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German Pages 232 Year 2023
Christina Laut-Berger Digitale Kommunikationsstrukturen
Sozialtheorie
Editorial Der »State of the Art« der Soziologie ist in Bewegung: zum einen durch einen tiefgreifenden Strukturwandel der (Welt-)Gesellschaft, zum anderen durch einen Wandel ihres eigenen kognitiven Repertoires, der alte theoretische Frontstellungen durch neuere Sichtweisen auf Gesellschaft und Sozialität ergänzt. Die Reihe Sozialtheorie präsentiert eine Soziologie auf der Höhe der Zeit: Beiträge zu innovativen Theoriediskussionen stehen neben theoriegeleiteten empirischen Studien zu wichtigen Fragen der Gesellschaft der Gegenwart.
Christina Laut-Berger, geb. 1991, arbeitet am Institut für Soziologie der RWTH Aachen. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der digital vermittelten Kommunikation sowie der allgemeinen soziologischen Theorien, insbesondere der Systemtheorie.
Christina Laut-Berger
Digitale Kommunikationsstrukturen Memes, Trolls und Spiele. Muster anonym flüchtiger Kommunikation auf 4chan.org
D 82 (Diss. RWTH Aachen University, 2022)
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© 2023 transcript Verlag, Bielefeld Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld Umschlagabbildung: Christina Laut-Berger Lektorat: Pascal Berger Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar https://doi.org/10.14361/9783839468548 Print-ISBN 978-3-8376-6854-4 PDF-ISBN 978-3-8394-6854-8 Buchreihen-ISSN: 2703-1691 Buchreihen-eISSN: 2747-3007 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschaudownload
Für meinen Mann, Pascal, der mich bedingungslos unterstützt und für meinen Sohn, Valentin, der einfach wunderbar ist.
Inhalt
1.
Einleitung...................................................................... 11
2. 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5
Eine problemorientierte Einführung in die Theorie ........................... 19 Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation .................................. 23 Sinn, Kontingenz und Komplexität der Kommunikation .......................... 30 Komplexe Kommunikation ..................................................... 32 Die Kontingenz der Kommunikation ............................................ 40 Annahmen zur Struktur vermittelter Kommunikation............................ 47
3. Kommunikation unter Abwesenheit ........................................... 51 4. 4.1 4.2 4.3
4chan.org .................................................................... 57 Die Unwahrscheinlichkeit im Interface ......................................... 66 Kommunikationsinhalte ........................................................ 69 Kommunikationspraktiken ...................................................... 71 4.3.1 Kommunikationsabbruch durch Memes .................................. 72 4.3.2 Kommunikationsspiele mit dem Zufall.....................................77 4.3.3 Kommunikationserfolg durch Trolling .................................... 80 4.3.4 Annahmen über die Struktur von Kommunikationspraktiken .............. 86
5. Empirisches Vorgehen........................................................ 87 5.1 Datenerhebung, -bereinigung und -aufbereitung ................................102 5.2 Analyseschritte ................................................................104 6. Ergebnisse der Erhebung.....................................................107 6.1 Stichprobenbeschreibung ......................................................107 6.2 Ergebnisse der Netzwerkanalyse ................................................111
6.3 Die drei Strukturen der Kommunikation ........................................120 6.4 Komplexität und Struktur ..................................................... 133 7. Netzwerk-Fallbeispiele ...................................................... 139 7.1 Konversationsstruktur .........................................................144 7.1.1 Faces of /b/ ............................................................144 7.1.2 Professor Wilhelm ......................................................149 7.2 Hybride Struktur ...............................................................156 7.2.1 Wake up ................................................................156 7.2.2 Roll 98 ..................................................................160 7.3 Reaktionsstruktur ............................................................ 168 7.3.1 Trips decides........................................................... 168 7.3.2 The female prison ...................................................... 171 7.4 Zusammenfassung der Fallbeispielanalyse .....................................175 8. 8.1 8.2 8.3 8.4 8.5
Diskussion....................................................................179 Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation ................................. 180 Die drei Strukturen der Kommunikation ....................................... 182 Komplexität und Anordnungsfreiheit .......................................... 185 Zufall und Eigendynamik der Kommunikation .................................. 189 Erwartungssicherheit durch Inhalte und Kommunikationspraktiken .............192
9. Fazit ..........................................................................201 10. Ausblick ..................................................................... 205 Literatur ......................................................................... 209 Abbildungsverzeichnis ............................................................221 Tabellenverzeichnis.............................................................. 225 Anhang........................................................................... 227
Danksagung
Das Werk »Modellierung von Kommunikationsstrukturen« ist im Rahmen meiner Promotion an der RWTH Aachen entstanden. In erster Linie muss ich mich ganz herzlich bei meinen beiden Betreuern, Thomas Kron und Rainer Schützeichel bedanken. Thomas Kron hat nicht nur die Betreuung meines Vorhabens übernommen, sondern mich auch dabei unterstützt, ergebnisoffen zu forschen und Inhalte aus anderen Blickwinkeln wahrzunehmen (so entstand auch unser tolles Lehrbuch »Soziologie verstehen«). Außerdem hat er sich immer darum bemüht, dass ich genügend Zeit für die vorliegende Arbeit hatte, was nicht selbstverständlich ist! Ganz besonders vor der Einreichung und der Disputation im achten Schwangerschaftsmonat war das eine sehr, sehr große Unterstützung. Danke Thomas! Rainer Schützeichel stand mir von Anfang der Dissertation pragmatisch zur Seite und hat trotz eines schlimmen Unfalls alles daran gesetzt, die Begutachtung möglichst schnell umzusetzen, damit ich zügig verteidigen konnte. Vielen Dank! Unterstützt haben mich darüber hinaus auch meine (ehemaligen) Kolleg:innen am Institut für Soziologie, die ich auch als sehr gute Freunde gewonnen habe: Alina Vogelgesang, Lena Verneuer-Emre, Astrid Schulz, Matthias Dorgeist, Adjan Hansen-Ampah, Philip Roth und Nicole Büschgens. Es lässt sich unmöglich in Worte fassen, wie viel ihr mir und meiner Arbeit gegeben habt. Es gibt unzählige Anekdoten, welche in unserer gemeinsamen Arbeitszeit entstanden sind. Ihr habt mir in meinem Arbeitsalltag die Würze und den Witz gegeben, den ich gebraucht habe. Besonderen Dank gilt Lena Verneuer-Emre, die mir gerade beim Abschluss der Dissertation mit Rat und Tat zur Seite gestanden hat, auch wenn sie selbst wahnsinnig viel zu tun hatte. Lena, Du hast mir den positiven Motivationsschub gegeben, den ich in der letzten Phase unbedingt gebraucht habe. Auch muss ich im Besonderen Alina Vogelgesang danken, die immer ein offenes Ohr dafür hatte, wenn ich inhaltlich nicht weitergekommen bin. Ge-
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meinsam mit Tabea Hasters, der ich an dieser Stelle auch sehr danken möchte, haben wir uns eine Zeit lang gegenseitig bei unseren Dissertationsprojekten unterstützt – mit langen Gesprächen, Wein und Zigaretten. Das war eine wahnsinnig gute Zeit. Danke. Danken möchte ich auch Marco Schmitt, der sich Zeit genommen hat, um mit mir eine methodische Strategie zu erarbeiten. Das war genau der richtige Input im richtigen Moment. Ebenfalls muss ich sehr ausdrücklich unserer ehemaligen Hilfskraft Hannes Engelhardt danken. Hannes, ich habe Dir immer versprochen, dass Du den Löwenanteil in meiner Danksagung erhältst. Das kann ich nun quantitativ nicht mehr einlösen – aber ich möchte Dir einen ganz besonderen Dank aussprechen. Ohne Dich würde diese Arbeit nicht so existieren. Ich hätte den Mut verloren, mich empirisch an das Thema heranzuwagen. Und letzten Endes warst Du es, der meine wilden empirischen Versuche kultiviert hat. Danke! Auch unserer Hilfskraft Marina Langohr möchte ich einen Dank aussprechen, die sich in letzter Minute dafür bereiterklärt hat, das Manuskript nochmals zu lesen. Auch bei meinen Eltern, Helmut und Claudia Laut, muss ich mich sehr bedanken. Ihr habt an mich geglaubt und mich unterstützt, wo es nur ging. Insbesondere in der letzten Arbeitsphase seid ihr immer sofort zur Stelle gewesen, wenn der kleine Valentin betreut werden musste, während ich vor dem Rechner saß. Das war wirklich erleichternd! Zuletzt muss ich mich natürlich bei meinem Mann und soziologischen Sparringspartner, Pascal Berger bedanken. Dir ist die Dissertation gewidmet – vor allem, weil Du mich immer wieder motiviert hast, die richtigen Fragen gestellt hast und einfach die beste Unterstützung warst, die man sich nur wünschen kann. Du hast meine Dissertationszeit von Anfang an begleitet – erst als Kollege und später als Freund, Partner und nun als Ehemann. Nicht zuletzt hast Du viel Zeit und Mühe für das Lektorat aufgewandt. Ich danke Dir von ganzem Herzen. Bestimmt habe ich jemanden vergessen und möchte mich hiermit dafür entschuldigen. Papier ist geduldig, wie man so schön sagt, aber dennoch möchte ich es nicht überstrapazieren und hoffe, dass sich diejenigen hiermit dennoch angesprochen fühlen.
1. Einleitung
»In a stunning result, the winner of the third annual TIME 100 poll and new owner of the title World’s Most Influential Person is moot. The 21-year-old college student and founder of the online community 4chan.org, whose real name is Christopher Poole, received 16,794,368 votes and an average influence rating of 90 (out of a possible 100) to handily beat the likes of Barack Obama, Vladimir Putin and Oprah Winfrey« (Time Online 2009). Dies gibt das Time Magazine im April 2009 zur jährlichen Wahl der einflussreichsten Person bekannt. Anwärter:innen auf den Titel sind in der Regel hochrangige Politiker:innen oder populäre Akteur:innen aus der Unterhaltungsbranche. Doch bis zur Preisverleihung ist der Name des Betreibers der englischsprachigen Onlineplattform 4chan.org (im Folgenden 4chan), Christopher »moot« Poole, vollkommen unbekannt. Zu spät bemerken die Herausgeber:innen des Online-Magazins, dass die peoples choice Online-Wahl der TIME 100 poll Opfer eines Hackingangriffs geworden war. Das URL-Protokoll der Online-Wahl wurde ausgespäht und konnte durch automatisierte Wahleingaben zu Gunsten von Christopher Poole manipuliert werden. Betsy Burton, Sprecherin der TIME, räumte in einer E-Mail an das Online Magazin FOLIO daraufhin ein: »We took many preventative measures to maintain the integrity of the Time 100 poll on Time.com, and moot has a passionate community of users who worked to influence the poll« (FOLIO: 22.04.2009). Doch anstatt die Wahl als ungültig zu erklären, wurde Poole zum Sieger der Wahl gekürt. So betrat ein bislang unbekanntes Gesicht den roten Teppich der Preisverleihung des TIME Magazines. »You kind of famously hacked the time.com site and made yourself the winner of the online poll. Are you gonna hack this event too?« (TIME 2009), wird der damals 21-Jährige von einem Journalisten auf dem roten Teppich gefragt. »No plans for that – not yet at
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Digitale Kommunikationsstrukturen
least« (ebd.), antwortet der Seitenbetreiber 4chans, dessen Nutzende die eigentlichen Drahtzieher:innen hinter dem Hackingangriff waren. Laut Poole geschah dies ohne sein Zutun. »To clarify, I never claimed to be unaware of the concerted plan to influence the poll, just that I hadn’t instructed anybody to vote for me. They did it all on their own (as you already know)« (Poole zit.n. Lamere 2009), erklärt Poole später in einem Interview.1 Dies ist nur ein Beispiel von wohl unzähligen Vorkommnissen, hinter denen die Nutzenden der Plattform 4chan stecken. Wie in diesem Fall scheint es so, dass diese nur an dem Maßstab des Amüsements dieser einen Personengruppe gemessen werden. Allerdings finden sich auch allerlei Projekte, die mitunter politik-, gesellschafts- und religionskritische Züge annehmen. Oder zumindest diesen Anschein erwecken mögen, wenn man von der spielerischen Leichtigkeit schwerwiegender Manipulationen mit materiellen, gesellschaftlichen oder politischen Folgen absieht. So hat sich auch die bekannte Gruppierung Anonymous auf 4chan gebildet, später aber davon distanziert. Ebenfalls werden mit 4chan Strömungen wie die Alt-Right-Bewegung2 oder QAnon3 assoziiert (Amarasingam, Argentino 2020; Nagle 2017). Und nicht zuletzt hat 4chan (wie auch ähnliche Internetforen) in der Vergangenheit einigen Straftäter:in-
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Und die Nutzenden haben an der Wahl noch viel mehr manipuliert, als nur Poole zum Gewinner der Wahl zu inszenieren: Die Reihenfolge der ersten 21 Positionen der gewählten Personen bildeten mit ihren Anfangsbuchstaben vertikal gelesen den Slogan »marblecake also the game«. Eine Nachricht, mit der fast ausschließlich die Insider von Plattformen wie 4chan etwas anfangen konnten. Marblecake bezeichnet versteckte Botschaften in Texten oder Bildern und The Game bezieht sich auf ein Gedankenspiel. The Game, also »das Spiel« ist ein Netzphänomen. Es zeichnet sich durch die Paradoxie aus, dass das Spiel gewonnen ist, wenn man es vergisst und umgekehrt verloren ist, sobald man daran denkt. Jede:r, der:die diese versteckte Nachricht in den Wahlergebnissen entdeckt hat, hat damit zwangsläufig das Spiel verloren (und Sie als Leser:in dieser Fußnote im Übrigen nun auch). Alt-Right steht für Alternative Right und bezeichnet politisch rechte Ideologien in den USA, welche insbesondere eine »White Supremacy« beanspruchen. Diese entwickelte sich im Dunstkreis der Online-Kultur 4chans; insbesondere befeuert durch die sogenannten »Online Culture Wars« (Nagle 2017). Bei QAnon handelt es sich um eine Bewegung, welche aus einer Verschwörungstheorie entstanden ist. Den Ausgang nahm letztere in dem Unterforum /pol/ auf 4chan (Amarasingam, Argentino 2020). Im Jahr 2020 haben die Theorien von QAnon durch den Ausbruch der Covid-19 Pandemie Einzug in Europa und bis zu den sog. Querdenkern gehalten.
1. Einleitung
nen als Plattform gedient, wie beispielsweise dem geständigen Doppelmörder Marcel Heße (Kron, Laut 2019).4 Die Forschungslandschaft der Soziologie hat sich bisweilen zurückhaltend mit diesem oder ähnlichen Phänomenen der Webkommunikation auseinandergesetzt; und das, obwohl Kommunikationseinrichtungen wie 4chan offenbar für gesellschaftliche Irritation sorgen. Dass die Soziologie tendenziell Interesse »einem generellen kapitalismuskritischen Motiv der digitalen Ökonomie« gegenüber pflegt und »eine Mischung aus kritischer Attitüde und alltagsnaher Beschreibung« (Nassehi 2019: 13) einnimmt, ist einer Auseinandersetzung mit dieser Art von Phänomenen wohl abträglich. Nicht nur, dass sogenannte a-culture-Plattformen (Auerbach 2012) vollkommen außerhalb der, von Nassehi betitelten, kapitalistisch-digitalen-Ökonomie liegen. Sie sind im Vergleich zu Themen wie Selftracking, Datenspeicherung, OnlineMärkten oder Social Media einfach außerhalb der alltäglichen Erlebniswelt der Soziolog:innen. Dies ist der Soziologie nicht zum Vorwurf zu machen. Doch nur, weil wir etwas nicht sehen, heißt das nicht, dass es keine soziale Relevanz besitzt. Die bisherige wissenschaftliche Auseinandersetzung mit 4chan sowie vergleichbaren Plattformen (reddit, 8chan) bespeist sich aus diversen Disziplinen und arbeitet sich an den wohl (medien-)wirksamsten Manifestationen einer (Internet-)Kultur ab, die weit über 4chan hinausgehen. In erster Linie haben sich die Kommunikationswissenschaften mit den sogenannten Memes5 aus Perspektive der digitalen Kultur auseinandergesetzt (Miltner 2014; Nissenbaum, Shifman 2017; Shifman 2014). Daneben hat dieses Thema auch die Medien- und Kulturwissenschaften (Goriunova 2013; Tuters, Hagen 2019) und die US-amerikanische Soziologie (Chen 2012) vereinzelt beschäftigt. Die Medienwissenschaften fanden Interesse an der Anonymität der Nutzenden auf 4chan, wie auch mit der forenüblichen Umgangsform des sogenannten Trollings6 (Knuttila 2011, Juni 2015; van Reenen 2013). Die Medienwissenschaft4
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Heße hatte im Jahr 2017 die Plattform genutzt, um sich während seiner Flucht mit den Nutzenden in Verbindung zu setzen sowie Bilder seiner Straftat zu verbreiten. Sein ausgeschriebenes Ziel war es, ein Meme zu werden und damit sozusagen ein Teil der Geschichte von 4chan zu sein. Memes sind von Nutzenden generierte Bilder, Videos und Texte mit einem gewissen Unterhaltungswert (sofern man in der Lage ist, dessen Bedeutung zu erfassen, dazu auch Kapitel 4.3.1). Trolling ist eine Praxis der absichtlichen Provokation anderer, in der Regel durch Täuschung oder Diffamierung. Ziel ist es, eine empörte Reaktion hervorzurufen (van Reenen 2013).
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Digitale Kommunikationsstrukturen
lerin Jana Herwig (2011a, 2011b, 2012) hat sich im deutschsprachigen Raum besonders intensiv mit den medienkulturellen Eigenschaften 4chans auseinandergesetzt. Zuletzt finden sich jeweils vereinzelte Beiträge aus dem Bereich des Digital Researchs (Stronach 2010), der Anthropologie (Coleman 2012, 2013) und aus der Soziologie (Wiedemann 2014) hinsichtlich der Gruppierung Anonymous, welche sich aus der Plattform heraus entwickelt und später gänzlich davon entkoppelt hat. Zuletzt ist 4chan in jüngster Vergangenheit durch die Hervorbringung der rechtspolitisch motivierten Alt-Right-Bewegung wieder verstärkt in das Licht diverser Fachdisziplinen gerückt (Colley, Moore 2020; Mittos et al. 2020; Mühlhoff 2018; Nagle 2017).7 Bislang gibt es nur wenige repräsentative empirische Studien zur Kommunikation auf 4chan. Nennenswert sind in jedem Fall Michael Bernstein et al. (2011), welche die Daten des Unterforums /b/random ausgewertet haben, um die Flüchtigkeit und Anonymität der Kommunikation zu untersuchen.8 Dass nun die Perspektiven auf 4chan disziplinär so divers sind, liegt nicht zuletzt darin begründet, dass die Plattform ebenso diverse Praktiken und Artefakte einer ganzen Internetkultur vereint. Diese Diversität lädt dazu ein, diese aus unterschiedlichen Perspektiven zu beobachten und ebenso unterschiedliche Fragestellungen anzubringen. Worauf allerdings all diese Phänomene und möglichen Fragen fußen, ist die unablässig pulsierende Kommunikation auf der Plattform. Und hier begegnet man dem blinden Fleck der bisherigen Auseinandersetzungen mit 4chan, welche sich in erster Linie nur an den Symptomen, das heißt an den internetweit bekannten Phänomenen der Kommunikation abarbeiten. Selten beschäftigen sie sich aber mit der nicht auf diese zu reduzierenden Eigenart der Kommunikation. In der vorliegenden Arbeit wird mich diese Eigenart der Kommunikation beschäftigen; eine Kommunikation, die von den außergewöhnlichen Voraussetzungen der Anonymität der Nutzenden und der Flüchtigkeit ihrer Beiträge bestimmt ist (Bernstein et al. 2011) und bei der bisweilen unklar bleibt, ob die 7
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Es liegt nahe, dass das Interesse an 4chan stets einem medialen Echo zu der sonst so unbeachteten Plattform nachkommt. Zunächst aufgrund der medialen Repräsentativität der Hackergruppierung Anonymous ab 2010, dann aufgrund des Bekanntwerdens der Alt-Right-Bewegung in den vergangenen Jahren und zukünftig möglicherweise aufgrund des aktuell (2020/2021) häufig erwähnten Zusammenschlusses von QAnon. Während indes bereits mehrere, unter anderem auch sehr umfangreiche, Erhebungen des Subboards /pol/ erschienen sind (Hine et al. 2017; Jokubauskaitė, Peeters 2020; Papasavva et al. 2020). Doch im Folgenden wird das Subboard /b/ im Vordergrund stehen.
1. Einleitung
Kommunikation der Plattform als chaotisch (Potts, Harrison 2013) oder als kollektiv geordnet angesehen werden soll (Herwig 2012). Die Plattform beschreibt sich selbst als regellos und es ist klar, dass durch die Anonymität jegliche Zuschreibungen verhindert werden. Oder anders formuliert: Es ist anzunehmen, dass durch die Anonymität, Flüchtigkeit und Regellosigkeit der Plattform dort kommunikativ alles möglich ist. Die Soziologie dagegen geht in der Regel von der gegenteiligen Annahme aus: der Ordnungsbildung. Reine Kontingenz kann auf Dauer nicht die Grundlage für Interaktion sein. Die Frage ist dann, ob sich Ordnungen ausbilden – und wenn ja, welche. Womöglich mag die Soziologie eine Neigung dazu haben, überall Ordnungen (bzw. Muster) sehen zu wollen (Nassehi 2019). Ordnung an und für sich ist allerdings ein – für eine empirische Untersuchung – zu vager Begriff. Es drängt sich die Frage auf, wie auf 4chan mit der Flüchtigkeit, Unsicherheit und Anonymität umgegangen wird. Meine Fragestellung schärft sich entsprechend anhand der empirisch zugänglichen Materialien auf der Plattform sowie der verwendeten theoretischen und methodischen Vorannahmen. Ein solches Vorgehen setzt natürlich Entscheidungen hinsichtlich der verwendeten Theorie und Methode voraus. Es muss entschieden werden, welches (theoretische) Modell eingesetzt wird, welche Methode einen Transfer dessen in die Empirie gewährleisten kann und wie, beziehungsweise ob dies mit einer empirischen Untersuchung abgeglichen werden kann. Und wo beginnt man: beim (empirischen) Material oder bei der Theorie? Für die Zwecke der Untersuchung von 4chan habe ich mich für die Systemtheorie Niklas Luhmanns entschieden. Die Systemtheorie eignet sich besonders für dieses Vorhaben, weil Luhmann anbietet, das Soziale über Kommunikation zu verstehen. Die Abwesenheit oder Unzugänglichkeit der Kommunikationsteilnehmer:innen auf 4chan tritt in den Hintergrund, weil die Selektionen von Information/Mitteilung/Verstehen und Anschluss in den Vordergrund treten (Luhmann 1984b: 191ff). Und jene Selektionsmechanismen können dazu beitragen, nachzuzeichnen, wie Kommunikation geordnet wird. Diese Ordnung werde ich als Struktur bezeichnen, welche sich durch die Wiederholung von Anschlussnetzwerken auszeichnet. So verzahnen sich Theorie und empirisches Vorhaben in der Forschungsfrage der vorliegenden Untersuchung: Bilden sich auf der Kommunikationsplattform 4chan Strukturen aus? Und sofern dies der Fall sein sollte: Lässt sich eine Wechselwirkung der Strukturbildung mit weiteren Aspekten der für Kommunikation typischen Kontingenzreduktion nachzeichnen?
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Digitale Kommunikationsstrukturen
Einbetten möchte ich dieses Verständnis von Kommunikation in die systemtheoretische Denkfigur des Sinns (Luhmann 1998: 49) und der Doppelstruktur von Kontingenz und Komplexität (Luhmann 1971b: 33). Die Perspektive des aufspannenden Möglichkeitsraums in stetigen Abgleich mit der Aktualität reichert die Untersuchung mit Annahmen über den Umgang mit dem klassischen Problem des Sozialen an: Wie nämlich eine anonyme und flüchtige Kommunikation mit der Komplexität und (doppelter) Kontingenz umgeht; beziehungsweise, ob sie überhaupt damit umgehen muss. Insbesondere die Selektion des kommunikativen Anschlusses an vorausgegangene Beiträge wird mich in der vorliegenden Arbeit beschäftigen. Dies bietet sich nicht nur aufgrund der empirischen Datenlage auf 4chan an, sondern ermöglicht auch eine Verzahnung des Kommunikationsverständnisses mit der Netzwerkanalyse (siehe dazu auch Malsch et al. 2007). Im Folgenden werde ich im ersten Schritt in einer problemorientierten Einführung die Theorie auf die Besonderheiten der Kommunikation auf 4chan vorbereiten (s. Kapiel 2). Das bedeutet, dass abgegrenzt werden muss welche Aspekte der Theorie für die vorliegende Arbeit eine Rolle spielen werden und welche nicht. Zu Beginn dieser theoretischen Abhandlung wird vor allem die Denkfigur der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation stehen, um von dort aus die Doppelstruktur des Sinns einzuführen. Ziel wird es sein, bereits der Theorie Annahmen über die Wahrscheinlichkeit der Strukturbildung auf einer sich durch Anonymität und Flüchtigkeit auszeichnenden Plattform zu entnehmen (s. Kapitel 3). Im zweiten Schritt wird die Plattform 4chan selbst ins Licht der Betrachtung gerückt: Besonderen Fokus werde ich einerseits auf das Interface als technische Hürde und Voraussetzung der Kommunikation legen. Ebenso wichtig wird die Bestimmung der forenkulturellen Kommunikationspraktiken sein (s. Kapitel 4), welche mutmaßlich Kommunikationserfolg und –Anschluss steuern. Auch in diesem Rahmen werde ich Annahmen über die Strukturbildung treffen, sodass vor dem Beginn des empirischen Teils der Arbeit aus den theoretischen Annahmen bereits mehrere Hypothesen9 über die Kommunikationsstrukturbildung auf 4chan gebildet werden können. Drittens wird die Netzwerkanalyse als Methode eingeführt, welche durch das Verständnis einer relationalen Beziehung zwischen Elementen eine Brü9
Ich bezeichne meine Grundannahmen hier aus rein stilistischen Gründen als Hypothesen. Gemeint ist damit nicht, dass ich hypothesentestende Verfahren im Verlaufe der Arbeit anwenden werde.
1. Einleitung
cke zwischen der Systemtheorie und der Empirie ermöglicht (und sich darüber sehr gut in das Verständnis der Kommunikationsstruktur einpflegt; s. Kapitel 5). Die Kommunikation auf 4chan wird infolgedessen als Netzwerk von Kommunikationsbeiträgen verstanden (Malsch et al. 2007). Aus einem zuvor erhobenen Datensatz mit 326.538 Threads werden 260.251 Netzwerke extrahiert. Diese werden anhand einer Typologisierung unterschiedlichen Typen zugeordnet, welche hinsichtlich der Häufigkeit des Aufkommens als wiederkehrende Strukturen bezeichnet werden können (s. Kapitel 6). Viertens schließe ich eine Fallbeispielanalyse an, um zu verstehen, inwieweit der Inhalt der Threads und die Kommunikationspraktiken der Plattform mit den herausgestellten Strukturen im Zusammenhang stehen. Dafür werden die einzelnen Beiträge in den bereits gebildeten Netzwerken dementsprechend kodiert (s. Kapitel 7). Zuletzt werden die Ergebnisse hinsichtlich der vorausgehend gebildeten Hypothesen diskutiert (s. Kapitel 8).
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2. Eine problemorientierte Einführung in die Theorie
»Es (das technische Netz) führt andererseits zu einer technisch induzierten, dann aber gebrauchsbestimmten, eigendynamischen Explosion von Kommunikationsmöglichkeiten, und dies in mehreren Hinsichten nahezu gleichzeitig. Die Konsequenzen kann man gegenwärtig noch nicht abschätzen, aber die Strukturen der Neuerungen lassen sich beschreiben« (Luhmann 1998: 302). Dies schreibt Luhmann in seiner Monografie Die Gesellschaft der Gesellschaft (1998) nur sechs Jahre, bevor die Plattform 4chan online geht. Seine Sicht auf die technischen Innovationen der bevorstehenden Jahrhundertwende sind durch sein systemtheoretisches Verständnis von Gesellschaft geprägt. Ein Beispiel ist seine Arbeit zur Realität der Massenmedien (1996), die Luhmann zufolge auf einem explizit technischem Medium fußt. Mit seiner Theorie unterbreitet Luhmann ein Paradigma, das eine möglichst umfassende, akkurate und dennoch abstrakte Beschreibung der Gesellschaft anzufertigen versucht.1 Die Systemtheorie hat beispielsweise bei der Realität der Massenmedien demonstrieren können, dass sie technologisch induzierte Entwicklungen zu beschreiben vermag. Zwar existiert ein reichhaltiges Theorieangebot zur Auseinandersetzung mit Technik, Virtualität und Digitalisierung2 , doch 1
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Anlass dafür sieht Luhmann in einer anhaltenden Theoriekrise der Soziologie, die sich insbesondere durch Theorien mittlerer Reichweite auszeichnet, die keine hinreichende theoretische Beschreibung der Gesellschaft anbieten könnten (Luhmann 1984: 7ff). Doch dies vermag weniger über die Soziologie des zwanzigsten Jahrhunderts, mehr aber über Luhmanns Ansprüche und Vorstellungen einer Theorie verraten. Die Soziologie des Digitalen hat sehr viel im Angebot: Digitalisierung wird spezifiziert in Datafizierung, welche sich in Datenstrukturen und Datenpraktiken niederschlagen und neue Eigenlogiken in der Verschränkung von sozialen und technischen Frag-
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Digitale Kommunikationsstrukturen
Luhmann macht mit seiner Theorie ein – in der Soziologie – fast einmaliges Angebot: nämlich das Soziale von der Kommunikation her zu denken. Anstatt also die Beschreibung des Sozialen über den Akteur:innen3 vorzunehmen, wird der Versuch unternommen, das Soziale als Kommunikation zu rekonstruieren. Dadurch werden Luhmanns Überlegungen für jene Auseinandersetzungen attraktiv, die mit dem Aufkommen der (computer-)vermittelten Kommunikation die »eigendynamische Explosion von Kommunikationsmöglichkeiten« nachvollziehen möchten (Luhmann 1998: 302).4 Noch attraktiver wird seine Theorie für die Betrachtung jener anonym-flüchtiger Kommunikation, wie sie auf Plattformen wie 4chan vorzufinden ist. Die Anonymität der Nutzenden stellt nicht die Akteur:innen, sondern die Kommunikation in den Vordergrund des sozialen Geschehens. Der empirische Gegenstand legt die Auswahl einer Theorie nahe, welche von Akteur:innen absieht und die
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menten hervorbringen (Flyverbom, Madsen 2015; Philipps 2017). Die soziologische Erklärung muss angepasst werden: nicht mehr nur Gesellschaftsstrukturen, jetzt wirken auch (scheinbar) undurchdringbare algorithmische Erzeugnisse als Struktur auf die:den Akteur:in (Beer 2017; Seyfert, Roberge 2017). Zudem bewegen wir uns einstweilen in den Umwelten diverser Virturealitäten (Häußling et al. 2017). Data Trouble bezeichnet den Umstand, dass Daten und Digitalität keine eigenständige, abgrenzbare Sphäre für sich beanspruchen müssen, sondern strukturelle Ebene wie auch Akteurebene durchziehen. Die Gegenseite positioniert sich dagegen so, dass die Moderne in ihrer Differenzierung und Strukturierung bereits Vorleistungen zur Digitalisierung geleistet hat – nicht das Digitale wird der Gesellschaft aufgepfropft, sondern ist Ausdruck, ist Phänomen einer bereits digital organisierten Gesellschaft: »die Digitalisierung [ist] unmittelbar verwandt […] mit der gesellschaftlichen Struktur« (Nassehi 2019: 18). Die Soziologie steht in der Tradition, sich durch die Grenzziehung entlang ihrer Grundbegriffe von anderen Fachdisziplinen zu unterscheiden. So geschieht es anhand der Abgrenzung der (sozialen) Handlung vom reinen Verhalten, um sich dem territorialen Anspruch der Psychologie zu entziehen. Gleiches galt bis zur Entwicklung der Rational Choice Theorie hinsichtlich des Begriffs der Entscheidung, welcher grundlegend dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften zugeordnet wurde und noch immer wird (Luhmann 2019, 1984a). In dieser Tradition stehend ist auch die Kommunikation allenfalls ein stiefmütterlich behandeltes Feld, denn letztlich gehört es doch zu den Kommunikationswissenschaften. Die soziologischen Klassiker beschäftigen sich viel lieber mit Handlung oder Interaktion. Anzumerken sei, dass sich die Soziologie bis heute nicht darüber einig ist, ob die Digitalisierung überhaupt eine neue gesellschaftliche Entwicklung ist, oder nur Altes in neuem Gewand (Nassehi 2019).
2. Eine problemorientierte Einführung in die Theorie
Kommunikationsstruktur in den Vordergrund rückt. Die Systemtheorie weist in dieser Hinsicht aufgrund ihrer kommunikationstheoretischen Prämissen eine Art natürliche Nähe zur Struktur und dem Geschehen auf 4chan auf. In den folgenden Abschnitten möchte ich im Abgleich mit der zu untersuchenden Plattform zunächst herausstellen, was ich für das hier beschriebeneVorhaben von der Theorie überhaupt benötigen werde. Dies wird in erster Linie Luhmanns Verständnis von Kommunikation und der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation betreffen. Diese Unwahrscheinlichkeit entspricht sozusagen der theoretisch fundierten Nullhypothese der vorliegenden Arbeit von flüchtiger und anonymer Kommunikation. Bevor ich dazu übergehe, die Struktur der Kommunikation zu untersuchen, erachte ich es als Zugangsvoraussetzung, herauszuarbeiten, weshalb es überhaupt möglich ist, dass auf einer anonym-flüchtigen Plattform Kommunikation zustande kommt. Hinzu ziehe ich in einem zweiten Schritt das Verständnis von Kontingenz und Komplexität als Doppelstruktur des Sinns. Insbesondere der Begriff der Komplexität legt jenes Verständnis der Relationierbarkeit zugrunde, welches einerseits das Strukturverständnis deutlich macht und mir einen Brückenbau zur empirischen Netzwerkanalyse ermöglichen wird. Ziel wird es sein, über die Begriffe der Kontingenz und Komplexität Grundannahmen zu bilden, welche am Ende des Kapitels zu einer Hypothese zusammenzuführen sein werden. Luhmann versteht Kommunikation als (Selektions-)Prozess, der sich aus den Selektionen von Information, Mitteilung und Verstehen zusammensetzt (Luhmann 1998: 190). Erfolgreich wird die Kommunikation durch das Annehmen dieser, welche als Ausgangspunkt für den Anschluss weiterführender Kommunikation dient. Für das empirisch gelagerte Anliegen der vorliegenden Arbeit halte ich es für geboten, aus diesem Verständnis nur jene Selektionen herauszuheben, die für die Beschreibung von Onlineplattformen wirklich relevant sind. Denn bei einer näheren Betrachtung der Plattform wird sich im Folgenden sehr schnell herausstellen, dass sich empirisch nur zwei Kommunikationsselektionen abschöpfen lassen: 1. die Mitteilungsselektion und 2. die Anschlussselektion. Welche Information wie selektiert oder verstanden wird, lässt sich bei einer solchen empirischen Untersuchung allenfalls an Einzelfällen re- oder dekonstruieren (Henkel 2010; Stäheli 2010) und soll nicht Hauptziel dieser Arbeit sein. Das Ziel ist es, Kommunikationsstrukturen zu identifizieren. Das heißt, dass ich in der vorliegenden Arbeit nicht die Online-Kommunikation der Plattform als Ganzes beschreiben kann und
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Digitale Kommunikationsstrukturen
werde.5 Nichtsdestotrotz werde ich im Folgenden noch das Verstehen als Selektion mitführen, welche Voraussetzung ist, um die weiteren Selektionen nachzuvollziehen. Für das empirisch gelagerte Anliegen dieser Arbeit halte ich es ebenfalls für geboten, die Theorie perspektivisch auf die Charakteristika der Plattform vorzubereiten. Lediglich drei Kommunikationsaspekte der Onlineplattform 4chan möchte ich dafür zunächst hervorheben: 1. Anonymität, 2. Flüchtigkeit, 3. Unbestimmtheit.
Anonymität bedeutet, dass die Nutzenden der Plattform weder einen Login, ein Profil, einen Nutzernamen, ein Pseudonym oder sonst eine Möglichkeit der Identifikation haben. Jeder Beitrag erhält eine einzigartige Identifikationsnummer (sog. GET-Nummer) und kann über diese zitiert werden (Auerbach 2012). Flüchtig ist die Kommunikation auf der Plattform, da ein Thread nach durchschnittlich 9,11 Minuten wieder gelöscht wird (Bernstein et al. 2011). Durch das fortwährende Nachrücken neuer Threads wird die Lebenszeit jedes Threads verkürzt, beziehungsweise strukturell determiniert. Zuletzt gilt 4chan, insbesondere das Unterforum /b/random (im Folgenden /b/), welches im Mittelpunkt der untenstehenden Analyse steht, als regelloser Kommunikationsraum. Hier sind beliebige Themen, Meinungen, Fragen, Aufforderungen usw. erlaubt; genauso wie auch alle Antworten, Rückfragen, Themenabweichungen, Provokationen usw. erlaubt sind. Die Grenzen zwischen Wahrheit und Fiktion, Ernst und Spaß, Sinn und Unsinn verschwimmen. Hinter diesen drei Aspekten der Kommunikation verbirgt sich auf dem ersten Blick nicht weniger als die doppelte Kontingenz von Kommunikationssituationen. In sozialer Hinsicht bleibt kontingent, wer kommuniziert, in zeitlicher Hinsicht bleibt kontingent, wann die Kommunikation abgebrochen wird und in sachlicher Hinsicht bleibt kontingent, was Inhalt der Kommunikation sein soll und woran wie angeschlossen werden soll. Doch ich möchte dies
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Natürlich ließe sich beispielsweise anhand einer objektiv hermeneutischen Analyse im Einzelfall eines Threads herausarbeiten, welche Informationsselektionen und welches Verstehen von den Nutzenden ausging. Damit ließe sich eine sehr viel kleinteiligere Analyse des vorliegenden Materials realisieren. Allerdings ist dies nicht Ziel der vorliegenden Arbeit.
2. Eine problemorientierte Einführung in die Theorie
genauer betrachten und in diesem theoretischen Rahmen gewisse Vorannahmen darüber treffen, wie Kommunikation und Kommunikationsstrukturen auf 4chan überhaupt möglich sind. Denn diese Charakteristika 4chans erzeugen zunächst die Frage, warum überhaupt auf 4chan Kommunikationen ablaufen. Wenn niemand adressiert werden kann, kein Gedächtnis6 (Luhmann 1998: 14) der Kommunikation vorhanden ist und keine Themen (Luhmann 1984: 216) als Rahmung zur Verfügung stehen, erscheint es zunächst sehr unwahrscheinlich, dass hier überhaupt Kommunikation zustande kommt. Natürlich ist es offensichtlich der Fall, dass auf 4chan kommuniziert wird. Doch genau dies spiegelt einen grundlegenden Punkt in Luhmanns Auseinandersetzungen mit der Kommunikation: Kommunikation ist unwahrscheinlich und muss zunächst in eine Wahrscheinlichkeit überführt werden (Luhmann 1981b: 25ff, 1998: 190). Spürbar ist diese Unwahrscheinlichkeit im alltäglichen Leben in der Regel gar nicht, da wir – wie ich behaupten möchte – gerade im Zeitalter digitaler Vernetzung sehr viel kommunizieren. Es handelt sich um die »unsichtbar gewordene Unwahrscheinlichkeit« (Luhmann 1998: 190). Und damit komme ich zu meinem ersten inhaltlichen Punkt.
2.1 Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation Das Denkmuster, von der Unwahrscheinlichkeit faktischer Ordnung auszugehen, so wie es auch Thomas Hobbes (1651) vordenkt, übernimmt Luhmann für sein Verständnis von Kommunikation. Zweckmäßig ist diese Vorstellung insbesondere, um scheinbare Selbstverständlichkeiten in ihrem Zustandekommen zu erklären. Für das vorliegende Unterfangen wird es mir helfen, grundlegende theoretische Annahmen über vermittelte Kommunikation auf 4chan zu treffen. Damit Kommunikation zustande kommt, müssen zunächst mindestens drei Hürden überwunden werden: 1. das Verstehen, 2. das Erreichen und 3. der Erfolg der Kommunikation (Luhmann 1981b: 78f).7 Hürden meinen hier nichts
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In der Kommunikation ist in der Regel eine Selbstreflexion über bereits vorangegangene Kommunikationen eingelagert (ebd.). Luhmann nennt ebenfalls das Verstehen von Kommunikation. Allerdings lasse ich das an dieser Stelle unberücksichtigt, da es für die empirische Untersuchung dieser Arbeit nicht von Relevanz ist.
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anderes als Kontingenzerfahrungen, welche eine solche Unsicherheit erzeugen, dass ein Zustandekommen der Kommunikation unwahrscheinlich wird. 1. Verstehen ist unwahrscheinlich. In seinem Stück »Dantons Tod« lässt Georg Büchner (1835) im ersten Akt den Protagonisten Danton zu seiner Frau Julie sagen: »Geh, wir haben grobe Sinne. Einander kennen? Wir müssten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren« (ebd.: I,1). Den Umstand des Nicht-Eindringen-Könnens in die Gedankenwelt anderer ist eine Grundüberlegung, aus der Luhmann viele Aspekte seiner Theorie entwickelt hat. Und so liegt das Verstehen auch außerhalb dessen, was sich mit einer empirischen Erhebung abbilden lässt. Doch es wird an dieser Stelle helfen zu verstehen, wie sich die Annahme der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation unter Anwesenden auf vermittelte, anonym-flüchtige Kommunikation übertragen lässt. Mit einer Mitteilung lässt sich lediglich ein Selektionsangebot machen. Wie Ego jenes Angebot ausdeutet, ist aber ungewiss. Verstehen wäre erst dann gegeben, wenn Ego eine Unterscheidung zwischen Information und Mitteilung trifft. Weshalb das aber so problemanfällig ist, liegt an dem Informationspool, der den beteiligten psychischen Systemen zur Verfügung steht (Shannon 1948). Bei dem Verstehen ist demnach die Frage, ob die Kommunikationsteilnehmer:innen aus einem sich überschneidenden Informationspool schöpfen. 2. Ebenfalls ist das Erreichen von Empfänger:innen unwahrscheinlich. Dieses Problem bezieht Luhmann in erster Linie auf die Kommunikation unter Anwesenden: Es ist unwahrscheinlich, dass eine Kommunikation mehr Personen erreicht als in einer konkreten Situation anwesend sind.8 »Das Problem liegt in der räumlichen und zeitlichen Extension« (Luhmann 1984b: 218). Dabei mag es zunächst einleuchten, dass die vermittelte Kommunikation dieses Problem lösen könnte. Doch Luhmann argumentiert, dass die potentiellen Empfänger:innen der Kommunikation in anderen Situationen schlichtweg etwas anderes zu tun haben. Ob und wie das auf computervermittelte Kommunikation zutrifft, sei noch zu diskutieren.
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Kieserling (1999) hat dieses Problem in seinem Werk zur Interaktion unter Anwesenden zusammengefasst. Interaktion, so konstatiert er, sei gerade nur ein Begriff, der die Anwesenheit der teilnehmenden Kommunikationspartner:innen einschließt.
2. Eine problemorientierte Einführung in die Theorie
3. Kommunikationserfolg ist unwahrscheinlich. Erfolg bedeutet, dass die angebotene Informationsselektion unter der Voraussetzung des Verstehens angenommen wird. Ob Kommunikationsversuche angenommen oder abgelehnt werden, liegt nicht nur an den beteiligten psychischen Systemen. Die Kommunikation selbst entscheidet über die Akzeptanz des Kommunikationsbeitrags (Luhmann 1998: 83). Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, den Erfolg einer Kommunikation zu erzielen. In der Regel geschieht das durch Erfolgsmedien wie Geld, Liebe, Macht usw. (Luhmann 1984b: 135ff). In Systemen kann eine Kommunikation darüber hinaus über die systemeigenen Codes und Programme oder über Themen angenommen oder abgelehnt werden (Luhmann 1984b: 216). Ich möchte zudem vorschlagen, dass ebenfalls eine Struktur dazu führen kann, dass Kommunikation angenommen und nicht passende Kommunikation abgelehnt wird. Luhmann versteht die Struktur als »Erfahrungs- und Verständigungstypen« (Luhmann et al. 2020), während systemeigene (Erwartungs-)Strukturen diese von der Umwelt abgrenzen. Meine Deutung von Struktur dagegen entlehne ich Luhmanns Verständnis von Komplexität und der Verknüpfung, beziehungsweise Relationierung der Kommunikationselemente (s. Kapitel 2.3). Denn die Relationierung von Elementen lässt sich auch auf die Kommunikation übertragen: Kommunikationsbeiträge werden durch Anschlüsse zu einem, wie ich es nennen möchte, Anschlussnetzwerk verknüpft. Wiederholen sich diese Netzwerke, möchte ich von Struktur sprechen. Und auch hier nehme ich an, dass Strukturen dafür sorgen, dass kommunikative Erwartungen sichergestellt werden. Denn Kommunikationsbeiträge können dann danach geordnet werden, ob sie zu der Struktur passen oder nicht. Doch um kommunikative Erwartungssicherheit zu erzeugen und dadurch auch die Wahrscheinlichkeit des Erfolgs einer entsprechenden Kommunikation zu erhöhen, müssen sich Codes, Themen oder Netzwerke zunächst verstetigen. Ob man bei einer anonymen und flüchtigen Plattform von einer solchen Verstetigung ausgehen kann, bleibt ungewiss. Und selbst unter der Voraussetzung, dass eine Kommunikation erfolgreich ist, muss das nicht bedeuten, dass an diese auch angeschlossen wird. Denn das Annehmen der Kommunikation ist die Voraussetzung für den Anschluss, womit klar sein dürfte, dass auch der Anschluss an eine Mitteilung unwahrscheinlich ist. Denn Anschluss bedeutet nicht nur, dass diese Information/ Mitteilung als Anschlusspunkt selektiert wird, sondern hier schließt sich auch der Kreis der Unwahrscheinlichkeit: Wenn ich anschließe, antizipiere ich wiederum, dass es unwahrscheinlich ist, dass sich jemand dafür entscheidet, an meinen Kommunikationsbeitrag anzuschließen usw.
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Auf Basis der Grundannahmen über 4chan gelten diese Aspekte gleich in verstärktem Maße. Da die Kommunikation nicht unter Anwesenden stattfindet, die Beteiligten anonym bleiben und die Beiträge flüchtig sind, verlagert sich die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation. Damit lassen sich die drei oben genannten Punkte reformulieren: Zu 1.: Die Unwahrscheinlichkeit des Verstehens vermittelter Kommunikation Dadurch, dass aufgrund der Anonymität einer Plattform wie 4chan weder transparent ist, wer mitteilt, noch, wer beobachtet, wird es den Nutzenden erschwert, zu antizipieren, was das Gegenüber verstehen könnte. Bei der Informationsselektion wird bereits unsicher sein, ob und wie die Gegenüber jene Information überhaupt zuordnen können. Denn wenn die Teilnehmer:innen einer Kommunikation unbekannt sind, dann ist auch ihr Informationspool, aus dem sie schöpfen, unbekannt. Die Mitteilung von der Information zu unterscheiden, wird aus dem gleichen Grund schwierig. Denn es ist unklar mit welchen Stilmitteln und Mitteilungsformen das Gegenüber vertraut ist. Bei der Kommunikation unter Anwesenden mag das durchaus gegeben sein; man verfügt zumindest über die Sicherheit und Orientierung der unmittelbaren Umgebung und der physischen Präsenz aller Anwesenden (und allem, was dahingehend unterstellt werden kann) (Kieserling 1999). Bei der (computer-)vermittelten Kommunikation fällt dies weg – ein Umstand, der insbesondere in der Kommunikationsforschung der letzten dreißig Jahre eine große Rolle gespielt hat (Rutter 1984; Short et al. 1976; Spears, Lea 1992). Für 4chan bedeutet dies aber zunächst, dass die Kommunikation voraussetzt, dass es einen oder mehrere Orientierungspunkte geben muss, welche die Orientierung durch physische Anwesenheit ersetzen. Man müsste aufgrund dessen davon ausgehen, dass die Kommunikation auf der Plattform sehr generalisiert ist. Zu 2.: Die Unwahrscheinlichkeit des Erreichens bei vermittelter Kommunikation Das Problem des Erreichens von Empfänger:innen wird auf digitalen Plattformen (wie 4chan) zu einer ganz anderen Art des Problems, da es gar nicht möglich ist, eine konkrete Person oder einen konkreten Personenkreis zielgerichtet zu erreichen. Durch die Zugänglichkeit der Plattform 4chan für jede:n muss auch antizipiert werden, dass jede:r eine eingestellte Nachricht lesen könnte – sofern sie:er zum richtigen Zeitpunkt auf der Plattform mitliest (s. Kapitel 3). Damit verschwimmt die Grenze zwischen Interaktion und Publikation: »the Web is both ›like‹ and ›unlike‹ print and broadcast as it combines text, audio,
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still images, animation, and video« (McMillan 2000: 91). Man könnte natürlich davon ausgehen, dass Plattformen damit eine Art Verbreitungsmedium sind (wie Printmedien), weil sie eine Information/Mitteilung einer breiten Masse zugänglich machen. Andererseits kann bei klassischen Massenmedien keine Interaktion zwischen Sender und Empfänger entstehen; Massenmedien bedienen eine einseitige Kommunikation, die abgebrochen wird, um keine Interaktion zuzulassen. Die Anwesenheit eines Publikums wird nur unterstellt (Luhmann 1996: 10f). Plattformen allerdings bieten eine Form der Interaktion – auch wenn unklar bleibt, ob es wirklich als Interaktion bezeichnet werden kann, da die Bedingung der (phyischen) Anwesenheit nicht gegeben ist. Ein Forschungszweig schlägt daher vor, die Online-Interaktion vielmehr als Interaktivität zu bezeichnen (Neuberger 2007; Rafaeli, Sudweeks 1997).9 Ohne mich für einen der Begriffe zu entscheiden, möchte ich im Folgenden ganz pragmatisch von der computervermittelten Kommunikation als Publikation von Mitteilungen mit der Möglichkeit zur Interaktion sprechen. Das Erreichen anderer Kommunikationsteilnehmer:innen wird durch jene vermittelte Kommunikation also dadurch wahrscheinlicher, dass die Beiträge für ein breites Publikum publiziert werden. Doch gerade die hohe Flüchtigkeit und schnelle Fluktuation der Beiträge auf der Plattform 4chan macht das Erreichen wieder unwahrscheinlich. Einige Nachrichten werden gar nicht erst gelesen, weil sie so schnell von neuen Nachrichten ersetzt werden (Bernstein et al. 2011). Gleichsam gilt aber, dass je mehr Beiträge an einem Gespräch teilnehmen, dieses auch länger auf der Plattform verweilt (den genauen Mechanismus erkläre ich in Kapitel 4). Die Interaktionsintensität hat hier also einen Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit oder Unwahrscheinlichkeit des Erreichens der Kommunikation. Je mehr Beiträge miteinander in Interaktion treten, desto wahrscheinlicher ist das Erreichen dieser Kommunikation für andere. Umgekehrt gilt: Je weniger Beiträge in Interaktion treten, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass damit Teilnehmer:innen erreicht werden. Dies deutet darauf hin, dass auf Plattformen wie 4chan eine eigendynamische Verstärkung von Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit erzeugt wird.
