England in der Reform [Reprint 2021 ed.] 9783112508602, 9783112508596


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England in der Reform [Reprint 2021 ed.]
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England in

d e r

Reform.

Berlin, gedruckt und verlegt bei G. Reimer. 183 5.

Inhaltsverzeichnis Vorbemerkung.



.



Skizze der englischen Staats-Verfassung. 1.

Die Minister.

2.

Das Parlament.

...

Die Reform und ihre Ursachen.

.

Seite in

* *















Die Auflösung des Ministeriums Wellington. .

Die Parlamentsreform.

Das Reform-Parlament. I.

.



.





♦ ♦



Irländische Angelegenheiten.

Die Zwangßbill.

*

2.

Die Kirchenresorm.

3.

Die Groß-Jury.



Der Zehnte.

II.

.

Das Budget.

Das Bankprivilegium.

IV.

Ostindisches Privilegium.

I.

II.

III.

Die Armenbill.

.

.

Erneuerung der Zwangsbill.

Auflösung des Reform-Ministeriums.



3

9



17

*



23

*



42

*



44





44



49



53



54



55



57



59





63





7t



75



Die irländische Zehntenbill.







Sitzung des Jahres 1834.

2





Die Freilassung der Negersklaven.

1



*



III.

V.

.



.







76



79



8t

Vorbemerkung.

Augeu von ganz Europa sind in diesem Au­

genblick auf England gerichtet; die Parlamentsver­ handlungen haben einen welthistorischen Charakter;

Fragen von der höchsten Wichtigkeit liegen zur Ent­

scheidung vor, nicht nur im Interesse des Landes,

sondern der ganzen civilisirten Welt. Die alten For­ men sind geblieben, der Geist und der Sinn der

Nation haben sich geändert; Mißverhältnisse haben

sich erzeugt, Institutionen, durch das Alter geheiligt, find nicht mehr in Harmonie mit den Bedürfnissen

IV

der Zeit; neue Ansichten sind entstanden, neue Ver­

hältnisse haben stch gebildet.

Das alles soll berück­

sichtigt, die neuen Ideen in die Gesetzgebung ausge­ nommen, der ganze Staatsorganismus umgeschaffen

werden.

Die Legislatur wird mit Bitten bestürmt,

und grauenvolle Auftritte geben denselben einen un­ heimlichen Nachdruck.

Zwei Partheien sind ausge­

treten; die einen verlangen, alles Veraltete umzustür­

zen und ein ganz neues Gebäude aufzuführen, die

andern, dem Beispiele der Zeit folgend, welche lang­ sam wirkt und mit Sicherheit, wollen erhalten, was

sich durch Jahrhunderte bewährt hat, und nur das

unbrauchbar Gewordene entfernen oder umformen.

Vier Jahre lang haben die erstem ihre Versuche ge­ macht, und ihre Werke liegen vor den Augen der ganzen Welt. -

Sie tragen offenbar den Charakter

des Gewaltsamen, durch Nachgeben für ein Geschrei

erzeugt, welches den Namen der öffentlichen Mei­

nung mit Unrecht usurpirt hat; denn die Mehrheit ist unfähig, organische Fragen ihrem Urtheil mit ei­

nem Schein von Gründlichkeit zu unterwerfen.

Als am Schluß -es vergangenen Jahres ein

neues Ministerium gebildet wurde, und gemäßigte

und weise Manner -er erhaltenden Parthei an die Spitze der 'Geschäfte kamen, da galt es die Frage,

ob die Stimme der Vernunft, welche ihnen verliehen,

durchdringen, ob die Nation ihre Anstrengungen er­

kennen und unterstützen, oder es vorziehen würde, sich einem Strudel zu überlassen, dessen Tiefe noch keiner

ergründet hat.

Der Versuch ist nicht zu ihren Gun­

sten ausgefallen; die aufgeregten Leidenschaften haben ihnen nicht einmal das Wort vergönnt, und es ist

eben so auffallend als beklagenswerth, das allge­ meine.Beste, die heiligsten Interessen zu einem Spiel

der Partheien herabgcsunken zu sehen.

Was läßt sich

von einem solchen Zustande in der Zukunft erwarten?

Die Talente jener Staatsmänner werden erkannt, ihre reinen Absichten unterliegen keinem Zweifel, aber man weist sie zurück, weil sie zu einer Parthei gehören,

die man eben

als Hassenswerth

zu bezeichnen für

gut findet; aus welchen Gründen, zu begreifen. —

ist nicht schwer

VI

Die folgenden Blätter enthalten eine Uebersicht -essen, was die Reform gewirkt hat, um die Zukunft desto leichter an die Vergangenheit zu knüpfen und

den Zusammenhang der Ereignisse im Auge zu be­

halten. Im April 1835.

Skizze der englischen Staatsverfassung.

Äzte sogenannte Freiheit der englischen Nation, welche wer»

ter nichts ist als der gesetzliche Zustand derselben, beruht auf fünf Grundgesetzen des Reichs:

1. die Magna Charta wurde im Jahr 1215 von König Johann ertheilt und seitdem mehrmals erneuert; 2. die Petition of rights datirk von Carl I. aus dem Jahre

1628;

3. die Habeascorpus-Acte, von demselben 1641 bewilligt und von Carl II. erneuert;

4. die bill of rigbts wurde 1688

von Wilhelm III. und

Maria bei ihrer Thronbesteigung bewilligt;

5. die Settlements act ist der Vertrag der Nation mit dem Hause Hannover bei dessen Gelangung zum Throne. Alle diese Gesetze haben nichts anderes zum Zweck alS

die Bestimmung der Freiheit der Person und des Eigenthums, und, wie sehr charakteristisch chinzugesetzt wird, der locomotive

quality oder der Freiheit sich nach allen Seiten hin zu bewe­

gen, als ob diese nicht mit unter jener begriffen wäre.

Alle

Prärogative und Vorrechte, Pflichten und Obliegenheiten des

Souveräns sind genau bestimmt, und die Civilliste ist, was bei Antritt der Regierung ihm für seine Person aus dem Ra« A

2 tionalvermögen überwiesen wird.

Der König ist das Ober­

haupt der Kirche, steht an der Spitze der Land- und See­ macht, ist die Quelle der richterlichen Gewalt, reprasentirt allein

die Nation in den auswärtigen Verhältnissen, entscheidet über Krieg und Frieden, hat ein unbedingtes Begnadigungsrecht

und kann nie Unrecht thun. Die executive Gewalt liegt in den Händen des Kö­

nigs und seiner Minister, welche letztere aber allein verant­ wortlich sind; die legislative Gewalt übt das Parlament

aus,

wovon der König einen Theil ausmacht;

die richterliche Gewalt ist.einer klemm Anzahl un­ abhängiger und nicht abzusetzender Gerichtspersonen anvertraut, nämlich den zwölf Oberlichtern-welche unter dem Lord-Canzler

stehen und in letzter Instanz dem Oberhause unterworfen sind.

Lord Burleigh, Minister der Königin Elisabeth, sagte zu

-em Prinzen Heinrich, ältesten Sohne Jacobs I., England könne nur durch sein Parlement untergehen; und Montesquieu prophezeiht, daß dieser Untergang' durch die Verdorbenheit -er le­

gislativen Gewalt herbeigeführt werdm werde.

1.

Die

Minister.

Das Ministerium besteht in der Regel aus dreizehn Mit­ gliedern,

welche Staatsminister heißen und folgende Titel

führen, nämlich:

,1. 2.

Erster Lord der Schatzkammer,

Lord-Canzler,

3. Großsiegelbewahrer, 4; Präsident des geheimen Raths,

5. drei Staatssekretäre, nämlich des Innern, der aus­ wärtigen Angelegenheiten und der Colonien,

6.

Canzler der Schatzkammer (Finanzminister),

7. 6. 9. 10. 11.

Erster Lord der Admiralität,

Feldzeugmeister,

Präsident der Controlle, Canzler des Herzogthums Lancaster,

General. Münzdirector.

Außerdem gehören zu dem Ministerio noch folgende Per»

fönen:

1. Der Schatzmeister der Marine, 2. der Kriegssecretär, 3. der General-Zahlmeister der Landarmee,

4. "bet Präsident und Vicepräsident der Handelskam­ mer und der Colonien.

5.

der Generalprokurator und der Generalanwald

der

Krone,

6. 7.

der General-Postmeister, der General-Lieutenant der Artillerie,

6. der Großsiegelbewahrer von Schottland, 9. der Lordlieutenant oder Vicekönig, der Lord-Canzler, der Staatssecretär und der Canzler der Schatzkam­ mer von Irland,

10. der Generalprokurator und der Generalanwald von Irland.

Im Durchschnitt rechnet man, daß ein Ministerium et­ was über drei Jahr im Amte bleibt, doch giebt es auch Aus­ nahmen.

Lord Godolphin administrirte (mit einem Whig-Mk-

nisterio) vpn 1694 bis 1710, Robert Walpole war 25 Jahr

und Pitt 20 Jahr Minister.

Auch der Vater des Letztem,

Lord Chatam, der 1778 starb, gehörte längere Zeit zum Cabinot.

2.

Das Parlament

besteht aus dem König, dem Ober- und dem Unterhause oder dem Hause der Gemeinen.

An Oberhause ßtzm die geistli-

A 2

4 chen und weltlichen Pairs der 3 Königreiche und namentlich, außer den Prinzen des Hauses:

...

248

.....;

19

englische Pairs durch Abstammung englische Pairs durch Creation

englische geistliche Pairs............................................ 26 irländische geistliche Pairs

.......

4

irländische repräsentirende Pairs, von 214 Pairs

gewählt..................................................................28 schottische repräsentirende Pairs, von 79 Pairs

.

gewählt

.

.

16 412

Dazu kommen noch bei großen Gelegenheiten die 12 Lords-

Oberrichter von England. —

Die Paine ist erblich und kann

selbst auf Frauen übergehen, welche sie dann auf ihre Kinder

vererben. Das Unterhaus bestand vor 1832 aus folgenden De»

putirten:

....

489

.....

24

für Schottland ....

45

für England

für Wales

für Irland

.....

100 658~

Der König hat das Recht, Pairs nach Gefallen zu crciren und denselben ihre Titel und Würden durch ein Patent

zu ertheilen, in welchem zugleich die Art der Erblichkeit regulirt wird.

Die Würde geht in der Regel auf den ältesten

Sohn und dessen männliche Nachkommen über, im Aussterbe­

falle auch auf die andern Söhne- und selbst auf die Töchter,

wenn es im Patente festgesetzt ist.

Die Pairke geht daher

nur mit dem gänzlichen Absterben der Betheiligten verloren,

sonst aber durch die Todesstrafe für Hochverrath und Felonie.

Der Lord-Canzler oder, in dessen Abwesenheit, der Groß»

siegelbewahrer ist Präsident des Oberhauses und sitzt auf ei­ nem Wollsack zu den Füßen des Thrones.

Die Zahl der

Pairs, welche bei einer Sitzung gegenwärtig seyn sollen, ist für die gewöhnlichen Sachen nicht bestimmt, aber bei Crimi-

nalfällen kann eine Verurtheilung oder Freisprechung nur mit einer Majorität von 12 Stimmen Rechtskraft erhalten.

Die Pairs können durch Prokuration votiren, und sie

sprechen sich durch Content oder not Content aus.

Sind die

Stimmen gleich, so wird not Content als die Majorität ange­ nommen.

Darnach wird nun auch der Vortrag gewöhnlich

eingerichtet, in so weit es der Gegenstand zuläßt.

Die Amtskleidung der Pairs ist eine Robe von Schar­

lach mit Hermelin; die Bischöffe fungiren in ihrer kirchlichen Tracht. —

Der Präsident des Unterhauses führt den» Titel:

Sprecher (tbeSpeaker)..

der

Er wird von dem Hause gleich zu

Anfänge der Sitzung für die ganze Dauer derselben gewählt und vom König bestätigt.

Ihm sind vier Sekretäre beigegeben, die

Mitglieder des Hauses sein müssen.

tracht.

Er allein hat eine Amts­

Sonst giebt es keine Rangordnung im Hause.

Die Gallerie ist dem Publikum geöffnet, doch hat jedes Mitglied das Recht, die Entfernung der Zuschauer zu verlan­ gen.

Kein Mitglied darf ohne Urlaub wegbleiben, nnd es

stehen Strafen darauf.

Nach Beendigung

der Sessionsge-

schäste wird das Parlament gewöhnlich auf 75 Lage proro-

girt, und diese Prorogation kann für eine gleiche Frist wie­ derholt werden, selbst mehrere Male. In Sachen des Privatrechts kann jeder brittische Unter­

than eine Petition einreichen; nur muß es durch ein Parla­

mentsmitglied geschehen.

Sachen von allgemeinem Interesse

kann jeder Deputirte in Antrag bringen, nur wird vorher über deren Zulässigkeit votirt.

Ein Vorschlag, der Gesetzkraft

6 haben soll, muß dreimal zu dreien verschiedenen Zeiten verle­

sen und genehmigt werden, bei wichtigen Sachen selbst vier­

mal.

Die dritte Lesung erfolgt gewöhnlich im Ausschüsse. Ist

ein Antrag verworfen, so darf er in derselben Sitzung nicht

wieder vorgebracht werden; ist er angenommen, so heißt er Bill, erhält eine Benennung, wird mit großen Buchstaben

auf Pergament geschrieben und in das Oberhaus gebracht, wo

eine gleiche dreimalige Lesung erfolgt; darauf erhält die Bill die königliche Sanction.

Zn der Regel kann jedes Mitglied

über eine und dieselbe Sache nur einmal sprechen.

Die Ab­

stimmung geschieht laut, mit Ja und Nein, und die Stim­ men werden gezählt.

Vierzig Mitglieder gehören zu einer ge­

setzlichen Berathung.

Der Sprecher stimmt nicht mit, außer

wenn die vota getheilt sind.

Der König hat das Recht, das Parlament zusammenzurufeN, zu prorogiren und aufzulösen.

