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German Pages 167 Year 2005
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Band 156
Einseitige Interpretationserklärungen zu multilateralen Verträgen Von
Monika Heymann
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
MONIKA HEYMANN
Einseitige Interpretationserklärungen zu multilateralen Verträgen
Veröffentlichungen des Walther-Schücking-Instituts für Internationales Recht an der Universität Kiel Herausgegeben von J o s t D e l b r ü c k, R a i n e r H o f m a n n und A n d r e a s Z i m m e r m a n n Walther-Schücking-Institut für Internationales Recht
156
Völkerrechtlicher Beirat des Instituts: Rudolf Bernhardt Heidelberg
Eibe H. Riedel Universität Mannheim
Christine Chinkin London School of Economics
Allan Rosas Court of Justice of the European Communities, Luxemburg
James Crawford University of Cambridge
Bruno Simma International Court of Justice, The Hague
Lori F. Damrosch Columbia University, New York Vera Gowlland-Debbas Graduate Institute of International Studies, Geneva Fred L. Morrison University of Minnesota, Minneapolis
Daniel Thürer Universität Zürich Christian Tomuschat Humboldt-Universität, Berlin Rüdiger Wolfrum Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Heidelberg
Einseitige Interpretationserklärungen zu multilateralen Verträgen Von
Monika Heymann
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel hat diese Arbeit im Jahre 2004 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.
Alle Rechte vorbehalten # 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1435-0491 ISBN 3-428-11695-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Für Carsten
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2004 von der ChristianAlbrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Sie wurde im März 2004 fertig gestellt; neuere Literatur ist im Wesentlichen bis Dezember 2004 berücksichtigt und eingearbeitet. Ich möchte mich bei meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dr. Rainer Hofmann sehr herzlich für seine Unterstützung – auch schon während des Studiums – bedanken. Zudem schulde ich ihm und dem Zweitgutachter Herrn Prof. em. Dr. Dr. h.c. Jost Delbrück, LL.M., LL.D.h.c. (IN) großen Dank für die schnelle Durchführung des Promotionsverfahrens. Weiterhin möchte ich Frau Prof. Dr. Anne Peters, LL.M (Harvard) für die lehrreiche und schöne Assistenzzeit an der Universität Basel danken. Denn die Arbeit mit ihr und an ihrem Lehrstuhl hat maßgeblich zum Gelingen der vorliegenden Arbeit beigetragen. Weiterhin möchte ich mich beim Auswärtigen Amt und dem Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort für die großzügige Druckkostenunterstützung bedanken. Außerdem möchte ich mich bei meinen Eltern und meinen Freunden bedanken, die mich in vielerlei Hinsicht unterstützt haben. Großer Dank gebührt dabei insbesondere Anna Kühler, Karen Berger, Katja Maiwald, Holger Scheel und Joachim Schwind. Den größten Dank schulde ich Carsten. Ihm ist daher auch die Arbeit gewidmet. München, im Mai 2005
Monika Heymann
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1. Teil Definitionen und Abgrenzungen
17
§ 1 Der multilaterale Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
I. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
II. Die Entwicklung des Rechtsbegriffs „einseitige Interpretationserklärung“ . . . . .
24
1. Rechtslage vor der WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
24
2. Die travaux préparatoires zur WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
3. Die Entwicklung nach der Verabschiedung der WVK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
III. Die Definition einseitiger Interpretationserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
1. Einseitige Erklärung eines vertragsfähigen Völkerrechtssubjekts . . . . . . . . . . .
33
2. Wie auch immer bezeichnet oder formuliert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
34
3. Die die Auslegung einer Vertragsbestimmung bezweckt und nicht die Rechtswirkungen einer Norm in ihrer Anwendung ändert oder ausschließt .
37
a) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
37
b) Begrifflicher Unterschied zwischen Auslegung und Änderung der Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
38
c) Tatsächlicher Unterschied zwischen Auslegung und Änderung der Rechtswirkungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
d) Abgrenzungskriterien zwischen Auslegung und Änderung der Rechtswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
aa) Richtige Auslegung einer Norm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Objektiv richtige Deutungsmöglichkeit der Norm . . . . . . . . . . . . . . (2) Richtige Auslegung als verbindliche Auslegung . . . . . . . . . . . . . . .
48 49 51
10
Inhaltsverzeichnis bb) Wortlaut, historischer Parteiwille, oder Weiterentwicklungen seit der Vertragsgründung als Abgrenzungskriterien? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ziel der Auslegung: Wille oder Wort? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Vertrag als dynamische oder statische Ordnung? . . . . . . . . . . . . . . . (4) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54 54 55 60 64
cc) Methodengerechtigkeit der Auslegung als Abgrenzungskriterium? .
65
dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
e) Änderung der Rechtswirkungen durch eine qualifizierte Interpretationserklärung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
aa) Der Ansatz Horns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
73
bb) Der Ansatz des britisch-französischen Schiedsgerichts im Festlandsockelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
74
cc) Der Ansatz McRaes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
78
dd) Der Ansatz Pellets und der Völkerrechtskommission . . . . . . . . . . . . . . .
79
ee) Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
81
f) Bezwecken: subjektiver oder tatsächlicher Wille? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
87
§ 3 Regeln für die praktische Abgrenzung zwischen Interpretationserklärungen und Vorbehalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
I. Auslegungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
88
II. Vermutungsregel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 4 Problemfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Problemfall 1: Norm wird in Übereinstimmung mit den nationalen Gesetzen „ausgelegt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
93
II. Problemfall 2: Ausschluss bestimmter Auslegungsergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Problemfall 3: Vertragspartei erklärt das Abkommen für nicht direkt anwendbar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Problemfall 4: Ausdrückliche Qualifizierung einer Erklärung durch den Urheber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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§ 5 Abgrenzung zu weiteren einseitigen Erklärungen anlässlich eines multilateralen Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 I. Vorschläge zur Änderung des Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 II. Rechtsverwahrende Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105
Inhaltsverzeichnis
11
III. Proteste und politische Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 IV. Äußerungen bezüglich der Umsetzung des Vertrags auf innerstaatlicher Ebene 107 V. Harmonisierende Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 § 6 Entscheidungsbefugnis über die rechtliche Qualifizierung einseitiger Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110
2. Teil Das Rechtsregime für einfache und qualifizierte Interpretationserklärungen
113
§ 7 Die Zulässigkeit einfacher Interpretationserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. Mögliche Zulässigkeitsschranken für einfache Interpretationserklärungen . . . . . 113 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Normen des ius cogens als Zulässigkeitsschranke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 3. Vertragliche Verbote als Zulässigkeitsschranke? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 4. Zeitliche Zulässigkeitsschranken? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 II. Wirksamkeitsvoraussetzungen für einfache Interpretationserklärungen . . . . . . . . 116 1. Handeln des zuständigen innerstaatlichen Organs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Formerfordernisse für einfache Interpretationserklärungen? . . . . . . . . . . . . . . . . 117 § 8 Reaktionsmöglichkeiten der anderen Vertragsparteien und ihre Auswirkungen auf das Verhältnis der Vertragsparteien untereinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Bedeutung der einfachen Interpretationserklärung für die anderen Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Die Reaktionsmöglichkeiten der anderen Vertragsparteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Zustimmung zu einer einfachen Interpretationserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 2. Ablehnung einer einfachen Interpretationserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Keine Reaktion (Schweigen) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 § 9 Einfache Interpretationserklärungen und autoritative Auslegung . . . . . . . . . . . . . . 126
12
Inhaltsverzeichnis
§ 10 Die Auswirkungen einfacher Interpretationserklärungen auf die Auslegung eines Vertrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 I. Verhinderung einer anders lautenden authentischen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . 129 II. Einfache Interpretationserklärungen als Auslegungsfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 1. Auswirkungen aufgrund der Reaktion der anderen Vertragsparteien . . . . . . . . 130 a) Von allen Parteien angenommene einfache Interpretationserklärungen . . 130 aa) Einfache Interpretationserklärungen nach dem Vertragsschluss . . . . . 130 bb) Einfache Interpretationserklärungen vor dem Vertragsschluss . . . . . . 134 b) Teilweise angenommene einfache Interpretationserklärungen . . . . . . . . . . . 135 c) Abgelehnte einfache Interpretationserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Auswirkungen aufgrund des Vertrauensschutzes: Möglichkeit der Präklusion anderer Auslegungen aufgrund des Estoppelprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Das Estoppelprinzip im Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 b) Die einzelnen Voraussetzungen des Estoppelprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 c) Rechtsfolgen des Estoppelprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 d) Das Estoppelprinzip und einfache Interpretationserklärungen . . . . . . . . . . . 142 3. Auswirkungen aufgrund ihrer bloßen Existenz: Einfache Interpretationserklärungen als Argumentationshilfen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 § 11 Sonderfall: Qualifizierte Interpretationserklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 § 12 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Abkürzungsverzeichnis Abl. Abschn. AD AFDI AJIL Ann. IDI ARSP Austr. YIL AvR BAG BDGVR BGBl. BGE BVerfG BVerfGE BVerwG BYIL DR ECHR EG EGMR EJIL EKMR EMRK EPIL ETS EuGRZ EuR EWG GAOR GATT GYIL HRLJ ICJ ICJ Reports ICLQ
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14 ICTR IGH ILC ILM ILO ILR IMCO JB JDI JZ MdB NAFTA NJIL NJW NVwZ NYIL PCIJ RBDI RdC RDISDP Rev. Droit int. & Droit comp. RGDIP RIAA Ser. SJIR StIGH Toledo Law Rev. UNC UNCIO UNEP UNTS U.S. Virgina JIL WTO WVK WVKIO
Yale L.J. YILC ZaöRV ZÖR ZSR
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Einleitung Gegenstand dieser Arbeit sind einseitige Interpretationserklärungen1 zu multilateralen völkerrechtlichen Verträgen. In der heutigen völkerrechtlichen Doktrin herrscht Unklarheit darüber, wie eine einseitige Interpretationserklärung zu definieren ist, und auch ihre Rechtswirkungen sind kaum erforscht. Im Gegensatz zu Vertragsvorbehalten, über die es eine kaum noch überschaubare Fülle an Literatur gibt2, wurden Interpretationserklärungen in der völkerrechtlichen Literatur bislang kaum behandelt3; sie sind auch nicht völkervertraglich definiert. Weder das Wie1 Gleichbedeutend werden Interpretationserklärungen auch als interpretative Erklärungen, Auslegungserklärungen und auslegende Erklärungen bezeichnet. 2 Siehe nur: Owen, Reservations to Multilateral Treaties, Yale L.J. 38 (1928 – 29), 1086 – 1114; Malkin, Reservations to Multilateral Conventions, BYIL 7 (1926), 141 – 62; Genet, Les „réserves“ dans les traités, RDISDP 10 (1932), 95 – 114; von Crayen, Die Vorbehalte im Völkerrecht, 1938; Kappeler, Les réserves dans les traités internationaux, 1953; Holloway, Les réserves dans les traités multilatéraux, 1958; Bishop, Reservations to Treaties, RdC 103 (1961), 249 – 341; Tomuschat, Admissibility and Legal Effects of Reservations to Multilateral Treaties, ZaöRV 27 (1967), 463 – 482; Ruda, Reservations to Treaties, RdC 146 (1975 III), 101 – 218; Bowett, Reservations to Non-Restricted Multilateral Treaties, BYIL 48 (1976 / 77), 67 – 92; Imbert, Les réserves aux traités multilatéraux, 1979; Treviranus, Vorbehalte zu mehrseitigen Verträgen – Wohltat oder Plage?, GYIL 25 (1982), 515 – 527; Kühner, Vorbehalte zu multilateralen Verträgen, 1986; Gaja, Unruly Treaty Reservations, Etudes en l’honneur de Roberto Ago, Band 1, 1987, 307 – 330; Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1988; Redgwell, Universality or Integrity? Some Reflections on Reservations to General Multilateral Treaties, BYIL 64 (1993), 245 – 282; Giegerich, Vorbehalte zu Menschenrechtsabkommen: Zulässigkeit, Gültigkeit und Prüfungskompetenzen von Vertragsgremien, ZaöRV 55 (1995), 713 – 782; Greig, Reservations: Equity as a Balancing Factor, Austr. YIL 16 (1995), 21 – 172; Lijnzaad, Reservations to Human Rights Treaties, 1995; Frowein, Reservations and the International Ordre Public, Essays in Honour of Skubiszeweski, 1996, 403 – 412; Hilpold, Das Vorbehaltsregime der Wiener Vertragskonvention, AvR 34 (1996), 376 – 425; Simma, Reservations to Human Rights Treaties – Some Recent Developments, Liber Amicorum Seidl-Hohenveldern, 1998, 659 – 682; Baratta; Should Invalid Reservations to Human Rights Treaties be Disregarded?, EJIL 11 (2000), 413 – 425; Edwards, Reservations to Treaties: The Belilos Case and the Work of the International Law Commission, Toledo Law Rev. 31 (2000), 195 – 207. 3 So gibt es nur eine italienische Monographie über einseitige Interpretationserklärungen (Sapienza, Dichiarazioni interpretative unilaterali e trattati internazionali, 1996). Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1988, behandelt Interpretationserklärungen in lediglich 4 Kapiteln (von 29). Im deutschsprachigen Raum gibt es nur eine ältere Arbeit, die sich lediglich mit Interpretationserklärungen zu bilateralen Verträgen beschäftigt (Amend, Auslegungserklärungen zu bilateralen völkerrechtlichen Verträgen, 1974). Aufsätze, die sich ausschließlich mit Interpretationserklärungen befassen, sind: McRae, The Legal Effect of Interpretative Declarations, BYIL 49 (1978), 155 – 173 und
16
Einleitung
ner Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 (WVK)4, das Wiener Übereinkommen über die Staatennachfolge in Verträge vom 22. August 19785 noch das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen vom 21. März 1986 (WVKIO)6 erwähnen „Interpretationserklärungen“. Eine erstmalige ausführliche Auseinandersetzung mit „Interpretationserklärungen“ fand 1998 in dem dritten Bericht des Sonderberichterstatters der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen zum Thema „Law and Practice Relating to Treaties“ Alain Pellet statt. In den anschließenden Diskussionen in der Völkerrechtskommission wurde 1999 erstmalig eine Definition des Begriffs „Interpretationserklärung“ verabschiedet.7 Die heutige Rechtslage zum Begriff und der Funktion von Interpretationserklärungen im Völkerrecht ähnelt daher derjenigen, die vor der Kodifikation der WVK bezüglich des Vorbehaltsbegriffs herrschte. Ziel dieser Arbeit ist deshalb, zunächst eine abstrakte Definition des Begriffs „einseitige Interpretationserklärung“ zu entwickeln, ihre rechtlichen Wirkungen zu untersuchen und in einem zweiten Schritt zu prüfen, welchen rechtlichen Regelungen eine solche Erklärung unterliegt und welche rechtlichen Wirkungen sie entfalten kann.
Sapienza, Les déclarations interprétatives unilatérales et l’interprétation des traités, RGDIP 103 (1999), 603 – 629. 4 UNTS 1155, 331; BGBl. 1985 II, 927. 5 UNTS 1946, 3. 6 GA, UN Doc. A / CONF. 129 / 5 (1986); ILM 25 (1986), 543; BGBl. 1990 II, 1415. 7 Siehe hierzu ausführlich § 2 III. 3.
1. Teil
Definitionen und Abgrenzungen § 1 Der multilaterale Vertrag Diese Arbeit befasst sich mit Interpretationserklärungen zu multilateralen Verträgen. Zunächst bedarf daher der Begriff „multilateraler Vertrag“ näherer Erläuterung. Völkerrechtliche Verträge bilden die Hauptrechtsquelle im gegenwärtigen internationalen Rechtssystem.8 Dies liegt daran, dass es im Völkerrecht keinen zentralen Gesetzgeber gibt und somit insbesondere der multilaterale völkerrechtliche Vertrag die einzige Möglichkeit ist, bindende detaillierte Regeln aufzustellen.9 Zurzeit (Dezember 2004) sind über 50.000 internationale Verträge bei den Vereinten Nationen registriert10, darunter ca. 2.800 multilaterale. 11 Nach dem Völkergewohnheitsrecht ist der völkerrechtliche Vertrag eine Übereinkunft zwischen zwei oder mehreren Staaten oder anderen vertragsfähigen Völkerrechtssubjekten, die in rechtlich bindender Weise auf die Begründung, Änderung oder Aufhebung von Rechten und Pflichten der Vertragsparteien abzielt und von diesen dem Völkerrecht unterstellt ist.12 Die in Art. 2 Abs. 1 a) WVK enthaltene Definition des völkerrechtlichen Vertrags ist enger, da sie den völkerrechtlichen Vertrag nicht allgemein definiert, sondern lediglich diejenigen Verträge betrifft, für die die WVK anwendbar sein soll13.14 Sie erklärt die Schriftform zu einem konstitutiven Kriterium und 8 Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, § 533; Bernhardt, Treaties, EPIL, Band 4, 2000, 926 (926); Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 512. 9 Bowman, The Multilateral Treaty Amendment Process – a Case Study, ICLQ 44 (1995), 540 (540). 10 Art. 102 UNC sieht vor, dass alle Verträge und sonstigen internationalen Übereinkünfte, die ein Mitglied der Vereinten Nationen nach dem Inkrafttreten dieser Charta schließt, so bald wie möglich beim Sekretariat registriert und von ihm veröffentlicht werden. 11 Http: //untreaty.un.org/english/acess.asp, besucht am 22. Oktober 2003. 12 Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, § 534; Verzijl, International Law in Historical Perspective, Part VI, 1973, 112 ff.; vgl. auch Bernhardt, Treaties, EPIL, Band 4, 2000, 926 (927); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 9 Rdn. 1. Ausführlich zur Vertragsdefinition Klabbers, The Concept of Treaty in International Law, 1996. 13 Verträge, die von internationalen Organisationen geschlossen werden, regelt das WVKIO. Dieses Übereinkommen ist bis dato (Dezember / 2004) noch nicht in Kraft getreten. Art. 2 Abs. 1 lit. a WVKIO definiert einen völkerrechtlichen Vertrag als „eine vom Völkerrecht bestimmte und in Schriftform geschlossene internationale Übereinkunft i) zwischen einem oder mehreren Staaten und einer oder mehreren internationalen Organisationen oder ii)
2 Heymann
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
beschränkt den Kreis der möglichen Vertragsparteien auf die Staaten. Völkerrechtliche Verträge können allerdings neben Staaten auch internationale Organisationen schließen, sofern ihnen diese Fähigkeit durch ihren Gründungsvertrag verliehen worden ist oder wenn sie sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen.15 Weiterhin können auch stabilisierte de facto Herrschaften16, de facto unabhängig gewordene Kolonialgebiete, der Heilige Stuhl17 und der souveräne Malteser Ritter Orden völkerrechtliche Verträge schließen. Natürlichen Personen wird zwar partielle Völkerrechtsfähigkeit zugebilligt18, ihre Vertragsfähigkeit wird im Völkerrecht allerdings noch verneint.19 Völkerrechtliche Verträge werden nach verschiedenen Arten klassifiziert.20 Es wird, je nachdem, ob zwei oder mehrere Völkerrechtssubjekte Parteien eines Vertrags sind, zwischen zweiseitigen (bilateralen) und mehrseitigen (multilateralen) Verträgen, auch Kollektivverträge genannt21, unterschieden.22 Diese Unterscheidung findet sich auch in der WVK.23 So ist Art. 60 Abs. 1 WVK nur für bilaterale Verträge anwendbar, Art. 40, 41, 58 und 60 Abs. 2 WVK beziehen sich dagegen ausdrücklich auf mehrseitige Verträge.24 Die Zahl der Vertragsparteien ist aber zwischen internationalen Organisationen, gleichviel ob diese Übereinkunft in einer oder in mehreren zusammengehörigen Urkunden enthalten ist und welche besondere Bezeichnung sie hat.“ 14 Vgl. hierzu den Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 WVK: „Im Sinne dieses Übereinkommens . . .“. Siehe auch IGH, Affaire de la délimitation maritime et des questions territoriales entre Quatar et Bahreïn (Quatar c. Bahreïn), Compétence et Recevabilité I, ICJ Reports 1994, 112 ff., Rdn. 23. 15 Vgl. Art. 6 WVKIO. Siehe auch Klein / Pechstein, Das Vertragsrecht Internationaler Organisationen, 1986, 22 ff. und Zemanek, International Organizations, Treaty Making Power, EPIL, Band 2, 1995, 1343 (1346). 16 Vgl. Frowein, Das de-facto Regime im Völkerrecht, 1968, 94 ff. 17 Diese Verträge werden dann als Konkordate bezeichnet. 18 Doehring, Völkerrecht, 2004, Rdn. 243 ff. 19 Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, § 682; Mosler, Subjects of International Law, EPIL, Band 4, 2000, 710 (725 ff.); Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 530. Zu Verträgen zwischen Staaten und ausländischen Privatpersonen, siehe Doehring, Völkerrecht, 2004, Rdn. 397 ff.; ausführlich Stoll, Vereinbarungen zwischen Staat und ausländischem Investor, 1982. 20 Vgl. hierzu nur Bernhardt, Treaties, EPIL, Band 4, 2000, 926 (928 f.). 21 So Fauchille, Traité de droit international public, tome 1 / 3, 1926, 397. 22 Berber, Lehrbuch des Völkerrechts, Band I, 1975, 443, Doehring, Völkerrecht, 2004, Rdn. 328; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 9, Rdn. 7; Wildhaber, Treaties, Multilateral; EPIL, Band 4, 2000, 949 (949). 23 Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, § 538; vgl. auch Dehaussy, Le problème de la classification des traités et le projet de convention établi par la commission du droit international des Nations Unies, FS Guggenheim, 1968, 305 (309 ff.). 24 Allerdings trennt die WVK nicht immer ihre Bestimmungen nach bilateralen und multilateralen Verträgen. Die Anwendbarkeit muss daher im Einzelfall durch Auslegung der Konventionsvorschriften ermittelt werden.
§ 1 Der multilaterale Vertrag
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nicht das einzige Unterscheidungsmerkmal. So unterliegen multilaterale Verträge bei ihrem Abschluss, ihrer Ausarbeitung, ihrer Suspendierung25, ihrer Beendigung26, ihrer Modifikation27 oder bezüglich der zu ihnen erklärten Vorbehalte anderen Regeln als bilaterale. 28 Eine Unterart des multilateralen Vertrags stellt der sog. „beschränkt multilaterale“ oder „plurilaterale“ Vertrag dar. Einem plurilateralen Vertrag können mehr als zwei, aber nicht alle Völkerrechtssubjekte beitreten. Ihm kommt nach seinem Sinn und Zweck ein beschränkter personaler Geltungsbereich zu.29 Als Beispiele sind die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK) 30, die Konvention über die Fischerei und den Schutz der lebenden Ressourcen in der Ostsee und in den Belten vom 13. September 197331 oder die plurilateralen Handelsübereinkommen, die im Anhang 4 des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation vom 15. April 199432 aufgezählt sind, zu nennen.33 Ein multilateraler Vertrag dient insbesondere der Rechtsentwicklung34, da er eine einheitliche Regelung für mindestens drei Völkerrechtssubjekte aufstellt.35 Dabei werden in einem völkerrechtlichen multilateralen Vertrag Regelungen über unterschiedliche Gegenstände getroffen. So gibt es z. B. Verträge über die Gründung internationaler Organisationen, Friedensverträge, Abrüstungsübereinkommen sowie Verträge über Umwelt- und Menschenrechtsschutz. Aufgrund dieses unterschiedlichen Regelungsgehalts werden völkerrechtliche Verträge insbesondere in der älteren völkerrechtlichen Literatur (zurückgehend auf Bergbohm36 und Triepel37) in „rechtsgeschäftliche Verträge“ („traité-contrat“, Art. 58 WVK. Art. 60 WVK. 27 Art. 40 und 41 WVK. 28 Dinh / Dallier / Pellet, Droit international public, 1999, §§ 100 ff. und 190 ff. 29 Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, § 538. 30 ETS No. 5; BGBl. 1995 II, 579 (in der Fassung des 11. Zusatzprotokolls vom 11. Mai 1994). 31 BGBl. 1976 II, 1564, geändert durch Protokoll v. 11. November 1982, BGBl. 1984 II, 222. 32 UNTS 1867, 154; BGBl. 1994 II, 1441. 33 Dies sind: Das Übereinkommen über den Handel mit Zivilluftfahrzeugen, das Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen, das Internationale Übereinkommen über Milcherzeugnisse und die Übereinkunft über Rindfleisch. Dabei sind die beiden letztgenannten Übereinkommen nicht mehr in Kraft. 34 Dinh / Dallier / Pellet, Droit international public, 1999, § 99. 35 Bastid, Les traités dans la vie internationale, 1985, 25. 36 Bergbohm, Staatsverträge und Gesetze als Quellen des Völkerrechts, 1877, 77 ff. 37 Triepel, Völkerrecht und Landesrecht, 1899, 46 ff. Dabei bestreiten Triepel (id., 70) und Bergbohm (Staatsverträge und Gesetze als Quellen des Völkerrechts, 1877, 79), dass rechtsgeschäftliche Verträge Recht erzeugen können. Diese Ansicht hat sich zu Recht nicht in der allgemeinen Völkerrechtspraxis durchsetzen können. Siehe hierzu nur Hersch Lauterpacht, 25 26
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
„contractual treaties“) und „rechtsetzende Verträge“ („traité-loi“, „law-making treaties“) eingeteilt.38 Erstere betreffen den Austausch von Leistungen zwischen den Vertragsparteien, in letzteren verpflichten sich die Parteien durch parallel gerichtete Willenserklärungen zu einem bestimmten gemeinsamen Verhalten in der Zukunft. Durch „rechtsetzende Verträge“ werden also generelle Normen kodifiziert. Diese Einteilung wird in der überwiegenden neueren Literatur kritisiert und abgelehnt39, da ein Vertrag häufig beide Regelungsgehalte in sich vereine40, bzw. eine klare Abgrenzung zwischen den beiden Vertragstypen nicht möglich sei.41 Allerdings wird auch von Kritikern dieser Unterscheidung nicht ausgeschlossen, dass sie für die Auslegung eines Vertrags von Relevanz sein kann.42 Wie im Verlauf der Untersuchung aufzuzeigen sein wird, sind bei der Auslegung von „rechtsetzenden Verträgen“ wie beispielsweise einem Gründungsvertrag einer internationalen Organisation oder einem Vertrag zum Schutz der Menschenrechte Besonderheiten zu beachten.43 Im Hinblick auf Interpretationserklärungen wird noch eine weitere Differenzierungsmöglichkeit bedeutsam, die Unterteilung multilateraler Verträge nach ihrer Erfüllungsstruktur. Hierbei lassen sich drei Gruppen unterscheiden.44 In der ersten Gruppe vollzieht sich die Erfüllung innerhalb bilateraler Beziehungen, also gleichsam „paarweise“ zwischen jeweils zwei Vertragsparteien. Ein Beispiel hierfür ist das Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen vom 18. April 196145. In der zweiten Gruppe wird der Vertrag hingegen zwischen allen Vertragsparteien erfüllt.46 Diese Art des multilateralen Vertrags wird auch als integraler Private Law Sources and Analogies of International Law, 1927, 158: „[It] is submitted that a theory, which denies to some international treaties the quality of sources of international law, cannot be accepted. All international treaties are sources of law for the parties who conclude them . . .“. 38 Siehe hierzu insbesondere Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, 1972, 84. 39 Anders aber Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 520 ff. 40 Siehe nur Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, § 537; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 9, Rdn. 7. 41 Wildhaber, Treaties, Multilateral, EPIL, Band 4, 2000, 949 (950). Weiter gehen Jennings / Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I / 2 – 4, 1992, § 583, die eine solche Unterscheidung als „theoretical faulty“ bezeichnen. 42 So beispielsweise Bernhardt, Treaties, EPIL, Band 4, 2000, 926 (928): „Regarding the content of treaties, a distinction between law-making and other treaties . . . has been advocated . . . . But it is not possible to draw a clear line between the categories, nor is there any difference in the rules applicable. It is only in the interpretation and application of the relevant treaty that its special features become important.“ 43 Siehe insbesondere § 2 III. 3. d) bb) (3). 44 Ausführlich zu dieser Einteilung, Simma, Das Reziprozitätselement im Zustandekommen völkerrechtlicher Verträge, 1972, 152 ff.; Feist, Kündigung, Rücktritt und Suspendierung von multilateralen Verträgen, 2001, 16 – 131. 45 UNTS 500, 95; BGBl. 1964 II, 959, im Folgenden Diplomatenrechtskonvention. 46 Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, § 539.
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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Vertrag bezeichnet.47 Repräsentanten dieser Kategorie völkerrechtlicher Verträge sind der Atomteststoppvertrag vom 10. September 199648 und der Antarktis-Vertrag vom 1. Dezember 195949. Des Weiteren existieren Verträge, die nicht zwischenstaatlich erfüllt werden. Die Erfüllungsrichtung ist hier rein innerstaatlich. Zu dieser Kategorie gehören beispielsweise die Menschenrechtsabkommen. Dabei kann es durchaus vorkommen, dass innerhalb eines multilateralen Vertrags Bestimmungen mit unterschiedlicher Erfüllungsstruktur enthalten sind.50 Welche Verträge aber im Einzelnen unter die verschieden Vertragskategorien zu subsumieren sind, ist teilweise in der völkerrechtlichen Doktrin sehr umstritten.51
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung I. Vorbemerkung Der Begriff „einseitige Interpretationserklärung“ (déclaration interprétative, interpretative declaration52) ist kein feststehender Rechtsbegriff im Völkerrecht. Im Gegensatz zu einem Vertragsvorbehalt, der in Art. 2 Abs. 1 lit. d) WVK als „eine wie auch immer formulierte und bezeichnete, von einem Staat (oder einer internationalen Organisation53) bei der Unterzeichnung, Ratifikation, Annahme oder Genehmigung eines Vertrags oder bei einem Beitritt zu einem Vertrag abgegebene Erklärung, durch die ein Staat bezweckt, die Rechtswirkungen einzelner Vertrags47
Feist, Kündigung, Rücktritt und Suspendierung von multilateralen Verträgen, 2001,
123. 48 GA, 50th Session, UN Doc. A / 50 / 1027, Annex, 26. August 1996 (angenommen mit A / Res / 50 / 245); ILM 34 (1996), 1443. 49 UNTS, 402, 71; BGBl. 1978 II, 1518. 50 Simma, From Bilateralism to Community Interest in International Law, RdC 250 (1994-VI), 221 (337). 51 So ist umstritten, ob die Verpflichtungen des WTO-Systems kollektive oder bilaterale sind. Hahn, Die einseitige Aussetzung von GATT-Verpflichtungen als Repressalie, 1996, 113 ff. und Pauwelyn, A Typology of Multilateral Treaty Obligations: Are WTO Obligations Bilateral or Collective in Nature, EJIL 14 (2003), 907 (925 ff.) qualifizieren die Verpflichtungen als bilateral. Dahingegen geht Petersmann, Violation-Complaints and Non-Violation Complaints in Public International Trade Law, GYIL 34 (1991), 175 (181) wohl davon aus, dass es sich um eine objektive Rechtsordnung mit integralen Verpflichtungen handele (allerdings bezogen auf das GATT 1947). Die meisten Stimmen in der Literatur bezeichnen die WTO-Ordnung als Verfassung des Welthandels, ohne auf die rechtliche Qualifizierung der Verpflichtungsstruktur einzugehen. Siehe nur Stoll, Freihandel und Verfassung, ZaöRV 57 (1997), 83 (116 ff.). 52 Teilweise werden vor allem in der amerikanischen Völkerrechtslehre Interpretationserklärungen auch als „understandings“ bezeichnet. So Whiteman, Digest of International Law, Vol. 14, 1970, 137. 53 Vgl. hierzu Art. 2 Abs. 1 lit. d) WVKIO.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
bestimmungen in der Anwendung auf diesen Staat auszuschließen oder zu ändern“ definiert ist54, fehlt eine solche völkervertragliche Begriffsbestimmung für Interpretationserklärungen. Dies hat zur Folge, dass der Begriff „Interpretationserklärung“ in der völkerrechtlichen Literatur und Praxis unterschiedlich verstanden wird. Einmal wird er in einem „untechnischen“ Sinn verwendet55, um das Phänomen zu beschreiben, dass Staaten und andere Völkerrechtssubjekte Erklärungen darüber abgegeben, wie sie eine Vertragsbestimmung „auslegen“ oder „verstehen“. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob es sich tatsächlich um eine Auslegung einer Vertragsbestimmung handelt. Maßgeblich ist nur, dass die jeweilige Vertragspartei erklärt, wie sie eine Vertragsbestimmung „auslegt“ oder „versteht“.56 Als Beispiel für Interpretationserklärungen im „untechnischen“ Sinn können die Erklärungen des Vereinigten Königreichs und Nordirlands zu dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. November 198957 genannt werden: „(a) The United Kingdom interprets the Convention as applicable only following a live birth. (b) The United Kingdom interprets the references in the Convention to ,parents‘ to mean only those persons who, as a matter of national law, are treated as parents. This includes cases where the law regards a child as having only one parent, for example where a child has been adopted by one person only and in certain cases where a child is conceived other than as a result of sexual intercourse by the woman who gives birth to it and she is treated as the only parent.“58
54 Siehe auch die gleichlautenden Artikel 2 Abs. 1 lit. j des Wiener Übereinkommens über die Staatennachfolge in Verträge. 55 Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, § 736: „Erklärt ein Staat, eine oder mehrere Vertragsbestimmungen nur in einer bestimmten Auslegung annehmen zu wollen, so spricht man von einer interpretativen Erklärung (,understanding [short of reservation]‘). Eine solche Erklärung geht dann über eine bloße Verdeutlichung des Standpunktes dieses Staates hinaus und wird zum (Interpretations-)Vorbehalt, wenn sie die Rechtswirkungen von Vertragsbestimmungen auszuschließen oder abzuändern beabsichtigt.“ Siehe auch Starke, Introduction to International Law, 1989, 467 f., Jennings / Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I / 2 – 4, 1992, § 614: „[T]here will be many borderline cases, and this will be particularly so with statements in the form of interpretative declarations or of understandings. Whether these constitute reservations is a question which can only be answered on the merits of each particular instance.“ 56 So z. B. die EKMR, Belilos v. Schweiz, Bericht vom 7. Mai 1987, Ser. A 132, 37 ff., Rdn. 92 um im Folgenden dann zu prüfen, ob diese Interpretationserklärung im weiten Sinne einen Vorbehalt darstellt oder eine Interpretationserklärung im Rechtssinne. Siehe zu einer solchen Verwendung des Begriffs „Interpretationserklärung“ auch den Aufsatz von Imbert, Reservations to the European Convention on Human Rights Before the Strasbourg Commission: The Temeltasch Case, ICLQ 33 (1984), 558 (560 ff.). 57 UNTS 1557, 3; BGBl. 1992 II, 122. 58 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.11, 293. Zur rechtlichen Qualifizierung dieser Erklärungen siehe unter III 4.
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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Vertreter dieses Begriffs der Interpretationserklärung stellen lediglich die Frage, ob und wann eine Interpretationserklärung einen Vertragsvorbehalt darstellt.59 Sie gehen in der Regel davon aus, dass es Interpretationserklärungen gibt, die einen Vorbehalt darstellen, und andere.60 Demgegenüber wird der Begriff „Interpretationserklärung“ in der völkerrechtlichen Doktrin und Praxis auch als Rechtsbegriff verwendet. Vertreter dieser Auffassung bezeichnen eine Interpretationserklärung als eine einseitige Erklärung, die zu einem völkerrechtlichen Vertrag abgegeben wird, die die Vertragsvorschriften auslegt und nicht die Rechtswirkungen einer Vertragsbestimmung ändert bzw. ausschließt, die also kein Vertragsvorbehalt ist.61 Dabei ist allerdings der genaue Gehalt dieses Rechtsbegriffs unklar und umstritten.62 59 Karl, in: Seidl-Hohenveldern (Hrsg.), Völkerrecht, Lexikon des Rechts, 2001, 520 (520): „[Interpretationserklärungen] stellen an sich nur eine unverbindliche Rechtsmeinung dar, doch kann es sich der Intention nach um eigentliche Vorbehalte handeln, die dann auch als solche behandelt werden.“ Siehe auch Wildhaber, Erfahrungen mit der europäischen Menschenrechtskonvention, ZSR 98 (1979-II), 228 (375), der davon ausgeht, dass auslegende Erklärungen dann Vorbehalten gleichzustellen seien, wenn dies dem Willen des Urheberstaats entspricht. 60 Siehe beispielsweise Wagner / Wildhaber, Der Fall Temeltasch und die auslegenden Erklärungen der Schweiz, EuGRZ 10 (1983), 145 (149) oder Reuter / Cahier, Introduction au droit des traités, 1995, 71. 61 So zum Beispiel Holloway, Les réserves dans les traités internationaux, 1958, 103: „[L]es déclarations interprétatives, à savoir les déclarations par lesquelles les États précisent le sens d’une disposition quelconque à condition qu’elles n’impliquent aucune limitation de la portée ou de l’effet de l’obligation conventionnelle résultant de ladite disposition.“ Whiteman, Digest of International Law, Vol. 14, 1970, 137 schreibt: „The term ,understanding‘ is often used to designate a statement when it is not intended to modify or limit any of the provisions of the treaty in its international operation but it is intended merely to clarify or explain or to deal with some matter incidental to the operation of the treaty in a manner other than as a substantive reservation.“ Ähnlich lauten auch die Ausführungen von Verdross / Geiger / Simma, Territoriale Souveränität und Gebietshoheit, 1980, 78: „Von einem Interpretationsvorbehalt wird dann gesprochen, wenn diese Interpretation den materiellen Inhalt einer Vertragsbestimmung modifiziert oder begrenzt. Der Ausdruck ,interpretative declaration‘ oder ,understanding‘ soll dagegen eine Vertragsauslegung bezeichnen, die den Inhalt einer Vertragsbestimmung lediglich klarzustellen hat.“ Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 14, Rdn. 4 schreibt: „Interpretationserklärungen bezwecken nicht den Ausschluss oder die Änderung einer Vertragsbestimmung . . .“. Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 2001, 1. Abschn., Rdn. 121 führt aus: „Vorbehalte sind zu unterscheiden von einer den Vertrag lediglich interpretierenden Erklärung . . .“. Herdegen, Völkerrecht, 2002, § 15, Rdn. 21 statuiert: „Zu unterscheiden sind Vorbehalte von . . . reinen auslegenden Erklärungen, mit denen sich ein Staat eine bestimmte Auslegung zu eigen macht.“ Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 577 schreiben: „Keine Vorbehalte stellen die sog. interpretativen Erklärungen dar.“ In dieselbe Richtung gehen auch Kälin / Epiney, Völkerrecht, 2003, 29: „Auslegende Erklärungen sind einseitige Erklärungen, durch die ein Staat zu verstehen gibt, dass er eine bestimmte Vorschrift des Vertrages in bestimmter und so von ihm bekannt gemachter Weise interpretiert, ohne dass er damit beabsichtigt, dass eine solche Erklärung irgendeine rechtliche Wirkung zwischen ihm selbst und den anderen Staaten entfaltet.“ Ähnlich äußert sich auch der VN-Generalsekretär der Vereinten Nationen, Summary of Practice of the Secretary-General as Depositary of Multilateral Treaties, UN Doc.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
II. Die Entwicklung des Rechtsbegriffs „einseitige Interpretationserklärung“ Gegenstand dieser Untersuchung sind einseitige Interpretationserklärungen im letztgenannten Sinne, also als Rechtsbegriff. Wie sich bereits aus der oben angeführten einleitenden Definition ergibt, ist der Rechtsbegriff der Interpretationserklärung eng mit dem des Vertragsvorbehalts verzahnt. Dies hängt mit der historischen Entwicklung des Vorbehaltsbegriffs zusammen. 1. Rechtslage vor der WVK Anfang des 20. Jahrhunderts begann die völkerrechtliche Doktrin mit der Systematisierung einseitiger Erklärungen anlässlich eines multilateralen Vertrags. Hintergrund war die zunehmende Zahl solcher Erklärungen in der Staatenpraxis. Der wohl überwiegende Teil der Doktrin ging davon aus, dass es eine eigenständige Rechtsfigur der Interpretationserklärung nicht gebe, und vertrat einen weiten Vorbehaltsbegriff. So kannten unter anderen Fauchille (1926)63, Genet (1932)64, Chailly (1934)65, Sibert (1951)66, Zoricic (1952)67, Bindschedler (1962)68 und ST / LEG / 7 / Rev.1, 1999, Rdn. 217: „Declarations, however they may be known . . . are to be distinguished from reservations in that they do not purport to exclude or modify the legal effects of the treaty. – The purpose of declarations is rather, in principle, to make more explicit the meaning of a particular provision.“ Vgl. auch American Law Institute, Restatement of Law (Third): Foreign Relations Law of the United States, 1987, § 314. 62 Siehe dazu ausführlich unter III. 3. e). 63 Fauchille, Traité de droit international public, tome 1 / 3, 1926, 312: „Des réserves peuvent être ici de diverses natures. . . . Mais elles peuvent aussi concerner l’interprétation à donner à certaines clauses ou préciser le caractère facultatif de quelque disposition.“ 64 Genet, Les „réserves“ dans les traités, RDISDP 10 (1932), 95 (101 f.): „[L]es réserves interprétatives, . . . elles visent la plupart du temps l’interprétation spéciale de certaines dispositions de l’accord intervenu; . . .“. 65 Chailly, Théorie générale des traités internationaux, in: Répertoire de droit international, 1934, 294, Rdn. 109: „[L]a réserve est une déclaration de volonté unilatérale par laquelle, tout en admettant le traité dans son ensemble, un État exclut de son acceptation certaines clauses déterminées ou, tout en moins, en précise la portée à son égard.“ 66 Sibert, Traité de droit international public, tome 2, 1951, 197: „L’objet des réserves peut offrir des aspects divers: a) Ou bien la réserve prétend fixer d’avance l’interprétation du traité, . . .“. 67 IGH, Ambatielos (Greece v. United Kingdom), Preliminary Objection, Dissenting Opinion of Judge Zoricic, ICJ Reports 1952, 28 (76): „Une réserve est une stipulation convenue entre les parties à un traité en vue de restreindre l’application d’une ou plusieurs de ses dispositions ou d’en expliquer le sens, . . .“. Allerdings bezieht sich diese Definition auf eine Erklärung zu einem bilateralen Vertrag, die von beiden Vertragsparteien (Griechenland und dem Vereinigten Königreich) unterschrieben worden war. 68 Bindschedler, in: Strupp / Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band 3, 1962, 785 (785): „Unter Vorbehalt versteht man die Rechtserklärung einer Vertragspartei,
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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Guggenheim (1967)69 nur die Rechtsfigur des Vertragsvorbehalts. Diesen definierten sie als eine einseitige Erklärung anlässlich eines multilateralen Vertrags, die bezweckt eine Vertragsbestimmung zu ändern, auszuschließen oder auszulegen. Ein Teil der Vertreter dieses umfassenden Vorbehaltsbegriffs ging auf einen möglichen Unterschied zwischen den diversen Erklärungen nicht ein. Einige Autoren, wie z. B. Anzilotti70 bezeichneten auslegende Äußerungen als „interpretative Erklärungen“ oder als „interpretativen Vorbehalt“71. Der andere Teil der völkerrechtlichen Doktrin definierte den Vorbehalt allgemein als einseitige Erklärung, die die Modifikation des Vertragsinhalts bzw. die Verringerung der Rechtswirkungen des Vertrags bedingt.72 Ausgehend von diesem Begriffsverständnis unterschied beispielsweise Dahm zwischen deklaratorisch gedachten Äußerungen über die richtige Auslegung des Vertrags und einem Vorbehalt.73 Von Crayen74 differenzierte zwischen einem interpretativen Vorbehalt und einer interpretativen Erklärung. Letztere definierte er als eine nach außen bekannt gemachte Äußerung über die bestimmte Interpretation einer Vertragsvorschrift. Ein interpretativer Vorbehalt lag seiner Meinung nach vor, wenn eine bestimmte Auslegung zur Bedingung an die Vertragsbindung gemacht wird. Auch die Kommentierung der von der Harvard Law School entwickelten Draft Convention on the Laws of Treaties75 ordnete eine Erklärung, die eine bestimmte Auseine oder mehrere Bestimmungen des Vertrages nicht anwenden zu wollen oder deren Inhalt zu ändern oder in einem bestimmten Sinne zu interpretieren.“ Anders heute, den Vertragsvorbehalt im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK definierend, vgl. ders., Reservations, EPIL, Band 4, 2000, 965 (965). 69 Guggenheim, Traité de droit international public, tome I, 1967, 167: „La réserve est la déclaration faite par une partie contractante au moment de la signature, de la ratification ou de l’approbation d’un traité ou lors de l’adhésion à celui-ci, qu’elle entend exclure une disposition du traité, en modifier le sens ou lui attribuer une interprétation déterminée.“ 70 Anzilotti, Lehrbuch des Völkerrechts, Band 1, 1929, 307. 71 So Genet, Les „réserves“ dans les traités, RDISDP 10 (1932), 95 (101). Ähnlich auch Kappeler, Les réserves dans les traités internationaux, 1953, 13. 72 So beispielsweise Detter, Essays on the Law of Treaties, 1967, 51. Ähnlich lautet auch die Vorbehaltsdefinition der von der Harvard Law School entwickelten Draft Convention on the Laws of Treaties aus dem Jahr 1935 (AJIL 29 (1935) Supplement, 659 und 843). Der Vorbehalt wird definiert als: „[A] formal declaration by which a State, when signing, ratifying or acceding to a treaty, specifies as a condition of its willingness to become a party to the treaty certain terms which will limit the effect of the treaty in so far as it may apply in the relations of that State with the other State or States which may be parties to the treaty.“ 73 Dahm, Völkerrecht, Band III, 1961, 98: „Vorbehalte können sich auch auf die Auslegung des Vertrages beziehen. Wenn ein Staat den Vertrag mit der Maßgabe annimmt, daß eine bestimmte Klausel des Vertrages in bestimmter Weise ausgelegt werden solle, so sollen damit andere Auslegungen ausgeschlossen und die Wirkungen des Vertrages auf eine möglicherweise im Vertrage selbst nicht vorgesehene Weise eingeschränkt werden. . . . Aber die Grenze zwischen einem Vorbehalt und einer nur deklaratorisch gedachten Äußerung über die richtige Auslegung des Vertrages ist flüssig.“ 74 Von Crayen, Die Vorbehalte im Völkerrecht, 1938, 10. 75 AJIL 29 (1935) Supplement, 860 ff.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
legung des Vertrags zur Bedingung für die Vertragsbindung macht, als Vorbehalt ein.76 Andere Autoren, wie z. B. Malkin (1926)77 und Fitzmaurice (1957)78 unterschieden dagegen zwischen Erklärungen, die die Auslegung einer Bestimmung bezwecken, und Vorbehalten.79 2. Die travaux préparatoires zur WVK Die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen begann 1949 mit der Ausarbeitung eines Übereinkommens über das Recht der völkerrechtlichen Verträge.80 In diesem Zusammenhang beschäftigte sie sich mit der Definition von Vertragsvorbehalten und somit indirekt auch mit der von Interpretationserklärungen. Die travaux préparatoires zur WVK legten den Grundstein für die Herausbildung einer eigenständigen Rechtsfigur der Interpretationserklärung. Dies ergab sich daraus, dass sich die Völkerrechtskommission bei der Ausarbeitung der WVK für eine Definition des Vertragsvorbehalts entschied, die derjenigen der zweiten Strömung in der oben genannten Literatur entsprach. Am 8. Juli 1965 nahm die Völkerrechtskommission einstimmig die heute in Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK kodifizierte Definition des Vertragsvorbehalts an und definierte ihn somit als „a unilateral statement however phrased or named, made by a State, when signing, ratifying, acceding to, accepting or approving a treaty, whereby it purports to exclude or to 76 In diese Richtung geht auch die Definition von Huber, Gemeinschafts- und Sonderrecht unter Staaten, FS Gierke, 1911, 817 (826 f.): „[Der Vorbehalt] besteht darin, daß der Mitkontrahent eines Kollektivvertrages, sei es schon bei der Unterzeichnung, sei es erst bei der Ratifikation, entweder eine Erklärung abgibt, daß er den Vertrag nur in einer bestimmten Weise interpretiert für sich bindend erachtet, oder einzelne Bestimmungen des Vertrages schlechtweg ausschließt“ (Hervorhebungen von der Verf.). 77 Malkin, Reservations to Multilateral Conventions, BYIL 7 (1926), 141 (142 und 146) unterscheidet zwischen einem Vorbehalt, mit dessen Hilfe eine Vertragspartei Verpflichtungen aus dem Vertrag ausschließt, und Erklärungen, die eine Vertragsbestimmung auslegen. 78 Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice 1951 – 4: Treaty Interpretation and Other Treaty Points, BYIL 33 (1957), 203 (273): „[G]overnments not infrequently made declarations in which they do not say they will not carry out, or will only carry out a, a certain provision – but make statements of intention, or say how they understand or propose to interpret or apply the provision, either generally or in certain events. Whether this will amount strictly to an actual reservation or not, will depend on whether, by way of special interpretation, the party concerned is really purporting, so far as its own obligations are concerned, to alter the substantive content or application of the provision affected; or whether the statement is truly interpretational, and merely clarifies some obscurity, or makes explicit something that in the clause is only implicit.“ 79 Unklar insoweit Berber, Völkerrecht, Band 1, 1975, 460. Er bezeichnet die Feststellung einer Vertragspartei, dass sie einer Vertragsbestimmung eine bestimmte Auslegung / einen besonderen Sinn gebe, als abgemilderte Form des Vorbehalts. 80 Zum historischen Hintergrund siehe Rosenne, The Law of Treaties, 1970, 32 f.; ders., Vienna Convention on the Law of Treaties, EPIL, Band 4, 2000, 1308 (1309 f.).
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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vary the legal effect of certain provisions of the treaty in the application to that State.“81 Gleichzeitig wurde in dem Kommentar zu den Final Draft Articles on the Law of Treaties, der als Arbeitsgrundlage für die Wiener Vertragskonferenz diente, eine negative Definition von Interpretationserklärungen aufgenommen: „ ,Reservation‘. The need for this definition arises from the fact that States, when signing, ratifying, acceding to, accepting or approving a treaty, not infrequently make declarations as to their understanding of some matter or as to their interpretation of a particular provision. Such a declaration may be a mere clarification of the State’s position or it may amount to a reservation, according as it does or does not vary or exclude the application of the terms of the treaty as adopted.“82
Dieser negativen Definition war eine Diskussion innerhalb der Völkerrechtskommission über den Vorbehaltsbegriff vorangegangen. Die ersten beiden Berichterstatter zum Vertragsrecht folgten der zweiten Gruppe der zuvor zitierten Lehrmeinungen. Brierly (1950)83 und Lauterpacht (1952 / 53)84 definierten den Vorbehalt als eine einseitige Erklärung, die die Wirkungen des Vertrags (Brierly) bzw. die vertragliche Verpflichtungen (Lauterpacht) einschränkt oder ändert. Erklärungen, die die Auslegung einer Vertragsbestimmung beinhalten, wurden nicht erwähnt.85 Diese Definition wurde im Prinzip von den zwei nachfolgenden Sonderberichterstattern Fitzmaurice (1956)86 und Sir Humphrey Waldock (1962)87 übernommen. Die letzten beiden Berichterstatter zeichnete aber aus, dass sie VorYILC 1965 I, 820th Meeting, 308, Rdn. 26. 82 ILC-Entwurf 1966, Kommentar zu Art. 2 Abs. 1 lit. d, YILC 1966 II, 189 f. Rdn. 11. Hervorhebungen von der Verf. 83 Brierly definierte den Vorbehalt folgendermaßen: „[A] reservation, that is to say a special term limiting or varying the effect of that treaty in so far as concerns the relations of that State or organization with one or more of the existing or future parties to the treaty“ (Report by Mr. J.L. Brierly, Special Rapporteur, YILC 1950 II, 238). 84 Hersch Lauterpachts Definition lautete: „[A] State signs, ratifies, accedes to or otherwise accepts the treaty subject to a reservation or reservations limiting or otherwise varying the obligations of any article of the treaty . . .“ (Report by Mr. Hersch Lauterpacht, Special Rapporteur, YILC 1953 II, 124). 85 Allerdings wiesen in den Diskussionen um den Vorbehaltsbegriff Brierlys sowohl Francois (YILC 1951 I, 102nd Meeting, 3. Juni 1951, 170, Rdn. 44), als auch Hudson und Spiropoulos (YILC 1951 I, 103rd Meeting, 14. Juni 1951, 185, Rdn. 185) auf die Existenz von Erklärungen über die Auslegung einzelner Bestimmungen hin. 86 Fitzmaurice definierte den Vorbehalt als „a unilateral statement appended to a signature, ratification, accession or acceptance, by which the State making it purports not to be bound by some particular substantive part or parts of the treaty, or reserves the right not to carry out, or to vary, the application of that part or parts . . .“ (Report by Mr. G.G. Fitzmaurice, Special Rapporteur, YILC 1956 II, 110). 87 Sir Humphrey Waldock beschrieb den Vorbehalt als: „a unilateral statement whereby a State, when signing, ratifying, acceding to or accepting a treaty, specifies as a condition of its consent to be bound by the treaty a certain term which will vary the legal effect of the treaty in its application between the State and the other party or parties to the treaty“ (First Report on the Law of Treaties by Sir Humphrey Waldock, Special Rapporteur, YILC 1962 II, 31). 81
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
behalte von Interpretationserklärungen im untechnischen Sinne abgrenzten. So betonte Fitzmaurice: „[A reservation] does not include mere statements as to how the State concerned proposes to implement the treaty, or declarations of understanding or interpretation, unless these imply a variation on the substantive terms or effect of the treaty.“88
Ähnlich formulierte es auch Sir Humphrey Waldock (1962): „An explanatory statement or statement of intention or of understanding as to the meaning of the treaty, which does not amount to a variation in the legal effects of the treaty, does not constitute a reservation.“89
Dieser bezeichnete solche Stellungnahmen in den abschließenden Diskussionen ausdrücklich als Interpretationserklärungen und betonte, dass sie keine Vertragsvorbehalte seien: „Statements of interpretation . . . are not reservations and appear to concern the interpretation rather than the conclusion of treaties.“90
Er setzte sich dabei insbesondere gegen Verdross durch, der dafür plädierte, dass Erklärungen, mit denen ein Staat sein Verständnis einer Vertragsbestimmung zum Ausdruck bringt, stets Vorbehalte seien, und der sich somit für den umfassenden Vorbehaltsbegriff der ersten Gruppe der zuvor zitierten Lehre einsetzte.91 Allerdings definierte auch Sir Humphrey Waldock den Begriff „Interpretationserklärungen“ nicht positiv. Auch auf der Konferenz der Staatenvertreter im Jahr 1968 hatten die Vorschläge der Völkerrechtskommission zum Vorbehaltsbegriff Bestand. Zwar diskutierten die Staatenvertreter, ob der Vorbehaltsbegriff ausdrücklich auch solche Erklärungen umfassen sollte, die die Auslegung einer Vertragsbestimmung bezwecken. Die Diskussion ging im Wesentlichen von dem Vorschlag Ungarns aus. Es wollte auch solche Erklärungen, die „purport to interpret the legal effect of certain provisions of the treaty“, vom Vorbehaltsbegriff umfasst wissen.92 Dieser Vorschlag fand Unterstützung bei Syrien93, der Schweiz94, Argentinien95, der Mongolei96 und wohl 88 Report by Mr. G.G. Fitzmaurice, Special Rapporteur, YILC 1956 II, 110. Vgl. auch id., 126: „By definition . . . mere explanatory declarations, or statements of intention (and within limits, of interpretation) are not regarded as reservations, and are permissible . . .“. 89 YILC 1962 II, 31 f. und 163. Diese Definition wurde von dem Spezialberichterstatter Sir Humphrey Waldock nicht näher erläutert, da er der Ansicht war, diese sei aus sich heraus verständlich (vgl. YILC 1962 II, 34, Rdn. 14). 90 YILC 1965 II, 49. 91 YILC 1965 I, 797th Meeting, 8. Juni 1965, 151, Rdn. 37. 92 Siehe hierzu auch United Nations Conference on the Law of Treaties, First Session, Vienna, 26 March – 24 May 1968, Meetings of the Committee of the Whole, 23, Rdn. 24 f. 93 Id., 25, Rdn. 5. 94 Id., 28, Rdn. 54. 95 Id., 29, Rdn. 69.
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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auch Österreich97. Dahingegen lehnten Australien98, das Vereinigte Königreich99, Schweden100, die USA101 und Irland102 den Vorschlag ab, da ihrer Meinung nach nur solche Erklärungen, die die Rechtswirkungen ändern oder ausschließen, Vorbehalte darstellten. Im Anschluss an diese Diskussion äußerte sich der Sonderberichterstatter zum Vertragsrecht der Völkerrechtskommission Sir Humphrey Waldock. Er machte, allerdings ohne nähere Begründung, geltend, dass die Konferenzteilnehmer zurückhaltend darin sein sollten, alle Erklärungen über die Interpretation einer Vorschrift als Vorbehalte zu bezeichnen.103 Diese Ansicht setzte sich letztendlich durch. Der Aspekt der Interpretation wurde nicht in den Vorbehaltsbegriff aufgenommen. Der Vorbehaltsbegriff der WVK enthält im Gegensatz zu dem noch vor Abschluss der WVK vor allem in der Literatur vertretenen weiten Vorbehaltsbegriff folglich auch nicht das Merkmal „auslegen“.104 3. Die Entwicklung nach der Verabschiedung der WVK Seit der Verabschiedung der WVK wird die Interpretationserklärung in Anlehnung an den Vorbehaltsbegriff der WVK und die travaux préparatoires der Völkerrechtskommission überwiegend negativ definiert. So werden Interpretationserklärungen als Erklärungen bezeichnet, mit der eine Vertragspartei ihr Verständnis oder ihre Auslegung einer Vertragsbestimmung ausdrückt und dabei nicht die Rechtswirkungen einer Vertragsbestimmung in ihrer Anwendung ändert oder ausschließt. Diese negative Definition ist sowohl von der internationalen Rechtsprechung als auch von einem Großteil der völkerrechtlichen Literatur105 übernommen worden.
