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Barbara Marshall
Die (Wieder-)Gründung der Universität Erfurt
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 63
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Thüringen Kleine Reihe Band 63
Barbara Marshall
Die (Wieder-)Gründung der Universität Erfurt
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN
Gedruckt mit Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei und der Universitätsgesellschaft Erfurt e.V.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill Deutschland GmbH (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: 1999: Offizieller Studienbeginn an der Universität Erfurt. Foto: Monika Görbing/Universität Erfurt. Korrektorat: Kornelia Trinkaus, Meerbusch
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52581-1
INHALT INHALT I.
Einführung und Fragestellung – Ostdeutsche Wieder- und westdeutsche Neugründung? ................................................. 9
II.
Quellen und Danksagungen ........................................................................ 13
III.
Hintergrund .................................................................................................... 15 1. Die historisch-politische Entwicklung Thüringens ........................ 15 2. Die Thüringer Hochschullandschaft ................................................ 19
IV.
Erfurt in Zeiten des Umbruchs 1989/1990.............................................. 25 1. Allgemeines ........................................................................................... 25 2. Initiativen zur Wiedergründung der Universität: IG „AUE“, Hochschulen und Stadt Erfurt ..................................... 29
V.
Der rechtlich-politische Rahmen der Universitätsgründung.................. 37 1. Bundespolitik und Institutionen (Einigungsvertrag, Wissenschaftsrat, Kultusministerkonferenz und Hochschulstrukturkommissionen) .................................................... 37 2. Die Thüringer Landespolitik: Das Kabinett Duchač/Fickel 1990-1992 .................................................................. 41 3. Die Landesregierung und die Erfurter Initiativen zur Universitätsgründung .......................................................................... 46 4. Die Thüringer Hochschulstrukturkommission und die Stellungnahme des Wissenschaftsrats zur Gründung einer Universität in Erfurt 1992 ......................................................... 54
VI.
Das Kabinett Vogel/Fickel 1992-1994 und die Gründung der Universität ................................................................................................ 63 1. Ministerpräsident Vogel als Universitätsgründer ............................ 63 2. Die Konzeptionen des Gründungsbeauftragten und die Arbeit der Gründungskommission ............................................. 66 3. Universitätsgründung und Schließung der Medizinischen Akademie .................................................................... 74
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INHALT
4. Die Lage der Pädagogischen Hochschule (PHEM) ....................... 82 4.1 Interne Entwicklungen .............................................................. 82 4.2 PHEM und Universität .............................................................. 88 INHALT VII. Das Kabinett Vogel/Schuchardt 1994-1999............................................. 99 1. Die Universität entsteht ...................................................................... 99 1.1 Die juristische Gründung und das Urteil des Wissenschaftsrats vom November 1995 ................................. 99 1.2 Die Ernennung des Leitungspersonals und die Bildung der Universitätsgremien ............................................ 107 1.3 Philosophische und Staatswissenschaftliche Fakultät ......... 117 Exkurs: Die European School of Governance (EUSG) ............. 123 2. Die Neuerungen ................................................................................. 126 2.1 Neue Studienorganisationen: BA/MA-Struktur, „Credit Points“ und Studium Fundamentale ....................... 127 2.2 Das Max-Weber-Kolleg ........................................................... 133 2.3 Die Kommunikationswissenschaft ........................................ 137 3. Die Integration der Pädagogischen Hochschule und die Erziehungswissenschaftliche Fakultät ...................................... 142 3.1 Die Integration der Pädagogischen Hochschule ................. 142 3.2 Die Erziehungswissenschaftliche Fakultät ........................... 150 4. Die Katholisch-Theologische Fakultät und das Martin-Luther-Institut ....................................................................... 155 4.1 Die Katholisch-Theologische Fakultät.................................. 155 4.2 Das Martin-Luther-Institut ..................................................... 159 VIII.
Der Alltag beginnt ....................................................................................... 163 1. Ein hoffnungsvoller Anfang............................................................. 163 2. Reformuniversität in Zeiten finanzieller Engpässe ...................... 168 3. Der Weggang von Peter Glotz und die Wahl von Wolfgang Bergsdorf zum Präsidenten ........................................... 173 4. Das Ende des Gründungsprozesses und der Weggang der Prorektoren .................................................................................. 182
INHALT
7
IX.
Die Universität auf dem Prüfstand: Entwicklungen unter Präsident Bergsdorf..................................................................................... 187 1. Landesfinanzen und interne Spannungen ...................................... 187 2. Reformuniversität unter Druck ....................................................... 193
X.
Ausblick: Die Universität unter Präsident Kai Brodersen .................... 201
XI.
Schlussfolgerungen ..................................................................................... 211
Anhang Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................. 221 Wahlergebnisse Land Thüringen und Stadt Erfurt 1. Land Thüringen....................................................................................... 222 2. Stadt Erfurt .............................................................................................. 223 Quellen- und Literaturverzeichnis 1. Quellenverzeichnis .................................................................................. 225 2. Literaturverzeichnis ................................................................................ 229 Register 1. Personenregister ...................................................................................... 237 2. Ortsregister .............................................................................................. 241
I.
EINFÜHRUNG UND FRAGESTELLUNG – OSTDEUTSCHE WIEDER- UND WESTDEUTSCHE NEUGRÜNDUNG?
EINFÜHRUNG UND FRAGESTELLUNG EINFÜHRUNG UND FRAGESTELLUNG Auch mehr als 30 Jahre nach der deutschen Vereinigung bleibt der Transformationsprozess der untergegangenen DDR, den ihre Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft durchmachten, Mittelpunkt der zeitgeschichtlichen Forschung.1 Die Entwicklungen in der Wissenschaft und den Hochschulen werden seit Langem analysiert.2 Bei den Hochschulen ging es um nicht weniger als „ihre inhaltliche, strukturelle und personelle Umgestaltung nach westdeutschem Modell,“3 doch unterscheiden sich die Perspektiven auf diesen Prozess u. a. in den Langzeitstudien für die großen Traditionsuniversitäten wie die Humboldt Universität Berlin oder die Universität Leipzig.4 Andere Ansätze etwa gehen u. a. von „Demokratisierung“ aus.5 Angesichts der Vielfalt dieser Perspektiven bemühen sich Historiker der Universität Jena um eine „vergleichenden Typologie des ‚Hochschulumbau Ost‘“.6
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Vgl. Kerstin BRÜCKWEH, Das Vereinte Deutschland als zeithistorischer Forschungsgegenstand, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, 28-29 (2020), S. 4-10, mit ausführlicher Literaturübersicht. Eine Forschungsgruppe „The GDR and the European Dictatorships after 1945 from a Comparative and Historical Perspective“ verfolgt Projekte wie „Der große Umbruch. Zur Erfahrungsgeschichte der Transformation in Ostdeutschland (1970-2010)“ an der FSU Jena oder der „Zeithistorische Arbeitskreis Extreme Rechte“ am Potsdamer Zentrum für Zeitgeschichtliche Forschungen (ZZF). An der Universität Potsdam wiederum arbeitet eine Gruppe von Doktoranden an Vergleichen von Disziplinen wie u. a. den Naturwissenschaften in verschiedenen Hochschulen. Vgl. die von Peer PASTERNACK und Daniel HECHLER zusammengestellten, umfangreichen Bibliographien des Instituts für Hochschulforschung (HoF) an der Universität Halle. Jürgen JOHN, Grundfragen einer vergleichenden Typologie des ‚Hochschulumbau Ost‘, in: Jens BLECHER/Jürgen JOHN (Hg.), Hochschulumbau Ost. Die Transformation des DDR Hochschulwesens nach 1989/90 in typologisch-vergleichender Perspektive, S. 19. Konrad JARAUSCH, Das Ringen um Erneuerung, 1985-2000, in: Rüdiger VOM BRUCH/Heinz-Elmar TENORTH (Hg.), Geschichte der Universität Unter den Linden 1810-2010, Bd. 3, S. 555-690. Ulrich VON HEHL u. a. (Hg.), Geschichte der Universität Leipzig, 1409-2009, Bd. 3: Das 20. Jahrhundert 1909-2009. Peer PASTERNACK, „Demokratische Erneuerung.“ Eine universitätsgeschichtliche Untersuchung des ostdeutschen Hochschulumbaus 1989-1995. Mit zwei Fallstudien: Leipzig und Humboldt Universität zu Berlin. Stefan GERBER, Der ‚Hochschulumbau Ost‘ in universitätsgeschichtlicher Perspektive, in: Jens BLECHER/Jürgen JOHN (Hg.), Hochschulumbau Ost, S. 95 f. mit ausführlichen Literaturangaben. Unter diesem Titel fand im Herbst 2018 eine Tagung an der Universi-
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EINFÜHRUNG UND FRAGESTELLUNG
Neben diesen Arbeiten an bereits bestehenden Hochschulen kommt jetzt eine weitere Kategorie in den Blick: die Neugründungen nach 1990, die entweder die in der DDR entwickelten Spezialhochschulen integrierten wie die Universität Magdeburg7 oder die sich aus einer DDR-Hochschule heraus entwickelten wie die Universität Potsdam.8 Die Universität Erfurt nimmt eine Sonderstellung ein. Sie ist – neben der Viadrina in Frankfurt/Oder – die einzige völlige Neugründung in Ostdeutschland nach der Wende. Zwar war auch Erfurt in der DDR Standort angesehener Einrichtungen gewesen, wie einer Medizinischen Akademie und einer Pädagogischen Hochschule – die zweitgrößte der DDR.9 Die Gründung der Universität erfolgte jedoch bewusst ohne diese Einrichtungen. Die Medizinische Akademie wurde geschlossen; die „Aufgaben“ der Pädagogischen Hochschule – nicht diese selbst – wurden mit einigem Widerstreben 2001 von der Universität übernommen. Auch die Erfurter, bis ins Mittelalter zurückgehende Universitätstradition wurde nicht beachtet. Diese Universität war berühmt als „das Bologna des Nordens“, wo u. a. Luther studiert hatte, und die ihre wichtigste Ausstrahlung mit dem Humanismus erreichte.10 „Hätte es [damals] schon den Status der Elite-Universität gegeben – Erfurt wäre er mit Sicherheit verliehen worden.“11 Nachdem Erfurt Anfang des 19. Jahrhunderts an Preußen gefallen war, wurde die Universität 1816 geschlossen, ihre historischen Insignien an die neu gegründete Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin verliehen. In der 1815 gegründeten Provinz Sachsen behielt man nur die Universität Halle-Wittenberg bei (nach einer Art Faustregel – je Provinz nur eine Universität). Ein weiteres Merkmal der alten Universität war, dass sie durch die Bürger der mittelalterlichen Stadt gegründet wurde, während dies bei den meisten anderen Universitäten durch Fürsten geschah.12 In der Endphase der DDR bemühte sich eine entstehende Bürgerbewegung vergeblich, diese Tradition wieder zu beleben. Eine „Interessengemeinschaft Alte Universität“ arbeitete detaillierte
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tät Leipzig statt. Die dort gehaltenen Vorträge wurden in dem gleichnamigen Band von BLECHER/JOHN veröffentlicht. Jürgen JOHN, Grundfragen einer vergleichenden Typologie des ‚Hochschulumbau Ost‘, in: Jens BLECHER/Jürgen JOHN (Hg.), Hochschulumbau Ost. Vgl. Klaus POLLMANN, Die Otto-von-Guericke Universität Magdeburg. Vgl. Barbara MARSHALL, Die deutsche Vereinigung in Akademia. West- und Ostdeutsche im Gründungsprozess der Universität Potsdam 1990-1994. Das ebenfalls in Erfurt ansässige, in der DDR einmalige „Philosophisch-Theologische Studium“ zur Ausbildung katholischer Theologen für das ganze Land wurde später Kern der Theologischen Fakultät der Universität. Steffen RASSLOFF, Erfurt. Die älteste und jüngste Universität Deutschlands, S. 7. Ebd., S. 6. Ebd., S. 5.
EINFÜHRUNG UND FRAGESTELLUNG
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Pläne für eine „Europäische Universität Erfurt“ aus, die von der Stadt Erfurt befürwortet wurden und die Unterstützung nationaler und internationaler Persönlichkeiten fanden. Diese ostdeutschen Initiativen wurden von der Thüringer Landesregierung nicht aufgegriffen. Zu fragen ist, ob die ostdeutschen Vorarbeiten dennoch Einfluss auf die Universitätsgründung hatten. Schlüsselfigur des Gründungsprozesses in Erfurt wurde Ministerpräsident Bernhard Vogel, der als Kultusminister in Rheinland-Pfalz bereits Erfahrung in Sachen Universitätsgründungen gesammelt hatte.13 Angesichts der ausgebliebenen Reformen der westdeutschen Universitäten in den 1970er und 1980er Jahren sollte in Erfurt eine sogfältig geplante „Reformuniversität“ entstehen, wobei der von Vogel ernannte Gründungsbeauftragte Klaus-Dieter Wolff, ein ausgewiesener Experte in Sachen Universitätsgründungen,14 eine herausragende Rolle spielte. Aber auch andere an der Gründung beteiligte Westdeutsche hatten bereits zu Aspekten des Hochschulwesens allgemein veröffentlicht.15 In der neuen Universität Erfurt würden somit Konzepte „einer nachgeholten Universitätsreform“ verwirklicht werden.16 Für die Realisierung der geplanten Reformuniversität waren die Vorgaben der Bundespolitik im Einigungsvertrag und die der diversen hochschulpolitischen Einrichtungen wie der Wissenschaftsrat und der von ihm empfohlenen Hochschulstrukturkommission maßgebend. Deren Mitglieder wurden von der Thüringer Landesregierung ernannt, und der Landespolitik sollte die wichtigste Rolle im Gründungsprozess der Universität zukommen.17 Hinzu kam die einflussreiche Rolle der Friedrich-Schiller-Universität Jena – einer der renommiertesten Hochschulen Deutschlands – und einer Anzahl
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Dies betraf die Trennung der Universität Trier-Kaiserslautern in zwei selbstständige Hochschulen (1975), die Gründung der Hochschule für Unternehmensführung Koblenz als der ersten privaten Stiftungsuniversität der BRD (1984) und die Vorbereitung der Universität Koblenz-Landau (1990). Klaus Dieter WOLFF (Hg.), Qualitätskonzepte einer Universität. Differenzierung, Effektivierung und Vernetzung; DERS., Strategie einer Universitätsgründung. So etwa Peter GLOTZ, Im Kern verrottet? Fünf vor zwölf an Deutschlands Universitäten; DERS., Der Auftrag der Erfurter Universität. Rede anlässlich seiner Investitur als Rektor, 9.12.1996; Wolfgang SCHLUCHTER, Die Hochschulen in Ostdeutschland vor und nach der Vereinigung; DERS., Neubeginn durch Anpassung? Dieter LANGEWIESCHE, Wieviel Geisteswissenschaften braucht die Universität?, in: Dorothee KIMMICH/Alexander THUMFARTH (Hg), Universität ohne Zukunft?, DERS., Wozu braucht die Gesellschaft Geisteswissenschaften?, in: Dieter LANGEWIESCHE, Zeitwende. Vgl. den allgemeinen Überblick von Stefan GERBER, Der ‚Hochschulumbau Ost‘ in universitätsgeschichtlicher Perspektive, in: Jens BLECHER/Jürgen JOHN (Hg.), Hochschulumbau Ost, bes. S. 110 ff.: Universitätsgründungen als Versuch einer nachgeholten Universitätsreform. Vgl. Klaus DICKE, Hochschulpolitik, in: Thorsten OPPELLAND (Hg.), Politik und Regieren in Thüringen, S. 328-345.
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EINFÜHRUNG UND FRAGESTELLUNG
weiterer Spezialeinrichtungen des Landes wie die spätere Technische Universität Ilmenau, die Bauhaus Universität Weimar sowie die dortige Musikhochschule Franz-Liszt. Die Situation wurde weiter kompliziert durch den alten innerthüringischen Gegensatz zwischen den Städten Erfurt und Jena, die regionalpolitische Unterschiede repräsentierten. Im neu entstandenen Land Thüringen hatte Erfurt gegenüber Jena durch den Status als Landeshauptstadt gewonnen. Für die Stadt Erfurt würde eine Universität strukturpolitisch einen wichtigen Wirtschaftsfaktor bilden und zusätzliches Prestige bringen. Hier lagen einige Gründe für den Widerstand Jenas gegen eine Universität in Erfurt. Maßgebend war auch der Einfluss des Finanzministers, der aufgrund der wirtschaftlichen Schwäche des Landes von vornherein einen restriktiven Kurs vor allem in der Personalpolitik vorgab. Das anhaltende Finanzproblem stellte die größte Herausforderung bei der Erfurter Universitätsgründung dar: Konnte und sollte das Land sich eine weitere Universität leisten? Wie wurde die Finanzierung letztlich ermöglicht? Dies betraf vor allem die dafür notwendige Bereitschaft der Thüringer Landesregierung, der Erfurter Hochschule einen Sonderstatus zu gewähren. Ein weiterer Aspekt wird sein, ob nicht auch in Erfurt der bekannte westostdeutsche Gegensatz zum Tragen kam. Denn in den Gründungsgremien waren mehrheitlich Westdeutsche vertreten. Im zuständigen Wissenschaftsministerium verfügten die fast ausschließlich westdeutschen Beamten über beträchtlichen Einfluss. Trotz aller Widerstände kam es 1994 zur juristischen Gründung der Universität, und der Fokus der Untersuchung richtet sich nun auf die Motive und Vorstellungen der westdeutschen Gründer. Es begann die systematische Planung und Vorbereitung. Angesichts der schwierigen Ausgangslage wurde es zunächst wichtig, die Notwendigkeit einer Universität in Erfurt plausibel zu machen: Erfurt sollte eine kleine, geisteswissenschaftlich ausgerichtete Hochschule werden. Dieses ehrgeizige Konzept wird an seiner Realisierung durch ein ungewöhnliches Leitungstrio gemessen: dem bekannten SPD-Politiker Peter Glotz als Gründungsrektor, dem Heidelberger Soziologen Wolfgang Schluchter und dem Tübinger Historiker Dieter Langewiesche als Prorektoren. Eine Frage ist, wie realistisch das hauptsächlich von Wolff und Schluchter ausgearbeitete Konzept der Reformuniversität unter den gegebenen Umständen war. Vor allem müssen die Folgen der politisch gewollten Übernahme der Aufgaben der Pädagogischen Hochschule für die Universität geprüft werden. Denn eine auf Lehramtsstudiengänge ausgerichtete Einrichtung hatte andere Strukturen als die für die Universität geplanten. Der abschließende Teil der Untersuchung beschäftigt sich mit der Verwirklichung der Reformkonzepte. Zu welchem Grad entspricht die heutige Universität Erfurt bzw. ihre Weiterentwicklung den Absichten der Gründer?
II.
QUELLEN UND DANKSAGUNGEN
QUELLEN UND DANKSAGUNGEN QUELLEN UND DANKSAGUNGEN Der Gründungsprozess der Universität Erfurt ist insgesamt gut dokumentiert. Die Untersuchung beruht in erster Linie auf Aktenstudien in mehreren Archiven. Die Öffnung der Akten der Thüringer Landesregierung wird die vorliegende Untersuchung ergänzen bzw. korrigieren. Verschiedene Personen überließen mir Material aus ihren Privatbeständen: Professor Gunther Mai (Universität Erfurt) mit besonders umfangreichen Unterlagen, die Professoren Gottfried Meinhold (FSU Jena) und Winfried Müller (vormals Medizinische Akademie Erfurt) sowie Herr Eckhardt Schön (Universität Erfurt). Herr Jens Panse vertraute mir Bände der Hochschulzeitung Campus zum Studium außerhalb der Bibliothek an. Herr Peter Hanske besorgte die Kopie des wichtigen Interviews eines Journalisten mit Professor Wolfgang Schluchter. Frau Monika Schattenmann führte mich in einige Hintergründe der Erfurter Entwicklung ein. Herr Frank-Rüdiger Halt (vormals Universität Potsdam) überließ mir Material zur politischen Aufarbeitung. Herr Dr. Bertram Triebel (FSU Jena) verschaffte mir zusätzliches elektronisches Material. Mein besonderer Dank geht an Professor Susanne Rau, zu Beginn der Arbeit Vizepräsidentin der Universität für Forschung, für die Erlaubnis, mir kostenlose Fotokopien einzelner Akten des Universitätsarchivs zur Verfügung zu stellen – eine wesentliche Hilfe für die hauptsächlich in Großbritannien lebende Autorin. Dies war auch als Ausgleich gedacht für die nicht immer idealen Arbeitsbedingungen im Archiv. Die Akten mussten aus einem Keller herangeschafft werden. Das Archiv verfügt über keine geeigneten Arbeitsräume. Für meine Arbeit musste der Tagungsraum des Personalrats eigens hergerichtet werden. Frau Andrea Scholz, Personalratsvorsitzende der Universität, die das Archiv nur in Teilzeit betreut, gilt mein herzlicher Dank für ihre Geduld und gleichbleibende Freundlichkeit. Zusammen mit ihrer Mitarbeiterin Frau Evelin Weiß erstellte sie zahlreiche Kopien und schickte sie mir zu. Die Bestände des Universitätsarchivs wurden mit Hilfe einer kurze Zeit beschäftigten Archivarin teilweise erschlossen. Die Akten der Pädagogischen Hochschule sind geordnet vorhanden. Die Protokolle des Gründungssenats und des Kuratoriums der Universität sind noch nicht ins Archiv gelangt, wurden mir aber dankenswerterweise vom Präsidium der Universität zur Verfügung gestellt. Die für die nachfolgenden Entwicklungen der Universität relevanten Senatsprotokolle wurden nicht benutzt; ersatzweise boten die Kuratoriumsprotokolle sowie andere Quellen jedoch umfangreiches Material.
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QUELLEN UND DANKSAGUNGEN
Den folgenden Personen danke ich für besonders aufschlussreiche Gespräche: Professor Gunther Mai für wichtige Einsichten in die Situation der Pädagogischen Hochschule, ihren Übergang in die Universität und deren spätere Entwicklung. Dem inzwischen verstorbenen Rektor der Pädagogischen Hochschule, Professor Ulrich Pommer, der für unsere Gespräche stundenlange Autofahrten nach Erfurt in Kauf nahm. Professor Gottfried Meinhold führte mich in die komplexe Thüringer Regionalgeschichte und ostdeutsche Befindlichkeiten ein. Professor Winfried Müller vermittelte eine ostdeutsche Perspektive auf die Arbeit der Hochschulstrukturkommission und die Medizinische Akademie. Herr Steffen Raßloff half mit seiner umfangreichen Kenntnis der Erfurter und Thüringer Geschichte. Ihnen gilt mein Dank, verbunden mit der Bitte um Nachsicht mit der Art, mit der ihre Auskünfte verwendet wurden. Besonders danke ich der Ernst-Abbe-Stiftung, Jena, für ihre großzügige finanzielle Unterstützung bei der Erforschung und Bearbeitung des Projekts sowie Herrn Professor Gunther Mai für die redaktionelle Bearbeitung des Manuskripts für den Druck. Der Historischen Kommission für Thüringen und der Universitätsgesellschaft Erfurt bin ich dankbar für ihre Beiträge zu den Druckkosten. Die Liste der weiteren Gesprächspartner/innen ist lang,1 und ihnen allen danke ich für ihre Zeit und Geduld. Angesichts dieser Hilfe kann die Autorin nur hoffen, ein allen Beteiligten in etwa gerecht werdendes Bild der Erfurter Universitätsgründung gezeichnet zu haben.
1
Vgl. die Liste im Quellen- und Literaturverzeichnis.
III.
HINTERGRUND
HINTERGRUND
1.
Die historisch-politische Entwicklung Thüringens
DIE HISTORISCH-POLITISCHE ENTWICKLUNG THÜRINGENS Thüringen – der Fläche nach das kleinste der neuen Bundesländer – befindet sich in der Mitte Deutschlands und wird – da ca. ein Drittel des Landes mit Wald bedeckt ist – auch „das grüne Herz Deutschlands“ genannt.1 Noch heute ist es durch kleine bis mittelgroße Ortschaften geprägt, die gleichmäßig über den Raum verteilt sind. Thüringen ist somit „ein Land ohne Metropolen“.2 Entlang der alten West-Ost-Handelsstraße Via Regia entstanden eine Reihe größerer Städte von Eisenach über Gotha, Erfurt, Weimar, Jena bis Gera – alles mittelgroße Städte. Einzige Großstadt ist Erfurt.3 Diese Bevölkerungsstruktur erklärt teilweise auch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, die weitgehend mittelständisch geprägt ist. Fehlende größere Bodenschätze führten zur Entwicklung von Leicht- und verarbeitender Industrie.4 Gleichzeitig hatte das Land enge Wirtschaftsbeziehungen zum Frankfurter, Nürnberger und Leipziger Raum.5 Bemerkenswert ist Thüringens politische Entwicklung von jahrhundertelanger Kleinstaaterei zur Errichtung des Freistaats im Mai 1920. Noch zur Zeit der Reichsgründung 1871, als 22 Monarchien, drei Hansestädte und das Reichsland Elsass-Lothringen vereint wurden, kamen fast ein Drittel aller souveränen Fürsten aus Thüringen – als Bismarcks „Zaunkönige“ verspottet.6 Aber gerade ihre Residenzen, Schlösser, Museen, Theater, Orchester etc. verschafften der Region ihre einzigartige kulturelle Vielfalt. Das im 17. Jahrhundert erbaute Schloss Friedenstein beherbergt heute die einmaligen Sammlungen der Forschungsbibliothek Gotha.7 Sie wurde 1999 in die Universität Erfurt integriert. Die Pflege
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Michael EDINGER/Oliver LEMKE/Eberhard LANGE, Thüringen, in: Jürgen HARTMANN (Hg.), Handbuch der deutschen Bundesländer, S. 615 f. Torsten OPPELLAND, Thüringen – ein etwas unterschätztes Bundesland, in: DERS. (Hg.), Politik und Regieren in Thüringen, S. 5. Im Jahr 2015 hatten über 65 % aller Gemeinden maximal 1.000 Einwohner, und lediglich 3,9 % der Orte hatten mehr als 10.000 Einwohner. Mit 213.699 Einwohnern Ende 2019 ist auch Erfurt kaum eine große Stadt. Google, mit Zitat von Eurostat. Eingesehen 4.5.2021. Steffen RASSLOFF, Geschichte Thüringens, S. 75. Arno WASCHKUHN/Alexander THUMFAHRT, Politik in Ostdeutschland, S. 123. Vgl. Steffen RASSLOFF, Geschichte Thüringens, S. 73. Vgl. Kathrin PAASCH, Die Forschungsbibliothek Gotha und ihre Schätze.
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HINTERGRUND
dieses kulturellen Reichtums bedeutet zwar eine finanzielle Belastung für das Land,8 er wird aber gleichzeitig als Touristenattraktion ein immer wichtigerer Wirtschaftsfaktor.9 Mit der Reichsgründung beschleunigte sich die Industrialisierung in Thüringen. „Besonders Jena entwickelte sich zu einem Musterbeispiel des wissenschaftlich-technischen Fortschritts.“10 Hier hatte Carl Zeiss 1846 eine Werkstatt für mechanische und optische Instrumente eröffnet. Erfurt wurde Verkehrsknotenpunkt und Industriezentrum der Metall-, Schuh- und Textilindustrie. Gleichzeitig wurde Thüringen das Zentrum der Arbeiterbewegung. In Eisenach konstituierte sich 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP). Aus ihr ging nach dem Zusammenschluss mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) 1875 in Gotha die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) hervor, die sich auf dem Parteitag 1891 – wiederum in Thüringen, in Erfurt – in Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) umbenannte. In den Reichstagswahlen von 1912 wurde sie die beherrschende Kraft in Thüringen.11 Im Ersten Weltkrieg konstituierte sich der linke Flügel der SPD 1917 in Gotha als Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD), die ein sofortiges Ende des Krieges forderte. Mit der Weimarer Republik ist ein weiterer Thüringer Ort mit der deutschen Geschichte verbunden. In Weimar tagte ab Februar 1919 die Deutsche Nationalversammlung, die u. a. die Verfassung der neuen Republik ausarbeitete.12 Nach dem Rücktritt der Fürsten als Folge der Revolution von 1918 schlossen sich im Mai 1920 die sieben ehemaligen Kleinstaaten zum Land Thüringen zusammen mit Weimar als Hauptstadt, allerdings ohne die Stadt Erfurt, die – auf kurmainzischem Gebiet gelegen – Anfang des 19. Jahrhunderts an Preußen gefallen war und erst 1945 mit den anderen preußischen Gebieten Teil Thüringens wurde.13 „Dies lag sowohl an der preußischen Regierung als auch an der propreußischen Stimmung in großen Teilen der Bevölkerung.“14 Die politische Polarisierung des Landes zeigte sich erneut in der Phase des „roten Thüringen“ mit der Wahl einer SPD/USPD Koalition im Oktober 1921,
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Vgl. Steffen RASSLOFF, Geschichte Thüringens, S. 78-80 für eine kurze Übersicht der kulturellen Vielfalt. Vgl. Torsten OPPELLAND, Thüringen, in DERS. (Hg.), Politik und Regieren in Thüringen, S. 5. Steffen RASSLOFF, Geschichte Thüringens, S. 7. Ebd., S. 77. Auch die Reichsverfassung wurde von Präsident Ebert in Thüringen unterzeichnet, in Schwarzburg im Thüringer Wald. Ebd., S. 83. Klaus DICKE, Der Aufbau funktionierender politischer Strukturen, in: Torsten OPPELLAND (Hg.), Politik und Regieren in Thüringen, S. 18. Steffen RASSLOFF, Geschichte Thüringens, S. 82.
DIE HISTORISCH-POLITISCHE ENTWICKLUNG THÜRINGENS
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die „eine intensive linksdemokratisch-sozialistische Reformpolitik [verfolgte], wie sie in Deutschland ihresgleichen suchte“.15 Besonders die Gründung des Bauhauses 1919 war umstritten und wurde von großen Teilen des Bürgertums als „Kulturbolschewismus“ abgelehnt. Den Höhepunkt erreichte die Entwicklung 1923 mit Hyperinflation, dem drohenden „Marsch auf Berlin“ der völkischen Rechten in Bayern durch Thüringen und mit der Aufstellung von proletarischen Hundertschaften durch die KPD, was den Einmarsch von ReichswehrEinheiten provozierte. Die Folge war der schnelle Aufstieg der NSDAP. 1926 hielt die Partei ihren ersten Reichsparteitag nach ihrer Wiedergründung in Weimar ab; 1930 zog zum ersten Mal ein Nationalsozialist als Minister in ein Kabinett ein: Wilhelm Frick als Innen- und Volksbildungsminister. Bei den Landtagswahlen 1932 gewann die NSDAP 42,5 % der Stimmen (gegenüber 37,3 % im Reich) und bildete (noch vor der „Machtergreifung“ im Reich) unter dem berüchtigten NSGauleiter Fritz Sauckel eine mehrheitlich aus Nationalsozialisten bestehende Landesregierung. Ab 1934 war Thüringen nur noch Verwaltungsbezirk und entwickelte sich zu Hitlers „Mustergau“,16 dessen Industrie besonders wichtig für die Kriegswirtschaft wurde.17 Erfurt wurde zum Wirtschafts- und Verwaltungszentrum sowie zum rasant wachsenden Militär- und Rüstungsstandort. Der Stadt kam „im Aufbau und Stabilisierungsprozess des Dritten Reiches erhebliche regionale Bedeutung zu.“18 Aber auch auf andere Weise arbeitete man dem Regime zu. In Sichtweite der Hochburg der deutschen Kultur, Weimar, errichtete man das KZ Buchenwald, dessen Außenlager Dohra bei Nordhausen sich schnell zu einem der gefürchtetsten Arbeitslager der SS entwickelte. In Erfurt hatte die Firma Topf & Söhne seit 1878 Heizungs- und Brennanlagen produziert. Im Dritten Reich entwickelte man den Bau von Krematorien „ohne erkennbaren Drang von außen“, stolz auf die technischen Möglichkeiten und ohne jede moralische Reflexion: „Der Mord
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Dies zeigte sich u. a. in Maßnahmen wie der Einführung neuer Feiertage (1. Mai und 9. November) auf Kosten kirchlicher; eine Bildungsreform und 1919 in der Gründung des Bauhauses in Weimar unter Walter Gropius. Bereits 1925 erzwang der Umschwung in der Landespolitik den Umzug des Bauhauses nach Dessau. Ebd., S. 85 f. So der Titel des Werkes von Steffen RASSLOFF, Der „Mustergau“. Thüringen zur Zeit des Nationalsozialismus. Die schon in der Weimarer Republik – damals noch unter dem Versailler Vertrag illegal entwickelte – Produktion von Pistolen und Maschinengewehren der Firma Rheinmetall Borsig AG in Sömmerda wurde beispielsweise nach 1933 enorm gesteigert, was später „nahezu den gesamten Bedarf des Heeres eindeckte“. In Jena stellte die Firma Zeiss u. a. kriegswichtige Entfernungsmesser für Superschlachtschiffe wie die „Bismarck“ her. Willy SCHILLING, Hitlers Trutzgau, Bd. 1, S. 59 f. Steffen RASSLOFF, Geschichte der Stadt Erfurt, S. 131.
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HINTERGRUND
an Millionen von Opfern des Nationalsozialismus [wäre] ohne diese technische Unterstützung aus Thüringen nicht möglich gewesen.“19 1945 fand sich das Gebiet nach einer kurzen Besetzung durch amerikanische Truppen innerhalb der Sowjetisch Besetzten Zone. Erst jetzt entstand das Land Thüringen, das im Wesentlichen dem heutigen Umfang entspricht,20 wobei die Funktionen einer Hauptstadt ab 1948 schrittweise auf Erfurt übergingen. Schon 1952 kam es zur Einführung des „demokratischen Zentralismus“ mit der Teilung des Landes in die drei Bezirke Erfurt, Gera und Suhl. Dabei litten „die drei Thüringer Bezirke […] als südwestliche Randbezirke zur Bundesrepublik besonders unter dem inhumanen Grenzregime“.21 Es herrschte ein eisiges politisches Klima. Im Juni 1953 kam es auch in Thüringen zu Protesten, die sich aber nicht so radikal wie in Berlin und anderswo entwickelten. Die wahre Einstellung der Erfurter Bevölkerung zeigte sich beim ersten Besuch eines westdeutschen Bundeskanzlers in der DDR am Rande eines Treffens zwischen Willy Brandt und dem DDR-Ministerpräsidenten Willi Stoph am 19.3.1970 in Erfurt.22 Vor dem Hotel Brandts durchbrachen Erfurter Bürger die Absperrungen der Stasi mit Rufen „Willy Brandt ans Fenster“. Dieser zeigte sich und versuchte, die Menge zu beruhigen – auch für Brandt einer der emotionalsten Momente seiner politischen Laufbahn, drückten die Erfurter doch das Zusammengehörigkeitsgefühl aller Deutschen aus,23 die Grundlage seiner Politik des „Wandels durch Annäherung“. Für Erfurt war es „das bedeutendste Ereignis des 20. Jahrhunderts“.24 Doch hatte dies keine unmittelbaren Folgen. Die Ersten Parteisekretäre der Bezirke waren besondere „Hardliner“, was sich gut an der Einstellung zum 1983 weltweit gefeierten „Lutherjahr“ anlässlich des 500-jährigen Geburtstags des Reformators zeigte. So kommentierte der Erfurter SED-Sekretär Gerhard Müller das Ende des Jahres: „Jetzt hat es sich ausgeluthert, jetzt wird wieder
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DERS., Mustergau, S. 99 ff. Ein Ingenieur der Firma meldete ein Patent an „für einen kontinuierlich arbeitenden Leichenverbrennungsofen für Massenbetriebe“. In der DDR wurde aus dem Werk der VEB Mälzerei und Speicherbau (EMS) und erst nach dessen Konkurs 1996 durch eine Bürgerinitiative in einen Erinnerungsort umgewandelt. Vgl. hierzu ausführlich Annegret SCHÜLE, Industrie und Holocaust: Topf und Söhne, die Ofenbauer von Auschwitz. Torsten OPPELLAND, Thüringen, in: DERS. (Hg.), Politik und Regieren in Thüringen, S. 5. Steffen RASSLOFF, Friedliche Revolution, S. 24 ff. DERS. (Hg.), „Willy Brandt ans Fenster!“ Das Erfurter Gipfeltreffen 1970 und die Geschichte des Erfurter Hofes. Willy BRANDT, Erinnerungen, S. 226: „Der Tag von Erfurt. Gab es einen in meinem Leben, der emotionsgeladener gewesen wäre?“ Steffen RASSLOFF, Geschichte der Stadt Erfurt, S. 145.
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Karl Marx in die Knochen geblasen.“25 Auch das MfS (mit der Bezirksleitung Erfurt) verbreitete „in besonderem Maße jenes Klima der Angst und Verunsicherung, das […] zum Machterhalt der Partei entscheidend beitrug“.26 Es waren jedoch auch die gigantischen Prestigeobjekte der Partei, die seit 1982 als „Chefsache“ betrieben wurden, die Proteste gegen die Machthaber provozierten. Geplant waren u. a. der teilweise Abriss des mittelalterlichen Andreasviertel in Erfurt und die Umgestaltung des Domplatzes zum zentralen Demonstrationsort mit einem Denkmal für die Arbeiterbewegung bzw. Karl Marx.27 Gleichzeitig zeigte sich auch in Erfurt der wirtschaftliche Niedergang der DDR. Im Südosten der Stadt befand sich der Standort des Mikroelektronikprogramms der gesamten DDR – jener kostspielige Versuch, auf diesem Gebiet mit der Bundesrepublik gleichzuziehen. 1989 waren die Anlagen bereits veraltet. In den Winterhalbjahren war Erfurt „permanent von Smog geplagt“.28 Umweltverschmutzung, Warenmangel, zerfallende Bausubstanz der Altstadt, zunehmende Republikflucht, Entwicklungen in den anderen Ostblockstaaten und die Entschlossenheit der DDR-Regierung, Reformen in der DDR nicht zuzulassen – die Unzufriedenheit und der Frust in der Bevölkerung erreichten einen scheinbar unumkehrbaren Höhepunkt.
2.
Die Thüringer Hochschullandschaft
DIE THÜRINGER HOCHSCHULLANDSCHAFT Die Hochschullandschaft Thüringens war von der historischen Gliederung des Gebiets beeinflusst. In der Regel gingen die Hochschulgründungen auf die Initiative einzelner Landesfürsten zurück. Die 1558 ins Leben tretende Universität Jena, die „Salana“ („an der Saale“), war eine Gründung der Ernestiner, die trotz der verschiedenen Erbteilungen zur „Sächsischen Gesamtuniversität“ aller Thüringer Fürstentümer wurde. Die Gründung der Universität in Erfurt, der „Hierana“ („an der Gera“), 1379 bzw. 1389 hingegen erfolgte auf Beschluss des dortigen Stadtrats als Zeichen des „Selbstbewusstsein(s) … der Erfurter Bürgerschaft“.29 Trotz früher Blüte30 verlor die Hochschule später stetig an Bedeutung
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DERS., Friedliche Revolution, S. 33. DERS., Geschichte der Stadt Erfurt, S. 152. 1989 arbeiteten in den drei Bezirken 7.000 hauptamtliche und 19.000 Informelle Mitarbeiter. DERS., Friedliche Revolution, S. 25. Ebd., S. 26. Ebd., S. 28. DERS., Erfurt. Die älteste und jüngste Universität Deutschlands, S. 5. Die unterschiedlichen Daten ergeben sich daraus, dass das erste Privileg von 1379 wegen des Großen
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HINTERGRUND
und wurde 1816 geschlossen – als Erfurt an Preußen fiel, das bereits eine Anzahl anderer Universitäten besaß und für die 1815 gegründete Provinz Sachsen nur die Universität Halle-Wittenberg beibehielt.31 Beinahe zeitgleich mit der Schließung der Erfurter Universität erreichte die Universität Jena – die größte Einrichtung der Region – Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts eine frühe Blüte.32 Mit der Gründung des Landes Thüringen 1920 wurde sie Landesuniversität. 1932 erhielt sie den heutigen Namen, Friedrich-Schiller Universität Jena. In der DDR war die Hochschullandschaft durch ein Nord-Südgefälle gekennzeichnet, das sich durch die territoriale Neuordnung am Ende des Zweiten Weltkriegs ergeben hatte. Die vormals preußischen Universitäten Königsberg und Breslau befanden sich nun in der Sowjetunion bzw. in Polen; die nahegelegene Universität Göttingen war Teil der Bundesrepublik. In der DDR blieben im Norden des Landes daher nur Greifswald, Rostock und Berlin, gegenüber den südlicheren Bereichen mit Halle (Sachsen-Anhalt), Leipzig (Sachsen) und Jena in Thüringen.33 Doch versuchte das Regime, dieses Manko durch die Gründung zahlreicher Spezialhochschulen auszugleichen, wie die der Akademie für Staat und Recht und die der Juristischen Hochschule in Potsdam oder die Gründung von Medizinischen Akademien u. a. in Erfurt, Magdeburg und Dresden. Gleichzeitig wurden damit die bestehenden Universitäten geschwächt, denen das SED-Regime allgemein mit Misstrauen gegenüberstand, repräsentierten sie doch jenen „bürgerlichen Geist“, von dem eine mögliche Gegnerschaft zum sozialistischen System ausgehen konnte. Daher wurde auch die Forschung zum Teil aus den Universitäten ausgegliedert, und Berufungen, vor allem seit den 1960er Jahren, setzten eine „richtige“ politische Orientierung voraus.34 Die Spezialhochschulen erreichten häufig ein hohes Niveau, wie die 1954 in Erfurt gegründete Medizinische Akademie, an der zahlreiche erstklassige Ärzte ausgebildet wurden, und deren Frauenklinik – die größte ostdeutsche Einrichtung dieser Art35 – einen besonders guten Ruf genoss (vgl. Kap. IV.2.). Mitglie-
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Schismas 1389 erneuert wurde. Bei Gültigkeit des ersten Datums wäre Erfurt die älteste Universität vor Heidelberg (1386) und Köln (1389). Hier studierte u. a. Luther, der die Universität als „seine Mutter bezeichnete, der er alles verdankte“. Ebd., S. 9. DERS., Mitteldeutsche Geschichte, S. 153. Zu ihren Hochschullehrern zählten um 1800 u. a. Fichte, Hegel, Schelling, Schlegel und Schiller. Gertrude BUCK-BECHLER u. a. (Hg.), Hochschulen in den neuen Ländern der Bundesrepublik Deutschland; DIES. u. a. (Hg.), Hochschulerneuerung in den neuen Bundesländern. Vgl. Ralph JESSEN, Akademische Elite und kommunistische Diktatur. Die ostdeutsche Hochschullehrerschaft in der Ulbricht-Ära. TA, 2.3.1992.
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der der MAE wurden später die aktivsten Unterstützer einer Universitätsgründung in Erfurt. Die Pädagogischen Hochschulen wurden durch die Verleihung von Promotions- und Habilitationsrechten aufgewertet und dienten der Ausbildung von „sozialistischen Persönlichkeiten“. Sie standen daher unter der besonderen Aufmerksamkeit der DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker und waren ihre „Lieblingskinder“.36 In Erfurt wurde im Jahr 1953 ein „Pädagogisches Institut“ gegründet, aus dem 1969 die Pädagogische Hochschule „Dr. Theodor Neubauer“ Erfurt/Mühlhausen entstand mit der Aufgabe, die Lehrerbildung aller Schularten des Landes durchzuführen. Sie blieb bis 1990 im Wesentlichen unverändert bestehen. Noch im Februar 1989 wurde ihr Lehrangebot erweitert durch die Einführung der Informatik. Seit 1952 bestand in Erfurt auch das Philosophisch-Theologische Studium zur Ausbildung von katholischen Priestern der DDR. Dass eine solche Hochschule im sozialistisch-atheistischen System während der gesamten Existenz der DDR offenbleiben konnte, gehört zu den Merkwürdigkeiten dieses Staates. Nach dessen Ende bestand die Gefahr der Schließung, doch wurde sie durch die schon früh geplante Integration in die Universität Erfurt gerettet, was nach einigen Schwierigkeiten Anfang 2003 geschah (vgl. Kap. VII.4.). Innerhalb der Hochschulen der DDR war die ideologische Durchdringung allgemein stark. In der PHEM war dies besonders im Institut für Lehrerbildung bzw. dessen Nachfolgeinstitut für Unterstufenmethodik der Fall sowie in der Germanistik, weniger in den Naturwissenschaften. Das Studium war gut durchstrukturiert mit intensiver Betreuung in kleinen Seminargruppen, was gleichzeitig die politische Kontrolle ermöglichte. Die Ergebnisse waren jedoch auch positiv: kurze Studienzeiten, mit garantierter Arbeitsstelle nach dem Abschluss, da die Zulassung zum Studium nur in den Bereichen möglich war, in denen ein Arbeitskräftebedarf bestand. Die PHEM war zu DDR-Zeiten einer der größten Arbeitgeber der Stadt – ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung der Landesregierung, sie nach der Wende weiter bestehen zu lassen. Aus diesen strukturpolitischen Erwägungen unterstützte die Stadt die Wiedergründung der Universität. Andererseits war jedoch angesichts der bisherigen Sonderstellung der FSU Jena als einziger Landesuniversität deren Gegnerschaft gegen eine Neugründung in Erfurt zu erwarten. Eine Universität in Erfurt war in den Augen Jenas „unnötig wie ein Kropf“.37
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„Lieblingskind“ Nr. 1 war die Pädagogische Hochschule Potsdam, die größte PH in der DDR. In dem Sinne äußerten sich mehrere Jenaer Gesprächspartner.
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HINTERGRUND
Hier war die Landespolitik gefordert. In Brandenburg wurde die Potsdamer PH unter Hereinnahme von Teilen am Ort bestehender DDR-Einrichtungen zur Universität entwickelt. In Sachsen-Anhalt wurde trotz der Existenz der Traditionsuniversität Halle die Universität Magdeburg unter Einschluss der am Ort bestehenden Einrichtungen (Technische Universität, Medizinische Akademie und Pädagogische Hochschule) gegründet. In Sachsen, wo die Universität Leipzig eine der FSU Jena in Thüringen ähnliche Monopolstellung hatte, wertete der dortige Wissenschaftsminister Hans Joachim Meyer die TU Dresden unter Eingliederung u. a. der Pädagogischen Hochschule und Medizinischen Akademie zur Volluniversität auf,38 wohl auch um der Universität Leipzig – der größten Universität der DDR – „den Rang streitig zu machen“.39 Die Thüringer Landespolitiker gingen bei der Universitätsgründung in Erfurt andere Wege. Die Entwicklung der Thüringer Hochschullandschaft begann mit der Hochschulrahmenverordnung vom 18. September 1990 – eine der letzten Amtshandlungen der DDR-Regierung – die den neu konstituierten Ländern die Möglichkeit gab, das Hochschul- und Wissenschaftssystem der DDR in einer mit dem Hochschulrahmengesetz der Bundesrepublik Deutschland kompatiblen Art umzuwandeln, sodass es letztlich in das Wissenschaftssystem der Bundesrepublik integriert werden konnte. Auf der Grundlage dieser Verordnung verabschiedete der Thüringer Landtag am 19. April 1991 ein vorläufiges Thüringer Hochschulgesetz, das eine Neugestaltung der Hochschulen bei Weiterführung des Lehrbetriebes ermöglichte. Gleichzeitig setzte der Wissenschaftsminister auf der Grundlage von Empfehlungen des Wissenschaftsrates eine Hochschulstrukturkommission ein, die vom 14. März 1991 bis zum Dezember 1992 tätig war (vgl. Kap. V.4.). Im Juni 1992 verabschiedete der Landtag das erste Hochschulgesetz, für dessen Umsetzung regelmäßig „Landeshochschulpläne“ erstellt bzw. später „Rahmenvereinbarungen“ zwischen den Rektoren bzw. Präsidenten der Hochschulen und auf Landesseite dem Ministerpräsidenten, dem Finanzminister und dem Wissenschaftsminister vorgesehen wurden.40 Das Hochschulgesetz durchlief verschiedene Änderungen und erfuhr 2003 eine größere Novellierung, mit der die Bologna-Reformen in Thüringen verankert wurden. 2006 kam es zu einer Neufassung, die auf eine Stärkung der Hochschulautonomie und der Leitungsstrukturen der Hochschulen zielte; die Umsetzung der Bologna-Reform
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Steffen RASSLOFF, Kleine Geschichte der Stadt Dresden, S. 81. Arno WASCHKUHN/Alexander THUMFAHRT, Politik in Ostdeutschland, S. 122. – Meyer war von April bis Oktober 1990 der letzte Bildungsminister der DDR und als solcher im Prozess der Wiedervereinigung auf der DDR-Seite der leitende Vertreter bei den Verhandlungen über die Zusammenführung der Bildungssysteme. Im Oktober 1990 wurde er sächsischer Minister für Wissenschaft und Kunst. Klaus DICKE, Hochschulpolitik, in: Torsten OPPELLAND (Hg.), Thüringen, S. 340.
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wurde obligatorisch (vgl. Kap. IX.2.). Die Kompetenzen der Hochschulleitungen wurden u. a. durch Übertragung des Berufungsrechts gestärkt und das bisherige Kuratorium durch Hochschulräte als strategische Beratungsorgane ersetzt.41 Diese Vorgaben wurden auch an der gerade gegründeten Universität Erfurt umgesetzt. Die Hochschullandschaft Thüringens war in mehrfacher Hinsicht differenziert und ausgewogen: mit der Friedrich-Schiller-Universität als traditionsreicher „Voll-Universität“, der geistes- und sozialwissenschaftlich ausgerichteten Universität Erfurt einschließlich der Forschungsbibliothek Gotha, der Technischen Universität Ilmenau, der Bauhaus-Universität Weimar sowie der Musikhochschule Franz Liszt Weimar. Zusammen mit den vier Fachhochschulen in Erfurt, Jena, Nordhausen und Schmalkalden erstreckt sich die strukturpolitisch wichtige regionale Verteilung auf nahezu das gesamte Gebiet Thüringens.42 Vor allem die Fachhochschulen sollten die in den neuen Ländern fast weggebrochene Industrieforschung beleben. Größtes Problem blieb jedoch die Finanzierung, unter dem die neu gegründete Universität Erfurt mit ihren dem Aufbau geschuldeten Bedürfnissen besonders litt. Obwohl sich die politischen Parteien zu allen Hochschulstandorten bekannten, stand seit ihrer Gründung „immer wieder die Frage im Raum, ob die zehn Hochschulen des Landes nicht [die] Finanzkraft [des Landes] über die Maßen strapazieren“.43 Die finanzielle Schwäche zeigt folgender Vergleich: „Thüringen liegt trotz eines signifikanten Anstiegs der Hochschulfinanzierung mit einer Steigerungsrate von 17,7 % (2004-2013) gegenüber Hamburg (85 %) oder Baden-Württemberg (51 %) bei gleichzeitigem Anstieg der Studierenden zwar vor Sachsen (6 %), aber doch auf einem deutlich nachrangigen Platz.“44
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Ebd., S. 333. Ebd. Ebd., S. 337. Ebd., S. 343.
IV.
ERFURT IN ZEITEN DES UMBRUCHS 1989/1990
ERFURT IN ZEITEN DES UMBRUCHS 1989/1990
1.
Allgemeines
ALLGEMEINES Die wachsende Unzufriedenheit in der Bevölkerung erreichte einen Höhepunkt im Frühjahr 1989 und führte zu ersten Protesten im Zusammenhang mit den Fälschungen der Wahlergebnisse vom Mai 1989.1 Damit begann jener „dramatische Legitimationsverlust der Herrschenden“,2 der in den Ereignissen vom Herbst 1989 seinen Höhepunkt erreichen sollte. Hinzu kam die sich verbreitende Kenntnis von Privilegien aller Art, die die Führungsriege des Regimes genossen hatte, das „mit einem Gleichheitsanspruch angetreten war“.3 Auch die desolate Lage der Wirtschaft trug zur schlechten Stimmung bei. Für die Bevölkerung Erfurts kamen, wie erwähnt, noch die städtebaulichen Vorhaben der Parteileitung und die extreme Luftverschmutzung hinzu. Obwohl sich über den Sommer und Frühherbst in verschiedenen Orten einzelne oppositionelle Gruppen formten, war Thüringen kein „spektakuläres Zentrum der Wendebewegung“.4 Es fehlten die größeren städtischen Metropolen wie Leipzig, Dresden oder Berlin. Doch hielt sich auch in Thüringen die allgemeine Missstimmung auf hohem Niveau, was sich in der anschwellenden Flüchtlingswelle zeigte, durch die sich die Bevölkerung des Landes von 2.723.268 am 31.12.1988 auf 2.611.319 Ende 1990 verringerte.5 In Erfurt war eine der ersten aktiven Oppositionsgruppen die „Offene Arbeit“ um den protestantischen Diakon Wolfgang Musigmann, die mit der Schaffung einer Umweltbibliothek und der Forderung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Luftverschmutzung aktiv wurde. Die evangelische Kirche wurde allgemein wichtig für die Oppositionsgruppen. Laut Berichten des MfS nahm „gegenwärtig […] die von Probst Falcke geleitete Probstei Erfurt eine beson-
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Am 16.2.1990 veröffentlichte die Erfurter Stadtverordnetenversammlung den Abschlussbericht zur Kommunalwahl vom Mai 1989, in dem auch hier Wahltäuschung nachgewiesen wurde. Jürgen JOHN (Hg.), Thüringen 1989/90, S. 302-304. Zur Bedeutung der Wahlfälschungen für die friedliche Revolution vgl. Ilko-Sacha KOWALCZUK, Endspiel, S. 322 f. Andreas DORNHEIM, Politischer Umbruch in Erfurt 1989/90, S. 19. Ebd., S. 20. Steffen RASSLOFF, Friedliche Revolution, S. 25. Im Jahre 2012 hatte sich die Bevölkerungszahl als Folge von Abwanderung und Geburtenrückgang nach der Wende weiter auf 2.170.460 verringert. Ebd., S. 56. 2020 waren es noch 2,120 Mio.
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ders negative Rolle ein“.6 Probst Heino Falcke war ein Mitbegründer von „Kirche im Sozialismus“ im „System wechselseitiger Stabilisierung“ gewesen und als solcher über die Stadt hinaus bekannt geworden. Im Gegensatz dazu blieb die Katholische Kirche als Institution passiv. Doch wurden zahlreiche katholische Amtsträger, Mitarbeiter und ein großer Teil der Studenten des Priesterseminars aktiv.7 Auch der katholische Bischof Joachim Wanke brachte sich schließlich ein. Hinzu kamen Einzelpersonen, wie Edelbert Richter von der Predigerschule, der den Aufbau der „Demokratischen Alternative“ betrieb. Die evangelischen Kirchen wurden Sammlungsorte, von denen nach den regelmäßig stattfinden „Friedensgebeten“ immer größere Demonstrationszüge ausgingen. Die Berichte der Stasi hoben die Jugend der Teilnehmer hervor – über 80 % unter 40 Jahre und 30 % unter 25. Grund des Zulaufs sei „die zunehmende Resonanz der oppositionellen Sammlungsbewegung“, die „vor allem daraus resultierte, dass durch die Organisatoren Probleme angesprochen und Forderungen erhoben werden, die große Teile der Bevölkerung bewegen“.8 Doch fällt auf, dass diese Opposition von den in Erfurt ansässigen Hochschulen nur durch Einzelne unterstützt wurde, mit Ausnahme von Studenten und einigen Mitarbeitern der katholischen Predigerschule. Politisch standen die Medizinische Akademie und die Pädagogische Hochschule dem Regime traditionell nahe. Die Loyalität dem Regime gegenüber blieb auch bei den Studenten hoch, doch wurde hier besonders massive Kritik unter Russisch-Studenten am Sputnik-Verbot laut.9 Diese politische Vergangenheit der Hochschulen sollte bei den späteren Ereignissen eine Rolle spielen. Die „schizophrenen Feierlichkeiten“ zum 40. Geburtstag der Republik heizten die Krisenstimmung weiter an. Ausschreitungen wie in Leipzig und Dresden während der Feierlichkeiten blieben jedoch in Thüringen aus.10 Am 24.10. fand der erste Erfurter Rathaus-Dialog mit der Oberbürgermeisterin und den Parteiführern statt, wobei hunderte von Erfurtern im und vor dem Rathaus demonstrierten.11 Zwei Tage später kam es zur ersten Massendemonstration mit 40.000 Teilnehmern auf dem Domplatz, aus der sich die regelmäßigen „Donnerstagsdemonstrationen“ entwickelten. Bezeichnend war, dass weder die Oberbürgermeisterin Rosemarie Seibert noch der Bezirksparteisekretär Müller sich den Massen stellten. Trotz einer Massendemonstration von 100.000 am 3.11. auf
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MfS, Analyse der Erfurter Oppositionsgruppen, 22.10.1989, in: Jürgen JOHN (Hg.), Thüringen 1989/90, S. 113. Ebd., S. 117. Ebd., S. 111. Andreas DORNHEIM, Politischer Umbruch, S. 19 f. Zu berücksichtigen ist natürlich, dass offene Kritik zur Relegation geführt hätte. Steffen RASSLOFF, Friedliche Revolution, S. 40. Ebd., S. 48.
ALLGEMEINES
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dem Domplatz und dem Druck der Opposition traten Seibert und Müller erst nach der Öffnung der Mauer am 10.11. bzw. 11.11. zurück.12 Am 4.12. kam es in Erfurt zum „Signalereignis von DDR-weiter Tragweite“, der ersten Besetzung einer Stasi-Bezirksverwaltung, die zur Bildung eines Bürgerkomitees bzw. einer Bürgerwache zur Kontrolle des Stasi-Gebäudes und dem Schutz der Akten führte, „um weitere Verschleierung und Vernichtung von Materialien zu verhindern“.13 Das Komitee wurde später auch zum Ansprechpartner für Stasi-Opfer. „Gallionsfigur der regimekritischen Szene in Erfurt“14 wurde der Künstler und Bürgerrechtler Mathias Büchner. Wenige Tage später, am 10.12.1989, bildeten ca. 20.000 Erfurter einen „Bürgerwall für unsere Altstadt“, deren Abriss die SED-Leitung plante. Diese Aktion war organisiert durch die Interessengemeinschaft „Alte Universität Erfurt“ (IG „AUE“), die bereits am 15.10.1987 von einigen Bürgern unter der Leitung des Arztes und Mitarbeiters der Medizinischen Akademie, Dr. Aribert Spiegler, im Rahmen des Kulturbundes der DDR gegründet worden war.15 „Die Forderung nach Wiedergründung der drittältesten Alma Mater […] wurde zu einem der bestimmenden Themen der Wendezeit in Erfurt.“16 Auch in Erfurt kam es zur Einführung eines „Runden Tisches“ aus SED und oppositioneller Öffentlichkeit, die von Propst Heino Falcke angeführt wurde. Allerdings spielte er in Erfurt keine tragende Rolle, weil hier wichtigste Impulse vom Bürgerkomitee und dem inzwischen gebildeten Bürgerrat ausgingen.17 Gleichzeitig bildeten sich politische Parteien, da sich die ersten und letzten demokratischen Volkskammerwahlen abzeichneten, ein Prozess, der sich mit ihrer Vorverlegung von Mai auf März 1990 beschleunigte. Alle Parteien, mit Ausnahme der SPD, hatten Probleme mit ihren „Altlasten“, d. h. mit den Mitgliedern der vormaligen Blockparteien, der nominell unabhängigen DDRParteien. Besonders bei der CDU verlief der Prozess der personellen Erneuerung nur schleppend und belastete den Landesverband über Jahre hinaus. Der FDP gelang ein Zusammenschluss der verschiedenen Gruppen sowie der West 12 13 14 15
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Ebd., S. 49. Flugblatt „Zur Besetzung des Bezirksamtes für Nationale Sicherheit“, 4.12.1989, in: Jürgen JOHN (Hg.), Thüringen 1989/90, S. 205. Stephan SCHNITZLER, Der Umbruch in der DDR auf kommunalpolitischer Ebene, S. 29. Mitglieder waren u. a.: Christen, Atheisten, Rentner und Schüler, Professoren und Drucker, die gemeinsam die Popularisierung der Geschichte einer der ältesten Universitäten betrieben. So organisierten sie seit 1988 die jährlichen „Tage der Alten Universität“. Sie brachten Gedenktafeln an und nahmen vorsichtig internationale Kontakte auf. Zwei ihrer Vertreter wurden ins Interimsparlament der Bezirksstadt gewählt. Steffen RASSLOFF, Friedliche Revolution, S. 62. Ebd., S. 63. Ebd., S. 67.
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und Ostpartei erst durch Vermittlung des Bundesvorsitzenden, Otto Graf Lambsdorff, im August 1990.18 Die FDP wurde für die Erfurter Universitätsgründung und ihre mögliche Konkurrenz für Jena insofern besonders wichtig, weil sich die Parteibasis und ihre Landesgeschäftsstelle in Jena befanden, der Jenaer Bürgermeister der Partei angehörte und die FDP auch den in der Frühphase so wichtigen Wissenschaftsminister stellte. Nur die neu aus WestSPD und Ost-SDP gegründete SPD kannte die Probleme mit Vorgängerinstitutionen nicht. Angesichts der Beliebtheit Willy Brandts und der Stärke der Linken in der Weimarer Republik wurde allgemein ein gutes Abschneiden der SPD erwartet. Doch wurde die Einheitsfrage das wichtigste Thema der Wahlen, die die aus der Bürgerbewegung hervorgegangenen Gruppen spaltete: das „Neue Forum“ einerseits, das für ein basisdemokratisches Vorgehen zur Reform der DDR antrat, und die „Demokratische Alternative“ (DA) andererseits, die Wahlen und die nationale Einheit anstrebte. Die DA fusionierte bald mit der CDU. Die Wahlergebnisse zeigten den Erfolg der Partei der schnellen deutschen Einheit und der Einführung der westdeutschen D-Mark im Osten.19 Der Wahlkampf war gekennzeichnet durch massives Eingreifen der westdeutschen Parteien. In Erfurt erzielte die CDU 56,3 %; die SPD 18,7 %; die PDS 9,9 %; die Liberalen 4,5 %; Bündnis 90 1,8 %. Doch schon zwei Monate später hatten sich die Gewichte verschoben. Die am 6.5.1990 abgehaltenen Kommunalwahlen brachten zwar erneut eine klare Mehrheit für die CDU (37 %), doch hatte sich die Linke erholt, wie die Stimmengewinne von SPD (22 %), der PDS (16 %) und dem Neuen Forum/Die Grünen (10 %) zeigten. Die FDP blieb mit 5 % der Stimmen abgeschlagen.20 Bereits im Wahlkampf wurde die (Wieder-)Gründung der Universität Erfurt kontrovers diskutiert, wobei die CDU und auch die SPD voll dafür eintraten.21 Erster Bürgermeister Erfurts wurde Manfred Ruge, während des Umbruchs ein Hauptakteur des Neuen Forums, jetzt CDU, der in einer großen Koalition mit der SPD von nun an die Stadtgeschäfte leitete.
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Karl SCHMITT/Thorsten OPPELLAND, Parteien in Thüringen, S. 326. Im Bezirk Erfurt fiel der Sieg der CDU, mit der Demokratischem Alternative zur „Allianz für Deutschland“ vereint, mit 60,7 % noch deutlicher aus. Steffen RASSLOFF, Friedliche Revolution, S. 71. Zu den Ergebnissen der Wahlen vgl. die Übersicht im Anhang. Andreas DORNHEIM, Politischer Umbruch, S. 81, mit einer genauen Auflistung der Ergebnisse auch der kleineren Parteien und Gruppen. Stephan SCHNITZLER, Der Umbruch in der DDR auf kommunalpolitischer Ebene, S. 273. Das galt jedoch nicht für die FDP, die in Jena besonders stark war und für die Interessen der dortigen Universität eintrat.