Die Dauer des Par­

laments war früher nicht bestimmt; int sechsten Regierungs­

jahre Wilhelms III. wurde dieselbe auf drei Zahr festgesetzt, bei der Thronbesteigung des Hauses Hannover aber wurden die noch jetzt bestehenden siebenjährigen Parlamente eingesührt.

Jedes Parlament wird durch eine Rede des Königs im Ober­ hause eröffnet, und dabei erscheint eine Deputation des Unter­

hauses vor den Schranken.

In Krankheitsfällen wird die

königliche Rede auch wohl vorgelesen.

Das Parlament hört

auf: 1. durch den Tod des Königs, 2. nach Ablauf der sie­ benjährigen Dauer, 3. durch den ausdrücklichen Willen des

Monarchen. — Das

Unterhaus soll

nach der Grundbestimmung

alle

Stände und Classen der Staatsbürger, so wie ihre verschiede­

nen Interessen vertreten oder repräsentiren. In der Wahl der Parlamentsglieder lagen viele'Ungleich­

heiten, die schon längst gefühlt worden und auch zu verschie-

denen Zeiten zur Sprache gekommen sind.

Eine vorzügliche

Anomalie bot schon das Verhältniß der Gewählten zur Volks­ zahl, indem von der Million Einwohner in England und

Wales 36, Schottland und Irland etwa 19 Mitglieder ins Parlament sendeten.

Im Einzelnen wurde dieß Mißverhält­

niß noch bedeutender, denn es gab Grafschaften von 60,000 Einwohnern und andre mit 860,000 Einwohnern, die jede

zwei Deputirte ernannten; 7 Millionen Einwohner des plat­

ten Landes wählten 92 Mitglieder, und 2$ Million Einwoh­ ner von Städten und Städtchen 421.

Noch auffallender war

folgendes Verhältniß. 9 Städte, die über 35,000 Einwohner haben,

sendeten zusammen 9 Städte von 16—35,000 Einwohnern. 10-16,000



.

8

.

27

.

.

12

.

»

8-10,000

47

-

»

5 — 8,000

9

M

22

.

. 1,500— 5,000

8

.

12 —1,500

$

e

143 Flecken ,

16 Deputirte

;

» . . . . .

12 32 12 37 27 285

• •

f 8

58 Städte mit 5000 bis 90,000 Einwohnern hatten gar kein Recht, Deputirte zu ernennen; viele Orte, die Deputirte zu

ernennen hatten, existirten gar nicht mehr; in 29 kleinen Flek-

ken gab es nur einen Wähler, der zugleich der einzige Wahl­ fähige war, und der daher sich selbst wählte oder seine Stimme

verkaufte.

Dieser Verkauf der Stimme war so arg gewor­

den, daß manche Orte ganz allein davon lebten, und es kam namentlich im Parlamente zur Sprache, daß im Jahre 1826:

in dem Flecken East-Retford von 166 Wählern 155 sich auf

die plumpeste Weise jeder mit 40 Guineen hatte bestechen las­ sen.

Es wurde bei dieser Gelegenheit erwähnt,

daß dieses

Manöver ziemlich, allgemein und mit der Bestrafung eines einzelnen Falles nicht abgemacht sey, sondern allgemeine Maß-

8 regeln erfordere *).

Zn der Regel bestand das Haus beinahe

aus lauter Grundbesitzern, wovon gegen 300 geradezu vonder

Paine abhkngen, und etwa 60 Kaufleuten oder Rechtskundigen. Aus allen diesen Gründen wurde eine Parlamentsresorm schon längst gewünscht und kam auch mehrmals in Antrag.

Der erste, der die Nothwendigkeit derselben im Parlamente

vorstellte, war Lord Chatam im Jahre 1770; er konnte aber nicht durchdringen.

Eben so wenig gelang es seinem Sohne,

dem Minister William Pitt, im Jahre 1783, ob er gleich bei dieser Gelegenheit vorzüglich von Fox unterstützt wurde, der

als Hauptgründe einer Veränderung in den Wahlen angab, daß die verschiedenen Classen der Bürger, Capitalisten, Eigen»

thümer beweglicher Güter, Manufacturisten, Handelsleute, die

Armee, die Marine, Künste und Wissenschaften u. s. w-, ja selbst- die Städte, theils gar nicht, theils nicht verhältnißmäßig

repräsentirt wären- Die Gegner dieses Antrags meinten da­

mals, eine solche Maßregel sey theils nicht an der Zeit, weil die Gemüther noch zu sehr in Folge des amerikanischen Krie»

ges aufgeregt wären, und überhaupt viel wichtigere Geschäfte vorlägen, theils weil kein Grund vorhanden sey, eine Reprä» sentation, die sich seit Jahrhunderten bewährt habe, abzuändern

und das praktisch Erprobte einer bloßen Theorie aufzuopfern.

Später kam man mehrmals auf diese Verbesserung in den Wahlen zurück, und namentlich wurden in den Jahren 1787, 1792, 1809 darüber Anträge, jedoch immer ohne Er­ folg gemacht.

Schon 1797 legte der jetzige Graf Grey einen

Reformplan vor, der aber so excentrisch war daß er ihn selbst wieder zurück nahm.

*) Einmal kam es vor, da- der Stabob von Areale 8 Stimmen er­ kauft hatte, «nd folglich «ine gleiche Anzahl Deputirt« ins Parla­ ment sendete.

Die Reform und ihre Ursachen» DaS allgemeine Streben nach Reform hat sich in dem

englischen Volke eigentlich erst seit der letzten großen Pacisica» tion d. t. seit etwa 15—16 Jahren kund gegeben, und man wird keinen großen Irrthum begehen, wenn man der franzö-

sichen Propaganda einen thätigen Antheil daran beimißt. giebt, wie überall, nähere und entferntere Ursachen.

Es

Das Ge-

schrei nach Reform nahm nach und nach so überhand, daß der Herzog von Wellington sich am Ende gerechtfertigt glaubte« einem der Hauptansprüche dieser Parthei zu genügen und in der Session des Jahres 1829 die Emancipation der Katholi»

ken in Antrag zu bringen.

Der Ausdruck „gerechtfertigt"

sieht hier deswegen, weil der Herzog zu der Tory-Parthei ge» hört, deren Haupt-Grundsatz es ist, das Bestehende auf alle Weise zu erhalten, weshalb sie sich auch selbst den Namen Confer vative beigelegt hat.

Ob indeß das starre Festhal­

ten desselben, gegen alle Anforderungen und unter allen Um­ ständen, anzurathen sey, ist hier nicht der Ort zu untersuchen, aber so viel ist gewiß, daß der Herzog sich durch diese Maß­

regel große Widersacher, selbst unter seinen Freunden und frü­ hern Anhängern schuf.

Eine gewisse Opposition gegen die von der Regierung in Vorschlag oder zur Ausführung gebrachten Maßregeln ist fach» gemäß und in der englischen Staatsverfassung gegründet. Da­

durch haben sich zwei Partheyen gebildet, welche man von je­ her durch die Namen der Tory's und Whigs unterschieden

hat.

Man war es gewohnt, daß die eine dieser Partheien,

am gewöhnlichsten die Tory's, das Ruder führte, während die

andre die Opposition bildete.

In der Regel hing dieß von

10 der äußern und innern Lage des Landes ab, welche sich bald

zu den Grundsätzen der einen, bald zu denen der andern hin­ neigte.

Alles dieses geschah in der größten Ruhe und ohne

alle große Erschütterung, selbst nach dem amerikanischen Kriege, wo die Staatsschuld mit. 121 Millionen Pfund vermehrt wor­

den war^ wo man einen Bankerott befürchtete, wo Trauer sich aller Gemüther bemächtigt hatte, und wo die Annuitäten bis auf 54 Procent herabgesunken waren.

Damals gelang es dem Minister Pitt, ungeachtet seiner großen Jugend, die allgemeine Noth zu mildern und Hilfs­ quellen aufzusinden, welche den frühern Wohlstand bald zu­

rück führten.

Die Reform des Parlaments, welche damals

auch zur Sprache kam, wurde als eine bloße administrative

Frage betrachtet, und es siel niemand ein, sie mit dem Leiden der niedern Volksklassen in Verbindung zu bringen oder darin

die Ursachen des damaligen abnormen Zustandes zu suchen. Da England während der ganzen Dauer der französi­

schen Revolutionskriege sich

auf einer so hohen Stufe von

Flor und öffentlichen Wohlstandes befand, so ist es ausfallend,

daß nach einer so glorreichen Beendigung derselben solche Convulsionen eintreten konnten, wie wir sie gesehn haben.

Die Reformer sprechen überall, im Parlamente sowohl als in ihren politischen Vereinen und Schriften, von nichts als der allgeineinM Noth und schildern das Elend der niedern

Volksklassen mit den grausendsten Farben; und diesen Zustand leiten sie davon her, daß die Nationalrepräsentation fehlerhaft

sey, daß die Städte Birmingham, Leeds, und einige andre keine Repräsentanten ins Parlament senden u. s. w.

Welche

lächerliche, unlogische und für eine große Nation unanständige

Schlußfolge?

Ist es so um die Schulen in England bestellt,

möchte man fragen, daß die Mehrheit der Nation die hand­ greifliche Absurdität dieser Schlüffe nur einen Augenblick ver-

kennen kann? Die nicht repräsentkrten Städte haben sich nir­

gends beschwert,, daß ihre Interessen im Parlamente nicht ver­ treten oder gar verletzt worden wären; es ist nirgends erwie­ sen worden, oder nur die Rede davon gewesen, daß die von

einem sogenannten verfallnen Burgflecken erwählten Deputir-

ten unrühmliche oder solche Leute gewesen, die es übel mit dem Staate meinten; keine der nicht repräsentirten Städte

hat je das Recht in Anspruch genommen, Deputirte zu smden, und man weiß namentlich von Manchester,

daß diese

Stadt, wegen der mit den Wahlen gewöhnlich verbundenen Unbilden, sehr zufrieden war, davon frei zu seyn;

endlich

wenn es auch fehlerhaft und gesetzwidrig war, daß die Wäh­

ler sich bestechen ließen, so folgt doch daraus nicht unmittel­ bar ein Unheil für das Land, und es ist auch davon gar nicht

die Rede gewesen, vielmehr könnte man als vortheilhaft an­

führen, daß die auf solche Weise Gewählten reiche und vor­ nehme Leute seyn mußten, welche die Mittel besitzen, sich Bil­

dung und Kenntnisse zu verschaffen, und denen man daher

das Wohl des Staates weit lieber und mit mehr Zuversicht anvertraut als solchen, die manchmal nicht einmal eine Hei-, Math haben. Wenn die Kammer vielleicht in dem Falle gewesen ist, der Regierung Zugeständnisse zu machen, so fragt es sich im­

mer erst, ob diese nicht vielmehr den Umständen als den Per­ sonen gemacht wurden, und ob nicht jede andre Kammer in derselben Nothwendigkeit gewesen wäre.

Mißbräuche schleichen

sich überall ein, und dagegen finden sich andre Mittel als ein

gänzlicher Umsturz.

Allein das Geschrei gegen die Aristocratie

Und überhaupt gegen die höhern Stände war einmal Mode geworden, und so mußte auch hier der Grund zu einer Be­

schwerde gegen sie gefunden werden.

Das Auflehnen gegen

das Höhere ist eine Thorheit des Zeitalters!

Ohne Aristo-

12 cratis kann kein Staat bestehen! das ist ein Naturgesetz. Nur Wenigen ist das Talent verliehen, weil es dazu nur Weniger

bedarf.

Diese Wenigen aber herrschen durch das Gesetz der

Vernunft, welches der eigentliche categorische Imperativ ist. Das Elend der niedern Stande in England steht also mit der fehlerhaften Repräsentation in keiner Causalverbin-

dung,

sondern hat ganz andre Ursachen, wovon man nur

durch eine Vergleichung des frühern Zustandes von Großbrit-

tanien mit dem gegenwärtigen einen deutlichern Begriff er» langen kann.

Während des französischen Revolutionskrieges war Eng­ land nach und nach in der Nothwendigkeit gewesen, seine

Kriegsmacht zu Lande und zu Wasser in einem ungewöhnli­ chen Maßstabe zu vermehren, wozu eine Masse Menschen er­

forderlich war.

Es hatte aber auch, durch die Umstände und

seine ungeheure Gewerbthätigkeit begünstigt, den ganzen Welt­ handel an sich gezogen.

Mehr als 20,000 Schiffe von allen

Nationen liefen jährlich in seine Häfen ein; alle Gewerbe,

alle Zweige der Industrie waren in der regsten Thätigkeit; selbst die Subsidien, welche England an auswärtige Mächte zahlte, wurden das Mittel zu Erhöhung und Ausbreitung des englischen Handels.

Man brauchte überall Hände; Produc­

tion und Consumtion vermehrten sich in steigenden Verhält­ nissen, und die Bevölkerung nahm auf eine unglaubliche Weise

zu.

Nach den von Colquhoun gegebenen Tabellen hatte die

Volkszahl der großen Städte in zehn Jahren von 1801 bis

1811 sich um den fünften Theil gesteigert, und am Ende

Januars 1832

wurde die Bevölkerung von Großbrittanien

nach amtlichen Berichten in ihrer Zunahme von 1801 so an­

gegeben:

England

Wale«

Jahr

Einwohner

Einwohner

Einwohner

1801 1811 1821 1831

8,331,434 9,538,827 11,261,437 13,089,338

541,546 611,788 717,438 805,236

1,599,068 1,805,688 2,093,456 2,365,807

Schottland zusammen 10,942,646 12,609,864 14,391,631 16,537,398

welches in 30 Jahren einen Zuwachs von der Halste der gan« zen Volkszahl macht.

Die vermehrte Konsumtion hob den Ackerbau und die

Staatsverwaltung war-durch solche außerordentlich günstige Umstände in den Stand gesetzt, die Staatseinkünfte bis auf

das Dreifache zu erhöhen.

Nun aber wurde Friede.

Von der Land- und Seemacht

wurde eine Menge Leute entlassen.