Id., 32, Rdn. 2. Id., 33, Rdn. 17. Österreich schlug allerdings folgende Formulierung der Vorbehaltsdefinition vor: „whereby it purports to exclude or to vary the legal effect of, or to interpret, certain provisions of the treaty in their application to that State.“ 98 Id., 29, Rdn. 81. 99 Id., 30, Rdn. 96. 100 Id., 30, Rdn. 102. 101 Id., 31, Rdn. 116. 102 Id., 33, Rdn. 18. 103 Id., 34, Rdn. 29. 104 Der einzige Autor aus neuerer Zeit, der noch einen weiten Vorbehaltsbegriff vertritt, ist Cassese, International Law, 2001, 129: „[R]eservations, that [are], unilateral statements intended to either (a) exclude the application of one or more provisions, or (b) place a certain interpretation on them.“ 105 Siehe nur Ruda, Reservations to Treaties, RdC 146 (1975 III), 101 (106); Bowett, Reservations to Non-Restricted Multilateral Treaties, BYIL 48 (1976 / 77), 67 (68); Imbert, La question des réserves dans la décision arbitrale du 30 Juin 1977 relative à la délimitation du plateau continental entre la République Française et le Royaume-Uni de Grande Bretagne et d’Irlande du Nord, AFDI 24 (1978), 29 (33); Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, § 736, insb. Fn. 78; Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, 1984, 52; Kühner, Vor96 97
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
Aus der internationalen Rechtsprechung können die Entscheidungen des Schiedsgerichts im britisch-französischen Festlandsockelfall106, die Berichte der Europäischen Menschenrechtskommission Temeltasch v. Schweiz (1982)107 und Belilos v. Schweiz (1986)108, das Urteil der Europäischen Menschenrechtskommission Belilos v. Schweiz (1988)109, die Zulässigkeitsentscheidung T.K. v. Frankreich (1989)110 sowie der General Comment Nr. 24 (1994)111 des Menschenrechtsausschusses und das Sondervotum des Richters Shahabuddeen zu dem Urteil George Anderson NDERUBUMWE RUTANGA der Berufungskammer des Internationalen Tribunals für Ruanda (2003)112 genannt werden. behalte zu multilateralen Verträgen, 1986, 36; Gaja, Unruly Treaty Reservations, Etudes en l’honneur de Roberto Ago, Band 1, 1987, 307 (319); weitere Nachweise auch oben in Fn. 61. 106 U.K.-French Continental Shelf Case (First Decision), ILR 54, 6 (6 ff.), Rdn. 55. Siehe hierzu ausführlich unter III. 3. e) bb). 107 EKMR, Temeltasch v. Schweiz, Bericht vom 5. Mai 1982, DR 31, 120 ff., Rdn. 69 ff., insbesondere Rdn. 73: „La Commission se rallie sur ce point à la majorité de la doctrine et estime que si un État formule une déclaration et la présente comme une condition de son consentement à être lié par la Convention et comme ayant pour but d’exclure ou de modifier l’effet juridique de certaines de ses dispositions, une telle déclaration, quelle que soit sa désignation, doit être assimilée à une réserve, au sens de l’article 64 de la Convention.“ 108 EKMR, Belilos v. Schweiz, Bericht vom 7. Mai 1987, Ser. A 132, 37 ff., Rdn. 93 unter Berufung auf den Bericht Temeltasch v. Schweiz. 109 EGMR, Belilos v. Schweiz, Urteil vom 29. April 1988, Ser. A 132, 1 ff., Rdn. 40 ff., dt. Übersetzung in: EuGRZ 16 (1989), 21 ff. Zwar berief sich der EGMR nicht ausdrücklich auf die negative Definition der Interpretationserklärung. Er prüfte aber lediglich, ob die in Frage stehende Schweizer Erklärung einen Vorbehalt darstellte. 110 Human Rights Committee, Communication No. 220 / 1987, T.K. v. Frankreich, Decision on Admissibility, 8. November 1989, GAOR, 45th Session, Supplement No. 40 (A / 45 / 40), Annex X, 118 ff., Rdn. 8.6. Siehe hierzu auch Cohen-Jonathan, Note sur les décisions et constatations du comité des droits de l’homme des Nations Unies relatives à la France, AFDI 35 (1999), 424 (429 ff.). 111 Human Rights Committee, General Comment 24 (52), General Comment on Issues Relating to Reservations Made upon Ratification or Accession to the Covenant or the Optional Protocol Thereto, or in Relation to Declarations under Article 41 of the Covenant, U.N. Doc. CCPR / C / 21 / Rev.1 / Add.6, 1994, abgedruckt in: HRLJ 15 (1994), 464 ff., Rdn. 3: „It is not always easy to distinguish a reservation from a declaration as to a States’s understanding of the interpretation of a provision, or from a statement of policy. Regard will be had to the intention of the State, rather the form of the instrument. If a statement irrespective of its name or title, purports to exclude or modify the legal effect of a treaty in its application to the State, it constitutes a reservation. Conversely, if a so called reservation merely offers a State’s understanding of a provision but does not exclude or modify that provision in its application to that State, it is, in reality, not a reservation.“ 112 ICTR, La Chambre d’Appel, George Anderson NDERUBUMWE RUTANGA c / Le PROCUREUR, Affaire No. ICTR-96 – 3-A, 26. Mai 2003, Separate Opinion of Judge Shahabuddeen, Rdn. 18: „Some of these statements lean towards interpretative declarations, other towards reservations. As to the difference, it is said that ,[i]f a statement, irrespective of its name or title, purports to exclude or modify the legal effect of a treaty in its application to the State, it constitutes a reservation. Conversely, if a so-called reservation merely offers a
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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Diese lediglich negative Beschreibung der Interpretationserklärung hat zur Folge, dass die positive Definition der Interpretationserklärung und ihre Abgrenzung zu Vertragsvorbehalten zusammenfallen. Aus diesem Grund ist in der internationalen Rechtsprechung die Frage, ob eine Erklärung einen Vorbehalt oder eine Interpretationserklärung darstellt, bisher nur unter dem Blickwinkel behandelt worden, ob die Erklärung ein Vertragsvorbehalt sei oder nicht. War der Vorbehaltscharakter einer Erklärung zweifelhaft, wurde lediglich geprüft, ob sie die Rechtswirkungen einer Vertragsbestimmung in ihrer Anwendung ändert oder ausschließt.113 In der einzigen internationalen Entscheidung, in der eine einseitige Erklärung ausdrücklich als (einfache)114 Interpretationserklärung im Rechtssinne und nicht als Vorbehalt eingeordnet wurde (Entscheidung der EKMR Belilos v. Schweiz115), wurde dies folgerichtig damit begründet, dass die in Frage stehende Erklärung der Schweiz nicht den Charakter eines Vorbehalts aufweise.116 Bisher wurde nur vereinzelt versucht, aus dieser negativen Definition eine positive Beschreibung des Rechtsbegriffs „Interpretationserklärung“ zu entwickeln.117 Aktuellstes Beispiel ist die Definition, die 1999 von der Völkerrechtskommission State’s understanding of a provision but does not exclude or modify that provision in its application to that State, it is, in reality not a reservation‘.“ 113 Siehe hierzu EGMR, Temeltasch v. Schweiz, Bericht vom 5. Mai 1982, DR 31, 120 ff., Rdn. 74 ff.; Human Rights Committee, Communication No. 220 / 1987, T.K. v. Frankreich, Decision on Admissibility, 8. November 1989, GAOR, 45th Session, Supplement No. 40 (A / 45 / 40), Annex X, 118 ff., Rdn. 8.6. 114 Siehe hierzu unter III. 3. e). 115 Zum Sachverhalt siehe EGMR, Belilos v. Schweiz, Urteil vom 29. April 1988, Ser. A 132, 1 ff., Rdn. 9 ff. Die Beschwerdeführerin (Frau Belilos) war wegen der Teilnahme an einer unerlaubten Demonstration von der Polizei zu einer Geldbuße verurteilt worden. Dagegen hatte sie Beschwerde eingelegt, in der sie geltend machte, nicht an der Demonstration teilgenommen zu haben. Diese Beschwerde wurde nach einer Anhörung durch die Polizeikommission („la commission de police“) zurückgewiesen und die Geldbuße bestätigt. Dagegen erhob die Bf. Klage. Sie rügte unter anderem eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK, da sie nicht von einem unabhängigen Gericht angehört worden sei. Die schweizerischen Gerichte wiesen die Klage ab, da die Schweiz folgende Erklärung zu Art. 6 Abs. 1 EMRK abgegeben hatte: „Für den Schweizerischen Bundesrat bezweckt die in Absatz 1 von Art. 6 der Konvention enthaltene Garantie eines gerechten Prozesses, sei es in bezug auf Streitigkeiten über zivilrechtliche Rechte und Pflichten, sei es in bezug auf die Stichhaltigkeit der gegen eine Person erhobenen strafrechtlichen Anklage, nur, daß eine letztinstanzliche richterliche Prüfung der Akte oder Entscheidungen der öffentlichen Gewalt über solche Rechte und Pflichten oder über die Stichhaltigkeit einer solchen Anklage stattfindet.“ Daraufhin erhob Frau Belilos Beschwerde vor dem EGMR und machte eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK geltend. 116 Vgl. EKMR, Belilos v. Schweiz, Bericht vom 7. Mai 1987, Ser. A 132, 37 ff., Rdn. 101: „Par contre, les travaux préparatoires ne donnent aucune indication sur la façon dont on pourrait appliquer la déclaration comme une réserve dans des procédures pénales.“ 117 Als Beispiel können hier vor allem McRae, The Legal Effect of Interpretative Declarations, BYIL 49 (1978), 155 (155 ff.) oder Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1988, 229 ff. angeführt werden.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
vorläufig verabschiedet wurde. Diese Definition geht zurück auf das Jahr 1993. Damals beschloss die Völkerrechtskommission das Thema „Vertragsvorbehalte“ wieder auf ihre Tagesordnung zu setzen, da die drei Vertragskonventionen es nicht abschließend behandelt hätten. So seien bis dato unter anderem die Frage der Abgrenzung zwischen Interpretationserklärungen und Vertragsvorbehalten sowie der Anwendungsbereich von Interpretationserklärungen nicht geklärt worden.118 In ihrer 46. Sitzungsperiode im Jahr 1994 ernannte die Völkerrechtskommission Alain Pellet zum Sonderberichterstatter für das Thema „Law and Practice Relating to Reservations to Treaties“.119 Ziel von Pellets Untersuchung ist es nicht, geltendes Gewohnheitsrecht zu kodifizieren oder einen neuen völkerrechtlichen Vertrag auszuarbeiten, sondern einen Guide to Practice zu erstellen, der eine Auflistung von empfohlenen Verhaltensregeln enthalten soll. Er soll nur insoweit bindende Rechtsregeln enthalten, wie er die Regeln der WVK wiederholt.120 1998 legte Pellet seinen dritten Bericht zu Vorbehalten vor, in dem er als erster Berichterstatter der Völkerrechtskommission auch Interpretationserklärungen positiv definierte, und zwar in Abgrenzung zu Vertragsvorbehalten. Ausgehend davon, dass eine Auslegung keine Änderung der Rechtswirkung beinhalte, lautet Pellets auf Sapienza121 zurückgehende Definition folgendermaßen: „[A] unilateral declaration, however phrased or named, made by a State or by an international organization whereby that State or that organization purports to clarify the meaning or scope attributed by the declarant to the treaty or to certain of its provisions.“122
Diese Definition wurde 1999 von der Völkerrechtskommission übernommen. In ihren 1999 verabschiedeten Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted by the Commission on First Reading lautet die Definition von Interpretationserklärungen wie folgt: „[A] unilateral statement123, however phrased or named, made by a State or by an international organization whereby that State or that organization purports to specify or clarify
YILC 1993 II, 96, Rdn. 427 ff. GAOR, 49th Session, Supplement No. 10 (A / 49 / 10), 1994, Rdn. 382. 120 Report of the International Law Commission on the Work of its 54th Session, GAOR, 57th Session, Supplement No. 10 (A / 57 / 10), 2002, Rdn. 83. 121 Sapienza, Dichiarazioni interpretative unilaterali e trattati internazionali, 1996, 1: „dichiarazioni unilaterali a mezzo delle quali gli Stati, al momento di manifestare la loro volontà ad obbligarsi al rispetto del disposto di un trattato multilaterale (e talvolta anche semplicemente al momento della firma, pur se questa non rappresenti una vera e propria manifestazione di volontà ad obbligarsi), chiariscono in una certa misura il loro punto di vista relativamente all’interpretazione di una disposizione del trattato stesso o a problemi connessi comunque all’applicazione del disposto di questa trattato.“ 122 Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 361. 123 Die Umformulierung von „statement“ in „declaration“ kam zustande, da man die Definition der Interpretationserklärung terminologisch der des Vorbehalts anpassen wollte. 118 119
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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the meaning or scope attributed by the declarant to a treaty or to certain of its provisions.“124
Allerdings beschreibt weder der Sonderberichterstatter noch die Völkerrechtskommission bei dieser positiven Definition das zentrale Merkmal „klarstellen“ bzw. „auslegen“ genauer.125 Die Entwicklung im Anschluss an die Kodifizierung der WVK zeigt, dass es zwar den Rechtsbegriff der Interpretationserklärung gibt, sein genauer Gehalt aber unklar ist. Das liegt daran, dass er, abgesehen von den neuesten Ansätzen der Völkerrechtskommission, in der Regel negativ definiert und nicht näher umschrieben wird. Die mangelnde positive Definition der Auslegung hat zur Folge, dass sowohl der materielle Gehalt von Interpretationserklärungen als auch ihre exakte Abgrenzung zu Vertragsvorbehalten nach wie vor unklar und problematisch sind. Deshalb soll im Folgenden eine positive Definition des Rechtsbegriffs der Interpretationserklärung anhand des Vorbehaltsbegriffs vorgeschlagen werden. Ziel ist es, den Rechtsbegriff der Interpretationserklärung zu konkretisieren.
III. Die Definition einseitiger Interpretationserklärungen In diesem Abschnitt soll der Rechtsbegriff einseitige Interpretationserklärung entwickelt und konkretisiert werden. Dazu wird er mittels einer ausführlichen Definition von „Auslegung“ vom Vorbehaltsbegriff abgegrenzt. 1. Einseitige Erklärung eines vertragsfähigen Völkerrechtssubjekts Interpretationserklärungen werden übereinstimmend als einseitige Willenserklärungen definiert.126 Einseitige Willenserklärungen127 sind Handlungen, die nur eiInhaltliche Änderungen waren nicht beabsichtigt. Vgl. hierzu Chairman Zdzilaw Galicki, YILC 1999 I, 2581st Meeting, 3. Juni 1999, 99, Rdn. 58, 100 und 70 f. 124 YILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, 1999, 92. 125 Id., ILC-Kommentar, 100, Rdn. 17: „[,I]nterpretation‘, a highly complex concept, the elucidation of which would far exceed the scope of the present draft.“ So schon Pellet in seinem dritten Bericht über Vorbehalte zu Verträgen, Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 305. 126 Siehe hierzu nur Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1986, 236; Kühner, Vorbehalte zu multilateralen Verträgen, 1986, 35; Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 271 f.; Doehring, Völkerrecht, 2004, Rdn. 353. 127 Ausführlich zu den rechtlichen Problemen bei einseitigen Rechtsakten, Suy, Les actes unilatéraux en droit international public, 1962; Leutert, Einseitige Erklärungen im Völkerrecht, 1979. 3 Heymann
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
nem Völkerrechtssubjekt zugerechnet werden können.128 Formulieren mehrere oder alle Vertragsparteien eine Interpretationserklärung gemeinsam129, ist die Erklärung selbst keine einseitige Handlung mehr, da sie nicht nur einer, sondern mehreren Vertragsparteien zugerechnet werden kann. Da Interpretationserklärungen einseitige Akte bezogen auf einen (multilateralen) völkerrechtlichen Vertrag darstellen, können nur solche Völkerrechtssubjekte eine Interpretationserklärung abgeben, die die Vertragsfähigkeit besitzen. Das sind vor allem Staaten und internationale Organisationen.130
2. Wie auch immer bezeichnet oder formuliert Hinter diesem Tatbestandsmerkmal verbirgt sich die grundsätzliche Frage, ob für die rechtliche Qualifizierung einer Interpretationserklärung ihre Bezeichnung131 oder ihr materieller Inhalt konstituierend ist. So stellte Higgins in ihrer „Individual Opinion“ zu der Zulässigkeitsentscheidung T.K. v. Frankreich des Menschenrechtsausschusses primär auf die Bezeichnung ab.132 Gegen die Maßgeblichkeit der Bezeichnung einer Erklärung für ihre Einordnung als Interpretationserklärung spricht jedoch die oben aufgeführte Tatsache, dass eine Interpretationserklärung ein von einem Vertragsvorbehalt unterscheidbares Rechtsinstitut ist und Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK, der die gewohnheitsrechtliche KodifizieDinh / Dallier / Pellet, Droit international public, 1999, § 235. Ein Beispiel hierfür ist die Erklärung der Türkei, der Mitgliedsstaaten der EWG und der EWG zum Assoziationsabkommen zwischen der Türkei und der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 1. September 1963 (Abl. L 217, 29. Dezember 1964, 3687 ff.), die den Ausdruck Vertragsparteien definiert: „The Contracting parties agree that for the purposes of the Agreement of Association ,Contracting Parties‘ means the Community and the Member States or alternatively the Member States alone or the Community alone on the one hand, and the Turkish Republic on the other. The meaning to be given to this expression in each particular case is to be deduced from the context of the Agreement and from the corresponding provisions of the Treaty establishing the Community. In certain circumstances ,Contracting Parties‘ may; during the transitional period of the Treaty establishing the Community, mean the Member States, and after the expiry of that period mean the Community“ (Abl. L 361, 31. Dezember 1977, 2 ff.). Diese Erklärung wurde im Rahmen des Ergänzungsprotokolls zum Assoziierungsabkommen zwischen der EWG und der Türkei infolge des Beitritts neuer Mitgliedstaaten zu der Gemeinschaft (1973) abgegeben. 130 Siehe hierzu § 3. Zugunsten der Lesbarkeit wird im Folgenden der Begriff „Staaten“ im Zusammenhang mit Interpretationserklärungen auch als Synonym für die übrigen vertragsfähigen Völkerrechtssubjekte gebraucht. 131 So wohl Gros Espiell, La signature du Traité de Tlateloclo par la Chine et la France, AFDI 19 (1973), 131 (141). 132 Human Rights Committee, Communication No. 220 / 1987, T.K. v. Frankreich, Decision on Admissibility, 8. November 1989, GAOR, 45th Session, Supplement No. 40 (A / 45 / 40), Annex X, 118 ff., Individual Opinion Rosalyn Higgins, Appendix II, 125 f. 128 129
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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rung des Vorbehaltsbegriffs darstellt133, vorsieht, dass die Bezeichnung oder Formulierung einer einseitigen Erklärung für ihre Einordnung als Vertragsvorbehalt unbeachtlich ist.134 Somit können nach der Vorbehaltsdefinition der WVK Erklärungen, die von ihrem Urheber als Interpretationserklärung bezeichnet werden, in Wahrheit Vorbehalte darstellen; umgekehrt ist nicht jede als Vorbehalt bezeichnete Äußerung wirklich ein solcher.135 Hintergrund dieser Regelung ist, dass Staaten häufig Erklärungen abgeben, die sie als „Declarations“, „Interpretative Declarations“ oder „Understandings“ bezeichnen,136 die aber in Wahrheit Vorbehalte darstellen.137 Diese Staatenpraxis erklärt sich daraus, dass das Anbringen eines Vor133 U.K.-French Continental Shelf Case (First Decision), ILR 54, 6 (50), Rdn. 55: „Article 2 (1) (d) of the Vienna Convention on the Law of Treaties, which both Parties accept as correctly defining a ,reservation‘ . . .“. EKMR, Temeltasch v. Schweiz, Bericht vom 5. Mai 1982, DR 31, 120 ff., Rdn 68: „L’article 64 ne contient aucune définition du terme ,réserve‘, la Commission se doit analyser cette notion, . . . ,[telle qu’elle est entendue] en droit international. A cet égard, elle attachera une importance particulière à la Convention de Vienne sur le droit des traités . . . laquelle énonce surtout des règles existant en droit coutumier et revêt essentiellement un caractère codificateur.“ Im Folgenden zitiert dann die EKMR den Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK (id., Rdn. 69). Siehe auch EGMR, Belilos v. Schweiz, Urteil vom 29. April 1988, Ser. A 132, 1 ff., Rdn. 40 ff.; zur Staatenpraxis ausführlich Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.2, 1998, Rdn. 109 ff.; ders., id. Rdn. 120: „[T]he Vienna Definition is widely accepted as constituting law“. In der völkerrechtlichen Literatur wird ganz überwiegend auf die Vorbehaltsdefinition der WVK verwiesen und damit explizit oder implizit auch die gewohnheitsrechtliche Geltung der Vorschrift anerkannt. Aus der Literatur siehe nur: Sinclair, The Vienna Convention on Law of Treaties, 1984, 51; Jennings / Watts, Oppenheim’s International Law, Volume I / 2 – 4, 1992, § 614; Redgwell, Universality or Integrity? Some Reflections on Reservations to General Multilateral Treaties, BYIL 64 (1993), 245 (246 Fn. 6); Hilpold, Das Vorbehaltsregime der Wiener Vertragskonvention, AvR 34 (1996), 376 (381); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 14, Rdn. 2; Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2001, 1. Abschn., Rdn. 121; Brownlie, Principles of Public International Law, 2003, 584; Doehring, Völkerrecht, 2004, Rdn. 350; kritisch zur Definition der WVK Imbert, Les réserves aux traités multilateraux, 1979, 18. 134 Siehe auch die Einführung von Pellet zu der Definition von Interpretationserklärungen im Rahmen der Völkerrechtskommission, YILC 1998 I, 2552nd Meeting, 29. Juli 1998, 221, Rdn. 35. 135 Vgl. auch Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice 1951 – 54: Treaty Interpretation and Other Treaty Points, BYIL 33 (1957), 203 (273 f.): „[T]he use of the term ,reservation‘ is not conclusive in either sense. A statement or declaration called a reservation may well prove not really to be one.“ 136 Ein anschauliches Beispiel für unterschiedlich formulierte Äußerungen sind die Erklärungen und Vorbehalte, die Frankreich anlässlich der Ratifikation des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966 (UNTS 999, 171; BGBl. 1973 II, 1534) abgegeben hat. So verwendet Frankreich folgende Formulierungen: „The Government of the Republic considers that . . .“; „ . . . enters the following reservation . . .“, „ . . . declares that . . .“, und „ . . . interprets . . .“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.4, 168). 137 Vgl. hierzu Golsong, Les réserves aux instruments internationaux pour la protection des droits de l’homme, in: Les clauses échappatoires en matière d’instruments internationaux relatifs aux droits de l’homme, 1982, 23 (36).
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
behalts auf die Abneigung des Vorbehaltsstaats hinweist, den Vertrag in seiner Gesamtheit zu akzeptieren. Für die Frage, ob eine Erklärung eine Interpretationserklärung darstellt, kann es daher nicht auf ihre Bezeichnung oder Formulierung ankommen.138 Gestützt wird dieses Ergebnis sowohl durch die internationale Rechtsprechung, die aktuellen Arbeiten der Völkerrechtskommission als auch die Staatenpraxis. In dem Urteil Belilos v. Schweiz stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fest, dass nicht die Bezeichnung einer Erklärung, sondern ihr materieller Inhalt für ihre Einordnung als Interpretationserklärung oder Vorbehalt maßgeblich sei.139 Auch der Menschenrechtsausschuss stellte in der Zulässigkeitsentscheidung T.K. v. Frankreich fest, dass es lediglich auf die Wirkung einer Erklärung und nicht auf ihre Bezeichnung ankomme.140 Genauso stellen der Sonderberichterstatter der Völkerrechtskommission Pellet141 und auf ihm basierend die Völkerrechtskommission142 darauf ab, dass die Bezeichnung oder Formulierung einer Erklärung unbeachtlich sei. Weiterhin gibt es in der Staatenpraxis zahlreiche Beispiele, in denen Staaten gegen eine von ihrem Urheber als „Interpretationserklärung“ bezeichnete Aussage Einspruch eingelegt haben, mit der Begründung, dass es sich in Wahrheit um einen Vertragsvorbehalt handele.143 So hat Finnland folgenden Einwand gegen zwei von 138 Whiteman, Digest of International Law, Vol. 14, 1970, 137; Bowett, Reservations to Non-Restricted Multilateral Treaties, BYIL 48 (1976 / 77), 67 (68); Wagner / Wildhaber, Der Fall Temeltasch und die auslegenden Erklärungen der Schweiz, EuGRZ 10 (1983), 145 (149). 139 EGMR, Belilos v. Schweiz, Urteil vom 29. April 1988, Ser. A 132, 1 ff., Rdn. 49. Wiederholt wurde diese Ansicht in der Zulässigkeitsentscheidung der Großen Kammer des EGMR, Lesço, Ivanˇthorn˛oc und Tudor Petrov-Popa v. Moldawien und der Russischen Föderation vom 4. Juli 2001, The Law I.2. (a) (i), allerdings nicht ausdrücklich bezogen auf eine Interpretationserklärung. Dieses Urteil ist (noch) nicht in der offiziellen Sammlung des EGMR veröffentlicht. Es ist auf der Homepage des EGMR erhältlich (http: //www. echr.coe.int). 140 Human Rights Committee, Communication No. 220 / 1987, T.K. v. Frankreich, Decision on Admissibility, 8. November 1989, GAOR, 45th Session, Supplement No. 40 (A / 45 / 40), Annex X, 118 ff., Rdn. 8.6. 141 Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 282 ff. 142 Siehe auch YILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, 92, 1.2. Definition of interpretative declarations: „[A] unilateral statement . . . however phrased or named . . .“. 143 So stuften beispielsweise Finnland (Multilateral Treaties Deposited with the SecretaryGeneral – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.9, 265), Frankreich (id., 265 f.), Spanien (id., 267), Schweden (id., 267), Deutschland (id., 276) und die Niederlande (id, 276) eine als „Erklärung“ bezeichnete Erklärung von Bangladesh (id., 261) zu Art. 14 Abs. 1 des Internationalen Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. Dezember 1984 (UNTS 1465, 85; BGBl. 1990 II, 246) als Vorbehalt ein.
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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Kuwait als „Interpretationserklärungen“ bezeichnete Aussagen144 zu Art. 2 Abs. 1, Art. 3 und Art. 23 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte145 erhoben: „The Government of Finland notes that according to the interpretative declarations the application of certain articles of the Covenant is in a general way subjected to national law. The Government of Finland considers these interpretative declarations as reservations of a general kind.“146
Ein weiteres Beispiel ist der Einwand der Niederlande gegen eine als „Interpretationserklärung“ bezeichnete Erklärung Algeriens zu Art. 13 Abs. 3 und 4 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 16. Dezember 1966147: „In the opinion of the Government of the Kingdom of the Netherlands, the interpretative declaration concerning article 13, paragraphs 3 and 4 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights must be regarded as a reservation to the Covenant . . .“148
Im Ergebnis ist also festzuhalten, dass die Bezeichnung oder Formulierung einer Erklärung für ihre rechtliche Qualifizierung nicht maßgeblich ist. 3. Die die Auslegung einer Vertragsbestimmung bezweckt und nicht die Rechtswirkungen einer Norm in ihrer Anwendung ändert oder ausschließt a) Vorbemerkung Zentrales Merkmal einer Interpretationserklärung ist, dass sie einen Vertrag lediglich auslegt und nicht seine Rechtswirkungen ändert oder ausschließt. Dieses 144 So lauteten die „Interpretationserklärungen“ Kuwaits zu Art. 2 Abs. 1 und Art. 3: „Although the Government of Kuwait endorses the worthy principles embodied in these two articles as consistent with the provisions of the Kuwait Constitution in general and of its article 29 in particular, the rights to which the articles refer must be exercised within the limits set by Kuwaiti law.“ Und: „The Government of Kuwait declares that the matters addressed by article 23 are governed by personal-status law, which is based on Islamic law. Where the provisions of that article conflict with Kuwaiti law, Kuwait will apply its national law“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, chapter IV.4, 170). 145 Zur Fundstelle siehe oben Fn. 136. 146 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.4, 177. Siehe hierzu auch die fast gleichlautenden Einwände Norwegens (id., 179) und Schwedens (id., 181) gegen die „Interpretationserklärungen“ Kuwaits. 147 UNTS 993, 3; BGBl. 1973 II, 1570. 148 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.3, 159.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
Merkmal ist zugleich das problematischste, da sich in ihm der klassische rechtstheoretische Streit widerspiegelt, ob Auslegung und Änderung einer Norm voneinander unterscheidbare Vorgänge darstellen149, und wenn man dies bejaht, wie zwischen Auslegung und Änderung einer Norm abgegrenzt werden kann.150 b) Begrifflicher Unterschied zwischen Auslegung und Änderung der Rechtswirkungen Auslegung bedeutet allgemein die Erkenntnis des Vertragssinns151 und somit die Bestimmung der Rechtswirkungen einer Norm. Sie dient der Feststellung, welche völkerrechtlichen Rechte und Pflichten der jeweilige völkerrechtliche Vertrag beinhaltet. So wählte die Völkerrechtskommission die Formulierung „whereby that State or that organization purports to specify or clarify the meaning or scope attributed by the declarant to the treaty or to certain of its provisions“, um die Absicht des Urhebers einer Interpretationserklärung, den Vertrag „auszulegen“, zu umschreiben.152 Änderung und Ausschluss der Rechtswirkungen bedeuten hingegen, dass der Urheber eines Vorbehalts die sich aus einzelnen Vertragsnormen bzw. aus dem gesamten Vertrag153 ergebenden rechtlichen Verpflichtungen entweder sachlich modifiziert oder ausschließt.154 Dies wird auch durch die Formulierung des Art. 21 WVK bestätigt, der die Rechtsfolgen für den Fall regelt, dass ein Vorbehalt durch Dazu unter c). Dazu unter d). 151 Von Savigny, Juristische Methodenlehre, 1802 (Nachdruck 1951), 18: „Interpretation ist also vorerst: Rekonstruktion des Inhalts des Gesetzes . . .“. Rousseau, Droit international public, tome I, 1970, 241: „L’interprétation est l’opération intellectuelle qui consiste à déterminer le sens d’un acte juridique, à en préciser la portée et à éclairer les points obscurs ou ambigus.“ Rhinow, Rechtssetzung und Methodik, 1979, 32: „Auslegung soll Sinn vermitteln, die Bedeutung geltenden Rechts erhellen, zum Verstehen des geltenden Rechts hinführen.“ Vgl. auch Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1995, 134: „Auslegung‘ ist, wenn wir an die Wortbedeutung anknüpfen, ,Auseinanderlegung‘, Ausbreitung und Darlegung des in dem Text beschlossenen, aber noch gleichsam verhüllten Sinnes.“ 152 YILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, 1999, ILC-Kommentar, 100, Rdn. 16: „As their name indicates, interpretative declarations have a different objective: they are aimed at interpreting the treaty as a whole or certain of its provisions.“ Vgl. auch die Stellungnahme Pellets im Rahmen der Völkerrechtskommission, YILC 1998 I, 2252nd Meeting, 30. Juli 1998, 228, Rdn. 53: „To introduce the term ,interpret‘ into the definition would make it somewhat repetitive.“ 153 Zur Frage, ob sich Vorbehalte auch auf den gesamten Vertrag beziehen können, siehe ausführlich Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.3, 1998, Rdn. 55 ff. 154 Kühner, Vorbehalte und auslegende Erklärungen zur MRK, ZaöRV 42 (1982), 58 (61); ders., Vorbehalte zu multilateralen Verträgen, 1986, 27. Siehe auch Bastid, Les traités dans la vie internationale, 1985, 71: „L’État qui fait la réserve demande que le texte intégral ne s’applique pas à lui.“ 149 150
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die anderen Parteien abgelehnt bzw. angenommen worden ist. Art. 21 Abs. 1 lit. a WVK spricht davon, dass sich die Vertragsbestimmungen für den den Vorbehalt anbringenden Staat in dem darin vorgesehenen Ausmaß gegenüber den anderen Parteien ändern. In der Regel liegt eine sachliche Modifizierung der sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen dann vor, wenn die Erklärung auf eine Verringerung der vertraglichen Pflichten abzielt.155 Sinn und Zweck eines Vorbehalts ist es also, auch solchen Staaten oder internationalen Organisationen den Beitritt zu einem multilateralen Vertrag zu ermöglichen, die nicht mit allen Regelungen desselben einverstanden sind.156 Hierdurch soll erreicht werden, dass ein multilateraler völkerrechtlicher Vertrag von möglichst vielen Staaten ratifiziert wird.157 Auslegung bedeutet somit im Gegensatz zu Änderung der Rechtswirkungen die Bestimmung der Rechtswirkungen einer Norm, so dass eine Erklärung, die die Auslegung einer Vertragsbestimmung bezweckt, begrifflich von einem Vorbehalt zu unterscheiden ist.158 c) Tatsächlicher Unterschied zwischen Auslegung und Änderung der Rechtswirkungen? Fraglich und problematisch ist allerdings, ob auch tatsächlich ein Unterschied zwischen Auslegung und Änderung einer Norm besteht, oder ob nicht jede Auslegung einer Norm (potentiell) auch die Rechtswirkungen einer Norm ändert. Diese Frage stellt sich aufgrund des rechtsschöpferischen159 und kreativen Charakters der Auslegung. 155 Streitig und unklar ist allerdings, ob Vorbehalte lediglich eine Verringerung der Vertragspflichten (so beispielsweise Imbert, Les réserves aux traités multilatéraux, 1979, 14) oder auch eine Vergrößerung derselben umfassen. Ausführlich hierzu Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.3, 1998, Rdn. 168 ff. 156 Ein anschauliches Beispiel ist der Vorbehalt Algeriens zu Art. IX der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes vom 9. Dezember 1948 (UNTS 78, 277; BGBl. 1954 II, 730), im Folgenden Genozid-Konvention. Algerien war nicht damit einverstanden, dass der IGH, wie in Art. IX der Konvention vorgesehen, bei Streitfällen zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung und Anwendung der Konvention zuständig sein sollte. Algerien formulierte daher folgenden Vorbehalt: „The Democratic and Popular Republic of Algeria does not consider itself bound by article IX of the Convention, which confers on the International Court of Justice jurisdiction in all matters relating to the said Convention“ (Multilateral Treaties as deposited with the Secretary-General – Status at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.1, 122). 157 Siehe nur Bastid, Les traités dans la vie internationale, 1985, 71. 158 Horn begründet den grundsätzlichen Unterschied zwischen einer Interpretationserklärung und einem Vorbehalt damit, dass denklogisch die Auslegung einer Norm ihrer Änderung vorgeschaltet sein müsse. Denn wenn man nicht den Inhalt einer Norm kenne, könne man ihn auch nicht ändern (Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1988, 238).
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
Die Notwendigkeit der Auslegung völkerrechtlicher und anderer Normen ergibt sich aus ihrer Mehrdeutigkeit, die gerade im Völkerrecht besonders ausgeprägt ist. Diese ist vor allem in der Unvollkommenheit der menschlichen Sprache160, der mangelnden normgeberischen Weitsicht, alle zukünftigen Anwendungsfälle einer Norm erfassen zu können161, und des oftmals fehlenden oder uneindeutigen Parteiwillens162 begründet. Treffend formuliert daher Bernhardt: „Wären Parteiwille und sprachlicher Ausdruck nicht nur stets kongruent, sondern auch von eindeutiger, gegenwärtige wie zukünftige Zweifelsfälle ausschließender Präzision, so gäbe es kein Auslegungsproblem.“163
159 Das Problem, inwieweit der Auslegung ein rechtsschöpferischer Charakter zukommt, wird insbesondere im Zusammenhang mit der Interpretation von Normen durch einen Richter erörtert (Stichwort: „judicial law making“). Dies liegt darin begründet, dass die internationale Judikatur den größten Beitrag zur Entwicklung von Auslegungsgrundsätzen geleistet hat und im innerstaatlichen Recht aufgrund der obligatorischen Zuständigkeit der Gerichte „Auslegung“ mit „Gerichtsbarkeit“ assoziiert wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nur ein Richter bei einer Auslegungsentscheidung rechtsschöpferisch tätig wird, vielmehr ist dies ein allgemeines Phänomen des Auslegungsvorgangs. Zur rechtsschöpferischen Tätigkeit der Auslegung siehe beispielsweise Hersch Lauterpacht, The Development of International Law by the International Court, 1958, 75: „[C]ourts have to apply the law in force. It is not their function deliberately to change the law so as to make it conform to their own views of justice and expediency. This does not mean that they do not in fact shape or even alter the law. But they do it without admitting it; they do it while guided at the same time by existing law; they do it while remembering that stability and certainty [im Orginal heißt es – wohl versehentlich – ,uncertainty‘] are no less of the essence of the law than justice; they do it, in a word, with caution.“ 160 Siehe die Kommentierung zu der von der Harvard Law School entwickelten Draft Convention on the Laws of Treaties aus dem Jahr 1935, AJIL 29 (1935), Supplement, 946: „[I]mperfect nature of the human language itself . . .“. Kelsen, The Law of the United Nations, 1950, xiii: „It is incumbent upon the law-maker to avoid as far as possible ambiguities in the text of the law; but the nature of language make the fulfilment of this task possible only to a certain degree.“ IGH, Northern Cameroons (Cameroons v. United Kingdom), Preliminary Objections, Separate Opinion of Judge Spender, ICJ Reports 1963, 15 (88): „[A]mbiguity may be hidden in the plainest and most simple words even in their ordinary and natural meaning.“ Siehe auch Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge, 1973, 20; Simon, L‘interprétation judiciaire des traités d’organisations internationales, 1975, 119 ff.; vgl. auch Hart, The Concept of Law, 1994, 124 ff., der insoweit von der „open texture of law“ spricht. 161 Vgl. auch Zippelius, Methodenlehre, 2003, 42. 162 Siehe nur Hersch Lauterpacht, Restrictive Interpretation and the Principles of Effectiveness in the Interpretation of Treaties, BYIL 26 (1949), 48 (52). 163 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 1963, 32. Siehe hierzu schon Emer de Vattel, Le droit des gens ou Principes de la loi naturelle, 1758 (Nachdruck 1916), Livre II, chapitre XVII, § 262: „Si les idées des hommes étoient toujours distinctes & parfaitement déterminées, s’ils n’avoient pour les énoncer que des termes propres, que des expressions également claires, précises, susceptibles d’un sens unique; il n’y auroit jamais de difficulté à découvrir leur volonté dans les paroles par lesquelles ils ont voulu l’exprimer: il ne faudroit qu’entrendre la langue.“ Siehe auch Gordon, The World Court and the Interpretation of Constitutive Treaties, AJIL 59 (1965), 794 (798).
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Die besondere Mehrdeutigkeit völkerrechtlicher Normen164 ergibt sich insbesondere aus zwei Gründen: Zum einen ist das Phänomen der Unbestimmtheit der Sprache bei völkerrechtlichen Verträgen ausgeprägter als im nationalen Recht, da sie in der Regel in mehreren Sprachen abgefasst werden.165 Zum anderen werden völkerrechtliche Regelungen von einer Vielzahl unterschiedlicher Rechtskulturen getroffen, so dass die Hintergrundinformationen zur sprachlichen Bedeutung eines Wortes sehr inhomogen sind. Weiterhin werden multilaterale völkerrechtliche Verträge von den Staaten als gleichberechtigte Akteure auf internationalen Konferenzen ausgehandelt166 und die Norminhalte beruhen häufig auf einem Kompromiss aus verschiedenen Positionen. Sie werden deshalb absichtlich vage und ungenau formuliert, so dass jede Vertragspartei ihre Auffassung in der Norm wiederfinden kann.167 Dass heißt, völkerrechtliche Normen verfügen häufig über eine geringere Präzision als innerstaatliche Gesetze. Ein Beispiel hierfür ist Art. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes, der vorsieht, dass ein Kind jeder Mensch ist, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt. Die vertragsausarbeitenden Parteien verwendeten den Begriff „Mensch“, da sie sich nicht darüber einigen konnten, zu welchem Zeitpunkt das „Menschsein“ des Kindes anfängt.168 Ein weiteres Beispiel für einen Vertrag mit geringer Präzision ist das Rahmenübereinkommen zum Schutz von Minderheiten des Europarats vom 1. Februar 1995169, das mangels Einigung der Gründerstaaten keine Definition des Begriffs „nationale Minderheiten“ enthält.170 164 Sapienza, Les déclarations interprétatives unilatérales et l’interprétation des traités, RGDIP 103 (1999), 603 (606 f.); Nelson, Declarations, Statements and „Disguised Reservations“ with Respect to the Convention on the Law of the Sea, ICLQ 50 (2001), 767 (773). 165 Zur Auslegung mehrsprachiger völkerrechtlicher Verträge Hilf, Die Auslegung mehrsprachiger Verträge, 1973. 166 Ausführlich zu der Aushandlung völkerrechtlicher Verträge Aust, Modern Treaty Law and Practice, 2000, 66 ff. 167 Siehe hierzu schon Hersch Lauterpacht, De l’interprétation des traités, Ann. IDI, 43 I (1950), 366 (426 ff.). 168 Siehe hierzu Dorscheidt, The Unborn Child and the UN Convention on Children’s Rights: the Dutch Perspective as a Guideline, The International Journal of Children’s Rights 7 (1999), 303 (309 ff.). Zu weiteren Beispielen aus der älteren Vertragspraxis siehe Hersch Lauterpacht, De l’interprétation, Ann. IDI 43 I (1950), 366 (426 f.). 169 ETS Nr. 157; BGBl. 1997 II, 1408. 170 Siehe hierzu nur die Erklärung zu dem Rahmenübereinkommen zum Schutz von Minderheiten, die Deutschland anlässlich der Signatur (11. Mai 1995) abgegeben und bei der Ratifikation am 10. September 1997 bestätigt hat: „The Framework Convention contains no definition of the notion of national minorities. It is therefore up to the individual Contracting Parties to determine the groups to which it shall apply after ratification. National Minorities in the Federal Republic of Germany are the Danes of German citizenship and the members of the Sorbian people with German citizenship. The Framework Convention will also be applied to members of the ethnic groups traditionally resident in Germany, the Frisians of German
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
Die kreative Tätigkeit eines Interpreten ergibt sich nun daraus, dass er sich für eine von mehreren möglichen Deutungen einer Norm entscheidet (entscheiden muss)171 und diese Entscheidung keinen logisch zwingenden Schluss, sondern lediglich eine durch hinreichende Gründe motivierte Wahl zwischen den verschieden Deutungsmöglichkeiten darstellt.172 Der Interpret will bei der Auslegung den Vertragstext als „Träger“ des in ihm niedergelegten Sinns173 verstehen.174 Anhand des vorhandenen Rechtsstoffs (Vertragstext, Auslegungsregeln, Rechtsprinzipien, etc.) versucht er den Inhalt einer Norm zu ergründen. Dabei vergegenwärtigt er sich die mehreren möglichen Deutungen einer Norm und fragt sich, welche die „richtige“ sein könnte. Im Völkerrecht stehen dem Interpreten zunächst die in Art. 31 – 33 WVK normierten und gewohnheitsrechtlich 175 geltenden Auslegungsregeln176 zur Vercitizenship and the Sinti and Roma of German citizenship“ (http: //conventions.coe.int/Treaty / EN/cadreprincipal.htm>, besucht am 16. März 2004). Ausführlich zu den Erklärungen anlässlich des Rahmenübereinkommens Frowein / Bank, The Effect of Member States’ Declarations defining „National Minorities“ upon Signature or Ratification of the Council of Europe’s Framework Convention, ZaöRV 59 (1999), 649 (649 ff.). 171 Aus diesem Grund geht Brändle, Vorbehalte und auslegende Erklärungen zur europäischen Menschenrechtskonvention, 1978, 2 f. von einer Gleichstellung von Interpretationserklärungen und Vorbehalten aus: „Wer eine auslegende Erklärung zu einer Vertragsbestimmung abgibt, anerkennt damit implizite, dass andere Auslegungen möglich wären, welche er für sich aber definitiv ausschließen will. D.h. er will die fragliche Bestimmung dahingehend einschränken, dass sie nur noch die vorgebrachte Interpretation zulässt. Genau diese Einschränkung charakterisiert aber den Vorbehalt.“ 172 De Visscher, Problèmes d’interprétation judiciaire en droit international, 1963, 14: „La fonction de toute interprétation juridique est de choisir entre plusieurs significations possibles d’un texte ou d’un comportement humain celle qui paraît à la fois la plus conforme aux données observées et la mieux adaptée à certains fins.“ Siehe auch Simon, L‘interprétation judiciaire des traités d’organisations internationales, 1981, 114 f. Bezüglich der Gesetzesauslegung Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1995, 26. 173 Vgl. auch Larenz / Canaris, Methodenlehre, 1995, 134. 174 Der Vertragstext ist unabhängig von der subjektiven oder objektiven Auslegungsmethodik [siehe dazu d) bb)] Gegenstand der Interpretation. 175 IGH, Compétence de l’Assemblée générale pour l’admission d’un État aux Nations Unies (Avis consultatif), ICJ Reports 1950, 4 (8); IGH, Différend territorial (Jamahiriya arabe libyenne v. Tchad), ICJ Reports 1994, 1 (21 ff.); IGH, Kasikili / Sedudu Island (Botswana v. Namibia), ICJ Reports 1999, 1045 ff., Rdn. 18; EGMR, Golder v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 21. Februar 1975, Ser. A 18, 5 (14); Schiedsgericht im Beagle Channel Case, ILM 17 (1978), 634 (635); Jennings / Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I / 2 – 4, 1992, § 632. Ausführlich Santiago, Interpretation of Treaties by the International Court of Justice Following the Adoption of the 1969 Vienna Convention on the Law of Treaties, Liber Amicorum Seidl-Hohenveldern, 1998, 721 – 748. 176 Da den Auslegungsregeln mittlerweile gewohnheitsrechtliche Geltung zukommt, kann der Streit, ob Auslegungsregeln überhaupt rechtlich verbindliche Regeln darstellen können, als obsolet betrachtet werden. Für die Unverbindlichkeit der Auslegungsregeln aber noch unter anderen Köck, Zur Interpretation völkerrechtlicher Verträge, ZÖR 53 (1998), 217 (221) und Manin, Droit international public, 1979, 114.
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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fügung. Die Anwendung dieser Auslegungsregeln auf einen Vertragstext ist aber kein mechanischer177 Vorgang178, der in jeder Zeit und durch jeden beliebigen Interpreten zum gleichen Ergebnis führt.179 Vielmehr fließen in ihn bewusst oder unbewusst subjektive Stellungnahmen und Überzeugungen ein.180 177 Siehe hierzu auch den Kommentar zu der von der Harvard Law School entwickelten Draft Convention on the Laws of Treaties: „The process of interpretation, rightly conceived, cannot be regarded as a mere mechanical one of drawing inevitable meanings from the words in a text, or of searching for and discovering some pre-existing specific intention of the parties with respect to every situation arising under a treaty . . . In most instances . . . interpretation involves giving a meaning to a text – not just any meaning which appeals to the interpreter, to be sure, but a meaning which, in the light of the text under consideration and of all the concomitant circumstances of the particular case at hand, appears in his considered judgement to be one which is logical, reasonable, and most likely to accord with and to effectuate the larger general purpose which the parties desired the treaty to serve“ (AJIL, 29 (1935), Supplement, 946). 178 Aus diesem Grund wird der Interpretationsvorgang auch als rechtlich nicht fassbarer Vorgang bezeichnet und als Kunst eingeordnet. Siehe insbesondere ILC-Entwurf 1966, Kommentar zu Art. 27, YILC 1966 II, 218, Rdn. 4 „[I]nterpretation of documents is to some extent an art, not an exact science.“ Der Auffassung der Völkerrechtskommission folgend siehe unter anderen Manin, Droit international public, 1979, 114; Aust, Modern Treaty Law and Practice 2000, 184; Amerasinghe, Interpretation of Texts in Open International Organizations, BYIL 65 (1994), 175 (182). Kritisch zu dieser Einordnung, Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1995, 136. 179 Dies ergibt sich einmal aus der Natur des Verstehensprozesses selbst. Dieser ist nicht nur ein reproduktiver, sondern immer auch ein produktiver Akt. Indem der Interpret nachzuvollziehen versucht, was der Vertrag und die einzelne Norm aussagt, denkt er, insbesondere aufgrund des zeitlichen Abstands zum Urheber, die Gedanken des Normgebers weiter. Insofern spricht man auch davon, dass das Verstehen immer auch ein Besserverstehen sei. Siehe hierzu Gadamer, Wahrheit und Methode, 1975 (1960), 280; Larenz, Methodenlehre, 1975, 392: „Die Rechtsordnung besteht nicht völlig unabhängig von dem Verstehensprozeß, sondern nur so, wie sie sich auf Grund dieses Prozesses im Verständnis der zu ihrer Anwendung und Fortbildung berufenen jeweils darstellt.“ Vgl. auch Esser, Grundsatz und Norm, 1990, 258: „Interpretation ist Entscheidung, Entscheidung nach Maßstäben, die nicht mit dem erst zu interpretierenden Wort schon gegeben sind, sondern vom Interpreten an das Objekt herangetragen werden müssen – nach den für ihn und seine Zeit verbindlichen Zielsetzungen.“ 180 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 1963, 51. Ders., Interpretation in International Law, EPIL, Band 2, 1995, 1416 (1418) „It is the essence of the interpretation of legal texts that the interpreters are bound by legal principles which are, on the other hand, broadly phrased leaving some margin for the expression of personal convictions and for divergent conclusions.“ Vgl. auch Yambrusic, Treaty Interpretation, 1987, 249: „[Interpretation] is a creative process because it expresses thoughts or ideas with respect to the meaning of the treaty.“ Allgemein zur Auslegung Betti, Die Hermeneutik als allgemeine Methodik der Geisteswissenschaften (1972), 11: „daß die vom Mitmenschen gesprochene Rede nicht als ein gebrauchsfertiger körperlicher Gegenstand aufzufassen ist, der von uns nur entgegenzunehmen wäre, sondern als gestalthafte Quelle einer Anregung, die an unsere Einsicht ergeht, das Wahrgenommene zurückzuübersetzen, dessen Sinn von innen heraus nachzukonstruieren, um mit unseren Denkkategorien den Gedankengang, wie ihn das gesprochene Wort darstellt, durch einen gestaltenden, formgebenden Vorgang erneut zum Ausdruck zu bringen.“
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
Dies liegt daran, dass aufgrund der Mehrdeutigkeit der Normen selbst die Auslegungsregeln nur allgemeine Prinzipien sein können, die dem Interpreten je nach Gestaltung der auszulegenden Norm Spielräume darin lassen, wie sie im Einzelnen zu gewichten und anzuwenden sind.181 Das bedeutet, dass die Entscheidung für oder wider eine bestimmte Deutung der Norm auch von den Erfahrungen, Anschauungen und Vorkenntnissen182 des Auslegenden abhängt. Auslegung ist also mit den Worten Radbruchs „ein unlösbares Gemisch theoretischer und praktischer, erkennender und schöpferischer, reproduktiver und produktiver, wissenschaftlicher und überwissenschaftlicher, objektiver und subjektiver Elemente“. 183 Daher wird die Auslegung einer Norm auch als legislative Rechtsschöpfung184, Rechtsfortbildung185 oder als Abweichung von einem als gegeben vorgestellten Vertragsinhalt186 bezeichnet.187 181 Siehe hierzu ILC-Entwurf 1966, Kommentar zu Art. 27, YILC 1966 II, 218, Rdn. 4: „They [rules of interpretation] are for the most part, principles of logic and good sense valuable only as guides to assist in appreciating the meaning which the parties may have intended to attach to the expressions that they employed in a document. Their suitability for use in any given case hinges on a variety of considerations which have first to be appreciated by the interpreter of the document . . .“. 182 Weiter gehen die Vertreter der modernen Hermeneutik, die vor allem fußend auf Gadamer, Wahrheit und Methode, 1975 (1960), 281 ff. davon ausgehen, dass der Interpret der Auslegung eines Texts nicht unbefangen, sondern jeweils – als eine notwendige „Bedingung des Verstehens“ – mit einem „Vor-Urteil“ („Vorverständnis“), das heißt mit einer bestimmten antizipierten Sinnerwartung gegenübertritt. Insofern gehen sie davon aus, dass ein vom Interpreten unabhängiger Sinn einer Norm nicht existiert und eine objektive Rechtsfindung nicht möglich ist. In diesem Sinne auch schon Heidegger, Sein und Zeit, 1986 (1927), § 31 – 32 (142 – 153), insb. 150: „Auslegung ist nie ein voraussetzungsloses Erfassen eines Vorgegebenen. Wenn sich die besondere Konkretion der Auslegung im Sinne der exakten Textinterpretation gerne auf das beruft, was ,dasteht‘, so ist das, was zunächst ,dasteht‘, nichts anderes als die selbstverständliche, undiskutierte Vormeinung des Auslegers, die notwendig in jedem Auslegungsansatz liegt als das, was mit Auslegung überhaupt schon ,gesetzt‘, das heißt in Vorhabe, Vorsicht, Vorgriff vorgegeben ist.“ 183 Radbruch, Rechtsphilosophie, 1973 (1932), 207. 184 Vgl. z. B. Reuter, Vorwort zu Sur, Interprétation en droit international public, 1974, II: „L’interprétation est en soi œuvre législative.“ 185 Siehe zum Zivilrecht Esser, Grundsatz und Norm, 1990, 259: „Interpretation und Rechtsfortbildung sind in diesem Sinne ein und dasselbe, mag man auch dort mehr die stabilisierende Methode der explicato eines implicite Geordneten betonen, hier den offenen oder versteckten zielstrebigen Prozeß.“ Siehe auch Peters, Elemente einer Theorie der Verfassung Europas, 2001, 421: „Es gibt keine scharfe, theoretisch oder methodologisch ermittelbare Trennlinie zwischen Auslegung und Fortbildung. Bei jeder Interpretation muß auf der Basis eines bestimmten Vorverständnisses anhand des konkreten Sachverhalts die in Frage stehende Rechtsregel ermittelt und eine Entscheidung getroffen werden. Insofern ist jede Interpretation auch ein schöpferischer Akt und die offene Rechtsfortbildung unterscheidet sich von ihr lediglich in der Tendenz.“ 186 Karl, Vertragsauslegung-Vertragsänderung, in: Autorität und internationale Ordnung, 1979, 9 (17 f.); ders., Vertrag und spätere Praxis, 1983, 28.
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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Das bedeutet aber nicht, dass die Auslegung einer Norm das Recht selbst im Sinne legislativer Tätigkeit ändere.188 Die sich aus dem kreativen Prozess der Auslegung ergebende Einwirkung auf den Norminhalt ist daher nicht mit einer Änderung der Rechtswirkungen einer Norm im Sinne des Vorbehaltsbegriffs des Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK gleichzustellen. Rechtsfortbildung bedeutet nicht Rechtsänderung. Denn trotz des rechtsschöpferischen Elements sind Auslegung und Änderung einer Norm unterschiedliche Tätigkeiten, da der Interpret den Vertragssinn lediglich erforschen will, wobei er an den Vertragstext189 und die Auslegungsregeln gebunden ist, während ein rechtsetzendes oder rechtsänderndes Organ (abgesehen von den Bindungen an höherrangiges ius cogens) völlig frei ist. Anders ausgedrückt, ist die Auslegung einer Norm bestimmten Schranken unterworfen, die nicht für den Vorgang der Rechtssetzung bzw. Rechtsänderung gelten.190 187 Kritisch zum gesamten Prozess der Auslegung äußern sich die Vertreter der critical legal studies. Nach ihrer Ansicht sei der Norminhalt immer unbestimmt, so dass es für jede Rechtsansicht auch eine sprachliche Rechtfertigung gebe. (Cass, Navigating the Newstream, NJIL 65 (1996), 337 (361): „According to the Newstream approach, there will always be available a linguistic justification for a particular view of law that emphasizes either the need for sovereign autonomy and or the requirements of an inter pendent world community.“). Es gebe keine linguistische objektive Bedeutung eines Rechtssatzes und jede Auslegung kreiere eher neue Bedeutungen, als Bedeutungen zu entdecken (Koskenniemi, From Apology to Utopia, 1989, 475). Sie führen an, dass es keine Auslegungsmethoden einer Norm gibt, die ohne in sich selbst systemwidrig oder widersprüchlich zu sein, rational die Wahl einer Auslegung rechtfertigen könnten (id., 291 – 302). 188 Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 641, inbes. Fn. 52. 189 Vgl. auch IGH, Interprétation des traités de paix conclus avec la Bulgarie, la Hongrie et la Roumanie, Deuxième phase (Avis consultatif), ICJ Reports 1950, 221 (229 f.); siehe auch IGH, Anglo-Iranian Oil Company (United Kingdom v. Iran), Dissenting Opinion of Judge Read, ICJ Reports 1952, 93 (145) bezogen auf eine einseitige Erklärung: „It is my duty to interpret the Declaration and not to revise it. In other words, I cannot, in seeking to find the meaning of these words, disregard the words as actually used, give to them a meaning different from their ordinary and natural meaning, or add words or ideas which were not used in the making of the Declaration.“ Siehe auch bezüglich der Auslegung von Urteilen: IGH, Demande d’interprétation de l’arrêt du 2 Novembre 1950 en l’affaire du droit d’asile (Colombie c. Pérou), ICJ Reports 1950, 395 (402): „Il faut que la demande ait réellement pour objet une interprétation de l’arrêt, ce qui signifie qu’elle doit viser uniquement à faire éclaircir le sens et la portée de ce qui a été décidé avec force obligatoire par l’arrêt, et non à obtenir la solution de points qui n’ont pas été ainsi décidés.“ IGH, Application for Revision and Interpretation of the Judgement of 24 February 1982 in the Case Concerning the Continental Shelf (Tunisia / Libyan Arab Jamahiriya) (Tunisia v. Libyan Arab Jamahiriya), ICJ Reports 1985, 192 ff., Rdn. 56: „It is however a condition of admissibility of a request for interpretation . . . that the real purpose of the request be to obtain an interpretation – a clarification of that meaning and scope.“ Wiederholt in: IGH, Request for Interpretation of the Judgement of 11 June 1998 in the Case Concerning the Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria), Preliminary Objections, ICJ Reports 1999, 31 ff., Rdn. 12. 190 Vgl. hierzu auch Gadamer, Wahrheit und Methode, 1975 (1960), 315 : „[D]aß sich in der Auslegung der zu verstehende Sinn erst konkretisiert und vollendet, daß aber gleichwohl dieses auslegende Tun sich vollständig an den Sinn des Textes gebunden hält. Weder der
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
Anschaulich hat der IGH daher in dem Rechtsgutachten Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons den Unterschied zwischen Auslegung und Rechtsetzung beschrieben: „It is clear that the Court cannot legislate, and, in the circumstances of the present case, it is not called upon to do so. Rather its task is to engage in its normal judicial function of ascertaining the existence or otherwise of legal principles and rules applicable to the threat or use of nuclear weapons. The contention that the giving of an answer to the question posed would require the Court to legislate is based on a supposition that the present corpus juris is devoid of relevant rules in this matter. The Court could not accede to this argument; it states the existing law and does not legislate. This is so even if, in stating and applying the law, the Court necessarily has to specify its scope and sometimes note its general trend.“191
Zweitens wird trotz des rechtsschöpferischen Elements der Auslegung im Völkerrecht grundlegend zwischen Auslegung und Änderung einer Norm unterschieden. Die WVK erwähnt in Art. 31 Abs. 3 lit. a eine Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen, in Art. 41 dagegen Übereinkünfte zur Modifikation mehrseitiger Verträge zwischen den Vertragsparteien.192 Weiterhin unterliegen Auslegung und Änderung in zahlreichen völkerrechtlichen Verträgen unterschiedlichen Regelungen.193 Zudem liegt die grundsätzliche Unterscheidung von Auslegung und Änderung der ständigen Rechtsprechung der Weltgerichtshöfe zu Grunde.194 Und auch Jurist noch der Theologe sieht in der Aufgabe der Applikation eine Freiheit gegenüber dem Text.“ 191 IGH, Legality of the Threat or Use of Nuclear Weapons (Advisory Opinion), ICJ Reports 1996, 66 ff., Rdn. 18. 192 Vgl. auch den Kommentar der Völkerrechtskommission zum Entwurf des damaligen Art. 38 WVK: „Modification of Treaties by Subsequent Practice“, ILC-Entwurf 1966, Kommentar zu Art. 38, YILC 1966 II, 236, Rdn. 1: „Although the line may sometimes be blurred between interpretation and amendment of a treaty through subsequent practice, legally the processes are distinct.“ 193 Besonders deutlich Art. IX Abs. 2 des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation: „Die Ministerkonferenz und der Allgemeine Rat sind ausschließlich befugt, dieses Übereinkommen und die Multilateralen Handelsübereinkommen auszulegen. . . . Dieser Absatz wird nicht in einer Weise angewendet, welche die Änderungsbestimmungen in Artikel X unterlaufen würde.“ Siehe weiter beispielsweise Art. XI und XII des Antarktis-Vertrags oder Art. 279 ff. und Art. 312 ff. des Seerechtsübereinkommens. 194 IGH, Interprétation des traités de paix conclus avec la Bulgarie, la Hongrie et la Roumanie, Deuxième phase (Avis consultatif), ICJ Reports 1950, 221 (229): „La Cour est appelée à interpréter les traités, non à les reviser.“ Wiederholt in: IGH, Rights of Nationals of the United States of America in Morocco (France v. United States), ICJ Reports 1952, 176 (196) und IGH, South West Africa Cases (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa) Second Phase, ICJ Reports 1966, 6 ff., Rdn. 91 (im Zusammenhang mit der effet utile Auslegung). In dem Urteil Rights of Nationals of the United States of America in Morocco (France v. United States), ICJ Reports 1952, 176 (196) führte der Gerichtshof weiter aus. „In these circumstances, the Court can not adopt a construction by implication of the provisions of the Madrid Convention which would go beyond the scope of its declared purposes and objects.“
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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die Völkerrechtskommmission geht bei der Abgrenzung zwischen Vorbehalten und Interpretationserklärungen von einem grundsätzlichen Unterschied zwischen Auslegung und Änderung aus.195 Schließlich ergibt sich aus der Systematik des Völkerrechts, dass die Auslegung einer Norm trotz ihrer subjektiven rechtsschöpferischen Elemente nicht die Änderung der Rechtswirkungen einer Norm i.S.v. Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK beinhalteten kann. Die Vertragsparteien eines völkerrechtlichen Vertrags besitzen die Auslegungskompetenz, da sie zugleich Subjekte und Objekte der sich aus dem Vertrag ergebenden Rechte und Pflichten sind.196 Das heißt, dass ein völkerrechtlicher Vertrag grundsätzlich dezentral ausgelegt wird, da jede Partei einzeln über die unilaterale Auslegungskompetenz verfügt.197 Daraus folgt jedoch auch, dass jede Vertragspartei, damit sie den Vertrag anwenden kann, berechtigt und auch verpflichtet ist, den Vertrag auszulegen.198 Würde man Auslegung einer Norm und Änderung der Rechtswirkungen i.S.v. Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK gleichstellen, käme man zu dem absurden Ergebnis, dass im Falle eines Vorbehaltverbots (z. B.: Art. 120 des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs vom 17. Juli 1998199) die Vertragsparteien zwar innerstaatlich verpflichtet wären den Vertrag anzuwenden und auszulegen, ihre Auslegung der Norm aber aufgrund des Vorbehaltverbots nicht nach außen kundgeben dürften. Die Vertragsparteien wären zwar verpflichtet den Vertrag auszulegen, dürften aber nicht eine einseitige Erklärung über dessen Auslegung abgeben. Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass trotz des rechtsschöpferischen Charakters der Auslegung die sich aus dem Vertrag ergebenden Rechte und Pflichten im Sinne von Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK nicht bereits durch die Auslegung geändert werden. Zwar enthält die Auslegung aufgrund ihrer besonderen Rechtsnatur kreative Elemente, die typischerweise auch bei der Rechtsetzung oder Rechtsänderung auftreten. Das führt jedoch nicht dazu, dass eine Auslegung selbst die Norm ändert. Anschaulich wird dies an folgendem Alltagsbeispiel: Die Tätigkeit Schreiben enthält auch Elemente der Tätigkeit Malen. Denn in beiden Fällen werden unterschiedliche Zeichen und Formen auf Papier oder anderem Material sichtbar gemacht. Schreiben ist dabei eine Tätigkeit, die gewissen Regeln folgt (RechtYILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, 1999, ILC-Kommentar, 100, Rdn. 18: „What is essential is that interpreting is not revising.“ 196 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 11, Rdn. 1; Brownlie, Principles of Public International Law, 2003, 602. 197 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 1963, 43 f.: „Naturgemäß ist es in erster Linie Aufgabe der Vertragspartner, die von ihnen geschaffenen Rechtsvorschriften auszulegen und anzuwenden, und sie tun es in der täglichen innerstaatlichen, wie zwischenstaatlichen Praxis.“ 198 Siehe nur Schwarzenberger, Myths and Realtities of Treaty Interpretation, Virgina JIL 9 (1968), 1 (8): „Any application of a treaty, including its execution, presupposes, however, a preceding conscious or subconscious interpretation of the treaty.“ 199 ILM 37 (1998), 1002; BGBl. 2000 II, 1393. 195
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
schreibung, Buchstaben), während Malen völlig frei ist. Im Ergebnis freilich besteht ein Unterschied darin, ob ein Bild gemalt oder ein Text geschrieben wurde. Dass es unter Umständen Grauzonen zwischen dem Ergebnis „Schreiben eines Textes“ und „Malen eines Bildes“ geben kann, heißt nicht, dass nicht zwischen einem Bild und einem Text unterschieden werden kann.200 Übertragen auf den hier interessierenden Bereich rechtlicher Systematik verhält es sich letztlich genauso mit der Auslegung einer Norm und ihrer Änderung.201
d) Abgrenzungskriterien zwischen Auslegung und Änderung der Rechtswirkungen aa) Richtige Auslegung einer Norm? Teilweise wird die „richtige Auslegung“ einer Norm als Grenze zwischen Auslegung und Änderung der Rechtswirkungen angesehen.202 Dabei werden mit „richtiger Auslegung“ zwei verschiedene Phänomene bezeichnet. Die überwiegende Mehrheit der völkerrechtlichen Doktrin bezeichnet abweichend von der klassischen Methodenlehre mit dem Begriff „richtige Auslegung“ die verbindliche, das heißt die autoritative oder authentische Auslegung einer Norm. In der klassischen Methodenlehre wird dagegen mit „richtiger Auslegung“ diejenige Deutungsmöglichkeit einer Norm bezeichnet, die als objektiv „richtige“ und gleichsam als einzig „wahre“ anzuerkennen sei.