INITIATIVEN ZUR WIEDERGRÜNDUNG DER UNIVERSITÄT
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Mit der Annahme des „Ländereinführungsgesetzes“ durch die Volkskammer am 22.7.1990 und der deutschen Einheit am 3.10. wurde Thüringen Bundesland mit dem nicht unumstrittenen Erfurt als Hauptstadt.22
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Initiativen zur Wiedergründung der Universität: IG „AUE“, Hochschulen und Stadt Erfurt
INITIATIVEN ZUR WIEDERGRÜNDUNG DER UNIVERSITÄT Die Zeit des Umbruchs erzeugte eine weit verbreitete Aufbruchstimmung, die gerade auch die Organisatoren der Interessengemeinschaft „Alte Universität Erfurt“ ermutigte, nun energisch für die Wiedergründung der Universität 1992 zu werben, deren erste Gründung dann genau 600 Jahre zurückliegen würde. Führend in der IG waren Angehörige der Medizinischen Akademie, die selbst schon langfristige Pläne hatte, in Erfurt eine Volluniversität wieder zu gründen, unter Einschluss einer medizinischen Fakultät. Nach der Übernahme der von der SED aufgegebenen Parteihochschule Anfang 1990 schien man diesem Ziel einen Schritt näher. Denn die Hörsäle und Seminarräume der PHS waren in gutem Zustand, und besonders Letztere ließen sich leicht zu Laboren umbauen. Hinzu kam ein Studentenwohnheim für 650 Personen. Auch wissenschaftlich sah man sich gut aufgestellt. „Auf einzelnen Gebieten [haben wir] Wissenschaftler von hoher Qualität.“ Der neu gewählte Rektor, Professor Walter Künzel, beispielsweise war auf dem Gebiet der präventiven Zahnheilkunde an einer Reihe von Projekten der Weltgesundheits-Organisation WHO beteiligt.23 Für die weitere Entwicklung plante man die Errichtung eines Vorklinikums, denn „bisher absolvieren unsere Studenten den zweijährigen vorklinischen Abschnitt des Studiums in Jena und Leipzig, nur der klinische Abschnitt konnte in den Kliniken und Instituten der Akademie durchgeführt werden“.24 Bereits im Herbstsemester sollte ein Pilotprojekt beginnen. „Nun wollen wir – auch mit Sicht auf ein zukünftiges Land Thüringen – eine vollwertige Hochschule werden.“25 Für die Pädagogische Hochschule war die Zukunftsperspektive zunächst weniger klar. Politisch war sie als Lehrerbildungseinrichtung mit ihrem Auftrag
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Steffen RASSLOFF, Friedliche Revolution, S. 76. TA, 11.5.1990. TA, 21.12.1990. TA, 23.8.1990. Doch zeigten frühe Hilferufe die wahre Situation der Hochschule: „Kliniken hängen selbst am Tropf. Pflegenotstand, Personal wandert ab. Hilfe von Hessen und Rheinland-Pfalz.“ TA, 21.12.1990.
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der Formung „sozialistischer Persönlichkeiten“ besonders eng mit der Staatsund Parteileitung verbunden. Nach der Wende setzte ein Prozess der Umstrukturierung ein mit der Schließung von ideologisch besonders belasteten Bereichen, wie der Sektion Marxismus-Leninismus und Teilen der Erziehungswissenschaften,26 dem Rücktritt der bisherigen Rektorin Helga Leistner27 und der Wahl des Biologen Ulrich Pommer zum Rektor. Neben der politischen Vergangenheit spielte hier auch die Einstellung zur Gründung einer Erfurter Universität hinein, denn traditionell verstand man sich als Lehrerausbildungsstätte, den Bestrebungen zur Wiedergründung der alten Universität wurde ein „nostalgischmuseales Flair“ zugeschrieben.28 Doch wuchs der Druck auf die Hochschulleitung, engagierter in Richtung Universitätsgründung aufzutreten. Der Eingang in die Universität wurde nicht nur der beste Weg zur Sicherung von Arbeitsplätzen, sondern sogar zur Überlebensstrategie. Ein erster Schritt war, sich der IG „Alte Universität“ anzuschließen.29 Den konkreten Anfang des Gründungsprozesses machte der Aufruf der leitenden Mitglieder der IG „Alte Universität“ Aribert Spiegler, Arzt an der Medizinischen Akademie, und Roswitha Jacobsen, Dozentin für Germanistik an der Pädagogischen Hochschule, „Für eine Europäische Universität Erfurt“ vom 9.3.1990, in der „im Zeichen der Völkerverständigung, Toleranz, und Solidarität die Vermittlung und der Austausch von Wissen und Bildung konkrete Gestalt“ annehmen könnte.30 In der Folgezeit entfaltete Spiegler lebhafte Aktivitäten, doch war er mit persönlichen Appellen an einflussreiche Westdeutsche bzw. Europäer um Unterstützung der Europäischen Universität Erfurt (EUE) wenig erfolgreich.31 Ihre Antworten zeigten höfliche Ablehnung. Bertold Beitz, der Vorsitzende des Kuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen-Halbach Stiftung fand: „Der Gedanke, eine neue Universität zu gründen, ist […] kühn. […] Die Errichtung einer europäischen Hochschule übersteigt bei weitem die Möglichkeit einer Stiftung.“ Sogar ideelle Unterstützung mochte er nicht zusagen, „angesichts des Engagements [der Stiftung] für Witten/Herdecke“.32 Etwas diplomatischer äußerte sich Bundesbildungsminister Jürgen Möllemann (FDP). Anlässlich seines Besuchs in Erfurt hatte Spiegler am 6.9.1990 an ihn appelliert, dass die
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Die entlassenen Mitarbeiter konnten weitestgehend in anderen Bereichen wie der Verwaltung weiterarbeiten. Sie war prominentes Parteimitglied und Trägerin des Vaterländischen Verdienstordens in Bronze. PH-Senat, 19.3.1990. UAE, PH 14279, Rektorat, Bd. 2: 1990. Ebd. Aribert SPIEGLER/Elmar SCHMID (Hg.), Europäische Universität Erfurt, S. 74. Selbst der englische Thronfolger Prinz Charles wurde angeschrieben. TA, 11.5.1990. Bertold Beitz, 9.5.1990. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-1.
INITIATIVEN ZUR WIEDERGRÜNDUNG DER UNIVERSITÄT
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Wiedereröffnung der Alten Universität Erfurt ein „weithin sichtbares Zeichen für eine neue und gemeinsame Bildungspolitik sein“ könne. Möllemanns Antwort zeigte „Sympathie und Verständnis. […] Wegen der vielfältigen Probleme im Hochschulbereich […] [werden] erhebliche Mittel zur Lösung […] zumindest der gravierendsten Probleme [notwendig]. […] Neugründungen zum derzeitigen Zeitpunkt [müssen] im Zusammenhang mit den mit Vorrang sofort erforderlichen Maßnahmen zur Reform des Hochschulwesens in der DDR erwogen werden.“33 Auch die Antwort des Präsidenten der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Klaus Murmann, auf Spieglers Bitte um finanzielle Hilfe vom 13.9.1990 blieb bei verständnisvoller Ablehnung. Zwar unterstützte er das Erfurter Vorhaben allgemein, „trotzdem bin ich gezwungen, mir eine gewisse Zurückhaltung aufzuerlegen. Es ist so viel im Umbruch und im Aufbau […]; ich muss das Ganze sehen.“ Unterstützung könnte leicht an ähnlichen Orten „als Zurücksetzung gesehen werden“.34 Die Liste der Korrespondenz Spieglers ist lang und zeugt von der beträchtlichen Energie der Beteiligten. In der unverbindlichen Ablehnung der Adressaten zeigte sich jedoch, dass auf diesem Weg das Ziel der Wiedergründung der Alten Universität Erfurt nicht zu erreichen war.35 Die Erkenntnis wuchs, dass es allgemein „erhebliche Vorbehalte gegen die Wiedereröffnung der Universität Erfurt“ gab.36 Auch die gleichzeitig von der Interessengemeinschaft betriebene Bauaufgabe der Universität als „echte Chance für die kreative Stadtgestaltung und Denkmalspflege im Herzen Erfurts“,37 konnte letztlich nur mit Fremdmitteln erreicht werden, über die die IG selbst nicht verfügte. Man hatte jedoch genug „Öffentlichkeit“ erzeugt, so dass im November 1990 die Wiedergründung der „Europäischen Universität Erfurt“ der deutsche Beitrag zur Weltdekade für kulturelle Entwicklung der UNO/UNESCO in Paris wurde. Dessen Direktor, Teil einer Gruppe einflussreicher Engländer, äußerte seine Befriedigung über das Projekt: Es „wirkt genau in dem Rahmen, die die Frage ‚was ist eine kulturelle Identität Europas?‘ betrifft“. Dies war eine
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Jürgen Möllemann, 2.10.1990. Ebd. Möllemann stand als führendes Mitglied der FDP der FSU Jena besonders nahe (vgl. Kap. V.2.). Klaus Murmann, 5.11.1990. Ebd. Schreiben an den Direktor der Hypobank, 17.10.1990; an Willy Brandt, 16.11.1990; an Bundespräsident Richard von Weizsäcker, 16.11.1990; an den Präsidenten der Europäischen Kommission, Jacques Delors, 12.12.1991. Ebd. Geschäftsstelle Deutscher Hochschulverband an den Leiter des Arbeitskreises Umweltbildung der PH „Dr. Theodor Neubauer“, 14.12.1990. Ebd. StAE, Universitätsgesellschaft 5/5-526: Denkschrift zum Verhältnis von Universität, Stadtplanung und Denkmalspflege, 30.10.1990, S. 2.
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weitläufig kulturelle Auszeichnung, die internationale Bekanntheit und finanzielle Unterstützung bedeutete. Nach einem nochmaligen Gespräch mit Bundespräsident Richard von Weizsäcker kam es zum Kontakt mit dem hessischen Wissenschaftsminister Wolfgang Gerhardt (FDP).38 Dessen Priorität für eine mögliche Europäische Universität Erfurt war, dass die wissenschaftliche Einheitlichkeit der Thüringer Hochschullandschaft nicht gestört werden dürfe. Auch der Bundespräsident riet, die Universitätskonzeption so zu gestalten, dass sich „die EUE klar von einer Landesuniversität unterscheidet und deren Wirken und Entwicklung nicht beeinträchtigt. […] Wir müssen den falschen Eindruck sofort ausräumen, die Erfurter Universitätsgründung sei gegen Jena gerichtet.“39 Die Universität Jena blieb dennoch konsequenter Gegner der Erfurter Universitätspläne (vgl. Kap. V.2.). Entscheidend für die Aktivitäten der Interessengemeinschaft war die Unterstützung durch die Stadt Erfurt, der aus wirtschaftlichen und strukturpolitischen Interessen an der Gründung der Universität lag. Denn im Sommer 1990 gehörte die Stadt „zu den […] unterentwickelten DDR-Regionen“. Erfurt hatte im Vergleich zum Rest der DDR unterdurchschnittliche Einkünfte pro Einwohner und doppelt so viele Haushalte mit Monatseinkünften von weniger als 1.000 M als im Rest der Republik.40 Bereits am 20.6.1990 ermächtigten der Rat und der Magistrat der Stadt Oberbürgermeister Manfred Ruge, ein internationales Gremium zur Förderung der Universitätsgründung zu bilden. Mitglieder in diesem Gründungsausschuss der Stadt waren neben den Rektoren sämtlicher Hochschulen eine größere Anzahl angesehener Wissenschaftler, Kirchenvertreter, Bibliothekare etc. Gleichzeitig schuf man den Posten eines hauptamtlichen Universitäts- und Hochschulbeauftragten, auf den Oberbürgermeister Ruge den Bibliotheksexperten Hans-Christian Piossek berief. Seine erste Einschätzung der praktischen Probleme der geplanten Universitätsgründung zeigte einen der Situation entsprechenden, notwendigen Realitätssinn. So empfahl er für die Zusammensetzung des Ausschusses eine Mischung von West- und Ostdeutschen, da „kein Noch-DDR Bürger [das] nötige Fachwissen besitzt, und daher die Möglichkeit ständiger Beratung und operative Anleitung durch [einen] erfahrenen BRDFachmann [nötig ist]“. Er riet daher beispielsweise zu einem Erfahrungsaustausch mit der Partnerstadt Mainz.41 Vor allem erkannte er die unvermeidliche 38 39 40 41
Dr. Wolfgang Gerhard war gleichzeitig Bundesvorsitzender der FDP, der auch Minister Fickel angehörte. Richard von Weizsäcker, 28.11.1990. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-1. TA, 21.6.1990. Piossek an Ruge, 28.8.1990. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-1, Bl. 118 (Hervorhebung im Original).
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Rolle des Landes Thüringen an, da „die Finanzen […] zum größten Teil vom Land kommen“ müssten.42 Das im August von Interessengemeinschaft und Stadt gemeinsam gebildete Gründungskuratorium trat am 12.11.1990 zu einer ersten Arbeitstagung zusammen. Hier versuchte man die Aufgabenverteilung zwischen dem Kuratorium, der Landesregierung und dem Magistrat zu erreichen. Die Regierungserklärung der neuen Landesregierung vom 15.11.1990 hatte die Frage der UniversiUniversitätsgründung zunächst offen gelassen.43 Am 27.11.1990 kam es zu einem entscheidenden Treffen zwischen Ruge, dem Vorsitzenden der IG Spiegler, dem Präsidenten des Deutschen Hochschulverbandes, Professor Hartmut Schiedermair, und Minister Ulrich Fickel. In dessen Verlauf drückten die Universitätsplaner die Bitte an den Minister aus, von nun an die Leitung der Initiative zur Universitätsgründung zu übernehmen. Denn die Landesregierung verfügte nicht nur über die notwendigen Ressourcen, sondern vor allem über die Entscheidungsbefugnis in Sachen Hochschulen. In Anerkennung dieser Situation beeilte Ruge sich, dem Minister zu versichern, dass die Stadt „keine Absicht hat, in die Kompetenzen der Landesregierung einzugreifen“.44 Im Gegenteil lag es von nun an im Interesse der Stadt, so eng wie möglich mit dieser zusammenzuarbeiten. Damit „hatte die Interessengemeinschaft die Planungen für ‚ihre Universität‘ offiziell aus der Hand gegeben – ihre Stimme verlor für den weiteren Verlauf an Gewicht“.45 Die Planungen des Kuratoriums zur Universität gingen jedoch zunächst weiter. In der Sitzung des Wissenschaftlichen Beirats am 4.1.1991, während der zeitweise auch Ministerpräsident Josef Duchač und Minister Fickel anwesend waren, kamen grundlegende Probleme im Verhältnis der Universitätsgründer und der Landesregierung nochmals zur Sprache.46 Der Direktor der HerzogAugust-Bibliothek, Wolfenbüttel, Paul Raabe, wurde von Spiegler freudig begrüßt und gebeten, die wertvollen Schätze der Sondersammlungen Erfurts in die Universitätsbibliothek einzubringen und „diese Schatzkammer des menschlichen Geistes aus einem Dornröschenschlaf endlich zu erwecken“. Ein weiteres Mitglied, Staatssekretär a. D. Dr. Herrmann Josef Schuster aus Berlin, brachte die Diskussion hingegen auf die wesentlichen Punkte: die Forderung des Wissenschaftsrats, in den neuen Bundesländern zusätzlich mindestens 100.000 Studienplätze bereitzustellen, die nicht an den vorhandenen Hochschulinstituten angesiedelt werden sollten. Man sollte daher den besonderen Zeitpunkt
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Piossek an Ruge, 27.9.1990. Ebd., Bl. 119. THÜRINGER LANDTAG. 1. Wahlperiode. Protokoll 5. Sitzung, 15.11.1990. OB Ruge an Minister Fickel, 3.12.1990. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-1. Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen in Deutschland und Amerika, S. 109. LATh-HStA Weimar, Thüringer Staatskanzlei, Nr. 1349.
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nutzen, „aus dieser Notwendigkeit eine Neugründung zu machen“. Sie müsste allerdings ein besonderes Profil haben, einmal als „EUE“, zum anderen durch die Schaffung der auch von der Deutschen Forschungsgemeinschaft bzw. dem Wissenschaftsrat propagierten Einrichtung von Graduiertenkollegs. Man könnte das Aufbaustudium in einigen wichtigen Kollegs hier ansiedeln.“ Das wäre ein gutes Mittel, um Einfluss auf den Hochschullehrernachwuchs in den neuen Bundesländern zu nehmen. Besonders wichtig sei dabei, dass man „die Option bezüglich der Rechtsform noch einmal so offenließ, dass man eine Stiftungsuniversität andenken könnte. […] Das hat den Vorteil, dass eine Mitfinanzierung auch in die laufenden Kosten hinein geschehen kann, was bei einer Landesuniversität gesetzlich ausgeschlossen ist.“ Die Diskussion zeigte die weitreichenden Interessen der Beteiligten; u. a. wurde hier das später in der Universität Erfurt verwirklichte Graduiertenkolleg bereits angedacht. Ministerpräsident Duchač betonte wiederum die „Bereicherung für die thüringische Hochschullandschaft“, die jedoch keine Nachteile für die FSU Jena mit sich bringen dürfe. Jetzt gehe es darum, die rechtlichen, finanziellen und fachlichen Rahmenbedingungen zu erarbeiten und der Landesregierung und dem Parlament als Entscheidungshilfe zuzuleiten. Erst am 27.8.1991 konnte der Gründungsausschuss die 113 Seiten umfassende „Denkschrift zur Gründung einer Europäischen Universität Erfurt“ vorlegen, in der eine Struktur mit sieben Fakultäten und drei zentralen Einrichtungen (Universitätsbibliothek, Rechenzentrum und Sprachenzentrum) vorgeschlagen wurde. Geplant war eine Voll-Universität nicht nur mit Juristischer, Medizinischer, Philosophischer, Mathematisch-Naturwissenschaftlicher und Wirtschaftswissenschaftlicher Fakultät, sondern auch einer KatholischTheologischen und einer Evangelisch-Theologischen Fakultät.47 Man fasste somit alle in Erfurt vorhandenen Einrichtungen zusammen. Die Universität sollte organisatorisch und finanziell so weit wie möglich unabhängig sein. Die Möglichkeit einer Stiftungsuniversität wurde daher intensiv beraten. Diese Suche nach alternativen Finanzierungsmöglichkeiten in Form einer Stiftungsuniversität wurde von den späteren westdeutschen Universitätsgründern als Beweis für den fehlenden Realitätssinn der ostdeutschen Aktivisten zitiert.48 Immer wieder versuchte Piossek, diese Behauptung zu entkräften: „Den Verfassern der Gründungsdenkschrift war durchaus klar, dass es ohne staatliche Mittel nicht
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Für Einzelheiten vgl. Aribert SPIEGLER/Elmar SCHMID (Hg.), Europäische Universität Erfurt. So noch bei einer Podiumsdiskussion anlässlich des 25. Gründungstages der Universität Erfurt am 14.6.2019 im Collegium Maius, Erfurt.
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gehen würde. Über eine Stiftungsuniversität war zwar diskutiert worden, doch einigte man sich auf den Vorschlag, Stiftungslehrstühle einzuwerben.“49 Die Denkschrift kam auch viel zu spät. Denn inzwischen hatte die Landesregierung die Frage der Erfurter Universitätsgründung bereits der Thüringer Hochschulstrukturkommission für Empfehlungen an den Wissenschaftsrat übergeben. Einige Vorschläge der Denkschrift erschienen jedoch teilweise in späteren Empfehlungen, obwohl dies nicht offiziell anerkannt wurde (vgl. Kap. VI.2.).
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Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 284. Noch im April 1992 kam es zu einem Arbeitsgespräch bei Oberbürgermeister Ruge über die „Möglichkeiten der Finanzierung, der Gliederung und des schrittweisen Aufbaus einer EUE“. UAE, PH 12092.
V.
DER RECHTLICH-POLITISCHE RAHMEN DER UNIVERSITÄTSGRÜNDUNG
DER RECHTLICH-POLITISCHE RAHMEN DER UNIVERSITÄTSGRÜNDUNG
1.
Bundespolitik und Institutionen (Einigungsvertrag, Wissenschaftsrat, Kultusministerkonferenz und Hochschulstrukturkommissionen)
BUNDESPOLITIK UND INSTITUTIONEN Da in der alten Bundesrepublik Hochschul- und Universitätsangelegenheiten Ländersache waren, schaffte der Bund gemäß Art. 13 Einigungsvertrag nur die Voraussetzungen für die Neustrukturierung der ostdeutschen außeruniversitären Forschungseinrichtungen,1 übernahm die Übergangsfinanzierung der Institute und garantierte ihr Fortbestehen bis zum 31.12.1991. Die Ausführung wurde dem Wissenschaftsrat übertragen, der sich aus Wissenschaftlern und mit Wissenschaft verbundenen Länder- und Bundespolitikern zusammensetzt. Für die Hochschulen gab es keine ähnliche Regelung. Im Gegenteil: die westdeutschen Länder kämpften offen gegen eine ähnliche Rolle des Wissenschaftsrats für die ostdeutschen Universitäten. Denn die Tatsache, dass der Bund im Wissenschaftsrat vertreten war, belebte alte Kompetenzargumente zwischen Bund und Ländern. Die alten Bundesländer wirkten daher auf den zuständigen DDR-Minister Meyer ein, den Wissenschaftsrat nicht um eine Evaluierung der ostdeutschen Hochschulen zu bitten. Art. 13 des Einigungsvertrages sah daher lediglich eine dreimonatige Frist vor, in der sich die neu gebildeten Länder über den Fortbestand oder die Schließung („Abwicklung“) einer ganzen Hochschule oder einzelner Sektionen entscheiden konnten.2 Dies setzte die ostdeutschen Landesregierungen von Anfang an unter beträchtlichen Zeitdruck und führte dazu, dass sie sich „nahezu ausnahmslos auf [bestimmte] Fachbereiche (Rechts- u. Wirtschaftswissenschaft) und Spezialhochschulen [konzentrierten], für die von vornherein ein Ideologieverdacht bestand. Schon in den meisten geisteswissenschaftlichen, erst recht aber in den natur- und ingenieurwissenschaftlichen Fächern versagte die Abwicklungsregelung des Artikels
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Ulrich KRULL, Im Osten wie im Westen – nichts Neues? Zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrates für die Neuordnung der Hochschulen auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, in: Renate MAYNTZ, (Hg.), Aufbruch und Reform von oben, S. 205225. Vgl. Barbara MARSHALL, Die deutsche Vereinigung in Akademia, S. 56 f. Ulrich KRULL, Zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrates, S. 221.
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13 völlig.“3 Es fehlte an einer adäquaten Übergangsregelung, da Hochschulerneuerungsgesetze der Länder erst später beschlossen wurden. Der Wissenschaftsrat dagegen hatte bereits im Juli 1990 zwölf Empfehlungen für die ostdeutschen Universitäten ausgesprochen. Sie endeten mit den Worten: „Für die Neuordnung des Hochschulwesens […] im östlichen Teil Deutschlands wird es unerlässlich sein, auf der Grundlage einer umfassenden Bestandsaufnahme Empfehlungen zu erarbeiten, die geeignet sind, den Wandel zu einer pluralistischen Organisation der Wissenschaft und Forschung […] voranzutreiben.“ Dabei ging der Wissenschaftsrat davon aus, „dass keine voreiligen Entscheidungen getroffen werden, die die Erarbeitung einer Bestandaufnahme und die Vorbereitung von Empfehlungen sowie deren spätere Umsetzung gefährden“.4 Im Institutionengeflecht der ostdeutschen Hochschullandschaft verstand sich der Wissenschaftsrat somit als oberste Instanz für Empfehlungen zur Neuordnung der Einrichtungen. (Seine Zustimmung für die Finanzierung der Hochschulen war nötig, die dann zu 50 % vom Bund getragen werden würde.) Diese gründliche Bestandaufnahme der Hochschuleinrichtungen fand jedoch nicht statt. So konnte der Wissenschaftsrat zwar die Leitlinien für die Qualitätssicherung der künftigen ostdeutschen Hochschulen formulieren, und diverse Arbeitsgruppen des Wissenschaftsrats besuchten die Universitäten und Hochschulen, um Hinweise für einen qualitativen Neuanfang zu geben. Diese dienten aber vor allem einer „länderübergreifenden, überregional koordinierten Hochschulentwicklungsplanung“.5 Generell gab der Wissenschaftsrat der Weiterentwicklung und Konsolidierung von bestehenden Institutionen den Vorzug vor teureren Neugründungen. Von Anfang an bestand jedoch ein grundlegender Gegensatz zwischen der Praxis der neuen Bundesländer und den Empfehlungen des Wissenschaftsrats. Die Landesregierungen waren in der Regel bestrebt, dessen Einfluss so weit wie möglich zu beschränken, wobei seine Empfehlungen in den Ländern unterschiedliche Anwendung fanden: Brandenburg setzte sich weitgehend über sie hinweg mit der Gründung von zwei neuen Universitäten in Potsdam und Frankfurt/Oder. Thüringen dagegen „versteckte sich hinter dem Wissenschaftsrat“, wie Bundespräsident Richard von Weizsäcker monierte; d. h. dessen Beurteilungen wurden häufig als unumstößlich dargestellt, wenn es galt, unpopuläre Entscheidungen zu treffen.
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Renate MAYNTZ, Die Erneuerung der ostdeutschen Universitäten zwischen Selbstreform und externer Intervention, in: DIES. (Hg.), Aufbruch und Reform von oben, S. 283-312. Ulrich KRULL, Zu den Empfehlungen des Wissenschaftsrates, S. 205. Ebd., S. 209.
BUNDESPOLITIK UND INSTITUTIONEN
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Letztlich fehlte ein konzeptionell fundierter Neubeginn.6 Die Folge war eine lange Phase der Unsicherheit, was in die Hände der Landespolitiker und anderer spielte. Die Verflechtung mit politischen Zielen war eine der Ursachen dafür, dass „jeder Ansatz zu grundlegenden Reformen […] stecken blieb. [Es herrschte ein] struktureller Konservativismus, der schon die westdeutsche Bildungspolitik seit Anfang der 80er Jahre bestimmt und mittlerweile in die Sackgasse der Reformunfähigkeit geführt hat.“7 Allen ostdeutschen Universitäten gemeinsam war das Problem der personellen Erneuerung bzw. der Personalreduzierung. Der Einigungsvertrag bot, wie erwähnt, mit der „Abwicklung“ ganzer oder Teile von Institutionen eine Lösung. Eine zweite enthielt Artikel 38 mit einer individuellen Prüfung des Personals. Eine dritte Bestimmung fand sich in den Ausführungsbestimmungen in Anlage I des Einigungsvertrags,8 die für Beschäftigte des Öffentlichen Dienstes eine auf zwei Jahre befristete erleichterte Kündigungsmöglichkeit vorsahen. Bei fehlender fachlicher Qualifikation, persönlicher Eignung bzw. Identifikation mit der demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik bestand die Möglichkeit einer anderen Verwendung bzw. der Entlassung. Auch bei der Schließung einer Einrichtung war eine fristlose Kündigung möglich. Die Mitgliedschaft in der bzw. der Einsatz für die Stasi sollte ebenso gehandhabt werden. Nach Ende dieser besonderen Kündigungsmöglichkeiten im Dezember 1992 griff das in der Bundesrepublik geltende Arbeitsrecht mit seinem umfangreichen Kündigungsschutz. Für die Landespolitiker, die aus dem Osten stammten und daher mit den westdeutschen Praktiken wenig vertraut waren, wurde die Kultusministerkonferenz (KMK) das erste Beratungsforum. Im November 1990 berichteten sie von den „Schwierigkeiten der personellen Erneuerung an den Hochschulen angesichts eines erheblichen Personalüberhangs und einer weitgehend unveränderten Professorenschaft“.9 Die Vertreter der neuen Länder baten die KMK, „den Handlungsspielraum und die Konsequenzen bei der Abwicklung oder Überführung von Einrichtungen der Wissenschaft aufzuzeigen“ und „das Hochschulrecht in den neuen Ländern daraufhin zu überprüfen, ob es ausreichende Hand-
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Ebd., S. 222. Ebd., S. 224. Vgl. auch: Der Bundesminister des Innern, Bericht zu den Wissenschaftsratsempfehlungen zur Neugestaltung der Hochschulstruktur in den neuen Ländern vom 15.1.1992, in: Bernhard MUSZYNSKI (Hg.), Wissenschaftstransfer in Deutschland, S. 333351. Hans-Jürgen BLOCK, Die Empfehlungen des Wissenschaftsrats für die Hochschulen in den neuen Bundesländern, in: Hilde SCHRAMM (Hg.), Hochschulen im Umbruch, S. 137-143. Anlage I, Kapitel XIX, Sachgebiet A, Abschnitt III, Nr.1, Absatz 4-6. Zur 264. Sitzung des Hochschulausschusses der Kultusministerkonferenz am 22./23.11. 1990 in Bremen vgl. Barbara MARSHALL, Die deutsche Vereinigung in Akademia, S. 49.
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lungsmöglichkeiten für strukturelle Veränderungen und Entwicklungen sowie für die personelle Erneuerung der Hochschulen eröffnet“. Eine Arbeitsgruppe der Kultusminister-Konferenz, an der auch Vertreter der ostdeutschen Länder teilnahmen, erarbeitete daraufhin „Empfehlungen zur strukturellen und personellen Erneuerung der Einrichtungen der Wissenschaft in den [ostdeutschen] Ländern“. Ein wichtiges Anliegen der ‚Empfehlungen‘ war es, „die weitreichenden Konsequenzen der Abwicklungsentscheidung herauszustellen und deutlich zu machen, dass es sich hierbei um eine einmalige, nur durch die besondere Situation der Einigung eröffnete Möglichkeit der Reduzierung des vorhandenen Personalbestands und damit der personellen Erneuerung der Hochschulen handele“. Allerdings sollte die Abwicklung einer Einrichtung von einer eventuellen Neugründung klar getrennt werden, für die „aufgrund des veränderten Struktur- und Aufbaukonzepts etwaige Fördermittel neu beantragt werden müssten“. Man betrachtete die Abwicklung demnach als besten Weg der Personalreduzierung, nicht jedoch die im Einigungsvertrag vorgesehene Möglichkeit der Kündigung. Nach Meinung der KMK konnte mit einer Kündigung „eine nennenswerte Reduzierung des Personalbestands nicht oder nur mit ungleich größeren Schwierigkeiten erreicht werden“.10 Neben dieser Problematik bemühte sich der Ausschuss, den Status der Professoren allgemein zu sichern. Die Mehrzahl der an den Hochschulen der neuen Länder bisher tätigen Hochschullehrer genügte den Kriterien nicht, die das Bundesverfassungsgericht für eine Zuordnung zur Gruppe der Professoren aufgestellt hatte. Gemäß Hochschulrahmengesetz setzte die Zuordnung nämlich eine „Berufung oder ein berufungsähnliches Überleitungsverfahren voraus“.11 Obwohl diese Probleme in Erfurt zunächst nur für die Professoren der PHEM relevant waren, wirkten sie sich langfristig auch in der 1994 gegründeten Universität aus. Zur Umsetzung seiner Rahmenbedingungen für die Universitäten der einzelnen Länder hatte der Wissenschaftsrat im November 1990 den Länderregierungen die Bildung von Hochschulstrukturkommissionen empfohlen.12 Sie sollten selbst entscheiden, inwieweit sie in den einzelnen Hochschulen den vielfältigen Reform- sowie Umorganisationsvorschlägen der zahlreichen Kommissionen, externen Beratern und Verwaltungs- und Selbstverwaltungsinstanzen Spielraum lassen wollten, und wie sie diese in ihren Empfehlungen verarbeite 10 11 12
Ebd. Ebd. Sie waren „das am höchsten angesiedelte Gremium zur Beratung über Ziele und Inhalte des Übergangs der Hochschulen der ehemaligen DDR zu einem Bestandteil des vereinigten deutschen Hochschulsystems“. Ulrich TEICHLER, Zur Rolle der Hochschulstrukturkommissionen, in: Renate MAYNTZ (Hg.), Aufbruch und Reform von oben, S. 227.
DIE THÜRINGER LANDESPOLITIK: DAS KABINETT DUCHAČ/FICKEL 1990-1992
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ten. Die 10-12 Mitglieder der Kommissionen sollten in ihrer Mehrzahl anerkannte Wissenschaftler sein. Konkret waren die Aufgaben der Kommission wie folgt: Beratung bei der Neu- und Umgründung von Hochschulen, insbesondere bei der Gründung von Universitäten und Fachhochschulen; Beratung beim Auf- und Ausbau neuer Fächer und bei inhaltlichen Neustrukturierungen vorhandener Fächer; Beratung bei größeren Investitionen in Hochschulen und Forschungsinstitutionen; Beratung bei der Einsetzung von Berufungskommissionen.13 Die Hochschulstrukturkommissionen sollten im März 1991 ihre Arbeit aufnehmen14 (vgl. Kap. V.4.).
2.
Die Thüringer Landespolitik: Das Kabinett Duchač/Fickel 1990-1992
DIE THÜRINGER LANDESPOLITIK: DAS KABINETT DUCHAČ/FICKEL 19901992 Obwohl die CDU bei den Landtagswahlen vom 14.10.1990 mit 45,4 % gut abgeschnitten hatte,15 benötigte sie einen Koalitionspartner für eine Regierungsmehrheit, als der sich die FDP (9,3 %) anbot. Die Verhandlungen waren überraschend schwierig, sodass sich die Parteien erst unmittelbar vor der konstituierenden Sitzung des Landtags im Weimarer Deutschen Nationaltheater auf eine Koalitionsbildung einigen konnten.16 Ministerpräsident wurde das Mitglied der CDU-Ost, Josef Duchač. Der Bereich Kultur wurde aufgeteilt in Bildung und Kultur bzw. Wissenschaft. Letzteres Ressort übernahm Dr. Ulrich Fickel (FDP). Man versprach eine „schlanke Regierung“ ohne übertriebenen Verwaltungsaufwand. Streitpunkte waren u. a. die Hauptstadtfrage und die Thüringer Landesverfassung, die bereits nach dem Ländereinführungsgesetz im Juli 1990 als Konfliktfelder aufgetaucht waren. In Sachen Landeshauptstadt einigten sich CDU und FDP zunächst auf Erfurt als Regierungssitz. „Den Ausschlag für die Ent-
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WISSENSCHAFTSRAT, Empfehlungen zur künftigen Struktur in der Hochschullandschaft in den neuen Ländern und im Ostteil von Berlin, Teil I, S. 13. Ulrich TEICHLER, Zur Rolle der Hochschulstrukturkommissionen, S. 231. Vermerk zur Beratung der Staatssekretäre der neuen Länder mit der Gemeinsamen Einrichtung der Länder, 16.1.1991. Barbara MARSHALL, Die deutsche Vereinigung in Akademia, S. 60. Die kleinstädtisch ländliche Bevölkerungsverteilung war ein struktureller Vorteil für die lange regierende CDU, die in diesem Raum weitaus bessere Wahlergebnisse erzielte als in den wenigen größeren Städten. Torsten OPPELLAND, Thüringen, ein etwas unterschätztes Bundesland, in: DERS. (Hg.), Politik und Regieren in Thüringen, S. 6. „Die Ergebnisse der Koalitionsgespräche“. TA, 25.10.1990.
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scheidung […] gab die Notwendigkeit, schnellstens über eine handlungsfähige Regierung zu verfügen, was natürlich materielle und räumliche Bedingungen voraussetzt.“17 Doch löste das nicht die Hauptstadtfrage. In der Landtagssitzung am 10.1.1991 zeigten sich erhebliche Einwände gegen Erfurt, das ja erst nach dem Zweiten Weltkrieg zu Thüringen gekommen war und als Bezirksstadt vom SED-Regime bevorzugt worden sei, etc. Nach der öffentlichen Ausschreibung mit den Anforderungen an den zukünftigen Ort bewarben sich die Städte Erfurt, Gera, Jena und Weimar. Erwartungsgemäß erhielt Erfurt die absolute Mehrheit der Stimmen.18 Die Größe der Stadt, der Bestand an günstigen Gebäuden sowie die gute Verkehrsanbindung gaben den Ausschlag. Die Anfangsphase der Landespolitik war auch in Thüringen chaotisch. Die politischen Parteien befanden sich in einem Prozess der Selbstfindung. Vor allem in den Regierungsparteien CDU und FDP und auch in der PDS, der Nachfolgepartei der SED, gab es erhebliche Probleme mit den „Altlasten“ und den noch immer einflussreichen „alten Seilschaften“.19 Ministerpräsident Duchač trat erst auf erheblichem Druck aus der eigenen Partei bzw. der Bundespartei Anfang 1992 wegen Schwächen in seiner Amtsführung und StasiVerstrickungen zurück, nachdem er ein erstes Misstrauensvotum am 18.12.1991 im Landtag erfolgreich abgewehrt hatte. Doch war er nicht ohne Verdienste für den politischen Neuaufbau Thüringens: Er hatte zielstrebig auf die Zusammenführung der drei Bezirke zum Freistaat Thüringen hingearbeitet, unter seiner Regierung begann das Engagement Opels in Eisenach, und er hatte den früheren baden-württembergischen Ministerpräsidenten Lothar Späth als Berater nach Thüringen geholt, der sich bald um den Neuaufbau des Technologiestandortes Jena verdient machen sollte. Gleichwohl scheiterte Duchač, weil ihn seine Vergangenheit im Rat des Kreises Gotha sowie karnevalistische Auftritte in einem Erholungsheim des MfS einholten. „Im Rückblick haben Wegbegleiter Duchačs als Gründe für dessen Scheitern mehrere Faktoren geltend gemacht: Eine allgemeine und zunehmende Nervosität im Regierungslager und in der CDU-Fraktion angesichts anhaltender Presseberichte über Duchačs Vergangenheit, fehlende Netzwerke in die Bundespolitik hinein sowie mangelndes Austarieren oft gegenläufiger Interessenlagen im Bund-Länder-Verhältnis, im Verhältnis der Regierung zum Parlament sowie in der eigenen Fraktion.“20 Die Suche nach einem Nachfolger war schwierig, sodass sich ein „Westimport“ empfahl, zumal die Länder Sachsen und Sachsen-Anhalt gute Erfahrun-
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Ebd. Von 88 abgegebenen Stimmen erhielt Erfurt 49, Gera 10, Jena 4 und Weimar 25. THÜRINGER LANDTAG. 1. Wahlperiode. Protokoll 8. Sitzung, 10.1.1991. Christian VON DITFURTH, Der Vogel und die Blockflöten, in: Wochenpost, 9/20.2.1992, S. 9. Klaus DICKE, Der Aufbau funktionierender politischer Strukturen, in: Torsten OPPELLAND (Hg.), Politik und Regieren in Thüringen, S. 20-22.
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gen in dieser Hinsicht gemacht hatten.21 Auch die Bonner Parteiführung griff ein, da die Thüringer Situation angesichts anstehender Wahlen in anderen Bundesländern bundesweit wichtig wurde. Man einigte sich auf Bernhard Vogel, der die Partei allmählich befrieden konnte, obwohl auch er als „Westimport“ zunächst einen schweren Stand hatte (vgl. Kap. VI.2.). Die FDP war ebenso gespalten zwischen „Alt“-Mitgliedern und neu Hinzugekommenen.22 Die Landesverwaltung musste aufgebaut und für Thüringen geeignete Persönlichkeiten gefunden werden. Amtshilfe leisteten westdeutsche Länder, wobei es zu einem Wettstreit zwischen Rheinland-Pfalz, Bayern und Hessen kam.23 Zunächst war der Nachbar Hessen besonders wichtig; nach politischen Veränderungen dort gewannen die anderen an Gewicht. Dies machte sich beim Aufbau der Verwaltung bemerkbar, wo die unterschiedlichen Arbeitsweisen der Länder in Thüringen ihre Spuren hinterließen. So kam es jahrelang zum Streit über die Verwaltungsstruktur des Landes.24 Zunächst waren Beobachter von der „auf Thüringer Seite [bestehenden] ungewöhnlichen Bereitschaft, […] sich in Richtung Hessen zu öffnen“ überrascht. Die Neugründung eines gemeinsamen Bundeslandes, die aus praktischen Gründen nahegelegen hätte, kam jedoch nicht zustande. „Dies hing mit dem schlagartig wiedererwachten Regionalstolz zusammen. Das Traditionsbewusstsein gerade der Thüringer; ihr Selbstbehauptungswille war immer schon stärker gewesen als alle Versuche der DDR, die Erinnerung an die historischen Landschaften auszulöschen“, und das, obwohl Thüringen „über Jahrhunderte ein dynastischer Flickenteppich war“. Nach der Wende „gab es ein überwiegendes Bedürfnis nach eigener Geschichte, nach Selbstbestimmung und staatlicher Eigenständigkeit“.25 Auch innerhalb Thüringens hielten sich die erwähnten regionalen Gegensätze hartnäckig. So blieb es bei der bestehenden Länderstruktur und der für das Land wichtigen Hilfe beim Aufbau der Ministerien, in denen die westlichen Beamten noch lange vorherrschten.26 Allerdings wurde deren Einfluss auch problematisch, wie u. a. bei der Abfassung der Landesverfassung, die in Thüringen erst 1994 als dem letzten der neu-
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Thomas SAUER, Die CDU, in: Karl SCHMITT/Torsten OPPELLAND (Hg.), Parteien in Thüringen, S. 63. Man sprach vom sogenannten „B-(Biedenkopf) Effekt“. Besonders der Wissenschaftsminister galt als „Wendehals“. Fickel „hat auf der Tribüne bei den 1. Maidemonstrationen in Mühlhausen gestanden […] bis zur letzten Minute Fähnchen geschwenkt“. Interview Pommer. Allgemein hätten es leitende LDPD-Leute besonders gut verstanden, sich in der neuen FDP Führungsposten zu verschaffen. Interview Meinhold. Johann Michael MÖLLER, Hessen und die Wiedergeburt Thüringens, in: Norbert KARTMANN/Dagmar SCHIPANSKI (Hg.), Hessen und Thüringen, S. 28. Ebd. Ebd., S. 25. Westliche Beamte erklärten beispielsweise dem Wissenschaftsminister Fickel anhand einer Flipchart die Arbeitsweise seines Ministeriums. Interview Fickel.
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en Bundesländer in Kraft trat.27 Der rheinland-pfälzische Justizminister beispielsweise brachte einen ersten thüringischen Entwurf „auf West-Niveau“. Angeblich wollte er dadurch „Kollisionen mit den Bestimmungen des Grundgesetzes“ ersparen. Wichtige Ost-Vorschläge wurden gestrichen: das Grundrecht auf Arbeit, auf angemessenen Wohnraum, auf Schwangerschaftsabbruch und der Anspruch auf gleichen Lohn bei gleicher Arbeit.28 Wie sehr man sich der Unpopularität dieser Änderungen bei den Ostdeutschen bewusst war, zeigte sich in der Unsicherheit, welchen Namen der westdeutsche Entwurf haben sollte. „Mainzer Entwurf“ wurde verworfen, weil die PDS ihn als von außen kommend abqualifizieren könnte. Stattdessen wurde „Eisenacher Entwurf“ gewählt – dem Ort der Übergabe des Dokuments an die Ostdeutschen. Der Wortlaut der Verfassung blieb lange umstritten. Der erst 1993 angenommene Kompromiss beruhte auf einer stark verwässerten Version der ursprünglichen ostdeutschen Ideen.29 In seiner Schlusserklärung nach der Annahme der Verfassung zum Ende der 95. Sitzung des Landtags auf der Wartburg am 25.10.1993 erklärte Ministerpräsident Bernhard Vogel, dass Grundlage für Alle das sein solle, wofür sich große Mehrheiten gefunden hätten.30 Die Verfassung trat am 30. Oktober 1993 vorläufig und nach der Zustimmung in einem Volksentscheid (70,13 %) am 16. Oktober 1994 endgültig in Kraft.31 Eine Bestimmung der Verfassung betraf die für die spätere Universitätsgründung in Erfurt so wichtige Finanzfrage. Artikel 98, Absatz 3 sah vor, dass die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Personalausgaben nur höchstens 40 % der Gesamtausgaben des Haushalts betragen darf.32 Hier konnte sich die FDP durchsetzen. Damit war eine allgemein restriktive Finanzierung von Personalkosten vorgegeben, die sich negativ bei Berufungen in der Universität auswirken sollte. Voraussetzung für gesunde Landesfinanzen war die Wirtschaftskraft des Gebiets. Wie alle ostdeutschen Länder erfuhr die Wirtschaft des Landes durch die Umwandlung der sozialistischen Zentralwirtschaft in die soziale Marktwirtschaft eine grundlegende Umstrukturierung. Waren 1989 51 % der Erwerbstäti-
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Arno WASCHKUHN/Alexander THUMFAHRT, Politik in Ostdeutschland, S. 124. Der SPIEGEL, Nr. 41, 8.10.1990, S. 16 f. Vgl. Thomas WÜRTENBERGER/Patricia WIATER, Grundzüge der Thüringer Verfassung, in: Karl SCHMITT (Hg.), Thüringen, S. 50. Besonders die Bereiche „Arbeit“ und „Wohnen“ zeigten die Gegensätze. Die endgültige Verfassung wandelte Artikel 35 mit dem schlichten Grundsatz der ostdeutschen Planer auf ein „Recht auf Arbeit“ um in: „Jeder Bürger hat das Recht, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen.“ Artikel 36 sprach von der „ständigen Aufgabe des Freistaats, jedem die Möglichkeit zu schaffen, seinen Lebensunterhalt durch frei gewählte und dauerhafte Arbeit zu verdienen“. THÜRINGER LANDTAG. 1.Wahlperiode. Protokoll 95. Sitzung, 25.10.1993. Klaus DICKE, Der Aufbau funktionierender politischer Strukturen, in: Torsten OPPELLAND (Hg.), Politik und Regieren in Thüringen, S. 19. Thomas WÜRTENBERGER/Patricia WIATER, Grundzüge der Thüringer Verfassung, in: Karl SCHMITT (Hg.), Thüringen, S. 63.
DIE THÜRINGER LANDESPOLITIK: DAS KABINETT DUCHAČ/FICKEL 1990-1992
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gen im produzierenden Gewerbe tätig, so waren es 1995 nur noch 36,5 % mit Arbeitsplatzverlusten, die auch durch den Anstieg der im Dienstleistungsbereich Tätigen von 5,4 % (1989) auf 18,5 % (1995) nicht wettgemacht werden konnten.33 Eine andere Perspektive kam zu dem Ergebnis: „Schaut man auf die Höhe des aktuellen Bruttosozialprodukts, dann steht Thüringen lediglich an zwölfter Stelle aller Bundesländer (2016 knapp 61 Mrd. Euro), schaut man aber auf das Wachstum seit 1991, dann steht es mit einer Steigerung der Wirtschaftsleistung um fast 260 Prozent an erster Stelle. Diese Zahlen belegen eine erfolgreiche Ansiedlungspolitik insbesondere klein- und mittelständischer Unternehmen mit sehr großer Branchenvielfalt.“34 Gleichwohl lag die Arbeitslosenquote 1991 bei 10,2 %35 und stieg auf 13,7 % im Jahre 1996,36 bevor sie ein Jahr später ihren Höhepunkt mit 19,1 % erreichte. Mit dem weiteren Wachsen des Dienstleistungssektors ging jedoch auch die Arbeitslosigkeit stetig zurück. Die Finanzkraft des Landes aber blieb langfristig schwach. Noch 1995 erwirtschaftete Thüringen nur 48 % des Landeshaushalts aus eigener Kraft, sodass regelmäßige Bundeszuschüsse erforderlich waren sowie die Aufnahme von Schulden. Obwohl besonders die Personalkosten zunächst „aufgrund des geringen Prozentsatzes an Beamtenpensionen […] vergleichsweise niedrig“ waren,37 wurden sie im allmählichen Angleichungsprozess an westliche Gehälter etc. mit der Zeit höher, was die restriktive Personalpolitik des Finanzministeriums ab Mitte der 1990er Jahre zum Teil erklärt. Auch die Finanzen der Stadt Erfurt waren zur Zeit der Wende in einem schlechten Zustand.38 „Verglichen mit dem DDR-Durchschnitt liegen in Thüringens größter Stadt bei allen Einkommensklassen unterdurchschnittliche Verhältnisse vor. Noch ungünstigerer [war der] Vergleich mit den Verhältnissen in der BRD.“ Diese Situation erklärt großenteils den massiven Weggang gerade der wirtschaftlich aktivsten Teile der Bevölkerung, der unter 40-Jährigen. Durch die Politik der Treuhand war in Thüringen eine beträchtliche Anzahl von kleinen bzw. mittelgroßen Unternehmen entstanden. Ein Thüringer Politikziel war daher die enge Kooperation zwischen Unternehmen und Wissenschaft, wie dies bereits in der ersten Regierungserklärung vom 15.11.1990 zum Ausdruck kam: „Die Wiederherstellung und langfristige Sicherung einer leis-
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Michael EDINGER/Oliver LEMCKE/Eberhard LANGE, Thüringen, in: Jürgen HARTMANN (Hg.), Handbuch der deutschen Bundesländer, S. 620. Torsten OPPELLAND, Thüringen, ein etwas unterschätztes Bundesland, S. 7. Karl SCHMITT (Hg.), Thüringen, S. 300. Jürgen HARTMANN (Hg.), Handbuch der deutschen Bundesländer, S. 662, Tabellarischer Anhang. Johann Michael MÖLLER, Hessen und die Wiedergeburt Thüringens, in: Norbert KARTMANN/Dagmar SCHIPANSKI (Hg.), Hessen und Thüringen, S. 28. „Erfurter sind arm dran“. Ergebnis einer Umfrage der Unabhängigen Forschungsgesellschaft Erfurt (UFG). TA, 21.6.1990.
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tungsfähigen Wirtschaft in Thüringen erfordert eine auf moderne wirtschaftliche Belange orientierte Forschungsarbeit. Wir messen daher der Erhaltung und dem Ausbau der Thüringer Hochschullandschaft eine entscheidende Bedeutung bei.“39 Diese allgemein gehaltene Erklärung sagte jedoch nichts über die langfristige Struktur der Hochschullandschaft des Landes aus.
3.
Die Landesregierung und die Erfurter Initiativen zur Universitätsgründung
LANDESREGIERUNG UND ERFURTER INITIATIVEN ZUR UNIVERSITÄTSGRÜNDUNG Für die Landesregierung war die Zukunft der Hochschulen eine wichtige, aber langfristige Aufgabe. Was die Gründung einer Universität in Erfurt durch die Initiativen ostdeutscher Bürger betraf, gab es gewisse Differenzen zwischen Ministerpräsident Josef Duchač und dem zuständigen Minister, Ulrich Fickel. Duchač hielt sich öffentlich zurück, schien jedoch privat die Initiative der IG „Alte Universität“ zu unterstützen. In Antwort auf den Protest aus Jena vom 3.1.1991 gegen die Erfurter Pläne zeigte er sich beispielsweise beeindruckt von ihren Initiativen: „Das aus namhaften Wissenschaftlern und Persönlichkeiten bestehende Gründungskuratorium, das bisher vor allem aus privatem Antrieb tätig wurde, geht – wie die Landesregierung auch – davon aus, dass die Erfurter Universität eine Bereicherung der Thüringer Hochschullandschaft darstellt, und durch ihre Wiedergeburt keine finanziellen Nachteile für die Universität Jena entstehen.“ Die Erfurter Universität sei „eine europäische Stiftungsuniversität, die außer dem Land auch eine Vielzahl von Trägern haben wird, die das Gründungskuratorium jetzt in der Stadt Erfurt, beim Bund, bei den Kirchen und weiteren Stiftern sucht.“ Er unterstützte mit Nachdruck den Vorschlag der Interessengemeinschaft, den Rektor der FSU Jena mit einzubeziehen.40 Maßgeblich war jedoch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst (TMFK), das sich zunächst selbst im Aufbau befand mit dem erwähnten Einfluss der westdeutschen Beamten aus Hessen und Bayern. Geprägt von ihren eigenen Erfahrungen an westdeutschen Universitäten fehlte ihnen weitgehend das Verständnis für die örtlichen Initiativen zur Wiedergründung einer Universität in Erfurt. Für sie war die Universität Jena die hochangesehene Landesuniversität, die ihren hervorragenden Ruf zum großen Teil auch über die DDR hinwegretten konnte.
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THÜRINGER LANDTAG. 1. Wahlperiode. Protokoll 5. Sitzung, 15.11.1990. Ministerpräsident Duchač an den Prorektor der FSU, Professor Meinhold, 7.1.1991. Material Meinhold.
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Minister Fickel fand sich im Mittelpunkt dieser unterschiedlichen Standpunkte. Persönlich stand er seit seinem Studium in Jena dieser Universität nahe. Andererseits war er als Dozent an der PHEM auch den anderen ostdeutschen Einrichtungen verbunden. Aber die FSU Jena hatte ihn mit ihrer systematischen Selbstreinigung nach der Wende beeindruckt.41 Vor allem repräsentierte Jena als Teil der etablierten Hochschullandschaft ein geordnetes Wissenschaftssystem, das ein Emporkömmling wie Erfurt nur stören konnte. Das erklärt u. a. die Weigerung des Ministers, mit den Gründern in Erfurt zusammenzuarbeiten. Im November 1990 schrieb Bundespräsident von Weizsäcker an Spiegler: „Wenn man mit Landespolitikern spricht, so ist zunächst [immer] von Jena und seinen Schwierigkeiten die Rede.“42 Auch Bundesbildungsminister Möllemann stand einer Erfurter Gründung ablehnend gegenüber. Er informierte Ministerpräsident Duchač, dass er „bereits ähnliche Anliegen zu Neugründungen“ erhalten habe. Er erwähnte die „vielfältigen Probleme in den Hochschulen, die Mittel erfordern“; er sehe „keine Möglichkeit, bestimmte Universitäten zu fördern“; Paragraph 38 des Einigungsvertrags „erfordert die umfassende Begutachtung der Forschungslandschaft“, um „regionale Unausgewogenheiten“ auszugleichen.43 Damit übernahm er beinahe völlig die Einstellung der FSU Jena. Diese hatte von Anfang an die Erfurter Initiativen abgelehnt.44 Die Gründe waren vielfältig. Das Erfurter Pathos musste irritieren, mit dem man „Europa“ zur geistigen Erneuerung für sich reklamierte. Zu dieser Zeit plante man in Jena ein Collegium Europaeum Jenense (CEJ), das im Januar 1991 gegründet wurde, aus dem Bewusstsein, dass wir „nur im großen Atem europäischen Geistes und europäischer Kultur unser Selbstverständnis finden“ können.45 Konkret strebte man mit dem CEJ eine breite Vernetzung ähnlich der Netzwerke der ‚scientific
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„Das Herz […] hing besonders an der Uni Jena, der er bescheinigt, in der HochschulErneuerung am progressivsten zu sein mit der Abwicklung der Wirtschaftswissenschaft, Erziehungswissenschaft, Geschichte, Philosophie und natürlich Marxismus-LeninismusStudien.“ Interview Frau Scholz, Leiterin des Universitätsarchivs und damaliges Mitglied des Personalrats der PHEM. Vgl. Uwe SCHLICHT, „Thüringen setzt auf überschaubare Hochschulen und gute Betreuungsverhältnisse“. Tagesspiegel, 11.4.1992. Richard von Weizsäcker an Aribert Spiegler, 28.11.1990. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-1. Möllemann an Duchač, 19.10.1990. LATh-HStA Weimar, Thüringer Staatskanzlei, Nr. 1349. Ende der 1980er Jahre stürmte ein Mitarbeiter der FSU Jena in ein Treffen eines westdeutschen Professors mit einem Jenaer Theologen: „Stellen Sie sich vor, es gibt in Erfurt Leute, die die alte Universität wieder wollen. Das werden wir verhindern.“ Interview Heinemeyer. Es handelte sich dabei um Johann Komusiewicz, den späteren Abteilungsleiter im TMWK/TMWFK. Gottfried MEINHOLD, Der Sonderfall Jena, S. 69 f.
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community‘ an. In der Folgezeit erlangte das CEJ eine internationale Reichweite.46 Wichtiger war jedoch die sich abzeichnende Unterfinanzierung der FSU Jena. Der Kanzler sah sich zeitweise nicht in der Lage, die von der Hochschulstrukturkommission empfohlenen kostspieligen Lehrstühle in den Naturwissenschaften auszuschreiben. In dieser Situation wurde die Absicht der Landesregierung, in Erfurt eine weitere Universität zu gründen, „zu einem bedrückenden, allgegenwärtigen Problem“.47 In einem Brief an Ministerpräsident Duchač kritisierte der Jenaer Senat „mit aller Schärfe, dass trotz der großen finanziellen Schwierigkeiten des Landes in der Landesregierung Pläne bestehen, zum gegenwärtigen Zeitpunkt, zudem vor der Aufnahme der Arbeit der Strukturkommission des Landes eine Universität Erfurt zu errichten, weil dies eine Verzettelung der finanziellen Mittel zu Lasten des thüringischen Hochschulwesens bedeutet und die dringend erforderliche Bereitschaft des Bundes zur Unterstützung des Landes beeinträchtigen würde“. 48 Für andere hatte die „Thüringer Landesregierung [jeden] Sinn für die Realität verloren“; es handele sich um eine „absolute Fehlentscheidung“.49 Rückblickend urteilte der Prorektor: „Es wäre gewiss nötig gewesen, angesichts der bevorstehenden Strukturdebatte vor der Gründung einer Universität in Erfurt, den Ernst der Lage in aller Prägnanz öffentlich in Erinnerung zu bringen.“50 Die Landesregierung enthielt sich jedoch zunächst jeder Festlegung, zur Überraschung beispielsweise eines „Helfers der ersten Stunde“, der bereits zu DDR-Zeiten Kontakte zwischen der Universität Köln und der IG „Alte Universität“ hergestellt hatte. Die bedenkliche Situation im Land veranlasste ihn nun zu einem Schreiben an das Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen: „Nach der friedlichen Revolution […] war allgemein ein politisches Signal der neuen thüringischen Landesregierung erwartet worden, das dann allerdings aus bisher nicht ganz durchsichtigen Gründen unterblieb. […] Vorstöße des Erfurter Oberbürgermeisters Ruge und des Präsidenten des Deutschen Hochschulverbands, Professor Schiedermair, bei Wissenschaftsminister Fickel blieben ohne Ergebnis, obwohl dem Land Thüringen von der hessischen Industrie immerhin vier Stiftungsprofessuren in Aussicht gestellt wurden. […] [Diese] zögerliche Haltung in der Universitätsfrage [kann] dem Land Thüringen
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Ebd., S. 114. Ebd., S. 199. Prorektor Meinhold vertrat diese Sorge in zahlreichen Interviews, was zu einer Beschwerde von Oberbürgermeister Ruge beim Rektor der FSU führte. Mitteilung Meinhold. Prorektor Meinhold an Ministerpräsident Duchač, 3.1.1991. Material Meinhold. Professor Klaus Winnefeld (Jena) an Ministerpräsident Duchač, 16.1.1991. LATh-HStA Weimar, Thüringer Staatskanzlei, Nr. 1349. Gottfried MEINHOLD, Der Sonderfall Jena, S. 198.
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ökonomisch gesehen nur schaden. […] Insbesondere hielte ich es für sehr hilfreich, wenn das Ministerium […] die Arbeit der IG ‚AUE‘ […] im Rahmen seiner Möglichkeiten unterstützte.“51 Im Namen der vier in Erfurt ansässigen DDR-Spezialhochschulen erinnerte auch der Leiter des Philosophisch-Theologischen Studiums, Professor März, nochmals daran, um was es bei der Universitätsgründung in Erfurt ging: „Mit Blick auf die Defizite, die vierzig Jahre DDR-Hochschulpolitik hinterlassen haben, [möchten wir] fragen, ob ein Neuanfang nicht wenigstens dort, wo er […] ein solches Interesse findet wie in Erfurt, auch entschieden angegangen werden müsste. […] Wir sind besorgt, dass jetzt Möglichkeiten vertan werden könnten, die vielleicht so später nicht mehr gegeben sind.“52 Gleichzeitig unterstrich die Erfurter Industrie- und Handelskammer die Bedeutung einer Universität für die sich im Wandel befindliche Wirtschaft der Stadt. „Die IHK erwartet den Beginn eines verstärkten Aufschwungs der Stadt auf geistigem, wissenschaftlichen und künstlerischen Gebiet, [sowie] ökonomische Ausstrahlung auf die Mikroelektronik und die Bedarfsdeckung an Juristen, Volkswirten, sowie eine dauernde Innovation im Hochtechnologiebereich der Wirtschaft.“53 Angesichts dieser gegensätzlichen Meinungen und Interessen blieb das Ministerium unentschlossen und widersprüchlich. Dem Rektor der Pädagogischen Hochschule wurde in einem Gespräch mit Minister Fickel mitgeteilt, dass die Regierung eine Neugründung der Universität Erfurt „vorerst nicht in Erwägung ziehe, da das Geld fehle“. Der Beauftragte der Stadt hingegen wusste nichts von dieser Entscheidung.54 Erst ab Anfang 1991 bildete sich die Haltung des Ministers allmählich heraus. Am 4.1. nahmen Duchač und Fickel zeitweise an der Sitzung des Wissenschaftlichen Beirates des Gründungskuratoriums „Europäische Universität Erfurt“ teil (vgl. Kap. IV.2.). Ziel der Sitzung war es in erster Linie, Beiträge zu einer Denkschrift zu erarbeiten, die der Landesregierung als Entscheidungshilfe vorgelegt werden konnte. An den Ministerpräsidenten erging die Bitte, den offiziellen Antrag zur Universitätsgründung an den Wissenschaftsrat zu stellen.55 Duchač unterstrich nochmals die mögliche „Bereicherung für die thürin 51
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Professor Herbert Hömig, Historisches Seminar der Universität Köln, an Staatssekretär Dr. Walter Prissnitz, Bundesministerium für Innerdeutsche Beziehungen, 6.12.1990. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-1. Professor Claus-Peter MÄRZ, Anmerkungen zur „Erfurter Universität“ aus Sicht der Erfurter Hochschulen, 1.12.1990. LATh-HStA Weimar, Thüringer Staatskanzlei, Nr. 1349. Industrie- und Handelskammer Erfurt an Ministerpräsident Duchač, 29.1.1991. Ebd. TA, 1.12.1990. Der Oberbürgermeister der Stadt Erfurt, Protokoll über die Sitzung des wissenschaftlichen Beirates des Gründungskuratoriums ‚Europäische Universität Erfurt‘, 4.1.1991. LATh-HStA Weimar, Thüringer Staatskanzlei, Nr. 1349.
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gische Hochschullandschaft“, die jedoch keine Nachteile für die FSU Jena mit sich bringen dürfe. Jetzt gehe es darum, die rechtlichen, finanziellen und fachlichen Rahmenbedingungen zu erarbeiten und der Landesregierung und dem Parlament als Entscheidungshilfe zuzuleiten. Minister Fickel betonte die konkreten Arbeitsaufgaben. Diese seien besonders wichtig, da „die Hochschulpolitik z.Z. in widersprüchlichen Diskussionen großen Auseinandersetzungen standhalten muss“. Für die „Europäische Universität Erfurt“ gelte es, die rechtlichen Formen ihrer Neugründung zu finden.56 Während die Landesregierung somit nach außen hin allgemeine Unterstützung für die Gründung einer Europäischen Universität Erfurt signalisierte, hatte das Ministerium andere Prioritäten, wie sie in einem Schreiben Fickels an Oberbürgermeister Ruge vom 13.2.1991 zum Ausdruck kamen. Zunächst bestritt er prinzipiell die Legitimität des „von sich selbst ernannten Gründungskuratoriums“. Dieses könne „nicht die zur Vorbereitung einer Universitätsgründung erforderlichen Kompetenzen besitzen, so lange die […] Willenserklärung des Thüringer Landtages aussteht, und so lange die Mitglieder nicht ausdrücklich von mir berufen sind. Ich würde Ihnen daher auch dringend raten, den Begriff ‚Gründungskuratorium‘ für die vorbereitende Kommission nicht mehr zu verwenden.“57 Mit anderen Worten: Die Initiativen der potentiellen Universitätsgründer schienen die Autorität der sich noch im Aufbau befindlichen Ministerialbürokratie herauszufordern. Denn es waren die „zuständigen Minister, die […] einer Entsendung von Professoren aus ihrem Zuständigkeitsbereich [als Gastprofessoren] an die Universität Erfurt ausdrücklich zustimmen“ müssten. „Die Gründung einer Universität setzt die Zustimmung des zuständigen Ministers voraus, und dieser kann nur tätig werden auf der Grundlage eines vom Landtag zu beschließenden Gesetzes.“ „Der zuständige LT Ausschuss […] [setzt] derzeit im Hinblick auf die gesamte Hochschullandschaft des Landes Thüringen andere Prioritäten.“58 Von erheblicher Bedeutung für das Land war eine überregionale
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Protokoll in LATh-HStA Weimar, Thüringer Staatskanzlei, Nr. 1349. Minister Fickel an OB Ruge, 13.2.1991. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-1. „Der Ausschuss für Wissenschaft und Kunst befasste sich auf seiner 3. Sitzung [am 18.1.1991] mit der in der Öffentlichkeit viel diskutierten Frage der Gründung einer Universität Erfurt. Seine Mitglieder stellten einmütig fest, dass eine Gründung nur auf der Grundlage eines Gesetzes des Landtags erfolgen kann. Ein solches liegt bisher nicht vor, daher ist eine Entscheidung für oder gegen eine Neugründung noch nicht gefallen. Der Ausschuss kann sich zu diesem Problem erst dann eine Meinung bilden, wenn 1. ein sorgfältig erarbeitetes und durch eine Empfehlung des Wissenschaftsrates gestütztes inhaltliches Konzept vorliegt, und 2. ein Finanzierungsmodell vorgestellt wird, das mindestens den Zeitraum der ersten fünf Jahre absichert. Im Ausschuss bestand Einigkeit darüber, dass der Erhalt und die Weiterentwicklung der bestehenden Thüringer Hochschulen Priorität vor einer Neugründung hat.“
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Institution, die die gegenseitigen Interessen gleichsam neutral beurteilen konnte: der Wissenschaftsrat. „Ich halte eine dezidierte, speziell auf das Projekt ‚EUE‘ bezogene gutachtliche Stellungnahme […] für unerlässlich.“59 Ein förmlicher Antrag, eine diesbezügliche Arbeitsgruppe einzurichten, war bereits an den Wissenschaftsrat gerichtet worden. Darüber hinaus würde sich eine vom Minister berufene Hochschulstrukturkommission mit den anliegenden Fragen beschäftigen. Im Ministerium wurde ein Referat „Universitätsneugründung“ eingerichtet. Indem so dem Wissenschaftsrat bzw. der Hochschulstrukturkommission wichtiger Einfluss auf die Entscheidung über die zukünftige EUE überlassen wurde, wich die Landesregierung einerseits einer Festlegung in dieser kontroversen Frage aus; andererseits leitete man die Entscheidung in geordnete bürokratische Bahnen, d. h. die ostdeutschen Initiatoren der Universitätsgründung und ihre Helfer wurden erfolgreich isoliert. Gleichzeitig bedeutete dies auch die Vermeidung einer politischen Entscheidung. Dies unterstrich beispielsweise auch Bundespräsident von Weizsäcker, der sich als Ehrengast der „Universitätstage“ im April 1991 in Erfurt befand. In historischen Augenblicken wie diesem dürften die Verantwortlichen langfristiges Denken nicht ausschließen. Das Land könne sich nicht einfach hinter dem Wissenschaftsrat in Bonn verstecken, sondern müsse eigenen politischen Willen zu erkennen geben.60 Auch weitere Bemühungen des Gründungskuratoriums im Jahre 1991 blieben erfolglos. Wiederholte Appelle bzw. Angebote an die Landesregierung zur Mitarbeit wurden weitgehend ignoriert. Bis zur endgültigen ersten Entscheidung des Wissenschaftsrats im November 1991 verlief die Entwicklung der Universitätsgründung daher zweigleisig: auf der einen Seite die fortgesetzten Bemühungen der Beteiligten des Gründungskuratoriums um Klarheit ihrer eigenen Vorstellungen und um Anerkennung bzw. Mitarbeit mit der Landesregierung, auf der anderen der amtliche Weg der Hochschulstrukturkommission und des Wissenschaftsrats. Angesichts der Haltung der Landesregierung war auch bei einigen Mitgliedern des Gründungskuratoriums die Unsicherheit gewachsen, „in wessen Mandat sie handeln. Dies ist in der Tat insofern unklar, als die Gremien die Gründung einer europäischen Stiftungsuniversität präferierten, und die Stiftung als Trägerin noch nicht besteht.“ Daher wäre es zweckmäßig, wenn die Landesregierung bis zu deren Gründung „treuhänderisch für die zu errichtende Stiftung tätig würde“. Wegen des Koordinierungsbedarfs mit verschiedenen Ministerien
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Minister Fickel an OB Ruge, 13.2.1991. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-1. FAZ, 19.4.1991.
