einer anderen Firma) arbeiten, der kulturell anschlussfähiger an seine Bedürfnisse nach sozialem Kontakt und Anerkennung wäre. Er würde sich erlauben, öfter in die USA zu fliegen und seine Familie und Freunde zu besuchen. 3. Stufe: Kurz vor dem Ziel, bevor David ganz zufrieden sein würde, weil er sein Problem gelöst hat, gäbe es auch einen Wertewandel bei ihm. Er würde andere Dinge wichtiger finden als blanken Ehrgeiz, könnte die Anerkennung und Liebe seiner »Peers« und »Family« genießen und seine Freundin würde sich wieder wohl mit ihm fühlen, weil er mehr Präsenz zeigen könnte zu Hause. Er wäre konzentrierter auf das, was für ihn wirklich wichtig ist. Damit wäre – sollte es David möglich sein, dieses Ziel zu erreichen – auch der Coaching-Prozess inhaltlich abgeschlossen. Ich bin sehr beeindruckt, wie bereits in dieser fünften und letzten Sitzung bei David plötzlich die Lösungsimpulse wie von selbst hervorkommen und mir sehr stimmig erscheinen. Der Klient ist ebenfalls hoch zufrieden und ich erlebe ihn erstmals in unserer Zusammenarbeit ganz ausgeglichen, konzentriert und ruhig.
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Ungefähr ein halbes Jahr später ruft David mich an und erzählt mir, er habe eine neue Stelle angenommen in einer städtischen Region, seine Freundin und er seien gerade mitten im Umzug und es gehe ziemlich chaotisch zu, aber sie seien beide sehr zufrieden mit der Entscheidung und fühlten sich am neuen Standort sehr wohl. Der neue Job sei nicht so »groß« wie der alte, das mache aber nichts. Es gefiele ihm gut und er danke mir für die gute Begleitung in einer schwierigen Phase seines Lebens.
Interkulturelle Überlegungen Was lässt sich aus Davids Fallgeschichte über die Bedeutung interkulturellen Dechiffrierens im Coaching, wie ich es hier nennen möchte, lernen? Obwohl es zunächst ganz anders aussieht (ein High-Potential funktioniert nicht richtig) liegen die Probleme, die David hat und macht, anfangs eher unter der Oberfläche verborgen, sind unsichtbar. David zeigt Symptome, die er gerne individuell angehen möchte. Seine Personalentwicklerin sieht das genauso. Es dauert eine gewisse Zeit, bis wir trotz von Anfang an guter Beziehungsgestaltung in diesem Prozess gemeinsam lernen und herausfinden können, wo der Hase eigentlich im Pfeffer liegt und was der Kunde eigentlich bräuchte, damit es ihm besser gehen kann. Charakteristisch für die Inanspruchnahme eines interkulturellen Coachings ist wie hier bei David das Auftreten von Stress, akuten Krisen und Konflikten oder beruflicher Unzufriedenheit (vgl. Barmeyer, 2007, S. 219). Davids Geschichte ist fast idealtypisch für die Probleme, die im Zeitalter zunehmender Globalisierung in international operierenden Unternehmen auftreten. So nehmen die Stressfaktoren entsendeter Mitarbeiter ins Ausland zu, während ihre Privilegien und Vergütungszulagen, das früher übliche Rundum-Versorgungs-Paket, im Ausland abgenommen haben. Vielmehr erwarten die Firmen von den entsandten Mitarbeitern, den Expatriates (= vom Stammhaus ins Ausland) oder Impatriates (= von der Auslandsniederlassung ins Stammhaus) oder Transpatriates (= zwischen verschiedenen Auslandsniederlassungen), heute, dass sie »flexibel, kosmopolitisch
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eingestellt und interkulturell kompetent« zu sein haben (Moosmüller, 2007, S. 44). Werden die Erwartungen der entsendeten Mitarbeiter im Ausland nicht erfüllt, so sinkt die Bereitschaft für weitere Auslandseinsätze deutlich und nachvollziehbar und der Frust nimmt zu. »Das Ziel, durch Auslandsentsendungen die Entwicklung von global mind und interkultureller Kompetenz zu fördern und mit den rückkehrenden Fach- und Führungskräften den interkulturellen Wissensstand der Organisation zu erhöhen, wird damit in Frage gestellt« (Moosmüller, 2007, S. 44). Dabei wird auch von Global Playern gern vergessen, dass Kultur und Kulturunterschiede eine ernstzunehmende Größe darstellen können, was sich meist erst zeigt, wenn Missverständnisse, Symptome oder Konflikte auftreten. Davids Fall zeigt aber auch, dass die Rolle des Coachs im interkulturellen Coaching pendeln kann zwischen Prozess- und Expertenberatung und der Klient den Coach auch als Experten für die fremde Kultur braucht. Kultur im Coaching-Kontext kann definiert werden »als erlerntes Orientierungs- und Referenzsystem von Werten und Praktiken, das von Angehörigen einer bestimmten Gruppe oder Gesellschaft kollektiv gelebt und tradiert wird und sie von Angehörigen anderer Gruppen oder Gesellschaften unterscheidet. Dabei gibt jede Kultur ihren Mitgliedern bestimmte Möglichkeiten, gemeinsames und individuelles Handeln zu gestalten« (Barmeyer, 2004, S. 85 zit. n. Barmeyer, 2007, S. 219). Im interkulturellen Coaching oder in anderen Formen interkultureller Beratung scheint es mir unerlässlich, das Thema Kultur und Kulturunterschiede nicht zu ignorieren, sondern proaktiv anzusprechen, sofern es der Kunde nicht von sich aus tut. Wie wir an dieser Geschichte gesehen haben, spielt im interkulturellen Kontext gerade das unausgesprochene, verborgene Wissen (Tacit Knowledge) eine zentrale Rolle, und es ist normal, dass auch hoch gebildete Kunden hier nicht in der Lage sind, ihr interkulturell relevantes Erleben in angemessene Worte zu fassen und zu reflektieren. Damit kommt dem interkulturellen Coach im Unterschied zu einem »einheimischen« Coach die Aufgabe zu, dem Klienten bei seiner eigenen Dechiffrierungsarbeit zu helfen, um selbst besser verstehen zu können, wo genau
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die Probleme liegen und welche Lösungen zielführend sein könnten. Wie bei David gilt es, als Beraterin sensibel zu sein gegenüber weiteren Besonderheiten und sogenannten subkulturellen Merkmalen wie Geschlecht, Sprache, Religion, Generation, soziale Herkunft, Bildungsniveau, regionale und ethnische Differenzen. Mit dieser Aufmerksamkeitsfokussierung kann überhaupt erst Raum geschaffen werden für Interkulturalität im Coaching: »Interkulturalität bezeichnet die Austausch- und Interaktionsprozesse durch symbolische Zeichen (z. B. gesprochene, geschriebene Sprache oder Gestik und Mimik) oder Handlungen zwischen Personen oder Gruppen mit unterschiedlichem kulturellem Hintergrund, um Ideen, Gefühle und Bedeutungen auszutauschen. Durch die Unterschiedlichkeit von Annahmen, Wissensbeständen, Werten, Gefühlen und Denk- und Verhaltensweisen der Interaktionspartner – und die damit verbundene Unkenntnis bestimmter symbolischer Handlungen – kommt es zu divergierenden Bedeutungszuschreibungen und Interpretationen, die den interkulturellen Kommunikationsprozess komplizierter verlaufen lassen als den intrakulturellen. Häufig entstehen aufgrund von Fehlinterpretationen des anderskulturellen Verhaltens Störungen oder Missverständnisse« (Barmeyer, 2007, S. 219 f.). Spannend hierbei ist, herauszufinden, was bei interkulturellen Problemen wie bei David nun auf persönliche, kontextbedingte oder kulturelle Aspekte zurückgeführt werden kann. Dabei bietet der Coaching-Kompass eine Hilfe für die Arbeit auf der Handlungsebene im Coaching. Die Antwort kann aber auch – wie bei David – darin liegen, dass sich genau diese drei Parameter Person, Kontext und Kultur biografisch und intergenerativ so vermischt haben, dass es fast nicht möglich ist, Persönliches von Kontextbedingtem und Kulturellem noch zu unterscheiden. Bei David scheint mir eine charakteristische Kontextvermischung jedenfalls augenfällig: Familiäre Glaubenssätze (sei ehrgeizig) bilden den Motor für Anerkennung, Liebe und beruflichen Erfolg gleichermaßen. Diese spezifische Mischung könnte ein Muster aus der Großelterngeneration sein, das David unreflektiert mitgenommen und auf seinen Umgang mit seinem Chef übertragen hat. Ist das interkulturell relevant oder nicht? Diese Frage wird sich möglicherweise gar nicht mehr genau klären lassen. Den-
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noch wäre es möglicherweise in diesem Coaching-Prozess zielführend gewesen, mit David etwas genauer über kulturelle Unterschiede zwischen der amerikanischen Ostküsten-Intelligenz und der süddeutschen Regionalkultur zu sprechen sowie über die deutsche Sach- und Regelorientierung, die affektiv aufgeladene Emotionsäußerungen wie Lob und Anerkennung vor allem im beruflichen Kontext technischer Organisationen nicht vorsieht. Wichtiger scheint es gewesen zu sein, ganz pragmatisch und lösungsfokussiert zu schauen, was genau passieren müsste, damit es mit dem Klienten wieder aufwärts geht. Der Pragmatismus der lösungsfokussierten Methoden der amerikanischen Milwaukee-Schule erwies sich hingegen als höchst anschlussfähig an Davids Heimatkultur. Insofern konnte hier eine interkulturelle Passung im Coaching gefunden werden zwischen Heimatkultur des Klienten und Fremd- oder besser Zweitkultur. Deutlich wurde auch, dass es sich beim interkulturellen Coaching »um eine individualisierte und prozesshafte Entwicklungsmaßnahme interkulturellen Lernens mit dem Ziel [handelt, A. B.] die betroffene Person (Klient) für Kulturunterschiede zu sensibilisieren und ihr Kenntnisse über Zielkulturen zu vermitteln. Dies ermöglicht ein adäquates und zielführendes Handeln in interkulturellen Situationen. Auf diese Weise werden Kulturunterschiede nicht nur als Ursache von Missverständnissen und Schwierigkeiten gesehen, sondern als Chance für effektive und komplementäre Zusammenarbeit. Durch interkulturelles Coaching sollten idealerweise Erfolg und Zufriedenheit des Klienten gesteigert werden« (Barmeyer, 2007, S. 222 f.). Dabei lernt auch der Coach sehr viel, wenn er interkulturell interessiert ist. Vielleicht ließe sich sogar das interkulturelle Coaching als Idealformat eines wechselseitigen Lernprozesses von Coachee und Coach beschreiben, in dem Intuition als verborgenes Wissen eine zentrale Ressource für beide darstellt.
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Ariane Bentner
Ausblick Die zentrale Aussage dieses Beitrags lautet: Da in der Beratungspraxis Pragmatik gefordert ist und aufgrund des Handlungsdrucks der Klienten Pragmatismus gezeigt werden sollte, bleibt es nicht aus, dass andere Heuristiken, Perspektiven und damit Lösungsmöglichkeiten unentdeckt und unerprobt bleiben. Auf den Coach strömen viele Eindrücke ein, während er versucht, den Klienten kennenzulernen und seine Anliegen zu verstehen, so dass seine Aufmerksamkeit naturgemäß nur auf wenige Aspekte gerichtet sein wird. Eine Möglichkeit, bestimmte Coaching-Situationen nachträglich noch einmal daraufhin durchzuschauen, bietet die vorgestellte Form der Fallnachbereitung mit Theorieanbindung oder Reflexion. Diese erfordert vom Coach eine gründliche Mitschrift, Videoaufzeichnung oder andere Form der Dokumentation, aus der er das Coaching-Geschehen sorgfältig rekonstruieren kann. Ein Gewinn auch für den Klienten kann es sein, wenn der Coach ihm seine neuen Erkenntnisse noch während des Coaching-Prozeses rückkoppeln kann. Ist der Prozess schon abgeschlossen, so kann der Coach dem Kunden auch per E-Mail seine Ideen zukommen lassen. Damit schließt sich der Kreis, in dem nicht nur der Klient vom Coach lernen konnte, sondern (hoffentlich) auch umgekehrt.
Marie Krenzin
»… und diese positive Sicht – danach bin ich süchtig« Was erleben Führungskräfte im Coaching?
Das Phänomen Intuition wurde in den vergangenen Jahren zunehmend zum Forschungsgegenstand. Wie verschiedene Studien gezeigt haben, spielt die Intuition eine wichtige Rolle etwa in Entscheidungssituationen (Gigerenzer, 2007; Ruthenbeck, 2004). Führungskräfte sind Personen, zu deren Aufgabenspektrum das Fällen von Entscheidungen selbstverständlich dazu gehört. Hierbei stellt sich für die Betroffenen häufig die Frage, wie sie das (nicht nur methodisch) am besten anstellen sollen. Für Beratungsprozesse konnte bereits empirisch gezeigt werden, dass Intuition durchaus eine wichtige professionelle Kompetenz für Coachs und Beratende darstellen kann (Hänsel, 2002). Dass Intuition auch erlernbar und trainierbar ist, ist mittlerweile unbestritten (Zeuch, 2004). Wenn neben anderen Herangehensweisen für Führungskräfte nun die Intuition bei der Planung, Entscheidung und Problemlösung eine wichtige Rolle spielt, hätte das Phänomen Intuition in wirtschaftlichen und organisationellen Kontexten eine wichtige Bedeutung, da intuitives Vorgehen eine sinnvolle Ergänzung zu rein analytisch-rationalem Vorgehen darstellen kann. Intuitive berufliche Handlungen können sogar effektiver und effizienter sein als rein rationale (Agor, 1989/1994). Wie im Beitrag von Ariane Bentner (in diesem Band) gezeigt wird, verlassen sich Führungskräfte aus dem Topmanagement bei der Besetzung von personellen Schlüsselpositionen nach eigenem Bekunden sogar verstärkt auf ihr Bauchgefühl.
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Marie Krenzin
Innerhalb des weiten Forschungsfeldes zu Intuition ist für mich die wichtigste Erkenntnis, dass Beratende und Coachs neben vielen anderen Skills über intuitive Kompetenzen verfügen sollten. Ich gehe davon aus, dass intuitive Prozesse im Coaching einen großen Einfluss auf den Coaching-Erfolg haben können. Wenn man aus systemisch-lösungsorientierter Sicht annehmen kann, dass im Klienten schon ein Lösungspotenzial für sein Anliegen vorhanden ist, das allerdings noch teilweise unbewusst ist, dann liegt die Aufgabe des Coachs darin, Raum für intuitive Prozesse zu geben und diese gestalten zu helfen. Dies kann mit Hilfe von systemischen Fragen und Methoden erfolgen, mit dem Ziel, die intuitiven Kräfte des Klienten zu »erwecken«. Wenn dies im Rahmen von Coaching gegeben ist, dann sollte als Grundvoraussetzung gelten: Ein intuitiv vorgehender Coach unterstützt und fördert die Intuition des Klienten in seinem Lösungsprozess und steigert die Wahrscheinlichkeit eines erfolgreichen Coachings. Wie verlaufen intuitive Prozesse im Coaching aus der Sicht von Führungskräften und inwieweit haben sie einen Einfluss auf den Coaching-Erfolg? Zur Beantwortung dieser Frage habe ich eine qualitativ-empirische Untersuchung mit 25 Leitungskräften durchgeführt.3 Dazu befragte ich telefonisch anhand eines Interviewleitfadens ausgewählte Führungskräfte zu ihrem letzten Coaching-Prozess. Mich interessierte besonders, wie intuitive Prozesse bei Coaching-Klienten genau verlaufen, wie sie erlebt und von diesen beschrieben werden und welche Einstellung Führungskräfte zum Thema »Intuition im Coaching« haben. Mein Interviewleitfaden befasst sich im Wesentlichen mit folgenden Fragestellungen: 1. Was führt Führungskräfte ins Coaching? 2. Was sind häufige Ausgangssituationen im Coaching? 3. Welche Erwartungen bringen Führungskräfte in das Coaching mit? 4. Was verstehen Führungskräfte unter »Intuition«? 5. Wie beschreiben Führungskräfte »Intuition im Coaching«? 6. Welche Konstrukte werden für »Intuition« verwendet? 3 Im Rahmen meiner Diplomarbeit im Fachbereich Psychologie der TU Darmstadt.