200 Siehe auch Schwarzenberger, Myths and Realities of Treaty Interpretation, Virginia JIL 9 (1968), 1 (5): „Yet, the existence of an unavoidable area of uncertainty is no excuse for blurring indiscriminately relevant border lines.“ Anders wohl Sapienza, der annimmt, dass es fast unmöglich sei festzustellen, ob eine Änderung des Vertragstexts oder seine Auslegung vorliegt. Er zieht aber daraus nicht den folgerichtigen Schluss, dass eine Interpretationserklärung somit auch nicht von einem Vertragsvorbehalt abzugrenzen ist (Sapienza, Les déclarations interprétatives unilatérales et l’interprétation des traités, RGDIP 103 (1999), 601 (605)). 201 Vgl. auch Schwarzenberger, Myths and Realities of Treaty Interpretation, Virginia JIL 9 (1968), 1 (8): „As distinct from the verification and clarification of consensus by interpretation, the object of revision is a change in the rights and duties of the parties to the treaty.“ Siehe weiter Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 305; Bernhardt, Evolutive Treaty Interpretation, Especially of the European Convention on Human Rights, GYIL 42 (1999), 11 (23). 202 Siehe IGH, Actions armées frontalières et transfrontalières (Nicaragua v. Honduras), ICJ Reports 1988, 69 ff., Rdn. 38: „Les parties sont d’accord pour estimer que, si l’interprétation que le Honduras donne de l’article XXXI du pacte était exacte, cette réserve ne modifierait pas la situation de droit créée par cet article et qu’elle ne serait par conséquent pas nécessaire.“ Greig, Reservations: Equity as a Balancing Factor, Austr. YIL 16 (1995), 21 (34); Nelson, Declarations, Statements and „Disguised Reservations“ with Respect to the Convention on the Law of the Sea, ICLQ 50 (2001), 767 (777).
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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(1) Objektiv richtige Deutungsmöglichkeit der Norm Fraglich ist daher, ob die „richtige“ Auslegung einer Norm, das heißt die objektiv zutreffende Deutungsmöglichkeit203, die Trennlinie zwischen Auslegung und Rechtsänderung darstellt. In diesem Fall wäre das Abweichen von der einen richtigen Deutungsmöglichkeit einer völkervertraglichen Bestimmung eine Änderung ihrer Rechtswirkungen. Dann müsste es eine solche einzig zutreffende Deutungsmöglichkeit einer völkerrechtlichen Vertragsbestimmung geben. Dagegen spricht, dass Normen mehrdeutig sind und der jeweilige Normsinn im Rahmen der Auslegung gefunden werden muss, die ihrerseits als Erkenntnisakt204 wieder subjektive Elemente enthält.205 Eine solche „richtige“ Deutung der Norm, selbst wenn es sie theoretisch gäbe206, wäre nicht beweisbar.207 Mit der Annahme, dass nur eine richtige Auslegung existiere, wird denn auch lediglich ein Bild von Rechtssicherheit vermittelt, die es so nicht gibt.208 Nachweisbar und überprüfbar 203 In diese Richtung wohl auch IGH, Ambatielos (Greece v. United Kingdom), Merits, ICJ Reports 1953, 10 (18) und Richter Shahabuddeen IGH, Sentence arbitrale du 31 juillet 1989 (Guinée-Bissau c. Sénégal), Opinion individuelle de M. Shahabuddeen, ICJ Reports 1991, 53 (106 und 110). 204 Auf das erkenntnistheoretische Wahrheitsproblem soll hier nicht weiter eingegangen werden. Siehe hierzu ausführlich Deckert, Recht und Wahrheit, ARSP 82 (1996), 43 – 54. 205 Aus diesem Grund weisen einige Autoren, wie z. B. Elias, Modern Law of Treaties, 1974, 35 auf die Relativität der Unterscheidung zwischen Vorbehalt und Interpretationserklärung hin: „The correct principle is that a reservation is a statement which purports to exclude or to vary the legal effect of certain provisions of a treaty but such a principle is not by itself an objective test, since an interpretative declaration may be regarded by one State as clarifying the true meaning of a treaty, and by another State as distorting that meaning.“ 206 Für ihre Existenz Canaris, Ansprache zur Ehrenpromotion in: Grazer Universitätsreden, Heft 50 (1993), 22 ff., inbes. 24: „ ,[E]igentlich‘, d. h. idealiter, [gibt es] grundsätzlich nur eine einzige richtige Lösung.“ 207 Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, 349: „Versteht man unter ,Interpretation‘ die erkenntnismäßige Feststellung des Sinnes des zu interpretierenden Objektes, so kann das Ergebnis einer Rechtsinterpretation nur die Feststellung des Rahmens sein, den das zu interpretierende Recht darstellt, und damit die Erkenntnis mehrerer Möglichkeiten, die innerhalb dieses Rahmens gegeben sind. Dann muß die Interpretation eines Gesetzes nicht notwendig zu einer einzigen richtigen Entscheidung als der allein richtigen, sondern möglicherweise zu mehreren führen, die alle – sofern sie nur an dem anzuwendenden Gesetz gemessen werden – gleichwertig sind.“ Siehe ähnlich schon ders. Reine Rechtslehre, 1934, 94 f. und ders., The Law of the United Nations, 1950, XIII f.; Hart, The Concept of Law, 1994, 204 f.: „Judicial decision, especially on matters of high constitutional import, often involves a choice between moral values, and not merely the application of some single outstanding moral principle . . . . No doubt because a plurality of such principles is always possible it cannot be demonstrated that a decision is uniquely correct: but it may be made acceptable as the reasoned product of informed impartial choice.“ Siehe auch Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, 224. 208 Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, 353: „[D]aß eine Rechtsnorm stets nur eine, die ,richtige‘ Deutung zuläßt. Das ist eine Fiktion, deren sich die traditionelle Jurisprudenz zur Aufrechterhaltung des Ideals der Rechtssicherheit bedient.“ Siehe auch ders., Reine
4 Heymann
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
ist lediglich, ob eine Deutungsmöglichkeit der Norm plausibel bzw. möglich ist.209 Daher sprachen sich auch einige Staaten im Rahmen der Diskussionen des Sechsten Ausschusses der Generalversammlung dafür aus, dass eine einfache Interpretationserklärung dann vorliege solle, wenn sie eine plausible Interpretation enthält.210 Auch der IGH scheint jedenfalls211 in dem Urteil Sentence arbitrale du 31 juillet 1989212 davon auszugehen, dass eine Norm nicht nur eine zutreffende Deutungsmöglichkeit enthält. Bei der Überprüfung der Rechtmäßigkeit eines Schiedsgerichtsurteils prüft der IGH nicht, ob das Schiedsgericht die „eine richtige“ Auslegung einer Norm gefunden, sondern lediglich, ob es bei seiner Urteilsfindung die Auslegungsregeln korrekt angewendet hat.213 So prüft der IGH in dem Urteil Sentence arbitrale du 31 juillet 1989 bei der Frage der Rechtmäßigkeit des schiedsgerichtlichen Handelns, ob es die Auslegungsregeln richtig angewendet hat. Der IGH führt aus: „[La Cour] doit seulement rechercher si le Tribunal, en rendant la sentence contestée, a manifestement méconnu la compétence qui lui avait été donnée par le compromis, en outrepassant sa compétence ou en ne l’exerçant pas. Une telle méconnaissance manifeste Rechtslehre, 1934, 95 f. und ders., The Law of the United Nations, 1950, xiv. Tammelo, Rechtslogik und materiale Gerechtigkeit, 1971, 67: „Man muß mit der Erkenntnis ernst machen, daß Rechtssicherheit niemals mehr bedeuten kann als die Summe der vernünftigen Erwartungen gegenüber dem Recht von Leuten, die mit dem Recht zu tun haben.“ Explizit auf das internationale Recht bezogen: Combacau / Sur, Droit international public, 2001, 171: „Il en résulte qu’une règle unique ne peut être écartelée entre plusieurs interprétations, d’égale valeur juridique et également présumées conformes à cette règle. Cette concurrence est virtuellement productrice de désordre et d’incohérence du système juridique international. Chacun est ainsi juge en sa propre cause, avec le conséquences d’ordre unilatéral qui peuvent en résulter.“ 209 Vgl. auch Armin Kaufmann, Probleme rechtwissenschaftlicher Erkenntnis am Beispiel des Strafrechts, in: Strafrechtsdogmatik zwischen Sein und Wert, 1982, 7 (16): „Vielleicht müssen wir nach einer anderen Methodik des Argumentierens forschen, die der Rechtswissenschaft, jedenfalls soweit sie Axiologik betreibt, adäquater ist. Vielleicht müssen wir, statt volle Stringenz des Beweises zu fordern, uns begnügen, ein Maßprinzip der Plausibilität zu gewinnen, auf die Gefahr hin, daß zwei Rechtsinhalte von gleicher angemessener Plausibilität sich gegenseitig ausschließen.“ In diesem Sinne auch Arthur Kaufmann, Das Verfahren der Rechtsgewinnung, 1999, 19. 210 Topical Summary of the Discussion held in the Sixth Committee of the General Assembly During its 53rd Session Prepared by the Secretariat, GA UN Doc. A / CN.4 / 496, 1998, Rdn. 154. 211 Für eine richtige Deutungsmöglichkeit aber wohl IGH, Ambatielos (Greece v. United Kingdom), Merits, ICJ Reports 1953, 10 (18). 212 IGH, Sentence arbitrale du 31 juillet 1989 (Guinée-Bissau c. Sénégal), ICJ Reports 1991, 53 ff. 213 IGH, Sentence arbitrale du 31 juillet 1989 (Guinée-Bissau c. Sénégal), ICJ Reports 1991, 53 ff., Rdn. 47 – 60, vgl. insbesondere Rdn. 47 und 48. Kritisch hierzu Richter Shahabudeen, id., 106 ff., der darauf abstellt, dass eine so zustande gekommene Auslegung trotzdem eine „falsche“ sein könne.
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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pourrait par exemple résulter de ce que le Tribunal n’aurait pas correctement appliqué les règles pertinentes d’interprétation aux dispositions du compromis gouvernant sa compétence.“214
Ausdrücklich verweist der Gerichtshof dabei auf Art. 31 und 32 WVK.215 Würde der IGH davon ausgehen, dass jede Norm nur einen richtigen Inhalt hat, hätte er prüfen müssen, ob das Schiedsgericht diesen auch gefunden hat, da es sonst eine Änderung des Vertrags vorgenommen und somit nicht mehr im Rahmen seiner ihm durch die Schiedsgerichtsvereinbarung zugewiesenen Kompetenzen gehandelt hätte. Da es demnach nicht die objektiv richtige einzige Deutungsmöglichkeit einer Norm gibt, kann sie auch nicht die Grenze zwischen Auslegung und Änderung der Rechtswirkungen eines Vertrags darstellen. (2) Richtige Auslegung als verbindliche Auslegung Autoren, die die „richtige“ Auslegung einer Norm in der verbindlichen, das heißt der autoritativen oder authentischen Auslegung216 sehen, grenzen teilweise zwischen Vorbehalt und Interpretationserklärung danach ab, ob die in der Erklärung enthaltene „Auslegung“ mit der verbindlichen übereinstimmt.217 Ist dies der Fall, wird die Erklärung als Interpretationserklärung eingestuft; weicht sie dagegen davon ab, wird die Erklärung als Vorbehalt angesehen. Es wird also eine verfahrensrechtliche Abgrenzung zwischen Interpretationserklärung und Vorbehalt vorgenommen. Die autoritative218 Auslegung ist die verbindliche Auslegung durch ein dazu beauftragtes Vertragsorgan.219 Dies kann ein internationales Gericht220 oder ein an214 IGH, Sentence arbitrale du 31 juillet 1989 (Guinée-Bissau c. Sénégal), ICJ Reports 1991, 53 ff., Rdn. 47 f. 215 Id., Rdn. 48: „Ces principes se trouvent traduits dans les articles 31 et 32 de la Convention de Vienne sur le droit des traités qui, à bien des égards, peuvent être considérés sur ce point comme une codification du droit international coutumier existant.“ 216 Siehe hierzu auch Skubiszewski in Bezug auf die UNC: „Binding interpretation of the charter can either take the form of authoritative (,authentic‘) interpretation by the contracting parties or to be incorporated in an organ decision that is obligatory for its addresses“ (Skubiszewki, Remarks on the Interpretation of the United Nations Charta, FS Mosler, 1982, 892 (898). 217 Greig, Reservations: Equity as a Balancing Factor, Austr. YIL 16 (1995), 21 (34). Bezogen auf das nationale Recht siehe Seiler, Auslegung als Normkonkretisierung, 2000, 41: „So verstanden gibt es im Rechtssinn nur eine ,richtige‘ Auslegung, womit keine ideale, das heißt vernünftigste, gerechteste und zweckmäßigste Lösung, sondern das verbindliche und gerade deswegen Richtigkeit beanspruchende Ergebnis gemeint ist.“ 218 Manche Autoren z. B. Frowein / Bank, The Effect of Member States’ Declarations defining „National Minorities“ upon Signature or Ratification of the Council of Europe’s Framework Convention, ZaöRV 59 (1999), 649 (658) bezeichnen auch die Auslegung durch Gerichte als authentische Auslegung.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
deres Organ, wie die Mitgliederversammlung, sein. Die authentische Auslegung ist die Feststellung des Vertragsinhalts durch alle Vertragsparteien gemeinsam.221 Dabei können die authentische und autoritative Auslegung überlappen, nämlich dann, wenn alle Vertragsparteien Mitglieder des vertraglich zur Auslegung befugten Organs sind und alle Vertragsparteien der jeweiligen Auslegung zustimmen. Der Grund für die Verbindlichkeit einer autoritativen und einer authentischen Auslegung ist der Parteienkonsens. Eine authentische Auslegung ist verbindlich, weil dieser Auslegung alle Vertragsparteien zugestimmt haben. Eine autoritative Auslegung ist verbindlich, wenn die Vertragsparteien ihre Auslegungskompetenz auf das jeweilige internationale Organ oder Gericht übertragen haben.222 Sie haben zugestimmt, dass es die Auslegungskompetenz für den jeweiligen Streitfall, oder allgemein für die Auslegung eines Vertrags, besitzt. So ist der EGMR für die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention zuständig, da ihm die Vertragsparteien die letztendliche Auslegungskompetenz übertragen haben.223 Der IGH ist für die Auslegung eines Vertrags zuständig, wenn die jeweiligen am Streit beteiligten Parteien seine Zuständigkeit gemäß Art. 36 seines Statuts224 anerkannt haben.225 Eine Abgrenzung zwischen Änderung der Rechtswirkungen und Auslegung anhand der verbindlichen Auslegung einer Norm ist jedoch unpraktikabel und zudem grundsätzlichen rechtsdogmatischen Bedenken ausgesetzt. Das Kriterium der authentischen Auslegung ist untauglich, da eine die Auslegung einer Norm betreffende Erklärung niemals gegen eine authentische Auslegung verstoßen kann. Denn für eine authentische Auslegung einer Norm ist die
Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 1991, 195. Der Begriff Gericht wird in dieser Arbeit allgemein für alle internationalen Streitschlichtungsinstanzen gebraucht, die die Kompetenz haben rechtlich verbindliche Urteile zu erlassen. 221 De Visscher, Problèmes d’interprétation judiciaire en droit international public, 1963, 20; Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 1963, 44; Voïcu, De l’interprétation authentique des traités internationaux, 1967, 184: „[U]ne déclaration interprétative qui réunirait le consentement de tous aurait la valeur d’une interprétation authentique.“ Siehe auch Jennings / Watts, Oppenheim’s International Law, I / 2 – 4, 1992, § 630. 222 Vgl. Brownlie, Principles of Public International Law, 2003, 602. 223 Siehe insbesondere Art. 32 EMRK: „(1) Die Zuständigkeit des Gerichtshofs umfasst alle die Auslegung und Anwendung dieser Konvention und der Protokolle dazu betreffenden Angelegenheiten, mit denen er nach den Art. 33, 34 und 47 befasst wird.“ Und Art. 46: „Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen.“ 224 UNCIO, Documents, Band XV, 1945, 335 ff.; BGBl. 1973 II. 506. 225 Art. 36 IGH-Statut: „(1) Die Zuständigkeit des Gerichtshofes erstreckt sich auf alle ihm von den Parteien unterbreiteten Rechtssachen sowie auf alle in der Charta der Vereinten Nationen oder in geltenden Verträgen und Übereinkommen besonders vorgesehenen Angelegenheiten. 219 220
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Zustimmung aller Vertragsparteien erforderlich. Das bedeutet, dass entweder die Erklärung mit der authentischen Auslegung übereinstimmt, oder es keine authentische Auslegung der Norm gibt und somit auch keine Abgrenzung anhand der authentischen Auslegung zwischen Interpretationserklärung und Vorbehalt möglich ist.226 Eine Abgrenzung anhand der autoritativen Auslegung ist ebenfalls unpraktikabel, da es im Völkerrecht keine zentrale übergeordnete Auslegungsinstanz gibt. Vielmehr ist die Auslegungsbefugnis eines internationalen Gerichts oder eines anderen Organs von dem jeweiligen völkerrechtlichen Vertrag selbst227 bzw. davon abhängig, ob zwei Vertragsparteien, die sich über die Auslegung eines Vertrags uneinig sind, die Kompetenz des IGH anerkannt haben oder eine Vereinbarung getroffen haben, dass ein internationaler Spruchkörper für die Streitentscheidung zuständig ist. Das führt dazu, dass eine autoritative Auslegung einer Norm im Völkerrecht eher Ausnahme als Regelfall ist.228 Eine verbindliche Auslegung durch ein internationales Gericht oder ein anderes vertragliches Organ kommt daher nur selten vor. Zudem ist zu beachten, dass die autoritative Auslegung eines internationalen Gerichts immer nur zwischen den am Streit beteiligten Parteien wirkt.229 Das heißt, eine autoritative Auslegung durch ein internationales Gericht wäre nur dann ein taugliches Abgrenzungskriterium, wenn ein solches zuständig und die Partei, die die jeweilige Erklärung abgegeben hat, auch Streitpartei ist. Zudem ist diese verfahrensrechtliche Sichtweise grundsätzlichen Bedenken ausgesetzt, da sie den Unterschied zwischen verbindlicher und zulässiger Auslegung verkennt und den gesamten Interpretationsprozess einer materiellen Bewertung entzieht; denn es kommt für sie nicht mehr darauf an, wie jemand etwas interpretiert, sondern wer interpretiert. Dies ist dann fatal, wenn ein internationales Gericht bei der Auslegung eines Vertrags Fehler macht und eine „Auslegung“ als verbindlich erklärt, die in Wirklichkeit eine Vertragsänderung darstellt. Das hätte zur Folge, dass eine Erklärung, die materiell einen Vorbehalt darstellt, eine Interpretationserklärung wäre. Umgekehrt wäre eine Erklärung, die materiell eine Inhaltsbestimmung ist, ein Vorbehalt. (2) Die Vertragsstaaten dieses Statuts können jederzeit erklären, dass sie die Zuständigkeit des Gerichtshofs von Rechts wegen und ohne besondere Übereinkunft gegenüber jeden anderem Staat, der dieselbe Verpflichtung übernimmt, für alle Rechtsstreitigkeiten über folgende Gegenstände als obligatorisch anerkennt: die Auslegung eines Vertrages; . . .“. 226 Vgl. auch Frowein / Bank, The Effect of Member States’ Declarations Defining „National Minorities“ upon Signature or Ratification of the Council of Europe’s Framework Convention, ZaöRV 59 (1999), 649 (659). 227 Siehe hierzu ausführlich unter e). 228 Bernhardt, Interpretation, EPIL, Band 2, 1995, 1416 (1417). 229 Zur inter partes Wirkung internationaler Gerichtsentscheide siehe nur Art. 59 IGH-Statut: „Die Entscheidung des Gerichtshofs ist nur für die Streitparteien und nur in bezug auf die Sache bindend, in der entschieden wurde.“
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
Um solche Paradoxa zu vermeiden, ist die Abgrenzung zwischen Inhaltsänderung und Auslegung nicht verfahrensrechtlich, sondern materiellrechtlich vorzunehmen. Ob eine Auslegung mit der verbindlichen Auslegung übereinstimmt, ist keine Frage der Definition, sondern eine Frage der Rechtsfolgen.230
bb) Wortlaut, historischer Parteiwille, oder Weiterentwicklungen seit der Vertragsgründung als Abgrenzungskriterien? (1) Vorbemerkung Fraglich ist, ob der Wortlaut, das heißt der noch semantisch mögliche Wortsinn, der historische Parteiwille oder Weiterentwicklungen seit der Vertragsgründung als Abgrenzungskriterien zwischen Auslegung und Änderung und somit auch zwischen Vorbehalt und Interpretationserklärung herangezogen werden können. Für die Frage, ob eines dieser Merkmale als Abgrenzungskriterium in Betracht kommt, sind das Verständnis eines völkerrechtlichen Vertrags und damit zusammenhängend die Definition des Ziels der Auslegung maßgeblich. Es ist zunächst entscheidend, ob der abstrakte Inhalt eines multilateralen Vertrags mit dem subjektiven historischen Parteiwillen oder mit dem Vertragstext gleichgesetzt wird und ob der völkerrechtliche Vertrag als eine dynamische oder statische Ordnung aufzufassen ist. Denn abhängig von diesen Grundannahmen bestimmen sich Ziel der Auslegung und Grenzziehung zwischen Auslegung und Änderung. Betrachtete man den historischen Parteiwillen als abstrakten Vertragsinhalt und somit seine Ermittlung als Ziel der Auslegung, würde man jede Abweichung von diesem Willen als Vertragsänderung qualifizieren. Ginge man hingegen davon aus, dass maßgeblicher Vertragsinhalt der Vertragstext und somit nur dieser Gegenstand der Auslegung ist, würde jede Abweichung vom Vertragstext eine Vertragsänderung bedeuten. Fasste man den Vertrag als dynamische Ordnung auf, würden Weiterentwicklungen seines Inhalts als Teil des Vertragssinns anzusehen sein, die bei einem statischen Vertragsverständnis bereits als Vertragsänderungen zu qualifizieren wären. Daher sind zunächst folgende Fragen zu klären: Ist die Ermittlung des Wortsinns als Ausdruck des verobjektivierten Parteiwillens oder des historischen subjektiven Parteiwillens Ziel der Auslegung? Und: Ist ein völkerrechtlicher Vertrag eine dynamische oder statische Ordnung?
230 Siehe auch Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 396: „[I]t is true that if an authentic or authoritative interpretation comes to light after the declarant put forward his own interpretation, that interpretation is called into question, but this in no way modifies the nature of the original unilateral interpretation: it stands. The interpretation is revealed to be erroneous, and the question arises as to what effects it now has.“
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(2) Ziel der Auslegung: Wille oder Wort? Die grundsätzliche Frage, was Ziel der Auslegung ist, ist sowohl im Völkerrecht als auch im nationalen Recht umstritten.231 Gegenüber stehen sich ein subjektiver und ein objektiver Auslegungsansatz232. Für den subjektiven Auslegungsansatz, basierend auf Grotius233, ist die Ermittlung des historischen Parteiwillens Ziel jeder Auslegung.234 Abgeleitet aus dem privaten Vertragsrecht235, stellt sie in den Vordergrund, dass die Parteien den Vertrag freiwillig abgeschlossen haben. Daher werden die Auslegungskriterien als Indizien herangezogen, um die Absichten und Vorstellungen der Parteien nachzuweisen.236 So wird dem Wortlaut des Vertrags nur soweit Bedeutung zugemessen, wie er die Absichten der Vertragsparteien widerspiegelt.237 Bei der subjektiven Auslegungsmethode steht demnach der Souveränitätsgedanke im Vordergrund. Sie reduziert das Recht auf den Willen der Vertragsgründer.238 Dahingegen beschränkt der objektive oder auch textuell genannte239 Auslegungsansatz das Recht auf das Wort. Er sieht das Ziel der Auslegung darin, den Sinn des Vertragstexts als verobjektivierten Parteiwillen zu ermitteln.240 Vertreter Siehe hierzu nur Larenz, Methodenlehre, 1975, 302 ff. Teilweise wird auch vertreten, dass es noch einen dritten, nämlich einen teleologischen Auslegungsansatz gebe. Vgl. hierzu Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice: Treaty Interpretation and Certain Other Treaty Points, BYIL 28 (1951), 1 (1 ff.), der zwischen „intention of the parties or founding fathers’ school“, der „textual or ordinary meaning of the words“ und der „teleological or aims and objects school“ unterscheidet; an ihn anlehnend auch Jacobs, Varieties of Approach to Treaty Interpretation, ICLQ 18 (1967), 318 (318 f.). Siehe auch ILC-Entwurf 1966, Kommentar zu Art. 27, YILC 1966 II, 218, Rdn. 2. 233 Grotius, De Jure Belli ac Pacis, 2. Buch, Kap. XVI I / 2, 1626, dt. Übersetzung von Schätzel (1950): „Der Maßstab der richtigen Auslegung ist die Ableitung des Sinnes aus den wahrscheinlichsten äußeren Zeichen.“ 234 Weitere Vertreter der subjektiven Auslegungsmethode sind neben Grotius unter anderem Calvo, Le droit international, tome III, 1888, 395 und Guggenheim, Traité de droit international public, tome I, 1953, 133. Weitere Nachweise siehe bei Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 1963, 21. 235 Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice: Treaty Interpretation and Certain Other Treaty Points, BYIL 28 (1951), 1 (3). 236 Zur Beweisfunktion vgl. Lüderitz, Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966, 321. 237 StIGH, Interprétation de la Convention de 1919 concernant le travail de nuit des femmes (Avis consultatif), Opinion dissidente de M. Anzilotti, PCIJ Ser. A / B, No. 50 (1932), 365 (383): „[P]uisque les mots n’ont de valeur qu’en tant qu’expression de la volonté des Parties.“ 238 So Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 1990, 188. 239 So beispielsweise Jacobs, Varieties of Approach to Treaty Interpretation, ICLQ 18 (1969), 318 (318 f.). 240 Vertreter des objektiven Auslegungsansatzes sind unter anderem Fenwick, International Law, 1967, 536; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 11, Rdn. 5. Ausführlich und m. w. N. Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 1963, 18. 231 232
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
dieses Ansatzes stellen das, was die Parteien gesagt haben, nicht was sie gemeint haben, in den Vordergrund der Auslegung.241 Sie betrachten den Vertragstext unabhängig von dem historischen Parteiwillen. Eine Sinngebung, die über den noch möglichen Wortsinn hinausgeht, wird folgerichtig als Vertragsänderung betrachtet.242 Der objektive Auslegungsansatz ist basierend auf de Vattel243 vor allem in dem Sinn vertreten worden, dass nicht ausgelegt werden dürfe, wenn der Wortlaut eindeutig und klar sei. Dem ist zutreffend entgegengehalten worden, dass die Entscheidung, ob der Wortlaut eindeutig und klar sei, ihrerseits bereits das Ergebnis einer Interpretation ist.244 In der Rechtsprechung der beiden Weltgerichtshöfe finden sich Hinweise auf den subjektiven Ansatz245, es überwiegt jedoch ein objektiv-subjektiver Ansatz. In geradezu standardisierten Formulierungen haben die Richter des StIGH und IGH angeführt, dass von dem natürlichen oder gewöhnlichen Wortlaut abgewichen werden dürfe, wenn die Wortlautauslegung zu uneindeutigen oder absurden Ergebnissen führe oder Raum lasse für andere Auslegungsmittel.246 Dieser Auslegungs241
Vgl. auch Jacobs, Varieties of Approach to Treaty Interpretation, ICLQ 18 (1969), 318
(319). 242 So Kimminich / Hobe, Einführung in das Völkerrecht, 2000, 205. Für den Wortlaut als Grenze zwischen authentischer Auslegung und Vertragsänderung Bernhardt, Interpretation and Implied (Tacit) Modification of Treaties, ZaöRV 27 (1967), 491 (499). Im nationalen Recht wird der Wortlaut oft als Grenze zwischen Auslegung und analoger ergänzender Rechtsfindung bezeichnet. So beispielsweise Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 1993, 468. Teilweise wird statt „ergänzender analoger Rechtsfindung“ auch „Auslegung i.w.S.“ verwendet, oder „gesetzesergänzende oder gesetzesberichtigende Rechtsfortbildung“ (so Zippelius, Juristische Methodenlehre, 2003, 47). Die außerhalb des möglichen Wortsinns liegende Auslegung wird auch als „praeter verba legis“ bezeichnet (vgl. hierzu Kramer, Juristische Methodenlehre, 1998, 131). 243 Emer de Vattel, Le droit des gens ou principes de la loi naturelle, Livre II, 1758 (Nachdruck 1916), Chapitre XVII § 263: „La première maxime générale sur l’interprétation est, qu’il n’est pas permis d’interpréter ce qui n’a pas besoin d’interprétation. Quand un acte est concû en termes clair & précis, quand le sens en est manifeste & ne conduit à rien d’absurde; on n’a aucune raison de se refuser au sens que cet Acte présente naturellement.“ So heute noch IGH, Sentence arbitrale du 31 juillet 1989 (Guinée-Bissau c. Sénégal), Opinion individuelle de M. Oda, Vice-Président, ICJ Reports 1991, 53 (85); Lijnzaad, Reservations to Human Rights Treaties, 1995, 60. 244 StIGH, Interprétation de la Convention de 1919 concernant le travail de nuit des femmes (Avis consultatif), Opinion dissidente de M. Anzilotti, PCIJ Ser. A / B, No. 50 (1932), 365 (383); Esser, Grundsatz und Norm, 1990, 253 f.; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 637. 245 Vgl. dazu etwa IGH, Demande d’interprétation de l’arrêt du 2 Novembre 1950 en l’affaire du droit d’asile (Colombie c. Pérou), Opinion dissidente de M. Read, ICJ Reports 1950, 266 (320): „There is, however, a principle of international law which is truly universal. It is given equal recognition in Lima and in London, in Bogota and in Belgrade, in Rio and in Rome. It is the principle that, in matters of treaty interpretation, the intention of the parties must prevail.“ 246 Siehe hierzu nur StIGH, Service postal polonais à Danzig (Avis consultatif), PCIJ Ser. B, No. 11 (1925), 39: „C’est un principe fondamental d’interprétation que les mots doivent
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ansatz, der vorrangig von dem Vertragstext ausgeht, aber auch der Aufklärung des subjektiven Parteiwillens Raum gibt, entspricht der überwiegenden Lehre247. Ein vermittelnder Ansatz findet sich auch schon in der Resolution des Institut de droit international aus dem Jahr 1956248 und hat schließlich Eingang in die WVK gefunden249. Die in Art. 31 – 33 WVK kodifizierten und auch überwiegend gewohnêtre interprétés selon le sens qu’ils auraient normalement dans leur contexte, à moins que l’interprétation ainsi donnée ne conduise pas à des résultats déraisonnables ou absurdes.“ Wiederholt in: IGH, Compétence de l’Assemblée générale pour l’admission d’un État aux Nations Unies (Avis consultatif), ICJ Reports 1950, 4 (8). In diesem Urteil führte der IGH weiterhin aus: „[L]e premier devoir d’un tribunal, appelé à interpréter . . . les dispositions d’un traité, est de s’efforcer de donner effet, selon leur sens naturel et ordinaire, à ces dispositions prises dans leur contexte. Si les mots pertinents, lorsqu’on leur attribue leur signification naturelle et ordinaire ont un sens dans leur contexte, l’examen doit s’arrêter là. En revanche, si les mots, lorsqu’on attribue leur signification naturelle et ordinaire, sont équivoques ou conduisent à des résultats déraisonnables, c’est alors – et alors seulement – que la Cour doit rechercher par d’autres méthodes d’interprétation ce que les parties avaient en réalité dans l’esprit quand elles se sont servies des mots dont il s’agit.“ Wiederholt in IGH, Constitution of the Maritime Safety Committee of the Inter-Governmental Maritime Consultative Organization (Advisory Opinion), ICJ Reports 1960 150 (159 f.). Eine etwas andere Nuance setzt der Gerichtshof in IGH, South West Africa Cases (Ethiopia v. South Africa; Liberia v. South Africa), Preliminary Objections, ICJ Reports 1962, 318 (336): „This contention is claimed to be based upon the natural and ordinary meaning of the words employed in the provision. But this rule of interpretation is not an absolute one. Where such a method of interpretation results in a meaning incompatible with the spirit, purpose and context of the clause or instrument in which the words are contained, no reliance can be validly placed on it.“ Beide Grundsätze sind wiederholt in: IGH, Sentence arbitrale du 31 juillet 1989 (GuinéeBissau c. Sénégal), ICJ Reports 1991, 53 ff., Rdn. 48. 247 McNair, Law of Treaties 1961, 365: „[I]t [Interpretation] can be described as the duty to giving effect to the expressed intention to the parties, that is, their intention as expressed in the words used by them in the light of the surrounding circumstances.“ De Visscher, Problèmes d’interprétation judiciaire en droit international public, 1963, 18: „La mission du juge est de dégager l’intention commune des Parties des termes employés par elles pour autant que ceux-ci ne trahissent pas manifestement cette intention.“ Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, 1984, 115 ff.; Jennings / Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I / 2 – 4, §§ 631 ff.; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 639. 248 Resolution on the Interpretation of Treaties Adopted by the Institute of International Law, 1956, Article 1: (1) The agreement of the parties having been embodied in the text of the treaty, it is necessary to take the natural and ordinary meaning of the terms of this text as the basis of interpretation. The terms of the provisions of the treaty should be interpreted in their context as a whole, in accordance with good faith and in the light of the principles of international law. (2) If, however, it is established that the terms used should be understood in another sense, the natural and ordinary meaning of these terms will be displaced“ (abgedruckt in: Jacobs, Varieties of Approach to Treaty Interpretation, ICLQ 18 (1969), 318 (344)). 249 Lang, Les règles d’interprétation codifiées par la Convention de Vienne sur le droit des traités et les divers types de traités, ZÖR 24 (1973), 113 (113); Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 1990, 200; Dinh / Dallier / Pellet, Droit international public, 1999, § 169. Eine andere Ansicht vertritt Doehring, Völkerrecht, 2004, Rdn. 390 ff., der wohl davon ausgeht, dass die WVK die subjektive Auslegungsmethode kodifiziere. Dahingegen geht Heintschel von Heinegg, in: Ipsen Völkerrecht, 2004, § 11, Rdn. 5, davon aus, dass den Art. 31 f. WVK der objektive Ansatz zu Grunde liege. Ablehnend zu den Regeln der WVK äußert sich Yambrusic, Treaty Interpretation, 1987, 247 ff.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
heitsrechtlich geltenden Auslegungsregeln beinhalten sowohl objektive als auch subjektive Auslegungskriterien. Die WVK wählt als Ausgangspunkt jeder Auslegung das objektive Kriterium „gewöhnliche Vertragsbedeutung“, gewährt aber über Art. 31 Abs. 4 WVK dem Willen aller Vertragsparteien bezüglich einer besonderen Bedeutung eines Wortlauts Vorrang. Weiterhin berücksichtigt sie in Art. 31 Abs. 3 lit. a und b den objektivierten Parteikonsens der Vertragsparteien, der in der späteren Übung oder in einer späteren Auslegungsübereinkunft zum Ausdruck kommt.250 Die travaux préparatoires sind gemäß Art. 32 WVK als subsidiäres Auslegungsmittel heranzuziehen, um ein Auslegungsergebnis nach Art. 31 WVK zu bestätigen. Ferner kommen sie dort zur Anwendung, wo die Auslegung nach Art. 31 WVK mehrdeutig oder dunkel ist oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen Ergebnis führt. Dem Auslegungsansatz der WVK ist zuzustimmen. Denn der Vertragssinn ist weder allein mit dem historischen Parteiwillen noch mit dem bloßen Vertragstext identisch. Wird das Recht lediglich auf den Vertragstext reduziert, kann der Tatsache, dass hinter einem multilateralen Vertrag eine bestimmte Regelungsabsicht steht sowie Wertungen und sachliche Überlegungen derjenigen eingeflossen sind, die ihn ausgearbeitet haben, nicht gerecht werden.251 Es kann nicht dem Umstand Rechnung tragen, dass die Vertragsparteien mitunter bestimmte Wortbedeutungen gerade nicht als vereinbart angesehen haben, bzw. dass die Vertragsparteien eine besondere, vom gewöhnlichen Wortlaut abweichende Begriffsbedeutung festlegen wollten.252 Auch wird eine rein textuelle Methode nicht dem Sonderfall der „falsa demonstratio non nocet“ gerecht, bei dem die Urheber des Vertragstexts etwas anderes sagen als sie übereinstimmend meinen.253 Eine rein subjektive Theorie führt hingegen zur Rechtsunsicherheit, da der Vertragstext bei entgegenstehendem Parteiwillen seine gesamte Bedeutung zu verlieren droht. Weiterhin gibt es bei völkerrechtlichen Verträgen oftmals schon tatbestandlich keinen historischen Parteiwillen wie im privaten Vertragsrecht.254 Dies liegt daran, Ausführlich dazu § 10 II. 1. Vgl. Hersch Lauterpacht, Restrictive Interpretation and the Principles of Effectiveness in the Interpretation of Treaties, BYIL 26 (1949), 48 (83): „Words have no absolute meaning in themselves. They are an expression of will.“ Vgl. für das nationale Recht, Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1995, 138. 252 Dieser Beispielsfall ist in Art. 31 Abs. 4 WVK kodifiziert. 253 Der Timor Fall (1914) bildet ein Anschauungsbeispiel für das Völkerrecht (L’Affaire de l’Ile de Timor, RIAA XI, 480 ff., inbes. 507). Siehe hierzu auch De Visscher, Problèmes d’interprétation judiciaire en droit international public, 1963, 57. 254 Auf diese Kritik an der subjektiven Theorie reagiert der New Haven Approach. Er sieht das Ziel jeder Interpretation deshalb darin, den jeweils zeitgemäßen Parteierwartungen Ausdruck zu verleihen. McDouglas / Lasswell / Miller, The Interpretation of International Agreements and World Public Order, 1994, 99: „[T]he principal aim of an interpreter should 250 251
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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dass bei völkerrechtlichen Verträgen oftmals nicht alle Vertragsparteien Gründerstaaten waren, bzw. nicht alle Gründerstaaten Vertragsparteien sind. Die Charta der Vereinten Nationen vom 26. Juni 1945255 ist ein Beispiel für einen Vertrag, dessen Parteien überwiegend nicht mit den Gründerstaaten identisch sind. Ausgearbeitet wurde die UNC nur von 50256 Staaten, heute sind 191257 Staaten Mitglieder der Vereinten Nationen. Der Vertrag über die Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs ist ein völkerrechtlicher Vertrag, dessen Gründerstaaten zum Großteil keine Vertragsparteien sind. Während 1998 auf der Konferenz von Rom 149 Staaten den Vertrag aushandelten258, sind derzeit nur 98 Staaten Mitglieder259 des Internationalen Strafgerichtshofs. Weiterhin fehlt oft ein einheitlicher Parteiwille bezüglich aller Detailregelungen eines multilateralen Vertrags. Die Vertragsparteien sind sich zwar bewusst, für welchen Gegenstand sie eine Regelung treffen wollen. In Detailfragen liegen allerdings oft stark divergierende Auffassungen vor, die teilweise bis zum Ende nicht gelöst werden, so dass nicht immer ein vollständiger Konsens über den Vertragsinhalt erzielbar ist.260 Oft wird dann eine partielle Nichteinigung durch einen Formelkompromiss überdeckt261, in dem jede Partei ihre Auffassung wiederzuerkennen vermag. Auch ist es zweifelhaft, ob alle Parteien beim Vertragsschluss einer Bestimmung auch tatsächlich dasselbe Verständnis beigemessen und damit auch dasselbe gewollt haben.262 Aus diesen Gründen kann der abstrakte Inhalt weder allein auf den subjektiven Parteiwillen noch ausschließlich auf den Vertragstext reduziert werden. Das heißt, Gegenstand der Auslegung kann weder allein der subjektive historische Parteiwille noch nur der Vertragstext sein.
be to give effect to the continuing consensus of the parties – that is, their contemporary shared expectations concerning problems of the type being disputed.“ 255 UNCIO, Documents, Band XV, 1945, 335 ff.; BGBl. 1973 II, 432. 256 Insgesamt haben allerdings 51 Staaten die Vereinten Nationen gegründet. Polen nahm aber als einziges Gründungsmitglied nicht an der Ausarbeitung der Charta teil. Siehe hierzu Skubiszewki, Remarks on the Interpretation of the United Nations Charta, FS Mosler, 1982, 892 (895, Fn. 21). 257 Http: //un.org/Overview/unmember.html, besucht am 24. Januar 2004. 258 Kaul, Internationaler Strafgerichtshof: Ein bedeutender Anfang in Rom, in: Menschenrechtsschutz in der Praxis der Vereinten Nationen, 1998, 273 (273). 259 Http: //www.icc-cpi.int/php/statesparties/allregions.php, besucht am 24. März 2005 (Stand: März 2005). 260 Siehe Kappeler, Le problème de l’interprétation uniforme des traités, SJIR 27 (1971), 49 (53); Hersch Lauterpacht, Restrictive Interpretation and the Principles of Effectiveness in the Interpretation of Treaties, BYIL 26 (1949), 48 (52). 261 Vgl. auch Treviranus, Vorbehalte zu mehrseitigen Verträgen – Wohltat oder Plage?, GYIL 25 (1982), 515 (526). 262 Siehe auch Köck, Zur Interpretation völkerrechtlicher Verträge, ZÖR 53 (1998), 217 (227).
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
Der Vertragssinn ist also weder nur mit dem Wortlaut des Vertrags noch allein mit der historischen Parteienabsicht identisch. Er setzt sich sowohl aus subjektiven als auch objektiven Elementen zusammen.263 Somit sind bei der Auslegung eines Vertrags objektive wie subjektive Auslegungsgesichtspunkte zu berücksichtigen.264 (3) Vertrag als dynamische oder statische Ordnung? Weiterhin ist für die Abgrenzung zwischen Auslegung und Änderung maßgeblich, ob ein völkerrechtlicher Vertrag als eine statische und mit seinem Abschluss fixierte Ordnung265 oder als dynamische Ordnung, deren Inhalt im gegebenen Zeitpunkt zu ermitteln ist, betrachtet wird.266 Insbesondere Vertreter des subjektiven Auslegungsansatzes gehen davon aus, dass der Vertrag eine statische Ordnung darstelle267, da für sie, wie oben dargestellt, lediglich der historische Parteiwille den abstrakten Vertragsinhalt bildet. Wie eben gezeigt, wird der abstrakte Vertragsinhalt aber nicht allein durch den historischen Parteiwillen bestimmt, sondern setzt sich aus objektiven und subjektiven Kriterien zusammen. Allein aus dem abstrakten Vertragssinn ergibt sich also nicht 263 Karl, Vertrag und spätere Praxis, 1983, 27: „Denn der Vertragssinn ist weder identisch mit der Parteienabsicht noch auch völlig unabhängig von ihr, sondern das Ergebnis eines nicht voll zu normierenden gedanklichen Prozesses, welcher sowohl subjektive als auch objektive Momente einbeziehen muß.“ Bezüglich des nationalen Rechts siehe Larenz / Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 1995, 139: „Der rechtlich als maßgeblich zu erachtende Sinn des Gesetzes ist aber nur unter Berücksichtigung auch der Regelungsabsichten und der konkreten Normvorstellungen des historischen Gesetzgebers, keinesfalls unabhängig davon festzustellen. Er ist vielmehr das Ergebnis eines gedanklichen Prozesses, in den . . . sowohl ,subjektive‘ wie ,objektive‘ [Momente] einzubeziehen sind . . .“. 264 Shaw, International Law, 2003, 839: „Nevertheless, any true interpretation of a treaty in international law will have to take into account all aspects of the agreement, from the words employed to the intention of the parties and the aims of the particular document. It is not possible to exclude completely any of these components.“ Siehe auch allgemein MayerMali, Auslegen und Verstehen, JB 91 (1969), 413 (415): „In Wahrheit ist es stets geboten, alle Instrumente zu mobilisieren, die das Verstehen [eines Rechtstexts] fördern können.“ 265 So der StIGH, Article 3, paragraphe 2, du traité de Lausanne (Avis consultatif), Ser. B No. 12 (1925), 24: „Les faits postérieurs à la conclusion du Traité de Lausanne ne peuvent occuper la Cour que pour autant qu’ils sont de nature à jeter de la lumière sur la volonté des parties telle qu’ elle existait au moment de cette conclusion.“ Vgl. auch Owen, Reservations to Multilateral Treaties, Yale L.J. 38 (1928 – 29), 1086 (1086, insbesondere Fn. 1). 266 Siehe hierzu auch Karl, Vertrag und spätere Praxis, 1983, 28: „Während nämlich nach statischer Konzeption Änderungen der vertraglichen Norm eben nur als Vertragsänderungen gewürdigt werden können, gehen diese nach der dynamischen Konzeption einfach in den Vertragssinn ein, ohne daß eine Vertragsänderung bewußt oder sichtbar würde.“ Ders., Die spätere Praxis im Rahmen eines dynamischen Vertragsbegriffs, in: Die Dynamik des europäischen Gemeinschaftsrechts, 1987, 81 (82). 267 StIGH, Article 3, paragraphe 2, du traité de Lausanne (Avis consultatif), Ser. B No. 12 (1925), 24.
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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schon, ob der Vertrag eine dynamische oder statische Ordnung darstellt. So enthält auch die WVK keine Vorschrift dazu, auf welchen Zeitpunkt ein Interpret bei der Auslegung abzustellen habe. Für ein statisches Verständnis wird angeführt, dass die Urheber des jeweiligen Vertrags nur die jeweils geltende Rechtslage und die momentanen Verhältnisse kennen würden und sich deshalb nicht für evolutive und unbestimmte Pflichten und Rechte verpflichten wollten.268 Gegen diese Annahme spricht allerdings, dass die Vertragsparteien für zukünftige Sachverhalte über einen längeren Zeitraum rechtliche Regelungen treffen wollen269 und sie sich daher bewusst sind, dass ein multilateraler Vertrag, der einmal in der Welt ist, Einflüssen wie Wertewandeln, veränderten internationalen Strukturen und der Weiterentwicklung des Völkerrechts unterliegt. Dies wird auch von der WVK berücksichtigt, die in Art. 31 Abs. 3 lit. c vorsieht, dass bei der Auslegung jeder in den Beziehungen zwischen den Parteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz zu berücksichtigen ist.270 Allerdings ist auch zu beachten, dass im Völkerrecht Vertragsfreiheit herrscht und die Vertragsparteien einen multilateralen Vertrag als eine dynamische oder statische Ordnung ausgestalten können.271 Daher plädieren viele Autoren nicht grundsätzlich für ein statisches oder dynamisches Vertragsverständnis, sondern unterscheiden zwischen den Vertragsarten: So soll bei auf Dauer angelegten Regelungsverträgen, wie zum Beispiel Gründungsverträgen von internationalen Organisationen272 oder Verträgen zum Schutz von Menschenrechten, das dynamische Vertragsverständnis gelten.273 Dagegen wird bei bilateralen Verträgen für ein statisches Verständnis plädiert.274 268 So beispielsweise Bedjaoui, IGH, Gabcíkovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Separate Opinion of Judge Bedjaoui, ICJ Reports 1997, 3 ff., 120 ff., Rdn. 14: „En général un État s’engage conventionnellement pour des obligations précises contenues dans un droit tel qu’il existe à la conclusion du traité et nullement pour des devoirs évolutifs et indéterminés. Un État ne peut s’engager à des obligations inconnues ni pour l’avenir, ni même pour le présent.“ 269 Vgl. auch Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice 1951 – 4: Treaty Interpretation and Other Points, BYIL 33 (1957) 203 (204): „[T]reaties may endure for considerable periods and even for centuries.“ 270 Siehe hierzu schon Richter Huber, Island of Palmas (Netherlands v. USA), RIAA, Vol. II, 831 (845): „The same principle which subjects the act creative of a right to the law in force at the time the right arises, demands the existence of the right, in other words its continued manifestation, shall follow the conditions required by the evolution of law.“ 271 Vgl. hierzu auch IGH, Gabcíkovo-Nagymaros Project (Hungary v. Slovakia), Separate Opinion of Judge Bedjaoui, ICJ Reports 1997, 3 ff., 120 ff., Rdn. 12: „Sans qu’il faille renoncer à ,l’interprétation évolutive‘ qui peut être utile et même nécessaire dans des hypothèses très limitées, il convient de dire qu’elle ne peut pas être appliquée automatiquement à n’importe quelle affaire.“ 272 Siehe hierzu Gordon, The World Court and the Interpretation of Constitutive Treaties, AJIL 59 (1965), 794 – 833. Aus neuerer Zeit allgemein zur Auslegung von Gründungsverträgen internationaler Organisationen: Amerasinghe, Interpretation of Texts in Open International Organizations, BYIL 65 (1994), 175 – 209.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
Der IGH differenziert demgegenüber nicht zwischen den verschiedenen Vertragsarten275, sondern nach den jeweils verwendeten Begriffen, das heißt, er geht davon aus, dass grundsätzlich die Auslegung in Übereinstimmung mit dem Willen der Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses zu erfolgen habe. Gebrauchen die Parteien jedoch Wendungen, die ihrer Natur nach einem evolutiven Verständnis zugänglich seien, seien sie dynamisch auszulegen. Anschaulich beschreibt der IGH diesen Grundsatz in seinem Rechtsgutachten Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South Africa) notwithstanding Security Council Resolution 276: „Mindful as it is of the primary necessity of interpreting an instrument in accordance with the intentions of the parties at the time of its conclusion, the Court is bound to take into account the fact that the concepts embodied in Article 22 of the Covenant – ,the strenuous conditions of the modern world‘ and ,the well-being and development‘ of the peoples concerned – were not static, but were by definition evolutionary, as also, therefore, was the concept of the ,sacred trust‘. The parties to the Covenant must consequently be deemed to have accepted them as such. That is why, viewing the institutions of 1919, the Court must taken into consideration the changes which have occurred in the supervening half-century, and its interpretation cannot remain unaffected by the subsequent development of law, through the Charter of the United Nations and by way of customary law. Moreover, an international instrument has to be interpreted and applied within the framework of the entire legal system prevailing at the time of the interpretation.“276
273 So beispielsweise Jennings / Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I / 2 – 4, 1992, § 629 und § 633; Bernhardt, Evolutive Treaty Interpretation, Especially of the European Convention on Human Rights, GYIL 42 (1999), 11 (11 ff.); Bleckmann, Völkerrecht, 2001, Rdn. 371; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 641. Einen ähnlichen Ansatz vertritt Meyring. Er macht die Frage, ob ein Vertrag dynamisch oder statisch ausgelegt werden soll und damit die Frage, ob er entwicklungsoffen ist, von dem Konsens der Vertragsparteien zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abhängig. Siehe hierzu Meyring, Die Entwicklung zustimmungsbedürftiger völkerrechtlicher Verträge nach ihrem Abschluss und ihre Auswirkungen in der deutschen Rechtsordnung, 2001, 172. 274 So wohl Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 649. 275 Nach den unterschiedlichen Vertragsarten differenziert aber wohl Alvarez. Siehe IGH, Réserves à la Convention pour la prévention et la répression du crime de génocide (Avis consultatif), Opinion dissidente de M. Alfarez, ICJ Reports 1951, 15 (53) und bezüglich der dynamischen Auslegung von Gründungsverträgen internationaler Organisationen IGH, AngloIranian Oil Company (United Kingdom v. Iran), Dissenting Opinion of Judge Alvarez, ICJ Reports 1952, 93 (126). 276 IGH, Legal Consequences for States of the Continued Presence of South Africa in Namibia (South Africa) Notwithstanding Security Council Resolution 276 (1970) (Advisory Opinion), ICJ Reports 1971, 3 ff., Rdn. 53. Ein weiterer Beispielsfall aus der Rechtsprechung des IGH ist das Urteil Agean Sea Continental Shelf Case (Greece v. Turkey), ICJ Reports 1978, 3 ff., Rdn. 78: „If the Greek Government is correct, as it undoubtly is, in assuming that the meaning of the generic term „rights“ in Article 17 follows the evolution of the law, so as to be capable of embracing rights over the continental shelf, it is not clear why the similar term ,territorial status‘ should not likewise be liable to evolve in meaning in accordance with ,the development of international relations‘.“
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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Darüber hinausgehend führt der IGH in dem Urteil Kasikili / Sedudu Island an: „In order to illuminate the meaning of words agreed upon in 1890, there is nothing that prevents the Court from taking into account the present-day state of scientific knowledge, as reflected in the documentary material submitted to it . . .“.277
Die Frage, ob ein multilateraler Vertrag eine dynamische oder statische Ordnung darstellt, wird also in der völkerrechtlichen Lehre und Rechtsprechung nicht pauschal beantwortet, sondern überwiegend von dem jeweiligen Vertragstyp bzw. der jeweiligen Vertragsnorm abhängig gemacht. Dagegen wendet der EGMR die dynamische Auslegungsmethode aufgrund des speziellen Charakters der EMRK als Menschenrechtsvertrag, der eine objektive Ordnung etabliert, an.278 Ein anschauliches Beispiel aus der Rechtsprechung des EGMR für die Notwendigkeit der Anpassung der EMRK an die heutige Zeit sind die Entscheidungen I. und Goodwin v. Vereinigtes Königreich279, die transsexuellen Menschen in Abweichung von der bisherigen Rechtsprechung nach ihrer Geschlechtsumwandlung das Recht auf Eheschließung mit dem nun entgegengesetzten Geschlecht einräumen.280 Ein weiteres Beispiel für entwicklungsoffene Verträge sind Verteidigungsbündnisse, da sie die Anpassung an geänderte regionale oder weltweite Bedrohungspotentiale ermöglichen müssen.281 Allerdings gibt es andere Vertragstypen, deren Wesen gerade darin besteht einen bestimmten Status Quo für die Zukunft festzuschreiben. Ein Beispiel hierfür ist ein Vertrag über die Grenzziehung zwischen zwei oder mehreren Staaten. Ein solcher Vertrag ist in der Regel aufgrund seines Gegenstands nicht dynamisch auszulegen. Abgesehen von dem jeweiligen Vertragsgegenstand ist auch die auszulegende Norm selbst noch einmal daraufhin zu überprüfen, ob bei ihrer Auslegung zeitge277
IGH, Kasikili / Sedudu Island (Botswana v. Namibia), ICJ Reports 1999, 1045 ff., Rdn.
20. 278 Er charakterisiert die EMRK als „living instrument“. Grundsatzurteil hierzu ist die Entscheidung Tyrer v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 25. April 1978, Ser. A 26. 279 EGMR, Goodwin v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 11. Juli 2002, ECHR 2002-VI, 1 ff. Siehe auch das gleichlautende Urteil I v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 11. Juli 2002. Dieses Urteil ist (noch) nicht in der offiziellen Sammlung des EGMR veröffentlicht. Es ist auf der Homepage des EGMR erhältlich (http: //www.echr.coe.int). 280 In EGMR, Cossey v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 27. September 1990, Ser. A 184 (1990), Rdn. 43 hatte der Gerichtshof noch ein solches Recht verneint. 281 Siehe für den Nordatlantikvertrag vom 4. April 1949 (BGBl. 1955 II, 289 i.d.F. des Protokolls vom 17. Oktober 1951, BGBl. 1955 II, 293) das Urteil des BVerfG vom 22. November 2002, NJW 55 (2002), 1559 ff., Rdn. 147: „Das Bündnis hat bereits mehrmals auf gravierende Änderungen der politischen Situation reagiert, ohne den Vertrag förmlich zu ändern. Der NATO-Vertrag ist insoweit entwicklungsoffen. Eine solche Elastizität im Hinblick auf die Fortentwicklung des dem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zu Grunde liegenden Vertrages ist auch erforderlich, um das Bündnis seinen Zielen entsprechend leistungsund anpassungsfähig zu halten.“
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
mäße Elemente berücksichtigt werden sollen. Beispiele für solche Normen sind Art. 300282 des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982283 oder Art. I284 des Vertrags über die Grundsätze zur Regelung der Tätigkeiten von Staaten bei der Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper (Weltraumvertrag) vom 27. Januar 1967285. Die Frage, ob ein multilateraler Vertrag eine dynamische oder statische Ordnung darstellt, lässt sich somit nicht pauschal beantworten, sondern ist abhängig von dem Vertragstyp und der jeweiligen Vertragsnorm.286 (4) Ergebnis Wie oben dargestellt, ist das Ziel der Auslegung weder nur die Ermittlung des historischen Parteiwillens noch allein die des Wortsinns. Der abstrakte Inhalt eines völkerrechtlichen Vertrags setzt sich sowohl aus objektiven als auch subjektiven Kriterien zusammen. Weiterhin kann auch ein völkerrechtlicher Vertrag nicht per se als eine dynamische oder statische Ordnung qualifiziert werden. Das bedeutet für die Abgrenzung zwischen Auslegung und Änderung: Weder allein der historische Parteiwille, der Wortlaut noch die Weiterentwicklung eines Vertrags seit Vertragsschluss können als pauschale Abgrenzungskriterien herangezogen werden. Diese Feststellung schließt freilich nicht aus, dass im konkreten Einzelfall das Abweichen von dem Normwortlaut oder dem historischen Parteiwillen die Grenze zwischen Auslegung und Änderung darstellen kann. Allerdings kann aber auch andersherum eine semantisch mögliche Wortbedeutung eine Rechtsänderung darstellen.287 282 Art. 300 des Seerechtsübereinkommens: „Die Vertragsstaaten erfüllen die aufgrund dieses Übereinkommens übernommenen Verpflichtungen nach Treu und Glauben und üben die in dem Übereinkommen anerkannten Rechte, Hoheitsbefugnisse und Freiheiten in einer Weise aus, die keinen Rechtsmißbrauch darstellt.“ 283 UNTS 1833, 3; BGBl. 1994 II, 1799. Im Folgenden Seerechtsübereinkommen. 284 Art. I des Weltraumvertrags: „Die Erforschung und Nutzung des Weltraums einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper wird zum Vorteil und im Interesse aller Länder ohne Ansehen ihres wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Entwicklungsstandes durchgeführt und ist Sache der gesamten Menschheit. Allen Staaten steht es frei, den Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper ohne jegliche Diskriminierung, gleichberechtigt und im Einklang mit dem Völkerrecht zu erforschen und zu nutzen; es besteht uneingeschränkter Zugang zu allen Gebieten auf den Himmelskörpern. Die wissenschaftliche Forschung im Weltraum einschließlich des Mondes und anderer Himmelskörper ist frei; die Staaten erleichtern und fördern die internationale Zusammenarbeit bei dieser Forschung.“ 285 UNTS 610, 205; BGBl. 1969 II, 1968. 286 So auch Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 1999, § 11, Rdn. 21. 287 So auch Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl., 1960, 349, der zwar davon ausgeht, dass es von mehreren sprachlichen Bedeutungen einer Norm keine richtige gebe, dieser Aussage aber die Bedingung voranschickt, dass es sich um eine mögliche sprachliche Bedeutung einer Norm handeln muss, das heißt um eine im Zusammenhang mit allen anderen Normen des Gesetzes oder der Rechtsordnung mögliche Sinndeutung.