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„sollte die Staatskanzlei die Federführung für die Vorbereitungs- und Gründungsphase übernehmen“. 61 Die Legitimation durch die Landesregierung erfolgte jedoch nicht, was den Oberbürgermeister in einige Bedrängnis brachte.62 Wegen der von der Stadt ausgehenden Aktivitäten „erreichen uns umso mehr Anfragen, wie nun dieser Prozess schrittweise in die hochschulpolitische Praxis umgesetzt wird. Wenn wir auch in allen Fällen auf die ministerielle Zuständigkeit verweisen, stehen wir im Besonderen mit den Mitgliedern der durch den Rat der Stadt und seinen Magistrat legitimierten Gründungsgremien in enger persönlicher Verbindung.“ Unter Berücksichtigung ihres „persönlichen Einsatzes [könne man jedoch] nicht einfach zur verwaltungsstrukturellen Tagesordnung übergehen. Insofern sehe ich die Aufgabe dieser Gremien, solange diese nicht durch neue ersetzt werden, nicht ohne weiteres als beendet an.“ Die Mitglieder böten dem Minister weiterhin ihre Mitarbeit an, und auch er persönlich empfinde „die Notwendigkeit einer gemeinsamen informellen Tätigkeit umso dringlicher. Als Vorsitzender des vorläufigen Gründungskuratoriums – denn darauf laufen unsere Bemühungen hinaus – werde ich von der Öffentlichkeit und den Mitgliedern der Gründungsorgane befragt und gebeten, dafür einzustehen, dass gemeinsame Antworten durch das Ministerium […] und den Magistrat so gegeben werden, dass im gleichen Zusammenhang sowohl die weitere Arbeitsweise dargestellt als auch geäußert wird, welcher Beitrag der Mitglieder in diesem Prozess von Ihnen erwünscht ist.“ Nochmals versuchte er, die Haupteinwände des Ministeriums gegen die örtlichen Initiativen zu entkräften: „Wir verstehen uns nicht als selbsternanntes Gründungsgremium, sondern wurden zum damaligen Zeitpunkt durch die einzig frei gewählte Legislative damit beauftragt.“63 Doch dieser dringende Apell der Stadt erzielte keine Akzeptanz des bisher von den Aktivisten vor Ort Geleisteten. Auch die im August 1991 fertiggestellte Denkschrift zur Gründung (vgl. Kap. IV.2.) brachte keine Änderung in der Einstellung der Landesregierung. Eine mögliche Erklärung bietet ein Privatschreiben eines Beteiligten des Gründungskuratoriums mit seiner Einschätzung der Sitzung des Gremiums am 22.2.1991.64 „Die Diskussionen über die Formalitäten zur Gründung einer EUE war […] für uns alle außerordentlich unleidlich. Die Eitelkeit eines Vorsitzenden [Aribert Spiegler] und die Unerfahrenheit eines Oberbürgermeisters [Ruge] können keine gute Grundlage für die Verwirklichung einer großen Idee darstellen. […] Man kann nicht mit zwei oder drei 61 62 63 64
Staatssekretär a. D. Schuster an Ministerpräsident Duchač, 28.3.1991. LATh-HStA Weimar, Thüringer Staatskanzlei, Nr. 1349, Bl. 69 f. OB Ruge an Minister Fickel, 21.5.1991. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-1. Ebd. Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel an Professor Otto von Simson, Berlin, 27.2.1991. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-2.
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Stiftungsprofessuren winken und meinen, dass man so die Universität gründen könne. […] Das nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, grenzt in der Tat ans Unsolide, wie dem Vorsitzenden vorgeworfen wurde. Auch finde ich es nach wie vor peinlich, dass der Rektor einer Pädagogischen Hochschule gegen die Vorstellungen des Kultusministeriums meint, mit seinen naturwissenschaftlichen Einrichtungen die Grundlagen einer Naturwissenschaftlichen Fakultät persönlich schaffen zu können.“65 Kam hier eine gewisse persönliche, allgemein westdeutsche Geringschätzung der „Aktivisten der ersten Stunde“ zum Ausdruck, schien die Person des Vorsitzenden der IG „EUE“ besonders umstritten. Die Landesregierung ignorierte ihn weitgehend. Einen Höhepunkt dieses angespannten Verhältnisses erreichte die Einladung Spieglers an den Bundespräsidenten zur Teilnahme an einer „Veranstaltung der Freunde und Förderer der Universität Erfurt“, bei der die Landesregierung sich plötzlich als Gastgeberin präsentierte. Spiegler erinnerte „der Vorgang […] fatal an das vergangene Kapitel der SED-Geschichte“.66 Der Frust der Erfurter Universitätsgründer wuchs daher, wie er in einem (allerdings nicht abgeschickten) Schreiben Spieglers an Minister Fickel vom 4.12.1991 zum Ausdruck kommt. „Ist es Ignoranz, mangelnder Wille oder Unfähigkeit, die Sie daran hindert, Brücken der Verständigung zwischen den in der Verantwortung stehenden Politikern und ihren Wählern zu schlagen?“67 Noch Jahre später nagte diese Missachtung an den örtlichen Betreibern einer Universität: „Die Wiedergründung [war] letztlich eine politische Entscheidung. Die Bürgerinitiative wurde von der Landesregierung – trotz wiederholter Angebote – nicht in die landespolitischen Bemühungen um die Wiedergründung der Universität Erfurt einbezogen.“68 Die Nicht-Beachtung der örtlichen Gegebenheiten wirkte sich direkt auf die in Erfurt bereits bestehenden DDR-Institutionen aus: auf die PHEM, die von der Universitätsgründung ausgeschlossen blieb,69 und viel dramatischer auf die in der DDR hochangesehene Medizinische Akademie (vgl. Kap. VI.3. u. 4.).
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Genau dies war jedoch bei der Gründung der Universität Potsdam geschehen, bei späterer Aufstockung des Lehrpersonals mit jüngeren westdeutschen Wissenschaftlern und einer Modernisierung der Ausstattung. Barbara MARSHALL, Die deutsche Vereinigung in Akademia, S. 106. Aribert Spiegler an Bundespräsident Richard von Weizsäcker, 10.4.1991. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-2. Aribert Spiegler an Minister Ulrich Fickel, 4.12.1991. Ebd. Aribert SPIEGLER/Elmar SCHMID (Hg.), Europäische Universität Erfurt, Vorwort, S. 20. Das war bei den Universitätsgründungen in Potsdam und Magdeburg nicht der Fall.
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Die Thüringer Hochschulstrukturkommission und die Stellungnahme des Wissenschaftsrats zur Gründung einer Universität in Erfurt 1992
HOCHSCHULSTRUKTURKOMMISSION UND WISSENSCHAFTSRAT Die vom Wissenschaftsrat für alle ostdeutschen Länder empfohlene Hochschulstrukturkommission (HSK) für Thüringen trat am 14.3.1991 zum ersten Mal in Erfurt zusammen und tagte insgesamt zehnmal an den verschiedenen Hochschulen des Landes. Die Mitglieder mussten ausgewiesene Hochschulprofessoren sein und wurden von Minister Fickel und Staatssekretär Dr. Werner Brans ausgewählt. Allein sieben von ihnen kamen aus Hessen, drei aus BadenWürttemberg und einer aus Bayern. Die restlichen acht kamen aus Thüringen.70 Mitglied war auch Dr. Klaus-Dieter Wolff, Gründer und Präsident a. D. der Universität Bayreuth, der eine Schlüsselrolle im Gründungsprozess der Erfurter Universität spielen sollte. Vom TMWK nahmen die relevanten Mitarbeiter an den Sitzungen teil, insbesondere bei den Beratungen zur Universitätsgründung in Erfurt. Die Pädagogische Hochschule war nicht vertreten, was demonstrieren sollte, dass über ihr Fortbestehen noch keine Entscheidung gefallen war.71 Die HSK Thüringen befasste sich mit allen im Land ansässigen Hochschuleinrichtungen, der Gründung und den Standorten von Fachhochschulen, der Medizinischen Akademie Erfurt und der Wieder-Gründung der Universität Erfurt. Gleichzeitig unterstützte sie das Bestreben des Ministeriums, für das ganze Land eine Personalbedarfsplanung zu erstellen und empfahl „äußerste Flexibilität“ bei der Personalausstattung der Hochschulen.72 Hier erhielt die Personalstruktur der PHEM besondere Aufmerksamkeit, die am 16.6. und nochmals am 14.11. besprochen wurde.73 Auch die Evaluierungsverordnung für Thüringen wurde in der zweiten (25.4.1991) und dritten Sitzung (16.5.1991) diskutiert und
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Allein drei vertraten die FSU Jena, zwei die Hochschule für Architektur und Bauwesen Weimar (ein Institutsdirektor, ein Student). Ein Professor vertrat die TU Ilmenau. Zwar kamen zwei Mitglieder von den Erfurter Hochschulen, dem PhilosophischTheologischen Studium und der Medizinischen Akademie, doch spielten sie bei den Beratungen keine Rolle. Auskunft Professor Winfried Müller, vormals MAE, 8.2.2018. Vgl. die Mitgliederlisten in Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, ab S. 449. Ebd., S. 284. Interview Claus-Peter März, damals Philosophisch-Theologisches Studium. Bei der PH herrschte verständlicher Ärger. So beklagte der auch in der Universität Jena angesehene Mathematikprofessor Volkmar Wünsch die „Ignoranz, mit der die Hochschule behandelt wird, z. B. bei der Ausgrenzung in der HSK“. PHEM, Wissenschaftsrat, 13.3.1991. UAE, PH 14278. HSK Thüringen 4/13.6.1991. Mitteilung des Vorsitzenden, Protokoll, S. 1. Material Meinhold. Auch LATh-HStA Weimar, Thüringer Staatskanzlei, Nr. 1349. In der PHEM schien ein besonders großzügiges Zahlenverhältnis von Lehrenden und Dozenten zu herrschen.
HOCHSCHULSTRUKTURKOMMISSION UND WISSENSCHAFTSRAT
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einstimmig bestätigt.74 Für einzelne Fachbereiche wurden Unterkommissionen gebildet, die anfangs auch als Berufungskommissionen fungierten.75 Noch fehlte jedoch ein Gesamtkonzept für das Thüringer Hochschulwesen, ohne das man nur allgemeine Aussagen machen konnte.76 Die HSK sah sich daher nicht in der Lage, für die Zukunft planen zu können. Dies trat bei der Diskussion um die Gründung der Universität Erfurt besonders zutage, die in der Kommission die größte Kontroverse auslöste. Hier ging man von der Prognose des Hochschul-Informations-Systems (HIS) sowie von den Ausarbeitungen des Wissenschaftsrats aus, dass eine ausreichende Ausbildungsnachfrage für zwei Thüringer Hochschulen zu erwarten sei, vorausgesetzt, man gehe von einem schrittweisen Anwachsen aus sowie von einer Begrenzung der Größe der Bildungsinstitutionen. Der geladene Staatssekretär wiederholte den Ansatz der Landesregierung: keine Universitätsgründung in Erfurt zulasten anderer Hochschulen bzw. Universitäten. Gleichzeitig wurden die bisher ausgearbeiteten Pläne zurückgewiesen. So erschien in der Diskussion „das Konzept einer inhaltlich auf ‚Europa‘ ausgerichteten Universität als nicht tragfähig“. Auch eine „auf der Finanzierung aus privaten Mitteln beruhenden Stiftungsuniversität [sei] nicht lebensfähig“. Vor allem aber warnte er die HSK vor „überstürzten Maßnahmen bzgl. einer möglichen Gründung“. Damit waren auch die Hoffnungen der Erfurter Bürger auf eine Wiedergründung im Jubiläumsjahr 1992 begraben. Laut Staatssekretär sollte die Universitätsgründung jedoch unter Einbeziehung der in Erfurt vorhandenen Hochschuleinrichtungen wie der Medizinischen Akademie stattfinden, nicht aber der PHEM, die der Staatssekretär „in der jetzigen Konfiguration“ für eine Einbeziehung in die Universität „nicht geeignet“ hielt. Damit folgte er der Empfehlung des Wissenschaftsrats.77 Auch nach Anhörung von Rektor Pommer vertrat die HSK den Standpunkt, dass „eine Entscheidung […] zum Zeitpunkt der Sitzung durch die HSK nicht getroffen werden [kann]; eine Empfehlung […] durch die HSK ebenfalls nicht gegeben werden [kann]; die HSK hat einstimmig beschlossen, dass die PH Er-
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Im November 1991 folgte das erste Vorläufige Thüringer Hochschulgesetz, das die bis dahin noch geltende Hochschulverordnung der letzten DDR-Regierung vom 18.9.1990 ersetzte. Das Gesetz durchlief eine Reihe verschiedener Versionen und blieb nicht unumstritten, berührte es doch die Autonomie der Hochschulen. Einen vorläufigen Abschluss bildete der erste Landeshochschulplan vom 9.12.1992. Für die PHEM relevant wurden die in der 2. Sitzung am 25.4. berufenen vier Unterkommissionen zur Lehrerbildung, 1. Grundschulen; 2. Erziehungswissenschaft (für Gymnasien und Regelschulen); 3. für Geschichte, Geographie und Politikwissenschaft. Die 4., für Romanistik, sollte bis zum 16.5.1991 gebildet werden, was sich jedoch weiter verzögerte. Der Vorsitzende der HSK, 3/16.5.1991. Material Meinhold. WISSENSCHAFTSRAT, Empfehlung zur Lehrerbildung in den neuen Ländern, S. 129.
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furt ihre Vorschläge der Unterkommission vorlegen soll, die wiederum Vorschläge an die HSK zur Verabschiedung einreicht.“78 Mit anderen Worten: Man enthielt sich einer klaren Entscheidung. Diese Einstellung der Thüringer Hochschulstrukturkommission gegenüber der PHEM war insofern bemerkenswert, als sie sich von der anderer ostdeutscher Länder wie Sachsen-Anhalt unterschied. Auch dort war in der HSK „besonders umstritten, ob PHs beibehalten werden sollten, [doch] plädierte hier die Mehrheit der HSK dafür, weil dadurch eine Erhaltung der pädagogischen Akzente der Lehrerbildung gegenüber einer Fachorientierung eher zu sichern sei; die Minderheit plädierte für Integration um ein höheres Qualifikationsniveau der Lehrerausbildung zu sichern und Verdoppelungen im Angebot von Professoren in Grenzen zu halten.“79 Die Haltung der Thüringer Hochschulstrukturkommission ist somit erklärungsbedürftig. Zum einen machte sich wohl die Meinung des Gründers der Universität Bayreuth Wolff bemerkbar, der die dortige PH nicht in die Universität eingebracht, sondern nach Bamberg verlegt hatte. Zum anderen musste eine Universitätsgründung in Erfurt mit der erbitterten Ablehnung der FSU Jena rechnen. Der Einschluss einer als politisch besonders belastet geltenden, in den Augen der Jenaer auch akademisch minderwertigen PH hätte der FSU einfache Munition gegen die Universität Erfurt gegeben. Das Argument in SachsenAnhalt, dass eine Verdoppelung der Professorenschaft vermieden werden sollte, ist im Thüringer Zusammenhang besonders interessant, denn die der PH entzogenen Professorenstellen, die der UE zugeschlagen wurden, machten die Universitätsgründung zu Zeiten finanzieller Probleme des Landes überhaupt erst möglich (vgl. Kap. VI.4.). Die noch ausstehende politische Entscheidung zur Gründung der Universität machte Stellenplanungen für die PHEM schwierig.80 Man erwog daher „bei den Ausschreibungen für die PH Erfurt […] eventuell im Text darauf hinzuweisen, dass die Lehrerbildung mit universitärem Maßstab erneuert wird. Sollte eine Erfurter Universität gegründet werden, müssen die Professuren ergänzt werden.“81 Auch in der nächsten Sitzung blieben „die Professuren [der PHEM] in Beziehung zu einer möglichen Gründung einer Erfurter Universität“ ein Prob-
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80 81
HSK Thüringen 3/16.5.1991. Material Meinhold. Ulrich TEICHLER, Zur Rolle der Hochschulstrukturkommissionen, in: Renate MAYNTZ (Hg.), Aufbruch und Reform von oben, S. 252. Die PH Magdeburg wurde relativ problemlos in die neu gegründete Otto-von-Guericke Universität integriert. Vgl. die ähnlichen Debatten in Baden-Württemberg im Zusammenhang mit der dort eingesetzten Strukturkommission zur Lehrerbildung 2000. FAZ, 26.8.1993. Material Mai. 2. Sitzung der Unterkommission Geschichte, Politikwissenschaft, Soziologie und Geographie der HSK, 13.7.1991. Material Mai. HSK 5/18.7.1991, Protokoll, S. 7. Material Meinhold.
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lem.82 In der Zwischenzeit behalf man sich damit, Stellenausschreibungen für Jena und Erfurt gleichzeitig vorzunehmen und sie dabei inhaltlich je auf die Bedürfnisse der einzelnen Hochschulen zuzuschneiden. In der Philosophie beispielsweise wurden für Jena und Erfurt zunächst je drei C4-Stellen ausgeschrieben. Die ersten Gründungsprofessuren für Philosophie/Ethik wurden in Jena und Erfurt berufen.83 Dies schien eine Aufwertung der PHEM einzuschließen. Für die Ausarbeitung weiterer Einzelheiten bezüglich der Gründung der Universität Erfurt beschloss man die Bildung einer speziellen Arbeitsgruppe (AG), die am 13.6.1991 zum ersten Mal in Bayreuth unter dem Vorsitz des dortigen Universitätspräsidenten Wolff zusammentrat. Wie er waren auch die weiteren vier Mitglieder nicht-thüringer Repräsentanten der HSK. Staatssekretär Brans wollte damit bewusst emotional gebundene Mitglieder ausschließen.84 Doch bedeutete der Vorsitz von Wolff und die Mitgliedschaft von Professor Karl Alewell aus Gießen, dem Vorsitzenden der HSK – beide Befürworter einer Universität in Erfurt –, dass die Entscheidung von vornherein in eine bestimmte Richtung gelenkt werden würde. Um der Arbeitsgruppe größeres Gewicht zu geben, verlangte Wolff, dass „die ständige Anwesenheit des verantwortlichen Referenten des TMWK zu den Sitzungen dieser AG gesichert sein“ müsse.85 Aufgabe der Arbeitsgruppe war es, die Rahmenbedingungen für die mögliche Gründung zu prüfen bzw. die konzeptionellen Grundlagen zu erörtern. Auch ein Verfahrensvorschlag für das weitere Vorgehen der Landesregierung sollte erarbeitet werden. Die Empfehlungen der AG sollten bis spätestens November 1991 vorliegen und so Vorarbeit für die Entscheidung des Wissenschaftsrats leisten. Bereits zwei Tage nach dem ersten Treffen der Arbeitsgruppe berichtete Wolff der Hochschulstrukturkommission auf der 5. Sitzung in Erfurt von ihren allgemeinen Vorstellungen. Wie bereits von Staatssekretär Brans vorgeschlagen, ging die Arbeitsgruppe von folgenden Annahmen aus: keine Gründung bzw. Entwicklung aus Vorgängereinrichtungen, was nunmehr auch den eventuellen Einschluss der MAE betraf; keine privaten Konzepte; keine Entwicklung einer Europa-Universität, jedoch Programme mit europäischer Dimension; Vermeidung von Zeitdruck und Provisorien; Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten des Landes Thüringen. Die bisherigen Vorstellungen des Thüringer Ministeriums für Wissenschaft und Kunst (mit philosophischer bzw. rechts-/wirtschaftswissenschaftlicher Fakultät) „werden 82 83
84 85
HSK 6/19.9.1991, Protokoll, S. 3. Material Meinhold. Es handelte sich um die Professoren Werner Becker in Jena und Winfried Franzen in Erfurt. HSK 6/19.9.1991, Protokoll, S. 3. Material Meinhold. Interessant war die große Anzahl der Bewerbungen: 182 für Jena und 120 für Erfurt. Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 205. HSK 4/13.6.1991. Material Meinhold.
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von der AG als tragfähige Grundlage angesehen“.86 Vor allem sollte es nicht zu vorschnellen politischen Entscheidungen kommen; „es muss sichergestellt werden, dass politische Gremien keine Entscheidungen treffen, bevor sie die dazu angeforderten Empfehlungen der HSK und ihrer AG zur Kenntnis genommen haben.“87 Weitere wichtige Aspekte der Diskussion waren die Reservierung der nötigen Grundstücksflächen bzw. die Ankündigung des Ministeriums, ein Finanzplanungsgutachten erstellen zu lassen. Letztlich wurde kritisiert, „dass der Standpunkt der HSK zur möglichen Gründung einer UE (schrittweise und gründliche Vorgehensweise) in der Presse nicht zum Ausdruck kam“.88 Pünktlich zur 7. Sitzung am 14.11. lagen die Empfehlungen der Arbeitsgruppe Universität Erfurt als Entwurf vor. Auf zehn eng gedruckten Seiten ging man detailliert auf die verschiedenen Aspekte ein, beginnend 1. mit einer Zusammenfassung der Empfehlungen, gefolgt 2. von der Beschreibung der Ausgangslage und endend 3. mit der „Grundkonzeption“ für eine Universität Erfurt.89 Entscheidend war der erste Satz: „Es wird eine UE mit einem langfristig anzustrebenden Endausbau von 10.000 Studienplätzen gegründet“ – und zwar eventuell als Campusuniversität auf dem Erweiterungsgelände der PH. Dies sollte jedoch erst nach zwei sich zeitlich überschneidenden Gründungsphasen erfolgen, für die ein Gründungs- und Strukturbeirat berufen werden würde. Diese waren erstens eine Phase zur Ausarbeitung der inhaltlichen Konzepte und zweitens eine Vorbereitungsphase zur Ressourcengewinnung (Gelände, Bauten, Bibliothek, Personal). Sie würden gefolgt von einer ersten Ausbauphase mit der Einrichtung von 3.000 Studienplätzen für eine Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät und von 3.000 Studienplätzen für eine Philosophische Fakultät, mit der die PHE ihre Struktur und ihre Lehraufgaben abstimmen sollte bis zur mittelfristigen Übernahme der Aufgaben der PH durch die Universität. Die zweite Ausbauphase würde die Einrichtung von 500 Studienplätzen für evangelische und katholische Theologen beinhalten (in Abstimmung mit der jeweiligen kirchlichen Trägerschaft). Die dritte sah die Einrichtung von 3.000 Studienplätzen für eine Naturwissenschaftliche Fakultät und – mittelfristig – auch die Einbeziehung der MAE als Medizinische Fakultät vor. Man betonte sogar ausdrücklich: „Das inhaltliche Konzept der Universität wird durch die spätere Einbeziehung der Medizin eine Bereicherung erfahren.“ Wiederum empfahl man, dass die Landesregierung nicht übereilt, sondern mit Bedacht, jedoch zügig vorgehen sollte. War die AG somit offen, was die Integration der 86 87 88 89
HSK 5/18.7.1991, Protokoll, S. 3. Ebd. Ebd. Ebd. HSK Thüringen, AG „Universität Erfurt“. Empfehlung zur Wiedergründung einer Universität Erfurt, Entwurf. LATh-HStA Weimar, Thüringer Ministerien für Kultur, Kunst, Bildung und Wissenschaft, Nr. 6, Bl. 265 für das Folgende.
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bestehenden Erfurter Einrichtungen betraf, so bedeutete das nicht, dass Vorgängerinstitutionen einfach übernommen werden sollten. Dies würde eine ernsthafte Beeinträchtigung bzw. eine „wesentliche Störung“ der Aufbauphase bedeuten. In der sich anschließenden, „längeren, teilweise sehr kontroversen Diskussion“ prallten die Gegensätze aufeinander. Erwartungsgemäß waren die Vertreter der anderen Thüringer Einrichtungen und besonders die der FSU Jena skeptisch, was die Gründung anging. Die Rektoren der FSU und der BauhausUniversität Weimar sahen beträchtliche finanzielle Nachteile für ihre Institutionen. Die Finanzierbarkeit einer Erfurter Universität wurde bezweifelt.90 Andere betonten nochmals die Notwendigkeit einer objektiven Beurteilung, ohne „politische[m] Druck nach[zu]geben“.91 Unterstützung kam hingegen von Wolff und erwartungsgemäß von dem geladenen Professor Pommer, dem Rektor der PH, für den der Eingang seiner Einrichtung in eine UE langfristig Sicherheit bedeutete. Auch der Vorsitzende der HSK, Professor Karl Alewell, betonte „als anfänglicher Gegner der Gründung die Notwendigkeit und Tragfähigkeit einer Universitätsgründung“. Es sollten im Osten keine Mammutuniversitäten wie in den alten Bundesländern entstehen. Man solle erst Konzepte entwickeln und die Finanzierbarkeit in einem zweiten Schritt prüfen. Professor Wolff betonte, dass die finanzielle Belastung und Belastbarkeit des Landes Thüringen „nicht Gegenstand der AG waren“. Damit hatte die HSK das schwierigste Problem, das der Finanzen, erfolgreich umgangen. In der nächsten Sitzung wurde zu dieser Problematik eine Unterkommission „Finanzen“ gebildet. Interessant waren auch die Beiträge der Vertreter des Ministeriums, die eine Mittellinie einschlugen: Die Vorlage sei zwar annehmbar, aber die Belange der bereits bestehenden Hochschuleinrichtungen des Landes müssten gesehen bzw. der Prozess der Gründung verlangsamt werden.92 Letztlich wurde folgender Beschluss mit einer Gegenstimme und zwei Enthaltungen angenommen: Man nahm die Vorlage der Arbeitsgruppe samt ihrer inhaltlichen Aspekte zur Fächerstruktur sowie die Entwicklungsansätze zustimmend zur Kenntnis. „Dies bedeutet jedoch nicht, dass die HSK die Gründung einer Erfurter Universität für 1992 empfiehlt. Die HSK stellt fest, dass ein Jubiläumsjahr kein Gründungsjahr für eine Universität sein muss.“ Daher wurde die Landesregierung gebeten, den entsprechenden §127 aus dem Entwurf des Thüringer Hochschulgesetzes zurückzuziehen.
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Professor Hans Triebel (FSU Jena), HSK 7/14.11.1991. Material Meinhold. Professor Helmut Böhme (TH Darmstadt). Ebd. Abteilungsleiter Komusiewicz und Bunge. Ebd.
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Am 24.1.1992 verabschiedete die Vollversammlung des Wissenschaftsrats ihre Stellungnahme zur Gründung einer Universität in Erfurt, um die „das Land Thüringen gebeten hatte“.93 Sie beruhte auf dem Konzept und dem Verfahrensvorschlag der Hochschulstrukturkommission. Zunächst ging er dabei auf die bestehenden Hochschulen ein und betonte die Pläne der Erfurter Bürger und der Gremien der Stadt für eine neue Universität, die nach der Gründung des Landes an die Landesregierung herangetragen worden waren. „Angestrebt wurde die Gründung einer Universität im Jahre 1992 anlässlich der 600-jährigen Wiederkehr der Gründung der alten Universität.“94 Das Land habe sich jedoch diese Pläne nicht zu eigen gemacht, weil sich für die angedachte Finanzierung als Stiftungsuniversität keine Stifter gefunden hätten, und weil daher – so hatte die Landesregierung schon früher argumentiert – die Finanzierung auf das Land zurückgefallen wäre. Laut Wissenschaftsrat habe das Land sich nicht der Idee einer Gründung verschlossen, sich aber hinsichtlich der Einzelheiten nicht festgelegt. Der Wissenschaftsrat folgte bei Ausbauziel und Nachfrage nach Studienplätzen in Thüringen der Konzeption der Hochschulstrukturkommission, die einen Bedarf von 6.000 weiteren Studienplätzen erarbeitet hatte. Doch waren „angesichts der tiefgreifenden Umbrüche in den Lebens- und Arbeitsbedingungen und der völligen Umgestaltung des Schulwesens genauere Voraussagen nicht möglich“.95 Man ging zwar von einem wachsenden Studentenpotential gegen Ende der 1990er Jahre aus. Ausschlaggebend war jedoch letzten Endes, dass die durch die Sanierung der bestehenden Hochschulen erweiterte Kapazität nicht zur Schaffung von Mammutuniversitäten wie im Westen führen sollte. Vielmehr sollte das erwartete Anwachsen der Studentenzahlen gegen Ende der 1990er Jahre zur Gründung einer weiteren Universität genutzt werden. Es folgte die Darstellung des Finanzbedarfs für die Neugründung sowie für die anderen Thüringer Hochschulen – zweifellos der wichtigste Aspekt. Hochschulstrukturkommission und Arbeitsgruppe hatten aus gutem Grund eine Entscheidung vermieden. Denn von Anfang an hatten die nicht-Erfurter Hochschulen mit der Gefahr gegen eine Universität Erfurt argumentiert, dass bei knappen Landesfinanzen die Gelder für Erfurt bei ihnen gekürzt würden, was auch der Wissenschaftsrat sah.96 Für die Universität Erfurt bestand die Gefahr
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WISSENSCHAFTSRAT, Stellungnahme zur Gründung einer Universität in Erfurt, 24.1.1992. Drucksache 538/92. Ebd., S. 3. Ebd., S. 8. „Der WR sieht […] die Gefahr, dass der Aufbau einer Neugründung in Erfurt zu Lasten der Sanierung der bestehenden Hochschulen geht und damit verhindert, dass diese sich rasch zu überregional konkurrenzfähigen Einrichtungen entwickeln können, die im Wettbewerb um Wissenschaftler, Studenten und von Dritten finanzierte Forschungsprojekte bestehen können.“ Ebd., S. 12.
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darin, dass sie zwar gegründet, dann aber mangels zureichender Finanzmittel nicht zu einer konkurrenzfähigen Einrichtung ausgebaut werden könnte. Die hierauf folgende Auflistung der für die Thüringer Hochschulen erforderlichen Finanzen zeigte, dass ohne Investitionen in Großgeräte und ohne Berücksichtigung der Finanzierung einer Vorklinik der MAE für die VierJahres-Periode 1992-1995 ein Gesamtbetrag von 815 Millionen DM notwendig war.97 Dieser Investitionsbedarf „führt zu Anforderungen an den Hochschuletat, die entschieden über den vom Land in Aussicht gestellten Beträgen liegen“.98 Ein hierzu eingeholtes Gutachten kam zu einem Investitionsbedarf von 1,1 Milliarden DM (ohne Vorklinikum, ohne Universität Erfurt). Dies hieß: „das Land sieht sich bisher nicht in der Lage, in dieser Höhe Finanzmittel bereitzustellen.“99 Die inhaltlichen Konzepte der geplanten Neugründung – die Beschränkung auf eine Philosophische und eine Rechts- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät – schienen daher wegen ihres geringeren Finanzbedarfs „grundsätzlich sinnvoll“. Der Wissenschaftsrat lehnte eine spätere Erweiterung der UE durch das Einbeziehen von Naturwissenschaften ab, zumal Jena eine voll ausgebaute Naturwissenschaftliche Fakultät hatte und die TH Ilmenau eine Erweiterung der entsprechenden Fächer plante. Bei einem weiteren Angebot dieser Fächer fürchtete der Wissenschaftsrat eine Überkapazität, ganz abgesehen von ihrem hohen Finanzbedarf. Der Wissenschaftsrat sah aber auch die Vorschläge für die geplante Philosophische Fakultät eher kritisch. Das Konzept „deutet […] auf den Aufbau einer eher traditionellen Fakultät mit ihren üblichen Stärken und Schwächen“ hin.100 Dies gelte ebenso für die Wirtschafts- und Rechtswissenschaftliche Fakultät. Aus den vorliegenden Konzepten ließen sich „keine eigenständige[n], von Bedarfsgesichtspunkten unabhängige[n] Argumente für eine Neugründung in Erfurt ableiten“.101 Zusammenfassend regte er an, „dass die Chance der Neugründung genutzt wird, für die UE ein inhaltlich wie organisatorisch eigenständiges Profil einer forschungsorientierten Universität mit den Kulturwissenschaften und den Staats- und den Verwaltungswissenschaften anzustreben“, mit „Berührungen und Kooperationen“ der Fächer in den Fakultäten. Das Profil der späteren Universität Erfurt entsprach diesen Empfehlungen recht genau. Wie berechtigt die Warnung des Wissenschaftsrats an das Land war, „rechtzeitig
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Bereits in seinen Empfehlungen zur Hochschulmedizin in den neuen Ländern und Berlin hatte der Wissenschaftsrat „erhebliche Bedenken hinsichtlich der Finanzierbarkeit der Weiterführung der Medizinischen Akademie Erfurt geäußert“. Ebd. Ebd., S. 13. Ebd. Ebd., S. 15. Ebd., S. 16.
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dafür Sorge zu tragen, dass die Absolventen der verwaltungswissenschaftlichen Studiengänge […] nicht aufgrund von Einstellungsvorschriften Schwierigkeiten bei der Ausübung von Tätigkeiten in der öffentlichen Verwaltung bekommen“,102 sollte sich bei der späteren Entwicklung der UE zeigen. Das finanzielle Argument wurde nochmals bei der Integration der in Erfurt bestehenden Hochschulen angewendet. Für die Theologie empfahl der Wissenschaftsrat „Zurückhaltung“, solange die Übergangsfinanzierung nicht gesichert war. Bereits in den ‚Empfehlungen zur Lehrerbildung in den neuen Ländern‘ hatte der Wissenschaftsrat davon abgeraten, die PHEM zum Ausgangspunkt einer Universitätsgründung zu machen. Der geeignete Weg der Universitätsgründung sei vielmehr die spätere Übernahme der pädagogischen Ausbildung durch die Universität. In der Zwischenzeit solle die PHEM unabhängig weiter bestehen. Für die Lehrerbildung wurde eine koordinierte Arbeitsteilung zwischen Jena und Erfurt empfohlen. Angesichts der Finanzschwäche Thüringens und der zusätzlichen Vorhaben wie der Sanierung der bestehenden Hochschulen sowie der Gründung einer Reihe von Fachhochschulen waren die enormen Kosten einer Universitätsgründung von vornherein das wichtigste Argument gegen eine Volluniversität in Erfurt. Vor allem „die Sanierung der Medizinischen Akademie und ihr möglicher Ausbau zu einer Medizinischen Fakultät einschließlich Vorklinik würde die nach der derzeitigen Finanzplanung und deren Perspektiven für den Hochschulsektor des Landes Thüringen verfügbaren Mittel überfordern. […] Der Wissenschaftsrat weist darauf hin, dass unter solchen Umständen der Aufbau einer Universität in Erfurt hochschulpolitisch nicht zu verantworten wäre.“103 Die Landesregierung stand vor einer herben Wahl: Ohne die Schließung der Medizinischen Akademie war die Universität Erfurt nicht zu haben. Abschließend lehnte der Wissenschaftsrat die Universitätsgründung im Jahr 1992 ab. „Der WR sieht keine Notwendigkeit, zum jetzigen Zeitpunkt in Erfurt eine Universität zu gründen.“104 Für die Gründung einer kleinen Universität in Erfurt zeichnete sich erst in den späten 1990er Jahren eine günstige Nachfrageentwicklung ab.
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Ebd., S. 17. Ebd., S. 22. Vgl. hier auch die Aussage von Minister Fickel am 9.12.1991, dass im Zusammenhang mit der schwierigen Finanzlage des Landes das Erfurter Universitätsvorhaben für ihn „drittklassig“ sei. Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 115. WISSENSCHAFTSRAT, Stellungnahme zur Gründung einer Universität in Erfurt, S. 22.
VI.
DAS KABINETT VOGEL/FICKEL 1992-1994 UND DIE GRÜNDUNG DER UNIVERSITÄT
KABINETT VOGEL/FICKEL 1992-1994 UND GRÜNDUNG DER UNIVERSITÄT
1.
Ministerpräsident Vogel als Universitätsgründer
MINISTERPRÄSIDENT VOGEL ALS UNIVERSITÄTSGRÜNDER Die Reaktionen auf die Stellungnahme des Wissenschaftsrates waren erwartungsgemäß negativ. Unter den Förderern der Universität „machte [sich] herbe Enttäuschung […] breit“. Es herrschte Befremden und Unverständnis; für sie reichte die nüchterne Auflistung von Daten nicht aus. Es ging darum, mit einer Universität Erfurt die Jugend im Land zu halten. In den Augen von Probst Falke würde auch die theologische Ausbildung ohne klärende Entscheidung leiden. Der Präsident des Thüringer Wirtschaftsverbandes beklagte, dass „damit […] der Wirtschaft die Basis für einen hochqualifizierten Personalbestand entzogen“ werde.1 Ähnlich argumentierte die Stadt und betonte die Universitätsgründung als „wichtigen Faktor Stadtentwicklung“. Die Stadt erwarte „(zumindest) eine juristische Gründung durch die Landesregierung“.2 Doch hielt sich Letztere zunächst in der Öffentlichkeit zurück. Minister Fickel verweigerte „eine sachliche Stellungnahme“.3 Aber auch der Stadt schien nicht daran gelegen, den wahren Sachverhalt öffentlich zu machen. „Die alte Uni kommt vorerst nicht; im Magistrat traut man sich aber offenbar nicht, diese Wahrheit unter das Volk zu bringen […]. Nach dem Bund will auch das Land keine zusätzlichen Haushaltmittel für die Gründung bereitstellen.“4 Innerhalb der CDU kam es zu Kontroversen, ob der Paragraph im Hochschulgesetz gestrichen werden sollte, der zur Gründung der UE verpflichtete. Die Fraktion und der zuständige CDU/FDP-Arbeitskreis waren für die Streichung: Absichtserklärungen sollten nicht in einem Gesetz stehen. Für die Unterstützer einer Universität Erfurt brachte der Amtsantritt Bernhard Vogels, ehemaliger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, als Regierungschef in Thüringen neue Hoffnung. Bereits 1991 hatte er sich in Vorträgen für eine Universität in Erfurt ausgesprochen. In seiner ersten Regierungserklärung vom 26.2.1992 („Thüringen in der Mitte Deutschlands“) zeigte er sich entschlossen, die Universitätsgründung in Erfurt voranzutreiben.
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TA, 7.2.1992. StAE, 1-7/Protokolle Magistrat der Stadt Erfurt 12: Magistratsbeschluss 0125: Rahmenbedingung für die Universitätsgründung in Erfurt, 30.4.1992. TA, 24.2.1992. Ebd.
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Obwohl in Thüringen zunächst nicht unumstritten,5 war Vogel in vieler Beziehung eine ideale Wahl: Als Landespolitiker hervorragend in CDU-Kreisen vernetzt, hatte er sich seit Studentenzeiten mit Theorie und Praxis des DDRSozialismus beschäftigt und als Ministerpräsident die Städtepartnerschaft Mainz-Erfurt bei Erich Honecker durchgesetzt. Schon im Frühjahr 1990 knüpfte er – inzwischen Vorsitzender der Konrad-Adenauer-Stiftung – zahlreiche Verbindungen in die DDR und organisierte Bildungswerke zur Unterstützung demokratischer Kräfte mit den Schwerpunkten u. a. auf Grundlagen der Demokratie, Kommunalpolitik, Rhetorik, Kommunikation. „Bereits seine ersten Schritte nach der Wahl zum Thüringer Ministerpräsidenten [machten] deutlich, dass ein politisches Schwergewicht die Thüringer Bühne betreten hatte. Als er sein Amt übernahm, kam ihm niemand in seiner eigenen Partei und niemand in allen anderen Lagern an landespolitischer, bundespolitischer sowie internationaler Erfahrung und an politischer Professionalität gleich.“6 So gelang es ihm relativ schnell, das innerparteiliche Hauptproblem der politischen Altlasten beizulegen, indem er beispielsweise den Vorsitzenden der CDU des Eichsfeldes, Dieter Althaus, als Kultusminister ins Kabinett holte und damit ein Gegengewicht zu den „Altlasten“ wie dem Innenminister Willibald Böck schuf.7 Diese Bemühungen trugen ihm die Bezeichnung „personalisierter Vermittlungsausschuss“ ein. In der gegebenen Situation bedeutete das gleichwohl, dass er sich mit den „Blockflöten“ arrangieren musste. Das führte zu dem Kommentar: „Der Westimport fängt an, wo die Altlast [Duchač] aufgehört hat.“8 In der Frage der Universität Erfurt war er der Überzeugung, dass ohne die Trennung Deutschlands im Rahmen der Universitätsgründungen in den 1960er und 1970er Jahren auch in Erfurt eine neue Universität entstanden wäre. „Als ich im Februar 1992 nach Erfurt kam, stand für mich so gut wie nichts fest, aber dass die Universität Erfurt, einmal die größte und eine der bedeutendsten deutschen Universitäten, dass die Universität Martin Luthers wieder gegründet werden musste.“9 Das Wiedererstehen der Erfurter Hochschule stellte für ihn
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„Mehr als zwei Drittel der Bürger zwischen Eisenach und Gera hätten lieber einen Einheimischen als Ministerpräsidenten gesehen.“ Christian VON DITFURTH, „Der Vogel und die Blockflöten“. Wochenpost 9/20.2.1992, S. 9. Karl SCHMITT, Regieren mit absoluter Mehrheit. Bernhard Vogel und Dieter Althaus (1999-2009), in: Torsten OPPELLAND (Hg.), Politik und Regieren in Thüringen, S. 115140. Thomas SAUER, Die CDU, in: Karl SCHMITT/Torsten OPPELLAND (Hg.), Parteien in Thüringen, S. 163. Christian von DITFURTH, „Der Vogel und die Blockflöten“. Bernhard VOGEL, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 13.
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eine Art „Wiedergutmachung“ dar.10 Hinzu kam die Tatsache, dass Erfurt eine der wenigen Landeshauptstädte ohne Universität war. Eine geisteswissenschaftlich orientierte Universität in Erfurt hatte für den Katholiken Vogel noch einen zusätzlichen Reiz. Denn nach der Wende waren alte landesgeschichtliche Besonderheiten erneut erschienen. Hauptsächlich aus landsmannschaftlich-konfessionellen Gründen war der Drang zur Universität besonders stark. Es müsse, so wurde argumentiert, auch in den neuen Ländern eine quasi kulturell katholische (also nicht rein kirchliche) Universität geben, und das AltMainzer Land um Erfurt habe mit Sachsen-Weimar gar nichts zu tun. Jena liege also quasi im inneren Ausland.11 Ausschlaggebend war wohl auch, dass die Stimmung der Bevölkerung und der Stadt sowie die positive Aufmerksamkeit des Projekts auf nationaler Ebene „die Beendigung des Vorhabens ohnehin nahezu unmöglich für den Politiker Vogel gemacht“ hätten.12 Während seiner Amtszeit unternahm das Land Thüringen darüber hinaus auch nach der Gründung der Universität Erfurt weiter „enorme Anstrengungen, das tertiäre Bildungssystem auszubauen und weiter zu entwickeln“.13 Ein erster, konkreter Schritt in Richtung Universitätsgründung war ihre Verankerung im Landeshochschulplan vom 21.12.1992 als vorrangige Aufgabe der Thüringer Hochschulpolitik: „Gründliche Vorbereitung der Wiedergründung einer Universität in Erfurt ab 1993 mit dem Ziel, den Studienbetrieb in der zweiten Hälfte der 90er Jahre zu eröffnen.“ Denn die Landesregierung – der Stellungnahme des Wissenschaftsrats folgend – hatte beschlossen, die zu erwartenden steigenden Studentenzahlen nicht an bestehenden Hochschulen anzusiedeln, sondern „einer neuen Universität […] die Chance [zu geben], das eigenständige Profil […] einer forschungsorientierten Universität mit modernen Kultur- und Verwaltungswissenschaften“ zu gewinnen. Die Pädagogische Hochschule sollte auf absehbare Zeit selbstständig bleiben und „nicht zum Ausgangspunkt der Universitätsgründung“ werden. Berufungen an die PHEM waren auf ihre spätere Integration in die Universität auszurichten. Der zweite Standort der PH in Mühlhausen sollte schrittweise aufgelöst werden.
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Bernhard Vogel, 26.7.2007, in: Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 131, Anm. 191. Wolfgang DRECHSLER, Die Staatswissenschaften an der Universität Erfurt, in: Helge PEUKERT (Hg.), Taking up the challenge, S. 366. Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 121. Außer in Erfurt wurden vier weitere Fachhochschulen gegründet. Jena blieb als Volluniversität erhalten, Ilmenau als Technische Universität und Weimar mit Musikhochschule und Bauhaus Akademie wurden stark gefördert. „Es war eine enorme bildungspolitische Leistung.“ Tobias JUST, Interview Schluchter, 13.6.2007. Die Autorin dankt Herrn Hanske für dieses Dokument.
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Entscheidend für die Ausgestaltung der zukünftigen Universität wurde die Berufung im Februar 1993 von Dr. Klaus-Dieter Wolff als Gründungsbeauftragter durch Ministerpräsident Vogel, der diese Funktion bis 1996 ausübte. Wolff war mit den Problemen der westdeutschen Hochschulpolitik seit Langem vertraut. Bereits in den 1960er Jahren war er als stellvertretender Geschäftsführer des Wissenschaftsrats an zahlreichen Universitäts- und Fachhochschulgründungen beteiligt. 18 Jahre lang war er Gründungspräsident der Universität Bayreuth gewesen. Nach der Wende wurde er Mitglied verschiedener Planungsgremien, wie u .a. der Zentralen Strukturkommission des Wissenschaftsrates zur Umgestaltung des Hochschulwesens der ehemaligen DDR. Von dort wechselte er in die Hochschul-Strukturkommission Thüringen und wurde u. a. Vorsitzender der Arbeitsgruppe „Universität Erfurt“. In seiner Funktion als Gründungsbeauftragter war er gleichzeitig regelmäßiger Gast in der vom Wissenschaftsrat gebildeten AG „Neugründung der Universität Erfurt“.14 Seine breite Erfahrung kam in mehreren wissenschaftlichen Arbeiten zum Ausdruck. Doch zeigte die Entwicklung der Universität Bayreuth, dass die Verwirklichung seiner Konzepte nicht unumstritten blieb.15 Aus Sicht der Landesregierung war die Ernennung Wolffs ideal, brachte er doch die nötige „gravitas“ mit sich, die Autorität des anerkannten Experten in ihren Auseinandersetzungen mit den anderen Thüringer Hochschulen und besonders mit der FSU Jena, aber auch um – nach der ersten negativen Entscheidung des Wissenschaftsrats – diesmal die Aufnahme der Universität Erfurt in dessen Hochschulverzeichnis sicherzustellen.
2.
Die Konzeptionen des Gründungsbeauftragten und die Arbeit der Gründungskommission
GRÜNDUNGSBEAUFTRAGTER UND GRÜNDUNGSKOMMISSION In der Anfangsphase war die Zusammenarbeit des Gründungsbeauftragten Wolff mit dem Wissenschaftsministerium erwartungsgemäß besonders eng. Bereits vor seiner offiziellen Berufung hatte er einen genauen Zeitplan entwickelt, nach dem Ende 1992 zunächst die Einrichtung einer „dem Ministerium nachgeordneten“16 Geschäftsstelle mit eigenem Mitarbeiterstab erfolgte, bevor
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Vgl. deren Mitgliederliste in Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 452. Vgl. Sabine GERBAULET, „Geister, die man rief. …Verwaiste Hörsäle und CSU-Filz“. Die Zeit, 22.11.1985, S. 52. Klaus-Dieter WOLFF, Strategie einer Universitätsgründung, S. 3. Minister Fickel war später auch Mitglied der Strukturkommission.
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sie im Mai 1993 an einen „würdigen Ort“ auf der Krämerbrücke umziehen konnte. In einem ersten Interview bezeichnete Wolff es als sein Ziel, „die geistige Einheit Deutschlands herbeiführen“ zu wollen. Dem widersprach, dass es zu keiner Zusammenarbeit mit den ostdeutschen Planern kam. Denn die Initiativen der IG „Alte Universität“ passten nicht in sein Gründungskonzept. Hinzu kam Wolffs allgemein fehlender Zugang (nicht nur) zu den Ostdeutschen.17 Zu den Initiatoren der Wiedergründung der Alten Universität ging er deutlich auf Distanz. „Mit dem Vorstand wollte er nicht allzu viel zu tun haben.“18 Eine Berücksichtigung der – aus der IG entstandenen – Universitätsgesellschaft werde davon bestimmt sein, „welche tragfähigen Gedanken sie einbringe“.19 Erste Kontakte Wolffs mit dem Erfurter Initiator Spiegler am 10.2.1993 und mit Oberbürgermeister Ruge am 26.2.1993 verliefen ergebnislos. Beide wurden mit Allgemeinheiten abgefunden. Dem OB versicherte Wolff allerdings, dass die Universität als Landesuniversität auf zwei Säulen aufgebaut werden würde, Regionalität und Internationalität.20 In einem späteren Interview betonte Wolff die „großartige Zustimmungsbasis – laut Statistischem Amt der Stadt Erfurt waren 78 % der Erfurter für die Universität“. Die zukünftige Aufgabe der Universitätsgesellschaft sei es, dies zu festigen. Die Gesellschaft sollte sich in einen Förderkreis umbilden, da mit dem Beschluss der Landesregierung, die Universität zu gründen, ihr Ziel erreicht sei.21 Im Rückblick auf seine Arbeit in Erfurt erwähnte Wolff zwar die Denkschrift der städtischen Gründungskommission vom August 1991 und die Aktivitäten der IG „Alte Universität“. „Die Initiative selbst hatte durchaus ihre Wirkung auf Entstehung und Verfestigung des Gründungsgedankens, die Inhalte der Denkschrift hatten jedoch keinen Einfluss auf die weitere Entwicklung und Gestaltung.“22 Gerade dies verursachte beträchtliche Bitterkeit bei den ostdeutschen Planern. So konnten sie darauf verweisen, dass ihre Beiträge zur zukünftigen Universitätsstruktur immerhin von Wissenschaftlern aus ganz Europa erarbeitet worden waren.23 Der Wissenschaftsrat hatte sich nur zu einer weiteren Landesuniversität geäußert, nicht dagegen zu einer Europäischen Uni-
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„Er war sofort unbeliebt. Nach außen hin war er eine Katastrophe.“ Interview Ettrich. Interview Hans-Christian Piossek, 12.3.2001, in: Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 109, Anm. 121. TA, 5.2.1993. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-2. TA, 5.2.1993. Ebd. Interview Hans-Christian Piossek, in: Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 125.
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versität, deren Gründungsdenkschrift „dem Wissenschaftsrat offenbar gar nicht zugeleitet worden war“.24 Auch die in der Folgezeit wiederholt gemachten Angebote der Universitätsgesellschaft zur Mitarbeit im Gründungsvorgang fanden keine Resonanz. Oberbürgermeister Ruge informierte den Minister25 von dem ausdrücklichen Willen zur Mitarbeit des Vorstands der Gesellschaft und über wesentliche Aspekte ihrer Neuorientierung. Es müssten Methoden der öffentlichen Unterstützung der Universität gefunden werden. Gemeinsame Arbeitsschritte sollten abgestimmt werden. Diese Initiativen blieben jedoch erfolglos. „Es wurde [zunehmend] klar, dass die Gegensätze zwischen einer ursprünglich basisdemokratisch ausgerichteten Bürgerbewegung und dem technokratischen Politikstil des für den Aufbau der Universität verantwortlichen Gründungsbeauftragten das gemeinsame Projekt der Hochschulneugründung zu gefährden drohten.“26 Die Missachtung der ostdeutschen Vorarbeiten betraf indes nicht nur Wolff, wie sich u. a. bei der feierlichen Gründung der Universität im April 1994 zeigte. Von allen Rednern erwähnte nur der Oberbürgermeister die Beiträge der Universitätsgesellschaft ausdrücklich (vgl. Kap. VII.1.1). Mit der Einrichtung der Geschäftsstelle begann die Vorbereitungsphase unter Leitung des Gründungsbeauftragten, die bis 1996 dauerte. Wolff konnte jetzt seine „einmalige Strategie“ verwirklichen, „die in dieser Form bei Universitätsgründungen bisher nicht eingesetzt wurde“. Sie bestand aus einem „aus Qualitätsgründen für den Aufbau der Universität bewusst gewählten ereignisorientierten Konzept“. Es war „ein im deutschen Hochschulwesen bislang unbekanntes Etikett“, was laut Wolff bedeutete, „dass der Aufbauvorgang selbst eine Abfolge von logisch aufeinander bezogenen Vorgängen und Maß-
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Otto VON SIMSON, Universität Erfurt, in: Die Politische Meinung, Nr. 269, April 1992, S. 61. Arbeitsgespräch Ulrich Fickel - Manfred Ruge, 11.10.1993. „Eingeladen hatte OB Ruge im Interesse einer effizienten Vorbereitung der Wiedergründung. Die Stadt habe mit Ratsbeschluss vom 22.9. die Entwicklung der Hochschulen in Erfurt als vordringliche Aufgabe der Stadtentwicklung festgeschrieben. Man habe bereits Maßnahmen ergriffen mit der Bildung einer AG ‚Stadt und Universität‘, die Sachkompetenz sammeln soll. Auch [habe man] Kontakt mit dem Vorstand der Universitätsgesellschaft als einer in der Bevölkerung anerkannten und geachteten Bürgerinitiative. Der Minister sichert die Zusammenarbeit des Ministeriums mit der AG zu. Aber: der Zeitplan sei von den Ergebnissen der Strukturkommission abhängig.“ StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-2. Amtsblatt der Stadt Erfurt, 15.10.1993. Klaus LICHTBLAU, Die Neugründung der Universität Erfurt. Vortrag anlässlich des Gesellschaftsabends der Universitätsgesellschaft, 16.10.1997, in: Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 110.
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nahmen ist, zu denen zum Beispiel die Konzeptentwicklung, die Beschaffung von materiellen Ressourcen und die Gewinnung von Mitarbeitern gehört“.27 Im Juni 1993 wurde vom Wissenschaftsministerium die Gründungskommission, bestehend aus einem Strukturausschuss (StA) und einem Organisationsausschuss (OA), gebildet. Der Gründungsbeauftragte war Mitglied des Strukturausschusses und Vorsitzender des Organisationsausschusses und damit zentraler Mittelpunkt. Der Strukturausschuss erarbeitete die inhaltlichen Strukturen. Der Organisationsausschuss widmete sich den praktischen Vorarbeiten: Die Bauplanung wurde entworfen und das Verfahren der Baugenehmigung durchgeführt. Besonders wichtig war neben der Entwicklung des Konzepts der Beginn des Bibliotheksaufbaus, denn nur bei einer gut ausgestatteten Bibliothek ließen sich jene hervorragenden Wissenschaftler anziehen, die man für die Neugründung anstrebte. Hinzu kam die haushaltsmäßige Sicherung der Ressourcen (Personal, Investitionen und laufende Sachmittel). Erste akademische Ordnungen wurden ausgearbeitet und die Aufnahme der Universität in das Hochschulverzeichnis des Hochschulbauförderungsgesetzes (HBFG) eingeleitet, was jedoch laut Wissenschaftsrat erst nach Vorlage von einem „detaillierten Konzept für die Hochschulgründung“ gelingen würde.28 Entscheidend für den inneren Aufbau der Universität wurde der Strukturausschuss unter der Leitung von Hermann Lübbe, Professor für Philosophie und Politische Theorie an der Universität Zürich. Der Ausschuss hatte 25 Mitglieder, in der Mehrzahl Professoren, drei Studenten, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin, den Sekretär der Hochschulrektorenkonferenz und einen schwedischen Professor, den Vorsitzenden des Liaison Committee zur EG. Die Mitgliedschaft von Minister Fickel im Strukturausschuss unterstrich nochmals die enge Verbindung der Landesregierung mit der Universitätsgründung. Sechs der Mitglieder waren Ostdeutsche: drei aus Jena und jeweils ein Vertreter aus Ilmenau, Weimar und Erfurt (Philosophisch-Theologisches Studium). Die „Empfehlungen“ gingen eigens auch auf die zwei Erfurter „Besonderheiten“ ein, die der Theologie und der Pädagogischen Hochschule Erfurt-Mühlhausen.29 Der Ausschuss kam insgesamt zu sechs Arbeitssitzungen zusammen und verabschiedete seine Empfehlungen einstimmig bereits am 14.1.1994. Im Gegensatz zur Einstellung des Gründungsbeauftragten würdigte der Strukturausschuss zunächst die östlichen Vorarbeiten, wie sie in der Denkschrift vom August 1991 festgeschrieben worden waren. Deren Idee, „in Wiederanknüpfung an die abgebrochene Tradition einer der ältesten Universitäten Deutschlands die Universität Erfurt als reformorientierte ‚Europäische Univer-
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Klaus-Dieter WOLFF, Strategie einer Universitätsgründung, S. 4. TMWK (Hg.), Empfehlungen des Strukturausschusses, S. 22. Ebd., S. 32-35.
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sität‘ neu erstehen zu lassen, hat im Inland wie im Ausland die Unterstützung bedeutender Persönlichkeiten gefunden. Auch der Strukturausschuss hält es für angemessen und würdig, universitätspolitisch an zukunftsfähige [Erfurter] Traditionen anzuknüpfen.“30 Allerdings „ließ sich das Gründungskonzept mit der Errichtung einer großen Volluniversität, einschließlich Medizinischer und Naturwissenschaftlicher Fakultäten […] nicht mit den Realitätsprämissen“ vereinbaren.31 Das war schlicht nicht finanzierbar und auch wegen der Opposition Jenas politisch nur schwer durchsetzbar. Daher hielt sich der Strukturausschuss an die Vorgaben der Hochschulstrukturkommission, des Wissenschaftsrats und der Landesregierung, in der Erwartung, dass „nach gegenwärtiger Vorausschätzung die Nachfrage nach Studienplätzen in Thüringen bereits zu Beginn des nächsten Jahrzehnts die Zahl der bei der Fortschreibung aktueller Gegebenheiten verfügbaren Studienplätzen um ca. 6.000 überbieten werde“.32 Diese Entwicklung der Nachfrage mache die Universitätsgründung „unabweisbar“;33 die Sorge der anderen Hochschulen stelle eine „Fehlargumentation“ dar. Denn auch bei Eingliederung zusätzlicher Studenten in bereits bestehende Hochschulen würden zusätzliche Finanzmittel benötigt. Dagegen gab es zwei gute Gründe für eine kleine Universität: Erstens begünstige eine kleinere Einrichtung die Lehre „durch größere kommunikative Dichte“, zweitens erleichtere eine Neugründung die fällige Innovation. „Beide Gründe rechtfertigen dann den zusätzlichen schönen Zweck, eine traditionsreiche Stadt […] erneut zur Universitätsstadt zu machen.“ Ausdrücklich sollte die Universität „geisteswissenschaftlich zentriert“ sein. Dem entsprach der Zusatz, dass sich damit keine „naturwissenschaftlichen Intentionen“ verbinden, denn damit wurde es nochmals klargestellt, dass es sich in Erfurt nicht um eine Volluniversität handeln würde. Doch waren für den Strukturausschuss Geistes- und Kulturwissenschaften ohnehin „spezifisch modern. […] Sie verhalten sich zur industriegesellschaftlichen Entwicklung komplementär. […] Denn die zivilisatorische Evolutionsdynamik erschwert das Herkunftsverstehen, das seinerseits zu den Voraussetzungen unserer Zukunftsfähigkeit gehört.“34 Beobachter sahen in diesem Konzept die „Handschrift des hochgerühmten, stockkonservativen“ Vorsitzenden Hermann Lübbe – die Empfehlungen seien ein passagenweise „galliges Pamphlet wider den Modernisierungsdruck“.35
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Ebd., S. 24. Ebd. Ebd., S. 23. Ebd., S. 8 für das Folgende. Ebd. Sabine ETZOLD, „Trotz leerer Kassen; Thüringen leistet sich noch eine Universität – in Erfurt“, in: Zeit-online, 2.8.1996.
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Den überdehnten Studienlängen und hohen Studienabbrecherquoten sollte durch ein optimiertes Verhältnis der Studenten- und Dozentenzahlen abgeholfen werden. Es folgte der Appell an die politisch Verantwortlichen, „die personellen Voraussetzungen einzuräumen“.36 Zehn spezifische Empfehlungen präzisierten die Struktur der zukünftigen Universität: u. a. eine mindestens einmalige Studentenberatung pro Semester, festgelegte Lehrangebote mit entsprechender Prüfungsorganisation, eine bestandene Zwischenprüfung als Voraussetzung zum weiteren Studium, direkter Zugang zum Graduiertenstudium für diejenigen Studenten, die nicht das Lehramt anstrebten, aber kein Absenken des hohen Leistungsniveaus bei Promotionen und Habilitationen, Verbesserung des Sprachenangebots, Freiheit der Wahl sinnvoller Fächerkombinationen über Fakultätsgrenzen hinweg – für Jurastudenten sollten auch Zusatzqualifikationen, z. B. in Europäischem Recht möglich sein. Die Universität sollte sechs Fakultäten umfassen: eine KatholischTheologische, eine Juristische, eine Wirtschaftswissenschaftliche, eine Sprachund Literaturwissenschaftliche, eine Kultur- und Sozialwissenschaftliche, eine für Evangelische Theologie und Kulturgeschichte des Christentums.37 Daneben sollten sieben Universitätszentren als Organisationseinheiten für Forschungsschwerpunkte eingerichtet werden, „deren Arbeit nicht mit den Studienfächern korrelieren“.38 Neu war außerdem die Einführung von Fächern, die an anderen Universitäten nicht in gebührender Stärke angeboten wurden, wie Bevölkerungswissenschaften (die der Gründungsbeauftragte bereits – mit geringem Erfolg39 – an der Universität Bayreuth eingeführt hatte) in der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät bzw. „Kulturgeschichte des Christentums“ als Teil des Martin-Luther-Instituts für Evangelische Theologie.40 Besonders wichtig für die Universität würde das postgraduale Max-Weber-Kolleg sein, das sich aus Drittmitteln finanzieren und mit auf Zeit ernannten Fellows neue Wege gehen sollte. Hier würde außeruniversitäre Forschungskooperation bei zeitlich befristeten Projekten stattfinden.41 Neben der Ausarbeitung des Strukturkonzepts musste der Ausschuss die erwähnten Erfurter Besonderheiten berücksichtigen: (Katholische) Theologie
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TMWK (Hg.), Empfehlungen des Strukturausschusses. Ebd., S. 9. Diese waren: Universitätszentrum für Humanismus-Forschung; für Europäisches Verfassungsrecht, Regionalismus und Föderalismusforschung; Regionalforschung Süd-OstEuropa; Sprachforschung und Interkulturelle Kommunikation; Politische Philosophie; Institutionenökonomie; Europäische Religionskulturforschung (ebd., S. 13). Vgl. Sabine GERBAULET, „Geister, die man rief … Verwaiste Hörsäle und CSU-Filz.“ Die Zeit, 22.11.1985, S. 52. TMWK (Hg.), Empfehlungen des Strukturausschusses, S. 14. Ebd., S. 15.
