Ein Bild für die Ewigkeit: Michelangelos Strategien für Nachleben und Nachruhm 9783534273119, 9783534273126, 9783534273133

"Ein Bild für die Ewigkeit" ist das erste Werk, das den Umgang Michelangelo Buonarrotis mit seinem Ruhm und Na

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German Pages 400 [399] Year 2020

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Danksagung
1 Einleitung
1.1 Einordnung in den historischen Kontext
1.2 Gegenstand der Untersuchung
1.3 Methodik und Konzeption
1.4 Einordnung der Untersuchung in den Forschungskontext
1.5 Aufbau und Struktur der Arbeit
2 Michelangelo und der Neubau von St. Peter
2.1 Bedeutung und Zustand von St. Peter vor 1506
2.2 Metamorphose: Vom Kardinal zum Papst
2.3 Ziele des neuen Pontifex
2.4 Vom Grabmal zum Neubau oder umgekehrt?
2.5 Michelangelos zweiter Romaufenthalt
2.6 Päpstliche Wiederaufnahme der Neubau-Idee
2.7 Gepredigte Legitimation des Neubaus
2.8 Zwischenresümee
3 Von der Simultangenese zur Tripel-Genese
3.1 Päpstliche Abkehr vom Grabmal
3.2 Michelangelos Jahresanfang 1506
3.3 Ein Künstler in der Krise: Abreise aus Rom
3.4 Folgen der Abreise
3.5 Päpstliches Entgegenkommen und gewährte Gnade
4 Die Sixtinische Kapelle
4.1 Einleitung in den Kontext
4.2 Bedeutung der Fresken
4.3 Konkurrieren mit Ghirlandaio & Co
4.4 Der Vertrag
4.5 Ausführungstechnik
4.6 Der Unternehmer und seine Assistenten
4.7 Ideen zur Deckengestaltung
4.8 Die Sixtinische Decke: Substitut für das Grabmal?
4.9 Die Sixtinische Decke: Tragödie oder Katharsis?
4.10 Michelangelos Rache?
5 Julius II. und der Luxus
5.1 Schwachpunkte
5.2 Pästliche Finanzlage
5.3 Julius'II. Affinität zu Edelsteinen und Tiaren
5.4 Ring und Schmuckdarstellungen des Papstes
5.5 Schutz des päpstlichen Schatzes
5.6 Julius'II. ambivalente Haltung
5.7 Luxus und Sicherheit bis zum Schluss
5.8 Kritik: „Julius Exclusus“
5.9 Auswirkungen auf Michelangelo
6 Vom Künstler zum Souverän
6.1 Michelangelos Selbstverständnis
6.2 Von den Medici-Pontifikaten zum Farnese-Papst
6.3 Intermezzo Florenz – Prolog für Rom?
6.4 Künstlerischer Status
6.5 Erneut künstlerische Freiheit?
6.6 Ein Künstler für zwei Päpste
6.7 Rückkehr nach Rom
6.8 Zwischenresümee
7 Konkurrenzlosigkeit statt Knebel
7.1 Der Farnese-Papst
7.2 Ausgangspunkt Jüngstes Gericht
7.3 Zweites Großfresko
7.4 Michelangelo, der Ikonoklast?
7.5 Die Komposition
7.6 Neues im Jüngsten Gericht
7.7 Gnadenvolle Häresie
7.8 Die Enthüllung
7.9 Der Künstler und der Papst
7.10 Herrscher über St. Peter
7.11 Absolute Macht: Das Motupropio von 1549
8 Memoria in eigener Sache
8.1 Hinführung
8.2 Ewiges Leben als Ziel
8.3 Der Künstler und sein Grabmal
8.4 Die Florentiner Pietà
8.5 Deutungen
8.6 Zusammenfassung zur Pietà
9 Cappella Paolina
9.1 Die Cappella Paolina: Repräsentation und Reputation
9.2 Liturgische Funktion der kleinen Palastkapelle
9.3 Die künstlerischen Sujets
9.4 Ausführung der Fresken
10 Michelangelo und die Kreuzesdarstellung
10.1 Die Kreuzigung Petri
10.2 Die Bedeutung der Petrusakten
10.3 Anwesenheit Gottes in der Kreuzigung Petri
10.4 Kreuz und Christus in Pauli Bekehrung
10.5 Dialektik Fresken und Papstwahl
11 Spirituelle Manifestation
11.1 Inspiration und Entwicklung zum Pilger
11.2 Nikodemus und der Pilger
11.3 Verwandter Typus
11.4 Resümee
12 Keine Heimkehr des Republikaners
12.1 Florentinische Bemühungen
12.2 Gesinnung und Kalkül
12.3 Steingewordene Bekenntnisse
13 Vasaris Vorstoß
13.1 Propagandamittel Akademiegründung
13.2 Drei Schritte zur Gründung
13.3 Die Gründungsleiche: Iacopo Pontormo
13.4 Der Stifter: Montorsoli
13.5 Montorsoli: Michelangelos Protegé
13.6 Akademiegründung
13.7 Kontaktaufnahme mit Michelangelo
13.8 Bewertungen
14 Abschied vom Göttlichen
14.1 Umgang mit Tod und Nachlass
14.2 Der Tod des Meisters
14.3 Einsetzendes Engagement
14.4 Michelangelos „Habseligkeiten“
14.5 Gedenken und Staatsangelegenheit
14.6 Der Haupterbe
14.7 Borghini: Ideengeber der Exequien
14.8 Star-Redner: Benedetto Varchi (1502–1565)
15 Michelangelos Exequien
15.1 Varchis Leichenrede
15.2 Nachwirkung der Exequien
16 Das Grabmal in Santa Croce – eine Tragödie?
16.1 Die Akteure
16.2 Erste Weichenstellungen
16.3 Vasaris Konkurrent
16.4 Vasaris Erfolg
16.5 Skizzen und Entwürfe zum Grabmal
16.6 Konkrete Planungsschritte
16.7 Die künstlerische Gestaltung des Grabmals
16.8 Bewertung der Akteure
16.9 Bewertungen des Grabmals und Alternativen
17 Zusammenfassung und Resultate
18 Bibliographie
Anhang
Abbildungen
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Ein Bild für die Ewigkeit: Michelangelos Strategien für Nachleben und Nachruhm
 9783534273119, 9783534273126, 9783534273133

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wbg Schloemer / p. 1 / 28.9.2020

Andrea Schloemer Ein Bild für die Ewigkeit

wbg Schloemer / p. 2 / 28.9.2020

wbg Schloemer / p. 3 / 28.9.2020

Andrea Schloemer

Ein Bild für die Ewigkeit Michelangelos Strategien für Nachleben und Nachruhm

wbg Schloemer / p. 4 / 28.9.2020

Diese Arbeit wurde unter dem Titel „Ein Bild für die Ewigkeit: Michelangelos Strategien für Nachleben und Nachruhm“ als Dissertation an der Philosophischen Fakultät der Universität Freiburg (CH) eingereicht.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnd.d-nb.de abrufbar

wbg Academic ist ein Imprint der wbg © 2020 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Umschlagabbildung: Die Florentiner Pietà III, Dom-Museum, Florenz, Aufnahme von Andrea Schloemer Satz: SatzWeise, Bad Wünnenberg Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27311-9 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-27312-6 eBook (epub): 978-3-534-27313-3

wbg Schloemer / p. 5 / 28.9.2020

Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

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Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Einordnung in den historischen Kontext . . . . . . . . . 1.2 Gegenstand der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Methodik und Konzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Einordnung der Untersuchung in den Forschungskontext 1.5 Aufbau und Struktur der Arbeit . . . . . . . . . . . . . .

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Michelangelo und der Neubau von St. Peter . . . . 2.1 Bedeutung und Zustand von St. Peter vor 1506 2.2 Metamorphose: Vom Kardinal zum Papst . . . 2.3 Ziele des neuen Pontifex . . . . . . . . . . . . 2.4 Vom Grabmal zum Neubau oder umgekehrt? . 2.5 Michelangelos zweiter Romaufenthalt . . . . . 2.6 Päpstliche Wiederaufnahme der Neubau-Idee 2.7 Gepredigte Legitimation des Neubaus . . . . . 2.8 Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . .

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Von der Simultangenese zur Tripel-Genese . . . . . . . . 3.1 Päpstliche Abkehr vom Grabmal . . . . . . . . . . . . 3.2 Michelangelos Jahresanfang 1506 . . . . . . . . . . 3.3 Ein Künstler in der Krise: Abreise aus Rom . . . . . 3.4 Folgen der Abreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Päpstliches Entgegenkommen und gewährte Gnade

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Die Sixtinische Kapelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Einleitung in den Kontext . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Bedeutung der Fresken . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Konkurrieren mit Ghirlandaio & Co . . . . . . . . 4.4 Der Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Ausführungstechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Der Unternehmer und seine Assistenten . . . . . 4.7 Ideen zur Deckengestaltung . . . . . . . . . . . . 4.8 Die Sixtinische Decke: Substitut für das Grabmal? 4.9 Die Sixtinische Decke: Tragödie oder Katharsis? . 4.10 Michelangelos Rache? . . . . . . . . . . . . . . . .

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Julius II. und der Luxus . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Schwachpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Päpstliche Finanzlage . . . . . . . . . . . . . 5.3 Julius’ II. Affinität zu Edelsteinen und Tiaren 5.4 Ring und Schmuckdarstellungen des Papstes 5.5 Schutz des päpstlichen Schatzes . . . . . . . 5.6 Julius’ II. ambivalente Haltung . . . . . . . . 5.7 Luxus und Sicherheit bis zum Schluss . . . . 5.8 Kritik: „Julius Exclusus“ . . . . . . . . . . . . 5.9 Auswirkungen auf Michelangelo . . . . . . .

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Vom Künstler zum Souverän . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Michelangelos Selbstverständnis . . . . . . . . . 6.2 Von den Medici-Pontifikaten zum Farnese-Papst 6.3 Intermezzo Florenz – Prolog für Rom? . . . . . 6.4 Künstlerischer Status . . . . . . . . . . . . . . . 6.5 Erneut künstlerische Freiheit? . . . . . . . . . . 6.6 Ein Künstler für zwei Päpste . . . . . . . . . . . 6.7 Rückkehr nach Rom . . . . . . . . . . . . . . . . 6.8 Zwischenresümee . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Konkurrenzlosigkeit statt Knebel . . . . . . . . . 7.1 Der Farnese-Papst . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Ausgangspunkt Jüngstes Gericht . . . . . . 7.3 Zweites Großfresko . . . . . . . . . . . . . 7.4 Michelangelo, der Ikonoklast? . . . . . . . 7.5 Die Komposition . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Neues im Jüngsten Gericht . . . . . . . . . 7.7 Gnadenvolle Häresie . . . . . . . . . . . . 7.8 Die Enthüllung . . . . . . . . . . . . . . . 7.9 Der Künstler und der Papst . . . . . . . . . 7.10 Herrscher über St. Peter . . . . . . . . . . . 7.11 Absolute Macht: Das Motupropio von 1549

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Memoria in eigener Sache . . . . . . 8.1 Hinführung . . . . . . . . . . . 8.2 Ewiges Leben als Ziel . . . . . . 8.3 Der Künstler und sein Grabmal 8.4 Die Florentiner Pietà . . . . . . 8.5 Deutungen . . . . . . . . . . . . 8.6 Zusammenfassung zur Pietà . .

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Cappella Paolina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Die Cappella Paolina: Repräsentation und Reputation 9.2 Liturgische Funktion der kleinen Palastkapelle . . . . 9.3 Die künstlerischen Sujets . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Ausführung der Fresken . . . . . . . . . . . . . . . .

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10 Michelangelo und die Kreuzesdarstellung . . . . . 10.1 Die Kreuzigung Petri . . . . . . . . . . . . . 10.2 Die Bedeutung der Petrusakten . . . . . . . . 10.3 Anwesenheit Gottes in der Kreuzigung Petri 10.4 Kreuz und Christus in Pauli Bekehrung . . . 10.5 Dialektik Fresken und Papstwahl . . . . . . .

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11 Spirituelle Manifestation . . . . . . . . . . . . 11.1 Inspiration und Entwicklung zum Pilger 11.2 Nikodemus und der Pilger . . . . . . . . 11.3 Verwandter Typus . . . . . . . . . . . . . 11.4 Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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12 Keine Heimkehr des Republikaners 12.1 Florentinische Bemühungen . 12.2 Gesinnung und Kalkül . . . . 12.3 Steingewordene Bekenntnisse

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13 Vasaris Vorstoß . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1 Propagandamittel Akademiegründung 13.2 Drei Schritte zur Gründung . . . . . . 13.3 Die Gründungsleiche: Iacopo Pontormo 13.4 Der Stifter: Montorsoli . . . . . . . . . 13.5 Montorsoli: Michelangelos Protegé . . 13.6 Akademiegründung . . . . . . . . . . . 13.7 Kontaktaufnahme mit Michelangelo . . 13.8 Bewertungen . . . . . . . . . . . . . . .

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14 Abschied vom Göttlichen . . . . . . . . . . . . . 14.1 Umgang mit Tod und Nachlass . . . . . . . 14.2 Der Tod des Meisters . . . . . . . . . . . . 14.3 Einsetzendes Engagement . . . . . . . . . . 14.4 Michelangelos „Habseligkeiten“ . . . . . . 14.5 Gedenken und Staatsangelegenheit . . . . . 14.6 Der Haupterbe . . . . . . . . . . . . . . . . 14.7 Borghini: Ideengeber der Exequien . . . . . 14.8 Star-Redner: Benedetto Varchi (1502–1565)

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Inhaltsverzeichnis

15 Michelangelos Exequien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 15.1 Varchis Leichenrede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 15.2 Nachwirkung der Exequien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 16 Das Grabmal in Santa Croce – eine Tragödie? . . 16.1 Die Akteure . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2 Erste Weichenstellungen . . . . . . . . . . . 16.3 Vasaris Konkurrent . . . . . . . . . . . . . . 16.4 Vasaris Erfolg . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5 Skizzen und Entwürfe zum Grabmal . . . . . 16.6 Konkrete Planungsschritte . . . . . . . . . . 16.7 Die künstlerische Gestaltung des Grabmals . 16.8 Bewertung der Akteure . . . . . . . . . . . . 16.9 Bewertungen des Grabmals und Alternativen 17 Zusammenfassung und Resultate 18 Bibliographie

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319

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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: Grundriss St. Peter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 2: Cappella Sixti IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 3: Juliusgrabmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 4: Entwurfszeichnung des Juliusgrabmals I . . . . . . . . . . . Abb. 5: Entwurfszeichnung des Juliusgrabmals II . . . . . . . . . . . Abb. 6: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 1) . . . . . . . . . . . . . Abb. 7: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 3) . . . . . . . . . . . . . Abb. 8: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 4) . . . . . . . . . . . . . Abb. 9: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 5) . . . . . . . . . . . . . Abb. 10: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 6) . . . . . . . . . . . . . Abb. 11: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 7) . . . . . . . . . . . . . Abb. 12: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 8) . . . . . . . . . . . . . Abb. 13: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 9) . . . . . . . . . . . . . Abb. 14: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 10) . . . . . . . . . . . . Abb. 15: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 15) . . . . . . . . . . . . Abb. 16: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 13) . . . . . . . . . . . . Abb. 17: Madonna an der Treppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 18: Die Kentaurenschlacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 19: Die Pietà . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 20: Zwei Figuren nach Giotto um 1490 . . . . . . . . . . . . . Abb. 21: St. Peter nach Masaccio um 1490 . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 22: Stehende Figur im Gewand . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 23: Kniende Figur im Gewand . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 24: Frühe Zeichnung Michelangelos um 1503 . . . . . . . . . . Abb. 25: Studie für St. Peter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 26: Auszug: Studie für St. Peter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 27: Die Decke in der Sixtinischen Kapelle . . . . . . . . . . . . Abb. 28: Auszug aus der Sintflut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 29: Der Prophet Zacharias . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 30: 1. und 2. Deckenentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 31: 3. Deckenentwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 32: Der Mose (Büste) aus dem Juliusgrabmal . . . . . . . . . . Abb. 33: Der Mose aus dem Juliusgrabmal . . . . . . . . . . . . . . Abb. 34: Die Erschaffung von Sonne, Mond und Pflanzen . . . . . . Abb. 35: Die Erschaffung Adams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 36: Die Erschaffung Evas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 37: Die Figur des Booz (oder der zänkische Alte) . . . . . . . . Abb. 38: Detail I der Salmon-Booz-Obeth-Lünette . . . . . . . . . . Abb. 39: Detail II der Salmon-Booz-Obeth-Lünette . . . . . . . . . Abb. 40: Zeichnung für die Salmon-Booz-Obeth-Lünette, . . . . . . Abb. 41: Papst Gregor IX. empfängt das Liber Extra der Dekretalen Abb. 42: Tiara Julius II, Francesco Bartoli zugeschrieben . . . . . . .

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Abbildungsverzeichnis

Abb. 43: Die Inschrift unter der Tiara Julius’ II . . . . . . . . . . . . . . Abb. 44: Portrait Julius’ II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 45: Ausschnitt aus dem Porträt Julius II . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 46: Fresko: Messe von Bolsena (Ausschnitt) . . . . . . . . . . . . . Abb. 47: Komplex von San Lorenzo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 48: Allegorien der Nacht und des Tages . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 49: Allegorien des Abends und des Morgens . . . . . . . . . . . . Abb. 50: Altarwand der Sixtinischen Kapelle . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 51: Herrichtung der Altarwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 52: Das Jüngste Gericht in der Sixtinischen Kapelle . . . . . . . . Abb. 53: Michelangelo in Bartholomäus’ Haut . . . . . . . . . . . . . . Abb. 54: Der Mönch bzw. der bärtige Kleriker mit Tonsur . . . . . . . . Abb. 55: Das Wappen der della Rovere . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 56: Die Florentiner Pietà I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 57: Die Florentiner Pietà II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 58: Die Florentiner Pietà III . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 59: Die Florentiner Pietà IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 60: Bekehrung des Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 61: Kreuzigung des Petrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 62: Die Kreuzigung Petri (Antonio Averlino, ‚Filarete‘) . . . . . . Abb. 63: Tabernakel Sixtus’ IV. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 64: Kreuzigung Petri (Sixtinischer Hauptaltar) . . . . . . . . . . . Abb. 65: Kreuzigung des hl. Petrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 66: Die Kreuzigung Petri (Bramantes Tempietto) . . . . . . . . . . Abb. 67: Chronologie der Wandmalereien und Mosaiken in Alt-St. Peter Abb. 68: Die Kreuzigung Petri in der Brancacci-Kapelle . . . . . . . . . Abb. 69: Die Kreuzigung des Philippus . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 70: Das Kreuz als Leidenswerkzeug Christi . . . . . . . . . . . . . Abb. 71: Die Geißelungssäule als Leidenswerkzeug Christi . . . . . . . Abb. 72: Kreuzigungsgruppe aus dem Fresko der Kreuzigung Petri . . . Abb. 73: Petrus aus dem Fresko der Kreuzigung Petri . . . . . . . . . . Abb. 74: Die Wolke aus dem Fresko der Kreuzigung Petri . . . . . . . . Abb. 75: Der Schweigende aus dem Fresko der Kreuzigung Petri . . . . Abb. 76: Der Lanzenträger aus dem Fresko der Kreuzigung Petri . . . . Abb. 77: Die Bekehrung Pauli (Detail I) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 78: Die Bekehrung Pauli (Detail II) . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 79: Der Christus aus Maria sopra Minerva . . . . . . . . . . . . . Abb. 80: Der Christus aus der Cappella Paolina . . . . . . . . . . . . . . Abb. 81: Der Christus aus der Florentiner Pietà . . . . . . . . . . . . . . Abb. 82: Der Gigant oder Pilger aus dem Fresko der Kreuzigung Petri . Abb. 83: Nikodemus aus der Florentiner Pietà . . . . . . . . . . . . . . Abb. 84: Gigant aus der Kreuzigung Petri . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 85: Silbermedaille von Leone Leoni (1560, Vorderseite) . . . . . . Abb. 86: Silbermedaille von Leone Leoni (1560, Rückseite) . . . . . . . Abb. 87: Jeremia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 88: Joseph . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Abb. 89: Pilger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 90: Nikodemus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 91: Ein Alchimist oder der Heilige Jakobus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 92: Der Reiter mit dem Turban . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 93: Paulus, Cappella Paolina . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 94: Der Lanzenträger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 95: Der David . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 96: Der Brutus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 97: Der Cosmas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 98: Cappella di San Luca, Santissima Annunziata, Florenz . . . . . . . . . . . . Abb. 99: Mose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 100: Paulus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 101: Grabplatte Pontormos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 102: Prophet Jeremia, Sixtinische Kapelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 103: Mose aus der Cappella di San Luca in der Kirche Santissima Annunziata, Florenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 104: Dekorationsplan für die Exequien Michelangelos in San Lorenzo . . . . . Abb. 105: Der Katafalk Michelangelos (Vorderansicht) . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 106: Der Katafalk Michelangelos (Grundriss) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 107: Detail aus der „Himmelfahrt Mariens“ in der Della-Rovere-Kapelle in der Trinità dei Monti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 108: Entwurf Vasaris für das Grabmal des Michelangelo . . . . . . . . . . . . . Abb. 109: Vincenzo Borghini: primo pensiero for Michelangelo’s tomb . . . . . . . Abb. 110: Grabmal des Michelangelo in Santa Croce, Florenz . . . . . . . . . . . . . Abb. 111: Modell für die Figur der Architektur I von Giovanni Bandini, Florenz ca. 1564 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 112: Modell für die Figur der Architektur II von Giovanni Bandini, Florenz ca. 1564 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 113: Modell für die Figur der Architektur III von Giovanni Bandini, Florenz ca. 1564 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 114: Modell für die Figur der Bildhauerei von Battista Lorenzi, ca. 1570 . . . . Abb. 115: Allegorie der Malerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 116: Allegorie der Architektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 117: Allegorie der Skulptur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 118: Grabmal des Michelangelo (Details) in Santa Croce, Florenz . . . . . . . . Abb. 119: Grablegung oder Pietà, Freskoarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abb. 120: Virtuelles Modell der Pietà in einer Nische über einem Altar. . . . . . . .

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Danksagung

Dieses Werk beinhaltet die korrigierte und überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Wintersemester 2018/19 an der Université de Fribourg ihren vorläufigen Abschluss durch meine Soutenance de thèse am 18. Januar 2019 fand. Zu dem Gelingen meines Dissertationsvorhabens trugen etliche Menschen bei. An erster Stelle bedanke ich mich herzlich bei meinem Doktorvater, Professor Dr. Volker Reinhardt, der mir die Möglichkeit zur Dissertation einräumte und das Thema anregte. Über den Zeitraum von sieben Jahren stand er mir mit seinem Rat und seinem enormen Fachwissen konstruktiv und unterstützend zur Seite. Die vielen Begegnungen in schriftlicher oder persönlicher Form waren mir eine Hilfe und Quelle der Inspiration. Herrn Professor Dr. Thomas Lau bin ich für die Übernahme der Zweitkorrektur sehr verbunden. Namentlich und stellvertretend für weitere Mithilfe aus der universitären Welt nenne ich Professor William Wallace von der Washington University in St. Louis und Professor Paolo Simoncelli von der Sapienza Università di Roma. Ihnen sei an dieser Stelle ebenfalls gedankt.

Die Dissertation wurde von Bernward Coers und Ulrike Thoene-Coers Korrektur gelesen, wofür die ich ihnen dankbar bin. Der Anteil, den mein Freund Ernst Teves nicht nur an der Formatierung und dem Layout, sondern auch an der gemeinsamen Endkorrektur und Fertigstellung dieser Arbeit einnimmt, lässt sich mit Worten nicht beschreiben. Seine Gelassenheit im Umgang mit auftretenden Fragen verdient meine Bewunderung. Des Weiteren danke ich wertvollen Menschen in meinem Leben, die in vielen Gesprächen Interesse an meiner Arbeit zeigten und mir zur Seite standen. Hervorgehoben sei meine Freundin Margret Speuser. Zum Schluss möchte ich meiner Mutter gegenüber meine Verbundenheit zum Ausdruck bringen. In vielen Gesprächen gab sie mir Hilfe und Anregungen als Kennerin Roms und der Ikonenmalerei. In dem Jahr, als mein Dissertationsvorhaben begann, starb meine Tante Christel, der ich gerne das Resultat gezeigt hätte. Ihr und meiner Mutter widme ich diese Arbeit.

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1 Einleitung 1.1 Einordnung in den historischen Kontext „Nur bedeutsame Vergangenheit wird erinnert, nur erinnerte Vergangenheit wird bedeutsam.“ 1 Auch wenn Jan Assmann diesen Satz in einem anderen Kontext verwendet, kann ihm eine universelle Gültigkeit, ja Wahrheit zugesprochen werden, womit eine Übertragung auf einen Künstler wie Michelangelo Buonarroti möglich wird. Um den Umgang eines Künstlers mit seinem Nachleben zu untersuchen, bedarf es einer Einordnung in den historischen Kontext, da der Memoriabegriff, das Memorialwesen, die Erinnerung bzw. Erinnerungskultur und das Gedächtnis auch Größen in der kulturwissenschaftlichen Forschung sind. Die Kulturwissenschaft bedient sich dazu der kulturellen Felder und Erscheinungen wie Kunst, Literatur, Politik, Gesellschaft, Religion und Recht. 2 In diesen Bereich fällt auch das Memorialwesen bzw. die Memoria, die einen wichtigen Teil der mittelalterlichen Kultur darstellte, womit sie zum Untersuchungsgegenstand der Mediävistik wurde. Memoria gilt als Überwindung des Todes und des Vergessens durch Gedächtnis und Erinnerung und umschreibt einen fundamentalen Bereich des Denkens und Handelns von Individuen und Gruppen. Umfasste Bereiche sind die Liturgie, die Religion, Weltdeutungen, Wissen und das kulturelle Gedächtnis, zu dem Texte, Bilder, Denkmäler, Riten, Geschichtsschreibung und Dichtung gehören. 3 Im Hinblick auf das Wort und den Begriff Memoria unterscheidet Otto Gerhard Oexle Inhalte, die auf der einen Seite mit Gedächtnis und auf der anderen Seite mit Erinnerung, Andenken und Gedenken umschrieben werden können. Gedächtnis meint

eher die Fähigkeit, sich des Vergangenen oder des Abwesenden zu erinnern. Erinnerung hingegen ist nicht nur das Ergebnis der Memorierfähigkeit bzw. der Gedächtnis-Fähigkeit oder Leistung, sondern auch die Fähigkeit, sich der Vergegenwärtigung des Gewesenen bzw. Abwesenden bewusst zu sein. 4 Beide genannten Größen lassen sich auf den Umgang eines Michelangelo Buonarroti mit seinem Nachleben anwenden. Nach Otto Gerhard Oexle ist Memoria ein „totales soziales Phänomen“, das alle Lebensbereiche integriert und alle denkbaren Aspekte der Lebenswelt erfasst. 5 Dieses Phänomen wirkt sich nicht nur auf Bereiche wie Religion, Wirtschaft, die Alltagsebene, die Philosophie, Kunst und Geschichtsschreibung aus, sondern auch auf soziales Verhalten und menschliche Beziehungen. 6 Im Mittelalter war die Memoria- oder Memorialpraxis ein Instrument, die Vergänglichkeit zu überwinden. Im Christentum wurde durch das Feiern des Opfermahls, auch als Totenmahl verstanden, nicht nur ein konstitutiver Akt erinnert, sondern ein konstitutives Ereignis gefeiert. 7 Memoria als liturgischer Gedanke war demnach gemeinschaftsstiftend und umfasste die Lebenden und die Toten. 8 Weiteres Element der Memoria waren die „Libri Memoriales“ und „Nekrologe“, in denen die Namen der Toten erfasst waren und an die durch Namenrezitationen erinnert wurde. Durch die Namensnennung wurde der Tote gleichsam gegenwärtig und erhielt einen rechtlichen und sozialen Status unter den Lebenden. 9 Dieser vorgestellte Inhalt gehörte zunächst in den Bereich des spezifisch monastischen Gedenkens. 10

Assmann, J.: Das kulturelle Gedächtnis, S. 77. Assmann, J. op. cit., S. 11. 3 Oexle, O. G.: Memoria in der Gesellschaft und in der Kultur des Mittelalters, S. 297 und S. 299 (Folgend zitiert: Oexle, O. G.: Memoria in der Gesellschaft). 4 Oexle, O. G.: Memoria und Memorialbild, S. 385. 5 Oexle, O. G.: Memoria als Kultur, S. 39. Vgl. Oexle, O. G.: Memoria in der Gesellschaft, S. 301. In diesem Kontext zitiert Otto Gerhard Oexle Marcel Mauss, von dem die Ergänzung „totales“ in dieser Formulierung stammt. 6 Vgl. Oexle, O. G.: Memoria in der Gesellschaft, S. 301. 7 Oexle, O. G.: Memoria als Kultur, S. 33–34. Oexle unterstreicht hier, dass der Tote wirklich als Teilnehmer im Totenmahl erlebt wurde. Vgl. S. 34. 8 Wollasch, J.: Die mittelalterliche Form der Verbrüderung, S. 215. 9 Oexle, O. G.: Memoria in der Gesellschaft, S. 308–309. Otto Gerhard Oexle bezieht diesen Teil seines Textes auf die Klöster. 10 Oexle, O. G.: Memoria als Kultur, S. 38–39. 1

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Einleitung

Die Memoria war damit die religiös begründete Ethik des „Aneinander-Denkens“ und „Füreinander-Handelns“. 11 Im profanen Sinn erfasste die Memoria ebenso die Erinnerung an den Ruhm 12 von erbrachten Leistungen und vergangenen Ruhm. 13 Hauptträger dieses Ansatzes war der Adel, der u. a. an seine Ruhmestaten erinnerte und durch die Produktion von kommemorativen Elementen sich selbst und seine Herrschaft legitimierte. 14 Schon in der Antike war es eine gängige Vorstellung, dass die Götter dem Menschen den Ruhm gelassen hatten, um seine leibliche Sterblichkeit zu überwinden. 15 Die Sterblichkeitsüberwindung in modifizierter Form entsprang in letzter Konsequenz der menschlichen Angst vor dem Tod und dem Vergessen-Werden. Besagter Angst war die Angst vor dem Zorn Gottes vorgeschaltet. Man glaubte, in „Signa“, in Form von Seuchen, Kriegen und Unglücken genau diesen Zorn Gottes zu entdecken. Mit dem Blick auf diese Signa fürchteten die Menschen um ihr Seelenheil, was mit Fasten, Bußleistungen, Bitten, Gebetshilfen und Stiftungen beantwortet wurde. 16 Zur Stiftung gehörten Sachgüter, Kunstwerke, Schriftquellen in Form von Testamenten, Spital- oder Stiftskirchen und Pfründen. Diese Stiftungsformen wurden auch von der spätmittelalterlichen Stadtgesellschaft praktiziert. 17 Stiftungen waren ebenfalls Toten- und Gedenkstiftungen. Der Stifter erwartete für sein Werk stetige Gebets- und Grabsorge von den begünstigten Nachlebenden, womit die Stiftungen zu einem sozialen System gehörten, das dem Stifter die Er-

innerung über den Tod hinaus garantierte. 18 Dadurch, dass der Stifter sein Werk in einer bestimmten Umwelt verankerte, regelte er automatisch seine sozialen Außenbeziehungen. 19 Otto Gerhard Oexle verweist in seiner Untersuchung noch einmal explizit darauf, dass es einen Begründungszusammenhang zwischen Memoria und Individualität gibt, und belegt dies damit, dass z. B. Bildhauer und Architekten im Italien des 11. Jahrhunderts durch Künstlerinschriften an ihren Werken nicht nur ihren Stolz über das Werk zum Ausdruck brachten, sondern auch Ruhm verbreiteten und vor allem mit ihrem Werk sich der Memoria der Betrachter und Gott empfahlen. Ein Individuum sicherte sich so Fama und Memoria. 20 Große Individuen erhielten in der Renaissance noch eine Bedeutungs- bzw. Interessenerweiterung. Während man bis in die Renaissance stolz auf Reliquien von Heiligen war 21, nahm die Gesellschaft jetzt parallel dazu verstorbene bedeutsame Mitglieder einer Stadt in den Blick, die zwar keine Heiligen, aber mit ausgezeichneten Talenten bzw. Gaben begnadet waren. Es wurde ein Muss, die Gebeine der Großen einer Stadt zu besitzen und sie in ihnen entsprechende Grabmäler zu betten und ihrer zu gedenken. 22 Künstler und Literaten erhielten so eine Aufwertung. 23 Im Bereich der Kirche wurden die Grabmäler der Führungseliten zu Erinnerungsorten bzw. Gedächtnisorten. 24 Vertiefende Untersuchungen mit kulturgeschichtlichem Schwerpunkt erstellt das REQUIEM-Projekt unter der Leitung von Professor Dr. Volker Reinhardt (Université Fribourg) und

Oexle, O. G.: Memoria in der Gesellschaft, S. 297. Oexle, O. G.: Memoria in der Gesellschaft, S. 297. Otto Gerhard Oexle geht im weiteren Verlauf seines Textes darauf ein, dass der Adel sich aus einer langen und herausragenden Abstammung, die ein Nachweis zur Befähigung zur Herrschaft erbrachte. Mit mit der Adels-Memoria seien religiöse Memoriamomente, wie Totengedenken in den Hausklöstern mit Grablegen, und dem Gedenken an ruhmvolle Taten verknüpft. Vgl. ebd., S. 312–313. 13 Oexle, O. G.: Memoria in der Gesellschaft, S. 297. 14 Oexle, O. G.: Memoria als Kultur, S. 37–38. „Ohne Memoria gibt es keinen Adel und deshalb auch keine Legitimation für adelige Herrschaft.“ Vgl. ebd., S. 38. 15 Müller, A. Freiherr von: Gloria Bona Fama Bonorum, S. 10. 16 Althoff, G.: Zur Verschriftlichung von Memoria in Krisenzeiten, S. 56. 17 Borgolte, M.: Stiftungen des Mittelalters im Spannungsfeld von Herrschaft und Genossenschaft, S. 267–268. 18 Borgolte, M.: Stiftungen des Mittelalters im Spannungsfeld von Herrschaft und Genossenschaft, S. 270. 19 Borgolte, M.: Stiftungen des Mittelalters im Spannungsfeld von Herrschaft und Genossenschaft, S. 276. 20 Oexle, O. G.: Memoria als Kultur, S. 48–49. 21 Burckhardt, J.: Die Kultur der Renaissance in Italien, S. 138. 22 Burckhardt, J.: op. cit., S. 136. 23 In diesem Verständnis liegt vermutlich auch Michelangelos Bestreben, ein Großer der Stadt Florenz zu werden, um eine Würdigung zu erhalten, die seinen Tod noch überschreitet. 24 Borgolte, M.: Papstgräber als „Gedächtnisorte“ der Kirche, S. 206. Nach Michael Borgolte gehören Gräber, Grabmonumente und der Totenkult zum innersten Bereich der Gedächtnisorte. 11

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Einordnung in den historischen Kontext

Professor Dr. Horst Bredekamp (Humboldt-Universität zu Berlin), das die Papst- und Kardinalsgrabmäler der frühen Neuzeit in Rom untersucht. Die Bereiche Kunstpatronage, Erinnerungskult und -kultur sowie die Anlage von Grabmonumenten als repräsentative Aussagen im Sinne der Memoria durch die Führungseliten stehen im Fokus dieses Projektes. Ein Pontifikatswechsel stellte für die Familie des zuvor verstorbenen Papstes eine Krisenund Umbruchsituation dar, der es durch die Gewinnung der Hoheit über das kollektive Gedächtnis 25 zu begegnen galt. 26 Dem Verstorbenen gehörte über dessen Tod hinaus die Aufmerksamkeit, wodurch die Memoria personalisiert 27 und auf das Individuum ausgerichtet wurde. 28 Dessen Grabmonument, Kirchenstiftungen und Wohltätigkeiten wurden zum Träger der Pietas und zum sozialen Kapital der Familie. 29 Des Weiteren floss der Umgang des Individuums mit seiner eigenen Erinnerung bzw. mit seinem Nachleben heraus. 30 Nach der Einordnung der Renaissance durch Volker Reinhardt besteht diese Epoche darin, dass eine intensive Nutzung von Propaganda und Medien zu beobachten ist. Die Führungseliten in Italien erweiterten das geschriebene Wort werbewirksam durch die Macht der Bilder, Statuen und prestigeträchtige Bauwerke. 31 Dem Zeitgeist spürend und durch ihn geprägt, entwickeln Künstler entweder

ein Bewusstsein für ihre Memoria bzw. für ihr ruhmvolles Nachleben oder sie schicken sich an, anderen ein Nachleben zu ermöglichen und sich dabei eine konsequente Rückkopplung an ihr Leben zu verschaffen. Giorgio Vasari ist hier als Beispiel zu nennen, der sich sein Nachleben nicht zuletzt durch seine Viten entwirft und sichert. Im Kontakt mit den Eliten, verbunden durch die Arbeit für sie oder aus sich selbst heraus generiert, entwickelte Michelangelo als Mensch seiner Zeit, der schon früh ein Bewusstsein dafür gehabt haben muss, wie er auf sein Nachleben Einfluss nehmen konnte, einen Umgang mit seinem Leben und seinem Talent. Ihm wurde schon früh von seiner Umwelt vermittelt, was er an seinen frühen Werken und Zeichnungen erkennen konnte, dass er eine Ausnahme von den gesetzten Normen seiner Zeit war. Mit dieser Außergewöhnlichkeit konnte er sich des Erwerbs von Ruhm und Ehre nahezu sicher sein. Damit definiert er sich als Mensch der Renaissance, in deren Rahmen eine neue Größe zum Tragen kam, und zwar der moderne oder zeitgenössische Ruhm. 32 Als Florentiner Bürger stand er auch in dieser Tradition, in der das Ansehen der Stadt eine hohe Bedeutung hatte. 33 Neben dem Ruhm für die Stadt war es ihm wichtig, seinen eigenen Ruhm zu verwalten.

25 Das kollektive Gedächtnis galt es zu beherrschen, da es den sozialen Bezugsrahmen der Führungseliten bildete, in dem die individuelle Erinnerung fixiert werden konnte. Zum Thema „Individuelles und kollektives Gedächtnis“ stellt Jan Assmann den Ansatz von dem Soziologen Maurice Halbwachse vor. In diesem Kontext siehe: Assmann, J.: op. cit., S. 34–37. Speziell S. 35. 26 Reinhardt, V.: Geschichte, Memoria und Nepotismus im päpstlichen Rom, S. 9. 27 Reinhardt, V.: Geschichte, Memoria und Nepotismus im päpstlichen Rom, S. 9. 28 Oexle, O. G.: Memoria in der Gesellschaft, S. 323. Otto Gerhard Oexle verweist in diesem Kontext noch einmal explizit darauf, dass der Mensch des Mittelalters durchaus über Individualität verfügte und diese nicht erst mit der Renaissance und der Reformation in Erscheinung trat. Vgl. Oexle, O. G.: Memoria in der Gesellschaft, S. 323. 29 Reinhardt,V.: Geschichte, Memoria und Nepotismus im päpstlichen Rom, S. 9. Als Beispiel sei hier die Bautätigkeit von Julius II. genannt, der Rom in eine imperiale Stadt umwandeln wollte. Mit seiner Bestrebung, sich ein monumentales Grabmal zu errichten, hatte er sehr konkret sein Nachleben und seine posthume Präsenz im Vatikan im Fokus. Auch wenn es nicht dazu kam, entsprang die Idee dem Wunsch, für sein Nachleben zu sorgen. 30 Auf den Ansatz von Otto Gerhard Oexle wurde bereits verwiesen. Stichwort: Individuum und Memoria. Vgl. Oexle, O. G.: Memoria als Kultur, S. 48–49. 31 Reinhardt, V.: Die Renaissance in Italien, S. 14. 32 Burckhardt, J.: op. cit., S. 132. Nach Georg Voigt ist in Dantes Werk die antike Idee des Nachruhms zu finden, die den Nerv für die Humanisten bildete. Vgl. Voigt, G.: Die Wiederbelebung des classischen Alterthums oder das erste Jahrhundert des Humanismus, S. 14. Der Ruhm konnte auch, so besang es Petraca in seinen Trionfi, den Tod überwinden. Vgl. Burke, P.: Die Renaissance in Italien, S. 240. In der Antike war es eine bekannte Vorstellung, dass der Ruhm das Einzige war, was die Götter dem Menschen gelassen hatten, seine Sterblichkeit zu überwinden. Vgl. Müller, A. Freiherr von, op.cit., S. 10. Der Autor widmet der Tradition und dem Wandel der Anschauung des Ruhms in Florenz zur Zeit Dantes ein ganzes Kapitel, an dessen Ende er resümiert, dass Dante die bürgerliche Ausweitung des Ruhmesbegriffs auf alle Fähigkeiten des Menschen im Dienst der „civitas“, wie er sie in Florenz erlebte, vornahm. Dante schrieb nach Achatz von Müller dem irdischen Ruhm eine sittliche Bedeutung zu. Vgl. ebd., S. 190. Das Kapitel umfasst die Seiten 164–190. 33 Achatz von Müller verweist darauf, dass dies besonders für das Florentiner Hegemoniestreben galt, für das Beamte, Künstler, Dichter und Handwerker nicht zuletzt durch ihren auf persönliche Fähigkeit und Fertigkeiten gegründeten Ruhm sorgten. Müller, A. Freiherr von: op. cit., S. 183. Nachweis dafür ist Michelangelos erste Pietà, die er mit seinem Namen und mit seiner Herkunft Florenz signierte.

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Einleitung

1.2 Gegenstand der Untersuchung Ziel der vorliegenden Dissertation ist es, den Nachweis zu erbringen, dass Michelangelo Buonarroti bereits zu Lebzeiten an seinem Nachleben und seiner individuellen Memoria arbeitete, die auf seinem Ruhmesbewusstsein und Ruhmessinn gründete. Dazu ging Michelangelo selbstbestimmt seinen Weg, da er eine ausgeprägte Persönlichkeit besaß, selbstbewusst seine Interessen verfolgte und seinen Wert kannte. Sein Name und sein Ruhm verbanden sich schließlich so unauflöslich miteinander, dass er bis heute im kollektiven Gedächtnis der Menschheit tief verankert ist. Für ihn war es wohl kaum vorstellbar, dass sein Nachleben solche Dimensionen annehmen würde. Ihm war es wichtig, bei Lebzeiten dafür Sorge zu tragen, dass sein Name, der auf seinen von Gott gegebenen Talenten basierte 34, zu dem Markenzeichen seiner Zeit wurde. Dieses Markenzeichen bzw. Qualitätszeichen galt es zu verwalten, stetig auszubauen und zu schützen. Modern ausgedrückt, könnte man dies auch als Imagepflege bezeichnen, die mit dem Ziel versehen war, dass er als der Künstler in die Geschichte eingeht, der nicht nur die Antike übertrifft, sondern den Künstlerolymp erobert und für sich allein beansprucht. Sein Name wurde Programm für das Schöne, das Ästhetische, das Dynamische und das Großartige. 35 Die Führungseliten der Zeit, allen voran die Päpste, wollten ihn unter ihre Patronage stellen und waren bereit, dafür hohe Summen zu zahlen. Als Bürger aus Florenz, einer Hochburg des damaligen Kapitalismus, kamen Michelangelo die enormen Verdienstmöglichkeiten sehr entgegen, ja entsprachen ihm sogar. Um in Florenz als bedeutsam zu gelten, brauchte man Kapital, das sinnvoll investiert wurde. Auch das gehörte zur Imagepflege. Imagepflege ist nur zu bewerkstelligen, wenn man immer an der Spitze einer Unternehmung steht, quasi selbst zum

Unternehmer wird, keine Götter neben sich duldet und dafür sorgt, dass exklusiv immer nur der eigene Name mit einem Kunstwerk in Verbindung gebracht wird. Grundbedingung dafür war es, die Deutungshoheit über sein Leben und sein Werk auszuüben und zu behalten. Von dieser Deutungshoheit sollte er reichlich Gebrauch machen, vor allem wenn es darum ging, in der Retrospektive eine Umdeutung der Geschehnisse vorzunehmen, seine Handlungen zu rechtfertigen, sich selbst zu rehabilitieren oder sich als Opfer zu stilisieren. Damit lieferte er vor allem in Briefen 36 Selbstzeugnisse und Selbstreflexionen, die deutliche Hinweise auf seine Individualität geben und somit Selbstthematisierungen sind. Michelangelo konnte sich aufgrund der eigenen Kräfte auch in Situationen hineinmanövrieren, die ihn nicht nur als Provokateur 37, sondern auch als Tabubrecher 38 zeigten. Geprägt von Erfahrungen, ein Spielball von politisch und theologisch unruhigen Zeiten zu sein, entwickelte er Verhaltensmechanismen, die ihm den Umgang mit dieser Tatsache ermöglichten. Die bereits angesprochenen retrospektiven Umdeutungen, die sich als tragfähig und erfolgreich erweisen sollten, gehören auch dazu. Darunter sind ebenfalls die von ihm der Nachwelt hinterlassenen Bilder – Bilder im wahrsten Sinne des Wortes – zu subsummieren. Er hinterlässt Selbstporträts in seinen Großfresken, in der Cappella Paolina und in der Florentiner Pietà, die aus dem normalen Rahmen des Selbstporträts herausfallen. Alle Darstellungen haben Selbstmitteilungscharakter. Seine Biographie, die er Ascanio Condivi in die Feder diktierte, fasst schriftlich sein ruhmvolles Selbstbild zusammen, das er als Antwort auf die erste Version der Viten des Giorgio Vasari gibt und er der Nachwelt hinterlassen wollte.

So überliefert es Vasari in seiner Vita. Vgl. Vasari, G.: Das Leben des Michelangelo, S. 32. (Folgend zitiert: Vasari, G.: Michelangelo). Dass Michelangelo in großen Dimensionen denken konnte, zeigt seine Kopfgeburt, aus einem Marmorberg eine Kolossalfigur schlagen zu wollen. Vgl. Condivi, A.: Das Leben des Michelangelo Buonarroti, S. 32–33. (Folgend zitiert: Condivi, A.: Michelangelo). Neben dem Schaffen eines gigantischen Monumentes hätte er eine topographische Landmarke gesetzt. 36 Besonders im 16. Jahrhundert steigt die Zahl der Selbstzeugnisse auch in Form von Autobiographien und privaten Briefen an. Vgl. Dülmen, R. v.: Die Entdeckung des Individuums 1500–1800, S. 25–26. 37 Er provozierte Papst Julius II., als er ständig nach neuem Geld für dessen Grabmal fragte, obwohl er noch über genügend Mittel verfügte. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 68. Ein spätes Beispiel für eine Provokation ist die Replik für Paul IV., als dieser sich mit dem Gedanken trug, die Scham der Figuren am Jüngsten Gericht von Michelangelo übermalen zu lassen. Der Künstler wollte dies erst durchführen, wenn der Papst die Welt in Ordnung gebracht hätte. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 160. 38 Er entließ sich aus Zorn selbstständig aus dem Vertrag mit dem Papst, als er 1506 aus Rom abreiste. Ein weiterer Tabubruch ist seine Flucht aus Florenz 1529. 34 35

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Gegenstand der Untersuchung

Seinen Ruhm wollte Michelangelo nie teilen, weshalb an die Gestaltung seines Images, seiner Werke sowie die der eigenen Memoria das Thema Kontrolle geknüpft war. Er strebte sein Leben lang nach der Erweiterung des Kontrollgewinns und verabscheute nichts mehr als den Kontrollverlust, den er erleben musste und der ihm schmerzlich vor Augen führte, dass er entgegen seiner künstlerischen Gewohnheit eben nicht Gestalter und Subjekt, sondern Objekt eines übergeordneten Prozesses bzw. einer politischen Realität war. Als Ausgangspunkt bzw. Punkt der Erkenntnis sind hier mit Sicherheit nach dem großen Erfolg des „David“ das Scheitern des Grabmalprojektes 1506 und die danach folgende Zeit zu nennen. An die Ebene des Kontrollgewinns und Verarbeitung von Erfahrungen lässt sich eine weitere Entwicklungsstufe anknüpfen, die ihn vom Künstler zum Künstlersouverän werden ließ, der mit unbestrittener und nahezu unfehlbarer Autorität in allen künstlerischen Fragen ausgestattet ist. Grundsätzlich bedeutete der Ruf an den päpstlichen Hof nicht nur die Erweiterung seines Handlungsraums, sondern einen weiteren Aufstieg, der ihm seit dem Pontifikat Pauls III. die unangefochtene Stellung, und zwar die des künstlerischen Großherrschers im Vatikan, bis zu seinem Lebensende bescherte. Präludium für das Erreichen des Olymps im Vatikan war das 20-jährige Intermezzo in Florenz und seine Arbeit an San Lorenzo. Während dieses Prozesses – vom Künstler zum Künstlersouverän – nimmt er den Mäzenen die dominierende Stellung, die sie sonst in einem Kunstprozess hatten 39, schlicht weg und stellt damit die hierarchische Struktur auf den Kopf. Auch umschrieben ihn später nicht mehr die in der Renaissance üblichen Begriffe „clientelismo“ und „mecenatismo“ 40, sie unterliegen durch Michelangelo einer Modifikation, die am Ende ihm die Erinnerung im ersten Rang im Gegensatz zu seinen Mäzenen sichert. Sein Gesamtverhalten kann auch als Plädoyer gegen die geistige Enge seiner Zeit und festgefahrene hierarchische Strukturen gedeutet werden. Demut zeigte Michelangelo Gott gegenüber, zollte sie aber nicht einem Mäzen, auch wenn es der Papst persönlich

war. Er scheute sich auch nicht davor, seine Mäzene zu karrikieren. Während seiner künstlerischen Tätigkeit ließ sich Michelangelo von niemandem benutzen oder gar funktionalisieren. Mit seiner Kunst gab er stets seine ureigenste Antwort auf alle an ihn gestellten Anforderungen und Erwartungen und ging trotz thematischer Vorgaben dennoch eigene, neue Wege. Grenzen konnte und wollte ein Michelangelo nicht akzeptieren; die unerfüllten Verträge sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache. Seine Freiheit nahm er sich noch in anderer Hinsicht, wenn er etliche seiner Skulpturen im Non-Finito hinterließ. Er war sich vermutlich dessen bewusst, dass eine Figur im Non-Finito seinem guten Ruf nicht schaden konnte, im Gegenteil: Sie waren Ausdruck seiner Individualität und Größe. Bis heute nehmen diese „Unvollendeten“ in seinem Gesamtwerk eine herausragende Stellung ein. Vom Karton der Schlacht von Cascina wird er gewusst haben, dass er ein Pilgerort für junge Künstler wurde. Später zerschnitt man ihn, um ein Stück dieser Legende zu besitzen und es einer Reliquie gleich zu verehren. Seine Kunst war das Hauptpräsentationsmedium seiner selbst, da sie ein Teil seiner Identität und Individualität war, die ihn definierte und jedes Mal zu einem neuen Maßstab für ihn und andere wurde, quasi ein repräsentatives Statement seines Status, seiner Stimmung, seines Selbstbewusstseins und später seiner Spiritualität, die ihn vor allem in der letzten Lebensphase dominierte. Er wollte in die Nachwelt als guter, verantwortungsvoller und spiritueller Christenmensch eingehen. Seine letzten Fresken und seine letzten Pietàs geben darüber Auskunft. Die Frage nach dem ewigen Leben machte ihn nicht nur umtriebig, sondern höchst kreativ. Als Vertreter der Renaissance galt für ihn, sein ewiges Konto mit Gott auszugleichen, wozu er sich wieder seiner Kunst bediente. Erstmalig verwendete er gleichzeitig die Bildhauerei und die Malerei und brachte so seine Empfindungen, Hoffnungen und Nöte zum Ausdruck. Er wird zum spirituellen Künstlersouverän, der seine eigene Interpretation des Märtyrerdaseins erneut im Herzen des Vatikans liefert. Hier hinterlässt er seine ganz persönliche spirituelle Spur, die sein Gottes- und Glaubensver-

Paoletti, J. T.; Radke, G. M.: Art in Renaissance Italy, S. 14. Paoletti, J. T.; Radke, G. M.: Art in Renaissance Italy, S. 14. „Clientelismo“ wird mehr im politischen Sinne ausgelegt, da es um Interessenaustausch und dem Gewähren einer Gunst geht. Patron und Klient werden so aneinandergebunden. Es handelt sich um eine Austauschbeziehung. „Mecenatismo“ umschreibt den Ankauf von Kunstwerken oder die Unterstützung bzw. Befürwortung von Kunstprojekten.

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Einleitung

ständnis widerspiegelt. Mit diesem Schritt unterzieht er seine Ängste einer Sublimation und legt ein religiöses Zeugnis ab, das ihn als gläubigen Christen darstellt und überliefert. Dieser Christenmensch sorgt im Weiteren dafür, dass sein Lebensabend zu einem Aufopferungsakt für St. Peter wird, der als Legitimation dient, eben nicht nach Florenz zurückzukehren, um dem Herzog in seiner Propaganda zu dienen. Der selbstentworfene Aufopferungsakt wird das heutige Aussehen des päpstlichen Prestigebaus maßgeblich mitbestimmen und so den Namen Michelangelo für alle Zeiten mit ihm verbinden. Der weiteren Kontrolle durch Florenz, das sehr an seinem Nachlass interessiert war, begegnet er durch das kontrollierte Verbrennen von Zeichnungen, Plänen und Entwürfen. Der letzte Akt seiner Kontrolltätigkeit liegt darin, dass er im Kreis seiner handverlesenen Freunde stirbt und zuvor seinen Vertrauensmann Daniele da Volterra bittet, nach seinem Tod in seinem Haus zu verweilen, bis der bereits informierte Neffe eintrifft. Auf Volterra war für Michelangelo Verlass, da die beiden eine Freundschaft verband. 41 Überhaupt umgab sich Michelangelo mit handverlesenen und verlässlichen Freunden, von denen er sicher sein konnte, dass sie ihn weder lebendig noch tot ausnutzten. Im Gegenteil, sie waren sein Schutzschild, als er sich selbst nicht mehr schützen konnte, und trauerten sehr ehrlich um ihn. Mit dem Tod erlischt seine Kontrolle, die für ihn vermutlich nicht mehr wichtig war, da er ohne Testament und weitere Anweisungen, was sein Grabmal betrifft, stirbt. Dem Einzigen, dem er sich überlässt und auf dessen Gnade er hofft, ist sein Schöpfer. Mit den fehlenden Anweisungen zu seinem Grabmal, das nach seinem Wunsch gemäß in Florenz liegen sollte, eröffnete er ein Feld, aus dem andere jetzt Kapital schlagen wollten und konnten: Allen voran ist Giorgio Vasari zu nennen, der 1550

Michelangelo als Höhepunkt der Erstausgabe seiner Viten feierte, der sich lange um die Rückkehr des Künstlers nach Florenz bemühte, damit aber scheiterte und ein Jahr vor Michelangelos Tod die Gründung der Accademia del Disegno inszenierte. Michelangelo wurde in Abwesenheit zum Oberhaupt gewählt, das die Accademia ein Jahr später pompös in einer Trauerfeier beklagen konnte. Die Untersuchung seiner Exequien und der Gestaltung des Grabmals auf dem Hintergrund der neugegründeten Accademia del Disegno lässt die Feststellung zu, dass die Memoria des Künstlers manipuliert und ausgenutzt wurde. Vasaris Helfer bei der Vereinnahmung Michelangelos für und durch die Accademia del Disegno war Vincenzo Borghini. Beide standen in der Gunst des Herzogs, der den großen Sohn der Stadt ebenfalls für seine Propagandazwecke nutzen wollte. Letzter Beteiligter dieser Runde war Leonardo Buonarroti, der zunächst Vasari gegenüber willig reagiert, dann aber seine Autonomie wiedergewinnt. Die Motive und Handlungsweisen dieser Beteiligten werden näher erfasst und untersucht, um am Ende festzustellen, dass weder die Exequien noch das Grabmal dem Ausnahmekünstler entsprochen haben, sondern nur zum Vehikel für den Nachruhm anderer wurde. Interessanterweise ist es heute so, dass es für die Besucher von Santa Croce einzig und allein darum geht, das Grab eines der künstlerischen Schwergewichte der Renaissance aufzusuchen. Auch wenn die Namen Leonardo Buonarroti und Cosimo I. auf dem Epitaph verewigt sind, bleibt dem Künstler die Hochachtung, die Bewunderung und vor allem die Erinnerung. Für den Komplex von San Lorenzo ist Ähnliches festzuhalten. Dies gilt auch für den Ort, der die größten Schöpfungen des Meisters beherbergt, und zwar Rom. Der Name Michelangelo Buonarroti und dessen Bedeutung für die Kunst sind in die Sixtina und in St. Peter unauslöschlich implementiert.

1.3 Methodik und Konzeption Die vorliegende Dissertation ist in methodischer Hinsicht primär an den Quellen ausgerichtet. Die jeweiligen Autoren sollten zu Wort kommen, um

deren Intention aufzuspüren. Die dazu geeignete Methode ist nach wie vor die historisch-kritische Methode, die weder etwas von ihrer Bedeutsamkeit

Michelangelo war Volterra sehr wohlgesonnen und betrachtete ihn als Vertrauten, der ihm selbst posthum den nötigen Schutz gewähren konnte, indem er eben nicht sein Wissen über ihn offenbaren würde.

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Methodik und Konzeption

verloren hat noch einen wirklich festen Rahmen setzt, sondern den Untersuchungsgegenstand zum Maß der Fragestellung macht. 42 Die historisch-kritische Methode erfuhr an gegebenen Stellen eine Ergänzung, um eine erweiterte Annäherung an den Untersuchungsgegenstand zu ermöglichen. Das, was die Historiker im Laufe der Forschung an Untersuchungsansätzen einer Quelle entwickelt haben, könnte unter dem Begriff „historisches Fragerecht 43“ oder „Fragerecht des Historikers“ subsummiert werden und damit können sich, wie es die historisch-kritische Methode auch vorgibt, weitergesteckte Handlungsspielräume und Deutungsmöglichkeiten eröffnen. 44 Es ging in der Quellenuntersuchung darum, einen hohen Erkenntniswert zu gewinnen, um der Wahrheit, die nicht komplett ermittelbar ist, möglichst nahe zu kommen. Der Glauben an eine historische Wahrheit war zunächst indiziert, musste dann aber der kritischen Überprüfung unterzogen werden. 45 Das intentionale Moment seitens des Verfassers der Quelle, der stets ein Absichtstäter ist, sollte ermittelt werden. Dazu gehörte von seiner Seite auch das bewusste Verschweigen von Inhalten. 46 Aus den verschwiegenen Inhalten, die durch andere Quellen beweisbar oder nahezu nachweisbar waren, konnten weitere Rück-

schlüsse gezogen werden. Ein „argumentum ex silentio“ 47 wurde so mit Vorsicht zur Anwendung gebracht. Analog zum „Fragerecht des Historikers“ kann hier das „Vetorecht des Historikers“ angeführt werden. Gegen den Quelleninhalt bzw. die Bewertung des Quelleninhalts durch den Verfasser kann der Historiker nach Prüfung und gestützt durch aussagekräftige Argumente, aus anderen Quellen stammend, dem Verfasser widersprechen, quasi sein Veto einlegen und eine andere Bewertung vornehmen. Im Fall einiger Michelangelo-Briefe wird dieses Verfahren zur Anwendung kommen. Der Gedanke des „Vetorechts des Historikers“ wurde aus dem „Vetorecht der Quellen“ 48 von Reinhardt Koselleck abgeleitet, dessen Ansatz in der Befragung der Quellen absolute Beachtung fand. Die weitere Quellenanalyse orientierte sich in Teilen auch an den Untersuchungspunkten von JohannGustav Droysen, die er in seiner Historik vorstellt. 49 Es war zunächst das Ansinnen, den Text in einem ersten Schritt aus sich selbst heraus zu verstehen. 50 Diese erste Annäherung war in den Faktenhintergrund eingebettet, um die Entstehung des Quellentextes abzudecken. 51 Dabei galt es, den Blick für die Erkundung bisher unbegangener Wege nicht zu verlieren bzw. den Mut dazu zu entwickeln. 52 In

Emich, B.: Geschichte der frühen Neuzeit studieren, S. 66. Der Ausdruck „Fragerecht“ wurde aus dem Strafgesetzbuch § 240 abgeleitet. Ableitbar ist er auch dem parlamentarischen Fragerecht der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, was die Geschäftsordnung in den Anlagen 4 und 7 regelt. https://www.bundestag.de/parlament/aufgaben/ rechtsgrundlagen/go_btg/go_btg/197104. 44 In diesem Rahmen bot sich es an, zwischen den Zeilen des Textes oder ihn „wider den Strich“ zu lesen. Vgl. Arnold, K.: Die Quellen als Fundament und Mittel historischer Erkenntnis, S. 53–54. Klaus Arnold bezieht diesen Ansatz auf normative Quellen. 45 Ernst Bernheim verglich die Arbeit eines Historikers schon mit einer Gerichtsverhandlung, um zur „Feststellung des Tatsächlichen“ zu kommen. „Die Überreste dienen als Indizien der Vorgänge, die Berichte bieten die Zeugenaussagen.“ Vgl. Bernheim, E.: Einleitung in die Geschichtswissenschaft, S. 131. Den modernen Ansatz des Fragerechts hat er nicht. Beide Denkfiguren sind aber der Zuverlässigkeit und der Wahrhaftigkeit auf der Spur. 46 Klaus Arnold rekurriert auch auf diesen Punkt und stellt die Frage, wieviel ein Verfasser von den von ihm berichteten Vorgängen habe wissen können oder wollen? Vgl. Arnold, K.: op. cit., S. 50. 47 Ernst Bernheim nennt dies den Beweis aus dem Schweigen. Er bezieht dies aber auf das Verschweigen von Inhalten, die aus anderen Quellen erschlossen werden könnten, die den Sachverhalt flankieren. Vgl. Bernheim, E.: Einleitung in die Geschichtswissenschaft, S. 132. Es kann aber auch auf das bewusste Verschweigen von Sachverhalten durch den Autor angewandt werden. 48 Koselleck, R.: Standortbindung und Zeitlichkeit, S. 45–46. „Die Quellen haben ein Vetorecht. Sie verbieten uns, Deutungen zu wagen oder zuzulassen, die aufgrund eines Quellenbefundes schlichtweg als falsch oder als nicht zulässig durchschaut werden können.“ 49 Dazu gehören der § 29, der danach fragt, in welchem Verhältnis das Material zu den Willensakten steht, von denen es berichtet. § 32, 3: Hier geht es um den Umstand der Entstehung eines Materials (S. 17); § 33, 3. J. G. Droysen geht auf die individuelle Färbung des Darstellers bzw. auf dessen Tendenzen, Bildung und Charakter ein (S. 18); § 35 verweist auf die Lückenhaftigkeit des historischen Materials und die Notwendigkeit der Schärfe in der Bezeichnung der Lücke (S. 19). Vgl. Droysen, J. G.: Grundriss der Historik, S. 17–19. 50 Langlois, V.-Ch.; Seignobos, Ch.: Introduction of the Study of History, S. 145. 51 Klaus Arnold verweist darauf explizit, dass eine Interpretation eines historischen Textes in keinem Fall immanent ohne Klärung des historischen Hintergrunds angelegt sein darf. Vgl. Arnold, K.: op. cit., S. 51–52. 52 Volker Sellin lädt in seinem Werk ausdrücklich dazu ein. Vgl. Sellin, V.: Einführung in die Geschichtswissenschaft, S. 95. Daneben hält er den Historiker zu einem sensiblen Umgang mit den Quellen an: „Es gibt keine bessere Methode für die Historiker, als die nötige Sensibilität für geschichtliche Lebenszusammenhänge zu entwickeln und das Auge zu schulen für Tatsachen, die andere übersehen. Vgl. ebd., S. 53. Dieser Ansatz flankiert den Ansatz des Fragerechts des Historikers. 42 43

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Einleitung

diesem Rahmen bot sich auch an, die Quelle gegen den Strich zu lesen. 53 Auf einer weiteren Ebene ging es weiter darum, sich in die handelnden Personen hineinzudenken, dabei aber nicht das Bewusstsein der eigenen Subjektivität durch ein reflektiertes Lesen zu verlieren. 54

1.3.1 Die Perspektive der Handlungsträger Der besondere Schwerpunkt lag auf der Perspektive des jeweiligen Handlungsträgers 55 bzw. war auf das Individuum 56 fokussiert. Die angesprochene Perspektive nimmt vor allem den Künstler, seine Motive, seine Handlungsweise und Entwicklung in den Blick und lässt sich aus den Werken von Ernst Bernheim und von Charles-Victor Langlois und Charles Seignobos herleiten. Ernst Bernheim unterstreicht in seiner Einleitung in die Geschichtswissenschaft die Bedeutung des Individuums im Kontext der Geschehnisse. 57 Er richtet den Fokus da-

rauf, dass der Gegenstand der Geschichte die Betätigungen der Menschen seien, die, verkürzt ausgedrückt, nicht nur durch äußere, sondern auch durch innere Ursachen, durch innere Reaktionen und Antriebe des Bewusstseins, d. h. des Empfindens, des Denkens, des Wollens, in ihrem Tun und Handeln bestimmt würden und zweckgebunden agierten. Er nennt dies „psychische Kausalität“. 58 In der Arbeit wird kein psychisches Profil des Künstlers erstellt, sondern eine Annäherung an seine innere Verfassung versucht, die ihn in bestimmten Situationen agieren ließen. 59 Charles-Victor Langlois und Charles Seignobos richten ihr Augenmerk auch auf diesen Punkt. Sie verweisen darauf, dass es von Relevanz ist, die Bedingungen zu ermitteln, unter denen ein Dokument entstand, um die Gründe zu entdecken, die vielleicht dazu führten, dass die Überlegungen des Autors inkorrekt waren oder diese beeinträchtigt wurden. 60 Somit richten die Verfasser in ihrem Werk einen intensiven Blick auf die

Klaus Arnold nennt das „wider den Strich“ zu lesen. Vgl. Arnold, K.: op. cit., S. 53–54. Arnold bezieht diesen Ansatz auf normative Quellen. Birgit Emich verweist in ihrem Werk ebenfalls darauf, steckt den Rahmen aber weiter, indem nach Dingen gefragt wird, mit denen die Quellen auf den ersten Blick nur wenig zu tun hätten. Vgl. Emich, B.: op. cit., S. 143. 54 Aloys Meister schlägt diesen Schritt in seinem Werk vor, ermahnt aber unbedingt zum achtsamen Wahrnehmen der eigenen Subjektivität. Meister spricht wörtlich von dem „Sich-Hineindenken“. Vgl. Meister, A.: Grundzüge der historischen Methode, S. 29. Reflektiertes Lesen meint hier sowohl die Quelle als auch die entstehenden Gedanken dazu wahrzunehmen. 55 Der Ansatz „akteurszentriert“ kann aus den Dimensionen der Zivilgesellschaft abgeleitet werden. Akteurszentriert bedeutet, den Fokus auf die konkret handelnde Person und Organisationen zu legen, die selbstorganisiert tätig sind. Vgl. https://www.bpb.de/politik/grundfragen/deutscheverhaeltnisse-eine-sozialkunde/138713 /dimensionen. In dem Kontext der Dissertation ist das Fokussieren auf den einzelnen Handlungsträger oder eine organisierte Gruppe, und zwar die Accademia de Disegno, möglich. Die akteursbezogene Perspektive untersucht beispielsweise das aus der Diplomatiegeschichte stammende Werk „Akteure der Außenbeziehung“ von Hillard von Thiessen und Christian Windler. 56 Der individuumzentrierte Untersuchungsansatz stammt aus der Sozialpsychologie. Die Sozialpsychologie ist per definitionem „der Versuch, zu verstehen und zu erklären, wie die Gedanken und Gefühle und Verhaltensweisen von Personen durch tatsächlich, vorgestellte oder implizite Anwesenheit anderer Menschen beeinflusst werden.“ Damit wird abgedeckt, wie das einzelne Individuum auf andere einwirkt oder wie es in seinen Emotionen, Denkweisen und Handlungen von anderen beeinflusst wird. Vgl. Jonas, K.; Stroebe, W.; Hewstone, M.: Sozialpsychologie, S. 6. Ernst Bernheim verwies schon 1907 in seiner Einführung in die Geschichtswissenschaft auf die Beachtung der sozialpsychologischen Aspekte in der historischen Untersuchung. Vgl. Bernheim, E.: Einleitung in die Geschichtswissenschaft, S. 146. Die Vergangenheit wird heute auch unter dem Leitbegriff „Kultur“ untersucht, womit sich neue Perspektiven eröffnen, wozu auch die Untersuchung des dialektischen Verhältnisses von Struktur und Individuum gehört. „Die Individuen eignen sich diese Gegebenheiten daher auf subjektiv unterschiedliche Weise an, d. h. sie gehen unterschiedlich damit um. Indem sie dies tun, reproduzieren sie die Strukturen nicht nur, sie können sie auch modifizieren.“ Emich, B.: op. cit., S. 129. Anwendung kann dieser Ansatz in dem Punkt finden, dass Michelangelo das Verhältnis zwischen Künstler und Mäzen verschiebt. 57 Vgl. Bernheim, E.: Einleitung in die Geschichtswissenschaft, S. 36. „(…) mit jeder Veränderung der einzelnen verändern sich auch die Gesamtverhältnisse.“ Er widmet der Individualität des Autors in seinem Werk „Lehrbuch der Historischen Methode und der Geschichtsphilosophie“ nochmals ein eigenes Kapitel. Vgl. ebd., S. 506–514. 58 Bernheim, E.: Einleitung in die Geschichtswissenschaft, S. 35. Nach Ernst Bernheim gehört die innere Ursache der „psychischen Kausalität“ an, durch die physischen Ursachen zustande kämen. Vertiefend geht er darauf nochmals in dem Unterpunkt „Auffassung der psychischen Faktoren“ ein, wobei er die Bedeutung der Sozialpsychologie in diesem Kontext hervorhebt. Vgl. ebd., S. 145–146. 59 Methodisch-historisch gesehen, ist dieser Weg vertretbar, da Johann Gustav Droysen diese Möglichkeit, die er „psychologische Interpretation“ nennt, in seiner Historik eröffnet. Für ihn geht es um die Suche der Willensakte und der intellektuellen Kräfte, die den Sachverhalt hervorbrachten. Allerdings räumt er auch ein, dass ein endgültiges Eindringen in eine, hier sei „historische“ ergänzt, Persönlichkeit nicht möglich ist, sondern das Verständnis nur, wie er es nennt, „peripherisch“ bleiben muss, sodass ein letzter Beweis nicht erbracht werden kann. Droysen, J. G.: op. cit., § 41, S. 21–22. 60 Langlois, V.-Ch.; Seignobos, Ch.: op. cit., S. 163. „The critical investigation of authorship has often taught us the general conditions under which the author has operated. It is probable that some of these influenced each one of the operations.“ Einen ersten Hinweis auf dieses Thema geben die 53

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Bedeutung des Autors für eine Quelle 61, woraus durchaus der oben genannte Ansatz abzuleiten ist. Aloys Meister plädiert auch dafür, im Rahmen einer Interpretation die „Individualität des Autors, Zeit, Ort und Ort der Abfassung in Anschlag zu bringen“. 62 Charles-Victor Langlois und Charles Seignobos lenken das Augenmerk des Historikers ebenfalls auf die linguistische Bedeutung der Quelleninhalte, da sie neben dem Ermitteln der wirklichen Bedeutung einer Quelle den anderen Teil der Quelleninterpretation abdeckt. 63 Auf die vorliegende Dissertation bezogen bedeutet dies, dass an gegebener Stelle 64 der Quellenarbeit eine akribische linguistisch-philologische Untersuchung vollzogen wurde, um den Inhalt der Quelle präzise zu ermitteln und daraus neue Interpretationsansätze zu entwickeln. Zur Erweiterung der Sinnerfassung und des Verständnisses von Interpretationsansätzen wurde eine Art von Synopse von den Übersetzungen geeigneter Quellen durch Historiker angefertigt. 65 Über ein komparatistisches Verfahren wurde die Bandbreite der historischen Interpretationen des eigentlichen Sachverhalts nur aufgrund der Übersetzung des Originals herausgearbeitet. 66 Damit konnte nicht nur die individuelle Färbung durch die vom Historiker gewählte Übersetzung, sondern auch die Grundlage seiner Interpretation nachgewiesen werden. Die Sachverhalte wurden durch unterschiedliche Blickwinkel deutungsfähiger. Neben den Briefen, der Varchi-Rede auf den Exequien, den Biographien von Giorgio Vasari und

Ascanio Condivi wurde das Motuproprio vom 11. Oktober 1549 67 näher untersucht und als Teil der Memoriakette 68 eingeordnet. Eine päpstliche Urkunde, die der Meister vermutlich selbst entwarf 69, wird nicht nur zum Schutzschild seiner künstlerischen Idee, sondern auch gleichzeitig Träger des Nachlebens für den Baumeister. Nach Eduard Meyer ist die Urkunde ein unmittelbarer Zugang zur Vergangenheit ohne Vermittlung Fremder 70, wodurch der selbst formulierte Entwurf Michelangelos für die Einordnung des Schriftstücks eine besondere Bedeutung bekommt. Der Künstler sichert seine Memoria durch einen Rechtstext, der vordergründig eigentlich nur den Entwurf für St. Peter garantieren sollte. Auch wenn das Motuproprio durch einen nachfolgenden Papst hätte widerlegt werden können, was zu Lebzeiten nicht geschah, hatte die Urkunde eine hohe Rechtssymbolik und entsprechende Wirkungsfähigkeit. Das päpstliche Beglaubigungsschreiben entschied so über einen Vorgang von rechtserheblicher Natur mit nachhaltigem Nebeneffekt. 71

1.3.2 Interdependenz und Analogie von Text, Bild und Skulptur Aufgrund der thematischen Ausrichtung der Dissertation war es geboten, Text- und Bildquellen und Skulpturen 72 in Beziehung zu setzen und aufmerksam zu untersuchen. Eine Verschränkung der genannten Quellen findet vor allem im Hinblick auf die spirituelle Entwicklung Michelangelos bzw. des-

Autoren auf der Seite 143, indem sie auf die Beachtung der Bedingungen verweisen, unter denen die Quelle entstand. Neben dem Inhalt gilt es eben auch, den Umstand zu untersuchen. 61 Vgl. Langlois, V.-Ch.; Seignobos, Ch.: op. cit., S. 155–176. 62 Meister, A.: op. cit., S. 32. 63 Vgl. Langlois, V.-Ch.; Seignobos, Ch.: op. cit., S. 146. 64 Exemplarisch seien an dieser Stelle zwei Untersuchungsinhalte genannt. Der erste ist die Beschreibung des Arztes Blaise de Vignère, der Michelangelo 1550 besuchte und über dessen buchstäbliche Schlagkraft berichtet. Der zweite sind die im Kontext der Kreuzigung Petri in der Cappella Paolina bisher unbeachteten Petrusakten, die im Wortlaut untersucht wurden, um daraus Rückschlüsse für das Fresko zu ziehen. 65 Hier sei erneut auf die Vignère-Quelle verwiesen. 66 Arnold verweist in seiner Abhandlung darauf, dass jede Übersetzung bereits eine Interpretation, d. h. eine Deutung sei.Vgl. Arnold, K.: op. cit., S. 51. 67 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 804. 68 Die Begriffserklärung erfolgt unter dem Punkt „Konzeption“. 69 Bredekamp, H.: Der Künstler als Souverän, S. 60. Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche – Das Leben des Michelangelo, S. 319. (Folgend zitiert: Reinhardt, V.: Der Göttliche). 70 Ahasver von Brandt zitiert Eduard Meyer: „Vor einer richtig interpretierten Urkunde stürzen alle ihr widersprechenden Angaben einer Tradition, mochte sie sonst noch so zuverlässig scheinen, rettungslos zusammen. Denn in ihr redet die Vergangenheit unmittelbar, nicht durch Vermittlung Fremder zu uns.“ Vgl. Brandt, A. v.: Werkzeug des Historikers, S. 81. Auch wenn Eduard Meyer das Zitat vermutlich anders verstanden sehen möchte, spricht in dem besagten Motuproprio ein Michelangelo heraus, da er seine Interessen schützen möchte. 71 Brandt, A. v.: op. cit., S. 82. Der Autor ordnet Urkunden grundsätzlich als beglaubigte Schriftstücke über Vorgänge von rechtserheblicher Natur ein. 72 Nach Ernst Bernheim handelt es sich um Überreste, „wenn wir sie als Zeugnisse des technischen und künstlerischen Könnens, des Sinnes und des Geistes ihrer Zeit und ihrer Kultur ansehen“. Vgl. Bernheim, E.: Einleitung in die Geschichtswissenschaft, S. 102. Johann Gustav Droysen hatte es

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Einleitung

sen Auseinandersetzung mit seiner Endlichkeit und der Frage des Danach statt. Der Schwerpunkt dieser Untersuchungsetappe liegt auf der Ermittlung der Interdependenz und Analogie der Fresken der Cappella Paolina 73 und der Florentiner Pietà. Beide Kunstwerke entstehen parallel und sind interdependent, da sie über künstlerische Gemeinsamkeiten verfügen und ähnliche Aussagen machen. Ebenfalls wurden schriftliche Quellen zu den Kunstwerken beachtet und mit ihnen verglichen. 74 Beide Kunstwerke sind von dem Wunsch des Künstlers nach Selbstdarstellung getragen 75, die zu diesem Zeitpunkt auf Selbstkenntnis und Selbsterkenntnis basierte. Die Florentiner Pietà kann als plastische Ergänzung oder plastisches Gegenstück zur Darstellung des Hünen, Pilgers, Konvertiten oder Giganten aus der Kreuzigung Petri, wie er in der Forschung genannt wird, eingeordnet werden. 76 Durch die plastische Ergänzung konnte Michelangelo seine Spiritualität anders zum Ausdruck bringen, da er durch die Dreidimensionalität eine erweiterte haptische Auseinandersetzung mit dem Thema im Raum vollzog. Ein Raum bietet eine andere Ausbreitungsmöglichkeit von Inhalten, Denkmustern, Empfindungen, die exponiert werden wollten, als die Erstellung eines Freskos. Während des Bildhaueraktes war Michelangelo stets in Bewegung, was als Konsequenz die geistige Beweglichkeit zeigt und dazu beitrug, die Figur so anzulegen. Auf dem vorgestellten Hintergrund wurde die Figur hinsichtlich des Materials, der KörperRaum-Beziehung, der Größe, der Präsentation, der Ansichtigkeit, der Plastizität, der Gerichtetheit, der Bewegung, der Komposition, der Proportion und der Komposition analysiert. 77 Für die Interpretation

dieser Skulptur fanden biographische Aspekte und persönliche Motive des Künstlers eine besondere Beachtung. Die Besonderheit dieser Skulptur liegt darin, dass sie keine Auftragsarbeit war, sondern aus rein persönlichen Motiven erstellt wurde, und zwar für sein eigenes Grabmal, wenn man Giorgio Vasari Glauben schenken darf. 78 Die Frage, die stets im Hintergrund des Interpretationsweges stand, war: Was muss ein Greis tun, um zweimal wiedergeboren zu werden? Diese entscheidende Frage stellt Nikodemus, dem Michelangelo in dieser Skulptur sein Konterfei verleiht, Jesus in einer nächtlichen Unterredung. Hier wird das spirituelle Motiv Michelangelos zum Erstellen dieser Figur gelegen haben. Das Motiv der Pilgerschaft, das in diesem Kontext ebenfalls Untersuchungsgegenstand war, resultiert aus dieser Frage, da der Weg ins Reich Gottes gefunden werden will. Das Motiv des Pilgers wurde durch weiteres Hinzuziehen von Darstellungen desselben Typus aus dem Werk Michelangelos flankiert, sodass eine Entwicklungslinie zum Nikodemus und dem Hünen im Fresko gezogen werden konnte. Da zu dieser Skulptur, die Michelangelo nach Giorgio Vasari wohl zerstören wollte, eine Vielzahl von Deutungsmustern vorliegt, war es geboten, sie nochmals zu vergegenwärtigen und nicht zuletzt an den Untersuchungen von Jack Wasserman einer erneuten kritischen Überprüfung zu unterziehen, bevor eine abschließende Einschätzung formuliert wurde. Die beiden Großfresken 79, die Decke der Sixtinischen Kapelle und das Jüngste Gericht 80, wurden ausschließlich unter dem Blickwinkel des Untersuchungsgegenstandes betrachtet. Dies bedeutete den Verzicht auf eine breitangelegte Interpretation,

zuvor auch so eingeordnet, hebt bei den Denkmälern hervor, dass dabei die Absicht der Erinnerung mitwirkte. Droysen, J. G.: op. cit., § 22 und § 23, S. 14. 73 Die Untersuchung der Fresken orientierte sich am Grundgerüst quellenkritischer Fragen: Dazu gehörten der Entstehungshintergrund des Bildes, das Bild selbst und dessen Wirkungsgeschichte. Vgl. Emich, B.: op. cit., S. 232–233. An die Kreuzigung Petri wurde eine bisher nicht angewandte Frage formuliert: Wo befindet sich Gott in diesem Fresko? Wie bereits dargestellt, lädt Volker Sellin dazu ausdrücklich ein. Vgl. Sellin, V.: op. cit., S. 53. 74 Emich, B.: op. cit., S. 233. 75 Bei dem Nikodemus der Florentiner Pietà handelt es sich um ein Selbstporträt. Lavin, I.: The Sculptor’s Last will and Testament, S. 19. Dies wird u. a. für den Giganten in der Kreuzigung des Petrus am rechten Bildrand angenommen. Als Reverenz für diesen Ansatz sei hier Johannes Wilde genannt. Vgl. Wilde, J.: Six Lectures, S. 173 und 175. 76 An gegebener Stelle werden die Bezeichnungen der Figur durch die Forschung belegt und erläutert. 77 Klant, M.; Walsch, J.: Grundkurs Kunst Bd. 2, S. 9–19. Das zuvor vorgestellte „Fragerecht des Historikers“ kam auch hier zur Anwendung. 78 Vasari, G.: Michelangelo, S. 135. 79 Bilder aller Art, wozu auch Ausmalungen von Gebäuden und Kirchen gehören, haben einen „eigenständigen Informationswert“. Vgl. Talkenberger, H.: Historische Erkenntnis durch Bilder, S. 83. 80 Nach Michael Banxandall waren die Menschen der Renaissance bei der Betrachtung eines Bildes u. a. höchst aufmerksam. Vgl. Baxandall, M.: Die Wirklichkeit der Bilder – Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts, S. 50. Für das aufmerksame Studium der Großfresken bietet das

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da diese der Forschung sehr zahlreich vorliegt. Das Deckenfresko wurde unter der Prämisse untersucht, welche Auseinandersetzung der Künstler und der Auftraggeber mit den Entstehungsumständen und den sonstigen Gegebenheiten hatten. 81 Gerade das Beziehungsgefüge zwischen Michelangelo und Papst Julius II. war so energiegeladen, dass Michelangelo seine Frustration über das verlorene Grabmal dort abarbeitete und Julius II. obendrein karikierte. Wenn die Decke an die Stelle des Grabmals trat, wie renommierte Kunsthistoriker annehmen 82, wurde sie zum Spielfeld der Auseinandersetzung einer zuvor empfundenen Niederlage des Künstlers, die ihn trotz seines Klagens sich entwickeln ließ. Die Interpretation der ausgewählten Freskenbereiche wurde mithilfe der Bildanalyse vollzogen. 83 Das Jüngste Gericht ist auf dem Hintergrund untersucht worden, welche Nachricht der Künstler hinterlassen wollte und welche Erfahrungen er während des Entstehungsprozesses verarbeitete. So hinterlässt er auch hier Selbstdarstellungen, und zwar in der Haut des Bartholomäus und des Mönches, der einen Segensgestus ausführt und sich dabei in der Hölle aufhält. Die beiden Selbstdarstellungen wurden entsprechend eingeordnet und gegeneinander abgewogen. Auf dieser Grundlage wurde eine Gemeinsamkeit des Jüngsten Gerichts und der Fresken der Cappella Paolina herausgearbeitet, da beide eine meinungsbildende und bewusstseinsbildende Wirkung anstrebten. 84 Unter dieser Prämisse sind diese Fresken entstanden, sodass der mahnende Aspekt voll zum Tragen kam. Das meinungs- und bewusstseinsbildende Element des Jüngsten Gerichtes ist auf den ersten Blick eine Warnung vor der vernichtenden Gewalt der Selbstsucht: Extra ecclesia nulla salus. Auf den zweiten

Blick ist es eine Mahnung des Künstlers, die auf seiner Teilnahme am Zirkel der Spirituali basiert, sodass Leo Steinberg dieses Fresko eine „Merciful Heresy“ nennt. 85 Bemerkenswert an der Kreuzigung des Petrus und der Bekehrung des Paulus ist die Tatsache, dass ein Maler es sich herausnimmt, das Kardinalkollegium wie den neuen Pontifex maximus zu ermahnen, sich des wichtigen Aktes der Wahl und Amtsführung bewusst zu sein. Weitere Überlegungen wurden zu der Sagrestia Nuova in Florenz angestellt, deren Anlage und Skulpturen unter ähnlichen Methoden und Fragestellungen, wie bereits vorgestellt, untersucht wurden.

1.3.3 Von der makrohistorischen auf die mikrohistorische Ebene Zur Erfassung der historischen Strukturen bot es sich ebenfalls an, die Mikrogeschichte zu untersuchen, die ihrerseits in die Makrogeschichte eingebettet ist, um so den Untersuchungsfokus zu verkleinern. 86 Bestes Beispiel dafür war die Abreise des Künstlers aus Rom 1506, einen Tag vor der Grundsteinlegung von St. Peter. Durch den Widerstand des Künstlers gegen den Entzug des Grabmalprojektes wurde eine Kette von Reaktionen, nahezu eine Krise zwischen Rom und Florenz ausgelöst, sodass am Ende die Diplomatie vonnöten wurde, um den abtrünnigen Künstler zum Einlenken zu bewegen. In diesen Kontext ist auch das Bemühen der Biographen zu stellen, wenn sie Michelangelos Bedeutung für den Neubau von St. Peter betonen. Auslöser war das Grabmal für Julius II., für das ein

vierbändige und großformatige Werk von Frederick Hartt „Der neue Michelangelo“ beste Möglichkeiten, da die Bilder durch hohe Brillanz und Klarheit bestechen. Näher ist an die Fresken nicht zu gelangen. 81 Talkenberger, H.: op. cit., S. 83. Nach Heike Talkenberger „veranschaulichen Bilder die Auseinandersetzung des Künstlers sowie des Auftraggebers mit seiner Umwelt.“ 82 An entsprechender Stelle werden diese Aussagen entfaltet. 83 Augenmerk wurde dabei ebenfalls auf die Dreischritt-Methode von Ernst Panofsky gelegt, die aus der „vor-ikonographischen Beschreibung“, „der ikonographischen Analyse“ und „der ikonologischen Interpretation“ besteht. Eberlein, J. K.: Inhalt und Gehalt: Die ikonografisch-ikonologische Methode, S. 179–182. Vgl. Emich, B.: op. cit., S. 230–231. Heike Talkenberger erweitert in ihrem Aufsatz das Modell Ernst Panofskys um eine sozialhistorische Fragestellung, die die Darstellungsintention des Künstlers „im Kontext seiner sozialen Erfahrungen sowie die gesellschaftliche Funktion des Bildes“ erfasst. Vgl. Talkenberger, H.: op. cit., S. 86. Bezogen auf das Jüngste Gericht muss hier deutlich die theologische Dimension beachtet werden. 84 Talkenberger, H.: op. cit., S. 83. Die Autorin zitiert in diesem Kontext Klaus Schreiner: „Bilder wollten und sollten ins Leben eingreifen.“ 85 Steinberg, L.: Michelangelo’s Last Judgement as Merciful Heresy. 86 Mikrohistorische Ansätze erklären strukturelle Prozesse und setzen diese in Beziehung mit konkreten Menschen, um nach deren Wahrnehmungen, Widerständen und Beiträgen zur „Großen Geschichte“ zu fragen. Sie verkleinern damit den Untersuchungsfokus. Vgl. Emich, B.: op. cit., S. 94.

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Einleitung

adäquater Aufstellungsort gesucht wurde. Die Größe des neu zu errichtenden Grabmals soll den Auslöser für den Abriss von Alt-St. Peter dargestellt haben. Michelangelos mikrohistorischer Beitrag in Form eines Grabmalentwurfs hat zum Abriss einer 1000-jährigen Basilika und dem Neubau des größten Gotteshauses der damaligen Christenheit geführt, was als ein großes historisches Ereignis gilt. Durch das der Dissertation vorliegende chronologisch-biographische Einteilungsprinzip kommt es immer wieder zu der Untersuchung der mikrohistorischen Prozesse, da das lange Künstlerleben eben auch ein Teil der Geschichte der Renaissance war.

1.3.4 Konzeption Der Untersuchungsgegenstand bot die Konzeption einer Memoriakette an, an die sich einzelne Unternehmungen bzw. Bemühungen des Künstlers, seinen Nachruhm zu sichern, wie Glieder einer Kette anschließen ließen. Mit dieser Konzeption sind die stetige Entwicklung von bewusstseins- und erinnerungsfähigen Inhalten und die damit verbundene Dynamik in dem Künstlerleben umrissen. Ausgangspunkt der Memoriakette bilden in dieser Untersuchung die Ereignisse, Erfahrungen und Konsequenzen für Michelangelo in den Jahren 1505 und 1506. Diese und die folgenden Jahre waren so prägend, dass er stetige Modifikationen seines Status im Umgang mit den Mäzenen vollzog, die ihm den für seine Zwecke nötigen Spielraum verschafften. Er entwickelte ein Bewusstsein für vergangene Taten und Ereignisse, reflektierte sie und verschriftlichte sie in Briefen, um der Nachwelt sein Bild zu hinterlassen. 87 In diesem Kontext wurde der Blick ebenso auf entwicklungsfördernde wie entwicklungshemmende Ereignisse im Leben des Künstlers gerichtet. Durch die Konzeption der Memoriakette ist das chronologisch-biographische Einteilungsprinzip programmiert.

An gegebener Stelle wird es immer wieder zur Vorstellung von Zwischenergebnissen kommen. Kleinere und größere thematische Einschübe dienen der Erweiterung des Horizontes. Sie sind vonnöten, um einerseits die Komplexität der Geschehnisse bzw. deren Parallelität darzustellen und ihnen andererseits auch gerecht zu werden. Ein Verweben der einzelnen thematischen Schritte wurde ebenfalls angestrebt, um durch diese Reorganisation der Inhalte das angestrebte Bild der Memoriakette schrittweise zu komplettieren. Auf diesem Hintergrund wird ein durchgängiges Motiv der Arbeit darin bestehen, Entwicklungslinien darzustellen. In der Summe versteht sich die vorliegende Dissertation einerseits als Beitrag zur Weiterentwicklung der Memoriabildung eines Künstlers bzw. dessen Sorge um sein Nachleben vom Format eines Michelangelos mit zum Teil interdisziplinärem Ansatz 88. Andererseits werden die Mechanismen der Erinnerungs- bzw. Nachlassverwaltung derjenigen untersucht, die aus dem Tod des Künstlers Kapital schlagen und somit dessen Ruhmeslicht auf sich fallen lassen wollten. Ergänzend dazu wurde die Dissertation unter Beachtung alter Werke der Michelangelo-Forschung aus dem 19. Jahrhundert und Anfang des 20. Jahrhunderts geschrieben, da sie Ansätze oder Ideen enthielten, die weiterentwickelt werden konnten und in der neueren Forschung keine durchgängige Beachtung fanden. Sie sollen durch eine innovative Fragestellung auf modifizierte Weise zum Sprechen gebracht werden. Dadurch soll die Dissertation eine Erinnerungskultur für die ältere Michelangelo-Literatur schaffen, in der es für die moderne Forschung noch terram incognitam zu erschließen gilt. Die Dissertation ist nicht als geschlossener Korpus zu verstehen, sondern bietet Denkangebote bzw. -figuren, methodische Möglichkeiten und wissenschaftliche Instrumente, die zur Weiterentwicklung einladen.

Für einige Briefe Michelangelos ist der Aspekt der Selbstmitteilung nachweisbar, da sich der Verfasser hier handelnd und leidend offenbart. Es liegt nach Benigna von Krusenstjern eine Selbstthematisierung durch ein explizites Selbst vor. Vgl. Emich, B.: op. cit., S. 198–199. Birgit Emich thematisiert u. a. die Bedeutung des Briefes als Selbstzeugnis. In dieser Dissertation wird keine Unterscheidung zwischen „Ego-Dokument“ oder „Selbstzeugnis“ vorgenommen. Vgl. ebd., S. 199. 88 Zu den verwendeten Nachbardisziplinen gehörten die Kunstgeschichte, die Theologie, die Politikwissenschaft, die Sozialgeschichte und auch im Ansatz die Sozialpsychologie, wissend, dass diese Spur mit Vorsicht verfolgt werden musste. Allerdings eröffnete das interdisziplinäre Arbeiten neue Wissensfelder. 87

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Einordnung der Untersuchung in den Forschungskontext

1.4 Einordnung der Untersuchung in den Forschungskontext Grundsätzlich liegt der vorliegenden Dissertation die Literatur vor, die von Relevanz für den Untersuchungsgegenstand war. Wegen der hohen Anzahl der verwendeten Werke werden hier wenige einzelne Untersuchungen aufgrund ihrer Bedeutung für den Gesamtkontext umrissen. Andere Werke, die ein Unterthema oder einen Teilaspekt in der Forschung über den Künstler abdecken, werden hier ebenfalls nur kurz vorgestellt, da auf sie an gegebener Stelle in der Dissertation ausführlicher eingegangen wird. Die wichtigsten Quellen stellen die selbstverfassten Schriftstücke Michelangelos dar, und zwar seine Briefe 89, die in ihrer Vielzahl von der Forschung untersucht und eingeordnet wurden. Seine Briefe sind ein Beweis für sein ausgeprägtes Bestreben, etwas zu verschriftlichen. Sie sind ein Spiegel seines Mitteilungsbedürfnisses, da hier sehr häufig ein Selbstzeugnis oder eine Selbstthematisierung 90 des Künstlers vorliegt, womit sie von Relevanz für diese Dissertation wurden. Deborah Parker legte ein Werk neueren Datums mit dem Titel „Michelangelo and the Art of Letter Writing“ zu diesem Thema vor und verweist darauf, dass von Michelangelo noch circa 500 Briefe existieren. 91 In ihrer Untersuchung setzt sie bei Michelangelos Handschrift an, die zeit seines Lebens sehr klar war, gelangt über seine rhetorischen Fähigkeiten und Vorlieben zu dem Befund, dass er Sprache sehr über-

legt, nahezu kalibriert benutzte, um den größten Effekt zu erzielen 92, der seinen Standpunkt vedeutlichte. Nach Deborah Parker ging es auch darum, seine innere Landschaft abzubilden, wenn er bezogen auf St. Peter, als ständig Rufe aus Florenz kamen, von „vergogna“, „passione“, „ruina“ und „peccato“ sprach. 93 Am Ende ihrer Untersuchung kommt sie zu dem Ergebnis, dass seine Briefe voller Esprit, Anmut und Witz sind und sein sprachliches Talent widerspiegeln. 94 Das sprachliche Talent ist vor allem in den Dichtungen zu finden, die in dieser Untersuchung nur eine untergeordnete Rolle spielen und nur exemplarisch und in absoluter Kurzform im Hinblick auf seinen Umgang mit dem Tod thematisiert werden. 95 Die Ricordi 96 stellen eine weitere Quelle dar. Sie sind Memoranden des Künstlers über seine Geschäfte und seine Aufträge, bestehend aus finanziellen Protokollen über Ein- und Ausgaben, die er wiederum akribisch festhielt. Diese Schriftstücke offenbaren bzw. erlauben vor allem einen Blick auf den Geschäftsmann Michelangelo. Als zeitgenössische Biographien, die miteinander in Beziehung gesetzt und gegen einander abgewogen werden, lagen die Ausgaben des Giorgio Vasari von 1550 und 1568 und Ascanio Condivi von 1553 vor. Beide Biographien weisen zum Teil divergierende Inhalte auf, setzen unterschiedliche Schwerpunkte und werden in ihrer Bedeutung im

Folgende Werke wurden als Quellen für die Untersuchung der Briefe verwendet: Die Fondazione Memofonte stellt das komplette Briefwerk von Michelangelo online zur Verfügung. Entsprechend wurde damit gearbeitet. Das fünfbändige Werk von G. Poggi, P. Barocchi, und R. Ristori „Il Carteggio di Michelangelo“ ist hierin aufgegangen. Die Ausgabe von K. Frey „Die Briefe des Michelagniolo Buonarroti“ bietet eine große Kollektion von Briefen, die übersetzt und kommentiert wurden. Einen vollständigen Kommentar kann das Werk nicht leisten. Die Inhalte von K. Frey sind prägnant und nachvollziehbar. E. H. Ramsdens doppelbändiges Werk „The Letters of Michelangelo“ untersucht vor allem im jeweiligen Appendix den Hintergrund der Briefe und liefert damit eine nachvollziehbare Hintergrundinformation, die die Briefauswahl, die ihrerseits breit angelegt und nach Aufenthaltsstätten des Künstlers und nach Jahren geordnet sind, sehr sinnvoll in den Kontext einbettet. Gerade die Inhalte im jeweiligen Appendix sind gut, interessant ausgewählt und entsprechend inhaltlich gestaltet. H. Hinderberger lieferte ein kleineres Werk ab, und zwar „Michelangelo – Lebensberichte, Briefe, Gespräche, Gedichte“. Die Briefe sind eine prägnante Auswahl und können durch ihre Übersetzungen überzeugen. Eine gute Kollektion, und zwar in Handschrift, bietet die Ausgabe von G. Daelli „Carte Michelangiolesche inedite“. Hier sind eher seltenere Briefexemplare besonders zu den Exequien Michelangelos zu finden. Ein weiteres Werk ist von Gaye, G.: Carteggio inedite d’Artisti die Secoli XIV., XV., XVI. Tomo II und III. 90 Emich, B.: op. cit., S. 199. Der Brief als Medium der Selbstthematisierung. R. v. Dülmen verweist darauf, dass „private Briefwechsel“ im 16. Jahrhundert Träger von Selbstdarstellung und Selbstzeugnissen sind. Vgl. Dülmen, R. v.: op. cit., S. 25–26. 91 Parker, D.: Michelangelo and the Art of Letter Writing, S. 1. 92 Parker, D.: op. cit., S. 144. 93 Parker, D.: op. cit., S. 139. 94 Parker, D.: op. cit., S. 144. Sie untersucht zum Teil sehr dezidiert die Bedeutung seiner favorisierten Formulierungen. Ihre z.T. akribische Arbeit regte zur genauen Betrachtung der Vasari-Briefe an Leonardo Buonarroti aus dem Frühjahr 1564 an. 95 Grundlage bildete das Werk von Karl Frey „Die Dichtungen des Michelagniolo Buonarroti“, das neben der Sammlung einen entsprechenden Kommentar bietet. 96 Bardeschi, Ciulich, L.; Barocchi, P.: I Ricordi di Michelangelo. 89

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Einleitung

jeweiligen Kontext geprüft. Während Ascanio Condivi seine Inhalte direkt von Michelangelo bezieht, der seinerseits seine Sichtweise preisgibt, konstruiert Giorgio Vasari vor allem in der zweiten Ausgabe der Viten seinen Vorrang im Leben des Künstlers, den er als Höhepunkt seiner Viten feiert. 97 In anderen Biographien seiner Viten untermauert Vasari seine selbstkonstruierte Vorrangstellung, indem er bewusst wichtige Beziehungsinhalte zwischen Michelangelo und anderen Künstlern unterschlägt. 98 Die Gespräche mit Michelangelo, die Donato Gianniotti 99 und Francesco de Hollanda 100 überliefern, wurden zwar beachtet, fanden hier aber eher marginal Verwendung. Der literarische Nachlass von Giorgio Vasari, herausgegeben und kommentiert von Karl Frey und Hermann Walther Frey, stellt nach wie vor einen wichtigen Fundus zur Erschließung dieser Gesamtthematik dar, der vor allem Verwendung in dem Kapitel über Michelangelos Tod, Exequien und Grabmalplanung Beachtung fand. Die von den Herausgebern verfassten Kommentare zu einzelnen Briefen sind überzeugend und fundiert angelegt. Beispielsweise wurden die Briefe von Giorgio Vasari an Cosimo I. und Vincenzo Borghini über die Planung der Exequien Michelangelos und dessen Grabmal umfassend kommentiert und eingeordnet. Die Position, Haltung und das Taktieren Vasaris kann anhand dieses Werkes rekonstruiert und ermittelt werden. Besondere Erwähnung in diesem Kontext verdient das Werk von Rudolph und Margot Wittkower „The Divine Michelangelo – The Florentine Academy’s Homage on his death 1564“. In ihrer Einleitung arbeiten Rudolph und Margot

Wittkower Michelangelos besondere Bedeutung für die Gründung der Academia del Disegno heraus und legen im zweiten Teil des Werkes das Büchlein zu seinen Exequien in italienischer Sprache und englischer Übersetzung vor. Ein moderneres Werk zu diesem Thema stammt von Marco Ruffini „Art without an author“. Marco Ruffini stellt fest, dass Vasari und Borghini Kunst zu einer lehrbaren Größe stilisiert haben. Es habe eine Verschiebung von der individuellen Ebene des künstlerischen Schaffens (Michelangelo) auf eine kollektive (Accademia del Disegno) stattgefunden, wobei Michelangelo nach Vasari ein neues Kunstzeitalter aufgestoßen habe. Weitere Teilaspekte zu dem genannten Themenfeld – Exequien und Grabmal – wurden aus verschiedenen anderen Werken generiert. 101 Michelangelos Tätigkeit am päpstlichen Hof wird in zwei Kapiteln abgehandelt. Zu diesem Themenkomplex liegt eine Vielzahl von Publikationen vor, die an gegebener Stelle thematisiert werden. Ausgangspunkt der ersten Auftragstätigkeit am päpstlichen Hof war das Julius-Grabmal. 102 Im Hinblick auf dieses Grabmal ist die Untersuchung von Claudia Echinger-Maurach zu nennen. Grundlegend in ihrem Werk ist die fundierte Untersuchung der vorangegangenen Beiträge der Kunstgeschichte zum besagten Grabmal, die von ihr systematisiert und aktualisiert werden. Von Interesse für den Untersuchungsgegenstand war u. a. der Punkt, den Claudia Echinger-Maurach zwar nur in einer Fußnote erwähnt, in dessen Rahmen sie aber eine Art Kostenvoranschlag über das Grabmal erstellt, der eine Budgeterweiterung des Grabmalprojektes zu einem späteren Zeitpunkt als 1506 wo-

Verwendete Werke hier waren: Giorgio Vasari: Das Leben des Michelangelo aus dem Wagenbach-Verlag. Ascanio Condivi: Das Leben des Michelangelo, übersetzt von Rudolph Valdek. Aus dem Italienischen lagen die Ausgaben der Viten Giorgio Vasaris von Gaetano Milanesi vor. Die Viten von 1550 wurde in edierter Form von Luciano Bellosi und Aldo Rossi verwendet. 98 Exemplarisch und vertiefend wird dies an der Vita von Daniele da Volterra gezeigt, untersucht und bewertet. 99 Giannotti, D.: Gespräche mit Michelangelo: Zwei Dialoge über die Tage, in denen Dante Hölle und Fegefeuer durchwanderte. 100 Hollanda, F. d.: Vier Gespräche über Malerei. 101 Unter anderem sind zu nennen: Davis C.: Orazione funerale di Messer Bendetto Varchi. Scorza, R.: Borghini and the Florentine Academies. Pirotti, U.: Benedetto Varchi e la cultura del suo tempo. Zanrè, D.: Cultural Non-Conformity in Early Modern Florence. Veen, H. v.: Cosimo I de’ Medici and his Self-Representation in Florentine Art and Culture. Cochrane, E.: Florence – the forgotten Centuries 1527–1800. Basil, D.: Fasseli gratia per potessa. Kusch-Arnhold, B.: Solcher Tugend gebührte nicht weniger! Die Exequien Michelangelos und das Grabmal des Künstlers. Mallarme, C.: L’ultima tragedia di Michelangelo. Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture. Ragonieri, P.: Michelangelo – Drawings and other Treasures from the Casa Buonarroti. Wazbinski, Z.: L’Accademia Medicea del Disegno a Firenze nel Cinquecento Idea e Istituzione. 102 Daran gekoppelt war der Neubau von St. Peter. Christoph Luitpold Frommels Ausführungen über die Capella Iulia sind maßgebliche Quellen zur Erforschung des Neubaus von St. Peter. Frommel, C. L.: Die Peterskirche im Licht neuer Dokumente. Frommel, C. L.: „Capella Iulia“: Die Grabkapelle Papst Julius’ II. in Neu-St.Peter. Frommel, C. L.: Das Grabmal Julius II. Ein weiteres beachtenswertes Werk ist das von Susanne Schüller-Piroli „2000 Jahre St. Peter“, da es Inhalte thematisiert, die in anderen Werken nicht vorliegen. Eine Untersuchung neueren Datums stammt von Horst Bredekamp „Sankt Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung“. Horst Bredekamp stellt in seinem Werk die produktive Zerstörung von St. Peter u. a. als Umgang Michelangelos mit dem Gebauten vor, um sein Modell durchzusetzen. 97

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Einordnung der Untersuchung in den Forschungskontext

möglich nötig gemacht hätte. 103 Die aufgestellte Rechnung der Autorin lässt zumindest einen Erklärungsansatz für Michelangelos Verhalten im Frühjahr 1506 zu, auch wenn dieses Gebaren zunächst von einer übereilten Geldforderung durch den Künstler getragen war. Maria Forcellino und Christoph Luitpold Frommel legen mit „Michelangelo – Marmor und Geist“ das neueste Werk zu diesem Themenkomplex vor. Maria Forcellinos Erfassung des Forschungsstands fällt präzise und überzeugend aus, sodass hier auf ihre Arbeit verwiesen sein soll, ohne sie selbst noch einmal zu repetieren. 104 In Bezug auf die Fresken der Sixtinischen Kapelle sei auf das großformatige, vierbändige Konvolut „Der neue Michelangelo“ verwiesen, das sich durch kurze einordnende und erläuternde Texte und vor allem durch die z. T. großformatigen Detailaufnahmen zum Studium und zur Erfassung der Fresken hervorragend eignet. 105 Von weiterer Bedeutung für den Untersuchungsgegenstand war die Frage der Assistenz bei der Ausmalung des Deckenfreskos, über die wenige Untersuchungen existieren, die aber den Nachweis erbringen, dass Michelangelo Hilfe bei der Ausmalung hatte. 106 Michelangelos zweite Anstellung im Vatikan betrifft die Ausmalung der Altarwand in der Sixtina, die Cappella Paolina und den Bau von St. Peter. Die Untersuchung und Interpretation von Loren Partridge zum Jüngsten Gericht besticht durch ihr hohes Niveau, Präzision und

sinnvolle Einordnung in den Kontext. Von besonderer Relevanz war Loren Partridges Einordnung des Selbstbildnisses Michelangelos in der Haut des Bartholomäus, das er als Signatur bezeichnet. 107 Zu den Fresken in der Capella Paolina liegt eine übersichtliche Anzahl von Untersuchungen vor, von denen „Michelangelo’s last Paintings“ von Leo Steinberg nach wie vor fundiert ist. 108 Die Fresken der Cappella Paolina wurden in der Folge mit der Florentiner Pietà in Verbindung gesetzt, über die Jack Wasserman wiederum ein überzeugendes Werk vorlegte. In seiner Untersuchung zieht er Michelangelos Angriff auf die Figur in Zweifel. Aufgrund von technischen Untersuchungen kommt er zu einem anderen Befund als Vasari, der diesen Angriff überliefert. Nach Jack Wasserman wollte Michelangelo nur eine kontrollierte Veränderung an der Skulptur vornehmen. 109 Ein kleineres Zwischenkapitel über Michelangelos Aufenthalt in Florenz ist seiner Tätigkeit an San Lorenzo gewidmet. In diesem Kontext soll das Werk von William Wallace exemplarisch genannt sein, in dem er akribisch und fundiert Michelangelos unternehmerische Tätigkeit an San Lorenzo untersucht. 110 An dieser Stelle sei mit Nachdruck auf Rab Hatfields Werk „The Wealth of Michelangelo“ verwiesen, das aufschlussreich Auskunft über Michelangelos Finanzen gibt. Rab Hatfield legt eine sehr präzise Darstellung über Michelangelos Mehrung und

Echinger-Maurach, C.: Studien zu Michelangelos Juliusgrabmal Bd. I, S. 295. In der Fußnote 294. Forcellino, M.: Die kritische Beurteilung des Grabmals Julius’ II. vom Cinquecento bis heute, S. 9–19. 105 Die Bände eins bis drei stammen von Frederick Hartt; Bildmeditationen, die auch interessante Ansätze offenbaren, sind von Dieter Schlesak gestaltet, während die Bildkommentare von Gianluigi Cololucci verfasst wurden. Der Band vier, der das Jüngste Gericht thematisiert, stammt von Pierluigi de Vecchi und Gianluigi Colalucci. William Wallace legte schon mit seiner Untersuchung „Michelangelo – The Complete Sculpture – Painting – Architecture“ z.T. großformatigere Aufnahmen vor. Wesentlich detaillierter und präziser erfassbar sind die Fresken aber im Werk „Der neue Michelangelo“ zu finden. Jenseits der modernen Technik ist den Fresken ohne Gerüst nicht näher zu kommen als durch diese vier Bände. 106 Wallace, W.: Michelangelo’s Assistants in the Sistine Chapel. William Wallace widmet den einzelnen Gehilfen kurze Biographien und Einschätzungen, was ihre Tätigkeit in der Kapelle angeht. Fabrizio Mancinelli arbeitet u. a. heraus, dass die Künstler nach dem Stil Michelangelos malen und ihre malerische Identität aufgeben mussten, damit keine stilistischen Unterschiede erkennbar waren. F. Mancinelli: Michelangelo: das Problem der Werkstatt. Giovanni Papini widmet „dem Hilfstrupp“ aus Florenz einen kleinen Beitrag, bleibt in der Darstellung aber nah an Vasari. Francesco Granacci wird in allen Beiträgen eine besondere Bedeutung beigemessen, da er Michelangelo aus Jugendtagen kannte und ebenfalls bei Ghirlandaio ausgebildet wurde. Christian von Holsts Biographie über Francesco Granacci konnte den Gesamthorizont erweitern. 107 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht: Eine Interpretation, S. 139. (Folgend zitiert: Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht) Zum Jüngsten Gericht liegen, wie bereits erwähnt, weitere Untersuchungen vor, die an Ort und Stelle der Arbeit genannt werden und Verwendung fanden. Hier sei auf ein weiteres Werk Loren Partridges und Randolph Starn verwiesen, das genauso eingeordnet werden kann wie die Untersuchung zum Jüngsten Gericht. „A Renaissance Likeness“ erhebt einen fundierten Befund über Raffaels Porträt von Julius II. Beachtung fand auch dieses Werk in dem Kapitel über Julius II. und den Luxus. 108 Verwendung fanden in diesem Kapitel verschiedene Aufsätze, die an Ort und Stelle genannt werden sollen. 109 Zur Florentiner Pietà liegt ein Konvolut von Untersuchungen vor, die sich von Michelangelos Psyche bis hin zu seiner Anhängerschaft zu den Nikodemisten spannt. An gegebener Stelle wird auf diese Ansätze entsprechend eingegangen. 110 Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo. 103

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Einleitung

Anlage seines Geldes vor. An die Akkumulation des persönlichen Reichtums war gleichzeitig der soziale Aufstieg der Familie Buonarroti gekoppelt. Der Autor weist nach, dass das enorme Vermögen im Gegensatz zum bescheidenen Leben des Künstlers stand, der aus seinen Aufträgen in der Regel einen satten Gewinn zog und sich nicht davor scheute, seine Vertragspartner zu übervorteilen. Dabei richtet Rab Hatfield seinen Blick auch auf die unehrliche und geizige Seite Michelangelos. Mit diesem Werk erlaubt er der Forschung einen sehr fundierten Umgang in der Beurteilung des Künstlers. Reichlich Material ist in mehrbändigen Werken über Michelangelo älteren Datums mit verschiedener Schwerpunktsetzung zu finden. 111 Darüber hinaus sind die Aufsatzsammlungen von Relevanz, die Anhaltspunkte zu dem Untersuchungsgegenstand boten. 112 Ein Schwerpunkt der verwendeten Literatur liegt auf den älteren Werken, da sie z. T. aus dem Fokus gerieten, was auch für ihre aufschlussreichen Inhalte gilt. Einige Werke erfuhren eine Renaissance und dienten als Quelle zur Entwicklung weiterer Gedanken und Ansätze. Die Verwendung der älteren Werke basiert auf einer gründlichen Recherche und Überlegung, die das Ziel verfolgten, neue Horizonte zu eröffnen. 113 Eine höhere Aufmerksamkeit erhielten die mittlerweile vielzählig existierenden MichelangeloBiographien, die in dieser Arbeit sowohl Verwendung fanden als auch eine Bandbreite der älteren 114 und neueren 115 Biographien abdecken. Ergiebige Biographien neueren Datums mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung legten Volker Reinhardt und Antonio Forcellino vor. Volker Reinhardt arbeitet schwerpunktmäßig Michelangelos Zugehörigkeit zu seiner Familie heraus und stellt dabei fest, dass die Haltung des Klagens im Leben des Künstlers sehr ausgeprägt war, er sich in der Rolle des Opfers sehr gefiel, aber letztlich die Figur war, die den Buo-

narroti-Clan beherrschte. Auslöser des Klagens war das stetige Gefühl, von der Familie finanziell ausgenutzt zu werden und aus diesem Grund selbst immer an der Armutsgrenze leben zu müssen. Dies war aber ein selbstgewähltes Schicksal und entsprach beileibe nicht der finanziellen Realität. Für Volker Reinhardt ist klar, dass Michelangelo sich über seinen Verdienst definierte und deshalb immer zu viele Aufträge annahm. Am Ende seines Lebens verfügte der Künstler über umgerechnet 80 Millionen Euro allein in seinem Sparstrumpf. Der Charakterkopf Michelangelo erfährt durch Volker Reinhardt seine Einordnung in eine religiös-politisch unruhige Zeit. Antonio Forcellino lenkt seinen Blick auf den Künstler, stellt dessen Hauptwerke vor und unterzieht diese – auch mit dem Blick eines Restaurators – einer kunsthistorischen Analyse. Ein Schwerpunkt Antonio Forcellinos liegt auf der Darstellung des Julius-Grabmals. Des Weiteren beschreibt er die inneren Kräfte des Künstlers, denen dieser sich ausgesetzt sah und die sich in religiösen und politischen Themen manifestierten. Das religiöse Erleben Michelangelos arbeitet Antonio Forcellino anhand seines Kontakts zu den sogenannten Spirituali heraus. Er stellt auch Michelangelos Affinität zu Geld vor und gründet die asketisch sparsame Lebensweise des Künstlers auf dessen Habgier. Zum Schluss sei auf ein Exkurs-Kapitel verwiesen, das als Extrakt aus der Untersuchung der Kollaboration von Michelangelo mit Julius II. herausfloss, und den Umgang des Papstes mit dem Luxus untersucht. Zu dem Exkurs-Kapitel „Julius und der Luxus“ liegt bisher keine geschlossene Untersuchung vor. Es erbringt den endgültigen Nachweis, dass das Julius-Grabmal nicht am Finanziellen, sondern am Willen des Papstes scheiterte und Michelangelo wirklich ein Spielball der Launen des Papstes war, der sein Geld in Juwelen und Edelsteine investierte und sich als sichtbares Zeichen eine exorbi-

111 Tolnay, C. d.: Michelangelo Bd. I–V. Nach wie vor ist die Durchsicht der fünf Bände lohnenswert. Eine Art von Zusammenfassung seines fünfbändigen Werkes lieferte Charles de Tolnay durch sein Einzelwerk „Michelangelo – Sculptor – Painter – Architect“. Dem „Werk und Weltbild des Michelangelo“ widmet er in Form eines Vortrages im Collége de France eine Vertiefung. Zu nennen sind auch Henry Thodes Werke „Michelangelo und das Ende der Renaissance Bd. I–III“ und „Michelangelo – Kritische Untersuchungen über seine Werke Bd. I–III“. 112 Exemplarisch seien hier die Werke von William Wallace „Selected Readings“ und Johannes Wilde „Six Lectures“ genannt. 113 Hier seien exemplarisch genannt: Spahn, M.: Michelangelo und die Sixtinische Kapelle. Brandi, K.: Michelangelo’s künstlerische und religiöse Entwicklung. Burger, F.: Geschichte des florentinischen Grabmals von den ältesten Zeiten bis zu Michelangelo. Beyer, H. W.: Die Religion Michelangelos. 114 Zu den älteren Biographien, die nach wie vor sehr ergiebige Inhalte aufweisen, gehören u. a.: Gotti, A.: Vita di Michelangelo Buonarroti Bd. I und II. Wilson, C. H.: Life and Works of Michelangelo Buonarroti. Symonds, J. A.: The Life of Michelangelo Buonarroti. Grimm, H.: Leben Michelangelos. 115 Eine Biographie neueren Datums stammt von William Wallace: Michelangelo – The Artist, the Man, and his Times.

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Aufbau und Struktur der Arbeit

tant teure Tiara anfertigen ließ. Grundlage zu diesem Kapitel bilden unter anderem zeitgenössische Quellen, da die päpstliche Affinität zu Geld und Edelsteinen innerhalb und außerhalb des Vatikans beobachtet und kommentiert wurde. Ergänzungen zu den Primärquellen wurden der Sekundärliteratur entnommen, worunter die Forschungsergebnisse von Christin Shaw von Belang waren. 116

Insgesamt konnte die Vorstellung der genannten Werke nur in einer Auswahl geschehen, da das Feld der verwendeten Literatur einfach zu weit ist. Wie bereits dargelegt, werden in den einzelnen Kapiteln die einzelnen Forschungsstände angemessen vorgestellt.

1.5 Aufbau und Struktur der Arbeit Die Dissertation wird durch ein Grundlagenkapitel, das den Neubau von St. Peter und dessen grundsätzliche Bedeutung für das Papsttum als theologisches und politisches Zentrum thematisiert, eröffnet. Der Neubau von St. Peter wird unter der Prämisse betrachtet, inwiefern Michelangelo davon betroffen war, da er den Auftrag über das JuliusGrabmal erhielt, das in St. Peter Aufstellung finden sollte. Der Auftrag wurde temporär ausgesetzt, was Michelangelo zur Abreise aus Rom veranlasste und nahezu zu einer politischen Krise zwischen Florenz und dem Papst führte. Das folgende Kapitel enthält den Ersatzauftrag Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle und dessen Rückkehr nach Rom. Die Kapelle wird zum Ort des Triumphs für den Künstler und der ersten Mythenbildung, er habe das Fresko allein ausgeführt. Als erläuternde Ergänzung zu den ersten beiden Kapiteln lässt sich das „Exkurs-Kapitel“ „Julius II.

und der Luxus“ einordnen. Es wird der Nachweis erbracht, dass dieser Papst nahezu eine Sucht nach Edelsteinen und Gold hatte, die er hemmungslos bediente und dafür nach heutigem Ermessen Millionen ausgab, ohne an ein Grabmal, einen Neubau oder einen Krieg zu denken. Der Leidtragende war Michelangelo, da ihm das Grabmal entzogen wurde, das er später vollendete, und sich daran hemmungslos bereicherte. Dieses Kapitel unterstreicht nochmals, dass Michelangelo ein Objekt von vielen im Pontifikat des Papstes war und deshalb von Anfang an einem Luftschloss aufsaß, in das er sich, angestoßen durch den Wunsch des Papstes nach einem Grabmal mit vierzig Figuren, begeben hatte und ihm einen freien Fall bescherte. Zwei kleinere Kapitel stellen Michelangelos Aufenthalt in Florenz und dessen Aufstieg zu einem Unternehmer und zur Entwicklung des Status eines Künstlersouveräns vor. Im zweiten Zwischenkapitel

Zu den wichtigsten Quellen zählen hier die Diarien und andere Werke der Zeremonienmeister. Die zum Teil detailreichen Diarien zeigen deutlich, welchen Wert der Zeitgenosse auf das Zeremoniell legte. Vgl. Emich, B.: op. cit., S. 201. Johannes Burckhard betont Michelangelos Bedeutung im Pontifikat von Julius II. und beschreibt die prachtvollen Tiaren, die Julius II. bei liturgischen Anlässen trug. Paris de Grassis verfährt ähnlich und betont immer wieder den Wert der Schmuckstücke. Marino Sanutos Diarien stellen ebenfalls einen Grundstock für diesen Exkurs dar. Die französischsprachige Geschichtsforschung legte durch Eugène Müntz mit „La Tiare Pontificale Du VIII au XVI Siècle“ ein Werk über die päpstlichen Tiaren vor, das in einer beschreibenden und kommentierenden Art die Bedeutung der wichtigsten Tiaren vom achten bis zum 16. Jahrhundert erfasst. Besondere Beachtung findet die Prachttiara Julius’ II. In Emmanuel Rodocanachis „Le Pontificat de Jules II“ ist z. B. der Verdienst des Papstes bzw. dessen Bereicherung am Tod von Kardinälen verzeichnet. Er betont, dass mit der Präsentation der Werte die päpstliche Macht demonstriert werden sollte. Eine Untersuchung über die Goldschmiedearbeit unter Julius II. und Leo X. legte Denise Allen mit „Juwelen für die Krone“ 1999 vor, die auf einer gründlichen Quellenuntersuchung basiert. Zu den immer noch überzeugenden Julius II.-Biographien gehören: Shaw, C. „Julius II: The Warrior Pope“, die Julius II. als politische Figur betrachtet, die den Kirchenstaat erstarken lassen wollte. Christin Shaw arbeitet heraus, dass dieser nicht unbestrittene Papst einflussreich, zielorientiert und durchsetzungsfähig war, was bereits in seinem Kardinalat ablesbar war. In zwei weiteren Aufsätzen nähert sie sich diesem Papst, indem sie die Verbindung zu Sixtus IV. herausarbeitet. Shaw, C.: A Pope and his nipote. Sixtus IV and Guiliano della Rovere. Der andere Aufsatz widmet sich der Motivation von Julius II. für die Patronage. Shaw C.: The Motivation of the Patronage of Pope Julius II. Ivan Cloulas’ „Jules II – Le Pape terribile“ zeichnet den Kontrast auf, den Julius II. zu seinen Vorgängern darstellte, indem er in Rüstung und Schwert seinen Armeen voranging und mit einer päpstlichen Tradition brach, um die Feinde aus Italien zu vertreiben. Ludwig von Pastor widmet Julius II. den kompletten dritten Band seiner Reihe Geschichte der Päpste, der nach wie vor eine ergiebige Quelle darstellt. 116

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Einleitung

wird Michelangelos zweite Anstellung im Vatikan thematisiert, die ihn konkurrenzlos zum künstlerischen Herrn des Vatikans machte. Das folgende Großkapitel untersucht Michelangelos spirituelle und religiöse Entwicklung, die ihn zur Selbstdarstellung in zwei Medienformen mit dem Ziel antreibt, für sein Seelenheil Sorge zu tragen. Diese Sorge sollte ihn schließlich bis zu seinem Tod beschäftigen. Rufe aus Florenz, die von Herzog Cosimo I. und Giorgio Vasari ausgingen und die ihn zur Rückkehr bewegen sollten, lässt er verhallen, da er sich nicht gegen St. Peter versündigen wollte, zu dessen Architekt er aufgestiegen war. Die Ablehnung, nach Florenz zurückzukehren, umfasst ebenfalls ein eigenes Kapitel.

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Die beiden abschließenden Großkapitel untersuchen seinen Tod und die Verwaltung seines Erbes. Das Erstere besteht aus den Untersuchungsteilen, die Michelangelos angebliche Bedeutung für die von Vasari inszenierte Accademia del Disegno und seine Exequien in der Familienkirche der Medici beinhalten. Das letzte Großkapitel der Dissertation stellt die Vereinnahmung Michelangelos post mortem durch Giorgio Vasari, Vincenzo Borghini, beide Vertreter der Accademia del Disegno, Herzog Cosimo I. und Leonardo Buonarroti heraus. Ziel der beteiligten Männer war es, am Ruhm des Künstlers zu partizipieren und das umzusetzen, was ihnen zu seinen Lebzeiten nicht gelang, ihn für ihre Zwecke zu vereinnahmen.

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2 Michelangelo und der Neubau von St. Peter 2.1 Bedeutung und Zustand von St. Peter vor 1506 Mit der Rückkehr der Päpste aus Avignon im 14. Jahrhundert wurde die Konstantinische Basilika bewusst zur päpstlichen Hauptkirche erhoben, was die Abkehr vom Lateran als päpstlichem Sitz bedeutete. Alt-St. Peter beherbergte die Gebeine des Apostelfürsten, wodurch die Basilika zu einem Pilgerort geworden war und so Bedeutung während des Mittelalters erlangte. Päpstliche Zeremonien und Kulthandlungen wurden fortan in Alt-St. Peter abgehalten. An die Verlegung der päpstlichen Residenz auf den vatikanischen Hügel war eine Neuorientierung des Papsttums gekoppelt. Das Papsttum strebte – neben seiner Funktion als „vicarius Christi“ – erneut an, im europäischen Mächtespiel als Souverän des Kirchenstaates eine bedeutsame Rolle einzunehmen. Innerkirchlich versuchte man, dem konziliaren und schismatischen Tendenzen entgegenzuwirken. Der sichtbare Beweis der neuen Ausrichtung war die Umwandlung Roms in eine päpstliche Residenzstadt, um den während des französischen Exils erblühten Autonomiebestrebungen des römischen Adels Einhalt zu gebieten. Strategischer Stützpunkt und Zentrum des päpstlichen Unterfangens war der Vatikan geworden, der jenseits des Tibers lag. 1 Als sichtbares Zeichen des Papstums galt Alt-St. Peter. Dieser Kirchenbau

wies aber nach über 1000 Jahren Standfestigkeit Risse und Brüche auf, sodass Erhaltungsmaßnahmen vonnöten wurden. 2 Der Erhalt der Basilika war evident für das päpstliche Zeremoniell, die Liturgie und die Wallfahrt der Pilger. Somit war der Zustand dieses Bauwerks Gradmesser für die Beurteilung des Papsttums. 3 Allerdings war der IstZustand des Gotteshauses Mitte des 15. Jahrhunderts so ruinös, dass Nikolaus V. sich genötigt sah, in einer Bulle 1451 die Einsturzgefährdung der Basilika festzustellen. 4 Neben der nötig gewordenen Stabilisierung der Basilika plante Nikolaus V. deren Vergrößerung um einen Chor. 5 Ein Neubau des vatikanischen Palastes, der Basilika und Neugestaltung der Leostadt wurde unter diesem Pontifex zwar angedacht, aber nicht vollzogen. 6 Unter Nikolaus V. wurden lediglich die Fundamente des erwähnten Chores auf eine gut sichtbare Höhe gebracht, 7 die Paul II. (1464–1471) auf eindreiviertel Meter erhöhte, welche Michelangelo bei seiner Besichtigung im Jahr 1506 vorfand. 8 Die Arbeit am Westchor war am Beginn des 16. Jahrhunderts somit noch nicht abgeschlossen 9 und fand erst wieder unter Julius II. Aufnahme, als er dort seine Grablege in der sogenannten „Capella Iulia“ plante. 10

Thoenes, C.: Renaissance St. Peter’s, S. 64. Vgl. Bredekamp, H.: Sankt Peter in Rom und das Prinzip der produktiven Zerstörung, S. 22. (Folgend zitiert: Bredekamp, H.: Sankt Peter in Rom.). 2 Thoenes, C.: Renaissance St. Peter’s, S. 67. Hannes Roser verweist darauf, dass alle Erhaltungsmaßnahmen der konstantinischen Basilika zwischen der Rückkehr Martins V. und der Thronbesteigung Julius’ II. keinem einheitlichen Plan folgten. Vgl. Roser, H.: St. Peter im Rom im 15. Jahrhundert, S. 251. 3 Roser, H.: op. cit., S. 251. 4 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. I, S. 507. Siehe Anmerkung 2 S. 507: „Cum videamus basilicam principis apostolorum … in tecto collabi ac ita deficientem ut ruinam minetur.“ 5 Thoenes, C.: Renaissance St. Peter’s, S. 64. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. I, S. 505. Das Querhaus sollte auf die Breite des Mittelschiffes erweitert und in westlicher Richtung ausgedehnt werden. Jenseits des Querhauses in Verlängerung des Mittelschiffes war ein gewaltiger neuer Chor geplant. Vgl. Bredekamp, H.: St. Peter in Rom, S. 23. Siehe Abb. 1: Grundriss St. Peter [S. 319]. 6 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. I, S. 501–502. 7 Bredekamp, H.: St. Peter in Rom, S. 24. 8 Bredekamp, H.: St. Peter in Rom, S. 25. 9 Thoenes, C.: Renaissance St. Peter’s, S. 64. 10 Frommel, C. L.: „Capella Iulia“: Die Grabkapelle Papst Julius’ II. in Neu-St. Peter, S. 32–33. (Folgend zitiert: Frommel, C. L.: Capella Iulia) Dieser fundierte Aufsatz wird in der Fachliteratur immer wieder zitiert. Hier soll nur in aller Kürze darauf verwiesen werden, dass die Capella Iulia als Grablege für Julius II. fungieren sollte und diese sich auf dem Areal des alten Nikolauschores befunden hätte (S. 32–33; S. 48). Somit wäre dieser Chor zu einem Mausoleumschor geworden, was keine neue Idee war, da diese schon seit der Mitte des 15. Jahrhunderts in Italien wieder aktuell war (S. 46–47). Julius II. orientiert sich mit diesem Entschluss an sich selbst, da er schon als Kardinal an der Umsetzung eines Mausoleumschores in S.S. Apostoli mitgewirkt hat (S. 48). Die erste Erwähnung der Capella Iulia stammt dann interessanterweise aus dem Jahr 1511, als es um die Stiftung 1

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Michelangelo und der Neubau von St. Peter

2.2 Metamorphose: Vom Kardinal zum Papst Als Giuliano della Rovere (1444–1513) im Jahr 1503 den Stuhl Petri bestieg und den Namen Julius II. wählte, avancierte er zu dem Renaissancepapst schlechthin, der neben der Ausdehnung, Etablierung und Absicherung des Kirchenstaates die Verherrlichung des Papsttums und der Familie della Rovere anstrebte. 11 Nur der Titel „vicarius Christi“ ließ noch auf die Nachfolge Christi schließen. 12 Im Sinne der Familie erzogen und auf Karriere ausgelegt, wurde er bereits am 15. Dezember 1471 von seinem Oheim Papst Sixtus IV. (1414– 1484) zum Kardinal kreiert. In kürzester Zeit entwickelte er sich zu einem wichtigen Mitglied des Kardinalkonsistoriums, so dass er selbst während seines selbst gewählten Exils unter Alexander VI. diesen Einfluss nicht einbüßte. 13 Die Rivalität zwischen den della Rovere und den Borgia war schon seit dem Pontifikat von Alexanders Vorgänger Innozenz VIII. (1484–1492) manifest. 14 Die Wahl Alexanders VI. durch Simonie wurde zwar so nicht erwartet 15, veranlasste aber Giuliano della Rovere, zu einem nahezu 11-jährigen Exil. Aus diesem Exil trieb er die Absetzung Alexanders VI. voran und warb für ein Konzil, das von fürstlicher Seite einberufen werden sollte. Für ihn war auch dabei das geringere Übel, dass er sich einerseits der Form halber mit dem Papst aussöhnte und dass sich andererseits die europäischen Großmächte in die Geschicke Italiens einmischen sollten. 16 Als Papst hatte er

später zu diesem Punkt eine sehr ambivalente Haltung. 17 Mit dem Tod Alexanders VI. in Rom am 18. August 1503 18 kehrte Kardinal della Rovere am 3. September 1503 aus seinem Exil nach Rom zurück, um als Aspirant auf den Stuhl Petri gehandelt zu werden. 19 Das erste Konklave von 1503 ging zu seinen Ungunsten aus, stattdessen wurde der alte und kranke Francesco Todeschini Piccolomini (Jahrgang 1439) am Morgen des 22. Septmeber 1503 zum Papst erhoben, der aus Verbundenheit zu seinem Oheim den Namen Pius III. annahm. 20 Schon bei seiner Krönung am 8. Oktober 1503 von der Gicht geplagt 21, verschied er bereits am 18. Oktober 1503 eines aufgrund von Krankheit geschwächten Körpers. 22 Um seine Wahl jetzt zu garantieren, war Giuliano della Rovere jedes Mittel recht und schreckte nicht vor Bestechung zurück. 23 Seine Strategie ging auf: Er wurde am 1. November nach einem kurzen Konklave im ersten Wahlgang einstimmig zum Papst gewählt. Schon Beobachter hatten bei seinem Einzug ins Konklave die enorme Selbstsicherheit dieses Mannes registriert, die darin gipfelte, dass er sich seinen eigenen bereits angefertigten Fischerring nach der Wahl überstreifte. 24 Mit diesem Akt brodelten erst recht die Gerüchte über einen simonistischen Akt und waren im Grunde bestätigt. Vermutlich zeigte das, wenn auch zeitverzögert, Wirkung auf Julius II., da er am 14. Januar 1505 eine Bulle gegen Simonie formulierte, die nach

eines festen Unterhaltes für die neu zu gründende Sängerkapelle von St. Peter geht (S. 33). Seit Sommer 1511 wird dann offiziell zwischen Chor und Neubau unterschieden (S. 34). 1513 spricht sich Julius II. deutlich für die Kombination von Chor- und Grabkapelle aus (S. 33). 11 Shaw, C.: Julius II: The Warrior Pope, S. 1. (Folgend zitiert: Shaw, C.: Julius II.). 12 Schimmelpfennig, B.: Das Papsttum, S. 269. 13 Shaw, C.: Julius II, S. 9. Vgl. Infessura, S.: Römisches Tagebuch, S. 62. Infessura nennt nur den Dezember 1471. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. II, S. 426. Pastor nennt den 16. Dezember 1471. 14 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 291. 15 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 296. 16 Reinhardt, V.: Der unheimliche Papst – Alexander VI. Borgia, S. 66. 17 Shaw, C.: Julius II, S. 81. 18 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 498. Die Todesursache war vermutlich die Malaria. Vgl. Reinhardt, V.: Der unheimliche Papst – Alexander VI. Borgia, S. 246. 19 Shaw, C.: Julius II, S. 117. 20 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 556. 21 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 560. 22 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 561. 23 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 564. Der Autor führt in seiner Fußnote 1 Zeugnisse an, aus denen er schließt, dass Simonie bei dieser Wahl angewandt wurde. Vgl. Gregorovius, F.: Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter Bd. III, S. 362. (Folgend zitiert: Gregorovius, F.: Geschichte der Stadt Rom Bd. III). 24 Shaw, C.: Julius II, S. 121.

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Metamorphose: Vom Kardinal zum Papst

ihrer Billigung durch die Kardinäle im Oktober 1510 veröffentlicht 25 und auf dem V. Laterankonzil am 16. Februar 1513 bestätigt wurde. 26 Ein Papst, der sich erst ein Amt kauft, um diesen Akt später zu verbieten, wird vom Saulus zum Paulus, was entweder einer Form von Souveränität oder einem eigenwilligen Selbstverständnis entspringt. Der zweite della Rovere auf dem Papstthron wählte den bedeutsamen Namen Julius II., der zwar von Giuliano abzuleiten, aber letztlich derselbe Name wie der des römischen Feldherrn und Staatsmannes Gaius Julius Caesar ist. 27 Die Namenswahl ließ ebenfalls Bezug zu Papst Julius I. (337–362) zu, der im vierten Jahrhundert den Vorrang des päpstlichen Primats gegenüber der Ostkirche behauptete. 28

2.2.1 Charakter und Persönlichkeit Julius’ II. Julius II. wurde nicht als Gelehrter eingeordnet, auch wenn er in Perugia juristische Studien betrieben hatte. Ein in Rom lebender deutscher Zeitgenosse beschrieb ihn als Mann von großer Klugheit, mit Weitsicht und mit Scharfsinn versehen, der aber nicht durch seine Gelehrsamkeit hervorgetreten sei. Seine Stärken seien weder in literarischen noch in natürlichen Geistesgaben zu suchen. Paris de Grassis bestätigt dies durch eine Schilderung, dass Julius II. im Konsistorium nicht habe frei sprechen können, sondern wie halbtot gewirkt und Unterstüt-

zung durch seinen Zeremonienmeister gebraucht habe. 29 Das Gemüt des Papstes wird als schwer handhabbar beschrieben. Er sei zwar klug, aber auch maßlos heftig, mutig gewesen, habe alles selbst machen wollen und keinem Einfluss unterlegen. Julius II. galt als unberechenbar, da er seine Entschlüsse stündlich oder über Nacht änderte. Er habe geistig wie körperlich die Natur eines Riesen gehabt, seine Leidenschaft und seine Entwürfe überschritten das normale Maß. Seine Umgebung fürchtete seinen Jähzorn und sein Ungestüm. Niemand habe sich der Durchsetzungskraft und dem eisernen Willen dieses Kraftmenschen der Renaissance widersetzen können. Er sei „terribile“ gewesen. 30

2.2.2 Zwischenresümee Auf diesen charakterstarken Mann sollte zwei Jahre später ein unerfahrener Michelangelo treffen. Aufgrund des erhobenen Befundes ist anzunehmen, dass Julius’ II. Vorstellung von seinem Grabmal vermutlich das normale Maß überschritt. Ein in großen Dimensionen denkender Michelangelo, der von dem Superauftrag eines Grabmals träumte, stachelte die Phantasie des Papstes noch an und umgekehrt, sodass am Ende ein vierzigfiguriges Grabmal in den Köpfen entstanden war. 31 Michelangelo konnte nicht ahnen, dass der Papst, was auch in dessen Charakter verankert war, bereit war, seinen Entwurf wieder fallen zu lassen. Julius II. war ein

25 Pastor, L. v.: Die Geschichte der Päpste Bd. III, S. 733. Ludwig von Pastor geht hier aber davon aus, dass Julius’ II. Bestreben darin lag, einer erneuten Erhebung eines Papstes vom Typ Alexanders VI. vorzubeugen. Inhalt war, dass eine Papstwahl, bei der offenkundig Simonie stattgefunden habe, nicht gelte und dass simonistische Wähler unter schwerste kirchliche Strafen fielen. Giovanni Berthelet nennt die Bulle „Cum tam divino e Cum secundum apostolum“ als relevante Bestimmung gegen die Simonie und setzt sie auch in Beziehung zum Vorgänger Alexander VI., der keine unbescholtene Vergangenheit gehabt habe. Vgl. Berthelet, Giovanni: La Elezione del Papa, S. 37–38. 26 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 728. Kurz vor seinem Tod besteht Julius II. darauf, dass die Sitzung des Konzils vom 16. Februar 1513 die Verordnungen gegen eine simonistische Papstwahl erneuert. Vg. ebd., S. 733. 27 Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, the Man, and his Times, S. 75. (Folgend zitiert: Wallace, W.: Michelangelo – The Artist.) Vasari berichtet, dass Bramante an einem Fries an der Außenfassade des Belvedere Palastes, um den Papst zu huldigen, ein Bildnis von Julius Cäsar im Profil und eine zweibögige Brücke und dazu einen Obelisken aus dem Zirkus Maximus anbringen ließ, was IULIO II. PONT. MAX. bedeutete. Vasari, G.: Das Leben des Bramante, S. 19. Nach der Eroberung Bolognas ließ sich Julius II. in Form einer Gedenkmünze als zweiter Caesar, IULIUS CAESAR PONT. II. huldigen. Vgl. Shaw, C.: Julius II, S. 204. Bredekamp, H.: Sankt Peter in Rom, S. 30. 28 Campbell, I.: The New St. Peter’s: Basilica or Temple? S. 4. Zeitgenossen nahmen mit Überraschung auf, dass Giuliano della Rovere nicht den Namen Sixtus wählte. Vgl. Bredekamp, H.: St. Peter in Rom, S. 30. 29 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 747. „Non facio mentionem de Iulio (II) qui cum oraturus esset semper per triduum ante actum occupatus erat in studio memorandi sermonis et tamen cum in consistorio publico dicere vellet semper semimori videbatur, ita ut mihi esset necesse accurerre et excitare eum in stupore membrorum occupatum et exanimatum sicut omnes viderunt.“ Vgl. ebd., S. 933, Text 132: Paris de Grassis über die Renaissancepäpste als Redner. Nach Christin Shaw litt Julius II. an einer Art Lampenfieber. Vgl. Shaw, C.: The Motivation of the Patronage of Pope Julius II, S. 45. (Folgend zitiert: Shaw, C.: The Motivation). 30 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 567. Ludwig von Pastor übersetzt dies mit „ganz außerordentlich, gewaltig, großartig und überwältigend“. 31 Charles de Tolnay spricht in diesem Kontext, wie noch zu erwähnen sein wird, von einer wechselseitigen Begeisterung. Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo – The Tomb of Julius II (Bd. IV), S. 5. (Folgend zitiert: Tolnay, C. d.: Michelangelo IV).

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Michelangelo und der Neubau von St. Peter

streitbarer und scharfsinniger Mann, der bei der Fülle der Aufgaben und Tätigkeiten, die sein Amt und die Familienräson ihm abverlangten, das geringere Übel in dem Entzug oder der temporären Aufgabe des Grabmalobjektes sah. Auf die Befindlichkeit eines kapriziösen Künstlers konnte und wollte

er keine Rücksicht nehmen, versuchte später vermutlich eine Schadensbegrenzung, da er Michelangelo für seine Zwecke brauchte. Michelangelo hatte das Pech oder das Glück, in eine Situation zu geraten, die er weder vorhersehen noch steuern konnte.

2.3 Ziele des neuen Pontifex Zu Beginn des Pontifikates hatte Julius II. eine Fülle von selbst auferlegten Aufgaben und Visionen zu bewältigen, von deren Wichtigkeit er zutiefst überzeugt war. 32 Aufgrund seines im Kardinalat angehäuften Reichtums war die Umsetzung dieser Pläne möglich. 33 Da es ihm schon als Kardinal ein Anliegen war, das Eigentum der Kirche zu verteidigen 34, ging Julius II. konsequent an die Wiederherstellung des Kirchenstaates heran, verbunden mit der Rückführung des Papsttums an die Spitze Europas. Daran waren dynastische Ambitionen der Familie della Rovere, deren Verherrlichung und der langfristigen Sicherung seiner Memoria und die seiner Familie gekoppelt. 35 Die Sicherung seiner Memoria wollte er unter anderem durch ein Grabmal erreichen, von dem er von einem gewissen Zeitpunkt an beseelt war, und für das er einen geeigneten Ort suchte. 36 Die Grabmalidee gründete nicht nur auf seiner Pietas, die er seinem Onkel Papst Sixtus IV. in Form einer Grabmalsstiftung gezollt hatte, sondern auch auf dem Selbstverständnis, sich als Erfüller der Mission des della-Rovere-Clans zu definieren, der Kirche und der Familie zu Größe zu verhelfen. Christin Shaw

unterstreicht in ihrer Julius-Biographie immer wieder, dass Julius II. Papst Sixtus IV. nacheiferte. 37 Sixtus IV. machte den Auftakt, als Landesfürst in Erscheinung zu treten, und einen bis dahin nicht gekannten Nepotismus als Herrschaftsinstrument zu etablieren. Nepoten wurden die Stützen und Werkzeuge der päpstlichen Landeshoheit, führten den Kirchenstaat in die Richtung einer Monarchie 38 und sicherten die Papstmemoria nach dem Tod des Pontifex. 39 Ferdinand Gregorovius bezeichnet Sixtus IV. von daher nicht zu Unrecht als den ersten wahren Papstkönig auf dem Stuhl Petri. 40 In dieser Tradition stand und aus dem Selbstverständnis kam Julius II., der als Nachfolger seines Onkels Rom in eine imperiale Stadt verwandeln wollte. 41 Rom sollte zu der Hauptstadt eines unbesiegbaren Territoriums werden, das nach Julius II. so mächtig wie das Rom der Antike werden sollte. Den Machtanspruch und die Sicherung der päpstlichen Macht sollten Monumentalbauten sichtbar machen 42, was nicht zuletzt für den Umbau bzw. Ausbau des vatikanischen Palastes und für Alt-St. Peter galt.

Shaw, C.: The Motivation, S. 44. Kempers, B.: Die Erfindung eines Monuments, S. 42. 34 Shaw, C.: The Motivation, S. 44–45. 35 Thoenes, C.: Renaissance St. Peter’s, S. 73. Vertiefend dazu: „Julius was able to consider himself the executor of divine will and simultaneously fulfiller of family obligations.“ Vgl. ebd., S. 74. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Band III, S. 569. Christin Shaw betont in ihrem Aufsatz, dass er allerdings keine Dynastie aufbauen wollte. Seine Landeroberungen galten der Kirche und nicht der Familie. Vgl. Shaw, C.: The Motivation, S. 48. 36 Thoenes, C.: Der heilige Raum der Basilika St. Peter, S. 43. 37 Shaw, C.: Julius II, S. 201–202. Sie bestätigt dies in ihrem Aufsatz, indem sie herausstellt, dass Sixtus IV. z. B. mit der Sixtina und der Capella Sixti vorlegte und Julius II. ihm hier folgte. Auch er möchte eine Grablege mit Chor in einer Kapelle in Alt-St. Peter haben. Vgl. Shaw, C.: The Motivation, S. 48. Siehe Abb. 2: Cappella Sixti IV. [S. 319]. 38 Gregorovius, F.: Geschichte der Stadt Rom Bd. III, S. 114. 39 Borgolte, M.: Petrusnachfolge und Kaiserimitation, S. 273. (Folgend zitiert: Borgolte, M.: Petrusnachfolge). 40 Gregorovius, F.: Geschichte der Stadt Rom Bd. III, S. 133. Die Tatsache, dass sich Sixtus IV. eine Chorkapelle in Alt-St. Peter errichten ließ und dort sein Mausoleum platziert wurde, spricht für diese Bezeichnung, da die Anlage eines Mausoleumchores der Anlage eines Königs- oder Fürstengrabes entsprach. Vgl. Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 286. 41 Shaw, C.: Julius II, S. 201–202. Die Autorin berichtet hier über die rege Bautätigkeit Julius’ II., die Bauwerke, Kirchen, Brücken und Straßen in und um Rom betrafen. 42 Forcellino, A.: Michelangelo – A Tormented Life, S. 79. Vgl. Thoenes, C.: Renaissance St. Peter’s, S. 72. 32 33

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Vom Grabmal zum Neubau oder umgekehrt?

2.4 Vom Grabmal zum Neubau oder umgekehrt? Alt-St. Peter kam in den Fokus des Papstes, da Julius II. die Idee zu einem Neubau, die 50 Jahre geruht hatte, wieder aufnahm. 43 Der Neubau von St. Peter hat eine wechselhafte und lange Geschichte, die hinlänglich erforscht ist 44 und die hier nur unter der Prämisse betrachtet werden soll, inwiefern das Neubauvorhaben von 1505/06 Auswirkung auf Michelangelos Leben, Werk und Entwicklung haben sollte. Folgt man einer wichtigen Quelle, der Bulle vom 12. Februar 1507, die somit nach der Grundsteinlegung am 18. April 1506 datiert ist, hatte Julius II. bereits nach seiner Kardinalsernennung unter Sixtus IV. 1472 gehofft, eines Tages St. Peter in seinen Mauern und Gebäuden zu erneuern. 45 Wenn dem Inhalt dieser Bulle Glauben zu schenken ist, war der Gedanke eines Neubaus beim Papst früh entwickelt und geistig länger präsent. 46 Sollte der besagte Inhalt nur eine Art der Rechtfertigung für den Neubau sein, ist er dennoch evident, da er die aktuelle Entschlossenheit des Papstes, Alt-St. Peter niederzulegen, in der Vergangenheit verorten wollte. Beide Deutungen würden allerdings belegen, dass Michelangelo mit der Realisation des JuliusGrabmales scheitern musste, da der Papst eine an-

dere Priorität setzte, die länger in seinem Gedächtnis als vermutlich ein Grabmal verankert war und damit eine höhere Bedeutung hatte. Das Jahr 1505 wurde zu einem Jahr der Entscheidungen für ein Grabmal und für den Neubau von St. Peter.

2.41 Ein Pontifex plant sein Grabmal Im zweiten Jahr seines Pontifikates plante Julius II. sein Grabmal und stand dabei noch in der Tradition de Quattrocento. 47 Die Errichtung einer prestigeträchtigen Grablege in St. Peter sicherte nicht nur das Andenken des Papstes, sondern bot der Familie nach dessen Ableben die Möglichkeit, im kollektiven Gedächtnis der Stadt Rom zu verweilen. 48 Ein in Stein gemeißelter Erinnerungsort war für das Leben danach in zweifacher Weise von Relevanz: Erinnerung an den Verstorbenen und Präsenz der Familie. 49 Im Quattrocento erhielten die Päpste in St. Peter aufwendige, monumentale und repräsentative (Wand-)Grabmale, die ein verbindliches Repertoire für die Ausstattung und Ikonographie boten. 50 Aufgrund der schon reichhaltig ausgestatteten und angefüllten Basilika war der Platz für ein neues Großprojekt ein zentrales Problem. Papst-

Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. I, S. 506. Eine kleine Auswahl von Literatur soll hier vorgestellt werden. Bredekamp, H.: Sankt Peter in Rom (2000/2008). Tronzo, W.: St. Peter’s in the Vatican (2005). Roser, H.: St. Peter in Rom im 15. Jahrhundert (2005). Frommel, C. L.: Die Peterkirche unter Julius II. im Lichte neuer Dokumente (1976). Thoenes, C. liefert in seinem Kapitel: „Der heilige Raum der Basilika St. Peter“ einen Überblick über den Bau von Neu-St. Peter. In Thoenes, C.; Lanzani, V. und weitere Hrsg.: Der Petersdom (2011). Frommel, C. L.: Capella Iulia: Die Grabkapelle Papst Julius’ II. in Neu-St. Peter (1977). Das Werk von Susanne Schüller-Piroli „2000 Jahre Sankt Peter“ aus dem Jahr 1950 bietet immer noch einen fundierten Überblick und Inhalte, die so nicht weiter in der Fachliteratur zu finden sind. Dies gilt besonders für Bramantes Besuch bei Ippolite d’Este im September 1505, um ihn in Kenntnis zu setzen, dass Teile des Este-Palastes dem Neubau von St. Peter zu opfern wären (S. 508). Christoph Luitpold Frommel legt in seinem Aufsatz über die Capella Iulia dar, dass die Fundamente des Rosselinochores der Errichtung eines Chorbaues dienten, der Teil der Erneuerung von St. Peter war (S. 32) und als Grablege für Julius II. fungieren sollte (S. 48). Die Idee dazu stammte wohl von Julius II. selbst (S. 33). Martin Weinberger vertritt ebenfalls diese Meinung, dass die Intention, den Rossellinochor aufzurichten, zur Entscheidung führte, Neu-St. Peter zu bauen. Vgl. Weinberger, M.: Michelangelo – The Sculptor Vol. I, S. 150. Maria Andaloro behandelt in ihrem Werk „Die Kirchen Roms“ (2008) bis zum 14. Jahrhundert die Geschichte Alt-St. Peters und kann durch Rekonstruktion und 3-D Animation die Konstantinische Basilika und deren Ausstattung eindrucksvoll lebendig werden lassen. 45 Frommel, C. L.: Capella Iulia, S. 29–30. Besagter Autor zitiert auf S. 30: „(…) in suis structuris et edificijs reformare, augere et ampliare“. Vermutlich legt Julius II. hier ein Zeugnis seiner Tatkraft ab, die er schon mit knapp 26 Jahren hatte. In ihrer Julius-Biographie ordnet Christin Shaw den jungen della Rovere als Mann ein, der wie Pietro Riario die Show liebte und nicht zölibatär lebte. Vgl. Shaw, C.: Julius II, S. 14. In diesem Kontext sieht sie das Julius-Bild, das Ludwig von Pastor in seinem Werk entwarf, nicht unkritisch. Vgl. ebd., S. 12–14. 46 Christin Shaw ordnet diese Äußerung nicht als eine rhetorische Schnörkelei der päpstlichen Kanzlei ein, da die Basilika schon unter Nikolaus V. als baufällig oder brüchig galt. Vgl. Shaw, C.: Julius II, S. 200. 47 Spahn, M.: Michelangelo und die Sixtinische Kapelle, S. 4. 48 Bredekamp, H.; Karsten, A.; Reinhardt, V.; Zitzlsperger, P.: Formung und Formen der Erinnerung, S. 15. „Papstgrabmäler sind, weil sie den Toten meist in der Tracht und Vollgewalt des Amtes zeigen, Erinnerung, Memoria, die mit dem Anspruch auf das letzte Wort auftritt; (…) verstehen sich als eine Versiegelung authentischer Vergangenheit, sie fordern die Hegemonie über individuelles und kollektives Gedächtnis ein.“ 49 Reinhardt, V.: Geschichte, Memoria und Nepotismus im päpstlichen Rom, S. 13. 50 Roser, H.: op. cit., S. 253. 43

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Michelangelo und der Neubau von St. Peter

monumente konnten in ihrer Größe allerdings nicht mehr beliebig wachsen 51, was man zunächst noch nicht als potentielles Problem wahrnahm. Nach Vasari riet Sangallo dem Papst, Michelangelo Buonarroti mit der Ausführung des Grabes zu betrauen 52, wofür er ihn nach Rom holte. Michelangelo war durch die Pietà, durch den David und den Karton der Schlacht von Cascina ein entsprechender Ruf vorausgeeilt. 53 Im Vorfeld, am 25. Februar 1505, hatte er bereits eine Art Aufwandsentschädigung oder Handgeld von 100 Dukaten für seine Reise nach Rom und für andere Zwecke bekommen. Diese Summe beweist, dass der Papst Michelangelo unbedingt in seinem Dienst sehen wollte. 54 Bei Michelangelo weckte das Angebot große Neugier, die ihn nach Rom brachte. 55 William Wallace nimmt an, dass er während seines ungemütlichen Rittes nach Rom von der Antizipation des Kommenden, das ihn dort erwarten würde, angetrieben worden sei. 56 Voraussetzung dafür war die Aufgabe des Auftrags zur Ausmalung der Halle der Signoria und die Anfertigung der zwölf Apostelstatuen für den Dom in Florenz, wo er durch den David eine grandiose Reputation 57 genoss. Rom war

ihm seit seinem ersten Aufenthalt 1496–1501 58 sehr wohl bekannt. Herbert von Einem betont in seiner Michelangelo-Biographie, dass die einzigartigen antiken Stätten eine enorme Anziehungskraft für den jungen Künstler hatten. 59 Michelangelo sei der erste moderne Künstler gewesen, der die Begegnung mit der antiken Kunst gesucht und sich angestrengt habe, ihr nachzueifern. 60

2.4.2 Präludium: Michelangelos erster Romaufenthalt Ausgangspunkt des ersten Romaufenthaltes war die sogenannte Cupido-Affäre. Extrakt dieser aufgeflogenen Fälschung waren dennoch Folgeaufträge. 61 Diese Aufträge waren die Bacchusstatue und die Pietà für den französischen Kardinal Jean de Bilhéres-Lagraulas. 62 Der Bacchus wurde hochgelobt 63 und zeigte, dass es möglich war, mit der Antike in Konkurrenz zu treten. 64 Für die Pietà erhielt der 22jährige Künstler die hohe Summe von 450 Goldflorin oder 461 Dukaten. 65 Das von Vasari als anmutig, herrlich und göttlich beschriebene Werk 66 und von Condivi als eine Gruppe von großer

Roser, H.: op. cit., S. 254. Der Autor nennt hier als Beispiel das Monument von Paul II., das schon die denkbar größte Ausdehnung erreicht hatte. Vasari, G.: Das Leben der Sangallo-Familie, S. 35. Charles de Tolnay unterstreicht, dass Sangallo ein enger Freund Michelangelos war, den er aus Florenz-Tagen kannte und ihn unterstützte. Sangallo kannte auch Julius II. noch als Kardinal, sodass dieser Vorschlag, Michelangelo nach Rom einzuladen und mit dem Grabmal zu betrauen, möglich ist. Tolnay, C. d.: Michelangelo IV, S. 5. 53 Vasari, G.: Michelangelo, S. 63. In seinem Brief an Francesco Fatucci aus dem Jahr 1523 berichtet Michelangelo, dass der Karton zur Schlacht von Cascina fertig gewesen sei und dass bisher nur der Matthäus von den zwölf Aposteln für Santa Maria del Fiore roh behauen sei. Vgl. Ramsden E. H.: The Letters of Michelangelo Vol I, Brief 157, S. 148. (Folgend zitiert: Ramsden, E. H.: The Letters Vol I und Ramsden, E. H.: The Letters Vol II). 54 Hatfield, R.: The Wealth of Michelangelo, S. 17. (Folgend zitiert: Hatfield, Rab: The Wealth) Vasari spricht in der Michelangelo-Biographie von 100 Scudi (S. 63). Condivi spricht von 100 Dukaten als „Reisepfennig“ (S. 32). Antonio Forcellino klassifiziert in seiner Michelangelo-Biographie die Summe als beträchtlich für eine Anfangszahlung, da ein Künstler sonst nur zehn Dukaten im Monat und ein Handwerker am Tag 20 Baiocchi (1/5 Dukat) bekamen. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 80. 55 Wilson, C. H.: Life and Works of Michelangelo Buonarroti, S. 71. 56 Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 72. 57 Wilson, C. H.: op. cit., S. 72. 58 Rab Hatfield legt anhand der Kontobewegungen den Romaufenthalt zwischen (um) den 25. Juni 1496, (S. 1) und den 27. Februar 1501 (S. 14) fest. Er räumt hier ein, dass es nicht klar war, wann oder ob Michelangelo jemals nach Rom zurückkehren würde. 59 Einem, H. v.: Michelangelo, S. 16. 60 Einem, H. v.: Michelangelo, S. 18. 61 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 50. Die Cupido-Affäre umschreibt die Geschichte, dass Michelangelo willentlich eine Statue eines schlafenden Cupidos auf alt trimmte, sie so als antikes Stück durchging und er sie für 30 Dukaten an den Bankier Baldassarre del Milanese aus Florenz vekaufte. Dieser gab sie für 200 Dukaten an den Kardinal Raffaele Riario ab. Die Fälschung flog schließlich auf, der Kardinal bekam sein Geld zurück, war aber höchst an dem jungen Künstler interessiert. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 44–45. 62 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 51. 63 Condivi, A.: Michelangelo, S. 24–25. Das Aussehen entspreche den Vorstellungen der antiken Schriftsteller (S. 25). Vasari beschreibt es als „ein bewunderungswürdiges Werk, mit dem er in der Statuenkunst seine Überlegenheit über jeden anderen modernen Künstler, der bis zu diesem Zeitpunkt gearbeitet hatte, unter Beweis stellte.“ Vasari, G.: Michelangelo, S. 47. 64 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 50. 65 Hatfield, R.: The Wealth, S. 119. 66 Vasari, G.: Michelangelo, S. 51. 51

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Michelangelos zweiter Romaufenthalt

Schönheit klassifiziert, die jeden berührte und ergriff 67, brachte dem Künstler höchsten (Welt-)Ruhm ein. 68 Zu Michelangelos Romaufenthalt seien hier noch zwei Inhalte ergänzt, die Rab Hatfield erwähnt. Michelangelo hat vermutlich für ein Jahr im Schatten des Palastes von Kardinal Riario – heute Palazzo della Cancelleria – gelebt. 69 Damit ist eine Nähe zu dem Kardinalshaushalt zu vermuten und die Möglichkeit gegeben, erste Tuchfühlung mit den römischen Gepflogenheiten aufzunehmen. Dem jungen Künstler stand hier die Kunstkollektion des Kardinals zur Verfügung, um sich weiter an ihr zu erproben. 70 Zu diesem Zeit-

punkt hatte er weder Ablehnung noch Verweigerung kennen gelernt, sondern generöses und offenes Verhalten. Im Rahmen dieses Kontextes verweist Rab Hatfield darauf, dass Michelangelos Einlagen in der Balducci Bank in der Zeit zwischen 1497 und 1501 eine Höhe von 1123 Dukaten aufwiesen, von denen er 963 Dukaten als Verdienst Michelangelos einordnet. 71 Der erste Romaufenthalt war damit für den Künstler in jeder Hinsicht erfolgreich. Als Folge dessen kam er 1505 gerne dem Ruf des Papstes nach, konnte ihm doch Rom weitere prestigeträchtige und lukrative Aufträge einbringen.

2.5 Michelangelos zweiter Romaufenthalt Julius II. war der erste Papst, der ihn in seine Dienste nahm. Das Naturell dieses Papstes kam Michelangelos sehr entgegen, da er mit 60 Jahren progressiv sein musste, war Zeit für ihn ein kostbarer Faktor. Auf die erste Audienz ließ der Papst Michelangelo jedoch warten. Es scheint allerdings unerklärlich, dass beide Biographen Michelangelos Aufenthalt in Rom im Frühjahr 1505 viel länger darstellen wollen. Vasari und auch Condivi sprechen von mehreren Monaten, ehe Michelangelo zum Zuge kam (Vasari) oder der Papst wusste, wofür er ihn brauche (Condivi). 72 Die Forschung geht von einem Monat Aufenthaltszeit in Rom aus, wodurch man von einer intensiven Arbeit Michelangelos ausgehen muss, die in einem engen zeitlichen Raster stattfand. Zwischen dem Mäzen und dem Künstler kam es zu einer

schnellen Einigung, die eine Gesamtsumme von 10 000 oder 10 500 Dukaten für die Erstellung eines Grabmales vorsah. 73 Charles Heath Wilson geht davon aus, dass der Papst Michelangelo seine Vorstellungen von dem Grabmal sehr präzise mitgeteilt habe und sie sich in Michelangelos Entwürfen widerspiegelten. 74 William Wallace ordnet diesen Sachverhalt ähnlich ein, lässt eine gegenseitige Befruchtung in den Ideen durchscheinen und betont die Zusammenarbeit der beiden kongenialen Männer. 75 John Pope-Hennessy sieht im Egoismus des Papstes und des Künstlers die Schnittstelle für den gigantischen Grabmalentwurf. 76 Modern könnte man diesen Egoismus in eine Form des Egozentrismus 77 überführen, der auch die Ichbezogenheit definiert und der in dieser Kombination bzw. MäzenKünstler-Konstellation zum Austausch und zur

Condivi, A.: Michelangelo, S. 26. Vasari, G.: Michelangelo, S. 52. Condivi bestätigt dies: „Er (Michelangelo) erwarb sich durch diese Arbeit grossen Ruf und Reputation, dermassen, dass es bereits die Meinung der Welt war, dass er nicht nur jeden Andern seiner Zeit und der vor ihm weit überhole, sondern dass er sogar mit den Alten wetteifere.“ Condivi, A.: Michelangelo, S. 27. 69 Hatfield, R.: The Wealth, S. 2. Rab Hatfield stützt sich hier auf die Condivi-Stelle (S. 23). 70 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 50. 71 Hatfield, R.: The Wealth, S. 15. 72 Vasari, G.: Michelangelo, S. 63; Condivi, A.: Michelangelo, S. 32. John Pope-Hennessy verweist ebenfalls auf das Faktum. Vgl. Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture, S. 26. 73 Hatfield, R.: The Wealth, S. 18. 74 Wilson, C. H.: op. cit., S. 73. 75 Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 74. Diese Schlussfolgerung lässt sich mit Vasaris Beschreibung der Szenerie vorstellen, da Vasari von einem Entwurf spricht, für den sich der Papst entschied. Es werden somit verschiedene Entwürfe vorgelegen haben. 76 Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture, S. 26. 77 Der Egozentrismus stammt ursprünglich aus der Entwicklungspsychologie Jean Piagets, der beim Kind im Alter zwischen zwei und sieben Jahren feststellte, dass es nicht in der Lage ist, sich eine Situation aus der Sicht eines anderen vorzustellen. Vgl. Zimbardo, Philipp: Psychologie, S. 68. Hier sei als Vermutung geäußert, dass bei Michelangelo ein rudimentäres Durchschimmern dieser kindlichen Haltung 1506 zutage trat, als er überstürzt Rom verließ. Er konnte sich nicht vorstellen oder ließ die Vorstellung nicht zu, dass der Papst von seinem Grabmal abgelassen hat. 67

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Michelangelo und der Neubau von St. Peter

Steigerung einer Idee führte, die der Papst später wieder fallenlässt. Charles de Tolnay spricht von einer wechselseitigen Begeisterung füreinander. Er geht davon aus, dass die beiden Männer ein Bewusstsein dafür hatten, dass sich ihre Träume ohne den jeweilig anderen nicht erfüllen konnten. 78 John Shearman gibt in seinem Aufsatz wesentliche Punkte wieder, die den Pontifex intensiv bei der Konzeption des Grabmals beeinflussten, und siedelt diese in dem Frankreichaufenthalt des Kardinals della Rovere an. Das Heiligtum des Bernadino von Aquila, das zwischen 1500–1505 entstand, aus einer überwölbten Kammer oder eines Tempels bestand und von Pilgern betreten werden konnte, habe wohl als Vorbild gedient. 79 Giuliano della Rovere sah als Gesandter in Frankreich den 1480/81 aus Silber hergestellten Sarkophag, den Ludwig XI. aufgrund einer Genesung von einer Krankheit stiftete. Shearman folgert, dass die Idee für das Grabmal vermutlich eher von Julius II. stamme als von Michelangelo. 80 Dieser Ansatz ist nachvollziehbar, da sich Julius II. vermutlich schon bei der Stiftung des Grabes für Sixtus IV. u. a. an den Papstgrabmälern in Avignon orientierte. 81 Jedenfalls bot das Grabmal in seiner überdimensionierten Anlage eine weitere evolutionäre Entfaltungsmöglichkeit, die einen innovativen und radikalen Umgang mit dem Ist-Zustand der Basilika nahezu provozierte. Vermutlich hatte der Papst bei den Planungstreffen mit Michelangelo den Neubau von Sankt Peter zunächst nur im Sinn. Denn eine weitere AKonto-Zahlung vom 28. April 1505 von 1000 Dukaten für das Grab von Julius II. belegt die Priorität des Grabmals 82 und zeigt durch die schnelle Einigung zwischen Mäzen und Künstler die Entschlos-

senheit des Papstes. Einen knappen Monat nach Michelangelos Eintreffen in Rom verließ er Ende April die Stadt bereits wieder in Richtung Carrara, wo er sich bis Dezember aufhielt. 83 Charles de Tolnay führt an, dass Michelangelo vermutlich nicht die ganze Zeit mit dem Brechen des Marmors beschäftigt war, sondern aufgrund der Begeisterung für das Grabmal weitere Projekte oder Entwürfe plante. Einen möglichen Beleg dafür überliefert Condivi. Michelangelo habe, als er einen Berg überschaut habe, Lust verspürt, daraus einen Koloss zu schlagen, der gut sichtbar für Schiffe erscheinen sollte. 84 Die Überlegung Charles de Tolnays ist durchaus nachvollziehbar. So ist es vorstellbar, dass Michelangelo in Carrara die Idee des Grabmals weiterentwickelte, gedankliche oder zeichnerische Vorstellungen entwarf, gepaart mit der Vorstellung, Ruhm zu erwerben, viel Geld zu verdienen und letztlich die Antike zu übertreffen. Diese Summation, die hier spekulativ geäußert wird, würde auch Michelangelos Begeisterung oder „Höhenflug“ erklären, aus dem Berg einen Giganten schlagen zu wollen. Ob diese Überlieferung Condivis der Wahrheit entspricht, ist nicht zweifellos zu klären, aber dass Michelangelo hoch motiviert war, das Grab zu erstellen, ist eine Tatsache. Diese Tatsache bildete gleichzeitig den Boden für die große Frustration, die er erleben sollte, als sich die Meinung des Papstes über dieses Vorhaben änderte, wozu es konkrete Pläne gab.

2.5.1 Bestandsaufnahme des Grabmals Bevor jedoch der Neubau von St. Peter Beachtung findet, soll das Grabmal kurz in den Fokus genom-

78 Tolnay, C. d.: Michelangelo IV, S. 5. William Wallace bezeichnet das Grabmal in seiner Michelangelo Biographie als achtes Weltwunder, das die beiden Männer erschaffen wollten. Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 74. 79 Shearman, J.: Il Mecenatismo di Giulio II. e Leone X., S. 220. John Shearman geht davon aus, dass man quasi nichts über den ersten Plan von 1505, was das Grabmal angehe, wisse. 80 Shearman, J.: Il Mecenatismo di Giulio II. e Leone X., S. 221. „L’idea di fondo per la tomba, nel 1505, è quindi molto piú probabile che fosse di Giulio II piuttosto che di Michelangelo (…).“ Den Wert des Sarges für San Bernadino legt der Autor im Vorfeld mit 12000 Dukaten fest, eine Summe, die Julius II. für sein ganzes Grabmal ausgegeben hätte. Während sich Michelangelo in Carrara befunden hätte, sei es zu einer Veränderung der liturgischen Funktion des östlichen Chorarmes (der geplante Nikolauschor) gekommen, der ursprünglich den Platz für die Aufstellung des Grabes geboten hätte (S. 221–222). 81 Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 286. Julius II. hat diese Papstgrabmäler in seiner Zeit als Legat in Frankreich (1476–1480) besuchen können. 82 Niebaum, J.: Bramante und der Neubau von St. Peter, S. 92. Jens Niebaum folgt hier Condivi (S. 32), der diese Summe angibt, die Michelangelo in Florenz durch Alamanno Salviati ausgezahlt wurde. 83 Nach Condivi hat der Papst Michelangelo nach Carrara geschickt, wo er sich acht Monate aufhielt. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 32. Rab Hatfield belegt die Rückkehr nach Rom mit einer erneuten Kontobewegung auf der Balducci Bank mit dem 29. Dezember 1505. Hatfield, R.: The Wealth, S. 19. 84 Tolnay, C. d.: Michelangelo – The Youth of Michelangelo (Bd. 1), S. 33. (Folgend zitiert: Tolnay, C. d.: Michelangelo I) Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 32–33. Fritz Burger kommt zu demselben Befund. Vgl. Burger, F.: Geschichte des florentinischen Grabmals, S. 321.

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Michelangelos zweiter Romaufenthalt

men werden. Es wird hier aber nicht zu einer erweiterten Untersuchung kommen, da die Ausführungen für diesen Kontext nicht von Relevanz sind. Die 40-jährige Grabmalgeschichte (1505–1545) unter Beachtung der fünf Verträge zwischen Michelangelo und der Familie della Rovere ist hinlänglich erforscht. 85 Zu der verspäteten Vollendung des Werkes kam es, da amtierende Päpste Michelangelo für sich arbeiten lassen wollten und somit eine Modifikation des jeweiligen Vertrages nötig wurde. Daneben lag es am Künstler selbst und an der vorliegenden oder mangelnden Vehemenz des Hauses della Rovere, auf Einhaltung des Vertrages zu drängen. 86 In der heutigen Forschung wird kontrovers diskutiert, ob Michelangelo ein Frei- oder Wandgrab konzipierte. 87 Die Quellenlage ist hier uneinheit-

lich, da die schriftlichen Quellen über das Grabmal viel später entstanden 88, während zwei Zeichnungen von Michelangelo aus dem Jahr 1505 stammen, die aber kein Freigrab zeigen. 89 Folgt man Condivi, handelte es sich um ein monumentales aufsteigendes Grabmal mit vier Seiten, einem Mausoleum ähnlich, mit den Grundmaßen 18 � 12 Ellen. 90 Das Werk sollte vierzig Figuren zeigen. 91 Condivis Beschreibung lässt hier nur ein Freigrab zu. Vasari berichtet, dass Michelangelos Entwurf, basierend auf dem Können des Künstlers, jedes antike kaiserliche Grabmal an Schönheit, Pracht, Dekor und Statuenreichtum übertraf. 92 Dieser Biograph erwähnt explizit, dass Michelangelo das Grabmal freigestehend geplant habe und gibt auch die 12 � 18 Ellen als Maße der

Repräsentativ sollen drei überzeugende Werke genannt sein: Claudia Echinger-Maurach: Michelangelos Grabmal für Julius II. Bd. I. und II. Charles de Tolnay: Michelangelo IV. L. Frommel; Maria Forcellino: Michelangelo-Marmor und Geist. Maria Forcellino gibt hier im Eröffnungskapitel überzeugend den Forschungsstand wieder, indem sie die kritische Beurteilung des Juliusgrabes vom Cinquecento bis heute vornimmt und keinen der bedeutsamen Wissenschaftler auslässt. Die Kontroverse der Freigrab- oder Wandgrabmaldebatte findet auch hier ihren Ausdruck und Berechtigung, da Condivi und Vasari ein freistehendes Monument überliefern. Vgl. Forcellino, M: Die kritische Beurteilung des Grabmals Julius II. Vom Cinquecento bis heute, S. 9–16. Aufschlussreich und beeindruckend ist der Tafelteil ab S. 95, der u. a. Vermessungspläne über das Grabmal in San Pietro in Vincoli enthält (S. 253–263), der von einem Rekonstruktionsteil gefolgt wird und der die Lage des Grabes in St. Peter zeigt (S. 266–277). Claudia Echinger Maurach legt im Dokumententeil 498 Dokumente vor, die im Zusammenhang mit dem Juliusgrabmal stehen (S. 305–352). 86 Die Projekte zum Grabmal stammen aus den Jahren 1505, 1513, 1516, 1532 und 1542 und sollen hier nur schlaglichtartig präsentiert werden. Nach dem Tod Julius’ II. kommt es zum Vertrag von 1513, der die Ausführung des Grabmales auf Wunsch der Familie della Rovere vergrößert. Die Summe wird auf 16 000 Dukaten erhöht. Tolnay, C. d.: Michelangelo IV, S. 32; Echinger-Maurach, C.: Michelangelos Grabmal für Julius II., S. 280. 1516 folgt der nächste Vertrag, der das Grabmal reduziert. Michelangelo durfte aber am Ort seiner Wahl daran arbeiten. Tolnay, C. d.: Michelangelo IV, S. 44–45; Echinger-Maurach, C.: Michelangelos Grabmal für Julius II., S. 281. Es kam von diesem Vertrag letztlich nur weniges zur Ausführung. EchingerMaurach, C.: Studien zu Michelangelos Juliusgrabmal I, S. 326. Trotz des reduzierten Entwurfs blieb es bei der Summe von 16500 Dukaten. Hatfield, R.: The Wealth, S. 126. Michelangelo hatte keine Skrupel, aus seiner ansteigenden Reputation und der Protektion seitens des Papstes seine Vorteile zu ziehen. Frommel, C. L.: Das Grabmal Julius II.: Planung, Rekonstruktion und Deutung, S. 42. Ab 1525 kommt es zu ersten Überlegungen eines Wandgrabes, dessen Idee wahrscheinlich von Fatucci stammt. Echinger-Maurach, C.: Studien zu Michelangelos Juliusgrabmal I, S. 364. Im April 1532 reduzierte ein erneuter Vertrag das Grabmal ein weiteres Mal. Als Aufstellungsort wird San Pietro in Vincoli gewählt. Michelangelo sollte sechs Figuren ausführen. Tolnay, C. d.: Michelangelo IV, S. 55. Echinger-Maurach, C.: Studien zu Michelangelos Juliusgrabmal I, S. 371. Michelangelo wählte das Querschiff von San Pietro in Vincoli aus, da hier mehr Platz und ein besseres Licht herrschten als in Santa Maria del Popolo, die die della Roveres bevorzugten. Echinger-Maurach, C.: Michelangelos Grabmal für Julius II., S. 282. Zu diesem Zeitpunkt hatte Michelangelo bereits 11872 oder 12169 Dukaten und das Haus am Macel de’ Corvi erhalten. Er sollte die nächsten zehn Jahre nicht am Grabmal arbeiten. Vgl. Hatfield, R.: The Wealth, S. 130–131. 1542 legte der letzte Vertrag fest, dass Michelangelo nicht mehr persönlich am Grab arbeiten müsse, sondern ausstehende Statuen von Gehilfen angefertigt werden müssten. Michelangelo musste nur noch den Mose, Rahel und Lea besteuern. Tolnay, C. d.: Michelangelo IV, S. 66–67. Zur Vollendung des Grabes kam es 1545. Rab Hatfield stellt fest, dass Michelangelo für das Grabmal 11872 Golddukaten kassierte, selbst für dieses Geld kaum arbeitete und einen Aufwand von 4063 Dukaten hatte. Die Summe von 5000 Dukaten Aufwand sei mit Sicherheit nicht überschritten worden. Vermutlich hat Michelangelo 2/3 der Summe oder gar mehr reinen Verdienst an diesem Grabmal erzielt. Hatfield, R.: The Wealth, S. 138. 87 Forcellino, Maria: Die kritische Beurteilung des Grabmals Julius’ II. Vom Cinquecento bis heute, S. 15. Die Diskussion um ein Frei- oder Wandgrab ist ähnlich zu behandeln wie die Diskussion um die Florentiner Pietà, bei der diskutiert wurde, ob die männliche Figur Nikodemus oder Joseph von Arimathäa sei. Vasari benennt die Figur als Nikodemus. Im Falle des Grabmals beschreiben beide Biographen das Grabmal als Freigrab. Bei aller Vorsicht im Umgang mit Condivi, da Michelangelo ihn kontrollierte, wird er hier glaubwürdig sein. Die Übertreibung, dass Michelangelo die Ursache für den Neubau von St. Peter gewesen sei, ist mit dem Versuch der „Schmachtilgung“ über den Verlust des Grabmales zu erklären. 88 Kempers, B.: Michelangelo und die Metamorphose des Juliusgrabmals, S. 41. 89 Kempers, B.: Michelangelo und die Metamorphose des Juliusgrabmals, S. 43. Bei den Zeichnungen handelt es sich um eine aus dem Metropolitan Museum of Modern Art in New York und eine aus dem Louvre. Die New Yorker Zeichnung ist auf Seite 44 abgebildet. 90 Condivi, A.: Michelangelo, S. 35. Auf die präzise Wiedergabe der Beschreibung des Grabmals bei Vasari wird hier verzichtet, da sie für den Kontext nicht von Relevanz ist. 91 Condivi, A.: Michelangelo, S. 36. 92 Vasari, G.: Michelangelo, S. 63. 85

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Michelangelo und der Neubau von St. Peter

Seiten an. 93 Das Dekor des Grabmales sollte u. a. vierzig Marmorstatuen aufweisen. Im Inneren des Grabmales sollte der Sarkophag des Papstes Aufstellung finden. 94 Claudia Echinger-Maurach kommentiert dazu, dass allein diese literarische Überlieferung bis heute eine Faszination ausübe und zeige, welche Durchschlagskraft die reine Idee gehabt habe. Sie führt an, dass die Figurenvielfalt an der Sixtinischen Decke beweise, dass Michelangelo eine solche Konzeption umzusetzen vermochte, räumt aber ein, dass dies in Form eines Gemäldes eher zu gestalten gewesen sei. 95 Condivi überliefert nach der Aufstellung des Grabmales in San Pietro in Vincoli, dass es nicht als Freigrab, sondern an einer Wand befindlich aufgestellt sei. Er bezeichnet es als „ausgeflickt“ und „umgearbeitet“, könne aber trotzdem als das ansehnlichste (Grabmal) bezeichnet werden, da allein drei Statuen von Michelangelo stammten, unter denen der Mose wunderbar sei. 96 Vasari schließt seine Beschreibung des Julius-Denkmals damit, dass das Werk ausgezeichnet gelungen sei, es viel weniger großartig erscheine als dies im ersten Entwurf geplant gewesen sei. 97 Stellvertretend für die Diskussion um ein Frei-oder Wandgrab sollen hier exemplarisch zwei Historiker zu Wort kommen. Bram Kempers betont in seiner Betrachtung, dass die Idee zu einem Freigrab von Julius II. selbst gekommen sei. 98 Er stellt hier die Genese des Grabmals und dessen Metamorphose in der Größe, Anlage und Ausstattung vor, schließt aber, dass die Frage des ursprünglichen Entwurfs noch nicht ge-

klärt gewesen sei. 99 Er arbeitet im Verlauf seines Textes heraus, dass es eine Entwicklung zu einer Kombination aus einem frei stehenden Monument und einem Wandgrabmal, das sich kontinuierlich vergrößert habe, gegeben habe, was er mit dem Baufortschritt und den daran gekoppelten Aufstellungsort der Capella Iulia erklärt, da eine solche Kapelle ein entsprechend monumentales Grab hätte aufnehmen können. 100 Horst Bredekamp hingegen vertritt die Position, dass Michelangelo 1505 ein Freigrab konzipiert habe, verwirft, dabei auf Quellen gestützt, die New Yorker Zeichnung als weder von Michelangelo noch aus 1505 stammend, sondern ordnet sie als eine in den 1530ger Jahren geschaffene Zeichnung aus dem Umkreis des Künstlers ein. Dies sei für ihn der Hauptgrund, von der Wandgrabthese abzulassen. 101 Er untersucht dabei die schriftlichen Hauptzeugen: Vasari und Condivi, die ihre Viten unter dem Eindruck des 1545 in San Pietro in Vincoli vollendeten Grabensembles geschrieben hätten. 102 Im Verlauf diskutiert er die Intentionen bzw. Beweggründe der Biographen bei der Darstellung des Grabmalsachverhalts. Beide Autoren hätten durch Preisung des Entwurfs von 1505 das Ziel gehabt, von der Schuld für die Tragödie des Grabmals von Michelangelo abzulenken. 103 Darauf anspielend, verweist Horst Bredekamp im Verlauf auf die notorische Unfähigkeit Michelangelos, seine Kräfte einzuschätzen. 104 Er ordnet schlussfolgernd das Resultat in San Pietro in Vincoli als eine Umsetzung des Freigrabkonzepts Michelangelos in Form eines sehr plastisch wirken-

Vasari, G.: Michelangelo, S. 64. Vasari, G.: Michelangelo, S. 65. Auf die präzise Wiedergabe der Beschreibung des Grabmals bei Vasari wird hier verzichtet, da sie für den Kontext nicht von Relevanz ist. Hier sei darauf verwiesen, dass Claudia Echinger-Maurach die Vasaristelle (1568) und Condivistelle (1553) in Beziehung setzt und auswertet. Vgl. Echinger-Maurach, C.: Studien zu Michelangelos Juliusgrabmal I, S. 156–179. 95 Echinger-Maurach, C.: Michelangelos Grabmal für Papst Julius II.-Kunst und Geschichte, S. 280. 96 Condivi, A.: Michelangelo, S. 66. 97 Vasari, G.: Michelangelo, S. 120. Siehe Abb. 3: Juliusgrabmal [S. 320]. 98 Kempers, B.: Michelangelo und die Metamorphose des Juliusgrabmals, S. 47. 99 Kempers, B.: Michelangelo und die Metamorphose des Juliusgrabmals, S. 58. John Pope-Hennessy vertritt ebenfalls diese These und führt sie auf Julius’ II. Stiftung vom Freigrab für seinen Oheim Sixtus IV. zurück. Vgl. Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture, S. 27. Bram Kempers vertrat diese Meinung schon in seinem Artikel aus dem Jahr 2000: Capella Iulia and Capella Sixtina: Two Tombs, One Patron and Two Churches, S. 33. (Folgend zitiert: Kempers, B.: Capella Iulia and Capella Sixtina). 100 Kempers, B.: Michelangelo und die Metamorphose des Juliusgrabmals, S. 50–51. 101 Bredekamp, H.: Ende (1545) und Anfang (1505) von Michelangelos Juliusgrab – Freigrab oder Wandgrab? S. 61. Siehe Abb. 3: Juliusgrabmal [S. 320]. Stattdessen verweist er auf eine Zeichnung von Giacomo Rocchetti, die ein Entwurfszeichnung Michelangelos für das Juliusgrabmal sein soll und aus dem Jahr 1513 stammt. Siehe Abb. 4: Entwurfszeichnung des Juliusgrabmals I [S. 321] und Abb. 5: Entwurfszeichnung des Juliusgrabmals II [S. 322]. 102 Bredekamp, H.: Ende (1545) und Anfang (1505) von Michelangelos Juliusgrab – Freigrab oder Wandgrab? S. 62. 103 Bredekamp, H.: Ende (1545) und Anfang (1505) von Michelangelos Juliusgrab – Freigrab oder Wandgrab?, S. 75. 104 Bredekamp, H.: Ende (1545) und Anfang (1505) von Michelangelos Juliusgrab – Freigrab oder Wandgrab?, S. 76. 93

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Päpstliche Wiederaufnahme der Neubau-Idee

den Wandgrabes ein, das einen dahinter liegenden Grabraum oder ein autonomes Bauwerk erahnen ließe. 105 San Pietro in Vincoli wurde der Ersatzplatz für ein ursprünglich gigantisch geplantes Grabmal, das in St. Peter seinen Platz finden sollte, was aber aufgrund des Abrisses von Alt-St. Peter und dem Neubau von Neu-St. Peter nicht realisierbar war.

2.5.2 Michelangelos Anteil am Neubau Besagter Abriss von Alt-St. Peter bzw. der Neubau von St. Peter wurden schließlich für Michelangelos Vorhaben eine Tatsache. Später schreiben beide Biographen Michelangelo den wichtigen Impuls zum Neubau zu, da ein Aufstellungsort für das Grabmal gefunden werden musste. Condivi berichtet, dass Michelangelo den Nikolauschor für die Aufstellung des Grabes aussuchte und dem Papst die Lust gekommen sei, die ganze Kirche neu aufzurichten. 106 So wurde Michelangelo nach Condivi „die Ursache“ 107 für den Neubau. Vasari berichtet, dass Papst Julius II., ermutigt durch das großartige Grabmal, mit dem Neubau von St. Peter beginnt. 108 Christoph Luitpold Frommel kommt in seinem Aufsatz zu dem Schluss, dass die komplexe Entwicklung von Michelangelo ausgelöst worden, er aber nicht der Initiator sei. 109 Die Intention der Biographen war die Glättung der Vergangenheit, um dem

Künstler eine höhere Mission zu übertragen, die das verlorene Grabmal mehr als kompensiert: Ohne Michelangelo kein Neu-St.Peter. Der Name Michelangelo war so mit dem Neubau untrennbar verbunden. Des Weiteren bekam Michelangelos Tätigkeit als Architekt von St. Peter, in diese Jahre fallen beide Biographien, ihre Rechtfertigung durch die Vergangenheit, die in der Gegenwart verortet wird und auf das Zukünftige hinweist, das durch das Motu proprio Pauls III. von 1549 auch schon abgesichert war. Es konnte somit keinen Besseren als den aktuellen Architekten der Basilika geben, der vor mehr als 45 Jahren deren Bau ausgelöst hatte. Vasari und Condivi legimitimierten durch die Glättung bzw. Verklärung der Vergangenheit die Jetztzeit des Stararchitekten Michelangelo. Die Gelegenheit, die Ereignisse von 1505/06 in diese Richtung umzudeuten, war günstig, da die meisten Beteiligten nicht mehr lebten. Die moderne Forschung ist sich aber sicher, dass Julius II. die treibende Kraft beim Neubau war. Dieser lebte seit 1513 nicht mehr, Bramante starb 1514. Die Nachprüfbarkeit der Fakten durch die Zeitgenossen war eingeschränkt bis unmöglich. Der einzig lebende Kronzeuge für die Zeit des Neubaus war Michelangelo selbst, der nichts gegen die Darstellung, die ihm die Auslöserposition für den Neubau gab, einwenden konnte, da sie ihn von Anfang an, mit St. Peter verband.

2.6 Päpstliche Wiederaufnahme der Neubau-Idee Die Entscheidung über den Abriss von Alt-St. Peter vollzog sich schrittweise und steht auch in Relation mit dem Ausbau des Rossellinochores. Nach den Untersuchungen Franz Graf Wolff Metternichs über die Erbauung der Peterskirche lagen schon ein Erstentwurf von Bramante im Sommer 1505 110

und weitere Entwürfe aus dem Sangallo-Kreis Ende 1505 oder Anfang 1506 111 neben einem Entwurf von Fra Giocondo 112, ebenfalls 1505, sowie von einem unbekannten Meister 113 Ende 1505 bzw. Anfang 1506 vor. Nach Franz Graf Wolff Metternich sind die Pläne durch den Vergleich mit den nachweislich

Bredekamp, H.: Ende (1545) und Anfang (1505) von Michelangelos Juliusgrab – Freigrab oder Wandgrab?, S. 77. Condivi, A.: Michelangelo, S. 36–37. Martin Weinberger hält die Aussage Condivis für naiv und geht stattdessen davon aus, dass Michelangelo den Rossellinochor schon seit vielen Jahren kannte und den Chor nicht erst „entdeckte“, als er in der Basilika einen geeigneten Grabmalsplatz suchte. Vgl. Weinberger, M.: op. cit., S. 150. 107 Condivi, A.: Michelangelo, S. 36–37. 108 Vasari, G.: Michelangelo, S. 63. 109 Frommel, C. L.: Capella Iulia, S. 33. 110 Wolff Metternich, F. G.: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert, Tafel 1. Siehe Abb. 6: Neubauprojekt für St. Peter [S. 323]. 111 Siehe Wolff Metternich Tafeln 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10, 15 in Abb. 8: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 4) [S. 324] bis Abb. 15: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 15) [S. 328]. 112 Siehe Wolff Metternich Tafel 3 in Abb. 7: Neubauprojekt für St. Peter [S. 323]. 113 Siehe Wolff Metternich Tafel 13 in Abb. 16: Neubauprojekt für St. Peter [S. 329]. 105

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Michelangelo und der Neubau von St. Peter

späteren Plänen und der Ausführung des Werkes als Vorprojekte erkennbar. 114 Damit muss relativ kurz nach der Abreise Michelangelos nach Carrara eine dem Grabmal zuwider laufende Entwicklung in Gang gekommen sein, auf die er keinen Einfluss hatte und von zwei Männern beherrscht wurde: Julius II. und Bramante. 115 Im September 1505 berichtet Kardinal Ippolito d’Este seinem Bruder, dass Bramante bei ihm gewesen sei und ihm mitgeteilt habe, dass Teile des d’Este-Palastes bei St. Peter den Neubauarbeiten zum Opfer fallen müsse. 116 Zwischen dem 8. und 10. November 1505 existieren bereits drei Breven aus der päpstlichen Kanzlei, die zum Inhalten hatten, dass Julius II. die Absicht hege, die baufällige Basilika von Alt-Sankt Peter „wiederherzustellen und auszuschmücken“ (reparare et exornare). Diese Formulierungen weisen nicht explizit auf eine Niederlegung der alten Basilika hin. 117 Christoph Luitpold Frommel deutet diese Breven dahingehend, dass hier von einem Neubau der Peterskirche die Rede sei 118, wobei die Breven dies nicht explizit hergeben. Vielleicht wurden die Formulierungen bewusst verwendet, um eine Neubauabsicht zu diesem Zeitpunkt noch zu verschleiern. Der Neubau von Sankt Peter steht schließlich am Anfang des Jahres 1506 fest. 119 Zu diesem Zeitpunkt befand sich Michelangelo bereits wieder in Rom. Der Entwurf zum Neubau stammte von Bramante 120, der eine Basilika mit einem griechischen Kreuz, das von einer riesigen Kuppel überwölbt

werden sollte, als Zentralbau plante. 121 Ein weiterer Beleg aus der päpstlichen Kanzlei gibt dazu bemerkenswerte Inhalte preis: Einer der Baumeister Francesco Lazari aus Caravaggio bekam am 19. März 1506 eine Zahlung von 100 Dukaten für seine Arbeit an St. Peter. Er leitete und überwachte die Aushebung der Baugrube, die Befestigung des Grundsteins und die Mauerung des ersten Pfeilerfragments – heute Veronikapfeiler. 122 Christoph Luitpold Frommel geht davon aus, dass damit die endgültige Position der Kuppelpfeiler feststand, sodass die weiteren Arbeiten und die Größe der Kuppel zu diesem Zeitpunkt schon fixiert waren, „wie auch Julius die Grundsteinlegung schon einige Zeit vorher – ‚multos dies ante‘ – geplant hatte“. 123 Damit wäre schon früh nachweisbar, dass das Grabmalprojekt an Bedeutung bei seinem Stifter verloren hatte, um andere Ziele zu verfolgen, die Jens Niebaum darin sieht, dass Julius II. die glanzvolle Erneuerung der zentralen Kirche der abendländischen Christenheit und vermutlich die Erschaffung eines sichtbaren Zeugnisses päpstlicher Suprematie anstrebe. 124 Es vollzog sich im Verlauf der Planung des Neubaus von St.-Peter plus der Grundsteinlegung beim Papst offensichtlich ein Wandel, der die Priorität auf den Bau der neuen Basilika legte und das Grabmal in seiner Bedeutung degradierte. Hier sei darauf verwiesen, dass Julius II. in der Tradition und in der Folge seines Oheims Papst Sixtus IV. stand, der neben seiner Bautätigkeit in Rom, auch

Wolff Metternich, F. G.: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert, S. 10. Ludwig von Pastor legt einen ähnlichen Zeitpunkt fest. Im März 1505 habe man an die Errichtung einer Kapelle für das Juliusdenkmal gedacht; vor dem 11. April habe man die Vollendung der begonnen Arbeiten von Nikolaus V. und Paul II. sinniert, und im Sommer habe man den Entschluss gefasst, den Umbau von St. Peter nach „ganz neuen, schöneren und prächtigeren Entwürfen auszuführen.“ Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 761. Der Ansatz des Autors ist nicht uninteressant, den Umbau nach neuen Plänen durchzuführen. Hier handelte es sich zunächst im Vorhaben um eine Mischform. 116 Schüller-Piroli: 2000 Jahre Sankt Peter, S. 508. 117 Niebaum, J.: Bramante und der Neubau von St. Peter, S. 90. 118 Frommel, C. L.: Capella Iulia, S. 28. 119 Niebaum, J.: Bramante und der Neubau von St. Peter, S. 92. 120 Vasari, G.: Das Leben des Bramante, S. 25. Hier stellt Vasari explizit heraus, dass es der Wunsch des Papstes gewesen sei, St. Peter niederzureißen. 121 Reymond, M.: Bramante et l’Architecture Italienne aus XVIe e siècle, S. 36. Die Idee Bramantes, das Grabmal des Petrus in die Mitte des Neubaus zu verlegen, die Sixtus-Kapelle als Eingang der neuen Basilika zu gestalten, damit der Obelisk, in dessen Kugel sich angeblich die Asche des Julius Caesar befunden haben soll, mit zu integrieren, hätte eine Achsenverschiebung der gesamten Basilika bedeutet, was von Julius II. abgelehnt wurde. Bredekamp, H.: St. Peter in Rom, S. 30–31. „Nihilo serius Julius in sententia perstat, nihil ex vetere templi situ inverti, nihil e primi pontificis tumulo attrecatri se passurum dicit“. Aus der Predigt Egidio da Viterbos; Zitiert nach Frommel, C. L.: Die Peterskirche unter Julius II. im Licht neuer Dokumente, S. 89 Dok. 8. (Folgend zitiert: Frommel, C. L.: Die Peterskirche) Christoph Luitpold Frommel liefert eine interessante Rekonstruktionszeichnung zu dieser Idee Bramantes in seinem Aufsatz „San Pietro“, S. 251. Julius II. musste diese Idee auch noch aus einem anderen Grund ablehnen, da diese die Zerstörung der Sixtinischen Kapelle bedeutet hätte. 122 Frommel, C. L.: Die Peterskirche, S. 59–60. 123 Frommel, C. L.: Die Peterskirche, S. 60. 124 Niebaum, J.: Zur Planungs- und Baugeschichte der Peterskirche zwischen 1506 und 1513, S. 79. 114 115

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Gepredigte Legitimation des Neubaus

ausgelöst durch das Jubeljahr 1475, an St. Peter Hand anlegte. 125 Julius II. steigerte die Vorhaben seines Onkels, da er sich zunächst ein größeres Grabmal bestellte, das in einer neu zu errichtenden Kapelle aufgestellt werden sollte. Nach Bram Kempers war sie eine Ergänzung zur Capella Sixti 126, der Grabkapelle des Sixtus IV. 127 Offensichtlich hat die-

ses Ansinnen den Neubau von St. Peter zur Folge. Nach Christoph Luitpold Frommel wollte Julius II. mit dem Neubau von St. Peter das Vermächtnis seines Oheims erfüllen. Als Beleg für seine Konklusion verweist er auf die Bullen von 1507, 1513 und die Predigt des Egidio von Viterbo. 128

2.7 Gepredigte Legitimation des Neubaus Die Predigten des Egidio von Viterbo sind in diesem Kontext von Relevanz, da sie das Papsttum legitimierten, Julius II. als dessen Garant feierten und den Neubau alttestamentlich verorten, indem eine Linie von Jerusalem nach Rom gezogen wird. Egidio da Viterbo nahm Julius II. die unangenehme Aufgabe ab, für ihn in souveräner und überzeugender Art zu predigen. 129 Julius II. konnte sich so aus fremdem Mund als neuer Salomon feiern lassen, der das wichtigste Gotteshaus der Christenheit erneuert. Der Neubau von St. Peter war schließlich

die signifikanteste und künstlerischste Demonstration der Glorifikation des Apostelfürsten. Egidio wurde nicht müde, die Idee vom Aufrichten einer neuen Kirche in den Himmel („ad coelum usque“) zu loben. Für ihn war die Basilika so konstruiert, dass der Prachtbau Gott am großartigsten verehre und anbete. 130 Legitimiert wurde der Neubau von St. Peter vor allem durch die Prophetie des Alten Testaments. 131 Egidio da Viterbo war unerschütterlich von der Größe der Kirche und deren absoluten Anspruch, das Zentrum des Glaubens zu sein, über-

125 Sixtus IV. sorgte für bessere Lichtverhältnisse in der Basilika und nahm an einer gefährdeten Seite Stützmaßnahmen vor. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste, Bd. II, S. 510. Per Bulle kündigte Sixtus IV. 1475 die Erneuerung Roms an: „Wenn es Unsere Pflicht ist, sämtlichen Städten des Kirchenstaates Unsere Sorgfalt zuzuwenden, so gilt dies vorzüglich von Unserer durch das Blut der Apostelfürsten Petrus und Paulus geweihten Hauptstadt; verdient sie doch als Priesterstadt und als Unsere besonders geliebte Tochter vor allen anderen den Vorzug.“ Vgl. ebd., S. 512. Sixtus IV. wollte den Plan Nikolaus’ V. fortsetzen, Rom zur Hauptstadt des christlichen Erdkreises und somit zu Ehren und Glanz einer Weltmacht zu machen (S. 578). 126 Kempers, B.: Capella Iulia and Capella Sixtina, S. 33. Bram Kempers untersucht in dem Aufsatz den Zusammenhang der Grabmäler von Sixtus IV. und Julius II. und der jeweiligen Kapellen in St. Peter. Julius II. war der Stifter der Grabmäler, der sich dem Autor zu Folge selbst die Verpflichtung auferlegte, die begonnene Mission seines Onkels zu erfüllen (S. 48). Die Familienräson, dynastische Präsentation und Repräsentation seien die Antreiber Julius’ II. gewesen. Julius II. habe die Tatsache unterstreichen wollen, dass zwei Päpste einer Familie entstammt hätten. (S. 34). 127 Frommel, C. L.: Capella Iulia, S. 30. Besagter Autor liefert eine Beschreibung und eine Skizze der Kapelle (S. 31–32). Die Chorkapelle, die als Familiengrablege dienen sollte, wurde 1477/78 am linken Seitenschiff von Alt-St. Peter querrechteckig in den Maßen 12 � 16 m errichtet und der unbefleckten Empfängnis geweiht. Frommel, C. L.: Capella Iulia, S. 31. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. II, S. 580. Nach Ludwig von Pastor war Sixtus IV. Marienverehrer und Anhänger der Unbefleckten Empfängnis Mariens, deren Fest er 1475 für den 8. Dezember vorschlug (S. 538–539). Als Konsequenz dieser Verehrung und Dankbarkeit für seinen Aufstieg weihte er die Grabkapelle bzw. deren Altar u. a. der Unbefleckten Empfängnis am 8. Dezember 1479 ein. Daneben stattete er den Altar mit Reliquien und Indulgenzien an bestimmten Festtagen aus. Vgl. Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 284. Vgl. Roser, H.: op. cit., S. 120. Nach Hannes Roser bedeutete die Errichtung der Kapelle, wozu auch eine Bibliothek des Chorkapitels gehörte, die in dieser Kapelle ansässig sein sollte, eine Aufwertung und Konsolidierung des südlichen Langhauses. Vgl. ebd., S. 119. Zeremoniell wurde die Kapelle aufgewertet, da sie zur Chorkapelle des Kapitels von St. Peter wurde und somit ausschließlich den Klerus als Publikum hatte. Vgl. Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 285. Ein neuer zeremonieller Schwerpunkt in Alt-St. Peter bedeutet gleichzeitig Präsenz und Festigung der päpstlichen Herrschaft. Eine neue Kapelle wird zum Zentrum eines päpstlichen Ritus. Vgl. Schimmelpfennig, B.: op. cit., S. 268–269. Die Capella Sixti war das letzte Gebäude der konstantinischen Basilika, die nach einer letzten Versammlung der Kleriker am 15. November1609 niedergelegt wurde. Die Überreste von Sixtus IV. und Julius II. wurden in die neue Basilika translatiert, da sie in der Chorkapelle geruht hatten, was aber auch deren Bedeutung widerspiegelte. Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 311. Der lange Erhalt der Kapelle zeigt auch, dass sich die Kanoniker der Memoria der della Roveres aufgrund deren Stiftungen verpflichtet gefühlt haben. Vgl. ebd., S. 312. 128 Frommel, C. L.: Capella Iulia, S. 31. 129 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 747. Präziser: Text 132, S. 933. Shaw, C.: The Motivation of the Patronage of Pope Julius II, S. 45. Wie dargestellt, litt Julius II. an Lampenfieber und hatte Schwierigkeiten, vor dem Konsistorium zu sprechen. 130 O’Malley, J. W.: Rome and the Renaissance-Studies in Culture and Religion, S. 9. „magnificentissimus esset locus, (…) ut Deus magnificentius adoretur“. 131 Egidio da Viterbo (1469–1532) war Mönch, Reformer, Renaissance Gelehrter, ein universeller Geist, hochgeschätzt als Dichter, Philosoph und Historiker. LTHK, Band 1, S. 182. Er galt schon am Beginn des 16. Jahrhunderts als bekanntester Prediger in Italien. Martin, F. X.: Friar, Reformer and Renaissance Scholar: Life and Work of Giles of Viterbo 1469–1532, S. 6. Er bewegte sich in den intellektuellen Zirkeln von Padua, Neapel, Florenz und

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Michelangelo und der Neubau von St. Peter

zeugt. Nach ihm beruhte ihre Autorität auf den Grundfesten der Apostel Petrus und Paulus, die den Glauben nach Rom gebracht und die Stadt sowohl zum geistigen als auch geistlichen Zentrum der Christenheit gemacht hatten. In seinem Ansatz zieht er eine Linie von Jerusalem nach Rom, das zum neuen Religionssitz werden sollte. Rom war die ewige Stadt, Hüterin und Trägerin des Glaubens, was im Bau von St. Peter steingewordene Theologie wurde. Der Vatikanische Hügel sei der wahre Berg Zion, was durch den neuen Tempel gezeigt werde. Rom sei die neue heilige Stadt und somit das neue lateinische Jerusalem. 132 Nach seiner Auffassung war Rom nicht nur der Platz, den die Apostel Peter und Paul aufsuchten, sondern gerade durch ihre Predigten und ihr Martyrium geheiligt wurde. Der Vatikan als Ort des Grabes Petri war besonders geheiligt; der unbestechliche Hüter der trinitarischen Orthodoxie und genoss damit eine privilegierte Beziehung zur sakramentalen Gnade. Rom wurde so zum Zentrum der Christenheit und zur legitimen Nachfolgerin von Jerusalem. 133 Die Stadt Rom und der Pontifex maximus, so Egidio, seien durch ein göttliches und ewiges Band verbunden, das Gott geschaffen habe, und es niemand wagen dürfe, es zu trennen. 134 Egidio da Viterbo nutzt die Predigt vom 21. Dezember 1507 anlässlich der portugiesischen Eroberungen 135 in der Messfeier in St. Peter, um in seinen Ausführungen den Neubau zu preisen und dessen Erbauer Julius II. zu verherrlichen. Im Verlauf dieser Predigt nimmt er immer wieder Bezug auf die Bücher des Alten Testamentes, und zwar verstärkt auf das Prophetenbuch Jesaja, um darin die Erfüllung der Schrift durch das unter Julius II. begonnene neue Goldene Zeitalter zu belegen. 136 Um dies zu illustrieren, bedient sich der Prediger der Heraldik.

