161 100 10MB
German Pages 193 [228] Year 1990
Bibliothekspraxis Band 29 Einsatz neuer Technologien im Bibliothekswesen
Einsatz neuer Technologien im Bibliothekswesen
Eine Experten befrag ung
Ute Krauß-Leichert
K-G-Saur München-London-New York-Paris 1990
Autorin: Dr. Ute Krauß-Leichert, Dipl.Bibl.Dipl.Soz. Universität Mannheim, Barcelona
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Krauss-Leichert, Ute: Einsatz neuer Technologien im Bibliothekswesen : eine Expertenbefragung / Ute Krauss-Leichert. - München ; London ; New York ; Paris : Saur, 1990 (Bibliothekspraxis ; Bd. 29) Zugl.: Mannheim, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-598-10970-9 NE: GT
Gedruckt auf säurefreiem Papier © 1 9 9 0 by K.G. Saur Verlag GmbH & Co KG, München Printed in the Federal Republic of Germany Druck/Bindung: Druck Partner Rübelmann, Hemsbach ISBN 3-598-10970-9
VORWORT Moderne Technologien haben im Bibliothekswesen Eingang gefunden. Manche Bibliothekare wurden so euphorisch, daß sie über lauter "bits" vergessen haben, daß Bibliotheken aus "books" bestehen. Andere waren sehr skeptisch und eher bereit, mit ihren gewohnten, wenngleich umständlichen Systemen, weiterzuarbeiten. Innovationen sind zwar nur technischer Art, treffen aber auf ein sehr unterschiedliches soziales Verhalten. Frau Ute Krauß-Leichert hat sich bemüht, die Probleme, die durch die Einführung neuer Technologien entstanden sind, im Bibliothekswesen zu identifizieren. Sie hat das mit einem relativ aufwendigen, aber angemessenen Verfahren gemacht. Zuverlässigkeit der Erhebung war ihr wichtiger als die Zeit, die sie dafür aufwenden mußte. Insgesamt ist eine sehr lesenswerte Arbeit entstanden. Als gelernte Bibliothekarin war es für sie keine große Mühe, nicht nur Informationsstücke, sondern ein Buch entstehen zu lassen.
Mannheim
Rudolf Wildenmann
VORBEMERKUNG Diese Arbeit wurde 1989 von der Philosophischen Fakultät der Universität Mannheim als Dissertation angenommen. Sie erscheint hier - von unwesentlichen Änderungen abgesehen - in der Form, wie sie im Januar 1989 abgeschlossen wurde. Sie ist das Ergebnis einer Untersuchung, die am Lehrstuhl für Politische Wissenschaft I, Professor Dr. Rudolf Wildenmann, an der Universität Mannheim unter dem Titel "Delphi-Studie über den Einsatz der Neuen Technologien im Bibliothekswesen" durchgeführt worden Ist. Die Studie soll mögliche Implikationen des Einsatzes der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien im Bibliothekswesen einschätzen und bewerten. Ihr liegt der Gedanke zugrunde, daß der Einsatz dieser Technologien neue Anforderungen, Risiken, aber auch Chancen für das Bibliothekswesen beinhaltet. Daher war es ein Ziel, eine Überblicksstudie zu schaffen, die den gegenwärtigen Stand der Diskussion um Einsatzmöglichkeiten, Folgen und Implikationen der neuen Technologien widerspiegelt. Da ein Endpunkt in der Entwicklung der Datenverarbeitung nicht absehbar ist, hat es auch keinen Sinn, auf einen unbestimmten Zeitpunkt zu warten, von dem angenommen wird, daß er mehr Sicherheit für Prognosen bietet. An dieser Stelle möchte ich den Kollegen und Freunden danken, die meine Arbeit mit Hilfestellungen, Kritik und Anregungen begleitet haben, vor allem Herrn Dr. Rüdiger Schmitt in der Anfangsphase und Frau Dr. Sabine Eggeling in der Endphase dieser Arbeit.
Außerdem gilt mein Dank dem Zentrum für Umfragen, Methoden und Analysen e.V. (ZUMA), besonders Frau Rexroth, die bei der Erstellung des Fragebogens behilflich war, und Frau Evi Scholz, die für die technische Aufbereitung der Daten zuständig war. Für die Durchsicht des Manuskripts danke ich Frau Uta Ziener. Eine Studie, die sich mit dem Bibliothekswesen beschäftigt, kommt nicht ohne Ratschläge von bibliothekarischen Experten aus. Hiermit möchte ich allen danken - und es war eine Vielzahl - , die mir mit Rat und Tat zur Seite gestanden haben. Vor allen Dingen gilt mein Dank den Bibliotheksdirektoren, deren Bibliotheken ich besuchen durfte, und den Mitarbeitern, die sehr hilfsbereit meine Fragen beantwortet haben. Stellvertretend möchte ich Herrn Professor Beyersdorff und Herrn Dr. Hohlfeld danken, die mir in der Anfangsphase meiner Arbeit sehr geholfen haben. Da diese Arbeit in Barcelona fertiggestellt werden mußte, kam ich nicht ohne Unterstützung und Hilfe von vielen Freunden aus, die entweder Postbote oder Büchertransporteur spielen mußten; vor allem in der Schlußphase der Arbeit mußten meine beiden Kinder oft betreut werden. Allen Freunden und Kollegen möchte Ich hiermit danken. Zum Schluß gilt mein besonderer Dank meinem akademischen Lehrer, Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Rudolf Wildenmann, ohne dessen Hilfe und Unterstützung diese Arbeit nicht hätte zustande kommen können.
Ute Krauß -Leichert
7
INHALT Abkürzungsverzeichnis
9
Abbildungsverzeichnis
11
Tabellenverzeichnis
14
Verzeichnis des Anhangs
15
Kap. A Einführung in die Thematik und Darstellung der Vorgehenswelse
17
Kap. B Das Bibliothekswesen in der Bundesrepublik Deutschland
21
B 1 Struktur des deutschen Bibliothekswesens
21
B 2 Gegenwärtige Implementierung der Informations- und Kommunikationstechnologien im Bibliotheksbereich
25
B2.1 Implementierung auf überregionaler Ebene
27
B 2.2 Implementierung auf regionaler Ebene
29
B 2.3 Implementierung auf lokaler Ebene
32
Kap. C Theoretische Rahmenbedingungen
39
C 1 Normative Grundorientierung
39
C 2 Zum Kontext: Technologiefolgenabschätzung
40
C 3 Systemtheoretische Grundannahmen
43
Kap. DDie Delphi-Studie über den Einsatz der Neuen Technologien im Bibliothekswesen
51
D 1 Zur Methodik: mehrstufige Expertenbefragung mit Delphi-Elementen
51
D 2 Fragestellungen
55
D 3 Auswahl der Untersuchungspopulation
56
D 4 Durchführung und Ausschöpfung
64
Kap. E Ergebnisse der Delphi-Studie über den Einsatz der Neuen Technologien im Bibliothekswesen E 1 Institutionelle Folgen des Einsatzes der luK-Technologlen
71 71
E 1.1 Auswirkungen auf die zukünftigen Aufgaben der Bibliotheken
71
E 1.2 Auswirkungen auf das Rollenverständnis der Bibliotheken
77
8 E 1.3 Auswirkungen auf einzelne Bibliotheksfunktionen E 1.4 Zusammenfassende Analyse und Bewertung
79 82
E 2 Soziale Folgen des Einsatzes der luK-Technologien: Auswirkungen auf das Bibliothekspersonal E2.1 Quantitative Beschäftigungseffekte E 2.2 Qualitative Beschäftigungseffekte E 2.2.1 Auswirkungen auf Arbeitsinhalte E 2.2.2 Exkurs: Auswirkung auf die Qualifikationsstruktur E 2.3 Auswirkung auf die Berufsentwicklung
84 84 91 92 98 100
E 2.3.1 Auswirkungen auf die innerbetriebliche Berufsentwicklung E 2.3.2 Auswirkungen auf die Berufsstruktur E 2.4. Zusammenfassende Analyse und Bewertung
100 103 108
E3 Politische Implikationen des Einsatzes der luK-Technologien 113 E 3.1 Exkurs: Technologiepolitik, expliziert am Beispiel staatlicher Förderprogramme zur Information und Dokumentation 113 E 3.2 Das Fachinformationsprogramm der Bundesregierung in der DelphiStudie 120 E 3.2.1 Einschätzung des Fachinformationsprogramms der Bundesregierung 120 E 3.2.2 Zusammenfassende Analyse und Bewertung 124 E 3.3 Das Fachinformationssystem in der Bundesrepbulik Deutschland 126 E 3.3.1 Veränderungen der Fachinformationsstruktur E 3.3.2 Zusammenfassende Analyse und Bewertung E 3.4 Bedeutung der bundesdeutschen Fachinformation E 3.4.1 Abhängigkeit der bundesdeutschen Fachinformation E 3.4.2 Zusammenfassende Analyse und Bewertung E3.5 Privatisierung und Kommerzialisierung von Informationen E 3.5.1 Bewertung der Privatisierung und Kommerzialisierung in der Delphi-Studie E 3.5.2 Zusammenfassende Analyse und Bewertung
127 130 133 134 136 138 138 141
Kap. F Schlußbetrachtung
145
Literaturverzeichnis
149
Anhang
195
9
ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ADONIS AKD AKDB ASpB BABSY BASIS BBA BDB BIVIS BLK BMFT BMI BuB BWV CD-ROM COM DAG DBI DBK DBV DFG DOBIS DV EDV ekz FIS FIZ FuT GG GID GKD GKS GMD HEBIS HEIDI
Article Delivery Over Network Information System Arbeitsgemeinschaft Kommunale Datenverarbeitung NordrheinWestfalen Anstalt für kommunale Datenverarbeitung in Bayern Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken Bochumer Ausleih-Verbuchungs-System Bibliothekarisch-analytisches System der Informations-Speicherung Bundesverein der Bibliotheksassistenten/tinnen und anderer Mitarbeiter an Bibliotheken Bundesvereinigung Deutscher Bibliotheksverbände Bibliotheksverwaltungs- und Informationssystem Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung Bundesministerium für Forschung und Technologie Bundesministerium des Innern Buch und Bibliothek Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung Compact Disc - Read Only Memory Computer Output On Microfilm Deutsche Angestellten-Gewerkschaft Deutsches Bibliotheksinstitut Deutsche Bibliothekskonferenz Deutscher Bibliotheksverband Deutsche Forschungsgemeinschaft Dortmunder Bibliotheks- und Informationssystem Datenverarbeitung Elektronische Datenverarbeitung Einkaufszentrale für öffentliche Bibliotheken Fachinformationssystem Fachinformationszentrum Forschung und Technologie Grundgesetz Gesellschaft für Information und Dokumentation Gemeinsame Körperschaftsdatei Gesamtverzeichnis der Kongreß-Schriften Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung Hessisches Bibliotheks-Informationssystem Heidelberger Bibliotheks-Informationssystem
10 ISDN
Integrated Services Digital Network
ISO IT luD luK-Technologien
International Organization for Standardization Informationstechnik Information und Dokumentation Informations- und Kommunikationstechnologien
IVS IWW/ZB KGSt
Informationsvermittlungsstelle Zentralbibliothek der Wirtschaftswissenschaften Kommuale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung
KOALA LAN OCLC OLAF OPAC OSI ÖTV PC PVS SDI TA TIB UB VBB VDB VdB NW VdDB
Konstanzer Ausleih- und Anfrage-System Local Area Network Online Computer Library Center Online-Ausleihverbuchungssystem der Universitätsbibliothek Freiburg Online Public Access Catalogue Open Systems Interconnection Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Personal Computer Politische Vierteljahresschrift Selective Dissemination of Information Technology Assessment / Technologiefolgenabschätzung Technische Informationsbibliothek Universitätsbibliothek Verein der Bibliothekare an Öffentlichen Bibliotheken Verein Deutscher Bibliothekare Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen Verein der Diplom-Bibliothekare an Wissenschaftlichen Bibliotheken
VK
Verbundkatalog maschinenlesbarer Katalogdaten deutscher Bibliotheken
WR
Wissenschaftsrat
WZB ZBM ZDB
Wissenschaftszentrum Berlin Zentralbibliothek der Medizin Zeitschriften-Datenbank
ZfBB
Zeitschrift für Bibliothekswesen und Bibliographie
11
ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abb. B 1:
Das Referenz-Modell für Offene Systeme (ISO-Schichtenmodell)
32
Abb. C1:
Verflechtung antizipierender Systeme
46
Abb. D1:
Ausschöpfung der 1. Befragungsrunde
65
Abb. D 2:
Ausschöpfung der 2. Befragungsrunde
67
Abb. D 3:
Ausschöpfung der 3. Befragungsrunde
68
Abb. D 4:
Ausschöpfungsraten aller Befragungsrunden
69
Abb. E 1.1:
Traditionelle Aufgaben der Bibliotheken
72
Abb. E 1.2:
Aufgabenveränderungen der Öffentlichen Bibliotheken
73
Abb. E 1.3:
Aufgabenveränderung der Wissenschaftlichen Bibliotheken
74
Abb. E 1.4:
Zukünftige Aufgaben des Bibliothekswesens: Mediane
76
Abb. E 1.5:
Zukünftiger Stellenwert der Bibliotheken
78
Abb. E 1.6:
Übernahme traditioneller bibliothekarischer Bereiche von anderen Institutionen
80
Abb. E 1.7:
Aufgabenverteilung zwischen Bibliotheken und anderen Institutionen
81
Abb. E 2.1:
Einführung von EDV
85
Abb. E 2.2:
Einsatz des "neuen" Personals bei Einführung von EDV
86
Abb. E 2.3:
Zukünftiger Stellenplan der Bibliotheken
91
Abb. E 2.4:
Änderung der Tätigkeiten
92
Abb. E 2.5:
Inhaltliche Änderungen der Tätigkeiten
93
12 Abb. E 2.6:
Qualitative Auf- bzw. Abwertungen der Tätigkeiten
94
Abb. E 2.7:
Tätigkeitsbereiche für qualitative Abwertungen
95
Abb. E 2.8:
Tätigkeitsbereiche für qualitative Aufwertungen
96
Abb. E 2.9:
Einsatzmöglichkeiten für freiwerdendes Personal
97
Abb. E 2.10:
Einfluß auf die Eingruppierung
101
Abb. E 2.11:
Auswirkungen auf die innerbetriebliche Hierarchie
101
Abb. E 2.12:
Auswirkungen auf die Laufbahnen
102
Abb. E 2.13:
Änderung der Berufsstruktur
104
Abb. E 2.14:
Anforderungsprofil für Bibliothekare des wissenschaftlichen Bibliothekswesens: Mediane
Abb. E 2.15:
Anforderungsprofil für Bibliothekare des öffentlichen Bibliothekswesens: Mediane
Abb. E 3.1:
106
107
Beurteilung der Aussage im Fachinformationsprogramm, daß die Bundesregierung nur die Rahmenbedingungen des
Abb. E 3.2:
Abb. E 3.3:
Fachinformationsmarktes festlegen will
121
Beurteilung der Aussage der Bundesregierung, daß geisteswissenschaftliche Fachinformationsversorgung in die Zuständigkeit der Länder fällt
123
Ablösung des öffentlichen Fachinformationssystems durch marktwirtschaftliche Einrichtungen
128
Abb. E 3.4:
Zentralisierung der Fachinformationsstruktur
129
Abb. E 3.5:
Zentralisierung der Fachinformationsstruktur: Bewertung der negativen Auswirkungen
130
Abb. E 3.6:
Abhängigkeit der bundesdeutschen Fachinformation von ausländischen Datenbanksystemen
135
13 Abb. E 3.7: Abb. E 3.8:
Einschätzen der Abhängigkeit von ausländischen Datenbanksystemen Abhängigkeit von ausländischen Datenbanksystemen: Bewertung der Handlungsmöglichkeiten
135 136
Abb. E 3.9:
Privatisierung und Kommerzialisierung von Informationen
139
Abb. E 3.10:
Privatisierung und Kommerzialisierung von Informationen: negative Auswirkungen
139
Privatisierung und Kommerzialisierung der Informationen: Bewertung der negativen Auswirkungen
140
Abb. E 3.11:
14
TABELLENVERZEICHNIS Tab. D 1:
Verteilung der Experten auf die Panels
64
Tab. E 2.1:
Ausleihzahlen einzelner Öffentlicher Bibliotheken: Absolute Zahlen und prozentuale Veränderung
88
Ausleihzahlen einzelner Wissenschaftlicher Bibliotheken: Absolute Zahlen und prozentuale Veränderung
88
Stellenplan einzelner Öffentlicher Bibliotheken: Absolute Zahlen und prozentuale Veränderung
89
Tab. E 2.2:
Tab. E 2.3:
Tab. E 2.4:
Stellenplan einzelner Wissenschaftlicher Bibliotheken: Absolute Zahlen und prozentuale Veränderung
Tab. E 3.1:
Tab. E 3.2:
90
Aufwendungen für die Schwerpunkte der Fachinformationspolitik 1974-1984
119
Aufwendungen des Bundes für Fachinformation
120
15
VERZEICHNIS DES ANHANGS A1:
Kriterienkatalog für die Untersuchungspopulation
A 2:
Teilnehmerliste
A3:
Implementierung der luK-Technologien in Bibliotheken der Bundesrepublik
A 4:
Verbundsysteme in der Bundesrepublik Deutschland: Übersicht 1
A 5:
Verbundsysteme in der Bundesrepublik Deutschland: Übersicht 2
A 6:
Rohdaten des 3. Fragebogens
Deutschland gemäß der LIB-2-Studie
A7
Fragebogen der "Delphi-Studie über den Einsatz der Neuen Technologien im Bibliothekswesen", 1. Runde
A 8:
Fragebogen der "Delphi-Studie über den Einsatz der Neuen Technologien im Bibliothekswesen", 2. Runde
A 9:
Fragebogen der "Delphi-Studie über den Einsatz der Neuen Technologien im Bibliothekswesen", 3. Runde
17
KAP. A
EINFÜHRUNG IN DIE THEMATIK UND DARSTELLUNG DER VORGEHENSWEISE
Von der "Bibliothek als Mittler im technischen Wandel" (Fligge 1985) bis zur "Bibliothek als Kristallisationspunkt kommunaler Kommunikations- und Kultureinrichtungen" (Rauch 1984) reichen die Szenarien, die gegenwärtig über die zukünftige Bedeutung des Bibliothekswesens gemacht werden. HELMUT ENGLER, baden-württembergischer Minister für Wissenschaft und Kunst, hob bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 1987 "die Bedeutung von Buch und Bibliothek als Begleiter der Menschen im Zeitalter des Computers hervor" (zit. nach Capurro, 1988, S. 140). In einem regierungsamtlichen Dokument an den amerikanischen Kongreß wird die Rolle des Buches für die Zukunft ebenfalls deutlich. "Ours is a Culture of the Book. Our democracy Is built on books and reading." (Books in our Future, 1984, o. S.) Trotz all dieser optimistischen Darstellungen und Visionen scheint die Symbiose von Buch, Bibliothek , Computer und Gesellschaft in der Realität nicht so eindeutig und interdependent zu verlaufen. Die Bedeutung der Bibliotheken in der heutigen Zeit ist außerhalb ihres eigenen Umfeldes nicht evident. In vielen Schriften über die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft nimmt das Bibliothekswesen eher eine marginale Rolle ein 1 . ROSZAK spricht von den Bibliotheken als dem "fehlenden Glied des Informationszeitalters" (Roszak 1986, S. 252 ff.). In einer Hörfunksendung des Norddeutschen Rundfunks wird sogar von einer "Krise des Öffentlichen Bibliothekswesens" gesprochen (vgl. App, 1987, S. 10). Neben Haushaltskürzungen und Einführung von Lese- und Benutzungsgebühren Anfang der 80er Jahre ist es in Bremen sogar zur Privatisierung von Bibliothekszweigstellen (vgl. BuB, 1987, S. 1) und zur Schließung aller Staatlichen Fachstellen für das öffentliche Bibliothekswesen in Niedersachsen gekommen (vgl. Kabinettsbeschluß der Landesregierung von Niedersachsen v. 7. April 1987, zit. nach BuB, 1987, S. 531). Diese zwiespältigen Pressemitteilungen über die Bedeutung der Bibliotheken und ihres Verhältnisses zu den neuen Technologien waren für uns Anlaß und Ausgangspunkt, den Einsatz der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (luK-Technologlen) im Bibliothekswesen In der Bundesrepublik Deutschland zu untersuchen. Die uns Interessierenden luK-Technologien, d.h. Technologien der Daten- bzw. Informationsspeicherung und -Verarbeitung sowie -Übertragung, werden von ihrem Technologiepotential und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung her in den Rang einer Schlüsselindustrie eingeordnet. Sie sind Instrumente, die In ihrer Verwendung ambivalent sind, d.h. sie können Optionen schaffen, die einerseits positive und andererseits negative Folgen bewirken können. Forschungen, die mögliche Folgen und Implikationen dieser Nutzung von luKTechnologien einschätzen und bewerten, können unter Technologiefolgenabschätzung subsumiert werden.
1
Beispielswelse In "Zukunftsperspektiven gesellschaftlicher Entwicklungen" (1983), "Mensch und Computer im Jahre 2000" von K. Häfner (1984b), "Mensch und Technik" von U. v. Alemann/ H. Schatz (1987). Selbst in der Zusammenstellung "Daten zur Information und Kommunikation in der Bundesrepublik Deutschland" für die EnqueteKommission "Neue Informations- und KommuniKationstechnologien" (1982) des Bundestages wird das Bibliothekswesen nur auf zwei Seiten behandelt.
18 "Technologiefolgenabschätzung" ist die am häufigsten benutzte deutsche Übersetzung für den Ende der 60er Jahre in den USA entwickelten Begriff des "Technology Assessment" (TA). TA wurde als politikbezogenes Beratungs- bzw. Informationsinstrument konzipiert. Dieser Praxisbezug hat u.a. zu einer relativ großen terminologischen Unscharfe geführt (vgl. Dierkes, 1987, S. 3). Technologiefolgenabschätzung verstehen wir als ein "strategisches Rahmenkonzept", das einerseits die Auswirkungen der Einführung und Anwendung von Technologien systematisch erforscht, andererseits gesellschaftliche Konfliktfelder, die durch den Technikeinsatz entstehen können, identifiziert und abschließend Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung der Anwendungsmodalitäten aufzeigt (vgl. Paschen, 1986, S. 22 ff.); d.h. wir betrachten TA als ein zukunftsorientiertes Informations- und Beratungsinstrument, das für die unterschiedlichsten gesellschaftlichen und politischen Bezugsgruppen angelegt ist (vgl. v. Thienen, 1986, S. 22). Die vorliegende Arbelt, die den Einsatz und mögliche Implikationen der luK-Technologien im Bibliothekswesen identifizieren, analysieren und bewerten will, soll in diesem Kontext verstanden werden. Allerdings konnte der konkrete Forschungsablauf einem "TA-Idealkonzept" nicht vollständig entsprechen (vgl. Paschen, 1986, S. 34 ff.). Die Einschränkungen des Untersuchungsbereiches und -ablaufes ergaben sich aus wissenschaftlich-methodischen Gründen bzw. pragmatischen Überlegungen (vgl. Kap. C 2). Für die Datenaquirierung und -bewertung von TA-Analysen werden verschiedene Methoden angewendet, die zum Grundbestand der natur- und sozialwissenschaftlichen Methodenlehre gehören und nicht speziell im Zusammenhang mit Fragestellungen des TA entwickelt worden sind, dazu zählen u.a. die Auswertung von Sekundärmaterial, Befragungen, Expertenkolloquien und Hearings sowie die Delphi-Methode (vgl. Dierkes, 1987, S. 4). Für unsere Erhebung benutzten wir eine dreimalige schriftliche Expertenbefragung mit DelphiElementen (vgl. Kap. D 1). Aufgrund ihres spezifischen Praxisbezuges zeichnen sich TA-Untersuchungen durch keinen einheitlichen theoretischen Grundgedanken aus (vgl. Dierkes, 1987, S. 6). Die Frage nach der Generallsierbarkeit von Ergebnissen sozialwissenschaftlicher Technikforschung ist eines der Hauptprobleme einer allgemeingültigen Theorie im Bereich des TA. Seit einigen Jahren wird fachintern diskutiert, ob die Herausbildung einer besonderen Techniksoziologie notwendig wäre, die auf generellere Strukturprinzipien verweist2. Allerdings ist im fachwissenschaftlich-methodischen Diskurs zur Zeit kein Konsens ersichtlich. Auf unsere Untersuchung bezogen bedeutete dies, daß wir uns einer Theorie bedienten, die aufgrund ihrer Generalisierbarkeit auch für interdisziplinäre Forschungsansätze, um die es sich bei TA-Analysen idealiter handelt, anwendbar ist. Entsprechend rekurrierten wir für unsere theoretischen Grundannahmen auf systemtheoretische Überlegungen von DEUTSCH/FRITSCH (1980) und deren Konkretisierung bei OTTO/ S O N N T A G (1985) (vgl. Kap. C 3). Sozialwissenschaftliche Forschungen, die sich mit Technikeinsatz und Technikfolgen auseinandersetzen, sollten ihr Verständnis der Funktion von Technik in der Gesellschaft explizieren. Auf unsere Arbeit bezogen beinhaltete das die Klärung des Verhältnisses zwi2
Vgl. dazu die Diskussionen auf dem 23. Deutschen Soziologentag 1986 in Hamburg (Lutz 1987a).
19 sehen dem Einsatz der luK-Technologien und den politischen und sozialen Rahmenbedingungen des Bibliothekswesens (vgl. Kap. C 1). Vor diesem Hintergrund intendierte unser Forschungsinteresse auf Abklärung folgender Ziele: - die Anwendung der luK-Technologien im Bibliothekswesen zu identifizieren, abzuschätzen und zu bewerten - Konfliktfelder, die durch den Technikeinsatz im Bibliothekswesen entstehen können, zu explizieren - Handlungsmöglichkeiten zur Verbesserung der Anwendungsmodalitäten aufzuzeigen, beispielsweise Anregungen für Änderungen in der Organisation geben etc. Die vorliegende Untersuchung ist demnach als Überblicksstudie angelegt, in der es um Einschätzungen und Bewertungen des Einsatzes neuer Technologien im Bibliothekswesen geht. Diese Arbelt soll empirische Daten über einen Teil des Einsatzes der luK-Technologien in Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland geben. Dadurch kann diese Studie als mögliche Grundlage zur Erhöhung des Reflexions- und Rationalitätsniveaus für Bibliothekare und Entscheidungsträger des Bibliothekswesens in der Bundesrepublik dienen. Entsprechend dieser Zielsetzungen werden wir nach der Deskription der Struktur des Bibliothekswesens in der Bundesrepublik Deutschland (Kap. B 1) die gegenwärtige Implementierung der Informations- und Kommunikationstechnologien im Bibliothekswesen darstellen (Kap. B 2). Anschließend erfolgt die Erläuterung der theoretischen Rahmenbedingungen der Arbeit, d.h. unserer normative Grundorientierung (Kap. C 1), der Technologiefolgenabschätzung als Kontext für unsere Untersuchung (Kap. C 2) und unserer systemtheoretischen Grundannahmen (Kap. C 3). Im empirischen Teil dieser Arbeit wird die "Delphi-Studie über den Einsatz der neuen Technologien im Bibliothekswesen" vorgestellt, wobei der Schwerpunkt auf die Deskription der Delphi-Methode (Kap. D 1), auf die Auswahl der Untersuchungspopulation (Kap. D 3) und auf die Durchführung und Ausschöpfung der Untersuchung (Kap. D 4) gelegt wird. Bei der Darstellung der Analysen und Bewertungen der Ergebnisse der Delphi-Studie wird unterschieden zwischen den institutionellen Folgen (Kap. E 1), den sozialen Folgen für das Bibliothekspersonal (Kap. E 2) und den politischen Implikationen (Kap E 3) des Einsatzes der luK-Technologien. Abschließend wird ein Resümee dieser Arbeit gezogen (Kap. F).