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und Pädagogische Hochschule. Eine Theologische Fakultät an der Universität war ausgehend vom Bedarfsargument nicht nötig. Die Zahl der Theologiestudenten an anderen Universitäten ging seit Jahren zurück. Dennoch sprachen wichtige Gründe für eine solche Fakultät. In Erfurt hatte es seit 1952 ein vom DDR-Staat nicht anerkanntes (katholisches) Philosophisch-TheologischesStudium gegeben, das erst im September 1990 das Promotions- und Habilitationsrecht erhalten hatte und noch 1993 über 250 Studenten zählte.42 Es setzte eine große Tradition der alten Universität Erfurt fort, „die übrigens die einzige im Reich war, an der über mehr als 150 Jahre hinweg gleichzeitig katholische und evangelische Theologie doziert wurde“. 75 % des gegenwärtigen katholischen Klerus im östlichen Teil Deutschlands hatten hier ihre Ausbildung erhalten. Auch die Deutsche Bischofskonferenz unterstützte die Integration in die Universität.43 Somit waren „historisch vorgeprägte regionale Verhältnisse“ wichtiger als das Bedarfsargument.44 Letzteres spielte auch bei der evangelischen Theologie die entscheidende Rolle. Denn es gab bereits sechs theologische Fakultäten in den neuen Ländern, nicht zuletzt in Jena. Hinzu kam, dass die Pädagogische Hochschule die evangelische Hochschule Naumburg mit vier Professuren übernommen hatte, was die Ausbildung von Religionslehrern sicherte. Aber es wäre ein „Akt kultureller Selbstbornierung“, wenn man die Präsenz des Christentums allgemein für entbehrlich hielte.45 Man einigte sich schließlich auf die Einrichtung eines MartinLuther-Instituts für Evangelische Theologie und Kulturgeschichte des Christentums im Rahmen der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Für das Verhältnis der PHEM zur Universität sah man drei Möglichkeiten: selbstständige Fortführung beider Hochschulen; Erheben der PHEM in seiner Gesamtheit zu einer eigenständigen Fakultät oder Integration der fachwissenschaftlichen Disziplinen in die analogen Fachbereiche der Universität, wobei der Erziehungswissenschaftliche Bereich eine eigene Universitätsfakultät bilden würde. Es war letztlich „eine politische Frage“. Doch führte „die Pragmatik der örtlichen Hochschulverhältnisse“ zu dem Schluss, dass eine Fortführung der PHEM neben der Universität ausgeschlossen wurde. Die Integration in die Universität sollte jedoch erst nach der Besetzung von mindestens der Hälfte der Professoren und Fakultätsgremien erfolgen. Gleichzeitig sollten bereits Absprachen zu Details der Integration bei den Berufungen stattfinden.46
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Ebd., S. 27 ff. Es gelang Ministerpräsident Vogel erst Jahre später, ein entsprechendes Abkommen mit dem Vatikan abzuschließen. Vgl. Kap. VII.4. TMWK (Hg.), Empfehlungen des Strukturausschusses, S. 29. Ebd., S. 30. Ebd., S. 35.
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Auf den nächsten 60 Seiten stellten die „Empfehlungen“ sodann die Struktur, die Fächer und Organisationsmodalitäten dar. Eine weitere Besonderheit der Universität war die bereits erwähnte Einrichtung des postgradualen MaxWeber-Kollegs für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien als „zentrale Universitätseinrichtung“.47 Damit sollten Forschungen, die sich schon lange außeruniversitär entwickelt hatten, in die Universität zurückgeholt werden. „Die Notwendigkeit partieller Neuordnung inneruniversitärer Forschung und forschungsnaher Lehre ist wissenschaftspolitisch unumstritten.“ Denn trotz der Expansion der Universitätshaushalte in den 1960er und 1970er Jahren in der alten Bundesrepublik war der Anteil der Mittel für Forschungseinrichtungen kontinuierlich zurückgegangen. Eine Folge war, dass beispielsweise Meinungsforschung, deren praktische Bedeutung wuchs, nur außeruniversitär betrieben wurde. „Im Kontext der dramatisch verlaufenden Selbsthistorisierung der modernen Zivilisation“48 habe sich zudem ein großer Teil der Forschung in Museen, Archive und außeruniversitäre Bibliotheken, wie die Herzog-AugustBibliothek in Wolfenbüttel, verlagert. Vor allem sei keine Universität „groß genug, um die für ein interdisziplinäres Forschungsprojekt benötigten personellen Ressourcen verfügbar zu machen“. Auf der Basis von Drittmitteln arbeiteten bereits regelmäßig interuniversitäre Forschergruppen zusammen; diese Kontakte seien „zu großer innovatorischer Bedeutung gelangt“.49 Eine Einrichtung wie das Max-Weber-Kolleg war in der Bundesrepublik erst einmal vor 27 Jahren in Bielefeld gebildet worden, das Zentrum für interdisziplinäre Forschung (ZiF). Wie dort würde das Kolleg die Infrastruktur zur Verfügung stellen, „die für den Zusammentritt der Projektgruppen und für die Koordination ihrer Forschungsarbeiten benötigt wird. Darüber hinaus verfügt es über keine sächlichen und personellen Forschungsressourcen. Vielmehr erarbeiten die Mitglieder des Kollegs ihre Projektbeiträge in ihren heimischen universitären oder außer-universitären Instituten.“ Auswärtige bzw. ausländische Wissenschaftler sollten für ein bis zwei Semester Gäste sein, müssten aber – was später in der Universität kontrovers wurde – für Vorträge an der Universität zur Verfügung stehen. Weiterhin sei es die Aufgabe des MWK, „universitäre Forschung und forschungsabhängige Praxis mit produktiven Wirkungen für die Forschung wie für die Praxis näher zusammen zu führen“.50 Eine Schwierigkeit, die sich bereits in Bielefeld gezeigt hatte, war die Verknüpfung des Kollegs mit der Universität. Der Strukturausschuss empfahl daher, „die Schwerpunkte, die in Forschung und Lehre an der Universität gebildet werden sollen […], müssten
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Ebd., S. 98. Ebd., S. 99. Ebd., S. 100. Ebd., S. 103.
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sich auch für die Ausbringung von Forschungsprojekten am MWK“ eignen. Dabei wurde insbesondere an die Schwerpunkte „Süd-Ost-Europa“ und „Humanismus“ gedacht. Bis zur formellen Errichtung der Universität „repräsentiert das MWK deren Existenz noch vor Aufnahme des ordinären Studienbetriebs“.51 Damit kam dem MWK von Anfang an eine Sonderstellung zu. Mit eigenen Mitteln ausgestattet und über die Jahre sehr erfolgreich, wurde der Abstand zur restlichen Universität später größer und zunehmend zu einem Problem.
3.
Universitätsgründung und Schließung der Medizinischen Akademie
UNIVERSITÄTSGRÜNDUNG UND SCHLIESSUNG DER MEDIZINISCHEN AKADEMIE War das Konzept der Universitätsgründung u. a. auf die Befürchtungen der FSU Jena eingegangen, dass ihr bei knappen Kassen in Erfurt teure Konkurrenz erwachsen könnte, so lässt sich Ähnliches auch über die Schließung der Medizinischen Akademie sagen. Schon deren Gründung im Jahr 1954 hatte die FSU Jena als Herausforderung angesehen.52 Im Falle der Medizinischen Akademie zeigte sich erneut die Widersprüchlichkeit der Politik Minister Fickels. Einerseits hatte es sein Ministerium im Herbst 1991 unterlassen, die Studiengänge der Akademie der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen zu melden, „da die endgültige Empfehlung des Wissenschaftsrats über die Einschätzung der MAE nicht vorlag“. Die MAE wurde somit in keinem offiziellen Studienführer mehr verzeichnet.53 Andererseits stellte der Minister einen Monat später gemeinsam mit dem Rektor der MAE fest, dass diese „als Hochschuleinrichtung zu erhalten ist“.54 Im Januar 1992 wies Minister Fickel im Landtag nochmals darauf hin, sein Ministerium vertrete „sowohl bei den Haushaltsanmeldungen für 1992 als auch bei der mittelfristigen Finanzplanung für Thüringen die Belange der MAE“.55
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Ebd., S. 106. Jutta KRÜGER, Hoffnung und Absturz. Die Medizinische Akademie Erfurt 1990-1993. Die folgende Analyse basiert großenteils auf dieser Veröffentlichung, die die relevanten Dokumente in Faksimile enthält. Mein Dank geht an den ehemaligen Professor der Medizinischen Akademie Winfried Müller für den Hinweis auf den Band. Blankenburg, TMWK, an die Medizinische Akademie Erfurt, 14.3.1991, in: ebd., S. 164, Anhang 24. Ebd., S. 54. THÜRINGER LANDTAG. 1. Wahlperiode. Protokoll 40. Sitzung, 22.1.1992, S. 2675. DASS., Drucksache 1/1009.
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Noch deutlicher wurde er in seiner Antwort auf eine Zusatzfrage: Jena könne die Ausbildung von 200 bis 250 Humanmedizinern leisten; er rechne jedoch mit einem Bedarf von mindestens 350. Sein Haus gehe daher „von der Fortführung der Medizinischen Akademie“ aus.56 Ministerpräsident Vogel dagegen kündigte in seiner Regierungserklärung vom 26.2.1992 die Einsetzung einer Arbeitsgruppe „Medizinische Ausbildung in Thüringen“ an, deren 19-seitiger Abschlussbericht den Landtagsmitgliedern seitens der Landesregierung am 16.6.1992 als Vorlage zur Verfügung gestellt wurde und der der Landesregierung bei der großen Debatte über die Schließung der MHE am 12.11.1992 als Begründung ihrer Entscheidung diente.57 Der Bericht betonte zunächst die gute Integration der Hochschulklinika Jena und Erfurt in die deutsche Forschungslandschaft; beide seien drittmittelfähig. Die allgemein regionalfördernde Wirkung beider Hochschulen wurde unterstrichen.58 Der Wissenschaftsrat hatte jedoch der Medizinischen Fakultät der FSU Jena die Priorität „hinsichtlich Weiterführung und Ausbau vor der MAE“ eingeräumt.59 Für die medizinische Versorgung des Landes sah der Bericht vier Varianten: Weiterführung beider Einrichtungen ohne prinzipielle Änderungen; Weiterführung beider Einrichtungen, jedoch „in Kooperation und bei praktizierter Arbeitsteilung“; die Medizinische Fakultät der FSU Jena werde mit ihrem Ausbildungsprofil weitergeführt und die MAE in ein Krankenhaus der Maximalversorgung umgewandelt bei Integration einiger Institute als externe in die FSU Jena. „Grundsätzlich bleibt bei dieser Variante die Option gewahrt, perspektivisch eine Medizinische Fakultät einer Erfurter Universität aufbauen zu können.“ In der vierten Option wurden die Medizin der FSU unverändert fortgeführt, die Medizinische Akademie in ein Krankenhaus umgewandelt und ihre Ausbildungs- und Forschungskapazitäten nach Jena verlagert. 56
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Ebd. Hier ist die Erfahrung der Medizinischen Fakultät Magdeburg aufschlussreich, wo aufgrund des Numerus clausus in den alten Bundesländern die Studentenzahlen sehr schnell anstiegen. WISSENSCHAFTSRAT, Gutachten zur medizinischen Versorgung in Sachsen-Anhalt, 1995. THÜRINGER LANDTAG. 1. Wahlperiode. Protokoll 45. Sitzung, 26.2.1992, S. 2932 (Vogel). DASS., 63. Sitzung, 12.11.1992, S. 4557-4592. DASS., Vorlage 1/790, 16.06.1992. Die 19 Mitglieder der Arbeitsgruppe kamen aus den west- und ostdeutschen Landesregierungen (darunter drei Minister aus Thüringen: Soziales und Gesundheit, Wissenschaft und Kunst, Finanzen), dazu die Vorsitzenden der zwei relevanten Landtags-Ausschüsse, zwei Vertreter der Landesärztekammer, die Oberbürgermeister von Erfurt und Jena sowie Professoren, u. a. der MAE und der Universität Jena. Vorsitzender war der Gießener Professor Karl Alewell, der gleichzeitig die Thüringer Hochschulstrukturkommission leitete. Abschlussbericht der Arbeitsgruppe „Medizinische Ausbildung in Thüringen“, in: Jutta KRÜGER, Hoffnung und Absturz, S. 184 f. Ebd., S. 185 f. Ebd., S. 4.
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Angesichts der Empfehlungen des Wissenschaftsrats bot sich Variante 2 an: zwei Hochschulklinika mit abgestimmten Schwerpunktbildungen. Doch stellte man fest, dass Letztere „ohne Überlappung in den Fachdisziplinen“ nicht durchzuführen waren. Auch ihre administrative Kontrolle war de facto nicht möglich. Letztlich sprächen nur „nichtmedizinische Gründe“ für diese Option.60 Den Kalkulationen zugrunde gelegt wurde die Berechnung der Bettenkapazität: War sie in einem Hochschulklinikum oder in einem Krankenhaus kostengünstiger? An dieser Frage entzündeten sich die Auseinandersetzungen um die Schließung der MAE. Denn ein Hochschulklinikum – auch in Erfurt – konnte mit finanzieller Unterstützung durch Bundesmittel rechnen. Die Ersparnis durch die Umwandlung der MAE in ein Krankenhaus der Maximalversorgung betrug aus Sicht der Kritiker nur 20 Millionen jährlich – angesichts der weitaus negativeren Folgen der Schließung eine erträgliche Summe. Andere Berechnungen kamen sogar zu dem Schluss, dass ein Hochschulklinikum letztlich preislich günstiger sei.61 Angesichts der hier angedachten Veränderungen der Akademie wurde am 23.6.1992 eine Bürgerinitiative „Rettet die Medizinische Akademie“ gegründet, „um den Politikern klarzumachen, dass die MAE erhalten bleiben muss. Die MAE gehört zu Thüringen, sie ist ein Stück Identität.“ Unterstützt wurde die Initiative von Politikern der CDU, SPD, FDP und Neues Forum/Die Grünen62 sowie von zahlreichen, zum Teil renommierten Wissenschaftlern.63 Mittlerweile nahm der Druck auf die MAE zu. Anfang Juli wurde sie gezwungen, ihren traditionellen Namen in „Medizinische Hochschule“ umzuwandeln.64 Ihr Ausbluten setzte sich fort: Seit 1990 hatte sie 20 Professoren verloren, und die Chancen, gute Nachwuchswissenschaftler anzuziehen, verminderten sich täglich. Die Thüringer Gewerkschaften sahen 1.000 Arbeitsplätze gefährdet.65
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Ebd., S. 17. Dem schloss sich der Erfurter Oberbürgermeister Ruge an, der 1997 feststellte, dass die Anschaffung von Großgeräten etc. letztlich die Landesfinanzen stärker belastete als die Medizinische Akademie, die auf andere Finanzquellen zurückgreifen könnte. Gründungssenat der Universität Erfurt, 23.7.1997. UAE, PH 14289. Hochschulzeitung der MAE, 2.7.1992. Professor Born, Forscher am Londoner William Harvey Research Institute und Fellow der Royal Society „brachte das Entsetzen und die Bestürzung zum Ausdruck, die allein der Gedanke der Schließung der MAE, die auch im Ausland Beachtung fand, hervorruft“. Jutta KRÜGER, Hoffnung und Absturz, S. 202. „Die Bezeichnung ‚Akademie‘ wurde zwischenzeitlich von der hiesigen Ärztekammer für eine neu gegründete Fortbildungseinrichtung beansprucht und somit die MAE in Medizinische Hochschule Erfurt umbenannt.“ Ebd., S. 51. TA, 4.7.1992.
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Die Finanzierungsfrage blieb entscheidend. Bemerkenswert war, dass sogar innerhalb der Landesregierung ein Ministerium zu Ergebnissen kam, die sich von denen der Arbeitsgruppe unterschieden. Am 26.8.1992 legte das Ministerium für Soziales und Gesundheit einen „Vorschlag zur Neugliederung der Hochschulkliniken in Thüringen“ vor mit genauen Kalkulationen, die zeigten, dass ein Versorgungskrankenhaus in Erfurt kostenaufwändiger als eine Hochschulklinik sein würde.66 Auch ein prominentes CDU-Mitglied des Landtags argumentierte auf dieser Zahlenbasis und verwies auf den Abschlussbericht der Arbeitsgruppe, wonach die Verteilung der wissenschaftlichen Ausbildung auf zwei Hochschulen durchaus möglich sei.67 „Die Meinung des Wissenschaftsrats zur MHE ist insgesamt positiv, d. h. ein Sanierungs- und Ausbaukonzept hätte gute Chancen für eine Bestätigung.“ Voraussetzung dafür sei aber „ein klares Bekenntnis der Landesregierung und des Landtags zur MHE als Hochschule und der Vorlage entsprechender Konzepte, bzw. Anträge“. Auch die wirtschaftlichen Aspekte durch die über 1.000 zusätzlichen Stellen und durch die Studenten seien enorm.68 Diese Appelle und die Kalkulationen des Verwaltungsdirektors der Medizinischen Hochschule, eines Finanzexperten der RWTH Aachen, die zugunsten der Hochschule sprachen, blieben wirkungslos. Minister Fickel kam auf Grund anderer Kalkulationen zu dem Ergebnis, dass „selbst unter Berücksichtigung aller gewünschten HBFG-Fördermittel ein Hochschulklinikum bei allen Berechnungen unter dem Gesichtspunkt des Landeshaushalts teurer als ein gleich großes Versorgungskrankenhaus sei“. Das Schreiben des Landtagsabgeordneten fand dabei „wegen der Irrelevanz der zugrundeliegenden Annahmen […] beim Vergleich der Gesamtkosten keine Berücksichtigung“.69 Für diese Schlussfolgerung war die Annahme des Ministers relevant, dass die FSU Jena die Ausbildung der Erfurter Studenten übernehmen könne. Dem widersprach der Dekan der dortigen Medizinischen Fakultät: In Jena bestünden bereits Kapazitätsprobleme für Jenaer Studenten; die Ausbildung von zusätzlichen Erfurter Studenten könne nicht gesichert werden. „Er bekräftigt die bereits mehrfach vorgetragene Forderung der FSU Jena nach zwei medizinischen Ausbildungsstätten in Thüringen.“70 Dem Praktiker widersprachen wiederum offizielle Vertreter der FSU in einer Presserklärung, in der sie den Erhalt der
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Jutta KRÜGER, Hoffnung und Absturz, S. 212 mit Kopien der Kalkulationen. Der Landtagsabgeordnete Jörg Kallenbach (CDU) an Landesregierung, Ministerpräsident und Mitglieder des Kabinetts, die Vorstände aller im Landtag vertretenen Parteien, 12.10.1992. Kopie in: ebd., S. 216. Ebd., S. 217. TMWK, Gesamtkostenrechnungen für die Hochschulmedizin Thüringens, Erfurt 27.10.1992. Abgedruckt in: ebd., S. 220 ff. Eine Zusammenfassung ebd., S. 59 f. TA, 6.11.1992.
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Medizinischen Hochschule Erfurt ablehnten, zumal die medizinische Ausbildung an zwei Standorten auf lange Sicht bedeuten würde, dass „kein einziges modernes Klinikum in Thüringen entwickelt werden kann“.71 Der Vorstand des Jenaer Klinikums erklärte die Entscheidung der Landesregierung daher für „richtig und zwingend“.72 Die Berechnungen des Ministers bildeten die Grundlage des Kabinettsbeschlusses vom 3.11.1992, die Medizinische Hochschule zum Jahresende 1993 zu schließen.73 Für die Stadt Erfurt war dies ein herber Verlust; eine „Demütigung der Bevölkerung“.74 Der Oberbürgermeister sah darin eine Fehlentscheidung der Landesregierung. Nach Ruges Auffassung wurde vom Kabinett übersehen, dass die Arbeitsgruppe sich auf keine der vorgeschlagenen Varianten hatte einigen können, dass vielmehr „hinter jedem Modell […] politische Entscheidungen [standen]. Erwartet hatte ich ein Abspecken von Jena und Erfurt und eine Spezialisierung an beiden Standorten. Aber nicht eine Schließung der Erfurter Hochschuleinrichtung.“75 Die Öffentlichkeit reagierte mit einer Welle der Empörung. Protestdemonstrationen auf den öffentlichen Plätzen der Stadt zogen Zehntausende an.76 Die öffentlichen Verkehrsmittel stoppten minutenlang und verbreiteten Protestmaterial an und in den Wagen. Studenten traten in einen Hungerstreik. Ein Autokorso mit über 400 Fahrzeugen wälzte sich durch die Stadt. Eine Protesterklärung hatte zum Schluss mehr als 70.000 Unterschriften.77 OB Ruge trat aus Protest gegen die Behandlung der Medizinischen Hochschule durch seine Partei vom stellvertretenden Vorsitz der Landes-CDU zurück.78 „Es knirschte in der Politik; die Entscheidung war auch regionalpolitisch sehr umstritten.“79 In einer Sendung ‚Erfurter Gespräche‘ des MDR zur Diskussion der Situation der Medizinischen Hochschule mit OB Ruge und dem Rektor der Hochschule, Professor Walter Künzel, versuchten Ministerpräsident Vogel und Minister Fickel, ihre
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TLZ, 7.11.1992. In diesem Zusammenhang ist auch das Gerücht interessant, das über längere Zeit in Jena „Unruhe stiftete“: Einzelne Jenaer Disziplinen müssten „Filetstücke“ nach Erfurt abgeben; genannt wurden die Augenheilkunde und die Zahnmedizin. Vgl. Gottfried MEINHOLD, Der besondere Fall Jena, S. 142 f. Jenaer Studenten demonstrierten daher gegen den Erhalt der Medizinischen Hochschule vor dem Ministerium. TLZ, 7.11.1992. Einen Tag vorher war die Medizinische Hochschule Mitglied der Deutschen Hochschulkonferenz geworden. Jutta KRÜGER, Hoffnung und Absturz, S. 243. Stellungnahme der Erfurter SPD zur Gründung der Erfurter Universität, o. D. Material Mai. TA, 5.11.1992. TA, 13.11.1992. TA, 12.11.1992. TA, 10.11.1992. Interview Hanske.
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Entscheidung zu verteidigen. Für Ruge war es jedoch klar, „dass der politische Wille fehlte, die Hochschule zu erhalten“. Vor zwei Jahren habe man ihm schon gesagt, die Hochschule wird sterben. „Die Politik war darauf angelegt.“ Künzel warf der Landesregierung vor, „die Kosten des Lehrbetriebs künstlich nach oben gezogen“ zu haben.80 Es gelang nicht, die politisch Verantwortlichen umzustimmen. Am 13.11.1992 beschloss der Koalitionsausschuss des Landtags das Aus für die Medizinische Hochschule Erfurt mit 49:30 Stimmen bei vier Enthaltungen.81 Die Schließung wurde Teil des Thüringer Hochschulplans vom Dezember 1992, der zugleich der Abschlussbericht der Hochschulstrukturkommission war. Für Oberbürgermeister Ruge wurde „hier mit Konzeptionslosigkeit etwas beschlossen, das völlig unausgegoren ist“.82 In der Tat begannen erst nach der Schließung die Überlegungen, wie die Überführung der Medizinischen Hochschule in ein Krankenhaus der Maximalversorgung erfolgen konnte. Hierzu setzte das Ministerium fünf Arbeitsgruppen ein: Anfang März 1993 wurde die Medizinische Hochschule zu einem Lehrkrankenhaus der Universität Jena umgebildet, bereits im Dezember 1993 erfolgte die Privatisierung.83 Gleichzeitig verkündete Minister Fickel, dass „der Auftrag, den der Landtag vor beinahe einem Jahr dem Ministerium gegeben hat, nämlich ein Forschungszentrum zu etablieren hier in Erfurt, das drittmittelfähig ist, auf dem besten Wege ist. Es sind insgesamt 11 Millionen DM eingestellt. Ein Forschungszentrum hier in Erfurt für vaskuläre Biologie und Medizin wird eingerichtet und damit die Voraussetzung geschaffen für einen zweiten wissenschaftlichen Standort von medizinischer und biotechnologischer Forschung außerhalb von Jena.“ 84 Ein Vergleich mit den Entwicklungen in Sachsen-Anhalt ist aufschlussreich, wo man bei der Gründung der zweiten Landesuniversität in Magdeburg neben der PH auch die dortige Medizinische Akademie als Medizinische Fakultät in die Universität integrierte. Hier kam es von Anfang an auf verschiedenen Gebieten zur Zusammenarbeit mit der Medizinischen Fakultät der Universität Halle.85 Allerdings hatte Magdeburg den Vorteil verschiedener bereits beste-
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TA, 11.11.1992. TA, 13.11.1992. TA, 13.11.1992. Am 15.12.1993 wurde ein Gesellschaftsvertrag über die aufzuhebende Hochschuleinrichtung als GmbH mit 51 % Anteil der Kommune und 49 % Anteil der KrankenhausManagement-GmbH als Betreiber unterschrieben. Damit war die Privatisierung der Klinik vollzogen. Minister Fickel, in: THÜRINGER LANDTAG. 1. Wahlperiode. Protokoll 101. Sitzung, 22.12.1993. WISSENSCHAFTSRAT, Gutachten zur medizinischen Versorgung in Sachsen-Anhalt (2005).
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hender Forschungseinrichtungen, die man in Erfurt zwar versprach, aber nicht verwirklichte. Es war jedoch nicht nur die Schließung an sich, die die Öffentlichkeit umtrieb, es war auch ihre Handhabung. Auf der akademischen Veranstaltung aus Anlass der Schließung der Medizinischen Hochschule Erfurt im Festsaal des Rathauses am 17.12.1992 bezeichnete Staatssekretär Dr. Färber die Gründung der Akademie als Teil des Kalten Krieges, die nun kurz nach dessen Schluss zu Ende gehe. „Durch diesen Zeitbezug stellte er mittels der Insinuation einen ursächlichen Zusammenhang von Medizinischer Akademie und Kaltem Krieg in den Raum. Das empfanden viele als ungeheuerlich.“86 Auch die Tatsache, dass 125 Mitarbeiter*innen ihre fristlose Kündigung drei Tage vor Weihnachten mitgeteilt wurde, ohne die gesetzliche Kündigungsfrist einzuhalten, verstärkte den Eindruck weitgehend westdeutscher Gleichgültigkeit gegenüber den Auswirkungen ihrer Politik auf die Erfurter Bevölkerung. Die Leitung der Universität Mainz, die seit der Wende mit der Medizinischen Hochschule zusammengearbeitet hatte, kommentierte: „Muss es nicht entmutigend auf die Bevölkerung wirken, wenn eine Einrichtung, die sogar in der DDR-Zeit ihr internationales Renommee bewahren konnte, jetzt einer von der westlich dominierten Wissenschaft verlangten Umstrukturierung zum Opfer fällt?“87 Auch schien vielen Erfurtern das finanzielle Argument nur vorgeschoben. Aus Gesprächen von Professoren der Medizinischen Hochschule mit führenden Landtags-Abgeordneten der CDU/FDP-Koalition ergab sich beispielsweise, dass „ein rein politischer Unwille seitens der Regierung Thüringens zum Erhalt der MHE besteht, somit die MHE machtpolitischen Interessen geopfert wird, was sogar einem Parteitagsbeschluss der CDU widerspricht“.88 Auch SPD-Mitglieder argumentierten ähnlich.89 Parteipolitische Gründe wurden immer wieder für die Schließung erwähnt. So wurde vermutet, dass die starke Jenaer FDP auf den ebenfalls der FDP angehörenden Minister eingewirkt habe, unterstützt von Wolfgang Gerhardt, dem Vorsitzenden der hessischen Landtags-Fraktion und seit 1995 Bundesvorsitzender der FDP. Dessen Wahlkreis war Kassel, wo er die Gründung einer Medizinischen Fakultät an der Universität versprochen haben soll. Da Göttingen nur 40 km, Marburg nur 90 km und Erfurt ca. 140 km von Kassel entfernt waren, hätten sich zu viele medizinische
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TA, 18.12.1993. Amtsblatt der Stadt Erfurt, 24.12.1993. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-2. Leitung der Universität Mainz an Ministerpräsident Vogel, 3.12.1992, in: Medizinische Hochschule Erfurt aktuell, 3.12.1992. Faksimile in: Jutta KRÜGER, Hoffnung und Absturz, S. 286. Deutsches Ärzteblatt, 90, Heft 3, 22.1.1993. Faksimile in: ebd., S. 299. Stellungnahme der Erfurter SPD zur Gründung der Erfurter Universität, o. D. Material Mai.
UNIVERSITÄTSGRÜNDUNG UND SCHLIESSUNG DER MEDIZINISCHEN AKADEMIE
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Ausbildungsstätten auf engem Raum gedrängt. Bei einem Weiterbestand der Medizinischen Hochschule, so wurde gemunkelt, habe er mit der Aufkündigung der Regierungskoalition in Thüringen gedroht.90 Die Abneigung der FDP gegen Erfurt äußerte sich auch in den Bemerkungen des Landtagsvizepräsidenten Peter Backhaus, der auf einer FDP-Versammlung angesichts des drohenden 6Milliarden-Lochs im Landeshaushalt „erwartete, dass die MAE geschlossen und die Universität nicht eröffnet wird“.91 Seit dem Regierungsantritt von Ministerpräsident Vogel war die Zukunft der Medizinischen Hochschule mit der der Universität verknüpft. Für den Wissenschaftsrat würden die Hochschulgründung, die Sanierung der Medizinischen Hochschule und der Bau einer eigenständigen Vorklinik die Möglichkeiten des Landes weit übersteigen. Dies würde die Sanierung und den Ausbau der anderen Hochschulen des Landes gefährden. Damit zeigte es sich erneut, dass es nicht die Finanzierbarkeit der Medizinischen Hochschule allein war, die zu ihrer Schließung führte, sondern die Absicht der Landesregierung, gleichzeitig eine Universität in Erfurt zu gründen. Vogel hingegen fand es „bedauerlich, dass in der allgemeinen Untergangsstimmung die Top-Meldung des Tages untergehe, nämlich die Gründung der Universität“.92 Bei knappen Finanzen konnten die nötigen Gelder nur durch die Schließung der Medizinischen Hochschule sowie von der Pädagogischen Hochschule kommen. Für die Zeitgenossen war der von Vogel herausgestellte Zusammenhang „Schließung MHE – Universitätsgründung“ nicht plausibel. Für sie existierte keine kausale Verbindung. Man blickte stattdessen bewundernd auf die Integration der Medizinischen Akademie Magdeburg in die dortige Universität, wobei man übersah, dass diese Integration permanente finanzielle Probleme geschaffen hat.93 Für die LL-PDS im Thüringer Landtag wurde die geplante Universität daher „nicht in eine blühende Wissenschaftslandschaft gestellt, sondern auf dem Grabe anderer wissenschaftlicher Einrichtungen angepflanzt“.94 Oberbürgermeister Ruge hielt noch im Rückblick die Schließung für einen Fehler der Landesregierung, „da von den Patientenströmen aus gesehen die Erfurter Klinik
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Zu den parteipolitischen Hintergründen für die Schließung schwirrten eine Unmenge Gerüchte herum: Fickel sollte für die Zeit nach seiner politischen Tätigkeit eine Professur in Jena angeboten worden sein. Neuwahlen würden das Ende der Thüringer Koalition bringen und damit auch „die Mehrheit gegen die Bonner Regierung verändern, sodass damit im bundespolitischen Machtgerangel eine Erhaltung der MHE für Regierungsparteien ungünstig ausgehen könnte“. Jutta KRÜGER, Hoffnung und Absturz, S. 66. TA, 4.3.1992. TLZ, 14.11.1992. Interview Raßloff. Klaus Höpcke, in: THÜRINGER LANDTAG. 1. Wahlperiode. Protokoll 101. Sitzung, 23.12.1993. Höpcke, der Journalistik in Leipzig studiert hatte, war 1973-1981 stellvertretender Minister für Kultur der DDR.
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eher stärker teure medizinische Hochleistungsgeräte auslasten kann, die für die Universitätsklinik auch benötigt werden.“95 Die Empörung vieler Erfurter über das Ende der Medizinischen Hochschule legte sich nicht und besteht noch heute.
4.
Die Lage der Pädagogischen Hochschule (PHEM)
DIE LAGE DER PÄDAGOGISCHEN HOCHSCHULE (PHEM)
4.1
Interne Entwicklungen
Der Pädagogischen Hochschule Erfurt/Mühlhausen (PHEM) brachte die Planungsphase für eine Universität in Erfurt eine Periode der Unsicherheit, der Frustration und der Demütigung. Allgemein zeigte das Ministerium hier – wie schon in der Frage der Universitätsgründung – seine anfängliche Unentschlossenheit bei gleichzeitiger Geringschätzung der Hochschule.96 Zunächst war sogar das Überleben dieser „in ihrer Art zweitgrößten Bildungseinrichtung auf dem Territorium der neuen fünf Bundesländer“97 ungewiss. Das Wissenschaftsministerium erwog zunächst, wegen der extrem kurzen Fristen der Abwicklungsregelung des Einigungsvertrags, gleichsam „präventiv die Abwicklung für die PH“ zu beantragen. „Sollte der Wissenschaftsrat sich gegen die ‚Abwicklung‘ aussprechen, wird die Antragstellung auf ‚Abwicklung‘ rückgängig gemacht.“ Noch Ende Januar 1991 hatte der Rektor keine endgültige Auskunft des Ministeriums.98 Erst gegen Ende Februar wurde klar, dass „aus
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Gründungssenat der Universität Erfurt, 23.7.1997. UAE, PH 14289. Dies drückte sich beispielsweise bei den erwähnten, von der Hochschulstrukturkommission eingesetzten fünf Unterkommissionen zur Umstrukturierung der PHEM aus. Diese wurden im Bereich Erziehungswissenschaften von den Professoren Eckard König, Paderborn (Regelschule), Erich Renner, Koblenz/Landau (Grundschule), Peter Zedler, Münster (Allgemeine Pädagogik), Hans Ulrich Boas, Göttingen (Anglistik), PD Dr. Robert Prohl, Frankfurt am Main (Sport) geleitet; bis auf Professor König wurden alle anderen an die PHEM berufen. Die Unterkommission Sozialwissenschaften wurde von Professor Max Kaase, Mannheim, geleitet. Im Umgang mit diesen westdeutschen Experten nahm das Ministerium direkt mit ihnen Kontakt auf, bei Umgehung der ostdeutschen Hochschulleitung. Prorektor Professor Schellenberg stellte „mit Entfremden fest, dass das Ministerium Gespräche und Entscheidungen mit den Gründungsbeauftragten führt, anstatt die Hochschulleitung in diese Prozesse einzubeziehen. […] Die Hochschulleitung will in dieser Angelegenheit geschlossen bei Dr. Komusiewicz vorstellig werden.“ Protokoll der PH-Rektordienstbesprechung, 16.10.1991. UAE, PH 14303. TA, 1.12.1990. „… über die Abwicklung, die in voller Verantwortung des Landes liegt, sind noch [immer] keine Informationen vorhanden“. PH-Senat, 31.1.1991. UAE, PH 14278.
DIE LAGE DER PÄDAGOGISCHEN HOCHSCHULE (PHEM)
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politischen Gründen […] eine generelle Abwicklung der HS […] nicht mehr machbar war“.99 Im März 1991 klagte jedoch Rektor Pommer noch immer, „dass alles, was nach vorn gehen könnte, der Hochschule verwehrt ist, da noch nicht feststeht, was aus ihr wird. Vonseiten des Ministeriums gibt es viele sich widersprechende Aussagen, zum Teil Ausflüchte.“100 Der Personalrat der PHEM warnte das Ministerium vor der „katastrophalen Situation“ in der Hochschule. „Nicht zuletzt ist diese Situation auf das seit den Abwicklungsentscheidungen anhaltende ‚Schweigen‘ des Ministeriums zurückzuführen.“101 Hinzu kam, dass in den alten Bundesländern die Gymnasialausbildung nur an Universitäten betrieben wurde, was in Thüringen ihre Verlagerung an die FSU Jena bedeutete. Damit würde die Pädagogische Hochschule die Möglichkeit verlieren, Studenten wie zu DDR-Zeiten zur Promotion bzw. Habilitation zu führen. Die Beschränkung der Hochschule auf Grund- und Regelschulausbildung hätte für die PHEM „eine deutliche Niveau-Abminderung“ bedeutet. „Eine Welle der Empörung ging durch die Einrichtung.“102 Die Frage, was mit dem nicht mehr benötigten Personal geschehen sollte, war in den folgenden Jahren ein konfliktreiches Thema. Wie an anderen DDREinrichtungen versuchte man auch in Erfurt, Arbeitsplätze wo immer möglich zu bewahren. Im Januar 1991 beschloss der Senat, „diesen Kollegen eine andere angemessene Tätigkeit in der PH anzubieten“.103 Für einige Wissenschaftler ergab sich die Möglichkeit, in die Verwaltung zu wechseln, da nicht alle Dezernats- bzw. Referatsleiter bei einer Neubewerbung – nach einer ersten internen Evaluierung – auf ihren Posten verbleiben konnten. Wissenschaftler rückten beispielsweise in die Dezernate Personal, Studium und Lehre, Rektorat, Öffentlichkeit und auch in die Bibliotheksleitung nach. Für den Rest ging es um soziale Härtefälle unter den Entlassenen bzw. die Bedeutung der Warteschleife.104
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PH-Senat, 27.2.1991. UAE, PH 14278. PH-Senat, 13.3.1991. UAE, PH 14278. Entwurf als Tischvorlage im PH-Senat: „An die Senatoren“, 13.3.1991. UAE, PH 14278. Der Rektor protestierte: „Wir wollen nicht verkommen zu einer zweitklassigen Bildungseinrichtung.“ TA, 10.12.1990. PH-Senat, 16.1.1991. UAE, PH 14278. Einige dieser Wissenschaftler machten später eine steile Karriere, wie beispielsweise ein Dozent aus dem Institut für Unterstufenmethodik. In der Spätphase der DDR „Sekretär des Gesellschaftlichen Rates der PHEM“ (WIR, 1/ 13.1.1989) und als „Aktivist der sozialistischen Arbeit“ ausgezeichnet (WIR, 19/ 20.10.1989), stieg er vom persönlichen Referenten des Rektors, zeitweise Leiter der Personalabteilung, stellvertretender Kanzler der PHEM, Kanzler der neu gegründeten Fachhochschule Nordhausen, Beauftragter für die Kooperationsvereinbarungen zwischen Universität und PHE zum späteren, zeitweiligen Kanzler der Universität Erfurt auf. Hier unterschied sich Erfurt nicht von anderen vergleichbaren Hochschulen wie Potsdam, wo man ganz offiziell mit dem „Brandenburger Weg“ eine großzügigere Behandlung des alten Personals verfolgte. Vgl. Vermerk Wissenschaftsministerium, Frau Lückefedt, 21.7.1997. LATh-HStA Weimar, Thüringer Ministerien für Kultur, Kunst, Bildung
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Die Auseinandersetzungen um Kündigungen „mangels Bedarf“ begannen, in denen der Erfurter Personalrat eine führende Rolle spielte.105 Dem Rektor fiel die schwierige Aufgabe zu, die Vorgaben der Politik umzusetzen. Gleichzeitig galt es, interne Schwierigkeiten und Konflikte zu überwinden: Der Lehrbetrieb der abgewickelten Bereiche musste zunächst aufrechterhalten bleiben. Das größte unmittelbare Problem für die Hochschule war die anstehende Begutachtung der Einrichtung durch den Wissenschaftsrat Mitte Februar 1991, von der ihre zukünftige Existenz abhängen würde. Hier zeigte sich besonders deutlich, wie sehr die politischen Veränderungen, die öffentlichen Angriffe auf die PHEM als „rotes Kloster“, die drohende Schließung bzw. der Wegfall der Gymnasiallehrerausbildung bei mangelnder Unterstützung durch das Ministerium die PH-Angehörigen verunsichert hatten. Denn in der Senatssitzung vom 27.2.1991106 musste Rektor Pommer berichten, dass die Hochschullehrer „vielleicht nicht ganz auf die Arbeitsgruppe [des Wissenschaftsrats] eingestellt waren. Die Thematik [des Eingehens in die] Universität stand zu sehr im Mittelpunkt.“ Stattdessen hätte man betonen müssen, dass „wir hier Lehrerausbilder [sind]. […] Was gefragt wurde, hatten wir mit der Wende selbstbewusst angedacht. Dass dies nicht dargestellt werden konnte, ist auch ein Ergebnis der Politik des Ministeriums, welches Initiativen gebrochen hat, und Ängstlichkeit das Ergebnis ist.“107 Diese Befindlichkeit schien die eigene Strategie zu sehr zu beeinflussen. „[Wir] begeben [uns] immer in eine Verteidigungsposition und versuchen von daher den Neuaufbau. […] Mit einem gesunden Selbstbewusstsein kann man auch real existierende Mängel benennen.“108 Für Rektor Pommer galt: „Wenn wir die Universität in den Mittelpunkt stellen, sichern wir unsere Perspektive nicht. […] Nur eine Lehrerausbildung in ihrer gesamten Breite nutzt etwas.“ Für Thüringen war die Lehrerausbildung insgesamt wichtig und nicht nur die
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und Wissenschaft, Nr. 1637, Bl. 95; demnach war der Personalüberhang der Einrichtung darauf zurückzuführen, dass die Hochschule nicht mit den „entsprechenden Konsequenzen“ vorgegangen sei. Vgl. Standpunkte des Personalrats zu Kündigungen ‚mangels Bedarf‘, in: PHEM-Report, 1/28.1.1993. In den kommenden Jahren ging der Personalrat derart radikal vor – er sah die Hochschulleitung als „Erfüllungsgehilfin“ der jeweiligen Personalpolitik des Landes –, dass der Rektor es vorzog, mit dem Hauptpersonalrat des Landes zusammenzuarbeiten. LATh-HStA Weimar, Thüringer Ministerien für Kultur, Kunst, Bildung und Wissenschaft, Nr. 1646. PH-Senat, 27.2.1991. UAE, PH 14278. Ebd., S. 3. Für Rektor Pommer war u. a. auch der Anspruch der PH, „universitär auszubilden“ kritikwürdig, denn in Wirklichkeit war zu DDR-Zeiten „der Kaderaustausch mit Universitäten nur einseitig. Wer ging denn von den Universitäten an die PHs und warum?“ Ebd., S. 5.
DIE LAGE DER PÄDAGOGISCHEN HOCHSCHULE (PHEM)
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Gymnasiallehrerausbildung.109 Mit anderen Worten: auch ohne Gymnasialausbildung konnte die PH eine wichtige Rolle spielen.110 Im Zusammenhang mit der Umstrukturierung der Hochschule mussten auch die restlichen Mitarbeiter der Einrichtung evaluiert werden – zweifellos eine der schwierigsten Aufgaben für die PHEM, zumal konkrete Vorgaben vom Ministerium zu diesem Zeitpunkt fehlten, wie diese Evaluierungen gehandhabt werden sollten. Der allgemeine Ratschlag war: „Wir haben noch kein Hochschulgesetz. Machen Sie es, wie sie es für richtig halten.“111 Allein die Erarbeitung der dafür notwendigen Kriterien verursachte derartige Kontroversen, dass Professor Max Kaase, ein anwesender Vertreter einer der Unterkommissionen der Hochschulstrukturkommission, der Hochschule riet, die von den Mitarbeitern ausgefüllten Fragebögen und andere Unterlagen sollten dem Ministerium übergeben werden, das die Evaluierung durchführen sollte.112 Aber eine solche Initiative des Ministeriums blieb aus, sodass der Rektor auf der nächsten Sitzung nur resigniert feststellen konnte: „Er [habe] das Gefühl, dass das Ministerium wartet, bis sich die Hochschule selbst zerfleischt hat.“113 Die interne Evaluierung wurde dennoch fortgesetzt und zeigte als erstes Ergebnis „42 dringliche Personen“. Bis zum 30.5.1991 wurde eine Personalreduzierung von 1.018 Mitarbeitern Ende 1989 auf 726 erreicht.114 Erst mit der Thüringer Verordnung zur Evaluation vom 6.6.1991 übernahm die Landesregierung den Prozess der Evaluierungen für den Öffentlichen Dienst, einschließlich der Hochschulen des Landes. Die Verordnung brachte landesweite Verfahren, zunächst für die fachlichen Überprüfungen durch von der Landesregierung bestellte Fachkommissionen, deren Mitglieder in der ersten Phase ausschließlich Auswärtige waren. Danach überprüfte eine wiederum vom Ministerium bestellte Personalkommission an jeder Hochschule die „persönliche Eignung“ der Wissenschaftler. Ihr gehörten neben einem Hochschullehrer, einem habilitierten Mitarbeiter, einem wissenschaftlichen Assistenten und einem
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Ebd., S. 6. Wiederum zeigte sich die Ambivalenz des Rektors hinsichtlich des Eingehens der PHEM in eine Universität. Erst im Mai verkündete er eindeutig als Ziel: nach der Evaluation das Einbringen der Lehrerbildung in voller Breite in die zukünftige Universität. PHRektordienstberatung mit den Prorektoren, 24.5.1991. UAE, PH 14303. So der zuständige Staatssekretär im TMWFK, Werner Brans. Interview Pommer. Bereits im Jahr zuvor hatte die Hochschulleitung eine Rehabilitationskommission gebildet, um zumindest geschädigten Studenten eine Wiedergutmachung zu verschaffen. Eine vom Senat im Oktober 1990 für alle Hochschulangehörigen beschlossene „Ehrenerklärung“ erwies sich als sehr kontrovers. PH-Senat, 27.2.1991. UAE, PH 14278. PH-Senat, 13.3.1991, S. 8. Ebd. Der Personalrat der PHEM an das TMWK, 17.6.1991. LATh-HStA Weimar, Thüringer Ministerien für Kultur, Kunst, Bildung und Wissenschaft, Nr. 1646, Bl. 531.
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Studenten u. a. vier „Vertreter des öffentlichen Lebens“ an. Diese Evaluierung sollte Mitte September abgeschlossen sein.115 Auch in Erfurt kam es wegen der Arbeit der Kommissionen zu Kontroversen, die sogar zu Rücktritten einiger ihrer Mitglieder führten, weil Teile der Gutachten den Bewerbern bekannt gemacht worden waren.116 Besonders hervorgehoben wurde die Arbeit der Fachkommission Physik, und auch gegen das Ministerium wurden Vorwürfe erhoben,117 wie in dem Schreiben von zwei Kommissionsmitgliedern an den Petitionsausschuss des Landtags.118 Auch Vertreter des Mittelbaus kritisierten die Verfahren.119 Wie allgemein in den ostdeutschen Hochschulen war auch in Erfurt die Evaluierung der Wissenschaftler ein Problem, die zu DDR-Zeiten aufgefallen und daher in ihrer Tätigkeit als Forscher behindert worden waren, was für sie zu einer geringeren Zahl an Veröffentlichungen geführt hatte. „Vor den Fachkommissionen zählen solche Argumente nicht, sie verfahren formalistisch.“120 Ein Betroffener sah Schlimmeres: „Gerade auch im Bereich der fachlichen Evaluation [seien in Wirklichkeit] alte Seilschaften am Werk. Denn: Die Mehrheit der Kommissionsmitglieder in der PH sind SED-Genossen“. Diese werden vom Ministerium „mindestens toleriert“.121 Auch an der Medizinischen Akademie wurde u. a. der Fall eines sich besonders für die demokratische Erneuerung eingesetzt habenden Mitarbeiters bekannt, dessen C2-Stelle trotz seiner positiven Evaluierung nun einem politisch belasteten Mitarbeiter gegeben wurde. „Das kann man doch nicht auf diese Weise honorieren.“122 Die fachliche Evaluierung war im Wesentlichen im Juni 1993 abgeschlossen: 42 Professoren wurden übergeleitet; 15 auf C4- und C3-Stellen, 27 auf eine C2Stelle. Über die Hälfte der übergeleiteten Professoren lehrten im naturwissenschaftlichen Bereich.123 Neue Berufungen führten dazu, dass Ende 1993 nur noch 37 von 108 Hochschullehrerstellen durch Mitarbeiter oder Hochschulleh 115
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PH-Senat, 24.7.1991. UAE, PH 14278. Die Evaluierung des nicht-wissenschaftlichen Personals war in der Verordnung der Landesregierung nicht vorgesehen. „Die Hochschule hat das Recht, [diese] in eigener Verantwortung durchzuführen.“ Der Senat beauftragte daher eine Kommission, die aus den vom Ministerium berufenen Mitgliedern der Personalkommission bestand, die gleichzeitig Mitglieder der Hochschule waren. Ein Vertreter der sonstigen Mitarbeiter erhielt in der Kommission Stimmrecht. Der Rektor wies diese Vorwürfe zurück. PH-Senat, 16.6.1992. UAE, PH 14281. „Alte Seilschaften hier?“ Mitteldeutsche Allgemeine Thüringen, 9.11.1992. Dr. Neundorf und Professor Manfred Lutherdt (später: Institut für Technische Wissenschaften und betriebliche Entwicklung). Ebd. „Ein halbstündiges Gespräch [kann] nicht 20 Jahre Lehrbefähigung wettmachen.“ In 30 Minuten ein ganzes Leben. PH-Senat, 8.7.1992. UAE, PH 14281. Ebd. „Moralisch hui, fachlich pfui?“ Mitteldeutsche Allgemeine Thüringen, 29.8.1992. Professor Winfried Müller an Herrn Peschke, TMWK, 16.6.1992. Material Müller. Rektor Pommer, Jahresbericht für 1993. PH-Konzil 5/29.6.1994. UAE, PH 12864.
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rer der alten PHEM besetzt waren. Im Februar 1995 waren 73 % der C4- und 58 % der C3-Professoren von außen berufen.124 Die Evaluierung des Mittelbaus führte zur Entlassung von 74 wissenschaftlichen und 39 nichtwissenschaftlichen Mitarbeitern.125 Erwartungsgemäß waren die politischen Evaluierungen angesichts des Rufs der PHEM als „rotes Kloster“ besonders wichtig, aber auch schwieriger. Die Personalkommission wurde vom Vorsitzenden des 1989 entstandenen Bürgerkomitees geleitet, was eine gründliche Aufarbeitung versprach.126 Zum Eklat kam es, als die Existenz „alter Seilschaften“ im Ministerium bekannt wurde.127 Zudem setzte sich „der Minister leichtfertig über wohl begründete Beurteilungen hinweg“.128 Die Verärgerung in der Personalkommission war derart, dass der Vorsitzende mit seinem Rücktritt drohte, „sollte seine Arbeit weiter nutzlos bleiben“.129 Sodann stellte er fest: „Die Evaluation an der PH ist einmalig in Thüringen. In der Regel folgt der Minister den Vorschlägen der jeweiligen Kommissionen. In der PH dagegen nähert sich die Zahl der Abweichungen zwischen Votum und Entscheidung 30 %.“ Die Kommissionsmitglieder waren besonders über die „formal-rechtliche“ Argumentation der Beamten empört, die ausschließlich darauf achteten, ob ein Fall „justitiabel“ sei, d. h. ob Kündigungen zu erwarten seien. Man fürchtete die Kosten von Gerichtsverfahren.130 Innerhalb der PHEM kam es zu entsprechenden Zwischenfällen. Im Senat weigerte sich ein – stimmberechtigtes – Mitglied trotz negativer Evaluierung seinen Platz zu räumen, wobei sich herausstellte, dass er aus juristischen Grün-
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PH-Senat, 1.2.1995. UAE, PH 13717. Ebd. Mitglied war u. a. eine Mitarbeiterin der PHEM, Gabriele Altendorf, die bereits im Sommer 1990 zu einer Untersuchung zumindest seitens der Hochschulleitung gedrängt hatte. Ihre wiederholten, hartnäckigen Forderungen führten dazu, dass Mitarbeiter der Hochschule sie als „krank“ bezeichneten. Interviews Peukert und Leitgebel. Andere erlebten sie als eine wegen der an der Hochschule fehlenden Unterstützung für ihre Arbeit zutiefst frustrierte und schwierige Person. Material Halt. „Beamter räumt Wirken von Seilschaften ein.“ Mitteldeutsche Allgemeine Thüringen, 9.11.1992. Zwei Mitarbeiter des Ministeriums stammten aus der PHEM; einer war im Oktober 1990 sogar Mitglied des Senats gewesen. UAE, PH 12038. Mitteldeutsche Allgemeine Mühlhausen, 14.8.1992. Auffallend war auch, dass Anfang Mai das Ministerium einen von der Personalkommission als bedenklich eingestuften Wissenschaftler in die Fachkommission Technik berief. Ebd. Die Presse sprach von „Fickel, [der] Altlasten duldet und dem Wirken der ‚Wühlmäuse‘ im eigenen Hause“. Unbelastete Wissenschaftler würden dagegen abgewickelt. Mitteldeutscher Anzeiger Thüringen, 29.8.1992. Ein belasteter Mathematikprofessor erhielt seinen „Persilschein“ vom Ministerium, obwohl ein hoch angesehener Kollege in einer eidesstattlichen Erklärung die politische Verstrickung des Betroffenen bestätigte. Mitteldeutscher Anzeiger Thüringen, 9.11.1992.
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den nicht dazu gezwungen werden konnte.131 Die genauen zahlenmäßigen Ergebnisse der politischen Evaluierungen sind nicht klar. Die Aufregung über die Vorgänge wurde dagegen von den anwesenden westdeutschen Professoren nur bedingt geteilt.132 Langfristig wichtiger war die allgemeine Personalsituation. Anfang 1993 war die PHEM eine Einrichtung mit 552 Hochschulangehörigen und einem Jahresetat von 38 Mio. DM. Sie war inzwischen die einzige Ausbildungsstätte für Grundschullehrer in Thüringen und betrieb die Regelschulausbildung neben Jena in einem begrenzten Spektrum von Fächern. Die fachliche und persönliche Evaluierung war im Sommersemester beendet; „die Umstrukturierung der Studienordnungen würde im Wintersemester 1992/3 abgeschlossen. […] Zum Ende dieses Semesters würden alle Kollegialorgane neu gewählt, was der Hochschule neue Legitimation verschaffe.“133
4.2
PHEM und Universität
Angesichts der angespannten Landesfinanzen spielte die Pädagogische Hochschule eine wichtige Rolle beim Aufbau der Universität: Ihre Stellen, ihre Ausrüstung und ihre Liegenschaften kamen der Universität zugute. Es entstand sogar eine Korrelation: Abbau PHEM – Aufbau der Universität. Andererseits benutzte der Gründungsbeauftragte Wolff die PHEM, um die üppigen Planungen des Strukturausschusses einzudämmen. Die sich aus diesen ergebenen erheblichen Kosten wollte er gerade vermeiden. Er ersuchte daher Rektor Pommer und Prorektor Mai, in der vom Strukturausschuss gebildeten Arbeits-
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PH-Senat, 28.10.1992. UAE, PH 14281. Der Betroffene war bereits 1990 stimmberechtigtes Senatsmitglied der PHEM. UAE, PH 14279, Bd. 2. Die Kritik am Ministerium mag erklären, warum man im folgenden Jahr überraschend entschlossen handelte und einen bisher sich um die PHEM verdient gemachten Professor, den Germanisten Klaus Werner, umgehend wegen angeblicher Stasi-Verstrickung entließ – „ein in Deutschland einmaliger Vorgang“. Er war aufgrund von Familienumständen ins Visier der Stasi geraten, was zu einem umfangreichen Stasi-Dossier über ihn geführt hatte. Zu Gerüchten führte, dass diese Enthüllungen im Juli 1993 nach Bekanntwerden seiner Kandidatur für das Amt des Rektors als Nachfolger Pommers auftauchten. Professor Werner konnte in den darauffolgenden Jahren erfolgreich gegen diese Behandlung klagen, doch war sein erlittener Schaden dadurch nicht mehr wettzumachen. Interview Werner. „Nehmen Sie das nicht so wichtig.“ Interview Franzen. Auch unter den neu berufenen westdeutschen Professoren der Universität Potsdam herrschte diese Auffassung vor. Vgl. Barbara MARSHALL, Die deutsche Vereinigung in Akademia, S. 180 f. Für die aus der DDR stammenden Mitarbeiter war es jedoch wichtig. Interview mit Rektor Pommer und Prorektor Mai. Personalbestand 31.3.1993. TLZ, 18.8.1993.
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gemeinschaft mitzuarbeiten, um die Strukturrealität der PH mit den Empfehlungen des Ausschusses „in Beziehung zu setzen.“134 Da sich die Universitätsplanungen über Jahre hinziehen würden, stellte sich zunächst die Frage, was in der Zwischenzeit mit der Hochschule geschehen sollte. In der PH wurde besonders Prorektor Mai bei der Vertretung der Interessen der Hochschule aktiv. „Meine Haupttätigkeit als Prorektor ist die Universitätsgründung zur Zeit.“135 Bereits im Februar 1993 sah er angesichts der Unentschlossenheit des Ministeriums die Notwendigkeit „in die Politik zu gehen“.136 Ansprechpartner wurden die Oppositionsparteien und besonders die SPD. Mit dem Vorsitzenden des Wissenschaftsausschusses des Landtags, Andreas Enkelmann, wurde eine Strategie für das weitere Vorgehen in der nächsten Zeit geplant: „[D]ie weitaus kostengünstigere, frühe Einbindung der Hochschule in die zu gründende Universität sollte betont werden.“137 Allerdings sei „ein solcher Weg politisch der schwierigere“.138 Als Strategie für das weitere Vorgehen sollte die Pädagogische Hochschule die vollzogene Umstrukturierung und die fachliche Evaluation als Legitimation für den universitären Anspruch hervorheben. Die Erfurter und die Thüringer SPD arbeiteten Stellungnahmen zur Gründung der Universität Erfurt aus.139 Erwartungsgemäß ging die lokale Partei auf die Situation in der Stadt ein und kritisierte u. a. „die geringe Rückkoppelung der Gründungskommission zum zukünftigen Standort Erfurt“, die ein begrenztes Interesse an Erfurter Problemen erkennen lasse. Die 17 Thesen der Thüringer SPD verwiesen u. a. auf die Universität als „eine notwendige Überwindung der DDR-typischen Aufsplitterung der akademischen Ausbildung in solitäre Fachrichtungen“, wobei „Ausstrahlung und Einzugsgebiet der Universität Jena nicht beeinträchtigt“ werden. Denn die FSU sah eine Universität Erfurt weiterhin als Gefahr. „Die Widerstände aus Jena sind enorm (wegen der Investitions-
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Prorektor Mai, Begleitschreiben an die Dekane der Fakultäten I-IV in Vorbereitung auf die Besprechung am 15.9.1993. Material Mai. Prorektor Mai an Professor Doering-Manteuffel, 15.10.1993. Material Mai. Prorektor Mai an Professor Doering-Manteuffel, 22.2.1993. Material Mai. Aktenvermerk. Gespräch zwischen Rektor Pommer, Prorektor Mai und MdL Enkelmann im Rektorat der PHEM am 8.9.1993. Material Mai. Vgl. auch den Entwurf einer Ausarbeitung des Prorektors ‚Überlegungen zur Entwicklung der Pädagogischen Hochschule Erfurt. Eine Bestandsaufnahme‘ vom 12.9.1993 und die vierseitige, detaillierte Fassung: ‚Die Pädagogische Hochschule Erfurt/Mühlhausen vor der Universität Erfurt‘, 29.9.1993. Ebd. Ebd. Stellungnahme der Erfurter SPD zur Gründung der Erfurter Universität, o. D. Thesen zur Haltung der Thüringer SPD zur Wiedergründung der Universität Erfurt, 18.10.1993. Ebd.
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kosten und aus Prestigeangst). […] Ich versuche auf dem politischen Weg (Landtag, Stadt) Argumente zu liefern, damit nichts mehr anbrennt.“140 Mai war auch bei breiterer Lobbyarbeit aktiv, u. a. in der Thüringer Hochschulrektorenkonferenz, um die Unterstützung der übrigen Hochschulen des Landes zu gewinnen; er argumentierte, dass die Solidarität mit der PH auch im Interesse der anderen Hochschulen sei. „In den […] Berichten über die Lage der einzelnen Hochschulen habe ich, offenkundig zur Überraschung fast aller Anwesenden, hervorgehoben, daß die PHEM bzw. ihre individuellen Mitglieder keine automatische Überleitung in die UE zu erwarten hätten, sondern als ‚Opfer‘ einem ungewissen Schicksal entgegensähen. Auf der nächsten Sitzung am 1.11.1993 forderte die Konferenz daher öffentlich, die vorhandenen Kapazitäten der PHEM sinnvoll zu nutzen. Für die Errichtung der UE sollte der Landtag dafür sorgen, dass zusätzliche Mittel bereitgestellt würden.“141 In der großen Landtagsdebatte zur Schließung der Medizinischen Akademie wurden auch die Probleme der Pädagogischen Hochschule angesprochen. „Last, not least muss auch die Landesregierung glaubhaft und nicht nur in Metaphersprache klären, welche Zukunft die Pädagogische Hochschule in Erfurt haben soll.“ Man sei es denjenigen, die an der „Pädagogischen Hochschule studieren und arbeiten, schuldig zu sagen, […] wie lange sie dort attraktive Studien zu erwarten haben, welche Lehrer, welche Zukunft sie in der Universität finden können oder aber auch, wohin wir die Studienlandschaft hier in Erfurt entwickeln wollen.“142 Im Ministerium herrschte weiterhin Unsicherheit, wie man mit der PH umgehen sollte. „Die Politik der Landesregierung ist recht chaotisch.“143 Als erstes war die Hochschule davon abzuhalten, aktiv in der Öffentlichkeit aufzutreten. Dabei scheute man auch nicht vor offenen Drohungen zurück. Im Laufe eines Gesprächs im September 1993 mit Minister, Staatssekretär und Abteilungsleiter
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Ebd. Prorektor Mai, Bericht (Hervorhebung im Original). Vgl. Erklärung der Thüringer Landesrektorenkonferenz zur Situation der Hochschulen in Thüringen, anlässlich der Novellierung des Thüringer Hochschulgesetzes, Weimar 1.11.1993. UAE, PH 13717. Andreas Enkelmann (SPD), Vorsitzender des Wissenschaftsausschusses, in: THÜRINGER LANDTAG. 1. Wahlperiode. Protokoll 101. Sitzung, 22.12.1993, S. 7818-7831, hier S. 7820. DASS., Drucksache 1/2788: Gesetzentwurf der Landesregierung. Enkelmann hatte Theologie in Jena studiert, wurde 1989/90 Studentenpfarrer an der TU Ilmenau und im Folgejahr stellvertretender Landrat des Ilm-Kreises, dem die Interessen der TU Ilmenau am Herzen lagen. Andere Bemühungen, Erfurter Substanzen zu retten, wie der Vorschlag der Erfurter SPD, ein Forschungszentrum mit umweltorientierter Ausrichtung zu gründen, das die naturwissenschaftlichen Forschungskapazitäten der Pädagogischen Hochschule und der präventiven Medizin der ehemaligen Medizinischen Hochschule bündeln könnte, vermochten nicht, den Gang der Entwicklung zu beeinflussen. Ebd.