Dazu stellt er eine Verbindung über die Bedeutung des Eichenbaums hinsichtlich der Schrifterfüllung zu Jesaja her. Die Zeit des zu erwartenden Glücks vergleicht er mit einem Eichenbaum. 137 Für Egidio da Viterbo gilt der Eichenbaum als Quelle des Glaubens, unter dessen Schutz die Nationen stehen wollten. Die Pflicht des Baumes sei es, den Glauben zu verteidigen, Feinde zu besiegen und Frieden zu stiften, damit die Schrift erfüllt werde. Jesaja habe prophezeit, dass die römische Diözese sich in zweifacher Hinsicht erheben werde: erstens in der Struktur ihres Gebäudes und zweitens in der Ausdehnung ihres Reiches. 138 Der Prediger widmet folgend in einem längeren Abschnitt dem Neubau von St. Peter seine Aufmerksamkeit, nimmt Bezug auf das Buch Jesus Sirach und vergleicht Julius II. mit dem Hohepriester Simon (Jes Sir 50, 1–2). 139 Julius II. habe den Tempel nicht gebaut oder begründet, habe ihn aber vergrößert und habe seinen Geist der Wiederherstellung des Sankt-Peter-Tempels zugewandt. Rom werde nichts Vortrefflicheres oder Großartigeres hervorbringen, das seines Gleichen in der Welt suche als den Tempel des Julius II. Die alten Prophetien werden in der Folge wieder mit Julius II. verbunden sein, dass Julius II. der vorhergesagte Salomon sei, der den zerfallenen Tempel wiederaufbaue. Die Prophetie habe deutlich gemacht, dass Julius II. die Kirche nicht nur durch die Höhe der Mauern vergrößere, sondern auch durch die Dauer des Reiches. Egidio da Viterbo schließt die Predigt damit, Julius II. werde für eine frohlockende Herde die goldenen Früchte seiner Eiche erneuern und somit das Goldene Zeitalter in seinem Etrurien. 140 Egidio da Viterbo konnte sich der Faszination und Begeisterung für das Neubau-Projekt nicht entziehen, was damit zu begründen ist, dass er das Pe-

Rom. O’Malley, J. W.: Giles of Viterbo: A Reformer’s Thought on Renaissance Rome, S. 2. Egidio da Viterbo bezog seine Ansätze aus der Theologie des AT und des NT, der Patristik, der antiken Philosophie und Geschichte. 132 O’Malley, J. W.: Giles of Viterbo on Church and Reform, S. 122. „sancta Latina Jerusalem“. 133 O’Malley, J. W.: Giles of Viterbo on Church and Reform, S. 124. 134 O’Malley, J. W.: Giles of Viterbo on Church and Reform, S. 124–125. 135 O’Malley, J. W.: Fullfillment of the Christian Golden Age under Pope Julius II, S. 266–267. Bei den Eroberungen handelt es sich um Ceylon und Madagaskar und den Sieg in einer Seeschlacht über den Zamorin von Calicut. 136 Martin, F. X.: op. cit., S. 267. 137 Martin, F. X.: op. cit., S. 255. 138 Martin, F. X.: op. cit., S. 264. 139 Martin, F. X.: op. cit., S. 264. Im Folgenden verweist Egidio da Viterbo darauf, dass Simon auch der Name des ersten Papstes ist. Somit wird eine Verbindung zwischen Julius II. und Petrus hergestellt. 140 Martin, F. X.: op. cit., S. 282. Etrurien ist mit dem Kerngebiet der Etrusker gleichzusetzen, was in diesem Fall auf dem Gebiet des Kirchenstaates lag.

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Zwischenresümee

trusgrab als außerordentlich bedeutsam für die Christenheit einordnete und es die neue Basilika beherbergen sollte. In seinem Bewusstsein war das sich wiederholende Muster der heiligen Geschichte eingebrannt. Es zeigte sich in den Parallelen zwischen der Geschichte Sauls, Davids und Salomons beim Bau des alten Tempels und den RenaissancePäpsten während des Baus der Basilika. Julius II. hatte in diesem Prediger einen Mann gefunden, der ihm die theologische Legitimation für den Neubau gab, ihn permanent pries, verteidigte und in eine besondere Beziehung zu Gott stellte, was er auch auf dem V. Laterankonzil 1512 tat, das in einer beeindruckenden sechsstündigen Feier eröffnet wurde. 141 Selbst nach dem Tod Julius’ II. im Februar 1513 setzte Egidio da Viterbo sein Werk fort. In der „Historia viginti Saecolorum“, an Leo X. adressiert und 1518 vollendet 142,

zieht er eine Linie von Sixtus IV. zu Julius II., um durch das Papsttum den Neubau von St. Peter zu legitimieren und theologisch zu untermauern. Er vergleicht hier Sixtus IV. mit David und Julius II. mit Salomon. Die göttliche Weisung an David sei es gewesen, seinem Nachfolger den Bau des Tempels zu überlassen. So habe es auch Gott Sixtus IV. untersagt, Hand an die alt ehrwürdige Basilika zu legen. An deren Stelle habe aber Sixtus IV. seine Grabkapelle an St. Peter und die Palastkapelle – die Sixtina hat die Ausmaße des Jerusalemer Tempels – am Vatikan errichtet. Daneben habe er noch S. Maria del Popolo und S. Maria della Pace bauen lassen. Dem Vorbild David folgend habe dieser Papst auch die Musik an St. Peter eingeführt. Somit sei seinem Nachfolger bestimmt gewesen, den Bau des neuen Tempels, d. h. Neu-St. Peter, durchzuführen. 143

2.8 Zwischenresümee Die verkürzte und auf wesentliche Elemente beschränkte Darstellung zeigt, welchen selbstgestellten Aufgaben sich Julius II. während seines Pontifikates widmete und wie sie theologisch gedeutet wurden: Egidio da Viterbo geht es um die Erfüllung der alttestamentlichen Schriften, die er in Julius II. manifestiert sehen möchte, was theologisch gedacht ist, und die er an ausgewählten Stellen konsequent auf Julius II. und dessen Zeitalter anwendet. Der Eichenbaum, der das Zeichen der della Roveres ist, kommt in den Deutungen und Anwendungen der Schriftstellen zur Genüge vor. Alles dient letztlich der Verherrlichung der Kirche, die erst unter Julius II. wieder zur alten Stärke zurückgefunden hat, und zur Darstellung der Überlegenheit des christlichen Glaubens. Der Glauben, der unter den Vorgängern Julius’ II. seine Einbußen und Niederlage hatte, gewinnt wieder die Oberhand über das Heidentum, was durch die Eroberungen Portugals bewiesen wurde. Dahinter steht der Universalanspruch

der Kirche und des Papsttums, der in der steingewordenen Theologie, dem Neubau von St. Peter, den Julius II. wagte, eindrucksvoll demonstriert wird. Julius II. wagte dieses risikobehaftete Unterfangen, da er sich intensiv als Nachfolger Petri definierte und zu diesem eine tiefe Verbindung empfand. Nach seiner Kardinalskreierung 1471 war San Pietro in Vincoli seine Titularkirche, die er als Papst restaurieren ließ und für die er bereits 1477 eine Bronzetüre aus der Hand Antonio Pollaiuolos mit Szenen aus dem Leben Petri (Haft und Befreiung) stiftete. Die Befreiung Petri findet als Sujet in der Stanza d’Eliodoro von Raffael ihre Wiederholung. Von der empfundenen Verbindung zu Petrus leitete sich der Wunsch ab, das eigene Grabmal in die Nähe des Grabes des Apostelfürsten zu legen. 144 So ist anzunehmen, dass sich durch das Bewusstsein, der Stellvertreter Christi und Nachfolger des heiligen Petrus zu sein, die Überzeugung entwickelte, sich als würdig und recht zu empfinden, Alt-St. Peter niederzulegen.

Shaw, C.: Julius II, S. 285–286. Das Laterankonzil sollte der Reform und der Wiederherstellung der päpstlichen Autorität dienen. Es war das letzte Konzil vor dem Ende der christlichen Einheit. Egidio da Viterbo predigte, Julius II. sei der höchste Priester, der von Gott mit hohen Geistesgaben ausgestattet sei, der auf Dauer ein großes Reich schaffen und die Feinde besiegen könne. Gott habe Julius II., der zu diesem Zeitpunkt schon krank gewesen sei, am Leben gelassen, damit er seine große Arbeit verrichten und er der nahezu toten Kirche das Leben zurückgeben könne. Vgl. Martin, F. X.: op. cit., S. 292. 142 O’Malley, J.: Man’s dignity, God’s love, and the destiny of Rome – A text of Giles of Viterbo, S. 390. 143 Zitiert nach Frommel, C. L.: Capella Iulia, S. 30. 144 Shaw, C.: The Motivation, S. 49. 141

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3 Von der Simultangenese zur Tripel-Genese

Die Entscheidung bzw. der Prioritätenwandel, AltSt. Peter niederzulegen, vollzog sich beim Papst während Michelangelos achtmonatiger Abwesenheit, der vermutlich, wie dargestellt, in den Sommer 1505 zu datieren ist 1 und möglicherweise durch das nach wie vor kontrovers diskutierte Grabmal ausgelöst wurde. 2 Michael Borgolte lenkt auf ein Feld, das diese Kontroverse auf andere Weise zumindest bis zur temporären Abkehr vom Grabmal lösen könnte. Für ihn steht fest, dass der Kirchenbau und das Grabmal in enger Verbindung standen und schließt sich dem Ansatz Herbert Siebenhüners an, der von einer „Simultan-Genese von Kirchenund Grabbau“ spricht. 3 In der Folge seiner Betrachtung expliziert Michael Borgolte, warum das Grabmal Julius II. den Rahmen der normalen Papstgrablegen in St. Peter gesprengt hätte. 4 Das von Julius II. geforderte Freigrab in dem nach Westen auszubauenden Nikolauschor aufzustellen, wäre eine Steigerung der Grablege seines Onkels gewesen, da sich diese „Capella Sixti“ nur im südlichen Seitenschiff

von St. Peter befand. 5 Damit hätte die Grablege Julius II. eine exklusive Lage und Beziehung zum Hauptaltar und zur Confessio, damit dem Petrusgrab, gehabt. Das Freigrab aus Marmor hätte auch das aus Bronze gefertigte Grab Sixtus’ IV. gesteigert. 6 So schlussfolgert Michael Borgolte weiter, dass eine Verwirklichung dieses Projektes das Aus für weitere Papstgrabmäler in St. Peter bedeutet hätte, da durch die exponierte Lage dieses Großprojektes St. Peter aufgrund der besonderen Beziehung zwischen Juliusgrab und Petrusgrab zu einem „templum Iulium“ geworden wäre. Folglich hätte St. Peter als Sammelgrabstätte für Päpste nicht mehr fungieren können. Dies sei aber nicht eingetreten, da eine Prioritätsverschiebung seitens des Papstes dann zum Neubau von St. Peter geführt habe und das Grabmalprojekt in den Hintergrund getreten sei. 7 Im Rahmen dieses Ansatzes wäre es berechtigt, William Wallace anzuführen, der ebenfalls von einer Prioritätsverschiebung Julius’ II. in anderer Hinsicht spricht, um von dem Grabmal abzu-

Wolff Metternich, F. G.: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert, Tafel 1. Niebaum, J.: Bramante und der Neubau von St. Peter, S. 92. Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 290–291. Michael Borgolte legt die Aussagen von Vasari und Condivi zugrunde. Frommel gibt in seinem Aufsatz über die Capella Iulia für den Meinungswandel den Zeitraum zwischen April und Oktober 1505 an (S. 29). Er leitet diese Angabe im Vorfeld ein, indem er auf Breven hinweist, die im Herbst 1505 Pfründe übertrugen, die für den Neubau von St. Peter vorgesehen waren. Vgl. Frommel, C. L.: Capella Iulia, S. 28. Pastor verweist darauf, dass im März 1505 an eine Kapelle gedacht wurde, die das Julius-Grabmal aufnehmen sollte. Am 11. April 1505 habe man die Vollendung der von Nikolaus V. und Paul II. begonnen Arbeiten geplant, um im Sommer 1505 den Umbau der Kirche nach neuen, prächtigeren und schöneren Entwürfen auszuführen. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 761. Nach Pastor ist der am 10. November 1505 datierte Befehl Julius’ II. das erste Dokument, das den Neubau von St. Peter benennt. Das Erbe eines Mannes namens Monserati de Guda sollte dem Bau der Peterskirche zufallen. Vgl. ebd., S. 768. In dem Werk „Michelangelo – Marmor und Geist“ schreibt Frommel, dass Julius II. bereits Anfang 1505 Bramante den Neubau von St. Peter anvertraut habe, was auf die Angelegenheit ein völlig anderes Licht werfen würde. Siehe Frommel, C. L.: Das Grabmal Julius’ II., S. 19. 3 Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 291. Konkret: Siebenhüner, H.: Umrisse zur Geschichte der Ausstattung von St. Peter in Rom von Paul III. – Paul V., S. 234. Herbert Siebenhüner untersucht in seinem Aufsatz die Ausstattung von St. Peter im genannten Zeitraum und gibt dem Grabmalsprojekt von Paul III. eine ähnliche Bedeutung in der Auswirkung auf den Bau von St. Peter wie seinerzeit das Grabmalprojekt von Julius II. Paul III. habe sich wie Julius II. als Stifter des Kirchenbaus gesehen und habe deshalb auch ein Freigrab begehrt (S. 230). Die Idee zu einem Freigrab sei bei Paul III. erst in dem Augenblick entstanden, als Michelangelos Entwurf zum Neubau konkrete Form angenommen habe. Siebenhüner konkludiert auch hier eine „Simultan-Genese von Kirchen- und Grabbau“, wie er sich auch unter Julius II. zugetragen habe (S. 234). Der Ansatz von Herbert Siebenhüner fand bisher in der Forschung wenig Beachtung. 4 Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 291. Herbert von Einem vertritt auch diese Meinung, dass Michelangelos Entwurf für das Freigrab etwas Neues in der Geschichte der Papstgrablegen dargestellt hätte. Vgl. Einem, H. v.: Michelangelo, S. 43. Nach Bram Kempers unterstützte Michelangelos Freigrabkonzept und dessen Positionierung in einem neuen Petersdom den Trend, größere Papstgrabmäler an prominenten Stellen zu errichten. Vgl. Kempers, B.: Capella Iulia und Capella Sixtina, S. 33. 5 Folgt man den Plänen, so lag die Kapelle im unteren Drittel des südlichen Langhauses von Alt-St. Peter. 6 Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 291. 7 Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 292. 1

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Von der Simultangenese zur Tripel-Genese

lassen. 8 Auf dem Hintergrund der politischen Großwetterlage des Kirchenstaates im Jahr 1506 lag die Priorität des Papstes darauf, den Kirchenstaat zu etablieren, die Souveränität des Papsttums zu demonstrieren und die alte Ordnung durch die erneute Eingliederung Bolognas, das ursprünglich zum Kirchenstaat gehörte, wiederherzustellen. 9 Schon im 14 Jahrhundert war Bologna die wichtigste Stadt im Kirchenstaat, verfügte über eine entsprechende geographische Ausdehnung und hatte politische und ökonomische Bedeutung. Bologna war nicht nur ein landwirtschaftliches Zentrum, sondern auch eine Industriestadt beispielsweise durch die Seidenproduktion. Das jährliche Bruttoeinkommen aus Zöllen bzw. Zollgebühren lag zwischen 90 000 und 180 000 Florin. Obwohl die jährlichen Abgaben an den Papst unter Martin V. auf 5000 Florin festgelegt wurden, bediente sich die Apostolische Kammer später großzügig und völlig frei aus den Einkünften der Stadt. Auch die Handelswege in die Toskana unterlagen der besonderen Verantwortlichkeit der Bologneser und waren wirtschaftlich wie militärisch bedeutsam. Das nördliche Gebiet Bolognas war vor allem für die Verteidigung des Kirchenstaates von Relevanz. 10 Aus diesem Grund hatte der Papst ein genuines und hoch finanzielles Interesse an der Rückeroberung dieser Stadt und deren Einflussgebietes. Diese Stadt würde ihm die finanziellen Ressourcen für weitere Unternehmungen liefern. Erweitert man den Gedanken der Prioritätsverschiebung, ist die Sixtina als weiteres Feld zu benennen, auf dem sich der päpstliche Repräsentations- und Umsetzungswille zeigte. Die SimultanGenese kann von daher zu einer Tripel-Genese erweitert werden, einer Tripel-Genese, an der Michelangelo beteiligt sein sollte und die dazu diente, die Familie della Rovere zu verherrlichen. Auch wenn es Julius II. nicht mehr erleben sollte, konnten sich

die drei Säulen, auf denen die Familie della Rovere in dieser Hinsicht stand, realisieren lassen, haben bis heute Bestand und sind mit dem Namen Michelangelo untrennbar verbunden. Der Kreis zur Beteiligung am Neubau schließt sich in dem Augenblick, als Michelangelo Jahrzehnte später zum Architekten von St. Peter berufen wird. Ausgangspunkt für die Annahme einer TripelGenese ist der Rosselli-Brief vom 10. Mai 1506, in dem einerseits Bramante negativ bewertet wird und in dem andererseits für diesen Kontext die wichtige Information steht, die die Ausmalung der sixtinschen Decke betrifft. Pietro Rosselli berichtet dem nach Florenz geflohenen Michelangelo von einem abendlichen Treffen zwischen Bramante, Julius II. und ihm selbst. 11 Thema war die Rückkehr Michelangelos nach Rom, die der Papst wünschte, die Bramante nach Michelangelos eigener Aussage nur erwarte, wenn er das Grabmal behalten dürfe, da er die Kapelle nicht malen wolle. Nach Rosselli traue Bramante Michelangelo die Ausmalung der Decke nicht zu, weil dieser wenig Erfahrungen mit der Malerei habe und die Figuren nicht mit Verkürzungen darstellen könne. Rosselli fährt darauf Bramante über den Mund und bezichtigt Bramante der üblen Nachrede, der dann nichts zu mehr zu sagen gehabt hätte. 12 John Shearman schließt aus den im Roselli-Brief dargestellten Äußerungen Bramantes, dass die Gespräche über die Ausmalung der Decke schon viel früher begonnen hätten. 13 Das wäre nicht überraschend, da sich die Decke seit 1504 in einem unansehnlichen Zustand befand, der weitere Maßnahmen vorprogrammierte. Im Frühjahr 1504 war dort ein Riss entstanden, der die Mitte entlang spaltete. Aufgrund der Reparaturarbeiten wurde die päpstliche Vesper zwischen Mai und Oktober 1504 nach St. Peter verlegt, worüber Johannes Burckhard berichtet und durch Paris de Grassis bestätigt wird, diese Kapelle sei baufällig und beschädigt. 14 John

Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 76. Der Autor führt hier neben dem Neubau politische Gründe an. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 86. Christoph Luitpold Frommel verweist auf die Kosten, die dieser Feldzug neben der Basilika und anderen Bautätigkeiten verursachte, sodass der Papst bezogen auf weitere Ausgaben, die das Grabmal betrafen, sehr defensiv agierte. Vgl. Frommel, C. L.: Das Grabmal Julius’ II., S. 30. 10 Partner, P.: The Lands of St. Peter, S. 438–439. 11 Die Flucht Michelangelos wird in der Folge thematisiert. 12 Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 695. „… none volere ate(n)dere ala capela …, jo credo (Bramante) che luj nolj (= non li) bastj elanimo, perche luj nona (= non a) fato tropo difigure, e masimo le figure sono ate (= alte) et in inco(r)cio e dene atra (= altra) cosa che a djpinere in tera. (…) Alota jo mj iscope(r)si et disilj una vilanja gra(n)disima prese(n)te de papa e disilj quelo credo arestj deto voj per me; e per ta(n)to non sepe quelo sirispo(n)de e pa(r)uelj avere ma(l) deto.“ Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 83. 13 Shearman, J.: Die Kapelle des Sixtus IV., S. 32. 14 Johannes Burckhard berichtet darüber in seinem Diarium: „Die mercurii, 15 maii, vigilia ascensionis Domini, fuerunt vespere papales, Papa 8

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Von der Simultangenese zur Tripel-Genese

Shearman geht davon aus, dass die Sicherungsmaßnahmen und der ihnen zugrundeliegende Riss die alte Deckenbemalung schwer in Mitleidenschaft gezogen habe. 15 Damit wurde durch die Sanierungsmaßnahme eine Neugestaltung vonnöten. Gerade in Bezug auf die Sixtina, die ebenfalls ein Vermächtnis Sixtus IV. war, unterlag Julius II. einer besonderen Verpflichtung und musste sie in einem würdigen Zustand hinterlassen. Er konnte sie weder aus Gründen der Pietas noch der Familienräson ignorieren. Die Idee der Deckenausmalung konnte auch von dem Gedanken geleitet sein, dass sich St. Peter durch den Neubau in eine Baustelle verwandeln würde und für lange Zeit kein angemessener Kult dort vollzogen werden konnte. So wurde die Sixtina durch die sukzessive Niederlegung von Alt-St. Peter wirklich zur „Capella Magna“, zur großen und repräsentativen Kapelle des Papstes. 16 Für die Familie della Rovere bedeutete das, dass die Sixtina neben der Capella Sixti zu dem Ort wurde, an dem familiäre Pietas und Memoria zusammenfielen. Hier wurden im Herzen des Vatikans die Pontifikate von Neffen und Oheim miteinander verschmolzen. Eine gemeinsame Grablege konnte es zunächst nur temporär geben, da das Grabmalprojekt für Julius II. auf unkalkulierbare Zeit angelegt und St. Peter im Neubau begriffen war. 17 Besagter Neubau würde auch unter Umständen den Verbleib der Grablege von Sixtus IV. in Mitleidenschaft ziehen, auch wenn Julius II. sehr darauf bedacht war, die Capella Sixti

unangetastet zu lassen. 18 Das langfristige Schicksal der Capella Iulia war ebenfalls ungewiss. Daher würden sich Teile der Liturgie immer in der Capella Magna abspielen müssen, war sie durch die Neubauaktion nicht tangiert. Aus diesem Grund war die einzig steuerbare Aktion, die Julius II. definitiv in der Hand hatte und von der er ausgehen konnte, dass sie weitere Pontifikate überlebte und zu seinen Lebzeiten vollendet werden würde, die Ausmalung der Decke. Auf dieser Grundlage sei hier die Annahme formuliert, dass Julius II. durch die Ausmalung der Decke eine Art Capella Iulia in die Capella Sixtina pflanzte oder sie zu einer Doppelkapelle verschmolz. So existierten gleichwertig zwei künstlerische Projekte unterschiedlichen Alters nebeneinander. Vermutlich würde es in Zunkunft niemand wagen, ein Großwerk Michelangelos von der Decke zu schlagen. Bis heute werden die beiden della Rovere Päpste im Hinblick auf diese Kapelle genannt: Sixtus IV. baute und dekorierte sie an den Seitenwänden, Julius II. ließ die Decke gestalten. Für Julius II. war es ferner positiv und attraktiv, dass die Ausmalung der Decke in einem zeitlich und finanziell übersichtlichen Rahmen lag, was ihm sehr entgegenkam. Die anderen Großprojekte wie Neubau und Neugründung des Kirchenstaates waren kostspieliger und zeitlich weniger kalkulierbar. 19 So kann die formulierte Tripel-Genese zumindest für die erste Zeit angenommen werden, da sie durch Quellen zu belegen ist. Die Abkehr vom Grab-

presente, in basilica S. Petri, quia capella palatii reparabatur; (…).“ Vgl. Burchardi, J.: Diarium sive Rerum Urbanum Commentarii 1483–1506, S. 354. (Folgend zitiert: Burchardi, J.: Diarium). John Shearman hat eine Ergänzung dazu, die bei Burchardi fehlt: „(quia capella palatii reparabatur) per cathenas super voltum superiorem et in voltis inferioribus propter eius rupturam per medium.“ Vgl. Shearman, J.: Anmerkung 5 zum Kapitel „Die Kapelle des Sixtus IV.“, S. 268. Johannes Burckhard wiederholt für den 25. Mai 1504 die Verlegung der päpstlichen Vesper nach St. Peter „quia capella reparatur“. Vgl. Burchardi, J.: Diarium, S. 356. Am letzten Oktober steht die große Kapelle dann wieder für die päpstliche Vesper zur Verfügung. „Ultima octrobris (…) Eadem die, mutatio capparum et vespere papales in capella majori, (…)“. Vgl. Burchardi, J.: Diarium, S. 368–369. Paris de Grassis schreibt dazu: „(…) quoniam ipsa capella ruinosa erat, et tota conquaisata ita ut ibi stare non posset Papa.“ Vgl. Shearman, J.: Anmerkung 5 zum Kapitel „Die Kapelle des Sixtus IV.“, S. 268. Vgl. Kurzbeschreibung siehe: Hirst, M.: Michelangelo – The Achievement of Fame, S. 69. 15 Shearman, J.: Die Kapelle des Sixtus IV., S. 32. 16 Pfister, U.: Die Sixtinische Kapelle, S. 42. Hinzu kommt, dass die große Palastkapelle durch ein sich wandelndes Zeremoniell, was mit dem Bedeutungsverlust der Inbesitznahme (= possesso) des Laterans durch einen neugewählten Papst einhergeht, an die Stelle der Stationskirchen trat. Schimmelpfennig, B.: op. cit., S. 269. 17 Nach Ludwig von Pastor wurde Julius II. 1521 neben seinem Oheim beigesetzt. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 730. Bis zum endgültigen Neubau dieses Bereichs von St. Peter sollte es seine provisorische Grabstelle bleiben. Michael Borgolte lokalisiert die provisorische Grablege von Julius II. in der Apsis der Sixtus-Kapelle. Vgl. Borgolte, M.: Petrusnachfolge, Faltkarte Nr. 1 im Anhang oder Abbildung 7. Die Memoria der Familie war insofern auch hier gesichert, da es sich bei den Altären in den Nebenkapellen um Orte mit herausragender Bedeutung für das religiöse Leben in der Basilika handelte, an denen der Kultbetrieb weiterging. Vgl. Roser, H.: op. cit., S. 254. 18 Bredekamp, H.: St. Peter in Rom, S. 26. Vgl. Thoenes, C.: Renaissance St. Peter’s, S. 75. In der Fußnote 56 (S. 90) bemerkt Christof Thoenes, dass die Demolierungsgrenze des Langhauses an der Capella Sixti gelegen habe. Er führt dazu die Familienräson und familiäre Nachfolge als Grund für diese Entscheidung an. Julius II. konnte die Kapelle nicht ignorieren, da er sonst das Werk der eigenen Pietas zerstört hätte. 19 Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 146. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 76.

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mal durch den Papst beendet schließlich die Tripelbzw. die Simultangenese von Kirchen- und Grabbau. Auch wenn die besagte Abkehr des Papstes für Michelangelo ein Überraschungsmoment darstellte, waren solche Reaktionen im Patronat der Renaissance keine Neuheit. Die Mäzene hatten zu ihren Projekten ein dynamisches Verhältnis, so konnten Verträge oder Ideen einer Änderung unterliegen. 20 Julius II. nahm die Idee des Grabmals, von der

er vermutlich nicht gänzlich abließ 21, erst wieder auf seinem Sterbebett auf. In seiner letzten Bulle vom 19. Februar 1513 äußerte er den Wunsch, „dass er nach Fertigstellung des sepulchrum darin und in der nach ihm benannten Kapelle bestattet zu werden wünschte“. 22 Dazu wies er an, dass „30 000 Dukaten zum Teil a li cantori die San Piero, zum Teil per far la sua capella et sepultura ausgegeben werden“. 23

3.1 Päpstliche Abkehr vom Grabmal Im Hinblick auf die erwähnte Abkehr vom Grabmal wäre eine Aussage von Martin Spahn aus dessen Werk „Michelangelo und die Sixtinische Kapelle“ (1907) zu beachten und ließe sich weiter entfalten. Er spricht davon, dass Julius II. Michelangelo mit einem „quattrocentistischen Einfall“, seinem Grabmal, beschäftigen wollte, um dann die Idee der Deckenausmalung zu entwickeln. 24 Dieser Ansatz des „quattrocentistischen Einfalls“ ist überlegenswert, da er eine Erklärung für die anfängliche Begeisterung des Papstes für sein Grabmal bieten würde. Julius II. stand noch in der Tradition des Quattrocento 25, die zunächst bedienen musste und wollte. Allerdings setzte aufgrund dieses Kontextes beim Pontifex das Bewusstsein ein, etwas noch Höheres oder Größeres erreichen zu können, was nach Martin Spahn durch Michelangelo in ihm ausgelöst wurde. 26 Für die Neugründung des Kirchenstaates benötigte er ein größeres Prestigeobjekt, ja

ein unübersehbares Objekt. Jacob Burckhardt ordnet Julius II. als einen „Pontifice terribile“ ein, der in Form des Neubaus von St. Peter eines neuen großartigen äußeren Symbols bedurfte. 27 Christof Thoenes kommt bei seiner Untersuchung über die Größe der Peterskirche zu dem Ergebnis, dass eine Großarchitektur gleichzeitig eine Machtdarstellung bedeute, die die Herrschermacht, die Staatsmacht und die Macht einer Institution widerspiegle. 28 Der Neubau von St. Peter sei das Zeichen eines neuzeitlichen Bewusstseins und eines neuen Selbstverständnisses des Papsttums gewesen. 29 Auch Julius II. habe Größe gewollt und fand in Bramante den Mann, der die Rhetorik der Macht in eine Architekturform gießen konnte und die Architektursprache eines Imperiums gesprochen habe. 30 Nach Marcel Reymond war Bramante der richtige Mann, die übersteigerten oder großartigen Vorstellungen, die sich das Papsttum erträumte, zu verwirklichen. 31

20 Kempers, B.: Capella Iulia and Capella Sixtina, S. 53. Bram Kempers stellt dies in seinem Aufsatz fest und spricht bezüglich des Neubaus von St. Peter davon, dass Julius II. seine Meinung über die Bramanteentwürfe im Winter 1505/06 häufiger änderte (S. 49). 21 Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 292. Auch davon geht Michael Borgolte aus. 22 Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 293. 23 Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 294. Julius II. starb am 21. Februar 1513 und wurde in der Capella Sixti beigesetzt. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 730. 24 Spahn, M.: op. cit., S. 11. Der „quattrocentistische Einfall“ ist mit der Condivi-Stelle zu belegen, als der Papst aus Begeisterung die Summe für das Grabmal auf 200 000 Scudi festlegt. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 37. 200 000 Scudi war eine Riesensumme, die wirklich alle bisher dagewesenen Investitionen gesprengt hätte. Die geäußerte Summe durch Julius II., kann man denn Condivi trauen, scheint in dem Kontext unrealistisch zu sein und einer punktuellen Begeisterung zu entspringen. 25 Spahn, M.: op. cit., S. 4. 26 Spahn, M.: op. cit, S. 4. Martin Spahn stellt hier den epochalen Umbruch dar, deren Zeitzeuge und Mitantreiber Julius II. aufgrund der Tatsache wurde, dass die Renaissancekünstler eine neue Entfaltungsmöglichkeit anstrebten. In diesem Fall war es Michelangelo, wurde dann aber von Bramante überflügelt, weil er es verstand, den Papst für sich einzunehmen (S. 4–5). 27 Burckhardt, J.: op. cit., S. 111. Mit diesem Ansatz wird ein persönliches Motiv als Auslöser für den Neubau denkbar. 28 Thoenes, C.: Über die Größe der Peterskirche, S. 9. 29 Thoenes, C.: Über die Größe der Peterskirche, S, 10. 30 Thoenes, C.: Über die Größe der Peterskirche, S. 12. 31 Reymond, M.: op. cit., S. 35. „(…) que Bramante ètait bien l’homme capable de réaliser les conceptions grandioses rêvées par la papauté.“ Mit der

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Von der Simultangenese zur Tripel-Genese

Vasari betont in der Bramante-Vita ebenfalls die überdimensionierten Ausmaße des Planes. 32 Der Suggestivkraft eines Bramanteentwurfs habe sich der Papst nicht entziehen können. 33 In dieses Bild der Suggestivkraft passt der Ausspruch Bramantes, er werde das Gewölbe des Pantheons nehmen und auf die Bögen der Konstantinbasilika setzten. 34 Somit hatte Bramantes Suggestivkraft offensichtlich größere Wirkung als die eines Michelangelos mit seinem Grabmal. Die imponierende Dimension des Grabmals wurde von Bramante übertroffen, der das Grabmal zum Vehikel seiner großen Idee machte. 35 John Pope-Hennessy formuliert es noch drastischer, indem er den Auftrag an Bramante als Todesurteil für das Grabmal bezeichnet. Der Grabbau und die Basilika hätten im Wettstreit miteinander gelegen, bis Bramante den Auftrag bekommen habe. 36 Horst Bredekamp sagt im zweiten Teil der Dokumentation „Imperium der Päpste“, dass Julius II. das Bewusstsein hatte, an einer fundamentalen neuen Zeit zu stehen und eine historische Erfüllung zu einem Ende zu bringen, die ihn zum waagemutigsten Entschluss brachte, der vorstellbar war, den Neubau von St. Peter. 37 Das Grabmal war in der Tat ein aus dem Quattrocento gespeister Einfall, der zum Vehikel in die Zeit des Cinquecento wurde. Der „quattrocentistische Einfall“ konnte so revidiert werden, da er nicht mehr in den Gesamtkontext und in die neue Perspektive des Papstes passte. Marcel Rey-

monds Aussage, dass sich das Papsttum Großartiges erträumte, würde dies auch belegen: Ein Traum liegt jenseits der Realität. Hannes Roser ordnet Julius’ II. Einstellung zu seinem Grabmal als „hybrides Repräsentationsbedürfnis“ ein. 38 Eine Basilika würde dieses Repräsentationsbedürfnis eher bedienen. Der quattrocentistische Grabmaleinfall entsprang einer egoistischen Motivation und hätte unter den nachfolgenden Päpsten keinen Bestand gehabt, was Julius II. vermutlich bewusst war. Wollte er etwas Großes in Gang setzen, war er auf seine Nachfolger angewiesen. Dieses Große sollte Neu-St. Peter sein. Sein Einzelwille erforderte in der Zukunft eine Kollektivanstrengung, an deren Spitze immer einer neuer Papst stünde, bis der Bau vollendet sein würde. 39 Verbindendes Element war der Wille zur Sichtbarwerdung der päpstlichen Autorität, die vor allem auf dem Bewusstsein der apostolischen Sukzession fußte und auf das Zusammenwirken der aufeinander folgenden Päpste angewiesen war. Die Geschichte des Papsttums hatte dazu bisher den Beweis angetreten. Nicht Spaltung, wie die gescheiterten Schismen zeigten, oder Versuche, das Papsttum zu einer Art Erbmonarchie umzufunktionieren, brachten das Papsttum und die Kirche voran, sondern die Kontinuität in der Nachfolge Petri. Diese Kontinuität war mit Rom verbunden, was ebenfalls durch das Exil in Avignon belegt war, und brauchte als endgültiges Zeichen eine neue Petersbasilika, die

Wortwahl „grandioses“ nimmt Marcel Reymond eine Wertung vor. Er spricht von übersteigerten und erträumten Konzeptionen, was eine Realisierbarkeit dieser Konzeption in Frage stellt. 32 Vasari, G.: Das Leben des Bramante, S. 27. Dieser Plan habe als Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung durch Sangallo und Michelangelo gedient. Ludwig von Pastor legt die Quadratmeterzahl der geplanten Basilika auf 24200 Quadratmeter fest, von denen dann schließlich 14500 realisiert wurden. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 764. 33 Thoenes, C.: Über die Größe der Peterskirche, S. 14. Martin Spahn bemerkt in seinem Werk, dass Bramante den Umgang mit Julius II. beherrschte, da er die Spielregeln am päpstlichen Hofe kannte. Vgl. Spahn, M.: op. cit., S. 12. 34 Reymond, M.: op. cit., S. 36. Er zeigt auf, dass Bramante von der Antike inspiriert worden sei, der sich in dem berühmten Bramantschen Satz niedergeschlagen habe: „Je prendrai le voûtes du Panthéon et je les élèverai sur les acrs de la basilique de Constantin.“ Horst Bredekamp sieht in Bramante den Antreiber für den Neubau. Mit der Übertragung des Westchores an Bramante habe der Amoklauf gegen Alt-St. Peter begonnen. Bredekamp, H.: St. Peter in Rom, S. 29–30. Im Folgenden stellt er Bramante als cleveren und berechnenden Architekten dar, der Julius II. insofern glich, als er auch Anwandlungen eines Souveräns besaß, der sich nicht zum Steigbügelhalter eines Bildhauers degradiert sehen wollte, indem er die Hülle für ein Grabmal schuf. Bredekamp, H.: St. Peter in Rom, S. 31. 35 Bredekamp, H.: St. Peter in Rom, S. 27. 36 Pope-Hennessy, J.: Italian Renaissance and Baroque Sculpture, S. 27. „The two projects were in competition and the commission to Bramante for the church was the death warrant of the monument.“ 37 Imperium der Päpste Teil 2, Minute 39, 55 – Minute 40, 20. Im Folgenden illustriert der Kunsthistoriker das Unterfangen, indem er es mit dem Start eines gigantischen Flugzeugs vergleicht, von dem die Initiatoren nicht wussten, wann und wo es landen würde. 38 Roser, H.: op. cit., S. 254. 39 Christof Thoenes hat die Thematik des Einzelwillens, der auf eine Kollektivanstrengung angewiesen ist, im Kontext des Neubauvorhabens von Nikolaus V. entwickelt. Vgl. Thoenes, C.: Über die Größe von St. Peter, S. 11. Michael Borgolte sagt auch, dass Julius II. mit seinem Grabmalvorhaben alle bisherigen Dimensionen gesprengt hätte. Vgl. Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 291. Christian Hecht argumentiert etwas „emotionaler“, da er auch davon ausgeht, dass die Vollendung des Grabmals den Nachfolgern keine „Herzensangelegenheit“ gewesen sein kann. Vgl. Hecht, C.: Warum ließ Julius II. die alte Peterskirche abreißen? S. 151.

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Päpstliche Abkehr vom Grabmal

ausschließlich dem Papsttum vorbehalten war. In diese Richtung argumentiert auch Christian Hecht, der theologisch-kirchenpolitische Gründe für den Neubau anführt. 40 Julius II. berufe sich auf göttliche Weisung, die Petersbasilika neu zu bauen. 41 Christian Hecht schließt daraus, dass Julius II. St. Peter aufräumen wollte, um die Grabkirche Petri den Idealen der päpstlichen Reformpolitik und -theologie anzupassen. 42 Es sei auch darum gegangen, dubiose Heiligenkulte und abergläubische Bräuche zu beseitigen bzw. zu unterbinden. Das habe auch für den Sündenablass gegolten, wobei es hier um das Unterbinden von unechten Ablässen gegangen sei. 43 Darüber hinaus wäre St. Peter mit der Zeit auch zum Ort der Verherrlichung und der Memoria römischer Baronalfamilien geworden. 44 Nach Christian Hecht konnte ein Neubau alle störenden Altäre, private Grablegen zusammen mit den unechten Ablässen eliminieren, ohne eine Diskussion von Einzelentscheidungen zu eröffnen. 45 In dem Ansinnen eines Neubaus vermutet der Autor auch eine liturgische Neukonzeption der Basilika, deren Dreh- und Angelpunkt das Petrusgrab war. 46 Die neue Basilika sollte schlicht ein Monument der „maiestatis papalis“ werden. 47 Mit seiner Betrachtung nennt Christian Hecht einen überlegenswerten Aspekt, der den Abriss von Alt-St. Peter aus einer anderen Perspektive betrachtet. Er liefert einen weiteren Mosaikstein, warum die Entscheidung Julius’ II., von seinem Grabmal abzulassen, von Michelangelo im

Vorfeld und während seines Arbeitsaufwandes für das Grabmal nicht erkannt werden konnte. Ergänzend sei hier noch Christin Shaw genannt, die Julius II. als einen Papst beschreibt, der bereits als Nepot Sixtus’ IV. der aktivste Mäzen gewesen sei. 48 Während seines Kardinalats speiste sich seine Motivation aus der Tatsache, dass er ästhetisches Vergnügen oder Freude nicht nur an der Malerei, sondern auch am Bauen empfand. 49 Christin Shaw stellt fest, das Julius II. ein Prinz mit Sinn für Ästhetik gewesen sei, der den Wunsch nach Schaffung schöner Räume und Lebensräume gehabt und umgesetzt habe. 50 Diese Feststellung wäre auch auf die Petersbasilika übertragbar, da sie ein Raum für das Leben bzw. das Ausleben des Glaubens schlechthin ist. Legt man hier noch einmal die bereits erwähnte Dokumentation „Imperium der Päpste“ zugrunde, die eindrucksvoll die Arbeiten im Westbereich der Basilika dort zeigt, wo Bramante seine Arbeit mit einem Arbeiterheer begann, 51 wird deutlich, dass das Grabmal auf lange Zeit nicht zu realisieren war. Das wichtigste Projekt des Papstes war Neu-St. Peter. Michelangelo hätte es nicht erfüllt, so umtriebig wie er war, auf die Vollendung eines gigantischen Bauwerks zu warten, während er peu à peu seine Statuen vollendet. Auch wenn diese Dokumentation eine Rekonstruktion ist, lässt sie erahnen, wie es auf dem vatikanischen Hügel ausgesehen haben könnte. Das Grabmal war somit nahezu zur Bedeutungslosigkeit degradiert.

Hecht, C.: op. cit., S. 152. Hecht, C.: op. cit., S. 152–153. Christian Hecht führt als Argument das Breve an Heinrich VIII. vom 18. April 1506 und die Predigt von Egidio da Viterbo von 1512 zur Eröffnung des V. Laterankonzils an. 42 Hecht, C.: op. cit., S. 153. Er betont diesen Ansatz nochmals, als er wenige Seiten später von der Pietas Julius’ II. spricht, der den Neubau als Teil seines Kirchenreformprogramms gesehen habe (S. 156). 43 Hecht, C.: op. cit., S. 153–154. Im Folgenden geht er auf die Reliquienverehrung der Kirche ein, die in der Epoche des Humanismus gewaltig in die Kritik geraten sei, sodass sich ein Reformwillen entwickelt habe. Daneben sei die Basilika im frühen 16. Jahrhundert von unzähligen zweifelhaften und unhaltbaren Überlieferungen belastet gewesen (S. 154). Der Autor nennt hier weitere Beispiele aus St. Peter. 44 Hecht, C.: op. cit., S. 155. Als Beispiel nennt er die Familie Orsini, die allein mehr als zehn Altäre in St. Peter besessen hätte. 45 Hecht, C.: op. cit., S. 155. Horst Bredekamp spricht von einer „Entrümplungs-Aktion“ für Rom und schließt dabei auch auf St. Peter, „um in einem Schlag die Gesamthülle einer problembeladenen und bedrängenden Tradition zum Verschwinden zu bringen“. Vgl. Bredekamp, H.: St. Peter in Rom, S. 43. Nach Vasari war es der Wunsch Bramantes, den Bau schnell voranzutreiben, was als Konsequenz die Zerstörung „vieler schöner Dinge“ wie Grabmäler von Päpsten, Malereien und Mosaiken gehabt hätte. Vgl. Vasari, G.: Das Leben des Bramante, S. 27. Bramante selbst ging demnach nicht zimperlich mit der ausstatterischen Vielfalt von St. Peter um, hatte aber vom Papst selbst den Befehl, das Petrusgrab unangetastet zu lassen. Vgl. O’Malley, John: Giles of Viterbo, S. 125. Vgl. Frommel, C. L.: Die Peterskirche, S. 89 Dokument 8, Predigt von Egidius von Viterbo. 46 Hecht, C.: op. cit., S. 157–158. Vasari bestätigt diesen Gedanken in der Bramante-Vita; Bramante habe nur das Petrus-Grab und den alten Chor verschont. Vgl. Vasari, G.: Das Leben des Bramante, S. 27. 47 Hecht, C.: op. cit., S. 159. 48 Shaw, C.: The Motivation, S. 47. 49 Shaw, C.: The Motivation, S. 45. 50 Shaw, C.: The Motivation, S. 61. Unter diesen „Lebensräumen“ sind die Stanzen des Raffael zu inkludieren. 51 Terra X – Imperium der Päpste Teil II, Minute 39, 28–39, 54. 40 41

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Von der Simultangenese zur Tripel-Genese

Gewinner und Verlierer dieser Causa sollte Michelangelo werden. Er war Verlierer, weil er seinen großen Traum, ein Statuenheer aus Marmor zu schaffen, nicht ausleben konnte; er war ein Gewin-

ner, da ihm die Decke großen Ruhm einbrachte und es ihm gelang, die Statuen als Heerschar mit dem Pinsel an die Decke zu „meißeln“.

3.2 Michelangelos Jahresanfang 1506 Dem gigantischen Deckenprojekt gingen allerdings eine Krise Michelangelos und ein Ringen zwischen Künstler und Souverän voran. Die Prioritätsverschiebung des Papstes zu Ungunsten des Grabmals und Michelangelo selbst manövrierten ihn in eine Problemlage, die sich schließlich im April in seiner überstürzten Abreise bzw. Flucht aus Rom entlud. Zu Beginn des Jahres 1506 gab es zunächst keinen Grund zu einer Krise. Der Sensationsfund der Laokoongruppe in einem Weinberg in der Nähe von Santa Maria Maggiore am 14. Januar 1506 52 stellte nicht nur eine künstlerische Horizonterweiterung für Michelangelo, sondern auch einen nachhaltigen Einfluss auf ihn dar. Giuliano Sangallo wurde vom Papst zur Identifizierung der Gruppe zum Fundort geschickt. Ein glücklicher Zufall ließ Michelangelo zum Zeitpunkt der Benachrichtigung Gast in Sangallos Haus sein und seinen Gastgeber begleiten, der den Laokoon sogleich als den von Plinius erwähnten identifizierte. 53 Für beide Männer war es eine einzigartige Begegnung mit der Antike, die Michelangelo elektrisiert haben muss. Er sah ein Werk, das ihm in seinem Innersten entsprach und ihn bewegte: Er sah in Vollendung bewegten Marmor. Den antiken Steinhauern war das gelungen, wovon er träumte: Marmor nicht nur Leben einzuhauchen, was er selbst schon in seinen Werken umgesetzt hatte, sondern ihn in Bewegung zu set-

zen. Die Kentaurenschlacht, vom jugendlichen Michelangelo um 1492 geschaffen, zeigt den ersten Versuch, Marmor in Bewegung zu setzen, kam aber noch nicht über ein Hochrelief hinaus. 54 Im Laokoon sah Michelangelo sein jugendliches Ansinnen vollendet, der Stein war belebt, wurde durch die gezeigte Muskelkraft in den drei Protagonisten verdreht und dynamisiert. Die Wirkung des mit Emotionalität und Pathos geladenen künstlerischen Prunkstücks ließ nicht auf sich warten. Michelangelo sagte über den Laokoon, dass dies ein Wunder einzigartiger Kunst sei, in dem wir verpflichtet sein sollten, die göttliche bzw. himmlische Kunst als Begabung zu verehren, mehr als uns zur Nachahmung zu rüsten. 55 Dieser Ausspruch zeigt die hohe Anerkennung, die er diesem Meisterwerk mit gekonntem Blick zollte. Diesen Blick konnte er intensiv auf dem Werk ruhen lassen, da er neben Cristoforo Romano als erster Bildhauer Roms galt und die Aufgabe hatte, das Werk zu untersuchen, ob es aus einem Stück gehauen sei. Romano und Michelangelo wiesen nach, dass der Laokoon aus mehreren Stücken bestand. 56 Vermutlich wurde bei dieser Prüfung die Idee geboren, eines Tages ein mehrfiguriges Werk aus einem Marmorblock zu schlagen. Knappe 40 Jahre später sollte er diese Idee in der Florentiner Pietà umsetzen, womit er den Laokoon übertraf,

Mackowsky, H.: Michelagniolo, S. 63. Vgl. Daltrop, G.: Die Laokoongruppe im Vatikan, S. 9. Georg Daltrop verweist auf die Originalquellen, die das Datum und den Fundort benennen. Filippo Casaveteri informierte in einem Brief vom 14. Januar 1506 Francesco Vettori über den Fund der Laokoongruppe. Ein Brief an einen Giovanni Sabadino de li Arienti benennt den Fundort (Capocce) in einem Weingarten in der Nähe von San Pietro in Vincoli. Als Finder und Besitzer des Weinberges wird Felix de Fredis genannt, dem der Papst die Gruppe abkaufte. Vgl. ebd., S. 12. 53 Am 28. Februar 1567 berichtet Francesco da Sangallo (1494–1576) in einem Brief an Monsignor Spedalingo über die Auffindung der Gruppe. „Subito mio padre disse: questo è Laocoonte, di cui fa menzione Plinio.“ Vgl. Fea, C.: Miscellanea Filologica Critica e Antiquaria. (CCCXXIX) XVI Lettera. Bernard Andreae hält diese Kindheitserinnerung durchaus für echt, bezweifelt aber, dass Sangallo den Laokoon gleich erkannt hat, sondern der Erinnerung Francescos verändernd nachgeholfen wurde. Vgl. Andreae, B.: Laokoon und die Gründung Roms, S. 34. 54 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 20. Cristina Acidini Luchinat sieht in der Kentaurenschlacht das zweite Jugendwerk Michelangelos (S. 20) und datiert dessen Entstehung um 1492 (S. 300). Martin Gosebruch bringt das Werk auch mit dem Laokoon in Verbindung und betont, dass in der Kentaurenschlacht schon das Primär-Figürliche eine Betonung erhält, da der menschliche Leib das Element der Darstellung sei. Vgl. Gosebruch, Martin: Zum „Disegno“ des Michelangelo, S. 66. Siehe Abb. 18: Die Kentaurenschlacht [S. 330]. 55 „Hanc Michael Angelus dicit esse miraculum artis singulare: in quo divinum arrificium debeamus suspicere ingenium, potius quam ad imitationem nos accingere.“ Boissardo, I. I.: Romanae Urbis Topographiae I Pars, S. 13. 1597. 56 Grimm, H.: Michelangelo Bd. 1, S. 253. 52

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Ein Künstler in der Krise: Abreise aus Rom

da seine Skulptur aus einem Block gehauen war und aus vier Figuren bestand. Der Laokoon ging für eine hohe Summe in den Besitz des Papstes über, wurde im Hof von Belvedere aufgestellt und diente dazu, den päpstlichen Herrschaftsauftrag zu untermauern. 57 Eine weitere Wirkung des Laokoons auf Michelangelo blieb nicht aus: er nahm ihn in sein Gedächtnis auf, sodass er ihn erstmalig im Matthäus mit einfließen ließ. 58 Der Beginn des Jahres 1506 offenbarte Michelangelo demnach eine überraschende, bedeutsame und verheißungsvolle Begegnung mit der Antike. Bis Ende Januar konnte er nicht arbeiten, da er auf Marmor und besseres Wetter wartete, was ihn bekümmerte. In einem Brief an seinen Vater vom Januar 1506 schwingen Ungeduld und Besorgnis mit, dass der Papst seinerseits ärgerlich auf die Verzögerung reagieren könnte. 59 Ein weiterer Brief vom Februar oder März 1506 an seinen Bruder Buonar-

roto enthält die Absage einer finanziellen Unterstützung, da er selbst viele Bürden habe. 60 Beide Dokumente stellen keine Tragödien dar oder lassen auf eine Krisensituation schließen. Zu seinem Bruder war Michelangelo nicht ganz ehrlich, da er nach Rab Hatfield in den ersten Monaten zwar höhere Ausgaben als sonst hatte, aber immerhin zwischen Januar und März 1506 insgesamt 127,5 Florin abhebt, um das Haus hinter Santa Caterina einzurichten. 61 Als er Rom im April verließ, hatte er immer noch 256,5 Dukaten auf der Bank deponiert 62, was bedeutet, dass er nicht am Hungertuch nagte. Die Frage ist dennoch, was der Auslöser für die folgenden Ereignisse war, als der Künstler im April 1506 Rom gegen den Willen des Papstes verließ und beide Biographen und Michelangelo selbst davon in drei Briefen 1506, 1523 und 1542 berichten. Es ist bemerkenswert, dass sich der Inhalt der Schriftstücke nicht widerspruchsfrei darstellt.

3.3 Ein Künstler in der Krise: Abreise aus Rom Michelangelo berichtet selbst über die Ereignisse in seinem Brief aus dem Jahr 1506 und später im Jahr 1523. Dass 17 Jahre zwischen den Briefen liegen, ist zwar ungewöhnlich, liefert aber ein Indiz dafür, dass diese Ereignisse ihn nicht losließen bzw. in seiner Erinnerung präsent waren und immer noch 17 Jahre später das Bedürfnis nach Rechtfertigung bzw. zur Auseinandersetzung existierte. Am 2. Mai 1506 teilte er Sangallo 63 aus der Toskana nach Rom mit, dass ihm der Unmut des Papstes klar sei. Er rechtfertigte seine Abreise („partita mia“) damit, dass er selbst am Samstag vor Ostern gehört habe, der Papst habe zu dem Zeremonienmeister und dem Goldschmied gesagt, kein Geld

mehr weder für große noch kleine Steine ausgeben zu wollen, was Michelangelo sehr verwundert habe („ond’io ne presi ammirazione assai“). Auf Nachfrage um weiteres Geld für das Grabmal sei er von seiner Heiligkeit auf Montag vertröstet worden. Er habe die ganze Woche nachfragen wollen und sei am Freitag hinausgeworfen worden („el venerdì mattina io fui mandato fuora, cioé cacciato via“). Die Wirkung der Äußerung vom Ostersamstag habe ihn in große Verzweiflung gestürzt („ne venni gran disperatione“). Es folgen nun kryptische Worte, die als Grund für die Abreise Michelangelos Befürchtung preisgeben, dass sein Verweilen in Rom ihm eher ein Grabmal beschert hätte als dem Papst.

Daltrop, G.: op. cit., S. 12–13. Als Bezahlung für den Laokoon erhielten der Finder Felice de Fredis und dessen Sohn Frederico auf Lebenszeit die Zolleinnahmen der Porta S. Giovanni, die einen wahrscheinlichen Wert von 600 Golddukaten hatten. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 780–781. 58 Einem, H. v.: Michelangelo, S. 48. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 110 und S. 113. In weiteren Werken ist er ebenfalls erkennbar. Vgl. Andreae, B.: Michelangelo und die Laokoongruppe, S. 31. Bernard Andreae verweist hier auf die Figur des Haman in der Sixtina und auf die Ignudi, die von der Plastizität der Laokoongruppe beeinflusst wurden; den sterbenden Sklaven im Louvre erwähnt er in diesem Kontext ebenfalls. 59 Brief vom 31. Januar 1506 an seinen Vater. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 6, S. 11. 60 Brief vom Februar/März 1506. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 7, S. 13. Rab Hatfield wies nach, dass Michelangelo nicht in finanziellen Schwierigkeiten steckte. 61 Hatfield, R.: The Wealth, S. 20. 62 Hatfield, R.: The Wealth, S. 21. 63 Der Brief Sangallos, den er im Auftrag von Julius II. schrieb, ist verloren gegangen; ihm ist zu entnehmen, dass der Papst die plötzliche Abreise missbilligt habe, aber am Grabmal festhalten werde, wenn Michelangelo nach Rom zurückkehre. Tolnay, C. d.: Michelangelo I, S. 36. 57

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Von der Simultangenese zur Tripel-Genese

In der Folge des Briefes erklärt sich Michelangelo bereit, das Werk fortzusetzen, wenn der Papst es unter allen Umständen wolle. Es solle ihm (dem Papst) aber nicht darauf ankommen, wo er daran arbeite, wenn er (Michelangelo) es nur binnen fünf Jahre vollende und wie die Übereinkunft war, es in Sankt Peter aufmauern zu lassen. Er (Michelangelo) verspreche ein Werk, das seines Gleichen in der Welt suche. Wenn der Papst das Grabmal fortsetzen möchte, möge er das Geld auf ein Konto in Florenz überweisen. Er habe Marmor in Carrara und werde sich den Marmor aus Rom nach Florenz kommen lassen. Dann würde er in Florenz daran arbeiten, auch wenn er den Schaden hätte. Dem Papst werde er die fertigen Teile nach Rom schicken, um ihm so nur Vollendetes anzubieten. Er verpflichte sich, nach den Wünschen seiner Heiligkeit zu arbeiten. Am Ende bietet Michelangelo an, dass er das Grabmal komplett in Florenz anfertigen könne, wenn es zu dem Preis nicht in Rom ausführbar sei. Darin sehe er einen Vorteil und könne so mit mehr Liebe daran arbeiten, da er nicht an andere Dinge zu denken brauche. 64 Der Brief hat verschiedene Ebenen, die zu betrachten sind. Die erste Ebene, die einen ernstzunehmenden Charakter hat, ist seine Verzweiflung über die Äußerung des Papstes. Seit dem 18. Dezember 1505 war der Vertrag über die zwölf Apostel für den Florentiner Dom annulliert. 65 Michelangelo hatte zunächst keine Alternative zum Juliusgrabmal, was ihn wahrscheinlich künstlerisch grämte. Seine Definition als Künstler lief über die Bildhauerkunst; ohne Auftrag zu sein konnte ihm daher nicht behagen. Daneben sah er sich, wie der Brief vom Februar oder März an seinen Bruder zeigt, am Hungertuch nagen. Die subjektiv empfundene Verzweiflung ist vermutlich als echt einzustufen, was aber der Realität nicht unbedingt entsprach, denn er war definitiv nicht arbeitslos und hatte, wie Rab Hatfield nachweist, genug Geld auf der Bank. Die Realität war, keinen bildhauerischen Auftrag zu haben, das Nagen am Hungertuch war Übertreibung.

Die nächste Ebene sagt viel über Michelangelos Ego aus. Er ist dreist genug, um weiteres Geld zu bitten, wobei er sicher bis zum 31. Januar 1506, was bereits dargelegt ist, nicht gearbeitet hatte. 66 An fünf aufeinander folgenden Tagen wird er beim Papst vorstellig. Die Frage ist, welches Selbstverständnis und Hartnäckigkeit ihn angetrieben haben. Kaum ein Künstler hätte den Schneid gehabt, so mit seinem Mäzen umzugehen. Warum wird ein „Nein“ nicht akzeptiert? Es mutet wie das Aufbegehren gegen eine Autorität an, dem Willen eines Kindes gleich, sich auf Biegen und Brechen durchsetzen zu wollen. Ein weiteres Moment ist, dass offensichtlich keine Antizipation für mögliche Konsequenzen eingetreten ist. Die härteste Konsequenz folgte auf dem Fuß per Rauswurf aus dem Palast. Damit muss Michelangelo schlagartig der Zorn des Papstes klar geworden sein, sah aber als einzige Handlungsmöglichkeit, sein Gesicht zu wahren, die Abreise, die er dann in dem Brief rechtfertigt. Michelangelo spricht ausschließlich von seiner „partita“ und nicht von einer Flucht. Diese Art der Abreise passt allerdings nicht zu den kryptischen Worten, die er an Sangallo richtet, als er die Bedrohung seines Lebens impliziert und von seinem eigenen Grabmal spricht, das er befürchte. Dass sein Leben in dieser Form bedroht war, ist kaum anzunehmen, da Michelangelo am Hof des Papstes ein gutes Ansehen genoss. Niemand am päpstlichen Hof hätte Interesse daran gehabt, einen Mörder für Michelangelo anzuheuern. Die Frage ist auch, ob er so bedeutsam gewesen wäre, ihn umzubringen. Es ist eher so zu bewerten, dass Michelangelo aufgrund der doppelten Demütigung und gekränkter Eitelkeit – der Papst will ihn nicht mehr an seinem Grabmal arbeiten lassen und wirft ihn aus dem Palast – Rom verlassen hat. Dafür braucht er jetzt einen triftigen Grund, den er im Nachhinein als lebensbedrohlich konstruiert. Rab Hatfield kann nachweisen, dass Michelangelo sich noch vor der Abreise um seine Bankgeschäfte kümmerte, was die Kontenbewegungen zeigen. So ordnet er eine Bargeldentnahme von

Gotti, A.: Vita di Michelangelo Buonarroti Vol I, S. 43–44. Die kryptischen Worte waren: „ma questo solo non fu cagione interamente della mia partita, ma fu pure altra cosa, la quale non voglio scrivere: basta che la mi fe’ pensare, s’i’ stavo a Roma, che fussi fatta prima la sepoltura mia che quella del Papa“ (S. 44). Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 8, S. 14–15. Vgl. Hinderberger, H.: Michelangelo – Lebensberichte, Gedichte, Briefe, S. 111–113. Vasari überliefert diese Episode, verweist aber darauf, dass der Papst an jenem Tag, als Michelangelo bei ihm war, mit der Angelegenheit in Bologna beschäftigt gewesen sei. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 68. 65 Goldscheider, L.: Michelangelo – Paintings – Sculpture – Architecture, S. 12. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 110. Hans Mackowsky gibt den 15. Dezember 1505 an. Mackowsky, H.: op. cit., S. 64. 66 Brief vom 31. Januar 1506. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 6, S. 11–12. 64

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Ein Künstler in der Krise: Abreise aus Rom

10 Florin als „Reisegeld“ für Florenz ein. 67 Dazu passen die Berichte der Biographen, dass Michelangelo seinen Dienern befahl, den Hausrat zu verkaufen und ihm später nach Florenz zu folgen, da er die Post nahm und vorreiste. 68 Damit ist evident, dass er wirklich die Zelte in Rom abbrechen wollte. Den angesprochenen Zorn des Papstes versucht Michelangelo zu besänftigen, indem er das Grabmal fertigstellen will. Er betont zweimal, dass der Papst den Willen haben müsse, das Grabmal zu vollenden. Offensichtlich will Michelangelo eine Sicherheit haben, die er darin sucht, dass der Papst wieder zahlt. Vermutlich sah der Künstler in der Zahlungswilligkeit des Papstes eine Revision der Aussage von dem besagten Gespräch am Ostersonntag. Eine weitere Überweisung wäre für ihn der ultimative Beweis gewesen. Volker Reinhardt sieht in dieser Passage die ungeheure Forderung des Künstlers, die Preise zu diktieren und Bedingungen zu stellen. 69 William Wallace bestätigt das durch seine Feststellung, dass niemals zuvor ein Künstler die Bedingungen für ein Werk dermaßen diktierte. 70 Eine weitere bemerkenswerte Ebene des Briefes ist die Betonung von Florenz als Arbeitsort eines römischen Grabmals. Michelangelo will selbst den Marmor, der bereits in Rom ist, nach Florenz holen, um ausschließlich in Florenz arbeiten zu können. Argumentativ fädelt er das geschickt ein, da er dem Papst nur fertige Teile anbieten möchte. Er hätte schließlich den Schaden, in Florenz daran zu arbeiten, wo er mit mehr Liebe arbeiten könne und den Kopf in Florenz insgesamt freier hätte. Kurz gesagt, Michelangelo will nicht nach Rom zurück. Die Frage ist, warum er nicht mehr in Rom arbeiten wollte. Die Lebensbedrohung, die er noch zu Beginn des Briefes ansprach, ist später kein Thema mehr, sonst hätte er Schutz verlangen können. Es muss ein anderer Grund gewesen sein, der ihn in Florenz hielt. Er war Florentiner, genoss dort un-

angefochtene Reputation; niemand würde es hier wagen, ihn irgendwo hinauszuwerfen. In Florenz hätte er mehr Freiheiten gehabt, um an anderen oder gar neuen Aufträgen zu arbeiten. 71 Er wäre zwar überwachbar gewesen, der Papst hätte aber nicht unmittelbar auf ihn zugreifen können. Michael Hirst vertritt den Ansatz, basierend auf dem bereits erwähnten Rosselli-Brief, dass Michelangelo nicht nach Rom zurückkehren wollte, da die Ausmalung der Decke der Sixtina sein Ende gewesen wäre. 72 Die besagte Decke ist in dem Brief von 1506 allerdings nicht Thema. Michelangelo ordnet sie in den Gesamtkontext erst im Brief an Fattucci 1523 ein. Er selbst gibt als Grund seiner Abreise aus Rom den Rauswurf bzw. die unwürdige Behandlung im päpstlichen Palast an. Er habe lediglich nur wegen Geldes für das Grabmal gefragt, da er nichts mehr von der päpstlichen Anzahlung gehabt habe. Er sei mit eigenem Geld in Vorleistung getreten. 73 Michelangelo bleibt 17 Jahre später bei der Version, dass ihm das Geld zugestanden habe, und ignoriert wissentlich den Aspekt, dass sich zum damaligen Zeitpunkt genügend Geld auf seinem Konto befand. Die Selbstdarstellung als Opfer geschieht durch die bewusste Umdeutung der Tatsachen. Er arbeitete über die Gebühr für einen Hungerlohn, muss sich obendrein wie ein elendiger Bettler das ihm zustehende Geld mühsam erbitten und wird aus Undank aus dem Vatikan geworfen. Im Rückblick gewährte er Fatucci einen Ausblick oder Einblick in das schwere Künstlerschicksal, so wie es Michelangelo sehen und transportieren wollte. Er will so eine Verklärung und Stilisierung zum Opfer erreichen. Genau dieser Linie folgen beide Biographen, die die Äußerung des Papstes, nichts mehr für Steine bezahlen zu wollen, nicht überliefern, sie bleiben konsequent bei der Bezahlung des Marmors. Die Abreise Michelangelos wird im Nachhinein als Reaktion auf unangemessenes Geschäftsgebaren des Papstes

67 Hatfield, R.: The Wealth, S. 22. In der genauen Auflistung der Kontobewegung ordnet er diese Entnahme dem 7. Mai 1506 zu; er hält diese Entnahme aber auch im April für möglich. Vgl. R104, S. 256. 68 Condivi, A.: Michelangelo, S. 38. Vasari, G.: Michelangelo, S. 68. Vasari präzisiert oder erweitert die Aussage, dass der Hausrat an einen Juden verkauft wurde. 69 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 84. 70 Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 78. 71 Antonio Forcellino vertritt in seiner Michelangelo – Biographie einen ähnlichen Ansatz und nennt die Piccolomini-Statuen und die Ausmalung des Großen Saals. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 83. 72 Hirst, M.: Michelangelo – The Achievement of Fame, S. 70. „When Michelangelo wrote to Giuliano da Sangallo that, had he stayed in Rome, it would be have been his own tomb rather than the pope’s that would be in question, it was not a fear of assassination that took hold of him, but rather a dread that the ceiling undertaking would be the end of him.“ 73 Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 157, S. 148–149.

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Von der Simultangenese zur Tripel-Genese

umgedeutet. Condivi und Vasari berichten, dass Michelangelo die Anweisung gehabt habe, sich ausschließlich vom Papst bezahlen zu lassen. Michelangelo habe dann ordnungsgemäß und gerechtfertigt die Bezahlung für die Schifffracht, die Verladung und den Fuhrlohn vom Papst gefordert, sei aber abgewiesen worden, mit den Zahlungen in Vorleistung getreten und sei selbstverständlich von einem Ausgleich ausgegangen. Wider Erwarten sei er am nächsten Morgen wieder abgewiesen worden, was ihm zuvor nie passiert sei, und habe mit Entrüstung auf die Zurückweisung reagiert. 74 Seine Replik lautete: „Und Ihr werdet dem Papste sagen, dass, wenn er von nun an mich wird haben wollen, er mich wo anders suchen wird.“ 75 Diese Worte klingen doppeldeutig und implizieren das geforderte oder provozierte Entgegenkommen des Papstes, das später berichtet wird. Die erste Variante wäre: Der Papst muss ihn aufsuchen, sich entschuldigen und seine Schulden begleichen, womit eine Rückkehr nach Rom denkbar wäre. 76 Die zweite Variante wäre: Michelangelo kommt nicht zurück und wird fortan dem Papst entweder gar nicht mehr oder nur noch zu seinen Konditionen zu Diensten stehen. Beide möglichen Interpretationen wären eine schallende Ohrfeige für den Papst. Claudia Echinger-Maurach widmet sich ebenfalls in ihrer Untersuchung der Auseinandersetzung um die Marmorbezahlung und kommt zu einem interessanten Befund. Für sie hat Michelangelo in den Bergen von Carrara erkannt, dass die veranschlagten 10 000 bis 10 500 Dukaten für das Grabmal nicht ausreichen würden und er eine höhere Summe fordern musste. Sie belegt ihre Aussage mit einer Art von Kostenvoranschlag, der of-

fenbart, dass die ursprüngliche Summe nicht gereicht hätte. 77 Zu dem besagten Zeitraum befand sich das Projekt jedoch noch in einem frühen Stadium, sodass eine Budgeterweiterung auf Grundlage von bereits getätigten Zahlungen, wie zu zeigen ist, noch nicht vonnöten gewesen wäre. Es ist daher annehmbar, dass Michelangelo in seinen Briefen nicht wahrhaben wollte, sich 1506 durch Eigenverschuldung in eine schwierige Situation manövriert zu haben. Die Abreise aus Rom und die angebliche Todesangst sprechen für eine mögliche psychische Dysbalance, die sich in ihm seit der Rückkehr nach Rom langsam entwickelt hatte. Rab Hatfield stellt fest, dass Michelangelo sehr aufgebracht gewesen sei, als er Rom verließ. Er weist aber ebenso nach, dass Michelangelos Konto in Rom gut gefüllt war, da der Papst ihm schon 1600 Dukaten und 60 Goldflorin gezahlte hatte, wovon der Künstler erst weniger als die Hälfte ausgegeben hatte. Es lag kein Grund vor, um weiteres Geld zu bitten. Rab Hatfield vollzieht hier einen Perspektivwechsel und bringt dem Papst für seine Haltung nicht nur Verständnis entgegen, sondern attestiert ihm eine bemerkenswerte Geduld mit dem Künstler. 78 Volker Reinhardt ordnet das Auftreten des Künstlers als Dreistigkeit ein, die der Papst mit einer Lektion – einer gezielten Demütigung – in Form eines Rauswurfs beantwortet. 79 Als Grund für den Auftritt beim Papst nennt Volker Reinhardt das Geld, das für Michelangelo der Gradmesser für seine Bedeutung und Anerkennung war. 80 Die Devise „Viel Geld, viel Ehr“ würde den Ansatz von Rab Hatfield unterstützen. Michael Hirst spricht ausschließlich von einer Krise oder einem Zerwürfnis zwischen dem Papst und dem

Condivi, A.: Michelangelo, S. 37–38. Vasari, G.: Michelangelo, S. 68. Condivi, A.: Michelangelo, S. 38. Vasari überliefert die Aussage im Konjunktiv: Vasari, G.: Michelangelo, S. 68. 76 Da Michelangelo mit 17 Jahren Abstand schreibt, stellt er mit dieser Aussage die päpstliche Reaktion in Aussicht und impliziert, wie es dann geschah, dass der Papst ihm entgegenkam, und zwar in Bologna. 77 Echinger-Maurach, C.: Studien zu Michelangelos JuliusgrabmaI I, S. 295. In der Fußnote 294 auf S. 295 stellt Claudia Echinger-Maurach folgende Rechnung auf. Für nur 16 Prigioni veranschlagt sie, orientiert am Auferstandenen Christus für 200 Dukaten, 3200 Dukaten. Die acht Viktoriengruppe berechnet sie, orientiert an der Pietà für 450 Dukaten, mit 3600 Dukaten. Die großen sieben Statuen (vier Sitzfiguren, zwei Engel und eine Papststatue) des Oberstockes taxiert sie auf 300 Dukaten und somit auf 2100 Dukaten. In der Summe ergibt dies 8900 Dukaten. Wenn man diese 8900 Dukaten von der Ursprungssumme von 10 000 bzw. 10 500 Dukaten abzieht, wären noch 1100 bzw. 1600 Dukaten übrig geblieben, die definitiv nicht für den Rest des Grabmals gereicht hätten. 78 Hatfield, R.: The Wealth, S. 21. 79 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 84. Antonio Forcellino ordnet diesen Rauswurf ähnlich ein, indem er Julius II. als langmütig beschreibt, der es für unangemessen hielt, weiteres Geld für einen Auftrag zu zahlen, von dem bisher kein nennenswertes Ergebnis vorlag. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 84. 80 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 85. 74 75

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Ein Künstler in der Krise: Abreise aus Rom

Künstler, wobei aber der Künstler in einer Krise steckte. 81 Charles de Tolnay beschreibt Michelangelos Stimmungslage als enttäuscht und gedemütigt vom päpstlichen Hof. 82 Bram Kempers spricht davon, dass Julius II. die Realisation des Grabes im April hinausgezögerte und den Künstler, der das Projekt mit ihm besprechen wollte, nicht empfangen habe. Daraufhin habe Michelangelo Rom enttäuscht verlassen. 83 Charles de Tolnay führt neben der Enttäuschung auch die Demütigung am päpstlichen Hof an, verweist aber auch auf die Angst Michelangelos, sein Leben zu verlieren. 84 Volker Reinhardt hält die Bedrohung des Lebens für eine massive Übertreibung durch den Künstler. 85 Antonio Forcellino erkennt auch keine Bedrohung für den Künstler, sondern sieht diese nur als Rechtfertigung für sein tadelnswertes Verhalten dem Papst gegenüber. Der Grund für den Zusammenstoß mit Julius II. liege darin begründet, dass Michelangelo erstens sein Einkommen steigern und zweitens autorisiert sein wollte, seinen Arbeitsplatz nach Florenz zu verlegen, da er hier ungestört und auch an anderen Aufträgen hätte arbeiten können. 86 Diese mögliche und plausibel klingende Variante im Verhalten Michelangelos wäre eine Unverfrorenheit sondergleichen. William Wallace deutet Michelangelos Abreise aus Rom mit der Wut, die er empfand, da der Papst nach seiner Wahrnehmung das Interesse am Grabmal verloren hatte und er nicht auf dem Abstellgleis landen wollte. 87 Nach Martin Spahn hatte Julius II. seinen Schwerpunkt auf die Planung des Bologna-Feldzugs gelegt. Im Gegensatz zu Michelangelo habe es aber der clevere und erfahrenere Bramante verstanden, den Papst besser zu nehmen, sich in Geduld zu üben, um konsequent sein Ziel, den Neubau von St. Peter, voranzutreiben,

während der junge Michelangelo unbedingte Gewissheit haben wollte. 88 Charles Heath Wilson betrachtet den Menschen Michelangelo, der darüber erschreckt war, aus der Gunst und dem Segen des Papstes herausgefallen zu sein. Des Künstlers Vertrauen in den Papst sei tief erschüttert gewesen, da es zu einem abrupten Wechsel in der Behandlung Michelangelos gekommen sei: das freundschaftliche Verhältnis sei durch eine Art der Ablehnung abgelöst worden. Dieser Wechsel habe Michelangelos Vertrauensbasis Julius II. gegenüber nachhaltig zum Negativen beeinflusst. Auch wenn Mäzen und Künstler später wieder moderat und höflich miteinander umgingen, steckte doch in Michelangelo der Stachel des Misstrauens. 89 Volker Reinhardt erweitert die Perspektive, dass sich Michelangelo nicht wie ein lästiger Domestik von einem niederen Amtsträger habe abfertigen lassen wollen. 90 William Wallace argumentiert in eine ähnliche Richtung, dass Michelangelo nicht wie ein gewöhnlicher Handwerker unfreundlich abgewiesen werden wollte. 91 Michelangelo definierte sich als Künstler, als Florentiner Superstar, dem im Vorfeld schon verwöhnend begegnet wurde, da er nur für das pure Erscheinen in Rom ein hohes Handgeld erhielt. Die Summe des Grabmals sprach ebenso für sich. Das ließ den Künstler in gedankliche Sphären vordringen, die es ihm verwehrten, einen realistischen Blick auf die Großwetterlage im Vatikan zu haben. Fast von einem kindlich naiven Egozentrismus geleitet, konnte er sich die Szenerie nicht aus anderer Perspektive vorstellen. William Wallace sieht beim Künstler das Unvermögen für die Erkenntnis, ein unbedeutenderer Mitspieler im Gesamtgefüge zu sein. 92

Hirst, M.: Michelangelo – The Achievement of fame, S. 65. Michael Hirst spricht hier von einer Krise zwischen Papst und Künstler. In der letzten Konsequenz ist es aber eine Krise des Künstlers. 82 Tolnay, C. d.: Michelangelo I, S. 34. 83 Kempers, B.: Michelangelo und die Metamorphose des Juliusgrabmals, S. 46–47. 84 Tolnay, C. d.: Michelangelo I, S. 34. 85 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 84. 86 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 83. 87 Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 76. 88 Spahn, M.: op. cit., S. 12. 89 Wilson, C. H.: op. cit., S. 85. 90 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 85. 91 Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 77. 92 Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 78. 81

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Von der Simultangenese zur Tripel-Genese

3.4 Folgen der Abreise Innerhalb des Gesamtgefüges hatte Michelangelo durchaus eine Bedeutung, konnte dies aber nicht wissen oder erkennen, da ihm seine gekränkte Eitelkeit im Weg stand. Der Papst seinerseits hatte ihn weder aus dem Vertrag noch aus Rom entlassen. Aus diesem Grund schickte er kurz nach Michelangelos Abreise aus Rom diesem fünf Kuriere hinterher, die ihm einen päpstlichen Brief übergeben sollten und die Michelangelo seinerseits mit Totschlag bedrohte. Der Brief enthielt die Forderung der Rückkehr Michelangelos nach Rom „bei Vermeidung von Ungnade“. 93 Michelangelos Antwort fällt nach Condivi prägnant und eindeutig aus, er komme nicht zurück und lasse sich so nicht behandeln. Da der Papst das Grabmal habe fallen lassen, sei er aus der Pflicht und wolle auch keine zukünftige Verpflichtung. 94 Diese Zeilen sind bemerkenswert, da sich der Meister selbst im Nachhinein souverän aus dem Vertrag entlässt und versucht, künftigen Verpflichtungen, die er schon zu kennen glaubt, zu entgehen. Die Decke der Sixtina wäre hier als Verpflichtung denkbar. Condivi lässt Michelangelo sehr selbstbewusst auftreten und ihn mit dem Papst Augenhöhe herstellen. Er geht sogar so weit, dass der Künstler derjenige ist, der die Preise diktiert. Es ist allerdings anzunehmen, dass das von Condivi transportierte Bild geschönt ist und nicht in der Gänze den Tatsachen entspricht. Ein weiterer interessanter Winkelzug in Michelangelos Verhalten ist die Tatsache, dass er sein Konto in Rom am 7. Mai 1506 bei der Balducci Bank schließt und vorher eine Summe von 240 Florin zwecks Übersendung nach Florenz zur Gesellschaft Boni-

fazio Fazi & Co festlegt. 95 In diesen Kontext passt der Brief des Bankiers und Freundes Giovanni Balducci an Michelangelo vom 9. Mai 1506, in dem er sich für dessen Brief bedankt 96, in dem vielleicht u. a. die Anweisung für die Kontobewegung- bzw. Kontoschließung enthalten war. Er nehme zur Kenntnis, dass Michelangelo nicht so zügig nach Rom zurückkehren werde, wie er es denn verlassen habe, und äußert sein Missfallen über diese Abreise. Als Folge mahnt er den Empfänger zur Vorsicht: Er solle wissen, was zu tun sei. Der Papst wolle, wie Sangallo behauptet, von ihm (Michelangelo) das Werk (Grabmal) vollendet sehen. Er rate ihm auf jeden Fall zur Rückkehr, da es ihm zum Vorteil und zur Ehre gereichen werde. Auch wenn er es besser beurteilen könne, möge er alle Gründe gut abwägen. Balducci sei sehr an seinem Wohl interessiert. Zum Schluss spricht er ihm seine Solidarität und Unterstützung aus. 97 Die Aussagen Balduccis sind eindeutig: Er ist über Michelangelos Verhalten verärgert, will ihm weitere Scherereien ersparen, lockt mit der Vollendung des Grabmals, was ihm nutzen würde, und ruft ihn zum wohlüberlegten Handeln auf. Unausgesprochen bleiben zwar mögliche Konsequenzen für Michelangelo, aber der Hinweis, in welche Situation er sich gebracht hat, ist eindeutig. Welche Wirkung dieser Brief auf die Verfassung des Künstlers hatte, muss spekulativ bleiben. Er kehrt dennoch nicht nach Rom zurück. Vermutlich kam ihm die Erkenntnis, dass ihm sein impulsives Verhalten mehr geschadet als genutzt hat. Er scheint Ängste oder ein großes Unwohlsein wegen seiner Rückkehr entwickelt zu haben. Charles de Tolnay vermutet in

Condivi, A.: Michelangelo, S. 38–39. Die Bedrohung der Kuriere durch Michelangelo zeigt sein angespanntes Nervenkostüm. Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss ihm klar geworden sein, dass er übertrieben reagiert hatte. 94 Condivi, A.: Michelangelo, S. 39. „Dass er niemals zurückkommen werde, und dass er es nicht verdiene, für seine guten und treuen Dienst einen solchen Umschlag zu erleben, dass er von seinem Angesicht gejagt werde, wie ein schlechter Kerl; und dieweil Seine Heiligkeit nichts mehr hören wolle vom Grabmal, so sei er außer Pflicht und wolle sich zu nichts Anderem verpflichten.“ 95 Hatfield, R.: The Wealth, S. 22; R103, S. 256. 96 Dieser Brief ist nicht mehr existent. 97 Brief von Giovanni Balducci an Michelangelo vom 9. Mai 1506. „Vegho chome di già avete chominciato a lavorare, ch’è segno che avete in animo di tornare presto, finito che di chostà avete quanto avete dato principio; e, sechondo vostro scrivere al Sanghallo, la tornata vostra non sarà chosì presta chome la partita. Iddio sia quello che ’l megl[i]o vi dimostri, che per mia fe’ non so se mai ebbi el magiore dispiacere che la vostra partita. Tutto per lo megl[i]o. Voi siate prudente e ’l bisogno chonosciete. El Sanghallo, sechondo dicie, mostra che ’l Papa abia disiderio torniate a ogni modo a finire l’opera; e quando sua Santità v’oservi quanto v’à promesso, a ogni modo vi chonforterei al tornare; e massime che questa è chosa che vi risulta utile e onore. Tutta volta voi megl[i]o di me giudichate el bisogno vostro; e prima tutto chonsultate bene, ché non disidero altro per voi se non quanto per me propio.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=9&daAnno=1506&aAnno=&Mittente=Balducci%20Giovanni &Destinatario=Buonarroti%20Michelangelo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 93

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Päpstliches Entgegenkommen und gewährte Gnade

diesem Kontext, dass Michelangelo eher einem obskuren Gefühl nachging und er keine persönliche Entfaltungsmöglichkeit für sich in einer intrigen-

geschwängerten Atmosphäre am päpstlichen Hof sah. 98

3.5 Päpstliches Entgegenkommen und gewährte Gnade Den Quellen ist zu entnehmen, dass Julius II. über die Flucht Michelangelos zunächst erzürnt war, worauf jener in seinem Fluchtrechtfertigungsbrief vom 2. Mai 1506 schon zu Beginn eingeht. 99 Für den Pontifex war es von Belang, Michelangelo wieder in Rom zu wissen, um das Abhängigkeitsverhältnis mit diesem sozialen Standort wieder herzustellen. 100 Darüber hinaus ging es auch um seine persönliche und päpstliche Reputation. 101 Der päpstliche Zorn scheint aber nicht lange angehalten zu haben, da sich der Ton schon sehr schnell ändert. In seinem Breve an die Florentiner Regierung vom 8. Juli 1506 zeigt sich der Papst versöhnlich und verständnisvoll mit und für den Künstler, der zwar leichtfertig und unüberlegt von ihm weggegangen sei, aber Julius II. zürne ihm nicht, weil er das Naturell solcher Künstler durchaus kenne. Michelangelo brauche sich nicht zu fürchten und könne seinen Argwohn ablegen. Man möge ihm vom Papst versprechen, dass er bei Rückkehr unverletzt und unversehrt bleibe. 102 Erwähnenswert ist die Vokabel „illaesus“, die mit „unangefochten und unverletzt“ zu übersetzen ist. Wenn man sie mit dem „inviolatus“, was mit unverletzt zu übersetzen ist, in Verbindung bringt, wäre die Übersetzung „unangefochten“ insofern möglich und bedeutsam, dass der Papst ihm nach wie vor eine unangefochtene Position zubilligt. Ein solcher Ton wäre höchst versöhnlich, wobei Herman

Grimm darauf hinweist, dass solche Versprechungen oder Schwüre auch eine Kriegslist sein könnten, um den Abtrünnigen in die Hände zu bekommen. Michelangelo sei aus berechtigter Sorge nicht nach Rom zurückgekehrt, weil er der milden Sprache des Papstes nicht traute. 103 Antonio Forcellino stellt Julius II. als einen Patron mit einer unendlichen Geduld und Toleranz für seinen bizarren Künstler und dessen schändlichen Verhaltens dar, die durch das Breve vom 8. Juli zu Tage treten. 104 Dass Antonio Forcellino mit seiner Einschätzung Recht hat, belegt das weitere Verhalten Julius’ II. Selbst auf Bitten des Gonfaloniere Soderini kehrt Michelangelo nicht nach Rom zurück. Soderini weist auf Michelangelos Wagemut hin, er habe dem Papst ein Stücklein aufgespielt, das noch nicht einmal der französische König gewagt hätte, und er möge endlich zwecks Vermeidung eines Krieges einlenken. 105 Condivi wird mit der Kriegsandrohung übertrieben haben, um den Marktwert des Künstlers zu steigern. Es ist hoch fragwürdig, ob der Papst mit Florenz einen Krieg wegen eines Künstlers begonnen hätte. Seine Prioritäten lagen bei der Rückeroberung Bolognas und bei dem Riesenprojekt St. Peter. Die kriegerische Heimholung eines abtrünnigen Künstlers wäre für den Papst Geldverschwendung gewesen. Eine Florentiner Stadtregierung war ebenfalls nicht an einer Auseinandersetzung mit dem Papst interessiert. Dem-

Tolnay, C. d.: Michelangelo I, S. 37. „io ò inteso per una vostra chome ’l Papa à ’vuto a mmale la mia partita“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=8& daAnno=1506&aAnno=&Mittente=&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca= cerca&; Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 8, S. 13. 100 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 85. 101 Papini, G.: Michelangiolo und sein Lebenskreis, S. 163. (Folgend zitiert: Papini, G.: Michelangiolo). 102 Päpstliches Breve vom 8. Juli 1506: „Dilecti filii, salutem et apostolicam benedictionem. Michael Angelus sculptor, qui a nobis leviter et inconsulte discessit, redire, ut accepimus ad nos timet, cui nos non succensemus, novimus huiusmodi hominum ingenia. Ut tamen omnem suspicionem deponat, devotionem vestram hortamur, velit ei nomine nostro promittere, quod si ad nos redierit, illaesus inviolatusque erit, et in ea gratia apostolica nos abituros, qua habebetur ante discessum.“ Bottari, G.; Ticozzi, St.: Raccolta di Lettere sulla Pittura, Scultura ed Architettura, Vol. III.; S. 472–473. Vasari berichtet von drei päpstlichen Breven an die Signoria in Florenz mit der Forderung der Rückkehr Michelangelos nach Rom. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 69. 103 Grimm, H.: Leben Michelangelo’s, Bd. 1, S. 261. 104 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 85. 105 Condivi, A.: Michelangelo, S. 39. 98

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Von der Simultangenese zur Tripel-Genese

nach wuchs der Druck von verschiedenen Seiten auf den Künstler, der den Zorn des Papstes fürchtete, von dem beiden Biographen berichten, und als Ausweg nach Konstantinopel flüchten wollte. 106 Es ist nicht zu klären, ob diese Furcht eine reale Empfindung Michelangelos oder nur eine vorgeschobene Erklärung war. Seit Menschengedenken ist allerdings eine geäußerte Angstempfindung immer ein probates Mittel, um Mitleid zu erheischen und ein seltsames Verhalten zu erklären. Die Hängepartie und die Verhandlungen werden durch die Aussöhnung zwischen Papst und Künstler in Bologna schließlich beendet 107, wohin sich Michelangelo Ende November 1506 mit Soderinis Begleitschreiben begibt. Das Begleitschreiben ist Soderinis Versicherung, dass Michelangelo sich in den päpstlichen Dienst stelle, er ein einzigartiger Künstler sei und man ihn guter Behandlung unterziehen solle. 108 Der Papst verzeiht ihm großherzig und zügig sein unerlaubtes Entfernen von der Truppe, belegt ihn aber mit dem Vorwurf, dass es an Michelangelo gewesen wäre, ihn aufzusuchen, stattdessen habe er darauf gewartet, dass der Papst ihn aufsuche. Entweder empfand es Julius II. als unwürdig, dass er Michelangelo bis nach Bologna entgegenkommen musste oder sein Lameto über sein Entgegenkommen diente der Wahrung seines Gesichtes. Michelangelo bat den Papst demütig um Vergebung und entschuldigte seine Handlungsweise mit seinem Zorn über den Rauswurf aus dem päpstlichen Palast. 109 Jahre später bleibt Michelangelo bei dieser Version und stellt diese Szenerie in dem Fattucci Brief von 1523 jedoch drastischer

und übertrieben dar: Er sei mit einem Gängelband um den Hals zu einem Pardon dem Papst gegenüber gezwungen worden, um dann den Auftrag für die Bronzeplastik zu übernehmen. 110 In beiden Biographien erscheint diese Szenerie allerdings moderater, da hier von einem Gängelband keine Rede mehr ist. Nach den Biographien war eher das Gegenteil der Fall, da der Papst einem Bischof eine Schelte verpasste und ihn hinauswerfen ließ, weil dieser Michelangelos Einfältigkeit ansprach. 111 Die päpstliche Unterstützung hielt insofern an, als der Papst die Arbeit Michelangelos an der Bronzeplastik in Bologna verfolgte, worüber Michelangelo seinem Bruder im Februar 1507 informierte. Er berichtete darüber, dass der Papst eine halbe Stunde bei ihm verweilt, ihn gesegnet habe und offensichtlich sehr einverstanden mit seiner Arbeit gewesen sei. 112 Der Brief kann als Beleg gelten, dass der Künstler Wert auf die Aussöhnung mit dem Papst legte, da Julius II. ein wichtiger Mäzen war, den er brauchte; denn der Kunstmarkt in Florenz war längst nicht so attraktiv und lukrativ wie der in Rom. 113 Bemerkenswert an dieser Causa aus dem Jahr 1506 ist die Tatsache, dass ein Michelangelo aus Ärger und gekränkter Eitelkeit demonstrativ Rom verlässt, sich standhaft weigert, zurückzukehren, der Bankier Balducci sich genötigt sieht, auf den abtrünnigen Künstler einzureden, eine Florentiner Stadtregierung sich mit dem Papst auseinandersetzen muss und Breven und Briefe geschrieben werden, die zunächst erfolglos bleiben. Michelangelo entwickelt dann angeblich Ängste, pflegt diese und

Condivi, A.: Michelangelo, S. 39. Vasari, G.: Michelangelo, S. 69. Nach einer unspektakulären militärischen Aktion war Bologna am 11. November wieder in der Hand des Papstes. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 796. Condivi kommentiert, „(…) dass der Papst Julius nach Bologna gegangen war, nachdem er es erobert hatte, über welchen Erwerb er ganz fröhlich war.“ Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 41. 108 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III., S. 796 „Der Ueberbringer ist der Bildhauer Michelangelo, der gesendet wird, Seiner Heiligkeit, unserem Herrn, zu willfahren. Wir versichern, daß er ein trefflicher junger Mann sei, und in seiner Kunst einzig in Italien, ja vielleicht in der ganzen Welt. Wir können ihn nicht dringend genug empfehlen; er ist derart, daß man mit guten Worten und Sanftmuth alles von ihm erreichen kann. Man muss ihm Liebe zeigen und Wohlwollen erweisen, und er wird Dinge thun, die einen jeden, der sie sieht, in Erstaunen setzen werden. (…) In einer Nachschrift des vom 27. November datierten Briefes heißt es noch: ‚Michelangelo kommt im Vertrauen auf unser gegebenes Wort.‘“. 109 Condivi, A.: Michelangelo S. 41. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 69/70. 110 Brief Michelangelos an Francesco Fattucci vom Dezember 1523. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 157, S. 148–149. Die Bronzeplastik sollte den Papst zeigen, der einerseits segnend (rechte Hand) und andererseits mit Schwert bewaffnet (linke Hand) dargestellt werden und auf dem Frontspice der Sanct Petronius Kirche in Bologna aufgestellt werden sollte. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 42. 111 Vasari, G.: Michelangelo, S. 70. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 41–42. Der Papst beschimpft den Bischof dermaßen, dass den selbigen der Henker holen möge. Interessant an dieser Episode ist, dass der Papst in seinem Breve vom 8. Juli 1506 selbst von seinem selbstverständlichen Umgang mit den Allüren solcher Künstler spricht, er aber im Gegenzug bei einem Bischof eine solche Anmaßung nicht duldet. 112 Brief Michelangelos vom 1. Februar 1507 an seinen Bruder Buonarroto. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 11, S. 21. 113 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 86. Antonio Forcellino attestiert Michelangelo für sein Einlenken ein bedachtes Handeln, indem er sich dem Papst unterwarf. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 85. 106 107

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Päpstliches Entgegenkommen und gewährte Gnade

stellt sich nahezu kindlich an, indem er sich versteckt. Entweder ist dieses Verhalten als unreflektiert, impulsgesteuert und im Ansatz als neurotisch zu bezeichnen oder Michelangelo hat es wirklich verstanden, die Puppen tanzen zu lassen. Denkt man den Ansatz von Antonio Forcellino konsequent zu Ende, dass Michelangelo nach Florenz zurückkehren wollte, um dort zu arbeiten 114, dann wäre eine Absicht konstatierbar. 115 Es wäre Michelangelo ein versuchter Machtkampf mit dem Papst zu unterstellen, bei dem er das Ziel verfolgte, seine Arbeit unkontrolliert zu verrichten, wo und wann er es wollte. Hybris käme so als Antreiber in Frage oder die klare Überlegung, ausschließlich seinen Vorteil aus allen Aufträgen zu ziehen, was sich leit-

motivisch durch Michelangelos Arbeits- und Finanzleben zieht. Als mitschwingendes Element wäre auch der Versuch zu nennen, mit dem für ihn überkommenen Rollenmuster als unterwürfiger Künstler zu brechen, da er buchstäblich aus Rom ausbrach. 116 In der letzten Konsequenz muss diese Causa bei ihm großes Selbstbewusstsein erzeugt haben, da sich viele Menschen um ihn bemühten. Niemand ließ ihn fallen, er verlor keinen Auftrag, er wurde nicht arbeitslos, verdiente stattdessen viel Geld und Ruhm und kehrte unangefochten in seine Tätigkeit als päpstlicher Künstler mit dem Großprojekt der Decke in der Sixtina zurück.

Forcellino, A.: Michelangelo, S. 83. Rab Hatfields Feststellungen zu den Kontobewegungen im Mai 1506 sprechen dafür. Vgl. Hatfield, R.: The Wealth, S. 22. 116 Die bereits thematisierten Einschätzungen von Volker Reinhardt und William Wallace würden dies bestätigen. Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 85. Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 77. 114 115

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4 Die Sixtinische Kapelle

Das neue Großprojekt für Michelangelo stellte kein Überraschungsmoment dar, weil sich Julius II., wie dargestellt, als Erfüller der Familien-Mission definierte und die Sixtina sein Betätigungsfeld wurde. Nach Mary Hollingworth strebte er etwas Innovatives an, was Michelangelo lieferte. 1 Seit 1504 zeigte die Kapelle eine ausgebesserte Decke, wodurch der Sternenhimmel von Pier Matteo Serdenti zwischen 1479 und 1480 angefertigt, unansehnlich geworden war. 2 Sixtus IV. selbst hatte den ersten massiven Ziegelbau seit dem antiken Rom errichten lassen 3, dessen Baubeginn die Forschung zwischen 1473 und 1481 ansiedelt 4 und der sich vermutlich über dem Vorgängerbau erhebt. 5 Durch diese Maßnahme wollte Sixtus IV. ein neues und signifikantes Monument errichten, als das Papsttum siegreich aus unruhigen Zeiten hervorgegangen war. 6 Von daher hegte Sixtus IV. eine besondere Fürsorge für diese Kapelle, die dadurch eine besondere Bedeutung unter seinen Projekten hatte. Sie war sowohl die große Palastkapelle als auch das große Heiligtum in und für die päpstliche Residenz. Die Sixtina war allerdings nicht für die tägliche Hingabe an

Gott vorgesehen, war somit nicht als Privatkapelle konzipiert wie die Cappella Nicolina, sondern sollte großen liturgischen Feiern oder als Ort des Konklaves dienen. 7 Entsprechend verfügte sie über die nötigen Maße und war mit 40 m � 13,60 m in der Breite und Länge angelegt, die Höhe maß 20,70 m. 8 Die Palastkapelle war so konzipiert, dass sie eine üppige Wanddekoration aufnehmen konnte. In der ersten Zone gab es gemalte Tapisserien, in der zweiten Zone Fresken und in der dritten Zone Papstdarstellungen. 9 Die Ausmalung der Wandflächen begann im Oktober 1481, was die Verträge mit den namhaftesten Malern Italiens zeigen. Dies waren Cosimo Roselli, Sandro Botticelli, Domenico Ghirlandaio 10 und Pietro Perugino, die sich verpflichteten, mit größtem Fleiß bis zum 15. März 1482 die Fresken, die Bilder aus dem Alten und Neuen Testament, speziell Szenen aus dem Leben Mose und Jesu, zeigen sollten, und die Tapisserien zu vollenden. 11 Durch das parallele Freskieren mussten die Maler, unter Zeitdruck stehend, ihre Virtuosität in die Waagschale werfen, da der Papst sie zum eigenen Vorteil – zwecks Qualitätssteigerung – in

Hollingsworth, M.: Patronage in Renaissance Italy, S. 308. Pastor, L. v.: Die Geschichte der Päpste Bd. II, S. 693. Der sorgfältig auswählende Sixtus IV. hatte diesen umbrischen und nicht unbekannten Maler beauftragt. 3 Shearman, J.: Die Kapelle des Sixtus IV., S. 28. 4 Zu dem Baubeginn liegen unterschiedliche Datierungen vor. John Addington Symonds nennt das Jahr 1473. Vgl. Symonds, J. A.: The Life of Michelangelo Buonarroti, S. 87. John Shearman führt das Jahr 1477 an. Vgl. Shearman, J.: Die Kapelle des Sixtus IV., S. 27. Ludwig von Pastor legt den Zeitraum auf 1473–77. Vgl. Pastor, L. v.: Die Geschichte der Päpste Bd. II, S. 689. Leopold Ettlinger datiert den Baubeginn in die Zeit nach 1475 und vor 1481. Vgl. Ettlinger, L.: The Sistine Chapel before Michelangelo, S. 14. 5 Shearman, J.: Die Kapelle des Sixtus IV., S. 25. Für Leopold Ettlinger ist die Lage nicht so eindeutig. Ettlinger, L.: op. cit., S. 14. Der Vorgängerbau existierte aus dem Pontifikat von Nikolaus III. (1277–80). Vgl.ebd., S. 13. Vgl. Pastor, L. v.: Die Geschichte der Päpste Bd. II, S. 689. 6 Ettlinger, L.: op. cit., S. 11. 7 Ettlinger, L.: op. cit., S. 10. John Shearman verweist insofern auf die Bedeutung der Kapelle, als es keinen Baustopp während des Krieges mit Florenz gab, der eine finanzielle Belastung darstellte. Vgl. Shearman, J.: Die Kapelle des Sixtus IV., S. 27. 8 Ettlinger, L.: op. cit., S. 12. Leopold Ettlinger verweist darauf, dass nur die Chapelle Clèmentine in Avignon im Palais des Papes größer sei. John Shearman sieht in der Chapelle Clèmentine, die eine Länge von 52 m, eine Breite von 15 m und eine Höhe von 19,5 m hatte, das Vorbild für die Sixtina. Vgl. Shearman, J.: Die Kapelle des Sixtus IV., S. 26. 9 Ettlinger, L.: op. cit., S. 12. 10 Domenico Ghirlandaio war Zeitgenossen zu Folge für seine zügige Arbeitsweise bekannt und galt vor der Einladung nach Rom als vielsprechender junger Künstler in Florenz. Er hatte eine große Werkstatt und war Michelangelos Lehrmeister. Vgl. Chapman, H.: Michelangelo Drawings – Closer to the Master, S. 51. 11 Pastor, L. v.: Die Geschichte der Päpste Bd. II, S. 696. Der Vertrag wurde am 27. Oktober 1481 mit Giovannino de Dolci geschlossen, der die Ausmalung überwachte. Shearman, J.: Die Wandfresken des Sixtus IV., 46. Nach John Shearman ist Giovannino de Dolci vermutlich auch der Architekt der Sixtina. Ludwig von Pastor benennt ihn ebenfalls als Architekten. Vgl. Pastor, L. v.: Die Geschichte der Päpste Bd. II, S. 694. John Addington Symonds nennt in seinem Werk als Architekten Baccio Pontelli. Vgl. Symonds, J. A.: The Life of Michelangelo, S. 87. 1

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Einleitung in den Kontext

eine Konkurrenzsituation gestellt hatte. 12 Am 9. August 1483, am Jahrestag der Papstwahl, fand unter Anwesenheit von Sixtus IV. der erste Gottesdienst unter Klerikern statt. 13 Am 15. August wurde die Kapelle der Gottesmutter geweiht, und am 24. August fand der erste Gottesdienst mit der Capella papale statt, den Giuliano della Rovere zelebrierte. 14 Die endgültige Vollendung der Kapelle ist vor dem Tod des Papstes am 12. August 1484 zu vermuten. 15

Durch den besagten reparierten Riss in der Decke wurde eine Neugestaltung der Decke ab 1504 notwendig. In dem bereits erwähnten Rosselli-Brief vom 10. Mai 1506 wird die Neugestaltung mit Michelangelo in Verbindung gebracht, die sich dann erst ab dem Jahr 1508 realisiert. Zuvor musste der Künstler noch die Bronzestatue des Papstes in Bologna herstellen und in San Petronio errichten. 16

4.1 Einleitung in den Kontext Die Decke stellt Michelangelos erstes malerisches Großwerk dar, das intensiv erforscht ist, sodass eine Vielzahl von hervorragenden Werken zur Deutung des Freskenzyklus vorliegt. 17 An dieser Stelle der Arbeit soll die Decke unter der Prämisse untersucht werden, ob und inwiefern sie als ein Ersatz für oder eine Reaktion auf den entzogenen Grabmalsauftrag gesehen werden kann. In diesem Kontext sollen weitere Elemente Beachtung finden, dass Michelangelo sein künstlerisches Repertoire signifikant erweiterte bzw. die Decke einen ersten Kulminations-

punkt seines Schaffens bildet, er eine erste unternehmerische Tätigkeit vollzieht und die Sixtina zum Anlass nimmt, im Nachhinein eine Legende zu kreieren, die seiner Memoria dient. Die emanzipatorischen und kathartischen Aspekte der Deckenausmalung sollen ebenfalls betrachtet werden. Aufgrund dieser Anlage wird auf die Darstellung und Wiedergabe bekannter Interpretationen der Fresken verzichtet bzw. nur ein Gesamtüberblick geleistet, der punktuell Inhalte aufnimmt und neu einordnet.

4.2 Bedeutung der Fresken Die Fresken bilden eine Schnittstelle in der Kunst Michelangelos, da er erstmalig im großen Stil die beiden Künste anwendet, in denen er ausgebildet war. Beide Biographen berichten, dass er zunächst

nur das Zeichnen bzw. das Malen praktizierte 18, bevor er im Garten von San Marco zu Hammer und Meißel griff. 19 Mit den Fresken in der Sixtina gelingt ihm eine Gratwanderung bzw. die Schaffung

Pfisterer, U.: Die Sixtinische Kapelle, S. 37. Shearman, J.: Die Kapelle des Sixtus IV., S. 28. 14 Pastor, L. v.: Die Geschichte der Päpste Bd. II, S. 690. 15 Shearman, J.: Die Kapelle des Sixtus IV., S. 28. 16 Vasari, G.: Michelangelo, S. 70–71: Condivi, A.: Michelangelo, S. 42. 17 Stellvertretend für die enorme Anzahl der Literatur, die die Sixtinische Decke in Form von Monographien innerhalb von Biographien, anderen Werken über Michelangelo und Aufsätzen thematisieren, sollen hier einige Werke genannt sein: Ernst Steinmann (1905): Die Sixtinische Kapelle Bd. II. Dieses Werk ist trotz überholter Inhalte immer noch grundlegend. Tolnay, C. d. (1969): Michelangelo – The Sistine Ceiling. Hier liegt ein überzeugendes Werk vor. Justi, C. (1922): Michelangelo. Carl Justi untersucht u. a. den Zusammenhang von Decke und Grabmal. Wallace, W. (1995): Michelangelo – The Sistine Ceiling. In dieser Aufsatzsammlung präsentiert er ein informationsbeladenes Werk. 1999 übernimmt er acht Aufsätze zu diesem Thema in seine Sammlung: Michelangelo – Selected Readings. Die Aufsatzsammlung „Die Sixtinische Kapelle“ 1986 enthält gut dargestellte Expertenaufsätze. „Die Sixtinische Kapelle“ 1992 stellt eine Ergänzung zum Werk von 1986 dar, da es Informationen zur Restaurierung der Fresken gibt. Volker Herzners Werk (2015) „Die Sixtinische Decke“ versucht eine Antwort zu finden, warum Michelangelo malen durfte, was er wollte. 18 Vasari und Condivi überliefern, dass Michelangelo zwar die Lateinschule besuchte, dem Zeichnen aber den Vorrang gab, wofür er von seinem Vater und den älteren Verwandten gescholten und geschlagen wurde. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 33. Condivi, A.: Michelangelo, S. 9–11. Trotz Schelten und Schlägen ließ er sich nicht von seiner Passion abhalten. Condivi berichtet, dass ihn diese Behandlung zwar verdrießlich stimmte, ihn aber noch eifriger machte. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 11. Condivis Aussage spiegelt hier nach 40 Jahren Michelangelos Ungemach über seine Behandlung wider und offenbart auch die Erkenntnis des Künstlers, dass gerade dieser brutale Widerstand gegen seine Passion ihn noch eifriger werden ließ. Vielleicht liegt hier die Basis für die Reaktion, am Widerstand der späteren Mäzene zu wachsen bzw. über sich selbst hinauszuwachsen. 19 Vasari, G.: Michelangelo, S. 37. Ghirlandaio schickt Michelangelo und Granacci auf Lorenzos Geheiß in die Schule von San Marco. Condivi, A.: Michelangelo, S. 12–14. 12 13

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Die Sixtinische Kapelle

einer künstlerischen Schnittmenge, in der er die Plastizität der Bildhauerei in die Malerei überführt, was neben dem Werk auch von seinen Biographen belegt wird. Michelangelos bevorzugtes Thema war der menschliche Körper, den er mit einem Paukenschlag feierte. Der David zelebriert nicht nur die Antike, sondern übertrifft sie. Vom ihm gehen eine Ästhetik und Wirkung aus, die den menschlichen Körper in seiner Vollkommenheit zeigen soll. Allerdings befindet sich die Statue aber noch in einem mehr oder weniger statischen Zustand. Der nächste Schritt sollte die Darstellung von Bewegung sein. Erste große Gelegenheit hätte das Fresko der Schlacht von Cascina gegeben, das aber wegen des Julius-Grabmales nicht weiter ausgeführt wird. Dieses Projekt kam deswegen nicht über den Kartonentwurf mit zum Teil nackten interagierenden Figuren hinaus. Legt man aber die Zeichnungen zu der Schlacht von Cascina 20 zugrunde, wird Michelangelos Befasstheit mit diesem Thema deutlich. 21 Herbert von Einem verweist auch darauf, dass die vielen nackten Figuren an der Decke an die Schlacht von Cascina erinnern. 22 Die Beachtung der Einzelakte in diesem Schlachtenkarton lässt die Ignudi ahnen. Mit dem Karton der Schlacht von Cascina hatte Michelangelo sich schon in eine Dimension gewagt, die sein bisheriges Werk bei weitem übertraf. Er hatte ihn eins zu eins angelegt, dessen Entwicklung und Wirkung nachvollzogen. Legt man die durch William Wallace festgelegten 116 Quadratmeter für diesen Karton zugrunde 23, kann die Decke der Sixtina mit ihren 1000 Quadratmetern als Quantensprung eingeordnet werden, der sich aber wieder insofern verkleinert, als Michelangelo die Decke partionierte, sodass er einzelne

Flächen gewann, die es auszufüllen und in einen Gesamtkontext zu setzen galt. Die Einzelflächen wurden wiederum in kleinere Flächen bzw. in Einzelepisoden 24 unterteilt, was in der Malerei üblich war, erzählten doch viele Fresken oder Bilder zwei Episoden. Die genannten Einzelflächen wurden wiederum in „Giornata“ ausgemalt, sodass sich der Meister von Giornata zu Giornata malte und durch Assistenten Unterstützung im Dekor bekam. Rein psychologisch „schrumpfte“ so die Decke zusammen. Michelangelo war auch in der Lage, die Wirkung der einzelnen Entwürfe zu antizipieren und so deren Gesamtwirkung abzusehen. Die Decke war in dieser Hinsicht eine kognitive Meisterleistung, da er sie genau wie eine Figur im Marmor vor seinem geistigen Auge vermutlich sehen konnte. Der Sündenfall spricht in diesem Kontext eine deutliche Sprache, da, so gab es die Restaurierung preis, erstmalig die Vorlage direkt auf den Putz gedrückt wurde. Für manche Teile der Szene verzichtete der Künstler sogar komplett auf Kartons. Mit dieser Vorgehensweise ermöglichte sich der Meister größere Interpretationsspielräume, musste dafür aber schon über mehr Erfahrung und größere Sicherheit verfügen. Eine Steigerung liegt beim Feigenbaum und der Schlange vor, die nachweislich beide ohne Vorzeichnung direkt auf den Putz gemalt wurden. Antonio Forcellino bezeichnet diese Entwicklung als Revolution. 25 Wegen dieser Entwicklungsfähigkeit und -willigkeit ist Michelangelo als intelligenter Maler zu bezeichnen, der mit dem Geist malte. Jahre später sollte er sich zu diesem Thema zwar in einem anderen Kontext äußern, lässt aber hier einen Einblick in seine Denkweise zu. Er betonte, dass man mit dem Geist male und nicht mit der Hand. Wer

Für die Schlacht von Cascina liegen verschiedene Zeichnungen bzw. eine anerkannte Kopie von Francesco (oder Aristotile) da Sangallo vor. Vgl. Harrt, F.: Michelangelo, S. 16. Originalzeichnungen zur Schlacht von Cascina erfasst Frederick Hartt in seinem Werk über Michelangelos Zeichnungen. Die Zeichnung Nr. 25 aus dem Jahr 1504 (Text S. 25; Bild S. 50) zeigt eine Ansammlung von Figuren, wobei auch schon einzelne Individuen erkennbar sind. 21 Daneben liegt eine Zeichnung aus dem Jahr 1504 vor, die einen Kampf von Reitern und Fußsoldaten zeigt. Vermutlich war diese Szene für die Schlacht von Cascina vorgesehen und zeigt einen intensiven, bewegten nahezu wildtobenden Kampf. Frederick Hartt bezeichnet sie als eine der gewaltigsten oder kraftvollsten Schlachtszene der westlichen Kunst. Vgl. Harrt, F.: Michelangelo Drawings Zeichnung Nr. 31, Text S. 46; Zeichnung, S. 53. 22 Einem, H. v.: Michelangelo, S. 67. 23 Wallace, W.: Discovering Michelangelo, S. 68. (Folgend zitiert: Wallace, W.: Discovering). 24 Evident für diese Aussage ist, dass Michael Hirst den Baum in der Szene des Sündenfalls und die Vertreibung aus dem Paradies auf Michelangelos genialen Einfallsreichtums als teilendes Element für die beiden Bildbereiche deklariert. Vgl. Hirst, M.: Die gezeichneten Entwürfe, S. 12. 25 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 124. Michelangelo schuf sich durch die Anlage seines Freskos Platz für große Figuren. Antonio Forcellino sieht in dieser Entwicklung Michelangelos den Wendepunkt, dass er sich entschloss, ohne seine Garzoni zu arbeiten, da er aufgrund des Ergebnisses mutig genug geworden war. 20

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Konkurrieren mit Ghirlandaio & Co

den Geist nicht für sich habe, werde sich blamieren. 26 Michelangelo spricht hier explizit von dem Gebrauch des Hirns („ciervello), was für eine intelligente Planung und Malweise sprechen könnte.

Zwar 1542 geäußert, könnte diese Äußerung ein Kulminationspunkt oder eine Zwischenerkenntnis für Erfahrungen sein, die er durch seine Großwerke gesammelt hatte.

4.3 Konkurrieren mit Ghirlandaio & Co Eine besondere Herausforderung stellte für Michelangelo die Wanddekoration der Sixtina dar, stammte sie von den bedeutendsten Malern der Renaissance, unter denen sich auch Ghirlandaio 27, sein alter Meister, befand. 28 Der ehemalige Schüler sollte sich in malerischer Hinsicht über seinen alten Meister nahezu wortwörtlich erheben, was ihn nicht davon abhielt, mit den Großen der Renaissance in einen Wettstreit zu treten. 29 Vasari macht insofern einen Zusatz, dass Michelangelo den zeitgenössischen Künstlern zeigen wollte, wie man zeichne und male. 30 Michelangelo war bewusst und entschlossen, etwas vollkommen Neues im Alten zu erschaffen, um seine großen Vorgänger zu übertreffen und dabei gleichzeitig als Lehrmeister für neue Malergenerationen zu ihnen aufzuschließen, womit er sich eine weitere Erinnerungsdimension sichert. Der Aussage Vasaris kann durchaus Glauben geschenkt werden, da die malerische Tradition der Renaissance so angelegt war. Große Künstler, berühmt geworden durch ihre Werke, waren Lehrer und Leitfiguren, denen man als neue Generation nacheiferte, an denen man sich maß, an denen man wuchs, um sie in letzter Konsequenz

zu übertreffen. Antreiber dafür waren der Ehrgeiz nach Ruhm, Streben nach künstlerischer Einzigartigkeit und der pekuniäre Verdienst. Michelangelo wird sich dieser Dimensionen bei seinem Projekt sehr bewusst gewesen sein. Ihm wird es fundamental gedämmert haben, dass er mit dieser Arbeit in eine neue künstlerische Dimension vorstoßen konnte. Gleichzeitig wird sich dieses Projekt für ihn so manifestiert haben, dass von päpstlicher Seite nicht wieder eine Aufhebung drohte. Aus diesem Grund konnte er seiner Arbeit und seinem Ehrgeiz freien Lauf lassen. Eine ehrgeizige Einstellung ist schon in Michelangelos Jugend nachweisbar. Es ist belegt, dass er andere immer überflügeln wollte und zu konnte. 31 Diese Einstellung legte er nicht ab, bewegte sich aber mit seiner Deckengestaltung zwischen einer Weiterentwicklung des Stils des 15. Jahrhunderts, in dem die Wandfresken gehalten sind, und der Reminiszenz an die alten Meister Masaccio und Giotto. 32 Masaccio war ihm seit der Lehrzeit sehr bekannt, studierte er doch als Jugendlicher intensiv und eingehend dessen Fresken in der Brancacci-Kapelle in der Kirche Santa Maria del Carmine. 33 In

„Io rispondo, che si dipinge col ciervello et non con le mani; et chi non può avere il ciervello seco, si vitupera.“ Vgl. Milanesi, G.: Le Lettre di Michelangelo, S. 489. Die Äußerung Michelangelos ist einem Brief vom Oktober 1542 zu entnehmen, als es um die Ausmalung der Cappella Paolina ging und er noch auf die Ratifizierung des Vertrages mit den Julius-Erben wartete, bevor er seine Arbeit beginnen konnte. In diesem Kontext könnte sie so gedeutet werden, dass Michelangelo eine geklärte Situation brauchte, um mit einem freien Kopf malen zu können. Die Äußerung könnte auch eine grundsätzliche Haltung des Künstlers zum Ausdruck bringen. 27 Michelangelo begann nach Vasari mit 13 Jahren bei Domenico Ghirlandaio für drei Jahre seine Lehre, der der Vater zustimmte. Zuvor konnte er über Francesco Granacci in Kontakt mit der Werkstatt Ghirlandaios treten. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 33–34. Schnell erreichte der junge Lehrling das Niveau des Lehrherrn, was Ghirlandaio anerkennen konnte (Vasari, S. 34–35). Condivi berichtet nicht von dem Lehrvertrag und sieht mehr in Granacci den Talentförderer Michelangelos. Daneben wird betont, dass Ghirlandaio neidisch auf Michelangelo, ihm gegenüber unhöflich war und ihm auch keine Federzeichnungen von sich zur Verfügung stellte. Condivi, A.: Michelangelo, S. 11–12. Bei Condivi wird Ghirlandaio deutlich abgewertet und Granacci aufgewertet. Es liegen somit voneinander abweichende Darstellungen durch die Biographen vor. 28 Vasari, G.: Das Leben des Domenico Ghirlandaio und des Gherado di Giovanni, S. 21. 29 Vasari, G.: Michelangelo, S. 73. 30 Vasari, G.: Michelangelo, S. 73. Vasari argumentiert hier in zwei Richtungen: Michelangelo wollte den Vorgängern überlegen sein und den Nachfolgern zeigen, wie man malt und zeichnet. 31 Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 35 ff. Condivi berichtet über die Fälschung einer geliehenen Zeichnung, die erst aufflog, als sich der junge Michelangelo darüber amüsierte. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 12. 32 Frederick Hartt stellt fest, dass die großen Meister der Renaissance Giotto und Masaccio die Grundlage für Michelangelos Faltenwurfstil bildeten. Vgl. Harrt, F.: Michelangelo Drawings, S. 27. 33 Vasari, G.: Michelangelo, S. 40. Michelangelo kopierte nach Vasari Masaccios Fresken so beeindruckend gut, dass ihm dies Ansehen und Neid einbrachte und Torrigiani ihm die Nase zertrümmerte. Benvenuto Cellini bestätigt in seiner Vita, dass Michelangelo als Knabe die Fresken des 26

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Die Sixtinische Kapelle

der Masaccio-Vita überliefert Vasari, dass die gefeiertesten Bildhauer und Maler, unter denen sich auch der göttliche Michelangelo befunden habe, in dieser Kapelle geübt und studiert hätten und allesamt berühmt und hervorragend geworden seien. 34 Nach Bernard Berenson hatte Masaccio einen überwältigenden und befruchtenden Einfluss auf Michelangelo und war der persönliche Favorit des jungen Buonarroti. Aufgrund der Untersuchung von frühen Zeichnungen kommt Bernard Berenson zu dem Befund, dem jungen Buonarroti eine meisterliche und noble Darstellung des Gewandwurfs zu attestieren. 35 Michelangelo blieb Masaccios später auch zugewandt, denn er schätzte dessen Darstellungsweise auf heute verloren gegangenen Tafelbildern, die sich in einer kleinen Kapelle von Santa Maria Maggiore befanden. 36 Nach Vasari verfügte Masaccio über eine moderne Malweise, die danach strebte, seine Figuren lebendig, in schöner Vitalität und moderner Farbgebung darzustellen. Quasi als Protagonist versuchte Masaccio, seine Figuren nackt und verkürzt darzustellen. 37 Für Michelangelo wird die Begegnung mit Masaccio stilbildende Wirkung gehabt haben, da der Akt, die Verkürzung, die Lebendigkeit, in Michelangelos Fall mehr die Bewegung des Menschen, gepaart mit einem lebendigen Kolorit, ihn als Freskenmaler ausmachen sollten. So sind in der Anlage des Sündenfalls Ähnlich-

keiten zwischen der Darstellung des Masaccio in der Brancacci-Kapelle 38 und dem Sündenfall in der Sixtina erkennbar. 39 In beiden Fresken schwebt ein Engel in einem roten Gewand über dem verzweifelten Ur-Paar und weist sie mit dem linken Arm aus dem Paradies. Während Masaccio das Paar verzweifelnd klagend darstellt, stellt Michelangelo vor allem Eva kauernd, sich hinter Adam versteckend dar, der seinerseits versucht, die Vertreibung abzuwehren. Die Anlage ist ähnlich, der Ausdruck der Figuren hat aber einen anderen emotionalen Schwerpunkt. Da Michelangelo mit der BrancacciKapelle vertraut war und sich vermutlich später in der Cappella Paolina auch an der Kreuzigung Petri, die von Lippi stammt, orientierte 40, ist eine Orientierung an Masaccio nicht ausgeschlossen. Leopold Ranke stellt fest, dass Masaccio gerade in der Carmine Kirche ein sicheres Gefühl für die Darstellung der Individualität des männlichen Ausdrucks, für Licht und Schatten und die Gruppierung gehabt habe. 41 Auch diese Elemente spielen in der Sixtina eine Rolle. Johannes Wilde sieht z. B. im oberen Teil der Figur, die die Treppe in der Szene der Bestrafung Hamans hinuntersteigt, eine klare Bezugnahme zu Masaccios Fresko „Bezahlung des Tributs“ in der Brancacci-Kapelle. 42 Neben Masaccio war Giotto in Michelangelos Lehrzeit ebenfalls von Relevanz, da er eine Detail-

Masaccio studierte und sich an ihnen erprobte. Vgl. Cellini, B.: Vita di Benvenuto Cellini, S. 28. Michelangelo wird auch vermutlich mit Francesco Granacci die Kapelle oft besucht haben, da Granacci als Jüngling in dem von Lippi vollendeten Fresko über die Auferweckung des Sohnes des Theophilus dargestellt ist. Vgl. Vasari, G.: Das Leben des Sandro Botticelli, Filippino Lippi, Cosimo Roselli und Alesso Baldovinetti, S. 43. (Siehe Vita des Filippino Lippi) Zur Zeichentechnik: Dem jungen Michelangelo wird mit dem Stift eine bemerkenswerte geradlinige Zeichenmethode attestiert, die einer Gravur gleich durch eine vorsichtige Schraffur und Kreuzschraffur eine reiche und dichte Oberflächenmodellierung erzeugt. Diese Art ist schon oft mit seiner Bildhauertechnik verglichen worden, gerade was die Oberflächengestaltung des Marmors anbelangt. Vgl. Harrt, F.: Michelangelo Drawings, S. 27. 34 Vasari, G.: Das Leben des Masolino, des Masaccio, des Gentile da Fabriano und des Pisanello, S. 41–42. (Folgend zitiert: Vasari, G.: Das Leben des Masolino). 35 Berenson, B.: The Drawings of the Florentine Painters, S. 169. 36 Vasari, G.: Das Leben des Masolino, S. 33–34. 37 Vasari, G.: Das Leben des Masolino, S. 25. Vasari attestiert ihm in seinen Viten eine solche Modernität in der Darstellung und der Farbgebung, dass er mit damalig modernen Zeichnungen mithalten konnte. Bernard Berenson spricht im Kontext des Aktes Masaccio neben Michelangelo die Fähigkeit zu, Tastbares beim Akt darzustellen. Vgl. Berenson, B.: The Florentine Painters of the Renaissance, S. 88. (Folgend zitiert: Berenson, B.: The Florentine Painters). 38 Roberto Longhi datiert dieses Fresko von Masaccio auf 1427. Vgl. Longhi, R.: Masolino und Masaccio, S. 89. 39 John O’Malley vertritt einen ähnlichen Ansatz und nennt den Sündenfall in der Brancacci-Kapelle einen Vorläufer, der Michelangelo beeinflusst habe. Vgl. O’Malley, J. W.: Das Mysterium der Deckengemälde, S. 130. (Folgend zitiert: O’Malley, J. W.: Das Mysterium). 40 Filippino Lippis Kreuzigung des Petrus zeigt, wie Schergen die Beine Petri, dessen Hände schon am Querbalken festgenagelt sind, per Seilwinde am Längsbalken hinaufziehen. Das Kreuz ist bereits in der Erde verankert. Die Szene zeigt schon dynamische Elemente. Vgl. Vasari, G.: Das Leben Sandro Boticelli, Filippino Lippi (…), S. 42–43. 41 Ranke, L.: Zur Geschichte der italienischen Kunst, S. 60. Leopold Ranke verweist hier besonders auf die markante Darstellung der Köpfe älterer Männer. Hier könnte eine Verbindung zu Michelangelos Affinität für die Darstellung eines „Vecchios“ angenommen werden. 42 Wilde Johannes: Six Lectures, S. 75. Johannes Wilde spricht von einer „literal quotation“ from Masaccio’s Tribut Money“.

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Konkurrieren mit Ghirlandaio & Co

studie von der Himmelfahrt des Johannes in der Peruzzi-Kapelle in Santa Croce in Florenz, der Hauskirche der Buonarrotis, anfertigte. Die Zeichnung, vermutlich um 1490 entstanden, zeigt eine deutliche Verbesserung oder naturalistische Darstellung der Gewänder bzw. des Faltenwurfs. 43 Bernard Berenson attestiert dem 15-jährigen Buonarroti eine bessere Artikulation der Figuren: Diese seien in ihrer Erschütterung vollendeter als im Original dargestellt. Er habe seinen Figuren eine stärkere körperliche Existenz und mehr Gewicht im Vergleich zu der uranfänglichen Festigkeit der Figuren Giottos gegeben. 44 Die frühen Zeichnungen thematisieren schon schwerpunktmäßig den Faltenwurf 45 und liefern den Beleg, dass dieses Sujet Michelangelo über den menschlichen Körper hinaus faszinierte. Nach Michael Hirst kann Michelangelos Darstellungsweise in der Sixtina auch ein Rückgriff auf die Technik sein, die er bei Ghirlandaio lernte. Der Faltenwurf der Gewänder ist ein möglicher Beleg für diese Annahme. 46 Hugo Chapman sieht in Ghirlandaio den Protagonisten, der auf Masaccio und Giotto zurückgriff und seine Reverenz, die er den Großen zollte, an seinen Lehrjungen Michelangelo weitergab. 47 Ernst-Gerhard Güse und Alexander Perrig geben an, dass eine frühe Inspirationsquelle für Michelangelo die Masaccio-Verfremdungen waren, die in der Werkstatt Ghirlandaios vorlagen. Diese könnten sich in der weiteren künstlerischen Verarbeitung in Form eines Entwurfs oder Vorstudie für die Fresken in der Sas-

setti-Kapelle gezeigt haben. 48 Frederick Harrt vertritt hingegen die Meinung, dass die frühen Zeichnungen Michelangelos mit einem Stift nicht viel mit der Schule Ghirlandaios zu tun haben. 49 Als Exempel der Orientierung an Giotto verweist Martin Spahn auf die Erschaffung Adams in der Scrovegni-Kapelle in Padua. Für ihn ist dieses Fresko eine erste Skizze für Michelangelos Darstellung. 50 Johannes Wilde stellt bezogen auf die Darstellung von Judith und Holofernes heraus, dass Michelangelo den dreieckigen Rahmen mit einer rechteckigen Komposition nach Giottos Klarheit und Einfachheit angelegt habe. Die Anlage der Szene der ehernen Schlange weist nach ihm Ähnlichkeit zu dem von Giotto gebrauchten Aufbau in der Geburt des Johannes des Täufers in der PeruzziKapelle auf. 51 Nach diesen Schlaglichtern ist evident, dass der junge Michelangelo im Studium der alten Meister seine stilistische und technische Basis fand, um im fortgeschrittenen Alter deren Grenzen zu überschreiten und einen Fortschritt einleitete, der in seinem unverkennbaren Stil endete. Hier sei noch die Überlegung angestellt, ob durch die Orientierung an den Großen des Trecento (Giotto) oder des frühen Quattrocento (Masaccio) eine Verbindung zu ihnen geschlagen werden sollte. Beide Meister prägten die frühe Renaissance und wurden zum Maßstab für die nachfolgenden Künstlergenerationen. 52 Michelangelo war in dieser Tradition ausgebildet und durch seine kulturelle Umwelt in Florenz ge-

Harrt, F.: Michelangelo Drawings, S. 27 Nr. 1, Zeichnung Nr. 1, S. 29. Berenson, B.: The Drawings of the Florentine Painters, S. 169. „It is not surprising that his figures are better articulated and have more vibration and tremor of life than the originals.“ 45 Harrt, F.: Michelangelo Drawings Nr. 1 von 1490, Nr. 2 von 1490, Nr. 6 von 1501–03, Nr. 7 von 1501–03, Nr. 8 von 1501–03, Nr. 21 von 1503, Nr. 22 von1503/04, Nr. 24 von 1503/04. Die Nr. 1 und 2 zeigen Zeichnungen im Stil von Giotto und Masaccio, die z. B. einen naturalistischen und komplexen Faltenwurf zeigen. Harrt, F.: Michelangelo Drawing, S. 27. Siehe Abb. 20: Zwei Figuren nach Giotto [S. 331] bis Abb. 26: Auszug: Studie für St. Peter [S. 332]. 46 Nach Michael Hirst erinnert der Stil der Federzeichnung aus dem Britischen Museum für den Faltenwurf der Erithreischen Sybille stark an Domenico Ghirlandaio. Aus dieser einzig erhaltenen Studie zum Faltenentwurf für die Decke leitet er berechtigt die Annahme ab, dass Michelangelo den Faltenwurf eingehend studiert hat. Vgl.Hirst, M.: Die gezeichneten Entwürfe, S. 12. Abbildung der Zeichnung S. 16. Für Frederick Hartt ist diese Zeichnung eine brillante Studie. Der Umhang sei so sorgfältig ausgearbeitet, dass er mit der Ausführung des Freskos nahezu exakt übereinstimme. Vgl. Hartt; Frederick: Michelangelo Drawings, Nr. 84, S. 83. Zeichnung Nr. 84, S. 99. 47 Chapman, H.: op. cit., S. 51. Ghirlandaio habe bewusst auf Giotto und Masaccio, die Gründungsväter der florentinischen Malerei, wie Hugo Chapman sie nennt, zurückgegriffen, sie quasi geupdatet, indem er sie mit modernen Elementen mischte. 48 Güse, E.-G.; Perrig, A.: Zeichnungen aus der Toskana, S. 124–127. Anhand der Michelangelo-Zeichnungen „Gruppe von stehenden Männern“ und eines „knienden Mannes“, beide aus der Albertina, vertreten die Autoren aufgrund von Vergleichen die Ansicht, dass dem jungen Michelangelo Zeichnungen von Ghirlandaio auf Grundlage von Masaccio- und Lippi-Vorlagen vorgelegen haben. Es handle sich hier um Masaccio-Verfremdungen, deren viele im Werk eines Ghirlandaios vorlägen. 49 Harrt, F.: Michelangelo Drawings, S. 27. 50 Spahn, M.: Michelangelo und die Sixtinsche Kapelle, S. 126. 51 Wilde, J.: Six Lectures, S. 75. 52 Wie bereits erwähnt, nannte sie Hugo Chapman die „Gründungsväter“ der florentinischen Malerei. Vgl. Chapman, H.: op. cit., S. 51. 43

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prägt. Allerdings misst er seinem Lehrherrn Ghirlandaio, der ein Vertreter des Quattrocento war, in der Condivi-Vita keine positive Bedeutung bei. 53 Diese Einordnung lässt Rückschlüsse auf Michelangelos zumindest spätere Denkweise zu. Offensichtlich wollte er Ghirlandaio nicht die Position während seiner Ausbildung zugestehen, die er wohl tatsächlich hatte. 54 Sein Bestreben lag mehr darin, sich durchweg als künstlerischer Selfmademan zu präsentieren, der schon in seiner Frühzeit keinen geistigen Vorturner wie Ghirlandaio gebraucht und ganz allein erkannt habe, wie bedeutsam ein Masaccio, ein Giotto und Lippi für die Entwicklung der Malerei in Florenz waren. Folgt man den Einschätzungen der modernen Forschung, sieht der Befund anders aus. Offensichtlich haben nicht zuletzt Ghirlandaios Zeichnungen, die er von den alten Meistern angefertigt hatte, den jungen Michelangelo inspiriert und geprägt, sodass Ghirlandaio ein wichtiges Verbindungsstück zwischen den Großen der Renaissance und ihm wurde. In der Sixtina geht Michelangelo vermutlich bewusst einen Schritt weiter zurück als Ghirlandaio, orientiert sich an den alten Größen und erhebt so willentlich den Anspruch, neben ihnen ebenbürtig ein Großer, wenn nicht der Größte der Renaissance zu sein, womit er sie letztlich übertrumpft. Dadurch, dass er sein Werk auf Langlebigkeit anlegt,

wie es Fabrizio Mancinelli nachweist, sichert er sich neben seinem sichtbaren Hoheitszeichen an der Decke einen unangefochtenen Platz im kollektiven Gedächtnis der Menschheit. Durch die Fresken verbindet er seine Vorliebe für bestimmte Sujets und schafft Neues, den bewegten menschlichen Körper, was das Alte wie den Faltenwurf mit einschließt. Ein weiterer Anreiz jenseits eines Vertrages war die Tatsache, dass Michelangelo die Chance hatte, die Riege der großen Kapellenkünstler zu erweitern. 55 Gerade seine geschätzten Vorgänger haben Meisterwerke in Kapellen hinterlassen. Giotto malte die Scrovegni-Kapelle in Padua aus, Masaccio gestaltete die Brancacci-Kapelle in Florenz. 56 Sein Lehrherr Ghirlandaio gestaltete die Sassetti- und die Tornabuoni-Kapelle in Florenz. 57 Die Fresken zeigen z. T. eine große Ansammlung von Menschen, worauf Michelangelo auf gewisse Weise zurückgriff, durch eine Reduktion dennoch ein Statuenheer an der Decke anlegte. Er setzte einen anderen Schwerpunkt, indem er bewegte Figuren darstellte, für die er Raum benötigte. Damit war die Personenanzahl, auch wenn es bei ca. 340 Figuren an der Decke nahezu widersprüchlich klingt, limitiert. Die Wirkung seiner Figurenvielfalt an einer Decke ist unzweifelhaft stärker, was gerade durch die Bewegung der Figuren erzielt, ja gesteigert wird. 58

4.4 Der Vertrag Am 10. Mai 1508 kommt es zwischen Michelangelo und dem Papst zum Vertragsabschluss über die Deckenausmalung in der Sixtinischen Kapelle. 59 Im

Vorfeld des Vertrages gab es Verhandlungen, die für Rab Hatfield den Schluss zulassen, dass Michelangelo gleichzeitig am Grabmal und der Decke ar-

53 Condivi, A.: Michelangelo, S. 11. Ghirlandaio wird als neidisch und als Trittbrett fahrender Lehrherr dargestellt, der Michelangelos Leistung relativieren wollte. 54 Auch wenn die Biographen Ghirlandaio unterschiedlich einordnen, hat Michelangelo bei ihm Aufnahme und eine erste Entfaltungsmöglichkeit erhalten. 55 Esther Gordon Dotson verweist in ihrem Aufsatz auf Gilbert Creighton, der festhielt, dass die Deckenausmalung in einer Kapelle normalerweise ein Auftrag minderen Ranges war. Nach Alberti sei es aber für einen Maler die größte Arbeit, erzählende Themen, die Historie, darzustellen. Vgl. Gordon Dotson, E.: An Augustian Interpretation Michelangelo’s Sistine Ceiling I, S. 250. 56 Vasari, G.: Das Leben des Masolino, S. 36–42. 57 Vasari, G.: Das Leben des Domenico Ghirlandaio und des Gherado di Giovanni, S. 16–20 (Sassetti-Kapelle); S. 23–36 (Tornabuoni-Kapelle). 58 Siehe Abb. 27: Die Decke in der Sixtinischen Kapelle [S. 333]. 59 Bardeschi Ciulich, L.; Barocchi, P: I Ricordi di Michelangelo Nr. II, S. 1–2. „Richordo chome oggi, questo dì dieci di maggio nel mille cinque ciento octo, io Michelagniolo schultore ò-rricievuto dalla Santità del Nostro Signiore papa Iulio Sechondo duchati cinque ciento di chamera, e’quali mi chontò messer Charlino cameriere e messer Charlo degli Albitzi per chonto della pictura della volta della chappella di papa Sisto, per la quale chomincio oggi a-llavorare chon quelle chonditione e pacti che apariscie per una scricta facta da Mons(ignior)e R.mo di Pavia e-ssocto schricta di mia mano.“ Die Konditionen (chonditione) und Vereinbarungen (apariscie), von denen der Vertrag spricht, sind nicht überliefert bzw. nicht mehr bekannt. Interessanterweise handelt es sich hier um das gleiche Datum wie beim Rosselli-Brief von 1506, in dem die Ausmalung der Sixtina erstmalig thematisiert wird.

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Der Vertrag

beiten wollte. 60 Daraus wäre ableitbar, dass die von Rab Hatfield geäußerte Vermutung Michelangelo gnädiger für die Sixtina stimmte: Malen als Pflicht und Bildhauerei als Kür. Im Vertrag ist die Formulierung bzw. Selbstbezeichnung „schultore“ bemerkenswert, markiert sie doch die Selbstdefinition des Künstlers. 61 Bis zu diesem Zeitpunkt hält Michelangelo an seiner Profession als Bildhauer fest und sich eine Hintertür für den Fall eines Scheiterns als Maler offen. Der Gedanke eines Scheiterns könnte Ängsten oder Bedenken entsprungen sein, dem Auftrag nicht gewachsen zu sein. 62 Es stand schließlich seine künstlerische Reputation auf dem Spiel, musste er gezwungenermaßen Neuland betreten und Altes zurücklassen. Ernst Steinmann interpretiert die Selbstbezeichnung „schultore“ von daher als lebendig gebliebenen Schmerz über das preisgegebene Grabmal. 63 Was für Ernst Steinmanns Aussagen spricht, ist Michelangelos Versuch, den Auftrag nicht ausführen zu müssen und Raffael ins Spiel zu bringen, was bekanntermaßen scheiterte. 64 Die Folgen seiner Abreise hatten ihn gelehrt, dem Papst nichts abzuschlagen und an dessen Engstirnigkeit zu scheitern. 65 Antonio Forcellino sieht in der Annahme des Auftrags einen Beweis für Mi-

chelangelos Geldgier. 66 Neben der vermuteten Geldgier und der seit 1505 herrschenden Bindung an den Papst muss sich die entscheidende Frage nach einer Alternative für den Künstler stellen lassen. Eine Rückkehr nach Florenz wäre möglich gewesen, womit allerdings das Projekt Julius-Grabmal gescheitert wäre, das sich als künstlerischer Großtraum in Michelangelos Kopf festgesetzt hatte. Der Ruf an den päpstlichen Hof als Epizentrum der christlichen und künstlerischen Macht war für einen Künstler der Zenit. In und durch Ghirlandaio, der seinerseits für einen della Rovere-Papst zum Einsatz kam, hatte Michelangelo die Bedeutsamkeit eines solchen Rufes kennen gelernt. Für die Früchte, die dabei herausspringen sollten, musste ein Künstler aber liefern, was Michelangelo bis dato nicht getan hatte. Auch wenn die Freskomalerei nicht sein Gewerk war, bot sie ihm die Chance auf künstlerische Entfaltung und Nachhaltigkeit. Die Freskotechnik galt als geeignet und reizvoll, da der Maler in relativ kurzer Zeit eine Idee unmittelbar, intensiv und mit Lebendigkeit versehen auf den frischen Putz übertragen konnte. Erfahrene Freskomaler konnten beispielweise lebensgroße Figuren durchaus in zwei Tagen vollenden. 67

Hatfield, R.: The Wealth, S. 23. Weitere Kontoentnahmen für verschiedene Dinge lassen für den Autor den Schluss zu, dass sich Michelangelo für eine längere Zeit in Rom niederlassen wollte, was den von ihm entwickelten Gedanken belegt. Schon am 27. März 1508 öffnete Michelangelo sein Konto bei der Baldinucci-Bank. Die Einzahlungssumme belief sich auf 478,5 Dukaten, die wohl aus einer Zahlung von 500 Dukaten für das Grabmal stammten. Der Vertrag für die Decke war noch nicht existent. Vgl. Hatfield, R.: The Wealth, S. 22 und S. 373. Nach Charles de Tolnay konnte der Auftrag für Michelangelo keine große Überraschung mehr sein, da seit dem Rosselli-Brief dieses Damoklesschwert über ihm hing. Vgl. Tolnay, C. d.: The Sistine Chapel, S. 3. 61 Antonio Forcellino kommt ebenfalls zu diesem Befund. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 114. 62 Vasari berichtet, dass er diesen Auftrag als Last empfunden habe. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 72. Condivis Beschreibung lässt die Konklusion zu, dass Michelangelo Respekt vor dem Auftrag hatte. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 43. Am 27. Januar 1509 klagt er bei seinem Vater darüber, seine Arbeit schreite nicht voran, da die Malerei nicht sein Gewerk sei. Er verliere nur fruchtlos seine Zeit und hofft auf Gottes Hilfe. „E questa è la difichultà del lavoro, e anchora el non esser mia professione. E pur perdo il tempo mio sanza fructo. Idio m’aiuti.“ http://www.memofonte.it/home/ ricerca/singolo_23.php?id=62&daAnno=1509&aAnno=&Mittente=&Destinatario=Buonarroti%20Lodovico&Luogo_Mittente=&Luogo_ Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 63 Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 158. Ernst Steinmanns Annahme steht somit gegen Rab Hatfields Aussage, dass Michelangelo hoffte, an beiden Kunstwerken arbeiten zu können. 64 Beide Biographen berichten, dass Michelangelo den Auftrag ablehnen wollte, da er sich nicht als Maler definierte, somit wenig Erfahrung in der Freskotechnik hatte und stattdessen Raffael vorschlug. Dieser Zug war nicht unklug, da er Raffael und Bramante schmeichelte. Er scheiterte allerdings mit seinem Vorschlag. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 72. Condivi, A.: Michelangelo, S. 43. 65 Holroyd, C.: Michel Angelo Buonarroti, S. 39. Condivi berichtet, dass sich der Papst über den Ablehnungsversuch nahezu erzürnte. Condivi, A.: Michelangelo, S. 43/44. 66 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 114. 67 Harrt, F.; Wilkins, D. W.: History of Italian Renaissance Art, S. 30. Das Malen auf dem frischen Putz war stets ein Wettlauf mit der Zeit. 60

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4.5 Ausführungstechnik 4.5.1 Präparation der Kapelle Michelangelo nahm die Herausforderung an, überließ aber nichts dem Zufall. Das ausgewählte bzw. ausgetüffelte Material, die angeforderte Hilfe aus Florenz und seine persönliche Entwicklungsfähigkeit ließen ihn das vierjährige Projekt erfolgreich abschließen. 68 Um die Langlebigkeit seines Werkes zu garantieren, fiel die Wahl auf die Technik des „buon fresco“, mit der er seine künstlerische Intention am besten umzusetzen vermochte. 69 Bewusst entschied sich der Künstler für den in Rom üblichen Putz (intonaco), der sich aus Kalk und Puzzolan 70 zusammengesetzte, schwieriger zu bearbeiten war, da er schneller absorbierte und zügiger trocknete, dem Gemisch einen klaren grauen Ton verlieh und dabei gleichzeitig stärker und resistenter war. Der Restaurator Gianluigi Colalucci sieht in der Wahl des Putzes eine klar ästhetische Entscheidung. 71 Daran schloss sich konsequenterweise die Berufung eines versierten Maurers für die optimale Präparation der Wand an. 72 Für die Einrüstung des Tonnengewölbes der Sixtina in 20 Metern Höhe entwarf Michelangelo selbst ein Gerüst, da Bramante ihm keinen adäquaten Vorschlag vorlegen konnte. 73 Durch Michelangelos Konstruktion konnten liturgische Feiern weiterhin abgehalten werden, die

aber nicht immer störungsfrei verliefen. 74 Unter der Holzkonstruktion war vermutlich ein Tuch gespannt, um die Kapelle ansehnlich zu halten, was auch den Nebeneffekt hatte, dass das Gerüst nur die halbe Kapelle belegte. Die halbe Belegung ist mit den Lichtverhältnissen und der Kostenersparnis für Bauholz zu begründen. 75.

4.5.2 Die Buon-Fresco-Methode Zunächst mehr widerwillig startend, entwickelte Michelangelo in kürzester Zeit eine Maltechnik, die alle anderen Maler übertraf. Nicht zu Unrecht ordnet der Restaurator Gianluigi Colalucci die von Michelangelo angewandte Technik als das beste Beispiel der Buon-fresco-Methode ein. Technisch seien die Fresken durchweg auf dem höchsten Niveau ausgeführt, was mit der schnellen Überwindung von malerischen Schwierigkeiten zu belegen sei. 76 Der von Gianluigi Colalucci aufgrund seiner Restaurierungsarbeit erhobene Befund zeigt Michelangelos Entwicklungsgeschwindigkeit. Er lernte einerseits mithilfe seiner Garzoni bzw. Malergesellen und erinnerte sich andererseits an das Gelernte, das zwei Jahrzehnte zurücklag. Sein manuelles Geschick bzw. die Umsetzung von Gesehenem, von Diskutiertem mit den Garzoni und Ausprobiertem

Beide Biographen berichten die Episode, dass sich Schimmel auf den Fresken gebildet hatte. Michelangelo wollte schon aufgeben, wobei Sangallo erkannte, dass der Kalk zu wässrig war. Durch seinen Rat konnte das Problem behoben werden und bedeutete einen Erfahrungswert mehr für Michelangelo. Vasari nennt als Jahreszeit den Winter, der diese Bildung wohl auslöste. Condivi lokalisiert als betroffenen Teil die Sintflut. Vasari, G.: Michelangelo, S. 74. Condivi, A.: Michelangelo, S. 48. 69 Colalucci, G.: The State of Conservation of Michelangelo’s Ceiling Frescoes and the Restoration Intervention, S. 202. (Folgend zitiert: Colalucci, G.: The State of Conservation). 70 Puzzolan ist ein vulkanisches Material, das in römischen Häusern verwendet wurde. Vgl. Colalucci, G.: Die Deckenfresken der Sixtinischen Kapelle: die Technik der Freskomalerei, S. 31. (Folgend zitiert: Colalucci, G.: Die Deckenfresken). 71 Colalucci, G.: The State of Conservation, S. 201. Dem zügigen Trocknen begegnete Michelangelo durch eine veränderte Mischung des Putzes. Daneben legte er großen Wert auf eine feine Durchsiebung und ein sorgfältiges Verrühren des Materials, bevor es auf das benässte Mauerwerk kräftig aufgetragen wurde. Vgl. ebd., S. 201. 72 Colalucci, G.: The State of Conservation, S. 202. 73 Vasari, G.: Michelangelo, S. 73. Condivi, A.: Michelangelo, S. 82. Bramante wollte ein hängendes Gerüst konstruieren, das mit Seilen von der Decke hing. Michelangelo lehnte den Vorschlag ab, da er Löcher in der Decke hinterlassen würde. Nach Condivi habe Julius II. festgestellt, dass Bramantes Vorschlag nichts tauge. Michelangelo entwarf wohl eine Art Brücke oder Arbeitsbühne, auf der er arbeiten konnte. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 115. Fabrizio Mancinelli äußert sich in Form eines Aufsatzes über das Gerüst, dessen Entstehung und Funktion. Vgl. Mancinelli, F.: Die wahren Farben des Michelangelo, S. 221. (Folgend zitiert: Mancinelli, F.: Die wahren Farben) Er verweist darauf, dass das Gerüst für die Restaurierungsarbeiten dem des Michelangelo, nur aus anderen Materialien bestehend, nachempfunden wurde. Vgl. ebd., S. 230. 74 Aus dem Tagebuch von Paris de Grassis geht am 5. Juni 1508 hervor, dass die Aufstellung des Gerüstes Lärm und Dreck verursachte, wodurch sich die Kardinäle während der Pfingstvigilie gestört fühlten. Vgl. Seymour, C.: Michelangelo – The Sistine Chapel Ceilig, S. 104. (Dokumententeil). 75 Mancinelli, F.: Die wahren Farben, S. 226 und S. 228–229. Der Autor verweist darauf, basierend auf einem Tagebucheintrag Paris de Grassis. 76 Colalucci, G.: The State of Conservation, S. 201. In einem weiteren Aufsatz bezeichnet Gianluigi Colalucci die Technik Michelangelos als „Gipfelpunkt der Vollkommenheit“. Colalucci, G.: Die Deckenfresken, S. 26. 68

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Ausführungstechnik

sind Belege für seine Entwicklungsmöglichkeit und Augen-Hand-Koordination. Am Ende des Tages lag ihm die Freskotechnik. Er entdeckte sie als ideal geeignet, um die von ihm präferierte und geschätzte Dynamik und Bewegung von Figuren auf die Wand zu bringen. Wie noch zu zeigen sein wird, adaptierte er die Arbeit mit dem Marmor an die Freskomalerei und nutzte sein Können als Quelle. Dieses Können musste er aufbringen, da die Decke ihm alles abverlangte und ihm einen physischen wie psychischen Anstrengungsgrad bescherte, der ihn an den Rand des Erträglichen brachte. In diesem Kontext räumt Fabrizio Mancinelli mit der alten Mär auf, dass Michelangelo nicht liegend, sondern stehend die Decke malte 77, was die Anstrengung für ihn beileibe nicht mindert.

4.5.3 Kartons Der Ausmalung der Decke ging eine Entwurfsphase voraus. Vasari berichtet darüber, dass nach Auftragserteilung Michelangelo sogleich die Kartons angefertigt habe 78, die heute verloren sind. 79 William Wallace geht davon aus, dass Michelangelo für eine Unternehmung dieser Größenordnung Hunderte bis Tausende Vorzeichnungen angefertigt

haben muss. 80 Die Restaurierung ergab, dass Michelangelo für die Majorität der Figuren Kartons anfertigte, was die Spuren der Spolvero-Technik, Ritzungen und Löcher, die die Kartons halten sollten, beweisen. 81 Hauptübertragungsweg der Kartons war im ersten Bereich der Decke die Spolvero-Methode. 82 Es ist evident, dass die hier vorgesehenen Kartons konzise und detailreich gestaltet waren, was eine obsessive Sorgfalt und Präzision zeigt. In der zweiten Hälfte der Decke wurde mehr mit indirekter Ritzung gearbeitet, da diese Technik entschieden weniger Arbeitszeit benötigte. 83 Der Architekturrahmen wurde ohne Karton in situ gezeichnet bzw. angelegt, weil es der übliche modus operandi war und so Unebenheiten des Untergrundes aufgefangen werden konnten. Beweis dafür sind die Korrekturen und Modifikationen der angelegten Einritzungen. 84 Charles Heath Wilson verweist darauf, dass der Anlage des Architekturrahmens eine große Arbeit und Überlegung, was die Berechnung der Maße angeht, vorausgegangen sein muss. 85 Die Lünetten entstanden ohne Kartons 86 und wurden außergewöhnlich schnell gemalt, sind zuweilen nur skizziert, verlieren dennoch nicht ihre Wirkung. 87 In der Summe ist festzustellen, dass bei der Wahl des Übertra-

Mancinelli, F.: Die wahren Farben, S. 232. Auch auf der Grundlage von Paolo Govio kommt Fabrizio Mancinelli zu diesem Befund. Das Gerüst ließ diese Arbeitsweise zu und war auch für diesen Zweck konstruiert, sodass der Meister den Idealabstand zur Decke finden konnte. Michelangelo selbst gibt in Form einer Karikatur und einem Sonett aus dem Jahr 1511 darüber Auskunft. Vgl. Harrt, F.: Michelangelo Drawings, Nr. 109, Text S. 87. 78 Vasari, G.: Michelangelo, S. 73. Nach Vasari wurde er zur Höchstleistung zu diesem Sujet angetrieben. 79 Tolnay, C. d.: Michelangelo – The Sistine Ceiling (Bd. II), S. 196. (Folgen zitiert: Tolnay, C. d.: Michelangelo II) Charles de Tolnay führt auf, dass noch wenige Zeichnungen von der Sixtina vorhanden sind, die sich aus schnell erstellten Zeichnungen, Studien von Körpern und Köpfen zusammensetzen. Viele Zeichnungen hat Michelangelo im Laufe seines Lebens selbst vernichtet. Vg. ebd., S. 196. 80 Wallace, W.: Discovering, S. 92. Weniger als 50 Zeichnungen, die mit der Decke in Verbindung gebracht werden, sind heute nur noch erhalten. Die Frage ist, wie viele Zeichnungen Michelangelo davon selbst vernichten ließ oder sie schlicht verloren gegangen sind. Michael Hirst verfasste dazu in seinem Werk „Michelangelo and his drawings“ ein Kapitel namens „Survival and Destruction“. Er geht davon aus, dass die meisten Zeichnungen vom Meister selbst zerstört wurden, da er sein Werk schützen wollte: „The artist’s self-protectivness about his drawings may have been provoked, in part, by the appearance of his own inventions in the works of other artists.“ Vgl. Hirst, M.: Michelangelo and his drawings, S. 18. Carmen Bambach weist ebenfalls darauf hin, dass Michelangelo nahezu eifersüchtig über seine Arbeit bzw. Entwürfe wachte. Vgl. Bambach, C.: Vasari on Michelangelo’s „Gelosie delle Figure“ and the destruction of his drawings, S. 139. 81 Mancinelli, F.: Michelangelo’s Working Technique and Methods on the Ceiling of the Sistine Chapel, S. 17. (Folgend zitiert: Mancinelli, F.: Michelangelo’s Working Technique and Methods). 82 Ein detailliert angefertigter Karton wird perforiert und mit einem Kohlesäckchen betupft, dass auf dem Putz Orientierungspunkte bzw. -linien entstehen. Vgl. Colalucci, G.: Die Deckenfresken, S. 32. 83 Mancinelli, F.: Michelangelo’s Working Technique and Methods, S. 18. Für die indirekte Ritzung reichten flüchtige Entwürfe, die durch die grobe Markierung dem Künstler mehr Freiheit ließen. Vgl. Colalucci, G.: Die Deckenfresken, S. 32. 84 Mancinelli, F.: Michelangelo’s Working Technique and Methods, S. 20. Vgl. Colalucci, G.: Die Deckenfresken, S. 33. 85 Wilson, C. H.: op. cit., S. 132. 86 Colalucci, G.: Die Deckenfresken, S. 29. 87 Mancinelli, F.: Die wahren Farben, S. 242. Technisch nutzte Michelangelo die traditionelle Buon-fresco-Technik, um häufiger zu skizzieren oder im unfertigen Bereich zu verweilen. Die Lünettenbilder wurden nach ihm ohne Kartons direkt und zügig auf die Wand gemalt. Fabrizio Mancinelli bestätigt seinen Befund in seinem Werk über die Restaurierung der Sixtina. Exemplarisch sei hier die Salmon-Booz-ObethLünette genannt, die keine Spuren des Gebrauchs eines Kartons aufweist und eine schnelle Arbeitsweise bestätigt. Vgl. Mancinelli, F; Colalucci, G.: Michelangelo: The Sistine Chapel – The Restoration of the Ceiling Frescoes, S. 116. 77

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Die Sixtinische Kapelle

gungsweges der Kartons-Spolvero-Technik oder

Ritzung keine signifikante Aussage zu machen ist, sondern sie variierte. 88

4.6 Der Unternehmer und seine Assistenten Die Ausmalung der Decke forderte Michelangelo erstmalig in unternehmerischer Hinsicht. Er selbst verfügte nicht über eine Werkstatt und bedurfte für dieses Mammutprojekt der Unterstützung. Er war sich bewusst, dass er dies nicht allein bewältigen konnte und wollte 89, wofür mehrere Tatsachen sprachen: Er selbst definierte sich als Bildhauer. Seit seiner Ausbildung bei Ghirlandaio hatte er nicht mehr freskiert und verfügte über wenig Erfahrung. Das Deckengewölbe umfasste ca. 1000 Quadratmeter. Die Gestaltung würde Disziplinen wie Maurer, Putzer und Farbenreiber benötigen. Am 11. Mai 1508 schloss er einen Vertrag mit Piero Rosselli, der als Maurer die Vorarbeiten, z. B. den Putz für die Fresken aufbringen und das Gerüst errichten sollte. Für seine Tätigkeit erhielt er zwischen Mai und Juli 1508 85 Golddukaten. 90 William Wallace ordnet die Bezahlung für Rosselli als sehr hoch ein, woran die Wertschätzung dieses Handwerkers erkennbar werde. 91 Am 13. Mai orderte Michelangelo qualitativ hochwertiges Azurblau (d’azzuri) bei Jacopo di Francesco in Florenz. In

dieser Bestellung äußerte er erstmalig, dass er etwas hier (in Rom) zu malen habe. 92. Die Quellenlage lässt die Schlussfolgerung zu, dass Michelangelo zügig weitere Planungsschritte unternahm und in der Folge eine Gruppe von erfahrenen Künstlern nach Rom holte. 93 Er griff auf sein florentinisches Netzwerk von Malern zurück, das z. T. aus langjährigen Freunden bestand. 94 Die Grundlage seines Vertrauens in diese Männer waren Landsmannschaft und Freundschaft und bildete für ihn neben der benötigten Hilfe eine Konstante, vermutlich sogar ein Stück Heimat in der Fremde. Beide Seiten konnten so voneinander profitieren: Ablieferung verlässlicher Arbeit und Qualität (Michelangelo), Mitarbeit und Verdienst an einem prestigeträchtigen Auftrag (Garzoni). Vasari nennt die Männer „Malerfreunde“, die Michelangelo helfen und ihm die Technik der Freskomalerei erneut zeigen sollten. Namentlich werden Francesco Granacci, Giuliano Bugiardini, Jacopo di Sandro, Jacopo dell’Indaco (il Vecchio) 95, Agnolo di Donnino und Aristotile genannt. 96 Die Rekrutierung dieser Florentiner Män-

Colalucci, G.: Die Deckenfresken, S. 33. Im zweiten Teil des Gewölbes kam mehr die Technik der Ritzung zum Einsatz. Vgl. ebd., S. 33. Gianluigi Colalucci verweist darauf, dass Michelangelo auch Korrekturen (pentimenti) vornahm, um die Proportionen der Figuren zu korrigieren. Vgl. ebd., S. 34. 89 Beide Biographen berichten davon, dass Michelangelo sich gegen diesen Auftrag sträubte. Dies kann ein Indiz dafür sein, dass er sich dieses Projekt nicht allein zutraute. Er selbst habe wenig Erfahrung mit Farben gehabt, und die Ausmalung eines Gewölbes sei ein schwieriges Unterfangen, so die Biographen. Stattdessen habe er Raffael vorgeschlagen. Vasari, G.: Michelangelo, S. 72. Condivi, A.: Michelangelo, S. 43. Dass Michelangelo Raffael ins Spiel bringt, könnte bedeuten, dass er auf das Intrigenspiel, in dem er sich wähnte, antworten wollte. In dem Brief an seinen Bruder Buonarroto vom 27. Juli 1508 sagt er ganz deutlich, dass er Gehilfen brauche, „perché io non posso star solo“. http:// www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=53&page=2&daAnno=&aAnno=&Mittente=&Destinatario=Buonarroti%20Buonarroto&Luogo_ Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 43, S. 46. 90 Bardeschi Ciulich, L.; Barocchi, P.: I Ricordi di Michelangelo Nr. III, S. 2. Rosselli erhält für seine Arbeit zehn Golddukaten. 91 Wallace, W.: Michelangelo’s Assistants in the Sistine Chapel, S. 219. (Folgend zitiert: Wallace, W.: Michelangelo’s Assistants.). 92 „Frate Iachopo, avendo io a fare dipigniere qua cierte cose, overo dipigniere, m’achade farvene avisato, perché mè di bisognio di cierta quantità d’azzurri begli;“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=47&daAnno=1508&aAnno=&Mittente=&Destinatario=&Luogo_Mitten te=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 41, S. 45. Granacci unterstützte, wie Christian von Holst darstellt, Michelangelo bei seinem Anliegen mit einem eigenen Brief vom 13. Mai 1508. Der genannte Autor geht davon aus, dass Granacci den besagten Frate besser kannte als Michelangelo. Holst, C. v.: Francesco Granacci, S. 15. Dokument Nr. 20, S. 213. 93 Über die „Garzoni“ Michelangelos liegen durchaus Forschungsbeiträge vor. Neueren Datums sind hier die Aufsätze von Fabrizio Mancinelli „Michelangelo: das Problem der Werkstatt“ und von William Wallace „Michelangelo’s Assistants in the Sistine Chapel“. Älteren Datums seien hier Beiträge von Giovanni Papini und Ernst Steinmann in ihren Werken genannt. 94 Mit Freundschaft wurde auch die Erwartung gegenseitiger Nützlichkeit verbunden. Vgl. Reinhard, W.: Freunde und Kreaturen, S. 37–38. 95 Jacopo L’Indaco war auch ein Schüler Ghirlandaios, der mit Pinuricchio in Rom gearbeitet hatte und pflegte einen vertrauten Umgang mit Michelangelo. Michelangelo mochte gerade bei Tisch dessen Dasein als Spaßmacher. Vgl. Vasari, G.: Le Vite de piú Eccellenti Pittori Scultori e Architettori Bd. III, S. 679–680. (Folgend zitiert: Vasari, G.: Le Vite). 96 Vasari, G.: Michelangelo, S. 74–75. William Wallace verweist darauf, dass sich hinter „Aristotile“ Bastiano da Sangallo, ein talentierter Kolorist und 88

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ner kann als Verlangen Michelangelos nach verlässlichen Mitarbeitern 97 und als Reaktion auf die von den Biographen berichtete Intrige Bramantes 98 gedeutet werden. Auch hatten hochrangige Frescanti aus Florenz bereits die Wände der Sixtina ausgemalt, mit denen Michelangelo Stand halten musste. 99 Charles de Tolnay hält es für charakteristisch, dass Michelangelo kein großes Vertrauen in die römischen Maler hatte und den Florentinern den Vorzug gab, da Florenz die Stadt der großen Freskotradition war. 100 Antonio Forcellino äußert, dass Michelangelo das römische Pflaster als gefährlich einstufte, von dem er Abstand hielt und sich deshalb hier keine Mitarbeiter suchte. 101 Fabrizio Mancinelli misst der Tatsache, dass diese Männer Freunde Michelangelos waren, eine entsprechende Bedeutung zu. 102 Der Künstler wollte sicher gehen, dass der Auftrag gelingt, und griff mit Francesco Granacci 103 auf einen langjährigen, verlässlichen und ihm wohlgesonnenen Freund zurück, der ihm

wichtige Arbeiten abnahm 104, eine Zeitersparnis für Michelangelo, die er in die Entwürfe investieren konnte. Wie die anderen Malerfreunde auch war Granacci sehr an dem prestigeträchtigen SixtinaProjekt interessiert, da es selbst für die Assistenz Ehre und Ruhm einbrachte. 105 Francesco Granacci hatte wie Michelangelo bei Ghirlandaio seine Ausbildung absolviert, galt unter den Lehrlingen als der Beste und arbeitete auch an der Ausmalung der Hauptchorkapelle in Santa Maria Novella mit. 106 Christian von Holst zeigt in seiner Granacci-Biographie, dass der Kontakt zwischen Michelangelo und Granacci für die zweite Hälfte des ersten Jahrzehnts im 16. Jahrhundert belegbar ist. 107 Aufgrund dieser langjährigen Bekanntschaft ist erklärbar, dass Michelangelo gerade auf Granacci zurückgriff, was vermutlich schon früher als 1508 geschah. Er traute ihm, verband durchweg positive Erfahrungen mit ihm und sah in ihm seinen früheren Unterstützer. Die Ricordi belegen, dass Granacci mit finanziellen

Architekten aus dem Sangallo-Clan verbirgt. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo’s Assistants, S. 220. Die Malergruppe gehört bis auf Aristotile mit 27 Jahren fast zur gleichen Generation. Granacci war ca. 39 Jahre, Burgiadini war 33 Jahre, Jacopo dell’Indaco war 32, Donnino war ca. 42 und Jacopo di Sandro war 45 Jahre alt. William Wallace nennt in seinem Aufsatz alle Eckdaten der besagten Künstler. Fabrizio Mancinelli sieht u. a. in dem nahezu gleichen Alter den Grund für die Geschlossenheit der Gruppe. Vgl. Mancinelli, F.: Michelangelo: das Problem der Werkstatt, S. 48. (Folgend zitiert: Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt). 97 In dem Brief an seinen Bruder Buonarroto vom 29. Juli 1508 äußert Michelangelo, dass es schwer sei, vertrauenswürdige Männer zu finden: „e anche non si truova di chi fidarsi“. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=53&page=2&daAnno=&aAnno=&Mittente=&Destina tario=Buonarroti%20Buonarroto&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Charles de Tolnay geht davon aus, dass Michelangelo kein Vertrauen in die römischen Maler hatte, da Florenz über die größere Freskotradition und somit über die besseren Maler verfügte. Tolnay, C. d.: Michelangelo II, S. 113. Das wird allerdings nicht der Hauptgrund für die Auswahl dieser Männer gewesen sein. 98 Condivi, A.: Michelangelo, S. 43. Vasari, G.: Michelangelo, S. 72. Vasari berichtet, dass Bramante und Raffael Julius II. überredet hätten, vom Grabmal abzulassen und Michelangelo mit der Ausmalung der Sixtina zu betrauen. Ziele seien gewesen, Michelangelo von der Bildhauerei abzuhalten, ihn als Maler im besten Fall zu diskreditieren oder zumindest Zwietracht zwischen Michelangelo und Julius II. zu säen. 99 Papini, G.: Michelangiolo, S. 200. 100 Tolnay, C. d.: Michelangelo II, S. 113. Charles Hill Morgan verweist darauf, dass die Maler Roms aus allen Regionen Italiens stammten und unterschiedliches Ausbildungsniveau hatten. Die Florentiner hatten hingegen einen langzeitigen freskotechnischen Background. Vgl. Morgan, C. H.: The Life of Michelangelo, S. 86. 101 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 115. 102 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 48. Siehe Fußnote 58. 103 Über Francesco Granacci hat Michelangelo Kontakt zur Werkstatt Ghirlandaios bekommen. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 33–34. Condivi stellt Granacci als Talentförderer Michelangelos vor. Condivi, A.: Michelangelo, S. 11–12. Von Condivi wird Ghirlandaio deutlich abgewertet und Granacci aufgewertet. In der Granacci-Vita bestätigt Vasari, dass Granacci Michelangelos Wert erkannte. Hier verweist er auf die Verbindung zwischen Michelangelo und Granacci. „di maniera che Michelagnolo fu forzato amarlo sopra tutti gli altri amici, ed a confidar tanto in lui, che a niuno, più volentieri che al Granaccio, conferì mai le cose nè comunicò tutto quello che allora sapeva nell’arte.“ Vasari, G.: Le Vite Bd. V, S. 340. 104 Granacci, Burgiardini und Michelangelo waren in jungen Jahren gemeinsam in der Werkstatt Ghirlandaios tätig, freskierten den Chor in Santa Maria Novella und machten ihre Studien im Garten von San Lorenzo. Wallace, W.: Michelangelo’s Assistants, S. 219. 105 Papini, G.: Michelangiolo, S. 200–201. 106 Vasari, G.: Le Vite Bd. V, S. 340. Christian von Holst widmet Granacci eine eigene Biographie, die durch Dokumente unterfüttert wird. Er weist u. a. nach, dass Granacci in unmittelbarer Nachbarschaft zu Michelangelo im Viertel von Santa Croce in der Via Ghibellina lebte. Granacci gehörte auch der Kommission an, die über den Aufstellungsort des David entscheiden sollte. Holst, C. v.: op. cit., S. 14. Dieser Künstler orientierte sich an Michelangelos Werk, worauf Cristina Acidini Luchinat hinweist, da Granacci in seiner Beweinung, heute im Museo Diocesano di Santo Stefano al Ponte in Florenz, dieselbe Stimmung und Gestik verwendet wie Michelangelo bei seiner römischen Pietà. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 66. 107 Holst, C. v.: op. cit., S. 14.

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Die Sixtinische Kapelle

Aufgaben betraut wurde 108, was für Michelangelos Vertrauen in diesen Mann sprach. Einem Brief Granaccis an Michelangelo ist zu entnehmen, dass er als Agent Maler rekrutieren sollte. Die Datierung des Briefes fällt in der Forschung uneinheitlich aus 109, was allerdings für die Bedeutung des Projektes von Belang wäre. Der von Paola Barocchi und Renzo Ristori gesetzte 31. März 1508 wäre ein früher Termin, der mit dem 27. März, dem Tag der Kontoeröffnung in der römischen Baldinucci Bank 110, korrespondieren und gleichzeitig bedeuten würde, dass Michelangelo schon Monate vor dem offiziellen Vertragsabschluss, von dem die Forschung nur durch die Ricordi weiß, tätig geworden wäre. Vermutlich gab es schon Absprachen oder Korrespondenz mit Granacci über das Projekt, die heute nicht mehr belegbar sind. Granacci war autorisiert, mit den Künstlern zu verhandeln, deren Namen Vasari später auch nennt. 111 Seine Tätigkeit war von Erfolg gekrönt, da bereits im April 1508 fünf Malergesellen („garzoni dell pittura“) von Florenz nach Rom gerufen wurden und ein Gehalt von 20 Dukaten empfangen sollten. 112 Nach Christian von Holst war Granacci auch derjenige, der die

Aufstellung des Gerüsts und weitere vorbereitende Arbeiten überwachte. 113 Laut Charles de Tolnay war Granacci wohl nicht an der Ausmalung beteiligt. 114 Fabrizio Mancinelli vertritt einen anderen Standpunkt und vermutet aufgrund des hohen technischen Niveaus in der Sintflut-Szene, dass gerade Granacci und Bugiardini hier mitarbeiteten, da sie zu den Talentiertesten der Gruppe gehörten. 115 Die Vermutung von William Wallace, dass diese beiden Maler die Spitze der Malergruppen bildeten, würde Fabrizio Mancinellis Aussagen unterstützen. 116 Giuliano Bugiardini absolvierte ebenso seine Lehre bei Ghirlandaio und assistierte bei der Anfertigung der Altartafel in Santa Maria Novella. Vasari betont zu Beginn der Bugiardini-Vita, dass Michelangelo und Bugiardini eine lange Freundschaft verband und Michelangelo ihn sehr mochte. 117 Bugiardini wird als Künstler beschrieben, der sich beim Malen Mühe gab, mit Sorgfalt arbeitete und seine Kunst liebte. 118 Michelangelo bezeichnete ihn als einen Glücklichen, da er (Bugiardini) mit seinem Können bzw. Wissen zufrieden war, was für Michelangelo nicht galt. 119 Vasari lässt Mariotto Albertinelli feststellen, dass Bugiardini sorgfältig nach Vorlagen arbeitete

Bardeschi, Ciulich, L.; Barocchi, P.: I Ricordi di Michelangelo Nr. III, S. 2–3. Granacci bezahlt Rosselli für seine Arbeiten. Granacci selbst war 1504 Schatzmeister der Compagnia die San Luca in Florenz, was für seine Integrität spricht. Holst, C. v.: op. cit., S. 14. 109 Die Forschung gibt für die Abfassung dieses Briefes unterschiedliche Daten an. Barocchi und Ristori datieren den Brief auf den 31. März 1508. Vgl. https://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=46&daAnno=1508&aAnno=&Mittente=Granacci%20Francesco&Destinatario=&Luogo_ Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Christian von Holst datiert ihn auf einen Montag, den 3., 10. oder 17. April 1508. Vgl. Holst, C. v.: op. cit., Dokument Nr. 19, S. 213. E. H. Ramsden datiert den Brief auf den 29. Juli 1508. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 43, S. 46. Gaetano Milanesi legt den Brief auf den 31. Juli 1508. Vgl. Milanesi, G.: Le Lettre di Michelangelo, S. 94. Charles Seymour gibt im Dokumententeil den 8. August 1508 an. Vgl. Vgl. Seymour, C.: Michelangelo – The Sistine Chapel Ceiling, S. 105. Ernst Steinmann datiert den Brief auf den 5. August 1508. Vgl. Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 703, Dokument Nr. 27. Charles Heath Wilson datiert den Brief auf den 24. Juli 1508. Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 125–126. 110 Hatfield, R.: The Wealth, S. 22 und S. 373. 111 Buggiardini und Jacopo L’Indaco wollten sowohl eine Vorkasse als auch eine Vertragssicherheit, während Pietro Basso wohl schon zugesagt hatte. Granacci schlägt Agniolo Donnino als weiteren Maler vor, der seinerseits für seine Fresken gelobt wurde. Es ist annehmbar, dass Michelangelo eine klare Vorstellung hatte, wer zu seiner Equipe gehören sollte, da Granacci z. B. von „vostro Piero Basso“ spricht. Granacci Brief vom 31. März 1508 „ma un par d’Agniolo Doninno per in frescho é vantaggiato“. www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=46&daAnno=&aAnno=&Mittente= Granacci%20Francesco&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 112 Bardeschi Ciulich, L.; Barocchi, P.: I Ricordi di Michelangelo Nr. I, S. 1. 113 Holst, C. v.: op. cit., S. 15. 114 Tolnay, C. d.: Michelangelo II, S. 114. 115 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 52–53. 116 Wallace, W.: Michelangelo’s Assistants, S. 205. 117 Vasari, G.: Le Vite Bd. VI, S. 201. „(…) prese amicizia e tanta stretta familiarità con Michelagnolo Buonarroti, che poi fu sempre da lui molto amato“. 118 Vasari, G.: Le Vite Bd. VI, S. 202. 119 Vasari, G.: Le Vite Bd. VI, S. 202. „(…) onde Michelagnolo usava di chiamarlo beato, poichè parea si contentasse di quello che sapeva; e sè stesso infelice, che mai di niuna opera pienamente si sodisfaceva“. Land untersucht in seinem Artikel über Giuliano Bugiardini den nahezu lebenslangen Kontakt zwischen Michelangelo und Bugiardini und kommt u. a., basierend auf den Quellen, zu dem Befund, dass Michelangelo Bugiardinis Charakter bewunderte, da er selbst mit allem zufrieden war, was er machte. Michelangelo habe aber nicht dessen Kunst bewundert. Vgl. Land, N. E.: Michelangelo’s Shadow: Giuliano Bugiardini, S. 3. Norman E. Land kommt zu dem Schluss, folgt man den Viten, dass Bugiardini genau das 108

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Der Unternehmer und seine Assistenten

und dabei nicht um ein Haar abwich. 120 Später arbeitete Bugiardini als selbstständiger Künstler. 121 Das sorgfältige Arbeiten nach Vorlagen wird Michelangelo nicht unbekannt gewesen sein. Genau für diesen Zweck brauchte er vermutlich Bugiardini. Nach Fabrizio Mancinelli mussten die Künstler während ihrer Assistenz in der Sixtina auf ihren eigenen Stil verzichten, nach dem Stil Michelangelos malen und sich der stilistischen Identität des Meisters unterwerfen. 122 In diesem Kontext stellt Fabrizio Mancinelli berechtigt heraus, dass die Stiluntersuchungen der Fresken keine sicheren Rückschlüsse auf einzelne Garzoni zulassen. 123 Neben den genannten fünf Garzoni waren weitere Maler beteiligt, die wie im Fall des Giovanni Michi Anfragen stellten, ob sie bei dem Projekt behilflich sein dürften. 124 Neben den Florentiner Malern waren zwei Maler aus der Reggio Emilia in der Sixtina tätig. William Wallace kommt so insgesamt auf dreizehn Assistenten, die unterschiedlich lang in der Sixtina ihren Dienst versahen. 125 Fabrizio Mancinelli geht davon aus, dass die Gesellen bis Ende 1509 mit auf dem

Gerüst waren, was die Arbeit im ersten Drittel der Kapelle preisgibt. 126 Von der Erschaffung Evas an schränkte Michelangelo die Arbeit der Garzoni deutlich ein und übertrug ihnen nur noch wenige wichtige Aufgaben. 127 An den Tondi und den vorgetäuschten Throne setzte Michelangelo wohl weniger begabte Gesellen ein. 128 So hält Fabrizio Mancinelli eine Mitarbeit der Gesellen an den Ignudi, Propheten und Sibyllen, was die künstlerische Anlage und die Größe der Figuren beweist, für unwahrscheinlich. 129

4.6.1 Bestandsaufnahme der Kollaboration anhand der Sintflut Dennoch muss den Gesellen vermutlich eine höhere Bedeutung beigemessen werden, als die Forschung bisher erfasste, auch wenn schon Untersuchungen zu diesem Bereich vorliegen. 130 Der Sinn dieses Exkurses besteht in einer kurzen Untersuchung, ob und inwiefern eine mögliche Wechselwirkung zwischen der Arbeit des Meisters und sei-

Gegenteil von Michelangelo war. Während Michelangelo seinem Genius folgte, brauchte Bugiardini immer Anstöße oder Vorlagen von außen. Vgl. ebd., S. 15. 120 Vasari, G.: Le Vite Bd. VI, S. 203. 121 Vasari, G.: Le Vite Bd. VI, S. 203. Später fertigt er auch ein Porträt von Michelangelo an, von dem Vasari berichtet. Vg. ebd., S. 206. Joseph Archer Crowe und Giovanni Battista Cavacaselle kamen zu dem Befund, dass Bugiardini nicht nur Dünkel hatte, sondern Michelangelo wie ein Schatten in den frühen 30 Jahren des 16. Jahrhunderts folgte, um sich in dessen Glanz zu sonnen. Vgl. Crowe, J. A.; Cavacaselle, G. B.: A History of Painting in Italy, Vol VI, S. 118. 122 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 51. Michelangelo folgte hier vermutlich dem Beispiel seines früheren Meisters Ghirlandaio, da dieser ebenfalls den Stil und die Homogenität der hergestellten Werke, die aus seiner Werkstatt kamen oder von seinen Künstlern außerhalb der Werkstatt ausgeführt wurden, kontrollierte und verlangte. Vgl. Hirst, M.; Dunkerton, J.: The young Michelangelo, S. 85. Michelangelo verlangte absolute Gefolgschaft von seinen Assistenten, die seinem Brief vom 1. Februar 1507 an Buonarroto aus Bologna in einem anderen Kontext zu entnehmen ist. Er entließ einen Gehilfen, da er einen schlechten Charakter habe und nicht das tat, was er gesagt habe. „Lapo chacciai vai, perché eglié uno mal fagnione e chactivo, e non faceva el bisonio mio.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=14&daAnno=1507&aAnno=1507& Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=Buonarroti%20Buonarroto&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=& Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 123 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 49. 124 Giovanni Michis Brief vom 22. Juli 1508 enthält eine Anfrage auf Mitarbeit in der Sixtina für sich und einen Maler namens Raffaellino. Michi betont, dass er gerne für Michelangelo arbeiten würde. https://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=51&daAnno=1508&aAnno= 1509&Mittente=&Destinatario=Buonarroti%20Michelangelo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia= &cerca=cerca& Giovanni Michi wird in der Folge Piero Basso, der wegen Krankheit nach Florenz zurückkehren muss, ablösen. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo’s Assistants, S. 222. Vgl. Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 162. 125 Wallace, W.: Michelangelo’s Assistants, S. 209. Bei den weiteren Künstlern handelt es sich um Giuliano da Sangallo, Giovanni Trignoli, Pietro Urbano, Bernardino Zacchetti, die Wallace auflistet, hier aber nicht weiter vorgestellt werden sollen. Charles Heath Wilson betont, dass Michelangelo nicht eine Schule wie Raffael gründete, sondern zufällig mehrere Helfer um sich scharte, die nicht seinem Anspruch genügen konnten. Vgl. Wilson C. H.: op. cit., S. 132–133. Charles Hill Morgan spricht von „several assistants“ für die Sixtina. Vgl. Morgan, C. H.: op. cit., S. 86. Ludwig Goldscheider spricht von zahlreichen Helfern, die Hilfsarbeiten verrichteten. Vgl. Goldscheider, L.: Michelangelo – Paintings – Sculpture – Architecture, S. 12. 126 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 53. 127 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 54. 128 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 53. 129 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 53. 130 Exemplarisch soll hier der Aufsatz von William Wallace genannt sein. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo’s Assistents in the Sistine Chapel.

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Die Sixtinische Kapelle

ner Gehilfen bestand bzw. darauf hinzuweisen, und zwar anhand einer Figur der Menschengruppe auf dem Felsen rechts unter dem Zelt. In der Forschung herrscht Einigkeit darüber, dass die Sintflut zu den frühen Fresken der Decke zählt. 131 Beide Biographen beschreiben die Szene im Rahmen ihrer Vorstellung der Sixtinischen Decke. 132 Mehr als 60 Figuren bevölkern diese Fläche 133, die in 29 Tagwerken ausgemalt wurde. 134 Allerdings weist die Szene Stilunterschiede auf, für die es unterschiedliche Erklärungsansätze gibt. Für Fabrizio Mancinelli steht fest, dass die Felsen- oder Zeltszene aus der Werkstatt Michelangelos stammt. 135 Fredrick Harrt kommt zu dem gleichen Befund und bietet zu den Stilunterschieden jedoch zwei Erklärungsmöglichkeiten an. Erstens könnte Michelangelo die Szene selbst gemalt und anfänglich Schwierigkeiten mit der Freskotechnik gehabt haben. Zweitens könnte die Szene von seinen Gehilfen stammen, Michelangelo nur die Felsenszene als akzeptabel stehen ließ und den Rest neugestaltete. 136 Entscheidend für diesen Exkurs ist der kahlköpfige Alte mit Bart

im gelbgrünen Gewand in der Felsenszene. In ihm sieht Charled de Tolnay einen die Gruppe anführenden Patriarchen, der helfend seine Arme in Richtung des den Toten tragenden alten Mannes reckt. 137 Dieser nach rechts gewandte Patriarch ist aufgrund seiner Farbgebung die auffälligste Figur in dem Ensemble. Frederick Harrt fällt es trotz der guten technischen Ausführung schwer, die meisterliche Pinselführung eines Michelangelos u. a. auch an dieser Figur zu erkennen. 138 Es wäre denkbar, dass diese Figur aus der Hand eines Gehilfen stammt, vielleicht Granacci oder Bugiardini 139. Dieser alte Patriarch hat auffällige Ähnlichkeit mit dem Propheten Zacharias, was die äußere Erscheinung und die Farbe der Gewandung angeht. 140 Folgt man der Forschung, gehört die Zacharias-Figur, den Michelangelo traditionell über den Eingang der Kapelle plazierte, an den Beginn der Ausmalung. 141 Zacharias wird als Greis mit langem Bart, kurzgeschorenen Haaren dargestellt, der von sich aus nach links gewandt in einem Buch blättert. Für ihn scheint das lesende Forschen von Relevanz

Goldscheider, L.: Michelangelo – Paintings – Sculpture – Architecture, S. 12. Nach Ernst Steinmann gehört diese Szene an den Anfang der Deckenausmalung. Vgl. Steinmann, E.: Michelangelo – Die Sixtinische Kapelle, S. 303. Hibbard, H.: Michelangelo, S. 132. Nach Fabrizio Mancinelli wurde diese Szene auf Grundlage der Restaurierung als erste gemalt. Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 51–52. Die Sintflut wird auch mit der Schlacht von Cascina in Verbindung gebracht. Vgl. Hibbard, H.: op. cit., S. 132. Wölfflin, H.: Die klassische Kunst, S. 58. Scheffler, L. v.: Michelangelo – Eine Renaissancestudie, S. 211. Nach Ludwig von Scheffler knüpfe die „Sündfluth“ mit ihrer Begeisterung für das Nackte an die „Badenden Soldaten“ an. 132 Condivi, A.: Michelangelo, S. 46. Vasari, G.: Michelangelo, S. 83. 133 Wallace, W.: Discovering, S. 102. Die Szene wurde in dreißig Teile zerlegt und gemalt. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 120. 134 Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. I, S. 114. Die Felsenszene entstand nach Frederick Hartt in den ersten sechs Tagen der Ausführung. Vgl. ebd., S. 114. Aufgrund einer Explosion im Pulvermagazin in der Engelsburg im 18. Jahrhundert fielen Teile des Freskos von der Decke. Vgl. Mariani, V.: Michelangelo – The Painter, S. 56. 135 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 53. Nach Fabrizio Mancinelli gilt dies auch für den Mann, der zur Felsengruppe den toten Jüngling trägt, und die Familie mit Esel links. Daraus schlussfolgert er, dass die gesamte Szenerie aufgrund der Uneinheitlichkeit von verschiedenen Malern angefertigt wurde. Vgl. ebd., S. 52–53. 136 Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. I, S. 114. In diesem Kontext wird darauf verwiesen, dass die Figur, die sich auf das Fässchen stützt, nicht von Michelangelo stammt, da sie nicht al fresco gemalt ist. Vgl. ebd., S. 130. Die Figur weist zudem einen anderen Stil und andere Proportion als Michelangelos Figuren auf. Ludwig Goldscheider ordnet die Figur „Mutter mit Kind“ im linken Bildvordergrund, basierend auf Biagio Biagetti und Deocleocio Redig de Campos, ebenfalls als Werk eines Gehilfen ein, der sklavisch seinen Vorlagen gefolgt sei. Vgl. Goldscheider, L.: Michelangelo – Paintings – Sculpture – Architecture, S. 12. 137 Tolnay, C. d.: Michelangelo II, S. 28. Dieter Schlesak nennt ihn auch einen „Patriarchen“. 138 Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. I, S. 130. 139 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 52. 140 Hier sei darauf verwiesen, dass Dieter Schlesak sich in der Bildmeditation zu der Dreiergruppe – Patriarch, Frau und Figur, die sich auf das Fässchen lehnt – wie folgt äußert: „Der Alte, fast ein Patriarch, Kahlkopf und Bart und grüner Umhang, als wäre es Zacharias, der den SOHN voraussah; als wär’s hier Parodie, er freut sich dem Toten entgegen. Und dann die Frau mit dem skurrilen Hut, changierend blau und purpurn ist ihr Kleid, streckt wie der Alte jubelnd ihre Hände aus, als käm’ ein Wunder mit der schönen Wasserleiche auf sie zu; ihr Mund ist offen, der Blick vergnügt.“ Vgl. Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. I, S. 130–131. Dieter Schlesaks Meditation ist nicht sonderlich nachvollziehbar, enthält aber den Vergleich mit Zacharias. In der Folge wird dieser kurz erwähnte Vergleich weder verfolgt noch untersucht noch dargestellt. Einzig und allein bleibt die Erwähnung des Zacharias übrig. Siehe Abb. 28: Auszug aus der Sintflut [S. 334] und Abb. 29: Der Prophet Zacharias [S. 335]. 141 Justi, C.: Michelangelo – Das Gewölbe der Sixtinischen Kapelle, S. 124. Steinmann, E.: Michelangelo – Die Sixtinische Kapelle, S. 347. Mariani, V.: op. cit., S. 64. Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. I, S. 51. Vasari verweist auch auf die Position des Zacharias, der für ihn von kräftiger Gestalt ist und wunderschöne Züge des Alters zeige. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 85. Der Prophet Zacharias wurde von der christlichen Kunst über dem Eingang von Gotteshäusern gesetzt, da sein Buch auf den Einzug Jesu in 131

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Der Unternehmer und seine Assistenten

und nicht das Sehen oder Hören. 142 Für Ernst Steinmann ist diese Figur Michelangelos der am wenigsten individuelle Prophetentyp, der als Gelehrter in seinem Studio dargestellt wird. 143 Für Charles de Tolnay symbolisiert Zacharias die intellektuelle Konzentration, die der spirituellen Verzückung vorangeht. 144 Henry Thode sieht in dem Propheten quasi einen Kirchenvater aufgrund seiner gefestigten Natur mit stoischem Gepräge 145, um einmal exemplarisch drei Interpretationsansätze vorzustellen. Es ist eine von der Forschung postulierte Tatsache, dass die Kartons zu den einzelnen Szenen der Sixtina von Michelangelo selbst stammen 146, womit die Ähnlichkeit zwischen den Figuren des Patriarchen und des Zacharias 147 klar ist. Die entscheidende Frage, die sich nun stellt, aber nicht mit Gewissheit zu beantworten ist, ist, was oder wer zuerst entstand: die Sintflut oder der Zacharias. Wenn ein Gehilfe nach Michelangelos Kartons den Patriarchen in der Felsenszene malte, hatte der Meister einen ersten Eindruck von der Umsetzbarkeit und der Wirkung seines Entwurfs. Vielleicht hat er seinen Zacharias entsprechend nach ihm gestaltet, indem er ihn in die andere Richtung ins Buch schauen lässt. Hypothetisch formuliert, sah er hier vielleicht seinen „Ur-Zacharias“, an dem er sich entwickeln oder an dem er sich orientieren konnte, da auch die Farbgebung relativ identisch ist. 148 Diese Aussagen sind aber nur unter der Prämisse zu sehen, dass die Felsenszene vor dem Zacharias gestaltet wurde. Johannes Wilde vertritt die Ansicht, dass der Prophet Joel vor dem Zacharias entstand,

womit die oben geäußerte Hypothese eine Stütze fände. 149 Fredrick Harrt attestiert Michelangelo in der Ausführung des Zacharias ein hohes technisches Niveau 150, was Johannes Wildes Aussage bestätigen könnte. Sollte Michelangelo, wie Frederick Harrt in einer seiner zweifachen Hypothese annimmt, die Felsenszene selbst gemalt haben, könnte dieser Patriarch ein Vorläufer des Zacharias gewesen sein. So hätte Michelangelo quasi von sich selbst gelernt. Kontrastiv dazu, soll hier aber die Meinung geäußert werden, dass die Figur des Patriarchen von der Hand eines Gehilfen stammt, da der Stilunterschied zum Zacharias zu signifikant erscheint. Dessen Kopfform und Gestaltung des Gesichtes differieren deutlich von den Partien des Zacharias, bei dem eindeutig der meisterliche Stil erkennbar ist und bei dem ein signifikant qualitativ höheres Gestaltungsniveau vorliegt als beim Patriarchen auf der Insel. Es ist aber grundsätzlich denkbar, dass die anfängliche Zusammenarbeit zwischen Meister und Gehilfen sich für Michelangelo als sehr gewinnend erwies, es vermutlich zu fruchtbaren Diskursen über die Anlage und Ausgestaltung der Bilder kam, die Michelangelo aufgrund seines guten und vertrauensvollen Verhältnisses speziell zu Granacci und Bugiardini zugelassen haben könnte. Somit hätten die Gehilfen einen doch nennenswerteren Anteil an der Entwicklung Michelangelos zu einem herausragenden Maler als bisher vertreten. Trotz der nachgewiesenen stilistischen Uneinheitlichkeit der Sintflut, deren Komposition Henry Thode als espisodenhaft und zerstückelt einordnet 151, kommt

Jerusalem hindeutet. Vgl. Vgl. Spahn, M.: op. cit., S. 29. Im Buch Sacharja gibt es den Hinweis auf den Einzug eines künftigen Königs Sach 9,9, was Matthäus in seinem Evangelium wieder aufnimmt, als er Jesu Einzug in Jerusalem schildert. Vgl. Mt 21, 4–5. 142 Kuhn, R.: Michelangelo – Die Sixtinische Decke, S. 50. Carl Justi kommentiert diesen Gestus als „Suchen im Labyrinth dieser Orakelsammlung“. Vgl. Justi, C.: Michelangelo – Das Gewölbe der Sixtinischen Kapelle, S. 124. Frederick Hartt sieht in dem Buch einen Hinweis auf das Neue Testament. Vgl. Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. I, S. 31. 143 Steinmann, E.: Michelangelo – Die Sixtinische Kapelle, S. 349–350. 144 Tolnay, C. d.: Michelangelo II, S. 48. 145 Thode, H.: Michelangelo und das Ende der Renaissance Bd. III, 1. Abteilung, S. 364. (Folgend zitiert: Thode, H.: Ende der Renaissance, Bd. I, II, III). 146 Hier sei exemplarisch auf Hugo Chapman verwiesen. Vgl. Chapman, H.: op. cit., S. 120. 147 In den Uffizien in Florenz liegt eine Zeichnung von dem Kopf eines älteren Mannes vor, die Frederick Hartt als eine Studie des Zacharias-Kopfes für die Sixtina einordnet. Vgl. Harrt, F.: Michelangelo Drawings, S. 83 (Text), Tafel 85. Ludwig Goldscheider stellte in den 40er Jahren die These auf, die Uffizien-Zeichnung sei das Porträt von Julius II., das für den Kopf des Zacharias und den des Moses benutzt worden sei. Goldscheider, L.: The Paintings of Michelangelo, S. 17. 148 Dominierende Farben sind gelb und grün. Der Alte auf der Insel hat ein Gewand, bei dem die Farben kombiniert quasi ineinander übergehen bzw. durch den Faltenwurf getrennt sind. Beim Zacharias hingegen sind die Farben des Unterkleides und dem Gewand darüber getrennt. 149 Wilde, J.: Six Lectures, S. 76–77. 150 Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. I, S. 51. 151 Thode, H.: Ende der Renaissance Bd. III, 1. Abteilung, S. 332. Heinrich Wölfflin nannte die Komposition „bröcklig“. Vgl. Wölfflin, H.: Die klassische Kunst, S. 58.

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u. a. Carl Justi zu einem positiven Urteil: Er hält die Sintflut für das umfangreichste und kunstvollste Gemälde nach dem Jüngsten Gericht. 152

4.6.2 Zwischenresümee Michelangelo stellte seine Malerequipe sehr bewusst zusammen, da diese Männer ein perfektes Wissen über die Freskomalerei besaßen. 153 Mit ihrem nahezu technisch einheitlichen Niveau, das Qualität garantierte, wollte er das „Unternehmen Sixtina“ erfolgreich gestalten. 154 Sie würden erstklassige Arbeit leisten, die unter seinem Namen lief. Dazu nutzte er gegen Bezahlung das Können dieser Männer, rechnete aber mit einem klaren Preis-Leistungs-Verhältnis. 155 Bugiardini war ein erstklassiger Kopist, der alles nach Vorlagen malen konnte. 156 Granacci war, wie dargestellt, ein erfahrener Freskokünstler. Aristotile war sehr guter Kolorist und Architekt. 157 William Wallace vermutet, dass er überwiegend an der Scheinarchitektur gearbeitet hat, da Aristotile auch als Architekt arbeitete 158, was von Michelangelo eine clevere Einteilung gewesen wäre. Um Einheitlichkeit zu garantieren, fertigte Michelangelo, auch das setzt Fabrizio Mancinelli voraus, für dekorative Elemente (z. B. Schmuckbänder) akkurat ausgemalte Cartoni an. Er legte gerade hier auf die Uniformität des Dekors großen Wert, deren Einhaltung er selbst streng überwachte. Damit hatten die Gesellen keinen Spielraum für Eigeninitiative. 159 Die Restaurierung zeigt jedoch, dass

Michelangelo dieses Unterfangen nicht ganz gelang, da es nach Fabrizio Mancinelli erkennbare Unterschiede zwischen dem Meister und den Garzoni gerade im Hinblick auf den schöpferischen Duktus gebe, da erkennbar Einbußen in der Technik zu verzeichnen seien. 160 Fabrizio Mancinelli kam zu diesem Befund in unmittelbaren Kontakt mit den Fresken; ob das Auge des Betrachters aus 20 Metern Entfernung diese Einbußen wahrnehmen kann, bleibt sehr fraglich. Von daher hat Michelangelo sein Ziel erreicht. Er selbst trug zur Legendenbildung bei, da er Condivi nicht die Namen seiner Garzoni in die Feder diktierte. Condivi nennt Francesco Granacci, wie bereits dargestellt, zu Beginn der Biographie, würdigt ihn als Unterstützer Michelangelos bei seinem Bestreben, Maler zu werden. 161 Diese Würdigung ist eine späte Anerkennung für Granaccis Verbundenheit zu Michelangelo, verstarb er ja schon 1543. Vasari nennt zwar die Malerfreunde, nutzt aber im zweiten Schritt diese Künstler zwecks Netzwerkbildung um die Michelangelo-Vita, da einige der sogenannten Malerfreunde eine eigene kleine Vita erhalten.