»… und diese positive Sicht – danach bin ich süchtig«
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7. Wie erklären sich Führungskräfte das Zustandekommen von »Intuition im Coaching«? 8. Welche Veränderungen von »intuitiven Erkenntnissen« im Coaching werden von Führungskräften beschrieben? 9. Wie hoch wird der Einfluss der »intuitiven Erkenntnis« auf den Coaching-Erfolg beurteilt? 10. Wie erfolgreich wird der Coaching-Prozess eingeschätzt? 11. Welche Meinung haben Führungskräfte zum Thema »Intuition im Coaching«?
Zur Methode An der Befragung nahmen insgesamt 25 Führungskräfte einer Darmstädter systemischen Unternehmensberatung freiwillig teil, davon siebzehn Frauen und acht Männer. Für die Durchführung der Telefoninterviews erfolgte die Auswahl der Führungskräfte randomisiert. Vorab wurden die Führungskräfte von der Geschäftsleitung per E-Mail angeschrieben und für eine Teilnahme an der Studie angefragt. Mit allen Führungskräften, die ihr Einverständnis gegeben hatten, konnte ich daraufhin einen Interviewtermin vereinbaren. Die Einzelinterviews habe ich selbst durchgeführt, um die Befragten nicht dem Meinungsdruck durch unmittelbar anwesende Personen auszusetzen. Die Dauer der Interviews variierte zwischen 10 und 30 Minuten und lag im Durchschnitt bei etwa 15 bis 20 Minuten. Vorab sind alle Führungskräfte über den Interviewablauf und das Ziel der Befragung in Kenntnis gesetzt worden. Ebenso habe ich allen Befragten die Anonymisierung ihrer Angaben zugesichert. Die Interviews habe ich mit einem MP3Player aufgezeichnet und anschließend transkribiert. Die Auswertung der Gespräche erfolgte mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2003) und mit Hilfe eines computergestützten Auswertungsprogramms (ATLAS.ti). Die qualitative Inhaltsanalyse ist eine primär kommunikationswissenschaftliche Technik, die sprachliches Material systematisch nach strengen methodischen Regeln gliedert und analysiert (Mayring, 2003).
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Marie Krenzin
Beruflicher Hintergrund der befragten Führungskräfte Von den 25 befragten Leitungskräften sind 3 Personen selbstständig tätig, 8 Personen arbeiten in einem Unternehmen und 14 im sozialen Bereich wie Abbildung 15 zeigt. 16 14 12
Häufigkeit
10
4 2 0 Selbständig
Sozialer Bereich Unternehmen
Arbeitsbereiche Abbildung 15: Arbeitsbereiche der befragten Führungskräfte
19 Personen haben einen akademischen Ausbildungshintergrund, eine Person hat keinen akademischen Abschluss und fünf Personen haben sowohl eine Ausbildung als auch einen akademischen Abschluss (Abb. 16). Der Frauenanteil der Befragten liegt dabei mit 64 % (N = 17 Frauen) deutlich über dem Anteil der Männer (N = 8 Männer). Das Durchschnittsalter beträgt 47,5 Jahre (Abb. 17). Von den 25 Führungskräften wurden 22 von Coachs mit systemischen Hintergrund beraten und drei Personen von Coachs mit Ausbildung in Hypnotherapie und NLP (Neurolinguistisches Programmieren).
»… und diese positive Sicht – danach bin ich süchtig«
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20
Häufigkeit
10
0 akademisch
beides
Welchen Ausbildungsberuf haben Sie gelernt?
Abbildung 16: Ausbildungsberufe der Führungskräfte
20
Häufigkeit
10
0 Frauen
Abbildung 17: Geschlechterverteilung der befragten Führungskräfte
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Marie Krenzin
Wer nimmt warum Coaching in Anspruch? Zum Befragungszeitpunkt nahmen nur 4 Leitungskräfte aktuell ein Coaching in Anspruch, 17 Personen hatten kein Coaching und 4 Personen nutzten Supervision, Intervision, Peergruppentreffen oder kollegiale Beratung (Abb. 18). Dieses Ergebnis war für mich verwunderlich, da ich davon ausgegangen bin, dass Führungskräfte öfter ein Coaching oder eine Supervision in Anspruch nehmen würden, da sie häufig einem komplexen Aufgabenbereich mit hoher Verantwortung bei gleichzeitig geringer Rückmeldung von außen, etwa von ihren Mitarbeitern, konfrontiert sind. Führungskräfte müssen führen, delegieren und wichtige Entscheidungen unter Zeitdruck treffen, was zu Unsicherheit im Hinblick auf eine getroffene Entscheidung oder Verhaltensformen im Umgang mit Mitarbeitern führen kann. 20
Häufigkeit
10
0 Ja
Supervision
Nehmen Sie zur Zeit ein Coaching in Anspruch?
Abbildung 18: Häufigkeitsverteilung von Führungskräften, die zum Befragungszeitpunkt ein Coaching in Anspruch nehmen
Wie lange ist es her, dass Führungskräfte ein Coaching in Anspruch genommen haben? Im Durchschnitt war das letzte Coa-
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ching anderthalb Jahre vor dem Telefoninterview in Anspruch genommen worden. Am häufigsten lag das Coaching zwischen einem und zwei Jahren zurück. Die Befragten hatten im Schnitt fünf Sitzungen in Anspruch genommen. Erwähnenswert sei an dieser Stelle, dass von den 25 Führungskräften insgesamt 7 Personen nur eine einzige Coaching-Sitzung in Anspruch genommen hatten. Der Zeitraum zwischen dem Auftauchen eines Problems oder Anliegens und der ersten Coaching-Sitzung erstreckte sich im Durchschnitt über sechs Monate. Dabei variierte der Zeitraum bei den Befragten zwischen 2 Tagen und 5 Jahren, bis sie sich an einen Coach wandten und aktiv wurden. Am häufigsten lag der Zeitraum zwischen 1 und 3 Monaten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die meisten Führungskräfte zum Befragungszeitpunkt kein Coaching in Anspruch nahmen und nur 4 Personen aktuell eine Supervision oder Intervision nutzten. Es ist zu vermuten, dass Führungskräfte, die ein Coaching von ihrem Arbeitgeber empfohlen und bezahlt bekommen, schneller eine solche Einzelberatung in Anspruch nehmen als Führungskräfte, die sich ihr Coaching selbst finanzieren und darüber hinaus erstmal einen geeigneten Coach finden müssen.
Eigene Forschungsbefunde: Ergebnisse der qualitativen Inhaltsanalyse Im Folgenden möchte ich die wichtigsten Ergebnisse meiner Untersuchung vorstellen und kommentieren. Dabei steht FK als Abkürzung für Führungskraft. Die in Klammern angegebenen Zahlen im Text zeigen die Häufigkeit der Nennungen. Anzumerken sei hier, dass es auch Mehrfachnennungen gab, so dass die Summe der Häufigkeiten die Anzahl der befragten Personen übersteigen kann.
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Frage 1: Was führt Führungskräfte ins Coaching? Beruflicher Anlass N=14
Persönlicher Anlass N=7 Coachinganlässe
Feedback N=5
Abbildung 19: Coaching-Anlässe
Wie das Netzbild zeigt und entsprechend meiner Erwartung, wird Coaching von den befragten Führungskräften am häufigsten aus beruflichen Anlässen in Anspruch genommen. Inhaltlich geht es dabei vor allem um berufliche Veränderungen oder um Konflikte bei der Arbeit, wie folgende Statements zeigen. FK4 »Zum einen die Organisationsstruktur klären und zum anderen die Situationen innerhalb der Teamstruktur zu klären, also die individuelle Betrachtung meiner Mitarbeiter. Unterstützungsstruktur. Ich wollte Potenziale an mir selbst und der anderen Mitarbeiter erkennen und mehr Sicherheit.« FK12 »Damals sind mir meine Leitungsaufgaben entzogen worden, also gegen meinen Willen ist mir die mir vorher zugesprochene Leitungsposition entzogen worden. Ich habe hier vorher die Abteilung geleitet, was unschön war und mich richtig heftig getroffen hat.« FK15 »Ich habe hier eine neue Stelle angefangen und nach einer Einarbeitungsphase und Umstrukturierungsphase hat sich gezeigt, dass sowohl von den Erwartungen und dem Leitungspersonal hier als auch intern von Kollegen Bedarf war für mich, das auch von außen anschauen zu lassen, ob meine Wahrnehmung der Strukturen und Arbeitsweisen mit denen der anderen übereinstimmt, ob das sinnvoll ist, dass das übereinstimmt, oder welche Schritte ich da zu gehen habe.«
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FK17 »Der Anlass [für das Coaching, M. K.] waren immer, und auch beim letzten Mal, Situationen, in denen mir deutlich geworden ist, es ist keine persönliche Unfähigkeit oder eine persönliche Therapiebedürftigkeit, sondern eine typische Verwicklung, die aus dem Kontext entsteht im Zusammenhang mit mir, also Interaktion, aber eine Verwicklung, die praktisch aufgrund von Struktur und Person in einem Kontext entsteht.«
Wird ein Coaching aus persönlichen Anlässen nachgefragt, vermute ich, dass Klienten, die aus eigenem Interesse ein Coaching in Anspruch nehmen, eine höhere Motivation und Offenheit mitbringen. Dies zeigt sich dadurch, dass solche Führungskräfte sich wahrscheinlich schon im Vorfeld mit ihrem Anliegen auseinandergesetzt haben und daher schon sehr reflektiert in die Beratung kommen. FK1 »Der Anlass war, dass ich eine persönliche, private Situation hatte, mit der ich ein bisschen unglücklich und unzufrieden war und wo ich alleine nicht mehr weiter wusste.« FK24 »Ich hatte von einem guten Coach gehört und wollte eine persönliche Situation von mir ändern.« FK10 »Es ging um persönliche Entwicklung.«
Ebenso nehmen Führungskräfte ein Coaching in Anspruch, weil sie sich ein Feedback vom Coach wünschen. Wie die Beispielzitate zeigen, sind Führungskräfte häufig in ihrer Position allein und bekommen wenig oder seltener konstruktive Rückmeldung von außen. Dies unterstützt meine Annahme, dass Führungskräfte häufig – bedingt durch ihre Rollenfunktion – aus einer eher eindimensionalen Perspektive heraus problematische Situationen betrachten. Und es ist ein beachtlicher Unterschied, von wem sie ein Feedback annehmen können und von wem nicht. Daher scheint es mir sehr nachvollziehbar, sich die Wahrnehmung und Meinung von einer externen Fachperson, dem Coach, einzuholen. FK19 »Ich wollte mir Klarheit verschaffen über die Situation und wollte auch noch einmal eine andere Perspektive, Unterstützung und Begleitung von einer externen Person, deshalb habe ich das Coaching in Anspruch genommen.«
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FK21 »Ich wollte einfach eine Art Supervision haben. Als Führungskraft ist man Einzelkämpfer und ich wollte einfach von einem externen Fachmann praktisch eine Rückmeldung.«
Es bestätigt sich für mich die Annahme, dass Führungskräfte häufiger ein Coaching aus beruflichen Anlässen in Anspruch nehmen, sei es, weil es sich um aktuelle Konflikte bei der Arbeit handelt oder weil sie als Führungskraft eine Spiegelung von außen brauchen und selbst in ihrer Führungsrolle bestärkt werden wollen. Persönliche Anlässe sind insofern wichtig, da persönliche Probleme sich häufig auf das Berufsleben auswirken.
Frage 2: Was sind häufige Ausgangssituationen im Coaching? Lösungsfindungssituation N=12
Multiproblemstellung N=8
Ausgangssituationen
Entscheidungssituation N=2
Klärungssituation N=2 Art Sortieren N=1 Abbildung 20: Ausgangssituationen für Coaching
Bei dieser Frage ging es mir darum, noch genauer herauszufinden, welche beruflichen Ausgangssituationen der Befragten im
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Einzelnen den Ausschlag für die Entscheidung gegeben hatten, ein Coaching in Anspruch zu nehmen. Die systemische Auftragsklärung hat sich als das A und O bei Anfangssituationen im Coaching herausgestellt. Denn nur durch einen klaren Auftrag von Seiten des Klienten kann das Coaching erfolgreich sein und seine Wirksamkeit zum Abschluss evaluiert werden. Metaphorisch gesehen steigt der Klient oder Kunde auf die Kutsche des Coachs und sagt ihm, wohin dieser mit ihm fahren soll, wo also das Ziel der Reise hingehen soll. Die Aufgabe des Coachs liegt nun darin, das genannte (Reise-)Ziel zu überprüfen, und zwar in Hinblick darauf, ob es zum einen möglich ist, dieses Ziel zu erreichen, und zum anderen, ob der Klient dort wirklich ankommen möchte. Und hier wird möglicherweise die erste intuitive Fähigkeit des Coachs sichtbar und notwendig. Denn in Anfangssituationen spielen die Ausgangssituationen des Kunden hinein und er schildert dem Coach erst einmal sein Problem. Währenddessen notiert, hört, sieht und fühlt der Coach und nimmt wahr. Dabei können sich verschiedenste Wahrnehmungsimpulse einstellen, gute oder ungute Gefühle wahrgenommen werden, die den Coach dazu veranlassen sollten, mittels z. B. systemischer und lösungsorientierter Fragen die Problemschilderung des Klienten zu konkretisieren. Dadurch kann der Coach sein Bauchgefühl nochmals einbringen und seine Intuitionen überprüfen. Zur Beantwortung dieser Frage habe ich den Führungskräften im Interview vier Antwortkategorien vorgegeben. Bei der Auswertung ergab sich zusätzlich eine fünfte Kategorie, die ich unter »Multiproblemstellung« zusammengefasst habe. Am häufigsten lässt sich bei den befragten Führungskräften die Ausgangssituation, die sie ins Coaching treibt, durch eine Lösungsfindungssituation charakterisieren, das heißt, die befragten Führungskräfte wünschen sich eine konkrete Lösung für ihr Beratungsanliegen. Bemerkenswert dabei ist, dass die Klienten offenbar schon mit der Hypothese, es gebe für ihr Problem eine Lösung, ins Coaching kommen. Dies verdeutlicht auf der einen Seite ein großes Vertrauen (Vorschusslorbeeren) in den Coach und seine Kompetenz, aber es wird auch gleichzeitig eine Erwar-
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tungshaltung aufgebaut. Die folgenden Statements beziehen sich auf die Kategorie »Lösungsfindungssituation« als Ausgangssituation im Coaching. FK2 »Lösungssuchend, ich wollte die Dinge geklärt wissen.« FK8 »Es ging eher darum, sich eine Strategie auszudenken, wie man seine Ideen und seine Visionen, die man so hatte, umsetzen kann gegenüber einem Geschäftsführer, der ein wenig zu betoniert in seinem Kopf war, also es ging eher darum, wie ich damit zurechtfinde, mit den Ideen und den Entwicklungsperspektiven, die ich da aufgezeigt habe, wie ich die umsetzen kann zusammen mit Kollegen usw., und weniger, dass ich da das Gefühl hatte, ich käme mit der Situation nicht zurecht. Es ging darum, wie ich mit Entwicklungen, die ich nicht notwendig finde, umgehen kann.« FK12 »Im Prinzip ging es darum, für mich eine Lösung und eine Zukunftsperspektive zu bearbeiten unter den schwierigen und kränkenden Ereignissen, wie gehe ich praktisch mit der Kränkung um, wie kann ich weiter arbeiten, wie kann ich mich schützen, wie geht es voran.«
Darüber hinaus können Ausgangssituationen im Coaching durch unterschiedliche Anliegen geprägt sein bezüglich einer Problemkonstellation des Klienten. Wie die nachfolgenden Zitate zeigen, zeichnen sich Ausgangssituationen häufig durch multikomplexe Situationen aus. Dabei zeigt sich, dass die Aufgabe des Beraters meist erst einmal darin liegt, Klarheit in die oft verstrickten Anliegen des Klienten zu bringen. Da Führungskräfte in ihrem Arbeitsbereich häufig mit hochkomplexen Aufgaben konfrontiert sind und dementsprechend »multitaskingfähig« funktionieren müssen, unterstützt dies die neu gefundene Kategorie »Multiproblemstellungen«. Multiproblemstellung umfasst alle Aussagen der Führungskräfte wie etwa die Klärung ihrer Situation, eine Lösungsfindung, eine Entscheidungsfindung und verdeutlicht erneut: Führungskräfte bringen häufig eine Vielzahl von Problemen mit ins Coaching. Im übertragenen Sinne leeren sie einen vollen Sack mit Problemen, Fragen und vielen Fragezeichen in der Kutsche aus und die Aufgabe des Coachs liegt zunächst darin, nachdem er das Ziel geklärt hat, zu sortieren, ordnen und hinzuschauen, was alles da ist.