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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cc) Methodengerechtigkeit der Auslegung als Abgrenzungskriterium? Mangels einer pauschalen Grenzziehung zwischen Auslegung und Änderung und der Tatsache, dass es keine einzig richtige Auslegungsentscheidung gibt, ist die Abgrenzung zwischen Auslegung und Änderung im Einzelfall anhand der Auslegungsregeln der WVK zu ermitteln288, denen auch gewohnheitsrechtliche Geltung289 zukommt und die auf dem Ansatz basieren, dass sich der Sinn eines völkerrechtlichen Vertrags sowohl aus objektiven als auch subjektiven Kriterien zusammensetzt. Das heißt, es ist in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob der Inhalt einer Erklärung, eine mit den Auslegungsregeln der WVK erzielbare mögliche Deutung eines völkerrechtlichen Vertrags darstellt.290 Demnach ist zu fragen, ob die ErkläSiehe auch IGH, Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador v. Honduras: Nicaragua intervening), ICJ Reports 1992, 351 ff., Rdn. 373: „If account be taken of the basic rule of Article 31 of the Vienna Convention of the Law of Treaties, according to which a treaty shall be interpreted ,in accordance with the ordinary meaning to be given to the terms‘, it is difficult to see how on can equate ,delimitation‘ with ,determination of a legal situation . . .‘. No doubt the word ,determine‘ . . . can be used to convey the idea of setting limits, so that, if applied to the ,maritime spaces‘ its ,ordinary meaning‘ might be taken to include delimitation of those spaces. But the word must be read in its context; the object of the verb ,determine‘ is not the maritime spaces themselves but the legal situation of these spaces.“ 288 Vgl. auch IGH, Land, Island and Maritime Frontier Dispute (El Salvador v. Honduras: Nicaragua intervening), ICJ Reports 1992, 351 ff., Rdn. 373: „It is therefore necessary, in application of the normal rules of treaty interpretation, to ascertain whether the text is to be read as entailing such delimitation.“ 289 Siehe hierzu bereits oben Fn. 175. 290 Ausdrücklich für die Methodengerechtigkeit der Auslegung als Abgrenzungskriterium zwischen Interpretationserklärungen und Vorbehalten: Enzweiler, Der Vorbehalt in den Konventionen der Vereinten Nationen, 1958, 12 f.: „Ist in einem Vertrag eine nähere Umschreibung eines bestimmten Begriffs unterblieben, so sollte u.E. jedem Staate freistehen, von den verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten sich für diejenige zu entscheiden, die seiner Rechtsauffassung entspricht. . . . Ist eine Interpretation objektiv möglich, so kann sie sich nur innerhalb gewisser Grenzen bewegen, zwischen einem Maximum und einem Minimum an Bedeutung, die einem gegebenen Begriff beizumessen ist. Wird über diesen Rahmen hinausgegangen, so wird den Worten ein falscher Sinn beigelegt, was praktisch eine textliche Veränderung und damit auch kein Interpretationsvorbehalt mehr ist.“ Kühner, Vorbehalte zu multilateralen Verträgen, 1986, 38: „[Ü]berschreitet die in der interpretativen Erklärung vertretene Auslegung die Grenze dessen, was mit den herkömmlichen Mitteln der Vertragsauslegung vereinbar scheint, bezweckt die interpretative Erklärung eine Modifikation des ausgehandelten Vertragstextes.“ Siehe auch die Stellungnahme von He im Rahmen der Völkerrechtskommission, YILC 1999 I, 2581st Meeting, 3. Juni 1999, 95, Rdn. 14: „[I]nterpretative declarations could be made under the provisions set forth in articles 31 and 32, in conformity with the letter and spirit of the relevant treaty and its corresponding provisions.“ Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 14, Rdn. 4: „[F]estzuhalten [ist], daß es sich nicht mehr um eine bloße Interpretationserklärung handelt, wenn das Ausmaß der zulässigen Auslegung überschritten ist.“ Kritisch hierzu Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 577: „Zutreffend – aber auch inhaltlich nicht wesentlich weiterführend – ist in negativer Abgrenzung von echtem Vorbehalt und interpretativer Erklärung beobachtet worden, daß eine solche auslegende Erklärung nicht mehr vorliegt, wenn mit ihr der Rahmen einer zulässigen Auslegung des betreffenden Vertrages überschritten wird.“ Vgl. auch Tomuschat, Admissibi5 Heymann
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
rung mit der gewöhnlichen den Bestimmungen des Vertrags in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und mit ihrem Ziel und Zweck vereinbar ist. Ist dies der Fall, so handelt es sich um die Bestimmung der Rechtswirkungen291 einer Norm und es liegt kein Vorbehalt vor. Auch in der Praxis internationaler Organisationen wird zur Abgrenzung zwischen Vorbehalt und Interpretationserklärung auf die Auslegungsregeln der WVK zurückgegriffen. So prüft der Generaldirektor der Internationalen Arbeitsorganisality and Legal Effects of Reservations to Multilateral Treaties, ZaöRV 27 (1967), 463 (465) und Amend, Auslegungserklärungen zu bilateralen völkerrechtlichen Verträgen, 1974, 26. Für die Auslegungskriterien als entscheidendes Merkmal zwischen Vertragsauslegung und Vertragsänderung siehe Sur, L’interprétation en droit international, 1974, 260: „Cependant, la compatibilité de résultat obtenu par ce type d’interprétation avec les divers méthodes possibles doit permettre de distinguer, matériellement, l’interprétation de la révision ou de l’adjonction de règles nouvelles.“ Bleckmann, Zur Funktion des Gewohnheitsrechtrechts im Europäischen Gemeinschaftsrecht, EuR 16 (1981), 101 (116): „[M]öchte ich die Grenze zwischen Gewohnheitsrecht intra legem und Gewohnheitsrecht extra legem durch die Frage der Sachlichkeit ziehen: Wenn ein bestimmtes Ergebnis sich durch irgendeine Auslegungsmethode bestimmen lässt, wenn dieses Ergebnis sich noch durch sachliche Erwägungen aus dem positiven Recht ableiten lässt, handelt es sich noch um eine Auslegung; wird diese Grenze überschritten, handelt es sich um eine freie richterliche Rechtsschöpfung.“ Ress, Die Bedeutung der nachfolgenden Praxis für die Vertragsinterpretation nach der WVK in: Die Dynamik des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 1987, 49 (63): „Von dieser Art der auslegenden Sinnermittlung ist eine echte inhaltliche Änderung begrifflich zu unterscheiden. Der Unterschied liegt darin, daß das durch den Rechtswandel eingetretene Ergebnis sich nicht mehr (völlig) mit den ,üblichen‘ Auslegungsmethoden rechtfertigen läßt.“ Siehe auch Meyring, Die Entwicklung zustimmungsbedürftiger völkerrechtlicher Verträge nach ihrem Abschluss und ihre Auswirkungen in der deutschen Rechtsordnung, 2001, 208 ff. Bezüglich des nationalen Rechts: BVerfG, Beschl. v. 12. November 1997, NJW 51 (1998), 519 (520): „Da auch die Rechtsfortbildung das einfache Recht betrifft, obliegt die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang gewandelte rechtliche Verhältnisse neue rechtliche Antworten erfordern, ebenfalls den Fachgerichten. Das BVerfG darf deren Würdigung daher grundsätzlich nicht durch seine eigene ersetzen. Seine Kontrolle beschränkt sich unter dem Gesichtspunkt von Art. 20 GG darauf, ob das Fachgericht bei der Rechtsfortbildung die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert hat und den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung gefolgt ist.“ 291 Siehe hierzu auch Imbert, La question des réserves dans la décision arbitrale du 30 juin 1977 relative à la délimitation du plateau continental entre la République Française et le Royaume-Uni de Grande Bretagne et d’Irlande du Nord, AFDI 24 (1978), 29 (35): „[,L’]effet juridique‘ est donc par nature, susceptible d’appréciations différentes.“ Allgemein zur Auslegung siehe IGH, Interprétation des traités de paix conclus avec la Bulgarie, la Hongrie et la Roumanie, Deuxième phase (Avis consultatif), Opinion dissidente de M. Read, ICJ Reports 1950, 221 (240): „Le problème d’interprétation en présence duquel se trouve la Cour, consiste à choisir entre deux interprétations possibles, dont aucune ne fait violence aux termes du Traité et qui sont toutes deux fondées sur des déductions tirées des expressions dont les rédacteurs se sont effectivement servis. Dans ces conditions, il semble bien clair que la troisième règle d’interprétation exposée ci-dessus n’empêche pas la Cour d’adopter l’une ou l’autre des interprétations qui viennent d’être mentionnées.“
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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tion (ILO), der auch als Depositar der Konventionen der ILO fungiert292, ob eine bei der Ratifikation abgegebene Erklärung einen Vorbehalt oder eine Interpretationserklärung darstellt, bevor er die Ratifikation einer Konvention der ILO registriert. Der Generaldirektor besitzt diese Kompetenz, da die Konventionen der ILO prinzipiell Vorbehalte verbieten. Dies ergibt sich aus der Besonderheit der ILO Konventionen, die von der Internationalen Arbeitskonferenz ausgehandelt werden, welche sich ihrerseits aus Staatenvertretern, Vertretern der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber zusammensetzt und die schon bei der Ausarbeitung der Abkommen die besonderen Umstände in einzelnen Ländern berücksichtigt (vgl. Art. 19 Abs. 3 ILO-Verfassung). Aus diesem Grund entspricht es der ständigen Praxis der ILO, dass die Ratifikation einer ILO-Konvention mit einem Vorbehalt nicht möglich ist.293 Ob eine Erklärung einen Vorbehalt oder eine Interpretationserklärung darstellt, prüft der Generaldirektor der ILO anhand der Auslegungsregeln der WVK. So führte er bezüglich der Erklärungen der USA294, die diese im Zusammenhang mit der Ratifikation des Übereinkommens 147 über Mindestnormen auf 292 Vgl. 19 Abs. 5 d) der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation vom 9. Oktober 1946 (BGBl. 1957 II, 317; 1964 II, 100 und 1975, 2206). Ausführlich zu der Praxis von Depositaren bezüglich Vorbehalten und Interpretationserklärungen siehe § 6. 293 Vgl. hierzu das Memorandum des Internationalen Arbeitsamts im Zusammenhang mit dem Gutachten des IGH zu den Vorbehalten zur Genozid-Konvention und die dort zitierten Beispiele, IGH, Pleadings, Oral Arguments, Documents, Reservations to the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide, Reservations Case, Advisory Opinion of May 28th, 1951, 216 ff. Siehe auch McMahon, The Legislative Techniques of the International Labour Organization, BYIL 41 (1965 / 66), 1 ff. (77 ff.) und Morhard, Die Rechtsnatur der Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation, 1988, 50. 294 Die Erklärungen lauteten: „This convention was ratified by the United States subject to the following understandings: (1) It is the understanding of the United States that its obligations under Article 1 of this Convention do not extend to uninspected ships, including tugboats, of less than 300 tons; (2) It is the understanding of the United States that Article 1, paragraph 4 (b), of the Convention includes fish-processing vessels of not more than 5000 tons and fish tender vessels of not more than 500 tons as ships engaged in fishing or in whaling or in similar pursuits; (3) It is the understanding of the United States that the term ,substantially equivalent‘ as it appears in Article 2 (a) requires the ratifying State to take account of the general goal of the instruments in the Appendix, but does not require it to adhere to the precise terms of these instruments. This means that national laws and regulations may be different in detail, if the ratifying State has satisfied itself that the general goals of the instruments in the Appendix are respected; (4) The United States Government understands and is satisfied, as required under Article 2 (a) of the Convention, that the substantive provisions of United States statutes and regulations are substantially equivalent to the rights and responsibilities established in the instruments enumerated in the Appendix and (5) It is the understanding of the United States that the legal status of the terms of collective bargaining agreements relating to shipboard conditions of employment and living arrangements have no greater effect than that accorded such terms under United States labor statutes“ (International Labour Office, Vol. LXXI (1988), Ser. A, No. 1, 65).
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
Handelsschiffen vom 29. Oktober 1976295 am 15. Juni 1988296 abgegeben hatten, aus: „It appears from this examination that the first three understandings accurately reflect the meaning of the Convention, having regard to its terms, to the preparatory work and to the practice of the supervisory bodies in examining the reports of States which have ratified the Convention. . . . The fifth concerns the legal status of collective bargaining agreements. There is nothing in the Convention which appears capable of being construed as giving to the terms of such agreements a greater effect than is accorded to them under national legislation. Accordingly[,] this understanding also does not appear to raise any problem relating to the interpretation of the Convention. In these circumstances I have concluded that the understandings to which the United States ratification of the Convention is stated to be subject do not constitute an obstacle to the registration of this ratification.“297
dd) Ergebnis Eine Erklärung, die ein methodengerecht erzielbares mögliches Auslegungsergebnis enthält, bezweckt die Auslegung einer Norm und ändert nicht die sich aus UNTS 1259, 335; BGBl. 1980 II, 606. International Labour Office, Vol. LXXI (1988), Ser. A, No. 1, 65. 297 International Labour Office, Vol. LXXI (1988), Ser. A, No. 1, 66. Ein weiteres Beispiel ist die Reaktion des Generaldirektors der ILO bezüglich der Einordnung der us-amerikanischen Erklärung (die Erklärungen sind abgedruckt in: International Labour Office, Vol. LXXXII (1999), Ser. A, No. 3, 132) anlässlich ihrer Ratifikation am 2. Dezember 1999 des Übereinkommens über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Form von Kinderarbeit (International Labour Office, Vol. LXXXII (1999), Ser. A, No. 2, 83 – 86). Der Generaldirektor führte aus: „I have noted that the instrument indicates that the ratification was authorized subject to two understandings setting out the Government’s interpretation of certain provisions of the Convention. As depositary, I have authority to accept ratification under these circumstances provided that such understandings clarify or explain the meaning of the Convention as it relates to domestic law or procedure or address a matter incidental to the domestic operation of the Convention and are nor intended to constitute reservations modifying or limiting a country’s obligations. The first of the understandings recites that article 3 (d) of the Convention ,does not encompass situations in which children are employed by a parent or by a person standing in the place of a parent on a farm owned or operated by such a parent or person‘. In this regard, Article 3 (d) of the Convention provides that ,work which, by its nature or the circumstances in which it is carried out, is likely to harm the health, safety or morals of children‘ is to be considered as among ,the worst forms of child labour‘ for the purposes of the Convention. In the view of the Office, that provision in itself neither covers nor excludes any specific branch of economic activity or type of undertaking and should not be read separately from paragraph 1 of Article 4, which leaves the types of work concerned, including the circumstances in which the work is carried out, to be determined by the ratifying Member in the manner specified by that paragraph. Within that framework, the actual result of the first understanding can indeed be achieved. Accordingly, I have concluded that it is not the intention of the Government of the United States of America to subject its ratification of the Worst Forms of Child Labour Convention, 1999 (No. 182), to any kind of reservation and I consider that I have the necessary authority to register the aforesaid instrument of ratification“ (International Labour Office, Vol. LXXXII (1999), Ser. A, No. 3, 132). 295 296
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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der jeweiligen Norm ergebenden Rechtswirkungen. Dies folgt aus der Besonderheit der Mehrdeutigkeit (völkerrechtlicher) Normen und der Erkenntnis, dass ein Verstehensprozess nicht vollends normierbar298, sondern nur strukturierbar ist.299 Dabei variieren die möglichen Auslegungsergebnisse nach dem Grad der jeweiligen Normpräzision. Über eine hohe Normpräzision verfügen Verträge, die selbst schon Legaldefinitionen der verwendeten Begriffe enthalten.300 Über eine geringe Präzision verfügen Normen, die auf einem Kompromiss zwischen den verschiedenen Vertragsparteien beruhen und deshalb absichtlich unbestimmt und vage formuliert sind. In einem solchen Fall verfügen die jeweiligen Vertragsparteien über einen großen Auslegungsspielraum.301 Bezogen auf den oben zitierten Art. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes bedeutet dies: Sowohl die am Anfang zitierte Erklärung des Vereinigten Königreichs302, von einem Menschen im Rechtssinne erst dann zu sprechen, wenn das Kind geboren sei, als auch die Erklärung Argentiniens303, bereits zum Zeitpunkt der Empfängnis entstehe ein Mensch, enthalten eine mögliche Auslegung der Norm. Sie ändern also weder die Rechtswirkungen von Art. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes noch schließen sie sie aus. Weitere Beispiele aus der Staatenpraxis für Erklärungen mit einer methodengerecht erzielbaren Auslegung sind: – die Erklärung Belgiens zu Art. 23 des Internationalen Pakts über politische und bürgerliche Rechte304: 298 Ress, Wechselwirkungen zwischen Völkerrecht und Verfassung bei der Auslegung völkerrechtlicher Verträge, BDGVR 23 (1982), 7 (13): „Hermeneutik läßt sich nicht abschließend rechtlich ,regeln‘, wohl aber das Ergebnis eingrenzen.“ 299 Siehe hierzu auch Hassemer, Juristische Hermeneutik, ARSP 72 (1986), 195 (203). 300 Vgl. auch Rousseau, Droit international public, tome I, 1970, 243. Yasseen, L’interprétation des traités d’après la Convention de Vienne sur le droit des traités, RdC 151 (1976-III), 1 (34 f.). Beispiele hierfür sind z. B.: Art. 1 des Seerechtsübereinkommens, in dem unter anderem die Begriffe Gebiet, Behörde und Verschmutzung der Meeresumwelt definiert sind. 301 Bernhardt; Treaties, EPIL, Band 4, 2000, 926 (928): „Vague provisions leave the parties an especially broad margin of discretion, but this does not mean that they are without legal significance and binding substance.“ 302 Siehe hierzu oben I. 303 Die argentinische Erklärung lautet: „Concerning article 1 of the Convention, the Argentine Republic declares that the article must be interpreted to the effect that a child means every human being from the moment of conception up to the age of eighteen“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.11, 284). 304 Art. 23 Abs. 2 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte: „Das Recht von Mann und Frau, im heiratsfähigen Alter eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen, wird anerkannt.“ Die belgische Erklärung enthält ein methodengerecht erzieltes Auslegungsergebnis. Da Art. 23 Abs. 2 das heiratsfähige Alter nicht definiert, ist es notwendig, dass dieses von den jeweiligen Vertragsparteien festgelegt wird. Weiterhin entspricht es sowohl dem Wortlaut von Art. 23 Abs. 2 als auch seinem Sinn und Zweck, dass nationale Gesetze die Durchführung dieses Rechts regeln, da es sonst gegenstandslos bliebe.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen „The Belgium Government declares that it interprets article 23, paragraph 2, as meaning that the right of persons of marriageable age to marry and to found a family presupposes not only that national law shall prescribe the marriageable age but that it may also regulate the exercise of that right.“305
– die französische Erklärung zu Art. 38 Abs. 1306 der Diplomatenrechtskonvention: „The Government of the French Republic considers that article 38, paragraph 1, is to be interpreted as granting to a diplomatic agent who is a national of or permanently resident in the receiving State only immunity from jurisdiction, and inviolability, both being confined to official acts performed by the said diplomatic agent in the exercise of his functions.“307
– und die Erklärung der USA zu Art. II der Genozid-Konvention308: „Understandings (1) That the term ,intent to destroy, in whole or in part, a national, ethnical, racial or religious group as such‘ appearing in article II means the specific intent to destroy in whole or in substantial part, a national, ethnical, racial or religious group as such by the acts specified in article II.“309
e) Änderung der Rechtswirkungen durch eine qualifizierte Interpretationserklärung? Aufgrund der Tatsache, dass es mehrere mögliche Auslegungen einer Norm gibt, wollen einige Autoren nicht jede Erklärung, die eine methodengerechte Auslegung 305 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.4, 167. 306 Art. 38 Abs. 1 der Diplomatenrechtskonvention lautet: „Soweit der Empfangsstaat nicht zusätzliche Vorrechte und Immunitäten gewährt, genießt ein Diplomat, der Angehöriger dieses Staates oder in demselben ständig ansässig ist, Immunität von der Gerichtsbarkeit und Unverletzlichkeit lediglich in bezug auf seine in Ausübung seiner dienstlichen Tätigkeit vorgenommenen Amtshandlungen.“ Die französische Erklärung enthält ein methodengerecht erzieltes Auslegungsergebnis, da sie sowohl dem Wortlaut von Art. 38 Abs. 1 als auch dem Sinn und Zweck der diplomatischen Immunität entspricht, die einen Diplomaten nicht vor der Verfolgung wegen innerhalb seiner privaten Tätigkeit ausgeübter Verbrechen schützen soll. 307 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter III.3, 87. 308 Siehe zur Fundstelle Fn. 156. 309 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.1, 124. Es handelt sich um eine methodengerechte Auslegung, da sie mit dem Wortlaut in seinem Zusammenhang von Art. II der Genozid-Konvention vereinbar ist. Der Wortlaut des Art. II lautet: „In dieser Konvention bedeutet Völkermord eine der folgenden Handlungen, die in der Absicht begangen wird, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören . . .“.
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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enthält, als Interpretationserklärung qualifizieren, sondern nur diejenige, die eine Auslegung vorschlägt.310 Eine solche Erklärung wird dann als einfache (Pellet: simple)311 oder bloße (McRae: mere)312 Interpretationserklärung bezeichnet, davon wird eine qualifizierte (McRae: „qualified“)313 oder bedingte (Pellet: „conditional“)314 Interpretationserklärung abgegrenzt315, mit der ein vertragsfähiges Völkerrechtssubjekt geltend macht, dass es den Vertrag oder einzelne seiner Bestimmungen nur in einer bestimmten Auslegung akzeptiere.316 Ein Beispiel für eine solche Erklärung ist die der USA zum Protokoll über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen in der geänderten Fassung vom 3. Mai 1996 (Protokoll II im Anhang zu dem Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können)317: „The Senate’s advice and consent is subject to the following understandings: . . . The United States understands that . . . the allocation of responsibilities for landmines in Article 5(2)(b) of the Amended Mines Protocol does not preclude agreements, 310 So beispielsweise Kühner, Vorbehalte zu multilateralen völkerrechtlichen Verträgen, 1986, 32; Reuter / Cahier, Introduction au droit des traités, 1995, 71; Aust, Modern Treaty Law and Practice, 2000, 104; Herdegen, Völkerrecht, 2002, § 15, Rdn. 21. 311 Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 316 (b). 312 McRae, The Legal Effect of Interpretative Declarations, BYIL 49 (1978), 155 (160). 313 Id. 314 Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 316 (b). 315 Im Folgenden werden die Begriffe einfache und qualifizierte Interpretationserklärung verwendet. 316 Vgl. nur Tomuschat, Admissibility and Legal Effects of Reservations to Multilateral Treaties, ZaöRV 27 (1967), 463 (465); Sinclair, The Vienna Convention on Law of Treaties, 1984, 53; Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1988, 238; Frowein / Bank, The Effect of Member States‘ Declarations Defining „National Minorities“ upon Signature or Ratification of the Council of Europe’s Framework Convention, ZaöRV 59 (1999), 649 (658); Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 314 ff. 1999 wurde von der Völkerrechtskommission auf der Grundlage des dritten Berichts von Pellet folgende Definition der qualifizierten Interpretationserklärung einstimmig (YILC 1999 I, 2598th Meeting, 7. Juli 1999, 225, Rdn. 12 ff.) in die Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted by the Commission on First Reading aufgenommen: „A unilateral statement formulated by a State or an international organization when signing, ratifying, formally confirming, accepting, approving or acceding to a treaty, or by a State when making a notification of succession to a treaty, whereby the State or international organization subjects its consent to be bound by the treaty to a specific interpretation of the treaty or of certain provisions thereof, shall constitute a conditional interpretative declaration“ (YILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, 1999, Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted by the Commission on First Reading, 92, 1.2.1 Conditional interpretative declarations). 317 Doc. CCW / Conf.I / 16 (Part I) (1996); BGBl. 1997 II, 807.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen in connection with peace treaties or similar arrangements, to allocate responsibilities under that Article in a manner that respects the essential spirit and purpose of the Article.“318
Die Erklärung der USA enthält ausdrücklich eine Bedingung („subject to the following understanding“) und es handelt sich um eine mögliche methodengerechte Auslegung der jeweiligen Vertragsbestimmung. Art. 5 Abs. 2 lit. b) des Abkommens stellt die Pflicht auf, ein geräumtes Gebiet von bestimmten Anti-Personen Minen zu reinigen. Eine Ausnahme ist für den Fall vorgesehen, dass das Gebiet an die Streitkräfte eines anderen Staats übergeben wird, die die Verantwortung für die Entfernung der jeweiligen Minen übernehmen.319 Art. 5 Abs. 2 lit. b) sieht also ausdrücklich vor, dass die Verantwortung für die Räumung eines Gebiets von Minen auf eine andere Partei übertragen werden kann. Daher ist die Möglichkeit, diese Verantwortung mittels eines Friedens- oder anderen Vertrags auf eine andere Partei zu übertragen, eine Auslegungsmöglichkeit, die mit dem Wortlaut, dem Zusammenhang und dem Sinn und Zweck der Vorschrift übereinstimmt. Die Differenzierung zwischen einfachen und qualifizierten Interpretationserklärungen basiert vor allem320 auf einem Aufsatz von McRae aus dem Jahr 1978.321 Das Abgrenzungskriterium der Bedingung ist einmal in dem früheren Vorbehaltsbegriff begründet, der ausdrücklich noch ein „Bedingungselement“ enthielt.322 318 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XXVI.2b, 339. 319 Art. 5 Abs. 2 lit. b des Protokolls über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen in der geänderten Fassung vom 3. Mai 1996 (Protokoll II im Anhang zu dem Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können) lautet: „[D]iese Waffen [Antipersonenminen, die keine fernverlegten Minen sind und die den Bestimmungen in dem technischen Anhang über Selbstzerstörung und Selbstdeaktivierung nicht entsprechen] werden geräumt, bevor das betreffende Gebiet verlassen wird, sofern nicht das Gebiet den Streitkräften eines anderen Staates übergeben wird, welche die Verantwortung für die Aufrechterhaltung der aufgrund dieses Artikels vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen und für die spätere Räumung dieser Waffen übernehmen.“ 320 Als erster Autor nahm 1938 von Crayen eine Unterscheidung zwischen den zwei verschiedenen Arten der Interpretationserklärung vor. Von Crayen differenzierte zwischen einem „interpretativen Vorbehalt“ und einer „interpretativen Erklärung“. Letztere definierte er als eine nach außen bekannt gemachte Äußerung über die bestimmte Interpretation einer Vertragsvorschrift. Ein „interpretativer Vorbehalt“ lag seiner Meinung nach vor, wenn eine bestimmte Auslegung zur Bedingung an die Vertragsbindung gemacht wird (von Crayen, Die Vorbehalte im Völkerrecht, 1938, 10). Siehe hierzu bereits oben. 321 McRae, The Legal Effect of Interpretative Declarations, BYIL 49 (1978), 155 (155 ff.). 322 Siehe dazu oben II. 1. Teilweise wird auch heute noch das Bedingungselement in den Vorbehaltsbegriff hineingelesen. Siehe Reuter / Cahier, Introduction au droit des traités, 1995, 71: „L‘essence de la ,réserve‘ est de poser une condition: l‘État ne s‘engage qu‘à la condition
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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Der eigentliche Hintergrund dieses Streits sind aber unterschiedliche Ansichten über den Zusammenhang zwischen einer Veränderung der sich aus dem Vertrag ergebenden Rechte und Pflichten und der verbindlichen Auslegung einer Norm sowie divergierende Auffassungen über die Wirkung einer Auslegung im Verhältnis der Vertragsparteien untereinander. Insgesamt werden bezüglich der rechtlichen Einordnung einer qualifizierten Interpretationserklärung und ihrer Begründung vier verschiedene Ansätze vertreten, die im Folgenden näher dargestellt werden.
aa) Der Ansatz Horns Ein Ansatz beruhend auf Horn323 bezeichnet qualifizierte Interpretationserklärungen als „schlafende“324 oder „unvollkommene“325 Vorbehalte326, die ihre wahre Rechtsnatur erst bei einer verbindlichen Auslegung der Norm zeigten. Horn geht davon aus, dass der Inhalt einer Norm erst mit der richtigen, das heißt der authentischen oder autoritativen Auslegung einer Norm bestimmt werde, eine Änderung der sich aus der Norm ergebenden Verpflichtungen also erst dann feststellbar sei, wenn eine solche verbindliche Auslegung erfolgt ist. Horn nimmt folgerichtig an, dass eine qualifizierte Interpretationserklärung dann ein Vorbehalt sei, wenn sie der verbindlichen Auslegung einer Norm widerspricht und ihr Urheber dennoch an seine eigene Auslegung gebunden sein will.327 Wie bereits oben darque certains effets juridiques du traité ne lui soient pas appliqués, que ce soit par l’exclusion ou la modification d’une règle ou par l‘interprétation de celle-ci.“ In den Berichten der EKMR, Temeltasch v. Schweiz, Bericht vom 5. Mai 1982, DR 31, 120 ff., Rdn. 73 und Belilos v. Schweiz, Ser. A 132, Bericht vom 7. Mai 1987, 37 ff., Rdn. 93 wurde das Bedingungselement ebenfall als Element des Vorbehaltsbegriffs angeführt. Siehe oben Fn. 107. Die Frage, inwieweit dem Vorbehaltsbegriff das Bedingungselement immanent ist, wird insbesondere im Zusammenhang mit der Unzulässigkeit von Vorbehalten zu Menschenrechtsverträgen und ihren Rechtsfolgen diskutiert. Siehe hierzu Schweisfurth, Vorbehalte und auslegende Erklärungen, in: Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht vor dem Hintergrund der Verdichtung internationaler Beziehungen, 2000, 71 (85 f.). Siehe allgemein aus neuester Zeit: Redgwell, Universality or Integrity? Some Reflections on Reservations to General Multilateral Treaties, BYIL 64 (1993), 245 – 282; Baratta; Should Invalid Reservations to Human Rights Treaties be Disregarded?, EJIL 11 (2000), 413 – 425; Goodman, Human Rights Treaties, Invalid Reservations and State Consent, AJIL 96 (2002), 531 – 560. 323 Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1988, 239 ff. 324 Polakiewicz, Treaty-Making in the Council of Europe, 1999, 79: „Such conditional interpretative declarations can be considered as ,dormant‘ reservations which reveal their true nature only once a different interpretation has been agreed upon as the correct one.“ 325 Cameron / Horn, Reservations to the European Convention on Human Rights: The Belilos Case, GYIL 32 (1990), 69 (104 f.). 326 Ähnlich auch Lijnzaad, Reservations to Human Rights Treaties, 1995, 62 ff. 327 Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1988, 242: „The statement contains both a normal interpretative declaration and a potential reservation. On the date another interpretation is established as the correct one the statement acquires the character of a reservation and the reservation rules become applicable.“ Zuvor auf S. 239
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
gestellt328, kommt es aber für die Frage, ob eine Erklärung die vertraglichen Verpflichtungen ändert, nicht auf ihre Übereinstimmung mit der verbindlichen Auslegung, sondern darauf an, ob sie eine methodengerechte Auslegung enthält. Ihr Verhältnis zu einer verbindlichen Auslegung der Norm ist für die Frage der Rechtsnatur einer Erklärung also unbeachtlich. Auch eine qualifizierte Interpretationserklärung ändert nicht die sich aus der Norm selbst ergebenden Verpflichtungen, da wie oben dargestellt alle methodengerecht gefundenen Ergebnisse bezogen auf die Norm gleichwertig sind. Die Konsequenz daraus, dass eine in einer qualifizierten Interpretationserklärung enthaltene Auslegung einer verbindlichen widerspricht, ist lediglich eine Frage der Rechtsfolge.329 bb) Der Ansatz des britisch-französischen Schiedsgerichts im Festlandsockelfall Teilweise wird vertreten, dass die Bedingung zu einer Änderung der sich aus dem Vertrag ergebenden Rechte führe, da ihr Urheber gegenüber den anderen Vertragsparteien nicht an eine andere Auslegung gebunden sein wolle.330 Diese Ansicht wird insbesondere in Anlehnung an das Urteil des Schiedsgerichts im britisch-französischem Festlandsockelfall331 aus dem Jahr 1977 vertreten. In diesem Schiedsverfahren war unter anderem die rechtliche Einordnung einer französischen Erklärung zu Art. 6 der Genfer Konvention über den Festlandsockel führt er aus: „The ,excluding‘ or ,modifying‘ effect can only be asserted at the very moment one of the many possible interpretations is finally authoritatively established as the only right and valid one. This is the case once the parties have agreed upon an authentic interpretation through diplomatic negotiations; or have concluded a supplementary agreement on interpretation; or when a dispute concerning the interpretation of the treaty has been settled through judicial settlement or arbitration in a manner binding on all parties . . .“. 328 Siehe dazu unter d). 329 Siehe auch oben Fn. 230. 330 So wohl Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 578: „Ausschlaggebend muß daher im Zweifelsfall sein, ob der erklärende Staat durch sein Statement lediglich ein[e] mögliche Interpretation des Vertrages bzw. einzelner Vorschriften propagiert oder anbietet oder ob er die anderen Staaten jedenfalls im Verhältnis zu ihm im Ernstfall an diese Interpretation binden will.“ Ähnlich auch Kühner, Vorbehalte und auslegende Erklärungen zur Europäischen Menschenrechtskonvention, ZaöRV 42 (1982), 58 (65); ders., Vorbehalte zu multilateralen Verträgen, 1986, 41. 331 U.K.-French Continental Shelf Case (First Decision), ILR 54, 6 ff. Zum Geschehen vor der Einsetzung des Schiedsgerichts und dessen Urteil siehe Zoller, L’affaire de la délimitation du plateau continental entre la République Française et le Royaume-Uni de Grande Bretagne et d’Irlande du Nord, AFDI 23 (1977), 359 – 407; Colson, The United Kingdom-France Continental Shelf Arbitration, AJIL 72 (1978), 95 – 112 und Rüster, Das britisch-französische Schiedsverfahren über die Abgrenzung des Festlandsockels: Die Entscheidungen vom 30. Juni 1977 und vom 14. März 1978, ZaöRV 40 (1980 II), 803 (803 ff.). Zur Bedeutung für das internationale Seerecht siehe Bowett, The Arbitration Between the United Kingdom and France Concerning the Continental Shelf Boundary in the English Channel and South – Western Approaches, BYIL 49 (1978), 1 (1 ff.).
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vom 29. April 1958332 streitig.333 Art. 6 der Festlandsockelkonvention regelt die Grenzziehung zwischen zwei benachbarten Küstenstaaten. Art. 6 Abs. 1 sieht vor, dass Staaten, die zwei gegenüberliegende Küsten haben, die Grenze durch einen Vertrag festlegen sollen. Fehlt ein solcher Vertrag und ist ein anderer Grenzverlauf nicht durch besondere Umstände gerechtfertigt, so soll die Grenze durch eine Linie gebildet werden, von der jeder Punkt die gleiche Entfernung zu dem nächstgelegenen Punkt der Basislinie von der Breite des Küstenmeers aufweist334 (Äquidistanzprinzip)335. Die französische Seite hatte bei der Ratifikation der Festlandsockelkonvention erklärt, dass sie ohne eine besondere Abmachung keine Grenzziehung auf dem Festlandsockel unter Anwendung des Äquidistanzprinzips in solchen Gegenden akzeptiere, in denen besondere Umstände im Sinne von Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 der Festlandsockelkonvention vorliegen, und diese Gegenden näher spezifiziert.336 Das Vereinigte Königreich argumentierte, dass die Äußerung Frankreichs eine Interpretationserklärung darstelle; sie habe nicht die Wirkung, die Anwendung von Art. 6 auszuschließen, sondern stelle „a positive affirmation of the applicability of Article 6“ dar.337 Dies wurde von der französischen Regierung zurückgewiesen. Nach ihrer Ansicht sollte die Erklärung das Äquidistanzprinzip für alle genannten BereiUNTS 499, 311. In diesem Schiedsgerichtsverfahren handelte es sich um einen Streit zwischen England und Frankreich über den Verlauf der Festlandsockelgrenze im Ärmelkanal. Im Mittelpunkt des Schiedsgerichtsverfahrens stand zunächst die Frage, inwieweit Art. 6 der Konvention über den Festlandsockel zwischen den Parteien anwendbar war. Obwohl beide Staaten Mitglieder der Festlandsockelkonvention waren, machte Frankreich geltend, dass sie unanwendbar sei. Dabei bezog es sich auf die von ihm in Übereinstimmung mit Art. 12 der Festlandsockelkonvention erklärten Vorbehalte zu Art. 6. Es vertrat den Standpunkt, dass die Konvention in ihrer Gesamtheit wegen des gegen diese Vorbehalte erhobenen britischen Einspruchs vom 14. Januar 1966 nicht zur Anwendung kommen könnte. Nachdem das Gericht die grundsätzliche Anwendbarkeit der Festlandsockelkonvention bejaht hatte, untersuchte es die Rechtmäßigkeit der französischen Vorbehalte. 334 Art. 6 Abs. 1 der Festlandsockelkonvention lautet: „Where the same continental shelf is adjacent to the territories of two or more States whose coasts are opposite each other, the boundary of the continental shelf appertaining to such States shall be determined by agreement between them. In the absence of agreement, and unless another boundary line is justified by special circumstances, the boundary is the median line, every point of which is equidistant from the nearest points of the baselines from which the breadth of the territorial sea of each State is measured.“ 335 Siehe hierzu Gloria, in: Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 53, Rdn. 51. 336 Die französische Erklärung ist abgedruckt in: U.K.-French Continental Shelf Case (First Decision), ILR 54, 6 ff., Rdn 32, Fn. 1: „Le Gouvernement de la République Française n’acceptera pas que lui soit opposée, sans un accord exprès, une délimitation entre des plateaux continentaux appliquant le principe de l’équidistance . . . [s]i elle se situe dans zones où il considère qu’il existe des ,circonstances spéciales‘, au sens des alinéas 1 et 2 de l’article 6, à savoir: le golfe de Gascogne, la baie de Granville et les espaces maritimes du Pas-de-Calais et de la mer du Nord au large des côtes françaises.“ 337 Id., Rdn. 54. 332 333
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
che vollständig ausschließen. Somit modifiziere die Erklärung den Anwendungsbereich des Art. 6.338 Das Schiedsgericht führte aus, dass die französische Erklärung aufgrund ihres Bedingungselements über eine bloße Auslegung hinausgehe, da Frankreich von den anderen Vertragsparteien verlange, die französische Definition der Gebiete mit besonderen Umständen im Sinne von Art. 6 zu akzeptieren, damit das Äquidistanzprinzip zwischen ihnen anwendbar sei.339 Aus dieser Feststellung zog das Gericht aber nicht die ausdrückliche Schlussfolgerung, dass die französische Erklärung die sich aus dem Vertrag ergebenden Rechtswirkungen ändere.340 Vielmehr führte es in mehrdeutiger Weise aus: „Article 2 (1) (d) of the Vienna Convention on the Law of Treaties, which both Parties accept as correctly defining a ,reservation‘ . . . This definition does not limit reservations to statements purporting to exclude or modify the actual terms of the treaty; it also covers statements purporting to exclude or modify the legal effect of certain provisions in their application to the reserving State. This is precisely what appears to the Court to be the purport of the French third reservation and it, accordingly, concludes that this ,reservation‘ is to be considered a ,reservation‘ rather than an ,interpretative declaration‘.“341
Es ist also dem Urteil nicht klar erkennbar, ob die Richter eine qualifizierte Interpretationserklärung, die die Bindung an eine anders lautende Auslegung zwischen den Vertragsparteien ausschließt, als Vorbehalt einordneten oder nicht. Zum einen kann das Urteil für die Behauptung herangezogen werden, dass eine solche Erklärung als Vorbehalt einzustufen sei342, da die Richter ausführten, Zweck der Id. Id., Rdn. 55: „[A]lthough the . . . reservation doubtless has within it elements of interpretation, it also appears to constitute a specific condition imposed by the French Republic on its acceptance of the delimitation regime provided for in Article 6. This condition, according to its terms, appears to go beyond mere interpretation; for it makes the application of that regime dependent on acceptance by the other State of the French Republic’s designation of the named areas as involving ,special circumstances‘ regardless of the validity or otherwise of that designation under Article 6“ (Hervorhebungen von der Verf.). 340 Anders aber Boyle, The Law of Treaties and the Anglo-French Continental Shelf Arbitration, ICLQ 29 (1980), 498 (503), der davon ausgeht, dass das Schiedsgericht die Erklärung als Vorbehalt eingeordnet habe. 341 U.K.-French Continental Shelf Case (First Decision), ILR 54, 6 (50), Rdn. 55. Hervorhebungen von der Verf. In einer Erklärung zu dem Urteil kritisierte Richter Briggs die gefundene Lösung. Er bezeichnete die französische Erklärung ausdrücklich nicht als Vorbehalt, ordnete sie aber auch nicht als Interpretationserklärung ein. Er argumentierte statt dessen, die von Frankreich vorgebrachten Erklärungen hätten keine Bedeutung vor dem Schiedsgericht, da Frankreich lediglich bezweckt habe, eine solche Interpretation des Art. 6 auszuschließen, die eine unilaterale Bestimmung des Grenzverlaufs anhand des Äquidistanzprinzips durch einen anderen Staat erlauben würde. Siehe id., Declaration of Mr. Heribert W. Briggs, ILR 54, 6 (131). 342 So beispielsweise EKMR, Temeltasch v. Schweiz, Bericht vom 5. Mai 1982, DR 31, 120 ff., Rdn. 73. 338 339
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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französischen Erklärung sei wohl der Ausschluss und die Änderung der sich aus dem Vertrag ergebenden rechtlichen Verpflichtungen.343 Zum anderen kann das Urteil in negativer Hinsicht als Beleg dafür angesehen werden, dass eine solche Erklärung keinen Vorbehalt darstellt; denn die Richter äußerten bloß, sie sähen die Erklärung eher als Vorbehalt als als Interpretationserklärung an, sagten jedoch nicht, dass sie tatsächlich ein Vorbehalt sei. Die Schiedsgerichtsentscheidung trägt also nur wenig zur Bestätigung der These bei, dass eine Erklärung dann die sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen ändert, wenn ihr Urheber gegenüber den anderen Vertragsparteien den Vertrag nur in einer bestimmten Auslegung akzeptiert. Weiterhin ist einer solchen Sichtweise auch aus rechtlichen Gründen nicht zu folgen. Ein multilateraler Vertrag wird aufgrund des völkerrechtlichen Grundprinzips der Staatengleichheit von formal gleichen Parteien geschlossen. Da die Vertragsparteien zugleich Subjekt und Objekt der sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen sind, verfügen sie alle zusammen, sowie dezentral jede Partei einzeln, über die Auslegungskompetenz des Vertrags. Daraus ergibt sich, dass alle Vertragsparteien gleichermaßen das Recht haben, den jeweiligen multilateralen Vertrag auszulegen.344 Anders lautende unilaterale Auslegungen der anderen Vertragsparteien sind demnach für den Urheber einer qualifizierten Interpretationserklärung ohne seine Zustimmung nicht bindend.345 343 So taucht die entscheidende Passage dieses Urteils in dem dritten Bericht Pellets gleich zweimal auf. Einmal um die unten noch näher zu erläuternde These zu bestätigen, dass eine qualifizierte Interpretationserklärung kein Vorbehalt sei (Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add. 3, 1998, Rdn. 205), und einmal um den Vorbehaltsbegriff näher zu bestimmen und die These zu belegen, dass unter Art. 2 Abs. 1 lit. d WVK auch solche Erklärungen zu subsumieren seien, die nicht den Vertragstext, sondern die Rechtswirkungen des Vertrags änderten (Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 330 (b)). 344 Diese Grundsätze gelten auch für das Verhältnis zwischen Staaten und internationalen Organisationen. Zwar sind internationale Organisationen nur partielle Völkerrechtssubjekte und haben daher auch nur eine funktional begrenzte Vertragsabschlusskompetenz (siehe hierzu nur Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der supranationalen Gemeinschaften, 2000, Rdn. 0307 und 0314). Haben sie allerdings das Recht für einen bestimmten Bereich völkerrechtliche Verträge abzuschließen, sind sie in diesem Bereich auch gegenüber den übrigen Vertragsparteien gleichberechtigt. 345 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 1963, 2, Fn. 3; Degan, L’interprétation des accords en droit international, 1963, 18; Voïcu, De l’interprétation authentique des traités internationaux, 1967, 186; Schwarzenberger, Myths and Realities of Treaty Interpretation, Virginia JIL 9 (1968), 1 (11); Simon, L‘interprétation judiciaire des traités d’organisations internationales, 1975, 20; Bastid, Les traités dans la vie internationale, 1985, 127; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 635. Siehe auch Ehrlich, Interprétation des traités, RdC 24 (1928-IV), 1 (35): „L’interprétation donnée par les organes d’une des parties contractantes n’a pour les autres parties contractantes que la valeur d’une interprétation par une des parties contractantes.“ Vgl. bezüglich der Überzeugung der USA American
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
Die Tatsache, dass der Urheber einer qualifizierten Interpretationserklärung den anderen Vertragsparteien gegenüber nur an eine bestimmte Auslegung gebunden sein will, ändert also grundsätzlich nicht die sich aus dem Vertrag ergebenden Rechte und Pflichten. Denn er ist vertraglich nicht verpflichtet, eine anders lautende Auslegung der anderen Vertragspartei(en) zu befolgen.346
cc) Der Ansatz McRaes Die Frage, ob eine qualifizierte Interpretationserklärung die sich aus dem Vertrag ergebenden Rechtswirkungen ändert, wird jedoch mehrheitlich unter dem Blickwinkel diskutiert, dass ihr Urheber nicht an eine anders lautende verbindliche Auslegung der Norm gebunden sein will. So geht McRae davon aus, dass eine qualifizierte Interpretationserklärung die Rechtswirkungen ändere, da durch die Festlegung auf eine Auslegung die Bindung an die richtige, das heißt die verbindliche Auslegung ausgeschlossen werde.347 Im Gegensatz zu Horn wird also jede qualifizierte Interpretationserklärung als Vorbehalt eingeordnet, da ihr Urheber aufgrund der Bedingung zum Ausdruck bringe, dass er nicht an eine anders lautende Auslegung gebunden sein will, auch wenn diese verbindlich sein sollte. Wie bereits oben dargestellt, sind die authentischen und die autoritativen Auslegungen verbindlich. Der Ausschluss der Bindung an eine anders lautende authentische Auslegung durch eine qualifizierte Interpretationserklärung kommt nicht in Betracht. Denn der Widerspruch einer qualifizierten Interpretationserklärung zu einer authentischen Auslegung ist nicht möglich, da für eine solche die Zustimmung aller Vertragsparteien notwendig ist.348 Eine qualifizierte Interpretationserklärung kann also nur durch den Ausschluss einer anders lautenden autoritativen Auslegung die sich aus dem Vertrag ergebenden Rechte und Pflichten ändern. Da es im Völkerrecht keine obligatorische Gerichtsbarkeit gibt, die per se für die Überwachung und Durchführung der Verträge zuständig ist, hängt es von jedem einzelnen Vertrag ab, ob und unter welchen VoLaw Institute, Restatement of the Law (Third), The Foreign Relations Law of the United States, Vol. I, 1986, 201, 18. 346 Die Frage, was geschieht, wenn eine andere Vertragspartei der geltend gemachten Auslegung widerspricht, ist dagegen eine Frage der Rechtsfolgen qualifizierter Interpretationserklärungen und nicht ihrer Definition. So auch Imbert, La question des réserves dans la décision arbitrale du 30 juin 1977 relative à la délimitation du plateau continental entre la République Française et le Royaume-Uni de Grande Bretagne et d’Irlande du Nord AFDI 24 (1978), 29 (33). Ausführlich dazu § 10. 347 So McRae, The Legal Effect of Interpretative Declarations, BYIL 48 (1978), 155 (161). Allerdings ordnet er eine solche Erklärung dann nicht folgerichtig als Vorbehalt ein, sondern will auf sie lediglich die Regeln über Vorbehalte analog anwenden. 348 Siehe dazu schon oben d) aa) (2).
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raussetzungen ein internationales Gericht oder ein anderes Organ zur verbindlichen Auslegung zuständig ist. Eine autoritative bindende Auslegung ist aber nicht in jedem völkerrechtlichen Vertrag vorgesehen. So enthält das Übereinkommen über die Rechte des Kindes keine Vorschrift darüber, dass die Vertragsparteien einer Gerichtsbarkeit bezüglich der Auslegung des Übereinkommens unterworfen seien und sieht auch kein sonstiges zur bindenden Auslegung befugtes Organ vor. Andere völkerrechtliche Verträge setzen für eine autoritative Auslegung eine gesonderte Unterwerfungserklärung der Vertragsparteien voraus.349 Nicht jeder völkerrechtlicher Vertrag verpflichtet also eine Vertragspartei dazu, die ihr zustehende Auslegungskompetenz auf ein höherrangiges Organ zu übertragen und somit an eine autoritative Auslegung gebunden zu sein. Daher lässt sich nicht per se sagen, dass eine Vertragspartei, nur weil sie nicht an eine anders lautende verbindliche Auslegung gebunden sein will, die sich aus dem Vertrag ergebenden Rechte und Pflichten ändert.350
dd) Der Ansatz Pellets und der Völkerrechtskommission Einen weiteren Ansatz vertreten insbesondere351 der Sonderberichterstatter Pellet352 und ihm folgend die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen in ihren 1999 vorläufig verabschiedeten Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted by the Commission on First Reading353, die grundsätzlich zwischen qualifizierten Interpretationserklärungen und Vorbehalten unterscheiden.354 Sie gehen davon aus, dass die Tatsache, dass eine andere als in der Inter349 Ein Beispiel hierfür ist die Amerikanische Menschenrechtskonvention (UNTS 1144, 123). Sie sieht in Art. 62 vor, dass der Interamerikanische Gerichtshof für Menschenrechte dann zuständig ist, wenn eine Vertragspartei eine entsprechende Erklärung abgegeben hat. Vor dem Inkrafttreten des 11. Zusatzprotokolls am 1. November 1998, das die obligatorische Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eingeführt hat, mussten die Vertragsparteien der EMRK ebenfalls eine Unterwerfungserklärung gemäß Art. 25 a.F. EMRK abgeben, damit die Europäische Kommission für Menschenrechte und der Europäische Gerichtshof zuständig für die Behandlung von Individualbeschwerden waren. Siehe zum 11. Zusatzprotokoll Meyer-Ladewig / Petzold, Der neue ständige Gerichtshof für Menschenrechte, NJW 52 (1999), 1165 – 1166; Schlette, Europäischer Menschenrechtsschutz nach der Reform der EMRK, JZ 54 (1999), 219 – 226. Weitere Beispiele siehe unter ee). 350 Dazu ausführlich ee). 351 So auch Doehring, Völkerrecht, 2004, Rdn. 353 allerdings ohne nähere Begründung: „Von einem Vorbehalt ist die einseitige Erklärung eines Staates zu unterscheiden, mit der er eine bestimmte Interpretation von Verpflichtungen in Anspruch nimmt oder vorschlägt.“ 352 Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 332 und 334. 353 YILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, 1999, ILC-Kommentar, 99, Rdn. 8 ff. 354 In den vorangegangenen Diskussionen in den Jahren 1998 und 1999 wurden allerdings auch andere Ansichten bezüglich der Rechtsnatur qualifizierter Interpretationserklärungen vertreten. So ordnete Elaraby eine qualifizierte Interpretationserklärung als Vorbehalt ein
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
pretationserklärung enthaltene Auslegungsmöglichkeit als verbindlich festgestellt wird, die Rechtsnatur einer Erklärung nicht beeinflusse. Eine Vertragspartei ändere also nicht die Rechtswirkungen einzelner Vertragsbestimmungen bzw. des Vertrags, wenn sie eine bestimmte Interpretation zur Bedingung für ihre Vertragsbindung mache. Dies liege daran, dass ein bedeutender Unterschied zwischen Auslegung und Anwendung einer Norm bestehe.355 Dieser Ansatz der Völkerrechtskommission ist in den Diskussionen im Rahmen des Sechsten Ausschusses der Generalversammlung der Vereinten Nationen auf ein geteiltes Echo gestoßen. Während insbesondere das Vereinigte Königreich356, Polen357, die Niederlande358 oder die Schweiz359 der Meinung waren, dass qualifizierte Interpretationserklärungen Vorbehalte seien, wurde dies unter anderen von Israel360, China361, der Tschechischen Republik362 und Mali363 bestritten. (YILC 1999 I, 2583rd Meeting, 8. Juni 1999, 109, Rdn. 17). Kamto befürchtete, dass durch die Einführung der Kategorie der qualifizierten Interpretationserklärung eine Kategorie der versteckten Vorbehalte („disguised reservations“) geschaffen werde (id., 110, Rdn. 24), und Brownlie bezeichnete sie als ein Rechtsinstitut sui generis (YILC 1999 I, 2582nd Meeting, 4. Juni 1999, 106, Rdn. 48). 355 Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 329. Siehe auch YILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, 1999, ILC-Kommentar, 105, Rdn. 11: „[T]he Commission does not believe that these two categories [Reservations and qualified interpretative declarations] of unilateral statement are identical: even when it is conditional, an interpretative declaration does not constitute a reservation in that it does not try ,to exclude or to modify the legal effect of certain provisions of the treaty in their application‘ to the State or organization formulating it, but to impose a specific interpretation on those provisions. Even if the distinction is not always obvious, there is an enormous difference between application and interpretation.“ 356 Press Release, GA / L / 3192, General Assembly 56th Session, Sixth Committee, 18th and 19th Meetings, 5. November 2001, Stellungnahme von Chanaka Wickremasinghe (Vereinigtes Königreich), http: / / www.un.org / News / Press / docs / 2001 / GAL3192.doc.htm besucht am 12. Juni 2003. 357 Press Release, GA / L / 3193, General Assembly 56th Session, Sixth Committee, 20th and 21st Meetings, 6. November 2001, Stellungnahme von Anna Wyrozumska (Polen), http: //www.un.org/News/Press/docs/2001/GAL3193.doc.htm, besucht am 12. Juni 2003. 358 Press Release GA / L / 3164, General Assembly 55th Session, Sixth Committee, 24th Meeting, 3. November 2000, Stellungnahme von Elda Papapoulou (Niederlande), http: // www.un.org/News/Press/docs/2000/2001103.gal3164.doc.html, besucht am 12. Juni 2003. 359 Rapport de la Commission du droit international, Déclaration de Jürg Lindemann, Suppléant du Jurisconsulte, New York, 4. November 2002: „[La déclaration interprétative conditionnelle] constitue moins une catégorie propre qu’une sous catégorie des réserves“ (http: //www.eda.admin.ch/newyork_miss/e/home/interv/archiv/ga6com.html, besucht am 9. März 2004). 360 Discussion held in the Sixth Committee of the General Assembly During its 54th Session, UN Doc. A / C.6 / 54 / SR. 25, 1999, Rdn. 75. 361 Id., Rdn. 100. 362 Id., Rdn. 81.
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Die unterschiedlichen Reaktionen auf den Vorschlag Pellets und ihm folgend die Völkerrechtskommission sind gerechtfertigt. Denn diese übersehen, dass manche völkerrechtliche Verträge ein Organ vorsehen, das über die letztendliche Auslegungskompetenz für den jeweiligen Vertrag verfügt. Ein Beispiel für einen solchen Vertrag ist die EMRK364, die die endgültige Auslegungskompetenz dem EGMR zugewiesen hat. Bei einem solchen völkerrechtlichen Vertrag sind dann die Vertragsparteien verpflichtet eine anders lautende autoritative Auslegung zu befolgen. Wird diese Verpflichtung durch eine qualifizierte Interpretationserklärung ausgeschlossen, da ihr Urheber eine bestimmte Norm nur in einer Auslegung akzeptiert und somit dem zuständigen Organ bezüglich dieser Norm seine letztendliche Auslegungskompetenz entzieht, kann auch eine qualifizierte Interpretationserklärung die sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen ändern.365
ee) Eigener Ansatz Wie sich bereits aus den aufgezeigten Schwächen der einzelnen Ansätze ergibt, ist eine qualifizierte Interpretationserklärung nicht per se als Vorbehalt einzuordnen. Denn sie ändert aufgrund der normativen Gleichwertigkeit aller methodengerecht gefundenen Auslegungen nicht die sich aus der ausgelegten Norm selbst ergebenden Rechte und Pflichten.366 Gleichwohl ändert sie weitere sich aus dem Vertrag ergebende Rechte und Pflichten dann, wenn der Vertrag ein zuständiges Organ vorsieht, dem die letztendliche Auslegungskompetenz übertragen wurde. Denn durch die Bedingung wird dem eigentlich zuständigen Organ die Auslegungskompetenz für die jeweilige Norm entzogen, da ihr Urheber erklärt, von Anfang an nur an eine bestimmte Auslegung gebunden zu sein. Dadurch wird zugleich die vertraglich normierte Verpflichtung ausgeschlossen, die Auslegungskompetenz dieses Organs anzuerkennen. Dabei kann zwischen Organen unterschieden werden, die über die verbindliche Auslegungskompetenz in einem Streitfall verfügen und deren Entscheidungen 363 Press Release, GA / L / 3193, General Assembly 56th Session, Sixth Committee, 20th and 21st Meetings, 6. November 2001, Stellungnahme von Salifou Fomba (Mali), http: // www.un.org/News/Press/docs/2001/GAL3193.doc.htm, besucht am 12. Juni 2003. 364 Siehe hierzu Fn. 223. 365 Dazu sogleich ausführlich. 366 Siehe hierzu explizit Jennings / Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I / 2 – 4, 1992, § 607: „Again, it is quite legitimate-and one ought not in this case to speak of conditional ratification – for a contracting party who wants to secure a certain interpretation for certain terms and clauses of a treaty, to grant ratification upon the understanding only that they should bear a particular interpretation. In such case ratification does not introduce an amendment or an alteration, but only fixes the meaning of otherwise doubtful terms and clauses of a treaty.“ So auch schon Oppenheim / Lauterpacht, International Law, Vol. I, 1948, § 517.