4.6.3 Freskieren als Einzelleistung: Legendenbildung oder Lüge? Condivi verweist darauf, dass Michelangelo das Werk ohne jede Hilfe, selbst ohne Farbenreiber, in 20 Monaten vollendete, 162 was Vasari übernimmt. 163 Vasari verweist als einziger darauf, dass Michel-

Justi, C.: Michelangelo – Das Gewölbe der Sixtinischen Kapelle, S. 50. Ernst Steinmann nennt die Sintflut das „erste Weltgericht“. Vgl. Steinmann, E.: Ernst: Die Sixtinische Kapelle, S. 305. Im Weltgericht sieht man später wieder höchst alarmierte Menschen interagieren. 153 Tolnay, C. d.: Michelangelo II, S. 114. 154 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 48. 155 Der Maler Raffaelino del Garbo, den Giovanni Michi in seinem Brief vom 22. Juli 1508 erwähnt, bot seine Hilfe für zehn Golddukaten an, was Michelangelo nach Ernst Steinmann als zu hoch empfand, sodass Garbo nicht verpflichtet wurde. Vgl. Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 162. 156 Vasari, G.: Le Vite Bd. VI, S. 203. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo’s Assistants, S. 206. 157 Aristotile hieß Bastiano da Sangallo und war Mitglied des San-Gallo-Clans. Er studierte intensiv den Karton der Schlacht von Cascina und schuf davon eine kleine Kopie. Ridolfo Ghirlandaio war sein Freund und Mentor, von dem er die Gestaltung mit Farben lernte. Vasari, G.: Das Leben der Sangallo-Familie, S. 95. William Wallace bezeichnet ihn als den besten Koloristen der Malergruppe. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo’s Assistants, S. 206. 158 Wallace, W.: Michelangelo’s Assistants, S. 206. 159 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 51. Der Autor erhebt diesen Befund aufgrund der Untersuchung von dem Detail eines Schmuckbandes eines Pendentifs, an dem Einritzungen und Spuren der Spolvero-Technik zu sehen sind. Das Arbeiten nach Vorlagen weist William Wallace auch bei der Tätigkeit am Komplex von San Lorenzo nach. Vorlagen hätten Einheitlichkeit garantiert und den Meister von ständiger Kontrolle befreit. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo, S. 170 und S. 173. Fabrizio Mancinelli verweist beim Sixtina-Projekt darauf, dass Michelangelo hier noch stark kontrollierte. 160 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 51. Der Autor kommt gerade bei der Sintflut zu dem Befund, dass hier mehrere Maler am Werk waren. Vgl. ebd., S. 52. 161 Condivi, A.: Michelangelo, S. 10–11. 162 Condivi, A.: Michelangelo, S. 49–50. 163 Vasari, G.: Michelangelo, S. 75. 152

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Ideen zur Deckengestaltung

angelo zunächst Gehilfen gehabt habe, mit deren Arbeit er unzufrieden gewesen sei und sie aus der Kapelle ausgeschlossen habe. 164 Es ist nachweisbar, dass einige Gesellen Rom im November oder Dezember 1509 vorzeitig verließen, was Fabrizio Mancinelli als Anlass nimmt, die von Condivi und Vasari erwähnten 20 Monate zu erklären. Seine schlichte Rechnung stellt heraus, dass zwischen der Abreise der Gehilfen im November/Dezember 1509 und dem Entfernen des Gerüstes an Sankt Mariä Himmelfahrt im August 1511 knappe 20 Monate liegen. 165 Es ist daher anzunehmen, dass die Gesel-

len vermutlich bis Ende 1509 in der Kapelle waren, was eine komplette Eigenarbeit Michelangelos ausschließt. 166 Dennoch wird der Inhalt des allein arbeitenden Meister transportiert, der das Ziel verfolgte, eine Legende oder einen Mythos zu erzeugen. Antonio Forcellino geht an diesen Winkelzug zwecks Mythisierung mit härteren Bandagen heran und bezeichnet ihn schlicht als „Lüge“, auf der der Mythos des einsamen Genies basiere, das sich in heroischer Weise an die Decke geklammert habe, um das größte Fresko der Renaissance zu vollenden. 167

4.7 Ideen zur Deckengestaltung Einer Vollendung muss zunächst eine Idee vorausgehen, der die Ausgestaltung folgt. Zur Ausgestaltung der Decke existiert ein reichhaltiges Material, das hier nicht in extenso wiedergegeben werden soll. 168 Nach Charles de Tolnay war Michelangelo schon bei der Gegenstandswahl sowie der Anordnung der Fresken durch die Bilder der Quattrocentisten gebunden. An der Nordwand ist der Bilderzyklus der Mose-Geschichte 169 und an der Südwand der Bilderzyklus zur Geschichte Christi dargestellt. Die Menschheitsgeschichte sah man in beiden Zyklen einmal sub lege und einmal sub gratia. Um die ersten beiden Zyklen thematisch in Form von Darstellungen historischer Szenen zu vollenden, blieb

ihm nur die Menschheitsgeschichte ante legem, die Schöpfung. 170 Im Vorfeld dieser Festlegung existierte, folgt man Michelangelos Brief von Ende Dezember 1523 an Fatucci, ein Erstentwurf über die zwölf Apostel in den Lünetten, neben einer bestimmten Aufteilung von Feldern, die mit der üblichen Ornamentik ausgeschmückt werden sollten. Nach einer kurzen Diskussion über die Ärmlichkeit der Apostel, habe der Papst von seinem Ansinnen Abstand genommen, um ihm einen neuen Auftrag zu geben. Er könne machen, was er wolle und solle auch seine Malereien bis an die Historienbilder hinunter malen. 171 Eine ambitioniertere Darstellung wurde so erst ermöglicht. 172 Valerio Mariani liest

164 Vasari, G.: Michelangelo, S. 74–75. Vasari nennt die Namen Granacci, Giuliano Bugiardini, Jacopo di Sandro, ein älterer Indaco, Agnolo di Donnino und Aristotile. 165 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 55–57. 166 Mancinelli, F.: Das Problem der Werkstatt, S. 53. 167 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 125. 168 Exemplarisch seien hier verschiedene Werke zu diesem Thema genannt: O’Malley, J. W.: Das Mysterium der Deckengemälde. Harrt, F.: Lignum vitae in medio paradise – The Stanza d’Eliodoro and the Sistine Ceiling. Hatfield, R.: Trust in God. The Source of Michelangelo’s Frescoes on the Sistine Ceiling. Joost-Gaugier, C.: Michelangelo’s Ignudi, and the Sistine Chapel as Symbol of Law and Justice. Gordon Dotson, E.: An Augustian Interpretation Michelangelo’s Sistine Ceiling Part I u. II. Sinding-Larsen, S.: A re-reading of the Sistine Ceiling. Barolsky, P.: Metaphorical meaning in the Sistine Chapel. 169 Tolnay, C. d.: Werk und Weltbild des Michelangelo, S. 46. Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo II, S. 20. Vgl. Wilde, J.: Six Lectures, S. 56. 170 Tolnay, C. d.: Werk und Weltbild des Michelangelo, S. 46. Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo II, S. 20. Vgl. Wilde, J.: Six Lectures, S. 56. John O’Malley erläutert dies in seinem Aufsatz über die neue geheiligte Rhetorik. Den Haus- und Hofpredigern lag die Verkündigung des glückseligen Zustandes, den die Frohe Botschaft des Christentums in die Welt gebracht hatte, sehr am Herzen. Das Christentum wurde als das finale Zeitalter der menschlichen Geschichte angesehen: vor dem mosaischen Gesetz, unter dem Gesetz und im Zustand der Gnade. Die Prediger spannten den Bogen vom Anfang zum Ende, dass in der Menschwerdung Jesu Christi das vollendet werde, was in der Erschaffung Adams erstmalig offenbart worden sei, sodass das letzte Zeitalter im besonderen Maße Gottes Güte widerspiegle. Vgl. O’Malley, J. W.: Das Mysterium, S. 118. 171 Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 740 (Dokumente) „(…) missemi a dipignere la volta di Sisto, e facemo e patti tre mila ducati. E’l disegno primo di detta opera furono dodici Apostoli nelle lunette, e’l resto un certo partimento ripieno d’adornamenti, come si usa. Dipoi cominciata detta opera, mi parve riuscissi cosa povera, e disse al papa, come facendovi gli Apostoli soli mi parea che riuscissi cosa povera. Mi domandò perchè: io gli dissi, perchè furon poveri anche loro. Allora mi dette nuova commessione ch’io facessi cio ch’io volveo, e che mi contenterebe, e che io dipignessi insino alle storie di sotto.“ Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol. I, Brief 157, S. 149. 172 Hall, J.: Michelangelo and the Reinvention of the Human Body, S. 111.

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aus diesem Brief die Unzufriedenheit Michelangelos heraus, indem er durch seine Formulierung die zeitgenössische Ornamentik kritisierte. In letzter Konsequenz fällt das Ornament an der Decke entsprechend defensiv aus. Daneben stellt Valerio Mariani fest, dass Michelangelo seine Freiheit im Hinblick auf das Sujet und den zu malenden Raum betont. Der auszumalende Bereich der Flächen um die Fenster herum und die architektonischen Anteile der Decke seien mit einbezogen worden. 173 Des Weiteren führt er den Meinungswechsel des Papstes darauf zurück, dass Michelangelo an der Ornamentmalerei wohl Kritik geübt habe. Diese Aussage ist überlegenswert, da Michelangelo sich nicht in der Ornamentikmalerei ansiedeln lassen wollte. Eine stupide Arbeit wäre seiner Kreativität und seiner Passion für die Darstellung des bewegten menschlichen Körpers zuwidergelaufen. Aus diesem Grund mussten die Garzoni u. a. diesen Part übernehmen. So schlussfolgert Valerio Mariani in einem ersten Schritt, dass das Thema der Deckenausstattung aus den Gedanken und der Vorstellung Michelangelos hervorgegangen sei, nachdem der Papst ihn mit einem neuen Vertrag versehen bzw. ihm freie Hand gelassen habe. Später räumt er ein, dass die Komplexität des Themas und die Vielfalt vermutlich nicht auf ihn allein zurück gehe, auch wenn eine reichhaltige Dokumentation belege, dass Michelangelo freie Hand in der Gestaltung gehabt habe. 174 Volker Reinhardt spricht Michelangelo im gewissen Rahmen Gestaltungsfreiheiten zu, vertritt aber die Meinung, dass der Künstler eigenständige Bildelemente approbieren lassen musste. Er hält es grundsätzlich für undenkbar, dass man Michelangelo ohne theologisches Konzept für das wichtigste propagandistische Werk des Papstes hätte arbeiten lassen. In dem Freskenprogramm sieht er Hinweise auf den Hofprediger, Humanisten und

Augustinergeneral Egidio da Viterbo. 175 Antonio Forcellino vertritt ebenfalls diesen Ansatz, von Egidio da Viterbo als Berater, konstatiert dabei, dass Michelangelo in der Gestaltung darstellerische Freiheit erhalten habe. Egidio da Viterbo genoss als Papstberater hohe Reputation und war darum bemüht, die vorchristliche Tradition mit der katholischen Glaubenslehre in Einklang zu bringen. 176 John O’Malley untersucht in seinem Aufsatz ebenfalls die Herkunft eines potentiellen Ideengebers, schließt allerdings grundsätzlich nicht die Ideengeberschaft Michelangelos aus, da er über Bibelkenntnisse und deren Kommentare verfügte, von Savonarola in Florenz gehört, am Hof der Medici mit Humanisten und neuplatonischen Philosophen Umgang hatte, Dante kannte und schätzte und selbst ein Genie war. 177 Als mögliche Lösungsansätze für einen Ideengeber für das theologische Konzept nennt John O’Malley in der Folge Augustinus (De Civitate Dei), Bonventura (Der Lebensbaum), Egidio da Viterbo, Marco Vigorio, Savonarola und Sante Pagnini, einen Schüler Savonarolas, verweist aber gleichzeitig auf die inhaltlichen Vor- und Nachteile dieser Ansätze. Er stellt heraus, dass die Forschungsansätze, die nicht Michelangelos Urheberschaft favorisieren, die Annahme der theologischen Mehrdeutigkeit oder Mehrfachdeutung der Gestalten und Szenen in die Waagschale legen könnten, was als Grundlage für unumstritten gilt. 178 In der Folge favorisiert John O’Malley als theologischen Berater Egidio da Viterbo. 179 Die von verschiedenen Wissenschaftlern vertretene These über Egidio da Viterbo ist durchaus mit der bereits genannten Predigt da Viterbos vom 21. Dezember 1507 in St. Peter exemplarisch belegbar. 180 Der Hofprediger orientiert sich an dem Buch Jesaja, indem er im Eichenbaum ein Symbol für die Bedeutung der Erfüllung der Schrift und ein Zeichen für das

Mariani, V.: op. cit., S. 46. Mariani, V.: op. cit., S. 47. Howard Hibbard ist der Meinung, dass Michelangelo bei dem Entwurf vermutlich theologische Beratung genossen habe. Vgl. Hibbard, H.: op.cit., S. 105. 175 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 96. Volker Reinhardt bezweifelt, dass Michelangelo das theologische bzw. humanistische Wissen oder eine derartige Ausbildung besessen habe, um dieses Konzept zu erstellen. Vgl. ebd., S. 96. Esther Gordon Dotson postuliert dies ebenfalls und untersucht es in ihren Aufsätzen. Vgl. Gordon Dotson, E.: op. cit., S. 223 und S. 250 ff. James Hall vertritt, ohne einen Ideengeber zu nennen, die Meinung, dass Michelangelo keine „carte blanche“ erhalten habe. Vgl. Hall, J.: op. cit., S. 111. 176 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 116–117. 177 O’Malley, J. W.: Das Mysterium, S. 105. 178 O’Malley, J. W.: Das Mysterium, S. 107. 179 O’Malley, J. W.: Das Mysterium, S. 110. 180 O’Malley, J. W.: Fulfillment of the Christian Golden Age under Pope Julius II, S. 266–267. 173

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zu erwartende Glück sieht. 181 Der Eichenbaum wird als Quelle des Glaubens, unter dessen Schutz die Nationen wollten, benannt, der seinerseits die Pflicht habe, den Glauben zu verteidigen, Feinde zu besiegen und Frieden zu stiften, damit die Schrift erfüllt werden könne. Der Predigtschluss eröffnet die Aussicht, dass Julius II. für die Gläubigen die goldenen Früchte seiner Eiche und somit das Goldene Zeitalter erneuern werde. 182 Wenn Egidio da Viterbo der theologische Berater war, musste er auch die Heraldik der della Roveres bedacht und sie entsprechend gefordert haben. Die Eiche wird zum Leitmotiv, das später in der Kapelle bildhaft wird, aber vorab sprachlich in Erscheinung trat. Der Wiedererkennungseffekt beim späteren Betreten der Kapelle wird für Zeitgenossen zweifellos vorhanden gewesen sein. Durch ständiges Repetieren und den dauerhaften Einsatz der Heraldik werden sich die vorgestellten inhaltlichen Verbindungen eingeprägt haben. 183 Der propagandistische Effekt dieser Vorgehensweise wird von den Machern bewusst eingesetzt worden sein. Ein Konzept für die Gestaltung der Decke wird erstellt, ins Bild gesetzt, parallel dazu in die Rhetorik übernommen und verfestigt sich somit im Gedächtnis der Rezipienten. Die Person, in der diese Konzeption – Bild und Sprache – zusammengefallen sein könnte, wäre Egidio da Viterbo. Esther Gordon Dotson untersucht die Parallelen zwischen dem Geschriebenen, dem Gesprochenen und dem Dargestellten. Sie arbeitet Übereinstimmungen zwischen den Schriften des Augustinus, des Egidio da Viterbo und der Sixtina heraus. 184 Überdies nimmt sie an, dass Michelangelo und Egidio da Viterbo sich vermutlich seit

den 1490er Jahre in Florenz kannten. Egidio da Viterbo sei Mitglied literarischer und philosophischer Zirkel in Florenz gewesen, in denen Michelangelo eine geistesverwandte Richtung zu Beginn seiner Karriere gefunden habe. 185 Esther Gordon Dotson zeichnet schließlich eine Linie, dass sich Michelangelo und Egidio da Viterbo vermutlich – es existiert kein Dokument darüber – schon vor 1507 gekannt hätten; selbst wenn sich der Prediger und der Künstler erst 1507 getroffen haben sollten, hätten sie vermutlich schnell eine gemeinsame Richtung gefunden. 186 Egidio da Viterbo war, während die Decke geplant wurde, bereits in Rom und war sowohl Protegé als auch favorisierter Prediger des Papstes. 187 So äußert Esther Gordon Dotson berechtigt den Gedanken, bevor sie näher das Verhältnis von Egidio da Viterbo und Michelangelo untersucht, dass Michelangelo zwecks Realisierung des Kapellenprogramms einen Theologen konsultiert haben könnte. 188 Legt man ihre Gedanken zugrunde, könnte ein weiterer Beleg dafür existieren, dass Michelangelo auch hier nichts dem Zufall überließ und vermutlich in diesem Theologen einen guten Berater gefunden hatte. Sollte er ihn schon vorher gekannt haben, ist dieser Schritt möglich. Seine späteren Kontakte zu Vittoria Colonna oder den Spirituali zeigen, dass er eine Affinität für bestimmte Theologenkreise oder Charaktere besaß. Es ist nicht auszuschließen, dass Egidio da Viterbo in dieses Schema passte. Vermutlich wird es über die Darstellungsweise oder -vorstellungen zwischen Michelangelo und dem Chefideologen Planungsgespräche gegeben haben 189, die vermutlich unproblematisch oder gar sich gegenseitig beflügelnd verliefen, da es

Martin, F. X.: op. cit., S. 267 und S. 255. Martin, F. X.: op. cit., S. 282. Esther Gordon Dotson verweist in einer Bemerkung ebenfalls darauf, dass Egidio da Viterbo in diesem „Libellus“ das Symbol des Eichenbaumes entfaltet. Vgl. Gordon Dotson, E.: op. cit., S. 253. 183 Es wäre eine Untersuchung wert, ob und inwiefern in den Predigten des Egidio da Viterbo der Eichenbaum immer wieder thematisiert wird. Christiane Joost-Gaugier zeigt auf, dass der Eichenbaum als Familiensymbol der della Roveres eine prominente Stellung mit der Thronbesteigung Sixtus IV. einnimmt und fortan emblematisch auf Fresken, Miniaturbildern, Gebäuden erscheint, was Julius II. in seinem Pontifikat fortsetzt. Vgl. Joost-Gaugier, C. L.: op. cit., S. 22–23. 184 Zu Beginn ihres Aufsatzes verweist sie auf die Autorenschaft des Egidio da Viterbo, basierend auf Augustinus’ „De Civitate Dei“. Vgl. Gordon Dotson, E.: op. cit., S. 223. In der Folge vertieft sie ihren Ansatz, der hier nicht in extenso wiedergegeben werden soll. 185 Gordon Dotson, E.: op. cit., S. 251. Egidio da Viterbo studierte zusammen mit Marsilio Fincio in Florenz Philosophie. 186 Gordon Dotson, E.: op. cit., S. 251–252. Esther Gordon Dotson führt auf, dass da Viterbo schon Augustiner Eremit gewesen sei, als der Orden ein Altarstück bei Michelangelo während seines ersten Romaufenthaltes in Auftrag gegeben habe. Vgl. ebd., S. 251. 187 Gordon Dotson, E.: op. cit., S. 252. 188 Gordon Dotson, E.: op. cit., S. 250. 189 Wie bereits erwähnt, verweist Volker Reinhardt in seiner Michelangelo-Biographie darauf, dass Michelangelo Bildelemente approbieren lassen musste. Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 96. Es ist dennoch kaum vorstellbar, dass ein Michelangelo kommentarlos oder ohne Verhandlung seine Vorschläge akzeptieren oder verwerfen ließ. Er hatte für das Grabmal mit dem Papst selbst verhandelt und wird sich nicht von Chefideologen 181

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über potentielle Konflikte keine Quellen gibt. 190 John O’Malleys Annahme der Ideengeberschaft Michelangelos wäre mit diesem Ansatz in eingeschränkter Form und in einer kongenialen Verbindung Rechnung getragen, wie Esther Gordon Dotson es auch einordnet.

4.7.1 Geheiligte Rhetorik Eine kongeniale Verbindung basiert auf Begegnung, die Egidio da Viterbo durch seine rhetorische Fähigkeit leisten konnte, vermutlich den richtigen Ton beim Meister zu treffen. Hauptgeschäft des Hofpredigers war aber die Predigt. Die Predigt eines Egidio da Viterbo wie auch die anderer Renaissanceprediger war nach John O’Malley von einer neuen „geheiligten Rhetorik“ geprägt, die aus einer Verbindung der klassischen Rhetorik mit der „Verkündigung des Wortes“ der christlichen Mission entstanden war. 191 Die neue Rhetorik belebte den Panegyrikus 192 neu. Der Panygyrikus wird zusammen mit der für die Renaissance typischen Allegorik auf die Exegese angewandt, womit ein direkter Zugang zum Alten und Neuen Testament gelegt wurde. Da das Lob der Schwerpunkt des Panegyrikus war, kamen bestimmte theologische Größen in den Fokus. Es wurden die Güte und Erhabenheit Gottes, des Vaters, Christi und der Heiligen oder die Schöpfung zu würdigen Verehrungsobjekten. 193 In der Sixtina wurden entsprechend diese Verehrungsobjekte in Gottvater und der Schöpfung des Menschen buchstäblich ins Bild gesetzt. Der Schöpfungsgedanke wurde so auf die wichtigsten Elemente fokussiert: den Schöpfer und sein Geschöpf. Damit war auch eine weitere Grundlage geschaffen, die Zeit „ante legem“ an die Decke zu malen. Der Schöpfer nimmt die Hauptrolle ein, indem er sechs Mal in fünf verschiedenen Bildern erscheint. Michelangelo löste sich vom zweiten Gebot und wagte erstmalig, Gott in dieser Gestalt zu

malen. 194 Er zeigt ihn in neuer Manier, indem er den Schöpfer in verschiedenen Haltungen zeigt: von vorne, von hinten, von der Seite, schwebend, stehend, agierend, bändigend, ins Leben rufend, schaffend und sich durchsetzend. 195 Die Gottesdarstellung zeigt den gesamten Spannungsbogen der Göttlichkeit und deren Unbegreiflichkeit für den Menschen. Eine Hierarchisierung findet ebenfalls statt: der Mensch ist Gottes Schöpfung und rangiert – trotz seiner Ebenbildlichkeit – unter ihm. Michelangelo malt Gott in seiner Funktion als Schöpfer, zeigt ihn in seiner Schöpfungstätigkeit, kraftvoll, anthropomorph, steigert Gottes Wesen ins Ungeheure und nimmt ihm nichts von seiner Erhabenheit, woraus Walter Nigg schließt, dass Gottes Größe nicht gewaltiger dargestellt werden könne. 196 Unter seinen zum Teil dünnen Gewändern in der Erschaffung Adams ist seine kräftige, göttliche Statur zu erkennen. 197 Höhepunkt des Wagemuts der Darstellung Gottes ist Schau des göttlichen Gesäßes und der göttlichen Fußsohlen im Bild der Erschaffung von Pflanzen, Sonne und Mond. Eine solche Schau war vermutlich nur möglich, wenn Chefideologen ihr oder der Papst selbst sein Placet dazu gegeben hatten, was auf der Grundlage von John O’Malleys Untersuchung eigentlich keine Schwierigkeit dargestellt haben dürfte. Erhebt die Kirche oder der Papst den Universalanspruch auf die Schriftauslegung, die durch die „heilige Rhetorik“ eine andere Auslegung erhalten konnte, ist eine wagemutige Darstellung Gottes, will man sein Schöpferdasein preisen, möglich. Bleibt man in dieser Darstellung dem Genesisbericht treu und der Mensch wurde nach Gottes Ebenbildlichkeit geschaffen, muss Gott anthropomorph – auch mit Gesäß und Fußsohlen – darstellbar sein. Michelangelos Anthropologie gestaltete sich demnach in religiöser und künstlerischer Weise. Seine religiös geprägte Anthropologie stellt die Geschichte des Menschen in seine unmittelbare Beziehung zu

durchweg regiert haben lassen. Esther Gordon Dotson sieht Michelangelo auch nicht in der Rolle des passiven Empfängers von vorgeschriebenen Szenen. Vgl. Gordon Dotson, E.: op. cit., S. 254. 190 Über andere Konflikte berichteten die Biographen oder Michelangelo selbst. Exemplarisch sei die Flucht vom April 1506 genannt. 191 O’Malley, J. W.: Das Mysterium, S. 108. 192 Kunst der Lobrede auf herausragende Gestalten oder Gottheiten. 193 O’Malley, J. W.: Das Mysterium, S. 110. 194 Nigg, W.: Maler des Ewigen – Michelangelo, S. 134. 195 Nigg, W.: op. cit., S. 135. 196 Nigg, W.: op. cit., S. 135–136. 197 Condivi verweist grundsätzlich darauf, dass die anatomischen Kenntnisse der Kunst der Malerei und der Skulptur zuträglich seien. In den Gestalten Michelangelos würden Kunst und Wissenschaft stecken. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 75.

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Ideen zur Deckengestaltung

Gott. 198 Walter Nigg sieht in Michelangelos Darstellung sein Ringen mit Gott, von dem er sich entflammen ließ. 199 Gott ist für ihn der Schöpfer, der durch die Szene der Erschaffung Adams seinem Geschöpf die Seele einhaucht und so in die Lebendigkeit ruft. Erst in der Gemeinschaft mit Gott wird der Mensch lebendig und groß. 200 Die mit Sicherheit berühmteste Szene des Gesamtfreskos, in der sich nahezu die Finger des Schöpfers und des Geschöpfes berühren, lässt den Gedanken eines imaginären Funkens zu, der schon vor der Berührung überspringt. Der zündende Funke dürfte für Michelangelo ein nicht unbekanntes Phänomen gewesen sein, das er aus seiner kreativen Gedankenwelt kannte. Eine Idee entsteht, eine Vorstellung beginnt sich zu entwickeln, bis der Funke in die Klarheit überspringt, wie genau etwas realisiert werden soll. Vor der Realisation liegt aber ein kreativer Prozess. Walter Nigg geht davon aus, dass Künstler von Michelangelos Geistigkeit nichts aus Zufall taten und ihren Konzepten gründliche Überlegung zugrunde lagen. 201 Die entstandene Überlegung, die geistig schon manifest war, musste künstlerisch umgesetzt werden. Hier liegt vermutlich der Schlüssel, warum Michelangelo die Großfiguren alle selbst malte: Er wollte den Ausdruck seiner Gedankenwelt sicherstellen und dies weder delegieren noch einem Assistenten überlassen.

4.7.2 Künstlerische Freiheit für Michelangelo? Dass der Papst Michelangelo bei der Ausgestaltung bis zu einem gewissen Grad entgegenkam, ist auch mit der Praxis der Künstlerverträge erklärbar. Mit einem kurzen Blick auf die Vertragspraxis des Quattrocento ist es möglich, sich Michelangelos Auslegungspraxis bzw. Verständnis eines Vertrages

zu nähern. Die meisten Verträge des Quattrocento geben nicht präzise Auskunft über den Inhalt der angestrebten Arbeit. Häufig gab es auch nur mündliche Vereinbarungen. Selbst nach Abschluss eines Vertrages oder nach einer getätigten Absprache gab es Änderungen der Arbeit, die sich erst beim konkreten Vollzug manifestieren konnten. 202 Der Klient legte grundsätzlich das Grundmotiv zuweilen auch visuelle Aspekte der Arbeit fest, der Maler hingegen entschied über die Farben und die Komposition 203 und war nicht der passive Rezipient der durch den Klienten geäußerten Idee. Zwischen Klient und Maler sind gemeinsames Arbeiten an Motiven und ein Ideenaustausch über eine ungewöhnliche Ikonographie nachweisbar. 204 Der Erstellungsprozess eines Werkes war somit nicht statisch. 205 Was vertraglich genau festgelegt wurde, war das Material und die Handwerkskunst, und zwar „sua mano“ des Meisters. 206 Die Hand des Meisters war das entscheidende Element; er sollte besonders sorgfältig arbeiten, da sein Können gefragt war. Assistenten waren nur für unbedeutendere Partien wie das Beiwerk oder den Faltenwurf gewünscht. 207 Bezogen auf die künstlerische Gestaltung eines Werkes sind nach Michelle O’Malley beispielsweise mehr vertraglich detaillierte Absprachen für Altarbilder als für Fresken überliefert. 208 Für die Fresken der Sixtina gab es aufgrund des prominenten Ortes mit Sicherheit Absprachen, wie später noch zu zeigen wird. Michelangelo gelang es dennoch, sich hier den größtmöglichen Gestaltungsfreiraum zu (be-)schaffen. Er kannte die Vertragswelt und erkannte deren offenes und dynamisches Wesen, indem er sie für seine künstlerischen und finanziellen Zwecke benutzte. Später sollte er sich als versierter und gewiefter Geschäftsmann unter den Künstlern herausstellen, der so

Tolnay, C. d.: Werk und Weltbild des Michelangelo, S. 45. Nigg, W.: op. cit., S. 137. 200 Nigg, W.: op. cit., S. 139. 201 Nigg, W.: op. cit., S. 138. 202 O’Malley, M.: The Buisness of Art, S. 163. 203 O’Malley, M.: The Buisness of Art, S. 163–164. 204 O’Malley, M.: The Buisness of Art, S. 164. Michelle O’Malleys Darstellung liegen 238 von ihren untersuchten Verträgen zugrunde. Vgl. ebd., S. 1. Später äußert sie, dass 60 % der noch vorhandenen Verträge zwar das Sujet mit Figurenanzahl usw. nennen, es aber es nicht detailliert beschreiben und Bezug nehmen auf eine Zeichnung oder einen Prototyp. Die restlichen 40 % sind in dieser Hinsicht detaillierter gestaltet. Vgl. ebd., S. 164. 205 O’Malley, M.: The Buisness of Art, S. 251. 206 O’Malley, M.: The Buisness of Art, S. 251. 207 Thomas, A.: The painter’s practice in Renaissance Tuscany, S. 257–258. Anabel Thomas stützt ihre Aussagen auf die Untersuchung von Verträgen des 15. Jahrhunderts. 208 O’Malley, M.: The Buisness of Art, S. 164. 198

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sein enormes Vermögen akkumulierte. In der Sixtina wollte er sich von seinen großen Vorgängern absetzen und seinen eigenen Stil entwickeln, was er mit der herkömmlichen Aposteldarstellung nicht erreichen konnte. Daher ist der Diskussion mit dem Papst um die Aposteldarstellung durchaus Glauben zu schenken, die aufgrund seines Verständnisses von der Begegnung Mäzen und Künstler vonnöten war. Er erkannte seine gestalterischen Möglichkeiten in der Sixtina, die er zu seinen Gunsten umsetzen konnte. Auch wenn Michelangelo von der Terribilità eines Julius II. wusste, hatte er ihn auch buchstäblich entgegenkommend erlebt. Das Ergebnis eines vermutlichen „Erstkontaktes“ mit dem Papst bestand in einer Grabmalplanung. Die Besprechung eines Projektes war demnach mit ihm

möglich. Warum sollte dies nicht bei der Sixtina greifen? Das Argument der „Ärmlichkeit der Apostel“ ermöglichte Michelangelo den Hinweis, dass etwas Größeres und Repräsentatives für den Papst, der der Welt eine eindeutige Nachricht hinterlassen wollte, möglich war. 209 Auch wenn das Sujet Schöpfung approbiert wurde, hatte er freie Hand in der Gestaltung. Vorgelegte Zeichnungen, was auch übliche Vertragspraxis war 210, gaben den Herren im Vatikan einen Überblick, der Rest lag in der Hand des Künstlers. Nach dem Wechsel des Sujets und der Einigung mit dem päpstlichen Hof konnte Michelangelo Jahre später an Fatucci berichten, der Papst habe ihm freie Hand gelassen, die ihm die Möglichkeit eröffnete, der Decke noch eine andere Funktion zu geben.

4.8 Die Sixtinische Decke: Substitut für das Grabmal? Als Michelangelo im Jahr 1508 die Arbeit in der Sixtina beginnt, liegen Geschehnisse hinter ihm, die er nicht erwartet hatte. Nahezu visionär hatte das Grabmalprojekt begonnen, was ihm wieder entzogen bzw. temporär auf Eis gelegt wurde. Dieser Entzug bzw. die verzögerte Ausführung des Projektes werden für ihn eine nicht unerhebliche Frustration 211 dargestellt haben. Michelangelo war unter der Prämisse angetreten, ein Kunstwerk zu schaffen, das Architektur und Skulptur nicht nur fusio-

niert, sondern das skulpturale Werk zelebriert. Gleichzeitig wäre es ein Messen mit den antiken Vorbildern – den Mausoleen – gewesen, die er übertreffen wollte. Nach Johannes Wilde hat Michelangelo den Grabmalauftrag als den angemessensten seiner ganzen Karriere gesehen 212, dessen Entzug er vermutlich später als Schmach deutete. 213 Karl Brandi fasst Michelangelos Persönlichkeit treffend zusammen, wenn er schreibt, Michelangelo habe in Blöcken gedacht, habe sie geliebt, habe in ihnen ge–

Herrscher konnten über Kunstwerke den Bogen von der Legitimation ihrer Position bis hin zur Ihrer Frömmigkeit spannen, um der Welt bzw. Nachwelt zu zeigen, wer sie sind bzw. waren. Vgl. Paoletti, John T.; Radke, Gary M.: Art in Renaissance Italy, S. 15. 210 Baxandall, M.: Die Wirklichkeit der Bilder – Malerei und Erfahrung im Italien des 15. Jahrhunderts, S. 16. Laut Michael Baxandall waren Verträge zuweilen sehr präzise formuliert, während andere sprachlich offen gestaltet waren und nicht sehr in Detail gingen. In der Regel war die Zeichnung bindend. 211 Carl Justi ordnet dies ähnlich ein und spricht von einem „psychischen Anprall“ oder „Erschütterung“ durch den Entzug, der auch den „gesetztesten Charakter“ getroffen hätte. Vgl. Justi, C.: Michelangelo, S. 19. Ernst Steinmann geht soweit, die Ausmalung der Decke als Zumutung für Michelangelo zu bezeichnen. Vgl. Steinmann, E.: die Die Sixtinische Kapelle, S. 237. Man habe den Bildhauer an die Decke als Maler gebannt. Vgl. ebd., S. 232. Hermann Wolfgang Beyer kommentiert, dass Michelangelo aus einem Gedankenflug gerissen worden sei. Der Grabmalentzug sei eine große Enttäuschung gewesen. Vgl. Beyer, H. W.: Die Religion Michelangelos, S. 62. 212 Wilde, J.: Michelangelo – Six Lectures, S. 48. „There (in Rome) he was given the task which, in his own belief, was the most appropriate of his whole career (…).“ Ernst Steinmann sagt dazu: „Das Julius-Denkmal würde der Parthenon moderner Kunst geworden sein, und die zerstörten Schönheitsideale der Hellenen würden hier neue Gestalt gewonnen haben.“ Vgl. Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 237. 213 Brief an Giovan Simone vom 30. Juni 1509. Michelangelo versendet an seinen Bruder eine Drohbotschaft voller Konsequenzen bei weiterer schlechter Behandlung des Vaters und der Feststellung des Versagertums seitens des Adressaten. In einem Zusatz erzürnt er sich, dass er für die Familie seit zwölf Jahren Schmach erdulden und Leid/Mühe ertragen habe („sopportato ogni vergogna, partito ogni stento“) und warnt Giovan Simone eindeutig, ihn nicht weiter zu versuchen. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=67&daAnno=1509&aAnno=1509& Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=& cerca=cerca& „Vergogna und stento“ sind Ausdrücke, die vermutlich erst ab 1506 richtig in das Leben des erfolgsverwöhnten Meisters treten. „Vergogna“ bedeutet eindeutig Schmach. Die einzige Schmach zwischen 1497 und 1509 ist der Grabmalsentzug. „Stento“ wird von diesem Zeitpunkt an eher negativ konnotiert sein, da er ab 1506 nur noch Kunstwerke schuf, die nicht mit seinem Gewerk zu tun hatten. 209

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Die Sixtinische Decke: Substitut für das Grabmal?

dichtet, so wie er es auch mit der Körperlichkeit und den Tiefen getan habe. 214 Die Charakterisierung ist an das Medium Marmor gebunden, das ihm genommen wird. Stattdessen erhält er einen Auftrag, der die Seite von ihm fordert, die er nicht für seine bevorzugte erklärt: die Malerei. Dafür musste er auf den ersten Blick auf die „prima arte“, die Bildhauerei, verzichten. Mit dieser Hypothek und der unausgesprochenen Aufforderung nach einer Transformation beginnt er die Arbeit an der Decke, die ihn das Grabmal nicht vergessen lässt. Es kann konstatiert werden, legt man das Ergebnis zugrunde, dass die Decke einem Extrakt gleich aus dem Grabmalprojekt herausfließt und Michelangelo als Künstler nachhaltig veränderte. 215 Für das Grabmal waren ursprünglich 40 Marmorfiguren vorgesehen. Die Decke der Sixtina bietet eine gesteigerte Figurenanzahl von 343 Gestalten 216, die von der Forschung unterschiedlich kommentiert wird. Ludwig von Scheffler sieht in der Decke eine Entschädigung für das Juliusgrabmal. 217 Folgt man Hermann Wolfgang Beyers Gedanken des gestoppten Gedankenflugs vom Grabmal 218, kann dies in der gesteigerten Figurenzahl einen Ausdruck gefunden haben. Johannes Wilde formuliert es deutlicher und bezeichnet die Decke der Sixtina „as a substitute for the tomb“ 219. Ein Ersatz kann bedeuten, dass sie an die Stelle des Grabmalauftrages trat oder als Ersatz in Form einer Katharsis für das Grabmal oder als Adaption des Grabmales diente. So schlussfolgert Johannes Wilde bei seiner Auslegung über die Sixtina, dass die Malerei an der Decke die Arbeit am Grabmal unmöglich ge-

macht habe. 220 Sydney J. Freedberg vertritt eine ähnliche Position und deutet die Decke als eine Kompensation für den unerfüllten skulpturalen Auftrag. 221 Anton Springer sieht in der Decke ähnliche Figuren wie die im Grabmal vorgesehenen. Es liege eine unbestreitbare Verwandtschaft zwischen den Einzelgestalten oder Gruppen in der Sixtina und am Grabmal vor. 222 Karl Brandi bezeichnet das Deckengemälde mit seinem architektonischen Aufbau, den Figuren und Reliefs als ein „auseinandergeklapptes Grabmal“. 223 Ernst Steinmann bringt die Ignudi und die Bronzemedaillons mit dem Grabmal in Verbindung. Die ursprünglich geplanten Marmorfiguren seien in transformierter Gestalt an der Decke von einem trotzigen Prometheus realisiert worden. So streut Ernst Steinman seine Formulierungen über die Ignudi in verschiedene Richtungen, da er einerseits die Frage formuliert, ob die Ignudi nicht die Trümmer des Julius-Denkmals oder den Jünglingen am Papstdenkmal demselben Stamm entsprungen seien, die den Toten verherrlichen sollten. Andererseits betitelt er sie als Kinder des Zorns und der Liebe Michelangelos. 224 Der Ansatz von Ernst Steinmann ist nachvollziehbar, wobei die Formulierung „Trümmer“, legt man die Bedeutung von „Reste, Teile, Bruchstück, Ende, Stück, Teil“ zugrunde, diesen Sachverhalt durchaus einfängt 225, aber nicht in der Gänze trifft. Die Ignudi stellen einen ganz anderen Darstellungsrahmen dar, bieten ein größeres Spielfeld der künstlerischen Möglichkeiten und haben eine größere Bedeutung als „Trümmer“. Die Einordnung als Kinder des Zorns und der Liebe Michelangelos fängt vermut-

Brandi, K.: Michelangelo’s künstlerische und religiöse Entwicklung, S. 191. „Er dachte, liebte, dichtete in Blöcken, in Räumen, in Tiefen, in Körperlichkeit.“ 215 Johannes Wilde verweist auch darauf, dass die Geschichte des Julius-Grabmals mit der Ausmalung der Decke verbunden ist. Vgl. Wilde, J.: Michelangelo – Six Lectures, S. 48. Sydney J. Freedberg sieht in der Decke eine Ableitung von dem Grabmal, das sich flach an der Decke entfalte. Vgl. Freedberg, S. J.: Michelangelo: The Sistine Ceiling, S. 187. Auszug aus „Painting of the High Renaissance in Rome and Florence“. 216 Wilson, C. H.: op. cit., S. 137. Vgl. Symonds, J. A.: The Life of Michelangelo Buonarroti, S. 75. Vgl. Pastor, L. v.: Die Geschichte der Päpste Bd. III, S. 803. 217 Scheffler, L. v.: op. cit., S. 208. 218 Beyer, H. W.: op. cit., S. 62. 219 Wilde, J.: Michelangelo – Six Lectures, S. 48. 220 Wilde, J.: Michelangelo – Six Lectures, S. 48. 221 Freedberg, S. J.: Michelangelo: The Sistine Ceiling, S. 187. Auszug aus „Painting of the High Renaissance in Rome and Florence“. 222 Springer, A.: Michelangelo in Rom 1508–12, S. 23–24. 223 Brandi, K.: Michelangelo’s künstlerische und religiöse Entwicklung, S. 191. 224 Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 232. In der Folge wiederholt er, dass die Ignudi von dem Grabmal abzuleiten seien. Vgl. ebd., S. 242. 225 Grimm, J. u. W.: Deutsches Wörterbuch, S. 1336–1346. Die Gebrüder Grimm stellen die Herkunft des Begriffes und dessen vielfache Bedeutung vor. In diesem Kontext wird der Begriff Trümmer mit Überrest (S. 1343/44), Rest (S. 1343), Teil (S. 1341), Reststück (S. 1340), Teilstück bzw. einzelnes Teil eines zerstückten Gegenstandes (S. 1340), Stück (S. 1341), Überbleibsel oder Bruchstück (S. 1343) im Sinne von Zerstörtem oder Zerfallenem übersetzt. 214

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lich die ambivalent-emotionale Befasstheit des Künstlers ein. Des Meisters Zorn wird ein Element bei der anfänglichen Entstehung der Decke gewesen sein, da die genannte Frustration regelrecht abgearbeitet werden musste, die als Antreiber diente, Elemente aus dem Grabmal zu übernehmen. Nach Ernst Steinmann gilt das auch für die Bronzemedaillons, die ursprünglich als Reliefdarstellung aus Bronze das Grabmal zieren und den Taten des Papstes huldigen sollten. 226 Karl Brandi sieht in den Ignudi ebenso eine Wiederkehr der Gefangenen, ordnet sie aber jetzt als entfesselt ein. Diese homerischen Jünglinge seien wie aus Blöcken vorgeformt und in reinster Form ausgewogen. 227 Das Bild der Entfesselung ist ebenso auf die gesamte Decke zu beziehen. Denkt man Karl Brandis Gedanke zu Ende, könnten die Ignudi als Bild für die Selbstentfesselung des Künstlers aus der anfänglichen Frustration für das verlorene Grabmal gedeutet werden. Franz-Joachim Verspohl konstatiert ebenfalls, dass die zwanzig Ignudi den zwanzig Prigioni des Grabmals entsprechen. Durch die Virtuosität der Bewegung jeder einzelnen Gestalt simulierten sie, was die Prigioni am Grabmal hätten entfalten können. 228 Antonio Forcellino verweist darauf, dass die Prigioni in dieselbe Ideenwelt wie die Ignudi gehören, und geht davon aus, dass Michelangelo die beiden vorletzten Ignudi 229 vor dem Jona eine Vorwegnahme des sterbenden Sklaven sind, an dem Michelangelo um 1512 arbeitete. 230 Er stellt so eine ikonographische Übereinstimmung von dem gemalten Ignudi und den in Stein gehauenen Prigioni fest. Bei dem genaueren Vergleich der Ignudi und des Sklaven deutet er diesen sogar aufgrund der Ähnlichkeit zum Ignudo als „träumenden Skla-

ven“. 231 Bei den Prigioni akzentuiert allerdings Michelangelo mehr die Materie und seine Fähigkeit, die natürlichen Grenzen des Marmors zu sprengen, um die Schönheit und Expressivität des menschlichen Körpers darzustellen. 232 Grundsätzlich kommt Antonio Forcellino in diesem Kontext zu dem Ergebnis, dass Michelangelo Emotionen darstellen möchte, die ein männlicher Körper durch Gestik und Posen ausdrücken kann. Über die Darstellung der perfekten Körperhaltung soll eben auch der Seelenzustand vermittelt werden. 233 Neben der bildnerischen Ausstattung spielt die architektonische Anlage der Decke ebenfalls eine bedeutende Rolle. Franz-Joachim Verspohl hält es für unübersehbar, dass Michelangelo die architektonische Gliederung des Grabmals auf die Scheinarchitektur der Decke übertragen habe und so den Kapellenraum in einen in den Himmel geöffneten Hof umwandle. 234 Nach Charles de Tolnay entsprechen die drei übereinanderliegenden Zonen des architektonischen Gerippes der dreifachen Hierarchie des Grabmals. 235 Wie der Aufbau eines Grabmales diente die Scheinarchitektur als Verortungsmöglichkeit der Figuren. 236 Sie war das Rückgrat der Decke. Hier sei der Gedanke geäußert, dass Michelangelo durch die Wirkung der Scheinarchitektur feststellen konnte, dass ein Wandgrab für Julius II. denkbar geworden war. Die Wirkung war für ihn unübersehbar und bewies, dass Plastizität nicht nur durch ein Freigrab gegeben war, was sich später manifestieren sollte. Nach Herbert von Einem gehören die Propheten, die Sibyllen und die Ignudi ebenso in die Welt des Juliusgrabmales. Die historischen Szenen griffen auf Michelangelos frühen florentinischen Male-

Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle Bd. 2, S. 261. Brandi, K.: Michelangelo’s künstlerische und religiöse Entwicklung, S. 191. 228 Verspohl, F.-J.: Michelangelo Buonarroti und Papst Julius II., S. 124. 229 Antonio Forcellino verweist hier auf die beiden Ignudi, die in der Szene der Trennung von Licht und Dunkelheit dargestellt sind. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelos Statuen für das Grabmal Julius II. in San Pietro in Vincoli, S. 288 Nr. 1, S. 289 Nr. 2. (Folgend zitiert: Forcellino, A.: Michelangelos Statuen). 230 Forcellino, A.: Michelangelos Statuen, S. 289. Der Autor vermutet einen Arbeitszeitraum an den sterbenden Sklaven bereits im Jahr 1506. So ist hier eine andere Form der Simultangenese zu konstatieren. Gesteigert ausgedrückt, ist es vermutlich der Prototyp der Simultangenese von Malerei und Bildhauerei, die sich spätestens mit der Florentiner Pietà und der Capella Paolina wiederholen sollte. 231 Forcellino, A.: Michelangelos Statuen, S. 289. 232 Forcellino, A.: Michelangelos Statuen, S. 289. 233 Forcellino, A.: Michelangelos Statuen, S. 289. 234 Verspohl, F.-J.: op. cit., S. 126. 235 Tolnay, C. d.: Werk und Weltbild des Michelangelo, S. 45. Nach Valerio Mariani kommt die zündende Idee für die Struktur der Decke aus dem Grabmal. Vgl. Mariani, V.: op. cit., S. 50. 236 Spahn, M.: op. cit., S. 46. Martin Spahn entfaltet in diesem Kontext den Gedanken, dass sich Michelangelo an der Dichtung orientiert habe, dass Dichter wie Dante ihrer Erzählung eine Verortung gegeben hätten. 226 227

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Die Sixtinische Decke: Substitut für das Grabmal?

reien zurück, allen voran auf die Schlacht von Cascina. 237 Carl Justi thematisiert gleichfalls das Verhältnis von Grabmal und Sixtinischer Decke. Nach ihm sei das Grabmal in der Decke zu finden. So entfaltet er den Gedanken, dass der Gestaltenstrom, der in seiner ursprünglichen Bahn gehemmt worden sei, sich in ein neu eröffnetes Bett ergieße. 238 In der Folge deutet Carl Justi Michelangelos künstlerisches Verhalten als eine sich vollziehende „Metamorphose“, die sich in den Tiefen seiner schaffenden Phantasie vollziehe. 239 In einer greifbaren und lebendigen Beschreibung kommt er am Ende seiner Spekulation über die Empfindung des Künstlers über den Grabmalverlust zu dem Schluss, dass Michelangelo das Statuenheer, das man ihm genommen habe, an die Decke werfe und sich so mit dem Schein entschädige. 240 Carl Justis Gedanke ist durchaus nachvollziehbar. Es bleibt aber die Frage, ob das Geschehen mit solch einer Dramatik zu beurteilen ist. Die Dramatik, die Carl Justi konstatiert, könnte in Programmatik umgedeutet werden. Kurz formuliert: Programmatik statt Dramatik. Die Künstlerseele wurde nicht nur entschädigt, sondern durch die bewusste Steigerung der Figurenanzahl veredelt. Die Steigerung der Figurenanzahl wird auf einer prozessualen Entwicklung basieren, die mit dem Arbeitsbeginn einsetzte, die in gleichzeitiger Abhängigkeit von den Vorstellungen des Papstes und seiner Hoftheologen stand. Je öfter sich Michelangelo in der Kapelle aufhielt, je mehr wird sich ein Bild vor seinem inneren Auge entwickelt haben, das einer Revision und Weiterentwicklung unterworfen war. 241 Die Episode in den Steinbrüchen Carraras, als er einen ganzen Berg umgestalten

wollte, ist ein Indiz dafür, dass er zumindest in großen Dimensionen denken konnte. Die Decke war ein Raum bzw. eine Fläche, die für ihn beherrschbar war, er hat so vermutlich einen Weg vom Großen (Berg) zum Kleinen (Decke) gefunden. Über solch möglichen Denkwege verliert dieser Auftrag seine Brisanz. Hinzu kommt, dass durch die Aufstellung des Gerüsts ein Perspektivwechsel möglich war. Die Decke war in ihrer vollen Größe nun erreichbar und gestaltbar geworden, was sich künstlerisch ausnutzen ließ. Durch das Entwickeln von Ideen oder deren Verwerfen, gepaart mit verschiedenen konkreten Wahrnehmungen, konnte sich etwas manifestieren, das in die Realität umgesetzt werden konnte. Antonio Forcellino entwickelte an den wenigen noch erhaltenden Vorstudien die Meinung, dass der Gesamtentwurf in einem rasanten Tempo erstellt wurde. 242 So geht Charles Seymour von drei Plänen aus, die sich von einem ornamentlastigen zu einem figuralen Entwurf entwickeln. Der erste Entwurf sah noch zwölf Apostel vor, die im zweiten Entwurf nicht mehr erscheinen, er schließt aber verloren gegangene Sonderzeichnungen für die selbigen nicht aus. Die beiden Entwürfe sind für Charles Seymour noch in einem embryonalen Stadium, das mit dem dritten Entwurf, der zur Ausführung kam, überschritten wurde. 243 Michelangelo schreibt, wie bereits dargestellt, rückblickend am 30. November 1523 an Francesco Fatucci über die ursprünglich vorgesehenen zwölf Apostel und die Ornamentik, was ihm als zu ärmlich erschienen sei und er nach kritischem Nachfragen freie Gestaltung und eine größere auszumalenden Fläche an der Decke erhalten habe. 244 Nach Esther Gordon Dot-

Einem, H. v.: Michelangelo, S. 66. Justi, C.: Michelangelo, S. 19. 239 Justi, C.: Michelangelo, S. 19. 240 Justi, C.: Michelangelo, S. 19. 241 Frederick Hartts Ansatz flankiert diese Überlegung, da Michelangelo nach ihm unzählbare Zeichnungen von Vorstellungen über eine mögliche Komposition und Individualfiguren angefertigt habe, bevor sich konkret Gruppen und Posen herauskristallisierten. Vgl. Harrt, F.: Michelangelo Drawings, S. 78. 242 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 117. Antonio Forcellino belegt die Aussage mit der Tatsache der blitzartigen Vertragsabschlüsse. Alexander Perrig attestiert Michelangelo diese Rasanz bezogen auf das Jüngste Gericht. Er spricht von einer ungewöhnlichen Schnelligkeit der Konzeption. Vgl. Perrig, A.: Michelangelo als Entwerfer, S. 47. Die Erfahrung mit der Sixtinischen Decke kann hier ein Auslöser gewesen sein. 243 Seymour, C.: Michelangelo and the Sistine Chapel Ceiling, S. 81–82. Charles Seymour verweist bei seiner Darstellung auf die Ergebnisse von Sven Sandström. Siehe dazu Abb. 30: 1. und 2. Deckenentwurf [S. 336] und Abb. 31: 3. Deckenentwurf [S. 337]. Neben diesen Werken sei hier der Artikel von Kathleen Weil-Garris Brandt genannt, der die frühen Projekte Michelangelos zur Sixtinischen Decke thematisiert. Vgl. Weil-Garris Brandt, K.: Michelangelo’s Early Projects of the Sistine Ceiling. 244 „(…) disegnio primo di decta opera furono dodici Apostoli nelle lunecte, e ’l resto un certo partimento ripieno d’adornamenti, chome s’usa. Dipoi, cominciata decta opera, mi parve riuscissi cosa povera, e dissi al Papa chome, facendovi gli Appostoli soli, mi parea che riuscissi cosa povera. Mi domandò perché io gli dissi ‚Perché furon poveri anche loro‘. Allora mi decte nuova chommessione che io facessi ciò che io volevo, e che mi chontenterebe, e che io dipigniessi insino alle storie di socto.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=591&daAnno=1523& 237

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son stimmte der Papst der Vergrößerung des Programms zu, da sein Berater und Hofprediger Egidio da Viterbo involviert war und der Papst sich auf ihn verließ. 245 Sven Sandström diskutiert ebenfalls die Entwicklung der Decke und konstatiert, dass Michelangelo zunächst nicht unbedingt eine Scheinarchitektur intendierte, die sich dann in seinem zweiten Entwurf manifestierte, er dabei gleichzeitig die Ornamentik reduzierte und die figurative Darstellung steigerte. 246 Einserseit wurden so eine Dualität von figurativer Darstellung und dekorativem Schmuck und andererseits eine Scheinarchitektur erreicht. 247 Für Sven Sandström ist der Konstantinsbogen im Gegensatz zum Grabmal eine entscheidende Inspirationsquelle. 248 Mehr als Schlussfolgerung angelegt, betont er das gelungene Verweben von Architektur und Bildprogramm, das bildhauerisch, malerisch und mit Dynamik versehen, angelegt sei. 249 Das Bildprogramm diente der Veredelung, die Michelangelo durch die enorme Anzahl und die Größe der Monumentalfiguren erreichte. Die Vorfahren Christi an den Lünetten weisen schon eine Größe zwischen 2,1 und 2,4 Metern auf. Die Päpste unter ihnen sind im Durchschnitt 2,1 Meter 250 groß, wirken aber kleiner, da sie sich im Gegensatz zu den Vorfahren Christi in einer einheitlicheren Pose befinden. Die Propheten und Sibyllen an der Nord- und Südwand gewinnen von Osten nach Westen an Größe. 251 Der Maler hat sich hier selbst gesteigert, da seine Darstellung immer monumentaler, vielfältiger und vielschichtiger wird. Die hohe

Kunst besteht darin, aus den vielen sich bewegenden Individuen ein harmonisches Ganzes zu schaffen, das die sakrale Atmosphäre des Ortes belebt und würdigt, den Ansprüchen des Papstes zu entsprechen und sich dabei selbst als Künstler treu zu bleiben. Der Künstler setzte sich in Michelangelo durch; die vermutlich gekränkte Seele des Egos wurde einer Katharsis unterzogen. Das Grabmal hatte eine andere Größenlimitierung als die Decke. Die Decke bot definitiv mehr Spielraum, so dass der Künstler hier seine eigene Welt schaffen konnte. Charles de Tolnay stellt fest, dass die Decke eine autonome Welt, ein komplettes Universum sei, das durch seine eigenen Gesetze regiert werde, und zwar losgelöst von der architektonischen Struktur der Decke. 252 Er verwendet hier die Vokabel „detached“, losgelöst, von der Kapelle, losgelöst und dennoch meisterlich integriert, was für eine Steigerung des Grabmals spricht. Die Schaffung eines neuen Universums, wie es Charles de Tolnay nennt, wäre in Marmor in der kurzen Zeit nicht realisierbar gewesen. Die Handwerksleistung im Hinblick auf die Gestaltung von Marmor hätte einen zeitaufwendigen Mammutakt bedeutet. Die Wirkung wäre auch eine andere gewesen, da keine Kolorierung vorgelegen hätte. Die farbliche Gestaltung der Großfiguren an der Decke ist eine weitere interessante Komponente, die die Figuren noch plastischer, lebendiger und interessanter macht. Die Großfiguren bedeuteten in anderer Hinsicht noch eine künstlerische Weiterentwicklung. Die Entwicklung von den großen Propheten und Sibyllen zu dem „kleinen“

aAnno=1523&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=Fattucci%20Giovan%20Francesco&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=& Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 157, S. 149. Sven Sandström bringt den Fatucci-Brief mit der Zeichnung aus dem Britischen Museum in Verbindung. Sandström, S.: The Sistine Chapel Ceiling, S. 208. Vgl. Harrt, F.: Michelangelo Drawings, Nr. 62. 245 Gordon Dotson, E.: op. cit., S. 255. 246 Sandström, S.: op. cit., S. 201–21. Hier verweist der Autor auf die Ähnlichkeit von Michelangelos Entwurf und Pinturicchios Decke in Santa Maria del Popolo. 247 Sandström, S.: op. cit., S. 211. 248 Sandström, S.: op. cit., S. 212 und S. 214. In der Folge wird ein nachvollziehbarer Vergleich zwischen der Anlage des Konstantinbogens und der Anlage der Decke geleistet. 249 Sandström, S.: op. cit., S. 220. Andrew Graham-Dixon bezeichnet die Gesamtanlage als Polyphonie der Formen und benutzt ebenfalls das Bild des Verwebens. Vgl. Graham-Dixon, A.: Michelangelo and the Sistine Chapel, S. 131. Siehe Abb. 30: 1. und 2. Deckenentwurf [S. 336] und Abb. 31: 3. Deckenentwurf [S. 337]. 250 Mancinelli, F.: Die wahren Farben, S. 238. 251 Fabrizio Mancinelli liefert in seinem Werk über die Restaurierung einen Überblick über die Größe dieser Monumentalfiguren. Die kleinste Figur ist die Delphische Sibylle mit 3,86 � 3,81 Metern. Die größte Figur ist die Libysche Sibylle mit 4,54 � 3,80 Metern, dicht gefolgt von dem Propheten Jeremias mit 4,52 � 3,81 Metern. Eine Tafel mit den Skizzen und den Größenangaben besagter Figuren ist in seinem Werk vorhanden, ist aber weder mit Seitenzahl noch Tafelzahl versehen. Vgl. Mancinelli, F.; Colalucci, G.: Michelangelo: The Sistine Chapel – The Restoration of the Ceiling Frescoes. 252 Tolnay, C. d.: Michelangelo – Sculptor – Painter – Architect, S. 26. „It is an autonomous world, a complete universe, ruled by its own laws and detached from the architectural structure of the Chapel.“

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Mose, der nur eine Höhe von 2,35 m besitzt 253, war erleichtert. Vasari betont die besondere Herausarbeitung von Moses Bart, wobei er zunächst feststellt, dass es gerade für die Bildhauerei sehr schwierig sei, diese Partien präzise darzustellen. Von diesem Werk sagte er explizit, „dass die Haare (…) unendlich, fein, flaumig weich mit einzelnen Strähnen auf eine Weise wiedergegeben sind, dass es unmöglich scheint, wie der Meißel hier zum Pinsel wurde.“ 254 Einer Metamorphose gleich wurde der Meißel zum Pinsel. Die Metamorphose, von der auch Carl Justi sprach, ist somit in die andere Richtung nachweisbar. Der Ausgangspunkt ist in der Sixtina zu suchen. Es ist annehmbar, dass ohne die Decke der Mose in dieser Präzision vielleicht nicht möglich gewesen wäre. Dem Prozess von der Decke zum Mose ist die Entwicklungsfähigkeit Michelangelos, die auf der Vernetzung seiner künstlerischen Modi basiert, zu entnehmen. Durch Anwendung konnte er den Pinsel wie einen Meißel und umgekehrt einsetzen. Nach Anton Springer erweisen sich die Sixtina Fresken als grundlegend und bestimmend auch auf dem Gebiet der Plastik. 255 Gianluigi Colalucci bestätigt Vasaris Aussage und urteilt, dass Michelangelo seiner Pinselführung eine Expressivität verlieh, die mit der Oberflächengestaltung des Marmors – rau, poliert oder nahezu unbearbeitet – vergleichbar sei. Durch variationsreichen Einsatz der Farbstufen, unterschiedlich intensivem Farbauftrag und verschiedenen Pinselstärken erzielte er entsprechende Raumwirkung. Michelangelo legte seine Figuren in verschiedenen Ebenen an, wodurch er eine Tiefenwirkung erzielte, die aufgrund unterschiedlicher Schärfe entstand. 256 Dieses

spiegelt sich auch in den unterschiedlichen Darstellungsweisen wider.

4.8.1 Variable figürliche Darstellung In der Sixtina kulminieren die unterschiedlichen Darstellungsweisen des menschlichen Körpers. Der Künstler führt hier etwas erstmalig zusammen, was er schon in den vorherigen Kunstwerken erprobt hatte. Unter diese Zusammenführung fallen die Nackten, die Halbbekleideten und die Figuren mit einem üppigen Faltenwurf. Die Studien des Faltenwurfs aus seiner Lehrzeit, dem Frühwerk „Der Madonna auf Treppe“, der Leuchterengel, der heilige Petronius, der heilige Prokulus 257, der Faltenwurf der Pietà in St. Peter, die vier Figuren der Piccolomini-Kapelle in Siena 258 werden hier in transformierter Form in der Freskotechnik wiederholt. Exemplarisch seien hier die Propheten und Sibyllen genannt, die einerseits in kunstvolle Gewänder gehüllt sind, die sie anderseits nicht daran hindern, sich zu bewegen. Es war gerade der Faltenwurf, der auf den jungen Michelangelo eine besondere Wirkung hatte, was seine Jugendzeichnungen von Giottos oder Massacios Fresken belegen. Michelangelo verortet sich so in zweifacher Weise: In seiner Jugend, vermutlich aus dem Geist einer Hommage an seine großen Vorgänger gespeist, und in der Tatsache, dass die Pietà von St. Peter, die Figur mit dem großartigen Faltenwurf, große Bewunderung erfuhr. 259 Der Fokus des Meisters lag dann an der Decke der Kapelle auf der kunstvollen Darstellung der Drapierung mit dem Ziel, das Reliefartige her-

253 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer. Werklegende, Nr. 22, S. 303. Cristina Acidini Luchinat datiert den Mose auf die Zeit zwischen 1513–1515, womit er in der Folge der Sixtina gehauen wurde. Maria Forcellino gibt eine Höhe von 2,47 (mit Hörnern) an und verweist darauf, die Vollendung der Vollplastik sei ihres Erachtens erst nach 1532 anzusiedeln. Sie gibt einen Entstehungszeitraum zwischen 1506 und 1544 an. 1506 wäre ein früher Termin und würde auf eine mögliche Parallelität von Grabmal und Sixtina hinweisen. Vgl. Forcellino, Maria: Katalog der Skulpturen, S. 303. 254 Vasari, G.: Michelangelo, S. 65. Siehe Abb. 32: Der Mose (Büste) aus dem Juliusgrabmal [S. 338] und Abb. 33: Der Mose aus dem Juliusgrabmal [S. 339]. 255 Springer, A.: Michelangelo in Rom 1508–12, S. 25. 256 Colalucci, G.: Die Deckenfresken, S. 28. Gianluigi Colalucci führt weiter aus, dass die Figuren, die sich in einem imaginären Raum befinden, durch dichte, ineinander übergehende Pinselstriche den Eindruck einer polierten Oberfläche vermitteln, während die Figuren im Gewölbe durch deutliche Konturierung in Form unterscheidbarer Striche einer Marmorfigur mit rauer Oberfläche gleichen. Vgl. ebd., S. 28–29. Frederick Hartt bestätigt dies beispielsweise für die Arbeit an den Lünetten. Michelangelo habe den Pinsel wie einen Meißel geführt. Vgl. Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. III, S. 9. 257 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 39. 258 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 88. Siehe Abb. 17: Madonna an der Treppe [S. 330] 259 Vasari feiert die Anmut und die Darstellungsweise dieses Werkes. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 50–51. Cristina Acidini Luchinat leistet in ihrem Werk eine überzeugende Beschreibung der römischen Pietà und verweist dabei auf den „lebhaften Faltenwurf“ oder „Plastizität des Mantels“ der Madonna. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 62. Siehe exemplarisch Abb. 19: Die Pietà [S. 330].

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vorzuheben. Die bestmögliche Plastizität wird so durch den Maler herausgearbeitet, der weiß, dass ein Bewegungsmotiv nur so angedeutet werden kann. Bernard Berenson verweist berechtigt darauf, dass Gewänder nur ein Hindernis für die Darstellung von Bewegung, das Spiel der Muskeln und dem Ausbreiten der Lebensenergie seien. 260 Die Wahrnehmung der Bewegung kann unter einem Gewand nur schwach erkannt werden und erst durch eine langsame Übersetzung der Umrisse vonstatten gehen. 261 In der zweiten Gruppe wird dieses Hindernis schon fast aufgehoben, da diese Figuren nur noch durch einen dünnen bzw. hauchdünnen Schleier bedeckt werden. Unter diesen hauchdünnen Gewändern sind die Gliedmaßen der Figuren erkennbar. 262 Hauptvertreter dieser Darstellungsweise ist in den Genesisfresken Gottvater. Die Figuren haben aufgrund des leichten Gewandes einen größeren Bewegungsspielraum und lassen so Bewegungsabläufe und den menschlichen Körper besser erkennen. Damit ist eine dynamische Darstellung des Schöpfers möglich; ein schweres Gewand könnte ihn weder erschaffen noch schweben noch heranfliegen lassen. 263 Als ein einfacher und unspektakulärer Gestus ausreicht, wie z. B. bei der Erschaffung der Eva, wird er aufrechtstehend in einem schweren Gewand dargestellt. Da die anderen Schöpfungsvorgänge voller Dynamik sind, wird Gottvater entsprechend mit leichtem Gewand dargestellt. Einen Schöpfungsvorgang ohne Dynamik darzustellen, hätte nicht in Michelangelos künstlerisches Weltbild gepasst. Sein künstlerisches Weltbild wurde spätestens seit dem David von einem weiteren Schwerpunkt-

beherrscht, und zwar dem Akt. Nach Bernard Berenson hatten der Akt und Michelangelos Kunst für ihn den gleichen Wert. 264 Der Akt ist die Königsklasse, da hier das Muskelspiel in seiner ganzen Variation von Anspannung bis Entspannung bis hin zur Energieausbreitung und -entladung gezeigt werden kann. 265 Eine gezeigte Bewegung in einem Akt bedeutet wieder eine Steigerung. Die körperliche Umsetzung von Bewegung geschieht augenblicklich und ist der Vielzahl und der Klarheit aus dem körperlichen Zusammenspiel oder der körperlichen Ganzheit geschuldet. Der Körper ist der Träger des Lebens und somit das signifikanteste Objekt der menschlichen Welt, womit der Akt aufgrund der Körperkomplexität zur schwierigsten Darstellungsform für den Künstler avanciert. 266 Michelangelo verstand es wie kein anderer, das Bewegliche, das für ihn einen Wert darstellte, künstlerisch umzusetzen. 267 Der Urgrund seines Verständnisses liegt in den anatomischen Studien 268, die ihm einerseits eine Annäherung an das Geheimnis des Lebens und andererseits ein Wissenspool für die Vielfältigkeit seiner Figuren brachten. Beide Komponenten ließen ihn vermutlich von der Position eines Schöpfers denken. Lebendigkeit wird zum zentralen Thema, was sich durch das Bewegungsmotiv in den Fresken in extenso manifestiert. Auch Alexander Perrig konstatiert, dass Michelangelo ein dynamisches Körperverständnis aus den Leichensektionen und der damit verbundenen Klärung der Funktion des Knochen- und des Muskelapparates entwickelte. 269 Michelangelo hatte einen hohen anatomischen Erkenntnisstand über-

Berenson, B.: The Florentine Painters, S. 86. Siehe Abb. 36: Die Erschaffung Evas [S. 341]. Berenson, B.: The Florentine Painters, S. 87. 262 Das Motiv des hauchdünnen Schleiers ist im Werk Michelangelos auch nichts Neues. Cristina Acidini Luchinat verweist in ihrer Betrachtung der römischen Pietà auf den hauchdünnen Schleier über Marias Stirn. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 66. 263 Siehe Abb. 34: Die Erschaffung von Sonne, Mond und Pflanzen [S. 340]. 264 Berenson, B.: The Florentine Painters, S. 88. 265 Berenson, B.: The Florentine Painters, S. 86–87. 266 Berenson, B.: The Florentine Painters, S. 87. 267 Berenson, B.: The Florentine Painters, S. 88. 268 Condivi, A.: Michelangelo, S. 18–19. Michelangelo betrieb anatomische Studien in S. Spirito in Florenz, da er den Prior kannte, der ihm in einem Zimmer Leichen zur Sezierung zur Verfügung stellte, so dass sich Michelangelo in diesem Bereich regelrecht schulen konnte, was Condivi als Vergnügen bezeichnet. Vasari verweist darauf, dass Michelangelo dies zwecks Perfektionierung seines künftigen und großartigen Disegnos tat. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 43. In den 50er Jahren des 16. Jahrhunderts gibt er die Anatomie auf, da ihm Übelkeit drohte. Er habe sich aber dermaßen gelehrt und bereichert von dieser Materie getrennt, dass er häufig mit dem Gedanken spielte, darüber ein Buch zu schreiben. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 80. 269 Perrig, A.: Das Zeitalter des Michelangelo, S. 16–17. 260 261

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die Funktion bestimmter Körperteile, deren Mechanik, deren Aussehen und Lage im Körper. 270 Dieses Wissen war mit der Fähigkeit gepaart, es kognitiv darzustellen, abzurufen und umzusetzen. Es stellte, wie die Fresken eindeutig belegen, für ihn keine Schwierigkeit dar, Muskel- oder Körperpartien durch ein Gewand darzustellen, was eine hohe kognitive Leistung bedeutet, nämlich sich solche Körperfunktionen vorzustellen und sie handwerklich umzusetzen. Gelungenste Vertreter sind zweifellos die Ignudi.

4.8.2 Die Ignudi Die zwanzig Ignudi sind, wie dargestellt, als Rückgriff auf das Grabmal zu betrachten, da sie erstens in den Entwürfen vorgesehen und in der genannten Anzahl an der Decke erscheinen. Gleichzeitig bilden sie eine Art Zwischenresultat, das in früheren Werken des Künstlers seinen Anfang nahm und psychologisch gesehen vermutlich eine Brücke zu glücklicheren Zeiten ist. Daneben sind sie eine Rückbindung an die Schlacht von Cascina bzw. deren Weiterentwicklung, da sie ein Bindeglied zwischen den Ignudi und der Kentaurenschlacht darstellt. Bei der Kentaurenschlacht 271 liegt der Schwer-

punkt in der Darstellung der verkeilten und interagierenden nackten Körper, vergleichbar mit einem organisierten Knäuel. In der Schlacht von Cascina 272 sind die Körper weniger verknäult; die Verknäuelung löst sich langsam auf, Individuen sind erkennbar und vor allem auf der linken Seite von der Gruppe gelöst und schon freier agierend. Der Schritt in die Individualisierung ist bei den Ignudi vollzogen. Allen drei Kunstwerken sind die Bewegung der Körper und der Akt gemein. John Pope-Hennessy räumt der Kentaurenschlacht eine richtungsweisende Bedeutung ein, da Michelangelo eine Art von Sprache oder Darstellungsvokabular in Form der Akte schuf, die fundamental für seine weiteren Skulpturen werden sollte. 273 Cristina Acidini Luchinat erweitert diesen Gedanken und sieht in dem Jugendwerk Körperhaltungen (Typen und Posen), die er in späteren Werken wieder aufnahm. Sie zählt zu diesen Werken den David, den Apoll, den David-Apoll, die Figuren aus der Sagrestia Nuova, den kauernden Knaben aus der Eremitage und Figuren aus dem Jüngsten Gericht. 274 Charles de Tolnay vollzog diese Einordnung schon früher und fand auch die Komposition der Kentaurenschlacht in der Schlacht von Cascina wieder. 275 In den Ignudi erreicht die Expressivität des

Condivi, A.: Michelangelo, S. 80. Das Basisrelief (84,5 � 90,5 cm) ist ein Jugendwerk aus dem Jahr 1492, das sich in der Casa Buonarroti befindet. Es ist im Zustand des „nonfinito“, zeigt die Schlacht der Kentauren und entfaltet durch die tiefe Bearbeitung in die untere Marmorschicht hinein entsprechende Raumwirkung. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 300. Cristina Acidini Luchinat bescheinigt dem jungen Michelangelo durch die meisterhafte Umsetzung des mythologischen Stoffes intellektuelles und technisches Können (S. 24). Martin Weinberger attestiert Michelangelo einen untrüglichen Instinkt, mit dem er seinen Weg in den Marmor fand. Vgl. Weinberger, M.: op. cit., S. 43. Nach Condivi erhielt Michelangelo die Anregung zu dem Werk von Angelo Polizano (Angelo Polizano war der Erzieher und Hauslehrer der Medici-Söhne. Vgl. Goldscheider, M.: Michelangelo, S. 9.), dass er (Condivi) „Raub der Dejaneira und den Kampf der Centauren“ nennt. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 16. Vasari bestätigt Polizano als Ideengeber, nennt das Sujet allerdings „Schlacht des Herkules mit den Kentauren.“ Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 40. Die Kentaurenschlacht blieb Zeit seines Lebens im Besitz von Michelangelo und war seiner frühen Arbeit gegenüber wohlgesonnen. Vgl. Goldscheider, M.: Michelangelo, S. 9. Condivi bestätigt dieses Wohlwollen und überliefert, dass er bei jedem erneuten Sehen des Reliefs erkannt habe, dass er gegen seine Natur verstoßen und nicht sofort die Kunst der Bildhauerei ergriffen habe. Er schließe aus jenem Werk, was er hätte alles leisten können. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 16–17. Cristina Acidini Luchinat begründet das Lob, das der Meister für sein frühes Werk fand, damit, dass er sein großes Potenzial erkannte und in dem Relief ein frühes Zeugnis seiner Berufung sah. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 24. 272 Für die Schlacht von Cascina liegen verschiedene Zeichnungen bzw. eine anerkannte Kopie von Francesco (oder Aristotile) da Sangallo vor. Vgl. Harrt, F.: Michelangelo, S. 16. Originalzeichnungen zur Schlacht von Cascina erfasst Frederick Hartt in seinem Werk über Michelangelos Zeichnungen. Die Zeichnung Nr. 25 aus dem Jahr 1504 (Text S. 25; Bild S. 50) zeigt eine Ansammlung von Figuren, wobei auch schon einzelne Individuen erkennbar sind.Vgl. Harrt, F.: Michelangelo Drawings. Der Karton der Schlacht war legendär und sei nach Benvenuto Cellini das erste schöne Werk, mit dem Michelangelo sein fabelhaftes Talent gezeigt habe. „Questo cartone fu la prima bella opera che Michelagnolo mostrò delle maravigliose sue virtù“. Vgl. Cellini, B.: Vita di Benvenuto Cellini, S. 26–27. 273 Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture, S. 5. Umberto Baldini, sich an Weinberger orientierend, bezeichnet die Expressivität des Reliefs als fundamental. Baldini, U.: Michelangelo, S. 29. 274 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 24. 275 Tolnay, C. d.: Michelangelo I, S. 135. Frederick Hartt konkludiert, dass die Nackten in der Zeichnung genauso miteinander kämpfen wie in der Schlacht der Kentauren. Vgl. Harrt, F.: Michelangelo Drawings, S. 45, Nr. 25. Darüber hinaus ist die Kentaurenschlacht in den Zeichnungen zur ehernen Schlange (Gewölbezwickel der Sixtina) und in der Zeichnung der Auferstehung Christi aus dem Louvre wiederzufinden. Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo I, S. 135–136. 270 271

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männlichen Aktes mit seinen Bewegungsformen schließlich einen ersten Höhepunkt. Sie sind in ihrer Bedeutung als dekoratives und bzw. oder aus-

sagekräftiges Element für die Decke von der Forschung intensiv untersucht worden, was hier nicht weiter verfolgt werden soll. 276

4.9 Die Sixtinische Decke: Tragödie oder Katharsis? Zeit seines Lebens sprach Michelangelo eigentlich von der Tragödie des Grabmals für Julius II. Hingegen überschreibt Giovanni Papini ein Kapitel seiner Biographie mit „Die Tragödie der Sixtina-Decke“. Er kommt in seiner Untersuchung zu einem Konglomerat an Belastungsmomenten, denen der Künstler ausgesetzt war. Die Belastungsmomente waren die Arbeitsumstände: eine Deckenausmalung differiert vom körperlichen Anspruch von der Wandmalerei 277 und in Bezug auf die zunächst auftretenden Schwierigkeiten bei der Ausmalung. 278 Dazu kommen die immerzu fordernde Familie, sein eigenes Leiden an dieser Tätigkeit, seien es die viele Arbeit oder die Tatsache, dass er kein Maler war, und ein ungeduldiger Papst, der ihn permanent zur Eile antrieb. 279 Die Ausmalung war für Michelangelo eine hohe physische und psychische Belastung, da er einerseits die Kapelle fertigstellen muss-

te und wollte und andererseits ständig mit Forderungen verschiedener Personen konfrontiert war. Das etwas ambivalente Verhältnis zu seiner Familie kommt auch hier zum Tragen und sollte als Belastungsmoment nicht unterschätzt werden. Ein potentieller Unruheherd war auch der Papst. Die Begegnung zwischen Michelangelo und ihm hatte immer etwas Unkalkulierbares, etwas Brodelndes. Beide Biographen berichten über die Zusammentreffen mit dem Papst während der Ausmalung. Condivi legt diese Inhalte in zwei Kapiteln dar. Der Papst habe die Ausmalung der Decke mit Ungeduld verfolgt und Michelangelo oftmals auf dem Gerüst aufgesucht. 280 Vasari thematisiert das Interesse des Papstes, seine Forderung zur Eile und Ungeduld, die in der Androhung gipfelte, Michelangelo vom Gerüst werfen zu lassen, falls er nicht beizeiten mit der Kapelle zu Ende käme. 281 Die zweite

Exemplarisch sei hier auf verschiedene Ansätze verwiesen: Anton Springer liefert eine schöne Beschreibung der Ignudi und sieht in ihnen die Vertreter der jugendlichen Kraft und Lebensfülle, denen er Übermut des Lebensgenusses zuspricht und die von „baccantischer Fröhlichkeit ergriffen“ seien. Vgl. Springer, A.: Raffael und Michelangelo, S. 138, komplett Darstellung S. 137–139. Ernst Steinmann stellt fest, dass Michelangelo in den Ignudi etwas Neues schuf, sich aber der Antike bediente, da der Autor sie mit griechischen Göttern vergleicht. Vgl. Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 241 ff. John O’Malley spricht ihnen weder eine erzählerische noch symbolische, sondern nur eine gestalterische Funktion zu. O’Malley, J.: Das Mysterium, S. 100. Charles de Tolnay bezeichnet sie als Mittelmänner zwischen dem Göttlichen und dem Menschlichen, die ikonografisch von Engeln und Putti abgeleitet seien. Sie hätten Züge von Träumern, wirkten unbewusst und instinktmäßig. Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo II, S. 63–64. Christiane Joost-Gaugier widmet ihnen einen Aufsatz und sieht in ihnen Repräsentanten des Goldenen Zeitalters und entfaltet die Darstellung der Bedeutung von Gesetz und Gerechtigkeit in den Fresken. Vgl. Joost-Gaugier, C. L.: op. cit., S. 19–43. Vasari hat die Ignudi ebenfalls mit dem Goldenen Zeitalter, das unter dem Pontifikat Julius II. stattfand, eingeordnet. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 80. Esther Gordon Dotson bezeichnet die Ignudi als Engel, sie seien Träger der puren Intelligenz und Betrachter des göttlichen Wortes. Gordon Dotson, E.: op. cit., S. 230. Ihr Bezug ist auch hier wieder „De Civitate Dei“. Frederick Hartt spricht ihnen eine besondere Bedeutung für die Struktur der Decke zu. Sie halten die Bronzemedaillons und präsentieren die Eiche bzw. Eicheln als Symbol der della Roveres. Die Girlanden, die sie teilweise hätten, seien ein typisches Dekorum für Opferungsszenen. Vgl. Hartt; F.: Michelangelo, S. 104. Claudia Echinger-Maurach bringt die Ignudi ebenfalls mit dem Grabmal in Verbindung und sieht in ihrer z.T. paarweisen Anordnung oder Anordnung im Karree eine Weiterentwicklung der Sklaven am Grabmal, die wohl auch auf ein Gegenüber angelegt gewesen seien. Vgl. Echinger-Maurach, C.: Studien zum Juliusgrabmal I, S. 244–246. Andrew Graham-Dixon bringt sie in die Nähe der Groteskenmalerei und bezeichnet sie als „part of the furniture“ innerhalb der Decke. Vgl. Graham-Dixon, A.: op. cit., S. 132. Die Ignudi haben vor allem die Bedeutung, die Scheinarchitektur zu unterstützen. Vgl. Joost-Gaugier, C. L.: op. cit., S. 22. Tolnay, C. d.: Michelangelo II, S. 63. Retouchiert man sie mit einem modernen Computerprogramm heraus, ist eine Einbuße in der Scheinarchitektur festzustellen. Die Decke verliert so an Plastizität und wirkt an diesen Stellen schlichter und flacher. 277 Die Fresken der Capella Paolina werden die letzten sein, die der Künstler anfertigte. Er verwies damals darauf, dass ihm die Arbeit auf dem Gerüst schwerfiele, da Michelangelo zu diesem Zeitpunkt fast 75 Jahre alt war. 278 Vasari berichtet davon, dass sich Schimmel auf den Fresken gebildet hatte. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 74–75. Forcellino ordnet diese Schwierigkeiten Michelangelos neben anderen Gegebenheiten als ein krisenhaftes Ereignis ein. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 120–122. 279 Papini, G.: Michelangiolo, S. 209–211. Dem fordernden Papst widmet Papini ein eigenes Kapitel, in dem er kurz die dynamische Beziehung zwischen Künstler und Patron untersucht. Vgl. ebd., S. 214–217. Als Beleg legt der Autor Briefe und Inhalte aus der Michelangelo Biographie Condivis vor. 280 Condivi, A.: Michelangelo, S. 48. 281 Vasari, G.: Michelangelo, S. 75–76. Condivi, A.: Michelangelo, S. 50. Hintergrund dieser Episode war der Enthüllungswunsch des Papstes, dem Michelangelo entsprach, da er sich nach Condivi nicht vom Gerüst werfen lassen wollte. 276

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Die Sixtinische Decke: Tragödie oder Katharsis?

Episode nach Condivi thematisiert den Feuergeist des Papstes, der im Angesicht seiner Sterblichkeit, Michelangelo zur Eile antrieb und ihn an den Rand der Verzweiflung trieb. Als Michelangelo um Geld und die Gunst bat, nach Florenz gehen zu dürfen, beantwortete der Papst diese Frage mit der Gegenfrage, wann die Decke fertig sei, woraufhin der Künstler patzig antwortete, sie sei fertig, wenn er die Arbeit geschafft habe. Über diese Antwort erzürnt, schlug der Papst Michelangelo mit dem Stock, der sich als Antwort auf diese Schläge auf den Weg nach Florenz machen wollte. Seinen Künstler kennend, ließ der Papst ihm 500 Golddukaten als Entschuldigung zukommen, was dessen Verstimmung bereinigte. 282 Julius II. hatte ihn richtig eingeschätzt und durch ein Geldgeschenk besänftigt. Die Ereignisse aus dem Jahr 1505 waren dem Pontifex noch präsent, eine Eskalation konnte er sich zu diesem Zeitpunkt nicht leisten, da sie für ihn nicht positiv ausgefallen wäre. Ein langwieriges Hin und Her um einen Künstler hätte ihn zu viel Zeit gekostet, die er nicht hatte, da er in hohen Jahren stand. Zu Fertigstellung der Kapelle brauchte er einen gut gestimmten Künstler, was bei Michelangelo über pekuniäre Sondergratifikationen erreichbar war. Giovanni Papini bezweifelt allerdings, dass das Geldgeschenk Michelangelo wirklich milde stimmte. Er ordnet Michelangelos Weigerung nach Fertigstellung der Kapelle das vom Papst zusätzlich geforderte Ultramarin und Gold aufzutragen, um die Figuren nicht ärmlich aussehen zu lassen 283, als Rache des Künstlers für die Ungeduld, die Nachstellungen, die Hiebe des Papstes und die Todesdrohung ein. 284 Dieser Gedanke ist überlegenswert und kann durch eine weitere Tatsache untermauert wer-

den, die vermutlich auf Michelangelos Geiz oder seinem Geschäftsgebaren basiert: Er wollte einen möglichst hohen Gewinn aus der Kapelle erzielen. Beide Biographen überliefern, dass der Künstler 3000 Dukaten (Condivi) bzw. 3000 Scudi (Vasari) für die Decke bekommen habe. Er habe davon 20– 25 Dukaten bzw. 25 Scudi für Farben ausgeben müssen. 285 Dass beide Biographen in diesem Fall untertreiben, weist Rab Hatfield nach, indem er eine klare Rechnung aufstellt, die den Befund zeigt, was die Angaben der Biographen erahnen lassen, dass Michelangelo nämlich einen satten Gewinn einstrich. Rab Hatfield bestätigt aufgrund der Kontenbewegungen Michelangelos die 3000 Golddukaten bzw. nennt auch die Summe von 3200 Dukaten. Von diesen 3000 bzw. 3200 Golddukaten müssen 1131 oder 1159 Golddukaten als Ausgaben abgezogen werden, so beläuft sich der Verdienst auf 2041 Golddukaten. 286 Im weiteren Verlauf stellt er heraus, dass Michelangelos Ausgaben für die Farben nach seiner Rechnung bei 281 Golddukaten liegen müssen. Die Begründung liegt für ihn in der Tatsache, dass der Künstler spätestens im zweiten Teil der Decke keine teuren Materialien wie Gold und Azurit verwendete, die im ersten Teil auch nur sehr spärlich nachgewiesen werden können. 287 Rab Hatfield betont, dass es wahrlich keine geringe Leistung ist, zwei Drittel der Fixsumme als Verdienst einzustreichen. 288 Es ist anzunehmen, dass Michelangelo bei der Ausmalung der Decke bewusst an den exklusiven Farben gespart hat, um seinen Verdienst nicht zu schmälern. Dem Ansinnen des Papstes nach einer prunkvolleren Darstellung der gemalten Gestalten begegnet Michelangelo mit dem Argument, die Figuren hätten als Heilige den Reichtum ver-

Condivi, A.: Michelangelo, S. 51. Condivi, A.: Michelangelo, S. 50. Michelangelo argumentiert, dass die gemalten Figuren eben ärmlich gewesen seien. 284 Papini, G.: Michelangiolo, S. 217. Die Todesdrohung wird auf den Brief Michelangelos an Sangallo vom Mai 1506 bezogen sein, in dem Michelangelo auf eine Bedrohung seines Lebens verwies. 285 Condivi, A.: Michelangelo, S. 50–51. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 77. 286 Hatfield, R.: The Wealth, S. 124. Im Vorfeld weist der Autor nach, dass Michelangelos Salär für dieses Riesenfresko um das Dreifache höher lag, als bei Meistern mit vergleichbaren Aufträgen. Als Referenz nennt er die Verdienste der Gebrüder Ghirlandaio in Santa Maria Novella, Florenz, mit 1051, ½ Goldflorin und von Filippo Lippi in der Kirche zu Prato mit 1158 Goldflorin. Vgl. ebd., S. 123. Diese Information unterstreicht eindrucksvoll, dass Michelangelo seinen alten Lehrherrn auch finanziell überflügelte. 287 Hatfield, R.: The Wealth, S. 125. Um Michelangelos Vorgehensweise zu kontrastieren, nennt Rab Hatfield Alesso Baldovinetti, der die Decke in Santa Trinità in Florenz zwischen 1471–1473 ausmalte. Baldovinetti habe von 105, ½ Goldflorin Kosten 38 Goldflorin für Goldblätter ausgegeben. Wenn Michelangelo so gehandelt hätte wie Baldovinetti, hätte er 1700 Golddukaten für die Ausmalung ausgeben müssen. 288 Hatfield, R.: The Wealth, S. 124–125. Fabrizio Mancinelli verwies darauf, dass Michelangelo auch am Bauholz sparte, um die Kosten zu senken. Vgl. Mancinelli, F.: Die wahren Farben, S. 228–299. 282 283

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achtet 289, so dass sich das geforderte Retouchieren mit Gold erübrige. 290 Mit diesem geschickten und zielführenden Schachzug seiner Argumentation nahm er dem Papst den Wind aus den Segeln. Neben dem hohen Verdienst wird die Decke zusätzlich eine reinigende Wirkung gehabt haben. Sie machte ihn aufgrund seiner Schaffenskraft zum unangefochtenen Künstler, dem der Ruhm und das Heil der Kunst zuteil wurde. 291 Michelangelo kommentierte die Fertigstellung der Kapelle eher lapidar: Er habe die Kapelle fertiggestellt, und der Papst sei zufrieden. 292 Folgt man Vasari, lief nach Vollendung der Kapelle ganz Rom zusammen 293 und war vor Verblüffung sprachlos. Michelangelo sei vom Papst mit Geld und wertvollen Geschenken belohnt worden. 294 Charles de Tolnay stellt fest, dass die Decke der erste Kulminationspunkt der vielen Ideen und Formen über den Menschen sei, die bisher nur isoliert in Michelangelos Zeichnungen, Malereien und Skulpturen aufgetaucht seien. 295 Die Decke ist somit eine Zusammenführung der vielen Inspirationen, Vorstellungen und inneren Bildern. An ihr ist auch der Beleg zu finden, dass der Bildhauer Michelangelo vom Maler Michelangelo nicht zu trennen ist. Leopold Ranke kommentiert, dass in Michelangelo Ideale gelebt hätten, die er nicht in Marmor hätte darstellen können. So sei er zur Malerei übergegangen, die unter seinen Händen immer einen Anhauch von Plastik behalten hätte. Die Malerei sei für ihn eine Art Supplement zur Skulptur. 296 In der letzten Konsequenz konnte er

den Pinsel wie einen Meißel verwenden und umgekehrt. Um das Talent dieses Mannes weiter zu stabilisieren und auszubauen, konnte nichts Besseres geschehen, als ein halsstarriger Papst, der ihn – Michelangelo – quasi zu seinem Glück zwang. Im Laufe des Prozesses wurde dem Künstler schließlich die Vielfältigkeit der Darstellungsmöglichkeit mit der Farbe bewusst. Er hatte jetzt ein anderes Feld zur Entfaltung gefunden. Das Liquide der Farbe ließ ihn in einen Prozess eintreten, der ihm trotz Anstrengung guttat. Die Kreativität bzw. seine Schaffenskräfte flossen aus ihm heraus. Insofern ist der Gesamtprozess mehr als eine Entschädigung. Die von John O’Malley herausgearbeitete „geheiligte Rhetorik“ 297 war zusätzlich eine Art geschenkter Nährboden, da dem Künstler ein Spielfeld seiner gestalterischen, religiösen und humanistischen Möglichkeiten geboten war. Die Verschränkung von Christlichem mit Klassischem gab ihm die Gelegenheit, seine Vorstellung speziell vom menschlichen Körper anzuwenden. Nach Hermann Hettner wurde Michelangelo in den Deckengemälden der Sixtinischen Kapelle erst zu Michelangelo. 298 Charles de Tolnay attestiert Michelangelo einen persönlichen Stil, den er aus der Hochrenaissance entwickelt habe. 299 Die Sixtina ist in der Summe ein coup de chance in Michelangelo Künstlerkarriere, der sich aus dem entzogenen Grabmal gebildet hatte. Er wuchs an den Deckenfresken erst zu dem Künstler in seiner eigentlichen Größe heran.

Vasari, G.: Michelangelo, S. 77. Condivi, A.: Michelangelo, S. 50. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 77. 291 Vasari, G.: Michelangelo, S. 73. 292 „Io ò finita la chappela che io depignievo el Papa resta assai sodisfato (…).“ Michelangelo schrieb dies am 30. September 1512 an seinen Vater. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=104&page=2&daAnno=&aAnno=&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario =Buonarroti%20Lodovico&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 293 Vasari, G.: Michelangelo, S. 75. 294 Vasari, G.: Michelangelo, S. 90. 295 Tolnay, C. d.: Michelangelo: Sculptor, Painter, Architect, S. 24. 296 Ranke, L.: Zur Geschichte der italienischen Kunst. https://archive.org/details/NordUndSued1878Bd005/page/n457. 297 O’Malley, J. W.: Das Mysterium, S. 108. 298 Hettner, H.: Italienische Studien zur Geschichte der Renaissance, S. 251. 299 Tolnay, C. d.: Michelangelo: Sculptor, Painter, Architect, S. 24. „The style is a personal one which Michelangelo has developed from that of the High Renaissance!“ 289

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Michelangelos Rache?

4.10 Michelangelos Rache? Das Motiv der Rache verdient im Zusammenhang mit der Sixtina durchaus Beachtung, da neben Giovanni Papini, der in der Ärmlichkeit der Figuren eine Rache Michelangelos sah, auch Frederick Harrt sich dazu äußert, es aber in Richtung Verballhornung deutet. Der von Frederick Harrt angesprochene Bereich liegt interessanterweise an der Südwand der Sixtina oberhalb des Papstthrones. Im ersten Fall handelt es sich um die SalmonBooz-Obeth-Lünette. 300 Für Frederick Harrt ist die Figur des Booz, der zänkische Alte in der rechten Bildhälfte, von Relevanz. Er sei eine Karikatur von Papst Julius II., weil er im Oktober 1512 Michelangelo zur Eile antrieb. Booz ist als grimmiger, buckliger Alter dargestellt, der weniger sanft wirkt, als in der Bibel postuliert. Er trägt ein Lederwams, eine Strumpfhose und eine Papstmütze mit Ohrenwärmern. An seinem Gürtel befindet sich eine Wasserflasche. Diese Figur examiniert, während sich ihr Bart bis zum Stock spannt, den geschnitzten Knauf des Stockes, der eine ähnliche Kopfform wie sein Betrachter hat. Offensichtlich scheint er mit seinem Ebenbild, einer Art Zerrbild, zu hadern, da der Knaufkopf ihn zu verspotten scheint. Booz selbst fehlen die unteren Zähne, was bei Julius II. wohl auch vorlag. 301 In der direkten Bildbesprechung kommt der Autor zu dem Schluss, dass der Misanthrop den Wanderstab fasse, um vor sich selbst zu flüchten, nahezu ohnmächtig in seiner Wut und

mit grün-gelber Galle im Gesicht. Michelangelo widmete dieser Lünette eine besondere Aufmerksamkeit, da er für sie zwei sorgfältig ausgearbeitete Vorstudien und kleine Randskizzen anfertigte. 302 Nach Frederick Harrt habe Michelangelo wohl nicht damit gerechnet, dass der Papst die Lünette von seinem Thron aus habe sehen können. 303 Der Ansatz der Verballhornung ist überlegenswert, da sich Michelangelo im Jüngsten Gericht ebenfalls einer parodistische Darstellung bediente, und zwar für den päpstlichen Zeremonienmeister Biagio da Cesena, der ihn verärgert hatte. 304 Die Ungeduld des Papstes und dessen unsägliches Benehmen, das Michelangelo als Zeuge erlebte und ihn ärgerte, z. B. als er ihn schlug 305, lieferte ihm die Anschauung, wie Julius II. im Zorn aussah. Der Bart wird vermutlich nicht nur eine Anspielung auf den Schwur Julius’ II. 306, den er als Feldherr ablegte, sondern auch ein Versuch einer weiteren möglichen Verballhornung des Papstes sein, da diese Darstellung alles andere als würdevoll ist. Die Wirkung des Bartes ist karikaturenhaft, da er überzeichnet in die Länge gezogen wird. Es ist zu vermuten, dass diese überzogene Darstellung eine nadelstichartige Erinnerung an eine schwierige militärische Zeit im Leben des Papstes sein soll, in der der Bart zum Wachstum kam, was dem Papst ätzenden Spott oder tierische Vergleiche einbrachte. 307 Michelangelo, wenn er denn diese Intention gehabt hätte, hätte mit den

Die Lünetten stellen die 40 Generationen der Vorfahren Christi, wie sie im Matthäusevangelium (Mt 1, 1–16) genannt werden, dar. Es sind Paare aller Altersstufen in ihren unterschiedlichen Befindlichkeiten, wie z. B. fröhlich, nachdenklich, prophetisch, aber immer zutiefst poetisch und menschlich, dargestellt. Michelangelo setzt hier leuchtende Farben in intensiven Kontrasten ein. Die Lünetten malte er ohne Kartonvorzeichnung direkt an die Wände. Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. II, S. 9. Siehe Abb. 37: Die Figur des Booz (oder der zänkische Alte) [S. 342]. 301 Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. II, S. 21. Frederick Hartt beschreibt auch, dass Booz ein Paket auf dem Rücken trägt, wobei sich eher um einen Hut handelt. Siehe Abb. 38: Detail I der Salmon-Booz-Obeth-Lünette [S. 342] und Abb. 39: Detail II der Salmon-Booz-Obeth-Lünette [S. 342]. 302 Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. II, S. 187. Siehe Abb. 40: Zeichnung für die Salmon-Booz-Obeth-Lünette, [S. 343],. 303 Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. II, S. 21. 304 Vasari, G.: Michelangelo, S. 121. Vasari überliefert die Episode, als Paul III. den Progress des Freskos persönlich überprüfte und besagter Biagio da Cesena sich über die Nudität der Figuren an diesem ehrwürdigen Ort echauffierte und äußerte, dass diese eher in Bade- und Gasthäuser gehörten. Michelangelo darüber verärgert, rächte sich, indem er den Zeremonienmeister in der Hölle porträtierte. Vgl. ebd., S. 123. 305 Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 92. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 51. 306 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste, Bd. III, S. 658 Anmerkung 4: Einem Chronisten aus Bologna zufolge soll Julius II. erklärt haben, er werde den Bart erst abrasieren, wenn er den französischen König aus Italien hinausgeworfen habe. „Portarva la barba per vendicarsi et diceva che non la voleva più rasar per insino a tanto che non aveva anco fuora scazato el re Ludovico de Franza d’Italia.“ Paris de Grassis bestätigt dies in seinem Diarium: „Pontifex continue barbatus. Nam ab eo, quod Bononiam ex urbe ingressus est, numquam barbam tondit.“ Siehe: Crowe, J. A.; Cavalcaselle, G. B.: Raphael – Sein Leben und seine Werke, S. 78. Anmerkung *. 307 Zucker, M. J.: Raffael and the Beard of Pope Julius II, S. 526. Der Autor stellt die Bedeutung des päpstlichen Bartes in diesem Artikel vor. Die Bartlosigkeit galt zunächst als Zeichen der Demut und der Unschuld, weshalb die Kleriker in der Regel keinen Bart trugen (S. 525). Julius II. änderte diese klerikale Tradition, da er seinen Feldzug gegen die Franzosen im Herbst 1511 nicht erfolgreich abschließen konnte, worüber er noch erkrankte. In der Phase der Rekonvaleszenz ließ er sich den Bart wachsen. Spötter verglichen sein Aussehen daraufhin mit dem eines Bären und lästerten, er trüge seinen Bart wie ein Eremit. Mark J. Zucker entfaltet seine Gedanken auch dahin gehend, dass der Bartwuchs während der Rekonvaleszenz ein 300

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Die Sixtinische Kapelle

schriftlichen Spöttern auf einer Linie gelegen. Er wollte vermutlich, dem Papst seine nachgesagte „Terribilità“ vor Augen führen. Ein tobender und geifernder Pontifex wird im Vatikan keine Seltenheit gewesen sein. Beispielsweise wird das Laterankonzil als propagandistische Gegenveranstaltung zu den Absetzungsambitionen seiner Gegner Julius II. nicht gefallen haben, da es aus Legitimations- und Präventionsgründen nötig wurde. Einem unumstrittenen Pontifex wäre ein solches Manöver vermutlich erspart geblieben. So sind lautstarke Unmutsäußerungen über das nötig gewordene Konzil möglich. Der Flurfunk in den vatikanischen Gemäuern hätte solche Informationen über die

Launen bzw. Ausbrüche des Papstes bis in die Kapelle übertragen können. Insofern könnte Michelangelo hier ein inspirierendes Sujet gehabt haben, Julius II. mit sich bzw. der Welt hadernd darzustellen. Das Subtile wäre, dass Michelangelo ihn an einer Schwachstelle traf, die er vielleicht lieber verborgen hätte: Ein Pontifex hadert mit sich selbst. Ein Pontifex ist doch ganz Mensch, der auf die Tatsache zurückgeworfen wird, dass er eben nicht der Herr der Welt ist, sondern auch scheitern kann und sich an Gegnern buchstäblich, legt man Frederick Harrts Ansatz nochmals zugrunde, womöglich die Zähne ausbeißt. 308

symbolischer Akt gewesen sei, da der Bart in der Tradition ein Zeichen des Büßers bzw. eines Gefangenen gewesen sei (S. 526). Vermutlich war auch Eitelkeit ein Grund, da der Bart die imposante Erscheinung des Papstes unterstrich. Daneben könnte es auch eine Anlehnung an Petrus und Papst Julius I. sein, die beide ebenfalls Barträger gewesen seien (S. 527). Julius II. war nach Jahrhunderten der päpstlichen Bartlosigkeit der Protagonist, der den Bart wieder einführte und der als Zeichen der männlichen Stärke galt. Vgl. Gregorovius, F.: Die Grabdenkmäler der römischen Päpste – Marksteine der Geschichte des Papsttums, S. 124. Stazio Gaddio ließ den Bart auch nicht unkommentiert, was dessen Bedeutungsgrad widerspiegelt. Er berichtet am 16. Juli 1511 an Isabella d’Este mit Bezugspunkt auf die Stanza d’Eliodoror: „Sua Santità ha detto che vol che Raffaello retraga il Signor Federico in una camera che fa depinzer in palazo dove è anchora sua Santità dal natural con la barba.“ Vgl. Luzio, A.: Federico Gonzaga staggio alla Corte di Giulio II., S. 525. 308 In diesen Kontext passt der Hinweis auf ein Sonett, in dem Michelangelo bittere Kritik am verweltlichten Papsttum äußert: „Qua si fa elmj di chalicj e spade, E’ l sangue di Christo si uend’a giumelle, E croce e spine son lance e rotelle, E pur da Christo patientia chade (…).“ Vgl. Frey, K.: Die Dichtungen des Michelangelo Buonarroti, X, S. 8. (Folgend zitiert: Frey, K.: Dichtungen) Karl Frey datiert das Sonett auf die Zeit nach Ostern 1512. Rom glich zu diesem Zeitpunkt einem Heerlager, da man nach der Schlacht von Ravenna den Einmarsch der Franzosen und der Schismatiker erwartete. Wegen des gleichzeitig stattfindenden Laterankonzils wimmelte die Stadt auch vor Klerikern. Er betont im Verlauf seines Kommentars, dass Michelangelo sich auch über den Mangel an Aufträgen beklagte. Vgl. ebd., S. 309. Aus den ersten Zeilen des Sonetts ist deutlich Michelangelos Unmut über die Ausrichtung des Papsttums herauszulesen. Er muss das päpstliche Verhalten als Frevel empfunden haben, wenn er sich so drastisch ausdrückte, dass man aus Kelchen Schwerter und Helme herstellte. Damit kehrt er das Postulat des Buchs Micha „Schwerter zu Pflugscharen und Speere zu Winzermessern“ (Micha 4,3) um.

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5 Julius II. und der Luxus 5.1 Schwachpunkte Die angesprochene Terribilità des Papstes, die ihm verbale und bildliche Karikaturen bescherte, war die eine Schwäche von Julius II., eine weitere Schwäche war sein Hang zum Luxus. Untersuchungsobjekte dieses kleinen Exkurses sollen zwei bisher weniger beachtete Aspekte darstellen und sowohl die Person als auch das Pontifikat Julius’ II. aufhellen. Der erste Aspekt beschreibt Julius’ II. nahezu suchtartige Hingabe an Geld, Gold und Edelsteine; der zweite Aspekt erfasst die persönlichen Ängste und den Aberglauben des Kriegerpapstes, der wider seine Position als Stellvertreter Christi auf Erden den Ratschlägen seiner Astrologen folgte. Beide Größen waren Unbekannte für Michelangelo, wie der gesamte Charakter dieses Papstes eine Überforderung für den knapp 30-jährigen Künstler darstellte. Aus Unerfahrenheit verfügte Michelangelo nicht über die nötigen Mechanismen, mit dieser schwierigen Persönlichkeit umzugehen, da Julius II. doch ein schwerkalkulierbarer Mäzen und Machtpolitiker war, der flüchtige Gedanken haben konnte 1, von seinem politischen Willen geleitet wurde 2 und andererseits dem Luxus verfallen war. Entsprechend investierte Julius II. im

Laufe seines Pontifikates unermessliche Summen in Schmuckstücke und Edelsteine, wohingegen die 10 000 Golddukaten für das Grabmal 3 und die vorgesehenen 30 000 Golddukaten, die er für seine Capella Iulia und sein Grabmal in seinem Testament verfügte 4, nahezu grotesk gering waren. Auch die 3200 Golddukaten 5, die Michelangelo für die Ausmalung der Kapelle erhielt, sind ebenfalls aus päpstlicher Sicht als „Kleingeld“ zu bezeichnen. 6 Michelangelo avancierte durch die ausgezahlten Summen zwar zu einem hochdotierten Künstler, lag aber im Vergleich zu anderen Ausgaben des Papstes, die sich jenseits von Kriegszügen und Bautätigkeiten befanden, eher am unteren Rand. Die päpstlichen Ausgaben für Edelsteine, Schmuckstücke, Ringe, Spangen für Pluvialen und Tiaren bzw. deren Instandsetzung geben einen bedeutenden Hinweis darauf, dass die Prioritätenverschiebung im Hinblick auf das Grabmal auch in eine andere Richtung deutbar ist. Für die vorliegende Untersuchung wird dieser Exkurs somit von Relevanz und erhält seine Berechtigung, da Michelangelo davon betroffen war.

5.2 Päpstliche Finanzlage Giuliano della Rovere hatte schon als Kardinal enormen Reichtum angehäuft 7, der ihn in die Lage

versetzte, das Papstamt zu kaufen. Als neuer Pontifex fand er zwar relativ leere päpstliche Kassen vor 8,

Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 567. „Er ist unberechenbar. Oft ändert er seine Entschlüsse von Stunde zu Stunde.“ Gregorovius, F.: Die Grabdenkmäler der Päpste – Marksteine der Geschichte des Papsttums, S. 110. Ferdinand Gregorovius attestiert Julius II. allerdings auch großartige Eigenschaften als Staatsmann und Herrscher. Nach Ludwig von Pastor lag in Julius II. mehr Stoff zu einem König und Feldherren als zu einem Priester. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 569. 3 Claudia Echinger-Maurach verweist darauf, dass niemals zuvor eine größere Summe für ein Grabmal veranschlagt worden war. Vgl. EchingerMaurach, C.: Studien zu Michelangelos Juliusgrabmal I, S. 296. 4 Sanuto, M.: I Diarii Bd. XVI, S. 12. Sanuto verweist auch darauf, dass Teile des Geldes für die Sänger von Sankt Peter vorgesehen seien. „À ordinato ducati 30 milia, parte li cantori di San Piero, e parte per la sua capella et sepultura.“ Vgl. Borgolte, M.: Petrusnachfolge, S. 294. 5 Hatfield, R.: The Wealth, S. 125. 6 Ludwig von Pastor berichtet, dass Julius II. 2000–3000 Golddukaten monatlich für seine Tafel verwendete. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 574. In der klaren Umrechnung bedeutet dies, dass man für einen Monat päpstlicher Tafel die Sixtinische Decke und 1/3 des Grabmals hätte bestreiten können. Eine Prioritätsverschiebung hätte bei weniger monatlichem „pomp and circumstance“ das Grabmal, wenn es denn Julius II. wirklich gewollt hätte, entstehen lassen können. Am Geld lag es jedenfalls nicht. 7 Pastor, L. v. Geschichte der Päpste Bd. II, S. 481. Christin Shaw verweist darauf, dass schon beim Tod Sixtus IV., Giuliano della Rovere Aussicht auf den Stuhl Petri hatte. Vgl. Shaw, C.: Julius II, S. 51. Sein Reichtum konnte diese Aussicht Realität werden lassen. 8 Rodocanachi, E.: Le Pontificat de Jules II, S. 30. Vgl. Pastor, L. v. Geschichte der Päpste Bd. III, S. 581. 1

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Julius II. und der Luxus

ordnete aber gleichzeitig an, dass 50 000 bis 60 000 Dukaten für seine Krönungsfeierlichkeiten ausgegeben werden sollten. 9 Von Beginn an zeigt Julius II. seinen imperialen Anspruch auf das Amt und auf Gleichwertigkeit mit anderen Herrschern durch Selbstverherrlichungsambitionen in Form von pompösen Auftritten, die in entsprechender Garderobe und vermutlich mit Schmuckstücken versehen stattfanden. 10 Nicht zu Unrecht konstatiert Ferdinand Gregorovius, dass Julius II. nur eine Karikatur seines heiligen Amtes, ein Repräsentant der in der Selbstsucht und Herrschsucht und profanste Weltlichkeit versunkenen Kirche gewesen sei. 11 Besagte Weltlichkeit der Renaissancepäpste wollte finanziert werden. So wusste Julius II. um die Notwendigkeit eines päpstlichen Schatzes. 12 Zu Beginn des Pontifikates war keine große Summe verfügbar, sodass sich im Juli 1504 kaum mehr als 100 000 Dukaten in der päpstlichen Kasse befanden. Allgemein nahm man aber an, dass es der doppelten Menge bedurfte, um das normale Alltagsgeschäft zu finanzieren. 13 Die Folge war eine beispiellose Spar- und Finanzpolitik, deren Zwischenziel im selben Juli 1504 eine Summe von 200 000 Golddukaten festsetzte. 14 Im Mai 1505 ist die Summe bereits erreicht und steigt bis zum späten August auf 300 000 Golddukaten an. Im Januar 1506 belief sich die Summe bereits auf 400 000 Golddukaten. 15 Am 16. August

1506 ließ Julius II. 30 000 Dukaten in die Engelsburg bringen und besaß zu diesem Zeitpunkt etwas weniger als eine halbe Million Golddukaten. 16 Am 1. April 1510 berichtet der venezianische Botschafter Domenico Trevisano, dass sich der päpstliche Schatz im Castel San Angelo auf 700 000 Golddukaten belaufe. 17 Die Beschaffung dieser Summen wurde durch verschiedene Maßnahmen gewährleistet, worunter das regelmäßige Eintreiben der Steuern fiel. Die Bulle „Romani Pontifici“ vom 28. Juli 1505 setzte Nutznießern von Annaten eine Frist für das Behalten der Abgaben. Eine weitere Bulle „Cum, sicut accepimus“ vom 18. August 1505 bedrohte denjenigen mit Exkommunikation, der Verzeichnisse der Apostolischen Kammer und die Buchungsbelege zu unterschlagen wagte. 18 Als weitere Maßnahme teilte Julius II. unbesetzt gewordene Pfründen nur noch einem Prälaten zu, der bereits Amtsträger war, was er aufgeben musste, woran der Papst wiederum verdiente. 19 Als weitere Einnahmequellen dienten Julius II. der Ämterverkauf, Ablasshandel und Jubelablässe. 20 Der Tod von insgesamt 36 Kardinälen während seines Pontifikates wurde für ihn eine lukrative Einnahmequelle, da die Besitztümer den Kardinälen nur auf Widerruf zugesprochen waren und post mortem gemäß päpstlichem Rechts an den Heiligen Stuhl zurückfielen. 21

Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 581–582, Anmerkung 4. Der Autor verweist hier auf die Berichte des mantuanischen Gesandten Ghivizano, der kontinuierlich, neben den Gesandten anderer Höfe, von den pompösen Feierlichkeiten berichtet. Im Schreiben vom 20. November 1503 hält der Gesandte fest: „La coronatione se farà dominicha pomposa al possibile, grandissimo aparato se fa (…).“ Vgl. ebd., Dokument 59, S. 908. Am 27. November 1503 nimmt er Bezug auf die pompöse Inbesitznahme des Laterans: „Zobia se farà omnino la processione a Laterano la quale se stima deba esser pomposissima.“ Vgl. ebd., Anmerkung 4, S. 581–582. 10 Diese Annahme sei erlaubt, da Julius II. insgesamt auf teure Kleidung wertlegte, wertvolle Pluviale besaß, enorme Summen für Edelsteine ausgab, sich von Raffael mit Ringen auf dem Fresko der Messe von Bolsena und seinem Porträt darstellen ließ. 11 Gregorovius, F.: Die Grabdenkmäler der der Päpste – Marksteine der Geschichte des Papsttums, S. 110. 12 Rodocanachi, E.: Le Pontificat des Jules II, S. 30. 13 Rodocanachi, E.: Le Pontificat des Jules II, S. 30. 14 Villari, P.: Dispacci di Antonio Giustinian III, S. 166–167. Christin Shaw berichtet über die Reduktion der päpstlichen Truppen, die Verkleinerung des päpstlichen Haushaltes und die Nichtrückzahlung von Schulden und deren Begleichung in anderer Weise. Vgl. Shaw, C.: Julius II, S. 139. 15 Shaw, C.: Julius II, S. 139. Vgl. Rodocanachi, E.: Le Pontificat de Jules II, S. 30. 16 Rodocanachi, E.: Le Pontificat de Jules II, S. 34. 17 Cerasoli, F.: Documenti per la storia di Castel S. Angelo, S. 303. Trevisano berichtet weiter, dass der Kastellan die Anweisung habe, nur einen neugewählten Papst dort hineinzulassen. Nach dem Tod von Sixtus IV. befanden sich in der Engelsburg Kostbarkeiten, deren Wert auf eine Million Golddukaten geschätzt wurde, was ein Gesandter nach Ludwig von Pastor allerdings relativierte. Dennoch nennt Ludwig von Pastor diese Zahl. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Band II, S. 461. Es ist zu konstatieren, dass Julius II. seinem Oheim auch hier nacheiferte. 18 Rodocanachi, E.: Le Pontificat des Jules II, S. 33. Erst nach Erhalt der apostolischen Briefe durften die Benefizien in Besitz genommen werden. Vgl. Dumesnil, Antoine Jules: Histoire de Jules II, S. 333. 19 Rodocanachi, E.: Le Pontificat des Jules II, S. 34. 20 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 573. 21 Rodocanachi, E.: Le Pontificat de Jules II, S. 34. Der Tod von Kardinal Fazio Santorio (22. März 1510) brachte ihm im Gesamtwert 50 000 Dukaten ein, wovon etliche Dukaten durch Juwelen abgedeckt wurden. Das Ableben des Kardinals Giorgio da Costa (18. September 1508) spülte ihm 40 000 9

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5.3 Julius’ II. Affinität zu Edelsteinen und Tiaren Parallel zur Sparpolitik oder der pekuniären Anhäufung ist bei diesem Papst eine Investition in und eine Affinität für Edelsteine 22 und Tiaren 23 festzustellen, die bemerkenswert sind. Julius II. war sich nicht nur der Wirkmächtigkeit der edlen Materialien bewusst und investierte hohe Summen, sondern hegte für sie eine nahezu zärtliche Zuneigung. Er erwarb seltene Edelsteine 24, trug sie zusammen und legte eine Kollektion an, wozu Gemmen in allen Formen und Größen gehörten. 25 Der Gesandte aus Mantua Grossino berichtete am 12. Juli 1511, dass der Papst es liebe, seine Juwelen anzuschauen, zu überprüfen und sie von Goldschmieden prüfen zu lassen. Die Goldschmiede seien in der Engelsburg gewesen, hätten die Steine geprüft und sie für schön, schwer und wertvoll befunden. Der Wert der Steine sei von ihnen auf einen Wert von 20 000, auf 16 000, auf 10 000 und 8000 Dukaten taxiert worden. Anhand dieser Szenerie ist darüber hinaus zu konstatieren, dass Julius II. seine Einkäufer für seine Edelsteinsammlung hatte und es ähnlich praktizierte wie Paul II. 26 Grossino beendet die Passage mit dem Hinweis, der Papst habe wieder neue Juwelen für 12 000 Dukaten gekauft. 27 Vermutlich sind es die Edelsteine, mit denen der Botschafter aus Florenz den Papst spielen

sah, als er sie durch Finger gleiten ließ. 28 1510 kaufte der Papst von den Fuggern einen Diamanten für 18 000 Dukaten, der als Schnalle für seine Pluviale dienen sollte. 29 Denise Allen führt in ihrem Aufsatz einen pyramidalen Diamanten auf, der das Kernstück einer prachtvollen Chormantelschließe war und die Camera 22 500 Dukaten gekostet hat. 30 Paris de Grassis beschrieb diese Schließe als unglaublich wertvoll 31, sodass der Gesamtwert der sich an der Schließe befindlichen Juwelen auf 36 800 Dukaten geschätzt wurde. 32 Theseo Ambrosio berichtet ebenfalls von besagter Schließe, dass der Chormantel des Pontifex, während er die heilige Messe feierte, an der Brust von dieser Schließe gehalten wurde. 33 Der Diamant war von zwei großen Saphiren, zwei großen Rubinen und vier Smaragden umgeben. 34 Der Glanz bzw. die Strahlkraft des Diamanten muss so signifikant gewesen sein, dass es ihm den Vergleich mit den leuchtenden Sternen am Himmelsgewölbe einbrachte. 35 Ludwig von Pastor beschreibt, dass die von edlen Goldfäden durchzogene Pluviale, die Julius II. während seines prachtvollen Einzugs am 11. November 1506 in Bologna trug, von einer goldenen Schnalle, die mit Smaragden und Saphiren verziert war, gehalten wurde. Dazu trug Julius II. eine unge-

Dukaten in die Kasse. Vgl. ebd., S. 34. Kardinal Giorgio da Costa (1406–1508) galt als der reichste Kleriker seiner Zeit, da er eine große Zahl an Benefizien besaß. Vgl. Berton, J.; Migne, J. P.: Dictionnaire des Cardinaux, S. 772–773. 22 Cloulas, I.: Jules II, S. 157. „Il aime se parer de pierreries.“ 23 Denise Allen betrachtet in ihrem Aufsatz „Juwelen der Krone“ u. a. Julius II. und dessen Affinität für Tiaren, die er dazu nutzt, um die „maiestatis papalis“ zu demonstrieren bzw. zu steigern. 24 Cloulas, I.: Jules II, S. 157. 25 Cloulas, I.: Jules II, S. 158. 26 Paul II. beschäftigte für viele Jahre einen Prälaten damit, besonders schöne Edelsteine zu finden. Vgl. Müntz, E.: La Tiare Pontificale Du VIII au XVI Siècle, S. 62. (Folgend zitiert: Müntz, E.: La Tiare Pontificale). 27 Luzio, A.: Isabella d’Este di fronte a Giulio II, S. 327, Anmerkung 2. Hier werden verschiedene Schmuckstücke mit einem Wert von insgesamt 54 000 Golddukaten benannt, was eine enorm hohe Summe ist. Zu Beginn von besagter Anmerkung ist von insgesamt 530 000 Golddukaten die Rede, die sich in der Engelsburg befanden. 28 Cloulas, I.: Jules II, S. 157–158. „un ambassadeur florentin le trouve un jour devant sa table en train de manier avec délices un petit tas de pierres précieuses qu’il vient de payer 12 000 ducats.“ Anhand dieser Szene ist die zärtliche bzw. spielerische päpstliche Zuwendung zu Edelsteinen belegbar. 29 Sanuto, M.: I Diarii Bd. X, S. 283. „Il papa ha comprato lo diamante di Augustini di li Focher, a dì 29 lo portò in pectore a vesporo con altre zoje in la seraja dil piviale, costa ducati 18 milla, costò più a li Focher.“ 30 Allen, D.: Juwelen der Krone – Eine Einführung in die Goldschmiedekunst am päpstlichen Hof von Julius II. bis Clemens VII., S. 285 und Anmerkung 5, S. 286. 31 Allen, D.: op. cit., S. 289. 32 Allen, D.: op. cit., S. 291 und Anmerkung 31. 33 Ambrosio, T.: Introductio in chaldaicam lingua syriaca atque Armenica & dece alias linguas, S. 182. 34 Allen, D.: op. cit., S. 286 Anmerkung 5. 35 Ambrosio, Th.: op. cit., S. 182.

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wöhnlich große Mitra, die durch Perlen und Edelsteine nur so glitzerte. 36 Am 1. September 1510 berichtet der Gesandte Spazio Gadio Isabella d’Este, deren Sohn die Geisel des Papstes war, dass jener in die Engelsburg gebracht worden sei, um ihm die dortigen Reichtümer zu zeigen. Dort habe er fünf Schränke voll mit diversen Gefäßen aus Silber und Gold sowie reich geschmückte Kreuze und Schalen, dazu die zwölf Apostel aus Gold 37, die große Tiara, die 80 000 Dukaten wert sei, und zwei reich geschmückte Mitren gesehen. 38 Das zur Schaustellen, Sammeln und Instandhalten der Schmuckstücke gehörte offenbar zu Julius’ II. Leidenschaft und Selbstverständnis. Emmanuel Rodocanachi verweist neben der Tatsache, dass die Schmuckstücke dem Geschmack Julius’ II. schmeichelten und sie ihm für seine Politik von Nutzen sein konnten, darauf, dieser Papst unendlich daran festhielt, zu beeindrucken. Nach ihm war hauptsächlich das Volk die Zielgruppe des Pontifex, da Schmuckstücke diesem eine Vorstellung gaben, über welche Macht der Stellvertreter Christi verfügte. 39 In letzter Konsequenz sollte durch schöne Steine die majestatis papalis gesteigert werden. 40 Daneben ging es auch um die Demonstration päpstlicher Solvenz, wodurch die wirtschaftliche Macht des Papstes ablesbar wurde. 41 Pompöse Auftritte waren für Julius II. das Inszenierungsmittel schlechthin und boten die Bühne der effizienten Selbstdarstellung. Erste Gelegenheit bot die prunkvoll abgehaltene Krönung Julius’ II., worüber Ghivi-

zano an den Markgrafen von Mantua berichtet. 42 Der bereits erwähnte Einzug in Bologna 1506 ist ein weiteres Beispiel dafür. Es gibt Berichte von Paris de Grassis, dass Julius II. bei bestimmten liturgischen Anlässen bzw. Feierlichkeiten sehr wertvolle Pluvialen und Mitren trug. 43 Auch wenn das Zeremoniell ein bestimmtes päpstliches Erscheinungsbild forderte, bot es dem Papst Gelegenheit zur Personenverherrlichung in eigener Sache. Die Zielgruppe der Kleriker war so in prestigerelevanter Hinsicht bedient. Gerade Julius II. wird in seiner ambitionierten und mit Schmuck gestützten Repräsentation eine hohe Lebendigkeit nachgesagt, die sich auch darin zeigte, dass er seiner Nichte Lucrezia eine goldene Kette und seiner Nichte Eleonora Gonzaga anlässlich ihrer Eheschließung einen Edelstein im Wert von 1000 Dukaten schenkte. 44 Als besonderes Verherrlichungsattribut diente diesem Pontifex die Tiara. So arbeitet Eugène Müntz in seinem Werk heraus, unter Julius II. seien Tiaren in einem bisher nie dagewesenen Rahmen entweder repariert, instand gesetzt oder komplett neu in Auftrag gegeben worden. 45 Sich am Diarium des Johannes Burckard orientierend, stellt Eugène Müntz heraus, dass Julius II. am 26. November 1503 mit einer vortrefflichen Krone gekrönt wurde 46, während er am 5. Dezember 1503 bereits eine neue Krone mit wertvollen Edelsteinen und die wertvolle Albe Innozenz’ VIII. trug. 47 Am 13. August 1504 erfolgte die Instandsetzung oder die Re-

Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III., S. 617. Ivan Cloulas gibt den Hinweis, dass prunkvolle Kleidung ein Zeichen der Macht war und der Pontifex sich in edle und seltene Stoffe kleidete. Vgl. Cloulas, I.: Jules II, S. 157. 37 Die zwölf goldenen Apostel hatte sich Julius II. aus dem Schatz von Ascanio Sforza angeeignet und sie anlässlich des Festes des heiligen Stephanus zu den üblichen zwölf Aposteln auf dem Hochaltar stellen lassen. Vorher hatte er die Figuren mit seinem Siegel versehen lassen. Vgl. Allen, D.: op. cit., S. 287 Anmerkung 7. 38 Luzio, A.: Federico Gonzaga staggio alla Corte di Giulio II., S. 514 Anmerkung 3. Stazio berichtet weiter darüber, dass man Federico die Tiara aufsetzte, der aber postulierte, er wolle kein Papst, sondern ein Krieger der Kirche sein, der sich damit vergnüge, den Stoßdegen zu schwingen. 39 Rodocanachi, E.: Le Pontificat de Jules II, S. 83. 40 Jones, R.; Penny, N.: Raffael, S. 158. 41 Allen, D.: op. cit., S. 286. 42 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 908, Dokument 59. „La coronatione se farà dominicha pomposa al possible, grandissimo aparoto se fa (…).“ 43 Grassi, P.: Le due spedizione Militari di Giulio II. Paris de Grassis berichtet: In Imola trägt der Papst „pluviali praetioso, et mitra, ac pectorali“ (S. 64). Am 16. Dezember 1506 anlässlich einer Feierlichkeit in Rom: „papa cum pluviali rubeo et mitra praeciosissima“ (S. 115). Am 14. März 1507 anlässlich einer Messe in Viterbo: „et inde ad Ecclesiam ipse pluviali et mitra praeciosa“ (S. 166). Am 27. Juni 1511 anlässlich einer Messe in Santa Maria del Popolo: „Petri Pontifex, solemniter accessit vestitus pluviali rubeo, et mitra praetiosa“ (S. 292). Paris de Grassi erwähnt auch, dass Julius II. beispielsweise auch einfache Mitren (S. 42) oder aus Respektsgründen während der Liturgie gar keine trug (S. 47). 44 Rodocanachi, E.: Le Pontificat de Jules II, S. 83. 45 Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 68. 46 Burchardi, J.: Diarium, S. 308. Der Zeremonienmeister berichtet, dass es sich um eine schöne/vortreffliche Krone handelte. „et fuit coronatus regno pulchro cum quo rediit ad Palatinum.“ 47 Burchardi, J.: Diarium, S. 312. „(…) pluviale pretiosum album Innocentii et regnum novum quod Sanctitas fecit fieri, pondere librarum septem vel circa de gemmis pretiosis.“ Eugène Müntz verwirft zu einem späteren Zeitpunkt in seinem Buch die Annahme anderer Historiker, dass die Tiara von 36

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paratur der Tiara Pauls II., was sich auf 500 Goldflorin belief. 48 Am 17. Dezember 1504 wurde ein Rubin für den Preis von 3000 Florin gekauft, der aber nicht für die Tiara bestimmt war. 49 1505 fügte Julius II. der Tiara einen großen Rubin von 120 Karat und vor allem eine Perle in Form einer Eichel hinzu. 50 Aus Gründen der Publicity hatte Julius II. den angeblichen Preis des Steins mit 14 000 Golddukaten verbreiten lassen. Paris de Grassis notierte jedoch in sein Diarium, dass der Stein aus dem Nachlass von Ascanio Sforza stamme. 51 Johannes Burckard beschreibt, dass der Papst die Tiara während der Vesper am Weihnachtstag 1505 trug. Der Rubin (Balasium) war hängend angebracht 52, ungefähr 120 Perlen schmückten die Stirn, wobei an der Spitze der Tiara eine Perle angebracht war, die aussah wie eine Eichel. 53 1507 ließ er diese Tiara umgestalten bzw. reparieren. Aus diesem Anlass wurden verschiedene Ankäufe von Perlen und wertvollen Edelsteinen getätigt, die als Ersatz für fehlende Stücke in die Tiara eingefügt wurden. 54 Diese Umgestaltung oder Reparatur verfehlte ihre Wirkung nicht, sodass der Gesandte Mantuas später von der Pracht dieser Tiara berichtet: Sie sei kleiner, aber höher und schwerer als die andere und von einem

höheren Preis wegen der Edelsteine und Perlen von erstaunlicher Größe, die darin eingefasst seien. 55 Auslöser für die Umgestaltungsmaßnahme dürfte die bevorstehende Einnahme Bolognas gewesen sein. Nachdem der Papst pompös Einzug in Rom gehalten hatte 56, trug er erstmalig das neue Amtsinsignium Ostersonntag 1507, dessen Segnung er selbst vornahm. 57. Bei dem vorher stattfindenden Einzug in den Gottesdienst trug man ihm zwei Tiaren, zwei wunderbar verzierte Mitren und eine einfachere dritte voran. 58 Nach Paris de Grassis ließ Julius II. die Tiara anfertigen, um seinem Onkel nachzueifern. 59 Für Eugène Müntz besteht kein Zweifel, dass diese Tiara mit der in den Fresken Raffaels in der Stanza del Segnatura identisch ist. 60 Julius II. ist mit dieser Tiara sitzend auf dem Bild „Disputa“ links vom Altar abgebildet, während sein Oheim rechts vom Altar stehend mit goldener Pluviale und Tiara dargestellt ist. 61 Bemerkenswert ist, dass die Tiaren der della-Rovere-Päpste nahezu identisch und an der Spitze der jeweiligen Tiara mit einer Eichel geschmückt sind. Denise Allen verweist berechtigt darauf, dass die schon erwähnte Prachtschließe Julius’ II. im Fresko mit dem pyramidalen Diamanten dieses Mal den Chormantel

1503 mit der von 1507 identisch sei. Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 72. Denise Allen geht davon aus, dass die Tiara noch während des Konklaves in Auftrag gegeben wurde. Vgl. Allen, D.: op. cit., Anmerkung 13, S. 289. 48 Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 69. Paul II. hatte sich zwei Tiaren anfertigen lassen, von denen die Erste den Wert von 50 000 Florin und die Zweite einen Wert von 120 000–180 000 oder gar 200 000 Florin hatte und während des Sacco di Roma 1527 zerstört wurde. Vgl. ebd., S. 63. Paul II. hatte ebenfalls eine große Affinität für Tiaren und Edelsteine. Vgl. ebd., S. 62. 49 Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 69. 50 Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 69. Ivan Cloulas verweist ebenfalls darauf, dass Julius II. einem Venezianer 2300 Dukaten für einen Rubin zahlte, der in eine Tiara integriert werden sollte, spezifiziert aber weder das Jahr noch die Tiara bei seiner Aussage. Vgl. Cloulas, I.: Jules II, S. 157. 51 Allen, D.: op. cit., S. 285 und Anmerkung 7, S. 287. „(…) unum lapidem preciosissimum quem dixit papa sibi constitisse in prima solutione quattuordecim millia ducatorum auri de camera. (…) Deinde ut audivi predictus lapis preciosus fuit ex thesauro quem papa habuit ex morte Reverendissimi Domini Vicecancellarii Ascanii (…).“ 52 Paris de Grassis verweist darauf, dass er gut sichtbar war. „Idea ut ipse lapis videretur ab omnibus quem posui in anteriori et maiori circulo in medio super fronte (…).“ Vgl. Allen, D.: op. cit., Anmerkung 7, S. 287. 53 Burchardi, J.: Diarium, S. 413. „(…) Papa venit ad basilicam S. Petri ad vesperas sub regno; fecit apponi magnum balasium pendens caracterum centum et viginti vel circa in fronte et longum in superficie loco perle; et super illo perlam, in modum glandis; (…).“ 54 Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 70. 55 Rodocanachi, E.: La Premiére Renaissance Rome au temps de Jules II, S. 90. 56 Grassis, Paris de: Diarium – Das Pontificat Julius II., S. 379. 57 Allen, D.: op. cit., Anmerkung 13, S. 290. Vgl. Rodocanachi, E.: La Premiére Renaissance Rome au temps de Jules II, S. 90, Anmerkung 3. 58 Rodocanachi, E.: La Premiére Renaissance Rome au temps de Jules II, S. 90. 59 Allen, D.: op. cit., Anmerkung 19, S. 291. „(Papa) benedixit Thiaram novam sive Regnum novum quod ipse fecit pretiosissimum ad instar antiquae thiarae quoniam sanctae memoriae Sixtus Quartus eius patruus similiter de novo fecerat, et dederat pro usu Cappelae. Et ista Thiara est largior ac depressior idest non ita alta, et minus longa qua antiqua Sixti Thiara ac levior libris quinque vel circa licet lapidibus pretiosis ac gemmis, et cultu, et decore non minor, sed im(m)o in pretiossi non superior saltem equalis.“ Vgl. Rodocanachi, E.: La Premiére Renaissance Rome au temps de Jules II, S. 90, Anmerkung 3. 60 Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 70. 61 Thoenes, C.: Raphael, S. 39.

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Sixtus IV. hält, womit sie zu einem dynastischen Bedeutungselement avanciert. 62 Im gleichen Raum ist Julius II. nochmals in der Gestalt von Papst Gregor IX. zu sehen, als er das Liber Extra der Dekretalen empfängt. 63 Die rechte Hand ist zum Segensgestus erhoben und wird durch zwei Ringe geschmückt. Auffallend ist der sich am rechten Ringfinger befindliche massive Ring, bei dem es sich um einen Fischerring oder den Ring handeln könnte, der die vier Kirchenväter darstellt. Theseo Ambrosio erwähnt einen beschichteten Gold- und Silberring, der die vier Kirchenväter zeigte und mit einem Diamanten besetzt war und dessen Gesamtwert sich auf 22 500 Golddukaten belief und für pontifikale Anlässe vom Papst bestellt worden war. 64 Gregor XI. alias Julius II. ist mit prächtiger Pluviale und Tiara dargestellt, die derjenigen in der Disputa ähnelt und in ihrer Pracht besser zu erkennen ist. Es ist auch hier zu vermuten, dass es sich um die Tiara Pauls II. handelt. Im siebten Jahr seines Pontifikates (November 1509–1510) bestellte Julius II. eine neue Tiara, die von den Zeitgenossen als vortreffliches Werk bezeichnet und von dem Goldschmied Caradosso 65 hergestellt wurde. Sie war mit Edelsteinen übersät und durch extraordinäre Pracht gekennzeichnet, was der exorbitante Preis von 200 000

Golddukaten zeigt. 66 Caradosso habe mit diesem Werk alle anderen Goldschmiedewerke seiner Zeit übertroffen, da sie höchste Handwerkskunst sei. 67 Allerdings soll sie zu großen Teilen aus Elementen ihrer Vorgängerin hergestellt worden sein. 68 Einem Inventarverzeichnis, das Caradosso 1510 aufzeichnete, ist zu entnehmen, dass der Rubin aus dem Schatz des Ascanio Sforza neu eingearbeitet war, ein facettierter hängender Saphir und vier hängende Balasrubine waren neben 23 hängenden Perlen ebenfalls dort verarbeitet. 69 Entsprechend muss die Tiara eine außergewöhnliche Wirkung gehabt haben. Die Anordnung (ordine distinxit und distribuit) der „gemmae“ auf dieser Tiara – die im Übrigen „compacta“ (dicht) und „undique“ (überall) mit diesen gespickt war – muss wohl derart gewesen sein, dass sie der Himmelssphäre glich. 70 Mit der überwältigenden Anzahl von Perlen und Edelsteinen, wobei die hängenden Elemente die Größe von Taubeneiern hatten, übertraf Julius II. selbst die Krone Pauls II. 71 Eine konzise zeitgenössische Beschreibung der Krone liegt der Forschung allerdings nicht vor. Einer Inventarliste aus dem „Aerarium Sanetius“ vom 30. Mai 1572 ist jedoch zu entnehmen, dass sie mit 39 Diamanten, 29 Smaragden, 22 Saphiren, 69 Rubinen, 27 Spinellen und 571 Per-

Allen, D.: op. cit., S. 285–286. Thoenes, C.: Raphael, S. 43. Siehe Abb. 41: Papst Gregor IX. empfängt das Liber Extra der Dekretalen [S. 344]. Vgl. Pope-Hennessy, J.: Raphael, S. 106–107. John Pope-Hennessy verweist nochmals explizit auf den Bart, den Gregor IX. alias Julius II. hier noch trägt. 64 Ambrosio, Th.: op. cit., S. 182. Vgl. Canecellieri, Francesco: Notizie sopra l’origine e l’uso dell’anello pescatorio, S. 15. 65 Christofano Caradosso oder Ambrogio Foppa (um 1445–1527) war Goldschmied, Emailleur, Medailleur, Skulpteur und Edelsteinschneider, der aus Mailand stammend für die Päpste II. und Leo X. tätig war. Vgl. Forrer, L.: Biographical Dictionary of Medallists, S. 345. Cardosso wurde 1509 zum „gioielliere del papa“ ernannt. Vgl. Allen, D.: op. cit., S. 287. Er war Gründungsmitglied der 1508 gegründeten Bruderschaft der römischen Goldschmiede. Vgl. ebd., S. 286. Daneben war er vor allem ein verlässlicher und sicherer Taxator. Vgl. ebd., S. 288. Cellini feiert ihn in seinem Traktat als vortrefflichen Meister. Vgl. Cellini, B.: Traktate über die Goldschmiedekunst und die Bildhauerei, S. 54. Cardosso war für die hohe Qualität seiner Werke bekannt, was u. a. für die lebendigen und klaren Bildnisse auf Münzen gilt, sodass Sixtus IV. auch schon von ihm silberne Porträtmünzen anfertigen ließ. Erst Julius II. sollte 20 Jahre später wieder Porträtmünzen von Caradosso herstellen lassen. Vgl. Friedlaender, J.: Die italienischen Schaumünzen des 15. Jahrhunderts, S. 183–184. Julius II. wird Caradosso spätestens seit dem Pontifikat Sixtus’ IV. gekannt haben. Caradosso suchte auch den Kontakt zu Julius II. So bot er ihm einen im Jahr 1500 gestalteten Diamanten an. Vgl. Forrer, L.: Biographical Dictionary of Medallists, S. 349. Er erledigte neben der Tätigkeit an der Tiara auch andere Arbeiten. Im Dezember 1508 hatte er drei wertvolle Saphire erhalten, um sie für einen Rosenkranz zu perforieren, was er ausführte und dafür am 3. Januar 1509 entlohnt wurde. Vgl. Müntz, E.: L’Altelier Monetaire de Rome, S. 23. 66 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 743. Paris de Grassis berichtet in seinem Tagebuch, dass der Papst eine Summe von mehr als 200 000 Golddukaten nannte. „(…) et exposuerat ultra 200 milia ducatorum“. Grassis, Paris de: Diarium – Das Pontificat Julius II., S. 415. In einem Brief von Grossino an Isabella d’Este vom 12. Juli 1511 bestätigt der Schreiber ebenfalls diese Summe. Vgl. Luzio, A.: Federico Gonzaga staggio alla Corte di Giulio II., S. 525. 67 Ambrosio, Th.: op. cit., S. 183. Vgl. Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 71. 68 Allen, D.: op. cit., S. 286. Siehe Anmerkung 13, S. 290 „(…) novum regnum, quod ipse reformare fecit destructo suo primo (…).“ 69 Allen, D.: op. cit., Anmerkung 11, S. 289. 70 Ambrosio, Th.: op. cit., S. 182–183. In der Folge spricht Ambrosio Caradosso das allerhöchste Lob und technische Können eines Goldschmiedes und Edelsteinschleifers aus. Jeder würde ihm unterliegen, der in einen Wettstreit mit Caradosso trete, ein Gesicht in einen Edelstein zu schleifen. https:// archive.org/stream/IntroductioInChaldaicamLinguSyriacA/Introductio_in_chaldaicam_lingu_Syriac_a#page/n381/mode/2up. Vgl. Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 71 „s’il est permis de comparer les choses divines aux choses humaines“ – déclare un auteur du temps – „je dirai que n’est past autrement que se présente la voûte céleste lorsqu’elle resplendit de planètes et d’étoiles.“ 71 Allen, D.: op. cit., S. 286. Siehe Abb. 42: Tiara Julius II., Francesco Bartoli zugeschrieben [S. 345]. 62 63

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Julius’ II. Affinität zu Edelsteinen und Tiaren

len besetzt war. Die Inschrift „IVLIUS-LIGVR-PPII-ANNO-VII“ war mit kleinen Diamanten dargestellt und interpunktiert mit kleinen Rubinen. 72 Die Inschrift diente dem Gedenken des Stifters und ist vergleichbar mit der Inschrift an einem Gebäude, was an einer Tiara ein Novum ist. 73 Volker Reinhardt verwies darauf, dass die Selbstbezeichnung auch als „Julius, zweiter Papst aus Ligurien“ zu lesen wäre, was einen Hinweis auf die dynastische Kontinuität bedeutet. Das Gewicht dieser Tiara belief sich auf sieben Pfund. 74 Paris de Grassis berichtet darüber, dass der Papst bei dem Einzug in Bologna am 22. September 1510 die Tiara und die Pluviale ablegen musste, da er mit ihnen zu ermüden schien. 75 Zuvor hatte der Papst die wertvolle Tiara und Pluviale beim Einzug entgegengenommen. 76 Anfang September 1510 hatte der Pontifex diese wertvollste Tiara schon für eine Segensspendung in Rom getragen. 77 Besagter Zeremonienmeister berichtet auch darüber, dass der Stellvertreter Christi die Tiara erstmalig am Ostersonntag 1510 trug, vergisst aber nicht, ihren Wert mit 120 000 Golddukaten zu benennen 78, während Julius II. selbst von über 200 000 Golddukaten spricht. Er trug diese Tiara anlässlich des neunten Jahrestages seiner Wahl im November 1511, was der Zeremonienmeister als nicht angemessen empfand und auch äußer-

te. Die Replik in Richtung de Grassis’, die ein erheiterter Julius II. gab, war eindeutig: Er habe die Krone für sich und nicht für de Grassis anfertigen lassen und habe mehr als 200 000 Golddukaten dafür ausgegeben, damit er sich an ihr erfreue, wenn es ihm und nicht de Grassis gefalle. 79 Sich diese Tiara anlässlich der Feier seines neunten Könungstages auf das Haupt zu setzen, entspringt definitiv nicht der Haltung der „humilitas“, sondern dient als wirkmächtige Aufarbeitung bzw. Revision der eigentlichen Krönung, da die Insignie aufgrund ihrer Pracht einen größeren Herrschaftsanspruch anzeigt als die Tiara, die er 1503 trug. Es findet nahezu eine Überschreibung der Ursprungsszene statt, wenn sich Julius II. mit einer neuen Krone zeigt. Eine effizientere und auf Machtanspruch ausgelegte Selbstdarstellung war für diesen symbolträchtigen Erinnerungstag kaum zu erzielen. Paris de Grassis hat sowohl diese feierliche Messe als auch den Auftritt des Papstes entsprechend wahrgenommen und diesem Tag quasi den Nimbus eines Jahreswechsels und somit Bedeutsamkeit gegeben. 80 Die Aussage über den Anfertigungsgrund belegt in jedem Fall, dass Julius II., wie er selbst bekennt, ein Absichtstäter war 81, der die symbolträchtigen Auftritte brauchte und nutzte, um seine papalis maiestatis zu demonstrieren. Auch wenn Julius II. einerseits die

72 Lanciani, R.: The Golden Days of the Renaissance Rome, S. 285. Nach Lanciani sind der Beschreibung der Tiara vier eng beschriebene Seiten gewidmet. Insgesamt weist die Tiara 187 Edelsteine und 571 Perlen auf. Die Beschreibung unter dem Bild von Francesco Bartoli bestätigt das Vorhandensein von Diamanten, Saphiren, Rubinen und Smaragden. 73 Allen, D.: op. cit., S. 286. 74 Rodocanachi, E.: Le Pontificat de Jules II, S. 82. 75 Grassi, P.: Le due spedizione Militari di Giulio II, S. 194. „(…) et Papa dedit benedictionem deposito prius regno, et pluviali, nam cum illis multum fatigari videbatur.“ Legt man die prächtigen Pluvialen und Tiaren aus der Disputa oder der Justitia zugrunde, ist die Anstrengung des Papstes nachvollziehbar. Die Kleidungstücke waren schlicht zu schwer. 76 Grassi, P.: Le due spedizione Militari di Giulio II, S. 193 „(…) et in sero hora XXII ingressus stola vestitus (…) descendit et sub portico Capitanei eiusdem portae pluviale accepit praetiosum, ac thiaram novam praetiosissimam.“ 77 Grassi, P.: Le due spedizione Militari di Giulio II, S. 190. Julius II. hatte einen Gottesdienst in der capella parva frühzeitig verlassen, um etwas zu ruhen und trug Grassi auf, die Kardinäle nach der Messe zu ihm zu bringen, damit er dann mit der Pluaviale und der sehr wertvollen Tiara eingekleidet werde. „Ipse ad aedes suas reversus (…) mihique imposuit, ut finita missa Cardinales ad se adducerem, ut vestiretur pluviali, et regno novo, sive thiara sua praeciosissima.“ Paris de Grassis betont immer wieder, wie wertvoll diese Tiara ist. 78 Allen, D.: op. cit., Anmerkung 13, S. 290. „(…) et accepit novum regnum (…) et miratus fui discit esse valore 120 millium ducatorum (…)“. 79 Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 88. „(Papa) voluit portare regnum suum, quod ipse fecit, et cum dixissem non solitum esse, respondit quod pro se et non po me fecerat, et exposuerat ultra cc milia ducatorum, ut illo gauderet et frueretur, quando sibi et non quando mihi videretur, et ridens quidam et dixit alia (…)“. Als Angabe macht Eugène Müntz Paris de Grassis, Diarium; Bibliothéque nationale de Florence, t, II, fol. 194. 80 In „Paris de Grassis: Diarium – Das Pontificat Julius’ II.“ ist die Erinnerungsfeier an den neunten Krönungstag erweitert erfasst. Dort wird berichtet: „Mecurii 26. Novembris fuit anniversarium coronationis Smi D.N., ut moris est fieri solemnissimum, et pro novo anno inchoante, quod nunquam credidimus futurum propter gravissimam ejus aegritudinem elapsis diebus passam, ex qua Die gratia incolumis evasit. Nam cum circiter 20 diebus evagatus fuerit apud Ostiam et Centumcellas sive Civitatem veterem, ita rediit sanus, ut omnes suos laetificaverit. Et hodie missae interfuit.“ Vgl. ebd., S. 415. An diese Darstellung schließt sich dann dann Zitat über die Tiara, siehe Fußnote 763, an. Offensichtlich war der Papst erkrankt, genas und kehrte zurück. Für den Zeremonienmeister ist dies eine glückliche Fügung, die auf Gott beruht und die ihn diesen Tag wie einen Jahreswechsel feiern lässt. 81 Grassi, P.: Le due spedizione Militari di Giulio II, S. 194.

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Julius II. und der Luxus

Kontinuität der della-Rovere-Familie zeigen wollte, stand er andererseits in einem Wettstreit mit seinem Oheim. Das Übertrumpfen des Oheims wird zum Agens in seinem Pontifikat. 82 Mit der Prachttiara gelingt ihm dies zweifellos. Sixtus IV. hatte eine Tiara im Jahr 1483/1484 bei Bartolommeo di Tommaso in Auftrag gegeben, die an Pracht den Tiaren von Eugen IV. und von Paul II. ebenbürtig war, die von einem Zeitgenossen auf 110 000 Golddukaten geschätzt wurde, deren Fertigstellung er aber nicht mehr erlebte. 83 Sixtus IV. wurde mit dieser Tiara auf seinem Grabmal dargestellt, womit der Neffe Giuliano della Rovere seinen Anspruch auf den Papstthron deutlich macht. Philipp Zitzlsperger konkludiert in seiner Darstellung über das Grabmal Sixtus’ IV., dass der überwundene Tod in der Person des Sixtus IV. die Metapher für die dynastische Kontinuität der Della-Rovere-Familie sei. 84 Die dynastische Kontinuität wird nicht zuletzt durch Insignien gewährleistet, was gerade durch eine prachtvolle Tiara demonstriert wird. Daher ist es nicht überraschend, dass Julius II. mehrerer dieser Insignien bedurfte. Interessanterweise stellt Michelangelo den verstorbenen Julius II. bzw. seinen Gisant am Julius-Grabmal mit Tiara dar. Nach Emmanuel Rodocanachi soll die Tiara auf dem Kopf der liegenden Papststatue diejenige sein, die er für 200 000 Golddukaten bestellt hatte. 85 Dieser Zuordnung ist mit

Vorsicht zu begegnen, da sich die Tiara der Figur zwar als Triregnum gestaltet und als solche erkennbar ist, aber nicht in ihrer Pracht aus dem Marmor gearbeitet ist. 86 Die Prachttiara Julius’ II. überstand nahezu mirakulös den Sacco di Roma, blieb vermutlich unverändert, bis Pius VI. sie im 18. Jahrhundert umgestalten ließ. So waren an der Tiara drei große und 36 kleine Diamanten, 24 Rubine, 22 Saphire, und vier große Smaragde und 12 große Rubine, von denen einer alleine schon 3000 Dukaten wert war, verarbeitet. 87 Zu Beginn des 19. Jahrhunderts ging die Tiara verloren, da sie eingeschmolzen wurde und die Edelsteine veräußert wurden, damit der Heilige Stuhl bzw. Pius VII. die französischen Kontributionen bezahlen konnte. 88 Einziges Zeugnis der Tiara heute ist ein Druck von 1719 nach einer Zeichnung des Francesco Bartoli im British Museum. Unter der Tiara befinden sich eine Beschreibung und weitere Informationen, die Auskunft über den hohen Wert der Krone von 200 000 römischen Scudi, über einzelne Edelsteine (Rubine, Spinelle, Balais, Saphire, Diamanten) geben und bestätigen, dass es freihängende Elemente gab. Scheinbar interessanteste Information ist, dass während der Fundamentierungsarbeiten für Neu-St. Peter ein Arbeiter mit einer Spitzhacke einen steinernen Sarkophag traf, der der Kaiserin, die nicht näher benannt wird, gehörte. Der Papst befahl die Öffnung des Sarko-

Christin Shaw arbeitet in ihrem Artikel „A Pope and his nipote – Sixtus IV und Giuliano della Rovere“ das ambivalente Verhältnis zwischen Papst und Neffe heraus. In der letzten Konsequenz gelang es Giuliano della Rovere nicht, großen Einfluss am Hof seines Oheims zu gewinnen, wobei ihn der Neffenbonus und seine Fähigkeiten dazu prädestiniert hätten, scheiterte aber an sich selbst, da er sich nicht unter Kontrolle hatte und Zornesausbrüchen freien Lauf ließ (S. 245). Er verfolgte seine Interessen und scheute sich nicht, an einer Intrige gegen Girolamo Riario teilzunehmen, was ihm den Rauswurf aus dem Vatikan einbrachte (S. 241). Sixtus IV. war über die Intrige erzürnt, verzichtet nach Insistieren einiger Kardinäle nach Giulianos Rauswurf auf weitere Maßnahmen, da er ihn doch liebte (S. 242). Gleichzeitig fürchtete Sixtus IV. seinen Neffen, da dieser in letzter Konsequenz zu mächtig werden könnte (S. 243). Nach Christin Shaw war Giulianos Kardinalat seine Ausbildungszeit für sein Pontifikat (S. 250). 83 Müntz, E.: Les Arts a la Cour des Papes pendant le XV et le XVI siècle, Bd. III, Premier Section, S. 30; S. 243. Eugène Müntz nennt hier als Jahr der Bestellung 1484. In seinem Werk über die päpstlichen Tiaren gibt er hingegen das Jahr 1483 an. Des Weiteren stellt er heraus, dass bei dem Tod Sixtus IV. ein Restbetrag von 3500 Golddukaten an den Goldschmied ausstand. Er verweist hier darauf, dass der Gisant Sixtus’ IV. vermutlich diese Tiara auf seinem Grabmal von Pollaiuolo trug. Vgl. Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 64. Philipp Zitzlsperger verweist zurecht darauf, dass der tote Pontifex normalerweise nicht die Tira, sondern die Mitra trug. Vgl. Zitzlsperger, P.: Von der Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Das Grabmal Sixtus’ IV. della Rovere, S. 30. 84 Zitzlsperger, P.: Von der Sehnsucht nach Unsterblichkeit. Das Grabmal Sixtus’ IV. della Rovere, S. 34. Mit der Inschrift des Grabmals verweist der Neffe Giuliano della Rovere darauf, dass er aus Gründen der Pietas seinem Onkel dieses Grabmal stiftete. Kardinal della Rovere vereinigt hier sein Kardinalswappen mit dem päpstlichen Wappen, um aus der Vergangenheit eine Zukunft, die er sich als zukünftiger Papst wünscht, zu legitimieren. Vgl. Bredekamp, H.: Sankt Peter in Rom, S. 15. 85 Rodocanachi, E.: Le Pontificat de Jules II, S. 83. 86 Großaufnahmen von der liegenden Papstfigur zeigen, dass die Tiara deutlich und von unten gut sichtbar als Triregnum gearbeitet ist, womit sie ihren Zweck als päpstliches Zeichen erfüllt. Sie ist aber nicht mit der besagten Prachttiara, wie sie Francesco Bartoli gemalt hat, vergleichbar. Vgl. Frommel, C. L.: Michelangelo – Marmor und Geist, S. 84–86. Antonio Forcellino geht auf die Tiara bei seiner Beschreibung der Liegefigur am Grabmal nicht ein. Vgl. ebd., S. 293–294. 87 Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 75. Pius VI. ließ die Tiara umgestalten. Emmanuel Rodocanachi setzt in seinem Werk die genannte Summe an Steinen und Perlen für die ursprüngliche Tiara ein. Vgl. Rodocanachi, E.: Le Pontificat de Jules II, S. 82. 88 Friedlaender, J.: op. cit., S. 178. Vgl. Allen, D.: op. cit., Anmerkung 9, S. 288. 82

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Ring und Schmuckdarstellungen des Papstes

phags, in dem man neben der Asche eine Fülle von Edelsteinen fand. Einen Teil der Edelsteine verwendete der Papst zum Schmuck für die neue Tiara, während die Asche in einer Urne ehrenvoll in der Krypta von Neu-St. Peter beigesetzt wurde. 89 Diese Erzählung erscheint nicht verlässlich, ist eher als anekdotenhaft einzuordnen, da sie jeglicher Quellengrundlage entbehrt. Sie passt aber zu der legendären Tiara, die einst in realiter existierte. Julius II. erreichte mit seinen edlen Objekten sein Ziel: Er bekam Aufmerksamkeit. Denise Allen spricht sogar davon, dass Julius II. mit Penetranz auf seine Amtsinsignien und deren Wert aufmerksam machte. 90

Somit waren sie nicht grundlos Gegenstand der diplomatischen Korrespondenz. Der Gesandte aus Mantua berichtet am 12. Juli 1511, dass der Papst sich beide Tiaren, Julius II. besaß zu diesem Zeitpunkt noch eine weitere Tiara im Wert von 100 000 Golddukaten, die nicht weiter spezifiziert oder von der nicht klar ist, ob es die von 1503 oder die von Paul II. ist, aus der Engelsburg holen ließ, da er große Freude dabei empfand, sie anzuschauen. Der Gesandte selbst werde wohl nie wieder solch schöne Juwelen in diesen unzähligen Sorten sehen mit so vielen Perlen versehen und so verziert. 91

5.4 Ring und Schmuckdarstellungen des Papstes Das im Jahr 1511/12 von Raffael gemalte Porträt Julius’ II. liefert eine weitere Möglichkeit, die Eitelkeit des Papstes und dessen Geltungsbedürfnis zu demonstrieren. Auf eine vertiefendende Analyse oder Interpretation des Bildes soll hier verzichtet werden, da sie für den Kontext nicht von Relevanz wären. 92 Raffael stellt Julius II. sitzend in liturgischen Gewändern mit dem Camauro und der Mozzetta und einem weißen Untergewand dar. 93 Der Papst sitzt in einer Ecke, deren Wände grün und mit päpstlichen Schlüsseln Ton in Ton geschmückt sind. Der rote päpstliche Stuhl ist an der Verlängerung der Rückenlehne mit zwei goldenen Eicheln verziert. Der sitzende Julius II. dominiert das Bild und ist mit ernstem Gesicht und Bart dargestellt. Vasari kommentierte das Porträt in der Weise, dass der Anblick des Papstes so furchteinflößend sei, als sei er es selbst. 94 Raffael gelingt eine realistische

Darstellung des Papstes, die Vasari berechtigt zu diesem Urteil kommen lässt. Um das Priesteramt des Papstes zu unterstreichen, wählte Raffael die Darstellung des Papstes in liturgischen Gewändern, verzichtete auf die Tiara, wobei alle Zeitgenossen wussten, dass Julius II. alles andere als ein Priester war. 95 Markant und hier von Relevanz ist, dass sich der Papst mit sechs Ringen an zehn Fingern darstellen ließ, was eine bemerkenswert hohe Zahl ist. 96 Erst ab 1516 ist es protokollarisch fixiert, dass der Papst so viele Ringe tragen dürfe, wie er wolle. Bis zu diesem Zeitpunkt war er berechtigt, ausschließlich drei Ringe zu tragen. 97 Das Porträt verdoppelt demnach die übliche Ringanzahl. Beide Hände erfahren mit der gleichen Anzahl von Ringen quasi einen besonderen Schmuck 98, was durch das Tuch, der klassischen Insignie eines Herrschers, das der Papst in der rechten Hand hält, noch gestei-

http://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details.aspx?objectId=3356634&partId=1&searchText=Bartoli& page=1; Speziell Inschrift und Krone: Bereitstellung durch Hugo Chapman, Keeper of Prints and Drawings. [email protected]. Eugène Müntz geht auch darauf ein. Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 72. Siehe Abb. 43: Die Inschrift unter der Tiara Julius’ II. [S. 345]. 90 Allen, D.: op. cit., S. 285. 91 „Se pilia grande apiacer di veder zoie … Eri si fece portar li dui regni, un è di preci di 200 milia ducti e l’altro 10 milia. Credo non debo mai veder le più belle zoie e di tante sorte, con tante perle et cosí ben ornate.“ Vgl. Luzio, A.: Federico Gonzaga staggio alla corte di Giulio II, S. 525. 92 Loren Partridge und Randolph Starn fertigten eine kurze, aber sorgfältige Analyse dieses Porträts an, der wichtige Informationen zu dem Bild zu entnehmen sind. Partridge, L.; Starn, R.: A Renaissance Likeness – Art and Culture in Raphael’s Julius II. (Folgend zitiert: Partridge, L.; Starn, R.: A Renaissance Likeness) Siehe Abb. 44: Portrait Julius’ II. [S. 346]. 93 Partridge, L.; Starn, R.: A Renaissance Likeness, S. 2. 94 Vasari, G.: Das Leben des Raffael, S. 41. Bei dem Werk handelt es sich um ein Ölbild, das für Santa Maria del Popolo vorgesehen war. 95 Partridge, L.; Starn, R.: A Renaissance Likeness, S. 59. 96 Partridge, L.; Starn, R.: A Renaissance Likeness, S. 60. Emmanuel Rodocanachi geht auf das Porträt Raffaels ein und verweist auf das kostbare liturgische Gewand und die Ringe. Vgl. Rodocanachi, E.: Le Pontificate de Jules II, S. 82. 97 Partridge, L.; Starn, R.: A Renaissance Likeness, S. 61. 98 Kunz, G. F.: Rings for the finger, S. 269. 89

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Julius II. und der Luxus

gert wird. 99 Loren Partridge versucht eine Bestimmung der Edelsteine in den verschiedenen Ringen und stellt Diamanten, Rubine und Smaragde fest. 100 Die Zuordnung ist nachvollziehbar, da Schmuckstücke des Papstes diese Edelsteine aufweisen bzw. als einzelne Edelsteine erworben wurden. 101 Signifikant ist, dass der Primat der Ringe auf den Steinen liegt. Die Steine sind so defensiv gefasst, dass sie ihre beste Wirkung durch den jeweiligen Schliff erzielen können. 102 Die Auswahl wird ihre Begründung im Bischofsring haben, da verschiedene Edelsteine für Bischofsringe zu verschiedenen Zeiten nachweisbar sind. Smaragde waren in der früheren Zeit präferierter Stein für Bischofsringe, wozu auch später Rubine, Opale, Spinelle, Türkissteine und Jaspis zählen; Perlen und Granate sind eher selten verzeichnet. Schließlich wurde der Saphir fester Bestandteil des Bischofsrings. 103 Interessanterweise greift Raffael als vom Papst gewünschter Imagepfleger 104 auf das Detail „Ring“ in der Messe von Bolsena in der Stanza d’Eliodoro zurück, die der Empfangssaal für Gesandte war und die päpstlichen Machtansprüche zeigen sollte. 105 Zur gezeigten Herrschaftssymbolik in der Stanza d’Eliodoro gehörte auch der Schmuck, der ebenfalls an der Figur

Gregors IX. und defensiver in der Messe von Bolsena zu sehen ist. Der bärtige Papst ist als kniender Teilnehmer an dem Blutwunder an exponierter Stelle dargestellt. 106 Mit der größten Pietas, was durch den Anbetungsgestus und die Barhäuptigkeit 107 demonstriert wird, verfolgt der Papst das nicht zufällig stattfindende Geschehen, da Julius II. der Verehrung von Hostienreliquien eine besondere Bedeutung beimaß. 108 Julius II. trägt wie im Porträt des Raffael den großen Rubinring am linken Zeigefinger, den Smaragdring am kleinen Finger und einen Diamantring am Ringfinger, den er im Porträt an der rechten Hand trägt. Hier hält er die Ringzahl von Drei 109 ein, weil sich die Darstellung im Audienzzimmer befand 110 und weil es sich um die Darstellung eines Wunders handelt. Der Schwerpunkt liegt auf der Widerspieglung der päpstlichen Pietas. Signifikant ist allerdings, dass Julius II. sich erneut mit den Ringen darstellen lässt, die er auch auf dem Porträt trägt. Es muss jedoch offenbleiben, ob der Papst diese Ringe trug oder nicht, als er seinen Zug gegen Bologna im September 1506 unterbrach, um abends die Reliquie anzubeten und eine anwesende Menschenmenge zu segnen. 111 Die Wahrscheinlichkeit, dass er es tat, ist relativ hoch, da er das Volk

Partridge, L.; Starn, R.: A Renaissance Likeness, S. 55. Siehe Abb. 45: Ausschnitt aus dem Porträt Julius II. [S. 347]. Partridge, L.; Starn, R.: A Renaissance Likeness, S. 60. Es sind zwei Rubine, vermutlich zwei Smaragde, ein Diamant und ein Saphir erkennbar. Bis auf den Diamanten zierten diese Edelsteine u. a. das hohepriesterliche Brustschild im alten Israel. Die Stämme sollen den Edelsteinen zugeordnet werden. Vgl. Ex 28, 15–21. Der Rubin steht für den Stamm Juda (Gen 49, 8) und der Smaragd für den Stamm Levi (Gen 49, 5). Die Zinnen des neuen Jerusalems, welches auf Saphiren gegründet sein und dessen Tore aus Saphiren bestehen sollten, sollten nach Jesaja aus Rubinen gearbeitet sein (Jes 54, 11–12). Antonio Forcellino ordnet den Ring am linken Zeigefinger als Rubin ein. Vgl. Forcellino, A.: Raffael, S. 171. 101 Am 17. Dezember 1504 kauft Julius II. einen Rubin im Wert von 3000 Dukaten. 1505 lässt er einen Rubin Balais einer Tiara zufügen. Vgl. Müntz, E.: La Tiare Pontificale, S. 69. 102 Der Smaragdring am rechten Zeigefinger scheint am Ring selbst noch ein besonderes Design aufzuweisen. 103 Kunz, G. F.: op. cit., S. 269. Die religiöse Bedeutung der Steine soll an dieser Stelle aber nicht weiter vertieft werden. 104 Kempers, B.: Kunst, Macht und Mäzenatentum, S. 309. 105 Kempers, B.: Kunst, Macht und Mäzenatentum, S. 316. 106 Vasari liefert eine kurze Beschreibung des Freskos und verweist auf den Papst, der die Messe hört. Vgl. Vasari, G.: Das Leben des Raffael, S. 48–49. Das Blutwunder ereignete sich im Jahr 1263, als ein deutscher Priester, der Zweifel an der Transsubstantiation hegte, bemerkte, dass während er die Messe in Santa Cristina zelebrierte, Blut aus der Hostie auf das Korporale floss. Jedes Mal, wenn er das Korporale zusammenfaltete, war der Fleck vorhanden. Vgl. Jones, R.; Penny, N.: op. cit., S. 116–117. Vgl. Pope-Hennessy, J.: Raphael, S. 112. 107 Der Papst tritt nur in den feierlichsten Momenten der Messe barhäuptig auf. Vgl. Jones, R.; Penny, N.: op. cit., S. 117. 108 Kempers, B.: Kunst, Macht und Mäzenatentum, S. 316–317. Bram Kempers geht davon aus, dass gerade diese Reliquie in engem Zusammenhang mit dem Heiligen Krieg Julius’ II. stand, den er gegen die Mächtigen jenseits der Alpen führte. Daneben verweist er auf die Votivgebete, die Julius II. vor Bündnisabschlüssen, dem dritten Bologna-Feldzug und der Eröffnung des Laterankonzils sprach. Vgl. ebd., S. 317. Heinrich Wölfflin bemerkt, dass Raffael Julius II., dem er fast eine ganze Gestaltungshälfte einräumt, mit der Hauptfigur, dem Priester, nahezu auf Augenhöhe bringt. Vgl. Wölfflin, H.: Die klassische Kunst, S. 106. 109 Partridge, L.; Starn, R.: A Renaissance Likeness, S. 61. Wie gesagt, war es dem Papst bis 1516 erlaubt, nur zu drei Ringe zu tragen. Siehe Abb. 46: Fresko: Messe von Bolsena (Ausschnitt) [S. 348]. 110 Jones, R.; Penny, N.: op. cit., S. 113. 111 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 607. Grassi, P.: Le due spedizione Militari di Giulio II, S. 30–31. Sixtus IV. bestätigte den Kult um die Reliquie insgesamt zweimal. Vgl. Pope-Hennessy, J.: Raphael, S. 112. 1477 gewährte er allen Ablass, die vor der Reliquie beteten. Vgl. Jones, R.; Penny, N.: op. cit., S. 117. Julius II. wird sich göttlichen Beistand durch sein Beten vor der Reliquie erhofft und auch aus Gründen der Pietas gegenüber 99

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Schutz des päpstlichen Schatzes

durch seinen Reichtum beeindrucken wollte und als Papst auch drei Ringe tragen durfte. Es kann auch konstatiert werden, dass es diese Ringe sind, die er

bevorzug trug, und sie daher auf zwei Bildern zu sehen sind.

5.5 Schutz des päpstlichen Schatzes Aufgrund der Bedeutung des päpstlichen Schatzes, der kontinuierlich anwachsen sollte und sich in der Engelsburg befand, fällte Julius II. zeitig die strategisch wichtige Entscheidung, den Posten des Verwalters der Engelsburg ausschließlich in die Hände der della Roveres zu legen. Durch diese Form der Sukzession wurden Loyalität ihm gegenüber und maximaler Schutz für seine Schätze garantiert. Be-

reits zehn Tage nach seiner Wahl entließ er den alten unter Alexander VI. ins Amt gerufenen Burgverwalter, um seinen Neffen Marco Vigorio della Rovere einzusetzen. Ihm folgte 1506 Giovanni Lodovico della Rovere, der 1510 bis zum Ende des Pontifikates von Giovanni Francesco della Rovere abgelöst wurde. 112

5.6 Julius’ II. ambivalente Haltung Trotz aller Sicherheitsmaßnahmen für seinen Schatz zögerte Julius II. jedoch nicht, seine Mitren oder Tiaren zu verpfänden, wenn es eine Notlage verlangte. Wie dargestellt, waren sie auch Zeichen der wirtschaftlichen Macht des Heiligen Stuhls. Tiaren hatten einen hohen Prestigewert als Pfandobjekt, was ein Darlehen für den Papst bei Bankiers attraktiv machte. 113 Agostino Chigi lieh Julius II. 40 000 Golddukaten, als Pfand nahm er die Krone Pauls II. 114 Sanuto berichtet dann darüber, dass Julius II. seine Krone im Dezember 1512 zurückverlangte, was aber wohl misslang, da Chigi behauptete, er habe die Krone nicht mehr. 115 Eine weitere Episode berichtet davon, dass der Papst beim Bankhaus Sauli ein Darlehen von 20 000 Dukaten aufnahm und dafür einen Diamanten und zwei Saphire, die in ein Pektoral eingearbeitet waren, zwei Rubine und einen Smaragd als Pfand hinterließ. 116 Eine andere Begebenheit eröffnet noch einen weiteren Blickwinkel auf die Verpfändungsbereitschaft

des Papstes, dessen Machtposition ihm im absoluten Notfall wichtiger war als seine Schmuckstücke. Im Konflikt mit Venedig um die Besetzung des Bischofstuhls von Vicenza, der durch den Tod Galeotto della Rovere vakant geworden war, ging Julius II. in einem Disput mit dem venezianischen Botschafter so weit, dass er einen Mitraverkauf durchzuführen gedachte, nur um dem Stuhl Petri zu seinem Recht zu verhelfen. 117 Wenn Julius II. eine seiner wertvollen Mitren verkaufen wollte, dann war er an einer empfindlichen Stelle getroffen. Die provokante Politik Venedigs schien ihn so zu tangieren bzw. zu ärgern, dass er sie mit allen Mitteln, auch dem Mittel der Gewalt lösen wollte, wozu er wiederum Geld brauchte, was er aus dem Verkauf seiner Mitra erhoffte. Die Liebe zu seinen Schmuckstücken fand offensichtlich ihre Grenze, wenn er sich genötigt sah, mit Gewalt seine Position zu verteidigen.

seinem Oheim diesen Ort aufgesucht haben. Julius’ II. Besuch in Orvieto ist für John Pope-Hennessy der Grund für die Wahl dieses Sujets für ein Wandfresko. Vgl. Pope-Hennessy, J.: Raphael, S. 112. 112 Rodocanachi, E.: Le Pontificat de Jules II, S. 36. 113 Allen, D.: op. cit., S. 286. 114 Gregorovius, F.: Geschichte der Stadt Rom Bd. III, S. 412. 115 Sanuto, M.: I Diarii Bd. XV, S. 412, Randnummer 232. Es lässt sich nicht genau ermitteln, ob und wie die Tiara zu Julius II. zurückkam. 116 Rodocanachi, E.: Le Pontificat de Jules II, S. 83. 117 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 631. Die Venezianer widersetzten sich wiederholt dem päpstlichen Stuhl, indem sie Jacopo Dandolo als Bischof in Vicenza einsetzten, wohingegen Julius II. seinen Neffen Sixtus Gara della Rovere dieses Benefizium zusprechen wollte. Schon im Vorfeld war ein Konflikt zwischen Venedig und dem Papst um die Besetzung des Bistums Cremona nach zweijährigen Verhandlungen durch Zahlung an den Papst beendet worden.

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Julius II. und der Luxus

5.7 Luxus und Sicherheit bis zum Schluss Julius II. wollte die Position seines Nachfolgers ebenfalls absichern. So berichtet Sanuto davon, dass der Papst auf dem Sterbebett dem Kastellan der Engelsburg die Anweisung gegeben habe, nur den neuen rechtmäßig gewählten Papst zum Schatz vorzulassen. 118 Über den Wert des Schatzes liegen keine einheitlichen Angaben vor. Im Tagebuch des Sanuto werden die Werte auf 300 000 Dukaten und viele Edelsteine taxiert. 119 Alberto da Carpi berichtet an Kaiser Maximilian von 213 000 Dukaten in bar und von vier mit Edelsteinen besetzten Tiaren. Die vier Tiaren unterteilten sich in zwei mit Triregnum und zwei ohne. Daneben gab es Silber und Goldgeräte mit einer Validität von 50 000 Dukaten. 120 An einer weiteren Stelle im Tagebuch des Sanuto wird berichtet, dass sich im Schatz 250 000 Dukaten in bar, Edelsteine im Wert von 150 000 Dukaten, 5000 pesi Silber im Wert von 80 000 Dukaten befanden. 121 John Addington Symonds nennt die Summe von 700 000 Golddukaten, die Julius II. in den Truhen der Engelsburg hinterließ. 122 Welche Angabe jetzt stimmt, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Feststellbar ist allerdings, dass sich die Werte, die sich zwischen 300 000 und 700 000 Dukaten ansiedelten, exorbitant hoch waren. Interessanterweise gibt es am Totenbett des Pontifex noch eine bizarr anmutende Begebenheit. Julius II. wird ein Trank aus flüssigem oder trink-

barem Gold verabreicht, das einem Heilkünstler zufolge unfehlbare Wirkung habe. 123 Bemerkenswert an der Szenerie ist, dass seine Tochter Felice und ein Herr Alberto ihm diesen Trank wohl am 20. Februar 1513 verabreicht haben, wenn man dem Brief des Archidiakons di Gabbioneta trauen darf. Die Beschreibung der vermeintlichen Wirkung dieses Trankes ist in ihrer Konsequenz schauerhaft: Entweder wird der Trank den Tod beschleunigen oder wird den Papst noch zwei bis drei Tage darben lassen. 124 Die Beschreibung des Archidiakons lässt keine Rückschlüsse auf Felices Motive zu. Es lässt sich nicht klären, inwieweit eine Absicht hinter ihrer Gabe steckt oder die Wirkung eine Beschreibung des Archidiakons ist. 125 Von Belang ist auch die Hinterlassenschaft Julius’ II. für seine Tochter Felice. In der Summe hinterließ er ihr 21 000 Dukaten, was ein außergewöhnlich hoher Betrag als Erbe für eine Tochter darstellte und Felice zu einer der reichsten und unabhängigsten Frauen Italiens machte. 126 Am 4. Februar 1513 notiert Paris de Grassis dann in sein Tagebuch, dass der Papst ihn gebeten habe, auf seinen Leichnam Acht zu geben und respektvoll mit diesem umzugehen, da die Leichname seiner Vorgänger nicht immer gut behandelt wurden. 127 Er wolle in der Kapelle seines Onkels beigesetzt werden. Paris de Grassis solle ihm zwei

Sanuto, M.: I Diarii Bd. XV, S. 560. „(…) ordinò al castelan di castel Sant’Anzolo, qual è un domino (…) che non dovesse dar li danari, nì le zoie, ní il castello in man di niuno, si non dil Papa electo juridici et catholice.“ 119 Sanuto, M.: I Diarii Bd. XV, S. 561. „(…) Si dice per letere particular, ha in castello ducati milia 300 e zoie assai.“ 120 Brosch, M.: Papst Julius II. und die Gründung des Kirchenstaates, S. 273. 121 Sanuto, M.: I Diarii Bd. XVI, S. 11. 122 Symonds, J. A.: Renaissance in Italy: The Age of the despots, S. 436. Der Autor belegt diese Summe nicht explizit, er nennt sie lediglich. Es ist zu vermuten, dass er sich an der Aussage von Trevisano orientierte. Vgl. Cerasoli, F.: Documenti per la storia di Castel S. Angelo, S. 303. 123 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 730. Ferdinand Gregorovius spricht von einem Scharlatan. Vgl. Gregorovius, F.: Geschichte der Stadt Rom, Band III, S. 406. 124 Luzio, A.: Federico Gonzaga staggio alla corte di Giulio II., S. 555. „Questa sera non aprobantibus Madonna Felice et el S. Alberto ge hano dato aurum potabile qual aut accelerarà la morte aut lo farà stenare dui o tri dí de più.“ 125 Felice hat oft die Reisekosten des Arztes ihres Vaters übernommen, um sich von ihm über den Zustand von Julius II. informieren zu lassen. Vgl. Murphy, C. P.: The pope’s daughter, S. 131. Andererseits schlug er ihr ihren Wunsch ab, ihren Halbbruder Gian Domenico de Cupis in den Kardinalsstand zu heben (S. 132). Ob sie aber deshalb ihrem Vater auf dem Totenbett nicht wohlgesonnen war, bleibt spekulativ. 126 Murphy, C. P.: op. cit., S. 132. 127 Klaczko, J.: Rome and the Renaissance: The pontificate of Julius II, S. 362. Vgl. Baronii, Caesaris: Annales Ecclesiatici Bd. 31, S. 1. Vgl. Cancellieri, Francesco: Notizie sopra l’origine e l’uso dell’anello pescatorio, S. 14: „ut albo aureo panno corpus suum induerem; addiditque, velle, quod in manibus suis duos Anulos pretiosos ponerem, quos mihi se daturum promisit, et in Cappella Sixtina (Vat. Bas.) se locarem; sic ibi permanendum, quoad Sepulcrum suum, quod jam inchoari, mandaverat, perficeretur.“ Ferdinand Gregorovius findet es sehr bemerkenswert, dass der mächtige Julius II., der sich ein großes Grabmal bei Michelangelo bestellt habe, auf dem Sterbebett seine Furcht ob des Umganges mit seinen sterblichen Überresten äußert. Vgl. Gregorovius, F.: Geschichte der Stadt Rom Bd. III, S. 406. 118

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Kritik: „Julius Exclusus“

wertvolle Ringe anstecken, die er ihm selbst gezeigt habe. 128 Emmanuel Rodocanchi benennt als Wert dieser beiden Ringe mit 1000 Dukaten. Darüber hinaus trug der Papst auf seinen Wunsch auf dem Totenbett neben einem weißen Hemd, das die Reinheit des Bekenners zeigte, Pontifikalgewänder im Wert

von 2000 Golddukaten. 129 Bis zum Schluss blieb sich Julius II. treu, wobei sein letztes Erscheinungsbild im Vergleich zu den restlichen Werten, die er zuweilen im wahrsten Sinne des Wortes anlegte, bescheiden anmutet. Man denke nur einmal an die Spange, die einen Diamanten von 18 000 Dukaten trug.

5.8 Kritik: „Julius Exclusus“ Der beschriebene Hang des Papstes zum Luxus wurde noch post mortem zur Zielscheibe seiner Kritiker. Mit spitzer Feder wurde der Verschwendungssucht an allerhöchster Stelle und aus heiligstem Munde zum Skandalon erklärt, was die besondere Form der Abrechnung von Erasmus von Rotterdam in seinem Werk „Julius Exclusus“ darstellt. Julius Exclusus wurde anlässlich des Todes von Julius II. verfasst, 1517 veröffentlicht 130 und stellt wie die Apocolocynthosis 131 des Seneca eine besonders bissige Satire dar. In der Wahrnehmung des Erasmus von Rotterdam, der das Zerstörungswerk von Julius II. in Bologna 1506 miterlebt und ihm von der Teilnahme an der Liga gegen die Venezianer abgeraten hatte, war dieser Pontifex der personifizierte Kriegsschrecken. 132 Erasmus lässt Julius II. an der Himmelspforte ankommen, auf Petrus stoßen und letztlich an ihm scheitern. 133 Zu Beginn steht Julius II. konsterniert vor der verschlossenen Pforte und droht, sie einzuschlagen. 134 Erasmus schafft sich so die erste Aus-

gangsposition, um eine Vorliebe des Papstes gegen ihn zu verwenden: die Härte von Diamanten. Erfreut stellt Petrus fest, dass besagte Pforte hart wie ein Diamant sei, sie wäre sonst von einem Giganten oder Zerstörer von Städten eingetreten worden. 135 Julius II. versucht, sich zu legitimieren, verweist auf die Insignien der Macht und sein goldenes Familienwappen. Als besonderen Beweis liefert er das Triregnum und das vor Gold und Edelsteinen protzende Ornat. 136 Auch hier scheitert er an Petrus: Petrus erkennt den Schlüssel nur bedingt, da er sich von dem unterscheidet, den er von Jesus erhalten habe, er ordnet die Krone als hochmütig ein; das Ornat berühre ihn auch nicht, da ihn weder Gold noch Edelsteine interessiert hätten. Diese Insignien seien alles Zeichen eines Betrügers und Schacherers. 137 Eine Schilderung Julius’ II. über seine Verdienste im Krieg wie im Frieden 138, dass er – Julius II. – bei seinem Tod fünf Millionen Golddukaten hinterlassen habe 139, prallt von Petrus ab, da Jesus ihm einen anderen Auftrag hinterlassen habe. 140

Klaczko, J.: op. cit., S. 362. Julian Klaczko vermutet, dass es sich um die beiden Ringe handelt, die Julius II. in dem Fresko der Messe von Bolsena trägt. Siehe S. 362, Anmerkung 1. 129 Rodocanachi, E.: Le Pontificate de Jules II, S. 180 „(…) d’une chemise blanche symbolisant ‚la pureté du confesseur‘.“ „Confesseur“ ist hier eher mit Bekenner zu übersetzen, da Julius II. sich vor seinem Tod in einer pietätsvollen Haltung zeigen wollte. Als Beichtvater wollte er hingegen nicht gesehen werden, empfand er sich eher als Sünder, der auf dem Totenbett noch die Beichte abgelegt hatte. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 729. 130 Allen, P. S.: The Age of Erasmus, S. 184–185. Christin Shaw nimmt in ihrer Biographie als Ausgangspunkt das martialische Verhalten des Papstes, um kurz auf „Julius Exclusus“ einzugehen. Vgl. Shaw, C.: Julius II, S. 149. 131 „Verkürbissung“. 132 Gilbert, F.: Venedig, der Papst und sein Bankier, S. 150. 133 Rotterdam, E. v.: Julius exclusus e coelis, S. 158. 134 Rotterdam, E. v.: op. cit., S. 8–9 „(…) pulsabo fores.“ 135 Rotterdam, E. v.: op. cit., S. 8–10. „Bene habet quod portam habemus adamantinam: alioqui fores hic quisquis est perfregisset. Gigantem aliquem aut satrapam, urbium eversorem, oportet adesse.“ 136 Rotterdam, E. v.: op. cit., S. 10–11. „At ni plane caecus es, agnoscis opinor clavem hanc, sic quercum auream ignoras. Et vides triplicem coronam, necnon undique gemmis et auro lucentem pallam.“ 137 Rotterdam, E. v.: op. cit., S. 12–13. (…) „Porro coronam istam tam superbam, qui quaeso possim agnoscere (…) Video passim et in clavi et in corona et in palla notas sceleratissimi cauponis et impostoris (…).“ Petrus steigert seine verbale Abneigung noch, indem er Julius als „Pest“ – Pestem Maximam – (S. 12–13) oder „heidnische Pestbeule“ – suspicor pestilen – bezeichnet (S. 18–19). 138 Rotterdam, E. v.: op. cit., S. 33–39. 139 Rotterdam, E. v.: op. cit., S. 36–37. „(…) tamen moriens reliqui quinquagies centena milia ducatorum“. 140 Rotterdam, E. v.: op. cit., S. 42–43. 128

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Julius II. und der Luxus

Nach weiteren Versuchen, Einlass zu bekommen, scheitert Julius II. endgültig an dem Apostelfürsten, der jeden lieber hineinließe als eine solche Pest und gibt ihm den salbungsvollen Rat, sich ein neues, gut befestigtes Paradies zu bauen, damit Dämonen es nicht erobern könnten. 141 „Julius Exclusus“ ist eine satirische Abrechnung mit dem Papst, die sich in parodierender Weise auf die Juwelenaffinität konzentriert, für den Stellvertreter Christi tragisch endet, da man ihm den Einlass in die himmlischen Gefilde verweigert. Erasmus nimmt sich bewusst die Schwäche des Papstes für edle Materialien vor und lässt ihn durch Petrus wie einen Narren vorführen, da im Himmel oder in

der Lehre Jesu andere Werte zählten. Die Zahl von fünf Millionen Golddukaten, die Julius II. bei seinem Tod im Julius Exclusus hinterlassen hat, sind maßlos übertrieben, aber auch gleichzeitig ein Bild dafür, dass er enorme Schätze anhäufte, die in letztlich nicht zählen. Die transportierte Nachricht lautet, dass Julius II. – u. a. auch an dieser Schwäche – scheiterte. Worüber er sich zu Lebzeiten definierte, entlarvt ihn jetzt als Betrüger und Schacherer, der eine Geißel der Christenheit, der Pest gleich, darstellt. So verpasst Erasmus von Rotterdam mit dieser Satire Julius II. post mortem eine schallende Ohrfeige.

5.9 Auswirkungen auf Michelangelo Als Michelangelo im März 1505 in Rom eintrifft und mit dem Papst das Grabmalprojekt bespricht, befindet sich der Papst eigentlich gerade in seiner Sparphase, lässt sich nach Condivi aber dazu hinreißen, 200 000 Scudi für das Grabmal anlegen zu wollen 142, wobei letztlich aber nur 10 000 Golddukaten veranschlagt werden. Da Julius II. für die Etablierung des Kirchenstaates viel Geld brauchte, war die erste von ihm geäußerte Summe ein Wolkenschloss. Vermutlich hatte sich der Papst hier impulsiv und unreflektiert geäußert, wenn die von Condivi genannten 200 000 Scudi nicht übertrieben sind. Die bereits angehäuften 400 000 Golddukaten vom Januar 1506 müssen dem Pontifex nicht nur Vergnügen bereitet, sondern auch seinen Geiz 143 angestachelt haben, sodass er im April 1506, am Samstag vor Ostern, in Anwesenheit des Zeremonienmeisters und des Goldschmieds erklärte, er werde weder für kleine noch für große Steine zukünftig Geld ausgeben. 144 Im Hinblick auf die gro-

ßen Steine, nimmt man hier exemplarisch das Grabmal, bleibt der Papst konsequent, bezogen auf die kleinen Steine, wie dargestellt, nicht. Die Persönlichkeit Julius’ II. war darauf an- und ausgelegt, die maiestatis papalis zu steigern, was ihm durch den Neubau von St. Peter 145, die Rückeroberung des Kirchenstaates und die Selbstrepräsentation gelang. Auf diesem Hintergrund allein musste das Grabmalprojekt scheitern, da Julius II. nach Zeichen der Macht strebte, die ihn in das Licht des Papstkönigs setzten, was seine Prachtgemächer, Prachtgewänder und Prachttiaren belegen. Mit der wertvollsten Machtinsigne, der Prachttiara, schuf Julius II. sich eine besondere Form der Memoria, die seine Nachfolger nicht ignorieren konnten. Eine Tiara ist ein Symbol der päpstlichen Macht, letztlich aber kein Privatbesitz eines Stellvertreter Christis. Tiaren sind für die Nachwelt geschaffen und zeigen dem Nachfolger, über welche Ressourcen der oder ein Vorgänger verfügte. Vor allem sind sie ein

Rotterdam, E. v.: op. cit., S. 158–159. „Cuivis potius quam tali pesti (…) extrue tibi novum aliquem paradisum, sed probe munitum, ne possit a cacodaemonibus expugnari.“ 142 Condivi, A.: Michelangelo, S. 37. 143 Christin Shaw betont bei dem päpstlichen Sparkurs den Geiz des Papstes. Vgl. Shaw, C.: Julius II, S. 139. Vgl. Pastor, L. v. Geschichte der Päpste Bd. III, S. 574. Julius II. galt unter Zeitgenossen nach Ludwig von Pastor als Geizhals. Er verweist darauf, dass Julius II. für seine monatliche Tafel nur 2000–3000 Golddukaten ausgab im Vergleich zu Alexanders VI. 8000 Golddukaten. S. 574. Von Alfred von Reumont irrt allerdings, wenn er sagt, dass Julius II. wenig für sich gebraucht habe. Vgl. Reumont, A. v.: Geschichte der Stadt Rom Bd. III, 2. Abteilung, S. 48. 144 Michelangelo berichtet Sangallo am 2. Mai 1506 von dieser Aussage, die ihn bewegte, Rom zu verlassen: „Della partita mia, egli è vero che io udi’ dire el Sabato Santo al Papa, parlando chon uno g[i]oelliere, a ctavola, e chol maestro delle cerimonie, che non voleva spendere più uno baiocho né in pietre pichole né in grosse (…).“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=8&daAnno=1506&aAnno=1506&Mittente=Buonarroti %20Michelangelo&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. Vgl. Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 43. 145 Hecht, C.: Warum ließ Julius II. die alte Peterskirche abreißen? S. 159. 141

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Auswirkungen auf Michelangelo

Zeichen des Amts- und des Selbstverständnisses des Stifters oder Erhalters. Das Selbstverständnis bzw. -konzept des zweiten della-Rovere-Papstes basierte von Anfang an auf Reichtum. Dieser Reichtum ermöglicht ihm den Kauf des Papstamtes, was fortan mit prestigeträchtigen Auftritten untermauert werden wollte. Julius II. wollte auch in dieser Hinsicht den weltlichen Machthabern ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen sein. Die Edelsteine, die seine Ringe schmückten, wie das Porträt Raffaels und die Messe von Bolsena zeigen, demonstrieren dies eindrucksvoll. Emmanuel Rodocanachi arbeitet in seinem Werk heraus, dass der Papst das Volk beeindrucken wollte, wozu ihm die Edelsteine, Tiaren und Schmuckstücke Instrumente waren. Daneben waren sie Zeichen der Wirtschaftskraft des Papsttums und somit für die Zielgruppe der Bankiers von Relevanz, da Geldquellen für das Papsttum gerade in Kriegszeiten überlebenswichtig sein konnten. Ein Grabmal konnte diesen Überlegungen nicht standhalten. Ein Grabmal hatte zudem eine höchst morbide Note: Warum sollte ein nach Lebendigkeit strebender Machtmensch wie Julius II. sich seinem Grabmal widmen? Seine Aktivität bedienend, wollte er ins Weltgeschehen eingreifen, seine Kraft im Feld spüren. Als sichtbares Zeichen seiner lebendig wirkenden Präsenz dienten ihm die Aufstellung der Bronzestatue in Bologna 146 und seines Porträts auf dem Altar in Santa Maria del Popolo im September 1513. 147 Legt man nochmals Julius’ II. Verhalten zugrunde, mit welcher Hingabe und Begeisterung er sich seinen Schmuckstücke widmete, hat dies etwas mit Lebendigkeit und Leidenschaft zu tun. Diese Leidenschaft entlud sich z. B. auch in einem seiner legendären Tobsuchtsanfälle, als einer seiner Diamanten verlorenging. 148 Auch dies widersprach dem Selbstkonzept, sich zu Lebzeiten ein Grabmal errichten zu lassen. Martin Spahn ist nochmals zuzustimmen, wenn er im Hinblick auf das Grabmal nur von einem quattrocentistischen Einfall spricht. 149 Julius II. folgte zunächst einer Tradition, aber vermutlich nicht seinem inneren Willen. Michelangelo und er hatten zwar das gleiche Projekt

im Sinn, als sie planten, schauten aber aus unterschiedlichen Perspektiven darauf. Michelangelo ging es um die Kunst. Ihm ging es darum, seinen David, der ihn schon unsterblich gemacht hatte, nochmals zu übertrumpfen und sich einen weiteren Memoriagarant durch das Mega-Grabmal zu schaffen. Der Gedanke, einen ganzen Berg zu gestalten, weist in diese Richtung, ist aber als Gedanke ob der Undurchführbarkeit als Produkt der Phantasie zu bewerten. Ein vierzigfiguriges Grabmal war realiter umsetzbar, alleine zwar nicht umsetzbar, aber im Laufe des Prozesses durch realistische Einschätzung der eigenen Ressourcen zumindest als künstlerischer Leiter realisierbar, so wie es dann später bei den Gräbern der Medici geschah. Julius II. hingegen strebte als Papst und Politiker ein Image an, das er zu Lebzeiten aufbauen wollte, um es post mortem als unauslöschlich zu fundamentieren. Dazu benötigte er zwei Inhalte: Er brauchte seinen Oheim Sixtus IV., um eine zwar nicht lückenlose, aber eine della-Rovere-Sukzession im Sinne der Legitimation durch Tradition und Familienräson als Amtspflicht zu postulieren und Bilder, die ihn in überhöhter, päpstlicher und demütiger Stellung zeigten. Für diese Imagepflege war kein Grabmal geeignet. Die Symbolsprache in kolorierten Fresken oder in der leibhaftigen Erscheinung im prunkvollen Ornat als Papst hat eine überzeugendere Wirkung als die eines Grabmals mit Marmorfiguren. Die Wirkung auf den Rezipienten in pompösen Umzügen und pontifikaler Liturgie oder durch Fresken, in denen ein höchst lebendiger Papst – selbst später post mortem – zu sehen ist, ist eine andere als an einem Grabmal. Die Darstellung beispielsweise in der Figur Gregors XI. im vollen Ornat verschafft Julius II. Omnipräsenz in den päpstlichen Räumen. Die Gestaltung der Grablege war auf einer anderen Bedeutungsebene angelegt, die Julius II. nicht mehr anstrebte, als ihm endgültig klar wurde, welche Bedeutung der Neubau von St. Peter für ihn haben würde. Der Anstoß, die Basilika niederzulegen, wird vermutlich die Seite des enormen Repräsentationsbedürfnisses noch gesteigert haben. Hinzu kommt die Tatsache, dass er, wie dar-

Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 114–116. Vasari berichtet davon, dass das Bild in Santa Maria del Popolo ausgestellt ist, und verweist darauf, dass das Porträt neben dem Gemälde der Madonna, das zeitgleich entstand, nur an bedeutenden Feiertagen in Santa Maria del Popolo gezeigt wurde. Vgl. Vasari, G.: Das Leben des Raffael, S. 41. Vgl. Partridge, L.; Starn, R.: A Renaissance Likeness, S. 75. 148 Partridge, L.; Starn, R.: A Renaissance Likeness, S. 60. 149 Spahn, M.: op. cit., S. 11. 146 147

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Julius II. und der Luxus

gestellt, nicht frei von Aberglauben war. So bekommt die Episode, die Michelangelo transportiert, Bramante habe Julius II. angeblich eingeredet, ein Grabbau zu Lebzeiten bringe Unglück, eine interessante Dimension. Sie scheint nicht ganz aus der Luft gegriffen. Der päpstliche Glaube an die Sterne könnte diese Aussage zumindest inhaltlich bestätigen, das Unglück nicht heraufzubeschwören. 150 Der höfische Informationsfluss über die Befindlichkeiten des Papstes wird auch an einem Michelangelo nicht vorübergegangen sein. Allerdings ist Michelangelos Anschuldigung, Bramante sei der Übeltäter, über Quellen nicht verifizierbar. Vermutlich hat Michelangelo Bramante hier im Nachhinein zu einem Sündenbock für etwas deklariert, was dieser vermutlich nicht zu verantworten hatte. Michelangelos Frustration über das Grabmal wird sich demnach auf verschiedenen psychologischen Ebenen abgespielt haben. Der Künstler machte wohl die bittere Erfahrung, dass er als relativ junger Mann, einem solchen Globalplayer wie sich Julius II. selbst vermutlich definierte, nicht gewachsen war. Der Papst allerdings ließ sich bekanntermaßen nicht davon beeindrucken, dass Michelangelo im April 1506 mehr Geld forderte. Ein niederes Motiv Michelangelos könnte hier sein, dass er sich zu bereichern versuchte. Der Prunk am päpstlichen Hof und das prahlerische Auftreten151 des Papstes bzw. dessen Neigung, beeindrucken 152 zu wollen, werden auch Wirkung auf Michelangelo gehabt haben, der im alltäglichen Vatikangeschäft allerdings nicht die Bedeutung hatte, die er gerne besessen hätte. Be-

deutung hatte, wie bereits dargestellt, der Neubau von St. Peter. Die Aussagen, dass dieser Neubau die finanziellen Ressourcen des Papstes absorbierte, sodass es zu einer Projektverschiebung des Grabmals gekommen sei 153, erscheinen auf Grundlage dieses Exkurses nicht mehr so überzeugend. Christoph Luitpold Frommel ist ebenfalls der Meinung, dass Julius II. die enormen Baukosten des Neubaus von St. Peter, des Palastes, diverse andere Projekte und der kostspielige Bologna-Feldzug davon abhielten, weitere Ausgaben zu tätigen. 154 In seinem Artikel aus dem Jahr 1976 stellt er ebenfalls fest, dass sich Julius II. im Verlauf des Jahres 1505 bereits Gedanken über die Finanzierung von Grab und Neubau gemacht habe. 155 In Relation zu den enormen Summen, von denen sich im August des Jahres 1506 ca. 530 000 Golddukaten in der Engelsburg befinden, sind 10 000 bis 10 500 Golddukaten für ein Grabmal ein geringer Teil. Folgt man den Zahlungen, die an Michelangelo ausgezahlt wurden, wurden die veranschlagten 10 000 Golddukaten in Teilsummen abgedeckt. 156 Von daher war die finanzielle Belastung des Papstes durch das Grabmal nicht der Ausschlag. So weist Christoph Luitpold Frommel neben anderen berechtigt darauf hin, dass zwischen Michelangelos Leistung, Lieferung und seinen finanziellen Forderungen Welten lagen, was den Papst wiederum nicht überzeugte. 157 Julius II. wollte sich nicht mit dieser Ausgabe für das Grabmal beschäftigen, da es nicht in sein Selbstkonzept passte. Hingegen war die Bronzestatue in Bologna als Hoheitszeichen ein Beleg für seinen Repräsenta-

Antonio Gustinian berichtet darüber, dass die Krönung Julius II. auf den 26. November 1503 gelegt wurde, weil die Astrologen die bestmögliche Sternenkonstellation für die Wohlfahrt des Papstes für diesen Tag versprachen. „L’incoronazione di questo è differita domenica prossima, 26 di novembre, consigliata da astrologhi, che promettono quel zorno alla Beatitudine Soa miglior disposizion di stelle“. Vgl. Villari, P.: Dispacci di Antonio Giustinian Bd. II, S. 295. Marino Sanuto berichtet in seinem Tagebuch davon, dass Julius II. sich von Astrologen die Stunde bestimmen ließ, in der er in Bologna verließ, um nach Imola zu reisen. Vgl. Sanuto, M.: I Diarii Bd. VI, S. 551, Randnummer 256. Paris de Grassis berichtet, dass der Papst bei einer Grundsteinlegung zu einer Burg in Bologna am 20. Februar 1507 eine bestimmte Stunde abwartete, da die Astologen sie als besonders schicksalshaft einordnen. „(…) Papa cum omnibus astantibus Cardinalibus, et magna populi turba expectavit, nihil dicens quid expectaret; et tandem scitum fuit quod horam XVI expectavit, quam Astrologi bonam et fatalem esse dixerunt; sic itaque viso solari horologio, et hora XVI deprehensa, illico Lagatus legit orationem, et posuit lapidem (…)“ Vgl. Grassi, P.: Le due spedizione Militari di Giulio II, S. 148–149. 151 Allen, D.: op. cit., S. 285. 152 Rodocanachi, E.: Le Pontificate de Jules II, S. 83. 153 Thoenes, C., Zöllner, F.: Michelangelo – Leben und Werk, S. 60. Mary Hollingsworth vermutet hinter der Aufgabe des Grabmals ebenfalls, dass die päpstlichen Gelder für den Bau von St. Peter gebraucht wurden. Vgl. Hollingsworth, M.: op. cit., S. 305. 154 Frommel, C. L.: Das Grabmal Julius II., S. 30. 155 Frommel, C. L.: Die Peterkirche, S. 81. 156 Hatfield, R.: The Wealth, S. 21. Als es zum Streit zwischen Michelangelo und Julius II. kam, hatte Michelangelo bereits 1600 Golddukaten vom Papst erhalten. Eine Aufstellung über die ausgezahlten Beträge auf Grundlage der Quellen Vasari, Condivi und Briefen und Ricordi, Verträgen, Bankauszahlungen und -einzahlungen und Briefen liefert Rab Hatfield auf S. 318–319. 157 Frommel, C. L.: Das Grabmal Julius II., S. 30. 150

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Auswirkungen auf Michelangelo

tionswillen, den er sich gerne 1000 Golddukaten kosten ließ. 158 Interessanterweise standen im ersten Jahr des Neubaus von St. Peter, gemessen an den bereits genannten Summen, auch nur 12.250 Golddukaten zur Verfügung, sodass Bramante bereits zur Jahreswende 1505/06 gezwungen war, das Projekt St. Peter auf die funktionell notwendigen Teile zu beschränken und schlichte Baumaterialien zu wählen. 159 Bereits Ende 1505 wurden schon vakante Pfründen für die Finanzierung von St. Peter übertragen, denen konkrete Bitten um finanzielle Hilfe an den englischen König Heinrich VII. im Januar 1506 folgten; man verschickte aber schon am Tag der Grundsteinlegung von St. Peter allein 40 Bittschriften an potentielle Geldgeber. Eine im Februar 1507 publizierte Bulle verlangte für ein Jahr von jedem gläubigen Besucher eine Spende von zehn Iuli, die einem Dukaten entsprechen, da ihnen dies ihre Frömmigkeit diktiere und so die Absolution für gewisse Sünden gewährleistet sei. 160 Ab 1507 überzog ein Heer von Ablasspredigern Europa, um Geld für den Neubau zu erpredigen, was eine bis dahin beispiellose Maßnahme darstellte. 161 Auch wenn Martin Luther seine 95 Thesen erst mehr als ein Jahrzehnt nach diesen Maßnahmen formuliert,

ist die Frage, die er in der 86. These stellt, berechtigt: „Warum baut der Papst den Petersdom nicht von seinem Geld, anstatt die armen Gläubigen zu belangen? Er sei doch reicher als der reichste Crassus?“ 162 Der reichste Crassus Julius II. wollte seine bautechnische Selbstverherrlichung von anderer Seite finanziert wissen. Nach seinem Selbstverständnis sah er sich in der Lage, dies von allen Herrschenden und Gläubigen zu verlangen. Seine persönliche, pekuniäre und militärische Ausstattung ließen in ihm keinen Zweifel aufkommen, qua Amt und Herkunft dazu berechtigt zu sein. An einem solchen Menschen musste die künstlerische Ambition eines Michelangelos scheitern. Julius II. führte ihm bitter vor Augen, dass er zwar einerseits der göttliche Michelangelo, der gefeierte Florentiner Superstar, aber dennoch nur eine Figur im päpstlichen Schachspiel war. Diese Erfahrung sollte ihn Zeit seines Lebens prägen, wie sie sich vermutlich auch hinter der Klage, das Grabmal sei eine Tragödie, verbirgt. Die Bedeutung, die er sich zu Julius’ II. Zeiten schon gewünscht hatte, wird ihm erst das Farnese-Pontifikat bescheren und zur Katharsis für die geschundene und unverstandene Künstlerseele werden.