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FK25 »Ich würde mal sagen, es handelte sich schon um das Sortieren und auch um das Aufzeigen möglicher Perspektiven und Lösungen, wenn der Worst Case eintritt.« FK7 »Es ist immer beides, also Lösungsfindungssituation und Entscheidungssituation, weil im Leitungsbereich sind es immer Multiproblemstellungen, weil ich muss immer eine Lösung sehen, damit ich eine Entscheidung treffen kann, das hängt beides zusammen und der Lösungsweg ist meistens der innerhalb des Coachings und die Entscheidung treffe ich dann außerhalb, extern. Das ist nicht mehr das, wofür ich den Coaching-Prozess brauche, weil das ist leitungskompetent, aber ich muss ja im Coaching immer sozusagen die Fährte aufnehmen.« FK4 »Es handelte sich um einen Problemerkennungsprozess und anschließenden Lösungsfindungsprozess, also ich habe erkannt, dass ich das selber kann, dass ich meine Mitarbeiter stärken kann, meine Stakeholder identifizieren, also Klarheit über die Situation zu gewinnen.« FK19 »Also, es ging erstmal darum, eine Klarheit für mich zu schaffen, also wie so eine Art ›aktuelle Situation‹ anzugucken, wo stehe ich und wie geht es mir und warum geht es mir so und so und was kann ich tun, um diese Situation zu verändern. Und letztendlich auch, um eine Entscheidung zu treffen, wie ich mit dieser Situation umgehe, also welche Schritte werden folgen nach diesem Coaching.«
Weitere Äußerungen der befragten Führungskräfte betrafen die Kategorie »Entscheidungssituation« und »Klärungssituation« (N = 2) oder der Kategorie »eine Art Sortieren«. Die folgenden Zitate zeigen sehr gut, dass Führungskräfte sich häufig in Entscheidungssituationen befinden oder für sich eine komplexe Situation geklärt haben möchten. Dabei stellt sich mir die Frage, woher nehmen sich Führungskräfte sonst den Raum und die Zeit, um wirklich einmal darüber nachzudenken, in welcher Situation sie sich gerade befinden? FK5 »Der Kern lag bei der Entscheidung tatsächlich, eine Leitung zu etablieren für eine Abteilung.« FK1 »Es handelte sich um eine Klärungssituation, also ich wollte mehr Klarheit haben. Ich habe mich nicht wohl gefühlt, war ambivalent und unausbalanciert und konnte das alleine einfach nicht auflösen.« FK14 »Es handelte sich darum eigentlich um eine innere Situation in mir, es ging vor allem um das innere Team. Also da sah ich einfach für
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mich ein Bedarf, weil gewisse Teammitglieder eine sehr starke Position haben und mir selber das auch schon aufgefallen ist und ich der Meinung war, da muss ich einfach noch mal rangehen, damit es mir auch zum Teil besser geht, ich besser meine Grenzen wahrnehme.«
Zusammenfassend zeigen die Zitate, dass Führungskräfte häufig mit einem oder mehreren ganz konkreten Anliegen zum Coaching gehen und sich dort eine Lösung dafür erhoffen. Darüber hinaus wird deutlich, dass es sich nicht nur um ein konkretes Problem und dessen Lösung handelt, sondern dass Führungskräfte ihre Ausgangssituation oftmals als multikomplexe Problemkonstellationen wahrnehmen, dass es sich also um Klärung ihres Problems, Distanz, neue Perspektiven und Entscheidung handelt. Für mich als Interviewerin war es erstaunlich, wie klar sich die Führungskräfte noch an die Ausgangssituation zurückerinnern konnten, wenn man berücksichtigt, dass das Coaching im Durchschnitt schon anderthalb Jahre zurücklag. Darüber hinaus wird deutlich, wie wichtig die Auftragsklärung im Coaching sein kann und wie bedeutsam das Gespür oder Bauchgefühl des Coachs als intuitiver Kompass für die gemeinsame Reise in Anfangssituationen sein kann.
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Frage 3: Mit welchen Erwartungen kommen Führungskräfte ins Coaching? Klärung N=10
Klärung und neue Sichtweisen N=5
Erwartungen
Neue Sichtweisen N=3
Anderes N=4 Entscheidungshilfe N=3
Abbildung 21: Erwartungen ans Coaching
Wie das Netzbild zeigt, kommen Führungskräfte mit sehr hohen Erwartungen ins Coaching, egal ob sie »fremdbestimmt« oder aus eigener Initiative ein Coaching aufsuchen. Ein Coaching kostet viel Geld und soll möglichst effizient und effektiv sein. Darüber hinaus sind Führungskräfte zwangsläufig Kunden, die hohe Erwartungen nicht nur an ihre Mitarbeiter und Vorgesetzten, sondern auch an Berater, Coachs oder Therapeuten haben. Auf meine Frage nach den Erwartungen an das Coaching haben alle Führungskräfte ihre Erwartungen präzise beschrieben und alle sind vom Coaching erfüllt worden. Dieses Ergebnis ist wenig verwunderlich, da die befragten Führungskräfte augenscheinlich die Fähigkeit besitzen, sehr klar und deutlich ihre Anliegen und damit verbundene Erwartungen zu kommunizieren. Wie Abbildung 21 zeigt, erwarten Führungskräfte am häufigsten vom Coaching eine »Klärung« (N = 10) ihres Anliegens. Dazu einige Beispiele.
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FK13 »Die Hauptmotivation war, Routine aufzulösen. Ich war irgendwie im Beruf so routiniert und hab gedacht, das könnte es jetzt nicht gewesen sein.« FK14 »Naja sicher eine Hinführung in einen Klärungsprozess oder dass ich es einfach noch mal anders beleuchten kann, dass ich die Situation noch mal anders sehe vielleicht und dass ich für mich dann drangehen kann.« FK12 »Also ich hatte mir einfach erhofft, dass ich mit der Situation besser umgehen kann, dass ich Klarheit kriege, wo mein Platz sein wird in Zukunft, und auch mit der Kränkung umgehen kann.« FK9 »Jetzt so meine eigene Rolle zu definieren, auch eine neue Rolle im Team, ja einem diversen Team, internationalen Team, die Rollen der Mitarbeiter, das war ein wesentlicher Punkt. Also zumal, das muss ich vielleicht dazusagen, ich in die Leitungsposition gekommen bin und vorher hier Referentin war, also von der Kollegin zur Chefin, dass ist noch mal eine spezielle Herausforderung.« FK7 »Das ist immer dasselbe, Klarheit und Struktur. Weil, ich brauche das Coaching, wenn mir das verloren geht.« FK4 »Die Dinge strukturierter zu erkennen, Klarheit gewinnen, Potenziale an mir selbst und meinen Mitarbeitern entdecken.« FK3 »Ja, ich habe mir innere Klarheit über meinen Weg erhofft. Also, was tue ich, was ist das Richtige für mich? Ich wollte die Situation klären.«
Weitere Erwartungen an das Coaching zeigen die folgenden Statements, die ich unter die Kategorie »Klärung und neue Sichtweisen« subsumiert habe. FK1 »Ich hatte mir Unterstützung und Klärungshilfe gewünscht, und eben neue Perspektiven und Ideen.« FK17 »Also erstens mal Distanz zu dem Problem, und indem jemand mit mir drauf schaut, also klassisches Monitoring eigentlich, ich selber gucke mit jemanden zusammen auf mich. Ein klareres Bild von dem Problem oder den Problemen und auch mehrere Lösungsoptionen. Wo ich dann gucken kann, mach ich es so oder so oder so. Also eine Vergrößerung von Handlungsspielraum.« FK19 »Ja also zum einen Klarheit über die Situationen, einfach auch nochmal so die verschiedenen Perspektiven anzuschauen, also auch
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schon gucken, ob es mir gelingt, die Perspektive meines Doktorvaters einzunehmen, um einfach mehr Verständnis für diese Situation auch zu haben, auch zu klären für mich, ist es wirklich so, wie ich es empfinde, oder ist es eher etwas, was ganz viel mit Phantasien oder eher mit Gefühl zu tun hat, und was unabhängig ist von der Realität, also von der wirklichen Situation. Also ich habe mir schon erhofft, dass ich eine gute Begleitung habe, die mich an einen Punkt bringt, wo ich Klarheit habe, um dann eben, falls notwendig, bestimmte Schritte gehen zu können.« FK25 »Ich habe mir erhofft insbesondere, dass ich meine vielen Emotionen sortiert bekomme, die damit zusammenhängen, und dass ich damit aber auch den Mut fasse, mich auch mit den schmerzhaften Seiten dieser Geschichte auseinanderzusetzen.«
Einige Führungskräfte geben noch an, dass sie sich eine Außenperspektive wünschen, da sie in ihrer beruflichen Situation zu sehr verwickelt und verstrickt fühlen, was ich unter »neue Sichtweisen« kategorisiert habe. FK5 »Eine etwas genauere Sicht auf die Situation.« FK15 »Also ich habe mir erhofft zum einen, dass jemand von außen noch mal draufschaut, der nicht so wie ich darin verwickelt ist, mir Schneisen, Orientierungspunkte geben könnte, ob ich die Richtung, die ich eingeschlagen habe, verfolge oder ob ich in eine andere Richtung schlagen könnte. Und ein anderer wichtiger Punkt war sicherlich auch, mit einer anderen Person, mit der ich jetzt nicht in Vorgesetzten- oder Untergebenenrolle bin, mal die Situation fachlich zu betrachten.«
Einige der Befragten erwarten ganz konkret eine »Entscheidungshilfe« bezüglich ihres Anliegens vom Coach. FK11 »Erhofft habe ich mir, dass ich die Entscheidung sicherer treffen kann, dass ich also in meiner eigenen Entscheidungsfindung gestärkt werde.« FK18 »Einfach aus einem anderen Blickwinkel mal zu gucken und eine Idee, wie man die Situationen lösen kann, wie man das einfach besser händeln kann, dass man zu einer Entscheidung kommt.«
Unter die Kategorie »Anderes« habe ich jene Aussagen zusammengeführt, bei denen Führungskräfte entweder aus Neugierde
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zum Coaching bewogen wurden oder ihre Statements nicht in die anderen gefundenen Kategorien einzuordnen waren. FK2 »Erhofft hatte ich mir wenig, habe es aber dann trotzdem gemacht, so von wegen, na gut, ich kann es ja mal ausprobieren, vielleicht hilft es ja.« FK21 »Ja, ich habe mir erwartet, dass ich eine Rückmeldung kriege, inwieweit ich mit meinen Methoden richtig liege bzw. eine Verbesserung der Methoden, die ich anwende. Vor allem im Sinne der Gesprächsführung auch.« FK22 »Dass ein kleines Wunder geschieht, das wäre, glaub ich, das Schönste gewesen. Dass alle Probleme weg sind und wir uns vertragen, wie sich zwei Freundinnen vertragen. Das ist natürlich jetzt sehr unrealistisch. Das Realistischste wäre, was ich auch hatte, war, dass wir auch vernünftig miteinander arbeiten können, ohne uns eben wegen ermüdenden Kleinkriegen gegenseitig das Leben schwer zu machen. Worunter ja dann auch letztendlich die Arbeit gelitten hatte.«
Alle befragten Führungskräfte gaben an, dass ihre Erwartungen vom Coaching erfüllt wurden. Dies unterstützt den Sinn und Zweck vom Coaching: Es sollen in relativ kurzer Zeit klare Aufträge kommuniziert, sichtbare Lösungswege entwickelt und ein transparentes Endergebnis erzielt werden. Im Sinne der systemischen Beratung soll es bei dem Klienten einen Unterschied zu vorher geben. Zusammenfassend bringen Führungskräfte klare Erwartungen ins Coaching mit, demzufolge soll ihre Problemsituation geklärt werden, indem aus der Komplexität eine Struktur erkennbar wird und der Klient zu neuen Perspektiven und Ideen gelangt. Das heißt für mich effizientes und effektives Coaching. Der Coach wird als das verstanden, worin seine Kernaufgabe besteht und wofür er bezahlt wird, und zwar als Unterstützer und Begleiter auf dem Weg zu einer Lösung.
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Frage 4: Was verstehen Führungskräfte unter Intuition? Diese Frage hatte ich nicht explizit gestellt, vielmehr erzählten mir die Führungskräfte im Interviewverlauf spontan, was sie mit Intuition assoziieren. Auffällig dabei ist, dass die Befragten Intuition häufig in Verbindung mit Emotionen und rationalem Denken benennen und mit dem Wort »Bauchgefühl« umschreiben. FK23 »Intuition ist für mich, dass ich, nachdem ich mein Hintergrundwissen habe, mit diesem Hintergrundwissen dann intuitive Entscheidungen oder intuitive Ideen meine Entscheidung beeinflussen, ja, ohne groß nachzudenken. Einfach, was sagt mir meine innere Stimme unter Berücksichtigung der äußeren Dinge. Ja, da sollte man eigentlich drauf hören, das habe ich jetzt so ein bisschen gemerkt.« FK21 »Entweder ich habe ein Bauchgefühl und habe gelernt, darauf zu reagieren, oder ich habe das Bauchgefühl eben nicht. Und das Gegenteil von Intuition oder intuitiven Denken wäre meiner Meinung nach analytisches Denken, wobei meiner Meinung nach die Intuition vieles vorwegnimmt dessen, was ich auf logisch-analytischem Wege mir puzzlemäßig wieder zusammensetze. Insofern ist für mich die Intuition eine ›vorweggenommene Analyse‹, die ich natürlich nicht vollständig erklären kann. Und das Coaching hatte für mich vor allem den Zweck, meine eigene Handlungsweise zu reflektieren in dem Sinne, ob ich richtig handle oder ob ich völlig falsch liege oder ob ich meine Handlungsweisen verbessern kann.« FK12 »Für mich ist die Intuition so etwas, was die Essenz aus beidem ist, eine Essenz aus der Vernunft, dem Herzen und aus dem Bauch, und dass das wichtig ist.«
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Frage 5: Wie beschreiben Führungskräfte »Intuition im Coaching«? Klarheit N=9 Methode des Coachs N=8 Keine bedeutsame Situation N=1
Mehrere bedeutsame Situationen N=5
Metaphern N=6 Bedeutsame Situationen im Coaching N=24
Aha-Erlebnis Beschreibung N=5 Frage des Coachs N=3
Emotionale Komponente N=13 Positive emotionale Komponente N=8 Negative emotionale Komponente N=5
Abbildung 22: Intuitiv bedeutsame Situationen im Coaching
Zur Beantwortung meiner Hauptforschungsfrage wurde im Interviewleitfaden erhoben, ob sich Klienten an eine oder mehrere, für das Thema Intuition bedeutsame Situationen aus ihrem letzten Coaching erinnern konnten. Fast alle, nämlich 24 Führungskräfte, gaben an, dass sie sich an eine solche für sie beson-
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dere Situation im Coaching erinnern konnten. Dabei haben sich fünf Leitungskräfte sogar an mehrere bedeutsame Situationen erinnern können, wie folgende zwei Aussagen zeigen: FK20 »Es gab eigentlich mehr als eine. Also, ich konnte in diversen Situationen, die dort bearbeitet wurden, konnte ich nachher eigentlich konkrete Wege sehen, wie ich das lösen kann respektive wie ich mit der Situation gut umgehen kann.« FK15 »Also, es gab Situationen, an die ich mich so jetzt erinnern kann, wo ich den Eindruck hatte, dass Erkenntnisgewinne da waren, die mir insofern weitergeholfen haben, dass ich gemerkt habe, dass manche Probleme so nicht zu lösen sind, weil sie eben mit gewissen Strukturen zusammenhängen und ich meine Einstellung dazu verändern kann.«
Was sind intuitiv bedeutsame Situationen im Coaching und wie werden sie von den Führungskräften beschrieben? Als Interviewerin lag mein Hauptinteresse darin, bei meinen Gesprächspartnern die Beschreibung und Wahrnehmung einer für sie bedeutsamen Situation im Coaching, bezogen auf ihr Anliegen, »herauszukitzeln«, um in einem zweiten Schritt dann die Brücke zu dem Konstrukt »Intuition« schlagen zu können. Bei der Auswertung habe ich insgesamt fünf Kategorien bilden können, die ich als Beantwortung meiner Frage »Wie werden intuitive Prozesse im Coaching aus der Sicht der Klienten wahrgenommen und beschrieben?« verstehe und die ich unter der Schlagzeile »das ist Intuition im Coaching« zusammenfasse. Dabei nannten die Befragten am häufigsten »Klarheit über Zusammenhänge gewinnen« (N = 9), gefolgt von einer »Methode des Coachs« (N = 8), »Aha-Erlebnis-Beschreibung« (N = 5), einer speziellen »Frage des Coachs« (N = 3) und Metaphern (N = 6), die ihnen dazu verhalfen, intuitiv Lösungsimpulse für ihre Probleme zu finden. Als zusätzliche Unterkategorie wurde unter den häufigsten Nennungen die »Emotionale Komponente« (N = 13) gefunden. Das heißt, dass es ganz unterschiedliche Wege zu intuitiver Erkenntnis im Coaching geben kann.