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Ob und wie der Begriff der Interaktion für die Webkommunikation verändert oder durch einen anderen Begriff ersetzt werden muss/sollte, ist nicht von Tragweite für die vorliegende Untersuchung. Was diese Gegenüberstellung der unterschiedlichen Perspektiven aber zeigt, ist, dass eine theoretische Einordnung der Kommunikation auf Online-Plattformen bisweilen nicht ausdiskutiert ist.
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Zu 3.: Die Unwahrscheinlichkeit des Erfolgs vermittelter Kommunikation Ob nun Onlineplattformen wie 4chan über ein Medium, einen Code, ein Thema oder eine verfestigte Kommunikationsstruktur verfügen, welche das Annehmen oder Ablehnen von Kommunikationen regulieren, ist zunächst anzuzweifeln. Die Flüchtigkeit und Unbestimmtheit lassen es als unwahrscheinlich erscheinen, dass sich derartige Mechanismen ausbilden.10 Allerdings ist Kommunikationserfolg die Voraussetzung für den Kommunikationsanschluss, welcher sich auf 4chan hervorragend sichtbar machen lässt: Wird an einen Beitrag angeschlossen, so hat dieser die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation in Form von Verstehen, Erreichen und Erfolg überwunden. Das bedeutet, dass sich empirisch ablesen lässt, dass an dieser Stelle der Kommunikation bestimmte Erfolgsmechanismen wirken müssen. In der vorliegenden Arbeit ist es allerdings nicht möglich, die Kommunikation auf alle Erfolgsmechanismen hin zu untersuchen. Einerseits führen Erfolgsmedien und Code die dahinterliegende Grundannahme der systemischen Geschlossenheit mit (Luhmann 1984b: 95), andererseits ist es äußerst schwierig, diese Grundannahme empirisch zu überprüfen, beziehungsweise zu re- oder dekonstruieren.11 Stattdessen wird die Struktur der Kommunikation als Erfolgsmechanismus der Kommunikation besonders berücksichtigt. Dies beruht nur auf meiner getroffenen Annahme, dass die Struktur – also das Wiederholen von Anschlussnetzwerken – Erwartungssicherheit stabilisiert und damit auch Kommunikationserfolg erzeugen kann. Das bedeutet nicht, dass auf Plattformen wie 4chan nicht auch andere Erfolgsmechanismen wirksam werden können, beziehungsweise, dass Struktur überhaupt ein wirksamer Erfolgsmechanismus ist (dies sei im Folgenden zu überprüfen). Die Untersuchung der Struktur ist einerseits eine pragmatische
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Zudem ginge damit gleich die Unterstellung einher, dass Plattformen wie 4chan geschlossene Systeme seien. Ich denke nicht, dass ich dieser Hypothese an dieser Stelle – wie auch im weiteren Verlauf der vorliegenden Arbeit – Rechnung tragen kann. Natürlich gibt es Versuche, dieses Unterfangen in Angriff zu nehmen, wie beispielsweise methodische Zusammenschlüsse der Systemtheorie mit der objektiven Hermeneutik (Schneider 1995) oder der Diskursanalyse (Stäheli 2004). Prinzipiell wäre an dieser Stelle auch nicht von Operationalisierung, sondern von de- oder rekonstruktiven Verfahren zu sprechen (Stäheli 2010; Henkel 2010). Allerdings bleibt es dabei überwiegend bei methodologischen Überlegungen. Es gibt nur wenige Beispiele der Umsetzung jener Methoden in ein empirisches Programm. Ein Beispiel dafür wäre Ulrich Oevermanns Untersuchung im Rahmen der »Klinischen Soziologie« (Oevermann 2002).
2. Eine problemorientierte Einführung in die Theorie
Entscheidung, weil die Anschlussnetzwerke den empirischen Daten ziemlich unmittelbar entnommen werden können. Andererseits liegt die Mutmaßung nahe, dass Kommunikationsstrukturen vorab in der Theorie keine allzu große Rolle gespielt haben, da die Thematisierung dessen bei der Interaktion unter Anwesenden in der Regel weniger Relevanz besitzt. Denn meist bauen sich Konversationen so auf, dass auf den jeweils vorangegangenen Redebeitrag Bezug genommen wird. Wenn wir aber davon ausgehen müssen, dass die vermittelte Kommunikation auf Plattformen die Beiträge publiziert und für einen gewissen Zeitraum zum Anschluss zur Verfügung hält, wird interessant, wie sich darin überhaupt Anschlüsse organisieren (Rafaeli, Sudweeks 1997).12 Bei wissenschaftlichen Publikationen lässt sich beispielsweise bereits feststellen, dass bestimmte Anschlussnetzwerke wiederholt werden. So haben Malsch et al. (2007) herausgearbeitet, dass sich abhängig von der Fachdisziplin unterschiedliche Zitationskulturen (= Strukturen) in der Wissenschaft etabliert haben (die Medizin zitiert beispielsweise regelmäßig neue Publikationen, während indes die Soziologie eine starke Anziehung zu Klassikern ausmacht usw.). Die verstetigten Strukturen beschreiben gewisse Erwartungen, die innerhalb einer Fachdisziplin gelten. Dass sich Kommunikationsstrukturen verstetigen, setzt allerdings überhaupt erst das Zustandekommen von Kommunikation voraus (Verstehen, Erreichen und Erfolg). Zudem muss eine Reproduktionsleistung aus bereits Dagewesenen erbracht werden. Dafür braucht die Kommunikation eine Form von Gedächtnis (beispielsweise durch Selbstbeschreibung oder festgeschriebener Semantik (Luhmann 1980)) und es benötigt eine hinreichende Notwendigkeit, jene Strukturen immer wieder zu reproduzieren, welche dann als Erwartung allen Kommunikationsteilnehmer:innen zur Verfügung steht. Vermittelte Kommunikation auf Plattformen wie 4chan aber verfügt aufgrund ihrer Flüchtigkeit über kein Gedächtnis. Sichtbar sind nur jene Strukturen, die gerade auch aktuell sind. Ebenfalls scheint keine Notwendigkeit darin zu bestehen, wiederkehrende Strukturen auszubilden – es sei denn, sie fungieren als Erfolgsmechanismen der Kommunikation. Doch auf einer Plattform auf der alles möglich ist, liegt es nahe zu unterstellen, dass tendenziell eher ein Chaos gepflegt wird.
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Sheizaf Rafaeli und Fay Sudweeks entdecken im Rahmen ihrer Forschungsrichtung der Computer Mediated Communication (CMC) überaus viele Ansätze, um den neuen und veränderten Anschlussstrukturen der vermittelten Kommunikation eine Beschreibung angedeihen zu lassen.
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Jene letzte Annahme der Unwahrscheinlichkeit stellt, wenn man so will, die Hypothese Null dieser Arbeit dar. Auch wenn ich nicht nach dem klassischen hypothesentestenden Verfahren vorgehe (welches nach entsprechenden empirischen Methoden verlangen würde), gebietet die Gedankenform, zunächst von der Unwahrscheinlichkeit auszugehen, eine theoretische Äquivalente. Die Untersuchung der Kommunikationsstruktur auf 4chan ist Ziel dieser Arbeit. Und wie ich darstellen konnte, sind das Verstehen, das Erreichen und der Erfolg der Kommunikation Voraussetzungen für das Wiederkehren einer bestimmten Kommunikationsstruktur – und damit (auch in vermittelter Kommunikation) höchst unwahrscheinlich. Meine theoretisch fundierte Grundannahme lautet also: H0: Auf der Plattform 4chan sind Kommunikation und Kommunikationsstrukturen unwahrscheinlich.
2.2 Sinn, Kontingenz und Komplexität der Kommunikation Eng verknüpft mit der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation sehe ich den Sinnbegriff Luhmanns, welcher mit der Unterscheidung Aktualität/ Potentialität jene Unwahrscheinlichkeit theoretisch genauer einzufangen vermag (Luhmann 1984b: 111). 1968 schreibt Luhmann im Rahmen der TheorieDiskussion mit Jürgen Habermas den Artikel Sinn als Grundbegriff der Soziologie (1971b). »Die Soziologie hat es im Grunde nur mit sinnhaften Beobachtungen zu tun, die andere Beobachtungen in ihrer jeweiligen Form beobachten« (Schützeichel 2003: 28). Ich lese den Begriff des Sinns nicht als empirisch abbildbare Kategorie, sondern als einen für meine Forschungszwecke hervorragend geeigneten Begriff zur Beobachtung des Geschehens auf Plattformen wie 4chan. Diese Plattform ist ein paradigmatisches Anwendungsfeld des Sinnbegriffs, sofern die fortwährende Neubildung (= Aktualität) von Threads die Unerschöpflichkeit (= Potentialität) von Kommunikation in hervorragender Art und Weise veranschaulicht. Im Folgenden möchte ich mir diese Universalität des Begriffes zu Nutze machen, um weitere theoriegeleitete Vorannahmen über die Kommunikations(-Struktur) auf 4chan ableiten zu können. Sinn ist ein Modus der Weltwahrnehmung. Er bezeichnet die Ordnungsform menschlichen Erlebens und Handelns. Sinn ist also eine grundlegende Struktur, die den Operationen
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aller psychischen und sozialen Systemen bedingungs- und ausnahmslos zu Grunde liegt. Kurzum: Sinnsysteme13 können nur im Modus Sinn operieren, also keinen Unsinn produzieren oder wahrnehmen. Sinn ist die Gleichzeitigkeit von Erleben eines aktuellen Zustands – einer Entscheidung, einem Ereignis, einer Handlung – und dem mitgeführten Verweis auf anderes14 (Luhmann 1971b: 31). Sinn weist damit stets über sich selbst hinaus, bildet in aktuellen Situationen mit ab, wie es auch sein könnte: »Es ist immer mehr gemeint, als gegeben ist« (Schützeichel 2003: 33). Sinn »leistet […] ein Überziehen der Potentialitäten des aktuellen Erlebens durch ein Erfassen und Präsentieren von Nichtmiterlebtem« (Luhmann 1971b: 40). So operiert auch Kommunikation stets im Modus Sinn: Jede Selektion von Mitteilung/Information/Verstehen/Anschluss wird im Horizont anderer Möglichkeiten begriffen. So ist eben auch jene These der Unwahrscheinlichkeit von Kommunikation durchdrungen von Sinn: Weil die Kommunikation im Horizont des möglichen Nicht-Verstehens, im Horizont des möglichen Nicht-Erreichens und der möglichen Erfolglosigkeit beobachtet werden kann oder sogar beobachtet werden muss. Mein Thread verdrängt einen anderen Thread – und noch bevor andere meinen Thread lesen und etwas dazu schreiben können, wird er von neuen Threads verdrängt. Doch auch in der zustande gekommenen Kommunikation läuft der Sinn immer mit. Kommunikationsteilnehmer:innen überblicken den aktuellen Stand der Kommunikation, aber antizipieren gleichzeitig eine Reihe weiterer Annahmen: Beispielsweise, dass immer wieder aufs Neue angeschlossen wird (oder die Kommunikation abbricht), dass sich die Beiträge an ein Thema halten (oder das Thema wechseln könnten), dass bestimmte Personen beitragen (oder gerade diese Erwartung enttäuschen) oder wann angeschlossen wird. Das mag recht redundant klingen – doch jene mitgeführte Antizipation von Möglichkeiten haben natürlich 13
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Wozu soziale und psychische Systeme gehören. Organische Systeme (Körper, Tiere, Pflanzen) oder technische Systeme (allopoietische Systeme) prozessieren nicht im Modus Sinn. Wobei dies im Hinblick auf den eröffneten Möglichkeitshorizont durch algorithmengeleitete Lernverfahren (Künstliche Intelligenz) technischer Systeme durchaus strittig sein kann. Für seinen Sinnbegriff hat sich Luhmann an Edmund Husserls Transzendenzbegriff bedient. Husserl schreibt in seinen cartesianischen Meditationen zur Krisis der europäischen Wissenschaften: »Das Objektive ist eben als es selbst nie erfahrbar« (Husserl 1931: 131). Husserl weist damit auf die Transzendenz bei jedem Versuch der Wahrnehmung des Objekts – egal wie ich ein Objekt beobachte, es bleibt immer etwas Verborgenes übrig, etwas, was nicht beobachtet werden kann.
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einen Einfluss darauf, wie kommuniziert wird. Doch wie diese Auflistung bereits zeigt, bleibt bei dem Sinnbegriff ein konkreteres Verständnis aus, welches sich auf die Kommunikation übertragen ließe. Aufgrund dessen möchte ich im Folgenden die Begriffe der Komplexität und Kontingenz einführen, welche unmittelbar mit dem Sinnbegriff verknüpft sind. Ähnlich der Denkfigur der Unwahrscheinlichkeit entwickelt sich das Verständnis von Komplexität und Kontingenz über die Denkfigur eines Problems, dessen Lösung in der Ordnungsbildung liegt. Mit meiner Hypothese H1 gehe ich daher (entgegen H0) von Ordnungsbildung aus: H1: Auf der Plattform 4chan bilden sich Kommunikationsstrukturen aus. Übertragen auf die Frage dieser Arbeit nehme ich das zum Anlass, Annahmen darüber auszubilden, ob die Kommunikation auf Plattformen wie 4chan komplex ist und wie das Problem der Komplexität überwunden wird. Meine Annahme ist, dass sich Komplexität und Strukturbildung wechselseitig bedingen. Da, wie ich im Folgenden darstellen werde, Komplexität im Sinne von Anschluss-Netzwerken15 der Kommunikation gedacht werden kann, soll hier ebenfalls ein möglichst praktikabler Brückenschlag zum empirischen Vorgehen gelingen. Ebenfalls ist der Begriff der (doppelten) Kontingenz aufschlussreich dahingehend, wie die Unsicherheit und Anonymität von 4chan trotz der dadurch entstehenden Kommunikationshürden überwunden werden kann. Darüber hinaus hängen Kontingenz und Komplexität unweigerlich miteinander zusammen: Sie sind, wenn man so will, die zwei Seiten der Medaille des Sinns. Für die Kommunikation bedeutet das, dass Kommunikationsmöglichkeiten in unterschiedlichen Dimensionen (Sach-, Sozial- und Zeitdimension) immer wieder mit der Aktualität abgeglichen werden müssen (Luhmann 1980: 35).
2.3 Komplexe Kommunikation Luhmann verwendet den Begriff der Komplexität vorrangig, um Systeme und die Relationierung von Elementen in Systemen bei gleichzeitiger Grenzbildung zu einer Umwelt zu beschreiben. Nun ist dies allerdings gar nicht Ziel der vorliegenden Arbeit. Ob es sich bei der Kommunikation auf 4chan 15
Unter dem Ausdruck Anschluss-Netzwerke möchte ich das Zusammenfassen aller Anschlüsse in einem Thread auf 4chan verstehen (s. Kapitel 4.1).
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um (ein) System(e) handelt, ist Stoff für weitere Forschung. An dieser Stelle geht es alleine um die Verwendung des Komplexitätsbegriffes Luhmanns zur Beschreibung von Kommunikationsstrukturen. Darüber hinaus passt sich Luhmanns Vorstellung der Relationalität gut in netzwerktheoretische Überlegungen ein, welche später die Auswahl der Methode erleichtern werden. Durch die stets systemisch gerahmte Betrachtungsweise Luhmanns ist sein Komplexitätsbegriff nicht auf die Kommunikation zugeschnitten.16 Insofern wird es im Folgenden notwendig sein, den Begriff der Komplexität auf die Kommunikation, beziehungsweise auf die plattformvermittelte Kommunikation zu übertragen. Doch ich beginne zunächst mit dem ursprünglichen Begriff der Komplexität nach Luhmann. Ein System besteht aus einer bestimmten Anzahl von Elementen. Die Komplexität bezeichnet die Relationierungen jener Elemente in Abhängigkeit von der Anzahl der Elemente. Mathematisch lassen sich natürlich alle Elemente eines Systems miteinander verknüpfen – auch bei einem System mit überaus vielen Elementen. Empirisch ist das aber nicht möglich und genau das zeichnet das Problem der Komplexität aus. Systeme mit vielen Elementen stehen dem Problem gegenüber, dass diese nicht alle gleichzeitig verknüpft werden können und somit selektiert werden muss, welche Elemente miteinander relationiert werden. Auf 4chan bedeutet das dann, dass ein Thread mit einer bestimmten Anzahl an Beiträgen nicht mehr möglich ist allen gleichzeitig zu antworten. Dies charakterisiert Komplexität als Sinnstruktur: den Verweis auf andere Möglichkeiten unter einer gegebenen Aktualität. »Die Komplexitätsunterlegenheit muß durch Selektionsstrategien ausgeglichen werden. Daß das System zur Selektion gezwungen ist, ergibt sich schon aus der eigenen Komplexität. Welche Ordnung in der Relation seiner Elemente gewählt wird, ergibt sich aus der Komplexitätsdifferenz zur Umwelt« (Luhmann 1984b: 48).17
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Was im Übrigen interessant ist, wenn soziale Systeme im Modus der Kommunikation operieren. Luhmann bezeichnet dies in diesem Zusammenhang als temporalisierte Komplexität. Systeme temporalisieren ihre Komplexität, sodass unterschiedliche Verknüpfungen der Elemente in einem Nacheinander möglich sind (Luhmann 1980: 248f). Allerdings ist dieses Nacheinander nicht übertragbar auf Kommunikation, weil diese einen Prozess des immer weiteren Hinzukommens von Elementen (in Form von Beiträgen) ist, welcher im Nachhinein die Verknüpfung (durch Anschluss an vorausgegangene Beiträge) nicht mehr ändern kann.
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Die Selektion der zu verknüpfenden Elemente kann dann unterschiedliche Typen der Relationierung hervorbringen. Bei Luhmann findet sich eine beispielhafte Darstellung von Typen der Element-Relationierung (s. Abb. 1).
Abbildung 1: Elementrelationierungen (Luhmann 1990: 65)
Jedes dieser Netzwerke von Elementen unterscheidet sich von den anderen durch ihre Art der Verknüpfung. Die Abbildung erinnert nun bereits sehr stark an netzwerktheoretische Überlegungen. Zum Beispiel wirkt die erste abgebildete Figur (Fig. 1 in Abb. 1) wie ein sogenanntes reguläres Netzwerk (welches als Ausgang für Small-World-Netzwerke genutzt wird). Die zweite Figur (Fig. 2 in Abb. 1) erinnert an Netzwerke mit einem zentralen Knoten usw. (Wasserman, Faust 1994: 45). Luhmann bezeichnet diese Netzwerke im Übrigen als Formen (im Sinne der Verkopplung von Medien, also nicht-gekoppelten Elementen, die sich zu einer Form verkoppeln18 (Luhmann, Baecker 2009: 46f). Doch die Form ist nur eine temporäre Verknüpfung des Mediums. Die Elemente koppeln und lösen sich also immer wieder aufs Neue: »Das Medium wird gebunden – und wieder freigegeben. Ohne Medium keine Form und ohne Form kein Medium, und in der Zeit ist es möglich, diese Differenz ständig zu reproduzieren« (Luhmann 1998: 199). Die Netzwerkanalyse/-Theorie hat immer wieder versucht, Netzwerke zu unterscheiden und ihnen eine soziale Wirkmächtigkeit zuzusprechen. Luhmanns Interpretation der Netzwerke (auch wenn er diese nicht als solche bezeichnet) als Aspekt der Komplexität ist zwar anders gelagert – der Grundgedanke voneinander unterscheidbarer Element-Relationierungen, beziehungsweise Graphen, ist dennoch nicht zu übersehen. Die Netzwerkanalyse 18
Der Formbegriff wird von Luhmann ebenfalls in einem ganz anderen Kontext verwendet – im Sinne der Formtheorie mit dem Ursprung bei George Spencer-Brown (1969). Um im Folgenden keine Verwirrung zu stiften, beziehe ich mich stattdessen weiterhin auf den Begriff des Netzwerks.
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ist deshalb von elementarer Bedeutung für die Analyse und Beschreibung der Kommunikationsstrukturen. Was ich nun als Struktur bezeichnen möchte, ist die Wiederholung eines Netzwerks. Eine Struktur soll im Folgenden bedeuten, dass sich ein Typ des Netzwerks der Beitrags-Verknüpfungen nicht nur einmal ereignet, sondern wiederholt auftritt. Luhmann würde dies auch als Selbstorganisation beschreiben19 (Luhmann 1984b: 301). Und damit kommen wir zu dem Problem der (komplexen) Kommunikation: Kommunikation charakterisiert sich in der Regel dadurch, dass die Beiträge miteinander verknüpft werden. Beiträge entsprechen gemäß diesem Bild den Elementen und der Anschluss entspricht der Relationierung jener Elemente. Doch Kommunikation ist ein Prozess, eine zeitliche Abfolge. Luhmann bietet zwar auch ein prozessuales Verständnis von Komplexität an, die sogenannte temporalisierte Komplexität (Luhmann 1980: 238f), aber auch diese geht davon aus, dass bereits Elemente im System vorliegen bevor sie miteinander relationiert werden. Bei der Kommunikation sind nicht alle Elemente bereits vorhanden, sie kommen (in Form von Beiträgen) in einem Nacheinander hinzu: Bei 4chan heißt das, dass Threads erstellt werden und Beiträge an vorausgegangene Beiträge anknüpfen. Aufgrund dessen ist auch die Annahme, dass sich bereits vorhandene Medien immer wieder aufs Neue zu Formen koppeln zwar bei Sprache zutreffend, bei Kommunikationsbeiträgen aber nicht. Betrachtet man die Beiträge als Elemente, muss beachtet werden, dass sich diese erst im Prozess der Kommunikation bilden. Zugleich wird an dieser Stelle bereits deutlich, dass die Form der Beitrags-Verknüpfungen mit der Anzahl an Beiträgen und damit auch mit der Zeit korreliert. Zeit bedeutet hier kein ständiges Koppeln und Entkoppeln von Medien zu Formen, sondern das kontingente Hinzukommen von immer neuen Elementen (Beiträgen) mit einem dadurch wachsenden Möglichkeitsraum. Je mehr Beiträge im Laufe der Zeit hinzugefügt wurden, desto mehr Selektionsmöglichkeiten für Anschlüsse bestehen. Somit potenziert sich die Komplexität der Kommunikation über die Zeit hinweg. Neue Beiträge bedeuten eine höhere Anordnungsfreiheit hinzukommender Beiträge.
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Hinzuzufügen sei an dieser Stelle, dass Luhmann Selbstorganisation nicht als stabile Ordnung versteht: »Von Selbstorganisation kann man immer dann sprechen, wenn ein operativ geschlossenes System nur die eigenen Operationen zur Verfügung hat, um Strukturen aufzubauen, die es dann wiederverwenden, ändern oder auch nicht mehr benutzen und vergessen kann« (Luhmann 1997: 301).
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Der Begriff der Anordnungsfreiheit stammt ursprünglich aus der Entropieforschung (Ebeling et al. 1998).20 Dieser zufolge bedeutet Entropie für gewöhnlich Folgendes: Je mehr Elemente in einem System sind, desto geringer ist die Anordnungsfreiheit dieser Elemente, da nur von einer begrenzten Anzahl an Kopplungen für ein Element ausgegangen wird. Eine ähnliche Grundannahme unterliegt Luhmanns Komplexitätsbegriff: Komplexität entsteht dadurch, dass nicht mehr alle Elemente miteinander verknüpft werden können – weil es offensichtlich nur eine begrenzte Anzahl an (zu einem Zeitpunkt) realisierbaren Verknüpfungen gibt. Dies lässt sich allerdings nicht auf (vermittelte) Kommunikation übertragen. Die Anordnungsfreiheit der Beiträge ist nicht durch eine maximale Anzahl an Verknüpfungen reguliert. Ein Beitrag könnte rein theoretisch durchaus alle vorangegangenen Beiträge zitieren und darauf eingehen. Allerdings kann ein Beitrag nicht an zukünftige Beiträge anschließen. Der zeitliche Prozess des Nacheinanders der Kommunikation reguliert die Anordnungsfreiheit. Des Weiteren stehen zu einem frühen Zeitpunkt einer Kommunikation nur wenige Beiträge zur Anknüpfung bereit, sodass die Anordnungsfreiheit (noch) gering ist. Indes steigt die Anordnungsfreiheit der Kommunikation, je mehr Beiträge hinzugefügt werden. Zeit, Größe und Anordnungsfreiheit korrelieren bei Kommunikationen also positiv. Allerdings ist eine gesteigerte Anordnungsfreiheit kein Garant dafür, dass diese auch genutzt wird. Ein weiterer Aspekt komplexer Kommunikation ist, dass sie stets die Möglichkeit weiterer, in der Zukunft liegender, Anschlüsse mitführt und damit als aktuelle Form stets über sich hinausweist (und damit dem Sinnbegriff entspricht; Luhmann 1971b: 31). Die abgeschlossene Form von (durch Zitation) relationierten Beiträgen ist dann auch nur nachträglich, nach dem Kommunikationsabbruch, zu beobachten.21 Denn im Prozess der Kommunikation können noch immer weitere Beiträge hinzukommen, die immer wieder neue Anschlüsse ermöglichen usw. Daraus lässt sich schließen, dass nicht das Problem der großen Anzahl an Elementen Kommunikation komplex macht. Die Komplexität der Kommuni-
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Entropie hat seinen Ursprung in der Thermodynamik und hat von dort aus seinen Weg in die Soziologie gefunden (Luhmann 1984: 79). Dies läuft damit in gewisser Weise parallel zur Nachträglichkeit von Semantik(en) eines Systems (Stäheli 2010). Kommunikationsformen/-Strukturen sind keine Semantiken; allerdings verfügen beide über eine gewisse Aussagekraft über das System/die Kommunikation.
2. Eine problemorientierte Einführung in die Theorie
kation liegt ebenfalls im Medium des Sinns: Es ist ungewiss, wie viele Beiträge noch angefügt werden und wo diese anschließen werden. Oder in anderen Worten: Es ist unklar, wie sich das Anschlussnetzwerk der Kommunikation über die Zeit hinweg noch verändern wird. Kommunikation ist also in diesem Sinne eigendynamisch: Kommunikationsteilnehmer:innnen können durch ihren Beitrag zwar beeinflussen, verfügen aber nicht über das – vielmehr emergente – Anschlussnetzwerk der Kommunikation. »Erst die Wahlmöglichkeiten machen die Kommunikation zu Kommunikation. Wer ›gezielt‹ festlegen will, kommuniziert nicht, sondern befiehlt« (Baecker 1999: 54). So wird auch verständlich, dass der Kommunikationsanschluss zwar von den jeweiligen Kommunikationsteilnehmer:innen selektiert werden muss (wo schließe ich an?), aber dass das daraus entstehende Netzwerk der Kommunikationsbeiträge ein emergentes Produkt ist.22 Allerdings müsste man dann davon ausgehen, dass jeder beigetragene Kommunikationsbeitrag die gleiche Anschlusswahrscheinlichkeit besitzt. Doch die einzelnen Elemente einer Kommunikation sind selbst bereits komplex. Beiträge bestehen (in welchem Zusammenhang auch immer) aus Sätzen, welche untereinander relationiert werden. Sätze bestehen aus Wörtern, die
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Selektion ist somit sowohl für Komplexität als auch für Kommunikation jener Schlüsselaspekt: Systeme selektieren und Kommunikation selektiert. Nun schreibe ich hier aber, dass die Kommunikationsteilnehmer:innen selektieren. Was ich damit meine ist lediglich, dass die Teilnehmer:innen natürlich eine Entscheidung für eine Informations-/Mitteilungs-/und Anschlussselektion treffen können – die, wenn man es weiter fasst, natürlich wieder durch die vorausgegangene Kommunikation, Erwartungsstrukturen, Erfolgsmedien usw. bedingt wird. Es ließe sich an dieser Stelle problemlos ein Exkurs über die Zuständigkeitsbereiche verschiedener soziologischer Denkrichtungen anfügen, welche zwischen zwei Grundannahmen unterscheiden: Eine Selektion setzt entweder voraus, dass eine Entscheidung dafür getroffen wurde oder dass es sich um ein naturalisiertes oder selbstorganisiertes Verständnis von Selektion handelt – wie es beispielsweise als Schritt bei Evolutionstheorien zu finden ist (Dawkins 1976). So hat beispielsweise auch Hartmut Esser an Luhmanns Begriff der Kommunikation kritisiert, dass es sich bei jenen Selektionen eigentlich um kausal gereihte Handlungsentscheidungen handle (Esser 1993). Handlung bezeichnet bei Luhmann eine Sinneinheit als »auf Systeme zugerechnete Selektion«, da Kommunikation »nicht direkt beobachtet, sondern nur erschlossen werden kann« (Luhmann 1984b: 226, Herv. im Original). So reduziert Handlung die Komplexität, indem sie den (für den Beobachter unsichtbaren) Ballast des gesamten Kommunikationsprozesses wegschneidet und die Kommunikation immer wieder auf einen konkreten Zeitpunkt fixieren kann. Gleichzeitig aber öffnet sie aufgrund ihrer Exponiertheit die Möglichkeit neuer Anschlüsse.
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relationiert werden, Wörter aus Buchstaben usw. Beiträge sind damit selbst kleine Netzwerke: Sie bedienen sich dem Medium der Sprache und gießen es in eine Form. Im Folgenden greife ich auf forentypische Formulierungen, auf Bilder oder – was noch wichtig werden wird – sogenannte Memes zurück, welche bereits bestimmte Deutungen und Gesprächsdynamiken nahelegen. Dadurch besitzen die Beiträge eine Eigenkomplexität (Luhmann 1984b: 46). Diese unterschiedlichen Betrachtungsebenen legen offen, dass Komplexität nicht nur auf einer dieser Ebenen stattfindet. Durch die Komplexität der Elemente ist bereits vorselektiert, mit welchen anderen Elementen das Element relationiert werden kann. Insofern konzipiert sich Komplexität durch sich selbst: Die Komplexität der Elemente selbst bedingt, dass nicht alle Elemente miteinander verknüpft werden können und somit auch höherstufig eine Komplexitätsreduktion durch die Ausbildung eines entsprechenden Netzwerks entstehen muss (Luhmann 1984b: 46). Das heißt: Die Beiträge selbst reduzieren durch ihre Eigenkomplexität die Komplexität der Kommunikation. »Nur Komplexität kann Komplexität reduzieren« (ebd.: 49).23 Doch dann ist wieder die Frage, wie die Kommunikation darüber entscheidet, welche Beiträge angenommen und welche abgelehnt werden, beziehungsweise, anders formuliert: Wie die Eigenkomplexität der Beiträge von der Kommunikation weiterverarbeitet wird. Dies kann beispielsweise über Themen funktionieren. »Themen diskriminieren die Beiträge« (Luhmann 1984b: 213), sie haben die Funktion Beiträge zu steuern. Damit liegen Themen der Kommunikation in sachlicher, zeitlicher und sozialer Hinsicht (wer darf was und wann sagen?) als Struktur zugrunde (Luhmann 1971a: 13). Themen sind der Ebenendifferenzierung gemäß zwar über den Beiträgen angeordnet (da diese die Beiträge zu einem Thema bündeln), aber das bedeutet umgekehrt auch, dass ein Beitrag bereits die Anlage zum Anschluss im Sinne eines Themas bereithält. Jeder Beitrag in einem Kommunikationsprozess ermöglicht und begrenzt gleichermaßen die Anschlüsse. Er ermöglicht den Anschluss von thematisch passenden Beiträgen und begrenzt ihn gleichzeitig darauf. Dies legt die Vermutung nahe, dass sich Kommunikation im Laufe ihres Prozesses in eine Pfadabhängigkeit zu bestimmten Themen begibt und damit die Form der Kommunikation beeinflusst. An dieser Stelle kann uns nun die Theorie
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Luhmann meint dies in zweierlei Hinsicht: Einerseits reduziert die Eigenkomplexität der Elemente die Komplexität des Systems, andererseits reduziert die Komplexität des Systems auch die der Umwelt (ebd.). Letzteres ist für die vorliegende Untersuchung allerdings nicht von Relevanz.
2. Eine problemorientierte Einführung in die Theorie
allerdings keinerlei weitere Hinweise darüber liefern, ob und wie dies einen weiteren Einfluss auf Kommunikationsstrukturen hat. Aber es lässt sich immerhin festhalten, dass die Komplexität einer Kommunikation nicht einfach immer weiter steigt, sie wird – beispielsweise durch Themen – reduziert. Das macht die Annahme wieder wahrscheinlicher, dass Kommunikation Strukturen ausbildet. Es ließe sich zum Beispiel vermuten, dass themengeleitete Kommunikation immer wieder ähnliche Netzwerke hervorbringt und dass sich themengeleitete Unterhaltungen dann von anderen, themenoffenen Unterhaltungen unterscheiden. Komplexität sowie weitere systemtheoretische Begriffe lassen sich jedoch für eine empirische Untersuchung nicht direkt operationalisieren. Der Theorie ist das nicht anzulasten, denn erst durch die Abstraktionsleistung dieser Begriffe können diese in mannigfaltige Richtungen (in Interaktionssystemen bis Organisationen oder sozialen Systemen) ausgedeutet werden. Für die vorliegende Untersuchung ist es allerdings notwendig, Aspekte aus der Theorie ganz konkret messbar machen zu können.24 Aufgrund dessen muss ich die Theorie entsprechend zuschneiden, um sie in eine Messbarkeit überführen zu können. Komplexität möchte ich in Größe übersetzen: Mit der Anzahl der Beiträge des Threads steigt auch seine Komplexität. Das ist nicht allzu weit von der Theorie entfernt. Auch wenn das Mehr an Beiträgen nicht auch eine komplexere Verknüpfung der Beiträge erzeugen muss, besitzt dennoch jeder hinzukommende Beitrag eine Eigenkomplexität. Das bedeutet, dass mehr Beiträge in der Regel auch einen komplexeren Thread erzeugen. Stellt man nun einen Zusammenhang zwischen der Komplexität und der Frage nach der Kommunikationsstruktur auf 4chan her, lassen sich nun unterschiedliche Annahmen treffen. Grundlegend ließe sich zunächst mutmaßen, dass die Strukturbildung unwahrscheinlich ist. Denn als eigendynamischer Prozess ist die Kommunikation nicht kontrollierbar und durch die Anordnungsfreiheit besteht gerade bei komplexen Kommunikationen mit vielen Beiträgen die Chance, dass sich ganz unterschiedliche Formen ausbilden. Dies würde eine Wiederholbarkeit der Netzwerke unwahrscheinlich machen. Andererseits aber ist Komplexität durch Komplexität (der Beiträge) reduzierbar. So führen beispielsweise
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Methodologien bieten hier unterschiedliche Möglichkeiten an, über De- oder Rekonstruktivismus die Systemtheorie in eine empirische Messbarkeit zu übersetzen (Stäheli 2010; Henkel 2010). Allerdings gibt es dafür bisweilen kaum gelungene Umsetzungen.
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Themen dazu, dass bestimmte Beiträge diskriminiert werden und dadurch keinen Anschluss erfahren. Das heißt: Entweder führt hohe Komplexität zu diversen Netzwerken ohne Strukturbildung oder die Komplexität führt zu der Notwendigkeit, sie zu reduzieren indem wiederholbare Strukturen ausgebildet werden. Bei weniger komplexen Threads dagegen ist es – rein mathematisch – wahrscheinlicher, dass sich Strukturen bilden, weil nur wenige Anordnungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle also keine endgültige Annahme aus der Theorie heraus formulieren. Allerdings wird die Komplexität einen Einfluss auf die Ausbildung von Struktur(en) haben. Sie tritt aber offenbar in Wechselwirkung mit der Möglichkeit von Struktur, denn Komplexitätsreduktion, welche sich beispielsweise in der Struktur ausdrücken kann, wird nur aufgrund von Komplexität ermöglicht. Etabliert sich aber eine Struktur, ist es durchaus denkbar, dass diese gleichsam erst komplexe Kommunikation hervorbringt. Deutlich wird das bei Themen. Themen haben eine komplexitätsreduzierende Eigenschaft, bringen gleichsam aber auch Komplexität hervor, weil sie zum Anschluss motivieren. Gleiches würde im Übrigen auch für Erfolgsmedien gelten. Struktur entspricht natürlich nicht Themen oder Erfolgsmedien, doch die Vermutung liegt nahe, dass auch hier der Mechanismus der Wechselwirkung von Komplexitätserzeugung und –Reduktion wirksam wird. Insofern lässt sich die zweite Hypothese für das vorliegende Vorhaben wie folgt formulieren: H2: Auf der Plattform 4chan steht die Komplexität eines Threads in Wechselwirkung mit der Struktur der Kommunikation.
2.4 Die Kontingenz der Kommunikation Es lässt sich also festhalten, dass die Komplexität darauf drängt, dass eine Selektion der Element-Relationierung vorgenommen wird. Für die Kommunikation bedeutet das, dass für jeden neu hinzukommenden Beitrag der Anschluss selektiert werden muss. »Komplexität in dem angegebenen Sinne heißt Selektionszwang, Selektionszwang heißt Kontingenz, und Kontingenz heißt Risiko. Jeder komplexe Sachverhalt beruht auf einer Selektion der Relationen zwischen seinen Elementen, die er benutzt, um sich zu konstituieren und zu erhalten. Die Se-
2. Eine problemorientierte Einführung in die Theorie
lektion placiert und qualifiziert die Elemente, obwohl für diese andere Relationierungen möglich wären. Dieses ›auch anders möglich sein‹ bezeichnen wir mit dem traditionsreichen Terminus Kontingenz« (Luhmann 1984b: 47). Durch die Qualifizierung der Elemente überschneiden sich Kontingenz und Komplexität. Kontingenz fragt also danach: Warum dieses Element und kein anderes verknüpft wird. Kontingenz markiert sozusagen den Sach-Sinn. Das Problem der Überfülle an Möglichkeiten, welches mit der Komplexität steigt, wird von Moment zu Moment reproduziert und bedarf somit immer wieder der Reduktion. Hinsichtlich der Kommunikation habe ich bereits erwähnt, dass Themen einen Einfluss darauf haben, welche Beiträge sich für einen Anschluss qualifizieren und welche nicht. Ebenfalls dienen symbolisch generalisierte Medien dazu, dass die Wahrscheinlichkeit des Kommunikationsanschlusses erhöht wird. Inwieweit nun Themen oder Erfolgsmedien durch ihren kontingenzreduzierenden Charakter einen Einfluss auf die Ausbildung der Kommunikationsnetzwerke haben, ist unklar. Doch es lässt sich an dieser Stelle zusammenfassen, dass für die Entstehung von Kommunikationsnetzwerken nicht nur die Komplexität, sondern auch die Kontingenz reduziert werden muss. Und derlei Kontingenzreduktion kann durch unterschiedliche Kommunikationsattribute erzeugt werden – beispielsweise durch Themen oder Erfolgsmedien. Daraus lässt sich nun zunächst die Annahme formulieren, dass die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass auch auf 4chan gewisse Mechanismen zur Reduktion der Kontingenz mitgeführt werden. Doch damit hat sich das Problem der Kontingenz noch nicht in Gänze erledigt. Treffen zwei oder mehr Interaktionspartner:innen aufeinander, steht man zudem dem Problem der doppelten Kontingenz, beziehungsweise der Multikontingenz gegenüber: »[E]go becomes orientated not only to alter’s probable overt behavior but also to what ego interprets to be alter’s expectation relative to ego’s behavior, since ego expects that alter’s expectations will influence alter’s behavior« (Parsons, Shils 1951: 105). Das von Talcott Parsons und Luhmann25 beschriebene Problem doppelter Kontingenz äußert sich darin, dass die Interaktionspartner:innen beim Aufeinan25
Parsons und Luhmanns Verständnis der doppelten Kontingenz ist grundlegend das gleiche, führt aber aufgrund der unterschiedlichen Denkrichtung (Handlung vs. Kommunikation) spätestens nach Luhmanns kommunikativer Wende zu unterschiedlichen Konklusionen. So ist auch Parsons Ausgangspunkt die Unterscheidung zwischen den »objects which interact« und den »objects which do not [interact]« (Parsons 1951: 14).
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dertreffen keine Möglichkeit haben, ihre wechselseitig aneinander gerichteten Erwartungen zu durchschauen.26 Aufgrund dessen ist es unwahrscheinlich, dass Alter und Ego überhaupt in Interaktion treten. Diese Denkfigur der doppelt kontingenten Situation entspricht allerdings weniger empirischen oder faktischen doppelt kontingenten Beobachtungen, sondern reproduziert vielmehr die Frage, wie Kommunikation überhaupt zustande kommen kann und wie unter dieser Voraussetzung überhaupt Ordnung entstehen kann.27 Luhmann löst das Problem der doppelten Kontingenz wie folgt: Zunächst stellt sich die doppelt kontingente Situation für die Interaktionsteilnehmer:innen als Aktionsdruck dar (Luhmann 1984b: 162). Einer muss beginnen, weil die unausgehandelte Situation (je länger sie dauert) für die Beteiligten »unbestimmbar, instabil, unerträglich« (ebd.: 172) ist. Dies können sich die Interaktionsteilnehmer:innen gegenseitig unterstellen und erschaffen dadurch eine »eigene Art von Realität« (ebd.: 158), an der sich die ganze darauffolgende Kommunikation orientieren kann: »Alter bestimmt in einer noch unklaren Situation sein Verhalten versuchsweise zuerst. Er beginnt mit einem freundlichen Blick, einer Geste, einem Geschenk – und wartet ab, ob und wie Ego die vorgeschlagene Situationsdefinition annimmt. Jeder darauf folgende Schritt ist dann im Lichte dieses Anfangs eine Handlung mit kontingenzreduzierendem, bestimmendem Effekt – sei es nun positiv oder negativ« (ebd.: 150). »Was Kontingenzerfahrung leistet, ist mithin die Konstitution und Erschließung von Zufall für konditionierende Funktionen im System, also die Transformation von Zufällen in Strukturaufbauwahrscheinlichkeiten« (ebd.: 170f). Ein zufälliges Handeln schafft die Grundlage für Anschlusshandlungen, aus denen dann über die Zeit hinweg Erwartungen, beziehungsweise Erwartungs-
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Ersteren müsse man eben die Kontingenzerfahrung zugestehen, welche Ego in einer sozialen Situation wahrnimmt (ebd.: 15). Luhmann betrachtet die Interaktionsteilnehmer:innen als Black Boxes, da lediglich reziprok antizipiert werden kann, wie das Gegenüber die Situation wahrnimmt – denn bereits die Sinnverarbeitung ist so komplex, dass sie sich von außen nicht durchschauen lässt (Luhmann 1984b: 156). Diese Frage nutzt Parsons zur Ausbildung der Erklärung einer voluntaristischen Ordnung, welche später u.a. von Luhmann kritisiert wurde.
2. Eine problemorientierte Einführung in die Theorie
Erwartungen Form gewinnen. Das heißt: In einer Situation doppelter Kontingenz schafft der Zufall Ordnung, weil dadurch erst Erwartungen entstehen und verfestigt werden können. Auch bezeichnet als »Order from Noise« (Foerster 1993) verdeutlicht dieser Mechanismus, dass Struktur zur Entstehung zugleich Zufall, Rauschen oder Unordnung benötigt. Dabei ist die Ordnung nicht in irgendeiner Weise aus dem Außen in die Situation hinein importiert, sondern vielmehr eine »ungerichtete Zufuhr von Energie« (Foerster, Pörksen 1998: 67). Die Lösung des Problems der doppelten Kontingenz wird also nicht durch Normen oder bereits bestehende Handlungsprogramme hervorgebracht, sondern durch das Hervorbringen von Erwartungen über eine Selbstorganisation. Selbstorganisation meint das Reproduzieren von eigenen Strukturen. Ein geschlossenes System bedient sich nicht an den Strukturen im Außen, sondern organisiert seine eigene Struktur (Luhmann 1997, 2009: 101).28 Und damit wird der Bogen zu der Komplexität und dem Begriff der Struktur geschlossen: Stabilisierte Erwartungen schaffen durch die Reduktion der doppelten Kontingenz eine Struktur. Für die Kommunikation bedeutet das, dass Erwartungen deutlich anzeigen, an welche Beiträge wie anzuschließen ist. Jene Erwartungsstrukturen (Luhmann 2009: 404) werden der Kommunikation nicht aufgezwungen, sondern entwickeln sich durch Zufall und organisieren sich über die Zeit hinweg zu stabilen Strukturen.29 Denn es ist einfacher, eine bekannte Form nochmals zu nutzen, als sich wieder der Unsicherheit doppelter Kontingenz auszusetzen. Dadurch wird es wahrscheinlich, dass sich Strukturen stabilisieren. Luhmann unterstellt damit die Prämisse, dass Alter und Ego in jedem Fall daran interessiert sind, Erwartungen zu stabilisieren und aus dem Zustand der Unsicherheit herauszutreten. Auch digital vermittelte Kommunikation kann sich dem prinzipiell unterstellbaren Problem der doppelten Kontingenz nicht entziehen.30 Allerdings
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Luhmann trennt den Begriff der Selbstorganisation strikt von dem Begriff der Autopoiesis (Luhmann 1998: 94). Man könnte an dieser Stelle übrigens noch weitere Strukturbegriffe wie beispielsweise Deutungs- oder Bewertungsstrukturen anführen (Schimank 2000: 169). Auch diese müssen sich in sozialen Situationen zunächst selbst ausbilden. Dieser differenziertere Blick wäre zwar interessant, wird an dieser Stelle aber nicht dabei helfen die Frage nach der Struktur in vermittelter Kommunikation besser beantworten zu können. Sehr einschlägig hierzu ist die Diskussion um die Wechselwirkung zwischen dem Sozialen und Algorithmen (Beer 2017; Esposito 2014). Plattformen wie 4chan, welche ohne Algorithmen betrieben werden, sind im Rückgang und damit wohl noch eine unbe-
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stehen gerade anonymisierte und thematisch unbegrenzte Plattformen jenem Problem der doppelten Kontingenz ganz anders gegenüber. Es macht zunächst den Anschein, als sei es gerade ausgeschriebenes Ziel jener Plattformen, die (doppelte) Kontingenz durch ihre Kommunikationsvoraussetzungen zu reproduzieren. Denn in der Situation anonymisierter Kommunikation ist zu keinem Zeitpunkt sichergestellt, mit wem sich Alter unterhält, beziehungsweise mit wie vielen er sich unterhält. Die Idee von Alter und Ego, die sich begegnen und gegenseitig mit ihren Kommunikationen adressieren, zerfällt. Stattdessen begeben sich die Kommunikationsteilnehmer:innen in die Situation der Multikontingenz (Kron et al. 2003: 375). In anderen Worten: Es müssen die Erwartungs-Erwartungen eines diffusen Publikums mitberücksichtigt werden und nicht nur die von einem einzigen, konkreten Gegenüber. Doch entfällt aufgrund der Abwesenheit und der ungewissen Anzahl der Teilnehmer:innen der Aktionsdruck der doppelten Kontingenz: Alle unterstellen sich gegenseitig, dass die Anderen ihre jeweilige virtuelle Beobachterpositionen nicht wahrnehmen können. Hinzu kommt, dass die Flüchtigkeit der Kommunikation dazu beiträgt, dass die Kommunikationsteilnehmer:innen zur Orientierung nicht auf vorausgegangene Kommunikationen zurückgreifen können. Damit erscheint zusammengenommen die vermittelte Kommunikation als noch unwahrscheinlicher in ihrem Zustandekommen als die Kommunikation unter Anwesenden. Bei dem Wahrnehmen eines Gegenübers wächst auch jener Interaktionsdruck den Luhmann beschreibt. Wenn aber ohnehin niemand als anwesend wahrgenommen werden kann, entsteht kein Aktionsdruck. In diesem Fall bleibt es einfach still auf der Plattform: Niemand wird die kontingente Hochkostensituation des Kommunikationsbeginns wagen. So legt auch die doppelte, beziehungsweise multiple Kontingenz die Annahme nahe, dass vermittelte Kommunikation unter flüchtigen und anonymen Voraussetzungen unwahrscheinlich ist. Allerdings kann auch für die multiple Kontingenz, wie für die doppelte Kontingenz, eine Lösung angeboten werden: Die vermittelte, anonyme und flüchtige Kommunikation verursacht nicht die gleichen Kosten wie eine Situation unter Anwesenden. Der Vergleich einer doppelt kontingenten Situation mit dem Gefangenendilemma expliziert eine sonst untergeschobene Prämisse der doppelten Kontingenz: Alter und Ego rechnen damit, einer sozialen Situation Kosten und Gewinne zuzurechnen scholtene Insel digitaler Kommunikation, die ohne die Vervielfachung der Kontingenz durch algorithmische Vorselektion auskommt.