Hatfield, R.: The Wealth, S. 318. Die ca. drei Meter hohe Statue wurde am 21. Februar 1508 aufgestellt. Während die Gewänder der Statue Reichtum und Pracht widerspiegelten, zeigte das Konterfei des Papstes Mut, Stärke und Entschlossenheit. Die rechte Hand zeigte den Segensgestus; die linke Hand hielt die Schlüssel Petri.Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 114. Condivi berichtet, dass Julius II. auf die Frage Michelangelos, ob er in die rechte Hand ein Buch geben solle, scherzend antwortete, ein Schwert, er sei kein Gelehrter. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 42. Der Aussage kann Glauben geschenkt werden, da sie in das Profil des Kriegerpapstes passen würde, auch wenn es eine andere Darstellung gab. Nach der Rückeroberung Bolognas ließ Herzog Alfonso d’Este die Figur bis auf den Kopf in eine Kanone umschmelzen. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 114 und S. 116. 159 Frommel, C. L.: Capella Iulia, S. 27–28. 160 Frommel, C. L.: Die Peterskirche, S. 81. Das Programm, Geld für den Bau einzutreiben war umfangreicher, als hier wiedergegeben werden kann. Der Autor entfaltet dies in seinem Artikel ab S. 81. Zur Vertiefung sei auf den Artikel von Thomas James Dandelet „Financing New Saint Peter’s: 1506– 1700“ verwiesen. Der Autor weist z. B. nach, dass die spanische Krone Mitfinanzier des Neubaus war und Julius II. im Gegenzug ihr das Königreich Neapel überließ bzw. die Investitur Ferdinands II. bestätigte. Vgl. Dandelet, T. J.: Financing New Saint Peter’s: 1506–1700, S. 42–43. 161 Frommel, C. L.: Die Peterskirche, S. 81. 162 „Cur papa, cuius opes hodie sunt opulentissimis Crassis crassiores, non de suis pecuniis magis quam pauperum fidelium struit unam tantummodo basilicam sancti Petri?“ Vgl. Köhler, W: Luthers 95 Thesen samt seinen Resolutionen, S. 205. 158

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6 Vom Künstler zum Souverän

Michelangelos weiterer künstlerischer und persönlicher Werdegang offenbart, dass er trotz Widrigkeiten und Rückschlägen in der Folge des SixtinaAuftrages eine Entwicklung vollzieht, die ihn zu einem souveränen Künstler macht, der sehr genau weiß, was er will, dabei aber auch berechtigt als Mensch Ängste zeigt, da er in Situationen gerät, die er nur bedingt zu verantworten hat, sondern entweder politischer Natur sind oder an den Unzulänglichkeiten beteiligter Personen scheitern. In der gebotenen Kürze soll an zwei Linien seine Entwicklung zwischen den Jahren 1513 und 1534 bis zum Farnese-Pontifikat nachgezeichnet werden. Die erste Linie betrifft Michelangelos Einstellung

zu seinem „Handwerk“ bzw. zu seiner Werkstatt. Die zweite Linie zeigt seine künstlerische Involvierung in die Medici-Pontifikate, die noch von seiner Verpflichtung für das Grabmal Julius’ II. geprägt sind. Somit befand sich der Künstler dauerhaft in einem Balanceakt, den er zwar zu seinen Gunsten gestaltete, der ihn aber auch forderte. In letzter Konsequenz machte er immer Gewinn, merkte, dass er Menschen für sich einsetzen konnte, erzielte aber keinen künstlerischen Riesenerfolg mit einem vollendeten Werk. Am Ende der nachgezeichneten 21 Jahre steht ein nicht nur in künstlerischer Hinsicht gereifter Mann, sondern ein Individuum, das sich seines Wertes sehr wohl bewusst ist.

6.1 Michelangelos Selbstverständnis Michelangelo definierte sich selbst als Künstler und nicht als Handwerker. Aus diesem Grund betrieb er keine Werkstatt. 1 Wie die Episode seiner Flucht aus Rom 1506 zeigte, definierte sich er sich weder als Domestik noch als Handwerker. 2 Als Künstler von höherem sozialen Rang wollte und sollte er neue Wege gehen und wird der Nachwelt nur eine Signatur an dem Brustband der Pietà in Rom hinterlassen, womit er noch der Tradition des Quattrocento folgte. 3 Nach Vasaris Viten von 1550 brachte Michelangelo seine Signatur an, weil er mit dem Werk und sich selbst zufrieden war. 4 Aus Stolz und aus Zufriedenheit im jungen Alter handelnd, wird Michelangelo nach dem Erfolg des David, der alle modernen und antiken Statuen um ihren Ruhm

brachte 5, nie wieder ein Werk direkt signieren müssen, da er nun der Bildhauer Italiens war. Allerdings half ihm dieses Image nur bedingt am Hofe Julius’ II., da er den Wünschen seines Mäzens unterworfen war. Gleichzeitig konnte er auch feststellen, dass sich das Kräfteverhältnis zwischen Künstler und Patron schon verschoben hatte, da Julius II. ihm nach der Flucht entgegenkam, was Antonio Forcellino zwar mit päpstlicher Geduld beschreibt 6, aber auch einen Hinweis gibt, dass Julius II. Michelangelo in seiner Patronage sehen wollte, wenn man einmal von den bereits ausgezahlten Geldern absieht. Das Verhalten des Papstes transportierte als verdeckte Nachricht nicht zuletzt Michelangelos Statuserhöhung, die damit zu belegen ist, dass

In einem Brief vom 2. Mai 1548 an seinen Neffen gibt er darüber Auskunft. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1104& page=4&daAnno=&aAnno=&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=Buonarroti%20Leonardo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinata rio=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Vgl. Ramsden, E. H., The Letters of Michelangelo Vol II, Brief 307, S. 92. 2 „Domestik“ Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 85. „Handwerker“ Vgl. Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 77. 3 Acidini Luchinant, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 66. Vasari verweist darauf, dass Michelangelo die Signatur anbrachte, da Besucher aus der Lombardei die Statue einem Lombarden zuschrieben, was er nicht dulden wollte. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 51. 4 Paolucci, A.: Michelangelo – Die Pietàs, S. 9. Antonio Paolucci verweist erstens auf die Tatsache, dass Vasari diese Einschätzung Michelangelos nur in der Erstausgabe der Viten thematisiert und zweitens dieser Einschätzung Glauben schenkt, da Michelangelo so seinen Stolz ausdrücken wollte. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo Buonarroti Fiorentino, 1550: „Poté l’amore di Michele Agnolo e la fatica insieme in questa opera tanto, che quivi quello che in altra opera più non fece lasciò il suo nome scritto a traverso una cintola che il petto della Nostra Donna soccigne, come di cosa nella quale e sodisfatto e compiaciuto s’era per sé medesimo.“ Vasari, G.: Michelangelo Bonarroti Fiorentino, S. 918. 5 Vasari, G.: Michelangelo, S. 56. 6 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 85. 1

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Michelangelos Selbstverständnis

Julius II. z. B. während des bereits dargestellten Konflikts 1506 auf eine demütige Unterwerfung des genialen Künstlers verzichtete. 7 Peter Burke stellte fest, dass eine Statuserhöhung des Künstlers ihn grundsätzlich in die Position brachte, sich im Zweifelsfall gegen Auftraggeber zu stellen. 8 Michelangelo machte früh davon erfolgreich bewusst oder unbewusst Gebrauch und ging ohne Konsequenzen aus dieser Zeit hervor. Es trat her das Gegenteil ein: Ein beachtliches Salär von 3.200 Golddukaten wurde für die Sixtina 9 als Propagation seines neuen Stils eingestrichen, der ihm weiteren Ruhm sicherte. Mit der Fertigstellung der Kapelle wurde Michelangelos Genius und Schaffenskraft nicht nur durch die Malerei erweitert, sondern durch das Deckengemälde auch neue künstlerische Maßstäbe gesetzt. Er selbst und sein Stil wurden zum Maßstab und zur Einladung für junge Künstler, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Das Novum dieser Entwicklung war, dass er zu einer lebenden Legende geworden war 10, dessen Werk die lobende Aufnahme in den ersten Reiseführer Roms von Francesco Albertini „Opusculum de Mirabilimus novae et veteris urbis Romae“ fand. 11 Für Michelangelo galt jetzt Ähnliches, was seinerzeit für Giotto gegolten hatte. Ein ausgezeichnetes Werk kann nur von einem ausgezeichneten Künstler geschaffen werden, wodurch der Maler zusätzlich besondere Ehrung durch sein Werk erhält. 12 Dieser sich perpetuierende und auf sich selbst zurückstrahlende Ruhmesmechanismus lief Zeit seines Lebens wie ein verlässliches Uhrwerk weiter, so dass Martin Warnke in seinem Werk eine beeindruckende Liste der bei Michelangelo anfragenden Größen präsentieren kann: Michelangelo wurde von sieben Päpsten, dem türkischen Sultan, Franz I., Karl V., Herzog Cosimo und von Venedig

berufen bzw. mit Anfragen belegt. 13 Für und bei Michelangelo stellte sich eine Verschiebung der Mäzen-Künstler-Beziehung bzw. eine Umkehrung der bisherigen Verhältnisse ein. In herkömmlichen Fällen profitierte der Künstler von dem Repräsentationsbedarf der Herrscher und erfuhr durch die Nähe zum Herrscher eine Nobilitierung, da die fürstliche Aura auf den Künstler reflektierte. 14 Die Herrschenden sind fortan bemüht, den als Mythos gehandelten Michelangelo zu verpflichten, damit sein Ruhm auf sie strahle. Dies war ihm weder verborgen noch unklar. Er selbst präsentierte sich als ein Individuum der Renaissance, da er ein autonomes Kunst- und Künstlerbewusstsein entwickelte, was generell als große Leistung für die Künstler in der Renaissance definiert wird. 15 Ihm gelang es, sich konsequent einer Vereinnahmung der bei ihm wenig gelittenen Häupter der Kirche zu entziehen, indem er die Erstellung von Herrscherporträts verweigerte. Seine Skepsis diesen Vertreten gegenüber war zu groß und sein Dasein als florentinischer Gesinnungsrepublikaner zu ausgeprägt. 16 Alessandro Conti bringt es auf den Punkt, indem er Michelangelo attestiert, dass er der Hüter der „incorrupta libertas“ gewesen sei, der eben nicht Gehorsam den Herrschenden gegenüber gezeigt habe. 17 Diese Gehorsamsverweigerung, gepaart mit seinem Freiheits- oder Entfaltungsdrang, war schon in jungen Jahren abzulesen, als er trotz familiärer Prügelattacken das Zeichnen nicht aufgab. Das Gegenteil trat ein: Der Widerstand der Familie ließ ihn noch eifriger werden. 18 Der Widerstand wird so eines seiner Leitmotive, wenn er den Eindruck bekam, dass irgendjemand sich gegen seinen Willen sich seiner bemächtigen wollte. Zuweilen war dieser Widerstand mit Angstreaktionen gepaart, da zwischen

Wittkower, R. u. M.: Künstler – Außenseiter der Gesellschaft, S. 56. Burke, P.: Die Renaissance in Italien, S. 120. 9 Hatfield, R.: The Wealth, S. 124. 10 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 132–133. Raffael blieb auch nicht unbeeinflusst, was z. B. der Jesaja in San Agostino in Rom belegt. Ergänzend sei noch Michelangelos Porträt in der Schule von Athen genannt. 11 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 132. 12 Warnke, M.: Hofkünstler, S. 23. 13 Warnke, M.: Hofkünstler, S. 112. 14 Warnke, M.: Hofkünstler, S. 11. 15 Warnke, M.: Hofkünstler, S. 10. 16 Reinhardt, V.: Die Renaissance in Italien, S. 97. 17 Conti, A.: Der Weg des Künstlers, S. 124. Alessandro Conti kontrastiert seine Aussagen über Michelangelos Unangepasstheit mit der Angepasstheit Tizians. Seine Aussagen basieren auf der Definition von Rechtsgelehrten des augusteischen Zeitalters. Tizian folgte demnach dem „obsequium domintantibus“ des Ateius Capito, während Michelangelo als Hüter der „incorrupta libertas“ nach Antistius Labeo folgte. 18 Condivi, A.: Michelangelo, S. 10–11. 7

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diesen beiden Größen eine Wechselwirkung in ihm eintreten konnte. 19 Unzweifelhaft ist, dass Michelangelo seine Freiheit wahren wollte und diese auch in künstlerischer Hinsicht unangetastet sein und bleiben sollte. Über ein weiteres Motiv, keine Werkstatt zu betreiben und sich so bewusst von einem Handwerker oder seinen Künstlerkollegen abzusetzen, gibt Michelangelo in einem Brief an seinen Neffen Leonardo vom 2. Mai 1548 Auskunft. Hintergrund ist eine Florentiner Anfrage für die Anfertigung eines Altarbildes, die er ablehnt. Grund der Ablehnung ist, dass er nie ein Maler oder ein Bildhauer gewesen sei, der eine Bottega mit der Absicht eröffnet habe, solche Aufträge zu erhalten. Er habe mit Blick auf die Ehre seines Vaters und seiner Brüder davon Abstand genommen, obgleich er drei Päpsten diente, was unter Zwang geschehen sei. 20 Die angeführte Familienräson kann ein Motiv für die Ablehnung einer Bottega sein, da ihm zu Jugendzeiten der aristokratische Status eingeprügelt wurde und vermutlich prägend war. 21 Fritz Knapp liest in diesen Briefzeilen Familienstolz heraus. 22 Michelangelo versuchte Zeit seines Lebens, seinem Vater entgegenzukommen und das zu erfüllen, was dieser

selbst nicht erreichte, und zwar die Erweiterung des Familienbesitzes 23 und die Erhöhung des Status, wozu besonders die Aufwertung der Familienehre zählt. Ein im Hintergrund womöglich mitschwingender Gedanke, dass Michelangelo die Familienräson bzw. Rücksichtnahme vorschiebt bzw. einwebt, könnte Understatement sein. Er gibt sich vor seinem Neffen aristokratisch bescheiden, um nicht zugeben zu müssen, dass er ein Handwerker ist, den er für sich als unter seiner Würde empfindet. Daneben vermeidet Michelangelo eine Selbstdefinition als Künstlerstar, was er dezent durch den Hinweis einfließen lässt, dass der genannte Priester ihn nicht mehr mit „Michelangelo, Bildhauer“ anschreiben solle, sondern er in Rom unter seinem Namen „Michelangelo Buonarroti“ bekannt sei. Sein Name genügt, ist Programm: Michelangelo Buonarroti, der unangefochtene Künstler nobler Herkunft. 24 Die Arbeit unter Zwang für drei Päpste ist ebenfalls übertrieben formuliert, da trotz allen Zwanges sich für ihn Geld, Prestige und keine gravierenden Konsequenzen 25 ergaben. Diese Formulierung lässt aber einen Blick auf die ambivalente Haltung des Künstlers zu. Michelangelo selbst war sich früh der Tatsache bewusst, dass die attraktivsten Aufträge an

Verwiesen sei hier auf die bereits dargestellte Flucht Michelangelos im April 1506 und die Geschehnisse in Florenz zwischen 1527 und 1530, als er als Festungsbaumeister tätig war. Die erste Reaktion war Widerstand, bevor mögliche Konsequenzen dämmerten oder sich tatsächlich einzustellen drohten. Der qualitative Unterschied liegt darin, dass Michelangelos Abfall von den Medici ein überlegter Schritt gewesen zu sein scheint, der aus seiner republikanischen Gesinnung und seinem Alter entsprang. Er war in der Zwischenzeit 24 Jahre älter geworden. 20 „Al Prete di’ che no mi scriva più ‚a Michelagniolo scultore‘, perché io non ci son conosciuto se non per Michelagniolo Buonarroti, e che se un cictadino fiorentino vuol fare dipigniere una tavola da altare, che bisognia che e’ truovi un dipintore che io non fu’ mai pictore né scultore come chi ne fa boctega. Sempre me ne son guardato per l’onore di mie padre e de’ mia frategli, ben io abbi servito tre papi, che è stato forza.“ http://www. memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1104&page=4&daAnno=&aAnno=&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=Buonarro ti%20Leonardo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 307, S. 92. 21 Vasari berichtet darüber, dass Michelangelo für sein heimliches Zeichnen von seinem Vater und seinen älteren Verwandten gescholten und geschlagen wurde, da sie diese Tätigkeit als erniedrigend und als unwürdig für ihre alte Familie erachteten. Vgl.Vasari, G.: Michelangelo, S. 33. Am 28. Februar 1551 erinnert er seinen Neffen in einem Brief an die Nobilität der Familie „perché si sa che noi sián antichi cittadini fiorentini“. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1153&page=6&daAnno=&aAnno=&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario =Buonarroti%20Leonardo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 359, S. 130. 22 Knapp, F.: Michelangelo – Des Meisters Werk, S. XI. 23 Knapp, F.: op. cit., S. XI. Fritz Knapp verweist darauf, dass die Tätigkeit der freien Bürger darin bestanden habe, den alten Familienbesitz zu wahren und zu erweitern. 24 Condivi berichtet etwas ausführlicher über die Herkunft des Namens Buonarroti Simoni. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 8/9. William Wallace verweist darauf, dass Michelangelo seinen Status durch den Gebrauch des Familiennamens demonstriert. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo, S. 1. Einen weiteren Beleg liefert ein Brief Michelangelos an Leonardo vom 21. April 1554, in dem er mit größter Freude (grandissima allegrezza) auf die Geburt des Erstgeborenen namens Buonarroto reagiert und hofft, dass dieser der Familie Ehre bringe und das Haus (Buonarroti) aufrechterhalte. „acciò che ci facci onore e mantenga la casa“. Vgl. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1191&daAnno=1554& aAnno=&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=Buonarroti%20Leonardo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=& Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 25 Verwiesen sei nochmals auf das jeweilige Entgegenkommen von Julius II. und Clemens VII. bei den aus ihrer Sicht unterschiedlichen Verfehlungen Michelangelos. 19

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Von den Medici-Pontifikaten zum Farnese-Papst

den großen Höfen Italiens, genau genommen am päpstlichen Hof, vergeben wurden. Es war demnach

in seinem Interesse, dem jeweils regierenden Papst zu dienen 26, was unter den Medici auch eintritt.

6.2 Von den Medici-Pontifikaten zum Farnese-Papst Im Februar 1513 besteigt Giovanni de’ Medici nach dem Tod Julius’ II. am 11. März 1513 den Stuhl Petri. 27 Zwischen den Jahren 1513 und 1516 war Michelangelo ausschließlich am Julius-Grabmal tätig. 28 Antonio Forcellino ordnet diese Zeit im Leben des Künstlers Leben als sorglos ein, da er ungestört am Grabmal arbeiten und es zur Mehrung seines Reichtums durch regelmäßige Zahlungen der della

Roveres kam. 29 Die Beorderung nach Florenz durch die Medici bietet ihm dann eine weitere künstlerische Entfaltungsmöglichkeit; eine Heimkehr, die sich als Heimspiel herausstellt, gepaart mit Erfolg, hohem Verdienst und versehen mit der Gewissheit, dass ihm nicht nur die Florentiner Künstlergemeinde, sondern eine ganze Stadt zu Füßen liegt. 30

6.3 Intermezzo Florenz – Prolog für Rom? Michelangelos Tätigkeit unter den Medici-Päpsten in Florenz an dem Großprojekt San Lorenzo ist in der Literatur 31 untersucht worden und soll hier nur schlaglichtartig unter der Fragestellung betrachtet werden, ob und inwiefern er sich hier weiter vom Künstler zum Souverän entwickelte. Auch in diesem Kontext lassen sich verschiedene Linien nachzeichnen. Antonio Forcellino konkludiert zwar am Ende seines Kapitels über Michelangelos Zeit in San Lorenzo, dass der Künstler in den Jahren – vor allem nach dem Aufstand in Florenz – ein vom Scheitern gezeichneter, angsterfüllter und verzweifelter

Mann gewesen sei, dem eine als Zwangsarbeit empfundene Tätigkeit in der Sakristei anhaftete und dem ein Julius-Grabmal zum Albtraum geworden sei. 32 Dem sind jedoch andere auf ihn positiv wirkende Größen entgegenzusetzen. William Wallace stellt fest, dass Michelangelo in und durch San Lorenzo seine selbst proklamierte Identität als Bildhauer um den Architekten erweiterte. Er habe die Bildhauerei durch das Julius-Grabmal und die Medici-Kapelle um die Architektur erweitert. Um diese Fusion professionell auszuführen, habe er mit Handwerkern und Künstlern zusammenarbeiten

Tolnay, C. d.: Michelangelo – The Medici Chapel (Bd. III), S. 3. (Folgend zitiert: Tolnay, C. d.: Michelangelo III). Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. IV, 1. Abteilung, S. 15. Die von Lorenzo de’ Medici gestellten Weichen erwiesen sich posthum als richtig. Innozenz VIII. gab den Wünschen Lorenzo de’ Medicis nach einem Kardinalshut für seinen zweiten Sohn Giovanni (11. Dezember 1475) nach und erhob ihn 1489 zum Kardinal mit der Einschränkung für die nächsten drei Jahre weder als Kardinal erkennbar zu sein noch das Wahlrecht zu haben. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 273–274. 28 Tolnay, C. d.: Michelangelo III, S. 3. 29 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 154. 30 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 189. 31 Stellvertretend sollen hier einige Werke genannt werden, die Michelangelos Tätigkeit im Komplex von San Lorenzo untersuchen: Das Werk von William Wallace „Michelangelo at San Lorenzo“ überzeugt durch seine Präzision in der Datenauswertung und entfaltet Michelangelos Tätigkeit vom Bildhauer zum Architekten und Unternehmer. Weitere Werke sind: Tolnay, C. d.: Michelangelo – The Medici Chapel (Bd. III). Wilde, J.: Michelangelo – Six Lectures. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer. Cristina Acidini Luchinat integriert in ihr Werk über San Lorenzo ebenfalls ein sehr überzeugendes Kapitel. John Pope-Hennessy widmet in seinem Werk „Italian High Renaissance and Baroque Sculpture“ der Medici Kapelle ein kleines, aber lesenswertes Kapitel. William Wallace legt in seiner Aufsatzsammlung „Michelangelo – Selected Readings (1999)“ verschiedene Beiträge unterschiedlicher Autoren zum Komplex San Lorenzo vor. Das Werk von Anny E. Popp „Die Medici-Kapelle Michelangelos“ ist älteren Datums, zeichnet aber die Entstehungsgeschichte der Kapelle gut nach. Ergänzend sei dazu noch Ernst Steinmanns Werk genannt „Das Geheimnis der Medicigraeber Michel Angelos“. Fritz Burger widmet der Kapelle in seinem Werk „Geschichte des florentinischen Grabmals“ ebenfalls ein lesenswertes Kapitel. Die bekannten Michelangelo Biographien thematisieren alle in unterschiedlichem Maße dessen Arbeit in Florenz in diesen Jahren. James Ackerman legte in seinem Werk einen Plan über San Lorenzo vor. Siehe Abb. 47: Komplex von San Lorenzo [S. 349]. 32 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 221–222. Antonio Forcellino sieht in dem Kennenlernen des Tommaso de’ Cavalieri 1532 einen Lichtblick, eine Art Wendepunkt im Leben Michelangelos. Vgl. ebd., S. 222–224. 26 27

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Vom Künstler zum Souverän

müssen, wodurch er quasi eine neue Künstlergeneration herangezogen habe. 33 Den Komplex von San Lorenzo habe er zu einem Monument der Medici umgestaltet 34 und sei hier endgültig zum Architekten geworden, was sich erst tragfähig manifestiert habe, als er zum Architekten von St. Peter ernannt worden sei. Als weitere Facette zeigte sich hier, dass er die Balance gefunden hatte, eigenhändig tätig zu werden und andere nach seinen Entwürfen anzuleiten. 35 Volker Reinhardt widmet Michelangelos Verhältnis zu den Medicis ebenfalls seine Aufmerksamkeit und kommt bei seiner Untersuchung zu den Konklusionen, dass Michelangelo zum Verwalter der Medici Memoria wurde, eine nie dagewesene Deutungshoheit erhielt 36 und dabei den Abgesang der Medici anstimmte. 37 Das Verhältnis Michelangelos zu den beiden Medici-Patronen in dieser Zeit bekam für seinen Werdegang eine entsprechende Bedeutung. Nach der Erfahrung mit Julius II. begegnete Michelangelo nun wieder Mäzenen, die er zwar aus Kindertagen kannte, denen gegenüber er aber eine ambivalente Haltung hatte, was das Verhältnis nicht vereinfachte. Verhandlungen gestalteten sich immer wieder als schwierig. 38 Einerseits verachtete er als Republikaner die Medici, verurteilte deren Art der Rückkehr nach Florenz, wusste aber auch, dass er sie für lukrative Aufträge in

Florenz brauchte. Umgekehrt waren sich die Medici darüber bewusst, dass sie ihn brauchten. Das gegenseitige Verhältnis war aus diesem Grund von einer dynamisierten Ambivalenz gekennzeichnet: Man konnte nicht richtig miteinander, man konnte aber auch nicht ohne einander. 39 Dieses Prinzip war spätestens seit dem rebellischen Intermezzo in Florenz zwischen 1527 und 1530 beiden Parteien sehr klar. Michelangelo schlug sich, ohne Zögern, auf die Seite der Florentiner, baute buchstäblich Festungen gegen die Medici 40, um nach dem Scheitern mehr oder minder reumütig zurückzukehren und durch Papst Clemens VII. eine Wiederannahme zu erleben, die beispiellos ist. 41 Beide Biographen berichten übereinstimmend, dass Clemens VII. Michelangelo nach seiner Abtrünnigkeit in Gnaden wieder aufnahm. Er habe ihn wie ein Heiligtum geachtet und mit ihm vertraulich gesprochen. 42 Vasari berichtet, dass sich Clemens VII. der Qualität des Meisters bewusst gewesen sei und ihm deswegen verzieh 43, sodass es in Rom zur endgültigen Aussöhnung mit dem Papst, dem Freund des Talents, gekommen sei. 44 In der Schlussbewertung der Medici-Kapelle nimmt Condivi eine doppelte Wertung vor, da er einerseits die Statuen als göttlich bezeichnet, und andererseits anmerkt, dass die Vortrefflichkeit dieser Werke jeden anderen Fehler seitens des Auftrag-

33 Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo, S. 187. Die besten Handwerker bzw. Künstler von San Lorenzo waren fortan unter Dauerbeschäftigung. Vgl. ebd., S. 188. 34 Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo, S. 188. In der Michelangelo-Biographie von Giorgio Vasari bietet Caroline Gabbert unter der Fußnote 234 einen kurzen und prägnanten Überblick über die Bedeutung von San Lorenzo. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, Fußnote 234, S. 330–331. Charles de Tolnay liefert nur einen kleinen Überblick. Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo III, S. 26. 35 Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo, S. 192. 36 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 187. 37 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 191. 38 Bestes Beispiel sind die Verhandlungen über die Übernahme des Fassadenprojektes. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 162–163. 39 Clemens VII. hatte während der schwersten Not nach dem Sacco di Roma den Künstler über Bernardo Niccolini am 2. März 1528 kontaktiert, um sich nach dem Fortgang der Arbeit in San Lorenzo zu erkundigen, um ihm 500 Dukaten für die weitere Arbeit anzubieten. Vgl. http://www. memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=770&daAnno=1528&aAnno=&Mittente=Niccolini%20Bernardo&Destinatario=&Luogo_Mittente=& Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 40 Michelangelo wird zum Festungsbaumeister ernannt. Vasari, G.: Michelangelo, S. 101. Vasari betont Michelangelos Sorgfalt für den Festungsbau (S. 104). Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 55. In der Folge liefert Condivi einen Grund für Michelangelos Flucht 1529 aus Florenz und stellt ihn als den weitsichtigen und warnenden Mann dar, der die Niederlage kommen sieht, aber nicht gehört wird (S. 56–57). Hier lässt Condivi Michelangelo in einem besseren Licht erscheinen. Vasari glättet die Episode und betont hingegen, dass Michelangelo zu seiner eigenen Sicherheit Florenz verließ. Vasari, G.: Michelangelo, S. 109. Der Künstler kehrt in Todesverachtung auf Bitte der Freunde nach Florenz zurück, um die Sakristei zu vollenden (S. 110). 41 Condivi, A.: Michelangelo, S. 58. Schon im November–Dezember 1530 kamen Nachrichten aus Rom nach Florenz, der Papst sei erfreut, dass Michelangelo wieder arbeite. Ihm solle es an nichts fehlen. Er solle bei guter Stimmung gehalten werden und wieder seine Provision von 50 Dukaten. Vgl. Gaye, G.: Carteggio inedito d’Artisti dei Secoli XIV., XV., XVI., Tomo II, S. 221–222. (Folgend zitiert: Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo II oder Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III). 42 Condivi, A.: Michelangelo, S. 60. 43 Vasari, G.: Michelangelo, S. 111. 44 Vasari, G.: Michelangelo, S. 114.

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Künstlerischer Status

gebers kompensiere. 45 Indem die Werke explizit als göttlich bezeichnet werden, wird der Künstler es implizit auch. Condivi äußert sich hier verschleiert politisch und differenziert genug, um die Stärken und Schwächen dieses Papstes herauszustellen. Als Patron hat er Großes in Auftrag gegeben, was die Zeit überdauert und eine Bereicherung darstellt. Die Welt, so Condivi, besitze durch ihn ein edles Werk. 46 Als politischer Führer des Patrimonium Christi hat er kläglich versagt und Rom die schlimmste Katastrophe des 16. Jahrhunderts eingebracht. Es ist zu anzunehmen, dass Clemens VII. mit Michelangelo auch aus einem anderen Grund so umgehen musste. Hätte er ihn verstoßen, hätte er ihn in die Arme der della Roveres getrieben, die dann ihre Memoria in Rom hätten vorantreiben können. Er hätte ihnen somit ein Agitationsfeld geboten, was ihn als Papst weniger glanzvoll hätte

aussehen lassen und seine Familie zurückgesetzt hätte. Daneben musste er wie Julius II. reagieren und den abtrünnigen Künstler in Gnade wieder aufnehmen. Julius II. hatte schon 1508 – jetzt posthum – die Preise gesetzt, die für Clemens VII. Orientierungspunkt waren. Die politischen Veränderungen hatten ihm gezeigt, dass er seiner Macht beraubt war. Als Patron besaß er sie noch, ließ dann als weiser und verständnisvoller Papst Gnade vor Recht ergehen, um sein eigenes Image nicht endgültig zu ruinieren. Daneben war ihm als Mäzen sehr wohl bewusst, wen er vor sich hatte, wollte er auch aus Bewunderung Michelangelo keinen Schaden zufügen. Die Berichte der Biographen sind immer mit Distanz und Vorsicht zu betrachten, aber die hier aufgeführte Bewunderung seitens des Papstes für den Künstler ist als glaubwürdig einzustufen.

6.4 Künstlerischer Status Die reichhaltige Korrespondenz zwischen Michelangelo und dem partizipativen Patron Giulio de’ Medici, später Clemens VII. belegt, dass ein beachtenswertes Verhältnis vorlag. Michelangelo fand mit ihm einen deutlich besseren Umgang, scheute sich aber nicht davor, ihn vorzuführen bzw. ihn zu karikieren, wenn er mit unsäglichen Wünschen an ihn herantrat. 47 Das übliche Verhältnis zwischen Patron und Künstler war zwar nicht aufgehoben, wurde aber nicht nur in Form der Korrespondenz vom Künstler unterminiert, sondern auch durch sein Verhalten bzw. seine Ergebnisse.

Die Korrespondenz, die zwischen Michelangelo und verschiedenen Briefpartnern in Rom stattfand, zeigt ihn nach wie vor als reizreagibles Individuum, das sich immer wieder genötigt, eingeladen und inspiriert sieht, zur Feder zu greifen, sich zu erklären, auseinanderzusetzen, zu fordern, zu klagen, zu untertreiben, zu übertreiben und auch gezielt klare Vorstellungen, Gedanken oder Wünsche zu formulieren. 48 Kurz: Diese Korrespondenz zeigt seinen Status. Einen ungewöhnlichen Beweis für seinen Status, kombiniert mit einem Wunsch, stellt der Brief an den Kardinal Bernardo

45 Condivi, A.: Michelangelo, S. 59. Clemens VII. hatte durch seine Unentschlossenheit und sein politisches Missgeschick nicht nur das Papsttum, sondern auch vor allem Rom großen Schaden zugefügt. Beides wurde von seinen Zeitgenossen schmähend kommentiert, indem man ihn als „InClemens Pontifex Minimus“ bezeichnete. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol. I, Appendix 19, S. 286. 46 Condivi, A.: Michelangelo, S. 59. Der heutige Besucherstrom in der Medici Kapelle bestätigt Condivis Aussage von 1553. 47 Charles de Tolnay führt an, dass Clemens VII. versuchte, Michelangelo durch weitere Aufträge an sich zu binden. Im Oktober 1525 machte er einen Vorschlag für eine Kolossalstatue von 40 Ellen Höhe, die in der Nähe des Palazzo Medici errichtet werden sollte. Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo III, S. 9. Grundlage war die ernstgemeinte Anfrage aus Rom durch Fatucci am 14. Oktober 1525. „Et più mi disse che voleva che si facessi uno colosso alto quanto sono e’ merli della casa sua (…).“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=713&daAnno=1525&aAnno=&Mittente=Fattucci%20Giovan%20Francesco&Destinatario =Buonarroti%20Michelangelo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. E. H. Ramsden verweist auf die Ernsthaftigkeit dieser Anfrage. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, S. 165 Anmerkung 1. Michelangelos Antwort vom Dezember 1525 karikiert den Koloss in solchem Maße, dass er das ganze Ansinnen des Papstes ad absurdum führt. Er entwirft groteske Funktionen für die Figur, deren Hand ein Füllhorn halten könnte, das einem innenliegenden Barbierladen als Kamin diene. Ein befreundeter Krämer wolle inwendig ein Taubenhaus in der Figur anbringen. Gipfel der Komik ist die Vorstellung Michelangelos, dass der Kopf der Statue als Kampanile von San Lorenzo diene. Aus dem Mund käme das Läuten, als ob der Koloss „Gnade“ riefe. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 176, S. 164–167. E. H. Ramsden datiert den Brief auf den Dezember 1525, was Hanneliese Hinderberger bestätigt. Vgl. Hinderberger, H.: op. cit., S. 195–197. Dieser Brief hat einen schärferen Charakter bzw. bissigeren Spott als der Brief an Kardinal Bibbiena. 48 Deborah Parker untersucht in ihrem Werk „Michelangelo and the Art of Letter Writing“ Michelangelos Manier, seine Briefe anzulegen. Sie stellt

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Dovizi Bibbiena 49 in Rom vom 20. Juni 1520 dar. Michelangelo spricht sich für Sebastiano del Piombo aus 50, empfiehlt ihn als tüchtigen Künstler für die Arbeit im päpstlichen Palast, da Raffael verblichen sei. Eingebettet ist diese Bitte zunächst in ein Understatement, das von Selbstironie nur so strotzt. Er, Michelangelo, sei weder „Freund“ noch „Diener“, da noch niedriger angesiedelt, im Gegenteil er sei „arm und närrisch“. Kardinal Bibbiena könne durchaus Genugtuung empfinden, närrischen Menschen zu dienen. Es folgt ein Vergleich aus der Kulinarik, wobei der Gaumenverwöhnte wegen Überdruss die Zwiebel bevorzuge. Der Kardinal diene angesehenen Männern, von daher solle er dies auch Michelangelo zu Teil werden lassen, da er Sebastiano für einen tüchtigen Mann halte, der dem Kardinal Ehre mache. 51 Michelangelo spielt hier bewusst mit seinem Status, den er zunächst gering einschätzt, um sich dann bescheiden in die Riege der angesehenen Männer einzuordnen, um aus dieser Position seine Anfrage zu bekräftigen. Der Antwort Sebastiano del Piombos vom 3. Juli 1520 ist zu entnehmen, dass dieser Brief große Heiterkeit beim Kardinal, beim Papst und päpstlichen Hof auslöste, auch wenn Sebastiano del Piombo keinen der gewünschten Aufträge erhielt. 52 Giovanni Papini hat darauf hingewiesen, dass sich Michelangelo der Wesensart des Kardinals, der ein Faible für Komödien bzw. das Komödiantenhafte hatte, bediente. 53 Nach E. H. Ramsden schrieb Michelangelo den Brief in einem

für ihn ungünstigen Zeitraum, da ihm gerade die Fassade von San Lorenzo entzogen worden war, worüber er buchstäblich erkrankte. 54 Wegen dieser Umstände ist der Brief bemerkenswert, da die Selbstironie Michelangelos zwischen dem Spott über andere – seinem Genius wird nicht entsprochen – Selbstbedauern und Klarstellung seiner Position nahezu balanciert. Charles de Tolnay verweist darauf, dass Michelangelo sich selbstironisch abwertet, und nennt das Schriftstück a „curious letter“. 55 Dieser Brief ist insofern ausgefallen, da sich Michelangelo trotz seiner Terribilità auf den speziellen Adressaten einstellen konnte, galt dieser Adressat besonders in den Jahren 1514–1515 in Diplomatenkreisen als „alter ego“ des Papstes, was seine mächtige Position widerspiegelt, die Michelangelo trotz seiner Ferne vom päpstlichen Hof in dieser Zeit nicht verborgen geblieben war. 56 Ironie setzt beim Adressaten immer Intelligenz voraus, um den Spott und die geheuchelte Unwissenheit zu verstehen. Im Palast wurde der Brief mit Heiterkeit aufgenommen, allerdings erzielte Michelangelo damit einen zweiten Erfolg. Sein ätzender Spott ergoss sich über diejenigen, die ihn verstimmt hatten, allen voran den Papst. Der Überbringer der Nachricht ist selbst von hohem Rang, serviert dem Papst den Spott des Künstlers auf dem Silbertablett, wird aber vom Spott ausgeschlossen. Die Frage, die offen bleiben muss, ist die, warum Bibbiena den Brief publik machte. Für Michelangelo war es eine kleine Rache am Papst in Form einer Bittschrift an Bibbie-

fest, dass er über einen Pool von Formulierungen und Phrasen verfügte, die er regelmäßig einsetzte, um sich mitzuteilen. Als reger Briefeschreiber, der mit 225 Individuen (Vgl. ebd., S. 117) Kontakt pflegte, war er ein Absichtstäter, der genau wusste, wem er in welchem Duktus schrieb. 49 Bernardo Dovizi Bibbiena findet Beachtung bei Ludwig von Pastor, der dessen Aufstieg und dessen große Bedeutung am Hof von Leo X. nachzeichnet. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. IV,1, S. 57–60. Bibbiena wurde bereits am 23. September 1513 zum Kardinal kreiert und kannte Leo X. schon seit der Jugend. Vgl. ebd., S. 57. 50 Sebastian del Piombo hatte Michelangelo am 12. April 1520 über Raffaels Tod informiert und bittet ihn um Fürsprache bei Kardinal Bibbiena, um im Saal der Päpste mit tätig werden zu können. Vgl. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=460&daAnno=1520&aAnno=& Mittente=&Destinatario=Buonarroti%20Michelangelo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=& cerca=cerca& Vgl. Hinderberger, H.: op. cit., S. 170–171. 51 „(…) io prego (…) non chome amicho o servo (…) ma chomo omo vile, povero e macto (…).“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=464&daAnno=1520&aAnno=&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=& Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Hinderberger, H.: op. cit., S. 171–172. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 145, S. 135. 52 „Lui ne se rise molto, quassi se che ne faceva beffe, et con bone parolle me partii. Da poi io ho inteso da Bacino de Michelagnolo, che fa el Looconte, che ’l cardinale il ha mostrato (sic) la vostra littera et àlla mostrata al Papa, che quassi c’è altro sugieto che rasonar in palazo se non la vostra litera et fa ridere ogn’omo.“ Milanesi, G.: Le Correspondants de Michel-Ange i Sebsatiano del Piombo, S. 8. 53 Papini, G.: Michelangiolo, S. 310. Michael Hirst kommt zum selben Befund und führt an, dass der Kardinal sich selbst gerne durch entsprechende Unterschriften verspottete. Vgl. Hirst, M.: Michelangelo – The Achievement of fame, S. 176. 54 Ramsden, E. H.: The Letters Vol 1, Appendix 15, S. 273. E. H. Ramsden sagt auch, dass Michelangelo im Hinblick auf die Persönlichkeit des Kardinals seinen Brief verfasste. 55 Tolnay, C. d.: Michelangelo III, S. 7. Die Übersetzung von „curious“ zieht sich von seltsam, sonderbar über merkwürdig bis ausgefallen. 56 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. IV,1, S. 59.

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Erneut künstlerische Freiheit?

na und die Erkenntnis, dass er Menschen bewegen konnte. Eine weitere Wirkung auf Leo X. spiegelt ihm Sebastiano del Piombo wenige Monate später in einem Brief wider, in dem es u. a. erneut um das Grabmal von Julius II. ging. Diese Spiegelung ist eine deutliche und kritikbehaftete Aussage über und für Michelangelo. Gegen Ende des Briefes stellt del Piombo ihm in Aussicht, in Rom alles erhalten zu können, was er begehre, da der Papst wie von einem Bruder mit Tränen in den Augen spreche, da sie zusammen aufgezogen worden seien. Für Sebastiano beweise dies, dass Leo X. Michelangelo kenne und liebe. Nahezu klagend konkludiert der Schreiber, dass Michelangelo stattdessen jedermann Angst einjage, auch den Päpsten. 57 Diese wenig schmeichelhafte Aussage hat durchaus einen veritablen Kern, da Leo X. offensichtlich Schwierigkeiten hatte, der Kehrseite des genialen Künstlers, die sich in Form des Ungestümen und Unberechenbaren zeigte, begegnen zu können. 58 Leo X. zögerte trotz der Aussage Sebastianos nicht, Michelangelo das Fassadenprojekt von San Lorenzo zu entziehen, als ihm neben dem Zeitverlust, den Michelangelo seiner Meinung nach zuließ, große Zweifel über Michelangelos Verlässlichkeit im Umgang mit Geld

kamen. 59 Für den Medici hörte die Freundschaft aus Kindertagen auf, wenn sein Geld betroffen war. Der Papst und dessen Ratgeber zeigten sich auch verstimmt, als es um die neuen Aufträge ging und der Umgang mit dem Künstler sich wieder als schwierig erwies. 60 Sein Nachfolger im Amt und Cousin, Giulio de’ Medici, der unter Leos X. Pontifikat Verhandlungs- und Ansprechpartner der Künstler war 61, reagierte anders und zeigte eine große Affinität für künstlerische Fragen. Sheryl Reiss vertritt die Meinung, dass Giulio de’ Medici als Kind von dem Architekten Antonio da Sangallo erzogen wurde und sieht darin einen Grund, dass er sich zu einem engagierten Mäzen entwickelte. 62 Michelangelo war dies nicht verborgen geblieben, sodass er sich schon früh auf Aufträge freuend, sechs Tage nach der Wahl Clemens VII. am 19. November 1523 63 in einem Brief an Domenico di Giovanni vom 25. November 1523 kommentierte, dass der Medici Papst geworden, dies eine Freude für die ganze Welt sei und was die Kunst betreffe, viel geschehen werde. 64 Er sollte Recht behalten. Clemens VII. war ein Mäzen, der seine Baustellen besuchte und seine Meinung selbstbewusst zu künstlerischen Inhalten wie Farbe, Stil, Ikonographie betreffenden und technischen Fragen äußerte. 65

6.5 Erneut künstlerische Freiheit? Trotz der aktiven Partizipation des Patrons erschließt sich erneut das von Michelangelo selbst angesprochenes Thema der „freien Hand“, das sich in

diesen Jahren besonders in seinem Bewusstsein zu verankern scheint. Die enorme Summe, die er zunächst für San Lorenzo ansetzt, ist neben seiner Be-

57 „(…) perchè io so in che conto vi tien el papa et quando parla di vui par rasoni d’un suo fratello quassi con le lacrime agli occhi, perchè m’à detto a me vui sette nutriti in siemj et dimostra conoscervi et amarvi: ma facte paura a ognuno insino a’ papi. (…)“. Milanesi, G.: Le Correspondants de Michel-Ange i Sebsatiano del Piombo, S. 20. Vgl. Hinderberger, H.: op. cit., S. 177. 58 Kemper, M. E.: Leo X. – Giovanni de’ Medici, S. 46. Für Max-Eugen Kemper verkörpert Michelangelo im Erleben Leos X. das „Anti-Klassische“ im Gegensatz zu Raffael. Hier muss die Frage offenbleiben, ob und inwiefern Michelangelo diese „Terribilità“ pflegte, nahezu bewusst einsetzte, um seine Ziele zu erreichen. 59 Hatfield, R.: The Wealth, S. 152–153. 60 Mackowsky, H.: Michelagniolo, S. 159. 61 Reiss, S.: Clemens VII., S. 55. 62 Reiss, S.: Raphael, Pope Leo X. and Cardinal Giulio de’ Medici, S. 14. Giulio war der illegitime Sohn Giulianos de’ Medici und wurde erst nach dessen Ermordung während der Pazzi-Verschwörung geboren. 63 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. IV.2, S. 169. 64 „Arete inteso chome Medici è facto papa, di che mi pare si sia rallegrato tucto el mondo; ond’io stimo che qua, circha l’arte, si farà molte chose. Però servite bene e chon fede, acciò che e’ s’abbi onore.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=586&daAnno=1523&aAnno= 1523&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia= &cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 156, S. 146. Vasari berichtet in der Vita des Antonio da Sangallo des Jüngeren, dass die Wahl Clemens VII. Erquickung für begabte Menschen bringe und den mutlosen Gemütern wieder Lebenskraft gegeben habe. Vgl. Vasari, G.: Das Leben der Sangallo-Familie, S. 61. 65 Reiss, S.: Clemens VII., S. 56.

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reicherung auch ein Indiz dafür, dass es ihm überhaupt möglich war, ein Projekt dermaßen hoch anzusetzen bzw. jederzeit flexibel damit umgehen zu können. 66 Nach weiterem Insistieren gelang es Michelangelo, alleiniger Herr auf der Baustelle San Lorenzo zu werden, wobei der Prior von San Lorenzo Figiovanni 67 über ihn berichtet, er habe Werkzeug zerbrochen, das der Baustelle nützlich sein könnte, und weder den Papst schone noch respektiere. 68 Derselbe Prior äußerte, dass Hiob Michelangelo keinen Tag ertragen hätte. 69 Der Historiker Paolo Giovio schrieb Michelangelo gerade in der Zeit zwischen 1523 und 1527 einen ungehobelten Charakter zu, zu dem er ihm noch Grobheit und Unlust, einen Schüler aufzunehmen, attestierte. So unangefochten er in künstlerischen Dingen war, galt sein Temperament als berüchtigt. 70 Temperamentvoll und schonungslos zugleich fällt der Ton eines Briefes an Clemens VII. vom 31. Dezember 1525 aus, als der Künstler freies Agieren in der Neuen Sakristei forderte und den Grund der Bauverzögerung nicht bei sich ansiedelte. Michelangelo forderte vom Papst Vertrauen, keinen Aufseher über sich und die freie Hand für sein Tun, nur so könne er wirklich etwas vollbringen. 71 Der Künstler nimmt hier erneut das Motiv auf, das er bereits zwei Jahre zuvor in dem Fatucci-Brief vom 30. November 1523 thematisier-

te. Damals schrieb er, dass er seinerzeit in der Sixtina freie Hand bekomme habe 72, was die moderne Forschung kontrovers diskutiert bis bezweifelt. Die Aussage von 1523 wird in der Retrospektive eher dem Wunsch des Künstlers entsprungen sein, der, basierend auf seiner aktuell schwindenden Geduld mit dem wankelmütigen und entscheidungsunfähigen Papst 73, jetzt konkret formuliert, was er will. Mit der Forderung von 1525 war sein Wunsch zur Realität geworden, die ihm künstlerische Ungebundenheit trotz konkreter Aufträge bescherte. Damit stellte er den bisherigen Umgang zwischen Künstler und Mäzen radikal in Frage. Nach Volker Reinhardt erhält Michelangelo die Gestaltungsfreiheit, die sich in absoluter Deutungshoheit niederschlägt. 74 Auch wenn es Michelangelo entgegenkam, musste er letztlich auf Clemens’ VII. Wankelmütigkeit reagieren, wenn er das Projekt zu Ende bringen wollte. Er wurde in eine Situation gebracht, Entscheidungen zu fällen, da päpstliche Unentschlossenheit die Abwesenheit von Macht bedeutet, was einem Machtvakuum gleichkommt. Dieses Vakuum besetzt der Künstler. Insofern ist so eine Entwicklung auch immer davon abhängig, was ein Patron zulässt oder nicht. Für Michelangelo war dies ein Glücksfall sondergleichen, auch wenn es ihn vermeintlich Nerven kostete.

66 Als Vergleich dient hier ein Verweis auf Volker Reinhardt, der bezogen auf die „prigioni“ darauf hinweist, dass Michelangelo nur einzelne Partien der Skulpturen herausarbeitete, um sich bis zum Schluss die freie Gestaltungsmöglichkeit zu erhalten. Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 180–182. 67 Giovanni Battista Figiovanni (1466–1544) wird unter der Fußnote 259 in der Michelangelo-Biographie von Vasari aus dem Wagenbach Verlag nachgezeichnet. 68 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 188–189. 69 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 150. 70 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 150. 71 (…) „e priego quella che, volendo che io facci chosa nessuna, che non mi dia nell’arte mia uomini sopra chapo, e che mi presti fede e diemi libera chommessione“. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=683&daAnno=1524&aAnno=&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=& Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 72 „Allora mi decte nuova chommessione che io facessi ciò che io volevo“. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=591&daAnno=1523&aAnno=&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=& Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 73 Clemens VII. war sehr in die Entstehung der Bibliothek und der Neuen Sakristei involviert, diskutierte jedes Detail und griff aktiv in die Planung und Umsetzung ein, sodass es zu Verzögerungen kam. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 189. 74 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 191.

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Ein Künstler für zwei Päpste

6.6 Ein Künstler für zwei Päpste 6.6.1 San Lorenzo Nach der Thronbesteigung Leos X. war es eine Frage der Zeit, wann sich er seiner Heimatstadt zuwenden musste, da ein Medici ohne Florenz keinen Wert besaß. Florenz war seit September 1512 wieder in den Händen der Bankiersfamilie. 75 Leo X. verfolgte als Ziel die Verherrlichung der Familie, die durch ihn, als Stellvertreter Christi, das neue Goldene Zeitalter in Florenz anbrechen lässt. 76 Dies durch seine Anwesenheit demonstrierend, zog er am 30. November 1515 in die festlich geschmückte Stadt, einem antiken Triumphzug gleich, ein. 77 Nach Ludwig von Pastor entsprach dieser Einzug einer „Possesso“, was seinen Anspruch als Papstes deutlich markiert. 78 Als besonderes Zeichen an exponierter Stelle hatten Andrea del Sarto, Jacopo Sansovino und Andrea Feltrini der unfertigen Domfassade eine reichhaltig dekorierte Holzfassade als Verschönerungswerk angepasst, die marmorartig wirkte und die so von Lorenzo il Magnifico vorgesehen, aber nie realisiert wurde. 79 Michael Hirst verweist darauf, dass den Papst die illusionistische Fassade sehr ansprach und sieht darin eine Art Initialzündung, dass sich Leo X. endgültig der Fassade von San Lorenzo zuwandte. 80 Somit war für die Verortung des Papsttums in Florenz die Verlagerung der Aufmerksamkeit auf die Neugestaltung der Fassade von San Lorenzo, der Hauskirche der Medici, ein konsequenter Schritt. Ein weiterer Effekt war, dass San Lorenzo mit seiner vollendeten Fassade der noch unfertigen Front des in der Nachbarschaft liegenden Domes nicht nur

gewaltig Konkurrenz machen, sondern sie übertreffen konnte. Um auch jeder aufkommenden Konkurrenz zu begegnen, wurde Michelangelo nach Florenz berufen, was diesen nach Condivi verdross. 81 Nach Vasari kam Michelangelo zu diesem Projekt aufgrund seiner florentinischen Landsmannschaft. Leo X. bestand darauf, dass Michelangelo die Leitung des Projektes übernehme und gestand ihm zu, auch an den Figuren des Julius-Grabmales in Florenz arbeiten zu dürfen. 82 Wenn die Angabe von Vasari stimmt, dass Michelangelo auf Leos X. Wunsch hin die Leitung des Projektes übernimmt, ist dieser Schritt noch bemerkenswerter, da Leo X. die illusionistische Fassade am Dom gesehen hatte und mit seinem Wunsch die Gestalter der Holzfassade überging. Nach Charles de Tolnay hatte Michelangelo wohl während seiner Abwesenheit (1513–1515) vom päpstlichen Hof die Erkenntnis gewonnen, dass es seiner Karriere nicht zuträglich war, wenn er sich diesem entzog. Vermutlich lag in dieser Erkenntnis der Auslöser für Michelangelos Verdruss, den Condivi äußerte. Andererseits wollte der Papst ihn unbedingt verpflichten, um die Genialität des Künstlers für die Glorifikation der Familie zu nutzen 83, was Michelangelo schmeichelte, ihm einen hohen Gewinn in Aussicht stellte und zu Raffael aufschließen ließ, der in der Zwischenzeit Herr über St. Peter geworden war. Daneben galt es, zwischen ihm und den Medici einen Ausgleich zu schaffen, da das bisherige Verhältnis nicht entspannt war. 84 Vasari berichtet weiter darüber, dass

Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Appendix 10, S. 247–248. Vgl. Reinhardt, V.: Die Medici, S. 106. Reinhardt, V.: Die Medici, S. 105. 77 Pastor, L. v.: Die Geschichte der Päpste Bd. IV.1, S. 89. Eugène Müntz beschreibt den beeindruckenden Einzug Leos X. ausführlicher in seinem Werk „Histoire de l’Art pendant la Renaissance“ (Bd. II, L’Age d’or) S. 219–220. 78 Pastor, L. v.: Die Geschichte der Päpste, Bd. IV.1, S. 90. 79 Müntz, E.: Histoire de l’Art pendant la Renaissance, Bd. II S. 220. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. IV,1, S. 89. Vgl. Wilde, J.: Michelangelo – Six Lectures, S. 137, der sich an Walter Paatz orientiert. 80 Hirst, M.: Michelangelo – The Achievement of Fame, S. 135. Michael Hirst nennt zwei weitere Fassadenprojekte, die aus dem Kardinalat Giovanni de’ Medicis stammte. Projekt eins war die Fassade von Santa Cristina in Bolsena; Projekt zwei war die Restaurierung der Titularkirche Santa Maria in Domnica. 81 Condivi, A.: Michelangelo, S. 52. Nach Condivi leistete Michelangelo gegen diesen Auftrag Widerstand, da er nicht vom Julius-Grabmal lassen wollte. Vgl. ebd., S. 53. 82 Vasari, G.: Michelangelo, S. 93. 83 Tolnay, C. d.: Michelangelo III, S. 3–4. Der Autor verweist darauf, dass Leo X. eine ambivalente Haltung Michelangelo gegenüber hatte, die sich von Verbindung zu Furcht spannte, und er ihn vom päpstlichen Hof fernhalten wollte, damit Raffael, Leos X. erklärter Liebling, in Ruhe arbeiten konnte. Vgl. S. 4. 84 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 162–163. Antonio Forcellino führt aus, dass Michelangelo den Medici in Geheimverhandlungen begegnete, um hinter dem Rücken der della Roveres Handlungsfreiheit zu bekommen. 75

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es zu einer Ausschreibung der Fassade kam, die Michelangelo schließlich für sich entschied, da er niemanden über sich bei diesem Bauvorhaben duldete. 85 1517 erhält er schließlich den Auftrag für die Anfertigung eines Holzmodells. 86 Der Künstler traute sich das Projekt selbstbewusst zu, war inspiriert und sah in ihm vielleicht sogar eine Art Katharsis für das Grabmal Julius’ II. In einem Brief vom 2. Mai 1517, der an Domenico Buoninsegni in Rom adressiert war, kündigt er selbstgewiss an, dass die Fassade in architektonischer und bildhauerischer Hinsicht der Spiegel Italiens werde. In der Folge fordert er eine Entscheidung von Leo X. und Kardinal Giulio de’ Medici über einen festen Vertrag für das Projekt, verweist auf seine bisher getätigten Ausgaben und Schwierigkeiten bei der Marmorbeschaffung, will keine weitere Zeit verlieren, da er ein alter Mann sei, stehe in Rom unter Druck und müsse Klarheit haben. Den Preis des Projektes taxiert er auf 35 000 Dukaten, schließt aber an, dass sich die genannte Summe während des Prozesses noch erhöhen könnte, den er auf sechs Jahre anlege. 87 Michelangelo hat klare Vorstellungen von seinem Status und fordert einen Papst nebst Kardinal auf, sich zu entscheiden. Er setzt im wahrsten Sinne des Wortes die Preise, die nach oben offen zu sein scheinen und legt als Argument sein hohes Alter in die Waagschale. Der offi-

zielle Vertrag wurde am 19. Januar 1518 geschlossen und beinhaltete die Anlage der Fassade in Rekordzeit für 40 000 Golddukaten. 88 Aufgrund von enormen Schwierigkeiten, die z. T. aus äußeren Umstände entstanden, was bei der Marmorbeschaffung begann, bei dessen Transport endete 89 und auch der Art des Künstlers, die hier nicht weiter betrachtet werden sollen, kam das Projekt nicht zur Ausführung und wurde am 10. März 1520 durch eine Vertragsauflösung beendet. 90 Vasari gibt als Grund Geldmangel an, da das Geld im lombardischen Krieg verbraucht worden sei. 91 Condivi berichtet, dass der Papst das Interesse an der Fassade verloren habe, was Michelangelo wieder verdross, da er Zeit vergeudet habe. 92 In einem Brief vom 31. Januar 1520 an Domenico Buoninsegni, in dem die Aufgabe des Fassadenprojektes schon ablesbar war, gibt Michelangelo als weitere Inhalte seines Verdrusses an, nachdem er drei Jahre Zeitverlust beklagt hatte, dass ihn die Arbeit an San Lorenzo ruiniert habe, dass er in größter Weise verunglimpft worden sei, da man ihn nach Florenz gebracht habe, damit er besagte Arbeit übernehme, die ihm jetzt entzogen werde, ohne dass er den Grund kenne und dass er sein Haus in Rom mit dem Wert von 500 Dukaten für Einrichtung, Marmor und vollendete Werke verloren habe. 93 Da es im Verlauf des Briefes auch um das an Michelangelo bereits

Vasari, G.: Michelangelo, S. 93. Knapp, F.: Michelangelo – Des Meisters Werke, S. XXXIV. Michelangelo genoss großen Respekt, dass er in einem Vertrag vom April 1517 als „Oberster Bildhauermeister des Heiligen Stuhls“ bezeichnet wird. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 144. Die Autorin benennt nicht, um welchen Vertrag es sich vom 17. April 1517 handelte, verweist aber grundsätzlich auf die respektvolle Wortwahl in den Urkunden im Hinblick auf Michelangelo. 87 „(…) che a me basta l ànimo far questa opera della facciata di San Lorenzo, che sia, d’architectura e di schultura, lo spechio di tucta Italia.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=221&page=2&daAnno=1517&aAnno=&Mittente=&Destinatario=&Luogo_Mittente=& Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 116, S. 105–106. 88 Der Vertrag sieht vor, dass sich Michelangelo dazu verpflichtet, in der geschätzten Zeit von acht Jahren für 40 000 Dukaten die Fassade aus weißem Marmor aus Carrara oder Pietrasanta zu errichten. Vgl. Milanesi, G.: Le lettre di Michelangelo Buonarroti, S. 671. 89 Vasari berichtet darüber, dass Michelangelo gezwungen wurde, den Marmor in Seravezza abzubauen statt aus Carrara kommen zu lassen, wofür in Servezza eine Straße angelegt werden musste, was ihn Mühe und Zeit kostete. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 94–96. 90 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 146. Michelangelo berichtet davon in den Ricordi, dass der Papst ihn in seine Freiheit entlassen habe. Vgl. Bardeschi, L.; Barocchi, P.: I Ricordi di Michelangelo Nr. XCVIII, S. 102. „Ora papa Leone, forse per fare più presto la sopra decta facciata di San Lorenzo che l’allogagione che gli avea facta a-mme, e chosì parendo ancora a-mme, d’archodo mi libera. (…) E così mi lascia in mia libertà e disobrigo, che io non abbia più a-rrendere chonto a-nnessuno di chosa che io abbia avuto a far secho o chon altri per suo conto.“ 91 Vasari, G.: Michelangelo, S. 96. 92 Condivi, A.: Michelangelo, S. 54. E. H. Ramsden konstatiert, dass der Verlust des Fassadenprojektes das Ergebnis eines Ränke- und Intrigenspiels der päpstlichen Entourage wurde, wozu Domenico Buoninsegni und Bernardo Niccolini gehörten. Beide Männer waren korrupt und wollten sich an dem Projekt bereichern, was Michelangelo nicht mittrug. Beide versuchten, Michelangelo durch Diskreditierungen, Verzögerungen der Arbeit oder der Marmorlieferungen zu schaden. Vgl. Ramsden E. H.: The Letters of Michelangelo Vol I, Appendix 14, S. 270–272. 93 „Non gli mecto anchora a chonto el modello di legniame della facciata decta, che io gli mandai a rRoma; non gli mecto a[n]chora a chonto el tempo di tre anni che io ò perduti in questo; non gli mecto a chonto che io sono rovinato per decta opera di San Lorenzo; non gli mecto a chonto el vitupero grandissimo dell’avermi chondocto qua per far decta opera e poi tormela, – e non so perché anchora; non gli mecto a chonto la casa mia di 85

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ausgezahltes Geld – 2300 Golddukaten – geht, sieht Rab Hatfield in dem Brief den Versuch, sich des päpstlichen Schutzes zu vergewissern, damit der Künstler nicht zur Rechenschaft für das Geld gezogen werden kann. 94 Neben dieser Intention ist auch ablesbar, dass er sich beleidigt und ruiniert sieht, was mit seiner verletzten Künstlerseele zu erklären ist. Sein Nimbus ist angekratzt, ist weniger glänzend, und zwar in seiner Heimatstadt, in der er der gefeierte Star ist. Es ist dem Künstler durchaus zuzutrauen, dass dieser Umgang ihn erzürnte, da er sich herabgesetzt, missachtet und falsch behandelt fühlte. Die Klagen, die finanzieller wie ideeller Natur sind, entspringen neben den üblichen Übertreibungen einer Ernsthaftigkeit, die aus dem Ego des Künstlers gespeist wurden. Darüber hinaus musste Michelangelo Gründe für das Scheitern dieses Projektes anführen, die nicht auf ihm lasteten. Sein künstlerisches Curriculum Vitae sollte nicht durchweg vom Scheitern durchzogen sein. Auch wenn das Fassadenprojekt scheiterte, was nach Rab Hatfield die wahre Tragödie in Michelangelos Karriere war 95, wurde Michelangelo hier zum Architekten 96 und erweiterte seinen künstlerischen Tätigkeitsbereich. So wurde auch manifest, dass Michelangelo sich gnadenlos gegen andere Künstler durchsetzte, da er keine anderen Götter neben sich duldete. Trotz aller Schwierigkeiten brachte ihm am Ende das Projekt wieder einen finanziellen Gewinn. 97

6.6.2 Sakristei und Bibliothek Als Extrakt flossen zwei Folgeaufträge für ihn in Form der Neuen Sakristei als Grablege für die Medici und des Baus der Biblioteca Laurenziana im Komplex von San Lorenzo heraus, da sie finanziell günstiger für die Medici waren. 98 Beide Projekte blieben bei der Abreise Michelangelos 1534 aus Florenz unvollendet 99, wodurch unter den Medici-Pontifikaten kein Projekt von Michelangelo zur Vollendung gebracht wurde. Auslöser für die Weiterführung des Pendants von Brunelleschis Sagristia vecchia 100 war eine dynastische Katastrophe. Aufgrund des Fehlens eines männlichen Nachfolgers war die Erblinie der Medici durch zwei Todesfälle ausgelöscht worden. 1516 starb Giuliano de’ Medici, der Bruder des Papstes, und 1519 sein Neffe Lorenzo. 101 Auch wenn Leo X. die beiden jüngeren Medici in letzter Konsequenz als schwach eingeordnet hat und nicht davon überzeugt war, dass sie höheren Aufgaben gewachsen seien, hatte er sie dennoch ins Kapitanat der päpstlichen Truppen (Giuliano) und der Truppen von Florenz (Lorenzo) erhoben. 102 Mit ihrem Tod stand die Familie dynastisch gesehen vor dem Aus, was eine ungewisse und sorgenvolle Zukunft bedeutete. 103 Kompensation der dynastischen Sorgen sollte ein Bauwerk erzielen, was nach Friedrich Kriegbaum auch den Ruhm des Papstes steigern sollte. 104 Die Neue Sakristei wurde im März 1520 begonnen

Roma che io ò lasciata, che v’è ito male, fra marmi e masseritie e llavoro facto, per più di cinque cento duchati.“ Vgl. http://www.memofonte.it/ home/ricerca/singolo_23.php?id=456&daAnno=1520&aAnno=1520&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=Buoninsegni%20Domeni co&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters of Michelangelo Vol I, Brief 144, S. 128–131. 94 Hatfield, R.: The Wealth, S. 139. 95 Hatfield, R.: The Wealth, S. 140. 96 Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo, S. 11. 97 Hatfield, R.: The Wealth, S. 140–141. Rab Hatfield berechnet Michelangelos Einkommen auf 3800 Florin, wobei die Ausgaben 2296 Florin nicht überschritten. Er verweist noch darauf, dass Ausgaben für Posten, Gegenstände oder Objekte ausgegeben wurden, die später in seinen Besitz übergingen. 98 Popp, A. E.: Die Medici-Kapelle Michelangelos, S. 18. Anny E. Popp belegt dies vor allem für die Sagristia Nuova. 99 Lieberman, R.: Michelangelo’s Design for the Biblioteca Laurenziana, S. 356. Vgl. Thode, H.: Michelangelo – Kritische Untersuchungen über seine Werke Bd. II, S. 117. (Folgend zitiert: Thode, H.: Kritische Untersuchungen) Die Bibliothek wird zwischen 1555 und 1568 unter beratender Tätigkeit des Künsters vollendet. Vgl. ebd., S. 120. 100 Popp, A. E.: op. cit., S. 17. Vgl. Mackowsky, H.: op. cit., S. 138. Giuliano de’ Medici starb am 17. März 1516 an Schwindsucht. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. IV,1, S. 103. Lorenzo de’ Medici starb am 4. Mai 1519 an der gallischen Krankheit (Syphillis). Lorenzo hinterließ mit Catarina de’ Medici eine Tochter, die die Erbfolge nicht fortsetzen konnte. Vgl. ebd., S. 192. 101 Mackowsky, H.: op. cit., S. 138. Leo X. war von den Todesfällen in dynastischer Hinsicht so ergriffen, dass er die Konsequenzen deutlich formulierte: „Von jetzt an gehören wir nicht mehr dem Hause Medici, sondern dem Hause Gottes.“ Vgl. ebd., S. 138. Ludwig von Pastor führt neben dieser Aussage des Papstes noch eine weitere an, der Herr habe gegeben und der Herr habe genommen. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. IV,1, S. 193. 102 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. IV,1, S. 63. 103 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 150. 104 Kriegbaum, F.: Michelangelo Buonarroti – Die Bildwerke, S. 13.

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und entsprang dem Bedürfnis, neben der Schaffung eines Erweiterungsbaus für die Grablege, eine neue Form der Selbstdarstellung in Form einer Konkurrenzlosigkeit zu erzielen. 105 Die beiden Verblichenen waren schließlich die ersten, die in den Rang des Herzogs erhoben worden waren. 106 Es ging für die Familie Medici um die Verbindung der Vergangenheit mit der Gegenwart, um für die Zukunft eine unauslöschliche in Stein gemeißelte Memoria zu schaffen. Die noch lebenden und Pietas spendenden Medici sollten gemeinsam mit den jüngst und länger Verstorbenen nicht nur eine gemeinsame Totenstätte erhalten 107, sondern Kontinuität und reale Präsenz in Florenz langfristig installieren. Für diese Aufgabe musste ein wegen der Fassade gekränkter Michelangelo bewegt werden 108, der es obendrein als Crux empfand, immer noch in den Diensten der della Roveres zustehen, was sich bis zur Vollendung des Julius-Grabes 1545 auch nicht mehr ändern sollte. 109 Die Korrespondenz zwischen Giulio de’ Medici, dem spiritus rector des Papstes 110, und Michelangelo gibt über den Entwurf der Kapelle Auskunft. 111 Zunächst als Medici-Pantheon 112 mit einem durch eine Kuppel überspannten Raum mit vier Grabmälern 113 konzipiert, kommt es zu einer Modifikation

der Anlage, die letztlich unvollendet bleibt. Kardinal de’ Medici ließ allerdings keinen Zweifel daran, dass er die endgültige Entscheidung über die Anlage Michelangelo überließ 114, der seinerseits architektonisch vor einem fait accompli stand. 115 Er plante ein reichhaltiges Skulpturenprogramm, das neben der Gottes Mutter mit Kind, Statuen der Verstorbenen, Heilige und allegorische Figuren umfasste. 116 Zur Ausführung kommt ein reduzierter Entwurf mit zwei Wandgräbern 117, wobei der Künstler sieben Figuren eigenhändig schuf: Die beiden Herzöge, vier allegorische Figuren – Tag und Nacht, Morgen und Abenddämmerung – sowie die Mutter Gottes mit Kind. Giorgio Vasari vollendet die Sakristei zwischen 1534 und 1554/55. Die Allegorien wurden auf die Deckel der Sarkophage drapiert. Giuliano de’ Medici erhält den Tag und die Nacht; Lorenzo erhält die Abend- und Morgendämmerung. 118 William Wallace stellt aufgrund der vorliegenden Daten – Korrespondenz und Ricordi – zwischen 1519 und 1521 fest, dass die Kapelle nur bedingt Michelangelos Aufmerksamkeit fesselte. Das Julius-Grabmal und die Fassade von San Lorenzo waren nach wie vor mehr in seinem Horizont bzw. von Relevanz für ihn. 119 Der Künstler verfolgte hier

Reinhardt, V.: Florenz zur Zeit der Renaissance, S. 225. Tolnay, C. d.: Michelangelo III. S. 26. 107 Vorgesehen waren vier Gräber für den Herzog von Nemours (Giuliano de’ Medici), den Herzog von Urbino (Lorenzo de’ Medici), für Lorenzo il Magnifico und dessen 1478 ermordeten Bruder Giuliano de’ Medici, die bis dato provisorisch in der Sagristia vecchia beigesetzt waren. Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo III, S. 26. Eine Planerweiterung sollte ein Doppelgrab für die Medici Päpste aufnehmen. Vgl. Goldscheider, L.: Michelangelo: Painting – Sculpture – Architecture, S. 17. 108 Popp, A. E.: op. cit., S. 19. Condivi berichtet, dass ihn der Auftragsentzug betrübte, ihn er der Zeitverlust verdross und er eine Zeit nichts tat. Condivi, A.: Michelangelo, S. 54. 109 Popp, A. E.: op. cit., S. 19. Wie bereits dargestellt, verfasst Claudia Echinger Maurach darüber eine ganze Analyse. Hier sei noch einmal auf Charles de Tolnay verwiesen, der über die Verhandlungen zwischen den della Roveres und Michelangelo und einem drohenden Rechtsstreit berichtet. Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo III, S. 8–9. 110 Popp, A. E.: op. cit., S. 17. 111 Cristina Acidini Luchinat stellt die verschiedenen Entwürfe Michelangelos kurz und knapp für die Kapelle zusammen. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 151. 112 Reinhardt, V.: Florenz zur Zeit der Renaissance, S. 225. 113 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 150. 114 Hirst, M.: Michelangelo – The Achievement of Fame, S. 189. Die endgültige Festsetzung des Programms folgte im Januar oder Februar 1521. Vgl. Popp, A. E.: op. cit., S. 20 und S. 41. 115 Popp, A. E.: op. cit., S. 21. 116 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 151. 117 Kriegbaum, F.: op. cit., S. 14. 118 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 158. Anny E. Popp offeriert in ihrem Werk Rekonstruktionszeichnungen der ursprünglichen Anlage der Gräber. Vgl. Popp, A. E.: op. cit.: Doppelgrab der Magnifici Tafel 9; Grabmal Lorenzo de’ Medici Tafel 10; Grabmal Giuliano de’ Medici Tafel 11. Erläuterungen zu den Tafeln finden sich auf S. 177–178. 119 Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo, S. 78. Der Autor legt hier beeindruckende Zahlen vor: Aus dieser Zeit liegen 80 Briefe und 26 Ricordi vor. Mehr als 40 % der Korrespondenz betreffen den Marmorabbau und dessen Transport für die Fassade und das Julius-Grab. ¼ der Korrespondenz diskutiert den auferstandenen Christus und sonstige Geschäfte. Nur 10 % der Briefe erwähnen die Medici Kapelle. Aufgrund dieses Befundes wird Michelangelos Interesse oder Fokus manifest. 105

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seine Interessen, setzte andere Prioritäten, bis es schließlich zu einer innerlichen Akzeptanz des neuen Projektes kam. 120 In der Folge ergaben sich bei dem Projekt viele Schwierigkeiten, die finanzieller und politischer Natur waren. 121 1521 kam es schon aufgrund von finanziellen Engpässen zu einem Baustopp, dessen Grund der Lombardei-Feldzug war. Als Nächstes folgte der unerwartete Tod Leos X. am 2. Dezember 1521. 122 Ab 1526 wird der päpstliche Geldfluss wieder spärlicher, sodass Michelangelo Arbeiter entlassen muss. Der endgültige Baustopp folgte zwischen 1527 und 1530 wegen der enormen politischen Unruhen in Florenz, ausgehend von dem Konflikt zwischen Clemens VII. und Karl V. 123 1530 nahm Michelangelo nach der Niederschlagung des Aufstandes in Florenz widerwillig seine Arbeit wieder auf. 124 Condivi betont, dass er die Arbeit an den Statuen unter Furcht ausgeübt, diese in wenigen Monaten gefertigt habe, auch wenn die letzte Arbeit daran fehle. An ihnen könne aber man sehr wohl die Vortrefflichkeit des Künstlers sehen. 125

6.6.3 Die Herzöge Letztlich bescherte diese Vortrefflichkeit dem Künstler den Nachruhm und nicht den Medici. Die von ihm geschaffenen Figuren wurden zum Vehikel seines Ruhms, den er sehr selbstbewusst vorformulierte, als man in Florenz die mangelnde Ähnlichkeit der Capitani-Statuen mit ihrem realen

Aussehen bemerkte. Niccolò Martelli überliefert in einem Brief Michelangelos Reaktion darauf, und zwar, dass sich niemand mehr an die Gesichtszüge der Verstorbenen in einigen Jahrhunderten erinnern werde. 126 Herman Grimm stellt in diesem Kontext fest, dass Michelangelo sich selbst treu blieb, indem er keine Porträts anfertigte. 127 Er ist auch der Meinung, dass Michelangelo mit der Darstellung der Herzog-Figuren die Medici verherrlichte und die ihm unter Lorenzo zuteil gewordenen Wohltaten quasi so königlich vergolten habe. 128 Der geniale Bildhauer gab den beiden Herzögen idealisierte Züge, stellte die Capitani des Kirchenstaates im Gewand römischer Feldherren dar 129 und ermöglichte ihnen so eine die Zeit überdauernde Idealpräsenz. Carl Justi bemerkt berechtigt, dass Michelangelo ein langes Leben seiner Marmorstatuen selbstverständlich erschien, wobei er dies für die Erinnerung an das reale Aussehen der Herzöge in späteren Jahrhunderten ausschloss. Durch diese Bemerkung verändert Carl Justi den Blickwinkel in Richtung Künstler. Des Weiteren liest er aus dieser Darstellungsart die Absicht Michelangelos heraus, den Gestalten höheren Glanz zu verleihen. 130 Volker Reinhardt nimmt indes eine andere Position ein und ordnet die Darstellung in der Kapelle als Abgesang der Familie ein, da Michelangelo ironisch-parodierend mit den Darstellungen der Figuren spielte. Die Ironie sei daran zu erkennen, dass er Giuliano zu einem Tatmenschen und Lorenzo zu einem Sinnsuchenden veränderte. Die Allegorien symboli-

Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo, S. 78–79. Zwischen 1521–1525 tritt eine Veränderung ein: Die Majorität der Briefe und der Ricordi gehört dann der Kapelle. 121 Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo, S. 75. 122 Popp, A. E. op. cit., S. 42. 123 Popp, A. E. op. cit., S. 65–66. 124 Popp, A. E. op. cit., S. 66. 125 Condivi, A.: Michelangelo, S. 58. 126 „(…) che Michelagnolo nello scolpirle non tolse mica il modello appunto, come la natura gli avea effigiati, ma dette loro una grandezza, una proporzione, un decoro, una grazia, una splendore, qual gli parea, che più lodi loro arrecassero, e soggiugne, che Michelagnolo stesso dicesse, che di lì a mille anni nessuno non potea dar cognizione, che fossero altrimenti“. Vgl. Moreni, D.: Delle tre sontuose Capelle Medicee, S. 83. Hartt datiert den Martelli-Brief auf 1544. Vgl. Harrt, F.: The Meaning of Michelangelo’s Medici Chapel, S. 293. Die Einordnung dieses Zitates fällt unterschiedlich aus. Henry Thode ordnet Michelangelos Antwort auf die Florentiner Frage als „Abfertigung“ ein. Vgl. Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. I, S. 502. Ernst Steinmann geht in die gleiche Richtung und spricht von einer „kühlen Abweisung“ der Florentiner auf ihre vorlauten Fragen. Vgl. Steinmann, E.: Das Geheimnis der Medicigraeber Michel Angelos, S. 110. Carl Justi ordnet die Antwort als eine „scherzende“ ein. Justi, C.: Michelangelo – Neue Beiträge zur Klärung seiner Werke, S. 230. 127 Grimm, H.: Leben Michelangelos Bd. 1, S. 465. 128 Grimm, H.: Leben Michelangelos Bd. 1, S. 462. 129 Kriegbaum, F.: op. cit., S. 16. Ergänzend sei hier Antonio Forcellino angeführt, der bemerkt, dass die Grabmale den Tod besiegen, indem sie dem Ruhm und Nachruhm der Verblichenen dienen sollten. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 215. Siehe Abb. 48: Allegorien der Nacht und des Tages [S. 350] sowie Abb. 49: Allegorien des Abends und des Morgens [S. 350]. 130 Justi, C.: Michelangelo – Neue Beiträge zur Klärung seiner Werke, S. 230. 120

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sierten in der Summe die Vergänglichkeit, womit das Ende der Medici manifest wäre. 131 Oskar Fischel geht sogar so weit, dass Michelangelo als schmollender Republikaner den Medici ein Schnippchen schlug, da er die Züge der ungeliebten MediciTyrannen bewusst ignorierte. 132 An diesen Ansatz lässt sich die Einschätzung Volker Reinhardts anschließen. Dadurch dass Michelangelo die Originalzüge ignorierte, stimmte er künstlerisch in den Abgesang der regierenden Familie ein. Trotz unterschiedlicher Einordnungen und Interpretationen ist in der Forschung die Würdigung der Kapelle unangefochten. Antonio Forcellino stellt z. B. heraus, dass Michelangelos Reflexion über das Thema Ruhm und Tod eine bahnbrechende Neuheit darstellt. 133 Für Fritz Burger gehört die Verbindung von der Architektur und Skulptur zum Genialsten, was Michelangelo je geschaffen habe. Der Meister zwinge der Architektur die Eigenart des künstlerischen Charakters auf und unterwerfe sie der gleichen Behandlung wie die Plastik. Er habe das architektonische Schema mit Rücksicht auf den plastischen Schmuck erdacht. 134 Die Crux an diesem Projekt war, dass es zu lange dauerte. Michelangelo verlor vermutlich die Lust an der Arbeit, da sie sich hinzog und sich in der Zwischenzeit viel ereignete. Vermutlich war er sehr mit sich und der Verarbeitung vieler Eindrücke befasst. Der Papst verzieh ihm zwar großherzig seine Abtrünnigkeit, damit er die Projekte vollendete 135, konnte aber das Herzblut des freidenkenden Künstlers nicht mehr zurückgewinnen. Der Künstler

wurde mehr äußerlich aus Zwang an ein Projekt gebunden, das er innerlich schon längst ablehnte. 136 Michelangelo antwortete unter anderem auf das Scheitern der Revolution in Florenz mit der Arbeit eines Besessenen, um vermutlich schnell aus dem Kontrakt und aus Florenz herauszukommen. Es ist auch anzunehmen, dass er durch seine enorme Aktivität Verluste kompensierte, die er hatte hinnehmen müssen. Der Tod seines Vaters 1531 markiert trotz seines ambivalenten Verhältnisses zu ihm hier einen Punkt. Die angesprochene Arbeitswut blieb weder unbeobachtet noch unkommentiert. Giovan Antonio Mini teilte am 29. September 1531 Bacio Valori seine Bedenken und Sorgen um den gesundheitlichen Zustand des Künstlers mit, der zu viel arbeite, wenig und schlecht esse, wenig schlafe und an Kopfschmerzen und Schwindel leide. Um seinetwillen solle man ihm die Arbeit in der Sakristei im Winter verbieten. 137 Es wäre ebenso ratsam, ihn auch von den Verpflichtungen mit dem Herzog von Urbino zu befreien. 138 Die päpstliche Reaktion wurde Michelangelo am 26. November 1531 in Form eines Briefes durch Benvenuto Volpaia mitgeteilt, der eine Unterredung mit Clemens VII. über Michelangelo führte. Clemens VII. bestimmte, dass der Künstler unter Androhung der Exkommunikation exklusiv nur an den Monumenten der Medici arbeiten dürfe. Volpaia insistierte nach eigener Aussage in Richtung des Papstes, dass ein Verbleib Michelangelos in der Kapelle ihn umbringen würde, woraufhin der Papst anordnete, der Künstler möge seinen Arbeitsplatz wechseln, den Volpaia in Santa

Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 191. Im Vorfeld arbeitet Volker Reinhardt heraus, dass Michelangelo die überlieferten oder bekannten Eigenschaften der Herzöge ins Gegenteil verkehrte. Vgl. ebd., S. 188–190. 132 Fischel, O.: Porträts des Giuliano de’ Medici, Herzog von Nemours, S. 122. Oskar Fischel meint, dass die Medici dieses Schnippchen-Schlagen nicht bemerkt hätten, da Michelangelo mit den Zügen Giulianos sehr vertraut gewesen sein muss, weil er ihn kannte. Vgl. ebd., S. 122. Insofern bekommt der Ansatz des bewussten Ignorierens eine besondere Note. 133 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 214. 134 Burger, F.: Geschichte des florentinischen Grabmals, S. 363. 135 Vasari, G.: Michelangelo, S. 114. Nach Vasari erhielt Michelangelo Hilfe bei der Anfertigung der Statuen durch Tribolo, Raffaelo da Montelupo und Fra Giovan Agnolo. Vasari spricht von „sie“, die die Hilfe entschieden, womit er vermutlich Bezug auf Clemens VII. und Michelangelo nimmt. In der Tribolo-Vita hingegen legt Vasari den Schwerpunkt der Entscheidung zur Hilfe für Michelangelo auf Clemens VII. Auslöser für Clemens VII. sei Tribolos vortreffliche Arbeit für die Madonnenkapelle in Loreto gewesen. Ziel des Papstes war nach Vasari die Vollendung der Sakristei, der Bibliothek und schlussendlich der Fassade von San Lorenzo. Vasari, G.: Das Leben des Tribolo und des Pierino da Vinci, S. 21. 136 Popp, A. E.: op. cit., S. 81 u. 83. Charles de Tolnay stellt auch heraus, dass spätestens ab Sommer 1533, was mit der Bekanntschaft mit Tommaso de’ Cavalieri einhergeht, Michelangelo innerlich von seinen Aufträgen in Florenz gelöst war und sich in ihm der Gedanke heranreifte, in Rom zu leben. Tolnay, C. d.: Michelangelo III, S. 13. 137 Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo II, CLXVIII, S. 228–230. „(…) e questo è che lavora asai, mangia pocho e cativo, e dorme mancho, e da un mese in qua è forte inpedito di ciesa e di dolore di testa e chapogiri … A quelo dela testa, che li sia proibito e chomandato per parte di N.S. che – non lavori diverno nel sagristia (…)“ (S. 229). 138 Gaye, G.: Carteggio inedito d’Artisti, Tomo II, CLXVIII, S. 230. 131

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Catarina sah, da es dort ruhiger sei. 139 Der Briefwechsel zeigt, dass Michelangelo sich ganz auf seine Arbeit konzentrierte, die ihm die Freiheit bescheren sollte und ging dabei an und über seine Grenzen. Der Arbeitseifer, ja diese Arbeitswut könnte ein Kalkül gewesen sein, das ihm seine Handlungs- und Bewegungsfreiheit in Richtung Rom eröffnete, sozusagen eine Flucht nach vorne. Es könnte sich hier auch um einen Akt der Verzweiflung handeln, da er zumindest in der Arbeit die Kontrolle hatte.

6.6.4 Biblioteca Laurenziana Parallel zur Neuen Sakristei entstand als kleineres Projekt die Biblioteca Laurenziana. Kurz nach seiner Wahl im November 1523 gab sie Clemens VII. in Auftrag 140, da sie ihm wichtig war, und es in der Folge zu einer brillanten Kooperation zwischen Künstler und Mäzen kam. Der Pontifex wollte der großen Buchkollektion seiner Familie einen würdigen Rahmen geben. 141 Die Bibliothek zeigt, dass Michelangelo es verstand, einen Bibliothekskomplex in ein Kloster zu integrieren, und aus einer Notwendigkeit eine Tugend machte, indem er sorgsam die einzelnen Sequenzen und deren Abfolge plante, dabei optische Effekte und deren Wirkung beachtete und verschiedene Stockwerke miteinander verband. 142 Zentrale Motive in Michelangelos Planungen für den Lesesaal waren Licht, Leichtigkeit und Funktionalität. 143 Den Zeitgenossen sollte

durch den Umzug der Bibliothek aus dem Familienpalast in den Komplex von San Lorenzo symbolisiert werden, dass sich die Medici-Macht von dem merkantilen in den sakralen Bereich verschoben hatte. 144 Im Selbstverständnis der Medici schwang immer der Nimbus der göttlichen Vorherbestimmung mit 145, die mit dem Umzug der Bibliothek verortet werden sollte. Ein cleveres Outsourcing des gesammelten Wissens plus dessen Umzug in den Komplex von San Lorenzo ist einerseits ein Verweis auf die Pietas von Clemens VII., der im Angedenken an seinen Onkel ein Pendant zur Vatikanischen Bibliothek schaffen will und andererseits die Macht der Medici verschleiert, da er sich durch die Bibliothek mehr als Fürst des Wissens als denn als Kirchenfürst präsentieren möchte. Dem Bücherschatz der Medici sollte ein neuer Hort geschaffen werden, um ihn endgültig neu zu beheimaten und ihm den Geruch eines Savonarola zu nehmen. Nach dem Sturz der Medici 1494 waren die meisten Bücher in den Besitz der Dominikaner von San Marco gelangt, die Leo X. während seines Kardinalats zurückerwarb 146 und für die sich Clemens VII. jetzt verantwortlich sah. Neben aller Affinität für Bücher ist es ein Winkelzug, San Lorenzo auch in kultureller Hinsicht zum Zentrum in Florenz zu machen, quasi den Gebäudekomplex um ein prestigeträchtiges und aussagekräftiges Element zu erweitern. Ein mitschwingendes Motiv könnte nach dem Tod Leo X. eine

139 „Prima salutai Sua Santità per vostra parte e a quella vi racchomandai, pregandola vi liberassi dalli vostri fastidii, e conta’ gnene tutti sanza rispetto nessuno. Ella prese alterazione dell’essere voi stimolato di fare altri lavori, e disse ‚Fichisi un pennello nel piè e faccia 4 fregi, e dicha – Echo fatto la pittura –. E quella di Bartolomeo Valori lasci nel pensiero a mme‘. E mi disse avervi mandato uno breve sotto pena di scomunichazione, che voi non lavoriate altro che lL’opera di Sua Santità, e domandommi se questo vi bastava per iscusa. E, in vero, dimostrò in tutti e’ ragionamenti avere dispiaciere de’ vostri dispiacieri. E ragionando a quella che lLavorare in chotesta cappella sarà la morte vostra, e quella mi rispose e disse ‚E’ non vi lavora più‘, come quella che pensava che voi avessi altra stanza, o nella squola o altrove. E diciendole che voi avete bisognio d’una stanza grande fuora della conversazione de’ popoli, assegniando a quella molte chagione, e quella mi domandò se ’l rifettorio di San Lorenzo fussi buono. Io le dissi, chome da me, che ’l meglio che v’è è Santa Caterina.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=830&page=2&daAnno=153 1&aAnno=&Mittente=&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 368–369. Der Autor verweist darauf, dass die Anfragen und die Größe der Projekte Michelangelo zwangen, mit anderen Handwerkern und Künstlern zu kollaborieren. 140 Lieberman, R.: op. cit., S. 355. Ralph Lieberman arbeitet im Folgenden heraus, dass die Voluten im Vestibül eine ähnliche dekorative Funktion wie die Ignudi in der Sixtina haben (S. 356–357). Des Weiteren verweist er darauf, dass der Palazzo dei Conservatori ähnlich architektonisch organisiert wie die Wände des Lesesaals ist, da Michelangelo deren Effekt nach der Fertigstellung sah (S. 361). 141 Wallace, W.: Discovery Michelangelo, S. 172. 142 Lieberman, R.: op. cit., S. 356. James S. Ackermann zeigt einen Plan der Bibliothek mit ihren beeindruckenden Maßen. Vgl. Ackermann, J. S.: The Architecture of Michelangelo, S. 100–101. 143 Ackermann, J. S.: op. cit., S. 102–193. 144 Ackermann, J. S.: op. cit., S. 96. 145 Reinhardt, V.: Die Medici, S. 105. 146 Kemper, M. E.: op. cit., S. 43. Die Bücher konnten von einer Odyssee erzählen. Während der Plünderung des Familienpalastes 1494 wurde der Bücherschatz auseinandergerissen. Der größte Teil gelangte in den Besitz der Dominikaner, wurde von Leo X. wieder erworben, kam nach Rom, um nach seinem Tod wieder in Florenz zurückzukehren.

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Aufpolierung des Medici Images gewesen sein. Im Florentiner Gedächtnis waren die Plünderung Pratos und das blutige Gemetzel an der Bevölkerung im August 1512 unter der Führung von Giovanni

de’ Medici unauslöschlich eingebrannt. 147 Jetzt gab es den Friedensfürst und Schöngeist auf dem päpstlichen Thron, der Florenz eine neue kulturelle Blüte bringen wollte.

6.7 Rückkehr nach Rom Aufgrund der Summe der Ereignisse bahnte sich bei Michelangelo die endgültige Entscheidung an, Florenz im September 1534 zu verlassen. Das Scheitern des Fassadenprojektes brachte ihm zwar die Sakristei und die Bibliothek als Ersatz, erfüllte ihn aber nach dem Aufstand in Florenz nicht mehr. 148 In künstlerischer Hinsicht bedurfte er eines neuen Inputs. Als Folge des erfolglosen Aufbegehrens in Florenz war Alessandro de’ Medici, der illegitime Sohn des Papstes 149, an die Macht gekommen, wodurch sich das politische Klima in Florenz änderte. 150 Folgt man Vasari, war Alessandro de’ Medici Michelangelo gegenüber nicht wohlgesonnen, sodass sich Michelangelo vor ihm fürchtete. 151 Condivi bestätigt Michelangelos Furcht und begründet diese mit dem Hass des wilden und rachesüchtigen

Jünglings, der sich sonst ohne den Schutz des Papstes über ihn ergossen hätte. 152 Entsprechend empfand der Meister die neuen Machtverhältnisse als bedrohlich und erdrückend. 153 Bereits im Frühjahr 1532 war Michelangelo nach Rom gereist, um sich mit der Familie della Rovere wegen des Julius-Grabmales zu einigen. 154 Diese Reise stellte eine Art Zäsur dar, da er Tommaso de’ Cavalieri kennen gelernt hatte, zu dem er eine tiefe emotionale Bindung entwickelte. 155 Emotionale Bindungen in Florenz gab es spätestens seit dem Tod des Vaters 1531 für ihn nicht mehr, was mit dem Wegfallen der Fürsorgepflicht einherging. 156 1531 wurde somit durch die Machtübernahme von Alessandro de’ Medici und dem Tod des Vaters ein Jahr der Entscheidungsfindung. Am

Forcellino, A.: Michelangelo, S. 137–139. Auch Michelangelo reagierte mit Empörung auf das Gemetzel, wobei er sich später moderater gibt (S. 139). Im Oktober 1512 relativiert er in Richtung seines Vaters, nichts gegen die Medici gesagt zu haben, als das Übliche, was jedermann im Fall von Prato gesagt habe. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 85, S. 81. 148 Robert S. Liebert äußert die Vermutung, dass die spätere Arbeit an den Skulpturen für ihn nur noch eine öde Arbeit dargestellt habe. Ein Verweilen in Florenz hätte für Michelangelo womöglich das Ende seiner Inspiration und kreativen Möglichkeiten bedeutet. Vgl. Liebert, R. S.: Michelangelo – A Psychoanalytic Study of his Life and Images, S. 268. 149 Cleugh, J.: Die Medici, S. 287. 150 Alessandro de’ Medici galt als verrückt (Vgl. Hibbard, H.: op. cit., S. 229), als unberechenbarer Tyrann (vgl. Liebert, R. S.: Michelangelo – A Psychoanalytic Study of his Life and Images, S. 267), als herrisch, der in Florenz den Volkshass schürte, indem er seine Gegner verfolgte und der republikanischen Freiheit eine Ende setzte (Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 222) und für seine blutrünstige Grausamkeit bekannt war. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 216. Symonds, J. A.: The Life of Michelangelo Buonarrroti, S. 169. 151 Vasari, G.: Michelangelo, S. 115. Volker Reinhardt lässt in seiner Michelangelo-Biographie offen, ob diese Angst begründet war oder nicht. Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 227. Nach Howard Hibbard soll Alessandro de’ Medici Michelangelo gehasst haben. Vgl. Hibbard, H.: op. cit., S. 229. Der 1540 oder 1548 geschaffene Brutus als Reaktion auf die Ermordung Alessandros de’ Medici durch Lorenzino 1537 (Vgl. Acidini Luchinat, C.; Michelangelo – Der Bildhauer, S. 242 und 245) stellt einen Beleg dar, wie sehr Michelangelo von dieser Zeit geprägt war und sein Dasein als Republikaner so unterstrich. Die von Vasari geäußerte Furcht Michelangelos beim Verweilen in Florenz scheint eine realistische Note zu haben. 152 Condivi, A.: Michelangelo, S. 59. Michelangelo hatte den Herzog brüskiert, indem er einen Auftrag für die Befestigung von Florenz abgelehnt hatte, da der Auftrag nicht vom Papst kam. 153 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 222. John Pope-Hennessy verweist darauf, dass Michelangelo an das freiheitliche Florenz emotional gebunden war und der neuen Führung in Opposition gegenüberstand. Vgl.Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture, S. 18. 154 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 221. 155 Hibbard, H.: Michelangelo, S. 229. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 222. 156 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 227. Ernst Steinmann verweist darauf, dass Michelangelos Vater ab einem bestimmten Zeitpunkt an kein Verständnis mehr für die Sorgen seines Sohnes aufbrachte, was zur Entfremdung Michelangelos von Florenz führte. Vgl. Steinmann, E.: Das Geheimnis der Medicigraeber Michel Angelos, S. 25. E. H. Ramsden diskutiert das Todesdatum Ludovicos anhand anderer Historiker und ermittelt als Datum ebenfalls das Jahr 1531. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Appendix 22, S. 297. Sie verweist darauf, dass Johannes Wilde auch 1531 als Todesjahr Ludovicos annimmt (S. 295). Volker Reinhardt und Howard Hibbard nennen auch das Jahr 1531. Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 219. Vgl. Hibbard, H.: op. cit., S. 228. E. H. Ramsden nennt als Referenzhistoriker, die als Datierung 1533/34 vertreten, A. Gotti, C. H. Wilson, J. A. Symonds und C. d. Tolnay. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Appendix 22, S. 295. Aurelio Gotti berichtet, dass Michelangelo seinen Vater in der Todesstunde ebenfalls begleitete. Vgl. Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 228. 147

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Zwischenresümee

2. Juli 1528 war bereits Michelangelos Lieblingsbruder Buonarroto Buonarroti an der Pest gestorben. 157 Leonardo Buonarroti, Buonarrotos Sohn, der seit dem Tod des Vaters mit Michelangelo lebte und die Obhut des Oheims genoss, war Mitte der 30er Jahre mittlerweile alt genug, um als Erwachsener zu gelten, womit auch hier eine direkte Fürsorgepflicht für ihn wegfiel. 158 Somit sprach nichts mehr dafür, dass Michelangelo in seiner Heimatstadt blieb, zumal Florenz den Nimbus einer freien Stadt, in der er leben und arbeiten konnte, verloren hatte, was sehr wahrscheinlich auch der Grund war, warum er zu Lebzeiten nie wieder zurückkehren wollte. Vermutlich waren die zurückliegenden politischen Verwerfungen in Florenz dem Künstler ein

Graus geworden. Vielleicht hoffte er auch insgeheim in Rom in ruhige Fahrwasser zu geraten und stressfrei seinem Tagesgeschäft mit der Aussicht nachgehen zu können, dort in der Nähe von Tommaso de’ Cavalieri zu sein. Der Rückruf seines Mäzens kam zum richtigen Zeitpunkt zum richtigen Ort. Papst Clemens VII. wollte Michelangelo nach Vasari wieder um sich haben, holte ihn nach Rom, damit er die Altarwand der Sixtinischen Kapelle ausmalte. 159 Nach Alessandro Conti ist Rom die Stadt, in der sich Michelangelo seinen Freiraum schaffen und er trotz der wechselnden Pontifikate gut arbeiten und leben konnte. 160 Bei Michelangelos Rückkehr nach Rom, das noch immer durch den Sacco gezeichnet war, herrschte aber schon eine intellektuelle Aufbruchsstimmung. 161

6.8 Zwischenresümee Am Ende seiner Zeit in Florenz im September 1534 ist die Entscheidung endgültig gefallen, dass er zukünftig weder in dieser Stadt leben noch arbeiten möchte, dass er wieder Unvollendetes zurücklässt, womit er gut leben kann, viel Geld verdient hat, sodass er seine künstlerische Tätigkeit fortan in Rom sieht. Ein wichtiger Entscheidungsfaktor war seine emotionale Bindung an Tommaso de’ Cavalieri, die sich über 30 Jahre als tragfähig erweisen sollte. Der zweite Entscheidungsfaktor war die Klarheit, dass Florenz sich politisch unwiderruflich verändert hatte, sodass ein liberales Leben, wie es ein Gesinnungsrepublikaner anstrebte, unmöglich war. Der dritte Entscheidungsfaktor war das Angebot Papstes, an den Ort seines größten malerischen Triumphs zurückzukehren, und zwar in die Sixtina. Da Michelangelo dem Ansinnen Clemens’ VII. zu-

geneigt war, ist anzunehmen, dass er eine Abwechslung in der Kunsttätigkeit brauchte bzw. anstrebte. Er hatte nahezu 20 Jahre der Bildhauerei gewidmet. In Florenz hatte Michelangelo einen reichhaltigen Erfahrungsschatz gesammelt, der sich auf verschiedenen Ebenen ansiedeln lässt, ihn aber insgesamt lehrte, wer er war und welchen Status er besaß. Zunächst wiederholt sich das Schicksal des Scheiterns eines künstlerischen Großprojektes mit der Fassade von San Lorenzo. Das Scheitern beschert ihm aber einen satten finanziellen Gewinn, was den Verlust sehr erträglich macht. Als Extrakt flossen aus dem Scheitern zwei Folgeaufträge für ihn heraus: Die Sakristei und die Biblioteca Laurenziana, die er beide zwar nicht vollendete, aber in ihren Grundzügen gestaltete. Erstmalig wurde er zum Herrn einer Großbaustelle, einem Großunter-

1527 war die Pest in Florenz ausgebrochen, was Michelangelo wegen seiner Familie, die in Settignano weilte, sehr alarmierte. Buonarroto starb schmerzvoll in Michelangelos Armen, der auf sich selbst keine Rücksicht nahm, aber von der Krankheit nicht befallen wurde. Vgl. Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 207. Im Herbst 1527 hatte Michelangelo seinen Bruder in mehreren Briefen gewarnt, auf Grund eines Postens nicht nach Florenz zu kommen, da die Pest schlimmer wütete. Er hatte Sorge um das Leben seines Bruders. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 181 und Brief 182, S. 170–171. 158 William Wallace widmet der Beziehung Michelangelos zu seinem Neffen einen Artikel, in dem er das Leben des jungen Leonardo mit seinem berühmten Onkel nach dem Tod seines Vaters Buonarroto nachzeichnet und ihn als verantwortungs- und auch liebevollen Menschen skizziert, der eine lebenslange Bindung an seinen Neffen hatte, die im Alter und mit der Distanz zwischen Rom und Florenz schwieriger wurde, aber dennoch durch eine reichhaltige Korrespondenz geprägt war. Vgl. Wallace, W.: Zio Michelangelo. Leonardo und seine Geschwister kommen in die Obhut der Buonarrotis (S. 263). Michelangelo kümmert sich bis 1529 um Leonardo und schickt ihn dann wegen des Krieges zu seinem Vater nach Settignano (S. 265–266). Ab 1534 lebt Leonardo bei seinen Onkeln Gismodo und Giovansimone und gilt als erwachsen, da er über 12 Jahre war (S. 266). Der Autor arbeitet heraus, dass Michelangelos Beziehung zu seinem Neffen eine rührende Nebenhandlung im Leben des Künstlers war (S. 267). 159 Vasari, G.: Michelangelo, S. 114–115. 160 Conti, A.: Der Weg des Künstlers, S. 126. 161 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 227. 157

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Vom Künstler zum Souverän

nehmer gleich, in und über San Lorenzo. Dazu kam die Neuerschließung eines Marmorgebietes. In der Ausgestaltung der Medici-Grablege erhielt er freie Hand, arbeitete zu seinen Lebzeiten eng mit dem Kardinal Giulio de’ Medici, dem späteren Clemens VII., zusammen, der seinem besten Künstler dessen Abtrünnigkeit, als Florenz sich im Zuge des Sacco di Roma gegen seinen Mäzen stellte, großherzig verzieh. Michelangelo hatte weder Konsequenzen noch eine Einschränkung noch Geld- oder Prestigeverlust zu beklagen. Seine Art von Hochverrat wurde wegen seiner unangefochtenen Stellung vom Papst nicht geahndet. Mit Clemens VII. verzieh ihm der zweite Papst seine Extratour, was Michelangelo gewahr werden ließ, dass er neben dem Faktor Glück Mäzene hatte, die auf ihn angewiesen waren. Insofern war die Erfahrung für ihn trotz aller negativen Begleiterscheinungen sehr erkenntnisreich. Als weitere Konsequenz aus dieser Zeit zog sich der Künstler fortan bewusst aus dem politischen Leben zurück. Künftig wahrte er die nötige Distanz zu brisanten Themen und Vorgängen, pflegte zwar in Rom Kontakt zur florentinischen Gemeinde oder Kontakte zu den Spirituali, vermied aber eine öffentliche Positionierung, nicht zuletzt, um seine Familie in Florenz zu schützen. In seinen

späteren Jahren wollte er sein Schicksal nicht noch einmal herausfordern. Sein zukünftiges Agieren war in dieser Hinsicht von Weitsicht und Augenmaß geprägt, was seine menschliche Souveränität zeigt. In künstlerischer Hinsicht stellte er wiederholt fest, dass er die Bildhauerei wie kein anderer beherrschte und auch unter Druck arbeiten konnte. Daneben gelang es ihm, seinen Lebensmittelpunkt wieder nach Rom zu verlegen und hier aus einer anderen Warte seinen künstlerischen Genius zu entfalten. Michelangelo erreichte noch ein weiteres Ziel: Sein Name war fortan untrennbar mit der Medici-Kapelle verbunden. Er konnte nicht wissen, welch großen Ruhm er nach seinem Tod ernten würde. Die Forschungsliteratur betont immer nur den Künstler als Erschaffer dieser Idealfiguren. Die Herzöge sind nur noch namentlich bekannt. Die Erinnerung und das Lob gebühren einzig und allein dem Künstler. Sie gebühren ihm deshalb, weil er die Figuren in dieser Exzellenz in Kombination mit den allegorischen Figuren schuf. Michelangelos Souveränität ist gerade daran erkennbar, dass niemand es wagte, letzte Hand an die unfertigen Skulpturen in der Sakristei anzulegen 162, nachdem er Florenz für immer verlassen hatte.

Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 159. Als Michelangelo Florenz verließ, waren die Figuren der Capitani in ihren Nischen installiert. Die allegorischen Figuren lagen noch 1545 auf dem Boden der Kapelle, der sich ebenfalls in einem unfertigen Zustand befand. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo, S. 134. Vgl. Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture, S. 18. Die Vollendung der Kapelle wird ab den Vierzigerjahren in Angriff genommen. Tribolo wird ab 1542 Architekt von San Lorenzo. Er platziert sowohl die Allegorien auf den jeweiligen Sarkophag. Daneben ließ er die Medicimadonna sowie die Heiligen Cosmas und Damian in die Kapelle transportieren. Vasari setzte das Werk nach Tribolos Tod fort, verputzte die Wände, ließ die Fenster verglasen. Von 1563 an ist eine regelmäßige Nutzung des Raumes belegt. Vasari vollendete somit mehr oder minder die Kapelle, wobei Michelangelo an der Fertigstellung auch aus Rom keinen Anteil mehr hatte bzw. haben wollte. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 192–193. Zum weiteren Schicksal der Sakristei nach Michelangelos Abreise aus Florenz siehe u. a. Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. I, S. 437–438. Frederick Hartt fertigte aufgrund der vorliegenden Informationen eine Rekonstruktionszeichnung mit der ursprünglichen Anlage und Dekoration an. Vgl. Hartt, F.: The Meaning of Michelangelo’s Medici Chapel, S. 293.

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7 Konkurrenzlosigkeit statt Knebel

Die Rückkehr nach Rom bedeutete für Michelangelo den erneuten Wechsel seiner Kunsttätigkeit und den Übergang in einen unangefochtenen Status. Mit der Position, die eigens für ihn 1535 kreiert wurde, ihn zum Chefarchitekten, Chefbildhauer und Chefmaler im Vatikan 1 machte und die durch das Motuproprio vom Oktober 1549 2 weiter legitimiert wurde, war er in finanzieller und künstlerischer Hinsicht nicht nur abgesichert, sondern auf dem Zenit seines Erfolges. 3 Dem Künstler wurde eine nie dagewesene und nie mehr sich wiederholende Machtfülle und eine besondere Form der Wertschätzung von Papst Paul III. zuteil. Das Breve vom 1. September 1535

lobt die Exzellenz seiner Kunstfertigkeit in allen drei Gattungen, mit denen er reichlich seine Generation – die des Papstes – geschmückt habe, sei dabei den antiken Künsten gleichgekommen und habe sie nahezu übertroffen. 4 Der Weg zum absoluten Zenit war eine Schritt für Schritt Methode, die mit dem Motupropio von 1549 ihren Abschluss fand. Gegründet war Michelangelos Aufstieg zum „Herrn des Vatikans“ auf Paul III., dem Ludwig von Pastor einen staatsmännischen Kopf attestiert, da er wusste, dass Großes nur gelingen könne, wenn man es mit Autorität und Verantwortlichkeit ausstatte. 5

7.1 Der Farnese-Papst Papst Paul III., Alessandro Farnese 6, begann mit 56 Jahren am 13. Oktober 1534 sein Pontifikat, das bis zu seinem Tod am 10. November 1549 andauerte. 7 Als Alessandro Farnese absolvierte er eine beeindruckende sowie bemerkenswerte Karriere in einem Zeitraum vier höchst unterschiedlicher Pontifikate, in denen er seine Stellung sicherte und erhöhte. 8 Ausgangspunkt seiner Karriere war der von

Alexander VI. verliehene Purpur am 21. September 1493 9. Seine Kardinalsernennung war der Liebeslohn seiner Schwester Giulia Farnese (1474–1524), der Mätresse des Papstes, und markierte einen kuriosen Karrierebeginn. 10 Unter Leo X. erfolgte sein finanzieller Aufstieg durch reiche Benefizien 11, die ihn neben seinem politisch diplomatischen Geschick 1523 der Tiara sehr nah brachten, was aber

Hatfield, R.: The Wealth, S. 97, S. 159. Am 1. September 1535 ernennt ihn Paul III. zum obersten Architekten, Bildhauer im apostolischen Palast, nimmt ihn unter seine Familiaren auf und überträgt ihm den Passus Padi bei Piacenza, der ihm ein Jahresgehalt von 1200 Dukaten zusichert. Vgl. Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 741–745. 2 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 804. 3 Hatfield, R.: The Wealth, S. 159. Rab Hatfield arbeitet Michelangelos exorbitant hohe Bezahlung heraus. Er verdiente monatlich mehr als seinerzeit Pietro Soderini als Gonfaloniere in Florenz oder mehr als seinerzeit der florentinische Heerführer Francesco Ferrucci. Michelangelos Einkommen lag um das 12fache höher als das des Tizian bei Karl V., der ab 1535 Tizian für seine Dienste bezahlte. 4 Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 743. „Itaque te supremum architectum, sculptorem et pictorem eiusdem palatii nostri apostolici auctoritate apostolica deputamus, (…).“ 5 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 742. 6 Alessandro Farnese entstammt einem alten und angesehenen Geschlecht. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 14. Er wird in die Blütezeit der Renaissance Ende Februar 1468 geboren und erhielt eine klassische humanistische Ausbildung in Rom und Florenz. Mit der Wahl Alexanders VI. zum Papst begann sein Aufstieg. Vgl. ebd., S. 14–15. 7 Ein schnelles Konklave bestätigte die mächtige Position des Kardinals Farnese. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 11. Schon 1523 hatte Farnese versucht, die Tiara zu erlangen. Vgl. ebd., S. 18. Zum Tod Pauls III. Vgl. ebd., S. 675. 8 Reumont, A. v.: op. cit., S. 474. 9 Reumont, A. v.: op. cit., S. 474. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 15. Alfred von Reumont konkludiert, dass Alessandro Farnese in jungen Jahren über Geist, Talent, Wissen, Staatsklugheit, Liberalität und vornehmes Benehmen verfügte. Vgl. Reumont, A. v.: op. cit., S. 474. 10 Alessandro Farneses Kardinalsernennung haftete immer ein Makel an. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 17. Reinhardt, V.: Der unheimliche Papst, S. 98. 11 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 17–18. 1

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Konkurrenzlosigkeit statt Knebel

an der Wahl Clemens VII. scheiterte. 12 1534 trat er mit 40-jähriger Erfahrung als Kardinal, als Bischof von Ostia und Dekan des Heiligen Kollegiums ins Konklave ein 13 und die Nachfolge Clemens’ VII. an. In den letzten Lebensjahren seines Vorgängers avancierte er zu einer hervorragenden, anerkannten und umsichtigen Persönlichkeit am päpstlichen Hof. 14 Nach zweitätigem Konklave wurde Paul III. gewählt und trat unter schwierigen Bedingungen sein Pontifikat an 15, das als ereignisreich klassifiziert wird, basierend auf der dynamischen Politik des versierten Farnese-Papstes 16, dessen Wahl in Rom auf große Zustimmung stieß. 17 Paul III. verfolgte das Ziel, die Wiederherstellung der Autorität des Heiligen Stuhls und den Erhalt eines Restes der italienischen Selbstständigkeit zu erreichen. 18 Neben den theologischen und politischen Inhalten wurde das folgende fünfzehn Jahre währende Pontifikat das längste im 16. Jahrhundert. 19 Auch in künstlerischer Hinsicht sollte es ein Meilenstein werden, an dessen Errichtung Michelangelo beteiligt war, da sich hier zwei Individuen trafen, die sich aufeinander einschwingen konnten.

Die Begegnung der letzten großen Renaissancemenschen beruhte auf Gegenseitigkeit, sodass der Papst kurz vor seinem Tod St. Peter per Dekret Michelangelo endgültig in die Hände legte. Paul III. war klar, dass er die Vollendung dieser Basilika nicht erleben würde, womit er das Schicksal mit Julius II. und seinen weiteren Vorgängern teilte. Für Michelangelo galt trotz seiner Göttlichkeit nach wie vor auch die Sterblichkeit, war er ebenfalls schon betagt. Der Farnese-Papst konnte sich jedoch gewiss sein, dass sein Nachfolger oder seine Nachfolger keinen Frevel am Gott der Kunst begehen und höchstwahrscheinlich sein Motupropio bestätigen würden. Durch das Dekret des Farnese-Papstes fand eine Verschränkung der Wohlfahrt St. Peters mit dem Leben Michelangelos statt. Paul III. setzte so einen zukunftsweisenden Schritt und besiegelte etwas, woran am Anfang seines Pontifikates nicht zu denken war. Den Beginn der Zusammenarbeit zwischen Papst und Künstler markiert das Jüngste Gericht, das noch ein Erbe aus dem Pontifikat Clemens’ VII. war.

7.2 Ausgangspunkt Jüngstes Gericht Folgt man den Biographen Michelangelos war es der Wunsch Clemens’ VII., die Altarwand der Sixtinischen Kapelle mit einem Jüngsten Gericht auszumalen. 20 Loren Partridge verweist darauf, dass Clemens VII. vermutlich keine künstlerische Ambition antrieb, sondern das Jüngste Gericht auf die Bedeutsamkeit des Sacco di Roma für die Kirche hinweisen sollte. 21 Der Sacco wurde zur Erinnerung

an einen Gedanken, der gleichzeitig das Credo des mittelalterlichen Menschen war: das Jüngste Gericht. 22 Der Mensch sollte durch die Gerichtsdarstellung zu einem gottgefälligen Leben angeregt werden, um die Verdammnis zu vermeiden und die Erlösung anzustreben, die ihm Christus als Weltenrichter aussprach. 23 Charles Heath Wilson verweist darauf, dass der gut sichtbare Platz – die

Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 18. Reumont, A. v.: op. cit., S. 475. 14 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 19. 15 Reumont, A. v.: op. cit., S. 476. 16 Gormans, A.; Zitzlsperger, P.: Des Papstes neue Kleider, S. 85. Aus: Reinhardt, V. (Hrsg.): Tod und Verschleppung. 17 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 19–20. 18 Reumont, A. v.: op. cit., S. 476. 19 Gormans, A.; Zitzlsperger, P.: op. cit., S. 85. 20 Vasari, G.: Michelangelo, S. 115. Vasari berichtet davon, dass an der rückwärtigen Wand die Vertreibung Luzifers aus dem Himmel und dessen Höllensturz vorgesehen war. Condivi, A.: Michelangelo, S. 69. Condivi bezeichnet das Jüngste Gericht als Erfindung von Papst Clemens VII. Die Ausgestaltung der Rückwand wurde nicht realisiert. 21 Mancinelli, F.: Das Fresko des Jüngsten Gerichts: Technik und Restaurierung, S. 157. (Folgend zitiert: Mancinelli, F.: Das Fresko des Jüngsten Gerichts). 22 Nigg, W.: Maler des Ewigen – Michelangelo, S. 160. 23 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 237. 12 13

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Zweites Großfresko

Altarwand – für das Jüngste Gericht auf Wunsch des Papstes gewählt wurde und sowohl eine Innovation als auch ein Novum darstellte. Clemens VII. wollte den Schrecken und Horror zeigen, den das Jüngste Gericht offenbaren kann. Besonders betroffen waren die Zelebranten der Messe, die während des Hochgebetes beim Erheben der Augen u. a. in die Hölle schauen mussten, deren Gestalten teils erschreckend, teils aberwitzig aussehen. 24 Hier sei konstatiert, dass Clemens VII. vielleicht ein stilles Eingeständnis seiner verfehlten Politik, basierend auf seiner mangelnden Einschätzungsfähigkeit, und eine gleichzeitige Mahnung an seine Nachfolger, weder das Amt noch seine eigene Person zu überschätzen, abgeben wollte. Dieser Gedanken ließe sich an Loren Partridges Einschätzung anschließen. Michelangelo kam das Sujet durchaus entgegen.

Das Verhältnis von Gott und Mensch fiel gerade im Gerichtsthema bei ihm auf fruchtbaren Boden, da es auch ihn beschäftigte. In der Szene der Erschaffung Adams stellte er das Verhältnis Gott und Mensch erstmalig dar. Die sich nicht berührenden Finger lassen das Überspringen des göttlichen Funkens zu, verweisen gleichzeitig auf den Abstand zwischen Schöpfer und Mensch, der so zu einem eigenverantwortlichen und freien Wesen wird. Durch die Freiheit kann der Mensch sündig sein bzw. sich dazu entschließen, sündig zu sein. Die Welt kann sich durch diesen Entschluss zum Schlechten wenden, was die Sintflut zeigt. 25 Hermann Wolfgang Beyer schließt daraus, dass der Gerichtsgedanke Michelangelo schon an der Decke bewegt, sich im Künstler weiter entfaltet habe und an der Wand in großartig-schauerlich Form umgesetzt werde. 26

7.3 Zweites Großfresko Das Jüngste Gericht ist als das zweite Großfresko Michelangelos hinlänglich erforscht, analysiert und interpretiert. 27 Es soll hier nur schlaglichtartig unter dem Fokus thematisiert werden, ob und inwiefern es ihn als Künstlersouverän erscheinen lässt und als Präludium für seine später folgende personale Auseinandersetzung mit seinem Glauben und seiner Endlichkeit gesehen werden kann, die ebenfalls in seine Memoria Eingang fand. Das Jüngste Gericht umfasst 180,2 Quadratmeter 28 und hat aufgrund der Präparierung durch den Künstler 30 Zentimeter Mauerüberhang im oberen Teil der Wand, die langsam nach unten ab-

fällt, so dass der Effekt der Entasis, der Schwellung einer Säule, erreicht wurde. 29 Wegen der guten Erfahrungen an der Decke blieb Michelangelo vertrauten Größen und Techniken treu. Der verwendete Putz bestand aus Puzzolanoerde und Kalk. Bei wenigen Tagwerken mit Figuren wurde Marmorstaub beigemischt, um einen glatten und festen Malgrund zu erzielen. 30 Michelangelo arbeitete auch wieder „a fresco“. 31 Nur an wenigen Stellen im Bereich der Dämonen arbeitete er mit Ölfarben, um einen metallischen Effekt bei den Grün- und Blautönen zu erreichen. 32 Die sehr defensive Verwendung der Ölfarbe ist nur dem Effekt geschuldet,

Wilson, C. H.: op. cit., S. 416. Beyer, H. W.: op. cit., S. 101. 26 Beyer, H. W.: op. cit., S. 102. 27 Exemplarisch sollen hier die wichtigsten Werke genannt werden: Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle Bd. 2 (1905). Redig de Campos, D.; Biagetti, B.: Il Giudizio Universale di Michelangelo (1944). Tolnay, C. d.: Michelangelo – The Final Period (1971). Das Werk von Ruth Feldhusen: Ikonologische Studien zu Michelangelos Jüngstem Gericht (1953 bzw. 1978) ist nach wie vor lesenswert. Steinberg, L.: The Last Judgement – a Merciful Heresy (1975). Die Sixtinische Kapelle – Das Jüngste Gericht aus dem Benzinger Verlag enthält einen sehr guten Beitrag von Loren Partridge: Michelangelos Jüngstes Gericht: Eine Interpretation (1997). Pierluigi de Vecchi: Der neue Michelangelo, Bd. IV, Das Jüngste Gericht (1995). Eine Untersuchung neueren Datums liefert Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – pittore (2007/2011). 28 Mancinelli, F.: Das Fresko des Jüngsten Gerichts, S. 180. 29 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 11. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 120–121. Siehe Abb. 50: Altarwand der Sixtinischen Kapelle [S. 351] und Abb. 52: Das Jüngste Gericht in der Sixtinischen Kapelle [S. 352]. 30 Mancinelli, F.: Das Fresko des Jüngsten Gerichts, S. 160. 31 Mancinelli, F.: Das Fresko des Jüngsten Gerichts, S. 157. Vgl. Vasari, G.: Das Leben des Sebastiano del Piombo, S. 32. Weitere Details über die verschiedenen Putzschichten sind dem Aufsatz von Fabrizio Mancinelli, Gianluigi Colalucci und Nazzareno Gabrielli „Das „Jüngste Gericht“ und seine Restaurierung: Anmerkungen zu Geschichte, Technik und Erhaltung“ (S. 246–247) zu entnehmen. 32 Mancinelli, F.: Das Fresko des Jüngsten Gerichts, S. 160. 24 25

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Konkurrenzlosigkeit statt Knebel

den diese Farbe erzeugte. Der Künstler lehnte das Malen mit Ölfarben grundsätzlich ab, wie es Sebastiano del Piombo dem Papst noch vorgeschlagen hatte, da seiner Meinung nach die Ölmalerei eine Kunst für Weiber und arbeitsscheue und bequeme Maler wie Sebastiano sei. 33 Am Ende dieser Episode stand das Zerwürfnis zwischen Michelangelo und Sebastiano del Piombo. Michelangelo tolerierte Sebastiano del Piombos Vorpreschen in dieser Angelegenheit nicht, die Altarwand für die Ölmalerei vorbereiten zu lassen. Nach Monaten des Schweigens zu diesem Thema, vermutlich war es kein Thema für ihn, machte er die Vorbereitung zunichte. 34 Dabei beließ er es nicht, sondern bezeichnete del Piombo als arbeitsscheu. Die harsche Kritik basierte auf Michelangelos künstlerischer Weltanschauung der „Buon-Fresco-Methode“, die von seiner Seite nicht diskutabel war. Im 16. Jahrhundert wurde mit der Ölmalerei auf der Wand experimentiert, da die Ölfarben neue Ausdrucksmöglichkeiten boten und man versuchte, die Einschränkungen durch die Freskomalerei zu überwinden. Die Ölmalerei auf der Wand erforderte auch keine sorgfältig vorbereiteten Kartons, was Sebastiano del Piombo als Venezianer entgegenkam, stand er doch der toskanischen Buon-Fresco-Methode nicht positiv gegenüber. 35 Auf dem Hintergrund dieses Faktums ist Michelangelos Kritik zu verstehen, wenn er del Piombo als arbeitsscheu bezeichnet. In Kunstfragen existierte für Michelangelo keine Bequemlichkeit, keine Eigenschonung, sondern Einsatz bis zur totalen Ermattung, um das bestmögliche künstlerische Resultat zu erzielen. Er missbilligte vereinfachte Techniken, die Korrekturen an Kunstwerken zuließen, bzw. vertrat die Ansicht, dass gerade die rigorose Technik des Buon-Fresco im Grunde keine

Korrekturen ermöglichte, vergleichbar mit der Marmorbildhauerei, und diese den wahren Künstler offenbarte und den arbeitsscheuen, wie Sebastiano einer ist, entlarvten. 36 Charles de Tolnay deutet diese Episode als Eigenmächtigkeit del Piombos, da er einfach zur Tat schritt, ohne den Meister zu konsultieren. 37 Ernst Steinmann sieht in del Piombos Verhalten den Versuch, etwas vom Ruhm des großen Künstlers zu erhaschen. 38 Ein Michelangelo teilt aber seinen Ruhm nicht. Der eigentliche Grund für Michelangelos Verhalten lag, wie dargestellt, wohl auf der künstlerischen Ebene. Er hatte gute Erfahrungen mit der Fresko-Methode gemacht und konnte mit ihrer erneuten Anwendung die Decke mit der Wand harmonisieren. Hinzu kam sein Status als künstlerischer Chef des Vatikans, den er wahren wollte, und deshalb keinen geistigen Vorturner brauchte und duldete. Ein Nebenmotiv lag auch darin, ausschließlich den eigenen Namen mit der Decke und der Altarwand assoziiert sehen zu wollen. Dass diese Episode in der Vita des Sebastiano del Piombo erscheint und nicht in der Michelangelo-Vita, ist offensichtlich Vasaris Bemühen, Michelangelo als künstlerische Instanz darzustellen und den Ruf del Piombos zu trüben. 39 Sebastiano del Piombo hatte offensichtlich den Bogen in Richtung Michelangelo überspannt und nicht verstanden, mit wem er es eigentlich zu tun hatte. Er hatte den Chefkünstler im Vatikan falsch eingeschätzt, der seinerseits nahtlos an das Wissen im Umgang mit der Freskotechnik anknüpfte, was die Restaurierung bestätigte, da er über ein exzellentes Timing verfügte und eine optimale Karbonisierung des Kalziumhydrats erreichte. Das Fresko ist wieder auf höchstem technischem Niveau gemalt, zeigt abwechselnd leicht

Vasari, G.: Das Leben des Sebastiano del Piombo, S. 32. Vasari gibt darüber in beiden Ausgaben seiner Viten Auskunft. Bemerkenswert ist, dass in der Ausgabe von 1550 Michelangelo die Ölmalerei als Kunst der Frauen einordnet: „(…) e pure un giorno disse che non la voleva fare se non a fresco, che il colorire a olio era arte da donna.“ Vgl. Vasari, G.: Michelangelo Bonarroti Fiorentino, S. 101–102. In der Ausgabe von 1568 ergänzt Vasari „e che il colorire a olio era arte da donne e da persone agiate et infingarde, come Fra’ Bastiano“. Vasari, G.: Le Vite Bd. V, S. 584. Diese Ergänzung ist eine klare Abwertung und zeigt neben dem Lob für del Piombos letztlich Vasaris Ambivalenz ihm gegenüber. 34 Vasari, G.: Das Leben des Sebastiano del Piombo, S. 32. 35 Colalucci, G.: Die Restaurierung des Jüngsten Gerichts, S. 244. Am Ende des 16. Jahrhunderts gibt man allerdings die Ölmalerei auf der Wand auf, da die Materialunverträglichkeit von Putz und den in Öl gelösten Pigmenten zu groß war. 36 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo pittore, S. 254. 37 Tolnay, C. d.: Michelangelo – The Final Period (Bd. V), S. 21. (Folgend zitiert: Tolnay, C. d.: Michelangelo V). 38 Steimann, Ernst: Die Sixtinische Kapelle Bd. Michelangelo, S. 489. 39 Vasari, G.: Das Leben des Sebastiano del Piombo, S. 32. Vasari geht sogar einen Schritt weiter und bezeichnet den Tod del Piombos als keinen großen Verlust für die Kunst. Damit fällt er ein ausgesprochen negatives Urteil. 33

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Michelangelo, der Ikonoklast?

und dicht geführte Pinselstriche 40 und wurde in 449 Tagwerken vollendet. 41 Die besondere Schwierigkeit bestand in der Verwendung des Lapislazuliblau, was meist nur in der Seccomethode aufgetragen werden

und je nach Feuchtigkeitsgrad unterschiedliche Töne annehmen kann. Es lässt sich schwer malerisch nutzen und verursacht hohe Kosten. 42

7.4 Michelangelo, der Ikonoklast? Die Vorarbeiten für das Jüngste Gericht nahmen mit dem Bau des Gerüsts am 16. April 1535 ihren Anfang und wurden aber von dem Zerstörungswerk seiner alten Fresken begleitet. 43 Hans Mackowsky stellt heraus, dass Michelangelo sich durch das rücksichtslose Vorgehen Bewegungsfreiheit für sein Projekt verschaffte. 44 Aus Carl Justis Äußerungen zum Jüngsten Gericht lässt sich herauslesen, dass sich während der Entwurfsphase Michelangelos der Raum verengte und so die Zerstörung der alten Fresken manifest wurde. 45 Bemerkenswert ist, dass er seine eigenen Fresken zerstörte, um sie einer höheren Sache zu opfern. Auch das gehört offensichtlich zu seiner Kunstauffassung, nicht vor einem eigenen Werk Halt zu machen, sondern eine bewusste Demolierung zu begehen. Pierluigi de Vecchi sieht in dem Agieren Michelangelos den zerstörerischsten Eingriff in die Geschichte der Kapelle. 46 Horst Bredekamp formulierte in seiner Betrachtung über den Neubau von St. Peter den Begriff „Prinzip der produktiven Zerstörung“, den man auch auf die Altarwand beziehen kann. Michelangelo wird zum Bilderstürmer, der aus Platz-

gründen alte Fresken zerstören lässt. 47 Der Inkonoklasmus findet seine Rechtfertigung darin, dass es sich nicht um eine Bildfeindlichkeit, sondern um eine notwendige Maßnahme handelte, die zwar aus einer Zerstörung bestand, aber als Ergebnis einen produktiven Prozess nach sich zog. Die Maßnahme Michelangelos betraf auch Peruginos Fresken und zeigt seine souveräne Handlungsweise, indem er Hand an einen Lehrmeister seiner Zeit legte. Der Künstler brachte bewusst das ikonografische Gefüge der altehrwürdigen Kapelle in Unordnung 48 und setzte so konsequent seinen Status als künstlerischer Chef um. Auch in diesem Fall ließ ihn der Papst gewähren. Das Ungewöhnliche dieses Jüngsten Gerichts ist, dass es über dem Altar liegt, aber gen Westen ausgerichtet ist. Der Altar ist in der Regel aber geostet. Normalerweise sollte der Besucher beim Verlassen des Kirchenraumes an das Schicksal der Menschheit erinnert werden, was jetzt immer während des Gottesdienstes durch die Ausrichtung des Altares geschah. Die Frage nach dem Gericht rückt jetzt ins Zentrum der Betrachtung und der Auseinandersetzung. 49

Colalucci, G.: Meine zehn Jahre auf dem Gerüst der Sixtinischen Kapelle, S. 190. Antonio Forcellino bestätigt, dass Michelangelo eine überragende Technik anwandte, der man eine 20-jährige Malabstinenz nicht anmerkte. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 240. Pierluigi de Vecchi attestiert Michelangelo eine hohe künstlerische Reife. Vgl. Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos in der Sixtinischen Kapelle, S. 225. (Folgend zitiert: Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos). 41 Colalucci, G.: Meine zehn Jahre auf dem Gerüst der Sixtinischen Kapelle, S. 190. Deoclecio Redig de Campos und Biagio Biagetti legten sich auf 450 Tagwerke fest. Vgl. Redig de Campos, D.; Biagetti, B: Il Guidizio Universale, S. 105. 42 Colalucci, G.: Die Restaurierung des Jüngsten Gerichts, 254–255. Der übermäßige Gebrauch von Lapislazuli in diesem Fresko ist damit zu erklären, dass der Kommissar der päpstlichen Werkstätten Iacopo Melghino die Kosten des teuren Werkstoffes übernahm, der zunächst aus Venedig und später aus Ferrara, der Geburtsstadt Melghinos, bezogen wurde. Vgl. Mancinelli, F.: Das Fresko des Jüngsten Gerichts, S. 158. 43 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 10. 44 Mackowsky, H.: op. cit., S. 214. 45 Justi, C.: Michelangelo – Neue Beiträge zur Klärung seiner Werke, S. 310. Der Autor führt noch aus, dass es seit der Zerstörung Alt-St.-Peters keine Tabus mehr gab. 46 Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 25. 47 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 10. Bei den Bildern handelte es sich um Werke von Perugino: Die Himmelfahrt und Krönung Mariens, zwei große Bilder aus dem Freskenzyklus zum Leben des Moses und des Jesus. Daneben wurden vier Papstbildnisse und die beiden Lünetten, die noch aus dem Deckenzyklus von Michelangelo stammten, zerstört. Frank Zöllner und Christof Thoenes vermuten, dass eine Neugestaltung der Altarwand überlegenswert erschien, da ein gebrochener Türsturz an der Westwand 1522, ein Feuer 1525 und der Sacco 1527 auch Spuren an den Fresken hinterlassen hatten. Vgl. Zöllner, F., Thoenes, C.: Michelangelo – Leben und Werk, S. 245. Johannes Wilde bietet eine Ansicht der Altarwand vor der Zerstörung. Vgl. Wilde, J.: Six Lectures, S. 160. 48 Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 8. 49 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 10. 40

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Konkurrenzlosigkeit statt Knebel

7.5 Die Komposition Das Fresko ist mit seinen über vierhundert Figuren 50 in vier Zonen unterteilt. Die erste Zone zeigt in den Lünetten die Leidenswerkzeuge Christi. Die darunterliegende Zone ist Christus als Richter, Maria, seiner Mutter, umgeben von Aposteln, Patriarchen und Seligen, vorbehalten. Die nach unten folgende Zone zeigt die Engel mit den Posaunen, die das Ende der Zeit ankündigen 51, inmitten von emporsteigenden Seligen und den Verdammten. 52 Die letzte Zone, die unmittelbar über dem Altar liegt, zeigt links die Auferstehung der Toten, geweckt durch den Schall der Posaunen, und rechts den Nachen Charons mit den zu ewiger Verdammnis Verurteilten. 53 Ein besonderes Moment des Freskos liegt darin, dass die figurenreiche Decke durch das Jüngste Gericht gesteigert wird, da sich auf weniger als einem Viertel der Deckenfläche eine ähnliche Anzahl an Figuren befindet. Michelangelo siedelte in der Zone des Weltenrichters und der Auserwählten mit 190 Figuren ein massiertes Auftreten von Individuen 54 an und markiert so die zentrale Stelle des Freskos. In dieser Zone haben die Figuren im Vordergrund die größte Körperhaftigkeit erreicht, während sich die Figuren im Hintergrund verkleinern und weiter im Hintergrund nur noch angedeutet sind. 55 Die monumentale Figurenbildung, die auf Michelangelos plastischer Figurenauffassung basiert, gilt vor allem für die Figuren des Christus, des Johannes des Täufers, der Figur rechts und Andreas links von ihm, der Frauenfigur 56, die ihre linke Hand auf den Rücken einer Knienden legt, des Petrus, des Bartholomäus, des Laurentius und auch der Figur, deren Kreuz rechts auf der Balustrade zu ruhen scheint und die als Simon von Cyrene identifiziert wird. 57 Dieser Kanon an Großfiguren stellt neben anderen Figuren des Freskos ein Pendant zu den massiven Köpern von Gott-Vater und Adam an der Decke dar. Der Künstler er-

reicht so eine Homogenität zwischen der Darstellung an der Wand und der Decke, durch die die figürliche Konzeption Michelangelos für die Gerichtsszene schon festgelegt war. Der Meister knüpfte mit seiner Darstellung einzelner Figuren an klassisch-monumentale Proportionen und Vorbilder an, wenn er z. B. Johannes den Täufer an dem Lysippischen Herkules-Typ orientierte. 58 Die Nacktheit der Figuren eröffnete Michelangelo neben der konsizen Darstellung der Physis die daraus resultierende Körpersprache. Physische Sprache wird zum Ausdruck von Empfindungen, was im unteren Freskobereich besonders heraussticht. Die Ansammlung der monumentalen Körper um den Weltenrichter, inklusive seiner selbst, scheint für den Künstler ein zentrales Anliegen gewesen zu sein. Es ist zu vermuten, dass er hier seinen David in veränderter Gestalt wiedererweckt: Bedeutung durch Größe, Bedeutung durch Gigantisches. Die Ansammlung der gemalten Giganten kann als Präludium für den Abschied von der Kolossalfigur gesehen werden, da der Künstler schon in seinen Sechzigerjahren war. Er wird keine Kolossalfigur mehr schlagen, die letzten Großfiguren erschafft er in der Cappella Paolina, und zwar Petrus und den Giganten, der seine Gesichtszüge trägt. Michelangelo musste, wollte er denn einen Körper zeigen, wie er ihn kannte und verstand, seine Figuren nackt darstellen, auch wenn diese Nacktheit der Stein des Anstoßes wurde. So hatte er vor allem im linken unteren Bereich des Freskos die Gelegenheit, eine Umkehr der Deckendarstellung zu erzielen. An der Decke ist der Akt der Menschwerdung Adams zentrales Motiv. Er wird von Gott ins Fleisch gerufen, da am Anfang das Wort bei Gott war. Im Jüngsten Gericht wählt Michelangelo den umgekehrten Weg, indem er Skelette ihre Fleischlichkeit zurückerlangen lässt, was durch den Schall der Trompeten aus-

Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 146. Siehe Abb. 52: Das Jüngste Gericht in der Sixtinischen Kapelle [S. 352]. Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 20–21. Vgl. ebd., S. 132–133. 52 Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 132–133. 53 Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 20–21. Vgl. ebd., S. 186–187. 54 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 146. Loren Partridge stellte fest, dass in der unteren Freskozone 100 Figuren angesiedelt sind. In der Zone der Posaunenengel befinden sich 70 Individuen. Die Lünetten beherbergen etwa 50 Engel. 55 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 145–146. 56 Partridge identifiziert die Figur als Ekklesia. Vgl. Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 124. 57 Vecchi, P. d.: Der neue Michelangelo Bd. IV, S. 114. 58 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 144. 50 51

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Neues im Jüngsten Gericht

gelöst wird. 59 Pierluigi de Vecchi sieht in diesen Szenen Michelangelos Bestreben, den Betrachter zum Augenzeugen zu machen, wie das Leben in die Figuren zurückkehrt und die Körper wieder mit Fleisch bedeckt werden. 60 Es kann aber auch dem Bestreben des Künstlers entsprungen sein, basierend auf seiner anatomischen Arbeit, ein Bild davon zu liefern, wie er sich die Verfleischlichung eines Skelettes vorstellte. Er wird vermutlich in anatomischer Hinsicht viele Gedanken und Konklusionen entwickelt haben, sonst hätte er nicht den menschlichen Körper so darstellen können. Grundsätzlich geht es beim Jüngsten Gericht, was unbestritten ist, um die Darstellung und das Zelebrieren des menschlichen Körpers in all seinen Möglichkeiten, und zwar losgelöst von jeglicher Architektur. Der Mensch wird frei und zum Teil schwebend im Raum dargestellt. Eine Verortung des Menschen findet nur durch die Hölle, durch

den Himmel oder durch die Wechselzonen zwischen den Bereichen statt. Von daher erhält die Darstellung des Menschen an der Altarwand eine neue Dimension. Es sei hier noch bemerkt, dass eine andere Darstellung des Jüngsten Gerichtes durch einen anderen Künstler die erste Feierstunde des menschlichen Körpers an der Decke höchst wahrscheinlich gestört bis entwertet hätte, da es an Qualität und Homogenität gefehlt hätte. Michelangelos Ziel war es, Figurenmassen zu schaffen, die eine höchste Dynamik aufweisen. Hans Mackowsky erweitert den Blick, da der Künstler überwältigende Menschenaffekte darstellen wollte 61, die in den einzelnen Zonen von unterschiedlicher Bedeutung sind. Um seine Vorstellung umzusetzen leistete Michelangelo in diesem Fresko die Hauptarbeit, malte fast ununterbrochen daran und nahm nur Dienste seines Gehilfen Urbino in Anspruch. 62

7.6 Neues im Jüngsten Gericht In der Forschung herrscht darüber Konsens, dass Michelangelo Gerichtsdarstellungen vorheriger Meister 63 kannte und dennoch eine neue Darstellung kreierte. 64 Die neue Darstellung basiert im Grunde auf Brüchen: Durch die Zerstörung alter Fresken zwecks Platzschaffung bricht der Meister mit dem ursprünglichen ikonografischem Gefüge

der Kapelle. 65 Darüber hinaus stellt die von Michelangelo gewählte Darstellung in großen Teilen ebenfalls einen Bruch mit den traditionellen Darbietungen des Jüngsten Gerichts dar. 66 Die Darstellung des Weltenrichters bietet auch ein Novum in der Tradition. 67 Dem Weltenrichter wird nur Maria an die Seite gestellt bzw. geschmiegt, wobei die tradi-

Condivi, A.: Michelangelo, S. 70: „Auf den Schall dieser Trompeten sieht man auf der Erde sich die Gräber öffnen und das menschliche Geschlecht heraussteigen mit verschiedenen und wunderbaren Geberden, währenddem Einige, nach der Weissagung des Ezechiel, nur ihre Gebeine vereinigt haben, sind Andere halb mit Fleisch bekleidet, Andere ganz.“ 60 Vecchi, P. d.: Der neue Michelangelo Bd. IV, S. 201. 61 Mackowsky, H.: op. cit., S. 221. Carl Justi spricht in diesem Kontext von einem Gefühlssturm und Kollektivaffekt. Vgl. Justi, C.: Michelangelo – Neue Beiträge zur Klärung seiner Werke, S. 330. 62 Mancinelli, F.: Das Fresko des Jüngsten Gerichts, S. 164–165. 63 Pierluigi de Vecchi verweist in seinem Werk auf die Taufkapelle von San Giovanni, auf das Fresko „Triumph des Todes“ von Orcagna in Santa Croce, auf die Darstellung Nardo di Cione in der Strozzi-Kapelle in Santa Maria Novella sowie auf die Fresken von Frau Bartolomeo in Santa Maria Nuova. Er geht davon aus, dass Michelangelo das Jüngste Gericht von Cavallini in Santa Caecilia in Rom kannte, was auch für Giottos Jüngstes Gericht in der Scrovegni-Kapelle in Padua, für den Zyklus des Camposanto in Pisa und Giovanni da Modenas Fresken in San Petronio in Bologna gilt. Eine intensive Beschäftigung muss ebenfalls mit den Fresken Luca Signorellis in der San Brizio im Dom von Orvieto stattgefunden haben. Vgl. Vecchi, P. d.: Die Vision vom Jüngsten Gericht, S. 182. Vgl. Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 9–10. Loren Partridge verweist auf das Gewölbe im Baptisterium in Florenz, auf Giotto, auf Cavallini, auf das Jüngste Gericht in Camposanto, auf eine Wandtafel mit dem Jüngsten Gericht aus der Werkstatt des Fra Angelico und auf die San Brizio-Kapelle. Vgl. Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 12–19. Charles Heath Wilson nennt in seiner Biographie einige dieser bereits genannten Jüngsten Gerichte. Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 416. 64 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 237. 65 Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 8. 66 Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 9–10. 67 Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 11–12. Pierluigi de Vecchi sieht in der Bronzestatue von Julius II. einen Vorläufer für die Darstellung des Weltenrichters. Leo Steinberg diskutiert ebenfalls die Gemeinsamkeit der Gestik von Weltenrichter und der Juliusstatue in San Petronio. Vgl. Steinberg, L.: Michelangelo’s Last Judgement as Merciful Heresy, S. 50–51. (Folgend zitiert: Steinberg, L.: Michelangelo’s Last Judgement). 59

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Konkurrenzlosigkeit statt Knebel

tionelle Deeis – Christus, flankiert von Maria und Johannes dem Täufer, – aufgehoben ist. 68 Mit der Darstellung einer jungen Maria perpetuiert Michelangelo ein Motiv, das er erstmalig in der römischen Pietà anwandte. Christus und seine Mutter Maria scheinen im Jüngsten Gericht gleichen Alters zu sein. Die Jugend Mariens kann ein Hinweis auf ihre Jungfräulichkeit oder ein Ergebnis ihrer Verklärung sein. Die flügellosen Engel des Jüngsten Gerichts sind ebenfalls als Traditionsbruch einzuordnen. 69 Loren Partridge erklärt die Flügellosigkeit der Engel mit der Tatsache, dass die Engel in physischer und psychischer Anstrengung gezeigt werden, was die Flügel obsolet macht. 70 Ruth Feldhusen bezeichnet die Darstellung der Engel in dieser anthropomorphen Gestalt als Neubildung. Das Engelsein liege allein in der menschlichen Gestalt. Michelangelo habe in der Schönheit der Gestalt einen offenbaren Spiegel Gottes gesehen. 71 Die Verdammten werden entgegen der Tradition nicht körperlichen Qualen ausgesetzt, sondern mit inneren Qualen ausgestattet dargeboten. 72 Die Auserwählten werden auch nicht in Frieden, mit Gemütsruhe und innerer Erleuchtung versehen, gezeigt, sondern weisen eine unruhige Grundstimmung auf. 73 Ein kleines beispielloses Detail in einer Gerichtsszene ist der Mönch in der unteren linken Ecke des Freskos. 74 Ein weiteres Novum am Jüngsten Gericht ist der

Verzicht auf eine geordnete architektonische Bildgliederung 75, die sich in der Rahmenlosigkeit 76 des Freskos zeigt, was mit Michelangelos künstlerischem Wachstum und der Selbsterkenntnis zu erklären ist, dass er sich auf einer begrenzten Wand dennoch entfalten kann. Die Wand bot ihm im Gegensatz zur Decke kein Gewölbe, das ihm architektonische Vorgaben setzte, sein Fresko zu gestalten. Mit Verzicht, dem Wandfresko eine einteilende Architektur zu geben, fand er einen Weg in die Freiheit der Gestaltung, die er bei den Fresken in der Cappella Paolina wiederholen sollte. Über die Quellen für das Fresko liegen unterschiedliche Vorschläge vor, wobei der Bibel wohl besondere Bedeutung zukommt. So ist für Henry Thode die Bibel maßgebliche Quelle des Jüngsten Gerichtes. 77 Ruth Feldhusen bestätigt aufgrund ihrer Untersuchung Henry Thodes Ansatz und sieht auch die Orientierung Michelangelos an Dantes Comedia divina neben liturgischen Größen wie der Totenmesse und der Allerheiligen-Liturgie als Quellen an. 78 Gianluigi Colalucci verweist darauf, dass das Jüngste Gericht eine einheitliche Komposition darstellt 79, in der sich als zentraler Punkt die Christusfigur befindet, die das Geschehen dominiert, bewegt 80 und die eine schnelle Erfassung des Bildes ermöglicht. 81

7.7 Gnadenvolle Häresie Nicht nur hinter der Christusfigur verbirgt sich Michelangelos theologische Ausrichtung, die hier mit der These Leo Steinbergs illustriert werden soll. Leo Steinberg postuliert, die Darstellung des Jüngsten

Gerichts sei eine „Merciful Heresy“, da die dargestellten Inhalte aus der verhassten Häresie stammten, die bezweifelte, dass Sünder zur ewigen Pein verdammt seien und das Jüngste Gericht von

Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 10. Vgl. Vecchi, P. d.: Die Vision vom Jüngsten Gericht, S. 184. Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 12–13. 70 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 146. 71 Feldhusen, R.: Ikonologische Studien zu Michelangelos Jüngstem Gericht, S. 78. In diesem Kontext erwähnt sie, dass Michelangelo hier von neuplatonischen Inhalten berührt worden sei. 72 Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 14. 73 Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 30. 74 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 62–63. 75 Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 10. 76 Feldhusen, R.: op. cit., S. 47. 77 Thode, H.: Ende der Renaissance Bd. III, 2. Abteilung, S. 563. 78 Feldhusen, R.: op. cit., S. 40. 79 Colalucci, G.: Meine zehn Jahre auf dem Gerüst der Sixtinischen Kapelle, S. 200. 80 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 22. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 237. 81 Vecchi, P. d.: Das Jüngste Gericht Michelangelos, S. 11. 68

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Die Enthüllung

Natur aus rachesüchtig und vergeltend sei. Aus diesem Grund hätten die Michelangelo-Biographen das Großfresko mehr oder weniger bewusst missdeutet, um eine Zerstörung zu verhindern. 82 Seine eigentliche Argumentation über den Ansatz der „Merciful Heresy“ führt er auf Origenes zurück, der von der Auferstehung der Toten und einer Bestrafung spricht, die aber nicht immerwährend ist. Ist der Körper bestraft, ist die Seele schrittweise geläutert. 83 Einen inhaltlichen Zwischenstopp legt Leo Steinberg bei Erasmus von Rotterdam ein, der seinerseits einen Traktat über die Gnade Gottes verfasste. Schlusspunkt der Betrachtung ist Juan de Valdès, der Anhänger des Origenes und spirituelle Mentor eines frommen Zirkels katholischen Reformer war, der Spirituali, einer Gruppe um Vittoria Colonna, zu der auch Michelangelo Kontakt hatte.

In theologischer Hinsicht hatte Vittoria Colonna entsprechend Einfluss auf den Künstler. Durch die einsetzende Gegenreformation in den vierziger Jahren drehte sich das theologische Blatt, was bedeutete, dass es loyalen Christen fortan nicht mehr möglich war, ein Minimum an Freigeisterei in theologischen Fragen zu betreiben, was sogar den rachsüchtigen Zorn eines Christus in einem Jüngsten Gericht in Frage stellte. Es gab seitens der Kirche eine Rückkehr zur Orthodoxie und eine starre Dogmendurchsetzung. Für die Spirituali, in deren Zirkel Michelangelo in den späten dreißiger Jahren gezogen wurde, brach eine schwierige Zeit an. Er selbst erlebte eine religiöse Konversion nicht zuletzt durch Vittoria Colonna, hoffte immer auf die Gnade Gottes und fürchtete die Trennung von Jesus. 84

7.8 Die Enthüllung Das Jüngste Gericht wurde am 31. Oktober 1541 im Rahmen eines feierlichen Hochamts, das der Papst zelebrierte, enthüllt. 85 Es ist nicht zu klären, ob das Datum Zufall, eine Reminiszenz an die Enthüllung der Decke im Jahr 1512 oder eine verspätete Antwort auf den Thesenanschlag Luthers 1517 86 war, womit alle Kritik in die Schranken gewiesen worden wäre. Eine potentielle Nachricht könnte eine Warnung sein, dass denjenigen die Höllenverdammnis gewiss sei, die sich außerhalb der Kirche bewegen: Extra ecclesia nulla salus. Anne Leader geht in ihrem Aufsatz auf den propagandistischen Aspekt des Freskos ein und sieht in ihm ein klares Statement über die zweite Ankunft Christi und die Rolle der Katholischen Kirche während des Jüngsten Gerichts. Der Glaube an Gott allein würde nicht ausreichen, ohne die Vermittlung des Papsttums würden die Türen des Himmels geschlossen blei-

ben, womit der päpstliche Primat durch das Fresko manifestiert wurde. 87 Nach Ludwig von Pastor hatte der Künstler alle Erwartungen getäuscht und übertroffen. Er hatte sie getäuscht, da sein Gerichtsbild sich grundlegend von allen früheren unterschied, und übertroffen, weil sich die lebhafte Phantasie etwas Kühneres und Gewaltigeres nicht habe vorstellen können. 88 Neben dem großen Lob gab es auch eine ansehnlichen Zahl von Kritikern, die die Nacktheit der Figuren be- und anklagten und den konservativen Kardinalskreisen entstammten. Paul III. verhinderte allerdings zu seinen Lebzeiten das Antasten dieses Meisterwerkes: Im Oktober 1543 stellte er mit Francesco Amatori einen speziellen Aufseher für die Fresken in der Sixtina, der Sala Regia und der Cappella Paolina ein. In Form einer Urkunde wird der Freund Michelangelos, der als Farbenreiber an diesem Werk mitarbeitete, mit einem Lohn von

Steinberg, L.: Michelangelo’s Last Judgement, S. 50. Steinberg, L.: Michelangelo’s Last Judgement, S. 57. 84 Steinberg, L.: Michelangelo’s Last Judgement, S. 58. 85 „Die 31 et ultima octobris 1541. Detecta fuit pictura facta a Michaele Angelo in pariete adverso cappellae Sixti.“ Aus dem Diarium eines Unbekannten. Steinmann, E.; Pogatscher, H.: Dokumente und Forschungen zu Michelangelo, S. 398. Vgl. Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 10. 86 Anne Leader verweist ebenso auf den Thesenanschlag. Vgl. Leader, A.: Michelangelo’s Last Judgement: The Culmination of Papal Propaganda in the Sistine Chapel, S. 138. 87 Leader, A.: op. cit., S. 142. Die Autorin geht davon aus, dass jeder Papst, der zur Dekoration dieser Kapelle beitrug, die päpstliche Autorität bestätigen wollte. Vgl. ebd., S. 108. 88 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 782. 82 83

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Konkurrenzlosigkeit statt Knebel

sechs Dukaten per Urkunde ins Amt gerufen. 89 Der Pontifex geht auf Nummer sicher und schützt das Jüngste Gericht. Es war auch schützenswert. So bezeichnet es Max Dvorak als Quelle eines neuen Stils. Die italienische Kunst sei in ihren ganzen Tendenzen michelangeloesk geworden, welche mit einer neuen Konzeption der Zeitlosigkeit, der räumlichen Universalität und einem bisher unbekannten spirituellen Pathos versehen sei. 90 Mit der Fertigstellung des Freskos hat der Künstler einen weiteren Meilenstein für seine Memoria gesetzt, war er endgültig zum dominierenden Künstler in der Kapelle geworden. Er hinterließ darüber hinaus sein Konterfei im Fresko und stellte sich selbst in der Haut des Bartholomäus dar, was Loren Partridge als eine Signatur bezeichnet. 91 Ludwig Goldscheider sieht in dem Mönch in der linken unteren Ecke des Freskos ein Selbstporträt Michelangelos 92, was somit das zweite auf der Wand wäre. Die Frage, die sich anschließen lässt, ist die, warum er dies an der Stelle im Gewand eines Geistlichen tut. Der Mönch befindet sich in einer Gruppe der auferstehenden Seelen, die ihre Gräber verlassen. Er ist als bärtiger Kleriker mit Tonsur dargestellt, der segnend ins Geschehen eingreift, indem er die rechte Hand über den Kopf einer aus dem Grab kommenden Person hält und mit der linken den Weg zu Christus weist. 93 Der Segensgestus nimmt in der Kirche eine zentrale Position ein, da der Priester durch seinen Dienst den Gläubigen die Zuwendung und Gnade Gottes zuspricht. 94 Die Zuordnung Ludwig Goldscheiders ist denkbar, wenn man Michelangelos Kontakt zu den Spirituali bedenkt, in deren Auffassung die Gnade Gottes eine entscheidende Rolle spielt. Damit würde Michelangelo sig-

nalisieren, dass er den Klerus nicht negiert, im Gegenteil, ihn anerkennt, da der Klerus den Segen spendet, aber den Gnadenakt durch Gott betont bzw. hervorhebt, der den Auferstehenden zusteht. Der Kleriker kann und soll den Weg zu Gott zeigen, dessen Gnade aber allein entscheidend ist. Der Geistliche wird durch diese Darstellung an seine Vermittlerposition erinnert, darin aber relativiert und ganz klar unter Gott gestellt. Dafür könnte die Tatsache sprechen, dass Petrus, ebenfalls mit Tonsur dargestellt, im oberen Bereich des Freskos Christus die Schlüssel zurückgibt, was ein Zeichen dafür ist, dass am Ende der Zeit die Kirche ihre Aufgabe erfüllt hat. 95 Volker Reinhardt sieht in dem Auftauchen des Mönchs einen Verfremdungseffekt des Meisters der Regeldurchbrechung. Der Gestus des Mönchs wird zwar von ihm auch als Sakramentsgestus gedeutet, gleichzeitig aber auch als Verstoß gegen den approbierten Ablauf des Jüngsten Tages gedeutet. Der Ordensmann müsste folglich, um überhaupt an diesen Ort zu gelangen, schon vor dem Erschallen der Trompeten auferweckt worden sein, seinen Urteilsspruch früher als die anderen erhalten haben oder gar von diesem Gericht komplett ausgenommen worden sein. Diese Elemente standen nur einem Heiligen zu, die allesamt bei Christus angesiedelt sind. So schließt Volker Reinhardt, dass der Kleriker an dem ungewöhnlichen Ort die kirchliche Heilsvermittlung und Spendung ihrer Sakramente veranschaulichen soll. 96 Die Figur des Priesters stellt im Jüngsten Gericht ein Novum dar; es lässt sich für ihn kein Vorbild finden 97, was somit dessen Einordnung erschwert. Michelangelo überließ nichts dem Zufall. Er wird sich seines Entwurfs si-

Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 784. Goldscheider, L.: The Paintings of Michelangelo, S. 14. 91 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 139. Siehe Abb. 53: Michelangelo in Bartholomäus [S. 353]. 92 Goldscheider, L.: The Paintings of Michelangelo, S. 15. Ludwig Goldscheider stellt das Gesicht des Mönches neben den Nikodemus der Pietàgruppe aus Florenz. Der Vergleich ist durchaus nachvollziehbar, was entsprechend für Goldscheiders Zuordnung gilt. Henry Stendhal hatte schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts postuliert, dass der Mönch ein Selbstporträt Michelangelos sei: „Le moine qui de la main gauche montre le juge terrible est le portrait de Miche-Ange.“ Stendhal, H.: Histoire de la peinture en Italie, S. 364. Bernard Berenson kam 1903 ebenfalls zu diesem Befund und spricht ihm eine besondere Bedeutung zu: (…) Here and here only among his existing works of any kind has he portrayed himself.“ Berenson, B.: The Drawings of the Florentine Painters, Fußnote, versehen mit einem Kreuz und nicht nummeriert, S. 221. Ernst Steinmann widerspricht dieser Zuordnung. Für ihn ist der Mönch Vergil. Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 583. Ernst Heimeran ist die Einordnung des „dummsatten“ Mönchs als Selbstporträt Michelangelos ebenfalls unverständlich. Heimeran, E.: Michelangelo und as Porträt, S. 87. Siehe Abb. 54: Der Mönch bzw. der bärtige Kleriker mit Tonsur [S. 354]. 93 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 62–63. 94 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 60. 95 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 137–138. 96 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 247–248. 97 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 62–63. 89

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Der Künstler und der Papst

cher gewesen sein, was auch mit dem Verhältnis zwischen ihm und Paul III. zu erklären ist, der ihm

eindeutig signalisierte, dass er sein unangefochtener Favorit in allen Kunstfragen war.

7.9 Der Künstler und der Papst An dieser Stelle ist es indiziert, die Beziehung zwischen Paul III. und Michelangelo kurz zu beleuchten, da dieser Papst derjenige war, der den kapriziösen Künstler zu nehmen wusste. Beide Protagonisten entstammen noch dem 15. Jahrhundert, waren in der Blüte der Renaissance aufgewachsen und hatten die Werte und Bedeutung ihrer Zeit verinnerlicht. Sie waren Renaissancemenschen, vermutlich die letzten ihrer Art. Alessandro Farnese war noch ein Zeitzeuge der Grundsteinlegung von St. Peter und zeit seines Lebens immer in Rom. Die beiden Männer hatten in Bezug auf den Zeitgeist, das Erleben und die Erinnerung an vergangene Zeiten durchaus Gemeinsamkeiten. Sie waren zwei Relikte einer vergangenen Zeit und hatten längst bemerkt, dass ein Wandel eingetreten war. 98 Das Verständnis für einander war ausgeprägt, sodass Ludwig von Pastor berechtigt sagt, dass Paul III. den größten aller noch lebenden Meister besser haben würdigen und nutzen können als seine Vorgänger. 99 Etwas verkürzt und paraphrasiert äußerte der FarnesePapst, als er Michelangelo aus der Grabmalangelegenheit mit den Della Roveres befreite, er habe dreißig Jahre warten müssen, Michelangelo in seinen Dienst zu nehmen 100; diese Äußerung ist eindeutig und zeigt die hohe Verehrung des Pontifex für den Künstler, aber auch die Erkenntnis, dass er in Kardinalszeiten nicht mit den regierenden Papstfamilien um die Gunst des Meisters buhlen konnte. Mit dem Beginn seines Pontifikates 1534 konnte er endlich seinen Willen durchsetzen, auch wenn er der festen Überzeugung war, dass Clemens VII. ihn um zehn Jahre Pontifikat gebracht habe. 101 Mit

Michelangelos Ernennung zum künstlerischen Leiter im apostolischen Palast wurde er gleichzeitig Mitglied der päpstlichen Familie, was ihn in den innersten Zirkel des Farnese-Clans und in Kontakt mit mächtigen Männern brachte, die ihm ihrerseits hilfreich zur Seite stehen konnten. 102 Sein Aufstieg war somit vollzogen und brachte ihn auf den künstlerischen sowie sozialen Zenit. Im Hinblick auf das Julius-Grabmal erwirkte der Papst eine weitere Entspannung, indem er Michelangelo per Motuproprio vom 17. November 1536 von jeglicher Verschuldung, Versäumnis oder Strafe gegenüber den Della-Rovere-Erben freisprach und ihm befahl, ausschließlich das Jüngste Gericht zu malen. 103 Damit war zwar der Freibrief gegenüber den Della-RovereErben ausgestellt, was der Künstler aber nicht zum Anlass nahm, dem Farnese-Papst die absolute Gefolgschaft zu geloben. So berichten Condivi und Vasari darüber, dass sich Michelangelo weigerte, das Wappen Pauls III. in der Kapelle an der Stirnwand anbringen zu lassen, was der Papst ihm nicht verübelte, da er ihm große Liebe und Ehrfurcht entgegenbrachte. 104 Nach Vasari sollte das Wappen unterhalb des Jona angebracht werden, was nicht geschah und was von Michelangelo mit dem Respekt vor Julius II. und Clemens VII. begründet wurde. 105 Ob diese Erklärung den Tatsachen entspricht, ist nicht nachprüfbar. Eine andere mögliche Erklärung wäre einerseits theologischer und andererseits künstlerischer Natur. Das von Paul III. geforderte Wappen hätte den Übergang von Decken- zum Wandfresko an einer entscheidenden Stelle massiv und empfindlich gestört. Matthias Winner verweist

Nach Ludwig von Pastor wird Paul III. der letzte große Renaissancepapst sein und somit an einer Zeitenwende stehen. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 741. 99 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 742. 100 Condivi, A.: Michelangelo, S. 65. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 116. 101 Reumont, A. v.: op. cit., S. 476. 102 Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 741–45. Zu diesen Männern gehörte Pauls III. Enkel, Kardinal Alessandro Farnese, Ascanio Sforza, der Kämmerer des Papstes, und der Sekretär Annibale Caro, der Sekretär Alessandro Farneses. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 182. 103 Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 748–750. Michelangelo sollte in die Lage versetzt werden, mit maximaler Perfektion das Werk in der Kapelle auszuführen, und durfte keine anderen Aufträge unter Androhung der Exkommunikation und Entwürdigung annehmen. Vgl. ebd., S. 750. 104 Condivi, A.: Michelangelo, S. 69. 105 Vasari, G.: Michelangelo, S. 120. 98

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darauf, dass das Wappen Julius’ II., sollte es denn auch die Altarwand geschmückt haben, von Michelangelo im Zug der Präparierung des Freskos entfernt worden sei. 106 Die Entfernung des Wappens entsprang einer klaren Überlegung und wäre gleichzeitig die Erklärung für die Zurückweisung des päpstlichen Wunsches. Michelangelo machte hier von seinem Status, der ihm per Breve vom 1. September 1535 verliehen wurde, selbstverständlich und selbstbewusst Gebrauch. Rein künstlerisch musste er schließlich einen Verbindungsweg zwischen Decken- und Wandfresko herstellen. Ruth Feldhusen betont die Rahmenlosigkeit des Großfreskos, womit die gesamte Wandfläche zum Bildraum des Jüngsten Gerichts wird. 107 Dieser rahmenlose Bildraum eröffnet künstlerische Spielräume für den Künstler, der die Figur Jona als Schnittstelle nutzt. Jona ist die beherrschende Kolossalfigur an exponierter Stelle über der Altarwand, ist er doch die älteste Präfiguration der Auferstehung. 108 Jesus selbst gibt den Hinweis, als Pharisäer und Schriftgelehrte von ihm eine Zeichenhandlung bzw. eine unmittelbare göttliche Bestätigung seiner Sendung fordern. 109 Er selbst werde für drei Tage und drei Nächte im Herzen der Erde sein, was auf Grundlage des alten Weltbildes als Scheol (= Unterwelt) gedeutet werden muss. Der Spruch und dessen Kontext ist ein Hinweis auf die Errettung des Menschensohnes bzw. Hinweis auf dessen Auferstehung. 110 Der auferstandene Herr taucht in der Gestalt eines antiken Helden im Jüngsten Gericht schließlich auf. Auch Ruth Feldhusen sieht eine Verbindung zwischen Jona und dem Weltenrichter, da die Bewegungsrichtung der Jona’schen Beine auf Christus, dessen Gebärde das Fresko beherrscht, hinweist. 111 Nimmt man Jona als präfigurativen Ausgangspunkt für die Auferste-

hung, bildet sich mit ihm eine Raute, die sich durch die beiden in den Lünetten parallel angelegten Leidenswerkzeuge in die Breite zieht, nach unten spitz in dem auferstandenen Christus kulminiert und direkt auf den Altar als Ort des Sakraments verweist. In diesem Ensemble hätte ein päpstliches Wappen den Fluss empfindlich gestört und hätte auch als Anmaßung gedeutet werden können, da sich der Papst so in die Auferstehungsthematik hineinplatziert hätte. Die Gegenreformation verlangte Dezenz und Demut. Daneben war der Künstler es sich selbst und seiner Kunst schuldig, den Gesamteindruck der beiden Bildprogramme zu homogenisieren. Das erreicht er nicht zuletzt durch die mächtige Christusdarstellung in der Mitte des Freskos. Ein filigran jugendlich wirkender Christus, wie er ihn noch auf den Schoß der Mutter bei seiner ersten Pietà legte, hätte nicht zu dem mächtigen Jona gepasst. Der Weltenrichter musste so gestaltet werden, da er Michelangelos Vorstellung von Körperlichkeit, die sich gerade in der Sixtina entfaltet hatte, entsprach. Der Papst konnte mit den Vorstellungen seines Chef-Künstlers durchaus umgehen. Ihm gelang durch eine kluge menschliche Umgangsform, diesen für sich zu gewinnen, indem er neue, ja devote Töne anschlug, die beim Meister Erhörung fanden, was eine Notiz des Architekten Jacopo Meleghino vom 10. August 1537 112 belegt. Im Namen des Papstes hatte Meleghino eine höfliche Anfrage beim Künstler gestellt. Der Papst halte sich über Nacht im Palast auf und werde, nachdem er ein Bad genommen habe, nach San Marco zurückkehren. Da der Papst allein sei, wünsche er eine Unterhaltung mit dem Künstler und einen Blick auf die Malerei in der Kapelle, falls es Michelangelo passe und ihn nicht störe. 113 Der Tonfall der Anfrage ist devot, rücksichts- bis verständnisvoll und inkludiert

Winner, M.: Jona: die Körpersprache, S. 118. Im Vorfeld stellt Matthias Winner heraus, dass es eine allgemein anerkannte Tatsache sei, dass sich dort ein Wappen befunden habe. Er selbst bleibt in seiner Aussage etwas vager. Leo Steinberg geht in seinem Aufsatz klar davon aus, dass das DellaRovere-Wappen 30 Jahre die Sixtina dominiert habe. Vgl. Steinberg, L.: Michelangelo’s Last Judgement, S. 51. Siehe Abb. 55: Das Wappen der della Rovere [S. 355]. 107 Feldhusen, R.: op. cit., S. 4. 108 Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. III., S. 251. Frederick Hartt weist darauf hin, dass Jona noch größer als der Weltenrichter im Jüngsten Gericht ist. 109 Mt 12, 38–42. Ausschlaggebend ist der Vers Mt 12, 40. „Wie nämlich Jonas drei Tage und drei Nächte im Bauche des Meeresungeheures war (Jon 2,1), so wird auch der Menschensohn drei Tage und Nächte im Herzen der Erde sein.“ Vgl. Schmid, J.: Das Evangelium nach Matthäus, S. 213. Das Lukasevangelium bietet eine Parallelstelle zur Jona-Thematik, zitiert aber nicht den entscheidenden Ausspruch Jesu. Vgl. Lk 11, 29–35. 110 Schmid, J.: Das Evangelium nach Matthäus, S. 213–214. 111 Feldhusen, R.: op. cit., S. 4. 112 Antonio Forcellino nennt ebenfalls dieses Datum. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 234. 113 Daelli, G.: Carte Michelangiolesche inedite, Brief 8, S. 13. 106

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Herrscher über St. Peter

gleichzeitig die Akzeptanz einer Ablehnung. Der Pontifex unterwirft sich bewusst dem Wunsch des Künstlers, womit endgültig der Beleg erbracht ist, dass sich die Positionen von Künstler und Souverän verändert hatten, da der Papst um eine Audienz in seiner Kapelle in seinem päpstlichen Palast bittet, um das Fresko zu sehen, das er bei seinem Starkünstler in Auftrag gab. Damit erfuhr die Welt eine Neudefinition, die die Anerkennung Michelangelos bedeutete und ihm schmeichelte. Auf der personalen Ebene lässt die Anfrage darüber hinaus eine gewisse Vertrautheit erahnen, da die Information über das päpstliche Bad als ungewöhnlich und nahezu intim einzustufen ist. In der Folge wird die personale Ebene von Michelangelo entsprechend angesteuert, indem er dem Papst im Frühjahr 1548 Birnen zukommen lässt, die dieser für gut befunden und für die er sich dankbar gezeigt habe. 114 Michelangelo erachtete es seinerseits als wichtig, seinen Neffen über diese Lieferung an den Papst und den päpstlichen Dank zu informieren. Ein weiterer Hinweis auf die Verbundenheit zwischen Künstler und Souverän sind Michelangelos Eindrücke vom Tod des Papstes, die er in einem Brief an seinen Neffen vom 21. Dezember 1549 schildert. Er äußert darin, dass er von diesem Papst Gutes erfahren habe und gern noch mehr erfahren hätte. In der Folge beschreibt er kurz den Tod des Papstes. 115 Die Beschreibung über das Hinscheiden des Papstes hat zur Annahme geführt, dass Michelangelo am Sterbelager des Papstes war. 116 Das Gute, das Michelangelo in dem Brief an-

sprach, waren die vielen Aufträge, mit denen er vom Papst betraut wurde. Michelangelo gestaltete den Kapitolshügel, den Campidoglio, war führender Architekt vom Palazzo Farnese, war beim Bau von San Giovanni in Fiorentini involviert, plante die Kirche Santa Maria degli Angeli in die Diokletiansthermen hinein, errichtete die Porta Pia, legte die Cappella Sforza an und wurde schließlich zum leitenden Architekten von Sankt Peter. Nach William Wallace war Michelangelo so maßgeblich an der Transformation einer verfallenen antiken Stadt in eine moderne christliche Hauptstadt beteiligt. 117 Allerdings lag das Hauptaugenmerk von Michelangelos Tätigkeit zweifelsfrei auf St. Peter. Mit dem Tod Sangallos am 26. September 1546 war die Stelle des leitenden Architekten vakant geworden, die Michelangelo im November 1546 antrat und für die er per Ernennungsurkunde vom 1. Januar 1547 legitimiert wurde. 118 Die Erweiterung und logische Konsequenz dieser Ernennungsurkunde stellte das Motupropio von 1549 dar, das auf der Grundlage des guten Verhältnisses von Mäzen und Künstler zu beurteilen ist. Es ist die abschließende Adelung Michelangelos, mit der der Papst ihm sein ungebrochenes Vertrauen ausspricht und ihm zutraut, sich gegen alle Widerstände in der baulichen Umsetzung der päpstlichen Prachtkirche durchzusetzen. Das menschliche Relikt der Renaissance nutzt fast seinen letzten Atemzug, um nahezu eine dogmatische Baupolitik zu garantieren.

7.10 Herrscher über St. Peter St. Peter als prestigeträchtiges päpstliches Propagandaprojekt wurde, wie bereits dargestellt, ab 1546 in Michelangelos Hände gelegt. Das Gotteshaus, das einen umstrittenen Anfang hatte und mit

dem Zerstörungswerk von Alt-St.-Peter einherging, musste weiter gebaut und irgendwann vollendet werden, wollte das Papsttum nicht sein Gesicht verlieren und sollten die Großankündigungen zu Bau-

Michelangelos Brief an Leonardo vom 2. Mai 1548. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 306, S. 91. Dass Michelangelo mit Freunden seine Schätze teilte, gibt der Brief an Leonardo vom 20. Dezember 1550 preis: Michelangelo informiert Leonardo, zwölf Käse erhalten zu haben, die er mit Freunden teilen werde. Vgl. Ramsden, E. H. The Letters Vol II, Brief 357, S. 127–128. 115 „Egli è vero che i’ò avuto grandissimo dispiacere e non manco danno della morte del Papa, perché ò avuto bene da Sua Santità e speravo ancora meglio. E così piaciuto a Dio bisognia aver patientia. La morte sua è stata bella, con buon conoscimento insino a l’ultima parola. Idio abbi misericordia dell’anima sua. Altr[o] non mi achade circa questo.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1136&page=2& daAnno=1549&aAnno=1549&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=Buonarroti%20Leonardo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinata rio=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 341, S. 113–114. 116 Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 487. Während Ernst Steinmann es nahezu als Faktum darstellt, formuliert William Wallace die Szenerie vorsichtiger als Frage: „Was the artist actually at the pope’s bedside?“ Vgl. Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 182. 117 Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 183. 118 Bredekamp, H.: Sankt Peter in Rom, S. 75. 114

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Konkurrenzlosigkeit statt Knebel

beginn nicht im Sande versinken. Der Neubau selbst war im Laufe seiner Entstehung Zeuge von größten politischen und kirchengeschichtlichen Dramen geworden. 119 1546 befand sich die Baustelle in einem festgefahrenen Zustand, fünf krisengeschüttelte Pontifikate konnten nicht die Progression erzielen, die man sich gewünscht hätte. Stattdessen war es neben Korruption und Misswirtschaft zu einer ausufernden Bürokratisierung der Baustelle gekommen. 120 Aus diesem Grund wurden die Baustelle sowie deren Bauleitung in ganz Europa argwöhnisch betrachtet. Denselben Argwohn hegten auch die Römer selbst, die nicht mehr an eine glückliche Fertigstellung der Peterkirche glaubten. 121 Dieses wissend, musste der Papst einen verlässlichen und kompetenten Bauleiter finden, der das Desaster beenden oder zumindest eine Schadensbegrenzung erreichen konnte. Die Wahl fiel auf Michelangelo, da man ihm die unterbliebene Progression an diesem Prestigeprojekt zutraute und er neben dem Papst noch Zeitzeuge der Anfänge von Neu-St. Peter war, auch wenn er der Grundsteinlegung aus bekannten Gründen fernblieb. Nach Vasari war es die „göttliche Eingebung“ Pauls III., dass Michelangelo die Bauleitung übernahm. 122 Auf Gesuch des Papstes reagierte Michelangelo zunächst ablehnend mit dem Ziel, „dieser Last“ 123 zu entgehen, und begründete es damit, „dass die Architektur nicht sein Metier sei.“ 124 Einem folgenden päpstlichen Befehl widersetzte sich der Künstler nicht, wobei Vasari präzisiert, dass

sich Michelangelo gegen seinen Willen und zu seinem „größten Missfallen“ dem päpstlichen Befehl gebeugt habe. 125 Im Mai 1555 bestätigt Michelangelo klagend dieses düster gezeichnete Bild in einem Brief, er sei mit Gewalt zur Leitung des Baus von St. Peter gezwungen worden und hätte ungefähr acht Jahre ohne Lohn mit großem Schaden und viel Ärger der Aufgabe geopfert. 126 Leitmotivisch klagt der Künstler erneut sein Leid, indem er sich wieder in Ketten gelegt sieht. Wenn man einmal von dem Zwang der Postenübernahme absieht, lag der neue Herr der Baustelle de facto nicht in Ketten. Was hinter dieser Klage stecken könnte, ist seine permanente Auseinandersetzung mit den Deputierten der Baukommission, den sogenannten Deputati della Reverenda Fabbrica di San Pietro, einem Gremium, das für die Errichtung der Basilika verantwortlich war. Die Auseinandersetzung war in seiner Ernennung begründet, die eine konfliktgeladene Situation heraufbeschwor, deren Basis die vorangegangenen Zusammenstöße mit Sangallo-Anhängern bildete, die die Gegner Michelangelos waren. 127 Michelangelo selbst hatte im Papst einen mächtigen Verbündeten, dem er die Bedingung gestellt hatte, den Posten als Architekt nur anzunehmen, wenn er ihm außerordentliche Freiheiten gewähre, was ihm Paul III. zusagte. 128 Ernst Steinmann und Heinrich Pogatscher gehen davon aus, dass Paul III. seinen Auftrag an Michelangelo nach dem Tod Sangallos zunächst nur mündlich formulierte 129, was sich am 1. Januar 1547 per Ernennungsurkunde änderte. 130

Schüller-Piroli, S.: 2000 Jahre St. Peter, S. 559. Zöllner, F.; Thoenes, C.: Michelangelo, S. 325. Susanne Schüller-Piroli weiß zu berichten, dass sich Antonio da Sangallo seit Beginn der vierziger Jahre mehr in Perugia aufhielt, um hier als Architekt zu arbeiten. Er hatte so kaum Einblicke in die Misswirtschaft der Baustelle, die zwischen den Jahren 1540–1546 die enorme Summe von 162624 Dukaten verschlang. Schüller-Piroli, S.: op. cit., S. 557. 121 Schüller-Piroli, S.: op. cit., S. 559. Thomas James Dandelet widmet in seiner Untersuchung dem Pontifikat Pauls III. eine kurze Betrachtung und stellt fest, dass der Fabbrica ab Ende der dreißiger Jahre regelmäßig und hohe Summen zugewiesen wurden, die allen Handwerkern und Architekten sichere Einkünfte versprachen. Vgl. Dandelet, T. J.: op. cit., S. 44–45. Diese hohen Summen und die Abstinenz von Sangallo eröffneten vermutlich das freie Spiel der Kräfte auf der Baustelle. 122 Vasari, G.: Michelangelo, S. 135. Vasari adelt Paul III., indem er ihm eine göttliche Eingebung attestiert sodass er, auch wenn es hier unausgesprochen bleibt, dem göttlichen Michelangelo den Auftrag erteilt. 123 Vasari, G.: Michelangelo, S. 135. 124 Vasari, G.: Michelangelo, S. 135. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 83. 125 Vasari, G.: Michelangelo, S. 135. 126 Brief vom 11. Mai 1555 an Vasari. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 398, S. 153–154. Im Juni 1555 schlägt Michelangelo in einem Brief an Vasari andere Töne an, deren Melodie die Sorge um St. Peter ist. Er könne St. Peter nicht im Stich lassen, um nach Florenz zu kommen, da es schändlich, schädlich und sündig wäre. Vgl. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 402, S. 155. 127 Bredekamp, H.: Sankt Peter in Rom, S. 75. 128 Thoenes, C.: Der heilige Raum der Basilika St. Peter, S. 48. Frank Zöllner und Christof Thoenes ordnen diese Forderung Michelangelos als „Kunstabsolutismus“ ein. Vgl. Zöllner, F.; Thoenes, C.: Michelangelo, S. 325. 129 Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 403. 130 Bredekamp, H.: Sankt Peter in Rom, S. 75. 119

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Als verlässlicher Partner unterstützte ihn der Papst dennoch konsequent gegen seine Gegner 131, die Vasari Sangallo-Sekte (Setta Sangallesca) nennt. 132 Später führt er dazu aus, dass es sich bei St. Peter um eine Baustelle handle, die eher ein Geschäft für diejenigen darstelle, die mit dem Planungsbereich bzw. mit der Ausführung betraut seien. Diese Baustelle diene der Bereicherung, „weshalb sie von denen, die sie als Goldgrube betrachteten in die Länge gezogen wurde, mit der Absicht, nie zu einem Ende zu kommen.“ 133 Einem aufrechten Michelangelo seien solche Methoden zuwider, der zuvor nach Vasari erklärt hatte, bei dem Bau fünfzig Jahre und 300 000 Scudi bis zur Fertigstellung einsparen zu wollen und dabei versprach, durch einen verbesserten Plan, den Bau majestätischer, größer und müheloser vollenden zu können. 134 Sollten diese Angaben stimmen, lehnte sich Michelangelo weit aus dem Fenster und formulierte eine offene Kampfansage an die Deputierten, die im Vorfeld Unsummen verschleudert hatten oder in dunkle Kanäle versickern ließen. Michelangelo nahm zügig seine Arbeit auf, verwarf Sangallos Holzmodell 135, was als Sakrileg durch die Sangallo-Mitarbeiter empfunden wurde 136, verschärfte seine Kritik, indem er Sangallo ein Abweichen von Bramantes Wahrheit attestierte und ihm die Schaffung eines düsteren Ortes mit

finsteren Ecken vorwarf, an dem unzählige Schurkereien, Falschmünzerei und die Schändung von Nonnen oder Nonnenschwängerung möglich sei. 137 Bramantes Wahrheit bestand für Michelangelo in dem freien, lichten, klaren und einfachen Entwurf eines tüchtigen Architekten, wie es ihn seit der Antike bis in seine eigenen Tage nicht mehr gegeben habe. 138 Die späte Würdigung Bramantes, der zu Lebzeiten für Michelangelo Staatsfeind Nummer eins war, ist wohl damit erklärbar, dass er den Entwurf Bramantes wirklich für gut befand. Es scheint hier ein abgeklärter Künstler zu sprechen, der die beste architektonische Lösung suchte und damit arbeiten musste, was ihm vorlag. Er schuf somit eine Renaissance in der Renaissance, da er zum ursprünglichen Entwurf zurückkehrte, ihn aber auch modifiziert. Eine erste Amtshandlung war die Entlassung von Nanni di Baccio Bigio, dem ersten Architekten nach Sangallo, und Antonio Labacco, dem Schöpfer des Holzmodells. Darüber hinaus weigerte sich der neue Baumeister, vor der Baukommission zu erscheinen, da er allein mit dem Papst verhandle. 139 An seiner Stelle erschien vor besagter Baukommission im Januar 1546 der ihm loyale Bauleiter Gian Battista de Alfonsis und teilte ihr ihre Degradierung mit: Sie hätten auf der Baustelle weder eine Lizenz zur Entscheidung oder zur Errichtung noch das Anrecht

Bredekamp, H.: Sankt Peter in Rom, S. 82. Vasari, G.: Michelangelo, S. 135. Diese Setta Sangellesca war nahezu so alt wie der Neubau. Als Raffael Architekt von St. Peter wurde, fand er keine willigen oder verlässlichen Mitarbeiter, stattdessen traf er auf einen Klüngel, angeführt von Baldassare Peruzzi und Antonio da Sangallo, ehemalige Mitarbeiter Bramantes, die Giftpamphlete gegen ihn verfassten, indem sie ihm Verrat an Bramantes Plänen vorwarfen und so den Papst verunsicherten. Zum Amtsantritt Michelangelos war dieser intrigante Klüngel noch höchst lebendig. Vgl. Schüller-Piroli, S.: op. cit., S. 537–538. 133 Vasari, G.: Michelangelo S. 136. 134 Vasari, G.: Michelangelo, S. 136. In dem Brief an Bartolomeo Ferratino vom 30. November 1546 nennt er andere Zahlen. Durch einen gezielten Abriss des äußeren Umgangs von Sangallo würde der Bau 200 000 Scudi billiger und 300 Jahre früher fertig werden. Vgl. Brief an Bartolomeo Ferratino am 30. November 1546. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1067&daAnno=1546&aAnno=1546&Mittente=&Desti natario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia= &cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters of Michelangelo Vol II, Brief 274, S. 69. E. H. Ramsden datiert den Brief auf Januar 1547. 135 Vasari, G.: Michelangelo, S. 135. 136 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 316. Vasari stellt einen Vergleich zwischen den Holzmodellen Sangallos und Michelangelos an, wobei das von Sangallo unausgesprochen durch einen Faktenvergleich schlechter wegkommt, da es mit 4000 Scudi exorbitant teuer war und Jahre bis zur Fertigstellung vergingen. Michelangelos Holzmodell kostete 25 Scudi und wurde in 15 Tagen fertiggestellt. Vasari scheint hier verlässlich zu sein. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 136. 137 Brief an Bartolomeo Ferratino am 30. November 1546. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1067&daAnno=1546&aAnno= 1546&Mittente=&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia= &cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 274, S. 69. 138 Brief an Bartolomeo Ferratino am 30. November 1546. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1067&daAnno=1546&aAnno= 1546&Mittente=&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia= &cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 274, S. 69. Vgl. Frey, K.: Die Briefe des Michelagniolo Buonarroti Nr. 122, S. 199–200. (Folgend zitiert: Frey, K.: Die Briefe). 139 Bredekamp, H.: St. Peter in Rom, S. 76. Nanni Baccio di Bigio bereitete Michelangelo noch viel Ungemach und konnte nie richtig von der Baustelle entfernt werden, wurde aber auch nie zum ersten Architekten von St. Peter ernannt. Vgl. ebd., S. 81. Vasari berichtet, dass sich Michelangelo die blockierenden Kräfte am Neubau von St. Peter vom Hals schaffen wollte und niemanden mehr auf der Baustelle zu sehen wünschte. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, 136. 131

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auf Information. Gemauerte Tatsachen würden sie dann über alles in Kenntnis setzen. 140 Am 25. Februar 1547 gab Michelangelo der Baukommission die Ehre und klärte in unmissverständlicher Weise die Preise: Der Papst habe ihn mit dem Bau von St. Peter beauftragt. Aus diesem Grund habe er nur allein das Sagen. Nichts anderes werde gemacht als das, was Messer Giovanbaptista in seinem Namen verkünden werde. Er wünsche, gewandt an besagten Giovanbaptista, weder Betrügereien noch Diebereien auf der Baustelle. 141 Mit dieser Erklärung setzte er die Degradierung der Fabbrica fort und zog sich deren ungeteilten Zorn zu, die ihn, wie Vasari berichtet, zu gängeln versuchten, wo sich ihnen die Möglichkeit bot. 142 Im März 1547 waren die Entwürfe Michelangelos, bestehend aus einem Holzmodell und Zeichnungen, soweit gediehen, dass der Papst ihnen zustimmte und den Deputierten befahl, Michelangelo in allen Belangen zu unterstützen, was auch die Entlassung der Sangallo-Mitarbeiter betraf. 143 Stellvertretend führte Nanni di Baccio Bigio einen Propagandafeldzug gegen den Künstler, indem er Michelangelos Modell für irrwitzig und kindisch hielt und behauptete, Michelangelo verstehe nichts von Architektur und verschleudere nur Geld. 144 Im Mai 1547 erfuhr Michelangelo durch seinen Freund Francesco Ughi von dieser Verleumdungsaktion. Um die nötige Transparenz über das

üble Treiben Nanni di Baccio Bigios walten zu lassen, leitete Michelangelo den Brief an Bartolommeo Ferratino, einem Deputierten der Fabbrica, weiter, versehen mit der Bemerkung, dass man von solchen groben und niederträchtigen Bösewichten nichts anderes zu erwarten habe. 145 Die Verleumdungen und Anfeindungen hinderten den Künstler jedoch nicht daran, seine Pläne umzusetzen, die auf Bramante basierten. Er entwickelte Bramantes Pläne weiter, die zu geringerer Ausdehnung und doch zu vermehrter Größe der Peterskirche führten. 146 Die ursprünglich geplante Kuppel in dem Bramantschen Urplan sollte weiterhin als Zentrum dienen, unter der sich das griechische Kreuz eröffnete, und dessen von Michelangelo gekürzte Kreuzarme, versehen mit halbrunden Apsiden, den Abschluss bildeten. 147 Michelangelo erreichte so einen lichten, großen und hohen Zentralbau und verzichtete bewusst auf ein Langhaus. 148 Grundlage der Umsetzung des neuen Plans war die Demolierung alter Bauteile aus der Zeit Raffaels und Sangallos 149, was zu Protesten führte. 150 Michelangelos großer Rückhalt war Paul III., der alle Entscheidungen approbierte 151, womit die Auseinandersetzung auf der Baustelle nicht beendet war. Der Pontifex begegnete endgültig dieser Kontroverse mit einem Motuproprio 152, das Michelangelo umfangreiche Macht verlieh. 153

Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 318–319. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 326. 142 Vasari, G.: Michelangelo, 136. Vermutlich nimmt Vasari in seiner Vita Bezug auf diese Erklärung. 143 Million, H. A.: Michelangelo to Marchionni 1546–1784, S. 93. Vasari verweist auf die Akzeptanz des Holzmodells durch den Papst. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 137. 144 Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 310. Brief des Francesco Ughi an Michelangelo vom 14. Mai 1547 (S. 309–310). Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 804. 145 Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 310. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 804. 146 Schüller-Piroli, S.: op. cit., S. 559. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 137. Vasari berichtet davon, dass der Papst ein neu angefertigtes Holzmodell von Michelangelo, das in fünfzehn Tagen ausgeführt war und nur 25 Scudi kostete, approbierte. Vgl. ebd., S. 136–137. 147 Schüller-Piroli, S.: op. cit., S. 560. Susanne Schüller-Piroli verweist darauf, dass die verkürzten Kreuzarme einerseits die Niederlegung wichtiger Teile des vatikanischen Palastes verhinderten und gleichzeitig der Kuppel die nötige Statik verliehen, worin die Hauptsorge Michelangelos bestand. Vgl. ebd., S. 560–561. In einem Brief an Bartolomeo Ferratino spricht Michelangelo von dem Verlust einiger Palastteile bis hin zur Sixtina. Vgl. http:// www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1067&daAnno=1546&aAnno=1546&Mittente=&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_ Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 274, S. 69. 148 Thoenes, C.: Der heilige Raum der Basilika St. Peter, S. 51. Christof Thoenes verweist darauf, dass die Capella Iulia Michelangelo als Prototyp diente. 149 Bredekamp, H.: St. Peter in Rom, S. 80. 150 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 328. 151 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 319. 152 Seit Ende des 15. Jahrhunderts werden in der päpstlichen Kanzlei ungesiegelte Urkundenformen, die sogenannten „Motus proprii“, ausgestellt, die ihre Beglaubigung durch die eigenhändige Unterschrift des Papstes erhalten. Mit den Breven haben sie nur die Intitulatio gemein und stehen ansonsten für sich. Den Abschluss dieser Urkunden bildet die Abkürzung des ersten Buchstabens des Taufnamens. Vgl. Vgl. Schmitz-Kallenbach, L.: Lehre von den Papsturkunden, S. 114. 153 Vasari, G.: Michelangelo, 137. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 83. 140 141

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Absolute Macht: Das Motupropio von 1549

7.11 Absolute Macht: Das Motupropio von 1549 Durch die Verleihung umfangreicher Machtbefugnis in schriftlicher Form wollte Paul III. Michelangelo langfristig absichern, wobei er auch potentielle Nachfolger im Blick haben musste. Das Motuproprio, das beide Biographen nicht weiter datieren, stammt vom 11. Oktober 1549 und stellt ein einzigartiges Dokument dar 154, das im Entwurf sehr wahrscheinlich auf den Künstler selbst zurückgeht. 155 Michelangelo wollte demnach selbst seine Position gesichert wissen, wofür er sich im Vorfeld der Verlautbarung des Motuproprios offensichtlich Zeit genommen und sich Gedanken gemacht hatte. Seit dem mündlich formulierten Auftrag durch Paul III. 1546 waren Jahre vergangen. 156 Michelangelo konnte auf Erfahrungswerte zurückgreifen und retrospektiv ausloten, was jetzt in eine Form gegossen werden musste. Das Motuproprio schlägt klare Pflöcke ein, die, wenn man sie verbindet, die Baustelle von St. Peter quasi einzäunen: Michelangelo will absolute Bewegungsfreiheit für den Entwurf und dessen Umsetzung 157; er will die Lizenz zur Demolierung schon bestehender Bauteile selbst bei anfallenden Mehrkosten 158; das bereits Errichtete soll geschützt werden 159; er will die finanzielle, personaltechnische und logistische Oberhoheit ohne Konsultierung der Fabbrica 160; schließlich will er die Befreiung von juristischen Folgen. 161 Durch diese Formulierungen wurde Michelangelo ermächtigt, die Baukommission zu entmachten und sich selbst die größtmögliche Freiheit zu gewähren. Horst Bredekamp verweist in seiner Untersuchung

darauf, dass im Schriftstück konsequent zwischen Modell (modellum) und Gestalt (formam) unterschieden werde und dass diese Unterscheidung Michelangelo eine offene und flexible Planung ermögliche. 162 Volker Reinhardt unterstreicht, dass diese Offenheit der kreativen Arbeitsweise des Künstlers sehr entgegenkam. 163 Als Künstler brauchte Michelangelo künstlerische Freiheiten. Paul III. approbierte den Schriftsatz, indem er seinerseits Neuerungen in der Anlage eines solchen Schriftstückes an dessen Anfang und an dessen Ende setzte. Die Anrede begann mit der Würdigung des Empfängers, der als Familiar und Tischgenosse eingeordnet wird. 164 Der erste Teil des Dokuments wird mit „Fiat ut petitur A.“ 165 unterzeichnet, während das Ende des Schriftstücks die Signatur „Et ad nostrum beneplacitum fiat A.“ trägt. 166 Horst Bredekamp untersucht diesen Umstand näher und stellt fest, dass es sich bei der Zwischensignatur um eine Kombination von dem sonst geläufigen „fiat A.“ (es geschehe) oder alternativ verwendeten Formel „ut petitur A.“ (wie erbeten) handelt. Das A. ist eine Abkürzung des ursprünglichen Vornamens des Papstes, und zwar Alessandro. 167 Mit der Verwendung „Fiat ut petitur A.“ (Es geschehe wie erbeten) unterstreicht Paul III. mitten im Text formelhaft seinen Wunsch. Die endgültige Signatur „Et ad nostrum beneplacitum fiat A.“ (Und zu unserem Wohlgefallen möge es so sein) ordnet Horst Bredekamp als eine bisher einzigartige Formulierung für ein Motuproprio ein, worin er auch einen Spiegel für

Datum des Motupropios: Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 804. Einzigartigkeit: Vgl. Bredekamp, H.: Der Künstler als Souverän, S. 59. (Folgend zitiert: Bredekamp, H.: Der Künstler). 155 Bredekamp, H.: Der Künstler, S. 60. Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 319. 156 Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 403. 157 Bredekamp, H.: Der Künstler, S. 62. 158 Bredekamp, H.: Der Künstler, S. 63–64. 159 Bredekamp, H.: Der Künstler, S. 64. 160 Bredekamp, H.: Der Künstler, S. 66. 161 Bredekamp, H.: Der Künstler, S. 67. 162 Bredekamp, H.: Der Künstler, S. 62. 163 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 319. 164 „Motu proprio etc. Cum dilectus filius Michael Angelus Bonarottus civis florentinus familiaris continuus commensalis (…)“. Vgl. Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 400. Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 319. 165 Vgl. Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 401. 166 Vgl. Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 402. 167 Bredekamp, H.: Der Künstler, S. 61. Erklärung zur Abkürzung „A.“ vgl. Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit. S. 401. Anmerkung I (bzw. letzte Anmerkung). Wie bereits erwähnt, war die Unterzeichnung mit dem abgekürzten ersten Buchstaben des Taufnamens seit dem Ende des 15. Jahrhundert Usus in einem Motuproprio. Vgl. Schmitz-Kallenbach, L.: op. cit., S. 114. 154

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dieses ungewöhnliche Dokument sieht. 168 Paul III. musste ein Überraschungsmoment schaffen, um sein Ziel, die langfristige Etablierung der Macht Michelangelos über die Bauhütte von St. Peter, zu erreichen. Das Überraschungsmoment war neben dem Inhalt die Form. Die erste Formel ist eine Wendung an den Nachfolger, den Wunsch des Vorgängers zu respektieren. Die Aussicht auf weitere Approbation war nicht finster, da Paul III. es als Wunsch formulierte. Die zweite Signatur hingegen ist eine Kombination von einem „fait accompli“ und einem salbungsvollen Wunsch, der nahezu lukanisch anmutet und die theologische Seite eines potentiellen Nachfolgers vielleicht in den Blick nimmt. 169 Zwei bemerkenswerte Formulierungen, die im ersten Teil des Dokumentes erscheinen, verdienen hier noch besondere Beachtung: „All dieses sowohl das Modell als auch die Gestalt, welche besagter Michelangelo in besagter Baustelle und deren Umgebung geschaffen und gegeben hat, darf in keiner Weise verändert, neu konzipiert oder abgewandelt werden.“ 170 Die päpstliche Formel kommt einer Ewigkeitsklausel gleich, da zukünftige Änderungen an Bestehendem ausgeschlossen sind. Zukünftigen Demolierungen, vermutlich auch späterer Generationen, soll Einheit geboten werden; Pläne sollen im besten Fall durch Nachfolger – päpstlich oder bauleitungstechnisch – verwirklicht werden. Wenige Zeilen weiter akzentuiert der Papst die Vorrangstellung Michelangelos, indem er ihn im Stile von Primatsworten inauguriert: „Ihn setzten wir ein und ernennen ihn zu unseres Hauses und des Heiligen Stuhls Beauftragten, Präfekten, Bauleiter und Architekten beim Bau und auf der Baustelle der Basilika, so lange er leben wird!“ 171 Mit anderen Worten: „Tu es Michelangelo“, der Felsen, auf dem Paul III. die neue Basilika bauen will. Mit dieser Erklärung wird das Leben Michelangelos mit dem Neubau von St. Peter untrennbar verbunden, da an

allerhöchster Stelle beschlossen. Paul III. war sieben Jahre älter als Michelangelo und hatte im Oktober 1549 schon ein sehr anstrengendes Jahr in politischer wie theologischer Hinsicht hinter sich. 172 Es ist zu vermuten, dass er sich des Schwindens seiner Lebenskräfte gewahr war und St. Peter absichern wollte, indem er den Neubau in vertraute Hände legte, die er gleichzeitig gegen die missgünstigen und neidischen Deputierten der Fabbrica schützen musste. Volker Reinhardt bewertet das Motuproprio als moralische Verpflichtung, da der Nachfolger Pauls III. diese Festlegung für null und nichtig erklären konnte. 173 Die moralische Verpflichtung war Paul III. Michelangelo schuldig, da er die prekäre Aufgabe hatte, den Bau von St. Peter zu rehabilitieren 174, war er doch Stein des Anstoßes für die Reformation geworden. 175 Der Pontifex war sich der Fragilität seiner Bestimmung wohl sehr bewusst, konnte aber darauf spekulieren, dass das Wohl und der Weiterbau von St. Peter seinen Nachfolger interessieren mussten. Durch die Reformation war das päpstliche Schicksal schließlich mit dem Schicksal von St. Peter verwebt. Der Bau musste gelingen, was nur eine langfristige und lineare architektonische Leitung garantieren konnte. Insofern musste Michelangelo bis zu seinem Lebensende im Amt gehalten werden, um der Basilika im besten Fall seine geplante Riesentiara aufs Haupt zu setzen, die somit als sichtbares Zeichen der päpstlichen Autorität den Urbem et Orbem krönte, um den Universalanspruch der Kirche unmissverständlich zu demonstrieren. Horst Bredekamp sieht in dem Schriftstück nicht ein Zeichen der Stärke Michelangelos, sondern eher den Versuch, der Anfälligkeit oder Angreifbarkeit des Meisters zu begegnen. 176 Vielleicht handelte es sich bei dem Motuproprio um einen auf Gegenseitigkeit angelegten Plan, frei nach dem Motto „manus manum lavat“. Michel-

Bredekamp, H.: Der Künstler, S. 61. Lk 2,14: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ 170 Bredekamp, H.: Der Künstler, S., S. 64. Wörtlich: „(…) illaque ac modellum et formam per ipsum Michaelem Angelum in dicta fabrica seu circa illam fact(um) et da(tam), ita quod imutari reformari seu alterari non possit, perpetuis futuris temporibus sequi et observari debere; (…).“ Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 400. 171 Bredekamp, H.: Der Künstler, S., S. 65. Wörtlich: „(…) eum nostrum et sedis apostolice in constructione et fabrica basilice huiusmodi commissarium, prefectum, operarium et architectorem quoad vixerit constituimus et deputamus (…)“ Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 401. 172 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 668–674. 173 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 321. 174 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 327. 175 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 325. 176 Bredekamp, H.: Der Künstler, S. 68. 168

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Absolute Macht: Das Motupropio von 1549

angelo wird zum treuhänderischen Verwalter des Erbes Pauls III., aber unter seiner Vorstellung. Das Motuproprio war und blieb eine besondere Vollmacht und Auszeichnung, die im beidseitigen Interesse der involvierten Parteien entwickelt und formuliert wurde sowie eine Absage an Michelangelos Gegner innerhalb der Fabbrica darstellte. Die Idee, mit dem Bau auch ein Glaubensbekenntnis abzulegen, ist den beiden letzten Renaissancemenschen nicht abzusprechen. Michelangelo ist allerdings die im Schriftstück aufgenommene Aussage, er wolle ohne Lohn oder Prämie nur aus Liebe und Hingabe arbeiten, die er der Basilika anträgt 177, abzusprechen. Rab Hatfield weist sehr genau nach, dass er bis zu seinem Lebensende sein Salär erhielt 178, was nur unter Paul IV. (1555–1559) nicht gezahlt wur-

de. 179 Horst Bredekamp ordnet die lohnfreie Arbeit aus Liebe zu Gott als Versuch ein, Michelangelos Frömmigkeit und seine Nähe zum Papst darzustellen, um so Interessenlosigkeit am Verdienst zu suggerieren. 180 Wenn Michelangelo, wie es angenommen wird, das Schriftstück mit entworfen hat, ist die Mär vom Gotteslohn auch als Arbeit an seiner Memoria zu betrachten. Er bekommt nicht nur alle Vollmachten, sondern demonstriert der Welt seine Pietas und seinen Willen, seine Kunst und Talente in den Dienst Gottes zu stellen. Tatsächlich erreichen Paul III. und Michelangelo ihre Ziele. Michelangelo wird insgesamt 18 Jahre der Architekt von St. Peter bleiben und der Basilika seinen Stempel aufdrücken. 181 Damit war er aber nicht von eigenen Nöten befreit oder vor ihnen gefeit.

„(…) nullo premio nullave mercede (…) acceptata, sed ex eius mera charitate et singulari devotione, quam ad ipsam basilicam gerit (…).“ Vgl. Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 400. 178 Hatfield, R.: The Wealth, S. 159–164. 179 Hatfield, R.: The Wealth, S. 165. 180 Bredekamp, H.: Der Künstler, S., S. 62. 181 Dandelet, T. J.: op. cit., S. 45. Thomas James Dandelet bewertet die Bauübernahme Michelangelos als den vermutlich wichtigsten Wendepunkt in der Baugeschichte von St. Peter, da er 18 Jahre im Amt war, die Arbeit Sangallos demolierte und die Weichen für das zukünftige Design der Basilika stellte. 177

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8 Memoria in eigener Sache Die Florentiner Pietà und die Cappella Paolina: (…) dann will ich Dir aus meinen Werken meinen Glauben zeigen. (Jak 2, 14)

8.1 Hinführung Das gute Salär und die Anerkennung am FarneseHof waren für den Künstler keine Versicherung, sich in seelischer oder religiöser Sorglosigkeit zu wähnen. Zu Beginn der 40er Jahre des 16. Jahrhunderts beginnt für Michelangelo die Auseinandersetzung mit seinem Glauben, der Endlichkeit seines Lebens und seiner Memoria. Er stellt die Sinnfrage, ist um sein Seelenheil besorgt und schaut auf ein ungewöhnlich langes Leben zurück, das das eines durchschnittlichen Renaissancemenschen schon weit überschritt. Sein hohes Alter hatte zweifellos Rückwirkung auf seine Befindlichkeit und Ausdrucksform, wodurch seine Kunstwerke zum Spiegel seiner inneren Landschaften, seines Weges zur und seiner Auseinandersetzung mit der Sterblich-

keit werden. Er begibt sich auf eine persönliche Pilgerschaft, die durch den Kontakt zu Vittoria Colonna und deren Kreis begleitet, theologisch befeuert und mit seinem Tod als „perfetto cristiano“ 1 am 18. Februar 1564 enden wird. Mit seinen letzten Worten übergab er seine Seele Gott und ermahnte die Anwesenden in ihrer letzten Stunde der Leiden Jesu Christi zu gedenken. 2 Der große Künstler ist bis zum Schluss von seinem tiefen Glauben getragen, so dass das Leiden, der Tod Christi und dessen Erlösungswerk zum Thema in seinen Kunstwerken werden. Die letzten Pietàs, die Zeichnungen für Vittoria Colonna und seine letzten Fresken werden somit zu seiner persönlichen Bekenntnisplattform.