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Die Analyse zeigt, dass subjektiv bedeutsame Situationen sich als intuitive Erkenntnisse bezeichnen lassen, die durch ausgewählte Methoden und systemische Fragen des Coachs ausgelöst werden können, wie folgende Zitate verdeutlichen. FK3 »Ja, das war eine Intervention vom Coach, Drei-PositionenMethode und die dritte Position hat mir dann eine neue Perspektive eröffnet. Das war für mich physisch ein ganz neues Erlebnis, das ich mitgenommen habe. Als ich in der einen Position war, war es erstmal physisch schwer erträglich, also das hat mich geschafft. In der anderen Position war es ein schweres übles Gefühl und dann in der neuen Position hatte ich eine ganz andere Körperhaltung, irgendwie war ich innerlich sortierter, habe das Problem anschauen können und hatte ein viel besseres Gefühl, ein gutes Gefühl, es fühlte sich okay an.« FK2 »Ja, der Coach hat mit mir eine Methode, Timeline, gemacht und das war eine sehr emotionale Erfahrung für mich. Dahingehend, dass eine sehr intensive Erinnerung in mir hoch kam, also Bilder, die mich traurig gemacht haben. Ich habe mich an eine bestimmte Situation erinnert, sie gesehen, und ganz viele Gefühle kamen da in mir hoch. Ich bin dadurch irgendwie das Päckchen losgeworden, habe Erleichterung gespürt, gelöst, hab es zwar nicht verstanden, nicht nur rational, sondern auch emotional nicht verstanden. Ja so war das ungefähr.« FK19 »Also ich würde jetzt mal spontan sagen, es gab die Wahl von analogen Mitteln, d. h. die Visualisierung der Situation anhand von einer Methode, so dass ich mir das sehr schön auch betrachten konnte. Das war sicherlich etwas, was geholfen hat. Es gab einen Perspektivenwechsel bei mir, so dass ich mir plötzlich die Situation von einer anderen Seite angucken konnte. Und das war letztendlich entscheidend, also das hat letztendlich dazu geführt, nicht mehr blockiert zu sein. Also, ich denke, ich habe vorher aufgrund einer Verstrickung in dieser Situation als Betroffene nur noch in eine Richtung geschaut und habe da keine Lösung mehr gesehen, habe da kein Land mehr gesehen. Und durch diese Methodenwahl von dieser Beraterin hatte ich die Möglichkeit, andere Positionen zu beziehen, in eine andere Richtung zu gucken, und habe dann eben gemerkt, wie blockiert ich gewesen bin, und hab gemerkt, wenn ich in andere Richtung schaue, dann ergeben sich eben auch andere Möglichkeiten, Lösungen oder eben andere Perspektiven.«
Systemische Fragen sind beispielsweise zirkuläre Fragen, die es dem Klienten ermöglichen, aus einer anderen Perspektive heraus sein Anliegen zu betrachten und zu beschreiben, vor allem aber
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auch, sich mit neuen Handlungsalternativen konstruktiv auseinanderzusetzen. Daher ist es meiner Meinung nach erstaunlich, dass eine scheinbar harmlose Frage vom Coach beim Klienten eine große Wirkung auslösen und bezüglich des Anliegens nachhaltig zur Lösung beitragen kann. Dabei zeigt sich, dass systemische Fragen durchaus eine wirkungsvolle Intervention darstellen, die den Klienten zu neuen Ideen und Gedanken anregen. FK1 »Das war so, dass mein Coach mir, durch bestimmte Fragen, die er mir gestellt hat, quasi ermöglicht hat, innerlich eine große Distanz zu dem Problem herzustellen.« FK10 »Also ich befand mich ja in einer schwierigen persönlichen Situation und habe bestimmte Aspekte einfach nicht gesehen. Durch meinen Coach habe ich plötzlich ganz neue Sichtweisen erkennen können, alleine hätte ich das nie geschafft. Ja, er stellte mir einfach ein paar Fragen, die mich dazu gezwungen haben, meine Situation von einem ganz neuen Blickwinkel heraus zu betrachten. Und das hat gut getan, ich war plötzlich aufgeregt und erfreut darüber … ja so in etwa könnte ich das beschreiben.« FK22 »Ja, das war die Frage: ›Wie viel Unterschiedlichkeit erlauben wir uns gegenseitig?‹ vom Coach. Also, ich fühlte mich damals sehr angespannt und wollte unbedingt, dass meine Kollegin kapiert, dass mein Weg der Richtige ist. Wie das so ist manchmal als Führungskraft. Man meint, nur der eine hat die Wahrheit gepachtet. Und ich glaub, der Kollegin ging es genauso. Es war ungemein befreiend, diese Frage zu hören, wie viel Unterschiedlichkeit darf man denn haben und was ist auch daran, wenn man unterschiedlich ist, und meines Erachtens war das auch der Schlüssel, weil wir es dann im Laufe der Zeit wirklich geschafft haben, diese Unterschiedlichkeit nicht nur stehen zu lassen, sondern auch zu pflegen und zu sagen, super, dass wir unterschiedlich sind, wir sind einfach ein Team dadurch, also wir sind als Führungsteam besser als Einzelne. Das ist etwas, was wir daraus mitgenommen haben, und das ist ausgelöst worden durch diese Frage. Es war echt unglaublich befreiend und hat echt die Richtung angezeigt, wie wir weiter arbeiten im Coaching. Das war einfach toll.«
Am häufigsten beschreiben Führungskräfte als bedeutsame Situationen solche, die durch eine plötzliche Klarheit über Zusammenhänge charakterisiert sind. In einem Comic würde über der Person wohl eine aufleuchtende Lampe – vielleicht ein Laserclip – zu sehen sein. Wie wir noch sehen werden, wird diese Klarheit
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auch häufig mit dem Begriff »Aha-Erlebnis« beschrieben. Weiterhin zeigt es mir, dass die Lösung nicht unbedingt in einem konkreten und dingfesten Ergebnis zu finden ist, sondern vielmehr in der Phase des Sich-bewusst-Werdens liegen könnte. FK13 »Also, es ist erstmal so ein Erstaunen über Zusammenhänge, die ich vorher so nicht verknüpfen konnte. Dass so ein Gesamtbild deutlich wird, das vorher eher so bruchstückhaft deutlich war.« FK4 »Ja, ich konnte die Stakeholder identifizieren, ich registrierte die Struktur meiner Vorgesetzen, ich akzeptierte die Situation, es kam so eine Klarheit auf. Ich war aufgeregt und die Gefühle waren nicht mehr so gedämpft. Es war erhellend, ich habe die Verhaltensnormen verstanden. Ja, ich habe etwas Wichtiges verstanden, ich habe Klarheit bekommen.« FK5 »Das ganze Problem war sehr bedeutsam, Klarheit gefunden, Problem gelöst, es ging einmal um die Frage zu sagen, dass ich eine Klarheit hatte, was meinen eigenen Standpunkt anging, ich war mir deutlich sicherer als zuvor. Ich hatte auch eine Entlastung, weil ich das Gefühl hatte, ich liege richtig, es ist was, was ich auch abverlangen kann von meinen Mitarbeitern, man kann auch andersherum sagen, aus einer Situation von Unsicherheit, von Ablehnung ist eine emotionale Sicherheit, Festigkeit entstanden.«
Weitere Befunde zeigen, dass Führungskräfte die bedeutsame Situation unter Verwendung des Konstruktes »Aha-Erlebnis« von selbst beschreiben. Wie die Zitate zeigen, werden mit »AhaErlebnis« ähnliche Merkmale assoziiert, die der Definition von Intuition gleichen. Es werden körperliche Gefühle wahrgenommen und die Erfahrung wird als unerklärbar und gleichzeitig unmittelbar vorhanden beschrieben. Darüber hinaus wird es als etwas Neues, im Sinne von vorher noch nicht da gewesen, geschildert. Daher gehe ich von einer großen Nähe zwischen beiden Konstrukten aus. FK12 »Also, was noch mal sehr klar war, dass Frau X eine Aufstellung mit mir gemacht hat, die dann praktisch meine jetzige Position da ist, nachdem ich nicht mehr die Leitungsposition mache, und da ist sehr deutlich geworden, dass ich keinen guten Platz habe. Das habe ich dann auch versucht in der Realität umzusetzen, das ist nicht möglich gewesen, aber für mich war es ganz wichtig, das zu wissen. Es war einfach wichtig für mich zu wissen und klarzuhaben, ich bin hier nicht am
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richtigen Platz. Für mich war, es war wie so ein Aha-Erlebnis und so ne Klarheit nach dem Motto, okay jetzt verstehe ich das. Ich nenne das manchmal ›Bodyshift‹, kennen Sie das, wenn der Körper das Gefühl hat, ja das stimmt so, es geht praktisch darum, dass der Körper fühlt, dass die Lösung sich gut anfühlt. Das weiß ich auch noch.« FK17 »Das ist dann hinterher irgendwie weg, man hat dann praktisch nur noch das Ergebnis und freut sich, dass es eine Lösung gibt, aber man weiß nicht mehr so genau, was da jetzt dazu geführt hat … aber sicher war immer für mich ein bestimmtes Aha-Erlebnis.« FK18 »Und allein dass der Coach einem eine andere Seite zeigt, die man vorher noch gar nicht gesehen hat, und dann plötzlich eine Lösung findet. Also, es war dann wie so ein Aha-Effekt, von wegen ›klar, wieso ist man nicht selber drauf gekommen‹, ja?«
Einige Führungskräfte beschreiben die für sie bedeutsame Situation im Coaching auch mit Metaphern. Aus hypnotherapeutischer Sicht stellen Metaphern eine gute Möglichkeit dar, Zugang zu seinen unbewussten Anteilen zu bekommen. Wenn ich davon ausgehe, dass Intuition häufig unbewusst ist, dann wäre dies ein schönes Beispiel dafür, wie man intuitive Prozesse verbalisieren könnte. Wie folgende Äußerungen der Leitungskräfte zeigen, wird die bedeutsame Situation in Form eines Prozesses beschrieben, den Klienten erleben, wenn sie im Coaching zur Lösung ihres Anliegens gelangen. FK7 »Wenn man kommt und man sitzt im grauen Nebel oder im feuchten Sumpf, und man geht raus und die Füße stehen wieder auf festem Boden und man sieht ein Silberstreif am Horizont, es ist ein ungeheures Glücksgefühl, weil einem das sozusagen den Zugang zu den eigenen Ressourcen zurückgibt. Weil der war ja verschüttet oder verstellt. Und diese positive Sicht, danach bin ich süchtig, das kann ich nicht anders sagen.« FK23 »Als Mensch, der einen Berg Aufgaben vor sich hat und nicht weiß, wie er den Berg raufgehen soll. Und er hat mir die Wanderschuhe gegeben, wo ich vorher nur Sandalen an hatte, sagen wir das mal so. Oder er hat mir empfohlen, die Wanderschuhe anzuziehen, damit ich die Füße schone.«
In der Beschreibung der für die Intuition bedeutsamen Situation wurden ebenso emotionale Begriffe verwendet und körperliche
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Veränderungen wahrgenommen. Dabei kann es sich um schöne sowie negativ empfundene Wahrnehmungen handeln. Beispiel für positive Gefühle (N = 8) FK5 »Ich hatte auch eine Entlastung, weil ich das Gefühl hatte, ich liege richtig, es ist was, was ich auch abverlangen kann von meinen Mitarbeitern, man kann auch andersherum sagen, aus einer Situation von Unsicherheit, von Ablehnung, ist eine emotionale Sicherheit, Festigkeit entstanden.« Beispiel für negative Gefühle (N = 5) FK3 »Das war für mich physisch ein ganz neues Erlebnis, das ich mitgenommen habe. Als ich in der einen Position war, war es erstmal physisch schwer erträglich, also das hat mich geschafft. In der anderen Position war es ein schweres übles Gefühl und dann in der neuen Position hatte ich eine ganz andere Körperhaltung, irgendwie war ich innerlich sortierter, habe das Problem anschauen können und hatte ein viel besseres Gefühl, ein gutes Gefühl, es fühlte sich okay an.«
Die Beschreibungen zeigen, dass es Gefühle sind, die den Klienten ein klares Signal gaben, ob sie in ihrer Entscheidung richtig lagen. Dabei konnte es ungute Gefühle geben, als Warnsignal, oder positive Gefühle, die ihnen sagten, dass sie richtig liegen. Demnach wird die Annahme unterstützt, dass bedeutsame Situationen durch emotionale Komponenten beschrieben werden können und darüber hinaus einen Zusammenhang mit Intuition, intuitiver Erkenntnis oder Aha-Erlebnissen aufweisen. Inhaltlich sagen mir die Aussagen der Führungskräfte, dass für sie bedeutsame Situationen in Coaching-Prozessen vorhanden sind, die ihnen bezüglich ihres Anliegens hilfreich gewesen sind. Darüber hinaus werden sie auch über einen längeren Zeitraum erinnert.
»… und diese positive Sicht – danach bin ich süchtig«
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Frage 6: Wie benennen Führungskräfte besondere bedeutsame Situationen im Coaching? »Worte waren ursprünglich Zauber.« (Sigmund Freud)
Auf meine Frage, wie sie die intuitiv bedeutsame Situation bezeichnen würden, zeigte sich, dass die Leitungskräfte bedeutsame Situationen häufig mit dem Konstrukt »Aha-Erlebnis« (N = 9) benennen würden. Annähernd über die Hälfte der Führungskräfte würden die bedeutsame Situation auch mit dem Begriff »Intuitive Erkenntnis oder Intuition« (N = 14) bezeichnen; davon bezeichnen sieben Personen sie auch mit »Aha-Erlebnis«. Dies unterstützt wieder meine Annahme, dass beide Konstrukte eine hohe Ähnlichkeit aufweisen. Beide erfassen inhaltlich dasselbe, wie folgende Zitate zeigen: FK1 »Das war so ein kleines Wunder« – FK2 »Wie so eine Art Erleuchtung« – FK23 »Intuitive Entscheidungshilfe« – FK25 »Transformation« – FK8 »Gespür«.
Weiterhin zeigt sich, dass bedeutsame Situationen mit etwas Neuem, im Sinne von vorher noch nicht da gewesen, bezeichnet werden, wie folgende Statements zeigen: FK3 »Vielleicht neue Position, neue Perspektive« – FK20 »Das Öffnen für neue Ideen« – FK15 »Erkenntnisgewinne«.