21
KAP. B
DAS BIBLIOTHEKSWESEN DEUTSCHLAND
IN DER
BUNDESREPUBLIK
Im folgenden Kapitel werden wir die Struktur des Bibliothekswesens in der Bundesrepublik Deutschland darstellen (Kap. B 1). Anschließend erfolgt die Deskription der gegenwärtigen Implementierung der Informations- und Kommunikationstechnologien (luK-Technologien) im Bibliotheksbereich (Kap. B 2). Ausgehend von der Definition von luK-Technologien erläutern wir den gegenwärtigen Stand der elektronischen Datenverarbeitung auf überregionaler (Kap. B 2.1), regionaler (Kap. B 2.2) und lokaler Ebene (Kap. B 2.3).
Kap. B 1
Struktur des deutschen Bibliothekswesens1
Die Bibliotheksstruktur in der Bundesrepublik Deutschland ist gekennzeichnet durch den Dualismus zwischen Öffentlichen und Wissenschaftlichen Bibliotheken, was historisch bedingt und eine deutsche Eigentümlichkeit ist. Erst in den letzten 15 Jahren kann von einer Zusammenarbeit beider Bibliothekssparten gesprochen werden. Der größte Teil der Bibliotheken in der Bundesrepublik wird von der öffentlichen Hand verwaltet und finanziert. Dabei spiegelt sich in der Finanzierungsstruktur der kooperative Föderalismus der Bundesrepublik wider. So finanziert der Bund die Deutsche Bibliothek, die Bibliothek des Bundestages, die Bibliotheken der Bundesbehörden und die Bibliotheken der Bundesforschungseinrichtungen. Die Länder unterhalten die Landes-, Staats-, Universitäts- und Hochschulbibliotheken, wobei sie darüber hinaus die Öffentlichen Bibliotheken teilweise fördern. Die Gemeinden sind für die Unterhaltung ihrer Öffentlichen Bibliotheken und der Kirchenbibliotheken zuständig. Der erste Versuch einer umfassenden Strukturierung des öffentlichen und wissenschaftlichen Bibliothekswesens in der Bundesrepublik Deutschland war der "Bibliotheksplan '73" (1973). Dieser Entwurf beinhaltete die Konzeption einer flächendeckenden Informationsund Literaturversorgung der Bevölkerung, das sogenannte "Bibliotheksnetz". Jede Bibliothek sollte in diesem Netz eine spezifische Aufgabe für ihren typischen Benutzerkreis erfüllen. Neben dieser umfassenden Konzeption enthielt der Bibliotheksplan zahlreiche wegweisende Standards für Ausstattung, Personal- und Raumbedarf, Geräteausstattung und Art und Umfang der Bestände, die bis heute noch nicht erfüllt werden konnten. Daß es nicht zur vollständigen Implementierung dieser Vorschläge kam, lag im wesentlichen daran, daß ihm Jeglicher Finanzierungsplan fehlte. Da der Bibliotheksplan nicht das Ergebnis eines offiziellen Beratungsgremiums für Bund und Länder oder einer von der Bundesregierung eingesetzten Arbeitsgemeinschaft gewesen war, war er darüber hinaus völlig unverbindlich. 1
Es werden hier nur die wesentlichen Strukturmerkmale des deutschen Bibliothekswesens angeführt. Darüber hinaus verweisen wir auf spezielle Literatur. Wir haben uns im folgenden auf das Standardwerk von v.Busse/Ernestus/Plassmann: Das Bibliothekswesen der Bundesrepublik Deutschland (1983) und auf die LIB-2 Studie "Stand der Technik bei der Anwendung neuer Informationstechnologien in Bibliotheken und ihre Auswirkungen auf die Arbeit der Bibliotheken. Bundesrepublik Deutschland" (1987), die vom Deutschen Bibliotheksinstitut im Auftrag der Europäischen Wirtschansgemeinschaft erstellt worden ist (nachfolgend als LIB-2-Studie zitiert), bezogen.
22 Für beide Bibliothekssparten, d.h. sowohl für die Öffentlichen als auch für die Wissenschaftlichen Bibliotheken, ist das Deutsche Bibliotheksinstitut (DBI) in Berlin zuständig. Seine Aufgaben bestehen darin, für beide Bibliotheksbereiche Forschung und Entwicklung zu betreiben, Standards und Normen zu formulieren, Dienstleistungen überregional bereitzustellen und Fortbildung zu betreiben. Als zentrale Dienstleistungen bietet das DBI in Zusammenarbeit mit Bibliotheken die Zeitschriftendatenbank (ZDB), die Gemeinsame Körperschaftsdatei (GKD) und den Verbundkatalog maschinenlesbarer Katalogdaten deutscher Bibliotheken (VK) an. Öffentliche Bibliotheken Die heutigen Öffentlichen Bibliotheken, teilweise auch Öffentliche Büchereien genannt, haben sich aus den "Volksbüchereien" entwickelt, deren Anfänge in das 19. Jh. zurückreichen. Unterhaltsträger der Öffentlichen Bibliotheken sind die Kommunen (Städte, Gemeinden, Landkreise). Abweichend davon haben die Hamburger Öffentlichen Bücherhallen den Status einer Stiftung privaten Rechts, wobei sie allerdings vom Stadtstaat Hamburg finanziert werden. In Gütersloh existiert die Stadtbibliothek Gütersloh GmbH, deren Gesellschafter die Stadt und das Verlagsunternehmen Bertelsmann AG sind. Die deutschen Kommunen verfügen im Gegensatz zu anderen westeuropäischen Ländern über kein Gesetz, daß sie zur Unterhaltung einer Öffentlichen Bibliothek nach bestimmten Mindeststandards verpflichtet. Zu der Anzahl der Öffentlichen Bibliotheken werden unterschiedliche Angaben gemacht. Die LIB-2-Studie geht von 983 Öffentlichen Bibliotheken aus (ebd., vgl. S. 5-2). Demgegenüber spricht BUSSE et al. von 3.206 Gemeinden mit Öffentlichen Bibliotheken bzw. von insgesamt 6238 erfaßten öffentlichen Bibliotheken in Trägerschaft der öffentlichen Hand (ebd., 1983, S. 82). Die "Staatlichen Fachstellen für das öffentliche Bibliothekswesen" sind für die Beratung von Öffentlichen Bibliotheken konzipiert worden, davon ausgenommen sind normalerweise die kreisfreien Städte oder die Großstädte mit mehr als 100.000 Einwohnern. Ihre Zuständigkeiten werden von jedem Bundesland gesondert geregelt. Ihr Aufgabenkatalog umfaßt u.a. alle Fragen der Neugründung und Betriebsorganisation, inhaltlich-fachliche Beratung für den Bestandsaufbau, Weiterbildung und die Verteilung staatlicher Zuschüsse für ihren zuständigen Bereich. Eine besondere Bedeutung als zentrale Serviceeinrichtung für die Öffentlichen Bibliotheken hat die "Einkaufszentrale für Öffentliche Bibliotheken'' (ekz) in Reutlingen. Sie ist ein privates Wirtschaftsunternehmen in der Rechtsform einer GmbH. Gesellschafter sind ausschließlich öffentlich-rechtliche Gebietskörperschaften. Die Einkaufszentrale liefert Bücher und andere Medien, Bibliotheksmaterialien (Titelkarten u.a.), Einrichtungsgegenstände und unterhält im Rahmen der Lektoratskooperation einen Besprechungsdienst für Neuerscheinungen. Für die Öffentlichen Bibliotheken haben die zwei Gutachten der Kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGSt) "Kommunale Öffentliche Bücherei" aus dem Jahr 1964 und "Öffentliche Bibliothek" aus d e m Jahr 1973 bis heute einen wichtigen Stellenwert. Das Gutachten von 1964 diente den Bibliotheken hauptsächlich zur Legitimierung als kommunale Kultur- und Bildungseinrichtung. Das Gutachten von 1973 umschrieb vor allem Aufgabe, Organisation und Ausstattung der Öffentlichen Bibliotheken.
23 Wissenschaftliche Bibliotheken Unter die Wissenschaftlichen Bibliotheken werden folgende Bibliotheken subsumiert: - Bibliotheken mit überregionalen und regionalen Aufgaben - Bibliotheken mit Versorgungsaufgaben für Universität/Fach-/Hochschule - Bibliotheken mit Versorgungsaufgaben für ein bestimmtes Fach (die sogenannten Spezialbibliotheken) Zu den Bibliotheken mit überregionalen Aufgaben werden die "Nationalbibliotheken", Zentralen Fachbibliotheken und die Sondersammelgebietsblbliotheken gezählt. Die Bundesrepublik Deutschland verfügt - aufgrund der historischen Entwicklung und der föderativen Staatsstruktur - über keine einheitliche Nationalbibliothek. Drei Bibliotheken übernehmen diese Aufgabe: die Deutsche Bibliothek in Frankfurt a. M., die Bayerische Staatsbibliothek in München und die Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Zu den Zentralen Fachbibliotheken2 werden die Technische Informationsbibliothek (TIB), Hannover, die Zentralbibliothek der Landbauwissenschaft, Bonn, die Zentralbibliothek der Medizin (ZBM), Köln und die Zentralbibliothek der Wirtschaftswissenschaften (IWW/ZB) in Kiel gezählt. Unter Sondersammelgebietsbibliotheken werden die Bibliotheken verstanden, die mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft Literatur zu einem bestimmten Sachgebiet vollständig erwerben sollen (insgesamt 17, vgl. Der Bundesminister für Forschung..., 1985, S. 104 f.). Unter Bibliotheken mit regionalen Aufgaben werden die Landes-, Staats und Wissenschaftlichen Stadtbibliotheken subsumiert (insgesamt 29 Bibliotheken^). Zu den Bibliotheken mit Aufgaben für den universitären Bereich zählen 57 Universitätsbibliotheken und 147 Hochschul- und Fachhochschulbibliotheken. Unter Spezialbibliotheken werden ungefähr 1700 Bibliotheken gerechnet. Dazu zählen Bibliotheken von Parlamenten und Behörden, von Kirchengemeinschaften, von Musikbzw. Kunstinstitutionen und Museen und von Rrmen, Gesellschaften und Forschungsinstitutionen, d.h. die Gruppe der Spezialbibliotheken Ist durch eine große Vielfalt gekennzeichnet. Entsprechend der Institutionen ist der Öffentlichkeitscharakter meist eingeschränkt. Das wichtigste Forum der Zusammenarbeit für diese Bibliotheken bildet die Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken (ASpB). Bibliotheksverbände Für den Bereich des Bibliothekswesens gibt es eine Vielzahl von organisatorischen Zusammenschlüssen, die den unterschiedlichsten Kriterien zugeordnet werden können: berufliche und regionale Zusammenschlüsse, Zusammenschlüsse nach Bibliothekstypen, nach Bibliotheksgrößen etc. Der bedeutendste Zusammenschluß stellt der "Deutsche Bibllotheksverbancf' (DBV) dar. ihm gehören u.a. die meisten der Öffentlichen Bibliotheken, 2
3
Der Wissenschaftsrat ist von der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLKj um ein Gutachten gebeten worden, ob die TIB Hannover, die ZBM Köln und die IWW/ZB weiterhin die Voraussetzungen für die Fortführung der gemeinsamen Förderung durch Bund und Länder erfüllen bzw. ob die Zentralbibliotnek der Landbauwissenschaft die Voraussetzung für eine Aufnahme in die gemeinsame Forschungsförderung erfüllt (vgl. Wissenschaftsrat 1988). Die Anzahl der Bibliotheken ist aus der LIB-2-Studie entnommen.
24 alle Hochschulbibliotheken (mit Ausnahme der bayerischen) und eine große Zahl von Spezialblbliotheken an. Der DBV ist nach Bibliothekstypen und nach Bundesländer gegliedert. Für den Bibliotheksbereich gibt es vier Personalverbände: den Verein der Bibliothekare an öffentlichen Bibliotheken e. V. (VBB) für die Bibliothekare des öffentlichen Bibliothekswesens, den Verein Deutscher Bibliothekare e. V. (VDB) für den höheren Dienst an Wissenschaftlichen Bibliotheken, den Verein der Diplom-Bibliothekare an wissenschaftlichen Bibliotheken e.V. (VdDB) für den gehobenen Dienst an Wissenschaftlichen Bibliotheken und seit Juni 1987 den Bundesverein der BibliotheksassistentenAinnen und anderer Mitarbeiter an Bibliotheken e.V. (BBA) für den mittleren Dienst an Wissenschaftlichen und Öffentlichen Bibliotheken. Die wichtigsten Verbände waren bis vor kurzem in der "Deutschen Bibliothekskonferenz" (DBK) zusammengeschlossen. Neben den Personalverbänden4 und dem DBV gehörten ihr die Arbeitsgemeinschaft der Spezialbibliotheken (ASpB) und der Verband der Bibliotheken des Landes Nordrhein-Westfalen (VdB NW) an. Auf dem Bibliothekskongreß in Berlin 1988 wurde beschlossen, die Deutsche Bibliothekskonferenz aufzulösen und auf der Grundlage einer " K o o p e r a t i o n s v e r e i n b a r u n g " d i e " B u n d e s v e r e i n i g u n g Deutscher
Bibliotheksverbändef
(BDB) zu gründen, (vgl. ZfBB, 1988, S. 458 bzw. Deutsche Bibliothekskonferenz: Kooperationsvereinbarung). Mit dieser neuen Organisationsform soll ein stärkerer Interessensverband geschaffen werden, in dem die unterschiedlichen Verbandsarbeiten mehr zentralisiert werden und so eine bessere Artikulierung nach Außen ermöglicht wird. Richtlinien für die gegenwärtige Bibliothekspolitik Die Richtlinien für die gegenwärtige Bibliothekspolitik sind in den vom Bibliotheksausschuß der Deutschen Forschungsgemeinschaft erarbeiteten "Empfehlungen zum Aufbau regionaler
Verbundsysteme
In d e n " Vorschlägen
und zur Einrichtung
zur Weiterentwicklung
Regionaler
Bibliothekszentren"
der Verbundsysteme
unter
(1979) u n d
Einbeziehung
loka-
ler Netzer (1986) enthalten5. Allerdings sind sie überwiegend auf die Wissenschaftlichen Bibliotheken ausgerichtet. W e i t e r h i n b i l d e n d i e "Empfehlungen
zum
Magazinbedarf
wissenschaftlicher
Bibliothe-
ken" (1986) des Wissenschaftsrates eine bibliothekspolitische Leitlinie. Der Wissenschaftsrat empfiehlt darin u.a., zur Begrenzung des Magazinbedarfs regionale Archivbibliotheken für selten gefragte Titel einzurichten. Er geht davon aus, daß die Erschließung der Bestände an den Bibliotheken und der überregionale Zugriff auf online-verfügbare EDV-Kataloge Voraussetzung für seine Vorschläge Ist (vgl. Wissenschaftsrat, 1986, S. 41). Die Empfehlungen sind in der "bibliothekarischen Öffentlichkeit" sehr kontrovers diskutiert worden®. Die in der Sektion 4 des Deutschen Bibliotheksverbandes zusammengefaßten Wissenschaftlichen Bibliotheken gaben In einer Stellungnahme zum Ausdruck, daß diese Empfehlung in der vorliegenden Fassung nicht akzeptiert werden könnte (vgl. Kehr/Sontag, 1986, S. 1038).
4 5 6
Der Deutschen Bibliothekskonferenz gehörte der BBA nicht an. Weitere Ausführungen dazu siehe unten Kap. B 2.1 Implementierung auf überregionaler Ebene. Siehe dazu beispielsweise Gattermann (1986). Tannhof hat zu diesem Thema eine spezielle Bibliographie erstellt (1987).
25 Als weitere Empfehlung schlägt der Wissenschaftsrat in seinen "Empfehlungen ... zur retrospektiven Katalogisierung an wissenschaftlichen Bibliothekerf (1988) ein gestuftes Konzept zur retrospektiven Katalogisierung und zum Aufbau von Online-Katalogen vor, wobei u.a. der Verbundkatalog maschinenlesbarer Katalogdaten (VK) als Fremddatenressource für die Konvertierung vorhandener Katalogaufnahmen in maschinenlesbare Daten ausgebaut werden soll. 7 "Das Fachinformationsprogramm 1985-1988 der Bundesregierung" (1985) ist eine weitere Orientierungsleitlinie für die Bibliotheken in der Bundesrepublik, obwohl es nicht in erster Linie auf die Bibliotheken intendiert und die Öffentlichen Bibliotheken nicht darin berücksichtigt sind®. Speziell für die Öffentlichen Bibliotheken können als gegenwärtige bibliothekspolitische Leitlinie die Empfehlungen des Deutschen Städtetages "Die Bibliotheken in der Kulturarbelt der Städte" (1987) gesehen werden. Zu den wesentlichen Zukunftsaufgaben kommunaler Kulturpolitk gehören nach Meinung des Städtetages die Förderung der Lesekultur und die Informationsverbesserung des Bürgers. Dieses Aufgabenspektrum gehört zu den originären Aufgaben der öffentlichen Bibliotheken. Daneben soll die "soziale Bibliotheksarbeit" flächendeckend ausgebaut werden.
Kap. B 2 Gegenwärtige Implementierung der Informations- und Kommunikationstechnologien im Bibliotheksbereich9 Unter Informationstechnologien werden die Technikkomponenten samt ihrem Umfeld verstanden, die dazu dienen, Daten zu manipulieren, nicht um sie primär einem anderen zu vermitteln (auch das schließt schon eine Manipulation von Daten ein), sondern um sie in eine andere Aussageform zu bringen (vgl. Wersig, 1985, S. 10 f.). Bei dieser Definition von Informationstechnologie herrscht die Datenverarbeitung vor. Unter Kommunikationstechnologien werden solche Technologien subsumiert, "die primär dazu dienen, Nachrichten in Raum/Zeit zu übermitteln, wobei sie sich gegenüber den Inhalten der Nachrichten weitgehend neutral verhalten" (ebd.). Entsprechend obiger Definition spielen viele technologische Komponenten eine Rolle, die für eine Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien (luK-Technologien) maßgeblich sind 10 :
7 8
Vgl. weiter unten Kap. B 2.1 Implementierung auf überegionaler Ebene. Genauere Ausführungen siehe unten Kap. E 3.1 Exkurs: Technologiepolitik am Beispiel staatlicher Föderprogramme zur Information und Dokumentation. 9 Nachfolgend beziehen wir uns hauptsächlich auf die LIB-2-Studie bzw. auf unser Positionspapier "Einsatz der Datenverarbeitung im Bibliothekswesen". Dez. 1986. Unveröffentlichtes Manuskript. 10 Wir zählen nur die Technologiekomponenten beispielhaft auf, die für das Bibliothekswesen relevant sind.
26 Aufzeichnungs-, Wiedergabe- und Einzelverarbeitungstechnologien: - Groß-, Mikro- und Personal-Computer - Speichertechnologie (Festplatte, analoge und digitale Bildplatten) - Drucker (Matrixdrucker, Laserdrucker, Computer Output on Microfilm -COM) - Software-Engineering (Expertensysteme) Kabelorientierte Technologie: - Erhöhung der Leistungsfähigkeit existierender Technologien (große räumliche Distanzen, komfortablere Zeichenvorräte, intelligente Endgeräte) - neue Darstellungsmöglichkeiten in existierenden Netzen (Telefax) - Erschließung neuer Nutzungsmöglichkeiten in existierenden Netzen (Bildschirmtext) - Entwicklung neuer Netzformen (Local Area Networks, Inhouse Networks) - Netzintegration (Integrated Services Digital Network -ISDN) Funkorientierte Technologie: - Satellitenkommunikation (APOLLO-Konzept der EG) Im Bibliotheksbereich sind hauptsächlich zwei Einsatzbereiche für luK-Technologien evident: - der Einsatz der luK-Technologien als organisatorisches Hilfsmittel bei der Bibliotheksverwaltung (Ausleihe, Katalogisierung, Erwerbung, Statistik, Rechnungswesen) - der Einsatz der luK-Technologien für die Informationsgewinnung und Informationsvermittlung Die Implementierung der elektronischen Datenverarbeitung im deutschen Bibliothekswesen begann Ende der 60er Jahre an einzelnen Universitätsbibliotheken. Zunächst erfolgte die Automatisierung für einzelne Bibliotheksfunktionen, wie Ausleihverbuchung und Katalogisierung. Die Programme waren meist Eigenentwicklungen der Bibliotheken - teilweise mit einzelnen Firmen zusammen erarbeitet 11 . Sie waren offline konzipiert und waren hauptsächlich in den Rechenzentren der Universitäten aufgelegt. Drei Phasen der Bibliotheksautomatisierung können unterschieden werden 12 : "•Einführung isolierter Lösungen in Einzelbibliotheken, erste Planungen für Verbundsysteme auf regionaler und nationaler Ebene. -Intensive Planungen für den Aufbau regionaler Bibliothekssysteme, relativ isoliert davon Aufbau und Weiterentwicklung zentraler Dienste auf nationaler Ebene, Definition der Einzelbibliothek als Teilnehmer an Verbundsystemen ohne nennenswerte eigene DV-Kapazität. - Bemühungen zur Koordinierung und technischen sowie organisatorischen Zusammenarbeit zwischen regionalen und überregionalen Zentren sowie den Teilnehmerbibliotheken, wobei auch auf der lokalen Ebene DV-Kapazität für Aufgaben bereitgestellt wird, für deren Erfüllung zuvor noch regionale oder überregionale Zentren vorgesehen waren." (Beyersdorff, 1986, S. 1).
11 Beispielsweise mit Siemens (vgl. Hahn 1988). 12 Die in der Realität zeitlich ineinander überfließen können.
27 Zur Zeit befinden sich die Bibliotheken in der Bundesrepublik in der zuletzt genannten Implementierungsphase.
Kap. B 2.1 Implementierung auf überregionaler Ebene13 Die Implementierung der luK-Technologien im Bibliothekswesen auf überregionaler Ebene intendiert hauptsächlich auf überregionale Katalogunternehmungen: - der Verbundkatalog maschinenlesbarer Katalogdaten deutscher Bibliotheken (VK) - die Zeitschriftendatenbank (ZDB) Der Verbundkatalog maschinenlesbarer Katalogdaten deutscher Bibliotheken (VK) ist eine Datenbank, in dem die Monographien und Dissertationen von 18 Universitäts- und Fachhochschulbibliotheken sowie die Bestandsnachweise von 23 Bibliotheken aus dem hessischen ISBN-Register verzeichnet sind. In d e m VK sind die Bestände dieser Bibliotheken ab 1966 vollständig erfaßt 1 4 . Der VK erschien das erstemal 1983 in Microfiche-Form. Das 2. Grundwerk (Stand Nov. 1985) enthält über 3 Millionen Titel mit über 5 Millionen Standortnachweisen (vgl. LIB-2-Studie, 1987, S. 4-20). Eine Online-Version des VK für Retrievalzwecke ist seit 1987 implementiert (vgl. Braun/Tölle, 1987, S. 1015 ff.). Der VK ist aufgrund einer Projektstudie von NIEWALDA entstanden. Im März 1978 veröffentlichte die Arbeitsstelle für das Bibliothekswesen zwei Projektstudien von Reinhard Oberschelp und Paul Niewalda "Deutscher Gesamtkatalog und Verbundkatalog". OBERSCHELP wollte auf reprographischen Wege einen Gesamtkatalog herstellen, wobei er von den Zettelkatalogen der sieben regionalen Zentratkatalogen als Grundlage ausging. NIEWALDA schlug demgegenüber vor, daß für monographische Publikationen ein Gesamtverzeichnis durch Zusammenspiel aller maschinenlesbarer Daten der neueren Universitätsbibliotheken ab dem Erscheinungsjahr 1960 erstellt werden sollte. Die DFG untersützte das Vorhaben NIEWALDAs und förderte es finanziell (vgl. Beyersdorff 1985). Seit 1985 hat das Deutsche Bibliotheksinstitut die laufende Produktion und den inhaltlichen Weiterausbau des VK als ständige Aufgabe übernommen. Im Laufe der Zeit hat sich für den VK eine Funktionsausweitung ergeben, so daß neben der geplanten Funktion als Leihverkehrsinstrument die der Hilfestellung für die laufende bzw. retrospektive Katalogisierung 1 5 getreten ist. Da für die Zukunft immer mehr autonome Bibliothekssysteme zu erwarten sind, die auch einen Online Public Access Catalog (OPAC, Online-Benutzerkatalog) f ü h r e n 1 6 , stellt sich für die deutschen Bibliotheken das Problem der Konvertierung vorhandener konventioneller Katalogaufnahmen in maschinenlesbare Daten, d.h. das Problem der retrospektiven Katalogisierung.
13 Im folgenden wird nicht näher auf das Gesamtverzeichnis der Kongreß-Schriften (GKS) und die Gemeinsame Körperschaftsdatei (GKD) eingegangen. 14 Literatur vor 1966 ist nur soweit im VK nachgewiesen, wie die beteiligten Bibliotheken diese Titel bereits maschinenlesbar erfaßt haben. 15 Linter retrospektiver Katalogisierung wird die Konvertierung konventionell erstellter Titelaufnahmen in maschinenlesbare Daten verstanden. 16 vgl. oben Kap. B 2.3 Implementierung auf lokaler Ebene.