2. Eine problemorientierte Einführung in die Theorie
(Kron et al. 2003: 375). Aus diesem Grund haben Sie auch ein Interesse daran, Erwartungsstrukturen zu stabilisieren.31 Anonyme und flüchtige Kommunikation dagegen verursacht keine Kosten, da die Verfasser:innen der Beiträge nicht adressiert werden können. »Names, in other words, makes failure costly, thus discouraging even the attempt to succeed. By the same token, namelessness makes failure cheap — nearly costless, reputation-wise, in a setting like 4chan, where the Anonymous who posted a lame joke five minutes ago might well be the same Anonymous who’s mocking it hilariously right now« (Dibbell 2010: 3). Daher behaupte ich, dass alle Beteiligten sich wechselseitig unterstellen, dass sie als Personen nicht adressierbar sind.32 Dadurch wird zwar nicht das Problem der Kontingenz gelöst, aber die multiple Kontingenz verliert an Relevanz für die soziale Situation. Kommunikation ganz ohne Adressen unterbricht die wechselseitige Unterstellung von Erwartungen, beziehungsweise Erwartungs-Erwartungen, weil es niemanden mehr gibt an dem jene Erwartungen konkret gerichtet werden können. Allerdings schließt die Nicht-Adressierbarkeit der Kommunikationsteilnehmer:innen nicht aus, dass Erwartungen gebildet werden und sich die Kommunikation dadurch selbst organisiert. Schließlich ist die Systemtheorie dafür populär, dass sie es ermöglicht, Kommunikation ohne Akteur:innen beschreiben zu können. So nehme ich an, dass sich auch die Selbstorganisation der Kommunikation ohne diese beschreiben lässt. Anstatt sich also Alter und Ego in einer doppelt kontingenten Situation vorzustellen, ist es notwendig, für das Verständnis anonymer Kommunikation davon Abstand zu nehmen. Eine Mitteilung auf 4chan zu publizieren entspricht somit vielmehr der Interaktion mit einer nichttrivialen Maschine (Foerster, Pörksen 1998: 54ff). Es ist nicht prognostizierbar, ob und welche Kommunikationsteilnehmer:innen den Beitrag lesen und sich dazu entscheiden, zu antworten. Ebenso wenig ist prognostizierbar, welcher Outcome zu erwarten ist, welche Form eine Kommunikation generiert und ob sich diese
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Natürlich würde Luhmann diese Prämisse auch nicht auf diese Weise ausformulieren. Sie führt geradewegs zurück zu Parsons handlungstheoretischem Verständnis von doppelter Kontingenz und wirft die klassischen Fragen und Kritikpunkte utilitaristischer Theorien auf. Peter Fuchs hat mit dem Begriff der Adressabilität einen guten Punkt für die Systemtheorie erarbeitet, um die Zuweisung von Kommunikation zu Personen auch im Rahmen einer Theorie funktionalen Differenzierung abbilden zu können (Fuchs 1997).
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nochmals wiederholen wird. Und dies gilt nicht nur für den ersten Beitrag einer Kommunikation, sondern auch für alle darauffolgenden Beiträge. Auch wenn sich eine Erwartungsstruktur zu verstetigen beginnt, muss das nicht bedeuten, dass es so bleibt. Denn mit jedem neuen Beitrag ist die Chance gegeben, dass wieder ein:e neue:r Kommunikationspartner:in hinzutritt, die:der die bereits gebildete Erwartungen ablehnt. In Kommunikationen unter Anwesenheit ist dies unwahrscheinlicher, da hier ein Interesse darin besteht, die bereits gebildeten Erwartungen als sicheren Orientierungspunkt zu bewahren. Ein Rückfall in eine doppelt kontingente Situation ist unerwünscht. Anonyme und flüchtige Kommunikationsplattformen dagegen können es sich leisten, wieder und wieder in eine Unsicherheit zu verfallen, weil es nichts kostet. Oder positiv gewendet: Für jene Kommunikationsangebote muss die multiple Kontingenz gar nicht als Problem eingestuft werden, welches einer Lösung bedarf. Daher braucht jene Kommunikation auch keine Struktur. Doch zwischen nicht brauchen und nicht ausbilden liegt dennoch ein Unterschied. Der Vorteil, eine doppelt kontingente Situation aufrecht zu erhalten, liegt darin, alle Möglichkeiten auch über die Zeit hinweg offen zu halten. Der Nachteil aber ist, dass ohne Erwartungssicherheit auch kein kommunikativer Gewinn erzielt werden kann. Spieltheoretisch formuliert: Wenn eine Situation ohne Kosten besteht, wäre es nützlich, diese dennoch zu einem (wie auch immer gearteten) Gewinn zu nutzen. Um vorzugreifen: Für die Nutzenden von 4chan besteht dieser Nutzen beispielsweise durch die Innovation von Memes oder dem sogenannten Trolling (s. Kapitel 4.3.3). Das kann aber nur funktionieren, wenn sich die Kommunikationsteilnehmer:innen aufeinander abstimmen und wechselseitig Erwartungen stabilisieren. Systemtheoretisch formuliert: Eine Kommunikation ohne Erwartungsbildung wird irgendwann stagnieren, weil sie keinen Anreiz zum Anschluss bietet. Das bedeutet, dass Kommunikationen mit vielen Anschlüssen vermutlich eher dazu neigen, Erwartungen zu bilden. Erwartungen können sich als Strukturen auf der Plattform manifestieren. Allerdings müssen sie das nicht – wie bereits erwähnt, können sich Erwartungen beispielsweise auch in Form von Themen oder Erfolgsmedien manifestieren. Die Vermutung liegt zwar nahe, dass diese dann Strukturen reproduzieren, doch dies muss zunächst empirisch überprüft werden. Wie auch die Komplexität lässt sich doppelte Kontingenz nicht für eine empirische Untersuchung operationalisieren, da doppelte Kontingenz nicht messbar ist, ohne wenigstens die Operationen beteiligter psychischer Systeme mit einzubeziehen. Allerdings lassen sich Symptome für eine Kontingenzreduktion empirisch beobachten. Kommunikationsstrategien, die Erwartungssi-
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cherheit erzeugen, reduzieren kontingente Situationen und können daher als messbare Indikatoren gewertet werden. Um welche Mechanismen der Kontingenzreaktionen es sich dabei auf 4chan handelt, wird im Folgenden zur Aufgabe des empirischen Programms gehören. Hinweise dazu möchte ich bereits aus dem Forschungsstand zur Plattform ziehen und daher erst in diesem Arbeitsschritt konkrete Hypothesen zur Kontingenzreduktion ausformulieren. Bis hierhin bleibt es nur bei der sehr abstrakten und theoretischen Annahme, dass die Kontingenzreduktion, beziehungsweise der Aufbau von Erwartungssicherheit, mit der Ausbildung von Strukturen in Wechselwirkung steht.
2.5 Annahmen zur Struktur vermittelter Kommunikation In den vorausgegangenen Kapiteln habe ich mich darauf beschränkt, einige wenige Aspekte der Systemtheorie Luhmanns herauszuarbeiten und mir erlaubt, diese für die empirisch gelagerte Arbeit in den Kontext vermittelter Kommunikation zu setzen. Mein dabei verfolgtes Ziel war das Erarbeiten von theoriegeleiteten Hypothesen, die empirisch zu überprüfen sein werden. Diese Hypothesen möchte ich an dieser Stelle nochmals zusammentragen: H0: Auf der Plattform 4chan sind Kommunikation und Kommunikationsstrukturen unwahrscheinlich. H1: Auf der Plattform 4chan bilden sich Kommunikationsstrukturen aus. H2: Auf der Plattform 4chan steht die Komplexität eines Threads in Wechselwirkung mit der Struktur der Kommunikation. Hypothese H0 bespeist sich aus der theoretischen Denkfigur der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation. Ich nehme also, sozusagen als globale Nullhypothese der vorliegenden Untersuchung, an, dass auf 4chan keine Kommunikation zustande kommen kann. Natürlich wird es keine Überraschung sein, dass sich jene Nullhypothese widerlegen lassen wird – es reicht ein Blick auf die Plattform, um das kommunikative Treiben zu beobachten. Allerdings bietet jene Hypothese den Anlass zu überprüfen, weshalb überhaupt Kommunikation zustande kommt und wie die kommunikativen Hindernisse überwunden werden. In Hypothese H1 manifestiert sich das zentrale Anliegen der vorliegenden Arbeit. Dadurch, dass die Systemtheorie das Verständnis von Kommunikation auf Selektion umstellt, ermöglicht sie einen differenzierteren Blick auf
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das Kommunikationsgeschehen; einen Blick, der hinsichtlich der vermittelten Kommunikation auf Plattformen andere Perspektiven eröffnen kann. Zweifelsfrei ist die Anschlussselektion für die vorliegende Fragestellung die aussichtsreichste Variable aus der Theorie. Denn durch die Anschlussselektionen können Netzwerke der Kommunikationsbeiträge nachgezeichnet werden. Ich nehme mit Hypothese H1 an, dass die Kommunikation auf 4chan dazu neigt, jene Netzwerke mit einer solchen Häufigkeit zu wiederholen, dass man sie als Strukturen bezeichnen kann. Darüber hinaus gehe ich davon aus, dass die Faktoren der Komplexitäts- und Kontingenzreduktion in Wechselwirkung mit der Ausbildung von Strukturen stehen. Dadurch habe ich auch bereits Hypothese H2 gebildet. Dabei ist die Hypothese zugegebenermaßen nicht besonders differenziert. Das liegt daran, dass die Theorie hier unterschiedliche Erklärungsmöglichkeiten bereithält. Unter dieser Hypothese seien damit unterschiedliche Annahmen zu fassen. 1. Auf der Plattform 4chan verfestigen sich Kommunikationsstrukturen bei weniger komplexen Threads. Diese Annahme beruht auf der rein mathematischen Attribution, dass Threads mit wenigen Beiträgen über eine sehr geringe Anordnungsfreiheit der Beiträge verfügen und aufgrund dessen die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sich Netzwerke immer wiederholen. 2. Auf der Plattform 4chan verfestigen sich Kommunikationsstrukturen bei komplexen Threads. Diese zweite Annahme wird dadurch gestützt, dass viele Beiträge ein Symptom für eine bestehende Erwartungssicherheit sein können. Jene Erwartungssicherheit kann darin bestehen, dass die Beiträge in einer bereits etablierten Struktur angeordnet werden. 3. Auf der Plattform 4chan verfestigen sich keine Kommunikationsstrukturen bei komplexen Threads. Diese Annahme stellt sich genau gegen die vorausgegangene, da einerseits Erwartungssicherheit auch durch andere Kommunikationsmerkmale erzeugt werden kann (Erfolgsmedien oder Themen). Andererseits bieten Threads mit vielen Beiträgen ebenfalls eine höhere Anordnungsfreiheit. Jene Anordnungsfreiheit kann so genutzt werden, dass sich immer wieder ganz diverse Formen ausbilden und dadurch eine Verfestigung zu einer (erwartungssicheren) Struktur ausbleibt.
Noch unklar muss an dieser Stelle bleiben, wie oft sich ein Netzwerk wiederholen muss, um als Struktur gelten zu können. Dies hängt auch davon ab, wie viele Threads überhaupt im Datensatz sind. Es wird sich dabei in jedem Fall um eine analytische Trennung zwischen selten ausgebildeten Netzwerken
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und Strukturen handeln. Gleiches gilt dafür, welche Threads als komplex und welche als nicht komplex gelten. Auch das hängt von der Gesamtanzahl von Threads mit deren jeweiliger Anzahl von Beiträgen und der Maximalanzahl an Beiträgen ab. Ebenfalls habe ich einen genaueren Blick auf die Kontingenz als relevanten Faktor für die vorliegende Fragestellung geworfen und dabei die Annahme gebildet, dass die Kontingenz dadurch reduziert wird, dass die Kontingenzreduktion durch Themen oder Erfolgsmedien realisiert wird und diese in Wechselwirkung mit den Kommunikationsnetzwerken steht. Denn die Kontingenzreduktion fällt mit der Qualifikation eines Elements (in diesem Falle: Beitrags) für die Anschlussselektion zusammen. Diese Vorannahme fließt mit meinen Auseinandersetzungen mit der (multiplen) Kontingenz zusammen. Auch hier nehme ich an, dass sie in Wechselwirkung mit der Ausbildung von Kommunikationsstrukturen steht. Als empirischen Zugang zur Reduktion der multiplen Kontingenz habe ich ebenfalls jene Aspekte vorgeschlagen, welche bei den Kommunikationsteilnehmer:innen eine Erwartungssicherheit erzeugen. Allerdings konnte ich aus der Theorie nicht sehr viel mehr extrahieren, außer dass die Erwartungssicherheit ebenfalls über Themen oder Erfolgsmedien erzeugt werden kann. Wie sich dies auf 4chan genau ausgestaltet, möchte ich im Rahmen des nächsten Kapitels näher behandeln, bevor ich anhand dessen Hypothesen zur empirischen Überprüfung bilden kann.
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3. Kommunikation unter Abwesenheit
4chan ist eine webbasierte Plattform und verknüpft Flüchtigkeit mit Anonymität. Sie bildet einen technologisch bedingten Spezialfall von Kommunikation, nämlich der Kommunikation unter Bedingungen der Abwesenheit. Computervermittelte Kommunikation bildet demnach den weiteren Kontext dieser Arbeit. Insofern möchte ich vor einer genaueren Auseinandersetzung mit der Plattform 4chan die vorangegangenen Forschungsperspektiven zu diesem Spezialfall der Kommunikation in aller Kürze skizzieren. Das Interessante an der Webforschung aus Perspektive der Soziologie ist, dass die Beobachtung des Webs als soziales Phänomen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen in teils gegenpolige oder quer liegende Ansätze auseinandergeht und so die Online-Welt bislang aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet wurde. Der Fokus liegt dabei zumeist auf Social-Media-Angeboten. Die mithin meisten Untersuchungen lassen sich dahingehend in einem kommunikationssoziologischen Kontext einordnen (Beck 2014; Rössler 1998), an denen auch der systemtheoretische Ansatz anlehnt (allerdings abseits klassischer Kommunikationsmodelle). Indes arbeitet auch die Netzwerkforschung sowie die Akteur-Network-Theorie (ANT) daran, soziale Netzwerke des Social Webs beschreibbar zu machen (Clement 2013; Fraas 2011) sowie auch Vergesellschaftungs- und Identitätsforschung ihre Fragestellungen darauf ausgeweitet haben (Gebhardt 2001; Heintz 2003; Jäckel, Mai 2005; Thiedeke 2003). Nicht zuletzt versucht auch die Systemtheorie, ihre Beobachtungen der Gesellschaft daran anzupassen. Bereits 2002 veröffentlichte Markus Kluba (2002) eine systemtheoretische Abhandlung zur Einordnung des Internets im Kontext der Massenmedien. Dirk Baecker versucht 2018 mit der Monografie 4.0 oder Die Lücke die der Rechner lässt (2018) ein Verständnis für digitale Sozialität zu entwickeln und Armin Nassehi machte jüngst mit Muster (2019) den Vorschlag, einen systemtheoretischen Blickwinkel auf die digitale Gesellschaft einzunehmen.
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Digitale Kommunikationsstrukturen
Die Forschung der Kommunikationswissenschaften dagegen hat sich bereits sehr früh mit der Frage auseinandergesetzt, wie sich Kommunikation von der Anwesenheit über massenmediale Vermittlung, bis hin zu computervermittelter Kommunikation verändert hat. In all diesen Überlegungen spielt schon alleine die Einordnung, beziehungsweise Zuordnung medienvermittelten Austauschs als Kommunikationsform eine ausschlaggebende Rolle. Viele sozialpsychologische Ansätze (computer-)vermittelter Kommunikation haben das Sender-/Empfänger Modell der Kommunikation vorausgesetzt und damit (gleich zu Beginn der Forschung in den 70er Jahren) eine anthropozentristische Perspektive etabliert.1 Die meisten dieser Ansätze stellen einen Vergleich zwischen der Face-to-Face-Kommunikation und der (computer-)vermittelten Kommunikation an. Eine der ersten und prominenten Ansätze zur Erforschung technisch vermittelter Kommunikation wird 1976 von John Short, Ederyn Williams und Bruce Christie (1976) mit dem Social Presence Model vertreten, welches die Telekommunikation in Organisationen empirisch untersucht. Die vertretene These ist, dass die physische Anwesenheit einen signifikanten Effekt auf interpersonelle Beziehungen hat. Die soziale Präsenz ist sozusagen der ausschlaggebende Katalysator für persönliche Kommunikation. Die Argumentation stützt sich darauf, dass die visuellen Eindrücke, die unmittelbare, sinnliche Wahrnehmung anderer Interaktionspartner:innen und ihrer nonverbalen Kommunikation erst interpersonelle Beziehungen ermöglichen (Short et al. 1976: 65). Auch die Soziologie entwickelt vergleichbare Standpunkte (Kieserling 1999). Für Short et al. ist die soziale Präsenz eine Qualität, die bereits die persönliche Bindung zwischen den Akteur:innen beinhaltet. Hervorzuheben sei, dass Short et al. damit eine Kausalität beschreiben: Wenn die Akteur:innen nicht physisch präsent sind, ist (in den meisten Fällen) keine persönliche Bindung messbar. Doch diese Kausalität kann weder erklären, wie Kommunikation unter Abwesenden funktioniert, noch, so erscheint es mir, hat die Variable der persönlichen Beziehung (interpersonal relationship) eine tiefergehende Erklärungskraft. Ein weiterer Einwand ist, dass schon der Begriff der Präsenz, welcher sich in weiterführenden Forschungen immer wiederfinden lässt, eine rein konstruierte, vage Kategorie ist (Spears, Lea 1992: 4). Was Short et al. allerdings mit ihrem experimentellen Forschungsprogramm bestätigen konnten, ist, dass sich Kommunikation unter Abwesenden 1
So beispielsweise in der stark rezipierten Monografie von John Short et al. »The Social Psychology of Telecommunications« im Jahr 1976.
3. Kommunikation unter Abwesenheit
durchaus von jener unter Anwesenden unterscheidet. Eine scheinbar intuitive Feststellung, welche aber ebenfalls in darauffolgenden empirischen Untersuchungen reproduziert und erweitert wurde. So fasst später auch Derek R. Rutter, der nochmals zwischen sozialer Präsenz und visuellen Signalen unterscheidet, 1984 hinsichtlich seines Forschungsprojekts zusammen: »[I]t appeared, visual communication was a significant source of variance, for when it was removed, encounters became more task-oriented and less personal in content, they lost their spontaneity of style and, sometimes at least, their outcomes changed too« (Rutter 1984: 133). Wie sich diese beiden Kommunikationsformen in ihrem Prozess aber voneinander unterscheiden, bleibt dabei allerdings weitestgehend ungeklärt. Und nicht nur dahingehend bietet dieses Modell eine große Angriffsfläche. Die Frage bleibt, ob es sich nicht nur um einen Scheinzusammenhang zwischen der physischen Wahrnehmung anderer Akteur:innen und einem veränderten Outcome aus der Kommunikation handelt, sondern, wie Joseph B. Walther (1996) es kritisiert, dass es sich möglicherweise dabei nicht um einen Medieneffekt, sondern um die Medienwahl handelt (Walther 1996: 10). Doch diese Forschungsrichtung ist für meine Ausführungen nur insofern relevant, dass Short et al. mit dieser anthropozentrischen Fragestellung Einfluss auf die weiterführende Forschung und die Denktradition der später folgenden CMCForschung (Computer Mediated Communication) genommen haben. So stellen die klassischen Auseinandersetzungen der CMC mit Derek R. Rutter (1884), Sheizaf Rafaeli (1998), Russel Spears und Martin Lea (1992) sowie Joseph B. Walther (1996) Fragestellungen mit den gleichen Implikationen (Nutzen des Mediums2 , Vergleich von Online- und Offline-Kommunikation/akteurzentrierten Perspektiven, Begrenzung der Studien auf Organisationen). Dennoch sind die vertretenen Hypothesen der CMC-Forschung nicht derart homogen. Ich greife im Folgenden die Aspekte auf, welche für meine Modellierung als interessante Grenzpfeiler erscheinen. Spears und Lea (1992) stellen die Hypothesen der sogenannten (Social) CuesFiltered-Out-Theories3 vom Kopf auf die Füße:
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So stellen Spears und Lea ganz konkret ihre Fragestellung unter eine ganz pragmatische Perspektive: Wie die Effekte der CMC als vorteilhafte Unterstützung bei kollaborativer Gruppenarbeit eingesetzt werden können (Spears, Lea 1992: 2). Was also unter anderem auch Short et al. in ihrem Social-Presence-Ansatz beschreiben.
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Digitale Kommunikationsstrukturen
»[W]e shall argue that paradoxically CMC may represent a more intrinsically ›social‹ medium of communication than the apparently ›richer‹ context of face-to-face interaction, and one that gives fuller reign to fundamentally social psychological factors« (Spears, Lea 1992: 3). Das entsprechend vertretene SIDE-Modell (ebd.) argumentiert, dass gerade die CMC sozialer ist als die Face-to-Face-Kommunikation. Auch wenn dabei unklar bleibt, was genau sozial bedeuten soll – mit einem Weber’schen Begriffssetting ließe sich sozial jedenfalls nicht als graduelles Phänomen bezeichnen (Weber 1920: 654ff).4 Dieses Argument geht aus der These hervor, dass der Ausschluss physischer Signale in der CMC dennoch durch die Nutzenden substituiert werden kann, wenn sie entsprechende Schlüsse aus den Umständen und dem Kontext der vermittelten Kommunikation schließen. So ergänzt Walther 1996 in seinem Modell der Information-Processing-Perspective, dass unter computervermittelter Kommunikation eine persönliche Ebene durch Impressionen erzeugt werden kann, welche die Texte in den Leser:innen wecken. Dafür müssen die Akteur:innen allerdings Wissenspraktiken erlernen, um dieses Kontextwissen zu generieren (Walther 1996: 10). Die CMC Forschung arbeitet insofern stets mit den Unterscheidungen anwesend/abwesend, wahrnehmbar/nicht-wahrnehmbar sowie persönlich/unpersönlich. Teilweise gespeist werden diese Grundunterscheidungen aus dem Interaktionsbegriff der Soziologie. So bei Erving Goffman, welcher von der unmittelbaren Präsenz und der Verwendung nonverbaler Kommunikationspraktiken in der Interaktion spricht, welche mit verbalen Äußerungen in der Interaktion untrennbar verwoben sind (Goffman 1957: 47; 1967: 1). Selbst außerhalb der akteurzentrierten Theoreme konstatiert André Kieserling (1999), dass die wahrnehmbare Anwesenheit der Akteur:innen gerade die Interaktion als solche auszeichnet. Alleine die physische Präsenz irritiert; auch ohne aktive Teilnahme an der Kommunikation. Die Kommunikation unter Anwesenden führt selbstreferentiell sogar stets mit, dass anwesende und abwesende Personen daran teilnehmen (Kieserling 1999: 47; 67). Natürlich ist hinsichtlich des Begriffs der Interaktion die Soziologie mit einer ganz anders gelagerten Frage beschäftigt: Wie funktioniert Kommunikation? Hier wird versucht, den
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In den noch folgenden Ausführungen wird mit dem Begriff der Interaktivität nach Sheizaf Rafaeli (1994; 1988; 2006) aber deutlicher, was Spears und Lea vermutlich mit diesem graduellen Phänomen des Sozialen beschreiben wollten – nämlich eine Zunahme der (graduellen) Interaktivität.
3. Kommunikation unter Abwesenheit
Mechanismus der Interaktion zu beschreiben. Durch diese enggeführte Definition des Begriffs der Interaktion wird allerdings jegliche Form vermittelter Kommunikation ausgeschlossen. Doch all diese Theorien haben, wie eingangs erwähnt, die Eigenschaft, einen Vergleich zwischen Kommunikation unter Anwesenden und Abwesenden anzustreben. Methodisch angelegt ist durch dieses Vorgehen stets ein Herausarbeiten von Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Darüberhinausgehende eigenlogische Mechanismen der computervermittelten Kommunikation fallen daher strukturell aus dieser Betrachtungsweise heraus. Kennzeichnend für diese ersten Auseinandersetzungen der sozialpsychologischen Forschung computervermittelter Kommunikation (CMC) ist die Zielsetzung, experimentell die Effekte der Online-Kommunikation im Vergleich zur OfflineKommunikation zu untersuchen – ob also das Kommunikationsmedium einen signifikanten Einfluss auf den Outcome der Kommunikation hat (Short et al. 1976; Spears, Lea 1992). Teilweise wurde dies mit ausdrücklich ökonomischer Zielsetzung verfolgt, um herauszuarbeiten, ob die computervermittelte Kommunikation nützlich für Organisationen sei5 (siehe Spears, Lea 1992). Darin verwoben steckt ein deskriptives, ontologisches Erkenntnisinteresse: Was charakterisiert die vermittelte Kommunikation? Und: Welches Potential dessen kann (wirtschaftlich) nutzbar gemacht werden? Mit dieser Perspektive wurde der Forschungszweig zu technisch vermittelter Kommunikation geboren. Von diesen Forschungen grenzt sich die vorliegende Arbeit in ihrem Erkenntnisinteresse deutlich ab. Zumal die Systemtheorie ohnehin die Frage nach dem Wie der Kommunikation und nicht nach dem Was der Kommunikation in den Vordergrund rückt (Stäheli 2010: 233). Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ist vielmehr die Anschluss-Selektionen der Kommunikation hinsichtlich ihrer Netzwerke zu untersuchen.
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Der Grund für diese utilitaristische Ausrichtung der Forschungsfrage liegt bereits in dem Aufkommen der computervermittelten Kommunikation, welche sich nur einer Auswahl von Akteur:innen erschloss – nämlich stets in einem wirtschaftlichen, organisationsgebunden Rahmen. Insofern liegt eine dementsprechende Forschungsfokussierung nahe.
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4. 4chan.org
Gerade weil 4chan auf den ersten Blick nichts weiter als eine Kommunikationsplattform ist, ist es dennoch nicht so simpel, ihre charakteristischen Züge in wenigen Worten wiederzugeben. In den vorausgegangenen Kapiteln habe ich die Anonymität, Flüchtigkeit und Unsicherheit als wesentliche Kommunikationsmerkmale hervorgehoben. In diesem Kapitel allerdings möchte ich 4chan ein wenig genauer betrachten. Schwierig daran ist, dass 4chan viele unterschiedliche und mehrdimensionale Charakteristika miteinander verbindet, sodass man schnell Gefahr läuft, sich in diesen zu verlieren. Mit der Gründung im Jahr 2003 hat die vergleichsweise langlebige Plattform mehr Anekdoten der Web-Kommunikation zu bieten als diese Arbeit jemals abbilden könnte. Das Ziel dieses Kapitels ist daher in erster Linie auf die Kommunikationspraktiken der Plattform ausgerichtet (Herwig 2011a, 2011b).1 Anlehnend an die theoretische Denkfigur der Unwahrscheinlichkeit werde ich im Folgenden nicht nur von der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation, sondern auch von der Unwahrscheinlichkeit der Ausbildung von Kommunikationsstrukturen ausgehen. Dazu betrachte ich zunächst genauer die Hürden der kommunikativen Ordnung auf 4chan, bevor ich den Blick auf ihre möglichen Lösungen richte. Dabei wird mir die bereits vorhandene Forschungsliteratur helfen. Vorausgehend möchte ich allerdings die Plattform in der gebotenen Kürze vorstellen: 4chan ist eine der größten und bereits ältesten Plattformen seiner Art (sogenannte »chans« wie beispielsweise auch 5chan, 8chan, fchan, iichan oder Krautchan), welche ihr Vorbild an der 1999 gegründeten japanischen Plattform 2channel (oder auch Futuba-Channel/2ch.net) genommen haben. Laut Alexa
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Damit wird die Behandlung von Phänomenen wie die Bildung der Gruppierung Anonymous oder QAnon hier nicht thematisiert. Auch wenn es sich dabei um durchaus spannende Themen handelt, würden sie zu weit von der Frage nach den Kommunikationsstrukturen der Plattform wegführen.
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Digitale Kommunikationsstrukturen
Rank2 gehört 4chan zu den 1000 beliebtesten Homepages weltweit. In den USA und auch in Deutschland ist 4chan dauerhaft unter den 500 meist aufgerufenen Homepages zu finden (Alexa.com 2021). Technisch zeichnen sich chans in der Regel durch die Anonymität der Nutzenden und einem simpel gehaltenen Interface aus. Das Design der Plattform ist noch der Benutzeroberfläche aus den ersten Jahren (mit der Gründung von Futuba 1999) entlehnt. 4chan gilt als Wiege der Hackergruppierung Anonymous und hat in früher Vergangenheit bereits aufgrund seines Offline-Aktivismus’ (wie beispielsweise Operation Chanology als Gegenbewegung gegen die Church of Scientology) für mediale Aufmerksamkeit gesorgt (Underwood 2009). Gleichsam gerät 4chan häufig in die Kritik der massenmedialen Berichterstattung, da die Plattform nicht selten im Zusammenhang mit kriminellen Handlungen steht – so beispielsweise im Fall des verurteilten Mörders Marcel Heße, welcher 2017 über einen Bekannten Bildmaterial seiner Taten auf der Plattform veröffentlichen ließ (Kron, Laut 2019). Gleichzeitig ist 4chan dafür bekannt, dass viele Internetphänomene wie bereits erwähnte Memes, als auch sogenannte Trolls, Hoax, oder Hacks dort ihren Ursprung haben. Diese umspannen eine Bandbreite von harmlosen, lustigen Katzenbildern (sog. ›LOLcats‹) bis hin zur Etablierung der gesammelten Verschwörungstheorien, welche sich unter dem Namen QAnon vereinen (Amarasingam, Argentino 2020). Selbst bezeichnet sich 4chan in den sogenannten Rules of the Internet als »ID of the Internet«, gleichsam als »uncaring monster« (Rules of the Internet). Die verwobenen Wurzeln der Plattform 4chan, welche vor allem die (Kommunikations-)Kultur dieser Plattform verständlicher machen, gehen zurück bis zu den Anfängen des Internets. Wenn man die Kultur von 4chan begreifen will, muss man auch seine Vorgeschichte verstehen, welche ich hier zumindest in Kürze wiedergeben möchte. Bereits in den späten 70er Jahren wurden in lokalen Netzwerken die ersten Bulletin Board Systeme3 gegründet. Doch zu diesem Zeitpunkt steht ein flächendeckender Zugriff auf diese noch außer Frage. Das Internet war zu teuer und zu langsam, um überhaupt für die normalen Endverbraucher:innen von Interesse zu sein. So taten sich sogenannte Nerds zusammen und begannen einfache textbasierte Bulletin-Boards zu entwickeln und zu nutzen. Dies markiert eine Zeit, welche bis heute als wilder Westen des Internets bekannt
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Alexa Rank vergleicht die Beliebtheit von Webseiten anhand der Anzahl ihrer Aufrufe. Diese sogenannten BBSes waren simple text-basierte Plattformen.
4. 4chan.org
ist (Stryker 2011: 108). In dieser frühen Ära des Internets gruppieren sich bereits Nutzende, welche sich prinzipiell mit technischen Themen oder Hacking beschäftigen. Ab 1979, mit der Gründung der Plattform Usenet, werden textbasierte Bulletin Boards mehr und mehr genutzt. Die Idee dahinter ist eine Many-to-Many-Partizipation der Nutzenden zu ermöglichen. Auf Usenet werden so bereits die ersten Memes des Internets geboren und verbreitet (ebd.: 108ff). Wir werden in den folgenden Kapiteln noch stärker auf die Memes eingehen – an dieser Stelle sei zu erwähnen, dass die Memes mit einer eigenen Art des Humors durch Wiederholung und Minimalismus eine sehr eigene Kennzeichnung der Foren ausmachte (Stryker 2011: 139). In den späten 80er und frühen 90er Jahren änderte sich das Klima auf Usenet radikal. Ursache dafür ist der sogenannte Eternal September. Dieser beschreibt den Zeitpunkt, zu dem die US-Hochschulen ihren Studierenden zum ersten Mal den Zugang zum Internet ermöglichten und zu jedem neuen Semesterstart im September neue Nutzende das Usenet geschwemmt haben. 1993 dann ermöglicht auch der Dienst America Online seinen Kunden den Zugang zu Usenet, sodass tausende neue Nutzende hinzukommen. Die eingefleischten Teilnehmer:innen des Boards, welche zunächst mit Trolling – also einer Form des Belustigens auf Kosten der neuen Nutzenden – versuchten, dem Ansturm etwas entgegenzusetzen, verließen nach und nach das Forum: »September 1993 will go down in net history as the september that never ended« (Dave Fischer 1994). Von diesem Zeitpunkt an war das Internet nicht mehr exklusiv den selbsternannten Geeks und Nerds vorbehalten (Stryker 2011: 114f). Infolgedessen bildeten sich viele neue Boards. Darunter Plattformen mit moralisch fragwürdigen Inhalten wie Rotten.com (1996) und Stile Project (1998) oder technisch versierteren Angeboten wie Slashdot (1997) und MetaFilter (1999), auf welchen sich gerade Memes und Memespeak zu einer wichtigen Kommunikationsstrategie entwickelten. Memes definierten sich damals wie heute durch Text, Bild oder Videomaterial, welches beliebig verändert oder in neue Kontexte gesetzt wird. Generell zu unterscheiden sind die visuellen Meme-Stile (Bilder) und Memespeak (Textvarianten), wie es beispielsweise bereits auf der Plattform MetaFilter auffiel: »Probably in the first year, 2000 or so, I noticed people shouting ›double post!‹ to something they’d seen before become a sort of game for people, where they wanted to be first to notice something was old and demonstrate their expertise at MetaFilter. There was also this early meme where a post that was really awful or boring would elicit a response of someone saying: ›I really like pancakes‹ and then everyone would talk about pancakes and we
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sort of had a pancakes-as-mascot thing for a while« (Haughey zit.n. Stryker 2011: 120f). Ende der 90er Jahre wurden die Meme-starke Plattform Fark und die bis heute bekannte Plattform Something Awful ins Leben gerufen. Gerade die sogenannten Image-Macros, welche auf Something Awful als Insider-Memes produziert und weiterverwendet wurden, sind heute internetweit bekannt – Bilder von Prominenten, Schnappschüsse, Stockfotos oder Szenen aus Filmen, welche mit einem Textfeld oben und unten eingerahmt sind und das Bild damit in einen anderen Kontext setzen. So wurde die Plattform Something Awful ebenfalls von dem 4chan-Gründer Christopher Poole besucht, welcher sich dort unter dem Nutzernamen »moot« einloggte. All diese Plattformen, welche sich nach dem Eternal September gebildet hatten, haben die Gemeinsamkeit, dass sie sich mit ihrem Dasein versuchen, von der vermehrten Mainstream-Nutzung des World Wide Webs abzugrenzen. Sie entwickelten sich sozusagen zum letzten Refugium der ersten Internetnutzenden, der Nerds und Geeks, welche unter sich bleiben wollten. Einerseits, weil sie das Internet als ihren exklusiven Spielplatz kennengelernt hatten, andererseits, wie David Auerbach (2012) diagnostiziert, weil die Vernetzung über Usenet den Misfits der Gesellschaft eine alternative Community bot, welche sich gerade durch das Außenseitertum definierte. Ausgeflaggt mit abstoßenden Inhalten oder Memespeak, den man nur als Dauergast versteht, konnten sich jene Plattformen gegen das, was sie als Mainstream verstanden, abgrenzen (Auerbach 2012). Zeitgleich entwickeln sich aber auch abseits der US-amerikanischen Internet- und Plattformnutzung andere Umgangsweisen mit dem neuen Medium. In Japan laufen gesellschaftliche und technische Entwicklungen zu diesem Zeitpunkt so parallel, dass sie emergent ähnliche, aber anders gelagerte Plattformphänomene erzeugen: die sogenannten chans. 1999 gründete Hiroyuki Nishmura4 das Message Board 2channel, welches sich im Vergleich zu den US-amerikanischen Foren durch die Anonymität der Nutzenden auszeichnete; auch wenn hier die Meme-Kultur ebenso stark repräsentiert war. Der Gedanke hinter 2channel war es, den Nutzenden einen freien Ort zur Artikulation und zum Austausch ihrer Interessen bereitzustellen und diesen dann ihnen zu überlassen. Ganz ähnlich äußert sich später auch Christopher Poole über den Gründungsgedanken von 4chan. Es ist nicht verwunderlich, dass die Nutzeroberfläche von 2channel große Ähnlichkeiten mit der Nutzeroberfläche von
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Nishmura kaufte 4chan im Jahr 2015 von Poole ab.
4. 4chan.org
4chan hat – nicht zuletzt war dieser das japanische Vorbild für den damals 15jährigen Christopher Poole, ein englischsprachiges Pendant ins Netz zu stellen. Bereits in dieser Vorgeschichte von 4chan (und vielen anderen, ähnlichen Foren) finden sich Hinweise auf den Einfluss des kulturellen Kontexts auf die Kommunikationsformen jener Plattformen: 1. Die Identifikation als homogene Nutzergruppe von Außenseiter:innen. Trotz der Anonymität der Plattformen nehmen sich die Kommunikationsteilnehmer:innen als homogene Gruppe von Außenseiter:innen der Gesellschaft wahr, die es gegen das Überlaufen vom Mainstream zu schützen gilt. Geschehnisse, wie der sogenannte Eternal September, stellen heraus, dass Kommunikationsmechanismen entwickelt werden, um diese homogen wahrgenommene Gruppe gegen andere Nutzende zu schützen. Die Voraussetzungen, das frühe Internet zu nutzen, sind außerordentlich hoch und setzen ein hohes Maß an Einsatz und Wissen voraus, was als Voraussetzung zur Entwicklung exkludierender Kommunikationsmechanismen, wie dem Trolling, beigetragen haben mag. 2. Kommunikation im Modus des Normbruchs. Ebenfalls symbolisiert durch den Eternal September sieht sich die ursprüngliche Nutzergruppe in der Situation, sich gegen neue Nutzende abzugrenzen: Die Gruppe muss eine Identität festlegen, welche sich nicht nur durch die Nutzung des Internets definiert. Die Begegnung dieses Umstands manifestiert sich auf Seiten wie Something Awful oder Rotten.com, welche vorrangig Beiträge mit verstörenden oder gar illegalen Inhalten teilen. Wie wir sehen werden, zieht sich die Kommunikation im Sinne des Normbruchs bis zu 4chan weiter durch. 3. Memes als kommunikatives Bindemittel. Das Entstehen von Memes eint unterschiedliche Eigenschaften, welche einerseits mit den technischen Voraussetzungen des Kopierens und Variierens zusammenhängen und andererseits die Kommunikationsmechanismen beeinflussen – insbesondere bei den sogenannten Imageboards (s.u.).
Im Oktober 2003 entscheidet sich der damals 15-jährige Christopher Poole, die erfolgreiche japanische Plattform 2channel auch für englischsprachige Nutzende zur Verfügung zu stellen. Er übernimmt den Quellcode, übersetzt die Plattform ins Englische und tauft sie mit der namentlichen Anlehnung an das japanische Vorbild 4chan (Dibbell 2010: 1f; Bernstein et al. 2011: 50; Knuttila 2015). In den ersten Tagen wird die Plattform laut Poole nur von rund 20 Nut-
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zenden besucht, welche aus Pooles Online- und Offline-Bekanntschaften bestanden. Doch sehr schnell gewinnt die Plattform an Bekanntheit und wird von Nutzenden anderer Plattformen, wie Something Aweful sowie Raspberry Heaven und world2ch, besiedelt.
Abbildung 2: Startseite von 4chan.org am 26.09.2020
Angelehnt an den japanischen Plattformangeboten entschied sich auch Poole dazu, die Möglichkeit des anonymen Beitragens einzurichten. Es wurden keine Profile erstellt, sondern lediglich beim Einstellen eines neuen Beitrags mit einem Feld der Name abgefragt, welches – wenn es leer blieb – automatisch durch den Namen »Anonymous« ergänzt wurde. Zudem wurde
4. 4chan.org
aufgrund der geringen Speicherkapazität ein automatisiertes Löschen von Threads eingerichtet – sodass beim Nachrücken eines neuen Threads der Älteste gelöscht wird (Dibbell 2010: 2; Bernstein et al. 2011: 50). Die geringe Speicherkapazität ist zugleich auch ein erstes Beispiel für eine technologisch getragene Notwendigkeit zur Komplexitätsreduktion. Ebenfalls aus dem technischen Aufbau von 2channel entnommen, kann ein Thread nur mit einem Beitrag begonnen werden dem ebenfalls eine Bilddatei hinzugefügt wird. Daher sprechen wir bei 2channel wie auch bei 4chan von sogenannten Imageboards. Der Hintergrund dessen ist, dass die Threads auf 2channel ursprünglich vor allem Anime-Bilder thematisierten. So bot es sich an 2channel als ein Imageboard zu entwerfen. Ähnliches galt für 4chan, welches zu seiner Gründung nur über zwei Unterforen verfügte: /a/anime und /b/random (Dibbell 2010: 2). Bei Abschluss dieser Arbeit verfügt 4chan über 76 Unterseiten5 (Subboards), welche alle unterschiedlichen Themen gewidmet sind und sich zudem durch leicht abgewandelte kulturelle Hintergründe oder Eigenschaften der Beitragsoptionen auszeichnen. So ist das neben /b/ wohl bekannteste Subboard /pol/, politically incorrect, unter welchem die Beitragenden zur besseren Identifikation eine personalisierte ID erhalten und eine Nationalität (in Form einer Nationalflagge) auswählen können. Unter /b/, dem Untersuchungsobjekt dieser Arbeit, ist das allerdings nicht der Fall. Da sich mit der Zeit herauskristallisiert hat, dass die meisten Nutzenden von /b/ das Namensfeld nicht ausfüllen und als Anonymous auftreten, wurde die Option entfernt. Alle Beitragenden unter /b/ unterliegen damit einer sogenannten Per-Post-Anonymity (Auerbach 2012). Die Beiträge werden nur mit den sogenannten GET-Nummern ausgestattet, über welche sich Zitationsverweise identifizieren lassen. Welche Person sich hinter einem Beitrag verbirgt, lässt sich nicht herausfinden – selbst wenn der oder die Beitragende im gleichen Thread bereits etwas beigetragen hat. Ein und dieselbe Person kann also in ein und demselben Thread unter verschiedenen Ziffernfolgen posten. Bis heute gilt darüber hinaus auch unter /b/, dass alte Threads durch das Nachrücken neuer Threads gelöscht werden. Mit 10 Seiten und 15 Threads pro Seite verfügt /b/ über eine Kapazität von 150 Threads, welche verfügbar sind, bevor sie gelöscht werden.
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Die Anzahl der Subboards wächst über die Jahre hinweg allerdings stetig. Im Jahr 2016 waren es zum Vergleich noch 67 Unterforen (Laut 2016: 7).
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Abbildung 3: Screenshot von /b/ am 26.09.2020
/b/ eignet sich besonders als Untersuchungsobjekt aufgrund seiner Popularität und relativen Bedeutsamkeit auf 4chan selbst. Das Unterforum /b/ ist nicht nur in der Internetwelt und der Offlinewelt aufgrund seiner Aktionen sehr populär geworden6 , hier werden auch ein Drittel bis zeitweise die Hälfte
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4chan – wie auch das Unterforum /b/ – hat eine geteilte, aber vorrangig negative Reputation durch die Medien erfahren. »4chan, a message-board whose lunatic, juvenile community is at once brilliant, ridiculous and alarming« (Michaels 2008), schreibt The Guardian. »Das dunkle Herz des Internets«, titelt Spiegel Netzwelt (2012) und spricht von »Hass und genialer Kreativität« (Reißmann et al. 26.03.2012). Überwiegend handelt es sich jedoch um eine negative Berichterstattung – insbesondere aufgrund von Straftaten, welche auf 4chan geplant, angekündigt oder live geteilt werden oder aufgrund von politischen Radikalisierungen, wie beispielsweise der Alt-Right-Bewegung. Durch entsprechende Skandale gerät 4chan, ebenso wie reddit oder 8chan, immer wieder in den Fokus der Medien. Beispielsweise teilt im März 2018 der verurteilte Mörder Marcel Heße Bilder seiner Taten, während die Polizei noch nach ihm suchte (Kron, Laut 2019). Was die Berichte besonders befeuert, ist, dass die Nutzenden der Plattformen Straftaten bejubeln, so auch bei dem Attentat in Christchurch, welches auf 8chan angekündigt wurde: »Auf der Plattform 4Chan jubeln Internettrolle über das Attentat auf die
4. 4chan.org
aller Beiträge von 4chan veröffentlicht (Bernstein et al. 2011: 52; Knuttila 2011: 3). Bernstein et al. erhoben im Jahr 2011, dass die Lebensspanne eines Threads auf /b/ durchschnittlich 9,11 Minuten beträgt, bevor er durch das Nachrücken neuer Threads gelöscht wird – wir können also annehmen, dass es sich um eine sehr flüchtige Kommunikation handelt.7 Laut dieser Erhebung war der langlebigste Thread 6,2 Stunden verfügbar, während der kurzlebigste Thread bereits nach 28 Sekunden gelöscht wurde (Bernstein et al. 2011: 50; 53f). Dies hängt sogleich mit dem Antwortverhalten der Nutzenden zusammen: Ein Thread wird bei jedem neu hinzukommenden Beitrag wieder an den Beginn der ersten Seite des Unterforums gestellt. Dies wird durch die Nutzenden auch als bump bezeichnet. Eine Ausnahme dessen ist, wenn beim Erstellen des Beitrags in das Optionenfeld sage eingetragen wird. In diesem Fall bleibt der Thread trotz des neuen Beitrags auf seiner Position auf der Seite und schnellt nicht wieder ganz an den Anfang. Dadurch kann der Thread zwar an Beiträgen zunehmen, aber dennoch schnell gelöscht werden. Threads haben außerdem ein sogenanntes bump-limit. Auf der Unterseite /b/ gilt ein bump-limit von 300 Antworten pro Thread. Wenn ein Thread also mehr als 300 Beiträge hat, wird er nicht mehr an den Anfang der Seite geschoben, sondern rückt immer weiter nach hinten, bis er gelöscht wird. Dies sorgt dafür, dass die Seite nicht mit unübersichtlich großen Threads besiedelt wird. Wenn Luhmann die Fähigkeit des Gedächtnisses im Vergessen gesehen hat (Luhmann 1978: 34f), dann ist das bump-limit dessen technologisches Pendant auf 4chan. Die Nutzenden nehmen durch ihr Antwortverhalten Einfluss darauf, wie lange ein Thread auf der Plattform aktiv bleibt. Das Ausmaß dieses Einflusses ist aber zugleich durch die Funktionsweise der Plattform quantitativ beschränkt. Da sich die Homepage nicht automatisch aktualisiert, sehen die meisten Nutzenden meist gar nicht die glei-
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beiden Moscheen in Neuseeland« (Arbeiter 15.03.2019), schreibt der Kurier. Die Liste vergleichbarer Straftaten und Medienberichte lässt sich mühelos fortsetzen. Auffällig ist, dass die Seiteninhalte und die Nutzenden der Seite auf Basis solcher Medienberichte als sehr homogen dargestellt werden. Die häufig negative Einschätzung der Plattform mag darüber hinaus mit den sehr speziellen und sehr eigenen Inhalten zusammenhängen, welche auf Außenstehende befremdlich wirken und auch so wirken sollen. Dabei sei allerdings darauf hingewiesen, dass ich im Folgenden auf stark abweichende Ergebnisse komme. Bei der Nachrecherche des Zeitraums der Erhebung von Bernstein et al. hat sich herausgestellt, dass 4chan und auch /b/ zu diesem Zeitpunkt einen großen Ansturm von Spam-Beiträgen verzeichnen mussten, welcher möglicherweise die Daten verfälscht hat.
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chen Threads und Inhalte, auch wenn sie zeitgleich auf der Homepage unterwegs sind (Knuttila 2011: 8f).
4.1 Die Unwahrscheinlichkeit im Interface Bevor ich aber nun genauer auf die Kommunikationspraktiken der Plattform eingehe, möchte ich einen kurzen Exkurs zu den technischen Voraussetzungen der Plattform wagen. Denn dass das User-Interface8 einen Einfluss auf die Kommunikation hat, ist eine durchaus plausible Annahme (Potts, Harrison 2013). Insbesondere der sehr intransparente und unübersichtliche Aufbau der Kommunikationsinhalte auf 4chan kann dafür sorgen, dass Kommunikationsstrukturen unwahrscheinlich sein könnten. »The arrangement of this interface structure is unique, if not confusing and chaotic« (ebd.: 4). Wird ein Thread eröffnet, muss – wie bereits erwähnt – im ersten Beitrag auch ein Bild eingestellt werden. Der Threadbeginner wird als OP (›Original Poster‹) bezeichnet. Jeder darauffolgende Beitrag kann, muss aber kein Bild einstellen und kann durch die Funktion reply auf einen der vorausgegangenen Beiträge antworten. Dennoch werden die Beiträge nur in chronologischer Reihenfolge dargestellt. Sie werden nicht danach sortiert, wer auf wen geantwortet hat. Die erste Ansicht eines Threads auf dem Unterforum /b/ ist eine Minimalansicht (s. Abb. 4). Angezeigt wird dort stets der OP und die letzten drei Beiträge. Der ganze Thread kann über die Funktion des Aufklappens angezeigt werden. Es scheint so zumindest intuitiv naheliegend, dass die folgenden Beiträge am wahrscheinlichsten an den OP, den Threadersteller, anschließen, weil er bereits in der Minimalansicht immer sichtbar ist – oder an den jeweils letzten drei Beiträgen des Gesprächs. Abbildung 5 zeigt den Screenshot eines ausgeklappten Threads mit den jeweilig markierten Zitationsverweisen in dem Thread. Umrandet sind die sogenannten GET-Nummern (die einzigartigen Identifikationsnummern eines jeden Beitrags). Gestrichelt umrandet sind die Verweise/Zitationen der Beiträge untereinander und schmal umrandet sind die GET-Nummern jener Zitationen, die auf diesen Beitrag verweisen. Die Abbildung zeigt recht gut wie dadurch für die Leser:innen ein leicht chaotischer Zustand erzeugt werden kann. Die chronologische Darstellung der 8
User-Interface bezeichnet die Schnittstelle zwischen den Nutzenden und dem Gerät, beziehungsweise in diesem Fall der Homepage. Man könnte es auch als Beutzeroberfläche oder Bedienungsoberfläche bezeichnen.
4. 4chan.org
Beiträge bedeutet keinen inhaltlichen Bezug dieser Anordnung – dieser wird erst durch die Zitationsverweise erzeugt.