Frage 7: Wie erklären sich Führungskräfte das Zustandekommen der bedeutsamen Situation? Coach N=12 Interne Erklärungen N=7
Erklärungen N=24 Methode N=5
Abbildung 23: Erklärungen für die bedeutsame Situation
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In der Psychologie sind Attributionsstile wichtig bei Erfolg und Misserfolg hinsichtlich der Motivation einer Person. Bei dieser Frage hatte ich die Idee im Hinterkopf, ob es einen Unterschied gibt, wenn das Zustandekommen von intuitiven Erkenntnissen oder Aha-Erlebnissen auf die eigene Person oder auf den Coach zurückgeführt werden, und zwar hinsichtlich der Verhaltensveränderung bei dem Klienten bzw. des langfristigen Transfers in die Praxis. Denn angenommen, die Führungskraft hatte im Coaching ein Aha-Erlebnis gehabt, dieses auf den Coach attribuiert und trotzdem nichts verändert, dann wäre diese Erfahrung zwar schön, dennoch nicht nützlich für den Klienten gewesen. Die Antworten zeigen, dass als häufigste Erklärung für die bedeutsamen Situationen, in denen so etwas wie intuitive Erkenntnis zustande kam, der Coach genannt wurde – entweder durch eine Methode oder Frage des Coachs oder durch die gute Beziehung zwischen Coach und Klient. FK3 »Ja, wie ich schon sagte über die Übung vom Coach. Also die Beharrlichkeit vom Coach, mich bei meinen Gefühlen zu halten und mich da auch durchzuführen.« FK15 »Dass es eine gute Vertrauensbasis war zwischen Coach und mir, dass ich eine hohe Fachlichkeit wahrgenommen habe.«
Unter »internen Erklärungen« als Ursache für die bedeutsame Situation in der Person selbst, zeigte sich, dass diese Klienten eine große Offenheit und Vertrauen in die Coaching-Situation gehabt haben. Sie sind sich darüber bewusst, wie bedeutsame Situationen zustande kommen können, und wissen um ihre Fähigkeit, sich selbst aktiv in den Prozess einzubringen, um für sich eine Lösung zu erreichen. FK7 »Und das Aha-Erlebnis ist der markanteste Anteil in so einer Coaching-Sitzung, wenn ich plötzlich erkenne, wo der Punkt ist, wie ich am besten aus dieser speziellen Situation wieder rauskomme.« FK19 »Ja, erklären kann ich mir das dahingehend, dass ich zum einen offen war für die Situation. Also es gab einen Druck natürlich, einen inneren Druck, der erstmal dazu geführt hat, ein Coaching in Anspruch zu nehmen, aber auch meine Bereitschaft, meine Offenheit, mich einzulassen, mich auf die Beraterin einzulassen, ihr ein Vertrauen entgegenzubringen, obwohl ich sie ja vorher nicht kannte.«
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Bei der Kategorie »Methoden des Coachs« ist anzunehmen, dass der Ausbildungshintergrund des Coachs sehr wichtig ist und ein Gespür oder eine Intuition dafür zu haben, wann er welche Methode oder Fragestellung einsetzt, um das Lösungspotenzial des Klienten rauszukitzeln. Darüber hinaus liegt beim Coach auch die Verantwortung, wie er das Setting gestaltet, um Vertrauen, Offenheit und intuitive Prozesse zu ermöglichen. FK20 »Ja natürlich durch eine geschickte Methode, durch Öffnen des Horizontes.«
Inhaltlich zeigen die Ergebnisse, dass der Coach selbst und die Methode an sich schon eine hilfreiche Intervention darstellen. Der Ausbildungshintergrund des Coachs scheint dabei wichtig zu sein. Dabei sollte er selbst intuitiv vorgehen, d. h. intuitiv die richtigen Methoden anwenden und die richtigen Fragen stellen. Die Beziehung zum Coach ist eine wichtige Bedingung im Coaching, damit für den Klienten bedeutsame Situationen zustande kommen können. Weiterhin wird deutlich, dass Klienten sich sehr bewusst sind, wie bedeutsame Situationen zustande kommen, wie sie zur Lösung ihres Anliegens gekommen sind und darüber hinaus, was ein Coaching für sie erfolgreich macht.
Frage 8: Welche Veränderungen treten nach dem Coaching ein? Mehrere Ebenen N=15 Veränderungen N=24 Lösen des Anliegens N=9
Abbildung 24: Veränderungen nach dem Coaching
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Die Antworten auf diese Frage sind vielleicht das Wichtigste am gesamten Coaching-Prozess, denn sie geben darüber Auskunft, was das Coaching letztlich bewirkt hat. Ein Aha-Erlebnis reicht ohne darauffolgende Verhaltensänderung und ohne sichtbare oder spürbare Veränderung allein nicht aus, um die Effektivität und letztlich die Effizienz von Coaching zu gewährleisten oder zu rechtfertigen. Coaching kostet viel und die Erwartung ist hoch, dass es Wirkung zeigt. Am häufigsten nannten die Befragten die Kategorie »Mehrere Ebenen«, gefolgt von »Lösen des Anliegens« selbst. Inhaltlich bedeutet dies, dass sich zum einen Veränderungen durch das Lösen des konkreten Anliegens bei den Befragten ergeben haben. Zum anderen finden Veränderungen bei der Mehrzahl der Führungskräfte auf mehreren Ebenen statt. Hierbei führt das Lösen des Anliegens auch zu Veränderungen in anderen Lebensbereichen, so dass sie auch auf den persönlichen Bereich des Klienten übertragen werden. Dies zeigen folgende Aussagen: FK2 »Ja, ich kann Dinge viel leichter nehmen und mit den Menschen um mich herum viel leichter umgehen. Auch meine Kollegen haben das wahrgenommen, dass ich mich verändert habe. Auch meiner Frau gegenüber bin ich netter und ausgeglichener geworden, also wir haben ein ganz anderes Konfliktverhalten als vorher. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich gelassener geworden bin, also mehr in mir selbst ruhe.« FK19 »Einerseits hat sich natürlich grundsätzlich etwas verändert, indem ich gesehen habe, je nach Perspektivwechsel, dass es eben schon da noch Möglichkeiten gibt. Ja, generell versuche ich das auch, das in meinem Leben ein Stück weit zu verankern, also grundsätzlich, so weit es möglich ist, wenn man nicht so verstrickt ist, einfach auch mal in eine andere Richtung zu gucken.« FK22 »Also, das hat bis in mein Privatleben hinein durchgeschlagen, dass ich letztendlich diese Andersartigkeit des Anderen nicht nur besser ertragen kann, sondern auch sagen kann, dass es von großer Bedeutsamkeit ist, dass Menschen unterschiedlich sind und dass man diesen Unterschied eben auch leben sollte.«
Das folgende Zitat zeigt, wie das Anliegen eines Klienten in der Coaching-Sitzung gelöst und eine Umsetzung in die Praxis ermöglicht werden konnte.
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FK5 »Ja, ganz konkret, ich habe die Leitungsverantwortung für diese Leute abgegeben. Ich habe es auch gleich in die Tat umgesetzt, gehandelt.«
Frage 9: Wie hoch wird der Einfluss der besonders bedeutsamen Situation auf den Coaching-Erfolg eingeschätzt? Hierzu habe ich den Führungskräften eine Skalierungsfrage gestellt, auf der sie den Einfluss der für sie bedeutsamen Situation auf den Coaching-Erfolg einschätzen sollten von 0 % »überhaupt kein Einfluss« bis 100 % »einen sehr hohen Einfluss«. Dabei lag mein Interesse vor allem darin, herauszufinden, inwieweit Situationen mit einer »intuitiven Erkenntnis« oder einem »Aha-Erlebnis« bedeutungsvoll und ausschlaggebend für den Erfolg des Coachings sind. Von den 25 Führungskräften haben 20 Personen den Einfluss sehr hoch eingeschätzt – das sind 80 %. Daher gehe ich davon aus, dass »intuitive Erkenntnisse« bzw. »AhaErlebnisse« im Coaching eine wichtige Bedingung für den Coaching-Erfolg darstellen.
Frage 10: Wie erfolgreich wird das Coaching insgesamt eingeschätzt? Zur Erfassung des Coaching-Erfolgs sollten die Führungskräfte erneut auf einer Skala angeben, wie erfolgreich sie ihr Coaching einschätzen. 0 % bedeutete überhaupt nicht erfolgreich und 100 % sehr erfolgreich. Hier zeigte sich nochmals, dass 20 Personen (d. h. über 80 %) ihr Coaching als erfolgreich einschätzten.
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Frage 11: Welche Meinung haben Führungskräfte zum Thema Intuition im Coaching? Beziehung zu Coach ist wichtig N=10 Eigene Definition von Intuition N=9
Haltung/Meinung zu Intuition im Coaching
Intuition ist wichtig im Coaching N=8 Intuitiver Coach und Coachee N=6
Intuitiver Coach oder Coachee N=6 Integration von Intuition im Beruf N=3 Ausbildung des Coaches ist wichtig N=2
Abbildung 25: Haltung/Meinung zu Intuition im Coaching
Grundsätzlich bekommt man in einem halbstrukturierten Interview sehr viel qualitatives Material zum Auswerten. Dennoch habe ich den Interviewleitfaden in erster Linie dafür entwickelt, um Antworten auf meine Hypothesen und Ideen zum Thema Intuition im Coaching zu erhalten. Daher habe ich zum Abschluss des Interviews noch eine offene Frage gestellt, um möglichst viele Impulse, Einstellungen, Meinungen und Konzepte der Befragten zu erhalten, die manchmal aufschlussreicher und bereichernder sein können als vorformulierte Fragen.
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Zu meiner abschließenden Frage: »Gibt es sonst noch etwas, was Sie mir zum Thema Intuition im Coaching sagen möchten?«, antworteten die meisten Führungskräfte, dass ihnen vor allem die Beziehung zum Coach als wichtig erscheine. Wie auch aus der Therapieforschung bekannt, erscheint es plausibel, dass ohne eine gute, vertrauensvolle, stimmige Beziehung beider Beteiligter keine tragfähige und konstruktive Arbeitsbeziehung entstehen kann. FK7 »Und das ist dann das Aha-Erlebnis, da ist es halt sehr wichtig, dass ich Vertrauen habe, dass ich dem Coaching vertrauen kann, der Person vertrauen kann, weil ich weiß, ich kann mich da ein Stück fallen lassen, da ist Raum, auch für meine Emotionalitäten, weil es geht dann manchmal schon mal mit einem durch, und dass ich das Vertrauen habe, dass ich weiß, wenn ich gehe, dann hatte ich dieses Aha-Erlebnis.« FK2 »Ja ich behaupte mal, gerade weil es was mit Intuition zu tun hat, also das Vertrauensverhältnis zwischen Coachee und Coach.«
Weitere Äußerungen verdeutlichten, dass Intuition im Coaching wichtig ist (N=8). Wie folgendes Zitat schön zeigt, können ohne Emotionen keine Veränderungen stattfinden. FK14 »Das ist das Einzige, womit man in den Prozessen Veränderungen in sich selber auch bewirken kann, weil wenn ich jetzt nur was vorgesetzt bekomme von dem Coach und der mir irgendwas erzählt zu meiner Situation und ich selber spüre das nicht und erfahre das nicht, weil ich es nicht spüre durch irgendeinen Prozess, dann bleibt das Gesagte nur Gesagtes. Ich denke, wir verändern uns erst, wenn wir auch etwas spüren.« FK3 »Coaching ohne Intuition ist kein Coaching oder kein gutes Coaching.«
Einige Führungskräfte sind der Meinung, dass sowohl der »Coach als auch der Klient intuitiv vorgehen« müssen. Diese Äußerungen entsprechen auch meiner Einschätzung: Die Intuition muss bei beiden Parteien vorhanden sein, damit etwas Produktives als Ergebnis herauskommt. FK25 »Also, ich halte die Intuition für eine Grundlage für eine gute Arbeit von Coach und Klient, d. h., es ist aber auch wieder umgekehrt,
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dass ich denke, dass der, also ich jetzt als Person, die gecoacht werde, sehr schnell intuitiv ein gutes Gespür, also intuitiv weiß, ob der Coach mich führen kann, ob er diese Qualitäten hat oder nicht. Und für mich ist das eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg von CoachingGesprächen.« FK19 »Aber dass sich Dinge in so einem Prozess, wenn es wirklich rund läuft, verselbstständigen können, das würde ich dann schon mit Intuition bezeichnen, sowohl beim Klienten, als auch beim Coach.« FK17 »Ich glaube, die Intuition sollte einen größeren Stellenwert einnehmen. Bei den Klienten, glaube ich, muss man da wenig tun. Die kommen ja einfach, da kann man nicht sagen, ›Pass auf, hier kommt bald eine Intuition, das ist das Wesentliche und so‹, ist ja Blödsinn und so. Aber bei denen, die das Coaching anbieten, da, glaube ich, kann man in der Ausbildung noch was verändern, dass die Intuition einen größeren Stellenwert bekommt.« FK15 »Knäuel ist der Klient und Coach löst das Knäuel intuitiv auf.« FK21 »Aber die Intuition muss bei Führungskräften kommen oder da sein, auch im Sinne von intuitivem Erfassen, Ergreifen, Verstehen von Situationen.«
Wie andere Untersuchungen (Schmidt, 2003) bereits belegen konnten, scheint der Ausbildungshintergrund des Coachs wichtig zu sein. Es sind die Methoden, Fragestellungen, das richtige Timing und professionelle Kompetenzen, über die ein »moderner« Coach verfügen sollte. FK17 »Also ich glaube, die Ausbildung von Menschen, die Coaching anbieten, ist ein Faktor, der noch stärker berücksichtigt werden muss. Dass es zwar um Tools geht, auf der einen Seite, dass es aber eigentlich sehr viel stärker darum geht, eine Haltung einzuüben, indem man selber damit rechnet und sich selber auch darauf vorbereitet, auf eine Intuition zu kommen.«
Die folgenden Zitate zeigen, dass die befragten Führungskräfte ihre Intuition schon in den beruflichen Alltag integrieren. Dies zeigt erneut, dass Führungskräfte ihr Bauchgefühl als wichtige Kompetenz in ihrem Beruf nutzen und einsetzen. FK9 »Zu Intuition fällt mir natürlich immer etwas ein, da glaub ich, dass ich da eine ziemlich gute habe, weil das ist so ein Erfahrungswert
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nach dreißig Jahren auch Personalauswahl in unterschiedlichen Zusammenhängen, dass ich dann immer gut gefahren bin, wenn ich meiner Intuition und meinem Bauchgefühl gefolgt bin.« FK18 »Ich arbeite in meinem Beruf ja auch sehr oft mit Intuition, also vor allem als Frau, und auch in dem, was man tagtäglich macht, und für mich bestätigt es sich halt auch immer wieder, dass Intuition schon richtig ist, es kann nicht immer nach irgendwelchen kleinen Fakten gehen oder nach irgendwelchen Schwarz-auf-weiß-Geschriebenen, sondern einfach der Intuition folgen, das ist schon ganz wichtig.«
Die Häufigkeit der Nennungen macht deutlich, dass Intuition eine große und wichtige Rolle im Coaching spielt. Die Beziehung zum Coach ist wichtig und Voraussetzung für eine stimmige und tragfähige Arbeitsgestaltung. Weiterhin zeigt die Analyse, dass Intuition bei beiden Partnern vorhanden sein muss, damit es zu Veränderung, Entwicklung und Lösungen im Coaching-Prozess kommt. Darüber hinaus wird deutlich, dass Klienten Intuition in ihrem beruflichen Alltag bereits bewusst integrieren und nutzen und letztlich dass der Ausbildungshintergrund des Coachs wichtig ist. Weiterhin zeigen die Ergebnisse, dass Führungskräfte der Meinung sind, dass entweder der Coach oder der Coachee intuitiv vorgehen muss. Der Coach sollte nicht nur eine gute Ausbildung haben, sondern auch empathisch und intuitiv mit dem Klienten zusammen arbeiten. Wichtig ist auch, dass der Klient sich intuitiv für den richtigen Coach entscheidet, dabei ist auffällig, dass Klienten sich den Coach auswählen, der weniger Anteile seiner Selbst repräsentiert, d. h., der den Klienten gut spiegeln kann, da er eben unterschiedlich ist.