28 Der VK soll entsprechend einer Empfehlung des Wissenschaftsrates als Fremddatenressource für die retrospektive Katalogisierung in Deutschland ausgebaut werden. Dazu müssen als Voraussetzung neben den historischen Altbeständen 17 der deutschen Bibliotheken auch die Katalogdaten nach 1850 konvertiert werden (vgl. Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur retrospektiven Katalogisierung ... 1988). Unter Nutzung ausländischer Datenbanken, insbesondere des Online Computer Library Centers (OCLC), soll der VK ausgebaut werden. Ein Testlauf von 1986 hat ergeben, daß ca. ein Drittel der bisher nicht im VK enthaltenen Katalogdaten vom OCLC übernommen werden könnte (vgl. Beyersdorff 1987). In den 70er Jahren wurde der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz und der Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik1® in Berlin die Aufgabe übertragen, eine überregionale Zeitschriftendatenbank einzurichten. Diese Zeitschriftendatenbank (ZDB) arbeitet auf der Basis des vom Bibliotheksausschuß der Deutschen Forschungsgemeinschaft 1977 verabschiedeten "Strukturkonzepts für die Zeitschriftendatenbank bei der Arbeitsstelle für Bibliothekstechnik (ABT)" (vgl. Empfehlungen des Unterausschusses für Datenverarbeitung ... 1978). Sie stellt ein überregionales Katalogisierungsunternehmen und Nachweisinstrument der Zeitschriftenbestände in der Bundesrepublik dar. Sie basiert auf einem Mehrdateiensystem und ist nach dem Prinzip des redundanzfreien Titelnachweises aufgebaut. Zur Zeit ist die ZDB ein gemischtes online/offline-System. Ab 1989 soll ein neues reines Online-System für Katalogisierung (IBAS III) den Wirkbetrieb aufnehmen und das derzeit bestehende System ablösen 19 . Entsprechend den Vorschlägen der Deutschen Forschungsgemeinschaft "Vordringliche Maßnahmen zur Verbesserung des Nachweises von Zeitschriftenliteratur über die Zeitschriftendatenbank" (1980) existiert seit 1983 die sogenannte "Online-ZDB", eine Ausgabeform der Katalogisierungsdatenbank, für die seit 1986 das Online-Ordering möglich ist. Für die Zukunft ist geplant, die ZDB als CD-ROM (Compact Disc - Read Only Memory) anzubieten. Der Datenbestand der ZDB betrug im Frühjahr 1988 487.000 Titel, d.h. Zeitschriften, Zeitungen und Schriftenreihen, mit über 1,7 Millionen Besitznachweisen von über 2000 Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West) (vgl. Deutsches Bibliotheksinstitut/Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, 1988, S. 1) "Damit besitzt die ZDB nach dem Online Computer Library Center in Dublin, Ohio (OCLC) weltweit die zweitgrößte Datenbank maschinenlesbarer Katalogdaten von fortlaufenden Sammelwerken." (Schlitt, 1986, S. 72)
17 Die retrospektive Katalogisierung historischer Altbestände wird gegenwärtig in einzelnen Projekten vorangetrieben und aus Forschungsförderungsmitteln finanziert (vgl. Altbestandserfassung in wissenschaftlichen Bibliotheken ... 1988). 18 Heute Teil des Deutschen Bibliotheksinstituts. 19 Der Bibliotheksausschuß der DFG hatte am 12./13.März 1985 die Fortentwicklung der ZDB in der bisherigen Form unter Beibehaltung der Katalogisierungs- und Leihverkehrsfunktion entsprechend dem Bericht "Perspektiven der ZDB" empfohlen (vgl. Schlitt, 1986, S. 71-90).
29
Kap. B 2.2 Implementierung auf regionaler Ebene Für die Implementierung der luK-Technologien auf regionaler Ebene sind die "Empfehlungen zum Aufbau regionaler Verbundsysteme und zur Einrichtung Regionaler Bibliothekszentren"2® (1979) des Unterausschusses für Datenverarbeitung des Bibliotheksausschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft und die "Vorschläge zur Weiterentwicklung der Verbundsysteme unter Einbeziehung lokaler Netzef (1986) des Bibliotheksaussschusses der DFG die bibliothekspolitischen Leitlinien. Die "Empfehlungen zum Aufbau regionaler Verbundsystemei"21 waren der entscheidende Anstoß für einen breit angelegten und koordinierten Ausbau der Verbundkatalogisierung. Ziel war die Bildung von sieben regionalen Verbundsystemen22 mit einer jeweiligen zentralen Institution, dem regionalen Bibllothekszentrum. Hauptaufgabe dieser Institutionen ist der Aufbau von Verbundkatalogen nach dem Prinzip des shared cataloguing 2 ^, um dadurch eine Beschleunigung der überregionalen Literaturversorgung zu erreichen. Das bedeutet, daß für die Bibliothekszentren der Schwerpunkt bei der "kooperativen Katalogisierung unter Nutzung von Fremddaten, der zentralen Katalogführung einschließlich des Literaturnachweises sowie der Entwicklung von online-Bestellverfahren und der Produktion von Katalogen für die beteiligten Bibliotheken" (Vorschläge zur Weiterentwicklung ..., 1986, S. 2) liegt. Da die DFG in ihren Empfehlungen der Kooperation der Regionalverbünde und überregionaler bibliothekarischer Stellen einen hohen Stellenwert einräumte, wurde auf der Grundlage der Empfehlungen 1983 die Arbeitsgemeinschaft der Verbundsysteme gegründet 24 . Ihre Aufgabe ist es, Koordinierung in Regelwerks-, Format-, Software- und Hardwarefragen etc. zu erreichen, Informationen auszutauschen und gegenüber den Anbietern von Hard- und Software als Interessenverband aufzutreten. Den Empfehlungen der DFG Ist Im wesentlichen gefolgt worden, aber keines der sieben bzw. acht Zentren 25 hat den endgültig vorgesehenen Ausbauzustand bisher erreicht. Die
20 Im folgenden als "Empfehlungen zum Aufbau regionaler Verbundsysteme" zitiert. 21 "Verbundsysteme sind in der Regel sternförmig strukturierte Systeme, bei denen ein Verbundzentrum (im Orig. hervorgehoben, d. VerfJ als umfassender bibliographischer Datenpool maschinenlesbare bibliographische Daten mittels technischer Ubertra^ungsnetze den angeschlossenen Bibliotheken verfügbar macht." (Lehmann, 1985, S. 22 Die sieben Zentren entsprechen mit geringen Ausnahmen den bestehenden Leihverkehrsregionen in der Bundesrepublik Deutschland: 1. Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein 2. Niedersachsen 3. Nordrhein-Westfalen mit dem Regierungsbezirk Trier des Landes Rheinland-Pfalz 4. Hessen mit dem Ftegierungsbezirk Koblenz und dem nördlichen Teil des Regierungsbezirks Flhelnhessen-Pfalz des Landes Rheinland-Pfalz 5. Baden-Württemberg und Saarland mit dem Regierungsbezirk Pfalz des Landes Rheinland-Pfalz 6. Bayern 7. Berlin (vgl. dazu die Gegenüberstellung der Leihverkehrsregionen und der Verbundsysteme in LIB-2-Studie, S. 3-2). 23 D.n. jede Titelaufnahme soll nur einmal angefertigt werden und soll anschließend für die Nutzung durch alle Teilnehmer zur Verfügung stehen. 24 Zur Zeit gehören der Arbeitsgemeinschaft folgende Institutionen an: Vertreter der überregionalen Verbundsysteme, der Deutschen Bibliothek, der Zeitschriftendatenbank, des Verbundkataloges maschinenlesbarer Daten, der luD, des Bibliotheksreferates der Deutschen Forschungsgemeinschaft, der Kultusministerkonferenz und dem Vorsitzenden des Unterausschusses für Datenverarbeitung und Kommunikationstechnik des Bibliotheksausschusses der DFG (vgl. Habermann 1987). 25 Das achte Verbundsystem ist der Verbund der obersten Bundesbehörden und gehört daher nicht zu den klassischen sieben Leihverkehrsregionen.
30 Bibliotheksverbundsysteme befinden sich gegenwärtig in unterschiedlichen Entwicklungsstufen ihrer Implementierung 26 . Trotz der Empfehlungen hat es keine einheitlichen Lösungen für die Organisation und technische Ausstattung der Verbundsysteme gegeben. So sind beispielsweise drei Software-Systeme für den Betrieb der Verbundsysteme Im Einsatz27. Ebenfalls wird die Hardware von zwei Firmen, Siemens und IBM, angewandt. Bei den organisatorischen Durchführungen ist insoweit ein Konsens bei den Verbundsystemen zu erkennen, daß zumindest bei allen die Online-Recherchen im Verbundpool des Zentrums durchgeführt werden bzw. die Erstellung der einzelnen Bibliothekskataloge dort erfolgt bzw. erfolgen soll. Dieser Ist-Zustand zusammen mit Vorschlägen, die von einer Arbeitsgruppe des Unterausschusses für Datenverarbeitung und Kommunikationstechniken der Deutschen Forschungsgemeinschaft erarbeitet worden waren, führten zu einer Fortschreibung der Empfehlungen von 1979. Diese "Vorschläge zur Weiterentwicklung der Verbundsysteme unter Einbeziehung lokaler Netze" (1986) intendierten auf folgende Schwerpunkte: - funktionale Abhängigkeiten von überregionalen, regionalen und lokalen Ebenen - Vereinheitlichung von bibliothekarischen und technischen Standards2® - Bildung von Netzstrukturen - Dezentrale Installierungen von Bibliotheksfunktionen "Für die Leistungsfähigkeit der Verbundsysteme ist (...) nicht der Auf- und Ausbau eines nationalen Verbundes erforderlich, sondern eine geplante funktionale Abhängigkeit von überregionaler, regionaler und lokaler Ebene." (Vorschläge zur Weiterentwicklung ..., 1986, S. 4). Auf das Bibliothekssystem konkretisiert, bedeutet das: "- lokale Ebene:
- regionale Ebene:
Bibliothekssystem innerhalb eines lokalen (universitären) Netzes mit einem Online-Benutzerkatalog als Kern und einem Satz von Servern (Verknüpfungsmöglichkeiten) zu unabhängigen Subsystemen wie Ausleihverbuchung, Erwerbung, Zeitschriftenbearbeitung Verknüpfungsmöglichkeit zum öffentlichen Netz Verbundsysteme als Datenressource für die Katalogisierung von Monographien, im Ausnahmefall von Zeitschriften Nachweis- und Steuerungsinstrument für den Leihverkehr
26 Zum Entwicklungsstand in den einzelnen Bibliotheksverbünden siehe neben der LIB-2Studie die Zusammenstellung von REGGE über EDV-Katalogisierung in: VdDB/Kommisslon Neue Technologien: Ausgewählte Literatur zu neuen Technologien. 1. Ergänzungslieferung (1987) sowie Arbeitsgemeinschaft der Verbundsysteme: Informationen (1989) bzw. Anhang A 4 und A 5. 27 Das System IBAS III wird am häufigsten, d. h. bei vier Verbundsystemen eingesetzt. Allerdings ist eine unterschiedliche Weiterentwicklung des Systems zu erkennen. 28 Auf das Problem der bibliothekarischen und technischen Standards, wie RAK-WB, Zeichenvorrat (DIN 31628 Stufe 2), Codierung (EBCDIC oder ASCII) etc., wird hier nicht näher eingegangen (vgl. dazu Vorschläge zur Weiterentwicklung ..., 1986, S. 6).
31
- überregionale
Ebene:
Verknüpfungsmöglichkeit zu anderen Verbundsystemen Datenressource für die Katalogisierung (von Zeitschriften) Nachweis- und Steuerungsinstrument für den überregionalen Leihverkehr Datenressource für die retrospektive Katalogisierung Verknüpfungsmöglichkeit zu anderen Verbundsystemen" (Vorschläge zur Weiterentwicklung, 1986, S. 4 f.)
Die Empfehlungen streben als Ziel "eine Vernetzung der Verbundsysteme nach dem Referenz-Modell für offene Kommunikationssysteme" (Vorschläge zur Weiterentwicklung ..., 1986, S. 3) an. Allerdings ist die Vernetzung zwischen den Regionalen Bibliothekszentren gegenwärtig noch nicht realisiert (vgl. Empfehlungen des Wissenschaftsrates..., 1988, S.426). Die internationale Normungsorganisation ISO (International Organization for Standardization) hat für offene Netze ein Kommunikationsmodell mit einer Hierarchie von Protokollen, d. h. ein Sieben-Schichten-Referenz-Modell, vorgeschlagen (vgl. Abb. B 1). Dieses sogenannte ISO/OSI-Modell (Open Systems InterconnectionJ^wird in den kommenden Jahren mit standardisierten Kommunikationsprotokollen ausgefüllt werden m ü s s e n ^ . Über solche standardisierten Protokolle wird es möglich sein, Rechnersysteme verschiedenster Herkunft und Aufgabenstellung miteinander zu verbinden 3 1 . Anders formuliert wird für die Zukunft ein Bibliotheksverbund angestrebt, der auf Kommunikationsstandards aufbaut, die heterogene Systeme für den Nutzer homogen erscheinen lassen. Ein weiterer Schwerpunkt in den Vorschlägen von 1986 sind die Überlegungen zur Dezentralisierung von wichtigen Bibliotheksfunktionen, d.h. zur dezentralen Installierung in einzelnen Bibliotheken. Dieser Trend ist in den USA schon seit längerem feststellbar 3 2 . Diese Tendenzen werden nicht nur durch die zunehmenden Telekommunikationskosten 3 3 verstärkt, sondern vor allem durch die Entwicklung auf dem Mikrocomputermarkt bzw. die Laserplattentechnologie (CD-ROM u.a.) begünstigt.
29 Nach ISO 7498 (vgl. ABI-Technik 6.1986, S. 226). 30 Die Rrma IBM hat mit seinem EARN-Kommunikationsnetz (European Academic and Research Network) maßgeblichen Anteil an der Entwicklung (vgl. FR vom 18.0kt. 1986, Nr. 242). 31 Vgl. Der Bundesminister für Forschung und Technologie: 1984 und danach. Konferenzdokumentation (1984), S. 930. 32 Sehr deutlich wird dies am Online Computer Library Center (OCLC) des Staates Ohio. Das OCLC ist eine Non-Profit-Organisation, die sich im wesentlichen durch die Benutzerentgelte ihrer Dienstleistungen finanziert. Das OCLC hat o. g. Trend aufgenommen und bietet inzwischen selbst lokale Bibliothekssysteme an, z. B. LS/2000. Uber diese Tendenzen in den USA berichten beispielsweise Beyersdorff, G.: Bibliotheken im Verbund (1985), Lehmann, K.-D.: Bibliothekenverbund und lokale Systeme (1986), Neubauer, K. W.: Neuere .Tendenzen bei der Entwicklung von Verbundsystemen für Bibliotheken (1984), ders.: Uber Sinn und Unsinn regionaler Verbundsysteme in Deutschland (1986). 33 Bedingt durch Kostensteigerung bei der Datenfernübertragung (DFÜ) (vgl. LC Lehrmittel Computer 1986, S. 235) bzw. die Erhöhung der Datenvolumina.
32 Abb. B 1: Das Referenz-Modell für Offene Systeme (ISO-Schichtenmodell)
Quelle: Lehmann, K-D.: Verbund: Zentren und Bibliotheken (1985), S. 39
Kap. B 2.3 Implementierung auf lokaler Ebene Die Implementierung der luK-Technologien auf lokaler Ebene ist so stark im Fluß, daß sämtliche Angaben schon wieder veraltet sein können. Es geht im folgenden nicht darum aufzuzeigen, in welcher Bibliothek welche EDV-Anlagen implementiert sind. Es kann nur dokumentiert werden, daß die Bibliotheken in der Bundesrepublik unterschiedlich stark automatisiert sind, bzw. es immer noch Bibliotheken gibt, die mit den herkömmlichen Verfahren arbeiten.
33 Der Einsatz der Datenverarbeitung auf der lokalen Ebene kann von Automatisierungsverfahren für einzelne Bibliotheksfunktionen (Ausleihe, Erwerbung, Katalogisierung) bis zu integrierten Systemen reichen, die alles in einem inhouse-System vereinen. Bei der Implementierung der luK-Technologien im Bibliothekswesen können auf lokaler Ebene folgende Einsatzbereiche unterschieden werden: - Katalogisierung - Ausleihverbuchung - Erwerbung von Monographien und Zeitschriften - Online-Benutzerkatalog - Informationsvermittlung Sowohl für die Öffentlichen als auch für die Wissenschaftlichen Bibliotheken sind die unterschiedlichsten Datenverarbeitungssysteme im Einsatz, von Eigenentwicklungen bis zu Turnkey-Systemen, d.h. Komplettlösungen von Rrmen. Katalogisierung Der Einsatz der luK-Technologien ist für den Funktionsbereich der Katalogisierung an der Schnittstelle zwischen lokaler und regionaler Ebene angesiedelt. Für die Wissenschaftlichen Bibliotheken wird zukünftig die Verbundkatalogisierung dominant sein 34 , für die Öffentlichen Bibliotheken gibt es gegenwärtig kein umfassendes Konzept, das die Katalogisierung mit Hilfe der Datenverarbeitung beinhaltet. Für die öffentlichen Bibliotheken erscheinen Konzeptionen möglich, die einerseits die Einkaufszentrale für Öffentliche Bibliotheken (ekz) als nationale Katalogzentrale35 favorisieren (vgl. Beyersdorff 1982) bzw. auf Anschlußmöglichkeiten an die Verbundkatalogisierung der Wissenschaftlichen Bibliotheken intendieren 36 bzw. dezentrale Katalogisierung der einzelnen Bibliotheken mit Hilfe neuer Softwareprogramme bevorzugen37. Nach der LIB-2-Studie setzen 18 Öffentliche Bibliotheken bei Katalogisierungsarbeiten die Datenverarbeitung ein (vgl. Anhang A3).
34 Vgl. oben Kap. B 2.2 Implementierung auf regionaler Ebene. 35 Die ekz bereitet sich zur Zeit auf die Produktion "maschinenlesbarer Titeldienste (RAKÖB)" auf Disketten vor (vgl. LIB-2-Studie, S. 2-6). 36 Zwar ist in einzelnen Verbundsystemen der wissenschaftlichen Bibliotheken die Möglichkeit der Einbeziehung öffentlicher Bibliotheken gegeben, aber für deren Bedürfnisse wurden noch keine Lösungen gefunden - Hessen (vgl. Lehmann, 1982), Niedersachsen (vgl. Mitteilungen 1986 bzw. Vogt 1983), Nordrhein-Westfalen (vgl. König 1984). 37 Ein berühmtes Beispiel für eine ausländische Bibliothek, die nicht an Verbundsystemen teilnimmt, sondern alles autonom regelt, ist die Pikes Peak District Library in Colorado, USA. Sie hat ein eigenes autonomes Datenverarbeitungssystem aufgebaut (Magie's Place), das vom kulturellen Veranstaltungskalender bis zum eigenen Katalog alles online auch außerhalb der Bibliothek anbietet (vgl. Dowlin 1985).
34
Ausleihverbuchung Im Rahmen der LIB-2-Studie wurde festgestellt, daß gegenwärtig 42 Wissenschaftliche und 70 Öffentliche Bibliotheken^ automatisierte Ausleihverbuchungssysteme einsetzen (vgl. Anhang A 3) 3 9 . Nach der LIB-2-Studie sind folgende Ausleihverbuchungssysteme bei den Wissenschaftlichen Bibliotheken implementiert 4 ^: OLAF/OLAF ll(Online-Ausleihverbuchungsssystem der Universitätsbibliothek Freiburg)/BIBDIA, BABSY (Bochumer Ausleih-Verbuchungs-System), HEIDI (Heidelberger Blbliotheks-lnformationssystem), BIAS, KOALA (Konstanzer Ausleih- und Anfrage- System), DOBIS (Dortmunder Bibliotheks- und Informationssystem), HEBIS/LEIH (Hessisches Bibliotheks-Informationssystem) und Eigenentwicklungen. Vermutlich werden zukünftig hauptsächlich BIBDIA von der Firma NORSK-DATA, URICA von der Firma McDonnel Douglas und BIAS von der Firma Siemens eingesetzt werden. Bei den Öffentlichen Bibliotheken sind folgende Systeme im Einsatz41: Turnkey-Systeme, wie BIBDIA, BIVIS, URICA, DATAPOINT, CTM und andere Systeme sowie Eigenentwicklungen, wie BASIS-L, HEBIS-LEIH, NAUSY und das System der Städtischen Bibliotheken München. Überwiegend wird das Ausleihverbuchungssystem BASIS42 (Bibliothekarisch analytisches System der Informations-Speicherung) der Arbeitsgemeinschaft Kommunale Datenverarbeitung Nordrhein-Westfalen (AKD) angewendet4^. Bei den Öffentlichen Bibliotheken kommt den Kommunalen Rechenzentren/ Datenzentralen eine besondere Mitentscheidungskompetenz bei der Installierung von Datenverarbeitungssystemen zu 4 4 . 38 Demgegenüber verzeichnet die "Deutsche Bibliotheksstatistik 1985, A: Öffentliche Bibliotheken" 85 Bibliotheken mit automatisierten Ausleihverbuchungssystemen (von insgesamt 938 erfaßten Bibliotheken). 39 Die Daten der LIB-2-Studie stammen aus einer Erhebung von 1986. 40 Zur Darstellung einzelner Systeme vgl. den Bericht von SCHÖNENBERG "Automatisierte Ausleihverbuchung in der Literatur von 1980 bis 1987" in: VdDB/Kommission Neue Technologien: Ausgewählte Literatur zu neuen Technologien. 1. Ergänzungslieferung (1987). 41 Vgl. u.a. dazu den Bericht der EDV-Kommission des Deutschen Bibliotheksinstituts: Automatisierte Ausleihe in Öffentlichen Bibliotheken unter besonderer Berücksichtigung autonomer EDV-Svsteme (1984). Dieser Bericht ist zwar veraltet, aber er dokumentiert gut den Stand der Implementierung zu Beginn der 80er Jahre. 42 Entweder in der alten Assembler-Version, die vom Rechenzentrum Köln für die Anwendung auf Siemens-Anlagen umgewandelt wurde oder in einer Weiterentwicklung BASIS-L in PL/1. Die Stadtbücherei Bochum war Pilotprojekt für das in 10 Jahren entstandene DV-System BASIS (vgl. Schultheis/König, 1984 S. 217). 43 Für die Öffentlichen Bibliotheken In Baden-Württemberg wurde ein eigenes landeseinheitliches Ausleihverfahren von der Datenzentrale in Stuttgart in Zusammenarbeit mit einer Software-Firma erarbeitet (vgl. Bauer 1985). Grundlage war. ein "Pflichtenheft zur Ausleihverbuchung" (1984), das von der Arbeitsgruppe "ADV in Öffentlichen Bibliotheken" des DBV, Landesverband Badenwürttemberg erstellt worden war. Dieses Verfahren lief in der Pilotanwendung in der Stadtbibliothek Böblingen (vgl. Gemeinsamer Bericht der Kommission ... 1986). 44 In Bayern hat sich die Anstalt für kommunale Datenverarbeitung in Bayern (AKDB), ein kommunaler Dienstleistungsbetrieb zuständig für Angebote der Datenverarbeitungsleistung, für das autonome Ausleihverbuchungssystem BIVIS (Bibliotheksverwaltungsund Informationssystem) der Firma DPS (Datenverarbeitung-Planung-Steuerung GmbH) entschieden (vgl. Nagel 1984). BIVIS wurde den Anforderungen der bayerischen Bibliotheken angepaßt und als Pilotprojekt in Gauting eingesetzt.
35 Erwerbung 45 Die gegenwärtige Implementierung der Datenverarbeitung im Bereich der Erwerbung ist marginal. Nach der LIB-2-Studie verfügen 10 Wissenschaftliche und 4 Öffentliche Bibliotheken über automatisierte Verfahren für die Monographienerwerbung, d.h. Bestellung und Lieferüberwachung. Über eine automatisierte Zeitschriftenerwerbung verfügen 11 Wissenschaftliche und 1 Öffentliche Bibliothek (vgl. ebd., S. 4-30 bzw. unser Anhang A3). Für den Bereich der Erwerbung werden von anderen Institutionen, wie Verlagen, Buchhandlungen und Zeitschriftenagenturen, den Bibliotheken kommerzielle Dienste zur Nutzung angeboten (vgl. Wiesner 1986). Allerdings werden diese Angebote, die Online-Bestellung von Literatur und das Document Delivery beinhalten, von den Bibliotheken bisher kaum genützt (vgl. ebd., S. 1-19). Datenverarbeitungssysteme von Zeitschriftenagenturen, die zur Kontrolle der Lieferung von Zeitschriftenhefte dienen, werden gegenwärtig von 10 Wissenschaftlichen Bibliotheken verwendet. Online Public Access Catalog (OPAC) Eine weitere Form der Anwendung eines lokalen EDV-Systems ist der über Terminals direkt zugängliche örtliche Katalog in automatisierter Form, der Online Public Access Catalog (OPAC). Er bildet die Schnittstelle zwischen der EDV als Instrument der Bibliotheksverwaltung und der EDV als Online-Zugriffsmöglichkeit auf Bestände der Bibliothek durch die Benutzer. Nach FAYEN ist der OPAC 46 "a mechanism for providing real-time interactive access to the bibliographic records for a librarys holdings. The online catalog provides for searching the bibliographic records in a variety of ways which need not be stipulated during data base creation, and which may be constructed by the user to meet a particular information need at the time the search is conducted'
(Fayen, 1983, S, 9). Die meisten OPAC sind Mehrdateiensysteme mit Dateien für Stammdatensätze und mit Suchbegriffsdateien. Beide sind über Adressen miteinander verknüpft und ermöglichen einen indexsequentiellen Zugriff. Hinzu kommen noch Arbeitsdateien bzw. Korrespondenzdateien (vgl. Gattermann, 1985, S. 80). Bei Betrieb eines OPAC werden zwei modes (Betriebsarten) unterschieden: - lookup-mode : rechnergesteuerte Menütechnik - command- mode : benutzergesteuerte Befehlstechnik Bei den OPAC der neueren Generation in den USA sind beide Arten der Dialogführung möglich (vgl. Gattermann, 1985, S. 72 ff.).
45 Auf die Erwerbungsbereiche Haushaltsüberwachung, Statistik und Einbandbearbeitung wird im folgenden nicht eingegangen. 46 Es gibt noch keinen Konsens über eine einheitliche Definiton (vgl. Fayen, 1983, S. 6). Ubereinstimmung besteht darin, daß es sich bei einem OPAC um ein Auskunfts- und nicht um ein Katalogisierungsinstrument handelt.