Das Weltmonopol konnte

nicht langer in den Handen von England bleiben^ Frankreich

und die andern Handeltreibenden

Nationen

nahmen ihren

Antheil zurück; die Preise der Waaren sielen auf eine unglaub­

liche Weise und namentlich (nach Wellingtons Angabe) die Baumwolle von 2 Sh. 4 P. auf 6 Pemiy's,

die Seide

von 1 Pfd. 19 Sh. auf 8 Sh. 11 P., Spanische Schaaf» wolle von 8 Sh. 2 P. auf 2 Sh. 4 P. u. s. w.

Hilfsquellen des Landes singen an weniger

Die

reichhaltig zu

stießen, die Einkünfte erreichten nicht mehr den Bedarf.

Er­

sparnisse wurden nöthig, wirkten aber nachtheilig auf den in­ nern Kunstfleiß zurück; dadurch entstand ein Druck, worunter

die Manufacturen zuerst leiden mußten.

Man brauchte nicht

mehr so viel Hande, der Arbeitslohn war hoch; man suchte die Producte mit weniger

Aufwand zu

gewinnen; überall

wurden Maschinen eingeführt, um die Hände zu sparen.

Die Mechanik triumphirte, aber die Zahl der brodlosen

Leute mehrte sich in ungeheuern Verhältnissen.

Die Reichen

gaben, was sie konnten; daher die unmäßige Armentaxe.

In

14 der Parlamentssitzung vom 25. Februar 1830 sagte der Graf Stanhope, daß an manchen Orten der ganze Ertrag des Bo­

dens zu Ernährung der Armen nicht hinreichend sey, und im

Jahre 1831 betrug die Armensteuer in England und Wales" allein,

bei einer Bevölkerung von 13,894,574 Einwohnern,

8,111,422 Pfd. Sterling, welches mehr ist als die sämmtli­ chen Einkünfte

des

Preußischen Staates.

Aber' alle diese

Hilfsmittel und selbst die bedeutendsten Ersparnisse im Staats­

haushalte waren nicht hinreichend, ein Uebel zu heilen, wel­ ches nur die Zeit ausgleichen kann/ weil es eine bloße Folge

der dermaligen Uebervölkerung von.Großbrittanien ist und daher nicht eher aufhören kann, bis das Gleich­ gewicht zwischen Bodenerzeugniß und Consumtion, wenigstens

nothdürftig, wieder hergestellt ist. Bei einer Einwohnerzahl von 10 Millionen zählte Groß­ britannien, »ach Colquhoun, im . Jahre 1801 etwas über L

Millionen Ackerbauer, und dabei reichte der Ertrag ihrer Ar­ beit nicht aus, um die ganze Bevölkerung zu ernähren,, son­

dern es mußten noch

.werden.

500,000 Quarter Weizen eingeführt

Jetzt aber ist die Volksmenge auf 16 Millionen ge­

stiegen, und von verhältnißmäßiger Urbarmachung von Lehden

rmd unangebauten Gegenden hat man nichts vernommen, vielrnehr scheint die ganze Zunahme der Bevölkerung größtentheils

-aus der in den frühern Kriegsjahren vermehrten industriellen

Lhatigkeit hervorgegangen zu seyn *); bedarf es noch mehr, um die Ursachen des öffentlichen Elendes zu erklären?

In­

hessen wurden dieselben nur von wenige« erleuchteten Köpfen *) In der Sitzung vom 7» März 1834 trug Hume auf Abschaffung der Korngesetze an und sagte bei dieser Gelegenheit; im Jahre 1831

hätten in Großbrittannien 961,000 Familien zur Landwirthschaft,

1,434,000 zur Manufacturbevilkerung, und 1,018,000 zu keiner

von beide» gehört» die Manusaeturbevölkerung habe in den letzten

erkannt **); jeder urtheilte nach dem Grade seiner Einsicht und LZildung oder nach den Einflüsterungen eigner oder fremder Leidenschaften, und so machte der eine die Corruption der Wah­

rer, der. andre die fehlerhafte Repräsentation, ein dritter die

zu lange Dauer des Parlaments namhaft, während ein vier­ zehn Jahren allem um 17 Procent zugenommen, und es sey daher

abgeschmackt zu behaupten, daß England Hinreiche, seine Bewohner mit Lebensmitteln zu verschen.

Auch sei in den letzten sechs Jah­

ren im Durchschnitt jährlich 1,117,78 Quarter fremdes Getreide

eingeführt worden. *) Es hatten sich in früherer Zeit die Gewerbe treibenden Klassen be­

schwert, daß sie mit ihren. Produkten die Eoncurrenz nicht halten

könnten, wenn der Preis des Weizens 70 Shillings per Quarter

überstiege.' Dagegen hatten die Landbesitzer angegeben, daß sie nicht bestehen könnten, wenn dieser Preis unter 90 Sh. siele.

Die Re­

gierung bestimmte darauf i. I. 1815 80 Shill. als Normalpreis,

und es durfte kein fremdes Getreide eingeführt werden, so lange die Preise im Lande diese Norm nicht überstiegen.

Im Jahre 1826

wurde eine Revision dieses Gesetzes verlangt, und als Grund ange­ führt, daß das übertriebene Gewerbssystem das Wohl. Großbxitta-

niens gefährdet habe.

Die ungeheure Ausfuhr von Produkten im

Jahre 1825, die keine Käufer, gefunden hatten, .so wie die im In­ nern ohne Nachfrage aufgehaüften, hatten der Fabrikation einen empfindlichen Stoß versetzt. Im Jahre darauf fanden sich, als Folge davon, in den gewerbreichsten Provinzen, Lancashire.und Lon­ don, Tausende von Arbeitern , mit ihren Familien ohne Arbeit und

folglich ohne Brod, welche der Armentaxe zur Last fielen.

Petitio­

nen aus allen Orten und Classen gelangten in Haufen an das Par­ lament, und mahlten in den grellsten Farben die Fortschritte deS Pauperismus und das Elend der niedern Volksklassen,, für welche

sie Arbeit und Brod forderten.

Es wurde als Grund des Elendes

angegeben, daß der Handel nicht mehr so viel Hände beschäftige,

nicht mehr so viel Gewinn abwerfe.

Zugleich erfolgten die bekann­

ten Scenen der Maschinenzerstörung, welche das Volk als' die nächste Ursache des Mangels ar; Arbeit ansah.

Die höhern Classen eröff­

neten Subskriptionen und kamen dem Volke einstweilen zu Hilfe. Das Parlament bewilligte den Ministern eine temporäre Ausnahme

von den Korngesetzen.

16 ter gar die bürgerliche Gleichstellung der Juden als noth­

wendig darstellte, um dies Ziel aller Wünsche, die Abhilfe ge»

meinsamer Beschwerden, zu erlangen; denn das war doch der eigentliche Zweck der Reform oder sollte es wenigstens seyn. Nimmt man dazu noch die Anregungen von außen, Unsinn,

Thorheit, Ehrgeiz von innen, so darf man sich nicht wundem, wenn der ehrliche John Bull, von allen Seiten gehetzt, am

Ende sich gegen die auflehnte, die bisher stets mit väterlicher Sorgfalt und Liebe sein Beßtes im Auge gehabt hatten.. In

mehreren Industrie-Städten wurden öffentliche Versammlun» gen gehalten, und namentlich erregte die Zusammenkunft zu

Birmingham am 25. Januar 1830 die Aufmerksamkeit der Regierung.

Die Anzahl der Versammelten soll sich auf 12

bis 15000 Individuen belaufen haben, und es wurde dort

beschlossen, eine Union zu bilden, in der Absicht, eine Parlamentsresorm, Rechte und Freiheiten für die arbeitende Classe, Abschaffung gewisser Abgaben und Taxen u. s. w. zu erlan»

gen.

Das Parlament wurde von allen Seiten mit Bittschrift

ten bestürmt.

Es muß hier vor allen Dingen als feststehend angenom» Men werden, daß, wie gewichtig auch die Gründe erscheinen,

welche die Reformer äußerlich zu Unterstützung ihrer Forderun»

gen angeben, diese doch immer nur scheinbar und gar nicht

ernstlich gemeint sind, sondern von ihnen nur benutzt werden,

um ihre eigensüchtigen Absichten zu verstecken.

Mit Ausnahme

der Gutmüthigen, die aber immer die Betrogenen sind, denkt keiner daran, dem Lande im Ernst einige Erleichterung zu verschaffen; sie wollen dadurch nur für sich und die Ihrigen gewinnen, Ehrenstellen und Würden, auch Einkünfte, welche

auf dem gewöhnlichen Wege nur durch besondere Verdienste

zu erlangen sind. Spekulanten.

Es giebt in großen Städten allerhand

So ist z. B. bekannt, daß der erste Anstoß zu

Aufbringung einer Summe, um den Capitain Roß aufzusu­ chen,

von einigen Glücksrittern ausging, die weiter nichts

beabsichtigten, als ein Capital zusammenzubringen und damit

das Weite zu suchen.

Derselbe Fall könnte wohl auch hier

eintreten, und der Herzog von Wellington hatte in dieser Be­ ziehung Recht, den Reformern auf ihre Ansprüche zu antwor­ ten, daß in der Nationalrepräsentation nichts zu ändern sey,

d. h. daß keine Ursachen zu einer Aenderung vorhanden und

die Noth der untern Volksklassen nicht aus einer mangelhaf­ ten Repräsentation

hervorgegangen sey.

Er

machte seinen

Gegnern mit vollem Grunde den Vorwurf, daß sie sich nicht damit beschäftigen sollten,

die allgemeinen Beschwerden der

Administration zur Last zu legen, sondern die Mittel zu deren

Abhilfe aufzusuchen.

Wenn man von diesem

einzig richtigen Gesichtspunkte

ausgehend den Parlamentsverhandlungen folgt, so bekommt

man von den Vortheilen dieser sehr unbehilslichen und Auf­ wand verursachenden Regierungsmaschinerie eine sehr armselige Idee, indem von allen Seiten ins Blaue geschossen wird und

nicht einer den wunden Fleck trifft, ja nicht einmal berührt.

Und mit welcher Heftigkeit, mit welchem Wortschwall sucht jeder seine Meinung zu verfechten? —

Fürwahr, es ist kaum

zu begreifen, wie man einen solchen Zustand der Verwirrung

noch preißwürdig finden kann! —

Die Auflösung des Ministeriums Wellington. Bei Eröffnung der Sitzung des Parlaments im Jahre 1830.

1830 war die Lage der Sachen folgende: durch die Emanci­

pation der Katholiken hatte der Herzog von Wellington die B

Aufbringung einer Summe, um den Capitain Roß aufzusu­ chen,

von einigen Glücksrittern ausging, die weiter nichts

beabsichtigten, als ein Capital zusammenzubringen und damit

das Weite zu suchen.

Derselbe Fall könnte wohl auch hier

eintreten, und der Herzog von Wellington hatte in dieser Be­ ziehung Recht, den Reformern auf ihre Ansprüche zu antwor­ ten, daß in der Nationalrepräsentation nichts zu ändern sey,

d. h. daß keine Ursachen zu einer Aenderung vorhanden und

die Noth der untern Volksklassen nicht aus einer mangelhaf­ ten Repräsentation

hervorgegangen sey.

Er

machte seinen

Gegnern mit vollem Grunde den Vorwurf, daß sie sich nicht damit beschäftigen sollten,

die allgemeinen Beschwerden der

Administration zur Last zu legen, sondern die Mittel zu deren

Abhilfe aufzusuchen.

Wenn man von diesem

einzig richtigen Gesichtspunkte

ausgehend den Parlamentsverhandlungen folgt, so bekommt

man von den Vortheilen dieser sehr unbehilslichen und Auf­ wand verursachenden Regierungsmaschinerie eine sehr armselige Idee, indem von allen Seiten ins Blaue geschossen wird und

nicht einer den wunden Fleck trifft, ja nicht einmal berührt.

Und mit welcher Heftigkeit, mit welchem Wortschwall sucht jeder seine Meinung zu verfechten? —

Fürwahr, es ist kaum

zu begreifen, wie man einen solchen Zustand der Verwirrung

noch preißwürdig finden kann! —

Die Auflösung des Ministeriums Wellington. Bei Eröffnung der Sitzung des Parlaments im Jahre 1830.

1830 war die Lage der Sachen folgende: durch die Emanci­

pation der Katholiken hatte der Herzog von Wellington die B

18 1830. gemäßigten Whigs für sich gewonnen; dagegen waren die Tory's, seine alten Freunde, größtentheils zu seinen Gegnern geworden.

Jedoch wollten die Whig's, deren Grundsätzen er

sich genähert hatte, ihn zwar unterstützen, aber theils in der Hoffnung, noch mehr Concessionen zu erlangen, theils auch um Theil an der Verwaltung zu haben, während dem dieses

Letztere nicht nach seinem Sinne war, woraus natürlich, wie dieß immer zu geschehen pflegt, ein wechselseitiges Mißtrauen

entstand.

Zugleich hatte der Herzog durch Bestrafung eines

Preßvergehens an dem Redacteur

des

Morning Chronikle,

welcher das Organ der Opposition ist, das Publikum und

namentlich die Opposition gegen sich aufgebracht.

Dadurch

war die Lage des Ministeriums in Bezug auf die öffentliche

Meinung sehr schwankend geworden, und was daraus folgen würde, ließ sich von Hellen Köpfen ungefähr voraussehn. Es dringt sich hier von selbst die Bemerkung auf, daß

also in einem sogenannten konstitutionellen Staate die höchsten und wichtigsten Posten von der öffentlichen Meinung d. h.

bei Lichte Ibcsehn, von der Lautre det Bewohner der Haupt­ stadt übhängen.

lichkeit,

Es hat freilich den Anschein von Vortreff­

daß ’ die höchsten Staatsbeamten

nicht nach

eigner

Willkühr oder Laune handeln können, wie es wohl hie und da der Fall gewesen seyn mag, über was wird dann nun da­

durch gewonnen, daß sie von' der'Laune eines wetterwendi­ schen, leicht aufzurcgenden Volkshaufens abhängen?