Fazit Die Ergebnisse meiner Studie haben gezeigt, dass es für die Kunden bedeutsame Situationen im Coaching gibt und dass diese einen direkten Einfluss auf den Coaching-Erfolg haben. Die Führungskräfte bezeichnen diese Situationen mit den Konstrukten »Aha-Erlebnis« und »intuitive Erkenntnis«. Die Annahme, dass intuitive Erlebnisse häufig mit emotionalen Äußerungen
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einhergehen, konnte durch die Beschreibung der befragten Führungskräfte bestätigt werden. Wichtig ist ebenfalls die Beziehung zum Coach, um intuitiven Prozessen Raum zu geben, sowie die Offenheit und das Vertrauen von Seiten der Führungskräfte. Die hier befragten Führungskräfte, die ein Coaching in Anspruch genommen hatten, sind sich bewusst, wie intuitiv bedeutsame Situationen entstehen, auf was sie zurückgeführt werden können und welche Veränderungen sie nach sich ziehen können. Daher wird angenommen, dass Intuition eine wichtige Bedingung im Coaching ist und sie bei beiden Beteiligten vorhanden sein muss, damit das Coaching erfolgreich sein kann. Damit kann meine explorative Hauptforschungsfrage als beantwortet angesehen werden: Ja, es gibt intuitive Prozesse im Coaching. Weiterhin legen die Ergebnisse nahe, dass Intuition auch in anderen Kontexten als Fähigkeit vorhanden sein muss, wenn Intuition im Coaching als wichtige Kompetenz des Beraters (Hänsel, 2002) und des Klienten anzusehen ist. Für Führungskräfte scheint sie ein hilfreiches Mittel bei Problemlösungen zu sein. Sie integrieren sie auch in ihren Alltag (Agor, 1986/1994). Die Häufigkeit der Nennungen zu den Konstrukten und Definitionen des Begriffs »Intuition« unterstützt nicht nur die bestehenden wissenschaftlichen Theorien, sondern macht darüber hinaus deutlich, dass es eine landläufige Meinung zur Existenz und Bedeutung von Prozessen gibt, die als intuitiv wahrnehmbar und nennbar sind. Positiv anzumerken ist, dass die Interviews die Führungskräfte erneut in einen Reflexionsprozess hinsichtlich ihres Coachings gebracht haben. Dabei erhielten sie die Möglichkeit, die für sie bedeutsamste Situation noch einmal zu erinnern und zu erleben. Der Wert dieser Situation und des Vorgangs der Reflexion verdeutlichte sich besonders, wenn die Befragten das Erlebnis in Form einer Metapher erzählen oder die Situation sehr ausführlich beschreiben konnten, so dass bei der Interviewerin selbst ein Bild der Situation auftauchte. Die Führungskräfte wurden wieder mit dem Problem aus ihrer Vergangenheit konfrontiert und anhand des Interviewleitfadens schrittweise durch den Prozess vom Problem zur Lösung geführt. Durch diesen Reflexionsprozess und das Finden und laute Aussprechen geeigneter Worte
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könnte ein positiver Nebeneffekt aufgetreten sein: Die Führungskräfte blicken auf einen erfolgreich abgeschlossenen Prozess zurück, der sie durch diese Art der Auseinandersetzung nochmals gestärkt und in ihrer Zufriedenheit bestärkt hat. Der Verdienst dieser qualitativen Studie liegt darin, einen Beitrag zur weiteren Klärung des Konstruktes »Intuition« oder »intuitive Erkenntnis« allgemein geleistet und speziell deren mögliche positive Bedeutung für Beratungsprozesse belegt zu haben. Aufgrund dieser Ergebnisse möchte ich anregen, den Aspekt der Intuition zukünftig noch bewusster und stärker in Beratungen einzubringen und ihm methodisch den entsprechenden Raum zu verschaffen. Um dies zu gewährleisten, empfiehlt sich eine gezielte Weiterbildung von Coachs. Ziel von Beratung ist meistens eine Veränderung beim Klienten. Diese kann durch intuitionsfördernde Interventionen oder Methoden erreicht werden. Dazu passend könnten Beratende zukünftig auch biografische Zusammenhänge zwischen Geschwisterposition und Führungsverhalten bei ihren Klienten mehr in den Fokus nehmen (vgl. den Beitrag von Molly von Oertzen in diesem Band). Weiterhin interessant wäre die Frage, ob es in Bezug auf das Erleben von Intuition im Coaching interkulturelle Unterschiede gibt: Wenn ein Klient einer anderen Kultur entstammt, lernt er dann intuitive Fähigkeiten früher oder anders? Achtet er mehr auf körperliche Signale? Bestehen Unterschiede im Empathievermögen? Stärken Auslandserfahrungen und das Erleben kultureller sowie sprachlicher Barrieren intuitive Fähigkeiten? Intuition besitzt im alltäglichen Leben Bedeutung und rückt damit mehr und mehr in das öffentliche Bewusstsein. Intuition hat auch Bedeutung innerhalb des Coachings. Das ist durch diese Untersuchung deutlich geworden. Auch das Coaching an sich gewinnt gesellschaftlich vor dem Hintergrund der zunehmenden Wahrnehmung von Komplexität im Alltag der Menschen mehr und mehr an Bedeutung. Die Relevanz der Intuition innerhalb des Coachings ist eine zweifache: Sie bezieht sich als Erfolgsfaktor auf das Coaching an sich, aber sie stellt auch eine im Coaching vermittelbare und zu stärkende Kompetenz für Leben und Beruf von Führungskräften dar.
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In Übereinstimmung mit dem Überschriften-Zitat einer Führungskraft aus meiner Befragung »… und diese positive Sicht, danach bin ich süchtig« sollte die Möglichkeit der Förderung intuitiver Kompetenzen bei Führungskäften im Coaching gegeben sein.
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Team- und Leitungs-Coaching mit der Methode der systemischen Strukturaufstellungen
Die systemische Strukturaufstellung als eigenständiges Format in der lösungsorientierten Beratungsarbeit eignet sich nicht nur besonders für die Einzelberatung. Sie stellt aus unserer Erfahrung auch eine geeignete Methode zur Förderung der intuitiven Prozesse des Klienten bei der Suche nach Lösungen dar. Darüber hinaus führt sie oftmals zu eigenen Lösungsbildern des Klienten und stärkt dadurch die Selbstwirksamkeit und das Selbstvertrauen mit Hilfe der Intuition. Strukturaufstellungen sind aber auch geeignet, lösungsfokussierte Prozesse bei Gruppen und Teams anzuregen. Im Folgenden geht es um einen Fall aus unserer Beratungspraxis, in der eine Leitungskraft den Wunsch an uns herantrug, gemeinsam mit ihrem kleinen Team im Rahmen einer Miniklausur zu reflektieren, wo die Abteilung nach verschiedenen Umstrukturierungsmaßnahmen steht, wohin sie sich entwickeln will und was ihr dabei noch fehlt. Es handelt sich um eine interne Personalentwicklungsabteilung, in der alle Beteiligten daran gewöhnt sind, sehr eigenständig zu arbeiten und zu entscheiden. Das Arbeitsklima wird als gut geschildert. Der Führungsstil der Leiterin ist partizipativ, wenn auch ihre Entscheidungen den Mitarbeiterinnen nicht immer ganz transparent erscheinen. Da das Team sehr reflektiert und eloquent auftritt, entsteht der Wunsch nach einer Methode, bei der man nicht so viel reden muss und dennoch neue Erkenntnisse gewinnen kann. So kommen wir auf die Idee, diesem Team eine systemische Strukturaufstellung anzubieten.
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Aufstellungsarbeit als Methode zur Teamberatung? Lange Zeit galt es in der Teamberatung als unmöglich, eigene Anliegen mit Betroffenen und Anwesenden gleichermaßen aufzustellen. Es galt als verpönt, Personen, die betroffen waren, selbst aufzustellen. Matthias Varga von Kibed (Sparrer u. Varga von Kibed, 2000) hat gemeinsam mit seiner Frau Insa Sparrer (Sparrer, 2001; 2006) eine Methode entwickelt, die es ermöglicht, genau dies zu tun und den Betroffenen dabei das Einnehmen einer neuen Perspektive zu ermöglichen. Eigentlich gilt die Aufstellungsarbeit als eine klassische Form der Arbeit mit Einzelnen, die ein Anliegen visualisieren und neue Erkenntnisse gewinnen wollen. Wie wir zeigen möchten, eignet sich diese Methode jedoch auch sehr gut für die Arbeit mit (kleineren) Teams. Die Wurzeln der Aufstellungsarbeit liegen eindeutig im therapeutischen Bereich und lassen sich auf den Begründer des Psychodramas, Jakob Moreno, sowie auf eine der zentralen Pionierinnen der Familientherapie, Virginia Satir, zurückverfolgen. Populär wurde die Aufstellungsarbeit erst in den letzten zwei Jahrzehnten durch den Theologen und – umstrittenen – Familientherapeuten Bert Hellinger, der das sogenannte Familienstellen mit großem Erfolg seit den 1990er Jahren praktiziert hat und der durch Gunthard Weber von der Heidelberger Schule erst populär wurde. Parallel dazu und lange Zeit unentdeckt haben die Satir-Schülerin Insa Sparrer und ihr Mann, der Mathematiker und Philosoph Mathias Varga von Kibed in München seit ca. 1986 den integrativen Ansatz der (Organisations-)Strukturaufstellungen entwickelt, den sie als eine Grammatik mit bestimmten erlernbaren Regeln definieren und der systemisches, konstruktivistisches und lösungsfokussiertes Arbeiten auf elegante Weise verbindet, dabei allerdings hoch anspruchsvoll ist. Bei aller Unterschiedlichkeit der einzelnen Aufstellungsansätze verbindet alle die Gemeinsamkeit, dass diese Methode der Aufstellungsarbeit es in einzigartiger Weise erlaubt, bisher unsichtbare oder unbesprechbare, verborgene Strukturen in einem System mit Hilfe von Symbolen sichtbar und damit erlebbar zu
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machen. Wir arbeiten mit Varianten dieser Strukturaufstellungen der – wie wir sie nennen – Münchener Schule. Dabei wird methodisch bei der Aufstellung die falleinbringende Person oder in unserem Beispiel die Personen als Ganzes sinnlich so berührt, dass ihr »weniger Raum zu intellektueller Distanz und damit verbundenen Abwehrmanövern« (König, 2004, S. 314) bleibt, als dies bei anderen Methoden wie etwa der reinen Gesprächsführung der Fall wäre. Dabei bewegt sich der Klient in den Dimensionen Raum und Zeit, Nähe und Distanz, Hier und Jetzt, dann und zukünftig und kann – im wahrsten Sinne des Wortes – etwas Sinnliches erleben. Vorteilhaft wirkt auch, dass durch die eigentliche Aufstellungsarbeit eine Art hypnotischer Trance entsteht, in der sich der Klient bewegt. Dieser Tranceraum ist besonders im Lösungsbild wichtig, weil dieses den Klienten in einen unmittelbaren Kontakt bringt mit dem, was sein könnte. Das Medium dazu ist die sogenannte repräsentierende Wahrnehmung, eine Umschreibung dessen, was in der Psychoanalyse als Übertragung bezeichnet wird. Repräsentierende Wahrnehmungen werden von den Repräsentanten gespiegelt, die quasi in der Rolle eines anderen stehen und dabei weniger Rollen spielen sollen, als vielmehr rückmelden, welche (v. a. körperlichen) Wahrnehmungsimpulse sie empfinden. Interessanterweise zeigen sich durch diese Methode häufig neue Systemebenen des als problematisch erlebten Musters, die über das Wissen des falleinbringenden Protagonisten hinausgehen und in kurzer Zeit mehr Informationen generieren, als dies durch Interviews möglich wäre. Auch dies macht einen Gutteil der Faszination der Aufstellungsarbeit aus. Methodisch zentral für die Aufstellungen der Münchner Schule ist der Vierschritt: 1. Lösungsfokussiertes Interview mit Auftragsklärung, 2. Auswahl der aufzustellenden Elemente/Personen, 3. Stellen des Ist-Bildes sowie 4. des Lösungsbildes. Gestellt wird grundsätzlich ein Ist-Bild, das die problematische Situation im Hier und Jetzt abbildet aus der Sicht des Klienten und analog zum Anliegen oder in unserem Fall des ganzen
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Teams. Anschließend wird ein Lösungsbild gestellt, das die gewünschte Wirklichkeit des Klienten zeigt. Hier spielt die quasihypnotische Wirkung des neu entstehenden Tranceraums eine entscheidende Rolle. Das dabei entstehende Bild ist nicht die Wirklichkeit, sondern am ehesten mit einem Kunstwerk vergleichbar, das es ermöglicht, komplexe Zusammenhänge zu visualisieren. Die Münchner Schule hat die Methodik der Strukturaufstellungen mittlerweile so verfeinert, dass dabei über 80 verschiedene Aufstellungsformate entstanden sind. Weshalb fördert gerade diese Methode der Aufstellungen die intuitive Suche nach Lösungen bei Klienten? Klienten haben beim Aufstellen die Möglichkeit, ihre eigene Sicht auf die Problemsituation räumlich darzustellen und alle davon betroffenen Anteile zu visualisieren. Dadurch wird die zuvor als häufig übermächtig und undurchschaubar erlebte Problemsituation in ihrer Komplexität zunächst reduziert und visuell vereinfacht dargestellt. Durch das Ist-Bild bekommen Klienten zudem die Möglichkeit, ihre als schwierig erlebte Situation erstmals auch aus einer räumlichen Distanz heraus – wie von der Metaebene herab – zu betrachten und sie nicht weiter in sich tragen zu müssen. Dadurch entsteht eine Distanz, die erforderlich ist für das Entstehen von Lösungen. Es können allein durch die Aufstellung des Ist-Bildes schon früh mögliche Lösungsimpulse generiert werden. Für Beratende ergibt sich daraus die Möglichkeit, ein transparentes, manifestes Bild der Situation der Klienten zu erhalten. Dieses »aufgestellte« Bild kann sich durchaus von dem unterscheiden, was der Klient dem Berater beim Erzählen vermittelt hat. Hier zeigt sich sehr anschaulich die von der Heidelberger Schule entwickelte Unterscheidung von Erlebtem und Erzähltem (vgl. Retzer, 2004). Methodisch kann dieses Vorgehen Beratungsprozesse enorm verdichten und verkürzen, da mit Hilfe der Visualisierung in der Aufstellungsarbeit sichergestellt wird, dass Berater oder Beraterin und Klienten sich über das Gleiche unterhalten. Missverständnisse können so schneller ausgeräumt werden, als dies mit Hilfe einer reinen Interviewtechnik der Fall wäre.
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Wir haben uns entsprechend dem Auftrag für eine sogenannte trifokale Teamaufstellung mit Bodenankern entschieden (zur Arbeit mit Bodenankern vgl. die hervorragende Einführung von Brick u. Horn, 2001). Um angesichts der Vielfalt der Aufstellungsformate als Aufsteller nicht den Überblick zu verlieren, wer und was genau aufgestellt werden sollte, empfiehlt sich aus unserer Erfahrung eine minimalistische Herangehensweise mit der Beschränkung auf das Notwendigste. Dazu gehören aus lösungsfokussierter Sicht: Fokus (= Perspektive der falleinbringenden Personen), weitere Beteiligte, Ressourcen, (mögliche) Hindernisse, Ziel(e). In der folgenden trifokalen Teamaufstellungsarbeit haben wir die anwesenden Teammitglieder als Repräsentanten genutzt und sie mit Bodenankern kombiniert. Bodenanker sind Papierbögen, die auf den Boden gelegt werden und auf die die Repräsentanten sich dann stellen. Die Bodenanker haben eine Blickrichtung eingezeichnet, um eine räumliche Orientierung zu geben, genauso wie Personen als Repräsentanten in eine bestimmte Richtung schauen würden. Dieses Vorgehen ist erforderlich, weil wir sonst wahrscheinlich den Überblick verloren hätten. Die Bodenanker werden in Abstimmung der Teammitglieder von ihnen gemeinsam auf dem Boden »aufgestellt«. Schon diese gemeinsame Aufstellungsarbeit hat eine integrative Wirkung auf ein Team, das sich über alle Schritte abstimmen muss. Denn auch wenn wir mehrfokal arbeiten, wie in diesem Fall, so wird doch nur ein Bild aufgestellt. Grundsätzlich wird bei dieser Art von Teamaufstellungen anschließend jede Position von mindestens zwei Teammitgliedern auf ihre repräsentierende Wahrnehmung hin getestet. Dies macht die Aufstellungsarbeit langwieriger, aber auch valider und intensiviert das Entstehen eines gemeinsamen Tranceraumes für das Team, das die Bereitschaft erhöht, gemeinsam Lösungen zu finden. Vom Ablauf her wird zunächst also ein Ist-Bild gelegt und mittels repräsentierender Wahrnehmung getestet, dann kann ein
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Zwischenraum entstehen zwischen Problembild und Lösungsbild, indem die Beraterin ihre Klienten dabei unterstützt, sich in die verschiedenen Positionen hineinzuversetzen. Der Klient achtet dabei besonders auf seine Körperwahrnehmungen aus der jeweiligen Position und Perspektive heraus und weniger auf seine Kognitionen. Dieser Perspektivwechsel stellt somit eine sinnvolle systemische Intervention dar und die Klienten werden dazu angehalten, besonders auf ihr Körper- oder Bauchgefühl als intuitive Ressource zu achten. Abschließend wird ein Lösungsbild gelegt, das für möglichst alle Beteiligten eine Verbesserung darstellen sollte und das ebenfalls mittels repräsentierender Wahrnehmung validiert wird.