Abbildung 4: Eingeklappte Darstellung eines Threads. Screenshot auf der Unterseite /b/ vom 29.07.2020
Abbildung 5: Beispiel zu den Verweisen auf der Plattform
Das Interface überlässt die Nutzenden also mit einer sehr unübersichtlichen Darstellung der Kommunikation. Hier werden sich zwar selbstver-
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ständlich Kommunikationsnetzwerke ausbilden. Für die Nutzenden werden jene Kommunikationsnetzwerke allerdings nicht nachvollziehbar sein – es sei denn, sie verfolgen die jeweiligen Anschlüsse mit besonders großer Aufmerksamkeit. 4chan ist also nicht nur anonym und flüchtig, durch sein Interface setzt es auch einen gewissen strategischen Umgang der Nutzenden mit diesem voraus, beispielsweise durch das bewusste Nutzen der bump- und sageFunktion, dem Antizipieren des bump-limits usw. Ein Merkmal von 4chan, welches zugleich die technischen Voraussetzungen mit der Nutzung verzahnt, ist die Art, wie die Nutzenden aufeinander antworten. In der Literatur zu 4chan findet sich recht wenig zu dem Antwortverhalten der Nutzenden. Einzig van Reenen (2013) stellt die Praxis des sogenannten Trollings in Zusammenhang mit Interaktivität. Rafaeli und Sudweeks (1997; 1998) stellen in ihren Ausführungen zur CMC heraus, dass insbesondere das Mitführen vorausgegangener Beiträge die Onlinekommunikation ausmacht. Das mag über Verlinkungen oder inhaltliche Verweise geschehen – und auf 4chan können wir beobachten, dass die Verweisstruktur auf vorausgegangene Beiträge eines Threads einen besonderen Stellenwert erhält. Da eine Adressierung eines Nutzenden nicht möglich ist, muss der kommunikative Zusammenhang über die Zitation, beziehungsweise Rezeption eines vorausgegangenen Beitrags erfolgen. Und so spannt sich, je nach Größe eines Threads, ein scheinbar unübersichtliches Netz von Verweisen. An diesen wird auch deutlich, dass die Kommunikation keiner Offline-Kommunikation entspricht, bei welcher das turn-taking die Redebeiträge leitet und ein Nacheinander erzeugt. 4chan ist, durch die Verweise der Beiträge Untereinander, vielmehr ein chronologisches zeitliches Nebeneinander und ein sachliches Nacheinander. Ein Beitrag kann sich innerhalb eines Threads auf etwas vollkommen anderes beziehen als der unmittelbar darauffolgende Beitrag. Doch beide sind eingewoben in ein Geflecht von zusammenhängenden Themen. Eine Ähnlichkeit mit Luhmanns System des Zettelkastens zu erwähnen, ist an dieser Stelle nicht nur amüsant, sondern auch aufschlussreich: »Feststehende Nummerierung unter Abstraktion von einer inhaltlichen Ordnung des Gesamtaufbaus hat eine Reihe von Vorteilen, die zusammengenommen das Erreichen eines höheren Ordnungstyps ermöglichen« (Luhmann 1981a: 224). Luhmann nutzte die Ordnung durch Verweise, um sich selbst mit neuen Ideen produktiv irritieren zu können, während 4chan ein ähnliches Prinzip nutzt, um kommunikative Ordnungen jenseits individueller Adressaten aufbauen zu
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können. Dabei stehen die Beiträge auf 4chan, genau wie die Zettel in einem Zettelkasten, zur Verfügung, um daran anzuschließen – auch wenn der Anschluss nicht notwendigerweise erfolgt. Insofern wird ein Selektionsmechanismus wirksam: »the way kind of threads work on 4chan is that if you post something and it’s crap it’s washed away« (Poole 2009). Allerdings ist inhaltlich nicht klar definiert, welche Themen, Anfragen oder Aufforderungen einen hohen Anschluss generieren werden. Unter /b/ haben wir keinerlei thematische Anbindung, insofern fällt eine hohe Anschlussfähigkeit aufgrund thematischer Relevanz aus. Ebenfalls ist nicht definiert, was nicht geht. So gibt es zwar Regeln für das Unterforum /b/, allerdings werden diese Regeln von den Nutzenden selbst nicht ernst genommen. So lässt sich in den sogenannten Rules of the Internet, welche von den Nutzenden des Unterforums /b/ verfasst wurden, nachlesen: »There are no real rules about posting […] There are no real rules about moderation either – enjoy your ban« (Rules of the Internet). Aufgrund dessen sind die Nutzenden sehr experimentierfreudig mit ihren Beiträgen und darin enthaltenen Äußerungen. Zusammenfassen lässt sich jedenfalls, dass das Interface und die technischen Voraussetzungen auf 4chan einen Einfluss auf die Kommunikation nehmen, der sich hinsichtlich der Anschlüsse niederschlägt. Denn einerseits sind Sichtbarkeit und Flüchtigkeit eines Threads Faktoren dafür, wie sich das Netzwerk der darin befindlichen Beiträge entwickeln wird. Andererseits sorgt die chronologische Abfolge der Beiträge für eine Abkehr von einer inhaltlich übersichtlichen Kommunikation – was die Frage umso spannender macht, wie sich die Kommunikationsnetzwerke unter diesen Voraussetzungen bilden.
4.2 Kommunikationsinhalte Luhmann behauptet, dass Themen Kommunikationsbeiträge binden und selektieren können (Luhmann 1984b: 99). Themen als Reduktion von (doppelter) Kontingenz können ebenfalls eine Variable bei der Beschreibung von Kommunikationsnetzwerken und -Strukturen sein. Denn es ist anzunehmen, dass ein Thema nicht nur Selektionsgrund für die Inhalte der Beiträge ist, sondern auch mit der Art der Verknüpfung der Beiträge untereinander zusammenhängt. 4chan ist nun ohnehin in unterschiedliche Themenbereiche untergliedert. Allerdings ist das Unterforum /b/ dadurch bestimmt, dass es keine klare Themenzuordnung gibt.
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Auch wenn ich die Inhalte der Kommunikation in dieser Arbeit nur in einem sehr begrenzten Rahmen thematisieren und erheben werden kann, glaube ich, dass es ein Verlust wäre, diese vollkommen aus dem Blick zu verlieren – deshalb an dieser Stelle wenige Zeilen zu diesem Aspekt. Im Jahr 2010 haben Bernstein et al. ihre Erhebung des Unterforums /b/ random von 14 Tagen (19. Juli – 2. August 2010) vorgelegt, welche sich mit den Inhalten der Threads auf /b/ auseinandersetzt. Bernstein et al. liefern durch eine Typologisierung der Inhalte einen Eindruck der in dem Unterforum erstellten Beiträge. Mit einer Grounded Analysis9 legen sie insgesamt neun Kategorien ihrer Differenzierung der Inhalte der Threads vor (Bernstein et al. 2011: 4) und erheben die Häufigkeit ihres Aufkommens: Themengeleitet (28 %), Teilen von Inhalten (19 %), Fragen, Ratschläge und Empfehlungen (10 %), Diskussion (8 %), Anfrage/Nachfrage nach einem bestimmten Inhalt (8 %), Aufforderung zu einer Aktion (7 %), Meta (5 %) und Andere (6 %). In themengeleiteten Threads setzt der OP ein Thema, oftmals auch mit einem Bild als Beispiel, und bietet den Austausch darüber an. Teilen von Inhalten bedeutet, dass der OP Inhalte einstellt, um diese mit den anderen Nutzenden zu teilen oder ihrer Kritik auszusetzen. Der OP stellt zuweilen auch sehr intime oder lebensrelevante Fragen und erhofft sich Ratschläge darauf. Beispielsweise: »did you and your friends experiment with gay shit?« (GET 825064288). Ein weiteres Format ist die Diskussionsanregung durch OP, so zum Beispiel eine Diskussionsanregung über die Trump-Politik: »defend this trump supporters« (GET 822899022). Ebenfalls üblich ist das Erfragen durch OP, ob die anderen Nutzenden Inhalte, Informationen, Bilder oder anderen Content teilen können: »anyone got leaks of belles onlyfans from june 18« (GET 831418253). Auch kann OP zu Aktionen aufrufen wie beispielsweise den Angriff anderer Websites oder OfflineDemonstrationen. Diese Angriffe zählen häufig unter die Kommunikationspraxis des sogenannten Trollings (s. Kapitel 4.3.3). Meta schließlich bezeichnet jene Threads, welche OP entweder dazu nutzt, um über die Plattform 4chan zu sprechen oder um die Mechanismen der Seite zu nutzen, um Spiele zu spielen (s. Kapitel 4.3.2). Diese inhaltliche Differenzierung von Bernstein et al. (2011) orientiert sich allerdings stets nur an den Startbeiträgen (OP) der Threads und bildet nicht den gesamten Threadverlauf ab. Dass nun jene Inhalte einen Einfluss auf eine mögliche Struktur haben, ist naheliegend. Die Anfrage nach einem Item wird eine andere Form der Verknüpfung der 9
Die Typologisierung der Threads wurde von Bernstein et al. (2011) durch eine Grounded-Theory-Analyse nach Kathy Charmaz (2006) durchgeführt.
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Beiträge hervorbringen als die Diskussion zu einem beliebten oder weniger beliebten Themenbereich.10 Themen und Inhalte der Kommunikation auf /b/ mögen sich also voneinander differenzieren lassen. Doch nicht selten ist es so, dass sich im Verlauf eines Threads die Inhalte vom OP entfernen. Bei dem Anschluss-Netzwerk eines Threads ist es inhaltlich ebenso interessant, ob die partizipierenden Beiträge OPs Aufschlag auch folgen. Bleiben sie wirklich bei dem Thema? Entsprechen sie der Anfrage? Tragen sie wirklich das nachgefragte Item bei? Partizipieren sie wirklich an Aktionen? Usw. Denn eine Abweichung von dem vom OP vorgeschlagenen Inhalt des Beitrags wird, so nehme ich an, ebenso eine gestaltgebende Auswirkung auf das sich ausbildende Netzwerk haben. Und diese Abweichung von dem vorgeschlagenen Inhalt liegt nahe aufgrund der technologisch bedingten Sichtbarkeits- und Flüchtigkeitsstrukturen des Interfaces von 4chan. In diese Forschungslücke stoße ich mit meinem Vorhaben. Meine Hypothese hinsichtlich der Kommunikationsinhalte lautet also: H3: Der Inhalt der Kommunikationen auf /b/ hat einen Einfluss auf die Netzwerkstruktur.
4.3 Kommunikationspraktiken »4chan ist eine Mem-Schleuder, eine Brutstätte für ansteckende Ideen, aber auch ein abgründiger Ort, an dem Scheußlichkeiten, rassistische und sexistische Tiraden und Bilder weit jenseits der Grenzen des guten Geschmacks veröffentlicht werden« (Stöcker 2008). So äußert sich die Spiegel-Netzwelt Redaktion 2008 zu den Kommunikationspraktiken auf 4chan. Denn auf 4chan haben sich unterschiedliche, für die Plattform charakteristische, Kommunikationspraktiken etabliert (Herwig 2011a, 2011b). Praktiken, die, wie ich annehmen möchte, in Wechselwirkung mit der Struktur der Plattform stehen. Im Folgenden unterscheide ich zwischen Memes, Forenspielen und dem sogenannten Trolling. Ferner stelle ich
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Der Grund dafür ist, dass beispielsweise eine sogenannte Topic-Modeling-Analyse herangezogen werden müsste, um die unterschiedlichen Inhalte aus dem, dieser Arbeit vorliegenden, Datenmaterial zu extrahieren. Ebenfalls wäre vermutlich ein sogenanntes Redescription-Mining notwendig, um festzustellen, ob Strukturen mit diesen Inhalten zusammenfallen oder sogar korrelieren.
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diese drei unterschiedlichen Praktiken dar und stelle sie in einen Zusammenhang mit den in Kapitel 2 erklärten theoretischen Begriffen der Komplexität und Kontingenz von Kommunikation.
4.3.1 Kommunikationsabbruch durch Memes In der Literatur häufig thematisiert wird die Kommunikationspraktik der sogenannten Memes.11 Ursprünglich wurde der Begriff von Richard Dawkins (1976) im Zusammenhang des evolutionsbiologischen Schemas des Imitierens und Abwandelns verwendet.12 Der Begriff fand Anschluss in diversen Fachdisziplinen.13 So fand er Eingang in die Bezeichnung eines Phänomens, welches den Beginn des Web 2.0 markiert hat, dem »rise of the amateur creators« (Wunsch-Vincent, Vickery 2007: 17). Memes sind Bild-, Text-, Video- oder Audio-Content14 , welcher immer wieder kopiert und verändert wiedergegeben wird. Memes können daher ganz unterschiedliche Formen annehmen. Die Plattform 4chan steht im Verdacht die treibende Kraft bei der Erfolgsgeschichte vieler Internet-Memes gewesen zu sein (Goriunova 2013). Am häufigsten und sicher bekanntesten sind Memes in Form von Bildern. Die Abbildungen 6–8 zeigen Beispiele für diese. Das erste (Abb. 6) stellt Pepe den Frosch dar. Die Illustration stammt ursprünglich aus einem 2005 veröffentlichten Onlinecomic Boy’s Club von Matt Furie (Glitsos, Hall 2019). In den darauffolgenden Jahren wurde die Zeichnung immer wieder auf der Plattform 4chan abgewandelt und anschließend auch darüber hinaus internetweit verbreitet.15 Abbildung 7 zeigt ein ebenfalls gängiges Meme-Format, in diesem Falle eine Szene aus der Verfilmung von Herr der Ringe, zusammen mit einem Image-
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Ich verwende in dieser Arbeit den englischsprachigen Begriff des Memes und nicht die deutsche Version Mem, die durchaus auch gängig ist. In Dawkins Monografie »The selfish gene« (1976) beschreibt er Memes als kulturelle Gene. Darunter können Vorstellungen, Musik, Sprachstile, Kleidungsstile und vieles mehr gefasst werden. Siehe insbesondere das umfassende Kompendium herausgegeben von Finkelstein (2008). Im Folgenden werde ich den englischsprachigen Begriff des Contents verwenden. Die Alternative wäre hier von Inhalten zu sprechen. Allerdings halte ich diese Übersetzung für nicht adäquat genug, da der Begriff Content in diesem Zusammenhang explizit die digitale Materialität bezeichnen soll. Später gewinnt das Frosch-Meme ebenfalls eine politische Bedeutung durch die Identifikation mit Donald Trump über die sogenannte Alt-Right-Bewegung (Pollard 2018).
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Macro. Image-Macros werden dazu eingesetzt, um einem Bild, einer Filmszene, einem Screenshot oder einem Foto eine neue Kontextualisierung zuzuordnen. Bilder versehen mit Image-Macros eignen sich besonders gut für Memes, da sie mit einfachen Mitteln immer wieder verändert werden können.16 Zuletzt zeigt Abbildung 8 eine Zusammenstellung gängiger 4chan-Memes, welche zum zehnten Geburtstag der Plattform 2013 erstellt wurde. Darauf zu finden ist ebenfalls üblicherweise verwendeter Memespeak der Plattform. Memespeak ist das Kopieren und Neukontextualisieren von Wörtern, Satzteilen oder ganzen Sätzen. Beispiele dafür sind Akronyme wie GTFO (»Get The Fuck Off«) oder eigen kreierte Begriffe, die auf der Plattform geformt und verwendet werden, wie beispielsweise Lurk Moar.17 Aber auch Praktiken wie das sogenannte Triforcing18 können darunter gefasst werden. Sehr trennscharf ist die Definition von Memespeak zu anderen Memes oder normaler Kommunikation nicht. Aber das soll uns an dieser Stelle nicht aufhalten.
Abbildung 6: Version des Memes Pepe der Frosch
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Abbildung 7: Version des Memes »One Does Not Simply«
So haben sich immer mehr Homepages darauf spezialisiert, das Erstellen jener Memes mit Text-Macros den Nutzenden selbst zu ermöglichen, wie beispielsweise mit dem sogenannten Meme-Generator. Ausdruck dessen, dass die:der Kommunikationspartner:in mehr über die kulturellen Eigenschaften des Imageboards erlernen sollte (Know Your Meme 2009). Es handelt sich bei einem sogenannten Triforce um das Symbol des Konsolenspiels The Legend of Zelda. Es kann ausschließlich anhand der Code-Eingabe in das Textfeld generiert werden und wird aber durch einfaches Kopieren falsch wiedergegeben. Daher werden Neulinge sofort entblößt, in der Regel mit Worten wie beispielsweise: »Newfags cannot triforce«.
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Abbildung 8: Collage unterschiedlicher Memes und Memespeak-Begriffe
4chan ist in seinen Anfangsjahren eine der bekanntesten (Ursprungs-)Quellen für Memes gewesen (Goriunova 2013: 82). Es ist womöglich eine der wichtigsten Charakteristika der Plattform (Chen 2012). Da Memes also offensichtlich einen wesentlichen Aspekt der Kommunikation auf 4chan abdecken, liegt die Vermutung nahe, dass diese (ebenso wie Themen oder Erfolgsmedien) die Komplexität und/oder Kontingenz der Kommunikation reduzieren. So kann man sich beispielsweise vorstellen, dass Memes den Anschluss an einen Kommunikationsbeitrag wahrscheinlicher machen. Weitergedacht würde das bedeuten, dass Memes mit der Ausbildung von Anschlussnetzwerken und den Kommunikationsstrukturen der Plattform in Beziehung stehen. Die Forschungsliteratur zur Verwendung von Memes auf 4chan beschäftigt sich allerdings vielmehr mit dem Ursprung, den Eigenschaften, den Funktionen und den (teilweise politischen) Folgen der Verbreitung von Memes. Doch möchte ich zumindest jene Aspekte aus der vorangegangenen Forschung engführen, welche einen Hinweis des Zusammenhangs zwischen Memes und Kommunikationsnetzwerken oder -Strukturen geben können. Zunächst werden in der Literatur Memes auf 4chan in der Regel mit der hohen Flüchtigkeit und Anonymität der Plattform zusammengebracht: »4chan has this reputation of being a meme factory. And, so why is that? […] The emphasis on anonymity is a large factor in it, because again, it allows you
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to express things that normally you wouldn’t if you had an identity« (Poole 2009). Die Webseite besteht nur aus flüchtigem Content. Wenige Inhalte schaffen es, sich als Meme zu verstetigen und eine Zeit lang auf der Plattform zu überleben (Herwig 2011a: 184, 2011b: 40). »The ›meme factory‹ approach thus takes a quasi-evolutionary stance: only the best (funniest, weirdest, boldest) ideas survive« (Herwig 2011b: 40). Memes müssen sich qualifizieren, um überhaupt im Umlauf zu bleiben. Doch es bleibt unklar, nach welchen Kriterien jene Qualifikation erfolgt. Womöglich ist es auch nur Zufall, dass zum richtigen Zeitpunkt ein Content geteilt und von interessierten Nutzenden gesehen, gespeichert und wieder erneut beigetragen wird. Diese Selektion von Memes ist also zu einem großen Teil von der Sichtbarkeit, aber auch von der Eigeninitiative der Nutzenden abhängig. So hat sich die Praktik etabliert, dass die Nutzenden aufgrund der hohen Flüchtigkeit den Content auf ihren Heimcomputern speichern. Dieser Content wird dann bei der nächst passenden Gelegenheit wieder beigetragen (Goriunova 2013). So gelten die Memes auch als Gedächtnis der Plattform.19 Des Weiteren erlangen die Memes dadurch eine Popularität, die weit über einzelne Threads und über die Plattform hinausgeht. Memes werden auf sogenannten Meme-Hubs (Plattformen zur Verbreitung von Memes) verbreitet und aus dem subkulturellen Kontext der Plattform gelöst. Die Verbreitung dieser entspricht keiner geplanten Strategie, sondern vielmehr einer organisch gewachsenen Viralität (Goriunova 2013: 71f). Memes mögen also im Original von der Plattform 4chan stammen, verbreiten sich aber von dort aus auf vielen weiteren Plattformen. In diesem Sinne hängen Memes eng mit der Viralität von Content zusammen (Shiftman 2014).20 Das Kommunikationsnetzwerk der Memes geht also weit über die Plattform hinaus und liegt auf einer anderen Ebene als die Interaktionen auf 4chan. Man könnte alleine darüber eine Analyse der memetischen Kommunikationsnetzwerke schreiben, die sicherlich hochinteressant wäre, hier allerdings fehl am Platze ist. Für die 19 20
Und ähnlich wie bei dem systemtheoretischen Verständnis von Gedächtnis geraten Memes auch immer wieder in Vergessenheit. Shiftman argumentiert allerdings, dass Viralität und Memes voneinander zu unterscheiden seien, da Viralität keinerlei Veränderung des Ausgangsmaterials voraussetzt, Memes sich allerdings genau dadurch definieren. Für die folgende Untersuchung spielt diese Unterscheidung allerdings keine Rolle und ist auch nicht mit allen anderen Definitionen von Memetik kompatibel.
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Kommunikationen auf 4chan sind Memes stattdessen Elemente, die über eine Eigenkomplexität verfügen. Auf 4chan werden Memes in den Threads auf einer anderen Ebene in Kommunikationsnetzwerke eingebunden. Doch auch innerhalb der Kommunikation auf 4chan ist fraglich, ob es sich bei dem Teilen von Memes wirklich um Kommunikation handelt. Memes werden ähnlich eingesetzt wie Publikationen in Massenmedien. Die »Interaktion wird durch die Zwischenschaltung von Technik ausgeschlossen« (Luhmann 1996: 10). Ein Meme wird mit dem Ziel beigetragen, dass es sich verbreitet und/oder weiter verändert wird. Hier erzeugt »erst die maschinelle Herstellung eines Produkts als Träger der Kommunikation« (ebd.) das, was das Meme in seiner Publikationsform erfolgreich macht. Anders formuliert: Das Erfolgspotential der Memes liegt nicht nur in ihren Inhalten, sondern auch in ihrer Mitteilungsform. Ziel des immer erneuten Veränderns ist das Spiel mit der Mitteilungsform. Internet-Memes sind also Bündel wiederholter, imitierter und weiterhin transformierbarer Mitteilungen. Memes verbreiten in erster Linie Mitteilungen und nicht Informationen. Damit möchte ich nicht ausschließen, dass Internet-Memes nicht auch Inhalte (im Sinne von Informationen) verbreiten; im Gegenteil. Memes wird gleichwohl unterstellt, dass sie sozusagen die Objektträger von politischen Ideen oder Ideologien sein können. Doch für die Kommunikationsteilnehmer:innen wird der Kommunikationserfolg und die Verbreitung des Memes über die Selbstähnlichkeit der Mitteilungsform generiert. Das ist im Übrigen auch damit verflochten, dass Memes auf 4chan zunächst nur von den Nutzenden verstanden werden oder verstanden werden sollen. Der Eternal September wirkt nach, indem auch (oder gerade) Memes mit der Eigenlogik der Geschmacklosigkeit verbreitet werden. So beispielsweise das Meme des Doppelmörders Marcel Heße, welches mit dem Image-Macro »Don’t mess with Hess« überschrieben wurde (Kron, Laut 2019). Allerdings hat sich, so scheint es jedenfalls, dieses Meme nicht weiter über die Plattform hinweg entwickelt. Dieser Wechsel von Information auf Mitteilung hat einen Einfluss auf das Netzwerk und die mögliche Struktur der Kommunikation. Die Memes entwickeln sich thread- und plattformübergreifend und werden nicht gezielt in einer Kommunikation erzeugt, sondern einfach publiziert, beziehungsweise wie kommunikative Platzhalter in eine laufende Kommunikation eingeworfen. Das heißt, dass die Verwendung von Memes zunächst einmal keine erhöhte Anschlusswahrscheinlichkeit in einer Interaktion erzielt, sondern im Gegenteil einen Kommunikationsabbruch bedeuten müsste. Das heißt allerdings nicht, dass Memes nicht erfolgreich sein können. Memes machen Kommunikation in dem Sinne durchaus wahr-
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scheinlich, weil sie den Anreiz des Teilens bieten. Insofern sind sie sehr wohl im Rahmen ihrer eigenen plattformübergreifenden Komplexität, dass das Material verbreitet und verändert wird, erfolgreich. Allerdings wird das in der Interaktion allenfalls mitgeführt. In der Interaktion bricht die Verwendung des Memes diese zunächst ab, weil darauf nur in zweierlei Modi reagiert werden kann: verbreiten/verändern oder nicht-verbreiten/nicht-verändern. Doch genau das vermag die (multiple) Kontingenz der Kommunikation zu reduzieren. In den Memes liegt bereits eine sehr deutliche Anweisung eingeschrieben: An diese wird nicht unmittelbar angeschlossen – sie gehen einen Umweg über die Speicherung, Veränderung und Publikation an anderer Stelle. So möchte ich zunächst annehmen, dass Memes in den Threads zunächst Kommunikationsabbruch bedeuten. Zusammenfassend lässt sich dadurch die Annahme bestärken, dass die Kommunikationsnetzwerke auf 4chan durch die Kommunikationspraktiken – respektive durch Memes – beeinflusst werden können. Hinzu kommt die Annahme, dass Memes in der Interaktion vielmehr einer Publikation entsprechen und dadurch einen Kommunikationsabbruch erzeugen. Darüber hinaus ist die Erkenntnis, dass sich durch Memes der Schwerpunkt der Differenz von Information und Mitteilung auf die Mitteilung verschiebt. Dies veranlasst ebenso zu der Annahme, dass die Mitteilungsform eine wesentliche Rolle auf der Plattform spielen wird.
4.3.2 Kommunikationsspiele mit dem Zufall »Games played on 4chan, often to break the boredom, involve asking questions, guessing answers, ›gaming‹ the medium itself by predicting post numbers, incorporating reCAPTCHA phrases into discourse, or relating narratives, as in >greentexting or bait-and-switch stories« (Manivannan 2012: 11). Seltener in der Forschungsliteratur festgehalten ist die Verwendung von Forenspielen. Durch die Anonymität und das Interface des Forums bieten sich viele Möglichkeiten, die Kommunikation kreativ und spielerisch zu gestalten. Eine Verflechtung mit den Memes und dem sogenannten Trolling ist bei fast allen Spielen auf der Plattform gegeben. Dadurch erklärt sich, weshalb die Forschung ihren Blick vielmehr auf diese Phänomene legt. Memes und Trolling ragen nämlich (im Gegensatz zu den Forenspielen) weit über die Plattform hinaus. Allerdings lässt sich annehmen, dass ebenso wie Memes auch die Spie-
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le Kontingenz reduzieren. Dadurch haben sie einen Einfluss darauf, wie sich die Beiträge in Threads zu Netzwerken verknüpfen. Besonders beliebt auf der Plattform sind Spiele, die sich der Zufälligkeit der zugewiesenen GET-Nummern der Beiträge bedienen. Die Nutzenden können vor dem Abschicken eines Beitrags nicht wissen, welche GET-Nummer dieser Beitrag erhalten wird. Der OP legt fest, welche Regularien für das Spiel gelten: Er könnte etwa behaupten, seinem neuen Hund den Namen zu geben, der unter der ersten GET-Nummer Endung auf einen Pasch (bspw. 88) oder auf die Endung -69 beigetragen wird (s. Abb. 9). Jede:r Beitragende hat dann ein Interesse daran, dieses Spiel zu gewinnen und damit eine besonders raffinierte, interessante, absurde oder geschmacklose Idee durchzusetzen. Dieses Spiel wird auch als Dubs Decides (GET-Nummern mit der Endung auf ein Pasch entscheiden) bezeichnet. Weitere Variationen sind Trips Decides oder Quads Decides (GET-Nummern mit der Endung auf drei, bzw. vier gleiche Zahlen entscheiden). Bei diesen oder ähnlichen Spielen, die sich über die Zufälligkeit der GET-Nummern entscheiden, versuchen die Spielenden mit einem möglichst minimalen Aufwand an dem Spiel teilzunehmen. So wird häufig ausschließlich ein standardisierter Begriff wie beispielsweise Roll beigetragen, um eine GET-Nummer zu generieren. Jene Beiträge verfügen über keinen nennenswerten Informationsgehalt – außer, dass irgendjemand an diesem Spiel teilgenommen hat.
Abbildung 9: Screenshot eines Beispielthreads eines Kommunikationsspiels
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Ein weiteres, allerdings ganz anders gelagertes Spiel sind die sogenannten Greentexts. Der Text in einem Beitrag wird in grün angezeigt, wenn davor das Vergleichszeichen »>« gesetzt wird.
Abbildung 10: Screenshot eines Beispielbeitrags eines Greentexts
Die Nutzenden verwenden diese Funktion, um zu markieren, dass sie in dem Beitrag eine Anekdote aus der Egoperspektive verfassen (s. Abb. 10). Häufig werden diese Geschichten mit dem Operator >be me begonnen (Fathallah 2020). Entweder beginnt der OP mit einem Greentext und stellt ihn als neuen Thread zur Diskussion (worauf in der Regel aber auch mit weiterem Greentext mit einer ähnlichen Thematik geantwortet wird) oder die:der Threadersteller:in fragen nach persönlichen Anekdoten aus bestimmten Kategorien- oder Themenbereichen. In Teilen sind jene Greentexts glaubwürdig, an anderer Stelle aber offensichtlich fiktional. Oftmals wird aus dem Geschriebenen nicht deutlich, ob die Nutzenden es ernst meinen oder nicht. Damit passen Greentext-Stories sehr gut zu der Selbstbeschreibung des Unterforums /b/, welches am Kopf der Seite den Disclaimer eingestellt hat: »The stories and information posted here are artistic works of fiction and falsehood. Only a fool would take anything posted here as fact« (4chan.org/b/ am 10.06.2021). Wie an diesen beiden Beispielen gezeigt, können die Spiele auf 4chan sehr divers sein. Einige leben von Erzählungen, während andere reaktiv sind. Grund-
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legend schlage ich daher vor, die Spiele als Kommunikation zu verstehen. Nur werden die Sinnverweise der Selektion von Information/Mitteilung/Verstehen dem Spiel gemäß gesetzt. Dies zeigt sich auch am Beispiel des Spiels Dubs Decides, also im Horizont des Gewinnens durch die richtige GET-NummerEndung. Udo Thiedeke (2010) beschreibt Spiele als Exklusionsbereiche: Normalität und Personen außerhalb des Spiels (und ohne das Wissen über das Spiel) werden exkludiert. »›Spiel‹ soll daher meinen: eine symbolische Kommunikationsform der Entgrenzung von Normalitätserwartungen, die als willkürliche Handlung des Spielens zugerechnet werden kann« (Thiedeke 2010: 18). So liegt die Annahme nahe, dass sich die Kommunikation eines Spiels von normaler Kommunikation unterscheidet. Das würde auch bedeuten, dass die Beiträge bei einem Spiel anders miteinander verknüpft werden als bei anderen Kommunikationen. Und da sich die Spiele auf der Plattform wiederholen, ist dies auch der erste Hinweis dafür, dass sich die Kommunikationsnetzwerke wiederholen und damit in Strukturen verfestigen. Welcher Art diese Strukturen entsprechen, wird davon abhängen, um welches Spiel es sich handelt. Beispielsweise wäre es plausibel anzunehmen, dass bei einem Spiel wie Dubs Decides alle Beiträge auf den OP antworten und sich nur wenige darüberhinausgehende Verknüpfungen der Beiträge untereinander ergeben. Bei den Greentext-Stories dagegen ist es wahrscheinlicher, dass die teilnehmenden Nutzenden gerade über das Beitragen von unterschiedlichen persönlichen Anekdoten miteinander ins Gespräch kommen und sich ganz andere Verflechtungen bilden. Welcher Art die Strukturen von Spielen entsprechen, lässt sich also nicht eindeutig prognostizieren, beziehungsweise, es ist stark anzunehmen, dass hier durch unterschiedliche Spiele auch unterschiedliche Strukturen manifestiert werden. Es lässt sich jedenfalls abschließend zusammenfassen, dass Spiele auf 4chan die Kommunikation in ihren Selektionen von Information/Mitteilung/ Verstehen, aber auch in ihren Anschlussnetzwerken bedingen kann. Zudem erhöhen Spiele die Wahrscheinlichkeit, dass es zur Ausbildung von Kommunikationsstrukturen kommt.
4.3.3 Kommunikationserfolg durch Trolling Zuletzt möchte ich die Kommunikationspraxis des sogenannten Trollings thematisieren. Ich gehe davon aus, dass Trolling hervorragend erklären kann, weshalb an einige Beiträge häufig angeschlossen wird oder Anschluss erwartet wird. Trolling ist ein Aspekt, der sich aus der Internetgeschichte heraus entwi-
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ckelt hat. Ich gehe noch einmal zurück zum Eternal September, als Usenet von vielen neuen Nutzenden überschwemmt wurde und sich der erdrückenden Last von Neuankömmlingen ausgesetzt sah. Die eingängige Strategie der Plattformnutzenden war es, die Neuen zu trollen. Trolling ist kein besonders scharf abgegrenzter Begriff. Es bedeutet in erster Linie das Amüsement auf Kosten anderer – im Falle von Usenet bedeutete es, dass die neuen Nutzenden durch auf sie zugeschnittene Texte provoziert wurden. Catherine van Reenen nennt ein gutes Beispiel dafür: »By the time I went to university the delights of getting dangerously drunk at parties had started to seem mundane. But to American students in fraternities, the bravado of excessive alcohol consumption is a an [sic!] exciting new and illicit game where you can prove yourself worthy to all your male friends and simultaneously circumvent college alcohol policy – thereby proving what a rebel you are too. Gosh« (Usenet-Nutzer:in zit.n. van Reenen 2013: 3). Von solchen und ähnlichen Äußerungen haben sich die Neuankömmlinge auf Usenet, welche in der Regel Studierende an den US-Universitäten waren, natürlich provozieren lassen. Genau das war auch das Ziel, welches mit dem Trolling erreicht werden sollte: die Diffamierung des Gegenübers, der sich über eine getätigte Äußerung erbost. Die Motivation liegt also darin, das Gegenüber möglichst zu provozieren und möglichst viele Reaktionen zu erzeugen. Merrit (2018) erklärt dazu: »Usenet example also highlights another defining aspect of trolling, as they mocked the newbies not because they were new, but because they affected authority. Trolling, therefore, is a baiting, a sport, a playing, that more than anything aims at those who get above themselves, or set themselves above others—at those asserting, or in, authority« (Merrit 2018: 202). Und genau diese Praktik lebt auch genauso auf 4chan weiter. In Kombination mit dem sehr rauen Umgangston der Plattform sowie dem Hang dazu, Tabus zu brechen, werden immer wieder diffamierende Äußerungen anderen Nutzenden gegenüber getätigt. Häufig besteht hier auch ein Zusammenhang, damit diese als sogenannte Newfags zu markieren: Das Motiv des neuen Nutzenden, der nicht in die scheinbar homogene Gruppe gehört und hinausgeekelt wird, wird aufrechterhalten. Wie viel davon ernst gemeint ist, lässt sich natürlich nicht aufdecken und das soll auch nicht Aufgabe dieser Arbeit sein. Eine Hypothese des Beitragsverhaltens lässt sich dennoch davon ableiten: Offenbar
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operiert die Kommunikation über die Provokation als Anschluss-Beschleuniger. Was provoziert, wird rezeptiert. Unter Trolling versteht man darüber hinaus ebenfalls die Praktik, andere Nutzende eine fiktive Geschichte glauben zu lassen. Donath (1999) beschreibt den Mechanismus so, dass die Nutzenden sich zunächst als Beitragende integrieren und den Anschein erwecken, dass sie die gleichen Interessen wie andere Beitragende auf der Plattform teilen, um dann nach einer gewissen Zeit eine fiktive Geschichte geschickt einzuweben und die Lesenden Unglaubliches glauben zu lassen. Auf reddit und anderen Plattformen, welche Pseudonyme und Profile anbieten, ist diese Praktik durchaus leicht möglich (Bergstrom 2001). Die Nutzenden auf 4chan allerdings sind durch die Anonymität sehr viel skeptischer. Hier wird bei vielen Beiträgen, dessen Geschichte zunächst unglaublich erscheint, sofort eine Täuschung erwartet. Die Nutzenden bezeichnen diese Beiträge dann als Bait (Angelehnt an das Ködern von Fischen beim Angeln).21 Dies wird in der Regel mit dem abgebildeten AngelMeme unterstrichen (s. Abb. 11). Ungeachtet der Wahrheit oder Fiktion einer Geschichte: Umso unglaublicher oder makabrer sie ist, desto eher entspinnt sich ein Spiel, um die Puzzleteile der Erzählung(en) zusammenzufügen und die Echtheit zu überprüfen oder sie als Fiktion zu entlarven, auch wenn das nicht immer möglich ist. Doch die Nutzenden von 4chan lassen sich nicht gerne trollen, trollen selber aber umso lieber und machen in Antizipation darauf gerne ein Spiel daraus, Beitragende als Trolls zu entlarven. So im Fall des Kindermörders Marcel Heße und seinen Beiträgen auf /b/. Hier war es beispielsweise so, dass die Nutzenden zunächst annahmen, es handle sich um einen Bait – bevor die Medienberichte in Deutschland die Tat(en) bestätigten (Kron, Laut 2019).
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Grundlegend sind die Nutzenden stets misstrauisch, heischen aber gleichsam nach spannenden Geschichten und fordern immer wieder einen sogenannten Timestamp zur Verifikation einer Geschichte. Ein Timestamp bezeichnet ein Foto, auf dem die beitragende Person oder die Sachlage, um die es sich handelt, abgebildet ist. Zudem braucht es ein Stück Papier, auf dem die Uhrzeit, das Datum und »/b/« steht. So teilt beispielsweise auch der Straftäter Marcel Heße Bilder von seinen Taten mit Timestamps auf 4chan.org/b/. Dennoch vermag das nicht immer ausreichen, um das Vertrauen der Beitragenden zu erlangen. Dass es sich natürlich nicht durchweg um erdachte Geschichten handelt, was man auf /b/ liest, lässt sich an unzähligen Beispielen belegen – wie ebenfalls der Fall von Marcel Heße zeigt, dessen ausgeflaggtes Ziel es war, durch seine realen Straftaten auf 4chan als Meme in die Internetgeschichte einzugehen (Kron, Laut 2018).
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Abbildung 11: Beispieldarstellung des Memes »This is Bait«
Stattdessen verlagert sich die Praxis auf 4chan vielmehr darauf, die Nutzenden anderer Plattformen zu trollen. Beispielsweise fragt ein Nutzer im Jahr 2014, wie man die Nutzenden des neuen Apple Handy IOS8 trollen könnte. Eine der Antworten lautet simpel: »microwave charging« (GET 44225342) (s. Abb. 12). Der Beitrag bekommt viel Zuspruch und Anschluss – innerhalb einer Stunde haben die Nutzenden ein offiziell wirkendes Informationsblatt erstellt, welches Apple-Nutzenden die Möglichkeit des Ladens ihres Mobiltelefons in der Mikrowelle erläutert (s. Abb. 13). In einem neuen Thread auf /b/ wird das Vorgehen erklärt und die Nutzenden auf 4chan werden aufgerufen, das Produktblatt auf ihren Social Media Plattformen zu teilen und Werbung für das neue Feature des Geräts zu machen: »Mission: spam social media with information about IOS8's new ›microwave charging capabilities‹. It comes standard with IOS 8, and fellow apple fans just *have* to try this new awesome feature. How to contribute: make advertisements, spam them, talk about how amazing new feature is on reddit, tumblr, twitter, facebook etc. Use hashtags #AppleWave #Wave #IOS8« (GET 569300070)
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Abbildung 12: Screenshot eines Trolling-Thread
Wenige Stunden später sind die sozialen Medien überschwemmt mit dem gefälschten Apple-Informationsblatt. Schon bald treffen die ersten Meldungen von Opfern der Fake-Kampagne ein, Bilder von zerstörten Apple Mobiltelefonen oder brennenden Mikrowellen. Ebenfalls erscheinen die ersten Online-Medienberichte: »Please don’t microwave your phone« (Slashgear 2014), schreiben die Autor:innen des Online-Magazins Slashgear. Das Ausmaß ist so groß, dass im September 2014 der Suchbegriff »AppleWave« auf Google Trends den größtmöglichen Wert von 100 erreicht.22 Die Praktik des Trollings hat somit sehr viele Seiten, die bedient werden können – dem allem zugrunde liegt aber ein Mechanismus: Ziel ist es, möglichst viele 22
Man mag sich fragen, welche Funktion das Trolling übernimmt. Die etwas karge Erklärung von van Reenen (2013) lautet, mit dem Forenslang der Plattform »for the lulz«: für den Spaß, für das Amüsement des Kollektivs. Viel plausibler halte ich die hinsichtlich Usenet angefügte Erklärung von Merrit (2018), welche sich darauf bezieht, insbesondere Akteur:innen zu trollen, welche sich als sozial erhaben präsentieren. »bumping for justice« (GET 569300446) schreibt beispielsweise ein /b/-Nutzer auf den Aufruf des oben aufgeführten Beispiels.
4. 4chan.org
Anschlüsse zu erzielen. Sei es auf der Plattform selbst oder auch darüber hinaus auf anderen Plattformen.
Abbildung 13: Nachgestelltes Produktblatt von Apple als Trolling
Trolling ist also eine Kommunikationspraktik, welche im Grunde ein Begriff für zwei unterschiedliche und dennoch zusammenhängende Praktiken bietet: Einerseits wird unter Trolling das ungehemmte Diffamieren des Gegenübers sowie das Vertreten (bewusst) provokativer Positionen verstanden. Andererseits aber bedeutet Trolling auch das Manipulieren von Informationen und das Verbreiten fiktiver Geschichten. Ziel ist in beiden Fällen die Reaktion auf den Troll. Für die Netzwerke oder Struktur der Kommunikation auf 4chan kann Trolling dadurch einen relevanten Einfluss haben. Werden Trolls eingesetzt, um eine Reaktion anderer Nutzender zu erzeugen, ist anzunehmen, dass eine höhere Anschlusswahrscheinlichkeit erzeugt wird. Welchen Einfluss das auf die Kommunikationsnetzwerke hat, wird allerdings im Folgenden genauer untersucht werden müssen.
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4.3.4 Annahmen über die Struktur von Kommunikationspraktiken Ich habe nun drei verschiedene Kommunikationspraktiken 4chans beschrieben und diese insbesondere im Kontext der Anschlusswahrscheinlichkeit betrachtet. Auf unterschiedliche Weise reduzieren die jeweiligen Praktiken die Komplexität und Kontingenz der jeweiligen Kommunikationssituationen: 1. Memes unterbrechen die Kommunikation und reduzieren die Anschlusswahrscheinlichkeit. 2. Spiele erzeugen Anschlusswahrscheinlichkeit und manifestieren unterschiedliche Kommunikationsstrukturen. 3. Trolling erhöht die Anschlusswahrscheinlichkeit einzelner Beiträge.
Ob nun diese Annahmen in der Empirie so überprüft werden können, ist teilweise unwahrscheinlich. Zwar ließe sich sicherlich nachweisen, ob und wie einzelne Beiträge einen höheren Anschluss erzeugen. Doch die Verflechtung der unterschiedlichen Kommunikationspraktiken macht es schwierig, eine eindeutig zuzuordnende Wirkrichtung einzelner Praktiken auf die gesamten Kommunikationsnetzwerke nachzuweisen. Aufgrund dessen schlage ich vor, die allgemeinere Hypothese 4 zu formulieren: H4: Die Kommunikationspraktiken 4chans haben einen Einfluss auf die Kommunikationsstrukturen. Diese Hypothese ist recht vage gehalten. Ich gehe auch davon aus, dass es mit den ausgewählten Methoden dieser Arbeit nicht möglich sein wird, diese repräsentativ zu überprüfen. Allerdings erhoffe ich mir einen Aufschluss über den Zusammenhang zwischen den Kommunikationspraktiken und möglichen Strukturen der Kommunikation. Zudem sei als einschränkender Faktor ebenfalls angemerkt, dass ich nicht alle Kommunikationspraktiken der Plattform erschöpfend behandelt habe. Dies würde eine anders gelagerte Untersuchung erfordern.
5. Empirisches Vorgehen
Nachdem ich nun aus Theorie und Forschungsstand vier Forschungshypothesen extrahiert habe, ist es an der Zeit, die Methode und das Vorgehen der vorliegenden Untersuchung zu skizzieren. Die Auswahl der Methode hängt unweigerlich damit zusammen, welche Frage an die Empirie gestellt wird. Die hier verfolgte Fragestellung nach den Kommunikationsstrukturen auf der Plattform 4chan ist bis dato einzigartig. Insbesondere dadurch, dass die vorausgegangenen Erhebungen der Plattform in der Regel kein theoretisches Programm mit entsprechenden Grundannahmen verfolgen, sondern vielmehr die kommunikativen Inhalte der Plattform versuchen, explorativ in Kategorien zu fassen (bspw. Bernstein et al. 2011). Die Herausforderung bei der Auswahl einer Methode unter einer theoretisch gefütterten Fragestellung besteht darin, diese weder zu stark noch zu schwach an die Theorie anzubinden. Es lassen sich selbstverständlich einige Ansätze benennen, welche die Möglichkeit eröffnen, ein empirisches Vorhaben in ein systemtheoretisches Vorhaben zu übersetzen (oder umgekehrt; s. Henkel 2010; Schneider 1995; Stäheli 2004, 2010). Doch jene Ansätze arbeiten bereits mit bestimmten Grundannahmen, die einem Arbeiten aus der Theorie heraus näher liegen als einem Arbeiten aus dem empirischen Material heraus. Um das empirische Material im besten Sinne nutzbar zu machen, müssen mit der Methode die gebildeten Hypothesen überprüfbar sein, ohne das empirische Material in seinen charakteristischen Eigenheiten zu vernachlässigen. Da meine Forschungsfrage auf die Kommunikationsstrukturen abzielt, liegt es nahe, eine Methode auszuwählen, welche das relationale Verständnis von Kommunikation messbar machen kann. Anschlussnetzwerke und Strukturen sollten mit dieser abgebildet werden können. Ebenso sollte sie auf die besonderen Eigenschaften der Kommunikation auf 4chan angepasst werden können, beispielsweise auf die Kommunikationspraktiken. Daher schlage ich vor, die Netzwerkanalyse als Methode heranzuziehen. Der Vorteil der Netzwerk-
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analyse ist, dass sie die Verknüpfungen von Elementen jeder Art beschreiben kann. Für gewöhnlich wird die Netzwerkanalyse in den Sozialwissenschaften dafür verwendet, die Beziehungen zwischen Personen und/oder Organisationen zu untersuchen (Wasserman, Faust 1994: 4). Doch ob für die verknüpften Knoten eines Netzwerks nun Akteure oder Kommunikationsbeiträge eingesetzt werden, macht für die Auswertung der Netzwerke nur einen geringen Unterschied. Die ursprünglich mathematische Graphentheorie kennt keinerlei Einschränkungen darin, was als Knoten eines Netzwerkes eingesetzt wird (ebd.). Für die Maße der Netzwerke bleibt der Ausgang dessen gleich. Einen Aufschlag für die kommunikationsorientierte Modellierung von Netzwerken findet sich bereits in einer Reihe mehrerer Publikationen zum sogenannten Communication-Oriented-Modeling (im Folgenden: COM; s. Malsch et al. 2007; Malsch, Schlieder 2004; Schmitt 2004). Aus dem Bereich der Sozionik, der Simulation sozialer Mechanismen und Prozesse, vereint der COM-Ansatz Ideen aus der Netzwerkanalyse mit der Perspektive einer kommunikationsbasierten Modellierung nach Luhmann. Das COM modelliert im Gegensatz zum Agent-Oriented-Modeling (AOM) nicht die Beziehungen von Akteuren, sondern von Kommunikationsbeiträgen. Ein entscheidender Unterschied zu Luhmanns Kommunikationsverständnis ist die Vereinfachung der dreiteiligen Selektion von Information/Mitteilung/Verstehen auf »Inzeption« und »Rezeption«. Dafür wurde der Ansatz bereits vor allem von Maren Lübke (2010) in ihrer Dissertation kritisiert. Inzeption bezeichnet das Produzieren eines Mitteilungszeichens, während Rezeption das Verstehen bezeichnet.1 Da sich das COM-Modell dennoch für diese Arbeit als hilfreicher Ansatz anbietet, werde ich im Weiteren darauf zurückkommen, allerdings von dem Verständnis von Inzeption und Rezeption Abstand nehmen. Ich habe weder den Anspruch, Luhmanns Kommunikationsverständnis in Gänze abbilden zu können, noch dies in vereinfachter Form zu übernehmen. Ich fokussiere die empirische Abhandlung im Folgenden auf Mitteilung und Anschluss. Denn empirisch stehen mir nur diese beiden als Beiträge und Zitate zur Verfügung. Grundlegend bleibe ich bei Luhmanns Annahme der dreiteiligen Selektion der Kommunikation, auch wenn ich nicht jede ihrer Komponenten empirisch einzufangen vermag.
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Tatsächlich wird die Vorstellung von Inzeption und Rezeption der Systemtheorie nicht gerecht, was offenbar bei Thomas Malsch zu einigen Irrungen geführt hat, als er sich mit der Ereignishaftigkeit von Kommunikation beschäftigt und ihr attestiert hat, dass eine Ereignishaftigkeit auch Jahre in Anspruch nehmen kann – bis beispielsweise jemand einen gedruckten Text gelesen und verstanden hat.
5. Empirisches Vorgehen
Angelehnt an den Ansatz des COM möchte ich die Kommunikation auf 4chan netzwerkanalytisch modellieren. Daher folgt zunächst eine kurze Darstellung der wesentlichen Aspekte der Netzwerkanalyse, die anschließend bei dieser Modellierung der Kommunikation angewendet werden sollen. Netzwerke bestehen aus Knoten und Kanten, letztere verbinden die Knoten untereinander. Als Knoten möchte ich die Kommunikationsbeiträge auf /b/ einsetzen, als Kanten die Verweise, beziehungsweise die Zitationen der Beiträge untereinander. Jeder Thread auf 4chan kann so in ein sogenanntes Gesamtnetzwerk überführt werden, sobald der letzte Beitrag darin gepostet wurde. Ein Netzwerk bildet also, systemtheoretisch beschrieben, die Emergenz der Anschlüsse ab.