36 In Deutschland sind verstärkt Bestrebungen zur Implementierung eines OPACs zu erkennen 4 7 u.a. beim Bibliothekenverbund der obersten Bundesbehörden (VBB) In Bonn (vgl. Kohl 1986a,b,o). Abgesehen von einzelnen Versuchen gibt es in der Bundesrepublik Im Unterschied zu den USA und anderen europäischen Ländern bisher noch keine ausgereiften OPACs (vgl. Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur retrospektiven Katalogisierung...,1988, S.424). Um genauere Auskünfte über OPACs geben zu können, muß auf Erfahrungen anderer Länder, vor allem der USA und Skandinaviens zurückgegriffen werden (vgl. HelalAWeiss 1986, Langefeld 1986). Bei einer vergleichenden Studie des Council on Library Resources, Inc. in Washington wurden im Rahmen des "Bibliographie Service Development Program" wichtige, auch auf deutsche Bibliotheken übertragbare Erkenntnisse geliefert: - die Akzeptanz des OPAC gegenüber dem traditionellen Kartenkatalog ist bei den Benutzern sehr hoch - inhaltliche Recherchen werden vor d e m known-item search präferiert - bei den Benutzern besteht die Erwartung, daß die Bestände der Bibliothek im OPAC vollständig nachgewiesen sind (vgl. Matthews et al., 1983, S. 168 ff.) Ein noch nicht abschätzbarer Faktor bei Installierung eines OPAC sind die entstehenden Folgekosten. "Während die Kosten für die Unterhaltung und Pflege eines Kartenkatalogs als mehr oder weniger fixe Kosten über Jahre hinaus in konstanter Höhe berechenbar geblieben sind bzw. bleiben, steigen die laufenden Kosten mit der steigenden Inanspruchnahme der OPAC" (Gattermann, 1985, S. 91). In der Universitätsbibliothek Bielefeld wird zur Zelt ein von der DFG gefördertes Projekt durchgeführt, das diese Folgekostenproblematik abschwächen könnte. Der gesamte Bibliothekskatalog der Universitätsbibliothek Bielefeld soll auf eine CD-ROM, d.h. Compact Disc - Read Only Memory, übertragen und über entsprechende, an Personalcomputer angeschlossene Laufwerke zugänglich gemacht werden. Dies Ist die erste Anwendung der optischen Speicherplatten-Technologie auf einen Online-Publikumskatalog in der Bundesrepublik Deutschland. Wesentlicher Bestandteil des CD-ROM-Projekts ist eine Aktualisierungskomponente, d.h. der Differenzbestand der Katalogdaten zwischen zwei CD-ROMAusgaben soll auf der Festplatte der Arbeitsplatz-PCs suchbar gespeichert werden. Die Suche auf der Festplatte soll für den Benutzer unbemerkt zusätzlich zu derjenigen auf der CD-ROM ablaufen (vgl. Binder 1988 bzw. Binder/Kemminger/ Summann 1988). Informationsvermittlung Unter Informationsvermittlung wird das Recherchieren in extern aufgebauten und betriebenen Datenbanken sowie das Vermitteln dieser Informationen verstanden (vgl. Wilbert 1987).
47 Es wird zwar mittlerweile von vielen Online-Katalogen gesprochen, aber darunter sind hauptsächlich Retrievalkomponenten von Katalogisierungs- oder Auslelhverbuchungssystemen zu verstehen.
37 Seit 1979 hat die DFG die Installierung von Informationsvermittlungsstellen (IVS) in wissenschaftlichen Bibliotheken gefördert. Mit dem Jahr 1987 ist das Förderungsprogramm ausgelaufen4®. Von insgesamt 404 öffentlich zugänglichen Informationsvermittlungsstellen49 sind 106 in wissenschaftlichen Hochschulen installiert, davon 54 in den Wissenschaftlichen Bibliotheken; d.h. von den insgesamt 58 Wissenschaftlichen Hochschulbibliotheken5® verfügen 93,1% über eine IVS (vgl. Henrichs, 1988, S. 124). An den Wissenschaftlichen Bibliotheken werden in der IVS neben Online-Recherchen regelmäßig durchgeführte Wiederhoiungsrecherchen, d.h. sogenannte SDI-Dienste (Selective Dissemination of Information), angeboten. Gegenwärtig ist hauptsächlich eine Nutzung der Referenzdatenbanken, d.h. der klassischen bibliographischen Literaturdatenbanken, zu verzeichnen, obwohl diese Nutzung nicht der gegenwärtigen Angebotslage auf dem Weltmarkt entspricht (vgl. Henrichs 1986)51. Für die Informationsvermittlungsstellen an Wissenschaftlichen Bibliotheken gibt es zur Zeit keine einheitliche Gebührenregelung. Im allgemeinen müssen die universitätsinternen Kunden nur die variablen, d.h. nutzungsabhängigen Kosten tragen, wobei einige Bundesländer 52 die Gebühren subventionieren. Von den Öffentlichen Bibliotheken ist gegenwärtig keine Datenbanknutzung zur Informationsvermittlung zu verzeichnen. Außer einem bereits abgeschlossenen Testeinsatz in der Stadtbibliothek Duisburg (vgl. Mackay, 1985) werden Datenbanken zur Zeit nur für bibliotheksinterne Arbeitsvorgänge benutzt (insgesamt von 6 Öffentlichen Bibliotheken, vgl. Nolte 1988, S. 157). Zusammenfassung Abschließend ist zu konstatieren, daß sich der Einsatz der Datenverarbeitung im Bereich des öffentlichen Bibliothekswesens im Vergleich zum wissenschaftlichen Bibliotheksbereich verzögert hat. Für beide Bibliotheksbereiche kann zusammenfassend festgestellt werden, daß 1. - das gegenwärtige technische Implementationsniveau der luK-Technologien durch Heterogenität gekennzeichnet ist und 2. - der aktuelle Einsatz der luK-Technologien zur Zeit nicht den technischen Möglichkeiten entspricht.
48 Vgl. dazu die Erfahrungsberichte für die Jahre 1981-1984 "Informationsvermittlung in wissenschaftlichen Biblotheken" (o.J.) und für 1986 Henrichs (1988). 49 Es gibt gegenwärtig keine vollständige Auflistung der nicht-öffentlichen, d.h. meist innerbetrieblichen Iniormationsvermittlungsstellen, vgl. dafür annäherungsweise Cogito. Beil. Informationsvermittlungsstellen (1987). 50 In der LIB-2-Studie wird demgegenüber von 57 Universitätsbibliotheken ausgegangen (vgl. ebd., S. 3-5). 51 Für die Anzahl an Literaturdatenbanken zeichnet sich weltweit eine Stagnation ab. Die Zukunft des Fachinformationsmarktes liegt nach HENRICHS im Bereich der Wirtschaftsinformationen, und dafür sind hauptsächlich Quellen-Datenbanken zuständig (vgl. Henrichs, 1986,S. 143 f.). 52 Baden-Württemberg, Hessen und ab 1985 Nordrhein-Westfalen (vgl. Informationsvermittiung ..., o.J.).
38 In der ersten Phase des Einsatzes der luK-Technologien im Bibliotheksbereich dominierte die Technologie als Arbeitsmittel zur Unterstützung bestimmter Aufgaben und Fähigkelten. In der zweiten Phase kann sich bzw. hat sich bereits teilweise die Technologie zu einem Organisationsmittel aufgrund der Automatisierung weiterer Funktionen und der Integration ehemals getrennter Funktionsbereiche entwickelt. für bibliothekaWir vermuten, daß sich in Zukunft eher dezentrale Lösungsmöglichkeiten rische Anwendungen der Datenverarbeitung anbieten werden. Das liegt einerseits in der Entwicklung auf d e m Mikrocomputermarkt und in d e m zunehmenden Angebot an und in der steigenden Qualität von Softwareprogrammen begründet. Andererseits scheint die Technik der optischen Speicherplatte, insbesondere der CD-ROM, ausgereift und marktbereit zu sein. Weiterhin gehen wir davon aus, daß neben diesen dezentralen Implementierungen die Vernetzungsmöglichkeiten auch für den Bibliotheksbereich zukünftig bestimmend sein werden. Dabei können die Vernetzungsmöglichkeiten von sogenannten Workstations über Vernetzungen im Rahmen einer Institution (den sogenannten Local Area Networks-LAN) - für unseren Bereich die Vernetzung einer Universität oder der Stadtverwaltung - bis zur Vernetzung der Verbundsysteme reichen.
39
KAP. C
THEORETISCHE RAHMENBEDINGUNGEN
Im folgenden Kapitel werden wir die theoretischen Rahmenbedingungen explizieren, die für unser Forschungsinteresse erkenntnisleitend waren. Ausgehend von der Deskription der zugrunde gelegten normativen Grundorientierung (Kap. C 1) werden wir Technologiefolgenabschätzung als Kontext unserer Untersuchung darstellen (Kap. C 2). Daran schließen sich unsere systemtheoretischen Grundannahmen an (Kap. C 3).
Kap. C 1
Normative Grundorientierung
Der sozialwissenschaftlichen Fachdiskussion folgend befinden wir uns in einem Übergang 1 von der Industrie- zur Informationsgesellschaft2 (vgl. Deutsch 1980, Sonntag 1983, Zukunftsperspektiven gesellschaftlicher Entwicklungen 1983, Otto/Sonntag 1985, Wildenmann 1986). Für DEUTSCH (1980) zeichnet sich die Informationsgesellschaft aus durch eine "sehr große Zunahme der Informationsmengen, die in Wirtschaft, Technik und Kultur und im täglichen Leben verarbeitet werden müssen, und die für das Funktionieren dieser Lebensbereiche zum großen Teil unentbehrlich werden" (ebd., S. 1). Als Indikatoren zur quantitativen Messung einer Informationsgesellschaft werden verschiedene Formen von Informationsdichte bzw. -raten herangezogen®. Anders formuliert, befindet sich die Gesellschaft sowohl In einem Übergang zur Informationsgesellschaft als auch in einem sozialen Wandel, der in alle sozialen und polltischen Systeme hineinreicht. Als treibende Kraft dieses sozialen Wandels wurde bis in die 70er Jahre der technologische Fortschritt angesehen. Diese Annahme ging von der Überzeugung aus, daß die Modernisierung sozialer, ökonomischer und politischer Strukturen die Anpassung an die vom technischen Fortschritt erzeugten Notwendigkeiten und eröffneten Möglichkeiten bedeutete (vgl. Lutz 1987a, S. 35). Diese Vorstellungen4 waren erkenntnisleitend für die industriesozlologischen Technikuntersuchungen in der Bundesrepublik Deutschland in den 50er und 60er Jahren (vgl. ebd., 1986, S. 563). Seit Ende der 70er Jahre wird aufgrund neuerer industriesoziologischer Forschungsergebnisse dieser "technologische Determinismus" zunehmend in Frage gestellt. Diese Ergebnisse legen die These nahe, daß es nicht allein die Technik ist, die losgelöst und unabhängig die Wirtschaft und Gesellschaft fortentwickelt. Es kristallisiert sich zunehmend heraus, daß zwischen technischen Entwicklungen und sozialem Wandel ein interdependentes Beziehungsgefüge besteht (vgl. Schatz 1986); d.h. bei der Untersuchung sozialer Wirkungen von technischen Innovationen muß die technische Entwicklung als sozialer Prozeß verstanden und berücksichtigt werden (vgl. Lutz 1987a). Anders formuliert, determinieren die Ausformungen und Funktionsweisen ei1 2 3 4
An dieser Stelle möchten wir auf den Diskurs, ob es sich bei diesem Übergang um eine "industrielle Revolution" handelt, nicht eingehen. Vgl. dazu exemplarisch den Bericht an den Club of Rome (Friedrichs/Schaff 1982, S. 11-49). Vgl. dazu den Literaturbericht von J. Bellers: Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft (1987). Vgl. dazu den Abschnitt "Informationsraten" bei Otto/Sonntag 1985, S. 49 ff. bzw. den Abschnitt "Auf dem Weg in die Informationsgesellschaft" In Zukunftsperspektiven gesellschaftlicher Entwicklungen, 1983, S. 77 ff. Dieses Forschungsverständnis wurde bereits Anfang des Jahrhunderts von amerikanischen Sozialwissenschaftlern (vor allem von William F. Ogdurn) formuliert.
40 ner Technik nicht notwendigerweise Ihre Folgen, sondern diese Folgen sind ebenso abhängig vom organisationsstrukturellen Kontext. Entsprechend interpretierten wir die im Zusammenhang mit luK-Technologien beobachteten Auswirkungen in Bibliotheken nicht als Technikfolgen, die der Technik kausal zuschreibbar waren, sondern wir berücksichtigten entsprechend In unserer Untersuchung die sozialen und politischen Rahmenbedingungen des Bibliothekswesens5. Diese normative Grundorientierung galt erkenntnisleitend für unser Forschungsziel.
Kap. C 2 Zum Kontext: Technologiefolgenabschätzung Unsere Arbeit, die sich mit den Implikationen der neuen luK-Technologien im Bibliothekswesen beschäftigt, stellen wir in den Kontext der Technologiefolgenabschätzung (Technology Assessment (TA)). Eine für uns konsensfähige Definition stammt von von PASCHEN et al. (1978): "Als TA Analyse
bezeichnet
die Auswirkungen lung
befindlicher
kannter tigten,
bzw.
Technologien
erforschen
man
oft
mit
der verstärkten
nologieanwendung sellschaft
wird.
oder
sozialer
wobei
beträchtlicher
gelegt
die darauf
Anwendung
(einschließlich
und zu bewerten,
Tertiäreffekte
Untersuchungen,
der erstmaligen
neuer
in möglichst
allen Umwelt
Entwick-
modifizierten
Anwendung systematisch
auf die
eintretenden
TA Untersuchungen
und Ihrer natürlichen
sind,
in der
Technologien)
das Schwergewicht
Verzögerung
gerichtet
oder
sollen
(betroffenen) antizipieren,
bezu
unbeabsich-
Sekundär-
die Effekte Teilbereichen abschätzen
und
der
Tech-
der
und
Ge-
bewer-
ten." (Paschen etal., 1978, S. 19). Dieses "Idealkonzept" des TA gründet sich auf eine Reihe von Postulaten: 1)
"TAAnalysen kungen
2)
sollen
die Realisierungsbedingungen
des
Einsatzes
"Frühwarnungt'
dienen."
"Das Spektrum fizieren, " TAAnalysen
4)
" Technology
5)
Es ergibt
und
bewerten
und
von TA Analysen sind,
Folgewirdamit zu
soll
der identi-
umfassend
sein."
Assessment "die
sein".
soll"partizipatoriscft'
Förderung
Nachprüfbarkeit
der
gründung
offengelegt
sollen
antizipieren
die im Rahmen zu
sollen"entscheidungsorientiert' sich
und potentiellen
Technologien
der Auswirkungen,
abzuschätzen
(comprehensive) 3)
von
nach
TA Prozesse:
Annahmen
werden."
sein, nicht
Transparenz, und
"elitistischf'."
Nachvollziehbarkeit Werturteile
und deren
und Be-
(Paschen, 1986, S.30 ff., i m Orig. her-
vorgeh.) Diesem idealtypischen Anspruch kann in der Realität nur tendentiell entsprochen werden (vgl. Böhret/Franz, 1982, S. 22), da ihm methodisch-theoretische und pragmatische Einschränkungen gegenüberstehen. Nach Ansicht von PASCHEN (1986) muß vor allem der 5
Dabei konnte auf die Technikgenese nicht näher eingegangen werden.
41
"comprehensive" - und der "Früherkennungs-Anspruch" eines Technology Assessment reduziert werden (vgl. ebd., 38 f.) Für unsere Untersuchung gilt, daß sie nicht den Anspruch erfüllen kann, "comprehensive" zu sein; zwar versuchten wir die "nichtbeabsichtigten" und "indirekten" Wirkungen von Technologieanwendungen wenigstens teilweise zu erfassen, konnten uns aber nur auf bestimmte Technikfolgen beschränken (institutionelle Folgen, soziale Folgen, d.h. Auswirkungen auf das Bibliothekspersonal, und politische Implikationen). Auch dem Früherkennungsanspruch konnte nicht voll entsprochen werden, da bestimmte Folgewirkungen erst im Laufe der Zeit mit zunehmender Anwendung der luKTechnologien und mit steigendem Problembewußtsein als schädlich gewertet werden können bzw. überhaupt erst erkennbar sind®. TA-Analysen sollen "partlzipatorisch" sein, d.h. das Ziel muß es sein, eine breite Beteiligung der von den Folgen der Technologieanwendungen betroffenen Gruppen zu erreichen (vgl. Paschen et. al., 1978, S.33). Das setzt voraus, daß die Betroffenen informiert werden, u.a. mit Hilfe der Ergebnisse von TA-Untersuchungen. In der Literatur besteht Konsens darüber, daß den Ergebnissen von TA-Studien kein neutraler oder objektiver Status zugeschrieben werden kann. So tritt im Verlauf eines TA-Prozesses in jeder Phase die Notwendigkeit bewertender Verfahrenselemente auf, beispielsweise die Auswahl der zu untersuchenden Technologie und die Festlegung derjenigen Folgewirkungen und Wirkungsbereiche, die für die Analyse für wichtig erachtet werden (vgl. Dierkes, 1987, S. 5). Da TA-Analysen aber "Intersubjektiv verständlich und nachvollziehbar sind, kann man sie als "objektiviert" bezeichnen" (Paschen et al., 1978, S. 19). Eine weitere zentrale Problematik bei TA ist seine "Prognoselast" (vgl. Paschen, 1986, S. 36). TA-Untersuchungen sollen It. Definition von PASCHEN et al. die Effekte der Technologieanwendung antizipieren und abschätzen, d.h. prognostizieren (vgl. ebd., S. 19). Prognosen, verstanden als "Voraussage, Vorhersage, daß unter bestimmten Bedingungen bestimmte Ereignisse in einem bestimmten Zeitraum eintreten werden" (Fuchs, 1978, S. 598), können reale Entwicklungen nicht vorhersagen, ohne vorher bestimmte Prämissen und Randbedingungen festzulegen. Prognosen können nur dann zutreffen, wenn alle Systeme, Subsysteme und Systemelemente erfaßt werden konnten und sich die Beziehungen in voraussagbarer Weise geändert haben. In der fachwissenschaftlichen-methodischen Literatur besteht Konsens darüber, daß sozialwissenschaftliche Prognosen diesem Anspruch zur Zeit noch nicht völlig gerecht werden können (vgl. Bohret/ Franz, 1982, S. 27 f.), sondern ihm erst annäherungsweise gerecht werden 7 . Neben methodischen Problemen gibt es verschiedene Faktoren, die sich auf prognostische Aussagen auswirken. Im Prozeß der Prognoseerstellung wird eine Reflexivität zwischen Prognose und Prognoseprojekt wirksam, d.h. eine Vorhersage kann das prognostizierte Verhalten verstärkend oder abschwächend beeinflussen (Nedelmann 1988). JOCHEM führt als weiteren beeinflussenden Indikator bei der Prognoseerstellung an, daß die "persönliche Geschichte" des Analytikers und seine institutionelle Einbindung sich auf die Analyse und die Prognose auswirken (ebd., 1986, S. 109). PASCHEN versucht in einer inkrementalistischen Vorgehensweise, eine Reduktion der "Prognoselast" bei TA-Analysen zu erreichen. Er schlägt ein Konzept "komplementärer Par6 7
Nach PASCHEN gibt es Stimmen, "die erklären, TA sei als Versuch, ein "Frühwarnsystem" zu schaffen, gescheitert" (ebd., 1986, S. 35). In Computersimulationen sind Zukunftsprojektionen durch Komplexitätsreduzierung annäherungsweise möglich (vgl. Deutsch/Fritsch 1980).
42 tialanalysen" vor, bei dem es sich um sukzessive, aufeinander bezogene Teilstudien handelt (vgl. ebd., 1986, 38 f.). Er sieht TA-Analysen nicht als eine jeweils "einmalige Angelegenheit", sondern als einen "Prozeß", d.h. als eine Folge wiederholter Analysen und Bewertungen (ebd., S. 36). Diese Probleme bei der Prognoseerstellung wirken sich auf die Aussagefähigkeit von Forschungsergebnissen aus und müssen bei der Analyse von Folgewirkungen berücksichtigt werden. Für TA-Untersuchungen sind bisher noch keine ausreichenden Evaluierungen der durch TA erreichten Ziele geleistet worden (vgl. v. Thienen, 1986, S. 14). MAYNT2 (1986) untersucht die Akzeptanz von TA speziell für die Zielgruppe der politischen Entscheidungsträger. Sie argumentiert mit der unterschiedlichen politischen und wissenschaftlichen Rationalität der Forschers und des zu Beratenden. Durch unterschiedliche Muster der Problemwahrnehmung und -lösung werden der Akzeptanz und der Nutzung von TA Grenzen gesetzt. Politikentscheidungen unterliegen bestimmten politischen Zwängen, wie dem Imperativ der Machtgewinnung und -erhaltung, der Notwendigkeit zu taktischen Aushandlungsprozessen und zur Kompromißhandlung sowie dem Druck, in knapper Zeit entscheiden und handeln zu müssen (vgl. Mayntz, 1986, S. 185 ff.). Diese Diskrepanzen und Zwänge würden eine konkrete Umsetzung von TA-Ergebnissen in das politische Entscheidungssystem verhindern bzw. zumindest erschweren. Ihrer Meinung nach wird TA dahingehend instrumentalisiert werden, daß Technikfolgenabschätzungen eher zur Rechtfertigung von Entscheidungen bzw. Nicht-Entscheidungen als zur Grundlage für Entscheidungen benutzt werden (ebd., S. 191). PETERMANN generalisiert die Umsetzungsproblematik von TA-Ergebnissen und macht sie an verschiedenen Indikatoren fest (Petermann, 1986, S. 370 ff.). Die Komplexität des Erkenntnisgegenstandes kann zu einer selektiven Perzeption des Nutzers führen, da davon auszugehen ist, daß die Untersuchung im Idealfall interdisziplinär ausgerichtet ist, wohingegen der Adressat nur über eine sektorale Sachkompetenz verfügt. Als weiteren Indikator führt er an, daß ein Topic im TA die Behandlung unsicherer zukünftiger Entwicklungen ist. Diese Prognoseunsicherheit kann zu einem kognitiven Defizit des zu Beratenden führen und dadurch wird die Akzeptanz der Ergebnisse gemindert. Normative Setzungen und Versuche der Bewertung sind zwar Bestandteil eines TA, können allerdings mit den wertbezogenen Grundannahmen des Adressaten kollidieren. Als weiteren Indikator schätzt PETERMANN die Bedeutsamkeit des Mißverhältnisses der langfristigen und indirekten Folgen der Technik zu ihrer politischen Dringlichkeit bzw. Attraktivität. Als letzten Punkt führt er an, daß bei der Nutzung von TA-Ergebnissen die Verträglichkeit mit den Interessen des jeweiligen Adressaten von zentraler Bedeutung ist. Diese Problematiken der Forschungsumsetzung veranlassen PETERMANN den Forschungsergebnissen von TA jenen instrumentellen Charakter abzusprechen, der von der Logik einer direkten Nutzung ausgeht (vgl. ebd., S. 365). Dieses Verständnis von Wissenstransfer basiert auf einer Neukonzeptionalisierung des Nutzungsbegriffs, der in neueren Studien zur Evaluierungsforschung formuliert worden ist® (vgl. Weiss 1984). "Dieses Aufklärungsmodell der Forschungsnutzung" geht von einer indirekten Nutzung sozialwissenschaftlicher Forschung aus. Bei diesem Modell nutzen die po8.
Siehe hierzu die Ergebnisse des Projekts der University of Michigan (vgl. Caplan/Morrison /Stambaugh 1975, zit. nach Weiss 1984, S. 546 f.). der Wiener Studie (vgl. Knorr 1977, zit. nach Weiss 1984, S. 547 f.) und der Studie der Columbia University (vgl. Weiss 1984, S. 548 ff.).
43 litisch-administrativen Entscheidungsträger Forschung weniger instrumenteil zur Lösung von Problemen, sondern als Orientierungshilfe bei Problemen. Für sie dient Forschung zur Reflexionshilfe bei Entscheidungen und als Quelle zur Informationsgewinnung und zur Produktion von Ideen. Diese Nutzung erfolgt allerdings nicht geplant, d.h. unmittelbar den Forschungsergebnissen folgend, sondern ist eher das Ergebnis eines langsamen Einbindungsprozesses sozialwissenschaftlicher Konzepte. Wenn wir diese Diskussionen der Verwertung von TA-Analysen auf die Ergebnisse unserer Untersuchung übertragen, bedeutet das, daß wir von einer indirekten Nutzung unserer Ergebnisse und Analysen ausgehen müssen. Anders formuliert ist TA für uns ein zukunftsorientiertes Informations- und Beratungsinstrumen, d.h. unsere Forschungsergebnisse sollen bibliothekarischen Entscheidungsträgern und nicht zuletzt den Bibliothekaren zur Informationsgewinnung und als möglicher Orientierungsmaßstab für zukünftige Entwicklungen im Bibliothekswesen dienen.
Kap. C 3
Systemtheoretische Grundannahmen
Für sozialwissenschaftliche Technikforschungen, die im Kontext des Technology Assessment stehen, wird gegenwärtig von keinem einheitlichen theoretischen Grundgedanken ausgegangen (vgl. Dierkes 1987). Da TA als politikbezogenes Beratungsinstrument konzipiert worden ist, werden international sehr unterschiedliche theoretische Ansätze verfolgt. Ausgehend von diesen Überlegungen mußten wir eine Theorie auswählen, die einerseits für unseren Untersuchungsbereich "Informations- und Kommunikationstechnologien im Bibliothekswesen" gültig war und andererseits für eine TA-Analyse verwendbar war. Da es sich bei TA-Analysen idealiter um interdisziplinäre Fragestellungen handelt, können nur solche Theorien bzw. theoretische Grundannahmen in Betracht gezogen werden, die dem interdisziplinären Anspruch gerecht werden. Daher bietet sich die Verwendung systemtheoretischer Grundsätze an. Auf unsere Untersuchung bezogen beinhaltet die Zugrundelegung systemtheoretischer Grundannahmen, daß wir das Bibliothekswesen als System betrachten. Das impliziert, daß dieses System "Bibliothekswesen" über Eigenschaften verfügen muß, die für verschiedene Systeme identisch sind, sogenannte Systemeigenschaften. Nachfolgend versuchen wir, diese Überlegungen in einer heuristischen Vorgehensweise zu explizieren, wobei wir versuchen werden, sie so allgemein verständlich wie möglich darzustellen. Für unsere systemtheoretischen Überlegungen rekurrierten wir hauptsächlich auf das Werk von KARL W. DEUTSCH und BRUNO FRITSCH "Zur Theorie der Vereinfachung. Reduktion von Komplexität in der Datenverarbeitung für Weltmodelle" (1980) und auf die Ar-
44 beit von PETER OTTO und PHILIPP SONNTAG "Wege in die Informationsgesellschaft" (1985)®. Ausgehend von unterschiedlichen Definitionen des Begriffes "System" werden wir nachfolgend die beiden Systemarten "antizipierendes System" und "komplexes System" darstellen. Anschließend erläutern wir die Systemeigenschaften "Steuerbarkeit", "Verwundbarkeit" und "Stabilität", die wir auf das Bibliothekswesen beziehen, und die wir mit Beispielen aus unseren Untersuchungsbereich "Informations- und Kommunikationstechnologien in Bibliotheken" konkretisieren. Der Begriff des "Systems" Der Begriff "System" stammt aus d e m Griechischen und bezeichnet ein einheitlich geordnetes Ganzes. Seit der griechischen Antike ist in Wissenschaft und Philosophie ein "System" eine Bezeichnung für "natürliche und künstliche Gebilde, die ein Ganzes ausmachen, deren Teile in Abhängigkeit voneinander stehen und so eine bestimmte Ordnung aufweisen" (Meyers Neues Lexikon 1980, Bd.7, S. 672). Ein System besteht aus einer Anzahl einander gleicher oder voneinander verschiedener Elemente, d.h. Systeme gibt es in allen Bereichen (vgl. Otto/ Sonntag, 1985, S. 111). Heutzutage wird in der Öffentlichkeit im übertragenen Sinn vom "sozialen System", vom "politischen System", vom "kapitalistischen System" etc. gesprochen. Für unseren Untersuchungsbereich "Bibliothekswesen" könnte beispielsweise die Ausleihverbuchung der Bücher und Zeitschriften auch als System beschrieben werden, dessen Elemente mechanischer (das Sortieren von Bestellzetteln per Hand) bzw. elektronischer Art sein können (das Softwaresystem für die Ausleihverbuchung). Im folgenden orientieren wir uns an der Bedeutung von "System", die auf die mathematische S y s t e m t h e o r i e ^ rekurriert.