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legte der Rektor die Vorstellungen der Pädagogischen Hochschule zur Überleitung in die Universität dar, woraufhin „der Minister dreimal droht, auch die Medizinische Hochschule Erfurt habe sich früh als Kernfachbereich der Universität verstanden und existiere jetzt nicht mehr; […] das sei auch anderweitig übertragbar. […] Er machte deutlich, dass er öffentliche Forderungen der PH, Kern der Universität zu werden, energisch bekämpfen werde. Aufgrund der politischen Fallstricke und Opposition könne er sich […] nicht öffentlich für die PHEM einsetzen.144 Letztlich fordert er […] ein Stillhalten der PHEM, in einem durchaus obrigkeitsstaatlichen Sinn, dass das Ministerium es schon richten werde. Der Staatssekretär bittet […] um Verständnis für den Schwebezustand.“145 In diesen Gesprächen zeigte sich zunehmend die Schwäche des ostdeutschen Rektors, der der „Ministerialbürokratie nicht gewachsen“ war.146 Daher kam den westdeutschen Professoren – neben der wissenschaftlichen Umstrukturierung – als Sprachrohr der Hochschule eine weitere Bedeutung zu. Aber gerade sie waren auch negativ von der sich verzögernden Universitätsgründung betroffen. Denn sie waren zum Teil bereits 1990/91 berufen worden, „da die Universität zum 600. Gründungsjubiläum wiedergegründet werden sollte; für eine Universität, die es so nicht geben wird. Insofern hängt man natürlich ein bisschen zwischen Birke und Baum.“147
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Da Fickel vor der Wende in dem Bereich Mühlhausen der PHEM gearbeitet hatte, wollte er den Eindruck vermeiden, dieser Hochschule besondere Vorteile einzuräumen. Vgl. Frau Andrea Scholz (12.9.2017), damals Personalratsvorsitzende der PH, erinnert sich gut daran, „wie Herr Fickel hier gesessen hat und unter Tränen bedauerte, ‚dass er nicht mehr für uns tun könne‘“. Prorektor Mai, Aufzeichnung zum Gespräch des Rektors und Prorektors mit dem Minister, Staatssekretär und dem Abteilungsleiter von Trützschler, 17.9.1993. Material Mai; auch in: UAE, PH 13717. Bei Kontakten zwischen PH und Ministerium reichte das Verhalten der Beamten von Höflichkeit bis zu beinahe „autistischer Teilnahmslosigkeit“. Verschiedene Interviews. Interview Heinemeyer. Die westdeutschen Beamten verhandelten bevorzugt mit den westdeutschen Gründungsbeauftragten und Dekanen, zum Ärger der ostdeutschen Hochschulleitung. Die Position von Rektor Pommer, selbst Biologe, war zudem geschwächt durch die Rücksichtnahme auf seine Kollegen in der MathematischNaturwissenschaftlichen Fakultät, für deren Verbleib in Erfurt er eintrat, obwohl er die Aussichtslosigkeit dieser Forderung längst erkannt hatte. Als Prorektor Mai ankündigte, er werde Ministerpräsident Vogel bitten, ihm die Situation persönlich vortragen zu dürfen, kommentierte Rektor Pommer dies mit den Worten: „Gehen Sie hin. Sprechen Sie mit ihm in Ihrer [westdeutschen] Sprache. Vielleicht versteht er es dann!“ Vogel lehnte ein solches Gespräch ab. Interview Mai. Von Anfang an war das Problem „eine gewisse Undurchsichtigkeit. […] Daher kommt dieser Zwitterzustand. Das Personal ist nun mal da. Daran kommt man nicht vorbei. […] Wir hängen in der Luft, die Hochschule hängt in der Luft, das Ministerium hängt in der
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Nach der juristischen Gründung der Universität musste sich die Strategie der PH ändern. Sie erklärte nachdrücklich, dass sie „zu keiner Zeit den Anspruch erhoben [habe], Ausgangspunkt der UE zu werden. Gleichwohl sieht sie aufgrund des seit 1990 erfolgreich vollzogenen Erneuerungs- und Umstrukturierungsprozesses ihren Anspruch auf Integration in diese Universität als berechtigt an.“148 In der Folgezeit war es wichtig, dass wir „nicht in den Strudel der politischen (‚Rotes Kloster‘, ‚Margot Honeckers Lieblinge‘) und fachlichen Disqualifikation (Bernhard Vogel: ‚Wer sich schon an eine PH bewirbt‘) geraten.“149Angesichts des erneut notwendigen Antrags des Ministeriums beim Wissenschaftsrat wurde es für die PH besonders wichtig, dass auch ihre Interessen durch das Ministerium angemessen berücksichtigt wurden. Durch einen inoffiziellen Kontakt des Prorektors in der Wissenschaftsrats-Kommission wurde der Verdacht bestätigt, „dass 1. der Wissenschaftsrat [hinsichtlich der PH] den alten Klischees anhängt und dass 2. das Ministerium nichts getan hat, dies zu korrigieren“.150 Mehr noch: Das Universitätspapier der PH und anderes Material seien dem Wissenschaftsrat nicht vorgelegt worden. Die Aussagen des Ministeriums zur PHEM galten dort als vage und unbestimmt („Eiertanz“). Prinzipiell würden keine Hindernisse durch den Wissenschaftsrat im Hinblick auf die Universität gesehen, vor allem wegen Wolff, der „dort einen guten Namen“ hat. Aber: „Die Rolle der PHEM im Gründungsprozess wie in der Universität ist noch keineswegs geklärt.“151 Das zeigte sich wiederum beim Besuch der Wissenschaftsrats-Kommission in Erfurt, bei dem „zwischen WR und TMWK noch unklar [war], ob und in welchem Umfang die PHEM in die Verhandlungen mit einbezogen wird“.152 Wiederum hatte das Ministerium das Material der PH unvollständig weitergeleitet. Es fehlten die Namen der Berufenen sowie – besonders wichtig – die der Mitglieder der Berufungskommissionen, die u. a. bei den Historikern in Jena und Erfurt identisch waren.153 Nur widerstrebend sahen sich die Vertreter des TMWK gezwungen, der von PH-Mitgliedern informierten WissenschaftsratsKommission einzugestehen, dass die Ausschreibungen z. B. der Professuren für Geschichte nach Forderung der Hochschulstrukturkommission ein zweites Mal
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Luft – gegenwärtig ein ausgesprochener Schwebezustand.“ Interview Mai, TLZ, 18.8.1993. Stellungnahme der PHEM zum Gesetzentwurf der Landesregierung zur Errichtung der Universität Erfurt und zur Aufhebung der Medizinischen Hochschule Erfurt. UAE, PH 13717. Professor Mai an Professor Doering-Manteuffel, 24.2.1994. Material Mai. Mai, Telefonat mit N.N. (Wissenschaftsrats-Kommission), 15.3.1994. Ebd. Ebd. Mai, Telefonat mit N.N. (Wissenschaftsrats-Kommission), 1.6.1994. Ebd. Mai, Schreiben an N.N., 23.3.1994. Ebd.
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veröffentlicht werden mussten, dieses Mal mit dem Hinweis, die Besetzung erfolge im Hinblick auf die Gründung der Universität. Der Eindruck des Wissenschaftsrats war, dass die Aufnahme der PH in die Universität zwar vorgesehen sei, aber „so spät wie möglich“, „als fünftes Rad am Wagen“.154 Umso wichtiger wurde es, die „Universitätstauglichkeit“ der Hochschule zu betonen. Selbstbewusst erklärte man daher: „Die PHEM als wissenschaftliche Hochschule mit Promotions- und Habilitationsrecht […] ist nach Abschluss eines grundstürzenden […] Erneuerungsprozesses uneingeschränkt bereit und in der Lage, in die Universität Erfurt einzugehen. Die Neustrukturierung der PHEM und die Neuberufungen an dieselbe erfolgten seit 1991 stets mit Rücksichtnahme auf die Gründung einer Universität in Erfurt.“155 Nach Auflistung u. a. der Mitteleinwerbung durch die Hochschule sah man „alle Voraussetzungen dafür als gegeben an, dass sie […] in die Universität eingehen kann. Es bestehen keine Gründe dafür, dass die Hochschullehrer der PHEM die Lehre an der Universität zunächst ausschließlich auf der Grundlage von ‚Kooperationsabsprachen‘ durchzuführen [haben].“156 Gleichzeitig signalisierte man, die praktische Kooperationsbereitschaft, die bereits bei den Bibliotheken praktiziert wurde, auf andere Bereiche auszudehnen. Die Hochschule sei sogar bereit, „auf die autonome Ausübung ihres gesetzlichen Promotionsrechtes zu verzichten“.157 Im November bestätigte der Senat der PH die Übereinkunft zwischen den Philosophischen, Kulturwissenschaftlichen und Sozialwissenschaftlichen Fakultäten der Hochschule mit dem Gründungsbeauftragten, „dass die Fakultäten bis auf Weiteres auf ihr Promotionsrecht verzichten, bis die Promotionsordnung der UE in Kraft tritt. Ab diesem Zeitpunkt werden sie ihre Promotionsverfahren innerhalb der UE durchführen.“158 Das Ministerium „war sich jedoch noch nicht schlüssig. […] Man möchte warten, bis das ‚Ja‘-Wort des Wissenschaftsrats zur Universität Erfurt ausgesprochen ist. Die Hochschule will nochmals im Ministerium vorstellig werden, da die Promotionsordnungen nunmehr erst Ende Sommersemester 1995 genehmigt werden.“159 Gleichwohl drängte die PH
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Mai, Telefonat mit N.N. (Wissenschafts-Kommission), 15.3.1994. Ebd. Die Pädagogische Hochschule Erfurt/Mühlhausen und die Gründung der Universität Erfurt, 16.6.1994. Material Mai und UAE, PH 13717. Eine aktualisierte Version vom 1.2.1995 wurde dem Wissenschaftsrat vorgelegt. Ebd. Ebd. Ebd. Die unbefriedigende Ausstattung der Bibliothek hatte bereits zu beträchtlichen Rückständen bei der Einarbeitung von neu zugegangenen Büchern geführt. In einer ersten Vereinbarung zwischen dem Gründungsbeauftragten Wolff und der PHEM wurde Letzterer in der provisorischen Universitätsbibliothek eine Fläche für 80.000 Bände eingeräumt, die sich schnell als zu klein erwies. PH-Senat, 9.11.1994. UAE, PH 14282. Ebd.
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weiter auf die Genehmigung ihrer eigenen Promotionsordnungen, weil diese Ausdruck des autonomen Promotionsrechts waren, auf dessen Ausübung man erst verzichten konnte, wenn man es besaß. Rektor Pommer empfahl, dass eine Arbeitsgruppe des Senats die Promotionsordnungen überarbeiten und beim Ministerium neu einreichen sollte. Bei wachsendem Unmut im Senat der PH empfahl Prorektor Mai eine schärfere Gangart: Man solle einen Termin für die Genehmigungen festlegen und bei dessen Nichteinhaltung am 1.1.1995 eine Untätigkeitsklage gegen das Ministeriums beginnen. Die Genehmigung kam schließlich am 14.4.1995.160 Inzwischen war über ein Jahr seit der juristischen Gründung der Universität vergangen, ohne dass Klarheit für die Zukunft der Pädagogischen Hochschule bestand, deren Probleme wuchsen. Die Naturwissenschaften wurden geschlossen. Alles wurde jedoch überschattet von der anhaltenden Personalmisere. Da war zunächst der „strukturelle Personalüberhang“, der auf die zur DDR-Zeit herrschenden Studienstrukturen zurückzuführen war. Hinzu kamen die Mitarbeiter aus den Bereichen, die entweder abgewickelt (z. B. MarxismusLeninismus) oder deren Lehrgebiete nicht mehr gefragt waren (z. B. Slawistik, Russisch) bei gleichzeitigem Aufbau neuer Bereiche wie Französisch, Englisch oder Geschichte. Es herrschte „Personalüberhang in den alten Bereichen und Personalbedarf in den neuen“.161 Über die Jahre entstand so eine erhebliche Diskrepanz zwischen den von der Landesregierung stipulierten Personalzahlen der Pädagogischen Hochschule und denen, die diese selbst für unerlässlich zur Aufrechterhaltung ihrer Funktionsfähigkeit ansah. Der von der Landesregierung im Dezember 1992 veröffentlichte erste Landeshochschulplan gab für die PHEM ein Personal von 494 an.162 Aber noch im August 1993 sprach die Hochschulleitung von aktuell 552 Angehörigen.163 Nachdem mit der Veröffentlichung der Empfehlungen des Strukturausschusses im Januar 1994 feststand, dass die PH „zumindest bis zum Ende der ersten Aufbauphase der UE selbstständig weiter existieren“ werde, unternahm das Ministerium einen weiteren Anlauf. In vorbereitenden Gesprächen verdeutlichte es der Hochschule, „dass die Personalstruktur der PH über die notwendige Minimalstruktur für die Durchführung der Lehramtsstudiengänge hinausgeht. […] Es ist notwendig, die Personalstruktur […] auf das unbedingt erforderliche Mindestmaß zu beschränken.“ Alle „unter diesen Prämissen“ nicht benötigten Stellen sollten mit einem Sperrvermerk versehen werden, „wobei eine Wiederbesetzung nach Ausscheiden des gegenwärtigen Stelleninhabers durch die weitere
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PH-Senat, 26.4.1995. UAE, PH 14285. PH-Senat, 27.4.1994. UAE, PH 14282. Tabelle 17. Material Komusiewicz. TLZ, 18.8.1993.
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Entwicklung der Studienplatzfrage entschieden wird“.164 Habilitierte Mitarbeiter könnten die Aufgaben der ausgeschiedenen Professoren übernehmen. Diese ministerielle Vorgabe wurde der Ausgangspunkt für jahrelange Spannungen zwischen der Hochschule und dem MWFK. Auf der einen Seite kam es in jeder Senatssitzung zu Klagen über die Personalsituation: „Die Stellensituation hat sich nicht entspannt.“165 Auf der anderen Seite konnte das Ministerium auf die Zahlen verweisen, die die Dimension des Problems zeigten: Ende 1993 standen in der PH für 439 Vollzeitstudenten 455 Mitarbeiter zur Verfügung.166 Kündigungen „mangels Bedarf“ wurden jedoch nach Einführung des westdeutschen Kündigungsschutzes zum 1.1.1994 schwieriger.167 Die Ankündigung der Bundesregierung, die Bundesmittel für die neuen Länder um DM 15 Millionen zu kürzen,168 verschlimmerte die Situation weiter. Von nun an erhielt der Sparzwang im Land oberste Priorität. Jetzt wurde bis zum 1.4.1994 jegliche Personalentwicklung storniert,169 was bei konsequenter Durchführung zum Abbruch von Studiengängen führen musste.170 In der Folgezeit gingen die Auseinandersetzungen zwischen Ministerium und Hochschule in zwei Richtungen: einerseits die Verringerung des bestehenden Mittelbaus, andererseits die Berufung der benötigten Professoren. Für den Mittelbau verlangte das Ministerium „mit Entschiedenheit“ die Kündigung der nicht übergeleiteten Mitarbeiter sowie „die Umwandlung der Arbeitsverträge bisher unbefristeter Stellen in befristete entsprechend den Ergebnissen der fachlichen Evaluierungen“. Auch nach der Durchführung dieser Maßnahmen wies die Hochschule noch einen Befristungsgrad von nur 50 % auf, den man bis zum Jahr 2000 auf 60 % steigern wollte. Die betroffenen Mitarbeiter sollten einen Arbeitsvertrag für sechs Jahre unterschreiben. „Der Minister akzeptiert in diesen Fällen keine Kompromisse.“171 Berufungen wurden zusehends schwieriger, da nach dem Regierungsantritt der Großen Koalition 1994 jede Berufung die Zustimmung des Finanzministeriums
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Vorlage 3/94, PH-Senat, 9.3.1994. UAE, PH 14282. PH-Senat, 21.6.1994. UAE, PH 14282. Rektor Pommer, Jahresbericht für 1993. PH-Konzil 5/29.6.1994. UAE, PH 12864. Im März 1994 war es bereits zu 44 Arbeitsrechtsverfahren gegen diese Kündigungen gekommen. PH-Rektordienstbesprechung, 23.3.1994. UAE, PH 14303. TA, 24.8.1993. PH-Sondersenat, 6.12.1993. UAE, PH 14282. PH-Rektordienstbesprechung, 3.11.1993. UAE, PH 14303. PH-Senat, 21.9.1994. UAE, PH 14282. Vgl. die Namensliste „Umwandlung von unbefristeten wM-Stellen in befristete wM-Stellen“, 1.1.1995. UAE, PH 14285: 34 umzuwandelnden standen 89 weiter bestehende unbefristete gegenüber. Diese relativ große Zahl wurde nach der Schließung der Naturwissenschaftlichen Fakultät bei der Überführung ihrer Mitarbeiter an die FSU Jena ein Problem, weil dort 80 % der Mitarbeiter befristet waren.
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erforderte, die oft mit beträchtlicher Verzögerung bzw. gar nicht gegeben wurde. Das Finanzministerium veröffentlichte zudem Pläne, 5.000 Stellen im öffentlichen Dienst des Landes abbauen zu wollen. Für die Hochschulen wurden die Personalreduzierungen mit den dort herrschenden großzügigen Betreuungsverhältnissen von 1:7,6 in Thüringen gerechtfertigt, gegenüber dem Durchschnitt in den alten Bundesländern von 1:15 und den Empfehlungen des Wissenschaftsrats von 1:19.172 Konkret führte dies dazu, dass „das Ministerium nur noch die schon im Wintersemester vertretenen Professuren genehmigte und die neu zu vertretenen Professuren auf Grund der Haushaltsbeschlüsse des Kabinetts ablehnte“. Laut Thüringer Hochschulgesetz „standen alle Berufungszusagen unter einem Haushaltsvorbehalt, auf den sich das Ministerium jederzeit zurückziehen kann“.173 Der Druck auf die PHEM nahm zu. Am 15.5.1995 „musste die Hochschulleitung im TMWFK Vorstellungen zur künftigen Struktur der Hochschule und deren Personalbestand entgegennehmen“.174 Dabei stellte das Ministerium seine Prioritätsliste vor: Ausbau der bestehenden Fach- und Hochschulen, Neuaufbau der Fachhochschule Nordthüringen und der Universität Erfurt. Dabei „bedarf es einer Stellenreduzierung der bestehenden Hochschulen“. Da entsprechend den Empfehlungen des Wissenschaftsrats der Aufbau der Universität Erfurt nicht auf Kosten der bestehenden Hochschulen gehen sollte, ,,sind die Stellen aus der Einrichtung zu nehmen, die sich für die Universität empfohlen hat“. Das hieß: „bis zum Jahr 1999 [werden] an der PHEM 138 Stellen sozialverträglich abgebaut, um die Universität aufzubauen“. Die Empörung in der Hochschule reichte von hitziger Senatsdebatte bis zu öffentlichen Demonstrationen. Prorektor Mai trat zurück, womit die Hochschule „ein Zeichen setzte“.175 Erfurter Kommunalpolitiker sahen in der angekündigten Personalreduzierung „das Todesurteil“ für die PHEM. Nach der Medizinischen Akademie solle nun auch die Pädagogische Hochschule abgewickelt werden, „um Platz zu machen für eine CDU-geprägte SchmalspurUniversität“.176 Dabei „läuft im Hause Schuchardt scheinbar derzeit einiges aus dem Ruder“. Denn der neue Minister Gerd Schuchardt (SPD)177 versprach,
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PH-Senat, 1.2.1995. UAE, PH 14285. PH-Senat, 15.3.1995. Ebd. PH-Senat, 17.5.1995. Ebd. „Im Vorfeld eines Wissenschaftsratsvotums [will] man eine extreme Personalreduzierung veranlassen.“ „Die PHEM [soll] den ‚Blutspender‘ […] spielen, damit sie unattraktiv wird und eventuell geschlossen wird“. Obwohl Professor Mai auch aus persönlichen Gründen zurücktrat, zumal kurz vor Ende seiner Amtszeit (Interview Mai), wurde der Rücktritt als Zeichen des Protests gegen die Behandlung der Hochschule dargestellt – was er gleichwohl auch war. TA, 13.5.1995. Gerd Schuchardt war in Erfurt geboren, studierte Elektrotechnik in Ilmenau und war bis 1989 bei Carl Zeiss in Jena beschäftigt.
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keine Stellen zu kürzen, während seine Beamten gleichzeitig eben gerade dies verkündeten. In einem Schreiben an den Minister griff auch die Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft das Argument auf: „Wir gehen immer noch davon aus, dass die SPD – Ihre Partei – sich ernsthaft um die Lösung von Problemen bemüht. Im Fall der PH Erfurt wird es allerdings immer komplizierter, dies real nachvollziehen zu können. Es entsteht ein zunehmender Widerspruch zwischen den öffentlichen Erklärungen und den realen Umsetzungen. Somit geraten Erstere stark in die Gegend von Lippenbekenntnissen.“178 Auch die im Erfurter Stadtrat vertretenen Parteien forderten Schuchardt auf, „endlich klare Perspektiven für den Hochschulstandort Erfurt aufzuzeigen“.179 Doch halfen die Proteste wenig. Die durch die Schließung der Naturwissenschaftlichen Fakultät im November 1995 freiwerdenden Stellen kamen nicht der PH zugute, sondern flossen in den Pool der Universität.180 Allgemein herrschte beträchtliche Unsicherheit in der PH, da die Universitätsgründer und auch das Ministerium sich weigerten, eine schriftliche Vereinbarung zum zukünftigen Verhältnis zwischen Universität und PH abzuschließen. Man sah sich „nach einem Wust von hinhaltenden Aussagen und politischen Absichtserklärungen, verbunden mit nostalgischen Wiederbelebungsideen und der unverständlichen Abwendung der Öffentlichkeit vom Schicksal der PH […] als Ausbildungsstätte von DDR-Lehrern [diskreditiert], was allerdings nicht öffentlich betrieben wird“.181 Die Hochschule werde „weiterhin als Schmuddelkind der Thüringer Hochschullandschaft behandelt“.182 Die Gewerkschaft GEW verwies auf die völlig andere Vorgehensweise des Kultusministeriums.183 In die gleichzeitig beratene Neufassung des Thüringer Hochschulgesetzes wurde in den entsprechenden Paragraphen 132a eingefügt, dass „der Stellenbedarf der PHE vom Ministerium in einem Personalbedarfsplan festgestellt wird, der durch das Ministerium festgeschrieben werden kann“.184 Für 1998 sah dieser 331 Stellen vor.185 Dem entgegen stand die von der Pädagogischen Hoch-
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Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Landesverband Thüringen an den Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur, 2.5.2006. LATh-HStA Weimar, Thüringer Ministerien für Kultur, Kunst, Bildung und Wissenschaft, Nr. 1640, Bl. 304. „Unsicherheit am Hochschulstandort Erfurt wächst“. TA, 13.5.1995. PH-Senat, 1.11.1995. UAE, PH 14285. Erklärung der GEW Thüringen, 1.11.1995. Material Mai. Erklärung der GEW Thüringen, 24.11.1995. Material Mai. Schreiben der GEW an den Minister, 2.5.1996. Material Mai. Thüringer Hochschulgesetz, §132b. Punkt 3. PH-Senat, 17.1.1996. UAE, PH 14285. Immer wieder kam es zu Protesten u. a. des Personalrats. Dagegen verdeutlichte die Hochschulleitung, dass man versuche, „die Integration der Hochschule in die Universität ohne Kündigungen zu vollziehen“. PH-
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schule bereits Ende 1995 entwickelte Personalstruktur mit 383 Stellen. „Aus fachlicher Verantwortung“ beschloss der Senat einstimmig, auf dieser Zahl zu bestehen.186 Damit bot die „widerspenstige“ PH „dem Ministerium die Stirn“.187 Die hier gezeigte Entschlossenheit der Pädagogischen Hochschule war u. a. auch dem neuen Rektor zuzuschreiben, dem westdeutschen Anglisten Professor Wolfgang Schaller, der mit den Ministerialen, aber auch den Politikern auf Augenhöhe verhandeln konnte. Zudem stand er als Geisteswissenschaftler den Universitätsgründern näher. Sah sich die Pädagogische Hochschule in einem Überlebenskampf, so hatte das Ministerium eine andere Perspektive. Angesichts der sich wandelnden Struktur der PH hatte diese die nötige „Personalanpassung nicht umgesetzt, was zur Folge hatte, dass eine hohe Zahl von Mitarbeitern als sogenannter Personalüberhang in der Regel [in Bereichen] mit erheblichem Nachfragerückgang (Technik, Slawistik, Germanistik) beschäftigt wurde“. Hinzu kam die Übernahme des Personals der Kirchlichen Hochschule Naumburg zur Durchführung des Religionsunterrichts in der PH. Die PH kenne die Personalsituation, „ohne hieraus tatsächlich die entsprechenden Konsequenzen in Bezug auf die Anpassung der Personalstruktur zu ziehen“.188 Der frühere Prorektor Mai dagegen vermisste „konkrete Schritte zur Umsetzung der politischen Absichtserklärungen. […] Bisher ist kein realistisches Konzept erkennbar. […] Die Maßnahmen erschöpften sich in der Schließung der MHE und der Naturwissenschaften an der PH. Jedoch ist kein gestalterisches Konzept erkennbar, den bisherigen Abbau in einen Aufbau umzusetzen.“ Auch die Perspektive der Universität sei ungewiss. „Die Kluft zwischen hochfliegenden Plänen und den bescheidener gewordenen Möglichkeiten zu ihrer Realisierung […] wird offenkundig zum Alibi, gar nichts zu tun. Sehenden Auges wird in Kauf genommen, dass […] der Hochschulstandort Erfurt immer unattraktiver wird.“189 In dieser Situation wurde die Suche nach einem Gründungsrektor schwierig. Mit dem Amtsantritt von Peter Glotz als Gründungsrektor der Universität Erfurt am 1.11.1996 veränderte sich die Atmosphäre. Konfrontation wich einer pragmatischeren Zusammenarbeit.
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Senat, 20.5.1998. UAE, PH 14291. Im September 1999 waren bereits 20 Kündigungsschutzverfahren anhängig. UAE, PH 13845. PH-Senat, 22.5.1996. UAE, PH 14285. TA, 11.6.1996. Vermerk TMWK, Frau Lückefedt, 21.7.1997. LATh-HStA Weimar, Thüringer Ministerien für Kultur, Kunst, Bildung und Wissenschaft, Nr. 1637, Bl. 95. MAI, Die Zukunft der Universität Erfurt, 26.4.1996. Material Mai.
VII.
DAS KABINETT VOGEL/SCHUCHARDT 1994-1999
DAS KABINETT VOGEL/SCHUCHARDT 1994-1999
1.
Die Universität entsteht
DIE UNIVERSITÄT ENTSTEHT
1.1
Die juristische Gründung und das Urteil des Wissenschaftsrats vom November 1995
Am 12.10.1993 beschloss das Thüringer Kabinett die juristische Gründung der Universität zum 1.1.1994. Zunächst kam es zu Beratungen im Wissenschaftsausschuss und am 3.12.1993 zu einer öffentlichen Anhörung im Landtag. Angesichts der Bedeutung der anstehenden Entscheidung nahmen alle Gruppen und Parteien teil.1 Wolff und Alewell legten nochmals die Bedingungen für die Gründung, die Schwerpunktsetzung des Konzepts und die finanziellen Aufwendungen dar. In der am 22.12.1993 stattfindenden Debatte der Gesetzesvorlage zur Schließung der Medizinischen Hochschule und zur Gründung der Universität im Landtag zeigte die Anhörung nur Wirkung bei der PDS: Ihre Bedenken hätten nicht ab-, sondern zugenommen. „Wir meinen, eine bloße Wirtschaftler-, Juristen-, Theologen- und Philosophenlehranstalt hätte nur geringe Zukunftschancen, was durch Bemühen des Wortes ‚innovativ‘ nicht zu bemänteln ist.“2 Da die geplante Struktur noch nicht bekannt sei, gleiche die Beratung und Abstimmung des Gesetzes zur Gründung der Universität einem „Blindflug“, so der Abgeordnete Enkelmann (SPD).3 Die Erfurter Hochschulen und die Kirchen solidarisierten sich erwartungsgemäß mit dem Universitätsvorhaben. Aus Weimar und Ilmenau kamen keine inhaltlichen Einwände. „Lediglich die Vertreter der Universität Jena sprachen sich gegen die Erfurter Wiedergründung aus.“4
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Vertreten waren alle Thüringer Hochschulen, Studentenvertretungen, Kirchen, Gewerkschaften, Deutscher Hochschulverband, Wissenschaftsrat und Stadtverwaltung. Amtsblatt der Stadt Erfurt, 10.12.1993. StAE, Universitätsgesellschaft 5/734-2. So der Fraktionsvorsitzende Klaus Höpcke (PDS) bei der Beratung des Gesetzes zur Errichtung der Universität Erfurt und zur Aufhebung der Medizinischen Hochschule Erfurt. THÜRINGER LANDTAG. 1. Wahlperiode. Protokoll 101. Sitzung, 22.12.1993, S. 7826. TLZ, 3.12.1993. Dies geschah vor Bekanntwerden der Empfehlungen der Strukturkommission, deren üppige Planungen bei den anderen Hochschulen entschiedene Opposition hervorgerufen hätten. Ebd.
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Besonders die Verknüpfung der Gründung mit der gleichzeitigen Schließung der Medizinischen Hochschule wurde als parteipolitische Taktik beklagt. Kritisiert wurde zudem der beträchtliche Zeitdruck, unter den man den Landtag setzte.5 „Ein Schelm würde politische Absicht dahinter sehen, denn […] ist es nicht so, dass wir uns diesen Zeitdruck selbst besorgen, selbst machen? Oder hat der für das nächste Jahr vorgesehene Gründungsakt der Universität tatsächlich nichts zu tun mit einigen markanten Daten, auf die Wahltermine gesetzt worden sind? Hat er nichts damit zu tun, dieser Gründungsakt, der natürlich finanzpolitisch begleitet wird mit den anstehenden Wahlen auf kommunaler und Landesebene?“6 Trotz vielfacher Bedenken wurde das Gesetz am 23.12.1993 angenommen.7 Das Echo in Thüringen war gemischt, denn eine Universitätsgründung zu Zeiten leerer Kassen schien nicht sehr vernünftig,8 zumal die anderen Hochschulen des Landes sie für unnötig hielten. In Erfurt hingegen sah man die Dinge positiv: „Erfurt wird wieder Universitätsstadt. […] Ein hoffnungsvolles Zeichen für die Zukunft.“9 „Der Weg zur Universitätsstadt ist unumkehrbar.“10 „Auf rauen Wegen zu den Sternen: Die Erfurter Universität rüstet sich zum geistigen Aufbruch.“11 Immer wieder klang jedoch auch Sorge um die Zukunft der anderen Hochschulen an.12 Die SPD argumentierte gegen die problematische Struktur der geplanten Hochschule mit ihrer geisteswissenschaftlichen Ausrichtung, wobei die naturwissenschaftlichen Forschungskapazitäten der PHEM und der ehemaligen MHE ausgeklammert würden. Aber gerade sie seien für eine innovative wirtschaftliche Entwicklung von Bedeutung.13 Nach der Veröffentlichung der Empfehlungen des Strukturausschusses am 28.2.1994 stellte die Landesregierung einen erneuten Antrag beim Wissen-
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„Wer die Medizinische Hochschule schließt und sich diese Schandtat nur traut mit dem gleichzeitigen Gründungsbeschluss oder Ermächtigung zur Gründung der Universität Erfurt, den kann ich gut verstehen.“ Abgeordneter Andreas Enkelmann (SPD). THÜRINGER LANDTAG. 1. Wahlperiode. Protokoll 101. Sitzung, 22.12.1993, S. 7820. Abgeordneter Gerhard Wien (Bündnis 90/Die Grünen), ebd., S. 7826 f. Zur Erprobung neuartiger Strukturen wurde eine für die Universitätsgründung wichtige „Experimentierklausel“ in das Gesetz aufgenommen, die es der Landesregierung ermöglichte, von einer Reihe Bestimmungen des Hochschulgesetzes abweichende Regelungen zu treffen. Klaus-Dieter WOLFF, Strategie einer Universitätsgründung, S. 16. „Fröhliche Gründerzeit. In Erfurt wird die alte Universität wieder errichtet. Ein Besuch auf der Baustelle.“ Die Zeit, 2.8.1996. TA, 23.12.1993. Amtsblatt der Stadt Erfurt, 6.1.1994. Material Mai. TLZ, 21.1.1994. „PH-Integration bleibt offen“. Ebd. Dr. Urs Warweg, Arbeitskreis Universität der SPD. TLZ, 21.4.1994. Warweg war Angehöriger der MAE.
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schaftsrat. In der diesmal sehr ausführlichen Begründung ging man auf die Bedenken des Wissenschaftsrats ein in Form des Gründungskonzepts, betonte die geplanten Neuerungen in Studium, Lehre und Forschung sowie den zu erwartenden Anstieg in der Anzahl der Studierenden. Bevor der Wissenschaftsrat die Diskussion des Antrags begonnen hatte, kam es am 24. April zum offiziellen Festakt der Landesregierung zur Eröffnung der Erfurter Universität – genau 602 Jahre nach der Gründung der Alten Universität Erfurt.14 In seiner Begrüßungsansprache betonte Wissenschaftsminister Fickel, dass Erfurt wohl die letzte deutsche Universitätsgründung des 20. Jahrhunderts sei. Sodann gab er einen kurzen Überblick des Erreichten und der Pläne für die nächste Zukunft: Die Landesregierung habe bereits den Antrag zur Aufnahme der Universität in das Hochschulbauförderungsgesetz gestellt. Nach dessen Annahme werde er einen Gründungspräsidenten berufen, einen Gründungssenat bestellen und die ersten Berufungsausschüsse einsetzen.15 Ministerpräsident Vogel unterstrich die Bedeutung des Datums der Feierlichkeit. Jetzt „dürfen wir mit Freuden sagen: Die Universität Erfurt ist neugegründet!“16 Doch war er sich bewusst, dass nicht alle diese Freude teilten. „Es genügt nicht, den vorhandenen Hochschulen eine neue hinzuzufügen. Die Universitäten in Jena und Ilmenau und auch die drei Fachhochschulen in Thüringen können dabei ohne Sorgen sein. Die Neugründung wird nicht auf ihre Kosten gehen. Wenn ein drittes Kind kommt, nimmt die Liebe zu den Erstgeborenen damit nicht ab. Ich verstehe die Sorge, aber ich teile sie nicht.“17 Der Anfang sei nicht leicht gewesen; die Entscheidung zur Schließung der MAE „sicherlich schmerzlich“. Er dankte daher allen, die an dem bisherigen Bemühen um die Neugründung mitgewirkt hatten: den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt, die „immer wieder auf die Neugründung […] gedrängt haben – ganz speziell Oberbürgermeister Ruge –, der Universitätsgesellschaft und Bundespräsident von Weizsäcker“.18 Der Vorsitzende des Strukturausschusses, Professor Hermann Lübbe, wiederholte nochmals: „Die moderne außeruniversitäre Präsenz der Forschung verlangt, sie kompensatorisch auch inneruniversitär zu stärken.“19 Neue Fächer würden angeboten, die in Deutschland unterpräsentiert seien, wie u. a. die Bevölkerungswissenschaft. Es folgten zwei „Grußworte“ vom Präsidenten der
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Die Ansprachen wurden veröffentlicht in: Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst (Hg.), Neues Wagen. Universität Erfurt. Gründungsfestakt des Freistaats Thüringen, Erfurt 1994. Ebd., S. 13. Ebd., S. 15. Ebd., S. 18. Ebd., S. 24. Ebd., S. 28.
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Hochschulrektorenkonferenz, Professor Hans-Uwe Erichsen, und dem Erfurter Oberbürgermeister Manfred Ruge. Erichsen zeigte die grundlegenden Probleme auf: Deutschland liege bei den Ausgaben pro Kopf im Bildungssektor laut Statistik der OECD im Jahre 1993 an viertletzter Stelle vor Spanien, der Türkei und Griechenland. „Eine Neuorientierung der Haushaltsprioritäten“ sei erforderlich, für die er von Thüringen den nötigen Nachdruck erwarte.20 Ruge verwies auf die „stolzen akademischen Traditionen“ der Stadt, die von ihren Bürgern wachgehalten worden seien. Ihnen und „im besonderen den Mitgliedern der Erfurter Universitätsgesellschaft, mit ihrem Präsidenten Herrn Dr. Spiegler, gilt meine Anerkennung […] für den selbstlosen Einsatz zur Förderung des Universitätsgedankens“.21 Neben der kurzen Erwähnung durch Vogel blieb Ruge mit diesem klaren Bezug auf die ostdeutschen Vorarbeiten jedoch allein, zur stillen und anhaltenden Empörung der Initiatoren. Der eigentliche Festvortrag wurde von Professor Wolfgang Frühwald, dem Präsidenten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, gehalten. Der hohe Anspruch, den sich die Universität Erfurt stelle, komme in den „Empfehlungen“ zum Ausdruck, die ihm „in mehrfacher Hinsicht so bemerkenswert“ schienen, „dass ich sie schon jetzt den bedeutsamen Gründungsschriften deutscher Universitäten […] zur Seite stelle“.22 Als mögliches Problem sah er die Integration des Max-Weber-Kollegs in die Universität. Denn „die Bielefelder Trennungserfahrung von ZiF [Zentrum für interdisziplinäre Forschung] und Universität“ wolle man im Erfurter Konzept mit der engen Verbindung durch die Dekanatsverfassung des Kollegs „all jene fachdidaktischen und hochschuldidaktischen Zentrumsexperimente vermeiden, […] die in den alten Bundesländern die Universitäten mit immer neuen Konfliktstoff versorgten“.23 Zwar lobte Frühwald die Erfurter Konzepte, doch wies er damit auf die Gefahr einer Entwicklung hin, die die Universität in der Tat später stark belasten sollte. Einige Tage später veranstaltete die Universitätsgesellschaft ihr „Freudenfest“ – ein Straßenfest mit viel Folklore, Rockmusik etc.24 Gleichzeitig schied ihr bisheriger Präsident Aribert Spiegler aus dem Amt, was auch hier die neue Phase der Universitätsgründung demonstrierte.25 Ein neuer Vorsitzender und Vorstand wurden gewählt, dem u. a. auch der Gründungsbeauftragte der Universität, Klaus-Dieter Wolff, angehörte. Spieglers Nachfolger wurde Herwarth Horn, früher Professor für Präventiv- und Umweltmedizin an der Medizini 20 21 22 23 24 25
Ebd., S. 38. Ebd., S. 46. Ebd., S. 59. Ebd., S. 61. „Ein Freudenfest für die Erfurter ‚Alma mater‘.“ TA, 2.5.1994. Spiegler wurden u. a. Stasi-Kontakte nachgesagt.
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schen Akademie, SPD-Mitglied und einer der treibenden Kräfte in der Initiative zur Wiedergründung der Universität Erfurt.26 Bemerkenswert bei den Feierlichkeiten war, dass zu diesem Zeitpunkt eine Entscheidung des Wissenschaftsrats noch nicht gefallen war – deren Wichtigkeit man zuvor immer wieder betont hatte. Dies ließ darauf schließen, dass man sich seines Beschlusses sicher war. Zugleich schuf man Tatsachen, hinter die der Wissenschaftsrat nicht zurückkonnte. Denn mit der Schließung der MAE hatte das Land die wichtigste finanzielle Vorleistung erbracht und den festen politischen Willen der Landesregierung zur Gründung demonstriert, wie ihn Ministerpräsident Vogel verschiedentlich geäußert hatte. Der Wissenschaftsrat betonte ebenfalls den politischen Willen als Hauptgrund für die Gründung.27 So gesehen schien auch „das Argument der Studentenzahlen [letztlich] nur vorgeschoben“.28 Vor allem konnten sich Landesregierung und Kommunalpolitik als „Erfüller“ der Wünsche zahlreicher Erfurter Bürger in den bevorstehenden Kommunal- und Landtagswahlen darstellen. Jedoch schien der Widerstand gegen dieses Vorhaben der Opposition zugutezukommen, die gestärkt aus den Wahlen hervorging,29 sodass es zu einem Regierungswechsel im Land kam. In der großen Koalition zwischen CDU und SPD übernahm der Vorsitzende der SPD, Gerd Schuchardt, das Wissenschaftsministerium. Obwohl gebürtiger Erfurter, galt er allgemein als Befürworter der Interessen Jenas und war kein Freund der Universitätsgründung in Erfurt.30 Als Erstes verkündete er, „dass alles auf den Prüfstand gestellt würde“.31 Thüringen habe noch keinen Landeshochschulplan. Sein Argument, das unter seinem Vorgänger verfasste Papier sei ungültig, weil es dazu keinen Kabinettsbeschluss gebe, wurde von Fickel lebhaft bestritten: Als Strategiepapier der zuständigen Ministerien sei es nicht „beschlussbedürftig“.32 Es herrschte allgemein ein anderer Wind, was sich in der Ankündigung des Ministers zeigte, in seinem Bereich Personal
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Horn kündigte eine neue Satzung an. Mitglieder im Vorstand wurden u. a. der von der Humboldt-Universität an die PHEM berufene Professor Frank Ettrich und Oberbürgermeister Ruge. Zahlreiche PH-Professoren, wie Heinemeyer, Mai, Waschkuhn und Thumfart, wurden später Mitglieder. Bei dem Symposium zum 25-jährigen Bestehen der Universität am 13.6.2019 in Erfurt unterstrichen alle Beteiligten die Rolle Vogels als entscheidend. Vogel selbst verwies auf seinen Werdegang als Kultusminister und sein allgemein großes Interesse an Hochschulpolitik, aus dem heraus er auch in Thüringen direkt in die Hochschulpolitik eingriff. Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 134. CDU 43 % (1990 45 %); FDP 3 % (1990 9 %). Damit war Letztere nicht mehr im Landtag vertreten. „Schuchardt war Jena. Er wollte die Universität Erfurt nicht.“ Interview Hanske. Interview Wolff, 20.4.2007, in: Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 134. TA, 30.1.1995.
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einzusparen. Die Gesamtzahl der Beschäftigten an den Hochschulen sollten nur beibehalten werden, wenn diese im Bundesdurchschnitt in einem angemessenen Verhältnis zur Bevölkerungszahl stand. Die bisher ermittelte Zahl von 27:10.000 entspreche diesem Ansatz nicht, was zum Abbau an etablierten Standorten führen müsse.33 Es kam zu einem intensiven und ungewöhnlich langen Dialog mit dem Wissenschaftsrat und zu externen Interventionen, vor allem seitens der FSU Jena, was das späte Datum des Wissenschaftsratsurteils im November 1995 erklärt. Bei den Erfurter „Gründern“ herrschte daher weiterhin Unmut über Jena. Wolff sah die Jenaer ob ihres Argwohns gegenüber dem sich erst im embryonalen Zustand befindlichen jüngsten Spross der Thüringer Hochschul-Familie „auf dem Provinzticket“ ins bildungspolitische Abseits fahren. In der Erfurter CDU war von der Dominanz Jenas und einem „Jenenser Kleingeist“ die Rede, der selbst „weimarische Provinzialität‘ übertreffe.34 Die Spannungen mit Jena blieben bestehen.35 Aber alle Einwände prallten an Vogel ab. Er betonte, dass angesichts des Zustands der bestehenden Hochschulen, die „ja nicht so vorbildlich und so fern jeder Kritik“ seien, das Wagnis eines neuen Versuchs gerechtfertigt sei. „In seiner Umgebung […] bricht sich die Begeisterung Bahn: Erfurts symbolische Bedeutung liege so unvergleichlich in der Mitte Deutschlands. Hier habe man wieder […] Mut zum Bekenntnis zu einer richtig verstandenen elitären Ausbildung.“36 Zur Vorbereitung seiner Entscheidung setzte der Wissenschaftsrat erneut eine Arbeitsgruppe ein, die die Universität Erfurt am 16./17. Juni 1994 besuchte, um die Planung mit Vertretern von Land, Gründungsgremien und Pädagogischer Hochschule zu erörtern.37 Auch diesmal kamen nicht alle Mitglieder aus dem Wissenschaftsrat. Unter den externen Fachleuten war u. a. Professor Schluchter, einer der späteren Prorektoren der Universität, der mit dem Universitätsplaner Professor Wolff zusammenarbeitete. „Wir haben dabei in engster Zusammenarbeit mit dem Ministerium in Thüringen in der Person von Herrn Komusiewicz […] die Lübbe-Konzeption zugeschnitten auf die Möglichkeiten, 33
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Nach der Medizin müsse nun auch Bedarf an Lehrern des Landes angepasst werden. Doch gab es noch keine Entscheidung, was innerhalb der PHE die erwähnte Opposition verursachte. TA, 7.2.1995. Auch an der TU Ilmenau und an der Bauhaus-Universität Weimar kam es zu Protesten gegen die Streichung von insgesamt 177 Stellen. TA, 8.2.1995. Ebd. Professor Schluchter verwies besonders auf die „falsche Logik“ Jenas in der Finanzierungsfrage, denn ohne die Universität Erfurt hätte auch die Lehrerausbildung in Jena gemacht werden müssen. „Dieser Kelch ist doch an Jena vorbei gegangen!“ Interview Schluchter. Die Zeit, 2.8.1996. Weitere Sitzungen fanden am 26.10.1994, 3.3., 11.7. und 6.9.1995 in Köln statt.
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die es in Erfurt gab. Was der Wissenschaftsrat als Empfehlung für die eigentliche Gründung formulierte, wich erheblich von dem ab, was die LübbeKommission vorgeschlagen hatte.“38 Da das von ihnen vorgeschlagene Konzept „mindestens 90 % der hochschulpolitischen Vorschläge, die der Wissenschaftsrats in den letzten Jahren zu den Hochschulen gemacht hat, [aufgriff], war sein ‚nein‘ [nunmehr] unwahrscheinlich“.39 Als Grund für die Gründung einer Universität in Erfurt wurden in erster Linie die von der Landesregierung erwarteten zukünftigen Studentenzahlen angegeben.40 „Gemessen an vorhandenen flächenbezogenen Studienplätzen und Studienanfängern und unter Berücksichtigung einer mittleren Studiendauer von 10 Semestern ergibt sich zum Wintersemester 1994/95 eine räumliche Auslastung der Universitäten von rund l70 %.“41 Anstatt die existierenden Hochschulen zu erweitern, zog das Land die Gründung einer neuen Universität vor und führte im Wesentlichen zwei Gründe dafür an: Die geplanten inhaltlichen und organisatorischen Innovationen im Hochschulbereich ließen sich leichter mit einer Neugründung als an einer bestehenden Hochschule einführen. Von einer kleinen Hochschule konnten Impulse für die Lehre und die fachübergreifende Forschung erwartet werden. Die originellste Innovation der geplanten Hochschule war für den Wissenschaftsrat das bereits vom Strukturausschuss der Gründungskommission angedachte Max-Weber-Kolleg mit seiner Kombination aus Forschungs- und postgradualem Kolleg, das „durch eine Zweitmitgliedschaft auf Zeit institutionell [mit der Universität] verankert werden [soll]. Die Universität soll die Infrastruktur zur Verfügung stellen, die für die Arbeit der Projektgruppen und für die Koordination der Forschungsarbeit benötigt wird.“ Für die Finanzierung des Vorhabens wurde besonders wichtig, dass „die in den Forschungsschwerpunkten arbeitenden Professoren die Gelegenheit haben, neben dem Grundetat Projektmittel einzuwerben“. Im Gegenzug sollte die Universität die hier mitwirkenden Professoren in ihrem Lehrdeputat entlasten, ohne dass dies zu einer
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Tobias JUST, Interview Schluchter, S. 2. „Gespräch mit Dr. Wolff, dem Gründungsbeauftragten der Universität Erfurt“. TA, 28.4.1995. Das erklärt, dass die Gründungsfeierlichkeiten vor der WissenschaftsratsEntscheidung stattfanden. „Die Gesamtzahl der Studenten aller Studiengänge an den Thüringer Hochschulen betrug nach Angaben des Landes im Wintersemester 1994/95 24.800, davon 19.116 an den Universitäten und vergleichbaren Hochschulen (mit Medizin). Demgegenüber verfügte das Land gegenwärtig (1994) über rund 15.839 flächenbezogene Studienplätze, davon 12.941 an Universitäten (mit Medizin) und 2.893 an Fachhochschulen.“ WISSENSCHAFTSRAT, Stellungnahme zur Aufnahme der Universität Erfurt in das Hochschulverzeichnis des Hochschulbauförderungsgesetzes, 25.10.1995. Ebd., S. 13.
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Beeinträchtigung des Lehrbetriebs führte. „Das Land ist bereit, dafür zusätzliche Mittel bereitzustellen.“42 Eine zweite Innovation sah der Wissenschaftsrat in der Reform der Lehrund Studienorganisation. „Das Land wird die Universitätsneugründung in Erfurt zur modellhaften Erprobung innovativer Ansätze in der universitären Lehre nutzen.“43 Dabei wollte man drei Kernelemente englischer und amerikanischer Universitäten aufgreifen und diese in geeigneter Form umsetzen: eine Begrenzung der Studiendauer, stringente und transparente Curricula und ein kumulativ angelegtes Prüfungssystem. Konkret hieß das: ein grundlegendes Fachstudium zur Berufsqualifizierung und ein von der Fächerstruktur weitgehend gelöstes Graduiertenstudium.44 Wichtig für die Durchsetzung der Konzepte war die Einrichtung einer kompetenzstarken Universitätsleitung, in der dem auf mehrere Jahre gewählten Präsidenten/Rektor zwei Vizepräsidenten/Prorektoren mit Aufgabenbereichen für die beiden Reformfelder Lehre und Forschung zur Seite stehen sollten.45 Die Entwicklung der Universität sollte auch von einem unabhängigen Kuratorium, das mit Richtungs- und Kontrollkompetenzen ausgestattet war, begleitet werden. Dem Kuratorium sollten Persönlichkeiten angehören, die über langjährige Erfahrungen in Wissenschaft, Wirtschaft, Kultur oder Verwaltung verfügten und mit dem Hochschulwesen vertraut waren. Sie durften nicht Mitglieder der Hochschule sein und wurden auf Zeit berufen.46 Die Anzahl der Fakultäten wurde zunächst auf zwei reduziert: eine Philosophische Fakultät, „der die weitere Entwicklung der Hochschulstruktur übertragen wird“,47 und eine Staatswissenschaftliche Fakultät. In Letzterer wurde das Reformkonzept der neuen Universität besonders deutlich: Zu ihr gehörte das Max-Weber-Kolleg, und anstatt Fakultäten für u. a. Rechts- oder Wirtschaftswissenschaft zu schaffen, sollten beide Bereiche Teil einer integrierten Fakultät sein. Besonders für die Rechtswissenschaft war dies ein Einschnitt, denn im Erfurter Konzept würde es keine traditionelle juristische Ausbildung geben. Vielmehr sollten die einzelnen Disziplinen füreinander offen sein. Gerade bei den Juristen formierte sich später Widerstand gegen dieses Konzept. Zur PH empfahl der Wissenschaftsrat ihre Integration in die Universität frühestens zwei Jahre nach dem Studienbeginn auf der Basis fachwissenschaftlicher Fach-zu-Fach-Integration. „Professoren, die nach universitären Kriterien an die PH berufen worden sind, sollten bereits zu einem frühen Zeitpunkt Ko 42 43 44 45 46 47
Ebd. Ebd., S. 16. Ebd. Ebd., S. 18. Ebd., S. 19. Ebd., S. 26.
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operationsmöglichkeiten mit den Einrichtungen der Universität eröffnet werden.“48 Der Wissenschaftsrat begründete das damit, dass „die gegenwärtige Struktur und die Anforderungen der Lehramtsausbildung für Gymnasien […] zumindest die Gefahr der stärkeren Konventionalisierung der Fächer“ berge.49 Bei der späteren Integration der PH in die Universität zeigte sich genau dies: Die Mehrzahl der Lehrstühle der Philosophischen Fakultät wurde durch die Professuren der PH besetzt, was die Spielräume für das geplante Reformkonzept einzuengen schien.50 Die Aufnahme der Erziehungswissenschaftlichen Bereiche als dritte (bzw. vierte) Fakultät verstärkte solche Befürchtungen. Mit der Verabschiedung der Stellungnahme durch den Wissenschaftsrat am 10. November 1995 und ihrer Veröffentlichung einen Tag später waren die Voraussetzungen zum konkreten Aufbau der Universität Erfurt geschaffen. Aber es war keine „freudige Zustimmung“ des Wissenschaftsrats. Es wurde immer wieder betont, dass das „eine ungeheure finanzielle Belastung“ sei.51
1.2
Die Ernennung des Leitungspersonals und die Bildung der Universitätsgremien
Für die Position des Gründungsrektors bot es sich an, dass Wolff dieses Amt übernahm. Doch zog dieser die – einfachere – Rolle des Planers vor. Für Wolff war eine Aufbauphase wichtig, in der er nicht zusätzlich durch die praktische Leitung der Universität belastet war. Seine Versuche, bereits 1995 eine geeignete Persönlichkeit zu finden, waren jedoch erfolglos. Auch Wissenschaftsminister Schuchardt „hatte sich lange […], aber leider vergeblich, um eine geeignete Persönlichkeit bemüht“.52 Da der Posten nicht öffentlich ausgeschrieben worden war, tat sich auch eine sodann eingesetzte Findungskommission53 schwer. Verschiedene bekannte Persönlichkeiten wie Gesine Schwan oder Richard Schröder signalisierten Desinteresse. Auf Vorschlag Vogels fiel die Wahl schließlich auf den SPD-Politiker Peter Glotz,54 der „zur Überraschung vieler“ das Amt annahm, eine Entscheidung, „die ihn Überwindung gekostet haben
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Ebd., S. 50. Ebd., S. 58. Als Prorektor Langewiesche diese Situation in Erfurt erkannte, erwog er, sein Amt niederzulegen. Interview Langewiesche. Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 134. Ministerpräsident VOGEL, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 14. Mit den Mitgliedern Klaus-Dieter Wolff, Hermann Lübbe, Wolfgang Frühwald (DFG) und Hans-Uwe Erichsen (Präsident der Hochschulrektorenkonferenz) unter der Leitung von Dr. Johann Komusiewicz (TMWK). Geboren 6.3.1939 in Cheb (Tschechien), verstorben 25.8.2005 in Zürich (Schweiz).
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muss,“55 hatte er den deutschen Wissenschaftsbetrieb und den Zustand der Universitäten doch in verschiedenen Veröffentlichungen kritisiert.56 Der Zeitpunkt war günstig, da Glotz gerade sein Bundestagsmandat niedergelegt hatte und aus der aktiven Politik ausgeschieden war. Da Glotz jedoch kein Professor war, fehlte ihm die notwendige Qualifikation für das Amt eines Rektors. Die Findungskommission wurde daher kurzfristig in eine Berufungskommission umgebildet, die Glotz auf Grund von externen Gutachten und mit Vogels Hilfe zum Professor für Kommunikationswissenschaft und dann zum Rektor ernannte. Er trat sein Amt am 1.11.1996 an.57 Glotz und Vogel waren alte Bekannte als Bildungspolitische Sprecher ihrer Parteien. Zwar kam es in der CDU um Vogel zu einigem „Grummeln“, dass ein SPD-Politiker auf so einen herausgehobenen Posten berufen wurde, doch wog für Vogel letztlich schwerer, dass er damit die Überparteilichkeit des Rektorenpostens signalisieren konnte.58 Andere hofften darauf, dass Glotz als SPDPolitiker in der von der CDU dominierten Landespolitik der „brav geistigbeamtlichen Grundhaltung der jetzigen Landesregierung“59 in Sachen Universitätsgründung und ihrer Rücksichtnahme auf den Konkurrenten Jena entgegenwirken könnte. Als Gegenspieler des SPD-Wissenschaftsministers würde dieser sich kaum gegen seine Ernennung wehren können. Beobachter wiesen auch auf die pikante politische Konstellation hin, in der sich Glotz befand. Denn als Gründungsrektor würde er „das Vergnügen haben, […] ausgerechnet das Gründungskonzept seines bildungspolitischen Gegners aus lange vergangenen Reformzeiten, des hochgerühmten und stockkonservativen Zürcher Theologen und Philosophen Hermann Lübbe, umsetzen zu dürfen“.60 Glotz hatte umfassende Erfahrung im Wissenschaftsbereich aufzuweisen: als Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung, als Wissenschaftssenator der Stadt Berlin, als der er das Wissenschaftskolleg dort gründete und die Philosophie an der Freien Universität rettete. „Er wusste aus Erfahrung, wie reformbedürftig, aber auch wie reformresistent sich das deutsche
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Wolfgang SCHLUCHTER, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, München 2006, S. 20. Vgl. u. a. Peter GLOTZ, Im Kern verrottet? Fünf vor zwölf an Deutschlands Universitäten, 1996. „Die Findungskommission war nicht hundert Prozent überzeugt, dass er der Richtige war.“ Interview Komusiewicz, in: Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 291. Interview Schluchter, in: ebd., S. 292. TA, 22.4.1994. Sabine ETZOLD, „Trotz leerer Kassen: Thüringen leistet sich noch eine Universität – in Erfurt“. Die Zeit, 2.8.1996.
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Bildungssystem […] darbot.“61 1992 hatte er sich bereits erfolglos um das Amt des Rektors der Humboldt-Universität in Berlin beworben. Obwohl die Mehrheit der Reformprofessoren hinter ihm stand, „verstimmte er das Konzil mit seiner auf westliche politische Beziehungen setzenden Arroganz“.62 Er selbst bezeichnete sich voll „nervöser Geschäftigkeit“.63 Mögliche Probleme des zukünftigen Rektors mit der in der Regel langsameren Arbeitsweise einer Ministerialbürokratie deuteten sich an.64 Auch fehlte es Glotz an Erfahrung mit den alltäglichen Problemen eines Universitätsbetriebs. In der Rede anlässlich seiner Investitur als Rektor am 9.12.199665 fasste er seine Ideen zusammen. Ausgehend von dem allgemein beklagten Qualitätsabfall in vielen deutschen Universitäten galt ihm die Nichtumsetzung der „lange hin und her gewendeten Reformvorschläge“ als das Kernproblem. In dieser Situation sei der Versuch der Thüringischen Landesregierung, „noch einmal […] einen neuen Konstruktionsplan zu wagen […], mutig und vielversprechend, vor allem weil man die Universität mit einer ‚Experimentierklausel‘ im neuen Hochschulgesetz von manchen Zwängen befreite“.66 Zwar habe man in Erfurt nicht „die Hybris, […] die Probleme der deutschen Hochschulen zu kurieren“; doch könnten letztlich andere Hochschulen von den Reformversuchen in Erfurt profitieren. Jedoch verursachte der darin enthaltene, unausgesprochene Führungswille den Unmut der anderen Thüringer Hochschulen, was Minister
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Wolfgang SCHLUCHTER, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 20. Glotz beschrieb den Widerstand gegen Veränderungen: „Die heiligsten Werte werden beschworen. Richard Wagner könnte eine ‚Meistersinger-Oper‘ darüber komponieren.“ Peter GLOTZ, Forschung und Bildung als politische Herausforderungen am Ende des 20. Jahrhunderts. Vortrag anlässlich des Schlusstags der GMD Forschungszentrum Informationstechnik GmbH, Schloss Birlinghoven, St. Augustin, 30.9.1997. Konrad JARAUSCH, Umgestaltung von außen. Dezember 1990-März 1994, in: HeinzElmar TENORTH (Hg.), Geschichte der Universität Unter den Linden 1810-2010, Bd. 3: S. 647 f. Peter GLOTZ, Jahre der Verdrossenheit, S. 81. Vgl. die Bemerkung des Kanzlers der Universität im Gründungssenat, dass „in Thüringen – in ganz ungewöhnlicher- und zeitraubenderweise – jeder Ernennungsvorgang über das Kabinett und die Staatskanzlei vom Ministerpräsidenten genehmigt werden müsse“. GS 5/21.1.1998. PrUE, Protokolle GS. Peter GLOTZ, Der Auftrag der Erfurter Universität. Rede anlässlich seiner Investitur als Rektor, 9.12.1996, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 75-86. In einer Novelle zum Thüringer Hochschulgesetz war eine „Experimentierklausel“ für alle Thüringer Hochschulen vorgesehen, die sogar, so Professor Schluchter, „weitergehend sei als die bisher der UE zugestandene. Die Universität werde sich daher der neuen Regelung anschließen.“ GS 9/27.11.1998, Top 2. PrUE, Protokolle GS.
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Schuchardt veranlasste zu betonen, „dass es wichtig sei, den Respekt vor den anderen Thüringer Hochschulen zu wahren“.67 Sodann legte er ein Strukturkonzept mit sechs Punkten vor: 1. Freiheit für hochschulunternehmerische Initiativen, zu denen ein Hochschulmanagement mit „Ellbogenfreiheit“, ein Globalhaushalt und Kontakte zur Wirtschaft gehörten sowie das Bewusstsein, Dienstleistungen zu erbringen. Dabei sollte man aber vom Grundsatz der Exzellenz ausgehen. 2. Die modellhafte Erprobung innovativer Ansätze in der universitären Lehre – also ein übersichtliches und klar gegliedertes Studienangebot sowie ein kumulatives Prüfungssystem durch den Erwerb von „Credit Points“. Auch den bisher noch nicht durchgesetzten Bachelor wolle man in Erfurt ausprobieren. 3. Ein pädagogischer Korps-Geist müsse realisiert werden, der die Lehre genauso wichtig nehme wie die Forschung, für den eine kleine Universität wie Erfurt besonders geeignet sei. Das auf langfristige, fächerübergreifende Forschung angelegte MWK ergänze diesen Ansatz. Selbstverständlich gehe es nicht um eine Zurückstufung der Forschung, sondern um eine bessere Verknüpfung beider Bereiche, was jedoch nur mit einer sorgfältigen Auswahl der Studierenden durch die Universität gelingen könne. 4. Hieraus folgten regelmäßige, selbstkritische Evaluierungen von Forschung und Lehre, wie sie in den USA seit Langem durchgeführt würden. 5. Gleichzeitig sollte die Universität auf die „Kommunikationsrevolution“ der letzten Jahre reagieren – d. h. „auf die mikro-elektronische Wende Anfang der 1980er Jahre“ – und die neuen Medien in Forschung und Lehre integrieren. 6. sollte die Universität „ein Tor zur Welt“ sein und von „Belehrungskulturen“ zu „Lernkulturen“ (Wolf Lepenies) übergehen. „Wir wollen nicht das DrohBild des ‚clash of civilizations‘ kultivieren; […] lieber wollen wir dazu beitragen, dass sich zwischen den Kulturen Lerngemeinschaften herausbilden.“ In der Forschung wolle man sich mit besonderer Intensität den Wechselwirkungen von Institutionen und Kulturen im Transformationsprozess widmen. In Erfurt sollte daher u. a. auch die Wissenschaftssprache Englisch der deutschen Muttersprache gleichgestellt werden. Das geistige Programm der Universität sei bereits in den Empfehlungen des Strukturausschusses und des Wissenschaftsrats vorgegeben worden; nun gelte es, dieses auch umzusetzen. Eine wichtige Aufgabe würde hierbei der „Kulturwissenschaftlichen Neuorientierung der Geisteswissenschaften“ zukommen, aus der sich neue und zukunftsweisende Perspektiven eröffnen könnten, wie beispiels 67
Kur 1/8.1.1998, Top 7: Diskussion. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. Der in einem Artikel der FAZ vom 7.6.1997 Glotz zugeschriebene Anspruch, das „Harvard an der Gera“ schaffen zu wollen, fällt in diese Kategorie. Glotz beeilte sich, dem zu widersprechen. Man übernehme in Erfurt nur die Harvard-Methodik der „Case Studies“ – Fälle aus der Praxis –, die er in der von ihm geplanten European School of Governance anwenden wolle. FAZ, 23.6.1997.
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weise die Kommunikationswissenschaft bzw. der Dialog mit außereuropäischen Kulturen durch die Islamwissenschaft. „Es wird Zeit, einen Begriffsrahmen zu ändern und eine Mentalität des Kulturkolonialismus aufzubrechen.“ Die im Gründungskonzept enthaltenen Rechts- und Wirtschaftswissenschaften müssten – auch laut Wissenschaftsrat – noch einmal überdacht werden. Der Wissenschaftsrat fürchtete, dass „eine konventionelle Ausrichtung dieser Fächer den besonderen Charakter des Erfurter Gesamtkonzepts überlagern“ würde. Hierzu könne man eventuell auf den alten Begriff „Staatswissenschaft“ zurückgreifen, vergleichbar den amerikanischen „Schools of Government“, was eine Vielzahl neuer Forschungsfelder eröffnen könnte. In diesem Sinne – „aus intellektuellen Gründen“ – trat er für die Integration der Katholischen Theologie ein. Die Universität werde durch einen „Radikalismus der Effizienz“ und den „Konservatismus der Idee“ gekennzeichnet. Man bleibe bei der Einheit von Forschung und Lehre, aber das wichtigste Stichwort der Universität Erfurt sei „Kommunikation“. Regelmäßige Kommunikation sollte „die Bodenlosigkeit des Spezialistischen“ überkommen, d. h. die Abschottung zu klein geschnittener Fachbereiche voneinander.68 Neben der Innovation in der Lehre, mit gestrafften Studiengängen und einem neuen Prüfungssystem, der Kommunikationswissenschaft mit eigens ausgewählten Studenten und der Einführung des Studium Fundamentale69 entwickelte Glotz noch zahlreiche weitere Initiativen, wie beispielsweise die European School of Governance (EUSG). Für Letztere knüpfte er internationale Kontakte u. a. zur École Nationale d’Administration (ENA) in Frankreich und besonders mit Ost-Mitteleuropa an. Internationalität war ihm allgemein besonders wichtig für die Universität Erfurt. Zeitweise dachte er an mindestens 30 % der Studenten aus dem Ausland (vgl. Kap. VIII.1.). Das Gelingen dieser ehrgeizigen Vorhaben hänge intern von der zukünftigen Arbeit des Gründungssenats ab, der den Kern der zukünftigen Universität bilden würde. „Es hängt [aber auch] von der kontinuierlichen Zuwendung der heute in diesem Saal repräsentativ vertretenen Thüringer Politik ab. […] Eine ambitiöse Neugründung kann nicht realisiert werden, wenn an diesen Beschlüssen Jahr für Jahr die in der jüngeren Vergangenheit schon selbstverständlich gewordenen [finanziellen] Abstriche gemacht“ werden.70
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An anderer Stelle sprach er von der „Versäulung“ der Spezialisten. Peter GLOTZ, Die Erfurter Idee, in: Hochschule Ost, 2/1997. Neue Formen in Organisation einer Universität und Studienablauf, u. a. das dortige Studium Fundamentale, hatten ihn bei einem Besuch der Privatuniversität WittenHerdecke beeindruckt. Peter GLOTZ, Jahre der Verdrossenheit, S. 129. Peter GLOTZ, Der Auftrag der Erfurter Universität. Rede anlässlich seiner Investitur als Rektor, 9.12.1996, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 79.