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lediglich zwischen den am Streitfall beteiligten Parteien wirken, und solchen Organen, die für alle Parteien verbindliche Auslegungsentscheidungen treffen können.367 Ein Beispiel für ersteren Fall sind die Entscheidungen des EGMR. Die Entscheidungen der Ministerkonferenz und des Allgemeinen Rates bezüglich der Auslegung des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation und der multilateralen Handelsübereinkommen können als Beispiele für die zweite Variante zitiert werden. Für die Frage, ob eine Erklärung als Vorbehalt einzustufen ist, kommt dieser Unterscheidung keine Bedeutung zu. Genauso wenig ist für die Vorbehaltsqualität einer Erklärung entscheidend, ob das betreffende Organ ein internationales ständiges Gericht, Schiedsgericht oder ein sonstiges vertraglich vorgesehenes Gremium ist. Maßgeblich ist allein, ob das jeweilige Organ die letztinstanzliche verbindliche Auslegungskompetenz für den jeweiligen Einzelfall oder generell besitzt. Zur Erläuterung dieser These lassen sich völkerrechtliche Verträge bezüglich Art und Ausgestaltung der Auslegungskompetenz in fünf Kategorien einteilen. Zur ersten Kategorie gehören Verträge, die die endgültige verbindliche Auslegungskompetenz einem internationalem Gericht oder einem anderen Organ zugewiesen haben. Beispiele für völkerrechtliche Verträge mit einem obligatorisch zuständigen Gericht sind die EMRK oder der EG-Vertrag368. Das Abkommen über die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (Weltbank) vom 27. Dezember 1945369 weist die endgültige Auslegungskompetenz einem besonderen Organ der Weltbank zu, in diesem Fall dem Gouverneursrat.370 Das 367 Siehe hierzu auch die Argumentation des Generaldirektors der ILO bezüglich der Überprüfung der in Fn. 294 zitierten US-amerikanischen Erklärung. Dieser erörterte zwar nicht, ob die in Frage stehende Erklärung eine Bedingung enthalte und ob deswegen die in Art. 36 Abs. 1 ILO-Verfassung vorgesehene ausschließliche Auslegungskompetenz des IGH für das Übereinkommen 147 der ILO über Mindestnormen auf Handelsschiffen beeinträchtigt sei. Er wies aber daraufhin, dass trotz der Erklärung der IGH weiterhin über die ausschließliche Auslegungskompetenz verfüge: „I would wish to bring to your Government’s attention that I have caused the understandings . . . to be examined in the light of the established principles that international labour Conventions may not be ratified in the light of the established principles that international labour Conventions may not be ratified subject to reservations and that their interpretation is a matter exclusively for the International Court of Justice.“ 368 Art. 220 Abs. 1 EG lautet: „Der Gerichtshof und das Gericht erster Instanz sichern im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten die Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung dieses Vertrages“ (Konsolidierte Fassung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft durch den Vertrag von Nizza, Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften C 325 / 33 (24. Dezember 2002). 369 UNTS 2, 134; 606, 294; BGBl. 1952 II, 664; 1965 II, 1089; 1992 II, 1134. 370 Art. IX des Abkommens über die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung lautet: „(a) Alle Zweifelsfragen bezüglich der Auslegung der Bestimmungen dieses Abkommens, die sich zwischen einem Mitglied und der Bank oder zwischen Mitgliedern der Bank ergeben, sind den Direktoren zur Entscheidung zu unterbreiten. . . . (b) In den Fällen, in denen die Direktoren eine Entscheidung gemäß vorstehenden Absatz (a) getroffen haben,
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Gleiche gilt für das Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds vom 27. Dezember 1945 in der Neufassung vom 30. April 1976371, das die endgültige Auslegungskompetenz dem Gouverneursrat des Internationalen Währungsfonds zuweist.372 Ebenfalls zu dieser Kategorie gehört das Abkommen über die Errichtung der Welthandelsorganisation, das in Art. IX Abs. 2 die ausschließliche Auslegungskompetenz auf die Ministerkonferenz und den Allgemeinen Rat überträgt. Die zweite Kategorie umfasst völkerrechtliche Verträge, die ein Gericht dann für die Auslegung des Vertrags zuständig erklären, wenn die Vertragsparteien sich nicht auf einem anderen Weg über die Auslegung einigen können. Beispiele hierfür sind das Seerechtsübereinkommen (Art. 286 ff.)373, das Europäische Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge vom 16. Oktober 1980374 (Art. 15)375, das Genfer Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951376 (Art. 38)377, das Protokoll über die Rechtsstellung der kann jedes Mitglied verlangen, dass die Frage dem Gouverneursrat überwiesen wird, dessen Entscheidung endgültig ist . . .“. 371 UNTS 2, 40; 726, 266; BGBl. 1952 II, 638; 1978 II, 13; 1991 II, 814. 372 Art. XXIX das Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds lautet: „a) Alle Fragen der Auslegung dieses Übereinkommens, die sich zwischen einem Mitglied und dem Fonds oder zwischen Mitgliedern des Fonds ergeben, werden dem Exekutivdirektorium zur Entscheidung unterbreitet. . . . (b) Hat das Exekutivdirektorium nach Buchstabe a eine Entscheidung getroffen, so kann jedes Mitglied innerhalb von drei Monaten nach dem Zeitpunkt der Entscheidung verlangen, daß die Frage dem Gouverneursrat vorgelegt wird; seine Entscheidung ist endgültig.“ Siehe hierzu ausführlich Gold, The Interpretation by the International Monetary Found of its Articles of Agreement, ICLQ 3 (1954), 256 – 276; Mann, The „Interpretation“ of the Constitution of the International Financial Organization, BYIL 43 (1968 – 69), 1 – 19. 373 Art. 286 des Seerechtsübereinkommens lautet: „Vorbehaltlich des Abschnitts 3 wird jede Streitigkeit über die Auslegung und Anwendung dieses Übereinkommens, die nicht in Anwendung des Abschnitts 1 beigelegt worden ist, auf Antrag einer Streitpartei dem aufgrund des vorliegenden Abschnitts zuständigen Gerichtshof oder Gericht unterbreitet.“ Art. 287 enthält dann eine Auswahl der von den Vertragsparteien als zuständig anzuerkennenden Gerichte (Internationaler Seegerichtshof, IGH oder Schiedsgerichte) und die Voraussetzungen für ihre jeweilige Zuständigkeit im Einzelfall. Die Besonderheit des Seerechtsübereinkommens ist, dass für den Bereich, der gemäß Art. 297 ff. von der obligatorischen bindenden Gerichtsbarkeit ausgeschlossen ist, eine qualifizierte Interpretationserklärung keinen Vorbehalt darstellt. 374 ETS Nr. 107; BGBl. 1994 II, 2946. 375 Art. 15 des Europäischen Übereinkommens über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge lautet: „(1) Schwierigkeiten in bezug auf die Auslegung und Anwendung dieses Übereinkommens werden durch unmittelbare Konsultationen zwischen den zuständigen Verwaltungsbehörden und, falls erforderlich, auf diplomatischen Weg beigelegt. (2) Jede Streitigkeit zwischen Vertragsparteien über die Auslegung oder Anwendung dieses Übereinkommens, die nicht durch Verhandlungen oder auf andere Weise beigelegt werden konnte, wird auf Verlangen einer Streitpartei einem Schiedsverfahren unterworfen. . . . Das Schiedsgericht regelt sein Verfahren selbst. . . . Sein Spruch ist endgültig.“ 376 UNTS 189, 150; BGBl. 1953 II, 560. 6*
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Flüchtlinge vom 31. Januar 1967378 (Art. IV)379, das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau vom 18. Dezember 1979380 (Art. 29)381 sowie das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (Art. 30)382.383 Wird eine qualifizierte Interpretationserklärung zu völkerrechtlichen Verträgen der ersten beiden Gruppen abgegeben, handelt es sich um einen Vorbehalt. Der Erklärende ändert, indem er für die von ihm ausgelegte Norm die Auslegungskompetenz des internationalen Gerichts oder zuständigen Organs ausschließt, die vertragliche Verpflichtung, diese Kompetenz für alle vertraglichen Normen anzuerkennen. Er schränkt somit seine vertraglichen Verpflichtungen ein, da er die angeordnete Verbindlichkeit einer abweichenden Auslegung durch das befugte Organ aufheben will. Eine dritte Kategorie völkerrechtlicher Verträge sieht vor, dass ein internationales Gericht dann die Auslegungskompetenz besitzt, wenn die Vertragsparteien ihm diese gesondert übertragen. Beispiele hierfür sind Art. 20384 des Basler Überein377 Art. 38 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge lautet: „Jeder Streitfall zwischen den Parteien dieses Abkommens über dessen Auslegung oder Anwendung, der auf andere Weise nicht beigelegt werden kann, wird auf Antrag einer der an dem Streitfall beteiligten Parteien dem Internationalen Gerichtshof vorgelegt.“ 378 UNTS 606, 267; BGBl. 1969 II, 1294. 379 Art. IV des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge lautet: „Jede Streitigkeit zwischen Vertragsstaaten dieses Protokolls über dessen Auslegung oder Anwendung, die nicht auf andere Weise beigelegt werden kann, wird auf Antrag einer der Streitparteien dem Internationalen Gerichtshof unterbreitet.“ 380 UNTS 1249, 3; BGBl. 1985 II, 648. 381 Art. 29 des Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau lautet: „(1) Entsteht zwischen zwei oder mehr Vertragsstaaten über die Auslegung oder Anwendung dieses Übereinkommens eine Streitigkeit, die nicht auf dem Verhandlungsweg beigelegt werden kann, so wird sie auf Verlangen einer Partei zum Gegenstand eines Schiedsverfahrens gemacht. . . . (2) Jeder Vertragsstaat kann zum Zeitpunkt der Unterzeichnung oder Ratifikation des Übereinkommens oder seines Beitritts dazu erklären, dass er sich durch Absatz 1 nicht als gebunden ansieht. Die anderen Vertragsstaaten sind gegenüber einem Vertragsstaat, der einen derartigen Vorbehalt angebracht hat, durch Absatz 1 nicht gebunden.“ 382 Art. 30 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe lautet: „(1) Jede Streitigkeit zwischen zwei oder mehr Vertragsstaaten über die Auslegung oder Anwendung dieses Übereinkommens, die nicht durch Verhandlungen beigelegt werden kann, ist auf Verlangen eines dieser Staaten einem Schiedsverfahren zu unterwerfen.“ 383 Das Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung sieht in den Art. 21 und 22 weiterhin vor, dass die Vertragsparteien die Zuständigkeit des Ausschusses für Staaten- und Individualbeschwerden anerkennen können. 384 Art. 20 des Basler Übereinkommens lautet: „(1) Im Falle einer Streitigkeit zwischen Vertragsparteien über die Auslegung oder Einhaltung dieses Übereinkommens oder eines dazugehörigen Protokolls bemühen sich diese Vertragsparteien, die Streitigkeit durch Verhandlung oder andere friedliche Mittel eigener Wahl beizulegen. (2) Können die betroffenen Vertragsparteien ihre Streitigkeit nicht durch die in Absatz 1 bezeichneten Mittel beilegen, so wird die Streitigkeit, falls die Streitparteien dies verein-
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kommens über die Kontrolle der grenzüberschreitenden Verbringung gefährlicher Abfälle und ihrer Entsorgung vom 22. März 1989385 sowie Art. XI386 des Antarktis-Vertrags. Eine vierte Kategorie völkerrechtlicher Verträge enthält entweder gar keine Vorschriften über ein für Auslegungsstreitigkeiten zuständiges Organ bzw. nur die allgemeine Verpflichtung, Auslegungsstreitigkeiten friedlich beizulegen. Beispiele für solche Verträge sind die Diplomatenrechtskonvention, das Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen vom 24. April 1963387, das Übereinkommen über die Rechte des Kindes sowie der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte388. Oftmals ist die Zuständigkeit für Streitigkeiten über die Auslegung des Vertrags dann in einem Zusatzprotokoll geregelt.389 In einem solchen Fall kann man den Vertrag auch in die dritte Kategorie einordnen. Handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag der dritten oder vierten Kategorie, ist eine qualifizierte Interpretationserklärung kein Vorbehalt. Der Erkläbaren, dem Internationalen Gerichtshof oder einem Schiedsverfahren unter den in Anlage VI über das Schiedsverfahren festgelegten Bedingungen unterbreitet. Können sich die Vertragsparteien nicht darüber einigen, die Streitigkeit dem Internationalen Gerichtshof vorzulegen oder einem Schiedsverfahren zu unterwerfen, so sind sie dadurch nicht von der Verantwortung enthoben, sich weiterhin um eine Lösung durch die in Absatz 1 bezeichneten Mittel zu bemühen. (3) Bei der Ratifikation, der Annahme, der Genehmigung, der förmlichen Bestätigung oder beim Beitritt zu diesem Übereinkommen oder jederzeit danach können ein Staat oder eine Organisation der wirtschaftlichen und / oder politischen Integration erklären, dass sie ipso facto und ohne besondere Übereinkunft gegenüber jeder Vertragspartei, welche dieselbe Verpflichtung übernimmt, folgendes als obligatorisch anerkennen: die Vorlage der Streitigkeit an den Internationalen Gerichtshof und / oder die Unterwerfung der Streitigkeit unter ein Schiedsverfahren in Übereinstimmung mit den in Anlage VI festgelegten Verfahren. Diese Erklärung wird dem Sekretariat schriftlich notifiziert, das sie an die Vertragsparteien weiterleitet.“ 385 UNTS 1673, 57; BGBl. 1994 II, 2704, im Folgenden Basler Übereinkommen. 386 Art. XI des Antarktis-Vertrags lautet: „(1) Entsteht zwischen zwei oder mehreren Vertragsparteien eine Streitigkeit über die Auslegung oder Anwendung dieses Vertrages, so konsultieren die betreffenden Vertragsparteien einander, um die Streitigkeit durch Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsverfahren, gerichtliche Beilegung oder sonstige friedliche Mittel ihrer Wahl beilegen zu lassen. (2) Jede derartige Streitigkeit, die nicht auf diese Weise beigelegt werden kann, wird – jeweils mit Zustimmung aller Vertragsparteien – dem Internationalen Gerichtshof unterbreitet; wird keine Einigkeit über die Verweisung an den Internationalen Gerichtshof erzielt, so sind die Streitparteien nicht von der Verpflichtung befreit, sich weiterhin zu bemühen, die Streitigkeit durch eines der verschiedenen in Absatz 1 genannten friedlichen Mittel beizulegen.“ 387 UNTS 596, 261; BGBl. 1969 II, 1585. 388 Der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sieht auch keine Zuständigkeit des Wirtschafts- und Sozialrats zur Auslegung vor. 389 Beispiele für solche Fakultativprotokolle sind: Das Protokoll über die obligatorische Beilegung von Streitigkeiten zur Diplomatenrechtskonvention vom 18. April 1961 (UNTS 569, 469; BGBl. 1964 II, 1018) und das Protokoll zur Wiener Konsularrechtskonvention vom 24. April 1964 (UNTS 596, 487; BGBl. 1969 II, 1689).
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
rende variiert oder eliminiert keine vertraglichen Verpflichtungen, wenn er die Bindung an eine anders lautende autoritative Auslegung ausschließt, da er eben gar nicht verpflichtet ist, sich einer solchen zu unterwerfen. Eine fünfte Kategorie von Verträgen sieht zwar ein Organ vor, das, für eine Streitigkeit über die Auslegung des Vertrags oder allgemein zur Auslegung befugt ist, weist ihm jedoch keine bindende Auslegungskompetenz zu. Das heißt, das zuständige Organ kann nur empfehlen, das eine bestimmte Auslegung die „richtige“ sei.390 Ein Beispiel für eine nichtbindende Auslegung eines Internationalen Spruchkörpers sind die Auffassungen („views“ / „constatations“), die der Ausschuss für Menschenrechte am Ende des Verfahrens gemäß Art. 5 Abs. 4 des Fakultativprotokolls zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 16. Dezember 1966391 der beschwerdeführenden Einzelperson und dem betroffenen Vertragsstaat mitteilt. 392 Ein weiteres Beispiel hierfür ist das Wiener Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht vom 22. März 1985393. Es sieht in Art. 11 Abs. 5 vor, dass, sofern die Parteien nichts anderes vereinbaren und nicht die Zuständigkeit des Internationalen Gerichtshofs oder eines Schiedsverfahrens anerkennen, eine Vergleichskommission zuständig ist, die allerdings nur mit empfehlender Wirkung urteilen kann. Im Falle eines Vertrags der fünften Kategorie ist eine qualifizierte Interpretationserklärung ebenfalls kein Vorbehalt, da der Erklärende wiederum vertraglich nicht verpflichtet ist, an die autoritative Auslegung gebunden zu sein. Denn dieser kommt nur ein unverbindlicher Charakter zu. Es handelt sich also bei qualifizierten Interpretationserklärungen bezüglich multilateraler Verträge dann um Vorbehalte, wenn die Verträge ein Organ vorsehen, dem die verbindliche Auslegungskompetenz übertragen wurde.394 Das bedeutet, dass die oben zitierte Erklärung der USA zu dem Protokoll über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen in der geänderten Fassung vom 3. Mai 1996 (Protokoll II im Anhang zu dem Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot und die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen 390 Ebenfalls zu dieser Kategorie gehören die Entscheidungen des Panels und des Appellate Body im Rahmen des WTO-Streitbeilegungsverfahrens. Verbindlich ist erst die Entscheidung des Dispute Settlement Body (DSB). Siehe hierzu Art. 19 ff. des 2. Anhangs zum WTOÜbereinkommen (Vereinbarungen über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten). 391 UNTS 999, 302; BGBl. 1992 II, 1247. 392 Siehe hierzu Giegerich, Vorbehalte zu Menschenrechtsabkommen: Zulässigkeit, Gültigkeit und Prüfungskompetenzen von Vertragsgremien, ZaöRV 55 (1995), 713 (767). 393 UNEP, Vienna Convention for the Protection of the Ozone Layer, Final Act, Nairobi 1985, 11; BGBl. 1988 II, 901. 394 Es handelt sich hierbei um eine besondere Art von Vorbehalt, der sich formell auf eine Bestimmung bezieht, materiell aber weitere Vertragsklauseln tangiert. Siehe ausführlich zu solchen Vorbehalten Kühner, Vorbehalte zu multilateralen Verträgen, 1986, 196 ff.
§ 2 Die einseitige Interpretationserklärung
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oder unterschiedslos wirken können) kein Vorbehalt ist, da dieses Zusatzprotokoll kein für die verbindliche Auslegung zuständiges Organ vorsieht.395
f) Bezwecken: subjektiver oder tatsächlicher Wille? Für das Vorliegen einer Interpretationserklärung muss der jeweilige Urheber weiterhin die Auslegung einer Vertragsbestimmung nach den oben dargestellten Kriterien bezwecken. Das heißt, ihr Urheber muss auch das Ziel verfolgen mittels der einseitigen Erklärung den Vertrag auszulegen. Für die Frage, wann er ein solches Ziel verfolgt, kommt es nicht darauf an, ob er den Vertrag abstrakt „auslegen“ will. Es ist vielmehr der tatsächliche Wille des Erklärenden zu ermitteln. Es ist zu fragen, ob die Erklärung tatsächlich eine methodengerechte Auslegung einer Norm enthält.396 Würde man nur auf einen abstrakten subjektiven Willen abstellen, den „Vertrag auszulegen“, wäre das Rechtsinstitut der Interpretationserklärung konturenlos. Enthält die Erklärung objektiv eine methodengerechte Auslegung und meint der Urheberstaat dennoch, dass es sich um eine Rechtsänderung handele, liegt ein für die rechtliche Qualifizierung unbeachtlicher Subsumtionsirrtum des Erklärenden vor. Ebenso befindet er sich auch dann in einem solchen unbeachtlichen Irrtum, wenn er seine Erklärung für eine Interpretationserklärung hält, diese aber tatsächlich die Rechtswirkungen der Norm ändert.
4. Ergebnis Eine Interpretationserklärung ist somit eine einseitige, wie auch immer bezeichnete oder formulierte Erklärung anlässlich eines multilateralen Vertrags, in der ein vertragsfähiges Völkerrechtssubjekt eine methodengerecht erzielbare Auslegung einer Vertragsbestimmung oder des gesamten Vertrags vorschlägt oder zur Bedin395 Art. 14 Abs. 4 des Protokolls über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen in der geänderten Fassung vom 3. Mai 1996 (Protokoll II im Anhang zu dem Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot und die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können) sieht lediglich vor: „Die Hohen Vertragsparteien verpflichten sich, einander auf bilateraler Ebene, über den Generalsekretär der Vereinten Nationen oder im Rahmen sonstiger geeigneter internationaler Verfahren zu konsultieren und miteinander zusammenzuarbeiten, um Probleme zu lösen, die sich hinsichtlich der Auslegung und Anwendung dieses Protokolls ergeben können.“ 396 So auch YILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, 1999, ILC-Kommentar, 108, Rdn. 3: „In determining the legal nature of a statement formulated in connection with a treaty, the decisive criterion lies in the effective result that implementing the statement has (or would have). If it modifies or excludes the legal effect of the treaty or certain of its provisions, it is a reservation ,however phrased or named‘; if the statement simply clarifies the meaning or scope that its author attributes to the treaty or certain of its provisions, it is an interpretative declaration.“
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
gung macht, sofern der jeweilige Vertrag kein obligatorisch zuständiges Organ für die Auslegung des Vertrags vorsieht. Angewendet auf die anfangs397 zitierte Erklärung des Vereinigten Königreichs bedeutet dies: Bei der ersten Erklärung handelt es sich, wie oben dargestellt, in materieller Hinsicht um eine Interpretationserklärung, da sie eine mögliche Auslegung von Art. 1 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes enthält. Sie ist qualifiziert, da das Vereinigte Königreich deutlich macht („only“), nur an diese Auslegung gebunden sein zu wollen. Sie ist kein Vorbehalt, da das Übereinkommen über die Rechte des Kindes kein für die verbindliche Auslegung zuständiges Organ vorsieht. Es handelt sich folglich um eine Interpretationserklärung. Die zweite Erklärung ist dagegen ein Vorbehalt, da sie Verpflichtungen aus dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes ausschließt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Das Vereinigte Königreich erklärt, dass Eltern nur solche Personen seien, die das nationale Recht als Eltern behandelt. Das Vereinigte Königreich behält sich damit das Recht vor den Begriff „Eltern“ völlig unabhängig von seiner natürlichen Bedeutung zu definieren. Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes erwähnt unter anderem in den Art. 5, 7, 9, 10, 18, 21 (a), 22 und 27 „Eltern“. „Eltern“ sind nach dem natürlichen Sprachgebrauch die biologische Mutter und der biologische Vater des Kindes. Aus dem Gebrauch des Wortes „Eltern“ in seinem Zusammenhang ergibt sich ebenfalls, dass es im Sinne der biologischen Eltern verwendet wird. So sieht Art. 7 vor, dass das Kind unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen ist, das es Recht auf einen Namen, sowie den Erwerb einer Staatsangehörigkeit hat und soweit möglich das Recht, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden. Weiterhin wird in Art. 21 b) das Wort „Adoptionsfamilie“ verwendet. „Eltern“ im Sinne des Übereinkommens über die Rechte des Kindes bedeutet also biologische Eltern. Indem das Vereinigte Königreich erklärt, dass „Eltern“ nur solche Personen seien, die das nationale Recht als Eltern behandelt und so die biologischen Eltern aus dem Elternbegriff herausgenommen werden könnten, ändert es die sich aus dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes ergebenden Rechte und Pflichten.
§ 3 Regeln für die praktische Abgrenzung zwischen Interpretationserklärungen und Vorbehalten I. Auslegungsregel Die konkrete Einordnung einer Erklärung anlässlich eines multilateralen Vertrags kann schwierig sein, da sich Interpretationserklärungen und Vorbehalte äu397
Dazu I.
§ 3 Abgrenzung zwischen Interpretationserklärungen und Vorbehalten
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ßerlich nicht unterscheiden. Wie oben ausgeführt, kommt es weder für das Vorliegen einer Interpretationserklärung noch eines Vorbehalts auf die Bezeichnung oder Formulierung der Erklärung an.398 Maßgeblich für ihre rechtliche Qualifizierung ist vielmehr der mit der Erklärung verfolgte Zweck. Es ist zu prüfen, ob der Urheber die Norm auslegen oder ihre Rechtswirkungen ändern oder ausschließen will. Dazu ist die jeweilige Erklärung auszulegen. Da es sich um eine einseitige Erklärung399 handelt, sind die Auslegungsregeln der WVK nicht direkt anwendbar, da sich diese lediglich auf völkerrechtliche Verträge beziehen. Allerdings werden in der internationalen Rechtsprechung auch zur Auslegung einer einseitigen Erklärung die Regeln der WVK herangezogen, soweit sie den Besonderheiten der jeweiligen Erklärung Rechnung tragen.400 Bei Interpretationserklärungen und Vorbehalten handelt es sich um einseitige Willenskundgebungen einer Vertragspartei, die sich auf den jeweiligen völkerrechtlichen Vertrag beziehen und die auch an die anderen Vertragsparteien gerichtet sind. Daraus folgt zum einen, dass bei der Auslegung dieser Erklärungen auch der völkerrechtliche Vertrag berücksichtigt werden muss.401 Zum anderen ist der subjektive Wille nicht allein maßgeblich, vielmehr erfährt er dort eine Grenze, wo andere Vertragsparteien auf den dem Vertragswortlaut innewohnenden Erklärungswillen vertraut haben.402 Daher stellt die inter398 Als ein Beispiel für eine mit „Declaration“ betitelte Erklärung, die in Wirklichkeit einen Vorbehalt darstellt, kann auf die Erklärung Bulgariens anlässlich der Ratifizierung des Zollübereinkommens über den internationalen Warentransport mit Carnets TIR vom 14. November 1975 (TIR Übereinkommen 1975) (UNTS 1079, 89; 1142, 413 und 1252, 332; BGBl. 1979 II, 445) hingewiesen werden: „The People’s Republic of Bulgaria declares also that the possibility envisaged in article 52, paragraph 3, for customs or economics unions to become Contracting Parties to the Convention, does not bind Bulgaria with any obligations whatsoever with respect to these unions“ (Multilateral Treaties Deposited with the SecretaryGeneral – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter XI.16, 555). Gegen diese Erklärung wurde von der Europäischen Gemeinschaft und ihren damaligen Mitgliedsstaaten Belgien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Irland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich Einspruch erhoben (id., 556 f.). 399 Siehe generell zu der Auslegung von einseitigen Akten den fünften Bericht des Sonderberichterstatters der Völkerrechtskommission zu einseitigen Akten: Fifth Report on Unilateral Acts of States by Mr. Victor Rodríguez Cedeòo, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 626 / Add.1, 2002, Rdn. 120 – 135. 400 Siehe nur IGH, Fisheries jurisdiction (Spain v. Canada), Jurisdiction of the Court, ICJ Reports 1998, 432 ff., Rdn. 46: „The régime relating to the interpretation of declarations made under Article 36 of the Statute is not identical with that established for the interpretation of treaties by the Vienna Convention on the Law of Treaties . . . . The court observes that the provisions of that Convention may only apply analogously to the extent compatible with the sui generis character of the unilateral acceptance of the Court’s jurisdiction.“ So auch YILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, 1999, ILC-Kommentar, 108, Rdn. 5: „However, in the Commission’s view, while the rules [Art. 31 – 33 VCLT] provide useful indications, they cannot be purely and simply transposed to reservations and interpretative declarations because of their special nature.“ 401 Siehe hierzu die Auslegung der amerikanischen Erklärung zu dem Übereinkommen über das Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Form von Kinderarbeit durch den Generaldirektor der ILO oben in Fußnote 297.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
nationale Rechtsprechung bei der Abgrenzung zwischen Interpretationserklärungen und Vorbehalten zu Recht primär auf den Wortlaut der jeweiligen Erklärung ab.403 Ein Rückgriff auf die travaux préparatoires wird zwar grundsätzlich zugelassen.404 Allerdings wurde auf sie bisher nur zur Bestätigung eines bereits durch Wortlautauslegung gefundenen Ergebnisses zurückgegriffen, nicht jedoch zur Begründung eines Ergebnisses entgegen dem Wortlaut.405 Zudem wies die Europäi402 Allgemein zur Berücksichtigung des Empfängerhorizonts bei der Auslegung von einseitigen Akten Verzijl, International Law in Historical Perspective, Part VI, 1973, 106: „As regards . . . the interpretation of a unilateral act it must be stated that it must as a rule, and to a certain extent in deviation from treaty construction, be determined in accordance with the intention of the international person which performed it, but due regard must also be paid to the impression which it must have made, according to reasonable standards, upon other subjects of law and to the faith which it thus inspired in others.“ Siehe auch Bernhardt, Interpretation, EPIL, Band 2, 1995, 1416 (1423): „All that can be said is that the intentions of the author of an act play an important role, but it is equally important to take into account the understanding of the act by the international community at large or by the addressee of the act.“ 403 Siehe hierzu U.K.-French Continental Shelf Case (First Decision), ILR 54, 6 (50), Rdn. 55: „[T]he third reservation appears to constitute a specific condition . . . . This condition, according to its terms, appears to go beyond mere interpretation . . .“ (Hervorhebungen von der Verf.). Allein auf den Wortlaut einer Erklärung stellte der Menschrechtsausschuss in der Entscheidung Communication No. 220 / 1987, T.K. v. Frankreich, Decision on Admissibility, 8. November 1989, GAOR, 45th Session, Supplement No. 40 (A / 45 / 40), Annex X, 118 ff., Rdn. 8.6 ab: „If the statement displays a clear intent on the part of the State party to exclude or modify the legal effect of a specific provision of a treaty, it must be regarded as a binding reservation . . . . In the present case, the statement is clear: it seeks to exclude the application of article 27 to France and emphasizes this exclusion semantically with the words ,is not applicable‘.“ Vgl. auch EGMR, Belilos v. Schweiz, Urteil vom 29. April 1988, Ser. A 132, 1 ff., Rdn. 44: „La Cour admet que le libellé français original, bien que n’offrant pas une entière clarté, peut se comprendre comme une réserve.“ 404 EKMR, Temeltasch v. Schweiz, Bericht vom 5. Mai 1982, DR 31, 120 ff., Rdn. 74: „Dans le présent cas, la Commission interprètera l’intention du Gouvernement défendeur en tenant compte et des termes mêmes de la déclaration interprétative précitée et des travaux préparatoires qui ont précédé la ratification de la Convention par la Suisse.“ Siehe auch EKMR, Belilos v. Schweiz, Bericht vom 7. Mai 1986, Ser. A 132, 37 ff., Rdn. 93 und EGMR, Belilos v. Schweiz, Urteil vom 29. April 1988, Ser. A 132, 1 ff., Rdn. 40 ff. Auch der IGH hat in der Entscheidung im Ägäis-Streit für die Auslegung eines griechischen Vorbehalts auf die travaux préparatoires zu dieser Erklärung zurückgegriffen, um die Intention der griechischen Regierung bei Abgabe der Erklärung zu ermitteln (IGH, Aegan Sea Continental Shelf Case (Greece v. Turkey), ICJ Reports 1978, 3 ff., Rdn. 63 ff. Siehe ferner Jennings / Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I / 2 – 4, 1992, § 614; vgl. auch Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 413. 405 EKMR, Temeltasch v. Schweiz, Bericht vom 5. Mai 1982, DR 120 ff. Rdn. 82: „Au vu des termes utilisés dans la déclaration interprétative de la Suisse . . . ainsi que de l’ensemble des travaux préparatoires . . . la Commission accepte la thèse du Gouvernement défendeur selon laquelle son intention était de conférer à cette déclaration interprétative la même valeur qu’à une réserve proprement dite.“
§ 3 Abgrenzung zwischen Interpretationserklärungen und Vorbehalten
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sche Kommission für Menschenrechte in der Entscheidung Belilos v. Schweiz daraufhin, dass bei einer einseitigen Erklärung ein Rückgriff auf die vorbereitenden Arbeiten nur dann erfolgen solle, wenn dies „notwendig sei“.406 Zur Auslegung von Vertragsvorbehalten äußerte sich der Interamerikanische Gerichtshof in seinem Gutachten zur Todesstrafe dementsprechend wie folgt: „Thus without excluding the possibility that supplementary means of interpretation might, in exceptional circumstances, be resorted to, the interpretation of reservations must be guided by the primacy of the text. A different approach would make it extremely difficult for other State parties to understand the precise meaning of the reservation.“407
Auch der Sonderberichterstatter Pellet408 und ihm folgend die Internationale Völkerrechtskommission haben diesen besonderen Charakter der beiden einseitigen Erklärungen bezüglich der anzuwendenden Auslegungsmethodik berücksichtigt. Die Richtlinie 1.3.1 der Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted by the Commission on First Reading lautet: „To determine whether a unilateral statement formulated by a State or an international organization in respect of a treaty is a reservation or an interpretative declaration, it is appropriate to interpret the statement in good faith in accordance with the ordinary meaning to be given to its terms, in light of the treaty to which it refers. Due regard shall be given to the intention of the State or the international organization concerned at the time the statement was formulated.“409
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei der Auslegung einer einseitigen Erklärung anlässlich eines multilateralen Vertrags zunächst auf ihren Wortlaut abzu406 EKMR, Belilos v. Schweiz, Bericht vom 7. Mai 1987, Ser. A 132, 37 ff., Rdn. 93: „L’intention de l’État devrait être établie par les termes utilisés dans la déclaration, et par le contexte, y compris si nécessaire les travaux préparatoires.“ In dem Bericht Temeltasch v. Schweiz, Bericht vom 5. Mai 1982, DR 31, 120 ff., Rdn. 75 ff. wurde dahingegen nicht darauf eingegangen, welcher Wert den travaux préparatoires zukommt. Auch in der darauf folgenden Entscheidung des EGMR, Belilos v. Schweiz, Urteil vom 29. April 1988, Ser. A 132 wurde diese Frage nicht weiter erörtert. 407 Siehe hierzu den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof, Advisory Opinion of 8 September 1983, OC-3 / 83, Concerning the Death Penalty (Art. 4 Paras 2 and 4 of the Inter-American Convention on Human Rights), Rdn. 64, HRLJ 4 (1983), 339 ff.; dt. Übersetzung in: EuGRZ 11 (1984), 207 ff. 408 Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.2, 1998, Rdn. 400 ff. 409 So auch YILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted by the Commission on First Reading, 92, 1.3.1 Method of implementation of the distinction between reservations and interpretative declarations. Sapienza, Les déclarations interprétatives unilatérales et l’interprétation des traités, RGDIP 103 (1999), 601 (605). Die Formulierung der Völkerrechtskommission beruht im Wesentlichen auf dem Urteil des IGH Fisheries Jurisdiction (Spain v. Canada) aus dem Jahr 1998, ICJ Reports 1998, 432 ff., Rdn. 49: „The Court will thus interpret the relevant words of a declaration including a reservation contained therein in a natural and reasonable way, having due regard to the intention of the State concerned at the time when it accepted the compulsory jurisdiction of the Court.“
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
stellen ist. Ein Rückgriff auf die travaux préparatoires ist zwar grundsätzlich zulässig. Im Zweifelsfall sollte jedoch dem Wortlaut Vorrang eingeräumt werden, da die jeweiligen vorbereitenden Arbeiten den anderen Vertragsparteien nicht oder nur in einem beschränkten Umfang zugänglich sind.410 Zudem ist der Urheberstaat für die Ausarbeitung und Formulierung der einseitigen Erklärung alleine zuständig und hat deshalb auch die Konsequenzen zu tragen, die sich aus dem Wortlaut seiner Äußerung ergeben.411
II. Vermutungsregel Die rechtliche Qualifizierung einer einseitigen Erklärung ist aber auch nach ihrer Auslegung oftmals noch zweifelhaft.412 Das liegt an dem oben erwähnten fließenden Übergang zwischen Auslegung und Änderung. Daher ist folgende Vermutungsregel für die „Grauzone“, also den Grenzbereich zwischen Auslegung und Rechtsänderung aufzustellen: Ist unklar, ob die Erklärung noch ein methodengerechtes Auslegungsergebnis enthält oder nicht und handelt es sich lediglich um einen Vorschlag der Vertragspartei, ist zu vermuten, dass die Erklärung eine einfache Interpretationserklärung darstellt. Dies ergibt sich aus der Erwägung, dass eine einseitige Auslegung per se unverbindlich ist.
410 So auch der Kommentar der Völkerrechtskommission zum Rückgriff auf die travaux préparatoires, YILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, 1999, ILC-Kommentar, 109, Rdn. 11: „In the Commission’s view, some caution is required in this regard. . . . Still, in the everyday life of the law it would appear difficult to recommend that the preparatory work be consulted regularly in order to determine the nature of a unilateral declaration relating to a treaty: it is not always made public, and in any case it would be difficult to require foreign Governments to consult it.“ 411 So beispielsweise Anzilotti: „Comme il n’est que juste que ce Gouvernement supporte les conséquences de la rédaction peu claire d’un document qui émane de lui“ (StIGH, Réforme agraire polonaise et la minorité allemande, Demande en indication de mesures conservatoires (Allemagne c. Pologne), Opinion dissidente de M. Anzilotti, Ser. A / B, No. 58 (1933), 175 (182)). 412 Teilweise sind sich auch die anderen Vertragsparteien nicht sicher, ob ein Vorbehalt vorliegt oder nicht. Ein anschauliches Beispiel aus der Staatenpraxis sind die inhaltsgleichen, aber teilweise unterschiedlich formulierten Erklärungen von Albanien, Belarus, Bulgarien, der Tschechischen Republik, der Mongolei, Polen, Russland und der Ukraine zu dem Genfer Übereinkommen über die Hohe See vom 29. April 1958 (UNTS, 450, 11; BGBl. 1972 II, 1089). Diese Staaten erklärten, dass die Legaldefinition von Piraterie nicht ausreichend sei und nicht alle Handlungen, die nach dem allgemeinen Völkerrecht Piraterie darstellten, umfasse (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part II, Chapter XXI.2, 218 f.). Daraufhin erklärten Deutschland und die Niederlande, dass sie diesen Erklärungen widersprechen „in so far as the said declaration are to be qualified as reservations“ (id., 220) bzw. „as far as these declarations amount to a reservation“ (Niederlande, id., 221).
§ 4 Problemfälle
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Enthält dagegen eine Erklärung ein Bedingungselement und ist unklar, ob es sich noch um eine methodengerecht mögliche Auslegung handelt, ist anzunehmen, dass sie einen Vorbehalt darstellt. Dies ergibt sich daraus, dass eine Vertragspartei, die einseitig eine Änderung der sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen bezweckt, eine rechtlich verbindliche Erklärung abgibt. Der Urheber eines Vorbehalts schlägt eine Änderung der sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen nicht vor.413 Er will vielmehr den Vertrag in der durch ihn einseitig geänderten Fassung ratifizieren.
§ 4 Problemfälle Im folgenden Abschnitt sollen Erklärungstypen, die in der Staatenpraxis häufig vorkommen oder die aufgrund ihrer speziellen Natur eine Einordnung erschweren, nach ihrer Rechtsnatur kategorisiert werden.
I. Problemfall 1: Norm wird in Übereinstimmung mit den nationalen Gesetzen „ausgelegt“ Staaten geben häufig Erklärungen ab, eine Vorschrift werde in der Weise ausgelegt, dass sie mit den nationalen Gesetzen in Einklang stehe. Solche Erklärungen werden von ihren Urhebern oftmals als Interpretationserklärungen bezeichnet. So lautet die mexikanische Erklärung zum Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte: „Interpretative Statement The Government of Mexico accedes to the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights with the understanding that article 8 of the Covenant shall be applied in the Mexican Republic under the conditions and in conformity with the procedure established in the applicable provisions of the Political Constitution of the United Mexican States and the relevant implementing legislation.“414
Ein weiteres Beispiel ist die Erklärung Bangladeshs zum Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe: „Declaration: The Government of the People’s Republic of Bangladesh will apply article 14 para. 1 in consonance with the existing laws and legislation in the country.“415 413 Ist dies jedoch der Fall, handelt es sich in der Regel um einen Vorschlag zur Änderung des Vertrags. Siehe dazu § 5 I. 414 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.3, 155.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
Das Problem bei der rechtlichen Qualifizierung einer solchen Erklärung416 ist, dass der Umfang der vertraglichen Bindungen des Erklärenden unklar bleibt.417 Es ist für die übrigen Vertragsparteien nicht ersichtlich, ob die nationalen Gesetze mit den jeweiligen völkervertraglichen Normen übereinstimmen oder von ihnen abweichen. Der Erklärende bringt allerdings zum Ausdruck, dass unabhängig davon, ob die nationalen Gesetze mit den vertraglichen Verpflichtungen übereinstimmen oder nicht, er nur an sein nationales Recht gebunden sein will. Das bedeutet, dass er seinem nationalen Recht Vorrang gegenüber dem völkerrechtlichen Vertrag einräumt und somit für diesen Bereich die sich aus dem Vertrag ergebenden Verpflichtungen ausschließen will. Somit ist eine solche Erklärung ein Vorbehalt.418 Diese Einordnung entspricht auch der Staatenpraxis. So legten Finnland, Frankreich, Spanien, Schweden, Deutschland und die Niederlande gegen die Erklärung Bangladeshs Einspruch ein, da es sich um einen (unzulässigen) Vorbehalt handele.419 Frankreich erklärte: „The Government of France notes that the declaration made by Bangladesh in fact constitutes a reservation since it is aimed at precluding or modifying the legal effect of certain provisions of the treaty.“420
Ein solcher Vorbehalt ist deswegen unzulässig, weil er einem allgemeinen völkerrechtlichen Prinzip, das auch in Art. 27 WVK421 kodifiziert ist, widerspricht: Eine Vertragspartei kann sich nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrags zu rechtfertigen.422 Auch dieses Ergebnis wird von Id., Chapter IV.9, 261. Weitere Beispiele sind die Erklärung Malaysias zum Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (Multilateral Treaties Deposited with the SecretaryGeneral – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.8, 230), die Erklärung Spaniens zu Art. 10 Abs. 1 EMRK (http: / / conventions.coe.int / Treaty / EN / Declare List.asp?NT=005&CM=8&DF, besucht am 10. Juli 2002) oder die Erklärung Tunesiens zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.11, 292). 417 Siehe hierzu auch die Reaktion Frankreichs auf die oben zitierte Erklärung Bangladeshs: „A reservation which consists in a general reference to domestic law without specifying its contents does not clearly indicate to the other parties to what extent the State . . . commits itself when acceding to the Convention“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.9, 265). 418 Eine andere Ansicht vertritt Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1988, 331. Er geht davon, dass die anderen Vertragsparteien wegen der Prinzipien pacta sunt servanda und bona fides davon ausgehen können, dass, solange der Urheberstaat nicht das Gegenteil bewiesen hat, lediglich eine auslegende Erklärung vorliege. 419 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.9, 265 (Finnland und Frankreich); 267 (Spanien und Schweden) und 276 (Deutschland und die Niederlande). 420 Id., 267 (Hervorhebungen von der Verf.). 421 Art. 27 WVK lautet: „Eine Vertragspartei kann sich nicht auf ihr innerstaatliches Recht berufen, um die Nichterfüllung eines Vertrages zu rechtfertigen . . .“. 415 416
§ 4 Problemfälle
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der überwiegenden Staatenpraxis bestätigt. Ein anschauliches Beispiel ist die Reaktion der übrigen Vertragsparteien auf folgenden Vorbehalt der USA zur GenozidKonvention. Der Vorbehalt lautet: „That nothing in the Convention requires or authorizes legislation or other action by the United States of America prohibited by the Constitution of the United States as interpreted by the United States.“423
Zwar erklärte Spanien, der amerikanische Vorbehalt sei so zu verstehen, dass die Gesetzgebung oder eine andere Handlung der USA mit der Genozidkonvention übereinstimme.424 Gegen diesen Vorbehalt legten jedoch Dänemark, Estland, Finnland, Irland, Italien, Mexiko, Niederlande, Norwegen, Spanien, Schweden und das Vereinigte Königreich Einspruch ein. Dabei machten alle widersprechenden Staaten, mit der Ausnahme von Italien und dem Vereinigtem Königreich, geltend, der amerikanische Vorbehalt widerspreche dem allgemeinen Prinzip der Vertragsauslegung, dass sich kein Staat auf sein innerstaatliches Recht berufen dürfe, um eine Vertragsverletzung zu rechtfertigen bzw. zu begehen.425 Italien und das Vereinigte Königreich legten Einspruch ein, da Unklarheit über die von den USA übernommenen Verpflichtungen bestehe.426 Eine Ausnahme von obigem Grundsatz liegt dann vor, wenn die völkervertragliche Norm selbst auf nationale Gesetze verweist. Ein Beispiel hierfür ist Art. VII der Genozid-Konvention. Art. VII sieht ausdrücklich vor, dass die vertragsschließenden Parteien die Auslieferung wegen Völkermords und sonstiger in Artikel III 422 Siehe hierzu schon StIGH, Traitement de nationaux polonais et des autres personnes d’origine de langue polonaise dans le territoire de Danzig (Avis consultatif), PCIJ Ser. A / B No. 44 (1932), 4 (24): „[U]n État ne saurait invoquer vis-à-vis d’un autre État sa propre Constitution pour se soustraire aux obligations que lui imposent le droit international ou les traités en vigueur.“ Eine Ausnahme von diesem Prinzip sieht Art. 46 WVK vor. Danach ist eine offenkundige Verletzung innerstaatlichen Rechts bei Vertragsabschluss auch auf der völkerrechtlichen Ebene relevant. Siehe hierzu auch Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, §§ 689 ff. und Doehring, Völkerrecht, 2004, Rdn. 370, insbesondere Fn. 82. 423 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. 1, Part I, Chapter IV.1, 124. 424 Id., 127: „Spain interprets the reservation entered by the United States of America . . . to mean that legislation or other action by the United States of America will continue to be in accordance with the provisions of the Convention . . .“ 425 Id., 125 (Dänemark), 126 (Estland, Finnland, Irland, Mexiko, Niederlande) und 127 (Norwegen und Schweden). Siehe hierzu nur die dänische Erklärung: „In the view of the Government of Denmark this reservation is subject to a general principle of treaty interpretation according to which a party may not invoke the provisions of its internal law as justification for failure to perform a treaty.“ 426 Id., 126 (Italien) und 127 (Vereinigtes Königreich). Siehe nur die italienische Erklärung: „The Government of the Republic of Italy objects to the . . . reservation entered by the United States of America. It creates uncertainty as to the extent of the obligations which the Government of the United States of America is prepared to assume with regard to the Convention.“
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
der Konvention aufgeführten Handlungen gemäß ihren geltenden Gesetzen und Verträgen zu bewilligen haben.427 In einem solchen Fall ist eine Erklärung, die auf die nationalen Gesetze verweist und diese näher beschreibt, in der Regel eine Interpretationserklärung.428
II. Problemfall 2: Ausschluss bestimmter Auslegungsergebnisse Beim nächsten Problemfall handelt es sich um Erklärungen, in denen ein Staat äußert, ein bestimmtes Abkommen oder einzelne Bestimmungen müssten so ausgelegt werden, dass bestimmte Rechtsfolgen nicht eintreten. Ein anschauliches Beispiel ist die Erklärung der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes: „Nichts in diesem Übereinkommen kann dahin ausgelegt werden, daß die widerrechtliche Einreise eines Ausländers in das Gebiet der Bundesrepublik oder dessen widerrechtlicher Aufenthalt dort erlaubt ist; auch kann keine Bestimmung dahin ausgelegt werden, daß sie das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkt, Gesetze und Verordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthalts zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen.“429
Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Erklärung Neuseelands zu dem Übereinkommen über das Verbot der militärischen oder einer sonstigen feindseligen Nutzung umweltverändernder Techniken vom 10. Dezember 1976430: „The Government of New Zealand hereby declares its interpretation that nothing in the Convention detracts from or limits the obligations of States to refrain from military or any other hostile use of environmental modification techniques which are contrary to international law.“431 427 Art. VII der Genozid-Konvention lautet: „Völkermord und die sonstigen in Artikel III aufgeführten Handlungen gelten für Auslieferungszwecke nicht als politische Straftaten. Die Vertragsschließenden Parteien verpflichten sich, in derartigen Fällen die Auslieferung gemäß ihren geltenden Gesetzen und Verträgen zu bewilligen“ (Hervorhebungen von der Verf.). 428 Ein Beispiel ist die Erklärung Venezuelas zu Art. VII der Genozid-Konvention: „With reference to article VII, notice is given that the laws in force in Venezuela do not permit the extradition of Venezuelan nationals“ (Multilateral Treaties Deposited with the SecretaryGeneral – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.1, 124). 429 BGBl. 1992 II, 990. Die gleichlautende engl. Fassung siehe unter Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter VI.11, 287. 430 UNTS 1108, 151; BGBl. 1983 II, 125. 431 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XXVI.1, 324. Weitere Beispiele sind die Erklärung Deutschlands anlässlich der Unterzeichnung des Atomteststoppvertrags: „It is the understanding of the German Government that nothing in this treaty shall ever be interpreted or applied in such a way as to prejudice or prevent research into and development of controlled thermonuclear fusion and its economic use“ (id., Chapter XXVI.4, 349). Siehe auch die Erklärung Deutsch-
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Solche Erklärungen ähneln ihrer Zielrichtung nach bestimmten Vertragsbestimmungen wie Art. 53 EMRK, welcher vorsieht, dass die Konvention nicht so auszulegen sei, als beschränke oder beeinträchtige sie Menschenrechte und Grundfreiheiten, die in den Gesetzen einer Hohen Vertragspartei oder in einer anderen Übereinkunft, deren Vertragspartei sie ist, anerkannt werden. Die rechtliche Einordnung solcher Erklärungen hängt davon ab, ob das von den jeweiligen Staaten favorisierte „Auslegungsergebnis“ tatsächlich ein methodengerechtes ist oder nicht, sowie davon, ob der jeweilige Vertrag eine obligatorisch zuständige Gerichtsbarkeit vorsieht.
III. Problemfall 3: Vertragspartei erklärt das Abkommen für nicht direkt anwendbar Es kommt in der Staatenpraxis häufig vor, dass eine Vertragspartei erklärt, die Vorschriften des Vertrags seien für sie nicht direkt anwendbar.432 Deutschland hat eine solche Erklärung zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes abgegeben.433 Ein weiteres Beispiel ist die Erklärung der USA zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte: „That the United States declares that the provisions of articles 1 through 27 of the Covenant are not self-executing.“434
Auch für die Einordnung dieser Erklärungen gibt es keine pauschale Lösung. Ob ein Vertrag „self-executing“ ist, ergibt sich aus der Auslegung des jeweiligen Vertrags selbst. Eine einzelne Vertragsnorm ist unmittelbar anwendbar (self-exelands zu Art. 4 Abs. 12 des Basler Übereinkommens: „It is the understanding of the Government of the Federal Republic of Germany that the provisions in article 4, paragraph 12 of this Convention shall in no way affect the exercise of navigation rights and freedoms as provided for in international law. Accordingly, it is the view of the Government of the Federal Republic of Germany that nothing in this Convention shall be deemed to require the giving of notice to or the consent of any State for the passage of hazardous wastes on a vessel under the flag of a party exercising its right of innocent passage through the territorial sea or the freedom of navigation in an exclusive economic zone under international law“ (id., Chapter XXVII.3, 386). 432 Siehe beispielsweise die Erklärung der Cook-Inseln zu dem Internationalen Übereinkommen über die Rechte des Kindes, Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.11, 286: „Domestically, the Convention does not apply directly. It establishes State obligations under international law that the Cook Islands fulfil in accordance with its national law.“ 433 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.11, 287: „The Federal Republic of Germany also declares that domestically the Convention does not apply. It establishes State obligations under international law that the Federal Republic of Germany fulfils in accordance with its national law, which conforms to the Convention.“ 434 Id., 175. 7 Heymann
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cuting), wenn sie dem Einzelnen subjektive Rechte und Pflichten verleiht, das heißt sie vom nationalen Rechtssubjekt unmittelbar in Anspruch genommen werden kann, ohne dass weitere nationale Gesetzgebungsakte notwendig sind.435 Es kommt also darauf an, ob die jeweilige völkerrechtliche Norm den Einzelnen unmittelbar berechtigt oder verpflichtet. Ob eine Norm unmittelbar anwendbar ist, ist im Gegensatz zu einer teilweise in der völkerrechtlichen Literatur vertretenen Auffassung unabhängig davon436, ob das nationale Verfassungsrecht monistisch oder dualistisch ausgestaltet ist. Die jeweiligen Verfassungsvorgaben über die Inkorporierung von Völkerrecht in das nationale Recht sind nur für die Frage von Bedeutung, ob weitere innerstaatliche Formalitäten notwendig sind, damit ein Individuum sich auf eine unmittelbar anwendbare völkerrechtliche Norm berufen kann.437 Für die rechtliche Qualifizierung einer einseitigen Erklärung, in der ein Staat erklärt, dass er einen völkerrechtlichen Vertrag so auslege, dass er nicht unmittelbar anwendbar ist, sind wiederum die oben aufgestellten allgemeinen Grundsätze heranzuziehen. Entspricht die mangelnde unmittelbare Anwendbarkeit einer Norm einem möglichen methodengerechten Auslegungsergebnis, enthält die Erklärung keine Bedingung oder gibt es kein für die Auslegung zuständiges vertraglich vorgesehenes letztinstanzliches Organ, liegt eine Interpretationserklärung vor. Ist da435 Siehe hierzu auch StIGH, Jurisdiction of the Courts of Danzig (Advisory Opinion), PCIJ Ser. B, No. 15 (1928), 17 f.; Verhoefen, La notion d’„applicabilité directe“ du droit international, RBDI 55 (1980), 243 (243); Doehring, Völkerrecht, 2004, Rdn. 707; Bleckmann, EPIL, Band 4, 2000, 374 (373); Müller / Wildhaber, Praxis des Völkerrechts, 2001, 182. Urteile aus der deutschen Rechtsprechung zur unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge: BVerfGE 29, 348 (360) (1970) (dt.-niederl. Ausgleichsvertrag vom 8. April 1960); BverwG, 28. Mai 1991, NvWZ 11 (1992), 177 (178) (Konvention No. 94 der ILO über Wanderarbeiter (Neufassung 1949)); BAG, 7. Dezember 1993, ZaöRV 55 (1995), 901 (Konvention No. 132 der ILO über den bezahlten Jahresurlaub (Neufassung 1970)). Aus der Schweizer Rechtsprechung: BGE 98 Ib 385 (387) (1972) – Banque de Crédit International; BGE 120 Ia 1 (11) – Unigebühren ZH I bestätigt in BGE 126 I 240 (242) (2000) – Unigebühren ZH II; BGE 124 II 293 (308) (1998) – Rahmenkonzession Flughafen ZH; BGE 124 III 90 (90 f.) (1997) – Julia. Ausführlich zur unmittelbaren Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge Bleckmann, Begriff und Kriterien der innerstaatlichen Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge, 1970 und Buergenthal, Self-Executing and Non-Self-Executing Treaties in National and International Law, RdC 235 (1992-IV), 305 – 400. Zu der besonders strittigen Frage, inwieweit die Regeln der WTO direkt anwendbar sind, siehe nur Stoll / Schorkopf, WTO – Welthandelsordnung und Welthandelsrecht, 2002, Rdn. 678 ff. 436 Siehe hierzu Bleckmann, EPIL, Band 4, 2000, 374 (375). 437 Verhoefen verwendet hierfür den Begriff „application immédiate“ (ders., La notion d’„applicabilité directe“ du droit international, RBDI 55 (1980), 243 (252)). Siehe hierzu auch BVerfGE 29, 348 (360) (1970): „Nur solche völkerrechtlichen Vertragsbestimmungen können durch das Zustimmungsgesetz in innerstaatlich anwendbares Recht umgesetzt werden, die alle Eigenschaften besitzen, welche ein Gesetz nach innerstaatlichem Recht haben muß, um berechtigen oder verpflichten zu können; die Vertragsbestimmung muß nach Wortlaut, Zweck und Inhalt wie einer innerstaatliche Gesetzesvorschrift rechtliche Wirkungen auszulösen geeignet sein.“ Doehring, Völkerrecht, 2004, Rdn. 707 unterscheidet zwischen einem self-executing Vertrag und einer self-executing Wirkung im innerstaatlichem Recht.
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gegen die mangelnde unmittelbare Anwendbarkeit der Norm kein methodengerecht mögliches Auslegungsergebnis mehr, handelt es sich um einen Vorbehalt.
IV. Problemfall 4: Ausdrückliche Qualifizierung einer Erklärung durch den Urheber In der Staatenpraxis kommt es ab und zu vor, dass ein Staat eine einseitige Erklärung anlässlich eines multilateralen Vertrags ausdrücklich als Vorbehalt oder Interpretationserklärung qualifiziert. Dabei geht er über die bloße Betitelung der Äußerung hinaus. Er stellt ausdrücklich heraus, dass seine Erklärung materiellrechtlich als ein Vorbehalt438 bzw. nicht als Vorbehalt439 zu qualifizieren sei. Eine solche Aussage kann grundsätzlich aber ebenso wenig wie die bloße Bezeichnung einer Erklärung für ihre rechtliche Einordnung maßgeblich sein, da es, wie oben dargestellt, auf den tatsächlichen materiellen Gehalt der Erklärung ankommt.440 Diese Auffassung wird auch von der neueren Staatenpraxis bezüglich der rechtlichen Qualifizierung einer Erklärung Uruguays anlässlich der Ratifizierung des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs am 28. Juni 2002441 gestützt. Uruguay hatte folgende mit „Interpretationserklärung“ bezeichnete Stellungnahme abge438 Ein Beispiel für eine ausdrückliche Einordnung einer Erklärung als Vertragsvorbehalt ist folgende Erklärung der Niederlande zu dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte: „[The Kingdom of the Netherlands] clarify that although the reservations . . . are partly of an interpretational nature, [it] has preferred reservations to interpretational declarations in all cases, since if the latter form were used doubt might arise concerning whether the text of the Covenant allows for the interpretation put upon it. By using the reservation form the Kingdom of the Netherlands wishes to ensure in all cases that the relevant obligations arising out of the Covenant will not apply to the Kingdom, or will apply only in the way indicated“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.4, 172). 439 Ein Beispiel hierfür ist die australische Erklärung zum Statut des Internationalen Strafgerichtshofs. Australien führt aus: „The Government of Australia, having considered the Statute, now hereby ratifies the same, for and on behalf of Australia, with the following declaration, the terms of which have full effect in Australian law, and which is not a reservation“ (http: // untreaty.un.org/ENGLISH/bible/englishinternetbible/partI/ChapterXVIII/treaty10.asp #N7, besucht am 10. Januar 2004). Ein weiteres Beispiel ist die Erlärung Sri Lankas zum Einheitsübereinkommen über Suchtstoffe vom 31. März 1961 (UNTS 520, 151; 557, 280; 570, 346; 590, 324; BGBl. 1973 II, 1354; 1975 II, 3): „The Government of Ceylon notified the Secretary-General that in respect of article 17 of the Convention, ,the existing administration will be maintained for the purpose of applying the provisions of the Convention without setting up a ,special administration‘ for the purpose.‘ The Government added that this was to be considered a statement and not a reservation“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter VI.15, 391). 440 Vgl. auch Cameron / Horn, Reservations to the European Convention on Human Rights: The Belilos Case, GYIL 32 (1990), 69 (79): „The declaring State does not have the exclusive privilege of determining the actual meaning of an imprecisely formulated declaration.“ 441 Http: // untreaty.un.org / ENGLISH/bible/englishinternetbible/partI/ChapterXVIII/treaty 10.asp, besucht am 10. Januar 2004.