"Danach befindet sich jedes Systemelement zu einem gegebenen Zeitpunkt in einem bestimmten Zustand, der sich mit der Zeit verändert, sei es durch Einflüsse anderer Elemente, durch Einwirkung der "Außenwelt', durch "innere 1' Gesetze (...), vor allem aber durch gezielte Einflußnahme im Sinne einer Steuerung." (Otto/Sonntag, 1985, S. 113) Was als Systemelement eines Systems verstanden wird, hängt ab von "der Wechselwirkung zwischen erkennendem System, relevanten Operationen und dem Objektbereich" (Deutsch/Fritsch, 1980, S. 13); d.h. die Elemente eines Systems sind nur vom Standpunkt des Betrachters aus und dessen spezifischer Interessenlage Elemente. Denn sie können ihrerseits wiederum Subsysteme sein. Andererseits sind "betrachtete Systeme stets Subsysteme oder Elemente "überlagerter", größerer Systeme" (Otto/Sonntag 1985, S. 115).
9
Die Arbeit von DEUTSCH/FRITSCH entstand als Teil der theoretischen Vorarbeiten auf dem Gebiet der Verarbeitung großer Datenmengen für Weltmodelle und andere gesellschaftswissenschaftliche Analysen am Internationalen Institut für Vergleichende Gesellschaftsforschung des Wissenschaftszentrums (WZB) Berlin sowie am Institut für Wirtschaftsforschung der ETH Zürich. Die Veröffentlichung von OTTO/SONNTAG ist im Rahmen des Projektes "Von der Industriegesellschaft zur Informationsgesellschaft. Ubergangskrisen in Politik. Gesellschaft und Kultur" ebenfalls a m Internationalen Institut für Vergleichende Gesellschaftsforschung, WZB Berlin entstanden. 10 Vgl. dazu die mathematische Definition bei Otto/Sonntag, 1985, S. 113 f.
45 Die ein System konstituierenden Elemente werden als Variablen bezeichnet. Es wird in endogene und exogene Variablen unterschieden. Endogene Variablen werden durch Vorgänge im System selbst bestimmt. Exogene Variablen stehen außerhalb des Systems und beeinflussen dessen Verhalten. Allerdings werden sie selber nicht durch das System bestimmt. Teilweise exogene Variablen wirken ebenfalls stark auf das System ein, werden aber ihrerseits durch das System beeinflußt (vgl. Deutsch/Fritsch, 1980, S. 15). Unter einer "teilweisen exogenen Variablen" des sozialen Systems Bibliothekswesen kann das "Fachinformationsprogramm 1985-1988 der Bundesregierung"11 (1985) verstanden werden. Es wirkt einerseits von außen auf das Bibliothekssystem ein. Andererseits ist es auch selbst durch das Bibliothekswesen mitbeeinflußt worden, da die Bundesregierung das überregionale Literaturversorgungssystem der Bibliotheken bei seiner Konkretisierung des Fachinformationsprogramms einbezogen hat (Der Bundesminister für Forschung..., 1985, S. 57 ff.). Systemarten: Antizipierende Systeme Der entscheidende Unterschied zwischen einem technischen System und einem sozialem System besteht darin, daß die Menschen, die ein soziales System ausmachen, sich Gedanken machen über ihren Zustand, Vergangenheit und Zukunft, und daß daraus Handlungen entstehen, die das zukünftige Verhalten des Systems bestimmen. Diese Systeme werden als antizipierend bezeichnet. OTTO/SONNTAG definieren ein antizipierendes System als eines, "das ein Modell von sich selbst und seiner Umgebung enthält" (ebd., S. 116). Das Modell kann allerdings auch außerhalb des Systems liegen. Anders formuliert zeigen soziale Systeme dann antizipatorisches Verhalten, wenn sie mögliche Konsequenzen von Verhaltensweisen voraussehen können. "Sie treffen ihre Entscheidungen nicht wie technische Systeme in Anbetracht ihres gegenwärtigen Zustandes, vielmehr beziehen sie zukünftige Entwicklungen mit ein, soweit sie diese vorhersehen können" (ebd., S. 118). In der Realität haben wir es nicht nur mit einem System zu tun, das ein Modell seiner Funktionsweisen besitzt, sondern mit mehreren miteinander gekoppelten Systemen, die neben den Modellen über sich selbst auch das Verhalten anderer Systeme beschreiben und deren Verhalten zu antizipieren versuchen. Auf unseren Untersuchungsbereich übertragen beinhaltet das, daß das antizipierende System "Bibliothekswesen" über Modelle von seiner Umwelt verfügt, die es von außen beeinflussen können. Dies können Modelle über Institutionen sein, die für den Bibliotheksbereich relevant sind, beispielsweise die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung, Gewerkschaften etc. Diese Modellvorstellungen bzw. Modelle können ebenfalls als rückgekoppelte und antizipierende Systeme betrachtet werden, die wiederum mehrere Modelle enthalten, d.h. diese Modelle bzw. Institutionen verfügen ebenfalls über ein Modell über das "Bibliothekswesen" (vgl. Abb. C 1). Dadurch daß mehrere Institutionen antizipierend tätig werden, können Unsicherheiten auftreten. Diese Unsicherheiten bzw. Unkalkulierbarkelten liegen daran, daß jeder Handelnde über ein eigenes, notwendigerweise unvollständiges Modell des Systems verfügt und seine Modellvorstellung für die Planung eigenen Handelns nutzt. Das bedeutet, daß planerisches
11 Vgl. unten Kap. E 3.1 Exkurs: Technologiepolitik, expliziert am Beispiel staatlicher Förderprogramme zur Information und Dokumentation.
46 Handeln davon abhängig ist, über welche Modellvorstellungen das System verfügt, d.h. Inwieweit die Modellvorstellung mit der Realität übereinstimmen. Nachfolgende Abbildung kann dafür als Beispiel dienen. Abb. C 1: Verflechtung antizipierender Systeme
M t : M o d e l l des Systems Si v o n sich selbst M , j : M o d e l l im System S, über das System S 2 M , , : M o d e l l im S y s t e m S, über das System S j u s w .
Quelle: Otto/Sonntag: Wege in die Informationsgesellschaft 1985, S. 120 Die Systeme S-|, S2 und S3 sind unmittelbar miteinander verflochten (durch physische Abhängigkeiten etc.), aber auch mittelbar durch verschiedene Formen des Austausches von Informationen (über bestehende Zustände, mittelfristige Planungen etc.). Das System S1 besitzt ein Modell über sich selbst M i und Modelle M12 und M13 über das Verhalten der Partner S2 und S3, d.h. das System S1 trifft beispielsweise seine Entscheidungen nicht nur aufgrund seines genau angebbaren und im Modell M-| beschriebenen Gegenstandssystem
47 S-|, sondern auch auf der Grundlage der evtl. nur vagen Kenntnis des Verhaltens von den Systemen S2 und S3, von deren Verhalten es jeweils die Modelle M12 u n d ^ 1 3 gebildet hat. M12 und M13 sind nicht bzw. hauptsächlich nicht Modelle von deren Gegenstandssystemen S2 und S3, sondern vor allem Modelle von dem zukünftigen Verhalten der Gesamtsysteme S2 und S3. Auf das Bibliothekswesen übertragen könnte S1 eine Bibliothek sein, die ihre Ausleihverbuchung auf EDV umstellen will und sich nach einem geeignetem Softwaresystem umschauen muß. S2 und S3 sind in dem Fall Softwarefirmen, die entsprechende Systeme anbieten. Um sich für ein bestimmtes Ausleihverbuchungssystem zu entscheiden, muß die Bibliothek S1 die Angebote verschiedener Softwarefirmen berücksichtigen. Sie darf nicht nur die Produkte der verschiedenen Firmen analysieren, sondern muß auch dessen Marktund Unternehmenspolitik mitberücksichtigen (die Gesamtheit der Modelle M2, M21, M23 usw.),i.d.S. ob die Firmen bereit sind, die Bibliotheksmitarbeiter zu schulen, das Programm zu pflegen und fortzuentwickeln etc. Erst nach Berücksichtigung all dieser Faktoren kann die Bibliothek S1 zu einer "sinnvollen" Entscheidungen gelangen. "Antizipierende Systeme zeichnen sich also dadurch aus, daß die Systemzustände nicht nur durch Rückkopplungen (feedbacks) miteinander verbunden sind, sondern auch durch "Vorkopplungen" (feedforwards)" (Otto/Sonntag, 1985, S. 121 f.); d.h. das Verhalten eines Systems wird nicht nur durch Vergangenheit und Gegenwart beeinflußt, sondern auch durch die Zukunft. Dies ist allerdings nur eine scheinbare Beeinflussung, denn eine Prognose des Modells für die Zukunft erfolgt allein auf der Grundlage von Vergangenheit und Gegenwart (vgl. ebd). Systemarten: Komplexe Systeme Neben dem Gesichtspunkt der Antizipation können Systeme auch unter dem Gesichtspunkt der Komplexität betrachtet werden. Ob ein System als komplex oder einfach bezeichnet wird, hängt von der interessenbedingten Betrachtungsweise a b 1 2 . Der Begriff "Komplexität" wird unterschiedlich benutzt. Seine verschiedenen Bedeutungen rekurrieren auf vier Auffassungen (vgl. Luhmann, 1976, S. 939): 1. die mathematisch-systemtheoretische Auffassung (beispielsweise Otto/ Sonntag 1985) 2. die informationstheoretische Erklärung (beispielsweise Deutsch/Fritsch 1980) 3. die Betrachtungsweise der funktional-strukturellen Systemtheorie (beispielsweise Luhmann 1976) 4. der Erklärungsansatz, der vom Systemverhalten her Komplexität charakterisiert Der informationstheoretischen Sichtweise folgend verstehen wir unter Komplexität "die Menge der benötigten Information zur Beschreibung, Voraussage und gegebenenfalls Kontrolle eines Tatbestandes und seiner Veränderungen" (Deutsch/Fritsch, 1980, S. 10). In der Realität bedeutet das allerdings, daß nur annähernde Beschreibungen, Voraussagen und Kontrollverfahren möglich sind. "Je reichhaltiger ein Tatbestand in seinen Einzelheiten ist, je größer das Ensemble der Möglichkeiten seiner Veränderung und je schwieriger die
12 Vgl. oben, entsprechend der Interessenlage können Systemelemente auch als Subsysteme verstanden werden, etc..
48 Voraussage der wahrscheinlichen Veränderungen, desto mehr Information wird für hinreichend wirksame Operationen von Beschreibung, Voraussage und Kontrolle benötigt und desto größer ist daher seine Komplexität." (ebd.) Bei dieser Definition wird nicht so sehr auf die Innere Struktur des Systems, d.h. die Systemelemente, Bezug genommen 1 ^, sondern es interessiert hauptsächlich, was bzw. wieviel man wissen muß, um das Verhalten des Systems zu beschreiben, zu antizipieren oder zu verändern. Für das System Bibliothekswesen kann von einer zunehmenden Komplexität ausgegangen werden. Dafür kann als Beispiel die intendierte Vernetzung einzelner Bibliotheken bzw. ganzer Bibliotheksregionen14 herangezogen werden. Steuerbarkeit und Verwundbarkeit von Systemen Systeme verfügen über verschiedene Eigenschaften, wie Steuerbarkeit, Verwundbarkeit, Stabilität etc. Es handelt sich dabei um Systemeigenschaften, d.h. um Verhaltenspotentiale, die für unterschiedliche Systeme Identisch sind. Bei der Problematik der Steuerbarkeit von Systemen wird untersucht, ob es durch geeignete Einflußmaßnahmen möglich ist, ein System aus einem vorgegeben in einen gewünschten Zustand überführen zu können (vgl. Otto/ Sonntag, 1985, S. 134); d.h. für soziale Systeme werden Einflußmöglichkeiten untersucht, die es erlauben, einen wünschenswerten Zustand zu erreichen. Für unseren Untersuchungsbereich stellt sich dabei die Frage, ob mit Hilfe bestimmter Politikbereiche, wie Forschungs- und Technologiepolitik, Einfluß auf das Bibliothekssystem genommen werden kann. Als Beispiele können die Programme der sozialliberalen und der christlich-liberalen Bundesregierungen zur Information und Dokumentation herangezogen werden, das luD-Programm (1976) und das Fachinformationsprogramm 1985-1988 (1985). Durch die Implementierung dieser Programme wurden fachinformationspolltlsche Leitlinien gesetzt, die sich auf das System Bibliothekswesen nachhaltig auswirkten1®; daraus folgt, daß der Bibliotheksbereich steuerbar ist. Neben der Steuerbarkelt von Systemen spricht man auch von der Verwundbarkeit von Systemen. Ein System heißt verwundbar, wenn es eine Störung gibt, die das System aus einem Bereich "erwünschter" in einen Bereich "unerwünschter" Zustände überführt (vgl. ebd., S. 135). Solche "Störungen" oder "Einwirkungen" können zufällig oder gezielt auf das System einwirken. Solch eine Einwirkung könnte für unseren Forschungsbereich gegeben sein, wenn Mindeststandards der Realisierung der Grundrechte der Informatlons-und Wissenschaftsfreiheit unterschritten werden würden, d.h. falls gezielte rechtliche oder faktische Maßnahmen die Verbreitung bestimmter Meinungen behindern1®. Ist das System Bibliothekswesen davon betroffen, so ist es verwundbar. Als weiteres Beispiel für diese Systemeigenschaft kann die Datenbankabhängigkeit der bundesdeutschen Fachinformation
13 Im Vergleich zum mathematisch-systemtheoretischen Verständnis von Komplexität. 14 Vgl. oben Kap. B 2.2 Implementierung der Informations- und Kommunikationstechnologien auf regionaler Ebene. 15 Vgl. dazu Kap. E 3.1 Exkurs "Technologiepolitik, expliziert am Beispiel staatlicher Förderprogramme zur Information und Dokumentation" und unsere Fragen zur Einschätzung des Fachinformationsprogramms 1985-88, vgl. Kap E 2.3. 16 In der Bewertung (Kap. 3.5.2) des Kapitels "Privatisierung und Kommerzialisierung von Informationen" wird auf diese Problematik näher eingegangen. Gegenwärtig l" Daten und Verfahren gehen zunächst auch Arbeitsweisen und kumulierte Erfahrungen der Mitarbeiter verloren, die für diese bisherigen Daten und Verfahren individuell entwickelt wurden." (ebd., 1983, S. 110)
D.h. durch Ausbildung und Berufserfahrung gewonnene Kenntnisse sind funktional nicht mehr in dem Maße erforderlich wie f r ü h e r " . Diese Gefahr der "Enttraditionalisierung" beinhaltet, daß das aus Erfahrung entstandene Wissen und Können immer mehr entwertet werden kann (vgl. Markmann 1986, S. 109) 36 . Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß durch die Übernahme von Fremddaten für die Katalogisierungsarbeiten bei den Wissenschaftlichen Bibliotheken leichter die Möglichkeit besteht, diese Tätigkeiten in einfache und schwere Aufgabenbereiche zu entmischen, d.h. eine Einteilung der Arbeitskräfte für einfache und schwierigere Titelaufnahmen vorzunehmen^7. Das bedeutet, daß einerseits die Polarisierungsthese für die Katalogisierungsabteilung der Wissenschaftlichen Bibliotheken naheliegend erscheint i.d.S., daß es verstärkt zu EinOQ
Sätzen sowohl von Datentypistinnen, studentischen Hilfskräften00 o.ä. als auch von bibliothekarischen Fachkräften kommen wird. Andererseits erscheinen auch Dequalifizierungs33 Hiervon ausgenommen sind die Katalogisierungsabteilungen, die jeweils bei der Zentralredaktion der Verbundkatalogisierung o.ä. angesiedelt sind. 34 Vgl. Europäische Stiftung ... 1986b, S. 48: "Die Bediensteten verloren ihr Fachwissen über das Verwaltungsverfahren als Ganzes". 35 Dazu ein Zitat eines Teilnehmers: "Kenntnisse des Katalogisierens und der traditionellen Katalogpflege gehen verloren." 36 Die Desknption der daraus entstehenden psychischen Probleme bei den Betroffenen kann an dieser Stelle nicht geleistet werden. 37 Es ist dem Verfasser bekannt, daß in manchen Bibliotheken schon immer eine Art von "Arbeitsteilung" durchgeführt worden ist i.d.S., daß eine Teilung der Titelaufnahmen in leichtere und schwere Fälle verbunden mit einer entsprechenden dauerhaften Zuweisung an bestimmte Titelaufnehmer stattfand. 38 Junginger machte auf diese Tendenzen in den USA schon 1976 aufmerksam (vgl. Junginger 1976).
100 tendenzen möglich. Es wird vermutlich im eigentlichen Sinn des Wortes zu keiner direkten Dequalifizierung der Mitarbeiter kommen, sondern eher zu einer indirekten i.d.S., daß 1. 2.
eine geringere Anzahl von hochqualifizierten Mitarbeitern benötigt wird Aufstiegschancen nicht mehr in dem Maße wie früher gegeben sind.
Damit erscheint es naheliegend, daß - unter der Annahme, daß keine organisatorischen Umstrukturierungen stattfinden - durch den Einsatz der luK-Technologien Auswirkungen auf die Anzahl und Qualifikation der Beschäftigten in der Katalogisierungsabteilung zu erwarten sind, wenn nicht kurzfristig, zumindest mittel- bzw. langfristig.
Kap. E 2.3 Auswirkungen auf die Berufsentwicklung Der Einsatz der luK-Technologien zeigt nicht nur qualitative Beschäftigungseffekte in den Bibliotheken, sondern seine Folgen manifestieren sich auch in Veränderungen der innerbetrieblichen Berufsentwicklung und der allgemeinen Berufsstrukturen. Diese veränderten Strukturen können eine andere Selektion und Rekrutierung bei Einstellungen von Personal implizieren, d.h. die Anforderungsprofile für Bibliothekare können sich zukünftig ändern.
Kap. E 2.3.1 Auswirkungen wicklung
auf
die
innerbetriebliche
Berufsent-
Für die Auswirkungen auf die innerbetriebliche Berufsentwicklung fokussierten wir unsere Analyse auf zukünftige Beförderungsaussichten und Auswirkungen auf die innerbetriebliche Hierarchie. Da das Bibliothekswesen überwiegend durch dienstrechtlich hierarchische Strukturen geprägt ist, thematisierten wir abschließend die Auswirkungen auf die Laufbahnen. In der Delphi-Studie befragten wir die Experten, ob sie annehmen, daß die vorher postulierten Aufwertungen bzw. Abwertungen der Tätigkeiten Einfluß auf die Eingruppierung haben könnten (vgl. Abb E 2.10). Die überwiegende Mehrheit der Befragten vermutete, daß nur vereinzelt Einfluß auf die Eingruppierung der Mitarbeiter zu erwarten ist3®. Ein Teilnehmer unserer Untersuchung betonte, daß sich manche Mitarbeiter durch Zusatz- bzw. Spezialausbildungen höher qualifiziert hätten. Bei der Frage nach den Auswirkungen auf die innerbetriebliche Hierarchie nahmen fast 60% der Teilnehmer keine Auswirkungen an (vgl. Abb. E 2.11). Von den Teilnehmern, die Auswirkungen auf die innerbetriebliche Hierarchie erwarteten, waren einige der Meinung, daß es vor allem zu verstärkten Aufstiegschancen für technisch vorgebildete bzw. EDV-Fachleute kommen wird. Desweiteren meinten einige Teilnehmer,
39 Demgegenüber wird von CREMER bei der Jahrestagung des VBB in Reutlingen 1986 die Ansicht vertreten, daß die "allgemeine Erfahrung bei Einführung von Arbeiten am Terminal die Höhergruppierung ist1 (zit. nach Umlauf 1987, S. 99).
101 Abb. E 2.10:
Einfluß auf die Eingruppierung gar kein Einfluß 7,69%
starker Einfluß 7,69%
n = 39 vereinzelt Einfluß
84,62/1
Abb. E 2.11: Auswirkungen auf die innerbetriebliche Hierarchie
keine Auswirkungen auf die innerbetriebliche Hierarchie 59,6%
n = 52
Auswirkungen auf die innerbetriebliche Hierarchie 40,4%
102 daß sich die Organisationsstruktur der Bibliotheken ändern wird; es werden Großabteilungen entstehen und damit werden Gruppen gebildet werden müssen, die in Zukunft kooperativ zusammenarbeiten müssen. Dies könnte nach Meinung der Experten dazu führen, daß die Hierarchiepyramide flacher wird, d.h. durch zunehmende Spezialisierung und fachliche Kompetenz wird sich der Informationsvorsprung des Managements verringern. Dies könnte zu einer Verschiebung der Wertigkeit von Arbeitsfeldern und Auflösung alter hierarchischer Strukturen führen. Allerdings konnte sich nur eine Minderheit eine solche Entwicklung vorstellen. Bei der Frage nach den Auswirkungen auf die bibliothekarischen Laufbahnen gingen Zweidrittel der Befragten davon aus, daß aufgrund des Einsatzes von luK-Technologien keine Auswirkungen auf die bibliothekarischen Laufbahnen zu erwarten sind (vgl. Abb. E 2.12).
Abb. E 2.12: Auswirkungen auf die Laufbahnen
Auswirkungen auf die Laufbahn
n = 51
Da von einigen Teilnehmern der Befragung mehrfach die Forderung nach Änderung bzw. Ergänzung des Besoldungs- und Tarifrechts erhoben wurde 40 , nahmen wir in die dritte Befragungsrunde die Frage auf: "Können Sie sich der Forderung anschließen, daß aufgrund des verstärkten Einsatzes der elektronischen Datenverarbeitung in Bibliotheken das Besoldungs- und Tarifrecht reformiert werden müßte". Fast Zweidrittel (64,8%) der Befragten unterstützten diese Aussage, wobei sich die Experten aus den Bundes- und Landesministerien zu ca. 50% dazu entschließen konnten.
40 Zitat eines Teilnehmers: "Die Struktur des Besoldungs- und Tarifrechts ist durch die Einführung der ADV insgesamt obsolet geworden und Dedarf dringend der Reform."
103 Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die befragten Experten mehrheitlich der Meinung sind, daß es durch den Einsatz der luK-Technologien zu positiven qualitativen Veränderungen kommen wird, allerdings wird sich dies ihrer Meinung nach im allgemeinen weder hierarchiemäßig, gehaltlich oder laufbahnmäßig "positiv" für den Einzelnen auswirken.
Kap. E 2.3.2 Auswirkungen auf die Berufsstruktur In der bibliothekarischen Fachdiskussion nehmen die Fragen nach dem Einsatz der luKTechnologien und die daraus resultierenden Folgen für die Berufsstruktur und das zukünftige Berufsbild einen breiten Raum ein 4 ^. Für die Ausbildungsstätten stellt sich die Frage, welche Anforderungen an einen zukünftigen Bibliothekar gestellt werden müssen. Andererseits wird thematisiert, ob die Ausbildungsstätten in ihren Curricula die neuen Technologien genügend berücksichtigen bzw. ob ihre Curricula nicht zu spezifisch auf den öffentlichen Dienst abgestellt sind 42 . Entsprechend dieser Fachdiskussion nahmen wir Fragen zur Berufsstruktur und zum Berufsbild in die Delphi-Studie mit auf. Wir befragten die Experten, ob sie aufgrund des Einsatzes der luK-Technologien Veränderungen der Berufsstruktur erwarten. Über 60% der Teilnehmer vermuteten, daß sich die Berufsstrukturen aufgrund des Einsatzes der luK-Technologien ändern werden(vgl. Abb. E 2.13). Dabei erfolgt die Änderung der Berufsstrukturen nicht allein aufgrund des Einsatzes der luK-Technologien, sondern ökonomische und politische Rahmenbedingungen gehören ebenfalls zu den sie determinierenden Faktoren, beispielsweise die zunehmende Arbeitslosigkeit der bibliothekarischen Fachhochschulabsolventen4^, Stellenstreichungen bzw. das Festschreiben der Stellenpläne durch die Unterhaltsträger. Als gravierendste Veränderung der Berufsstruktur im Bibliothekswesen wurde von den Teilnehmern das Eindringen von Personal ohne bibliothekarische Fachausbildung genannt. Allerdings wurde auch von einem Teilnehmer prognostiziert, daß bibliothekarisch ausgebildetes Personal zukünftig in Informationsberufe der Industrie, Handel und Dienstleistungsgewerbe abwandern könnte. Desweiteren wurde von zahlreichen Teilnehmern ein Verschieben des Aufgabenbereiches zwischen gehobenem und mittlerem Dienst angenommen, wobei eher ein Ansteigen des mittleren Dienstes vermutet wurde. Der Bibliothekar müßte sich immer mehr zu einem Spezialisten entwickeln, d.h. neben dem Bibliothekar als Informationsvermittler müßte der Bibliothekar mit "Sozialarbeiter-Strategien" zur Lesegewinnung stehen. Von einem Experten wurde auf die Schwierigkeiten bei einem berufli41 Vgl. dazu die Broschüren, die die drei Berufsverbände, VBB, VdDB und VDB, in den letzten vlahren zum Berufsbild herausgegeben haben VDB: Einfluß und Auswirkungen neuer Techniken/Medien auf das Berufsbild des höheren Dienstes an wissenschaftlichen Bibliotheken (1988), VBB: Berufsbild der Diplom-Bibliothekarin, des Diplom-Bibliothekars an Öffentlichen Bibliotheken (1986), VaDB: Der Diplom-Bibliothekar an wissenschaftlichen Bibliotheken. Ein Berufsbild im Wandel (1985). 42 Vgl. dazu beispielhaft Gattermann (1986), Krueger (1987). 43 Vgl. dazu die zahlreichen Berichte über die Initiative "Arbeitslose Bibliothekare/innen" in den Zeitschriften "Bibliotheksdienst" und "Buch und Bibliothek" (1988).