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Die Implementierung der Konzepte begann mit einer Reihe praktischer Aufgaben: der Ernennung der Prorektoren, der Bildung des Gründungssenats, der Erarbeitung der Grundordnung der Universität, der Ernennung von Gründungsprofessoren, der Einleitung der ersten zwanzig Berufungen sowie der möglichst schnellen Realisierung der Bauplanung für die Universitätsbibliothek. Bei den Prorektoren ergab sich die Berufung von Professor Wolfgang Schluchter (Universität Heidelberg) angesichts seiner bereits geleisteten Vorarbeiten beinahe von selbst. Zum zweiten Prorektor wählte er auf Anraten von Experten Professor Dieter Langewiesche (Universität Tübingen). Sie traten am 1.4.1997 ihr Amt an. Beide Prorektoren waren in ihren Fachgebieten hochangesehen. Beide waren durch Tätigkeit für bzw. Mitgliedschaft im Wissenschaftsrat ausgezeichnet in der Hochschullandschaft vernetzt. Beide kamen mit ihren eigenen Vorstellungen. Wolfgang Schluchter war von 1976-2006 Ordinarius für Soziologie an der Universität Heidelberg, hatte umfassende Forschungen zu Max Weber vorzuweisen. Er hatte als Gastprofessor an der Universität Leipzig unmittelbar nach der Wende direkte Erfahrungen im ostdeutschen Hochschulsystem gewonnen, wobei er die Angleichung der ostdeutschen an die westdeutschen Strukturen nicht unkritisch einschätzte.71 Wie Glotz sah Schluchter die Reformbedürftigkeit des westdeutschen Hochschulsystems. Auch das „wie“ sahen sie ähnlich: Man müsse bereit sein zu einer strukturellen Reform in West- und Ostdeutschland. Die Universitäten sollten zu einer „Zwei-Phasen-Struktur“ für die Lehre übergehen, wie sie in verschiedenen Gremien bereits angedacht und im Hochschulrahmengesetz vom August 1998 verankert wurde.72 Eine erste, berufsbezogene Phase, in der Berufsfähigkeit erreicht werden sollte, und eine zweite forschungsbezogene Phase mit zugangskontrolliertem Studium. Die „Universitäten […] müssen darauf dringen, dass sie […] in den Stand gesetzt werden, ein vollwertiges Graduiertenstudium aufzubauen.“73 Professor Schluchter spielte eine besonders wichtige Rolle im Gründungsprozess der Universität Erfurt. Auf ihn ging die Verwirklichung des MaxWeber-Kollegs zurück und dessen Erweiterung um ein Graduiertenkolleg. Neben seiner Rolle als Gründungsdekan des Max-Weber-Kollegs wurde er zugleich Gründungsbeauftragter und später Dekan der Staats- und Sozialwissen-
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Wolfgang SCHLUCHTER, Die Hochschulen in Ostdeutschland vor und nach der Einigung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B25/1995. § 19 des Hochschulrahmengesetzes sah die Einführung von BA/MA-Studienstrukturen an den deutschen Hochschulen vor, mit einem modularisierten Studiensystem und einem studienbegleitenden und auf Leistungspunkten basierendem Prüfungssystem. Am 19.6.1999 wurde mit der von 29 Staaten unterzeichneten Bologna-Erklärung das System in ganz Europa eingeführt. WISSENSCHAFTSRAT, 10 Thesen zur Hochschulpolitik, S. 22.
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schaftlichen Fakultät. Er war als Prorektor auch allgemein für Forschung und den wissenschaftlichen Nachwuchs zuständig. Professor Dieter Langewiesche war von 1993-1995 Mitglied des Wissenschaftsrates und von 1996-2000 Vorsitzender des Fachausschusses Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Seine Arbeitsschwerpunkte waren Bürgertum und Liberalismus, Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung, Nation und Nationalismus im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts. Auch Langewiesche sah die Krise der Geisteswissenschaften, und ihm oblag die Einführung neuer Konzepte in der Philosophischen Fakultät. Er war Prorektor für Lehre und für den Aufbau der Philosophischen Fakultät verantwortlich sowie für die spätere Eingliederung der PH-Professoren und die Schaffung der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität. Obwohl völlig unterschiedliche Persönlichkeiten, arbeiteten Rektor und Prorektoren gut als Team mit unterschiedlichen Aufgaben zusammen: Glotz wurde aufgrund seiner Medienkontakte zum Außenvertreter der Universität mit dem Ziel, Forschungsgelder und anerkannte Wissenschaftler einzuwerben sowie Erfurt als Reformuniversität im In- und Ausland bekannt zu machen.74 Doch trug er auch eigene wissenschaftliche Vorstellungen bei: Auf ihn gehen u. a. die später sehr erfolgreichen Studiengänge in der Kommunikationswissenschaft zurück. Ein geplantes Ludwig-Ehrhardt-Institut kam jedoch nicht zustande. Auch die postgraduale Erfurt School of Governance erwies sich als nicht realisierbar und führte zu Spannungen u. a. mit Prorektor Schluchter. Hob das „Gründungsteam“ in der Rückschau seine gute, häufig auf informellen Beratungen und Entschlüssen beruhende Zusammenarbeit hervor, so schien dies teilweise auf Kosten von demokratischen Entscheidungsfindungen zu gehen. Der Gründungssenat verlangte beispielsweise „mehr Informationen […] über die Meinungsbildungsprozesse innerhalb der Universitätsleitung: häufigere Sitzungen, auch nur zum Austausch von Zwischenbilanzen, frühere Einbeziehung des Senats auch bei der Erarbeitung von Konzeptionen“.75 Ende April 1997 konnte der Rektor seinem Beratergremium von der bisherigen Entwicklung der Universität berichten.76 In Phase 1 der Universitätsgründung sollte die Philosophische Fakultät etabliert werden, gefolgt von einer Wirtschaftswissenschaftlich-Juristischen Fakultät. Durch die Integration des
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„Glotz verkaufte etwas, das noch gar nicht existierte.“ Interview Schluchter. Wie erfolgreich er hier war, zeigte sich u. a. an der internationalen Besetzung mehrerer Workshops, die die Universität zur Erarbeitung bestimmter Sachgebiete einsetzte, wie auch der Einrichtung von Auslandsvertretungen und den Kontakten der von ihm besonders geförderten European School of Governance. Hanna-Renate Laurien, Professor Wilhelm Ernst und Professor Michael Zöller, „mithin die führenden Mitglieder“. GS 9/27.11.1998, Top 2. PrUE, Protokolle GS. Beratungsgremium des Rektors, 29.4.1997. PrUE, B1E 00.
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Philosophisch-Theologischen Studiums sollten eine Katholisch-Theologische Fakultät und durch die der PHE eine Erziehungswissenschaftliche Fakultät entstehen. Die Verzahnung der Bibliotheken der UE und der PHE habe begonnen. Eine weitere Aufgabe des Gründungssenats werde die Erarbeitung eines Konzepts sein, das die Vorschläge des Wissenschaftsrats zur Interdisziplinarität („Transdisziplinarität“) aufgriff. Nach diesen konzeptuellen Vorarbeiten könnten die Profile der auszuschreibenden Professuren festgelegt werden. Dazu habe es bereits Workshops für „Government“ und für „Sinnstrukturen“ gegeben. Weitere Workshops („Transformationsprozesse“, „Medien“) seien in Vorbereitung. Der Gründungssenat der Universität war als erstes Gremium am 23.5.1997 von Minister Schuchardt berufen worden, wobei Vogel und Glotz die zeitweise 23 Mitglieder77 vorschlugen. Unter ihnen waren einige Nicht-Akademiker bzw. auswärtige Mitglieder wie Hanna-Renate Laurien, die unter Ministerpräsident Vogel Kultusministerin von Rheinland-Pfalz gewesen war.78 Vielleicht nicht überraschend für die beteiligten Politiker kam es dabei zu „lustigen Spielchen“, u. a. um den politischen und religiösen Proporz innerhalb des Gremiums.79 Doch änderte sich die Zusammensetzung mit der wachsenden Zahl der neu ernannten Professoren. Permanent anwesend waren auch der Rektor der PH, Professor Hans-Wolfgang Schaller, und der Rektor des TheologischPhilosophischen Studiums, Professor Wilhelm Ernst. In der ersten Sitzung am 23.5.199780 berichtete der Rektor zunächst von den bisher unternommenen Tätigkeiten: Die Grundordnung der Universität sei in Arbeit, wobei der Landtagsausschuss für Wissenschaft, Forschung und Kultur verschiedene Varianten angeregt habe. Der Bau der Bibliothek auf dem Gelände der PH solle so beschleunigt werden, dass die ersten Studierenden ihr Studium im WS 1999/2000 beginnen könnten.81 Das Max-Weber-Kolleg solle noch 1997 seine Tätigkeit aufnehmen. Nächste Aufgabe des Gründungssenats sei es, ein Konzept zu erarbeiten, das den Vorschlägen des Wissenschaftsrats vom November 1995 Rechnung trage: Das Stichwort sei „Transdisziplinarität“. Nach diesen konzeptionellen Vorarbeiten könnten dann die Profile der auszuschreibenden Professuren fest-
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Vgl. die Namensliste in Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, ab S. 453. Oder Dr. Albrecht von Müller von der Think Tools GmbH. Kanzler Henkel-Ernst, 30.3.2007, in: Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 297. Protokoll GS 1/23.5.1997 für das Folgende. PrUE, Protokolle GS. Die Dringlichkeit des Baus wurde jedoch aus finanziellen Gründen zurückgestuft, d. h. der Bau verzögerte sich zunächst. Konstituierende Sitzung des Kuratoriums, 8.1.1998. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1.
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gelegt werden. Vorschläge für Berufungen sollten in „clustern“ erarbeitet werden.82 Es folgte eine ausführliche Diskussion, in der Professor Schluchter nochmals seine Vorstellung der geisteswissenschaftlichen Universität darlegte, die nun in Erfurt entstehen sollte. Sie könne „sich freimachen […] von Zwängen der Disziplinen und konventionellen Studiengänge“ und sei mit neuen Studienstrukturen als „eine auf deutsche Verhältnisse zugeschnittene Adaptation angloamerikanischer Grundsätze“ gedacht. „Zentral für die Konzeption der Studiengänge sei die Frage nach dem gemeinsamen Beitrag aller Disziplinen zur Vermittlung von Grundfertigkeiten.“ Gleichzeitig wies er auf den Schwerpunkt Religions-Kulturforschung hin, die eine Brückenfunktion zum PhilosophischTheologischen Studium und zum geplanten Martin-Luther-Lehrstuhl in Evangelischer Theologie haben sollte. Professor Langewiesche „bekräftigte die große Wichtigkeit […] der Verzahnung von Lehrstühlen, die doppelten oder vielfachen Definitionen, die Kombination von Kompetenz, die die Politik von Anfang an bestimmen“. Rektor Glotz betonte die Rolle des Max-Weber-Kollegs „als Instrument für die inneruniversitäre Vernetzung“. Schluchter verwies auf die Neugliederung des Studiums in BA/MA-Strukturen auf der Grundlage von intensiver Betreuung und dem konsekutiven Erlangen von „Credit Points“.83 Die Liste dieser Konzepte und Ziele beschreibt beinahe prophetisch die zukünftigen Probleme der Universität. Hinzu kam die Erwähnung möglicher finanzieller Engpässe durch den Kanzler. Ein Dämpfer auf die Euphorie war auch die Erinnerung eines Senators, der von Anfang an bei der Universitätsgründung in Erfurt mitgewirkt hatte: Man solle die politische Situation nicht vergessen, in der sich die Neugründung befinde. „Die Universität Erfurt sei nicht von allen geliebt. Er erwähnt hier besonders die durch die Schließung der Medizinischen Akademie hervorgerufenen Aversionen. Umso wichtiger sei es, überzeugend seinem Auftrag gerecht zu werden.“84 In den nächsten Jahren war der Gründungssenat verantwortlich für alle die Universität betreffenden Angelegenheiten, von der Personalpolitik bis zu den wissenschaftlichen und den Studienstrukturen. In dieser Frühphase gingen seine Mitglieder von der Gesamtperspektive der Gründer aus. Im Rückblick betonten die Beteiligten den großen Vorteil, den dieser Arbeitsansatz für den Gründungssenat gebracht habe: Er konnte unbürokratisch und konstruktiv arbeiten.
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Diese Vorstellungen veröffentlichte er auch in: Peter GLOTZ, Die Erfurter Idee, in: Hochschule Ost, 2/1997. Konstituierende Sitzung des Kuratoriums, 8.1.1998, S. 3. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. Professor (em.) Dr. Wilhelm Ernst, vormals Leiter des Philosophisch-Theologischen Studiums Erfurt, dann Theologische Fakultät der Universität. GS 1/23.5.1997. PrUE, Protokolle GS.
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Die Arbeitsabläufe besonders bei den ersten Berufungen gingen schnell vor sich. Im späteren, gewählten Senat vertraten seine Mitglieder dagegen eher die Partikularinteressen ihrer Bereiche.85 Eine der ersten Aufgaben des Gründungssenats war die Wahl eines Kuratoriums auf der Grundlage des Thüringer Hochschulgesetzes vom 7.7.1992, dessen Vorteile auch vom Wissenschaftsrat 1995 betont wurden: „Der Stärkung der Hochschulautonomie komplementär ist die Einrichtung eines unabhängigen Kuratoriums mit Richtungs- und Kontrollkompetenzen.“86 Obwohl aus der Sicht von Glotz das Kuratorium erst in einigen Jahren aktiv werden konnte, wählte er schon in dieser Anfangsphase zunächst zehn „in der Region ausschlaggebende Personen und überregional in der Wissenschaft und Wirtschaft an herausragender Position Tätige“ aus.87 Erster Vorsitzender wurde Professor Wolfgang Frühwald, der gerade den Vorsitz der Deutschen Forschungsgemeinschaft abgegeben hatte – eine für das wissenschaftliche Renommee der entstehenden Universität besonders wichtige Wahl. Mit dem Kuratorium, das am 8.1.1998 erstmals zusammentrat, konnte die Universität gleichzeitig ihren Ruf als „Reformuniversität“ unterstreichen, denn es war das erste Gremium dieser Art in Deutschland.88 Neben der Bestellung des Gründungssenats hatte Glotz in seiner Antrittsrede als weitere anstehende Aufgabe die Erarbeitung einer Grundordnung der Universität genannt. Diese war mehr oder weniger durch die erwähnte „Experimentierklausel“ des Thüringer Hochschulgesetzes vorgegeben, die den Universitätsplanern gewisse Ausnahmen von den sonst geltenden Regeln einräumte.89 Es überrascht nicht, dass diese Klausel auf den Gründungsbeauftragten Wolff zurückging. „Ich musste mich dann nicht an die Bestimmungen des [bisher geltenden] Hochschulgesetzes halten, die mir nicht gepasst haben. Das war sehr hilfreich.“90 Auch der Wissenschaftsrat ging in seiner Stellungnahme vom November 1995 eigens auf die Klausel ein, in dem er das von der Landesregierung für die Universität angestrebte Profil mit einer neuen Universitätsorganisation zur Erprobung neuer Strukturen eigens hervorhob. Nur auf der Grundlage eines entscheidungsfähigen Hochschulmanagements könne die angestrebte
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Nach vier Jahren, am 12.6.2001, löste sich der Gründungssenat ordnungsgemäß auf und wurde durch den gewählten Senat ersetzt. WISSENSCHAFTSRAT, Stellungnahme zur Aufnahme der Universität Erfurt in das Hochschulverzeichnis des Hochschulbauförderungsgesetzes, S. 50. GS 23.6.1997, Top 6. PrUE, Protokolle GS. Die Mitgliedschaft fluktuierte mit den Jahren. Vgl. Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 300. Das Thüringer Hochschulgesetz vom Januar 2007 ersetzte das Kuratorium durch einen Hochschulrat. Für Einzelheiten vgl. Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 321 f. Interview Wolff, in: ebd., S. 322.
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Innovationsfähigkeit gelingen. Dies bedeutete erweiterte Kompetenzen der Hochschulleitung, der Dekane und des Kanzlers. Doch blieb die „Experimentierklausel“ umstritten. Eine endgültige Grundordnung kam erst durch den Beschluss des gewählten Senats am 16.1.2001 zustande und trat nach der Überarbeitung und Genehmigung durch das Ministerium am 4.7.2001 in Kraft. In vieler Hinsicht wurden die angestrebten erweiterten Kompetenzen der Hochschulleitung jedoch nicht realisiert. Auffallend war dies zunächst in der Stellung des Kanzlers. In den Jahren 1993-1998 hatte die Universität Erfurt einen vom Ministerium abgestellten Verwaltungsleiter; erst seit dem 1.1.1999 leitete Martin Henkel-Ernst als hauptamtlicher Kanzler die Verwaltung. Er kam aus dem Wissenschaftsministerium und war die persönliche Wahl von Gründungsrektor Glotz. Doch wurde seine Rolle problematischer, als er auch das Amt des Kanzlers der PHE übernahm und somit Kanzler von zwei Hochschulen gleichzeitig war, eine in der Bundesrepublik einmalige Konstellation.91 Für die Universitätsgründer wurde seine – aus ihrer Sicht – zunehmende Parteinahme für die PH ein Problem.92 Der Kanzler wurde erst im Sommersemester 2001 ordnungsgemäß vom Senat auf sechs Jahre gewählt. Er war in Erfurt jedoch nicht unabhängig in seiner Arbeit, sondern dem Rektor/Präsidenten unterstellt. Weit wichtiger für die fehlende Hochschulautonomie wurden die anhaltenden finanziellen Engpässe. Mit der Bestellung des Kuratoriums und der Ernennung des Kanzlers war der strukturelle Aufbau der Universität Erfurt abgeschlossen. Nun galt es, die dargestellten Pläne und Konzepte in Realitäten umzusetzen.
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Philosophische und Staatswissenschaftliche Fakultät
„Entsprechend den Empfehlungen des Wissenschaftsrats […] wird die Philosophische Fakultät kultur- und sozialwissenschaftliche Fächer umfassen, deren Aufgabe es ist, innerhalb der Fakultät und gemeinsam mit dem Max-WeberKolleg sowie den anderen Fakultäten Formen transdisziplinärer Zusammenarbeit in Studium, Lehre und Forschung zu entwickeln und […] zu institutionali-
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„Er war der Wunschkandidat von Gründungsrektor Glotz, hatte aber bei dessen oft sprunghaften Entscheidungen, die oft finanzielle Aspekte ignorierten, keinen leichten Stand“. Interview Schluchter, in: ebd., S. 318. Man fand ihn vielfach als eine „schwierige“ Person. So stellte Professor Schluchter im Falle seiner Übernahme des Rektoramtes nach dem abrupten Weggang von Peter Glotz beim Ministerium als erste von zwei Bedingungen: die Rückkehr des Kanzlers ins Ministerium. Die zweite waren Verhandlungen der Thüringer Landesregierung mit der in Baden-Württemberg zur Freistellung von seinen Verpflichtungen an seiner Heimatuniversität Heidelberg. Interview Schluchter.
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sieren.“93 Der Fakultät sollte demnach eine federführende Rolle im Aufbauprozess der Universität zukommen. Um die Grenzen zwischen den etablierten Fächern durchlässig zu machen, führte das Gründungstrio zunächst strukturelle Neuerungen ein: Die Fakultät sollte fakultätsübergreifende und nach Lehr- und Forschungsschwerpunkten, gegebenenfalls auf Zeit eingerichtete Institute enthalten, die „quer“ zu den Fakultäten lagen und Interdisziplinarität erleichtern würden.94 „Eine zentrale Aufgabe beider Organisationsarten – fakultäts- und fächerübergreifende sowie fakultätsinterne und disziplinäre – ist es, in der Aufbauphase die in der Grundordnung vorgeschriebene Neugliederung von Studium und Lehre zu verwirklichen.“ Konkret bedeutete dies, dass die Lehrstühle abgeschafft wurden. „Es gab nur noch Fakultäten und Professuren. […]. Wir versuchten, Departments zu schaffen, also zentrale Versorgung von fachverwandten Professuren mit Sekretariatskapazitäten etc.“ Ziel war „die Abkehr von eingeschliffenen Denominationen“.95 Diese Ziele konnten nur mit Hochschullehrern der Eckprofessuren gelingen, „die gewillt sind, diese Pläne mit Leben zu erfüllen“. Gleichzeitig sollten diese auch im Max-Weber-Kolleg mitarbeiten, das entsprechende Forschungsfelder in den Bereichen ‚Religion und Wissenschaft als Kulturmächte‘ sowie ‚Wechselwirkungen von Institutionen und Kulturen in Transformationsprozessen‘ entwickeln würde. In der Aufbauphase sollten diese Felder den thematischen und methodologischen Kern bilden, um die sich Forschungsprojekte, aber auch Graduiertenprogramme gruppieren konnten. „Nach Beginn der grundständigen Studiengänge sollte geprüft werden, ob in sie Projektphasen integriert werden können, die sich an beiden Forschungsfeldern orientieren.“ Dies würde es erleichtern, „die erwünschten Querverbindungen zwischen den Fakultäten sowie dem Max-Weber-Kolleg zu erreichen“.96 Es folgte eine Zusammenfassung „der in der Aufbauphase zu besetzenden Eckprofessuren (18 C4-Stellen)“. Von Anfang an mussten hierbei die Professuren der PH berücksichtigt werden. Zunächst wurden daher nur 13 Professuren ausgeschrieben. Der Rest sollte folgen, „sobald das Verfahren zur Umsetzung bzw. der Umbenennung von freien Professuren an der PH abgeschlossen“ sein würde. Dabei sollten die Eckprofessoren so ausgewählt werden, dass sie auch „die Integration der aus der PHE aufzunehmenden
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Philosophische Fakultät. Fächerprofil und Eckprofessuren in der Aufbauphase. Anlage zu Top 3. GS 2/16.7.1997. PrUE, Protokolle GS. Konstituierende Sitzung des Kuratoriums, 8.1.1998, Top 3. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. Tobias JUST, Interview Schluchter, S. 19. Philosophische Fakultät. Fächerprofil und Eckprofessuren in der Aufbauphase. Anlage zu Top 3. GS 2/16.7.1997. PrUE, Protokolle GS.
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Professuren durch frühzeitige fachliche und individuelle Kooperation vorbereiten. Dies ist unabdingbar.“97 Die folgenden Professuren wurden zunächst ausgeschrieben: – Vergleichende Literatur- und Vergleichende Sprachwissenschaft. Von 14 der vorgesehenen Stellen in der Literatur- und Sprachwissenschaft waren bereits acht an der PH besetzt, wobei die dortigen Philologien disziplinär aufgebaut waren. Daher sollte sich die Universität darauf konzentrieren, mit drei C4Professuren „die Kompetenz der Komparatistik zu stärken“. Zu ihren vorrangigen Aufgaben gehörte es, eine langfristige Konzeption für die Philologien zu entwickeln. Eine Professur für vergleichende Literaturwissenschaft sollte den für Glotz besonders wichtigen Schwerpunkt „Medientheorien, Mediengeschichte und Kulturtheorie“ haben, um bei den Studiengängen im Bereich „Medien“ mitwirken zu können. Die Slawistik sollte gemeinsam mit der Osteuropäischen Geschichte konzipiert werden. Schwerpunkt sollte wiederum ein von Glotz besonders geförderter Bereich sein: die Bohemistik. Da die PH in der Slawistik besonders stark aufgestellt war, sollten die Stellen erst ausgeschrieben werden, wenn über die dortigen Slawistik-Professuren entschieden worden war. – Bei der Geschichtswissenschaft war der Prorektor und Historiker Langewiesche in seinen Vorstellungen für die Gestaltung der Fakultät besonders eingeschränkt. Denn in der PH hatte die Geschichtswissenschaft die für die Lehrerbildung klassische Vierteilung der westdeutschen Universitäten in alte, mittelalterliche, frühneuzeitliche und neuzeitliche deutsche und europäische Geschichte. Langewiesche plante für die Universität dagegen einen welthistorischen Ansatz. Die Professuren an der Universität sollten „die kulturwissenschaftliche, die europäisch-komparatistische und die au[ß]ereuropäische Kompetenz stärken bzw. aufbauen“. Dies würde dem Erfurter Fach ein „eigenständiges Profil innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft“ geben.98 Gleichzeitig konnte man sich an den Schwerpunkten Religionswissenschaft und Transformation beteiligen sowie an Philosophie und Europäischer Ethnologie/Kulturtheorie. „Mit der frühen Besetzung einer Professur für Ostasiatische Geschichte wird diese spezifische Profilierung unterstrichen.“99
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Ebd., S. 2 für Einzelheiten. Nach dem Eintreten der PH in die Universität einigte man sich auf die Beibehaltung der traditionellen Periodisierung bei Hinzufügen der Geschichte anderer Weltregionen, wobei der Europäischen Geschichte in erster Linie die Aufgabe der Lehrerausbildung zufiel. Langewiesche hatte mit Jürgen Osterhammel (Konstanz) einen Wunschkandidaten, von dem er sich die Umsetzung seines Programms erhoffte. Osterhammel lehnte den Ruf jedoch ab.
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– Philosophie und Europäische Ethnologie/Kulturtheorie. Beiden Professuren kam eine zentrale Position bei der kulturwissenschaftlichen Fundierung der Fakultät zu, sie sollten daher breit definiert in der ersten Berufungsphase ausgeschrieben werden. – Kunstgeschichte, Kunsttheorie. Die frühe Ausschreibung dieser Professuren unterstrich nochmals die kulturwissenschaftliche Ausrichtung der Fakultät und war auch besonders für die Zusammenarbeit mit den Erziehungswissenschaften der PH geeignet. – Der Martin-Luther-Lehrstuhl für Evangelische Theologie und die Kulturgeschichte des Christentums,100 Vergleichende Religionswissenschaft bzw. -soziologie, Religionswissenschaft – Judaistik, Orthodoxie, Islam. Diese fünf Professuren hatten die Aufgabe, den Aufbau des religionswissenschaftlichen Schwerpunktes, der „ein Markenzeichen der Universität sein wird“, zu betreiben. Sie würden eng mit dem Philosophisch-Theologischen Studium zusammenarbeiten, um dessen Integration als Fakultät der Universität durch fachliche Kooperation vorzubereiten. – Letztlich war in Planung ein kulturwissenschaftlich orientierter Forschungsschwerpunkt „Medien im Prozess gesellschaftlicher Kommunikation“, zu dem Fächer aus der Philosophischen Fakultät (u. a. Vergleichende Literaturwissenschaft, Kunstgeschichte und -theorie), der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät (neue Lernkulturen) und der Staatswissenschaftlichen Fakultät (Mediation/Rhetorik) beitragen sollten. Daneben sollte es auch einen „grundständigen kommunikations- und medienwissenschaftlichen Studiengang [mit] Aufbaustudiengängen für Medienpädagogik, Unterhaltungspublizistik etc.“. geben. Die geplante Wirtschaftspublizistik stand allerdings noch „unter dem Vorbehalt einer durch Sponsoring zu gewinnenden Professur“.101 Enthielten die Pläne für die Philosophische Fakultät viel Neues, so war man in der zweiten großen Fakultät der Meinung, dass „der wirkliche Reformimpetus die Staatswissenschaftliche Fakultät und das Max-Weber-Kolleg [seien]. Das waren […] die Neuerfindungen.“102 Ursprünglich war diese zweite Fakultät so nicht geplant; man dachte stattdessen an kulturwissenschaftlich erweiterte Sozialwissenschaften mit Jura, Wirtschafts- und Politikwissenschaften.103 Auch der Wissenschaftsrat stellte im Februar 1994 vor Errichtung einer Rechts- und
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Gerade dieser Lehrstuhl wurde jedoch erst nach einigen Kontroversen eingeführt. Vgl. Kap. VII.4. Anlage zu Top 3: Philosophische Fakultät. Fächerprofil und Eckprofessuren in der Aufbauphase, S. 4. GS 2/16.7.1997. PrUE, Protokolle GS. Interview Schluchter, in: Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 205. Ebd.
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Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät nochmals die Frage nach der traditionellen Juristenausbildung. In seiner Stellungnahme vom November 1994 schlug er vor, dass „der Aufbau einer Juristischen Fakultät sich gerade nicht an der Nachfrage nach einer konventionellen Ausbildung orientieren sollte“.104 Gemeinsam mit dem der Philosophischen wurde in der zweiten Sitzung des Gründungssenats auch das „Das Strukturkonzept für die zweite Fakultät“105 vorgestellt. Mit der Namensgebung „Fakultät für Sozial- und Staatswissenschaften“ sollte sich der inter- und transdisziplinäre Charakter der zweiten Fakultät ausdrücken.106 Die Staatswissenschaft hatte in Deutschland eine lange Tradition, die aber im 19. Jahrhundert eine nationale Verengung auf Staatshandeln bzw. Nationalstaatshandeln erfahren hatte. Schon Max Weber war jedoch darüber hinausgegangen mit der Verknüpfung der Staatswissenschaft mit Ökonomie. Auch die moderne Beschränkung auf „Staat“ und „Markt“ sei zu ergänzen und die Entnationalisierung vieler politischer, wirtschaftlicher und sozialer Strukturen sollte berücksichtigt werden. Es folgte eine Auflistung einiger übergreifender Probleme, „die schon lange diskutiert werden und in absehbarer Zeit nicht von der Agenda der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften verschwinden dürften“. Dabei handele es sich um „grundlegende theoretische, methodische, inhaltliche und normative Probleme“: Die theoretischen Probleme bezogen sich auf das Verhältnis der Theorie rationaler Wahlen zu anderen Handlungstheorien; das Verhältnis von Handlung und Ordnung, von Mikro- und Makroebene; von der Theorie der Koordination von Handlungen und Ordnungen mittels Anreizen und Sanktionen sowie das Verhältnis von kapitalistischer Marktwirtschaft und demokratischem Rechtsstaat. Die methodischen Probleme waren verbunden mit der Analyse verschiedener Datenarten; die inhaltlichen bezogen sich einerseits auf die Transformationen von Plan- in Marktwirtschaften und die damit zusammenhängenden Veränderungen in Ost- und Südosteuropa und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion und andererseits auf die Transformationen der westeuropäischen Nationalstaaten durch die Weiterentwicklung der EU sowie „die Transformation von Industrie- in Dienstleistungs- und Informations- bzw. Wissensgesellschaf-
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WISSENSCHAFTSRAT, Stellungnahme zur Aufnahme der Universität Erfurt in das Hochschulverzeichnis des Hochschulbauförderungsgesetzes, 1995, S. 60 f. GS 2/16.7.1997, Top 3. PrUE, Protokolle GS. Ebd. Über die Bezeichnung „Staatswissenschaften“ gab es eine lebhafte Debatte. Glotz und Schluchter hatten sie gewollt. Vgl. Wolfgang DRECHSLER, Die Staatswissenschaften an der Universität Erfurt, in: Helge PEUKERT (Hg.), Taking Up the Challenge!, S. 363 f. Demnach ging die Gründung auf die Empfehlung des Wissenschaftsrats von 1992 zurück. Andere fanden den Namen unsinnig. Schluchter sei zu stark auf Jura fokussiert gewesen. Interview Ettrich.
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ten und die damit verbundenen Veränderungen von Steuerungskapazität, internationalen Beziehungen etc.“ Die normativen Probleme wurden wie folgt definiert: „Das Verhältnis von Handlungs- und Regelutilitarismus zu transzendentalphilosophisch oder transzendentalpragmatisch begründeten Ethiktheorien unter dem Gesichtspunkt einer Re-ethisierung von Wirtschaft und Recht.“107 Der Struktur der Fakultät entsprechend wurden zunächst 15 Professuren ausgeschrieben,108 wobei zusätzlich Gastprofessuren in Komplexitätsmanagement und Medien/Rhetorik hinzugezogen werden sollten, „um den Studierenden neben fachlicher Kompetenz auch Kompetenzen in der Erfassung und Bewältigung komplexer Probleme zu vermitteln“. „Entscheidend ist, dass bei allen Professuren methodisch der Vergleich und thematisch die doppelte europäische Transformationsproblematik im Vordergrund steht“, und dass sich die Professuren „so gegeneinander öffnen, dass statt der bloßen Addition von Spezialwissen ein übergreifendes Wissen entsteht“.109 Die praktische Umsetzung, d. h. die Gründung der Fakultät, verzögerte sich, u. a. durch die Beschäftigung von Glotz mit der European School of Governance (siehe „Exkurs“); aber auch der Wissenschaftsrat monierte die „in einigen Fällen konventionelle Ausrichtung der Professuren“.110 Ende März 1998 fand daher ein „hervorragend besetzter“ Workshop statt, bei dem vor allem Juristen und Ökonomen Expertisen abgaben und u. a. empfahlen, den Begriff „Staatswissenschaftliche Fakultät“ in Anlehnung an die Grundordnung wieder aufzunehmen und den europäischen Bezug für alle Professuren hervorzuheben.111 Das Ergebnis war eine Fakultät „aus der Verbindung von Jurisprudenz, Wirtschafts-, Politik- und Sozialwissenschaft[,] und zwar so, dass integrierte Studiengänge entstanden. Keine volle Juristenausbildung, die Ökonomie geöffnet für andere Disziplinen und Politik- und Sozialwissenschaften zusammengeführt.“112 Diese neuartige Ausbildung brachte besonders für die Juristen Schwierigkeiten, für die ein normaler juristischer Abschluss die Einstiegsbedingung bei Stellen im Öffentlichen Dienst bedeutete. Denn das Erfurter Konzept schien Juristen „am Markt vorbei“ auszubilden.
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GS 2/16.7.1997, Top 3. PrUE, Protokolle GS. Professuren für Staats- und Völkerrecht; Verwaltungsrecht; Wirtschaftsrecht; Zivil- und Verfahrenslehre; Mikroökonomie und Geldpolitik: Finanzwissenschaft/Public Economics; Wirtschaftspolitik; Organisationslehre; Wirtschafts- und Sozialstatistik; Bevölkerungswissenschaft; Rechts- und Sozialphilosophie; Sozialstrukturlehre; Regierungslehre; Internationale Beziehungen. Die drei letzten waren PH-Lehrstühle, von denen der für Regierungslehre nicht besetzt war. GS 2/16.7.1997, Top 3. PrUE, Protokolle GS. Konstituierende Sitzung des Kuratoriums, 8.1.1998, S. 4, 6. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. GS 6/22.4.1998. PrUE, Protokolle GS. Ebd. Tobias JUST, Interview Schluchter, S. 7.
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Exkurs: Die European School of Governance (EUSG)113 Bereits im April 1997 wurde in der Leitungsgruppe und besonders von Glotz eine European School of Governance angedacht, um „stets drohender Konventionalisierung in den Wirtschaftswissenschaftlichen und Juristischen Fakultäten entgegenzuwirken“.114 In Erfurt sollte die European School of Governance als Graduate School mit einer Fakultät verbunden sein, „mit der Aufgabe, politische Funktionseliten Europas schon in der Ausbildung mit einander in Kontakt zu bringen“. Die entsprechende Rechtsform sollte eine gemeinnützige GmbH sein, d. h. ein eingetragener Verein. Nach einer Anschubfinanzierung durch das Land sollten die nötigen Gelder von Sponsoren gewonnen werden. Grundidee, Themenschwerpunkte und Arbeitsweise hatte Glotz von der amerikanischen Harvard University übernommen, deren Methodik der „Case Studies“ – die Analyse von Fällen aus der Praxis – in Erfurt in der EUSG angewendet werden sollten.115 In der Folgezeit verlief die Entwicklung der geplanten EUSG zweigleisig. Einerseits entwickelte Glotz die für ihn typische fulminante Betriebsamkeit, um die noch nicht bestehende EUSG international zu vernetzen. Im November 1998 berichtete der Rektor dem Gründungssenat beispielsweise: „Frau von Trützschler engagiert sich in Tschechien und Polen. Ein von ihr vorbereiteter Kooperationsvertrag mit der Westböhmischen Universität in Pilsen wird voraussichtlich bei der nächsten Sitzung des Senats zum Beschluss vorgelegt werden können.“116 Andererseits durchlief der Plan für die EUSG die internen Instanzen der Hochschule. Im Januar 1999 informierte der Rektor das Kuratorium, dass zur Etablierung der European School of Governance als gemeinnütziger GmbH im Februar mit Consulting-Instituten und -Firmen117 ein Vertrag geschlossen worden war. „Die Universität bemüht sich derzeit um die Unterstützung durch das BMBF [Bundesministerium für Bildung und Forschung] und das Auswärtige Amt. Nach Abschluss wird die Universität den Antrag auf Errichtung eines AnInstitutes stellen.“ Das Land solle die Möglichkeit einer Anschubfinanzierung prüfen.118 Im Juni konnte Glotz im Gründungssenat feststellen: „Der Gesellschaftsvertrag der EUSG ist rechtskräftig. Ein Antrag beim BMBF wird
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Vgl. die ausführliche Diskussion in: GS 3/10.10.1997. PrUE, Protokolle GS. Schluchter im Beratungsgremium des Rektors, 29.4.1997. PrUE, B1 E 00. FAZ, 23.6.1997. GS 9/21.11.1998, Top 2. PrUE, Protokolle GS. Consulting-Institut Empirica (Bonn), Think Tools (Pöcking), Knowledge Tools (Frankfurt/Oder). Ebenso wurden Kontakte zur École Nationale d’Administration (ENA) und zur Wirtschaftsuniversität Prag geknüpft. Kur 2/14.1.1999, Top 2: Bericht des Rektors. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1.
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vorbereitet.“119 Alles in allem sei die EUSG „auf gutem Wege, wenn auch noch nicht konsolidiert. Die Bezahlung des Leiters, der die Konzepte und Fördermöglichkeiten für postgraduale Studiengänge im Bereich der Staatswissenschaften bearbeitet, […] müsse durch das Kabinett genehmigt werden.“120 Wähnte Glotz die European School of Governance auf gutem Wege, gab es von anderer Seite Bedenken. Schon in der ersten, konstituierenden Sitzung des Kuratoriums im Januar 1998 hatte Ministerpräsident Vogel sich skeptisch gezeigt, ob aus der EUSG „wirklich Regierungshandelnde hervorgehen werden“.121 Die EUSG wurde Teil der Konflikte in der Universität um die praktische Umsetzung der Konzepte und betraf zunächst das Verhältnis der EUSG zur Staatswissenschaftlichen Fakultät. Hier hatte Glotz – im Universitätsbetrieb unerfahren – die Struktur der Harvard Graduate School verkannt, die sich erfahrener Professoren von bereits bestehenden entsprechenden Fakultäten bedient. Diese Fakultäten waren in Erfurt jedoch erst im Entstehen. Prorektor Schluchter mahnte daher eine bessere Abstimmung mit der Staatswissenschaftlichen Fakultät an: Es sei offensichtlich beabsichtigt, einen Aufbaustudiengang mit Abschluss Master of European Law zu entwickeln, was jedoch nur für Volljuristen sinnvoll erscheine. „In der Fakultät seien zudem bereits zwei Lehrstühle in European Law vorhanden.“122 Darüber hinaus wurden der Rechtsstatus der EUSG (An- oder In-Institut?), die Basis der Mitarbeit der beteiligten Professoren (Tätigkeit als „Nebentätigkeit“ oder „Nebenamt“?),123 die Finanzierung (Anschubfinanzierung durch das Land oder alleinige Eigenfinanzierung durch Drittmittel?) kontrovers diskutiert.124 Vor allem blieb die European School of Governance inhaltlich vage. Dies erwies sich auch als Hindernis bei der Einwerbung von Stiftungsprofessuren, wie es in einem Schreiben von Bertold Beitz, dem Vorsitzenden des Kuratoriums der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung an Peter Glotz zum Ausdruck kam.125 Grundsätzlich habe sich das Kuratorium „dafür ausgesprochen, eine Stiftungsprofessur an der Universität Erfurt einzurichten“. Auch die Grundidee einer „European School of Government“ (sic) wurde begrüßt. „Es wurde jedoch auch auf die Gefahr hingewiesen, dass der Versuch, eine interdisziplinär angelegte Einrichtung zu gründen, in Angriff genommen wird, bevor
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GS 13/6.6.1999, Top 2: Bericht des Rektors. PrUE, Protokolle GS. Ebd. Kur 1/8.1.1998, Top 7. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. Ebd. GS 3/10.10.1997, Top 6. PrUE, Protokolle GS. Kur 1/8.1.1998, Top 6. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. Bertold Beitz an Peter Glotz, 22.6.1998. PrUE, Ordner Gründungssenat/Berufungen. Doch habe sich das Kuratoriumsmitglied Ministerpräsident a. D. Johannes Rau erboten, das weitere Vorgehen mit Glotz zu besprechen.
DIE UNIVERSITÄT ENTSTEHT
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die Kernfächer der Sozial- und Staatswissenschaftlichen Fakultät hochrangig besetzt sind.“ Auch „die wenig konkrete Beschreibung der inhaltlichen Ausrichtung der [geplanten] Professur für ‚Mediation‘“ fand man bedenklich. Das Projekt wurde jedoch weiterbetrieben. Noch im April 2000 konnte der Direktor der EUSG, Thomas R. Henschel, dem Gründungssenat berichten, dass die EUSG GmbH mit privaten Finanzierungszusagen gegründet worden sei; ein Kooperationsvertrag mit der Universität Erfurt könne geschlossen werden.126 Nach dem Weggang von Peter Glotz und der Amtsübernahme von Wolfgang Bergsdorf am 17.4.2000 gewannen die Skeptiker in der Universität schnell die Oberhand. In einem Schreiben an den Präsidenten bezeichnete das Kuratoriumsmitglied Professor Zöllner eine School of Governance als „modisches Gerede“. Eine „School of Government“ bei enger Verknüpfung mit der Staatswissenschaftlichen Fakultät und „Comparative Government Studies“ seien vorzuziehen.127 Auch für Professor Schluchter war „Governance“ zu „wolkig“.128 In der nächsten Sitzung des Gründungssenats legte der inzwischen mit der Entwicklung der European School of Governance beauftragte Professor für Vergleichende Regierungslehre, Dietmar Herz,129 ein zehnseitiges „Master of Public Policy Programm“ an der EUSG vor, mit den Grundlinien eines Studienkonzeptes. Zu dieser Zeit war die EUSG noch als An-Institut geplant. Aber bereits im Oktober berichtete der Präsident dem Kuratorium, dass Professor Herz nunmehr „als Verantwortlicher der Staatswissenschaftlichen Fakultät“ die Einführung eines „Masters of Public Policy“ für das Wintersemester 2002/03 vorbereite. Ein Förderantrag auf Mittel aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung sei bereits in der engeren Vergabeauswahl.130 Mit anderen Worten: Inzwischen plante die Fakultät, und die EUSG wurde namentlich nicht mehr erwähnt. Auf Anfrage berichtete Herz, dass „ein Kooperationsabkommen mit der EUSG nicht erforderlich“ sei, „da die EUSG keine tätige Organisation sei“. Auch Professor Schluchter meinte,
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130
GS 18/17.4.2000. PrUE, Protokolle GS. Ebd. Ebd. Dietmar Herz hatte eine steile Karriere hinter sich: 2000 von einer C3-Professur für Politikwissenschaft der Universität Bonn auf den C4-Lehrstuhl in Erfurt auf ungewöhnliche Weise berufen – von einer hochkarätigen Berufungskommission auf Platz 2 der Liste gesetzt, hatte ihn der Minister dennoch berufen –, galt er von da an als „Mann des Ministeriums“. Herz war nicht nur Politologe; er hatte an der Harvard University den Master of Public Administration erworben, und zugleich an der Harvard School of Law unterrichtet und in München sein zweites juristisches Staatsexamen abgelegt. Er wurde 2009 Staatssekretär im Thüringischen Justizministerium. Kur 4/25.10.2000. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5.
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„dass damit keine Voraussetzung zur Kooperation gegeben sei“. Der Kanzler ergänzte, dass die EUSG nur dann ein An-Institut sei, wenn sie gewisse Aufgaben besser als die Universität erfüllen könne.131 Damit war die von Glotz konzipierte European School of Governance endgültig vom Tisch. Dies bedeutete aber auch, dass sich „die Universität Schritt für Schritt aus gemachten Zusagen zurückziehe trotz positiver internationaler Reaktionen u. a. in den USA“.132 Der Frust der an der nunmehr vergeblichen Anknüpfung der internationalen Beziehungen Beteiligten ist noch heute zu erkennen.133 Die European School of Governance war eine der von Gründungsrektor Glotz betriebenen Initiativen, die nicht in die von Prorektor Schluchter und anderen Gründungsvätern entwickelten Konzepte passte. Für sie war sie eine Ablenkung von der eigentlichen Aufgabe, die zweite Fakultät zu gründen und zu entwickeln. Erst dann könne man an Postgraduale Programme denken. In der Folgezeit wurde die Erfurt School of Public Policy aus Marketinggründen in „Willy Brandt School of Public Policy“ umbenannt. Sie wurde zu einer der erfolgreichsten Einrichtungen der Universität.134
2.
Die Neuerungen
DIE NEUERUNGEN Da die Gründung der Universität in einem spannungsreichen Verhältnis zu den anderen Hochschulen des Landes erfolgte, war es besonders wichtig, an der als „Reformuniversität“ geplanten Einrichtung überzeugende Neuerungen einzuführen. „Nur mit einem Reformkonzept, das bundesweite Bedeutung hatte, konnte die Hochschule bestehen.“135 Gleichzeitig ergab sich die Möglichkeit, mit der geisteswissenschaftlich ausgerichteten Universität der Krise in diesem Bereich entgegenzuwirken, die sich seit den 1970er Jahren durch das Wegbrechen des traditionellen Arbeitsmarktes – die Ausbildung für den Staatsdienst – entwickelt hatte.136
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GS 23/13.3.2001. PrUE, Protokolle GS. GS 18/17.4.2000, Top 8. Ebd. Zum Beispiel bei Frau Eugenie von Trützschler. Interview. Vgl. Kap. VIII.1. Tobias JUST, Interview Schluchter, S. 5. Dieter LANGEWIESCHE, Universitätsstudium im Wandel. Vortrag am 13.9.1999 zur ersten Immatrikulationsfeier der Universität Erfurt, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden, 2000, S. 18.
DIE NEUERUNGEN
127
Bereits der Aufbau der Philosophischen und Staatswissenschaftlichen Fakultäten hatte die Reformpläne der Gründer gezeigt. Nun ging es darum, diese in die Praxis umzusetzen und institutionell zu verankern. Dies soll exemplarisch an drei Beispielen untersucht werden: der Neuordnung des Studiensystems mit studienbegleitenden Prüfungen und deren Bewertung mit „Credit Points“, der Gründung des Max-Weber-Kollegs, das ein Advanced Research Institute mit einem Graduiertenkolleg kombinierte, und der Einführung der Kommunikationswissenschaft, die maßgeblich auf Gründungsrektor Glotz zurückging.
2.1
Neue Studienorganisationen: BA/MA-Struktur, „Credit Points“ und Studium Fundamentale
Die Empfehlungen des Strukturausschusses hatten u. a. die Schwächen der Lehre in den traditionellen Universitäten hervorgehoben mit ihren überdehnten Studiendauern und hohen Abbrecherquoten.137 „Zu den wichtigsten Bedingungen für die Einhaltbarkeit der in den geltenden Studienordnungen festgeschriebenen Regelstudienzeiten gehört: die Gewährleistung der angemessenen […] Relation der Zahl der Dozenten einerseits und der Zahl der Studenten andererseits.“138 Dagegen herrsche in den Universitäten allgemein „die Zumutung kapazitätsunangemessener Dauerüberlastung“. Es gebe „Fälligkeiten der Reorganisation des Studiums, denen sich zu stellen eine der wesentlichen Aufgaben der Universität Erfurt sein wird“. Besonders für die Fächer, die aus der Philosophischen Fakultät hervorgegangen waren, aber auch für Studiengänge der Kulturund Sozialwissenschaftlichen Fakultäten empfahl er die Aufgabe der traditionellen akademischen Freiheit, wonach die Studierenden in Eigenverantwortung ihr Studium organisierten zugunsten eines Grundstudiums mit curricularer Verbindlichkeit. In Erfurt sollte der Versuch unternommen werden, „durch neue Formen intensiver und kontinuierlicher Studienberatung die Effizienz des Studiums zu steigern“.139 Da dies für die Lehrenden einen beträchtlich erhöhten Arbeitsaufwand bedeutete, müsste „die intensivierte studienbegleitende Beratung in angemessener Weise auf die Lehrdeputate angerechnet werden“.140 Wenn dies geschähe, könnte die Beratung auch von den Studenten eingefordert werden, und die Einführung einer regelmäßigen Evaluation von Lehre und Betreuung sollte dies garantieren. Diese Einsichten des Ausschusses wurden von zahlreichen Kennern der Situation in den deutschen Hochschulen geteilt,
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Empfehlungen des Strukturausschusses der Gründungskommission der Universität Erfurt, S. 55. Ebd., S. 56. Ebd., S. 57. Ebd., S. 58.
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u. a. auch von den Erfurter Universitätsgründern.141 Mit dem Reformkonzept der Universität unternahmen sie den Versuch, die Erkenntnisse umzusetzen. Bereits im April 1997 legte Prorektor Schluchter einen Plan vor: „Es solle eine Geisteswissenschaftliche Universität entstehen, die sich freimachen kann von den konventionellen Studiengängen. […] Dazu gehöre eine Neugliederung des Studiums – gedacht sei an ein dreijähriges Studium bis zum Erlangen des BA, darauf aufbauend ein zweigliedriges Graduiertenstudium mit strukturierter Promotionsphase. […] All dies sei nicht gedacht als Abklatsch, sondern als eine auf deutsche Verhältnisse zugeschnittene Adaption anglo-amerikanischer universitärer Grundsätze.“142 Hierin bestand die erste Neuerung an der Universität, denn ,,eine gestufte Studienstruktur nach dem Modell 3:2:3 […] war damals noch völlig unüblich; […] das war eine ganz wichtige Reformmaßnahme zu diesem Zeitpunkt.“143 Auch die Gremien auf Bundesebene wie die Hochschulrektorenkonferenz zielten mit ihrem Beschluss vom 6.7.1998 auf die Internationalität der deutschen Studienabschlüsse ab, die die Mobilität der Studenten sowie die Nachfrage von ausländischen Studenten verbessern werde. Das Hochschulrahmengesetz vom 20.8.1998 führte in §19 den BA/MA-Abschluss für alle deutschen Hochschulen ein.144 Erfurt war jedoch die erste deutsche Universität, die diese Vorhaben in der Praxis erprobte. Die Umsetzung der neuen Struktur verlief allerdings nicht problemlos. Dies betraf den hohen Betreuungsaufwand, das studienbegleitende Prüfungssystem mit der Verleihung von „Credit Points“, die verkürzten Studieninhalte sowie das Studium Fundamentale. Die engere Betreuung der Studenten, aber auch die Ausarbeitung des Prüfungssystems waren arbeitsintensiv, wofür den Beteiligten nur geringe zusätzliche Finanzen zur Verfügung standen. Bereits in den ersten Beratungen warnte der Kanzler, dass „durch den angestrebten höheren Betreuungsaufwand […] [die] Kosten für den einzelnen Studienplatz stiegen. […] [Man] solle Bestrebungen frühzeitig entgegen arbeiten, Studienkosten rein rechnerisch gegen einander
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Vgl. u. a. Peter GLOTZ, Im Kern verrottet? Fünf vor zwölf für die deutschen Universitäten, 1996. Beratungsgremium des Rektors, 29.4.1997. PrUE, B1 E 00. Die Möglichkeit eines schnellen Studienabschlusses trug maßgeblich zur Popularität der Universität bei. Etwa 70 % der Studenten gaben dies als Grund für ihr Studium in Erfurt an. Siegfried UHL/Manfred KUTHE, Erste Erfahrungen mit dem Baccalaureus-Studiengang an der Universität Erfurt, 2001. Tischvorlage GS 25/ 12.6.2001. PrUE, Protokolle GS. Tobias JUST, Interview Schluchter, S. 6. Im folgenden Jahr wurde mit der von 29 Staaten unterzeichneten „Bologna-Erklärung“ vom 16.9.1999 die Struktur europaweit eingeführt.
DIE NEUERUNGEN
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zu setzen.“145 Finanzielle Probleme sollten den gesamten Gründungsprozess der Universität begleiten. Die Umstellung auf die konsekutive Bewertung und den Erwerb von „Credit Points“ erwies sich in der Praxis als besonders komplex. Für neu geschaffene Studiengänge war dies ein geringeres Problem. Rückblickend bezeichnete beispielsweise der Justitiar der Universität die Umstellung als „völlig unproblematisch“.146 Anders war es im erziehungswissenschaftlichen Bereich. Im Juni 1999 berichtete der Rektor beispielsweise, dass die Erarbeitung der Prüfungsund Studienordnungen für alle Bereiche im Gange sei; „die Harmonisierung der traditionellen Semesterstunden-Rechnung mit der Rechnung nach Leistungspunkten erweist sich als äußerst schwierig.“147 Für die Studieninhalte wurde gefordert: „Der müsse inhaltlich etwas gänzlich anderes sein, kein verdünnter Anteil des bisherigen Angebots. Dabei sei die Einhaltung von Leistungsstandards unerlässlich.“148 In mühseliger Kleinarbeit mussten daher alle Bereiche der entstehenden Universität neue Studieninhalte erarbeiten, wobei dies „in der Sozial- und Staatswissenschaftlichen Fakultät besonders schwierig sei“.149 Im November 1998 wurden die BA/MA-Studiengänge und die Strukturierung des Studium Fundamentale noch immer in Workshops beraten.150 Noch 2001 wurde im Gründungssenat über „die enorme Belastung“ geklagt, die durch die Erarbeitung von Studiengängen, Prüfungs- und Promotionsordnungen entstand. Dies betraf speziell den Magister-Studiengang: „Jedes Magister-Programm erfordert eine Prüfungsordnung mit genauer Aufgliederung der Leistungspunkte für die Magisterarbeit, der Sprachprüfung etc. – und das für zehn verschiedene Module. Hinzu kam, dass Zulassung zum Magister nicht nur nach dem regulären BA-Abschluss, sondern bei überdurchschnittlichen Benotungen der Studierenden auch früher möglich war, was eigens geprüft werden musste.“151 Eine weitere Erfurter Besonderheit war die allgemeine Ausrichtung der Studiengänge auf „berufsorientierend“ und nicht auf das herkömmliche „berufsqualifizierend“. „Berufsorientierend“ wurde gewählt, um den Absolventen so 145 146 147
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149 150 151
Beratungsgremium des Rektors, 29.4.1997. PrUE, B1 E 00. Interview Becher. GS 13/7.7.1999, Top 2. PrUE, Protokolle GS. Über die Jahre wurde die Gewichtung der „Credit Points“ in den verschiedenen Studienbereichen aufgrund der gemachten Erfahrungen angepasst. Interview Becher. Professor Kornadt in der Diskussion zum Gutachten über den Studienaufbau am Beispiel der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät. GS 9/27.11.1998, Top 7. PrUE, Protokolle GS. So Prorektor Schluchter. GS 5/21.1.1998, Top 4. Ebd. Ebd. GS 25/12.6.2001. Ebd.
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viele Berufsfelder wie möglich offen zu halten. Damit wollte man sich auch von den so genannten Abschlüssen der Fachhochschulen absetzen können.152 Erst der MA war besonders in der Sozial- und Staatswissenschaftlichen Fakultät ein „anwendungsbezogenes Aufbaustudium“ – so beispielsweise bei Projektstudien des MA in Public Policy mit eigener Finanzierung. Die ersten Studenten, die 1999 immatrikuliert wurden und die die Realität der neuen Strukturen erlebten, kamen ein Jahr später zu einem eher negativen Urteil.153 „Die Studierbarkeit des BA-Studiengangs muss überprüft werden; für viele Studierende ist das Pensum an Vor- und Nacharbeitszeit zu hoch. Hierdurch werden auch außer-universitäre Engagements und Aktivitäten eingeschränkt.“154 In einem Gespräch mit Präsident Bergsdorf bemängelte der Studierendenrat, „dass die Anforderungen für gleichwertige Leistungen in verschiedenen Seminaren nicht zwangsweise auch vergleichbar, geschweige denn gleichwertig sind. Es muss eine Norm entwickelt werden, die genau definiert, welche Leistung für einen ‚Credit Point‘ erbracht werden muss. Diese Norm sollte eine globale Gültigkeit besitzen, sodass der Student zwischen vergleichbaren Leistungen wählen kann.“ Auch „die mangelnde Mitarbeit von studentischer Seite“ in vielen Seminaren wurde bemängelt.155 Mit der Einrichtung des Studium Fundamentale als Teil des Reformkonzepts wich die Universität von den Empfehlungen des Strukturausschusses der Gründungskommission ab, die angesichts des allgemein vorhandenen breiten Bildungsangebots der Universitäten ein spezifisches Studium Fundamentale unnötig gefunden hatten. Stattdessen mochte „der Strukturausschuss der Sprachenausbildung einen hervorragenden, verpflichtenden Rang eingeräumt wissen. […] Man muss die Grenzen der Beanspruchbarkeit der Studierenden im Auge behalten.“156 Überbeanspruchung und mangelnde Sprachkompetenz der Studierenden sollten sich in der Tat später zu Problemen der Erfurter Universität entwickeln. Für die Universitätsplaner und insbesondere für Rektor Glotz gehörte das Studium Generale/Fundamentale jedoch zum Kern des Reformkonzepts. Man verkannte aber nicht die damit verbundenen Probleme. Zunächst kam es im
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Auch das Ministerium zog die Bezeichnung „berufsqualifizierend“ vor, was der Universität zusätzliche Probleme bereitete. Studierendenrat der Universität, Bericht zur Lage der Studierendenschaft, 11.7.2000. GS 19/11.7.2000. PrUE, Protokolle GS und Kur 7/28.1.2002. Ebd., Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Ebd. Vgl. Siegfried UHL/Manfred KUTHE, Erste Erfahrungen mit dem BaccalaureusStudiengang an der Universität Erfurt, S. 6, in: GS 25/12.6.2001. PrUE, Protokolle GS. GS 19/11.7.2000. PrUE, Protokolle GS. Empfehlungen des Strukturausschusses der Gründungskommission der Universität Erfurt, S. 61.
DIE NEUERUNGEN
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Gründungssenat zu einer lebhaften Debatte um den Namen.157 War „generale“ oder „fundamentale“ vorzuziehen? Die Mehrheit der Senatoren bevorzugte Letzteres. Nach den Vorstellungen von Prorektor Langewiesche waren die Kernpunkte, dass das Studium Fundamentale für alle Fakultäten galt und für alle Studenten obligatorisch war. Wiederum waren jedoch keine eigenen Stellen vorgesehen; jeweils zwei Dozenten aus verschiedenen Fächern sollten das Studium Fundamentale bestreiten. In den ersten sechs Semestern bis zum BA sollte man „den methodologischen Kern der Fächer vermitteln, um diesem Abschluss eine wissenschaftliche Wertigkeit zu garantieren“.158 Daher wollte er das Studium Fundamentale auch in den Studienordnungen verankert sehen. Um sicherzustellen, dass das Studium Fundamentale zu einem Kernbestandteil des Studiums wurde, sollte es von Anfang an in die Lehrveranstaltungen integriert werden. Hiervon versprach sich Langewiesche auch Impulse für die einzelnen Fächer. Doch würden Inhalt und Ausrichtung erst nach den ersten Berufungen klar; heute gehe es vor allem um die Grundkonzeption. Für Glotz handelte es sich nur um eine „Vorklärung der organisatorischen Struktur.“ Gleichzeitig bat er den Kanzler zu klären, „wie die gemeinsamen Lehrveranstaltungen am günstigsten auf das Deputat angerechnet werden können“.159 Schwerwiegender war die Befürchtung zum Inhalt, dass ohne zunehmende Fachkonzentrierung das Studium in die Unverbindlichkeit abgleiten könnte. „Ein solcher Studiengang [dürfe] nicht nur Methodenvermittlung beinhalten, dies sei für die Studenten höchst mühselig. Man brauche auch Inhalte.“160 Angesichts dieser zahlreichen Anregungen, Befürchtungen und Vorstellungen fasste der Gründungssenat den einstimmigen Beschluss, „einen Werkvertrag zur Untersuchung von Inhalten und Strukturen der Universalstudien weltweit zu vergeben und hierzu einen Workshop mit internationalen Referenten etwa Mitte 1998 abzuhalten“.161 Im Februar 1999 lag dem Gründungssenat die „Rahmenordnung für das Studium Fundamentale“ vom 25.1.1999 vor.162 Ausgehend von der Thüringi-
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GS 3/10.10.1997. PrUE, Protokolle GS. Prorektor Langewiesche in: GS 3/ 10.10.1997, Top 4. Ebd. Vgl. DERS., Die Konzeption des Studium Fundamentale, 12.11.1998. Ebd. GS 3/10.10.1997, Top 4. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Die Autorin des fünfseitigen Dokuments war Dr. Annette Barkhaus, Mitherausgeberin des Bandes ‚Identität, Leiblichkeit, Normativität‘, Suhrkamp 1996, mit einem transdisziplinären Ansatz bei der Darstellung verschiedener Positionen aus Philosophie, Biologie, Psychologie, Soziologie, Geschichtswissenschaft zur Frage der Identität. Internetseite. Eingesehen 4.4.2019. Annette Barkhaus war nach ihrer Tätigkeit als Referentin beim Wissenschaftsrat 1998-2004 u. a. im Leitungsteam und als Dekanatsreferentin an der Universität Erfurt tätig.
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schen Verordnung über die Grundordnung der Universität Erfurt sah die Hochschule ein in das „grundständige Studium integriertes, verpflichtendes Studium Fundamentale“ vor. Ein Fünftel der Studienleistungen erfolgte in Form von Seminaren, die von mindesten zwei Wissenschaftlern aus unterschiedlichen Disziplinen durchgeführt wurden. „In dieser diskursiv angelegten Form […] soll die erwartete Auseinandersetzung mit den verschiedenen disziplinären Perspektiven […] angeregt werden.“ Für diese Veranstaltungen – dem Kernstück des Studium Fundamentale – war kein spezifisches Lehrpersonal vorgesehen. „Vielmehr geht die Universität davon aus, dass die Fachwissenschaftler die Bereitschaft zur Grundlagenreflexion mitbringen. Ein Viertel ihres Lehrdeputats wird für das Studium Fundamentale geleistet.“ 163 Die Universität betrachtete das Studium Fundamentale „als ein zentrales Element ihrer Studienreform“. Das Ziel war, die Studierenden besser auf die zunehmend komplexeren Aufgaben der Arbeits- und Lebenswelt vorzubereiten und Impulse für die transdisziplinäre Öffnung der Fächer in der Forschung zu geben. Vier spezifische Kompetenzen sollte es vermitteln, nicht aber den Wissenskanon der Disziplinen bzw. Allgemeinwissen zur Kompensation defizitärer Schulausbildung: Urteilskompetenz (den „Geisteswissenschaften gemeinsames methodisch-theoretisches Grundlagenwissen“), interkulturelle Kompetenz (ein Auslandssemester mit Leistungspunkten, daher ohne Verlängerung der Studienzeit), Schulung sinnlichen Wahrnehmungsvermögens (Zugang zu künstlerischer Praxis, u. a. mit den Artists in Residence), soziale Kompetenzen (Mediation, Complexity Management). Darüber hinaus Verpflichtung der Studierenden, eine Veranstaltung im Team mit anderen selbst zu organisieren. Auch hierfür sollte es Leistungspunkte geben. Eine fakultätsübergreifende Kommission sollte den Studiengang koordinieren, von einem kleinen Verwaltungsteam unterstützt, unter der Leitung des Prorektors für Lehre und Studium, einem Vertreter des Mittelbaus, einem Studenten sowie einem Vertreter des Philosophisch-Theologischen Studiums und der Pädagogischen Hochschule. „Das Studium Fundamentale war ein ‚Experiment‘, das ständig evaluiert und entsprechend den Ergebnissen verändert werden soll.“164 Hier zeigten sich die großen Erwartungen, die mit dem Studium Fundamentale verbunden waren. Die Anforderungen an Lehrkräfte und Studenten waren beträchtlich. Rückblickend urteilt daher ein Beteiligter, dass die Konzeption gewisse Baufehler enthielt und ohne Studenten gemacht worden sei. Man habe sofort mit dem Studium Fundamentale begonnen, ohne den Studenten das nötige Fachwissen vermittelt zu haben. Das erklärte u. a. auch den geringen
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Ebd. Ebd.