Denn

die öffentliche Meinung wird, wie es die Erfahrung täglich beweißt, b'on den Eindrücken ^leidenschaftlicher Aufwallungen

weit mehr als von den Eingebungen der reinen Vernunft ge­ leitet.

Da in der Regel nur die erlauchtetsten und erfahren­

sten Männer zu den Ministerposten ausgewählt werden, und

da jeder Unbefangene leicht einsieht, daß ein längeres Verhar­ ren derselben im Anite weit eher wünschenswerth als der häu-

19 sige Wechsel ist, so müssen in einem so constituirten Staate 1830. entweder sehr viel tüchtige und erfahrne Geschäftsmänner vor, Handen und sogar übrig seyn, oder aber die eigentlichen per» manenten Geschäftsleute stehn im Hintergründe und die Mi­ nister sind blos der Verantwortlichkeit wegen da, welches un­

bequem und kostspielig ist. —

Die Thätigkeit des Parlaments in dieser ganzen Sitzung war nicht sehr fruchtbar.

Einige nützliche Verbesserungen wur­

den in dem gerichtlichen Verfahren gemacht, Erleichterung der niedern Volksklassen durch Verminderung der dieselben treffen­

den Steuern beschlossen und auf die Parlamentsreform präludirt, einerseits

durch einen Antrag von Lord John Russell

(durch ein etwas oberflächliches Werk über die englische Ver­ fassung bekannt), einigen Städten das Recht zur Wahl von Deputirten zu ertheilen, andrerseits durch den Vorschlag des berüchtigten, hier zum erstenmale im Parlamente austretenden O'Connell, die Dauer des Parlaments auf drei Jahre herab­

zusetzen.

Dagegen wurde die Emancipation der Juden bei

der zweiten Lesung des Antrags mit 228 Stimmen gegen 165 verworfen.

Der mißliche Gesundheitszustand des Königs wirkte aller­ dings hemmend auf die parlamentarischen Geschäfte, und der am 26. Juni früh um £ auf 4 Uhr zu Windsor erfolgte Tod

desselben setzto ihnen

ein

gänzliches Ziel.

Das Parlament

wurde von dem neuen König Wilhelm IV. am 23. Juli ge­

schlossen, nachdem die Opposition vergeblich versucht hatte, das

Ministerium durch allerhand Propositionen in Verlegenheit zu bringen, welche mehr Übeln Willen als gründliche Ueberlegung

documentirten. Die Lage der Sachen hatte sich

Vieles verschlimmert.

für die Minister um

Die Whigs hatten ihre Wünsche nicht

.erreicht, und sahen oder glaubten, daß sie getauscht worden

B 2

20 •1830. wären, worüber sie sehr in Harnisch geriethen.

Die Tory's

dagegen standen auf dem alten Flecke und nannten den Her»

zog von Wellington einen Abtrünnigen, einen Jacobiner. — Im Ganzen konnte man den Maßregeln der Minister nicht

den Borwurf der Jlliberalitat machen, denn sie hatten sehr viel für die öffentliche Meinung gethan; da es aber einmal

die parlamentarische Taktik mit sich bringt, die Ministerstellen zu Angriffsobjecten zu machen, so wurde ihnen von der Op­

position der Vorwurf der Unfähigkeit gemacht, wozu die Er» eignisse in Algier und Griechenland, vorzüglich aber in Paris

und Belgien als Vorwand benutzt, dienen mußten.

Die Auf­

regung in den drei Königreichen war allgemein und wurde

-von Uebelwvllenden auch wohl vom Auslande her oder we­ nigstens durch dessen Beispiel möglichst angefacht, ja bis zu

Ausbruch völliger Gesetzlosigkeit und damit verknüpfter Unord­ nungen gesteigert, die sich durch Feuersbrünste, Rauben und

Plündem auf dem platten Lande kund gaben.

Unter diesen Auspicien erfolgten die Wahlen.

Die mini­

steriellen Candidaten wagten kaum sich zu zeigen, und nur

wenige wurden gewählt.

In Irland traten, von O'Connell

aufgereizt, die Anti - Unionisten auf, welche nicht nur eine Par­

lamentsreform verlangten, sondem auch die Aufhebung der un­ ter dem Namen der Union bestehenden Vereinigung von Groß-

brittanien und Irland, wobei sie sich, wie natürlich, auf das eben gegebene Beispiel der Trennung Belgiens von Holland

stützten.

Nirgends oder wenigstens selten hat sich die Rache­

göttin so prompt gezeigt.

Den 2. November hielt das neue Parlament seine erste

Sitzung.

Während der Herzog Wellington im Oberhause in

den bestimmtesten Ausdrücken sich aussprach, daß er zu keiner

Art von Reform die Hand bieten würde, kündigte Brougham im Unterhause- etwas voreilig, an, daß er beabsichtige, eine

Will zu Veränderung der Repräsentation einzubrkngen.

Da 1830.

das erste parlamentarische Geschäft, die Votirung der Adresse,

noch nicht einmal beendigt war, so war diese übereilte Erklä-

rung ein sicheres Zeichen der herrschenden Spannung und ge­ wissermaßen der Ausbruch des gegen die Minister bisher ins­ geheim geführten Kriegs.

Erst mußten sie depopularisirt wer­

den, dann war es ein Leichtes, sie zu stürzen, oder vielmehr, dann sielen sie von selbst.

Unglücklicherweise mußte selbst ein

zufälliges Ereigniß dazu mitwirken.

Nach einem alten Gebrauche giebt die Stadt London dem König bei Antritt seiner Regierung gewöhnlich ein großes

Gastmahl zu Guildhall.

Dieses Fest sollte am 9. Nov. statt

finden, als auf einmal am 7. der Lordmayor von dem Staatssecretär des Innern die Anzeige erhielt, daß der König dasselbe

wegen Befürchtung von mancherlei Unbilden vor der Hand aufgeschoben wissen wolle.

Gleichzeitig wurden Truppen her­

beigezogen, und allerlei militärische Maßregeln ergriffen, wel­

ches eine allgemeine Bestürzung erzeugte, die auf den Geld­ markt von ganz Europa reagirte.

Die Minister gaben dar­

über im Parlamente Erklärungen, woraus hervorging, daß es

eigentlich ihre eigne Unpopularität war, welche diese Anstal-

tm herbeigefühtt hatte, und ihre Gegner ermangelten nicht, diese Waffe zu benutzen, tun sie in der allgemeinen Achtung

herabzusetzen.

Um ihrer eignen Sicherheit willen — wurde

boshafterweise ausgebreitet — hätten sie dem Volke die Freude

entzogen, ihren König und Monarchen zu sehen. Bei dieser allgemeinen Stimmung bedurfte es nur eines

leichten Anstoßes, um die von so vielen Uebelwollenden ge­ wünschte Catastrophe herbeizusühren, und dieser fand sich in

der Sitzung vom 15. November, wo die Minister in Bezug auf die Civilliste eine an sich unbedeutende Niederlage erlit­ ten.

Sie reichten darauf noch in derselben Nacht ihre Ent-

22 1830. lassung ein, die auch angenommen wurde.

DaS Geheimniß

dieses schnellen Entschlusses liegt gewissermaßen in der bekannt

gewordenen Aeußerung des Herzogs Wellington gegen den

König, daß er unter den obwaltenden Umständen in der OpPosition'weit wichtigere Dienste zu leisten glaube als im Ca-

binette, welches der gewöhnlichen Annahme ganz entgegen ist;

allein wenn das Tory-Ministerium der Opposition die gefor­ derten Zugeständnisse gemacht hätte, so wären ohne Zweifel

beide parlamentarische Gewalten ohne allen Widerstand und

vielleicht mit beschleunigter Geschwindigkeit nach

einer und

derselben Richtung getrieben worden, deren Ende sich nicht

übsehen ließ.

Darum glaubte der Herzog sich selbst an die

Spitze der Opposition stellen zu müssen, um zu retten, was

noch zu retten möglich war. Der Graf Grey, 68 Jahr alt, erhielt Befehl ein neues Cabinet zusammen zu setzen, und er übernahm es unter der Bedingung, eine parlamentarische Reform einbringen zu dür­

fen.

Man muß sich wundern, und es zeugt doch von einer

gewissen Beschränktheit des Geistes, daß ein Mann in so ho­ hem Alter es übernimmt, eine Umwandlung zu gründen, zu

deren Befestigung ohne Widerrede eine längere Lebensdauer

erforderlich war, als er der Natur der Dinge nach noch zu erwarten hatte.

Dazu kam noch ein Umstand, der auch kei-

Nen vortheilhaften Schein auf ihn warf, nämlich daß er zu

Besetzung der wichtigsten Aemter die Subjecte nur unter sei­ nen nächsten Verwandten fand. In dem neuen Ministerio wurde Brougham, ein bekann­

ter Liberaler mit ungünstigen Antecedentien, unter Ertheilung der Pairswürde zum Lord-Kanzler erhoben; Lord Althorp

wurde Kanzler der Schatzkammer, Marquis Landsdowne Prä­

sident des geheimen Raths, Lord Durham (Schwiegersohn des

Grafen Grey) Großsiegelbewahrer, Viscount Melbourne Mi-

nister des Innern, Discount Palmerston Minister der auswär- 183O.

tigen Angelegenheiten, Lord Holland Kanzler der Schatzkam­ mer, Viscount Goderich erhielt die Colonien, Sir G. Graham

die Admiralität, Lord Aukland die Münze und die Handels­ kammer, der Herzog von Richmond die Posten, und Sir Ch.

Grant die Präsidentschaft der Controlle oder der ostindischen Angelegenheiten.

Marquis Anglesea und Lord Plunkett wur­

den nach Irland gesendet. Zn der Sitzung vom 22. erklärte der Premierminister im Oberhause und Lord Althorp im Unterhause, daß das Mini­

sterium beabsichtige, einen gemäßigten Reformplan einzubrin­

gen und außerdem dem Lande alle mögliche Erleichterung zu verschaffen.

Nach einigen weniger wichtigen Debatten wurde

die Sitzung am 23. December bis zum 3. Februar vertagt.

Die Parlamentsreform. Die Lage des Landes hatte sich seit vorigem Jahre nicht 1831.

geändert; Handel und Manufacturen lagen darnieder, wovon die Ursachen schon angegeben worden.

Da England den all­

gemeinen Welthandel nicht mehr in Händen hatte, so verlor

eine Menge Leute ihr Verdienst und ihr Brod; der Grund davon sollte nun aber darin liegen, daß die Geistlichkeit zu

hohe Pfründen genieße, und dann daß der Grundbesitz nur in den Händen von ein Paar Hundert Familien sey. Reform sollte, wie es gewöhnlich der Fall ist,

Die

alle Leiden

lindern, alle Ansprüche ausgleichm, alle Unzufriedenheit heben; die Zehnten, hoffte man, würden abgeschafft, die geistlichen

Güter veräußert, die Auflagen bedeutend vermindert u. s. w., kurz die Erwartung war im höchsten Grade gespannt, die

Presse, politische Vereine und eine Unzahl von Bittschriften

nister des Innern, Discount Palmerston Minister der auswär- 183O.

tigen Angelegenheiten, Lord Holland Kanzler der Schatzkam­ mer, Viscount Goderich erhielt die Colonien, Sir G. Graham

die Admiralität, Lord Aukland die Münze und die Handels­ kammer, der Herzog von Richmond die Posten, und Sir Ch.

Grant die Präsidentschaft der Controlle oder der ostindischen Angelegenheiten.

Marquis Anglesea und Lord Plunkett wur­

den nach Irland gesendet. Zn der Sitzung vom 22. erklärte der Premierminister im Oberhause und Lord Althorp im Unterhause, daß das Mini­

sterium beabsichtige, einen gemäßigten Reformplan einzubrin­

gen und außerdem dem Lande alle mögliche Erleichterung zu verschaffen.

Nach einigen weniger wichtigen Debatten wurde

die Sitzung am 23. December bis zum 3. Februar vertagt.

Die Parlamentsreform. Die Lage des Landes hatte sich seit vorigem Jahre nicht 1831.

geändert; Handel und Manufacturen lagen darnieder, wovon die Ursachen schon angegeben worden.

Da England den all­

gemeinen Welthandel nicht mehr in Händen hatte, so verlor

eine Menge Leute ihr Verdienst und ihr Brod; der Grund davon sollte nun aber darin liegen, daß die Geistlichkeit zu

hohe Pfründen genieße, und dann daß der Grundbesitz nur in den Händen von ein Paar Hundert Familien sey. Reform sollte, wie es gewöhnlich der Fall ist,

Die

alle Leiden

lindern, alle Ansprüche ausgleichm, alle Unzufriedenheit heben; die Zehnten, hoffte man, würden abgeschafft, die geistlichen

Güter veräußert, die Auflagen bedeutend vermindert u. s. w., kurz die Erwartung war im höchsten Grade gespannt, die

Presse, politische Vereine und eine Unzahl von Bittschriften

24 1831. steigerten diesen Zustand von Tage zu Tage.

Die Aufregung

war so allgemein, daß man den Ausbruch einer völligen Re«

volution zu befürchten ansing. Noch ärger ging es in Irland zu.

In mehrer« Graf­

schaften war die Kartoffelerndte mißrathen; der Hunger, von

den Ruhestörern benutzt, erzeugte eine förmliche Anarchie. Be­ waffnete Bauern durchzogen das Land und forderten Abschaf­ fung des Zehnten, Verminderung der Pachtgelder, Erhöhung

des Arbeitslohns u. s. w., wobei sie sich alle Arten von Un­ ordnungen erlaubten.

O'Connell, der sich öffentlich als das

Haupt dieser Bewegung betrug, wollte dadurch, wie er selbst mehrmals erklärte, die Aufhebung der Union bezwecken, und

zugleich diejenigen, welche Einkünfte von Irland beziehen, nöthigen, solche im Lande zu verzehren.