104 chen Wechsel von einer konventionell-arbeitenden zu einer DV-einsetzenden Bibliothek und umgekehrt hingewiesen. Abb. E 2.13: Änderung der Berufsstruktur
keine Änderuna
n =
52
Um Selektions- und Rekrutierungskriterien für Einstellungsvoraussetzungen von Bibliothekaren zu erhalten, befragten wir die Experten, welche Anforderungen an einen zukünftigen Bibliothekar gestellt werden müßten. Neben bibliothekarischem Grund- und Basiswissen, das weiterhin die Grundvoraussetzung für jeden zukünftigen Bibliothekar sein muß, wurden von den Teilnehmern sowohl allgemeine als auch spezielle Fähigkeiten und Kenntnisse aufgezählt. Bei allgemeinen Fähigkeiten wurde von den Experten hauptsächlich Flexibilität, i.S. von geistiger Beweglichkeit, und Weiterbildungsbereitschaft (life-long-learning) von zukünftigen Bibliothekaren gefordert. Als weitere allgemeine Fähigkeiten wurden genannt: - logisches Denkvermögen, Abstraktionsfähigkeit - Innovationsbereitschaft - Hilfsbereitschaft, Bereitschaft zur Arbeit in einer Gruppe (Teamwork) - Leistungsbereitschaft, psychische Belastbarkeit - Führungs- und Durchsetzungsvermögen • Mobilität Außerdem wurde angesprochen, daß eine Spezialisierung 44 , vor allem für den luDBereich, nach einer vorherigen bibliothekarischen Ausbildung notwendig werde. Desweiteren müßten Bibliothekare bereit sein, nationale und internationale Erfahrungen anzunehmen.
44 Unter Spezialisierung kann beispielsweise das Erlernen des Information Retrieval, d.h. das Recherchieren in Datenbanken, verstanden werden.
105 In der dritten Befragungsrunde wollten wir eine Bewertung spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten erreichen, über die - neben dem bibliothekarischen Grund- und Basiswissen - ein Bibliothekar des gehobenen bzw. höheren Dienstes verfügen muß. Die Frage erfolgte getrennt nach höherem 4 5 und gehobenem Dienst sowie nach öffentlichem und wissenschaftlichem Bibliotheksdienst. Für das wissenschaftliche Bibliothekswesen wurde für den gehobenen Dienst vor allem die Benutzerorientierung von über 50% der Teilnehmer als wichtige Anforderung an einen zukünftigen Bibliothekar eingeschätzt 4 ®. Desweiteren wurde das Interesse an Entwicklungen der Informationstechnologien sowie die Kenntnis neuer Medien, incl. Anwendung und Bewertung der luK-Technologien hoch präferiert. Für den höheren Dienst wurde das Interesse an Entwicklungen der Informationstechnologien mit über 60% als "sehr wichtige", zukünftige Anforderung am höchsten bewertet. Danach wurden als zukünfige Anforderungen folgende Fähigkeiten präferiert: Management-Kenntnisse, Kenntisse neuer Medien, Bereitschaft, sich nationale und internationale Erfahrungen anzueignen, Kenntnisse von Schutzmaßnahmen beim historischen Buchbestand sowie agierende, die Entwicklung selbst vorantreibende Bibliothekare. Für das öffentliche Bibliothekswesen wurde eindeutig die Benutzerorientierung sowohl für den gehobenen Dienst als auch für den höheren Dienst mit über 80% bzw. über 70% als "sehr wichtige" Anforderung bewertet. Für den gehobenen Dienst wurden weiterhin die Handlungskompetenz für kulturelle Bibliotheksarbeit hoch eingeschätzt. Für den höheren Dienst wurden als weitere wichtige Anforderungen vor allem Management-Kenntnisse, agierende, die Entwicklung selbst vorantreibende Bibliothekare, das Interesse an Entwicklungen außerhalb des Berufs, eine Art "Berufspolitiker", sowie die Kenntnis neuer Medien, sowie die Anwendung und Bewertung der luK-Technologien genannt. Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die Teilnehmer an der Delphi-Studie mehrheitlich eine Änderung der Berufsstruktur im Bibliotheksbereich erwarteten. Vor allem wurde ein Eindringen von Personal ohne bibliothekarische Fachausbildung vermutet. Als Erwartungen an einen zukünftigen Bibliothekar wurden von den Teilnehmern an der Delphi-Studie neben dem bibliothekarischen Basiswissen vor allem extrafunktionale Qualifikationen, wie Kreativität, Lernbereitschaft und -fähigkeit genannt. Bei dem Anforderungsprofil für einen wissenschaftlichen Bibliothekar 47 dominierte die Beherrschung der neuen Technologien. Sowohl Interesse an den luK-Technologien als auch Anwendungskenntnisse und Bewertung dieser Technologien wurden von den Experten erwartet. Für den gehobenen Dienst wurde daneben vor allem eine Benutzerorientierung präferiert. Für das öffentliche Bibliothekswesen wurde demgegenüber sowohl für den höheren als auch für den gehobenen Dienst die Benutzerorientierung gefordert. Insgesamt kann für die Öffentlichen Bibliotheken die Präferierung benutzerbezogener Handlungskompetenzen, sowohl für den 45 Unter höherem Bibliotheksdienst haben wir im öffentlichen Bibliothekswesen auch Angestelltenstellen von BAT II und höher subsumiert (vgl. Anhang A 9 Fragebogen 3. Runde, Frage 9). 46 Einzelindikatoren vgl. Anhang A 4 Rohdaten. 47 Darunter wird der höhere Dienst an Wissenschaftlichen Bibliotheken subsumiert.
106
kulturellen als auch für den sozialen Bereich, konstatiert werden. Diese aufgeführten Anforderungsprofile werden in der Zukunft bei der Selektion und Rekrutierung von Bibliothekaren eine wichtige Rolle spielen. Abb. E 2.14: Anforderungsprofil für Bibliothekare des wissenschaftlichen wesens: Mediane
Interesse
an
Kenntnisse
2=1.51 B=SS Inf.technologien 1=55 Z=1J1
D
1=51 1=1.11 Medien 1=51 2=1.«
D
neuer
Handl.komp. s o z .
Handl.komp. k u l t .
D
D
2=1.19
E
1=1.5?
0
1=54 2=1.11 Blbl.arbeit n=54 2=1.¡0
1
n=5 3 2=2.11 Bibl.arbeit 1=53 2=2.21
D
1=51 Benutzerorientierung i=5f
D
D
1=55 Management-Kenntnisse t=51
1=1M 2=1.11
D
1=55 Marketing-Kenntnisse i=5(
2=2.14
I
2=2.05
D
2=1.94 1=5! Dokumentations-Kenntnisse o=5i 1=1.7«
D
Kenntnisse
v.
Aneignen
l=5i Bibliothekare 1=51 von
D
D
1=51 2=2.12 D Schutzmaßnahmen i=5i 2=1.41 D
1=51 "Bibliothekspolitiker" i=5( agierende
2=2.81
D
2=1.92
D
2=1.95
1
2=1.11
D
2=1.9Í 1=55 Erfahrungen i=5i 2=1.40
D
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n=Anzahl
Bibliotheks-
der A n t w o r t e n
Z=Medlan
ibeibispt lieht licktij
I gD=gehobener
Dienst
hD=höherer
Dienst
107 Abb. E 2.15: Anforderungsprofil für Bibliothekare des öffentlichen Bibliothekswesens: Mediane
Interesse
1=50 l»1.7! Inf.technologlen
an
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i=o
neuer
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Kap. E 2.4 Zusammenfassende Analyse und Bewertung Die Mehrheit der von uns befragen Experten geht davon aus, daß es aufgrund des Einsatzes der luK-Technologien zukünftig zu qualitativen Aufwertungen von Tätigkeitsbereichen innerhalb des Bibliothekswesens kommen wird. Hauptsächlich werden Aufwertungen für die Informationsabteilung erwartet. Diese qualitativen Aufwertungen manifestieren sich nach Meinung der Experten allerdings nicht in gehaltlichen oder hierarchischen Verbesserungen. In der wissenschaftlichen Fachdiskussion über die öffentliche Verwaltung verläuft die Tendenz eher gegenteilig zu der Einschätzung unserer befragten Experten. Für die öffentliche Verwaltung wird davon ausgegangen, daß es durch den Einsatz der luK-Technologien "im Kern nicht zu einer qualitativen Arbeitsanreicherung" gekommen ist (Alemann/Schatz 1987, S. 296), d.h. daß die Arbeitsinhalte von Verwaltungstätigkeiten nicht den Gehalt aufweisen, den man aufgrund der Handlungsmöglichkeiten öffentlicher Verwaltung vermuten könnte (vgl. ebd.). Vermutlich sind die Entwicklungslinien in der allgemeinen öffentlichen Verwaltung und im Bibliothekswesen nicht so dissent, wie sie aufgrund der Aussagen der Bibliotheksexperten im Vergleich zu der Meinung bei ALEMANN/SCHATZ erscheinen. Die Aufwertungstendenzen, die von den Experten für das Bibliothekswesen erwartet werden, werden sich unserer Meinung nach nur in einzelnen Tätigkeitsbereichen manifestieren, wobei diese Tätigkeitsbereiche eher in der Minderheit sind. Für die Verwaltung muß die obige Aussage, d.h. keine qualitative Arbeitsanreicherung, als Grundtendenz verstanden werden. Davon unbenommen gibt es aufgrund des Einsatzes von luK-Technologien auch Arbeitsanreicherungen in der Verwaltung, hauptsächlich für den Bereich der Verwaltungsspitze (Amtsleiter etc.) (vgl. ebd., S. 297). Änderungen der Arbeitsinhalte und Qualifikationen hängen nicht nur von der Einführung elektronischer Datenverarbeitung ab, sondern auch von institutionellen und strukturellen Rahmenbedingungen. Falls den von den Technikfolgen Betroffenen Handlungs- und Gestaltungsspielräume bei der Nutzung der Technologien eingeräumt werden, können sie zwar versuchen, Einfluß auf die Umgestaltung oder Änderung ihrer Tätigkeitsbereiche zu nehmen; allerdings sind diese Einflußmöglichkeiten eher marginal. Entsprechend entstehen Konfliktfelder, die Arbeitsinhalte und Qualifikationen beinhalten, auf der Ebene von Arbeitsplätzen. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es auf der Ebene des Arbeitsplatzes keine Institutionalisierte Interessenvertretung bzw. Benutzerbeteiligung, wobei darunter eine Beteiligung derjenigen Beschäftigten verstanden wird, die später mit der Datenverarbeitung arbeiten sollen'"*. Das impliziert, daß es keine Handlungsmuster bzw. Strategien zur Konfliktlösung gibt, außer der Delegation nach oben auf die betriebliche Ebene, d.h. auf die Ebene der Personalvertretung (vgl. Mambrey, 1985, S. 174). Diese Partizipations-
48 An dieser Stelle kann auf die Aufarbeitung der Frage möglicher und tatsächlicher Beteiligungsformen von Arbeitnehmern beim Einsatz der luK-Technologien verzichtet werden, da dies bereits in einem Forschungsbericht des BMFT "Beteiligung von Arbeitnehmern beim Einsatz der Informationstechnik", Projektleiter Herbert Kublcek (1984) geleistet worden ist (vgl. dazu auch beispielsweise Mambrey 1985).
109 möglichkeiten sind durch die P e r s o n a l v e r t r e t u n g s g e s e t z e ^ rechtlich normiert. Das bedeutet, daß die Personalvertreter gefordert sind, sich über die luK-Technologien und ihre Auswirkungen zu Informieren und diese Informationen an die Betroffenen weiterzugeben. Falls es sich bei den Personalvertretern um Gewerkschaftsmitglieder handelt, müßten sie dabei von ihren Gewerkschaften unterstützt werden. Für die betroffenen Arbeitnehmer bleibt darüber hinaus meistens nur die Möglichkeit, sich bei ihren Berufsverbänden zu informieren oder an Fortbildungsveranstaltungen teilzunehmen. Bei den Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen sollte angestrebt werden, daß nicht nur das Handling vermittelt wird, sondern daß auch die Probleme, die mit den neuen Technologien einhergehen können, aufgearbeitet werden. 4
Eine strukturelle Änderung der Arbeitsinhalte aufgrund des Einsatzes der luK-Technologien ist die Möglichkeit des Entmischens der Tätigkeiten in schwierigere und einfachere Aufgaben am Arbeitsplatz 50 (vgl. Pohlmann 1983). Das gilt besonders für die Katalogisierungsabteilung, kann aber auch auf andere Bereiche, wie Informationsabteilung, ausgedehnt werden. In einigen Katalogisierungsabteilungen wird bereits entsprechend verfahren. Von gewerkschaftlicher Seite wird die Möglichkeit des Entmischens vornehmlich unter dem Aspekt der Arbeitsintensivierung gesehen (vgl. Gewerkschaft Öffentliche Dienste ..., 1986, S. 27). Für uns erscheint durch die Entmischung vor allem ein Konfliktfeld möglich, wenn diese Diversifizierung nur an Laufbahnen bzw. an Gehaltsgruppen festgemacht wird und nicht die Weiterbildungsbereitschaft und Leistungsbereitschaft der Betroffenen berücksichtigt. Beispielhaft seien die Diskussionen in der bibliothekarischen Fachpresse genannt, bei denen es um die generelle Frage nach der personellen Besetzung zukünftiger Informationsvermittlungsstellen In den Wissenschaftlichen Bibliotheken geht 51 . Der VDB, der Berufsverband des höheren Dienstes an wissenschaftlichen Bibliotheken, sah die Informationsvermittlungsstellen anfangs als Domäne des höheren Dienstes (vgl. VDB, 1986, S. 52 ff.). In letzter Zeit hat der VDB diesen Anspruch auf das Recherchieren in Fakten- und fachlichen Datenbanken reduziert (vgl. VDB/Arbeitsgruppe Neue Techniken/Medien, 1988, S. 22). Andererseits wird die Möglichkeit betont, daß die Mitarbeit in einer Informationsvermittlungsstelle auch einen Tätigkeitsbereich für den Diplom-Bibliothekar darstellen kann (vgl. Krueger, 1987, S. 1105). Zur Lösung der Konflikte, die sich aufgrund des Einsatzes der luK-Technologien in den Arbeitsinhalten und in der Qualifikationsstruktur manifestieren, kann eine Umstrukturierung der Geschäftsgänge bzw. der Organisationsstruktur im Bibliothekswesen beitragen. In der Industrie scheint sich die Erkenntnis immer mehr durchzusetzen, daß der Einsatz von luKTechnologien nur dann mit Erfolg zum Einsatz kommen kann, wenn Hardware, Software und Organisation 52 so aufeinander abgestimmt sind, daß sich offensichtlich nützliche Lö49 Für den öffentlichen Dienst gelten das Bundespersonalvertretungsgesetz, die Landespersonalvertretungsgesetze und weitere Mitwirkungsgesetze für spezielle Bereiche, beispielsweise spezielle Vorschriften für Beamte. 50 Dazu ein Zitat eines Teilnehmers: "Tätigkeiten in allen Abteilungen oder Bereichen werden geteilt in einfache z.B. Nachtragen von Bestandsdaten an vorhandene Datensätze, Fremddatenübernahme, einfache Recherchen und schwierige, z.B. Katalogisieren von Literatur in entlegenen Sprachen, anderen Schriften, komplizierte Erwerbungsfälle, Fachrecherchen, ausführliche Benutzerberatung,Infoaufbereitung u. -Bewertung (nach einer Recherche)." 51 Bei den Öffentlichen Bibliotheken stellt sich die Frage anders, da nicht in dem Maße beamtenhierarchische Laufbahnordnungen vorhanden sind. 52 Im amerikanischen Sprachgebrauch spricht man dabei von Orgware.
110 sungen ergeben; d.h. eine Organisationsanpassung müßte bei Einführung und Nutzung von luK-Technologien durchgeführt werden. Eine Form der Organisationsanpassung53 im wissenschaftlichen Bibliotheksbereich ist die "integrierte Buchbearbeitung"54, d.h. Teams, auch Buchbearbeitungsgruppen genannt 55 (vgl. Roth 1987), bearbeiten ein Werkstück von der Erwerbung bis zur Schlußstelle. Die Grundidee dieser Organisationsstruktur liegt in zwei Richtungen begründet, erstens unter Rationalisierungsgesichtspunkten und zweitens unter dem Aspekt, Techniken sozialverträglicher zu gestalten. Rationalisierung impliziert bei dieser Arbeitsorganisation, bibliographische Daten für Bestellwesen, Akzession und Titelaufnahme nur einmal zu erfassen, zu ergänzen und zu korrigieren, d.h eine Reduktion der Datenerhebung zu erreichen5®. Sozialverträglichkeit liegt in den folgenden Grundüberlegungen für die integrierte Buchbearbeitung begründet: "-
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Verteilung der Belastung durch Bildschirmarbeit auf eine größere Zahl von Mitarbeitern, Einhaltung der 5CF&-Grenze bei der Bildschirmarbeit, Anreicherung der durch die Korrekturen von Fremddaten monotoner gewordenen Katalogisierungstätigkeit durch anspruchsvollere Tätigkeiten, derzeit vor allem In der Enterbung, Anwendung und Vertiefung der gesamten in der Ausbildung erlernten Tätigkeiten in der praktischen Arbeit; Abbau zu hoher Spezialisierung, Hinwendung zur " Werkstückbearbeitung", d.h. alle Bearbeitungsschritte an den Büchern bestimmter Fächer werden in eine Hand gelegt; Integrierte Buchbearbeitung hin zu den Benutzern der Bücher, Schaffen persönlicher Verantwortungsbereiche und Entwicklungsfreiräume für Mitarbeiter, Abbau hierarchischer Strukturen durch Förderung fachlicher Kompetenz."
(Franken, 1986, S. 60). Insgesamt kann festgestellt werden, daß sich dieses Organisationskonzept gegen tayloristische Prinzipien und Methoden wendet und sich von arbeitsteiligen Strukturen abwendet 5 7 . Trotz der Zielsetzung, mit dieser Organisationsform eine Sozialverträglichkeit von Techniken zu erreichen, ist dieses Organisationskonzept in der Praxis ebenfalls mit Problemen behaftet. Probleme manifestieren sich einerseits in den gruppendynamischen Pro53 Bereits 1984 ist die Ad-hoc Kommission zu Flationalisierungsfragen des VdDB zu der Auffassung gelangt, daß das Festhalten an der bisher üblichen Arbeitsorganisation in Bibliotheken nicht mehr vertretbar ist (vgl. VdDB, 1984, S. 5). 54 Zu diesem Organisationskonzept gibt es zahlreiche Veröffentlichungen, vgl. beispielhaft Stoltzenburg (1984), Kirchgäßner/Schnelling (1987). Für dieses Konzept gilt die Bibliothek der Universität Konstanz richtungsweisend. Im folgenden werden wir uns auch hauptsächlich an diesem Modell orientieren. Dessen ungeachtet gibt es interierte Buchbearbeitung ebenfalls in anderen Universitätsbibliotheken (Gottingen, Ol§enburg, Siegen, Trier) (vgl. Kirchgäßner/Schnelling 1987). 55 ROTH orientiert sich bei seiner Ablehnung des Team-Begriffs an den Organisationswissenschaften, die vom Aufgabentyp her für Teams Finalprogramme, d.h. komplexe und innovative Planungsaufgaben, und nicht Konditionalprogramme, d.h. Routineprogramme, festlegen (vgl. Roth, 1987, S. 18). 56 Allerdings ist diese Rationalisierungsmöglichkeit nicht an elektronische Datenverarbeitung gebunden, aber durch die Möglichkeiten der EDV wird dem Vorschub geleistet. 57 Ähnliche Tendenzen zur Teambildung wurden in verschiedenen Untersuchungen über den Bürobereich festgestellt (vgl. Stolz 1984, Kummer 1984).
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zessen und andererseits in den Rahmenbedingungen. Für das Funktionieren der Teams bei der integrierten Buchbearbeitung, d.h. der Gruppenproduktivität, sind die Macht-, Kommunikations- und Rollenstrukturen der Gruppe entscheidend 5 ®. Allerdings sind Probleme der institutionellen Rahmenbedingungen, wie Fragen des Arbeits- und Tarifrechts, d.h. Fragen der Eingruppierung und Aufstiegsmöglickeiten, ebenfalls evident. Bis zur Lösung dieser Probleme ist die integrierte Buchbearbeitung als eine alternative Organisationsstruktur zu den herkömmlichen Geschäftsgängen in den Wissenschaftlichen Bibliotheken anzuerkennen, mit der versucht wird, die luK-Technologien ziel- und mittelgerecht einzusetzen. Das beinhaltet sowohl eine Optimierung der Tätigkeiten für den Bibliothekar und als auch eine Optimierung der Dienstleistungen für den Benutzer. Für das öffentliche Bibliothekswesen werden organisatorische Umstrukturierungen, d.h. Organisationsanpassungen, die aufgrund des Einsatzes der luK-Technologien notwendig sind, nicht in dem Maße in der Fachpresse diskutiert wie im wissenschaftlichen Bibliothekswesen 5 ^. Das kann an der geringen Implementierung integrierter EDV-Systeme im öffentlichen Bibliotheksbereich liegen, da weitestgehend nur die Ausleihverbuchung automatisiert ist 6 ®. Es bedeutet aber nicht, daß bei den Öffentlichen Bibliotheken bei Einführung von luK-Technologien nicht über eine Änderung bzw. Anpassung der Organisationsstruktur nachgedacht werden müßte, vielmehr ist das unabdingbar. Freisetzungsthese Beim Einsatz der Datenverarbeitung wird vielfach die These vertreten, daß durch den Wegfall von Routine- und Massentätigkeiten mehr Zeit für qualifizierte Arbeit freigemacht wird. Diese Meinung wurde von den Teilnehmern an unserer Erhebung mehrheitlich vertreten. Da zu dieser These kontroverse Meinungen bestehen, möchten wir andere empirische Studien vergleichend hinzuziehen. Die Europäische Stiftung zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen hat 1984 international vergleichend verschiedene Dienstleistungsbereiche untersucht, in der Bundesrepublik Deutschland speziell Bereiche aus der Kommunalverwaltung. Sie k o m m t für die Bundesrepublik Deutschland u.a. zu d e m Ergebnis:
"Die These, daß durch den Wegfall von Routine- und Massentätigkeiten infolge von Automatisierung mehr Zeit für qualifizierte Tätigkeit freigemacht wird, konnten wir in keinem der (...) Fälle bestätigt sehen: kamen nicht ohnehin neue Routinetätigkeiten dazu, (...) so wurde mit dieser "freien" Zeit mehr Volumen bewältigt- oder Personal abgebaut." (Europäische Stiftung..., 1985b, S. 69) HAYWOOD manifestiert dieses Ergebnis für die Bibliotheken in Großbritannien. Die Bibliothekare wären durch den Einsatz der Datenverarbeitung von Arbeiten entlastet worden, aber die Mitarbeiter hätten durch die Computerisierung keine Zeit "erwirtschaftet", um sie 58 An dieser Stelle kann die Aufarbeitung der gruppendynamischen Problematik aus sozialpsychologischer Perspektive nicht geleistet werden. Siehe dazu u.a. Irle 1975, Secord/Backman 1976. 59 Ausnahmen bilden beispielsweise die organisatorischen Überlegungen in der Stadtbüchereien Bochum (vgl. Schultheis/König, 1984) und Köln (vgl. Lischewsky, 1981). 60 Vgl. Kap. B 2 Gegenwärtige Implementierung der Informations- und Kommuniicationstechnologien im Bibliothekswesen.
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für andere "bereichernde und lohnende" Aufgaben einzusetzen (vgl. Haywood 1987, S. 990), sondern "durch Personalumstrukturierungen sind viele aus dem System Insgesamt entlastet worden" (ebd.). Wenn die obigen Feststellungen, - es wird kein Personal für andere Tätigkelten frei - , auch auf das deutsche Bibliothekswesen übertragbar sind, könnte das bedeuten, daß in der Bibliotheksarbelt ein großes Defizit mehr und mehr evident würde. Das bedeutet, die Betonung des Dienstleistungsgedanken, d.h. die Benutzerorientierung, die von allen Experten unterstützt wird, würde bei gleichbleibendem Personalbestand nicht ohne weiteres durchzuführen sein. Diese Überlegungen werden noch verstärkt, wenn berücksichtigt wird, daß sich die Rationalisierungspotentiale und die darauf gerichteten Rationalisierungsstrategien im Dienstlelstungsbereich von denjenigen in der industriellen Produktion unterscheiden (vgl. Karisen et al., 1985), d.h. für den Dienstleistungsbereich gibt es Grenzen für Rationalisierungsbemühungen, die aufgrund der Schnittstelle Sachbearbeiter/Bürger (in unserem Fall Bibliothekar/Bibliotheksbenutzer) gegeben sind. BERGER/OFFE sprechen von einem "Rationalisierungsdilemma" im Dienstleistungsbereich (zlt. nach Karisen etal., 1985, S. 12). Wenn einerseits dieses "Rationalisierungsdllemma" für die Bibliotheken gilt und andererseits durch den Einsatz der Datenverarbeitung kein Personal für andere Tätigkelten freigesetzt wird, stellt sich für die Bibliotheken damit die Frage, ob sie noch Handlungsoptionen besitzen, um ihren zukünftigen Aufgaben gerecht werden zu können. Berufsstruktur Von den Teilnehmern der Delphi-Studie wurde mehrheitlich festgestellt, daß sich die Berufsstruktur im Bibliothekswesen in der Zukunft ändern wird. Überwiegend wurde ein Eindringen von nicht-bibliothekarisch ausgebildetem Personal vermutet, beispielsweise Systemanalytiker, Datentypisten etc. Dadurch kann sich die Berufssituation für Absolventen bibliothekarischer Ausbildung noch verschärfen. Da schon jetzt nicht jeder Absolvent eine Tätigkeit im Bibliotheksbereich der öffentlichen Hand findet, wird diese Tendenz noch steigen, wenn zunehmend Personal in den Bibliotheken eingestellt wird, das über andere Berufsausbildungen verfügt. Als eine Möglichkeit bietet sich den Absolventen, in die Privatwirtschaft oder in die Dienstleistungsbereiche von Industrie und Handel zu gehen (vgl. Gattermann 1986a, VdDB/Kommlssion Ausbildung und Beruf 1986). Diese Arbeitsplätze werden sich zukünftig verstärkt anbieten, da davon auszugehen ist, daß bei der wachsenden Bedeutung von Information der Bedarf an "Informationsfachkräften" ebenfalls steigen wird. Dabei stellt sich die Frage, ob die Ausbildungsinhalte diesen veränderten Berufsstrukturen Rechnung tragen. Das kann beispielsweise darauf hinauslaufen, ob eine spartenspezifische Ausbildung notwendig oder eine integrierte Ausbildung für den Bereich der Information, Dokumentation und Bibliothek sinnvoller I s t ^ . Die Ausbildungsstätten müßten die veränderten Arbeitsmarktstrukturen für Bibliothekare berücksichtigen und Ihre Curricula nicht nur darauf ausrichten, Bibliothekare nur speziell für den öffentlichen Dienst auszubilden. 61 Diese Fragen werden nicht weiter thematisiert, da sie schon in verschiedenen Arbeiten und ProjeTcten, beispielsweise im "Forschungsproiekt Integrierte Ausbildungskonzeption Bibliothek, Information, Dokumentation (FIABID)" problematisiert worden sind (vgl. Rleken 1985).