Abbildung 14: Anschlusstruktur auf 4chan.org/b/ an einem Beispiel (GET 833576479)
Abbildung 14 zeigt erneut den Beispielbeitrag auf /b/, den ich bereits in Kapitel 4.1 erwähnt habe. Anhand dieses Beispielbeitrag lässt sich die daraus ergebende Netzwerkstruktur illustrieren. Um die Referenzstruktur der Beiträge kenntlich zu machen, wurden diese zugleich mit Pfeilen gekennzeichnet. Die gestrichelten Linien ergeben sich aus den Beiträgen, welche zwar in dem Thread antworten, aber keine Referenz angeben. Diese werden indirekt dem OP, also dem Original Poster, zugeordnet. Für jeden Thread kann so eine
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Adjazenzmatrix2 erstellt werden, welche jeden Beitrag als Spalten- und Zeilenvariable einsetzt und durch die Zuordnung von 0 und 1 angibt, ob es eine Verknüpfung zwischen den Beiträgen gibt (0 = keine Verknüpfung, 1 = Verknüpfung). Wird diese Matrix in das Programm Gephi importiert, lässt sich der Netzwerk-Graph eines Threads anzeigen, wie in Abbildung 15 dargestellt.
Abbildung 15: Beispieldarstellung der visuellen Darstellung eines Threadnetzwerks
Im Zentrum dessen, was hier aussieht wie ein Stern, befindet sich der OP. Der Graph verfügt über 252 Knoten (Beiträge) und 285 Kanten (Verknüpfungen durch Zitationen). Abgebildet werden alle Beiträge, welche geschrieben wurden, bevor der Thread von /b/ gelöscht wurde. Ein Thread auf 4chan entspricht
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Eine Adjazenzmatrix gibt an, welcher Knoten durch eine Kante mit einem anderen Knoten verbunden ist. So hat jeder Knoten eine Zeile und eine Spalte. Der Eintrag in einer Spalte gibt damit an, dass es eine Kante zwischen den entsprechenden Knoten gibt.
5. Empirisches Vorgehen
einem schlichten, zusammenhängenden, gerichteten, unimodalen (one-mode) Netzwerk. Schlicht bedeutet, dass die Relationierungen der Elemente weder Mehrfachkanten, noch Schleifen beinhalten. Zusammenhängend sind die Netzwerke, da es keine Elemente gibt, die gar nicht relationiert werden.3 Unimodal ist das Netzwerk, da es sich um Knoten (Elemente) desselben Typs handelt. Gerichtet bedeutet, dass die Kantenrichtung, dargestellt als Pfeil, darauf hindeutet, welcher Beitrag der referierende Beitrag, beziehungsweise der Referenzbeitrag ist. Die Richtung ist allerdings kontraintuitiv zu dem zeitlichen Verlauf dargestellt. Denn eine Mitteilung folgt nicht aus einer anderen, sondern verweist auf einen vorausgegangenen Beitrag (Malsch, Schlieder 2004: 9). Damit ist erklärt, wie die Threads als Netzwerke modelliert werden können – das heißt, wie die Kommunikation methodisch in ein Netzwerk überführt werden kann. Die Frage ist nun, wie diese Netzwerke zeigen können, ob und welche Kommunikationsstrukturen sich auf /b/ ausbilden. Strukturen habe ich vorausgehend als wiederkehrende Netzwerke beschrieben. Am Datensatz wäre zu zeigen, dass bestimmte Netzwerktypen in einer bestimmten Häufigkeit auftreten. Ist diese Häufigkeit groß genug, können wir von einer Struktur sprechen. Eine Möglichkeit, jene Strukturen zu finden, wäre die Suche nach sogenannten Isomorphien (Wasserman, Faust 1994: 409; 419). Zwei Netzwerke sind dann zueinander isomorph, wenn die Knoten und Kanten in gleicher Weise miteinander verknüpft sind. Häufig werden dafür aber zur Vereinfachung nicht ganze Netzwerke, sondern Teile der Netzwerke, sogenannte Subgraphen, verwendet. Die Detektion von Isomorphien stellt allerdings ein breites mathematisches Problem dar, das selbst in der Graphentheorie noch nicht ausgefochten ist (Grohe, Schweitzer 2020) und daher nicht zweckmäßig als Werkzeug eingesetzt werden kann. Einer der wesentlichen Faktoren bei dem vorliegenden empirischen Material ist, dass die Thread-Netzwerke eine unterschiedliche Anzahl an Knoten (Beiträgen) haben und sich alleine aufgrund dessen unterscheiden werden. Prinzipiell ist es wohl ohnehin aussichtslos, nach Gleichheit zu suchen. Eine gewisse Varianz wird sich, gerade bei empirischen Phänomenen, immer einstellen und für die Untersuchung von Kommunikation kann es nur hilfreich sein, wenn man eine Messung von Ähnlichkeiten vornehmen kann.
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Empirisch trifft das allerdings nicht ganz zu. Einige Beiträge in Threads haben keine Zitation und sind daher im eigentlichen Sinne nicht relationiert. Da diese aber offensichtlich auf den OP reagieren, wurden auch diese Beiträge als mit OP relationiert modelliert.
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Anstelle der Suche nach isomorphen Netzwerken oder Subgraphen schlage ich eine Orientierung an den Netzwerkmaßen vor. Diese können dabei helfen, unabhängig von der Größe eines Netzwerks die Strukturen zu klassifizieren. Infrage kommen dabei Netzwerkmaße wie: Knotengrad, Dichte des Netzwerks, der längste Pfad des Netzwerks, Clusterkoeffizient, Transitivität, Triaden (gemäß der M-A-N-Notation) sowie die Zentralitätsmaße der Degree-Zentralität, Betweenness-Zentralität und Closeness-Zentralität. Jene Maße können die Netzwerke hinsichtlich ihres Aussehens beschreiben. Und da diese Maße jeweils unterschiedliche Aspekte der Form beschreiben, ist eine Kombination dieser der Schlüssel, um Netzwerke zu vergleichen und mögliche Ähnlichkeiten herauszustellen. Genauer werde ich dieses Vorgehen im folgenden Kapitel beschreiben. Hier möchte ich zunächst vorstellen, welche Formeigenschaften sich mit den genannten Netzwerkmaßen messen lassen.
Knotengrad, Dichte, Pfade und Transitivität Der Knotengrad (degree, d) ist das einfachste Maß. Der Grad eines Knotens bestimmt sich durch die Anzahl der Kanten, welche sich mit einem Knoten verknüpfen. Unterschieden wird zwischen gerichteten und ungerichteten Netzwerken, denn bei gerichteten Netzwerken lässt sich der Eingangs- vom Ausgangsgrad unterscheiden (Wasserman, Faust 1994: 109).
Abbildung 16: Visuelle Darstellung des Unterschieds zwischen Grad, Eingangsgrad und Ausgangsgrad
In der Abbildung 16 liegt der Knotengrad bei dem zentralen Knoten bei 9, während der Eingangsknotengrad bei 8 und der Ausgangsknotengrad bei
5. Empirisches Vorgehen
1 liegt. Mit diesen Graden lässt sich insofern zunächst die Anschlussfähigkeit der direkten Nachbarn eines Knotens messen. Für die Messbarkeit des Knotengrades von Kommunikation ist es dabei wichtig, den Eingangsgrad eines Knotens zu messen. Der Eingangsgrad misst, wie viele Mitteilungen sich auf diese vorausgegangene Mitteilung beziehen – also daran anschließen – während der Ausgangsgrad angibt, an wie viele vorausgegangene Mitteilung(en) die untersuchte Mitteilung angeschlossen hat. Die Dichte eines Netzwerks dagegen ist ein Kantenmaß. Die Dichte entspricht der Anzahl tatsächlicher Kanten im Verhältnis zur Anzahl möglicher Kanten eines Netzwerks. Dies wird auch als Kantendichte (density, ∆) bezeichnet (ebd.: 112). Die Dichte der Kommunikationsnetzwerke ist allerdings aufgrund der Kommunikation als Modus der Verknüpfung voraussichtlich recht gleichbleibend. Zunächst handelt es sich um zusammenhängende Netzwerke, was bedeutet, dass jeder Knoten des Netzwerks mindestens eine Kante zu einem der anderen Knoten hat. Zugleich unterbindet das zeitliche Nacheinander, mit dem die Knoten (Beiträge) hinzukommen, dass sich Beiträge auf erst später geschriebene Beiträge beziehen. Das heißt: Auch hier gibt es eine Einschränkung der möglich auszubildenden Kanten. Ebenfalls kann ein Netzwerk hinsichtlich der Wege beschrieben werden, über die zwei Knoten über andere, dazwischenliegende Knoten, erreichbar sind. In Akteur-Netzwerken ist das dienlich, um beispielsweise in einer Organisation nachvollziehen zu können, über welche Vermittler:innen eine Information zwischen zwei Akteur:innen vermittelt wird. In Kommunikationsnetzwerken geht es dabei vielmehr um Interaktivität (Rafaeli, Sudweeks 1997): Netzwerkmaße, welche die Wege betreffen, zeigen bei der Kommunikation an, wie sich der Pfad von einer ursprünglichen Mitteilung zur zuletzt beigetragenen Mitteilung gestaltet und was dazwischen liegt. Dafür wird die sogenannte Pfadlänge errechnet. Jeder Knoten kann auf dem Pfad nur einmal begangen werden (Wasserman, Faust 1994: 94f), darüber hinaus können aber zwischen zwei Knoten durchaus unterschiedliche Pfade begangen werden. Für die vorliegende Untersuchung erscheint es mir allerdings am sinnvollsten, jeweils die kürzesten Pfadlängen zwischen zwei Knoten zu errechnen (geodististic path). Es lässt sich dann für das Gesamtnetzwerk eine durchschnittliche Pfadlänge aller Knoten zueinander errechnen sowie der längste Pfad, der auf dem kürzesten Weg erreicht werden kann (eccentricity/longest path, lp).
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Abbildung 17: Beispieldarstellung eines transitiven Subgraphen
Ein weiteres Netzwerkmaß ist die Transitivität (transitivity, tr), welche von den sogenannten Triaden eines Netzwerks ausgeht: Wenn drei Beiträge miteinander verknüpft sind, sind sie dann transitiv, wenn Beitrag i Beitrag j zitiert, Beitrag j Beitrag k zitiert und ebenfalls Beitrag i Beitrag k zitiert (s. Abb. 17) (Wasserman, Faust 1994: 138). Und damit komme ich zur Relevanz von Triaden bei Netzwerken, welche als Subgraphen dabei unterstützen können, Netzwerke voneinander zu unterscheiden.
Triaden Um Netzwerke miteinander zu vergleichen, können auch ihre Subgraphen miteinander verglichen werden. Subgraph bedeutet, dass man nur einen bestimmten Ausschnitt eines Netzwerks betrachtet. Klassifizieren lassen sich kleine Subgraphen, weil nur eine begrenzte Möglichkeit an Verknüpfungen der Knoten untereinander bestehen. So hat sich für Triaden, also Netzwerke mit drei Knoten, die Verwendung der sogenannten M-A-N Notation etabliert (Holland, Leinhardt 1976; Hummell, Sodeur 2010). Jene Notation verwendet bestimmte Kürzel zur Bezeichnung des Aussehens einer Triade. Abbildung 18 zeigt die (einfach) gerichteten Möglichkeiten von Triadenformen. Hinsichtlich der Modellierung der Kommunikation auf 4chan habe ich jene Triadenformen
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unterschieden, welche in Kommunikationsnetzwerken möglich sind und jene, welche Kommunikation nicht abbilden können.
Abbildung 18: Darstellung der eingeschränkten Kantenmuster beim 4chan-OrientatedModeling (4OM) mittels des Triaden-Zensus (M-A-N Notation) nach Holland und Leinhardt 1976
Während bei den Netzwerkmodellierungen, welche sich an Akteur:innen/ Aktant:innen orientierten, auch multiple Kanten (in beide Richtungen weisende Kanten), geschlossene Zyklen oder auch Schleifen (Verweis eines Knotens auf sich selbst, hier aus Platzgründen nicht dargestellt) au treten können, reduziert bei der Kommunikation alleine der Zeitfaktor bereits viele Möglichkeiten der Relationierung der Beiträge und damit die Komplexität. Möglich sind nur Kantenrichtungen, welche auf einen oder mehrere vorausgegangene Knoten verweisen. Während also bei der AOM bei einer Triade 16 Möglichkeiten der Verknüpfung bestehen, können bei der 4OM (4chan-oriented-Modeling) maximal nur vier unterschiedliche Möglichkeiten der Verknüpfung erzeugt werden (s. Abb. 18). Um zu verstehen was diese Klassifizierung der Triaden nun über die Kommunikation aussagt, werfe ich einen kurzen Blick auf jede der vier möglichen Triaden. Bei der Triade 021C handelt es sich um eine Kommunikationskette, wie wir sie auch aus oraler Kommunikation kennen. Mitteilung 2 antwortet
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auf die Mitteilung 1, Mitteilung 3 antwortet auf die Mitteilung 2 usw. Der wesentliche Unterschied ist, dass durch die Zitation und das Bestehenbleiben der Beiträge die ganze vorausgegangene Kommunikationskette mitgeführt wird. Ein hoher Wert von 021C bedeutet allerdings nicht, dass diese Ketten lang sein müssen, es ist redundant zu erwähnen, dass die Triade nur drei Knoten und zwei Kanten abdeckt. Insofern ist die Wahrscheinlichkeit gegeben, dass diese selbst bei recht zentrums-fokussierten Threads einen hohen Wert erzielt. Die Triade 030T ist die Triadenform dessen, was auch unter Transitivität verstanden wird. Eine Mitteilung (Mt2) reagiert auf einen vorausgegangenen Beitrag (Mt1) und eine spätere Mitteilung (Mt3) reagiert auf beide. Dies ist im Grunde genommen eine lediglich anders verwendete Form der Interaktivität, welche die Triade 021C beschreibt. Es macht auf Plattformkommunikation in der Regel keinen Unterschied, ob man nur auf Mt1 und Mt2 reagiert oder nur auf Mt2, da die nachfolgenden Leser:innen durch die Zitation natürlich auch im zweiten Fall nachvollziehen können, worauf Mt2 reagiert hat. Eine Ausnahme wäre hier allenfalls eine semantische – und zwar dann, wenn der Beitrag Mt3 inhaltlich nicht nur Mt2, sondern auch Mt1 hervorheben, oder den Zusammenhang zwischen den beiden thematisieren möchte.4 Die Triade 021U bezeichnet zwei Beiträge, die auf einen vorausgegangenen (Mt1) antworten. Anstelle einer Kommunikationskette wird hier also eine vergleichsweise zentrierte Kommunikation erzeugt. Zudem ist damit davon auszugehen, dass Mt1 eine vergleichsweise hohe Anschlussrelevanz hat, wenn der Wert hoch ist und sich abzeichnet, dass die Beiträge alle auf einen bestimmten Beitrag verweisen. Ich gehe davon aus, dass dieser Wert im Datensatz prinzipiell recht hoch sein wird, da viele Beiträge einfach nur auf den immer sichtbaren OP antworten und nicht auf andere Beiträge. Die letzte Triade, 021D, ist vergleichbar mit 030T. Doch hier wird eine Mehrfachzitation beschrieben. Zwei vorausgegangene Beiträge werden beide von einem späteren Beitrag (Mt3) gleichermaßen zitiert. Allerdings beschreibt dieser Typ damit keine Art der Kommunikationskette. Die Besonderheit ist, dass die zwei vorausgegangenen Beiträge (Mt1 und Mt2) in keinerlei Beziehung zueinanderstehen und erst nachträglich durch die Zitation von Mt3 miteinander relationiert werden. Der Wert von 021D wird also dann steigen, wenn es in einem Gesprächsfaden mehrere Mehrfachzitationen von Beiträgen gibt, die vorher nicht in Verbindung miteinander standen. 4
Natürlich könnte man auch davon ausgehen, dass es Beiträge gibt, die vollkommen beliebig zitieren. Diese Ausnahmen wird es bei /b/ geben. Allerdings sollte dies auch wie eine Ausnahme behandelt werden.
5. Empirisches Vorgehen
Zentralitätsmaße Abbildung 19: Beispieldarstellung für die Degree-Zentralität in einem Netzwerk
Zuletzt lassen sich Netzwerke hinsichtlich der sogenannten Zentralitätsmaße klassifizieren. Ziel von Zentralitätsmaßen ist es, die zentralen Knoten eines Netzwerks zu identifizieren. Allerdings lässt sich Zentralität sehr unterschiedlich ausdeuten. Für soziale Netzwerke kann ein:e Akteur:in zentral sein, wenn sie:er Kontakt zu den meisten anderen Knoten hat (Degree-Zentralität, im Folgenden auch DC), oder wenn er als Vermittler zwischen unterschiedli-
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chen Lagern steht (Betweenness-Zentralität, im Folgenden auch BC). Ebenfalls kann für die Zentralität wichtig sein, ob sich bestimmte Cluster von Akteur:innen bilden, die zentral für das gesamte Netzwerk sind (Closeness-Zentralität) (Freeman 1978). Verfügt ein Netzwerk über einen Knoten mit einer besonders hohen Degree-Zentralität, bedeutet das, übertragen auf die Kommunikation, dass auf einen Beitrag besonders häufig geantwortet wird (s. Abb. 19) (ebd.: 221). Der Nachteil dieser Degree-Zentralität ist, dass nur die direkten Knotennachbarn eine Rolle für das Maß spielen. Ob sich aus der publizierten Mitteilung infolgedessen eine weiterführende Konversation ergibt, kann dieses Knotenmaß nicht einfangen. Für diesen Zweck bieten sich allerdings andere Zentralitätsmaße an, welche unterschiedlichste Schwerpunkte auf die Berechnung von Zentralität legen. Relevant für andere Zentralitätsmaße ist es, Knoten zu identifizieren, welche über besonders kurze Pfade mit anderen Knoten verbunden sind. Für die Kommunikation heißt das: Jene Maße finden Mitteilungen, welche über wenige andere Mitteilungen mit weiteren Mitteilungen verknüpft sind. So bezeichnet das Maß der Betweenness-Zentralität das Maß eines Knotens als Vermittler der kürzesten Pfade, auf denen zwei andere Knoten miteinander verknüpft sind (ebd.: 221ff). Ein Beispiel dafür findet sich in Abbildung 20.
Abbildung 20: Beispieldarstellung für die Betweenness-Zentralität in einem Netzwerk
5. Empirisches Vorgehen
Die dunkel eingefärbten Knoten in der Beispielabbildung eines Netzwerkausschnittes zeigen jene Knoten, welche eine vergleichsweise hohe Betweenness-Zentralität aufweisen. An diesem Beispiel lässt sich sehr gut erkennen, dass dies die Knoten sind, welche als Vermittler zwischen der in der Grafik oberhalb und unterhalb dargestellten Knotenwolke entsprechen.5 Für die Kommunikation bedeutet das, dass wir durch die Betweenness-Zentralität jene Mitteilungen herausfiltern können, welche selbst zwar keinen hohen Anschluss erwarten lassen, aber Teile von Kommunikationspfaden sind, welche fortlaufend die Kontinuierung von Kommunikation erwartbar machen. Finden sich in einem Netzwerk gehäuft Knoten mit einer hohen Betweenness-Zentralität, beziehungsweise weist ein Kommunikationsnetzwerk eine besonders hohe Betweenness-Zentralität auf, können wir von einer Konversation sprechen. Die Beiträge sind dann in der Regel in einem Nacheinander angeordnet, wie wir es eigentlich aus der oralen Kommunikation kennen: Eine Mitteilung folgt dort der nächsten. Die Betweenness-Zentralität korreliert in der Regel bei gerichteten Netzwerken mit der maximalen Pfadlänge des Netzwerks. Verfügt ein Netzwerk sowohl über eine hohe Betweenness-Zentralität als auch über eine lange maximale Pfadlänge, dann ist es wahrscheinlich, dass es sich um eine Form der Konversations-Kommunikation handelt.
Abbildung 21: Beispieldarstellung für die Betweenness-Zentralität und maximale Pfadlänge in einem Netzwerk
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Auch bei der Betwenness-Zentralität unterscheiden wir zwischen der Zentralität gerichteter und ungerichteter Graphen. Das tut bei dem dargestellten Vorhaben aber nichts zur Sache.
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Abbildung 21 zeigt ein Netzwerk mit einer hohen maximalen Pfadlänge (140) und einer hohen Betweenness-Zentralität. Durch die Zentralitätsmaße lässt sich damit zwar nicht abbilden was die Multikontingenz reduziert, jedoch kann eine Anschlussform, welche sich in mit und während der Kommunikation manifestiert hat, durch diese beschreibbar machen. Die Form, welche die Anschlusswahrscheinlichkeit annimmt, verfestigt sich an dieser Stelle. Doch nicht alle üblichen Maße der Netzwerkanalyse können für die vorliegenden Kommunikationsnetzwerke verwendet werden. Der Clusterkoeffizient, die Closeness-Zentralität und die durchschnittliche Pfadlänge können nicht berechnet werden. Und bevor ich fortfahre, möchte ich diese Einschränkung kurz ausführen. Denn gerade diese Maße sind in der soziologischen Netzwerkanalyse sehr populär – umso wichtiger ist es, abzugrenzen, was das COM nicht leisten kann. Der (globale) Clusterkoeffizient ist ein Maß für Cliquenbildung in einem Netzwerk: Eine Clique besteht dann, wenn die Nachbarn eines Knotens ebenfalls miteinander verbunden sind, das Netzwerk also einen reziproken Aufbau hat. Da vorausgegangene Mitteilungen aber noch nicht auf spätere Mitteilungen verweisen können, bilden sich bei der Kommunikation auch keine Cliquen. Auch die Closeness-Zentralität und die durchschnittliche Pfadlänge sind nicht zielführend für eine Auswertung der Kommunikation. Beide beruhen darauf, den kürzesten Pfad zwischen zwei Knoten zu errechnen (Wasserman, Faust 1994: 150f). Beispielsweise wäre der Knoten im Zentrum eines sternförmigen, d.h. eines ungerichteten oder bipartiten Netzwerks (s. Abb 23) von Akteur:innen jener Knoten mit der höchsten Closeness-Zentralität, da dieser mit dem kürzesten Pfad (nämlich i = 1) alle Knoten erreicht. Doch da wir es bei der Kommunikation mit einem gerichteten Netzwerk zu tun haben, welches sich in einem zeitlichen Prozess aufbaut, kann dies nicht zur Auswertung von COM-Netzwerken verwendet werden. Abbildungen 22 und 23 zeigen den Unterschied zu den gerichteten Kommunikationsnetzwerken auf 4chan. Auch hier lässt sich die durchschnittliche Pfadlänge, wie auch die Closeness-Zentralität errechnen (man spricht dann beispielsweise bei einer hohen eingehenden Zentralität von Prestige und die Maße werden dann häufig als Prestige-Maße bezeichnet). Allerdings ist die Voraussetzung für diese Netzwerke eine starke Vernetzung der Knoten untereinander, ansonsten bleiben viele Pfadlängen undefiniert (Wasserman, Faust 1994: 162). In diesem Beispiel können beispielsweise keine Pfadlängen zwischen dem mittleren Knoten und den äußeren Knoten angegeben werden und so bleiben sie undefiniert. Daher bleibt ebenfalls der Clusterkoeffizient in diesen Fällen immer bei 0, denn bei gerichteten Kommunikationsnetzwerken
5. Empirisches Vorgehen
können allenfalls sogenannte »Semizirkel« auftreten (ebd.: 180f), die aber bereits mit der Triade 030T gemessen werden.
Abbildung 22: Beispiel eines gerichteten Netzwerks
Abbildung 23: Beispiel eines ungerichteten Netzwerks
All diese Netzwerkmaße (durchschnittliche Pfadlänge, Clusterkoeffizient und Closeness-Zentralität) werden mit den sogenannten Small-World-Netzwerken assoziiert (Watts, Strogatz 1998). Es gibt durchaus Anstrengungen seitens der Informatik, Netzwerke durch das Anfügen von Kanten zu SmallWorld-Netzwerken zu konvertieren (Gozzard et al. 2018), allerdings würde dies das empirische Ziel verfehlen, welches die vorliegende Arbeit verfolgt. Die Beschreibung eines Netzwerks durch die oben genannten Maße soll im Folgenden dabei helfen, die Netzwerkformen bestmöglich zu klassifizieren. Ziel dessen ist es, häufig auftretende Strukturen auf der Plattform 4chan zu identifizieren. Dabei mache ich mir die große Heterogenität der dargestellten Maße zu Nutze, um daraus die Schablone eines Kategorisierungsmechanismus zu erstellen. Denn wenn die Kommunikationsnetzwerke nach ihren Maßen gefiltert werden, wird sich zeigen, ob sich bei einem Messwert oder der Kombination mehrerer Messwerte eine Häufigkeit eines speziellen Netzwerk-Typs finden lässt. Ist die Häufigkeit ausreichend groß, lässt sich von einer Struktur im Sinne einer wiederkehrenden Form sprechen. In diesem Fall müsste die Hypothese H1 angenommen werden. Zudem ist es dann in einem weiteren Schritt einfach zu überprüfen, ob die Größe (Anzahl der Knoten) des
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Netzwerks mit der Ausbildung von Strukturen zusammenhängt. Dadurch kann dann die Hypothese H2 ebenfalls überprüft werden. Alles in Allem bietet die Methode der Netzwerkanalyse eine für die vorliegende Fragestellung, geeignete Brückenbildung zwischen Theorie und Empirie. Durch das hier skizzierte Vorgehen lassen sich im ersten Schritt die Anschlussselektionen der Kommunikation sichtbar machen. Im zweiten Schritt kann durch den Abgleich der Netzwerkmaße herausgearbeitet werden, ob sich jene Anschlussnetzwerke wiederholen.
5.1 Datenerhebung, -bereinigung und -aufbereitung Im Zeitraum vom 14.03.2020 um 6:00 Uhr bis zum 12.06.2020 um 6:00 Uhr wurden 9.078.069 Beiträge in 326.538 Threads mithilfe des Open-SourceCodes 4chan JSON API6 gesammelt. Die Zeitspanne von 120 Tagen wurde gewählt, um mögliche zeitbegrenzte Randerscheinungen (wie beispielsweise eine große Anzahl an Spam-Beiträgen) oder zeitpunktabhängige Frequentierungen (beispielsweise aufgrund von Urlaubszeiten) möglichst auszuschließen. Nach Beendigung der Erhebung am 12.06.2020 wurden später gepostete Beiträge der bereits im Datensatz befindlichen Threads noch nachträglich mit in den Datensatz aufgenommen, um auf vollständige Threads zurückgreifen zu können. Die Datenerhebung mittels 4chan JSON API umfasste neben den Textinhalten ebenfalls die Metadaten der Beiträge und Threads (Lebenszeit eines Threads, Anzahl der einzigartigen IPs, Anzahl der Bilder, MD5 hash der Bilder usw.7 ). Der Scraper der API gleicht regelmäßig die Liste der im Datensatz vorhandenen Threads mit jenen auf der Homepage ab und lädt neu hinzugekommene Threads herunter. Hat ein Thread einen neuen Beitrag, wird dieser nach einem Zeitabgleich mit dem letzten Beitrag heruntergeladen. Priorisiert wurden stets jene Threads auf der letzten Seite der Threadvorschau auf 4chan.org/b/, um den Verlust besonders schnell durchlaufender Threads zu vermeiden. Zwei Erhebungsfehler haben sich dabei dennoch ergeben: Erstens wurden im Zeitraum vom 28.05.2020 bis zum 29.05.2020 aufgrund eines technischen Ausfalls keine Daten gesammelt. Zweitens konnten über
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https://github.com/4chan/4chan-API (zuletzt geprüft am: 20.02.2023) Siehe für eine vollständige Auflistung aller gespeicherten Variablen Anhang A1.
5. Empirisches Vorgehen
den gesamten Zeitraum hinweg 417 Threads aufgrund der Rate Limits der API8 nicht heruntergeladen werden. Darunter können auch Löschungen durch die sogenannten Janitors9 von 4chan fallen, die ebenfalls zu einem »404 Error«10 führen. Die Bereinigung und Aufbereitung der Rohdaten begann damit, die Metadaten des jeweiligen Threads aus dem Eingangsbeitrag (OP) zu extrahieren. Dazu gehören: GET-Nummer des Threads, Zeitpunkt der Erstellung des Threads und Titel des Threads. Ebenso wurden die darauf antwortenden Beiträge separat als Datenquelle genutzt: Die Anzahl der Antworten, die Anzahl der Bilder und einzigartigen IPs konnten dadurch extrahiert werden. Davon getrennt wurden die Beiträge gespeichert. Diese Metadaten bezogen sich auf Textinhalt, GET-Nummer, Zeitpunkt des Beitrags (Unix Timestamp) und die hinzugefügte Variable resto, die anzeigt, auf welchen vorausgegangenen Beitrag dieser antwortet. Um die Variable resto zu erzeugen, wurde der HTMLParser lxml11 eingesetzt. Der HTML-Parser diente ebenso dazu, die Texte von weiteren Sonderzeichen zu befreien und zu bereinigen. Ferner diente jene gebildete Variable resto zur Vorbereitung der Erstellung der Kommunikationsnetzwerke. Dazu wurden aus allen Beiträgen eines Threads zunächst Knoten erstellt. Diese Knoten erhielten eine Kante, sofern bei der Variable resto eine GET-Nummer eingetragen ist, welche dann als Zielknoten der Kante verwendet wurde. Blieb das resto-Feld leer, wurde automatisch eine Kante zum OP gezogen. Dahinter steht meine Annahme, dass Beiträge ohne Zitation in der Regel auf den OP antworten. Nicht aus allen Threads im Datensatz konnten solche Netzwerke gebildet werden. Die Mindestanzahl an Antworten auf OP ist n=1, damit überhaupt mehr als nur ein Knoten definiert werden kann. Aus den 326.538 erhobenen Threads wurden aufgrund dessen 260.251 Netzwerke extrahiert. Zuletzt wurden die Netzwerkmaße berechnet, um die gebildeten Netzwerke im Folgenden miteinander vergleichen zu können. Es wurden zum Zwecke dieses 8
9 10 11
Rate Limit bezeichnet die möglichen Anfragen pro Sekunde und IP. Wird dieses Limit erreicht, können Threads von der genutzten IP-Adresse aus nicht heruntergeladen werden. Als Janitors werden die freiwilligen Moderator:innen auf 4chan bezeichnet, die inhaltlich heiklen Content von der Seite entfernen können. 404 ist eine http-Fehlermeldung, um anzuzeigen, dass ein Dokument nicht mehr verfügbar ist. https://lxml.de/; der Parser ist eine Software, welche die enthaltenen Zitationen in einen eigenen Wert umwandelt.
103
104
Digitale Kommunikationsstrukturen
Vorgehens auf die im vorangegangenen Kapitel eingeführten Maße der Netzwerkforschung zurückgegriffen. Um einen hohen Implementierungsaufwand zu vermeiden, wurden die folgenden Netzwerkmaße der Python-Bibliothek NetworkX (Hagberg et al. 2008) errechnet und weiter verwendet:12 maximaler und durchschnittlicher Kantengrad, Dichte des Netzwerks, längster Pfad des Netzwerks, Transitivität, Triaden (gemäß der M-A-N-Notation) sowie die Zentralitätsmaße der Degree-Zentralität und Betweenness-Zentralität.
5.2 Analyseschritte Um zunächst eine Übersicht über die Daten zu erhalten, sollen die deskriptiven Daten der Threads und Beiträge erläutert werden: Die durchschnittliche Lebensdauer der Beiträge, die durchschnittliche Anzahl an Antworten, der Bilder usw. Diese deskriptiven Werte werden eine grundlegende Rahmung für die Hypothesentests anbieten. Im zweiten Schritt möchte ich dann direkt auf die deskriptiven Parameter der extrahierten Netzwerke eingehen und auch hier die Mittelwerte zum allgemeinen Überblick und späteren Abgleich darstellen. Um Wiederholungen der Kommunikationsnetzwerke detektieren zu können, bediene ich mich der polythetischen Typenbildung aus der Empirie heraus (Kuckartz 2006). Kommunikationsstrukturen werde ich dann daran erkennen können, ob einer oder mehrere der gebildeten Typen besonders häufig im Datensatz aufkommen. Um die Typen zu bilden, nehme ich eine Form der multivariaten Analyse vor (Chatfield, Collins 1980). Die Schritte zur Typenbildung nehme ich wie folgt vor (eine konkretere Ausführung befindet sich in den nächsten Kapiteln 6.1 – 6.3): 1. Überprüfung der Korrelationsmatrix der Netzwerkvariablen (Yoo et al. 2014), 2. zwei Netzwerk-Variablen p werden zu Typologien kreuztabelliert (Bailey 1994), 3. quantitativ basierte Auswahl von n Typologien (Lazarsfeld 1937), 4. Überprüfung der Typologien anhand der anderen Netzwerkvariablen.
12
Die Formeln zur Errechnung dieser Netzwerkmaße finden sich in den Werken von Freeman (1978) und (Wasserman, Faust 1994).
5. Empirisches Vorgehen
Anschließend werden die gebildeten Typen charakterisierend beschrieben, damit davon ausgehend die weitere Analyse gestaltet werden kann. Von dem dritten Punkt der Analyse – der quantitativ basierten Auswahl – hängt ab, ob die gebildeten Typen auch als Struktur bezeichnet werden können. Ist das Häufigkeitsaufkommen der entsprechenden Typen im Datensatz hoch genug, entspricht dies einer häufigen Wiederholung der Netzwerke dieses Typs. Einen allgemeingültigen Schwellenwert für die Höhe des Häufigkeitsaufkommens gibt es nicht. Ich habe daher hier eine Häufigkeit von mindestens 10 % aller Netzwerke im Datensatz als Schwellenwert festgelegt. Die Abbildung der Struktur, die mit Hypothese H1 überprüft werden soll, wird dementsprechend über die Häufigkeit der Netzwerkstruktur überprüft. Anschließend werden diese herausgearbeiteten Strukturen hinsichtlich der Komplexität der Threads untersucht und damit Hypothese H2 überprüft. In einem zweiten Teil der Auswertung (s. Kapitel 7) sollen Fallbeispiele einer jeden Struktur aus dem Datensatz gesammelt und mittels eines qualitativen Vorgehens kodiert werden. Dafür wähle ich für jede Struktur ein Fallbeispiel mit 50 Antworten und ein Beispiel mit 350, beziehungsweise 450 Antworten aus. Die Kodierung dafür wird sowohl induktiv aus dem Material sowie deduktiv aus dem in Kapitel 4 aufgeführten Forschungsstand zu 4chan bespeist. Durch diese Fallbeispielanalyse lässt sich zeigen, welche Rolle die Kommunikationspraktiken als komplexitäts- und kontingenzreduzierende Elemente einnehmen. Dieser zweite Analyseschritt ermöglicht dementsprechend, die Hypothesen H3 und H4 zu überprüfen.
105
6. Ergebnisse der Erhebung
Im Folgenden finden sich die Ergebnisse der Erhebung. Darunter fällt in Kapitel 6.1 zunächst die Stichprobenbeschreibung, in der ich die deskriptiven Befunde der Erhebung zunächst erläutere. Unter Kapitel 6.2 lassen sich die Ergebnisse der Netzwerkanalyse finden. In diesem Unterkapitel sollen zudem anhand der Netzwerkmaße die Strukturen der Kommunikation herausgearbeitet werden. In Kapitel 6.3 werden die Strukturen der Kommunikation zusammengefasst und beschrieben und zuletzt, in Kapitel 6.4, wird der Zusammenhang zwischen Komplexität und Struktur untersucht.
6.1 Stichprobenbeschreibung Beginnen möchte ich nun mit den deskriptiven Befunden der Erhebung. Es wurden 9.078.069 Beiträge in 326.538 Threads gesammelt, wobei ein Thread eine durchschnittliche Lebensdauer von 53 Minuten und 35 Sekunden (sd=1:41:11) hat (s. Tab. 1). Durchschnittlich wurde auf einen Thread knapp 27 Mal (sd=63,54) geantwortet und beteiligt waren durchschnittlich 11,4 (sd=22,74) Nutzende an einem Thread. Letzteres ließ sich nur anhand der Metadaten der beteiligten IPs erheben und ist dadurch kein vollkommen verlässlicher Wert, da die Nutzenden ihre IP-Adressen auch ändern können. Gepostet werden durchschnittlich 10,58 (sd=30,93) Bilder pro Thread. Das Imagelimit, also die Maximalanzahl beizutragender Bilder, welche bei 150 liegt, wurde bei 2,96 % der Threads erreicht und das bump-limit (Threads mit über 300 Antwortbeiträgen) wurde bei 1,77 % der Threads erreicht.
108
Digitale Kommunikationsstrukturen
Tabelle 1: Deskriptive Kennwerte der Erhebung Dauer hh:mm:ss
Antworten
Unique IPs
Bilder pro Thread
M
0:53:35
26.801
11.398
10.582
SD
1:41:11
63.537
22.738
30.932
Max
95:29:08
1049
516
456
M=Mittelwert; SD=Standardabweichung; Max=Maximaler Wert
Tabelle 2: Korrelationsmatrix der deskriptiven Werte mit Spearmans rho1
Dauer
Dauer
Antworten
Unique IPs
Bilder
1
0,83**
0,8**
0,63**
Antworten
0,83**
1
0,91**
0,77**
Unique IPs
0,8**
0,91**
1
Bilder
0,63**
0,77**
0,64**
1
** entspricht einem Signifikanzniveau von 0,01
Nicht überraschend ist, dass fast alle Kennwerte stark miteinander korrelieren (Tab. 2). Schließlich leuchtet es ein, dass die Anzahl der Antworten durch die bump-Funktion einen Einfluss auf die Lebensdauer des Threads hat, und dass ein Thread mit vielen Antworten mehr Nutzende und mehr Bilder hat. Aufgrund dessen möchte ich insbesondere die Anzahl der Antwortbeiträge als wesentliche Variable näher betrachten.
1
Da gilt, dass in dem Fall zweier unterschiedlicher Skalenniveaus stets das niedrigere Niveau zur Auswahl des Zusammenhangsmaßes verwendet wird (in diesem Falle also die Ordinalskalierung), wurde Spearmans rho (ρ) ausgewählt (Gehring, Weins 2009: 139f).
6. Ergebnisse der Erhebung
Abbildung 24: Häufigkeit der Threads in Abhängigkeit von der Anzahl der Antworten
Abbildung 24 zeigt die Häufigkeit der Threads (=counts) nach Anzahl der Antworten (=replies(r)). Die Grafik stellt deutlich dar, dass die Häufigkeit der Threads mit der Anzahl der Antworten sehr schnell sinkt. Das heißt, dass der Datensatz nur eine geringe Anzahl komplexer Threads enthält. Abbildung 25 zeigt den Anstieg der Lebenszeit eines Threads pro hinzukommendem Antwortbeitrag (hier nur ausschnitthaft von 1 bis 10 Antworten). An dieser Grafik
109
110
Digitale Kommunikationsstrukturen
lässt sich sehr deutlich erkennen, wie stark die Lebensdauer eines Threads von der Anzahl an Antworten (=r) abhängt: Während bei einem Antwortbeitrag die Lebensdauer durchschnittlich 7,47 Minuten beträgt, erhöht sich diese bei zwei Antworten auf 12,33 Minuten, bei drei Antworten auf 17,14 Minuten usw. Diese Kurve erreicht eine Sättigung nach dem bump-limit von 300 Antworten pro Thread.
Abbildung 25: Anstieg der Lebenszeit der Threads mit hinzukommenden Antworten
Zusammenfassen lässt sich hinsichtlich der deskriptiven Befunde, dass die Threads auf der Plattform sehr flüchtig sind, auch wenn es nicht den Ergebnissen von Bernstein et al. (2011) mit einer Lebenszeit der Threads von durchschnittlich 9,1 Minuten gleichkommt. Das kann unterschiedliche Gründe haben, wie beispielsweise Unterschiede in der Erhebungsdauer, den Zeitpunkten der Erhebung, aber auch einer sich verändernden Forenkultur. Ebenfalls hat sich bestätigt, dass die Anzahl der Antworten – und damit auch die Komplexität der Threads – einen wesentlichen Einfluss auf die anderen Kennwerte hat und dementsprechend als zentrale Variable bewertet werden kann.
6. Ergebnisse der Erhebung
6.2 Ergebnisse der Netzwerkanalyse Extrahiert wurden insgesamt 260.251 Netzwerke. Dies entspricht der Anzahl der Threads, welche mindestens eine Antwort erhalten haben. Untenstehende Tabelle 3 zeigt die Werte der Netzwerkvariablen mit dem jeweiligen Mittelwert, der Standardabweichung und dem maximal erzielten Wert in dem Datensatz aller erstellten Netzwerke. Um nun eine multivariate Analyse der Netzwerkparameter mit dem Ziel der Typenbildung zu beginnen, werden zunächst die Korrelationen der Netzwerkvariablen überprüft (s. Tab. 4). Denn wie Yoo et al. (2014) anmerken, sind die Ergebnisse multivariater Analysen anfällig für Verzerrungen, sobald die unabhängigen Variablen zu stark korrelieren. Nach Daumenregel wird empfohlen, für eine Analyse Korrelationen ab einer Stärke von 0,7 – 0,9 zu vermeiden. Untenstehend findet sich in Tabelle 4 die Korrelationsmatrix der Netzwerkvariablen. Als Korrelationskoeffizient wurde Pearsons r verwendet, da ich die Kennwerte der Netzwerke als intervallskaliert annehme. Eine Ausnahme bildet der Kennwert longest path, welcher ordinal skaliert ist. Dort verwende ich allerdings den normalisierten Wert, welcher intervallskaliert ist.
Tabelle 3: Deskriptive Kennwerte der Netzwerkmaße im Datensatz aller gebildeten Netzwerke
degree
M
SD
Max
1,698
0,429
32,903
density
0,372
0,329
1
longest path
4,238
6,059
144
transitivity
0,045
0,118
0,5
degree centr.
0,639
0,289
1
betw. centr.
0,036
0,089
0,5
021D
0,07
1,86
689,46
021U
3,75
8,707
166,4
021C
0,3
0,35
28,36
030T
0,02
0,35
140,73
111
-0,37**
0,38**
-0,12**
-0,21**
0,89**
-0,06**
-0,02**
0,02**
-0,77**
-0,01**
degree
density
longest path
transitivity
degree centr.
betw. centr.
021D
021U
021C
030T
0,36**
0,73**
0,34**
0,37**
-0,28**
-0,53**
0,37**
-0,44**
0,75**
1
-0,37**
Ø degree
-0,02**
-0,57**
-0,43**
-0,03**
0,38**
0,55**
-0,28**
0,63**
1
-0,75**
0,38**
density
** entspricht einem Signifikanzniveau von 0,01
1
Max. degree
Max. degree
0,06**
-0,07**
-0,45**
-0,03**
0,71**
-0,08**
0,16**
1
0,63**
-0,44**
-0,12**
longest path
Tabelle 4: Korrelation der Netzwerkparameter mit Pearsons r
0,09**
0,25**
0,19**
0
-0,1**
-0,25**
1
-0,16**
-0,28**
0,37**
-0,21**
transitivity
-0,03**
-0,75**
-0,05**
-0,02**
0,01**
1
-0,25**
-0,08**
0,55**
-0,53**
0,89**
degree centr.
-0,01**
0,07**
-0,18**
-0,01**
1
0,01**
-0,1**
0,71**
0,38**
-0,28**
-0,06**
betw. centr.
0,67**
0,19**
0,06**
1
-0,01**
-0,02**
0
-0,03**
-0,03**
0,37**
-0,02**
021D
0,02**
0,17**
1
0,06**
-0,18**
-0,05**
0,19**
-0,45**
-0,43**
0,34**
0,02**
021U
0,14**
1
0,17**
0,19**
0,07**
-0,75**
0,25**
-0,07**
-0,57**
0,73**
-0,77**
021C
1
0,14**
0,02**
0,67**
-0,01**
-0,03**
0,09**
0,06**
-0,02**
0,36**
-0,01**
030T
112 Digitale Kommunikationsstrukturen
6. Ergebnisse der Erhebung
Aus untenstehender Tabelle 4 wird ersichtlich, dass die fett gedruckten Korrelationen über 0,7 liegen und sich für die Typenbildung nicht eignen. Für die Matrix zur Typologienbildung entscheide ich mich daher für die beiden Zentralitätsmaße Betweenness- und Degree-Zentralität. Diese Maße korrelieren fast gar nicht miteinander (r=0,01**). Zudem haben sie den Vorteil, dass sie sich beide mit der Anordnung der Knoten hinsichtlich der zentralen Positionen beschäftigen. Damit sind sie für das Vorhaben der Typologienbildung geeignet. Diese wird so vorgenommen, dass die Netzwerke im Datensatz nach Wert-Kombinationen der beiden Zentralitäten gefiltert und die Häufigkeiten der Netzwerke dieser Werte kreuztabelliert dargestellt werden (Bailey 1994: 382). Dafür wurden die Werte in Kategorien abgestuft. Bei der BetweennessZentralität in 0,1-Schritten und bei der Degree-Zentralität in 0,2-Schritten, da die Betweenness-Zentralität einen Werteumfang von 0–0,5 und die DegreeZentralität einen Werteumfang von 0–1 hat. Die unten abgebildete Tabelle 5 ist demnach so zu lesen, dass in der zweiten Zeile, zweiten Spalte die absolute Anzahl jener Netzwerke aufgeführt ist, die sowohl eine Betweenness-Zentralität zwischen 0,00-0,09 und eine Degree-Zentralität zwischen 0,00-0,19 haben.
Tabelle 5: Kreuztabellierung der Zentralitätsmaße zu einer Typologie BC = 0–0,09
BC = 0,10-0,19
BC = 0,20-0,29
BC = 0,30-0,39
BC = 0,40-0,50
DC = 0–0,19
6710
2.979
375
0
0
DC = 0,20-0,39
35.537
7.732
1.113
0
0
DC = 0,40-0,59
46.110
1.853
362
0
0
DC = 0,60-0,79
33.984
262
56
98
0
DC = 0,80-1,00
71.146
27
59
461
7.222
BC= Betweenness-Centrality; DC= Degree-Centrality
113
114
Digitale Kommunikationsstrukturen
Tabelle 6 stellt zudem den prozentualen Anteil der Netzwerke hinsichtlich der Gesamtanzahl aller extrahierten Netzwerke des Datensatzes dar. Die Spalten in der Tabelle zeigen damit aber nicht zwangsläufig an, ob und welche Strukturen im Datensatz zu finden sind. Beispielsweise zeigt die WertKombination von BC=0,1-0,19 und DC=0-0,19, dass hier nur 1,11 % aller Netzwerke diesen entsprechen. Um gerechtfertigt von einer Struktur zu sprechen, möchte ich aber sicherstellen, dass diese auch häufig genug im Datensatz repräsentiert ist. Denn Häufigkeit entspricht Wiederholung. Gemäß Lazarsfeld (Lazarsfeld 1937: 127f) wähle ich daher aus dieser Tabellierung jene Typologien aus, welche vergleichsweise häufig im Datensatz anzutreffen sind (über 10 %). Im Folgenden möchte ich diese sechs häufig wiederholten Typologien zunächst als Zentralitätstypologien bezeichnen.
Tabelle 6: Kreuztabellierung der Zentralitätsmaßen zu einer Typologie mit prozentualer Angabe BC = 0–0,09
BC = 0,10-0,19
BC = 0,20-0,29
BC = 0,30-0,39
BC = 0,40-0,50
DC = 0–0,19
2,58 %
1,11 %
0,14 %
0
0
DC = 0,20-0,39
13,65 %
2,97 %
0,43 %
0
0
DC = 0,40-0,59
17,72 %
0,71 %
0,14 %
0
0
DC = 0,60-0,79
13,06 %
0,1 %
0,0002 %
0,0004 %
0
DC = 0,80-1,00
27,34 %
0,0001 %
0,0002 %
0,18 %
2,78 %
BC= Betweenness-Centrality; DC= Degree-Centrality
Auch möchte ich von diesen Ergebnissen nun nicht voreilig darauf schließen, dass es sich bei den sechs gebildeten Zentralitätstypologien bereits um Strukturen handelt. Im Sinne der Typologisierung entspricht das gewählte Vorgehen der Bildung polythetischer (empiriegeleiteter) Typen (Kuckartz 2006: 4052). Um die Qualitätskriterien der Typenbildung zu wahren, wird es im Fol-
6. Ergebnisse der Erhebung
genden notwendig sein, diese Typen durch eine Sichtung der Netzwerke hinsichtlich folgender Kriterien jeweils zu überprüfen (ebd.): 1. Die Netzwerke eines Typs sollen sich möglichst ähnlich sein. 2. Die Typen sollen sich möglichst stark voneinander unterscheiden.
Abbildung 26: Zentralitätstypologien 1 – 4 mit dem Antwortanzahlen: 5, 25, 50, 75 und 100
115
116
Digitale Kommunikationsstrukturen
Punkt 1 gründet darauf, dass polythetische Typen nicht zwangsläufig gleich sein müssen, sondern in ihren Merkmalsausprägungen eine gewisse Varianz beinhalten können. Gemeinsam mit dem zweiten Punkt soll gewährleistet werden, dass die hier erhobenen Strukturen einzigartig sind. Um dies zu überprüfen, finden sich untenstehend die jeweiligen deskriptiven Kennwerte (durchschnittliche Anzahl der Antworten, IPs, Bilder) sowie die durchschnittlichen Netzwerkmaße der Typologien (s. Tab. 7 und 8). Ein weiterer Prüfstein bietet die Visualisierung jener Netzwerke. Dafür wurden die Threads, welche in die gebildeten Häufigkeitsindizes fallen, stichprobenartig herausgegriffen und mithilfe der Software Gephi visualisiert (s. Abb. 26).2 Der Abgleich der Werte in Kombination mit der grafischen Darstellung in Gephi soll die Bildung polythetischer Strukturtypen unterstützen. Untenstehend finden sich die beispielhaften Netzwerkvisualisierungen. Ich habe hier mehrere Abstufungen der Antwortanzahl (bis zu 100 Antworten) aufgelistet, um optische Effekte, welche aufgrund niedriger oder höherer Komplexität auftreten können, abzubilden.