8.2 Ewiges Leben als Ziel Besondere Beachtung erhalten in dieser Betrachtung die Florentiner Pietà und die Fresken der Cappella Paolina, da sie zum gleichen Zeitpunkt entstanden und miteinander korrespondieren. Beide Kunstwerke sind hinlänglich erforscht und beschrieben. Sie sind bisher aber nicht konsequent in Beziehung gesetzt worden, was hier vollzogen werden und den Nachweis erbringen soll, dass sich in den Kunstwerken mehr persönliche Aussagen befinden, als bisher angenommen. Michelangelo hat in beiden Werken seinen Glauben bezeugt, auch wenn das Fresko eine Auftragsarbeit war, während er die Skulptur aus eigenem Antrieb schlug. Ausgangspunkt für seine künstlerische und persönliche Weiterentwicklung wird das Jüngste Gericht gewesen sein, das einen Ausblick auf die Zeit post mortem und einen Einblick in die geschundene rö1 2 3 4

mische Seele nach dem Sacco di Roma 1527 offenbart, die sich durch eine entsprechende Bußgesinnung manifestierte. 3 Loren Partridge attestiert Michelangelo in seiner Untersuchung zum Jüngsten Gericht eine „unmittelbare Gefühlsintensität“ in der Darstellung der Figuren. 4 Diese Gefühlsintensität setzt sich in verdichteter Form in den folgenden Werken weiter fort, sei es die Cappella Paolina oder seien es seine letzten Pietàs. Die Ausführung des Jüngsten Gerichts gab Michelangelo sieben Jahre Zeit, sich mit den elementaren Fragen des Menschseins auseinanderzusetzen, was vor allem die Frage des Danach betrifft. In den Deckenfresken ging es um die Herkunft des Menschen, um die Genese, um den Anfang allen Lebens. In der Zeit ihrer Entstehung (1508–1512) war er im besten Alter, hatte noch viele Jahre vor sich und war vermutlich auch

Frey, H.-W.: Der literarische Nachlass Giorgio Vasaris, Bd. II, Anmerkung e, S. 34. (Folgend zitiert: Frey, H.-W.: Nachlass). Symonds, J. A.: The Life of Michelangelo Buonarroti, S. 294. Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 550. Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 135. Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 126.

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Der Künstler und sein Grabmal

mehr mit künstlerischen Fragen und seinem künstlerischen Werdegang befasst. In den Jahren 1534– 1541 hatte sich seine Welt verändert. Er war gealtert, hatte Lebenserfahrung gesammelt, war in eine neue Phase seiner spirituellen Entwicklung eingetreten und bekam die Aufgabe, einen Kreis in Form eines Freskos zu schließen: Von der Genese zum Ende des Lebens bzw. des Lebens danach – zum Jüngsten Gericht –, das im Erleben des Renaissance-Menschen von Gott kam und durch ihn gerichtet wurde. Entsprechend lösten das Sujet und sein Alter 5 bei ihm eine innerpsychische Auseinandersetzung aus, die er z. B. in der Figur des Bartholomäus im Jüngsten Gericht bzw. in seiner Selbstdarstellung in der abgezogenen Haut des Heiligen Ausdruck verleiht. Loren Partridge bietet dazu eine aussagekräftige Interpretation an. Michelangelo stelle sich selbst in einer abgezogenen Haut dar, die nicht erneuert werde. Veranlassung dazu seien sein Alter und seine empfundene Unwürdigkeit vor Gott gewesen. Bartholomäus sei derjenige, der in verklärter Gestalt mit seiner Haut in der Hand zum Fürsprecher Michelangelos vor Christus werde. Somit sei die verklärte Gestalt des Bartholomäus der Hoffnungsstrahl für den Künstler, in der Ewigkeit wiedergeboren zu werden. 6 In der Folge wird die Frage der Wiedergeburt für den Künstler zum wichtigen Motiv, die ihn in seinen nächsten Kunstwerken beschäftigen wird. Die Selbstdarstellungen, die in den nächsten Werken 7 folgen, sind eine andere entscheidende Komponente, die Rückschlüsse

auf den Wunsch nach Beständigkeit und Nachhaltigkeit zulassen. Nach Loren Partridge zeichnet der Meister das Jüngste Gericht mit dem Selbstporträt besonders aus, definiert es so als gutes Werk, das in seiner Erwartung zu seinem Seelenheil beiträgt. 8 Somit scheinen die Sorge um sein Seelenheil und der Wunsch nach Wiedergeburt zu Antreibern für seine Sujetwahl zu werden. Die theologische Diskussion bzw. Antwort fand er in dem Zirkel um Vittoria Colonna und der Heiligen Schrift, speziell im Johannesevangelium, da der Evangelist die Frage nach dem ewigen Leben ins Zentrum seines Evangeliums stellt. Die Frage nach dem ewigen Leben scheint Michelangelo so zu beschäftigen, dass er sie auch skulptural umzusetzen versuchte. Die Florentiner Pietà wird in diesem Kontext besonders relevant, da der Künstler sie für sein eigenes Grabmal vorsah. Es ist zu vermuten, dass die Arbeit an den Grabmälern für Julius II. und die Medici auf ihn nachhaltig wirkte, dass er sich nun der Gestaltung seines eigenen Grabmals widmete. Setzt man Vasari als glaubwürdig voraus, hatte Michelangelo zum Entstehungszeitpunkt der Gruppe in Rom bereits eine Vorstellung von seinem Grabmonument. Nach dem Demolierungsversuch der Gruppe Mitte der 50er Jahre gab er nicht nur sie auf, sondern auch die Grabmalidee und überließ die Gestaltung seiner letzten Ruhestätte vermutlich anderen, da er sich nicht mehr dazu äußerte.

8.3 Der Künstler und sein Grabmal Schenkt man in diesem Kontext Varchis Leichenrede Glauben, machte Michelangelo zu einem bestimmten Zeitpunkt den Mönchen von Santa Croce die Zusage, das Gotteshaus – vermutlich in Form

einer Kapelle 9 – prächtig zu schmücken. Als Gegenleistung sollten sie ihm eine Grabstelle gestatten, was nach Varchi, an „der Böswilligkeit Anderer“ scheiterte: „Der Meister setzte von nun an keinen

5 Mols, R., S.J.: Die Bevölkerung Europas 1500–1700, S. 43. Hintergrund ist die Tatsache, dass das Durchschnittalter bei 30 Jahren lag und die wenigsten Menschen die hohen Jahre erreichten. 6 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 143. William Wallace hat einen ähnlichen Ansatz, wenn er schreibt, dass sich Michelangelo der Anmaßung der Darstellung eschatologischer Inhalte bewusst war und sich in einem dünn abgelegtes Stück Fleisch selbst porträtiert, das über der Hölle hängt, aber von heiligen Händen gehalten wird. Wallace, W.: Discovering, S. 200. 7 Die Fresken der Cappella Paolina und die Florentiner Pietà. 8 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 143. Antonio Paolucci kommt, basierend auf Vasaris Viten von 1550, zu einem ähnlichen Befund, was die römische Pietà angeht. Die Signatur auf dem Brustband folgte aufgrund der Zufriedenheit und Freude des Künstlers über sein Werk. Paolucci, A.: op. cit., S. 9. 9 Davis, C.: Orazione funerale di Messer Bendetto Varchi (…), S. 37–38. (Folgend zitiert: Davis, C.: Orazione) Die angebenen Seitenzahlen orientieren sich am Originaltext und nicht am PDF-Dokument.

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Memoria in eigener Sache

Fuß mehr in jene Kirche.“ 10 Michelangelo reagierte mit Verärgerung, da er die Vorstellung hegte, Florenz eine Attraktion zu schenken und diese Kapelle mit Bildern, Statuen und Ornamenten aus eigener Hand zu schmücken, so dass Ausländer bzw. Fremde, die Florenz besuchten, zuerst nach Santa Croce kämen, um diese Kapelle zu sehen. 11 Es ist ein möglicher Gedanke, dass Michelangelo an ein Michelangelo- oder Buonarroti-Mausoleum dachte, das er zu einem Kunstpilgerort gestalten wollte, und man ihm dieses – aus Böswilligkeit – nicht gönnte. Es ist auch zu vermuten, dass Michelangelo nicht den üb-

lichen finanziellen Obolus zur Ausführung der Liturgie thematisiert hatte. Vielleicht bot er als Zahlungsweise für dieses Tauschgeschäft nur seine Kunst an, was den Geistlichen womöglich nicht reichte. Eine berechtigte Frage wäre hier, ob der Künstler nach dieser Enttäuschung überhaupt noch in Santa Croce beigesetzt werden wollte. Spätere Aussagen belegen, dass Florenz bzw. eine Florentiner Kirche für ihn als letzte Ruhestätte dienen sollte, Santa Croce findet allerdings keine Erwähnung mehr.

8.4 Die Florentiner Pietà 8.4.1 Die Idee Die Basis seiner Grabmalidee ist die genannte Florentiner Pietà. Dem Brief Vasaris an Leonardo Buonarroti vom 18. März 1564 ist zu entnehmen, dass Michelangelo die Figurengruppe für sein eigenes Grabmal vorgesehen habe. 12 1568 taucht diese Version dann auch in der überarbeiteten Version der Viten auf. Vasari sagt über das unvollendete Werk, dass Michelangelo „sich gewünscht hätte, es solle sein Grabmal unter jenem Altar zieren, an dem er es anzubringen gedachte. 13 Ein möglicher Impuls für die Idee zur Figurengruppe ist vielleicht schon im Jahr 1534 zu suchen, als der Kardinal von Mantua über den Mose bemerkte, er würde genügen, um Julius II. Ehren zu machen. 14 Wenn eine Michelangelo-Skulptur für einen Papst als gut befunden wird, muss eine eigene Skulptur seinem Grab-

mal erst recht Ehre machen. Womöglich gingen die Überlegungen des Künstlers in diese Richtung. Michelangelo beschritt mit dieser Skulptur einen höchst ungewöhnlichen Weg, da er seit seiner Jugend kein Kunstwerk mehr für sich angefertigt hatte, und rückte sich damit ins Zentrum. Auslöser für die Idee könnten zwei schwere Erkrankungen gewesen sein, die ihn 1544 und 1546 heimsuchten. 15 Im Sommer 1544 erkrankte Michelangelo so schwerwiegend, dass man um sein Leben fürchtete. Luigi del Riccio brachte ihn in das Haus der Strozzis, pflegte ihn dort und ließ ihn vom besten Arzt Roms behandeln, sodass er genas. 16 Im Winter 1545/1546 erfolgte eine zweite schwere Erkrankung, im Zuge derer er die Beichte ablegte, die Kommunion empfing und Luigi del Riccio sein Testament diktierte, später jedoch auch wieder genas. 17 Die Pietà nimmt zudem unter den unvollendeten

Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede auf Michel Angelo, S. 120. (Folgend zitiert: Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede) Michelangelos Vorschlag kann durchaus glaubwürdig sein, da er im Rahmen einer Stiftung stattfinden sollte, die als Gegenleistung vom kirchenansässigen Klerus das Beerdigungsrecht forderte. Diese Art von Tauschgeschäft zwischen Stifter und Geistlichkeit war in Florenz nicht unüblich. Allerdings mussten die Stifter dafür z.T. hohe Zahlungen leisten. Vgl. Kempers, B.: Kunst, Macht und Mäzenatentum. Unterkapitel „Die Stiftung einer Kapelle als Tauschgeschäft“, S. 218–221. 11 Davis, C.: Orazione, S. 37–38. Stimmt Varchis Aussage, so spricht hier ein souveräner Künstler. 12 Vasari an Leonardo am 18. März 1564. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_17.php?id=493&page=16&daGiorno=1&aGiorno=31&daMese =1&aMese=2&daAnno=1553&aAnno=1565&intestazione=&trascrizione=&segnatura=&bibliografia=&cerca=cerca&. 13 Vasari, G.: Michelangelo, S. 135. 14 Vasari, G.: Michelangelo, S. 117. Der Kardinal von Mantua gehörte zur Entourage Pauls III., als dieser Michelangelo 1534 in seinem Haus aufsuchte. 15 Irving Lavin nimmt an, dass sich Michelangelo nach der zweiten Genesung 1546 ernsthaft mit seinem eigenen Grabmal beschäftigte. Vgl. Lavin, I.: The Sculptor’s Last will and Testament, S. 18. 16 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 315. Im Juli 1544 setzt Michelangelo Leonardo über seine Genesung in Kenntnis und unterstellt dem Neffen für seine Reise nach Rom das Motiv auf eine Erbschaft: „Wisse, ich habe ein Testament der Art gemacht, dass Du an das, was ich hier in Rom besitze, nicht mehr zu denken brauchst.“ Frey, K.: Die Briefe, Nr. 98, S. 184. Der Wortlaut klingt wie eine Enterbung Leonardos, was die römischen Besitztümer angeht. 17 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 317. Am 9. Januar 1545 setzte Michelangelo seinen Neffen über seine weitere Genesung in Kenntnis. Vgl. Frey, K.: Die Briefe, Nr. 104, S. 190. Luigi del Riccio schickte ebenfalls einen Brief an Leonardo, um ihm die Umstände bzw. die Bedrohung der Erkrankung zu 10

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Die Florentiner Pietà

Werken Michelangelos eine Sonderstellung ein, da der Künstler wohl ursprünglich vorhatte, sie zu vollenden. 18 Weiterer Antreiber für diese Arbeit war der Wunsch, eine mehrfigurige Skulptur „ex uno lapide“ zu schlagen, was ein Topoi der klassischen Literatur über Kunst war, an dem sich die Bildhauer der Renaissance orientierten. 19 Für Irving Lavin ist die Pietà die erste multifigurale Gruppe seit der Antike, die aus einem Block gehauen wurde 20, womit Michelangelo ein weiteres Kräftemessen mit der Antike anstrebte. 21 Für Alexander Nagel wollte Michelangelo mit seiner Pietà die Antike übertreffen, da sie die christliche Antwort auf die Ideale der antiken Skulptur bietet. 22 Bemerkenswerter Zug an der Skulptur ist die Tatsache, dass die männliche und alle überragende Figur sein Konterfei trägt. Bei der männlichen Figur, die von hinten den toten Christus hält, so überliefert es Condivi, handelt es sich um Nikodemus. 23 Vasari bestätigt dies, da auch er von dem „aufrechtstehenden Nikodemus“ spricht und als weitere Personen der Figurengruppe eine der Marien und die

Mutter Gottes benennt. 24 Nach Irving Lavin war Michelangelo der Erste, der die Figur für ein Selbstporträt nutzte. 25 Benedetto Varchi erwähnt in seiner Leichenrede zwar die Skulptur, nennt aber nicht deren Namen. Stattdessen bezeichnet er sie als Kreuzesabnahme, vier Figuren von mehr als Lebensgröße. In maßloser Übertreibung behauptet er weiter, die Gruppe „wurde in seinem hohen Alter zu seiner Ergötzung vollendet.“ 26 Die Gruppe wurde eben nicht von dem Meister vollendet, sondern vom ihm selbst demoliert und dann aufgegeben. Hintergrund von Varchis Behauptung ist der Verklärungswillen Michelangelo gegenüber, da niemand im Auditorium die Aussage nachprüfen konnte.

8.4.2 Die Figurengruppe Die Florentiner Pietà ist eine Marmorgruppe, an der Michelangelo zwischen 1547 und 1555 arbeitete, die eine Höhe von 226 Zentimetern hat und sich heute im Museo del Duomo in Florenz befindet. 27

erklären. Michelangelo hatte ihm wohl alles diktiert, und zwar auch ein Testament. Zuvor hatte er die Beichte abgelegt und die Kommunion empfangen: „confessòssi et comunicòssi et ordinò il testamento quale io scri(ssi).“ Das Testament wurde nicht notariell beglaubigt, da Michelangelo genas. Vgl. Steinmann, E.: Michelangelo e Luigi del Riccio, S. 57. Vgl. https://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_26.php?id=246& daAnno=1546&aAnno=&Mittente=&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca= cerca& Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Appendix 34, S. 269. Leonardo reiste nach Rom, um sich über Michelangelos Zustand zu informieren und schrieb über den Genesungsfortschritt und die Rückkehr Michelangelos in sein Haus an seinen Onkel Giovansimone, Michelangelos Bruder. Vgl. Frey, K.: Die Briefe, S. 321. Del Riccios Motiv könnte es gewesen sein, Leonardo zu informieren, dass ein Testament bestehe. Es bleibt spekulativ, ob sich der Inhalt dieses Testaments von 1546 von dem erwähnten aus dem Juli 1544 unterschied. Offensichtlich lagen wohl zwei Testamentsentwürfe vor, wenn die Erklärung im Brief von 1544 nicht nur ein verbaler Zornesausbruch ohne Konsequenz, sprich eine pure Androhung war. 18 Hatfield, R.: The Wealth, S. 198. In diesem Zusammenhang führt der Autor an, dass Michelangelo bei etlichen unvollendeten Werken, die er hinterließ, von Anfang an eine Nichtvollendung intendierte oder er durch andere Umstände von der Vollendung abgehalten wurde. Vgl. ebd., S. 198–200. Daneben ist es nicht geklärt, warum Michelangelo das Sujet fünfzig Jahre nach der Pietà von St. Peter noch einmal aufnahm und um zwei Figuren erweiterte. 19 Lavin, I.: Ex Uno Lapide: The Renaissance Sculptor’s Tour de Force, S. 194. Die Integrität eines Marmorblockes wurde zum ästhetischen Ideal, quasi der ethische Imperativ nicht für das technische Können eines Künstlers, sondern auch für seine eigene Integrität. 20 Lavin, I.: The Sculptor’s Last will and Testament, S. 20. 21 Die Motivation liegt im Laokoon, der 1506 gefunden wurde. Michelangelo und Giancristoforo Romano stellten bei der Untersuchung des Laokoons fest, dass er aus vier Blöcken besteht. „Questa statua, che insieme co’ figliuoli, Plinio dice esser tutta d’un pezzo, Giovannangelo romano, e Michel Cristofano fiorentino, che sono I primi scultori di Roma, negano ch’ella sia d’un sol marmo, e mostrano circa quattro commettiture.“ Vgl. Bottari, G. G.; Tricozzi, S.: Raccolta di Lettere sulla Pittura, Scultura ed Architettura Vol. III, S. 475. Nach Irving Lavin kann dies nur von Experten festgestellt werden, da der Laokoon sehr geschickt nahezu versteckt zusammengesetzt ist. Er verweist darauf, dass die Figur sogar aus sieben Stücken besteht. Vgl. Lavin, I.: Ex Uno Lapide: The Renaissance Sculptor’s Tour de Force, S. 196. 22 Nagel, A.: Michelangelo and the Reform of Art, S. 202. 23 Condivi, A.: Michelangelo, S. 72. 24 Vasari, G.: Michelangelo, S. 135. „Er schuf darin einen toten Christus zu seinem Vergnügen und Zeitvertreib (…) Dieser vom Kreuz abgenommene Christus wird von der Madonna gestützt, während der aufrecht stehende Nikodemus zugleich mit kraftvoller Geste von unten mitanfaßt; dabei kommt ihm eine der Marien zur Hilfe, da sie die Kräfte der Mutter schwinden sieht, die ihn vom Schmerz übermannt nicht mehr zu halten vermag.“ 25 Lavin, I.: The Sculptor’s Last will and Testament, S. 19. Irving Lavin verweist darauf, dass es durchaus üblich war, dem Nikodemus oder dem Joseph von Arimathäa Züge eines real Existierenden zu geben, aber Michelangelo nutzte diese Figur erstmalig für ein Selbstporträt. 26 Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 119. 27 Wallace, W.: Discovering, S. 232. Siehe Abb. 56: Die Florentiner Pietà I [S. 356] und Abb. 57: Die Florentiner Pietà II [S. 357].

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Über die genaue Datierung des Arbeitsbeginnes an dieser Figur herrscht in der Forschung Uneinigkeit. 28 Die alles überragende Figur dieser Gruppe ist zweifellos Nikodemus, der mit der rechten Hand den toten Jesus aufhebt und stützt und mit der linken Hand die Mutter, die ihren Sohn links von ihm kniend ebenfalls stützt, hält. Die Mutter Gottes trägt in einer knienden Haltung das Gewicht ihres Sohnes und verleiht dieser Verbindung eine besondere Intensität, indem sie ihr Gesicht sanft an den Kopf ihres Sohnes schmiegt und so seinen Kopf stützt. Diese zärtliche und liebevolle Verbindung von Mutter und Sohn bekommt – trotz des Zustandes des Non-finito – eine ungewöhnliche Ausdrucksstärke. Mit der Entgegennahme ihres Sohnes verkörpert die Maria intensive Menschlichkeit und vor allem Mutterliebe. Sie greift ihm zur Unterstützung unter die linke Achsel. Insgesamt weist die Gruppe eine Linksdrehung auf, in der ein starker Ausdruck liegt. Die Linksdrehung akzentuiert somit die Gefühlsseite, die traditionell mit der linken Körperhälfte in Verbindung gebracht wird. 29 Nikodemus, der die leichte Rotation auslöst und diese Position hält, muss allein aufgrund seiner Körpersprache emotional involviert sein. Betrachtet man die Gruppe aus einer niederen Perspektive, so wird die erhabene Position des Nikodemus gewahr, der sich über Mutter und Sohn erhebt, und wie ein Beschützer und stiller Teilhaber mit emotionaler Beteiligung dieser Szene beiwohnt. Die angesprochene emotionale Beteiligung wird endgültig an dem Gesichtsausdruck des Nikodemus ablesbar. Er wirkt traurig, wehmütig und versunken, strahlt aber auch daneben Liebevolles und Dankbarkeit aus, Dankbarkeit dafür, dass er an der Szene teilhaben darf. In einer weiteren Funktion verleiht die Nikodemusfigur der Gruppe die nötige Statik, wirkt durch ihre Haltung dennoch unangestrengt, nahezu wie ein „Schutzmantel“ oder Schutzraum für den toten Herrn. Durch seine Hilfe wird Nikodemus auch zum Fels für Maria und Maria Magdalena und hat buchstäblich eine tragende Rolle. 30 Tragend ist vielleicht der Ausdruck, der diese Gruppe im Weiteren sinnvoll charakterisiert

bzw. beschreibt. Nikodemus kommt der knienden Maria Magdalena zu Hilfe, die die rechte Seite des Herrn trägt und den rechten Oberschenkel auffängt oder hält. Sie vollzieht diese Handlung mit ihrer rechten Hand. Mit der linken Hand hält sie sich entweder an Nikodemus’ Bein von hinten fest oder stützt sich dort ab. Folgt man der Köpersprache, ist zu konstatieren, dass sie so auch emotionalen Halt bei Nikodemus sucht. Der rechte Arm Christi liegt abgewinkelt hinter ihrem Kopf, um einen Berührungspunkt mit seinen Fingern an ihrem oberen Rücken zu finden. Sie selbst ist auch in ein Gewand gehüllt und trägt ein Haarband, das oberhalb der Stirn durch das Gesicht eines Puttos geschmückt wird. Die Figur der Maria Magdalena schaut aus der Figurengruppe heraus und ist an der intimen Zuwendung der drei anderen Figuren nicht beteiligt. Zentrum der Figur ist der tote Christus, der ohne jede Körperspannung niedersinkt und von den drei anderen Figuren, wie beschrieben, gehalten wird. Vasari lobt die Darstellung und besonders dessen unübertroffene Körperhaltung. 31 Sein sanftes und entspanntes nahezu lächelndes Antlitz zeigt keine Spur mehr von dem ertragenen Leid. Seinen Geist gab er in vollem Gottvertrauen in Gottes Hand, seinen Körper „vertraut“ er wichtigen und verlässlichen Menschen an, die ihn in seiner Schutzbedürftigkeit und Schutzlosigkeit tragen. Trotz der Anlehnung an die Mutter ist sein Haupt von einer göttlichen Strahlkraft umgeben. Der tote Christus stellt den anderen etwas in Aussicht, was ihnen durch Nachfolge zuteil werden wird und er explizit im Johannesevangelium sagt: „Ich bin die Auferstehung. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Und jeder, der lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben.“ 32 So ist zu konstatieren, dass Christus durch seine Anwesenheit und durch seine Aussicht, die er selbst formulierte, die anderen Figuren trägt. Der Körper hat selbst in seiner niedergesunkenen Haltung eine Art von Spannung, was an der Darstellung des linken Armes bzw. an dessen Muskeln zu sehen ist. Das rechte Bein Christi ist abgeknickt. Das linke

Cristina Acidini Luchinat datiert den Arbeitsbeginn auf 1549 oder ein wenig früher. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 267. Molcho, S.: Körpersprache, S. 95–96. Siehe Abb. 58: Die Florentiner Pietà III [S. 358] und Abb. 59: Die Florentiner Pietà IV [S. 359]. 30 Für Alexander Nagel hilft Nikodemus dabei, den gnadengebenden Kontakt zwischen Christus und seiner Mutter herzustellen. Vgl. Nagel, A.: op. cit., S. 208. 31 Vasari, G.: Michelangelo, S. 135. 32 Joh 11, 25–26. 28

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Bein fehlt, fehlt aber für die Optik bemerkenswerterweise nicht. 33

8.4.3 Das Material Dass die Figur aus Marmor besteht, ist unbestritten. Allerdings herrscht über die Herkunft des Materials in der Forschung Uneinigkeit. Der Marmor dieser Gruppe stammt nach Herman Grimm von einem Kapitell der enormen Säulen aus dem Friedenstempel in der Nähe des Forums. 34 Aus dieser Information ist ableitbar, dass der Marmor der bei weitem älteste Marmor gewesen sein muss, den Michelangelo jemals bearbeitete. Der Marmor, stammte er denn aus einem Kapitell, muss mehrere hundert Jahre der Witterung ausgesetzt gewesen sein, womit sich der Künstler zum Schluss noch einmal an eine schwierige Aufgabe begeben hat. Er wusste, wen er in diesem Block vor sich hatte, kannte er durch den David die schwierige Arbeit an einem Marmorblock, der 40 Jahre der Witterung ausgesetzt war. Die Beschaffenheit dieses Marmors würde auch einen Erklärungsansatz von Vasari bestätigen, warum Michelangelo diese Figuren später zerstören wollte. Der Stein habe viel Schmirgel gehabt, sei hart gewesen und habe Funken geschlagen. 35 Womöglich wurde der schwierige Arbeitsprozess an der Skulptur dem Bildhauer erst nach fast zehn Jahren richtig gewahr, sah unter Umständen aufgrund seines Alters seine physischen Grenzen und entlud aufgestaute Emotionen durch einen Angriff. Es ist auch möglich, dass Michelangelo die Unbeherrschbarkeit dieses Steins erkannte, er quasi in ihm seinen Meister gefunden hatte.

Für William Wallace steht hingegen fest, dass dies der massivste und schwerste Marmorblock war, den Michelangelo höchstselbst brach und nach Rom transportierte. Er bestätigt aber, dass die Florentiner Pietà die ambitionierteste und schwierigste Bildhauerarbeit war, die der Künstler je anfertigte. 36

8.4.4 Michelangelos Arbeitsweise Über die Arbeitsweise Michelangelos an der Skulptur sind verschiedene Aussagen nachweisbar. Die Biographen überliefern, dass Michelangelo zu seinem Vergnügen – nahezu täglich – an der Figur arbeitete. 37 Vasari sah ihn selbst daran arbeiten, als er ihn nachts besuchte, was Michelangelo aber nicht begrüßte. 38 Ein weiteres Zeugnis liegt in der Beschreibung des französischen Arztes und Reisenden Blaise de Vignère 39 vor, der Michelangelo im Jahr 1550 in seinem Haus am Macel de’ Corvi besuchte 40 und seine Beobachtungen festhielt. Die Beschreibung Vignères ist in der Forschung beachtet, aus dem Französischen übersetzt und gedeutet worden. Es wurden so auch Rückschlüsse aus dieser Beschreibung auf den späteren Angriff oder Demolierungsversuch gezogen. Vignère beschreibt zunächst beeindruckt und eindrucksvoll die Arbeit des Meisters, der über 60 Jahre alt und dabei nicht sonderlich robust wirkend, innerhalb einer Viertelstunde mehr Marmorstücke aus dem Block herausgeschlagen habe als drei junge Steinmetze in drei oder vier Stunden geschafft hätten. Für Vignère sei dies unglaublich, wenn er es nicht gesehen hätte. Michelangelo ginge die Arbeit mit solcher „impétousité et furie“ an, dass er gedacht habe, das ganze

33 Bei der Betrachtung der Figur ist es wirklich auffällig, dass sie nicht inkomplett wirkt, obwohl das linke Bein fehlt. Die Gesamtkomposition leidet nicht darunter. Über das fehlende linke Bein liegen in der Forschung entsprechend Aufsätze vor. Z. B.: Steinberg, L.: Michelangelo’s Florentine Pietà: The Missing leg. Steinberg, L.: Michelangelo’s Florentine Pietà: The missing leg twenty years later. 34 Grimm, H.: Leben des Michelangelo Vol II, S. 379. Vgl. Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 328. „(…) s’era messo attorno ad un gran pezzo di marmo, che si dice essere stato in antico un capitello di una delle otto grandi colonne del tempio della Pace di Vespasiano, per cavarne un Deposto di croce.“ Zum Templum Pacis: Die große Anlage das sog. „Templum Pacis“ stammt aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. von den Flaviern und wurde nach einem Brand 192 n. Chr. unter Commodus später unter Septimus Severus wiederaufgebaut. Im fünften Jahrhundert wurde der Tempel verlassen, da er neuerlich zerstört wurde. Vgl. Coarelli, F.: Rom – Ein archäologischer Führer, S. 133. 35 Vasari, G.: Michelangelo, S. 162. 36 Wallace, W.: Michelangelo, Tiberio Calcagni, and the Florentine „Pietà“, S. 86. In diesem Aufsatz vertritt William Wallace auch den Ansatz, dass sich Michelangelo von dem Laokoon inspirieren ließ. Es lag für Michelangelo ein Anreiz darin, eine mehrfigurige Skulptur aus einem Block zu schlagen und dabei zu wissen, dass der Laokoon eben nicht aus einem Block bestand. Vgl. ebd., S. 84. 37 Vasari, G.: Michelangelo, S. 162. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 72. 38 Vasari, G.: Michelangelo, S. 211. 39 Mariette schreibt ihn in seinem Werk „Vignere“, S. 227. 40 Goldscheider, L.: Michelangelo, S. 22; Paolucci, A.: op. cit., S. 80; Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II, S. 273; Perrig, A.: Michelangelo Buonarrotis letzte Pietà-Idee, S. 46.

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Werk ginge in Stücke. Er habe auf seine Art Stücke von drei bis Finger Dicke herausgeschlagen, dass, wenn er auch ein wenig mehr abgeschlagen hätte, die Gefahr bestanden hätte, dass alles verloren gewesen sei, da man danach nichts mehr hätte reparieren können, wie man etwas bei Tonmodellen oder Stuckarbeiten reparieren könne. 41 Antonio Paolucci übersetzt das „impétousité et furie“ mit „Gewalt und Wut“, deutet die Arbeit als Zweikampf 42 und schließt hieraus auf den Zorn des Künstlers über das misslungene Bein. 43 Cristina Acidine Luchinat wählte als Übersetzung die Vokabeln „Kraft und Wut“ 44, beschrieb aber im Vorfeld die Arbeit am Marmor als ambivalent, da es hier zu einer direkten körperlichen Auseinandersetzung komme, die gewalttätig wie ein Ringkampf und lustvoll wie die Liebe sei 45, womit sie mit Antonio Paoluccis Deutung in einem Punkt übereinstimmt. Ludwig Goldscheider übersetzte die Vokabeln mit „energy and fire“ und wählt als Verb des Satzes „attacked“ 46, womit auch er ein Kampfmotiv unterstellt. Charles de Tolnay beschrieb in Anlehnung an Vignère den Vorgang als „impetuous furor“, woraus er ableitet, Michelangelo Spontaneität zu unterstellen, die aber nicht weiter spezifiziert wird. 47 Frank Zöllner und Christof Thoenes wählten als Übersetzung für besagte Formulierung „Feuer und Ungestüm“ aus. 48

Aufgrund der unterschiedlichen Übersetzungen kann diese Szenerie in zwei Richtungen ausgelegt werden: entweder kann sie als Kampf oder als eine ungestüme Herangehensweise eingeordnet werden. Folgt man allerdings den etymologischen Wörterbüchern, bezogen auf „impétuosité et furie“, könnte man Antonio Paolucci widersprechen und die Begriffe mit exzessiver (auch im Sinne von schnell) nahezu vernunftloser Leidenschaft und extremer bzw. entfesselter Lebendigkeit übersetzen. 49 Damit wäre dem Künstler eine potentielle Energie und künstlerisch emotionale Beteiligung attestierbar, aus deren gemeinsamen Quelle später auch der Angriff gespeist sein könnte. Friedrich Kriegbaum bietet in diesem Kontext eine ganz andere Deutungsvariante an: Michelangelo habe Vignère offenbar ein technisches Virtuosentum vorgespielt, das er durchaus beherrscht habe. 50 Durch Friedrich Kriegbaums Einschätzung bekommt die Szenerie eine andere Bedeutung; denn sie würde Michelangelo als einen Schausteller und nahezu künstlerischen Entertainer entpuppen bzw. entlarven, der höchstes Vergnügen daran fand, Besucher mit seiner Kunst zu verwundern und sich selbst daran zu belustigen. Für ihn eingeübte, sichere Hammerschläge, somit für ihn nichts Bedeutsames, wurden zu beeindruckenden Handlungen umfunktioniert und dienten der Imagepflege des großartigen Künstlers.

Mariette, J. P.: Abecedario de P. J. Mariette, S. 227–228: „(…) Vigenere ajoute: ßanffraßA ce propos, je puis dire avoir vu Michel-Ange, bien que âgé de plus de soixante ans, et encore non des plus robustes, abattre plus d’écailles d’un très-dur marbe en un quart d’heure, que trois jeunes tailleurs de pierre n’eussant pu faire en trois ou quartre, chose presque incroyable pour qui ne le verroit, et il y alloit d’une telle impétuosité et furie que je pensois que tout l’ouvrage dût aller en pièces, abattant par terre d’un seul coup de gros morceaux de trois ou quatre doigts d’épaisseur, si ric à ric de sa marque que, s’il eut passé outre tant soit peu qu’il ne falloit, il y avoit danger de perdre tout, parce que cela ne se peut plus réparer après, ni réparer comme les images d’argille ou de stuc.ßanffrbß“. 42 Paolucci, A.: op. cit., S. 80. 43 Paolucci, A.: op. cit., S. 81. 44 Acidine Luchinat, C.: Michelangelo – der Bildhauer, S. 8. 45 Acidine Luchinat, C.: Michelangelo – der Bildhauer, S. 6. 46 Goldscheider, L.: Michelangelo, S. 22 „And he attacked the work with such energy and fire (…).“ 47 Tolnay, C. d.: Michelangelo V, S. 9. „impetuos furor“ könnte man mit ungestümer, hefiger, rascher (impetuos), Raserei, Wut oder auch Bewunderung hervorrufend (furor) übersetzen. Charles de Tolnay spezifiziert den Begriff „spontaneity“ nicht weiter. Michelangelo wird vermutlich nicht unkontrolliert an der Figur gearbeitet haben. 48 Zöllner, F.; Thoenes, C.: Michelangelo, S. 356. 49 Roquefort, J.-B.-B.: Dictionnaire Ètymologique de la Langue Francoise Bd. I: „furie“ = movement impéteux, emportement de colère, impétuosité de courage, vivacité d’attaque, S. 352. Vgl. furie = impétuosité d’action, action rapide; passion excessive et deraisonnable http://www.littre.org/ definition/furie Dem Bericht Vignéres ist kein cholerischer Anfall seitens Michelangelos zu entnehmen, sodass man „furie“ positiv deuten kann. „impétuosité = rapidité, violence, feu, vivacité extreme, S. 437. Vgl. impétuosité = extreme vivacité http://www.littre.org/definition/imp%C3%A9tuosit%C3%A9 Gewalt wäre auch nicht unbedingt zu konstatieren, da bei einem Gewaltakt die Kräfte zu roh wären und eine unkontrollierte Handlungsweise herauskäme. Genau das passiert hier nicht, da Vignére es bewundert, dass eben nichts Unkontrolliertes geschieht, was auf das Können des Meisters schließen lässt. 50 Kriegbaum F.: Michelangelo – Die Bildwerke, S. 30. 41

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Grundsätzlich bleibt an der Szene bemerkenswert, dass Michelangelo älter war und immer noch so energiebeladen ans Werk ging. Gerade dieses Handwerk bedeutete ihm so viel, da er es bis vier Tage vor seinem Tod betrieb. Die Beschreibung Vignéres bezeugt wiederholt und eindeutig, dass Michelangelo sehr genau sein Gewerk beherrschte. Auch wenn der Künstler später Tiberio Calcagni sagt, er habe einen Hass auf die Figur entwickelt 51, muss das nicht zwangsläufig bedeuten, er habe mit Wut und Gewalt an ihr gearbeitet. Die Tatsache, dass er mit „impétousité et furie“ arbeitete, zeigt seine emotionale Beteiligung, die sich in heftiger Enttäuschung entlädt, als die Umsetzung nicht gelingt. Dass der Akt des Bildhauens, der auf hartem körperlichem Einsatz basiere, auch Enttäuschungen kenne, bestätigt Cristina Acidine Luchinat. 52

8.4.5 Das Johannesevangelium als Vorlage Wie bereits eingeführt, identifizieren beide Biographen die männliche Figur der Gruppe als Nikodemus 53, sodass Michelangelo nur das Johannesevangelium als Vorlage gedient haben kann, da Johannes als einziger Nikodemus in der Grablegeszene Joh 19, 38–42 erwähnt. Schon im dritten Kapitel spielt Nikodemus in einem nächtlichen Gespräch mit Jesus eine wichtige Rolle, da hier das ewige Leben bzw. die Wiedergeburt eines Greises thematisiert wird, was noch auszuführen ist. Die Wiedergeburt bzw. das ewige Leben war spätestens seit dem Jüngsten Gericht auch Michelangelos Thema. Umso konsequenter bleibt er dieser Frage auf der Spur und findet bei Johannes in der Figur des Nikodemus eine Antwort. Die synoptischen Evangelien erwähnen Nikodemus nicht, sondern sprechen alle-

samt von Joseph von Arimathäa (Mk 15, 42–47; Lk 23, 50–56; Mt 27, 57–66). Die Synoptiker erwähnen die Frauen, nicht aber die Mutter Jesu, während Johannes die Frauen unerwähnt lässt, ab Vers 38 (Joh 19, 38) aber von „Sie“ spricht und in den Plural wechselt. Damit wäre durchaus denkbar, dass Nikodemus bei der Kreuzesabnahme half bzw. den toten Leib von Joseph von Arimathäa in Empfang nahm, was die Figurenkonstellation bei Michelangelo erklären würde. Nikodemus, griechisch „Sieger des Volkes“ 54, ist derjenige, der nach Johannes Aloe und Myrrhe mitbringt (Joh 19, 39), um Jesus damit in Leinen zu binden (Joh 19, 40). Die wohlriechenden Kräuter dienten dazu, den Verwesungsgeruch der Leichen zu unterdrücken. 55 An zwei anderen Stellen des Evangeliums findet Nikodemus weitere Erwähnung. Er ist Pharisäer und Ratsherr (Joh 3,1), der Jesus nachts zum Gespräch aufsucht, da ruhige Gespräche zu solchen Zeiten üblich waren. 56 Es ist auch möglich, dass der Zeitpunkt des Gesprächs aus Furcht vor den Feinden Jesu innerhalb des Hohen Rates gewählt wurde. 57 Nikodemus hingegen akzeptiert Jesus als Rabbi und will von ihm lernen, da er meint, Gott sei mit ihm. (Joh 3, 1–2). Jesus belehrt in dieser nächtlichen Unterredung (Joh 3, 1–21) den Ratsherrn über das Reich Gottes und die Rettung der Welt durch den Sohn Gottes. 58 Die entscheidende Frage, die Nikodemus Jesus stellt, lautet: „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er ein Greis ist? Kann er etwa zum zweiten Mal in den Schoß seiner Mutter geboren werden?“ In dieser Frage könnte der Schlüssel zu Michelangelos Sujetwahl liegen, und zwar als Greis, der sich seiner Endlichkeit bewusst ist. 59 Er hat sich offensichtlich mit Nikodemus identifiziert, was allein schon durch sein Konterfei belegt ist. Nikodemus

Vasari, G.: Michelangelo, S. 163. Acidine Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 7. 53 Die Forschung hat im Laufe der Zeit Joseph von Arimathäa ins Spiel gebracht, da es sich bei dieser Gruppe auch um eine Kreuzesabnahme handeln könnte. Wolfgang Stechow diskutiert diese Frage „Joseph of Arimathea or Nicodemus“ in seinem Aufsatz, kommt nicht zu einer Lösung, scheint aber die Nikodemus-Variante zu präferieren, da er das Johannesevangelium mehr zu Rate zieht. Vgl. Stechow, W.: Joseph of Arimathea or Nicodemus, S. 463–476. Diese Diskussion ist obsolet, da sonst grundsätzlich Aussagen Vasaris und Condivis in Zweifel gezogen werden müssten. Sie sind die Kronzeugen, deren Aussagen zwar kritisch überprüft werden müssen, waren aber beide nah am Künstler. Warum sollten sie demnach hier nicht die Wahrheit sagen? Valerie Shrimplin-Evangelidis kommt zu einem ähnlichen Befund in ihrem Aufsatz. Vgl. Shrimplin-Evangelidis, V.: Michelangelo and Nicodemism: The Florentine Pietà, S. 60. Auf beide Biographen dürfte von daher Verlass sein. 54 Rienecker, F. (Hrsg.): Lexikon zur Bibel, S. 994. 55 Wikenhauser, A.: Das Evangelium nach Johannes, S. 336. 56 Rienecker, F. (Hrsg.): op. cit., S. 994. 57 Wikenhauser, A.: op. cit., S. 85. 58 Wikenhauser, A.: op. cit., S. 86. 59 Von einem Greis (vecchio) innerhalb der Gruppe spricht auch Vasari in dem bereits erwähnten Brief vom 18. März 1564 an Leonardo Buonarroti. 51

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setzt sich bei und mit Jesus mit einer elementaren Frage auseinander: Es geht um Sein oder Nichtsein im Glauben. Es geht um die Erlangung des göttlichen Heils. Es geht auch darum, über den Tod hinaus ein Kind Gottes zu bleiben. Nur derjenige kann am Reich Gottes teilhaben, wenn er ein neuer Mensch wird, „von neuem geboren wird“ 60, oder wie es im Johannesprolog schon angekündigt ist, „von Gott geboren“ (Joh 1,13) ist. Dahinter steht in Nikodemus’ und Michelangelos Fall die Angst vor der Endlichkeit, vor der Vergänglichkeit und vor allem die Frage des Danach. In Michelangelo müssen demnach diese Gedanken manifest gewesen sein. 61 Im weiteren Verlauf der Unterredung sagt Jesus auch, dass nur derjenige, der glaube, durch ihn (den Menschensohn) ewiges Leben erhalte. Glaube wird so zur Möglichkeit für das ewige Leben: „Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn dahingegeben hat, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verlorengehe, sondern ewiges Leben habe.“ (Joh 3,16). Die Sendung des Sohnes und dessen Hingabe sind ein Zeichen der Liebe Gottes, was den Menschen zu einem reich Beschenkten macht, der die Aussicht auf Rettung hat. 62 Niemand möchte schließlich verlorengehen, für immer vielleicht im Reich der Verdammnis enden, ein Reich der Verdammnis, das Michelangelo selbst so drastisch im unteren Segment des Jüngsten Gericht darstellte. Jesus fährt in jenem Gespräch fort: „Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer nicht glaubt, ist schon gerichtet.“ (Joh 3,18). Ruft man sich die Worte auf dem Hintergrund des mächtigen Jüngsten Gerichts, Bilder, die der Künstler in sich trug und exponierte, ins Gedächtnis, dann wird die Intention der Gruppe klar: Nikodemus will von Jesus, obwohl er selbst Schriftgelehrter ist, eine Antwort, wie man gerettet werden bzw. ins Reich Gottes eingehen kann. Es geht darum, ein Zeugnis des Glaubens abzulegen. Es geht darum, gute Werke zu tun: „Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zum Licht, damit seine Werke offenbar werden, dass sie in Gott getan sind.“ (Joh 3,21). Einige Kapitel später im Johan-

nesevangelium vollzieht Nikodemus besagtes gutes Werk, da er Jesus vor dem Hohen Rat in dessen Abwesenheit verteidigt (Joh 7,50). Michelangelo adaptiert das gute Werk, indem er im Gewande des Nikodemus den Menschensohn in seinem Werk aufhebt und ihn stützt. Im Jakobusbrief wird dieses ebenso auf eine Formel gebracht: „Zeige mir deinen Glauben ohne die Werke, dann will ich dir aus meinen Werken meinen Glauben zeigen.“ (Jak 2,14). Joseph von Arimathäa bittet in allen Evangelien Pilatus um den Leichnam, in allen Evangelien ist er derjenige, der das neue Grab zur Verfügung stellt, um den Messias würdig zu begraben. 63 Dies wird als Akt der besonderen Pietas betrachtet, da solche Begräbnisse in einem unbenutzten Grab nur vornehmen und wohlhabenden Menschen vorbehalten war. 64 Somit revidieren die Anhänger Jesu – allen voran Joseph von Arimathäa – dessen Tod als Verbrecher am Kreuz und bezeugen so ihren Glauben und ihre Pietas. Aber Michelangelo wählt Nikodemus, da er derjenige ist, der eine Antwort auf Erlösung im konkreten Gespräch mit Jesus sucht. Diese „theologische Tiefe“ hat Joseph von Arimathäa so nicht, er ermöglicht dem Herrn zwar ein würdiges Begräbnis, aber den Glauben oder die Suche nach dem Glauben bekennt ausschließlich Nikodemus, so überliefert es zumindest Johannes. Es ist demnach zu folgern, dass der Künstler hier sein Glaubenszeugnis ablegt, ein Glaubenszeugnis, das mit seiner persönlichen Entwicklung und seinem Alter zu erklären ist. Es geht um Michelangelos Nähe zu Gott, um seine Frömmigkeit, um seine Angst vor dem Verlorengehen. Offensichtlich traf die Offenbarung Gottes in der Heiligen Schrift bei Michelangelo auf einen tiefen Glauben, so dass sie ihn zu dieser Figurengruppe inspirierte. Sein Glauben wird zum Tun, wird zum betenden Tun. Er wendet sich wieder der Frage zu, wie man aus der Zweiheit der Contemplatio und der Actio eine Einheit macht. Er führt hier – so kann man annehmen – das zusammen, was er kurz zuvor noch in den Figuren Rahel und Lea am Grabmal Julius’ II. getrennt dargestellt hatte. Vasari überliefert in der Erstausgabe der

Wikenhauser, A.: op. cit., S. 86. Vgl. Stechow, W.: Joseph of Arimathea or Nicodemus, S. 475: „Around flesh and imminent death, spirit and life, Michelangelo’s thoughts were circling again and again during the years in which the Florentine group itself was born, matured – and perished.“ 62 Wikenhauser, A.: op. cit., S. 90. 63 Wikenhauser, A.: op. cit., S. 336. Vgl. Schmid, J.: Das Evangelium nach Lukas, S. 352. 64 Schmid, J.: Das Evangelium nach Markus, S. 309. 60 61

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Viten, dass er nach Rahel und Lea an dieser Gruppe die Arbeit begann. 65 Von daher wäre der Gedankengang von einer Zwei-Einheit durchaus legitim. Irving Lavin entwickelt einen Gedanken, der sich in anderer Hinsicht als eine Zwei-Einheit darstellt. Seiner Meinung nach ist die Skulptur mehrdeutig, da sie eine Beweinung und eine Grablegung fusioniere. Denn wenn man sich vorstelle, dass Christus nicht nur in sein Grab, den Altar, sondern in das Grab Michelangelos sinke, dann werde offensichtlich, was Künstlerdasein und Tod für ihn bedeute. 66 Diesem Ansatz zu Folge wäre es denkbar, dass Michelangelo versuchte, sein Eingehen in Gottes Herrlichkeit anders darzustellen. Es ist auch zu anzunehmen, dass er mit der Gruppe einen bildhauerischen Zyklus zum Abschluss bringt. Die Mutter Gottes mit dem Kind oder dem Sohn ist ein Sujet, das er variierte und am Anfang seiner Karriere stand. Der auferstandene Christus war schon geschaffen. Die Grablegung fehlte ihm bis dato noch. Von daher ist hier die konsequente Umsetzung oder Vollendung einer theologischen Linie erkennbar, die, je älter er wurde, umso mehr verfolgte. Während hinter der Pietà von St. Peter der Wunsch nach einer hervorragenden künstlerischen Darstellung liegt, adaptiert der Auferstandene Christus einen antiken Helden, und die Florentiner Pietà wird zum persönlichen Glaubenszeugnis. Was auch für dieses Glaubenszeugnis sprechen könnte, ist die Tatsache, dass diese Pietà eine Arbeit Michelangelos war, die an keinen Auftrag gebunden war und die er aus sich selbst generierte. Condivi berichtet, dass die Figur eine Arbeit sei, „die er zu

seinem Vergnügen macht“ 67, was Vasari bestätigt. Er gibt auch an, dass diese Arbeit der Gesundheit Michelangelos zuträglich sei. 68 Später berichtet er, dass Michelangelo fast jeden Tag zu seinem Zeitvertreib an der schon erwähnten vierfigurigen Pietà arbeitete. 69 Condivi beschreibt sie zudem als „seltenes Ding“ und „eine der mühsamsten Arbeiten, die er bis jetzt gemacht hat (…)“. 70 Auch Vasari spricht von einem „mühevollen Werk, das in einzigartiger Weise aus dem Stein geschlagen wurde und wirklich göttlich ist.“ 71 Die Mühe, die er sich gab, hat ihn wohl auch emotional an sie gebunden, da er sie später zerstören wollte. 72 In seiner Erstausgabe der Viten berichtet Vasari schon mit weiser Voraussicht nach einem Exkurs zur Vollendung des JuliusGrabmales von einer vierfigurigen Gruppe, die er zu Hause aus dem Marmor geschlagen habe und einen vom Kreuz abgenommenen Christus darstelle. Man könne sich denken, dass dieses Werk, sofern es auf der Welt bleibe, alle anderen Werke überholen werde wegen der Schwierigkeiten, aus dem Stein so viel Perfektion zu schlagen. 73

8.4.6 Die Unvollendete: Angriff oder Aufgabe? Die Pietà blieb letztlich unvollendet, da der Künstler sie nach einem Demolierungsversuch aufgab. Vasari gibt u. a. darüber Auskunft, dass die Figur unvollendet blieb und Opfer vieler Missgeschicke wurde 74, um gegen Ende seiner Biographie zu berichten, dass der Meister die Figur zerschlagen habe. 75 Schon in einem früheren Teil dieser Biographie sagt er, dass Michelangelo die Figur in Stücke geschlagen habe, da der Stein Schmirgel ge-

„Cosí egli in breve tempodue figure di marmo finí, le quali in detta sepoltura pose, che mettono il Moisè in mezzo; e bozzato ancora incasa sua, quattro figure in un marmo, nelle quali è un Cristo deposto di croce.“ Vgl. Vasari, G.: Michelangelo Bonarroti Fiorentino, S. 948. 66 Lavin, I.: The Sculptor’s Last will and Testament, S. 19–20. Irving Lavin begründet seine Aussage damit, dass der Körper Christi so zur Schau gestellt wird wie in einer traditionellen Beweinung. Die vorangegangenen Darstellungen, in denen Nikodemus oder Joseph von Arimathäa Jesus frontal von hinten gehalten hätten, seien Grablegungen gewesen. 67 Condivi, A.: Michelangelo, S. 72. 68 Vasari, G.: Michelangelo, S. 133–134. 69 Vasari, G.: Michelangelo, S. 162. Alexander Perrig bezweifelt Vasaris Aussage der täglichen Arbeit an der Figur und hält diese für eine Gedächtnistäuschung. Vgl. Perrig, A.: Michelangelo Buonarrotis letzte Pietà-Idee, S. 54. 70 Condivi, A.: Michelangelo, S. 73. 71 Vasari, G.: Michelangelo, S. 135. 72 Vasari, G.: Michelangelo, S. 162. 73 „(…) e bozzato ancora in casa sua, quattro figure in un marmo, nelle quali è un Cristo deposto di croce; la quale opera può pensarsi, che se da lui finita al mondo restasse, ogni altra opra sua da quella superata sarebbe per la difficultà del cavar di quel sasso tante cose perfette.“ Vasari, G.: Michelangelo Bonarroti Fiorentino, S. 948. 74 Vasari, G.: Michelangelo, S. 153. 75 Vasari, G.: Michelangelo, S. 210. 65

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habt habe und er unzufrieden gewesen sei. 76 Die zerstückelte Pietà habe er Francesco Bandini geschenkt. Der Bildhauer Tiberio Calcagni habe von Michelangelo den Grund des Angriffs wissen wollen, den er selbst mit Druck zur Vollendung erklärte, den ihm sein Diener Urbino gemacht habe. Ihm sei während der Arbeit ein Stück aus dem Ellbogen der Mutter Gottes herausgebrochen, ein weiterer Haarriss hätte bei ihm Hassgefühle ausgelöst, sodass ihm der Geduldsfaden gerissen sei. Sein Diener Antonio habe Schlimmeres verhindern können, indem er ihn anflehte, ihm die Figur zu überlassen. Der Künstler gab sein Einverständnis, dass Calcagni die Figur wieder zusammenfügte und nach seinen Modellen vollendete. 77 Die Vollendung gelang nicht, da die drei beteiligten Personen starben 78, was innerhalb von drei Jahren geschah: Bandini 1562, Michelangelo 1564 und Calcagni 1565. 79 Ludwig Goldscheider sieht in dem Tod Calcagnis eine positive Wendung für die Pietà, da die hochpolierte und präzise geschlagene Maria Magdalena vor seiner Bearbeitung viel schöner gewesen sein müsse. 80 Der besagte Angriff auf die Pietà und die Beendigung der Arbeit an ihr werden in der Forschung sehr kontrovers diskutiert. Die Attacke auf die Pietà ist ungewöhnlich, da sie ein spätes Novum im Verhalten des Künstlers darstellt. Nach Vasari ließ er nur dann von einem Werk ab, wenn er einen Fehler im Material entdeckte und sich einen neuen Marmorblock vornahm. 81 Bettet man die Attacke jedoch in den Kontext der Verbrennung seiner Zeichnungen ein, ist sie vielleicht anders zu bewerten. Die Verbrennung von Zeichnungen betrieb der Meister zeit seines Lebens, wenn er mit ihnen unzufrieden war oder sie nicht zu gebrauchen gedachte. Wenn auch für Michelangelo nicht überliefert, so ist es doch eine für einen Künstler typische Verhaltensweise, dass er eine zuvor angefertigte Skizze dem Feuer übergibt, wenn er mit dem Entwurf un-

zufrieden ist. Es liegt zwar ein großer Unterschied zwischen dem Verbrennen eines Kartons oder einer Skizze und einem Angriff auf eine Marmorgruppe vor, aber der Akt an sich bzw. die Bereitschaft, dieses „zerstörerische“ Verhalten zu zeigen, war dem Künstler nicht fremd, was sich dann auf dieser Verhaltensebene manifestierte. So stellt auch Jürgen Schulz in seinem Aufsatz über das Non-finito fest, dass Michelangelo stets einen Revisionswillen während der Entstehung eines Werkes besaß, was gleichzeitig auch dessen Aufgabe implizierte, wenn der Wille oder Anreiz zur Vollendung fehlten. 82 Der fehlende Anreiz zur Vollendung ist vermutlich in Michelangelos Kreativität anzusiedeln. Kreativität ist ein spannungsgeladener und zuweilen auch grenzüberschreitender Akt, da eine Idee, basierend auf intrinsischer oder extrinsischer Motivation, sich entfalten will. Gelingt die Umsetzung, tritt Zufriedenheit ein; gelingt die Umsetzung nicht, wird die Arbeit fallen gelassen. Eine weitere Variante wäre das Umschlagen der kreativen Leidenschaft in eine destruktive Leidenschaft. Im Fall der Florentiner Pietà, die durchweg intrinsischer Motivation und somit dem Innenleben Michelangelos entsprang, scheint diese destruktive Leidenschaft den Meister erfasst zu haben, was einen ungewöhnlichen Angriff auf ein Marmorkunstwerk nach sich zog. Peter Rockwell kommt zu einem ähnlichen Befund und verweist, bezogen auf das Kunstwerk als weiteres Kriterium, auf Michelangelos vergebliche Geld-, Kraft- und Zeitinvestition. 83 Des Weiteren argumentiert er mit den künstlerischen Inhalten, dass Michelangelo dem Gesicht Mariens keine angemessene Größe oder Proportion verleihen konnte. Dies gelte auch für die unproportioniert wirkende Figur der Maria Magdalena, die im Vergleich zu den anderen Figuren kleiner wirke. Insofern könne dies das unglückliche Resultat der groben Behauung der Statue gewesen sein. Michelangelo habe viel-

Vasari, G.: Michelangelo, S. 162. Vasari, G.: Michelangelo, S. 163. Vasari erwähnt nochmals, dass Michelangelo Tiberio Calcagni die Pietà überlassen habe. Vgl. ebd., S. 187. 78 Vasari, G.: Michelangelo, S. 163. 79 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 267. 80 Goldscheider, L.: Michelangelo, S. 22. „When one sees what he did, one can only say that his death (Calcagni) was a good thing for the Pietà.“ 81 Vasari, G.: Michelangelo, S. 162. 82 Schulz, J.: Michelangelo’s unfinished Works, S. 373. Rab Hatfield spricht diese Möglichkeit auch an, dass Michelangelo ein Werk aufgab, wenn er das Interesse verloren hatte. Dieses Argument ordnet er klassifiziert er aber als schwach. Vgl. Hatfield, R.: The Wealth, S. 198. Alexander Perrig betont als Grund der Aufgabe Unzufriedenheit beim Künstler. Vgl. Perrig, A.: Michelangelo Buonarottis letzte Pietà – Idee, S. 69. 83 Rockwell, P.: The Carving Techniques of Michelangelo’s Pietà, S. 194. Peter Rockwells Untersuchung macht hauptsächlich eine Bestandsaufnahme zur Technik Michelangelos und des Einsatzes unterschiedlicher Meißel. Der Bildhauer habe sechs unterschiedliche Meißel für die Herstellung der Pietà gebraucht, deren Wirkung bzw. Spuren nachweisbar seien (S. 176–177). Siehe speziell Abbbildung 98. 76 77

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leicht etwas ausprobieren wollen, um dann wieder seine Meinung zu ändern. Entsprechend folgert Peter Rockwell, dass Michelangelo bei der Figurengruppe, nicht die „Figur im Stein sah“, sondern als Künstler arbeitete, der nach einer Form im Stein suchte. Letztlich habe Michelangelo hier mit einer Flexibilität und Freiheit gearbeitet, die bisher niemand in diesem Metier gezeigt habe. 84 Im Verlauf seiner Darstellung verwirft er Vasaris Aussage, der Marmor habe Defekte aufgewiesen, da die wissenschaftliche Untersuchung, die unter Jack Wasserman stattfand, belegt, dass der Marmor der vollendeten Teile eine hohe Qualität aufweise. 85 Johannes Wilde leitet den Angriff auf die Pietà aus einem Moment der Verzweiflung ab, der in dem fehlenden linken Bein Christi begründet liegt, das aufgrund von Fehlern im Marmor entfernt werden musste. Vasari berichtet vermutlich darüber, als er Michelangelo den nächtlichen Besuch abstattet. Dieser habe gerade an dem Bein der Christusgestalt gearbeitet, da er es abzuändern versuchte. 86 Nach Johannes Wilde stellte das einen Rettungsversuch dar, der sich weder als trag- noch ertragbar für den Meister manifestierte, da in letzter Konsequenz eine Nachbesserung mit fremdem Marmor an einer Figurengruppe als Tabu unter renommierten Künstlern gesehen wurde. Das Werk sei aus Verzweiflung von Michelangelo aufgegeben worden. 87 Jürgen Schulz argumentiert ähnlich, der zerstörerische Akt sei aus dem Willen des Künstlers entsprungen, da er die Figur nicht habe retten können. 88 Nach Jürgen Schulz liegen die Verletzungen an der Statue im Areal des fehlenden linken Beines, das Michelangelo aufgrund einer Fehlerhaftigkeit entfernte

und ergänzen wollte, um eine Rettung der Skulptur herbeizuführen. Allerdings widersprach eine zusammengesetzte Figur seinem Konzept der Integrität eines Marmorblockes und stellte folglich ein Debakel oder gar ein Verbrechen für ihn dar. 89 Jürgen Schulz’ und Johannes Wildes Ansatz unterstützend sei hier bemerkt, dass Michelangelo die Figur möglicherweise wirklich retten wollte und die Ergänzung des Beines in Betracht zog. Während des Rettungsprozesses oder -versuches entwickelte sich in ihm dann die Erkenntnis, dass er eine Ergänzung nicht ertragen konnte. Hier sei einmal explizit auf den Prozess hingewiesen, in dem sich Michelangelo befand. Die Arbeit an einer Lösung und die Überlegung, wie er zu verfahren hat, versetzten den Künstler vermutlich in einen Spannungszustand und lösten weitere Wahrnehmungen und Emotionen aus, die so schwer wiegten, dass die Figur aus Verzweiflung am Scheitern angegriffen und später aufgegeben wurde. Der künstlerische Anspruch an sich selbst war höher als ein Kompromiss. Vermutlich setzte sich diese innere Klarheit erst beim Vollzug bzw. der konkreten Arbeit durch. Betrachtet man ein Kunstwerk als einen Prozess, der auch, wie es Jürgen Schulz bezogen auf Michelangelo herausarbeitet 90, einer Revision unterliegt, geht ihr eine Überlegung voraus, die sich während des Vollzugs weiterentwickelt oder verändert, da die Überlegungen jetzt sichtbar werden. An dieser Stelle des Sichtbarwerdens ist erst die restlose Verifikation oder Falsifikation eines Schrittes ermittelbar, was weitere (innere) Reaktionen auslöst, die sich dann emotional entladen und selbst in Destruktion entladen können.

Rockwell, P.: op. cit., S. 194–195. U. a. zur Figur der Maria Magdalena, Vgl. Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II, S. 277. Rockwell, P.: op. cit., S. 194. 86 Vasari, G.: Michelangelo, S. 211. Vasari benennt nicht, um welches Bein es sich handelt. Es muss hier spekuliert werden, ob es das linke Bein war. 87 Wilde, J.: Six Lectures, S. 181–182. 88 Schulz, J.: op. cit., S. 369. 89 Schulz, J.: op. cit., S. 369–370. Jürgen Schulz betont, dass eine zusammengesetzte Skulptur in der Renaissance unüblich war und auf die Inkompetenz des Künstlers schließen ließ. 90 Schulz, J.: op. cit., S. 371. Auf dem Level der Ausführung revidierte Michelangelo auch seine Marmorwerke. Ausgehend von der Revision von Fresken (S. 369–370), folgend über die Revision von Marmorfiguren kommt Jürgen Schulz zu dem Schluss, dass Michelangelos Veränderungswille auf seinem persönlichen Einfallsreichtum basiere (S. 371). 84 85

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8.5 Deutungen 8.5.1 Tiefenpsychologische Deutung Robert Liebert betrachtet den Angriff aus psychoanalytischer Sicht und deutet ihn als einen verdrängten Konflikt aus der Kindheit, der mit der frühkindlichen Verlusterfahrung Michelangelos durch den Tod der Mutter zu begründen ist und der durch den Sterbeprozess Urbinos 91 reaktiviert wurde. Michelangelo hatte schlicht Angst, ohne ihn nicht leben zu können. 92 Der sterbende Urbino sei eine Art Stellvertreter für die verstorbene Mutter gewesen, der die verdrängten Gefühle der Wut und der Trauer des jungen Michelangelo wiederbelebte. Des Weiteren führt er an, dass Hinterbliebene gegen Sterbende eine Wut entwickeln, die einer Unterdrückung unterliegt und somit nicht entladen werden kann. Vermutlich zürnte Michelangelo, da Urbino ihn allein ließ, konnte seine Wut aber nicht gegen ihn richten. 93 Robert Liebert vollzieht bezogen auf Michelangelos Aussage, Urbino sei ihm mit dem Wunsch nach Vollendung der Gruppe lästig gefallen 94, einen Perspektivwechsel. Er vermutet, dass Urbino dem Meister mit der Fertigstellung der Gruppe nicht auf den Nerv fiel, sondern vielleicht die Vollendung der Gruppe vor seinem Sterben erbat, was den Bildhauer unter zweifachen Druck setzte: Er wollte den Wunsch des Gefährten erfüllen und wusste, dass am Ende dieses Erfüllungsprozesses ein Abschied anstand. In der Folge der Liebertschen Überlegung muss eine innerpsychische Spannung in Michelangelo vorgelegen haben. Robert Liebert verweist in diesem Kontext auch darauf, dass diese Gruppe für das eigene Grabmal vorgesehen gewesen sei, was noch

eine zusätzliche Dynamik in die Seele des Meisters gebracht habe. 95

8.5.2 Jane Kristofs Ansatz Jane Kristof eröffnet mit ihrem Aufsatz ein ganz anderes Feld, das in Glaubensfragen angesiedelt ist. Sie bringt Michelangelos Pietà mit dem Nikodemismus in Verbindung, den sie als schwer erfassbares Phänomen beschreibt, hinter dem sich Gläubige verbargen, die sich äußerlich mit der katholischen Kirche identifizierten, sich innerlich aber den neuen lutherischen Lehren zuwandten. 96 So zeichnet sie eine Linie von Juan de Valdes zum Zirkel von Viterbo um Kardinal Pole. 97 Hauptthema dieser Gruppe war die Rechtfertigung durch den Glauben allein, was man sich als eine in die katholische Kirche implementierte Lehre vorstellen konnte. Diese Inhalte wurden ab 1542 von der Kirche kritisch gesehen und ab 1547 mit dem Bann belegt, womit deren Anhänger in einen nahezu unlösbaren Konflikt gestellt wurden, der sich zwischen dem Anhaften an ihrer tiefen inneren Überzeugung und den Lehren ihrer Kirche bewegte. Damit geriet auch der Zirkel von Viterbo in den Fokus der Inquisition. 98 Vittoria Colonna, die dieser Gruppe angehörte 99, bildete zunächst das Verbindungsstück zwischen dem Künstler und besagtem Zirkel. Später folgte ihre Distanzierung von der Gruppe aus Angst vor Verfolgung durch die Inquisition, da sie nicht als Häretikerin gelten wollte. 100 Michelangelo blieb auch nicht unbeobachtet; ein Unbekannter unterstellte ihm in Form eines Briefes, selbst ein Häretiker zu sein. 101

Bei Urbino handelt es sich um Francesco di Bernadino d’Amadore da Casteldurante, der ab 1530 bis zu seinem Tod 1556 als einziger Diener für Michelangelo tätig war. Michelangelo betrauerte diesen Tod sehr. Nach Antonio Forcellino blieb Urbino, der seinen Namen von seinem Heimatort hatte, als Bildhauer und Maler ein „Stümper“. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 273. Volker Reinhardt beschreibt Urbino als „faul, frech, käuflich, dreist, arrogant und als Künstler absolut talentfrei.“ Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 303. 92 Liebert, R. S.: Michelangelo’s Mutilation of the Florence Pietà, S. 52. Es ist zu vermuten, dass Michelangelo unter lebenslangen Verlustängsten litt, die hier ihren Ursprung hatten und sich im Gewande des Geizes oder im Annehmen vieler Aufträge zeigten. 93 Liebert, R. S.: Michelangelo’s Mutilation of the Florence Pietà, S. 52. 94 Vasari, G.: Michelangelo, S. 163. 95 Liebert, R. S.: Michelangelo’s Mutilation of the Florence Pietà, S. 50. 96 Kristof, J.: Michelangelo as Nicodemus: The Florence Pietà, S. 171–172. 97 Kristof, J.: op. cit., S. 173–174. 98 Kristof, J.: op. cit., S. 175. 99 Kristof, J.: op. cit., S. 174. 100 Tolnay, C. d.: Michelangelo: Sculptor, Painter, Architect, S. 114. 101 Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo II, Appendice, Nota, S. 500: „Nel medesimo mese si scoperse in Sto. Spirito una Pietà (…) che lorigine veniva 91

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Deutungen

In der Folge ihres Aufsatzes referiert Jane Kristof über den Einfluss der Spirituali auf Michelangelos Gedichte und dessen Kunst. Dazu führt sie Leo Steinberg an, der im Jüngsten Gericht eine „Merciful Heresy“ sehe. Peter Partner ordne die Paulinischen Fresken als die nachhaltigsten physischen Monumente der Spirituali ein. Die Florentiner Pietà, die in derselben Zeit entstand, führt die Autorin ebenfalls ins Feld. 102 Jane Kristof stellt den Ansatz vor, dass Michelangelo sich höchstwahrscheinlich unwohl unter dem Druck auf die Christenheit durch das Konzil von Trient 1547 gefühlt habe und deshalb dem Nikodemus sein Gesicht verlieh. Dieser Akt kann als Protesthaltung gegen die Kirche gedeutet werden, was Jane Kristof in ihrem Text zwar nicht explizit sagt, aber impliziert. 103 In letzter Konsequenz bezieht sie den Zerstörungsversuch nicht explizit auf ihren Ansatz, sondern benennt exemplarisch den Ansatz von Leo Steinberg und kommt zu dem Schluss, dass eine Summe von Gründen zu diesem Akt führte. 104 Sie schließt, dass Michelangelo sowohl extrem selbstkritisch als auch vorsichtig war und die Selbstdarstellung zu einer zunehmenden Belastung für ihn wurde. Vasari habe schließlich auch darüber berichtet, dass Michelangelo Hass auf die Figur entwickelt habe. 105 Der Ansatz von Jane Kristof gleicht einer Darstellung der Spirituali und Michelangelos Involvierung in diesen Kreis, der auf ihn Wirkung hatte. Dass Michelangelo aus Protest dem Nikodemus sein Gesicht verliehen haben soll, könnte sich aus ihrem Befund erschließen lassen, ist aber weniger überzeugend, da somit die persönliche Dimension viel zu kurz käme. Vor allem hätte die Autorin diesen

Befund als Grund für die Demolierung anführen müssen, was sie nicht leistet.

8.5.3 Shrimplin-Evangelidis’ Ansatz Valerie Shrimplin-Evangelidis vertritt einen ähnlichen Ansatz, dass Michelangelo sich mit der Selbstdarstellung als Anhänger des Nikodemismus präsentierte und aus Angst vor Entdeckung später die Figur zerstören wollte. Das Sujet der Gruppe – vierfigurig und Ablösung der Mutter Gottes durch Nikodemus als herausgehobene Figur – erhalte nach Valerie Shrimplin-Evangelidis eine besondere Position. 106 Die Identifikation Michelangelos mit Nikodemus habe ihn zu einer Selbstdarstellung veranlasst. Argumentativ untermauert sie ihren Ansatz mit dem Kontakt Michelangelos über Vittoria Colonna zu den Spirituali, dem in Viterbo ansässigen Zirkel um Kardinal Pole, Morone, Contarini, Bernado Ochino. 107 Ausgelöst durch Luther, gab es in der Katholischen Kirche Strömungen bzw. Reformer, die die Protestanten wieder in den Schoß der Kirche zurückführen wollten. 108 Ein Sympathisieren seitens der Reformer mit lutherischem Gedankengut war allerdings immer risikobehaftet, drohte ihnen doch die Einordnung als Häretiker. Die Spirituali, deren Mitglieder auch Nikodemisten genannt wurden, wollten zurück zu den alten, puren und durch das Mittelalter und die Renaissance verfälschten Formen des Christentums. Protestantisches Gedankengut wurde zwar akzeptiert, Reformen angestrebt, Rom wurde aber nicht der Gehorsam verweigert und somit eine Spaltung abgelehnt. 109 Mit der Gründung

dallo inventor delle porcherie, salvandogli larte ma non devotione, Michelangelo Buonarruoto. Che tutti i moderni pittori et scultori per imitare simili caprici luterani, altro oggi per la sante chiese non si dipigne o scarpella altro che figure da sotterrar la fede et la devotione; ma spero che un giorno Iddio manderà e sua santi a buttare per terra simile idolatre come queste.“ Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo: Sculptor, Painter, Architect, S. 144. Im Rahmen der Aufstellung der Pietà von Baccio Bigio stellte ein unbekannter Schreiber Michelangelo in die Ecke der Lutheraner. Das kann auf Bösartigkeit basieren, um ihm zu schaden oder einem wahren Kern entspringen. 102 Kristof, J.: op. cit., S. 178. Die Autorin führt in Fußnote 49 Peter Partners Buch „Renaissance Rom 1500–1559“ an. „No greater testimony can be imagined to faith in a saving grace given by God to man whose works are utterly inadequate to protect his personality from self-destruction.“ 103 Kristof, J.: op. cit., S. 180. 104 Kristof, J.: op. cit., S. 181. 105 Kristof, J.: op. cit., S. 181. Vasari in dem Kontext als Kronzeuge anzuführen, ist weniger überzeugend, da Michelangelo diese Aussage aufgrund eines Haarrisses tätigte, der im Marmor aufgetreten und ihn geärgert hatte. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 163. 106 Shrimplin-Evangelidis, V.: op. cit., S. 58–59. 107 Shrimplin-Evangelidis, V.: op. cit., S. 61. Bis in die vierziger Jahre des 16. Jahrhundert galten sie weder als Häretiker noch als Schismatiker und standen in Kontakt mit Paul III. 108 Shrimplin-Evangelidis, V.: op. cit., S. 61–62. 109 Shrimplin-Evangelidis, V.: op. cit., S. 62. Nikodemisten waren diejenigen, die Doktrinen anhafteten, die sich außerhalb der offiziellen Lehre befanden, und im Verborgenen mit dem Protestantismus sympathisierten, während sie nach außen Katholiken waren. Vgl. S. 62.

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Memoria in eigener Sache

des Sanctum Officiums im Jahr 1542 unter Kardinal Carafa kamen die Spirituali allerdings in den Fokus der Glaubens- und Kirchenhüter 110, was die Anhänger dazu zwang, ihre wahre Einstellung zu verbergen. 111 In der beschriebenen Atmosphäre schuf Michelangelo die Florentiner Pietà, was nach Valerie Shrimplin-Evangelidis nicht zufällig geschieht, hält sie gerade die Darstellung des Nikodemus für ein Sympathisieren mit den Nikodemisten und für ein Bekenntnis des Künstlers, Rechtfertigung nur durch den Glauben zu erfahren. Interpretiert man nach Valerie Shrimplin-Evangelidis diese Skulptur als Abbild der religiösen Überzeugung und des konvertierten Glaubens des Künstlers, führe dies zu dem Grund des späteren Angriffs. Mit der zunehmenden Verfolgung von Häretikern, dem Konflikt zwischen Kardinal Carafa und Kardinal Pole, der 1554 nach England zurückkehrte, und der Wahl Carafas zum Papst 1555 sei die Pietà für Michelangelo zu einer Belastung oder einer Gefahr geworden. Das Pontifikat Pauls IV. war schließlich von der Terrorherrschaft der Inquisition gegen die Häretiker geprägt. 112 Erschwerend kam der Augsburger Religionsfrieden hinzu, der die Koexistenz der Konfessionen fundamentierte und alle Hoffnung der katholischen Reformer, eine Spaltung zu verhindern, begrub. Die Summe der Ereignisse habe in Michelangelo Enttäuschung, Verzweiflung und Angst ausgelöst, die so zur Basis des Angriffs auf die Figur wurden 113, wobei er in letzter Konsequenz von der Inquisition unbehelligt blieb. 114 Auch Charles de Tolnay betont, dass Michelangelo wegen seiner Prominenz von der Inquisition unbehelligt blieb. 115 Diese kirchliche Kontrollinstanz bekam durch die Wahl Gian Pietro Carafas am 23. Mai 1555 neuen Aufwind und umfangreichere Kompetenzen. 116 Im Sommer dieses Jahres erfolgte ein Maßnahmenpaket drakonischer Strafen Shrimplin-Evangelidis, V.: op. cit., S. 63. Shrimplin-Evangelidis, V.: op. cit., S. 63–64. 112 Shrimplin-Evangelidis, V.: op. cit., S. 65. 113 Shrimplin-Evangelidis, V.: op. cit., S. 65–66. 114 Shrimplin-Evangelidis, V.: op. cit., S. 64. 115 Tolnay, C. d.: Michelangelo: Sculptor, Painter, Architect, S. 114. 116 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 365. 117 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 447. 118 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 513. 119 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 515. 120 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 508–509. 121 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 507. 122 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 511. 110 111

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gegen den Sittenverfall Roms. 117 Die Dominikaner erhielten im Juni den Auftrag, Irrlehrer ausfindig zu machen und gegen sie vorzugehen. 118 Im Juli erfolgte eine Bulle gegen die jüdische Gemeinde in Rom, die in Ghettos lebte und u. a. ihre Privatimmobilien an Christen verkaufen sollte. 119 Im Oktober erfolgte die Bestimmung über die Vorrangstellung der Inquisition vor allen römischen Behörden, die nebst ihren Beamten zur Unterstützung der Inquisition verpflichtet waren. 120 Ziel dieser Maßnahme war, der protestantischen Propaganda entgegenzutreten, was durch harte Strafen wie Gefängnis, Hinrichtungen und Einziehung der Güter des Hingerichteten gewährleistet werden sollte. 121 Im Oktober folgte die Erneuerung der Verordnung, dass Gotteslästerung vor die Inquisition gehöre. 122 Diese geschilderten Maßnahmen dürften Michelangelo nicht verborgen geblieben sein. Ob sie aber im Sinne von Valerie Shrimplin-Evangelidis ausreichten, die Figurengruppen zu attackieren, bleibt höchst fraglich. Ihre These wäre nur dann haltbar, wenn der Angriff sich auf den Kopf des Nikodemus gerichtet hätte, da Michelangelo so das „Hauptbeweisstück“ als Träger seines Konterfeis entfernt bzw. vernichtet hätte. Dies geschieht aber nicht. Er schlägt zwar auf die Figur ein, wird abgehalten und verschenkt die Figur, die auch in fremden Händen ihre Geschichte über seine vermeintliche Gesinnung erzählt hätte. Insofern ist der Ansatz von Valerie Shrimplin-Evangelidis nicht überzeugend. Wie Charles de Tolnay richtig feststellt, musste Michelangelo wegen seiner Prominenz keine Repressalien befürchten, da er Florentiner, an dem Cosimo I. höchstes Interesse hatte, und Architekt von St. Peter war. St. Peter sollte schließlich die steingewordene Kampfansage an den Protestantismus und Anspruch der Vorrangstellung der katholischen Kirche sein. Michelangelo war weder als „Stararchitekt“

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Deutungen

noch als Zeitzeuge des Baubeginns der Megabaustelle für Paul IV. verzichtbar. St. Peter genoss beim Pontifex absolute Priorität, was sich darin widerspiegelt, dass er kurz vor seinem Ableben am 18. August 1559 den Kardinälen neben der Angelegenheit der Kirche speziell die Inquisition und St. Peter anempfahl. 123 Jack Wasserman lehnt nicht nur die These von Leo Steinberg 124, sondern auch die von Valerie Shrimplin-Evangelidis ab und ordnete diese Argumentation als zu hypothetisch und tangential ein. Für ihn sind die Hinweise, die sie in den Briefen Michelangelos gefunden haben will, sich vor der Strömung in der Kirche zu fürchten, wenig überzeugend und zu vage. 125

8.5.4 Die Wasserman-Hypothese Jack Wasserman entwickelt selbst nach Abwägung verschiedener Ansätze die Hypothese, dass Michelangelo die Figur nicht zerstören, sondern gezielt umarbeiten wollte. Dazu führt er an, dass Michelangelo das rechte Bein Christi völlig in Takt ließ, wobei es einem Angriff hätte zum Opfer fallen müssen. Michelangelo habe den Torso nicht verletzt, sondern habe nur die Teile weggenommen, die ihm entfernenswert erschienen, und habe so kalkuliert und überlegt gehandelt. Die Entfernung der Glieder seien keinem spontanen Akt entsprungen; mit Bedacht sei darauf geachtet worden, den Kopf der Maria Magdalena nicht zu verletzen. So verweist Jack Wasserman darauf, dass Vasari eben nicht preisgibt, womit Michelangelo die Figur angegriffen habe, während moderne Historiker mögliche Werkzeuge benannt hätten, worunter der Hammer, der Vorschlaghammer oder die Spitzhacke falle. 126 In der Folge beruft sich Jack Wasserman auf die Ausführungen Peter Rockwells, der den

Nachweis erbringt, dass Michelangelo keine schweren Schlaggeräte für die Abnahme der Glieder benutzte, da Netzwerke von Mikrofrakturen am Stein fehlten, die man sonst hätte sehen müssen. Sie seien auch nicht später wegpoliert worden. 127 Daraus schlussfolgert er, dass Michelangelo in einer konzertierten und geplanten Aktion, Glieder abnahm, dabei aber den Kern des Blockes inklusive des rechten Beins erhielt, um aus der übriggebliebenen Statue oder dem Block eine neue Komposition zu schaffen. Als Beweis für seiner These wird die Überarbeitung der Pietà Rondanini angeführt, was Vasari überliefert. In diesem Zusammenhang wird die Aussage von Jürgen Schulz angeführt, dass die konstante Revision das nahezu universale Prinzip von Michelangelo auf den Ebenen der Planung und Ausführung gewesen sei. 128 Der Ansatz Jack Wassermans ist nicht uninteressant und wird durch die technisch erhobenen Daten untermauert. Die Annahme einiger Historiker, dass der Künstler schweres Werkzeug zur Demolierung der Statue einsetzte, wird durch den Befund Peter Rockwells nicht unterstützt. Die Frage, die sich bei dem Befund von Jack Wasserman stellt, ist, welche Veränderung Michelangelo an der Figur vornehmen wollte. Das virtuelle Modell (Tafel 45) zeigt die abgespreizten Glieder. So entsteht eine Art Dreieckskomposition, die nicht so klassisch und klar ist wie bei der Pietà von St. Peter. Was hätte Michelangelo aus diesem Block machen wollen? Er hätte die Figur signifikant verkleinern können, hätte dabei aber sehr ins fertige Werk eingreifen müssen. Wie hätte er Christus einen neuen linken oder rechten Arm geben sollen? Warum ließ er Maria Magdalena nahezu unverletzt, was auch für den Nikodemus gilt? Jack Wasserman führt an, dass an der linken Seite Mariens noch genügend Marmor gewesen sei, um Christus ein neues linkes Bein

Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 620. Wasserman, J.: Michelangelo’s Florence Pietà, S. 64. Vgl. Steinberg, L.: The missing leg, S. 346–347. Leo Steinberg verfasste einen Aufsatz über das fehlende linke Bein Christi. Jack Wasserman sieht nicht die fleischliche bzw. erotische Bedeutung durch das überhängende Bein Christi über den Schoß Mariens, den Leo Steinberg dort hineininterpretiert. Das überhängende Bein sei kein fleischliches Symbol für die Aktivität Christi, Besitz von Maria in Form einer Vermählung zu ergreifen. Diese Behauptung Leo Steinbergs ordnet Jack Wasserman als inakzeptabel ein. 125 Wasserman, J.: op. cit., S. 67. 126 Wasserman, J.: op. cit., S, S. 68. Für die Spitzhacke (steel pick-axe) nennt er als Referenz-Historiker Charles Heath Wilson. Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 527. „Dissatisfied with the group he shattered it with a steel pick-axe.“ 127 Wasserman, J.: op. cit., S. 68. Peter Rockwell unterstützt Jack Wasserman bei seiner Annahme und führt aus, dass bei der Annahme des Einsatzes von schweren Schlagwerkzeugen man eine zerschmetterte, pulverisierte oder eine eingebeulte Oberfläche in den Arealen der abgebrochenen Glieder hätte sehen müssen, was aber nicht der Fall ist. Daher geht er davon aus, dass Michelangelo den Punktmeißel benutzte, damit nahezu chirurgisch und somit pointiert an der Pietà gearbeitet hätte. Vgl. Rockwell, P.: op. cit., S. 188. 128 Wasserman, J.: op. cit., S. 68. 123

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zu geben, um ihn dann direkt zu Boden sinken zu lassen. Die neue Komposition hätte der Pietà Rondanini geglichen. Nach ihm ist Michelangelos Versuch der Veränderung durch weitere technische Probleme erschwert worden, die z. B. in den unzureichenden Dimensionen des Blockes, der übrig blieb, zu suchen sind. Er habe auch gerade bei Maria die Schwierigkeit gehabt, der Figur eine angemessene Proportion zu geben. 129 Der Künstler habe deshalb die Statue aufgegeben, da er weder mit Erfolg die intendierten Veränderungen noch seinen ursprünglichen Entwurf realisieren konnte. 130 Was Jack Wasserman nicht beachtet, ist die Tatsache, dass Friedrich Kriegbaum bereits 1940 den sogenannten Angriff auf die Pietà früher als er als Umarbeitungs- oder Änderungsversuch einordnete bzw. dechiffrierte. Michelangelo habe sie ändern wollen, um neue Motive aus ihrem Marmor zu gewinnen. Er sei schließlich der unübertroffene Meister geblieben, der aus scheinbar verhauenen Blöcken etwas Neues gestalten könne. Seinen Gedanken belegt Friedrich Kriegbaum mit der Umarbeitung der Pietà Rondanini. 131

8.5.5 Weitere Angriffsgründe Neben den hier vorgestellten Ansätzen ist ein bisher unbeachteter Faktor, der den Angriff auf die Pietà ausgelöst haben könnte, das Geld. Seit der Aufnahme Michelangelos unter die Familiaren und Ernennung zum obersten Architekten, Bildhauer und Maler des vatikanischen Palastes bezog er ein Jahresgehalt von 1200 Dukaten, wozu der Verdienst

des Passus Padi bei Piacenza gehörte. 132 Rab Hatfield erläutert die Einnahme des Künstlers aus diesen beiden Bereichen: Die sogenannte „provvisione“ im Wert von 1.183 Goldflorin sei aus der päpstlichen Schatulle und den Einnahmen dieses Passus bis 1547 geflossen. 1547 verlor die Familie Farnese nicht nur die Kontrolle über Piacenza an Karl V., sondern auch Michelangelo seine Rechte an diesem Passus. Sein Jahresgehalt belief sich so zwischen 573,60 Dukaten und 614,5 Goldflorin. Im Sommer 1548 erhielt er sogar zweimal eine doppelte Bezahlung von 95,60 Golddukaten für seine Arbeit. 133 Im Oktober 1548 bekam er einen Ersatz für den Passus Padi in Form des Notariats der Romagna, das immerhin 22 Golddukaten im Monat abwarf, und er auf ein Jahresgehalt von 837,60 Golddukaten oder 897,5 Goldflorin kam. 134 Nach Rab Hatfield bezog Michelangelo bis 1555 somit ein exzellentes Gehalt. 135 Unter Julius III. kam es zu Beginn des Pontifikates zunächst zu einer Zahlungsreduzierung an den Künstler, was er mit Bezug auf die Breven Pauls III. nachforderte, aber scheiterte. Julius III. bestätigte sein Jahresgehalt von 897,5 Goldflorin, was sonst für keinen anderen Architekten im 16. Jahrhundert nachgewiesen werden kann. 136 Daneben bestätigt besagter Pontifex das Motuproprio Pauls III. vom Oktober 1549 am 23. Januar 1552, dass auch er alles gutheiße, was Michelangelo bisher am Bau von St. Peter vollzogen, per Modell festgelegt habe, so dass er ihn als obersten Architekten für St. Peter bestätige. 137 Den Ricordi Michelangelos ist zu entnehmen, dass die Zahlungen im März 1555 stoppten, was mit dem Tod Julius’ III. zusam-

Wasserman, J.: op. cit., S. 70. Wasserman, J.: op. cit., S. 71. Jack Wasserman vermutet, dass der Stillstand oder das Patt Michelangelo dazu ermuntert, die Arbeit an der Pietà Rondanini wieder aufzunehmen. 131 Kriegbaum, F.: op. cit., S. 30. Besagter Autor explizierte seinen Gedanken nicht weiter, den er in nur wenigen Zeilen darstellt. „Zerstören“ heißt für ihn, wie gesagt, „ändern“. Friedrich Kriegbaums Formulierungen lassen Assoziationen zum David zu. Der David war ursprünglich auch ein verhauener Stein, aus dem Michelangelo etwas sensationell Neues schuf. Das Werk von Friedrich Kriegbaum erfährt in Jack Wassermans Untersuchung keine Verwendung. 132 Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 742–744. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. III, S. 743. Hatfield, R.: The Wealth, S. 159–161. 133 Hatfield, R.: The Wealth, S. 162. Über den Verlust der Einnahmequelle in Piacenza klagt er in einem Brief an Luigi del Riccio im Spätherbst oder November 1545, erklärt darin, dass er ohne Einkommen in Rom nicht leben könne und das bisschen, was er noch habe, er lieber in Wirtschaften zu verzehren gedenke, als in Rom wie ein Vagabund dazustehen. Vgl. Frey, K.: Die Briefe, Nr. 103, S. 189. Wie Rab Hatfield nachweist, übertreibt Michelangelo wieder massiv, was seinen Verdienst angeht. Angeblich nagt er wieder am Hungertuch. Dem Brief nach wollte er sogar eine Pilgerreise „zum Sankt Jago aus Galizien“ machen, wenn nichts dazwischenkomme. 134 Hatfield, R.: The Wealth, S. 164. Michelangelo erhält die 22 Golddukaten bis zum August 1555 aus dem Notariat. 135 Hatfield, R.: The Wealth, S. 163. 136 Hatfield, R.: The Wealth, S. 164. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 246. Ludwig von Pastor verweist darauf, dass 50 Scudi monatlich an Michelangelo gezahlt wurden. Siehe Anmerkung 4 als „solita provisione“ bezeichnet: „A m. Michelangelo Buonarotti scudi venticinque d’oro et venticinque di moneta per el mese passato.“ 137 Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 404–407. Vasari nimmt dies in der Michelangelo-Vita auf. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 148. 129

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Deutungen

menfällt. Der Verantwortliche für den Zahlungsstopp war Marcellus II. 138, der am 9. April 1555 zum Papst gewählt wurde 139, nur 22 Tage im Amt blieb und schon am 1. Mai 1555 starb. 140 Während dieses Kurzpontifikates sagte der Pontifex dem Pomp, dem Luxus und der Verschwendungssucht im Vatikan 141 neben dem Nepotismus den Kampf an. 142 Durch diese Sparpolitik wollte Marcellus II. die Finanzen des Heiligen Stuhls sanieren. 143 Sein Nachfolger Paul IV. nahm die von Paul III. eingeleitete Zahlung an Michelangelo nicht mehr auf und entzog ihm auch das Notariat der Romagna. 144 Dies verstimmte Michelangelo, worauf enge Freunde, allen voran Malenotti, beim Papst intervenierten, was aber scheiterte. 145 Rab Hatfield führt in seiner Darstellung einen Brief Malenottis an Leonardo Buonarroti vom 21. März 1556 an, in dem er äußert, Michelangelo ginge es bei der Verarbeitung des Todes von Urbino, über den er sich auch in den ersten Briefen des Jahres 1556 immer wieder

äußert, besser, wenn der Papst, der ihm bisher nichts zurückerstattet habe, wieder zur Zahlung zurückkehre. 146 Im April erhielt Michelangelo von Paul IV. ein Geschenk von 200 Golddukaten bzw. 214 Goldflorin und das Versprechen für einen Ersatz für das Notariat der Romagna. 147 Das Versprechen wurde nicht eingehalten, sodass Michelangelo bis 1560 wirklich ohne Gehalt an St. Peter arbeitete. 148 In diesen Kontext ist der Ansatz von Volker Reinhardt erwähnenswert, was Michelangelos Geldaffinität betrifft. Das Geld sei der Spiegel für dessen Reputation gewesen: Wer sich ihm gegenüber als knauserig oder geizig erweise, verweigere er ihm die Ehre. 149 Rab Hatfield kommt zu demselben Befund, dass Michelangelo zuweilen „gierig“, „aggressiv“ und ein perfekter „Geizkragen“ gewesen sei. 150 Es muss den Künstler ausgesprochen geärgert haben, dass die Zahlungen mit dem Tod Julius’ III. im März 1555 aufhörten. Er war seit nahezu 20 Jah-

Hatfield, R.: The Wealth, S. 165. Nach Ludwig von Pastor schätzten Michelangelo und Sangallo Kardinal Marcello Cervini, später Marcellus II., wegen seines Wissens über Architektur und Archäologie. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 338. Kardinal Cervini übte im Rahmen der Deputierten der Fabbrica di San Pietro Kritik an Michelangelos Geheimhaltung der Pläne von St. Peter und dessen Abrissmaßnahmen. Vgl. ebd., S. 247. In einer folgenden Unterredung im Beisein des Papstes, von der Vasari auch berichtet, weist Michelangelo u. a. Cervinis Kritik an der Beleuchtung der Apsis von an St. Peter zurück. Er gibt ihm den Rat, sich besser um die Bereitstellung der Gelder zu kümmern und ihm die Baupläne zu überlassen. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 152. Michelangelo wies den Kardinal bei dieser Begegnung massiv in die Schranken. Vielleicht war die Kürzung des Gehaltes als Papst eine späte Reaktion auf die Zurechtweisung als Kardinal. Volker Reinhardt stellt in der Michelangelo-Biographie in Aussicht, dass durch diese unsägliche Begegnung von Marcellus II. und Michelangelo Schlimmes zu befürchten sei. Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 337. 139 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 324. 140 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 354. 141 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 342. Marcellus II. verzichtete z. B. auf eine übertriebene Krönungsfeierlichkeit und ersparte so dem Heiligen Stuhl eine Summe von 20 000–30 000 Scudi. Er gewährte den Konklavisten weder Bitten und Gnaden noch Vorrechte. Luxus und Zahlungen für die Familiaren wurden ebenfalls eingeschränkt. Luxus war diesem Pontifex ein Übel. Vgl. ebd., S. 343. 142 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 346. Nach Volker Reinhardt war Marcellus II. der Vertreter der moderaten Fraktion, die dem Protestantismus gegenüber zu Zugeständnissen bereit war. Vgl. Reinhardt, V.: Pontifex, S. 554. 143 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 343. 144 Hatfield, R.: The Wealth, S. 165. 145 Hatfield, R.: The Wealth, S. 165. 146 Brief vom 21. März 1556: „Èssi riceuto la vostra insieme con la di Messere, quale si dette al solito recapito. Né altro mi occorre dirvi, se non che di cuore son vostro et Messere sta bene et quasi che gli si alenta la fantasia de l’Urbino. Et son certissimo, se si venissi a l’effetto che questo Papa gli restituissi niente del suo si scorderebbe in modo la fantasia de l’Urbino, che forse un’altra volta, quando torneresti qua, vi maraviglieresti.“ http:// www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_26.php?id=275&daAnno=1553&aAnno=&Mittente=Malenotti%20Sebastiano&Destinatario=&Luogo_ Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 147 Brief Malenottis an Leonardo vom 11. April 1556: „Hieri il Papa mandò 200 (scudi) d’oro a Messere et mandolli a dire che, poi che lui havea dato quel offitio di Romagnia, che non lo voleva torre a quel servitore suo, ma che lo rintegrerebbe in qualcosa meglio, et che stessi di buona voglia.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_26.php?id=278&daAnno=1553&aAnno=&Mittente=Malenotti%20Sebastiano&Destinatario=& Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&; Vgl. Hatfield, R.: The Wealth, S. 166. Mit der Auszahlung an Michelangelo durch Paul IV. dürfte eigentlich Valerie Shrimplin-Evangelidis’ These widerlegt sein, Michelangelo habe die Inquisition gefürchtet und deshalb die Pietà angegriffen. Wenn ein Eiferer wie Paul IV. Geld an einen potentiellen Häretiker zahlen würde, gäbe er sich der Lächerlichkeit preis, diesen später zu verfolgen. Wie sollte er einen solchen Irrtum der Christenheit als ehemaliger Vorstehende der Inquisition erklären?. 148 Hatfield, R.: The Wealth, S. 168. 149 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 85. 150 Hatfield, R.: The Wealth, S. XXV. 138

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Memoria in eigener Sache

ren an hohe regelmäßige Einkünfte gewöhnt, die ihm unangekündigt von einem Monat auf den anderen genommen wurden, was er beklagte. Nimmt man hier Bezug auf Volker Reinhardts Aussage, muss Michelangelo die Einbehaltung seiner „provvisione“ als massive Beleidigung empfunden haben. Obwohl er zu diesem Zeitpunkt schon sehr vermögend war, verweigerten ihm sowohl Marcellus II. als auch Paul IV. Ehre und Anerkennung. Michelangelo war in seinem Erleben nicht der Künstler, dem man einfach das Gehalt kürzt. Ab März 1555 musste der Star des Vatikans aber mit der unumstößlichen Tatsache leben, dass er keine Zahlung mehr erhielt. Ein erneutes Konklave konnte ihn hoffen lassen, was sich als Trugschluss erwies, da Paul IV. nach dem Kurzpontifikat von Marcellus II. auch nicht zahlte. Ergo muss es an dieser überaus vulnerablen seelischen Stelle Michelangelos gegoren haben. Der Brief Malenottis zeigt, dass er zweifellos über den Tod Urbinos klagte und dem Gefährten nachtrauerte, dass aber die Wiederaufnahme der Zahlungen an ihn Linderung bedeuten würde. Damit rangiert das Geld hier über einem Gefährten, womit die Aussage Volker Reinhardts, bezogen auf die Bedeutung des Geldes für Michelangelo, erneut Bestätigung erfährt. Wenn Malenotti dem Geld eine solche Bedeutung beimisst, dass es Michelangelo helfen würde, die Trauer zu überwinden, muss die Zahlungseinstellung im März 1555 in

ihm eine weitere ernstzunehmende Frustration ausgelöst haben. Hinzukommt, dass seit der Übernahme des Architektenpostens an St. Peter Michelangelo immer wieder die Kritik der Deputierten der Fabbrica di San Pietro über sich ergehen lassen musste. 1551 kam es erneut zu einer Attacke gegen den Architekten, die darin gipfelte, dass Julius III. das Motuproprio von Paul III. 1552 erneuerte, womit die Anfeindungen beendet waren. Trotz des Umgangs Michelangelos mit den Attacken stellten sie dennoch einen permanenten Stressfaktor für ihn dar. Volker Reinhardt scheut sich nicht, die Baugeschichte von St. Peter als eine Kriegsgeschichte zu bezeichnen, in der der erfahrene Künstler sich erfolgreich gegen die Deputierten durchsetzte. 151 Nichtsdestotrotz braucht ein „Kriegsschauplatz“ mit all seinen Ausläufern und trotz der päpstlichen Unterstützung Kraft, physische und psychische. Seit Mai 1551 wurde unter Julius III. eine Finanzkrise manifest, die den Bau von St. Peter erheblich erschwerte, indem die Zahlungen signifikant weniger wurden 152, was Michelangelo als Architekt auch regeln musste. Daneben gab es turnusmäßige Anfragen durch den Herzog von Florenz, den Künstler zur Rückkehr nach Florenz zu bewegen. In Summa war der alternde Meister mit zahlreichen Stressfaktoren konfrontiert, die er psychisch beantworten musste.

8.6 Zusammenfassung zur Pietà Der Angriff auf die Pietà, wenn er denn so stattgefunden hat 153, da ihn lediglich Vasari überliefert, ist nur durch die Vielzahl der Ereignisse erklärbar. Der Angriff könnte ein aus verschiedenen Quellen gespeister Zornesausbruch gewesen sein. Es ist zu vermuten, dass Michelangelo psychisch unter enormen Stress stand bzw. sich in einem psychischen Ausnahmezustand befand, da sich seine „Terribilità“ sonst nicht gegen die eigene Skulptur entladen hätte. Vermutlich war sie der einzige Blitzableiter, an dem er sich ohne große Konsequenzen abarbeiten konnte. Aufgrund der Konstellation konnte er

weder gegen eine Baukommission noch einen Menschen noch andere Umstände (dem Papst, Urbino, einen Herzog, gegen den Tod, der ihm Gefährten genommen hatte, seine Affinität für Geld, gegen sein Alter oder seine Ängste) wüten. Es blieb in diesem Fall nur die Skulptur, die sich in seinem geschützten Privatbereich befand. Vielleicht wurden alte Kindheitserinnerungen oder Wut an ihr noch einmal ausgelebt, die mit dem Tod der Mutter oder seinen Züchtigungen durch den Vater zusammenhingen. Vielleicht waren es Verlustängste. Vielleicht war es die Angst vor dem Sterben, wobei er den Tod

Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 317. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 248. Zwischen dem 1. Januar bis Mai 1551 wurden 121 554 Dukaten in das Projekt gesteckt. Die nächsten vier Jahre sollte nur noch die Hälfte der Summe investiert werden. 153 Peter Rockwell konnte keine Angriffsspuren im Mikrobereich nachweisen. 151

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Zusammenfassung zur Pietà

am Ende sehr demütig annahm. Vielleicht war er auch mit dieser Arbeit überfordert, da zum ersten Mal in seinem Leben ein Stück Marmor für ihn nicht richtig beherrschbar war. Vielleicht führte ihm der Block auch vor Augen, dass er selbst nicht alles leisten konnte und endlich war. Ein weiterer Gedanke in diesem Kontext lässt sich aus der Cappella Paolina ableiten. Fritz Baumgart und Biagio Biagetti schildern sehr eindrucksvoll das Erreichen der Grenze des Darstellerischen bei den Fresken der Cappella Paolina. Sie stellen fest, dass das Alterswerk Michelangelo eindrucksvoll und ausdrucksstark ist, aber dennoch auch Beschränkungen in der Ausdrucksfähigkeit des Künstlers hätte. Die besagte Grenze liege darin, dass die sinnliche Kunst in Form der Malerei und der Plastik die Visionen des Meisters nicht mehr auszudrücken vermochte. Die Visionen müssten letztlich der Sprache der Mystik oder dem schweigenden Glauben überlassen bleiben. 154 Es ist annehmbar, dass in diesem Gedanken

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auch ein Schlüssel für den Angriff auf die Nikodemus-Gruppe liegen könnte. Die hier betrachteten Jahre waren die vermutlich innerlich bewegtesten des Künstlers. Seine Kunst hatte in ihrem Ausdruck eine Verdichtung erfahren. Sein Glauben hatte sich verändert, hatte sich geschärft und war reifer geworden. Er selbst war schwer erkrankt, sah und spürte sein Alter; Todesfälle führten ihm die Endlichkeit vor Augen und erschütterten ihn. In der Konsequenz war sein Verständnis für das Leben und den Glauben ein anderes geworden. Dieses mystisch innere Geschehen wollte er zum Ausdruck bringen und konnte sein inneres Bild nicht zu seiner letzten Zufriedenheit exponieren. Die Diskrepanz zwischen dem inneren Bild und Erleben und dem tatsächlichen Ergebnis, das er mit seinen Augen sah, war schließlich zu groß. Der Angriff auf die Figur könnte somit auch als Angriff auf von ihm empfundene Unzulänglichkeit gedeutet werden.

Baumgart, F.; Biagetti, B.: Die Fresken des Michelangelo in der Cappella Paolina, S. 37.

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9 Cappella Paolina

Als Michelangelo die Arbeit an der NikodemusGruppe aufnahm, war er bereits an seinen letzten Fresken in der Cappella Paolina tätig. So liegt der Fall vor, dass Michelangelo gleichzeitig an zwei Kunstwerken arbeitete, während er auch St. Peter als Architekt leitete. Paolucci sieht in den Fresken der Cappella Paolina eine Hilfe, die Spiritualität Michelangelos zu verstehen. 1 Diese Spiritualität war, wie bereits eingeführt, ein wichtiges Moment in Michelangelos künstlerischem Ausdruck.

Michelangelos letzte Fresken in der Cappella Paolina waren eine Auftragsarbeit Papst Pauls III., mit der Michelangelo nach Vollendung des Jüngsten Gerichtes 1541 die von Antonio da Sangallo (der Jüngere) erbaute päpstliche Kapelle schmücken sollte. 2 Vasari beschreibt diese Kapelle als „anmutig, schön und wohl bemessen“ mit der Bestimmung als Aufbewahrungsort des Sakraments. 3

9.1 Die Cappella Paolina: Repräsentation und Reputation Die Cappella Paolina ist Teil des apostolischen Palastes und durch die Sala Regia mit der Sixtina, der „cappella magna“, verbunden. Sie trat an die Stelle der ursprünglichen „cappella parva“, die ebenfalls als Sakramentskapelle fungierte, unter Papst Eugen IV. (1431–1447) errichtet und von Papst Nikolaus V. (1447–1455) durch Fra Angelico ausgeschmückt wurde. 4 Im Rahmen der Umgestaltung des apostolischen Palastes, der unter anderem die repräsentative Ausgestaltung der Sala Regia und den Neubau der Sakramentskapelle vorsah 5, erhielt Sangallo der Jüngere den Auftrag, die kleine Kapelle zu errichten. 6 Die neue Kapelle wurde auf einem Gelände errichtet, das eigentlich für Neu-St. Peter vorgesehen war, so dass sich Sangallo an Alt-St. Peter orientieren musste 7, was wiederum eine Rückwirkung auf die Kapellengröße hatte. 8 Die Größe der Kapelle legte schließlich die Größe der zu bemalenden Wandfläche fest, die Michelangelo später

zu gestalten hatte, zumal die Seitenwände vermutlich erstmalig durch Marmorpilaster eine Einteilung erhielten. 9 Die Planung bzw. Baumaßnahmen wurden zwischen 1537 und 1540 durchgeführt, sodass am Fest der Bekehrung des Paulus am 25. Januar 1540 der Papst die neue Kapelle seinem Namenspatron weihte. Die Innenausstattung hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen. 10 Die neue Kapelle muss im Kontext der Umbaumaßnahmen im apostolischen Palast, basierend auf dem Programm Pauls III., betrachtet werden. Die Cappella Paolina gehört zu dem Ensemble Sala Regia und Sixtina, das unzertrennlich mit diesem Papst verbunden ist. Als zentrales Verbindungsstück zwischen der kleinen und großen Kapelle sollte die Sala Regia als Thronsaal für Empfänge mit dem Ziel fungieren, Gäste aus Italien und dem Ausland in Erstaunen zu versetzen. Während eines Konklaves sollte sie als Schlafplatz für die Kardinäle

Paolucci, A.: op. cit., S. 76. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 795. 3 Vasari, G.: Das Leben der Sangallo-Familie, S. 73. 4 Tolnay, C. d.: Michelangelo V, S. 136. 5 Frommel, C. L.: Antonio da Sangallos Cappella Paolina, S. 6. Hier sei erwähnt, dass Christoph Luitpold Frommel die Planung und Ausführung der Cappella Paolina sehr präzise und in extenso in dem zitierten Aufsatz ausführt. Eine weitere ansprechende Untersuchung zur Sala Regia und deren Bedeutung für die Selbstdarstellung des Papsttums in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts lieferte Angela Böck. 6 Frommel, C. L.: Antonio da Sangallos Cappella Paolina, S. 3. Paul III. stellte Sangallo aufgrund der räumlichen Begebenheiten vor schwierige Aufgaben, die durch den Architekten virtuos gelöst wurden. 7 Frommel, C. L.: Antonio da Sangallos Cappella Paolina, S. 14. 8 Frommel, C. L.: Antonio da Sangallos Cappella Paolina, S. 25. 9 Tolnay, C. d.: Michelangelo V, S. 137. 10 Frommel, C. L.: Antonio da Sangallos Cappella Paolina, S. 7. 1

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Liturgische Funktion der kleinen Palastkapelle

und auch sonst als Aufstellungsort für Prozessionen in die Kapellen dienen. Die Ziele des Pontifex waren, dass die Sala Regia die Macht und die transzendentale Herrlichkeit der Kirche, der Stadt Rom und der Familie Farnese repräsentieren sollte. 11 Die Repräsentation genoss beim Papst eine hohe Dringlichkeit, sodass er in der Fachliteratur als scharfsinniger Patron beschrieben wird, der sich zu Beginn des Pontifikats seiner Endlichkeit gewahr war und deshalb zügig seine Absichten mithilfe des Propagandamittels Kunst gekonnt und gezielt verfolgte. Hierbei wird ihm ein ausgeprägtes Gespür für die Auswahl der Künstler der einzelnen Vorhaben attestiert. Priorität bei dieser Auswahl hatte aufgrund seines ebenfalls vorliegenden Gespürs für Qualität die hohe Verlässlichkeit der Künstler. Sein fortgeschrittenes Alter war eine unumstößliche Tatsache 12, weshalb Verzögerungen nicht gewünscht waren. Hauptantreiber des Farnese Papstes war macht-

politisches und dynastisches Denken, das mit seinem theologischen Führungsanspruch als Pontifex einherging. Machtansprüche bedurften der Repräsentationsräume, die die Doppelbotschaft transportierten, dass der Pontifex maximus mit zwei Kapellen die theologische Macht – somit die Schlüssel des Himmels – besaß und dabei gleichzeitig wie ein weltlicher Fürst nahezu imperial (Sala Regia) residierte. Pietàs und Macht wurden verschränkt, um u. a. eine adäquate Antwort auf die Reformation zu finden. Die Sala Regia führte als Ausgangsort in die Kapellen, deren erstere die große Kapelle war, die über das Jüngste Gericht die kirchliche Deutungshoheit – Extra ecclesia nulla salus – liefert, und die kleine Kapelle, die das Konsistorium über die Apostelfürsten zur Pietàs und Verantwortung aufrief. Schon durch die Fresken der Apostelfürsten, speziell des Petrus, erhielt der Papst seine Legitimation als dessen Nachfolger.

9.2 Liturgische Funktion der kleinen Palastkapelle Die kleine Palastkapelle hat wie ihre Vorgängerin eine liturgische Funktion. Als Aufbewahrungsund Aufstellungsort des Sakraments stellt sie eine notwendige Ergänzung zur Sixtina dar, die über keinen Tabernakel verfügte. 13 Außerdem fanden in ihr sowohl das Konklave als auch die Gottesdienste der päpstlichen Familie statt. Die 40-stündige Anbetung der Eucharistie wurde hier ebenfalls durchgeführt. Dazu wurde ein mit brennenden Kerzen und Fackeln geschmücktes Gerüst errichtet, in dessen Mitte die Monstranz mit der Hostie platziert wurde. In der Osterwoche – vom Gründonnerstag bis Karfreitag – wurde das Heilige Grab errichtet. 14 Das hier stattfindende Osterbegräbnis evozierte die

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Präsenz Christi von seiner Grablegung bis zur Auferstehung. Am Gründonnerstag nach der Messe in der Sixtina trug der Papst in einer Prozession die konsekrierte Hostie in den Altar der Cappella Paolina und nahm dort eine symbolische Beerdigung vor. 15 Am Karfreitag wurde das Allerheiligste wieder für die Messe in der Sixtina zurückgebracht, um nach der Feier wieder bis zum Ostersonntag, dem Tag der Auferstehung, im Grab zu verweilen. 16 Neben der Funktion als Aufbewahrungsort des Sakraments diente die Kapelle als Ort des Skrutinums, während das Konklave in der Sala Regia stattfand. 17

Davidson, B.: The Decoration of the Sala Regia under Pope III, S. 397. Davidson, B.: op. cit., S. 397. Frommel, C. L.: Antonio da Sangallos Cappella Paolina, S. 11. Nesselrath, A.: Festlicher Glanz für die Meisterwerke der kleinen Palastkapelle, S. 23. Kuntz, M. A.: Mimesis, Ceremony, Praxis – The Cappella Paolina as the Holy Sepulcher, S. 61. Kuntz, M. A.: op. cit., S. 62. Nesselrath, A.: op. cit., S. 23.

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Cappella Paolina

9.3 Die künstlerischen Sujets Nach ihrer Neuerrichtung bedurfte die „cappella parva“ der Ausschmückung nicht zuletzt als Hommage an den Stifter. 18 Ein Brief des Papstnepoten Alessandro Farnese an den Bischof Marco Vigerio vom 12. Oktober 1541 belegt den Auftrag an Michelangelo über die Ausfertigung der Fresken 19, den er darüber klagend annahm. Michelangelo vollendete den Auftrag „unter großen Mühen, da die Malerei und insbesondere die Freskoarbeit keine Kunst für alte Leute sei, sobald sie ein gewisses Alter überschritten hätten.“ 20 Die Ausschmückung der Kapelle galt vornehmlich der Verherrlichung der Apostelfürsten 21 und stellt in Fresken die Kreuzigung Petri und die Bekehrung Pauli dar. 22 Nach der Erstausgabe der Viten Vasaris war neben der Bekehrung des Paulus zunächst eine Schlüsselübergabe geplant 23, die nicht realisiert wurde. Auf wessen Initiative diese Planänderung vorgenommen wurde, ist der Forschung nicht bekannt. Leo Steinberg vermutet, dass Paul III. die vorliegenden Sujets wählte, 24 was Charles de Tolnay auch für die Bekeh-

rung des Paulus attestiert. 25 Filippo Magi nimmt an, dass die Wahl Pauls III. auf die Bekehrungsszene als Devotion an seinen Namenspatron fiel oder dass diese Szene ein exzellentes Beispiel für die „grazia divina“ war, worüber in dieser Zeit kontrovers diskutiert wurde. 26 Darüber hinaus spiegelte für ihn die Kreuzigung Petri die Zeit wider, in der der Papst das Konzil von Trient 1545 initiierte, um gegen den Protestantismus den Primat Petri einzufordern. 27 Nach Arnold Nesselrath muss Michelangelo mit Paul III. intensiv diskutiert haben, da er ikonografische Details auswählte, die von den üblichen Darstellungsschemata abwichen. 28 Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass Michelangelo selbst eine Planänderung aus künstlerischen und persönlichen Gründen vornahm, die später noch erläutert werden sollen. 29 Dies wäre kein Widerspruch zu Arnold Nesselraths Ansatz. Ludwig von Pastor konstatiert, dass Paul III. an den Inhalten der Fresken nicht unbeteiligt war, da die Kapelle eine besondere Bedeutung als päpstliche Privat-, Sakramentskapel-

Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 796. Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 74. „L’opera, che V. S. fece col S. or Duca d’Urbino, perchè si contentasse di liberar et quietare messer Michelagnolo Buonarroti, siche potesse con ogni sicurtà attendere à seruire N. S.re maxime a dipingere questa sua noua capella, fu gratissima à S. Beatitudine (…).“ 20 Vasari, G.: Michelangelo, S. 132. 21 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 796. 22 Condivi, A.: Michelangelo, S. 72. Siehe Abb. 60: Bekehrung des Paulus [S. 360] und Abb. 61: Kreuzigung des Petrus [S. 361]. 23 „E finita questa, gli fu fatto allogazione d’un’altra cappella, dove starà il Sacramento, detta la Paulina, nella quale dipigne due storie: una di San Pietro, l’altra di San Paulo, l’una dove Cristo dà le chiavi a Pietro, l’altra la terribile conversione di Paulo.“ Vasari, G.: Michelangelo Bonarroti Fiorentino, S. 948. 24 Steinberg, L.: Michelangelo’s last paintings, S. 46. Leo Steinberg diskutiert, warum die Kreuzigung ein unübliches Sujet war und dennoch Eingang in die Paolina fand. 25 Tolnay, C. d.: Michelangelo V, S. 135. 26 Magi, F.: Nuovi aspetti michelangioleschi della Paolina, S. 585. 27 Magi, F.: op. cit., S. 588. Filippo Magi spricht hier von „eresia protestante“. 28 Nesselrath, A.: op. cit., S. 24. 29 Herbert von Einem nimmt auch eine Planänderung durch Michelangelo an. Vgl. Einem, H. v.: Michelangelos Fresken in der Cappella Paolina, S. 153. (Folgend zitiert: Einem, H. v.: Michelangelos Fresken) Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo V, S. 135. Charles de Tolnay vermutet, dass Michelangelo das Programm änderte und die historische Szene nutzte, um dem Inhalt eine symbolische und autobiographische Note zu geben. Filippo Magi räumt des Weiteren ein, dass die Kreuzigung dem Temperament des Künstlers entgegenkam. Vgl. Magi, F.: op. cit., S. 588. Peter Hemmer schließt einen Planwechsel auf Grundlage der religiösen Überzeugung von Michelangelo und Papst Paul III. aus, sondern begründet seinen Ansatz mit der programmatischen Schlüsselfunktion des Raumes auf dem Hintergrund des Konzils von Trient. Vgl. Hemmer, P.: Michelangelos Fresken in der Cappella Paolina und das Donum Iustificationis, S. 148. In der Folge stellt er seine These zum Bildprogramm zur Cappella Paolina mithilfe der Rechtfertigungsdiskussion auf dem Konzil von Trient vor. Die Konzilsväter erklärten, die Rechtfertigung sei die Verwandlung des Menschen von der Gottlosigkeit zur Frömmigkeit. Dem Menschen werde seine Schuld durch die Gnade erlassen. Dazu stellt Peter Hemmer den dreischrittigen Rechtfertigungsprozess vor. Der erste Schritt zur Rechtfertigung sei die aktive Nächstenliebe; der zweite Schritt sei der passive Übergangsprozess von der Ungerechtigkeit zur Gerechtigkeit. Der dritte Schritt sei die Frage, wie der Mensch, der der schon glaube und gesündigt habe, wieder gerechtfertigt werden könne. Vgl. ebd., S. 150. Der Autor schlussfolgert, dass das Fresko des Paulus die beiden ersten Schritte dargestellt: Paulus werde als Sünder durch die Bekehrung gerechtfertigt. Die Kreuzigungsszene zeige den dritten Schritt: Petrus sei der als gerecht Glaubende für seine Nachfolge auserwählt worden. Er sei zwar sündig geworden (Verleugnung des Herrn und Quo-vadis-Szene), aber dennoch reuig zurückkehrt, sodass er zu einem „conversus“ geworden sei. Vgl. ebd., S. 151. 18

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Ausführung der Fresken

le und Ort des Konklaves hatte. Dass das Martyrium Pauli nicht gewählt wurde, sondern dessen Bekehrung erklärt Ludwig von Pastor mit der Tatsache, dass Paul III. den Festtag der Bekehrung am 25. Januar in Sankt Paul vor den Mauern zu begehen pflegte. 30 Es ist daher anzunehmen, dass die Darstellung vermutlich auf den Wunsch des Papstes zurückging. Nach Ludwig von Pastor ist es wahrscheinlicher, dass rein künstlerische Überlegungen, eben nicht zwei Martyrien darzustellen, den Ausschlag für die Sujets gaben. 31 Grundsätzlich ist es aber nachgewiesen, dass Paul III. regen Anteil an der Entstehung der neuen Fresken nahm. 32 Durch sein Interesse würdigte Paul III. Michelangelo, dem er zeit seines Pontifikats mit Großzügigkeit, Vertrauen und Wohlwollen begegnete 33, und approbiert ihn erneut am 26. Oktober 1543 mit einem weiteren Breve, in dem explizit die Arbeit in der Cappella Paolina benannt wird. 34 Wegen des ungewöhnlich guten Verhältnisses zwischen Mäzen und

Künstler ist es denkbar, dass Paul III. Michelangelo in der Gestaltung der Kapelle teilweise freie Hand ließ. Die Visitenkarte Michelangelos war in diesem Fall zweifellos das Jüngste Gericht. 35 Wegen dieses Befundes ist zu vermuten, dass die Szene der Kreuzigung Petri auf Michelangelo selbst zurückgeht. Eine Schlüsselübergabe schien dem Künstler nicht attraktiv genug, da er bereits dieses Sujet im Jüngsten Gericht in umgekehrter Reihenfolge dargestellt hatte. Petrus gibt Christus einen goldenen und einen silbernen Schlüssel und somit seine Vollmacht an ihn zurück. 36 Des Weiteren lag bereits eine herkömmliche Schlüsselübergabe in doppelter Weise in der Sixtina vor 37, womit das dieses Thema hinlänglich bearbeitet war und wegfiel. Darüber hinaus bot die Übergabe der Schlüssel im Vergleich zu einer Kreuzigungsdarstellung weniger vielfältige Darstellungsmöglichkeiten bzw. Möglichkeiten, Figuren Dynamik zu verleihen, was Michelangelo bevorzugt tat.

9.4 Ausführung der Fresken Nach der Festlegung der Sujets fand die Freskierung wohl zwischen 1542 und 1549/ 1550 unter den Augen des Papstes statt. 38 Über die Reihenfolge der Ausführung der Fresken liegt keine dokumentarische Information vor. 39 Vermutlich begann Michelangelo mit der Bekehrung des Paulus, die 1545 voll-

endet wurde; im Anschluss daran entstand die Kreuzigung Petri. 40 Insgesamt verbrachte der Künstler sieben anstrengungsreiche Jahre in der Kapelle, in denen er im Juni 1544 ernsthaft erkrankte und sich im Haus der Strozzi in Rom zur Genesung aufhalten musste. 41 Der Arbeitsbeginn

Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 796–797. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 797. 32 Aus dem Tagebuch des Johannes Franciscus Firmanus geht am 12. Juli 1545 hervor, dass Paul III., nachdem ein Amtswechsel des Gouverneurs von Rom (Urbis guberantor) vorgenommen und der neue Amtsinhaber nach Hause begleitet wurde, in der Zwischenzeit die Kapelle aufsuchte, um die von Michelangelo gemalten Bilder anzuschauen. „(…) interim papa ivit ad videndum cappellam seu picturas factas per dominum Michaelemangelum.“ Aus: Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 399–400. Paul III. hatte auch bereits regen Anteil an der Entstehung des Jüngsten Gerichts genommen. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 78. Noch kurz vor seinem Tod am 13. Oktober 1549 stieg er auf eine Leiter, um den entstehenden Fresken nahe zu sein. Vgl. Gronau, G.: Zu Michelangelos Fresken der Cappella Paolina, S. 194. 33 Hier sei an das Breve vom 1. September 1535 erinnert. Vgl. Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 741 ff., Dokument 2. 34 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 78, Dokument 26. 35 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 784. Wie bereits dargestellt, durfte niemand zu Lebzeiten Pauls III. Hand an das Fresko legen, auch wenn es von Zeitgenossen kontrovers diskutiert wurde. 36 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 138. Ulrich Pfisterer weist berechtigt darauf hin, dass es zu einer erstmaligen Umkehrung der Bildtradition der „traditio clavium“ kommt. Vgl. Pfisterer, U.: Die Sixtinische Kapelle, S. 110. 37 An der Nordwand befindet sich die Schlüsselübergabe von Pietro Perugino. Sie ist ein Teil der im Auftrag von Sixtus IV. entstandenen Wandfresken. Vgl. Shearman, J.: Die Wandfresken des Sixtus IV., S. 45–46. Leo X. gibt 1515 bei Raffael zehn Kartons für Tapisserien in Auftrag, die den symbolischen Inhalt der Fresken in der Sixtina erweitern und in Brügge hergestellt werden sollten. Ein Wandteppich zeigt die Schlüsselübergabe. Vgl. Shearman, J.: Raffaels Tapisserien, S. 89–90. 38 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 797. Vgl. Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 16. 39 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 16. 40 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 17. 41 Forcellino, A.: Michelangelo – A Tormented Life, S. 230. 30 31

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Cappella Paolina

an der Bekehrung Pauli liegt vermutlich im November 1542, worüber ein Brief Michelangelos an Messer Luigi del Riccio Auskunft gibt. Einerseits spricht Michelangelo eine Verzögerung des Arbeitsbeginns an, da der Putz noch nicht trocken genug war, um ihn zu bemalen. Andererseits klagt er darüber, dass die Ratifizierung des Vertrages für das Juliusgrabmal ihm noch nicht vorliege. 42 Vom 24. Oktober 1542 stammt ein Brief Michelangelos, dessen Adressat verlorengegangen ist, der wieder die Ausmalung der Kapelle und das Ausbleiben der Vertragsratifizierung durch die Familie della Rovere für das Grabmal thematisiert. In einem langen Erguss klagt Michelangelo, sich nicht auf das Malen konzentrieren zu können, und jammert in der Folge darüber, dass er seine Jugend über die Bindung an dieses Grabmal verloren und ihn dieses obendrein in Armut gebracht habe. Er könne Papst Paul nichts abschlagen und werde daher (bezogen auf die Cappella Paolina) nur unzufrieden arbeiten und nur Nichtzufriedenstellendes herstellen. 43 Aus einem Brief Vittoria Colonnas vom 20. Juli 1543 geht hervor, dass der Künstler zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Ausmalung der Kapelle beschäftigt war 44, die im Jahr 1544 schon gut vorangeschritten war, was ein Brief Michelangelos belegt. Am 31. Dezember 1544 hatte ein Feuer das Dach der Sixtina heimgesucht, was auch die Cappella Paulina betroffen hatte. 45 Im Januar 1545 ging Michelangelo in einem Brief an Luigi del Riccio auf dieses Feuer ein und forderte eine schnellstmögliche Dachre-

paratur, da der Regen, die Fresken verderbe und die Wände schädige. Er bat Luigi, er möge sich um eine Lösung für dieses Problem beim Papst und dessen Kämmerer Aurelio Silvestri kümmern. 46 Die Forderungen des Meisters sind ein Beweis dafür, dass er seine Arbeit geschützt wissen und trotz mancher Unterbrechungen beim Freskieren keine Zeit verlieren wollte. Für das Freskieren attestiert Charles de Tolnay dem Künstler eine große Entscheidungsfreudigkeit und eine schnelle Hand beim Arbeiten. 47 Die eigentliche Anzahl der einzelnen Tagwerke ist bei den Fresken eher als gering einzuschätzen – bei der Bekehrung des Paulus liegen 85 Tagwerke 48 und bei der Kreuzigung Petri 87 Tagwerke vor 49 – was Verzögerungen aufgrund anderer Umstände nicht verhinderte. Die Verzögerung der Arbeit ist mit der Erkrankung des Künstlers im Jahr 1546, mit einer Verschärfung seines Nierenleidens in der Zeit zwischen September 1548 bis April 1549 und der Betroffenheit über den Verlust geliebter Personen – Luigi del Riccio November 1546; Vittoria Colonna Februar 1547; Paul III. November 1549 – zu erklären. 50 Die Vollendung der Fresken erfolgte im Jahr 1550 51, und zwar vermutlich mit der Frauengruppe in der rechten vorderen Bildhälfte. 52 Die Fresken in der Paolina sind von der Forschung hinlänglich beschrieben und analysiert worden. Aus diesem Grund sollen in der Folge nur neue Aspekte vorgestellt werden, was den Verzicht einer erneuten detaillierten Beschreibung der Fresken als Konsequenz hat.

Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 226, S. 26–28. Vgl. Barocchi, P.; Ristori, R.: Il Carteggio di Michelangelo Vol. IV, MI, S. 150–155. „(…) io non posso negare niente a papa Pagolo: io dipignerò mal contento et faro cose mal contente.“ Vgl. Barocchi, P.; Ristori, R.: Il Carteggio di Michelangelo Vol. IV, MI, S. 151–152. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 227, S. 24. 44 Hinderberger, H.: op. cit., S. 235. Vgl. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1008&daAnno=1543&aAnno=&Mittente=Colon na%20Vittoria&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 45 Michelangelo an Luigi del Riccio im Januar 1545. Siehe Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 246, S. 43. 46 „(…) per rispecto delle piogge, che non solamente guaston le picture, ma muovono anche le mura (…) però vi prego, o che parlando al Papa lo facciate intendere, o per via di messere Aurelio.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1044&daAnno=1544&aAnno=1546& Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=Del%20Riccio%20Luigi&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazio ne=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 47 Tolnay, C. d.: Michelangelo V, S. 76. Charles de Tolnay unterstreicht, dass diese Arbeit spirituell dominiert wurde. 48 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 49. 49 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 53. 50 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 53–54. William Wallace ergänzt die Liste der Todesfälle, die den Meister trafen und ihn auch einsamer machten, mit Pietro Bembo (1477–1547) und Jacopo Sadoleto (1470–1547), die beide 1547 starben. Vgl. Wallace, W.: Certain of Death, S. 7. 51 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 53. 52 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 56. 42 43

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10 Michelangelo und die Kreuzesdarstellung

Aufgrund der bisherigen Darstellung ist anzunehmen, dass Michelangelo die Kreuzigung Petri als Sujet wählte, da sie ein prominentes Thema war. Durch die verschiedenen apokryphen Schriften, Zeugnisse der Kirchenväter und die lange Petrusgrabtradition wurde die Kreuzigung des Apostelfürsten als Tatsache gesehen, die im Laufe der Zeit künstlerisch umgesetzt wurde. Die in Rom vorhandenen Darstellungen waren dem Künstler nicht unbekannt und befanden sich an exponierten Stellen, die er vermutlich aufsuchte. Die einzelnen Darstellungen bestanden aus Reliefs oder Bildern, die allesamt eine vollendete Kreuzesaufstellung mit dem daran hängenden Petrus zeigen. Bei den einzelnen Werken handelt es sich um die Bronzetüre am Mittelportal in der Vorhalle von Antonio Averlino, Filarete genannt, die unten rechts in einem Relief die Kreuzigung Petri zeigt, die in den Jahren zwischen 1433–45 geschaffen und von Papst Eugen IV. (1431–1447) bereits für Alt-St. Peter gestiftet wurde. 1 Das mächtige Ziborium aus Marmor, der Tabernakel von Sixtus IV., zeigte ebenfalls an der Frontseite des Altars ein Relief des Martyriums Petri. 2 Im Vordergrund stehen zwei Kinder mit einem Hündchen, links sind Soldaten zu sehen, von rechts kommen ebenfalls Soldaten zu Pferd dazu. Im Hintergrund sind rechts Posaunenbläser zu sehen. Nach Susanne Schüller-Piroli stehen vorne rechts

wenige trauernde Christen. 3 Philipp Fehl diskutiert in dem Zusammenhang den Kreuzigungsort Petri in Rom und ein weiteres Relief, das die Kreuzigung Petri zeigt, sich am Altar in Bramantes Tempietto befindet und dessen Künstler unbekannt ist. Die Darstellung zeigt trotz seiner verkleinerten Form eine große Nähe zum Altarziborium Sixtus’ IV. 4 Neben den Reliefs gab es zwei weitere Kreuzigungsszenen in Freskenform in Alt-St. Peter, die Michelangelo mit Sicherheit gesehen hatte, da er Alt-St. Peter kannte. Im nördlichen Seitenschiff entstanden im 12. oder 13. Jahrhundert unter den Päpsten Cölestin III. (1191–1198) oder Innozenz III. (1198–1216) Bilder über die Heiligen Petrus und Paulus. Im unteren Register waren die Enthauptung des Paulus und die Kreuzigung Petri dargestellt. 5 Im 13. Jahrhundert ließ Papst Nikolaus III. (1277– 80) den Portikus über den Bögen der Westseite mit Geschichten des Heiligen Petrus und Paulus verzieren. Dazu gehörten u. a. die Enthauptung des Paulus und die Kreuzigung des Petrus. 6 Maria Andaloro geht in ihrem Werk nicht weiter auf die Ausführungen der Kreuzigungsszenen ein. Philipp Fehl druckt in seinem Aufsatz eine Zeichnung der Kreuzigungsszene vom Portikus von Alt- St. Peter ab, die vermutlich von Domenico Taselli und aus dem Album von Giacomo Grimaldi stammt. 7 Diese Skizze zeigt auch ein bereits aufgestelltes Kreuz. Kreuzigungen im Vollzug waren Michelangelo

Thoenes, C.: Der heilige Raum der Basilika St. Peter, S. 36. Siehe Abb. 62: Die Kreuzigung Petri (Antonio Averlino, ‚Filarete‘) [S. 362]. Schüller-Piroli, S.: op. cit., S. 477. Eine Skizze dazu liegt in ihrem Buch vor. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. II, S. 580. In der Fußnote fünf gibt der Autor an, dass der Konfessionstabernakel wahrscheinlich 1475 errichtet wurde. Heute befindet sich das Relief im Archivio Storico der Fabbrica di San Pietro. Vgl. Thoenes, C.: Der heilige Raum der Basilika St. Peter, S. 39. Nach Christof Thoenes ist der Künstler Paolo Romano oder seine Werkstatt (1476–1470). Vgl. ebd., S. 39. Folgt man Susanne Schüller-Piroli handelt es sich um einen unbekannten Künstler, da Romano schon 1470 starb. Diese Aussage wäre durch von Ludwig von Pastor gestützt. Vgl. Schüller-Piroli, S.: op. cit., S. 477. Für Philipp Fehl ist der Künstler wohl Matteo Pollaiulo. Vgl. Fehl, P.: Michelangelos’s Crucfixion of St. Peter, S. 336. Interessanterweise zeigt die Aufnahme im Buch von Susanne SchüllerPiroli auf S. 365 ein unversehrteres Relief, was auch für Philipp Fehls Aufsatz gilt (S. 336). Die Aufnahme im Text von Christof Thoenes (S. 39) gilt dies nicht mehr. Dem Kind, das links unter dem Kreuz steht, fehlt hier der Kopf, der bei Susanne Schüller-Pirolis Bild noch vorhanden ist. Siehe Abb. 63: Tabernakel Sixtus’ IV. [S. 363], siehe Abb. 64: Kreuzigung Petri (Sixtinischer Hauptaltar) [S. 364], siehe Abb. 65: Kreuzigung des hl. Petrus [S. 365]. 3 Schüller-Piroli, S.: op. cit., S. 477. 4 Fehl, P.: Michelangelo’s Cruxifion of St. Peter: Notes on the Identification of the Locale of Action, S. 338. Luitpold Dussler ist der Meinung, dass sich Michelangelo über jede Lokalität in Rom hinwegsetzte, da er sie nicht darstellte, weil es ihm nicht wichtig erschien. Vgl. Dussler L.: Die Spätwerke Michelangelos, S. 118. Siehe Abb. 66: Die Kreuzigung Petri (Bramantes Tempietto) [S. 365]. 5 Andaloro, M: Die Kirchen Roms. Mittelalterliche Malereien in Rom 312–1431, S. 25. 6 Andaloro, M.: Die Kirchen Roms. Mittelalterliche Malereien in Rom 312–1431, S. 24. Siehe Abb. 67: Chronologie der Wandmalereien und Mosaiken in Alt-St. Peter [S. 366]. 7 Fehl, P.: Michelangelo’s Cruxifion of St. Peter, S. 328. 1

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Michelangelo und die Kreuzesdarstellung

nicht unbekannt, da sie schon durch Filippino Lippi in Florenz hinterlassen wurden. Eine der Kreuzigungen war die des Petrus in der Brancacci-Kapelle in der Florentiner Carmine-Kirche. 8 Die andere Kreuzigung war die des Apostels Philippus in der Strozzi-Kapelle in Santa Maria Novella. Vasari ordnet diese Fresken wegen ihrer bewegten Darstellungsweise als gelobte Erfindung der Kreuzigungsszene ein, bei der Vollstrecker aktiv das Kreuz mit dem daran hängenden Heiligen aufstellen. 9 Für Antonio Forcellino und Cristina Acidini Luchinat ist die Kreuzigung Petri Filippino Lippis die prominenteste Vorlage für Michelangelo. 10 Allerdings verfügt die Kreuzigung des Philippus über mehr Bewegungselemente und zeigt größere Anstrengung und Emsigkeit der Vollstrecker als die Kreuzigung des Petrus. Insofern wäre hier auch denkbar,

dass sich Michelangelo beider Lippischen Kreuzigungen erinnerte und eine Symbiose schuf. Aufgrund seiner Affinität für bewegte Darstellung wird ihm die Kreuzigungsdarstellung in der Strozzi-Kapelle vermutlich mehr entsprochen haben. In der Summe hatte der Meister genügende und verschiedene Darstellungsweisen der Kreuzigung gesehen, bevor er an seinen Entwurf ging, in dem er vermutlich die Elemente aus seinen Vorlagen übernahm, die ihm für seine Vorstellung passend erschienen. Orientierungen an der Antike scheint es auch gegeben zu haben, da wohl Teile der Trajanssäule für die Darstellung der Gruppe von Soldaten verwendet wurden. Für Einzelheiten von Helm, Schild und Lanzen könnten die spätantiken Mosaiken von Santa Maria Maggiore Pate gestanden haben. 11

10.1 Die Kreuzigung Petri Entgegen der Tradition, die den Künstlern in der Darstellung einer vollendeten Kreuzesaufstellung schon Schwierigkeiten bereitete 12, wählte Michelangelo eine innovative Anlage der Kreuzigungsszene. Er positionierte das Kreuz perspektivisch ins Bild und legte darauf einen sich aufbäumenden und ergrimmenden Petrus. 13 Frederick Harrt kommentiert, dass Michelangelo die heikle Szene durch seine großartige Erfindung auflöst, das Kreuz während seiner Aufstellung diagonal in den Raum zu legen, und somit eine Komposition mit überwältigender Einfachheit und Kraft zu schaffen. 14 Die Szene ist durch die fieberhafte Aufstellung des Kreuzes dynamisiert. Für Herbert von Einem ist gerade die Kreuzaufrichtung das Novum in der Kunst. 15 Das Kreuz mit Petrus und den daran arbeitenden Schergen werden zum dominierenden Zentrum des Geschehens. Im Gegensatz zu der Rotation des Kreuzes in der linken Lünette des Jüngsten

Gerichts ist hier die Bewegungsrichtung nach vorne ausgerichtet, womit das Kreuz in Richtung Betrachter sich aufrichtend zu bewegen scheint. Michelangelo verleiht der Szene damit eine besondere Bewegung, hebt jedes statische Geschehen auf, wie die Kreuzigungsszene Petri sonst gezeigt wurde, und bleibt seiner dynamischen Darstellungsweise aus der Sixtina treu. In diesem Kontext ist anzunehmen, dass die Darstellung des Kreuzes in der linken Lünette des Jüngsten Gerichtes eine Inspiration für das Fresko in der Paolina gewesen sein könnte. Der Künstler dreht das Kreuz Petri nur um 180 Grad und gewinnt so die gleiche Raumwirkung, wobei die Diagonale konsequent beibehalten wird. Der Gedanke dieser Adaption sollte erlaubt sein, da er die diagonale Anlage des Kreuzes schon früher umgesetzt und deren Raumwirkung in der Sixtina überprüfen konnte. Eine Orientierung am eigenen Werk ist auch für einen Michelangelo Buonarroti

Vasari, G.: Das Leben des Sandro Boticelli, Filippino Lippi, Cosimo Rosselli und Alesso Baldovinetti, S. 43. Vasari, G.: Das Leben des Sandro Boticelli, Filippino Lippi, Cosimo Rosselli und Alesso Baldovinetti, S. 54–55. 10 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 296–297. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo pittore, S. 360. Siehe Abb. 68: Die Kreuzigung Petri in der Brancacci-Kapelle [S. 367] und Abb. 69: Die Kreuzigung des Philippus [S. 367]. 11 Kleiner, G.: Die Begegnungen Michelangelos mit der Antike, S. 50–51. 12 Harrt, F.: Michelangelo Buonarroti, S. 126. 13 Tolnay, C. d.: Michelangelo V, S. 144. 14 Harrt, F.: Michelangelo Buonarroti, S. 126. Ferner sieht Frederick Hartt in dieser großartigen und einfachen Lösung den Ausgangspunkt für die letzten majestätischen Architekturprojekte Michelangelos. Vgl. ebd., S. 126. 15 Einem, H. v.: Michelangelos Fresken, S. 201. 8

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Die Kreuzigung Petri

nicht auszuschließen. Loren Partrigde beschreibt eindrucksvoll und nachvollziehbar den Aufbau innerhalb der linken Lünette im Jüngsten Gericht, die Rotation im Uhrzeigersinn innerhalb dieser Szene und deren Gesamtwirkung. Er betont dabei, dass das Kreuz von verschiedenen Engeln getragen und auch bewegt wird. Das Leidenswerkzeug Christi in Form des Kreuzes ist nach Loren Partridge Zeichen der Passion, gleichzeitig aber auch ein Sieges- und Hoheitszeichen Christi, der durch seinen Tod, den er überwand, die Menschheit erlöste. 16 Ruth Feldhusen sieht in der Aufrichtung der Leidenswerkzeuge (Kreuz und Säule) Triumphmale über dem Jüngsten Gericht. 17 Überträgt man den Ansatz Loren Partridges auf die Kreuzigung Petri, ist in dieser Szene auch schon die Überwindung des Todes angelegt. Das Kreuz Petri wird wie das Kreuz Christi zum Triumphmal über die Schergen und den Tod. Luitpold Dussler unterstreicht, dass es Michelangelo wichtig war, das Heils-Geschehnis in der Kreuzigung Christi darzustellen 18, womit die Übertragung von Loren Partridges Aussage über die Bedeutung des Kreuzes Christi in der Lünette der Sixtina auf die Kreuzigung Petri legitim wäre. Charles de Tolnay hingegen sieht die Inspiration für die Kreuzigung Petri in alten bzw. mittelalterlichen Darstellungen der Passion Christi. 19 Herbert von Einem stellt als weiteres Agens fest, dass Petrus trotz seiner Opferposition gleichzeitig ein Held sei, der sich in seiner tiefsten Erniedrigung aufbäume. 20 Die Bezeichnung Herbert von Einems für Petrus als „Held“ ist durchaus zutreffend. Petrus ist der Held des Freskos, als welcher er sich in den Evangelien zunächst nicht entpuppt. Die Evangelien überliefern keinen makellosen Helden, sondern einen in-

tensiven Menschen, der erlebt und erkennt, dass Jesus der Messias ist 21, der dem Knecht des Hohepriesters im Garten Gethsemane das Ohr abschlägt 22 und Jesus tatsächlich dreimal verleugnet, sich dieses Verhaltens gewahr wird und Tränen des Bedauerns darüber vergießt 23, um schließlich beherzt und energisch den Glauben zu verkünden und dem Auftrag als Menschenfischer nachzukommen. 24 Diese Intensität des Charakterkopfes und Menschenfischers Petrus vermag Michelangelo in dessen Blick am Kreuz aus dem Fresko heraus auf die Wand zu bringen. Der Meister hat diesem Blick eine besondere Bedeutung verliehen, da er Korrekturen vornahm, die ursprüngliche Position des Kreuzes und des Märtyrers veränderte und somit deren Wirkung verstärkte. Er wollte über und durch Petrus den Betrachter ins Geschehen hineinziehen. 25 Ob sich aber Petrus wegen seines energischen Blickes gegen sein Martyrium aufbäumt, ist in Zweifel zu ziehen, da die verschiedenen Quellen zu seinem Martyrium unterschiedlich Auskunft geben. In der Forschung herrscht allgemeiner Konsens darüber, dass die Quelle für die Darstellung die „Legenda aurea“ von dem Dominikaner Jacobus de Voragine aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts ist. Aus dieser ist zu erfahren, dass Petrus, als er zum Richtplatz gekommen sei, darum gebeten habe, mit den Füßen nach oben gekreuzigt zu werden, da er sich als unwürdig empfinde, wie sein Herr gekreuzigt zu werden. Seine Häscher seien seinem Wunsch entgegengekommen. Das Volk habe ihn befreien wollen, er habe es aber verhindert und darum gebeten, dass es seine Marter nicht verhinderte. Nach einer kurzen Ansprache habe er seinen Geist aufgegeben. 26 Die Legenda aurea gibt nur

16 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 40. Charles de Tolnay betont in seinem Werk, dass die Leidenswerkzeuge an die Tat der Menschheit, die sie an Jesus vollführte, erinnern sollte. Tolnay, C. d.: Michelangelo V, S. 43. Ruth Feldhusen deutet ebenfalls in dem Aufrichten von Kreuz und Säule die Gegenwärtigkeit der Passion. Vgl. Feldhusen, R.: op. cit., S. 77 Siehe Abb. 70: Das Kreuz als Leidenswerkzeug Christi [S. 368] und Abb. 71: Die Geißelungssäule als Leidenswerkzeug Christi [S. 368]. 17 Feldhusen, R.: op. cit., S. 77. „Hinter der Aufrichtung der Siegeszeichen Christi steht (…) die Aufrichtung des Tropaions zum Sieg.“ 18 Dussler, L.: Die Spätwerke des Michelangelo, S. 118. 19 Tolnay, C. d.: Michelangelo V, S. 144. 20 Einem, H. v.: Michelangelos Fresken, S. 201. 21 Mt 16, 16. Nach dieser Erkenntnis folgen die Primatsworte. Siehe Mt 16, 18–19; Lk 9, 20–21. 22 Joh 18, 10. Die synoptischen Evangelien überliefern nicht den Namen des Petrus, sondern lassen den Täter unbenannt: „einer von ihnen zog das Schwert (…)“. Siehe Lk 22,50; Mk 14, 47; Mt 26, 51. 23 Ankündigung Jesu. Siehe Lk 22, 34; Mk 14, 30; Mt 26, 34. Verleugnung Petri. Siehe Lk 22, 54–62; Mk 14, 66–72; Mt 26, 69–75; Joh 18, 12–27. 24 Mk 1, 17. 25 Nesselrath, A.: op. cit., S. 26. Als Befund der letzten Restaurierung liegen diese Korrekturen (pentimenti) vor. Siehe Abb. 72: Kreuzigungsgruppe aus dem Fresko der Kreuzigung Petri [S. 369] und Abb. 73: Petrus aus dem Fresko der Kreuzigung Petri [S. 369]. 26 Voragine, J. d.: Die Legenda aurea, S. 468–469.

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Michelangelo und die Kreuzesdarstellung

Auskunft über die umgekehrte Kreuzesposition und dass Petrus seine Marter nicht verhindert wissen

wollte. Bezogen auf das Fresko ist diese Auskunft allerdings weniger ergiebig.

10.2 Die Bedeutung der Petrusakten Die bisher unbeachteten Petrusakten sind hingegen etwas aussagekräftiger. Hier handelt es sich um apokryphe Schriften, die seit dem 2. Jahrhundert n. Chr. bekannt sind 27 und die die sehr spärliche Aussage des Johannesevangeliums über den Tod Petri ergänzen. 28 In der Ausgabe von Richard Lipsius und Maximilian Bonnet aus dem Jahr 1891 liegen sie in Form der „Acta Apostolorum Apokrypha“ in ihrer ursprünglichen griechischen und der übersetzten lateinischen Fassung vor. 29 Petrus ist in den Petrusakten während seiner Kreuzigung die beherrschende Figur. Er fordert an seiner Richtstätte, ihn mit den Füßen nach oben und dem Kopf nach unten zu kreuzigen, da er unwürdig sei, wie sein Herr zu sterben. 30 Im Folgenden strömt eine wütende Menge heran, die ihn befreien will. Der Apostel hält sie davon ab und erzählt die Geschichte, dass er den Herrn treffe, der ihm gebiete, ihm zu folgen, damit er ein zweites Mal gekreuzigt werde. Er habe ihm gesagt, er möge sich nicht fürchten, da Jesus ihn in das Haus seines Vaters führen werde. 31 Seine gelieb-

ten Söhne mögen seinen Weg nicht behindern, da seine Füße schon auf himmlischen Wegen wandelten. Sie sollten nicht traurig sein, sondern sich mit ihm freuen, weil er heute die Frucht seiner Mühen erreiche. Nach weiteren Worten schickte er schließlich seinen Geist aus. 32 In der deutschen Ausgabe von Wilhelm Schneemelcher, die sich auch an den Actus Vercellenses orientiert, wird noch ein weiterer Satz Petri überliefert: Er wolle nicht zögern und sich zur Richtstätte aufmachen. 33 Aus den Akten wird deutlich, dass Petrus sein Sterben am Kreuz und seinen tiefen Glauben bekennen wollte. Aufgrund der Wortwahl „emisit“ ist es sein Wille bzw. sein Wunsch, zu sterben. Eine Ergänzung zu den Petrusakten, womit man der Freskodarstellung wieder näherkommt, sind die gnostischen Akten des Petrus und des Paulus, die Richard Lipsius in seinem Werk „Die Quellen der römischen PetrusSage“ erwähnt und die noch in Überresten existierten. Er verweist hier auf einen Text bzw. Kommentar von Faber Stapulensis aus dem Jahr 1531, der

27 Lipsius, R. A.: Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden, S. 11. Adolf Harnack datiert die Petrusakten zwischen die Jahre 200–220 und geht davon aus, dass diese auf ältere Werke zurückgreifen. Vgl. Harnack, A.: Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius, 2. Band, S. 172. Wilhelm Schneemelcher datiert die ursprünglich griechische Version der Akten in das Jahrzehnt zwischen 180 und 190 n. Chr. Vgl. Schneemelcher, W.: Petrusakten, S. 187. Die Actus Vercellenses ist neben anderen wenigen Texten die bemerkenswerte Handschrift aus dem 6./7. Jahrhundert, die heute erhaltene Stücke der Petrusakten tradiert. Vgl. ebd., 183. Wilhelm Schneemelcher weist nach, dass die Existenz der Petrusakten bei Eusebius von Cäsarea (h. c. III, 3,2) bezeugt ist. Vgl. ebd., S. 177. In Eusebius (h. c. III 1, 2) erwähnt er den Genesis-Kommentar von Origenes, dem zu entnehmen ist, dass Petrus gefordert hatte, mit dem Kopf nach unten gekreuzigt zu werden. Daneben hat der Verfasser der Disdascalie auch die Petrusakten für sein Werk benutzt. Vgl. ebd., S. 178. 28 Joh 21, 18. Jesus sagt zu Simon: „Wahrlich, wahrlich, ich sage Dir: Als du jung warst, gürtest du dich selbst und gingest wohin du wolltest; wenn du aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken, und ein anderer wird dich gürten und dich dorthin führen, wohin du nicht willst.“ Diese Stelle wird von den Exegeten als Hinweis oder Weissagung für das Martyrium Petri gedeutet. Das Ausstrecken der Hände muss nicht zwingend auf den Kreuzestod anspielen. Erst durch die Erfüllung der Voraussage wurde klar, worauf Jesus anspielte. Der Märtyrer glorifiziert Gott, da er durch sein Sterben Zeugnis ablegt. Vgl. Wikenhauser, A.: op. cit., S. 351/352. Der Tod Petri war demnach dem Verfasser des Johannesevangeliums geläufig, sonst wäre diese Anspielung nicht darin enthalten. 29 Konstantin von Tischendorf publizierte bereits eine vollständig griechische Fassung 1849. „Acta Apostolorum Apokrypha“, Avenarius et Mendelsohn, Leipzig. 30 Lipsius, R.; Bonnet, M.: Acta Apostolorum Apokrypha: Folgend zitiert: Acta Petri 60, S. 171. „Petrus autem dum uenisset ad crucem ait: Quoniam dominus meus Iesus Christus de caelo ad terram descendens recta cruce sublimatus est (erhöht worden), me autem quem de terra ad caelum euocare dignatur, crux mea caput meum in terra debet ostendere, et pedes ad caelum dirigere: ergo quia non sum dignus ita esse in cruce sicut dominus meus, girate crucem meam. At illi uerterunt crucem et pedes eius sursum fixerunt, manus uero deorsum.“ 31 Acta Petri 61, S. 171. 32 Acta Petri 62, S. 173. „Et ideo, filioli, inpedire iter meum. iam pedes mei uiam caelestem ambulant. nolite tristari, sed congaudete mecum, quia hodie laborum meorum fructum consequor. (…) Et haec dicens emisit spiritum. Im griechischen Original drückt es der Autor noch präziser aus: „καί τοῦτο εἰπὼν παρέδωκεν τὸ πνεῦμα τῷ κυρίῳ.“ „Er schickt seinen Geist zu dem Herrn.“ Vgl. ebd., S. 172. 33 Schneemelcher, W.: Petrusakten, S. 219.

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Die Bedeutung der Petrusakten

noch Beachtung finden soll. 34 In paraphrasierter Form schildert Richard Lipsius die letzten Taten Petri in Rom, wozu auch die Begegnung mit dem Herrn „Quo vadis, domine?“, die Umkehr des Petrus nach Rom, gehört, sich entgegen dem Wunsch seiner Brüder mit Entschlossenheit kreuzigen zu lassen. Der Apostel kehrt zurück und wird zum Tode verurteilt. Nach seiner Verurteilung ermahnt er seine Brüder, seine Kreuzigung nicht zu verhindern. 35 Darauf gibt Richard Lipsius einen entscheidenden Hinweis: „Dann treibt er die Knechte zur Eile an und bittet sie, ihn mit den Füßen nach oben zu kreuzigen.“ 36 Nach einer kurzen Rede gibt er (Petrus) seinen Geist auf. 37 Offensichtlich will Petrus schnell am Kreuz sterben, um im Reich Gottes anzukommen. Dieser Befund wird gestützt durch die Aussagen in den Epistolae Divi Pauli Apostoli cum commentariis Jacobi Fabri Stapulensis (accessere Lini episcopi de passione Petri libri duo) aus dem Jahr 1517. 38 Im ersten Buch tradiert Bischof Linus die Leidensgeschichte Petri. Der Text des Linus ist eine römische aus dem fünften Jahrhundert stammende Revision der alten Petrusakten, die als Ziel hatte, diese mit den lokalen römischen Traditionen in Einklang zu bringen. 39 Als Ort der Kreuzigung wird die Naumachia „iuxta Obeliscum Ne-

ronis in monte“ genannt. Petrus bittet mit klarer Stimme das Volk, sein Opfer nicht zu verhindern und der Offenbarung Jesu Christi zu gehorchen, dass es so geschehen werde. Er eile, um sich des Fleisches zu entkleiden und dem Herrn zugeteilt werden zu können. Es sei jetzt die Zeit, in der er sein Opfer darbringen könne. An die Diener der Obersten der Hinrichtung gewandt, sagt er: „Was ist es, dass ihr Untergebenen mir Verzögerungen antut? Entkleidet mich des sterblichen Gewandes, damit ich dem geistigen Herrn anhänge!“ Dann bittet er die Folterknechte, sie mögen ihn mit dem Kopf nach unten und den Füßen nach oben kreuzigen. Es zieme sich nämlich nicht, dass er als letzter Sklave so gekreuzigt werde, wie der Herr des Alls – des Universums – für das Heil der Welt gekreuzigt worden sei. Der Herr, so stehe es fest, werde durch sein (Petri) Leben verherrlicht. 40 Nach weiteren Worten und dem Lobpreis Gottes stirbt Petrus am Kreuz. 41 Die Aussagen von Richard Lipsius und die Inhalte aus dem Bericht des Linus können darauf schließen lassen, dass Petrus keine Zeit mit seinem Tod verlieren und Jesus mit seinem Opfer verherrlichen wollte. Er wollte als Märtyrer in die Herrlichkeit Gottes eingehen und trieb so die Knechte zur Emsigkeit, zur Eile an. Verzögerungen wollte er

Lipsius, R. A.: Die römischen Quellen zur Petrus-Sage, S. 112–113. Hinter Jacobus Faber Stapulensis verbirgt sich Jacques Lefèvre d’Etaples (1450/55– 1536). 35 Lipsius, R. A.: Die römischen Quellen zur Petrus-Sage, S. 113–114. 36 Lipsius, R. A.: Die römischen Quellen zur Petrus-Sage, S. 115. 37 Lipsius, R. A.: Die römischen Quellen zur Petrus-Sage, S. 115. 38 https://books.google.de/books?hl=de&id=n1BKAAAAcAAJ&q=petri#v=snippet&q=Neronis&f=false Das Original hat keine Seitenzahlen und muss daher in dieser Form belegt werden. Diese Version wurde von der Österreichischen Nationalbibliothek gescannt ins Netz gestellt. Aurelio de Santos Otero bemerkt in seinem Aufsatz, dass die Erstausgabe aus dem Jahr 1512 stammt. Vgl. De Santos Otero, A.: Later Acts of Apostles, S. 436. Hier sei darauf verwiesen, dass eine weitere Ausgabe vorliegt, in der die von Linus überlieferten Inhalte zum Martyrium des Petrus ebenfalls abgedruckt sind. Dabei handelt es sich um das Werk, das den Autor und den Titel nennt: „Paulus Cortesius: In Sententias: Qui hoc in opere eloquentiam cum Theologia coniunxit. Boni igitur ac studiosi gaudento atque emunto“. Das Werk stammt entweder aus dem Jahr 1512 oder 1513. https://books.google.de/books?id=uDNjAAAAcAAJ&pg=PT694&lpg=PT694&dq=me+caput+deorsum+ponatis+pedes+vero+sursum&source=bl&ots= gl_9bp8Z4t&sig=eyn65T6uM9zlsKUr-ZQ9a2uTQIk&hl=de&sa=X&ved=0ahUKEwjP16uM64rbAhXprFQKHU-7BQwQ6AEIKTAA#v=onepage&q= naumachia&f=false. 39 Aurelio de Santos Otero bemerkt in seinem Aufsatz, dass die Erstausgabe von Faber Stapulensis aus dem Jahr 1512 stammt. Vgl. De Santos Otero, A.: Later Acts of Apostles, S. 436–437. 40 „Itaque fratres mei et filii, obedientes estote, quia per revelationem a domino IHESU CHRISTO proditum est michi: ita esset eventurum. (…) Festino itaque: quod ut carne exutus assigner domino. Nunc enim tempus est: in quo meam offeram hostiam.“ (…) Ait autem ad magistros carnificum. Quid est quod tempus atteritis. Quid apparitores innecti michi moras patimini. Implete quod vobis est iussum, exuite me mortali tunica: ut spirituali ad haeream domino. (…) Precor vos bonae salutis meae ministros: ut crucifigentes me caput deorsum ponatis pedes vero sursum. Non enim decet me servum ultimum ita crucifigi: ut dominus universitatis pro salute totius mundi est crucifixus quem passione mea constat glorificari.“ https://books.google.de/books?hl=de&id=n1BKAAAAcAAJ&q=petri#v=snippet&q=Neronis&f=false. 41 „PETRVS spiritum tradidit.“ (Das Zitat ist auf der übernächsten Seite hinter „iuxta Obeliscum Neronis in monte“ zu finden, und zwar in Zeile 16) https://books.google.de/books?hl=de&id=n1BKAAAAcAAJ&q=petri#v=snippet&q=Neronis&f=false. 34

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Michelangelo und die Kreuzesdarstellung

während seines Martyriums verhindern. So erfüllt er die Aufforderung Jesu aus dem Johannesevangelium an ihn: „Du folge mir.“ 42 Beide vorgestellten Quellen könnten Michelangelo bekannt gewesen sein, womit sie ein besonderes Angebot an ihn gewesen wären. Durch seine bevorzugte dynamische Darstellungsweise kam ihm eine Kreuzesdarstellung, in der emsig ein Kreuz aufgestellt wurde, sehr entgegen. In ihr konnte er Bewegung und Dynamik ausdrücken. So arbeiten in seinem Fresko insgesamt sechs Diener bei der Hinrichtung an der Aufstellung des Kreuzes, während einer noch unter dem Kreuz kniet und das Loch für den Kreuzstamm aushebt. Das Fresko zeigt die fieberhafte Arbeit der Vollstrecker und dass es Petrus vielleicht nicht schnell genug geht, da der Apostelfürst keine Zeit verlieren will. Dies würde vermutlich auch seinen Blick erklären, der etwas ungehalten, aber nicht minder intensiv wirkt. Seine angespannte Haltung lässt darauf schließen, dass er dieses Arbeiten versucht zu verfolgen, indem er sich anstrengt, sich in alle Richtungen zu drehen. Um der Intensität dieser Szene gerecht zu werden, die man nur über einen direkten Blickkontakt auszudrücken vermag, lässt Michelangelo Petrus aus dem Bild schauen. Seine Füße, wie es in den Petrusakten heißt, gehen schon ihren Weg am

Himmel. Somit käme er mit seinen Füßen dem Himmel schon näher und würde so seinen irdischen Weg, den er auch schon auf dem himmlischen Weg durch die Nachfolge Jesu angetreten hat, im wahrsten Sinne des Wortes fortsetzen können. Dazu möchte er sich beeilen, zu sterben, wie Linus es tradiert. Die Aufforderung Petri zur Eile könnte auch eine Erklärung für das Entsetzen der vier Frauen im Bildvordergrund sein. Die linke ältere Frau hat einen Gestus des erhobenen linken Zeigefingers, der auf etwas aufmerksam machen möchte. Man könnte annehmen, dass Verwunderung über das Verhalten Petri geäußert wird, da die Frauen vielleicht nicht verstehen können, dass er so handelt oder dass sie sein Zeugnis mit Entsetzen zur Kenntnis nehmen. In der Summe könnten die vorgestellten Überlieferungen einen Petrus bezeugen, der sterben wollte und dabei großes Gottvertrauen besitzt. Stellt man sich eine vollendete Kreuzesaufstellung vor, so würde Petrus, wenn er den Kopf anhebt, direkt in den Himmel bzw. in die Wolke blicken. Die Wolke würde ihn als Symbol für die Anwesenheit Gottes aufnehmen. Somit wäre Petrus oder sein Blick, auch wenn Michelangelo ihn noch hier in eine andere Richtung schauen lässt, die Verbindung zur Wolke.

10.3 Anwesenheit Gottes in der Kreuzigung Petri Eine wichtige zu klärende Frage in diesem Kontext wäre die nach der Anwesenheit Gottes in dem Fresko. In allen der Kreuzigung Petri vorangegangenen Fresken stellt Michelangelo Gott oder Jesus dar. An der Decke der Sixtina ist Gott Vater mehrfach dargestellt. Im Jüngsten Gericht und in der Bekehrung des Paulus ist es Jesus Christus. In der Kreuzigung Christi scheint Gott Vater auf den ersten Blick zu fehlen. Hier sei die Annahme geäußert, dass sich in der Wolke in der oberen Hälfte des Bildes die Darstellung Gottes verbergen könnte. Sie ist mittig angelegt, hat die Form von Engelsflügeln 43 und steht unmittelbar über der Martyriumszene. Der rest-

liche Himmel ist hell gestaltet. Nur rechts ist ein Wolkenteil etwas dunkler und bedrohlicher dargestellt, scheint aber aus dem Bild wegzuziehen. In der oberen linken Ecke ist ebenfalls eine kleinere Wolke zu sehen, die mehr der großen Wolke in der Mitte gleicht. Eine sich anschließende Frage wäre, warum Michelangelo diese große engelsflügelige Wolke in der oberen Mitte des Freskos platzierte. Sie kann ein Platzhalter bzw. ein Füllelement sein. Sie kann aber auch eine andere Bewandtnis als symbolische für die Anwesenheit Gottes haben. Schon in den sehr alten israelitischen Überlieferungen bzw. Geschichten wird die Wolke die Bedeu-

42 Joh, 21, 19; Joh 21, 21. Die Passage folgt unmittelbar, der Leidensankündigung Jesu an Petrus über dessen Tod. (Joh 21, 18). In seiner Predigt zur Wiederöffnung der Cappella Paolina am 4. Juli 2009 ordnet Papst Benedikt XVI. die Stelle als den Höhepunkt der Nachfolge ein, da der Jünger hier die Bedeutung des Kreuzes erfahre. Vgl. Luca, M. d.; Nesselrath, A.; Paolucci, A.; Santamaria, U.: Die Paulinische Kapelle, S. 13. 43 Die Wolkenform lässt die Assoziation zum Psalm 91, 4 zu: „Mit seinen Flügeln beschirmt er dich, unter seinen Fittichen bist du geborgen, seine Treue ist dir ein schützender Schild.“ Siehe Abb. 74: Die Wolke aus dem Fresko der Kreuzigung Petri [S. 370].

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Anwesenheit Gottes in der Kreuzigung Petri

tung als Schleier, Wagen oder Thron Gottes gehabt haben. 44 Mit dem sich etablierenden Jahwe-Glauben übernimmt die Wolke Eigenschaften, die Jahwe zugeschrieben werden. Vor allem wird seine unsichtbare Gegenwart im Symbol der Wolke ausgedrückt. 45 Daneben ist die Wolke auch, wie bereits erwähnt, mit dem Thron Gottes assoziiert, was das Buch Daniel beschreibt: Der Menschensohn komme auf der Wolke des Himmels und ihm seien die Macht, die Herrlichkeit und Königsherrschaft gegeben worden. Seine Herrschaft solle eine ewige Herrschaft sein, und sein Königtum solle niemals untergehen. 46 Dieses Bild erinnert an die Darstellung Jesu Christi im Jüngsten Gericht; nicht nur er steht auf einem Wolkenthron, sondern alle Figuren, die in der himmlischen Sphäre angesiedelt sind. Die Wolken bedeuten letztlich die Rettung für die verlorenen Seelen im unteren Bereich des Freskos. In der Bekehrung des Paulus fliegt Jesus aus einer Wolke von oben kommend ins Bild hinein. Folgt man den Evangelien, spielen die Wolken im Leben Jesu ebenfalls eine signifikante Rolle. Bei seiner Taufe öffnet sich der Himmel – Wolken werden hier explizit nicht genannt – aus dem der Geist Gottes in einer Taube auf ihn herabschwebt, und bezeichnet ihn als seinen geliebten Sohn. 47 Die Anerkennung Jesu als geliebter Sohn Gottes nimmt Lukas in seinem Evangelium nach dem Glaubensbzw. Messias-Bekenntnis des Petrus (Lk 9, 20–21) wieder auf, als es acht Tage später zur Verklärung Christi kommt. Bei der Verklärung Jesu, der Mose und Elija begegnet, sind Petrus, Jakobus und Johannes die auf dem Berg anwesenden Zeugen. Eine Wolke überschattete die Männer, was sie mit Furcht erfüllte, wobei dann eine Stimme erscholl: „Dies ist mein auserwählter Sohn, ihn sollt ihr hören.“ 48 Hier ist die Wolke das überschattende Moment, das die Anwesenheit Gottes signalisiert. Bei der Himmelfahrt ist es die Wolke, die Jesus aufnimmt und ihn den Blicken der Anwesenden, die nicht näher be-

nannt werden, entzieht. 49 Dieses hat auf Petrus, der wohl anwesend war, eine solche Wirkung, dass er seine berühmte Pfingstpredigt formuliert, die zum Ausgangspunkt der Missionierung wird. Petrus bekennt in der Predigt seinen persönlichen Glauben und predigt von der Auferstehung. Ein bemerkenswertes Element ist hier, dass er sich auf David als Ahnherrn Jesu beruft. Die Worte, die er David in den Mund legt, spiegeln auch seinen Glauben und somit seine Überzeugung wider. Der Apostel ist fest davon überzeugt, dass der Herr ihn stütze und er somit nicht wanke. Vor allem ist er davon überzeugt, dass der Herr seine Seele nicht im Todesreich lasse. 50 Aus diesem Grund konnte sich Petrus später selbst mit voller Überzeugung ans Kreuz schlagen lassen. Es ist zu konstatieren, dass Michelangelo, der ein redlicher und eifriger Leser der Bibel war, sich der Bedeutung der Wolke bewusst war. Somit hätte diese Szene, die er darstellte – trotz des martialischen Sujets – etwas Hoffnungsvolles für Petrus: die Anwesenheit Gottes, der den Apostelfürsten aufnehmen wird. Jesus beschreibt es selbst recht treffend und tröstend im Lukasevangelium, als er die Bedingungen für seine Nachfolge formuliert: „(…); wer sein Leben verliert um meinetwillen, wird es retten.“ 51 Petrus verliert in dem Fresko um Jesu willen sein Leben, den er durch sein Opfer glorifiziert – folgt man den Petrusakten und dem Linustext –; gleichzeitig aber rettet er es auf diese Weise. Damit ist der Hoffnungsstrahl auf alle Anwesenden in symbolischer Hinsicht ausgesendet, wird zu einer Angelegenheit für alle und bleibt nicht zunächst im privaten Bereich wie bei der Bekehrung des Paulus. Es gibt eine Figur im Fresko, die auf die Wolke hinweist und vermutlich versteht, welche Bedeutung sie hat. Es ist der Jüngling in der Mitte, der seinen linken Finger auf den Mund legt und somit den Mitanwesenden in dem hellblauen Gewand zum Schweigen animieren möchte. 52 Da der Mit-

Mertens, H. A.: Handbuch der Bibelkunde, S. 654. Mertens, H. A.: op. cit., S. 654–655. 46 Dan 7, 13–14. 47 Mk 1, 9–11; Mt 3, 13–16; Lk 3, 21–22. 48 Lk 9, 28–36; speziell Lk 9, 35. 49 Apg 1, 9. 50 Apg 2, 25–27. „Sagt doch David vom ihm: Ich habe den Herrn allzeit vor Augen, denn er steht mir zur Rechten, dass ich nicht wanke. Drum freut sich mein Herz und jubelt meine Zunge, und auch mein Fleisch wird in Hoffnung ruhen; denn du wirst meine Seele nicht im Totenreich lassen und deinem Heiligen nicht zu sehen geben die Verwesung.“ 51 LK 9, 24. 52 Luitpold Dussler spricht dieser Figur eine „leidenschaftliche Doppelgebärde“ zu, da er einerseits auf den befehlenden Hauptmann und anderer44 45

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Michelangelo und die Kreuzesdarstellung

anwesende diese Szene durch seine Worte wohl stört, zeigt der Jüngling mit dem rechten Zeigefinger auf die Wolke. Hier wäre zu vermuten, dass dieser Jüngling über die Anwesenheit Gottes Erkenntnis besitzt und seine Umgebung darauf aufmerksam machen möchte, dass es besser ist, zu schweigen. Nach William Wallace steht diese Figur für Schweigen und Introspektion. 53 Der Gestus dieses Jünglings lässt auch keine andere Interpretation zu. Frederick Harrt schenkt der Wolkendarstellung seine Aufmerksamkeit, als die hängenden Wolken

oder drohenden Wolken der gesamten Szene eine mysteriöses oder geheimnisvolles Fließen verleihen, sodass das Geschehende mehr einem Traum als der Realität gleiche. 54 Die Wolke, wenn sie denn die Anwesenheit Gottes zeigt, wäre somit auch durch Frederick Harrts Attribut noch in anderer Hinsicht eingeordnet. Der Jüngling lädt mit seinem Gestus zum Schweigen ein und vermittelt, dass der Glauben letztlich ein Geheimnis ist, das jeder Mensch durch die Introspektion (William Wallace) erlangen bzw. erfahren kann.

10.4 Kreuz und Christus in Pauli Bekehrung Als Zeichen des Glaubens wählt Michelangelo für die Bekehrung des Paulus ebenfalls das Kreuz, indem er den von oben ins Fresko einfliegenden Jesus von einem Lichtkreuz umrahmt bzw. von hinten be- und durchleuchtet. Das Kreuz signalisiert letztlich den Sieg über den Tod, auch wenn der Tod in beiden Fresken unterschiedlich in Erscheinung tritt. Petrus hat den leiblichen Tod noch vor sich, während Paulus seine „Unlebendigkeit“, die auf Unglauben basiert, mithilfe des auferstandenen Christus überwinden kann. Das Kreuz wird als Leidenswerkzeug, um in das ewige Leben überzugehen, und als Symbol der Neuausrichtung präsentiert, was eine tiefe, im Glauben begründete Hoffnung widerspiegelt. Fritz Baumgart und Biagio Biagetti fassen das Agens Michelangelos trefflich zusammen, indem sie die Kunst als Bekenntnis des Menschen im Künstler deuten. Das Kunstwerk werde zum Träger des persönlichen Ausdruckswillens, zum Gefäß von Gefühlen, die dem Betrachter nicht mehr einen tra-

ditionellen dargestellten Inhalt nahebringen sollten, sondern unabhängig vom Thema Sprache menschlichen Ringens und Leidens werde. 55 Das Leiden aber wird in letzter Konsequenz auf die eine oder andere Weise überwunden. Hoffnungsträger und Retter für Paulus ist Jesus, der im Vergleich zum Jüngsten Gericht hier intensiver und großflächiger von Licht umgeben ist, was ihn strahlender erscheinen lässt. Diese strahlende Darstellung lässt Assoziationen zum Johannes-Evangelium zu, wenn Jesus sagt: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir folgt, wird nimmermehr in der Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben.“ 56 Das Licht des Lebens wird über den Lichtstrahl auf Paulus gelenkt. Der Moment der Erkenntnis ist durch den göttlichen Strahl ausgelöst, wodurch Paulus, wie in der Apostelgeschichte berichtet, sehend wird. 57 Herbert von Einem beschreibt diesen Lichtstrahl als „Lichtbahn“ 58, worin sich der Glauben quasi durch dessen Quell Jesus seinen Weg zu Paulus bahnt. Das Leidenssymbol umhüllt den Messias

seits auf Petrus weist und so zum „Ankläger gegen das Unrecht“ wird. Vgl. Dussler, L.: Die Spätwerke des Michelangelo, S. 119. Die Frage ist, wie dann die Einladung zum Schweigen mit dem Verweis auf die Wolke zu interpretieren ist. Daneben hält die Figur links von ihm ihn auch zurück. Fritz Baumgart und Biagio Biagetti ordnen diesen Jüngling als Verklammerung zwischen der Reitergruppe und dem Apostel ein. Vgl. Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 25. Seine heftigen Gesten seien Ausdruck seines Schmerzes über die Kreuzigung. Vgl. ebd., S. 29. Deoclecio Redig de Campos beschreibt den Jüngling als empört über die Kreuzigung, der sich nicht zähmen kann und seiner Empörung rebellisch Ausdruck verleiht. Der Jüngling links von ihm gebietet mit angstvollem Augenausdruck, zu schweigen. Redig de Campos, D.: Michelangelo – Die Fresken der Paulinischen Kapelle im Vatikan, S. 17. Siehe Abb. 75: Der Schweigende aus dem Fresko der Kreuzigung Petri [S. 371] und Abb. 76: Der Lanzenträger aus dem Fresko der Kreuzigung Petri [S. 371]. 53 Wallace, W.: Discovering, S. 223. 54 Harrt, F.: Michelangelo Buonarroti, S. 126. 55 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 36. Die Autoren bezeichnen die Darstellungsweise Michelangelos zwar als Spätstil, als Ausdruck eines ungewohnten und unverstandenen Subjetivismus, der vielleicht deshalb den Glauben des Meisters so widerspiegelt. 56 Joh 8, 12. 57 Apg 9, 3–18. 58 Einem, H. v.: Michelangelos Fresken, S. 194.

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Kreuz und Christus in Pauli Bekehrung

mit Licht und lässt ihn zum Erlöser des Paulus werden, der zum Prototyp des „von Gott getroffenen Menschen“ 59 wird. Durch diese Anlage fasst Michelangelo Kreuzigung, Tod und Auferstehung in einem Bild zusammen. Als Konsequenz erfüllt sich die Verheißung für den Menschen, hier stellvertretend in Paulus, dass er gerettet wird. Diese mögliche Aussage des Freskos korrespondiert mit der liturgischen Funktion der Cappella Paolina als Heiliges Grab, da so die Präsenz Christi von dessen Grablegung, der der Tod am Kreuz voranging, und die Auferstehung evoziert werden sollten. 60 Durch den Lichtstrahl verbindet Michelangelo die dynamischen Geschehen im himmlischen und irdischen Bereich. 61 Ausgangsfigur ist wieder wie im Jüngsten Gericht die Figur des Erlösers. Allerdings ähnelt der Erlöser vom Gesicht her mehr dem Auferstandenen Christus. Die Bartpartie und auch der Haaransatz sind vergleichbar. Michelangelo hatte offensichtlich ein inneres Bild von dem Erlöser, das sich über die abweichende Apoll-Darstellung im Jüngsten Gericht durchsetzt. Als weitere Begründung dafür ist die Christusdarstellung der Nikodemus-Gruppe anzuführen. Auch wenn die Skulptur im Zustand des Non-finito ist, sind dennoch Ähnlichkeiten wie der Nasenrücken, die Stirn mit Haaransatz und Mundund Bartpartie mit dem Christus in der Cappella Paolina feststellbar. 62 Durch den gleichzeitigen Entstehungsprozess von Fresken und Skulptur ist die Ähnlichkeit durchaus begründbar. Daneben ist bei der Figur Christi auch eine Ähnlichkeit zum Christus des Jüngsten Gerichts zu konstatieren. Das Vorbild für den Christus in der Bekehrung des Paulus könnte in der rechten Lünette der Sixtina zu finden sein. Eine Engelsschar bringt die Geißelungssäule in einer Rotation in Bewegung. Von rechts schwebt ein Engel mit einer Vorwärtsbewegung in einem

feurig-orangefarbenen Gewand heran. Der rechte Arm weist ausgestreckt in Richtung Geißelsäule, während der linke Arm sich angewinkelt neben dem Körper befindet und den Stab mit dem essiggetränkten Schwamm hält. 63 Dieser Engel ist verkürzt dargestellt und könnte Pate für den Christus gestanden haben. Michelangelo dreht ihn mehr in Bauchlage, sodass der Rücken sichtbar wird, stellt ihn senkrecht in den Raum und hüllt ihn in ein rotes Gewand. Eine weitere Möglichkeit könnte die Rekapitulation von Gott Vater an der Decke der Sixtina gewesen sein, da das Sujet der Befehlsgabe eine ähnliche ist. In den Abschnitten „Gott scheidet das Wasser vom Land“ und „Die Erschaffung der Sonne und des Mondes“ tritt der Schöpfer waltend, befehlend und getragen von einem machtvollen Bewegungsdrang und schöpferischer Bewegtheit auf. Der Christus in der Cappella Paolina rekapituliert mit seiner Armhaltung Gott-Vater. Seine rechte Hand ist wie die Hand des Schöpfers bei der Scheidung von Wasser und Land gestaltet. Der linke Arm weist deutliche Ähnlichkeit mit dem linken Arm des Schöpfers aus der Erschaffung von Sonne und Mond auf. Hintergrund ist wohl der Gedanke, wie in der Sixtina die majetatis Dei zu versinnbildlichen, womöglich den Bogen vom Vater zum Sohn zu schlagen, der hier mahnend und erhellend in das Leben des zukünftigen Apostelfürsten eingreift, um ihn von seinem falschen Weg abzubringen. Christi Wesen gleicht hier einem Befehl, dem sich Paulus durch die Theophanie nicht widersetzen kann. Darin liegen womöglich auch die Nachricht bzw. Erkenntnis des Künstlers, dass sich niemand dem Hereinbrechen des göttlichen Lichts entziehen kann, dass Glauben ein göttliches Geschenk und der Mensch, wie er es bereits darstellte, ein Geschöpf Gottes ist.

Einem, H. v.: Michelangelos Fresken, S. 198. Siehe Abb. 77: Die Bekehrung Pauli (Detail I) [S. 372] und Abb. 78: Die Bekehrung Pauli (Detail II) [S. 372]. 60 Kuntz, M. A.: op. cit., S. 61. 61 Peter Hemmer sieht in dem Lichtstrahl eine Verbindung zwischen der himmlischen und irdischen Bildwelt. Vgl. Hemmer, P.: op. cit., S. 140. 62 Siehe Abb. 79: Der Christus aus Maria sopra Minerva [S. 373] und Abb. 80: Der Christus aus der Cappella Paolina [S. 373]. Siehe Abb. 81: Der Christus aus der Florentiner Pietà [S. 373]. 63 Partridge, L.: Michelangelos Jüngstes Gericht, S. 49. 59

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Michelangelo und die Kreuzesdarstellung

10.5 Dialektik Fresken und Papstwahl Der Glauben und die Geschöpflichkeit des Menschen sollten gerade für die Konklave-Teilnehmer von besonderer Bedeutung sein, waren sie doch dazu berufen, den neuen Pontifex mit Hilfe des Heiligen Geistes zu erwählen. Der neue Papst übernahm schließlich das höchste kirchliche Leitungsamt und stellte sich damit in die Nachfolge Petri. Die apostolische Sukzession garantierte nicht nur den Fortbestand der Kirche, sondern auch den der Jesusüberlieferung, die von der Verkündigung des Evangeliums als das Glaubensbekenntnis schlechthin getragen ist. Der Nachfolger Petri wird zum Hirten der Herde Christi bestellt und übernimmt die Verantwortung für deren Wohlergehen und Schutz. Die ursprünglich anhaftende Verantwortung Petri für die Christenheit geht auf dessen Nachfolger als Inhaber des höchsten Leitungsamtes über, der von seinem Glauben getragen sein muss. Glauben bezeugt man einerseits durch ein Martyrium so wie Petrus, der seine bedingungslose Nachfolge krönt, indem er Jesus in den Tod folgt und Gott verherrlicht, und andererseits durch eine potentielle Erkenntnis oder Umkehr so wie Paulus. In der Zeit der Reformation war es geboten, dieses Bewusstsein dem neuen Papst vor Augen zu führen. Die Legenda aurea unterstreicht diesen Ansatz, da sie über die

Trennung der Apostelbrüder, nachdem man ihren Tod beschlossen hatte, berichtet. Beide Apostelbrüder wünschen sich den Frieden. Paulus bezeichnet Petrus als „Grundstein der Kirche“ und als „Hirte der Schafe und Lämmer Christi“. Petrus bezeichnet Paulus als „Prediger des Wandels, Mittler des Heils, Führer der Gerechten“. 64 Der neue Papst ist einerseits als der Nachfolger Petri gleichzeitig der neue „Grundstein der Kirche“ und durch die Nachfolge des Paulus „Prediger des Wandels“, den Paul III. durch das Konzil von Trient anstrebt, und „Mittler des Heils“. Durch seine Bekehrung beginnt für Paulus ein neuer Weg, was auch für den neugewählten Papst gilt, der sich gleichzeitig am Leben und Schicksal des Petrus orientieren kann. Petrus ist der Protagonist, der schon länger den Weg des Glaubens gegangen ist, in besonderer Relation zu Jesus steht und seinen endgültigen Weg gerade antritt, während Paulus seinen Glaubensweg gerade erst beginnt. Beide Apostel übermitteln den Kardinälen die Nachricht, dass die Wahl zum Pontifex eine fundamentale Neuorientierung, einen neuen Weg in großer Verantwortung für die Kirche und den Glauben bedeutet. Der intensive Blick des Petrus aus dem Fresko heraus unterstreicht dies eindrücklich. 65

Voragine, de Jacobus. Die Legenda aurea, S. 468. Gerhard Kleiner geht in seinem Werk soweit, dass er im Petrus den Künstler zu finden glaubt. Vgl. Kleiner, G.: op. cit., S. 51. Wäre dies der Fall, steckte hinter dem Blick des Petrus eine höchst persönliche Nachricht des Künstlers an die Kardinäle, und zwar mit Augenmaß den neuen Pontifex zu wählen. Siehe Abb. 72: Kreuzigungsgruppe aus dem Fresko der Kreuzigung Petri [S. 369] und Abb. 73: Petrus aus dem Fresko der Kreuzigung Petri [S. 369].

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11 Spirituelle Manifestation

Während der Schaffensperiode an der Pietà und den Fresken schlug der Künstler selbst einen neuen Weg ein, da er an zwei Kunstwerken gleichzeitig arbeitete. Neben dem Auftrag in der Cappella Paolina arbeitete er zu seiner Erquickung und aus einem inneren Bedürfnis heraus an der Pietà Bandini. Zeit war kostbar, weshalb er am Tag freskierte und anschließend, vermutlich auch nachts, die Figurengruppen gestaltete. 1 Beide Kunstwerke weisen eine markante und intensive Darstellungs- und Aussagekraft auf, die auch über das spirituelle Erleben des Künstlers Auskunft geben können. Die Spiritualität entfaltet sich nicht zuletzt über das Bedürfnis der Selbstdarstellung, wodurch der Wunsch des Künstlers auf demütige Teilnahme (Selbstporträt in der Cappella Paolina) und Teilhabe (Nikodemus) am Geschehen manifest wird. Das Markante an der Florentiner Pietà ist das steingewordene Selbstporträt Michelangelos, wodurch sich diese Skulptur von den anderen Marmorarbeiten des Meisters unterscheidet und zu einem Unikat macht. Dieses außergewöhnlich einprägsame Moment bietet die Grundlage für einen Wiedererkennungseffekt, wenn Johannes Wilde in seinem Werk „Six Lectures“ herausarbeitet, dass der anonyme Konvertit auf der rechten Seite des

Freskos der Kreuzigung Petri ein ideales Selbstporträt des Meisters sei. 2 Bei näherem Vergleich wird eine große Ähnlichkeit zwischen dem Nikodemus und dem Konvertiten feststellbar, was einen Bedeutungszusammenhang offenbart. Die Darstellung des Mannes im Fresko ist mit Nikodemus vergleichbar, da beide sowohl diese Kopfbedeckung tragen als auch ein Selbstbildnis des Meisters darstellen. 3 Die Übereinstimmungen werden dem parallelen Arbeiten und dem Konnex zwischen den Kunstwerken geschuldet sein. 4 Frank Zöllner und Christof Thoenes schließen sich zwar der Klassifikation von Johannes Wilde an und betiteln den Konvertiten, wie Johannes Wilde ihn nennt, als „Pilger-Gestalt“, räumen aber ein, dass die Übereinstimmungen dieses Pilgers mit der Physiognomie Michelangelos nicht zwingend seien. Ausgangspunkt für die Klassifizierung durch die Kunsthistoriker ist eine Bildnismedaille von Leone Leoni aus dem Jahr 1561, die auf der Vorderseite ein Portrait Michelangelos und auf der Rückseite einen blinden und alten Pilger darstellt. 5 Philipp Fehl vertrat ebenfalls diesen Ansatz, dass die gigantische Gestalt eines frühen Christen (eines Pilgers) auf dem Fresko, der in Einsamkeit und Trauer versunken ist, einerseits ein Selbstbildnis des Künstlers ist und andererseits auch auf der Bildnismedaille

Vasari, G.: Michelangelo, S. 210–211. Wilde, J.: Six Lectures, S. 173 und 175. Johannes Wilde kommentiert dies nicht weiter. Zum Selbstporträt: Vgl. Nardini, B.: Michelangelo – Leben und Werk, S. 174. Wallace, W.: Discovering, S. 222. Herbert von Einem vermutet hier auch ein Selbstporträt, S. 186. Siehe Abb. 82: Der Gigant oder Pilger aus dem Fresko der Kreuzigung Petri [S. 374]. 3 Siehe Abb. 83: Nikodemus aus der Florentiner Pietà [S. 375] und Abb. 84: Gigant aus der Kreuzigung Petri [S. 375]. 4 Hier sei darauf verwiesen, was Leo Steinberg 1975 bzw. 1980 dazu schrieb: Steinberg geht in seinem Werk aus dem Jahr 1975 „Michelangelo’s last paintings“ davon aus, dass erstens keine sicheren Selbstporträts in diesem Fresko vorlägen und zweitens Michelangelos nicht die psychische Ähnlichkeit zwischen dem Nikodemus und dem Pilger im Fresko entgangen sein dürfte. [„(…) the closest connection is surely to the ideal selfportrait Michelangelo carved upon of the aged mourner of the Pietà. This is the work that occupied his nights at home while he was painting the fresco. It is not likely that the psychic resemblance between the carved and the painted figure would have escaped him.“] Das ist der einzige Konnex, den Steinberg zu diesem Zeitpunkt herstellt und nicht weiterverfolgt. Der Autor ordnet die Figur aus dem Fresko mehr einem römischen Gefangenen aus der Antike zu. Leo Steinberg assoziiert den Gefangenen mit Michelangelos menschlicher Verfassung, der sich immer wieder einmal in seinem Leben in Ketten sah. Vgl. Steinberg, L.: Michelangelo’s last paintings, S. 53. Thema „Gefangener“ siehe Fußnote 58, S. 63. 1980 präzisiert Leo Steinberg seine Aussage von 1975 insofern, dass der Einzelgänger am rechten Freskorand an das traurige Selbstporträt, das er in das Gesicht des Trauernden in der Florentiner Pietà meißelte, erinnere. „He recalls the doleful self-portait Michelangelo carved upon the face of the mourner in the Florence Duomo Pietà.“ Steinberg, L.: The Line of Fate in Michelangelo’s Paintings, S. 417. Er wiederholt, dass Michelangelo die psychische Ähnlichkeit dieser Figuren (gemalt und gehauen) nicht entgangen sein dürfte. Vgl. Steinberg, L.: The Line of Fate in Michelangelo’s Paintings, S. 418. 5 Zöllner, F.; Thoenes, C.: Michelangelo – Leben und Werk, S. 352. Siehe Abb. 85: Silbermedaille von Leone Leoni (1560, Vorderseite) [S. 376] und Abb. 86: Silbermedaille von Leone Leoni (1560, Rückseite) [S. 376]. 1

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Spirituelle Manifestation

des Leone Leoni wieder erscheint. 6 Aufgrund der Zuordnung Frank Zöllners, Christof Thoenes’ und Philipp Fehls lassen sich anhand dieser „Pilger“Gestalt weitere Gedanken entwickeln. In einer resignativen Haltung scheint dieser Pilger, während er eine Art Treppe herunterkommt, die Kreuzigungsszenerie in Richtung Kapelle zu verlassen. Er ist die einzige Figur mit dieser Haltung und Bewegungsrichtung. Als Ganzfigur für den Betrachter komplett wahrnehmbar ist er mit verschränkten Armen in sich gekehrt, ist ganz bei sich, wohnt still dieser Szene bei, macht den Eindruck des Nachdenkens und füllt so die rechte untere Ecke des Freskos aus. Gerade wegen seiner scheinbar weltabgewandten Innerlichkeit wirkt er pietätsvoll und scheint sich der Bedeutung dieser Szene dennoch bewusst zu sein. Fritz Baumgart und Biagio Biagetti schreiben dieser Gestalt aufgrund ihrer Wirkung eine besondere Position in ihrer Deutung zu, da sie sie als gewaltige und eindrucksvollste Figur im ganzen Fresko einordnen. 7 In dem Greis, wie sie ihn nennen, kulminiere das in dieser Szene darzustellende innere Geschehen. Gerade der Greis sei neben den anderen Personen der Ausdrucksträger des Schmerzes und des inneren Geschehens. Durch die völlige innere Versenkung und fehlende Bewegung strahle er aber gerade so die seelische Verfassung und Berührung aus. 8 So werde nach Fritz Baumgart und Biagio Biagetti die Kunst zum Träger des persönlichen Ausdruckswillens des Künstlers, zum Gefäß der Gefühle, als Kulminationspunkt aller Empfindungen des Ringens und des Leides. 9 Deoclecio Redig de Campos hingegen beschreibt den „Hünen“, wie er ihn nennt, zwar als „Persönlichkeit“, der aber aufgrund seiner nutzlosen Kraft „zum Zeichen seiner Machtlosigkeit die Arme gekreuzt hält.“ 10 Es ist

denkbar, dass ihn gerade seine Machtlosigkeit mit dem Schmerz erfüllt, den andere Experten wahrnehmen. Es läge dann ein doppelter Schmerz vor, der der Machtlosigkeit und dem Wissen des bevorstehenden Schicksals des Petrus entspringt. Der nahende Tod des Apostelfürsten macht das Leben für alle Anwesenden fraglich und löst gerade bei dieser Figur die Sinnfrage aus, der nicht schmerzfrei begegnet werden kann. Bruno Nardini beschreibt die Gestalt ebenfalls als „schmerzerfüllt“. 11 Henry Thode ordnet diese Figur als einen Mann ein, der in ein schmerzliches Sinnen versenkt ist, ohne ihn jedoch weiter zu klassifizieren. 12 Charles de Tolnay beschreibt den alten Mann als herkulisch, der mit dem Ausdruck tiefer Resignation dargestellt ist und an den alten Michelangelo erinnere. 13 Herbert von Einem ordnet die Figur so ein, dass sie wohl alle Gedanken und Sympathien der Anwesenden in sich vereinigt. 14 In einem späteren Aufsatz über die Cappella Paolina gibt er ihr eine bedeutendere Position. Petrus, der als Held klassifiziert ist, zur „geistig handelnden Persönlichkeit“ wird, der den Betrachter anschaut und das Zentrum der Komposition ist, bekommt als „Fels“ nach Herbert von Einem eine zweite Hauptfigur an die Seite gestellt. Der kräftige Alte, hinter der sich ein Selbstbildnis des Künstlers verbergen könnte, sei in sich versunken und vereinige das Nachdenken und Mitleiden aller Beteiligten in sich. 15 Alfred Neumeyer sieht in dem Fresko eine psychische Spannung und eine Stimmung, die von Trauer bis Qual reiche und die sich in dem Alten am Bildrand, wie er ihn nennt, sammle. Für Alfred Neumeyer ist in dieser Figur viel mehr ein Ausdruck als denn eine Handlung zu finden. Sie verweise auf den Schöpfer (Michelangelo) zurück und bilde somit eine Brücke zu ihm. 16

Fehl, P.: Michelangelo’s Cruxifixion of St. Peter, S. 340. Vasari berichtet kurz von der Medaille, die mit Billigung des Meisters erstellt wurde, einerseits ein Porträt Michelangelos und andererseits einen Blinden, den ein Hund führt, zeigt, und seine Anerkennung fand. Vasari spricht hier nicht von einem Pilger, sondern von einem Blinden. Daneben nennt er noch die ringförmig umlaufende Inschrift auf der Münzhälfte, die den Blinden zeigt (Psalm 51,15). Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 179–180. Leoni hat die Medaille einerseits aus Wertschätzung für den Meister und andererseits aus Dankbarkeit Michelangelo gegenüber angefertigt und überreicht, da dieser ihm bei dem Auftrag für das Grabmal des Bruders von Pius IV. sehr behilflich war. 7 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 24. 8 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 28–29. 9 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 36. 10 Redig de Campos, D.: Die Fresken in der Paulinischen Kapelle im Vatikan, S. 18. 11 Nardini, B.: Michelangelo – Leben und Werk, S. 174. 12 Thode, H.: Ende der Renaissance Bd. III, 2. Abteilung, S. 615. 13 Tolnay, C. d.: Michelangelo V, S. 75. 14 Einem, H. v.: Michelangelo, S. 186. 15 Einem, H. v.: Michelangelos Fresken, S. 201. 16 Neumeyer, A.: Michelangelos Fresken in der Cappella Paolina des Vatikans, S. 178. 6

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Inspiration und Entwicklung zum Pilger

Diesem Ansatz kann zugestimmt werden, da die Figur in der Tat das Sammelbecken für die Stimmungen der Figuren im Fresko ist. Peter Hemmer ordnet den alten Mann, wie er in nennt, als erschüttert ein, der seiner Trauer Ausdruck verleiht. Mit seinen verschränkten Armen würde er seinen Gebetsgestus zur Schau stellen. 17 William Wallace beschreibt den Pilger als gewaltige Figur und auch als Selbstporträt des Meisters, die durch ungewöhnliche Proportion auffällt, deren Größe aber von dem Blickwinkel des Betrachters abhänge. 18 Herbert von Einem bestätigt diesen Eindruck noch in anderer Hinsicht, da er den Pilger als Träger aller Gedanken

und Empfindungen des Betrachters interpretiere und in die Meditation versunken sei, was den Effekt habe, dass sich die Welt des Freskos mit der Welt des Betrachters vermische. 19 Die Beschreibungen und Einordnungen der Gestalt spannen sich von einem mystisch- meditativen bis zum schmerzvollen und trauernden Erleben. Die Figur ist vermutlich der Kulminationspunkt tiefer Emotionalität und Spiritualität dieser Schaffens- und Lebensperiode Michelangelos, die ihre Grundlage in den fortgeschrittenen Jahren des Künstlers findet, von Bewusstheit getragen ist und auf persönlicher Entwicklung beruht.

11.1 Inspiration und Entwicklung zum Pilger Die in dieser Gestalt stattfindende Verdichtung von Spiritualität und Emotionalität ist ohne eine künstlerische Entwicklung kaum denkbar. Es ist anzunehmen, dass Michelangelo diese Figur entwickelte und sich wieder am eigenen Werk orientierte. Eine Inspiration, eine Vorstufe oder eine Art Vorstudie für diese Gestalt, den Pilger, könnte der Prophet Jeremia aus der Sixtina gewesen sein. Ernst Steinmann bezeichnet den Jeremia als „persönlichste Schöpfung“ Michelangelos, die er zum Träger seiner eigenen Empfindungen auserkoren habe. 20 Charles de Tolnay kommentiert, dass der Prophet in den Abgrund einer Vision von Ewigkeit abtaucht, um die letzte Weisheit zu erlangen. 21 Seine sinnierende, nach Weisheit suchende Haltung und melancholische Ausstrahlung haben schon etwas mit dem Pilger gemein. Beide haben das Haupt leicht zur rechten Seite nach unten geneigt und haben einen grauen langen Bart. Die obere Gesichtshälfte ist bei beiden ähnlich geschnitten, wobei Jeremia etwas fülliger und der Pilger etwas hagerer wirkt. Dieses kann bei Jeremia auch täuschen, da er die rechte Hand zum Nachdenken über seine Mundpartie rückt und somit sein Gesicht leicht nach oben schiebt, es etwas verzerrt. Vermutlich

hätte er sonst auch ein hageres Gesicht, womit die Ähnlichkeit stiege. Bei beiden Figuren sind die Augen fast geschlossen, was auf einen kontemplativen Augenblick schließen lässt. Jeremias Gewand ist auch in einem warmen Ocker- oder Gelbton dargestellt. Als Verbindungsstück auf dem Weg zum Pilger könnte der Joseph aus der Rötelzeichnung „Heilige Familie mit dem kleinen Johannes (der sog. Madonna del Silenzio)“ gesehen werden. Luitpold Dussler ordnet die Darstellung so ein, dass das Original dieser Zeichnung mit Sicherheit auf Michelangelo zurückgehe 22 und datiert das Blatt, das vermutlich im Original ein Geschenk für Vittoria Colonna war, auf die 1540er Jahre, was er mit dem Stil belegt. In der Gebärde des Nährvaters, wie er Joseph nennt, sieht er eine Art Präludium für die Cappella Paolina. 23 Joseph schaut sinnierend, die rechte Hand über die Mundpartie geschoben und auf eine Art Marmorbank gestützt, links an Maria vorbei auf den schlafenden Jesus. Der Nährvater wohnt dieser Szene still bei, ist in einen Mantel eingehüllt und hat ein bedecktes Haupt. Möglicherweise sinniert er über die Bedeutung des schlafenden Retters für die Menschheit. Beim Pilger im Fresko hingegen verzichtet Michelangelo wohl sehr

Hemmer, P.: op. cit., S. 145. Er vergleicht diesen Gebetsgestus mit der Darstellung des Paulus vom Hochaltarziborium Papst Sixtus’ IV. von Alt-St. Peter. 18 Wallace, W.: Michelangelo – The Complete Sculpture, Painting and Architecture, S. 202. 19 Einem, H. v.: Michelangelo, S. 186. 20 Steinmann, E.: Die Sixtinische Kapelle, S. 371. 21 Tolnay, C. d.: Michelangelo II, S. 51. 22 Dussler, L.: Die Zeichnungen des Michelangelo, S. 182–183, Zeichnung Kat. Nr. 336. 23 Dussler, L.: Die Zeichnungen des Michelangelo, S. 183. 17

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Spirituelle Manifestation

bewusst auf die gleiche sinnierende Haltung, variiert sie aber letztlich doch, um das Kontemplative darzustellen. Der Künstler hat mit Sicherheit nicht in unmittelbarer Nähe zur Sixtina die Haltung des Jeremias in einem zweiten Fresko repetieren wollen, von daher musste er das Sujet variieren. 24 Die Rötelzeichnung liefert zudem im Joseph auch einen Hinweis auf den Nikodemus, da seine Kopfbedeckung die dem Nikodemus mehr ähnelt als dem Pilger. Die Josephsfigur hat vermutlich eine entsprechende Bedeutung für die Entwicklung der Nikodemusfigur. Es ist eine Art von Entwicklung an-

zunehmen, die vom Jeremias über die Heilige Familie über den Pilger bis hin zum Nikodemus stattgefunden haben könnte. 25 Hier sei daran erinnert, dass Michelangelo etliche Zeichnungen in seinem Haus am Macel Corvi aufbewahrte, bevor er sie kurz vor seinem Tod verbrannte. Es ist denkbar, dass sich darunter vielleicht weitere Variationen zu diesem Sujet befanden. Signifikant ist jedoch, dass sie sich 1540 verstärkt zeigten, was einen Bedeutungszusammenhang möglich bzw. annehmbar macht.