Dabei hütete er sich

aber wohl bei seinen Angriffen auf die Regierung den legalen

Weg zu verlassen, und war stets bemüht, alles zu vermeiden, was durchs Gesetz verboten war.

Es entstand daher zwischen

ihm und der Autorität eine Art von Kampf, der mit einer

Arrestation desselben endigte, welche jedoch ohne Folgen blieb;

er wurde gegen Caution frei gelassen, und nahm seinen Sitz im Parlamente wieder ein. giebig

geworden

und

Indessen war er doch sehr nach­

ließ insgeheim dem Ministerio den

Antrag machen, seinen Anti-Unionsplan aufzugeben, wenn

man die gegen ihn verhängte Untersuchung niederschlagen wollte.

Das neue Ministerium befand sich den Kammern gegen­ über nicht in der günstigsten Lage.

Die Radikalen waren un­

zufrieden, daß nicht gleich alle ihre Ansprüche befriedigt, alles über den Haufen geworfen wurde, und die Conservativen be­

zeigten ihr Mißfallen bei dem geringsten Zugeständnisse.

Die

abgetretenen Minister hielten sich auf einer gemessenen Defen­ sive, und suchten mehr ihre Verwaltung gegen zufällige An­

griffe zu vertheidigen, als das neue Cabinet selbst anzugreifen.

Es waren In den letzten Jahren berelts so viel Erspar» 1831.

nisse in der öffentlichen Verwaltung gemacht worden, daß den

Ministem kaum noch eine Nachlese blieb.

Da indeß

ihre

Popularität davon abhängig war, so enthielt das neue Dud-

get, welches Lord Althorp am 11. Februar dem Unterhaus« vorlegte, noch einige Beschränkungen und Reduktionen, die

aber theilweise sehr weit aussehend waren, indem man 210 Stellen im Schatzamte gestrichen hatte, wofür jedoch vors

Erste Pensionen gegeben werden mußten.

Hiernächst sollten

die Taxen auf mehrere Artikel des gemeinen Verbrauchs auf­ gehoben und dagegen auf solche Gegenstände übertragen wer­

den, welche mehr den wohlhabendem Classen zur Last sielen.

Diese Maßregel wurde aber heftig getadelt und erzeugte starke Debatten, in deren Folge die Minister sich genöthigt sahen,

alle ihre Ersparungsvorschläge zurück zu nehmen, so daß da­ von nichts übrig blieb, als die Abschaffung der Taxe auf die

Steinkohlen.

Man sieht daraus, welche Entschlüsse eine so-

genännte Volksversammlung faßt, wenn sie ihre persönlichen Interessen angegriffen sieht.

Eine vorgeschlagme Vermehrung der Armee um 8000 Mann wurde wegen der vorgefallenen Unordnungm auf dem

platten Lande angenommen. Die neue Reformbill war, um allen Anfragen zu begeg­ nen, gleich von Hause aus auf den 1. März angekündigt worden und wurde auch an diesem Tage, nicht von einem

Mitgliede des Ministeriums, sondern von Lord John Russell, Armeezahlmeister, im Unterhause eingebracht.

Die Grundsätze

derselben waren folgende:

1. gewissen gering bewohnten Orten das Wahlrecht ganz zu entziehn;

2. großem Städten, die ein beschränktes Wahlrecht oder gar keines hattm, damit zu Hilfe zu kommen;

26 1831.

3. der Wahlgerechtigkeit selbst eine größere Ausdehnung zu

geben und die Anzahl der Wähler zu vermehren. Diesemnach sollte A. jedem Orte sein Wahlrecht entzogen werden, der im

Jahre 1831 weniger als 2000 Einwohner gezählt habe, wodurch 60 Burgflecken von den Wahlen ganz ausgeschlossen wurden.

B. 47 andre Orte, die mehr als 2000, aber weniger als 4000 Einwohner haben, würden statt zweier

Deputirter nur einen zu erwählen haben, und na»

mentlich die Stadt Weymouth zwei anstatt vier. C. Die dadurch vacant werdenden Stimmen werden auf mehrere große Städte und Grafschaften übertragen,

doch wird die Zahl der Parlamentsglieder im Gan­

zen um 62 vermindert. D. Das Wahlrecht soll in den Städten auf alle Fami­ lienväter ausgedehnt werden, die eine Abgabe oder

eine Miethe von 10 Pfund jährlich im Orte wirklich angesessen sind.

bezahlen und

Solche Angeses­

sene, die jetzt das Recht besitzen, behalten es lebens­

länglich. E. In den Grafschaften sollen alle diejenigen bei den

Wahlen eine Stimme haben, die eine jährliche Pacht

von 50 Psd. bezahlen und ein Besitzthum auf 21 Jahr inne haben, welches in den letzten zwei Jah­

ren nicht erneuert worden. F. In Schottland und Irland wird das Wahlrecht we­ sentlich verändert, und auf ähnliche Grundsätze wie

in England basirt; zugleich wird die Zahl der Schot­ tischen Parlamentsmitglieder um 5 und die der ir­ ländischen um 3 vermehrt, so daß nun im Ganzen das

Parlament statt 658 nur 596 Mitglieder zählen würde.

Es scheint, daß bei Einbringung dieses Plans die An« 1831. sicht vorgeherrscht habe, dadurch die mittlern Classen fester an das Regierungssystem zu knüpfen und ihnen nicht nur die

Lust zu Umwälzungen zu benehmen, sondern sie auch zum

activen Widerstände dagegen aufzumuntern.

Dessenungeachtet

erfuhr er den heftigsten Widerspruch und die Debatten füllten Die Radikalen, selbst die eifrigsten,

sieben Sitzungen aus.

waren damit zuftieden; am schärfsten und witzigsten vielleicht,

drückte-sich aber Sir Charles Wetherell in der Opposition aus und veranlaßte dadurch wahrscheinlicherweise das traurige

Ereigniß, welches bald darauf die Stadt Bristol betraf, wo bei seiner richterlichen Rundreise zu Haltung der provinziellen Assisen (am 29. und 30. September), das aufgeregte Volk sich zu den größten Excessen hinreißen ließ.

Ganz besonderes Aufsehn erregte es, als der Kriegsmini­

ster Wynne, der aber nicht zum Cabinet gehört, in der Sitzung am 4. Februar erklärte, daß er die Reformbill mit gutem Ge­

wissen nicht unterstützen und daher auch in seinem Amte nicht bleiben könne.

Er wurde durch Sir Henry Parnell ersetzt,

welcher in der folgenden Sitzung aus einer ähnlichen Ursache dasselbe Schicksal hatte.

Indessen wurde die öffentliche Mei­

nung im Sinne der Reform bearbeitet und sprach sich mit großer Energie aus.

Man zählte in London 26 Zeitblätter,

die für und nur 4, die dagegen waren, in den Provinzen aber

53 dafür und 7 dagegen.

Hier las man die heftigsten De-

clamationen gegen die Opposition, welche sonach nur einen geringen Spielraum zu ihrer Vertheidigung hatte.

Auch darf

man nicht vergessen, daß die allgemeine Gährung die Sinne betäubte und die Köpfe in einem Strudel forttiß, der nicht

mit einigen Worten zu beschwichtigen war, so gewichtig sie auch hätten sein können.

Leicht wird aber jeder, der die zur

Vertheidigung der Reform gehaltenen Reden liest, die Sophis-

28 1831. men, Scheingründe und Trugschlüsse erkennen," welche dabei verschwendet werden.

Eine Maßregel, die an sich gut ist,

braucht solche logische Schminke nicht; allein man durste sich, auf dem einmal eingeschlagenen Wege nicht von der Behaup­ tung entfernen, daß alles Unheil im Lande einzig und allein von der fehlerhaften Repräsentation und den dabei eingerisse­

nen Mißbrauchen ausgegangen sey.

Die Minister haben dieß

zwar früher nie ausgesprochen, und erst in einer spätern Pe­ riode entschlüpfte Lord Grey dieß Geständniß; aber sie ließen

doch geschehen, daß es geglaubt wurde, und brachten stets die

Erleichterung des Volks damit in Verbindung.

Es kann da­

her keinem Zweifel unterliegen, daß sie sich dadurch von Hause aus in eine falsche Position gesetzt hatten, und es gehörte das

allgemeine Geschrei nach Reform dazu, um diese große Blöße zu decken. Zn der Sitzung vom 23. März wurden die Stimmen

für die zweite Lesung der Dill gesammelt, welche mit der blo­

ßen Mehrheit einer einzigen Stimme, 302 gegen 301, durch­ ging, welches mehr den Schein einer Niederlage als eines

Sieges hatte.

Dessenungeachtet wurde gleich am folgenden

Tage die Reformbill für Irland dem Unterhause vorgelegt;

zugleich fand Lord Grey im Oberhause Veranlassung, sich in

den stärksten Ausdrücken über die unbedingte Nothwendigkeit der von ihm eingebrachten Bill auszulassen.

Dieß war aber

das Signal zu den heftigsten Discussionen in beiden Häusern, wobei die Minister so ins Gedränge kamen, daß sie sich am

Ende genöthigt sahen, zu einer Auflösung des Parlaments ihre Zuflucht zu nehmen, welche am 22. April erfolgte.

Die

Freude darüber unter dem verblendeten Volke war eben so ausgelassen als seine Wuth gegen die sogenannten Aristokraten, welches die Fensterscheiben in mehreren Hotels, und nament-

lich des Herzogs Wellington' und Sir Robert Peel's entgel» is31. ten mußten.

Das neue Parlament wurde den 21. Juni von dem Kö­ nig in Person eröffnet.

Es ließ sich nicht verkennen, daß das

nunmehrige Unterhaus dem Cabinet sichtbar gewogener war

als das frühere.

Die Reformbill wurde von demselben in der

Sitzung vom 22. September mit einer Mehrheit von 109

Stimmen (345 gegen 236) definitiv angenommen. hause dagegen ging es sehr stürmisch zu.

Im Ober­

Dort begann der

Kampf gegen die Minister mit einem Angriff auf die Grund­

sätze, welche in Bezug auf die auswärtigen Angelegenheiten

befolgt wurden.

Die Verhältnisse mit Holland und Portu-

gall, die vorgeschlagene Demolirung der mit englischem Gelde erbauten niederländischen Festungen und die Absendung eine*

französischen Flotte nach dem Lagus gaben die nächste Ver­ anlassung dazu.

In der letztem besonders erblickte man die

Einleitung zur völligen Vertreibung Don Miguels.

Es ist

aber ausfallend, daß dabei nicht von dessen größer« Rechte, welches doch evident ist, sondern nur von seiner Popularität

gesprochen und als Besitztitel geltend gemacht wurde.

Diese Debatten wurden noch heftiger, als unterdessen die Holländer am 2. August einen Einfall in Belgien unternom­

men hatten, und eine französische Armee von Maubeuge her ihnen entgegen eilte und am 9. d. M. die niederländische

Gränze wirklich überschritt.

Dem seit dem 4. November 1830

in London zusammengetretenen Congreß der fünf großen Mächte gelang es zwar, diese Differenz zu vermitteln, allein die Paine hatte sich durch diese offene Fehde auf einen Standpunkt erho­ ben, wo es ihr unmöglich war, in Bezug auf die Reform

irgend eine Nachgiebigkeit zu zeigen.

Auch siel die Bill bei

der zweiten Lesung am 8. October mit einer Majorität von

41 Stimmen (199 gegen 158) gänzlich durch, und man kann

30 1831.

diese Consequenz, diese Standhaftigkeit der Lords, in der Mitte

solcher Convulsionen, seine Bewunderung nicht versagen.

Der

Widerstand wär ihre heiligste Pflicht, auch wenn die Zwecklo­

sigkeit desselben sich voraussehn ließ, und es macht ihnen die größte Ehre, daß keine Drohung, keine Gewaltthat sie schreckte. Es ließ sich erwarten, daß das Unterhaus mit diesem

Ausgange unzufrieden seyn würde.

Dasselbe erklärte sein Be-

dauem darüber öffentlich und that den festen Entschluß kund,

bei der Reform zu beharren und die Minister dabei mit allen Kräfte» zu unterstützen.

Diese wurden daher ersucht im Amte

zu bleiben, wozu sie sich natürlich auch willig finden ließen und zugleich die Einbringung einer neuen Reformbill in der

nächste» Session änkündigten, worauf das Parlament am 20.

October, Anfangs bis zum 22. November und nachher bis zum 6. December prorogirt würde.

Das Volk, in seine» Erwartungen getauscht oder sich dafür haltend, überließ sich den betrübendsten Excessen, in Lon­

don sowohl als in mehrer» Grafschaften.

Die Fenster, des

Herzogs Wellington wurden noch, einmal das Opfer aufge­ regter Volkswuth; der Marquis Londonderry wurde auf öffentlicher Straße auf die gröblichste Weise gemißhandelt; in

Derby rottete sich das Gesindel zusammen und demolirte meh­ rere Häuser,' und in Nottingham wurde das Schloß des Her­

zogs von New-Eastle.in Brand, gesteckt.

In Irland nahmen

die Unordnungen sichtbar überhand; häufig mußte das Mili­

tär gegen die Ruhestörer ausrücken.

Diese letztem trieben ih­

ren frechen Unsinn sogar so weit, den Zehnten förmlich zu verweigern, welches Veranlassung zu neuen blutigen Auftrit-

it» gab.

Ueberall bildeten sich politische Vereine, und die

Minister,

die gewissermaßen auf deren Beistand rechneten,

wagten nicht , viel dagegen zu thun, sondern begnügten sich damit, sie' außer Zusammenhang unter einander zu setzen und

so die Wirkung derselben zu einem gemeinschaftlichen Zweck 1831.

zu brechen. —

In der Eröffnungsrede des neuen Parlaments am 6. December wurde die Verwerfung der Reformbill von Seiten

des Oberhauses ganz mit Stillschweigen übergangen und alles

vermieden, was auf ein der Opposition gemachtes Zugeständniß gedeutet werden könnte.

Die neue Reformbill wurde

gleich, am 12. December, eingebracht, wieder von Lord I.