Tabelle 7: Tabelle der deskriptiven Werte der Zentralitätstypologien (Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD)) Dauer in Std:Min:Sek (t) M
2
SD
Antworten (r) M
Unique IPs (ip)
Bilder (im)
SD
M
SD
M
SD
TI
02:33:35 02:38:15 109,83
111,24
34,93
34,49
44,51
57,37
T II
01:41:33
65,87
19,67
24,02
19,52
39,74
02:09:42 44,56
T III
01:19:25 01:35:11
28,57
47,45
15,83
22,71
11,22
26,83
T IV
00:34:01 00:59:36 10,01
29,27
7,63
21,37
3,178
10,70
Verwendet wurde zur Darstellung der Netzwerke das Layout Force Atlas 2 (Jenny et al. 2017).
6. Ergebnisse der Erhebung
Tabelle 8: Tabelle der Netzwerkparameter der Zentralitätstypologien (Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD)) Ø degree (d)
density (∆)
longest path (lp)
Transitivity (tr)
M
SD
M
SD
M
SD
M
SD
TI
2,09
0,28
0,04
0,05
11,58
9,02
0,11
0,14
T II
1,95
0,29
0,08
0,07
5,58
5,18
0,07
0,14
T III
1,91
0,28
0,08
0,05
3,28
2,16
0,05
0,14
T IV
1,6
0,24
0,21
0,11
1,32
0,8
0,01
0,08
Tabelle 9: Tabelle der Werte der Triaden nach der M-A-N Notation (Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD)) 021D
021U
021C
030T
M
SD
M
SD
M
SD
M
SD
TI
0,15
1,76
5,51
5,46
0,77
0,32
0,04
0,19
T II
0,14
2,46
5,51
7,93
0,46
0,22
0,03
0,44
T III
0,12
3,87
6,67
11,59
0,27
0,15
0,02
0,77
T IV
0,02
0,62
3,47
11,24
0,03
0,06
0,004
0,05
Die Darstellungen der Netzwerke der gebildeten Typologien zeigen, dass es durchaus Überschneidungen gibt und die Typen von ihrer Struktur noch nicht eindeutig unterscheidbar sind. Wir gehen diese nun einzeln mit ihren Merkmalen durch und werden mithilfe der weiteren Netzwerkparameter (Tab. 7, 8 und 9) überprüfen, ob sich einzelne Typologien zusammenfügen lassen, welche dann im Anschluss als Strukturen ausgewiesen werden können. Typologie I (TI) umfasst 6,96 % der Threads im gesamten Sample und zeichnet sich dadurch aus, dass sie im Vergleich zu den anderen gelisteten Zentralitätstypologien am längsten überlebt (t(TI)=02:33:35), im Durchschnitt die meisten Antworten (r(TI)=109,83) und damit natürlich auch durchschnittlich mehr einzigartige IPs (ip(TI)=34,93) und Bilder (im(TI)=44,51) aufzuweisen hat. Die Netzwerke dieser Typologie sind, abhängig von der Anzahl der Ant-
117
118
Digitale Kommunikationsstrukturen
worten, auffällig heterogen, was sich mit der vergleichsweise geringen Dichte der Netzwerke (∆(TI)=0,06) erklären lässt: Auf vergleichsweise mehr Knoten kommen bei dieser Typologie weniger Kanten. Die Anordnungsfreiheit der Knoten ist umso höher, je weniger Kanten diese fixieren. Was die Typologie von den anderen unterscheidet und worin sie homogen ist, ist die Clusterbildung um den Ausgangsbeitrag (OP), welche aber durch sternförmige Auswüchse auseinandergeht. Vergleichsweise wenige Beiträge antworten auf den OP und bleiben anschließend unbeantwortet. Vielmehr entstehen Kommunikationsketten, welche bei dem OP ihren Ausgang nehmen. Dies lässt sich durch den vergleichsweise hohen Wert der durchschnittlich längsten Pfade bestätigen (lp(TI)=11,58), wobei dieser natürlich auch dadurch beeinflusst wird, dass in dem Sample der Typologie I vergleichsweise mehr Antworten beigetragen werden. Ein weiteres Merkmal ist die Transitivität: Die visualisierten Netzwerke (Abb. 26) zeigen, dass insbesondere Threads mit mehr Antworten auch Verflechtungen untereinander aufweisen und damit teilweise zu einer Cliquenbildung neigen. Diese Cliquenbildung kann bereits als eine Form der Komplexitätsreduktion gesehen werden, sofern innere Verdichtungen mit der Abkoppelung von äußeren Verknüpfungen einhergeht. Die Transitivität ist mit 0,09 keineswegs sonderlich hoch, was für Kommunikationszusammenschlüsse auch kaum zu erwarten ist; doch sie ist im Vergleich zu den anderen Typologien deutlich höher. Bei den Triaden zeigt sich durch den höchsten Wert der Triade 021C eine stärkere Tendenz dazu, gestreckte Kommunikationsketten hervorzubringen. Typologie II mag sich durch das Aussehen ihrer Netzwerke auf den ersten Blick kaum von Typologie I unterscheiden. Doch anhand der Kennwerte lässt sich der Unterschied umso deutlicher herausarbeiten. Durchschnittlich wird auf die Threads der Typologie II nicht nur wesentlich seltener geantwortet (mit durchschnittlich 44,56 Antworten), womit die Threads ebenfalls eine kürzere Lebensdauer haben und der durchschnittlich längste Pfad (lp(TII)=5,58) kürzer ist. Doch die leicht erhöhte Dichte (∆(TII)=0,08), vor allem aber die geringere Transitivität (tr(TII)=0,07) markieren den Unterschied. Auch hier werden zwar sternförmige Kommunikationsketten ausgebildet, was der (zweithöchste) Wert der Triade 021C zeigt. Doch zu beobachten ist eine leicht stärkere Anziehungskraft zum OP, was mit der Anhäufung von nicht-angeschlossenen Beiträgen einhergeht. Es fällt auf, dass hier fast der gleiche Wert der Triaden 021D im Vergleich zu Typologie I erzielt wird. Beide Typologien scheinen also häufiger Mehrfachzitationen zu binden.
6. Ergebnisse der Erhebung
Doch zweierlei kommt hier zusammen, was mich dazu veranlasst, es nicht bei dieser Typologie (II) zu belassen: Erstens sind die Unterschiede zu der Typologie I zwar vorhanden, aber nicht sehr groß. Gleiches gilt für die Abgrenzung zur Typologie III. Es ist intuitiv nicht einleuchtend, aufgrund dessen eine analytisch feste Grenze zu rechtfertigen. Zweitens liegt es stattdessen nahe, Typologie II und Typologie III zu einem Typen zusammenzuführen. Die Netzwerkmaße der beiden Typologien sind nicht nur einander ähnlich, sondern annähernd gleich (wie der Grad mit d(TII)=1,95 und d(TIII)=1,91, die Dichte mit ∆(TII)=0,8 und ∆(TIII)=0,8 sowie die Transitivität mit tr(TII)=0,07 und tr(TIII)=0,05). Auch lässt sich bei der visuellen Darstellung der Netzwerke (s. Abb. 26) eine große Ähnlichkeit zwischen den beiden Typologien erkennen. Aufgrund dessen macht es empirisch an dieser Stelle mehr Sinn, diese beiden Typologien miteinander zu einem Typ zu verschmelzen, wodurch dann gleichzeitig auch die Abgrenzung zu Typologie I eindeutiger wird. Zuletzt legen die Daten ebenfalls nahe, einen analytisch eigenständigen dritten Typen zu bilden, die Typologie IV. Insbesondere die kurze Dauer der Beiträge und die vergleichsweise durchschnittlich wenigen Antworten, IPs und Bilder heben diesen Typen offensichtlich von den anderen ab. Ebenfalls lassen die Netzwerkmaße, darunter besonders die stark reduzierte Dichte (∆(TIV)=0,21), der durchschnittlich längste Pfad (lp(TIV)=1,32) und die ebenso niedrige Transitivität (tr(TIV)=0,004), auf eine ganz andere Art der Struktur schließen. Und so zeigt sich auch in den Visualisierungen (s. Abb. 26) eine sehr viel stärkere Konzentration der Beiträge auf den OP, wobei an den überwiegenden Anteil der Beiträge nicht angeschlossen wird. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die analytische Trennung in einen Strukturtyp I, einen Strukturtyp II sowie einen Strukturtyp III. Strukturtyp I entspricht der Typologie I, Strukturtyp II entspricht den zusammengeführten Typologien II und III. Der Strukturtyp III entspricht der Typologie IV. Damit habe ich nun zusammenfassend drei Strukturen der Kommunikation aufdecken können, welche einerseits mit einer repräsentativen Häufigkeit im Datensatz vorhanden sind und sich andererseits voneinander unterscheiden lassen. Die theoretisch gebildete Hypothese H1, dass sich auf 4chan Strukturen ausbilden, ist damit bestätigt. Im Folgenden möchte ich diese drei Strukturen näher beschreiben und anschließend überprüfen, welche Rolle die Komplexität bei diesen Strukturen spielt.
119
120
Digitale Kommunikationsstrukturen
6.3 Die drei Strukturen der Kommunikation Zum Auftakt der näheren Beschreibung der nun herausgearbeiteten drei Strukturen der Kommunikation unter /b/ zeigt Abbildung 27 nochmals eine erweiterte visuelle Darstellung. Erweitert bedeutet, dass ich in diesem Fall eine Abstufung der Antwortanzahlen in 100er-Schritten angefügt habe, um auch die komplexen Threads an dieser Stelle mit abbilden und in die Beschreibung der drei Strukturtypen mit einbinden zu können. Außerdem bilde ich damit die theoretisch gerechtfertigte Vermutung ab (s. Kapitel 2), dass die Komplexität einen Einfluss auf die Struktur hat. Insofern habe ich anschließend auch die deskriptiven Werte sowie die Werte der Netzwerkmaße, abgestuft nach Antwortanzahl, beigefügt. Wie in den Grafiken und Tabellen zu sehen, habe ich den Strukturtypen bereits aufgrund ihrer Merkmale jeweils eine Bezeichnung zukommen lassen, welche ich im Folgenden noch näher begründen möchte: Strukurtyp I bezeichne ich als Konversationsstruktur (ks), Strukturtyp II bezeichne ich als hybriden Typen (hs), Strukturtyp III bezeichne ich als Reaktionsstruktur (rs). Einige Netzwerkparameter sind an dieser Stelle zu redundant und nicht aufgeführt. Beispielsweise die Dichte der Netzwerke, welche bei Kommunikationsnetzwerken zwangsläufig abnimmt, je mehr Beiträge hinzukommen. Indes können die anderen Werte zwar von der Größe der Netzwerke beeinflusst werden, doch sie müssen nicht zwangsläufig davon beeinflusst sein. Stellen wir uns ein perfekt konzentrisches/reaktives Netzwerk vor, so ist die Anzahl der Knoten für die längste Pfadlänge gleichgültig: Diese wird immer bei 1 bleiben. Ebenfalls wird die Transitivität immer bei 0 bleiben, auch die Triaden 030T, 021C und 021D werden bei 0 bleiben, während die Triade 021U stark ansteigt. Bei konversationsartigen Kommunikationsnetzwerken bleibt diese aber bei 0. Das heißt, durch diese Parameter können wir einen Eindruck davon bekommen, wie und ob die Netzwerke von der Größe beeinflusst werden.
6. Ergebnisse der Erhebung
Abbildung 27: Visuelle Darstellung von Beispielnetzwerken der Strukturen, sortiert nach der Anzahl der Antworten in 100er-Schritten
121
4.984
553
Hybride Struktur
Reaktionsstruktur
2.579
123
Hybride Struktur
Reaktionsstruktur
3.314
733
397
Konversationsstruktur
Hybride Struktur
Reaktionsstruktur
r = 301 − 1.100
6.107
Konversationsstruktur
r = 201 − 300
4.266
Konversationsstruktur
07:53:53
07:34:09
06:11:08
08:02:43
05:37:49
03:32:43
04:29:26
04:28:20
04:07:34
00:28:53
71.146
Reaktionsstruktur
r = 101 − 200
01:07:25
21.851
71.798
Konversationsstruktur
01:25:42
M
03:21:37
04:02:22
03:28:25
03:15:17
03:44:19
03:13:55
02:34:53
02:36:42
02:26:21
00:34:44
01:09:35
01:10:28
SD
Dauer in Std:Min:Sek (t)
Hybride Struktur
r = 1 − 100
n
311,58
320,12
319,26
247,06
234,84
254,17
146,58
152,25
148,01
6,81
19,87
30,27
M
10,77
46,43
19,81
30,25
25,56
26,07
27,3
30,56
30,25
9,5
19,29
24,64
SD
Antworten (r)
242,3
149,75
103,33
179,23
74,16
64,18
64,36
51,76
47,89
5,55
12,33
13,27
M
34,61
57,15
33,39
53,43
33,38
24,11
47,88
23,80
19,16
6,35
10,21
10,25
SD
Unique IPs (ip)
Tabelle 10: Tabelle der Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) der Typen in 100er Antwort-Schritten abgestuft
30,1
74,95
108,63
32,8
131,39
130,63
75,34
90,84
61,36
2,40
6,05
19,71
51,97
42,91
33,17
39,38
38,68
61,94
51,55
46,24
5,88
10,23
10,51
SD
Bilder (im)
7,43
M
122 Digitale Kommunikationsstrukturen
Reaktionsstruktur
123
Reaktionsstruktur
3.314
733
397
Konversationsstruktur
Hybride Struktur
Reaktionsstruktur
4,93
8,59
18,84
4,64
2.579
Hybride Struktur
r = 301 − 1.100
14,04
6.107
Konversationsstruktur
21
4,47
553
Hybride Struktur
r = 201 − 300
8,4
4.266
4.984
Konversationsstruktur
17,14
1,26
71.146
Reaktionsstruktur
r = 101 − 200
2,93
71.798
Hybride Struktur
6,7
M
21.851
n
Konversationsstruktur
r = 1 − 100
2,7
4,15
9,26
1,98
6,7
8,42
2,3
4,37
9,1
0,57
1,39
4,17
SD
Longest Path (lp)
0,15
0,13
0,14
0,14
0,15
0,18
0,09
0,12
0,12
0,01
0,06
0,09
M
0,19
0,13
0,09
0,19
0,12
0,1
0,16
0,13
0,11
0,07
0,14
0,15
SD
Transitivity (tr)
0,19
1,2
0,31
0,07
0,62
0,19
0,65
0,49
0,29
0,02
0,07
0,1
M
0,9
SD
1,08
6,29
2,14
0,23
9,55
0,64
5,62
10,01
1,16
0,62
0,54
021D
118,52
55,55
13,61
93,9
30,56
12,39
54,95
23,36
7,77
3,47
3,41
1,92
M
3,43
1,69
SD
13,34
24,56
4,73
14,6
11,61
3,66
11,7
10,16
2,8
11,24
021U
0,15
0,6
0,94
0,14
0,64
0,92
0,16
0,58
0,93
0,03
0,35
0,67
M
021C
0,09
0,51
0,54
0,06
0,25
0,24
0,13
0,29
0,39
0,06
0,19
0,21
SD
0,01
0,06
0,05
0,01
0,05
0,06
0,01
0,06
0,05
0,004
0,02
0,03
M
1,99
0,16
0,05
0,36
0,19
SD
0,03
0,17
0,27
0,02
0,21
0,14
0,02
030T
Tabelle 11: Tabelle der Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) der Netzwerkparameter der Typen in 100er Antwort-Schritten abgestuft
6. Ergebnisse der Erhebung 123
124
Digitale Kommunikationsstrukturen
Abbildung 28: Balkendiagramm der deskriptiven Werte der Strukturen, jeweils in 100er-Antwortschritten
6. Ergebnisse der Erhebung
Abbildung 29: Balkendiagramm der Netzwerkmaße (longest path und 021U) der Typen, jeweils in 100er-Antwortschritten3
3
Die Aufteilung der Werte auf die beiden Grafiken hat den rein pragmatischen Grund der Skalierung der Diagramme. Denn die Werte des längsten Pfades sowie von 021U sind wesentlich höher als die anderen.
125
126
Digitale Kommunikationsstrukturen
Abbildung 30: Balkendiagramm der Netzwerkmaße (transitivity, 021D, 021C und 030T) der Typen, jeweils in 100er-Antwortschritten
6. Ergebnisse der Erhebung
Doch möchte ich hier zunächst die allgemeinen Eigenschaften der jeweiligen Strukturen sowie die größenabhängigen Eigenschaften dieser beschreiben. (1) Die Konversationsstruktur zeichnet sich durch die tendenzielle Dezentralität der Beiträge aus, welche Konversationsketten ausbildet. Aufgrund dessen möchte ich diese auch als Konversationsstruktur bezeichnen. Damit entspricht diese Struktur beinahe dem, was über der Kommunikation unter Anwesenden angenommen wird (s. Kapitel 3). Jedenfalls suggerieren die Kommunikationsstränge, dass sich bei dieser Struktur eine Art des Turn-Takings der Beitragenden einspielt. A schreibt etwas und B antwortet, darauf antwortet wieder A usw. Ich komme in der Diskussion der Ergebnisse (Kapitel 8) näher darauf zu sprechen. Die Struktur sorgt dafür, dass Beiträge häufiger einen Anschluss erhalten, als es bei den anderen beiden Strukturen der Fall ist. Ebenfalls ein beschreibendes Merkmal dieser Struktur ist, dass ein Thread in der Regel mehrere Konversationen beherbergt, die sich sternförmig von dem OP entfernen. Die Konversationsstruktur weist damit durchgehend den durchschnittlich längsten Pfad auf, auch wenn sich anhand der Daten zeigt, dass ab einer bestimmten Anzahl an Beiträgen kein Wachstum der maximalen Pfadlänge mehr zu erwarten ist: Der global höchste Wert der längsten Pfade findet sich bei jenen Kommunikationsnetzwerken zwischen 201 und 300 Antworten, anschließend sinkt der Wert sogar wieder (s. Tab. 11). Es scheint so, dass Kommunikationsketten ab einer bestimmten Anzahl an Beiträgen (in diesem Fall mit durchschnittlich 21 Antworten) eine Art kommunikative Grenze erreichen. Gleiches scheint für die Transitivität zu gelten. Auch dieser Wert flacht bei den besonders großen Netzwerken (r(ks)=300-1100) ab. Bei den Triaden lässt sich beobachten, dass die Konversationsstruktur im Vergleich zu den anderen Typen stets den niedrigsten Wert bei der Triade 021U erzielt. Das heißt, um einen Knoten konzentrierte Kommunikationsnetze bilden sich hier deutlich seltener aus. Bei der Triade 021D ist es allerdings vielfältiger: Während der Typ bei einer Antwortanzahl von 1–100 hier den höchsten Wert hat, nimmt dieser bei r(ks)=101-300 immer weiter ab und steigt erst bei den größten Netzwerken leicht an. Da die Triade in unserem Fall Mehrfachzitationen bezeichnet, ist diese Heterogenität nicht ungewöhnlich. Die Triade 021C, welche sozusagen Kommunikationsketten bezeichnet, ist beim Konversationstypen, wie zu erwarten war, konstant am höchsten ausgeprägt. Bei der Triade 030T
127
128
Digitale Kommunikationsstrukturen
nähert sich der segmentäre Typ mit seinen Werten tendenziell einer Hybridstruktur an, was natürlich dadurch bedingt ist, dass beide Typen durch eine geringere Anziehung der Knoten an den Ausgangsbeitrag auch häufiger die Möglichkeit haben, diese transitive Triadenstruktur auszubilden. Dennoch ist diese Triade sehr selten vertreten, was ebenfalls zu erwarten war. (2) Die Hybridstruktur weist sowohl einen häufigeren Anschluss an den OP auf, bildet zudem aber Gesprächsketten aus, welche ebenfalls bei der Konversationsstruktur zu finden sind. Mit steigender Anzahl der Antworten neigen die Netzwerke zwar nicht zur Cliquenbildung, wie es bei der Reaktionsstruktur der Fall ist, sondern zu einer stärkeren Vernetzung der Beiträge untereinander, welche dabei aber stets in der Nähe zum OP bleiben. Daher lässt sich diese Struktur auch als hybride Struktur bezeichnen, die mit ihren Werten ziemlich genau zwischen der Konversations- und der Reaktionsstruktur liegt. Der Begriff der Hybridität als eine Form der Zwischenlage lässt sich aus soziologischer Perspektive in vielerlei Hinsicht ausdeuten (Kron 2015). Die Hybridstruktur liegt mit ihrem durchschnittlich längsten Pfad stets zwischen den beiden anderen Typen und wächst dort auch im Zusammenhang mit der Anzahl der Antworten. Gleiches gilt fast überwiegend für die Transitivität, mit der Ausnahme, dass diese bei den besonders großen Netzwerken (r(hs)=300-1100) vergleichsweise niedrig ausfällt. Ansonsten sind hier die Werte der Transitivität sehr an denen des segmentären Typs angelehnt, wenn auch etwas niedriger. Die Triade 021U ist ebenfalls ein konstanter Zwischenwert zwischen den Werten der anderen beiden Typen, wobei sich der Abstand zur Reaktionsstruktur erst bei den größeren Netzwerken (r(hs)>101) herausbildet. Gleiches gilt für die Triade 021D, allerdings nur bei Netzwerken bis zu 200 Antwortbeiträgen. Alle Typen-Netzwerke über 200 Antworten haben hierbei wesentlich höhere Werte als die anderen beiden Typen. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass die Mehrfachzitation (021D) bei allen Typen in ihren Werten stark zu changieren vermag. Allerdings lässt sich, bei Steigerung der Beitragsanzahl, bei der hybriden Struktur eine eindeutig starke und konstante Steigerung des Wertes beobachten, während die anderen Typen ein anderes Verlaufsmuster bei diesem Wert zeigen. Wir können natürlich von dem Wert nicht darauf schließen, ob diese Mehrfachzitationen in der Nähe des OP oder zwischen den Konversationsketten eingesetzt werden. Allerdings ist dieser Anstieg ein wichtiger Befund, auch wenn darauf hinzuweisen ist, dass hier nur vergleichsweise kleine Fallzahlen zur Verfügung stehen. Ein Blick
6. Ergebnisse der Erhebung
auf die Grafiken der Threads der Hybridstruktur (s. Abb. 27) zeigt, dass sich bei den Threads Verflechtungen der Beiträge zwischen den Kommunikationsketten häufen, während das Zentrum um den OP eben nur aus jenen Beiträgen besteht, die sich nur auf den OP beziehen und an welche nicht angeschlossen wird. Der Wert der Triade 021C liegt für die hybride Struktur stets zwischen den anderen beiden Typen. Kommunikationsketten bilden sich bei dieser Struktur zwar aus, allerdings sind sie im Vergleich zu der Konversationsstruktur etwas geringer ausgeprägt. Der Wert der Triade 030T dagegen wechselt sich hier je nach Anzahl der Antworten ab, ist aber, so wie auch bei den anderen Strukturen, sehr niedrig mit einer vergleichsweise hohen Standardabweichung. Damit bleibt die Aussagekraft des Triadenwertes 030T begrenzt. (3) Die Reaktionsstruktur zeichnet sich dadurch aus, dass fast alle Beiträge ausschließlich auf den Eingangsbeitrag reagieren. Ich spreche von einer Reaktionsstruktur, weil Kommunikationsketten in dieser Struktur allenfalls außergewöhnliche Ausnahmefälle bilden. Die Beiträge reagieren nur auf den Eingangsbeitrag, ohne untereinander in Interaktion zu treten. So weist diese Struktur die größte Überschneidungsfreiheit mit den anderen beiden Typen aus. Die Reaktionsstruktur zeichnet sich in ihren Werten zunächst ganz deutlich dadurch aus, dass sie stets den niedrigsten durchschnittlich längsten Pfad und stets den höchsten Wert bei der Triade 021U hat. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich der Wert der Triade 021U bei einer Antwortanzahl von r(rs)>826217545 8/10 would smash GET 826218249 >>826218182 Thanks but you forgot to say no homo GET 826218350 >>826218249 100 % homo bro GET 826218405 >>826218350 Bro…… GET 826218766 >>826218405 I luv u bro GET 826218922 >>826218766 Moving a bit quickly bro GET 826219472 >>826218922 Sorry bro GET 826219713 >>826219472 All good bro Dies zeigt eine gewöhnliche Interaktion, die aufgrund der vielen weiteren zeitgleich stattfindenden Beiträge nicht so hintereinandergeschaltet zu lesen ist. Das mag zunächst keine besondere Erkenntnis sein; allerdings lassen sich einige Besonderheiten ausmachen, da die beiden Gesprächsteilnehmer:innen sich erstens nicht kennen und zweitens nicht einmal sicher ist, ob es sich bei dem Gespräch nun wirklich nur um zwei Interaktionspartner:innen handelt oder ob hier mehrere Personen schreiben. Drittens bleibt vollkommen unklar, ob das eingestellte Bild überhaupt die beitragende Person abbildet. Es handelt sich ganz offensichtlich nicht um eine ernstzunehmende Interaktion. Vielmehr entsteht hier ein Sprachspiel mit dem stets wiederholten Begriff »Bro«, der die Kommunikationskette am Laufen hält.
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Abbildung 32: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des Threads »Faces of /b/«
Kommunikationspraktiken Nur wenige der Beiträge im Thread »Faces of /b/« konnten als Kommunikationspraktiken kodiert werden. Am häufigsten darunter fanden sich Beiträge, welche dem Trolling entsprechen. Diese bezogen sich in aller Regel auf die eingestellten Bilder, wie beispielsweise folgender Beitrag, welcher sich auf das eingestellte Bild des OP bezieht: GET 826215488. >>826206313 enjoy lung cancer you idiot i bet you couldnt even run 3 steps you unhealthy piece of shit go eat another hamburger
147
148
Digitale Kommunikationsstrukturen
Abbildung 33: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Praktiken des Threads »Faces of /b/«
Interessant ist, dass fast alle diffamierenden Beiträge nicht direkt auf OP Bezug nehmen, gar keinen Bezug zu OP aufweisen oder sich als Beiträge herausstellen, welche sich auf der Meta-Ebene mit dem Thread auseinandersetzen. Zudem wird auf diese Troll-Beiträge sehr häufig nicht mehr geantwortet. Die beiden eingestellten Memes beziehen sich beispielsweise auf die fälschlicherweise quer eingestellte Ansicht des Bildes des OP und sind auf Seiten wie 4chan viral und bekannt. Bemerkenswert ist, dass sowohl an den wenigen Memes als auch an den geringen Memespeak kaum angeschlossen wird.
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Der hier dargestellte Thread zeigt damit die charakterisierenden Merkmale der Konversationsstruktur, nämlich die Genese unterschiedlicher Kommunikationsketten. Gleichsam aber zeigt sich an diesem Thread sehr gut, dass die Entfernung vom OP im Netzwerk auch eine Entfernung hinsichtlich des Inhalts bedeutet.
7.1.2 Professor Wilhelm Der Thread »Professor Wilhelm« (GET 827867274) wurde am 18. Mai 2020 um 02:25 Uhr (EST) gestartet, hat 451 Antworten und dauerte eine Stunde und 57 Minuten. Beigetragen wurden 451 Antworten mit 99 Bildern. Der OP verweist in seinem Beitrag auf eine:n Twitter-Nutzer:in, welche:r auf Twitter für Aufsehen gesorgt hatte. Unter dem Pseudonym @ProfessWilhelm erwarb entsprechende:r Nutzer:in auf der Erotikseite OnlyFans1 Bilder von mehreren Frauen und schickte diese an ihre jeweiligen Väter. Der OP schreibt dazu: »Everyone on Twitter is going crazy over this. Wilhelm is doing King Shit«. Dabei fügt sie:er einen Screenshot von Twitter hinzu (Abb. 34). Durch diesen Beitrag des OP wird unter den Nutzenden auf /b/ eine Diskussion über dieses Vorgehen entfacht. Ich stelle in Kürze die Gesprächsrichtungen dar, welche sich aus diesem Eingangsbeitrag entwickelt haben: 1. Einige Nutzende äußern sich positiv über das Vorgehen von Professor Wilhelm (wie sie ihn nennen). 2. Nutzende äußern sich negativ und abwertend über das Vorgehen. 3. Nutzende diskutieren darüber, ob das Vorgehen Copyrightbestimmungen verletzt. 4. Nutzende diskutieren darüber, ob es für Frauen verwerflich ist, pornographische Inhalte ins Internet zu stellen und ob es sich dabei um Sex Work handele oder nicht. 5. Nutzende sind der Auffassung, dass dies ein Twitter-spezifisches Thema sei oder zumindest in ein anderes Subboard gehöre.
1
OnlyFans ist eine Plattform, welche in ihrem Aufbau gängigen sozialen Medien ähnelt. Die Nutzenden können sich ein Profil anlegen, die Abonnements dieser Profile erfordern allerdings eine Zahlung an die:den Profilinhaber:in und schalten damit in der Regel erotische oder pornographische Inhalte frei.
149
150
Digitale Kommunikationsstrukturen
6. Nutzende halten Professor Wilhelm für einen Troll. Nutzende nehmen dies zum Anlass, um auf einer Metaebene über die Entwicklung von 4chan zu sprechen.
Abbildung 34: Eröffnungsbild des OPs beim »Professor-Wilhelm«Thread
Die Beiträge in dem Thread wurden nach dem Kodierungsplan ausgewertet und ebenfalls in das Programm Gephi eingespeist. Untenstehend finden sich die Ergebnisse.
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Tabelle 18: Verteilung der Beitragsinhalte und Kommunikationspraktiken nach kodierten Knoten, Kanten und Eingangsgrad des Threads »Professor Wilhelm« Anteil der Knoten
Anteil der Kanten
Eingangsgrad
Bezugnehmend
41,37 %
33,67 %
1,59//1,06 ohne OP
Abweichend
20,8 %
7,69 %
0,85
Inhalt der Beiträge
Meta
13,05 %
6,33 %
0,93
Keine
24,78 %
6,53 %
0,52
Kommunikationspraktiken Memes
23,67 %
6,33 %
0,84
Spiel
3,98 %
0,41 %
0,5
Trolling
13,94 %
3,67 %
1,03
Keine Kodierung
58,41 %
41,63 %
1,24//0,86 ohne OP
Inhalt der Beiträge Die inhaltliche Kodierung des Threads zeigt, dass ein gewisser Anteil der Beiträge dem Thema entsprechen. Wenn man auch die Themenabweichung miteinbezieht, bleiben 61,17 % der Beiträge mit dem Eingangsthema des OP verbunden oder sind immerhin an diesen angelehnt. Auch der Eingangsgrad ist bei diesem Thread verhältnismäßig hoch. Allerdings ist dies auch darin begründet, dass der OP mit einem Eingangsgrad von 99 miteinbezogen ist. Ohne diesen liegt der Eingangsgrad der bezugnehmenden Beiträge bei 1,06 und ist damit nur leicht erhöht. Dass die Beiträge mit keiner thematischen Anbindung einen so niedrigen Eingangsgrad haben, liegt daran, dass viele Beiträge dieser Kategorie häufig am Ende von Konversationsketten stehen. Indes treten die Meta-Beiträge häufig im Zusammenhang mit themenabweichenden Beiträgen auf. Die Konversationsketten zeichnen sich bei der inhaltlichen Kategorie dadurch aus, dass sie sich mit Inhalten abseits des Themas und der Metadiskussionen beschäftigen. Innerhalb der Kommunikationsketten werden häufig Meta-Beiträge eingestellt. So zum Beispiel:
151
152
Digitale Kommunikationsstrukturen
GET 827872801. >>827872083 kek. you just don’t understand the true spirit of the chan. we’re nihilistic anarchists… with a twist. we don’t care if they were innocent (who is truly innocent, anyway) we just want to watch the world burn
Abbildung 35: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des »Professor-Wilhelm«-Threads
Interessant ist jedoch, dass auch dieser Meta-Beitrag keinen besonders hohen Eingangsgrad hat. Bei diesem Beitrag (GET 827872801) sind es sechs Beiträge, welche ihn zitieren. Im Vergleich zum OP mit einem Grad von 99 ist das sehr gering. Der durchschnittliche Eingangsgrad bei Beiträgen, welche auf ei-
7. Netzwerk-Fallbeispiele
ner Metaebene über 4chan, /b/ oder den Thread sprechen, liegt bei 0,93. Damit haben diese keine sehr hohe Anschlusswahrscheinlichkeit. Auslöser für andere Meta-Diskussionen war das sogenannte Whiteknighting. Wir sehen uns eine der dabei entstehenden Gesprächsketten etwas genauer an. Der erste Beitrag reagiert direkt auf OP: GET 827870587. why do this fist world thots care so much about it like sure your parents see your porn, and? you should be ok with it if you plan to make porn right? and you can just go on with your life even after this, like nothing changes, your little accepting parents will be ok with it, and even if they dont who gives a shit anyways GET 827870699. >>827870587 You don’t get it duuude, FEELINGS were shattered! Not proud of being here talking about morality, yet here we are. Is this the lowest point 4chan has ever reached? This is now a discuss-onmore-pressing-issues thread. GET 827871477. >>827870699 it’s almost referring seeing this kind of spirit and empathy. it’s been so long I hardly remember my first week on the chon GET 827871856. >>827871477 Seeing this amount of whiteknighting and this general new »vibe« of guys taking it slooooow and being all peaceful and stuff because as soon as you (currently) try to shit on something there comes the guy telling you »yo, maaan. have sex, relax« Once I came here full of fear the gore and sick shit would escape from the monitor to eat me alive If something tried to get out from my monitor it would probably be a larper wanting to suck my dick nowadays. The worst era to be alive. Das Interessante an dem ersten Beitrag ist, dass er an den OP anschließt, allerdings vielerlei aus bereits beigetragenen Posts als Voraussetzung für sein Statement nutzt. Er thematisiert, dass der Thread einen so hohen Anschluss von anderen Nutzenden erlangt. Dafür muss er nicht an all diese Beiträge anschließen, es genügt diese als Kontext zum Zeitpunkt des Beitrags vorauszu-
153
154
Digitale Kommunikationsstrukturen
setzen. Gleiches gilt für den darauffolgenden Beitrag, welcher zudem als einziger Beitrag unter die Kategorie der Threadmanipulation kategorisiert wurde, da er dazu aufruft, im Thread über relevantere Themen zu sprechen. Der letzte Beitrag bezeichnet dies als Whiteknighting, obwohl er nicht direkt an den Beitrag GET 827871477 anschließt, sondern an einen Beitrag, der diesen zitiert (GET 827871477). Der letzte Beitrag bezeichnet dabei offenbar auch andere Beiträge im Thread (oder ggf. auch darüber hinaus), an die er aber nicht anschließt. Doch die Beiträge interagieren fast so, wie wir es vermehrt aus Interaktionen unter Anwesenden kennen. Doch wiederholen sich die Beiträge häufig in ihren Inhalten, ohne dass sie aneinander anschließen: GET 827870147. >>827867498 There’s nothing wrong with it. So what is wrong with informing that person’s family? GET 827870587. why do this fist world thots care so much about it like sure your parents see your porn, and? you should be ok with it if you plan to make porn right? and you canjust go on with your life even after this, like nothing changes, your little accepting parents will be ok with it, and even if they dont who gives a shit anyways GET 827870914. >>827867274 I mean…if they are their dads its most likely they have already seen them naked. An der Redundanz der Beiträge scheint sich aber niemand zu stören. Im Gegenteil fällt diese Häufung sehr ähnlicher Beiträge auf, es wird aber nicht in den Meta-Beiträgen problematisiert.
Kommunikationspraktiken Mit Blick auf die kulturelle Kategorie besteht der überwiegende Teil der geposteten Bilder aus Memes (15,04 % von insgesamt 19,69 %). Bei der Auswertung stellte sich heraus, dass sich die kulturelle und die inhaltliche Kategorie in vielerlei Hinsicht überschneiden und ineinander verschränken. So bedienen sich Beiträge mit einer Thematisierung auf Meta-Ebene zu 69,49 % ebenfalls an Kommunikationspraktiken. Auch sei zu bemerken, dass die Anschlüsse unter Beiträgen mit ausschließlich kulturellen Hintergründen 21,63 % aller Anschlüsse im gesamten Netzwerk ausmachen.
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Abbildung 36: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Praktiken des »Professor-Wilhelm«-Threads
An den Grafiken ist zu erkennen, dass sich häufig Cluster von Kommunikationspraktiken finden lassen. Die in Abbildung 36 nach oben gerichtete Kommunikationskette des Threads besteht überwiegend aus Memes und Trolling. Bei der Auswertung wurde zudem deutlich, dass Memetik und Trolling durchaus häufig zusammenfallen können, wie beispielsweise folgende Beiträge darstellen: GET 827873041. You don’t speak for all of us fedora fag. I’ve been on /b/ longer than anyone here […]
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156
Digitale Kommunikationsstrukturen
GET 827873531. >>827873041 ›I’ve been on /b/ longer than anyone here‹ Prove it newfag. Post your oldest meme GET 827873671. >>827873531 fuck you, I’ve been here since Pepe was first created GET 827874138. >>827873671. barely oldfag territory at all but at least you tried GET 827875234. >>827873770 Don’t fucking lie summerfag, at least reference something old or gtfo bixnood GET 827888211. >>827873671 bait. post triforce An diesem Beispiel zeigt sich der Versuch, über Memes einen Expert:innenstatus zu erlangen, wenn es darum geht, andere Nutzende oder Beitragsinhalte inadäquat für die Plattform einzustufen.
7.2 Hybride Struktur Im Folgenden werden Fallbeispiele zur Hybridstruktur vorgestellt. Dafür untersuche ich zum einen den Thread »Wake up«, welcher auf den ersten Blick wie ein Spiel erscheint. Zum anderen kodiere und interpretiere ich den Thread »Roll 98«, dabei handelt es sich um ein Spiel mit den GET-Nummern.
7.2.1 Wake up Der Thread »Wake up« (GET 824113702) wurde am 31. März 2020 um 19:34 Uhr (EST) gestartet, hat 50 Antworten und der letzte Beitrag wurde um 21:44 Uhr eingestellt.
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Tabelle 19: Verteilung der Beitragsinhalte und Kommunikationspraktiken nach kodierten Knoten, Kanten und Einganggrad des Threads »Wake up« Anteil der Knoten
Anteil der Kanten
Eingangsgrad
Bezugnehmend
41,18 %
40 %
1,33//ohne OP 0,2
Abweichend
32,22 %
24 %
0,95
Inhalt der Beiträge
Meta
0
0
0
Keine
19,61 %
4%
0,3
Kommunikationspraktiken Memes
13,73 %
0
0
Spiel
7,84 %
0
7//ohne OP 1,33
Trolling
5,88 %
0
1
Keine Kodierung
72,55 %
24 %
0,51
Der OP des Threads enthält ein Bild einer schlafenden Frau, deren Dekolleté sehr offensichtlich zu erkennen ist. Der beigestellte Text ist formuliert im Stil des sogenannten Greentexts: GET 824113702 >wake up >see this WAT DO? Im OP wird dazu aufgefordert, das inszenierte Szenario mit fiktiven Geschichten oder Ideen zu ergänzen. Das Netzwerk entfaltet sich in wenigen Kommunikationsketten, welche sich gestreckt vom OP entfernen und vielen Beiträgen, welche nur auf den OP antworten und ohne Anschluss verbleiben.
Inhalt der Beiträge Nach Tabelle 19 nehmen 41,18 % der Beiträge Bezug auf den OP, indem sie angeben, was sie in der geschilderten Situation machen würden. Da hier auch der OP mit inbegriffen ist, ist der Eingangsgrad sehr hoch. Der Blick auf die Grafik (Abb. 37) zeigt allerdings, dass die meisten bezugnehmenden Beiträge
157
158
Digitale Kommunikationsstrukturen
seltener einen Anschluss erfahren und sich visuell nur im Zentrum, also in der Nähe des OP befinden. Beispiele sind dafür:2 GET 824114372. >>824113702 wait 5 more minutes for my alarm to wake me up GET 824114752. >>824113702 be happy and cuddle
Abbildung 37: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des Threads »Wake up«
2
Eine objektiv hermeneutische Deutung dieser Beiträge mag hier nicht ganz angemessen sein, aber ich möchte dennoch darauf hinweisen, dass man von einem einschlägigen Forum wie 4chan bei einem solchen Thread in der Regel erwartet, dass die Beiträge sehr sexistisch ausfallen und viele Gewaltphantasien beinhalten. Natürlich lassen sich in diesem Thread auch solcherart Beiträge finden, doch es erscheint gleichsam so, dass viele der Beiträge eher dem Muster der Erwartungsenttäuschung folgen und gerade dies zu vermeiden versuchen.
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Dagegen sind die themenabweichenden Beiträge in der Regel weiter vom OP entfernt, häufig selektieren diese einen bezugnehmenden Beitrag und schließen daran thematisch abweichend an. Daraus entstehen beispielsweise folgende Kommunikationen: GET 824116746. Are you all aware the girl in OP pic died of drug overdose? GET 824117158. >>824116746 That was basically proven as untrue. Her HIPPA files were pulled and there’s no mention of her death/death certificate in her files. GET 824118017. >>824117158 Who is/was she? Any more pics/vids of her? GET 824118342. >>824118017 Lurkmoar retard In einer parallelen Kommunikationskette, ebenfalls angestoßen durch den oben genannten Beitrag (GET 824116746), wird herausgestellt, dass es sich bei dem Bild um eine populäre Person auf der Plattform YouTube handelt: GET 824118576. >>824116746 She literally has an active YouTube channel retard GET 824119337. >>824118576 source? GET 824119554. >>824119337 Just search ciara r9k Diese weiteführenden Konversationen erzeugen dadurch jene Konversationsketten, welche in der Darstellung der Visualisierung der Netzwerke als sternförmige Auswüchse des Netzwerks zu beobachten sind.
Kommunikationspraktiken des Threads Zunächst ist festzuhalten, dass auch bei diesem Thread die Mehrheit der Beiträge (75,55 %) keinem der gelisteten kulturellen Aspekte entspricht. Den größten Anteil machen dabei die Memes aus. Bis auf ein Bild (sowie das Bild
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160
Digitale Kommunikationsstrukturen
vom OP) sind alle anderen eingestellten Bilder Memes, welche überwiegend direkt an OP anschließen. Allerdings wird an diese Memes überwiegend nicht weiter angeschlossen. Hier zeigt sich also, dass Memes tatsächlich die Anschlusswahrscheinlichkeit nicht erhöhen, sondern dazu neigen, dass die Kommunikation unterbrochen wird. Bemerkenswert ist ebenfalls, dass in diesem Thread keinerlei Meta-Äußerungen über den Thread, noch über 4chan beigetragen wurden.
Abbildung 38: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Praktiken des Threads »Wake up«
7.2.2 Roll 98 Der Thread 824355238 wurde am 03. April 2020 um 09:24 Uhr (EST) begonnen und endete um 10:38 Uhr. Auf den OP wurde 444 Mal geantwortet. Der OP schreibt in seinem Eingangsbeitrag: »ITT: We act all nice until someone
7. Netzwerk-Fallbeispiele
rolls 98«3 (GET 824355238). Damit fordert der OP die Teilnehmer:innen auf, an einem recht üblichen Forenspiel teilzunehmen: Es werden so lange Beiträge geschrieben, bis ein Beitrag eine Identifikationsnummer (GET) erhält, welche auf -98 endet. Da die Identifikationsnummern fortlaufend und global auf ganz 4chan vergeben werden und diese durch immer neue Beiträge schnell in die Höhe getrieben werden, ist es unmöglich vorauszusehen, welche Identifikationsnummer ein abgesendeter Beitrag erhalten wird (s. Kapitel 4.3.2). Insofern handelt es sich um ein Zufallsspiel. Bis die entsprechende Nummer beigetragen wurde, sollen die Beitragenden miteinander freundlich umgehen. Dadurch, dass /b/ für seinen außergewöhnlich rauen Umgangston bekannt ist, ist dies kein Hinweis auf eine einzuhaltende Etikette, sondern eine Herausforderung für die Teilnehmer:innen. Kurzum: Trolling ist nicht erlaubt. Wie aus den vielen Antworten zu entnehmen ist, dauert es über eine Stunde und 380 Antwortbeiträge bis ein Beitragender eine GET-Nummer mit der Endung -98 erhalten hat (GET 824358698). In dieser Zeit bleiben die Beiträge (bis auf sehr wenige Ausnahmen) überzeichnet freundlich. Darunter befinden sich Simulationen normaler Konversationen, das Einstreuen von Memes und auch Metabeiträge. Nachdem der Beitrag mit der Endung auf -98 beigetragen wurde, wurden überwiegend Trolling-Beiträge eingestellt.
Tabelle 20: Verteilung der Beitragsinhalte und Kommunikationspraktiken nach kodierten Knoten, Kanten und Eingangsgrad des Threads »Roll 98« Anteil der Knoten
Anteil der Kanten
Eingangsgrad
Bezugnehmend
43,15 %
30,17 %
1,87//ohne OP 0,53
Abweichend
6,29 %
0,43 %
0,36
Inhalt der Beiträge
3
Meta
23,6 %
2,59 %
0,36
Keine
26,97 %
3,02 %
0,48
»ITT« ist ein Akronym für »In This Thread«.
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Digitale Kommunikationsstrukturen
Kommunikationspraktiken Memes
15,96 %
Spiel Trolling Keine Kodierung
3,66 %
0,58
9,21 %
6,68 %
6,44//ohne OP 0,18
5,17 %
0,86 %
0,57
69,66 %
21,12 %
0,47
Inhaltliche Kodierung Bei der inhaltlichen Kategorie wird deutlich (s. Tab. 20), dass ein großer Anteil der Beiträge (43,15 %) der Aufforderung des OP nachkommt. Indes bilden sich allerdings auch viele Beiträge aus, welche über das Verfahren des Spiels sprechen: GET 824356657. >>824356597 Oh dear, we came very close, didn’t we?
Abbildung 39: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des Threads »Roll 98«
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Nach der anfänglichen Begeisterung der Beitragenden werden später mehr Metabeiträge geteilt, welche daraus bestehen, sich selbst als Gewinner zu prognostizieren oder mit der Äußerung der Hoffnung, dass der Thread bald vorbei sei: GET 824358178. I just want it to end already GET 824358324. OP here, this is just as frustrating for me as it is for everyone else Dass 43,15 % der Beiträge als themengebunden kodiert wurden, hängt damit zusammen, dass sie der Aufforderung des OP entsprechen. Bereits die Art des Threads im Sinne der Aufforderung des OP und der Architektur dieses Forenspiels zeigt, dass es sich bei einem solchen Thread überhaupt nicht um Inhalte handelt. Der wesentliche Kern der Kommunikation hierbei ist es, Mitteilungen zu produzieren. Einerseits ist das ausgeschriebene Ziel der Unterhaltung das (zufällige) Erreichen einer GET-Nummer, welche auf -98 endet. Andererseits ist es ebenfalls gefordert, die Form der Mitteilungen besonders freundlich zu halten. Der Inhalt indes ist zweitrangig. Die Kommunikationsketten, welche sich von OP entfernen, beziehen sich auf sehr unterschiedliche Themen. Doch häufig wird dabei die von OP gesetzte Voraussetzung der Höflichkeit bewahrt. Darunter finden sich folgende Inhalte: • • • •
Das Einstellen von Bildern mit ästhetisch unansprechenden Personen und der Frage »am I pretty?« (GET 824357301) oder »lovely« (GET 824359072), Vorschläge, in diesem Rahmen über /b/ zu sprechen: »How about we all sit down and talk about /b/?« (GET 824356458), das Beitragen von Memes, wie is the pool open?, das Kommentieren der vorausgegangenen GET-Nummern, welche häufig knapp die Endung -98 verfehlen.
Die letzten beiden Aspekte beziehen sich offensichtlich auf die Mitteilungsformen, während die ersten beiden die Dissonanz von Information und Mitteilung spielerisch für sich nutzen. Auf 4chan ist es in der Regel üblich, Personen, welche weit aus dem Rahmen ästhetischer Standards fallen, zu diffamieren. Die vorgegebene Form der Freundlichkeit aber stellt die Anforderung, kreative Formen der Diffamierung zu finden oder zu warten, bis eine GET-Nummer auf der Endung -98 beigetragen wurde. Ähnliches gilt für die Meta-Themati-
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Digitale Kommunikationsstrukturen
sierung des Unterforums /b/. So muss auch das Trolling anderer Nutzender kreativ umgangen werden: GET 824356458. How about we all sit down and talk about /b/? GET 824356483. >>824356458 Discuss, brother. GET 824356609. >>824356483 Well, I enjoy talking about my experiences of /b/ on reddit most of all GET 824356671. >>824356609 you don’t have anything to say do you GET 824356750. >>824356671 Oh really? I did so look forward to posting screenshots on r/4chan for upboosts!4 GET 824356855. >>824356750 i don’t know it is getting quite difficult to stay nice Der dritte Beitrag der Konversation (GET 824356609) entspricht einer Offerte 4chan-Nutzenden gegenüber, da die Plattformen 4chan und reddit in einem Konkurrenzkampf stehen. Die Nutzung von reddit wird auf 4chan als Anlass zum Trolling der entsprechenden Nutzenden genommen. Dennoch versuchen die Nutzenden, in Einhaltung der Form der Freundlichkeit auf diese Provokation einzugehen. Dadurch, dass der provozierende Beitragende seine Absichten hinsichtlich des upboosts auf reddit zuschärft, wird deutlich, dass es genau um dieses Spiel zwischen Provokation und dem Erhalt der freundlichen Mitteilungsform geht. Die Funktion dessen ist, nicht über /b/ zu sprechen. Stattdessen erzeugt und exploriert die Kommunikation mit unterschiedlichen Mitteilungsformen, welche der Mitteilungen (mehr oder weniger) den Anforderungen des OP entsprechen.
4
r/4chan ist ein Unterforum auf der Plattform reddit. Upboot bezeichnet, dass ein Beitrag auf reddit durch die positive Bewertung anderer Nutzender einen höheren Stellenwert auf der Homepage erreicht.