Ablauf der »Miniklausur« Das Anliegen unserer Kundin nach einer Methode aus dem Bereich der Aufstellungen sowie die vermutete Komplexität der Thematik ließen es uns geboten erscheinen, diese Beratung zu zweit durchzuführen. Von der Arbeitsteilung her vereinbarten wir, dass Ariane Bentner die Beratung moderiert und die Aufstellungsarbeit begleitet, während Marie Krenzin als reflektierendes Ein-Personen-Team wirkt, Wahrnehmungen, wo nötig, repräsentiert und darüber hinaus unsere Arbeit schriftlich dokumentiert. Trotz eines ausführlichen Auftragsklärungs-Vortelefonates mit der Leiterin (nennen wir sie Rita) steigen wir in diese Klausur mit einer Runde ein, in der alle Beteiligten (das sind die beiden Mitarbeiterinnen Eva und Anne; alle Namen wurden verändert) äußern können, welche Anliegen sie hierher mitgebracht haben. Die Runde startet etwas zäh: Eva: »Ich bin nicht ausgeschlafen, ich brauche Anlaufzeit, ich würde mir lieber etwas anhören, aber das geht nicht, so fühle ich mich aber!« Rita: »Mir geht’s gut, fühle biorhythmische Energie, ich freue mich auf die Reflexion des vergangenen Jahres.«
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Anne: »Mir geht’s auch gut, bin gespannt! Es grummelt im Bauch bezüglich der heutigen Besprechung, da wir alle drei unterschiedliche Ansichten haben.«
Es zeigt sich recht schnell, dass das Team offenbar einige Befürchtungen hat bezüglich bestimmter Themen, die heute zur Sprache kommen könnten. Dies erscheint uns erst einmal normal, denn wenn es nicht auch heikle Themen zu besprechen gäbe, bräuchte uns das Team möglicherweise gar nicht dabeizuhaben. Wir entwickeln die interne Hypothese, dass es wichtig sein könnte, hier sehr genau auf das Thema Unterschiedlichkeit zu fokussieren und systematisch alle drei Perspektiven wahrzunehmen und abzufragen. An dieser Stelle ist es erforderlich, dem Team mitzuteilen, dass wir gerne trifokal arbeiten möchten, d. h., bei allem, was wir tun oder lassen werden, sollen alle drei Perspektiven von Rita, Eva und Anne einfließen können. Dies sorgt erst einmal für leichte Entspannung. Daher laden wir im nächsten Schritt das Team zu einer Runde ein, wo wir die Anliegen der drei Frauen konkretisieren und in ihrer Unterschiedlichkeit kennen lernen können. Wir nutzen dazu das lösungsorientierte Interview der Milwaukee-Schule.
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Abbildung 26: Anliegen Rita
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Abbildung 27: Anliegen Anne
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Abbildung 28: Anliegen Eva
Rita: »Mein Anliegen wäre die Frage, wie wir uns in unserer Unterschiedlichkeit wertschätzen und gleichzeitig gemeinsame fachliche Standards entwickeln können.« Ariane: »Und wo siehst du euch momentan im Hinblick auf diese Gleichzeitigkeit auf einer Skala von 0 (= gar nicht) bis 10 (= sehr groß)?« Rita: »Im Moment sehe ich uns bei 6 ...«
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Auf die Nachfrage der Beraterin, wie es zur 6 komme, meint Rita, sie seien schon immer ein offenes Team, das gut und erfolgreich miteinander arbeite und kritikfähig sei. Als Ziel wünscht sich Rita die 7 für heute. In einem Jahr wäre sie gerne auf der 8,5. Es stellt sich heraus, dass auf der 8,5 doch einiges anders wäre, was Rita momentan noch unerreichbar erscheint: In einem Jahr würde im Team ein Perspektivwechsel möglich sein sowie verbindliche Vereinbarungen und Zuversicht. Dies scheint bisher zu fehlen. Ohne das gewünschte Ziel von Rita schon genau zu verstehen, fragen wir zunächst die beiden Mitarbeiterinnen nach ihren Anliegen. Anne: »Bei mir ist es die Frage, wie können wir unsere Standards so definieren, dass wir alle damit gut leben können?« Ariane: »Wo siehst du euch momentan im Hinblick auf die Definition von Standards?« Anne: »Momentan sehe ich uns bei 4.« Ariane: »Wofür steht die 4?« Anne: »Ich finde, wir arbeiten sehr eigenverantwortlich und eigenständig. Rita unterstützt uns gut.« Ariane: »Ich wundere mich dennoch über die 4 ...« Anne: »Mein Ziel heute wäre eine 5,5. Wenn wir klarere Standards hätten, gäbe es weniger Pannen und damit weniger Belastungen für meine Kolleginnen. Wir hätten weniger Stress. Für mich wäre viel gewonnen, wenn wir uns heute auf verbindliche Standards verständigen könnten und die dann auch anwenden würden in der Praxis.«
Auch bei Anne klingt an, dass es offenbar um das Thema Verbindlichkeit und Einhaltung von Vereinbartem geht. Sie vermeidet eine qualitative Aussage darüber, wie es kommt, dass sie die bisherigen Standards nur bei 4 erlebt. Liegt es eher an der fehlenden Verbindlichkeit? Oder sind es zu wenig Standards? Das bleibt unklar. Es scheint auch immer wieder zu Fehlern und zu Pannen zu kommen, die dazu führen, dass die anderen beiden im Team aushelfen müssen. Wir können das an dieser Stelle noch nicht herausfinden. Mehr Klarheit verschafft uns die Fragestellung von Eva:
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Eva: »Mir geht es darum, wie wir diese vielen unterschiedlichen Themen und Arbeiten so strukturieren, dass es nach innen und außen klarer wird.« Ariane: »Wo siehst du euch momentan?« Eva: »Auch eine 4. 4, weil wir es bisher geschafft haben, ohne Spannungen zu arbeiten. Wir arbeiten gerne und sehr engagiert.« Ariane: »Hm, 4. Ich wundere mich ein bisschen über die erneute 4. Mir geht es so, dass alles, was unter 5 ist, mir erklärungsbedürftig erscheint. Ich höre einerseits eine 4 und gleichzeitig höre ich, dass ihr die 4 (mit der du nicht zufrieden bist?) ohne Spannungen schafft ... – wie macht ihr das?« Eva: »Das würde ich ja heute gerne herausfinden. Ich käme heute gerne auf die 5. 5 hieße, eine Vorstellung darüber zu entwickeln, wie genau wir unsere Arbeit strukturieren, eine Vision zu entwickeln, wo wollen wir hin, was ist es genau, was uns hindert?« Ariane: »Angenommen, ihr könntet das Ziel erreichen – was wäre denn dann anders?« Eva: »Das könnte aber frühestens in einem Jahr sein. Dann würden wir hier weniger kleinteilig arbeiten, hätten mehr Klarheit und Transparenz. Statt dem Vielerlei hätten wir mehr Einheitlichkeit.«
Auffällig ist nach dieser ersten Interviewrunde, dass die beiden Teammitglieder Anne und Eva eine ganz ähnliche Sichtweise und Einschätzung abgeben, die einigermaßen paradox erscheint: Von der Bewertung her (4) können sie nicht zufrieden sein, wagen es aber nicht, das auszusprechen. Anders die Chefin: Sie sieht mehr das große Ganze und schätzt das bisherige Miteinander in Unterschiedlichkeit mit 6 ein und möchte einen kleinen Schritt vorwärtskommen. Beim ersten Meilenstein, den sie in dieser Klausur erreichen wollen, sind alle drei recht einig und würden sich Werte zwischen 5 und 6 wünschen. Es wäre möglich, dass diese Diskrepanz mit der internen Arbeitsteilung der Abteilung zu tun hat. Die Mitarbeiterinnen müssen sich um das oft kleinteilige Tagesgeschäft kümmern und dabei offenbar noch viel improvisieren, während die Leiterin viel außer Haus unterwegs ist und sich damit nicht abmühen muss.
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Wir bedanken uns beim Team für diese Informationen und geben ein erstes Feedback aus der Beratungsperspektive: Nach unserem Eindruck bringt sich hier jede engagiert in die Arbeit ein, es gibt eine hohe Akzeptanz und Wertschätzung füreinander. Es sind offenbar viele Ressourcen vorhanden wie Offenheit, Eigenverantwortung, Selbstorganisation, Kreativität und Improvisationstalent und auch Kritikfähigkeit. Aber auf der anderen Seite spüren wir auch Unklarheit über Ziele, Aufträge und Auslegung davon, was bisher gemacht wurde und zukünftig gemacht werden soll. Gemeinsame Ziele, Standards und Strukturen stehen noch aus. Als Bild kommt uns die Metapher in den Sinn: »Drei Frauen haben eine Boutique, in der jede etwas anderes verkauft«. Dieses Bild lässt die Klientinnen schmunzeln, es kommt ihnen sehr bekannt vor. Im nächsten Schritt geht es nun darum, aus den drei Fragestellungen eine angemessene Anzahl von Elementen zu identifizieren, die das Team dann als sein gemeinsames Ist-Bild trifokal aufstellen kann. Dieses Vorgehen ist eigentlich paradox, denn alle drei Beteiligten haben ja eine unterschiedliche Fragestellung formuliert. Wir belassen es auch dabei und versuchen nicht, dem Team eine gemeinsame Fragestellung aufzudrängen. Wichtig ist vielmehr, die impliziten Botschaften aus den Fragestellungen so herauszufiltern, dass wir daraus Elemente aufstellen können, die für das Team relevant sind. Dabei arbeiten wir methodisch mit Bodenankern aus Papier, die uns bei der zu erwartenden Komplexität der Aufstellung die Übersicht erleichtern können. Da es sich schon im einleitenden Interview gezeigt hat, dass alle drei Frauen auch sehr unterschiedliche, teilweise nicht offen thematisierte Zielvorstellungen hegen, was die gemeinsame Arbeit in ihrer Abteilung betrifft, stellen wir ebenfalls diese Zielvorstellungen von Rita, Eva und Anne auf. Hinzu kommt vorerst nur noch der sogenannte äußere Kontext. Damit sind alle Umwelten gemeint, die für die Abteilung relevant sind. Es kann sich dabei um firmeninterne Kunden ebenso handeln wie andere Stakeholder der Abteilung. Insgesamt werden für das Ist-Bild folgende Elemente aufgestellt: Fokus Rita (Leitung), Fokus Eva (Mitarbeiterin 1),
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Fokus Anne (Mitarbeiterin 2), Zielvorstellungen Rita, Zielvorstellungen Eva, Zielvorstellungen Anne, äußerer Kontext (= Kunden, Stakeholder) sowie Marie Krenzin als Repräsentantin für ein Stimmungsbarometer aus der Außenperspektive.
Als handwerkliche Grundregel bei dieser Art von Teamaufstellungsarbeit gilt, dass die Beteiligten – anders als bei der Aufstellungsarbeit mit menschlichen Repräsentanten – nicht ihre eigenen Fokusse aufstellen, sondern jeweils die ihrer Kolleginnen, also fremde. So ergibt sich folgendes Ist-Bild:
Zielvorstellungen Anne Fokus Eva
Zielvorstellungen Eva
Äußerer Kontext
Fokus Rita
Fokus Anne Zielvorstellungen Rita
Abbildung 29: Ist-Bild
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Im nächsten Schritt muss nun die eigentliche Arbeit des Erfahrens der Übertragungsphänomene und repräsentierender Wahrnehmungen vom Team selbst geleistet werden. Die Teammitglieder werden gebeten, nun die verschiedenen Elemente (Bodenanker) hinsichtlich ihrer Wahrnehmungsrepräsentanz zu testen. Dabei testen idealerweise nacheinander immer zwei Teammitglieder zu Validierungszwecken ein Element, das ein anderes Teammitglied repräsentiert. Neutrale Elemente können sogar von allen drei Teammitgliedern repräsentierend getestet werden. Die Moderatorin Ariane übernimmt an einigen Stellen die Funktion einer neutralen Repräsentanz, indem sie sich auf bestimmte Bodenanker stellt und die Auswirkungen vom Team prüfen lässt. Diese Arbeit ist sehr intensiv und kann langwierig werden. Um den Lesenden einen Eindruck davon zu vermitteln, drucken wir das Gesprächsprotokoll des gesamten Prozesses hier ab. Dabei ist in Kursivschrift der jeweilige Bodenanker dargestellt und der Name in der Klammer repräsentiert die jeweilige Person, die auf dem Bodenanker steht. Beispiel: Fokus Rita (Anne): »Zu eng, zu nah«. Das liest sich so: Die Mitarbeiterin Anne steht auf dem Bodenanker des Fokus von Rita, der Leiterin, und hat die Wahrnehmung, das ist zu eng, zu nah.