Russell, und die zweite Lesung derselben schon am 18. mit einer Mehrheit von 162 Stimmen (324 gegen 162) geneh­

migt.

Sie enthielt, in Bezug auf die vorige, einige wichtige

Modisicationen über die Ertheilung des Wahlrechts und den

Wahlcensus, behielt aber 'die bisherige volle Zahl der Depütirten, 658, bei.

Es verloren jedoch 56 Burgflecken alle ihre

Mitglieder und 30 die Hälfte, die Stadt Uarmouth 2 von

4, und davon sollten 64 an die größer» Städte,- 3 an Wa­ les, 8 an Schottland, 5 an Irland übergehen, die übrigen 8 aber unter die englischen Grafschaften vertheilt werden.

Es

zählten daher England und Wales 500, Irland 105 und

Schottland 53 Deputirte.

Die beiden letztem Königreiche sa­

hen wohl ein, daß sie bei dieser Vertheilung zu kurz gekom­ men waren/indessen fanden sie es doch angemessen, den Gang

der Sache' nicht durch ihre Einsprüche zu stören oder gar auf» 'zuhalten.

Die Hauptfrage und die, welche am meisten Widerspruch 1832. erfuhr und erfahren hatte- war immer die, ob es Recht oder wenigstens angemessen sey, gewissen Orten ihr Wahlrecht ganz

zu entziehen, um solches auf andre nicht betheiligte Commu­ nen zu übertragen, oder ob man geben sollte-ohne zu neh­

men.

Darüber war gleich von Hause aus viel discutirt wor­

den; und über das Recht konnte eigentlich kein Zweifel ob­

walten; das Unterhaus sand sich indeß jedesmal, und jetzt

32 1832, wieder veranlaßt, sich über dm Standpunkt gemeinen Rechts

zu erheben und die Sache aus einem allgemeinern Gesichts» punkte aufzufaffen.

Daher wurde in der Sitzung vom 20.

Januar,1832 die Gewissenhaftigkeit derer, welche diesem Auf­ schwungs sich nicht zu folgen trauten, durch eine Mehrheit von 198 gegen 123 Stimmen, wenn auch nicht beschwichtigt, doch überstimmt.

Im Oberhause mußten die auswärtigen Verhältnisse und namentlich die holländisch-belgische Angelegenheit wieder de»

Stoff zu den Angriffen gegm die Minister liefern.

Lord

Aberdeen trug darauf an, die am 15. October 1831 von der Londoner.Conferenz unterzeichneten, so bekannten 24 Artikel

in einer, Adresse an das Staats-Oberhaupt als unvereinbar mit der Ehre der Krone und dem, Interesse Englands zu er­

klären.

Lord Grey, der dieses bestritt und auch am Ende den

Sieg davon trug, ereiferte sich dabei so sehr, daß er ganz ge­

gen parlamentarische Gewohnheit in seinem eignen Namen zu

sprechen anfing, wo er nur im Namm der Regierung oder des Königs hätte, sprechen sollen.

Glücklicherweise wurde es nicht

weiter bemerkt.. Dagegen entstanden im Unterhaus« über die

fernere Bezahlung der russischen Schuld in Holland Differen­ zen, wobei die Minister nahe daran waren den Kürzern zu

ziehen, zum Beweise daß ihre Popularität, namentlich in Geld­ sachen, nicht so. fest begründet war, als sie es vielleicht glau­

ben mochten, Die Verbindlichkeit, von welcher hier die Rede ist, hatte England durch einen am 19. Mai 1815 mit Rußland und Holland

abgeschlossenen Tractat

übemommen.

Es waren

nämlich die ehemaligen östreichischen Niederlande mit Holland

vereinigt worden, und dieses hatte dafür das Cap der guten Hoffnung, so wie die Colonien Demerara, Berebice und Effequebo an England abgetreten.

Der erwähnte Tractat stand

hiermit in Verbindung, indem Rußland früher ein Capital iszr.

von 50 Millionen in Amsterdam ausgenommen hatte, Eng­ land und Holland aber jetzt gemeinschaftlich, und zwar jeder zur Hälfte, die Wiederbezahlung und Verinteressirung dessel­ ben zu 5 Procent übernahmen.

Dabei wurde stipulirt, daß

die russische Regierung die volle Gewahr dieses Anlehns über­ nähme, so daß die Verbindlichkeit zur Rückzahlung desselben von Seiten Englands und Hollands aufhöre, wenn Belgien wieder von Holland sollte getrennt werden; ein Krieg unter

den contrahirenden Theilen aber sollte diese Wirkung nicht haben. Auf diesen Vorbehalt gestützt behauptete die Opposition,

daß die Zahlungen jetzt, nachdem Belgien wirklich nicht mehr mit Holland vereinigt sey, schon hätten eingestellt werden sol­

len; das Ministerium dagegen führte an, daß im Tractat die Trennung Belgiens von Holland durch eine fremde Gewalt

zu verstehen sey, und daß es daher gegen alle Grundsätze des Rechts und der Billigkeit, ja gegen die Ehre von Großbritta-

nien streite, sich in einem Augenblicke darauf zu berufen, wo England selbst diese Trennung herbeigeführt habe.

geachtet

Dessenun­

hatten die Minister bei der Abstimmung nur eine

Mehrheit von 24 Stimmen (238 gegen 214), und da nach

den Institutionen des Landes eine förmliche Autorisation des

Parlaments zu Fortbezahlung jener Interessen erforderlich war, so kam die Sache noch einmal zur Sprache und wurde erst nach einer weitläuftigen Discussion vom Unterhause am 20.

Juli und von dem Oberhause in der Sitzung vom 1. Au­ gust definitiv genehmigt.

Bei dieser Gelegenheit war es auch,

wo der Staatssecretär des Kriegs, Sir Henry Parnell, weil er sich geweigert hatte, mit dem Ministerio zu stimmen, ent­

lassen wurde und Sir I. C. Hobhouse, einen eifrigen Libe­ ralen, zum Nachfolger bekam.

C

34 1832.

Noch zwei Umstände kamen in Bezug auf die auswär. tige Politik zur Sprache, welche eine Erwähnung verdienen.

Der erstere betrifft das Verfahren der Franzosen gegen die bestehende Regierung in Portugal!, und der zweite die

Besetzung von Ancona.

Ueber beide wurden den Ministern

starke Vorwürfe gemacht; allein diese, von einem fremdartigen

Ergotismus geleitet, erklärten, daß die Regierung über beide Ereignisse eine befriedigende Auskunft erhalten habe, ohne je­

doch zu bestimmen, worin dieselbe bestanden, und suchten sich noch durch die wenig scheinbare Beschuldigung zu decken, daß

die Opposition mit diesen Neckereien einen Bruch mit Frank­

reich herbeizuführen beabsichtige, welches das Ministerium auf

alle Weise zu verhindern suchen würde.

Da dieses ungefähr

der allgemeine Wunsch war, so ist es zu erklären, daß man

eine Sache fallen ließ, welche zu andern Zeiten ohne Zweifel größere Folgen gehabt haben würde.

Zu gleicher Zeit kann

man aber rückwärts schließend daraus erkennen, welcher Mit­ tel die Diplomatik sich bediente, um ihre Absichten durchzu­

setzen.

Wenn eine allgemeine Kriegsscheu einmal offenkundig

geworden ist, so kommt es darauf an, wer sich derselben mit

der großem Gewandheit zu bedienen versteht. Was die innern Verhältnisse des Landes

anlangt, so

wurde zwar die Zehnten-Angelegenheit- in Irland in beiden

Häusern in Berathung gezogen, allein es wurde nur ein pro­ visorischer Beschluß gefaßt, nämlich: die rückständigen Zehnten einstweilen aus dem öffentlichen Schatze zu bezahlen oder vorzuschießen, wozu vorläufig eine Million

angewiesen wurde,

in Zukunft aber diese Auflage ganz abzuschaffen und eine an­

dre an deren Stelle zu setzen..

Es ist begreiflich, daß das

Parlament vor der endlichen Entscheidung der großen Reform­

frage weniger Interesse für andre Gegenstände zeigte, die eine weitläuftige Diskussion erforderten; indessen erfährt man auS

dem gemachten Rapport, daß der Widerstand gegen die Be- 18.32 Zahlung des Zehnten, der im Jahre 1830 sich nur in einer

einzigen Gemeinde offenbarte, jetzt schon den dritten Theil

von Irland und selbst protestantische Districte ergriffen hatte. Die dritte Lesung der Reformbill ging in der Sitzung

vom 22. Marz (eigentlich am 23. früh) im Unterhause mit einer Mehrheit von 116 Stimmen (355 gegen 239) durch,

welches gegen das Resultat im vorigen Jahre ein bedeuten­

des Uebergewicht der Ministerialparthei bekundete.

Drei Lage

darauf wurde dieselbe vor das Oberhaus gebracht und mit großer Moderation ausgenommen.

Im Fall eines gleichen

Widerstandes, wie im vorigen Jahre, blieb der Regierung nichts übrig als die Creation neuer Pairs, und die Minister kündigten sowohl mündlich als durch die ministeriellen Blat­

ter an, daß sie fest entschlossen wären, von dieser königlichen

Prärogative Gebrauch zu machen.

gleich die Nachtheile einer so

Dabei suchten sie aber zu­

außergewöhnlichen Promotion

augenfällig zu machen, und es ging daraus klar hervor, daß

sie eigentlich einen Ausweg zu finden und die. Pairie, ohne

eine solche Maßregel, der Reform geneigt zu machen wünsch­ ten.

Dieß hielt indeß Lord Wellington nicht ab, seine Bei­

stimmung auf das bestimmteste zu verweigern und zu erklä­ ren, daß er darin keine Reform, sondern eine förmliche Revo­ lution erblicke, welcher Ausdruck indeß blos auf eine ungesetz­

mäßige Gewalt anwendbar seyn dürfte. Andre Redner (z. B. Lord Harrowby) gaben zu erken­

nen, daß durch die Verwerfung der ersten Bill der. Pflicht des Oberhauses eine Gnüge geschehen sey, und daß dasselbe nun mit Ehren der allgemeinen Stimme nachgeben Krme- welches

mehrfache Beistimmung fand.

Für das Ausland ist es merk­

würdig,. bei Gelegenheit dieser Diftusstonen zu sehen-,, wie na­

mentlich Lord Durham darauf besteht, den ungeheuren UnkoC 2

36 1822. sten der Wahlen ein Ende zu machen, indem die seinige, UN» geachtet seiner zahlreichen Anhänger, ihm 30,000 Pfund, über

200,000 Thaler,. gekostet habe.

Er mußte z. 53. die Wähler

auf seine Kosten nach Durham transportiren und dort ver­

pflegen lassen,.-welches ihm täglich 1000 Pfund, 7000 Lhlr., kostete.

Was.ist also das gepriesene Wahlgeschäft und der

damit verknüpft sein sollende Einfluß auf die Beschlüsse der

Regierung anders als eine Täuschung, wobei noch dazu die

Grundsätze öffentlicher Moralität auf eine unerlaubte Weise mit Füßen getreten werden? Die Genehmigung zur zweiten Lesung erfolgte am 14.

April.

Sie wurde gewissermaßen, durch die Drohung einer

Pairscreirüng erzwungen; daher betrug

die Majorität auch

nur 9 Stimmen (184 gegen 175), und ohne die Abwesenden, welche durch Drocuration stimmten,, würden nur 128 Stim­

men gegen 126 für die Minister gewesen seyn.

Die Bill

wurde nun dem Ausschuß zur jähern Prüfung überwiesen,

und diese begann am 7. Mai. 'Die Hauptfrage, ob' es nicht

dem Geiste, der brittischen Gesetzgebung angemessener sey zu geben als zu nehmen, kam wieder auf das Tapet, und Lord

Lyndhurst trug in dieser Beziehung, jedoch mit vieler Mäßi­ gung, darauf- an, vor allen Dingen zu untersuchen , wem das

Stimmrecht übertragen werden könne und wem es-übertragen werden solle.

Lord Brougham.replicirte darauf init großer

Heftigkeit, daß das Ministerium wohl einsähe, man wolle von Seiten der -Paine die verfallenen Burgflecken aufrecht erhal­

ten, daß ab«.dieß gegen das erste Princip der Reform an­

stoße,, und daß, wenn dieser Antrag durchginge, es nichts wei­ ter heiße, als: die Bill indirect verwerfen, welches jedem ge­

sunden Menschenverstand einleuchtend sey, u. s. w.

Dessenun­

geachtet ging der Antrag doch mit 35 Stimmen (151 gegen

116) gegendie Minister durch.

Es kommt bei den englischen Parlamentsverhandlungen i8Z2. mehrmals vor, daß auf Dinge, die gerade nicht -den Anschein großer Wichtigkeit haben, eine ganz unerwartete Explosion er­ folgt.

Man kann dieß nicht anders erklären, als daß gewisse

Reden oder Handlungen dazwischen liegen müssen, die nicht vor die Ohren des großen Publikums gekommen sind. scheint auch hier der Fall gewesen zu seyn.

Das

Den Lag nach

dieser Niederlage fuhren die Lords Grey und Brougham nach

Windsor, um vom König die Creirung neuer Pairs zu erwir­

ken, Und als dieß verweigert wurde, reichten sämmtliche Mi­ nister ihre Entlassung ein, welche der König annahm.

Eindruck, welchen dieses Ereigniß machte,

wurde, war außerordentlich.

als

es

Der

bekannt

Die Einwohner von London

zuerst und nach und nach das ganze Land geriethen in die

größte Aufregung.

Es wurden Versammlungen gehalten, die

heftigsten Declamationen gehört, die übertriebensten Beschlüsse

gefaßt, um die Reform, welche man bedroht glaubte, aufrecht zu erhalten.

Vielleicht war seit Carl I. nie ein solches Schisma

zwischen dem Hofe und der Masse des Volkes gewesen.

Auch

im Parlament erhitzten sich die Partheien gegenseitig.