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Bemerkenswert ist auch, dass sich (bis auf wenige Beiträge) die überwiegenden Beitragenden an die Anforderung der freundlichen Etikette gehalten haben. Für eine Plattform, welche für ihre Regellosigkeit bekannt ist, scheint dies recht erstaunlich zu sein. Doch das Interesse am Befolgen dieser Regel scheint sich durch die Möglichkeit des Formspiels zu ergeben sowie durch die Ambivalenz, welche durch die Freundlichkeit in einer so rauen Umgebung geschaffen wird. Interessant ist ebenfalls festzustellen, dass die Nutzenden mit zunehmender Zeit Meta-Beiträge schreiben, in denen sie den zufälligen Gewinn ihres Beitrags antizipieren: GET 824358456. Good Evening Brothers, this will be the one ! Dies geht so weit, dass sogar der tatsächliche Gewinner des Spiels, welcher eine Identifikationsnummer mit der Endung -98 erhält, in seinem Beitrag diesen Gewinn antizipiert: GET 824358698. Yay I did it Das heißt also, dass die hohe Komplexität in einem solchen Spiel nicht erwartet wird. Stattdessen sind die Nutzenden bei Spielen mit der GET-Nummer darauf eingestellt, dass sich recht schnell ein gewinnender Beitrag finden lässt, wie es bei dem Fallbeispiel »Wake up« der Fall ist. Insofern erklärt sich auch, dass unter der Konversationsstruktur in der Regel Threads mit wenigen Beiträgen zu finden sind.
Kommunikationspraktiken Tabelle 20 zufolge lässt sich mit 72,36 % ein sehr großer Teil der Beiträge gar nicht als Ausprägungen der kulturellen Kategorie zuordnen. Die meisten kulturell zugeordneten Beiträge bestehen aus visuellen Memes (13,03 %). Es entsprechen 57,14 % aller eingestellten Bilder einem visuellen Meme. Viele dieser Memes sind auf der Plattform häufig verwendete Memes, wie beispielsweise Pepe der Forsch (s. Kapitel 4.3.1). Die Memes machen in diesem Thread anteilig 19,1 % der Beiträge aus. Auch der Memespeak wird anlässlich des Threads in vielen Beiträgen reaktualisiert:
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Digitale Kommunikationsstrukturen
GET 824356106. hello fellow /b/eople I must say quite the pleasent thread we have going here. Congratulations dear OP GET 824356175. >>824356106 Very pleasant indeed, but if I may ask, Is the pool open?
Abbildung 40: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Praktiken des Threads »Roll 98«
Nicht nur die Verwendung von /b/ als Wortbaustein für die Anrede anderer Beitragenden, wie bei /b/eople, /b/ro, /b/tard, entspricht einem üblichen Memespeak. Die Frage »is the pool open?« referiert auf ein Meme, welches seit 2006 unter dem Slogan Pool’s Closed bekannt wurde und auf einem damaligen Raid5 gegen das Spiel Habbo Hotel basiert, welcher so weit ausuferte, dass Nut-
5
Ein Raid ist eine Art des Überfalls einer anderen Plattform.
7. Netzwerk-Fallbeispiele
zende Hotelbetriebe in den USA mit Scherzanrufen dazu brachten, ihre Hotelpools zu schließen – mit der Begründung »Pool’s closed due to Aids«. Ein weiteres Beispiel für die Verwendung von Memespeak ist folgende Nachfrage: GET 824356087. How do I triforce? Dies referiert auf ein Meme, welches neue und alte Nutzende voneinander unterscheiden soll. Mit der Eingabe eines bestimmten Codes in das Texteingabefeld lässt sich nämlich eine triadische Anordnung von drei Dreiecken erzeugen, welche, wenn man den richtigen Code eingibt, auch korrekt angezeigt wird. Ist dem nicht der Fall, entlarvt sich der Nutzende als Newfag, also als Neuling auf der Plattform. Festzuhalten ist demnach, dass dieses Forenspiel dafür zum Anlass genommen wird, bereits bekannte und häufig verwendete Memes anzubringen. Dennoch bilden diese einen vergleichsweise niedrigen Anteil der Kanten untereinander aus – auf ein solches Meme wird also in der Regel selten mit einem Meme reagiert. Auch der Eingangsgrad lässt darauf schließen, dass Memes hier keinen großen Anschlusswert besitzen (sofern man OP nicht mitberücksichtigt). Unter den Beiträgen dieses Fallbeispiels lassen sich allerdings einige Beiträge finden, welche als Teilnahme an dem Spiel kodierbar sind, obwohl es sich hierbei um ein klassisches Forenspiel handelt. Der Grund liegt darin, dass die meisten Beiträge nicht die generalisierten Spielbegriffe wählen, wie beispielsweise »Roll«, sondern sehr viel kreativer in ihren Antworten sind. Und selbst jene Beiträge, welche mit generalisierten Spiel-Begriffen gespickt sind, gestalten sich kreativ aus: GET 824356706. Lend thy eyes for but a moment as I roll in good faith and graces of the outcome, right then gents! Nicht zu vernachlässigen ist natürlich, dass die überwiegende Anzahl der Beiträge keiner Kommunikationspraxis zugeordnet werden konnten. Insofern liegt der Hauptfokus des Threads nicht darauf, Kommunikationspraktiken zu reproduzieren. Vielmehr liegt der Hauptfokus auf dem Spiel mit den Mitteilungsformen, wie ich obenstehend festhalten konnte.
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Digitale Kommunikationsstrukturen
7.3 Reaktionsstruktur Untenstehend befinden sich zwei Fallbeispiele aus der Reaktionsstruktur. Das erste Fallbeispiel »Trips decides« dreht sich darum, einen Nutzernamen für einen Account auf dem Spieleportal der Konsole PlayStation zu finden. Der zweite Thread »The female prison« entspricht ebenfalls einem forenüblichen Spiel, bei dem die Nutzenden für unterschiedliche GET-Nummern einen Gewinn erzielen können.
7.3.1 Trips decides Tabelle 21: Verteilung der Beitragsinhalte und Kommunikationspraktiken nach kodierten Knoten, Kanten und Eingangsgrad des Threads »Trips decides« Anteil der Knoten
Anteil der Kanten
Eingangsgrad
Bezugnehmend
80,39 %
80 %
1,22//ohne OP 0,2
Inhalt
Abweichend
7,84 %
0
0
Meta
1,96 %
0
0
Keine
9,8 %
0
0
Memes
23,53 %
4%
0,58
Spiel
5,88 %
0
14//ohne OP 0
Trolling
1,96 %
0
0
Keine Kodierung
68,63 %
0
0
Praktiken
Der Thread »Trips decides« (GET 823692526) wurde am 26. März 2020 um 18:25 Uhr (EST) gestartet und endete gute 20 Minuten später mit dem letzten Beitrag um 18:48 Uhr. Der Thread stellt ein klassisches Spiel der Plattform dar, welches sich die scheinbar zufällige Generierung der GET-Nummern der Beiträge zu Nutze macht. Der Eingangsthread (OP) schreibt: GET 823692526. Trips decides my psn username
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Das bedeutet, dass die Teilnehmer:innen mit dem Einstellen eines Beitrags in diesem Thread automatisch an dem Spiel teilnehmen und aufgefordert sind, mit ihrem Beitrag einen Nutzernamen für den OP auf dem Spieleportal der Konsole PlayStation (psn) auszuwählen. Erhält einer der Beiträge eine GETNummer mit einer Endung auf drei gleiche Zahlen (Trips), so hat dieser gewonnen, was bedeutet, dass der OP verspricht, den vorgeschlagenen Nutzernamen des Beitrags auf der PlayStation-Plattform zu verwenden. So gewinnt in diesem Spiel der Beitrag »NiggaFaggot911« (GET 823693666). Die visuelle Darstellung des Netzwerks des Threads (s. Abb. 41) lässt erkennen, welcher der dargestellten Knoten jener Beitrag ist, der mit seiner GET-Nummer das Spiel gewonnen hat. Dieser bildet den zweiten (oberen) Auswuchs des Netzwerks, um den sich zum Ende der Threadlaufzeit sieben weitere Beiträge anknüpfen.
Inhalt der Beiträge
Abbildung 41: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des Threads »Trips decides«
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Digitale Kommunikationsstrukturen
Mit 80,39 % ist ein sehr großer Anteil der inhaltlichen Beiträge bezugnehmend auf den OP (s. Tab. 21). Die abweichenden Beiträge sind insbesondere jene, die auf den Beitrag reagieren, welcher gewonnen hat. Gleiches gilt für die Beiträge, die gar keinen Bezug mehr zu dem Spiel haben. Ebenfalls auffällig ist, dass nur ein Beitrag über das Spiel berichtet und als Meta-Beitrag kodiert wurde: GET 823694189. Did op die? Dieser wurde als letzter Beitrag eingestellt und bezieht sich scheinbar darauf, dass, nachdem ein Beitrag gewonnen hat, sich OP hinsichtlich seines Versprechens nicht mehr geäußert hat.
Kommunikationspraktiken
Abbildung 42: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Praktiken des Threads »Trips decides«
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Die Häufung des prozentualen Anteils der Memes (23,53) zeigt, dass dieses Spiel ebenfalls zum Anlass genommen wird, um Memes zu reaktualisieren (s. Tab. 21). Verwendet werden aber keine Bilder. Die Memes werden in den Vorschlägen für den Nutzernamen selbst untergebracht. So beispielsweise: GET 823693217. >>823692526 Wewuzkangz666 GET 823693300. LogEater1488 Der Begriff »Wewuzkangz« ist eine Abwandlung des Memes WE WUZ KINGS, welches seinen Ursprung auf der Unterseite /pol/ hat. Unter dem Begriff verbirgt sich eine ganze Theorie hinsichtlich der Ursprungspopulation Ägyptens und deren Hautfarbe. Das zweite Meme »LogEater« stammt ursprünglich von /b/ und ist Teil einer weitläufigen Parodie über den US-amerikanischen Sänger Andy Sixx (bürgerlich: Andy Biersack). Ferner lässt sich festhalten, dass generalisierende Begriffe des Spiels kaum verwendet werden. Auch hier wird, ähnlich wie bei dem Thread »Roll 98«, spielerisch und kreativ mit den – von OP – vorgegebenen Möglichkeiten umgegangen.
7.3.2 The female prison Der Thread GET 831011191 wurde am 29. Juni 2020 um 00:12 Uhr erstellt und wurde mit dem letzten Beitrag um 03:15 Uhr beendet. Auf OP wurde mit 350 Beiträgen geantwortet. Der OP beginnt mit der Aufforderung zu einem Spiel, welches mit der Aufforderung zu rollen mit dem »Roll-98«-Thread vergleichbar ist (s. Kapitel 7.2.2). Allerdings ist dieses Forenspiel in eine konkret dafür designte Geschichte eingebettet: GET 831011191 (OP). Alright /b/, the female prison is too overcrowded, so we’re gonna give a few to you guys. The only catch is, you don’t get to choose which one, and we’re not liable for anything that they might do to you. And don’t worry, they won’t leave you. They must stay with you for life as part of the deal for being set free, or they’re going right back in. Now get rolling losers.
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Digitale Kommunikationsstrukturen
Abbildung 43: Angehängtes Bild zum Eingangsbeitrag von OP des Threads »The female prison«
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Angehängt ist ein Bild, welches diesmal die Endungen der GET-Nummern zu den Gefängnisinsassinnen zuordnet (s. Abb. 43). Tabelle 22 zeigt die Ergebnisse der Kodierung des Threads.
Tabelle 22: Verteilung der kodierten Knoten des Threads »The female prison« Anteil der Knoten
Anteil der Kanten
Eingangsgrad
Bezugnehmend
67,81 %
67,71 %
1,44//ohne OP 0,09
Abweichend
20,51 %
1,14 %
0,06
Meta
0,57 %
0
0,5
Keine
11,11 %
0,29 %
0,05
Memes
2,85 %
0
0,3
Spiel
58,97 %
58 %
1,63//ohne OP 0,08
Inhalt
Praktiken
Trolling
0,28 %
0
0
Keine Kodierung
37,89 %
1,43 %
0,07
Inhalt der Beiträge Inhaltlich nehmen die Beiträge zu 67,81 % Bezug auf den OP. Jene Beiträge bestehen in der Regel nur aus dem Begriff »Roll« oder aus anderen, sehr vereinfachten Begriffen. So beispielsweise »GIMME« (GET 831011590; als Abkürzung für »Give Me«) oder »rollfu« (GET 831012977; als Abkürzung für Roll For Waifu6 ). Die 20,51 % der Beiträge, welche ich als abweichende Beiträge kodiert habe, bestehen fast ausschließlich aus Beiträgen, welche sich auf sich selbst beziehen und ihren individuellen Ausgang des Spiels bewerten. So beispielsweise: GET 831014214. >>831014163 I’m ok with this
6
Waifu ist ein Memespeak, welcher imaginäre Frauen bezeichnet. In der Regel handelt es sich dabei allerdings um gezeichnete Frauen aus sogenannten Mangas/Animes.
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Digitale Kommunikationsstrukturen
GET 831014402. >>831014336 i got the uglier version of my ex …great GET 831015299. >>831015139 Fuck. What a waste. Another addict. Good looking though.
Abbildung 44: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des Threads »The female prison«
Bemerkenswert an diesen Beiträgen ist, dass die Teilnehmer:innen gar nicht die Interaktion mit anderen Nutzenden eingehen. Stattdessen kommentieren sie nur die Zufälligkeit ihrer eigenen GET-Nummer und dem damit zusammenhängenden Ausgang des Spiels für sie. Dafür beschäftigen sich nur sehr wenige Beiträge mit einer Metabetrachtung (0,57 %). Und diese Beiträge stellen überwiegend nur Fragen zu dem Spiel an sich: »Are a lot of these pictures real mugshots?« (GET 831014288). Die Beiträge, welche keinen Bezug zum Spiel haben, sind insbesondere Beiträge, die entweder nur einzelne Buchstaben wie »A« (GET 831015566) als Beitrag eingeben oder nicht ganz identifizierbare Zusammensetzungen von Buchstaben wie »Ugh« (GET 831016620) oder »Trst« (GET 831017631).
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Kommunikationspraktiken Die Kodierung der Kommunikationspraktiken besteht größtenteils aus Beiträgen, welche den generalisierten Begriffen des Spiels zugeordnet werden können (58,97 %). In den allermeisten Fällen ist das der Begriff »Roll« in verschiedenen Abwandlungen. Diese Beiträge haben damit auch den höchsten Eingangsgrad, da, wie weiter oben beschrieben, die Nutzenden häufig auf ihre eigenen Beiträge reagieren, diese aber häufig nur den Begriff »Roll« beinhalten. Damit ist der Thread der einzige unter den Fallbeispielen, bei welchem sich mehr als die Hälfte der Beiträge einer Kommunikationspraktik zuordnen lassen.
Abbildung 45: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Praktiken des Threads »The female prison«
In dem Thread lassen sich darüber hinaus mit 2,85 % aller Beiträge nur sehr wenige Memes finden. Und jene, die sich in dem Thread finden lassen, entsprechen Memespeak-Begriffen, die sich häufig auf die Begriffe »Waifu« oder »Jailfu« belaufen.
7.4 Zusammenfassung der Fallbeispielanalyse Mit den Hypothesen 3 und 4 habe ich angenommen, dass die Kommunikationspraktiken sowie die Inhalte der Threads als Kontingenzreduktionen im Zu-
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Digitale Kommunikationsstrukturen
sammenhang mit den Kommunikationsstrukturen stehen. Aufgrund dessen wurden obenstehend jeweils zwei Fallbeispiele aus jedem der drei Strukturen ausgewählt. Die Ergebnisse der Fallbeispielanalyse zeichnen ein durchaus diverses Bild der Verwendung von Kommunikationspraktiken, wie auch bei dem inhaltlichen Bezug der Beiträge zu dem OP. Abbildung 46 zeigt anhand von vier Diagrammen nochmals die prozentuale Verteilung der kodierten Kategorien seitens der Kommunikationspraktiken sowie seitens der inhaltlichen Kategorien. Ganz klar erkennbar ist, dass in fast allen Beispielthreads – unabhängig von Größe oder Struktur – mehr oder weit mehr als die Hälfte der Beiträge keine Kommunikationspraktiken beinhalteten. Eine Ausnahme bildet der Thread »The female prison«, welcher mit 52,99 % der Beiträge der Kommunikationspraxis des Spiels entspricht. Nennenswert ist ebenfalls, dass sich die Kommunikationsstrukturen bei den komplexen Threads zwischen den unterschiedlichen Praktiken stärker voneinander differenzieren als bei nicht-komplexen Threads. Hier unterscheiden sich die Strukturen sehr in der Verwendung von Beiträgen, die auf Spielpraktiken hindeuten, aber auch (leicht) hinsichtlich der Verwendung von Memes und der Praktik des Trollings. Die komplexe Reaktionsstruktur zeichnet sich durch die Spielpraktik aus, die Konversationsstruktur dagegen durch einen etwas höheren Anteil von Memes und Trolling. Insgesamt sind allerdings die Praktiken des Trollings und der Verwendung von Memes recht gering ausgeprägt, obwohl sie in der Forschungsliteratur einen so hohen Stellenwert innehaben. Insbesondere bei den inhaltlichen Aspekten lässt sich eine höhere Bezugnahme der Beiträge zu dem – vom OP vorgeschlagenen – Inhalt bei der Reaktionsstruktur feststellen. Ebenfalls zeigt sich eine Tendenz dazu, dass die Konversationsstruktur vergleichsweise stark von den Inhalten abweicht und dass diese Threads vergleichsweise häufig gänzlich von den Inhalten abweichen (bei r>300). Darüber hinaus ist zu bemerken, dass die hybride Struktur bei dem Thread mit r>300 deutlich mehr Meta-Beiträge beinhaltet als die anderen Fallbeispiele. Zuletzt sei angefügt, dass in fast allen Beispielthreads mehr als die Hälfte der Beiträge mit Bildern auch Memes enthalten haben. Eine Ausnahme bildet hier der Thread »Faces of /b/«, welcher Beispiel für eine Konversationsstruktur mit wenigen Beiträgen war.
7. Netzwerk-Fallbeispiele
Abbildung 46: Inhallte und Kommunikationspraktiken bei den Fallbeispielen
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Digitale Kommunikationsstrukturen
Die inhaltliche Bindung der Beiträge an den OP scheint zunächst ein deutliches Bild zu zeichnen. Gerade die Reaktionsstruktur führt hier deutlich mit den bezugnehmenden Beiträgen. Allerdings sind die anderen inhaltlichen Aspekte der Beiträge durchaus gestreuter: Hier lässt sich kein deutliches Bild zeichnen, ob die Strukturbildung mit der Abweichung vom Thema, dem Beginnen mit anderen Themen in einem Thread oder mit Meta-Diskussionen zusammenhängt. Zusammenfassend lässt sich also nicht eindeutig bestätigen, dass die inhaltlichen Aspekte der Beiträge einen Einfluss auf die Struktur des Threads haben (s. Hypothese 3). Zwar gibt es Hinweise darauf, dass die Reaktionsstruktur deutlich themenbezogener ist als die anderen Strukturen – weitere Zusammenhänge lassen sich allerdings nicht deutlich bestätigen. Wie und ob dies auch nur ein Effekt der Stichprobe ist, könnte nur anhand einer größeren Stichprobe oder einer quantitativen Untersuchung, gestützt durch Topic Modelling, untersucht werden. Diese Ergebnisse sind selbstverständlich nicht repräsentativ, da es sich um derart geringe Fallzahlen handelt (n=2 für jede Struktur). Doch fast wichtiger als das, was die Fallbeispiele zeigen, ist das, was sie nicht zeigen konnten. Gerade bei den nicht-komplexen Threads gibt es nur recht geringe Unterschiede zwischen den drei Strukturtypen hinsichtlich der Kommunikationspraktiken. Und auch bei den Threads mit vielen Beiträgen bildet der Reaktionstyp den einzigen Ausreißer mit seiner sehr hohen Anzahl an Spielen. Die Hypothese 4 also, dass die Kommunikationspraktiken auf 4chan/b/ einen Einfluss auf die Kommunikationsstruktur haben, lässt sich anhand dieser Fallbeispiele nicht bestätigen.
8. Diskussion
In diesem Kapitel diskutiere ich die empirischen Ergebnisse, indem ich die unterschiedlichen Strukturaspekte 4chans zusammenführe und auf die in Kapitel 2 und 4 diskutierten theoretischen Aspekte beziehe. Eine erste Zusammenfassung könnte wie folgt lauten: Die Kommunikation auf 4chan/b/ bildet Strukturen aus, welche im Zusammenhang mit generalisierten Formen der Wiederholung und Variation stehen. Im Laufe der vorliegenden Arbeit habe ich unterschiedliche Annahmen getroffen, welche ich auch methodisch unterschiedlich behandelt habe. Jene Annahmen habe ich einerseits aus der Theorie hergeleitet, andererseits aber auch der bereits vorhandenen Literatur über 4chan entnommen. Ziel war es zu überprüfen, ob sich auf dem Unterforum 4chan.org/b/ Kommunikationsstrukturen ausbilden – und wenn ja, welche. Doch musste ich bereits zu Beginn der Ausarbeitung feststellen, dass die Struktur der Kommunikation mit anderen Kommunikationsaspekten verknüpft sein kann. Dafür habe ich versucht, die Online-Kommunikation sowohl aus theoretischer als auch aus empirischer Sicht hinsichtlich mehrerer Punkte zu beleuchten. Beginnend mit der theoretischen Grundannahme der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation habe ich Annahmen getroffen, welche in erster Linie auf die Selbstorganisation der Kommunikation gezielt haben: sei es durch Eigendynamik, der Reduktion von Komplexität und Kontingenz oder der grundlegenden Annahme, dass Kommunikation über die Zeit Erwartungssicherheit generiert. Doch zugleich ist Kommunikation immer auch – die Erwartungssicherheit störenden – Zufällen ausgesetzt. Zudem scheinen Technik und Interface von 4chan die Generierung von Erwartungssicherheit durch die Darstellung von Threads, ihre kurze Lebensdauer und die Anonymität der Beitragenden auf den ersten Blick eher unwahrscheinlich zu machen. Die Forschungsliteratur
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Digitale Kommunikationsstrukturen
zu 4chan gab zudem Hinweise auf Kommunikationsaspekte, welchen ich eine Steigerung der Erwartungssicherheit zugeschrieben habe. Dazu zählen die Verwendung von Memes, Trolling und Spielen. Diese Kommunikationspraktiken waren ein Schwerpunkt der oben angeführten Fallbeispiele zur qualitativen Erkundung der Netzwerkformationen auf 4chan. Die qualitative wie die quantitative Netzwerkanalyse begründeten sich beide aus den, in Kapiteln 2 und 4, hergeleiteten vier Forschungshypothesen. Ihre Prüfung war Gegenstand der vorausgegangenen empirischen Kapitel. Entsprechend der inhaltlichen Reihenfolge beginne ich mit der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation. Dies war die theoriegeleitete Nullhypothese, deren Widerlegung die Voraussetzung für das gesamte Unterfangen dargestellt hat. Was macht die Kommunikation auf 4chan nun eigentlich wahrscheinlich?
8.1 Die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation Dass auf einer anonymen und höchst flüchtigen Plattform wie 4chan überhaupt Kommunikation zustande kommt, ist nicht selbstverständlich. Doch zeigen die Ergebnisse, dass entgegen dieser Erwartung auf der Plattform hochfrequentiert neue Beiträge oder neue Threads eingestellt werden. Damit bleibt aber die Frage, wie die von Luhmann skizzierten Hürden der Kommunikation überwunden werden oder ob dies überhaupt Hürden für computervermittelte Kommunikation sind. Das Problem des Erreichens von Empfänger:innen wird durch die schiere Masse von Besucher:innen der Plattform gelöst. Die räumliche und zeitliche Extension wird durch die Anzahl der Teilnehmer:innen kompensiert. »In anderen Situationen haben die Leute etwas anderes zu tun« (Luhmann 1981b: 26), trifft einfach auf Plattformen wie 4chan nicht zu. Vielmehr gilt: Das World Wide Web stellt ein fast unausschöpfliches Kontingent an Leuten, die gerade nichts anderes zu tun haben. Hier verhält es sich mit 4chan vielmehr wie mit Verbreitungsmedien (Luhmann 1996: 10) – und doch handelt es sich um Interaktionen (s. Kapitel 2 und 3). Allerdings haben diese Interaktionen offenkundig eine andere Qualität der Erreichbarkeit. Denn was eine Plattform wie 4chan nicht bietet, ist die Erreichbarkeit einer konkreten Adresse oder wenigstens einer homogenen oder kontrollierbaren Adressatengruppe (wie es bei Freundeslisten oder Followern gängiger Social Media Angeboten der Fall ist). 4chan ermöglicht lediglich, dass die Nachricht für alle anwesenden Personen sichtbar ist. Umgekehrt
8. Diskussion
besteht für die Leser:innen das Angebot, ständig neue Beiträge zu lesen und darauf zu antworten. Auf /b/ geht es insofern nicht darum, den Austausch mit einer bestimmten Person, oder den Austausch über ein bestimmtes Thema zu erwarten. Besucher:innen der Plattform begeben sich in eine zunächst ungezielt erscheinende Aufmerksamkeitslenkung. Die Aufmerksamkeitslenkung findet über das Interface statt, auf dem neue Threads und Beiträge fortwährend alte Threads und Beiträge ergänzen, verschieben und ablösen. Das Interface reduziert für die Nutzenden Komplexität: Auf der ersten Seite von /b/ werden zunächst nur 15 Threads angezeigt. Dargestellt werden jeweils der Eingangspost und die drei letzten Beiträge des Threads. Insgesamt sichtbar auf dem ersten Klick sind also nur 60 Beiträge. Die:der Leser:in kann sich dann entscheiden, einen der Threads auszuklappen und vollständig angezeigt zu bekommen oder auf eine der anderen, älteren Anzeigeseiten zu springen. Noch einfacher und gängiger ist das erneute Laden der Seite, welches durch die hohe Frequenz neuer Beiträge und Threads zu immer neuen Inhalten führt. Leser:innen können sich entscheiden, wann und wie viel neue Mitteilungen sie sich zuführen wollen. Die Optionen (und damit die Komplexität) sind aber durch Interface und dem bump-limit beschränkt. Ein gewisser Anteil an Threads erfährt keinen Anschluss und unterliegt, wie die Erhebung zeigt, vergleichsweise schnell der Flüchtigkeit der Plattform.1 Beispielsweise verweilen Threads mit nur einer Antwort lediglich 4,47 Minuten auf der Plattform. Mit einer derart kurzen Lebenszeit haben Leser:innen kaum eine Chance, alle aktiven Threads zu lesen. Doch wenn auch nur ein weiterer Beitrag angefügt wird, ist die Chance schon um ein Vielfaches höher, da diese Threads gleich eine erhöhte Lebenszeit besitzen und dementsprechend auch länger auf der ersten Seite verweilen. Dies beruht allerdings in erster Linie auf der Programmierung der Seite. Was hier wirkt, ist nicht nur die Selektion aller Kommunikationsteilnehmer:innen, sondern Zufall. Es ist Zufall, wer, wann, welchen Thread sieht oder nicht sieht. Und in der Regel werden viel häufiger Threads mit vielen Beiträgen betrachtet – denn diese sind sichtbarer, weil sie sich länger auf der Plattform halten. Gerade aber der Zufall der Sichtbarkeit sorgt dafür, dass immer bestimmte – nicht alle – Threads Kommunikation und Kommunikationsstrukturen ausbilden. Abhängig von der Antwortanzahl ist ein Thread dann sichtbarer oder unsichtbarer. 1
Diese Flüchtigkeit ließ sich leider nicht messen, da ich die Dauer eines Beitrags anhand der zeitlichen Differenz zwischen dem ersten und dem letzten Beitrag eines Threads errechnet habe.
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Hier greift der Matthäus-Effekt: »Wer hat, dem wird gegeben« (Merton 1985: 147f). Die vermittelte Kommunikation hält hier also eine andere Form der Unwahrscheinlichkeit des Erreichens bereit: die Pfadabhängigkeit aufgrund der Sichtbarkeit. Die Beitragenden wissen das natürlich auch: Wenn es um das Erreichen anderer Nutzenden geht, ist es am Aussichtsreichsten, an einem Thread zu partizipieren, der bereits viele Antworten besitzt. Ein gleiches Anschluss-Motiv findet sich bei der Zitation von wissenschaftlicher Literatur (Malsch, Schlieder 2004). Von dieser Erreichbarkeit hängt ebenfalls der Erfolg der Kommunikation ab – eine weitere Hürde, die Luhmann beschreibt. Die vorliegende Erhebung deutet Erfolg als kommunikativen Anschluss, der sich in den empirischen Netzwerkstrukturen manifestiert. Nicht alle Threads und auch nicht alle Beiträge erhalten eine Anschlusskommunikation, wie die empirische Untersuchung gezeigt hat. Der kommunikative Anschluss ist ungleich verteilt. Doch dort, wo Kommunikation im Sinne eines Anschlusses erfolgreich ist, dort wirken jene Mechanismen, welche Erwartungssicherheit erzeugen. Um das Ganze zusammenzufassen: Wahrscheinlichkeit und Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation auf 4chan sind durch die Sichtbarkeit der Beiträge bestimmt, weniger durch die Inhalte der Threads selbst.
8.2 Die drei Strukturen der Kommunikation Ich fahre fort mit der Hypothese H1 der vorliegenden Arbeit, der zufolge sich auf 4chan Kommunikationsstrukturen ausbilden. Wie ich herausstellen konnte, ließ sich aus dem Datensatz nicht nur eine, sondern gleich drei Strukturen der Kommunikation bestimmen: die Konversations-, die Reaktions- und die hybride Struktur. Die Konversationsstruktur zeichnet sich durch Kommunikationsketten aus, welche durch wenige Nutzende bespielt werden. Dadurch erzeugt sie den Eindruck, Ähnlichkeiten mit der Kommunikation unter Anwesenden zu haben. Die Ergebnisse der Auswertung zeigen auch einige Hinweise, die diese Annahme unterstützen würden. Insbesondere die Anordnung der aneinander anschließenden Beiträge fällt auf. Denn die Konversationsstruktur vermag es, innerhalb der Kommunikationsketten eine Prozessualität zu etablieren: Die Aufmerksamkeit der Kommunikation liegt immer auf der jeweils zuletzt beigetragenen Mitteilung. Die Kommunikation zwischen zwei oder mehreren Nutzenden synchronisiert sich sozusagen automatisch in diesen Konversationen (Esposito 1995: 231; Kieserling 1999: 41f). Doch diese Synchronität
8. Diskussion
kann nur dann zustande kommen, wenn Fortsetzungserwartungen gebildet werden, welche die Kommunikation am Laufen halten (Bucher 2001: 149). In der Kommunikation unter Anwesenden mögen sich solche Fortsetzungserwartungen bereits durch die sinnliche Unmittelbarkeit der umgebenden physischen Umwelt nahelegen. Die Wahrnehmung als Kriterium der Anwesenheit erzeugt Informationen, welche in der Kommunikation wechselseitig unterstellt werden können (Luhmann 1984b: 560f). Die Kommunikation auf Threads auf 4chan dagegen kann nur die Kontingenzreduktion durch Inhalte und Kommunikationspraktiken bieten. Ohne an dieser Stelle die Diskussion zwischen Kommunikation unter Anwesenheit und Abwesenheit allzu sehr vertiefen zu wollen, ist die Konversationsstruktur doch eine Art der Imitation der Kommunikation unter Anwesenden. Doch entstehen hier natürlich auch Asynchronität(en) und Gleichzeitigkeiten durch das Nebeneinander unterschiedlicher Konversationen in einem Thread, die dann wiederum inhaltlich redundant sein können (s. Kapitel 7.1.2). Zudem antworten die Beiträge in den Kommunikationsketten nicht auf die:den jeweilige:n Vorredner:in, sondern auf den vorausgegangenen Beitrag, also auf die Mitteilung. Die Akteure, Personen, Menschen oder Adressen der Kommunikation verschwinden hinter der Mitteilungshandlung. Für Zwecke der kommunikativen Adressierung reicht die Mitteilungshandlung aus. Insofern könnten die Kommunikationsketten auch von vielen unterschiedlichen Beitragenden erstellt worden sein – oder anders: Die genaue Anzahl sowie die Identität der Personen spielt für die Konversationsstruktur eine untergeordnete Rolle: »Gerade für das Netz gilt: selbst wenn noch ergründet werden kann, wer kommuniziert, so tritt gerade dieses ›Wer‹ in seiner Bedeutung oftmals hinter dem ›Was‹ und dem ›Wie‹ der Kommunikation zurück« (Perschke, Lübcke 2005: 4). Damit ist der Konversationstyp kein Ausdruck der Ähnlichkeit zwischen computervermittelter Kommunikation und Kommunikation unter physischen Anwesenheitsbedingungen. Vielmehr ist die Konversationsstruktur ein Zeugnis dessen, dass sich auch die Kommunikation auf 4chan klassischer Kommunikationsstrukturen bedienen kann, diese aber in einem ganz anderen Sinne ausgestaltet. Nicht die Beitragenden führen eine Konversation – vielmehr sind es die Beiträge, die jene Konversation führen. Dies ist ein empirisches Exempel für das systemtheoretische Verständnis von Kommunikation: Nur Kommunikation kommuniziert – und auf 4chan lässt sich das paradigmatisch beobachten.
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Die Reaktionsstruktur dagegen mag auf den ersten Blick so gar nichts mit Kommunikation zu tun haben. In gewisser Weise scheint es sich hier vielmehr um eine Publikation zu handeln, auf die reagiert wird – die Rezeption soziologischer Klassiker wäre ein Beispiel aus der Off- wie Onlinewelt (Malsch et al. 2007: 5.1f). Dabei haben die Fallbeispiele hier deutlich gezeigt, dass es sich bei der Reaktionsstruktur häufig um Spiele handelt. Doch finden sich in den Reaktionsstrukturen nicht alle Spiele der Plattform wieder. Greentext-Stories konnten hier gar nicht identifiziert werden. Stattdessen ist ein Zufallsspiel mit den Identifikationsnummern der Beitragenden charakteristisch für diesen Strukturtyp. Und sehr häufig werden dabei nur generalisierte Floskeln wie »Roll« beigetragen (s. Kapitel 7.3.2). Bei den Kommunikationen der Reaktionsstruktur geht es also nicht um die Interaktivität der Teilnehmer:innen oder Beiträge untereinander. Erfolgsversprechend ist hier stattdessen das Beitragen möglichst unaufwändiger Mitteilungen. Die Funktion der Beiträge ist dabei nicht die Erzeugung von kommunikativen Anschlüssen, denn diese ist bei der Reaktionsstruktur höchst unwahrscheinlich. Stattdessen ist einzig das Teilnehmen an diesen Kommunikationen offensichtlich Anreiz genug. Ich habe nun bereits an mehreren Stellen in den vorausgegangenen Kapiteln angemerkt, dass die hybride Struktur mit ihren deskriptiven Werten und ihren Netzwerkparametern ziemlich genau zwischen den beiden anderen Strukturtypen liegt. Dies war auch der Grund, diese Struktur als hybride Struktur zu bezeichnen. Hybride, weil die Struktur gleichsam Kommunikationsketten, aber auch reine reaktive Kommunikation beinhaltet. Dabei lässt sich gerechtfertigterweise die Frage stellen, ob es sich bei der hybriden Struktur um ein abhängiges Dazwischen, oder um eine unabhängige eigene Struktur handelt, welche sich durch die Durchmischung der anderen beiden Strukturen ergeben hat. Denn dieses Ergebnis lässt unterschiedliche Interpretationen zu. Für diese Arbeit habe ich mich dazu entschlossen, die Struktur in Anlehnung an Latour (1991) als Vermischung und damit als Hybridität zu verstehen. Allerdings nicht als kulturelle, soziale oder ethische Hybridität (Reckwitz 2015), sondern als strukturelle Hybridität. Doch das Ergebnis bleibt darüber hinaus für andere Interpretationen offen. Was die hybriden Strukturen in ihrem Ergebnis doch so interessant macht, ist, dass offensichtlich die Elemente der Konversation und Reaktion nicht scharf voneinander zu trennen sind. Vielmehr lässt sich durch die Daten annehmen, dass die Reaktionsstruktur eine Grundlage für die Bildung der hybriden Struktur sein kann. Die Reaktionsstruktur bietet mit ihren vielen Antworten einen großen Möglichkeitsspielraum für den Anschluss in Form von Kommunikationsketten an. Dies gilt aller-
8. Diskussion
dings nur dann, wenn auch inhaltlich ein Spielraum dafür geschaffen wurde, wie es beispielsweise bei dem »Roll 98«-Thread der Fall ist (s. Kapitel 7.2.2). Die unterschiedlichen Strukturen spannen somit ein Spektrum zwischen Interaktion und Reaktion auf und passen sich so in den Horizont der foreneigenen Inhalte und Praktiken ein. Dies soll untenstehend noch weiter ausgeführt werden.
8.3 Komplexität und Anordnungsfreiheit Doch zunächst komme ich zu der Komplexität der Kommunikation. Meine Hypothese 2 war, dass die Komplexität der Kommunikation in Wechselwirkung mit den Strukturen steht. Zunächst habe ich angenommen, dass weniger komplexe Kommunikationen mit höherer Wahrscheinlichkeit zur Strukturbildung neigen. Grund für die Annahme war die rein mathematische Vorstellung der geringeren Anordnungsfreiheit. Die Ergebnisse haben gezeigt, dass, entgegen dieser Annahme, die Kommunikationsstrukturen auf /b/ häufiger bei Threads mit vielen Beiträgen (r>300) auftreten. Das bedeutet, dass eine andere meiner Annahmen zutrifft. Es wird für die komplexe Kommunikation notwendig, eine Komplexitätsreduktion zur Verfestigung von Strukturen vorzunehmen. Jene Komplexitätsreduktion scheint aber vorrangig an die Konversationsstruktur gebunden zu sein. Denn jene großen Threads mit vielen Beiträgen verstetigen sich in der Regel zu einer Konversationsstruktur (bei r = 201 − 300 mit 63,68 %). Im Vergleich zu den anderen beiden Strukturtypen bietet die Konversationsstruktur die Möglichkeit, komplexe Threads zu erzeugen. Der Grund ist, dass bei dieser Struktur zwar weniger Nutzende partizipieren, diese aber durch die Inhalte an die Konversation gebunden werden. Beispielsweise entsteht in dem »Professor-Wilhelm«-Thread eine äußerst ausgedehnte Kommunikationskette hinsichtlich der Frage, ob die Diskussion des Themas auf 4chan angemessen sei (s. Kapitel 7.1.2). GET 827870587. why do this fist world thots care so much about it like sure your parents see your porn, and? you should be ok with it if you plan to make porn right? and you can just go on with your life even after this, like nothing changes, your little accepting parents will be ok with it, and even if they dont who gives a shit anyways
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GET 827870699. >>827870587 You don’t get it duuude, FEELINGS were shattered! Not proud of being here talking about morality, yet here we are. Is this the lowest point 4chan has ever reached? This is now a discuss-on-more-pressingissues thread. Darüber hinaus bieten diese Threads häufig mehrere Konversationsketten und damit unterschiedliche Bindungsmöglichkeiten. Die beiden anderen Strukturen können diese Möglichkeit des Ausbaus einer komplexen Kommunikation nicht bieten. Gerade die Reaktionsstruktur begrenzt die Größe des Threads in der Regel bereits von Beginn an. Denn die Spiele haben eine eingebaute StoppRegel. Wenn die gesuchte GET-Nummer beigetragen wurde, ist das Spiel vorbei. Hybride Strukturen bilden zwar auch Konversationen aus, verfügen aber entweder auch über eine Stopp-Regel (wie bspw. »Roll 98«) oder bieten nur einen geringeren Anlass zur Ausbildung von Kommunikationsketten. Insofern ist die Annahme, dass Konversationsstrukturen Komplexität reduzieren, nicht vollständig. Die Konversation erzeugt Komplexität und reduziert sie zugleich. In dem Problem der Komplexität ist zugleich die Lösung enthalten. Dass sich nun bei weniger komplexen Threads eine geringere Strukturbildung einstellt, ist verschiedenen Aspekten geschuldet. Einerseits haben die Threads ohne Antworten natürlich auch keine Möglichkeit, eine Struktur zu bilden. Andererseits aber, auch wenn man die Threads ohne Antworten herausrechnet, zeigt sich ebenfalls eine geringere Strukturbildung (wenn auch nicht ganz so gering: 42,41 % gegen 60,02 %). Dabei stimmt natürlich, dass die geringe Anordnungsfreiheit auch einige Strukturen hervorbringt, die hier nicht genannt wurden: Beispielsweise haben alle Threads mit nur einer Antwort die gleiche Struktur, weil sich hier eben nur zwei Beiträge miteinander verknüpfen. Diese Strukturen blieben aber anteilsmäßig so gering, dass sie nicht in die hier abgebildeten Strukturen eingeflossen sind. Das heißt, das Prinzip der geringen Anordnungsfreiheit wirkt zwar, allerdings nur in einem eingeschränkten Rahmen, der hier keine Relevanz erhalten hat. Sozialtheoretisch könnte man diesen Punkt ergänzen durch die Diskussion darüber, ab wann man sinnhafterweise von Gesellschaft spricht: bei dyadischen oder triadischen Verhältnissen (Lindemann 2010). Welchen Grund es dann ferner hat, dass dennoch 42,41 % der Threads mit wenigen Beiträgen keiner der hier aufgeführten Strukturen angehören, konnte nicht aufgeklärt werden.
8. Diskussion
Den Blick habe ich stattdessen auf die Reaktionsstruktur geworfen, welche bei weniger komplexen Threads den größten Anteil der Strukturbildung ausmacht. Wie bereits erwähnt, bleiben die Reaktionsstrukturen bei einer geringen Anzahl von Antworten, weil sie häufig eine bereits eingebaute Stoppregel haben (bei Spielen) oder mit Kommunikationspraktiken arbeiten, die die Kommunikation unterbrechen. Hier wird Komplexität dadurch reduziert, dass Regeln von Anbeginn auch das Ende des Threads garantieren. Wenn beispielsweise ein Spiel vorbei ist, ist es vorbei. Und wie das Fallbeispiel »Roll 98« zeigt, ist eine besonders komplexe Kommunikation hier gar nicht gewünscht. Viele der Beiträge verwenden einfach nur Begriffe wie »Roll«, um einfach nur an Spielen oder ähnlichen Praktiken teilzunehmen. Dabei legen die Antwortbeiträge auch gar keinen Wert auf einen weiteren Anschluss – und wenn, dann nur, um als Gewinner:in des Spiels auszugehen, das heißt der Beitrag denkt den Thread vom Ende aller Anschlüsse her. Die Anordnungsfreiheit wird bei diesen Strukturen also einerseits durch ihre geringe Größe und eingebaute Stoppregeln reguliert, andererseits auch durch die Inhalte der Beiträge, welche überwiegend OPs Aufforderung entsprechen. Die Reaktionsstrukturen sind damit eine Manifestation der Komplexitätsregulierung auf 4chan. Die Regulierung von Komplexität kann durchaus funktional sein. Weniger komplexe Threads lassen die Möglichkeit einer höheren ThreadFluktuation zu. Ziel dieser Reaktionsstrukturen ist nicht das langfristige Verweilen auf der Plattform, sondern die Kurzlebigkeit von kleinen Spielen oder Ähnlichem, die zugleich Platz macht für neue, andere Formen der Kommunikationen. Das Medium Sinn in der Form von Aktualität/Potentialität wird so durch die Reaktionsstrukturen beschleunigt reproduziert. Während in den Threads die Potentialität möglichst latent gehalten wird, erzeugt diese Vermeidungsstrategie eine höhere Potentialität durch neue Threads. Zuletzt sei als interessanter Sonderfall die Hybridstruktur zu beschreiben, die am häufigsten im Bereich zwischen 101 und 200 Antworten vorkommt. Dies fällt genau zusammen mit dem Messpunkt, an dem sich die Konversations- und Reaktionsstrukturen in ihr jeweiliges Gegenteil des Häufigkeitsaufkommens verkehren: Die Reaktionsstrukturen nehmen ab diesem Punkt ab, die Konversationsstrukturen nehmen zu. Es ließe sich also annehmen, dass das Zunehmen der hybriden Struktur an dieser Stelle so überwiegt, da es bei gering oder stark komplexen Threads durch die anderen Strukturen verdrängt wird, die sich dort sehr viel deutlicher ausprägen. Dass sich gerade bei mittlerer Komplexität eine starke Hybridität zwischen der Konversationsund Reaktionsstruktur ausbildet, ist eigentlich einleuchtend: An dieser Stelle
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sammeln sich jene Threads, die bereits über eine reine Reaktionsstruktur hinausgewachsen sind und das Mehr an Komplexität in Kommunikationsketten überführen. Doch sind es auch keine reinen Konversationsstrukturen, die darauf ausgelegt sind, noch mehr Komplexität zu erzeugen. Wie an den Fallbeispielen »Trips decides« oder »Roll 98« dargestellt werden konnte, zeichnen sich hybride Strukturen gerade dadurch aus, dass sie über eine eigentliche Reaktionsstruktur hinausgewachsen sind und zuzüglich Konversationen ausgebildet haben. Das heißt, die hybride Struktur kann Komplexität bis zu einem gewissen Grad erzeugen, bricht aber ab, weil jene Komplexität nicht ausreichend reduziert werden kann. Denn bei diesen Strukturen ist es einerseits möglich, an den Kommunikationsketten zu partizipieren, andererseits ist es aber auch genauso möglich einfach nur zu reagieren. Dadurch entsteht keine Einheitlichkeit der Kommunikation. Und durch das Interface bleiben die Anschlüsse an die Kommunikationsketten unübersichtlich und werden immer wieder durch andere Reaktionsbeiträge unterbrochen. Zuletzt möchte ich die sinkende Anzahl der Strukturen bei Threads mit über 300 Antworten (r=301-400) diskutieren. Ab 300 Beiträgen im Thread greift das bump-limit der Plattform. Jene Threads werden dann bei einem hinzukommenden Beitrag nicht mehr an den Anfang der Seite gestellt, sondern rücken immer weiter nach hinten. Die Threads, die mehr als 300 Antworten beherbergen, sind also die größten der Plattform. Der in diesem Antwortbereich zu verzeichnende Rückgang von Konversationsstrukturen lässt entweder darauf schließen, dass die Komplexität ab einer bestimmten Größe nicht mehr reduziert werden kann oder dass dies ein rein technischer Effekt des bumplimits ist. Wenn zweiteres gilt, ist anzunehmen, dass noch viel komplexere Threads, beziehungsweise Kommunikationsstrukturen, möglich wären. Das sind allerdings nur Mutmaßungen, die sich aufgrund des bump-limits empirisch nicht bestätigen lassen. Die Hypothese H2, dass die Komplexität in Wechselwirkung mit den Strukturen steht, lässt sich damit bestätigen. Es ließ sich sogar zeigen, dass jede Struktur unterschiedlich mit der Komplexität wechselwirkt: Die Reaktionsstruktur bildet Stoppregeln, die Konversationsstruktur ermöglicht die Ausbildung und Reduktion von Komplexität und die hybride Struktur kann Komplexität bis zu einem gewissen Grad erzeugen, allerdings nicht reduzieren.