Es entwickeln sich in dieser Aufstellung nun folgende Wahrnehmungsinformationen: Fokus Rita (Anne): »Zu eng, zu nah.« Fokus Rita (Eva): »Kann so bleiben, Eva weiter weg, Anne im Nacken gefällt mir nicht so gut, weil ich sie nicht sehe.« (Äußerer Kontext wird etwas weiter weg gelegt.) Zielvorstellung Rita (Anne): »Einseitig belastet, rechts fehlt Einbindung.« Zielvorstellung Rita (Eva): »Die hampeln da alleine rum, ähnliche Empfindungen wie Anne.« Fokus Eva (Rita): »Fühle mich nicht wohl, geschwächt, keine Übersicht, Ziele im Nacken, ich sehe die nicht.« Ariane geht auf Bodenanker Zielvorstellung Eva: »Wie ist es so?«
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Fokus Eva (Rita): »Entlastend, wenn ich meine Zielvorstellungen näher spüre, Zielvorstellungen sind Teil meiner Identität. Schade, dass ich sie nicht sehen kann!« Fokus Eva (Anne): »Ich bin abseits, guck woanders hin, fühle mich so na ja ...« Ariane geht auf Bodenanker Zielvorstellung Eva: »Wie ist es so?« Fokus Eva (Anne): »Unterstützend, nicht zu nah.« Zielvorstellung Eva (Rita): »Fühlt sich ganz allein, schwimme über großen Teich der Ungewissheit.« Ariane geht auf Bodenanker äußerer Kontext: »Macht es einen Unterschied?« Zielvorstellung Eva (Rita): »Ja, hatte schon den Impuls, mich umzudrehen (in Richtung Fokus Rita), um Verbindung zu anderen Dingen zu bekommen. Jetzt spüre ich eine bessere Orientierung.« Zielvorstellung Eva (Anne): »Ganz gut hier, aber hintendran gestellt. Gefühl, ich müsste vor mir hertreiben. Wenn ich woanders wäre, wäre es besser.« Fokus Anne (Eva): »Blick ist verhindert!« Fokus Anne (Rita): »Unterschwellige Aggression, sehe mein Ziel und bin entschlossen, es zu erreichen!« Ariane geht auf Fokus Rita: »Und wie ist es so?« Fokus Anne (Rita): »Ich möchte sie vielleicht nach vorne schubsen, da ist mächtig Energie vorhanden!« Zielvorstellung Anne (Eva): »Kontakt mit Fokus Anne. Fokus Rita unterbricht diesen Kontakt. Rita steht im Weg, müsste sie auch wegschubsen.« Zielvorstellung Anne (Rita): »Geschwächt, können sich nicht so entfalten, wie sie möchten; gute Energie, die nicht raus kann. Möchte am liebsten draufspringen, vorne auf den Arm ›trag mich‹.« Äußerer Kontext (Rita): »Ratlos, viele Fragen an Rita.« Ariane stellt sich auf Fokus Rita: »Und jetzt?« Äußerer Kontext (Rita): »Fühlt sich fordernd an, der will viel wissen!!« Ariane an Stimmungsbarometer: »Wie ist denn hier die Stimmung?«
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Stimmungsbarometer: »So bei 3; Spannungen, gemischtes Gefühl.« Äußerer Kontext (Eva): »Undurchsichtig, ungeordnet, Zielvorstellungen sind alle auf die Leitung gerichtet, was hab ich damit zu tun?« Ariane stellt sich auf Fokus Rita: »Und jetzt?« Äußerer Kontext (Eva): »Gut, wenn ich Rita sehe, habe jetzt Anhaltspunkt, kann mich an jemanden wenden.« Äußerer Kontext (Anne): »Wirr, wenn ich da hingucke, geht’s mir schlecht, weiß nicht, wo er hin soll.« Ariane stellt sich auf Fokus Rita: »und jetzt?« Äußerer Kontext (Anne): »Kann sich verankern, tut gut.«
Nachdem alle Elemente getestet wurden, folgt nun eine erste Auswertungsrunde mit dem Team. Es zeigen sich folgende Befunde: Die Leiterin Rita nimmt eine sehr zentrale Stellung im Team ein. Sie hat auch den starken Impuls, die Zielvorstellungen ihrer Mitarbeiterinnen zu bündeln. Der äußere Kontext bleibt schwammig, das Team ist wenig zielorientiert. Die Stimmung ist schlechter, als das Team sich das im Eingangsinterview eingestehen konnte. Das Beratungsteam schlägt daher vor, ein neues Element einzuführen, das die diversen Zielvorstellungen der einzelnen Teammitglieder bündelt und verstärkt als Ziele der Abteilung. Das Team wird nun gebeten, sein Lösungsbild nach denselben Spielregeln wie zuvor zu legen. Das Lösungsbild entsteht im Dialog der Teammitglieder miteinander, jede darf Vorschläge machen und ausprobieren. Dieses gemeinsame Tun hat ebenfalls eine tranceartige Wirkung auf das Team in Richtung Lösungsfindung. Dabei entsteht folgender Dialog: Rita: »Angenehm, da Ziele der Abteilung zwischen Fokus Rita und äußerer Kontext ist.« Ariane: »Ich hätte den Tipp, dass Ihr euch einen flexiblen und spielerischen Umgang mit den Zielen der Abteilung erlaubt, so dass diese Ziele als Verstärkung für das Team dienen können und euch Orientierung und Verbindlichkeit geben. Es ist jetzt erst einmal egal, wo sie stehen, Hauptsache sie erfüllen ihre Aufgabe.«
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Ariane Bentner und Marie Krenzin
Rita: »Ich muss umdenken; Rita ist so verliebt in ihre Ziele, muss sie nah bei sich haben, aber diese Haltung führt auch dazu, weshalb wir hier sind. Das heißt auch Abschied nehmen und Neubeginn wagen.« Eva: »Ziele sind mein Halt, stützen mich, das kann bedeuten, mutiger zu sein und sie auch ein Stück weit liegen lassen. Mein Thema: Lücken zu lassen und auch reinzuspringen, könnte es liegen lassen.« Anne: »So sieht es entspannter aus, gerundet, sind nicht so viele Ecken und Kanten.« Das Stimmungsbarometer klettert beim Zuhören und Zuschauen, als das Lösungsbild gelegt wird, auf 4 bis 5. Ariane schlägt vor, noch ein neues Element einzufügen, nämlich den Neubeginn.
Äußerer Kontext
Neubeginn Ziele der Abteilung Zielvorstellungen Rita
Zielvorstellungen Anne
Zielvorstellungen Eva
Fokus Eva
Fokus Rita
Fokus Anne
Das Alte
Abbildung 30: Lösungsbild
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Bei der nun folgenden Testrunde können die Teammitglieder die Position ihres eigenen Fokus nun selbst einnehmen, da das Team sich ja bereits auf ein gemeinsames Lösungsbild verständigen konnte. Während die Beteiligten auf ihre Fokusse treten, entsteht folgender Dialog: Rita: »Das finde ich schön, Dreieinigkeit.« Eva: »Erst gedacht, vielleicht etwas zu dicht, jetzt ist es gut.« Anne: »Gehe auch etwas zur Seite, aber es ist gut.« Stimmungsbarometer steigt auf 6. Ariane stellt sich auf Neubeginn. Rita: »Erst noch daran gewöhnen, sympathisch.« Eva: »Neugierig, was man damit anfangen könnte.« Anne: »Neubeginn stört ein bisschen den freien Blick.« Neubeginn (Rita): »Ich will ganz viel, darf nicht mehr lange dauern, ich bin unnachgiebig, bin entschlossen.« Neubeginn (Eva): »Gut anzugucken, ja es könnte etwas werden, ich warte, dass die was machen.« Neubeginn (Anne): »Ist gespannt und erwartungsvoll, auch etwas ängstlich, was kommt; voller Kraft, die stehen da vor mir.« Ariane stellt sich auf Ziele Abteilung: »Macht das einen Unterschied?« Rita: »Würde Zielen gerne eine Leine umlegen, damit sie nicht weggaloppieren; Ziele sollen sich etwas drehen, muss mit ihnen kommunizieren können.« Ziele Abteilung (Ariane) dreht sich etwas. Rita: »Viel angenehmer.« Eva: »Sind zu groß.« Ziele Abteilung (Ariane) geht in die Knie: »So besser?« Eva: »Jetzt nicht mehr so übermächtig, knapp Augenhöhe.« Anne: »Jetzt sehe ich auch den Horizont.« Ariane stellt sich auf äußerer Kontext: »Klares Gefühl! Wie wirkt es auf euch?«
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Rita: »Viel besser, gestärkt durch die beiden; fühle mich bereit, Auskunft zu geben.« Anne: »Zuversichtlich, kann ruhig kommen.« Eva: »Zuversichtlich, hat noch Impuls, auch noch was mehr.« Rita: »Mein Vorschlag wäre, einen neuen Bodenanker für das Alte als Ressource zu nehmen.« Ariane nimmt neuen Bodenanker das Alte: »Wie fühlt sich das an?« Eva: »Ist richtig, macht aber keinen Unterschied.« Ariane geht auf das Alte: »Heizstrahler hinter eurem Rücken, die gute Vergangenheit.« Eva: »Ist angenehm, aber Neubeginn …« Eva sagt zu Neubeginn: »Mir wäre es wichtig, dass du jetzt nicht eine neue Umlaufmappe auf meinem Schreibtisch bist.« Ariane: »Eher Zeit und Raum vorher schaffen, das heißt, dass der Schreibtisch vorher leer ist.« Eva sagt zu Neubeginn: »Bevor du kommen kannst, möchte ich meinen Schreibtisch geordnet haben.« Neubeginn (Rita): »Möchte wissen, bis wann?« Eva: »Lieber Neubeginn, ich glaube Ende Februar könnte ich für dich bereit sein.« Neubeginn (Rita): »Zu vage, ich brauche nicht Glaube, sondern Gewissheit; ich brauche eine Einladung, ich möchte willkommen sein.« Eva: »Will Raum und Zeit, will nicht noch was Neues, Zusätzliches.« Anne: »Neubeginn beeinhaltet auch, dass man das ›Alte‹ hinter sich lässt und Platz für etwas ›Neues‹ schafft.« Eva: »Muss mir trotzdem Zwang antun, um Neubeginn Platz zu machen; ich weigere mich nicht bezüglich Neubeginn; aber das Gefühl von Platz muss da sein.« Ariane: »Neubeginn weiter weg?« Fokus Eva (Anne): »Fühlt sich besser an, wenn Ziele größer sind als Neubeginn.« Fokus Eva (Eva): »Findet es auch wie Anne, man kann es erst mal so lassen, Neubeginn steht ruhig da, ich kann ihn reinlassen.«
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Während der Arbeiten am Lösungsbild entwickeln sich wie von selbst konstruktive Dialoge im Team, in denen erstmals auch Befürchtungen freier geäußert werden können. Zum Abschluss kann jede der drei Frauen wählen, auf welche Position sie sich noch einmal stellen möchte. Neubeginn (Rita): »Gut, erwartungsvoll, ruhig.« Fokus Anne (Anne): »Habe alles im Blick, mal gucken, was da so kommt.« Zielvorstellung Eva (Eva): »Gut, erwartungsvoll, weil ich mir mehr Klarheit erhoffe.«
Da der Neubeginn auch ein Symbol für eine neue Kultur der eingangs gewünschten Verbindlichkeit in diesem Team sein könnte, empfiehlt es sich, das Team zu fragen, ob es Vereinbarungen mit dem Neubeginn verabreden möchte. Rita: »Es braucht einen Anker, dass ich mich an Neubeginn und Standard erinnere. Der Anker steht auf meinem Schreibtisch, es ist ein Bergkristall. Die gewünschte Dreieinigkeit ist zu selten, dafür möchte ich als Leitung mehr tun, gerade auf der emotionalen Ebene, dass wir zusammengehören und gemeinsame Ziele haben.« Anne: »Lösungsbild ist gut; wichtig, dass wir das Bild mit unseren Themen verknüpfen.« Eva: »Unabhängig von den Bürostrukturierungen können wir jetzt schon beginnen.« Ariane: »Wichtig wären informelle Treffen, um Räume zu schaffen für einen guten Neubeginn auf der Beziehungsebene!«
In der folgenden Abschlussrunde äußerten die drei Frauen Folgendes: Eva: »Aufstellungsarbeit ist spannend, nützlich das so zu sehen.« Rita: »Das Erspüren meiner Rolle ist aufhellend, da wir in einem Umfeld leben, wo es viele subtile informelle Regeln gibt. Wichtig ist für mich, Klarheit einzufordern.« Anne: »Neubeginn ist wichtig im Zusammenhang mit gemeinsamen Zielen; Positionierung war gut, wir fühlen uns gleichwertig.«
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Fazit Bei dieser sehr komplexen Aufstellungsarbeit mit drei Mitgliedern eines Teams zeigt sich sehr anschaulich, wie durch das Medium der Visualisierung und die Arbeit mit einer repräsentierenden Wahrnehmung, die von mehreren Repräsentantinnen überprüft wird, neue Informationen generiert werden, die so vorher nicht besprechbar waren. Die damit produzierte Validität ist damit ein gemeinsames Teamprodukt, das keinen Widerspruch braucht bzw. wo Widerstand nicht erforderlich ist. Kooperation der Beteiligten über Intuition ist hier schon der methodische Weg zum Ziel. So kann ein unbewusster neuer Tranceraum im Erikson’schen Sinne entstehen, in dem quasi über die Hintertür und indirekt Lösungen für Probleme möglich werden, ohne dass Personen dabei einen Gesichtsverlust erleiden. Diese Arbeit ist sehr aufwendig, aber sie lohnt sich. Für einen Berater allein ist sie aufgrund der dabei entstehenden hohen Komplexität aus unserer Sicht nicht zu leisten und auch nicht zu empfehlen. Vielmehr gewinnt die komplexe Vorgehensweise auch durch die Komplexität des Beratungssystems, indem zwei Beratende hier ebenfalls gut miteinander kooperieren müssen und damit ein Vorbild geben können.
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Die Autorinnen
Ariane Bentner, geb. 1958, Dr. phil., Diplom-Pädagogin, systemische Supervisorin (IGST) und Organisationsberaterin (Management Zentrum St. Gallen). Fortgebildet in hypnotherapeutischen Verfahren bei Gunther Schmidt (Heidelberg) sowie in systemischer Strukturaufstellungsarbeit bei Insa Sparrer und Mathias Varga von Kibed (München). Seit zehn Jahren selbständig tätig in eigener Firma. Autorin zahlreicher Fachaufsätze und Bücher. Lehrbeauftragte an der Berner Fachhochschule für Change-Management. Zuvor fünf Jahre Wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Universitäten Heidelberg und Mainz u. a. für Management von Non-Profit-Organisationen, Führungskräfte-Forschung und interkulturelles Lernen. Projektleitung zahlreicher wissenschaftlicher Projekte. Arbeitsschwerpunkte: Coaching für Führungskräfte, ChangeManagement, Organisations- und Teamentwicklung, interkulturelle Beratung sowie systemisch-lösungsorientierte Methoden. Marie Krenzin, geb. 1980, Diplom-Psychologin, NLP-Mastercoach. Ausbildung in systemischer Beratung bei Bernd Schmid (ISB Wiesloch), Weiterbildung in Erickson’scher Hypnosetherapie bei Manfred Prior (MEG Frankfurt). Schulpsychologin beim Schulamt Darmstadt mit dem Schwerpunkt Hochbegabtenförderung. Freiberufliche Tätigkeit als CoTrainerin in Development-Centern für Führungskräftenachwuchs, Einzelberatung und Coaching junger Führungskräfte und arbeitsloser Akademikerinnen. Arbeitsschwerpunkte: Intuitive Prozesse in der Beratung, systemische Einzelberatung, Fortbildung für Berufseinsteiger zur Erhaltung der Work-Life-Balance.
Die Autorinnen
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Molly von Oertzen, geb. 1980, Diplom-Psychologin, Trainerin und Coach. Diplomarbeit zur Gesundheitsförderung für Lehrer (Konzeption, Durchführung und Evaluation einer Lehrerfortbildung). Derzeit in Ausbildung zur psychologischen Psychotherapeutin in der Klinik für soziale Psychiatrie, Riedstadt. Freiberufliche Tätigkeit bei der Beratung von Fachpersonal in Kindertagesstätten.
Organisationen lösungsorientiert beraten
Ariane Bentner Systemischlösungsorientierte Organisationsberatung in der Praxis Mit einem Vorwort von Jochen Schweitzer. 2007. 234 Seiten mit 5 Abb. und 1 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-49120-1
Was hat der systemische Ansatz theoretisch und praktisch für die Beratung von Non-Profit-Organisationen zu bieten? Sind diese Organisationen tatsächlich so beratungsresistent hinsichtlich ihrer Strukturen, Normen und Werte, wie ein erster Blick vermuten lässt? Ariane Bentner stellt Fallstudien aus ihrer Beratungspraxis vor und zeigt, wie unterschiedlich Führungskräfte und Teams in Organisationen ihre Arbeitsprozesse gestalten und wie dabei auftauchende Fallstricke entwirrt werden können, welche Probleme durch komplexe Veränderungsprozesse wie Fusionen entstehen können und welche Auswege sich hieraus finden lassen. Dieses Praxisbuch macht deutlich, wie wichtig das Sich-Einlassen auf den Fall, aber auch die sorgfältige Reflexion und Anbindung an die systemische und andere Theorien ist, um passgenaue Interventionen und Lösungen zu finden.
Zum Weiterlesen empfohlen Ferdinand Buer / Christoph J. Schmidt-Lellek
Life-Coaching Über Sinn, Glück und Verantwortung in der Arbeit 2008. Ca. 390 Seiten, gebunden ISBN 978-3-525-40300-6
Rudolf Stroß
Die Kunst der Selbstveränderung
Helga Brüggemann / Kristina Ehret-Ivankovic / Christopher Klütmann
Systemische Beratung in fünf Gängen Buch und Karten 2. Auflage 2007. 150 Seiten mit 25 Karten und 16 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-49098-3
Andreas Bürgi / Herbert Eberhart
Kleine Schritte – große Wirkung 2008. 299 Seiten mit 21 Abb., kart. ISBN 978-3-525-40410-2
Beratung als strukturierter und kreativer Prozess
Peter Döge
Ein Lehrbuch für die ressourcenorientierte Praxis Sonderausgabe 2006. 274 Seiten mit 5 Abb., kartoniert ISBN 978-3-525-46247-8
Von der Antidiskriminierung zum Diversity-Management Ein Leitfaden 2008. 111 Seiten mit 15 Abb. und 10 Tab., kartoniert ISBN 978-3-525-49130-0
Arist von Schlippe / Almute Nischak / Mohammed El Hachimi (Hg.)
Familienunternehmen verstehen Gründer, Gesellschafter und Generationen 2008. 296 Seiten mit 19 Abb. und 5 Tab., gebunden ISBN 978-3-525-49135-5
Christoph Eichhorn
Souverän durch SelfCoaching Ein Wegweiser nicht nur für Führungskräfte 3. Auflage 2002. 191 Seiten mit 6 Abb., kartoniert. ISBN 978-3-525-49004-4
Rainer König / Uwe Haßelmann
Konflikte managen am Arbeitsplatz Ein Handbuch für Praktiker 2004. 126 Seiten mit 1 Abb. und 11 Tab., kartoniert. ISBN 978-3-525-46178-5