DIE NEUERUNGEN
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Input der Studenten, die weitgehend passiv blieben.165 Trotz aller Schwächen blieb der Studiengang jedoch populär und war bei der Studentenrekrutierung ein positiver Faktor. Er war „Spitzenreiter ohne Konkurrenz“.166 Der Studierendenrat bemängelte jedoch gleichzeitig die „immer wiederkehrenden Engpässe“, d. h. überfüllte Seminare. Zentraler Punkt seiner Forderung war: Jedem Studenten wird pro Semester ein StuFu-Platz zur Verfügung gestellt. Einheitliche Anmeldeverfahren sollten allen Studenten die gleichen Chancen verschaffen.167
2.2
Das Max-Weber-Kolleg
Schon der Strukturausschuss der Gründungskommission hatte 1993 sozialwissenschaftliche Studien empfohlen.168 Sie sollten einen Beitrag dazu leisten, die Universitätsforschung zu stärken, die in der DDR aus politischen und in der BRD aus finanziellen Gründen in außeruniversitäre Akademien bzw. Institute verlagert worden war. Gründungsrektor Glotz verglich es mit dem Berliner Wissenschaftskolleg, dessen Traditionen er in Erfurt einführen wollte: die enge Kommunikation der Fellows wie auch – typisch für Glotz – ihre regelmäßigen Dinners.169 Der Name war bewusst gewählt, denn „das Lebenswerk Max Webers […] deckt den Gesamtzusammenhang der Disziplinen ab“,170 die an der Universität Erfurt in Forschung und Lehre eingerichtet werden sollten. Auch die Tatsache, dass Max Weber gebürtiger Erfurter war, sprach für diese Wahl. Die spätere Organisationsform ging auf Schluchter zurück,171 „aus der Einsicht, […] man müsse die Vorteile verschiedener institutioneller Regelungen kombinieren, ohne möglichst wenig von ihren Nachteilen in Kauf zu nehmen“:172 die Verbindung eines Centre for Advanced Study mit einem außeruniversitären Forschungsinstitut à la Max-Planck und einem Graduiertenkolleg. „Man musste ein kleines Centre schaffen, attraktiv für herausragende Professoren, die über längere Zeit, aber nicht für immer an diesem Centre im Rahmen
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Interview Tiefensee. Kur 15/8.11.2005. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K5. „Forderungen zum Stu-Fu“. Campus, 23.1.2006. Empfehlungen des Strukturausschusses der Gründungskommission, S. 15. Das Schlimmste für ihn war eine Universität mit Dienstag-Mittwoch-Donnerstag Professoren, „die Studenten für eine Belästigung halten“. Peter GLOTZ, Die Erfurter Idee, S. 178-181. Ebd. Auch Klaus-Dieter Wolff sah sich als „Vater“ des Konzepts. Vgl. Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 198. Tobias JUST, Interview Schluchter, S. 6.
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eines Forschungszentrums arbeiteten und sich dabei an der Doktorandenausbildung beteiligten. […] Das war das Konzept des Max-Weber-Kollegs. Und das war zu diesem Zeitpunkt absolut innovativ, das gab es nicht.“173 International anerkannte Forscher aus verschiedenen Disziplinen würden auf Zeit zu wissenschaftlichen Mitgliedern (Fellows) bestellt. Sechs der Fellowships waren als Dauerstellen geplant, die dann auf jeweils maximal fünf Jahre mit einem Forschenden besetzt wurden. Im März 2000 berichtete Prorektor Schluchter dem Kuratorium, dass man sich, um das Prinzip der befristeten Tätigkeit am Kolleg zu stärken, „inzwischen mit einer halben Abordnung nach Erfurt [begnüge], denn bei einer vollen Abordnung sei die Rückkehr an die Heimatinstitution erschwert“.174 Als Themenfelder hatte Professor Schluchter vorgegeben: 1. Religion, Wissenschaft und Recht als Deutungs- und Steuerungsmächte, 2. Wechselwirkungen zwischen Kulturen, gesellschaftlichen Ordnungen und Mentalitäten bei radikalem Wandel, 3. Handlungstheoretische Grundlagen der Kultur- und Sozialwissenschaften und ihre Beziehung zu normativen, insbesondere ethischen Fragen. „Die Forschung am Max-Weber-Kolleg ist historisch und vergleichend. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf der inter- und transdisziplinären Verknüpfung der am Kolleg vertretenen Fachgebiete Soziologie, Geschichtswissenschaft, Religionswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Rechtswissenschaft und Philosophie.“175 Schluchter konnte schon bald berichten: „[A]llgemein [werde] der interdisziplinäre Ansatz erstaunlich gut angenommen, die gemeinsame Arbeit habe deutliche Impulse für die Dissertationen ergeben, auch die persönliche Atmosphäre sei hervorragend.“176 Der Aufbau des Max-Weber-Kollegs ging zügig voran, und am 1.4.1998 konnte man den Lehrbetrieb mit den ersten Doktoranden der Hochschule aufnehmen, „als erste Institution der neu gegründeten Universität Erfurt“.177 Zu den ersten Abschlüssen kam es im Jahre 2001 – innerhalb der vorgegebenen Regelstudienzeit. Ein Grund für den Erfolg des Kollegs allgemein war neben dem Konzept seine Finanzierung. Sie schien zunächst in der Anfangsphase schwierig, denn für die Stellen des Kollegs mussten acht Planstellen der Universität umgewid 173 174
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Ebd. Kur 3/8.3.2000. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Diese engere Anbindung an ihre Heimatuniversitäten führte später zu gemeinsamen Projekten durch Konsortien, u. a. mit der Universität Würzburg oder dem German Historical Institute, London. Interview Hollstein, Kollegreferentin des Max-Weber-Kollegs. Nachrichten des Max-Weber-Kollegs, 1/2008. Kur 3/8.3.2000. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. So in jeder Ausgabe der Nachrichten des Max-Weber-Kollegs.
DIE NEUERUNGEN
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met werden (fünf C4- und drei C3-Professuren).178 Der Kanzler berichtete hierzu von der misslichen Struktur des Landeshaushalts, der „streng nach den Regeln der Kameralistik“ geführt werde. Dies bedeute für die aufzubauende Universität, dass der einzige Titel im Haushalt zurzeit das Max-Weber-Kolleg sei. Nach dessen Betriebsaufnahme werde es unweigerlich zu Engpässen kommen. Diese Vorhersage erfüllte sich jedoch nicht. Die Einwerbung von Stipendien aus privaten Stiftungen war so erfolgreich, dass sogar drei der bisher nicht genutzten Landesstipendien an die Fakultäten zurückfallen konnten.179 Ein bis heute nicht gelöstes Problem war die Unterbringung des Kollegs, denn auf dem Campus fehlte es an geeigneten Räumlichkeiten. Eine erste Basis fand sich zunächst auf dem Gelände der alten Erfurter Kunstgewerbeschule in der Nähe der Altstadt. Die räumliche Distanz des Kollegs zur restlichen Universität hatte jedoch eine gewisse Symbolkraft: Das Verhältnis zwischen beiden blieb immer relativ distanziert.180 In der Folgezeit wurde die Anbindung des Kollegs an die restliche Universität zu einer zentralen Frage der Universitätsgründung. Bereits bei der Feier der juristischen Gründung hatte Professor Frühwald in seinem Festvortrag auf das mögliche Problem der Integration des Max-Weber-Kollegs in die restliche Universität hingewiesen, wie es sich in „[der] Bielefelder Trennungserfahrung von Zentrum für interdisziplinäre Forschung und Universität“ gezeigt hatte.181 In der ersten Sitzung des Gründungssenats hob der Rektor daher die Rolle des Max-Weber-Kollegs als Instrument für die inneruniversitäre Vernetzung besonders hervor.182 Die Fellows sollten sich in die Selbstverwaltung der Universität einbringen und zumindest mit Gastvorlesungen zum Studienbetrieb beitragen. Der Leiter des Kollegs würde gleichzeitig Vizepräsident für Forschung der Universität sein und hatte mit dem Rang eines Dekans Sitz und Stimme im Senat. Diese Konstruktion funktionierte relativ gut, solange Professor Schluchter, in seiner Person als Gründungsdekan des Kollegs und Prorektor für Forschung und Gründungsdekan der Staatswissenschaften die Integration sicherte. Doch erkannte er bereits die Problematik der Anbindung. Es war beispielsweise ge 178 179
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GS 4/17.11.1997. PrUE, Protokolle GS. GS 5/21.1.1998. Ebd. Vgl. auch: „Im ersten Jahr schwammen wir im Geld.“ Interview Hollstein. Ein weiteres Problem war die schleppende Arbeitsweise der Ministerialbürokratie, die der Universität später so zahlreiche Schwierigkeiten machen sollte. Die Promotionsordnung des Kollegs beispielsweise, die Schluchter im April 1998 beim Ministerium eingereicht hatte, kam erst im September 1999 mit Rückfragen vom Ministerium zurück. GS 14/6.9.1999. Ebd. Nach zwei weiteren Stationen hat jetzt der Bau eines neuen Gebäudes auf dem Campus begonnen. TMWK (Hg.), Neues Wagen, S. 61. GS 1/23.5.1997. PrUE, Protokolle GS.
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plant, dass der Leiter des Kollegs immer auch Vizepräsident für Forschung sein sollte. Angedacht wurde auch eine Berufung nur auf Zeit, was die Eigenständigkeit des Kollegs begrenzt hätte. „Aber das hat man nicht gemacht. Der Leiter war Professor auf Lebenszeit.“183 Auch Schluchters langfristiges Ziel, „die Fellows zur Hälfte aus der Universität selbst zu rekrutieren“, was wiederum die Anbindung des Kollegs an die restliche Universität gestärkt hätte, ließ sich mit den später berufenen, zumeist jüngeren Professoren nicht verwirklichen.184 Unter Schluchters Nachfolger Professor Hans Joas setzte sich der große Erfolg des Kollegs fort. Die von Schluchter vorgegebenen Forschungsschwerpunkte wurden als „Problemfelder“ präzisiert und lauteten nun: 1. Gewalt und Menschenwürde, 2. Kommunikation über Werte, 3. Pragmatismus, Historismus, Soziologie, 4. Theorien des sozialen Wandels. Auch die dem Max-Weber-Kolleg angeschlossene Graduiertenschule florierte. Im Jahre 2008 waren aus 12 Kollegiaten der Anfangsphase 47 geworden.185 Neben dem Konzept trug auch die Art der Finanzierung des Kollegs – weitgehend durch selbst eingeworbene Gelder – zum Erfolg bei. Die Zahl der Fellows wuchs schnell von anfänglich vier auf neun im Jahre 2007. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der das Kolleg unterstützenden Organisationen von 19 im Jahre 2003 auf 27 im Jahre 2007.186 Darunter waren wichtige Geldgeber wie die Alexander-von-Humboldt-Stiftung, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) oder die Volkswagen-Stiftung. Aufgrund der erfolgreichen Bewerbung im Rahmen der „Excellenzinitiative“ wurde vom Land eine Graduiertenschule „Religion im Modernisierungsprozess“ bewilligt. Das ermöglichte den weiteren Ausbau des Graduiertenkollegs und die Nachwuchsförderung. Im Rahmen der Feiern seines zehnjährigen Bestehens berichtete das Kolleg von einer „enormen Expansion“. Sie beruhte weiterhin auf den eingeworbenen Drittmitteln, „deren Höhepunkt die Bewilligung des Antrags auf Einrichtung einer Kolleg-Forschergruppe zum Thema ‚Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive‘ von den Professoren Joas und Rüpke durch die DFG im
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Tobias JUST, Interview Schluchter. Sein Nachfolger Joas argumentierte dagegen, dass nur die Unabhängigkeit des Leiters und die Befreiung der Fellows von Lehrverpflichtungen die große Attraktivität des Kollegs ausmachten. Interview Joas. 2003 wurde die Institution des Erfurt Fellow geschaffen, d. h. eine der Stellen wurde mit einer Person aus der Universität besetzt. Nachrichten des Max-Weber-Kollegs, 2008. Ebd.
DIE NEUERUNGEN
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Sommer 2008 war“.187 Im gleichen Jahr wurde in einer Pilotstudie des Wissenschaftsrats zum Forschungsrating von Soziologie und Chemie, die an 254 Forschungseinrichtungen durchgeführt wurde, „nach hochdifferenzierten, qualitativ führenden Indikatoren“ die Soziologie des Max-Weber-Kollegs als „exzellent“ eingestuft.188 Gleichzeitig hatte der Senat der Universität dem Kolleg das Habilitationsrecht gemeinsam mit den Fakultäten eingeräumt. Im gleichen Jahr gewann man einen internationalen Kierkegaard Scholar, mit dem das Kolleg weltweites Zentrum der Kierkegaard-Forschung wurde.189 Diesem erfolgreichen Max-Weber-Kolleg stand die von staatlicher Finanzierung abhängige Universität gegenüber, deren Aufbau zur vom Gründungsteam geplanten exzellenten Reformuniversität stark beeinträchtigt wurde. Das sich daraus entwickelnde Missverhältnis zwischen Kolleg und Universität sollte der Einrichtung schwerwiegende Konflikte bescheren (vgl. Kap. IX.2. und X).
2.3
Die Kommunikationswissenschaft
Noch die „Empfehlungen“ der Gründungskommission hatten Kommunikationswissenschaft als Teil der Politikwissenschaft wahrgenommen und die Gründung eines solchen Studiengangs abgelehnt.190 Angesichts der langen Beschäftigung von Glotz mit dem Bereich191 war die Einführung der Kommunikationswissenschaft in der Reformuniversität jedoch sein besonderes Anliegen. Für ihn war „Kommunikation“ nicht nur das „Herzstück der Demokratie“, sie war auch wesentlich für die moderne Hochschule, um die erwähnte „Versäulung“ der Disziplinen aufzubrechen. Bereits in der ersten Sitzung des Gründungssenats im Mai 1997192 hatte er daher einen „grundständigen kommunikations- und medienwissenschaftlichen Studiengang [mit] Aufbaustudiengängen für Medienpädagogik, – „der Lehrern hilft, in einem Aufbaustudium innerhalb der Schulen mit den neuen Möglichkeiten umzugehen“ – sowie für „Unterhaltungspublizistik“ angekündigt. Hinzu kam ein Forschungsschwerpunkt „Medien im Prozess gesellschaftlicher Kom-
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Ebd. Laut Joas handelte es sich um einen „informed peer review“. Campus, 30.4.2008. Nachrichten des Max-Weber-Kollegs, 2008. Empfehlungen des Strukturausschusses der Gründungskommission, S. 90. Vgl. Jürgen WILKE, Doch keine verpasste Chance, in: Aribert SPIEGLER/Elmar SCHMIDT (Hg.), Europäische Universität Erfurt, S. 170-172. Er hatte an der Universität München Anfang der 1960er Jahre „Zeitungswissenschaft“ studiert und eine erste – akademische – berufliche Laufbahn begonnen. Michael MEYERS, Peter Glotz und die Kommunikationswissenschaft, in: Frank ETTRICH/Dietmar HERZ (Hg.), Peter Glotz, S. 171 f. GS 1/23.5.1997. PrUE, Protokolle GS.
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munikation“, an dem Professoren aller Fakultäten mitarbeiten konnten. Ein Workshop zu „Medien“ sei eingerichtet worden. Seine zahlreichen universitären, aber auch öffentlichen Verpflichtungen brachten es mit sich, dass er sich um Einzelheiten der Struktur bzw. des Aufbaus der Studiengänge, der Prüfungen und der Vernetzung zu anderen Bereichen der Universität nicht kümmern konnte. Dies überließ er seinem im April 1997 berufenen Assistenten Klaus Beck,193 ein Pragmatiker, der Glotz hervorragend ergänzte und dem Glotz „völlige Freiheit ließ, Studiengänge auszuarbeiten. […] Er war ein super Chef.“194 Beck saß in allen Gremien und konnte Glotz entsprechend beraten. Da die Kommunikationswissenschaft nur einen Professor hatte, der zudem mit anderen Verpflichtungen ausgelastet war,195 unterstützte Beck Prorektor Langewiesche bei der ersten Besetzung der Eckprofessuren, deren Liste der Prorektor im Juli 1997 vorlegte. Mit Blick auf die Kommunikationswissenschaft empfahl er, eine der Professuren für Vergleichende Literaturwissenschaft mit einem Schwerpunkt auf Medientheorie, Mediengeschichte und Kulturtheorie auszuweisen, um sich an Studiengängen im Bereich Medien beteiligen zu können. Das bedeutete für die Kommunikationswissenschaft ihre Ansiedlung in der Philosophischen Fakultät. Das hatte zur Folge, dass die Professur später sowohl dem Seminar für Literaturwissenschaft und dem Seminar für Kommunikationswissenschaft angehörte, was bei der Person des Stelleninhabers nicht ohne Reibungen verlief. Im April 1998 wurde das Zentrum für Kommunikation und Infrastruktur mit den zwei Abteilungen „Medienkompetenz“ und „Rechenzentrum“ als zentrale Einrichtung der Universität ins Leben gerufen. Ein Jahr später konnte der Gründungssenat die Studien- und Prüfungsordnung der Kommunikationswissenschaft verabschieden.196 Hier musste Glotz davon überzeugt werden, dass der Bereich mehr Professoren benötigte. Der Lehrstuhl „Kommunikationswissenschaft“ wurde eingerichtet und erste Berufungen fanden statt.197 Die vielleicht wichtigste Neuerung, die wiederum auf Glotz zurückging, betraf die Art der Studentenauswahl. Im Juni 1999 plädierte Glotz dafür: Für den „voraussichtlich stark nachgefragten Studienbereich“ könne man die Auswahl
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Laut offizieller Vita war sein Titel „Wissenschaftlicher Assistent für Theorie der Telematik und Computer Literacy am Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft der Universität Erfurt (Prof. Dr. Peter Glotz)“. Internetseite der Universität Greifswald, eingesehen 5.3.2020. Interview Beck. „Wir hatten einen Professor, der auch noch Rektor war und kaum in der Lehre tätig war und meine Assistentenstelle und einige andere. Daher bot sich die Verbindung mit Literatur an. Die hatten Stellen und eine gute Bewerberlage.“ Interview Beck. GS 13/7.7.1999, Top 7. PrUE, Protokolle GS Interview Beck.
DIE NEUERUNGEN
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„durch die Lösung einer schriftlichen Bewerbungsaufgabe und durch ein Bewerbungsgespräch“ treffen.198 Das neue System sollte zunächst für eine „Erprobungsphase“ gelten. In Erfurt wollte man mit der Preisgabe der üblichen Auswahl nach dem Notendurchschnitt im Abitur neue Wege gehen. Auch der Studienaufbau bot Neues mit einem im dritten Jahr zu erarbeitenden Projekt, für das die Studenten selbst Drittmittel einwerben mussten.199 In diesem Jahr belegten die Studierenden keine Lehrveranstaltungen, sondern wurden in Kleingruppen mit höchstens acht Teilnehmern von Professoren betreut. Der Erfolg dieses Programms konnte sich sehen lassen: Die Studenten hatten bis 2004 nicht weniger als 29 Projekte eingeworben mit Partnern wie u. a. Medienunternehmen von ZDF bis MTV. Es war das Verdienst von Peter Glotz, und „es ist genau diese Konzeption, die einen wesentlichen Anteil an der positiven Evaluation des Erfurter Kommunikationswissenschaftsmodells hat“. Beim CHE-Ranking im Jahr 2004 landete Erfurt unter den Top 3 in Deutschland.200 Der Studiengang allgemein und besonders das Auswahlverfahren erwiesen sich als äußerst populär. Im September 1999 berichtete der Rektor, dass von den 300 Bewerbungen der Universität insgesamt allein 180 auf die KW entfielen. „Durch ein mehrstufiges Auswahlverfahren wurde diese Zahl auf 44 Studenten reduziert.“201 Diese von Glotz handverlesenen Studenten waren denn auch – so sahen es mehrere Beteiligte – hervorragend in ihrem Engagement. Sie fühlten sich als „Elite“. Auch ihre Berufschancen waren ausgezeichnet. Hier wurde die Erfurter Kommunikationswissenschaft mit ihrer konsequenten Berufsorientierung sogar anerkanntes Vorbild – bei Berufen in der Kommunikationspraxis ebenso wie in der akademischen und in der angewandten Medienforschung.202 Die Erfurter Kommunikationswissenschaft war in Thüringen jedoch nicht unumstritten, da auch die anderen Hochschulen „Medien“-Studiengänge anboten. „Die anderen Standorte hatten Panik, dass nun der große Glotz kommt und die Universität aufbaut.“203 Die Frage war, „warum gab es in Thüringen plötzlich so viel Kommunikationswissenschaft, wenn andere Bundesländer keine hatten?“204 Noch vor Beginn des Studienbetriebs beauftragte das Wissen-
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Ebd. „Ich kannte das vom Studiengang ‚Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaft‘, den meine Frau an der Berliner Hochschule der Künste studierte“. Interview Beck. Patrick RÖSSLER, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 34. Professor Rössler war nach Peter Glotz der erste neu (2000) berufene Professor der Erfurter Kommunikationswissenschaft. GS 14/6.9.1999. PrUE, Protokolle GS. Patrick RÖSSLER, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 33. Interview Beck. Auf Fachebene sei das Verhältnis zu den anderen Einrichtungen jedoch sehr kollegial gewesen. Ebd.
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schaftsministerium daher eine von dem Leipziger Professor für Kommunikationswissenschaft und Medienwissenschaft, Karl Friedrich Reimers, geleitete Gutachtergruppe mit der Untersuchung von zwei Hauptpunkten: 1. Die Begutachtung der vorhandenen und geplanten Medienstudiengänge, insbesondere unter den Gesichtspunkten der Berufschancen für Absolventen, sowie die Abgrenzung und Ergänzung zueinander (Vermeidung von Doppelangeboten) 2. Die Empfehlung zur personellen und sächlichen Ausstattung sowie zum Standort von eventuellen Laboren und Großgeräten unter Berücksichtigung der finanziellen Möglichkeiten des Landes. Als Ausgangspunkt für eine gemeinsame Stellungnahme dienten drei intensive Ortsbegehungen und Gespräche mit Kollegen vor Ort. Es war bezeichnend, dass alle Thüringer Hochschulen, die Medienstudiengänge anboten, „bestens vorbereitet und ausgesprochen offen“ die Gutachtergruppe empfingen. „Lediglich die neue Universität Erfurt mit ihrem gerade entstehenden PerspektivSchwerpunkt Kommunikationswissenschaft war zunächst [nur] auf Assistentenebene vertreten; am 3.9. wurde dann noch […] eine kurze Begegnung mit dem Gründungsrektor möglich.“205 Der Grund für die fehlende Erfurter Kooperation war die Irritation, dass Kommunikationswissenschaft immer mit „Medien in einen Topf geworfen wurde. […] Auch wissenschaftlich war das falsch. KW war für Glotz Personal- und Materialobjekt. Für KW braucht man Medien, um zu verstehen, wie Kommunikation funktioniert. Aber ‚Medien‘ sind nur ein Teilbegriff der Kommunikationswissenschaft.“206 Die Reaktion von Peter Glotz auf das Gutachten war „Fassungslosigkeit“ „ob der Ignoranz der Landesbehörden, die angesichts seines Konzepts von einer Doppelung der Studienangebote für Medien sprachen. Allein schon das Etikett ‚Medien‘ zeigt die ganze Hilflosigkeit dieser ministeriellen Vorlage. […] Und es waren […] unter anderem genau solche realpolitischen Blockaden der Bedenkenträger […] wegen der Peter Glotz […] dem Land den Rücken gekehrt hat.“207 Sein Nachfolger wurde Professor Patrick Rössler, der den weiteren Aufbau Kommunikationswissenschaft in der Universität betrieb. Zunächst stand nach dem Weggang von Glotz jedoch der Fortgang der Studienrichtung auf dem Spiel. Im April 2000 diskutierte der Gründungssenat das „Reimers-Gutachten“
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Gutachten Medien-Studiengänge an den vier Universitäten des Freistaats Thüringen, München, 17.12.1999. PrUE, Protokolle GS. Interview Beck. RÖSSLER, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden, Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 35 f.
DIE NEUERUNGEN
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und gleichzeitig ein den neuen Umständen angepasstes Gesamtkonzept. Der Vertreter des Ministeriums erklärte entschuldigend, dass das Ministerium das Gutachten nur dazu in Auftrag gegeben habe, um „vorhandene Ressourcen zu bündeln und zu klären, wo Investitionen nötig waren“. Auch fand er es unbefriedigend in seiner Kürze und von mangelnder Einschlägigkeit.208 Eine endgültige Beschlussfassung zum Gesamtkonzept der Kommunikationswissenschaft kam auf der Sitzung nicht zustande, da in der Fakultät kein Konsens bestand. In gewisser Weise war die Kommunikationswissenschaft ein Fremdkörper in der Fakultät geblieben; sie hätte besser in die Staatswissenschaftliche Fakultät gepasst, zumal die von Langewiesche vorgesehenen „Brückenberufungen“ in der Zwischenzeit weggefallen waren. Die Schließung der Kommunikationswissenschaft war daher durchaus eine Option, hätte die Fakultät doch ihre Professuren für andere Bereiche übernehmen können.209 Letztlich berichtete der Dekan, „es bestünde Klarheit darüber, dass der BA-Studiengang beibehalten und dass der Schwerpunkt auf die öffentliche Kommunikation und Medientheorie gelegt werden sollte“. Auch die Einrichtung eines Aufbaustudienganges Unterhaltungspublizistik hielt man für sinnvoll. „Der Fakultätsrat war der KW wohlgesinnt, aus strategischen Gründen, weil sie die Studenten rekrutierte. […] Ohne Kommunikationswissenschaft hätte die Universität wenig Unikate. Vergleichende Religionswissenschaft – eine weitere Neuerung – war beispielsweise ohne studentische Nachfrage geblieben.“210 Weitere Unterstützung für die Kommunikationswissenschaft kam von den Prorektoren211 und dem neuen Präsidenten Bergsdorf mit seinem Interesse an Medien und Themen wie „Sprache in der Politik“. Rückblickend konnten die Glotz-Mitarbeiter auf gewisse Schwächen der Kommunikationswissenschaft verweisen. So habe Glotz die Wichtigkeit der Digitalisierung nicht gesehen und sie auch nur auf die BA-Ausbildung ausgerichtet.212 Dem widersprach der erwähnte Glotz-Assistent Beck: „Es wäre vermessen gewesen, gleich einen MA anzubieten.“213 Er bestätigte jedoch, dass Glotz zwar das Internet benutzte, dass er aber „sonst nicht viel damit anfangen konnte“. Schon wenige Jahre später konnte der Präsident dem Kuratorium von dem großen Erfolg der Kommunikationswissenschaft berichten, die sich, laut CHE und ‚Zeit‘ „aus dem Nichts auf einen Champions League Rang katapultiert“ habe.214
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GS 18/17.4.2000. PrUE, Protokolle GS. Interview Rössler. Interview Beck. Beck hatte besonders zu Langewiesche guten Kontakt. Interview Rössler. Interview Beck. Kur 14/30.5.2005, Top 2: Bericht des Präsidenten. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5.
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3.
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Die Integration der Pädagogischen Hochschule und die Erziehungswissenschaftliche Fakultät
PÄDAGOGISCHE HOCHSCHULE UND ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT
3.1
Die Integration der Pädagogischen Hochschule
Die Probleme, die bei der Integration einer auf Lehrerausbildung ausgerichteten Hochschule in eine Universität mit den geplanten Studienstrukturen und -inhalten auftreten würden, waren allen Beteiligten klar. Angesichts der Empfehlungen des Strukturausschusses und des Wissenschaftsrats sowie des politischen Willens der Landesregierung, die Pädagogische Hochschule zu einem späteren Zeitpunkt in die Fakultäten zu integrieren, mussten die Universitätsgründer die Situation jedoch akzeptieren. Die Befürchtung war, dass das zahlenmäßige Übergewicht der PH gegenüber der in Wirklichkeit noch nicht existierenden Universität diese überwältigen könnte. Dies war einer der Gründe für das Bestreben der Prorektoren, die PH so lange wie möglich von der Universität fernzuhalten, was nicht nur in der PH, sondern auch im Ministerium zu einem unangenehmen „Schwebezustand“ führte. Die Atmosphäre änderte sich mit dem beinahe zeitgleichen Amtsantritt eines neuen Rektors der PH, des westdeutschen Anglisten Wolfgang Schaller, und des Gründungsrektors der Universität, Peter Glotz. Als Westdeutscher konnte Schaller selbstbewusster auftreten,215 während Glotz als Politiker die Situation realistischer sah: An der Zusammenführung der beiden Institutionen führte kein Weg vorbei, und er war bereit, diese so schnell wie möglich zu vollziehen.216 „Ohne seinen praktischen politischen Sinn wäre die Integration der PH […] kaum so zügig und vor allem so konfliktfrei gelungen.“217 Eine der ersten Amtshandlungen des Gründungsrektors war daher der Besuch der PHE am 20.11.1996.
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PH-Konzil 10/10.1.1996. UAE, PH 12864. Vgl. beispielsweise die Rede bei seiner Wiederwahl zum Prorektor: „wichtige Aufgabe für die nächste Zeit [sei es], durch gemeinsame Anstrengungen alle Möglichkeiten auszuschöpfen. […] Es ist an der Zeit, beim Ministerium mit Nachdruck Versprochenes einzufordern, sei es mit rechtlichen Mitteln; […] durch Verweigerung von weiterführenden Studiengängen werden die Universitätsprofessoren bei der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses behindert. […] Bis heute ist die Genehmigung der Habilitations-Ordnung durch das Ministerium nicht eingetroffen.“ Gerade das selbstbewusstere Auftreten der PH-Angehörigen irritierte die Universitätsgründer. Auch Professor Langewiesche erkannte, „die Realität war die Existenz der PH“, und verwies auf ähnliche Schwierigkeiten in westdeutschen Universitäten bei der Integration von PHs. Interview Langewiesche. Wolfgang SCHLUCHTER, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 23.
PÄDAGOGISCHE HOCHSCHULE UND ERZIEHUNGSWISSENSCHAFTLICHE FAKULTÄT
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Im September 1998 hatte man eine Zeitschiene für die Integration entworfen, aber erst im Dezember 1999 beschloss der Gründungssenat den Zeitplan für die „schrittweise Übernahme der Aufgaben und Potentiale der PH“,218 zu einem Zeitpunkt, als einige PH-Professoren bereits mit ihren UniversitätsKollegen räumlich zusammengezogen waren, d. h. die Fach-für-FachIntegration begonnen hatte. Konkret wurde zur Integration der PH zunächst ein Integrationsbeauftragter ernannt219 und es wurden vier Kooperationsvereinbarungen geschlossen: für die Bibliotheken (1.7.1997), für die Berufungsverfahren (7.11.1997), die Verwaltungen (10.2.1999) und die Einführung der BA/MAStudienstruktur in den Erziehungswissenschaften (30.3.1999). Vor allem die Vereinbarungen zur Zusammenführung der Bibliotheken und der Verwaltungen waren durch die Konflikte zur Zeit des „Schwebezustands“ belastet, was sich in diesen Verhandlungen zeigen sollte. Bei der ersten Kooperationsvereinbarung für die Bibliotheken war es im Vorfeld bei den vorausgegangenen Spannungen hauptsächlich um die Stellen der Mitarbeiter gegangen, für die die PH „rechtsverbindliche Garantien“220 anstrebte. Anfang Juli 1997 schloss man die Vereinbarung, „in Bibliotheksangelegenheiten zu kooperieren“221 mit dem Ziel, die notwendigen Voraussetzungen für eine spätere Integration der Bibliotheken zu schaffen „sowie in der Zwischenzeit befriedigende Benutzungs- und Arbeitsbedingungen für beide Einrichtung zu gewährleisten“. Denn bis zur Aufnahme des Studienbetriebs im WS 1999/2000 musste die „volle Funktions- und Leistungsfähigkeit für die neugegründete Universität“ hergestellt sein. In der Zwischenzeit sollte u. a. der Zugriff auf die Literaturbestände durch den Aufbau einer EDV-gestützten Ausleihverwaltung verbessert werden. „Unbrauchbares“ der PH-Bibliothek würde ausgesondert und die Handapparate der PH-Professoren würden aufgelöst.
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GS 16/10.12.1999. UAE, PH 13845. Dr. Jürgen Leitgebel. Seit 1971 an der PHEM. Lehrerstudium Physik/Mathematik. Grundschullehrer am Institut für Lehrerbildung. Promotionsstudium. 1983 Promotion. Unbefristeter Mitarbeiter der Pädagogischen Hochschule 1977-1990. Seine Forschung zu Tomographien wurde von der Akademie der Wissenschaften anerkannt. Sekretär des Gesellschaftlichen Rates (WIR, 1/13.1.1989). Auszeichnung „Aktivist der sozialistischen Arbeit“ (WIR, 19/20.10.1989). Persönlicher Referent des PH-Rektors Professor Pommer, später auch stellvertretender Kanzler der Universität und Leiter des Controlling, 2004 Personaldezernent, 2007 amtierender Kanzler. Mit seinem PH-Hintergrund hatte er das volle Vertrauen des PH-Personals. Protokoll der Sitzung des Bibliotheksausschusses vom 25.10.1995. Material Mai. Mai war Vorsitzender des Bibliotheksausschusses des Gründungssenats (und gleichzeitig der PHE). Auf „rechtlich verbindliche“ Abmachungen kam man immer wieder zurück. Vgl. den Protokollauszug der Senatssitzung am 1.11.1995. Ebd. Der Text in: UAE, PH 14289.
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Der wichtigste Aspekt betraf noch immer das Personal. Die PH-Mitarbeiter sollten zum einen „in das Verfahren der Buchbearbeitung der Universitätsbibliothek eingearbeitet werden“. (Abschnitt II, Punkt 8). Gleichzeitig war die Abstellung von insgesamt 11 PH-Mitarbeitern im Rahmen der Amtshilfe vorgesehen, was einvernehmlich zwischen den Bibliotheksleitern geschehen sollte. Dabei sah man bereits mögliche „Ungleichgewichte in der Arbeitsbelastung“ voraus, was man vierteljährlich überprüfen wollte.222 Mit dem Bezug des neuen Bibliotheksgebäudes im Herbst 1999 wurde die Integration der bestehenden Bestände vollzogen. Nach Beitritt der PH zur Universität Anfang 2001 war das Thema endgültig abgeschlossen. Speziell um Personal ging es besonders bei der zweiten Vereinbarung über die Berufungsverfahren.223 „Ziel ist es, […] das Verfahren anstehender Berufungen aufeinander abzustimmen, insbesondere bei den zurzeit freien und freiwerdenden Planstellen für Professoren im Stellenplan der PHE. […] In den entsprechenden Berufungsverfahren […] [erstellt] die PHE aus dem Kreise der Bewerber für eine Professur […] eine begründete Vorschlagsliste. Die PHE beschließt über diese Vorschlagsliste nach Stellungnahme des Gründungssenats.“ Mitglieder der PH waren in den Berufungskommissionen vertreten. Besonders wichtig war der Passus, „Ausstattungszusagen sind zu befristen bis zum Zeitpunkt, in der diese Planstelle in den Stellenplan der UE umgesetzt wird“. Denn die Ausstattung der zu schaffenden Lehrstühle mit Assistenten, Sekretärinnen etc. war an der PH bescheidener, und die Universitätsplaner fürchteten eine „Anpassung nach unten“.224 Die Ausstattung wurde zu einer der umstrittensten Fragen zwischen den Universitätsgründern und dem Ministerium. Zunächst ging es jedoch weniger um Neuberufungen, als um die Umsetzung von PH-Professuren an die Universität. Dies betraf besonders die Philosophische Fakultät, wo 14 der 20 Professuren, die der Fakultät zur Verfügung standen, von PH-Professoren besetzt waren. Auch für Schluchter resultierten die Probleme mit der PH aus einem „strukturellen Grundproblem. […] Wir konnten die meisten Studiengänge nur unter der Mitwirkung der PH eröffnen.“225 222
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Ebd. Abschnitt IV/2.4, S. 11. Bei Personalausfall in der PHE konnte das delegierte Personal „für den Zeitraum dieser Ausfälle“ zurückgefordert werden. Falls die PHE das genannte Personal jedoch über längere Zeit nicht bereitstellen sollte, „erfolgt […] eine entsprechende Reduzierung des Personals für das Leistungsangebot der Universitätsbibliothek für die Nutzer der PH-Bibliothek“. GS 7/11.11.1997: Kooperationsvereinbarung bei Berufungsverfahren, gezeichnet Glotz und Schaller, 7.11.1997. UAE, PH 13845. Bereits in der ersten Sitzung im Mai 1997 lag dem Gründungssenat ein entsprechender Tagesordnungspunkt vor. UAE, PH 13717. Tobias JUST, Interview Schluchter, S. 21. Hinzu kam aber auch, dass in den Augen der Universitätsgründer die meisten Mitarbeiter der PHE nicht Universitätsniveau hatten.
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Die Integration der PH in die Staatswissenschaftliche Fakultät bildete jedoch kein großes Problem, da von den 15 Professuren der Fakultät nur zwei an der PH besetzt waren – Sozialstrukturlehre und Internationale Beziehungen. Bei der Umsetzung der PH-Professuren ergab sich für die Universität auch die Möglichkeit, durch Umwidmung von an der PH nicht – oder fachfremd – besetzten Stellen an dringend benötigte Stellen für die Universität zu kommen. In den Mittelpunkt dieser Beratungen geriet die Fachdidaktik der PH, die über Didaktiker für jede Fremdsprache verfügte, auch in Russisch, was nicht mehr an der PH unterrichtet wurde. Prorektor Langewiesche schlug daher die Umwidmung der PH-Stelle für Russisch in eine Professur für Osteuropäische Geschichte vor.226 Auch die Slawistik „verfüge über viele Mitarbeiter; teilweise seien die Stellen fachfremd besetzt, keine Stelle sei unbesetzt“.227 Während man in der PHE-Leitung für die Slawistik das Konzept für die Umsetzung akzeptierte, kam Widerstand von den Didaktikern, da dies mögliche Stellenverluste für die PH bedeutete; die bot daher „nur eine Umsetzung ohne Umwidmung“ an. Die Universität konnte einer Umwidmung jedoch nur zustimmen, „wenn ein Gesamtkonzept für die Didaktik vorliege. Man wolle aber keine Didaktik-Stelle aufgeben, die man eventuell später wieder benötige.“228 In der Diskussion des Gründungssenats wurden daher verschiedene Didaktik-Modelle angedacht, wie beispielsweise Bereichsdidaktiken oder fächerverbindende, wie sie später in der Kornadt-Expertise zu den Erziehungswissenschaften dargelegt wurden.229 Erst im März 2000 wurden die ersten drei PH-Professuren an der Universität durch Überleitung besetzt. „Derzeit werden weitere 12 Berufungsverfahren für PHProfessuren durchgeführt.“230 Noch bevor die Kooperationsvereinbarung geschlossen wurde, hatte bereits die Diskussion der Fach-zu-Fach Integration des PH-Personals begonnen. Obwohl die Einordnung allgemein relativ problemlos verlief,231 bedeutete sie in der Übergangsphase vor allem in den Erziehungswissenschaften eine höhere Arbeitsbelastung, da sie in der PH weiter die traditionellen Lehramtsstudiengänge, in der Universität aber bereits in den neuen BA-Strukturen unterrichten mussten.232 Diese Doppelbelastung führten die PH-Professoren später auch als Er-
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Langewiesche, GS 4/17.11.1997. UAE, PH 13845. Ebd. Ebd. Vgl. die Beratungen im GS 17/2.3.2000. UAE, PH 13845. Zum Stand des Integrationsprozesses der PH in die Universität. Ausführungen auf der 1. Sitzung des Kuratoriums der PHE, 8.3.2000. UAE, PH 13845. Interview Leitgebel. Vgl. auch GS 22/16.1.2001, Top 4: Beschluss des GS über die Zuordnung und Neudenomination der Pädagogischen Hochschule nach deren Umsetzung an die Universität Erfurt. PrUE, Protokolle GS für weitere Einzelheiten. Lehrbericht des Instituts für Geschichte, 15.6.2000. Material Mai.
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klärung für ihr weitgehend fehlendes Engagement im Studium Fundamentale an. Wesentlich für die Integration der PHE bzw. den gesamten Gründungsprozess der Universität war die Schaffung einer reibungslos funktionierenden Verwaltung. Hier hatte das Thüringer Hochschulgesetz allgemein die Stärkung der Exekutive vorgesehen. Aber die Schaffung einer effizienten Verwaltungsstruktur sollte die Universität Erfurt noch über Jahre beschäftigen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten zeigten sich bereits bei der frühen Zusammenarbeit der Verwaltungen beider Hochschulen. Zunächst war es wiederum das zahlenmäßige Missverhältnis zwischen ihnen und die Tatsache, dass es sich einerseits um die Verwaltung einer real arbeitenden Hochschule, anderseits um die der sich in Planung befindlichen und mit einem kleinen Team arbeitenden Universitätsverwaltung handelte. Angesichts der von der PH in den Vorjahren erfahrenen Behandlung ging es Rektor Schaller auch hier um Verhandlungen auf Augenhöhe. Eine Aussprache zwischen den entsprechenden Verantwortlichen Anfang 1999 wurde von Rektor Schaller mit den Worten eröffnet, „dass es dringend geboten ist, die Zusammenführung im gegenseitigen Einvernehmen vorzubereiten“. Der Kanzler fügte hinzu, dass dies technisch „mit Hilfe von kW-Vermerken über einen gewissen Zeitraum und ohne Entlassungen erfolgen“ könne.233 Schon jetzt leistete man Amtshilfe im Dezernat Hochschul-Entwicklungsplanung, Technik und innere Dienste. Mit den ersten Studenten am Max-Weber-Kolleg im April „wird auch das Dezernat für Akademische und Studentische Angelegenheiten Amtshilfe liefern“.234 Im Februar 1999 kam es dann zu der angestrebten Vereinbarung über die Kooperation der Universität und der PHE im Verwaltungsbereich bis zur Aufhebung der PHE.235 „[I]m Hinblick auf die zunehmenden gemeinsamen Aufgaben beider Hochschulen in allen Bereichen“ beabsichtigen die Universität und die PHE „die Verwaltungen beider Hochschulen zum 1.1.2000 in der Zentralverwaltung der UE zusammenzuführen. Die UE übernimmt ab diesem Zeitpunkt bis zur Auflösung der PHE die Aufgaben der Verwaltung der PHE.“ Aus Sicht der PHE lief „der Prozess der Verwaltungsintegration nicht so reibungslos ab wie der Integrationsprozess der Bibliothek.“ Dies hat verschiedene Ursachen: „Alle Verwaltungsprozesse laufen gegenwärtig sowohl in der den ehemaligen PH-Mitarbeitern bekannten Form ab und gleichzeitig in einer für die UE festgelegten Form.“ Abstimmung zwischen den Abteilungen und
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Gesprächsprotokoll einer Aussprache zur Integration der Verwaltungen der UE und der PHE, o. D. (ca. Anfang 1999). UAE, PH 13845. Ebd. GS 11/29.3.1999, Tischvorlage zu Top 10. Ebd.
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mit den neu aufgebauten Fakultäten der Universität sei erforderlich. „Neue Aufgaben, wie das studienbegleitende Prüfungssystem, die Durchführung von Zulassungsverfahren oder der Umgang mit einer größeren Flexibilität bei der Bewirtschaftung der Haushaltsmittel müssen […] von der Verwaltung – ohne personelle Verstärkung – bewältigt werden. […] Die Belastungsgrenze ist erreicht.“236 Bereits im Februar 1999 hatte der Gründungssenat beschlossen, ein externes Gutachten zur Verwaltung der Universität einzuholen, das die Grundlage der Zusammenarbeit sein sollte.237 Die Stellen des Kanzlers beider Hochschulen wurden in einer Person vereint. „Der Kanzler der UE nimmt nach Beauftragung durch das Ministerium kommissarisch alle Aufgaben und Befugnisse des Kanzlers der PHE […] wahr.“ 238 Das Gutachten wurde aber bereits im Dezember 1999 als nicht genügend auf die Bedürfnisse der Universität zugeschnitten im Gründungssenat kritisiert, und weitere Reformen folgten. In weiteren Gesprächen wurde die konkrete Umsetzung der Verwaltungszusammenarbeit ausgehandelt. Wiederum ging es auch hier um die Mitarbeiter, hauptsächlich um Instituts- und Fakultätssekretärinnen. „Das Verwaltungspersonal in den Fakultätsverwaltungen verbleibt in ihren Stellen […] wie bisher in der PH.“ Aus dem Rechenzentrum der PH sollten fünf Mitarbeiter an die Universität umgesetzt werden, denn das angestrebte umfangreiche Rechenzentrum der Universität war „mit derzeit 10 Stellen für die anliegenden Aufgaben nicht hinreichend besetzt“.239 Schien die Integration der Verwaltungen so auf gutem Wege, so zeigten sich doch immer wieder reservierte Einstellungen in der Universität gegenüber der PHE. Zwar hatte man sich offiziell darauf verständigt, dass es bei der Zusammenführung der Verwaltungen keine Kündigungen geben sollte. Dem stand allerdings die Einstellung von DM 20.000 im Haushalt entgegen „für Prozesskosten im Zusammenhang mit der Umsetzung und Aufgabenänderung von PH-Bediensteten“.240 „Insbesondere Herr Schaller hält diesen Titel und seine Begründung für geeignet, latente Befürchtungen [in der PH] neu zu schüren.“ Nachdem auch Glotz Schallers Argumente unterstützte, wurde der Haushaltsposten gestrichen.
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239 240
Zum Stand des Integrationsprozesses. Ausführungen auf der 1. Sitzung des Kuratoriums der PHE, 8.3.2000. UAE, PH 13845. Stahlecker-Gutachten zum Aufbau und organisatorischen Ausgestaltung der Verwaltung. Interessant ist hier die unterschiedliche Bewertung von Kanzler Martin Henkel-Ernst: Während Angehörige der PHE das Verhältnis als „gelebte Integration“ sehr positiv sahen (Interview Leitgiebel), beurteilten Universitätsmitarbeiter ihn als „zu sehr die Interessen der PH vertretend“ negativ. Interview Hanske. GS 14/9.6.1999. UAE, PH 14291. GS 16/10.12.1999, Top 5a und b. UAE, PH 13845.
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Obwohl die Zusammenführung der Verwaltungen in einigen Bereichen problemlos gelang,241 war sie allgemein dadurch gekennzeichnet, dass man sie „additiv“ vorgenommen hatte, d. h. dass es ihr an einem Leitbild fehlte.242 Das oben erwähnte Gutachten von 1999 zum Aufbau und organisatorischen Ausgestaltung der Verwaltung wurde schon bald kritisiert als „zu sehr an konventionellen Modellen der Hochschulverwaltung orientiert“ bzw. dass es die besonderen Aufgaben der Reformuniversität nicht genügend berücksichtige.243 Auch bestünden gravierende Kommunikationsdefizite sowie eine mangelnde ServiceOrientierung,244 d. h. es gelte jene allgemeine Beobachtung, dass sich „Academia und Angehörige der Verwaltung gegenseitig fremd sind“.245 Eine neue Reformkommission unter Mitwirkungen u. a. von Professor Wolff empfahl daher als „Grundlage für eine effizient arbeitende Verwaltung […] die Erkenntnis, dass sich die Verwaltung als Dienstleiter für Forschung, Lehre und Studium versteht“.246 Konkrete Empfehlungen folgten: zur Einrichtung von flexiblen „task forces“ mit Mitarbeitern verschiedener Bereiche für besondere Aufgaben, die zur Stärkung der Stellung des Kanzlers führten und als Richtlinien für den Präsidenten galten. Für diese stärkere Funktionsstelle war auch nicht mehr die Qualifizierung zum höheren Richteramt erforderlich, sondern Erfahrung in der Wirtschaft oder Verwaltung. Der Kanzler sollte auch stärker in die Entscheidungsprozesse der Universitätsleitung eingebunden werden. Angesichts der Reform der Studienorganisation hielt es die Kommission für „unabdingbar“, die Abteilung Studium und Lehre stärker mit dem akademischen Bereich zu verbinden und sie künftig dem Vizepräsidenten für Studium und Lehre zu unterstellen. Gleiches sollte auch für die Forschung geschehen.247 Diese Struktur wurde in der Universität weitgehend umgesetzt. Auch die Fach-zu-Fach-Integration der PH schritt ständig voran. Im September 1999 beschloss der Gründungssenat, ab dem Wintersemester die Vorlesungszeiten denen der PH anzugleichen und die PH-Lehrangebote im Vorlesungsverzeichnis anzubieten – anfangs durch ein * gekennzeichnet. Gleichwohl blieben noch immer die „feinen und weniger feinen Unterschiede. Gremien, Haushalte usw. [bleiben] getrennt, Informationen [wurden] nicht immer durch 241
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So im Justiziariat, wo der Verantwortliche für Prüfungsangelegenheiten der PH seinen Arbeitsbereich auf die Universität erweiterte, während der Rechtsexperte der Universität für alle Personalverträge zuständig blieb. Empfehlungen der Verwaltungsreformkommission, Tischvorlage, S. 2. GS 23/ 13.3.2001. PrUE, Protokolle GS. GS 16/10.12.1999. PrUE, Protokolle GS. Kur 4/25.10.2000. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. Kur 5/21.2.2001. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Empfehlungen des Strukturausschusses der Gründungskommission, S. 2. GS 23/ 13.3.2001. PrUE, Protokolle GS. Ebd., S. 3 f.
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gestellt.“248 Auch der Präsident hoffte, dass die Integration der Lehrerbildung in das BA/MA-Modell der Universität „sehr dazu beitragen wird, die gegenwärtig zumindest in der Perzeption bestehende Zweiklassengesellschaft an dieser Universität aufzuheben.“249 Dass es sich nicht nur um eine „Perzeption“ handelte, zeigte sich u. a. auch im Gründungssenat. Hier hatte die Universität zwar die „Bereitschaft erklärt, je einen Vertreter der […] aufgelösten Fakultäten der PH bis zur Konstituierung gewählter Gremien hinzuziehen“. Sie sollten jedoch nur eine beratende Funktion haben. Demgegenüber „hat sich das Ministerium dafür entschieden, die Dekane der bisherigen Fakultäten der PH mit Sitz und Stimme zum Gründungssenat hinzuziehen. […] Neben dem Votum der GEW und des Personalrats [waren] auch Bedenken innerhalb des Ministeriums ausschlaggebend, nun eine Institution zu übernehmen und eine Zeitlang keine Vertreter dieser Institution zu haben, die die Interessen der Betroffenen vertreten könnten; […] andernfalls wäre das Inkrafttreten des Aufhebungsgesetzes erheblich gefährdet gewesen.“250 Es waren besonders die Vizepräsidenten Schluchter und Langewiesche der Universität, die die PH hier noch einmal aus dem Betrieb der Universität ausschließen wollten. Die vierte Kooperationsvereinbarung betraf die Einführung der BA/MAStruktur in den Erziehungswissenschaftlichen Studiengängen251 (vgl. Kap. VII. 3.2). Die unterschiedlichen Auffassungen zeigten sich nochmals in der Feier anlässlich der Integration der Pädagogischen Hochschule in die Universität am 21.3.2001. Rektor Schaller benutzte das von Goethe geschaffene Bild des Ginka – eines zweihäusigen, zweigeschlechtlichen Baums, wo männliche und weibliche Früchte sich gegenseitig befruchten und gemeinsam ein Lebewesen höherer Art schaffen. So sah er auch die beiden Hochschulen, d. h. beide „auf unsere Art vollkommen und unvollkommen zugleich“.252 Die beiden Gründungsprorektoren dagegen können sich an diese Episode nicht erinnern.253 Der Beitrag der Pädagogischen Hochschule zur Universitätsgründung wurde abschließend von der Universitätszeitung gewürdigt:254 „Aufhebung und Neuanfang. Die PH und die UE haben in den letzten Jahren eine erfolgreiche
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Professor Mai, Mail an Professor Doering-Manteuffel, 24.9.1999. Material Mai. Kur 9/10.3.2003, S. 5: Bericht des Präsidenten. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K4. Kur 4/25.10.2000. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. Kooperationsvertrag zur gemeinsamen Durchführung des Baccalaureusstudiums in den Erziehungswissenschaften. GS 7.7.1999. UAE, PH 13846. Rede des Rektors am 20.12.2000 anlässlich der Festveranstaltung zur Aufhebung der Pädagogischen Hochschule. UAE, PH 13832. Interviews Langewiesche und Schluchter. Campus, 30.11.2000.
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gemeinsame Arbeit geleistet wie bei langfristiger Amtshilfe [oder] bei der gemeinsamen Kooperation bei der Studentenausbildung. Die Abgabe und Übernahme von Mitarbeitern endet mit der Integration des akademischen Personals der PH in die Universität zum Jahreswechsel. […] Die 369 Universitätsstudenten werden in der Silvesternacht 2.142 Kommilitonen/innen bekommen. Man habe Reformimpulse für ganz Deutschland gesetzt.“
3.2
Die Erziehungswissenschaftliche Fakultät
Die letzte der Kooperationsvereinbarungen zur gemeinsamen Durchführung des BA-Studiums in den Erziehungswissenschaften war auch die schwierigste. Denn hier ging es gleichzeitig um die Struktur der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät, ihre Stellen und die zukünftigen Studiengänge. Die Universität hatte hierzu den Experten der Universität Saarbrücken, Professor Hans-Joachim Kornadt, zur Beratung gewonnen, der bereits im Januar 1998 Gespräche mit Vertretern der Pädagogischen Hochschule aufnahm.255 Diskussionsgrundlage war ein erster Entwurf des Kornadt-Gutachtens, das für die Weiterführung des stark nachgefragten erziehungswissenschaftlichen Diplomstudiengangs der PHE ein Y-Modell vorschlug. Ausgehend von dem BA sollten zwei Zweige weiterführen: ein anwendungsorientiertes Aufbaustudium einerseits und ein fachwissenschaftlich vertiefendes Magisterstudium andererseits.256 Zugleich befürwortete Kornadt die Bildung eines Didaktik-Zentrums. Für die Hochschule unterstützte Rektor Schaller das Modell prinzipiell, doch „bestünde über die mögliche Lösung der Didaktik der Fächer weiterer Gesprächsbedarf. […] Auch bei der angedachten Begrenzung der Professuren seien Verwerfungen abzusehen.“257 Zur Vorbereitung der Kooperationsvereinbarung fand im März 1999 ein Gespräch zwischen den Leitungen der beiden Hochschulen statt, in dem die Vorgehensweise beschlossen wurde.258 Die PHE beantragte beim Ministerium die Einrichtung eines BA-Studiengangs mit Haupt- und Nebenstudienrichtung Erziehungswissenschaft, der die gleiche Struktur wie der der Universität haben würde, einschließlich der Rahmenprüfungsordnung. Die Studierenden beider Einrichtungen sollten fachwissenschaftliche Studiengänge an der Universität belegen, erziehungswissenschaftliche an
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258
GS 5/21.1.1998. PrUE, Protokolle GS. Langewiesche hielt dieses Konzept allerdings für unrealistisch. Interview Langewiesche. Dekan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der PHE, Informationen zum Tagesordnungspunkt: Stellenstruktur der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät, 23.2.2000. UAE, PH 13845. Ergebnisprotokoll, 31.3.1999. UAE, PH 13846.
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der PH. Wie die Studierenden der Universität müssten auch die der PH das Studium Fundamentale absolvieren.259 In der Praxis erwies sich, dass diese an sich einleuchtende Struktur bei den Studierenden nicht beliebt war. Im November 2000 berichtete Rektor Glotz: „Knapp ein Drittel der Studienanfänger des ersten Jahres haben sich nicht mehr für das zweite Studienjahr eingeschrieben. Hier ist der größte Schwund bei dem gemeinsam mit der PH angebotenen Studiengang Erziehungswissenschaft zu verzeichnen.“260 Zu diesem Zeitpunkt waren in der PH bereits Bedenken eingetreten. Der Dekan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät machte deutlich, „dass im GS der Eindruck erweckt wird, als sei man auf dem besten Weg zur zukünftigen Struktur“. Dem sei nicht so. Die PH müsse ein „eigenes, schlüssiges Konzept entwickeln, das nicht von UE-Konzepten ausgeht, sondern von Sachaufgaben“. Erst dann solle man Kornadt hinzuziehen.261 Ein besonderer Streitpunkt war die Differenz in der Gesamtzahl der Professuren zwischen dem am 3.11.1999 vom Fakultätsrat der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät beschlossenen Strukturplan und dem Kornadt-Entwurf. Im Februar 2000 ließ die PH den Senatoren eine ausführliche „Information“ zukommen, die die im Gegensatz zu Kornadt höhere Anzahl der PHProfessuren erläuterte.262 Angesichts der zahlreichen Lehrverpflichtungen nicht nur in der PH, sondern jetzt auch in der Universität stelle die Personalausstattungsplanung der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät „die Mindestausstattung dar, die gesichert werden müsse“.263 Kornadts Gutachten, das vom Gründungssenat im März 2000264 diskutiert wurde, ging von den Gegebenheiten der PH aus, deren Aufgaben, die von der Universität übernommen werden sollten, sowie den Rahmenbedingungen und Bedürfnissen, an die die der PH angepasst werden müssten. Die Vorgabe der Universität war, den Umfang des Kernbereichs der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät auf 18-20 Lehrstühle zu begrenzen. Dabei sollte die Fakultät dem Umfang der übrigen Fakultäten in etwa entsprechen, was Kornadt persönlich „akzeptabel“ fand.265 Als Kernbereich definierten die endgültigen „Empfehlungen“ zunächst die Mindestausstattung zur Erfüllung der Lehrerausbildung, obwohl aufgrund des 259 260 261 262
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Die entsprechende Vereinbarung trat am 15.7.1999 in Kraft. Text in: UAE, PH 13846. GS 21/8.11.2000. PrUE, Protokolle GS. PH-Senat, 7.7.1999. UAE, PH 13845. Dekan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der PHE, Informationen zum Tagesordnungspunkt Stellenstruktur der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät, 23.2.2000. UAE, PH 13845. Ebd. GS 17/2.3.2000. PrUE, Protokolle GS. Professor Dr. H.-J. Kornadt, Senatsbeauftragter für die Erziehungswissenschaften, Erziehungswissenschaftliche Fakultät der Universität Erfurt, Vorlage für die Sitzung des Gründungssenats am 2.3.2000, S. 1. UAE, PH 13845.
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zu erwartenden starken Geburtenrückgangs keine nennenswerten Neueinstellungen von Lehrern an den Schulen zu erwarten seien. Aber „um eine völlige Überalterung des Lehrkörpers zu vermeiden“, waren gewisse Neueinstellungen nötig, sodass ein Minimum an Lehrerbildungskapazitäten erhalten bleiben sollte. Gleichzeitig galt es, die Professuren zu sichern, die für die BA/MA-Ausbildung notwendig waren. Dagegen zählten „nach Übereinkunft mit dem Rektor und den Prorektoren der Universität“ die zusätzlich in die Fakultät aufzunehmenden Professuren nicht zum Kernbereich der BA/MA-Struktur. Dies waren die Stellen der Fachdidaktik; weitere Fächer, die mit der Lehrerausbildung zu tun hatten, wie Musik, Kunst und Religionspädagogik sowie Professuren, die aus anderen Gründen in die Fakultät aufgenommen werden sollten, wie beispielsweise die Bibelwissenschaft. „Mit diesen Professuren würde die Fakultät insgesamt einen Umfang von 25 bis 30 Professuren haben.“266 Andererseits erschien Kornadt eine Fakultät, die nur aus einem Fach – den Erziehungswissenschaften – bestand, als zu „schmalbrüstig“, um sich gegenüber den anderen Fakultäten mit ihren wesentlich größeren Zahlen und verschiedenen etablierten Fächern behaupten zu können. „Besonders wichtig war, dass sie zudem auch unter dem Image zu leiden hätte, lediglich der Rest der Pädagogischen Hochschule zu sein.“267 Dem Argument der PH, dass ihre Professuren für die Lehre benötigt würden, begegnete das Gutachten mit zwei Gegenargumenten: Bei den Professuren müsse man sich bei begrenzten Mitteln an den zentralen Hauptgebieten eines zu vertretenden Gebiets orientieren. Vor allem könne man über das engere Forschungsgebiet hinausgehende Lehrangebote für den weiteren Fachbereich anbieten, wie auch der Wissenschaftsrat zu Recht den Grundsatz formuliert hatte: „[E]in Wissenschaftler, der für ein Gebiet habilitiert bzw. berufen worden ist, muss auch diejenigen Teilgebiete eines Faches in der Lehre vertreten können, die nicht sein eigentliches Forschungsgebiet ausmachen. […] Auch die Forderungen der staatlichen Prüfungsordnungen [können] keine zwingende Grundlage für die Einrichtungen sein.“ Die Lehre bestimmter Teilgebiete könnten von Angehörigen des Mittelbaus oder von Lehrbeauftragten wahrgenommen werden. Ein Vergleich mit der notwendigen Ausstattung anderer (west- und ost-) deutscher Universitäten zeigte zudem, dass Erfurt mit seinen Vorschlägen im Mittelfeld lag. „Somit [ist] der von mir vorgelegte Vorschlag durchaus vertretbar.“268
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Ebd., S. 3. Ebd. Ebd., S. 4 f.
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Die „Empfehlungen“ wurden in der Folgezeit lebhaft diskutiert, wobei die PH auf der Zahl ihrer Professuren bestand. Man bat das Kultusministerium um einen Kommentar zu der vorgeschlagenen Personalstruktur, die man schon vor Monaten dem Ministerium hatte zukommen lassen. Es bestehe „dringender Gesprächsbedarf“.269 In weiteren Schreiben an die zuständige Ministerin Schipanski beklagte man den Verlust von fünf der in der PH-Struktur vorgesehenen Professuren, was „die dringend erforderlichen Kapazitäten und Entwicklungsperspektiven [der PH] in bedenklicher Weise beschnitte“.270 In einem Brief an Präsident Bergsdorf monierte man, dass „die Universität von einigen ursprünglichen Prämissen weit abgerückt ist“.271 Während der Präsident der Universität durch Umwidmung bestehender Stellen einen Kompromiss anbot, lehnte er „aus übergeordneten Gesichtspunkten“ eine zusätzliche Stelle für die Erziehungswissenschaftliche Fakultät ab. Wieder wurde der Wissenschaftsrat dazu benutzt, um das Problem zu lösen. „Der Wissenschaftsrat hat dem Land eine deutliche Reduzierung der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät zur Auflage gemacht. Diese wurde ohne jeglichen Einschnitt in den direkten erziehungswissenschaftlichen Bereich umgesetzt. […] Mit zusätzlichen Studiengängen in Psychologie und Sport, sowie dem wichtigen Bereich Neue Medien erhält die Fakultät überdies ein erhebliches Entwicklungspotential, das für die Lehrerausbildung durch das geplante Zentrum für didaktische Lehr- und Lernforschung zusätzlich in beachtlicher Weise unterstützt wird.“272 Bei einer Aussprache im Juli zwischen den Hochschulleitungen273 fand Rektor Schaller die Reduzierung der PH-Professuren wiederum „unverständlich“, womit er sich letztlich auch durchsetzte. Es wurde vereinbart, dass die umstrittene PH-Professur für Kindheits- und Jugendforschung mit der Umwidmung einer der von der Universität geplanten Gastprofessuren erhalten blieb. Auch die Fachdidaktiken sollten bis zum Ausscheiden der zuständigen Professoren bei den Fachwissenschaften bleiben.274 Für die Technikprofessur sowie die Computerlinguistik wollte man mit der TU Ilmenau zusammenarbeiten. Damit war die Grundlage für das „Gesetz über die Aufhebung der Pädagogischen Hochschule Erfurt und zur Anpassung des Thüringer Hochschulgeset-
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Der Vorsitzende des Kuratoriums der PH an Kultusminister Dr. Michael Krapp, 17.5.2000. UAE, PH 13845. Die Dekane der PHE an TMWFK und Kultusministerium, 6.6.2000. Ebd. Leitung der PHE an Präsident der UE, 7.6.2000. Ebd. Präsident der UE an Rektor der PHE, 23.6.2000. Ebd. PHE, Ergebnisprotokoll einer Aussprache zwischen der UE- und PH-Leitung, 6.7.2000. Ebd. DASS., S. 2. Ebd.
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zes“ geschaffen,275 aufgrund dessen die PH am 1.1.2001 in die Universität überging. Doch blieb die Erziehungswissenschaftliche Fakultät – wie auch immer gestaltet – ein Bereich, der von den Universitätsgründern eher unwillig akzeptiert wurde.276 Denn die Erziehungswissenschaften zogen die meisten Studenten an, was das Gleichgewicht zwischen den Fakultäten zu gefährden schien. Nicht nur das: Zwei Drittel der Studenten kamen aus der näheren Umgebung, entgegen den Aspirationen der Gründer, die eine breite Internationalität anstrebten. Die Studiengänge der PH blieben zunächst unverändert auf Zwischen- und staatliche Abschlussprüfungen ausgerichtet, sodass es an der Universität zeitweise zwei unterschiedliche Studiensysteme und Prüfungsordnungen gab. Um die Genehmigung zur Einführung der BA/MA-Struktur vom Wissenschaftsministerium zu erhalten, musste der Beweis geführt werden, dass sich die Anforderungen entsprachen, d. h. eine genaue Äquivalenzbeschreibung war erforderlich. Erst drei Jahre später wurde die Lehramtsausbildung voll auf die BA/MAStruktur umgestellt, womit die Universität Erfurt den Empfehlungen verschiedener Hochschulgremien folgte.277 Für den zuständigen Prorektor Dietmar Herz hatte die Reform Modellcharakter, denn „die Ausbildung aller Studenten, auch die für Lehrämter, erfolgt [nun] auf gleichem wissenschaftlichem Niveau und in gleichen Studienstrukturen. Vor allem für Grundschullehrer bedeutet dies Fortschritt und Aufwertung.“278 „Mit der nun dem Ministerium zur Genehmigung vorliegenden Neuordnung und Integration in das gestufte BA/MASystem seien die Lehrämter Teil des Reformkonzepts.“279 Nach erteilter Ge-
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THÜRINGER LANDTAG. 3. Wahlperiode. Drucksache 3/994: Gesetzentwurf, 27.9.2000, und Gesetz. „Die Fakultät […] ist so etwas wie der Geburtsfehler der Universität.“ Malte HENK, „Ach Erfurt. Als Reformhochschule sollte die Universität Erfurt von sich reden machen. Was ist eigentlich daraus geworden?“ Zeit-online, 23.3.2005. Für die PH ergab sich die Absurdität, dass ihr trotz des absehbaren Endes ihrer Existenz nicht der umfangreiche „Lehrbericht“ erspart blieb, den die PH nach Maßgabe von §10a ThürHG vorzulegen hatte. Damit „legte der Gesetzgeber bzw. die Politik den Hochschulen zusätzliche Pflichten auf, bietet ihnen aber keinerlei Ressourcen an, die die Erfüllung dieser Pflichten auch nur erleichtern würden. […] Im Endeffekt habe er 230 Stunden Mehrarbeit leisten müssen.“ Prorektor der PH, Professor Winfried Franzen, Zur Vorgehensweise bei der Erarbeitung des Lehrberichts. UAE, PH 13842. Vgl. Professor Gunther Mai, Lehrbericht des Instituts für Geschichte, 15.6.2000. Material Mai. WISSENSCHAFTSRAT, Empfehlungen zur Struktur der Lehrerbildung, 16.11.2001; SEKRETARIAT DER STÄNDIGEN KONFERENZ DER KULTUSMINISTER (Hg.), Rahmenvereinbarungen über die Ausbildung und Prüfung für Lehrämter in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1997. Dietmar HERZ, Das Reformkonzept der Universität Erfurt. Ausarbeitung eines Vortrags an der Universität Oslo, Oktober 2002, S. 176. Gleichzeitig versuchte Herz, einen qualitativen Umbau durch höheren Praxisbezug bzw. durch mehr Professionalisierung etc. zu erreichen. Auch die Studien- und Prüfungsord-
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nehmigung konnte der neue Studiengang Anfang des Wintersemesters 2003/04 beginnen.