113
Kap. E 3
Politische Implikationen des Einsatzes der luK-Technologien
Im folgenden Kapitel werden wir die Ergebnisse der Delphi-Studie darstellen, die die politischen Implikationen des Einsatzes der luK-Technologien im Bibliothekswesen untersuchen. In einem Exkurs werden wir Technologiepolitik in der Bundesrepublik Deutschland am Beispiel der unterschiedlichen staatlichen Förderprogramme zur Information und Dokumentation explizieren (Kap. E 3.1). Daran anknüpfend werden wir die Einschätzungen der Experten zum Fachinformationsprogramm der Bundesregierung widergeben (Kap. E 3.2). Politische Implikationen werden für die Strukturen des Fachinformationssystems (Kap. E 3.3) und für die internationale Stellung der bundesdeutschen Fachinformation (Kap. E 3.4), sowie bei der Kommerzialisierung und Privatisierung von Informationen (Kap. E 3.5) akzentuiert. Am Ende jeden Kapitels werden die wichtigsten Ergebnisse zusammengefaßt und bewertet, wobei wir hauptsächlich auf mögliche zukünftige Konfliktfelder hinweisen werden. Es bestehen Wechselwirkungen zwischen dem Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologien im Bibliothekswesen und dem herrschenden politischen System. Einerseits werden die öffentlichen Unterhaltsträger aufgefordert, daß sie die Einführung und Anwendung der luK-Technologien finanzieren, weiterhin werden aufgrund der Anwendungsfolgen Forderungen nach staatlichen Eingriffen erhoben, beispielsweise beim Datenschutz (Recht auf informationelle Selbstbestimmung) und bei der Datensicherung, beim Schutz des Grundrechts auf Meinungs- und Informationsfreiheit. Andererseits wirken vom Gesetzgeber erlassene Richtlinien, Empfehlungen und Förderporgramme auf das Bibliothekswesen ein.
Kap. E 3.1 Exkurs: Technologiepolitik, expliziert am Beispiel staatlicher Förderprogramme zur Information und Dokumentation Institutionalisierte staatliche Aktivitäten zur Förderung der angewandten Forschung, der technologischen Entwicklung und der industriellen Innovation sind ein Policy-Bereich, der mit dem Begriff "Technologiepolitik" in der politikwissenschaftlichen Literatur bezeichnet wird (vgl. Bräunling, 1986, S. 264); d.h. Technologiepolitik beinhaltet nicht nur die Förderung von Forschung und Entwicklung, sondern umfaßt darüber hinaus staatliche Maßnahmen zur Unterstützung von technologischer Modernisierung der Industrie sowie Maßnahmen zur Bewältigung und Kompensation der mit dem technischen Fortschritt verbundenen sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgeprobleme (vgl. Lehner, 1986, S. 252). Wir gehen im folgenden davon aus, daß unabhängig von den jeweils regierenden Parteien die grundsätzlichen Ziele der Technologiepolitik praktisch gleich sind und erst auf der Ebene von Fachprogrammen und ihren Schwerpunktsetzungen Unterschiede festzustellen sind. Von dieser Überlegung unabhängig sind bestimmte Dissense bzw. Teilkonsense bezüglich der Steuerbarkeit und vor allen Dingen des Steuerungsbedarfes zukünftiger Entwicklungen vorhanden. Dabei herrschen hauptsächlich über die Rolle des
114 Staates, insbesondere dessen Verhältnis zur Wirtschaft, unterschiedliche Vorstellungen bei den Parteien. Ausgehend von obiger Annahme werden wir staatliche Technologiepolitik am Beispiel der verschiedenen Föderprogramme zur Fachinformation explizieren, wobei wir zuerst die Förderungsprogramme selbst darstellen (ihre Konkretisierung) und anschließend ihre Durchführung (ihre Implementation) problematisieren wollen. Dabei bedienen wir uns einer historisierenden Vorgehensweise. Im Bereich der FuT-Politik ist ein hohes Maß an Kontinuität zwischen der heutigen Bundesregierung und der früheren sozialliberalen Koalition festzustellen (vgl. Lorenzen 1986 bzw. Naschold 1986). Im Bundesforschungsbericht VI (1979) wurden von der damaligen SPD-F.D.P.-Bundesregierung fünf forschungspolitische Zielsetzungen aufgezählt. Die Bundesregierung verpflichtete sich: " 1. den wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu verbreitern und zu vertiefen 2. die Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft zu erhalten und auszubauen
3. 4. 5.
die Ressourcen zu schonen und die natürlichen Lebensvoraussetzungen zu erhalten die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen zu verbessern die technologischen Entwicklungen in ihren Auswirkungen und Zusammenhängen zu erkennen, ihre Chancen und Risiken abzuwägen und Entscheidungen über die Nutzung von Technologien zu begründen und zu diskutiererf (Bundesforschungsbericht VI, 1979, S. 8, zit. nach Urban, 1982, S. 99).
In diesen Zielsetzungen wird erkennbar, daß Technologiepolitik von der früheren sozialliberalen Bundesregierung auch als Teilbestand staatlicher Wirtschaftsförderung begriffen wurde. Der jetzigen CDU/CSU-F.D.P.-Koalition dient Forschungs- und Technologiepolitik ebenfalls der Sicherung von Arbeitsplätzen und der Schaffung neuer Beschäftigungsmöglichkeiten. Dadurch soll eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen erreicht werden. Technologiepolitik trägt nach Meinung der Koalition entscheidend dazu bei, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik zu gewährleisten (vgl. Weirich 1983, Probst 1983, Steffens 1988). RIESENHUBER betonte 1983 - nach einjähriger Amtszeit als Bundesminister für Forschung und Technologie -, "daß es hinsichtlich der grundsätzlichen Ziele der Forschungsund Technologiepolitik eine weitgehende Übereinstimmung" zwischen der damaligen und heutigen Regierungskoalition gibt (Riesenhuber 1983, zit. nach Lorenzen, 1986, S. 298). Insgesamt kann festgestellt werden, daß CDU und SPD von der gleichen hohen Einschätzung der Zukunftsbedeutung von Forschung und Technologie für Wirtschaft und Gesellschaft ausgehen. Auf der Ebene von Förderprogrammen sind unterschiedliche Schwerpunktsetzungen der jeweils regierungstragenden Parteien zu erkennen. Das "Programm der Bundesregierung zur Förderung der Information und Dokumentation (luD-Programm) 1974-1977" (1976) 6 2 stellte den ersten Versuch dar, mit Hilfe staatlicher Unterstützung die Fachinformationsver-
62 Im folgenden luD-Programm genannt.
115 sorgung in allen gesellschaftlichen Lebensbereichen nachhaltig zu verbessern®®. Im luDProgramm wurde die Bereitstellung von Fachinformation weltgehend als öffentliche Aufgabe angesehen, wie der damalige Bundesminister für Forschung und Technologie Hans Matthöfer im Vorwort des luD-Programms betonte:
"Das Programm der Bundesregierung zur Föderung der Information und Dokumentation geht davon aus, daß es weitgehend eine öffentliche Aufgabe ist, durch planende, organisatorische und finanzielle Maßnahmen ein leistungsfähiges Informationsgefüge zu schaffen, das den zunehmenden Informationsbedürfnissen der modernen Gesellschaft genügt' (Der Bundesminister für Forschung..., 1976, S. 2). Zur Verwirklichung dieser Zielsetzung war der Aufbau von maximal 16 Fachinformationssystemen (FIS) und 4 dazugehörigen Fachinformationszentren (FIZ) sowie als zentrale Planungs- und Entwicklungseinrichtung die Gesellschaft für Information und Dokumentation (GID) vorgesehen. Die Verantwortlichen des luD-Programms hatten den Fachinformationszentren ein breites Aufgabensprektrum zugedacht, d.h. ihre Aufgaben sollten von der Durchführung von Literaturrecherchen für Fachleute bis zur Aufbereitung von Informationen für den fachlich nicht vorgebildeten Nutzer reichen (vgl. ebd., S. 26 f.). Es entstanden in der Folgezeit 12 Fachinformationszentren bzw. zentrale Informationseinrichtungen mit Schwerpunkten auf d e m biowissenschaftlichen, technischen und naturwissenschaftlichen Bereich 6 4 . Bei der Konkretisierung des luD-Programms war Schwerpunkt die Literaturdokumentation, d.h. der Aufbau von Referenzdatenbanken. Quellendatenbanken wurden weitestgehend nicht berücksichtigt®®. Bei der Planung des luD-Programms waren die Länder nicht einbezogen worden. Der Präsident der Bundesrechnungshofes stellte in seinem "Gutachten über die Fachinformation In der Bundesrepublik" (1983) fest, daß bei der Planung eines Programms, das zu einem Teil in die Zuständigkeit der Länder fällt, die Länder hätten mitwirken müssen (vgl. Der Präsident des Bundesrechnungshofes ..., 1983, S. 19). Neben Abstimmungsproblemen mit den Ländern hatten sich die Rahmenbedingungen geändert, so daß eine vollständige Implementierung des luD-Programms nicht erreicht werden konnte. Veränderungen im technologischen Bereich, wie die weitere Entwicklung der elektronischen Speicher- und Verarbeitungstechnik, leistungsfähigere Softwaresysteme, die Implementierung von Über63 Allerdings gab es schon 1962 eine Untersuchung des Präsidenten des Bundesrechnungshofes über die wissenschaftliche Dokumentation in der Bundesrepublik (vgl. Der Präsident des Bundesrechnungshofes: Untersuchung über die wissenschaftliche Dokumentation In der Bundesrepublik Deutschland, Febr. 1962, zit. nach Henrichs, 1986, S. 130). 64 Deutsches Informationszentrum für medizinische Dokumentation und Information (DIMDI), Fachinformationssystem Ernährung, Land- und Forstwirtschaft, FIZ Chemie, FIZ Energie, Physik, Mathematik, FIZ Werkstoffe, Informationszentrum Rohstoffgewinnung, Geowissenschaften, Wasserwirtschaft, Informationszentrum Raum und Bau, JURIS, Informationszentrum Sozialwissenschaften, FIZ Technik, Deutsches Informationszentrum für Technische Regeln, Umweltbundesamt (vgl. Der Bundesminister für Forschung..., 1985, S. 14). 65 Nach Cuadra Associates subsumiert man unter Quellenbanken numerische Datenbanken (z.B. Statistiken, Finanzdaten, Meßwerte), textuell-numerische Datenbanken (z.B. Produktbeschreibungen, Eigenscnaftsdaten von Stoffen), Volltextdatenbanken und Software-Datenbanken (vgl. Henrichs, 1986, S. 143 ff.).
116 tragungsnetzen etc., hatten dazu geführt, daß für das luD-Programm eine Rechnertechnologie (zentrale Rechner etc.) verwendet werden sollte, die als veraltet und als zu teuer galt. Im ökonomischen Bereich waren in der Zwischenzeit bei den Unterhaltsträgern der Fachinformationseinrichtungen®® Haushaltsprobleme aufgetreten, die dadurch noch verstärkt wurden, daß durch die mangelnde Akzeptanz bei den Informationsnutzern ein erhöhter Subventionierungszwang bestand und damit weitere Finanzierungsschwierigkeiten entstanden (vgl. ebd., S. 86). Eine weitere Schwierigkeit zur Realisierung des luD-Programms war durch die verstärkte Etablierung privatwirtschaftlich arbeitender Institutionen, wie Datenbankanbieter bzw. Hosts, gegeben, die den FIZ vergleichbare Dienste anboten (vgl. ebd., S. 87). Die traditonellen Informationsvermittler, Buchandel, Verlage und Bibliotheken, kritisierten beim luD-Programm vor allem die fehlende Abstimmung mit den bereits existierenden Institutionen des Fachinformationssystems. Buchhandel und Verlage sprachen von der Konkurrenz eines "staatlichen Superverlages" (Berthold, 1975, S. 24). Von bibliothekarischer Seite wurde vor allem auf die infrastrukturellen Unzulänglichkeiten des Programms hingewiesen. GATTERMANN (1975) sah einen "Dualismus zwischen Informationsvermittlern und Literaturversorgung" vorstrukturiert (vgl. ebd., S. 457), da das luD-Programm vor allem die Verbesserung der Informationsnachweise akzentuierte und dabei die Literaturversorgung vernachlässigte (vgl. auch Jammers 1975)®7. Der Präsident des Bundesrechungshofes untersuchte in seiner Eigenschaft als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV) im April 1983 die aufgrund des luD-Programms bestehende Fachinformationsstruktur und empfahl eine "Neuformulierung der Fachinformations-Politik" (Der Präsident des ..., 1983, S. 86 f.). Dabei waren drei Empfehlungen richtungsweisend für die zukünftige Fachinformationspolitik der Bundesregierung®®: - Klärung der Frage, "inwieweit es sich bei dem Bereich Information und Dokumentation um eine Infrastruktur handelt, die die öffentliche Hand vorzuhalten hat, oder um einen Teilbereich, bei dem der Staat nur die Rahmenbedingungen setzt" (ebd., S. 88) - Festlegung der Schwerpunkte für die Förderung der Fachinformation sowie Aufgabe des flächendeckenden Ansatzes (vgl. ebd., S. 92-97) - Verstärkung der Finanzierung der Fachinformationsdienste über die Nachfrage sowie Überprüfung der Strukturen der luD-Einrichtungen mit dem Ziel höherer Effizienz, insbes. bei der Vermarktung (vgl. ebd., S. 99-102).
66 Die Unterhaltsträger der Fachinformationseinrichtungen waren hauptsächlich Bund und Länder (vgl. Der Bundesminister für Forschung..., 1976, S. 29). 67 Das luD-Programm forderte zwar auch eine verbesserte Literaturversorgung, allerdings machte es dafür keine konkreten Vorschläge. Es wurde nur auf den Bibliotheksplan '73 verwiesen (vgl. Der Bundesminister für Forschung..., 1985, S. 28 u. 39), dem einerseits jeglicher Rnanzierungsplan fehlte und der andererseits völlig unverbindlich war, da er nicht das Ergebnis eines offiziellen Beratungsgremiums für Bund und Länder oder einer von der Bundesregierung eingesetzten Arbeitsgemeinschaft gewesen war (vgl. oben Kap. B 1: Struktur des deutschen Bibliothekswesens). 68 Vgl. dazu den Ersten Teil des Fachinformationsprogramms 1985-88, S. 13f. Eine erste offizielle Stellungnahme der Bundesregierung zum Bundesrechnungshofgutachten wurde 1983 veröffentlicht, vgl. Der Bundesminister für Forschung und Technologie: Fachinformation in der Bundesrepublik (1983).
117 Unter Federführung des BMFT wurde im Oktober 1985 das "Fachinformationsprogramm 1985-88 der Bundesregierung" veröffentlicht, das den Vorstellungen des BWV-Gutachtens weitgehend folgte. Bei der offiziellen Vorstellung auf dem Bibliothekartag 1986 in Oldenburg wurden als langfristige Ziele der "neuen Fachinformationspolitik" genannt: - Ausbau und Verbesserung des deutschen Fachinformationsangebots und seiner Nutzung, um damit den Informationstransfer zwischen Wissenschaft, Forschung und Praxis zu verbessern sowie die internationale Stellung der deutschen Fachinformationsanbieter zu stärken - Sicherung des wechselseitigen Zugangs zur elektronischen Fachinformation im Rahmen des grenzüberschreitenden Datenverkehrs - Förderung der internationalen Kooperation bei Aufbau, Angebot und Nutzung von Informationsbanken und die Entwicklung eines weltweiten Informationsnetzes (vgl. Wilke, 1987, S. 70). Die Bundesregierung will aufgrund dieses Programms die Rahmenbedingungen des Fachinformationsmarktes u.a. durch "Deregulierung und Privatisierung" (Der Bundesminister für Forschung..., 1985, S.17) verbessern. Sie strebt damit "eine strenge Bedarfs- und Benutzerorientierung" (ebd.) an, d.h. Fachinformation soll "grundsätzlich über den Markt bzw. (...) zumindest gegen eine marktgerechte Vergütung" (ebd., S. 16) angeboten werden. Fachinformationspolitik wird als Maßnahme betrachtet, "Marktchancen der deutschen Wirtschaft zu verbessern und zukunftsorientierte Arbeitsplätze" (ebd., S. 17) zu erschließen. In der "Zwischenbilanz" von 1986 zum Fachinformationsprogramm wird davon ausgegangen, daß sich die Position der deutschen Anbieter in der wissenschaftlich-technischen und ressortspezifischen Fachinformation erheblich verbessert, allerdings in der Wirtschaftsinformation noch nicht wesentlich verändert hat (vgl. Der Bundesminister für Forschung..., o.J., ca. 1986, S. 7). Nach den USA verzeichnet die Bundesrepublik im internationalen Vergleich den zweitgrößten Zuwachs bei der Anzahl der Datenbanken seit 1984 (vgl. ebd., Anhang Tab.2, S. 21). Aufgrund der strikten Anwendung des Subsidiaritätsprinzips sei es zu einer Steigerung privater Initiativen gekommen, beispielsweise seien drei deutsche Anbieterrechenzentren für Wirtschaftsinformation von privaten Unternehmen gegründet worden. Die Akzeptanz der elektronischen Fachinformation sei zwar immer noch gering, aber die Bundesregierung vertrete die Meinung, daß sie sich mit hohen Steigerungsraten entwickeln werde. Für die Nutzung der Fachinformation wurden für 1985-88 304 Mio D M bereitgestellt (vgl. ebd., S. 103). Aufgrund der Empfehlung des Wissenschaftsrates ist die GID neu strukturiert worden, d.h der FuETeil ist in die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung überführt worden und der GID-Teil, der bisher schon mit Schwerpunkt beim DV-Einsatz für die Fachinformation Service auf diesem Gebiet erbracht hat, ist auf ein privates Unternehmen überführt worden (vgl. ebd., S. 17). Kritikpunkte zum Fachinformationsprogramm von bibliothekarischer Seite®^ fokussieren hauptsächlich zum Abschnitt über die Geisteswissenschaften (vgl. Der Bundesminister für Forschung..., 1985, S. 37) und die Betrachtung von Information unter dem Warenaspekt 7 ^.
69 Vgl. dafür stellvertretend Baron, 1986, S. 143 ff. 70 Ausführlich werden Stellungnahmen und Kritikpunkte zu diesen Problembereichen unten in Kap. E 3.2 Das Fachinformationsprogramm der Bundesregierung dargestellt.
118 KUHLEN konstatiert aus informationswissenschaftlicher Sicht, daß die Bedeutung von Information als "politisch-emanzipativer" bzw. "sozial-kritischer" Faktor im Fachinformationsprogramm nicht gesehen wird (Kuhlen, 1986, S. 77). Es bestehe weiterhin "politischer Planungsbedarf zur Gestaltung einer Informationsgesellschaft" (ebd., S. 73). Das Fachinformationsprogramm, das Ende 1988 ausgelaufen ist, soll laut Mitteilung eines Vertreters des BMFT, die auf der Pressekonferenz der Infobase April 1988 abgegeben wurde, fortgesetzt werden. Zur Zeit werde das auslaufende Programm von dritter Seite evaluiert (vgl. Henschke, 1988, S. 519). Die "Arbeitsgemeinschaft Fachinformation", ein Zusammenschluß privatwirtschaftlicher Unternehmen und öffentlicher Institutionen, hat eine Stellungnahme verfaßt, die die Bundesregierung auffordert, das auslaufende Fachinformationsprogramm neu zu fassen (vgl. AFI-Stellungnahme, 1988, S. 519 ff.). Ihre Schwerpunktsetzungen zielen u.a. auf eine Erweiterung des Informations-Begriffs, auf einen chancengleichen Zugang zur Information, auf eine zusätzliche Berücksichtigung der Geistes- und Sozialwissenschaften, auf eine zielgruppenorientierte Nutzungsförderung (für Mittelstand, Schulen und Universitäten), auf eine bessere Literaturversorgung durch Bibliotheken und auf die Evaluierung von Projekten des elektronischen Publizierens. Aufwendungen für die Fachinformationspolitk Bis zum Jahre 1984 beliefen sich die Aufwendungen für die Schwerpunkte der Fachinformationspolitik auf 1.712,7 Millionen DM, wobei für die Produktion und Herausgabe insgesamt 686,0 Mio DM ausgegeben wurden, für das Angebot der elektronischen Fachinformation 256,5 Mio DM, für die Nutzung der Fachinformation 598,3 Mio D M und für die Informationswissenschaft und Ausbildung 171,9 Mio D M (vgl. Tab. E 3.1). Die Fachinformationsförderung wird von der Bundesregierung unter Forschungsförderung für Schlüsseltechnologien subsumiert. Neben Fachinformation werden unter Schlüsseltechnologien u.a. Biotechnologie, Energieforschung, -technik, Fertigungstechnik, Informationstechnik und Materialforschung verstanden. Zur Förderung dieser Schlüsseltechnologien stehen dem BMFT derzeit ca. 3,4 Mrd. D M zur Verfügung , wobei vom BMFT für die Fachinformation 1987 107 Mio D M veranschlagt worden sind (vgl. Tab. E 3.2); d.h. vom Etat des BMFT zur Förderung von Schlüsseltechnologien werden 3,1% für die Fachinformation verwendet. An dieser Relation wird der Stellenwert der Fachinformation deutlich, d.h. Fachinformation gehört zwar zu den Schlüsseltechnologien, hat aber nur eine marginale ökonomische Bedeutung. Zusammenfassung Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß die heutige Bundesregierung in ihrem Fachinformationsprogramm davon ausgeht, daß Produktion und Angebot von Fachinformation in der Regel Aufgaben der Privatwirtschaft sind, d.h. die Bundesregierung geht von der Nachrangigkeit staatlicher Hilfen gegenüber privater Initiativen aus. Fachinformation wird als Rohstoff angesehen, der den Marktgesetzen unterliegt. Es wird die "Distributionsfunktion von Fachinformation, d.h. der Warencharakter der Fachinformation" 71 Im Jahr 1987 war im Bundeshaushalt für den Bundesminister für Forschung und Technologie 7.535,6 Mio D M veranschlagt (Hübner/Rohlfs, 1987, S. 387).
119 (Czermak, 1986, S. 248) betont. Diese Fachinformationspolitik will Marktprozesse hauptsächlich fördern, aber nicht unbedingt gestaltend in sie eingreifen, wobei sich die Förderung am Prinzip der Subsidiarität orientiert. Tab. E 3.1:
Aufwendungen für die Schwerpunkte der Fachinformationspolitik 1974-1984 Mio DM
Schwerpunkt 1.
Produktion und Herausgabe
1974-1977 172,0
1978-1984
1977-1984
514,0
686,0
Naturwissenschaften
66,5
136,0
202,5
Technik
27,3
114,0
141,3
Sozial- u.Geisteswiss. Bildung
15,1
65,4
80,5
Ressortspezif. Fachinformation
61,0
195,6
256,6
2,1
3,0
5,1
(Gesundheitsw., Ernährung, Umwelt, Verkehr etc.) Wirtschaftsinformation 2.
Angebot der elektron. Fachinf.
51,1
205,4
256,5
3.
Nutzung der Fachinformation
179,3
419,0
598,3
4.
Informationswiss. u.Ausbildung
53,6
118,3
171,9
456,0
1256,7
1712,7
Summe Quelle:
Der Bundesminister für Forschung und Technologie: Fachinformationsprogramm 1985-88, 1985, Anhang Tab.1, S. 72f: eigene Berechnungen
Demgegenüber ging die frühere sozialliberale Bundesregierung im luD-Programm davon aus, daß das Bereitstellen von Fachinformation weitgehend eine öffentliche Aufgabe sei. Kommerzielle Gesichtspunkte dürften nach ihrer Meinung für das Angebot an Informationsdiensten nicht allein maßgeblich sein. Der Informations-Begriff wurde weiter gefaßt i.d.S., daß Informationsversorgung sich nicht nur auf den Informationsbedarf in der Forschung konzentrieren sollte.
120 Tab. E 3.2:
Aufwendungen des Bundes für Fachinformation
(Mittelfristige Finanzplanung in Mio DM)1' 1985
1986
1987
1988
BMFT BML BMJ BMV BMI BMJFG BMWi BMBW BMA BPA BT
69,8 6,5 11,9 0,6 54,5 22,0 17,1 2,2 0,2 3,4 1,4
73,0 6,5 11,0 0,7 55,7 22,6 17,0 1,4 0,1 3,6 1,4
92 6 9 1 62 24 20 1 1 4 1
101 6 10 1 66 24 20 1 1 4 1
107 6 10 1 65 24 20 1 1 4 1
111 6 10 1 65 23 20 1 1 4 1
Summe
189,6
193.0
221
235
240
243
1983
1984
1) V o r b e h a l t l i c h der F o r t s c h r e i b u n g der Finanzplanung; ab 1985 g e r u n d e t .
Quelle:
Der Bundesminister für Forschung und Technologie: Fachinformationsprogramm 1985-88, 1985, Anhang Tab.2, S. 74
Abschließend kann konstatiert werden, daß bei der Technologiepolitik auf der Ebene von Förderprogrammen unterschiedliche Schwerpunktsetzungen bei den jeweiligen regierungstragenden Parteien zu evaluieren sind.
Kap. E 3.2 Das Fachinformationsprogramm der Bundesregierung in der Delphi-Studie Da das Fachinformationsprogramm der Bundesregierung für die politischen Implikationen der luK-Technologien im Bibliothekswesen dominierend ist, stellten wir es in den Mittelpunkt des Teils der Delphi-Studie, der sich mit politischen Fragen beschäftigte.