11.2 Nikodemus und der Pilger In diesem Kontext wird manifest, dass der Pilger aus der Cappella Paolina mit dem Nikodemus die meiste Ähnlichkeit besitzt. Beide Werke sollten daher in einen Sinnzusammenhang gesetzt werden, da sie sich nah am gläubigen Michelangelo in seinen emotionalen und spirituellen Befindlichkeiten befinden. Herbert von Einem sieht in den Fresken der Cappella Paolina „Glaubenssymbole“ oder das „Bekenntnis eines Gott zugewandten Lebens“. 26 Der resignative Pilger befindet sich auf seinem Weg, ist kontemplativ, möchte bei Gott ankommen, sinniert über das Leben, die Vergänglichkeit und über das Leben danach. Er ist noch auf dem Weg zu seiner Vollendung. Nikodemus ist dann derjenige, der angekommen ist. Die Daten der Fertigstellung des Freskos (1550) 27 lassen darauf schließen, dass der Pilger vielleicht eher als der Nikodemus bzw. mit der Figur der Skulptur zeitgleich entstand, was aber nur zu vermuten, aber nicht durch Quellen zu belegen ist. Nikodemus könnte als eine logische Konsequenz aus dem Pilgerweg des Pilgers verstanden werden, stellte er Jesus gerade die Frage, wie ein Greis ins Reich Gottes kommen könne. Weg und Schlüssel dorthin sind der Glaube. In der Skulptur wirkt Nikodemus kraftvoll, hebt den toten Herrn auf, zeigt ihm seine Verbundenheit, will ihn

tragen, so wie er hofft, von ihm am jüngsten Tag getragen zu werden. In devoter Haltung hat er eine Gottesbegegnung der besonderen Art. Das bedeckte Haupt ist ebenfalls ein Zeichen seiner Frömmigkeit. Schon vor dem brennenden Dornbusch verhüllte Mose sein Angesicht, da er sich fürchtete, Gott anzuschauen. 28 Die Verhüllung des Angesichtes oder die Kopfbedeckung des Nikodemus sind als Zeichen der Pietas, der Unterwürfigkeit unter den Herrn zu deuten. Nikodemus hat nicht irgendwen im Arm, er trägt den Sohn Gottes, fängt ihn nahezu auf. Damit ist diese Szene eine konsequente Weiterführung des nächtlichen Gespräches zwischen Jesus und Nikodemus. Dieser hat den Menschensohn erkannt, trägt ihn, bekennt seinen Glauben und erfüllt die Bedingungen, um ins Reich Gottes zu gelangen. Das Reich Gottes ist nur durch Glauben und Nähe zum Herrn und dessen Gnade zu erhalten. Ob und inwiefern hier auch eine versteckte Gnadenlehre enthalten ist, muss spekulativ bleiben. Ein offenes Bekenntnis zur Gnade wäre in der Zeit lebensgefährlich geworden, da sie ein Herzstück der Lehre Luthers war. Antonio Forcellino weist aber auf dem Hintergrund der Fresken auf die Nähe zu Reginald Pole und Vittoria Colonna hin, die beide seiner Meinung nach der Ausarbeitung des Bildpro-

Die Farbwahl der Kreuzigung Petri spricht des Weiteren für die Nähe zur Sixtina, da hier ein wärmeres Kolorit vorliegt. Fritz Baumgart und Biagio Biagetti ordnen die Kreuzigung Petri der Kolorierung nach der Sixtinischen Decke zu und gehen sogar so weit, dass Michelangelo hier an sein jugendliches Meisterwerk anknüpft. Vgl. Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 55. 25 Siehe dazu Abb. 87: Jeremia [S. 377], Abb. 88: Joseph [S. 377], Abb. 89: Pilger aus der Cappella Paolina [S. 377] und Abb. 90: Nikodemus [S. 377]. 26 Einem, H. v.: Michelangelos Fresken, S. 193. 27 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 56. 28 Ex 3,6. 24

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Verwandter Typus

grammes beteiligte waren. 29 In der Darstellung sieht er eine Aufforderung Michelangelos an die Prälaten, zu den Wurzeln der Kirche zurückzukehren und sie als lebendige Realität in und durch das Martyrium zu begreifen. 30 Lebendigkeit wird nicht zuletzt durch eine Symphonie von Farben und eine Abwechslung von Ruhe und Bewegung erzeugt. Auch die Nikodemus-Gruppe ist eine Symphonie von Ruhe und leichter Bewegung, die aus einem Marmor geschaffen wurde, welcher vielleicht in der Wirkung der Farbe dem Pilger nahekam. Ein weiteres korrespondierendes Moment zwischen dem Nikodemus und dem Pilger ist die Größe der Figuren. Der Pil-

ger ist eine sehr große Figur, wenn nicht sogar die größte Figur im Fresko, die höchst wahrscheinlich zwischen 2,30 und 2,50 m anzusiedeln ist. Sie könnte Petrus in der Größe noch übertreffen, was allerdings so nicht ganz zu ermitteln ist. William Wallace beschreibt den Pilger als gigantische Figur, als hünenhaft, und benennt seine ungewöhnliche Proportion. 31 Der Nikodemus ist ebenfalls über zwei Meter groß (226 Zentimeter). Es scheint annehmbar, dass die ähnliche Größe, die ähnliche Farbe, der ähnliche Ausdruck und die sich überschneidende Entstehungszeit Indizien dafür sind, dass die Figuren miteinander korrespondieren. 32

11.3 Verwandter Typus Erweitert man diesen Ansatz um eine generelle Betrachtung der Thematik „der bärtigen Typen“, der „vecchios“, lassen sich ergänzende Feststellungen machen. Ernst Heimeran behauptet z. B. in seiner Untersuchung, dass die große Reihe der bärtigen Typen in der Kreuzigung Petri fast alle etwas mit Michelangelo zu tun hätten. 33 Das wäre eine überproportionale Darstellung seiner selbst in einem Fresko, würde aber für die Tatsache sprechen, dass er sich offensichtlich mit sich selbst auseinandersetzte. So ist vom Stil her der Lanzenträger (er hält in der linken Hand eine Lanze), dessen Rumpf ein wenig von der Seite zu sehen ist, und der grimmig schaut, in der Mitte des Freskos rechts neben dem Schildträger mit dem Pilger vergleichbar, auch wenn Ernst Heimeran dies anders bewertet und das Konterfei des Lanzenträgers nicht in Richtung

eines Selbstporträts Michelangelos deutet. 34 Der Lanzenträger ähnelt allerdings, da diese Figur auch von der rechten Seite dargestellt ist, dem Bärtigen aus der Salomon-Booz-Obeth-Lünette an der Südwand der Sixtina, der ebenfalls einen Stab in der linken Hand festhält, dessen Ende einen Kopf mit dem ähnlichen Konterfei darstellt, den der Bärtige anschaut. Fabrizio Mancinelli bezeichnet diesen Bärtigen als Pilger, den er als resignativ und auflehnend beschreibt. 35 Das Sujet hat sich offensichtlich bei Michelangelo über 30 Jahre gehalten, erfährt eine Variation und stellt letztlich einen grimmigen Alten dar. Weniger grimmig, aber von Leo Steinberg als Selbstdarstellung Michelangelos eingeordnet, ist der Reiter mit dem blauen Turban hinter dem Kommandeur auf der rechten Seite des Freskos. 36 Als weitere Selbstdarstellung Michelangelos

Forcellino, A.: Michelangelo, S. 288. Im Vorfeld verweist Antonio Forcellino darauf, dass der heilige Paulus in den Mittepunkt der Diskussion zwischen den Konservativen und Reformatoren geriet, da die paulinischen Schriften die lutherische Interpretation von der Erlösung rechtfertigten. Vgl. ebd., S. 286–287. 30 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 298. Der Autor betrachtet auch die Tonsur des Petrus und ordnet sie hier als polemisch ein. In der Entscheidung für die Tonsur sieht er eine Erinnerung an die spirituelle Natur des Papsttums, an dessen Demut und dessen evangelische Reinheit. Vertreter dieser Position sei kein geringerer als Reginald Pole gewesen. Vgl. ebd., S. 301–302. Der segnende Kleriker im Jüngsten Gericht (unten links) könnte analog zu Antonio Forcellinos Aussage ebenfalls als Erinnerung an die päpstliche Demut verstanden werden. 31 Wallace, W.: Narrative and Religious Expression in Michelangelo’s Pauline Chapel, S. 115. 32 Die Propheten und Sibyllen in der Sixtina gingen der Erschaffung des Moses auch voraus, womit hier ein vergleichbarer Fall vorläge, bei dem der Malerei ein bildhauerischer Prozess vorwegging. 33 Heimeran, E.: op. cit., S. 89. 34 Heimeran, E.: op. cit., S. 89. Eine Ähnlichkeit ist dennoch erkennbar. 35 Manicinelli, F.: Die wahren Farben, S. 218. Wie bereits dargestellt, deutet Frederick Hartt die Figur in der Salmon-Booz-Obeth-Lünette als Karikatur Julius’ II. Vgl. Harrt, F.: Der neue Michelangelo Bd. II, S. 21. 36 Steinberg, L.: Michelangelo’s last paintings, S. 54. Leo Steinberg schätzt das Alter dieser Figur auf ca. 40 Jahre. „The other head in which Michelangelo’s features are recognizable is that of the horseman immediately behind the commanding officer at the upper left. He seems about forty years old and his beard is red – not Michelangelo’s coloring. Yet the likeness of his head, dressed in the artist’s characteristic turban, comes too 29

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Spirituelle Manifestation

ordnet Leo Steinberg die Figur des Paulus ein. 37 Paulus wird hier als Greis 38 dargestellt und durch den Lichtstrahl Jesu wiedergeboren, womit eine Verbindung zu Nikodemus denkbar ist. In der Summe hätte sich Michelangelo so überproportional häufig auf zwei relativ kleinen Fresken selbst dargestellt und nahezu verewigt. Hintergrund dieses Ansinnens kann das Bedürfnis nach seiner Memoria genauso wie ein Glaubensbekenntnis und eine Erkenntnis für die Betrachter des Bildes sein. Vielleicht schuf er aus diesem Grund eine Art Typus, ein idealisiertes oder standardisiertes Selbstbildnis, das sich im Verlauf seines Werkes immer wieder finden lässt. Offensichtlich war es seine Vorstellung eines „vecchios“, eines Typus im Sinne von „Gestalt, Abbildung, Ausprägung“ von einem alten Mann in seinem Stil, der er in seiner Vorstellung zwischenzeitlich selbst geworden war und den er exponierte. Diesen Typus entwarf Michelangelo schon in seiner Jugend, wofür eine Zeichnung aus dem Britischen Museum spricht. Charles de Tolnay interpretiert den dargestellten Mann als Alchimisten 39 und datiert die Zeichnung um 1488. 40 Frede-

rick Harrt hingegen interpretiert die Gestalt als heiligen Jakobus und datiert die Zeichnung auf 1503. 41 Leo Steinberg entwickelt bezogen auf den Typus für die Cappella Paolina eine ähnliche Denkrichtung, wobei er nicht von einem perfekten Porträt, sondern von einem symbolischen Selbstverständnis des Meisters spricht. 42 Dadurch erfährt Ernst Heimerans Aussage auch hier noch einmal Unterstützung. Es stellt sich die Frage, ob die Selbstdarstellungen immer alle eindeutig identifiziert werden müssen oder ob es nicht sinnvoller wäre, mehr den Typusbegriff oder den Ideenbegriff anzuwenden. Dass Michelangelo sich aber selbst in dem Fresko darstellt, ist nichts Neues, da er Selbstporträts schon an der Decke der Sixtina und im Jüngsten Gericht fertigte. In der Malerei des 15. und 16. Jahrhundert war es durchaus üblich, dass sich der Künstler oder Stifter des Bildes in einer Kreuzigungs- oder Geburtsszene eher in der Figur einer unbedeutenderen oder beistehenden Figur darstellte oder darstellen ließ als eine Hauptfigur. In der Bildhauerei war dies eigentlich unüblich 43, womit der Nikodemus eine seltene Ausnahme ist.

11.4 Resümee Es bleibt festzustellen, dass gerade der Entstehungszeitraum der Werke wegen der inneren Befasstheit eine sehr intensive für den Künstler war. Michelangelo suchte sein Heil in der künstlerischen Umsetzung seiner Spiritualität in Form von Bildern, stets von dem Gedanken und der Hoffnung getragen, dass ein Greis wiedergeboren werden kann,

dass der Tod nicht das Ende ist. Einen Ausblick dazu liefert er in einem zum Tod von Vittoria Colonna verfassten Gedicht, in dem er diesem eine Absage erteilt und damit endet, dass sie durch den Tod ins ewige Leben eingegangen sei bzw. der Tod am Himmel keinen Anteil habe. 44 Karl Frey bezeichnet es als eines der hinreißendsten Gedichte, das von Michel-

close to authentic Michelangelo portraits to be discounted.“ Der Chefrestaurator der Cappella Paolina Maurizio de Luca nahm 2009 für sich in Anspruch, dieses Selbstporträt Michelangelos entdeckt zu haben. Vgl. http://www.telegraph.co.uk/culture/art/art-news/5715571/Michelangelosigned-fresco-with-sel f-portrait.html; http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/raetselhafte-renaissance-einziges-selbstportraet-vonmichelangelo-entdeckt-a-633862.html. Ludwig Goldscheider hatte die Zuschreibung bereits 1948 publiziert. Vgl. Goldscheider, L.: The Paintings of Michelangelo, Abbildung 145. Wie bereits erwähnt, kam Leo Steinberg 1975 ebenfalls zu diesem Befund. 37 Steinberg, L.: Michelangelo’s last paintings, S. 39. „Paul’s face, with it’s flattened nose and forked beard, bears the artist’s old, tired features.“ Leo Steinberg verweist in diesem Kontext auf die Farbwahl für die Figur des Paulus, die auch dessen Neubildung bzw. neue Geburt symbolisieren soll. 38 Baumgart, F.; Biagetti, B.: op. cit., S. 18. Die Autoren verweisen auf den Traditionsbruch, den Michelangelo mit dieser Darstellung begeht. Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo, S. 283. Antonio Forcellino betont, dass Paulus zuvor noch nie als Greis dargestellt wurde, sondern immer nur als reifer Mann. Siehe Abb. 91: Ein Alchimist oder der Heilige Jakobus? [S. 378] bis Abb. 94: Der Lanzenträger [S. 378]. 39 Tolnay, C. d.: Michelangelo I, S. 67. 40 Tolnay, C. d.: Michelangelo I, S. 65. Charles de Tolnay ordnet die Zeichnungen weiteren Jugendwerken zu, die Masaccio und Giotto variieren. 41 Vgl. Harrt, F.: Michelangelo Drawings, Text, S. 42, Bild S. 43, Nr. 21. 42 Steinberg, L.: Michelangelo’s last paintings, S. 53. „(…); not perfect resemblances in the sense of personalized portraits, but facial types into which a self-conscious artist would inevitably project a symbolic self-image.“ Vgl. Steinberg, L.: The Line of Fate in Michelangelo’s Paintings, S. 418. 43 Shrimplin-Evangelidis, V.: Michelangelo and Nicodemism, S. 60. 44 Frey, K.: Dichtungen, C, S. 105. „Quand el ministro de sospir mie tanti (…) Di vita piu che’n vita non solea, E morto a ’l ciel, c’allor non avea parte.“

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Resümee

angelo im Schmerz über den Verlust der Freundin verfasst wurde. 45 Es enthält die Trauer über den Verlust, aber auch die tiefe Zuversicht, dass der Tod nicht das Ende ist. Das Bild des ewigen Lebens nimmt er dann vermutlich in der Figur des Nikodemus wieder auf. Dazu macht William Wallace noch eine interessante Aussage im Hinblick auf die Fresken der Cappella Paolina, als er sie in den liturgischen Kontext einordnet: Zentraler Punkt in dieser Kapelle sei der Altar, auf den alles zulaufe, da hier der Papst das Heilige Messopfer zelebriere. Das Fresko der Kreuzigung Petri erinnere den Christen an seine Pflicht des Opferns und der Hingabe an Jesus, was ihm – dem Christen – das ewige Leben bringe. 46 Die Fresken, bevölkert durch Figuren, würden dazu führen, dass die Besucher zu verantwortlichen Teilnehmern werden. 47 William Wallace bietet hier einen beachtenswerten Gedanken, der weiterzuentwickeln ist. Der verantwortliche Teilnehmer ist auf seinem Weg als Pilger in der hünenhaften Figur von Michelangelo schon angedeutet. Im Nikodemus stellt er sich dann als tatkräftiger und somit verantwortungsvoller Teilnehmer dar, er hat immerhin den Gottessohn im Arm, um wie der Greis im Johannesevangelium in Anbetracht der Endlichkeit seines eigenen Lebens das ewige Leben zu erhalten. Antonio Forcellino sieht in der Cappella Paolina den Betrachter mit Ereignissen konfrontiert, die ihn einladen, mit kraftvollen Emotionen daran teilzunehmen, und den Betrachter so in eine aktive Reflexion über den Glauben und dessen Wurzeln zu versetzen. 48 Damit wäre auch Michelangelos religiöse Befindlichkeit angesprochen, die sich im Fresko zeigt und sich weiter in der Nikodemus-Gruppe entfalten

will. Im Vorfeld der Arbeit in der Cappella Paolina schrieb in Florenz Michelangelo am 20. Januar 1542 einen Brief an Messer Niccolò Martelli, einem Mitglied der Accademia Fiorentina. Dieser Brief enthält neben dem Austausch von Höflichkeiten einen bemerkenswerten Satz. Martelli sehe in ihm den Mann, den Gott sich so vorgestellt habe. Er – Michelangelo – sei aber nur ein armer Mann von geringem Wert, der sich in der Kunst abmühe, die Gott ihm gegeben habe, damit er sein Leben verlängere, solange er könne. 49 Michelangelo sieht seine Kunst als von Gott gegeben, die ihm dazu dient, sein Leben zu verlängern. Stellt man dies in die Linie mit der Nikodemus-Gruppe, dann wäre konstatierbar, dass die Kunst der Lebensverlängerung dient und Michelangelo sie zur Ehre Gottes gestaltet, indem er sie von seinem Glauben durchfließen lässt, um so das ewige Leben zu erhalten. Ein anderes ewiges Leben jenseits des Glaubens hatte Michelangelo durch seine Kunst längst erreicht. Die Paolina-Fresken beschließen sein Werk als Freskomaler. Sie sind überhaupt die letzte Arbeit, die der Meister abschließt. Weder in der Bildhauerkunst noch in der Architektur wird es unter seinen Händen zu einer künstlerischen Vollendung kommen. 50 Er hatte seine Ziele erreicht, die sich in seiner angesteuerten Memoria und dem Bekenntnis seines Glaubens manifestierten. Im Herzen des Vatikans hatte er sich verewigt und sich u. a. im Gewande eines Pilgers gezeigt, den er vermutlich als Nikodemus auf dem gedachten Bestimmungsort und Schlusspunkt, seinem Grabmal, ankommen lassen wollte, um als Greis das ewige Leben zu erlangen. Seine in Rom gewonnene Autonomie, die er bis zu seinem Tod gegen alle Anfragen aus Florenz ver-

Vgl. Hinderberger, H.: op. cit., S. 445. Hanneliese Hinderberger übersetzt: „Sie ist lebendiger als einst im Leben; durch Tod ging sie ins ew’ge Leben ein.“ 45 Frey, K.: Dichtungen, S. 384 – Kommentar. Das Gedicht wurde vermutlich im Februar oder März 1547 verfasst. 46 Wallace, W.: Narrative and Religious Expression in Michelangelo’s Pauline Chapel, S. 119. 47 Wallace, W.: Narrative and Religious Expression in Michelangelo’s Pauline Chapel, S. 120. „(…) the frescos make a profound impact on the spectator. They extend and dominate the space of the chapel populating it with real figures. We become more than mere spectators of the events of Christian history; we are made responsible participants.“ 48 Forcellino, A.: Michelangelo – A Tormented Life, S. 251. 49 „Vero è che mi danno tante lodi, che, se io havessi il paradiso in seno (Brust), molte manco sarebbono a bastanza. Veggo vi siate imaginato ch’io sia quello che Dio ’l volessi ch’io fusse. Io sono un povero huomo et di poco valore (Wert), che mi vo afaticando in quell’arte che Dio m’ha data per alungare la vita mia il più ch’io posso.“ Barocchi, P.; Ristori, R.: Il Carteggio di Michelangelo Vol. IV, CMLXXXVII, S. 125–126. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 212, S. 12. 50 Wallace, W.: Certain of Death: Michelangelo’s Late Life and Art, S. 5. In diesem Artikel entwickelt William Wallace Gedanken zu dem Leben des Meisters, als sich in den vierziger Jahren seine soziale Umwelt durch den Tod wichtiger Menschen änderte, als die Erstausgabe der Viten im Jahr 1550 erschien und als er im Jahr 1556 Rom für mehrere Wochen verließ, um in Spoleto zu weilen. Vgl. Grimm, H.: Leben Michelangelos, S. 378. Herman Grimm lässt hier die Architektur außer Acht.

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teidigte, waren auch von dem Gedanken getragen, die Deutungshoheit über sein Leben nicht zu verlieren, die Memoria in eigener Sache weiter zu betreiben und sich weder von Vasari noch von Cosimo de’ Medici vereinnahmen zu lassen. Beide Männer hatten an dem letzten großen Renaissance-

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künstler ein genuines Interesse, der trotz seiner hohen Jahre das Florentiner Ränkespiel durchschaute und geschickt beantwortete. Florenz sollte für ihn nicht mehr in Frage kommen. Er hatte es 1534 endgültig verlassen, nachdem Alessandro de’ Medici 1531 Machthaber in Florenz geworden war.

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12 Keine Heimkehr des Republikaners

Drei Jahre nach Michelangelos Abreise aus Florenz fiel besagter Alessandro am 5. Januar 1537 dem Attentäter Lorenzino, einem Mitglied der jüngeren Medici-Linie, zum Opfer. 1 Seine Ermordung zeigte, dass Florenz einer eigenen politischen Dynamik unterlag; monarchische und demokratische Strukturen rangen wieder miteinander, da der Tod Alessandros die Vulnerabilität des Herrscherhauses offenbart hatte und neue potentielle Möglichkeiten bot. 2 Um eine kaiserliche Intervention in Florenz zu verhindern, musste schleunigst für eine Nachfolge gesorgt werden, für die Francesco Vettori und Francesco Guicciardini den jungen Cosimo favorisierten, verbunden mit der Hoffnung, auf ihn den meisten Einfluss nehmen zu können. 3 Cosimo de’ Medici war mit 18 Jahren politisch unerfahren, stammte aus der jüngeren Medici-Linie 4 und wurde wegen seiner Herkunft zum „capo“ der florentinischen Republik gewählt. 5 Nach seiner Wahl versuchte man vergeblich, ihm Restriktionen aufzuerlegen, die eine politische Entscheidung ohne seine Berater unmöglich machen sollte. Er war aber wegen des sicheren kaiserlichen Vertrauens in ihn nahezu unkontrollierbar 6 und korrigierte zügig das in Florenz herrschende Bild eines Parvenüs, indem er die Regierungsgeschäfte selbstbewusst führte 7 und eine erste massive Aktion gegen die „Fuorusciti“, die Exil-Florentiner unter Führung von Filippo

und Piero Strozzi, ausführte, die die instabile politische Lage in Florenz im Frühjahr 1537 mit einer militärischen Aktion zugunsten der Wiederherstellung der Republik in Florenz nutzen wollten. 8 Cosimo I. fügte den Fuorusciti im Juli 1537 in Montemurlo eine vernichtende Niederlage zu, die sowohl die Macht und Autorität des neuen Herzogs als auch in der Folge dessen Unnachgiebigkeit mit Gegnern demonstrierte. 9 Durch den Sieg bei Montemurlo konnte Cosimo I. nicht nur seine Macht festigen, sondern endgültig das Vertrauen des Kaisers gewinnen, der ihm den Titel „Herzog“ verlieh. 10 In kurzer Zeit etablierte Cosimo I. seine Macht nicht zuletzt durch die prestigeträchtige und politisch tragfähige Verbindung zum Kaiserhaus mit seiner Ehe mit Eleonora von Toledo 1539, der Tochter des Vizekönigs von Neapel, und machte sich im Laufe der Zeit zum Herrscher über Florenz. 11 Als Palast diente ihm der Palazzo della Signoria. 12 Der junge Herzog entpuppte sich als kluger und gewandter Politiker, der begriff, dass sich Macht auf Geld, Diplomatie und auf militärische Stärke stützte. 13 Nach innen ging er durch harte Maßnahmen und Gesetze gegen Bürger vor, die unter den Verdacht gerieten, ihm feindlich gesonnen zu sein, und ließ sie verbannen. 14 Das schärfste Gesetz war das sogenannte Legge Polverina, das drakonische Maßnahmen gegen diejenigen vorsah, die

1 Hale, J. R.: Florence and the Medici, S. 122–123. Lorenzino vollzog seine Mordtat mit einem professionellen Meuchelmörder. Vgl. Reinhardt, V.: Die Medici, S. 110. Lorenzino floh nach dem Attentat nach Venedig. 2 Simonetta, M.: Francesco Vittori, Francesco Guicciardini and Cosimo I, S. 2. Florentinische Exilierte aus Rom, wie z. B. die Kardinäle Salviati, Ridolfi und Gaddi, begaben sich zügig nach Florenz. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 222. 3 Cochrane, E.: Florence in the forgotten Centuries, S. 17. 4 Reinhardt, V.: Die Medici, S. 110. Die Mutter Maria Salviati stammte sogar noch von der Hauptlinie der Medici von Cosimo pater patriae ab, von dem der junge Cosimo seinen Namen auf Wunsch des Patenonkels Leo X. erhielt. Vgl. Hale, J. R.: op. cit., S. 127. 5 Cochrane, E.: Florence in the forgotten Centuries, S. 18. 6 Najemy, J. M.: A History of Florence 1200–1576, S. 467. 7 Cleugh, J.: op. cit., S. 294. 8 Zanrè, D.: Cultural Non-Conformity in Early Modern Florence, S. 7. 9 Reinhardt, V.: Die Medici, S. 111. Die führenden Exilisten wurden verhaftet, in der Folge abgeurteilt und hingerichtet. Vgl. Hale, J. R.: op. cit., S. 128. Bekanntestes und zugleich für weiteres Aufbegehren abschreckendes Beispiel war die 17-monatige Inhaftierung Filippo Strozzis, der am 18. Dezember 1538 Selbstmord beging. Vgl. Zanrè, D.: op. cit., S. 8. 10 Najemy, J. M.: op. cit., S. 467. 11 Simonetta, M.: op. cit., S. 3. 12 Veen, H. v.: Cosimo I de’ Medici and his Self-Representation in Florentine Art and Culture, S. 2. 13 Cleugh, J.: op. cit., S. 295. 14 Cleugh, J.: op. cit., S. 294.

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seine Autorität herausforderten. 15 Wie seine berühmten Vorgänger der Familie zeigte sich Cosimo I. als kluger Medienstratege, der dem „Impresario“ Giorgio Vasari seine künstlerische Vermarktung anvertraute. Giorgio Vasari selbst war eher ein mittelmäßiger Maler, Bildhauer und Architekt,

allerdings umso gewiefter in der Vermarktung einer Idee oder seiner Person. Er betrieb durch die von ihm koordinierte Selbstdarstellung der Medici eine bisher nie dagewesene Medienpropaganda, die er nicht uneigennützig anlegte.

12.1 Florentinische Bemühungen 12.1.1 Entwicklung in Florenz Mit Michelangelo hatte Cosimo I. den künstlerischen Superstar auf seiner Agenda, den es nach Florenz zurückzuholen galt. Die feierliche Rückkehr des größten Künstlers aller Zeiten in seine Geburtsstadt hätte der Mediceische Propagandamaschinerie ein besonderes Ereignis beschert. Allerdings sollten sich die Rückholbemühungen zur Unbill des Herzogs nicht realisieren lassen, denn sie scheiterten an der konsequenten Haltung des Künstlers, der höflich und geduldig, aber bestimmt alle Anfragen aus Florenz ablehnte. Der hartnäckige Künstler konnte und wollte sich nicht mehr auf dieses Florenz einlassen, war im Herzen nach wie vor Republikaner und wollte die „freie“ römische Luft nicht mehr aufgeben. Nach Herman Grimm wäre es für Michelangelo ein unerträglicher Wechsel gewesen, zu einem Befehlsempfänger Cosimos I. zu werden. 16 Das Pontifikat Pauls III. hatte auf ihn eine nachhaltige und prägende Wirkung, was sein Selbstbewusstsein, seinen Umgang auf Augenhöhe mit einem Papst und seine unangefochtene Position anging. In dieser Hinsicht herrschte in ihm Klarheit darüber, sich eben nicht an das Gängelband eines jungen Herzoges legen zu lassen. Mit den Jahren war er noch erfahrener und versierter im Umgang mit den Großen seiner Zeit geworden, sodass ihn die Distanz zu Florenz nicht unvorsichtig werden ließ, sondern er seine schriftlichen Ablehnungen mit einer ausbalancierten Finesse verfasste. Ein wei-

teres Ablehnungsmoment war die Tatsache, dass sich Michelangelo in der Folge auch nicht von dem neuen Herrscher vereinnahmen lassen wollte. Der Herrscherwechsel in Florenz 1537 hatte für den Künstler in Rom keine unmittelbare Konsequenz: Er war auf Cosimo I. nicht angewiesen, was aber umgekehrt der Fall war. Seit Michelangelos Rückkehr nach Rom 1534 waren weder die Neue Sakristei als Grablege der Medici noch die Biblioteca Laurenziana vollendet. 17 Neben der Vollendung der beiden Objekte ging es Cosimo I. um seine Selbstrepräsentation und damit verbunden die Umgestaltung bzw. Ausschmückung von Florenz. 18 Michelangelo hatte in Florenz schon seine Ausschmückungsspuren hinterlassen und war allein deshalb schon von Belang für den Fürsten. Die Versuche der Heimholung des Künstlerstars begannen 1546 und endeten erst 1564 mit seiner Rückkehr post mortem, und zwar auf seinen eigenen Wunsch hin. Besagte Heimholungsversuche sind auf drei Ebenen anzusiedeln: der politischen, Antragen von Ämtern, der schriftlichen, Briefverkehr unterschiedlicher Beteiligter zwischen Florenz und Rom, und der persönlichen, Besuche beim Meister in Rom. Ab dem Jahr 1546 wird die Michelangelo-Frage für den Herzog interessant, was einer Korrespondenz zwischen Bischof Tornabuoni und Gian Francesco Lottini zu entnehmen ist, dass Cosimo I. es sehr begrüßt hätte, wenn Michelangelo nach Florenz zurückgekehrt wäre und er ihn deshalb in den Senat der Achtundvierzig berufen hätte. 19 Ein wei-

Veen, H. v.: op. cit., S. 2. Das Legge Polverina inkludierte u. a. den Verlust der Erbschaft für Exilantenkinder. Vgl. Crome, W. F.: Die Staatsverwaltung von der Toskana unter der Regierung seiner königlichen Majestät Leopold II. Bd. 3, S. VI. 16 Grimm, H.: Leben Michelangelos Bd. II, S. 331. 17 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 192. (Sakristei). Lieberman, R.: op. cit., S. 356. (Bibliothek). Vgl. Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II, S. 117. Die Bibliothek wird zwischen 1555 und 1568 unter beratender Tätigkeit des Meisters vollendet. Vgl. ebd., S. 120. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 205. 18 Veen, H. v.: op. cit., S. 4. Der Autor untersucht in seinem Werk die verschiedenen Projekte Cosimos I., um Florenz zu einer prestigeträchtigen Stadt umzugestalten. 19 Papini, G.: Michelangiolo, S. 622. 15

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terer Versuch auf Ämterebene startete der Herzog im Jahr 1554: Am 24. April 1554 erfolgte die lebenslange Berufung Michelangelos in den Rat der Zweihundert, die keine große politische Relevanz hatte. Diese Berufung war eine große Ehre, zumal Michelangelo im Gegensatz zu anderen Florentinern nicht um Aufnahme gebeten hatte, und bedeutete einen weiteren sozialen Aufstieg in der Stadt. Er und seine Nachkommen erreichten die volle Zugehörigkeit zum florentinischen Patriziat, was die zukünftigen familiären Aufstiegschancen in der Stadt signifikant anhob 20. Zeit seines Lebens wollte der Meister die gesellschaftliche Anerkennung und den Aufstieg der Familie in der Stadt erzielen, was ihm auch gelang, aber diese Berufung löste dennoch nicht seine Rückkehr nach Florenz aus.

12.1.2 Briefliche Absagen Die Ebene der Korrespondenz war die zweite Plattform, von der man aus Florenz in Richtung Michelangelo operierte. Der Herzog selbst trat auf dieser Ebene eher defensiv in Erscheinung, wollte aber den Künstler unbedingt in die Stadt holen, ließ stattdessen über Giorgio Vasari, seinen treuesten Helfer bei der Operation Heimholung, Leonardo Buonarroti und Kardinal Carpi beim Künstler anfragen, was Michelangelo in eine schwierige Lage versetzte. 21 In den 50er Jahren ist so eine rege Korrespondenz zwischen Rom und Florenz nachweisbar, die stets mit einem negativen Bescheid für Florenz endet. Eine Art Auftakt bildet Vasaris Brief vom 20. August 1554, in dem er Michelangelo bittet,

nach Florenz zurückzukehren, um sich dort beisetzen zu lassen. 22 Michelangelos höfliche Antwort vom 19. September 1554 enthält eine Zusage und eine Absage: Die Zusage betrifft den Wunsch der Beisetzung, die Absage betrifft das Verlassen von Rom, da er den Zusammenbruch von St. Peter riskiere und sich somit zum Urheber einer großen Schande mache. Wenn der Plan für die Basilika aber nicht mehr veränderbar sei, werde er ihm entgegenkommen. 23 Die relativ kurze Replik ist zweigeteilt angelegt: Der Künstler kommt Vasari entgegen, da er seine Zustimmung gibt, neben seinem Vater beigesetzt zu werden. Die Zusage kann als ernsthaft gewertet werden, da er Florentiner und Familienmensch war. Die Absage ist eindeutig formuliert, mit St. Peter begründet und der zukünftige rote Faden, der sich durch alle Ablehnungsschreiben in Richtung Florenz zieht. Wie die Begründung „Wohl und Weh von St. Peter“ zu bewerten ist, ist schwierig zu beurteilen. Michelangelo hatte mit dem Beginn des Pontifikates von Marcellus II. eigentlich beschlossen, Rom zu verlassen, was er Vasari in einem Brief mitteilte, den Leonardo Buonarroti übermitteln sollte. 24 Auslöser waren die erneuten Angriffe auf ihn durch die ihm feindliche gesinnte Sekte 25 und Marcellus II. selbst, der Michelangelo nicht wohlgesonnen war. 26 Die Antipathie Marcellus’ II. Michelangelo gegenüber resultierte noch aus der vorangegangenen Baugeschichte von St. Peter. 27 Cosimo I. nutzte die Angriffe der feindlichen Sekte, um quasi unter Garantie allen Entgegenkommens und aller Wunscherfüllung Michelangelo nach Florenz zu holen. 28 Der frühe Tod

Hatfield, R.: The Wealth, S. 220. Wilson, C. H.: op. cit., S. 528. 22 Vasari an Michelangelo am 20. August 1554 (Carteggio Vasariano). Vasari formuliert sein Ansinnen schon in der Anrede: Al Divino Michelagnolo Buonarruoti per il ritorno di Firenze. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_17.php?id=215&daGiorno=1&aGiorno=31&daMese=8&aMese= 8&daAnno=1554&aAnno=1554&intestazione=&trascrizione=&segnatura=&bibliografia=&cerca=cerca&. 23 Michelangelo an Vasari am 19. September 1554 http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1195&daAnno=1554&aAnno=& Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=Vasari%20Giorgio&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=& Bibliografia=&cerca=cerca& „e sappiate per cosa certa che io arei caro di riporre queste mia debile ossa a canto a quelle di mio padre, come mi pregate“ Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 390, S. 146–147. 24 Brief Michelangelos an Leonardo vom 10. Mai 1555. Vgl. Ramsden E. H.: The Letters of Michelangelo Vol. II, Brief 397, S. 397. Siehe Anmerkung 1 zu diesem Brief. 25 Vasari, G.: Michelangelo, S. 158. 26 Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 397, S. 397, Anmerkung 1. 27 Vasari berichtet davon, dass, bevor Julius III. das Motuproprio Pauls III. bestätigte, es einen Angriff der Deputierten der Fabbrica auf Michelangelo wegen der angeblich schlechten Lichtverhältnisse gab. Federführend in einer Versammlung gegen ihn war Kardinal Marcellus Cervini, der spätere Marcellus II., Michelangelo verwies Kardinal Cervini massiv in seine Schranken und bekam volle Unterstützung von Julius III. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 152. Julius III. bestätigte am 23. Januar 1552 das Motupropio Pauls III. und heißt alles gut, was Michelangelo am Bau von St. Peter bisher getan hat und befiehlt die strenge Einhaltung seines Modells. Vgl. Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 403. 28 Vasari, G.: Michelangelo, S. 158. 20 21

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von Marcellus II. am 1. Mai 1555 29 löste bei Michelangelo einen Meinungswechsel aus, worüber er am 11. Mai 1555 Vasari in Kenntnis setzte und wieder St. Peter anführte. Er verweist darauf, dass man ihn zur Arbeit an St. Peter gezwungen habe, und zwar seit Jahren unentgeltlich. Gerade werde eine Kuppel gewölbt, und ein Verlassen der Baustelle käme einer Versündigung seinerseits gegen die Christenheit gleich und wäre eine schwere Sündenbelastung seiner Seele. Er bedanke sich höflich für die Anfrage des Herzogs, wünsche sich dessen Erlaubnis, in Rom zu verweilen, um dann später mit gutem Ruf und Ehre Rom zu verlassen. 30 Michelangelo hatte sich durch sein Vor und Zurück, Rom wegen Marcellus II. zu verlassen, Vasari und dem Herzog gegenüber in eine prekäre Situation manövriert und musste sich aus dieser wieder heraus lavieren. Bestes Mittel ist die maßlose Übertreibung, sich als geknechteter und unbezahlter Arbeiter darzustellen, der Sorge um sein Seelenheil hat, wenn er die Baustelle jetzt verließe. Obendrein hat er noch die Kühnheit, den Herzog um Erlaubnis bitten, in Rom bleiben zu dürfen. Er gibt dem Herzog so eine Position, die er gar nicht hat: Cosimo I. hat in dem Sinne keinen direkten Zugriff auf ihn. Der betagte Künstler ist sich dessen bewusst, spricht eine Pseudohuldigung oder Pseudounterwerfung aus, der eine erneute Absage folgt. Dieser schloss sich eine erneute Anfrage aus Florenz an. Der Kämmerer des Herzogs unterbreitete Michelangelo ein von Gunstbezeugungen begleitetes Angebot, nach Florenz zurückzukehren. Am 22. Juni 1555 verfasste Michelangelo die Antwort darauf an Vasari. 31 Im devoten Ton folgt die Erklärung der Fortsetzung der Arbeit an St. Peter, bis der Plan nicht mehr zu verändern ist. Gleichzeitig garniert er die Aussage mit der erneuten Bitte an den Herzog aus diesem Grund in Rom bleiben zu dürfen. Seine Absage steigert er, indem er seinen frühzeitigen Weggang von St. Peter als großen Schaden, große Schande und große Sün-

de einordnet. Es folgt die Bitte Michelangelos an Vasari aus Liebe zu St. Peter, dem Herzog seine Haltung zu übermitteln. Das Ende des Briefes enthält den Hinweis auf sein Alter und die Hoffnung, dass Gott den Tod von ihm noch fernhalten werde. 32 Der Künstler bleibt seiner Linie treu und wiederholt litaneiartig sein Hauptargument: Er kann und will sich nicht gegen St. Peter versündigen. Dem Brief ist aber auch zu entnehmen, dass ihm auf der Baustelle Widerstände gegen seinen Plan begegnen. Den Plan will er gesichert haben, weshalb er bestimmte Bauabschnitte vorantreibt. Von daher ist das Thema „Schande“ oder „Versündigung“ ambivalent zu betrachten. Einerseits ist es ein Argument gegen Cosimos I. und Vasaris Ansinnen, da niemand in Florenz Interesse an einem Schandfleck in der Vita des Meisters haben könnte, andererseits zeigt es Michelangelos Befindlichkeit, da St. Peter für ihn ein Prestigeobjekt und er ein gläubiger Mensch ist. Er selbst wollte wegen seines Nachlebens, das mit St. Peter verbunden war, ebenfalls keinen Makel in seiner Vita. Deborah Parker wies in ihrer Untersuchung des Briefwerkes von Michelangelo nach, dass das Thema „Ehre“ bei ihm von enormer Relevanz war. Er hatte tatsächlich Angst um seine Ehre und seinen Ruf, und zwar auf dem Hintergrund der Grabmalstragödie. Das sei, so Deborah Parker, auch ein Antreiber gewesen, die Arbeit an St. Peter nicht niederzulegen und nach Florenz zurückzukehren. Sie stellt des Weiteren heraus, dass sich der Duktus in Michelangelos Antwortbriefen nach Florenz änderte bzw. verschärfte, dass er immer wieder die Worte „gran ruina“, „gran vergognia“ und „grandissimo pechato“ gebrauchte. 33 Sie arbeitet heraus, dass Michelangelo seine Sprache präzise benutzte, womit er erinnerungsfähige und überzeugende Inhalte in seine Briefe legte. Mit der Aussage, dass dies auch eine Schande für die ganze Christenheit sei, verschärft er seine Aussagen gen Florenz. 34 So kommt Deborah Parker zu dem

Pastor, L. v.: Die Geschichte der Päpste Bd. VI, S. 354. Michelangelo an Vasari am 11. Mai 1555 http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1203&daAnno=1555&aAnno=1555&Mittente= Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=Vasari%20Giorgio&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia =&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 398, S. 153–154. 31 Brief Michelangelos an Vasari am 22. Juni 1555 https://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1207&daAnno=1555&aAnno=1556& Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca =cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Nr. 402, S. 155; Hinderberger, H.: op. cit., S. 275–76. 32 Brief Michelangelos an Vasari am 22. Juni 1555 (siehe vorherige Fußnote) H.: The Letters Vol II, Brief 402, S. 155; Hinderberger, H.: op. cit., S. 276. 33 Parker, D.: Michelangelo and the Art of Letter Writing, S. 139. 34 Parker, D.: op. cit., S. 140. 29

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Schluss, dass Michelangelo seine Worte sehr genau wählte. In diesem Kontext sei darauf verwiesen, dass seine Auseinandersetzung mit dem Glauben und der Sorge um sein Seelenheil eine Versündigung gegen St. Peter ausschloss. Als Verantwortlicher für die wichtigste Basilika der Christenheit hatte er eine besondere Obhutspflicht für den Bau. Das Thema „Sünde“ oder „Versündigung“ gegen St. Peter ist von daher nicht übertrieben. Deborah Parker stellt berechtigt heraus, dass Michelangelo fest davon überzeugt war, seine Arbeit durch Gott auszurichten. 35 In der erneuten Bitte an den Herzog, in Rom bleiben zu dürfen, schwingt auch Ironie mit. Vermutlich war es Michelangelos Ziel, mit Blick auf die herzogliche Hybris, dessen Zustimmung zu erhalten, damit das Thema zu den Akten wandern konnte. Weiteres Moment der devoten Absage bzw. Anfrage war der Schutz der Familie in Florenz. 36 Sein Ansinnen ging aber nicht auf, das Thema „Rückkehr nach Florenz“ sollte den Künstler noch die nächsten Jahre beschäftigen. In einem Brief an Leonardo Buonarroti vom 13. Februar 1557 sieht er sich erneut genötigt, diesen zu informieren, dass er ein weiteres Jahr in Rom bleiben müsse, um sich um ein Holzmodell für St. Peter zu kümmern, um das ihn die Römer und Kardinal Carpi gebeten hätten. Das Holzmodell als Komplettentwurf solle die Vollendung des Baus ermöglichen. Leonardo möge den Herzog informieren und die Signoria anflehen, ihm die nötige Zeit einzuräumen, die er in Rom benötige, bevor er nach Florenz zurückkehren könne. 37 Um sich endgültig abzusichern, involvierte Michelangelo Kardinal Rodolfo Pio da Carpi 38 und bat ihn um Intervention bei Cosimo I., was dieser

in Form eines eindringlichen Briefes an den Herzog tat. Er ermahnte ihn, den guten alten Mann seinen Frieden zu lassen und Rücksicht auf sein hohes Alter zu nehmen. Man möge Michelangelo ermöglichen, das Holzmodell von St. Peter zu vollenden, was ein grenzenloser Gewinn für die Fabbrica wäre, um in der Zukunft bzw. nach Michelangelos Ableben Fehler am Bau zu vermeiden. Seine Heiligkeit sei durch ihn und andere auch über die Ratlosigkeit des guten Mannes informiert und habe ihm (Carpi) aufgetragen, sich an den Herzog zu wenden, um für Michelangelos Verweilen im päpstlichen Dienst zu bitten, woran er selbst (Carpi) Interesse habe, da er die Verantwortung für St. Peter trage, dessen frommer und religiöser Nutzen dem Herzog auch gewahr wäre. Carpi erfleht die herzogliche Zusage, dass der gute alte Mann mit Frieden im Geist seinen heiligen Dienst an Gott und somit an diesem gefeierten Ort verrichten könne. 39 Sich nahezu rechtfertigend, nennt der Herzog in seinem Antwortschreiben Gründe für seine Versuche der Heimholung, da Michelangelos seltene Qualitäten ihn begehrt machten und dass es deshalb nicht verwunderlich sei, dass er (Cosimo I.) sich auch um ihn bemüht habe, ihn zurück in seinen Staat zu holen, in dem er seine letzten Tag in Ruhe und Frieden verleben könnte. Cosimo I. selbst habe nicht versucht, ihn aus Rom abzuwerben, er sei vielmehr von vielen anderen angefleht worden, Michelangelo heimzuholen. Ein Verweilen Michelangelos in Rom löse bei ihm nicht Missfallen aus; sollte er aber dennoch zurückkehren, wäre es unangemessen und verachtend (unmenschlich), ihn nicht zu feiern und ihm nicht die Ehre und Wohltaten zu erweisen, die ihm

Parker, D.: op. cit., S. 140. Vermutlich war keine Gefahr in Form von Repressalien in Verzug, aber es ging darum, die Familie beim Herzog nicht in Ungnade fallen zu lassen. Die Buonarroti waren und blieben schließlich in Florenz angesiedelt. Es ging um die familiäre Reputation in der Stadt und das Ansehen bei Hofe. 37 Wilson, C. H.: op. cit., S. 528. Charles Heath Wilson präsentiert den Brief in englischer Übersetzung. Das Original: „e di più m’è ag[i]unto che m’è forza fare un modello grande di legniame con la cupola e la lanterna, per laciarla terminata come à a essere finita del tucto; e di questo son pregato da tucta Roma, e massimamente dal reverendissimo cardinale di Carpi in modo che io credo che a far questo mi bisogni star qua non manco d’un anno. E questo tempo prego il Duca che per l’amor di Cristo e di Santo Pietro me lo conceda, acciò ch’io possa tornare a Firenze senza questo stimolo, con animo di non aver a tornar più a Roma. (…) Questa lectera io vorrei che tu la leggiessi al Duca, e pregassi Suo S(ignior)ia da mia parte che mi facessi gratia del tempo sopra decto, ch’i’ò di bisognio inanzi ch’i’ possa tornare a Firenze. Vgl. http://www.memofonte.it/home/ricerca/ singolo_23.php?id=1242&daAnno=1557&aAnno=1558&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinata rio=&Trascrizione= &Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Michelangelos Alter und kläglicher Gesundheitszustand ließen nach einem Modell von St. Peter rufen. Ein Breve konnte weder Michelangelos Lebensdauer noch die des ausfertigenden Papstes sichern, insofern musste der Bau durch ein Modell abgesichert werden, das alle überlebte. Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 528 und S. 529. 38 Kardinal Ridolfi Pio da Carpi (1499–1564) war Kleriker an der Basilika von St. Peter und Deputierter der Fabbrica di San Pietro. Vgl. Ramsden E. H.: The Letters Vol II, S. 172, Anmerkung Nr. 3. Giovanni Papini bezeichnet Kardinal da Carpi als einen der wenigen Freunde Michelangelos unter den Deputierten der Bauhütte. Vgl. Papini, G.: Michelangiolo, S. 595. 39 Wilson, C. H.: op. cit., S. 529. 35

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zuständen. 40 Die Forderung von Kardinal Carpi an Cosimo I. ist deutlich und wird durch den päpstlichen Auftrag unterstrichen. Die Begründung ist nachvollziehbar: Es geht um die bauliche Absicherung des Michelangelo-Entwurfes für St. Peter, den der Meister mit einem beruhigten bzw. befreiten Geist überwachen muss. Entsprechend lenkt Cosimo I. ein, wäscht seine Hände im Hinblick auf die Anfragen in Unschuld, gelobt kein Missfallen an dem Verbleib Michelangelos in Rom zu entwickeln, lässt aber die Türe offen, sollte es sich Michelangelo noch anders überlegen. Der Herzog lehnt es dennoch und offensichtlich ab, die Heimholung des Künstlers aufzugeben. Michelangelo selbst verfasste am 22. Mai 1557 einen Brief sowohl an den Herzog als auch an Vasari und legte damit nach. Beide Schreiben haben im Grundton denselben Inhalt: Er kommt vorerst nicht nach Florenz zurück. Den Herzog setzt er in einem höflichen Duktus als Antwort auf ein Schreiben der florentinischen Signoria, die ihn sehr zur Rückkehr nach Florenz bedrängte, darüber in Kenntnis, dass er die Baustelle von St. Peter noch nicht im Stich lasse könne. Zwecks Behebung eines Baufehlers bitte er um ein weiteres Jahr Frist. Er kehre dann nach Florenz zurück, um sich dort im Tode auszuruhen. 41 Der Brief an Vasari fällt differenzierter aus und nennt Gründe für eine Nichtrückkehr. Er betont zunächst noch einmal, dass er gegen seinen Willen vor zehn Jahren von Papst Paul III. gezwungen worden sei, die Baustelle in St. Peter zu übernehmen, da es nach wie vor zu Bauverzögerungen komme. Für Michelangelo ist ein Verlassen der Baustelle keine Option, da so der Abbruch bzw. die Aufgabe des Baus von St. Peter durch Diebesgesindel drohe. Als Nächstes verweist er auf seine Immobilien in Rom, die den Wert von mehreren tausend Scudi habe, und er nicht wisse, was daraus werden solle. Seine Gesundheit sei auch angeschlagen, was der Arzt Maestro Eraldo bezeugen könne. Die Rückkehr nach Florenz verlange aber einige Zeit, um vor Ort alles zu regeln, sodass er daran nicht zu denken brauche. Er empfehle sich

Vasari, er möge ihn auch beim Herzog empfehlen, er habe nichts anderes als den Tod im Sinn und seine Aussagen über seine Lage seien wahr. 42 Der Brief liefert eine Spannbreite von der Übertreibung bis zur Wahrheit. Stark übertrieben ist der Zwang, den Paul III. angeblich Michelangelo auferlegte. Er stilisiert sich zum Opfer des Papstes: Ein Motuproprio wird jetzt als Knebel ausgelegt. St. Peter wird wieder Mittel zum Zweck, und zwar zur Ausrede. Obendrein muss er St. Peter vor bösen Buben beschützen, da sonst eine Bauaufgabe droht. Durch seine Selbsternennung zum Protektor von St. Peter liefert er ein schwerwiegendes, nahezu nicht abzulehnendes Argument und nimmt Vasari in die Mitverantwortung, wenn er Rom nun verlassen würde. Florenz würde St. Peter seines Beschützers berauben. Natürlich hatte Michelangelo Gegner in der Fabbrica, die aber nicht die Macht hatten, den Bau zur Aufgabe zu bringen. Sein Ziel war primär der Schutz und die Realisierung seines Plans. Sein Besitz ist das nächste, was er argumentativ in die Waagschale wirft. Ein Verlust von mehreren Tausenden Scudi ist für ihn eine Zumutung. Nicht geschriebene Antwort: Das könne kaum einer von ihm verlangen. 43 Zum Schluss bringt er die aussagekräftigsten Argumente, die schon ernst zu nehmen sind: Seine Gesundheit und sein Alter. Michelangelo wird sein Alter gespürt haben, was sich auch in Erkrankungen oder Unwohlsein geäußert hat. Er selbst rechnet in diesem Brief mit seinem baldigen Ableben, womit er, auch wenn er beim Herzog um ein Jahr Aufschub bittet, deutlich macht, dass er nicht nach Florenz zurückkehren wird und will. Er wird es leid sein, sich mit 82 Jahren permanent rechtfertigen zu müssen, warum er nicht nach Florenz zurückkehren will. Es ist zu konstatieren, dass ihm diese Korrespondenz lästig, aber nicht gleichgültig war. Am 1. Juli 1557 sieht sich der Künstler erneut gezwungen, seinem Neffen brieflich seine Rechtfertigung für die Verzögerung der Florenzreise mitzuteilen. Er würde lieber sterben, als bei Cosimo I. in Ungnade zu fallen und sei stets ehrlich in seinen Worten gewesen. St. Peter

Wilson, C. H.: op. cit., S. 530. Brief Michelangelos an Herzog Cosimo I. Am 22. Mai 1557. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1253&daAnno=1557& aAnno=1557&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Biblio grafia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 433, S. 174. 42 Brief Michelangelos an Vasari vom 22. Mai 1557 http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1255&daAnno=1557&aAnno=1557& Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca =cerca& „(…) contra mia voglia con grandissima forza messo da Papa Pagolo (…).“ Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 434, S. 174–175. 43 Die Immobilie hätte er veräußern oder vermieten können, so wie es mit den Liegenschaften um Florenz herum geschah. 40 41

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möchte er in ein Stadium bringen, in dem sein Plan weder ruiniert noch verändert werden könne, noch möchte er Räubern und Dieben die Gelegenheit zum Stehlen geben. Sein angestrebtes Baustadium habe er aufgrund des Fehlens von Geld und Männern noch nicht erreicht. Da es sonst niemanden gebe, der seine Position ausfülle könne, verspüre er nicht den Wunsch, seinen Platz zu räumen. Schließlich arbeite er für die Liebe Gottes, in dem auch seine Hoffnung liege. Als Explikation sende er eine Zeichnung in dem angefügten Brief an Giorgio Vasari, der dies dem Herzog erklären möge. 44 Offensichtlich hat Michelangelos Absage vom Mai zur allgemeinen Verärgerung in Florenz geführt, hatte er doch selbst seine Rückkehr in seine Heimatstadt in Aussicht gestellt. Diese Verärgerung wird ihm nicht verborgen geblieben sein, sodass er so zeitnah reagiert, seinen Neffen und Giorgio Vasari zu informieren. Giorgio Vasari möge ihn beim Herzog entschuldigen, da ihn St. Peter wieder in Beschlag nehme, was ihn daran hindere, in Florenz zu sein. 45 Es folgen am 17. August 1557 jeweils Briefe an Leonardo und Vasari, die er auf ein Blatt schreibt, da er kein Papier mehr im Haus hat. Sein Brief ist eine Reaktion auf die erneute Anfrage Leonardos, der Michelangelos Rückkehr nach Florenz dringlich macht. Der Künstler spricht von schwierigen Umständen; das Schreiben sei für ihn verdrießlich, er sei alt und voller Konfusion. An Vasari expliziert er die architektonischen Schwierigkeiten näher, die ihm St. Peter bereitet. 46 Schließlich steht am Ende wieder eine Vertröstung des Herzogs. 47 Als Zwischenresümee ist zu ziehen, dass Mi-

chelangelo so verfahren musste, wollte er seine Reputation als Architekt nicht gefährden. Im Hinblick auf sein Alter war ihm sehr bewusst, dass St. Peter sein letzter großer Auftrag war. Dieser Auftrag, dieses Prestigeobjekt als größte Kirche der Christenheit bedeutete nicht nur eine unauslöschliche Memoria und ewige Verschränkung mit dem Bau, sondern auch vielleicht eine späte Genugtuung und Katharsis für den Verlust des Julius-Grabmales. Die Basilika, deren Neubau ihm einerseits eine große Niederlage einbrachte, ließ ihn andererseits zum größten Architekten der Renaissance werden, der als einziger Brunelleschi nachahmte, die Kuppel entwarf und ihn mit seinem Florentiner Landsmann auf Augenhöhe brachte. Sich seiner Endlichkeit bewusst seiend, setzte er markante Einzelpunkte am Bau der Peterskirche, die die Nachfolge unter einen klug erdachten Systemzwang setzen sollte. 48 In letzter Konsequenz würde er als der Baumeister gelten, der St. Peter zu dem gemacht hatte, was sie war. 49

12.1.3 Persönliche Absagen Neben den geschilderten Ebenen gab es die der persönlichen Begegnung mit dem Künstler. Giorgio Vasari machte neben seinem brieflichen Kontakt davon Gebrauch und besuchte ihn 1560 im Rahmen der Kardinalsernennung von Giovanni de’ Medici, dem Sohn Cosimos I., in Rom, „blieb ungefähr einen Monat dort, um sich an Michelangelos Gesellschaft zu erfreuen.“ Dort zeigte er ihm auch Modelle seiner Arbeit in Florenz, die Michelangelo

44 Brief Michelangelos an Leonardo am 1. Juli 1557 http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1258&daAnno=1557&aAnno=1557& Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca =cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 436, S. 177–178. 45 Michelangelo an Vasari am 1. Juli 1557 http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1259&daAnno=1557&aAnno=1557&Mittente= Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 437, S. 178–79. 46 Bambach, C.: Vasari’s Michelangelo, S. 53. In diesem Kontext geht es um den Bereich der Südapsis, auf den Michelangelo dann sein Hauptinteresse legte. 47 Briefe von Michelangelo an Leonardo am 17. August 1557 http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1260&daAnno=1557&aAnno=1557&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario =&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& und Vasari vom 17. August 1557 http://www. memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1261&daAnno=1557&aAnno=1557&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=&Luogo_ Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 438 und Brief 439, S. 180–181. 48 Horst Bredekamp dazu: „Michelangelo hat demnach nicht systematisch von Süden nach Norden oder von unten nach oben gebaut, sondern an markanten Einzelpunkten angesetzt. (…) Da er wusste, dass seine Zeit für die Errichtung des gesamten Baus nicht reichen würde, zielte seine Energie darauf, seine Nachfolger unter den Systemzwang der exemplarisch gebauten Elemente zu setzen und Fakten zu schaffen, die eine Abkehr von seinen Zielen unmöglich machen würden. Vgl. Bredekamp, H.: Sankt Peter in Rom, S. 98. 49 William Wallace ordnet St. Peter nicht zu Unrecht als krönenden Erfolg der Kunst Michelangelos ein. Vgl. Wallace, W.: Discovering, S. 228.

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nicht mehr im Original und vor Ort anschauen konnte. 50 Vasari berichtet weiter, dass der Herzog nebst Gemahlin ebenfalls 1560 in Rom geweilt hätte und er kurz nach seiner Ankunft von Michelangelo besucht worden sei. „Der Herzog machte ihm viele Komplimente (…) und sprach ganz zwanglos mit ihm über alles, was seine Exzellenz an Malerei und Skulpturen in Florenz hatte ausführen lassen und was er insbesondere hinsichtlich des Saals zu gestalten dachte. Michelangelo ermutigte und bestärkte ihn erneut darin, und weil er jenen Fürsten sehr mochte, tat es ihm leid, nicht mehr jung zu sein, um ihm dienen zu können.“ 51 Sollte Michelangelo dies so gesagt haben, sind es Lippenbekenntnisse, da er hier von einem Irrealis ausgeht. Es ging wohl mehr darum, dem Herzog aus den genannten Gründen zu schmeicheln. Dies macht er dann auch noch in seinem letzten Brief an den Herzog vom 25. April 1560. Hier äußert er sich einerseits positiv

über Vasaris Arbeit im Palazzo Vecchio, um sich dann andererseits dafür zu entschuldigen, dass er, im Hinblick auf das Bauprojekt von San Giovanni in Fiorentini, an dem er auch auf Wunsch des Herzogs beteiligt war, traurig darüber sei, dass er schon so alt sei, sich nahe am Tode befinde und es ihm so unmöglich sei, den Wünschen des Herzogs nachzukommen. 52 Es ist durchaus möglich, dass die von Vasari erzählte Episode wohl stimmt. Bezogen auf San Giovanni in Fiorentini könnte er auch die Wahrheit gesagt haben, da Michelangelo dieses Bauprojekt durchaus am Herzen lag. Als überzeugter Florentiner hätte er eine Florentiner Kirche in Rom als Bereicherung gerade für die Exil-Florentiner, den Fuorusciti, empfunden. Er selbst bevorzugte die Kirche SS. XII. Apostoli, die er der beliebteren und frequentierteren Kirche der Florentiner Santa Maria sopra Minerva vorzog, wie sein späterer Aufbahrungsort zeigt. 53

12.2 Gesinnung und Kalkül In diesem Kontext ist es angebracht, Michelangelos politische Gesinnung in den Blick zu nehmen, da sie zeigt, warum er u. a. alle Avancen Cosimos I. ablehnte. Dieser Blick erhebt nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, sondern dient nur als kleines Schlaglicht. Michelangelo war Zeit seines Lebens Florentiner, Freidenker und Republikaner, auch wenn er für die Medici tätig war. Er musste sich immer wieder auf verschiedenen Ebenen bewegen: Einerseits stand er unter der Patronage der Medici, andererseits agierte er in eigennütziger Weise als Künstler sowohl politisch als auch standesbewusst. Dies kam einem Balanceakt gleich. Auch wenn er selbst nicht mehr in Florenz wohnte, lebte und arbeitete, unterstützte er den weiteren Aufstieg seines Neffen in der Stadt. Die Herkunft aus einem alten

Adelsgeschlecht wollte er nicht zuletzt durch Besitz und Vermögen, das er im Laufe seines Lebens erwarb, bestätigen. Für ihn war eine prestigeträchtige Immobilie in Florenz ein absolutes Muss. So argumentiert er in einem Brief vom 4. Dezember 1546 an seinen Neffen Leonardo, der 1500 bis 2000 Scudi für ein Haus im Viertel von Santa Croce ausgeben durfte, was eine beträchtliche Summe war. Ein imposantes Haus gereiche nur zum Vorteil, und sie seien schließlich Nachkommen einer noblen Familie. 54 Aufgrund der noblen Herkunft hatte Michelangelo den Status eines Patriziers minderen Ranges, der ihm klare politische Vorteile gegenüber den anderen Künstlern und Architekten einbrachte. Sein finanzieller Erfolg durch seine Kunst ermöglichte schließlich seiner Familie, sich politisch neu zu

Vasari, G.: Michelangelo, S. 180. Vasari, G.: Michelangelo, S. 181–183. 52 Michelangelo an Cosimo I. am 25. April 1560. „(…) mi duole esser sì vecchio e vicino alla morte per non poter sadisfare tutto al desiderio, suo.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1328&daAnno=1560&aAnno=1560&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinata rio=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 458, S. 195. 53 Hegener, N.: Mediceischer Ruhm und künstlerische Selbstinszenierung. Bandinelli und die Grabmäler in Santa Maria sopra Minvera, S. 270. 54 Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 272, S. 64. Die noble Familie findet bei diversen Gelegenheiten immer wieder Erwähnung. Als sein Neffe Leonardo auf Brautschau ist, berät ihn Michelangelo und betont in seinem Brief vom 28. Februar 1551, dass sie alte florentinische Bürger seien: (…) „noi sian antichi cittadini fiorentini.“ Vgl. Milanesi, G.: La lettere di Michelangelo, S. 271. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php? id=1328&daAnno=1560&aAnno=1560&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione =&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 359, S. 130. 50 51

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etablieren. 55 Er betonte z. B. mit Nachdruck, dass die Buonarroti schon seit 300 Jahren Steuern in Florenz zahlten, was eine klare Definition als Bürger war. 56 Neben dieser Abstammung war er tief mit dem liberalen Florenz verwurzelt, zu dem er vor allem als Freigeist ein lebendiges und inniges Verhältnis hatte. Seinen Lokalpatriotismus besingt Michelangelo beispielsweise in zwei Sonetten, die er 1545 eigentlich für Dante verfasste, in denen er die Verbannung Dantes beklagt, Florenz zwar als Amme bezeichnet, aber den Bann gegen Dante verschmäht. Florenz ist für ihn das Nest, aus dem die Besten verbannt werden, wobei die Besten doch diese Stadt mit ihrem Ruhm beglänzten. 57 In diesen Sonetten ist seine tiefe Enttäuschung zu lesen, da er zwar nicht von seiner Stadt verkannt wurde, aber

dennoch in diesem politischen Klima als Republikaner nicht leben wollte und seine Heimat wegen seiner Gesinnung verlassen musste. Für einen Menschen der Renaissance war die Geburtsstadt bzw. die Herkunftsstadt ein kleiner Kosmos, in dem man beheimatet war; von daher galt das Exil oder gar die Verbannung als schwere Strafe. 58 Die Gründe, warum er 1534 Florenz freiwillig und endgültig verließ, sind hinlänglich diskutiert und vorgestellt. In dieser Freiwilligkeit wird aber auch eine gewisse Bitternis zu finden sein, da er seine Stadt aus seiner Sicht verlassen musste. Als tröstlich wird er empfunden haben, dass er sein republikanisches Hoheitszeichen und quasi ein sprechendes Kunstwerk hinterlassen konnte, den David.

12.3 Steingewordene Bekenntnisse 12.3.1 Der David Der David verhilft Michelangelos zum endgültigen Durchbruch als Künstler, der nicht nur mit der Antike konkurriert, sondern sie übertrifft. Daneben avanciert diese Skulptur zu dem Symbol des freien Florenz. Wenige Tage nach der Verabschiedung der neuen republikanischen Verfassung in Florenz erhielt der Künstler den bedeutenden Auftrag: David. 59 Ausgangspunkt war ein völlig verhauener Stein, der in der Dombauhütte lag und seit Jahrzehnten der Witterung ausgesetzt war. 60 Nach Vasari hatten die Verwalter der Dombauhütte diesen neun Ellen messenden Stein schon aufgegeben, als Michelangelo sein – jahrelang währendes – Interes-

se bekundete und den Stein wegen seiner angeblichen Wertlosigkeit behauen durfte. Als Sujet wählte der den jungen David mit der Steinschleuder aus. 61 Am 13. September 1501 nimmt er seine Arbeit auf, die am 8. September 1504 mit der Aufstellung des Giganten auf der Piazza del Signoria endete und ihm eine Bezahlung von 400 Golddukaten einbrachte. 62 In künstlerischer Hinsicht übertraf Michelangelo sich selbst, da er alle technischen Schwierigkeiten, die ihm der Marmor auferlegte, löste und ein großartiges Werk schuf. Er bewies der Kunstwelt innerhalb und außerhalb von Florenz, dass er ein großartiger Künstler war, der seine Mitstreiter und die Meister vergangener Zeiten übertreffen wollte. 63 Vasari spricht von der Auf-

Hatfield, R.: The Wealth, S. 222. Brief an Francesco Fatucci Juli 1524. „Abbiàno pagato trecento anni le gravezze a Firenze.“ Milanesi, G.: La lettere di Michelangelo, S. 436. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 164, S. 155. 57 Frey, K.: Dichtungen, CIX 37, S. 146. CIX 49, S. 156. Unter CIX fallen insgesamt 105 Einzeltexte, die einzeln nummeriert und hier entsprechend zitiert sind. 58 Tolnay, C. d.: The art and thought of Michelangelo, S. 5. 59 Tolnay, C. d.: The art and thought of Michelangelo, S. 8. 60 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 70. Agostino di Duccio (1464) und Bernardo Rossellino (1476) hatten beide vergeblich versucht, dem Block eine Form zu geben und waren beide an der schlechten Qualität und Brüchigkeit des Marmors gescheitert. William Wallace verweist darauf, dass die Witterung gelagertem Marmor zusetzt und dessen weitere Bearbeitung erschwert, da es zu unkontrollierbaren Absplitterungen kommen kann. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 60. 61 Vasari, G.: Michelangelo, S. 52–53. Michelangelo hatte zuvor die Nachricht von Freunden erhalten, nach Florenz zurückzukehren, um den Block zur Bearbeitung für sich zu sichern. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 28. Siehe Abb. 95: Der David [S. 379] und Abb. 96: Der Brutus [S. 379]. 62 Zöllner, F.: Der Durchbruch in Florenz 1501–1504, S. 42. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 56. Michelangelo erhielt von Piero Soderini 400 Scudi. Nach Condivi vollendete er das Werk in 18 Monaten. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 29. 63 Papini, G.: Michelangiolo, S. 111–112. 55

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erweckung eines Toten 64 und feiert es als das Werk, das alle modernen und antiken Statuen, seien sie nun griechisch oder römisch, um ihren Ruhm gebracht hätte. 65 Nach William Wallace habe kein anderes Werk die Wiedergeburt der klassischen Antike so demonstriert wie der David. 66 Nach Fertigstellung wurde vom ursprünglichen Aufstellungsort Santa Maria del Fiore abgesehen und die Piazza della Signoria gewählt, um dort als eine Art von Wahrzeichen zu fungieren. 67 In politischer Hinsicht wurde die Statue zum Sinnbild, zur Identifikationsfigur für das republikanische Florenz, das seine Unabhängigkeit und Werte bewahren konnte, so wie es das Volk Israel durch David getan hatte. 68 Für Michelangelo war der Auftrag deshalb auch von Besonderheit, da er, aus einer guelfischen Familie stammend, mit der republikanischen Sache sympathisierte. 69 Volker Reinhardt sieht in dem David allerdings die exemplarische Darstellung der Virtus als Summe von Körper und Geist, wie sie alte und moderne Denker wie Niccolò Machiavelli definierten. Der kraftvolle Körper wird zum Ausgangspunkt der Tapferkeit; Intelligenz und Überlegung werden zum Agens für zielgerichtetes Handeln. Mit unerschütterlicher physischer und psychischer Selbstgewissheit, gepaart mit Trotz und Triumph, stattet Michelangelo seinen Helden aus, dem der Sieg gewiss ist. Was Michelangelo hier hineinlegt, kann die Republik Florenz aber nicht bedienen, so Volker Reinhardt, womit die Diskrepanz zwischen dem Ideal und der Realität doch zu groß war. 70 Der Ansatz Volker Reinhardts unterstreicht nochmals Michelangelos politische Gesinnung von sei-

nem beherzten Umgang und Umsetzen des Kampfes für die Freiheit, die sich der Künstler Zeit seines Lebens zu erhalten gedachte.

12.3.2 Die Arbeit als Festungsbaumeister Der einzige Versuch, seine freiheitliche Gesinnung in den Dienst von Florenz zu stellen, ist seine Tätigkeit als Festungsbaumeister während des florentinischen Freiheitskampfes. 71 In diesem Kampf wurde Michelangelo aufgrund seiner Exzellenz als Architekt und seiner Bindung zur Vaterstadt zum Festungsbaumeister ernannt und erhielt in diesem Amt die entsprechende Autorität 72, die er neben seinem architektonischen Wissen nutzte, um Florenz zu sichern. Volker Reinhardt beschreibt die großartigen, aber unausführbaren Pläne, die Michelangelo zum Schutz der Stadt entwarf, als „patriotische Bekenntnisse in Stein“. 73 Sein patriotisches Bekenntnis zu Florenz konnte eine verheerende militärische Niederlage jedoch nicht verhindern, woraufhin Michelangelo zu seinem eigenen Schutz die Stadt verließ und nach Venedig floh. 74 Im Gegensatz zur Flucht im Jahr 1506 aus Rom lag hier ein realer Grund vor, da er sich als Festungsbaumeister der Stadt gegen Papst und Kaiser stellte. Es war ihm bewusst geworden, dass ihm im Fall einer Niederlage eine Verfolgung drohte. Die Florentiner Regierung sanktionierte diese Fahnenflucht, indem sie Michelangelo und zwölf weitere Abtrünnige unter Androhung weiterer harter Maßnahmen zu Rebellen erklärte, wenn sie nicht binnen einer Woche zurückkehrten. Michelangelo ignorierte diese An-

Vasari, G.: Michelangelo, S. 53. Vasari, G.: Michelangelo, S. 56. 66 Wallace, W.: Discovering S. 60. „When we speak of the Renaissance as the rebirth of classical antiquity, no work demonstrates this idea better than Michelangelo’s David.“ 67 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 72. 68 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 81. Vgl. Buch Samuel: Der von Gott auserkorene David (Sam 16,3), der später von Samuel gesalbte König (Sam 16, 12–13), begegnet dem Philister Goliath im Aufeinandertreffen mit Gottvertrauen, tötet den Hünen und verhindert mit göttlicher Hilfe die Fremdherrschaft (Sam 17, 40–54). 69 Zöllner, F.: Der Durchbruch in Florenz 1501–1504, S. 42. 70 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 61–62. 71 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 207. Nach dem Sacco di Roma und der Schwächung des Medici-Papstes versuchten die Florentiner, erneut die Republik zu errichten. 72 Gotti, A.: op. cit. Bd. II, S. 62. Als Bezahlung erhielt er in den ersten acht Monaten des Jahres 1529 125 Florin, was Rab Hatfield als keine kleine Summe einordnet. Vgl. Hatfield, R.: The Wealth, S. 222. 73 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 210. Eine eindrucksvolle und höchst anschauliche Rekonstruktion der Festungsbauten Michelangelos befindet sich auf der Homepage der Firma Architectura Virtualis, Kooperationspartner der TU Darmstadt, unter der Rubrik 3D-Rekonstruktionen. http://www. architectura-virtualis.de/rekonstruktion/index.php?lang=de&img=0&file=20. 74 Vasari, G.: Michelangelo, S. 109. Michelangelo flieht am 21. September 1529 nach Venedig. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 156. Condivi stellt die Episode, wie bereits erwähnt, anders dar. Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 56–57. 64 65

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Steingewordene Bekenntnisse

drohung, unterlag aber noch keiner Vermögenskonfiskation, die weiterhin wie ein Damoklesschwert über ihm hing. 75 Allerdings war sein zu diesem Zeitpunkt beträchtlicher Besitz neben einem möglichen Exil und Gesichtsverlust der Familie in der Stadt bedroht. Die Karriere, die bisherige künstlerische Lebensleistung und Reputation standen nun zur Disposition. Seine Flucht konnte einen langen und dunklen Schatten auf seine Künstlergeschichte – vor allem in Florenz – werfen. Um eine Schadensbegrenzung zu erzielen, kehrte Michelangelo im November 1529 nach Florenz zurück 76, das am 12. August 1530 kapitulierte. 77 Die Folgen für Michelangelo wurden bereits dargestellt. In letzter Konsequenz wurde er wieder in Gnaden von Clemens VII. aufgenommen und konnte das Projekt San Lorenzo fortsetzen. 78 Obwohl er noch relativ glimpflich aus dem Untergang der Republik und aus seiner Abtrünnigkeit hervorgegangen war, werden diese Erfahrungen bzw. die ausgestandenen Zukunfts- und Todesängste ihn nachhaltig geprägt haben. Vermutlich wurde ihm in der Retrospektive gewahr, dass er vielleicht nicht noch einmal so eine Fortune haben würde. Fortan sollte er sich nicht mehr eindeutig zu seiner republikanischen Ausrichtung bekennen, sondern sich stattdessen bei sich bietender Gelegenheit auf sicheres Territorium – Rom – zurückziehen, wo er sich auch im Umgang

mit Exil-Florentinern ebenfalls defensiv verhielt, was ihn aber nicht davon abhielt, wieder ein Kunstwerk für sich sprechen zu lassen, und zwar den Brutus.

12.3.3 Der Brutus Der Brutus entstand zeitverzögert im Jahr 1540 als Reaktion auf den Tyrannenmord an Alessandro de’ Medici. Die Anfertigung der Büste ist mehr als eine stille Billigung des Tyrannenmordes, im Gegenteil: Sie ist dessen Legitimation 79, da das steinerne Bildnis keinen geringeren als den Cäsarmörder Brutus zeigt. Nach Vasari war Kardinal Niccolò Ridolfi, der Neffe Leos X., Anführer der republikanisch gesinnten „Fuorusciti“, der Exilflorentiner in Rom 80, Empfänger des Werkes, das auf Bitten von Messer Donato Giannotti angefertigt wurde. 81 Michelangelo legte hier ganz seine freiheitliche Gesinnung hinein, sodass Cristina Acidini Luchinat zu dem Befund kommt, im Blick des Brutus liege sowohl eine moralische und politische Entschlossenheit als auch eine resolute Art. William Wallace hält den Brutus für die politisch aufgeladenste Skulptur und den besten Beweis für Michelangelos lebenslange Hingabe an die Ideale der Florentiner Freiheit und seine Bereitschaft, einen Tyrannenmord hinzunehmen. 82 Volker Reinhardt hingegen kommt zu einem

Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Appendix 21, S. 292. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Appendix 21, S. 292. Die Regierung wandelte die ausgesprochene Strafe in einen dreijährigen Ausschluss aus dem Großen Rat um. 77 Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 214. Maßgeblichen Anteil an der Rückkehr hatte sein Freund della Palla, er verwies im Oktober 1529 darauf, dass Michelangelo zurückkommen möge, um sich selbst, seine Freunde, seine Ehre und sein Vermögen zu retten. Brief della Pallas an Michelangelo in Venedig am 24. Oktober 1529. „(…) ve ne torniate alla patria, per conservarvi lei, gli amici, l’honore et le facultà (…)“. http://www.memofonte.it/ home/ricerca/singolo_23.php?id=795&daAnno=1529&aAnno=1529&Mittente=&Destinatario=Buonarroti%20Michelangelo&Luogo_Mittente=&Luogo _Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. Vasari berichtet von energischen Aufrufen zur Rückkehr und eindringlichen Bitten, „das begonnene Projekt nicht aufzugeben“, vom Sieg der Heimatliebe Michelangelos und dessen nicht ganz gefahrlose Rückkehr nach Florenz. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 110. 78 Zur Fortsetzung der Arbeit an San Lorenzo: Vasari, G.: Michelangelo, S. 115. Zum Untertauchen Michelangelos aus Gründen der Angst: Vasari, G.: Michelangelo, S. 111. „Nach der (politischen) Einigung bekam Baccio Valori, der Kommissar des Papstes, den Auftrag, einige Bürger, die am stärksten Partei ergriffen hatten, festnehmen und ins Gefängnis werfen zu lassen. Dieselbe Abordnung kam in das Haus Michelangelos, nach dem man suchte, was der aber schon geahnt hatte und heimlich in das Haus eines guten Freundes geflohen war, wo er sich viele Tage versteckt hielt.“ Vgl. Condivi, A.: Michelangelo, S. 57–58. „Wie aber die Feinde durch Vertrag eingezogen waren, und viele Bürger gefangen und getötet wurden, so wurde das Gericht ins Haus des Michel Angelos geschickt, ihn festzunehmen (…) Aber Michel Angelo, der befürchtete, was erfolgt war, hatte sich geflüchtet in das Haus eines sehr guten Freundes von ihm, wo er viele Tage versteckt war, ohne dass jemand wusste, dass er in diesem Haus sei, außer der Freund, und so rettete er sich (…)“. Paolo dal Pogetto berichtet in seinem Werk u. a. über die Wiederauffindung von michelangeloesken Zeichnungen unter San Lorenzo. Michelangelo habe sich hier vor seinen Häschern nach dem Fall von Florenz versteckt gehalten. Vgl. Poggetto, P. d.: Michelangelo – La „Stanza Segreta“. 79 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 245. Siehe Abb. 95: Der David [S. 379] und Abb. 96: Der Brutus [S. 379]. 80 Vasari, G.: Michelangelo, siehe Fußnote 443, S. 398, verfasst von C. Gabbert. 81 Vasari, G.: Michelangelo, S. 187–188. Vasari berichtet weiter darüber, dass Michelangelo diese Büste Tiberio Calcagni überließ. 82 Wallace, W.: Discovering, S. 204. „The Brutus is most certainly a politically charged sculpture and the best evidence of Michelangelo’s lifelong devotion to the ideal of Florentine liberty, willingly purchased even at the price of tyrannicide.“ 75

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Keine Heimkehr des Republikaners

anderen Befund und setzt die Skulptur in den Kontext der Gespräche mit Giannotti, in denen der Tyrannenmord ebenfalls diskutiert wurde, und arbeitet Michelangelos ambivalente Haltung zu diesem Thema heraus. 83 Für ihn ist Michelangelo in dieser Frage nicht eindeutig, was auch am Brutus ablesbar sei, der einerseits zur Tat entschlossen ist, aber andererseits die Konsequenzen seines Handelns nicht bedenkt, die nicht durchweg positiv sein müssen. 84

12.3.4 Resümee Die Versuche, Michelangelo nach Florenz zurückzuholen, mussten scheitern, da der Künstler innerlich bzw. politisch nicht dazu bereit war und äußerlich in einem Systemzwang steckte, der ihm sehr entgegenkam. Das päpstliche Vertrauen, das er seit 1535 genoss, wollte und konnte er nicht aufgeben. Der bereits dargestellte unangefochtene Status als künstlerischer Herr des Vatikans spricht ebenfalls dafür. In Florenz hätte es weder einen vergleichbaren Posten noch vergleichbare Projekte wie St. Peter gegeben. St. Peter gegenüber war er eine innerliche Verpflichtung eingegangen, die letztlich

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Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 262–263. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 266, insgesamt S. 260–266.

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seinen Glauben widerspiegelt. Darüber hinaus wollte er ein Scheitern seines letzten großen Projektes verhindern. Das Non-finito dieses Projektes war ihm aufgrund seines Alters bewusst, daher steckte er architektonische Claims ab, die eine spätere Veränderung verhinderten. Er hat seine Idee dieses Mal nicht in Stein gemeißelt, sondern Stein für Stein gebaut. In dieser Größe und Tragweite war die Erinnerung an ihn nicht mehr zerstörbar. Mit der Kuppel, auch wenn sie nicht zu seinen Lebzeiten vollendet wurde, hat er sich eine Krone quasi in Form einer Selbstkrönung aufgesetzt. Gegen diese Möglichkeiten, die St. Peter ihm bot, hatten weder ein Herzog noch ein Vasari eine Chance. Die enorme Freiheit, die er in Rom genoss, hätte er in Florenz nicht gehabt. Man hätte Erwartungen an ihn gehabt und vermutlich auch gestellt, den Kult um und für den Herzog mit zu betreiben, was er aber innerlich ablehnte. Er wollte sich für diese propagandistischen Zwecke schlicht nicht vereinnahmen lassen, wollte sich weder zum Vehikel für die Ambitionen eines Herzogs noch eines Vasaris machen lassen. Der betagte Künstler hatte deren Absichten erkannt und wollte weder sein Leben noch die Deutungshoheit über dieses Leben aufgegeben.

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13 Vasaris Vorstoß

Giorgio Vasari musste zwar akzeptieren, dass die Heimführung Michelangelos nach Florenz scheiterte, gab aber nicht auf, den Altmeister auf andere Weise für seine Zwecke zu vereinnahmen. Vehikel wurde dazu die neu gegründete Accademia del Disegno. Antreiber für diese Neugründung war er selbst, da er konkrete Pläne mit ihr hatte und sie zu einer geachteten und beachteten Institution in Florenz und darüber hinaus machen wollte. Wichtiger Bestandteil der Accademia war in Vasaris Planung und Ausrichtung Michelangelo, der für die Corporate Identity der Accademia ein wichtiger Baustein wurde. Die Accademia del Disegno war durchaus vergleichbar mit einem modernen Unternehmen, das sich nach bestimmten Kriterien in der Öffentlichkeit präsentieren und etablieren wollte. Von Cosimo I. ins Leben gerufen, entwickelte diese Accademia bzw. deren maßgeblichen Vertreter wie Vasari und Borghini ein Eigenleben, das neben dem Glanz für den Herzog der Accademia eine langfristige Bedeutung verschaffen sollte. Umsetzbar ist dies durch ein geschickt geschaffenes Image, das am Ende Corporate Identity genannt werden kann. Die Gründer der Accademia wollten ihrer Vereinigung ein Image geben, das die Vergangenheit, die Gegenwart und Zukunft miteinander verschränkt. Alle folgenden Schritte waren demnach keine Zufallsprodukte, sondern klare Entscheidungen. Eine dieser Entscheidungen war die Aufnahme Michelangelos in die Accademia durch eine Ballotage, einer geheimen Wahl, während er nach wie vor in Rom weilte. Zweifelsfrei war Michelangelo die Autorität der drei Künste, die die besagte Accademia vertrat, womit seine Aufnahme ihre Berechtigung hatte, er aber weder gefragt noch gebeten wurde. Im Alter von 87 Jahren wurde er ungefragt aufgenommen und quasi zum zweiten Präsidenten der Accademia ausgerufen. Der Gedanke ist nicht abwegig, dass Vasari im Fall von dessen Ableben im Hinterkopf hatte, den berühmten Verstorbenen publikumswirksam für die Accademia zu nutzen. Hier sei daran erinnert, dass Vasari Michelangelo 1 2

in Rom überwachen ließ und offensichtlich mit dem Ableben des Künstlers rechnete. Die späteren Geschehnisse um den Tod und die Exequien des Meisters sowie die Planung und Ausführung seines Grabmals zeigen, wie durchdacht man in Florenz ans Werk ging, um der Causa Michelangelo die gewünschte Richtung zu geben. Ziele der Beteiligten waren, sich selbst am Künstler zu bereichern, sich in seinem enormen Glanze zu sonnen und sich ein entsprechendes Image durch die Corporate Identity der Accademia zu verschaffen. Nach gängiger Definition ist Corporate Identity „die strategisch geplante eingesetzte Selbstdarstellung und Verhaltensweise eines Unternehmens nach innen und außen auf Basis einer festgelegten Unternehmensphilosophie, einer langfristigen Unternehmenszielsetzung und eines definierten (Soll-) Images – mit dem Willen, alle Handlungsinstrumente des Unternehmens in einheitlichem Rahmen nach innen und außen zur Darstellung zu bringen.“ 1 Diese Elemente sind durchaus auf die Accademia del Disegno übertragbar, was auch für weitere Komponenten gilt, die die Corporate Identity ausmachen: Die Corporate Identity Strategie wird gezeigt, indem das visuelle Erscheinungsbild (Corporate Design), die Kommunikation (Corporate communication) und das Verhalten (Corporate behaviour) aufeinander abgestimmt sind. 2 Die Entstehung der Accademia, deren ersten Amtshandlungen die Exequien Michelangelos und Ausführung seines Grabmals in Santa Croce waren, kommen einem strategischen Marketing gleich. Ziel war ein Image, das sich langfristig auf dem italienischen Kunst-, dem Bildungsund Traditionsmarkt etablieren konnte, ohne dabei die besondere Bedeutung der Toskana und Florenz und den Medici in den Hintergrund treten zu lassen. Dreh- und Angelpunkt in dieser Entwicklung war Giorgio Vasari. Er zeigte sich in dieser Zeit als bewusst agierender Mann, der sich flexibel auf neue Situationen oder Begebenheiten einzustellen vermochte. Daneben verfügte er über ein ausgezeichnetes Netzwerk und ein Gespür für Menschen, die

Birkgit, K.; Stadler, M. M.; Funck, H.-J.: Corporate Identity, S. 18. Birkgit, K.; Stadler, M. M.; Funck, H.-J.: op. cit., S. 18 und S. 18–21.

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Vasaris Vorstoß

er manipulieren konnte. Auch wenn sein Wunsch, an die Pläne Michelangelos von San Lorenzo zu gelangen, scheiterte, schwenkte er um und nutzte zumindest den Tod des Giganten für seine Zwecke.

Vasari war und blieb ein Absichtstäter. In Cosimo I. fand er den Mäzen, der ihn unterstützte, und in Borghini einen Mitstreiter, der über entsprechende Kontakte und Reputation in Florenz verfügte.

13.1 Propagandamittel Akademiegründung Die Gründung der Accademia del Disegno fällt an den Anfang des Jahres 1563, folgt einer längeren Tradition von Künstlervereinigungen in Italien und wird zukünftig zum Träger der gezielten Kulturpolitik der Toskana. Der junge Cosimo I. hatte seit Beginn seiner Herrschaft 1537 den Wunsch einer „Staatsgründung“ 3, wobei die Gründung eines „Staates“ nach modernen Kriterien (Kulturnation) auf einer gemeinsamen Tradition, Geschichte und Sprache basiert. Die Sprache als einendes Element der Toskaner und die Kunst als Propagandamittel sollten der Etablierung seiner Macht und seiner Selbstverherrlichung dienen. Cosimo I. hatte seinen Herrscherehrgeiz seit seiner Regierungsübernahme und durch die Eheschließung mit Eleonora di Toledo 1539 kontinuierlich gesteigert. 4 Um seine Absichten im Rahmen einer gezielten Kulturpolitik umzusetzen, holte er Künstler nach Florenz, von denen Giorgio Vasari derjenige war, der sich durchsetzte und sich später an die Spitze der Künstler stellte. Nur wenigen Künstlern gelang der Aufstieg zum Hofkünstler mit einem festen monatlichen Einkommen. 5 Ab 1555 erreicht Giorgio Vasari den Rang des Hofkünstlers und erhält die überdurchschnittliche Bezahlung von 300 Scudi monatlich. 6 Als Maler, Bildhauer, Architekt und Literat entwickelte er ein Gespür für die Gelegenheit, um ein Pendant zu der Accademia Fiorentina im Bereich der angewandten Künste zu entwickeln. Er entdeckte und besetzte quasi eine von ihm zu beherrschende Marktlücke, sodass es zu einer Doppel-

gründung von Akademien im Zeitraum von zwei Dekaden kam, wovon die Accademia Fiorentina den Anfang als identitätsförderndes und identitätsstiftendes Element den Ausgangspunkt für die spätere Accademia del Disegno bildete.

13.1.1 Accademia Fiorentina Durch die Eroberung Sienas im April 1555 avancierte die Toskana zu einem der fünf Mächte auf dem italienischen Stiefel. 7 Um diese Position zu unterstreichen, wurde die Sprache der Toskana als italienische Hochsprache gefeiert, verkündet und verbreitet. Die Installierung und Verfestigung der Verbreitung des Toskanischen lief über die 1541 gegründete „Accademia Fiorentina“, die von Cosimo I. und seinen Höflingen kontrolliert wurde. 8 Diese war aus einem Zirkel, der den Namen „Accademia degli Umidi“ trug, sich im November 1540 konstituierte 9 und von Freigeistern frequentiert wurde 10, hervorgegangen. Den Freigeistern ging es um die Gedankenfreiheit und die Freiheit des Wortes außerhalb einer staatlichen Kontrolle. Für Cosimo I., der sich erst seit knapp drei Jahren im Amt befand, war dies politischer Sprengstoff. Schon 1537 hatte er alle Massenveranstaltungen per Dekret 1537 verbieten lassen. 11 Es folgte eine Serie von restriktiven Gesetzen, die die Hoffnungen der Accademia degli Umidi auf Freiheiten jäh beendeten, wobei deren Führungsposten im Verlauf dieses Prozesses durch Männer eingenommen wurde, die

Veen, H. v.: op. cit., S. 1. Veen, H. v.: op. cit., S. 9. 5 Blum, G.: Giorgio Vasari der Erfinder der Renaissance, S. 181. Zu den Künstlern zählten z. B. Bronzino, Pontormo, der z. B. die Monumentalfresken in San Lorenzo anfertigte, und die Bildhauer Bandinelli und Cellini. 6 Blum, G.: op. cit., S. 176. 7 Blum, G.: op. cit., S. 182–83. Lucca konnte Cosimo I. nie ganz in seinen Staat integrieren. 8 Blum, G.: op. cit., S. 183. 9 Zanré, D.: op. cit., S. 15. Die meisten Mitglieder gehörten der handelstreibenden Klasse an, waren somit finanziell unabhängig und nannten sich selbst „Accademia“, da diese Bezeichnung die Zusammenkünfte sozial-elitärer Gruppen umriss, die sich zwecks literarischer Diskussion oder Spielens im privaten Rahmen trafen. Vgl. ebd., S. 16. 10 Barzman, K.-e.: The Florentine Academy and the Early Modern State, S. 27. 11 Zanrè, D.: op. cit., S. 16. 3

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Propagandamittel Akademiegründung

das Medici-Regime unterstützen. 12 Mit der Umbenennung in „Accademia Fiorentina“ bzw. deren Privilegierung durch Cosimo I. am 23. Februar 1541 „nel Libero delle Leggi del Supremo Magistrato“ durch ein herzogliches Privileg, was bis zu diesem Zeitpunkt keiner Akademie in Italien zuteil wurde, wurde sie approbiert und zu „una corporazione dello Stato“. 13 Damit hatte eine Vereinnahmung zu Staatszwecken stattgefunden. 14

13.1.2 Vasaris Absichten Bei der Accademia del Disegno lag ein anderer Fall vor. Bei ihrer Gründung spielte Giorgio Vasari eine entscheidende Rolle. Er entwarf ein Programm, basierend auf einem dogmatischen Kanon von Lehrinhalten, welche von wenigen göttlichen Künstlern in der Vergangenheit entwickelt wurden 15. Ein Ziel war es, die Künste hoffähig zu machen, da sie noch nicht den Status besaßen, der ihnen eigentlich schon zustand. Im Verständnis des Begriffs „Accademia“, die einer Zusammenkunft zwecks Diskurses über Gedichte, Philosophie und Philologie diente, galten Künste bisher eben nur als angewandte Disziplin. 16 Die Transformation von einer angewandten zu einer anerkannten Disziplin war Vasari ein Anliegen. Gerade für die Wiege der Renaissance Florenz sah er es als indiziert, eine Akademiegründung voranzutreiben. Seine erste Veröffentlichung der Künstlerviten 1550 lassen schon auf die Absicht schließen, die Bedeutung der Künste zu forcieren. Er war schließlich darum bemüht, Bedingungen zu schaffen, in die er später die Accademia del Disegno einbetten konnte. Dafür waren das Leben und Werk Michelangelo Buonarrotis bedeutend. Giorgio Vasari verfügte wohl über das Bewusstsein, dass sowohl sein Talent als auch seine Gestaltungskompetenz einer Begrenzung unterlagen. Dadurch war ihm klar, dass er sich nicht mit dem Göttlichen auf eine Stufe stellen, aber das göttliche Licht Michelangelos auf sich scheinen lassen konnte. Den Gött-

lichen mit einer Accademia zu verschränken, würde den Zweck erfüllen, dieser ein künstlerisches Fundament bzw. eine künstlerische Autorität zu verleihen und seinen eigenen Nachruhm zu garantieren. Die Zweitausgabe der Künstlerviten von 1568 nutzte er als Möglichkeit, die Akademiegründung in die Biographien von Jacopo Pontormo (1494–1556) und Giovan Angelo Montorsoli (1499–1563) einzubetten. Hier handelt es sich nicht um einen Zufall, dass beide den Göttlichen kannten, und Montorsoli die Idee entwickelte, eine Grablege für Künstler zu schaffen, die sich eine eigene nicht leisten konnten. Er überführte seine Idee in eine Art Stiftung und band diese an die Florentiner Kirche Santissima Annunziata. Vasari ist dann derjenige, der die Gründung der Accademia del Disegno aus der Idee Montorsolis weiterentwickelt und vorantreibt. Vermutlich hatte er dies länger im Sinn, es bedurfte nur einer Initialzündung, die ihm durch Montorsolis Ansinnen gegeben war.

13.1.3 Die Virtuosi al Pantheon: Vasaris Vorbild? Vorlage für die Accademia del Disegno war vermutlich eine in Rom ansässige Künstlervereinigung, da Vasari ab 1540 in Rom tätig war. Seine Mäzene waren der florentinische Bankier Bindo Altoviti und ab 1543 Paul III. Vasari blieb wohl nicht verborgen, was sich im Pantheon abspielte, und ihn vermutlich später inspirieren sollte. 1542 bildete sich in der Nähe des Pantheons eine „zunftmäßige Künstlerbruderschaft“ 17, was keinen überraschenden Akt darstellte, da es unter den Künstlern Roms Bestrebungen gab, sich außerhalb einer Gilde, zusammenzuschließen. 18 Eine Stiftungsidee oder ein Stiftungsakt wurden so ein stimmiger Schritt. Ideengeber war der Zisterzienser, Mitglied der päpstlichen Kanzlei und Kanonikus des Pantheons namens Desiderio d’Adiutorio, der für sich selbst eine Grablege im Pantheon haben, dort Reliquien aus dem Heiligen Land deponieren

Zanrè, D.: op. cit., S. 60. Maylender, M.: Storia delle Accademie d’Italia, S. 4. 14 Charles Dempsey fasst dies sehr treffend zusammen: „Cosimo too was a master at the art of nullifying potential sources of opposition by employing them, and rewarding them as well he deemed it necessary for working in his interests.“ Dempsey, C.: Some Obseravtions on the Education of Artists in Florence and Bologna during the later sixteenth Century, S. 555. 15 Goldstein, C.: Vasari and the Florentine Accademia del Disegno, S. 146. 16 Goldstein, C.: op. cit., S. 147. 17 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 775. 18 Pevsner, N.: Die Geschichte der Kunstakademien, S. 67. 12 13

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Vasaris Vorstoß

und eine Confraternita gründen wollte. Aus einer angestrebten „Confraternita“, sollte später eine „Congregazione di San Guiseppe di Terrasanta“ werden. Daneben scharte Desiderio d’Adiutorio Künstler um sich, um so auch einen Erinnerungskult für sie zu schaffen. 19 Diese Congegrazione wollte sich vor allem der Verehrung und Erhöhung der „Cattolica Religione“ und der Hebung bzw. Aufwertung der schönen Künste widmen. 20 Nach Desiderio sollten die Künstler zur Ehre Gottes arbeiten, um ihren Beruf im christlichen Sinne erblühen zu lassen. Entsprechend lautete der Wahlspruch: „Florent in Domino“. Am Josephstag wurden die Werke der Künstler, deren Mitglieder

Ingenieure, Bildhauer, Maler und Holztechniker waren, unter der Säulenhalle des Pantheons ausgestellt. 21 Das Pantheon war für Künstler schon deshalb von Relevanz, da es im Zuge der Wiederentdeckung der Antike größte Achtung und Verehrung genoss und Raffael als Grablege diente. Er hatte in seinem Testament verfügt, dort seine letzte Ruhestätte zu finden. 22 Da Vasari dies schon in seiner Erstausgabe der Viten 1550 überliefert, wird er Kenntnis über die Existenz der Künstlerbruderschaft gehabt haben. Vermutlich entwickelte er schon früh den Gedanken, in Florenz ein Analogon in Form einer Grablege für Künstler zu etablieren.

13.2 Drei Schritte zur Gründung Der eigentliche Gründungsakt sollte noch fast Jahrzehnte auf sich warten lassen. Karen-edis Barzman arbeitet in ihrem Werk heraus, dass die Gründung der Accademia in den frühen 60er Jahren des 16. Jahrhunderts ihren Anfang nimmt und sich in einem Dreierschritt vollzieht. Dieser Dreierschritt beginnt mit dem Auftrag Montorsolis, eine Grabkapelle für Künstler zu schaffen, geht in die Translation der Gebeine des Malers Iacopo Pontormo über, um in der Wiederbelebung der Compagnia die San Luca, einer Handwerker bzw. Malerbruderschaft, die ihre Wurzeln im 14. Jahrhundert hatte, den Abschluss zu finden. 23 Als wichtige Quelle über den Gründungsvorgang der Akademie liegt die Biogra-

phie Giovanni Angelo Montorsolis vor. Iacopo Pontormo wird quasi zur Gründungsleiche umfunktioniert, da er seit 1525 Mitglied der besagten Compagnia die San Luca war 24, und durch seine Umbettung das Bindeglied zwischen der alten und neuen Accademia darstellte. Michelangelo wird, wie bereits erwähnt, in Abwesenheit zum zweiten Vorsitzenden der neugegründeten Accademia gewählt, womit es indiziert ist, die Beziehung zwischen Pontormo, Montorsoli, und Michelangelo zu untersuchen. Vasari nutzt seinerseits die drei Künstler, um sie in dem von ihm geschaffenen Kontext zu verweben.

13.3 Die Gründungsleiche: Iacopo Pontormo Iacopo Pontormo erhält als zeitgenössischer Maler von Giorgio Vasari eine ausführlichere Lebensbeschreibung, in der er ihn sowohl als Sonderling als auch als Außenseiter darstellt. Aus seinen letzten

Florentiner Jahren ist bekannt, dass Pontormo Kontakt in die höchsten Kreise hatte und in Florenz über eine gute Reputation verfügte. 25 Pontormo, geboren am 24. oder 25. Mai 1494 in der Ortschaft

Pasquali, S.: From the pantheon of artists to the pantheon of illustrious men: Raffael’s tomb and its legacy, S. 37. Statuto della Insigne Artistica Congregazione De’ Virtuosi al Pantheon; 14. 21 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 776. 22 Vasari, G.: Le Vite Bd. IV, S. 382. Vita da Raffaello de Urbino: „Ordinò poi che delle sue facultà in Santa Maria Ritonda si restaurasse un tabernacolo di quegli antichi di pietre nuove, ed uno altare si facesse con una statua di Nostra Donna di marmo; la quale per sua sepoltura e riposo dopo la morte s’elesse.“ 23 Barzman, K.-e.: op. cit., S. 23. 24 Barzman, K.-e.: op. cit., S. 26. 25 Blum, G.: op. cit., S. 182. Vasari berichtet darüber, dass er gegen Ende seines Lebens Umgang mit Pierfrancesco Vernacci und Don Vincenzo Borghini, dem späteren Lungotenente der Accademia, pflegte. Vgl. Vasari, G.: Das Leben des Pontormo, S. 66. 19

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Der Stifter: Montorsoli

Pontorme bei Empoli, erhielt seine Ausbildung nach dem Tod der Eltern in Florenz, und zwar in diversen Malerwerkstätten von Leonardo da Vinci bis Andrea del Sarto. 26 Ab 1513/14 arbeitete er selbstständig und erhielt verschiedene Freskoaufträge, z. B. in Santissima Annunziata, in den Stanza Borghini, in der Medici Villa Poggio a Caiano, gefolgt von weiteren Aufträgen. 1546/47 folgt der Großauftrag zur Freskierung des Chores in San Lorenzo. Der Maler stirbt entweder am 31. Dezember 1556 oder am folgenden ersten Januar 1557. 27 Der Tradition folgend, wird er am 2. Januar 1556 beigesetzt. 28 „Jacopo wurde im ersten Kreuzgang der Kirche der Servitenbrüder (Santissima Annunziata) unter der von ihm damals gemalten Szene der Heimsuchung bestattet, und alle Maler, Bildhauer und Architekten gaben ihm Geleit.“ 29 Die Beschreibung Vasaris zeigt, dass Pontormo großen Respekt unter den Künstlern genoss. Gleichzeitig baut er durch die genannten Teilnehmer an der Beisetzung eine Brücke zu den Disziplinen, die in der Accademia später vertreten sein werden: Malerei, Bildhauerei und Architektur. Die Bettung Pontormos sollte nur ein Intermezzo sein, da am 24. Mai 1562 seine Translatierung erfolgt. Eine Verbindung Pontormos zu Michelangelo ist deshalb nachweisbar, weil er sich in den Jahren 1535 bis 1545 stark an ihm orientierte. Er war sehr von der leidenschaftlichen Konzentration in Michelangelos Werk fasziniert, studierte sorgfältig

den Großmeister, um dessen Stil als Rohmaterial für eine neue Form der Dekoration zu nutzen. In San Lorenzo realisierte er als Tribut an diesen Genius die gesammelten Eindrücke in seinem Werk. 30 So konkludiert ein Pontormo-Biograph, er sei michelangeloesk geworden. 31 Der Stil Pontormos war wiederum so inspirierend für Vasari, dass er ihn seinerseits imitierte. Vasaris Porträts von Cosimo il Vecchio und Cosimo I. waren denen von Pontormo so verblüffend ähnlich, dass man sie lange für dessen letzten Werke hielt. 32 Diese Imitation bzw. Umsetzung ist wiederum als Tribut Vasaris an Pontormo zu werten. 33 Dem geschulten Auge eines Giorgio Vasari wird es nicht entgangen sein, dass Pontormo michelangeloeske Züge in seinem Werk hatte. In Pontormos Vita vergisst er wohlweißlich nicht, Michelangelo zu integrieren, der Pontormo schon als 19-jährigen lobte, als er dessen Arbeit an einem päpstlichen Wappen für Leo X. für die Servitenbrüder sah: „Soviel man sieht, wird dieser junge Mann – sollte er weiterleben und damit fortfahren – diese Kunst einmal zur Perfektion bringen.“ 34 Ausgangspunkt, dass Pontormo posthum zur Gründungsleiche werden konnte, ist die Idee Montorsolis, eine Künstlergrablege zu stiften. Gesa Schütz-Rautenberg betont in ihrer Dissertation, dass von Fra Agnolo Montorsoli das Stiftungsmoment ausgegangen sei, konstatiert, dass dieser die „Virtuosi al Pantheon“ kannte und deshalb über die Grabmalkonzepte seiner Kollegen im Bilde war. 35

13.4 Der Stifter: Montorsoli Giovan Agnolo Montorsoli gehörte zu den begabtesten Mitarbeitern Michelangelos 36, der den Künstler imitierte und seinen Figuren einen michelangeloesken Stil verlieh, was durch die Zusammen-

arbeit der beiden Künstler an verschiedenen Projekten ermöglicht wurde. Geboren wurde Montorsoli 1499 bei der gleichnamigen Ortschaft und erhielt eine Ausbildung als Steinhauer. 1524 bekam

Vasari, G.: Das Leben des Pontormo, S. 13–14. Vgl. Clapp, F. M.: Iacopo Carucci da Pontormo, S. 4–6. Vasari, G.: Das Leben des Pontormo, S. 133. Daten zu Leben und Werk erfasst von Katja Burzer. 28 Clapp, F. M.: op. cit., S. 79. 29 Vasari, G.: Das Leben des Pontormo, S. 65. 30 Clapp, F. M.: op. cit., S. 73–74. 31 Clapp, F. M.: op. cit., S. 94. 32 Clapp, F. M.: op. cit., S. 95. 33 Clapp, F. M.: op. cit., S. 95. 34 Vasari, G.: Das Leben des Pontormo, S. 17. 35 Schütz-Rautenberg, G.: Künstlergrabmäler des 15. und 16. Jahrhunderts in Italien, S. 195. 36 Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo, S. 96 „(…) perhaps the most talented of all Michelangelo’s assistants.“ Der Autor kommentiert später, dass Montorsoli, wenn er auch nicht unbedingt in stilistischer Hinsicht von Michelangelo profitierte, er aber sicherlich in Fragen des Prestiges und der sich eröffnenden Möglichkeiten Nutznießer war. Vgl. ebd., S. 188. 26 27

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Vasaris Vorstoß

er eine erste Anstellung als Steinmetz in der Neuen Sakristei von San Lorenzo, wo er Michelangelo kennen lernte, der aufgrund seines Talentes und Tatkraft auf ihn aufmerksam geworden war und ihm genauso viel Gehalt auszahlen ließ wie den älteren Steinhauern. 37 Für den jungen Montorsoli war das ein doppelter Ritterschlag, da er ein Lob Michelangelos und eine höhere Besoldung erhielt. 1530 erfolgte der Eintritt in den Servitenorden, der 1532 von der Priesterweihe und dem Eintritt in die Compagnia di San Luca, einer Künstlervereinigung, gefolgt wurde. 38 Im September rief der Papst Montorsoli auf Empfehlung Michelangelos nach Rom, um dort antike Statuen im Cortile von Belvedere, die Schätze der päpstlichen Sammlung, die aus dem Laokoon, dem Apoll von Belvedere und der Herkulesfigur bestanden, zu restaurieren. 39 1533 kehrte er auf Geheiß des Papstes nach Florenz zurück, um Michelangelo bei der Arbeit in der neuen Sakristei von San Lorenzo tatkräftig zur Seite zu stehen. 1534 erfolgte ein erneuter Wechsel mit Michelangelo nach Rom, um die Arbeit am Julius-Grabmal fort-

zusetzen und den Meister dabei zu unterstützen. 40 Auf Empfehlung Michelangelos fand 1534/35 ein kurzes Intermezzo am französischen Königshof statt. 41 Bis 1547 erfolgten Aufenthalte und verschiedene künstlerische Aufträge in Florenz, Genua, Neapel und Rom, wo er den Titel eines „Cavaliere di San Pietro“ erwarb. Zwischen 1547 und 1557 verweilte er wegen diverser Aufträge in Messina. Ab 1558 war er nur kurz in Florenz, um es Richtung Bologna zu verlassen. Am 20. September 1560 erfolgte die Zusprechung des Kapitelsaals von Santissima Annunziata, seinem Konvent, als Grabkapelle. 42 Kardinal de’ Medici rief ihn 1561 per Brief nach Florenz zurück, damit er für dessen Vater Cosimo I. arbeiten konnte, dem Montorsoli im März 1562 nachkam. Am 23. Mai stellte er seine Grabkapelle in der Annunziata Künstlern als Grablege zur Verfügung. Am 31. Januar 1563 bestätigte Cosimo I. die Neugründung der Künstlerbruderschaft, die am 1. September desselben Jahres den am 31. August verstorbenen Montorsoli in seiner Grabkapelle feierlich beisetzte. 43

13.5 Montorsoli: Michelangelos Protegé Michelangelo protegierte und vertraute Montorsoli, arbeitete in der Sakristei von San Lorenzo mit ihm zusammen und machte ihn zum „soprastante“ des Doppelgrabes der Magnifici. 44 Montorsorli seinerseits lernte durch aufmerksames Zuschauen und

Registrieren von Details von Michelangelos Arbeitsweise. 45 Im Sommer 1533 betraute Michelangelo ihn bereits mit der Vollendung der Statue des Giuliano de’ Medici. 46 Als eigene Figur in der Sakristei sollte Montorsoli den Cosmas schlagen. 47

Das Leben des Montorsoli und des Bronzino sowie der Künstler der Accademia del Disegno, S. 14. (Folgend zitiert: Vasari, G.: Montorsoli) Michelangelo erkannte, „dass dieser junge Mann wunderbares Talent und Tatkraft besaß (…), als die erfahrensten und ältesten Meister in zwei Tagen auszuführen vermochten. Daraufhin ließ er dem Jungen dasselbe Gehalt auszahlen wie den Alten. 38 Vasari, G.: Montorsoli, S. 15. Vgl. ebd., S. 165 ff.: Daten zu Leben und Werk Montorsolis erfasst von Katja Lemelsen. Vgl. Laschke, B.: Fra Giovan Angelo da Montorsoli, S. 13. 39 Vasari, G.: Montorsoli, S. 16. 40 Vasari, G.: Montorsoli, S. 18. Vgl. ebd., S. 165. 41 Laschke, B.: op. cit., S. 14–15. Der Schatzmeister des französischen Königs verweigerte Montorsoli die Bezahlung, weshalb er aus Paris abreiste. 42 Vasari, G.: Montorsoli, S. 48. „Durch Einwirken Meister Zaccharias erhielt er dann die Genehmigung seiner Ordensbrüder der Annunziata für dieses (bedeutende Werk) und schuf im Zentrum des Kapitelsaals jenes Konvents, für den er viele Jahre zuvor den Moses und den Heiligen Paulus aus Stuck geschaffen hatte, wie weiter oben berichtet wurde, ein außerordentlich schönes Grabmal für sich und für alle Männer der Kunst des disegno, für Maler, Bildhauer und Architekten, die keine Grabstätte besaßen.“ Vgl. ebd., S. 167. 43 Laschke, B.: op. cit., S. 155–158. 44 Wallace, W.: Michelangelo at San Lorenzo, S. 131. 45 Vasari, G.: Montorsoli, S. 17. „Indem er ihm aufmerksam beim Arbeiten zuschaute und jedes noch so kleine Detail registrierte, lernte der Ordensbruder bei jeder Gelegenheit von diesem wirklich göttlichen Mann viele Dinge.“ 46 Vasari, G.: Montorsoli, S. 18. Vgl. Laschke, B.: op. cit., S. 31. Birgit Laschke vermutet, dass Montorsoli die detaillierte Ausarbeitung der Panzer und Gewänder vollzog, da er in der Technik des Hinterschneidens sehr versiert war. 47 Vasari, G.: Michelangelo, S. 114. „Um die Sache abzukürzen, teilten sie die endlose Fülle der dafür vorgesehenen Statuen auf andere Meister auf: Zwei übertrug er Tribolo, eine Raffaello da Montelupo und eine auf den Servitenbruder Fra Giovan Agnolo, allesamt Bildhauer (…).“ Vgl. Vasari, G.: Montorsoli, S. 17. 37

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Montorsoli: Michelangelos Protegé

Gerade diese Figur hatte eine besondere Bedeutung, da der Heilige Cosmas der Arztheilige und Fürsprecher der Medici-Dynastie in Florenz war. 48 Nach Vasari ist der Cosmas die beste unter allen Figuren, die der Ordensbruder je schuf. 49 Der Auftrag für den Cosmas zeigte die Wertschätzung des Meisters und dessen festen Glauben an die Fähigkeiten Montesorlis, der ihn nicht enttäuschte, da sich diese Figur harmonisch in sein Statuenprogramm einfügte. 50 Montorsoli brachte Michelangelo seinerseits Wertschätzung entgegen, indem er ein Jahr später in michelangeloeskem Stil die Figuren des Mose und Paulus für den Kapitelsaal von Santa Annunziata schuf. 51 Giorgio Vasari schweigt sich über die Stilimitation in der Montorsoli-Vita aus und berichtet lediglich von diesen zwei lebensgroßen Tonfiguren. 52 Die Stilimitation ist der an Mose-Figur prägnant sichtbar, da sie eine modifizierte und steingewordene Version des Jeremia aus der Sixtina ist. David Summers beobachtete dies schon 1969 53, was Birgit Laschke in ihre Montorsoli-Biographie übernahm. 54 Montorsolis Mose hat nur eine andere Bewegung des linken Arms bzw. der linken Hand, die nicht das Gewand greift wie Jeremia, sondern nach den Steintafeln der Zehn Gebote. Ansonsten sind Mienenspiel und Haltung bis hin zur Beinstellung nahezu identisch. Mit seiner Kreation nimmt Montorsoli im Grunde eine topographische Verpflanzung vor und positioniert eine der berühmtesten Prophetenfiguren im Gewand des Moses in den Kapitelsaal in Florenz. Ernst Steinmann liefert in

seinem Werk eine anschauliche Beschreibung des Propheten 55, die durchaus auf den Mose übertragbar ist. Die Sujetwahl Montorsolis kann bei dieser Ähnlichkeit als eine Hommage an den Meister gedeutet werden. Birgit Laschke vertritt hingegen die Meinung, dass Montorsolis Figuren nicht nur einen erheblichen Qualitätsunterschied zu Michelangelo Skulpturen aufweisen, sondern auch, dass Montorsoli den Jeremia nicht imitiere, sondern nur die Idee des geistigen Disegno. 56 Jenseits von Birgit Laschkes Einschätzung ist das Mose-Sujet bemerkenswert. Montorsoli wird den Mose Michelangelos gekannt, sich aber nicht an diese außergewöhnliche Skulptur herangetraut haben. Es war ihm jedoch möglich, ein gemaltes Werk in Terrakotta zu übersetzen. Auch wenn Ton leichter als Marmor formbar ist, ist es ein gewagtes Unterfangen einen „Propheten“ des Meisters quasi von der Decke zu holen. Montorsoli erkannte offensichtlich, dass sich der Jeremia aufgrund seiner kontemplativen Wirkung als Mose adaptieren ließ. Mose sitzt gedankenversunken auf einem Steinsitz, die Gesetzestafeln ruhen auf seinem rechten Bein, mit dem rechten Ellenbogen drückt er sie auf dieses Bein. Die linke Hand braucht daher wenig Kraft die Tafeln zu halten. Die rechte Hand greift in seinen Bart und zeigt so die kontemplative Haltung an. Interpretatorisch könnte man sagen, dass sich Mose Gedanken über die Zehn Gebote und deren Einhaltung durch die Israeliten macht. Ist es unter Umständen der Augenblick, der dem Niedersteigen von Sinai vorausgeht,

Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 191. Die Autorin betont, dass Montorsoli und Raffaelo da Montelupo Michelangelos besonderes Vertrauen genossen und durch ihn weitere Aufträge bekamen. 49 Vasari, G.: Montorsoli, S. 18. „Und ob es nun an seinem Eifer und seiner Sorgfalt oder an Michelangelos Hilfe lag, jedenfalls gelang sie später in der Tat hervorragend und war die beste unter allen Figuren, die der Ordensbruder je schuf, so dass sie es wirklich verdiente, dann auch an jenem Ort aufgestellt zu werden.“ Siehe Abb. 97: Der Cosmas [S. 380]. 50 Laschke, B.: op. cit., S. 32. Die Autorin stellt zuvor fest, dass der unmittelbare Kontakt Montorsolis und die aufmerksame Beobachtung der Arbeitsweise und Technik Michelangelos seine bildhauerische Ausbildung vorantrieben. Vgl. ebd., S. 31. 51 Laschke, B.: op. cit., S. 34–35. Birgit Laschke weist auch auf die Ähnlichkeit hin und ergänzt die Cosmasstatue als Objekt der Beeinflussung. Siehe Abb. 98: Cappella di San Luca, Santissima Annunziata, Florenz [S. 381]. 52 Vasari, G.: Montorsoli, S. 20. „Von Budrio kehrte er mit besagtem Meister Zaccaria nach Florenz in seinen Servitenkonvent zurück und schuf dort ebenfalls zwei lebensgroße Tonfiguren, und zwar Moses und den heiligen Paulus, die er in zwei Nischen des Kapitelsaals aufstellte und die sehr gelobt wurden.“ Vasari erwähnt die Figuren gegen Ende der Vita nochmals und spricht von einem Moses und dem Heiligen Paulus, die aus Stuck gefertigt wurden. Vgl. ebd., S. 48. Siehe Abb. 99: Mose [S. 382], Abb. 100: Paulus [S. 382] und Abb. 101: Grabplatte Pontormos [S. 382]. 53 Summers, D.: The Sculptural Program of the Cappella di San Luca in the Santissima Annunziata, S. 75. 54 Laschke, B.: op. cit., S. 35. Siehe Abb. 102: Prophet Jeremia, Sixtinische Kapelle [S. 383] und Abb. 103: Mose aus der Cappella di San Luca [S. 383]. 55 Steinmann: Die Sixtinische Kapelle. S. 371 Nach Ernst Steinman ist der Jeremia die melancholischste Figur an der Decke, in die Michelangelo seine Traurigkeit und seinen Hang zur Melancholie hineinlegte. Der Autor stellt fest: „Unter den Propheten der Sixtina erscheint Jeremias gerade deshalb als der gewaltigste, weil der Meister ihn zum Träger eigener Empfindungen auserkoren hat. Es ist die persönlichste Schöpfung, die wir von Michelangelo besitzen (…).“ Entsprechend beschreibt Ernst Steinmann ihn weiter: „Die gekreuzten Beine unter seinen Steinsitz geschoben, das gedankenschwere Haupt vornüber auf die rechte Hand gestützt, sitzt Jeremia (…). Die nervige Rechte greift fast gewaltsam in die eisgrauen Strähnen, welche ganz die ganze Brust bedecken. Man meint, sie verschließe den Mund (…). Die linke Hand ruht müde im Schoß (…).“ Vgl. ebd., S. 372. 56 Laschke, B.: op. cit., S. 35. 48

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an dem sich genau das bewahrheitet, was er fürchtet? Stellt Montorsoli einen Augenblick der inneren Erkenntnis dar? Mose muss feststellen, dass das Volk Israel noch nicht so weit ist und sieht es nach seinem Abstieg um das goldene Kalb tanzen. Die monumentale und kräftige Figur des Paulus hält hingegen in der linken Hand ein Schwert, sein Martyriumswerkzeug, und in der rechten Hand ein Buch als Sinnbild seiner Lehre. Paulus vereinigt ebenfalls einige michelangeloeske Elemente in sich. Er könnte mit der Figur des Daniel, da auch er ein Buch mit der linken Hand hält, aber den linken Arm nicht so gebeugt, sondern mehr gestreckt hat, verglichen werden. 57 Die unteren Extremitäten können dem Propheten Joel zugeordnet werden, da die Beinstellung hier ähnlich ist. Das rechte Bein könnte auch dem Propheten Zacharias entlehnt sein, da der Faltenwurf des Ober- und des Unter-

kleides ebenfalls viel Ähnlichkeit mit Paulus aufweist. Das kräftige rechte Bein erinnert auch an den Mose Michelangelos, wobei dieser Mose dynamischer wirkt. Paulus (Montorsoli) und Mose (Michelangelo) weisen auch in der Anlage, der Haltung und im entschlossenen Gesichtsausdruck Ähnlichkeiten auf. In der letzten Konsequenz wird der Einfluss Michelangelos auf Montorsoli deutlich erkennbar. David Summers trifft somit berechtigt die Feststellung, dass die michelangeloesken Terrakottafiguren des Montorsoli den Auftakt und den Kern der Kappellendekoration bildeten, als er diese 1536 schuf. 58 In veränderter Form hatte Michelangelo erneut Dank Montorsolis in Florenz Einzug gehalten, was eine Aufwertung des Kapitelsaals bedeutete und ihn später wieder von Interesse werden ließ, woran Montorsoli wieder beteiligt sein sollte.

13.6 Akademiegründung Grundsätzlich ist es auffällig, wie sehr Vasari die Bedeutung Michelangelos für den künstlerischen Werdegang und die Karriere Montorsorlis in dessen Vita betont. Für Pontormo ist ähnliches festzustellen, sodass dahinter das Bestreben steht, beide Biographien mit der von Michelangelo zu verweben. Diese Künstler-Trias wird dann mit der Gründung des Accademia del Disegno in Verbindung gebracht. Das Objekt der Begierde Vasaris ist dabei zweifelsfrei Michelangelo. Der Künstlerbiograph berichtet in der Montesorli-Vita von der Stiftung einer Grablege für ihn selbst und für Künstler, die über keine eigene Grabstätte verfügten. Hierbei betont Vasari seine Freundschaft und Zusammenarbeit mit Montorsoli und Zaccaria 59, dem Prior

der Annunziata in Florenz. 60 Laut Vasari waren es Montorsoli und Zaccaria, die sich über das Bestehen bzw. aktuellen Zustand der Compagnia del Disegno 61, die schon aus der Zeit Giottos stammte und in der Montesorli seit 1532 Mitglied war, Gedanken machten. 62 Das Gedankenspiel nahm konkrete Gestalt an, als Montesorli und Zaccaria ihre Überlegungen Vasari vorstellten. Es gab die Übereinkunft, die Compagnia del Disegno an einem anderen Ort wieder aufleben zu lassen und von ihrem ursprünglichen Sitz in Santa Maria Nuova zu trennen. 63 Im Verlauf dieser Darstellung spricht Vasari von sich selbst als „Giorgio Vasari“. Nach Paul Barolsky erfolgt die Namensnennung in eigener Sache, „um seinem Be-

Laschke, B.: op. cit., S. 35. Die Autorin erhebt auch diesen Befund. Summers, D.: The Sculptural Program of the Cappella di San Luca in the Santissima Annunziata, S. 75. 59 Vasari, G.: Montorsoli, S. 48. 60 Vasari, G.: Montorsoli, S. 47. 61 Bei dieser Compagnia del Disegno handelte es sich um die Compagnia die San Luca. Vasari berichtet in der Vita des Jacopo di Casentino (1297– 1358), dass die „Compagnia e Fraternita de’ Pittore“ 1350 gegründet wurde und die Künste des Disegnos widerspiegele, die so in der Toskana und nicht weniger in Florenz ihre Wiedergeburt hatten. Vgl. Vasari, G.: Le Vite Bd. I, S. 673. Das erste Oratorium dieser Compagnia war die „cappella maggiore dello spedale di Santa Maria Nuova“. Vgl. ebd., S. 674. Vasari weist in der Casentino-Vita darauf hin, dass diese Compagnia sich bis heute immer wieder versammelt habe und so auch in ihren neuen Vereinbarungen approbiert sei „dall’illustrissimo signor duca Cosimo, protettore benignissimo di queste arti del disegno“. Vgl. ebd., S. 675. Der Biograph lässt Cosimo I. erneut als Beschützer der Künste auftreten und eröffnet in der Casentino-Vita seinen Weg, dass die Künste in der Toskana, speziell in Florenz ihre Wiedergeburt hatten – „avuto il loro rinascimento“ – (Vgl. ebd., S. 674), den er im Verlauf seines gesamten Opus konsequent verfolgt. 62 Vasari, G.: Montorsoli, S. 48. Zu Montorsolis Mitgliedschaft ab 1532. Vgl. ebd., S. 165. 63 Vasari, G.: Montorsoli, S. 48. 57

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Akademiegründung

richt einen objektiven unpersönlichen Klang zu geben, während er doch in Wirklichkeit zutiefst von den beschriebenen Ereignissen betroffen war.“ 64 Gerade in diesem speziellen Fall war er sehr involviert, strebte er doch die Akademiegründung an. Nach weiterer Diskussion über den Zustand besagter Bruderschaft bat Zaccaria weitere Maler dazu, um gemeinsam die Idee der Wiederauflebung zu diskutieren. 65 Vasaris Rechnung ging auf, da sich am Dreifaltigkeitstag 1562 48 edelste und ausgezeichnetste Meister der Kunst des Disegno im Kapitelsaal einfanden, um ein entsprechendes Fest zu feiern. 66 Einer Messe folgte eine Lobeshymne durch einen Pater auf Fra Giovan Agnolo, auf dessen Vermächtnis in Form des Kapitelsaals, des Grabmals und der Kapelle. 67 Die Inbesitznahme des Kapitelsaals wurde, wie bereits dargelegt, durch die Translatierung der Gebeine Pontormos markiert. 68 Sichtbares Zeichen der neuen Ruhestätte war die von Montorsoli stammende Grabplatte, die in vier Ecken Totenschädel und gekreuzte Knochen zeigt und die durch ein Band verbunden sind, das wiederum einen Vers aus dem Kolosserbrief 69 trägt. In der Mitte ist ein Oval zu sehen, dessen Außenband mit „Floreat semper vel invita morte“ beschriftet ist. In der Mitte der Rotunde sind die Werkzeuge des Künstlers erkennbar: Meißel, Winkel und Pin-

sel. Rechts und links sind eine ewige Flamme und ein Stundenglas dargestellt 70, das die limitierte irdische und die ewige Zeit anzeigen soll. Die Grabplatte war nicht nur für Pontormos Andenken von Relevanz. Henk van Veen konstatiert dazu, dass dieses „Floreat semper“ über die Blüte oder Blütenstand der Stadt Florenz als Resultat der Kunst, die dort entstand, referierte. 71 Anzuschließen ist, dass der Spruch „Floreat semper vel invita morte“ der Formulierung der Virtuosi dei Pantheon „Florent in Domino“ nahekommt. 72 Es liegen hier offensichtlich Parallelen zwischen den Grablegen hervorragender Künstler vor. Die Florentiner schufen allerdings noch eine weitere Memoriastätte für die Großen ihres Territoriums im Chor von San Lorenzo. 73 In letzter Konsequenz war die Würdigung Pontormos ein Funktionalisieren, um eine Verbindung zwischen der alten Confraternita di San Luca und neuen Accademia del Disegno herzustellen. In einem Akt des Aufpfropfens verhalf sich die Accademia zu einer Verortung in der Vergangenheit, um sich so eine fast 200-jährige Tradition zu verleihen. 74 Diese künstlich hergestellte Tradition wurde zeitnah in ein konkretes Treffen der Mitglieder überführt, das als Ziele die Auswahl der besten Künstler und die Gründung einer Akademie hatten. 75 In der Folge

Barolsky, P.: Warum lächelt Mona Lisa?, S. 104. Vasari, G.: Montorsoli, S. 48–49. 66 Vasari, G.: Montorsoli, S. 49. 67 Vasari, G.: Montorsoli, S. 49. 68 Vasari, G.: Montorsoli, S. 49. „Als Messe und Lobrede beendet waren, begaben sich alle in die Kirche, wo in einem Sarg die Gebeine des besagten Pontormo lagen, legten ihn auf die Schultern der jüngsten Männer, die alle eine Kerze und einige Fackeln in der Hand hielten, umrundeten einmal den Platz und trugen ihn in besagten Kapitelsaal, der zuvor noch mit goldenen Tüchern ausgeschmückt war, den sie nun aber ganz in schwarz, voller gemalter Toter und anderer ähnlicher Dinge vorfanden. Und so wurde besagter Pontormo in seiner neuern Ruhestätte beigesetzt.“ Schwarze Tücher kommen in Michelangelos Exequien auch wieder zum Einsatz, als San Lorenzo damit innen abgehängt wird. 69 Kol 3,3 „Ihr seid ja gestorben, und euer Leben ist mit Christus in Gott.“ Vgl. Laschke, B.: op. cit., S. 143. Der Vers drückt die Christusverbundenheit aus, womit der Mensch nach Paulus aus der irdischen in die höhere, übernatürliche Sphäre erhoben wird. Vgl. Staab, K.: Thessalonicherbriefe – Die Gefangenschaftsbriefe – Die Pastoralbriefe, S. 96. Die Mitglieder der Accademia suchten so ihre Verwurzelung in und Ausrichtung auf Christus, um eine religiöse Verbundenheit zu dokumentieren. 70 Laschke, B.: op. cit., S. 143. Birgit Laschke verweist darauf, dass Montorsoli bewusst die des Bildhauers und des Architekten im oberen Bereich des Ovals und die Utensilien des Malers im unteren Bereich ansiedelte. Siehe Abb. 99: Mose [S. 382], Abb. 100: Paulus [S. 382] und Abb. 101: Grabplatte Pontormos [S. 382]. Diese Attribute der Grabplatte tauchen ebenfalls an dem Grabmal Michelangelos auf. Die allegorischen Figuren werden den Pinsel und den Meißel in den Händen halten. Der Winkel wird bei der Figur der Architektur durch einen Zirkel ersetzt, der aber auch eine Art von Winkelform hat. Die ewigen Flammen sind über dem gemalten Vorhang rechts und links über den angedeuteten Säulen zu sehen. 71 Veen, H. v.: op. cit., S. 172. 72 Birgit Laschke kommt zu dem gleichen Befund. Vgl. Laschke, B.: op. cit., S. 143. 73 Clapp, F. M.: op. cit., S. 80. Hier wird eine weitere Marmorplatte für Pontormo platziert: Icabus Puntormius Florentinus, qui, antequam tantum opus absolveret de medio in Coelum sublatus est, et vixit annos LXII menses VII dies VI. A.S. MDLVI. 74 Veen, H. v.: op. cit., S. 172. 75 Vasari, G.: Montorsoli, S. 49 „(…) durch deren Hilfe (Akademie) der Unwissende lernen und Wissende sich angetrieben durch ehrenvollen und lobenswerten Wettstreit weiterbilden könne.“ 64 65

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betont Vasari immer wieder sein Engagement während dieses Etablierungsprozesses. Dabei gelang es ihm, den Herzog als Unterstützer der Accademia zu gewinnen. Cosimo I. stellte Räumlichkeiten zur Verfügung, förderte die Akademie, wurde deren Haupt, Leiter und Schirmherr und berief jährlich einen Stellvertreter an seine Stelle. Erster Stellvertreter wurde Don Vincenzo Borghini, Vorsteher des Findelhauses. 76 Die Satzungen der Akademie sollte ein Gremium bestehend aus sieben Künstlern entwerfen. 77 Carl Goldstein hält den Gründungsmoment für wichtig, da die Künste speziell durch Michelangelo einen Prestigegewinn verzeichnen konnten, war er schließlich der lebende Beweis eines Künstlers, der bis in die höchsten gesellschaftlichen Stufen Anerkennung gefunden hatte. 78 Seine Aufnahme in die Akademie in Abwesenheit sollte dies unterstreichen. Als Versammlungsort wurde die Neue Sakristei auserkoren, jenem Ort, „wo sich die viele Skulpturen Michelangelos befinden.“ 79 Über dieses Bauwerk samt Innenausstattung wurde eine Verbindung zu Michelangelo hergestellt, da er hier gearbeitet und sie unvollendet hinterlassen hatte, was wiederum den Herzog betraf. Cosimo I. strebte schon früh die Vollendung der Sakristei an, um sie

zu einem „Mausoleum der Casa Medici“ zu machen. 80 Neben dem Herzog war Giorgio Vasari ebenfalls an der Vollendung dieses Projektes interessiert. 81 Die Gründung der Accademia del Disegno in der konstituierenden Sitzung vom 31. Januar 1563 sollte der Lösung dieses Problems neuen Auftrieb gegeben 82, als Cosimo I. durch Giorgio Vasari per Brief vom 1. Februar 1563 über besagte Veranstaltung informiert wurde. Zum Vorsitzenden sei zunächst Don Vincenzo Borghini von ca. 70 Mitgliedern erkoren worden. Als erstes Haupt sei der Herzog und als zweites Haupt Michelangelo gewählt worden. 83 Im Vorfeld hatte Vasari die Aufnahme bzw. Wahl Michelangelos mit Sicherheit vorangetrieben und inszeniert, da der Göttliche das Aushängeschild für die Künstlervereinigung darstellte. Durch die Wahl Michelangelos konnte Vasari vermutlich auf eine Kooperation mit ihm hoffen, indem er im besten Fall nach Florenz käme, was unwahrscheinlich war 84, er im zweitbesten Fall die Pläne für San Lorenzo und die Neue Sakristei herausgeben und aus Rom das Projekt begleiten würde. Vasaris Plan war, die Neue Sakristei binnen zwei Jahren durch ein Figurenprogramm und Wanddekoration zu vollenden. 85 Cosimo I. reagierte positiv auf den Plan, verlangte aber das Urteil Michelange-

Vasari, G.: Montorsoli, S. 51. Vasari, G.: Montorsoli, S. 51. Diese Männer waren: Fra Giovan Angelo, Francesco Sangallo, Agnolo Bronzino, Giorgio Vasari, Michele di Ridolfi und Pier Francesco di Jacopo die Sandro. 78 Goldstein, C.: op. cit. „The moment seemed propitious (Gründung der Accademia) for another reason, for some time Michelangelo had been treated by popes and princes not only as a member of a respected profession but as one of their own or an even higher class. Was Michelangelo not living proof that visual artists were, at the very least, entitled to the same privileges as the literate elite?“. 79 Vasari, G.: Montorsoli, S. 52. 80 Frey, H.-W.: Neue Briefe von Giorgio Vasari. Der literarische Nachlass von Giorgio Vasari, Bd. III, S. 59. (Folgend zitiert: Frey, H.-W.: Neue Briefe) Friedrich Kriegbaum spannt den Bogen zum Thema Selbstlegitimierung der Medici von den Stiftern der Sakristei in San Lorenzo bis hin zu Cosimo I. Nach ihm bedeute die Grabkapelle den ersten Schritt der eifrigen Selbstlegitimierung der Mediceer, die das ganze Leben des späteren Herzogs und Großherzogs Cosimo ausgefüllt habe. Vgl. Kriegbaum, F.: Michelangelo – Die Bildwerke, S. 14. 81 Frey, H.-W.: Neue Briefe, S. 58. 82 Frey, H.-W.: Neue Briefe, S. 59. Nach Karen-edis Barzmann besaß der Gründungsakt der Accademia auch eine politische Komponente. Cosimo I. wollte seine komplexbeladene Herkunft, die im Gegensatz zu den europäischen Mächten nicht über eine lange Regierungspraxis verfügte, kompensieren. Das kleine Territorium, entsprechend geringe militärische Stärke ermöglichten wenigen politischen Einfluss auf europäischer Bühne. Vgl. Barzman, K.-e.: op. cit., S. 33. Wie gesagt, nennt Friedrich Kriegbaum dies „eifrige Selbstlegitimierung“. Vgl. Kriegbaum, F.: Michelangelo – Die Bildwerke, S. 14. Als andere Legitimationskanäle wurden die Literatur und die Kunst gefunden, die unangefochtene Akzeptanz im europäischen Ausland genossen und die durch die Akademiegründungen kanalisiert wurden. Vgl. Barzman, K.-e: op. cit., S. 34. „The academies they founded in the sixteenth century (the literary Accademia Fiorentina, incorporated in 1542, and the Compagnia ed Accademia del Disegno, incorporated in 1563) played an important role in their cultural politics. Vasari’s Lives inextricably linked Florentine artistic preeminence to Michelangelo. Thus, Pontormo’s Michelangelesque frescoes had a political currency (…).“ 83 Milanesi, G.: I Ragionamenti e le Lettre edite e inedite di Giorgio Vasari, Tomo VIII, S. 359. „E poi dato ordine di mandare a partito quegli che avevano a essere capi della Accademia, che il primo fu V.E. come Principe e Signor nostro e capo di tutti, che fu vinto a tutte fave nere. Il secondo, come padre e maestro di queste tre Arti, fu Michelagnol Buonarroti, il quale fu vinto nel medesimo modo; (…).“ 84 Jacobs, F.: (Dis)assembling: Marsyas, Michelangelo, and the Accademia del Disegno, S. 426. Fredrika Jacobs argumentiert ähnlich, dass die Ehre, Michelangelo auf Augenhöhe mit dem Herzog zu bringen, nicht gereicht hätte, Michelangelo nach Florenz zurückzuholen. 85 Frey, H.-W.: Neue Briefe, S. 59. Zwölf fehlende Statuen für die Wandnischen an den Grabmälern sollten durch zwölf Künstler der Accademia angefertigt, der Wandschmuck sollte ebenfalls von zwölf Künstlern der Accademia ausgeführt werden. 76 77

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Kontaktaufnahme mit Michelangelo

los, als Schöpfer dieser Grablege, und dass man ihn um die Pläne ersuchen sollte. 86 Damit ist zu konstatieren, dass es um die Pläne bzw. das künstlerische Endergebnis des „Mausoleums der Casa Medici“ und nicht um die Person Michelangelos ging. Das herzogliche Ansinnen war beileibe nicht unklug, da ihm zu diesem Zeitpunkt schon bewusst war, dass eine Rückkehr des Altmeisters nach Florenz ausgeschlossen werden konnte, da sich diese Causa schon zu lange hinzog. Vermutlich hoffte er, mittels Schmeicheleinheiten über den Lakaien Vasari die Gunst des alten Künstlers vielleicht doch noch zu ergattern. Hob man Michelangelo auf den Schild

und machte sich in seiner künstlerischen Tätigkeit von seinem Urteil abhängig, konnte man vielleicht darauf hoffen, dass er reagierte. Man konnte vielleicht sogar darauf spekulieren, dass er aus Gründen der Unterstützung noch existierende Pläne, die explizit benannt wurden, herausgab, woran man in Florenz sehr interessiert war. Allerdings erlag Cosimo I. einer Illusion, etwas vom Meister ohne dessen Kontrolle in die Hand zu bekommen. Die Verbrennungsaktion der Pläne vor seinem Tod zeigt deutlich, dass der Künstler die Hoheit über sein geistiges bzw. malerisches Eigentum behalten wollte. 87

13.7 Kontaktaufnahme mit Michelangelo Auf Geheiß Cosimos I. wandte sich Vasari am 17. März 1563 in einem letzten Brief nahezu aufdringlich an Michelangelo. In respektvollen Ton gehalten, fällt die Anfrage aber nicht minder fordernd aus. Inhalt sind die Gründung der Accademia del Disegno und die Projektierung der Vollendung der Sakristei und der Kapelle von San Lorenzo. Der Introitus zeigt die klare Stoßrichtung, dass der Herzog etwas von Michelangelo möchte. Vasari führt Cosimo I. als denjenigen ein, der seine großen Vorfahren, aus dem Hauptzweig der Familie – Cosimo il Magnifico als Begründer des Aufstiegs des Hauses Medici, die Päpste Leo X. und Clemens VII, die beide Michelangelos Mäzene waren – in Freigiebigkeit, Würde und Größe übertreffen würde. Den Boden für den weiteren Briefverlauf bereitet habend, wird Michelangelo über die Gründung der Akademie del Disegno, die die drei Künste Architektur, Bildhauerei und Malerei vereinige und die auf den Herzog zurückgehe, in Kenntnis gesetzt. Des Weiteren erfährt der Altmeister, dass er zum zweiten Haupt der Akademie gewählt worden sei. Die Mitglieder hätten aus Gründen, die die Kunst ihm schulde, den Wunsch gehegt, ihn als Kopf, als Meister und Vater von ihnen allen zu wählen, der in all diesen drei Künsten mehr heraussteche als irgend-

jemand, den die Stadt oder vielleicht die Welt je gekannt habe. Sie hätten dies einstimmig zu jedermann Zufriedenheit beschlossen. Diese Passage kommt einer Kanonisierung Michelangelos gleich, was nach seinem Tod weiter betrieben wird. 88 In der Folge vertritt Vasari die Interessen des Herzogs und bittet eindringlich um die Beratung Michelangelos, wie die Neue Sakristei in San Lorenzo vollendet werden könnte. Er weist auch darauf hin, dass die Akademiker nur darauf warten würden, ihm Ehre zuteil werden zu lassen, wenn er seinen Glanz ein wenig auf sie fallen ließe. 89 Mit diesem Brief wird Giorgio Vasari der Forderung des Herzogs gerne nachgekommen sein, wenn es denn so stimmte, dass er wirklich Kontakt zu Michelangelo aufnehmen sollte. Eine Replik erhielt er allerdings nicht; der Göttliche schrieb ihm selbst keinen Brief mehr. 1563 wurde für Michelangelo ein Jahr kurzer und spärlicher Briefe, die er überhaupt noch verfasste. Am 25. Juni antwortete er nochmals seinem Neffen, bedankte sich für den Wein und die Briefe, die er erhalten hatte. Er habe nicht mehr antworten können, da er seine Hand nicht gebrauchen könne. Dieses habe er auch dem Botschafter des Herzogs mitgeteilt. In Vasaris Richtung möge er seine Entschuldigung aussprechen, da

Frey, H.-W.: Neue Briefe, S. 59. „So machte er doch zur Voraussetzung seiner Zustimmung, dass Michelagniolo verständigt und um briefliche Mitteilung seiner künstlerischen Absichten, auch um Ausfolgung der noch vorhandenen Zeichnungen ersucht würde.“ 87 Vasari, G.: Michelangelo, S. 196. Er verbrannte kurz vor seinem Tod Zeichnungen, Skizzen und Kartons. 88 Varchi wird dies gegen Ende seiner Orazione funerale machen. 89 Milanesi, G.: I Ragionamenti e le Lettre edite e inedite di Giorgio Vasari, CXIV, Tomo VIII, S. 366–368. 86

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Vasaris Vorstoß

er ein alter Mann sei. 90 Es ist anzunehmen, dass Vasari über den Botschafter schon informiert wurde und seine Bemühungen einstellte. Michelangelo hatte über diesen Weg signalisiert, dass er nicht bereit war, irgendeine Hilfe oder Rat im Hinblick auf San Lorenzo zu leisten. Vasaris Mission war zwar gescheitert, ließ den Künstler aber nicht unbeobachtet, was diesem nicht entging.

Letztlich blieben Vasaris Bemühungen, an Michelangelo als Vollender heranzukommen, erfolglos. Einerseits war es dem Alter des Mannes geschuldet, andererseits war dies auch Michelangelos Wunsch: Er wollte mit fast 90 Jahren den höflichen Austausch, hinter dem eine permanente Ablehnung der florentinischen Anfragen stand, beenden.

13.8 Bewertungen Giorgio Vasari hatte aber sein Zeil der Akademiegründung erreicht. Nikolaus Pevsner bewertet Vasaris Ansinnen positiv, ordnet die Accademia del Disegno klar seinem Willen zu, traut ihm so Entwicklungswilligkeit zu und geht auch einen Schritt weiter. Nach ihm stehe Vasaris Accademia del Disegno am Beginn der Entwicklung der modernen Kunstakademie 91, womit er Vasari eine Art von Zukunftsvision oder eine Modifikation des bisherigen Organisationssystems der Gilden attestiert. Damit unterstellt er Vasari offensichtlich lautere Absichten. Für ihn ist Vasaris Motivation darin begründet, die Künstler aus den Beschränkungen der Gilden zu befreien und ihnen einen höheren gesellschaftlichen Status durch die Mitgliedschaft in der Accademia zu ermöglichen. 92 Dieser Blickwinkel ist durchaus nachvollziehbar, da Vasari durch seine Arbeit an den Künstlerviten die unterschiedlich ausfallende gesellschaftliche Akzeptanz einzelner Künstler feststellen konnte. Ihn selbst wird das in jungen und seinen weniger erfolgreichen Jahren selbst geschmerzt haben. Somit wird der Versuch der Statusverschiebung oder Status-Aufpolierung des Künstlers innerhalb der Gesellschaft begreifbar. Es ist dennoch nicht zu vergessen, dass Vasari kein utilitaristischer Mensch, sondern ehrgeizig und selbstbezogen war. Er schreckte auch nicht vor Vereinnahmung zurück, was sich in der aufwendigen Beisetzung Montorsolis, der am 31. August 1563 gestorben war, ablesen lässt. Vasari berichtet: „Und

nicht viel später, 1564, wurde in demselben Grab mit ehrenvollsten Bestattungsfeierlichkeiten Fra Giovan Agnolo beigesetzt, der ein hervorragender Bildhauer war und von dem ehrwürdigen und hochgelehrten Meister Michelangelo öffentlich in der Annunziata-Kirche mit einer wunderschönen Rede geehrt wurde.“ 93 Vasari bedient sich hier eines Tricks, den seine Zeitgenossen in dieser Form vielleicht nicht nachprüfen konnten oder wollten. Dieser sogenannte „ehrwürdige und hochgelehrte Meister Michelangelo“ ist eben nicht Buonarroti, der sich zu diesem Zeitpunkt in Rom aufhielt, sondern der Servitenprior Michelangelo Naldini. 94 Aufgrund der Unüberprüfbarkeit dieser Episode konnte Vasari diesen Winkelzug vollziehen und so Nähe zum Großmeister der Kunst suggerieren, der angeblich Montorsoli in einer Leichenrede verklärte, wobei er gar nicht in Florenz war. Vasari wird hier aus voller Absicht den wichtigen Nachnamen „Naldini“ verschwiegen haben. Renaissancezeitgenossen assoziierten nur einen Künstler mit dem Namen Michelangelo; dieser Name ließ keine Interpretationsspielräume zu und war eindeutig belegt. Im weiteren Verlauf berichtet Vasari weiter, dass sich die Accademia unter der Schirmherrschaft des Cosimo I. in der Neuen Sakristei von San Lorenzo treffe, „wo sich viele Skulpturen Michelangelos befinden.“ 95 Er fährt also mit dem gleichen Namen fort, wobei er sich eindeutig äußert, spezifiziert es aber in der Folge, als es um die Bestattungsfeierlich-

Brief vom 25. Juni 1563 http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1386&daAnno=1563&aAnno=1563&Mittente=Buonarroti% 20Michelangelo&Destinatario=Buonarroti%20Leonardo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=& cerca=cerca&. 91 Pevsner, N.: op. cit., S. 57. 92 Pevsner, N.: op. cit., S. 59. 93 Vasari, G.: Montorsoli, S. 51. Zuvor war ein Zögling des Ordensbruders gestorben und wurde in dem vom Meister geschaffenen Grab beigesetzt. 94 Laschke, B.: op. cit., S. 21; S. 144. 95 Vasari, G.: Montorsoli, S. 52. 90

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Bewertungen

keiten „für eben jenen Buonarroti“ 96 geht. Vasari ist dann spezifisch, wenn er es will, er verschiebt zwar nicht das Wahrheitszentrum, lässt aber bewusst den Nachnamen aus, der den Exequien des Montorsoli eine andere Richtung gegeben hätte. Allerdings täuscht Nichts darüber hinweg, was Zeitgenossen

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durchaus bewusst war, dass Montorsoli und Michelangelo eine enge Beziehung hatten. 97 Genau dieses Bewusstsein der Zeitgenossen nutzt Vasari für seine Zwecke aus. Vor allem treten seine Absichten mit dem Tode Michelangelos noch deutlicher zutage.

Vasari, G.: Montorsoli, S. 52. Laschke, B.: op. cit., S. 21; S. 21–22.

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14 Abschied vom Göttlichen

Der Tod des Ausnahmekünstlers mit fast 89 Jahren war für die Kunstlandschaft Italiens und seine Umwelt ein großer Verlust. Schon zu Lebzeiten ein begehrtes „Objekt“, stellte sich nun die Frage, was mit ihm „post mortem“ passieren sollte. Zügig begann ein Taktieren um seine künstlerische Hinterlassenschaft, seinen Leichnam und dessen letzte Ruhestätte. Die Hoheit über beides zu erlangen bedeutete gleichzeitig die Deutungshoheit über seinen Erinnerungskult, dessen Abglanz auf den Verwalter und Hüter der Memoria fallen konnte. Der Besitz des Leichnams ließ eine prestigeträchtige Beisetzung zu, konnte man sich brüsten, den größten Künstler aller Zeiten in seiner Erde oder in einem Sarkophag zu wissen. Die Städte Rom und Florenz sollten um den berühmten Toten hinter den Kulissen ringen, wobei Florenz siegreich aus diesem nie offiziell ausgetragenen Wettstreit hervorging. Besondere Bedeutung wurde dem künstlerischen Nachlass gegeben, da jetzt die letzte Chance bestand, am Ruhm des letzten großen Renaissancekünstlers zu partizipieren und sich zu rühmen, ein Original oder mehrere zu besitzen. Um auch hier eine frühe Absicherung zu betreiben, war bereits ein Jahr vor Michelangelos Tod der Hinweis aus Florenz über den florentinischen Gesandten Averado Serristori an den päpstlichen Hof eingegangen, sehr darauf zu achten, wer im Haus Michelangelos ein- und ausgehe und wen er bei seiner Hinfälligkeit wohl als Betreuung brauche. Es sei wichtig, das Inventar beim Todesfall vorsorglich zu erfassen und zu schützen, wozu auch Modelle, Zeichnungen, Besitztümer, Gelder und „Dinge, die den Bau von St. Peter, die Sakristei, die Bibliothek und die Fassade von Lorenzo betrafen, zu verwahren und dafür zu sorgen, dass nichts weggebracht würde.“ 1 So überliefert es Vasari in der Michelangelo-Vita und betont, dass der Herzog auf seinen Impuls hin, dieses Manöver veranlasste. Der Biograph stilisiert sich in diesem Selbstentwurf zur grauen Eminenz, deren Ziel die Sicherung des Nachlasses

ist. Er definiert sich selbst als Gralshüter und nennt bemerkenswerterweise die florentinischen Objekte zum Schluss, die seiner Begierde entsprangen, und zwar die Sakristei, die Bibliothek und die Fassade von San Lorenzo. In der Aufzählung fehlt San Giovanni in Fiorentini, das florentinische Symbol in Rom, da es für ihn irrelevant war. Der Schwerpunkt lag damit auf den unvollendeten Objekten Michelangelos in Florenz. Gier und Kalkül waren die Antreiber, sich unverfroren zu einer Überwachung des angeblich respektierten Freundes zu entschließen. Die geheuchelte Fürsorge Vasaris täuscht nicht über ein übergriffiges Verhalten hinweg, zumal Vasari Michelangelo als betreuungsbedürftigen Greis darstellt, der realiter trotz seiner „Gebrechlichkeit“ bis auf die letzten vier Tage seines Lebens jeden Tag bis St. Peter ritt, auf der Baustelle Präsenz zeigte und an seiner letzten Pietà arbeitete. Eine weitere Dreistigkeit manifestiert sich in der Tatsache, dass Florenz den Papst zwecks Kontrolle aktivierte, um ihn letztlich der prominenten Leiche zu erleichtern. Unverständlich bleibt, warum Vasari mit der Überwachung Michelangelos so offen in dessen Vita umgeht, da es eigentlich kein Kompliment ist. Florenz, der Überwachungsstaat? Eine mögliche Erklärung ist, dass er sehr von sich überzeugt ist, aus angeblichen protektionistischen Gründen den Altmeister überwachen zu lassen. Florenz, die Beschützerin der Großen der Stadt? Michelangelo hat die Überwachung, von der er vermutlich wusste, da auch auf die vatikanische Nachrichtenübermittlung Verlass war, nicht begrüßt, empfand es auch als Beleidigung seiner Intelligenz, hinter seinem Rücken etwas gegen ihn zu veranlassen. In einem Brief an seinen Neffen vom 21. August 1563 äußert er donnernd seinen Zorn über den Versuch, Kontrolle über sein Leben zu erlangen, verteidigt seine loyalen Freunde in Rom, die sich um ihn kümmerten, und verbittet sich jede Einmischung in sein Leben, da er kein Kleinkind mehr sei. Er betont vor allem, dass es Menschen gebe, die aus Neid diese Lügen über ihn

1 Vasari, G.: Michelangelo, S. 194. In der Mitte der Vierzigerjahre versuchte Cosimo I., die Werke Michelangelos in seinen Besitz zu bekommen, da Michelangelo zu diesem Zeitpunkt schwer erkrankt war und man in Fall des Todes gewappnet sein wollte.

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Umgang mit Tod und Nachlass

in die Welt setzten, da sie ihn weder bestehlen noch regieren könnten. 2 Neben den Worten ließ Michelangelo auch Taten sprechen: Er verbrannte Pläne

und Kartons und sicherte so die Hoheit über seine Memoria. 3

14.1 Umgang mit Tod und Nachlass Bis vier Tage vor seinem Tod konnte Michelangelo ein arbeitsreiches Leben aufweisen. Sein Biograph Vasari attestiert ihm eine gute körperliche Konstitution; er sei zwar als Mann zweimal ernsthaft krank gewesen, sich aber jeder Anstrengung stellen konnte und im Alter bis auf seine Nierensteine keine Gebrechen hatte. 4 Er war Christ, gläubig, in der Bibel belesen, entwickelt ab den 1540er eine tiefere Einstellung zu Gott, worüber seine letzten Werke – die Cappella Paolina und seine letzten Pietàs – Auskunft geben. Zum Tod hatte Michelangelo eine eigene Einstellung, worüber seine Gedichte 5 und seine Biographien Auskunft geben. Vasari berichtet von einem nächtlichen Zusammentreffen mit Michelangelo, als er von Papst Julius III. (1550–1555) geschickt, dort Zeichnungen abholen sollte. 6 Der genaue Zeitpunkt der Begegnung wird nicht genannt, der Meister müsste aber zwischen 75 und 80 Jahre alt gewesen sein und arbeitete, als Vasari

eintraf, an der Florentiner Pietà. Um Vasari den Blick auf die Figur zu verwehren, ließ er abrupt seine Lampe fallen, trat aus dem Verschlag heraus und sagte: „Ich bin so alt, dass mich der Tod oft am Mantel zupft, weil ich mit ihm gehen soll. Eines Tages werde ich wie diese Lampe zu Boden fallen und das Licht des Lebens wird verlöschen.“ 7 In nahezu poetischen Worten kleidet Michelangelo seine Empfindung. Es ist anzunehmen, dass diese Worte das Gespür für seine langsam schwindenden Lebenskräfte widerspiegeln. Vasari berichtet noch über ein weiteres Gespräch von Michelangelos natürlicher Einstellung zum Tod, dessen Datum ebenfalls unbekannt bleibt: „Einmal sprach ihn einer seiner Freunde auf den Tod an und sagte zu ihm, er müsse sich wohl sehr über ihn grämen, da er sich in der Kunst in einem fort aufgerieben habe, ohne je zur Ruhe zu kommen. All das zähle nicht, gab er zurück; wenn man das Leben schön fände, dürfe einem auch

„e non sono un pucto“. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1388&daAnno=1563&aAnno=&Mittente=Buonarroti%20Michel angelo&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 479, S. 207. Vgl. Gerstfeldt, O. v.; Steinmann, E.: Pilgerfahrten in Italien, S. 286–287. Hintergrund war ein Brief von Leonardo Buonarroti, in dem er Michelangelo offensichtlich als „betreuungsbedürftig“ und in einer unterwohnten Situation darstellte, was ihn erzürnte. 3 Vasari, G.: Michelangelo, S. 196. 4 Vasari, G.: Michelangelo, S. 213. 5 Drei ausgewählte Gedichte sollen hier stellvertretend genannt sein. Nach Karl Frey ist das Gedicht zum Tod von Vittoria Colonna „Quand’el ministro de sospir mie tanti“ (Frey, K.: Gedicht Nr. C, S. 105) eines der hinreißendesten Gedichte des Meisters, dessen Sprache an die eines Petrarca oder Dante erinnert. Vgl. Frey, K.: Dichtungen, S. 384 – Kommentar. Vgl. Hinderberger, H.: op. cit., S. 445. Das Gedicht ist eine Absage an den Tod der Dichterin, dessen Schlusszeilen deutlich sind: „Contrari effetti alluminan le carte, Di uita piu che’n uita non folea, E morto a’l ciel, c’allor non auea parte.“ Besagte Schlusszeilen, durch den Tod sei sie ins ewige Leben eingegangen, spiegeln den festen Glauben Michelangelos an ein Leben nach dem Tod wider. Das ewige Leben, das er sich neben der Verkürzung des Weges zum Himmel durch den Erretter wünscht, wird in einem weiteren Gedicht erneut thematisiert. „Meetimi in odio quante’l mondo uale, E quante suo belezze onore e colo, C’anzi morte caparri ecterna uita.“ Frey, K.: Dichtungen, CL, S. 238. Vgl. Hinderberger, H.: op. cit., S. 463. Karl Frey datiert das Gedicht auf 1555. Vgl. ebd., S. 488–489. Ein Sonett „Di morto certo“ (Frey CXVII, S. 244) vom September 1554, das er als Michelangelos schönstes Gedicht bezeichnet, setzt sich ebenfalls mit dem Tod auseinander. Vgl. ebd., S. 486–488. Es zeigt Michelangelos Empfindung, dass er sich seiner Endlichkeit bewusst ist und sein Leben als kurz bezeichnet („la vita é breve“). Zu diesem Zeitpunkt ist er 79 Jahre alt und empfindet sein Leben offensichtlich als zu schnell vergangen. Durch die poetische Auseinandersetzung hat er einen weiteren Zugang zu und Umgang mit seiner Sterblichkeit gefunden. Henry Thode bezeichnet diese Zeilen als vertrauensvolle Bitte: Hoffnung auf Gottes Hilfe ist an die Stelle der Verzweiflung getreten. Michelangelo schaut wie die Propheten und Sibyllen der Sixtina u. a. dem Heil entgegen. Vgl. Thode, H.: Ende der Renaissance Bd. II, S. 448. Irving Lavin verbindet das Sonett mit Michelangelos Testament, das er 1545/1546 verfasste, aber nicht legalisieren ließ. Vgl. Steinmann, E.: Michelangelo e Luigi del Riccio, S. 57. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Appendix 34, S. 269. In den ersten beiden Zeilen des Sonetts liest Irving Lavin Formulierungen heraus, die in notariellen Akten für die Abfassung eines Testaments Verwendungen fanden. In dem Sonett sieht er die Beschäftigung Michelangelos mit seinem letzten Willen. Vgl. Lavin, I.: The Sculptor’s Last will and Testament, S. 18–19. 6 Vasari, G.: Michelangelo, S. 210. 7 Vasari, G.: Michelangelo, S. 211. 2

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Abschied vom Göttlichen

der Tod, der aus der Hand desselben Meisters stamme, nicht unwillkommen sein.“ 8 Michelangelo scheint sich seiner Endlichkeit unaufgeregt bewusst zu sein, bringt aber so auch sein Gottvertrauen zum Ausdruck. Seine Endlichkeit galt es zu verwalten, was er in Form der Biographie Ascanio Condivis in Angriff nahm. Diese Biographie war nicht nur eine Antwort auf Vasaris Erstausgabe der Viten, sondern vor allem der Versuch, die Deutungshoheit über sein Leben zu behalten. Die Deutungshoheit behält Michelangelo insofern, als er eine Auswahl von Zeichnungen, Skizzen und Kartons traf, die der Welt von ihm erhalten bleiben sollten. Nach Vasari war die Verbrennung von dem Gedanken motiviert, die Nachwelt solle Michelangelo nur in seiner Vollkommenheit wahrnehmen. 9 Unter den verbrannten Exemplaren waren wohl vor allem Vorstudien und Proben, sich einer Idee, einer Figur oder einem Werk erst einmal zu nähern: Liest man bei Vasari zwischen den Zeilen, spricht er doch von verbrannten „Kraftproben, denen er sein Talent unterzog“. 10 Die Tatsache, dass er vor seinem Tod bewusst Zeichnungen und Pläne dem Feuer übergab, nahezu eine Selektion vollzog, hatte als Stoßrichtung eine Absage an die Gier der Florentiner Führung. Seine Entscheidung, Zeichnungen zu verbrennen, dürfte somit von einer geistigen Klarheit und sicheren Wahrnehmungen getragen gewesen sein. Offensichtlich fällte er nach wie vor sehr bewusst seine Entscheidungen, wie er mit seinen Kunstwerken,

Zeichnungen oder Plänen verfuhr und wie er es in jungen Jahren getan hatte. Schon 1518 hatte er Kartons verbrennen lassen, als er Rom in Richtung Florenz verlassen hatte. Sein Vertrauter und Freund Leonardo Sellaio schreibt über den Stand der Verbrennung der Kartons einen Brief, in dem er sein schmerzliches Bedauern über diese Tat äußert. 11 Wie jeder Künstler hatte Michelangelo einen eigenen Umgang mit seinen Werken, wobei sich die Bandbreite zwischen dem Verschenken seiner Kunstwerke und Zeichnungen 12 und der Verweigerung der Herausgabe wie im Fall Pietro Aretinos 13 spannt. Einem Souverän gleich behielt er die Oberhoheit über seine Werke, wachte mit Argusaugen über sie 14, teilte aber auch sein Können. So erstellte er z. B. auch Entwürfe oder besichtigte Gemälde, ohne etwas dafür haben zu wollen. 15 Hinter diesem Verhalten scheint eine Art Kodex oder Leitfaden zu stehen, den Vasari durchaus richtig benennt: Michelangelo behielt seine Zuneigung stets edlen, verdienstvollen und würdigen Personen vor. 16 1508 gestattet er einem jungen Spanier, den Karton der Schlacht von Cascina in seiner Abwesenheit zu studieren. Seinen Bruder Buonarroto bat er, dem jungen Künstler dieses Studium zu ermöglichen, da dieser ihn selbst darum gebeten habe und ein guter junger Mann sei. 17 Vermutlich hatte dieser junge Spanier eine höfliche Anfrage gestellt und den Eindruck vermittelt, dass es um die Kunst ging. 18 Seine Kunst war, was ihm durch die großen Erfolge seiner

Vasari, G.: Michelangelo, S. 207. In einem Gedicht zum Tode von Vittoria Colonna bezeichnet er Gott ebenfalls als Meister, der ihm den Hammer führt. Frey, K.: Dichtungen, CI, S. 106. Vgl. Hinderberger, H.: op. cit., S. 446–447. 9 Vasari, G.: Michelangelo, S. 196. 10 Vasari, G.: Michelangelo, S. 196. 11 Brief Leonardo Sellaios an Michelangelo vom 5. Februar 1518 „E’ dichono avere arssii tutti que’ chartoni, ma non chredo di tutti. Doghomi, ma la volontà vostra s’à a eseguire, (…).“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=255&daAnno=1518&aAnno=1518&Mittente=&Destina tario=Buonarroti%20Michelangelo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 12 Vasari, G.: Michelangelo, S. 204. 13 Pietro Aretino (1492–1556), der gefürchtete Publizist Italiens (Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 257), meldete sich am 15. September 1537 per Brief an Michelangelo, um ihm neben seinem überschwenglichen Lob ein Programm für das Jüngste Gericht aufzudrängen, was Michelangelo höflich ausschlug. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 781. Gleichzeitig wollte Aretino eine Zeichnung von Michelangelo, die er aber nicht erhielt. Ab 1545 wurden aus Aretinos übertriebenen Lobeshymnen für das Jüngste Gericht Hasstiraden, in denen er als Verteidiger der Schamhaftigkeit und der Religion auftrat. Vgl. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 257–258. Vgl. Papini, G.: Michelangiolo, S. 430. 14 In diesem Kontext sei nochmals auf das Werk von Michael Hirst „Michelangelo and his drawings“ und den Aufsatz von Carmen Bambach „Vasari on Michelangelo’s ‚Gelosie delle figure‘ and the destruction of his drawings“ verwiesen. 15 Vasari, G.: Michelangelo, S. 205. 16 Vasari, G.: Michelangelo, S. 200. 17 Michelangelo an Buonarroto am 2. Juli 1508: „però fa’ che ctu gli facci aver le chiave a ogni modo, esse tu puoi aiutarlo di niente, fallo per mio amore, perchè è buono giovane.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=49&page=3& Ramsden nennt diesen jungen Spanier „Alonso Berruguete“ Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 44, S. 48. 18 Vasari berichtet von einem Diebstahl, den Bartolomeo Ammannati und Baccio Bigio als Jugendliche begangen hatten, als sie in das Haus des Michelangelo-Schülers Antonio Mini eindrangen und Zeichenblätter stahlen. Vasari erklärt dieses Verhalten mit der Liebe zur Kunst und nicht als 8

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Der Tod des Meisters

Werke widergespiegelt wurde, Teil seiner Memoria geworden, über die es zu wachen galt. Im Dezember 1563 erfolgt Michelangelos Ankündigung an den Neffen, zukünftig keine Briefe mehr zu verfassen. William Wallace attestiert Michelangelo noch zu diesem Zeitpunkt eine bemerkenswert klare und regelmäßige Handschrift, was für die Leistungsfähigkeit des Künstlers spricht. 19 Der Inhalt des Briefes vom 28. Dezember 1563 ist relativ kurz, privat gehalten und eine Art Kollektivantwort auf einige Briefe des Neffen, die aber nicht sofort beantwortet wurden. Neben dem Dank für zwölf wohlschmeckende Käse äußerte er sein Wohlergehen und eine Entschuldigung für unbeantwortete Briefe. Des Weiteren teilt er Leonardo mit, er werde keine Briefe mehr schreiben, da ihm seine Hand nicht mehr gehorche. 20 Dies kündigte er bereits in einem Brief vom 27 Juni 1562 an. Michelangelo schrieb seinem Neffen, Leonardo werde es nicht überraschen, dass er ihm nicht geschrieben habe, da er alt sei, was Leonardo wisse. Er könne auf die Dauer das Schreiben nicht fortsetzen. 21 Wie im Juni

1562 angekündigt, ist sich Michelangelo Ende 1563 seiner Feinmotorik nicht mehr gewiss, was seinem hohen Alter geschuldet ist. Das Schreiben war ihm Zeit seines Lebens sehr wichtig, er merkte aber, dass die von ihm angestrebte Perfektion der Schrift nicht mehr erreichbar war. Nach der Freskomalerei, die er zuletzt in der Cappella Paolina anwandte, stellte er jetzt eine weitere und für ihn wichtige Tätigkeit ein, was nach einer klaren Entscheidung aussieht. Was er selbst nicht (mehr) kontrollieren konnte, gab er auf, und zwar eine ihm nicht mehr gehorchende Hand. Sicherlich war es ein Zeichen, dass Michelangelo sich seiner schwindenden Vitalität gewahr wurde, was ihn aber nicht davon abhielt, weiterhin bildhauerisch tätig zu sein. Dazu genügte seine Grobmotorik immer noch. Das Letzte, was er aus der Hand legte, war kein Schreibstift, kein Pinsel, es waren seine Lieblingswerkzeuge: Hammer und Meißel. Bis zum Schluss blieb er seiner Vorliebe treu. Hier schloss sich der Kreis, hatte er sich mit der Milch seiner Amme 22 die Bildhauerei einverleibt, blieb er ihr bis sechs Tage vor seinem Tod treu.

14.2 Der Tod des Meisters Daniele da Volterra berichtete darüber am 11. Juni 1564 Leonardo Buonarroti, dass Michelangelo noch am 12. Februar 1564, kurz vor seinem 89. Geburtstag und sechs Tage vor seinem Tod, an einer Pietà, der Rondanini Pietà, gearbeitet habe. 23 Fieber und

Unwohlsein befielen ihn, die Kräfte schwanden. Zwei Tage später ritt er nicht mehr zur Baustelle von St. Peter und konnte auch nicht mehr seinen geliebten Ausritt in Begleitung seines Dieners machen. Selbst ärztliche Hilfe sollte ihm in den nächs-

Akt eines bewussten Schadenwollens. Die Zeichnungen wurden wohl später wieder zurückgegeben. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 147. Die Episode zeigt aber, wie begehrt die Zeichnungen waren und manche nicht vor Diebstahl zurückschreckten, was Michelangelo höchst wahrscheinlich verstimmte. 19 Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 326. Die Leistungsfähigkeit und Willenskraft stellte er noch vier Monate zuvor unter Beweis, als er einen donnernden Antwortbrief an seinen Neffen am 21. August 1563 verfasste, in dem er seine gute Versorgung durch seine treuen Freunde vor Ort beschrieb, verteidigte und im klaren Ton Leonardo verlangte, er solle keine Lügen über seinen desolaten Zustand von neidischen Gaunern glauben, die ihn weder bestehlen würden noch mit umgehen könnten, wie sie wollten. Er könne sich selbst beschützen und sei kein Kleinkind mehr. Vgl. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1388&daAnno=1563&aAnno=&Mittente=&Destinatario=Buonarroti%20Leonardo& Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 479, S. 207. Vgl. Gerstfeldt, O. v.; Steinmann, E.: op. cit., S. 286–287. Vgl. Thode, H.: Ende der Renaissance Bd. I, S. 334. 20 „E avendo ricevuto pel passato più tua, e non avendo risposto, è mancato perché la mano non mi serve; però da ora inanzi farò scrivere altri e io soctoscriverò.“ Vgl. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1389&daAnno=1563&aAnno=1563&Mittente=Buonarroti%20Michel angelo&Destinatario=Buonarroti%20Leonardo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca= cerca&. 21 „Non vi maravigliate se io non vi scrivo, perché sono vechio, come sapete, et non posso durar fatica a scrivere. Io sono sano, il simile sperando de voi tutti. Pregate Iddio per me.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1379&daAnno=1562&aAnno=1562&Mittente=Buonarroti %20Michelangelo&Destinatario=Buonarroti%20Leonardo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=& cerca=cerca& Der Brief ist sehr familiär gehalten. Michelangelo zeigt sich von seiner nahbaren Seite und bittet am Ende um den Segen Gottes für Leonardo und sich selbst. 22 Vasari, G.: Michelangelo, S. 33. 23 Zöllner, F.; Thoenes, C.: Michelangelo – Leben und Werk, S. 356.

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Abschied vom Göttlichen

ten Tagen nicht mehr nützen. 24 Tiberio Calcagni berichtete am 14. Februar nach Florenz, er habe gehört, es stehe schlecht um Michelangelo und habe ihn sofort aufgesucht. 25 Calcagni schrieb wörtlich: „Als ich heute durch Rom ging, hörte ich von Vielen, dass Michelangelo krank sei. Darauf hin ging ich ihn besuchen und fand ihn, obgleich es regnete, zu Fuß ins Freie gegangen. Als ich ihn sah, sagte ich ihm, ich hielte es nicht für richtig, dass er in solchem Wetter ausgehe. ‚Was wollt Ihr?‘ antwortete er, ‚ich bin krank und kann nirgends Ruhe finden.‘ Die Unsicherheit seiner Sprache, zugleich sein Blick und seine Gesichtsfarbe, machten mich sehr besorgt um sein Leben. Das Ende braucht noch nicht gerade jetzt zu kommen, aber ich fürchte, es ist nicht ferne.“ 26 Die Unrast kann als Zeichen gedeutet werden, dass Michelangelo vielleicht die ewige Ruhe suchte. Sein Leben war letztlich von Unrast geprägt, diese schien sich aber deutlich von der bekannten zu unterscheiden, da er sich im Regen aufhielt, was seinem Fieber nicht zuträglich war. Calcagni hatte ihn auch darauf aufmerksam gemacht, was Michelangelo abtat, womit die Szene etwas Fatalistisches bekommt. Weiteres Indiz für den schlechten Allgemeinzustand waren Wortfindungsschwierigkeiten, die im Grunde auf einer Entwicklungslinie mit der Beendigung des Briefeschreibens lagen. Michelangelo schien sich in einem kontinuierlichen Abschiedsprozess zu befinden. Tiberio Calcagni war äußerst alarmiert, befürchtete das Schlimmste, indem er betont seine tiefe Besorgnis um ihn äußerte. Er hatte den Meister noch nie in so einem schlechten Zustand gesehen, wohl wissend, dass dieser Mann 88 Jahre alt war. Der Quelle ist auch zu entnehmen, dass der

Zustand des berühmten Künstlers Stadtgespräch war, was für eine kollektive Angst um den berühmtesten Wahlrömer spricht. Die Nachrichtenverbreitung über seine Erkrankung wurde durch seinen Diener Antonio di Giovanmaria del Francese aus Casteldurante, der an die Stelle des verstorbenen Urbino getreten war, oder anderen Hausgenossen getätigt. 27 Der Zustand Michelangelos verbesserte sich nicht mehr. Am 17. Februar schreibt Calcagni erneut an Leonardo und macht sein Anliegen, er möge kommen sehr dringend. Der nahende Tod des Meisters scheint gewiss zu sein. 28 Zuvor hatte sich bereits Diomede Leoni am 15. Februar 1564 an Leonardo gewandt und eindringlich ermahnt, nach Rom zu kommen. Leonardo könne sich gewiss sein, dass er selbst, Tommaso de’ Cavalieri und Daniele da Volterra bei Michelangelo blieben, bis er ankomme. In seinem Brief befinde sich ein weiterer Brief, der von Volterra verfasst und von Michelangelo unterzeichnet sei. Der Brief gebe Auskunft über Michelangelos schlechten Zustand. 29 Michelangelo selbst hatte Daniele da Volterra holen lassen und ihn gebeten, Leonardo zu informieren und in seinem Haus zu verweilen, bis der Neffe dort eintreffe. 30 Vergeblich bemühten sich die Freunde, Leonardo nach Rom zu holen. Michelangelo starb am 18. Februar 1564 gegen 5 Uhr als „perfetto cristiano“, d. h. versehen mit den Sterbesakramenten, die ihm ein geistliches Mitglied der Florentiner Bruderschaft San Decollato in Rom, der Michelangelo angehörte, spendete. An seinem Sterbebett befanden sich Tommaso de’ Cavalieri, dessen Sohn Mario, Leoni, Daniele (Ricciarelli) da Volterra und die Ärzte Frederigo Donato und Gherardo Fidelissimi. 31 Dem Verblichenen war es

Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung c, S. 33. Thode, H.: Ende der Renaissance Bd. I, S. 335. Vgl. Symonds, J. A.: The Life of Michelangelo Buonarroti, S. 291. 26 Thode, H.: Ende der Renaissance Bd. I, S. 335. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung c, S. 33. Hermann-Walther Frey beschreibt die Unruhe Michelangelos. „Questo e (è) perche andando per Roma oggj, mj e (è) stato detto da moltj, che messer Michelagniolo staua male. Sono ito subbito da luj; et con tutto che (ch’e’) piouessj, lo ho trouato fuorj di casa a piede. Quale uisto, lj dissj, che non mij pareua a proposito andar luj a questi tempi fuorj. ‚Che uoj tu, chio faccj? Io sto male non trouo quiete in luogo alcuno!‘ E maj pui con lo suariar delle parole e con la cera mj ha fatto temer della sua uita se non hora; e ne dubito forte, che la non manchj fra poco: Pero non sj deue disperare della gratia diuina, la quale per sua pieta celo conceda ancor per quale poco (…).“ Vgl. Daelli, G.: Carte Michelangiolesche inedite, Brief 27, S. 41–42. 27 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung c, S. 33. 28 Gotti, A.: op. cit., Bd. I, S. 354. „Questa sarà solo per dirvi che sollecitiate la venuta vostra quanto possete, ancor il tempo non lo comporti; atteso che iI vostro messer Michelagnolo vorrà lassarci davero, et arà pure questa sodisfazione di più.“ 29 Wilson, C. H.: op. cit., S. 548–549. Der Brief ist in Charles Heath Wilsons Werk abgedruckt. Vgl. Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 353–354. 30 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 53–54. Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 357–358. Am 17. März 1564 schilderte Volterra Vasari brieflich seine Wahrnehmungen und Eindrücke in diesen Tagen. 31 Diomede Leoni informiert Leonardo am 18. Februar 1564 über den Tod Michelangelos. Vgl. Daelli, G.: op. cit., Brief 28, S. 43. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkungen c und d, S. 34. Vasari berichtet: „Aber obwohl sein Arzt Messer Frederigo Donati anwesend war und seine Angehörigen sich um ihn versammelten hatten, ging es ihm immer schlechter, sodass er bei vollem Bewusstsein mit drei Worten sein Testament machte: Er legte 24 25

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Der Tod des Meisters

wichtig, als „perfetto cristiano“ zu sterben, da so seine Seele ihre Ruhe finden konnte. 32 Besagter Gherado Fidellissimi informierte noch am gleichen Abend Cosimo I. über den Tod Michelangelos. Er habe den Wunsch Michelangelos vernommen, seinen Körper nach Florenz zu bringen. Da Michelangelo ohne anwesende Erben und ohne Testament 33 gestorben sei, solle der Großherzog Sorge für den Rücktransport tragen. Florenz werde mit den Knochen dieses großen Mannes, den die Welt je getragen habe, geehrt. 34 Neben dem Herzog setzte Gherardo Fidelissimi den Papst, Averardo Serristori und andere amtliche Kreise in Rom über das Ableben Michelangelos in Kenntnis. 35 Diomede Leoni ließ am selben Abend gegen 10 Uhr Leonardo die Todesnachricht durch einen genuesischen Kurier übermitteln, dass aber alles unter Kontrolle und in Ordnung sei. 36 In diesem Brief vom 18. Februar informierte Diomede Leoni Leonardo auch darüber, dass Daniele da Volterra bis zu seinem Eintreffen im Haus verweilen werde. 37 Der Künstler genoss posthum den Schutz durch einen kleinen Freundeskreis, den er sorgfältig ausgesucht und damit die Weichen gestellt hatte. Er hatte die Sensibilität und das nötige Gespür, wem er vertrauen konnte und wem nicht. Auf Daniele da

Volterra war Verlass, auf Michelangelos Wert und dessen Werte, die sich in seinem Haus befanden, aufzupassen. Der Meister hatte wohl arge Befürchtungen vor einem Raub oder dem Verschwinden seiner Kunstwerke und Pläne, die er gut behütet wissen wollte, bis sein Neffe in Rom eintraf. Dass es Volterra gut mit ihm meinte, zeigte seine Loyalität Michelangelo gegenüber und die Tatsache, dass er unauffällig den Arzt kommen ließ, als der große Künstler das letzte Mal nach ihm schickte. Über die letzten Begegnungen zwischen den beiden Männern gibt Volterra einen knappen Monat nach Michelangelos Tod Auskunft. Am 17. März 1564 schrieb er einen Brief an Vasari, in dem seine Einstellung und die Darstellung der Geschehnisse um den Tod Michelangelos zu finden sind. 38 Diesem Schreiben sind nicht nur Angaben über das Hinscheiden des Künstlers, sondern auch Einblicke in Volterras Emotionen zu entnehmen. Volterra eröffnet den Brief mit einem Dank für die Korrespondenz Vasaris, die ihn in einer für ihn selbst überraschend starken Trauerphase um seinen Herrn (padrone) und Vater (padre) erreicht habe. Die Ausdrücke „padrone und padre“ sind ein Bekenntnis, mit denen er seinen Respekt (padrone) und seine Verbundenheit (padre) zum Ausdruck bringt.

seine Seele in Gottes Hände, übergebe seinen Körper der Erde und hinterlasse sein Hab und Gut nächsten Verwandten, unter der Bedingung, dass sie ihn beim Scheiden aus diesem Leben an Jesu Christi Tod ermahnten. Und so verstarb er am 17. Februar des Jahres 1563 um 23 Uhr nach Florentiner Zeitrechnung, was nach römischer Zeitrechnung 1564 war, um in ein besseres Leben überzugehen.“ Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 194. 32 In einem Brief vom 16. Januar 1548 an seinen Neffen äußert er sich dazu. Sein Bruder Giovansimone starb am 9. Januar 1548. Michelangelo wollte von Leonardo wissen, ob sein Bruder vor seinem Tod die Beichte abgelegt und kommuniziert habe und dessen religiösen Angelegenheiten geregelt seien. Wenn dem so wäre, wäre er weniger bekümmert. Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 299, S. 86–87. E. H. Ramsden datiert den Brief auf den 16. Januar 1548, während er von Paola Barocchi und Renzo Ristori in ihrem Werk auf den 21. Januar datiert wird. Vgl. Barocchi, P.; Ristori, R.: Il Carteggio di Michelangelo Vol. IV, MCI, S. 289. Vgl. Guardini, R. A.: Michelangelo Gedichte und Briefe, Brief 21, S. 120. Der Brief belegt, wie wichtig Michelangelo die Aussöhnung mit den Menschen, mit sich und Gott darstellte. Was für seinen Bruder galt, galt auch für ihn selbst. 33 Zu diesem Zeitpunkt gab es offensichtlich kein Testament mehr. Wie bereits dargestellt, existierten wohl zwei Testamentsentwürfe im Sommer 1544 und im Januar 1546. Die Testamentsangelegenheit 1544 bzw. 1546 ist nicht ganz zu durchblicken. Sie könnte aber Michelangelos Wankelmütigkeit bezüglich seines Neffen widerspiegeln, die sich bis zum Schluss hielt, weil er kein Testament machte. Zeit und Gelegenheit hätte er genug gehabt. Offensichtlich wollte er keinen letzten Willen. Beispielsweise ist am 25. Februar 1553 aus dem Brief Lorenzo Mariottinis an Leonardo Buonarroti zu erfahren, dass Michelangelo nicht gewillt war, die Mühen aus 60 Jahren jemandem zu überlassen, der nach seinem Tod das Leben mit Huren und Dirnen genießt. https://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_26.php?id=266&daAnno=1553&aAnno=&Mittente=Mariottini%20Lorenzo&Destinatario=& Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 34 „(…) ho ritratto che’l desiderio suo era chel suo corpo fosse portato a Firenze (…) et in oltre che la sua bellissima Città sia ornata delle honoratissime ossa del maggior huomo che sia mai stato al mondo.“ Vgl. Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXI, S. 126/127. Michelangelo selbst hatte schon am 19. September 1554 in einem Brief an Vasari den Wunsch geäußert, neben seinem Vater in Florenz beigesetzt zu werden. „Per la vostra veggio l’amor che mi portate; e sappiate per cosa certa che io arei caro di riporre queste mia debile ossa a canto a quelle di mio padre, come mi pregate.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=1195&daAnno=1554&aAnno=1554&Mittente=Buonarroti%20Michelangelo& Destinatario=Vasari%20Giorgio&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 390, S. 146–147. Koch, H.: Michelangelo – Briefe, Gedichte und Gespräche, S. 118–119. 35 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung d, S. 34. 36 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung d, S. 34. 37 Vgl. Daelli, G.: op. cit., Brief 28, S. 43. 38 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 53–54. Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 357–358.

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Abschied vom Göttlichen

Sein folgendes Verhalten und seine Verlässlichkeit zeigen die Authentizität dieser Aussage. Volterra berichtet weiter, man habe ihn wie immer beim Unwohlsein Michelangelos in dessen Haus gerufen, und er habe auch gleich den Arzt Frederigo di Carpi konsultiert, der umgehend erschienen sei. 39 Im Folgenden lässt Volterra Michelangelo selbst zu Wort kommen: Mit ihm gehe es zu Ende, er (Volterra) solle Leonardo darüber informieren, ihn (Michelangelo) nicht verlassen und im Haus verweilen, damit nichts verschwinde. 40 Dies habe er (Volterra) alles erfüllt, obwohl es ihm nicht wohl gewesen sei. Michelangelos Krankheit habe über fünf Tage gedauert, von denen er zwei Tage am Feuer gesessen und an drei Tagen im Bett gelegen habe. Am Freitagabend sei er im Frieden mit Gott gestorben. 41 Am folgenden Samstag, während man sich um den Sarg und weiteres gekümmert habe, sei ein Richter mit einem Notar des Gouverneurs von Seiten des Papstes gekommen, um das Inventar zu erfassen. 42 Zu dem Inventar gehörten auch Kunstwerke, u. a. vier Kartons. 43 Volterra erwähnt zwei kleine Zeich-

nungen, die die Verkündigung und das Gebet Christi im Garten (Gethsemane) zeigen, und will wissen, ob Vasari sich an sie erinnere. Diese habe Michelangelo an seinen Begleiter Iacopo gegeben. Der Neffe werde sie ihm aber abnehmen und sie dem Herzog schenken. 44 Es seien nur noch drei begonnene Statuen gefunden worden. 45 Der Neffe habe, nachdem er drei Tage nach dem Tod Michelangelos eingetroffen sei, sogleich den Abtransport des Leichnams nach Florenz angeordnet, so wie es Michelangelo selbst häufiger gewünscht habe. 46 Beim Gouverneur habe man Leonardo nur die Truhe ausgehändigt, die für ihn genug sei, verweigerte ihm aber selbst bei Nachfrage die Herausgabe der Kartons. Danach sei der Körper Michelangelos nach Sankt Apostolo gebracht worden. Wie die Geschichte ausgehe, sei nicht gewiss. Nach dieser Ausführung lässt Volterra seinen Brief, von dem er selbst sagt, er sei ausführlicher geworden, enden. 47 Volterras Ausführungen stimmen mit den Angaben der anderen Quellen 48 über Michelangelos Tod überein. Abweichungen gibt es womöglich bei

„Certo, ch’io giudicauo douermj dolere molto la morte d’un tanto padrone, et padre, ma non maj tanto, come sa, eßendo piaga antiueduta.“ Siehe Fußnote 1730, S. 53. 40 „O Daniello, io sono spacciato, mi ti racomando. Non mi abandonare“; et fecemi sciruer’una letter a messer Lionardo, suo nipote, ché (e’) doueße uenire, et a me diße, ch’io lo doueßi aspettar’lì in casa et non mi partissi per niente.“ Siehe Fußnote 1730, S. 53. 41 „sì ch’egli spirò il Venerdi a sera, con pace sua sia, come certo si può credere“. Vgl. Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 357. 42 „Il Sabato mattina, mentre si daua ordine alla caßa et l’altre cose, uenne il guidicj con un notaro del gouernatore, da parte del Papa, ch’uoleua l’inuentario dj cio che u’era.“ Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 53–54. Vgl. Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 357. Hermann-Walther Frey merkt an, dass es sich bei „caßa“ um den Sarg handeln, aber damit auch die Truhe gemeint sein kann, die das Geld und die Zeichnungen enthält. Vgl. ebd., S. 56. 43 Unter diesen befand sich eine Zeichnung eines Apostels, den er in Marmor schlagen wollte, „et uno apostolo, il quale disegnaua per farlo di marmot in San Pietro.“ Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 54. 44 Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 358, Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 556. 45 Eine Statue war St. Peter in päpstlichen Gewändern. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 54. „un San Pietro in abito di papa“. HermannWalther Frey verweist darauf, dass es wohl eine sitzende Petrusstatue war, die unter Umständen mit einer Zeichnung (Karton) übereinstimmt, die einen Apostel darstellt und gefunden wurde. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, S. 56, Anmerkung 9 und S. 58, Anmerkung 15. Die beiden anderen Statuen zeigten eine Pietà und einen Christus, der sein Kreuz hält wie der Auferstandene Christus. Vgl. ebd., S. 54. Vgl. Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 358. Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 557. 46 „Il nipote ariuò 3 giorni da poi la morte sua et subito ordino (ordinò), ch’il corpo suo fussi portato à Fiorenza, secondo che luj ci haueua commandato piu uolte, quando era sano, et anche dua intanti la morte.“ Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 54. Vgl. Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 358. Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 557. 47 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 54. Vgl. Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 358. Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 557. 48 Diomede Leoni bestätigt in seinem Brief vom 18. Februar 1564 Volterras Angaben, dass Michelangelo nach ihm geschickt habe und ihn beschwor in seinem Haus zu bleiben, bis der Neffe eintreffe. Vgl. Daelli, G.: op. cit., Brief 28, S. 43. Tiberio Calcagnis Brief vom 14. Februar 1564 ist zu entnehmen, dass zu diesem Zeitpunkt die Krise des Meisters begann. Vgl. Daelli, G.: op. cit., Brief 27, S. 41–42. Damit sind die fünf Tage dauernde Krankheit bestätigt. Gherado Fidelissimi berichtet am 18. Februar 1564 an Cosimo I., dass er mit anderen Ärzten für Michelangelo gesorgt habe („et essendomi trovato insieme con altri medici all’infermità sua“). Daneben schreibt er, dass Michelangelo in Florenz beigesetzt werden wollte. Vgl. Gaye, G.: Carteggio inedito Tomo III, CXXI, S. 127. Damit sind die anwesenden Ärzte und der Wunsch der letzten Ruhestätte dokumentiert. Die Inventarisierung, die einen Tag nach Michelangelos Tod unter Anwesenheit verschiedener Amtsträger vollzogen wurde, belegt Averardo Serristori in seinem Brief an Cosimo I. vom 19. Februar 1564. Vgl. Vgl. Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXII, S. 127–128. Volterra nennt bei dem Inventar beispielsweise vier Kartons. Die Inventarliste weist insgesamt acht Kartons auf. Allerdings ist dort viermal von einem „cartone grando“ die Rede, womit die genannten vier Kartons gemeint sein könnten. Daneben wird auch sehr präzise Auskunft über die Geldsumme, die sich in der Truhe befindet, gegeben. Siehe: Inventarliste zu Michelangelos Eigentum, die von Robertus Ubaldinus bestätigt wurde. Vgl. Gotti, A.: op. cit., Bd. II, S. 149– 154. 39

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Einsetzendes Engagement

dem Inventar bzw. bei der Anzahl der Kartons, die damit zu erklären wäre, dass Volterra vielleicht eine Auswahl oder eine andere Benennung vornahm, die er Vasari berichtete. Folgt man Volterras Ausführungen, ging die Erfassung des Inventars vom Papst aus, der den Gouverneur veranlasste, einen Richter und einen Notar in Michelangelos Haus zu schicken, um eine Bestandsaufnahme zu machen. Über die Motivation dieses Schrittes können nur Mumaßungen angestellt werden. Entweder wollte der Papst die Bestandsaufnahme für sich, um das Wissen darüber für sich zu nutzen oder er wollte Herzog Cosimo I. einen Gefallen tun. Es könnte auch um einen Wissensvorsprung gegangen sein, um gegebenenfalls gegen die Freunde Michelangelos oder die Florentiner vorzugehen, falls später ein Stück fehlen sollte. Des Weiteren bestätigt Volterra Michelangelos Wunsch, in Florenz beigesetzt zu werden. Er gibt als Legitimation den früheren Gesundheitszustand Michelangelos an, um diesen wiederholt geäußerten Wunsch auch zwei Tage vor seinem Tod zu bestätigen. 49 Damit leistet er dem Einwand Vorschub, dass Michelangelo vielleicht im Fieber gesprochen haben könnte. Briefe Michelangelos enthalten eindeutig seinen Wunsch, nach seinem Tod nach Florenz zurückzukehren. Diesen Wunsch erwähnt ebenfalls Gherado Fidelissimi in seinem Brief an Cosimo I. Allerdings ist Volterra in diesem Kontext die verlässlichere Quelle, da er dem Künstler wirklich nahestand und nur dessen Bestes wollte. Sein Brief ist klar verfasst und benennt die Widrigkeiten, denen Leonardo ausgesetzt war, da der Gouverneur versuchte, ihn um Kartons zu betrügen

und sich zu bereichern. Die Inhalte des Briefes können als glaubwürdig eingestuft werden, denn er war Michelangelo gegenüber loyal und hatte es nicht nötig, falsche Aussagen zu machen. Vasari gegenüber hegte er offensichtlich Vertrauen, da er ihm einen solchen Brief zukommen ließ. Für den Verfasser stellte die Schilderung eine Aufarbeitung der Geschehnisse dar, da er seine emotionale Betroffenheit über den Tod seines Freundes bekennt. Er war dem Meister zutiefst verbunden und genoss, wie dargestellt, dessen uneingeschränktes Vertrauen und der gerade den Brief von ihm mit dieser Tragweite an Leonardo verfassen ließ. Eine Mitteilung über den nahen bzw. spürbaren Tod überträgt man nicht irgendwem neben dem Hüten des Hauses. Auf Volterra hatte dies auch eine Rückwirkung: Er sollte den Meister nicht enttäuschen und im Mai 1564 das Haus am Macel de’ Corvi mieten, um in den heiligen Hallen seines „padrone und padre“ 50 zu wohnen und ihm so posthum näher zu sein. Die tiefe Verbundenheit Volterras ist anhand des Freskos in der Rovere-Kapelle in der Kirche Trinitá die Monti zu belegen, da er hier das Konterfei Michelangelos darstellte. 51 Ebenso kann es als Glücksfall bezeichnet werden, dass ihm die Korrekturen am Jüngsten Gericht übertragen wurden. Mit ihm hatte man einen Maler am Werk, der sein Handwerk verstand und den größten Respekt vor Michelangelo besaß. Einer Schädigung oder unguten Veränderung dieses Superfreskos war somit Einhalt geboten. Deswegen gehört Volterra zu denjenigen, die es wirklich ernst und gut mit Michelangelo und dessen Nachlass meinten.

14.3 Einsetzendes Engagement Das florentinische Engagement begann kurz nach Michelangelos Tod, um das umzusetzen, was schon ein Jahr zuvor auf Anraten Vasaris begonnen hatte: Kontrolle und Überwachung. 52 Averado Serristori, der florentinische Gesandte, berichtet darüber, dass

er den Gouverneur ins Haus Michelangelos geschickt und dass eine Inventur über die sich im Haus befindlichen Wertgegenstände stattgefunden habe. 53 Der Gesandte von Florenz betont neben der Anordnung des Besuches durch den Gouver-

Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 358. Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 557. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 53–54. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 53. 51 Im folgenden Kapitel wird dieser Sachverhalt noch einmal aufgenommen, da hier erst das Verhältnis von Vasari und Volterra näher untersucht wird. 52 Vasari, G.: Michelangelo, S. 194. 53 Symonds, J. A.: The Life of Michelangelo, S. 292. Vgl. Gaye, G.: Carteggio inedite, Tomo III, CXXII, S. 126/127. „An diesem Morgen, bezogen auf ein Arrangement, das ich getroffen hatte, ist der Gouverneur in das Haus Michelangelos geschickt worden, um eine Inventur über die gefundenen Gegenstände zu machen. Diese waren nur sehr wenige und sehr wenige Zeichnungen. Wie auch immer, das, was da war, wurde von ihnen ordentlich 49 50

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Abschied vom Göttlichen

neur zwei Inhalte: Michelangelos Geld und seine Zeichnungen. An dem formalen Ton des Schreibens ist erkennbar, dass er darum bemüht ist, den korrekten Ablauf der Ereignisse zu berichten. Aus diesem Grund benennt er in seiner Darstellung auch Tommaso de’ Cavalieri und Daniele da Volterra als Zeugen während der Öffnung der versiegelten Kiste. Er wollte offensichtlich formal nicht angreifbar sein und eine zügige und geordnete „Haushaltsauflösung“ ermöglichen. Der Schwerpunkt seines Interesses lag aber auf den Zeichnungen, von denen nach seiner Aussage nur wenige – „manco di designi“ – gefunden wurden. Als Nächstes folgt die Feststellung, dass Michelangelo Zeichnungen verbrannte. 54 Cosimo I., der Distanz zum Künstler wahrte und Vasari vorschickte, schwang sich nun zum Nachlassverwalter bzw. Nachlasshüter auf, was suspekt anmutet. Die loyalen Freunde Michelangelos hätten den Nachlass ohne florentinischen Gesandten durchführen können. Daniele da Volterra hatte es Michelangelo auf dem Totenbett versprochen, dafür Sorge zu tragen, bis Leonardo eintreffe. Tommaso de’ Cavalieri hatte kein Interesse an einer Bereicherung, zu tief war seine Verbundenheit zu Michelangelo. Jeder der Anwesenden war integer, Michelangelo gegenüber loyal, wodurch das Engagement der Florentiner überflüssig war. Die einzige Intention des Florentiner Engagements kann im Zugriff auf Michelangelo und dessen Kunst gelegen haben. Objekte der Begierde waren die Pläne, die Michelangelo in Florenz angefertigt hatte. Daneben befanden sich in Michelangelos Haus Werte, die jenseits der Kunst lagen und sich in der versiegelten

Nusskiste befanden. Rab Hatfield macht hier im Gegensatz zu dem florentinischen Gesandten die genaue Angabe von 8.289 Dukaten und Scudi, nimmt eine Art Umrechnung vor und schlussfolgert, dass Michelangelo nahe 30 Kilogramm an Edelmetallen besessen habe. 55 Weiter ist den Akten zu entnehmen, dass am 19. Februar 1564 eine Abordnung des Gouverneurs von Rom in Michelangelos Haus erschien. 56 Zu dieser Abordnung gehörten der stellvertretende Fiskalauditeur Angelo Antonio degli Amati, ein Notar und Zeugen. Nach Hermann-Walther Frey gehörten ihr ebenso Notabeln der florentinischen Kolonie, Don Miniato Pitti, die römische Bürgerschaft, Mitglieder der Kurie und Angehörige der Künstlerschaft an. 57 Ziel war die Überprüfung der Situation im Haus am Macel de’ Corvi und die Bestandsaufnahme des Inventars. Die Freunde und Anwesenden wurden befragt und die von ihnen stammenden eidesstaatlichen Erklärungen schriftlich fixiert. 58 Neben dem Papst und Florenz trat als dritte große Kraft die Kommune Rom in Erscheinung, um primär den Zugriff auf die Werke Michelangelos zu sichern. Folgt man Hermann-Walther Frey, ist es bemerkenswert, wer sich in Michelangelos Haus aufhält, was zu Lebzeiten des Künstlers undenkbar gewesen wäre, da er einen solchen Auflauf und neugieriges Verhalten nicht geduldet hätte. Den Anwesenden ist durchaus Voyeurismus zu unterstellen, den Michelangelo tief verabscheut hätte. In diesem Kontext bekommt der Satz „Nur über meine Leiche“ eine nahezu authentische Bedeutung.

registriert. Das wichtigste Objekt war eine Kiste, die mit verschiedenen Siegeln versiegelt war, welche der Gouverneur anordnete in der Gegenwart von Tommaso de’ Cavalieri und Meister Daniele da Volterra, nach denen vor Michelangelos Tod geschickt worden war, zu öffnen. Um die 7000 bis 8000 Dukaten sind gefunden worden, welche nun in der Ubaldini Bank deponiert sind. (…) Die Menschen im Haus werden alle darüber befragt (verhört), ob etwas (von den Gegenständen) weggetragen wurde. Es ist nicht zu vermuten, dass dies der Fall gewesen ist. Sofern die Zeichnungen betroffen sind, sagen sie, dass er sie selbst verbrannte, bevor er starb. Was hier ist, soll an seinen Neffen ausgehändigt werden, wenn er kommt. Und dies können Eurer Exzellenz ihm berichten.“ 54 „(…) perchè quanto a’ disegni dicono che già abbrucciò ciò che haveva;“ Vgl. Gaye, G.: Carteggio inedite, Tomo III, CXXII, S. 128. 55 Hatfield, R.: The Wealth, S. 183. Volker Reinhardt taxiert den Gesamtwert in der Kiste auf 80 Millionen Euro. Reinhardt, V.: Der Göttliche, S. 360. Aufgrund des sich abzeichnenden Todes hatte Tommaso de’ Cavalieri am 15. Februar 1564 die Kiste aus Nussbaumholz, in der sich das Geld, diverse Schriftstücke und Kontrakte befanden, unter der Zeugenschaft de Bonifaz dell’Aquila und Camillos d’Arpino versiegelt. Am 18. Februar 1564 wurde die Kiste nochmals zwecks Begehung des Hauses kurz geöffnet, um dann wieder verschlossen zu werden. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung d, S. 34. 56 Über die Veranlassung dieses Besuches existieren unterschiedliche Versionen. Serristori schreibt an Cosimo I. am 19. Februar 1564, er habe dies veranlasst, während Volterra in seinem Brief vom 17. März 1564 angibt, der Papst habe den Befehl gegeben. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 53–54. 57 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung d, S. 35. Hermann-Walther Frey klassifiziert die römische Bürgerschaft, die er in seinem Werk nennt, nicht weiter. 58 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung d, S. 34.