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geben442 und weiterhin am 21. Juli 2002 ausdrücklich erklärt, dass diese Erklärung keinen Vorbehalt darstelle443: „interpretative declaration: As a State party to the Rome Statute, the Eastern Republic of Uruguay shall ensure its application to the full extent of the powers of the State insofar as it is competent in that respect and in strict accordance with the Constitutional provisions of the Republic.“444
Trotz dieser ausdrücklichen Erklärung legten das Vereinigte Königreich (31. Juli 2003), Dänemark (21. August 2003) und Norwegen (29. August 2003) Einspruch gegen die Erklärung Uruguays mit der Begründung ein, dass es sich um einen Vorbehalt handele.445 442 Vor der ausdrücklichen rechtlichen Qualifizierung hatten bereits die Vertragsparteien Finnland, Deutschland, die Niederlande, Irland und Schweden gegen diese Erklärung Einspruch eingelegt, da es sich um einen Vorbehalt handele. Die Erklärungen sind abrufbar unter http: / / untreaty.un.org / ENGLISH / bible / englishinternetbible / partI / ChapterXVIII / treaty10.asp#N7, besucht am 10. Januar 2004 (Irland) und http: / / untreaty.un.org / ENGLISH / bible / englishinternetbible / partI / ChapterXVIII / treaty10.asp, besucht am 10. Januar 2004 (Finnland, Deutschland, Niederlande und Schweden). Vgl. bezüglich des Erklärungsinhalts nur die Erklärung Deutschlands vom 7. Juli 2003: „The Government of the Federal Republic of Germany has examined the Interpretative Declaration to the Rome Statute of the International Criminal Court made by the Government of the Eastern Republic of Uruguay at the time of its ratification of the Statute. The Government of the Federal Republic of Germany considers that the Interpretative Declaration with regard to the compatibility of the rules of the Statute with the provisions of the Constitution of Uruguay is in fact a reservation that seeks to limit the scope of the Statute on a unilateral basis. As it is provided in article 120 of the Statute that no reservation may be made to the Statute, this reservation should not be made. The Government of the Federal Republic of Germany therefore objects to the aforementioned ,declaration‘ made by the Government of the Eastern Republic of Uruguay. This objection does not preclude the entry into force of the Statute between the Federal Republic of Germany and the Eastern Republic of Uruguay“ (Hervorhebungen von der Verf.). 443 Die Erklärung Uruguays lautet: „The Eastern Republic of Uruguay, by Act No. 17.510 of 27 June 2002 ratified by the legislative branch, gave its approval to the Rome Statute in terms fully compatible with Uruguay‘s constitutional order. While the Constitution is a law of higher rank to which all other laws are subject, this does not in any way constitute a reservation to any of the provisions of that international instrument“ (http: //untreaty.un.org/ ENGLISH/bible/englishinternetbible/partI/ChapterXVIII/treaty10.asp, besucht am 10. Januar 2004). 444 Http: // untreaty.un.org/ ENGLISH/bible/englishinternetbible/partI/ChapterXVIII / treaty 10.asp, besucht am 10. Januar 2004. 445 Bezüglich des Inhalts der Erklärungen siehe nur die Erklärung Irlands vom 28. Juli 2003: „Ireland has examined the text of the interpretative declaration made by the Eastern Republic of Uruguay upon ratifying the Rome Statute of the International Criminal Court. Ireland notes that the said interpretative declaration provides that the application of the Rome Statute by the Eastern Republic of Uruguay shall be subject to the provisions of the Constitution of Uruguay. Ireland considers this interpretative declaration to be in substance a reservation. Article 120 of the Rome Statute expressly precludes the making of reservations. In addition, it is a rule of international law that a State may not invoke the provisions of its internal law as a justification for its failure to perform its treaty obligations. Ireland therefore objects to the above-mentioned reservation made by the Eastern Republic of Uruguay to the
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Eine Ausnahme von diesem Grundsatz kann allerdings dann vorliegen, wenn die anderen Vertragsparteien der unilateralen Einordnung einer Erklärung zustimmen. Ein Beispiel hierfür ist der vielzitierte Fall über die Aufnahme Indiens in die Zwischenstaatliche Beratende Seeschifffahrts-Organisation vom 6. März 1948 (IMCO). Darin wurde ein Vorbehalt Indiens zu dem Genfer Abkommen vom 6. März 1948 über die Gründung der IMCO446 als politische Erklärung qualifiziert, da die anderen Vertragsparteien diese unilaterale Einordnung Indiens zumindest implizit akzeptiert hatten. Indien hatte bei der Hinterlegung seiner Ratifikationsurkunde die Erklärung abgegeben, dass zukünftige oder vergangene Maßnahmen Indiens zur Unterstützung der nationalen Schifffahrt mit den Zielen der IMCO vereinbar seien.447 Daraufhin rief der VN-Generalsekretär die Mitgliederversammlung der IMCO an, da er meinte, die Erklärung stelle in Wirklichkeit einen Vorbehalt dar. Bis zur Entscheidung der Versammlung blieb Indien Mitglied der IMCO ohne Stimmrecht.448 Indien kritisierte diese Vorgehensweise und schlug vor die Angelegenheit auf die Tagesordnung der Generalversammlung zu setzen. Im Sechsten Ausschuss der Generalversammlung erklärte Indien, dass es sich lediglich um eine politische Erklärung handele.449 Der Legal Counsel (Rechtsberater) der Vereinten Nationen sagte:450
Rome Statute of the International Criminal Court. This objection does not preclude the entry into force of the Statute between Ireland and the Eastern Republic of Uruguay. The Statute will therefore be effective between the two States, without Uruguay benefiting from its reservation“ (http: / / untreaty.un.org / ENGLISH / bible / englishinternetbible / partI / ChapterXVIII / treaty10.asp#N7, besucht am 10. Januar 2004). 446 UNTS 289, 3; BGBl. 1965 II, 321. Am 22. Mai 1982 wurde sie nach einer Satzungsänderung in Internationale Seeschifffahrts Organisation umbenannt (BGBl. 1986 II, 423). 447 Die indische Erklärung lautete: „In accepting the Convention on the Inter-Governmental Maritime Consultative Organization, the Government of India declare that any measures which it adopts or may have adopted for giving encouragement and assistance to its national shipping industries (such, for instance, as loan-financing of national shipping companies at reasonable or even concessional rates of interest, or the allocation of Governmentowned or Government-controlled cargoes to national ships or the reservations of the coastal trade for national shipping) and such other matters as the Government of India may adopt, the sole object of which is to promote the development of its own national shipping, are consistent with the purposes of the Inter-Governmental Maritime Consultative Organization as defined in article 1 (b) of the Convention. Accordingly, any recommendations relating to this subject that may be adopted by the Organization will be subject to re-examination by the Government of India. The Government of India further expressly states that its acceptance of the above-mentioned Convention neither has nor shall have the effect of altering or modifying in any way the law on the subject in force in the territories of the Republic of India“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XII.1, 5). 448 Hintergrund dieser Entscheidung war, dass damals noch die absolute Theorie herrschend war, dass ein Staat, der einen Vorbehalt abgibt, erst dann Vertragspartei werde, wenn alle anderen Vertragsparteien diesem Vorgehen zugestimmt hätten. Siehe hierzu auch die Stellungnahme Indiens im Sechsten Ausschuss der Generalversammlung, GAOR, 14th Session, Sixth Committee, 614th Meeting, 19. Oktober 1959, Rdn. 25.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
„In the history of United Nations depositary practice there was no precedent for the Indian representative’s contention that the Government stating a condition had a unilateral right to determine whether or not that condition constituted a reservation.“
In den darauf folgenden Diskussionen des Sechsten Ausschusses waren die Staaten uneins darüber, welche Bedeutung der indischen Äußerung über den Rechtscharakter der Erklärung beizumessen sei.451 Am 7. Dezember 1959 verabschiedete die Generalversammlung die Resolution 1452 (XIV), in der die Erklärung Indiens zitiert und der Hoffnung Ausdruck gegeben wurde, dass eine angemessene Lösung innerhalb der IMCO gefunden werde.452 Der Streit um die Rechtsnatur der indischen Erklärung wurde dann in einer Resolution des Rats der IMCO vom 1. März 1960 beigelegt. Der Rat der IMCO berücksichtigte die Äußerung Indiens zur rechtlichen Qualifizierung der Erklärung und stellte zusätzlich fest, dass die Erklärung Indiens „no legal effect with regard to the interpretation of the Convention“ habe. Indien wurde daraufhin Mitglied der IMCO.453 Weiterhin kann die ausdrückliche unilaterale Einordnung einer Erklärung als „kein Vorbehalt“ dazu führen, dass eine Vertragspartei vor einem internationalen Gericht nicht mehr geltend machen kann, die entsprechende Erklärung sei wie ein Vorbehalt zu behandeln.454 In der Zulässigkeitsentscheidung der Europäischen 449 GAOR, 14th Session, Sixth Committee, 614th Meeting, 19. Oktober 1959, Rdn. 28: „His Government [India] took the view that it had merely made a declaration of policy.“ 450 GAOR, 14th Session, Sixth Committee, 616th Meeting, 21. Oktober 1959, Rdn. 12. 451 Für eine Einordnung als politische Erklärung sprachen sich Polen und Afghanistan aus (GAOR, 14th Session, Sixth Committee, 619th Meeting, Rdn. 17 (Polen); Rdn. 26 und 31 (Afghanistan)). Dagegen machte Peru (id., Rdn. 8) geltend: „The conditions expressed by India in its instrument of acceptance obviously constituted a reservation, although that word was not specifically used.“ Andere Staaten sahen sich nicht in der Lage die Erklärung rechtlich eindeutig zu qualifizieren (vgl. hierzu die Äußerungen Malaysias (id., Rdn. 38 f.) und Kambodschas (id., 35 ff.)). 452 General Assembly Resolution 1452A (XIV), 7. Dezember 1959; GAOR, 14th Session, 56: „Noting the statement made on behalf of India at the 614th Meeting of the Sixth Committee on 19 October 1959, explaining that the Indian declaration was a declaration of policy and that it does not constitute a reservation“ (Hervorhebungen von der Verf.). 453 Siehe hierzu Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XII.1, 9. Ausführlich zum gesamten Geschehen Schachter, The Question of Treaty Reservations at the 1959 General Assembly, AJIL 45 (1960), 372 – 379. Anders wurde dagegen der Fall der nahezu identischen Erklärungen von Indonesien und Kambodscha behandelt. Die Mitgliedschaft dieser beiden Staaten in der IMCO wurde nicht in Frage gestellt. Allerdings erklärten beide Vertragsparteien, nachdem andere Vertragsparteien ihren Erklärungen widersprochen hatten und geltend machten, dass es sich wie im Fall der indischen Erklärung ebenfalls um politische Stellungnahmen handele, dass die jeweiligen Erklärungen keine Vorbehalte seien. Indonesien machte geltend, es handele sich um eine Interpretationserklärung. Kambodscha qualifizierte seine Aussage als politische Erklärung. Ausführlich hierzu siehe id., 6 und 9. 454 Vgl. hierzu auch McRae, The Legal Effect of Interpretative Declarations, BYIL 49 (1978), 155 (166): „[O]nce it has been concluded that a declaration is a reservation it is open
§ 4 Problemfälle
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Kommission für Menschenrechte Chrysostomos, Papachrysostomou und Loizidou v. Türkei vom 4. März 1991455 wurde die Zuständigkeit der Kommission für die Beurteilung von Individualbeschwerden aus dem Nordteil Zyperns bejaht, obwohl die Türkei bei der Unterwerfung unter die Jurisdiktion der Europäischen Menschenrechtskommission gemäß Art. 25 a. F. EMRK456 die Zuständigkeit der Kommission für Nordzypern ausgeschlossen hatte.457 Die Europäische Kommission begründete ihre Entscheidung damit, dass die territoriale Beschränkung der Jurisdiktion unzulässig sei.458 Sie nahm trotz dieser Unzulässigkeit und gegenteiliger Äußerungen der Türkei in dem Verfahren selbst459 an, dass die türkische Unterwerfungserklärung wirksam und die Kommission somit auch für Individualbeschwerden aus dem Nordteil Zyperns zuständig sei.460 Begründet wurde dies unter anderem damit, dass die Türkei in früheren Äußerungen betont hatte, die territorialen Beschränkungen stellten keine Vorbehalte461 dar.462 to the declarant to withdraw that reservation or to make a statement, as did India, that would estop it from subsequently asserting the declaration to be a reservation.“ 455 EKMR, Chrysostomos, Papachrysostomos und Loizidou v. Türkei, Zulässigkeitsentscheidung vom 4. März 1991, DR 68, 216 ff. Ausführlich zu dieser Entscheidung, Kälin, Die Vorbehalte der Türkei zu ihrer Erklärung gemäß Art. 25 EMRK, EuGRZ 14 (1987), 421 – 429; Cameron, Turkey and Article 25 of the European Convention on Human Rights, ICLQ 37 (1988), 887 – 925; Tomuschat, Turkey’s Declaration under Article 25 of the European Convention on Human Rights, FS Ermacora, 1989, 119 – 139. 456 Siehe hierzu bereits oben Fn. 349. 457 Die von der Türkei am 28. Januar 1987 abgegebene Erklärung unter Art. 25 a.F. EMRK lautete: „The Government of Turkey, acting pursuant to Article 25 (1) of the Convention for Protection of Human Rights and Fundamental Freedoms, hereby declares to accept the competence of the European Commission of Human Rights to receive petitions according to Article 25 of the Convention subject to the following: (i) the recognition of the right of petition extends only to allegations concerning acts and omissions of public authorities in Turkey performed within the boundaries of the territory to which the Constitution of the Republic Turkey is applicable . . .“ (abgedruckt in: EKMR, Chrysostomos, Papachrysostomos und Loizidou v. Türkei, Zulässigkeitsentscheidung vom 4. März 1991, DR 68, 216 ff. (228 f.)). Die Türkei ersetzte mit Erklärung vom 7. März 1990 den Satz „within the boundaries of the territory to which the Constitution of the Republic Turkey is applicable“ durch „within the boundaries of the national territory of the Republic of Turkey“. 458 Id., 239 ff. 459 In dem Verfahren vor der Kommission machte die Türkei geltend, dass die Ablehnung einer der Bedingungen die gesamte Erklärung unwirksam und somit nichtexistent mache (id., 238). 460 Id., 249. Zu einem anderen Ergebnis gelangt Rumpf, Die Anerkennung des Individualbeschwerderechts gemäß Art. 25 EMRK durch die Türkei, ZaöRV 47 (1987), 778 (779 f.), der die türkische Erklärung als unwirksam bezeichnet, da dies dem türkischen Erklärungswillen entspreche. 461 Brief des türkischen Vertreters an den Generalsekretär des Europarats vom 13. März 1987, abgedruckt in: EKMR, Chrysostomos, Papachrysostomos und Loizidou v. Türkei, Zulässigkeitsentscheidung vom 4. März 1991, DR 68, 216 ff. (230): „First of all, I would like to state that the Turkish declaration does not contain any ,reservations‘ in the sense of international treaty law . . .“.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
§ 5 Abgrenzung zu weiteren einseitigen Erklärungen anlässlich eines multilateralen Vertrags Staaten geben bei der Unterzeichnung oder Ratifikation eines Vertrags auch solche Stellungnahmen ab, die weder als Vorbehalte noch als Interpretationserklärungen qualifiziert werden können. Sie sollen im Folgenden kurz dargestellt werden, um ihre Abgrenzung zu Interpretationserklärungen zu ermöglichen und deren Anwendungsbereich zu umgrenzen.
I. Vorschläge zur Änderung des Vertrags Vorschläge zur Änderung eines Vertrags sind in Art. 40 Abs. 2 WVK erwähnt. Art. 40 Abs. 2 WVK sieht vor, dass jede Vertragspartei berechtigt ist einen Vorschlag zur Änderung des Vertrags abzugeben, und dass solche Erklärungen, sollen sie Wirkung zwischen allen Vertragsparteien entfalten, den übrigen Vertragspartnern zu notifizieren sind. Zudem sind in vielen völkerrechtlichen Verträgen selbst Regelungen über Vorschläge zur der Änderung des Vertrags enthalten. Beispiele hierfür sind Art. 17 des Basler Übereinkommens463; Art. XXV des Übereinkommens über die völkerrechtliche Haftung für Schäden durch Weltraumgegenstände464; Art. 16 Abs. 1 der Konvention über die Fischerei und den Schutz der lebenden Ressourcen in der Ostsee und in den Belten; Art. 312 bis 316 des Seerechtsübereinkommens. Interpretationserklärungen und Vorschläge zur Änderung des Vertrags unterscheiden sich dadurch, dass ein Änderungsvorschlag keine methodengerechte mögliche Auslegung enthält. Die Gemeinsamkeit zwischen Vorschlägen über die Änderung eines Vertrags und einfachen Interpretationserklärungen liegt darin, dass beide Erklärungen unverbindlich sein sollen. Von einer qualifizierten Interpretationserklärung unterscheidet sich dagegen ein Vorschlag über die Änderung eines Vertrags dadurch, dass er kein Bedingungselement enthält.
462 In dem darauf folgenden Urteil des EGMR, Loizidou v. Türkei (Preliminary Objections), Urteil vom 23. März 1995, Ser. A 310, kam der EGMR zwar zum gleichen Ergebnis wie die EKMR. Allerdings berief er sich in seiner Begründung nicht auf die Aussage der Türkei, dass die Erklärung keinen Vorbehalt darstelle. 463 Art. 17 Abs. 1 des Basler Übereinkommens lautet: „Jede Vertragspartei kann Änderungen dieses Übereinkommens und jede Vertragspartei eines Protokolls kann Änderungen des betreffenden Protokolls vorschlagen.“ 464 UNTS 961, 187.
§ 5 Abgrenzung zu weiteren einseitigen Erklärungen
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II. Rechtsverwahrende Erklärungen Bei einer rechtsverwahrenden Erklärung wendet sich der Urheber nicht gegen den Inhalt und Anwendungsbereich des Vertrags. Er erklärt lediglich, seine Zustimmung zu einem Vertrag dürfe nicht dahingehend verstanden werden, dass er sich durch sie mit einer außerhalb des Vertrags entstandenen faktischen oder rechtlichen Lage abfinde oder seine Haltung dazu ändere.465 Eine solche Erklärung soll verhindern, dass der Zustimmungsakt zu einem Vertrag in einer bestimmten, für die erklärende Partei nachteiligen Art und Weise ausgelegt wird. Ein Beispiel für eine solche Erklärung ist die Äußerung der Bundesrepublik Deutschland anlässlich der Ratifikation der EMRK: „Wie bereits in der am 5. November 1950 übergebenen Note zum Ausdruck gebracht wurde, ist in der Ratifikation . . . durch die Bundesrepublik Deutschland keine Anerkennung des gegenwärtigen Status der Saar zu erblicken.“466
Der Unterschied zwischen Rechtsverwahrungen und Interpretationserklärungen besteht darin, dass rechtsverwahrende Erklärungen solche Umstände betreffen, die außerhalb des Vertragsinhalts liegen. Umstritten ist freilich, ob rechtsverwahrende Erklärungen, die sich auf die Nichtanerkennung eines anderen Staats beziehen467, in Wahrheit Vorbehalte darstellen.468
Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, § 737. BGBl. 1954 II, 14. Ein weiteres Beispiel ist die Erklärung von Kiribati anlässlich der Signatur zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen vom 9. Mai 1992 (UNTS 1771, 107): „The Government of the Republic of Kiribati declares its understanding that signature and / or ratification of the Convention shall in no way constitute a renunciation of any rights under international law concerning State responsibility for the adverse effects of climate change, and that no provisions in the Convention can be interpreted as derogating from the principles of general international law“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XXVII.7, 406). Ähnliche Erklärungen haben Kiribati, Nauru und Niue auch zu dem Kyoto Protokoll vom 11. Dezember 1997 angebracht. Siehe hierzu id., Chapter XXVII.7a, 410. 467 Ein Beispiel aus der Staatenpraxis sind die Erklärungen der deutschen Bundesregierung beim Abschluss der „Ostverträge“ (Moskauer und Warschauer Vertrag) 1970. Sie erklärte, dass ihre Auffassung zum völkerrechtlichen Status Deutschlands einschließlich dessen Fortbestand in den Grenzen vom 31. Dezember 1937 unverändert bleibe. Siehe hierzu Verdross / Simma / Geiger, Territoriale Souveränität und Gebietshoheit, 1980, 79. Ein Beispiel aus neuerer Zeit sind die Erklärungen zahlreicher arabischer Staaten, dass die gemeinsame Ratifikation eines multilateralen Vertrags mit Israel keine Anerkennung des israelischen Staats darstelle, vgl. nur die Erklärung Bahrains zur Genozid-Konvention, Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.1, 122 f. 468 Ausführlich hierzu Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.3, 1998, Rdn. 168 – 181. 465 466
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
III. Proteste und politische Erklärungen Interpretationserklärungen sind auch von einem „Protest“ zu unterscheiden, der anlässlich der Bindung an vertragliche Vereinbarungen erklärt wird.469 Ein Protest enthält die Erklärung, dass eine Situation oder ein geltend gemachter Anspruch nach Auffassung des erklärenden Staats völkerrechtswidrig seien.470 Er dient der Wahrung und Erhaltung verschiedenster Rechte471 und berührt weder die vertraglichen Bindungen des Protestierenden noch bezieht er sich auf den Inhalt des jeweiligen Vertrags. Ein Beispiel für einen klassischen Protest ist die Erklärung Deutschlands anlässlich der Unterzeichnung des Versailler Friedensvertrags am 23. Juni 1919: „Der übermächtigen Gewalt weichend und ohne damit ihre Auffassung über die unerhörte Ungerechtigkeit der Friedensbedingungen aufzugeben, erklärt deshalb die Regierung der Deutschen Republik, daß sie bereit ist, die von den alliierten und assoziierten Regierungen auferlegten Friedensbedingungen anzunehmen und zu unterzeichnen.“ 472
Weiter sind Interpretationserklärungen auch von politischen Erklärungen zu unterscheiden. Politische Erklärungen sind solche, die der Erläuterung oder Bekräftigung politischer Standpunkte dienen.473 Ein Beispiel hierfür ist die Erklärung Chinas anlässlich der Signatur des Übereinkommens vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können (zusammen mit den Protokollen I, II und III)474: „The Government of the People’s Republic of China deems that the basic spirit of the Convention reflects the reasonable demand and good intention of numerous countries and 469 Zum Protest vgl. Karl, Protest, EPIL, Band 3, 1997, 1157 (1157 ff.); Breutz, Der Protest im Völkerrecht, 1997. Aus der älteren Literatur siehe MacGibbon, Some Observations on the Part of Protest in International Law, BYIL 30 (1953), 293 – 319; Suy, Les actes juridiques unilatéraux en droit international public, 1962, 47 – 80. 470 Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 18 Rdn. 15, Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 769. 471 Kunz, in: Strupp / Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band 2, 1961, 810 (811). 472 Abgedruckt in: Rosenbaum, Der Vertrag von Versailles, 1920, 10. 473 So Kühner, Vorbehalte zu multilateralen Verträgen, 1986, 49. Eine andere Definition schlägt die Völkerrechtskommission in ihren 1999 vorläufig verabschiedeten Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted by the Commission on First Reading vor. Sie definiert eine politische Erklärung als „a unilateral statement formulated by a State or by an international organization, whereby that State or that organization expresses its views on a treaty or on the subject matter covered by the treaty, without purporting to produce a legal effect on the treaty, constitutes a general statement of policy . . .“ (YILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, 1999, Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted by the Commission on First Reading, 92, 1.4.4. General statements of policy). 474 UNTS 1342, 137.
§ 5 Abgrenzung zu weiteren einseitigen Erklärungen
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peoples of the world regarding prohibitions or restrictions on the use of certain conventional weapons which are excessively injurious or have indiscriminate effects. The basic spirit conforms to China’s consistent position and serves the interest of opposing aggression and maintaining peace.“475
Ein weiteres Beispiel ist die Erklärung Moldawiens anlässlich der Ratifikation der EMRK am 12. September 1997. Moldawien hatte erklärt: „The Republic of Moldova declares that it will be unable to guarantee compliance with the provisions of the Convention in respect of omissions and acts committed by the organs of the self-proclaimed Trans-Dniester [R]epublic within the territory actually controlled by such organs, until the conflict in the region is finally definitively resolved.“476
Politische Erklärungen können auch identisch mit Rechtsverwahrungen477 oder Protesten478 sein. Dann unterliegen sie den Regeln des jeweiligen spezifischen Rechtsinstituts. Im Gegensatz zu Interpretationserklärungen beziehen sie sich nicht auf die Auslegung von Vertragsbestimmungen, sondern stellen allgemeine Äußerungen dar, die allenfalls politischen Bezug auf einzelne im Vertrag geregelte Sachbereiche nehmen.
IV. Äußerungen bezüglich der Umsetzung des Vertrags auf innerstaatlicher Ebene Weiterhin sind von Interpretationserklärungen solche Äußerungen zu unterscheiden, die die anderen Vertragsparteien darüber informieren, wie ein Vertrag inner475 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XXVI.2, 328. Ein weiteres Beispiel ist die Erklärung Frankreichs zu demselben Abkommen: „Regrets that thus far it has not been possible for the States which participated in the negotiation of the Convention to reach agreement on the provisions concerning the verification of facts which might be alleged and which might constitute violations of the undertakings subscribed to“ (id., 329). 476 Abgedruckt in: EGMR, Lesço, Ivanˇthorn ˛ oc und Tudor Petrov-Popa v. Moldawien v. Russische Föderation, Zulässigkeitsentscheidung vom 4. Juli 2001, B. Declarations and Reservations Made by the Republic of Moldavia. Der EGMR stufte diese Erklärung als ungültig ein, da sie keinen Vorbehalt im Sinne der EMRK darstelle. 477 Vgl. auch die Erklärungen oben in Fn. 466. 478 Dies trifft z. B. auf die Äußerung Kubas zum Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen zu (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter III.6, 103): „The Revolutionary Government of Cuba makes an express reservation to the provisions of article 74 and 76 of the Convention because it considers that, in view of the nature of the content and rules of the Convention, all free and sovereign States have the right to participate in it, and the Revolutionary Government is therefore in favour of facilitating accession by all countries in the international community, without distinction as to the territorial size of States, the number of their inhabitants or their social, economic or political systems.“ Weitere Beispiele sind die Erklärungen Bulgariens (id., Chapter VI.18, 390); Ungarns (id.); Polens (id., 391); Rumäniens (id., 391) und der Ukraine (id., 391 f.) zum Einheitsübereinkommen über Suchtstoffe von 1961.
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
staatlich umgesetzt wird (z. B.: betreffend der zuständigen Organe etc.)479, ohne damit die Rechtswirkungen des Vertrags zu beeinflussen. Auch in diese Kategorie gehören die Stellungnahmen der Europäischen Gemeinschaft bei der Annahme eines multilateralen völkerrechtlichen Vertrags zur Frage, wie die Kompetenzen zwischen ihr und den Mitgliedsstaaten aufgeteilt sind.480 Solche Erklärungen werden oft auch bei der Signatur des Vertrags abgegeben, um den anderen Staaten mitzuteilen, warum ein Staat den Vertrag jetzt noch nicht ratifiziert, bzw. warum sich die Ratifikation verzögert.481 Horn bezeichnet solche Äußerungen als „declarations of domestic relevance“482, die Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen in ihren Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted by the Commission on First Reading als „informative statements“483. Derartige Erklärungen beziehen sich nur auf innerstaatliche bzw. innere Angelegenheiten einer supranationalen oder internationalen Organisation und nicht auf die Auslegung 479 Vgl. nur die Erklärung Australiens zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte: „Australian has a federal constitutional system in which legislative, executive and judicial powers are shared or distributed between the Commonwealth and the constituent States. The implementation of the treaty throughout Australia will be effected by the Commonwealth, State and Territory authorities having regard to their respective constitutional powers and arrangements concerning their exercise“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.4, 166). 480 Siehe nur die Erklärung der EG bei der Annahme des Protokolls von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen: „The European Community declares that, in accordance with the Treaty establishing the European Community, and in particular article 175 (1) thereof, it is competent to enter into international agreements, and to implement the obligations resulting therefrom, which contribute to the pursuit of the following objectives . . .“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XXVII.7a, 409). Ein weiteres Beispiel ist die fast gleichlautende Erklärung der EG zu dem Cartagena Protokoll über biologische Sicherheit (id., Chapter XXVII.8a, 417). 481 Ein Beispiel ist die Erklärung Deutschlands bei der Unterzeichnung des Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Aarhus-Konvention) vom 25. Juni 1998 (Doc. ECE / CEP / 43, ILM 38 (1999), 517): „The text of the Convention raises a number of difficult questions regarding its practical implementation in the German legal system which it was not possible to finally resolve during the period provided for the signing of the Convention. These questions require careful consideration of the legislative consequences, before the Convention becomes binding under international law . . .“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XXVII.13, 425). 482 Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1988, 103. 483 YILC 1999 II, Report of the International Law Commission on the Work of its 51st Session, 1999, Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted by the Commission on First Reading, 92, 1.4.5 Statements concerning modalities of implementation of a treaty at the internal level: „A unilateral statement formulated by a State or an international organization whereby that State or that organization indicates the manner in which it intends to implement a treaty at the internal level, without purporting as such to affect its rights and obligations towards the other contracting parties, constitutes an informative statement . . .“.
§ 5 Abgrenzung zu weiteren einseitigen Erklärungen
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eines Vertrags. Hierin liegt der grundsätzliche Unterschied zu Interpretationserklärungen.
V. Harmonisierende Erklärungen Einige völkerrechtliche Verträge enthalten Bestimmungen über Erklärungen, die weder bezwecken, die Rechtswirkungen einer Bestimmung in ihrer Anwendung zu ändern, noch sie auszuschließen. Als Beispiele können Art. 26 des Basler Übereinkommens oder Art. 310 des Seerechtsübereinkommens angeführt werden. Diese so genannten harmonisierenden Erklärungen484 werden gemäß Art. 310 des Seerechtsübereinkommens folgendermaßen definiert: „Artikel 309 [Vorbehaltsverbot] schließt nicht aus, daß ein Staat bei der Unterzeichnung oder der Ratifikation dieses Übereinkommens oder bei seinem Beitritt Erklärungen gleich welchen Wortlauts oder welcher Bezeichnung abgibt, um unter anderem seine Gesetze und sonstigen Vorschriften mit den Bestimmungen des Übereinkommens in Einklang zu bringen, vorausgesetzt, dass die Erklärungen nicht darauf abzielen, die Rechtswirkungen der Bestimmungen des Übereinkommens in ihrer Anwendung auf diesen Staat auszuschließen oder zu ändern.“485
Harmonisierende Erklärungen können Interpretationserklärungen darstellen486, wenn sie ein methodengerecht erzieltes Auslegungsergebnis enthalten. So wird es im Fall des Seerechtsübereinkommens regelmäßig sein, da die nationalen Gesetze nicht gegen diesen Vertrag verstoßen dürfen.487
Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, § 736. Hervorhebungen von der Verf. Siehe auch den fast gleichlautenden Art. 26 des Basler Übereinkommens. Ausführlich zu Art. 310 des Seerechtsübereinkommens Vignes, Les déclarations faites par les États signataires de la Convention des Nations Unies sur le droit de la mer, sur la base de l’article 310 de cette Convention, AFDI 29 (1983), 715 – 748. 486 So auch Treaty Handbook of the United Nations, Chapter 3, 3.6.1.: „Some treaties specifically provide for interpretative declarations. For example, . . . the United Nations Convention on the Law of the Sea, 1982, a State may make declarations with a view to harmonising its laws and regulations with the provisions of that convention . . .“ (http: / / untreaty.un.org / English / TreatyHandbook / Chapter3.htm, besucht am 27. November 2002). Anders Nelson, der Erklärungen gemäß Art. 310 des Seerechtsübereinkommens als politische Erklärungen bezeichnet. Nelson, Declarations, Statements and „Disguised Reservations“ with Respect to the Convention on the Law of the Sea, ICLQ 50 (2001), 767 (770). 487 Nelson, Declarations, Statements and „Disguised Reservations“ with Respect to the Convention on the Law of the Sea, ICLQ 50 (2001), 767 (769). 484 485
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
§ 6 Entscheidungsbefugnis über die rechtliche Qualifizierung einseitiger Erklärungen Die Entscheidungsbefugnis über die rechtliche Qualifizierung einer einseitigen Erklärung zu einem multilateralen Vertrag ist grundsätzlich dezentral bei den Vertragsparteien angesiedelt.488 Jede Vertragspartei muss prüfen, ob ihrer Meinung nach eine Erklärung einen Vorbehalt, eine einfache oder qualifizierte Interpretationserklärung bzw. eine sonstige einseitige Erklärung darstellt. Entsprechend ihrer einseitigen Einordnung wird die Vertragspartei reagieren. Ist dagegen ein internationales Gericht für die Auslegung und Anwendung eines völkerrechtlichen Vertrags zuständig489, so kann es auch über die rechtliche Qualifizierung einer Erklärung entscheiden.490 Eine solche Kompetenz ergibt sich daraus, dass das Gericht für die Streitentscheidung im Einzelfall auch den Umfang der übernommenen Vertragspflichten einer Partei bestimmen muss. Diese können variieren, abhängig davon, ob eine Vertragspartei einen Vorbehalt angebracht hat oder nicht. Der Verwahrer eines multilateralen Vertrags hat im Regelfall keine Entscheidungsbefugnis über die rechtliche Einordnung einer Erklärung. Eine solche Kompetenz sollte dem Verwahrer zwar nach Vorschlägen der Völkerrechtskommission durch die WVK zugewiesen werden491, auf der Vertragskonferenz wurde der Wortlaut aber geändert, weil die Staaten befürchteten, dass die Depositare das Recht bekommen könnten, den Vertrag auszulegen.492 Art. 77 WVK enthält daher nur die Befugnis des Depositars, alle sich auf den Vertrag beziehenden Urkunden, Notifikationen und Mitteilungen entgegenzunehmen und zu verwahren (Art. 77 Abs. 1 lit. c WVK). Er hat zu prüfen, ob die Unterzeichnung und jede sich auf den Vertrag beziehende Urkunde, Notifikation oder Mitteilung in guter und gehöriger Form ist, und, falls erforderlich, den betreffenden Staat darauf aufmerksam zu machen (Art. 77 Abs. 1 lit. d WVK). Weiterhin ist der Depositar verpflichtet, die Vertragsparteien sowie Staaten, die berechtigt sind Vertragsparteien zu werden, über solche 488 Sapienza, Les déclarations interprétatives unilatérales et l’interprétation des traités, RGDIP 103 (1999), 601 (613). 489 Dazu § 2 III. 3. e) ee). 490 Vgl. hierzu nur EKMR, Temeltasch v. Schweiz, Bericht vom 5. Mai 1982, DR 31, 120 ff., Rdn. 68 – 82. 491 Art. 72 Abs. 1 (d) des Entwurfs der Völkerrechtskommission von 1966 lautete: „The functions of a depositary, unless the treaty otherwise provides, comprise in particular: (d) Examining whether a signature, an instrument or a reservation is in conformity with the provisions of the treaty and of the present articles and, if need be, bringing the matter to the attention of the State in question“ (ILC-Entwurf 1966, YILC 1966 II, 269). 492 United Nations Conference on the Law of Treaties, Official Records, First Session, 1968, 77th Meeting of the Committee of the Whole, 20. Mai 1968, UN Doc. A / Conf. 39 / 11, Rdn. 12 (Weißrussische sozialistische Republik), Rdn. 36 (Frankreich). Anders wohl die Stellungnahme des Delegierten des Vereinigten Königreichs, id., Rdn. 55.
§ 6 Entscheidungsbefugnis über die Qualifizierung einseitiger Erklärungen
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Handlungen, Notifikationen und Mitteilungen zu informieren, die sich auf den Vertrag beziehen (Art. 77 Abs. 1 lit. d WVK). Aufgabe des Depositars ist es also lediglich, die jeweiligen Erklärungen entgegenzunehmen und den anderen Signatarstaaten / Vertragsparteien zu berichten, die dann ihre eigenen Schlussfolgerungen ziehen.493 Nur in Ausnahmefällen nimmt der jeweilige Verwahrer die rechtliche Einordnung einer einseitigen Erklärung anlässlich eines multilateralen völkerrechtlichen Vertrags selbst vor. Der VN-Generalsekretär, der weltweit die meisten Verträge verwahrt494, qualifiziert eine Erklärung dann, wenn sie unzweifelhaft einen Vorbehalt495 darstellt496 und der jeweilige multilaterale Vertrag ihm bestimmte Aufgaben im Zusammenhang mit der Abgabe von Vertragsvorbehalten überträgt.497 Gleiches gilt, wenn der Vertrag Vorbehalte ausdrücklich ganz oder teilweise verbietet, da der VN-Generalsekretär dann nicht die Ratifikationsurkunde zur Hinterlegung annehmen darf.498 Ist die Rechtsnatur einer Erklärung zweifelhaft, bittet der VN-Generalsekretär die betreffende Partei mitunter um Klarstellung, ob ihre Erklärung ein Vorbehalt sei oder nicht.499 Allerdings stellt er solche Rückfragen nicht immer, da grundsätzlich die anderen Vertragsparteien darüber entscheiden sollen, ob sie einen unzulässigen Vorbehalt annehmen oder nicht.500 Diese Praxis entspricht dem Regelfall, dass der Verwahrer eines Vertrags kommentarlos die unterschiedlichen Erklärungen an die anderen Vertragsparteien bzw. Signatarstaaten weiterleitet. 501 Ein Beispiel hierfür ist die Erklärung, die die Philippinen zum Seerechtsübereinkommen abgegeben haben. Das Seerechtsübereinkommen verbietet in Art. 309 und 310502 Vorbehalte, soweit sie nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Die Philippinen hatten unter anderem folgende Erklärung zu Art. 53 McRae, The Legal Effect of Interpretative Declarations, BYIL 49 (1978), 155 (171). Zur Zeit (November / 2004) verwahrt der VN-Generalsekretär über 500 multilaterale Verträge, http: / / untreaty / un / org / ENGLISH / overview.asp, besucht am 10. Januar 2004. 495 Ausführlich zur Praxis von Verwahrern bezüglich Vorbehalte Kappeler, Praxis der Depositare multilateraler Staatsverträge gegenüber Vorbehalten, SJIR 20 (1963), 21 – 40; Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1988, 338 ff. Zu der Praxis des VN-Generalsekretärs siehe Summary of Practice of the Secretary-General as Depositary of Multilateral Treaties, UN Doc ST / LEG / 7 / Rev. 1, 1999, 48, Rdn. 161 ff. 496 Summary of Practice of the Secretary-General as Depositary of Multilateral Treaties, UN Doc ST / LEG / 7 / Rev. 1, 1999, 58, Rdn. 193. 497 Ein Beispiel ist Art. 32 Abs. 3 des Übereinkommens über psychotrope Stoffe (UNTS 1019, 175). 498 Siehe hierzu Summary of Practice of the Secretary-General as Depositary of Multilateral Treaties, UN Doc ST / LEG / 7 / Rev. 1, 1999, 55 ff., Rdn. 189 – 196. 499 Id., Rdn. 195. 500 Id., Rdn. 196. 501 Anders sah in den fünfziger und sechziger Jahren noch die Praxis der US-amerikanischen Regierung in der Rolle als Depositar zu multilateralen Verträgen aus. Sie ordnete die Erklärungen selbst ein und teilte dann ihrem Urheber die rechtliche Qualifizierung der Erklärung mit. Siehe hierzu Whiteman, Digest of International Law, Vol. 14, 1970, 186 ff. mit zahlreichen Beispielen. 502 Siehe dazu ausführlich § 5 V. 493 494
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1. Teil: Definitionen und Abgrenzungen
und 54 des Seerechtsübereinkommens (die ihrerseits keine Vorbehaltsmöglichkeit vorsehen) über das Recht der Durchfahrt der Archipelgewässer abgegeben: „The concept of archipelagic waters is similar to the concept of internal waters under the Constitution of the Philippines, and removes straits connecting these waters with the economic zone or high sea from the rights of foreign vessels to transit passage for international navigation.“503
Der VN-Generalsekretär leitete diese Erklärung den anderen Vertragsparteien zu, die teilweise gegen sie Widerspruch einlegten504. Die Philippinen gaben daraufhin folgende Erklärung ab, die der Generalsekretär wiederum kommentarlos den anderen Parteien zustellte: „The Philippines declaration was made in conformity with article 310 of the United Nations Convention on the Law of the Sea. The declaration consists of interpretative statements concerning certain provisions of the Convention . . . . The Philippine Government, therefore wishes to assure the [State Parties] to the Convention that the Philippines will abide by the provisions of the said Convention.“505
Eine Ausnahme von obigem Grundsatz besteht für den Verwahrer der Verträge der Internationalen Arbeitsorganisation. Dieser prüft regelmäßig, ob eine einseitige Erklärung zu einer Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation einen Vorbehalt darstellt, da die Erklärung von Vorbehalten zu einem Abkommen der Internationalen Arbeitsorganisation in der Regel unzulässig ist und derjenige, der mit einem Vorbehalt ratifiziert, nicht Vertragspartei wird.506
503 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XXI.6, 250. 504 Widerspruch legten Australien (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XXI.6, 257), Belarus (id.), die Russische Föderation (id., 258 f.) und die Ukraine (id., 259) ein. Sie begründeten dies damit, dass die Erklärung einen unzulässigen Vorbehalt darstellen würde. 505 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XXVI.6, 265. Allerdings bezogen sich die Philippinen nur auf den australischen Einspruch. 506 Siehe zur Begründung oben § 2 III. 3. d) dd).
2. Teil
Das Rechtsregime für einfache und qualifizierte Interpretationserklärungen § 7 Die Zulässigkeit einfacher Interpretationserklärungen I. Mögliche Zulässigkeitsschranken für einfache Interpretationserklärungen 1. Grundsatz Die WVK selbst enthält keinerlei rechtliche Regelungen über Interpretationserklärungen. Da wie oben ausgeführt jede Vertragspartei das Recht hat, einen multilateralen Vertrag unilateral auszulegen507, hat sie auch das Recht, diese Auslegung nach außen bekannt zu machen. Einfache Interpretationserklärungen sind damit grundsätzlich zulässig. 2. Normen des ius cogens als Zulässigkeitsschranke? Eine Vertragspartei kann auch zu ius cogens Vorschriften eine einfache Interpretationserklärung abgeben. Zwingende Normen des Völkerrechts sind gemäß Art. 53 WVK solche, die von der internationalen Staatengemeinschaft in ihrer Gesamtheit angenommen und als Normen anerkannt sind, von denen nicht abgewichen werden darf. Als Beispiele für zwingendes Völkerrecht lassen sich das Verbot der Apartheid, das Recht auf Selbstbestimmung sowie das Folterverbot nennen.508 Das ius cogens wird häufig als Zulässigkeitsschranke für das Anbringen von Vertragsvorbehalten genannt.509 Ausgehend von der Überlegung, dass sich kein Völkerrechtssubjekt vertraglich von einer ius cogens Verpflichtung lösen kann, soll dies nicht einseitig durch das Ausbedingen eines Vorbehalts möglich sein. Siehe dazu § 2 III. 3. Frowein, Jus Cogens, EPIL, Band 3, 1997, 65 (67); ausführlich Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992. 509 Siehe nur Sinclair, The Vienna Convention on the Law of Treaties, 1984, 212; Kühner, Vorbehalte zu multilateralen Verträgen, 1986, 138 ff., 146 und 209; Kadelbach, Zwingendes Völkerrecht, 1992, 65. 507 508
8 Heymann
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
Eine einfache Interpretationserklärung stellt aber keine Loslösung von einer ius cogens Norm dar. Sie ist lediglich ein Vorschlag zur Auslegung der Norm. Da ihr Urheber verpflichtet ist, Normen des zwingenden Rechts anzuwenden, muss er sie auslegen können, um ihren Inhalt zu ermitteln. Allerdings könnte eine einfache Interpretationserklärung insoweit im Widerspruch zum Konzept des ius cogens stehen, als die dezentrale Auslegung einer zwingenden Norm zwangsläufig zu einer unterschiedlichen Anwendung derselben führt. Es gibt aber auch für ius cogens Normen keine zentrale obligatorische Gerichtsbarkeit, die die uniforme Anwendung derselben in einem globalen Rahmen überwacht.510 Vielmehr gilt auch bei ius cogens Normen das Prinzip der dezentralen Vertragsauslegung.511 Somit können einfache Interpretationserklärungen auch zu Normen des zwingenden Völkerrechts abgegeben werden.
3. Vertragliche Verbote als Zulässigkeitsschranke? Eine mögliche Zulässigkeitsschranke für einfache Interpretationserklärungen kann sich allerdings aus dem völkerrechtlichen Vertrag selbst ergeben. Enthält dieser ein Verbot von Interpretationserklärungen für bestimmte Normen oder den gesamten Vertrag, so sind einfache Interpretationserklärungen nur zu bestimmten Vorschriften bzw. gar nicht zulässig. Ein vertragliches Verbot für einfache Interpretationserklärungen kommt freilich sehr selten vor. Ein Beispiel ist das Freihandelsabkommen zwischen Kanada und Costa Rica vom 23. April 2001512, das in Art. XV. 3513 ausdrücklich ein Verbot unilateraler Interpretationserklärungen enthält.
4. Zeitliche Zulässigkeitsschranken? Es gibt grundsätzlich keine zeitlichen Beschränkungen für einfache Interpretationserklärungen514, da auch keine zeitlichen Grenzen für die Auslegung eines multilateralen Vertrags existieren. Dieser unterliegt für die Dauer seiner Existenz dem fortgesetzten dynamischen Prozess der Auslegung. So hat Deutschland drei Jahre 510 Auf europäischer Ebene kommt diese Rolle bezüglich des Verbots der Folter dem EGMR für alle Vertragsstaaten der EMRK zu. 511 Ausführlich zum Problem der Auslegung von ius cogens, Sur, L’interprétation en droit international Public, 1974, 175 – 179. 512 Http: / / www.sice.oas.org / Trade / cancr / English / cancrin.asp, besucht am 5. November 2003. 513 Art. XV.3 des Freihandelsübereinkommens lautet: „This Agreement shall not be subject to unilateral reservations or interpretative declarations.“ 514 YILC 1965 II, 49, Rdn. 2 (Sir Humphrey Waldock): „It may have been made during the negotiations; or at the time of signature, ratification, etc., or afterwards in the ,subsequent practice‘.“ Siehe auch Third Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 491 / Add.4, 1998, Rdn. 337.
§ 7 Die Zulässigkeit einfacher Interpretationserklärungen
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nach der Ratifikation eine einfache auslegende Erklärung zum Wiener Übereinkommen über konsularische Beziehungen515 abgegeben516, ohne dass eine andere Vertragspartei dagegen protestiert hat.517 Interpretationserklärungen können also während der Vertragsverhandlungen, der Unterzeichnung, der Ratifikation oder später abgegeben werden.518 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz liegt nur dann vor, wenn ein multilateraler Vertrag ausdrücklich vorsieht, dass eine einfache Interpretationserklärung nur zu einem bestimmten Zeitpunkt abgegeben werden darf.519 Ein Beispiel hierfür ist Art. 6 der Europäischen Konvention über die Auslieferung vom 13. Dezember 1957520, der vorsieht, dass eine Vertragspartei den Begriff UNTS 596, 261. Deutschland ratifizierte die Konvention am 7. September 1971 und gab am 8. April 1974 folgende Erklärung ab: „The Federal Republic of Germany interprets the provisions of Chapter II of the Vienna Convention on Consular Relations, done on 24 April 1963, as applying to all career consular personnel (consular officers, consular employees and members of the service staff), including those assigned to a consular post headed by a an honorary consular officer, and that it will apply the said provisions accordingly“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter III.6, 104). 517 Ein weiteres Beispiel ist die Erklärung Frankreichs zu Art. 30 des Internationalen Abkommens über den Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen (Rom-Abkommen) vom 26. Oktober 1961 (UNTS 496, 43). Frankreich ratifizierte am 3. April 1987 diese Konvention und gab am 29. Juni 1987 folgende einfache Interpretationserklärung ab: „The Government of France specifies that it understands the expression ,International Court of Justice‘, in article 30 of the Convention, as covering not only the Court itself but also a chamber of the Court“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XIV.3, 57). Die relevante Bestimmung lautet: „Jede Streitfrage zwischen zwei oder mehreren vertragsschließenden Staaten über die Auslegung oder die Anwendung dieses Abkommens, die nicht auf dem Verhandlungswege geregelt wird, soll auf Antrag einer der streitenden Parteien zur Entscheidung vor den Internationalen Gerichtshof gebracht werden, sofern die beteiligten Staaten nicht eine andere Art der Regelung vereinbaren.“ Die französische Erklärung enthält eine methodengerechte Auslegung der Norm, da das Statut des IGH vorsieht, dass der Gerichtshof nicht nur als Plenum, sondern auch in Kammern mit drei Richtern entscheiden kann (Art. 26 IGH-Statut). 518 Der Zeitpunkt der Abgabe der Interpretationserklärungen kann sich jedoch auf ihre Rechtswirkungen auswirken. Siehe dazu § 10. 519 Eine Gegenausnahme kann wiederum dann vorliegen, wenn eine eigentlich vertraglich verbotene einfache Interpretationserklärung abgegeben wird und die anderen Vertragsparteien ihr zustimmen. So Fifth Report on Reservations to Treaties by Mr. Alain Pellet, Special Rapporteur, Addendum, UN Doc. A / CN.4 / 508 / Add.4, 2000, Rdn. 331: „Where a treaty provides that an interpretative declaration can be made only at specified times, a State or an international organization may not formulate an interpretative declaration on that treaty at another time, unless the late formulation of the interpretative declaration does not elicit any objections from the other contracting Parties.“ Diese Ansicht wurde von der Völkerrechtskommission 2001 übernommen und eine entsprechende Richtlinie in den Text of the Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted so far by the Commission eingefügt. Siehe Report of the International Law Commission on the Work of its 53rd Session, GAOR, 56th Session, Supplement No. 10 (A / 56 / 10), 2001, Rdn. 156, Draft Guideline 2.4.6 Late Formulation of an Interpretative Declaration. 515 516
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
„Staatsangehörige“ nur bei der Unterzeichnung oder bei der Ratifikation der Konvention definieren darf.
5. Ergebnis Einfache Interpretationserklärungen können somit grundsätzlich jederzeit zu jeder Vertragsvorschrift abgegeben werden. Das Völkerrecht kennt keine Schranken für die Abgabe einfacher Interpretationserklärungen, da Verträge unabhängig von dem völkerrechtlichen Rang ihrer Bestimmungen grundsätzlich dezentral ausgelegt werden, für die Dauer ihrer Existenz angewandt und somit auch ausgelegt werden müssen. Grenzen für die Zulässigkeit einfacher Interpretationserklärungen können sich somit nur aus dem jeweiligen völkerrechtlichen Vertrag selbst ergeben. Dass heißt, eine einfache Interpretationserklärung ist nur dann verboten oder unterliegt zeitlichen Schranken, wenn das jeweilige Abkommen solche Sonderregeln vorsieht.
II. Wirksamkeitsvoraussetzungen für einfache Interpretationserklärungen 1. Handeln des zuständigen innerstaatlichen Organs Damit eine einfache Interpretationserklärung wirksam ist, muss das zuständige innerstaatliche Organ handeln. Das Besondere an einer einfachen Interpretationserklärung im Gegensatz zu anderen nationalen unilateralen Auslegungen eines völkerrechtlichen Vertrags ist, dass die unilaterale Auslegung ausdrücklich nach außen, das heißt gegenüber den anderen Vertragsparteien, bekannt gemacht wird, damit ihr Urheber Einfluss auf die Vertragsauslegung nehmen kann. Daher ist eine einfache Interpretationserklärung immer auch eine implizite Bestätigung ihres Urhebers, an den Vertrag gebunden zu sein. Aus dieser Besonderheit folgt, dass nicht jedes Organ einer Vertragspartei eine einfache Interpretationserklärung abgeben kann. Es muss vielmehr dasjenige Organ der jeweiligen Vertragspartei handeln, das zur völkerrechtlichen Vertretung befugt und außerdem berechtigt ist, den völkervertraglichen Bindungswillen des Urhebers der Interpretationserklärung nach außen bekannt zu geben.521 Bei Staaten sind das kraft ihres Amtes die StaatsoberETS Nr. 24; BGBl. 1964 II, 1371. Vgl. auch Report of the International Law Commission on the Work of its 54th Session, GAOR, 57th Session, Supplement No. 10 (A / 57 / 10), 2002, Rdn. 102, Text of the Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted so far by the Commission, 2.4.1 Formulation of interpretative declarations: „An interpretative declaration must be formulated by a person who is considered as representing a State or an international organization for the purpose of adopting or authenticating the text of a treaty or expressing the consent of the State or international organization to be bound by a treaty.“ 520 521
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häupter, die Regierungschefs und die Außenminister522, bei internationalen Organisationen die zum Vertragsabschluss berechtigten Organe.523 Einfache Interpretationserklärungen können demnach nicht von nationalen Gerichten abgegeben werden, da diese über keine völkerrechtliche Vertretungsbefugnis des Staats verfügen. Handelt ein unzuständiges Organ, so ist die Interpretationserklärung unwirksam.524
2. Formerfordernisse für einfache Interpretationserklärungen? Fraglich ist, ob für einfache Interpretationserklärungen das Erfordernis der Schriftform gilt.525 Dazu ist zunächst festzuhalten, dass im internationalen Recht der Grundsatz der Formfreiheit auch für einseitige Rechtsakte gilt526 und für einfache Interpretationserklärungen keine ausdrücklichen Sonderregeln bestehen. In der Staatenpraxis werden einfache Interpretationserklärungen in den ganz überwiegenden Fällen zusammen mit den Vorbehalten bei der Ratifikation dem Depositar des jeweiligen Vertragstexts übermittelt, der diese dann den anderen Vertragsparteien bekannt gibt. So sind in der Sammlung des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zur Vertragspraxis nicht nur die Vorbehalte, sondern auch die Interpretationserklärungen der Vertragsparteien enthalten. Mit einer einfachen Interpretationserklärung schlägt ihr Urheber eine bestimmte Auslegung der Norm vor. Da er Vgl. Art. 7 Abs. 2 a) WVK. Seidl-Hohenveldern / Loibl, Das Recht der Internationalen Organisationen einschließlich der Supranationalen Gemeinschaften, 2000, Rdn. 0315; vgl. Art. 7 WVKIO. 524 Report of the International Law Commission on the Work of its 54th Session, GAOR, 57th Session, Supplement No. 10 (A / 57 / 10), 2002, Rdn. 102, Text of the Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted so far by the Commission, 2.4.1 Formulation of Interpretative Declarations, Rdn. 2: „It goes without saying that [interpretative] declarations can only produce effects, whatever their nature, if they emanate from an authority competent to engage the State or the international organization at the international level. And since the declaration purports to produce effects in relation to a treaty, it would seem appropriate to limit the option of formulating it to the authorities competent to engage the State or the organization through a treaty.“ Vgl. auch IGH, Delimitation of the Maritime Boundary in the Gulf of Maine Area (Canada v. United States), ICJ Reports 1984, 246 (307). Der IGH rechnete den USA die Handlung eines unzuständigen Beamten nicht zu. 525 Von der Möglichkeit ausgehend, dass es auch mündliche Interpretationserklärungen gibt: Distefano, La pratique subséquente des États parties à un traité, AFDI 40 (1994), 41 (50). 526 Vgl. nur IGH, Nuclear Tests Case (Australia v. France), ICJ Reports 1974, 249 ff., Rdn. 45: „With regard to the question of form, it should be observed that this is not a domain in which international law imposes any special or strict requirements. Whether a statement made orally or in writing makes no essential difference, for such statements made in particular circumstances may create commitments in international law, which does not require that they should be couched in written form. Thus the question of form is not decisive.“ Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 767. Eine andere Auffassung vertritt das Schiedsgericht in: Affaire des optants hongrois au affaire akulin (ungarischer Optantenstreit), Recueil des Décisions des Tribunaux arbitraux mixtes, VII, 38. 522 523
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
möchte, dass die anderen Vertragsparteien auch von seinem Auslegungsvorschlag Kenntnis nehmen, formuliert er sie in der Regel schriftlich. Das bedeutet aber nicht, dass eine einfache Interpretationserklärung zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedürfe.527 Im Gegensatz zu Vorbehalten, die gemäß Art. 23 Abs. 1 WVK aus Gründen der Rechtssicherheit der Schriftform bedürfen, da sie eine einseitige Veränderung der vertraglichen Verpflichtungen bezwecken, sind einfache Interpretationserklärungen lediglich unverbindliche Äußerungen. Es besteht kein Grund, Interpretationserklärungen und Vorbehalte in diesem Punkt gleichzustellen, da der Urheber ersterer den Anwendungsbereich des Vertrags nicht verändert. Daher wird von der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen das Schriftformerfordernis für einfache Interpretationserklärungen richtigerweise verneint, da auch mündliche Interpretationen grundsätzlich Rechtswirkungen entfalten können.528 Dabei ist allerdings zu beachten, dass einer schriftlich fixierten einfachen Interpretationserklärung eine größere Bedeutung dadurch zukommen kann, dass die übrigen Vertragsparteien sie eher zur Kenntnis nehmen und ihr im Streitfall eine höhere Beweisfunktion zukommt.
§ 8 Reaktionsmöglichkeiten der anderen Vertragsparteien und ihre Auswirkungen auf das Verhältnis der Vertragsparteien untereinander I. Bedeutung der einfachen Interpretationserklärung für die anderen Vertragsparteien Eine einfache Interpretationserklärung entfaltet für die anderen Vertragsparteien per se keine Bindungswirkung.529 Dies ergibt sich daraus, dass, wie oben dargestellt530, alle Vertragsparteien gleichermaßen das Recht haben, den jeweiligen multilateralen völkerrechtlichen Vertrag auszulegen. Ohne die Zustimmung der anderen Vertragsparteien kommt somit einer einfachen Interpretationserklärung keine rechtliche Bindungswirkung zu.531 Auch berührt eine einfache Interpretations527 Art. 3 Draft of the International Commission of American Jurists, Rio de Janeiro 1927, abgedruckt in: AJIL 29 (1935) Supplement, 1222 f.: „The interpretation of treaties, when the contracting parties consider it necessary, must likewise be in writing.“ 528 Report of the International Law Commission on the Work of its 54th Session, GAOR, 57th Session, Supplement No. 10 (A / 57 / 10), 2002, Rdn. 102, Text of the Draft Guidelines on Reservations to Treaties Provisionally Adopted so far by the Commission, 2.4.1 Formulation of interpretative declarations, Rdn. 5. 529 Siehe hierzu oben unter § 2 III. 3. e) bb). 530 § 2 III. 3. d) aa) (2). 531 Vgl. auch IGH, Réserves à la convention pour la prévention et la répression du crime de génocide (Avis consultatif), ICJ Reports 1951, 15 (21): „Il est bien établi qu’un État ne peut, dans ses rapports conventionnels, être lié sans son consentement.“
§ 8 Reaktionsmöglichkeiten der anderen Vertragsparteien
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erklärung als Auslegungsvorschlag nicht die Geltung des Vertrags zwischen den übrigen Vertragsparteien. Im Gegensatz zu Vertragsvorbehalten, bei denen die Reaktion der anderen Vertragspartner unter Umständen maßgeblich für die Vertragsgeltung zwischen den Parteien sein kann532, berührt die Reaktion der anderen Parteien auf eine einfache Interpretationserklärung nicht die Vertragsgeltung als solche.533 Das heißt, die Reaktion der anderen Vertragsparteien ist nur für die Frage von Bedeutung, für wen und ob die in der einfachen Interpretationserklärung geltend gemachte Auslegung überhaupt verbindlich wird.