Alles

war zu befürchten, und da man so nahe daran schien, die

Gränzen legalen Widerstandes zu überschreiten, so war es na­ türlich, daß die Regierung nicht versäumte, ihrer Seits Maß­ regeln zu ergreifen.

Die Offiziere der Garde zu Pferde er­

hielten Befehl, Nachts in den Casernen zu verweilen; Trup­ pen aus Windsor marschirten nach London, und aus Ports­

mouth wurden Marinesoldaten herbeigezogen.

Unterdessen waren die, Lords Wellington und Lyndhurst

im Auftrage des Hofes bemüht, ein neues Ministerium zu formtreu, überzeugten sich aber bald, daß bei dem damaligen Stande der Dinge ein Tory-Ministerium eine Sache der Unmög­ lichkeit sey, und schon am 18. Mai erklärte daher Lord Grey, daß

38 183a. die Minister im Amte bleiben würden und die gegründete Hoff­

nung aussprechen könnten, die Bill in ihrem ganzen Umfange

und ohne alle Beschränkung durchzubringen.

Damit war al­

les beschwichtigt und die unterbrochene Ruhe kehrte überall

zurück.

Es war jetzt die Frage, und man war sehr gespannt

zu erfahren, ob die. Pairskammer sich nachgiebig zeigen oder

ob die Krone den Entschluß fassen würde, creiren.

neue Pairs zu

Es fand sich aber schon am nächsten Tage, daß die

Opposition im Oberhause aus zwei Uebeln das kleinste ge­ wählt hatte.

Sie gab ihren Widerstand nicht förmlich auf,

enthielt sich aber alles Stimmens, und so wurde, die dritte Lesung am 4. Juni votirt, worauf die königliche Sanction

am 7. erfolgte, so wie für Schottland den 17. Juli, und für

Irland

den 7. August.

Sv

Werk der Reform vollbracht!

war

denn

nun das

große

Die Freude darüber war all­

gemein und gab sich in allen Provinzen und Städten durch

große Feste, Gastmähler, Illuminationen und andre Lustbar­ keiten kund, wie das gewöhnlich zu geschehen pflegt.

Der

große Haufe, außer Stande die Sache in ihrem ganzen Um­

fange und wahren Verhältniß zu übersehen, überließ sich der ausgelassensten Freude, in der Hoffnung daß nun alles Elend

aufhören, alle Ansprüche befriedigt werden würden.

So,

scheint es, nützt die Erfahrung der Vergangenheit nur weni­

gen erleuchteten Köpfen, deren Stimme aber zu schwach ist, den Taumel der Leidenschaften zu besänftigen.

Kaum hatte die Reformbill gesetzliche Kraft erhalten, so

regte sich der antiministerielle Geist der Pairskammer von neuem, indem er die Minister auf einer Seite packte, die al­

lerdings die verwundbarste schien, nämlich die äußere Politik. Da der Herzog Wellington und Lord Aberdeen auf diesem

Felde ganz besonders zu Hause waren, so hatte der Minister der auswärtigen Angelegenheiten

einen harten Stand.

In

Bezug auf Portugall erklärte er, daß man die strengste Neu- 1832. tralitat zu beobachten entschlossen sey, so lange die übrigen Mächte ein gleiches System befolgten.

Es wurde aber in der

Folge wahrscheinlich, daß hier zwei entgegengesetzte Verspre­

chungen mit einander kämpften.

Indessen wurde die im Ta-

gus stationirte Flotte des Admirals Parker mit drei Kriegs­

schiffen verstärkt, und dieser erhielt den Auftrag, auf Spanien

rin wachsames Auge zu haben und jede Intervention von da­

Die Verhältnisse Rußlands zu Polen

her zurück zu weisen.

und die Beschlüsse der deutschen Bundesversammlung in Be­ zug auf die kleinern Staaten wurden ebenfalls benutzt, um

das Ministerium in Verlegenheit zu setzen, und dasselbe ließ sich dadurch in der That zu Schritten verleiten, die die Grän­

zen der Befugnisse freundschaftlichen Verkehrs unter den Staa­ ten zu überschreiten schienen und daher einen ganz entgegen­ gesetzten Erfolg hatten.

Inciilit in Scjllam, qni vnlt vitare Cbarybdim. — Man konnte voraussehn, daß das jetzige Unterhaus mit

der Reform nicht zusammen bestehn würde; auch war seine Wirksamkeit gering, und es verdienen nur noch zwei Acte des­ selben hier eine Erwähnung.

Der erste war die Regulirung

des Zehnten, welche aber definitiv erst in einer spätern Sitzung zu Stande kam.

Die Hauptbeschwerde gegen den Zehnten in

Irland beruhte darauf, daß die Katholiken diese Abgabe an die protestantische Geistlichkeit zahlen mußten,

nichts dafür leistete;

welche ihnen

wozu noch kam, daß die Protestanten

nur etwa den siebenten oder achten Theil der ganzen Bevöl­

kerung ausmachen.

Schon einige Jahre vorher hatte man

diesem Uebelstande abzuhelfen gesucht, und die Ablösungen

durch wechselseitige Uebereinkunft gestattet, woraus aber viel

Streitigkeiten entstanden waren.

Dann wurde es auch'als

ein Nachtheil erklärt, daß solche Transaktionen nur auf 21

40 1832. Jahr giltig seyn sollten und nach Verlauf dieser Zeit die Ab» lösungsquanta nach den veränderten Preisen abgeändert wer­

den könnten. Lord Stanley schlug daher vor, die Transactionen gesetzlich anzubefehlen und die Ablösungsquanta alle vier Jahre nach dem jeweiligen Werthe des Grundstücks festzusetzen. Bei

entstehenden Streitigkeiten sollte die Sache durch eine Com­ mission entschieden werden.

Dieser Antrag wurde in beiden

Häusern angenommen, ob es sich gleich nach den von der Op­ position dagegen vorgebrachten sehr erheblichen Gründen vor-

ausberechnen ließ, daß damit das Uebel noch nicht gehoben sey, besonders da die ganze irische Bevölkerung sehr gegen

diese Abgabe eingenommen war. Der zweite und letzte Act des gegenwärtigen Parlaments,

der hier angeführt zu werden verdient, betrifft die Milderung der Criminalgesetze durch Abschaffung der Todesstrafe für Vieh und Pferdediebstahl, und für Verfälschung, außer bei Testa­

menten und bei Umschreibungen von Staatspapieren.

Darauf

wurde am 16. August das Parlament zuerst prorogirt und

später völlig aufgelößt. Was die Lage des Landes im Innern anbetrifft, so dauer­ ten die Unruhen in Irland fort.

Die Widersetzlichkeit gegen

die Bezahlung des Zehnten wurde stets heftiger, und man ging sogar so weit, nicht nur die größten Drohungen gegen

diejenigen auszustoßen, welche vielleicht noch im Sinne haben

könnten, diese Abgabe zu entrichten, sondern auch die Einneh­ mer desselben, Grundherrn und Geistliche ohne Unterschied, auf

das gröbste zu mißhandeln, wobei die Polizeiofsicianten na­

mentlich mit Ermordung bedroht wurden.

Der Schrecke»

darüber war so allgemein, daß, wenn dergleichen Fälle gericht­

lich zur Sprache kamen, weder Geschworne noch Zeugen ihre

Schuldigkeit zu thun sich getrauten.

Es wurden von den

Ruhestörern Zusammenkünfte gehalten und Beschlüsse gefaßt,

denen niemand entgegenzuhandeln wagte, und wo es geschah, I83L wurde die grausamste Rache genommen.

Die Gerichte waren

ohnmächtig, und die des Mordes Angeklagten wurden aus

Furcht sreigesprochen.

Manchmal kam es zu Austritten zwi­

schen dem Militär und den auffässigen Bauern, wovon manche

niedergeschossen wurden.

Allein die Erbitterung war zu groß

und nicht so leicht zu dämpfen.

Zn dieser Stimmung ist es

leicht zu begreifen, daß die oben erwähnte Zehntenbill in die­ ser Gestalt keine große Wirkung hervorbrachte. Während die Wahlen für das neue Parlament die all­

gemeine Aufmerksamkeit beschäftigten, war am 22. Oktober der Traktat unterzeichnet worden, durch welchen sich England

anheischig .machte, mit Frankreich gemeinschaftlich, die Räur mung der Citadelle von Antwerpen zu bewirken.

Die Folge

davon war ein Embargo auf alle holländischen Schiffe in englischen Häfen (6. November), so wie die Bereinigung der französisch-englischen Flotte zu Spithead, welche in den ersten

Tagen des Novembers auslief, um die Blokirung der hollän­ dischen Küsten zu bewerkstelligen.

Zugleich rückte eine franzö­

sische Armee den 15. November über die belgische Gränze und vereinigte sich am 22. vor Antwerpen, um diese Citadelle den

Holländern mit Gewalt der Waffen zu entreißen..

Auf den

englischen Handelsstand, der mit Holland in der engsten Ver­

bindung stand und dieß Land als seinen Entrepot betrachtete, machte diese Schilderhebung den ungünstigsten Eindruck. Meh­ rere große Handelshäuser hatten bedeutende Verluste, und der

König erhielt von den meisten Handelsstädten Adressen, welche

die tiefste Betrübniß über eine Maßregel ausdrückten, die, wie sie meinten, auf keine Weise von Seiten Hollands hervorge­

rufen worden sey.

Diese Gründe scheinen so klar und über­

wiegend, daß man kaum begreift, wie England, dessen Han­ delsinteresse alle Cabinetsbeschlüsse bestimmt, so hartnäckig auf

42 1832. einer solchen Maßregel bestehen konnte, und man kann sich kaum enthalten, dabei an einen fremdartigen mächtigen Ein»

fluß zu glauben.

Das Reform-Parlament. 1833.

Die neuen Wahlen *) waren den Ministern im Ganzen

sehr günstig gewesen, und sie konnten mit Grund auf eine starke Majorität rechnen, welche die Reform ihnen verschafft

Hatte.

Diese große Maßregel, welchen Anschein man ihr auch

zu geben sich bemühte, war im Grunde weiter nichts als ein Triumph der Plebejer über die hohem Classen und ihre Pri­

vilegien, oder vielleicht nur der erste Schritt dazu, und wenn man die Geschichte der europäischen Civilisation von den frü­ hesten Zeiten an zu Rathe zieht, so kann es nicht unbemerkt

•) Das Verhältniß der Wähler stellte sich jetzt folgendermaßen:

a) In England ernannten 40 Grafschaften mit 544,564 Wähler» 144 Deputirte 135 Städte

-

274,659

-

327

-

619,223

-

471

-

b) In Wales 12 Grafschaften mit

14 Districte

-

25,815 Wählern

15 Deputirte

11,309

-

14

-

37,124

-

29

-

c) In Schottland 30 Grafschaften mit 33,115 Wählern 76 Städte 34,332 -

67,447

-

30 Deputirte 23

-

53

-

d) In Irland

30 Grafschaften mit

60,607 Wählern

64 Deputirte

34 Städte

31,545

»

41

92,152

-

105

-

Zusammen

-

815,946 Wähler, 658 Deputirte.

42 1832. einer solchen Maßregel bestehen konnte, und man kann sich kaum enthalten, dabei an einen fremdartigen mächtigen Ein»

fluß zu glauben.

Das Reform-Parlament. 1833.

Die neuen Wahlen *) waren den Ministern im Ganzen

sehr günstig gewesen, und sie konnten mit Grund auf eine starke Majorität rechnen, welche die Reform ihnen verschafft

Hatte.

Diese große Maßregel, welchen Anschein man ihr auch

zu geben sich bemühte, war im Grunde weiter nichts als ein Triumph der Plebejer über die hohem Classen und ihre Pri­

vilegien, oder vielleicht nur der erste Schritt dazu, und wenn man die Geschichte der europäischen Civilisation von den frü­ hesten Zeiten an zu Rathe zieht, so kann es nicht unbemerkt

•) Das Verhältniß der Wähler stellte sich jetzt folgendermaßen:

a) In England ernannten 40 Grafschaften mit 544,564 Wähler» 144 Deputirte 135 Städte

-

274,659

-

327

-

619,223

-

471

-

b) In Wales 12 Grafschaften mit

14 Districte

-

25,815 Wählern

15 Deputirte

11,309

-

14

-

37,124

-

29

-

c) In Schottland 30 Grafschaften mit 33,115 Wählern 76 Städte 34,332 -

67,447

-

30 Deputirte 23

-

53

-

d) In Irland

30 Grafschaften mit

60,607 Wählern

64 Deputirte

34 Städte

31,545

»

41

92,152

-

105

-

Zusammen

-

815,946 Wähler, 658 Deputirte.

bleiben, daß ein solcher Kampf in jeder aristokratischen Mo» 1833. narchie beinahe unausbleiblich scheint.

53on diesem Gesichts­

punkte betrachtet ließ es sich voraussehen, daß die Gemeinen,

die nun Radikale heißen, mit diesem Einen Schritte sich nicht begnügen, sondern immer mehr verlangen würden, während

auf der andern Seite die Tory's, oder vielmehr, nachdem das

neue Grundgesetz den Unterschied- zwischen Lory und Whig im Wesentlichen verwischt hat, die Conservattven als entschie­

dene Gegner aller Neuerungen dastanden..

Die Administra­

tion hatte sich daher durch die Reform einen doppeltm Kampf

bereitet, einmal gegen diejenigen, die in ihren Forderungen

keine Mäßigung kannten, und dann gegen die, welche selbst nothwendige Verbesserungen verwarfen; und wenn es gleich

wahr ist) daß sie sich der beiden Partheien gegen einander be­ dienen konnte, so -ließ es sich doch voraussehn, daß ein sol­

ches Spiel-keine Dauer haben würde und zuletzt den Mini­

stern selbst verderblich werden mußte, weil bei einem aufge­ regten Volke und einer unbeschränkten Preßfreiheit nichts leich­

ter ist, als hohe Staatsbeamte unpopulär zu machen. —

Es wurde gleich bei Eröffnung des neuerwahlttn Par­

laments, am 29. Januar, die Frage aufgeworfen, vb Herr Manners Sutton, der den Präsidentmstuhl des Unterhauses seit fechszehn Jahren mit Ruhm und zur allgemeinen Zufrie-

denheit inne gehabt hatte, wieder zum Sprecher erwählt wer­ den sollte.