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Michelangelos „Habseligkeiten“

Die illustre Besucherschar verweilte lange Zeit im Michelangelos Haus; der Gouverneur hielt sich beispielsweise außergewöhnlich lange in dessen Schlaf- bzw. Sterbezimmer auf. Er verordnete, dass bis zur Ankunft Leonardos als Universalerben die Nussbaumtruhe, in der sich Geld und Schriften befanden in der Ubaldini Bank und die zehn Kartons bei ihm selbst deponiert werden sollte. 59 Hierbei handelte es sich um einen administrativen Akt, der auf die Korrektheit dieser Männer hinweist. Der Chef der Bank und päpstliche Bankier namens Ruberto erhielt vom Gouverneur eine schriftliche Anweisung, dieses Depot zu übernehmen. Dazu suchte er am 22. Februar zusammen mit einem Kassierer und dessen Gehilfen den Gouverneur in der Frühe auf, was vermutlich kurz vor Eintreffen Leonardos

in Rom geschah. Besagter Ruberto bestand auf eine weitere Prüfung des Truheninhalts, in dessen Gegenwart und diverser Zeugen die Truhe zum dritten Mal geöffnet, der Inhalt überprüft und die Truhe wieder verschlossen und dreifach versiegelt wurde. Der Schlüssel und der Siegelstempel wurden Tommaso de’ Cavalieri ausgehändigt. Auf Anordnung des Gouverneurs brachten vier Hausknechte die Truhe und Skripturen auf der Ubaldini Bank. 60 Alle Beteiligten waren an einer korrekten Abwicklung dieser Angelegenheit interessiert, weil man dies dem Verstorbenen und der eigenen Reputation schuldete. Die restlichen Kunstwerke und der Hausrat blieben unter der Aufsicht Volterras und des Dieners Antonio im Haus zurück. 61

14.4 Michelangelos „Habseligkeiten“ Besagte Kunstwerke und restlicher Hausrat wurden inventarisiert, worüber ebenfalls unterschiedliche Aussagen vorliegen. Aurelio Gotti veröffentlichte das Inventar in seiner Michelangelo-Biographie von 1876 ungenau. Grundlage dafür waren die Aufzeichnungen, die an Ort und Stelle am 19. Februar 1564 gemacht wurden. Darüber hinaus existierten weitere notarielle Protokolle, die vom 22., 26., 27. Februar und vom 7. und 21. April 1564 stammten. 62 Offensichtlich reichte die erstmalige Begehung nicht aus, sodass weitere fünf Male, unter Umständen sogar mehr Besuche stattgefunden haben. Es lässt sich nicht klären, ob die häufigen Begehungen mit dem Abtransport einiger Kunstwerke oder dem Ausräumen des Hauses zu tun hatten. Es ist nicht auszuschließen, dass man vielleicht doch noch hoffte, unerwartet fündig zu werden. Die umfangreiche Inventarliste ist eine sachliche Bestandsaufnahme des Eigentums. An dem

sachlich und simpel aufzählenden Duktus schon allein in der Einleitung, der die minutiöse Auflistung aller Gegenstände folgt, ist das korrekte Verhalten des ausführenden Steuerbeamten ablesbar. Dieser Vorgang wird so ernsthaft verfolgt, dass es selbst Hinweise auf zusammengeklebte Kartons (Zeichnungen) gibt. 63 Die Bestandteile des Hauses waren: Kleidung, Tisch- und Bettwäsche, Mobiliar, Geschirr, Krüge, Behälter, Werkzeuge und ein kleines Pferd. 64 Die letzten drei Paragraphen der Inventurliste betreffen den Marmor, die Zeichnungen und das Geld. Die eigentlichen Reichtümer bestanden aus drei Statuen, elf Zeichnungen, über die es divergierende Auskünfte gibt, und der besagten Nussholzkiste, in der sich in verschiedenen kleinen Behältnissen das Geld befand. Leonardo erhielt sein Erbe am 27. Februar 1564, während Tommaso de’ Cavalieri sein Erbe am 7. April 1564 ausgehändigt wurde. 65

Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung d, S. 35. Anwesend waren u. a. die Mitarbeiter Rubertos, Tommaso de’ Cavalieri, der Diener Antonio, Jacopo del Duca und Tiberio Calcagni. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung d, S. 35. Eine weitere Fußnote * auf der Seite 35 beinhaltet genauere Angaben. 61 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung g, S. 35. Der Wunsch Michelangelos, dass Volterra im Haus bleibe, bis Leonardo eintreffe, wurde umgesetzt. 62 Frey, H.-W.: Nachlass, Fußnote *, S. 35. 63 Gotti, A.: op. cit. Bd. II, S. 151. „Un altro cartone, di pezzi incollati insieme, dove sta designata la pianta vecchia di detta chiesa di San Pietro, che dicono essere secondo il modello di Sangallo.“ Rab Hatfield thematisiert in seinem Buch Michelangelos Geiz und ordnet ihn bei seinem Lebenswandel, der weit unter seinen finanziellen Möglichkeiten liegt, als Geizkragen ein: „But a person who lives in misery when a person in question has the means to live very well, is by definition a miser.“ Vgl. Hatfield, R.: The Wealth, S. 188. 64 Gotti, A.: op. cit. Bd. II, S. 149–151. Sammelbeleg. Dazu gehörten kurioserweise getragene und nicht getragene Kleidungsstücke Michelangelos. 65 Gotti, A., op. cit. Bd. II, S. 155–156. Sämtliche Zeichnungen und Kartons, die Tommaso de’ Cavalieri von Michelangelo besaß, wurden nach seinem 59

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Abschied vom Göttlichen

14.5 Gedenken und Staatsangelegenheit Bevor Michelangelos Leiche am 19. Februar abends gegen 7 Uhr von den Brüdern von San Giovanni Decollato in die Kirche Santi Apostoli gebracht wurde, hatte Volterra ihm die Gesichtsmaske abgenommen und bahrte ihn mit seinen Freunden im Haus auf. 66 Die Überführung in die Kirche Santi Apostoli glich einer feierlichen Prozession mit Fackelträgern unter Anteilnahme der römischen Bevölkerung. 67 In der Kirche wurde er mit großer Ehre und unter Anteilnahme der Florentiner und mit dem Vollzug der üblichen liturgischen Handlungen „beigesetzt“ 68. Bis weitere Inhalte zur endgültigen Beisetzung geklärt waren, blieb der Leichnam im Depot. 69 Giovanni Papini sieht diese erste Leichenfeier von persönlicher Anteilnahme getragen, da gerade hier die treuen Gefährten und Freunde, ergebene Diener und Gesellen Michelangelos zugegen waren, die wirkliche Trauer verspürt und gezeigt haben. 70 Die von Giovanni Papini vermuteten Reaktionen bzw. Emotionen werden von den Gefährten und Freunde wahrhaftig empfunden worden sein, da sie Zeugen des Sterbens Michelangelos waren, das gerade einen Tag zurücklag. Bei dem Akt in Dodici Apostoli wird es sich um eine private und ausschließlich dem Gedenken des Meisters gewidmete Veranstaltung gehandelt haben, in der es darum ging, der Seele des Verstorbenen zu gedenken und für dessen Seelenheil zu beten, was ihm selbst so wichtig war. Vasari hingegen legt bei seiner Dar-

stellung in der Michelangelo-Biographie den Schwerpunkt auf den offiziellen Charakter der „glanzvollen Leichenfeier“ in Anwesenheit der Florentiner Gemeinde und der Beisetzung Michelangelos „in einer Gruft in Santi Apostoli.“ 71 Die Erwähnung des ersten Gedenkaktes für den Künstler ist für Vasari nahezu zwingend, deren Kürze ist allerdings ein Hinweis darauf, dass der Biograph entweder nicht genügend Informationen hatte oder, was eher zu vermuten ist, diesem Ereignis nicht die Aufmerksamkeit geben wollte, da den Florentiner Exequien sein Hauptinteresse galt. In dem Kontext um den ersten Gedenkakt sind noch zwei Inhalte von Belang: Einer Mitteilung Vasaris ist zu entnehmen, dass Papst Pius IV. wohl den Gedanken geäußert habe, Michelangelo eine Grabstätte in St. Peter zur Verfügung zu stellen, so wie sie auch für Antonio San Gallo geschaffen worden war. 72 Condivi berichtet, dass Michelangelo selbst mit dem Gedanken spielte, sich in Rom beisetzen zu lassen. Hermann-Walther Frey konstatiert, dass Condivi wohl unzuverlässig gearbeitet habe. Letztlich liegt Vasari ein Brief Michelangelos vom 19. September 1554 vor, dass er in Santa Croce in Florenz neben seinem Vater beigesetzt werden wollte. 73 Die Rückkehr nach Florenz bestätigt der Arztbrief Gherado Fidelissimis, Arzt von Cosimos I. Gnaden, vom 18. Februar 1564, dem Todestages Michelangelos. Im vorauseilenden Gehorsam machte Gherado Fi-

Tod 1587 „von pietätlosen Erben“ an Kardinal Alessandro Farnese für 500 Scudi verkauft. Über diese Werke schrieb er selbst an Herzog Cosimo I., sie seien ihm teurer als seine Söhne. Vgl. Gerstfeldt, O. v.; Steinmann, E.: op. cit., S. 297. 66 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung d, S. 34. Daniela da Volterra nahm die Gesichtsmaske ab. 67 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung d, S. 35. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VII, S. 615. 68 Gotti, A.: op. cit. Bd. I, S. 355. (…) nella chiesa dei Santi Apostoli; dove con molto onore gli furono celebrati i funerali, col concorso di tutta la nazione fiorentina, e di quanti erano in Roma maestri nell’arte. Il Papa mostrò desiderio per fino di volergli fare un deposito in San Pietro: il che sarebbe stato il più grande onore che mai avesse avuto un cittadino romano.“ 69 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung d, S. 35. Im Kreuzgang befindet sich ein Grabmal, das fälschlich für das von Michelangelo Buonarroti gehalten wurde, was man bereits 1823 publizierte. Vgl. Buchowiecki, W.: Handbuch der Kirchen Roms Bd. 1, S. 667. Eine Inschrift im Kreuzgang an der Wand rechts verweist darauf: Michelangelo Buonarroti – Bildhauer, Maler, Architekt ist mit einem überaus zahlreichen Geleit von Künstlern in dieser Basilika der heiligen 12 Apostel der Minderen Brüder, der Conventualen, am 11. Tag vor der Kalenden des März des Jahres 1564 zu Grabe getragen worden; heimlich ist er von da nach Florenz übergeführt und im Tempel des heiligen Kreuzes – der Kirche S. Croce – derselben Brüder am 5. Tag vor den Iden des März desselben Jahres beigesetzt worden. Einem so großen Namen kommt keine Grabinschrift gleich.“ Vgl. Bartels, K.: Roms sprechende Steine, S. 37, Inschrift 1.19 in deutscher und lateinischer Sprache. 70 Papini, G.: Michelangiolo, S. 686. 71 Vasari, G.: Michelangelo, S. 214. Dieses erwähnt er auch schon in seinem Brief an Leonardo vom 4. März 1564. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXI, S. 29. 72 Antonio da Sangallo war am 29. September 1546 gestorben. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. V, S. 769. Sangallo wurde am 3. Oktober 1546 beigesetzt. Vgl. Vasari, G.: Das Leben der Sangallo-Familie, Fußnote 199, S. 184. Vasari berichtet, dass man ihn in Rom unter großer Anteilnahme vieler Künstler beisetzte und die Oberaufseher von St. Peter den Leichnam in einer Grabnische nahe der Sixtus-Kapelle in St. Peter überführten. Vgl. ebd., S. 84–85. Heute ist das Grab nicht mehr nachweisbar. 73 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung d, S. 35. Zum Brief: Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol II, Brief 390, S. 146–147.

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Gedenken und Staatsangelegenheit

delissimi aus dem Tod des Künstlers eine Staatsangelegenheit: Cosimo I. möge für die Rückführung Michelangelos Sorge tragen, da weder Verwandte vor Ort gewesen seien noch ein Testament existiere. 74 Die Stoßrichtung seines Ansinnens offenbart er mit: Es gehe um die Zierde der Stadt durch die Knochen des großen Mannes und somit um die Zierde des Herzogs. 75 Es ist anzunehmen, dass Gherado Fidelissimi über Leonardos Reise nach Rom informiert war 76, was er vermutlich wissentlich ignorierte und so den Todesfall zur Staatsangelegenheit machte. Ob dies vorher abgesprochen oder eine eigenmächtige Handlung Gherado Fidelissimis war, ist nicht zu ermitteln. Der Arzt Cosimos I. erfüllte seine Mission und verschaffte dem Herzog durch erste Informationen einen Wissensvorsprung dem anreisenden Neffen gegenüber, was den Herzog in die Lage versetzte, die Weichen zu stellen.

14.5.1 Der Papst und die Römer Neben Cosimo I. ist Pius IV. eine weitere Person in dem Tanz um Michelangelo. Über die Haltung und Position des Pontifex in diesem Kontext existieren unterschiedliche Informationen. Ludwig von Pastor schreibt zunächst, dass Pius IV. Michelangelo ein Denkmal in St. Peter errichten lassen wollte und dessen Leichnam bis zur Fertigstellung in Santi Apostoli verweilen sollte. 77 Später ist davon keine Rede mehr, es geht dann nur noch um den Abtransport der Leiche aus Rom. Leonardo habe von den Römern Widerstand befürchtet und deshalb die Leiche heimlich als Kaufmannsgut nach Florenz

schaffen lassen. 78 Hermann-Walther Frey spricht davon, dass das Herausbringen des Leichnams aus der Stadt in Übereinstimmung mit dem Papst stattfand, womit es keine Geheimsache mehr war. Wenn der Papst es ernsthaft gewollt hätte, hätte er den Abtransport blockieren können, was er wohl nicht tat, da er wohl den letzten Willen Michelangelos respektieren wollte und über diesen vermutlich in Kenntnis war. Unter diesem Papst war Michelangelo der Baumeister von St. Peter, genoss nicht nur die volle päpstliche Unterstützung seinen Widersachern gegenüber, sondern erhielt teilweise die Einkünfte zurück, die Paul IV. ihm entzogen hatte. 79 Ludwig von Pastor betont, wie sehr Pius IV. Michelangelo schätzte, was an dem Vorzug der Pläne für den Umbau der Diokletiansthermen in die Kirche Santa Maria degli Angeli, der Porta Pia und einem Geldgeschenk im April 1560 ablesbar sei. 80 Weitere Anerkennung zollte der Pontifex Michelangelo posthum, als er den Bauvorstehern von St. Peter den Befehl gab, keine Planänderung an Michelangelos Entwurf vorzunehmen. 81 In letzter Konsequenz hatte der Papst allerdings kein Interesse an einem Konflikt um den berühmten Toten mit Herzog der Toskana. Cosimo I. hatte Kardinal Gian Angelo de’ Medici schon ab 1556 unterstützt, Papst zu werden, da er in ihm ein Werkzeug seiner Politik sah. 82 Auch wenn Pius IV. ein geborener Medici war, stammte er aus dem mailändischen Patriziat, das nicht mit den Florentiner Medici verwandt war. 83 Der Name Medici und die jeweilige Position schuf in diesem Fall vermutlich eine Form von Gemeinsamkeit und Einigkeit bzw. Verbindung. Letzt-

Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXI, S. 126–127. Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXI, S. 126–127. „che’l desiderio suo era chel suo corpo fosse portato a Firenze (…) et in oltre che la sua bellissima Città sia ornata delle honoratissime ossa del maggior huomo che sia mai stato al mondo.“ Vgl. ebd., S. 127. 76 Unter den Freunden wurde Leonardos mögliche Ankunft in Rom thematisiert, während Michelangelo im Sterben lag. Der Arzt wird es höchstwahrscheinlich gewusst haben müssen. Hinter seinem Verhalten steckt demnach eine Absicht. 77 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VII, S. 615. 78 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VII, S. 615. 79 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VII, S. 611. Vasari berichtet davon, dass es einen erneuten Angriff auf die Position Michelangelos als Architekt von St. Peter gab, in dessen Folge Michelangelo erbost reagierte, den Papst zur Rede stellte und anbot, nach Florenz zurückzukehren, um dort die Gunst des Herzogs zu genießen, was Pius IV. wohlweislich ablehnte. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 191–192. Wenn dieses Angebot Michelangelos so stimmt, hat er bewusst die Angebote aus Florenz gegen Pius IV. ausgespielt. Sein Verhalten fußte offensichtlich auf der richtigen Einschätzung der Lage. 80 Zur Porta Pia: Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VII, S. 601. Umwandlung der Diokletians Thermen in eine Kirche. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VII, S. 607–608. Pius IV. schätzte Michelangelo und machte ihm ein Geldgeschenk. Vgl. ebd., S. 612. Zum Entwurf und Bau der Porta Pia und Santa Maria degli Angeli in: Vasari, G.: Michelangelo, S. 185–186. Vgl. Ticciati, G.: Supplement zu dem Leben des Michel Angelo Buonarroti, S. 99–100. 81 Vasari, G.: Michelangelo, S. 193. 82 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VII, S. 23. 83 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VII, S. 58. Vgl. Reinhardt, V.: Pontifex, S. 560. 74 75

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malig waren zwei wichtige Positionen im italienischen Machtgefüge von zwei Medici besetzt, wessen sich die Männer wohl bewusst waren. Aus diesem Grund wollte Pius IV. keinen Konflikt in und mit Florenz bzw. mit dessen Herzog. Er verzichtete auf den berühmten Leichnam und erfuhr später Würdigung auf den Exequien Michelangelos, in dem er gut exponiert auf der Frontseite im ersten Rang des Katafalks Darstellung auf einem Gemälde von Piero Francia fand, während Michelangelo ihm ein Modell von St. Peter präsentierte. Der Stellvertreter Christi wurde so eindrucksvoll in Szene gesetzt 84 und dort als Dom- bzw. als Bauherr des größten Domes der Christenheit gefeiert, den er selbst nicht beauftragt hatte und den ihm der größte Künstler aller Zeiten vorführte. Pius IV. wurde so als Behüter und Bewahrer dieser Großbaustelle eine besondere Bedeutung gegeben, worunter auch die Suggestion fiel, dass unter ihm diese Basilika eine weitere Vollendung fand. Der enorme Glanz Michelangelos strahlte so auf den Pontifex ab. Mit dieser späten Ehrung im Juli 1654 konnte sich der Papst einverstanden zeigen. Vielleicht war das der Preis dafür, dass er dem Abtransport des Leichnams zustimmte. 85 Die einzig wirklich geprellte Gruppe waren die Römer, womit Ludwig von Pastors Vermutung eines römischen Protestes schon Aussagekraft bekommt. Das Volk Roms hätte einen öffentlichen Abtransport des berühmten Toten vermutlich blockiert. Michelangelo war der berühmteste Wahlrömer und gehörte mit seinen täglichen Ritten

quer durch die Stadt zu St. Peter zum Stadtbild. Vermutlich hatte er – trotz seiner mürrischen Art – allein schon aufgrund seiner Kunstwerke in Rom einen hohen Beliebtheitsgrad. Kurz: Er war ein prominenter Einwohner Roms, über den mit Sicherheit allein schon durch seine Bauarbeiter Informationen in Rom kursierten. Es ist nicht als unwahrscheinlich einzustufen, dass man ihn seitens des Volkes in Rom behalten und ehren wollte. Der enorme Zulauf in Santi Dodici Apostoli, während er dort aufgebahrt war, spricht für sich. Die Frage, ob sich das Volk von Rom allerdings gegen seinen Willen gestellt hätte, muss spekulativ bleiben.

14.5.2 Versuchter Anspruch Ein kleinerer Nebenschauplatz in diesem Kontext war das Auftreten der Familie della Rovere, die nach Michelangelos Tod versuchte, ihre ursprüngliche Immobilie zurückzuerlangen. 86 In ihr hatte Michelangelo zeit seines Lebens in Rom gewohnt. Im Rahmen des zweiten Vertrages über das JuliusGrabmal vom 6. Mai 1516 erhielt er die Immobilie als Nutznießer und mietfreies Objekt. Nach Vertragsvollendung sollte sie in seinen Besitz übergehen. 87 Am 20. August oder 17. September 1542 wurde eine letzte Vereinbarung mit den Agenten des Herzogs von Urbino, Guidobaldo della Rovere, über das Grabmal getroffen, die die Transition der Immobilie wohl inkludierte. 88 Obwohl sich die Immobilie seit dieser Zeit im Besitz Michelangelos be-

Vasari, G.: Michelangelo, S. 228–229. In der Milansesi-Ausgabe von Vasaris Viten wird der Maler in der Anmerkung eins Pierfrancesco d’Jacopo di Domenico Toschi genannt. Vgl. Vasari, G.: Le Vite Bd. VII, S. 304. Besagter Maler war ein Schüler Andrea del Sartos. Vgl. Vasari, G.: Le Vite Bd. V, S. 58. Rudolf und Margot Wittkower verweisen in ihrem Werk darauf, dass das besagte Gemälde von Piero Francia, was verloren ist, Ähnlichkeit mit dem Werk von Domenico Passignano hatte, welches das gleiche Sujet zeigt und sich heute in der Casa Buonarroti befindet. Wittkower, R. u. M.: The Divine Michelangelo – The Florentine Academy’s Homage on his death 1564, S. 102, Anmerkung 83, Tafel 26, S. 148 und schematische Darstellung Frontansicht, S. 150, Nr. 5. (Folgend zitiert: Wittkower, R. u. M.: Divine). 85 St. Peter blieb für Pius IV. nach dem Ableben des großen Künstlers ein Lieblingsobjekt. Interessanterweise blieb die Position Michelangelos für fünf Monate nach dessen Tod vakant. Auch ein erneuter Versuch Nanni Bigios, sich dieser Position zu bemächtigen, schlug fehl. Der Papst beachtete nicht einmal dessen Bitte in Form eines Briefes an die Fabbrica, der mit üblen Inhalten gegen den großen Künstler ätzte. Der Pontifex machte die Besetzung dieser überaus wichtigen Stelle zur Chefsache und berief nach langem Überlegen erst im August 1564 Pirro Ligorio mit einem Monatsgehalt von 25 Goldscudi als neuen Architekten von St. Peter. Das Gehalt eines Michelangelos belief sich auf das Doppelte und zeigte seine Stellung und seinen außergewöhnlichen Wert. Im Herbst 1564 wird Ligorio ein weiterer Architekt namens Jacopo Vignola an die Seite gestellt. Ein knappes Jahr später werden beide aus dem Amt entlassen, mehr oder minder unehrenhaft, da sie sich nicht an die Pläne des Altmeisters, die der Papst für sakrosankt erklärte, hielten. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VII, S. 616. 86 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung e, S. 37. Sie lag am Vicolo de Fornari (Nr. 212) unweit vom Macel de’ Corvi und Palazzo Bonelli (heute Präfektur) gegenüber von Sta. Maria di Loreto, d. h. im ältesten Rom am Rande des Marsfeldes bei Araceli, dem Palazzo Colonna und dem Trajansforum. 87 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung e, S. 37. 88 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung e, S. 38. Hermann-Walther Frey stellt diesen Befund dar, während die moderne Forschung die Übergabe des Hauses eher ansetzt, und zwar in dem Vertrag vom April 1532. Tolnay, C. d.: Michelangelo IV, S. 55. Echinger-Maurach, C.: Studien zu Michelangelos Juliusgrabmal I, S. 371. Zu diesem Zeitpunkt hatte Michelangelo bereits 11872 oder 12169 Dukaten und das Haus am Macel de’ Corvi inkludiert erhalten. Hatfield, R.: The Wealth, S. 130–131. 84

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Der Haupterbe

fand, hielt das die Familie della Rovere nicht davon ab, unmittelbar nach dem Tod des Künstlers Besitzansprüche anzustellen. Sie scheiterte, da Leonardo einen Nachweis über den Besitztitel erbringen konnte und somit der Besitzer des Hauses wurde. Bemerkenswert ist das Manöver der della Roveres allemal, wobei die Motive spekulativ bleiben müssen. Vermutlich war der Wert der Immobilie ausschlaggebend, da sie günstig am Rande des Marsfeldes lag und eine Veräußerung, auch als Pilgerstätte für Anhänger des Michelangelos, eine beträchtliche Summe eingebracht hätte. Ein wei-

terer Grund könnte auch eine posthume Retourkutsche gegen den Künstler gewesen sein, der die Familie della Rovere lange mit dem Grabmal hingehalten und sich auch daran massiv bereichert hatte 89, was innerhalb der Familie mit Sicherheit bekannt und ein Ärgernis war. Leonardo vermietete das Haus ab dem 1. Mai 1565 für eine Jahresmiete von 35 Scudo über neun Jahre an Daniele da Volterra 90, der seinerseits am 4. April 1566 starb. 91 Bis zu ihrem Verkauf am 14. Dezember 1584 blieb die Immobilie im Besitz der Familie Buonarroti und diente als Mietobjekt. 92

14.6 Der Haupterbe Dem Neffen Michelangelos als Haupterbe kommt eine nicht unerhebliche Bedeutung zu. Die Nachricht Calcagnis vom 14. Februar 1564, in der er Leonardo über den besorgniserregenden Zustand Michelangelos informierte, erreichte diesen frühestens am 17. Februar, woraufhin Leonardo sogleich Reisevorbereitungen traf. Begleitet von seinem Diener und Hausgenossen Giorgio, brauchte er aufgrund von Unwettern länger für die Reise nach Rom 93, wo sie am 22. Februar eintrafen. 94 Neben der Organisation des Rücktransports der sterblichen Überreste bemühte sich Leonardo mit Hilfe

von Calcagni, Tommaso de’ Cavalieri, Volterra und dem Diener Antonio um seine Erbschaft, was sich allerdings schwierig gestaltete. Am 26. Februar wurde er beim Gouverneur vorstellig, wies sich dort als Erbe aus, um dann am 27. Februar in Anwesenheit von Zeugen von Roberto Ubaldini die Nussbaumtruhe in Empfang zu nehmen 95, was noch nicht für die Kartons galt. Die Herausgabe der sich im Besitz des Gouverneurs befindlichen Kartons entpuppte sich als schwieriger Prozess. Vasari riet Leonardo, sich u. a. an den Gesandten Serristori mit der Bitte um Unterstützung zu wenden, um

Wie bereits dargestellt, stellt Rab Hatfield eine Rechnung auf, dass Michelangelo für das Grabmal 11872 Golddukaten kassierte, selbst für dieses Geld kaum arbeitete und einen Aufwand von 4063 Dukaten hatte. Die Summe von 5000 Dukaten Aufwand sei mit Sicherheit nicht überschritten worden. Vermutlich habe Michelangelo zwei Drittel der Summe oder gar mehr reinen Verdienst an diesem Grabmal gezogen. Hatfield, R.: The Wealth, S. 138. 90 Herman Grimm druckt den Vertrag in deutscher und italienischer Sprache komplett ab. Vgl. Grimm, H.: Über Künstler und Kunstwerke, S. 16–18 (deutsche Übersetzung). Hier S. 16–17. Die italienische Originalversion ist auf Seite 44–46 zu finden. An dem Vertrag mit vielen Klauseln sind drei Inhalte bemerkenswert: 1.) Volterra darf die 35 Scudo Jahresmiete dazu benutzen, um das Haus in Stand zu halten und zu verbessern, worüber er Leonardo informieren muss (S. 17; S. 44). 2.) Leonardo behält sich das Recht vor, wenn er in Rom verweilt, alle Zimmer des Turmes benutzen zu dürfen plus zwei Abstellplätze für Pferde zu erhalten (S. 17; S. 44–45). 3.) Der Zeuge dieses Vertrages ist Jacopo del Duca (S. 18; S. 46). HermannWalther Frey ordnet den Jahreszins als gering ein. Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung e, S. 38. Folgt man Ernst Steinmann, wohnte Daniele de Volterra nicht im Haus, sondern kümmerte sich mehr um den Erhalt der Immobilie. Vgl. Steinmann, E.: Wohnung und Werkstatt Michelangelo’s in Rom, S. 284. Teile dieses Aufsatzes sind auch in dem Werk „Pilgerfahrten in Italien“ von O. v. Gerstfeldt und E. Steinmann in dem Kapitel „Michelangelo in Rom“ publiziert. 91 Vasari, G.: Das Leben des Daniele da Volterra und des Taddeo Zuccharo, S. 37. (Folgend zitiert: Vasari, G.: Volterra). 92 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung e, S. 38. Der Käufer der Immobilie wird von Hermann-Walther Frey mit Martino Longhi angegeben. Nach Ernst Steinmann wurde die Immobilie für 3800 Scudi an einen Stefano Lunghi, einen Verwandten des berühmten Architekten, verkauft. 1848 wurde die Immobilie mit den umliegenden Gebäuden an den Principe Alessandro Torlonia verkauft, der eine Mietskaserne errichtete, die später dem Bau des Vaterlandaltars Vittorio Emanueles (II.) weichen musste. Vgl. Steinmann, E.: Wohnung und Werkstatt Michelangelo’s in Rom, S. 284–285. 93 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung e, S. 36. Der Diener Giorgio war schon zuvor für vertrauliche Sendungen zwischen Florenz und Rom eingesetzt worden. 94 Volterra bestätigt dies in seinem Brief vom 17. März 1564. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 54. „Il nipote ariuo 3 giorni da poi la morte (…).“ 95 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung e, S. 36. Eine Quittung Leonardos in den Notariatsakten belegt die Rechtmäßigkeit dieses Verwaltungsaktes. Als Zeugen waren Tiberio Calcagni, Pierluigis Gaeta und der päpstliche Notar – Ruberto Ubaldini – anwesend. Vgl. Gotti, A.: op. cit. Bd. II, S. 155. Grundsätzlich war Leonardo in der Beweispflicht, dass er der rechtmäßige Erbe Michelangelos war. 89

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den Gouverneur zur Herausgabe der Kartons zu bewegen. 96 Das Bemühen Serristoris um Leonardo auf Geheiß Vasaris entspringt nicht irgendeiner Uneigennützig- oder gar Menschenfreundlichkeit; man wollte in Florenz über die Vorgänge und Leonardos Schritte informiert sein. Ein Beleg für die Kontrolle der Buonarroti-Familie durch Vasari stellt ein Brief Zanobi Ginis, eines Freundes Leonardos, vom 4. März 1564 dar. Zanobi Gini informierte Leonardo darüber, dass Vasari dessen Frau Kassandra aufsuchte, seinen Brief vom 24. Februar 1564 haben wollte, da ihn der Prinz zu sehen wünschte. Kassandra habe Vasari den Brief sofort ausgehändigt, er habe denselbigen aber noch nicht zurückgegeben. Er wisse nicht, ob Vasari die Absicht habe, weitere Briefe sehen zu wollen. Dieses möge ihn (Leonardo) leiten, wenn er selbst weitere Briefe schreibe, so Ginis Rat. 97 Vasari seinerseits stellt diesen Sachverhalt in einem Brief vom 4. März 1564 an Leonardo anders dar. Er habe Kassandra seine Hilfe angeboten, und sie sei so höflich und freundlich zu seinen (Leonardos) und Michelangelos Freunden gewesen, dass sie ihm den Brief über den Tod Michelangelos und die Ehre, die man ihm in Rom erwiesen habe, geschickt habe. 98 Nach Vasari habe Kassandra, die er beim Ehemann lobt und der ihr schmeichelt, den Brief freiwillig aus Gründen der Unterstützung der Freunde abgegeben. Die beiden Dokumente, am gleichen Tag und an verschiedenen Orten entstanden, erlauben Rückschlüsse auf die Absicht Vasaris. Während Vasari

selbst versucht, seine Absichten zu verschleiern, erkennt Gini deutlich dessen unlauteren Vorsatz und sieht sich genötigt, ja alarmiert, an Leonardos Adresse eine eindeutige Warnung auszusprechen. Offensichtlich war Vasari jedes Mittel recht, um an die nötigen Informationen zu gelangen und sich so einen Wissensvorsprung zu sichern. Dazu bedient er sich einer gewissen Unverfrorenheit, Dreistigkeit, gepaart mit der Hoffnung auf eine Unterwürfigkeit Kassandras, die ein leichtgläubiges Opfer ist, da sie sich erwartungsgemäß autoritätshörig verhält, während ihr Ehemann in Rom weilt, und das Verlangte sofort herausgibt 99, wobei Vasari bei Leonardo verschweigt, dass er etwas verlangt hat. Leonardo selbst hatte damit gerechnet, Ostern wieder in Florenz zu sein, musste aber aufgrund der schwierigen Nachlassreglung bis Anfang bzw. Mitte Mai in Rom verweilen. Die Widrigkeiten bei besagter Nachlassreglung basierten auf dem Bereicherungsversuch des Gouverneurs. 100 Erst durch die Vermittlung Kardinal Giovanni Morones und einer päpstlichen Anweisung wurden Leonardo knapp zwei Monate nach dem Tod des Oheims am 21. April 1564 acht von zehn Kartons ausgehändigt 101, was eine Ungeheuerlichkeit darstellt. Eine weitere Ungeheuerlichkeit war, dass Leonardo auf Geheiß des Gouverneurs einen Karton mit der Darstellung der „Epiphanie“ dem Notar Aloisius della Torre überlassen musste. 102 Durch eine Art Hinhaltetaktik bzw. Zwang versuchte man, sich zu bereichern und Leonardo höchst wahrscheinlich durch

Frey, H.-W.: Nachlass, S. 36, Fußnote **. „A[n]chora dicie che io vi advixi come Giorgino d’Arezo mandò a m(onn)a Chassandra vostra per la lettera gli scrivesti de’ 24 del pax[a]to, che sechondo disse la voleva vedere il Principe e subito gnie ne dette e non l’à anchora riauta, che non sa a che proposito che non so se vorrà vedere le altre. Ghovernatevi come più vi pare a proposito, con lo scrivere. Per advixo.“ Vgl. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_26.php?id=360& daAnno=1564&aAnno=&Mittente=&Destinatario=Buonarroti%20Leonardo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione= &Bibliografia=&cerca=cerca&. 98 „Vi dico bene, che doppo la partita vostra ho mandato a casa vostra a Madonna Cassandra vostra d’offerirgli ogni poter mio; e lei, che è cortesissima et amorevole degli amici vostri e di Michelagniolo, mi mandò a casa la lettera della morte di Michelagniolo e gli onori fattogli costì, e che era in deposito in Santo Apostolo per condursi a Fiorenza.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_17.php?id=486&daGiorno=1& aGiorno=31&daMese=3&aMese=3&daAnno=1564&aAnno=1564&intestazione=&trascrizione=&segnatura=&bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 558. 99 Hier sei bemerkt, dass Vasari alle Informationswege nutzte. Die Ehefrauen von Vasari und Leonardo waren wie ihre Ehemänner befreundet und tauschten entsprechend Informationen aus, die Vasari sowohl nutzen als auch an Borghini bzw. Cosimo I. per Brief weiterleiten konnte. Vgl. Frey, H.W.: Nachlass, Anmerkung e, S. 36. Da die Wohnungen nahe beieinanderlagen, wurde der Austausch begünstigt. 100 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung e, S. 36. Der Autor hat nicht Unrecht, wenn er dem Gouverneur unlautere Absichten unterstellt. Warum sollte sonst sich die Herausgabe der Zeichnungen so verzögern?. 101 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung e, S. 37. Tommaso de’ Cavalieri bekam bereits am 7. April 1564 einen Karton (Abschied Christi von seiner Mutter) ausgehändigt, da er den Beweis erbringen konnte, dass Michelangelo ihm diesen zu Lebzeiten geschenkt hatte. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung e, S. 37. Zu Kardinal Morone: Hermann-Walther Frey kennzeichnet diese Aussage mit einem Fragezeichen, was auf seine Vermutung schließen lässt. 102 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung e, S. 37. 96 97

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weitere Verzögerungen zum Nachgeben bzw. zur Herausgabe zumindest eines Kartons zu bewegen. Im Brief vom 17. März 1564 hatte auch Volterra Vasari von Leonardos Scheitern beim Gouverneur, was die Herausgabe der Kartons betraf, berichtet. 103 Mit Blick auf die Daten musste Leonardo noch einen weiteren Monat in die Auseinandersetzung mit der römischen Behörde gehen, die nur unter Druck die Kostbarkeiten herausgab, wissend, dass wichtige Hinterlassenschaften Michelangelos Rom jetzt verlassen würden. Die enormen Verzögerungen in Rom um die Nachlassreglung hatten die Verschiebung der Begräbnisfeier Michelangelos in den Sommer 1564 als Folge.

14.6.1 Leonardos Instruktionen Grundsätzlich hatte Michelangelos Neffe eine klare Vorstellung über den Umgang mit dessen sterblichen Überresten in Florenz. Brieflich hatte er sich an Giovanni di Simone 104 von Santa Croce gewandt, dieser möge Sorge für den Leichnam in Florenz tragen und ihn unter Verschluss bringen. Einem Antwortbrief von Giovanni di Simoni vom 4. März 1564, zu diesem Zeitpunkt lief bereits der Rücktransport des Leichnams, sind weitere Informationen zu entnehmen: „Zusätzlich werde ich nicht versäumen, all das zu erledigen, was Ihr mir bezüglich der Aufbewahrung des Leichnams auftragt. Gleich nach Erhalt Eures Briefes suchte ich den Guardian auf und zeigte ihm Eure Nachricht und tat ihm Euren Willen kund. Er antwortete mir so höflich wie nur irgend möglich und sagte, dass er es nicht versäumen werde, all das zu tun, was Ihr mir auftragt. Und er sagte, dass wir ihn ins Novizenhaus legen lassen werden. Und dort wird die Tür verschlossen und die Ablage gemauert werden. Und so sind wir einvernehmlich so verblieben, dass alles so erledigt wird, als wäret Ihr selbst in Person dabei gewesen. So wird es an nichts Notwendigem fehlen.“ 105 Aus diesem Brief geht eindeutig hervor, dass Leonardo versuchte, Herr der Lage zu bleiben. Er wollte sowohl die Beisetzung Michelangelos in der 103 104 105 106 107 108 109

Familiengruft in Santa Croce 106 als auch verhindern, dass sich jemand des Leichnams bemächtigt. Für ihn war Giovanni di Simone eine Art Gewährsmann, der ihm beim Schutz der sterblichen Überreste helfen sollte, was wegen eines Übergriffes der Accademia del Disegno scheiterte. Giovanni di Simoni sah sich schließlich gezwungen, am 18. März 1564 Leonardo in einem entschuldigenden Ton die Öffnung des Sarges in Santa Croce mitzuteilen. 107 Er wisse, dass dies gegen den Willen Leonardos geschehen sei, habe sich aber nicht dem Wunsch der Minister seiner Exzellenz widersetzen können. Für die Anwesenden, die ihn hätten sehen dürfen, sei es eine große Zufriedenheit/Befriedigung gewesen. Der Körper habe auch keinen Mangel aufgewiesen, was der Spedalingho (Borghini) als göttlichen Anlass („cosa divina“) bezeichnete, dass der Körper nicht verwest sei. Als Nächstes teilt er Leonardo mit, dass der Sarg in der Nähe der Cavalcanti-Kapelle deponiert wurde. 108 Zu Beginn des Briefes berichtet Giovanni über die Überführung des Sarges nach Santa Croce und betont in diesem Zusammenhang, dass es sehr bewegend gewesen sei, das Wohlwollen der Menschen in Florenz zu sehen und dass diese Stadt sehr trauere, ihn (Michelangelo) jetzt mehr schätze als zu Lebzeiten. 109 Der Bericht von Giovanni di Simone ist glaubwürdig, da die Menschen in Florenz – vor allem diejenigen, die Michelangelo noch kannten, auch wenn es derer vielleicht wenige waren, den großen Sohn der Stadt schätzten, da er einer von ihnen war und immer ein normales Leben ohne Allüren gelebt hatte. Den Introitus des Briefes hat Giovanni di Simoni sinnvoll gewählt, da er Leonardo zunächst etwas Unangenehmes, und zwar die Öffnung des Sarges, mitteilen musste. Dem Schreiber ist diese Mitteilung sehr unangenehm, musste sich aber, was glaubhaft ist, den Abläufen beugen. Die Situation war für ihn unkontrollierbar geworden, der Druck auf ihn vermutlich hoch, da Borghini die Öffnung des Sarges wollte. Borghini hatte in der Stadt eine prominente Position, womit er Giovanni di Simoni überlegen war und Entsprechendes von ihm verlangen konnte.

Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 53–54. Giovanni di Simoni war der Freund und Erzieher von Leonardos Sohn. Daelli, G.: op. cit., Brief 31, S. 48. Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung f, S. 31. Daelli, G.: op. cit., Brief, 32, S. 50. Daelli, G.: op. cit., Brief 32, S. 51. Daelli, G.: op. cit., Brief 32, S. 50.

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Leonardo musste in Rom die unerlaubte Öffnung des Sarges hinnehmen; für ihn bestand das Problem, dass er nicht an zwei Orten gleichzeitig sein konnte. Er musste, wie dargestellt, in Rom verweilen, womit er die Abläufe in Florenz weder kontrollieren noch richtig beeinflussen konnte. Sein einziges Kommunikationsmittel war die Korrespondenz, die zwischen Rom und Florenz lief. So schrieb Vasari u. a. am 4. März 1564 an Leonardo, indem er ihm sein tiefes Bedauern über das Hinscheiden Michelangelos mitteilt und ihn gleichzeitig über die Vorstellung der Accademia del Disegno über die Exequien informiert. 110 Damit ist belegt, dass die Florentiner Exequien-Maschinerie voll angelaufen war.

14.6.2 Überführung nach Florenz Ein wichtiger Organisationspunkt Leonardos in Rom war die Überführung der sterblichen Überreste Michelangelos nach Florenz. Der Transportweg und die Witterung bestimmten die Rückführung, sodass spezielle Maßnahmen ergriffen werden mussten und Vasari zu seiner übertriebenen Darstellung veranlasste, Michelangelo sei nach Art einer Handelsware heimlich in einem Ballen verschickt worden. 111 Die Heimlichkeit dieses Transportes ist vermutlich mit dem Schutz des berühmten Leichnams vor Diebstahl zu erklären; daneben verwies Ludwig von Pastor darauf, dass Leonardo möglichen Widerstand seitens der Römer fürchtete, was Diskretion erforderte. 112 Vasari versucht durch die Wortwahl „Handelsware“ dem Abtransport einen besonderen Nimbus zu geben, denn dem im Verborgenen Stattfindenden fällt eine besondere Bedeutung zu, ja es wird quasi attraktiver bzw. spannender für den Leser. Nach Paul Barolsky greift Vasari bei dieser Darstellung auf die Heiligenlegen-

den zurück, indem er durch die Heimlichkeit einen Diebstahl suggeriert, wodurch er Michelangelo auf die gleiche Ebene mit Heiligen hebt, deren Körper ebenfalls auf fremdem Gebiet gestohlen wurden, um sie ordnungsgemäß in die Heimat zurückzubringen. Vasari stellt so eine „translatio sancti“ in den Raum, die dem Heiligen Michelangelo ebenfalls zuteil wurde. 113 In diesem Kontext verurteilt Hermann-Walther Frey etwas die Wortwahl Vasaris, wenn dieser von der Handelsware spricht. So wurde lange Zeit dafür gesorgt, dass der Transport als eine Art Kaufmannsgepäck behandelt wurde. 114 Die tatsächlichen Gegebenheiten ließen jedoch keine andere Lösung zu, so musste der Holzsarg in eine Wachsleinwand als Schutz vor der Witterung eingeschlagen werden. Der eigentliche Transport erfolgte dann durch einen Mulattieri, einer Berufsgruppe, die den Gütertransport zwischen Rom und den anderen Städten Italiens abwickelte. Begleiter des Transportes war wegen Leonardos Unabkömmlichkeit in Rom dessen Diener Giorgio, der die Korrespondenz Leonardos an seine Frau, Don Giovanni di Simone und Vasari mitnahm. 115 Der Transportbeginn ist auf den 29. Februar oder 1. März zu datieren; das Eintreffen in Florenz in aller Stille wird auf den 8. oder 9. März gelegt 116, wobei von Ludwig von Pastor den 11. März 1564 angibt. 117 Die Ankunft in Florenz erfolgte auf Wunsch des Neffen ohne großes Aufsehen und nach den Regeln der Stadt, nach denen der Sarg wie ein ordentliches Güterstück in der Dogana im Palazzo Vecchio abgeliefert wurde. Es folgt eine Information an die Familie Buonarroti und an Vasari, der sich sogleich zwecks Versiegelung des Sarges ins Zollamt begab. 118 Nach Leonardos Verfügung sollte Michelangelo aus der Dogana in das Depot von Santa Croce gebracht werden, in dem er in einem Provisorium bis zur Vollendung der projektierten Grabstätte

Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXI, S. 28. Vasaris Bedauern: „Con tanto mio dispiacere o sentito la nuoua del mio Messer Michelagniolo della morte (…).“ 111 Vasari, G.: Michelangelo, S. 214. 112 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VII, S. 615. Leonardo war sehr wohl über den Bekanntheitsgrad seines Oheims in Rom informiert. Der Gedanke eines möglichen römischen Widerstands ist nicht abwegig. 113 Barolsky, P.: Michelangelo’s Sanctity, S. 55. Paul Barolsky führt als Referenzheiligen den heiligen Markus an, dessen Körper in Alexandria gestohlen und nach Venedig gebracht wurde. 114 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung f, S. 39. „ad uso di mercanzia (…) in una balla“. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 219. Vasari spricht davon, kein Aufsehen zu erregen, was er wenige Seiten weiter wiederholt und mit „Vorsicht“ umschreibt. Vgl. ebd., S. 219. 115 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung f, S. 39. 116 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung f, S. 39. 117 Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VII, S. 615. 118 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung f, S. 39. 110

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ruhen sollte. 119 Am Abend des 11. März brachte man den Leichnam Michelangelos zunächst in den Versammlungsraum der Assuntabruderschaft hinter San Pier Maggiore 120, da das Zollamt nicht würdig genug war. 121 Vasari setzte am folgenden Tag den Herzog über Verschiedenes in Kenntnis, und zwar über das Eintreffen des Leichnams in Florenz und über Leonardos Wünsche, betreffend des Beisetzungsortes und des Grabmals. Cosimo I. stimmte Leonardos Wünschen am 13. März zu. Den zuvor von Serristori in Rom eingeschlagenen Weg setzte Vasari so fort und behandelte den Tod Michelangelos als Staatsangelegenheit, was de facto nicht indiziert gewesen wäre, da Leonardo klare Vorstellungen von dem Prozedere hatte. Darüber hinaus unterrichtete der Impresario Borghini und die restlichen Konsuln der Accademia des Disegno über die Rückkehr Michelangelos. In einer am 12. März stattfindenden Sitzung beschloss man, nicht auf einen feierlichen Kondukt zu verzichten und sich am Abend des selben Tages unauffällig und vollzählig bei der Kirche zusammenzufinden, um den Toten zu Santa Croce zu geleiten. Ein Fernbleiben der Mitglieder von diesem Akt sollte hart bestraft werden. Ohne genügende Entschuldigung drohte Mitgliedern der Accademia eine Exklusion von sechs Monaten. 122 Die Strafandrohung bei unentschuldigtem Fernbleiben zeigt, wie wichtig der Vorstand diesen Überführungsakt nahm. Die Accademia sollte beim Erstkontakt mit dem berühmten Toten verschränkt werden, es sollte ein Bild suggeriert werden, das dem Florentiner Volk die enge Verbindung des großen Sohnes zu der Accademia zeigte. Niemand konnte mehr nachprüfen, dass diese Verbindung gar nicht existierte und in Florenz jetzt eine Premiere stattfand, die sich aufgrund des spektakulären Aufzugs zu einer Großveranstaltung entwickelte. Vasari stellt diese geplante nächtliche Aktion als heimliches Treffen der Accademia in der Michelangelo-Biographie dar, verschweigt aber

wohlweislich den Beschluss der Accademia zu diesem Ereignis. Damit suggeriert er, dass die Künstler quasi instinktiv wussten, wie mit ihrem prominenten Mitglied zu verfahren war. In der Nacht trat die Accademia vollzählig an 123, um Michelangelo feierliches Geleit zu geben. Angeführt durch die Geistlichkeit, folgte der Sarg, der von einer schwarzen Samtdecke abgedeckt war. Die Samtdecke ihrerseits war mit goldenen Verzierungen und Fransen versehen; auf ihr ruhte ein goldenes Kruzifix. Der abgedeckte Sarg befand sich auf einer Bahre, die abwechselnd von den jüngeren Mitgliedern der Accademia getragen wurde. 124 Dahinter folgten Vincenzo Borghini als Lungotenente mit zwei Fackelträgern und die Männer, die mit der Ausführung der Leichenfeier betraut worden waren, Cellini, Bronzino, Vasari und Ammanati. In der nächsten Abteilung folgten Künstler und angesehene Bürger aus Florenz, die alle samt Wachsfackeln in den Händen trugen. 125 Die in der Sitzung vom 12. März angesprochene Unauffälligkeit konnte durch dieses Lichtspektakel und Größe des Zuges nicht eingehalten werden. Nahezu naiv, kein großes Aufsehen zu erregen, erreichte man das Gegenteil, was teilnehmende Mitglieder nicht davon abhielt, sich über die Anwesenheit der Florentiner Bürger zu wundern. Über Mund-zu-Mund-Propaganda fand die Heimkehr Michelangelos in Florenz Verbreitung, sodass sich eine große Menschenmenge vor Santa Croce einfand, die den feierlichen Zug nur schwer durchließ. 126 Die Florentiner Bürger würdigten den Künstler auf ihre Weise. Vermutlich wollten alle neben der Befriedigung ihrer Neugier dem letzten großen Renaissancekünstler ihre Reverenz erweisen. Schließlich kehrte der große Sohn der Stadt endgültig in sein Viertel zurück. Nach dem Abstellen des Sarges im Chor von Santa Croce und dem Vollzug von liturgischen Handlungen wurde derselbe in die Sakristei getragen, wo er unter Ausschluss

Daelli, G.: op. cit., Brief 31, S. 48. Vasari, G.: Michelangelo, S. 220. Diese Kirche existiert heute nicht mehr. 121 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 15. Die Autoren sprechen sogar von der elendigen Umgebung des Zollhauses. 122 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung f, S. 40. 123 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 15. Hier wird eine Zahl von 32 Mitgliedern genannt, die an einem Sonntag diesen Kondukt durchführten. Vasari nennt als Zeitpunkt der Veranstaltung „ab ein Uhr nachts“. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 220. 124 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung f, S. 40. Vasari vermittelt das Bild, dass sich die jüngeren Mitglieder der Accademia darum rissen, die Bahre zu tragen, um sich damit später zu brüsten. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 220. 125 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung f, S. 40. 126 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung f, S. 40. Giovanni di Simoni hatte Leonardo darüber in seinem Brief vom 4. März 1564 berichtet. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 220. 119

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der Öffentlichkeit – entgegen Leonardos ausdrücklichem Wunsch – durch Borghini geöffnet wurde. 127 Mit diesem Akt setzte sich die Führungsriege der Accademia bewusst über den Wunsch des Neffen hinweg, indem sie ihre Position ausnutzte. Vincenzo Borghini hatte offensichtlich keine Schwierigkeit damit, die Sargesruhe des Künstlers zu stören und ihn etwas auszusetzen, was er zu Lebzeiten nicht geduldet hätte. Den Ausführenden und Anwesenden, denen die Öffnung des Sarges nach Giovanni di Simoni Zufriedenheit bescherte 128, ist weder ein ehrfürchtiger Respekt noch eine taktvolle Rücksichtnahme zu attestieren. Sie regierte eine Art übergriffiger Neugier, die durch das Exequienbuch und Vasari bestätigt wird, da jeder der Anwesenden den Leichnam am Kopf bzw. im Gesicht berührte, um deren Natürlichkeit und Sanftheit festzustellen. 129 Dem Ruhenden wäre dieser Akt zu Lebzeiten ein Graus und definitiv nicht möglich gewesen. Rudolf und Margot Wittkower geben in ihrem Werk noch einen weiteren Grund für die Sargöffnung an: Vincenzo Borghini wollte sich und andere davon überzeugen, dass Michelangelo wirklich in Florenz angekommen war bzw. in diesem Sarg lag. 130 Ein potentiell falscher Sarginhalt war ausgeschlossen, da Leonardos Diener Giorgio dessen Transport begleitete. Er wird klare Anweisungen gehabt haben, das Transportgut zu behüten. Daneben hätte niemand einen Vorteil davon gehabt oder Gewinn daraus gezogen, wenn der Sarg ausgetauscht worden wäre. Aus diesem Grund ist das Manöver von Borghini nicht zu rechtfertigen. Im Exequienbuch und Vasaris Michelangelo-Vita taucht die Version auf, Borghini habe Michelangelo nicht zu Lebzeiten gesehen bzw. könne sich nur vage erinnern, als er ihn im zarten Alter gesehen habe, und er ihn nun als

Toten sehen wollte. 131 Diese Darstellung im offiziellen Exequienbuch bzw. in Vasaris Viten mutet wie eine Rechtfertigung dieses Schrittes an, den Giovanni Papini so deutet, dass Borghini den jungen Künstlern Michelangelo zeigen wollte. 132 Die Beschreibung des Leichnams im Sarg ist so angelegt, als sei der Künstler gerade gestorben und einem Schlummernden gleich. Er sei in eine schwarze Damastrobe, mit Stiefeln, Sporen und einem Hut auf dem Kopf gekleidet gewesen. 133 Die Frage ist, warum ihn die Freunde und oder der Diener, wovon auszugehen ist, so gewandet haben. Damast ist ein teurer und edler Stoff. Gerade im Alter bevorzugte Michelangelo die teuren Florentiner Stoffe, wobei er schwarz präferierte. 134 Der Hut war ein Zeichen höherer Stellung, was die Sporen an den Stiefel nachdrücklich unterstrichen, zeigten sie seine Ritterwürde an. Es ist anzunehmen, dass Michelangelo die Sporen gefallen hätten, da sie ihn als Nobelmann auszeichneten, sodass er im Sarg liegend diesem Eigenanspruch, über den seine engsten Gefährten vermutlich Kenntnis besaßen, gerecht werden konnte. Hier sei hypothetisch formuliert, dass diejenigen, die ihn in Rom ankleideten und in den Sarg betteten, die Möglichkeit in Betracht zogen, dass der Sarg in Florenz geöffnet werden würde. Die Neugier von Vasari & Co war für sie antizipierbar und somit berechenbar. Man wollte dem Meister, wenn er schon wider seines und Leonardos Willen posthum Blicken ausgesetzt war, die Würde per Kleidung geben, die ihm zustand. Sollten diese Gedanken in Rom entstanden sein, waren sie berechtigt, da es eintraf. In Summa ist Borghini eine gehörige Portion Voyeurismus zu unterstellen, neben der Tatsache, dass Vasari aus der Sargöffnung seine Heiligenlegende stricken konnte.

Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung f, S. 40. Rudolf und Margot Wittkower verweisen darauf, dass die Mönche von Santa Croce überfordert, nahezu hysterisch gewesen seien, als die Menschenmenge vor ihrer Kirche erschienen sei. Nur durch ein Machtwort wurde später die Sakristei für die Aufbewahrung des Sarges durch sie geöffnet. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 15. Im Heft von Giunti wird dargestellt, dass die Mönche die liturgischen Riten für den Toten abhielten. Vgl. ebd., S. 74–75. 128 Daelli, G.: op. cit., Brief 32, S. 51. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 76–77. 129 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 76–77. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 220. 130 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 74–75. 131 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 74–75. Auf diese Schilderung folgt die Darstellung des unversehrten Zustandes des Leichnams. Vgl. ebd., S. 76–77. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 221–222. 132 Papini, G.: Michelangiolo, S. 687. In der letzten Konsequenz fällt der Autor ein negatives Urteil über den Umgang mit dem toten Michelangelo, was im Verlauf des Kapitels thematisiert werden wird. 133 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung f, S. 40. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 76–77. Die Sporen waren ein Zeichen der Ritterwürde Michelangelos, der am 25. Dezember 1515 von Leo X. zum Conte Palatino del Sacro Palazzo Lateranese ernannt wurde. Vgl. ebd., S. 40. 134 Wallace, W.: Miscellanae Curiositae Michelangelae: A Steep Tariff, a Half-Dozen Horses, and Yards of Taffeta, S. 342. In seinem Aufsatz entfaltet William Wallace Michelangelos Einstellung zu Kleidung und stellt dessen Umgang mit ihr dar. 127

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Borghini: Ideengeber der Exequien

14.6.3 Transfiguration? Folgt man Vasaris Darstellung, zeigte der Leichnam 25 Tage post mortem keine Verwesungsspuren oder -gerüche. 135 Frank Zöllner hält diese Überlieferung für wenig überzeugend, sie mute seiner Meinung nach eher wie eine mittelalterliche Heiligenerzählung an, um Michelangelo auch in dieser Hinsicht in die himmlischen Sphären zu heben. 136 Vermutlich sollte durch diese Heiligenerzählung eine göttliche Intervention suggeriert werden, die wohl den Verwesungsprozess verhinderte. Der bereits dargestellte Ansatz von Paul Barolsky, dass Vasari aus dem Rücktransport der Leiche Michelangelo quasi eine „translatio sancti“ mache, unterstützt die Kreation der Heiligenlegende durch das Nichtverwesen des Toten. 137 Hermann-Walther Frey formuliert in diesem Kontext die Annahme, dass man Maßnahmen ergriffen habe, um einem Verwesungsprozess vorzubeugen. 138 Diese Annahme ist eine Über-

legung wert, da Ärzte bei Michelangelos Tod anwesend waren. Daneben existierte das nötige Wissen über die Konservierung eines Leichnams. Es wäre denkbar, dass die Gefährten den Körper konservierten, nicht wissend, wann Leonardo in Rom einträfe, neben der Tatsache, dass der Leichnam nach Florenz überführt werden würde. Man wollte von Freundesseite womöglich eine posthume Unansehnlichkeit verhindern, um ein mögliches Defilee in Rom oder Florenz zu bedienen. Ziel einer möglichen Konservierung wäre der Schutz des Künstlers gewesen, der trotz seiner Unzufriedenheit mit seinem Aussehen ein Ästhet war. Neben einer Präparation ist die Jahreszeit beachtenswert. Der Februar war eher ein kalter und nicht ein verwesungsfördernder Monat. Das Wachsleinentuch, in das der Holzsarg eingeschlagen war, schloss diesen vermutlich relativ luftdicht ab, sodass wegen mangelnder Oxidation keine Verwesung stattfinden konnte bzw. diese verlangsamt wurde.

14.7 Borghini: Ideengeber der Exequien Der Sarg Michelangelos wurde nach Überführung und kurzzeitiger Öffnung in einer Grabnische neben dem Cavalcanti-Altar und nicht in der Buonarroti-Familiengruft beigesetzt, wo er bis zu den Exequien verweilte. 139 Die Planung der Exequien hatte in Florenz schon unmittelbar nach dem Tod Michelangelos begonnen. Vasari weist Vincenzo Borghini in der Ausrichtung der Leichenfeier durch die Accademia eine wichtige Position zu und präsentiert ihn als denjenigen, der in seiner Funktion als Lungotenente die Mitglieder daran erinnert, sie sei-

en kraft ihrer Statuten dazu verpflichtet, die verstorbenen Brüder zu ehren, was auch für Michelangelo zu tun sei. 140 Grundlage der Darstellung Vasaris in den Viten war vermutlich die Tatsache, dass Vincenzo Borghini bereits am 21. Februar 1564, drei Tage nach dem Tod Michelangelos, diesem brieflich vorschlug, die Accademia sollte eine außergewöhnliche Demonstration anlässlich seiner Beisetzung veranstalten. Eine beeindruckende Feier wäre gut, bei der Worte des Lobes für Michelangelo und zu Ehren der Kunst

Vasari, G.: Michelangelo, S. 222. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 74–76. Das Heft spricht hier von „che fu non si senti odore alcuno cattiuo, & haresti giurato, che riposasse in un dolce, & quietissimo sonno“. Vgl. ebd., S. 76. 136 Zöllner, F.: Spätwerk – Die letzten Gemälde und Skulpturen, S. 360. 137 Barolsky, P.: Michelangelo’s Sanctity, S. 55. In diesem Kapitel thematisiert Paul Barolsky auch Vasaris Darstellung des unversehrten Körpers und den nahezu schlafenden Eindruck Michelangelos, wodurch impliziert werden sollte, Michelangelo verkörpere den perfekten Heiligen, der in Seligkeit ruhe. 138 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung d, S. 34. Er leitet diese Annahme von der Sargöffnung in Gegenwart von Filippo Buonarroti um das Jahr 1720 ab, da der Leichnam zu diesem Zeitpunkt wohl noch intakt war. Giovanni Papini verweist ebenfalls auf diese Aussage. Vgl. Papini, G.: Michelangiolo, S. 687. 139 Vasari, G.: Michelangelo, S. 222. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 76–77. Zum Provisorium bzw. dessen Markierung: Die Stelle war durch eine von Borghini stammende Inschrift (IL DIVINO MICHELAGNOLO) markiert, die er mit Vasari brieflich absprach. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXIV vom 29. Februar 1564, S. 52. Vgl. https://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_17.php?id=491&daGiorno=1&aGiorno=31&daMese=2&aMese=5&daAnno=1564&aAnno=1564& intestazione=&trascrizione=&segnatura=&bibliografia=&cerca=cerca&. „In sul deposito di Michelagniolo per ora non metterei troppe parole, ma il nome solo, come dire a questo modo: iL DIVINO MICHELAGNOLO senza più, che assai è il nome solo, (…).“ Die provisorische Grabstelle war viel besucht und mit Versen und Gedichten in Italienisch und Latein bestückt. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 77. 140 Vasari, G.: Michelangelo, S. 215. 135

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fallen sollten, um die jungen Künstler anzuregen. Diese Demonstration bringe den Durchführenden mehr Reputation ein als dem Gelobten selbst. Vasari möge sich dieser Sache annehmen. 141 Rudolf und Margot Wittkower betonen, dass Borghini diese Idee entwickelte, damit der Glanz, die „riputazione“, auf die Akademie falle. 142 Der Ideengeber der Exequien Borghini beeilte sich, Vasari darüber in Kenntnis zu setzen. Er wollte weder Zeit noch die Chance eines Zugriffs auf die berühmte Leiche vergeuden, war er schließlich doch eine Schlüsselfigur am Medici-Hof, die für die Propagandaarbeit generell und für die Arbeit an Cosimos I. Image 143 zuständig war. Der besagte Brief verfolgte auch die mögliche Richtung des Übergehens der Buonarroti-Familie und deren Wünsche. Gespeist wurde die Handlungs- bzw. Denkweise Borghinis durch die Erfahrung, sich der Unterstützung des Herzogs gewiss zu sein. Es ist daher anzunehmen, dass es schon für den Fall des Todes von Michelangelo Überlegungen gegeben hatte, wie damit zu verfahren wäre. Denkbar ist dies spätestens seit er in Abwesenheit zum zweiten Capo der Accademia ernannt worden war. Hermann-Walther Frey stellt in diesem Kontext in den Raum, dass Vasari mit Borghini schon persönlich gesprochen haben muss, worauf ein weiterer Brief von Borghini an Vasari vom 24. Februar 1564 hinweist, da Vasari Leonardo am 4. März klare Vorstellungen über die Exequien offenbart. 144 Es ist nicht zu klären, ob Vasari Borghini zwischen dem 26. und dem 29. Februar in Poppiano aufsuchte, um mit ihm über die anstehenden Exequien Michelangelos zu sprechen. 145 In einer Sitzung tagte auf Veranlassung Borghinis die Acca-

demia am 1. oder 2. März, um eine erste Planung, Grundzüge eines Programmes plus vorgesehene Ehrungen für den Meister vorzunehmen. In zwei Briefen machten Borghini und die Accademia Cosimo I. Mitteilung über die Ergebnisse. Borghinis Brief ist als Bittbrief und Introitus für den Brief der Accademia formuliert. Cosimo I. soll als Schirmherr und Unterstützer für die Ehrung, die man Michelangelo schuldet und aus Interesse an der Heimat geschieht, gewonnen werden. Um sein Anliegen zu unterstreichen, spannt Borghini den Bogen von Cosimo I. bis zu Lorenzo il Magnifico und sieht in beiden die Schutzherren der Künste. 146 Diesem Brief war vermutlich das Anschreiben der Compagnia beigelegt, das wohl auch vom 2. März stammt. 147 Die Compagnia dankte dem Herzog nicht nur für ihre Gründung, sondern auch für dessen Engagement bezüglich der Heimholung Michelangelos nach Florenz. Sie bat um Gunsterweise, die Begräbnisfeier Michelangelos, der Cosimo I. schätzte, in San Lorenzo mit seiner Unterstützung ausrichten zu dürfen; Benedetto Varchi sollte den Auftrag für die Leichenrede erhalten. 148 In schmeichelndem Ton verfasst, erreichen beide Anfragen ihr Ziel in Form eines positiven Bescheides. 149 Der Herzog sagte Borghini und der Compagnia seine volle Unterstützung zu. In Borghinis Richtung äußerte er sich, auch Sorge für die Rückführung der Gebeine Michelangelos zu tragen. 150 Zwei Inhalte sind aus der Korrespondenz hervorzuheben. Die Compagnia dankt Cosimo I. für die Heimholung Michelangelos, in die er so nicht involviert war. De facto hatte er in diesem Prozess nicht die Rolle inne, die ihm die Compagnia offensichtlich aus Grün-

Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXIX, S. 23–24. Zu Beginn des Briefes drückte Borghini sein Bedauern über den Tod des Künstlers aus, um dann seine Idee zu offenbaren. Er spricht von einer „dimonstrazione straordinaria“ und weiter „che danno riputazione più a chi le fa, che a per chi le son fatte“. 142 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 11. In der Folge sorgt Borghini für seinen Nachruhm, da ihm das Libretto zu den Exequien ebenfalls huldigt. Vgl. ebd., S. 122–125. Daneben führt Borghini in die Druckversion der Orazione Funerale Varchis ein. 143 Scorza, R.: Borghini and the Florentine Academies, S. 138. 144 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXX, S. 26. 145 Frey, H.-W.: Nachlass, Punkt 1, S. 30. Es ist auch nicht mehr klärbar, wann und wie Vasari von Michelangelos Tod erfuhr. Eine frühe Möglichkeit wäre der Brief Leonis vom 18. Februar gewesen, der bei der Leonardos Frau in dessen Abwesenheit eintraf; eine weitere Quelle könnte ein Hofbeamter oder der Herzog selbst gewesen sein. Selbst Leonardo könnte ihn informiert haben, als er am 22. Februar in Rom eintraf, vom Tod Michelangelos erfuhr und gleich am 25./26. Februar seine Frau und seinem Freund und Erzieher seines Sohnes Don Giovanni di Simone unterrichtete. 146 Vasari, G.: Michelangelo, S. 216–217. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 61–62. 147 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 65, Anmerkung 28. 148 Vasari, G.: Michelangelo, S. 217–218. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 62–63. 149 Beide Antworten Cosimos I. sind auf den 8. März datiert. Vasari, G.: Michelangelo, S. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 65–66. Cosimo I. informiert die Compagnia u. a. darüber, dass bei Varchi bereits angefragt wurde und Vincenzo Borghini die jungen Künstler in ihren Bestrebungen unterstützen sollte. 150 Vasari, G.: Michelangelo, S. 217. Brief an Borghini. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 62. 141

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Star-Redner: Benedetto Varchi (1502–1565)

den des Schmeichelns zusprach. Als er Borghini die Zusage gibt, er werde sich um die Heimholung bemühen, hatte Michelangelos Leichnam Florenz bereits fast erreicht. 151 Aufgrund des Informationsflusses zwischen Rom und Florenz ist davon auszugehen, dass der Herzog über den Transport des Leichnams in Kenntnis war und sich für etwas rühmen wollte, was längst überholt war. Anscheinend wollte er sich vor Borghini bedeutsamer geben, als er in diesem konkreten Fall war. In einem Brief vom 4. März 1564 unterrichtete Vasari als Mittelsmann der Compagnia Leonardo Buonarroti über die Exequien-Planung. 152 Cosimo I. wurde ebenfalls über den Verlauf und Progress der Planung informiert, der er am 9. oder 10. März zustimmte und Nötiges veranlasste. 153 Bei näherer Betrachtung lag hier ein Netzwerk vor, in dem es verschiedene Kooperationen gab und jeder darauf bedacht war, weder Fehler zu machen noch die Gunst des Herzogs zu riskieren, da sie automatisch Macht bedeutete. Daneben war es außerordentlich wichtig, Kontakt zum Haupterben zu halten, was Vasaris Aufgabe war. Dieser informierte Leonardo erneut am 10. März 1564 über den Fortgang der Planungen. Vasaris Wortwahl wird jetzt bemerkenswert, da er in die Sakralsprache wechselt und Michelangelo

mit Superlativen und als „santissimo vechio“ oder als „a questa citta un gran tesoro“ und als „questa reliqiua“ bezeichnet. Aus einem heiligen Alten, der ein großer Schatz für diese Stadt ist, wird eine Reliquie, die den Traditionen folgend verehrt werden muss. 154 In einem weiteren Brief vom 18. März 1564 informiert Vasari Leonardo über den Stand der Dinge in Florenz und zitiert aus einem herzoglichen Reskript vom 13. März 1564, in dem sich der Herzog mit den Wünschen der Familie einverstanden zeigt. Im Vorfeld erfuhr Leonardo, dass die Leichenfeier seines Oheims nach Ostern in San Lorenzo 155 stattfinden solle. Vasari denke, dass dies etwas werde, was bisher weder Päpsten noch Imperatoren zuteil geworden sei. 156 Neben einer übertriebenen Ankündigung wird Leonardo deutlich gemacht, dass er sich in einem System befindet, dass ihm quasi die Genehmigung erteilt, wie er seinen großen Verwandten beizusetzen gedenkt. Er wird schlicht von Vasari und seinem Netzwerk vereinnahmt bzw. bevormundet, kann aber auch nicht übergangen werden, da er der Haupterbe ist. An der Familie Buonarroti kam man in Florenz nicht vorbei, lenkte sie aber geschickt in bestimmte Richtungen.

14.8 Star-Redner: Benedetto Varchi (1502–1565) Die Compagnia del Disegno hatte ihrerseits eine klare Vorstellung davon, wer die Leichenrede halten sollte. Ihr Wunschkandidat war Bendetto Varchi, der zu den versiertesten Rednern und anerkannten Literaten seiner Zeit gehörte und letzten Endes un-

ter die Kontrolle und in die Abhängigkeit Cosimos I. geriet. Benedetto Varchi, geboren als Sohn eines Notars 157, studierte in Pisa Jura, übte den Beruf nach dem Tod des Vaters aus, um dann seiner Affinität für Literatur zu folgen 158, verkehrte in der

Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung f, S. 39. Beginn des Abtransportes nach Florenz: 29. Februar oder 1. März; Ankunft: 8. oder 9. März. Nach Ludwig von Pastor handelt es sich um den 11. März. Vgl. Pastor, L. v.: Geschichte der Päpste Bd. VII, S. 615. 152 Frey, H.-W.: Neue Briefe, S. 72. 153 Frey, H.-W.: Neue Briefe, S. 72. 154 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXII, S. 48. „Poi che le scrissi oggi otto giornj; mi truo una sua molto amoreuole et, insieme col uostro mandato, il corpo di quel santissimo vechio, splendore delle nostre artj, dicendouj, che se uoi auessj mandato a questa citta un gran tesoro, non sarja stato maggior dono, quanto e (è) parso questa reliqiua tanto celebrata et honorata.“ Um seine Verbindung zu Leonardo zu markieren, benutzt er die Formulierung „amico et come fratello“, was nicht aus Uneigennützigkeit geschieht. Dieser Brief ist auch für die Grabmalplanung von Relevanz, was später zu thematisieren sein wird. 155 Die Leichenfeier ist mehrfach verschoben worden: 1. Termin: 10. April; 2. Termin: 8. Juni; Aufkommen des Librettos, das die Feier auf den 28. Juni datierte, die schließlich am 14. Juli 1564 stattfand. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, S. 32 siehe Anmerkung *. 156 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXVI, S. 59. Dieser Brief enthält auch die Marmi in der Via Mozza, die zu einem späteren Zeitpunkt ebenfalls thematisiert werden. „La resolutione, fatta da Lionardo Buonarrotj, per honorare la memoria dj Michelagniolo suo zio con la sepoltura, che voj scriuete, merita molta commendatione; et Noj Ci conteniamo, che egli questo efetto a sua piacere si serua della figura dj via Mozza et de marmj.“ Am Ende folgt die übliche Formulierung „amico et come fratello“. 157 Pirotti, U.: Benedetto Varchi e la cultura del suo tempo, S. 3. 158 Pirotti, U.: op. cit., S. 5. 151

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Folge in literarischen Kreisen, kannte u. a. Machiavelli, gehörte schon 1527 zur Medici-Opposition und diente in der Miliz. Zwischen 1529 und 1532 verließ er Florenz. 159 Als Republikaner begrüßte Varchi 1537 die Ermordung Alessandros de’ Medici durch Lorenzo de’ Medici und feierte ihn als neuen Brutus. Mit dem Amtsantritt Cosimos I. de’ Medici geriet Varchi in Gefahr, da er in die Nähe der Attentäter gerückt wurde. 160 Erschwerend kam hinzu, dass Varchi Cosimo I. nach seiner Inauguration mit schmähenden Anti-Medici-Versen belegt hatte. 161 Folglich befand er sich ab 1540 im Exil in Padua, wo er eine wichtige Funktion beim Aufbau der neu gegründeten „Accademia degli Infiammati“ übernahm. 162 Als „Furorscito“ pflegte er weiterhin Kontakte zu Exil-Florentinern und arbeitete für Piero Strozzi, Cosimos I. ärgsten Feind, als Lehrer für dessen Kinder. Als Varchi eine unangemessene Zuneigung für den jüngsten Sohn Strozzis entwickelte, folgte neben einer öffentlichen Züchtigung durch Piero Strozzi sein Rauswurf. Dieser Situation folgten weitere negative Ereignisse, und zwar ein Todesfall und das Übergehen bei der Vergabe von Pfründen 163, womit sich der Beginn der Vierzigerjahre für Varchi schwierig gestaltete. Aus dieser ruinösen und schwierigen Situation heraus fragte Varchi bescheiden, demütig, sich quasi selbst herabstufend bei Cosimo I. mit der Bitte um Vergebung, Schutz und Hilfe an. Aus Kalkül handelnd und eine Gegenleistung erwartend, wurde Varchi von Cosimo I. in Gnaden wieder aufgenommen 164,

sodass im Sommer 1542 seine Verbannung und die Konfiskation seiner Güter aufgehoben wurden. Für den Herzog war die reumütige Rückkehr Varchis auf dem Hintergrund dessen Anti-Medicischen Schriften ein Erfolg. Dieser kluge und und wenig aufwendigen Schachzug setzte Cosimo I. in das Licht eines liberalen Prinzen. 165 Nach Antonio Forcellino hatte der regierende Medici eine Rückgewinnungspolitik der besten Florentiner Kräfte eingeschlagen, wozu auch, wie dargestellt, Michelangelo gehörte. 166 Für das herzogliche Regime konnte der reumütig Redner nur von Vorteil sein. 167 Ehemalige Medici-Gegner kamen jetzt ebenfalls zurück und demonstrierten, dass Florenz wieder zur alten Liberalität zurückgekehrt war. Andererseits folgte Cosimo I. dem Zeitgeist, da er einen Hofhistoriker brauchte und diese Zunft für Fürsten unerlässlich war, verlieh sie ihren Förderern doch eine ruhmvolle Aura. 168 Genau das war Varchis zu erbringende Gegenleistung: er musste den Herzog neben der Mehrung des Ruhms bei dem Aus- bzw. Umbau der Accademia Fiorentina zu einer prestigeträchtigen Institution unterstützen. 169 In Florenz erhielt er den Auftrag, die Geschichte von Florenz zu verfassen, daneben auch die intellektuelle Freiheit, die Vergangenheit der Stadt zu interpretieren, ohne dabei allerdings die Gegenwart herzoglichen Herrschaft anzutasten. 170 Varchis Motive für die Rückkehr nach Florenz bestanden aus der wirtschaftlichen Versorgung und der Möglichkeit, wieder als Literat in seiner Vater-

Albertini, R. v.: Das Florentinische Staatsbewusstsein im Übergang von der Republik zum Prinzipat, S. 331. 1529 hatte Varchi Florenz verlassen, um an der Krönung Karls V. in Bologna teilzunehmen und kam erst 1532 zurück, um sich dann wieder der Opposition, vor allem den Strozzi, anzuschließen. 160 Trexler, R.: Church and Community 1200–1600, S. 240–241. 161 Murry, G.: The Medicean Succession-Monarchy and Sacral Politics in Duke Cosimo Dei Medici’s Florence, S. 98. 162 In Padua blieb er ein Furorscito. Vgl. Veen, H. v.: op. cit., S. 167. 163 Cochrane, E.: Florence – the forgotten Centuries 1527–1800, S. 70. Varchi verlor seinen Lieblingsneffen und die Vergabe von reichen Pfründen in Neapel. 164 Basile, D.: Fasseli gratia per potessa, S. 137. 165 Cochrane, E.: Florence – the forgotten Centuries 1527–1800, S. 70. 166 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 317. 167 Zanrè, D.: op. cit., S. 9. 168 Burke, P.: Die Renaissance in Italien, S. 127. 169 Basile, D.: op. cit., S. 137. Es lag in Cosimos I. Begehren, die Dominanz der Medici und des Florentinischen zu stärken, indem er die linguistische Vorherrschaft des Toskanischen unterstützte. 170 Trexler, R.: op. cit., S. 241. Die intellektuelle Pseudofreiheit brachte Varchi keinen Gewinn, da das Geschichtswerk nicht zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurde. Vgl. Murry, G.: The Medicean Succession-Monarchy and Sacral Politics in Duke Cosimo Dei Medici’s Florence, S. 98. Die Anstellung bei Hofe brachte eine lebenslange Absicherung, erhielt man als „Hofmann“ seinen Lebensunterhalt und Schutz durch seinen Herrn. Burke, P.: op. cit., S. 128. Die höfische Förderung und der damit verbundene Schutz im Italien der Renaissance waren in der Regel untrennbar verbunden. Für Höflinge bedeutete diese Dualität ein sicheres Leben. 159

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Star-Redner: Benedetto Varchi (1502–1565)

stadt bedeutsam zu werden. 171 Die Kehrseite der Tätigkeit war die Abhängigkeit von seinem Patron, was ihn aber nicht abhielt, die Kontakte zu den Exil-Florentinern aufrechtzuerhalten. Trotz dieser Kontakte war er sich bewusst, dass die republikanische Vergangenheit unwiederbringlich verloren war. 172 Seine Rückkehr nach Florenz blieb von seinen Feinden, die er offensichtlich hatte, nicht unbeobachtet. Sie warteten nur darauf, ihm zu schaden, zunächst aber scheiterten, da er unter dem Schutz des Herzogs stand. 173 Sein Stern sank mit der Entscheidung, den Dienst am Medici-Hof zugunsten des Erzbischofs Girolamo Sauli zu quittieren 174, wofür die Gründe nicht bekannt sind. 175 Vermutlich wollte er seine „Freiheit“ wieder erlangen, denn er stand in Cosimos I. „Schuld“ bzw. genoss dessen Gunst. Auf der herzoglichen Seite hätte die Abwanderung Varchis eine Schmach und ein Zeichen der Schwäche dargestellt, wenn ein prominenter und reumütiger Rückkehrer ihm eine Absage erteilt hätte. Daneben kam Varchis Ansinnen einer Majestätsbeleidigung gleich, Cosimo I. nach der gnadenreichen Wiederaufnahme in seine Patronage erneut verlassen zu wollen. Entsprechend erzürnt, reagierte der Herrscher und machte aus seinem Unmut keinen Hehl, wodurch Varchi nicht nur aus dessen Gunst fiel, sondern höchst vulnerabel geworden war. 176 Seine Gegner kamen so in eine vorteilhafte Position gegen ihn, die im Februar 1545 in einem

unschönen und höchst kontrovers diskutierten Zwischenfall endete. Inhalt war die Vergewaltigung eines Mädchens in dem Ort, in dem Varchi den Sommer verbrachte. Carlo Lenzoni, einer seiner Gegner, überredete den Vaters des Mädchens, den Star-Redner dieses Deliktes zu bezichtigen bzw. anzuzeigen. 177 Varchi wurde verhaftet, inhaftiert und nicht eher entlassen, bis er die Tat gestanden und eine Summe von 50 Dukaten an das Mädchen gezahlt hatte. 178 Guido Manacorda sieht in der Summe von 50 Dukaten den Freikauf Varchis und spricht in letzter Konsequenz den Schuldspruch über ihn. 179 Giovanni Papini geht auch auf den Vorfall ein und hält Varchi ebenso für schuldig. 180 Umberto Pirotti diskutiert hingegen, ob Varchi wirklich der Täter oder das Opfer einer Intrige war, spricht sich für ihn aus und schließt, dass er vermutlich unter moralischem Druck sein Geständnis ablegte, da man ihm die Freiheit versprach. Durch das Schuldeingeständnis konnte Cosimo I. ihn legitim bestrafen, da er auf Abwegen gewesen war (Bischof Sauli) und das irrtümliche Einsperren Varchis durch die Justiz verdecken, das auf einer eilfertigen Polizeimacht fußte. 181 Domenico Zanrè sieht in Varchis Verhaftung eine übereifrig handelnde Polizei. Es konnte nicht in Cosimos I. Sinn sein, dass ein für das Regime nützlicher Literat ins Gerede kam. 182 Deana Basile ordnet den Vorfall wie Umberto Pirotti als Intrige ein, deren Nutznießer Cosimo I. war, da Varchi durch

Albertini, R. v.: Das florentinische Staatsbewusstsein im Übergang von der Republik zum Prinzipat, S. 145. Domenico Zanrè betont Varchis Pragmatismus bezüglich seines Mäzens und seines Einkommens, sodass er für sich die beste Lösung wählte, die erreichbar war. Zanrè, D.: op. cit., S. 8. 172 Trexler, R.: op. cit., S. 242. Dieses war seit Montemurlo und dem brutalen Umgang mit den Rebellen klar. Vgl. Najemy, J. M.: op. cit., S. 468. 173 Pirotti, U.: op. cit., S. 25. Umberto Pirotti nennt dies sogar einen Krieg. Guido Manacorda spricht davon, dass die Rückkehr Varchis nach Florenz den Zorn der Literaten heraufbeschwor. Vgl. Manacorda, G.: Varchi Bendetto – L’Uomo, il Poeta, il Critico, S. 159. 174 Pirotti, U.: op. cit., S. 25. 175 Basile, D.: op. cit., S. 138. 176 Pirotti, U.: op. cit., S. 25. 177 Pirotti, U.: op. cit., S. 25. Die Gegner tobten ihren privaten Hass gegen ihn auf der Ebene der öffentlichen Moral aus. Vgl. ebd., S. 25–26. Vgl. Zanrè, D.: op. cit., S. 37. Carlo Lenzoni war der Freund von Giambullari und Bartoli. Domenico Zanré verweist auf die Polarisation zweier konkurrierender Gruppen innerhalb der Accademia. Die eine Gruppe – Pierfrancesco Gimabullari, Cosimo Bartoli, Carlo Lenzoni und Giambattista Gelli – unterstützte das Regime Cosimos I. neben ihrer anderen Auffassung von Sprache. Vgl. ebd., S. 36–37. 178 Pirotti, U.: op. cit., S. 26. 179 Manacorda, G.: op. cit., S. 161. Guido Mancorda formuliert die Frage, warum Cosimo I. das Geständnis Varchis akzeptierte und ihn wieder in Ehren aufnahm. Vgl. ebd., S. 161. Im Vorfeld schenkte er dem Zorn der Literaten gegen Varchi nicht diese Aufmerksamkeit. Vgl. ebd., S. 159. Der Autor kommt zu seinem Urteil, da Literaten wie Giannotti und Manuzio sich gegen Varchi aussprachen; selbst Pietro Bembo war nicht gänzlich von Varchis Unschuld überzeugt. Vgl. ebd., S. 161. 180 Papini, G.: Michelangiolo, S. 491. 181 Pirotti, U.: op. cit., S. 26. Umberto Pirotti verwirft in diesem Kontext Guido Manacorda, da dieser die Quelle des Anonymen, wie er genannt wird, nicht richtig auswertet. Zur moralischen Gewalt: (violenza morale): „col promettergli la libertà, qualora avesse confessato.“ Der Autor konkludiert weiter, dass die Mächtigen versuchen, wie die Erfahrungen der heutigen Zeit zeigen, ihre Fehler zu kaschieren. 182 Zanrè, D.: op. cit., S. 37. 171

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die erneute herzogliche Gunst wieder unter dessen Hoheit fiel. 183 Guido Manacordas Ansatz ist hier auch aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Da er Varchi den Vorfall zur Last legt, lässt er Cosimo I. unbeachtet, wobei dessen Verhalten eigentlich beachtenswert ist. Durch eine Aburteilung macht er Varchi gefügig, lässt seine Muskeln spielen, subtiler und nicht brutal wie nach der Schlacht von Montemurlo 1537 184, aber für Varchi mit eindeutiger Nachricht: Er war der Unterlegene und hatte so seine Lektion erhalten. Nach Domenico Zanré hatte der Vorfall keine negative Auswirkung auf Varchis Karriere innerhalb der Accademia Fiorentina, denn er erhielt deren Amt als Konsul am 12. April 1545 zurück. 185 Es ist anzunehmen, dass der Betroffene den gesamten Vorfall als Schmach empfunden hatte. Vermutlich war es von ihm nicht bis in die letzte Konsequenz durchdacht, den Dienstherrn wechseln zu wollen, da Cosimo I. sich so etwas nicht bieten lassen wollte. Nach diesem Vorfall gewann Benedetto Varchi zwar seine Freiheit zurück, musste aber bis zu seinem Tod in Florenz bleiben und Cosimo I. dienen, weil er ihn zum zweiten Mal gnadenvoll aufgenommen hatte. Er war und blieb in allen positiven

wie negativen Konsequenzen ein vom Herzog abhängiger Höfling. Zwanzig Jahre später, am 9. März 1564, bat Cosimo I. ihn, die Leichenrede auf Michelangelo zu halten. Ihn mit Wertschätzung ansprechend, möchte Cosimo I., dass die Erinnung an Michelangelo in bestmöglicher Weise geehrt und gefeiert werden solle. Varchi möge Michelangelo die Leichenrede auf den Meister halten. 186 Die Wahl fiel nicht grundlos auf Varchi, da auf sein rhetorisches Vermögen Verlass war. Vasari lobte die „vortreffliche Redekunst dieses Mannes“, das „vortreffliche Talent Michelangelos“ würdigen zu können, da Varchi ein „Mensch von herzensgutem Charakter“ und „Michelangelos Andenken aufs treueste ergeben war.“ 187 Im März wird der Star-Redner mit der Arbeit an der Rede begonnen haben, deren Quelle Vasari war. 188 Benedetto Varchi nutzt sein ganzes Talent und Können und versieht diese Rede mit enormen Übertreibungen in Richtung Cosimo I., sodass dieser Winkelzug als späte Rache für vergangene Niederlagen gedeutet werden kann. Michelangelos Leichenrede wird quasi im Nebeneffekt ein Seitenhieb gegen den regierenden Fürsten.

Basile, D.: op. cit., S. 138. Exilierte Republikaner unterliegen Cosimo I. in Montemurlo im Kampf um die Macht. Vgl. Reinhardt, V.: Die Medici, S. 111. Vgl. Cleugh, J.: op. cit., S. 293–294. 185 Zanrè, D.: op. cit., S. 38. Am 1. Februar war er erst zum Konsul gewählt worden. Giovanni Papini kommt zum gleichen Urteil, sieht den Grund für den positiven Ausgang in den Eingaben des gelehrten Italiens an Cosimo I., Varchi zu begnadigen, nachdem Varchi 100 Goldscudi an die Stadt und 100 Lire für die Aussteuer des Mädchens gezahlt habe. Papini, G.: Michelangiolo, S. 491. 186 Vasari, G.: Michelangelo, S. 218–219. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, S. 903; Gaye, G.: Carteggio inedite, Tomo III, CXXV, S. 131. 187 Vasari, G.: Michelangelo, S. 216. 188 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung ***, S. 41. 183

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15 Michelangelos Exequien

Sämtliche Planungsschritte kulminierten fast fünf Monate nach Michelangelo Tod in dessen prächtiger und prestigeträchtiger Leichenfeier in der Basilika von San Lorenzo, der Familienkirche der Medici. 1 Trotz allen Pomps war es eine private Veranstaltung der Accademia del Disegno. 2 Cosimo I. hatte sich zwar für eine große Leichenfeier ausgesprochen, blieb dieser fern, legte aber die Accademia bei allen Bemühungen um eine fürstliche Veranstaltung die Verpflichtung auf, den Verstorbenen nicht als Fürsten zu präsentieren, was beispielsweise der Verzicht auf eine Effigie bei den Exequien zeigt. 3 Offiziell waren neben Giorgio Vasari noch Agnolo Bronzino, Bartolomeo Ammanati und Benvenuto Cellini berufen, die Feierlichkeit in Absprache mit Borghini zu planen. Nach Cellinis Ausscheiden wurde Zanobi Lastricati zum Haupt des Viermännerkollegiums ernannt. 4 Britta Kusch-Arnhold arbeitet in ihrem Aufsatz hingegen heraus, dass Borghini und Vasari maßgeblich die Gestaltung der Feierlichkeiten für Michelangelo planten und dabei die Exequien Karls V. 1558 in Brüssel, Rom und Bologna zum Vorbild nahmen. 5 Die tonangebenden Männer hatten jetzt die Chance, aus Michelangelo kulturelles Kapital zu schlagen, wenn es ihnen gelänge, ihn als den Begründer der Akademie zu prä-

sentieren, um so die Akademie zu einer langfristig beachteten und akzeptierten Institution zu machen. 6 Mit dieser Zielvorgabe musste von Anfang bis Ende die Bedeutung Michelangelo für die Kunstakademie herausgearbeitet werden. San Lorenzo wies am 14. Juli 1564 ein stimmiges Dekorationsprogramm auf, das den Verblichenen, Florenz und den Medici huldigte. Die Kirche war mit der Florentiner High Society besetzt, die nach John Addington Symonds eine Affinität für diese kurzlebigen Veranstaltungen hatte. 7 Honoratioren der Stadt, die Mitglieder der Künstlerakademie nebst deren Statthalter, Vasari und Leonardo Buonarroti nahmen u. a. zwischen dem Hochaltar und dem in der Mitte stehenden Katafalk Platz. 8 Der Herzog hatte einen Teil seiner Leibgarde zum Ehrendienst am Katafalk abgestellt. 9 Entsprechend der traditionellen Ausstattung solcher Exequien war die Basilika mit schwarzen Tüchern ausgehängt 10, die so eine beeindruckende Kulisse für die illuminierten Säulen von San Lorenzo schufen. 11 Die weitere, außerordentliche Dekoration bestand aus acht großformatigen Bildern, die Sequenzen aus dem Leben des Künstlers erzählten und ihn auf Augenhöhe mit Päpsten und Prinzen brachten. 12 Erwähnt sei hier nach Rudolf und Margot Wittkower das

Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 24. Neben dem Werk von Rudolf und Margot Wittkower, das eine italienische und englische Version des Librettos von Jacopo Giunti beinhaltet, sei hier noch auf die Darstellung in Vasaris Michelangelo-Biographie hingewiesen, S. 222–242, die eng mit dem Libretto verwoben ist, in dem auch die Neuauflage der Viten angekündigt wird. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 56–57. Weitere Werke, die die Begräbnisfeier thematisieren, sind: Frey, H. –W.: Der literarische Nachlass Giorgio Vasaris, Bd. II; Thode, H.: Michelangelo – Kritische Untersuchungen über seine Werke Band II.; knapper bei Papini, G.: Michelagniolo und sein Lebenskreis; Ruffini, M.: Art without an author – Vasari’s Lives and Michelangelo’s death. 2 Kusch-Arnhold, B.: Solcher Tugend gebührte nicht weniger! Die Exequien Michelangelos und das Grabmal des Künstlers, S. 78. 3 Kusch-Arnhold, B.: op. cit., S. 78. 4 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 86–89. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 215. Vgl. ebd., S. 221–222. Lastricati wird zum Oberhaupt gewählt. 5 Kusch-Arnhold, B.: op. cit., S. 77–78. 6 Ruffini, M.: op. cit., S. 35. 7 Symonds, J. A.: The Life of Michelangelo Buonarroti, S. 295. 8 Vasari berichtet: „Hinter besagtem Stadthalter der Accademia kamen, vom Hauptmann und den Hellebardieren der herzoglichen Garde begleitet, die Konsuln und Mitglieder der Accademia herein, kurz alle Maler, Bildhauer und Architekten von Florenz.“ Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 240. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 122. Vgl. Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II. S. 524. Kusch-Arnhold, B.: op. cit., S. 72. 9 Frey, H.-W.: Nachlass, S. 88. Vgl. Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II. S. 524. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 122. 10 Aurnhammer, A.; Däuble, F.: Die Exequien für Kaiser Karl V. in Augsburg, Brüssel und Bologna, S. 131. 11 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 106. 12 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 42. Im Mittelschiff vom Eingang kommend, zeigte das erste Bild Michelangelo mit den Noblen von Venedig, gefolgt von dem Bild Michelangelo und Papst Julius III., das unmittelbar vor dem Katafalk hing. Direkt gegenüber zeigte das Bild Michelangelo mit Papst Julius II., gefolgt von dem Bild Michelangelo und Cosimo I. im Gespräch, das entsprechend gegenüber der Szene mit den Venezianern installiert war. Vgl. ebd., S. 152. Siehe Abb. 104: Dekorationsplan für die Exequien Michelangelos [S. 384]. 1

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Michelangelos Exequien

achte Bild: die gemeinsame Darstellung von Michelangelo und Cosimo I., im Gespräch vertieft 13, womit es die beiden wichtigen Häupter des Accademia zeigt. Die Explikation zu dem Bild liefert das Libretto, das die Konversation zwischen Michelangelo und Cosimo I. als Selbstverständlichkeit darstellt und Michelangelo in die Vaterposition über den Fürsten erhebt, der seinerseits Michelangelo aus Gesundheits- und Konstitutionsgründen huldvoll genehmigt, in Rom bleiben zu dürfen. 14 Ins Bild gesetzt, war der regierende Medici trotz physischer Abwesenheit dennoch zugegen, was Varchi durch seine Orazione funerale weiter untermauerte. Als unübersehbarer dekorativer Mittelpunkt verdient der fast 17 Meter hohe Katafalk Beachtung. 15 Er setzte sich aus drei Ebenen zusammen: einem Postament, zwei Geschossen und einer hohen und langgezogenen Pyramide. Neben einzelnen allegorischen Figuren zeigten sieben Bilder die Leistung Michelangelos in Kunst und Poesie. 16 Auf zwei Seiten der Pyramide, die zum Altar und zum Haupteingang wiesen, waren zwei Portraits Michelangelos positioniert. Auf der Spitze der Pyramide war eine Kugel angebracht, die den Eindruck erwecken konnte, die Asche eines berühmten Mannes ruhe darin. 17 Auf dieser Kugel befand sich eine lebensgroße allegorische Figur der „Fama“, die zu fliegen schien. Ihre rechte Hand umfasste eine Posaune mit drei Trichtern, durch die sie hindurch blies. 18 In der linken Hand hielt sie drei Lorbeerkränze. 19 Fama verkündet lautstark die Auferstehung oder den Ewigkeitsanspruch des Meisters. Die Gesamtaus-

sage des Katafalks lautete: „Sic ars extollitur arte.“ 20 Diese Aussage setzte das Ansinnen der Akademiker um, mit dem sie laut Libretto angetreten waren, und zwar die Kunst durch die Kunst zu ehren. 21 Die Kunst Michelangelos soll durch die Kunst für ihn und durch die Accademia del Disegno geschaffen, emporgehoben werden. Ein hehres vordergründiges Ziel, das hintergründig das Lob und die Rangerhöhung der Accademia anstrebt, was nicht zuletzt auch durch den Gebrauch des Michelangelo-Symbols, der drei verschlungenen Ringe, erreicht werden sollte. So war die San Lorenzo u. a. mit diesem Symbol, das die ineinandergeflochtenen oder verwobene Kreise bzw. Kränze zeigte, die die drei Künste symbolisieren sollten, im ersten Drittel an den Seiten geschmückt. 22 Angestrebt war hier eine Symbolaneignung bzw. -übertragung, ein Symbol, das die Kunstakademie von dem Künstler übernahm und sich weiter mit ihm verwebte. Neben den Bildern, Statuen und dem Katafalk war eine große lateinische Gedenkschrift ein weiteres Dekorationselement, das dem Hochaltar zugewandt war und durch zwei tränenvergießende Engelchen gehalten wurde, die ihrerseits mit Tränen Fackeln löschten, um das Sterben des Künstlers zu betrauern. Die Gedenkschrift war von Piero Vettori, dem Lehrer Borghinis, komponiert worden. 23 Die Künstlerakademie unter der Leitung und der Gewalt Cosimos I., dem Förderer ihres Vorteils, bewundert den einzigartigen Genius Michelangelo Buonarrotis. Als ein kleines Zeichen der Aufmerksamkeit seiner Verdienste, die er durch seine Werke

Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 43. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 237. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 118. Die Gespräche fanden in Rom statt. 15 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 149. Die Autoren kamen auf eine Höhe von 16, 35 m. Siehe Abb. 105: Der Katafalk Michelangelos (Vorderansicht) [S. 385]. Die Mittelpunktfunktion eines Katafalks ist durch die Exequien Karls V. belegbar. Vgl. Aurnhammer, A.; Däuble, F.: op. cit., S. 131. 16 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 42. 17 Vasari, G.: Michelangelo, S. 230. Vasaris Bezug könnte die in Rom erzählte Geschichte, die vergoldete Bronzekugel auf der Spitze des Obelisken von St. Peter trage die Asche Caesars, gewesen sein. Vgl. Batta, E.: Obelisken – Ägyptische Obelisken und ihre Geschichte in Rom, S. 28. 18 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 105. Die Fama hatte mehr als Lebensgröße, worauf die Autoren später nochmals verweisen. Vgl. ebd., S. 149. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 231–232. 19 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 149. Siehe Abb. 106: Der Katafalk Michelangelos (Grundriss) [S. 386]. 20 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 105. „So wird die Kunst durch die Kunst emporgehoben.“ 21 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 89. „honorando l’arte con l àrte“. Vgl. ebd., S. 88. 22 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 152–153. S. 152 Schematische Darstellung 9A, 9B. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 238. Vgl. Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II, S. 524. Die Akademiker verwendeten drei Kränze, um damit zu zeigen, dass Michelangelo der Kranz der Vollkommenheit gehöre nach dem Motto: Tergeminis tollit honoribus. Die Kränze werden an dem Grabmal des Künstlers wieder Verwendung finden. 23 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 95. „Collegium Pictorum, Statuariorum, Architectorum, auspicio, opeq(ue) sibi prompta COSIMI Ducis, auctoris suorum commodorum, suspiciens singularem virtutem Michaelis angeli Bonarrotae. Intelligenq’; quanto sibi auxilio semper fuerint praeclara ipsius opera, studuit se gratum erga illum ostendere, summum omnium, qui umquam fuerunt P.S.A. ideoq’; Monumentum hoc suis manibus extructum, magno animi ardore ipsius memoriae dedicavit.“ Vgl. ebd., S. 95. Bei der Gedenkschrift handelte es sich wohl um ein Bild. Vasari überliefert das Epitaph in seiner Michelangelo-Biographie. Vasari, G.: Michelangelo, S. 225. 13

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Varchis Leichenrede

erzielt, widmen sie ihm dieses Monument, errichtet durch ihre eigenen Hände mit großer Empfindung (Hingabe). In der Summe wird Michelangelo als Künstler der drei Disziplinen geehrt, die gleichzeitig die Klammer des Epitaphs bilden und die sowohl die Accademia als auch Michelangelo definieren. Die Aufzählung der Disziplinen bildet das Analogon zu den ineinander verschlungenen Kränzen. Namentlich waren nur Michelangelo und Cosimo I. im Epitaph genannt, da beide die „Capi“ der Künstlerakademie waren. Während Cosimo I. als der Beschützer

der Künste gefeiert wurde, stilisierte man Michelangelo zum einzigartigen und tugendhaften Künstler, der verehrt, ja vergöttert wurde. Das Epitaph ist die verschriftliche Veranstaltung: Michelangelo ist als genialer Künstler automatisch dazu prädestiniert, Pate der Akademie zu sein, die sich ihrerseits dazu berufen sieht, ihn zu verehren. Marco Ruffini folgert, dass die Modellierung Michelangelos zum spirituellen Gründer der Kunstakademie deren universelle Anerkennung garantieren konnte 24 oder zumindest darauf hoffen lassen durfte.

15.1 Varchis Leichenrede Passend und erweiternd zum Dekorationsprogramm modellierte Benedetto Varchi dem Publikum ein kunstvolles Bild des Künstlers in der Orazione funerale auf der mächtigen Kanzel Donatellos. 25 Varchi trug vermutlich eine verkürzte Version der Rede vor, da sie in der vollen Druckversion, in der sie mit 63 Seiten noch im selben Jahr 1564 erschien, zwischen zweieinhalb bis drei Stunden gedauert und die Geduld der Zuhörer überstrapaziert hätte. 26 Die Rede war feierlich, sprachlich sehr präzise mit rhetorischen Mitten und wohltönenden Phrasen durchsetzt, mit Superlativen gespickt, angefüllt mit Lokalpatriotismus, unermesslichem Lob für den Verstorbenen, für die Stadt Florenz, für die Kunstakademie und nicht zuletzt für den Landesherrn, der trotz des Fernbleibens von dieser Veranstaltung sich die Rede im Vorfeld von Varchi hatte vortragen lassen. 27 Die Rede ist so komponiert, dass Varchi nach einem Introitus von der Malerei, über die Bildhauerei zur Architektur kommt, die er kürzer abhandelt, um dann über den Charakter Michelangelos und

dessen Freigiebigkeit zu philosophieren. Im Folgenden weiß Varchi von Michelangelos Verhältnis zu den Großen der Zeit, z. B. fünf Päpsten zu berichten, feiert Florenz als die Hauptstadt der Kunst, die Rom überlegen ist, um in der Folg die Beziehung zu Cosimo I. und dessen Bedeutung für Michelangelo und die Accademia del Disegno aufzuzeigen. Abschluss der Rede bildet der Verweis auf Michelangelos friedliches und trostvolles Dahinscheiden. Varchi hatte als Auftragsredner von Cosimos I. Gnaden und Absichtstäter das Ziel, eine erinnerungsträchtige und -mächtige Rede zu halten. Das Hauptaugenmerk lag natürlich auf dem Verblichenen. Fast auf Augenhöhe befindlich und mit viel Lob versehen, rangierte der Herzog, gefolgt von den Zuhörern, deren Sympathie es zu gewinnen galt. Sie waren es, die durch weitere Mund-zuMund-Propaganda den Vortrag zum Lob des Redners zum Klingen bringen lassen konnten. Die Zuhörer werden über diese 63 Seiten verteilt mit circa 31 verschiedenen Anreden, d. h. nahezu jede zweite Seite angesprochen, gelobt, gebunden und weiter

Ruffini, M.: op. cit., S. 35. Vasari, G.: Michelangelo, S. 238. 26 Davis, C.: Orazione, S. 3. Einem Teilnehmer, dessen Brief unbekannt an einen unbekannten Freund („Amico carissimo“) überliefert ist, ist zu entnehmen, dass es ihm unter diesen Bedingungen (per la gran calcha) zu viel geworden sei. Er habe die Rede in dieser Menschenmenge nicht zu Ende hören können, er hoffe aber, sie gemütlicher lesen zu können, was er verpasst bzw. nicht gehört habe. Der Ansatz habe ihm aber gefallen, er hoffe und glaube, dass sie (letztlich) schön und amüsant gewesen sei. Sobald er könne, werde er ihm sie schicken. („L’ufficio divino e la messa furon solennissimamente celebrati con musica, organo, voce su l’organo e nuove musiche. L’oratione fu celebrata dal Varchi, la quale io non possetti finire d’udire per la gran calcha, sperando d’haverla a leggere con piu agio che quivi non l’ascoltavo. Il principio mi parve bellissimo, però io spero e credo che la sarà bella e piacevole, e subite che io la possa havere te la manderò.“ Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, Appendices, S. 144–147. Zitat siehe S. 147. 27 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung ***, S. 41. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Punkt 4, S. 88. Die Motivation seitens des Herzogs für diese Anhörung kann zwischen Neugier und Gesinnungskontrolle angesiedelt werden. Die Gesinnungskontrolle wird das ausschlaggebende Element gewesen sein, da er Varchi für die Accademia gebeten hatte, diese Rede zu halten. Vgl. Brief Cosimos I. an Benedetto Varchi vom 9. März 1564. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 66–67. 24 25

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Michelangelos Exequien

neugierig gemacht. In seinem Propaganda-Programm nutzt er die „captatio benevolentiae“ und spickt seine Formulierungen nur so mit Superlativen. Beginnend mit dem „nobilissimi“, variiert dieses durch Ausdrücke wie „cortessimi“ (S. 5), „giudiziosissimi“ (S. 8), „intendentissimi“ (S. 9), „religiosissimi“ (S. 11), „degnisissimi (S. 15), „spettabilissimi (S. 25), „liberalisissimi“ (S. 35), „misercordiossissimi“ (S. 36), „vertuosissimi“ (S. 48, S. 63), „perspicacissimi“ (S. 59) und „realissimi“ (S. 60), was schließlich mit „Ascoltatori“ kombiniert wird. Einzig inhaltlich zu bezweifelndes Adjektiv ist das „Liberalissimi“, da die Angesprochenen in einem unfreien Herzogtum leben. Bei dieser Wortwahl handelt es sich um eine Augenwischerei Varchis oder doch einen Versuch, sich trotz seiner Position frei zu fühlen oder zumindest die Freiheit zu haben, eine Rede nach seiner Façon zu konzipieren.

15.1.1 Doxologie Michelangelos Der Preis galt zu Beginn primär dem großen Toten, über den Varchi insofern sein Staunen zum Ausdruck brachte, da er die Philosophie, die Poesie und auch die Theologie beherrschte. Bemerkenswert an dieser Aufzählung ist die Tatsache, dass Michelangelo keinen Grammatikunterricht genoss. 28 Die Nennung dieser Disziplinen dient der Aufwertung der intellektuellen Kompetenzen und universeller Eigenschaften des Meisters. Michelangelo sei als Maler, Bildhauer und Architekt nicht nur gut, sondern einzigartig („singolare“) und unvergleichlich („unico“) gewesen. Diese Einzigartigkeit, dieses gänzlich Neue lasse ihn nicht nur wiedergeboren werden („rinasco“), sondern erschüttere („mi tremano tutti i polsi“) Varchi, lasse ihm das Blut er-

starren, ergreife seinen Geist, entlocke ihm etwas Süßes, was nicht minder erschaudernd sei. 29 Stefan Matuschek weist in seinem Werk an dieser Textstelle nach, dass aus der „admiratio Dei“ in der Person des Michelangelo die „admiratio hominis“ wurde. 30 Die Leistung eines Menschen bzw. dessen Kunst ist nun das „fascinosum et tremdenum“ und nicht mehr das Numinose. 31 Diesen Sachverhalt umschreibt Varchi mit insgesamt 48 Worten für das Verb „staunen“, was dadurch erklärt werden kann, dass Michelangelo etwas Neues noch nie Dagewesenes schuf. 32 Die Kunst bekommt durch die Verbwahl Varchis so etwas höchst Emotionales, was bisher nur dem religiösen Bereich vorbehalten war, und wird so für den gefühlsbestimmten Bereich zugänglich. 33 Die Zielrichtung des Redners ist deutlich, ja nahezu radikal: Der Künstler erschüttert, bewegt den Menschen, versetzt ihn in Staunen und berührt ihn tief durch seine Kunst, verzückt ihn, ist einzigartig und somit auch anbetungswürdig. Varchi kreiert hier die Basis für den nächsten Gedanken, dass Michelangelo göttlicher Natur ist. Damit beginnend wird seine Geburt unter einen glücklichen Stern gestellt: Der Knabe folgt „seinem glücklichen Genius“ und wird durch den „guten“ Vater erkannt, „dass gegen den Willen des Himmels von Seiten der Menschen nichts geschehen kann“ und dass der Knabe „viel lieber sich mit Jenen übte, welche zeichneten.“ 34 Michelangelos Geburt und Talent werden als göttliche Intervention dargestellt, die der Vater erkannte. In den Ohren Michelangelos hätte dies wie ein Hohn geklungen. 35 In der Folge zeichnet Varchi die Florentiner Lehrjahre Michelangelos in der Werkstatt von Ghirlandaio nach, wie rasant sich seine Technik verbessert und sein außergewöhnliches Talent sich entfaltet. Der Red-

Dempsey, C.: Some Observations on Education of Artists in Florence and Bologna during the later sixteenth century, S. 568. Davis, C.: Orazione, S. 7–8. „Ora che un’huomo solo, oltra la poesia, oltra la Filosofia, così morale, come contemplativa, oltra la Teologia così gentile, come christiana, che in lui, come in proprio albergo si ricoveravano (…) fosse non solamente buono Pittore, ma solo, non solamente buono Scultore, ma singolare; non solamente buono Architettore, ma unico; è cosa tanto nuova, tanto nuova, tanto disusata, tanto inudita in tutti secoli, in tutti i paesi, in tutte le storie, che io per me (e così credo che facciano tutti gli Altri; non solo che habbiano fior d’ingegno, ma che non manchino affatto del senso comune) non pure ammiro, non pure stupisco, non pure strabilio, e trasecolo, e quasi rinasco; ma mi tremano tutti i polsi; mi s’agghiaccino tutti i sangui, mi si raccapricciano tutti gli spiriti, mi s’arricciano di dolcissimo, e mai piu non sentito horrore tutti i capelli à pensarlo.“ 30 Matuschek, S.: Über das Staunen, S. 109. 31 Matuschek, S.: op. cit., S. 110. 32 Matuschek, S.: op. cit., S. 110. 33 Matuschek, S.: op. cit., S. 108–109. 34 Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 105. Vgl. Davis, C.: Orazione, S. 12. „(…) e forse conoscendo che à le forze del Cielo non si può dagl’huomini, nè si dee fare resistenza“. 35 Wie bereits mehrfach erwähnt, wurde Michelangelo für seine Vorliebe für Zeichnen und Malen geschlagen. Vasari, G.: Michelangelo, S. 33. 28

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ner unterstreicht in diesem Kontext die Eigensinnigkeit dieses jungen Menschen, womit er ihn richtig einordnet, und attestiert ihm, dass er sich weigerte, von niemand anderem zu lernen als von der Natur. Neben diesen Studien las der junge Michelangelo „die toscanischen Dichter“ wie Dante Alighieri. Als weiteres Element studierte er die Anatomie der Menschen, Tiere und Pflanzen. 36 Nach dieser Präsentation resümiert Varchi erstmalig: „Michelangelo nahm an Alter und Tüchtigkeit und in Folge dessen auch an Ruf zu, indem er jetzt malte, jetzt meißelte, jetzt sich mit der Baukunst beschäftigte.“ 37 Bevor der Star-Redner zu weiteren Werken Michelangelos kommt, geht er nochmals auf Dante ein. 38 Dante war für ihn der Vorzeigepoet, dessen Großartigkeit auch Michelangelo erkannte, was Varchi selbst schon 1546 in seinem Vortrag in der Florentiner Akademie vertrat, als er über ein Gedicht Michelangelos einen Vortrag hielt und sagte, dieser „habe in seinen Gedichten Dante nachgeeifert und nachgeahmt, so wie er sich in Plastik und Malerei mit ihm auseinandergesetzt und gewetteifert hat.“ 39 Mit diesem Winkelzug verschränkt der Vortragende zwei große Männer der Toskana und fährt dann mit der Nennung der Referenzobjekte in Form von Aufträgen in Rom oder Florenz oder Zeichnungen fort, die er später anfertigte, wie z. B. den Bacchanal, den Titius oder Ganymed für Tommaso de’ Cavalieri, den Varchi als „cortesissimo, e honoratissimo gentilhuomo Romano“ 40 bezeichnet, um dann über Michelangelos weitere Arbeit in Florenz unter Piero Soderini, „huomo di molto prudenza, e bonatà“ zu berichten. 41 Varchi offenbart hier die Bedeutung Soderinis in künstlerischer Hinsicht, beschreibt ihn als intelligent und

gütig, vermeidet aber eine übertriebene Formulierung und dessen politische Einordnung, sondern lässt ihn als Gonfaloniere stehen, der den Künstler mit der Ausmalung des Großen Saals neben Leonardo da Vinci beauftragte und so eine Konkurrenzsituation geschaffen hatte, damit Michelangelo zeigen konnte, was er in Rom gelernt habe. Es folgt dann eine lange Beschreibung des Kartons („grandissimo cartone“) 42 der Schlacht von Cascina. 43 Dieser beispielhafte und stilbildende Karton wurde nach Varchi nicht nur von unzähligen Künstlern aus dem Inland und Ausland, sondern der ganzen Welt bestaunt und bewundert. 44 Der Rhetor erklärt diesen Karton zur „Ur-Sache“ für den Sixtina-Auftrag zur Ausmalung der Decke durch Michelangelo für Julius II. im Andenken an dessen Onkel Sixtus IV., wobei er „nie a fresco gemalt hatte“. 45 Der Vortragende bleibt hier nicht ganz bei der Wahrheit, da Michelangelo in der Werkstatt Ghirlandaios in der Freskomalerei ausgebildet worden war. Der Redner macht Florenz so zum Inspirationsort für die Sixtina in Rom, verliert kein Wort über die Grabmaltragödie und schlägt direkt den Bogen vom Karton der Schlacht von Cascina zur Sixtina. Diese Sixtina habe er, so fährt er fort, in 20 Monaten nach eigenem Entwurf, selbst gegen eine Intrige Raffaels, vollendet. 46 In diesem Kontext erwähnt er den Auftrag für das Jüngste Gericht, dessen Idee auf Clemens VII., einem „höchst kundigen“ Medici, der „sehr viel an allen und jeden edlen Künsten Freude fand“, zurückgehe. Clemens VII. wird so als Medici und Mäzen gefeiert. Paul III. habe schließlich das begonnene Werk vollenden lassen. 47 Als Abschluss dieser Redesequenz wird die Cappella Paolina als letztes Fresko des 75-Jährigen genannt. Unter diese

Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 106–107. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 107. (Vgl. Davis, C.: Orazione, S. 14: „MICHELAGNOLO in tempo, e in virtù, e conseguentemente in fama; hora dipignendo, hora sculpendo, e hora archittando“.). 38 Davis, C.: Orazione, S. 14–15. „e spezialissimamente la mirabilissima comedia dell’unico Poeta (…) DANTE Alighieri (…) il quale le essendo di gentilissimo quore (…).“ 39 Giannotti, D.: Gespräche mit Michelangelo, Einleitung, S. 17. 40 Davis, C.: Orazione, S. 17. 41 Davis, C.: Orazione, S. 17. 42 Davis, C.: Orazione, S. 18. 43 Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 111. „Es erschienen die Figuren auf diesem grossen Carton in verschiedenen, aussergewöhnlichen und seltsamen Stellungen, Der lebend, Der todt, Der auf dem Boden gestreckt, Der knieend, Der aufrecht in mannigfacher Weise.“ Jede Figur „war mit grosser Feinheit und Sorgfalt, Zierlichkeit und Meisterschaft ausgeführt.“ 44 Davis, C.: Orazione, S. 19. „da diverse parti del Mondo“. Vgl. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 112. 45 Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 112. 46 Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 113. 47 Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 113. 36 37

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Michelangelos Exequien

Sequenz über die Malerei zieht Varchi mit einem kleinen Feuerwerk der Alliteration den Schluss, dass Michelangelo wahrhaft der vollkommenste perfekteste Maler gewesen sei. 48 An den Gedanken des „perfetto Pittore“ schließt sich die Lobesrede auf Michelangelo als Bildhauer an, dessen Karrierebeginn mit Lorenzo de’ Medici, il Magnifico, verschränkt wird. 49 Lorenzo de’ Medici wird als Förderer aller Gattungen und speziell der Architektur, der Bildhauerei und Malerei gefeiert, der seinen Garten für die Künstler zwecks Förderung wie eine Schule und eine Akademie öffnen bzw. eröffnen ließ. 50 Mit Finesse kreiert Varchi das Bild, dass der Anfang der Akademien bei Lorenzo de’ Medici liegt, dass dieser die Vision der Förderung der Künste Malerei, Bildhauerei und Architektur hatte und in eine Art Schule und Akademie überführte. Die Medici werden hier quasi als Stifter der „Urakademie“ gefeiert, die dann in der Person des Cosimo I. ihren Vollender findet, da sie unter ihm offiziell gegründet wird und ihn als Haupt (caput) der Akademie erhält. Kurz: Der prachtvolle Medici stiftet etwas, was der regierende Medici vollendet. Die künstlerische Kontinuität, die Florenz seinerseits zur Hauptstadt der italienischen Renaissance machte, wird so allein durch die Familie de’ Medici garantiert. Die Eröffnung der „Urakademie“ durch Lorenzo de’ Medici wird durch dessen Blick für das außerordentliche Talent des jungen Michelangelos untermauert; er wird quasi zu dessen Entdecker stilisiert, als Michelangelo an einem Faun arbeitete. 51 Als Folge dieser Begegnung wurde Michelangelo in Lorenzos Haus geholt und bekam den

Unterhalt von fünf Fiorni ausgezahlt. Der Redner schließt dieser Passage ein Wortspiel auf Lorenzo an, lobt erstens seine „regia liberalità“, um dann zunächst nicht genau zu wissen, wie er ihn wegen seiner Großzügigkeit nennen solle: „civile Re“ oder „regale Cittadino“. 52 Hier wird Varchi politisch. Er verwischt gekonnt die Begriffe „bürgerlich und königlich“ und verbindet schließlich beides in Lorenzo und nennt ihn schließlich einen „königlichen Bürger“. Damit wird eine spätere Übertragung auf Cosimo I. erleichtert: Der königliche Bürger, der nebenbei auch der größte und weiseste Mann in Europa war 53 und der Michelangelo entdeckte, konnte in Cosimo I. nur gute Nachfahren haben. In der Folge widmet der Vortragende seine Aufmerksamkeit den Marmorwerken Michelangelos, beginnend mit der Kentaurenschlacht und dem Herkules, um dann den schlafenden Cupido als „bello e piu maraviglioso“ 54 zu bezeichnen. 55 Varchi verschweigt geflissentlich Michelangelos Betrugsversuch56, da dieser ein schlechtes Licht auf den Künstler werfen würde. Im Gegenteil, er geht zum Bacchus über und steigert seinen Ausdruck, indem er ihn als „rarissimo (…) e maravigliosissimo“ 57 bezeichnet. Bewegt durch den Ruhm Michelangelos, wollte der Kardinal von Rouen eine eigene Figur von ihm 58, und zwar die Pietà in Rom. Zunächst beschreibt und lobt der Redner selbst das Werk, um dann das herausragende Urteil nach allgemeiner Ansicht über sie zu präsentieren: Michelangelo habe die antiken wie zeitgenössischen Bildhauer übertrumpft. 59 Dem Bildhauer Michelangelo wird attestiert, dass er mit dem Hauptziel eines Renais-

Davis, C.: Orazione, S. 21. „Per le quali cose è piu che manifestissimo MICHELAGNOLO solo essere stato verissimamente vero, e perfettissimamente perfetto Pittore.“ Varchi beginnt hier eine Trias, die er in der Formulierung auf die Bildhauerei (S. 30) und Architektur überträgt (S. 31) und damit den Zuhörern repetierend die Vollkommenheit und Perfektion des Meisters einimpft. Vgl. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 113. 49 Davis, C.: Orazione, S. 22. Vgl. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 113–114. 50 Davis, C.: Orazione, S. 22. „e auitò tutte le maniere de’ virtuosi; e in ispezie gl’Architettori, gli Scultori, e i Dipintori (…) aperse loro il suo giardino in sulla piazza di San Marco, come una scuola, e Accademica“. Vgl. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 114. 51 Davis, C.: Orazione, S. 22. „e come colui, che era giudiziosissimo, e di singlore prudenza; conobbe immantanente la grandezza dell’ingegno di quel garzoncello“. Vgl. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 114. Der linguistische Effekt dieser Passage wurde durch das Bildprogramm in San Lorenzo unterstützt. Ein Bild zeigt eben die Aufnahme Michelangelos in den Garten von S. Marco: Sprache und Bild in Kombination ist immer ein Erfolgsrezept. 52 Davis, C.: Orazione, S. 22. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 114. 53 Davis, C.: Orazione, S. 23. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 115. 54 Davis, C.: Orazione, S. 24. 55 Davis, C.: Orazione, S. 24. 56 Siehe Cupido-Affäre Fußnote 177. 57 Davis, C.: Orazione, S. 24. 58 Davis, C.: Orazione, S. 24. „Mosso dalla gran fama di MICHELAGNOLO (…)“. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 116. 59 Davis, C.: Orazione, S. 25. „onde di comune parere fu giudicato che MICHELAGNOLO con questa opera sola fusse passato innanzi à tutti gli 48

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Varchis Leichenrede

sancekünstlers angetreten war und es auch erreichte, und zwar die Antike zu übertreffen. Damit noch nicht genug, lässt Varchi in seiner Rede Michelangelo zur nächsten Großtat antreten, was seiner Göttlichkeit nahekommt: die Auferweckung eines Toten, in diesem Fall die des David. 60 Der Akt der Erschaffung des David wird in die göttliche Sphäre gehoben und Michelangelo nahezu zu einem Wundertäter verklärt, der einen Totgeglaubten zum Leben erweckt. Dieser Gigant stehe heute vor dem Palast „dell’Illustrissimo, ed Eccellentissimo Signor Duca Cosimo Medici“. 61 Dieser Hinweis ist obsolet, da das jeder der Anwesenden weiß, aber es ist die gedankliche Verbindung des „Gigante“ mit dem Duca und zeichnet ihn so als Herrscher von Florenz aus. Im Folgenden wird die berühmte Statue schließlich zum Vehikel, Florenz konkurrenzlos über Rom zu stellen, welches trotz seiner Kunstschätze, u. a. dem Laokoon oder dem Apoll, Florenz mehr beneiden müsse als umgekehrt. 62 Mission erfüllt! Rom beneidet Florenz! Der Star-Redner stellt einen wagemutigen Vergleich an und trifft damit die Befindlichkeit des Herzogs, wobei der Verblichene nur wieder Mittel zum Zweck ist. In der Folge erhält der Mose höchstes Lob. Die Skulptur ist Teil des Julius-Grabmales, an dem Michelangelo nach Varchi zum „artifex doloroso“ wurde, da ihn die Familie della Rovere bestürmte und er so großes Unrecht und Zerfleischung erfuhr. 63 Michelangelo, das Opfer! Michelangelos An-

teil an dieser 40-jährigen Geschichte wird verschwiegen: Über die Toten nur das Beste. Sollte Michelangelo wirklich so gelitten haben, war sein „Schmerzensgeld“ exorbitant hoch. 64 Niemand der Anwesenden wird darüber Kenntnis gehabt und stattdessen den Künstler, dem diese Darstellung sehr entsprochen hätte, bedauert haben. Ausgehend vom Apostel Matthäus wendet sich Varchi auch dem „Non-finito“ zu. Die Bozzierung seiner Skulpturen zeige die Tiefe und die Vortrefflichkeit seines Verstandes und seines Genies, so dass man größere Hochachtung vor ihnen hätte als vor den Werken anderer, die vollendet seien. 65 Diese Passage in Varchis Rede ist ein Spiegel der zeitgenössischen Meinung über das Non-Finito in Michelangelos Werk. Offensichtlich suchte man schon früh eine Erklärung für die Tatsache, dass der Meister Skulpturen schlicht unvollendet ließ. Der Star-Redner schwingt sich in seiner Betrachtung dazu auf, das Non-Finito als genial einzustufen und lässt seine Ausführungen zur Bildhauerei ausklingen, indem er den Apoll, die Florentiner Pietà, den Auferstandenen Christus, Bronzeskulpturen und die Brügger Madonna erwähnt. 66 Zur Florentiner Pietà sagt Varchi, sie sei zur Ergötzung „questo huomo nobile, e glorioso“ vollendet worden 67, was nicht korrekt ist, denn die Skulptur wurde nicht nur nicht vollendet, sondern vom Meister wohl angegriffen. Diesen Inhalt stellt Varchi bewusst anders dar, und niemand in Florenz konnte es nachprüfen. Was den Zuhörern in den

Scultori cosi antichi, come moderni“. Vgl. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 117. Vasari formulierte es 1550 bezogen auf den David schon ähnlich: „(…) e veramente che questa opera ha tolto il grido a tutte le statue moderne et antiche (…)“. Vasari, G.: Michelangelo Bonarroti Fiorentino, S. 920. 60 Davis, C.: Orazione, S. 26. (…) „e risuscitando (…) un morto; quel Davitte (chiamato volgarmente il GIGANTE di Piazza)“. 61 Davis, C.: Orazione, S. 26. „e riuscitando, si può dire, un morto“. Vgl. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 117. Das Motiv der Auferstehung hat Vasari bereits in seinen Viten von 1550 an zwei Stellen thematisiert: Bezogen auf den David stellte er fest: „E certo fu miracolo quello di Michele Agnolo far risuscitare uno ch’era tenuto per morto.“ Vgl. Vasari, G.: Michelangelo Bonarroti Fiorentino, S. 920. Die zweite Stelle behandelt den Mose: Mose habe seinen Körper durch Michelangelos Hände für seine Auferstehung vorbereiten lassen: „(…) poiché tanto inanzi a gli altri ha voluto metter insieme e preparargli il corpo per la sua resurressione, per le mani di Michelagnolo“. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo Bonarroti Fiorentino, S. 924. In der Ausgabe von 1568 übernimmt Vasari diesen Inhalt. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 67. Es ist anzunehmen, dass sich Varchi an Vasaris Ansatz orientierte. 62 Davis, C.: Orazione, S. 26. „(…) che Roma harà maggior cagione d’invidiare Firenze, che Firenze di portare invidia à Roma“. Vgl. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 118. 63 Davis, C.: Orazione, S. 28. „e tanto indegnamente fu tribolato, e tempestato (…) morso, trafitto, e lacerato“. Vgl. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 118. 64 Wie bereits dargestellt, errechnete Rab Hatfield eine Summe von 11872 oder 12169 Florin neben dem Haus am Macel de’ Corvi, die Michelangelo für das Grabmal bekam. Vgl. Hatfield, R.: The Wealth, S. 130. Michelangelos Ausgaben oder Aufwand lagen bei 4063 Florin, sodass er ca. zwei Drittel der Summe als Gewinn einstrich. Vgl. ebd., S. 138. Ob Varchi die Details über die sogenannte Tragödie bekannt waren, ist vermutlich zu verneinen. 65 Davis, C.: Orazione, S. 28. „le bozze nella Sculturas mostravavano, e mostrano la profondità, ed eccellenza dell’intelletto, e ingegno suo; e maggiore stima si faceva di loro, che dell’Altrui opere, quantunque perfette.“ Vgl. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 118–119. 66 Davis, C.: Orazione, S. 28–29. Vgl. Ilg, A.: Benedetto Varchi’s Leichenrede, S. 119–120. 67 Davis, C.: Orazione, S. 29. „Quattro figure piu che di naturale in un gruppo, ch’è un diposto di croce, fatto nella sua ultima vecchiezza à suo diletto; che tale erano i diporti di questo huomo nobile, e glorioso.“

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Michelangelos Exequien

Ohren blieb, war Varchis Konklusion über Michelangelos Großartigkeit als Bildhauer. 68 Aus Zeitgründen widmet Varchi im zweiten Teil seiner Rede der Architektur „la quale arte e non meno nobile“ eine kürzere Abhandlung. 69 Die Fabbrica di San Piero di Roma findet Erwähnung 70 neben der Neuen Sakristei, der Bibliothek und der dortigen Treppe. Der Redner könne aufzeigen, dass Michelangelo nicht nur die anderen Architekten, die Antiken oder die Modernen, die Griechenlands oder Latiums, verbesserte oder überflügelte, sondern die Architektur selbst. Selbst Vitruv würde, schrieb er denn neue Bücher, über diese engelhafte Architektur („angelica Architettura“) schreiben. Seine Trias, die Varchi mit der Malerei begann, lässt er enden, indem er Michelangelo zum überragenden Architekten erklärt. 71 Damit rundet er das Bild über den Meister ab, der unübertroffen bleibt und als ein zeitloser Künstler die Antike, alles Vergangene und Zeitgenössische übertraf. Nach einem kleinen Exkurs über Michelangelos Tätigkeit als Festungsbaumeister in Florenz 72 nimmt er den Faden der drei Künste Malerei, Bildhauerei und Architektur wieder auf, die Michelangelo gleichwertig beherrschte. 73 Genau in diese Linie stellt er die „ingegnosissima e honoratissima (…) Accademia del Disegno“, deren Ruhm und Reputation nicht nur in Europa, Afrika und Asien, sondern auch bis in die neue Welt reichten. Diese Konklusion begründet er im Vorfeld durch die Tatsache, dass die künstlerischen Qualitäten von Florenz so einzigartig seien, dass dies über die Accademia del Disegno in die Welt ging. 74 So feiert Varchi Florenz als die unangefochtene Königin der Kunst, nahezu als Welthauptstadt der Kunst. 75

1.1.1 Eloge auf Cosimo I. Neben der eigentlichen Hauptperson ist Varchi in der Rede darauf bedacht, seinen Dienstherrn und dessen Sohn mit einer Lobeshymne zu belegen. Die Zuhörer wieder einschließend, ruft er sie sowohl zur Vaterlandspreisung als auch zur Preisung desjenigen auf, dem nicht weniger Ehre gebühre: dem ausgezeichnetsten und weisesten Herzog Cosimo I., der in der Folge selbst zu einem guten und unsterblichen Gott erhoben wird. Er habe sich in Herrlichkeit und Sanftmut durch seine Höflichkeit und Menschlichkeit herabgelassen, um unter seinen Bürgern und Untertanen zu weilen und durch seine himmlische und göttliche Gegenwart diese Trauerfeierlichkeit für den himmlischen und göttlichen Mann zu beehren. 76 In maßloser Übertreibung werden das Vaterland (Patria) und der Herzog (Duca) verschränkt, quasi zu einer Personalunion vereinigt. Angestrebt wird eine zukünftige Assoziation zwischen den Größen, um bei den Zuhörern und den späteren Lesern das Bewusstsein zu wecken, dass das Vaterland mit einem nahezu göttlichen bzw. inkarnierten Mann und Herzog gesegnet ist, der in seiner unermesslichen Güte und unergründlichen und nimmer endenden Weisheit auf die Erde stieg. Einem Kabinettstück gleich hebt Varchi durch die Divinisierung Cosimos I. diesen in himmlische Sphären und schafft Augenhöhe zu dem göttlichen Michelangelo. Zwei Göttliche begegnen sich, sind fortan nicht mehr Künstler und Herzog, sondern gleichwertig. So fällt der Glanz des einen auf den anderen. Um die Beständigkeit dieses Ansatzes zu garantieren, webt Varchi den besonnensten und gerechtesten Sohn des Herzogs, den Prinzen von Siena, mit ein. 77 Der Fortbestand von Florenz wird unter diesen guten Sternen in Aussicht gestellt, nahezu

Davis, C.: Orazione, S. 30. „(…) MICHELAGNOLO solo essere stato verissimamente vero, e perfetissimamente, cosi statuario, come Scultore.“ Davis, C.: Orazione, S. 30. 70 Davis, C.: Orazione, S. 30. 71 Davis, C.: Orazione, S. 31. „Michelangelo solo essere stato verissimamente vero, e prefettissimamente perfetto Archittetore.“ Auch in diesem Kontext betont Varchi mit den gleichen Formulierungen, dass Michelangelo alle Architekten übertrifft, die von Antike bis in seine Zeit leben oder lebten. 72 Davis, C.: Orazione, S. 34. 73 Davis, C.: Orazione, S. 56. Pinsel, Meißel und Lot habe er gleichwertig benutzt. 74 Davis, C.: Orazione, S. 57–58. 75 Dieses Motiv nimmt das Libretto der Begräbnisfeier nochmals auf und postuliert, die Kunst habe in dieser Stadt immer schon geblüht, sodass Florenz die Hauptstadt der Kunst so wie Athen die Hauptstadt der Wissenschaft sei. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 73. 76 Davis, C.: Orazione, S. 58. „(…) dell’ottimo, e sapentissimo Duca COSIMO (…) ò Dio buono, e immortale (…) sua celeste, e divina presenza l’essequie di questo celeste, e divino huomo“. 77 Davis, C.: Orazione, S. 58. „(…) come al prudentissimo, e giustissimo suo Figliuolo Principe nostro e di Siena.“ 68

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Varchis Leichenrede

gesichert, da es eine herzogliche Sukzession gibt. Die nächste Verbindungslinie zieht Varchi zwischen dem Herzog und der Accademia del Disegno. Dieser habe die Künstlerakademie, diese talentierteste und höchst geehrte Schar und Schule des Disegno begünstigt. In seiner Konklusion intensiviert Varchi die Bedeutung Cosimos I. für die Künstlerakademie und nennt ihn „inventore und rinovatore“: Cosimo I., der Erfinder und Erneuerer der toskanischen Kunst, der in Weitsicht die richtigen Gruppen favorisiert und fördert. Der Glanz, die Göttlichkeit und die Kompetenz des Herzogs werden auf die Accademia projiziert und machen sie deshalb bedeutsam. Die Botschaft Varchis ist unüberhörbar: Ausgangspunkt, Macher, Entdecker und Förderer ist und bleibt Cosimo I. 78 Durch den immerwährenden Bezug auf den Herzog suggeriert Varchi dessen Anwesenheit, was de facto nicht der Fall war. Es lag aber in der Intention des Redners, die enge Verbindung zwischen ihm, dem berühmten Verstorbenen und der Künstlerakademie herzustellen. Diese Verbundenheit versucht er nicht zuletzt durch die Behauptung zu belegen, Cosimo I. habe Michelangelos Leichnam nach Florenz zurücktransportieren lassen 79, womit suggeriert wird, dass der Herzog für die Heimholung des großen Sohnes sorgte. Im weiteren Verlauf dieser Passage lässt Varchi noch eine Episode einfließen, die so in Grundzügen stattfand, Aufschluss über Cosimos I. Umgang mit dem Zeremoniell gibt und Michelangelo in den Rang eines Aristokraten hebt. Es wird geschildert, dass Cosimo I. Michelangelo in Rom ehrte, indem er ihn besuchte und ihm gewährte, in seiner Gegenwart den Hut auf dem Haupt zu lassen, was Michelangelo ablehnte. 80 Die Ablehnung dieser Gunst könnte damit erklärt werden, dass Michelangelo bewusst die Huld des Herzogs ablehnte, da er anderer politischer Couleur war. Er wollte sich nicht mit ihm auf eine Stufe begeben oder sich huldvoll auf Augenhöhe bitten las-

sen. Der Künstler ist Cosimo I. nie entgegengekommen und bleibt sich bei dieser Episode selbst treu. Eine andere Erklärung wäre, dass Varchi ihn als bescheiden darstellen wollte, da er aufgrund seines höfischen Wissens so höflich ist, der Huld des Herzogs nicht nachzukommen. Die Gründe für das Absetzen des Hutes in dieser Szene unterliegen der Spekulation. Es muss den Redner jedoch etwas dazu bewogen haben, dieses eigentlich nebensächliche Ereignis im Leben eines Michelangelos zu thematisieren. Jedenfalls bleibt es in verschiedene Richtungen auslegbar, was vermutlich intendiert war. Letztlich war dadurch ein Interpretationsspielraum eröffnet, der auch die Deutung zuließ, dass Michelangelo den Herzog ablehnte. Um der Rede gegen Ende den Aspekt der Unwiederbringlichkeit Michelangelos und den Aspekt des schweren Verlustes für die Welt zu reduzieren, schlussfolgert der Rhetor nahezu theologisch, um eine Art „Verklärung“ zu insistieren: „Michelangelo haver conseguito mediante la morte l’ultima perfezione, l’ultima felicità, e l’ultima beatitudine sua.“ 81 Damit ist er unangefochten, unübertroffen und für immer in die himmlischen Sphären empor gefahren, in denen Varchi den großen Meister visionsartig sieht, und zwar Michelangelos heiligste Seele im hellsten Teil des Himmels, der ein Leben unter Engeln beschieden sei. 82 Dadurch lässt er ihn jetzt, wo sich Michelangelo in himmlischen Gefilden befindet, zum Fürsprecher werden, kanonisiert ihn und ruft ihn quasi an. Michelangelo solle auch die Ehrung durch die Akademiker annehmen. Dieser kanonisierte Michelangelo habe nach Varchi, Cosimo I. wie einen Sohn geliebt, wie einen Vater verehrt, als Freund und schlussendlich als seinen höchsten Herren und Fürsten angesehen. 83 Mit dieser Passage überspannt der Star-Redner endgültig den Bogen, da Michelangelo alles andere tat, als Cosimo I. zu lieben oder gar zu ehren. Es wird sich um einen Versuch handeln, Michelangelos 30-jährige

Davis, C.: Orazione, S. 58. Vgl. Veen, H. v.: op. cit., S. 179. Davis, C.: Orazione, S. 45. Wie bereits dargestellt, sorgte Leonardo Buonarroti für den Rücktransport des Oheims nach Florenz. 80 Davis, C.: Orazione, S. 45–46 In dem Kontext der Ablehnung gebraucht Varchi das Adjektiv (S. 46) „ostinamente“, das mit „stur“ oder „halsstarrig“ zu übersetzen wäre. 81 Davis, C.: Orazione, S. 62. 82 Davis, C.: Orazione, S. 62. Natalie Tomas arbeitet in ihrem Aufsatz heraus, dass Maria Salviati de’ Medici durch Varchi eine unsterbliche Göttin und Bürgerin des Paradieses geworden sei. Vgl. Tomas, Natalie: Commemorating a Mortal Goddess: Maria Salviati de’ Medici and the cultural politics of Duke Cosimo I, S. 274. Maria Salviati de’ Medici, die Mutter Cosimos I., starb am 12. Dezember 1543 und wurde von dem dazu beauftragten Varchi mit einer Leichenrede geehrt. Vgl. ebd., S. 261–262. Die Rede wurde am 16. Dezember 1543 in der Accademia Fiorentina und bei Beisetzung der Herzogsmutter präsentiert. Vgl. ebd., S. 272. 83 Davis, C.: Orazione, S. 62–63. 78

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Michelangelos Exequien

Abwesenheit von Florenz in ein anderes Licht zu setzen, da man diese Inhalte – Ehrung und Akzeptanz Cosimos I. – auch aus der Entfernung vollziehen konnte. Der Abwesenheit des Künstlers von Florenz wird so die Spitze gegen Cosimo I. genommen. Es ist nahezu verwegen von Varchi, dass er Michelangelo kanonisiert und ihn ohne Fegefeuer und Jüngstes Gericht direkt in den Himmel emporhebt. Um die Mission endgültig zu erfüllen, lässt Varchi seine Rede – erwartungsgemäß – mit einer langen litaneiartigen und maßlos übertriebenen Lobeshymne über die Bedeutung der Accademia del Disegno und vor allem des Herzogs von Florenz, den auch einen „spirito divino“, „Padrone“, „Signor Principe“ und „Duca“ nennt, enden. 84

1.1.2 Varchis Intention Auf dem Hintergrund seines Bewusstseins für den Auftraggeber, für den Anlass und für die Adressaten wird Varchi mit seiner Rede eine bestimmte Intention verfolgt und ihrer Konzeption besondere Aufmerksamkeit geschenkt haben. Giovanni Papini unterstellt ihm die feste Überzeugung, ein Meisterwerk verfasst zu haben, dem es nicht an der Beherrschung des Ausdrucks mangele, versehen mit einer gewissen erzählerischen Begabung, dem man aber auch eine akademische Schwerfälligkeit attestieren müsse. 85 Dieses Urteil, das in der Folge von Giovanni Papinis Ausführungen noch schärfer ausfällt, ist vermutlich damit begründbar, dass Varchi die Trias Michelangelo, Cosimo I. und die Künstlerakademie in Einklang bringen musste. Ein rhetorisches „Meisterwerk“ unter Gesinnungskontrolle zu verfassen, stellte eine Herausforderung dar, wobei die Individualität bzw. die Befindlichkeit des Rhetors zu beachten ist. Praktisches Ziel dieser Rede war auf den ersten Blick die Würdigung Michelangelos, dessen Schaffen unter einem göttlichen Stern stand und ein anerkanntes künstlerisches Großwerk hinterließ. An der Einzigartigkeit, unangefochtenen Position und Bedeutsamkeit Michelangelos, speziell in den drei Kunstdisziplinen, ließ Varchi keinen Zweifel. Die Außergewöhnlichkeit eines Michel-

angelo unterstreicht der Redner im Sinne der Accademia und verlinkt sie miteinander. Die Verbindung Michelangelo-Accademia bettet er in den Kontext der Medici-Herrschaft ein, die überhaupt erst alles durch kontinuierliche Förderung möglich machte. Er arbeitet dabei konsequent die Bedeutung der Familie Medici im Leben eines Michelangelo heraus. Ein prachtvoller Medici wird zum Entdecker des Jahrhunderttalents, das später von dessen päpstlichen Nachfolgern (Leo X. und Clemens VII.) mit wichtigen Aufträgen betraut wurde. In diesem Kontext rückt Florenz im besonderen Maße in den Fokus, wird als Zentrum der Renaissance und der Kunst gefeiert, wobei im Vergleich die römischen Großwerke zwar genannt, aber weniger goutiert werden. Überhaupt wird Rom als die Unterlegene dargestellt, die Florenz in jeder Hinsicht um ihre Vormachtstellung beneidet, womit der Brückenschlag zum regierenden Cosimo I. geleistet wird, der mit Florenz untrennbar verbunden ist und zum Vollender aller bisherigen künstlerischen Ambitionen werden kann, indem er sie zur Staatskunst erhebt. Auch wenn die Stoßrichtung der Rede auf die Würdigung Michelangelos abzielte, ist es deutlich, dass Varchis Augenmerk auch auf Cosimo I. lag. Die Inhalte zu Cosimo I. nehmen zum Teil übertriebene bis groteske Züge an. Der Herzog wird divinisiert, als Erneuerer, würdiger Nachkomme der Medici, Inszenator und Stifter dieser Exequien gefeiert. Insofern kann hier auch in Teilen gelten, was Natalie Tomas für die Salviati-Rede von 1543 feststellt. Diese Rede sei primär als Vehikel für den Lobpreis des Herzogs entworfen worden. 86 In Kombination mit Cosimo I. vergisst Varchi weder die Accademia del Disegno noch deren Vorsteher Borghini, dem der Druck gewidmet ist. Vasari revanchiert sich für diese Rede, indem er Varchi lobend in Michelangelos Biographie erwähnt und diesem quasi posthum gratuliert, von Varchi mit dieser Rede bedacht worden zu sein. 87 Benedetto Varchi ging es mit Sicherheit neben dem Abliefern einer überzeugenden und unvergesslichen Rede um das persönliche Schaulaufen und Pirouettendrehen. Er scheute sich dabei nicht, Mi-

Davis, C.: Orazione, S. 63. Papini, G.: Michelangiolo, S. 690. 86 Tomas, N.: op. cit., S. 272. 87 Vasari, G.: Michelangelo, S. 240. „Ebenso darf man es als ein großes Glück für ihn (Michelangelo) werten, dass er früher als Varchi aus diesem ins ewige glückselige Leben hinüberging, denn er hätte von keinem Mann mit größerer Beredsamkeit und Gelehrsamkeit geehrt werden können.“ 84 85

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Nachwirkung der Exequien

chelangelo zum Vehikel seiner Eitelkeiten zu machen, indem er seine rhetorischen Fähigkeiten unter Beweis und die Zuhörer inhaltlich wie zeitlich vor eine Herausforderung stellte. Entsprechend fällt Giovanni Papini sein bissiges Urteil, indem er diese Rede als „eine Blütenlese schranzenhafter Komplimente und begeisterter Redensarten voll abgeschmackter Superlative“ nennt. 88 Eine Sintflut lobhudelnder Redensarten, ein Wasserfall pompöser und nichtssagender Worte gehe hier in diesem Meisterwerk amtlich akademischer Rhetorik nieder. 89 Amtlich akademische Rhetorik ist eine Formulierung, die Varchis Ausrichtung trifft: „Wessen Brot ich ess, dessen Lied ich sing.“ Warum Varchi so agierte, muss spekulativ bleiben. Er stand nach seiner Rückkehr, nach seiner gnadenhaften Wiederaufnahme in Cosimos I. Schuld. Womöglich war die Rede auch ein Anknüpfungsversuch an die Leichenrede für Maria Salviati de’ Medici, der Mutter des Herzogs. Andererseits sind die massiven Übertreibungen so offensichtlich, dass Varchi eine Art der Ironie unterstellt werden kann. Offiziell hätte Cosimo I. seinem Star-Redner keinen Vorwurf machen können, da die Rede „voll“ des Lobes für ihn ist. Aber eine Übertreibung muss immer misstrauisch machen, da sie im positiven Übermaß genau

das Gegenteil bedeuten kann. Aus diesem Grund muten viele Redepassagen nahezu manieristisch an. Vielleicht war diese gekünstelte Darstellung auch der Versuch Varchis, seinen Gesichtsverlust, den er vor sich selbst erlitten hatte, zu glätten. Er ging nicht ins endgültige Exil wie viele andere Florentiner, sondern wählte bei Cosimo I. den Weg des zu Kreuze-Kriechens. Ein im Fegefeuer der Eitelkeiten sitzender Mensch muss vor sich selbst bestehen und es langfristig bei sich aushalten können. Damit ist der Gedanke nicht abwegig, dass diese Übertreibungen seiner persönlichen Katharsis dienten. Rab Hatfield bestätigt im Grunde diesen Winkelzug Varchis, bewertet ihn aber anders: Varchi habe der Versuchung der Übertreibung nicht widerstehen können und sei ihr erlegen, wie es anderen Renaissancerednern auch ergangen sei. 90 Bei dieser Versuchung, wie Rab Hatfield sie nennt, vergaß der Rhetor bei all seinen Bemühungen den Verblichenen. Ihm hätte diese Rede vermutlich nicht erfreut, selbst bei seiner Vorliebe für Übertreibungen, wie sie seinem Briefwerk zu entnehmen ist. Vermutlich kommt Giovanni Papini deshalb zu seinem abschließenden Urteil, Varchi sei der wunderbaren Künstlerpersönlichkeit nicht gerecht geworden. 91

15.2 Nachwirkung der Exequien Um aber einem Künstler gerecht zu werden, bedarf es der Übernahme dessen Blickwinkels, eines unverstellten Einschätzungsvermögens und uneigennützigen Interesses, das nicht von Egoismen geleitet ist. Diese Egoismen scheinen im Hinblick auf die Exequien auf verschiedenen Ebenen vorzuliegen und weisen eindeutig darauf hin, dass es eben nicht um Michelangelo ging, sondern er nur Mittel zum Zweck war. Aus diesem Empfinden leitet Giovanni Papini ein weiteres Urteil über die Exequien ab: Er

spricht von der Ausbeutung des Toten durch die Accademia, da sie von Menschen von Mittelmäßigkeit und Eitelkeit geleitet wurden. 92 Er bemängelt weiter, dass die mondäne Feier zwar in Anwesenheit von Menschen stattfand, die Michelangelos Ruhm anerkannten, aber weder dessen Ruhm und Größe begriffen. 93 Es ging den Ausführenden um ihre Egoismen, geleitet von dem Ziel, sich selbst und nicht dem Toten eine Bühne zu schaffen. Das Dekorationsprogramm in San Lorenzo ist im Grunde mit

Papini, G.: Michelangiolo, S. 690. Papini, G.: Michelangiolo, S. 690. 90 Hatfield, R.: The Wealth, S. 186–187. Rab Hatfield bettet diese Aussage in den Kontext der Rede ein, indem Varchi eine Antwort auf den Geizvorwurf gegen Michelangelo geben möchte. Vgl. Davis, C.: Orazione, S. 35–36. Nach Varchi habe Michelangelo seinem Neffen nur 10 000 Golddukaten hinterlassen, was Rab Hatfield ironisch mit „poor Lionardo“ kommentiert. Hatfield, R.: The Wealth, S. 186. Nach Varchi hätte Michelangelo noch mehr Geld verdienen können, wenn er mehr Werke verkauft hätte, was Rab Hatfield ebenfalls widerlegt, da Michelangelo weder Unfertiges noch nicht In-Auftrag-Gegebenes verkaufte. Vgl. ebd., S. 187. 91 Papini, G.: Michelangiolo, S. 690. 92 Papini, G.: Michelangiolo, S. 688. Charles de Tolnay bewertet die Exequien als inadäquat. Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo: Sculptor, Painter, Architect, S. 17. 93 Papini, G.: Michelangiolo, S. 689. Der Autor geht sogar so weit, dass nach ihm vor dem Katafalk aufgeblasene Senatoren der Kunst saßen. 88

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Michelangelos Exequien

einer Bühnendarstellung vergleichbar, das durch verschiedene Schaustücke und vor allem mit dem Schlüsselelement Katafalk dem Ziel der Selbstverherrlichung der Accademia bzw. deren Repräsentanten dienen sollte. Ausgehend von der Darstellung in John Addington Symonds Michelangelo-Biographie, der den aus Stuck, Holzarbeiten, Putz und vergänglichem Material bestehenden Katafalk als für die Vergänglichkeit vorgesehen umschreibt 94, lässt sich der Gedanke anschließen, dass der Katafalk nur dem schönen Schein dienen sollte. Er wird somit als eine Art Symbol für die ganze Veranstaltung. Aus Gründen des Scheins, vordergründig will man dem größten Künstler aller Zeiten huldigen, wird dieses vergängliche Instrument geschaffen, um es am Ende zu zerlegen und zu verkaufen, womit kein sichtbares Andenken mehr bleibt. 95 Hermann-Walther Frey ordnet von daher nicht unberechtigt die Gesamtleistung des Katafalks als unbedeutend ein. 96 Giovanni Papini fällt auch hier wieder ein schärferes Urteil, indem er von einem aufgetakelten und albernen Katafalk spricht. 97 Hingegen beurteilten die anwesenden Vertreter der Künstlerakademie ihre Leistung völlig anders, was dem ausführlichen Bericht Vasaris an Cosimo I. vom 14. Juli 1564 zu entnehmen ist. Ihm war es wichtig, die frischen Eindrücke und Emotionen von der Trauerfeier seinem Dienstherrn, der sich zur Jagd in Cafaggiuolo aufhielt, mitzuteilen. 98

1.2.1 Vasaris Nachlese Vasari stellt die Exequien als vollen Erfolg dar und offenbart seine Sicht auf die Veranstaltung und de-

ren Dekoration in San Lorenzo. Die Feier sei zur Genugtuung der Bevölkerung und in Anwesenheit von Menschen hohen Ranges und Fremden in der gefüllten Basilika begangen worden. Es sei eine wunderbare Sache gewesen 99, die in Ruhe und Ordnung abgelaufen sei. Im Folgenden schließt er die Darstellung der Gäste und deren Sitzordnung an, wobei die hochrangigen Gäste mittige Plätze gegenüber der Kanzel erhielten. Als Ehrendeputierte erwähnt Vasari namentlich sich selbst, Bronzino und Bartolomeo Ammanati. Dreh- und Angelpunkt war Vincenzo Borghini, neben dem Leonardo Buonarroti platziert wurde. Beide waren von den Mitgliedern der Akademie umgeben. Vasari spricht von 80 anwesenden Malern und Bildhauern, was es zuvor so noch nicht gegeben hätte. 100 Im ersten Teil stellt er die positive Wirkung der Exequien dar und versucht dies durch die Anwesenden zu belegen. Teilnehmer waren hochrangige Menschen und zahlreiche Künstler nebst Nachwuchs. In der Folge beschreibt er die Dekoration in der Basilika, beginnend mit der unbeschreiblichen und majestätischen Wirkung des Katafalks, dessen Statuen, auf die die jungen Künstler so stolz gewesen seien, perfekt an ihrem Platz gepasst hätten. Bedauern lässt er darüber einfließen, dass die Statuen eben nicht für die Ewigkeit geschaffen seien. Als Nächstes erwähnt er die sieben Historien und den Epitaph am Katafalk mit dem pyramidalen Aufbau, dessen Spitze die Fama bilde. 101 In der Folge wird eine Beschreibung der großformatigen Bilder in der Kirche geliefert, die die Lebensleistung und Begegnungen Michelangelo mit den Großen seiner Zeit zeigen, wobei das Zusammentreffen des Künstlers mit Cosimo I.

Symonds, J. A.: The Life of Michelangelo Buonarroti, S. 295. Giovanni Papini vertritt für die Gesamtfeier einen ähnlichen Ansatz, da er die Trauerfeier, versehen mit barockem Gepränge von Ton, Gips, Farben und Worten, die dem Wesen Michelangelos nicht entsprochen hätten, demgemäß einordnet. Vgl. Papini, G.: Michelangiolo, S. 691. 95 Die Dekoration musste zur Erinnerungsfeier für Kaiser Ferdinand am 21. August 1564 abgebaut werden. Der Katafalk wurde zerlegt, dessen Holz verkauft, um damit Schulden über die Dekoration zu begleichen. Die Bilder und Skulpturen versuchte man zu erhalten, indem man sie zunächst in einem großen Raum in San Lorenzo gegen eine kleine Miete lagerte. Nach zweijähriger Lagerung dort wurde der Raum anderweitig gebraucht. Die Skulpturen zeigten neben Schmutz Auflösungserscheinungen. Eine Skulptur bekam Agnolo Guicciardini, Borghinis Nachfolger als Statthalter der Akademie, und eine der Amtsleiter. Die restlichen Skulpturen wurden entsorgt. Einige Bilder wurden zum geringen Preis verkauft, andere waren bis 1571 unverkauft. Die Tücher hingen entlang der Wand des Refektoriums des Waisenhauses. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 26–27. 96 Frey, H.-W.: Nachlass, S. 44. 97 Papini, G.: Michelangiolo, S. 689. 98 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLIII, S. 86–88. Caffaggiuolo lag an der alten Straße nach Bologna im Val di Sieve, war Mediceischer Besitz mit einem von Cosimo angelegten Jadgpark (Vgl. ebd., Anmerkung 8, S. 88). 99 „(…) che era cosa di maraviglia“. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLIII, S. 86. 100 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLIII, S. 86–88. Vgl. Steinmann, E.: Die Porträtdarstellungen des Michelangelo, S. 70. Vasari vergisst nicht zu erwähnen, dass Cellini und San Gallo der Feier ferngeblieben seien. Daneben erwähnt er 25 Knaben, die das Zeichnen lernen sollten und ebenfalls anwesend waren. 101 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLIII, S. 86–88. Vgl. Steinmann, E.: Die Porträtdarstellungen des Michelangelo, S. 70. 94

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Nachwirkung der Exequien

besondere Erwähnung erfährt. Abschließend erklärt der Schreiber mit Stolz, dass sich die Künstler der Bilder selbst übertroffen hätten. 102 Vasari wollte Cosimo I. besondere Bedeutung verleihen, indem er das Bild, das ihn mit Michelangelo zeigt, ausdrücklich hervorhebt. Am Ende dieser Passage unterstreicht er wiederholt die herausragende Arbeit der Maler. Von den Bildern wechselt er zu den nächsten Dekorationspunkten, der Allegorie des Todes und dem Zeichen Michelangelos, die ineinander verschlungenen Girlanden, die die Vollendung der Kunst des Verblichenen offenbaren. Die Allegorie des Todes habe eine Lilie mit drei Blüten, die die drei Künste symbolisieren sollen. Der Tod trauere darüber, dass er gemäß der Natur handeln müsse. 103 Vasari bzw. die Accademia schien etwas mit dem Tod Michelangelos zu hadern, indem er dem Tod quasi Trauer unterstellt. Hier kann jedoch auch eine Übertreibung vorliegen, um den berühmten Toten nochmals aufzuwerten. Diese Passage erinnert etwas an das Epitaph Raffaels von Pietro Bembo. 104 Die Natur wird als regierendes Element ins Spiel gebracht, die bei Raffaels Tod selbst meint sterben zu müssen und in Michelangelos Fall dem Tod quasi befiehlt, sein Werk zu tun, worüber er selbst trauert. Über die feierliche Messe kommt der Schreiber zu der Rede Varchis, die er aber nicht weiter expliziere, da Cosimo I. sie schon gehört habe. 105 Vasari betont noch einmal, dass diese Feier den Ruhm Michelangelos nicht nur gesteigert, sondern auch bei den Anwesenden die Sehnsucht geweckt habe, einen ähnlichen Ruhm zu verdienen. Nach weiteren Ausführungen gibt Vasari Cosimo I. quasi die Zusage, die Dekoration so lange zu erhalten, bis er sie selbst gesehen habe. 106 Es war zweifelsfrei Vasaris Intention, Cosimo I. von der Bedeutsamkeit und dem Gelingen der Veranstaltung als Gesamtensemble zu überzeugen, da es an den Gelenkstellen des Briefes immer wieder positive

Wertungen gibt. Hermann-Walther Frey hingegen ordnet den Brief als allgemein und zusammenfassend gehalten ein, was wohl dem eiligen Verfassen geschuldet war. Darüber hinaus stellt er fest, dass der Brief Kenntnis des Librettos verriet 107, das entweder wenige Tage oder Wochen nach den Exequien veröffentlich wurde. 108 Doch anders, als Hermann-Walther Frey behauptet, ist die Darstellung keineswegs allgemein, vielmehr ist sie zum Teil sehr präzise und immer wieder mit der Betonung der Außergewöhnlichkeit der Veranstaltung und dem Lob für die Arbeit der Künstler versehen. Die philosophischen Ausführungen Vasaris über den Tod und die Ewigkeit sind ebenfalls ein Indiz dafür, dass der Bereich des Allgemeinen verlassen wurde. Gegen Hermann-Walther Freys Annahme spricht auch die offizielle Reaktion des Palastes: Die Antwort von Bartolommeo Concino, der im Namen des Herzogs den Bericht am 16. Juli 1564 beantwortet, fällt eindeutig aus und verrät, dass dieser Bericht nicht durchweg positiv beurteilt wurde. Concino weist Vasari darauf hin, er möge nicht hochmütig werden, auch wenn ihm der Ruhm gehöre. Er möge fröhlich leben und sich sicher sein, dass ihm die um die Kunst konkurrierenden jungen Männer Ehre und Unsterblichkeit gebracht hätten, sodass ihm selbst im Himmel die sanfte Begleitung Michelangelos zuteilwerde. 109 Bartolommeo Concino wollte Vasari auf den Boden der Tatsachen holen, da der Wortlaut und Inhalt alles andere schmeichelhaft waren. Der Bericht muss auf ihn eher übertrieben gewirkt haben. Ob die Aussicht der Begleitung eines Michelangelos in den himmlischen Sphären sarkastisch gemeint ist, muss offenbleiben. Vasari scheint es anders aufgefasst zu haben, versieht er den Brief mit einer Notiz, dass sich Concino auf Geheiß des Herzogs zu den Exequien geäußert habe. Nach Hermann-Walther Frey drückt Vasari so seinen Stolz und Befriedigung über die gelungene Veranstaltung

Frey, H.-W.: Nachlass, S. 86–88. Steinmann, E.: Die Porträtdarstellungen des Michelangelo, S. 71. Frey, H.-W.: Nachlass, S. 86–88. Steinmann, E.: Die Porträtdarstellungen des Michelangelo, S. 71. 104 Der letzte Teil des Epitaphs lautet: „Dies ist Raffael, durch den selbst Mutter Natur gefürchtet hatte, besiegt zu werden; als er starb, hatte sie geglaubt, sterben zu müssen.“ Vgl. Vasari, G.: Das Leben des Raffael, S. 86. 105 „la quale avendola Vostra Eccellenza Illustrissima udita“. 106 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLIII, S. 86–88. Steinmann, E.: Die Porträtdarstellungen des Michelangelo, S. 71. 107 Frey, H.-W.: Nachlass, Punkt 5, S. 88. 108 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 31. Das genaue Datum der Publizierung ist nicht zu ermitteln. Siehe auch Anmerkung 53. 109 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLIV, S. 89. „Non insuperbite, se ben la gloria è tutta uostra, mà uiuete lieto, douendo esser sicuro, che questi giouanetti, che si virtuosamente fanno à gara, u’honoranno et immortaleranno, acciò teniate cielo al Bonarroti la medesima dolce compagnia che gl’hauete tenuta infra li morti.“ Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 25. 102 103

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aus. 110 Entweder scheint die Bemerkung Concinos Vasari wirklich geschmeichelt zu haben oder er war nur auf der Jagd nach irgendeiner Reaktion vom Hof, die er vielleicht später verwenden konnte. Womöglich ging es Vasari auch nur darum, den Herzog in diese Angelegenheit zu involvieren und zu informieren, da er den Exequien ferngeblieben war.

1.2.2 Herzogliches Fernbleiben Das Fernbleiben des Herzogs vom Festakt war für die Organisatoren Vasari und Borghini vermutlich eine Überraschung. Der regierende Medici hatte sich schließlich in den Modus Procedendi der Exequien und des später folgenden Grabmals involvieren lassen. Als Hausherr von San Lorenzo scheint er die Entstehung der Trauerdekoration verfolgt zu haben, da Vasari darauf in seinem Brief vom 14. Juli 1564 Bezug nimmt. 111 Nach Rudolf und Margot Wittkower akzeptierten Cosimo I. und Francesco de’ Medici die Rolle, die ihnen durch die Organisatoren zugeschrieben 112 und die von Vasari und Borghini bei jeder sich bietenden Möglichkeit übertrieben wurde, da sie ein aktives Interesse an der Veranstaltung zeigen sollte. Bezogen auf die geplanten Exequien wurde Cosimo I. allerdings selbst nicht initiativ. 113 Borghini und Vasari ließen aber keine Gelegenheit aus, der Welt seine einmalige Bedeutung und seine Liebe zur Kunst zu präsentieren, um dabei zu betonen, dass er die ruhmvolle Patronage seiner Vorgänger übertrifft. Ihr überschwängliches Lob für die Freigiebigkeit ihres Dienstherrn brachte ihnen immerhin San Lorenzo, die Anfrage bei Benedetto Varchi und seine finanzielle Unterstützung ein. 114 Trotz allen Bemühens durch die Organisatoren ist das herzogliche Fernbleiben von den Exequien eine eindeutige Nachricht: Die Veranstaltung besaß nicht die Relevanz, die ihr die Organisatoren gerne ge-

geben hätten. Rudolf und Margot Wittkower begründeten das Fernbleiben Cosimos I. mit einer anderen Interessenlage. In dieser Zeit wickelte er die Herrschaftsübergabe an seinen Sohn Francesco ab, was am 1. Mai 1564 geschah. Zwei Jahre zuvor verlor er in rascher Folge zwischen August und Winter 1562 seine Frau und zwei Söhne. Neben den familiären Gründen benennen die Autoren die Unstimmigkeiten und Grabenkämpfe innerhalb der Accademia um die Gestaltung der Exequien Michelangelos als Zustand, der dem Herzog äußerst auf die Nerven fiel. 115 Kurz nach der Gründung der Accademia traten massive Unstimmigkeiten über den Aufnahme- und Wahlmodus auf, die Borghini an Cosimo I. herantrug. Sechs in der Accademia revoltierende Künstler nahmen ebenfalls Kontakt zu ihrem Oberhaupt auf, was mit der Marschrichtung beantwortet wurde, die Accademia solle keine Zeit für Unsinniges oder Geschwätz verlieren, man könne so nicht tätig sein, sondern löse eher einen Skandal aus. 116 Der Herzog verlangte, dass die Accademia ihre Arbeit fortsetzte und ihn nicht mit Unfug belästige. Ähnliche Unstimmigkeiten traten ein knappes Jahr später wieder auf, sodass es auf herzoglicher Seite ein Zuviel war. Vielleicht war das Fehlen bei den Feierlichkeiten auch ein Seitenhieb gegen die Initiatoren, denen der Herzog eine Lektion erteilen wollte, da man ihn nicht ungestraft monatelang auf eine Beisetzung warten lässt. Eine weitere mögliche Erklärung ist, dass Cosimo I. Michelangelo die letzte Ehre verweigerte, da der Künstler sie ihm seinserseits verweigert hatte, indem er nicht nach Florenz zurückkehrte. Vasari hält diesen Umstand für erwähnenswert, da er in der Vita Michelangelos schreibt: „Und Herzog Cosimo, der Michelangelo nicht lebend in seinen Dienst hatte stellen und ehren können, beschloss nach Erhalt der Nachricht (Michelangelos Tod), ihn nach Florenz überführen zu lassen und nicht eher zu ruhen,

Frey, H.-W.: Nachlass, S. 89. Siehe Anmerkung unter dem Brief CDLIV: „Concjno sopra lesequie di Michelagniolo, per ordine del Duca“. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 25. „Vasari proudly noted on the letter: ‚Concino – about Michelangelo’s obsequies – on Duke’s command.‘. 111 Frey, H.-W.: Nachlass, Punkt 6, S. 88. Nach Hermann-Walther Frey zeigt die Formulierung „ha fatto nel visitare“, dass der Herzog während der Arbeit die Trauerdekoration (mehrmals?) besuchte. 112 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 46. 113 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 17. 114 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 17. 115 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 18. 116 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 19. Die Autoren verweisen hier auf das Werk C. J. Cavalluccis „Notizie storiche intorno alla R. Accademia delle Arti del Disegno in Firenze“, Firenze 1873. Sie zitieren von den Seiten 45–49 passim aus drei Dokumenten (Dok I–III), von denen zwei aus der Feder Borghinis stammen. Siehe Cavallucci, C. J., S. 45–49. 110

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bis er ihn nach seinem Tod mit aller erdenklichen Pracht geehrt haben würde.“ 117 Der Biograph glättet wieder einmal die vergangenen Ereignisse und stellt Cosimo I. als großzügigen und devoten Fürsten dar, der den großen Sohn der Stadt ehrt. Die Handlungsweise des Herzogs geschah hingegen nicht aus karitativen Gründen. Wegen der Überwachung des Künstlers war er sehr wohl über den Gesundheitszustand Michelangelos informiert, war aber von dessen Ableben weder überrascht noch besonders erschüttert. Was ihn aber erschütterte, war die Tatsache, dass er nicht mehr an die Pläne der Fassade von San Lorenzo herankam, da Michelangelo wohl diese und weitere Zeichnungen verbrannt hatte. Vasari sah sich seinerseits dann genötigt, seinen Herrn zu besänftigen, indem er Leonardo vorschlug, dem Herzog eine Skulptur aus der Via Mozza zu überlassen. 118 Als weiteres Argument für das herzogliche Fernbleiben wäre noch zu nennen, dass die Exequien für ihn nicht mehr den Wert hatten, da sich sein Schwerpunkt verlagert hatte. Der regierende Medici hatte die Sprache und Kunst längst unter seine Kontrolle gebracht, womit ein großes Ziel erreicht war. Michelangelo sollte dafür ein Teil, zwar ein größerer Teil, aber eben nur ein Teil seines selbst entworfenen Mosaiks sein. Der Künstler gab ihm nicht das, was er verlangte, Rückkehr nach Florenz und Pläne, wohingegen der Herzog dann eben nicht den Exequien beiwohnte. Womöglich wollte sich Cosimo I. nicht in dieser Form präsentieren, da er in seinem Selbstverständnis qua Amt und Geburt über dem Verblichenen rangierte. Eine Teilnahme am Festakt wäre für ihn keine weitere sein Image unterstützende Maßnahme gewesen. Folgt man Antonio Forcellinos Ausführungen zu diesem Thema, wäre der Gedanke anschließbar, dass Cosimo I. dem Festakt fernblieb, da die Huldigung in Anwesenheit für ihn zu groß gewesen wäre. Der Herzog lässt sich quasi feiern, nimmt aber den Huldigungsakt selbst nicht entgegen und zeigt so

Understatement. Basierend auf der Tatsache, dass Cosimo I. den Aufbau der Dekoration im Vorfeld verfolgte und die Rede schon inoffiziell abgenommen hatte, wusste er, was auf den Exequien geschehen würde, und richtete sein Handeln danach aus. Antonio Forcellino kommt zu dem Schluss, dass eher Borghini den Tod Michelangelos als Darstellungsplattform für die Künstlerakademie und den regierenden Medici nutzen wollte, da er sich des Wertes eines Staatsbegräbnisses für Michelangelo bewusst war. Dabei ging es auch um den Imagegewinn für Cosimo I., der den Florentinern beweisen wollte, dass er ein guter Herrscher war. 119 Auf diesem Weg konnten die Exilanten ausgebootet werden, weil die herzogliche Propagandamaschinerie eines der verehrtesten Symbole der Toskana für ihre Zwecke benutzte: Michelangelo galt als wichtiges Symbol der republikanischen Gesinnung, wobei man sich deren Zerschlagung in Florenz nicht sicher war. 120 Auch wenn die endgültigen Motive für Cosimos I. Abwesenheit nicht bekannt und nur zu vermuten sind, ist es auch möglich, dass die Exequien dem Herzog schlicht nicht wichtig waren. Am Ende erreichten die Initiatoren ihre Ziele unter Ausnutzung des großen Meisters. Sie haben für den schönen Schein etwas geschaffen, das ihnen Lob und Anerkennung einbringen sollte. Die Deutungshoheit über die Veranstaltung wurde nicht zuletzt durch die Veröffentlichung des Librettos gesichert.

1.2.3 Corporate Identity? Auch wenn die Künstlerakademie bzw. deren Hauptvertreter ihr Ziel erreichten, wurden sie von Mitstreitern und späteren Zeitgenossen nicht unkritisch beurteilt. Das Fernbleiben Cellinis von den Exequien spricht eine deutliche Sprache. 121 Später bemerkt Giovanni Papini dazu, dass sich die Künstlerakademie aus Menschen zusammensetzte, die

Vasari, G.: Michelangelo, S. 214. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 12. 119 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 12–13. „Cosimo, der aufgeklärte Monarch, der die Tüchtigen belohnte, sie großzügig förderte und ihnen die verdiente Anerkennung zollte. Wie konnte man einem solchen Menschen vorwerfen, er sei ein Tyrann?“. 120 Forcellino, A.: Michelangelo, S. 13–14. In der englischen Version drückt Antonio Forcellino den Kontext drastischer, um nicht zu sagen, treffender aus: „Besides, Michelangelo was still the most important symbol of republican beliefs, and in Florence you could never be absolutely sure that the republican opposition had been entirely defeated.“ Vgl. Forcellino, A.: Michelangelo – A torment live, S. 7. 121 Vasari berichtete im Vorfeld der Exequien davon, dass Cellini sich unpässlich gefühlt habe und deshalb schon relativ früh aus der Planungsgruppe der Exequien ausgeschieden sei. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 222–223. Giovanni Papini bezweifelt dies und sieht in der späteren Abwesenheit und dem Fernbleiben bei den Exequien einen Hinweis auf Cellinis Abneigung gegen Vasari und gegen den veranstalteten Prunk. Vgl. Papini, G.: Michelangiolo, S. 691. 117

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„voller Mittelmäßigkeit und Eitelkeit“ waren; sie betrachteten „sich als unumschränkte Herren des toten Riesen und machten sich daran, seinen Ruhm zu ihren Gunsten auszubeuten.“ 122 Dieses Verhalten kann in der Tat als eine Ausbeutung, getarnt als Huldigung des Meisters, eingeordnet werden, die nach Giovanni Papini dem Künstler nicht gerecht wurde. 123 Was für die Ausbeutung Michelangelos spricht, ist die Tatsache, dass Michelangelos Exequien, die Dekoration in San Lorenzo, die Leichenrede von Varchi bei weitem das normale Maß einer Beisetzungsfeierlichkeit übertrafen, das anderen Künstlern im Vergleich dazu zuteil wurde. Karenedis Barzman führt dazu die Beisetzung des im November 1563 in Rom verstorbenen Francesco Salviati an, der sich ebenfalls wie Michelangelo viele Jahre nicht in Florenz aufhielt und keine bekannte Zugehörigkeit oder Anschluss an die Accademia besaß. Im Januar 1564 erhielt der Messner der Annunziata in Florenz durch die Künstlerakademie den Auftrag, ein Amt für den Verstorbenen zu lesen. Dazu gab es eine bescheidene Menge von Wachs für Gedenkkerzen mit unterschiedlichen Größen, die normalerweise nur für die Innendekoration der Kirche, der Künstlerkapelle und des angrenzenden Klosterkomplexes benutzt wurden. Mehr wurde für Salviati weder inszeniert noch investiert, was damit zu erklären ist, dass er eben kein überliefertes Interesse an der Accademia hatte. 124 Michelangelo ist Ähnliches zu bescheinigen, aber in seinem Fall ist die Wirkung der Vermarktung der Leiche in eigener Akademiesache eine hochgradig andere. Vasaris Konzept geht in letzter Konsequenz auf, da die Accademia del Disegno in den nächsten Jahren in Florenz sehr präsent ist. 125 Die genannten Elemente: das visuelle Erscheinungsbild, die Kommunikation und das Verhalten der Künstlerakademie sind deutlich belegbar, womit die frühe strategische Planung der Selbstdarstellung nicht von der Hand zu weisen wäre. Auch wenn sich diese

strategische Planung über Monate hinzog, galt es in der Abstimmung drei Ziele zu erreichen: Die besondere Würdigung Michelangelos, die Selbstdarstellung der Accademia und die Huldigung des Herzogs. Das Element des visuellen Erscheinungsbildes ist nicht zuletzt daran zu erkennen, dass die Accademia durch Riten in Erscheinung trat: Die feierliche Neugründung der Accademia mit Pontormo als Gründungsleiche, die regelmäßig in der Neuen Sakristei stattfindenden Treffen, die nächtliche und feierliche Überführung des Leichnams Michelangelos nach Santa Croce, die Umgestaltung von San Lorenzo in einen Ruhmestempel für den Verblichenen und das zeitweilige Verweilen der Dekoration in San Lorenzo. Vorläufiger Schlusspunkt dieser Aktion war die Gestaltung des Grabmals Michelangelos in Santa Croce, die ihrerseits 14 Jahre dauern sollte. Giorgio Vasari hatte mit seinem Engagement für die Künstlerakademie einen weiteren Erfolg zu verzeichnen, da viele junge Künstler diese Gründung als attraktiv für sich empfanden. Sie hatten Interesse an der Teilnahme, hofften auf Ruhm, Ehre und Aufträge. 126 Das spiegelte sich z. B. in dem geschlossenen Auftreten der Akademie-Mitglieder gerade in Michelangelos Fall wider. Die jungen Künstler arbeiteten an der Dekoration in San Lorenzo mit und traten als Akademie während der Exequien nahezu vollzählig an. Dieses geschlossene Auftreten hatte zwei Auswirkungen: Eine nach innen, dass sich diese Vereinigung als Gruppe, als etwas Bedeutsames, als Bewahrer der Tradition und Fackelträger der Kunst im Geiste Michelangelos erlebte. Marco Ruffini betont z. B., dass die Accademia diese Feierlichkeit benötigte, um die Solidarität (Kommunikation nach innen) zu verstärken. 127 Nach außen stellte die Künstlerakademie eine Formation dar, die nicht nur Kunst schuf, sondern die Großen ihrer Zeit ehrte und Florenz einen besonderen Glanz verlieh. Damit erfuhr die künstlerische Tradition auch ihre Bewahrung. Daneben

Papini, G.: Michelangiolo, S. 688. Papini, G.: Michelangiolo, S. 691. 124 Barzman, K.-e.: The Florentine Academy and the Early Modern State, S. 196. 125 Camillo Jacopo Cavallucci fasst in seiner „Notizie storiche intorno alla R. Accademia delle Arti del Disegni in Firenze“ die Gründe für den Ruhm der Accademia und dessen Auswirkung zusammen: „La fama che l’Accademia fiorentina del disegno erasi acquistata, in virtù della protezione del Duca Cosimo e delle ricche esequie fatte a Michelangiolo Buonarroti, invogliò anche gli aristi di altri parti d’Italia ad appartenervi.“ Vgl. ebd., S. 25. 126 Die jungen Künstler, die an der Dekoration mitarbeiteten, erreichten ihrerseits ihr Ziel, da sie große öffentliche Anerkennung erhielten. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 27. 127 Ruffini, M.: op. cit., S. 18. 122 123

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Nachwirkung der Exequien

galt es, die Kunst weiterhin als hoffähig zu präsentieren, als etwas von den üblichen Handwerkskünsten abzugrenzen, quasi zu sublimieren. Die Gruppe hatte, auch wenn sie unter Cosimos I. Gnaden agierte, etwas „Unpolitisches“ für die Florentiner. In der Kunst konnten sich alle finden. Die Kommunikation, die ebenfalls zur Corporate Identity gehört, wurde über die wichtigen Mitglieder der Accademia Vasari und Borghini geleistet. Vasari kontrollierte den Informationsfluss nach innen und außen und schuf so ein Gebilde, das seine Handschrift trug und letztlich auch dazu diente, Michelangelo für sich einzunehmen. Höhepunkt dieser Vereinnahmung war quasi die Kanonisierung Michelangelos. Die Kommunikation mit der Nach-

welt vollzog sich von dem Libretto über die Feierlichkeiten und die Leichenrede Varchis. Erweiterung fand diese Linie in den Künstlerviten Vasaris von 1568. Eine langfristige Auswirkung der Akademie war, dass die Künstler endgültig ihre vorakademische Stellung abgelegt hatten. Sie stiegen zu einer akzeptierten und beachteten Gruppierung auf, erfuhren eine gesellschaftliche Aufwertung und entledigten sich des weniger geachteten Rufs des Handwerks. Eine Ergänzung, ja Erweiterung der Exequien und neues Prestigeobjekt für die Accademia sollte auf Vasaris Anregung das Grabmonument Michelangelos werden.

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16 Das Grabmal in Santa Croce – eine Tragödie?

Die lange Zeitspanne (1564–1578), die die Planung und Erstellung des Grabmonuments nach sich zog, ist verschiedentlich begründbar. Hauptbeteiligte und Finanziers waren die Familie Buonarroti, der Florentiner Hof und die Künstlervereinigung. 1 Als der Wunsch Leonardo Buonarrotis für das Grabmal feststand, begann ein z. T. subtiles Agieren durch Vasari um den Grabmalentwurf und dessen ausführenden Künstlern. Im nächsten Schritt wurden die einzelnen Positionen verteilt, wobei es später zu Unstimmigkeiten kommen sollte, sodass eine Position ausgetauscht werden musste. Die einzelnen Künstler waren durch ihre Auftragsbindung an Cosimo I. nicht immer in der Lage, für das Grabmal zu arbeiten. Wider Erwarten war die Materialbeschaffung, die neben dem vorhandenen Marmor aus der Via Mozza 2 aus Carrara und Seravezza 3

stammte, zeitaufwendiger als geplant. Leonardo griff als Erbe und Finanzier berechtigt in die Planung ein, war dann unzufrieden, weigerte sich, einen Künstler zu bezahlen, landete mit ihm vor dem Magistrat, wurde schließlich zu einer Zahlung verurteilt, die er bis 1575 noch hinauszögerte. Die letzte Bezahlung erhält der Freskomaler Naldini im Jahr 1578. In Kurzform ist dem Supplement zu dem Leben des Michel Angelo Buonarroti von Girolamo Ticciati zu entnehmen, dass Leonardo seinem Onkel das Grabmal in Santa Croce stiftete, was auch der Inschrift zu entnehmen sei. 4 Den Marmor stellte Cosimo I. zur Vefügung; den Entwurf lieferte Giorgio Vasari. Die Figuren stammen von Valerio Cioli (Bildhauerei), Batista Lorenzi (Malerei) und Giovanni dell’Opera (Architektur). 5

16.1 Die Akteure Im Fokus dieser Betrachtung werden Leonardo Buonarroti als Haupterbe, Giorgio Vasari und Vincenzo Borghini als Vertreter der Accademia del Disegno, Cosimo I. und die römischen Künstler Daniele da Volterra, Jacopo del Duca und Leone Leoni stehen. Alle beteiligten Personen hatten unterschiedliche Motive: Ehrliches Interesse ist einzig den römischen Künstlern, Michelangelos Freunden, die die größte Nähe zu ihm und somit auch

die verlässlichste Kenntnis über ihn besaßen, zu attestieren. Sie wurden letztlich ausgebootet, da die Hauptentscheidungen in Florenz fielen, wo die römischen Künstler keinen Einfluss hatten. Die unterschiedlichen Motive und Ziele der Beteiligten sollen vorgestellt und gegeneinander abgewogen werden, wobei Michelangelo wie bei den Exequien nur Mittel zum Zweck ist. Vasari und Borghini wollten dieses Grabmal unbedingt zu Ehren der Ac-

1 Wazbinski, Z.: L’Accademia Mediceae del Disegno a Firenze nel Cinquencento, Bd. I, S. 164. Die Entstehung des Grabmals ist in diversen Werken dargestellt und durch reiche Korrespondenz belegbar: Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II., S. 528–532; Thode, H.: Ende der Renaissance Bd. I, S. 483–486; Barocchi, P.: Vasari, G.: La Vita di Michelangelo: Nelle redazioni del 1550 e del 1568 Bd. IV, Commento, S. 2222–2242; Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculptur, S. 366–389; Schütz-Rautenberg, G.: Künstlergrabmäler des 15. und 16. Jahrhunderts, S. 222–231; Cecchi, A.: L’Estremo omaggio al „Padre di tutte le arti“ – Il monumento funbre di Michelangelo, S. 57–82. Kallab, W.: Vasaristudien, S. 113–118. Kusch-Arnhold, B.: op. cit., S. 65–91. Weil-Garris Brandt, K.: Michelangelo’s Monument: An Introduction to an Architecture of Iconography, S. 29–41. 2 In der Via Mozza befand sich die Werkstatt Michelangelos, die ungefähr 200 Quadratmeter maß und in der er gleichzeitig an 20 Figuren arbeiten konnte. Ursprünglich war die Werkstatt vorgesehen, um am Julius-Grabmal zu arbeiten. Nach William Wallace sollen sich hier zeitweise bis zu 200 Marmorblöcke befunden haben. Die Werkstatt fällt samt Inhalt nach Michelangelos Tod an seinen Erben Leonardo. Das Erbe bestand u. a. aus den vier Boboli Sklaven, dem Sieg, Zeichnungen, Kartons, Modellen und persönlichen Habseligkeiten des Künstlers. Leonardos Sohn, Michelangelo der Jüngere, verkaufte die Werkstatt 1617. Vgl. Hatfield, R.: The Wealth, S. 78–82. 3 Seravezza war der Steinbruch, den Michelangelo in der zweiten Dekade des 16. Jahrhunderts erschloss. 4 „Michaeli Angelo Bonarotio e vetusta Simoniorum familia sculptori pictori et architecto fama omnibus notissimo. Leonardus patruo amantiss. et de se opimo merito translatis Roma eius ossibus atque in hoc templo maior. suor. sepulcro conditis cohortante sereniss. Cosmo. Med. Magno Hetruria duce.p.c. ann. Sal.CIC*IC*LXX vixit ann. LXXXVIII. m.XI.d.XV“. Vgl. Ticciati, G.: Supplement zu dem Leben des Michel Angelo Buonarroti, S. 103. 5 Ticciati, G.: op. cit., S. 103.

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Erste Weichenstellungen

cademia del Disegno errichten. Neben Vasaris großem Interesse an der Künstlerakademie ging es ihm um die Gunst des Herzogs, um seine Karriere und seinen Ruhm als Architekt und Hofkünstler. Er zog in dem gesamten Kontext geschickt die Fäden, agierte als durchtriebener Manipulator, wusste, wann er sich wie zu verhalten oder anzudienen hatte, rechnete aber nicht mit der „unbekannten Größe“ Leonardo, der das Grabmal ohne großen finanziellen Aufwand zur Ehre der Familie errichten wollte und sich im Laufe der Zeit nicht mehr so gängeln ließ. Leonardo entwickelte sich im Laufe dieses Prozesses zu einem unangenehmen Auftraggeber und Finanzier, der sich nicht scheute, aktiv einzugreifen oder Vasari bzw. dessen Künstlern Un-

gemach zu bereiten, da er mit dem Ablauf, der Verzögerung, der geleisteten Arbeit am Grabmal und der Diskussionen innerhalb der Accademia unzufrieden war. 6 Er veränderte das Grabmal nachhaltig durch Reduktionen, die auf finanziellen wie künstlerischen Gründen fußten. 7 Der Herzog der Toskana spielte eher eine untergeordnete, aber dennoch eine zu beachtende Rolle, wobei er zum Leid der Familie Buonarroti nicht durch weitere finanzielle Unterstützung herausragte. 8 Leidtragender in dieser Angelegenheit waren u. a. Daniele da Volterra, da man ihm den Entwurf des Grabmals entzog, und Michelangelo höchst selbst, da das Grabmal ihm nicht einmal ansatzweise gerecht wird.