Kap. E 3.2.1 Einschätzung des Bundesregierung
Fachinformationsprogramms
der
Im Fachlnformations-Programm der Bundesregierung, das die politische Leitlinie für die jetzige und zukünftige Fachinformationspolitik darstellt, war eine der wichtigsten Aussa-
121 gen, daß Fachinformation für den Staat nicht Infrastruktur ist sondern ein Markt, für den allenfalls günstige Rahmenbedingungen festzulegen sind 7 ^. Wir befragten in der Delphi-Studie die Experten, wie sie diese Aussage beurteilten. Die Aussage, daß die Bundesregierung zukünftig nur die Rahmenbedingungen für das Fachinformationssystem festlegen will, wurde von 20,75% der teilnehmenden Experten unterstützt, wobei die Experten, die dem Panel III angehören, d.h. für das Bibliothekswesen relevante Behörden und Institutionen, incl. Ministerien, ebenfalls nur zu 26,3% dieser Aussage voll zustimmten. Von der Mehrheit unserer Befragten, d.h. von 60,38% wurde diese Leitlinie für die jetzige und zukünftige Fachinformationspolitik abgelehnt. Abb. E 3.1:
Beurteilung der Aussage im Fachinformationsprogramm, daß die Bundesregierung nur die Ftahmenbedingungen des Fachinformationsmarktes festlegen will
Aussage wird vollkommen unterstützt Aussage wird vollkommen abgelehnt 60,38%
n = 53
0,75%
18,87% Aussage wird teilweise unterstützt
Von den teilnehmenden Experten wurde bemängelt, daß Fachinformation zu sehr als Ware, als "Produktionsfaktor", angesehen wurde, was zu Lasten seiner Bedeutung als "politisch-soziales Ereignis", als "politischer Machtfaktor" ginge. Diese zu einseitige Sicht würde die Gefahr der "Privatisierung und Kommerzialisierung" von Informationen nach sich ziehen7^ Diese Entwicklung könnte die Ausgrenzung von Sachbereichen, vor allem die der geisteswissenschaftlichen Forschung 74 , und auch von Nutzern zur Folge haben. Dies gelte vor allem für den Bereich der öffentlichen Forschung, wenn aufgrund ökonomischer Marktgesetze die Kosten für Fachinformation prohibitiv ausfallen müßten. Von vielen Experten wurde vor allem darauf hingewiesen, daß nur bestimmte Bereiche innerhalb der Fachinformation marktfähig sind, d.h. es könnte die Gefahr bestehen, daß nur solche Fachinformationen produziert werden, die auf dem Markt bestehen könnten. Von einigen Experten wurde die "politische Verantwortung des Staates" angesprochen, d.h. in be72 Vgl. oben Kap. 3.1 Exkurs: Technologiepolitik, expliziert am Beispiel staatlicher Förderprogramme zur Information und Dokumentation. 73 Vgl. unten Kap. E 3.5. 74 Vgl. dieses Kap. weiter unten.
122 stimmten Bereichen, an denen ein öffentliches Interesse besteht, sollte der Staat eingreifen, z.B. bei der "Sicherung des freien Informationsflusses, Sicherung der Archivierung auch über die Zeit der ökonomischen Nutzung". Von den Experten, die o.g. Aussage im Fachinformationsprogramm der Bundesregierung voll unterstützten, wurde vor allem auf die "dirigistischen Auswirkungen" hingewiesen, die entstehen könnten, wenn der Staat zu sehr in das Fachinformationssystem eingreifen würde. Desweiteren wurde auf die "gesunde Konkurrenz" innerhalb des Fachinformationsmarktes verwiesen, die durch das Zurückziehen des Staates "erhalten bleibt bzw. hergestellt wird". Als Spezialfall innerhalb der Fachinformationsversorgung haben wir in unserer Befragung die geisteswissenschaftliche Forschung herausgegriffen. Das Problem der geisteswissenschaftlichen Literaturversorgung wurde bereits unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten erörtert. FABIAN versuchte die Eigenheiten und Strukturschwächen des Literaturversorgungssystems besonders im geisteswissenschaftlichen Bereich aus seiner historischen Entwicklung zu erklären und Lösungsansätze vorzustellen (Fabian 1983)75.Bis jetzt stützt sich die Literaturversorgung in den Geisteswissenschaften auf das Sondersammelgebietsprogramm der DFG (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft... 1975). Die Ausführungen über die Geisteswissenschaften im Fachinformationsprogramm der Bundesregierung orientieren sich an marktwirtschaftlich ausgerichteten Leitlinien. Eine Verantwortung des Staates im luD-Bereich wird darin zwar nicht grundsätzlich abgelehnt 76 , aber die Fachinformation im Bereich der Geisteswissenschaften fällt nach Meinung der Bundesregierung "überwiegend in die Zuständigkeiten der Länder" (Der Bundesminister für Forschung..., 1985, S. 37). Sie empfiehlt den Ländern, "wegen der Bedeutung der Geisteswissenschaften für die kulturelle Entwicklung die Verbesserung geisteswissenschaftlicher Fachinformation durch den Einsatz neuer Informationstechnologien" (ebd.) in bestimmten Bereichen zu prüfen. In unserer Untersuchung erfragten wir die Meinung der Experten zu der Aussage der Bundesregierung, daß die geisteswissenschaftliche Fachinformation in die Zuständigkeit der Länder falle. Nur knapp ein Drittel der Experten stimmten der Aussage zu, daß geisteswissenschaftliche Fachinformationsversorgung in die Zuständigkeit der Länder fällt. Dabei wurden hauptsächlich formalrechtliche Gründe (föderalistische Struktur, Kulturhohelt der Länder etc.) angeführt. Die Hälfte der Experten kritisierte die Zuständigkeitszuweisung der geisteswissenschaftlichen Fachinformation an die Länder. Von den Kritikern wurde hauptsächlich davor gewarnt, daß die Länder "finanzpolitisch" dazu nicht in der Lage seien. Eine geisteswissenschaftliche Fachinformation "mit überregionalem, bundesweitem Anspruch und Zielsetzung" würde von einzelnen Ländern finanziell und politisch nicht getragen wer-
75 Der Bibliotheksausschuß der DFG nahm dazu 1986 Stellung (vgl. Deutsche Forschungsgemeinschaft, 1986, S. 92-99). 76 "Bei Hinweisbanken, die sich überwiegend wirtschaftlich nicht tragen, und Insgesamt bei der Fachinformation für Wissenschaft und Forschung trägt der Staat eine Desondere Verantwortung, von der ihn kommerziell arbeitende Unternehmen erfahrungsgemäß nicht durch ein ausreichendes Informations- und Dienstleistungsangebot entlasten." (Der Bundesminister für Forschung..., 1985, S. 16).
123 den können bzw. werden wollen 77 . Bei alleiniger Zuständigkeit der Länder entstünde die Gefahr, daß eine "unkoordinierte", "uneinheitliche und unterschiedlich entwickelte" "Fachinformations-Landschaft" für die Geisteswissenschaften entstehen könnte. Die Konsequenz, die sich daraus ergeben würde, wäre, daß die geisteswissenschaftliche Forschung nicht mit der Wissenschaftsforschung anderer Bereiche Schritt halten könnte. Abb. E 3.2:
Beurteilung der Aussage der Bundesregierung, daß geisteswissenschaftliche Fachinformationsversorgung in die Zuständigkeit der Länder fällt7®
Aussage wird zuaestimmt
Aussage wird teilweise zugestimmt
Nachfolgend werden zwei Expertenmeinungen exemplarisch aufgeführt, die die Argumente vieler Kritiker dieser Zuständigkeitszuweisung beinhalten: "Formalrechtlich mag das zutreffen (gemeint obige Aussage, d. Verf.). Es führt aber dazu, daß nur naturwissenschaftlich-technische Fachgebiete im Fachinformationsprogramm gefördert werden, die Geisteswissenschaften somit nicht unter Wissenschaftsförderung fallen, sondern unter Kultur. Das führt zu dem Kuriosum (ein Beispiel), daß deutsche Sprache und Literatur als Fachinformation keinerlei Unterstützung erfährt, dies aber andererseits zu unserer nationalen Identität gehört und gegenüber dem Ausland als Kulturauftrag verstanden und erwartet werden muß. Die derzeitige Situation ist unbefriedigend. Es existiert derzeit keinerlei Verantwortlichkeit, sondern nur private Initiative aus Idealismus. Ein beschämendes Bildl Zumindest BundLänder-Finanzierung."
77 Beispielsweise kam es bei der Institutionalisierung von FIZ 14 (Facninformationszentrum Geisteswissenschaften), das im luD-Programm vorgeschlagen worden war, wegen der Wahl des Standortes zu Diskussionen zwischen den Ländern vgl. Klein, 1987, S. 244). 78 Von den 43 Expertenmeinungen, die zu dieser Frage abgegeben worden waren, konnten nur 40 in dieses Antwortschema eingeordnet werden.
124
"Sie (gemeint erlich
obige
Aussage,
d. Verf.) ist m. E informationspolitisch
und läßt die wirtschaftliche
Fachinformation
im politischen
lich wird, aus welchen kaum
und politisch
sind m.E
verwertbaren
Anspruch
der
kaum
zu leisten, und
bedau-
geisteswissenschaftlichen
erahnen
(...), zumal
nicht
die Zuständigkeitszuweisung Informationen
die Länder
Fachinformation
lem, bundesweitem
Bewußtsein
Rechtsgründen
wirtschaftlich senschaftliche
Bedeutung
begrenzt
wird. mit
die
Finanziell
in der Lage, effiziente schon gar nicht
deutauf
geisteswisüberregiona-
Zielsetzung."
Kap. E 3.2.2 Zusammenfassende Analyse und Bewertung Zusammenfassend kann festgestellt werden, daB die Experten die fachinformationspolitische Leitlinie der Bundesregierung, Fachinformation nicht als Infrastruktur, sondern als Markt zu sehen, mehrheitlich nicht unterstützen. Die Frage, ob der Bereich der Information und Dokumentation als Infrastruktur zu behandeln ist, für den der Staat zuständig ist, ist keine Frage des Wissens, sondern letztendlich eine politische Frage. Als Entscheidungshilfe zur Beantwortung der Frage kann der finanzwissenschaftliche Ansatz der Unterscheidung zwischen öffentlichen und meritorischen Gütern herangezogen werden. Danach werden als öffentliche Güter diejenigen Güter angesehen, "die innerhalb einer staatlichen Ordnung allen im gleichen Umfang zugute kommen und von deren Nutznießung sich keiner ausschließen kann oder bei denen der Ausschluß von Nutznießern aus technischen Gründen nicht oder nur zu unverhältnismäßig hohen Kosten möglich ist " (Der Präsident des Bundesrechnungshofes..., 1983, S. 53). Als Sonderfall eines öffentlichen Gutes gelten die sogenannten meritorischen Güter. Sie sind dadurch gekennzeichnet, daß ihre privatwirtschaftliche Bereitstellung zu gesellschaftspolitisch unerwünschten Ergebnissen führen würde (vgl. Lenk et al., 1981, S. 150); d.h. sie unterliegen zwar prinzipiell dem Marktgeschehen, aber ihre Versorgung über den Markt ist aus Gründen des Gemeinwohls als unzureichend anzusehen (vgl. Der Präsident des Bundesrechnungshofes..., 1983, S. 54). Meritorische Güter dienen der individuellen Befriedigung im Gegensatz zu den öffentlichen Gütern, bei denen durch die Befriedigung eines einzigen Nutznießers die Bedürfnisse aller befriedigt werden. Die Frage stellt sich somit, ob luD-Dienstleistungen als öffentliches, privates oder meritorisches Gut anzusehen sind. Wenn luD-Dienstleistungen den meritorischen Gütern zuzurechnen sind 7 ^, würde das bedeuten, daß die Produktion und Verteilung von solchen Dienstleistungen durch den Markt erfolgen könnte. Da aber diese Dienstleistungen im Sinne des Gemeinwohls als bedeutend anzusehen sind, müßte der Staat dafür Sorge tragen, was für diese Dienstleistungen von den Nutzern zu zahlen wäre und was der Markt an diesen Gütern zur Verfügung stellen müßte (vgl. Schwuchow, 1979, S. 58 ff., zit. nach Der Präsident der Bundesrechnungshofes ..., 1983, Anl. 10, Bl. 1). Nach LENK legitimiert die Lehre von den meritorischen Gütern zumindest die Abkehr von der Forderung nach rein privatwirtschaftlicher Aufgabenerfüllung im luD-Bereich. Das kann dahingehend interpretiert werden, daß öffentliche oder gemein79 Das Bundesrechnungshof-Gutachten rechnet luD-Dienstleistungen dem Grenzbereich zwischen meritorischen und privaten Gütern zu (vgl. Der Präsident des Bundesrechnungshofes..., 1983, S. 55).
125 wirtschaftlich-genossenschaftliche Finanzierung und Aufgabenstellung von luD-Elnrichtungen legitim sind. Die Aussage der Bundesregierung, daß geisteswissenschaftliche Fachinformationsversorgung in die Zuständigkeit der Länder fällt, wird von der Mehrheit der Experten kritisiert. Formalrechtlich ist die Bundesregierung berechtigt, die Zuständigkeit der Länder zu betonen, da für die Zuständigkeiten des Bundes im luD-Bereich kein ausdrücklicher Rechtssatz besteht (vgl. Der Präsident des Bundesrechungshofes ..., 1983, S. 45). Mangelnde finanzielle Leistungsfähigkeit der Länder oder eines Landes ist kein Grund für die Annahme einer Bundeszuständigkeit. Allerdings sind unter ganz bestimmten Umständen Verwaltungsund Finanzierungszuständigkeiten des Bundes möglich. Diese Möglichkeiten der Mischfinanzierung und der Kompetenzverschränkung von Bund und Ländern, die in der Politikwissenschaft mit dem Begriff der "Politikverflechtung"80 belegt sind (vgl. Scharpf 1976), sind durch die Institution der "Gemeinschaftsaufgabe" im Grundgesetz in Art. 91a, 91b und 104a, Abs. 4 verankert. Weiterhin kann der Bund in verschiedenen Bereichen eine "ungeschriebene" Finanzierungskompetenz aufgrund der "Natur der Sache" oder des "Sachzusammenhangs" in Anspruch nehmen. Dazu werden gerechnet: - die Einheit der Rechtsordnung im allgemeinen - gesamtstaatliche Repräsentation - Auslandsbeziehungen - innerdeutsche Beziehungen - Großforschung mit besonderem wissenschaftlichen oder außerordentlichem, finanziellen Aufwand - sektoral notwendige länderübergreifende Wirtschaftsförderung - Förderung nichtstaatlicher zentraler Organisationen (vgl. Der Präsident des Bundesrechungshofes ..., 1983, S. 46 f.) Diese Art der Finanzierungskompetenz könnte ohne Mitbestimmung und Komplementärfinanzierung der Länder erfolgen, d.h. die Regelung würde allein durch den Bund erfolgen. Es ist an dieser Stelle schwierig zu entscheiden, ob diese Zuständigkeiten auch auf den Bereich der Information und Dokumentation übertragen werden könnten. Für den Bereich der Gemeinschaftsaufgaben kommt für den luD-Bereich nur Art. 91b GG in Frage, da Art. 91a GG die Verbesserung der regionalen Wirtschafts- und Agrarstruktur und des Küstenschutzes, sowie den Aus- und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken beinhaltet. Art. 104a, Abs. 4 GG hat die Förderung von besonders bedeutsamen Investitionen der Länder und Gemeinden zur Aufgabe, die zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind. Zu den Aufgabenbereichen von Art. 91b GG gehören "die Förderung von Einrichtungen und Vorhaben der wissenschaftlichen Forschung von überregionaler Bedeutung" und "die Förderung von Modellversuchen im Bildungswesen" . Aufgrund der 1975 festgelegten Rahmenvereinbarung über die Grundsätze der gemeinsamen Forschungsför-
80 An dieser Stelle wird nicht auf die Problematik der Politikverflechtung im kooperativen Föderalismus eingegangen. Stellvertretend seien genannt: Zentralisierung, Kompetenzverlust der Länder und Substanzverlust der Landespolitik (vgl. dazu Lenner, 1979,
126 derung vertritt die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung (BLK) 1980 die Ansicht: "Als Rechtsgrundlage für gemeinsame Zuwendungen des Bundes und der Länder an Fachinformationszentren (Fehlbedarfsfinanzierung) kommt Art. 91 b GG in Frage, soweit es sich um Einrichtungen der Bildungsplanung und der Forschungsförderung handelt. Wenn das einzelne Fachinformationszentrum überwiegend der Forschung dient, Ist eine gemeinsame Förderung der Rahmenvereinbarung Forschungsförderung und der Ausführungsvereinbarung Forschungseinrichtungen ... möglich.'1 (zit. nach ebd., S. 49) Daraus folgt, daß Art. 91 b GG für den Bereich der Geisteswissenschaften anwendbar wäre. Da diese Rechtsgrundlage die Zuständigkeiten in Form einer Gemeinschaftsaufgabe regelt, bedeutet das, daß der Bund nur aufgrund von Vereinbarungen mit den Landern handeln dürfte. Außerdem müßte berücksichtigt werden, daß die "Gemeinschaftsaufgabe" nur den Anteil der "Forschungsförderung" beinhaltet und sich nicht auf die gesamte Tätigkeit einer Fachinformationseinrichtung beziehen darf. Das bedeutet, daß die Bundesförderung nur den Anteil umfassen dürfte, der zur Erzielung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse notwendig ist. Bei Berücksichtigung dieser Randbedingungen könnte auf die Zuständigkeitszuweisung der geisteswissenschaftlichen Forschung an die Länder verzichtet werden; d.h. in der Fortschreibung des Fachinformationsprogramms könnte die Bundesregierung ihre Haltung zur Förderung der Geisteswissenschaften neu überdenken und im Hinblick auf Art. 91b GG reformulieren.
Kap. E 3.3 Das Fachinformationssystem Deutschland
in
der
Bundesrepublik
Durch das Fachinformationsprogramm 1985-88 der Bundesregierung sind ökonomische und politische Rahmenrichtlinien gesetzt worden, die für das Fachinformationssystem und das Bibliothekswesen Folgewirkungen haben. Diese Folgen können durch den verstärkten Einsatz der lu K-Technologien forciert bzw. abgeschwächt werden (beispielsweise Zentralisierungstendenzen bzw. Dezenträlisierungstendenzen). Das Fachinformationssystem in der Bundesrepublik wird von einer Vielzahl von Institutionen repräsentiert, wobei LENK von einem "Gefüge an Informationsmittlern" (Lenk et al., 1981, S. 36) spricht 81 . Er subsumiert darunter: "- Verlage, - Buchhandel, - Bibliotheken,
81 LENK et al. haben in einem Forschungsprojekt "Rechtsprobleme der Fachkommunikation" an der Universität Oldenburg vor allem politische Gestaltungsspielräume und die Verantwortung des Staates für den Bereich der Fachkommunikation expliziert (vgl. Lenk u.a. 1981).
127 -
Dokumentations-
-
personale
und
Kommunikation"®3
Informationsvermrttlungseinrichtungerß 2, (ebd.)
Im Fachinformationsprogramm der Bundesregierung wird ebenfalls von einem vielschichtigen Fachinformationssystem ausgegangen, wobei neben Informationsvermittlern, Bibliotheken, Fachinformations-Rechenzentren, Fachverlagen, -presse und -buchhandel noch Autoren und Herausgeber genannt werden, die in Hochschulen, Unternehmen etc. bzw. gesellschaftlichen und staatlichen Organisationen tätig sind (vgl. Der Bundesminister für Forschung..., 1985, S. 11). Abweichend von dieser weit gefaßten Defintion können unter Fachinformationssystem nur die Dokumentations- und Fachinformationseinrichtungen®'* subsumiert werden. Diese Begrenzung übernahmen wir für die Frageformulierungen, da die Teilnehmer in der ersten Befragungsrunde der Delphi-Studie von diesem Verständnis ausgingen®5.
Kap. E 3.3.1 Veränderungen der Fachinformationsstruktur Einige Kommunkationswissenschaftler gehen davon aus, daß aufgrund des Einsatzes der luK-Technologien wesentliche Strukturveränderungen für das Fachinformationssystem zu erwarten sind®®. Dabei dürfen unserer Meinung nach die Konsequenzen nicht monokausal gesehen werden. Die institutionellen Fiahmenbedingungen und Instrumentellen Ausführungen, d.h. in dem Fall das Fachinformationsprogramm der Bundesregierung und seine Implementierung, wirken dabei ebenso determinierend wie die luK-Technologien. Wir vermuteten, daß Zentralisierungstendenzen zukünftig die Strukturen des Fachinformationssystem bestimmen werden®7. Im Fachinformationsprogramm wird dazu u.a. ausgesagt, daß die Bundesregierung keine neuen Fachinformationsrechenzentren fördern wird, sondern daß sie bemüht ist, den privaten Anteil an Trägerschaft staatlich geförderter Fachinformationseinrichtungen ent-
82 Andere Bezeichnung für luD-Service-Rechenzentren bzw. Hosts. "Hosts speichern die Informationen, stellen die Anwendersoftware her, (...) drucken und versenden Rechercheergebnisse, bieten teilweise einen Online-Literaturbestelldienst an, stellen ihre und die Leistungen der Anbieter ihren Kunden in Rechnung, mit denen sie Nutzungsverträge abschließen (Paßwortvergabe)" (Henrichs, 1986, S. 136). 83 Weshalb LENK personale Kommunikation in seine Einteilung miteinbezieht, vgl. Lenk, 1981, S. 212, Anm. 34. 84 Darunter fallen Fachinformationszentren, Hosts etc. 85 Vgl. dazu oben Kap. D 4 Durchführung und Ausschöpfung. Um bei der sekundären Standardisierung der Gefahr einer Verzerrung zu entgehen, legten wir vor der Erstellung des 2. Fragebogens fest, die Begrifflicheren zu benutzen, die von den Teilnehmern selbst eingebracht worden waren. 86 Vgl. dazu Becker 1984a, 1984b, der für seine Überlegungen ebenfalls von der engen Definition ausgegangen ist. "Die wesentlichen Konsequenzen der neuen luK-Technoloien für die Aneignung öffentlichen Wissens resultieren in einer Zentralisierung der achinformationsstruktur, in ihrer Privatisierung und Kommerzialisierung, in der Gefahr einer bildungspolitischen und sozialen Diskriminierung einzelner Gruppen von Nutzern" (Becker, 1984a, S. 546). 87 Bei Zugrundelegen der weiter gefaßten Definition von Fachinformationssystem lassen sich auch für andere Subsysteme Zentralisierungstendenzen feststellen, beispielsweise für den Buchhandel: 20% der 5000 Mitglieder des Börsenvereins machen 80% des gesamten Umsatzes im Buchhandel (vgl. Seidel, 1987, S. 256).
128 sprechend deren finanzieller Entwicklung schrittweise zu vergrößern (vgl. Der Bundesminister für Forschung..., 1985, S. 53). Zentralisierungstendenzen haben wir an verschiedenen Indikatoren festgemacht, u.a. an den Wissensbeständen, die bei den in der Bundesrepublik existierenden Datenbanken aufgelegt sind (überwiegend Naturwissenschaften, Technik, Biowissenschaften und Medizin) und an den Nutzern der luD-Einrichtungen (überwiegend private und öffentliche Großforschungseinrichtungen) (vgl. Becker, 1984a, S. 546). Die Aussagen der Experten zur Einschätzung des Fachinformationssystems waren in der ersten Befragungsrunde recht unterschiedlich. Einerseits wurde eine Ablösung des öffentlichen Fachinformationssystems®® durch marktwirtschaftliche Institutionen gefordert®^, andererseits wurde angemerkt, daß es sich dabei höchstens um Paralleleinrichtungen handeln könnte. Vor allem für die öffentliche Wissenschaftsforschung wurde betont, daß auch zukünftig öffentliche Fachinformationseinrichtungen vorhanden sein müßten. Für die industrielle Forschung wurde eher angenommen, daß sich eigene Einrichtungen entwickeln werden. In der 2. Befragungsrunde wurde die Fragestellung, in welchem Ausmaß wird das öffentliche Fachinformationssystem durch marktwirtschaftliche Einrichtungen abgelöst, aufgegriffen und den Experten zur Einschätzung überlassen. Abb. E 3.3:
Ablösung des öffentlichen Fachinformationssystems durch marktwirtschaftliche Einrichtungen
I
\
I-
wird Oberhaupt nicht abgelöst
Median
Z = 3,4
^
wird in sehr starkem Ausmaß abgelöst
Die Experten erwarteten eher eine Ablösung des öffentlichen Fachinformationssystems durch marktwirtschaftliche Einrichtungen als umgekehrt, d.h. die Tendenz der Expertenmeinungen der ersten Befragungsrunde wurde bestätigt.
88 Entsprechend objger Definition wird darunter verstanden: Öffentlich geförderte luDEinrichtungen (FIZe/Hosts). 89 Dazu exemplarisch ein Zitat eines Teilnehmers: "Eine verstärkte Ablösung des öffentlich-rechtlichen Fachinformationssystems durch marktwirtschaftliche Einrichtungen ist zu erwarten, jedenfalls wird sie mit der Fachinformationspolitik der Bundesregierung angestrebt."
129 Um weitere Strukturveränderungen/-verschiebungen abzuschätzen, befragten wir die Teilnehmer, ob sie gegenwärtig eine Zentralisierung der Fachinformationsstruktur beobachten. Abb. E 3.4:
Zentralisierung der Fachinformationsstruktur
Die Meinung der Teilnehmer war nicht sehr eindeutig. 55,8% beobachteten eine Zentralisierung und 44,2% keine Zentralisierung der Fachinformationsstruktur. Auf die Panels bezogen waren die Einschätzungen der Experten des Panels I (Wissenschaftliches Bibliothekswesen) und des Panels III (andere Institutionen) verhältnismäßig gleichverteilt. Die Mehrheit der Experten des Öffentlichen Bibliothekswesens beobachteten gegenwärtig eher keine Zentralisierung, wobei überproportional viele, d.h. 36,8%, keine Antwort abgaben bzw. sich bei diesem Fragenkomplex nicht für zuständig bzw. nicht für kompetent erklärten. Als Auswirkung einer Zentralisierung der Fachinformationsstruktur wurden sowohl positive als auch negative Punkte aufgelistet, wobei die meisten Experten eher negative Auswirkungen erwarteten. Positiv würde sich die Zentralisierung vor allem für die Benutzer auswirken, da sich für sie durch diese Strukturänderungen bessere Überschaubarkeit, Vereinheitlichung der Recherchesprachen etc. ergeben könnten. Desweiteren wurde u.a. mit der Steigerung der Qualität des Angebots, größerer Leistungsfähigkeit und internationaler Wettbewerbsfähigkeit argumentiert. In der 3. Befragungsrunde wurden die von den Experten erwarteten negativen Auswirkungen einzeln aufgelistet, um von den Teilnehmern in Erfahrung zu bringen, welche Auswirkungen ihnen am schwerwiegendsten e r s c h e i n e n ^ (vgl. Abb. E 3.5).
90 Die Fragestellung bezog sich bewußt nicht auf die Wahrscheinlichkeit des Eintritts, sondern auf die Einschätzung der Auswirkungen, d.h. es ging uns um die Folgenabschätzung.
130 Abb. E 3.5:
Zentralisierung der Fachinformationsstruktur: Bewertung der negativen Auswirkungen
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