8. Diskussion
8.4 Zufall und Eigendynamik der Kommunikation Des Weiteren möchte ich nun auf Basis der vorliegenden Daten das Problem der Erwartungssicherheit adressieren. Hinsichtlich der doppelten Kontingenz sozialer Situationen hatte ich angenommen, dass das Problem der Generierung von Erwartungssicherheit auf einer anonym-flüchtigen Plattform wie 4chan noch gesteigert ist. Die Kommunikation unter 4chan steht unter einer multikontingenten Situation. Dadurch würde die luhmann’sche Erklärung der Ordnung durch Zufall, beziehungsweise der Strukturbildung durch Zufall, zum Zuge kommen. Zufall ist gemeint im Sinne der wechselseitigen Unterstellung von Unsicherheit in der Kommunikationssituation. Ob sich die teilnehmenden Kommunikationspartner:innen gegenseitig Unsicherheit unterstellen, bleibt natürlich nicht messbar. Allerdings lassen die vorliegenden Daten nicht vermuten, dass die Strukturbildung nur auf Zufall beruht. Die Wiederholung der Netzwerke zeigt, dass überwiegend neu hinzukommende Beiträge auf 4chan in eine bereits bekannte Ordnung überführt werden. Dies spricht dafür, dass die Multikontingenz bereits vor der Kommunikation auf 4chan reduziert ist: Die Nutzenden wissen untereinander zwar nicht, wer spricht, doch es hat sich mit den Kommunikationsstrukturen auch eindeutig eine Erwartungsstruktur herausgebildet: Bei einem Roll-Spiel beispielsweise wissen die Nutzenden, was sie voneinander zu erwarten haben. Auch wenn Inhalte zur Diskussion gestellt werden, wie bei dem Fallbeispiel des »Professor-Wilhelm«-Threads, verfügen die Nutzenden über typische Erwartungen des Konversationsablaufs. Das scheint zunächst selbsterklärend zu sein, doch es ist für eine anonym-flüchtige Plattform ohne Regeln sehr voraussetzungsreich. Jene Strukturen müssen sich über die Zeit hinweg etabliert und verfestigt haben – und zwar so, dass sie von den Nutzenden immer wieder aufgegriffen und gegenseitig unterstellt werden können. Wiederholung bedeutet also, dass immer wieder erneut an die Erwartung erinnert wird. Entspricht ein Beitrag den Erwartungen nicht, erhält er eine entsprechende Reaktion, wie beispielsweise Lurk Moar (= informiere Dich besser über 4chan oder /b/). Zwar spielt die individuelle Person keine Rolle für die Kommunikation auf 4chan, dennoch werden die Nutzenden ihrerseits mit einem bestimmten Wissen über die Spielregeln im Netz – und speziell auf 4chan – sozialisiert. Luhmann (1984: 286ff) würde hier von der Interpenetration psychischer und sozialer Systeme sprechen, an deren Schnittstelle sich bestimmte griffbereite Schemata herausbilden, auf die sowohl Soziales wie Psychisches zurückgreifen. Diesen Prozess der Ko-Evolution zwischen den Nutzenden und 4chan
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nachzuzeichnen wäre Gegenstand weiterer Forschung, ist aber nicht Ziel dieser Arbeit gewesen. Dennoch spielt der Zufall eine bedeutsame Rolle in jeder Kommunikation. An der Reaktionsstruktur lässt sich das besonders gut zeigen: Der Zufall ist hier ein konstitutives Merkmal der Kommunikationsstruktur und bestimmt den Ausgang von Kommunikationsspielen. Aber auch die Konversationsstruktur birgt Zufälle. Die Fallbeispielanalyse zeigt, dass die meisten Abweichungen von dem Inhalt des OP bei der Konversationsstruktur zustande kommen. Währenddessen legt die Reaktionsstruktur eine inhaltliche Nähe nahe. Bei den Konversationsstrukturen können Gespräche in der Interaktion zu einer Themenabweichung oder gänzlich anderen Themen führen. Doch dem Fallbeispiel des »Professor-Wilhelm«-Threads kann entnommen werden, dass 29,42 % der Beiträge Memes und 11,95 % dem Trolling entsprechen, und diese Praktiken fallen in großen Teilen mit jenen Beiträgen zusammen, die keinen Themenbezug mehr zum OP haben. Ebenfalls fällt bei den Werten der quantitativen Untersuchung auf, dass jene Konversationsstrukturen mit vielen Beiträgen im Vergleich zu den anderen Strukturen die meisten Bilder aufweisen. In dem genannten Fallbeispiel konnten über die Hälfte der Bilder (62,92 %) als Memes identifiziert werden. Die Interpretation liegt nahe, dass hier mehr Memes beigetragen werden, weil mit der inhaltlichen Entfernung der Beiträge vom OP die Freiheit zunimmt, Memes einzusetzen. Das würde bedeuteten: Wenn sich die Beiträge inhaltlich von dem OP entfernen, werden Kommunikationspraktiken eingesetzt. Allerdings spricht diese Annahme dagegen, dass hier der Zufall wirkt. Im Gegenteil scheint dies vielmehr zu bestätigen, dass es bereits ein Regelwissen für den Fall der Themenabweichung gibt: nämlich die Orientierung in der Wiederholung. Jene Themenabweichungen entstehen aus den Kommunikationsketten heraus. Es handelt sich also nicht um zufällige Ereignisse, sondern – so stellt es jedenfalls das Fallbeispiel dar – um ein Produkt der Struktur. Der Rückgriff auf Kommunikationspraktiken könnte in diesem Fall also als ein Effekt der Struktur verstanden werden. Und auch die scheinbare Zufälligkeit der Kommunikationsspiele mit den Identifikationsnummern lässt sich als Erwartungssicherheit entzaubern: Gerade die Erwartung, dass irgendwann ein Beitrag eingestellt wird, welcher über diese Nummer verfügt, verleiht dem Spiel eine ganz genaue Erwartungsstruktur. Hier wirkt zwar ein natürlicher, aber kein kommunikativer Zufall. Bei der Frage nach dem Zufall sollte allerdings nicht übersehen werden, dass viele Threads im erhobenen Datensatz gar keine Antwort erhalten haben. Ich habe das obenstehend bereits angeführt und angemerkt, dass dies eine Zu-
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fälligkeit sei. Es ist aufgrund der hohen Partizipation und der hohen Fluktuation kaum denkbar, dass an alle Threads gleich wahrscheinlich und mit derselben Häufigkeit angeschlossen werden kann. Dieser Faktor verschränkt sich mit der Abhängigkeit der Sichtbarkeit eines Threads von der Anzahl an Beiträgen. Hier greift die Eigendynamik der Kommunikation ein, um zu selektieren, welche Threads besonders erfolgreich sind und welche nicht. Der einzelne Beitragende hat einen geringen Einfluss darauf, ob ein Thread erfolgreich wird. Von den wenigen, die den Thread sehen, kommt es darauf an, dass überhaupt jemand antwortet und damit die Wahrscheinlichkeit von weiteren Antworten erhöht wird. Eine Kommunikation auf /b/ ohne dieses Rauschen von sehr kleinen Threads oder von Threads, an die gar nicht angeschlossen wird, wäre daher eine ganz andere Art der Kommunikation – sie besäße vermutlich andere Interface-Voraussetzungen. 4chan lebt gerade davon, dass viele Kommunikationsmöglichkeiten gar nicht erst wahrgenommen werden. 4chan operiert sozusagen im Sinnhorizont der Möglichkeiten, die mit jedem Threadbeginn eröffnet werden und durch die Flüchtigkeit nur für eine bestimmte Dauer verfügbar sind. Damit versorgt sich die Kommunikation über die Zeit hinweg zuverlässig selbst mit immer neuen Chancen. Diese Zufälle werden zwar von den technischen Eigenschaften des Interfaces generiert, verschränken sich aber mit dem kommunikativen Zufall, ob jemand darauf antwortet. Was für die Kommunikationsteilnehmer:innen aber auch wie Zufall erscheinen kann, ist die Eigendynamik der Kommunikation. Meine dahingehende Annahme war, dass die Ausbildung einer Struktur aufgrund der Eigendynamik der Kommunikation unwahrscheinlich ist. Eigendynamik ist natürlich nur eine theoretische Variable, die sich in diesem Rahmen nicht messbar machen lässt. Einen Hinweis auf die Eigendynamik der Kommunikation auf 4chan bieten allerdings die Inhalte der Threads, welche in der Fallbeispielanalyse untersucht wurden.2 Dort konnte ich herausstellen, dass es gerade bei den Konversationsstrukturen, wie auch bei den hybriden Strukturen, nicht selten zutrifft, dass sich die Beiträge der Nutzenden im Verlauf der Konversation, beziehungsweise der Dauer des Threads, von dem Thema, dem Inhalt, der Anfrage oder der Aufforderung des OP entfernen können. Hier
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Ich komme nun zu jenen Annahmen und Aspekten rund um die Kommunikationsstruktur auf 4chan, welche sich am besten mit den Ergebnissen aus den Fallbeispielanalysen untermauern lassen. Allerdings muss ich an dieser Stelle darauf hinweisen, dass jene Ergebnisse nicht repräsentativ sind und die folgenden Ergebnisse als Interpretationsmöglichkeiten gelesen werden dürfen.
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zeigt sich, dass keine:r der Teilnehmer:innen der Kommunikation wirklich eine Handhabe über die Ausbildung der Inhalte und – so steht es zu vermuten – über die Ausbildung der Struktur hat. Doch die Eigendynamik bewegt sich nur in den Bahnen der hier vorgezeichneten Strukturmöglichkeiten. Es lässt sich also festhalten, dass der kommunikative Zufall nicht dort zu finden ist, wo man ihn vermutet. Erst die technischen Voraussetzungen der Plattform erzeugen gemeinsam mit der Eigendynamik der Kommunikation die für 4chan spezifische Form des Zufalls.
8.5 Erwartungssicherheit durch Inhalte und Kommunikationspraktiken Zuletzt habe ich angenommen, dass Erwartungssicherheit auf der Plattform durch Inhalte oder Kommunikationspraktiken hergestellt wird, welche die Strukturbildung einbetten. Daraus habe ich die Hypothesen 3 und 4 gebildet, dass Kommunikationsinhalte und Kommunikationspraktiken einen Einfluss auf die Struktur nehmen.
Inhalt Dass die Strukturbildung der Kommunikation auf 4chan in die Inhalte der Plattform eingebettet ist, war eine Annahme, welche auf der Untersuchung von Bernstein et al. (2011) beruht. Da ich mit dieser Arbeit den Schwerpunkt auf die Strukturen statt auf die Inhalte gelegt habe, kann ich keine vergleichbare Kategorisierung der Threadinhalte sowie der quantitativen Analyse aller Threads in meinem Datensatz anbringen. Allerdings zeigen die Reaktions- und die Konversationsstruktur, dass die Strukturen tendenziell unterschiedliche Inhalte haben. Beispielsweise lässt eine Reaktionsstruktur keine Diskussion über ein Thema zu, ebenso wie eine Konversationsstruktur für das Teilen von Content vermutlich zu interaktiv ist. Ich gehe allerdings nicht davon aus, dass Inhalte und Struktur eindeutig miteinander korrelieren (s. Kapitel 7.4). Insbesondere vermute ich, dass die von Bernstein et al. (2011) vorgeschlagene Kategorisierung nicht den entsprechenden Strukturen zuzuordnen ist. Beispielsweise entspricht das Fallbeispiel »Faces of /b/« durchaus der Nachfrage des Content-Teilens und dennoch entwickelt sich eine Konversation. Der Thread »Roll 98« entspricht mit der Aufforderung des OP eindeutig einem Spiel und dennoch handelt es sich nicht um
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eine reine Reaktionsstruktur. Die Threadstruktur wird schließlich auch durch Deutungspraktiken der Kommunikationsteilnehmer:innen miterzeugt.
Kommunikationspraktiken Die Forschung zu 4chan orientiert sich an besonders prominenten Kommunikationspraktiken. In der Literatur stechen insbesondere jene Phänomene heraus, die über die Plattform hinausragen. Insbesondere thematisiert wird die Verbreitung von Memes hinsichtlich 4chan als Meme-Factory (Chen 2012) und der Aspekt des Trollings (van Reenen 2013). Zu Beginn dieser Untersuchung habe ich damit gerechnet, mehr Memes und mehr Trolling auf der Plattform vorzufinden. Ich habe angenommen, dass diese die Ausbildung von Strukturen beeinflussen. Doch stattdessen sind diese Kommunikationsstrukturen in den allermeisten Threads nur Randerscheinungen. Auch ließ sich nicht bestätigen, dass an Memes oder an das Trolling häufiger angeschlossen wurde als an andere Beiträge. Dabei hatte ich in den vorausgegangenen Kapiteln herausgestellt, dass das Trolling und die Memetik eine Funktion auf der Plattform erfüllen (s. Kapitel 4.3.1 und 4.3.3). Meine Vermutung ist, dass diese auch in dem vorliegenden Datensatz eine Rolle für die Ausbildung für die Strukturen spielen – auch wenn sie nicht messbar ist.
Memes Memes beruhen auf dem Prinzip des Wiederholens und Veränderns. Bei Memes wird der Inhalt variiert, die Form bleibt allerdings – sei es als Bild oder als Text. Und diese kommunikativen Aspekte des Wiederholens der Form und des Veränderns des Inhalts entspricht genau dem, was ich in dieser Arbeit als Struktur bezeichnet habe. Die Reaktionsstrukturen wiederholen eine Form des immer erneuten Reagierens der Beiträge auf den OP, die Konversationsstrukturen wiederholen die Ausbildung diverser Kommunikationsketten zu einem geteilten Inhalt und die hybriden Strukturen wiederholen eine Vermengung dieser beiden. Die Reaktionsstrukturen weisen darüber hinaus sogar noch eine weitere Ähnlichkeit mit der Memetik auf, da hier eine Kommunikationsunterbrechung stattfindet. Gleich wie bei den Memes beruht die Reaktionsstruktur zwar auf dem Kommunikationserfolg, allerdings wird nicht mit einem Anschluss an die Beiträge gerechnet. Ähnlich wie bei Memes kann es dann aber sein, dass einzelne Beiträge einen Anschluss erzielen und dann aufgrund der Kombination von Form und Inhalt besonders gelungen sind – so wie bei dem Beispiel »Trips decides« der Beitrag »NiggaFaggot911« (GET 823693666) dadurch an Anschluss gewinnt, dass er die von OP gesuchte
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GET-Nummer hat. Damit mögen Reaktionsstrukturen zwar mehr Regularien unterliegen als Memes, sie bedienen sich allerdings der gleichen Art der Kommunikationsunterbrechung. Denn so wie fast alle anderen Kommunikationspraktiken auch blieb der Eingangsgrad der eingestellten Memes bei allen Fallbeispielen unter 1. Zusammenfassend operiert die Kommunikation auf 4chan memetisch. Ob diese Operationsweise allerdings eine forenspezifische Eigenheit oder eine Eigenheit der computervermittelten Kommunikation ist, sei dahingestellt. Dawkins (1976) konnte bereits vor dem Entstehen der ersten digitalen Plattformen sehr gut beschreiben, dass die Memetik das Soziale durchzieht. Daher ist es gar nicht überraschend, dass sich die Operation des Wiederholens und Veränderns auch in der vermittelten Kommunikation abbildet. Denn die vermittelte Kommunikation ermöglicht in Abgrenzung zur Kommunikation unter Anwesenden eine Mustervielfalt, die vor allem durch das schriftliche Festhalten der Kommunikationsbeiträge verfügbar gemacht wird.
Trolling Das Trolling dagegen entstammt unter anderem der Webhistorie des sogenannten Eternal Septembers (s. Kapitel 4.3.3). Trolling richtet sich gegen jene Nutzende, die nicht der scheinbar homogenen Gruppe der eingefleischten Nutzenden entsprechen. Dabei wird der Begriff Trolling grundlegend für zwei unterschiedliche Praktiken verwendet: Dem Diffamieren anderer Nutzender und dem Versuch, andere Nutzende mit falschen Aussagen zu täuschen. In den Fallbeispielen konnten ausschließlich Diffamierungen markiert werden. An diesen ließ sich zeigen, dass die Form des Trollings eine Art Selbstläufer geworden ist. In allen Threads lassen sich diffamierende Äußerungen den anderen Beitragenden gegenüber finden. Und gerade bei der Konversationsstruktur fallen Trolling- und Meta-Beiträge häufig zusammen, was dafürspricht, dass es sich (zumindest in Teilen) noch immer um Exklusionsmechanismen gegenüber jenen handelt, die noch nicht lange auf der Plattform sind. GET 827867369. >>827867274 Maybe it should stay on twitter. Fuck off. Die Konversationsstrukturen bieten damit nicht nur die Möglichkeit, sich über Themen auszutauschen, sondern auch immer wieder aufs Neue – ausgelöst durch eine thematische Diskussion – die Selbstbeschreibung der Plattform zu reaktualisieren. In diesem Zuge wird auch mitdefiniert, welche Nutzenden auf
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der Plattform inkludiert und welche exkludiert werden – das historische Ereignis des Eternal Septembers wirkt hier fort, wie dieses Beispiel aus dem »Professor-Wilhelm«-Thread belegt (s. Kapitel 7.1.2): GET 827873041. You don’t speak for all of us fedora fag. I’ve been on /b/ longer than anyone here […] GET 827873531. >>827873041 ›I’ve been on /b/ longer than anyone here‹ Prove it newfag. Post your oldest meme GET 827873671. >>827873531 fuck you, I’ve been here since Pepe was first created GET 827874138. >>827873671 barely oldfag territory at all but at least you tried GET 827873770. >>827873671 Don’t fucking lie summerfag, at least reference something old or gtfo bixnood Es ist auffällig, dass diese Szenen immer wieder aufgeführt werden und trotz der dadurch entstehenden Redundanz offenbar nicht an Relevanz verlieren. Unterfüttert wird dies, wie in dem oben angeführten Beispiel, mit Memes oder Memespeak. Diese werden als generalisierte Formen eingeführt, um sich als Expert:in auszuweisen. Der Anreiz, Konversationen zu führen, liegt also auch darin, immer wieder auszuhandeln, welche Perspektive 4chan als unterstellt homogene Nutzendengruppe auf bestimmte Themen hat. Das Trolling erzeugt eine Selbstbeschreibung der Plattform. Diese Selbstbeschreibung durch Trolling entspricht einem Re-Entry der Unterscheidung von 4chan zu seiner sozialen Umwelt und ist damit vielmehr Reflexion. Die Reflexion bezeichnet die Beziehung des Systems zu sich selbst (sofern man hier 4chan als System verstehen möchte) (Luhmann 1977: 56). Da die Nutzendengruppe empirisch allerdings dennoch sehr divers ist, kann diese Reflexion nie ganz störungsfrei verlaufen. Es wird immer auf eine Uneinigkeit hinauslaufen. Die Konsequenz ist, dass diese Diskussionen immer wieder erneut geführt werden. Am Ende ist diese Art des Trollings eine Sisyphos-Aufgabe, da es aufgrund der Anonymität keine Möglichkeit der Zurechnung gibt. Die Funktion des Trollings ist
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also offenbar nicht, Nutzende von der Plattform zu ekeln. Individuelle Nutzende mögen diesen Zweck verfolgen, doch die Kommunikation auf 4chan lassen die Zuordnung bestimmter Beiträge zu einzelnen Nutzenden nicht zu. Im Trolling vergewissert sich 4chan seiner eigenen Identität im Vergleich zu dem, was es nicht ist, und dafür operiert das Trolling, genau wie die Memetik, mit der Wiederholung von Formen und dem Verändern von Inhalten. Allerdings scheint hier tatsächlich die Wiederholung der Form im Vordergrund zu stehen, da bestimmte generalisierte Diffamierungen, welche sich mit dem Memespeak überschneiden, immer wieder erneut reproduziert werden.
Spiele In den Fallbeispielen konnten unterschiedliche Formen der Spiele beschrieben werden. Die hybride- wie auch die Reaktionsstruktur bestehen ausschließlich aus forentypischen Spielversionen: die Verwendung von Greentext bei dem »Wake-Up«-Thread sowie das Spiel mit den GET-Nummern bei dem »Professor-Wilhelm«-Thread, »Trips decides« und dem »Female-Prison«Thread. Das lässt die Interpretation zu, dass Spiele tendenziell häufiger in jenen Threads präsent sind, deren Kommunikationsstruktur sich durch häufigere Reaktionen auf den OP auszeichnen. Das heißt, die Spiele gießen sich immer in ähnliche Formen. Allerdings unterscheiden sich auch hier die Inhalte des Spiels und der OP legt für die Spiele bestimmte Regeln fest: GET 824355238. ITT: We act all nice until someone rolls 98 oder GET 823692526. Trips decides my psn username. Bei den Spielen mit der GET-Nummer wird festgelegt, welche Nummer gewinnt und was diesen Gewinn auszeichnet – wie in dem genannten Beispiel, dass der Siegerbeitrag über den Play-Station-Nutzernamen des OP entscheiden kann. Bemerkenswert ist, dass sich auf einer Plattform, welche sich selbst als regellos beschreibt, Spiele mit Regeln etablieren, die – jedenfalls bei den Fallbeispielen – auch befolgt werden. Eine Erwartungssicherheit wird also im Spielraum von allen beitragenden Nutzenden mitgetragen und damit wechselseitig unterstellt. Ebenfalls scheinen auf der Plattform nicht nur ausgewiesene Spiele die Eigenschaften eines Spiels zu tragen. Auch den Konversationsstrukturen unter-
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liegt mitunter ein Spiel-Verständnis der Kommunikation. Beispielsweise zeigt der Thread »Faces of /b/« ebenfalls eine Regelhaftigkeit: Die Nutzenden sind aufgerufen, Fotos von sich einzustellen. Allerdings wird dies, ebenso wie die anschließende Diskussion, nicht sonderlich ernst genommen. Es macht stattdessen vielmehr den Eindruck, dass auch hier Konversationsspiele mit dem Einsatz unterschiedlicher Begriffe gespielt werden, wie in dem untenstehenden Beispiel der Begriff »Bro« immer wieder als Replikator verwendet wird: GET 826218249 100 % homo bro GET 826218350 >> 826218249 Bro…… GET 826218405 >>826218405 I luv u bro GET 826218766 >>826218405 Moving a bit quickly bro GET 826218922 >>826218766 Sorry bro GET 826219472 >>826218922 All good bro Ich habe obenstehend bereits thematisiert, dass auch das Trolling eine Tendenz zum Spielerischen in sich birgt. Trolling-Beiträge haben Kommunikationserfolg, weil sie spielerisch durch das generalisierte Trolling immer wieder die Selbstbeschreibung der Plattform anregen. Es steht zu vermuten, dass die Verschränkung der Anonymität mit der Nicht-Überprüfbarkeit von Erzählungen und der anhaltende Wunsch nach Selbstbeschreibung darin enggeführt wird, dass Beiträge prinzipiell nicht ernst genommen werden. Dies lässt die Interpretation zu, dass, genau wie es bei Memes der Fall ist, das Spiel ein grundlegender Operationsmodus der Kommunikation auf 4chan ist. Ebenfalls wirkt die Wiederholung generalisierter Begriffe so auf die Kommunikation zurück, dass Begriffe in den Threads immer wieder mit ihrer eigenen Regelhaftigkeit wiederholt werden können.
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Zusammenfassend sind die Kommunikationsstrukturen der Plattform eingebettet in eine Kommunikationsform, die sich durch Wiederholung, Spiel und Variation auszeichnet. So wie in der Theoriediskussion eine Debatte darüber herrscht, in welchem Zusammenhang Semantik, also generalisierbarer Sinn, und die Gesellschaftsstruktur stehen (Burkart 2004; Kaldewey 2013; Kieserling 2006; Stichweh 2006), lässt sich hier etwas ähnliches beobachten. Denn die Strukturen der Kommunikation kann als generalisierter Sinn verstanden werden. Denn alles, was ich bis hierhin in dieser Diskussion geschrieben habe, weist immer wieder auf das Motiv der Wiederholung hin. Das Motiv der Wiederholung umfasst mehr als nur die Wiederholung der Memes, des Trollings und der Spiele. Es handelt sich um einen grundlegenden Modus der Kommunikation. Der generalisierte Sinn 4chans ist demnach, dass die Kommunikation aus der Produktion von Redundanz besteht (immerhin hinsichtlich der Form). Es lässt sich sogar anhand des Trollings zeigen, dass sich diese Redundanz oftmals mit der Reflexion der Kommunikation verzahnt (s. Kapitel 7.1.2). Doch der Versuch, diesen als Semantik (also generalisierten Sinn) festzuhalten, misslingt immer wieder. Gewöhnlicherweise werden die Reflexionen der Kommunikation selektiert und in Semantiken gegossen (Luhmann 1986: 256). Doch das Problem 4chans ist nicht nur, dass die Reflexionen/Selbstbeschreibungen der Kommunikation sich uneins sind. Die Semantik, beziehungsweise der generalisierte Sinn 4chans, kann nicht festgehalten werden, denn Redundanz ist nicht auf sich selbst anwendbar: Die Wiederholung der Wiederholung ist nicht mehr als eine Wiederholung. Wiederholungen können generalisieren, aber diese Generalisierung kann nicht verfestigt werden, weil sie einzig auf den Prozess der Wiederholung angewiesen ist. So macht dies darüber hinaus den Eindruck, ein Teil des kommunikativen Codes der Kommunikation zu sein. Als Gegenwert der Wiederholung liegt die Variation nahe: Alte Threads werden durch neue verdrängt; viele finden keinen Anschluss und wenige absorbieren viel Aufmerksamkeit und stabilisieren sich. Doch jene, die wenig Aufmerksamkeit bedürfen, weil sie wieder so schnell von der Plattform verschwinden, machen wieder Platz für neue Variationen. Es ist sozusagen ein Abbild des Prozessierens von Sinn. Und jene Reflexionen des Trollings in Kombination mit Memes werden dann angestellt, wenn nicht eindeutig ist, ob der Code Wiederholung/Variation in diesem Moment selbst- oder fremdreferenziell verwendet wird (Kaldewey 2013: 130). Ich komme dafür wieder auf das Beispiel aus dem »ProfessorWilhelm«-Thread zurück:
8. Diskussion
GET 827873531. ›I’ve been on /b/ longer than anyone here‹ Prove it newfag. Post your oldest meme GET 827873671. >>827873531 fuck you, I’ve been here since Pepe was first created GET 827874138. >>827873701 barely oldfag territory at all but at least you tried In diesem Beispiel wird deutlich, dass über die Reflexion, für welche Memes wirklich wichtig für die Beschreibung der Plattform sind, gleichsam zugeordnet wird, welches Meme als Selbstreferenz gelten kann. Doch um wieder auf die Wiederholung zurückzukommen, ist es interessant genug, dass Luhmann diese Steigerung der Redundanz auch als wesentliches Merkmal des Erziehungssystems herausstellt: »Das Wissen garantiert wiederholte Verwendbarkeit, also Redundanz. Andererseits, und in der modernen Welt viel wichtiger, ermöglicht es auch das Erkennen von Variationen, Neuheiten, Überraschungen. So gesehen ist die Absicht der Erziehung auf Steigerung von Redundanz und Varietät gerichtet« (Luhmann 1978: 99, Herv. im Original). Erst durch die Redundanz kann dieses System seine Umwelt zur Anpassung zwingen. Der Unterschied zwischen der Erziehung und der Kommunikation auf 4chan ist, dass es bei der Erziehung um die Wiederholung von Wissen geht, es sich bei 4chan aber um die Wiederholung von Formen (Strukturen, Memes, Trolling, Spielen usw.) handelt.
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9. Fazit
Nach seiner Kür zur einflussreichsten Person des Jahres 2009 erklärte Christopher »moot« Poole, dass nicht er, sondern das Kollektiv der Nutzenden von 4chan.org die Online-Wahl manipuliert und für seinen Sieg gesorgt hätten; eine Plattform, auf der die Nutzenden nur anonym und unter dem zeitlichen Druck hoher Flüchtigkeit miteinander interagieren; eine Kommunikationsplattform, die, wie es häufig heißt, ein strukturell chaotischer und inhaltlich verrohter Ort des Internets ist. In der vorliegenden Arbeit habe ich es mir gerade deshalb zur Aufgabe gemacht, die Kommunikation der Plattform auf ihren Ordnungscharakter hin zu untersuchen. Ziel war festzustellen, ob die Kommunikation trotz ihrer technologisch induziert hohen Flüchtigkeit, Regellosigkeit und Anonymität dennoch kommunikative Strukturen herausbildet. Ich habe überprüft, ob es grundlegende Muster der Kommunikation auf 4chan gibt, die sich nicht nur hinter den manipulierten Wahlen des Time Magazines, der Formierung von Gruppierungen wie Anonymous oder QAnon verbergen, sondern auch dem weniger öffentlichkeitswirksamen kommunikativen Alltag unterliegen. Für die Fragestellung der Arbeit hat sich Luhmanns Theorie bereits dadurch qualifiziert, dass sein Verständnis von Kommunikation dazu beigetragen hat den Blick auf die Anschlüsse – anstatt auf Akteure und deren Intentionen – zu lenken. Die Betrachtung der dadurch sichtbar werdenden Netzwerke der Kommunikation eignet sich insbesondere für die Untersuchung der computervermittelten Kommunikation, welche die einzelne Person hinter Beiträgen verschwinden lässt, wie es bei 4chan der Fall ist. Im Gegensatz zu oraler Kommunikation ermöglicht diese Form computervermittelter Kommunikation eine ganz andere Möglichkeit zur Vernetzung der Beiträge, aber auch eine entsprechende Beschränkung in der Identifizierung einzelner Personen. Aus Luhmanns Theorie habe ich Annahmen hinsichtlich der Kommunikation im Allgemeinen, aber auch hinsichtlich der komplexen und kontingenten
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Kommunikation auf 4chan getroffen. Meine theoretisch fundierte Nullhypothese war die Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation, die sich durch die Kommunikationsvoraussetzungen auf 4chan verschärft. Die Hypothese 1 meiner Arbeit stellte im Kontrast dazu die Annahme dar, dass auf 4chan nicht nur kommuniziert wird, sondern dass sich Kommunikationsstrukturen ausbilden. Betrachtet man die Kommunikation als Anschluss-Netzwerk, so ist anzunehmen, dass die Komplexität durch die Orientierung an einer Struktur reduziert werden muss. Hypothese 2 besagt, dass die Komplexität eines Threads mit der Struktur in Wechselwirkung steht. Neben der Komplexität bin ich darüber hinaus davon ausgegangen, dass die Ausbildung von Strukturen sowie der Zusammenhang von Struktur und Komplexität damit zusammenhängen, wie die Nutzenden mit der (Multi-)Kontingenz auf der höchst unsicheren und flüchtigen Plattform 4chan umgehen. Zu der Ausformung der Erwartungssicherheit habe ich zunächst nur Annahmen formuliert, welche erst gemeinsam mit der Forschungsliteratur zu 4chan zu Hypothesen verfestigt wurden. So nahm ich an, dass die Kontingenzreduktion durch die Selektion von Inhalten oder Kommunikationspraktiken auf 4chan erfolgt. Daraus ergaben sich die Hypothesen 3 und 4, dass die Struktur durch Kommunikationsinhalte und Kommunikationspraktiken beeinflusst ist. Das empirische Vorgehen gliederte sich methodisch in zwei Schritte. Aus dem vorliegenden Datensatz wurden zunächst aus 326.538 erhobenen Threads 260.251 Netzwerke extrahiert. Ich griff auf quantitative wie qualitative Methoden der Netzwerkforschung zurück. In dem methodisch quantitativ orientierten Teil wurde mittels einer netzwerkanalytischen Typologienbildung überprüft, ob und welche Kommunikationsstrukturen sich auf der Plattform finden lassen. In dem qualitativ orientierten Teil wurde anhand einer Fallbeispielanalyse von sechs Threads untersucht, wie Inhalte und Kommunikationspraktiken Erwartungssicherheit generieren, beziehungsweise, ob sie mit der Zugehörigkeit eines Threads zu einer Struktur zusammenhängen. Zunächst lässt sich hinsichtlich der Unwahrscheinlichkeit der Kommunikation festhalten, dass die kommunikativen Hürden auf 4chan durch das Interface anders gelagert sind als bei der Kommunikation unter Anwesenden. Die technologisch bedingte Flüchtigkeit der Threads verschränkt Zufälligkeit mit der kommunikativen Eigendynamik und führt zur Anschlussselektion einiger (aber nicht aller) Threads. Die quantitative Ermittlung von Strukturen ergab, dass sich im Datensatz drei unterschiedliche Strukturen abbilden lassen: Die Konversationsstruktur, die hybride Struktur und die Reaktionsstruktur. Die Konversationsstruktur
9. Fazit
zeichnet sich durch die Bildung von mehreren Konversationsketten aus, während im Gegensatz dazu die Beiträge der Reaktionsstruktur lediglich auf den OP reagieren. Die hybride Struktur vereint beide Eigenschaften und liegt mit ihren Werten sehr deutlich zwischen den anderen beiden Strukturtypen. Entgegen der Annahme, dass komplexe Strukturen aufgrund einer höheren Anordnungsfreiheit seltener Strukturen ausbilden, hat sich gezeigt, dass mehr Beiträge in einem Thread eine Orientierung an den Strukturen wahrscheinlicher machen. Ferner konnte herausgestellt werden, dass Konversationsstrukturen komplexen Threads und Reaktionsstrukturen weniger komplexen Threads zugeordnet werden konnten. Denn die Konversationsstrukturen produzieren und reduzieren die Komplexität zugleich, während die Reaktionsstrukturen eine Komplexitätseinhegung anstreben. Damit ließen sich bereits die ersten beiden Hypothesen (1 und 2) bestätigen. Trotz der auf den ersten Blick unterstellten chaotischen Kommunikation auf der Plattform sowie der Flüchtigkeit der Threads haben sich die Beiträge zu Strukturen verfestigt. Je komplexer ein Thread ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass er eine Struktur ausbildet. Gleichzeitig gilt aber, dass ein komplexer Thread sehr wahrscheinlich aufgrund seiner Struktur erst so komplex wurde. Entgegen der Erwartung zeigt die Fallbeispielanalyse kein eindeutiges Ergebnis hinsichtlich der Hypothesen 3 und 4. Stattdessen aber ließen sich andere Verflechtungen dieser Erwartungs- und Anschlussstrukturen herausarbeiten. Inhaltlich zeigt sich vor allem, dass der Themenbezug zum OP nicht gegeben sein muss, um die Kommunikation fortzuführen. Dies widerspricht in Teilen der systemtheoretischen Annahme Luhmanns, wonach Themen durch die Selektion von Beiträgen erwartungsbildend wirken. Das vom OP gesetzte Thema ist der Ausgangspunkt kommunikativer Eigendynamiken, es kann auch die weiteren Beiträge – wie im Spiel – sortieren, muss es aber nicht. Auch ließ sich hinsichtlich der Kommunikationspraktiken herausstellen, dass diese nur vergleichsweise selten eine Verwendung finden. Insbesondere überraschend war, dass auf 4chan als sogenannte Meme-Factory selten Memes verwendet werden. Denn, wie sich herausstellen ließ, haben Memes eine Tendenz dazu, Kommunikation zu unterbrechen. Und auch das Trolling hat entgegen der Erwartung keine höhere Anschlusswahrscheinlichkeit erzeugt. Die Analyse der Fallbeispiele konnte allerdings zeigen, dass die memetische Operationsweise des Wiederholens und Variierens in der Kommunikation immer wieder in unterschiedlichen Dimensionen zu beobachten ist. Es ließ sich herausstellen, dass die Redundanz die grundlegende Operation der Plattform ist. Die Multikontingenz sowie das Fehlen einer Speicherung der Beiträge
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führt zu dieser Operationsweise von Wiederholung und Variation. Erwartungen werden auf der Plattform also dadurch verfestigt, dass wiederholt wird. Das Trolling beispielsweise lebt durch die Wiederholungen: Obwohl aufgrund der Anonymität keine Kommunikationsadressen verfügbar sind, werden einzelne Beiträge auf die gleiche Weise für ihre Inhalte diffamiert und immer wieder in den Kontext der Selbstbeschreibung und Reflexion der Plattform gestellt. Die Forenspiele verwenden ebenfalls immer wiederkehrende Spielregeln, welche sich auf die Greentext-Stories oder die Endung der GET-Nummer beziehen. Diese Redundanz ist häufig relevanter als die Beiträge selbst, die Form Wiederholung/Variation erzeugt Generalisierung. Diese manifestiert sich allerdings nicht in einer verfestigten Semantik, sondern könnte als binäre Codierung Wiederholung/Variation in der Kommunikation eingelagert sein. Dass sich auf der Plattform unterschiedliche Strukturen verfestigen, erklärt sich also auch damit, dass die Form Wiederholung/Variation ebenso auf die Struktur einwirkt. Damit hat sich abschließend ein recht umfassendes Bild der Kommunikation auf 4chan zeichnen lassen. Poole äußerte sich in einem TED Talk dazu, dass sich die Kommunikation auf 4chan durch die Selektivität auszeichne: »The site has no memory and it’s just washed away by all of these new posts. And if it’s a genuinely good idea or something that people identify with then either somebody will save it and repost it and that’s how we get memes« (Poole 12.09.2009). Diese Arbeit konnte zeigen, dass hinter dieser Selektivität von Kommunikation vielmehr eine strukturelle Redundanz steckt, die durch die hohe Flüchtigkeit angetrieben wird und deren Effekte gleichsam durch erwartungssichernde Wiederholungen abgefedert werden.
10. Ausblick
Die vorliegende Untersuchung der Kommunikation von 4chan bietet einen Ausgangspunkt für weitere empirische Forschungen im Zusammenhang mit computervermittelter Kommunikation. Gleichsam bietet sie aber auch Anlass für eine Rückmeldung an die Theorie. In der vorliegenden Arbeit konnte ich die konkreten Inhalte der Threads sowie die Verwendung von Kommunikationspraktiken nur anhand der Fallbeispiele untersuchen. Repräsentativer wäre hier ein sogenanntes Topic Model der Threads gewesen. Beim Topic Model wird ein Algorithmus darauf trainiert, die Inhalte der Kommunikation zu erkennen (Low et al. 2020). Nachdem Topics beziehungsweise Inhalte der Kommunikation identifiziert wurden, ließ sich überprüfen, ob diese mit dem Aufkommen bestimmter Strukturen korrelieren oder nicht. Ebenfalls ließe sich mit einem Topic Model erheben, welcher Art jene Threads sind, die keinen Anschluss auf der Plattform erfahren haben. Damit könnte sich leichter beantworten lassen, ob es sich dabei eher um eine zufällige oder um eine kommunikative Selektion handelt. Identisch ließe sich auch mit jenen Threads verfahren, welche keiner der drei Strukturtypen angehören. Über den vorliegenden Datensatz hinausgehend bietet es sich ebenfalls an, einen Vergleich mit anderen Subboards der Plattform anzustreben. So steht beispielsweise auch das Unterforum /pol/ unter starkem Forschungsinteresse, da hier allerlei politische Diskussionen in politisch motivierte Bewegungen münden, wie beispielsweise die Unterstützung Trumps bei seinem Wahlkampf oder die Gruppierung QAnon. Einen Vergleich zwischen den beiden Unterforen vorzunehmen hätte den Vorteil, unter (fast) identischen Kommunikationsbedingungen zu überprüfen, ob allein aufgrund des veränderten inhaltlichen Fokus bereits Veränderungen in der Struktur nachzuzeichnen sind.
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Digitale Kommunikationsstrukturen
Auch ein Vergleich über die Plattform hinausgehend bietet sich an. Äußerst interessant wäre zu überprüfen, ob Plattformen mit kommunikativer Zuordnung durch Pseudonyme oder sogar Klarnamen andere Strukturen der Kommunikation erzeugen und wenn ja: welche? Die empirische, wie auch theoretische Frage ist gerade jene, ob und inwiefern 4chans Kommunikationsstruktur mit der Anonymität und Flüchtigkeit der Plattform zusammenhängt oder ob sich ähnliche oder sogar gleiche Strukturen unter anderen Kommunikationsvoraussetzungen verfestigen. Auch bleibt bisweilen offen, ob die computervermittelte Kommunikation aufgrund der Multikontingenz des World Wide Webs prinzipiell eine Neigung zur Redundanz pflegt. Die Methode, Kommunikation in ein Anschlussnetzwerk zu überführen, stellt gerade für die Analyse digital vermittelter Kommunikation eine Herangehensweise zur Verfügung, welche neue kommunikative Aspekte ans Licht bringen kann. Wie die vorliegende Arbeit zeigt, bergen die Anschlussnetzwerke ein hohes Erkenntnispotential über die Kommunikation. Beispielsweise beruhen Twitter-Analysen noch überwiegend darauf, die Nutzenden als Netzwerkknoten der Kommunikation zu verstehen, da Informationen durch das sogenannte Folgen der Nutzenden untereinander erzeugt wird (Himelboim et al. 2013). Dennoch bilden sich auch Ideen dazu aus, wie beispielsweise TopicNetzwerke erstellt werden können (Himelboim et al. 2017). Ein Umstellen von dem AOM (Aktant-Oriented-Modeling) zu dem COM (Communication Oriented Modeling) würde bei Twitter bedeuten, dass die Verlinkung beliebiger Tweets durch Antworten oder Retweets verfolgt werden könnte. Auch aus theoretischer Perspektive bietet die vorliegende Arbeit einen Pool an Anschlussfragen. Einerseits scheint die memetische Kommunikationsform Wiederholung/Variation darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Kommunikation auf 4chan womöglich um eine autopoietisch geschlossene Kommunikation handelt. Wo die kommunikativen Grenzen dieses Systems sind, ist allerdings nicht geklärt. Soziale Systeme begrenzen sich in der Regel nicht auf Orte. Damit einher geht die Frage, welche Funktion ein soziales System dieser Art übernimmt – vielleicht liegt sie in der memetischen Praxis selbst. Zuletzt weisen die Ergebnisse der Arbeit daraufhin, dass es durchaus noch den Bedarf einer theoretischen Einordnung der Onlinekommunikation gibt. Denn auch wenn es sich ganz offensichtlich nicht um Kommunikation unter Anwesenden handelt, bilden sich hier sowohl interaktionsartige Konversationen heraus und gleichsam Kommunikationsunterbrechungen, wie es für Massenmedien üblich ist.
10. Ausblick
So hält die Plattform, die Methode aber auch die Verschränkung von Methode und Theorie noch sehr viel Material zur Forschung bereit.
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Literatur
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Abbildung 1: Elementrelationierungen (Luhmann 1990: 65) | Seite 34 Abbildung 2: Startseite von 4chan.org am 26.09.2020 | Seite 62 Abbildung 3: Screenshot von /b/ am 26.09.2020 | Seite 64 Abbildung 4: Eingeklappte Darstellung eines Threads. Screenshot auf der Unterseite /b/ vom 29.07.2020 | Seite 67 Abbildung 5: Beispiel zu den Verweisen auf der Plattform | Seite 67 Abbildung 6: Version des Memes Pepe der Frosch | Seite 73 Abbildung 7: Version des Memes »One Does Not Simply« | Seite 73 Abbildung 8: Collage unterschiedlicher Memes und Memespeak-Begriffe | Seite 74 Abbildung 9: Screenshot eines Beispielthreads eines Kommunikationsspiels | Seite 78 Abbildung 10: Screenshot eines Beispielbeitrags eines Greentexts | Seite 79 Abbildung 11: Beispieldarstellung des Memes »This is Bait« | Seite 83 Abbildung 12: Screenshot eines Trolling-Thread | Seite 84 Abbildung 13: Nachgestelltes Produktblatt von Apple als Trolling | Seite 85 Abbildung 14: Anschlusstruktur auf 4chan.org/b/ an einem Beispiel (GET 833576479) | Seite 89 Abbildung 15: Beispieldarstellung der visuellen Darstellung eines Threadnetzwerks| Seite 90 Abbildung 16: Visuelle Darstellung des Unterschieds zwischen Grad, Eingangsgrad und Ausgangsgrad | Seite 92 Abbildung 17: Beispieldarstellung eines transitiven Subgraphen | Seite 94 Abbildung 18: Darstellung der eingeschränkten Kantenmuster beim 4chanOrientated-Modeling (4OM) mittels des Triaden-Zensus (M-A-N Notation) nach Holland und Leinhardt 1976 | Seite 95 Abbildung 19: Beispieldarstellung für die Degree-Zentralität in einem Netzwerk | Seite 97
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Digitale Kommunikationsstrukturen
Abbildung 20: Beispieldarstellung für die Betweenness-Zentralität in einem Netzwerk | Seite 98 Abbildung 21: Beispieldarstellung für die Betweenness-Zentralität und maximale Pfadlänge in einem Netzwerk | Seite 99 Abbildung 22: Beispiel eines gerichteten Netzwerks | Seite 101 Abbildung 23: Beispiel eines ungerichteten Netzwerks | Seite 101 Abbildung 24: Häufigkeit der Threads in Abhängigkeit von der Anzahl der Antworten | Seite 109 Abbildung 25: Anstieg der Lebenszeit der Threads mit hinzukommenden Antworten | Seite 110 Abbildung 26: Zentralitätstypologien 1 – 4 mit dem Antwortanzahlen: 5, 25, 50, 75 und 100 | Seite 115 Abbildung 27: Visuelle Darstellung von Beispielnetzwerken der Strukturen, sortiert nach der Anzahl der Antworten in 100er-Schritten | Seite 121 Abbildung 28: Balkendiagramm der deskriptive Werte der Strukturen, jeweils in 100er-Antwortschritten | Seite 124 Abbildung 29: Balkendiagramm der Netzwerkmaße (longest path und 021U) der Typen, jeweils in 100er-Antwortschritten | Seite 125 Abbildung 30: Balkendiagramm der Netzwerkmaße (transitivity, 021D, 021C und 030T) der Typen, jeweils in 100er-Antwortschritten | Seite 126 Abbildung 31: Häufigkeit der unterschiedlichen Strukturen nach Anzahl der Antworten (Häufigkeit in Relation zu allen erhobenen Threads | Seite 136 Abbildung 32: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des Threads »Faces of /b/« | Seite 147 Abbildung 33: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Praktiken des Threads »Faces of /b/« | Seite 148 Abbildung 34: Eröffnungsbild des OPs beim »Professor-Wilhelm«-Thread | Seite 150 Abbildung 35: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des »ProfessorWilhelm«-Threads | Seite 152 Abbildung 36: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Praktiken des »Professor-Wilhelm«-Threads | Seite 155 Abbildung 37: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des Threads »Wake up« | Seite 158 Abbildung 38: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Praktiken des Threads »Wake up« | Seite 160 Abbildung 39: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des Threads »Roll 98« | Seite 162
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 40: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Praktiken des Threads »Roll 98« | Seite 166 Abbildung 41: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des Threads »Trips decides« | Seite 169 Abbildung 42: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des Threads »Trips decides« | Seite 170 Abbildung 43: Angehängtes Bild zum Eingangsbeitrag von OP des Threads »The female prison« | Seite 172 Abbildung 44: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Inhalte des Threads »The female prison« | Seite 174 Abbildung 45: Netzwerkdarstellung der Kodierung der Praktiken des Threads »The female prison« | Seite 175 Abbildung 46: Inhallte und Kommunikationspraktiken bei den Fallbeispielen | Seite 177
223
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Deskriptive Kennwerte der Erhebung | Seite 108 Tabelle 2: Korrelationsmatrix der deskriptiven Werte mit Spearmans rho | Seite 108 Tabelle 3: Deskriptive Kennwerte der Netzwerkmaße im Datensatz aller gebildeten Netzwerke | Seite 111 Tabelle 4: Korrelation der Netzwerkparameter mit Pearsons r | Seite 112 Tabelle 5: Kreuztabellierung der Zentralitätsmaße zu einer Typologie | Seite 113 Tabelle 6: Kreuztabellierung der Zentralitäten zu einer Typologie mit prozentualer Angabe | Seite 114 Tabelle 7: Tabelle der deskriptiven Werte der Zentralitätstypologien (Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD)) | Seite 116 Tabelle 8: Tabelle der Netzwerkparameter der Zentralitätstypologien (Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD)) | Seite 117 Tabelle 9: Tabelle der Werte der Triaden nach der M-A-N Notation (Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD)) | Seite 117 Tabelle 10: Tabelle der Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) der Typen in 100er Antwort-Schritten abgestuft | Seite 122 Tabelle 11: Tabelle der Mittelwerte (M) und Standardabweichungen (SD) der Netzwerkparameter der Typen in 100er Antwort-Schritten abgestuft | Seite 123 Tabelle 12: Häufigkeitsverteilung der Netzwerke und Threads | Seite 134 Tabelle 13: Häufigkeitsaufkommen der jeweiligen Strukturen in Abhängigkeit zur Anzahl der Antworten | Seite 134 Tabelle 14: Häufigkeitsaufkommen von Struktur in Abhängigkeit zur Anzahl der Antworten | Seite 137 Tabelle 15: Kodierungsplan der Inhalte| Seite 141 Tabelle 16: Kodierung der Kommunikationspraktiken | Seite 142
226
Digitale Kommunikationsstrukturen
Tabelle 17: Verteilung der Beitragsinhalte und Kommunikationspraktiken nach kodierten Knoten, Kanten und Eingangsgrad des Threads »Faces of /b/« | Seite 145 Tabelle 18: Verteilung der Beitragsinhalte und Kommunikationspraktiken nach kodierten Knoten, Kanten und Eingangsgrad des Threads »Professor Wilhelm« | Seite 151 Tabelle 19: Verteilung der Beitragsinhalte und Kommunikationspraktiken nach kodierten Knoten, Kanten und Einganggrad des Threads »Wake up« | Seite 157 Tabelle 20: Verteilung der Beitragsinhalte und Kommunikationspraktiken nach kodierten Knoten, Kanten und Eingangsgrad des Threads »Roll 98« | Seite 161 Tabelle 21: Verteilung der Beitragsinhalte und Kommunikationspraktiken nach kodierten Knoten, Kanten und Eingangsgrad des Threads »Trips decides« | Seite 168 Tabelle 22: Verteilung der kodierten Knoten des Threads »The female prison« | Seite 173
Anhang
A1: Erhobene Variablen Thread-Daten Time Delta
Lebenszeit der Threads
replies
Antworten auf einen Thread
unique_ips
Anzahl einzigartiger IP-Adressen in einem Thread
images
Anzahl eingestellter Bilder in einem Thread
imagelimit
Erreichen des Limits eingestellter Bilder (Ja/Nein)
bumplimit
Erreichen des bump-limits (Ja/Nein)
Thread ID
ID des Threads
semantic_url
(Automatisch erstellte) Überschrift des Threads
closed
Thread ist geschlossen für weitere Antworten
Beitrags-Daten PostID
ID des Posts
OP
Ist der postende der Threaderöffner (Ja/Nein)
IDsQuoted
Von dem Post zitierte Posts
FullPost
Textfeld des Posts
SelfWrittenText
Text des Posts (exkl. Links)
now
Datum und Uhrzeit des Posts (EST)
time
UNIX timestamp
resto
Antwort auf
228
Digitale Kommunikationsstrukturen
tail_size
Dateigröße des Anhangs
filedeleted
Bild oder Angang wurden entfernt
since4pass
Jahr in dem der 4chan-Pass erworben wurde
Bild-Daten filename
Dateiname des eingestellten Bildes
ext
Dateiformat des eingestellten Bildes
w
Breite des eingestellten Bildes
h
Höhe des eingestellten Bildes
tn_w
Breite des Thubnails
tn_h
Höhe des Thubnails
tim
Bearbeiteter Dateiname
semantic_url
(Automatisch erstellte) Überschrift des Threads
md5
Md5-Hashwert des Bildes
fsize
Dateigröße des Bildes
m_img
Bild ist für mobile Endgeräte optimiert (Ja/Nein)
A2: Liste der Memespeak-Begriffe /b/esus
Log/Log Eater/Andy Sixx
Sup Fags
PogRoll
simp
adw
simpletons
Waifu
kek
Jailfu
anon
LesterTheMolester
FPBP
Otaku
Bait
We Wuz Kingz
Red pilled
Marble Cake/Cake
Chadpilled
Bush did it
Anhang
Triforce
moralfag
normies
Deus vult
The chon
/b/rother
legalfag
lulz
troll
frogposting
M00tykins
Aloha Snackbar
Is the pool open? Pools closed
efg
229
Soziologie Michael Volkmer, Karin Werner (Hg.)
Die Corona-Gesellschaft Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft 2020, 432 S., kart., 2 SW-Abbildungen 24,50 € (DE), 978-3-8376-5432-5 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5432-9 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5432-5
Vera Hofmann, Johannes Euler, Linus Zurmühlen, Silke Helfrich
Commoning Art – Die transformativen Potenziale von Commons in der Kunst Juli 2022, 124 S., kart 19,50 € (DE), 978-3-8376-6404-1 E-Book: kostenlos erhältlich als Open-Access-Publikation PDF: ISBN 978-3-8394-6404-5
Kerstin Jürgens
Mit Soziologie in den Beruf Eine Handreichung 2021, 160 S., kart. 18,00 € (DE), 978-3-8376-5934-4 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5934-8
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de
Soziologie Gabriele Winker
Solidarische Care-Ökonomie Revolutionäre Realpolitik für Care und Klima 2021, 216 S., kart. 15,00 € (DE), 978-3-8376-5463-9 E-Book: PDF: 12,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5463-3
Wolfgang Bonß, Oliver Dimbath, Andrea Maurer, Helga Pelizäus, Michael Schmid
Gesellschaftstheorie Eine Einführung 2021, 344 S., kart. 25,00 € (DE), 978-3-8376-4028-1 E-Book: PDF: 24,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4028-5
Bernd Kortmann, Günther G. Schulze (Hg.)
Jenseits von Corona Unsere Welt nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft 2020, 320 S., Klappbroschur, 1 SW-Abbildung 22,50 € (DE), 978-3-8376-5517-9 E-Book: PDF: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5517-3 EPUB: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5517-9
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de