II. Die Reaktionsmöglichkeiten der anderen Vertragsparteien Die anderen Vertragsparteien können einer einfachen Interpretationserklärung zustimmen, sie ablehnen oder sie ignorieren, indem sie schweigen. 1. Zustimmung zu einer einfachen Interpretationserklärung Stimmt eine andere Vertragspartei einer einfachen Interpretationserklärung zu, gilt zwischen dem Urheber der Erklärung und der zustimmenden Partei diese Auslegung.534 Die Vertragsparteien haben das Recht sich bi- oder multilateral auf eine Auslegung zu einigen, da jede Partei über die dezentrale Auslegungsbefugnis verfügt. Daher sieht die WVK auch in Art. 31 Abs. 3 lit. a das Interpretationsabkommen als Auslegungsfaktor vor.535 Eine Annahme des Interpretationsvorschlags liegt vor, wenn die reagierende Vertragspartei die Interpretation selbst übernimmt. Dies kann durch die ausdrückliche Annahme der Erklärung selbst oder konkludent durch die Abgabe einer gleichlautenden eigenen Interpretationserklärung536 erfolVgl. hierzu Art. 20 Abs. 4 WVK. Anders Cassese, International Law, 2001, 130, der noch den weiten Vorbehaltsbegriff vertritt: „[W]hen the reservation places a certain interpretation on a treaty provision, if a State objects to the reservation, the treaty applies as between the reserving and the objecting State with the exception of the provision covered by the interpretative reservation.“ 534 Ablehnend hierzu Doehring, Völkerrecht, 2004, Rdn. 353: „Zu der Frage, was geschehen soll, wenn nur einige Vertragspartner die Interpretation im Sinne einer zusätzlichen Erklärung zum Vertrag akzeptieren, schweigt die WVK. Es ist aber wohl anzunehmen, dass die Interpretationserklärung in diesem Falle insgesamt und für keinen Partner bindend ist, da anders die Vertragspartner den Vertrag unterschiedlich auslegen können.“ 535 Ausführlich dazu § 10 II. 1. 536 Ein Beispiel ist die Annahme der oben zitierten deutschen Interpretationserklärung zu dem II. Kapitel des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (vgl. Fn. 516) durch eine fast gleichlautende Erklärung der Niederlande vom 17. Dezember 1985 (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part. I, Chapter III.3, 105). Bezüglich des Protokolls über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes von Minen, Sprengfallen und anderen Vorrichtungen in der geänderten 532 533
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
gen. Dabei ist zu beachten, dass in der Staatenpraxis eine Interpretationserklärung eigentlich nicht ausdrücklich angenommen wird. Wird eine einfache Interpretationserklärung von einer oder mehreren Vertragsparteien angenommen, liegt eine interprétation partagée vor.537 Für Vertragsparteien, die ihr nicht zustimmen, entfaltet diese „Auslegungsvereinbarung“ keine Bindungswirkung.538 Besondere Bedeutung kommt der interprétation partagée bei solchen völkerrechtlichen Verträgen zu, die eine bilaterale Erfüllungsstruktur aufweisen.539 Da derartige Verträge, wie z. B. die Wiener Konsularrechtskonvention, bilateral erfüllt werden, sind die Vertragsparteien gezwungen, sich ebenfalls bilateral auf eine Auslegung zu einigen. Ein Beispiel hierfür ist die interprétation partagée von Belize, den Fidschiinseln, Lesotho, Malta und dem Vereinigten Königreich zu Art. 44 Abs. 3 der Wiener Konsularrechtskonvention.540 Alle fünf Staaten haben gleichlautende Erklärungen zu Art. 44 Abs. 3 der Wiener Konsularrechtskonvention abgegeben, in denen sie übereinstimmend Art. 44 Abs. 3 dergestalt auslegen541, dass dem Mitglied einer konsularischen Vertretung für Handlungen, für die es Immunität genießt, ein Zeugnisverweigerungsrecht zustehe.542
Fassung vom 3. Mai 1996 (Protokoll II im Anhang zu dem Übereinkommen vom 10. Oktober 1980 über das Verbot oder die Beschränkung des Einsatzes bestimmter konventioneller Waffen, die übermäßige Leiden verursachen oder unterschiedslos wirken können) haben Österreich, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Griechenland, Irland, Italien, Liechtenstein, die Niederlande, Süd-Afrika und Schweden gleichlautende einfache Interpretationserklärungen zu den Art. 1 und Art. 2 Abs. 3 abgegeben (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XXVI.2b, 336 – 339). 537 Degan, L’interprétation des accords en droit international, 1963, 19 und Simon, L’interprétation judiciaire des traités d’organisations internationales, 1975, 23. Vgl. auch Voïcu, De l’interprétation authentique des traités internationaux, 1967, 189, der insoweit von einer Auslegung „inter partes“ spricht. 538 Degan, L’interprétation des accords en droit international, 1963, 19: „Cette interprétation partagée a une valeur juridiquement obligatoire pour les États qui l’ont émise. Pour d’autres États elle peut être utile comme preuve en cas de différend, s’ils y trouvent intérêt.“ Vgl. auch Cot, La conduite subséquente des parties à un traité, RGDIP 70 (1966), 632 (655). 539 Cot, La conduite subséquente des parties à un traité, RGDIP 70 (1966), 632 (655) sieht in der Möglichkeit der interprétation partagée die Gefahr der Zerstückelung des Vertrags. Dem ist insoweit zuzustimmen, dass durch den Grundsatz der dezentralen Auslegung im Völkerrecht ein Vertrag selten uniform angewendet wird. Solange es keine obligatorisch zuständige Gerichtsbarkeit im Völkerrecht gibt, ist dies systemimmanent. Einigen sich allerdings mehrere Vertragsparteien auf eine gemeinsame Auslegung des Vertrags, wird ein völkerrechtlicher multilateraler Vertrag zumindest zwischen einigen Vertragsparteien einheitlich angewendet. Dies ist eine Verbesserung gegenüber der Situation, dass alle Staaten ihn unterschiedlich anwenden. 540 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter III.6, 103 (Belize und Fidji); 104 (Malta und Lesotho) und 106 (Vereinigtes Königreich). Malta bezeichnete seine Erklärung allerdings als Vorbehalt.
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Ein weiteres Beispiel für eine interprétation partagée sind die gleichlautenden einfachen Interpretationserklärungen von Deutschland, Japan, Singapur und dem Vereinigten Königreich zu Art. 4 Abs. 12 des Basler Übereinkommens. In ihren Erklärungen machen die Staaten geltend, dass Art. 4 Abs. 12 so zu verstehen sei, dass für die Ausübung des Rechts auf friedliche Durchfahrt im Küstenmeer oder des Rechts auf freie Navigation in der ausschließlichen Wirtschaftszone eine Genehmigung oder Anzeigepflicht auch dann nicht bestehe, wenn gefährliche Abfälle transportiert würden.543 Hierbei handelt es sich um eine Interpretationsvereinbarung zu einer Vorschrift, deren Erfüllung gegenüber allen Vertragsparteien geschuldet wird. Wird eine Interpretationserklärung von allen Vertragsparteien angenommen, liegt der seltene Fall544 einer Einigung aller Parteien über die Auslegung eines multilateralen Vertrags vor. Eine solche führt zu einer authentischen Interpretation einer völkervertraglichen Norm.545
541 Es handelt sich vorliegend um eine einfache Interpretationserklärung, da die vorgeschlagene Interpretation ein mit den Auslegungsregeln erzielbares Ergebnis darstellt. Aus der Systematik der Konvention ergibt sich, dass Art. 44 Abs. 3 den Konsularbeamten für alle Handlungen, für die sie Immunität genießen, ein Zeugnisverweigerungsrecht zubilligen könnte. In Art. 43 Abs. 1 wird den Konsularbeamten Immunität für alle Handlungen, die in Wahrnehmung konsularischer Aufgaben vorgenommen worden sind, eingeräumt. Da der Wortlaut von Art. 44 Abs. 3 sich ebenfalls auf die Wahrnehmung der konsularischen Aufgaben bezieht, ist die Auslegung der Vertragsparteien vertretbar. Art. 44 Abs. 3 der Wiener Konsularrechtskonvention lautet: „Mitglieder einer konsularischen Vertretung sind nicht verpflichtet, Zeugnis über Angelegenheiten zu geben, die mit der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zusammenhängen, oder die darauf bezüglichen amtlichen Korrespondenzen und Schriftstücke vorzulegen. Sie sind auch berechtigt, die Aussage als Sachverständige über das Recht des Entsendestaates zu verweigern.“ 542 Siehe nur die Erklärung des Vereinigten Königreichs: „The United Kingdom will interpret the exemption accorded to members of a consular post by paragraph 3 of article 44 from liability to give evidence concerning matters connected with the exercise of their functions as relating only to acts in respect of which consular officers and consular employees enjoy immunity from the jurisdiction of the judicial or administrative authorities of the receiving State in accordance with the provisions of article 43 of the Convention“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter III.6, 106). 543 Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. II, Part I, Chapter XXVII.3, 386 (Deutschland und Japan), 387 (Singapur und Vereinigtes Königreich). Ägypten erklärte daraufhin am 31. 01. 1995, dass ausländische Schiffe, die gefährliche Abfälle durch das Küstengewässer von Ägypten transportieren wollen, der vorherigen Erlaubnis der ägyptischen Behörden bedürften (id., 389). Gegen diese Erklärungen legten das Vereinigte Königreich (id., 389), Finnland (id, 389), Italien (id., 390), die Niederlande (id., 390) und Schweden (id., 390) Einspruch ein, da es sich ihrer Meinung nach um einen Vorbehalt handele, der unzulässig sei, da Ägypten ihn zwei Jahre nach seinem Beitritt zu dem Basler Übereinkommen abgegeben hatte. 544 Degan, L’interprétation des accords en droit international, 1963, 18. 545 Siehe hierzu oben Fn. 221.
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2. Ablehnung einer einfachen Interpretationserklärung Wird dagegen eine einfache Interpretationserklärung von einer oder mehreren Vertragsparteien abgelehnt, liegt zwischen diesen Vertragsparteien ein Streit über die Auslegung des Vertrags vor.546 Es besteht ein offener Dissens über seinen Inhalt. Die Gründe für eine Ablehnung können sein, dass die andere Vertragspartei die Auslegung nicht „richtig“ findet547 oder dass sie meint, die Erklärung beinhalte keine Auslegung mehr, sondern eine Modifikation der entsprechenden Norm.548
546 Voïcu, De l’interprétation authentique des traités internationaux, 1967, 188; Bowett, Reservations to Non-Restricted Multilateral Treaties, BYIL 48 (1976 / 77), 67 (69); Bastid, Les traités dans la vie internationale, 1985, 127 f. Eine andere Auffassung vertritt Berber, Völkerrecht, Band 1, 1975, 460 der ausführt: „Widerspricht eine Vertragspartei einer solchen Auslegung, so liegt insoweit ein offener Dissens vor, der im Verhältnis dieser Vertragspartner zueinander diese Bestimmung, ja evtl. den ganzen Vertrag unanwendbar macht.“ 547 Ein Beispiel hierfür ist die Reaktion des Vereinigten Königreichs auf eine Erklärung Syriens zu Art. 52 WVK. Syrien hatte bei seinem Beitritt am 2. Oktober 1970 zu der WVK erklärt, dass es den Begriff der Androhung oder Anwendung von Gewalt in Art. 52 WVK folgendermaßen auslege: „The expression ,the threat or use of force‘ used in this article extends also to the employment of economic, political, military and psychological coercion and to all types of coercion constraining a State to conclude a treaty against its wishes or its interests“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part II, Chapter XXIII.1, 295). Diese Auslegungsmöglichkeit von Art. 52 WVK wurde von dem Vereinigten Königreich bei der Ratifikation der WVK am 25. Juni 1971 abgelehnt. Es führte aus: „The United Kingdom does not accept that the interpretation of Article 52 put forward by the Government of Syria correctly reflects the conclusions reached at the Conference of Vienna on the subject of coercion . . .“ (id., 299). 548 Ein Beispiel hierfür sind die Reaktionen Deutschlands und der Niederlande auf eine Erklärung Indiens zu Art. 1 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vom 22. August 1979: „With reference to article 1 of the International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights and article 1 of the International Covenant on Civil and Political Rights, the Government of the Republic of India declares that the words ,the right of self-determination‘ appearing in [this article] apply only to peoples under foreign domination and that these words do not apply to sovereign independent States or to a section of a people or nation – which is the essence of national integrity“ (Multilateral Treaties Deposited with the Secretary-General – Status as at 31 December 2002, Vol. I, Part I, Chapter IV.3, 154). Deutschland erklärte daraufhin am 15. August 1980: „The Federal Republic of Germany cannot consider as valid any interpretation of the right of self-determination which is contrary to the clear language of the provisions in question“ (id., 158). Auch Holland widersprach dieser Erklärung Indiens am 12. Januar 1982, da sie nicht mit dem Wortlaut des Art. 1 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte zu vereinbaren sei und überdies auch nicht der nachfolgenden Praxis der Parteien entspreche, da sie im Widerspruch zu der Declaration on Principles of International Law Concerning Friendly Relations and Co-operation Among States in Accordance with the Charter of the United Nations stehe (id., 159). Erst ca. 20 Jahre später im Jahr 1999 bezeichnete Deutschland die Erklärung Indiens als Vorbehalt, da sie das Recht auf Selbstbestimmung an Bedingungen knüpfe, die nicht dem internationalem Recht entsprächen und somit das Konzept selbst aushöhlten. Aus dem gleichen Grund bezeichnete Deutschland eine gleichlautende Erklärung Bangladeshs als Vorbehalt (id., 163). Auch Holland bezeichnete die Erklärung Bangladeshs ausdrücklich als Vorbehalt (id.).
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Ein solcher Konflikt über die Auslegung eines völkerrechtlichen Vertrags ist mit den Mitteln der friedlichen Streitbeilegung gemäß Art. 33 UNC beizulegen. Solche Mittel sind nach Art. 33 Abs. 1 UNC die Verhandlung, Untersuchung, Vermittlung, Vergleich, Schiedsspruch, gerichtliche Entscheidung, Inanspruchnahme regionaler Einrichtungen oder Abmachungen sowie andere friedliche Mittel eigener Wahl. Die meisten völkerrechtlichen Verträge enthalten detaillierte Bestimmungen für den Fall einer Streitigkeit über die Auslegung oder die Anwendung einer Vertragsbestimmung. Ein anschauliches Beispiel ist Art. XIV des Übereinkommens über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen vom 3. September 1992549. Weitere Beispiele sind Art. XXIX des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds, Art. IX des Abkommens über die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, Art. 279 – 285 des Seerechtsübereinkommens, Art. 20 des Basler Übereinkommens oder Art. 11 des Wiener Übereinkommens zum Schutz der Ozonschicht. Wegen des Grundsatzes der Gleichwertigkeit unilateraler Interpretationen kann jede Partei während der Streitbeilegungsphase ihre einseitige Auslegung des Vertrags aufrechterhalten. Die vertragliche Bestimmung bleibt zwischen den Streitparteien anwendbar. Nach einer bilateralen Einigung oder einem Urteil sind sie dann an diese Auslegung gebunden. Die Verbindlichkeit eines solchen Urteils ergibt sich daraus, dass, wenn sich ein Völkerrechtssubjekt einem internationalen Spruchkörper unterwirft, es dessen Auslegungsergebnis als höherwertig anerkennt. Dabei ist das Streitbeilegungsorgan grundsätzlich nicht verpflichtet, sich für eine der von den Parteien vorgeschlagenen Auslegungsmöglichkeiten zu entscheiden, sondern kann auch beide ablehnen.550 Eine Ausnahme kann nur dann vorliegen, wenn die Parteien dies vereinbaren. 549 UNTS 1974, 45. Art. XIV des Übereinkommens über das Verbot der Entwicklung, Herstellung, Lagerung und des Einsatzes chemischer Waffen und über die Vernichtung solcher Waffen lautet: „(1) Streitigkeiten, die über die Anwendung oder Auslegung dieses Übereinkommens entstehen können, werden im Einklang mit den einschlägigen Bestimmungen des Übereinkommens und nach Maßgabe der Charta der Vereinten Nationen beigelegt. (2) Entsteht zwischen zwei oder mehreren Vertragsstaaten oder zwischen einem und mehreren Vertragsstaaten und der Organisation eine Streitigkeit über die Auslegung und Anwendung dieses Übereinkommens, so konsultieren die Parteien einander mit dem Ziel, eine umgehende Beilegung der Streitigkeit durch Verhandlung oder andere friedliche Mittel ihrer Wahl herbeizuführen, unter anderem durch Inanspruchnahme der geeigneten Organe des Übereinkommens sowie im gegenseitigen Einvernehmen durch Verweisung an den Internationalen Gerichtshof nach Maßgabe seines Statuts. Die beteiligten Vertragsstaaten halten den Exekutivrat über die getroffenen Maßnahmen auf dem Laufenden.“ 550 StIGH, Affaire des Zones franches de la Haute-Savoie et du Pays de Gex (France c. Suisse), PCIJ Ser. A / B, No. 46 (1932), 16 (138): „En l’absence d’une disposition explicite prévoyant le contraire, il faut présumer que la Cour doit jouir de la liberté qui lui revient normalement et doit être en mesure, si telle est son opinion, non seulement d’accepter l’une ou l’autre des deux propositions, mais de rejeter les deux.“ Siehe auch StIGH, Affaire des
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
3. Keine Reaktion (Schweigen) Schweigen der anderen Vertragsparteien ist die häufigste Reaktion auf eine einfache Interpretationserklärung. Es ist problematisch, ob ein solches als Annahme gewertet werden kann. Grundsätzlich stellt Schweigen im Völkerrecht zwar eine Möglichkeit der Willensäußerung der Völkerrechtssubjekte dar.551 Als stillschweigendes Einverständnis gilt es jedoch nur in Ausnahmefällen552, da das Völkerrecht durch das Prinzip gekennzeichnet ist, dass die Staaten nur aufgrund ihrer ausdrücklichen Zustimmung völkerrechtliche Pflichten übernehmen.553 Die Ausnahmefälle bestehen etwa dann, wenn völkervertraglich vorgesehen ist, dass Schweigen eine Annahme darstellt554 oder wenn die Voraussetzung des qualifizierten Stillschweigens („acquiescence“) 555 vorliegen. Art. 20 Abs. 5 WVK ist ein Beispiel für einen vertraglich geregelten Fall, dass Schweigen eine Zustimmung darstellt. Nach Art. 20 Abs. 5 WVK gilt ein Vorbehalt als angenommen, wenn eine Vertragspartei nicht innerhalb von 12 Monaten nach der Notifikation des Vorbehalts, bzw. wenn die Ratifikation des jeweiligen Vertrags zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte, 12 Monate nach der Ratifikation Einspruch gegen den Vorbehalt einlegt.556 Für einfache Interpretationserklärungen gibt es im Gegensatz zu Vorbehalten keine völkervertraglichen Sonderregeln darüber, dass Schweigen als Annahme gewertet werden kann.557 Für eine dahingehende völkergewohnheitsrechtliche Regelung gibt es auch keine Anhaltspunkte.
prises d’eau à la Meuse (Pays-Bas c. Belgique), PCIJ Ser. A / B, No. 70 (1937), 4 (23): „La Cour estime que ni la thèse belge ni la thèse néerlandaise ne sauraient être intégralement acceptées.“ Ferner IGH, Rights of Nationals of the United States of America in Morocco (France v. United States), ICJ Reports 1952, 176 (211): „In these circumstances, the Court is of the opinion that Article 95 . . . requires an interpretation which is more flexible than either of those which are respectively contended for by the Parties in this case.“ Ausführlich zu den beiden letztgenannten Urteilen § 10 IV. 551 Rousseau, Droit international public, tome I, 1970, 430. 552 Vgl. auch Das, L’estoppel et l’acquiescement: Assimilations pragmatiques et divergences conceptuelles, RBDI 30 (1997), 607 (609). 553 Vgl. nur Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1988, 243. 554 Als Beispiele können hier Art. 21 und 22 der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation vom 22. Juli 1946 (UNTS 14, 185) genannt werden. 555 Müller / Cottier, Estoppel, EPIL, Band 1, 1992 14 (14); Rousseau, Droit international public, tome I, 1970, 430. 556 Eine Ausnahme besteht jedoch, wenn der jeweilige völkerrechtliche Vertrag eine Sonderregelung beinhaltet. Zu der Frage, inwieweit vertraglich verbotene oder sonst unzulässige Vorbehalte angenommen werden können oder nicht, siehe ausführlich Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 565 f. 557 In der abschließenden Diskussion über die Kodifikationsarbeiten der WVK wurde von Japan, dem Vereinigen Königreich und dem Spezialberichterstatter Sir Humphrey Waldock betont, dass die Regeln über die stillschweigende Annahme nur für Vorbehalte gelten sollten (YILC 1965 II, 46 und 49).
§ 8 Reaktionsmöglichkeiten der anderen Vertragsparteien
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Das qualifizierte Schweigen ist ein Institut des Vertrauensschutzes.558 Es liegt dann vor, wenn sich das Stillschweigen gegenüber einem fremden Rechtsanspruch in solcher Weise manifestiert, dass die passive Haltung nach Treu und Glauben nicht anders als eine stillschweigende Anerkennung verstanden werden kann.559 Dies ist dann der Fall, wenn das Schweigen „als schlüssiger Ausdruck des dahinterstehenden Willens aufgefasst werden kann“560. Der IGH qualifizierte beispielsweise das Schweigen Englands gegenüber dem norwegischen Regime hinsichtlich der Grenzen seiner Küstengewässer als Zustimmung, da England, obwohl es Kenntnis von den entsprechenden norwegischen Gesetzen und ein eigenes Interesse an dieser Regelung hatte, für einen Zeitraum von 60 Jahren geschwiegen hatte.561 Das bedeutet, dass das Schweigen der anderen Vertragsparteien auf eine einfache Interpretationserklärung per se betrachtet nicht als Zustimmung gewertet werden kann.562 Schweigen im Falle einer einfachen Interpretationserklärung bedeutet somit grundsätzlich Indifferenz der anderen Vertragsparteien.563 Es liegt also weder eine Annahme noch eine Ablehnung der einfachen Interpretationserklä558 Siehe hierzu Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971, 37 ff.; Kolb, La bonne foi en droit international public, RBDI 31 (1998), 661 (699 ff.). 559 IGH, Fisheries Case (United Kingdom v. Norway), ICJ Reports 1951, 116 (138 f.); Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971, 38. Siehe auch Kolb, La bonne foi en droit international public, RBDI 31 (1998), 661 (700): „Dans ces situations, sous certaines conditions, les sujets tiers doivent pouvoir s’attendre à une réaction de celui dont la sphère d’intérêts ou, à plus forte raison, dont les droits avaient été affectés par une conduite d’autrui. Des considérations élémentaires de confiance et de stabilité des rapports juridiques le commandent.“ 560 Drost, Grundfragen der Lehre vom internationalen Rechtsgeschäft, FS Laun, 1953, 213 (218). 561 IGH, Fisheries Case (United Kingdom v. Norway), ICJ Reports 1951, 116 (138 f.). 562 McRae, The Legal Effect of Interpretative Declarations, BYIL 49 (1978), 155 (169): „Inaction could not be treated as acquiescence; there is no duty to respond to the declaration nor is the declaration ,a threat to or infringement of rights‘.“ So auch Cameron / Horn, Reservations to the European Convention on Human Rights: The Belilos Case, GYIL 32 (1990), 69 (77). Anders aber Dahm, Völkerrecht, Band 3, 1961, 55: „Wenn ein Staat z. B. davon Kenntnis erlangt, daß ein Vertragspartner den Vertrag in einem bestimmten Sinne versteht, so hat er seine etwa abweichende Auffassung zum Ausdruck zu bringen. Andernfalls muß sein Schweigen als Zustimmung gelten, auch wenn er in Wahrheit nicht hat zustimmen wollen.“ Ähnlich argumentieren Jennings / Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I / 2 – 4, 1992, § 633: „If the meaning of a provision is ambiguous, and one of the parties at a time before a case arises for the application of the provision makes known what meaning it attributes to it, another party cannot, when a case for its application does occur, insist upon a different meaning unless it has previously taken necessary steps (such as protest) to rebut the implication that it has acquiesced in the meaning put forward.“ So auch Dinh / Dallier / Pellet, Droit international public, 1999, Rdn. 164. 563 Zu dieser Funktion des Schweigens siehe Suy, Les actes juridiques en droit international public, 1962, 61; Das, L’estoppel et l’acquiescement: Assimilations pragmatiques et divergences conceptuelles, RBDI 30 (1997), 607 (619): „Le silence peut traduire aussi bien l’indifférence que le consentement.“
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
rung, weder ein Streit über die Auslegung eines Vertrags noch eine interprétation partagée vor. Der Grund für das Ignorieren einfacher Interpretationserklärungen kann darin liegen, dass die anderen Vertragsparteien durch die Auslegungserklärung nicht betroffen werden, da der Vertrag dem Urheber der Erklärung gegenüber nicht erfüllt wird.564 Abhängig von den jeweiligen Umständen kann das Schweigen jedoch im Einzelfall als Annahme gewertet werden, nämlich dann, wenn es nach Treu und Glauben nicht anders als eine stillschweigende Zustimmung verstanden werden kann.
§ 9 Einfache Interpretationserklärungen und autoritative Auslegung Da der Urheber einer einfachen Interpretationserklärung lediglich einen Auslegungsvorschlag macht, ist die Bindung an eine anders lautende autoritative Auslegung nicht ausgeschlossen.565 Daher ist er, sofern ein internationales Gericht oder ein anderes Organ zu einer bindenden Auslegung des jeweiligen Abkommens befugt ist566 und eine andere Auslegung als maßgeblich festlegt, an diese gebunden.567 So führte die Europäische Menschenrechtskommission in dem Bericht Belilos v. Schweiz aus: „[Une déclaration interprétative simple] peut jouer un rôle dans l’interprétation d’un article de la Convention. Si toutefois la Commission ou la Cour arriveraient à une interprétation différente, l’État concerné serait lié par cette interprétation.“568
Hält der Urheber also weiterhin an seiner durch die Interpretationserklärung nach außen bekannt gemachten Auslegung des Vertrags fest, begeht er eine Vertragsverletzung.569 Dabei ist allerdings nach der Bindungswirkung der jeweiligen 564 Zu den unterschiedlichen Erfüllungsstrukturen völkerrechtlicher Verträge vergleiche oben § 1. 565 Vgl. auch Boyle, The Law of Treaties and the Anglo-French Continental Shelf Arbitration, ICLQ 29 (1980), 498 (503). 566 Für Beispiele nichtbindender Entscheidungen internationaler Organe in Auslegungsfragen siehe § 2 III. 3. e) ee). 567 Voïcu, De l’interprétation authentique des traités internationaux, 1967, 186; Schwarzenberger, Myths and Realities of Treaty Interpretation, Virginia JIL 9 (1968), 1 (11): „Authoritative interpretation stands in a category of its own. . . . As such it is binding on the parties and any organ which decides on their rights and duties on a basis of a delegated authority.“ Vgl. auch Bowett, Reservations to Non-Restricted Multilateral Treaties, BYIL 48 (1976 – 77) 67 (70). 568 EKMR, Belilos v. Schweiz, Bericht vom 7. Mai 1987, Ser. A 132, 37 ff., Rdn. 102. Siehe auch id., Rdn. 120: „Au vu de ce qui précède, l’ article 6 § 1 de la Convention qui garantit le droit à un procès équitable s’ appliqué, sans que soit prise en considération la déclaration interprétative formulée par la Suisse au sujet de cette disposition.“ 569 McRae, The Legal Effect of Interpretative Declarations, BYIL 49 (1978), 155 (161); Horn, Reservations and Interpretative Declarations to Multilateral Treaties, 1988, 326. Siehe
§ 9 Einfache Interpretationserklärungen und autoritative Auslegung
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autoritativen Auslegung zu differenzieren. Handelt es sich um eine autoritative Auslegung eines internationalen Gerichts, sind nur die am Verfahren beteiligten Parteien an sie gebunden. Ist der Urheber einer einfachen Interpretationserklärung selbst nicht beteiligte Partei an einem solchen Gerichtsverfahren, ist er aufgrund der inter partes Wirkung (internationaler) gerichtlicher Entscheidungen nicht an das Urteil selbst gebunden.570 Für ihn ist grundsätzlich weiterhin auch nicht die von dem internationalen Gericht vorgenommene Auslegung maßgeblich. Für Urteile des IGH ergibt sich dies aus seinem Statut. Die Zuständigkeit des IGH für die Auslegung multilateraler völkerrechtlicher Verträge ist in Art. 36 Abs. 2 (a) des IGH-Statuts kodifiziert. Art. 59 des IGH-Statuts sieht vor, dass die Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs nur für die Streitparteien selbst und nur in Bezug auf die Sache bindend sind.571 In Art. 63 des IGH-Statuts ist die Bindungswirkung der vom IGH vorgenommen Auslegung geregelt: „(1) Handelt es sich um eine Auslegung einer Übereinkunft, an der andere Staaten als die Streitparteien beteiligt sind, so unterrichtet der Kanzler unverzüglich diese Staaten. (2) Jeder dieser Staaten ist berechtigt, dem Verfahren beizutreten; macht er von diesem Recht Gebrauch, so ist die in dem Urteil enthaltene Auslegung auch für ihn bindend.“
Das heißt, dass der derjenige Staat, der eine Interpretationserklärung abgegeben hat und dem Verfahren beigetreten ist572, an die Auslegung des Vertrags durch den IGH gebunden ist573 und folglich auch seine unilaterale Interpretation nicht mehr aufrechterhalten kann. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss, dass bei Nichtbeitritt zum Verfahren die Auslegung des IGH nicht bindend und daher eine Aufrechterhaltung der Interpretationserklärung weiterhin möglich ist. Diese Schlussfolgerung wird durch Art. 38 Abs. 1 lit. d des IGH-Statuts bestätigt. Nach dieser Vorschrift zieht der Gerichtshof vorbehaltlich des Art. 59 seines Statuts richterliche Entscheidungen und die Lehrmeinungen der fähigsten Völkerrechtler der verschieauch die Vertragspraxis der USA: „The United States and its courts and agencies, however, are bound by an interpretation of an agreement of the United States by an international body authorized by the agreement to interpret it“ (American Law Institute, The Restatement of Law (Third), The Foreign Relations Law of the United States, Vol. I, 1986, 201). 570 Rousseau, Droit international public, tome I, 1970, 248. Siehe hierzu auch oben § 2 III. 3. d) (2). 571 In zwei Fällen hat der IGH keine Entscheidung über die Begründetheit getroffen und die Auslegung einer multilateralen Konvention verweigert, da er sonst die rechtlichen Interessen eines Drittstaats beeinträchtigt hätte. IGH, Affaire de l’or monétaire pris à Rome en 1943 (Italie c. France, Royaume Uni de Grande Bretagne et d’Irlande du Nord et États-Unis d’Amérique), ICJ Reports 1954, 19 (32 f.) und IGH, East Timor (Portugal v. Australia), ICJ Reports 1995, 90 ff., Rdn. 35. 572 Ein Beispiel hierfür ist die Intervention Kubas wegen des Streits zwischen Kolumbien und Peru über die Auslegung der Havanna Konvention über Asyl von 1928 anlässlich der Asylgewährung für Victor Paul Haya de la Torre durch Kolumbien, IGH, Haya de la Torre (Colombie c. Pérou), ICJ Reports 1951, 71 (76 f.). 573 Siehe auch Oda, Intervention in the International Court of Justice, FS Mosler, 1983, 629 (645).
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
denen Nationen als Hilfsmittel zur Feststellung von Rechtsnormen heran. Folglich kann der Urheberstaat einer einfachen Interpretationserklärung diese aufrechterhalten, wenn er nicht Verfahrensbeteiligter vor dem IGH ist. Eine Bindung tritt auch bei anderen internationalen Urteilen nicht ein. Dies ergibt sich aus den Charakteristika des (internationalen) Justizsystems. Eine gerichtliche Entscheidung dient der Rechtsfindung im Einzelfall und bindet daher nur die am Verfahren beteiligten Parteien.574 Dabei macht es keinen Unterschied, ob die autoritative Auslegung durch ein ad hoc eingerichtetes Schiedsgericht, den IGH oder durch ein fakultativ oder obligatorisch zuständiges vertragsimmanentes Streitbeilegungsorgan vorgenommen wird. Davon zu unterscheiden ist die Autorität, die internationalen Gerichtsentscheidungen zukommt. Obwohl die jeweilige Gerichtsentscheidung immer nur inter partes rechtsverbindlich ist, werden aufgrund des generell hohen Ansehens internationaler Gerichtsentscheidungen diese oft auch von Nichtvertragsparteien befolgt575, und auch die Gerichte selbst weichen in zukünftigen Entscheidungen nur selten von ihrer Rechtsprechung ab576. Sieht der jeweilige völkerrechtliche Vertrag jedoch vor, dass die autoritative Auslegung einer Norm von einem vertraglichen Organ vorgenommen wird, das kein Gericht ist, und dass diese Auslegung für alle Vertragsparteien Bindungswirkung entfalten soll, so begeht jede Vertragspartei, die an ihrer in der Interpretationserklärung geltend gemachten Auslegung festhält, eine Vertragsverletzung. Die Ministerkonferenz und der Allgemeine Rat der WTO, die jeweils mit einer Dreiviertelmehrheit ihrer Mitglieder eine Auslegung als verbindlich festlegen können577, können als Beispiele für solche Organe genannt werden.
574 Im innerstaatlichen Recht ist das Gewaltenteilungsprinzip der Hintergrund dafür, dass gerichtliche Entscheidungen grundsätzlich nur inter partes wirken. 575 Siehe hierzu nur Mosler, Judgements of international Courts and Tribunals, EPIL, Band 2 (1995), 31 (36). 576 Zu der Praxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte siehe nur EGMR, Goodwin v. Vereinigtes Königreich, Urteil vom 11. Juli 2002, ECHR 2002-VI, 1 ff., Rdn. 74: „While the Court is not formally bound to follow its previous judgments, it is in the interests of legal certainty, foreseeability and equality before the law that it should not depart, without good reason, from precedents laid down in previous cases.“ Zu der Präzedenzwirkung von Urteilen des IGH siehe ausführlich Shahabuddeen, Precedent in the World Court, 1997 (1996). 577 Art. IX Abs. 2 des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation.
§ 10 Die Auswirkungen einfacher Interpretationserklärungen
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§ 10 Die Auswirkungen einfacher Interpretationserklärungen auf die Auslegung eines Vertrags Der Grund für die Abgabe von Interpretationserklärungen liegt darin, dass ihr Urheber die Auslegung des jeweiligen völkerrechtlichen Vertrags beeinflussen will.578 In der völkerrechtlichen Literatur gibt es nur wenige Autoren, die sich mit den Rechtswirkungen einfacher Interpretationserklärungen beschäftigen.579 In der Regel wird ohne nähere Begründung in ein oder zwei Sätzen konstatiert, dass ihr eine Bedeutung im Rahmen der Vertragsinterpretation zukommt.580 Diese Rolle der einfachen Interpretationserklärungen soll im Folgenden näher untersucht werden.
I. Verhinderung einer anders lautenden authentischen Auslegung Die erste Rechtswirkung einfacher Interpretationserklärungen ist, dass sie eine anders lautende authentische Auslegung der jeweiligen völkerrechtlichen Norm verhindern. Denn durch die ausdrückliche Erklärung, dass der Urheberstaat eine bestimmte mögliche Auslegung der Norm favorisiert, verhindert er einen Konsens bezüglich einer anders lautenden authentischen Auslegung.
578 Vgl. hierzu die Äußerung von Lothar Mark, MdB, Mitglied des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags zu der als „Interpretationserklärung“ bezeichneten Äußerung der Bundesrepublik Deutschland zu Art. 22 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes: „Bei der Erklärung handelt es sich im Wesentlichen um Erläuterungen, die Fehl- oder Überinterpretationen des Vertragswerks vermeiden sollen. Die Auslegung der Konvention würde im gleichen Maße gelten, wenn die Erklärung nicht abgegeben worden wäre“ (www.oneworldweb.de / tdh / presse / wahl2002_antworten.html, besucht 12. Juni 2003). 579 Ein Beispiel hierfür ist der Aufsatz von McRae, The Legal Effect of Interpretative Declarations, BYIL 49 (1978), 155 (155 ff.). Auch eine Ausarbeitung dieser Fragestellung durch den Sonderberichterstatter für Vorbehalte der Völkerrechtskommission Pellet ist zurzeit (Dezember 2004) noch nicht erfolgt. 580 Sir Humphrey Waldock, YILC 1965 II, 49, Rdn. 2: „Statements of interpretation were not dealt with by the Commission in the present action for the simple reason that they are not reservations and appear to concern the interpretation rather than the conclusion of treaties. In short, they appear rather to fall under articles 69 – 71“ (im Entwurf der Völkerrechtskommission waren die Auslegungsregeln in den Artikeln 69 – 71 enthalten). Siehe auch beispielsweise Kühner, Vorbehalte und auslegende Erklärungen zur Europäischen Menschenrechtskonvention, ZaöRV 42 (1982), 58 (62) oder Graf Vitzthum, in: Graf Vitzthum, Völkerrecht, 2001, 1. Abschn., Rdn. 121.
9 Heymann
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
II. Einfache Interpretationserklärungen als Auslegungsfaktoren Weiterhin wirken einfache Interpretationserklärungen auf die Auslegung eines Vertragswerks ein, da sie ein Auslegungsmittel im Rahmen der Vertragsinterpretation darstellen können. Dabei ist zu unterscheiden zwischen Auswirkungen, die aufgrund der Reaktion der anderen Vertragsparteien eintreten, Auswirkungen aufgrund Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes und Auswirkungen allein aufgrund der Existenz der einfachen Interpretationserklärung.
1. Auswirkungen aufgrund der Reaktion der anderen Vertragsparteien a) Von allen Parteien angenommene einfache Interpretationserklärungen aa) Einfache Interpretationserklärungen nach dem Vertragsschluss Nehmen alle Parteien eines multilateralen Vertrags die einfache Interpretationserklärung an, so liegt eine Einigung über die Auslegung eines Vertrags vor. Fraglich ist, ob eine solche Einigung eine Übereinkunft über die Auslegung im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK oder eine spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. b WVK, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über die Auslegung hervorgeht, darstellt. Der Wortlaut des Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK verwendet den Begriff Übereinkunft („agreement“ / „accord“) anstelle des Worts Vertrag („treaty“ / „traité“), daher wird unter Übereinkunft im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK jede auch formlose Einigung der Vertragsparteien über die Auslegung verstanden.581 Eine von allen Vertragsparteien angenommene einfache Interpretationserklärung wird daher in der Regel eine Übereinkunft über die Auslegung im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK darstellen. Teilweise wird angenommen, dass eine authentische Auslegung, die dem gemeinsamen Willen aller Vertragsparteien entspricht, grundsätzlich dieselbe Verbindlichkeit wie die ausgelegte Bestimmung selbst aufweist.582 Eine Auslegungs581 Rousseau, Droit international public, tome I, 1970, 244; Yasseen, L’Interprétation des traités d’après la Convention de Vienne sur le droit des traités, RdC 151 (1976-III), 1 (45). Siehe auch die Entscheidung des Schiedsgerichts im Beagle Channel Case vom 22. April 1977, AFDI 23 (1977), 409 (429). Ausführlich zu der Schiedsgerichtsentscheidung, Dutheil de la Rochère, L’affaire du Canal de Beagle, AFDI 23 (1977), 409 – 435. Aus der neueren Literatur siehe hierzu nur Aust, Modern Treaty Law and Practice, 2000, 191. Vgl. auch die Argumentation der USA in dem Schiedsverfahren Methanex Corporation v. United States of America vor dem Schiedsgericht der NAFTA, Post Hearing Submission of Respondent United States of America, 20. Juli 2001, 3 f., http: / / www.state.gov / document / organization. 6050.pdf, besucht am 26. Januar 2004.
§ 10 Die Auswirkungen einfacher Interpretationserklärungen
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übereinkunft ist ein relevanter Auslegungsfaktor, da sich in ihr die Intentionen der Parteien bezüglich des Regelungsgehalts des Vertrags ausdrücken.583 Umstritten ist, ob eine solche Auslegungsübereinkunft als Indiz für den historischen Parteiwillen oder auch als Indiz für den aktuellen Parteiwillen verwendet werden kann.584 Dieser Streit hängt wiederum damit zusammen, ob der völkerrechtliche Vertrag als dynamisch oder statisch angesehen wird.585 Umstritten ist ferner, ob ein internationaler Richter bei dem Vorliegen eines solchen Interpretationsabkommens den jeweiligen völkerrechtlichen Vertrag noch auslegen darf. So argumentieren einige Autoren, dass im Falle einer Auslegungsübereinkunft der internationale Richter von seinen Aufgaben entbunden sei und einen völkerrechtlichen Vertrag nicht mehr auslegen dürfe586, da die authentische Interpretation auch für ein internationales Gericht bindend sei.587 Dem ist nicht zuzustimmen, da ein internationales Gericht immer nur nach vorherigem Konsens der Vertragsparteien zuständig sein kann und dann auch die endgültige Auslegungskompetenz für die konkrete Streitsache besitzt.588 Daraus folgt, dass das Gericht auch beim Vorliegen eines Interpretationsabkommens noch selbst den Vertrag auslegen darf.589 Dies entspricht eben582 Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 1963, 44; vgl. auch Tomuschat, Admissibility and Legal Effects of Reservations to Multilateral Treaties, ZaöRV 27 (1967), 463 (465); Karl, Vertrag und spätere Praxis, 1983, 40. 583 Vgl. auch Archdukes of the Habsburg-Lorraine House v. Polish State Treasury, Urteil des polnischen Obersten Gerichtshofs vom 16. Juni 1930, AD 5 (1929 – 30), 395 (396): „[T]he concordant interpretation of this provision . . . is an eloque expression of the intention of the Contracting parties and, thus understood, it is a determining indication for the Court in interpreting article 208.“ Siehe auch US Supreme Court Sumitomo Shoji America, inc. v. Avagliano et al., 457 US 176 (184) (1982) bezüglich der Auslegung eines bilateralen Vertrags: „Our role is limited to giving effect of the intent of the Treaty parties. When the parties to a treaty both agree as to the meaning of a treaty provision, and that interpretation follows from the clear treaty language, we must, absent extraordinarily strong contrary evidence, defer to that interpretation.“ 584 Für die spätere Praxis als Ausdruck des historischen und des aktuellen Parteiwillens, siehe ausführlich Karl, Vertrag und spätere Praxis, 1983, 127 ff. und 143 ff. 585 Siehe hierzu unter § 2 III. 3. d) bb) (3). 586 So Hyde, International Law, Vol. II, 1947, 1485 und 1496; Cot, La pratique subséquente des parties à un traité, RGDIP 70 (1966), 632 (662); Yasseen, L’interprétation des traités d’après la Convention de Vienne sur le droit des traités, RdC 151 (1976 III), 1 (45). 587 Voïcu, De l’interprétation authentique des traités internationaux, 1967, 118. Siehe auch die Regeln bezüglich der Auslegung, die 1933 von der 7. Internationalen Konferenz der Amerikanischen Staaten angenommen wurden: „Art. 2: Of all interpretations, that which the parties have made together will be given preference“ (AJIL 29 (1935), Supplement, 1225 f.) 588 Dazu schon § 2 III. 3. d) aa) (2). 589 Ein Beispiel hierfür ist das Urteil des Schiedsgerichts der NAFTA in der Rechtssache Methanex Corporation v. United States of America. Es erwähnte zwar die authentische Auslegung der Parteien zu Art. 1101 des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens, legte Art. 1101 aber dennoch eigenständig anhand von Art. 31 Abs. WVK aus, ohne sich im Folgenden auf die authentische Interpretation oder Art. 31 Abs. 3 (a) WVK zu berufen, und kam zu dem gleichen Ergebnis wie die authentische Parteienauslegung. Methanex Corporation v. United States of America, Preliminary Award on Jurisdiction and Admissibility, 7. August
9*
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
falls der Regelung der WVK, nach der eine Übereinkunft über die Auslegung eines Vertrags in gleicher Weise wie der Zusammenhang zu berücksichtigen ist.590 Das internationale Gericht hat bei der Auslegung eines Vertrags das Interpretationsabkommen zu berücksichtigen. Dieses Ergebnis wird durch die Staatenpraxis bestätigt. In dem Verfahren Methanex Corporation v. United States vor dem Schiedsgericht der NAFTA, eines der wenigen internationalen Gerichtsverfahren, in dem Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK eine Rolle spielte, argumentierten die USA, dass eine Übereinkunft gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK von dem Gericht zu berücksichtigten sei („shall be taken into account„ / „sera tenu compte“).591 Die USA machten hingegen nicht geltend, dass das Gericht an eine Auslegungsübereinkunft gemäß Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK gebunden sei.592
2002, Rdn. 127 – 140, http: / / www.state.gov / document / organization.12613.pdf, besucht am 19. Dezember 2003. 590 YILC 1964 II, 203, Rdn. 13: „[A]n agreement as to the interpretation of a provision reached after the conclusion of the treaty represents an authentic interpretation by the parties which must be read into the treaty for purposes of its interpretation.“ Wiederholt in: ILC-Entwurf, Kommentar zu Art. 27, YILC 1966 II, 221, Rdn. 14. Siehe auch IGH, Kasikili / Sedudu Island (Botswana v. Nambia), ICJ Reports 1999, 1045 ff., Rdn. 51. Von Vertretern einer objektiven Auslegungsmethodik wird dagegen angeführt, dass eine Auslegungsübereinkunft nur dann berücksichtigt werden dürfe, wenn der Vertragstext selbst unklar sei. Siehe nur IGH, Certain Depenses of the United Nations (Advisory Opinion), Separate Opinion Sir Spender, ICJ Reports 1962, 182 (191): „Even where in the course of subsequent conduct pursued . . . by all parties to a multilateral treaty are in accord and that conduct permits of only one inference it provides a criterion of interpretation only when, as has already been indicated, the text of the treaty is obscure or ambiguous.“ Diese Ansicht scheint auch der StIGH in Accés et stationnement des navires de guerre polonais dans le port de Danzig (Avis consultatif), PCIJ Ser. A / B, No. 43 (1931), 124 (140) zu vertreten: „Le sens attaché dans le texte de la question au mot ,attributions‘ n’est pas absolument clair. Les avocats des deux Gouvernements intéressés ont estimé qu’il vise les pouvoirs confiés ou délégués par une autorité supérieure. Aucune question n’a été soulevée, cependant, au cours de la procédure à propos du sens à donner à ce mot. Pour ce motif, la Cour, sans avoir le désir d’exprimer une opinion quelconque sur le sens du terme ,attributions‘ en général, est prête à admettre, aux fins de la présente affaire, l’interprétation qui a été donnée de cette expression par les représentants des Gouvernements intéressés.“ 591 Methanex Corporation v. United States of America, Post Hearing Submission of Respondent United States of America, 20. Juli 2001, 3 und 6, http: / / www.state.gov / document / organization.6050.pdf, besucht am 19. Dezember 2003. 592 Eine Ausnahme nahmen die USA nur für den Fall an, dass die Auslegung einer Bestimmung durch die NAFTA Kommission erfolgt sei, da eine solche Auslegung gemäß Art. 1131 des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens auch für das Gericht im Rahmen der NAFTA bindend sei. (Art. 1131 Abs. 2 lautet: „An interpretation by the Commission [NAFTA Free Trade Commission, die sich aus den Handelsministern aller Mitgliedsstaaten zusammensetzt] shall be binding on a Tribunal established under this Section.“) Methanex Corporation v. United States of America, Response of Respondent United States of America to Methanex’s Submission Concerning the NAFTA Free Trade Commission’s July 31, 2001 Interpretation, 26. Oktober 2001, http: / / www.state.gov / document / organization.6028.pdf, besucht am 19. Dezember 2003.
§ 10 Die Auswirkungen einfacher Interpretationserklärungen
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Freilich wird eine abweichende Auslegung wohl in den seltensten Fällen vorgenommen werden593, da die Tatsache, dass alle Vertragsparteien die Auslegung angenommen haben, ein wichtiges Indiz für den Vertragsinhalt ist.594 Dies liegt daran, dass in einem Interpretationsabkommen der Wille der Parteien bezüglich des Regelungsgehalts eines Vertrags zum Ausdruck gebracht wird. Einigen sich die Vertragsparteien auf eine von mehreren möglichen Deutungen einer Norm, dann ist dieser in der Regel auch Vorrang einzuräumen. Eine von der Auslegungsübereinkunft abweichende Auslegung könnte bei Verträgen vorgenommen werden, die Dritten Rechte gewähren. Als Beispiele können Verträge zum Schutz von Menschenrechten oder die Gründungsverträge von internationalen Organisationen genannt werden. Bei solchen könnten die dem Einzelnen verliehenen Rechte beeinträchtigt werden, wenn die Vertragsparteien jederzeit die Möglichkeit hätten, sich auf eine für das Individuum nachteilige Auslegung zu einigen, und so der Rechtsschutz des Einzelnen beschränkt werden könnte.595 593 Siehe hierzu IGH, Application of the Convention of 1902 Governing the Guardianship of Infants (Netherlands v. Sweden) Separate Opinion of Judge Sir Hersch Lauterpacht, ICJ Reports 1958, 55 (97): „[T]he agreement of the parties on a matter of basic principle – is a significant legal aspect of the situation; it makes it difficult to maintain that public order cannot be invoked unless specifically provided for in the Convention.“ 594 Dabei ist anzumerken, dass eine übereinstimmende Haltung aller Vertragsparteien kein zweifelsfreies Indiz für eine rechtlich zutreffende Vertragsauslegung ist, denn den Vertragsparteien steht es frei, den Vertrag aufzuheben, zu ändern oder fortzuentwickeln, und sie können das abgesehen von innerstaatlichen verfassungsrechtlichen Problemen förmlich oder formlos tun. Siehe hierzu nur Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 1963, 44. Eine angenommene einfache Interpretationserklärung stellt aber eine Auslegung des Vertrags dar, da es wie oben unter § 2 III. 3. d) dargestellt, Voraussetzung für das Vorliegen einer einfachen Interpretationserklärung ist, dass sie die Norm auslegt. Aus diesem Grund sind weiterhin teilweise angenommene Interpretationserklärungen kein inter se Abkommen gemäß Art. 41 WVK (siehe auch McRae, The Legal Effect of Interpretative Declarations, BYIL 49 (1978), 155 (168 f.)). Art. 41 WVK regelt, dass zwei oder mehrere Vertragsparteien eine Übereinkunft schließen können, um den Vertrag ausschließlich im Verhältnis zueinander zu modifizieren. Siehe hierzu Yasseen, L’interprétation des traités d’après la Convention de Vienne sur le droit des traités, RdC 151 (1976-II), 1 (46): „Toutefois, l’application inter se d’ un accord interprétatif d’un traité multilatéral, suppose qu’il s’agit vraiment d’un accord interprétatif. Si cet accord a pour objet de modifier et non pas d’ interpréter seulement le traité multilatéral, il risque d’appeler l’application de l’article 41 . . .“. 595 Vgl. auch die Argumentation von Methanex vor dem Schiedsgericht der NAFTA: „It would violate elementary concepts of fairness and due process if Parties were permitted to ,interpret‘ away pre-existing rights that third parties reasonably relied on“ (Methanex Corporation v. United States of America, Reply of Claimant Methanex Corporation to the Post-Hearing Submission of Respondent United States of America, 27. Juli 2001, 7, http: / / www.state.gov / document / organization.6051.pdf, besucht am 19. Dezember 2003). Die USamerikanische Seite vertrat allerdings die Gegenposition: „In any event, Article 31 (3) does not vary the authoritative nature of a subsequent agreement depending on whether it expands or contracts protections of a States or their nationals“ (Methanex Corporation v. United States of America, Response of Respondent United States of America to Methanex’s Post-Hearing Submission, 27. Juli 2001, 6, http: / / www.state.gov / document / organization.6052.pdf, besucht am 19. Dezember 2003).
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass eine von allen Vertragsparteien angenommene Interpretationserklärung ein Auslegungsübereinkommen im Sinne von Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK darstellt. Ein solches Auslegungsübereinkommen stellt einen sehr wichtigen Auslegungsfaktor dar und eine gerichtliche Auslegung wird wohl nur selten von diesem Auslegungsergebnis abweichen.
bb) Einfache Interpretationserklärungen vor dem Vertragsschluss Interpretationserklärungen vor dem Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags sind grundsätzlich Teil der travaux préparatoires.596 Eine Ausnahme wird aber dann angenommen, wenn eine Einigung aller zukünftigen Vertragsparteien über die Auslegung vorliegt und es ihrem Willen entspricht das Auslegungsübereinkommen aufrechtzuerhalten. Dann werden auch solche Auslegungsübereinkünfte aller Vertragsparteien unter Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK subsumiert.597 Ein Beispiel für ein solches Abkommen, das heute wohl unter Art. 31 Abs. 3 lit. a WVK zu subsumieren wäre598, ist der Notenwechsel zwischen den späteren Parteien des Vertrags über die Ächtung des Krieges von 1928 (Kellogpakt)599. Bevor der Vertragstext des Kellogpakts unterzeichnet wurde, fand, verursacht durch einen Brief der USA vom 23. Juni 1928600, eine Einigung der späteren Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags mittels einseitiger Interpretationserklärungen statt.601 Der Inhalt dieser Einigung war, dass das Recht auf Selbstverteidigung von 596 Die travaux préparatoires sind gemäß Art. 32 WVK subsidiäres Auslegungsmittel. Sie können zur Bestätigung eines nach Art. 31 WVK gefundenen Auslegungsergebnisses oder zur Korrektur eines solchen, sofern es zu einem mehrdeutigen, offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis geführt hat, herangezogen werden. Siehe hierzu nur aus der neueren Rechtsprechung des IGH, Différend territorial (Jamahiriya arabe libyenne v. Tchad), ICJ Reports 1994, 6 ff., Rdn. 27 und Affaire de la délimitation maritime et des questions territoriales entre Quatar et Bahreïn (Qatar c. Bahreïn), Compétence et Recevabilité II, ICJ Reports 1995, 6 ff., Rdn. 41 f. 597 ILC-Entwurf 1966, Kommentar zu Art. 27, YILC 1966 II, 221, Rdn. 14: „[I]t is well settled that when an agreement as to the interpretation of a provision is established as having been reached before or at the time of the conclusion of the treaty, it is to be regarded as forming part of the treaty.“ So auch Yasseen, L’interprétation des traités d’après la Convention de Vienne sur le droit des traités, RdC 151 (1976 III), 1 (37), der allerdings verlangt, dass das Abkommen bis zum Vertragsschluss aufrechterhalten wird. Vgl. auch Fitzmaurice, The Law and Procedure of the International Court of Justice: Treaty Interpretation and Certain Other Points, BYIL 28 (1951), 1 (12). 598 Zu der damaligen rechtlichen Einordnung dieses Notenwechsels siehe unter anderen Wright, The Interpretation of Multilateral Treaties, AJIL 23 (1929), 94 (106); Brown, The Interpretation of the General Pact for the Renunciation of War, AJIL 23 (1929), 374 (378) und Fachiri, Interpretation of Treaties, AJIL 23 (1929), 745 (745). 599 Der Vertragstext ist abgedruckt in: AJIL 22 (1928), No. 4, Supplement: Official Documents, 171 – 176. 600 Der Brief ist abgedruckt in: AJIL 22 (1928), No. 4, Supplement: Official Documents, 109 ff.
§ 10 Die Auswirkungen einfacher Interpretationserklärungen
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dem Kellogpakt nicht berührt sei, dass eine Partei, die Krieg als Mittel der Politik einsetze, von den Vorteilen des Pakts ausgeschlossen sei und dass zwischen dem Kellogpakt und dem Statut des Völkerbundes kein Widerspruch bestehe.
b) Teilweise angenommene einfache Interpretationserklärungen Wird eine einfache Interpretationserklärung nur von einem Teil der Vertragsparteien angenommen, ist die interprétation partagée kein selbstständiger Auslegungsfaktor im Sinne der WVK. Dies liegt daran, dass bei der Auslegung eines Vertrags die Absichten aller Vertragsparteien zu berücksichtigen sind602 und die interprétation partagée immer nur den Willen einer mehr oder weniger großen Gruppe von Vertragsparteien zum Ausdruck bringt. Dies schließt aber nicht aus, dass sie unter Umständen als Indiz für einen gemeinsamen Parteiwillen herangezogen werden könnte. Handelt es sich um eine Streitigkeit zwischen zwei oder mehreren Parteien der interprétation partagée, kann dieser Vereinbarung bei der Auslegung eine entscheidende Bedeutung zukommen, da die Parteien sich gerade auf diese Auslegung geeinigt haben. Ein Beispiel hierfür ist die Entscheidung Foxworth v. Permanent Mission of the Republic of Uganda to the United Nations eines US-amerikanischen District Court.603 Die Klägerin war durch einen Autounfall, der von einem Fahrzeug der Ständigen Vertretung Ugandas bei den Vereinten Nationen verursacht wurde, schwer verletzt worden und verlangte Schadensersatz. In einem erstinstanzlichen Versäumnisurteil war der Klägerin Schadensersatz zugesprochen worden. Da die Beklagte in der Folgezeit keine Zahlungen leistete, sollte das Bankkonto der Beklagten eingefroren werden. Dagegen wehrte sich die Beklagte, sie machte geltend, dass sie das Bankkonto benötige, um ihre offizielle Funktion als Ständige Vertretung wahrnehmen zu können; also stelle diese Handlung eine Verletzung internationaler Verpflichtungen der USA und Ugandas dar. Daher prüfte das Gericht, ob durch die Beschlagnahme des Bankkontos Art. 104 Abs. 2 UNC und Art. 25 der Diplomatenrechtskonvention verletzt worden sei. Da sich Uganda und die USA darüber einig waren, dass die Beschlagnahme eines Bankkontos die oben genannten Verträge verletze und dies eine vernünftige Interpretation sei, die mit dem Wortlaut vereinbar sei, stellte das Gericht eine Verletzung der UNC und des Wiener Übereinkommens fest.604 601 Die jeweiligen Erklärungen sind in AJIL 23 (1929), No. 1, Supplement: Official Documents, 1 – 13 abgedruckt. 602 Vgl. auch Jennings / Watts, Oppenheim’s International Law, Vol. I / 2 – 4, 1992, § 630: „An interpretation agreed between some only of the parties to a multilateral treaty may, however, not be conclusive, since the interests and intentions of the other parties may have to taken into consideration.“ Siehe auch de Visscher, Problèmes d’interprétation judiciaire en droit international public, 1963, 124 (bezogen auf die spätere Praxis). 603 Siehe hierzu Foxworth v. Permanent Mission of the Republic of Uganda to the United Nations, United States District Court, Southern District of New York, 6. Juli 1992, ILR 99, 138 (138 ff.).
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
c) Abgelehnte einfache Interpretationserklärungen Wird eine einfache Interpretationserklärung von einer oder mehreren Vertragsparteien abgelehnt, besteht zwischen diesen Parteien ein Dissens über die Auslegung. Es liegt somit aufgrund der ablehnenden Haltung der anderen Parteien in der Regel kein relevanter Auslegungsfaktor vor.605
2. Auswirkungen aufgrund des Vertrauensschutzes: Möglichkeit der Präklusion anderer Auslegungen aufgrund des Estoppelprinzips Einfache Interpretationserklärungen können nicht nur aufgrund der ausdrücklichen Zustimmung der anderen Vertragsparteien, sondern auch aufgrund des Estoppelprinzips Auswirkungen auf die Auslegung eines Vertrags haben. Das Estoppelprinzip leitet sich aus dem Prinzip des Vertrauensschutzes606 ab607, welches wiederum ein Ausfluss des völkerrechtlichen Strukturprinzips ist, dass völkerrechtliche Verpflichtungen nach Treu und Glauben608 zu erfüllen sind. Es besagt, dass eine Partei an die Erwartungen, die die andere nach Treu und Glauben in aus604 Id., 142: „Here, the two parties of the relevant treaties . . . agree that [the] attachment of the bank account constitutes a violation both of the United Nations Charter and the Vienna Convention . . . . This is a reasonable interpretation consistent with the language of the treaties.“ 605 Siehe auch die Entscheidung des IGH Kasikili / Sedudufall (Botswana v. Namibia) bezüglich der Auslegung eines bilateralen Vertrags, ICJ Reports 1999, 1045 ff., Rdn. 47 ff., insbesondere Rdn. 63. Der IGH lehnte das Vorhandensein einer späteren Praxis ab, da die nachfolgenden Handlungen inkonsistent gewesen und deshalb nicht unter Art. 31 Abs. 3 (b) WVK zu subsumieren seien. Vgl. auch Cot, La conduite subséquente des parties à un traité, RGDIP 70 (1966), 632 (646). 606 Das Prinzip des Vertrauensschutzes bedeutet nach Müller, dass „bestimmte Erwartungen, die ein Rechtssubjekt durch sein schlüssiges Verhalten bei einem Rechtspartner oder bei der weiteren Rechtsgemeinschaft erweckt, rechtsgestaltend wirken“ (ders., Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971, 1). Siehe auch Kolb, La bonne foi en droit international public, RBDI 31 (1998), 661 (684 ff.). 607 Schwarzenberger, The Fundamental Principles of International Law, RdC 87 (1955-I), 196 (323); Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971, 11; Das, L’estoppel et l’acquiescement: Assimilations pragmatiques et divergences conceptuelles, RBDI 30 (1997), 607 (609); Combacau / Sur, Droit international public, 2001, 95. Anders MacGibbon, Estoppel in International Law, ICLQ 7 (1958), 468. 608 Verdross, Die bona fides als Grundlage des Völkerrechts, FS Laun, 1953, 29 (29 ff.); F.A. von der Heydte, Die bona fides und die einzelne Rechtsnorm, ZÖR 11 (1961), 364 (365); IGH, Nuclear Test Case (Australia v. France), ICJ Reports 1974, 246 ff., Rdn. 46 und Rdn. 51; Kolb, La bonne foi en droit international public, RBDI 31 (1998), 661 (665); Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 845. Teilweise wird es auch als eine der zwei das Völkerrecht tragenden Säulen bezeichnet, Verdross / Simma, Völkerrecht, 1984, § 64. Als die zweite Säule wird das Gegenseitigkeitsprinzip bezeichnet. Aus neuerer Zeit ausführlich zum Prinzip des guten Glaubens Kolb, La bonne foi en droit international public, 2000.