Man machte ihm seine aristokratischen Grundsätze

zum Vorwurf, konnte aber nicht in Abrede stellen, daß er die Präsidentschaft stets mit der größten Unparteilichkeit geführt

habe und bei seiner langjährigen Erfahrung und Sachkennt-

niß unentbehrlich sey.

Dieß und vielleicht der Mangel eines

andern passenden Candidaten machte, daß er mit 241 gegen

31 Stimmen wieder gewählt wurde.

In den frühern Sitzun­

gen war diese Wahl stets ohne allen Widerspruch erfolgt, und

44 1833, eö zeigte sich hier zum. ersten Male eine, wenn auch nur ge­

ringe, Opposition.

Die Thronrede und die darauf votirte Adresse der Häu­ ser enthalt in der Regel die Präliminarien zu der ganzen

Sitzung, und es laßt sich daraus der muthmaßliche Gang der Debatten-im Allgemeinen schon übersehen; indessen, um Wie­

derholungen zu vermeiden, ist es vielleicht gerathner, das Par­ lament gleich in seiner Wirksamkeit zu betrachten,

und die

Arbeiten desselben, in so fern sie einen allgemeinen Einfluß

haben, .von einander abzusondern.

Die Leistungen desselben

und deren Wichtigkeit werden auf diese Art am leichtesten auf­

zufassen seyn.

I.

Irländische Angelegenheiten. 1.

Die Zwangsbill.

Man kann schon denken, daß der Zustand eines Landestvelches ein Gesetz wie die Zwangsbill erheischt, trostlos sein muß, und so war es auch.

Es ist schon vorher von den Auf­

tritten und Tumulten in Irland im Allgemeinen die Rede ge­ wesen, welche jetzt von dem Ministerio in beiden Häusern als

Motiv des gesetzlichen Antrags angegeben wurden.

„Haufen

von Banditen — sagte Lord Althorp im Unterhaus — bra­ chen in die Häuser ein und tödteten die Bewohner, Männer-

Weiber und Kinder, oft auf die grausamste Weise, am hellen Tage, ohne allen Widerstand, ohne den geringsten Versuch, die

Mörder habhaft zu werden.. Pachterwohnungen wurden nächt­ licher Zeit in Brand gesteckt, und die, welche sich aus den

Flammen zu retten suchten, mit Flintenschüssen empfangen oder sonst gemißhandelt.

Gelang es nicht, die Wohnung ei­

nes Pachters mit Gewalt zu erbrechen, so wurden die Wirth­

schaftsgebäude mit den Vorräthcn in Brand gesteckt.

Die Ur­

sachen dieser Greuel waren theils der Zehnte, theils aber auch

Privattache, und sie nahmen täglich mehr übshand "

Lord 1833.

Althorp legte dem Hause eine Liste vor, nach welcher im Jahr

1833 folgende Verbrechen in Irland begangen worden waren:

163 Mordthaten, 487 Beraubungen,

1827 nächtliche Ein­

brüche, 194 Brandstiftungen, 70 Verstümmlungen von Heer« den, 744 verbrecherische Anfälle,, 913. gesetzwidrige Anzeigen, 407 Angriffe auf Eigenthum.

Die Haufen der Muhestörer,

welche mit dem Namen der Weißfüßler bezeichnet rwurden,

waren'vrganrsirt und gaben einander durch Feuerzeichen die Annäherung von Truppen oder Polizeibeamten kund.

„Die unter dem Namen der irländischen Freiwilli­

gen neuerlich, gebildete.Verbrüderung — sprach Lord Grey im Oberhause --- hat keinen andern Zweck als die Auflösung der Union, wie sie selbst zugiebt.

Sie soll sich über das ganze

Königreich verbreiten und von dem Centtalpunkt Dublin aus

durch geheime.Verbindungen in allen Provinzen geleitet wer­ den.

Diese Freiwilligen werden später d. h. wenn sie sich

stark genug fühlen, der Regierung die Spitze zu bieten, sich

auch bewaffnen und dann nach dem Beispiel eines benachbar­ ten Landes eine Art Nationalgarde formiren, unter dem Be­ fehl eines einzigen Mannes."

Dieser Mann, war Daniel

O'Connell, dem seine Anhänger, gewöhnlich den Namen des

großen Agitators beilegen. —

Dieses System, sagt Lord

Grey weiter in seiner Rede, ist ohne allen Zweifel eigends organisirt, .um den Frieden Und die Sicherheit des Landes zu

gefährden, die Rechte des Eigenthums zu verletzen, Mordthaten

zu begünstigen, den Gesetzen Trotz zu bieten, Kläger und Zeu­ gen durch Gewaltthaten abzuschrecken und die Geschwornen

einzuschüchtern.

Niemand war

mehr

als ich

über­

zeugt, —. fährt er fort, — daß die Emancipation hin­ reichend sey, die Ruhe wieder herzustellen, und daß

das Parlammt im Stande seyn würde, auf dem Wege der

46 1833. Verbesserungen fortzuschreiten, ohne alle weitere Gewaltthätig»

Veiten von Seiten des Volkes.

Ich habe mich sehr geirrt.

Diese Ruhe lag nicht in den Planen der Aufwiegler, sie hat«

ten das Vergnügen des Befehlens gekostet, und von diesem

Augenblick an lag ihnen gar nichts mehr daran, die Mißbräuche auf dem Wege der Ordnung und ruhiger Ueberlegung auszu­ rotten u. s. w."

Diefts Gestandniß ist in zweierlei Beziehung merkwür­

dig, einmal weil es die früher aufgestellte Bchauptung recht­ fertigt, daß das Ministerinn? wirklich so gut war zu glauben,

mit der Reform würde das Elend der niedem Volksklaffen, wenn auch nicht ganz verschwinden, doch durch die Aussicht

auf weitere.Verbesserungen erträglicher gemacht werden.

Das

würde auch allerdings der Fall gewesen seyn, wenn die allge,

meine Aufregung eine bloße Befürchtung zum Grunde gehabt hätte; das Uebel war aber ganz, materiell, und die Reform konnte den arbeit- und brodloftn Leuten weder das eine noch

das andre verschaffen.

Eine zweite Beziehung ist, daß der

Minister es hier selbst zugiebt, die Abschaffung der Mißbräuche

sey gar nicht der Zweck der Agitatoren.

Es hat. wirklich den

Anschein, als ob er erst hier auf eine Wahrheit gestoßen wäre, welche andern. Leuten nnd namentlich den Tory's, so wie al­

len Conservativen, schon längst zur Richtschnur ihres Handelns gedient hatte.

Dm Zustand von Irland schildett Lord Grey, mit fol­ genden Wotten:

„Die Ruhestörer handeln nicht blos gegen

den Zehnten; sie schreiben die Bedingungen vor,, unter wel­ chen Ländereien verpachtet werden sollen, und wer ihren Be­ fehlen nicht gehorcht,, setzt sich der Gefahr aus:,.sein Eigen-,

thum oder das Leben zu. verlieren.

Sie bezeichnen-die. Per­

sonen/ welche: arbeiten lassen müssen, und die, welche- zur. Ar-beit gebraucht werden sollm,. indem sie den letzter» verbieten^

für Herrn zu arbeiten, die sich ihren Haß zugezogen haben, 1833.

und den erstem, solche Arbeiter zu gebrauchen, die sich nicht

fügen wollen.

Sie setzen sich durch Gewaltthätigkeiten und

Mißhandlungen in Respect, durch Raub und Mord, durch nächtliche Einbrüche, wobei sie die Hausbewohner aus den

Betten reißen und sie so gröblich mißhandeln, daß sie oft dar­ über sterben.

Diese Leute versammeln sich auf gewisse Sig­

nale, vollführen verabredete Bewegungen, kennen den Marsch der Truppen und wissen ihnen stets auszuweichen, so daß der Gebrauch der bewaffneten Macht immer vergebens ist."

Die einzelnen Artikel und Vorschriften

der Zwangsbill

(Cpereion-bill) waren meistens aus frühern bei ähnlichen Ge­ legenheiten erlassenen Statuten hergeleitet.

Der Lord-Lieute­

nant wurde .ermächtigt, jede Versammlung, die nach seinem

Bedanken die öffentliche Ruhe und Sicherheit gefährdete, wel­ chen Namen sie auch führen möchte, zu unterdrücken.

Die

Zusammenberufung derselben ward als ein Verbrechen erklärt

und als solches der Bestrafung unterworfen.

Der. Lord-Lieute­

nant hatte die Macht, einen Distrikt oder eine ganze Graf­

schaft im Zustande des Aufruhrs zu erklären, und dann durfte kein Einwcchner unter schwerer Strafe eine Stunde nach Son­ nenuntergang sich ohne gesetzmäßige Ursache aus seinem Hause entfernen.

Die in Folge dieser Bill angeklagten Personen

mußten, wie bei Felonien,, ihre Vertheidigung auf der Stelle,

und ohne allen Aufschub bewirken.

Keine Vereinigung, sey

es um dem Parlamente eine Petition zu überreichen oder sich, über religiöse und politische Beschwerden zu besprechen, konnte,

ohne.Bewilligung des Lord-Lieutenants und ohne ihm zehn:

Tage vorher davon Anzeige gemacht zu haben, statt findenDie. in Aufruhr erklärten Distrikte wurden den. MilitärgesetzeNk unterworfen, und es sollten Kriegsgerichte ernannt werden, um die begangene Uebertretung. der Gesetze zu. richtem. .Die Anr.

48 1833. zahl ihrer Mitglieder durfte nicht weniger als fünf und nicht

mehr als neun betragen, und kein Offizier unter 21 Jahr und zwei Jahr Dienstzeit wurde dabei zugelassen.

Sie konntest

indeß nur die 'Verbrechen strafen, auf welche siebenjährige

-der lebenslängliche Deportation stand, und dazu Spezialmandat des Lord-Lieutenants erforderlich.

war ein

Die zu die­

sen Kriegsgerichten commandirten Offiziere konnten sonst des­

halb nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Es wurde

der Behörde gestattet (was sonst gegen die englischen Gesetze­

ist), wegen versteckter Waffen Haussuchung zu thun und die Widerspenstigen zu bestrafen.

Die Verbreitung aufrührerischer

Schriften in den mit Interdikt belegten Distrikten wurde als Verbrechen erklärt.

Endlich wurde die Habeascorpus-Acte

suspendirt mit der Beschränkung, daß jeder Arretirte innerhalb drei Monaten gerichtet oder in Freiheit gesetzt seyn müßte.

Dieß sind die wesentlichen Bestimmungen der Zwangs­ dill, welche im Oberhause beinahe ohne allen Widerspruch durchging:

Desto größer war der Widerstand im Unterhause,

wobei O'Connell sich, wie immer, sehr activ bewiest, und die

Debatten dauerten mehrere Tage fort.

Bei der Abstimmung

fand es sich aber, daß die Widersetzlichkeit nur von einer ge­

ringen Minorität- ausging, indem die erste 'Lesung mit einer. Mehrheit von 466 gegen 89 Stimmen genehmigt wurde.

Dieser Ausgang hätte die Opposition belehren sollen, daß ihre

Gründe keinen großen Eingang fanden; aber sie ließ sich nicht abschrecken, und kämpfte von neuem, wiewohl eben so vergeb­

lich, gegen die zweite Lesung, die mit 365 gegen 84 Stim­ men durchging.

Und so siel auch die letzte Abstimmung aus;

die Bill wurde, jedoch mit einigen Beschränkungen, definitiv

mit 345 Stimmen gegen 85 angenommen und sanctionirt.

Die Maßregel hatte augenscheinlich die beste Wirkung.

Sie. wurde nur in einer einzigen Grafschaft, Kilkenny, publi-

cirt, und es war nicht einmal nöthig ein Kriegsgericht zu bil- 1833» den; die Anzahl der Verbrecher verminderte sich augenblicklich,

und auf eine auffallende Weise.

Eben so wurden die irlän­

dischen Freiwilligen aufgelöst, nachdem dieselben vorher erklärt hatten, daß in einem solchen Falle alle ihre Pflichten und Verbindlichkeiten auf einen Mann, den Vater des Vaterlan-

des, Daniel O'Connell, übergehen sollten. Zn dem Ministerio ging, vermuthlich durch diese Bill

veranlaßt, eine Veränderung vor, indem Lord Durham, Schwie­ gersohn des Grafen Grey, angeblich wegm geschwächter Ge­

sundheit und schmerzlichem Familienverlust, abtrat.

Es wurde

unter dem Namen des Grafen Ripon zum

Lord Goderich

Großsiegelbewahrer ernannt; an seiner Stelle übernahm Lord Stanley das Secretariat der Colonien, und diesen ersetzte Sir John Cam Hobhouse als Secretär für Irland.

2.

Die Kirchcnreform.

Es war ohne Zweifel ein Uebelstand, daß die katholische Bevölkerung von Irland, welche sich zu der protestantische» etwa wie 7

1 verhält, die Geistlichen der ihnen fremde»

Kirche und zwar durch unmittelbare Abgaben direct ernähren mußte, welches sich noch aus den Zeiten der Eroberung her­

schrieb.

Man kann es daher nur als eine Verbesierung an­

sehn, daß die Minister darauf bedacht waren, dieser Auflage

eine andre Form zu geben,

in so fern dieß innerhalb der

Grenzen des Rechts und der Billigkeit geschehen konnte.

Lord

Althorp entwickelte im Unterhause am 12. Februar die Ab­ sichten der Regierung in Bezug auf diesen Gegenstand, und

da ein großes Geschrei von den übermäßigen Einkünften der Geistlichkeit in Irland gemacht worden war, so begann er mit

der Erklärung, daß diese zusammen nicht mehr als 732,000 Pfund betrügen.

Um. jedoch die Lasten des Volkes zumin«

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