16.2 Erste Weichenstellungen Die lange Vorbereitungszeit für die Leichenfeier im Juli 1564 ließ die Planung des Grabmals zunächst in den Hintergrund treten. Es wurde aber bereits früh in der Korrespondenz thematisiert, als sich Leonardo noch zur Nachlassreglung in Rom befand. An drei Briefen Vasaris vom März 1564 sollen die Bemühungen um das Grabmal illustriert werden. In einer Art Kondolenzschreiben Vasaris an Leonardo vom 4. März 1564 stellt er den Tod Michelangelos als schweren Verlust dar, führt aber im Weiteren aus, dass der Besitz der sterblichen Überreste für Florenz die Möglichkeit biete, sein Andenken zu seiner eigenen Ehre zu bewahren. Deshalb wolle der Herzog Michelangelo mit einer Statue im Dom

von Florenz ehren. Vasari spricht die Empfehlung aus, dass sich Leonardo an Cosimo I. wende, um den Verlust Michelangelos zu beklagen, sich dem Herzog gegenüber als loyal zu zeigen und ihm, da Michelangelo nichts weiter hinterlassen habe, komplett die Marmi in der Via Mozza 9 zu überlassen. Darüber hinaus bietet Vasari Leonardo an, den bisher nicht verfassten Brief an den Herzog gemeinsam mit seinem Brief weiterzuleiten. Schließlich versichert er ihm, dass die Liebe, die er bisher zwischen Michelangelo und Leonardo geteilte habe, nun ihm allein gehöre. Weiterer Inhalt des Briefes ist die Planung der Exequien. 10 Der Schreiber wusste zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass in Rom

Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 164–165. Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 165. 8 Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 164. 9 Bei den Marmi handelte es sich neben den vier unfertigen Boboli Sklaven vor allem um den Sieg. Vgl. Hatfield, R.: The Wealth, S. 82. Der Sieg (2,61 m) war ursprünglich als Nischenfigur für das Julius-Grabmal vorgesehen. Die aus apuanischem Marmor gearbeitete Figur zeigt einen sich drehenden schlanken Jüngling, der einen gerüsteten Mann mit dem Knie zu Boden drückt. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 229. Der Arbeitsbeginn liegt nach Cristina Acidini Luchinat im Jahr 1530. 1534 endet die Arbeit an dem Werk, da Michelangelo Florenz verlässt, womit die Skulptur im Non-finito verbleibt. Vgl. ebd., S. 234. Nach Frederick Hartt ist der Sieg eine der durchdringendsten und meist geschätzten Figuren Michelangelos. Vgl. Harrt, F.: Michelangelo – The Complete Sculpture, S. 266. Weitere Betrachtungen zum Sieg sind z. B. zu finden in: Tolnay, C. d.: Michelangelo IV, S. 110–115. Weinberger, M.: op. cit., S. 254–269. Justi, C.: Michelangelo – Neue Beiträge zur Erklärung seiner Werke, S. 285–298. Goldscheider, L.: Michelangelo – Paintings – Sculpture – Architecture, S. 18. Ludwig Goldscheider liefert einen kurzen Überblick über verschiedene Forschungsansätze. 10 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXI, S. 28–30. Vgl. Milanesi, G.: Le Lettere di Michelangelo Buonarrotti, Bd. VIII, Brief CXXIII, S. 375. „(…) che la Signoria Vostra scrivessi una lettera a Sua Eccellenza Illustrissima, dolendovi della perdita che ha fatto la città e Sua Eccellenza Illustrissima in questa morte, e che non avendo lassato né disegni, né cartoni, né modegli, come ho visto che scrivete, vi dogliate, perché avevi disegniato fargniene parte. Ma poi che se n’è ito, e non avendo lassato se non voi, che in fede et in servitù sarete il medesimo che vostro zio, e che poi di qua non è se non le cose di via Mozza, che quelle saranno, se gli piaceranno, sue, pregandolo, che e’ non manchi aver la medesima protezione a voi vivo, che aveva a Michelagniolo inanzi che fussi passato a l’altra vita; e con poche parole vorrei visitallo, che so io che vi gioverà assai.“ Vgl. Wilson, C. H.: op. cit., S. 557–559. 6 7

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Das Grabmal in Santa Croce – eine Tragödie?

andere Pläne mit den Marmi der Via Mozza geschmiedet wurden. In aufdringlicher Art und Weise versucht er, sich Leonardos Gunst und Geist zu bemächtigen, indem er sehr schmeichelnd, fürsorglich und behilflich auftritt 11, dabei aber nur das Ziel verfolgt, Leonardo für sich einzunehmen und damit die römischen Mitanwärter auf das Grabmal auszubooten. Der Zusatz „come fratello amantissimo“ in der Adresszeile des Briefes ist kontextuell beachtenswert. 12 Vasari intendiert, ein pseudoverwandtschaftliches Verhältnis zu suggerieren, um Leonardo von seinen lauteren Absichten zu überzeugen und die Exequien sowie der Grabmalgestaltung als Familienangelegenheit zu verschleiern. Die dahinterliegende Absicht ist, dass Vasari sich sehr bewusst ist, dass er Leonardos Vertrauen und Zustimmung für seine weiteren Vorhaben braucht. Am 10. März 1564 informiert Vasari den Buonarroti-Erben über den Fortgang der Planungen und das Eintreffen der sterblichen Überreste Michelangelos in Florenz. Wie bereits dargestellt, wechselt Vasari in eine Sakralsprache. Michelangelo wird als „santissimo vecchio“ oder als „a questa citta un gran tesoro“ und als „questa reliqiua“ bezeichnet. Aus einem heiligen Alten, der ein großer Schatz für diese Stadt ist, wird eine Reliquie, die den Traditionen folgend verehrt werden muss. Vasari wechselt so verbal von der Divinität zur fassbaren Reliquie, verortet Michelangelo in der himmlischen und irdischen Sphäre, wodurch seine sterblichen Überreste ihre eigene Bedeutung und Wertschätzung als Reliquie erhalten. Sie seien Reliquien erster

Klasse und bedürfen der Ehrung, womit hier schon eine Anspielung auf das Grabmal vorliegen könnte. 13 In der Folge begrüßt Vasari Leonardos Idee, über ein Grabmal nachzudenken, worüber ihn auch Daniele da Volterra informierte und dabei Bezug auf die Figuren und den Marmor der Via Mozza nahm. Der Verfasser des Briefes schlägt dann vor, dass Daniele (da Volterra) zwei Entwürfe machen solle. Ein Entwurf solle die Figuren aus der Via Mozza beinhalten, und ein Entwurf solle ohne sie gestaltet sein. 14 Vasari reagiert hier auf die Begleitbriefe Leonardos und Volterras, in denen beide den Vorschlag unterbreiten, Michelangelo in Santa Croce ein Denkmal zu errichten. 15 Zu diesem Zeitpunkt war demnach noch nicht endgültig geklärt, was mit den Marmi in der Via Mozza geschehen sollte 16. Giorgio Vasari hielt sich allerdings mit seinem Vorschlag über die zwei Entwürfe einen Spielraum offen, da er sechs Tage zuvor klar seine Vorstellung von deren Verbleib umrissen hatte. Während Daniele da Volterra schon sehr konkret mit den Marmi plante und zu diesem Zeitpunkt vermutlich noch Leonardos Unterstützung hatte, verfolgte Vasari andere Pläne. 17 Die Adresszeile dieses Briefes erfährt eine Erweiterung, indem Vasari Leonardo als „amico et come fratello“ bezeichnet 18. Es soll eine Verbindung markieren, die durch das nachbarschaftliche Zusammenleben in Florenz zunächst gerechtfertigt erscheint. „Amico“ stellt die erworbene Beziehung zwischen den beiden Männern dar, wobei der „Freundschaft“ in dieser Zeit als instrumentaler Komponente eine besondere Bedeutung

Michelangelo wird wortwörtlich in den Himmel gehoben, seine Seele möge das Paradies schmücken „orni con l’anima sua il paradiso“. Milanesi, G.: Le Lettere di Michelangelo Buonarrotti, Bd. VIII, S. 375. Das Motiv des Paradieses nimmt Vasari in seinem Brief vom 18. März 1564 wieder auf. 12 „Al Molto Mag.co M-Ljonardo Buonarrotj, come fratello amant. A Roma. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXVI, S. 60. In den Briefen vom 10. und 18. März verändert sich die Formulierung in „Amico e come fratello“. Der Brief vom 26. März 1564 enthält diesen Zusatz nicht mehr. Dort nennt Vasari Leonardo nur „Sr. Mio“. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXIX, S. 67. 13 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXII, S. 48. „Poi che le scrissi oggi otto giornj; mi truo una sua molto amoreuole et, insieme col uostro mandato, il corpo di quel santissimo vechio, splendore delle nostre artj, dicendouj, che se uoi auessj mandato a questa citta un gran tesoro, non sarja stato maggior dono, quanto e (è) parso questa reliqiua tanto celebrata et honorata.“. 14 Frey, H.-W.: Nachlass, CDXXXII, S. 49. „Del farglj sepoltura mi piace; et perche messer Daniello mi scriue delle statue e marmi di uia Mozza, di tutto no (n’ho) dato aujso a.S.E.I. Et se messer Daniello ui vol far disegnio di cjo, non le paia graue farne uno con la figura di uia Mozza et un altro senza.“ Vgl. Thode, H.: Ende der Renaissance Bd. I, S. 480. 15 Thode, H.: Ende der Renaissance Bd. I, S. 479–480. Nach Hermann-Walther Frey kommt der Vorschlag für die Verwendung der Figuren der Via Mozza von Daniele da Volterra. Es ging besonders um die Figur des Sieges. Die Idee zum Grabmal ging von Leonardo aus. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Punkt 1 in dem Kommentar zu Brief CDXXXII, S. 50. 16 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXII, S. 49. 17 Henry Thode kommentiert die Situation um die Marmi in der Via Mozza in dem Brief vom 10. März 1564 so, dass Vasari im Stillen andere Gedanken hegte. Vgl. Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II., S. 529. 18 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXII, S. 49. 11

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Erste Weichenstellungen

zukommt, erwartet man doch von einem Freund eine Nützlichkeit, die auf Gegenseitigkeit beruht. 19 Vasari scheint hier die Ebene anzusteuern, dass er von Leonardo eine Gefälligkeit (die Marmi der Via Mozza) erwartet, da er ihm bei seinem Ansehen beim Herzog behilflich ist. Den Begriff „fratello“ übernimmt er aus dem vorherigen Brief, um die pseudoverwandtschaftliche Ebene nochmals zu unterstreichen. Durch diese verbalen Winkelzüge versuchte er, Leonardo weiter an sich zu binden, ihn quasi geschmeidig zu machen, um so späteren Übergriffen die Spitze zu nehmen bzw. spätere Eigenmächtigkeiten im Vorfeld zu rechtfertigen. In einem weiteren langen Brief informiert Vasari am 18. März 1564 unter anderem über zwei Inhalte, und zwar über das Datum der Leichenfeier und die potentielle Grabmalplanung. Vasari heftet sich das Datum der Leichenfeier nach Ostern auf seine Fahne, damit Leonardo an ihr teilnehmen könne und sehe, welche Ehrung Michelangelo zuteil werde. Selbst Fürsten, Päpste oder die Apostelfürsten Petrus und Paulus würden nicht dieses Lob erhalten. 20 Leonardo möge zügig nach Florenz zurückkehren, da der Herzog ihn zu sehen wünsche und ihm das Einverständnis gebe, obwohl er andere Pläne gehabt habe, die Statue der Via Mozza für das Grabmal zu benutzen. Dazu zitiert Vasari aus einem herzoglichen Reskript vom 13. März 1564, in dem sich der Herzog mit den Wünschen der Familie (Beisetzung Michelangelos in Santa Croce) einverstanden zeigte, wobei Vasari hier auch ausdrücklich die Figuren in der Via Mozza anspricht. 21 Vier Jahre später stellt Vasari diesen Sachverhalt in der Michelangelo-Vita etwas anders dar: Aufgrund der Bestimmung Cosimos I. soll Michelangelo sein Grabmal in Santa Croce erhalten 22, womit der fami-

liäre Wunsch vom März 1564 nicht weiter in der Geschichte verankert wurde. In der Überlieferung ist es Cosimo I., der Michelangelo zu seinem Grabmal verhilft. 23 Vasari setzt in den Viten das fort, was er schon früh betrieben hat: Aufgrund seines Engagements wird aus einer Familienangelegenheit eine Art Staatsaffäre, da sich der Herzog mit den Wünschen der Familie einverstanden erklärt. 24 Leonardo möge verfahren, wie er wolle, Daniele solle Entwürfe anfertigen, und alle (in Florenz) seien bereit, ihm dabei zu helfen. 25 Nach Hermann-Walther Frey scheint das Angebot vordergründig der grenzenlosen Unterstützung durch die Accademia und großer Liebe oder Ehrerbietung für den Verblichenen zu entspringen, es war aber letztlich nur ein weiteres Manöver, Kontrolle über das Grabmal zu erlangen 26, was Vasari in der Folge durch die Erwähnung der Pietà offenhält. Die fünffigurige Pietà, die Michelangelo selbst für sein Grabmal entworfen habe und sein Selbstporträt als Greis zeige, welche er aber auch zerbrochen habe, würde er an Leonardos Stelle versuchen zurückzuerlangen, da er sie für sein eigenes Grabmal vorgesehen habe. Dies habe Vasari gehört, was allerdings auch Daniele und Tommaso de’ Cavalieri wüssten. Per Befehl an ihn (Vasari) habe der Herzog alle Unterstützung für die Rückerlangung zugesagt. Leonardo möge die Figur wieder in seinen Besitz bringen, womit er zwei Ziele erreichen könne: Erstens würde er so Michelangelos Wunsch erfüllen und könnte zweitens die Werke in der Via Mozza dem Herzog überlassen, wohingegen Leonardo vom Herzog entsprechend vergütet würde, damit er die Kosten am Grabmal decken könnte. Dies sei für das Grabmal angemessen. 27 Die Siegerfigur sei für das Grabmal nicht angemessen, da Michelangelo nie ein Soldat gewesen sei,

Reinhardt, W.: Freunde und Kreaturen, S. 37–38. Vasari übertreibt hier in maßloser Weise, missbraucht quasi die Apostelfürsten, um Leonardo zu beeindrucken und ihn für sich einzunehmen. 21 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXVI, S. 59. „La resolutione, fatta da Leonardo Buonarrotj, per honorare la memoria dj Michelagniolo suo zio con la sepoltura, che voj scriuete, merita molta commendatione; e Noj Ci contentiamo, che egli questo efetto a suo piacere si serua della figura dj via Mozza et de marmj.“ Zitat aus dem herzoglichen Schreiben vom 13. März 1564. Hermann-Walther Frey gibt den Brief, aus dem dieses Zitat stammt, ebenfalls unter der Nummer CDXXXIII, S. 50–51 an. 22 Vasari, G.: Michelangelo, S. 241. 23 Wie in der Orazione funerale wird Cosimo I. durch diesen Winkelzug Vasaris zum Vollender stilisiert. Der erste Medici entdeckt und fördert ihn, und der aktuelle Medici bettet ihn. 24 Siehe Fußnote 2026. Henry Thode legt die Korrespondenz so aus, dass sich der Herzog wohl nur widerwillig zu diesem Zugeständnis bequemt hat. Vgl. Thode, H.: Ende der Renaissance Bd. I, S. 480. 25 Damit hätte der Brief enden können. Vasari bringt die Pietà Bandini ins Spiel. Mit dem „Wir“ wird die Accademia gemeint sein. 26 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung 5, S. 120. Bezug: Brief Borghinis an Cosimo I. vom 4. November 1564 (CDLXVIII). 27 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXVI, S. 59–60. Brief vom 18. März 1564. John Addington Symonds rechnet es Vasari als Verdienst an, dass er die Idee aufwarf, die Pietà Bandini auf Michelangelos Grab zu setzen. Vgl. Symonds, John A: The Life of Michelangelo Buonarroti, S. 293. 19

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auch wenn er mit seiner „virtù“ die Kunst besiegt habe. 28 Hintergrund dieses Briefes ist eine Schadensbegrenzung von Vasari für seine Planung des Grabmals und die damit möglich gewordene Abgabe der Marmi der Via Mozza an den Herzog. Camille Mallarme hat gut herausgearbeitet, dass Cosimo I. mit dem „Blankoscheck“ über die Marmi der Via Mozza vom 13. März 1564 Vasaris Vorstellungen unterminierte, was Vasari bedauerte, in Zugzwang kam und nachdachte, bis ihm ein genialer Einfall kam, und er sich einer wichtigen Angelegenheit erinnerte. 29 Um Leonardo auf seine Linie „amico et come fratello“ zu bringen, machte er ihm den cleveren Vorschlag, die Rückerlangung der Pietà Bandini anzustreben. Damit startet er einen subtilen Angriff auf Daniele da Volterra, dem er Grabmal und Marmi entziehen will, führt ihn aber gleichzeitig als Gewährsmann für Michelangelos Wunsch zur Verwendung der Pietà an. Als langjährige Freunde werden da Volterra und Tommaso de’ Cavalieri von Michelangelos ursprünglichem Wunsch gewusst haben, kannten aber auch den späteren Verlauf. Vasari nutzt dieses eigentlich überholte Wissen als „moralische Keule“ gegen Leonardo, indem er ungesagt mitteilt, dass man Toten ihre Wünsche nicht abgeschlagen könne. Die vordergründige Argumentationsweise, die Pietà für das Grab zu verwenden und den Wunsch des Meisters zu erfüllen, ist nicht unklug und schließt sich an eine Passage des Briefes an, mit der er eigentlich hätte enden können, da alles geschrieben und geklärt schien. Trotz angeblicher Erklärung bzw. Klärung hält sich Vasari mit seinem Vorschlag im Spiel, um ihn dann mit einer weniger überzeugenden Argumentation, Michelangelo sei kein Soldat gewesen, enden zu lassen. 30 In letzter Konsequenz ist Vasari erfolgreich, da er im dritten Anlauf, ohne es schon zu wissen,

sein Ziel bei Leonardo erreichte, und zwar die Trennung der Skulptur des Sieges als Teil der Marmi in der Via Mozza vom Grabmal. Nach Charles de Tolnay könnte der Anstoß zu diesem Manöver auch vom Herzog selbst gekommen sein, der Vasari vermutlich später für dessen Behilflichkeit, in den Besitz der Marmi in der Via Mozza zu gelangen, den Entwurf des Grabmales zuspricht. 31 Der Ansatz von Charles de Tolnay ist mit Rab Hatfields Aussage kompatibel, da Leonardo seiner Meinung nach unter hohem Druck stehend, die Marmi der Via Mozza an den Herzog abgegeben habe. 32 Insofern lagen beim Herzog, wenn er es mit inszeniert hatte, und Vasari eine Win-win-Situation vor. Was zunächst als harmloses Angebot aus tiefer Verbundenheit Vasaris zu Michelangelo klang, unterlag nur dem Kalkül, die Regie über die Erstellung des Grabmales und die Kontrolle über die Marmorfiguren – den Sieg – zu bekommen, um am Nachlass Michelangelo endlich doch zu partizipieren. 33 Der Rückkauf der Pietà Bandini scheiterte schließlich an Leonardo und gibt Vasari und Borghini die exzellente Legitimation, ein Grabmal durch die Accademia schaffen zu lassen. 34 Dass Vasari das Scheitern des Rückkaufs nur recht war, ist an der Tatsache zu erkennen, dass er selbst nicht versuchte, die Pietà zurückzuerlangen, obwohl der Herzog ihm alle Hilfe angeblich zugesagt hatte. Es bleibt festzuhalten, dass es sich bei der Pietà Bandini nicht um einen ernstgemeinten Vorschlag handelte, sondern nur dazu diente, die Diskussion um die Gestaltung des Grabmals offenzuhalten. Der Rückkauf dieser Skulptur war zu diesem Zeitpunkt noch ungewiss, was auch für den Ausgang der genannten Diskussion gilt. Vasari wollte und konnte eine Entscheidung zu diesem Thema jetzt noch nicht zulassen, da die Exequien auch noch nicht stattgefunden hatten. Sollten die Elemente Grabmal

Frey, H.–W.: Nachlass, Brief CDXXXVI, S. 59–60. Brief vom 18. März 1564. Auch dieser Brief endet wieder mit dem Zusatz „Amico et come fratello“. Der nächste Brief Vasaris an Leonardo hat diesen Zusatz nicht mehr, da er unnötig war, hatte er doch sein Ziel erreicht. 29 Mallarme, C.: L’ultima tragedia di Michelangelo, S. 60. Bezug: Brief vom 18. März 1564. In dem Band von Hermann-Walther Frey ist dieser Brief umfangreich kommentiert. Die deutsche Übersetzung von Henry Thode liwgt vor in: Einem, H. v.: Die Pietà im Dom zu Florenz, S. 24–25. 30 Britta Kusch-Arnhold hält dieses Argument ebenfalls für „gesucht“. Vgl. Kusch-Arnhold, B.: op. cit., S. 87. 31 Tolnay, C. d.: Michelangelo V, S. 17. 32 Hatfield, R.: The Wealth, S. 82. 33 Der Sieg wird am 29. Dezember 1564 von der Via Mozza in den Palazzo Vecchio gebracht. Vgl. Tolnay, C. d.: Michelangelo IV, S. 111. Er wird im Saal der Fünfhundert im Palazzo Vecchio als erste Skulptur einer Ausstellung mit weiteren Figuren von Giambologna und Vincenzo de’ Rossi, die Sieger nach gewonnenen Zweikämpfen zeigen, aufgestellt. Vgl. Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 234. Michelangelos Sieg wird als Teil dieser Präsentation zum Symbol des Sieges des Herzogs über seine Gegner umfunktioniert. Vgl. ebd., S. 306. Henk van Veen verweist darauf, dass es Cosimos I. Wunsch war, diese Figur an der Siena-Wand aufzustellen, da er Siena besiegt hatte. Vgl. Veen, H. v.: op. cit., S. 78. 34 Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 159. 28

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Vasaris Konkurrent

und Exequien miteinander korrespondieren, müssten die Exequien die weiteren Weichen für die Planung stellen. Primäres Ziel dieses Briefes war die Sicherung der Marmi in der Via Mozza. Weniger überzeugend ist, dass Leonardo ein finanzieller Ausgleich für die Marmi geboten wurde, damit er das Grabmal bezahlen könne. In Anbetracht seines Er-

bes ist dieses Angebot grotesk, es sei denn Leonardo war wie Michelangelo ein Geizkragen. Sekundäres Ziel dieses Briefes war die Umstimmung Leonardos bezüglich der Grabmalplanung in Vasaris Richtung. Vasaris Absicht sollte sich im Laufe des Jahres noch deutlich herauskristallisieren 35: Er wollte die Konkurrenten für das Grabmal ausmanövrieren. 36

16.3 Vasaris Konkurrent Daniele da Volterra stellte für Vasari ein permanentes Ärgernis dar, da er in Rom für ihn ein ernstzunehmender Konkurrent war. 37 Vasari neidete ihm vor allem dessen Anwesenheit während Michelangelos Sterbeprozess und danach seine besondere Position, die ihn aber nicht daran hinderte, Informationen von Volterra über Michelangelo für seine Viten anzufordern. Als Informationslieferant erster Kategorie war Volterra für Vasari nahezu unerlässlich, als Grabmal planender Konkurrent hingegen höchst überflüssig. So ist zu beobachten, dass von einem frühen Zeitpunkt an die hellhörig gewordenen Borghini und Vasari beginnen, aktiv auf die Grabmalplanung Einfluss zu nehmen. Als Leonardo seine Entscheidung, Daniele da Volterra die Grabmalausführung anzuvertrauen, nach Florenz kundtut, sahen sie sich spätestens dann zum Handeln gezwungen, ja alarmiert. Volterra war aufgrund seiner künstlerischen Kompetenz und persönlicher Verbundenheit zu Michelangelo geeignet, sogar eine sehr gute Wahl und hatte zudem schon zwei Grabmalentwürfe gemacht, die in Briefen mit Vasari diskutiert wurden. 38 Hermann-Walther Frey bezeichnet Vasari als „ehrgeizig egoistisch“, da er den Grabmalsauftrag mit den „Dii minorum genti-

um“ der Accademia del Disegno unbedingt haben wollte 39, galt es in Florenz, seine Pfründe konkurrenzlos zu behaupten. Ein Motiv Vasaris war Missgunst, weil er Volterra die enge Freundschaft mit Michelangelo neidete, die schon ab 1547 nachweisbar ist. 40 Auf der Mikroebene der Volterra-Vita lebt Vasari seine Abneigung und seine Eifersucht aus. Die Begriffe, mit denen er Volterra immer wieder belegt, sind Mühe, Eifer, Langsamkeit, Eifersucht und Schwermütigkeit. 41 Der Biograph beschreibt Volterra als einen stets bemühten Künstler, dem die Technik und das Kunstgefühl fehle. 42 Im Verlauf lobt Vasari alibimäßig zwar immer wieder einmal dessen Werke, was er tun muss, um seine Kunstbibel und Auswahl der Künstler nicht ad absurdum zu führen, relativiert und wertet sie im nächsten Schritt wieder ab. Am Ende bleibt immer ein Beigeschmack der Mittelmäßigkeit an Volterras Werk haften. Vasari verliert sich in unendlichen langen Beschreibungen seiner malerischen Werke, z. B. in der Cappella Orsini in der Kirche Santa Maria Trinità dei Monti, um am Ende dem Werk etwas Hartes, Schwerfälliges und Mangel an lieblicher Leichtigkeit zu attestieren, ohne dabei die Erwähnung des langsamen Arbeitens Volterras zu vergessen. 43

Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung 5, S. 120. Bezug: Brief Borghinis an Cosimo I. vom 4. November 1564 (CDLXVIII). Dieses Verhalten hatte Vasari schon früher gezeigt. Vgl. Satkowski, L.: Giorgio Vasari: Architect and Goutier, S. 16. Leon Satkowski zeigt hier auf, wie Vasari, als es um die Vergabe der Del Monte Kapelle Mitte der Fünziger Jahre des 16. Jahrhunderts in San Pietro in Montorio ging, seine Konkurrenz ausmanövrierte. Vgl. ebd., S. 95. Es wird ebenfalls über das Ausbooten von Francesco Sangallo durch Vasari im Hinblick auf die Uffzien berichtet. 37 Vasari, G.: Volterra. Kommentiert von Christina Irlenbusch. Einleitung, S. 9. Die Konkurrenz ging nicht von Volterra aus. 38 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung 5, S. 120. 39 Frey, H.-W.: Nachlass, Punkt 5, S. 120. 40 Vasari, G.: Volterra, S. 19 und siehe Einleitung S. 9. 41 Sammelbeleg: Vasari, G.: Volterra. Mühe und Eifer, S. 19, Langsamkeit bzw. langsames Arbeiten S. 20 u. S. 25; Eifersucht, S. 36; Schwermütigkeit, S. 11 u. S. 38. 42 Vasari, G.: Volterra, S. 11. Volterra sei nicht gut gewesen, musste sich anstrengen, wobei kein großartiger Stil aufkeimte, da es an Liebreiz, Anmut und Erfindungskraft gefehlt habe. 43 Vasari, G.: Volterra, S. 13. Vasari füllt mit dieser Beschreibung nur die Seiten, will im Grunde das Wichtige – das Verhältnis zu Michelangelo – nicht erzählen. Er bläht seine Beschreibung immer wieder auf, um dem Leser irgendetwas zu bieten. 35

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Die Langsamkeit wird in der Folge als Wesen und Begabung Volterras mehr oder weniger positiv eingeordnet, da er sich nach Vasari mit weniger Aufträgen zufriedengegeben habe als mit Werken minderer Qualität. 44 Allerdings verwendet Vasari später dieses zuvor als Tugend Dargestellte wieder gegen ihn, als es um Volterras langsames Arbeiten in der Sala Regia ging, obwohl ihn der Farnese-Papst und Kardinal zur Eile angetrieben hatten. Die Stuckarbeiten klassifiziert Vasari hingegen wieder als prachtvoll, um die Malerei am Ende wieder zu verreißen. 45 Julius III. entzog Volterra den Auftrag in der Sala Regia und ersetzte ihn durch Giorgio Vasari 46, der sich selbst an dieser Stelle der Vita als vom Papst Berufener darstellt, mit dem der Pontifex stets gute Erfahrungen gemacht hatte. Der Biograph und Beurteiler der Kunst erteilt besagtem Künstler im Gewande des Papstes eine handfeste Absage und legitimiert sich selbst nach dem Motto: Wenn man gebeten wird, kann man eben nicht nein sagen. Um wieder in den vatikanischen Sattel zu kommen, bedarf Volterra eines mächtigen Fürsprechers, der kein geringerer als Michelangelo ist. Der Wehrmutstropfen, den Vasari Volterra gerne einschenkt, ist die Nichtvollendung. 47 Weitere Arbeiten Volterras in Rom finden zwar Erwähnung, werden aber wieder in der Summe negativ bewertet. 48 Volterras

Aufenthalt in Florenz wird wieder zu Gunsten Vasaris dargestellt, der ihn auf Geheiß des Herzogs dort einführte. 49 Unter Pius IV. erhielt Volterra durch Michelangelo einen Folgeauftrag, bevor er starb. 50 Vasari unterschlägt in seiner Darstellung besonders die enge Beziehung zwischen Volterra und Michelangelo. Er lobt zwar Volterras Qualitäten als Freund im Allgemeinen 51, ignoriert aber im Speziellen seine besondere Bedeutung bei Michelangelos Tod. Michelangelo wird lediglich als derjenige dargestellt, der ihm Aufträge verschafft 52 oder ihn in seinen Entwürfen unterstützt 53, mehr aber auch nicht. Vasari war seinerzeit ebenfalls in die Ausgestaltung der Sala Regia involviert, wobei hier unterschiedliche Interessen (Vasari vs. Volterra) aufeinandertrafen 54 und sie zu Konkurrenten machte. Volterra verstand es seinerseits, seine Interessen bei dieser Arbeit – auch mithilfe Michelangelos und des Kardinals von Carpi – zu vertreten, was Vasari als ein von Eifersucht getriebenes Handeln beschreibt. 55 Neben der immer wieder genannten Kritik und Abwertung ist es signifikant, dass Vasari das gute Verhältnis zwischen Michelangelo und Volterra bewusst verschweigt, um in einer gekonnten Nadelstichpolitik immer wieder gegen ihn zu sticheln und dabei die Stirn besitzt, sich als dessen Freund

Vasari, G.: Volterra, S. 20. Vasari, G.: Volterra, S. 25. Volterra hatte hier Stuck- und Freskoarbeiten zu verrichten. Nach Vasaris Urteil habe Volterra in der Malerei eher Rückschritte als denn eine Weiterentwicklung vollzogen. Daneben unterstellt Vasari Volterra immer wieder bewusste Zeitverzögerungen. 46 Vasari, G.: Volterra, S. 24. 47 Vasari, G.: Volterra, S. 25. Hier ging es um die Gestaltung einer Grotte, in der die Figur der Kleopatra auf Vasaris Impuls hin aufgestellt werden sollte. Volterra sollte die Grotte gestalten, vollendete sie jedoch nicht. 48 Dazu gehört die Freskierung einer Kapelle in Sant’Agostino, die aufgrund der Ausführung der Gehilfen weniger Perfektion aufweist. Vgl. Vasari, G.: Volterra, S. 26. Die Ausmalung der Della-Rovere-Kapelle in Trinità dei Monti mit der Himmelfahrt Mariens findet auch Erwähnung, wird aber dazu genutzt, die gewählte Lösung, den Sarg quasi auf den Altar zu platzieren, zu verreißen. Der Verriss wird anderen in den Mund gelegt, indem sie als Zeugen aufgerufen werden, um dann auch die Orsini-Kapelle nochmals negativ zu bewerten. Die Della- Rovere-Kapelle sei keinen Deut besser als das Werk gegenüber. 49 Vasari, G.: Volterra, S. 31. Volterra hielt sich in Florenz auf, um seinen Bestrebungen als Bildhauer nachzugehen bzw. in Carrara Marmor brechen zu lassen (S. 30). 50 Vasari berichtet zuvor von der Reiterstatue für den französischen König, die Volterra aus Bronze gießen sollte. Vasari, G.: Volterra, S. 33–36. Bei den Aufträgen handelt es sich um die Übermalung der Schamteile im Jüngsten Gericht und die Ausmalung eines Teiles der Sala Regia. 51 Vasari, G.: Volterra, S. 31. Nach Vasari, suche Daniele in der Freundschaft etwas anderes als Gewinn und persönlichen Vorteil. Hintergrund war der Tod eines Freundes, dem Volterra ein Epitaph und eine Porträtbüste stiftete. Diese Treue hätte einen Brückenschlag zu Michelangelo darstellen können, was Vasari bewusst nicht vollzieht. 52 Vasari, G.: Volterra, S. 21: Arbeit in der Sala Regia; S. 25: Stuckarbeit in Form einer Grotte am Belvedere. 53 Vasari, G.: Volterra, S. 34. Unterstützung bei dem Entwurf des Reiterstandbildes für Heinrich II. von Frankreich. 54 Angela Böck fasst die Ausstattungsgeschichte der Sala Regia in ihrem Werk zusammen, wobei das Agieren der unterschiedlichen Beteiligten zum Tragen kommt. Siehe Böck, A.: Die Sala Regia im Vatikan als Beispiel der Selbstdarstellung des Papsttums in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 11–18. 55 Vasari, G.: Volterra, S. 36. Angela Böck deutet diese Stelle in der Volterra-Vita als ein „An sich reißen“: Erst als Francesco Salviati unter anderem durch die Vermittlung von Vasari und Cosimo de’ Medici die Ausmalung der Sala Regia übertragen wurde, versuchte Daniele mit Hilfe von Michelangelo und Kardinal Carpi das ganze Projekt wieder an sich zu reißen.“ Böck, A.: op. cit., S. 15. 44 45

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Vasaris Konkurrent

zu bezeichnen. 56 Bespielhaft ist die Beschreibung der Orsini und der Della-Rovere-Kapelle in der Trinità dei Monti. Beide Kapellen werden als schlecht gearbeitet eingestuft und als zu lange in der Ausführung dargestellt. 57 Größter Seitenhieb gegen Volterra ist das Verschweigen von dessen Hommage an Michelangelo in der Della-Rovere-Kapelle, die er zwischen 1548–1558 ausmalte. Im Altarbild der Himmelfahrt Mariens verlieh Volterra einer Figur das Konterfei Michelangelos, was Vasari unerwähnt lässt. 58 In der Summe bleibt eher ein negatives bzw. einschränkendes Bild des Künstlers in seiner Vita zurück. Jede Tätigkeit, jedes Werk wird im Grunde immer wieder mit einem Vasarischen „Ja, aber“ belegt. Der Schluss der Vita ist also bezeichnend: Vasari verliert sich, nachdem er vom Tod des Künstlers berichtet hat, in den zähen Darstellungen der Schüler und deren Talent oder Versäumnis. Es folgt noch einmal ein kurzer Abstecher zu Volterra, um sich dann im Eigenlob über die persönliche Gewissenhaftigkeit zu sonnen, dabei aber noch einmal die mangelnde Liebe ehemaliger Volterra-Schüler anzuklagen. 59 Die auf Darstellung der Mittelmäßigkeit angelegte Vita verdient Volterra nicht. Der eifersüchtige und neidische Vasari verewigt ihn in unangemessener Weise. Grund: Volterra war derjenige, dem Michelangelo sein nahendes Ende mitteilte, worüber er in seinem einfühlsamen Brief an Vasari vom 17. März 1564 60 berichtete. Dieser Brief bzw. die Aufforderung dazu spiegelt Volterras besonderen Status bei Michelangelo wider. Ihm vertraute Michelangelo vollkommen und bat ihn, in seinem Haus zu bleiben, bis Leonardo eintreffe. Michel-

angelo zeigte sich seinem Freund gegenüber offen und ungeschützt, was nur bei vollkommenem Vertrauen geschieht, wenn es gilt, die letzten Dinge für sich zu regeln. Der loyale Vertraute regelte alles, wie es ihm aufgetragen wurde, und offenbarte seine besondere Verbundenheit, indem er zunächst das Haus am Macel de’ Corvi mietete. 61 In Volterras Nachlassinventar war ein kleines Stückchen Marmor von der Pietà Bandini verzeichnet 62, das er offensichtlich wie eine Reliquie von besonderem Wert betrachtete, da es sonst nicht in seinem Nachlass erschiene. Die wohl unschönste Aufgabe, die Volterra je zu vollziehen hatte, war die Übermalung der Scham etlicher Figuren am Jüngsten Gericht. 63 Andererseits war er der vielleicht geeignetste Mann für diese Aufgabe, da er Michelangelo sehr respektierte und sich ihm verpflichtet fühlte, wodurch er eine kontrollierte Schadensbegrenzung an dem Fresko vornehmen konnte. Auf Grund des erhobenen Befundes war Volterra der große Konkurrent Vasaris, den es zu verdrängen galt, wenn die Entwurfssicherung für das Grabmonument gelingen sollte. 64 Ein römischer Plan für das Grabmal des berühmtesten Florentiners in einer der großen Florentiner Kirchen wäre für Vasari undenkbar und inakzeptabel gewesen. Auf dem Hintergrund der späteren Umbauten von Santa Maria Novella ab 1565 und Santa Croce 1566 unter der Leitung Vasaris kommt dem Ausmanövrieren Volterras noch eine besondere Bedeutung zu, ging es schließlich um die Existenzberechtigung Vasaris als unangefochtener Architekt in Florenz, der seine Werke nicht nur schriftlich, sondern auch verdinglicht konstruiert.

Vasari, G.: Volterra, S. 38. Vasari, G.: Volterra, S. 13–19. Orsini-Kapelle. Volterra befürchtete nach Vasari zu Recht Kritik. Vgl. ebd., S. 19. Zur della-Rovere-Kapelle. Vgl ebd., S. 27–28. Diese Kapelle sei kein Deut besser als die erste gegenüber (Orsini-Kapelle). Vgl. ebd., S. 28. 58 Vasari, G.: Volterra, S. 27–28, S. 144. Siehe Abb. 107: Detail aus der „Himmelfahrt Mariens“ [S. 387]. 59 Vasari, G.: Volterra, S. 37–38. 60 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXV, S. 53–54. 61 Frey, H.-W.: Nachlass, S. 38 und Kommentar zum Brief CDXLIV, S. 77. Bereits am 1. Mai erfolgte die Vermietung an Volterra für 35 Scudi jährlich. Folgt man Ernst Steinmann, wohnte Daniele de Volterra nicht im Haus, sondern kümmerte sich mehr um den Erhalt der Immobilie. Vgl. Steinmann, E.: Wohnung und Werkstatt Michelangelo’s in Rom, S. 284. 62 Vgl. Steinmann, E.: Die Porträtdarstellungen des Michelangelo, S. 47, siehe Anmerkung 5: „Un ginocchio di marmo della pietà di Michelangelo“. 63 Vasari, G.: Volterra, S. 33. Diesen Inhalt berichtet Vasari sehr sachlich. Er bewertet die Ausführung Volterras nicht, was auch eine Aussage ist. 64 Henry Thode bestätigt diesen Befund, da er davon spricht, Volterra sei zur Seite gedrängt worden. Vgl. Thode, H.: Ende der Renaissance Bd. I, S. 483. 56 57

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16.4 Vasaris Erfolg Vasaris Insistieren und briefliche Konstruktionen waren schließlich von Erfolg gekrönt, da Leonardo, wie gewünscht und intendiert, in Richtung Cosimo I. reagiert. Alle von Vasari angesprochenen Inhalte im Brief vom 4. März 1564 arbeitet er in seinem Brief vom 18. März 1564 ab. 65 Leonardo teilte dem Herzog in einem überschwänglich formulierten Schreiben mit, dass Michelangelo quasi auf dem Totenbett danach verlangt habe, in der Kirche Santa Croce in der glücklichen Stadt des Herzogs beigesetzt zu werden, um dort dem Herzog mit seinen Knochen zu Diensten zu sein. Da in seinem Haus in Rom nichts gefunden worden sei, was er dem Herzog hätte schenken können, was sein (Leonardos) Wunsch gewesen wäre, und Michelangelo aus dem Leben geschieden sei, ohne etwas zu hinterlassen außer den Dingen in der Via Mozza, wäre es ihm eine große Gunst, wenn sich der Herzog ihrer bediente, wenn sie ihm denn gefielen. Abschließend bat Leonardo den Herzog, den Sachen Michelangelos genau solche Liebe zuteil werden zu lassen wie dem Meister selbst. 66 Leonardo folgt Vasaris Aufforderung bzw. Insistieren und bot die Figuren der Via Mozza tatsächlich dem Herzog an, der seinerseits im Reskript vom 13. März eigentlich schon darauf verzichtet hatte. Wenn Leonardo den Brief am 18. oder am 22. März schrieb, hatte von dem herzoglichen Reskript vermutlich noch keine Kenntnis. 67 Dem Inhalt nach ist sein Schreiben in Beziehung zu Vasaris Brief vom 4. März 1564 zu setzen, was für den Vasari-Brief vom 18. März noch nicht

festzustellen ist. In der letzten Konsequenz ist jedoch das Angebot an den Herzog ein Verrat an den römischen Künstlern, da sie mit den Marmi der Via Mozza bereits planten. Leonardo stellte für die letzte Ruhestätte Michelangelos im Sinne Vasaris die Weichen und legte fest, dass es kein Grabmal mit den Figuren der Via Mozza geben wird, wovon die römischen Künstler erst knapp ein Jahr nach Michelangelos Tod erfahren sollten. Offensichtlich gehörte Leonardos Loyalität dem Herzog und machte sich so zum Handlanger Vasaris. Es muss offenbleiben, ob und inwiefern hier bewusste Entscheidungsprozesse vorlagen. Grundsätzlich hätte Leonardo Teile seines Erbes nicht an den Herzog weitergeben müssen, wenn Vasari ihn nicht dahingehend beeinflusst hätte. Leonardo hätte die Einflussnahme merken müssen, wenn er einen weiteren Brief vom 4. März 1564 ernst genommen hätte. In diesem Schreiben warnte Gini Zanobi ihn nämlich vor dem Hofkünstler, dem nach seinem Dafürhalten nicht zu trauen war 68, da er stets das Ziel des Wissensvorsprungs verfolgte, den er durch die Manipulation und Ausnutzung anderer zu erlangen hoffte. Der Erbe Michelangelos folgte aber dem Rat und der Einmischung eines Mannes, der ein Absichtstäter war und sich ungefragt in fremde Angelegenheiten einmischte. In der Folge wird die Causa so geregelt, dass das Grabmonument in Santa Croce in Leonardos Ermessen lag und die Exequien in San Lorenzo unter der Ägide der Accademia stattfanden, worüber Va-

Frey, H.-W.: Nachlass, S. 68. Gaye datiert den Brief auf den 22. März 1564. Vgl. Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXVI, S. 131–132. Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXVI, S. 131–132. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, S. 68. Dieser Brief ist bei Hermann-Walther Frey nicht weiter nummeriert. Der Herausgeber kommentiert diese Passage des Briefes mit dem Verweis auf das Schreiben Vasaris vom 4. März 1564, dass der Plan, die Statuen für das Grabmal zu verwenden, aufgegeben wurde. Vgl. ebd., S. 69 Anmerkung 3. Vgl. Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture, S. 367. 67 Nach Giovanni Gaye soll der Brief vom 22. März 1564 stammen, was auch möglich gewesen wäre, da Vasaris Brief bis zu diesem Zeitpunkt nur knapp hätte nach Rom versendet werden können. Vgl. Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXVI, S. 131–132. Es ist fraglich, ob Leonardo sich daran gehalten hätte. Vasari hatte schließlich massiv auf ihn eingewirkt. 68 Brief Zanobis an Leonardo vom 4. März 1564. Gini Zanobi warnt Leonardo vor der Herausgabe von Briefen an Vasari, da dieser wohl unlautere Absichten hege. www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_26.php?id=360&daAnno=1564&aAnno=1601&Mittente=&Destinatario=Buonarroti%20 Leonardo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& „A[n]chora dicie che io vi advixi come Giorgino d’Arezo mandò a m(onn)a Chassandra vostra per la lettera gli scrivesti de’ 24 del pax[a]to, che sechondo disse la voleva vedere il Principe e subito gnie ne dette e non l’à anchora riauta, che non sa a che proposito che non so se vorrà vedere le altre. Ghovernatevi come più vi pare a proposito, con lo scrivere.“ Vasari hatte, wie bereits thematisiert, Leonardos Frau aufgesucht und sich von ihr den Brief vom 24. Februar 1564 aus Rom aushändigen lassen, um ihn angeblich bei Hofe zu zeigen. Zanobi ermahnt Leonardo, den Inhalt seiner Briefe zu bedenken, da seine Briefe u. U. von Dritten gelesen werden. Zanobi muss diese Aktion von Vasari negativ berührt haben, sonst hätte er sich nicht warnend an Leonardo gewandt. 65

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Vasaris Erfolg

sari Leonardo informierte. 69 Durch seine Bestimmung, wer was vollzieht, spricht Vasari Leonardo eine Hoheit zu, die er weder auszusprechen noch die Leonardo je verloren hatte. Sich selbst zum Technical Supervisor aller Aufgaben und Abläufe aufschwingend, gibt sich Vasari eine gewichtige Rolle in einem Schauspiel, das er ungefragt inszeniert. Festzustellen bleibt, dass es zu diesem Zeitpunkt noch eine klare Trennung zwischen der Accademia und der Familie gab, was sich später mit der Errichtung des Grabmonuments ändern und auch zu Schwierigkeiten führen sollte. In Rom war Leonardo noch in sicherer Entfernung und musste sich zunächst nicht weiter mit Vasari auseinandersetzen bzw. arrangieren, bevor er dann bis zum 10. Mai oder früher nach Florenz zurückkehrte. 70 Am 22. Mai 1564 informierte Vasari Cosimo I. über die Rückkehr Leonardos aus Rom, dass er zwei Kartons aus der Erbschaft Michelangelos mitgebracht habe und sie dem Herzog übergeben möchte. Das Grabmal solle in Santa Croce errichtet werden, dessen Aussehen aber noch zu klären sei. Es solle den Status des Neffen widerspiegeln, könne aber nicht der Tugend des Meisters gebühren. Leonardo überlasse dem Herzog die Statue aus der Via Mozza, da sie nicht zum Grabmal passe. 71 Bemerkenswert ist, dass Vasari Cosimo I. Leonardos Entschluss mitteilt, was wieder seine stark einnehmende bzw. übergriffige Haltungsweise bestätigt. In nicht ausgesprochener Eigendefinition sieht er sich als zentrale Figur im Informationsfluss und -austausch. Es muss aber spekulativ bleiben, was er genau meint, wenn er schreibt, dass dieses Grabmal nicht der Tugend Michelangelos gebühren könne. Zu diesem Zeitpunkt war die Grabmalausführung noch ungeklärt; Michelangelos Exequien hatten noch nicht einmal stattgefunden. Offensichtlich rechnete Vasari mit einer schnellen Vollendung des Grabmals, sodass ihm diese Bemerkung womöglich adäquat erschien. Allerdings lässt seine Aussage weitere Deutungen zu: Er traut den rö-

mischen Bildhauern kein angemessenes Grabmal zu, wodurch er im Nachhinein nicht in Zugzwang käme, ein Grabmal von Konkurrenten zu loben, da sie Michelangelo nicht, wie früh von ihm erkannt, der Tugend des großen Künstlers Ehre machen könnten. Sein Entwurf und dessen Ausführung wären eine Alternative. Des Weiteren könnte dieser Satz auch die Äußerung einer Sorge sein, dass sein potentieller Entwurf nicht ankommen bzw. angenommen würde, womit er sich bereits weit vor Fertigstellung des eigentlichen Grabmals einen Freifahrtschein für ein potentielles Scheitern ausstellt. Vielleicht lässt diese Zeile einen Einblick in seine Mittelmäßigkeit zu, die er so nicht offiziell zugab. Eine weitere Komponente könnte die Finanzierungsfrage sein, da Vasari Leonardos Sparsamkeit fürchtet. Aufwendige Kunst hatte schließlich ihren Preis. Vasari könnte aber auch tatsächlich auf die unerreichte Größe Michelangelos anspielen, was auf eine temporär wirkende Erkenntnis seinerseits schließen und seinen künstlerischen egoistischen Ehrgeiz kurzfristig vergessen ließe. Leonardo Buonarroti gab vermutlich erst Ende Mai, Anfang Juni einige Informationen an Daniele da Volterra über die Grabmalplanung weiter, teilte ihm aber nicht seinen bereits gefällten Entschluss mit, sondern wünschte sich, keine Eile mit dem Grabmal walten zu lassen 72, was Volterra positiv beantwortete und klar signalisierte, seinerseits mit Vasari kooperieren zu wollen. 73 Die römischen Künstler waren durch Leonardos Meinungswandel ins Hintertreffen gekommen, wurden hingehalten und konnten gegen die Florentiner Abläufe nichts unmittelbar ausrichten. Dreh- und Angelpunkte dieser Florentiner Abläufe waren Vasari und Borghini, die ihrerseits Druck auf Michelangelos Neffen im Mai 1564 nach seiner Rückkehr ausübten. Inhalt und Argumente dieser Gespräche waren Lokalpatriotismus, die Verbundenheit zum regierenden Hause Medici und Dankbarkeit den selbstlosen und jungen Künstlern gegenüber, die den alten

69 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXXXIX, S. 66–67. Brief vom 26. März 1564. „ne pensate che si muoua piu dj doue (dov’è) posto il corpo dj Michelagniolo, perché l’Academia ora à da fare in San Lorenzo quel che tocha allej, et voj in Santa Croce farete quel che uj piacerà.“ 70 Frey, H.-W.: Nachlass, S. 77, Anmerkung 1. 71 „et non come saria conueniente alla virtu di Michelagniolo“. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDXLIX, S. 82. Im Brief vom 22. Mai 1564 verweist Vasari darauf, dass der Vorschlag der Integration der Statuen von Volterra und nicht von Leonardo gekommen sei. Vgl. ebd., S. 83, Anmerkung 4. 72 Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II, S. 529. Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung 1, S. 85. Hermann-Walther Frey datiert den Brief Leonardos, der dem Autor nach fehlt, auf den 3. Juni. 73 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLII, S. 84–85. „Circha alla sipultura mi paice che non si corra a furia, perche considerandola con tempo e consultandone con messer Giorgio, so (son’) certo, che si sara cosa stara bene.“ Vgl. ebd., S. 85.

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Meister würdig zu Grabe trugen und San Lorenzo in einen Verherrlichungstempel für Michelangelo umgewandelt hatten. Höchst wahrscheinlich war der Herzog über die Absichten der beiden Antreiber unterrichtet, hielt sich aber noch im Hintergrund und agierte eher passiv, was er wohl auch in der Audienz mit Leonardo beibehielt. 74

16.4.1 Reaktion aus Rom Trotz der geringen Beteiligung blieben die Florentiner Abläufe von den römischen Künstlern nicht unbeobachtet bzw. unkommentiert. In einem Brief vom 10. Juni 1564 äußerte sich Diomede Leoni dazu. Zunächst teilte er seine Gewissheit mit, dass es niemand anderem mehr als ihm (Leonardo) am Herzen liege, worüber sich jeder sicher sei, rühmlich die ewige Erinnerung in Form des Grabmales an den Oheim zu erhalten. Er fügte aber warnend hinzu, dass die Exequien nicht von ihm (Leonardo), sondern von anderen abhingen; sie somit mehr Ruhm für die Ausrichtenden als für Michelangelo selbst einbrächten, der solch ein mondänes Gehabe nie gebraucht hätte, um gefeiert zu werden, da er es zu Lebzeiten durch seine großartige Virtù getan habe. Etwas relativierend schließt er den Satz an, dass die Ausrichter wohl bestrebt seien, ihm Ehre zuteil werden zu lassen. 75 Offensichtlich witterte Diomede Leoni Vasaris und Borghinis Absichten und erkennt, dass es mehr um die Geltungsbedürfnisse der Veranstalter ging. Diese Verhaltensweise

scheint ihm unangemessen, da sie nicht dem Meister gerecht würde, zählte Diomede Leoni doch zu denjenigen, die sich bis zum Schluss um Michelangelo kümmerten und ihm verbunden waren. Dass Diomede Leoni seine Meinung oder Warnung explizit Leonardo mitteilte, ist ein Beleg für seine Bedenken bzw. eher sein bedenkliches Bild über die Florentiner, die Michelangelo nicht genügend ehrten. 76 Leonis Hinweis, dass Leonardo das Grabmal am Herzen liege, könnte eine Warnung sein, sich nicht das Heft aus der Hand nehmen zu lassen, wofür die Bemerkung der Exequien sprechen würde. Es könnte einerseits eine Erinnerung sein, Michelangelo bei der Planung nicht aus den Augen zu verlieren und dafür zu sorgen, ihm ein angemessenes Grab zu stiften und die römischen Freunde in diesem Prozess nicht zu vergessen. Darauf scheint Leonardo auch geantwortet zu haben, da Diomede Leoni ihm in einem weiteren Brief am 24. Juni 1564 mitteilte, er wisse, dass Leonardo das Grabmal am Herzen liege, da er guten Willens und ein tugendhafter Schöngeist sei. 77 In seinem nächsten Brief vom 22. Juli 1564 dankt er Leonardo für die Übersendung der Grabrede von Varchi und bittet um die Zusendung der Darstellung der Zeremonie in San Lorenzo. 78 Sein Brief vom 5. August 1564 ist vor allem von der Frage geprägt, wie sich Leonardo im Fall des Grabmals – hier geht es um die Planung – entscheiden werde. Diomede Leoni schmeichelte Leonardo, weil er ihm eine weise Entscheidung zutraue, die der Familie Buonarroti Ehre mache. 79 Der

Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung 5, S. 120. Die Unterredungen mit Leonardo nahmen vor allem nach der prestigeträchtigen Trauerfeier zu. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_26.php?id=369&daAnno=1564&aAnno=1662&Mittente=&Destinatario=&Luogo_Mittente=& Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& „Sì come a nissuno è più honorevole che a voi et a tutta la vostra successione la sepoltura di m. Michelangelo vostro zio di eterna memoria, così ciascuno è certo che a voi è a cuore più che a tutti li altri insieme et che ve ne risolverete prudentemente a la venuta costì di S. E. Illustrissima. Le essequie – che dependano da altri che da voi – saranno ancho più honorevoli per chi le farà che per lui, che non ha bisogno di borie mondane per farlo più celebre di quello che ha fatto se stesso vivendo con le sue maravigliose virtù. Nientedimeno sono ancho desiderabili da noi altri, acciò che si conosca che non manca in molti lo animo di concedere a tanta memoria li suoi debiti honori.“ 76 Diomede Leoni, Volterra und auch Tommaso de’ Cavalieri, die auch den Menschen Michelangelo kannten und schätzten, mussten akzeptieren, dass ihnen ein wichtiger Mensch zum zweiten Mal genommen wurde. Michelangelos Tod war der erste Verlust; der Rücktransport der Leiche nach Florenz war der zweite Verlust. 77 http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_2hp?id=373&daAnno=1564&aAnno=1662&Mittente=&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_ Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& „Non occorre che voi vogliate rendermi più certo di quello che sono che vi sia a cuore la sepoltura di m. Michelangelo, essendo io sicurissimo, da la vostra virtù et dal bello animo che ho conosciuto in voi in tutte le cose, di haverla a vedere presto in effetto.“ Zuvor hat sich der Schreiber für ein großzügiges Weingeschenk an ihn bedankt, das er als nicht angemessen empfindet, sondern eher einem Kardinal gebühre. 78 http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_26.php?id=375&daAnno=1564&aAnno=&Mittente=Leoni%20Diomede&Destinatario=Buonarroti %20Leonardo&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca&. 79 http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_26.php?id=377&page=2&daAnno=1564&aAnno=1662&Mittente=&Destinatario=&Luogo_Mitten te=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& „Et aspetto con infinito desiderio intendere la risolutione che 74 75

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Vasaris Erfolg

Verfasser pflegte einen intensiveren Kontakt zu Leonardo und hoffte zu diesem Zeitpunkt wohl noch auf eine Beteiligung am Grabmal, da er seine Neugier formulierte. Vermutlich war Leoni immer noch zuversichtlich, dass Leonardo den Zuschlag für das Grabmal nach Rom gab, was aber nicht geschah.

16.4.2 Die Vergabe Die Bemühungen Vasaris und Borghinis wurden im Laufe des Sommers von Erfolg gekrönt, weil Leonardo den Entschluss fasste, das Grabmal in Florenz anfertigen zu lassen 80, wofür die Korrespondenz zwischen Borghini und Vasari im August 1564 spricht. Vasari war zunächst verstimmt, da Leonardo, wie dargestellt, ursprünglich beschlossen hatte, die Ausführung des Grabmals in die Hände der römischen Künstler zu legen. Vasari wollte selbst das Grabmal entwerfen und von florentinischen Künstlern der Accademia ausführen lassen. Dazu hatte er wohl zwei Gründe: 1) Den jungen Künstlern, sprich der Accademia, Aufträge zu sichern. 2) Lokal- und Kommunalpatriotismus. In Borghini fand er seinen Unterstützer, mit dem er nach Hermann-Walther Frey darüber mündliche Absprachen getroffen hatte. 81 Die beiden zentralen Gestalten mussten allerdings innerhalb der Accademia noch ein weiteres existierendes Problem lösen. Während der Exequienplanung zeichneten sich Unstimmigkeiten zwischen Cellini und Ammanati auf der einen Seite und Borghini und Vasari auf der anderen Seite ab. 82 Cellini und Ammanati blieben zwar wegen der Unstimmigkeiten demonstrativ der Feierlichkeit fern,

aber dennoch Mitglieder der Accademia. 83 Als Konsequenz erwartete oder fürchtete Borghini bei der Besetzung der Künstler, die am Grabmal arbeiten sollten, Ärger innerhalb der Accademia. Aus diesem Grund äußerte er in seinem Brief vom 2. oder 11. August 1564, dass er nicht auf Ammanati oder Zucchi zurückgreifen möchte. Falls es zu einem Skandal komme oder nichts geschehe, könne er belegen, bei wem die Schuld für den Ruin der Accademia liege. Daher sollten die Arbeit in die Hände der Jungen gelegt werden, die damit der Kunst Ehre machen würden; die anderen sollten sich ruhig im Zorn und Neid ergehen. 84 Der Konflikt innerhalb der Accademia lag demnach doch tiefer bzw. wurde von Borghini sehr ernst genommen, der mit dem Grabmal die Accademia vor einem potenziellen Ruin bewahren wollte, wofür er die jungen Künstler brauchte. Vermutlich meinte Borghini, dass die jungen Künstler leichter zu beeinflussen waren als ein aufsässiger Ammanati. Zygmunt Wazbinski äußert sich in der Hinsicht, dass sich Borghini bei der Auswahl der jungen Künstler durch ethische Kriterien und pädagogischen Ziele leiten ließ. 85 Camille Mallarme eröffnet in diesem Kontext eine weitere Perspektive: Er zeigt auf, dass die Künstler der Accademia sehr enthusiastisch bei der Ausführung des Katafalks gewesen seien, diesen Enthusiasmus nicht bei dem Grabmal zeigten und auch nicht ihre Dienste anboten, sodass die Aufträge an deren Schüler gingen. 86 Der Brief Borghinis ist von daher aufschlussreich und bestätigt, dass er nichts dem Zufall überlassen wollte. In einem weiteren Brief konnte er Vasari am 19. August 1564 mitteilen, dass Leonardo 500 bis

vi converrà pigliare del sepulchro, non perché io non sia certo che sarà degna di cotesti ingegni et di voi, ma per rallegrarmi di questo nuovo honore che haverete stabilito perpetuamente a voi et a la vostra successione.“ 80 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung 5, S. 120. Speziell nach der Trauerfeier erhöhen Borghini und Vasari den Druck auf Leonardo. Inhalt der Gespräche: Bedienung des Heimatgefühls, höfische Rücksicht und Pflicht der Dankbarkeit, den jungen Künstlern, die den Trauerapparat gestalteten, nun auch den Auftrag über das Grabmal zu geben bzw. sie dabei zu berücksichtigen. 81 Frey, H.-W.: Nachlass, Anmerkung Punkt 8, S. 99. 82 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 19–21. 83 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 21. 84 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLVIII, S. 97: „Jo sono risoluto die mutar modo; et non uoglio piu portare tanto peso, ne seruire all’Ammannati per Zuccha, ma uoglio che nuoti da se. Et se scandalo o nulla accardra, io sapro bene scoprire ogni cosa dove bisognera, e che se ci e (è) chi uuole, che l’Academia rouinj, la colpa non e (è) ne uostra nè mia (…) et lasciare un po correre et attendere; et cosi uorreij facessi uoj, se quella opera di Michelagnolo, dico della sua sepoltura, si potessi mettere in mano di questi giouani, come habbiamo ragionate, et tener fermo l’utile et l honore del’arte in chi la merita et lasciar, che questi altri si rodino et si arrabbino dinuidia.“ Hermann-Walther Frey datiert diesen Brief auf den 2. August 1564, während die Fondazione Memofonte ihn auf den 11. August datiert. Vgl. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_17.php?id=519&daGiorno=1&aGiorno=31&daMese=8&aMese=1& daAnno=1564&aAnno=1574&intestazione=&trascrizione=&segnatura=&bibliografia=&cerca=cerca&. 85 Zygmunt Wazbinski kommt auch zu diesem Befund. Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 157. 86 Mallarme, C.: L’ultima tragedia di Michelangelo, S. 65.

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Das Grabmal in Santa Croce – eine Tragödie?

600 Dukaten für das Grabmal in Aussicht stelle. Nach Hermann-Walther Frey lässt es darauf schließen, dass Borghini Leonardo überzeugt hatte, von Daniele da Volterra Abstand zu nehmen. 87 Die gesamte Korrespondenz spiegelt eine Art Tanz um das goldene Kalb Michelangelo wider. Es geht um Positionen und das Erstrecht der Information, um Positionierung und Antizipation von Schwierigkeiten. Vasari hält auch hier sehr konsequent die Fäden in der Hand, buhlt um Leonardo und vor allem um den Herzog, der so einen schweren Verlust erlitten habe, da Michelangelo gestorben sei. Michelangelo wird durch Vasari zur Chefsache erkoren, wobei man hier aber auch nicht immer konsequent bleibt. Leonardo wird das Grab-

mal zugesprochen, wodurch er auch dessen Finanzier wird. In dieser Angelegenheit sind Vasari und Borghini sehr darauf bedacht, den Herzog an die Spitze der Entscheidungshierarchie zu stellen, wodurch sie sich ihrerseits die nötige Legitimation verschafften, Leonardo und die Künstlerakademie regieren zu können. Das selbsternannte Sprachrohr und der Vermittler Vasari setzte mit Unterstützung Borghinis alle Beteiligten bzw. Untergebenden in Kenntnis, was zu geschehen hatte. Giorgio Vasari verschaffte sich so über Jahre hinaus die Position des Dreh- und Angelpunktes, der es sich bis zum Abschluss der Arbeiten an dem Grabmal nicht nehmen ließ, dessen Verlauf zu kontrollieren und zu koordinieren.

16.5 Skizzen und Entwürfe zum Grabmal Das Michelangelo-Grabmal ist eine Kooperation von Vasari und Borghini, der dessen Planung übernahm. 88 Der endgültige Entwurf geht auf Vasari zurück, was die Skizze in der University Library Christ Church in Oxford zeigt. Ernst Steinmann und John Pope-Hennessy ordnen diese Skizze Vasari zu, da sie einerseits dessen Handschrift und Charakter trage und andererseits auch die später ausgeführten Inhalte zeige. Beide Kunsthistoriker sind der Meinung, Vasari habe ein Wandgrab konzipiert, wobei die Büste Michelangelos auf dem Sarkophag stehe und allegorische Figuren das Ensemble schmückten. 89 Bedenken an dieser Zuordnung wurden von James Byam Shaw formuliert. Er bezweifelt in einer kurzen Ausführung, ob es sich hier überhaupt um eine Florentiner Zeichnung handle und sie nicht eher aus Verona oder Venedig stamme. Das Design zeige keine Ähnlichkeit mit der späteren Ausführung des Grabmonumentes. Es sei auch fraglich, ob die Büste auf der Skizze überhaupt in-

tendiere, Michelangelo zu zeigen. 90 James Byam Shaws Ansatz ist nicht ganz überzeugend, da er nicht beachtet und nicht in Erwägung zieht, dass die späteren Entwürfe nicht mehr existieren. Es ist kaum vorstellbar, dass Vasari oder Borghini ohne Konzeption oder Planungsskizze arbeiteten. Die Argumentation, dass die „erste“ Entwurf nicht mehr am Grabmal zu sehen sei, ist auch deshalb nicht überzeugend, da James Byam Shaw zumindest in diesem Stadium die Entwicklung einer Idee zu einem endgültigen Plan ausschließt. Rick Scorza legt eine ähnliche Studie wie Vasari von Borghini vor, der dem Katafalk Michelangelos ähnelt. Hier sind Flussgötter und u. a. auch die Fama zu sehen. Die Skizze ist nach Rick Scorza, was er in einer längeren Fußnote darlegt, aus einem Faksimile aus dem frühen 19. Jahrhundert bekannt. Nach ihm erinnert diese Darstellung, die das Grabmal in eine monumentale Nische setzt, an den zweiten Plan Michelangelos für das Grab Julius’ II. 91 Borghinis

87 Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLXIV, S. 109. „Quanto alla spesa, Lionardo disse, uoleua spendere un 500 ducati et forse 600: Questi uorrej stessino fermi; et se S.E. gli da marmi o altro, sia tutto in accrescimento, che sara tanto piu honoreuole ect.“ Hermann-Walther Frey dazu in Punkt 5, S. 111. Leonardo habe diese Summe wohl mündlich in Aussicht gestellt. Es sei jetzt nicht mehr länger die Rede von den Marmi in der Via Mozza noch von denen aus römischem Privatbesitz gewesen. 88 Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture, S. 367. 89 Steinmann, E.: Die Porträtdarstellungen Michelangelos, S. 76/77 Text, Tafel 75. Für Ernst Steinmann ist das der einzig vorliegende Entwurf, der noch existiert. Die Ideen Volterras sind verloren, haben aber wohl existiert. Ernst Steinmann hält den Vasari-Plan für echt, da er in der Wirklichkeit auch verändert ausgeführt wurde. Vgl. Pope-Hennessy, J.: Two Models for the tomb of Michelangelo, S. 243. (Folgend zitiert: Pope-Hennessy, J.: Two Models) Siehe Abb. 108: Entwurf Vasaris für das Grabmal des Michelangelo [S. 388]. 90 Byam Shaw, J.: Drawings by old Masters at Christ Church Oxford, S. 77, Katalognummer 165. 91 Scorza, R.: op. cit., S. 147, speziell Fußnote 61. Siehe Abb. 109: Vincenzo Borghini: primo pensiero for Michelangelo’s tomb [S. 389].

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Konkrete Planungsschritte

Zeichnung ist aufwendiger und reichlich mit Figuren angefühlt, während Vasaris reduzierter ist. Hermann-Walther Frey diskutiert ebenfalls die OxfordSkizze, sieht in ihr Vasarianische Stilistik, kommt aber zu dem Schluss, dass eine Ausführung dieser Version das Budget von 500–600 Scudi überschritten hätte. 92 Die Skizze Vasaris kann als erste Idee gelten und zeigt eine Nische, in der sich der Sarkophag befindet. Vasari deutet hier Raum- bzw. Tiefenwirkung an. Vier Säulen, die auf Höhe des Abschlusses des Sarkophags beginnen und die mit Kapitellen ausgestattet sind und ihrerseits auf einem Unterbau stehen, tragen einen Architrav, wodurch das Ensemble eingefasst wird. Auf dem Architrav lagern zwei Frauengestalten. Zwei weitere stehende Frauengestalten sind neben dem Sarkophag platziert. Hinter der Büste des Künstlers ist ein Rundbogen

eingeplant. Fresken waren hier nicht vorgesehen. Der Aufbau ist klar und nahezu klassisch und erinnert an den Plan Michelangelos von der Fassade für San Lorenzo. 93 Der obere Teil der Konzeption könnte Vasari inspiriert haben, da hier ein Architrav und drei Felder zu sehen sind. Die vier Säulen von der San-Lorenzo-Skizze könnte Vasari an die Seiten seines Entwurfs näher zusammengerückt haben, um dann in der Mitte den Raum für den Sarkophag und die Büste zu schaffen. Das Holzmodell, das von der Fassade geschaffen wurde 94, hätte ebenfalls als Inspiration dienen können, zumal hier an drei Stellen das Element zu sehen ist, in dem sich letztlich später das Fresko von Naldini befindet. Dass Vasari auch an der Fassade von San Lorenzo interessiert war, ist durch die letzten Jahre und den Tod des Meisters belegt, als es um seine Pläne für die Medici-Kirche ging.

16.6 Konkrete Planungsschritte Konkrete Planungsschritte offenbart ein Brief Vincenzo Borghinis vom 4. November 1564 an Cosimo I., in dem er seinen Vorschlag aus dem Brief an Vasari vom 2. oder 11. August 1564, die Arbeit am Grabmal jungen Künstlern zu überlassen, wieder aufnimmt. Vasari habe ihn darüber informiert, dass der Herzog mit dem vorgelegten Entwurf zufrieden sei und sich er um die Besetzung der Posten der künstlerischen Ausführung, die nur durch die Accademia vollzogen werde, kümmern solle. Borghini sei aufgrund von Gesprächen mit Leonardo gewiss, dass er das Grabmal sehr wünsche. Dabei betont er, dass er keinen Planungsschritt ohne den Herzog machen werde 95 und schildert ihm seine Vorgehensweise, indem er die jungen Künstler zu einem Wettstreit gegeneinander antreten lassen wolle und sie drei Figuren anfertigen sollten. Eine Figur werde Batista Lorenzi übertragen, der schon

am Katafalk Michelangelos mitgearbeitet habe. 96 Die nächste Figur erstelle Giovanni Dell’Opera, der ebenfalls eine Figur für den Katafalk geschaffen habe. Die letzte Figur gehe an Batista di Benedetto, der den Arno am Katafalk modellierte, den der Herzog so gelobt habe. Die Aufsicht für die Mauerarbeiten und die Rahmengestaltung mit der entsprechenden Dekoration werde Batista Lorenzi übertragen, der sehr rechtschaffend und zuverlässig sei, womit alles ordentlich ablaufe. Das Unterfangen gereiche nicht nur Michelangelo zur Ehre, sondern der ganzen Stadt und im Besonderen dem Herzog. 97 Um den perfekten Ablauf und die Qualität dieses Unterfangens zu gewährleisten, übernehme Vasari, der den Entwurf des Grabmals angefertigt habe, die Aufsicht und überprüfe täglich die Modelle und Zeichnungen. 98 Borghini hat klare Vorstellungen von den ausführenden Künstlern, die

Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLXVIII. Siehe Anmerkung 5, S. 121. Ragonieri, P.: Michelangelo – Drawings and other Treasures from the Casa Buonarroti, S. 93. Michelangelos Konzeption von 1516. 94 Ragonieri, P.: op. cit., S. 82. 95 Wie dargestellt, geht es um die Einhaltung der Entscheidungshierarchie, um das eigene Vorgehen durch den Herzog zu legitimieren. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLXVIII. Siehe Anmerkung 5, S. 121. 96 Brief Borghinis an Cosimo I. vom 4. November 1564 in: Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXXIX, S. 150. 97 „Et perchè questo ha d’essere non solo lhonore di Michelagnolo, ma tutta la città, et particular di VE.I.“ Brief Borghinis an Cosimo I. vom 4. November 1564 in: Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXXIX, S. 151. 98 Brief Borghinis an Cosimo I. vom 4. November 1564 in: Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXXIX, S. 151. „Mess. Giorgio, che ha fatto il disegno della sepoltura“. 92 93

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Das Grabmal in Santa Croce – eine Tragödie?

ausschließlich aus der Accademia stammen. Der von ihm inszenierte Wettstreit unter den Künstlern wird ihm später jedoch zum Nachteil gereichen. Mit dieser Besetzung vertritt er die Interessen der Accademia, sodass kein außenstehender Künstler Zugriff auf die Mitgestaltung bekommt und die Accademia den Exklusivanspruch wahrt. Bezogen auf die drei allegorischen Figuren ist zu erkennen, dass es eine Orientierung an dem Katafalk Michelangelos gab. 99 Der Verfasser vergisst auch nicht die Erwähnung des Herzogs als Schutzherrn, den er in der Aufzählung, wem das Grabmal zur Ehre gereiche, ans Ende setzt und dem er damit eine wichtige Position gibt. Daneben stellt er Vasari in den Vordergrund, ohne den weder der Ablauf noch die Qualität des Grabmales gewährleistet wären. Als Reaktion auf den Brief war der Herzog mit der Verteilung der Figuren einverstanden, fand sie wohl überlegt und bat Borghini, sich mit Sorgfalt dem Grabmal zu widmen. 100

16.6.1 Vom Katafalk zum Grabmal Mit dem Brief vom 4. November 1564 ist die Orientierung am Katafalk Michelangelos belegt, offenbart aber gleichzeitig eine Reduzierung des Figurenschmuckes. Die Figur der Poesie, die noch auf dem Katafalk auf Augenhöhe mit der Bildhauerei, der Malerei und Architektur installiert war, 101 fehlt jetzt. Die Erklärung dazu liefert eine Vorlesung Borghinis vor der Accademia del Disegno aus dem

Jahr 1564. Hier stellte er die drei Tochterkünste des Disegno als eine harmonische Trias der drei Grazien vor. 102 Dazu hatte er Vasaris Idee aufgegriffen, die er schon 1547 als Antwort auf den Künstlerstreit gegeben hatte 103 und später in der Einleitung zu den Viten 1568 wiederholte: Der Disegno sei der Vater der drei Künste der Architektur, Bildhauerei und der Malerei. 104 Ziel war die Aufhebung des Künstlerstreits und die drei Künste im Disegno gemeinsam zu verwurzeln. 105 Die drei Grazien wurden schließlich zum Symbol der drei Künste des Disegno und genossen unter anderem in den Jahren der Arbeit am Grabmal Michelangelos große Popularität. 106 Für Borghini und auch Zuccari repräsentierten die drei Grazien in bester Manier die grundlegendste Idee der Künste des Disegno: Die Einheit und die Schönheit der Kunst. Auf dieser Grundlage musste die Poesie als vierte allegorische Figur herausfallen. 107 Die von Borghini vorgeschlagene Trias für das Grabmal dürfte somit als Extrakt der Entwicklung des Jahres 1564 gelten. Vasari konnte dem Herzog am 23. November 1564 die Bestellung des Grabmals und dessen grundsätzliche Anlage bestätigen, was als vorläufiger Endpunkt der Planung und Beginn der Arbeit betrachtet werden kann, auch wenn Leonardo die Künstler in Rom noch immer nicht über seine Entscheidung informiert hatte. 108 Zu diesem Zeitpunkt hatten die Operai von Santa Croce die Lage des Wandgrabes vorgenommen. Es sollte an der Längswand direkt hinter dem

Vgl. Schütz-Rautenberg, G.: op. cit., S. 226. Mallarme, C.: L’ultima tragedia di Michelangelo, S. 66–67. Brief Cosimos I. an Vincenzo Borghini vom 12. November 1564. 101 Wittkower, R. u. M.: Divine, siehe Skizze S. 150. 102 Mertens, V.: Die drei Grazien, S. 226. 103 Mertens, V.: op. cit., S. 225–226. 104 Vasari, G.: Le Vite Bd. I, S. 168. 105 Mertens, V.: op. cit., S. 225. 106 Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 170. 107 Billie G. Fischer stellt in ihrem Werk nur einen assoziativen Gedanken zu den drei Grazien her, ohne ihn zu explizieren. Sie nennt als weitere Assoziation die Trinität. Vgl. Fischer, B. G.: The Sculpture of Valerio Cioli, S. 93. 108 http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_17.php?id=541&page=18&daGiorno=1&aGiorno=31&daMese=1&aMese=1&daAnno=1553&aAnno= 1566&intestazione=&trascrizione=&segnatura=&bibliografia=&cerca=cerca& Hermann-Walther Frey konstatiert, dass Leonardo bis Ende 1564 den römischen Künstlern gegenüber lavierte. Er behandle die Sache dilatorisch (verzögernd). Anfang Juni ließ er Daniele wissen, dass er nichts überstürzen wolle, um ein gutes Ergebnis zu erzielen. Daniele trägt dies mit. Im Laufe des Sommers gab Leonardo dann sein Placet, die Grablege in Florenz von den Künstlern der Accademia erstellen zu lassen, und hatte auch die Summe festgelegt. Dies konnte allerdings auch für den Entwurf von Daniele gelten. Bis dato war aber noch keine Absage nach Rom ausgesprochen. Spätestens nach dem 29. Dezember 1564 musste eine Absage nach Rom erfolgen, die wohl im Januar 1565 herausging. Leonardo begründete die Absage mit dem Zwang der Situation („Zwange der Verhältnisse“), dass man das Grabmal in Florenz „ersinnen und ausführen lassen müsse“. Daniele kränkelte und reagierte nicht. Leonardo schrieb nochmals am 3. Februar 1565, worauf dann Daniele am 11. Februar 1565 reagierte und die Absage akzeptierte, was auch aus den Briefen vom 9. Februar und 15. März 1565 hervorgeht. Frey, H.-W.: Nachlass, S. 122–123. Der Brief vom 11. Februar 1565 ist bei Hermann-Walther Frey nicht nummeriert, sondern mit einem Sternchen * versehen. 99

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Konkrete Planungsschritte

ersten Pfeiler positioniert werden 109, was wiederum eine Auswirkung auf die von 1566 an stattfindende Renovierung von Santa Croce haben sollte.

16.6.2 Die Renovierung von Santa Croce Das Renovierungs- bzw. Umbauvorhaben für die großen Dominikanerkirchen in Florenz unter Cosimo I. fand aus politischen und propagandistischen Gründen im Sinne einer städtebaulichen Erneuerung statt, was im Frühjahr 1565 für Santa Maria Novella 110 und im Sommer 1566 für Santa Croce 111 belegt ist. Religiöser Hintergrund der Renovierung war das 1563 beendete Konzil von Trient, wonach die Gläubigen bzw. Laien fortan am Eucharistiegeschehen teilhaben sollten, indem man eine Veränderung der mittelalterlichen Anlage der Kirche vornahm, um so einen freien Blick auf den Altar zu ermöglichen. 112 Als leitender Architekt wollte Vasari die Kirchen im Stil der Renaissance in einen großen offenen Raum verwandeln. Die Niederlegung des Tramezzos und die Veränderung des Chorraumes hatten so in Santa Croce Auswirkung auf das Langhaus. 113 Vasari berichtet darüber, dass er auf Geheiß Cosimos I. die Lettner niederlegte, sodass das Langhaus nicht mehr vom Altarraum getrennt war. Hinter dem Hauptaltar wollte er einen Chor errichten, den Altar nach vorne ziehen und dort einen neuen und reichen Tabernakel platzieren. Daneben habe er vierzehn Kapellen (im Langhaus an den Seitenwänden) errichtet. 114 Die Ädikulä, die Vasari zusammen mit Sangallo entwarf, sollten den Großen der Stadt Florenz als Grablege dienen; Vorbild sei das Pantheon in Rom

gewesen, speziell das Grab Raffaels. 115 Leon Satkowski zeigt in seinem Werk, dass der Umbau von Santa Croce für ihn zweifelsfrei mit deren Funktion als Ort für Michelangelos Grablege verbunden sei; die Errichtung des Monuments hatte eine entsprechende Auswirkung auf den Fortgang des Umbaus, 116 da sich die neu zu errichtenden Kapellen daran orientieren mussten, lag dessen Lage bereits fest. Vor allem gilt das für die Buonarroti-Kapelle, die sich heute links neben Michelangelos letzter Ruhestätte befindet. Die Entscheidung, die Kapelle dem Grabmal hinzuzufügen, muss schon zügig nach der Entscheidung für eine Renovierung gefallen sein. 117 Das Altarstück das Altarstück „Jesu Weg zum Calvarienberg“ führte Vasari selbst aus. 118 Darüber hinaus malte er auch die Altarbilder für drei weitere Kapellen. Aufgrund dieses gutlaufenden Projektes setzte er einen weiteren Plan um, durch den weitere Altarstücke in den Kapellen von Santa Maria Novella und Santa Croce ausschließlich von Künstlern der Accademia del Disegno gestaltet wurden. 119 Er sicherte so deren Exklusivanspruch auf Ausgestaltung der prestigeträchtigen Kirchen. Allerdings konnte er es nicht umsetzen, dass es trotz des Umbaus keinen direkten Blick aus dem Mittelgang auf das Grabmal Michelangelos geben werde. 120 Auf dem Hintergrund der Renovierung von Santa Croce kommt Vasaris Verhalten, die Konkurrenten aus Rom hinsichtlich des Grabmalentwurfs auszumanövrieren, nochmals Bedeutung zu, da es für ihn als leitenden Architekten undenkbar gewesen wäre, einen künstlerischen Leiter aus Rom am Grab der Gräber dieses neuen Pantheons vor sich

109 Frey, H.-W.: Nachlass, S. 139. Separates Schreiben von Vincenzo an Cosimo I. vom 29. Dezember 1564: „Subito che io hebbi da .V E. I. la commissione di eseguire il disegno della sepoltura di Michelagnolo, detti ordine a tutto quello che da .V. E. fu ordinato. Et gli operai di S. (Croce) hanno concesso a Leonardo Buonarroti luogo per la sepoltura, che e (è) entrando in chiesa a man ritta, dirimpetto alla prima colonna.“ Vgl. Barocchi, P.: Giorgio Vasari: La Vita di Michelangelo: Nelle redazioni del 1550 e del 1568 Bd. IV, S. 2229. 110 Hall, M.: Renovation and Counter-Reformation, S. 16. 111 Hall, M.: op. cit., S. 17–18. 112 Hall, M.: op. cit., S. 2–4. 113 Hall, M.: op. cit., S. 8–9. 114 Vasari, G.: Le Vite Bd. VII, S. 711. „Il medesimo ha voluto che si faccia questo granduca nella chiesa grandissima di Santa Croce di Firenze; cioè che si levi il tramezzo, si faccia il coro dietro l’altar maggiore, tirando esso altare alquanto innanzi, e ponendovi sopra un nuovo ricco tabernacolo per lo SS. Sacramento, tutto ornato d’oro, di storie e di figure; (…) vi si facciano quattordici cappelle a canto al muro; Vgl. Vasari, G.: Mein Leben, S. 85. 115 Satkowski, L.: op. cit., S. 96. 116 Satkowski, L.: op. cit., S. 96. 117 Hall, M.: op. cit., S. 124–125. 118 Hall, M.: op. cit., S. 125. 119 Hall, M.: op. cit., S. 28–29. 120 Weil-Garris Brandt, K.: Michelangelo’s Monument: An Introduction to an architecture of iconography, S. 30. (Folgend zitiert: Weil-Garris Brandt, K: Michelangelo’s Monument) Kathleen Weil-Garris Brandt stellt genau dieses Faktum fest.

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zu haben. Das wäre seinen ehrgeizigen Plänen und seinem Ego zuwidergelaufen.

16.6.3 Das Grabmal heute Das Monument als Produkt des Vasarianischen Ehrgeizes ist heute als Wandgrab zu sehen. Einer Art Schauwand vorgelagert, ist der Sarkophag auf einem erhöhten Podest installiert. Vor dem Sarkophag sitzen drei allegorischen Figuren. Die Mittelposition hatte die Bildhauerei inne, die in ihrer Darstellung, auch wenn es seitenverkehrt ist, an Raffaels Michelangelo in seinem Fresko der Schule von Athen erinnert. 121 Die linke Außenposition besetzt die Malerei; auf der gegenüberliegenden Seite ist die Architektur positioniert. Der Sarkophag ist aus dunklem Marmor gearbeitet und erinnert der Form nach an die Medici-Gräber. Er steht auf zwei mächtigen Füßen, hatte eine wannenartige Form und wird von zwei halbrunden bzw. schneckenartigen Elementen abgeschlossen. Über dem Altar ist die Büste Michelangelo positioniert. Auf gleicher

Höhe sind links und rechts drei ineinander verschlungene Kränze angebracht, eingerahmt von dem Wappen der Buonarroti. Über der Büste befindet sich in einem gerahmten Feld, das mit einem halbrunden Element abschließt, das Fresko der Kreuzesabnahme von Battista Naldini. Das Fresko markiert die letzte Arbeit an diesem Projekt. Das Wandgrab wird von einem gemalten und bunten Vorhang umrahmt, der seinerseits von zwei Putten zur Seite geschoben wird und somit den Blick auf die letzte Ruhestätte freigibt. Der Vorhang ist in einem krönenden Abschluss zusammengefasst. Rechts und links von diesem Abschluss sind zwei ewige Flammen über zwei angedeuteten Säulen aufgemalt. Rot ist neben gelben und hellblauen Tönen die dominierende Farbe in dem gesamten Ensemble. Belebendes Element in dem Vorhang sind sechs Putten, die mit der Bewegung des Vorhangs beschäftigt sind. Der Vorhang läutet schon den Barock ein und gibt der Grablege eine eher kitschige Note, die mehr aus dem Zeitgeist heraus zu verstehen ist. 122

16.7 Die künstlerische Gestaltung des Grabmals 16.7.1 Battista Lorenzis Aufgaben Das Hauptinteresse an diesem Denkmal liegt zweifelsfrei auf dem plastischen Schmuck, wodurch die Tradition bedient wird, dass Grabmäler eigentlich wichtiges Betätigungsfeld der Bildhauer waren. 123 Damit hatten an der Gestaltung dieses Projektes junge, begabte Bildhauer den Löwenanteil, da sie ihre künstlerische Visitenkarte schon am Katafalk abgegeben hatten. 124 Borghinis Wahl erschien aus seiner Sicht demnach gerechtfertigt. Battista Lorenzi schuf die Allegorie der Malerei, Giovanni Ban-

dini führte die Architektur aus und Valerio Cioli die Allegorie der Skulptur. 125 Von der Allegorie der Skulptur existiert ein Terrakottamodell im Victoria und Albert Museum in London, von dem Rudolf und Margot Wittkower nicht wissen, ob es für den Katafalk oder das Grabmal vorgesehen war, da die Forschung sich hier uneinig ist. 126 Die Terrakottafigur kommt der ausgeführten Allegorie durchaus nahe, auch wenn der Künstler ihr letztlich eine andere Blickrichtung gab. Die Gesamtanlage dieser Figur bzw. deren Faltenwurf lässt schon sehr auf die Allegorie des Monuments schließen. Valerio di Simone

Fischer, B. G.: op. cit., S. 99–100. Billie Gene Fischer äußerte hier einen ähnlichen Gedanken. Siehe Abb. 110: Grabmal des Michelangelo in Santa Croce, Florenz [S. 390]. 123 Roser, H.: St. Peter in Rom im 15. Jahrhundert, S. 14. Hannes Roser belegt dies in seinem Werk für das 14. und 15. Jahrhundert. Das Julius-Grabmal belegt dies u. a. für das 16. Jahrhundert. 124 Borghini sah damit seine Auswahl gerechtfertigt. 125 Borghini, Raffaello: I Riposo, S. 108. Giovanni Bandini hatte schon am Katafalk den Flussgott Tiber geschaffen, dem im Libretto über die Exequien eine ausgewöhnliche Schönheit und Glanz attestiert wird. Vgl. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 90. Im Vorfeld der Besetzung dieser Positionen hatte es Ärger gegeben, da sich Maler und Bildhauer bei der Vergabe übergangen fühlten: Ammannati war verstimmt. Valerio Cioli, Vincenzo Danti, Andrea Calamech und Domenico Poggini fühlten sich ebenfalls missachtet. Als Ammannati seinem Gehilfen die Mitarbeit am Grabmal untersagte, trat Valerio Cioli an dessen Stelle. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLXVIII, S. 117. Siehe Anmerkung 5, S. 121. 126 Wittkower, R. u. M.: Divine, Tafel 19 bzw. Erläuterung S. 163. Siehe die Terrakottafiguren in Abb. 111: Modell für die Figur der Architektur I [S. 391] bis Abb. 114: Modell für die Figur der Bildhauerei [S. 391]. 121

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Cioli hatte für den Katafalk die Nächstenliebe bzw. Barmherzigkeit geschaffen. 127 Insgesamt erwarb er sich eine gute Reputation als fleißiger, sorgfältiger und urteilsfähiger Bildhauer wegen seiner guten Restaurierungsergebnisse antiker Figuren im Besitz von Cosimo I. Im Libretto der Exequien wird er als wertvoller und begabter junger Mann vorgestellt. 128 Dies bestätigt später Vasari in der Ausgabe der Viten von 1568 in zweifacher Weise, da man es Cioli wegen seiner bisher gelieferten Ergebnisse zutraute, eine Figur zu schaffen, die dem Grabmal eines solchen Mannes würdig sei, und da es Valerio aufgrund seiner sehr guten Arbeiten für den Herzog verdiente, den Auftrag für die Statue erhalten zu haben. 129 Battista Lorenzi war der Künstler, der schon am Katafalk die Allegorie der Malerei modelliert hatte 130, und der im Libretto als anständig, bescheiden und mit guten Manieren ausgestattet dargestellt wird. 131 Lorenzi bezog schon zu dieser Zeit die frühere Werkstatt Michelangelos in der Via Mozza. 132 Seit 1564 war er Mitglied der Accademia del Disegno und bekleidete im Laufe seiner Mitgliedschaft hohe Ämter. 133 Im November 1564 übertrug man ihm die Hauptarbeit am Grabmal: Er sollte den Sarkophag mit den Ornamenten, die Porträtbüste und eine Allegorie der Künste ausführen. Nach Vasari hatte Battista Lorenzi diese Mitarbeit nicht zuletzt wegen seiner anderen schönen Werke verdient. 134 Im Januar 1565 befand er sich bereits in Carrara, wo er den Marmor aussuchte und die Figuren abbrozzierte. Der Marmor des Sarkophags traf im Oktober 1567 in Florenz ein, womit dann auch diese

Arbeit begann. Das Fundament wurde im April 1568 gelegt. Zwischen Juli bis Oktober 1568 traf der restliche und größere Teil des Marmors ein. Battista Lorenzi begann mit Hilfe seines Gehilfen die Arbeit an der Verblendung des Sarkophags, der Porträtbüste und der Sitzfigur. 135 Ursprünglich sollte er die Allegorie der Skulptur schlagen, die als Mittelfigur gedacht war; in diesem Sinn führte er sie auch aus. 136 Diese Ausführung stiftet bis heute beim Betrachten des Monuments etwas Verwirrung, da zwei Figuren die Bildhauerei darstellen könnten. Der Grund für diese Irritation liegt bei Leonardo, der während des Entstehungsprozesses unzufrieden mit der Ausführung war und seine ursprüngliche Entscheidung revidierte. 137 Er wünschte plötzlich, dass Lorenzi die Malerei anstelle der Skulptur darstelle. Seine Figur war aber nahezu vollendet, wodurch Lorenzi nur noch aus dem unbearbeiteten Marmor an deren rechten Seite der Figur, die daneben eine kleine Skulptur in der rechten Hand hält, Utensilien der Malerei wie Pinsel und Paletten herausmodellieren konnte. Diese Arbeit war bis zum Frühjahr 1572 vollendet. Schließlich nahm Michelangelos Neffe noch eine Veränderung an der Figurenpositionierung am Grabmal vor. Im August 1574 wanderte die ursprünglich als Mittelfigur geplante Malerei (ehemals Allegorie der Skulptur) an den linken Rand des Grabmals. 138 Die Verwirrung um die Anordnung der Figuren wurde später unverständlicherweise nochmals gesteigert, als Agostino Lapini in seinem „Diario Fiorentino“ berichtet, dass die Allegorie der Architektur sich in der Mitte, die

Vasari lobte ihn wegen dieser Figur über alle Maße und bezeichnete ihn als tüchtigen jungen Mann, der hochintelligent sei und es verdiene als urteilsfähiger und sorgfältig arbeitender Bildhauer gelobt zu werden. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 227. Vasari rechtfertigt damit erneut die Wahl des Bildhauers für eine der allegorischen Figuren am Grabmal Michelangelos. 128 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 97. 129 Vasari, G.: Das Leben Montorsoli und des Bronzino sowie der Künstler der Accademia del Disgeno, S. 120–121. In diesem Kontext der Viten macht Vasari Cosimo I. Zum Auftraggeber Ciolis, was bemerkenswert ist. Mallarme, C.: L’ultima tragedia di Michelangelo, S. 67. Brief Vasaris an Cosimo I. am 23. November 1564. 130 Brief Borghinis an Cosimo I. vom 4. November 1564. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLXVIII, S. 116–118. Vgl. Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXXIX, S. 151. 131 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 102. Dieses ist auch dem Brief Borghinis an Cosimo I. vom 4. November1564 zu entnehmen. Vgl. Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXXIX, S. 151. 132 Utz, H.: Skulpturen und andere Arbeiten des Battista Lorenzi, S. 37. 133 Utz, H.: op. cit., S. 38. 134 Vasari, G.: Montorsoli, S. 121. 135 Utz, H.: op. cit., S. 37. 136 Utz, H.: op. cit., S. 37–38. 137 Leonardo Buonarroti war mit der Qualität ausgeführten Arbeiten durch die jungen Künstler nicht zufrieden. Vgl. Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 164. 138 Utz, H.: op. cit., S. 38. Siehe Abb. 115: Allegorie der Malerei [S. 392]. 127

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Figur der Malerei sich an der linken und die Plastik der Skulptur sich an der rechten Seite des Grabmals befinde. 139 Vertiefend soll hier noch einmal auf die Figur hingewiesen werden, die die Malerei in der rechten Hand hält. Diese kleine Figur ist als michelangeloesk zu bezeichnen, da sie eine interessante Drehung bzw. Verdrehung aufweist, die an die Ignudi der Sixtinischen Kapelle erinnert. Sie könnte auch eine Reminiszenz an die Sklaven des Juliusgrabmals sein. 140 Darüber hinaus ist sie in einer Michelangelo eigenen Weise abbrozziert und bleibt auf dem Level des Non-finito. 141 Battista Lorenzi hat wahrscheinlich nicht zuletzt aus diesem Grund die interessanteste Figur am Grabmal geschaffen, da sie die Künste vereinigt, die Michelangelo am Herzen lagen: Die Bildhauerei und die Malerei. 142 Es ist zu konstatieren, dass Lorenzi eine Figur schuf, ohne es zu intendieren, die Michelangelo vermutlich entsprochen hätte. Denkt man diesen Gedanken konsequent zu Ende, wäre es eine Alternative gewesen, eine allegorische Figur zu schaffen, die als Attribute die Werkzeuge aller Künste des Meisters gezeigt hätte. Darauf kam wohl niemand oder man verwarf den Gedanken bewusst, da sonst nicht genügend Künstler der Accademia an diesem Grabmal hätten tätig werden können. Die besprochene Allegorie der Malerei war diejenige, die bei Leonardo den größten Unmut auslöste, da er nach Borghini nichts von ihr wissen wollte und die Proportionen der Figuren insgesamt nicht stimmten. 143 Zygmunt Wazbinski führt neben der Proportionsfrage als weiteren Auslöser des Unmuts die fast völlige Nacktheit („quasi nuda“) der Figur an, da dies gegen den Anstand verstoße. 144 Leonardos Unzufriedenheit mit der Arbeit Lorenzis am Grabmal weitete sich noch aus, so dass dieser

seine Zahlungen an den Künstler verzögerte und immer verringerte, worüber dieser klagte und was schließlich in einem Konflikt endete. Borghini bat Vasari aus Rom nach Florenz zurückzukommen, damit er sich dieses Konfliktes annehmen sollte, was dieser aber nicht tat. Schließlich musste Borghini ihn in Rom darüber in Kenntnis setzen, dass beide Parteien sich einerseits in einem offenen und unauflösbaren Konflikt befänden und andererseits auf ihn als Vermittler verzichteten. Der Neffe Micheangelos entschloss sich, die Kontroverse im Frühjahr 1572 vor den Magistrat („Magistrato die Sei“) zu bringen und Vasari und Borghini als Ausführende des Grabmals – an seiner Stelle – die Verantwortung für diesen Konflikt aufzubürden. 145 Borghini informierte Vasari darüber in einem Brief vom 22. März 1572, in dem er sich den Tatsachen stellt und sich dazu eindeutig äußert. Er (Borghini) habe zwar Anweisungen gegeben, aber die Zahlungen hingen von Leonardo ab, der bis jetzt gezahlt habe. So werde das Werk für ihn, mit seinem Wappen und Namen, angefertigt und sei seinem Geschmack mehrfach angepasst worden, und das scheine ihm (Borghini) eine ausgesprochen schlechte Lösung zu sein. 146 Der Verfasser erkennt offensichtlich, dass die Grabmalidee, die er und Vasari vielleicht hatten, nicht umsetzbar ist, und muss akzeptieren, dass Leonardo als Patron eingreift und das Hoheitsrecht auf Veränderung hat. Diese Veränderung entspricht nicht Borghinis Vorstellung, im Gegenteil, sie ruft bei ihm Unmut hervor, gepaart mit der Erkenntnis, dass trotz der Kontrolle über das Grabmal der Erbe Michelangelos eine unbekannte Größe ist, die unterschätzt wurde. Der Rechtstreit endete noch im April mit der Festlegung des Wertes der Marmorarbeiten am Grab auf 205 Scudi, die Leonardo zu zahlen hatte. Als Re-

Lapini, A.: Diario Fiorentino, S. 139–140. Wazbinski kommt auch zu diesem Befund. Vgl. Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 163. 141 Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 163. Auch Zygmunt Wazbinsiki deutet diese Figur als Hommage an Michelangelo. 142 Seit der Arbeit in der Sixtina wirkte Michelangelo in beiden Künsten. Vasari attestierte Michelangelo, er habe mit dem Pinsel an die Decke gemeißelt und mit dem Meißel gemalt. In einer weiteren wichtigen Lebensphase, die die spirituelle Auseinandersetzung Michelangelos widerspiegelt, kombiniert er mit seiner Arbeit in der Cappella Paolina und an der Florentiner Pietà wieder diese beiden Künste. 143 Übersetzung des Briefes von Borghini an Cosimo I. 1573 in Steinmann, E.: Porträtdarstellungen Michelangelos, S. 75–76. 144 Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 164. 145 Cecchi, A.: L’Estremo omaggio al „Padre di tutte le arti“ – Il monumento funbre di Michelangelo, S. 80. 146 „perché se io, come luogotenente, e che n’ebbi commissione et ho la lettera di Sua Altezza, detti certi ordini, il maestro della bottega del pagare è egli et egli ha pagato infin qui et per lui si fa l’opera e vi è la sua arme e ’l suo nome et anche ha fatto variare e mutare a suo gusto, et in somma questa mi parrebbe un fuggir peggio che pe’ chiassolini.“ http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_17.php?id=975&daGiorno=1&aGiorno=31& daMese=3&aMese=1&daAnno=1572&aAnno=1574&intestazione=&trascrizione=&segnatura=&bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief DCCCLXXIV, S. 660. 139

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aktion darauf wies er 120 Scudi an Lorenzi an. 147 Battista Lorenzi bestätigt schließlich die letzte Zahlung von Leonardo für seine geleistete Arbeit am 27. Januar 1575. 148

16.7.2 Die Allegorie der Architektur Die Allegorie der Architektur von Giovanni Bandini ist die erste Figur, die im Oktober 1568 fertig gestellt wurde. 149 Sie befindet sich am rechten Rand des Grabmals. Ihre Darstellung folgt der traditionellen Ikonografie mit Zirkel in der rechten und mit der Rolle des Entwurfs oder Plans in der linken Hand. Ihr rechter Fuß steht erhöht auf einem Kapitell. 150 Sie dreht sich nach links und schaut etwas versonnen auf den Boden, dabei ist sie in ein Kleid gewandet, wobei ein Teil des Gewands über ihre rechte Schulter fällt. Sie trägt einen Kopfschmuck, der Ähnlichkeit mit dem Helm des Herzogs Lorenzo de’ Medici aus der Medici-Kapelle aufweist. Cristina Acidini Luchinat beschreibt diesen Helm des Herzogs als „fantasievoll“ 151, was auf diesen Kopfschmuck übertragbar ist, wodurch er als Hommage an Michelangelo deutbar wäre. Borghini berichtet in seinem späteren Brief 1573 an Cosimo I., dass Leonardo mit der Statue des Giovanni dell’Opera sehr zufrieden sei. 152 Nach der Aussage von John Pope-Hennessy war die Figur für ihre jetzige Position am Grabmal konzipiert. 153 Sie stand damit für eine Versetzung nicht zur Diskussion. Er ordnet diese Figur einem Terrakotta-Modell von Bandini zu, das im Sir-John-Soane-Museum aufbewahrt wird, und geht davon aus, dass es sich hier um einen Entwurf handelt, der ein frühes Stadium widerspiegelt. 154 Seiner Aussage über den Kopfschmuck, bei dem er auch eine Ähnlichkeit zu die-

sem Tonmodell sieht, ist zu widersprechen, da das Diadem der Architektur doch differiert und die jetzige Darstellung mehr Michelangelos Stil entspricht. Bandini hat hier offensichtlich eine Änderung vorgenommen. John Pope-Hennessy diskutiert daneben auch das Tonmodell von Battista Lorenzi, das die Allegorie der Skulptur darstellt. 155 Die beiden von ihm diskutierten Modelle setzt er in Beziehung zu dem Vasari-Entwurf für Michelangelos Grablege, das rechts und links neben dem Sarkophag allegorische Figuren vorsah. Die Positionierung der beiden Figuren sieht er in der Abhängigkeit von Ammanatis Del-Monte-Kapelle in San Pietro in Montorio, womit er eine Orientierung an dessen Werk sieht. Daraus schließt er, dass Ammanati als äußerst prominenter Bildhauer in Florenz zwar bei der Entwicklung des Grabmales konsultiert wurde, dass aber leider die Umsetzung der lebendigen Terrakottamodelle unter der Leitung Vasaris scheiterte und man stattdessen sterile Statuen erschuf 156, womit John Pope-Hennessys Urteil negativ ausfällt. Im Gegensatz zu ihm preisen die Autoren Francesco Bocchi und Giovanni Cinelli in ihrem Werk über die Schönheiten der Stadt Florenz aus dem Jahr 1677 die Skulptur der Architektur, die die Schönheit der beiden anderen Figuren überschreite, da ihre Gesichtszüge voller Grazie seien. 157

16.7.3 Die Allegorie der Skulptur Die Mittelposition des Grabmals nimmt die Allegorie der Skulptur ein, die von Valerio Cioli geschaffen wurde und in seinem Werk die bildhauerische Umsetzung mit der größten Vollendung und dem besten Zustand darstellt. 158 Alessandro Cecchi bewertet sie sogar als die gelungenste Darstellung am

Cecchi, A.: op. cit., S. 80. Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 408–409. 149 Vasari, G.: I Ragionamenti e le lettere edite e inedite di Giorgio Vasari, Vol VIII, Brief CLXXXV, S. 436. Siehe Abb. 116: Allegorie der Architektur [S. 393]. 150 Cecchi, A.: op. cit., S. 81. 151 Acidini Luchinat, C.: Michelangelo – Der Bildhauer, S. 174. 152 Steinmann, E.: Die Porträtdarstellungen Michelangelos, S. 76. 153 Pope-Hennessy, J.: Two Models, S. 238. 154 Pope-Hennessy, J.: Two Models, S. 238. Alessandro Cecchi schließt sich dieser Zuordnung in seinem Werk an. Vgl. Cecchi, A.: op. cit., siehe Abbildungen 9 und 10. 155 Pope-Hennessy, J.: Two Models, S. 240. Das Modell befindet sich heute im Victoria und Albert Museum. 156 Pope-Hennessy, J.: Two Models, S. 243. 157 Bocchi F.; Cinelli, G.: Le Bellezze delle Città di Firenze, S. 322. „Architettura (…) eccede la bellezza delle due statue di sopra nominate. Molto è gentile nel sembiante questa figura, e piena di grazia in sue fatezza.“ 158 Fischer, B. G.: op. cit., S. 97. 147

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Monument Michelangelos. 159 Ihr Entstehungsprozess ist ab 1573 nachweisbar, womit sie als letzte des Figurenkonvoluts entstanden ist. Den exponierten Platz erhielt sie, weil dies der Wunsch Leonardos war. 160 Die Bildhauerei war nachweislich Michelangelos favorisiertes Gewerk. Cioli, der während des Schaffungsprozesses selbst etwas betagter war 161, hatte großes Interesse an Michelangelos Œuvre, das ihn in seiner Kunsttätigkeit beeinflussen sollte. 162 Sichtbar wird das in diesem Fall an der Darstellung in einer sinnierenden Haltung und an den kräftig wirkenden Armen und Händen, die auf eine schwere handwerkliche bzw. körperliche Arbeit hinweisen. Nach Billie Gene Fischer ist diese Marmorarbeit die kompetenteste Ausführung mit michelangeloesken Zügen, was sich nicht zuletzt in der Stimmung der Pose widerspiegle. 163 Diese Ausführung ist eine kräftige und muskulöse, fast maskulin wirkende Gestalt, der auch aufgrund ihrer Haltung und des Gesichtsausdrucks eine kontemplative Stimmung attestiert wird. 164 Ihre linke Hand hält einen Meißel und Marmorblock fest, der auf ihrem rechten Bein ruht. Er und die darauf ruhende Hand bilden eine Stütze für den rechten Ellenbogen bzw. rechten Arm. Die rechte Hand ist abgeknickt, auf ihr ist das Gesicht abgelegt, sodass eine sinnende Pose entsteht. Ihr rechter Fuß ruht auf einem Marmorblock, unter dem sich ebenfalls Werkzeuge der Bildhauerei befinden, wodurch ihr rechtes Bein in seiner Höhe das linke Bein, dessen linker Fuß tiefer als der rechte steht, überragt. Die Füße stecken in einer Art Sandale, die an die Sandale römischer Soldaten erinnert. Das Wams und die aufgerollten Arme des Hemdes erinnern nach Billie Gene Fischer an Weinbauern bzw. Bauern in den Boboli-Gärten. Eine Art Mantel hüllt ihr Haupt ein und gleitet über die Schulter bis über die kräftig wirkenden Beine. 165 Insgesamt strahlt die Figur die körperliche Anstrengung aus, die mit der Bilder-

hauerei verbunden ist. 166 Somit kommt sie der harten Arbeit, der sich der Verblichene bis zum Schluss unterzog, sehr nahe. In der Summe ist diese Allegorie nach Billie Gene Fischer die kraftvollste und mächtigste Figur des Grabmals. Zygmunt Wazbinski führt diese Wirkung auf die Attribute (Hammer und Meißel) zurück, da diese Attribute die Kraft dieser Kunst beschreiben und sie somit zu den „artes mechanicae“ zählen ließen. Die sitzende Haltung, bei der der Kopf auf die rechte Hand gestützt wird, könnte als Ausdruck der Müdigkeit gedeutet werden, wobei diese nicht unbedingt der manuellen Arbeit als mehr der mentalen Anstrengung geschuldet ist. Diese Figur illustriere daher die Konzentration, die Intensität der Reflexion und die Realisierung der künstlerischen Idee. So werde deren intellektuelle Dimension bzw. der Charakter sichtbar. 167 Durch seine Interpretation hebt Zygmunt Wazbinski berechtigt die Bildhauerei in den Bereich der Kopfarbeit, da die kognitiven Prozesse der Vorstellung und nächsten Schritte zunächst dem eigentlichen handwerklichen Arbeitsprozess vorangehen. Alessandro Cecchi deutet hingegen die sinnierende Haltung als untröstliche Trauer über das Ableben des Meisters. 168

16.7.4 Die Büste Im Zentrum des Grabmonuments, oberhalb der dargestellten Ebene, befindet sich die Büste des Künstlers und wird von dem Sarkophag getragen. Sie ist direkt über der Allegorie der Bildhauerei positioniert, schaut aber über sie leicht nach links gerichtet in die Weite von Santa Croce. Über ihr befindet sich einen Rang höher das Gemälde von Naldini, das eine Pietà zeigt. Wie bereits eingeführt, fertigte Lorenzi diese Arbeit an, die den Kopf des Dargestellten frontal zeigt. Die Vorlage stammt vermutlich nicht von der Totenmaske, sondern ist

Cecchi, A.: op. cit., S. 81. Siehe Abb. 117: Allegorie der Skulptur [S. 394]. Fischer, B. G.: op. cit., S. 99. 161 Fischer, B. G.: op. cit., S. 89. 162 Fischer, B. G.: op. cit., S. 87; S. 98–101. Die Autorin sieht hier Ähnlichkeiten mit der Leah vom Julius-Grabmal, dem Jeremia, der Eryträischen und Delphischen Sibylle aus der Sixtina und den Medici-Grabmälern. Die meiste Ähnlichkeit sieht sie mit Raphaels Heraklit aus der Schule von Athen. 163 Fischer, B. G.: op. cit., S. 103. 164 Fischer, B. G.: op. cit., S. 99. 165 Fischer, B. G.: op. cit., S. 95. 166 Fischer, B. G.: op. cit., S. 96. 167 Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 166. Zygmunt Wazbinski nennt die Attribute „martello, scalpelli o menaruole“. 168 Cecchi, A.: op. cit., S. 82. 159

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nach einer Bronzebüste von Daniele della Volterra angefertigt. 169 Insofern trifft diese Ausführung das Konterfei des Meisters, der in seinen reiferen Jahren gezeigt ist, und eine gewisse Melancholie ausstrahlt. Lorenzis Werk mutet klassisch an, wofür die Haartracht Michelangelos und das geschlungene Gewand sprechen. Zygmunt Wazbinski findet die Positionierung der Plastik über den drei Allegorien sehr trefflich und ehrenhaft, da sie die drei Gruppen der Künste dominiere, gelte doch Michelangelo als der Vater und der Meister der Künste des Disegno. 170 Kathleen Weil-Garris Brandt legt in ihrem Aufsatz über diesen Rang des Grabmals dar, dass Michelangelos Körper in der sterblichen Welt – dem Sarkophag – bleibe und sein intellektueller Teil – in Form der Büste – auf die höhere Ebene – quasi in das Reich des göttlichen Intellekts – eingehe. In diesem Reich regiere das Disegno, wie die drei Kränze zeigten. 171 Da dieses reliefplastische Bildnis und die Kränze auf der gleichen Ebene angesiedelt seien, sei Michelangelo mit dem Disegno identifiziert. 172

16.7.5 Wappen und Kränze Auf gleicher Höhe wie die Büste befindet sich das Emblem Michelangelos – die drei verschlungenen Kränze – und das Wappen der Familie Buonarroti. Das Wappen der Familie belegt die noble Abstammung und die Verbindung zu den Medici. 173 Kathleen Weil-Garris Brandt schreibt diesem Wappen u. a. die Mittlerfunktion zwischen Grabmal und sakralem Raum zu. 174 Diese Interpretation ist nachvollziehbar, unterstreicht aber nicht die Bedeutung der heraldischen Präsenz der Familie Buonarroti in der angestammten Hauskirche. Die heraldische Präsenz der Familie zeigt aber gerade den Anspruch auf Bedeutsamkeit an, der im Zusammenhang mit dem Haus in der Via Ghibellina, dessen rechte

Hausecke ebenfalls das Wappen der Buonarroti ziert und nah bei Santa Croce liegt, gesehen werden muss. So zeigen die Buonarroti Präsenz im Viertel und in der Kirche Santa Croce, was ihre wichtige Stellung als Aristokraten untermauert. Das Wappen wird durch die Nennung Leonardos als Stifter noch präzisiert. Die drei Kränze perpetuieren den Schmuck des Katafalks, sodass ein Wiedererkennungseffekt erzielt wird. Das Libretto zu den Exequien berichtet davon, dass Michelangelo dieses Zeichen sein Leben lang benutzt habe. Die verschlungenen Ringe oder Kränze zeigten, dass die drei Künste Bildhauerei, Malerei und Architektur miteinander verwoben seien, dass sie sich gegenseitig befruchteten, vorantrieben und vor allem untrennbar verbunden seien. Die Akademiker, die ihn als perfekt in allen Künsten ansahen, hätten das Zeichen in drei Kränze verwandelt und mit dem Motto versehen „Tergeminis tollit honoribus“. Sie drückten den Wunsch aus, dass gerade er in den genannten drei Künsten die Krone der Vollendung verdient hätte. 175 Folgt man dem Libretto, sind die drei Kränze eher eine Erfindung der Akademiker für Michelangelo. Zygmunt Wazbinski stellt dies an einem Text von Francesco Bocchi aus dem Jahr 1591 in seinem Werk ebenso in Aussicht, dass das Zeichen eher eine Erfindung der Accademia sei, um Michelangelo mit einer Art Trophäe für den Meister der drei Künste des Disegno zu ehren. 176 Es veranschauliche perfekt die Bedeutung, die Michelangelo als Meister der drei Künste und deren spirituellen Führer durch die Accademia zugeschrieben werde. 177 In seinem Brief über die Exequien vom 14. Juli 1564 nennt Vasari drei Girlanden bzw. verschlungene Kreise bzw. Kränze und beschreibt sie als Michelangelos Zeichen, das die Perfektion der drei Künste in seiner Person anzeigt. 178 Paul Barlosky argumentiert ebenfalls, dass Michelangelo das Emblem der Familie

Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II., S. 537. Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 166. Als Explikation führt er ein Zitat aus der Darstellung Federico Zuccaris an: „Una lux in tribus refulgens.“ 171 Weil-Garris Brandt, K: Michelangelo’s Monument, S. 28. 172 Weil-Garris Brandt, K.: Michelangelo’s Monument, S. 29. Siehe Abb. 118: Grabmal des Michelangelo (Details) [S. 395]. 173 1515 erhielt die Familie die Erlaubnis, die „Kugel“ des Medici-Wappens neben dem L und dem X für Leo X., der Buonarroto Buonarroti dieses Privileg im Rahmen der Verleihung des Ehrentitels „Conte palatino“ gewährte. Vgl. Wallace, W.: Michelangelo – The Artist, S. 107–108. Ein Bild, das sich in der Casa Buonarroti befindet und von Pietro da Cortonas (1596–1669) stammt, zeigt diese Szene. 174 Weil-Garris Brandt, K.: Michelangelo’s Monument, S. 29. 175 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 121. 176 Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 172. 177 Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 174. 178 „e per tutto una inprese con tre grillande, segnio suo, ma senplice di tre giri tondi, che denotano in lui la perfection delle tre arti“. 169 170

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Medici, drei ineinander verschlungene Ringe, übernahm und sie in adaptierter Form als drei Kronen als Symbol seiner drei Künste darstellte. Nach Paul Barlosky wollte sich Michelangelo mit der adaptierten Übernahme selbst als fürstlich einstufen. 179 Demnach würden diese Kronen bzw. Kränze eine Selbstveredelung darstellen. In der letzten Konsequenz ist die Darstellung der Kränze wohl ein Zeichen der Accademia del Disegno, auch wenn sie nicht namentlich erscheint.

16.7.6 Naldinis Pietà Die Freskoarbeit Giambattista Naldinis beendet die Arbeit an Michelangelos Monument, die im Juni 1578 formal zum Abschluss kommt, als besagter Maler Leonardo Buonarroti um die letzte Auszahlung für seine Leistung bittet. 180 Wegen der Anlage und Gestaltung des Grabmals stellt Zygmunt Wazbinsiki berechtigt die Frage, ob und inwiefern der gemalte Baldachin mit den Engeln (Putten) als bildhafte Ergänzung die ursprüngliche programmatische Konzeption des Denkmals realisiere. Die bildhafte Ergänzung war wohl indiziert, da Leonardo durch sein Eingreifen deutliche Reduktionen vornahm, wodurch Borghini einen Abschluss nach oben an der Wand anstrebte und intervenierte, sodass sein Schützling Naldini die Freskoarbeiten übernehmen konnte. 181 Da Borghini sowohl schon selbst Werke bei ihm in Auftrag gegeben 182 als auch

ihn für das Atelier Vasaris rekrutiert hatte 183, wusste er um das Können des Malers, der wahrscheinlich aufgrund seiner Vermittlung Schüler Pontormos wurde 184, der seinerseits seinen Schützling schätzte und prägte 185 und ihn von 1547 an in seine Werkstatt nahm. Da Pontormo seinerseits Michelangelo sehr verehrte, war Naldini auch mit dem großen Künstler auf Tuchfühlung. So erprobte er sich an den Werken Michelangelos, worüber Skizzen aus seiner römischen Zeit 1560/61 Auskunft geben; daneben existieren auch Zeichnungen von den Skulpturen der Medici-Gräber und der Skulptur des Sieges. 186 Nach dem Tod Michelangelos erhielt er eine Einladung zur Mitarbeit an dessen Exequien 187 und schuf ein großformatiges Bild für San Lorenzo, das den Künstler unter seinen Schülern als Meister und Lehrer zeigt. 188 In dem Libretto wird Naldini als bescheidener und fleißiger Maler, der außergewöhnlich in seinem Beruf sei, beschrieben. 189 Neben dem Fleiß und der Professionalität wird er als lebensfroh beschrieben; er hatte auch aber eine Affinität für die Darstellung der Beweinung oder der Kreuzesabnahme, was Zeichnungen belegen. 190 Eine besondere Schwäche hatte er für das Thema der Engel-Pietà, was Zeichnungen aus New York, Mailand und einer Privatsammlung in Paris zu entnehmen ist. 191 Nach Christel Thiem ist die Zeichnung aus New York wegen ihrer pyramidalen Anlage durch die Pietà aus Florenz angeregt. 192 So ordnet sie eine weitere Zeichnung des Malers aus einer Privatsammlung 193

http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_17.php?id=514&page=5&daGiorno=1&aGiorno=31&daMese=7&aMese=7&daAnno=1553&aAnno= 1565&intestazione=Cosimo%20I.&trascrizione=&segnatura=&bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLIII, S. 86–88. Steinmann, E.: Die Porträtdarstellungen des Michelangelo, S. 71. 179 Barlosky, P.: Michelangelo als „pater patriae“ der Kunst, S. 167. Vertiefend geht Paul Barolsky darauf in seinem Aufsatz: Michelangelo’s Emblem, S. 130–134 ein. Zygmunt Wazbinski sagt Ähnliches, als er über das Zeichen Cosimo des Älteren spricht, das auch aus drei verschlungenen Ringen bestand. Vgl. Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 173. 180 Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 409. 181 Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 165. 182 Scorza, R.: op. cit., S. 144. 183 Scorza, R.: op. cit., S. 146. 184 Vasari, G.: Das Leben des Pontormo, siehe Anmerkung 187, S. 117. 185 Thiem, C.: Der tote Christus, S. 226. 186 Thiem, C.: op. cit., S. 228. Vgl. Güse, E.-G.; Perrig, A.: Zeichnungen aus der Toskana, S. 178 (Text)–179 (Zeichnung der Herzöge). Beate Reifenscheid, die Verfasserin dieses Textes, stellt zwei Zeichnungen der Herzog-Figuren von Naldini aus der Medici-Kapelle vor. Die Gesamtkonzeption der Kapelle sowie das das Wirken Michelangelos seien für Naldini Vorbild gewesen. Die Übereinstimmung mit den Figuren sei ihrer Meinung nach eklatant. 187 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 22. 188 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 109. 189 Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 109. 190 Thiem, C.: op. cit., S. 226. 191 Thiem, C.: op. cit., S. 227. ???Siehe Abbildung 1–3, S. 225–226. 192 Thiem, C.: op. cit., S. 227. 193 Thiem, C.: op. cit., S. 228, ???Siehe Abbildung 5.

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der Florentiner Pietà zu, da sie Ähnlichkeiten in der Haltung des Leichnams sieht. 194 Vermutlich ist es nicht überraschend, dass Naldini gerade dieses Sujet für sein Fresko 195 im Grabmal wählte, auch wenn es insgesamt eine andere Gestaltung als die Florentiner Pietà aufweist. Im Bildvordergrund befindet sich der zusammengesunkene Christus, der von drei Figuren gehalten wird. Bei diesen Figuren handelt es sich um seine Mutter und wahrscheinlich um Joseph von Arimathäa, da hinter der Männerfigur auf der linken Seite das offene Felsengrab dargestellt ist, was laut der Evangelien Joseph von Arimathäa für Jesus zur Verfügung stellte. Joseph von Arimathäa stützt den Herrn mit seinem rechten Bein, überragt ihn und schaut ihn beschützend an. Der tote Christus neigt sich nach links (von ihm aus rechts) zu seiner Mutter. Die Mutter ist ihm ihrerseits zugeneigt, trauert offensichtlich sehr um ihren Sohn und strahlt einen stillen Schmerz über ihn und sein Leiden aus. Maria Magdalena hält das rechte Bein des toten Gottessohns, der auf einem Leinentuch, vermutlich seinem späteren Grabtuch, in sich zusammengesunken ist. Mit Vorsicht stützt sie seinen Unterschenkel, um ihrem toten Herrn nicht noch mehr zuzumuten. Im Hintergrund ist links an den aufrechtstehenden Kreuzen der Kreuzigungsort Golgatha zu sehen. Die Farben sind dezent gewählt, strahlen aber dennoch eine gewisse Lebendigkeit aus. Dominierend sind die Farben Rot und ein pastellfarbener Lilaton. Beide Farben können auf Schmerz und Lebendigkeit hinweisen. Naldini wählte das noch offene Grab für seine Darstellung, was schon ein Hinweis auf die spätere Auferstehung gedeutet werden kann. Somit wäre für den Inhaber des Grabmonumentes Michelangelo etwas in Aufsicht gestellt, was seinen Tod erträglich macht: Die Auferstehung. Das Grabmal ist das letzte, was er erhält, aber das größere Geschenk wartet auf ihn in seiner Auferstehung. Kathleen Weil-Garris

Brandt sieht in der Pietà den Schutz für die Skulptur und spricht ihr so noch eine andere Bedeutung zu. 196 Der Baldachin, vor allem das Innere des Baldachins und dessen farbliche Gestaltung, erinnert etwas an das Fresko in der Lünette der Heiligen Veronika Pontormos in Santa Maria Novella, das 1515 für die Papstkapelle Leos X. von Naldinis Meister angefertigt wurde. 197 Im Zentrum präsentiert Veronika ihr Schweißtuch. Umrahmt wird sie von einem Vorhang, der von Engeln gehalten wird, um so den Blick auf diese Szene freizugeben. Neben dem Vorhang halten die Engel Fackeln, wie sie am obersten Ende des Grabmals auch zu sehen sind. 198 Als Schüler wird sich Naldini hier des Sujets bedient haben.

16.7.7 Das Epitaph Ab 1568 konnte wegen des Fortschritts am Grabmal mit der Formulierung für das Epitaph begonnen werden. 199 Dieses musste so gestaltet sein, dass mit wenigen Worten die höchste Ausdruckskraft erreicht wurde. Die inhaltliche Gestaltung dieser Gedenktafel artete ebenfalls in eine Art Konkurrenz zwischen den florentinischen und römischen Künstlern aus, die die Florentiner wieder für sich entscheiden konnten. Treibende Kraft war Diomede Leone, der Leonardo Buonarroti geduldig aus Rom an die Abfassung des Epitaphs erinnerte. 200 Er erreichte, dass zwei renommierte Literaten dieser Zeit, Marcantonio Mureto und Paolo Manutio, Vorschläge erstellten, die die Florentiner als zu lang ablehnten, sodass sie selbst eine kürzere Version schufen. 201 Bis ins Jahr 1570 präferierte Diomede Leoni den Entwurf von Paolo Manutio 202, konnte sich aber auch in dieser Frage nicht durchsetzen. Es entstand ein Epitaph, das Leonardo als verdienstvollen Stifter nennt, der sich von Cosimo I. eindringlich ermuntern ließ, die Gebeine aus Rom zu überführen und in diesem großen Tempel 1570 ein Grab-

Thiem, C.: op. cit., S. 229. Siehe Abb. 119: Grablegung oder Pietà, Freskoarbeit [S. 396]. 196 Weil-Garris Brandt, K.: Michelangelo’s Monument, S. 30. 197 Vasari, G.: Das Leben des Pontormo, S. 23 und siehe Anmerkung 51, S. 76. 198 Chastel, A.: Zeitgenossen über Michelangelos Fresken, S. 149. 199 Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture, S. 368. 200 Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 416. Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II, S. 530. 201 Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 416. Vgl. Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture, S. 368. 202 Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II, S. 530. Leoni präferierte den Entwurf Manuzios, der mit den Worten beginnen sollte: „unus ex omni memoria“. 194 195

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mal zu errichten. Die Angaben zu Michelangelo nennen seinen Namen und seine Zugehörigkeit zur Familie der Simoni, seine ausgeführten Künste Bildhauerei, Malerei und Architektur. Es wird betont, dass sein Ruhm oder seine Berühmtheit immer beachtet seien. Die Inschrift benennt sein genaues Alter mit 87 Jahren, 11 Monaten und 15 Tagen. 203 Neben dem Feiern des Verblichenen als Künstler offenbart das Epitaph die verschriftlichte Allianz der Familien de’ Medici und Buonarroti. Die Allianz ist allerdings nicht ausbalanciert. Obwohl Leonardo der Stifter ist, bedurfte er eines Impulses: Cosimo I. wird wie sein großer Vorfahre Lorenzo il Magnifico zum erhabenen Wissensfürsten stilisiert, der weiß, was zu tun ist, und dem unsicheren Neffen bei der Entscheidungsfindung hilft. 204

16.7.8 Verzögerung bei der Errichtung Das Epitaph gibt als Entstehungsjahr des Grabmals 1570 an, obwohl die Arbeiten an dem Projekt erst 1578 endeten. Die enorme Verzögerung bei der Errichtung ist verschiedenen Gründen geschuldet, da es neben der sich hinziehenden Materialbeschaffung u. a. zu einer Art Künstlerstreit unter den Ausführenden kam 205, und Leonardo mit Lorenzi wegen des dargestellten Disputs vor dem Magistrat endete und immer wieder in die Grabmalplanung eingriff. Er sorgte auch dafür, dass die ursprünglich vorgesehenen Putti, die Vasari in der Vita des Lorenzi erwähnt 206, und die vorgesehenen „trofei dell’arte“ (Zeichen oder Insignien der Künste) entfernt werden sollten. 207 Mit dieser Maßnahme ver-

schiebt der Erbe Michelangelos wieder den Deutungsakzent des Grabmonuments weg von der Accademia in Richtung der Familie Buonarroti. Über dieses Eingreifen ist sagen, dass er bereits in einem Brief aus dem Jahr 1569 Cosimo I. bittet, dass die Allegorie der Skulptur die erste Position am Grabmal erhalte, da sein Oheim primär Bilderhauer als Maler oder Architekt gewesen sei. 208 Diesem Ansinnen wird stattgegeben, was zur Folge hat, dass sich die Anordnung der Statuen auf dem Grabmal ändert. 209 Eine weitere Schwierigkeit ergab sich aus der Tatsache, dass Leonardo nochmals einen Wechsel eines Künstlers vornahm, da er Unzufriedenheit mit der Ausführung der Statue der ursprünglichen Bildhauerei war. Auch diese Maßnahme kostet wieder Zeit, was beim Herzog berechtigten Unmut auslöste. Nach Beilegung des Gerichtsstreites zwischen Leonardo und Lorenzi gingen die Arbeiten dennoch nicht zügig voran, da sich u. a auch die Künstler in Diskussionen verstrickten, so dass sich Borghini 1573 genötigt sah, dem Herzog die Verzögerung in einem Brief darzulegen und zu erklären, warum der Vertreter der Familie Buonarroti diese Situation nicht zu verantworten habe. Der Grund liege in dem Streit der Künstler, da der ausführende Künstler der Allegorie der Malerei dieser Figur eine Statue in die Hand gab. Das Hauptproblem sei, folgt man dem Brief Borghinis, die uneinheitliche Größe der Figuren. Die Künstler hätten es unterlassen, ihren Statuen eine einheitliche Größe zu geben, da einer das vorgegebene Maß des Marmors überschritten habe oder die anderen ihre Figuren zu

203 Das Epitaph lautet: MICHEL ANGELO BUONAROTIO – E VETUSTA SIMONIORUM FAMILIA – SCULPTORI PICTORI ET ARCHITECTO – FAMA OMNIBUS NOTISSIMO – LEONARDUS PATRVO AMANTISS. ET DE SE OPTIME MERITO – TRANSLATIS ROMA EIVS OSSIBUS ATQUE IN HOC TEMPLO MAIOR – SVOR SEPVLCRO CONDITIS COHORTANTE SERENISS: COSMO.MED – MAGNO HETRVRIAE DVCE P C – ANN.SAL.M.D.LXX–VIXIT ANN LXXXVII M.XI D. XV Vgl. Thode, H.: Kritische Untersuchungen Bd. II, S. 532. 204 Die angebliche Ermunterung Cosimos I., er solle Michelangelo in Santa Croce ein Grabmal stiften, deckt sich mit der Zweitausgabe der Viten. Vgl. Vasari, G.: Michelangelo, S. 241. 205 Borghini hatte in seinem Brief an Cosimo I. am 4. November 1564 davon geschrieben, die Künstler gegen einander antreten zu lassen: „(…) per dar’ che fare a ogn’uno et dare animo et occasione a certi di quellj giouanj, che hanno uoglia di fare et virtu di poter’ condurre affine i loro concetti, di mettergli in campo, et dare questo aiuto alla virtu loro (…)“. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLXVIII, S. 117. Vgl. Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXXIX, S. 150. Damit tat er sich letztlich keinen Gefallen, da dieser Wettstreit offensichtlich heftiger geführt wurde als von Borghini erwartet. 206 Vasari, G.: Montorsoli und des Bronzino sowie der Künstler der Accademia del Disegno, S. 120. Vasari betont hier, dass Lorenzi dieses Werk (seine Arbeit) am Grabmal gut ausführen werde. Beim Verfassen dieser Passage ging Vasari offensichtlich davon aus, dass es keine Änderungen am Entwurf des Grabmals geben werde. 207 Cecchi, A.: op. cit., S. 63. 208 Michelangelo – Mostra di Disegni, manoscritti e documenti, S. 207–208, Brief 114. „Et ancora i’ desidero che sia con buona gratia di V. A. dare il primo luogo alla figura della scultura, essendo mio zio stato prima scultore che pittore o architecto, et attribuendo egli più lode alla scultura che alla picture; (…)“. 209 Über die Besetzung der Allegorien bzw. deren Umsetzung am Grab berichtet Raffaello Borghini im „Il Riposo“ schon 1584, S. 108–109. Er bestätigt die Anfrage Leonardos, eine Umsetzung am Grab aus den beschriebenen Gründen vorzunehmen.

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Bewertung der Akteure

sehr verkleinert hätten. Fänden die uneinheitlich großen Figuren nebeneinander Aufstellung, so wäre die Proportion des Grabmals gestört. Dies sei der Grund für Leonardos massive Unzufriedenheit, der vor allem nichts von der Statue der Malerei wissen wolle. Die Statue der Bildhauerei sei noch nicht begonnen, wobei sich Giovanni dell’Opera damit entschuldige, im Dienst des Herzogs zu stehen. Wenigstens sei Leonardo mit der Skulptur der Architektur einverstanden. Man müsse, so Borghini, den Wünschen des Michelangelo-Neffen Rechnung tragen, da er das Projekt finanziere. 210 Die Anmerkung Borghinis, was den Finanzier und dessen Hoheit des Projektes angeht, scheint eine Konsequenz aus dem Jahr 1572 zu sein, da Leonardo sich nicht scheute, in einem Gerichtsstreit seine Interessen zu vertreten, den er aber letztlich unterlag. Auch wenn Borghini Leonardo in seinem Brief an den Herzog von einer direkten Schuld an der Verzögerung freispricht, ist er an daran nicht schuldlos, da er Änderungen am Monument vornahm. Hinzu kommt noch der Disput unter den Künstlern, der bei Leonardo weiteren Verdruss auslöste, da er eine Verlangsamung des Arbeitsprozesses darstellte. 211 Alessandro Cecchi geht davon aus, dass bei der Anlage des Grabmals ein Künstlerstreit nahezu programmiert war bzw. in der Anlage dieses Projektes auch der Grund des Künstlerstreites lag, da für die jungen Künstler hier ein Feld des Prestigegewinns geboten wurde. Bei Borghini konnte diese Form des Künstlerstreits nicht auf Zustimmung stoßen, da so kein positives Bild auf die Accademia del Disegno fiel. Die Kunst stand nicht mehr im Vordergrund,

sondern das eigene Prestigedenken und der Disput. 1564 hatte Borghini die Geister gerufen, die er jetzt nicht mehr beherrschen konnte. 212 Bemerkenswerterweise fällt die Antwort des Herzogs knapp und kategorisch aus. Leonardo solle die Vollendung des Werkes nicht unnötig durch Vorwände in die Länge ziehen und sich pflichtgemäß um das Andenken des Onkels kümmern. 213 Wegen dieser klaren Ansage musste der Angesprochene das Grabmal zügig vollenden. Im August 1574 wurden die drei Statuen und die Büste Michelangelos eingefügt. In diesem Kontext nimmt Allesandro Cecchi Bezug auf das Ölgemälde von Tiberio Titi, das die Aufstellung der Büste zeigt. Er hält das nachträglich entstandene Bild für interessant, da es die Anwesenheit Leonardos, seiner Frau und seiner Söhne Michelangelo und Ludovico während der Aufstellung dokumentiere. 214 Der als Knabe auf diesem Bild dargestellte Michelangelo Buonarroti, der Sohn Leonardos, gibt bei Tiberio Titi, der ein renommierter Künstler war und am Hof eine bedeutende Rolle spielte, das Bild 1615 in Auftrag, das erst 1620 seinen Weg in die Casa Buonarroti findet. 215 Dem Sohn Leonardos lag nicht nur daran, die Casa Buonarroti zu schmücken, sondern auch die Anwesenheit seiner Familie bei der Errichtung des Grabmals zu zeigen. Neben der Erinnerung an die Stiftung durch seinen Vater stellte er einen erneuten Bezug zu seinem berühmten Großonkel her. Auch 60 Jahre nach dessen Tod geht es um Memoria, Pietas und vor allem Selbstdarstellung.

16.8 Bewertung der Akteure Es gibt keinen richtigen Hinweis, dass Michelangelo für sich selbst ein Grabmal plante – siehe Pietà Idee – oder eine Verfügung über ein Grabmonument festlegte. 216 Vasari überliefert einzig die Idee mit der Florentiner Pietà, ruft sie in dem Brief an

Leonardo wieder wach sowie Daniele da Volterra und Tommaso de’ Cavalieri als Zeugen an. Der Künstler selbst äußerte nur den Wunsch, dass er in Florenz ruhen wollte. Mit diesem Wunsch war durch seinen Tod ein dynamisches Geschehen um

Steinmann, E.: Die Porträtdarstellungen Michelangelos, S. 76. Ernst Steinmann gibt diesen Brief in seinem Werk wörtlich wieder. Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 164. 212 Brief Borghinis an Cosimo I. vom 4.11.1564. Vgl. Frey, H.-W.: Nachlass, Brief CDLXVIII, S. 116–118. Vgl. Gaye, G.: Carteggio inedito, Tomo III, CXXXIX, S. 150. 213 Steinman, E.: Die Porträtdarstellungen Michelangelos, S. 76. 214 Cecchi, A.: op. cit., S. 80–81. 215 Ragonieri, P.: op. cit., S. 62. 216 Satkowski, L.: op. cit., S. 96. 210 211

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die letzte Ruhestätte nahezu programmiert, da es unterschiedliche Interessenlagen gab. Hauptinteressenten an dem berühmten Toten waren neben der Familie die Vertreter der Künstlerakademie, durch die Vasari seine Langzeitstrategie, Zugriff auf Michelangelo selbst post mortem zu erlangen, fortsetzte. Obwohl die Motive und Ziele der Interessenten durchaus eine Schnittmenge aufweisen, Darstellung der eigenen Ehre, der Pietas, der Ehre und der Memoria des Meisters, sind sie andererseits nicht kompatibel. Vasari und Borghini ging es um die Accademia del Disegno und ihren eigenen Ruf. Leonardo ging es um den Stand der Familie in Florenz. Dem Herzog ging es darum, die „berühmte Leiche“ für sich aus Propagandazwecken zu nutzen. Ein entscheidender Faktor in der ganzen Causa war das Geld. Der Traum von einem monumentalen Wandgrab für Michelangelo war bei Vasari und Borghini geplatzt, als Leonardo dessen Finanzierung limitierte. Der Michelangelo-Erbe wollte für sein Geld gute Arbeit, war sowohl von der Leistung der Künstler als auch von der vornehmen Zurückhaltung des Hofes enttäuscht. Niemand dieser Beteiligten nahm den berühmten Toten in den Blick. Stattdessen entstanden subtile oder auch später offen ausgetragene Auseinandersetzungen, an deren Ende der Herzog ein Machtwort sprach, Leonardo möge das Grabmal zügig vollenden. 217

16.8.1 Herzog Cosimo I. Cosimos I. Position und Haltung in dieser Angelegenheit ist auf dem Hintergrund seiner politischen Bestrebungen zu betrachten, die Toskana in die Reihe der Großmächte zu integrieren, sich selbst zu legitimieren, zu präsentieren und sich in den Stand des Großherzogs erheben zu lassen, was ihm 1569 mit Hilfe von Papst Pius V. gelingt. Ein umfangreiches architektonisches Umgestaltungsprogramm der Stadt Florenz unter der Leitung Vasaris sollte

Cosimos I. Führungsanspruch unterstreichen. In die Zeit der Planung und Errichtung des Grabmals von Michelangelo fällt, wie dargestellt, die Renovierung der großen Dominikaner-Kirchen Santa Maria Novella und Santa Croce. Marcia Hall nennt in ihrem Werk als Grund der Umgestaltung u. a. den Prestigegewinn für den regierenden Medici und die Aufwertung der Toskana. 218 Vor allem basierte die Umgestaltung der Kirchen, die auf dem Hintergrund des Trienter Konzils stattfand 219, auf einem neuen Verständnis der herzoglichen Patronage, wobei die individuellen Patronatsrechte an der Ausgestaltung von Privatkapellen in jeder Hinsicht beschnitten bzw. ausgehöhlt wurden. 220 Neu angelegte Kapellen mussten einem vorbestimmten Entwurf folgen; die Wahl der Künstler war ebenfalls nicht mehr frei. 221 Marcia Hall schließt am Ende ihrer Darstellung, dass der Herzog keine unerhebliche Rolle in der Umgestaltung der Kirche spielte 222, da er die Entscheidungen in Absprache mit den jeweiligen Operai traf. 223 Nur ein so mächtiger Patron wie er hatte die Möglichkeit, den Organisationsapparat für die umfangreichen Renovierungsarbeiten – von 1566 an in beiden Kirchen gleichzeitig – zur Verfügung zu stellen. 224 Er stiftete unter anderem den Marmor für neuen Hochaltar und spendete das neue Ziborium in Santa Croce. 225 In der Summe war der Umbau der Kirchen, auch wenn Vasari sie durchführte, Chefsache. Damit wäre die Reaktion Cosimos I. auf Leonardo aus dem Jahr 1573 zu erklären. Der Borghini-Brief hatte die eigentlichen Zuständigkeiten erklärt, der Herzog bestand aber recht harsch darauf, dass der Erbe Michelangelos das Grabmal vollende. Das Langhaus von Santa Croce hatte bis zu diesem Zeitpunkt wieder etwas Gestalt angenommen, da die Hauptabrissarbeiten (Tramezzo und Chor) im Jahr 1566 bereits gelaufen waren. Kapellen waren nach dem Entwurf von Francesco Sangallo auch schon entstanden und ausgestaltet, Cosimo I. wollte von da-

Steinman, Ernst: Die Porträtdarstellungen Michelangelos, S. 76. Hall, M.: op. cit., S. 6. 219 Henk van Veen thematisiert dies auch in seinem Werk und geht auch davon aus, dass der Herzog die Umgestaltung auf dem Hintergrund der Dekrete von Trient vollzog, um sich beim Papst eine bessere Position und somit eine Aussicht auf den Großherzogtitel zu sichern. Veen, H. v.: op. cit., S. 117. Siehe S. 117–123, Santa Croce und Santa Maria Novella. 220 Hall, M.: op. cit., S. 23. 221 Hall, M.: op. cit., S. 22–23. 222 Hall, M.: op. cit., S. 31. 223 Hall, M.: op. cit., S. 19. 224 Hall, M.: op. cit., S. 19. 225 Hall, M.: op. cit., S. 19. 217

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her das Grabmal vollendet wissen. Hier ist auch zu konstatieren, dass ihm Leonardos Einmischungen bei der Entstehung des Grabmals missfielen, da die privaten Patronatsrechte, wie erwähnt, de facto ausgehöhlt waren. Mit seinem Agieren überschritt er im Erleben des Herzogs vermutlich seine Kompetenzen als Stifter. Andererseits war der Herzog auf diesen angewiesen, da er zahlte. Wichtig für Cosimo I. war schließlich, dass er als Spender und weiser Ratgeber – er habe schließlich Leonardo ermutigt – mit auf dem Epitaph erscheint, was ihm in dieser von ihm umgebauten Kirche nur recht kam. Allerdings war für ihn vermutlich die Dauer der Errichtung des Grabmals inakzeptabel, weshalb er die Vollendung einforderte.

16.8.2 Leonardo Buonarroti Der Neffe Michelangelos zeigte im Entstehungsprozess des Grabmales ein ambivalentes Verhalten. Zunächst weigerte er sich, die Nikodemus-Gruppe von den Bandini zurückzukaufen, um dann ein größeres Monument in Auftrag zu geben, das ihn zehn Jahre beschäftigen sollte. Daneben präsentierte er sich in Anbetracht der hohen Erbschaft als sparsam, forderte aber von den beteiligten Künstlern zum Teil berechtigt Engagement. Als Finanzier, was er immer gern ausspielte, musste ihn Vasari stets an Zahlungen erinnern 226, und als Haupterbe gab er sich selbst die Aufsichts- und Korrekturfunktion in dieser Causa und akzentuierte diese letzte Ruhestätte, in Richtung der Buonarroti-Familie. Das Grabmal wurde für ihn zum öffentlich zugänglichen Tüchtigkeitsmaßstab und musste ihn daher per Epitaph als Stifter des geliebten Oheims offenbaren. Er versuchte, sein vermutlich selbst definiertes Ziel, das sich in individueller wie sozialer Bedeutsamkeit niederschlug, zu erreichen. Den berühmten Künstler, dessen Ruhm gemäß dem Epitaph für alle Zeiten manifest bleiben sollte, hatte der Erbe nicht im Fokus, da er diese Konstruktion sehr wahrscheinlich verworfen hätte. Ob für Michelangelo die Pietà-Idee nach seinem vermeintlichen Angriff auf sie später noch als Grabmalschmuck akzeptabel gewesen wäre, ist nicht zu klären. Jedenfalls ist anzunehmen, dass Leonardo der hohe Rückkaufwert der Pietà entgegenkam, da er 226 227

sie unter Umständen nicht wollte. Zygmunt Wazbinski konstatiert nicht unberechtigt, dass das Scheitern des Rückkaufs der Pietà im Grunde allen Beteiligten entgegenkam. 227 Diese Skulptur hätte Leonardos Vorstellung von einem würdigen Grab, das ihn als Stifter nennen musste, wahrscheinlich nicht entsprochen, da sie doch unvollendet war und Zerstörungsspuren aufwies. Sie war in diesem Zustand weder repräsentativ noch prestigeträchtig wie die gefeierte Pietà von St. Peter. Feiert man einen großen Künstler per Grabmal, muss die darauf dargestellte Kunst zumindest intakt sein. Es ist bemerkenswert, dass Leonardo die ganze Grabmalangelegenheit verzögerte; seine Motive sind hierbei nicht ganz zu ermitteln. Zunächst plant er mit Daniele da Volterra in Rom, will die Marmi in das Grabmal integrieren, was sinnvoll gewesen wäre, da sie in Florenz sind. Dann tritt er sie relativ zügig auf Geheiß Vasaris an den Herzog ab. Besagter Vasari erhält den Zuschlag für die Planung, wobei sich Michelangelos Neffe zunächst scheut, den römischen Freunden eine Absage zu erteilen, und hält sie quasi hin. Die Absage erfolgt erst ein knappes Jahr nach dem Tod des Meisters und wird mit den Umständen in Florenz begründet. Auch hier übernimmt er nicht die direkte Verantwortung, sondern stellt sie den Umständen anheim, in denen er sich befinde. Er wollte vermutlich seine Hände in Unschuld waschen, wusste er doch, was diese loyalen römischen Freunde für seinen Oheim getan hatten. Während der Aufrichtung des Grabmals greift der ungeduldige Stifter wieder ein und bringt die Künstler in Schwierigkeiten, weil sich seine Wünsche änderten, was z. B. die Positionierung der allegorischen Figuren anging. Leonardo schlug dazu den Weg über den Herzog ein und bekam sein Recht. Er nahm Cosimo I. in die Entscheidungspflicht, die er vermutlich daraus ableitete, den Herzog in Form der Marmi der Via Mozza reichhaltig beschenkt zu haben. Motto: Manus manum lavat. Im weiteren Verlauf ist er mit der Ausführung der jungen Künstler unzufrieden, da sie die Figuren unterschiedlich proportionieren. Lorenzi erwischt der Unmut des Erben besonders harsch. Einerseits ist sein Verhalten nachvollziehbar, da der figürliche Größenunterschied ein sichtbares Ärgernis ist, andererseits erscheint seine Reaktion diesem „Giova-

Mallarme, C.: L’ultima tragedia di Michelangelo, S. 64. Vgl. Hall, M.: op. cit., S. 125. Wazbinski, Z.: op. cit. Bd. I, S. 159.

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ne“ gegenüber hart und unbeugsam. In letzter Konsequenz hatte Leonardo als Finanzier Änderungshoheitsrechte und in Borghini einen Fürsprecher beim Herzog, als es um den entbrannten Künstlerstreit ging, dem er verständnislos gegenüberstand und eine weitere Verzögerung außerhalb seiner Verantwortung war. Die Ermittlung, was sein Verhalten in dieser Sache angetrieben hat, bleibt schwierig. Der Bogen lässt sich von einer sparsamen Kleinkrämerseele bis hin zum berechtigten Kritiker spannen, der seine Selbstdarstellung beileibe nicht vergisst. Sein Umgang mit der Grabmalangelegenheit kann auch eine exzentrische Spätreaktion auf das Drängen und den Druck sein, der von Vasari und Borghini im Jahr 1564 auf ihn ausgeübt wurde. Es wäre auch annehmbar, dass es eine Reaktion der Enttäuschung war, die Gunst des Fürsten nicht so zu erhalten, wie er es sich vorgestellt hatte, da ihm Cosimo I. beispielsweise die finanzielle Hilfe verweigerte. 228 Den Versuch des Gunsterwerbs beschreibt und verurteilt Camille Mallarme und geht sogar so weit, das Grabmal in seiner französischen Fassung als „traurigen Spott“ 229 und in der italienischen Fassung als „Racheakt“ 230 oder „Vergeltung“ zu bezeichnen. Der vermeintliche „Racheakt“ bzw. dessen Grund wird dann aber nicht weitergeführt. Dem Leichnam Michelangelos sei so ein großes Unglück (ein großer Unfall) widerfahren. 231 Letztlich stellen diese Formulierungen eine Verurteilung Leonardos dar, der mithilfe Vasaris das Vermächtnis seines Oheims nach Camille Mallarme nicht ehrte. Alessandro Cecchi stellt in dieser Hinsicht fest, dass er wohl stärker eingegriffen habe, um das Monument zu vereinfachen. Er habe ihm einen gezähmten Ton verliehen, um dem großen Künstler die von der Familie geschuldete Ehre zu erweisen, was auch das Epitaph belege, das die Rolle des Herzogs reduziert darstelle. 232 Bei allem Willen, seine Pietas dem berühmten

Verwandten gegenüber zu bezeugen, der Familie Ehre zu machen und einen Erinnerungsort zu schaffen, ist in letzter Konsequenz Leonardo eine gewisse Ignoranz nicht abzusprechen, da er über das Grabmal Michelangelo für seine Zwecke funktionalisierte.

16.8.3 Giorgio Vasari Das Thema Funktionalisieren ist vor allem auf Giorgio Vasari anwendbar, agierte er doch als cleverer Manipulator und Organisationstalent, der sich mit wortreich ausgemalten Briefen, mal dem einen oder anderen andiente und dabei das Ziel verfolgte, die Deutungshoheit über den großen Toten zu erlangen und eine Gedächtniskultur zu schaffen, die untrennbar mit seinem Namen verwoben war, um sich so zum Kronzeugen der Kunst zu machen. Allerdings tat er sich mit der Grabmalangelegenheit nicht immer einen Gefallen, musste er sich doch häufiger mit von ihm unterschätzten Charakteren auseinandersetzen, die aus dem Herzog, Leonardo und den Künstlern der Accademia bestanden, deren Ruhm und Ansehen er mehren wollte. Da sich Leonardo später weniger kooperativ zeigte und sich um Zahlungen bitten lassen musste 233, degradierte er Vasari quasi zum Bittsteller, was vermutlich seinem Selbstkonzept als Impresario und bedeutsamer Person zuwiderlief. Zeit seines Lebens strebte Vasari schließlich nach Leistung, Macht und Zugehörigkeit, und zwar zu den höchsten künstlerischen und höfischen Kreisen. Der Eigenanspruch verlangte von ihm, den Entwurf des berühmtesten Grabmals zu erhalten, um ihn später in seiner Verheißungsgeschichte der Kunst in der Michelangelo-Vita zu erwähnen. 234 Vasari hat seine Vorstellung des Grabmals umgesetzt und in michelangeloesker Manier gearbeitet, wollte so wohl zu Michelangelos Ruhm beitragen, ließ aber den Künstler selbst außer Acht. Mit die-

Er war vermutlich wie sein Onkel ein Geizkragen. Die große Erbmasse hätte eine höhere Summe für das Grabmal ermöglicht, womit eine herzogliche Finanzspritze obsolet gewesen wäre. 229 „triste dérision“. Camille Mallarmè zitiert nach Barocchi, P.: Vasari Giorgio: La Vita di Michelangelo: Nelle redazioni del 1550 e del 1568 Bd. IV, S. 2226. 230 „una vendetta“ Mallarmè, C.: L’ultima tragedia di Michelangelo, S. 64. 231 Mallarmè, C. zitiert nach: Barocchi, P.: Giorgio Vasari: La Vita di Michelangelo: Nelle redazioni del 1550 e del 1568 Bd. IV, S. 2226; Mallarmè, C.: L’ultima tragedia di Michelangelo, S. 64. 232 Cecchi, A.: op. cit., S. 81. 233 Mallarme, C.: L’ultima tragedia di Michelangelo, S. 64. Vgl. Hall, M.: op. cit., S. 125. 234 Vasari, G.: Michelangelo, S. 241–242. Er stellt schon 1568 die baldige Vollendung des Grabmales in Aussicht. 228

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sem Ergebnis wurde er dem großen Künstler nicht gerecht, hatte er noch ein gutes Jahrzehnt vor der Fertigstellung selbst in dem Brief an Cosimo I. angekündigt, dass das Grabmal dem Genius dieses Mannes niemals gerecht werden könne. Wie bereits diskutiert, bleibt annehmbar, dass er sich eine Hintertüre offenhielt, falls sein Entwurf nicht den allgemeinen Vorstellungen entsprechen konnte. Daneben könnte es sich auch um eine Floskel handeln, um Michelangelo relativ kurz nach dessen Tod (Mai 1564) nochmals zu überhöhen und sich selbst durch einen Bescheidenheitsgestus zu unterwerfen. Es wäre auch annehmbar, dass er sich nicht gewiss war, wie sich das Szenario um das wichtige Projekt gestaltete. Trotz der Erlangung des Entwurfs kann und wird es Vasari nicht gefallen haben, dass eine Figurenumsetzung vorgenommen wurde. Er hatte ursprünglich für die Malerei die Mittelposition vorgesehen, was Leonardo zu verhindern wusste. Ein Jahr nach der Veröffentlichung der zweiten Version der Viten bittet der Michelangelo-Erbe 1569 um die Versetzung der Figur. Der Gedanke sollte erlaubt sein, dass er hier vielleicht auf andere Weise gegen den Verfasser der Künstlerbiographien agierte. Somit waren die Viten und das Grabmal nicht mehr deckungsgleich, da Vasari die Malerei als erste der drei allegorischen Figuren nennt 235, woraus zu schließen wäre, dass sie die prominenteste Stelle am Grabmal erhält. Es bleibt zu konstatieren, dass Vasari seine Ziele, Mehrung des Ruhms und Autoritätssicherung der Accademia del Disegno durch die Würdigung ihres „capo, padre et maestro“ nicht vollständig erreichen konnte, da er als Ideengeber der Memoria für Michelangelo auf Widerstände, Rivalität und Unwägbarkeiten stieß. Sein Versuch der Sichtbarmachung und des Hervorgehoben-Seins der Institution Accademia del Disegno scheiterte. Das Monument wird zum Erinnerungsort der Familie und des Fürsten, aber nicht zum Memorialmittelpunkt der Künstlervereinigung. Die Accademia de Disegno fällt zwar nicht unter eine „damnatio memoriae“, erhält aber keinen direkten Hinweis am Monument, auch wenn insgesamt sechs deren Mitglieder beteiligt waren. Der Status des Michelangelo 235 236 237

als „il divino“ konditionierte das Grabmal und den Katafalk aus der Sicht Vasaris, aber der Versuch, die Erinnerung der Nachwelt zu prägen, ließ sich vermutlich nicht zu seiner vollen Zufriedenheit umsetzen. Was Vasari versöhnlich gestimmt haben dürfte, ist die Tatsache, dass er Santa Croce umbaute und dort für die Innenausstattung der Kapellen Künstler der Accademia del Disegno einsetzte. Somit war die Accademia würdig und recht und zahlreich repräsentiert, was er später hinlänglich verschriftlicht.

16.8.4 Vincenzo Borghini Die schriftliche Würdigung fällt auch Vincenzo Borghinis zu, den Vasari gerade in den Michelangelo-Vita lobt. 236 Dessen Anteile an dem Grabmal sind zwar belegt und vorgestellt, aber er verfolgte vermutlich noch andere Motive als Vasari. Ausgangspunkt ist hier der Ansatz von Margot und Rudolph Wittkower, dass Borghini die einzigartige Möglichkeit für die Accademia erkannte habe, mit dem Tod Michelangelos zwei Ideen verfolgen zu können. In erster Hinsicht sollte der geniale Künstler auf dem gleichen Rang angesiedelt sein wie kirchliche oder zivile Würdenträger, wenn nicht darüber. In zweiter Hinsicht war die Accademia del Disegno die legitime Vertreterin eines neu aufkommenden Künstlertypus, der nun aufgrund seiner Leistungen, unabhängig seiner Nationalität, für eine freie professionelle Verbindung geeignet war. 237 Diesem Ansatz folgend hatte Borghini großen Respekt vor der Kunst und vor den Künstlern, deren besonderer Bedeutung in der Gesellschaft und deren individueller Leistung er sich wohl bewusst war. Seine Ideen, die er zu diesem Projekt beitrug, entspringen höchst wahrscheinlich dem ersten Motiv. Er wollte Michelangelo wirklich ein Denkmal setzen, das ihm angemessen erschien. Die Figuren, die das Grabmal schmücken, repräsentierten im Grunde die drei Grazien, die er in seinen Vorlesungen vorstellte. Die Accademia hatte für ihn den zweiten Rang, deren Position er auch vertreten sehen wollte. Mit dem endgültigen Aussehen des Monuments konnte er durchaus zufrieden sein, da es zumindest den ersten Teil seiner Idee, wie ihn Mar-

Vasari, G.: Michelangelo, S. 242. Vasari, G.: Michelangelo, S. 241. Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 42.

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Die künstlerische Gestaltung des Grabmals

got und Rudolph Wittkower benennen, umsetzte. Neben dem Staatsbegräbnis erhielt Michelangelo eine aus seiner Sicht ansehnliche letzte Ruhestätte. Vielleicht ist Borghini derjenige, der noch die lautersten Motive hatte. Für ihn blieb wie bei der Dekoration von San Lorenzo am 14. Juli 1564 238 die Vorrangstellung des Genius gewahrt, wie es Zygmunt Wazbinski in seinem Werk feststellt, dass Buonarroti – stellvertretend vermutlich dessen Büste – die Gruppe der drei Künste des Disegno beherrsche. 239 Das würde Borghinis Verständnis

von der Harmonie der drei Grazien insofern entsprechen, da sie sich in dem Genius des Michelangelo vereinigen. Die Gesamtleistung eines Vincenzo Borghini wird dennoch nicht unkritisch gesehen. Nach John Pope-Hennessy ist es gerade die irrtümlich angenommene Genialität Borghinis, die manche künstlerischen Projekte zur Sterilität verdamme. 240 In diesem Kontext sei bemerkt, dass der von ihm entworfene Baldachin beileibe nicht überzeugend ist, was auch auf das ganze Grabmonument anwendbar erscheint.

16.9 Bewertungen des Grabmals und Alternativen Das Grabmonument ist nach seiner Fertigstellung zum Betrachtungs- und Bewertungsobjekt geworden, wobei die Bewertungsskala einen Bogen von negativ über neutral bis hin zu positiv spannt, was zunächst nicht überraschend erscheint. Grundsätzlich ist erkennbar, dass die Urteile der modernen Zeit deutlich negativer ausfallen als frühere, was an dieser Stelle durch ausgewählte Bewertungen exemplarisch illustriert werden soll. Raffaele Borghini erklärt z. B. in seinem Riposo 1584 das Arrangement der Figuren auf dem Grabmal neutral, benennt die ausführenden Künstler der Statuen und bestätigt den Tausch der allegorischen Figuren. Es wird erwähnt, dass es das die letzte Ruhestätte des hochgelobten Michelangelo sei. 241 In ihrem Werk aus dem Jahr 1677 beschreiben Bocchi und Cinelli diesen Erinnerungsort im höchsten Maß als wunderbar, da es die Knochen des souveränsten Künstlers, der je die drei Künste beherrschte, beherberge. 242 Am Beginn des 20. Jahrhunderts stellten Ernst Steinmann und Heinrich Pogatscher fest, dass das sepulkrale Monument der Größe des Meisters wenig würdig sei, wobei sie den Protagonisten Redlichkeit bei dessen Erstellung attestieren. Die an

238 239 240 241 242 243 244 245 246

diesem Projekt beteiligten Bildhauer seien ihrer Meinung nach nicht so begnadet gewesen. Die Autoren sind der Überzeugung, dass sich Michelangelo nur selbst eine schöne Anlage hätte schaffen können, und bedauern, dass es die Pietà-Lösung nicht gegeben habe. 243 Giovanni Papini hält die Gesamtkonstruktion für unwürdig, da mittelmäßige Künstler an ihr arbeiteten, die mit Recht in Vergessenheit geraten seien. 244 Die von ihnen geschaffenen Figuren seien frostig, konventionell, von schwächlicher Eleganz; es seien Marmorpuppen, die weder an die kühne Freiheit noch an die Ursprünglichkeit der Skulptur des berühmten Florentiners erinnerten, und Naldini sei ein nichtssagender Maler. 245 John Pope-Hennessy liegt auf der gleichen Linie, wenn er, wie bereits bemerkt, feststellt, dass die Figuren, ausgehend von den Terrakotta-Modellen nur sterile Statuen geworden seien. 246 Charles de Tolnay fällt ebenfalls ein negatives Urteil über das Denkmal, da keine Michelangelo-Statue es ziere. Die Figuren verfügten über keinen realen künstlerischen Wert und seien von niederen Bildhauern angefertigt worden. Nichts mehr sei dem Geist Michelangelos fremder als diese kalten, manieristischen Allegorien, die in

Wittkower, R. u. M.: Divine, S. 42. Wazbinski, Z.: op. cit., S. 171. Pope-Hennessy, J.: Italian High Renaissance and Baroque Sculpture, S. 61. Borghini, R.: Il Riposo, S. 107–108. Bocchi, F.; Cinelli, G.: Le Bellezze delle Città di Firenze, S. 320. Steinmann, E.; Pogatscher, H.: op. cit., S. 416. Papini, G.: Michelangiolo, S. 693. Papini, G.: Michelangiolo, S. 694. Pope-Hennessy, J.: Two models, S. 243.

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Bewertungen des Grabmals und Alternativen

übertriebenen Posen und Bewegungen gezeigt würden. 247 John Addington Symonds Bewertung fällt kurz und prägnant aus: Das Grabmal sei sehr mittelmäßig. 248 Hans Mackowsky beschreibt es als „gleichgültig und verfehlt“. 249 Es ist zu durchaus annehmbar, dass die beteiligten Personen an der Gesamtkonzeption den berühmten Verstorbenen nicht richtig wahrnahmen, was auch nicht deren primäres Ziel war. Die Beteiligten kreisten, wie erwähnt, mehr um sich und um ihre Vorstellungen. Ein weiteres Dilemma bestand auch darin, dass Michelangelo nun auch alles dafür getan hatte, seine Geheimnisse zu wahren. Diejenigen, die es am besten hätten beurteilen können, wären die römischen Freunde gewesen, doch sie waren an diesem letzten Vorhaben für ihn nicht beteiligt. Michelangelo selbst hätte vermutlich dem gesamten Ensemble kritisch gegenübergestanden, was besonders für den gemalten und kitschig wirkenden Baldachin gilt. Keines seiner Werke, besonders seine Grabmäler, zeigt eine solche Umsetzung. Er trennte streng seine Kunstrichtungen und kombinierte sie nicht. Seine Fresken sind großartige und aussagekräftige Darstellungen, die unübertroffen blieben. Seine Skulpturen sind selbst im Status des Non-finito bereits Kunstwerke. Von daher hätte ihm diese Ausführung vermutlich nicht zugesagt. So still, wie er im Kreis seiner Freunde starb, hätte er auch beerdigt sein wollen, da er bis zum Schluss im Grunde ein scheuer Mensch blieb, der nur wenigen wirklich vertraute. Die Florentiner Pietà hätte in Santa Croce einen würdigen Ort gefunden, dazu hätte die mächtige Dominikanerkirche den Platz geboten. Die von Michelangelo nach Vasari gewünschte Konstruktion wäre möglich und auch schneller umsetzbar gewesen. Die an dieser Unternehmung beteiligten Personen – allen voran Vasari – hätten das realisieren können. Vasari selbst trieb die Lösung mit der Pietà

nicht voran, da ein neues aus seiner Sicht spektakuläres Projekt ihm mehr Ruhm gebracht hat. Bei der Pietà-Lösung wäre er nur ausführende Koordinator gewesen. Wie eine Konzeption mit der Pietà hätte aussehen können, zeigt eine Rekonstruktion von Jack Wasserman, wobei er sich über die Stadt, in der die Gedenkstätte des Meisters stehen sollte, zurückhaltend äußert. 250 Er zeigt in seiner Rekonstruktion und Computeranimation die Gruppe in einer Nische, umrahmt von vier Säulen. Unter der Nische bzw. vor der Nische befand sich dann der Altar. 251 Daneben zeigt er in seiner Untersuchung eine alte Aufnahme von der Skulptur, als sie noch im Dom von Florenz ihren Aufstellungsort hatte. Hier stand die Gruppe in der Kapelle der Santa Maria della Neve direkt auf einem Altar an der Wand. 252 Unter dem Altar befand sich als Teil eines tragenden Elements ein Marmorblock, der eine umrahmte Fläche bot, um dort eine Inschrift zu ermöglichen. Somit wäre hier die Installation einer Inschrift denkbar gewesen. Diese beiden Möglichkeiten sollen hier genannt sein, da sie potentielle Alternativen zu dem Ausgeführten gewesen wären und die Pietà eingebunden hätten. Vermutlich hätte sie dem gläubigen Künstler und dem Menschen Michelangelo eher entsprochen. Als weitere Alternative wäre eine Lösung wie im Fall Berninis vorstellbar gewesen. Das Ruhen unter einer einfachen Grabplatte, bestenfalls aus reinem Carrara-Marmor, versehen mit einer bescheidenen Inschrift, hätte ihm ebenfalls entsprechen können. Die Inschrift hätte den Namen, seine Stadt und seine Künste tragen können, wobei die Bildhauerei an erster Stelle hätte stehen müssen. Am Schluss bleibt festzustellen, dass Michelangelo in seinem Grabmonument von CarraraMarmor umgeben ist bzw. zum Teil in selbigem ruht, den er selbst in der Via Mozza deponiert hatte. Der Marmor des Sarkophags stammte beispiels-

Tolnay, C. d.: Michelangelo V, S. 17. Symonds, J. A.: The Life of Michelangelo Buonarroti, S. 294. „(…) the very mediocre monument“. Dem Wort „mediocre“ kann man die nötige Schärfe geben, wenn man „mittelmäßig“ mit „niveaulos“ übersetzt, was eine potentielle Übersetzungsmöglichkeit wäre. Somit würde das Urteil von John Addington Symonds noch deutlicher ausfallen. 249 Mackowsky, H.: op. cit., S. 272. 250 Wasserman, J.: op. cit., S. 28–29. Jack Wasserman diskutiert potentielle Kirchen für das Grab in Rom und in Florenz. In Rom kamen nach ihm in Frage: Santa Maria Maggiore, Santissimi Apostoli (Santi XII Apostoli), San Silvestro al Quirinale, San Giovanni in Decollato oder das Pantheon. In Florenz nennt er Santa Croce, Santa Maria Maggiore, da Vasari nicht die Stadt nenne, in der diese Kirche stehe, Santa Maria del Fiore oder San Pietro in Maggiore. 251 Wasserman, J.: op. cit., S. 28, Plate 13. Siehe Abb. 120: Virtuelles Modell der Pietà [S. 397]. 252 Wasserman, J.: op. cit., S. 108, Plate 76. 247

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Die künstlerische Gestaltung des Grabmals

weise aus dem Gebiet „Seravezza“ 253, das er 1518 für die Arte di Lana neu erschloss und für das er eine lebenslange Lizenz für den Eigenbedarf aus diesem Steinbruch erhielt. 254 Er selbst deutete den Aufenthalt in Carrara für sich immer als Glückseligkeit und verfluchte die Stunde, in der er diesen Ort

verlassen musste, da dies sein Ruin bedeute. 255 Legt man diese Aussage zugrunde, ist ihm zumindest ein Daueraufenthalt in seinem geliebten Carrara trotz weniger überzeugendem Grabmal beschieden, das eitle Menschen ihm stifteten, ohne seiner Größe und Bedeutung gebührend entsprechen zu können.

Cecchi, A.: op. cit., S. 63. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 123, S. 112. Siehe auch Anmerkung 1. 255 Brief Michelangelos aus Pietrasanta an Buonarroto am 18. April 1518: „Ò maladecto mille volte el dì e l’ora che io mi parti’ da Charrara. Quest’è chagione della mia rovina; ma io vi ritornerò presto“. http://www.memofonte.it/home/ricerca/singolo_23.php?id=276&page=5&daAnno=1517& aAnno=1519&Mittente=&Destinatario=&Luogo_Mittente=&Luogo_Destinatario=&Trascrizione=&Collocazione=&Bibliografia=&cerca=cerca& Vgl. Ramsden, E. H.: The Letters Vol I, Brief 123, S. 112. 253

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Bis heute zählt Michelangelo Buonarroti zu den größten Künstlern aller Zeiten, der in Florenz und in Rom ein künstlerisches Erbe hinterlassen hat, das ihm einen Platz im kollektiven Gedächtnis der Menschheit sichert. Entsprechend hallt sein Nachruhm bis in die heutige Zeit hinein. Von seinen Zeitgenossen bewundert und verpflichtet, wollten vor allem die Päpste von ihm profitieren. Er selbst erkannte, dass er für sein Image und sein Bild, das er der Nachwelt hinterlassen wollte, aktiv werden musste, was er von einem bestimmten Zeitpunkt an tat. Eine Möglichkeit dazu nutzte er neben seinen Kunstwerken in Form seiner Biographie, die er Ascanio Condivi in die Feder diktierte. Sein Lehrherr Ghirlandaio wird in dieser Schrift beispielsweise mit einer Negativkritik belegt, weil sich Michelangelo zum Selfmademan stilisieren möchte. Die moderne Forschung bewertet Ghirlandaio hingegen positiv und sieht in ihm ein wichtiges Verbindungselement zwischen ihm und den Großen der Renaissance, zu denen Michelangelo schon zu Lebzeiten gehörte. Sein malerisch ikonographisches Spektrum umfasste Themen aus dem Alten und Neuen Testament, die von heilsgeschichtlicher Relevanz waren, worunter das Jüngste Gericht, Teile der Schöpfungsberichte, die Ausschnitte aus der Geschichte Noahs, Propheten und Sybillen und die Kreuzigung Christi und die Konversion des Paulus zählen. Neben der Präsentation seiner künstlerischen Schaffenskraft und seines Könnens nutzte er alle Fresken für seine Selbstdarstellung, da in diesen Werken sein Konterfei oder sein Typus neben seinem unverwechselbaren Stil zu finden ist, den er nach einigen Kunsthistorikern erst in der Sixtinischen Kapelle entwickelte. Die Ausführungstechnik speziell an der Decke der Sixtina legt spätestens seit der Restaurierung nahe, dass Michelangelo über einen organisierten und technisch versierten Mitarbeiterstab verfügte, der ihm Teile der Kapellenausmalung abnahm. Die erfahrenen Assistenten, die er fast alle aus seiner Florentiner Lehrzeit kannte, legten den Architekturrahmen der Decke an, malten die Throne der Propheten und Sybillen, dekorative Elemente und übernahmen vermutlich unbedeutendere Bild-

zonen. Stilistisch mussten sie sich vollkommen dem Stil des Meisters unterwerfen, damit es keine großen sichtbaren Abweichungen gab. Die wichtigen Monumentalfiguren bzw. Bilder malte der Meister höchst selbst. Im Laufe der Ausführung ist deutlich zu beobachten, dass er einen immer besseren Stil entwickelte. An einem Detail der Sintflut konnte in dieser Untersuchung belegt werden, dass die Assistenten für Michelangelos Entwicklung eine bedeutendere Rolle einnahmen als bisher angenommen. Dies hielt die Michelangelo-Biographen aber nicht davon ab, ihn als den einsamen Künstler zu überliefern, der in mühsamer Alleinarbeit die fast 1000 Quadratmeter der Decke ausmalte. Nachgewiesenermaßen gehört diese Aussage ins Reich der Fabel. Dennoch wurde ein Ziel erreicht: Die Deckenfresken werden bis heute ausschließlich mit Michelangelos Namen in Verbindung gebracht, auch wenn der Auftraggeber Julius II. mit dieser Dekoration in seiner Zeit eine Werbekampagne in eigener Sache anstrebte, die der Familienpropaganda diente. Der Ruhm des Malers konnte, ja musste hier obsiegen, da das Menschliche in seinem ganzen Spektrum und in seiner Schönheit gezeigt wird. Allein die Großartigkeit der Figuren machte den Schöpfer unsterblich. Durch diesen Auftrag, der mit Intensität vollzogen wurde, war der Weg zu einer ausgereiften Künstlerpersönlichkeit eröffnet. Grundlagen waren hier künstlerische Entwicklungsfähigkeit und -willigkeit. Zweifelsfrei war er begabt, die Komponenten der zeitgenössischen Malerei und ihrer großen Vorgänger zu adaptieren, ihnen so seinen Respekt und seine Anerkennung entgegenzubringen, um sie mit stilistischen Neuerungen und erweiterter Darstellung zu versehen. Die Einflüsse eines Giotto, Masaccio und auch Ghirlandaio verschmolz er innovativ zu seinem unverwechselbaren Stil. Auch das ist ein Glied einer Memoriakette, dass ein Künstler seinen Stil entwickelt und seine Vorgänger nicht nur verbessert, sondern übertrifft. Damit reiht er sich in die künstlerische Sukzession der großen Renaissancemaler ein, verschafft sich selbst eine herausragende Stellung, sodass es in der Forschung den Ansatz gibt, Michelangelo sei erst in der Kapelle zum eigent297

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Zusammenfassung und Resultate

lichen Michelangelo geworden. Das Präludium der Ausmalung bildete eine für den Künstler schmerzhafte Erfahrung, die ihn aus planerischen Höhenflügen für ein Grabmal jäh auf den Boden der Tatsachen aufschlagen ließ. Es kann festgehalten werden, dass seine Erfahrungen während seines zweiten Romaufenthaltes ihn entscheidend für die Zukunft prägen sollten. Als Florentiner Starbildhauer vom Papst nach Rom gebeten, um dessen vierzigfiguriges Grabmal auszuführen, wurde ihm kurz darauf dieser Auftrag wegen des Neubaus von St. Peter wieder entzogen. Erstmalig wird dem Künstler bewusst, dass er nur ein Teil einer politischen bzw. kirchenpolitischen Realität ist, auf die er keinen Einfluss hat. Er hat dennoch den Schneid, sich dem Papst gegenüber widerspenstig zu verhalten und unerlaubt einen Tag vor der Grundsteinlegung von St. Peter aus Rom abzureisen. Julius II. verzeiht seine Abtrünnigkeit und vertraut ihm stattdessen die Ausmalung der Sixtinischen Decke an. Die Erfahrungen, die Michelangelo zwischen 1506 und 1512 sammeln konnte, lassen ihn zu dem Schluss gelangen, sich zukünftig von Konkurrenten abzusetzen und erst recht keine mehr in seiner Nähe zu dulden. Er wird konsequenter Verfechter und Vertreter seiner Angelegenheiten und Projekte. Nur bereits verstorbene Künstlergrößen konnte er generös würdigen, da sie ihm nichts mehr streitbar machen konnten. Bestes Beispiel dafür ist Donato Bramante, den Michelangelo zu Lebzeiten in Bausch und Bogen verdammte, ihn als „il ruinante“ von Alt-St. Peter bezeichnete und hinter seinen Tätigkeiten häufig Intrigen gegen sich vermutete. Knappe 40 Jahre später lobt er, mittlerweile Architekt von St. Peter unter Paul III., dessen Plan und kann als letzter Vertreter der Renaissance und Zeitzeuge der Entwicklungen des Jahres 1506 den Bramante-Plan in modifizierter Form in die neue Zeit überführen. Die Ironie des Schicksals ist, dass der Bau, der Michelangelo u. a. das Grabmal Julius’ II. kostete, sein spätestes Hoheitszeichen und seine Krönung wird. Sichtbares Zeichen ist seine von Della Porta leicht veränderte Kuppel, durch die er sich endgültig mit St. Peter verbindet. Sowohl Vasari als auch Condivi hatten bereits in ihren Werken Michelangelo eine hohe Bedeutsamkeit für das Neubauprojekt zugesprochen, sodass er mit dem Baubeginn und der Vollendung der Kuppel in Verbindung gebracht wurde. Im Rahmen der Projekte von Julius II. war es 298

angebracht, weitere Aspekte von dessen Pontifikat zu untersuchen. Es konnte der Beweis angetreten werden, dass der Entzug des Grabmalprojektes nicht auf einem finanziellen Mangel seitens des Papstes gründete, sondern auf dessen Entscheidung, es nicht weiter zu verfolgen. Ferner wurde herausgearbeitet, dass Julius II. süchtig nach Gold und Edelsteinen war, was ihn dazu antrieb, enorme Werte zu akkumulieren, die ausschließlich seinem Repräsentationsbedürfnis dienten. In die Rückeroberung des Kirchenstaates ließ er durchaus Gelder fließen, die aber umso spärlicher für St. Peter zur Verfügung gestellt wurden. Die übergeordneten Bestrebungen des Papstes wurden durch sein temporäres Desinteresse am Grabmal flankiert. Eine Hauptanstrengung von Julius II. bestand darin, als großartiger Pontifex maximus zu gelten und Anerkennung zu ernten. Auf Grundlage der Ergebnisse kann davon ausgegangen werden, dass Michelangelo bei einem nahezu unkalkulierbaren Charakter, wie Julius II. einer war, keinen verlässlichen Mäzen für seine künstlerischen Ambitionen und Planungen hatte, da dieser eher persönliche, somit höchst irdische, und kirchenpolitische Ambitionen verfolgte. An so einem Exzentriker auf dem Papstthron musste er scheitern und scheiterte dennoch nicht, da ihm die Kapelle und auch das Julius-Grabmal letztlich Ruhm und Geld einbrachten. In der Retrospektive deutete Michelangelo gerne die Geschehnisse rund um seinen zweiten Romaufenthalt zu seinen Gunsten, ja er glättete sie zum Teil nach allen Regeln der Kunst. Er nimmt sich dabei die Freiheit, sich als Opfer zu stilisieren, wobei er sich an den Projekten in Rom, worunter vor allem das Julius-Grabmal fiel, hemmungslos bereicherte. In seinen Briefen nahm er noch Jahre und Jahrzehnte danach Stellung zu den damaligen Geschehnissen und machte seine Korrespondenz in Teilen zu EgoDokumenten, in denen er eine gezielte Rekonstruktion und Umdeutungen vornahm, um vor sich selbst, vor dem Adressaten und gegebenenfalls vor dessen Um- und Nachwelt in einem besseren Licht zu erscheinen. Diese Handlungsweisen dienten seiner gezielten Imagepflege. Eine weitere Maßnahme zur Imagepflege war sein Hang zur Kontrolle, welche er in der Sixtinischen Kapelle erstmalig praktizierte und während seines 20-jährigen Intermezzos in Florenz fortsetze. In Florenz wurde er endgültig vom Künstler zum Souverän, hinterließ wieder Unvollendetes, hatte aber die gestalterische Deutungs-

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hoheit über die Medici-Grablege erhalten. Gerade den Medici gegenüber pflegte er ein sehr ambivalentes Verhältnis. In seiner Jugend hatte die Vernetzung mit dem regierenden Haus in Florenz stattgefunden und der Familie Buonarroti entsprechendes Sozialprestige eingebracht. Spätestens seit dem Sacco di Prato 1512 erfuhren die Medici Ablehnung durch Michelangelo. Nur mit den Mitteln der Gewalt und des Schreckens hatten sie die Kontrolle über Florenz zurückerlangt, was ihnen weder die Loyalität der Bevölkerung noch die Loyalität eines Michelangelo einbrachte. Er musste mit ihnen eine unheilige Allianz eingehen, da mit Leo X. und Clemens VII. nun Medici-Päpste auf dem Thron Petri saßen, die ihn für ihre Projekte in Florenz und später Rom verpflichten wollten. Als Gesinnungsrepublikaner und Freidenker lehnte er sie in seinem Inneren massiv ab. Besonders spürbar war dies für den späteren Herzog Cosimo I., dem es nicht gelingen sollte, Michelangelo zu seinen Lebzeiten in seine Heimatstadt zurückzuholen. Der Florentiner Künstlersouverän hatte schließlich seit 1534 Rom wieder zu seinem Betätigungsfeld gemacht. In der Tiberstadt war die Luft nicht nur freier, sondern die Position des Künstlers erfuhr eine Verbesserung. Das Farnese-Pontifikat beruft ihm zum unangefochtenen künstlerischen Leiter des Vatikans, der sich durch ein selbst formuliertes Motuproprio die päpstliche Approbation für seinen Entwurf von St. Peter sichert. Im Vorfeld hatte er das Jüngste Gericht als gnadenreiche Häresie an die Altarwand der Sixtina gemalt und so seine Spiritualität offenbart. Als segnender Mönch in der Zone der Auferstehung der Toten im unteren Freskobereich und in der Haut des Bartholomäus in der oberen Bildzone legt er Zeugnis für seinen Glauben ab. Darüber hinaus stellt er die Kennzeichen seiner Zeit dar, die auch aus Qual, Leiderfahrung, Grauen und Bedrückung bestanden, sodass das Fresko Schockmomente und Schrecken bei den Zeitgenossen auslöste. Eindringlich war der Künstler mit den Empfindungen seiner Zeit auf Tuchfühlung gegangen, die von der Sorge um das Seelenheil und den zukünftigen Weg der Kirche geprägt waren, und hatte sie in eine drastische Darstellungsweise überführt. Die Sorge um sein Seelenheil war in den vierziger Jahren des 16. Jahrhunderts das Agens des Künstlers. Ausdrucksformen waren die Florentiner Pietà und die Fresken der Cappella Paolina. Beide Kunstwerke wurden in dieser Untersuchung in Be-

ziehung gesetzt, womit der Nachweis erbracht werden konnte, dass sie mehr miteinander korrespondieren als bisher angenommen. Beide Ausdrucksformen spiegeln Michelangelos Weg zu Gott und seine fundamentale Frage nach dem ewigen Leben wider. Diese Frage versuchte er zu beantworten, weil er seiner Seele Ruhe verschaffen wollte. Der Endlichkeit seines Lebens begegnete er, indem er spirituelle Spuren hinterließ. Verwirklichung fand das Ansinnen in den beiden letzten Fresken, in die er seinen Geist und seinen Glauben integriert. Die Hinzunahme bisher unbeachteter Quellen, der sogenannten Petrusakten, eröffnet einen ausgedehnteren und differenzierten Blick auf die Gestaltung und Aussage seiner letzten Fresken. Als Extrakt fließt die erweiterte Sichtweise auf die Darstellung des Petrus im Fresko „Die Kreuzigung Petri“ heraus. Diese Sichtweise lässt die Deutung zu, dass Petri ungehaltener Blick im Fresko mit seiner Ungeduld erklärt werden kann, da er zügig seinem Herrn im Martyrium folgen möchte. In einem weiteren Schritt wurde die Beziehung der beiden Fresken herausgestellt, da Michelangelo beide Apostelfürsten nicht nur zu Protagonisten, sondern auch spirituelle bzw. kirchenpolitische Aussagen machte und Hinweise für den neugewählten Papst hinterlassen wollte. Weitere theologische Aspekte aus den Evangelien, die bisher auch unbeachtet blieben, erweiterten den Interpretationsansatz, dass es sich bei diesen Fresken um Glaubenszeugnisse des Meisters handelt, der sich auf seiner Pilgerreise zu Gott befindet, was auch mit der Florentiner Pietà in Einklang zu bringen war. Am Ende seines Lebens ermöglichte ihm diese Pilgerreise einen Tod als „perfetto cristiano“. Die Fresken der Cappella Paolina werden seine letzten sein, denn fortan widmet er sich der Architektur und aus eigenem Antrieb der Bildhauerei. Die letzten großen Herausforderungen waren der Bau von St. Peter, bei dem er auf den Widerstand der Fabbrica di San Pietro stieß, und die permanenten Anfragen aus Florenz, die ihn in seine Heimatstadt zurückholen wollten. Der ersten Herausforderung begegnete er mit Unterstützung des Papstes und klarem Auftreten als kampferprobter Projektleiter, der apodiktisch auftrat. Der zweiten Herausforderung begegnete er mit höflicher Ablehnung und legitimierte sie mit seiner Verpflichtung St. Peter gegenüber. Die Florentiner Anfragen ordnete Michelangelo durchaus richtig ein; deren 299

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Grundlage war es, seine Kunst und seine Person zum Teil der politischen Öffentlichkeitsarbeit Cosimos I. zu machen. Er erteilte den Ruhmesbestrebungen auf seine Kosten, von wem auch immer sie in Florenz ausgingen, eine klare Absage. Neue Ruhmesmonumente von seiner Hand für Herrscher, die er ablehnte, sollte es nicht mehr geben. Dazu hatte er zu viel erreicht und war mittlerweile auch zu alt geworden. Auf beide Herausforderungen reagierte er also mit einer Form von Ich-Treue. Dabei war er sich seiner in Florenz ansässigen Familie durchaus bewusst, sodass ihm der Spagat gelang, einerseits Absagen an Florenz zu erteilen und andererseits dieser Familie nicht die Existenzgrundlage und ihr Ansehen zu entziehen. Die schriftlichen Absagen auf florentinische Anfragen waren zum Teil übertrieben und dramatisch formuliert, um den Adressaten unmissverständlich seine prekäre Lage klarzumachen, dabei niemanden zu brüskieren und seine Familie zu schützen. Das hielt Giorgio Vasari allerdings nicht davon ab, ihn in Rom überwachen zu lassen, um für den Tag X gewappnet zu sein und frühzeitig Michelangelos Nachlass kontrollieren zu können, an dem Florenz höchstes Interesse hegte. Stärkstes Dauerargument in Michelangelos Ablehnungsschreiben nach Florenz war seine Verpflichtung St. Peter gegenüber, widmete er doch dem Bau Teile seiner Christenseele. Auch aus diesem Grund wollte und konnte er die Basilika nicht im Stich lassen. Am Ende dieser Auseinandersetzungen mit der Fabbrica und Florenz steht ein gealterter Michelangelo, der des Diskutierens und Verhandelns müde ist. Seine Lieblingswerkzeuge, Hammer und Meißel, legt er als letzte aus der Hand, um sich endgültig seinem Schöpfer zu überlassen. Es war zwar nicht alles getan und vollendet, aber mit dem Non-Finito hat er zeit seines Lebens immer gut leben können. Die letzten Anweisungen erhalten seine besten Freunde, in deren Kreis er stirbt. Zum Schluss möchte er seinen Neffen noch an seiner Seite haben, der aber nicht mehr rechtzeitig in Rom ankommt. Michelangelo überlässt es seinem Neffen, wie mit ihm nach seinem Tod umzugehen ist. Vermutlich hatte der Künstler erkannt, dass nichts mehr zu ändern war, und war mit sich selbst und der Welt im Reinen. Den Tod konnte er nicht überwinden, das war ihm klar, aber ihm war wohl bewusst, dass er seine Spuren hinterlassen hatte. Die Aussage „perfetto cristiano“ zeigt, dass er offensichtlich mit sich und dem Leben gläubig abge300

schlossen hatte. Als Mensch der Renaissance wusste er, wie es auf dem Totenbett zuging und dass er nicht ohne geistliche Begleitung und Beichte sterben musste. Erfahrungen dazu hatte er schon zwanzig Jahre zuvor gemacht. Über die Bilanzierung in seiner Todesstunde ist nichts bekannt, sie war auch nicht nötig, denn er hatte sie schon längst gemacht. Zufrieden konnte er mit seinem Vermögen und seinen Liegenschaften sein, was auch für St. Peter gilt, da er die architektonischen Pflöcke eingeschlagen hatte. Seine letzten dreißig Jahren in Rom stellten für ihn, so kann man es deuten, einen Gewinn und Erfolg dar. Nicht ohne Grund verließ er zu Lebzeiten nie wieder die Tiberstadt. Erst nach seinem Tod werden seine Gebeine nach Florenz gebracht. Die Regie dafür übernahmen jetzt sein Neffe und der Mann, der sich seinerseits zum Michelangelo-Freund, Michelangelo-Versteher, Michelangelo-Deuter und Michelangelo-Biograph und zum Verwalter seines künstlerischen Lebens aufgeschwungen, ja selbst deklariert hatte: Giorgio Vasari. In einer Art Propagandaunternehmung hatte er quasi unautorisiert schon 1550 die erste Biographie veröffentlicht, worin er ungeachtet aller Bescheidenheitstopoi ein hohes Maß an Selbstwertschätzung formuliert und die Wertschätzung seiner Leser reklamiert. Das Leben Michelangelos hatte er schon als großen Plan der Vorsehung deklariert, zeichnete darin auch ein Charakterbild des Künstlers, vergaß aber nicht, sich dabei selbst ins Zentrum zu stellen und mit Michelangelo zu verbinden. Eine weitere wichtige Verbindung mit und zu Michelangelo konnte der Stratege Vasari nach dessen Tod aufbauen, was der Inhalt des letzten Untersuchungsdrittels thematisiert. Der Tod Michelangelos, der Umgang mit seinen sterblichen Überresten, die Ausrichtung seiner Exequien und Grabmalprojekt wurden einer genauen Analyse unterzogen. Giorgio Vasari versuchte, in langfristig angelegten Schachzügen, mit Finesse, Manipulation, Überwachung, Überredungskünsten und Geschick seine Umwelt so zu arrangieren, dass er sein Ziel erreichte, den berühmten toten Künstler für seine Zwecke zu gebrauchen. Der Organisator Vasari unterstützte mit seiner Gier nach Einfluss seinen Dienstgeber Herzog Cosimo I. in all seinen Belangen. Das, was Vasari zu Michelangelos Lebzeiten nicht gelang, erreichte er nach dessen Tod, und zwar sich in dessen enormem Glanze zu sonnen und ihn zum Zentrum

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seiner Planungen für die neu gegründete Accademia del Disegno und zum Höhepunkt der Zweitausgabe seiner Viten zu machen. Die Gründung der Accademia war von Anfang an Michelangelo orientiert. Vasari wollte die Kunst und den Künstler so zu Propagandazwecken in den Staat Cosimos I. einbinden. Eine Steilvorlage bot ihm Giovanni Angelo Montorsoli, der die Idee hatte, eine Grablege für Künstler in Santissima Annunziata zu stiften. In einem Stiftungsakt mit der Gründungsleiche Pontormo rief man die Accademia del Disegno ins Leben. Die Idee zur Neugründung hatte Vasari seinerzeit aus Rom mitgebracht. Es entsprang Vasaris Kalkül, Michelangelo ein Jahr vor seinem Tod in Abwesenheit zum zweiten Vorsitzenden der neugegründeten Accademia zu wählen. Es war absehbar geworden, dass in näherer Zukunft Exequien für ihn in Florenz stattfinden würden, hatte doch Michelangelo zu Lebzeiten den Wunsch geäußert, in Florenz beigesetzt zu werden. In diesem Punkt konnte sich Giorgio Vasari zumindest sicher sein. Nach dem Eintreffen des berühmten Leichnams in Florenz fand dessen Vereinnahmung durch die Accademia del Disegno statt. Wider alle familiäre Anordnung wurde der Sarg in einer nächtlichen Überführung in die Hauskirche Santa Croce getragen und dort geöffnet. Gerade Vincenzo Borghini setzte sich über den Wunsch der Familie hinweg und gab den toten Michelangelo Blicken preis, die er nie geduldet hätte. Anzunehmen ist dies auch für die Exequien, die ein konsequentes Verweben Michelangelos mit der Accademia del Disegno und der Toskana waren, deren Zentrum Florenz darstellte. Nicht aus Zufall fiel als Ort der Exequien auf San Lorenzo, die Familienkirche der Medici. Die gesamte Innenausstattung von San Lorenzo war darauf angelegt, Michelangelo als den größten Künstler zu feiern und ihn inmitten der politischen Größen in Form eines großen Katafalks und großformatigen Bildern zu präsentieren. Der imposante Katafalk feierte ihn als wichtigsten Vertreter der drei Künste. Bei der gesamten Präsentation wurde Michelangelo konsequenterweise mit dem Hause Medici verschränkt. Die Lobrede auf den Künstler trug Benedetto Varchi rhetorisch vollendet in den höchsten Tönen vor. Nichts wurde dem Zufall überlassen, so approbierte der Herzog die Rede schon im Vorfeld. Der regierende Medici, der sich geschickt im Hintergrund hielt, schickte stets seinen Impresario vor, hoffte aber auch ein schönes Kunstwerk von Michelangelo

einstreichen zu können. Vasari war seinerseits Cosimo I. zu Willen, da er nicht dessen Gunst verlieren wollte. Durch geschickte Manipulation des Opportunisten Leonardo Buonarroti war dieser schließlich bereit, Figuren des Künstlers, die sich noch in der Via Mozza befanden, an den Herzog abzutreten. Der Höfling Vasari verfolgte damit zwei Ziele: Gunsterlangung beim Herzog und Trennung der Figuren von dem noch zu entwerfenden Grabmal. Zu diesem Zeitpunkt planten die Michelangelo treuen Künstler in Rom dessen Denkmal, insbesondere Daniele da Volterra. Speziell er wurde von Vasari nach allen Regeln der Kunst ausgebootet. Dieser übernahm selbst die Planung und Borghini die Ausführung des Monuments für Michelangelo, das nach 14 Jahren vollendet war. Ob es dem berühmten Toten zugesagt hätte, ist höchst zweifelhaft. Es ist eher ein Produkt von Ehrgeizlingen, die ihre Vorstellung von der Wirkung des sepulkralen Projektes umsetzen wollten, und dabei nicht den Künstler selbst im Blick hatten. Die Ironie des Schicksals ist, dass Vasari nicht das erreichen konnte, was er anstrebte, auch wenn er seine Grabmalkonzeption verwirklichte. In letzter Konsequenz werden weder er noch die Accademia del Disegno, deren Künstler das Grabmonument ausführten, hier ihre Spuren hinterlassen, die er sich erhofft hatte. Nur der Neffe Leonardo Buonarroti und Herzog Cosimo de’ Medici erscheinen namentlich – quasi als Stifter – auf dem Epitaph. Ziel der Untersuchung war der Nachweis, dass Michelangelo bereits zu seinen Lebzeiten aktiv an seinem Nachleben arbeitete und dass ihm dies gelungen ist. Ein Mann, der jeden Kontrakt entsprechend formulierte, jede Zeichnung mit einem klaren Konzept entwarf, seine Marmorfiguren innovativ-dynamisch anlegte und kompetent Architektur plante, ließ sich immer Spielräume offen, die Dinge in seine Richtung zu dirigieren. Dieses Offenhalten seiner Arbeitsweise entsprach seinem Verständnis von Kunst und Leben. Er wollte sich nicht festlegen müssen, da er, ständig seiner Intuition folgend, auf eine Verbesserung der Idee hoffte und sich selbst auch diese Veränderung zutraute, um der Perfektion – einer Tangente gleich – nahe zu kommen. Diese angestrebte Perfektion vermochte er auch zu schützen, indem er sehr auf seine Entwürfe und Ideen achtete. Aus diesem Grund verbrannte er viele seiner Entwürfe und Pläne, damit sie nicht unkontrolliert in fremde Hände fielen. Für ihn war 301

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seine Kunst ständige Entwicklung, die ausschließlich von ihm ausging und von ihm getragen wurde. Insofern war Michelangelo auch ein ausgesprochen moderner Mensch: Er war ein Individuum in voller Größe, verteidigte seine Individualität und ließ sich nicht vereinnahmen. Vor Auseinandersetzungen scheute er sich ebenfalls nicht und führte sie bis ins hohe Alter. Der Künstler setzte Grenzen und wollte die Kontrolle über sich, seine Projekte und seine Kunstwerke. Im Laufe seines Lebens gelang ihm dies immer mehr. Sein ständig überliefertes Klagen und Seufzen über sein Leben und seine Arbeit gehörten auch zu seinem Charakter. Sie können eine Selbstinszenierung oder ein Manöver gewesen sein oder hatten womöglich eine kathartische Funktion. Als überdurchschnittlich intelligenter und sensibler Mensch sowie Künstler war ihm die Exzentrik in die Wiege gelegt, der er immer wieder seinen Tribut zollen musste. Sein Lamentieren betraf vor allem den notorisch leeren Geldbeutel, der mehr seiner Phantasie entsprang als der Realität. Michelangelo bemaß schließlich seinen Erfolg an seinem Verdienst bzw. an seinem Marktwert. Eine Form von Erfüllung bestand für ihn darin, seinen Reichtum zu mehren. Mit Hingabe widmete er sich seinen Geldgeschäften und Investitionen. Darin liegt ebenfalls seine große Lebensleistung, dass er nach heutigen Maßstäben als Millionär im hohen dreistelligen Bereich starb. Allein das Wissen um seine Vermögenswerte schien ihm zu reichen, da er seinen Reichtum nicht auslebte. Er gab sich eher bescheiden, sparte sein Geld, um am Ende wieder zu klagen, er habe nichts oder seine Familie beute ihn aus. Sein persönliches Glück, wenn er denn dazu in der Lage war, bestand aus anderen Inhalten. Es bestand in der Erschaffung der Kunst, in dem Entwurf, auch im Verwerfen und im Non-Finito, da es ihm die nötige Freiheit

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brachte, sich selbst nachzugehen. Sein Glück lag auch in der Begegnung mit Menschen, die er nur handverlesen in seine Nähe ließ. Womöglich war die Langweile sein größter Feind, wobei bei ihm kein Grund dazu bestand. Seine gefüllten Auftragsbücher gaben ihm die Sicherheit, eben nicht unbedeutend zu sein, sondern sehr gefragt, und somit den Schutz vor Langweile oder Unbedeutsamkeit. Dabei spielt es keine Rolle, ob er an Selbstüberschätzung litt oder bewusst zu Lippenbekenntnissen griff: Ziel war das gefüllte Auftragsbuch. Die Florentiner Pietà erschuf er zu einem Zeitpunkt, als er fest im Vatikan angestellt war, was bedeutet, dass er sich die Freiheit nahm, sich um sein Seelenheil zu kümmern. Antreiber war die Angst um das Wissen seiner Sterblichkeit. Die Reformation hinterließ auch in ihm ihre Spuren. Erstens ging es um die Gnade Gottes und zweitens um das Erreichen des ewigen Lebens. Nicht zu Unrecht fällt in diesen Zeitraum die Biographie Condivis. Insofern existiert hier eine Zeit der massiven Auseinandersetzung mit seiner eigenen Sterblichkeit, die sich in unterschiedlichen Formen manifestiert: Schrift, Bildhauerei, Malerei und Architektur. Dahinter steht das Streben nach Unsterblichkeit in einer veränderten Form. Auch wenn Vasari ihn schon in seiner ersten Vita zu einer Art „Homo Deus“ verklärte, stand dem gegenüber die Erkenntnis Michelangelos, sterblich zu sein. Ihr begegnete er, wie dargelegt, durch eine gezielte Memoriabildung und -konstruktion, sodass er sich nicht zuletzt durch seine künstlerischen Hinterlassenschaften sicher sein konnte, eine hohe und erinnerungswürdige Position in der menschlichen Kulturgeschichte zu erlangen. Bis heute erfährt er als wahrer Mensch und Kunstgott Verehrung, da er frühzeitig für diese Form der Adoration sorgte.

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Anhang Abbildungen

Abb. 1: Grundriss St. Peter Aus: Thoenes, Christof: Der heilige Raum der Basilika St. Peter Projekt Nikolaus’ V. rekonstruierter Grundriss, S. 41

Abb. 2: Cappella Sixti IV. Die Grabkapelle Papst Julius’ II. in Neu-St. Peter Alpharanus, Kapelle Sixtus’ IV., Chorgestühl, Grundriss (Detail), S. 31

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Anhang

Abb. 3: Juliusgrabmal Aus: Bredekamp, Horst: Ende (1545) und Anfang (1505), Michelangelos Juliusgrab. Frei- oder Wandgrab?, S. 63.

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Abbildungen

Abb. 4: Entwurfszeichnung des Juliusgrabmals I Aus: Kempers, Bram: Metamorphosen des Juliusgrabmals In: Bredekamp, Horst; Reinhardt, Volker: Totenkult und Wille zur Macht S. 44, Abbildung 2, Michelangelo (zugeschrieben): Entwurfszeichnung des Grabmals Julius’ II. della Rovere, 1505. (Zeichnung aus dem Metropolitan Museum of Modern Art in New York)

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Anhang

Abb. 5: Entwurfszeichnung des Juliusgrabmals II Aus: Kempers, Bram: Metamorphosen des Juliusgrabmals In: Bredekamp, Horst; Reinhardt, Volker: Totenkult und Wille zur Macht S. 70, Abbildung 3, Giacomo Rocchetti: Kopie der Entwurfszeichnung Michelangelos für das Grabmal Julius’ II., 1513.

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Abbildungen

Abb. 6: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 1) Aus: Wolff Metternich, Franz Graf: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert Donato Bramante (Sommer 1505)

Abb. 7: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 3) Aus: Wolff Metternich, Franz Graf: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert Aus dem Nachlass Antonio da Sangallos d. J., wahrscheinlich aus dem Libro de disegni Vasaris. Fra Giocondo (1505)

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Anhang

Abb. 8: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 4) Aus: Wolff Metternich, Franz Graf: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert, Tafel 4 Sangallo-Kreis (Ende 1505 bis Anfang 1506)

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Abbildungen

Abb. 9: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 5) Aus: Wolff Metternich, Franz Graf: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert Sangallo-Kreis (Ende 1505 bis Anfang 1506)

Abb. 10: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 6) Aus: Wolff Metternich, Franz Graf: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert Sangallo-Kreis (Ende 1505 bis Anfang 1506)

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Anhang

Abb. 11: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 7) Aus: Wolff Metternich, Franz Graf: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert Ein florentinischer, dem Sangallo-Kreis nahestehender Mitarbeiter Bramantes, vielleicht Antonio di Pellegrino (Ende 1505 bis Anfang 1506)

Abb. 12: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 8) Aus: Wolff Metternich, Franz Graf: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert Mehrere Mitglieder des Sangallo-Kreises, darunter vielleicht Antonio di Pellegrino (Ende 1505 bis Anfang 1506)

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Abbildungen

Abb. 13: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 9) Aus: Wolff Metternich, Franz Graf: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert Giuliano da Sangallo (Ende 1505 bis Anfang 1506)

Abb. 14: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 10) Aus: Wolff Metternich, Franz Graf: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert Ein Angehöriger des Sangallo-Kreises unter Mitwirkung Bramantes (Ende 1505 bis Anfang 1506)

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Anhang

Abb. 15: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 15) Aus: Wolff Metternich, Franz Graf: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert Sangallo-Kreises (Ende 1505 bis Anfang 1506)

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Abbildungen

Abb. 16: Neubauprojekt für St. Peter (Tafel 13) Aus: Wolff Metternich, Franz Graf: Die Erbauung der Peterskirche zu Rom im 16. Jahrhundert Unbekannter, Bramante und dem Sangallo-Kreis nahestehender Meister (Ende 1505 bis Anfang 1506)

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Anhang

Abb. 18: Die Kentaurenschlacht Aufnahme: Andrea Schloemer

Abb. 17: Madonna an der Treppe Aufnahme: Andrea Schloemer

Abb. 19: Die Pietà Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

Abb. 20: Zwei Figuren nach Giotto um 1490 Aus: Harrt, Frederick: Michelangelo Drawings, Tafel 1, S. 29, Text S. 27.

Abb. 21: St. Peter nach Masaccio um 1490 Aus: Harrt, Frederick: Michelangelo Drawings, Tafel 2, S. 29, Text S. 27–28.

Abb. 22: Stehende Figur im Gewand um 1501–1503 Aus: Harrt, Frederick: Michelangelo Drawings, Tafel 7, S. 33. Text S. 31.

Abb. 23: Kniende Figur im Gewand um 1501–1503 Aus: Harrt, Frederick: Michelangelo Drawings, Tafel 8, S. 33. Text S. 32.

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Anhang

Abb. 24: Frühe Zeichnung Michelangelos um 1503 Evt. ein Alchimist oder der Heilige Jakobus Aus: Harrt, Frederick: Michelangelo Drawings Tafel 21, S. 43, Text S. 42.

Abb. 25: Studie für St. Peter oder Schlacht von Cascina um 1503–4 Aus: Harrt, Frederick: Michelangelo Drawings, Tafel 22, S. 44, Text S. 42.

Abb. 26: Auszug: Studie für St. Peter oder einen anderen Apostel um 1503–4 Aus: Harrt, Frederick: Michelangelo Drawings, Tafel 24, S. 44, Text S. 43.

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Abbildungen

Abb. 27: Die Decke in der Sixtinischen Kapelle Quelle: https://ipseand.files.wordpress.com/2013/10/sistine-chapel-ceiling.jpg

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Anhang

Abb. 28: Auszug aus der Sintflut Aus: Harrt, Frederick: Der neue Michelangelo Bd. 1, S. 126.

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Abbildungen

Abb. 29: Der Prophet Zacharias Aus: Harrt, Frederick: Der neue Michelangelo, Bd. 1, S. 47.

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Anhang

Abb. 30: 1. und 2. Deckenentwurf Aus: Sandström, Sven: The Sistine Chapel Ceiling, S. 211.

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Abbildungen

Abb. 31: 3. Deckenentwurf Aus: Sandström, Sven: The Sistine Chapel Ceiling, S. 215.

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Anhang

Abb. 32: Der Mose (Büste) aus dem Juliusgrabmal in San Pietro in Vincoli. Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

Abb. 33: Der Mose aus dem Juliusgrabmal in San Pietro in Vincoli. Aufnahme: Andrea Schloemer

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Anhang

Abb. 34: Die Erschaffung von Sonne, Mond und Pflanzen Quelle: Hornemann V. Laer, David: Vom Geschöpf zum Schöpfer, Tafel VIII

Abb. 35: Die Erschaffung Adams Quelle: Hornemann V. Laer, David: Vom Geschöpf zum Schöpfer, Tafel VI

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Abbildungen

Abb. 36: Die Erschaffung Evas Quelle: Hornemann V. Laer, David: Vom Geschöpf zum Schöpfer, Tafel V

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Anhang

Abb. 37: Die Figur des Booz (oder der zänkische Alte) aus der Salmon-Booz-Obeth-Lünette Aus: Harrt, Frederick: Der neue Michelangelo Bd. 2, S. 179.

Abb. 38: Detail I der Salmon-Booz-Obeth-Lünette Aus: Harrt, Frederick: Der neue Michelangelo Bd. 2, S. 185.

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Abb. 39: Detail II der Salmon-Booz-Obeth-Lünette Aus: Harrt, Frederick: Der neue Michelangelo Bd. 2, S. 186.

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Abbildungen

Abb. 40: Zeichnung für die Salmon-Booz-Obeth-Lünette, Aus: Harrt, Frederick: Michelangelo Drawing, Tafel 119, S. 112.

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Anhang

Abb. 41: Papst Gregor IX. empfängt das Liber Extra der Dekretalen Justitia-Wand der Stanza della Segnatura Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons /0/0a/Virt%C3%B9_e_due_scene_06.jpg

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Abbildungen

Abb. 42: Tiara Julius II., Francesco Bartoli zugeschrieben Entstehungszeit: ca. 1690–1730. Höhe: 415 mm; Breite: 254 mm Zeichnung aus dem Britischen Museum http://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details .aspx?objectId=711791& partId=1&searchText=Crown+Julius+II.&page=1

Abb. 43: Die Inschrift unter der Tiara Julius’ II. Zeichnung aus dem Britischen Museum Zur Verfügung gestellt von: Hugo Chapman, Simon Sainsbury Keeper of Prints and Drawings, British Museum [email protected]

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Anhang

Abb. 44: Portrait Julius’ II. von Raphael, 1511 Quelle: https://www.nationalgallery.org.uk/paintings/raphael-portrait-of-pope-julius-ii

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Abbildungen

Abb. 45: Ausschnitt aus dem Porträt Julius II. Aus: Jones, Roger; Penny, Nicholas: Raffael, Abbildung 164, S. 160.

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Anhang

Abb. 46: Fresko: Messe von Bolsena (Ausschnitt) Papst Julius II. Aus: Jones, Roger; Penny, Nicholas: Raffael, Abbildung 129, S. 115. Ausschnitt aus der Messe von Bolsena: Papst Julius II.

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Abbildungen

Abb. 47: Komplex von San Lorenzo Aus: Ackerman, James: The Architecture of Michelangelo, S. 73.

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Anhang

Abb. 48: Allegorien der Nacht und des Tages (1525–1534) am Grabmal von Giuliano de’ Medici. Florenz S. Lorenzo, Neue Sakristei. Quelle: Zöllner, Frank; Thoenes, Christof: Michelangelo – Das vollständige Werk, S. 354. Taschen, Bibliotheca Universalis. Köln 2017.

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Abb. 49: Allegorien des Abends und des Morgens (1525–1531) am Grabmal von Giuliano de’ Medici, Florenz S. Lorenzo, Neue Sakristei. Quelle: Zöllner, Frank; Thoenes, Christof: Michelangelo – Das vollständige Werk, S. 355. Taschen, Bibliotheca Universalis. Köln 2017.

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Abbildungen

Abb. 50: Altarwand der Sixtinischen Kapelle Rekonstruktion des Zustandes vor Michelangelos Jüngstem Gericht Aus: Die Sixtinische Kapelle – Das Jüngste Gericht, S. 10.

Abb. 51: Herrichtung der Altarwand der Kapelle für Michelangelos Fresko. Aus: Die Sixtinische Kapelle – Das Jüngste Gericht, S. 11.

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Anhang

Abb. 52: Das Jüngste Gericht in der Sixtinischen Kapelle Quelle: https://www.google.de/search?q=j%C3%BCngstes+gericht+michelangelo&source=lnms&tbm=isch&sa=X& ved=0ahUKEwj91r6cpurbAhVJhywKHQUmAB8Q_AUICigB&biw=1920 &bih=915#imgrc=1aC5ii8vAHpCfM

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Abbildungen

Abb. 53: Michelangelo in Bartholomäus’ Haut Aus: Die Sixtinische Kapelle – Das Jüngste Gericht, S. 139. Mit Beiträgen von Loren Partridge, Fabrizio Mancinelli, Gianluigi Colalucci

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Anhang

Abb. 54: Der Mönch bzw. der bärtige Kleriker mit Tonsur in der Gruppe der auferstehenden Seelen im Jüngsten Gericht Aus: Die Sixtinische Kapelle – Das Jüngste Gericht, S. 60. Mit Beiträgen von Loren Partridge, Fabrizio Mancinelli, Gianluigi Colalucci

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Abbildungen

Abb. 55: Das Wappen der della Rovere Aus: Harrt, Frederick: Der neue Michelangelo Bd. 1, S. 46. Michelangelo ließ das Gegenstück auf der Wand des Jüngsten Gerichts entfernen, um eine einheitliche bzw. größere Freskofläche zu schaffen.

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Anhang

Abb. 56: Die Florentiner Pietà I Dom-Museum, Florenz Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

Abb. 57: Die Florentiner Pietà II Dom-Museum, Florenz Aufnahme: Andrea Schloemer

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Anhang

Abb. 58: Die Florentiner Pietà III Dom-Museum, Florenz Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

Abb. 59: Die Florentiner Pietà IV Dom-Museum, Florenz Aufnahme: Andrea Schloemer

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Anhang

Abb. 60: Bekehrung des Paulus Aus: Die Paulinische Kapelle, Edizioni Musei Vaticani 2013, S. 85.

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Abbildungen

Abb. 61: Kreuzigung des Petrus Aus: Die Paulinische Kapelle, Edizioni Musei Vaticani 2013, S. 117.

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Anhang

Abb. 62: Die Kreuzigung Petri (Antonio Averlino, ‚Filarete‘) Ausschnitt aus der Bronzetür am Mittelportal in der Vorhalle von St. Peter, die zwischen 1433 und 1445 bereits für Alt-St. Peter geschaffen wurde. Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

Abb. 63: Tabernakel Sixtus’ IV. Aus: Schüller-Piroli, Susanne: 2000 Jahre Sankt Peter, S. 477.

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Anhang

Abb. 64: Kreuzigung Petri (Sixtinischer Hauptaltar) Mittelstück des Reliefs Aus: Schüller-Piroli, Susanne: 2000 Jahre Sankt Peter, S. 365.

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Abbildungen

Abb. 65: Kreuzigung des hl. Petrus Paolo Romano und Werkstatt, 1467–70, Archivio Storico di San Pietro Aus: Thoenes, Christof: Der heilige Raum der Basilika St. Peter, S. 38–39.

Abb. 66: Die Kreuzigung Petri (Bramantes Tempietto) Flachrelief am Altar im Innenhof von San Pietro in Montorio Aufnahme: Andrea Schloemer

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Anhang

G 2: Nördliches Seitenschiff: 8. Jahrhundert – Papst Johannes VII. (705–707) Geschichte des hl. Petrus und des hl. Paulus, verteilt auf drei Register. Unteres Register u. a. Kreuzigung von Petrus und Enthauptung des Paulus. Mosaikdekoration zum größten Teil verloren. Text S. 25

B 3: Über den Bögen der Westseite: 13. Jahrhundert – Papst Nikolaus III. (1277–1280) Geschichte des Heiligen Petrus und Paulus, u. a. Kreuzigung von Petrus und Enthauptung des Paulus. Die Wandmalereien sind fast vollständig verloren oder nur noch in Fragmenten erhalten. Text: S. 24

Abb. 67: Chronologie der Wandmalereien und Mosaiken in Alt-St. Peter Aus: Andaloro, Maria: Die Kirchen Roms, S. 24 ff.

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Abbildungen

Abb. 68: Die Kreuzigung Petri in der Brancacci-Kapelle Santa Maria del Carmine in Florenz, Filippino Lippi Quelle: Vasari, Giorgio: Das Leben des Sandro Botticelli, Filippino Lippi, Cosimo Roselli und Alesso Baldovinetti, S. 42.

Abb. 69: Die Kreuzigung des Philippus in der Strozzi-Kapelle in Santa Maria Novella, Florenz, Filippino Lippi Quelle: Vasari, Giorgio: Das Leben des Sandro Botticelli, Filippino Lippi, Cosimo Roselli und Alesso Baldovinetti, S. 55.

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Anhang

Abb. 70: Das Kreuz als Leidenswerkzeug Christi in der linken Lünette des Jüngsten Gerichts Aus: Die Sixtinische Kapelle – Das Jüngste Gericht, S. 39. Mit Beiträgen von Loren Partridge, Fabrizio Mancinelli, Gianluigi Colalucci

Abb. 71: Die Geißelungssäule als Leidenswerkzeug Christi in der rechten Lünette des Jüngsten Gerichts Aus: Die Sixtinische Kapelle – Das Jüngste Gericht, S. 49. Mit Beiträgen von Loren Partridge, Fabrizio Mancinelli, Gianluigi Colalucci

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Abbildungen

Abb. 72: Kreuzigungsgruppe aus dem Fresko der Kreuzigung Petri Aufnahme: Andrea Schloemer

Abb. 73: Petrus aus dem Fresko der Kreuzigung Petri Aufnahme: Andrea Schloemer

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Anhang

Abb. 74: Die Wolke aus dem Fresko der Kreuzigung Petri Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

Abb. 75: Der Schweigende aus dem Fresko der Kreuzigung Petri Aufnahme: Andrea Schloemer

Abb. 76: Der Lanzenträger aus dem Fresko der Kreuzigung Petri Aufnahme: Andrea Schloemer

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Anhang

Abb. 77: Die Bekehrung Pauli (Detail I) Aufnahme: Andrea Schloemer

Abb. 78: Die Bekehrung Pauli (Detail II) Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

Abb. 79: Der Christus aus Santa Maria sopra Minerva Aufnahme: Andrea Schloemer

Abb. 80: Der Christus aus der Cappella Paolina Aufnahme: Andrea Schloemer

Abb. 81: Der Christus aus der Florentiner Pietà Aufnahme: Andrea Schloemer

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Anhang

Abb. 82: Der Gigant oder Pilger aus dem Fresko der Kreuzigung Petri Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abb. 83: Nikodemus aus der Florentiner Pietà Synopse: Gesichter des Nikodemus aus der Florentiner Pietà und der Figur aus der Kreuzigung des Petrus in der Cappella Paolina, Vatikan. Aufnahme: Andrea Schloemer

Abb. 84: Gigant aus der Kreuzigung Petri Synopse: Gesichter der Figur aus der Kreuzigung des Petrus in der Cappella Paolina, Vatikan, und des Nikodemus aus der Florentiner Pietà Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

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Anhang

Abb. 85: Silbermedaille von Leone Leoni (1560, Vorderseite) Aus: Steinmann, Ernst: Die Porträtdarstellungen des Michelangelo, Tafel 50

Abb. 86: Silbermedaille von Leone Leoni (1560, Rückseite) Aus: Steinmann, Ernst: Die Porträtdarstellungen des Michelangelo, Tafel 50

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Abbildungen

Abb. 88: Joseph in Madonna of Silence, 1540? Aus: Harrt, Frederick: Michelangelo Drawings, Nr. 437, S. 309.

Abb. 87: Jeremia Vergleiche Abbildung 102

Abb. 89: Pilger aus der Cappella Paolina Aufnahme: Andrea Schloemer

Abb. 90: Nikodemus Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abb. 91: Ein Alchimist oder der Heilige Jakobus? Frühe Zeichnung Michelangelos, um 1503 Aus: Harrt, Frederick: Michelangelo Drawings, Tafel 21, S. 43, Text S. 42.

Abb. 92: Der Reiter mit dem Turban Cappella Paolina Aufnahme: Andrea Schloemer

378 Abb. 94: Der Lanzenträger Cappella Paolina Aufnahme: Andrea Schloemer

Abb. 93: Paulus, Cappella Paolina Aufnahme: Andrea Schloemer

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Anhang

Abb. 95: Der David Quelle: http://www.accademia.org/explore-museum/ artworks/michelangelos-david/

Abb. 96: Der Brutus Quelle: http://www.museumsinflorence.com/ musei/ museum_of_bargello.html

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Abbildungen

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Anhang

Abb. 97: Der Cosmas Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

Abb. 98: Cappella di San Luca, Santissima Annunziata, Florenz https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/61/ Cappella_della_compagnia_di_s._luca%2C_int%2C_01.JPG

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Anhang

Abb. 99: Mose Cappella di San Luca, Santissima Annunziata, Florenz Aufnahme: Andrea Schloemer

Abb. 100: Paulus Cappella di San Luca, Santissima Annunziata, Florenz Aufnahme: Andrea Schloemer

Abb. 101: Grabplatte Pontormos Cappella di San Luca, Santissima Annunziata, Florenz Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abb. 102: Prophet Jeremia, Sixtinische Kapelle Quelle: Harrt, Frederick: Der Neue Michelangelo Bd. III, S. 175.

Abb. 103: Mose aus der Cappella di San Luca in der Kirche Santissima Annunziata, Florenz Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

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Anhang

Abb. 104: Dekorationsplan für die Exequien Michelangelos in San Lorenzo Aus: Wittkower, Rudolf und Margot: The Divine Michelangelo, S. 152.

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Abbildungen

Abb. 105: Der Katafalk Michelangelos (Vorderansicht) Aus: Wittkower, Rudolf und Margot: The Divine Michelangelo, S. 148.

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Anhang

Abb. 106: Der Katafalk Michelangelos (Grundriss) Aus: Wittkower, Rudolf und Margot: The Divine Michelangelo, S. 150.

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Abbildungen

Abb. 107: Detail aus der „Himmelfahrt Mariens“ in der Della-Rovere-Kapelle in der Trinità dei Monti mit dem Konterfei Michelangelos Aufnahme: Andrea Schloemer

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Anhang

Abb. 108: Entwurf Vasaris für das Grabmal des Michelangelo Christ Church College Oxford Aus: Steinmann, Ernst: Die Porträtdarstellungen des Michelangelo, Tafel 75

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Abbildungen

Abb. 109: Vincenzo Borghini: primo pensiero for Michelangelo’s tomb Facsimile, formerly Ottley collection. Aus: Scorza Rick: Borghini and the Florentine Academies, Figur. 10

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Anhang

Abb. 110: Grabmal des Michelangelo in Santa Croce, Florenz Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

Abb. 111: Modell für die Figur der Architektur I von Giovanni Bandini, Florenz ca. 1564 Quelle: http://collections.soane.org/object-a58

Abb. 112: Modell für die Figur der Architektur II von Giovanni Bandini, Florenz ca. 1564 Quelle: http://collections.soane.org/object-a58

Abb. 113: Modell für die Figur der Architektur III von Giovanni Bandini, Florenz ca. 1564 Quelle: http://collections.soane.org/object-a58

Abb. 114: Modell für die Figur der Bildhauerei von Battista Lorenzi, ca. 1570 Quelle: http://collections.vam.ac.uk/item /O93023/ allegory-of-sculpture-statue -lorenzi-battista/

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Anhang

Abb. 115: Allegorie der Malerei Grabmal des Michelangelo in Santa Croce, Florenz Batista Lorenzi Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

Abb. 116: Allegorie der Architektur Grabmal des Michelangelo in Santa Croce, Florenz Allegorie der Architektur Giovanni Bandini Aufnahme: Andrea Schloemer

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Anhang

Abb. 117: Allegorie der Skulptur Grabmal des Michelangelo in Santa Croce, Florenz Valerio Cioli Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

Abb. 118: Grabmal des Michelangelo (Details) in Santa Croce, Florenz Aufnahme: Andrea Schloemer

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Anhang

Abb. 119: Grablegung oder Pietà, Freskoarbeit Grabmal des Michelangelo in Santa Croce, Florenz Giovanni Battista Naldini Aufnahme: Andrea Schloemer

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Abbildungen

Abb. 120: Virtuelles Modell der Pietà in einer Nische über einem Altar. Aus: Wasserman, Jack: Michelangelo’s Florence Pietà, S. 28.

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