§ 10 Die Auswirkungen einfacher Interpretationserklärungen
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drückliche oder konkludente Äußerungen der Ersteren setzen durfte, gebunden ist.609 Das Estoppelprinzip wirkt im Gegensatz zum Konsensprinzip dann, wenn zweifelhaft ist, ob eine Partei eine bestimmte Pflicht durch Zustimmung oder durch einen formellen Akt anerkannt hat.610
a) Das Estoppelprinzip im Völkerrecht Eingang in das Völkerrecht hat das Estoppelprinzip, das seinen Ursprung im angloamerikanischen Recht hat611, Anfang des 20. Jahrhunderts durch angloamerikanische Schiedsrichter gefunden.612 In der völkerrechtlichen Doktrin wurde das Estoppelprinzip insbesondere von Hersch Lauterpacht, Bowett, Menzel, MacGibbon, McNair, Fitzmaurice, Spender, Alfaro, Louis, Dominiæe, Müller und Vallée präzisiert und verbreitet.613 In der Rechtsprechung der internationalen Welt609 Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971, 9. Siehe auch die Definition von Menzel, in: Strupp / Schlochauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band 1, 1960, 441 (441): „Wer durch sein Verhalten einen anderen zu rechtlich erheblichem Verhalten veranlaßt hat, muß sein Verhalten und die berechtigten Folgerungen, die der andere aus diesem Verhalten gezogen hat, gegen sich gelten lassen.“ 610 Siehe hierzu IGH, Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Separate Opinion of Judge Sir Gerald Fitzmaurice, ICJ Reports 1962, 6 (63): „The real field of operation, . . . of the rule of preclusion or estoppel, strictu sensu, in the present context, is where it is possible that the party concerned did not give the undertaking or accept the obligation in question (or there is room for doubt whether it did), but where that party’s subsequent conduct has been such, and has had such consequences, that it cannot be allowed to deny the existence of an undertaking or that it is bound.“ Siehe auch Müller / Cottier, Estoppel, EPIL, Band 2, 1995, 116 (118): „Of course, the doctrine of estoppel may be dispensable if the intention to be bound seems to be well established in a particular case.“ 611 Müller / Cottier, Estoppel, EPIL, Band 2, 1995, 116 (117). Im englischen Recht wird Estoppel als „[a] rule of evidence or a rule of law that prevents a person from denying the truth of a statement he has made or from denying facts that he has alleged to exist. The denial must have been acted upon (probably to his disadvantage) by the person who wishes to take advantage of the estoppel or his position must have been altered as a result“ (Elizabeth A. Martin, A Concise Dictionary of Law, 1990, 153). Dabei wird im englischen Recht zwischen verschiedenen Arten von Estoppel unterschieden, die nicht alle Eingang in das Völkerrecht gefunden haben. Einen Überblick zum Estoppelprinzip im englischen Recht gibt Antoine Martin, L’estoppel en droit international, 1979, 9 – 62. 612 Witenberg, L’ Estoppel, JDI 60 (1933), 529 (533) geht jedoch davon aus, dass das Prinzip des Estoppels schon im 19. Jahrhundert Eingang in das Völkerrecht gefunden habe. 613 Hersch Lauterpacht, Private Law Sources and Analogies of International Law, 1927, 203 ff.; MacGibbon, Estoppel in International Law, ICLQ 7 (1958), 468 – 518; Bowett, Estoppel Before International Tribunals and its Relation to Acquiescence, BYIL 33 (1957), 176 – 202; Menzel in: Strupp / Schlocherauer (Hrsg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Band 1, 1960, 441 (441 f.); McNair, Law of Treaties, 1961, 485 ff.; Alfaro, Sir Fitzmaurice und Spender in: IGH, Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Separate Opinion of Vice President Alfaro; ICJ Reports 1962, 6 (39 ff.); Separate Opinion of Judge Sir Gerald Fitzmaurice (id., 52 ff.) und Dissenting Opinion of Judge Spender (id, 101 ff.); Louis,
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
gerichtshöfe hat das Estoppelprinzip, abgesehen von der vereinzelten Erwähnung in den Urteilen Affaire concernant le paiement de divers emprunts serbes émis en France und Affaire relative au paiement en or des emprunts fédéraux brésiliens émis en France des StIGH im Jahr 1929614, erst relativ spät Beachtung gefunden. Nachdem das Prinzip bereits in den Urteilen Statut juridique du Groënland oriental (1933)615 und Temple of Preah Vihear (1962)616 materiell angewendet wurde, führten die Sondervoten von Alfaro, Fitzmaurice und Spender zum Urteil Temple of Preah Vihear617, in denen jeweils ausführlich auf das Estoppelprinzip eingegangen wurde, zum offenen Bekenntnis des IGH zum Estoppelprinzip. So hat der IGH in unter anderem den Urteilen Barcelona Traction (1964)618, North Continental Shelf (1969)619, Electronica Sicula S.p.A. (ELSI) (1989)620, Land, Island and Maritime Frontier Dispute, Application to Intervene (1990)621, und Land and Maritime Boundary between Cameroon and Nigeria (1998)622 die gegebenen Fälle anhand des Estoppelprinzips geprüft. Das Estoppelprinzip ist somit Bestandteil des geltenden Völkerrechts623; unklar ist allerdings, welcher völkerrechtlichen Rechtsquelle L’ „estoppel“ devant la Cour Internationale de Justice, Rev. Droit int. & Droit comp. 42 (1965), 212 – 234; Dominicé, A Propos du principe de l’estoppel en droits des gens, FS Guggenheim, 1968, 327 (327 ff.); Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971, 5 – 35; Vallée, Quelques observations sur l’estoppel en droit des gens, RGDIP 77 (1973), 949 – 999. Aus neuerer Zeit siehe Sinclair, Estoppel and Acquiescence, FS Jennings, 1996, 104 – 120; Das, L’estoppel et l’acquiescement: Assimilations pragmatiques et divergences conceptuelles, RBDI 30 (1997), 609 – 634; Kolb, La bonne foi en droit international public, RBDI 31 (1998), 661 (703 ff.). 614 StIGH, Affaire concernant le paiement de divers emprunts serbes émis en France (France c. Royaume des Serbes), PCIJ Ser. A No. 20 (1929), 39 und Affaire relative au paiement en or des emprunts fédéraux brésiliens émis en France (France c. États-Unis d’Amérique), PCIJ Ser. A No. 21 (192), 120. 615 StIGH, Statut juridique du Groënland oriental (Danmark c. Norvège), PCIJ Ser. A / B No. 53 (1933). Eine ausführliche Analyse dieses Urteils siehe bei Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971, 13 ff. 616 IGH, Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, ICJ Reports 1962, 6 ff. Ausführlich zu diesem Urteil Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971, 22 ff. und 43 ff. 617 IGH, Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, ICJ Reports 1962, 6 (39 ff.), (52 ff.) und (101 ff.). 618 IGH, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain), Preliminary Objections, ICJ Reports 1964, 6 (24 f.). Ausführlich hierzu Louis, L’ „estoppel“ devant la Cour Internationale de Justice, Rev. Droit int. & Droit comp. 42 (1965), 212 (212 ff.). 619 IGH, North Continental Shelf (Federal Republic of Germany v. Denmark, Federal Republic of Germany v. Netherlands), ICJ Reports 1969, 4 ff., Rdn. 30 ff. 620 IGH, Electronica Sicula S.p.A. (ELSI) (United States of America v. Italy), ICJ Reports 1989, 15 ff., Rdn. 53 f. 621 IGH, Land, Island and Maritime Frontier Dispute (EL Salvador v. Honduras), Application to Intervene, Judgement, ICJ Reports 1990, 118 ff., Rdn. 63. 622 IGH, Land and Maritime Boundary Between Cameroon and Nigeria (Cameroon v. Nigeria); Preliminary Objections, ICJ Reports 1998, 275 ff., Rdn. 57.
§ 10 Die Auswirkungen einfacher Interpretationserklärungen
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es zuzuordnen ist. Teilweise wird es als ein von allen Völkern anerkannter allgemeiner Rechtsgrundsatz bezeichnet 624, teilweise als bindendes Richterrecht des Internationalen Gerichtshofs625.
b) Die einzelnen Voraussetzungen des Estoppelprinzips Die Anwendung des Estoppelprinzips setzt zunächst eine Ausgangshandlung („representation“) voraus, die klar und unzweideutig einen bestimmten rechtlichen oder tatsächlichen Zustand feststellt.626 Diese Handlung kann in einer Erklärung, einem formellen Akt oder einem sonstigen Tun bestehen. Im Vertrauen auf diese Ausgangshandlung müsste eine andere Partei sich dann zu einem rechtlich erheblichen Handeln verleiten lassen, das ihr zum Schaden gereicht627, wenn die erste später einen gegenteiligen Standpunkt einnehmen dürfte. Eine ältere Auffassung im Schrifttum vertritt dagegen die Ansicht, dass die Voraussetzungen auch ohne einen Vertrauensschaden gegeben seien. Nach dieser älteren Auffassung reflektierte Estoppel die Grundsätze „allegans contraria non audiendus est“ und „non concedit venire contra factum proprium“. Das heißt, das Prinzip ist nach dieser Ansicht immer dann anwendbar, wenn ein Völkerrechtssubjekt sich bezüglich aktueller oder vergangener Handlungen widersprüchlich verhält.628 Diese Ansicht 623 Teilweise werden statt Estoppel die Begriffe „preclusion“ oder „forclusion“ verwendet, um zu betonen, dass sich das völkerrechtliche Estoppel von der viel technischeren angloamerikanischen Regel des Estoppels unterscheidet. Vgl. Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Separate Opinion of Vice President Alfaro, ICJ Reports 1962, 6 (39); Sir Gerald Fitzmaurice, Id., 62; Spender, Id., 143. Kritisch hierzu Karl, Vertrag und spätere Praxis, 1983, 326. 624 Friedmann, The Uses of „General Principles“ in the Development of International Law, AJIL 57 (1963), 279 ff. (288); siehe auch Argentinisch-Chilenischer Grenzstreitfall, Schiedsspruch der englischen Königin vom 9. Dezember 1966, Bericht des Schiedsgerichts vom 24. November 1966, RIAA XVI, 109 (164). McNair, The Law of Treaties, 1961, 485; Weeramantry, Estoppel and the Preclusive Effects of Inconsistent Statements and Conduct: The Practice of the Iran-United States Claims Tribunal, NYIL 27 (1996), 113 (114). 625 Müller / Cottier, Estoppel, EPIL, Band 2, 1995, 116 (118): „[E]stoppel may be considered as a rule of judge-made international law, as confirmed and developed by the ICJ.“ 626 Bowett, Estoppel Before International Tribunals and its Relation to Acquiescence, BYIL 33 (1957), 176 (188 ff.); Das, L’estoppel et l’acqiescement: Assimilations pragmatiques et divergences conceptuelle, RBDI 30 (1997), 607 (612). 627 Siehe auch IGH, Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Dissenting Opinion of Judge Spender, ICJ Reports 1962, 6 (143 f.): „[Estoppel] operates to prevent a State contesting before the Court a situation contrary to a clear and unequivocal representation previously made by it to another State, either expressly or impliedly, on which representation the other State was, in the circumstances, entitled to rely and in fact did rely, and as a result that other State has been prejudiced or the State making it has secured some benefit or advantage for itself.“ Müller / Cottier, Estoppel, EPIL, Band 2, 1995, 116 (116); Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 15, Rdn. 109. 628 Schwarzenberger, The Fundamental Principles of International Law, RdC 87 (1955 I), 196 (253); MacGibbon, Estoppel in International Law, ICLQ 7 (1958), 468 (468 ff.), der die
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
hat sich aber zu Recht nicht in der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs durchgesetzt.629 Dies liegt daran, dass der drohende Schaden das konkrete Schutzbedürfnis der durch die Ausgangshandlung erweckten Erwartungen begründet.630 Mit anderen Worten rechtfertigt nur der (drohende) Schadenseintritt, dass der anderen Partei ein Handlungswechsel versagt wird. Dabei wird der Schadensbegriff weit verstanden.631 Ein Vertrauensschaden liegt auch vor, wenn der Urheber der Ausgangshandlung unangefochten Vorteile aus der Situation ziehen konnte, ohne dass ein Nachteil der sich auf das Estoppelprinzip berufenden Partei nachgewiesen werden muss.632 Illustriert wird dieser Schadensbegriff durch die Entscheidung des IGH Temple of Preah Vihear (1962). Hintergrund dieser Entscheidung war der Streit über den genauen Grenzverlauf zwischen den Nachbarstaaten Kambodscha und Thailand in der Gegend des Tempels von Preah Vihear. Die beiden Streitparteien hatten sich zunächst in einem Vertrag von 1904 geeinigt, zu einem definitiven Grenzverlauf zu gelangen, und in der Folge Vermessungsarbeiten auch in dem umstrittenen Gebiet durchgeführt. Vor der Vollendung der Vermessungsarbeiten lieferte Kambodscha (damals französisches Protektorat) auf ErsuVoraussetzung des Schadens nicht erwähnt. So wohl auch IGH, Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Separate Opinion of Vice President Alfaro, ICJ Reports 1962, 6 (39 ff.). 629 Vgl. nur die folgenden Urteile des IGH: Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgium v. Spain), Preliminary Objections, ICJ Reports 1964, 6 (24 f.); North Continental Shelf (Federal Republic of Germany v. Denmark, Federal Republic of Germany v. Netherlands), ICJ Reports 1969, 4 ff., Rdn. 30: „[I]t appears to the Court that only the existence of a situation of estoppel could suffice to lend substance to this contention, – that is to say if the Federal Republic were now precluded from denying the applicability of the conventional régime, by reason of past conduct, declarations, etc., which not only clearly and consistently evinced acceptance of that régime, but also had caused Denmark or the Netherlands, in reliance on such conduct, detrimentally to change position or suffer some prejudice.“ Land, Island and Maritime Frontier Dispute (EL Salvador v. Honduras), Application to Intervene, Judgment, ICJ Reports 1990, 118 ff., Rdn. 63: „[S]ome essential elements [are] required by estoppel: a statement or representation made by one party to another and reliance upon it by that other party to his detriment or to the advantage of the party making it.“ Frontière terrestre et maritime entre le Cameroun et le Nigéria (Cameroun c. Nigéria), ICJ Reports 1998, 275 ff., Rdn. 57: „[U]ne situation d’estoppel . . . supposerait que le Cameroun ait adopté un comportement ou fait des déclarations qui auraient attesté d’une manière claire et constante qu’il avait accepté de régler le différend de frontières soumis aujourd’hui à la Cour par des voies exclusivement bilatérales. Elle impliquerait en outre que le Nigeria, se fondant sur cette attitude, ait modifié sa position à son détriment ou ait subi un préjudice quelconque.“ 630 Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971, 11. 631 So betont Sir Fitzmaurice in seinem Sondervotum zu dem Urteil Temple of Preah Vihear, dass es für einen Schaden nur auf die Verschiebung in den relativen Positionen der Parteien ankomme. IGH, Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Separate Opinion of Judge Sir Fitzmaurice, ICJ Reports 1962, 6 (63): „[B]ut what it really means is that these statements, or this conduct, must have brought about a chance in the relative positions of the parties, worsening that of the one, or improving that of the other, or both.“ 632 IGH, Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Separate Opinion of Judge Sir Fitzmaurice, ICJ Reports 1962, 6 (63); Karl, Vertrag und spätere Praxis, 1983, 331.
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chen von Thailand (damals Siam) geographische Karten aus, die einen bestimmten Grenzverlauf in dem umstrittenen Gebiet festlegten. In dem Verfahren vor dem IGH ging es nun um die Frage, ob durch die offizielle und vorbehaltslose Annahme der Karten durch Thailand und das Ausbleiben eines Protests der auf der Karte festgelegte Grenzverlauf verbindlich geworden sei. Der IGH wies in seiner Urteilsbegründung unter anderem darauf hin633, dass Thailand nicht mehr geltend machen könne, dass es den in der Karte eingezeichneten Grenzverlauf nicht akzeptiere, da Kambodscha (Frankreich) auf die Annahme der Grenzkarte vertraut und Thailand die Vorteile einer stabilen Grenzziehung genossen habe.634
c) Rechtsfolgen des Estoppelprinzips Die primäre Rechtsfolge des Estoppelprinzips liegt darin, dass eine Partei mit einer Behauptung nicht gehört wird, die im Gegensatz zu ihren früheren Behauptungen steht, unabhängig davon, ob die diese richtig oder falsch waren.635 Die Partei wird somit an ihre frühere Erklärung gebunden, indem ihr ein Haltungswechsel versagt wird. Dabei hat das Estoppelprinzip im Völkerrecht nicht nur als eine Regel des Beweis- und Prozessrechts Bedeutung. Aufgrund der relativ seltenen gerichtlichen Verfahren spielt es auch unabhängig von einem Prozess im internationalen Rechtsgeschehen eine Rolle. Eine Partei kann sich grundsätzlich auch außerhalb eines Gerichtsverfahrens auf das Estoppelprinzip berufen. Insoweit ist es auch eine Präklusionsregel des materiellen Völkerrechts.636 Davon zu unterscheiden ist die Wirkung des Estoppelprinzips auf die materielle Rechtslage. Als Präklusionsregel wirkt es auf die materielle Rechtslage immer nur mittelbar ein.637 Allerdings berief sich der IGH nicht ausdrücklich auf das Estoppelprinzip. IGH, Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, ICJ Reports 1962, 6 (32). In seinem Sondervotum sieht Sir Fitzmaurice den Nachteil, der Kambodscha bzw. Frankreich (in Ausübung seines Protektorats) entstanden ist, darin, dass Frankreich seinerzeit bestimmtere Maßnahmen zur Durchsetzung seiner Souveränität in der Region des Tempels Preah Vihear unternommen hätte, wenn es nicht unter dem Eindruck der konkludenten Handlungen Thailands gestanden hätte (id., Separate Opinion Sir Gerald Fitzmaurice, 64). 635 Vgl. IGH, Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Separate Opinion of Judge Sir Gerald Fitzmaurice, ICJ Reports 1962, 6 (63): „Such a plea is essentially a means of excluding a denial that might be correct – irrespective of its correctness. It prevents the assertion of what might in fact be true.“ Siehe auch Sinclair, Estoppel and Acquiescence, FS Jennings, 1996, 104 (105). 636 IGH, Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Dissenting Opinion of Judge Spender, ICJ Reports 1962, 6 (143), der das Estoppelprinzip als „powerful instrument of substantive international law“ bezeichnet. Vgl. auch Fitzmaurice, id., 62 und Alfaro, id. 41. Argentinisch-Chilenischer Grenzstreitfall, Schiedsspruch der englischen Königin vom 9. Dezember 1966, Bericht des Schiedsgerichts vom 24. November 1966, RIAA XVI, 109 (164). 637 So hat die Anwendung des Estoppelprinzips in der Entscheidung des StIGH, Statut juridique du Groënland oriental (Danmark c. Norvège), Ser. A / B, No. 53 (1933), 22 – 75 dazu geführt, dass Norwegen keine Besitzansprüche gegenüber bestimmten grönländischen 633 634
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
d) Das Estoppelprinzip und einfache Interpretationserklärungen Für den Urheber einer einfachen Interpretationserklärung638 bedeutet das Estoppelprinzip demnach einmal, dass er sich – sofern die Voraussetzungen des Estoppels vorliegen – nicht auf eine anders lautende Auslegung des jeweiligen multilateralen völkerrechtlichen Vertrags berufen kann, und zwar weder vor einem internationalem Gericht noch in seinen bi- oder multilateralen Beziehungen. Dies kann dazu führen, dass alle anderen Auslegungen der Norm präkludiert sind. Umgekehrt kann das Estoppelprinzip auch den Urheber einer einfachen Interpretationserklärung schützen. Hat eine andere Vertragspartei dem Urheber gegenüber ihre Zustimmung zu dieser Erklärung signalisiert, hat der Urheber darauf vertraut und würde er bei einer anders lautenden Auslegung einen Schaden erleiden, kann sich die andere Vertragspartei nicht mehr auf eine andere als die in der Interpretationserklärung enthaltene Auslegung berufen.639 Der Unterschied zwischen Konsensprinzip und Estoppelprinizip liegt darin, dass das Konsensprinzip die Vertragsparteien an die Auslegung selbst bindet, während das Estoppelprinzip nur die Berufung auf eine anders lautende Auslegung verhindert und so indirekt auf die Auslegung und Anwendung des Vertrags zwischen den Vertragsparteien einwirkt. Im Ergebnis ist allerdings oft schwierig abzugrenzen, ob die von einem Richter festgestellte Bindung einer Partei an ihre früheren Äußerungen (im weitesten Sinn) ein Ausfluss des Estoppelprinzips ist, auf der Wirkung schlüssigen Verhaltens im Rahmen einer formlosen Vertragsabrede oder auf der selbstständigen Bindungswirkung eines einseitigen Versprechens beruht.640
Gebieten geltend machen konnte, und somit mittelbar zu der Feststellung beigetragen, dass Grönland als dänisch bezeichnet wurde. 638 Bowett, Estoppel Before International Tribunals and its Relation to Acquiescence, BYIL 33 (1957), 176 (189 f.), spricht sich gegen die Anwendbarkeit des Estoppelprinzip auf rechtliche Äußerungen und ausdrücklich auch auf unilaterale Auslegungen eines völkerrechtlichen Vertrags aus: „The estoppel rests on the representation of fact, whereas the conduct of the parties in construing their respective rights and duties does not appear as a representation of fact so much as a representation of law. The interpretation of the rights and duties of parties to a treaty, however, should lie ultimately with an impartial international tribunal and it would be wrong to allow the conduct of the parties in interpreting these rights and duties to become a binding interpretation on them.“ Gegen diese Argumentation spricht zunächst, dass die Abgrenzung zwischen Tatsachen und Rechtsfragen problematisch ist. Weiterhin steht das Argument, dass Auslegungsfragen durch unparteiische Gerichte gelöst werden sollen, im Widerspruch zu der tatsächlichen Bedeutung der Gerichtsbarkeit im Völkerrecht. Wie oben dargestellt (siehe insbesondere § 2 III. 3. e)) gibt es im Völkerrecht keine obligatorisch zuständige Gerichtsbarkeit. Siehe hierzu auch Elihu Lauterpacht, The Development of the Law of International Organizations by the Decisions of International Tribunals, RdC 152 (1976-IV), 387 (462). 639 Vgl. auch Manin, Droit international public, 1979, 110: „[L’]État, qui l’émet . . . ne pourra pas par la suite – sur la base de bonne foi – prétendre adopter une autre interprétation que celle exprimée dans sa déclaration.“ 640 Müller, Vertrauensschutz im Völkerrecht, 1971, 11.
§ 10 Die Auswirkungen einfacher Interpretationserklärungen
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3. Auswirkungen aufgrund ihrer bloßen Existenz: Einfache Interpretationserklärungen als Argumentationshilfen Eine einfache Interpretationserklärung ist zwar für sich allein betrachtet kein relevanter Auslegungsfaktor, da sie nur eine unilaterale Ansicht über den „richtigen“ Vertragsinhalt darstellt.641 Sie kann allerdings unabhängig von der Reaktion der anderen Vertragsparteien Einfluss auf eine Auslegungsentscheidung nehmen, da sie eine Haltung einer Vertragspartei verkörpert, für die diese einzustehen hat. Einfache Interpretationserklärungen können unabhängig von Aspekten des Vertrauensschutzes und des Konsensprinzips als Argumentationshilfen für die Begründung einer zuvor gefundenen Auslegungsentscheidung verwendet werden, wenn der Urheber der einfachen Interpretationserklärung selbst Partei eines Verfahrens über die Auslegung eines Vertrags ist. So hat der StIGH Erklärungen eines Staats innerhalb des laufenden Prozesses als zusätzliches, eine bestimmte Auslegung bestätigendes Argument herangezogen.642 In dem Rechtsgutachten Statut international du Sud-Ouest africain vom 11. Juli 1950 verwendete der IGH Äußerungen der Union von Südafrika als Bestätigung für seine Schlussfolgerung, dass das Mandatssystem für Süd-West Afrika auch nach der Auflösung des Völkerbunds bis zur Eingliederung in das Treuhandsystem der Vereinten Nationen weiter bestehen sollte.643 Zur Bedeutung unilateraler Auslegungen führte der IGH aus: „L’interprétation d’instruments juridiques donnée par les parties elles-mêmes, si elle n’est pas concluante pour en déterminer le sens, jouit néanmoins d’une grande valeur probante quand cette interprétation contient la reconnaissance par l’une des parties de ses obligations en vertu d’un instrument.“644
641 Vgl. hierzu die Stellungnahme des Sonderberichterstatters Sir Humphrey Waldock YILC 1966 II, 98, Rdn. 16: „[I]t would seem clear on principle that a unilateral document cannot be regarded as part of the ,context‘ for the purpose of interpreting a treaty, unless its relevance for the interpretation of the treaty or for determining the conditions of a particular State’s acceptance of the treaty is acquiesced in by the other parties.“ Vgl. auch die Stellungnahme von Robinson YILC 1995 I, 2402nd Meeting, 20. Juni 1995, 159, Rdn. 21: „If it [interpretative declaration] was an unilateral act and was not accepted by the other parties, it was unlikely to have any greater significance than as a clear indication of how the declarant State viewed a particular provision in a treaty, which treaty must itself ultimately be construed in accordance with article 31.“ Siehe hierzu auch Bernhardt, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge, 1963, 44: „Wenn im übrigen aus dem Verhalten nur eines Partners mit Sicherheit nicht unmittelbar auf die richtige Interpretation geschlossen werden kann . . .“. 642 StIGH, Concessions Mavrommatis en Palestine (Grèce c. Royaume Uni), PCIJ Ser. A, No. 2 (1924), 22. 643 IGH, Statut international du Sud-Ouest africain (Avis consultatif), ICJ Reports 1950, 128 (136): „Dans les cas présent, les déclarations de l’Union sud-africaine corroborent les conclusions déduites par la Cour.“ 644 Id., 135 f.
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in dem Urteil Krombach v. Frankreich645 vom 13. Februar 2001 ausdrücklich auf eine Interpretationserklärung Frankreichs zurückgegriffen, um sein Auslegungsergebnis zu bestätigen.646 Dieses Urteil ist gleichzeitig das einzige, in dem der EGMR in seiner Entscheidungsfindung auf eine Interpretationserklärung zurückgreift. Der Beschwerdeführer Krombach rügte unter anderem eine Verletzung von Art. 2 des 7. Protokolls zur Konvention zur EMRK vom 22. November 1984647, da er in Abwesenheit durch ein französisches Strafgericht zu einer 15-jährigen Haftstrafe verurteilt worden war. Nach der französischen Strafprozessordnung war es nicht möglich, dieses Urteil von einer übergeordneten Instanz (hier: „Cour de Cassation“) auf rechtliche Fehler überprüfen zu lassen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte stellte fest, dass Art. 2 des 7. Protokolls zur EMRK verletzt sei.648 In seiner Begründung beschäftigte er sich auch mit einer von Frankreich abgegebenen (einfachen) Interpretationserklärung zu Art. 2 des 7. Protokolls zur EMRK. Frankreich hatte erklärt: „Au sens de l’article 2, paragraphe 1, l’examen par une juridiction supérieure peut se limiter à un contrôle de l’application de la loi, tel que le recours en cassation.“649
Der EGMR berief sich nun auf diese Erklärung650, um seine Rechtsprechung bezüglich der Schrankensystematik des Art. 2 Abs. 1 des 7. Protokolls zur EMRK zu bestätigen. Der EGMR führte aus: „Toutefois, les limitations apportées par les législations internes du droit de recours mentionné par cette disposition doivent, par analogie avec le droit d’accès au tribunal consacré par l’article 6 § 1 de la Convention, poursuivre un but légitime et ne pas porter atteinte à la substance même de ce droit . . . . Conforme en elle-même à l’exception autorisé par le pa-
EGMR, Krombach v. Frankreich, Urteil vom 13. Februar 2001, ECHR 2001-II, 1 ff. Anzumerken ist, dass Vorbehalten bei der Auslegung eines Vertrags eine genau entgegengesetzte Rolle zukommt. In dem Urteil Actions armées frontalières et transfrontalières (Nicaragua c. Honduras) berief sich der IGH bei der Auslegung des Pakts von Bogota auf einen Vorbehalt der USA, um zu bestätigen, dass seine Auslegung die „richtige“ sei, da ein anderes Ergebnis, wie der Vorbehalt der USA zeige, eine Vertragsänderung darstelle: „[I]l est clair que la réserve formulée par les États-Unis sur ce point avait pour objet d’atteindre un résultat qui, de l’avis de la délégation américaine, ne pouvait être obtenu par la simple application de l’article XXXI. A l’évidence, il s’agissait là d’une réserve au pacte. L’existence de cette dernière confirme l’interprétation de l’article XXXI précédemment donnée par la Cour“ (IGH, Actions armées frontalières et transfrontalières (Nicaragua c. Honduras), ICJ Reports 1988, 69 ff., Rdn. 39). 647 ETS Nr. 117. 648 EGMR, Krombach v. Frankreich, Urteil vom 13. Februar 2001, ECHR 2001-II, 1, Rdn. 100. 649 Abgedruckt in: Id., Rdn. 96. 650 Allerdings qualifizierte er die Erklärung Frankreichs nicht eindeutig als einfache Interpretationserklärung. 645 646
§ 10 Die Auswirkungen einfacher Interpretationserklärungen
145
ragraphe 2 de l’article 2, cette disposition est corroborée par le déclaration interprétative de la France . . .“.651
Besondere Bedeutung kann einer einfachen Interpretationserklärung zukommen, wenn ihr Urheber nunmehr eine gegenläufige Auslegung vertritt und die Voraussetzungen eines Estoppels nicht vorliegen. Dann kann die zuvor abgegebene einfache Interpretationserklärung die argumentatorische Position ihres Urhebers schwächen652 und somit als Argument gegen ihn und für die in der Interpretationserklärung enthaltene Auslegung verwendet werden. Für eine solche Verwendung einer einfachen Interpretationserklärung gibt es keine Präjudizien. Allerdings wurde in mehreren Entscheidungen internationaler Gerichte das nunmehr widersprüchliche Verhalten einer Vertragspartei anlässlich eines multilateralen Vertrags als Zusatzargument für die Rechtfertigung einer Auslegung verwendet. Ein Beispielsfall hierfür ist die Entscheidung des StIGH Affaire des prises d’eau à la Meuse aus dem Jahre 1937653. Im Mittelpunkt stand ein Streit zwischen Belgien und den Niederlanden über die Auslegung eines Vertrags betreffend die Wasserentnahme aus der Maas von 1863. Die Niederlande machten unter anderem geltend, dass Belgien durch den Bau einer Schleuse im belgischen Neerhaern eine Vertragsverletzung begehe, da durch den Schleusenbetrieb zusätzliches Wasser in belgische Kanäle geleitet werde.654 Dies wurde von Belgien bestritten. Der StIGH legte die entsprechenden Vorschriften des Vertrags aus dem Jahre 1863 aus und kam zu dem Ergebnis, dass die belgische Schleuse keine Vertragsverletzung darstelle.655 Zur Untermauerung seines Ergebnisses führte er an, dass die Niederlande eine ähnliche Schleuse in Bosscheveld errichtet hätten, die ihrerseits Wasser aus der Maas in niederländische Kanäle leite. Daher konstatierte das Gericht: „Dans ces conditions, la Cour estime difficile d’admettre que les Pays-Bas soient fondés à critiquer aujourd’hui la construction et le fonctionnement d’une écluse dont eux-mêmes avaient antérieurement donné l’exemple.“656
Ein weiterer Beispielsfall ist das Sondervotum der Richter Hackworth, Badawi, Levi Carneiro und Sir Benegal Rau zu dem Urteil Rights of Nationals of the United 651 EGMR, Krombach v. Frankreich, Urteil vom 13. Februar 2001, ECHR 2001-II, 1, Rdn. 96 (Hervorhebungen von der Verf.). 652 Karl, Vertrag und spätere Praxis, 1983, 156 ff. bezeichnet dieses Phänomen als Ausfluss des Konsistenzprinzips. Alfaro würde eine inkonsistente Interpretation eines Vertrags durch eine Vertragspartei wohl als unvereinbar mit dem Prinzip pacta sunt servanda bezeichnen. In seinem Sondervotum zum Tempel-Fall (1962) führt er nämlich aus: „It must be seen that the rule pacta sunt servanda cannot be conciliated with the notion of inconsistency in the interpretation and observance of public treaties“ (IGH, Temple of Preah Vihear (Cambodia v. Thailand), Merits, Separate Opinion of Vice President Alfaro, ICJ Reports 1962, 6 (42)). 653 StIGH, Affaire des prises d’eau à la Meuse (Pays-Bas c. Belgique), PCIJ Ser. A / B, No. 70 (1937). 654 Id., 20. 655 Id., 23 ff. 656 Id., 25.
10 Heymann
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
States of America in Morocco. In dieser Entscheidung des IGH vom 27. August 1952 machten die USA als letzten Beschwerdepunkt gegen Frankreich eine Verletzung von Art. 95 der Generalakte von Algeciras (1906) geltend. Die USA argumentierten, es ergebe sich aus Art. 95 der Generalakte, dass bei der zollamtlichen Bewertung der nach Marokko eingeführten Waren auf den amerikanischen Marktwert inklusive der Transportkosten abstellen sei.657 Frankreich lehnte diese Argumentation ab und machte seinerseits geltend, dass der marokkanische Marktwert maßgeblich sei.658 Der IGH konnte sich im Prozess weder anhand des Wortlauts von Artikel 95 der Generalakte von Algeciras, den travaux préparatoires noch der späteren Praxis für die eine oder andere Auslegung entscheiden.659 In ihrem gemeinsamen Sondervotum kamen die Richter Hackworth, Badawi, Levi Carneiro und Sir Benegal Rau zu einem anderen Ergebnis. Sie bejahten den US-amerikanischen Auslegungsvorschlag und stützen ihre Begründung auch darauf, dass die Franzosen ihre vor dem IGH geltend gemachte Auslegung des Art. 95 noch gegenüber England als Vertragsänderung bezeichnet hätten.660 Ein weiterer Beispielsfall ist der Zwischenentscheid Borchgrave des StIGH. Hintergrund dieser Entscheidung war der gewaltsame Tod des belgischen Botschafters Baron Borchgrave in Spanien. Belgien machte geltend, dass die spanischen Behörden mitverantwortlich für den Tod seien und dass Spanien die polizeilichen Ermittlungen zur Aufklärung des Verbrechens nicht sorgfältig durchgeführt habe.661 Spanien bestritt die Zuständigkeit des StIGH für den Zeitraum nach dem Tod des Barons Borchgrave.662 Der StIGH berief sich nun als Zusatzargument für die Begründung seiner Jurisdiktion für die Zeit nach dem Tod des Botschafters auf eine frühere Äußerung Spaniens, in der es implizit die Zuständigkeit des Gerichtshofs für eben diesen Zeitraum anerkannt hatte.663 Einfache Interpretationserklärungen können demnach gegenüber ihrem Urheber als Zusatzargument i.S. eines „Wie Du selbst schon gesagt hast“ verwendet werden. Aus diesem Grund spielen einfache Interpretationserklärungen, die nicht von den anderen Vertragsparteien angenommen worden sind, auch regelmäßig nur dann eine Rolle als Argumentationshilfe, wenn ihr Urheber selbst Beteiligter am 657 IGH, Rights of Nationals of the United States of America in Morocco (France v. United States), ICJ Reports 1952, 176 (207). 658 Id., 208. 659 Id., 208 – 212. 660 Id., Dissenting Opinion of Judges Hackworth, Badawi, Levi Carneiro, Sir Benegal Rau, 227 ff. 661 StIGH, Affaire Borchgrave (Belgique c. Espagne), Ser. A. / B., No. 72 (1937), 158 (160). 662 Id., 163. 663 Id., 168: „La position prise par le Gouvernement espagnol après la signature du compromis tend ainsi à confirmer l’interprétation à donner aux dispositions de cet instrument.“
§ 11 Sonderfall: Qualifizierte Interpretationserklärungen
147
Auslegungsstreit ist. So hat sich in dem belgischen Sprachenfall vom 23. Juli 1969 der Beschwerdegegner Belgien zur Untermauerung seiner Argumentation bezüglich der Auslegung von Art. 2 Abs. 1 des 1. Zusatzprotokolls zur EMRK vom 20. März 1952664 auch auf Erklärungen Deutschlands und der Niederlande berufen.665 Der EGMR selbst berücksichtigte aber weder die auslegenden Erklärungen noch erwähnte er sie in seiner Entscheidung über die Auslegung von Art. 2 des 1. Zusatzprotokolls.
V. Ergebnis Einfache Interpretationserklärungen legen den Vertrag aus der Sicht einer Vertragspartei aus und wirken so auch auf zukünftige Auslegungsentscheidungen ein.666 Sie können abhängig von der Reaktion der anderen Vertragsparteien und dem Zeitpunkt ihrer Abgabe Auslegungsfaktoren im Sinne der WVK darstellen. Sie können aber auch aufgrund anderer Rechtsprinzipien mittelbar auf die Auslegung eines Vertrags Einfluss nehmen. Diese unterschiedlichen Wirkungsweisen einfacher Interpretationserklärungen sind freilich miteinander verzahnt und können oftmals nicht genau voneinander abgegrenzt werden. Die Rechtwirkungen von einfachen Interpretationserklärungen bestehen also darin, dass sie die Auslegung eines Vertrags beeinflussen.667
§ 11 Sonderfall: Qualifizierte Interpretationserklärungen Qualifizierte Interpretationserklärungen unterscheiden sich von einfachen dadurch, dass sie die Bindung ihres Urhebers an eine andere Auslegung des Vertrags ausschließen. Daher sind sie, wie oben dargestellt, Vertragsvorbehalte, sofern sie 664 ETS Nr. 9; BGBl. 1956 II, 1879; 1995 II, 579 (in der Fassung des 11. Zusatzprotokolls vom 11. Mai 1994). 665 EGMR, Ser. A: Judgements and Decisions 1968, „Relating to Certain Aspects of the Laws on the Use of Languages in Education in Belgium“, Urteil vom 23. Juli 1969, 20. 666 Unzutreffend daher Buergenthal / Doehring / Kokott / Maier, Grundzüge des Völkerrechts, 2000, Rdn. 203: „[A]uch wenn diese einseitige Interpretation auf der internationalen Ebene ohne Bedeutung ist.“ 667 Siehe auch die Entscheidung des Conseil Constitutionnel vom 15. Juni 1999, Décision No. 99 – 412 DC, http: / / www.conseil-constitutionnel.fr / decision / 1999 / 99412 / 99412dc. htm, besucht am 26. Januar 2004: „Considérant, par ailleurs, que le Gouvernement français a accompagné sa signature d’une déclaration interprétative dans laquelle il précise le sens et la portée qu’il entend donner à la Charte ou à certaines de ses dispositions au regard de la Constitution; qu’une telle déclaration unilatérale n’a d’autre force normative que de constituer un instrument en rapport avec le traité et concourant, en cas de litige, à son interprétation.“ Anm. hierzu Oellers-Frahm, Charte européenne des langues régionales ou minoritaires, Décision No. 99 – 412 DC, AJIL 93 (1999), 938 (938 ff.).
10*
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
Verträge betreffen, die ein zur verbindlichen Auslegung befugtes Organ vorsehen.668 In diesem Fall unterliegen sie dem rechtlichen Regime für Vertragsvorbehalte. Im anderen Fall unterscheiden sie sich nicht von einfachen Interpretationserklärungen. Denn beide weisen gleiche Rechtswirkungen auf.669 In den Beziehungen zu den anderen Vertragsparteien ergibt sich dies daraus, dass aufgrund des Konsensprinzips auch bei qualifizierten Interpretationserklärungen die Zustimmung der übrigen Parteien erforderlich ist, um Bindungswirkung für diese zu entfalten.670 Auch in anderer Hinsicht sind die Rechtswirkungen beider Erklärungstypen identisch. Widerspricht eine Vertragspartei einer einfachen Interpretationserklärung, liegt ein Streit zwischen zwei Parteien über die Auslegung vor.671 Wird einer qualifizieren Interpretationserklärung widersprochen, gilt nichts anderes. Denn die Ablehnung der in einer qualifizierten Interpretationserklärung vorgeschlagenen Auslegung hat nicht etwa zur Folge672, dass der Urheber seine unilaterale AusSiehe dazu § 2 III. 3. e). Daher wäre eine Anwendung der Regeln über Vertragsvorbehalte für qualifizierte Interpretationserklärungen, die keine Vorbehalte darstellen, nicht sachgerecht. Für eine Anwendung der Regeln über Vorbehalte auf qualifizierte Interpretationserklärungen generell (das heißt ohne eine Einteilung in Vorbehalte vorzunehmen) siehe unter anderem die Argumentation von Verdross im Rahmen der Kodifikation der WVK, YILC 1965 I, 799th Meeting, 10. Juni 1965, 166, Rdn. 23; Tomuschat, Admissibility and Legal Effects of Reservations to Multilateral Treaties, ZaöRV 27 (1967), 463 (465); die Stellungnahmen von Ungarn (Press Release, GA / L / 3193, General Assembly 56th Session, Sixth Committee, 20th and 21st Meetings, 6. November 2001, Stellungnahme von Arpad Prandler (Ungarn), http: / / www.un.org / news / Press / docs / 2001 / GAL3193.doc.htm, besucht am 12. Juni 2003) und China (Press Release, GA / L / 3192, General Assembly 56th Session, Sixth Committee, 18th and 19th Meetings, 5. November 2001, Stellungnahme von Gran Jein (China), http: / / www.un.org / news / Press / docs / 2001 / GAL3192.doc.htm, besucht am 12. Juni 2003) zu den neuesten Arbeiten der Völkerrechtskommission und Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2002, 578: „Aufgrund der intendierten Rechtswirkung [qualifizierter Interpretationserklärungen] ist die Anwendung der Regeln hinsichtlich echter Vorbehalte sachgemäß.“ Zweifelhaft ist die Einordnung des Urteils des EGMR, Belilos v. Schweiz, Ser. A 132, 1 ff., Rdn. 49. Der EGMR wendet auf die von der Schweiz als „Interpretationserklärung“ bezeichnete Erklärung zu Art. 6 EMRK die Regeln über Vertragsvorbehalte an, jedoch ohne die rechtliche Natur dieser Erklärung eindeutig festzulegen. 670 Vgl. auch die Stellungnahme von Economides, YILC 1999 I, 2582nd Meeting, 8. Juni 1999, 106, Rdn. 53: „In other words, in order for such a declaration to produce effects, it must be accepted.“ Allerdings unterscheidet letzterer nicht zwischen den beiden Arten qualifizierter Interpretationserklärungen. 671 Siehe dazu § 8 II 2. 672 Anders wohl Yamada, allerdings bezogen auf alle Arten qualifizierter Interpretationserklärungen: „[T]he fact that a State rejected such a declaration would mean that it amounted to a reservation in the sense that it intended to exclude or modify the legal effect of the treaty . . . but, as long as that declaration was within the scope of the original treaty, it remained an interpretative declaration. The other State parties should not object to it unless they had valid 668 669
§ 11 Sonderfall: Qualifizierte Interpretationserklärungen
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legung nicht mehr aufrechterhalten dürfe. Vielmehr ist er aufgrund der Gleichwertigkeit aller einseitigen Auslegungen673 eines multilateralen Vertrags nicht an die andere Auslegung gebunden und kann weiterhin seine unilaterale Auslegung aufrechterhalten. Daraus folgt, dass der Widerspruch gegenüber einer qualifizierten Interpretationserklärung nicht zum Bedingungseintritt führt. Die Rechtsfolge ändert sich auch dann nicht, wenn der Urheber einer qualifizierten Interpretationserklärung ausdrücklich anordnet, dass der Vertrag keine Geltung haben solle, wenn die anderen Parteien der Auslegung widersprechen. Ein Beispiel hierfür ist die französische Erklärung zu dem 2. Zusatzprotokoll des Vertrags von Tlatelolco vom 14. Februar 1967674: „Dans le cas où la déclaration interprétative675 ainsi faite par le Gouvernement français serait en tout ou partie contestée par une ou plusieurs Parties contractantes au Traité ou au Protocole no II, ces instruments seraient sans effet dans les relations entre la République française et le ou les États contestataires.“676
Denn diese Rechtsfolge ist unzulässig.677 Sie widerspricht dem Prinzip, dass alle einseitigen Auslegungen eines multilateralen völkerrechtlichen Vertrags gleichwertig sind. Eine Vertragspartei kann nicht mittels einer Bedingung von den anderen Parteien verlangen, dass diese die von ihr gewählte Auslegung auch akzeptieren. reason for saying that was a reservation“ (Yamada, YILC 1999 I, 2582nd Meeting, 8. Juni 1999, 106, Rdn. 50). 673 Siehe dazu bereits § 2 III. 3. e) bb). 674 Frankreich hatte die Erklärung bei der Signatur des Abkommens abgegeben und bei der Ratifikation am 22. März 1974 bestätigt (UNTS 936, 419 f.). 675 Der Gesamttext der französischen Erklärung lautet: „1. Le Gouvernement français interprète l’engagement énoncé à l’article 3 du Protocole comme ne faisant pas obstacle au plein exercice du droit de légitime défense confirmé par l’article 51 de la Charte des Nations Unies. 2. Le Gouvernement français prend acte de l’interprétation du traité donnée par la Commission préparatoire et reproduite dans l’acte final, selon laquelle le traité ne s’applique pas au transit, dont l’autorisation ou le refus est de la compétence exclusive de chaque État partie conformément aux règles et principes pertinents du droit international. 3. Le Gouvernement français considère que l’application de la législation visée à l’article 3 du traité s’entend d’une législation conforme au droit international. 4. Les dispositions des articles 1er et 2ème du Protocole s’appliquent au texte du traité de Tlatelolco tel qu’il existe au moment de la signature du Protocole par le Gouvernement français. En conséquence, aucun amendement à ce traité, qui serait entré en vigueur conformément aux dispositions de l’article 29 de ce dernier, ne sera opposable au Gouvernement français sans le consentement exprès de ce dernier“ (UNTS 936, 420). 676 Id., Hervorhebungen von der Verf. 677 Ähnlich auch Imbert, La question des réserves dans la décision arbitrale du 30 juin 1977 relative à la délimitation du plateau continental entre la République Française et le Royaume-Uni de Grande Bretagne et d’Irlande du Nord, AFDI 24 (1978), 29 (33). Siehe hierzu auch die Stellungnahme von Rosenstock im Rahmen der Völkerrechtskommission, YILC 1999 I, 2582nd Meeting, 8. Juni 1999, 106, Rdn. 49.
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
Auch bezüglich des Verhältnisses zur autoritativen Auslegung eines Vertrags besteht zwischen einer qualifizierten und einer einfachen Interpretationserklärung im Prinzip kein Unterschied. Wie oben dargestellt, ist ein internationales Gericht bei der Auslegung eines Vertrags nicht an die einfache Interpretationserklärung gebunden.678 Das Gleiche gilt, wenn der Urheber einer qualifizierten Interpretationserklärung Partei vor einem internationalen Gericht ist. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Damit ein internationales Gericht für die Auslegung eines Vertrags zuständig ist, ist die Zustimmung der am Streit beteiligten Parteien notwendig.679 Unabhängig davon, ob die jeweilige Vertragspartei eine einfache oder eine qualifizierte Interpretationserklärung abgegeben hat, muss sie, wenn der Vertrag selbst kein zur Auslegung befugtes Organ vorsieht, einer solchen Zuständigkeit gesondert zustimmen. Tut sie dies, erklärt sie auch, dass sie die Auslegungsbefugnis des jeweiligen internationalen Gremiums als höherwertig anerkennt. Sie kann also auch nicht mehr daran festhalten, dass der Vertrag nur in einer bestimmten Auslegung gelten solle.680 Folglich – vorausgesetzt der Urheber einer qualifizierten Interpretationserklärung stimmt der Auslegungsbefugnis des internationalen Gerichts zu – entfaltet auch eine qualifizierte Interpretationserklärung dieselben Rechtswirkungen wie eine einfache. Das Gericht kann sie bei der Auslegung des Vertrags als einseitige Interpretation des Vertrags berücksichtigen. Auch bezüglich der Auswirkungen auf die Auslegung eines Vertrags unterscheiden sich einfache und qualifizierte Interpretationserklärungen nicht, da diese jeweils unilaterale Auslegungen eines Vertrags darstellen. Sie können, wie oben angeführt, abhängig von der Reaktion der anderen Vertragsparteien ein unterschiedliches Gewicht als Auslegungsmittel erhalten. Es ist damit letztlich keine Unterscheidung zwischen einfachen und qualifizierten Interpretationserklärungen (die keine Vertragsvorbehalte sind) hinsichtlich ihrer Rechtswirkungen notwendig.681 Somit unterliegen einfache und qualifizierte Interpretationserklärungen auch denselben rechtlichen Regelungen.
§ 9. Siehe dazu § 2 III. 3. d) (2). 680 In eine ähnliche Richtung scheint auch die Argumentation des Richters Herbert W. Briggs in seiner Erklärung zu dem Schiedsgerichtsurteil im britisch-französischen Festlandsockelfall (siehe hierzu ausführlich unter § 2 III. 3. e) bb)) zu gehen. Frankreich hatte der Zuständigkeit des Schiedsgerichts nach der Abgabe der qualifizierten Interpretationserklärung zugestimmt. Briggs führte, allerdings ohne auf diese Zustimmung einzugehen, aus: „Nor could a peremptory determination by France that other States must accept its designation of areas constituting special circumstances within the terms of Article 6 be conclusive on this Court“ (U.K.-French Continental Shelf Case (First Decision), Declaration of Herbert W. Briggs, ILR 54, 127 (132)). 681 Siehe ebenfalls kritisch zur unterschiedlichen Behandlung einfacher und qualifizierter Interpretationserklärungen Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, 2004, § 14, Rdn. 4. 678 679
§ 12 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
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§ 12 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung 1. Interpretationserklärungen als Rechtsinstitut sind einseitige, wie auch immer bezeichnete oder formulierte Erklärungen anlässlich eines multilateralen Vertrags, in denen ein vertragsfähiges Völkerrechtssubjekt eine methodengerecht erzielbare Auslegung einer Vertragsbestimmung oder des gesamten Vertrags vorschlägt (einfache Interpretationserklärungen). Weiterhin sind solche Äußerungen Interpretationserklärungen, mittels derer ein vertragsfähiges Völkerrechtssubjekt eine methodengerecht erzielbare Auslegung zur Bedingung seiner Vertragsbindung macht, sofern der jeweilige Vertrag kein obligatorisch zuständiges Organ für die Auslegung vorsieht (qualifizierte Interpretationserklärungen). Erklärt dagegen der Vertrag ein zur endgültigen Auslegung befugtes Organ für zuständig, handelt es sich um einen Vertragsvorbehalt. In einem solchen Fall wird mittels der Bedingung die sich aus dem jeweiligen Vertrag ergebende Verpflichtung, die endgültige Auslegungskompetenz des Organs für eine bestimmte Norm oder den gesamten Vertrag anzuerkennen, ausgeschlossen. 2. In den Rechtswirkungen und der auf sie anwendbaren rechtlichen Regelungen unterscheiden sich einfache und qualifizierte Interpretationserklärungen (die keine Vertragsvorbehalte sind) nicht. Sie sind, sofern keine völkervertraglichen Sonderregeln bestehen, grundsätzlich zulässig. Sie können jederzeit zu einem multilateralen Vertrag abgegeben werden. Ohne die Zustimmung der anderen Vertragsparteien entfalten sie für die übrigen Vertragsmitglieder keine Bindungswirkungen. Die Reaktionen der anderen Vertragsparteien sind maßgeblich für die Frage, für wen die in der Interpretationserklärung enthaltende Auslegung verbindlich wird. Sie wirkt sich nicht auf die Vertragsgeltung zwischen den Parteien aus. 3. Eine Interpretationserklärung schließt die Bindung an eine anders lautende autoritative Auslegung nicht aus. Im Falle einer anders lautenden autoritativen Auslegung, deren Adressat der Urheber der Interpretationserklärung ist, ist er an diese gebunden. Befolgt er sie nicht, begeht er eine Vertragsverletzung. Der Urheber einer Interpretationserklärung ist Adressat der autoritativen Auslegung, wenn das jeweilige Organ über die Kompetenz verfügt die Auslegung einer Bestimmung oder des gesamten Vertrags für alle Vertragsparteien bindend festzulegen, oder wenn er an einem internationalen Gerichtsverfahren beteiligte Partei ist. Dies ergibt sich daraus, dass eine einfache Interpretationserklärung als unverbindlicher Normvorschlag schon per se nicht die Bindung an eine anders lautende Auslegung ausschließt. Im Falle einer qualifizierten Interpretationserklärung sieht der jeweilige völkerrechtliche Vertrag kein Organ vor, dass mit der verbindlichen Auslegung der Norm beauftragt ist. Eine autoritative Auslegung eines solchen Vertrags ist also nur möglich, wenn der Urheber gesondert zustimmt, dass ein internationales Organ allgemein oder für den Einzelfall über die Auslegungsbefugnis verfügt. In einem solchen Fall ist dann die autoritative Auslegung auch für den Urheber der qualifizierten Interpretationserklärung bindend.
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2. Teil: Das Rechtsregime für Interpretationserklärungen
Ein Verstoß gegen die authentische Auslegung einer völkerrechtlichen Norm ist nicht möglich, da dieser alle Vertragsparteien zustimmen müssen. Entweder stimmt sie mit der Interpretationserklärung überein oder sie kommt – jedenfalls solange die Interpretationserklärung existent ist – nicht zustande. Das bedeutet umgekehrt, dass eine Interpretationserklärung die anders lautende authentische Auslegung einer Norm verhindert. 4. Interpretationserklärungen wirken auf zukünftige Auslegungsentscheidungen ein. Sie können aufgrund des Konsensprinzips, des Estoppelprinzips oder als Argumentationshilfe solche Auslegungsvorgänge beeinflussen. Daher lässt sich sagen, dass Interpretationserklärungen im Bereich des „Recht-Verstehens“ wirken.682 Ihre Funktion ist somit die Präzisierung völkervertraglicher Normen. Sie dienen als Hilfsmittel zur Konkretisierung der Bedeutung solcher Normen, die aufgrund der Unvollkommenheit der Sprache, der mangelnden normgeberischen Weitsicht, alle Anwendungsfälle einer Bestimmung voraussehen zu können, und des oftmals fehlenden oder uneinheitlichen Parteiwillens im Allgemeinen unbestimmt sind. Sie sind damit eine Reaktion auf die Unbestimmtheit des Rechts. 5. Interpretationserklärungen erlangen also eine entscheidende Bedeutung bei der Konkretisierung des jeweiligen völkerrechtlichen Vertrags. Der Grad ihrer Bedeutung hängt von unterschiedlichen Kriterien, ab wie dem Zeitpunkt der Abgabe und der Reaktion der anderen Vertragsparteien. Auch ohne Kodifizierung eines umfangreichen Regelungswerks über die rechtliche Wirkungsweise von Interpretationserklärungen ist die Systematisierung dieser Rechtsfigur hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen möglich. Denn diese ergeben sich im Einzelfall aus den bestehenden völkerrechtlichen Regeln über die Auslegung, den jeweiligen vertraglichen Vorgaben betreffend die autoritative Auslegung und den allgemeinen Prinzipien des Völkerrechts (Vertrauensschutz, Konsensprinzip).
682 Vgl. auch Fastenrath, Lücken im Völkerrecht, 1991, 180 bezüglich unilateraler Auslegungen im Allgemeinen.
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Stichwortverzeichnis Aarhaus-Konvention 108 (Fn. 481) Alain Pellet 16, 32, 36, 71, 79, 81, 91 Antarktisvertrag 21, 46 (Fn. 193), 21, 85 Atomteststoppvertrag 21, 96 (Fn. 431) Auslegung – Auslegungskompetenz 47, 77 ff., 81 ff., 119 – Auslegungsübereinkunft 58, 120, 130 ff. – authentische 51 ff., 73 f., 78, 129 – autoritative 51 ff., 73 f., 78 f., 81 ff. – Definition 38 ff. – dynamische 60 ff. – New Haven Approach 58 (Fn. 254) – objektiver Auslegungsansatz 55 ff. – rechtsschöpferischer Charakter 39 ff. – subjektiver Auslegungsansatz 55 ff.
– 1. Zusatzprotokoll 147 – 7. Zusatzprotokoll 144 f. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte – Belilos v. Schweiz 30, 31 (Fn. 115), 36, 72 (Fn. 322), 90 (Fn. 404), 91 (Fn. 406) Europäisches Übereinkommen über den Übergang der Verantwortung für Flüchtlinge 83
Basler Übereinkommen (gef. Abfälle) 84 f., 96 (Fn. 431), 104, 109, 121, 123
Genfer Flüchtlingskonvention (1951) 83 Genfer Konvention über den Festlandsockel 74 f. – Grotius 55 Genozidkonvention 39, 67 (Fn. 293), 70, 95
Charta der Vereinten Nationen 59, 123, 135 Chemiewaffen-Konvention 123 Critical legal studies 45 (Fn. 187) Depositar 67, 110 ff., 117 Diplomatenrechtskonvention 20, 70, 85, 135 Europäische Gemeinschaft 34, 82, 89, 108 Europäische Kommission für Menschenrechte – Belilos v. Schweiz 22 (Fn. 56), 30, 72 (Fn. 322), 90 f., 126 – Chrysostomos, Papachrysostomou und Loizidou v. Türkei 102 f. – Temeltasch v. Schweiz 30, 35 (Fn. 133), 72 (Fn. 322), 90 (Fn. 404 ff.) Europäische Konvention über die Auslieferung 115 f. Europäische Menschenrechtskonvention 19, 63, 81, 82, 97, 103, 105, 107
Falsa demonstratio non nocet 58 Festlandsockelfall, britisch-französischer 30, 74 ff., 150 (Fn. 680) Folterkonvention 36 (Fn. 143), 84, 93 f. Frauen, Abkommen zur Bes. Diskriminierung 84, 94 (Fn. 416)
IMCO 101 f. Internationale Arbeitsorganisation 66 ff., 98 (Fn. 435), 112 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte 35 (Fn. 136), 37, 69, 97, 99 (Fn. 438), 108 (Fn. 479) Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte 37, 85, 93, 122 (Fn. 548) Internationales Tribunal für Ruanda 30 Interpretation siehe Auslegung IWF-Abkommen 83, 123 Kellogpakt 134 f. Kinderrechtskonvention 22, 41, 69, 79, 85, 88, 96, 97, 129 (Fn. 578) Konsensprinzip 137, 142 f., 148, 152
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Stichwortverzeichnis
Konsularrechtskonvention 85, 115, 120 f. Kyoto Protokoll 108 (Fn. 480) Menschenrechtsausschuss – General Comment Nr. 24 30 – T.K. v. Frankreich 30, 34, 36, 90 (Fn. 403) Militärische Nutzung umweltverändernder Techniken, Abkommen 96 New Haven Approach siehe Auslegung Ostsee, Fischereikonvention 19, 104 Ozonschicht, Wiener Übereinkommen 86, 123 Rahmenübereinkommen über Klimaänderungen 105 (Fn. 466) Rahmenübereinkommen zum Schutz von Minderheiten 41 Rechtsfortbildung 44, 65 (Fn. 290) Sechster Ausschuss der Generalversammlung 50, 80, 101 f. Seerechtsübereinkommen (1982) 64, 83, 104, 111 Statut des Internationalen Strafgerichtshofs 47, 59, 99 f. Vattel, Emer de 56 Vertrag, völkerrechtlicher – bilaterale Erfüllungsstrukturen 120 f. – bilateraler 18 f., 61
20
f.,
– innerstaatliche Erfüllungsstrukturen 21, 133 – integraler 20 f., 126 – rechtsetzender 19 f. – rechtsgeschäftlicher 19 f. Vertrag von Tlatelolco, 2. Zusatzprotokoll 149 Vertragsfreiheit 61 Vertragsrechtskonvention 15 f., 18, 21, 26 ff., 35, 38 f., 42, 46, 51, 57 f., 61, 66 f., 89, 94, 104, 110 f., 113, 118, 119, 124, 130, 132, 134 f. Vertrauensschutz 125, 136 ff., 152 Verwahrer siehe Depositar Völkerrechtskommission 16, 26 ff., 32 f., 36, 38, 79 ff., 91, 108, 110, 118 Vorbehalt 15 f., 19, 21 f., 23, 24 ff., 31 ff., 35 ff., 45, 47, 51, 53 f., 66 f., 72 f., 76 – 95, 98 ff., 105, 109 ff., 117 ff., 124 Weltbank-Abkommen 82, 123 Welthandelsorganisation 21 (Fn. 51), 83, 86 (Fn. 390), 128 Weltraumgegenstände, Abkommen für Haftung 104 Weltraumvertrag 64 Wiener Übereinkommen über das Recht der Staatennachfolge in Verträge 16, 22 (Fn. 54) Wiener Vertragsrechtskonvention siehe Vertragsrechtskonvention WVKIO 16, 17 f., 21 (Fn. 53), 117 (Fn. 523)