4.
Die Katholisch-Theologische Fakultät und das Martin-Luther-Institut
DIE KATHOLISCH-THEOLOGISCHE FAKULTÄT UND DAS MARTIN-LUTHERINSTITUT
4.1
Die Katholisch-Theologische Fakultät
Erfurt war hinsichtlich der Katholischen Theologie in der DDR einzigartig gewesen. 1952 hatte man dort das Philosophisch-Theologische Studium gegründet, an dem katholische Priester für die gesamte Republik ausgebildet wurden.280 Nach der Wende drohte der Einrichtung die Schließung: Theologie konnte nunmehr an kirchlichen Einrichtungen in der alten Bundesrepublik studiert werden; die Religionslehrerausbildung fiel ohnehin in die Zuständigkeit der Länder. Hinzu kam: „Der Vatikan wollte Geld sparen.“281 Innerhalb der Kirche gab es jedoch das Bestreben, für den Dialog mit der Universität offen zu bleiben.282 Eine Lösung war das Eingehen als Theologische Fakultät in die geplante Universität, was neben Professor Wilhelm Ernst, dem mehrfachen Rektor des Philosophisch-Theologischen Studiums, besonders von Ministerpräsident Vogel unterstützt wurde. Einsatz für die Theologische Fakultät machte Letzterer zur Voraussetzung für die Ernennung von Glotz zum Gründungsrektor. „Es kam zu einem sehr entscheidenden Nachtgespräch im Gästehaus der Landesregierung. Einige Dinge waren für mich unabdinglich – beispielsweise die Integration der katholischen Theologie. Es war nicht ganz sicher, ob er das akzeptieren würde.“283 Auch der Wissenschaftsrat unterstützte das Vorhaben. „Die Errichtung einer Fakultät für Katholische Theologie erscheint vor allem deshalb vertretbar, da das Philosophisch-Theologische Studium Erfurt über eine anerkannte Tradition in der Priesterausbildung verfügt, Erfurt bislang die einzige Ausbildungs-
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nungen wurden überarbeitet. In: Bericht zum Entwicklungsstand der Reform der Lehrerbildung. Kur 10/26.5.2003, Top 3. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K4. Die Religionslehrerausbildung wurde jedoch abgeschafft, da Religion in den DDRSchulen nicht gelehrt wurde. Interview Ettrich. Interview Weinrich. Interview Bernhard Vogel, 26.4.2007, in: Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 214.
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stätte dieser Art in den neuen Bundesländern ist, und die Bischöfe von Dresden-Meißen, Erfurt, Görlitz und Magdeburg bereits ihren Willen bekräftigt haben, an der gemeinsamen Ausbildung ihrer Priesteramtskandidaten in Erfurt festzuhalten. In den Beratungen mit dem Wissenschaftsrat hat auch eine Rolle gespielt, dass der Aufbau einer vergleichbaren Fakultät in Berlin nicht sicher ist.“284 Das dafür notwendige Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und Thüringen erwies sich jedoch als kompliziert, weil der Vatikan grundsätzlich gegen die Einbindung der Katholischen Theologie in staatliche Hochschulen eingestellt war und die Ausbildung in kirchlichen Einrichtungen vorzog. Der Hinweis, dass Papst Johannes Paul II. seinerzeit in Polen eine solche Integration gebilligt hatte, brachte die Wende. Das Konkordat kam 1997 zustande, doch gelang es den Erfurter Unterhändlern nicht, die Integration in die gerade gegründete Universität Erfurt in den Vertrag aufzunehmen. Der Grund war, dass u. a. der Präfekt der Bildungskongregation, Kardinal (und spätere Papst) Joseph Ratzinger, Erfurt als kirchliche Hochschule behalten wollte, mit dem Argument, dass „wir doch genügend staatliche Fakultäten haben. […] Das hat viel Zeit gekostet, weil damit die Verhandlungen erst einmal auf Eis gelegt wurden.“ 285 Auch in der Landesregierung wurde es komplizierter. Dem Koalitionspartner SPD fiel es schwer, die nötigen rechtlichen Bestimmungen zu akzeptieren. Dies galt vor allem für das sogenannte „nihil obstat“-Prinzip der Kirche, wonach die Berufung eines Professors an die Unbedenklichkeitserklärung des Papstes gebunden ist; zudem muss ein Professor, der sein Priesteramt verlässt bzw. aus kirchenrechtlichen Gründen verlassen muss, vom Staat alimentiert und durch einen Nachfolger ersetzt werden. „Das ist jetzt die Regelung, die damals der Thüringer SPD nicht vermittelbar war.“286 Das Führungspersonal der Universität, insbesondere Rektor Glotz, stand jedoch voll hinter dem Vorhaben. „Besonders am Herzen lag mir die Integration der Katholischen Theologie in die Universität.“287 „Das Werben um das Philosophisch-Theologische Studium wäre ohne seinen praktischen politischen Sinn […] nicht so zügig und vor allem so konfliktfrei gelungen.“288 Auch einzelne
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WISSENSCHAFTSRAT, Stellungnahme zur Aufnahme der Universität Erfurt in das Hochschulverzeichnis des Hochschulbauförderungsgesetzes, S. 64: III. 5: Zur KatholischTheologischen Fakultät. Interview Weinrich. Ebd. Peter GLOTZ, Von Heimat zu Heimat, S. 321. Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 213. Glotz sah in einer weiteren Fakultät auch ein Gegengewicht gegen die zahlenmäßig starke PH. Interview Weinrich. Wolfgang SCHLUCHTER, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 23.
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Mitglieder des Gründungssenats wie Frau Dr. Laurien, Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken,289 leisteten Vermittlungsarbeit. Sie hatte bereits in einer der ersten Sitzungen des Gründungssenats den Kontakt mit dem Vatikan angeboten.290 Ein Jahr später war noch immer kein Fortschritt in den Verhandlungen erzielt. „Herr Ernst und Herr Schramm bedauern die Entscheidung des Vatikans, der Integration des Philosophisch-Theologischen Studiums als dritte Fakultät in die UE nicht zuzustimmen. Beide sprechen sich ausdrücklich für rasche Kooperationsgespräche aus; die Option der Integration (so betont auch Frau Laurien) soll dabei keinesfalls aus den Augen verloren werden.“291 Am 22.5.1999 bildete die Erfurter Kirche das zur „Theologischen Fakultät“ ausgebaute Philosophisch-Theologische Studium in eine eigenständige kirchliche Einrichtung um – eine Struktur, die die spätere Integration in die Universität erleichterte. Sie wurde von fünf Bistümern getragen, die gleichzeitig die Geldgeber waren.292 Darüber hinaus gab es Mittel für die Religionslehrerausbildung vom Land Thüringen. Auch Drittmittel wurden eingeworben wie beispielsweise vom Bonifatius-Werk der deutschen Katholiken für die Bibliothek. Die Studentenzahlen waren im Vergleich zu vor fünf Jahren um 55 % angestiegen. Die Fakultät umfasste 13 Lehrstühle, einen Sprachlektor und insgesamt sieben Mittelbaustellen. „Es gab vielfältige Kooperationen auf praktischer und pragmatischer Ebene mit der UE, wie im Bereich des Studium Fundamentale. […] Mit dem Vatikan hatten die Vorverhandlungen zur Integration im Frühling 2000 eine heikle Phase erreicht. [Obwohl] Bischof Wanke auf Bitten des kirchlichen Nuntius einen Zwischenbericht an die römische Studienkongregation gerichtet hatte, war eine (mehrfach angemahnte) Reaktion bisher ausgeblieben.“293 Noch im Oktober 2000 konnte Präsident Bergsdorf dem Kuratorium von „keinen neuen Entwicklungen zur Integration der Theologischen Fakultät Erfurt berichten. […] Noch im Frühjahr war ich gemeinsam mit Staatssekretär Aretz in Rom. Seither sind zumindest für die Universität keine Bewegung[en] in dieser Angelegenheit zu erkennen.“294 Erst im Juni des folgenden Jahres gab der 289
290 291 292 293 294
Hanna-Renate Laurien war lange Kollegin und Vertraute von Vogel. Sie arbeitete in Vogels Kultusministerium im Kabinett Kohl in Rheinland-Pfalz und wurde dessen Nachfolgerin, als Vogel in das Amt des Ministerpräsidenten wechselte. Später arbeitete sie als Bildungssenatorin unter Richard von Weizsäcker in Berlin. Sie gehörte dem Dritten Orden des Dominikus an und war, mit 24 konvertiert, tief katholisch. GS 3/10.10.1997. PrUE, Protokolle GS. GS 9/27.11.1998, Top 2. Ebd. Der Leiter der Theologischen Fakultät Erfurt, Andreas Wollbold, Bericht zur Theologischen Fakultät. Kur 4/25.10.2000, Top 7. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K4. Ebd. Kur 4/25.10.2000, Bericht des Präsidenten, S. 2. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1.
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DAS KABINETT VOGEL/SCHUCHARDT 1994-1999
Vatikan grünes Licht für die Aufnahme von Verhandlungen.295 Von Seiten der Universität war inzwischen angesichts der Finanzknappheit das Hauptproblem die Finanzierung: „Im Zusammenhang mit den Verhandlungen zwischen Vatikan und Freistaat zur Integration der Katholischen Fakultät hat die Universität dem Ministerium in einer Stellungnahme übermittelt, dass sie auf eine angemessene Ausstattung der vierten Fakultät großen Wert legt, die Etatisierung der künftigen Stellen jedoch nicht aus dem Stellenhaushalt der Universität zu leisten ist.“ Allgemein seien „zusätzliche Personalkosten von jährlich über 3 Millionen in Zeiten des Einsparimperativs für ein Land wie Thüringen wahrlich nicht leicht aufzubringen“.296 Andererseits kam die Theologie nicht ohne Mitgift. Auf kirchliche Kosten wurde die Villa Martin auf dem Campus der Universität renoviert, die der Fakultät in Zukunft als Verwaltungsgebäude diente. Kirchliche Seminarräume am Domplatz wurden hergerichtet und der Universität mietfrei zur Verfügung gestellt. Hinzu kam ein umfänglicher Bibliotheksbestand, der auf die Universität überging. Die Trägerbischöfe erklärten ihre Bereitschaft, einen Stiftungslehrstuhl für fünf Jahre zu finanzieren.297 Wie schwierig der Prozess war, zeigte sich daran, dass der Staatsvertrag zwischen dem Land Thüringen und dem Vatikan erst am 19.11.2002 geschlossen werden konnte.298 Kurz darauf, am 1.1.2003, war die Integration der Katholisch-Theologischen Fakultät als vierte Fakultät der Universität vollzogen. „Herausragendes Ereignis […] war der Festakt zur Integration. […] Die Universität hat damit nicht nur eine vierte Fakultät, sondern ein weiteres Alleinstellungsmerkmal gewonnen.“ Die Rednerliste hätte hochkarätiger kaum sein können: Ministerpräsident, Wissenschaftsministerin, Bischof Joachim Wanke und als Festredner Kardinal Karl Lehmann, der über „Universität und Theologie“ sprach. „Es wurde einmal mehr deutlich, dass diese Universität die große Wertschätzung und Unterstützung der Landesregierung hat.“299 Der Dekan der Fakultät, Professor Eberhard Tiefensee, wurde Vizepräsident der Universität. Die Überleitung der Professoren in die Universität, d. h. die Entscheidung ihrer Übernahme auf eine C3- oder C4-Professur oder ihre Eignung für die Arbeit in der Universität als solche, wurde wiederum schwierig.300 Bei Berufungen musste der Bischof zustimmen. In der Folgezeit zeigte sich der Vatikan in der Person des Präfekten der vatikanischen Bildungs-Kongregation bei einem Besuch in Erfurt Anfang November 2003 „sehr aufgeschlossen hinsichtlich der 295 296 297 298 299 300
Kur 6/7.6.2001, Bericht des Präsidenten. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K4. Kur 7/28.1.2002, Bericht des Präsidenten, S. 3. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Interview Weinrich. Vgl. Campus, 6/18.12.2002 für Einzelheiten. Kur 10/26.5.2003, Bericht des Präsidenten, S. 2. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Interview Weinrich.
DIE KATHOLISCH-THEOLOGISCHE FAKULTÄT UND DAS MARTIN-LUTHER-INSTITUT
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Katholischen Fakultät“. Zur gleichen Zeit unterzeichnete der Vatikan auch die Bologna-Erklärung.301 Damit wurden die Studiengänge der Fakultät denen der Universität gleichgestellt. Obwohl die Katholische Fakultät allgemein – wenn auch aus unterschiedlichen Gründen – begrüßt wurde, zeigten sich bald gewisse Probleme, die die Universität langfristig belasten sollten. Im Vergleich zu dem umfangreichen Lehrkörper blieben die Studentenzahlen sehr gering. Auch die Integration der Fakultät – im Gegensatz zu der von einzelnen Professoren – in die restliche Universität blieb schwierig,302 obwohl sich mit dem Max-Weber-Kolleg über das „Forum Religion“ eine intensive Zusammenarbeit entwickelte.303
4.2
Das Martin-Luther-Institut
Um die Evangelische Theologie in Erfurt hatte es bereits in der Frühphase der Thüringer Landespolitik Kontroversen gegeben. Auf der einen Seite sah das Ministerium angesichts der fünf bestehenden Fakultäten für Evangelische Theologie auf dem Gebiet der vormaligen DDR bei der bestehenden geringen Nachfrage keinen Bedarf für weitere Angebote; auf der anderen Seite vertraten besonders einige der westdeutschen, an die PH berufenen Professoren die Überzeugung, dass gerade die Lutherstadt Erfurt diese anbieten sollte.304 Auch waren bereits gewisse Tatsachen geschaffen worden: Nach der Schließung der Kirchlichen Hochschule Naumburg kurz nach der Wende hatte die PH vier Professoren für die Religionslehrerausbildung – gegen den ursprünglichen Willen des Ministeriums – übernommen.305 Nach dem Eingehen der PH in die Universität gab es daher zunächst drei Professuren306 für evangelische Religion in der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät. Für die evangelische Theologie in der Universität allgemein hatte bereits die Gründungskommission in den Empfehlungen des Strukturausschusses vom Januar 1994 Unterstützung signalisiert. Dort erkannte man zwar an, dass es rein zahlenmäßig keinen Bedarf an einer weiteren Ausbildungsstätte für Evangelische Theologie gab. Doch ließen die „Empfehlungen“ keinen Zweifel daran, „dass an einer geisteswissenschaftlich zentrierten Universität selbstverständlich
301 302 303 304 305 306
Kur 11/18.11.2003. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Interview Schorn-Schütte. Nachrichten des Max-Weber-Kollegs, 2004. Einer von ihnen berichtete von ausführlichen Gesprächen mit dem Abteilungsleiter des TMWK, Johann Komusiewicz. Interview Heinemeyer. „Die Berufung der Theologen aus Naumburg an die PH ist erfolgt.“ PH-Rektordienstbesprechung, 14.9.1993. UAE, PH 14303. Die Zahl verringerte sich mit der Zeit auf eine Professur mit wissenschaftlichen Mitarbeitern. Interview Bultmann.
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DAS KABINETT VOGEL/SCHUCHARDT 1994-1999
auch die Evangelische Theologie präsent zu sein hat, und das überdies an einem Platz mit den historischen und […] reformationsgeschichtlichen Prägungen Erfurts.“ Darüber hinaus war sie „Teil unseres für das Verständnis unserer Herkunftsprägung unentbehrlichen Bildungswissens“.307 Angesichts der bereits zahlreich existierenden Fakultäten für Evangelische Theologie empfahl der Ausschuss nur die Errichtung eines Martin-Luther-Instituts für Evangelische Theologie und Kulturgeschichte des Christentums, und zwar im Rahmen der Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät. Bereits in der ersten Sitzung des Gründungssenats wurden bei der Besetzung der Ecklehrstühle der Philosophischen Fakultät auch der Martin-LutherLehrstuhl für Evangelische Theologie und Kulturgeschichte des Christentums vorgesehen sowie die erwähnten Lehrstühle für Vergleichende Religionswissenschaften bzw. Religionssoziologie, für Religionswissenschaft – Judaistik, Orthodoxie und Islam. Diese Professuren hatten die Aufgabe, den Aufbau des religionswissenschaftlichen Schwerpunktes zu gestalten und eng mit dem Philosophisch-Theologischen Studium zusammenzuarbeiten, um dessen Integration als Fakultät der Universität durch fachliche Kooperation vorzubereiten. „Im Zentrum der Erfurter Religionswissenschaften soll der europäische Kulturraum stehen.“308 Erst die Integration der PH und die Tatsache, dass evangelische Theologie nunmehr in verschiedenen Fakultäten vertreten war, brachte die Schaffung des Martin-Luther-Instituts vorwärts. Im Mai 2001 lag dem Gründungssenat ein Papier des Lehrstuhls Evangelische Theologie und Kulturgeschichte des Christentums vor.309 Demnach sollte das Martin-Luther-Institut der „formalen Organisation der evangelisch-theologischen Lehr- und Forschungsaktivitäten“ dienen und der evangelischen Theologie „gemeinsame Repräsentanz verschaffen“. Dem spezifisch kulturwissenschaftlich und transdisziplinär orientierten Zuschnitt der Universität entsprechend sollte ein gemeinsamer Forschungsschwerpunkt in der „Konstruktion von Lutherbildern in den theologischen und kulturellen Diskursen der Neuzeit“ liegen.310 Was in der Planung überzeugend schien, erwies sich in der Praxis als problematisch. „Bei den Protagonisten gab es eigentlich kein richtiges Verständnis für das Verhältnis zwischen Theologien und religionswissenschaftlicher Erforschung von Religionen. […] Eigentlich war unklar geblieben, ob man Religionswissenschaft – die Betrachtung der religiösen Tradition von außen mit histo-
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Empfehlungen des Strukturausschusses der Gründungskommission, S. 30. GS 1/23.5.1997. PrUE, Protokolle GS. GS 24/8.5.2001, Top 14: Zur Konzeption des zu gründenden Martin-Luther-Instituts an der Universität Erfurt. PrUE, Protokolle GS. Ebd.
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risch-wissenschaftlichen Analysen – oder ob man im Sinne von Theologien die innere Darstellung dieser Religionen wollte.“ Letztere waren gegen die liberale Tradition, „die evangelisch-protestantische Theologie mit Kultur gleichsetzte“.311 Es kam daher immer wieder zu Spannungen zwischen Theologie und Kulturwissenschaft. Man versuchte eine „Mischkonstruktion“, was besonders in Berufungskommissionen zu Konflikten führte.312 Die Konstruktion erwies sich als der „Geburtsfehler“ der Erfurter Theologie. „Die unklare Ausrichtung des Bereichs zeigt sich auch darin, dass bis heute noch keine einzige Promotion oder Habilitation erfolgt ist.“ 313 Am 12.6.2001 beschloss der Gründungssenat aufgrund einer vom Justitiar verfassten Vorlage – „Martin-Luther-Institut: Aufgaben und Organisationsstruktur“ – die Schaffung des Instituts als zentrale Einrichtung gemäß §29 Absatz 1 der Thüringer Verordnung über die Grundordnung der Universität Erfurt.314 Hier war nur noch von „Unterstützung von kulturwissenschaftlichtransdisziplinär angelegten wissenschaftlichen Qualifikationsarbeiten“ die Rede, sowie die Rolle des Martin-Luther-Instituts als „Ansprechadresse für Kooperationssuchende mit der evangelischen Theologie“. In der Folgezeit gab es einige Verwirrung, ob das Martin-Luther-Institut als „zentrale Einrichtung“, so der Gründungssenat in seiner letzten Sitzung am 12.6.2001, oder als „Brückeninstitut“ zu gelten habe. Als „Zentrale Einrichtung“ hätte das Institut über die Universität hinweg „auf die Region einwirken“ sollen.315 In der Öffentlichkeit wurde es jedoch als ein bescheideneres „Brückeninstitut“ dargestellt,316 das zwei Fakultäten verband mit Professoren sowohl in der Philosophischen wie in der Erziehungswissenschaftliche Fakultät, was angesichts ihres geringen Personalbestands wohl angemessener war.
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Ein Vertreter dieser Richtung sollte später als Vorsitzender der Ethik-Kommission der Universität eine zwiespältige Rolle spielen. Vgl. Kap. IX.1. Rüpke u. a. an Bergsdorf, 10.7.2000. GS 11.7.2000, Top 11. PrUE, Protokolle GS. Interview Rüpke. GS 25/12.6.2001, Top 4. PrUE, Protokolle GS. Ebd. Campus, 14.6.2001.
VIII. DER ALLTAG BEGINNT DER ALLTAG BEGINNT
1.
Ein hoffnungsvoller Anfang
EIN HOFFNUNGSVOLLER ANFANG Am 13.10.1999 fand in Anwesenheit von Ministerpräsident Vogel, Wissenschaftsministerin Professorin Dagmar Schipanski und dem Generalsekretär der Hochschulrektorenkonferenz Dr. Josef Lange die feierliche Immatrikulation der ersten Studenten statt. Zur Konsternation vieler Anwesenden erschien Glotz im Talar und mit Amtskette. „Das hatte es seit den 60er Jahren nicht mehr gegeben. […] Es war ein brenzliger Moment.“1 In seiner Begrüßungsrede2 fasste er die geistigen Grundlagen der Universität zusammen: Die Reformuniversität gehe bewusst auf das humboldtsche Ideal der „Bildung durch Wissenschaft“ zurück. „Diese ‚Bildung‘ meint nicht mehr philologisch-historisches Wissen, Goethe, Strukturalismus. […] ‚Bildung‘ meint ‚handeln können‘[,] und zwar in Beziehung auf ein gelingendes Leben der Menschen unter einander.“ Es gehe darum, „den universalen Begriff der Bildung nicht wegzuwerfen, […] sondern weiterzudenken“. Daher habe die Universität das Studium Fundamentale eingeführt, um die Studenten dazu zu bringen, „über den Tellerrand“ zu blicken. Emotional kam er auf sein besonderes Anliege zurück. „Ich beschwöre Sie, […] nicht im Spezialistischen zu versacken.“ Vorzügliche Kenntnisse der Wissenschaftssprache Englisch und ein Auslandssemester bildeten wichtige Voraussetzungen. Darüber hinaus sei gerade ein Studium an einer geistes- und sozialwissenschaftlich ausgerichteten Universität ein Vorteil, wo eben nicht Betriebswirtschaft und Informatik studiert würden. „[In der] Gesellschaft der Zukunft, in der die Mehrheit der Beschäftigten in informationsverarbeitenden Berufen tätig sein wird, kommt es ganz entscheidend auf Schlüsselqualifikationen an, […] mit Komplexität umgehen, Medienund Computerkompetenz […] und die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen.“ Auf den Erfolg der Universität bei der Studentenauswahl der Kommunikationswissenschaft verweisend appellierte er an die anwesenden Politiker, dieses System auf die ganze Universität erweitern zu dürfen. „Dieses in vielen Ländern selbstverständliche System ist in Deutschland ungewöhnlich.“ Hier setze man noch immer auf den Notendurchschnitt im Abitur. „Diese deutsche Tradition
1 2
Interview Beck. Peter GLOTZ, Begrüßungsadresse für den Jahrgang 1999 anlässlich der feierlichen Immatrikulation der ersten Studierenden der Universität Erfurt, 13.10.1999, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden 2000. Vgl. Campus, 18.11.1999.
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DER ALLTAG BEGINNT
[…] ist unsinnig und zerstört die Möglichkeit der Universitäten, ein eigenes Profil zu bilden.“ In Erfurt stehe man daher an einem vielversprechenden Beginn: „Etabliert sind wir nicht, aber voller Elan.“3 Die Begeisterung, am Aufbau von viel Neuem teilzunehmen, bestimmte die ersten Jahre des Universitätslebens. Die eigens von Glotz ausgewählten Studenten beeindruckten durch ihren Arbeitseifer. Es waren „die besten Studenten, die ich je hatte“.4 Im Rahmen des Studium Fundamentale wurde u. a. auch die ästhetische Ausbildung der Studenten gefördert „Wir hatten ‚Artists in Residence‘ – mit Ausstellungen von unglaublichen Arbeiten der Studenten.“5 Im Sommer 2000 wurde die Universitätsbibliothek feierlich eröffnet, sodass die Hochschule nun voll funktionsfähig war.6 Gleichzeitig hatte auch das MaxWeber-Kolleg seinen rasanten Erfolg begonnen. Außerhalb des eigentlichen Studienbetriebs entfaltete die Universität rege Aktivität mit Vorträgen, Lesungen, Ausstellungen etc., zu denen man dank der Bekanntheit von Glotz viele prominente Persönlichkeiten gewinnen konnte. „Es wurde vermutlich nicht immer klar gesehen, wie sehr Peter Glotz mit seinen Initiativen in die Stadt hineinwirkte, wie sehr er darauf bedacht war, sie mit Hilfe der neuen Universität kulturell zu stimulieren.“7 Der Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger beispielsweise eröffnete die Christoph-Martin-WielandVorlesungen, zu denen später auch Martin Walser beitrug.8 In der von der Universität organisierten Europa-Woche sprachen nationale und internationale Politiker wie Bundesfinanzminister Hans Eichel, Heiner Geißler („Soziale Marktwirtschaft“),9 Günter Verheugen („Erweiterung der EU – Chancen und Herausforderung“) oder Jean Claude Juncker (zu Problemen Luxemburgs) sowie Publizisten wie Wolfgang Leonhardt („Was haben wir von Putin zu erwarten“).10 Leonhardt engagierte sich auch langfristiger als Gastprofessor der Kommunikationswissenschaft. Robert Leicht („Die Zeit“) beteiligte sich am Studium Fundamentale.
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Ebd. Aussagen der Teilnehmer an einem Podiumsgespräch anlässlich des 20. Jahrestags des Studienbeginns an der Universität, 14.6.2019. Interview Schluchter. Die Universitätszeitung betonte: „Erstes aufregendes Semester. […] Vieles wäre ohne die enge Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitern von Universität und PH in der kurzen Zeit nicht möglich gewesen.“ Campus, 6/30.11.2000. Ebd. Wolfgang SCHLUCHTER, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 21. Campus, 18.11.1999. Campus, 14.12.2001. Campus, 31.1.2001.
EIN HOFFNUNGSVOLLER ANFANG
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In dieser Zeit enthielt jeder Bericht des Präsidenten im Kuratorium regelmäßig Hinweise auf zahlreiche öffentliche Veranstaltungen.11 Die RingVorlesungen zu den „Großen Denkern Erfurts“ im Rathaus der Stadt fanden großes öffentliches Interesse – sie waren ein „Volltreffer für die Universität“.12 „Wegen der überaus starken Nachfrage“ plante man zum Sommersemester eine neue Reihe zu den Weltreligionen.13 „Mit der öffentlichen Ringvorlesung zu den Weltreligionen, den 11. Erfurter Hochschultagen und dem Semesteranfangsgottesdienst ist die Universität wieder im Stadtzentrum präsent.“14 Die Ringvorlesung von 2002 „Gewalt und Terror“ wurden von Professoren der Universität bestritten, aber auch Politiker wie Erhard Eppler, Otto Schily und der Kriminologe Christian Pfeiffer sprachen.15 Im gleichen Zeitraum fand eine internationale Tagung „Luther zwischen den Kulturen“ zum 500. Jahrestag der Immatrikulation des berühmtesten Erfurter Studenten statt.16 Dass diese Aktivitäten auch dazu dienten, die „Sichtbarkeit“ der Universität zu erhöhen, zeigte sich in der Einrichtung einer im Präsidium angesiedelten Marketing-Stelle, die in der Folgezeit ein – in den Augen zahlreicher Universitätsmitarbeiter – unnötiges neues (und teures) Logo für die Hochschule entwarf. Glotz, der normalerweise keine diktatorischen Entscheidungen traf, kannte bei dessen Konzeption und Einführung keine Gegenargumente.17 Bei dem Marketing ging es um die „Corporate Identity“, die mit Imagebroschüre, Internetauftritten, Merchandising etc. weiter ausgebaut werden sollte. Auch die von Glotz besonders betriebene Internationalität passt ins Bild. Zu ersten Kontakten kam es mit Hochschulen im mittleren Osteuropa. Bereits 1997 plante der Rektor die Eröffnung eines Washington Office for Academic Affairs, für das er Mittel beim Bundeswirtschaftsministerium beantragte.18 Die Universität sollte 20 % ihrer Studenten aus dem Ausland rekrutieren, wofür sieben Standorte als „Study Abroad Faculties“ angepeilt wurden. Im Gegenzug waren „Summer Schools“ in Erfurt mit internationaler Beteiligung vorgesehen.19 Sein Blick ging jedoch noch weiter: Eventuell sollten sich die Thüringer Universitäten zu Kursen in Business and Liberal Arts zusammenschließen, eine Idee, die er in Amerika in der Akademie für Internationale Bildung in Zusam 11 12 13 14 15 16 17 18 19
Kur 7/28.1.2002. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Kur 5/21.2.2001, Bericht des Präsidenten. Ebd. Veröffentlicht als Wolfgang BERGSDORF/Hans HOFFMEISTER (Hg.), Erfurts Große Denker. Ebd. GS 24/8.5.2001, Bericht des Präsidenten. PrUE, Protokolle GS. Campus, 18.12.2002. Kur 7/28.1.2002. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Wolfgang SCHLUCHTER, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 22. GS 3/10.10.1997. PrUE, Protokolle GS. GS 6/22.4.1998. Ebd.
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menarbeit mit dem Universitätskonsortium der University of Pennsylvania kennengelernt hatte. Hierzu gab es in Deutschland eventuelle Kontakte mit den Carl-Duisburg-Centren sowie dem DAAD mit seinem „Integrierten Auslandsstudium.“20 Die Bedeutung der Internationalität zeigte sich auch zwei Jahre später bei der Besetzung der Stelle des Leiters des Internationalen Büros der Universität. Die Funktion war bisher vom Akademischen Auslandsamt der PH ausgefüllt worden. Dies reichte jetzt nicht mehr aus. Denn „die Aufgaben gehen über die eines herkömmlichen Auslandamtes weit hinaus“. Die Stelle „verlangt in ihrer Besetzung ein durch langfristige Auslandsaufenthalte nachgewiesenes internationales Profil, […] sicheres Auftreten und ein funktionierendes Netzwerk im Rahmen der internationalen Wissenschaftsorganisationen“.21 Die weitergehenden Aufgaben waren „mit einer Stellenwertigkeit unter BAT Ib“ nicht zu erreichen.22 Zu dieser Zeit ging Glotz’ Blick in die USA, nach Frankreich, Großbritannien und Ostmitteleuropa. Anfang 1999 standen auch Verhandlungen mit dem indischen Subkontinent kurz vor dem Abschluss. Dort war an die Errichtung einer „European University“ gemeinsam mit anderen europäischen Universitäten gedacht. Das Ziel sei, „einen hohen Prozentsatz ausländischer Studierender zu erreichen“.23 Konkret kam es zu Kooperationsverträgen, die auf dem Reziprozitätsprinzip bei „tuition waivers“, „free board and room“ für beide Seiten, gebührenfreie Öffnung des gesamten Lehrangebots und gegenseitiger Anerkennung der erworbenen Kreditpunkte beruhten. Mit der japanischen Universität Waseda – an der bereits ein Erfurter Student studiert hatte – wurde 1999 ein Vertrag geschlossen, mit der École Pratique des Hautes Études in Paris im Jahr 2000; Abkommen mit lateinamerikanischen und besonders mit einer Anzahl Hochschulen in den USA folgten. Zwei Erfurter Studenten hatten im vergangenen Jahr bereits am Beloit College in den USA studiert. „Die Einigung auf einen solchen, für deutsche Universitäten durchaus ungewöhnlichen Vertragsinhalt war vor allem aufgrund von drei Faktoren möglich: die klar gegliederte Studienstruktur des BA-Studiengangs, das daran gekoppelte kumulative Prüfungssystem und der inhaltlich-innovative Zuschnitt unserer Studienrichtungen; zweitens begünstigte die studentische Wohnsituation […] unsere Verhandlungsposition. Ausschlaggebend war allerdings das englischsprachige Lehrangebot.“24
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GS 9/27.11.1998. Ebd. GS 11/29.3.1999. UAE, PH 13846. GS 11/29.3.1999, Tischvorlage zu Top 3a. Ebd. Kur 2/16.1.1999. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K4. GS 22/16.1.2001, Tischvorlage: Vizepräsidentin Internationale Angelegenheiten: Bericht über den Stand der Internationalisierungsbemühungen der Universität Erfurt, S. 1. PrUE, Protokolle GS.
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Das Interesse der ausländischen Studenten war besonders groß an den Angeboten der Literatur- und der Kommunikationswissenschaft bzw. an den (bisher noch nicht eingerichteten) MA-Studienprogrammen. Hier bewährte sich, dass die Universität insbesondere für nordamerikanische Studenten und Doktoranden Studien- und Forschungsstipendien durch die bewilligten ERP-Mittel anbieten konnte. „Wir verbinden dieses spezifische Stipendienprogramm mit dem Anliegen, die wissenschaftliche Integration der Forschungs- und Lehrbibliothek Gotha in die Universität Erfurt zu fördern. […] Eine auch unter dem Aspekt der internationalen Reputation der Universität zentrale Aufgabe für die nächsten Jahre wird darin bestehen, die FLB Gotha zu einem internationalen Forschungszentrum auszubauen.“25 Die Einführung des Europäischen Systems zur Anrechnung von Studienleistungen (ECTS) sollte ebenfalls vorangetrieben werden.26 Angesichts der Bedeutung, die der Internationalität für Glotz zukam, wurden Fremdsprachen für die Erfurter Studenten besonders wichtig, und die Einrichtung eines großen Sprachenzentrums als zentrale Einrichtung der Universität hatte oberste Priorität. Alles in allem war diese erste Phase der Universität „ein genialer Anschub für die Anfangsdynamik. […] In der Zeit von 1999 bis 2002 herrschte eine unbeschreibliche Dynamik. Dann merkte man, dass der Schwung nachließ. Dann begannen die Mühen der Ebene.“27 Es zeigte sich bald, dass die Englischkenntnisse der Studenten nicht das nötige Niveau erreichten.28 Ihr schlechtes Abschneiden in den Tests des englischen Spracherwerbs später war enttäuschend. „Es habe sich gezeigt, dass eine große Zahl der Studierenden die geforderten Kenntnisse nicht mitbringe, insbesondere die Studenten aus den neuen Ländern hätten […] einen großen Nachholbedarf.“29 Allerdings war die angestrebte Internationalität in Erfurt nicht allgemein willkommen. Im Herbst 1999 kam es zu ausländerfeindlichen Aufmärschen; ausländische Studenten wurden in der Öffentlichkeit angepöbelt
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Ebd., S. 4 f. Ebd., S. 6. Interview Tiefensee. Man versuchte, dies durch besondere Regelungen in der Prüfungsordnung auszugleichen. GS 7/2.3.2000. PrUE, Protokolle GS. Ebd. Noch im Entwurf der Grundordnung vom 6.7.2000 besagte die Präambel: „In Erfurt ist Englisch dem Deutschen gleichgestellt. […] Studierende aus Erfurt sollen Teil ihres Studiums an ausländischen Universitäten absolvieren.“ Entwurf in: GS 19/ 11.7.2000. PrUE, Protokolle GS. Ungenügende Englischkenntnisse der Professoren der Staatswissenschaftlichen Fakultät wurden später als Grund angeführt, um ihr mangelndes Engagement in der auf Englisch unterrichtenden Willy Brandt School of Public Policy zu erklären. Interview Ettrich.
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DER ALLTAG BEGINNT
und Familienmitglieder von Professoren belästigt, was die Professoren der vier Weltreligionen zu einem öffentlichen Protestbrief bewegte.30 Auch erste Statistiken der gewonnen Studenten waren ernüchternd: 79 % von ihnen kamen aus Thüringen und nannten die räumliche Nähe als wichtigsten Grund für ihr Studium in Erfurt. 86 % der BA-Studenten waren Frauen, die den Studiengang vor allem wegen der kurzen Studienzeit (67-73 %) gewählt hatten. Aber auch die Tatsache, dass es an der neuen Universität keinen Massenbetrieb gab, war ein Anziehungspunkt.31 Konnte man im September noch von einer erfreulichen Entwicklung der Studentenzahlen berichten, „wenngleich sich diese nicht optimal auf die einzelnen Studienrichtungen verteilt“,32 diskutierte man ein Jahr später bereits Studienabbrüche und wachsenden Frust in der Studentenschaft.33 Wenige Monate später kam es zu Studentenprotesten gegen drohende Lehrausfälle und das Ende des Reformstudienmodells, weil der Verwaltungsrat der Universität den Wiederbesetzungsstopp für alle offenen Stellen verfügt und beschlossen hatte, Vertretungsprofessuren im Sommersemester durch Lehrbeauftragte zu ersetzen. Der Grund war das Finanzloch im Landeshaushalt von mehr als 2 Milliarden € im Jahr 2003.34
2.
Reformuniversität in Zeiten finanzieller Engpässe
REFORMUNIVERSITÄT IN ZEITEN FINANZIELLER ENGPÄSSE Die Diskrepanz zwischen den hochfliegenden Plänen der Universitätsgründer und den Thüringer Realitäten zeigte sich sehr schnell bei der Finanzierungsfrage. Sie beeinflusste besonders die Berufungen, von deren Qualität der Erfolg der Reformuniversität abhängen würde. Bereits im Oktober 1997 hatte der Kanzler berichtet, dass der Haushaltsgesetzentwurf für 1998 eine Reduzierung der Stellenäquivalente im Sachhaushalt von 400 auf 360 Stellen aufwies. Auch Planungssicherheit sei nur jeweils für ein Jahr gegeben.35 Darüber hinaus seien bei Betriebsaufnahme des Max-Weber-
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Campus, 18.11.1999. Siegfried UHL/Manfred KUTHE, Erste Erfahrungen mit dem Baccalaureus-Studiengang an der UE. GS 25/12.6.2001. PrUE, Protokolle GS. Vgl. auch Bericht des Präsidenten in Kur 7/28.1.2002. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K4. GS 14/6.9.1999. PrUE, Protokolle GS. GS 24/8.5.2001, Top 2: Statistik zu den Studierenden. Ebd. Campus, 24.3.2002. GS 3/10.10.1997, Top 5. PrUE, Protokolle GS.
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Kollegs Engpässe zu erwarten. Notfalls müsse man Mittelschöpfung aus nicht besetzten Personalstellen betreiben.36 Ein weiteres Problem stellte die Ankündigung der Landesregierung vom November 1997 dar, dass ab Januar 1998 die Ausfinanzierung der Stellen durch das Land wegfiele und dass die Universitäten das selbst übernehmen sollten. Dies würde „für die Universität zu erheblich höheren Personalkosten führen“,37 weil es hier – eine weitere Thüringer Besonderheit – keine einzige Professorenstelle gab, „die ausfinanziert gewesen wäre. […] Ausfinanziert heißt, dass der Betrag pro Stelle zur Verfügung steht, der aufgebracht werden muss, um den Inhaber zu besolden. Stattdessen wurden Durchschnittswerte pro Stelle genommen, […], und wenn Sie jetzt jemanden berufen wollten, der nach der alten Besoldung im Sondergrundgehalt war, dann musste der überschießende Betrag aus den vorhandenen Stellen erwirtschaftet werden.“38 Die Ausfinanzierung wurde für die Universität noch zusätzlich durch das Ministerium erschwert mit der Vorgabe „neuer Mittelwerte für die Gehälter, […] wonach bis zu 80 % der Stellen mit West-Gehalt auszustatten seien. […] Im Hintergrund sei immer unausgesprochen, dass das Ministerium keine Zusagen an die Universität machen wolle, die unter Umständen als einseitig empfunden werden könnten.“39 Der Haushalt von 1999 wies zudem die Bereitstellung von neun Millionen DM für den Aufbau der Bergakademien und der Fachhochschule Nordhausen aus – Gelder, die wiederum den Budgets der bestehenden Hochschulen verloren gingen. Hinzu kam die Besorgnis für die Universität, dass es im Bereich der wissenschaftlichen Hilfskräfte zu „strukturellen Kürzungen“ kommen könnte, insbesondere für die Tutorien, die für die intensive Studentenbetreuung im Rahmen des BA/MA-Modells besonders wichtig waren. Die Kürzungen beim Rechenzentrum „stelle die Umsetzung der angestrebten medialen Strukturen und den Ausbau des Rechenzentrums ernsthaft in Frage“.40 Es überrascht nicht, dass unter diesen Umständen die Berufung von besonders herausragenden Wissenschaftlern an die Universität schwierig wurde. Dies betraf zunächst die Bezahlung der Kandidaten, aber auch die Ausstattung der Lehrstühle, wo bei den Planern das große Bedenken bestand, dass das Ministerium das Niveau der PH zum Maßstab für die Universität nehmen könnte. Im Kuratorium sah man beispielsweise „[den] hohen Erwartungsdruck auf die Egalisierung der Besoldung und der Ausstattung. […] Das Ministerium sei da-
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GS 5/21.1.1998, Top 7. Ebd. GS 9/27.11.1998. Ebd. Tobias JUST, Interview Schluchter, S. 8. Man müsse dabei berücksichtigen, dass „die ostdeutschen Länder bis heute zu 50 % extern finanziert werden“. Prorektor Schluchter im Gründungssenat. GS 9/27.11.1998. PrUE, Protokolle GS. GS 6/22.4.1998. Ebd.
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von zu überzeugen, dass es nicht angehe, die Minimalausstattung der PH für die gesamte Universität zum Vorbild zu nehmen.“41 Auch die Räumlichkeiten und das vorhandene Mobiliar, das in der ersten Zeit noch aus gebrauchten DDR-Beständen stammte, fügte sich in das Bild einer Einrichtung, die etablierten Wissenschaftlern relativ wenig zu bieten hatte. Mitglieder des Gründungssenats „zeigten sich beeindruckt von den neuen Räumlichkeiten auf dem Campus. Demgegenüber beton[t]en sie ihr Befremden darüber, dass […] eine so außerordentlich wenig ansprechende Möblierung vorzufinden sei.“ Der Kanzler „verweist darauf, dass bei der Mittelbeantragung des Jahres 1997 durch die Architektin die technische Infrastruktur nicht ausreichend berücksichtigt worden sei […] und die notwendige Nachbesserung auf Kosten u. a. der Möblierung gehe“. Der Gründungssenat war „einhellig der Auffassung, dass die jetzige Möblierung geeignet sei, die Stimmung innerhalb des wissenschaftlichen Personals zu verschlechtern[,] und dass umgekehrt eine funktionale und ansprechende Möblierung geeignet sei, die Neuberufenen langfristig an die Universität zu binden. […] Das Gremium [fordert] den Kanzler dringend und einstimmig auf, die Verhandlungen über die Höhe der fixen Summe, die aus nicht besetzten Personalstellen geschöpft werden könne, zu einem schnellen Ende zu führen.“42 Hinzu kam das Problem der Personalausstattung. Rektor Glotz wies darauf hin, „dass bei der jetzigen Normalausstattung – ein Assistent, Hilfskraftmittel in begrenzter Höhe, Mitarbeiterinnen in einem Pool – Erfurt zu einer Einstiegsuniversität wird. Wir bekommen Privatdozenten, die sich nach drei oder vier Jahren wieder wegbewerben. […] Selbst wenn das vorzügliche Privatdozenten werden sollten, kann daraus kein ausreichender Humus für eine erstklassige Universität entstehen. Das muss die Thüringer Politik begreifen. Im Einzelnen heißt das: Wir müssen bei der Erstbesetzung der beiden neuen Fakultäten Westgehalt zahlen können.“43 Auch Prorektor Langewiesche berichtete zum Stand der Berufungsverhandlungen für die Professuren der Philosophischen Fakultät, dass „die Gefahr [besteht], dass die Universität zu einer reinen Erstberufungsuniversität wird; die Höhe der Hilfskraftmittel z. B. ist inakzeptabel, ebenso die Situation im Mitarbeiterbereich; es gibt keine Manövrierfähigkeit.“44
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Kur 1/8.1.1998. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. GS 12/5.5.1999. „Ein sukzessives Ersetzen des gebraucht gekauften Mobiliars könne sich daher mittelbar ausgesprochen negativ auf das Gelingen der reformerischen Ansätze der Universität auswirken.“ UAE, PH 13846. Die ehemaligen PH-Professoren behielten vielfach ihr altes Mobiliar. Glotz an Frühwald, 17.12.1998. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. GS 9/27.11.1998, Top 2. PrUE, Protokolle GS. Im Jahr 1999 nahm beispielsweise der Privatdozent Dietmar von der Pfordten einen Ruf auf den Lehrstuhl für Rechts- und Sozialphilosophie der neugegründeten Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Er-
REFORMUNIVERSITÄT IN ZEITEN FINANZIELLER ENGPÄSSE
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Nach den Absagen der angestrebten „Leuchttürme“, d. h. der herausragenden Wissenschaftler, wurde die Universität in der Tat zunehmend zu einer Einrichtung für Erstberufene. Andererseits war es wohl auch die ehrgeizige Planung mit ihrer Betonung von Innovation und Flexibilität, die ältere Professoren zögern ließ. So argumentierte auch der Minister, als er die Ergänzungsausstattung von fünf Berufungen ablehnte, da sie zu keinen anderen Berufungen geführt hätten: Die Ablehnung von Rufen nach Erfurt erfolge nicht wegen der schlechten Ausstattung, sondern „weil die Berufungskriterien und die daraus zu erwartende persönliche Flexibilität die relative Jugend [anziehe], was auch eine Verlegung des Lebensmittelpunkts nach Erfurt wahrscheinlich macht.“45 Erstberufene waren daher auch von Vorteil für die Universität, wie damals an der Universität Beschäftigte bezeugen.46 Schwierigkeiten bei den Berufungen machte aber auch die Arbeitsweise des Ministeriums. Bereits in der Sitzung des Gründungssenats vom Januar 1998 beklagte der Kanzler, dass „in Thüringen in ganz ungewöhnlicher – und zeitraubender – Weise jeder Ernennungsvorgang über das Kabinett und die Staatskanzlei [laufen] und vom Ministerpräsidenten genehmigt werden muss“.47 Der Frust in der entstehenden Universität wuchs, wie ihn Rektor Glotz in einem Brief an den Vorsitzenden des Kuratoriums ausführlich darlegte.48 „Wir begegnen immer wieder dem Satz der Beamten des Ministeriums: Dieses oder jenes können wir der Universität Erfurt nicht genehmigen: das gibt es in Jena oder Ilmenau oder Weimar auch nicht. Das ist ein vollständig falscher Denkansatz. Die Neugründung in Erfurt rechtfertigt sich nur dann, wenn man etwas anderes macht als an anderen Orten. […] Man muss in Erfurt gerade das machen, was man anderswo nicht macht. Deswegen ist es dringend notwendig, dafür zu sorgen, dass die Universität eine Reihe von Eckprofessuren so ausbauen kann, dass man wirklich auf längere Zeit erstrangige Kolleginnen und Kollegen gewinnt. […] Das Entscheidende sind aber nicht die einzelnen Etatpositionen. Das Entscheidende ist der berühmte ‚Geist‘. Wenn man im zuständigen Ministerium oder überhaupt in der Regierung sagt: Erfurt ist eine stinknormale Universität wie alle anderen und muss sich den ganz normalen Bedingungen fügen, dann können wir nicht zu einer international konkurrenz-
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furt an. Bereits 2002 erwarb er den Lehrstuhl für Rechts- und Sozialphilosophie an der Universität Göttingen. Schuchardt an Frühwald, 22.4.1999. PrUE, Kur Bd. 14/K5. Aussage von Professor Bettina Rockenbach auf dem Symposium in Erfurt anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Gründung, Erfurt 14.6.2019: Die Arbeitsatmosphäre war dynamisch, die Studenten außergewöhnlich engagiert etc. GS 5/21.1.1998. PrUE, Protokolle GS. GS 9/27.11.1998, Top 2. Ebd. Es handelt sich um einen Entwurf und es ist nicht klar, ob er abgeschickt wurde.
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fähigen erstrangigen Arbeitseinheit werden.“ In der Kuratoriumssitzung im Januar 1999 unterstrich Langewiesche, dass „die auch von der Politik formulierte Absicht, die Universität zu einer innovativen und wettbewerbsfähigen Hochschule auszubauen, dadurch unterlaufen“ werde.49 Im Laufe des Jahres 1999 verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Universität und Ministerium.50 Rektor und Prorektoren berichteten dem Gründungssenat, dass die Stimmung zwischen beiden früher besser gewesen sei, wobei der Grad der Irritation bei ihnen individuell unterschiedlich sei. Das Ministerium frage neuerdings in einem höchst vielfältigen Schriftwechsel mehrfach zurück. Im Prinzip sei dagegen nichts einzuwenden, und selbstverständlich sei die Universität bereit, mit dem zuständigen Ministerium in jeder Weise zu kooperieren. Wenn allerdings der Eindruck bestünde, dass sich die Rückfragen vor allem aus einem überzogenen Absicherungsbedürfnis und dem Wunsch der „Verschönerung der Aktenlage“ ergebe, müsse dies Verärgerung auslösen. Die verschiedenen Korrespondenzen im Zusammenhang mit den Berufungsverhandlungen der Staatswissenschaftlichen Fakultät, so Prorektor Schluchter, „würden von ihm teilweise als Affront der Berufungskommission gewertet, an denen schließlich Spitzenwissenschaftler teilgenommen hätten“. Dem fügte Glotz hinzu, dass es bei der Besetzung einer BAT I-Stelle wochenlange Verhandlungen über die Stellenbeschreibung gebe. Die Universität müsse feststellen, dass die Arbeitsebene des Ministeriums gelegentlich bestrebt sei, die Universität wie eine nachgeordnete Behörde zu führen. „Damit könne sich das Rektorat der Universität nicht einverstanden erklären. Insgesamt sei die Frist zwischen der Einreichung der Unterlagen und der Erteilung des Rufes [zu] lang“. „Auffällig und ungewöhnlich ist auch der Umfang der Korrespondenz vor der jeweiligen Ruferteilung. Die Furcht vor möglichen Konkurrentenklagen führt zu Nachfragen seitens des Ministeriums, deren Plausibilität nicht immer nachzuvollziehen ist. Der viel beschworene Zuwachs an Autonomie für die Hochschulen wird durch dieses Vorgehen konterkariert.“ 51 Der Vorsitzende des Kuratoriums fügte einen weiteren Aspekt hinzu: Ein Kandidat habe sich in seinem Absageschreiben über das Klima der „desinteressierten Normalität“ gegenüber der Universität Erfurt geäußert. Dem stimmte der Staatssekretär indirekt zu: Er habe der Arbeitsebene gegenüber immer das besondere Interesse der Hausspitze an den Berufungsvorgängen verdeutlicht. Anderseits habe sich ihm beim Studium der Akten in manchen Fällen der Eindruck aufgedrängt, „die Ernsthaftigkeit der Bewerbungen sei hinterfragbar“.52
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Kur 2/14.1.1999. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. GS 14/6.9.1999, Top 2: Bericht des Rektors, S. 2 f. PrUE, Protokolle GS. Kur 3/8.3.2000. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. Ebd.
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Seit dem Amtsantritt von Wissenschaftsministerin Schipanski sei der Draht zwischen Ministerium und Universität nunmehr kurz geworden. Den Mitarbeitern sei deutlich, dass die Universität Erfurt eine andere Behandlung erfordere als die übrigen Hochschulen des Landes. Aber: „Die UE dürfe sich nicht zu Lasten der anderen entwickeln, vielmehr seien hier zusätzliche Mittel aufzubringen.“53 Noch in der letzten von Glotz geleiteten Sitzung des Gründungssenats berichteten er und Prorektor Schluchter „über den Stand der Berufungen. Die Personalsituation im wissenschaftlichen Mittelbaubereich sowie im Bereich der Sekretariatskräfte sei katastrophal.“ Im Falle von renommierten Schweizer Wissenschaftlern „prüfe das Finanzministerium zur Zeit, ob ihnen Ost- oder Westdotierungen zustehe! Die Eröffnung der Staatswissenschaftlichen Fakultät zum Wintersemester 2000 sei unter diesen Umständen in hohem Maße gefährdet.“54 Abgesehen von der geringeren Bezahlung und der bescheidenen Ausrüstung gab es auch allgemeine Gründe für die abgelehnten Rufe nach Erfurt. Denn für die Familien der Kandidaten war die Stadt ostdeutsche Provinz, und die dortigen Schulen galten zu diesem Zeitpunkt noch als wenig attraktiv für die Ausbildung der Kinder.55 Vor allem erwies es sich immer als schwierig, auch die Ehepartner beruflich angemessen unterzubringen. Beobachter sahen diese Gesichtspunkte als ebenso wichtig an wie die Finanzierung oder die Ausstattung.56 Die dargestellte Entwicklung wurde einer der Faktoren für den plötzlichen und unerwarteten Rücktritt des Gründungsrektors.
3.
Der Weggang von Peter Glotz und die Wahl von Wolfgang Bergsdorf zum Präsidenten
WEGGANG VON PETER GLOTZ UND WAHL VON WOLFGANG BERGSDORF Mitten in die Zeremonie der feierlichen Erstimmatrikulation der Studenten am 13.10.1999, dem ersten Höhepunkt der Universität, kam der Schock: die beinahe beiläufige Ankündigung von Peter Glotz, Erfurt Ende des Jahres zu verlassen – anderthalb Jahre vor Ende seines Vertrags und noch vor dem Abschluss des Universitätsaufbaus. Sein Weggang war der erste entscheidende Einschnitt im Gründungsprozess der Universität.
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Ebd. GS 11/23.3.1999. UAE, PH 13846. Auch Glotz’ Frau war aus diesem Grunde nicht nach Erfurt gezogen. Gespräch mit Frau Professor Schorn-Schütte 8.3.2020. Frau Schorn-Schütte war zeitweise Vorsitzende des Erfurter Hochschulrats, der die Entwicklung der Universität intensiv diskutierte.
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Die Reaktionen waren weitgehende Enttäuschung, Ärger und auch Empörung. Bei den eigens von Glotz ausgewählten Studenten, die sich als Elite verstanden, gingen die emotionalen Wellen besonders hoch.57 „Sein Abgang war miserabel.“ Sein engster Mitarbeiter musste ihn den Studenten vermitteln.58 Ebenso von der Glotzschen Ankündigung überrascht waren die Prorektoren Schluchter und Langewiesche. Noch Jahre später konnten sie zwar den Weggang an sich verstehen, nicht aber das „Wie“ des Abgangs.59 Für sie war das Verhalten von Glotz „unfair, denn wir konnten uns nicht darauf einstellen“. Der Weggang war auch „Verrat am gemeinsamen Reformkonzept“. Die in der Folgezeit auftretenden Probleme unterstrichen die Berechtigung dieses Vorwurfs. Aber: „Vielleicht konnte er nur mit Aplomb aussteigen.“60 Abrupte Wechsel hatte es häufig im Leben von Glotz gegeben: „Stabilitas loci ist seine Sache nie gewesen.“61 Zu seiner Entschuldigung zählte Glotz eine Reihe von Gründen auf; den plötzlichen Weggang hielt er für beinahe irrelevant: Auch in den anderthalb Jahren bis zum Ende seiner regulären Amtszeit sei der Aufbau der Universität nicht beendet.62 Daher wies er auch den Spitznamen zurück, den man ihm inzwischen gegeben hatte, „Oskar Glotz“: Er habe die Aufgabe nicht bereits nach sechs Monaten aufgegeben wie der damalige Finanzminister Oskar Lafontaine, sondern nach beinahe drei Jahren. Als positiven Grund nannte er, dass ihm – dem 60-Jährigen – von der Schweizer Universität St. Gallen das Angebot gemacht worden war, dort einen internationalen MBA für Spitzenkräfte der Medienindustrie aufzubauen. Dort könne er auch mehr forschen bei geringerer Einflussnahme des Staates. Dem stellte er die Realität seiner Arbeit in Erfurt gegenüber. Dies betraf zunächst die Finanzlage. Zwar habe er hier bisher die volle Unterstützung der Landesregierung genossen, aber jetzt habe der Finanzminister große Sparmaßnahmen angekündigt, während gleichzeitig die neue Wissenschaftsministerin Schipanski erklärte, dass Studiengebühren nicht infrage kämen. Dies verlange
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„Vor allem, dass die das Gerücht, Glotz höre zum Jahresende auf, ausgerechnet auf der Erstsemesterparty ereilte, nehmen sie dem Professor wirklich übel. […] Die Studenten sind stocksauer.“ TA, 22.10.1999. Interview Beck. Interviews Schluchter und Langewiesche. Noch auf der Gedenkfeier für Glotz erwähnte Schluchter, dass er Glotz „nach dessen überraschendem Weggang aus Erfurt nicht wieder gesehen habe“. Wolfgang SCHLUCHTER, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 24. Interview Beck. Ministerpräsident Bernhard VOGEL, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 17. Sabine ETZOLD, „Die sechste oder siebte Geige. Peter Glotz, der Bildungsexperte der SPD, verlässt Deutschland“, in: Die Zeit, 28.10.1999, S. 39 für das Folgende.
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einen entschiedenen Kampf. „Vielleicht sind in dem CDU-regierten Land andere dafür besser geeignet als der SPD-Mann Glotz.“63 Die knappen Gelder machte Glotz verantwortlich für das Scheitern der Universität bei der Berufung von Spitzenwissenschaftlern.64 „Die Entscheidung von Glotz, relativ schnell das Handtuch zu werfen und abzuhauen, hat […] auch damit zu tun. Ihm war klar geworden, dass sich die Ambitionen, die er hatte, in Thüringen nicht verwirklichen ließen. Das war einfach finanziell nicht möglich.“ 65 Hinzu kam, dass mit dem Amtsantritt von Dagmar Schipanski das Verhältnis von Glotz zur Landesregierung schwieriger werden würde. Denn als vormalige Rektorin der Technischen Universität Ilmenau stand sie der Erfurter Hochschule zunächst korrekt-kritisch gegenüber. Sie sah Erfurt eher als „normale“ Universität, die keine Sonderbehandlung beanspruchen könne. Noch mehr irritierte Glotz die Thüringer Ministerialbürokratie, für deren Arbeitsweise bereits zahlreiche Beispiele angeführt wurden. Speziell was Glotz anbelangte, „hatten die schon den Auftrag, [ihm] auf die Finger zu schauen, damit da nichts aus dem Ruder läuft“. Denn Glotz hatte bei seinem Amtsantritt angekündigt, er wolle es wie Horst Ehmke im Kanzleramt Willy Brandts machen: „Jeden Tag eine neue Reform“.66 Die Klagen von Glotz hatten eine gewisse Berechtigung: „Ein Rektor muss sich in Deutschland mit einer Fülle von Verwaltungsfragen herumschlagen, die nicht vergnügungssteuerpflichtig sind. […] Die deutschen Universitäten hängen immer noch an den Strippen der Ministerialräte, auch in Thüringen. […] In Deutschland schlagen Sie sich bei Detailfragen mit den ganzen Instanzen herum: Erst sind Sie beim Referenten für die Universität, dann beim Abteilungsleiter, und wenn das nicht läuft, beim Staatssekretär oder den Staatssekretären, weil drei Ministerien beteiligt sind. […] Zurzeit muss eine gute Idee den langwierigen Weg durch 17 Gremien gehen. […] Innovationen brauchen Jahre, bis sie sich durchsetzen.“67 All das war in St. Gallen besser. Hier herrschte weitgehend Freiheit von staatlicher Einflussnahme. Was sich in diesem Interview mit Sabine Etzold auch zeigt, war seine enorme Ungeduld mit den „Mühen der Ebene“, d. h. dem Alltagsgeschäft der Leitung einer komplexen Institution wie die einer Universität im Aufbau. Glotz
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Ebd. Deutsche Universitäts-Zeitung (DUZ), 13/2000. Tobias JUST, Interview Schluchter, S. 8 f. Interview Hanske. So auch Vogel auf der Gedenkfeier: „Mit selbstbewusster Ironie bekannte er in seinen Erinnerungen: Ich machte es ein wenig wie Freund Ehmke im Brandt’schen Kanzleramt: jeden Tag eine Reform“. In: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 9. Sabine ETZOLD, „Die sechste oder siebte Geige. Peter Glotz, der Bildungsexperte der SPD, verlässt Deutschland“, in: Die Zeit, 28.10.1999, S. 39.
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war Ideenspender, Schöpfer, Planer und auch Experte in Öffentlichkeitsarbeit und bei Kontaktaufnahmen („networking“). Er war jedoch kein Verwaltungsmann. Dafür war das Berliner Wissenschaftskolleg ein gutes Beispiel, das er zwar schuf, aber nie leitete. In Erfurt hatte er die Kommunikationswissenschaft mit der Studentenauswahl durch die Universität, das Studium Fundamentale und die BA/MA-Studienstrukturen in die Wege geleitet. Aber die Ausarbeitung der Einzelheiten überließ er seinem Mitarbeiter Beck und den Prorektoren: „Ohne Schluchter und Langewiesche wäre das nichts geworden.“68 Es waren auch eigentlich sie, die direkt mit der Ministerialbürokratie zusammenarbeiten mussten, während Glotz das weitgehend erspart blieb.69 Aber auch innerhalb der Erfurter Universität konnte er nicht alles durchsetzen. So glaubte er beispielsweise, die Hochschule müsse – wie andere Universitäten – einen Namen haben. Er schlug „Christoph-Martin-Wieland-Universität“ vor – „ein Name von hohem symbolischem Gehalt“. Für Glotz war Wieland ein bedeutender kosmopolitisch bestimmter Aufklärer, der daher genau in das Gesamtkonzept der Universität passte. Sein Vorschlag fand jedoch im Gründungssenat keine Unterstützung.70 Das von ihm angedachte Ludwig-ErhardInstitut für Wirtschaftsstudien und die Dependancen im Ausland wurden ebenfalls nicht verwirklicht. Auch seine Idee, in Erfurt eine European School of Governance zu gründen, scheiterte am Widerstand der staatswissenschaftlichen Fakultät und der Abneigung von Prorektor Schluchter. Andere, persönliche Gründe kamen hinzu: So wurde er in der Schweiz weitaus besser bezahlt.71 Im Gegensatz zu den Prorektoren hat er nie in Erfurt gewohnt, denn seine (dritte) Frau Felicitas Walch weigerte sich, nach Erfurt zu ziehen. Dies bedeutete für Glotz häufige Pendelei nach München bzw. bei längeren Aufenthalten in Erfurt Trennung von der jungen Familie. In der Schweiz wohnte er mit Frau und dreijährigem Sohn Lion „im großbürgerlichen Stadtteil Rotmonten“.72 Dabei mag auch seine Gesundheit eine Rolle gespielt haben, denn er starb bereits fünf Jahre nach seiner Übersiedlung in die Schweiz. Der Weggang von Peter Glotz brachte die erste entscheidende Wende für die sich noch im Entstehen befindende Universität. „Plötzlich war der Hype weg“, das
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Interview Tiefensee. Beobachter fanden auch die Qualität seiner Lehre problematisch. Ein Erfurter Professor fand seine Antrittsvorlesung „katastrophal“. Vertrauliche Mitteilung an die Autorin. Interview Schluchter. GS 14/6.9.1999, Top 4. PrUE, Protokolle GS. – Wieland war 1769 einem Ruf an die Universität Erfurt gefolgt, wurde aber bereits 1772 zum Erzieher der Prinzen an den Hof in Weimar berufen. Obwohl man ihm in Erfurt günstige Sonderbedingungen eingerichtet hatte. Thomas VESER, Ankunft im anderen Osten, in: Deutsche Universitäts-Zeitung (DUZ), 13/2000.
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Interesse der Medien verschwunden. Es zeigte sich auch bald, dass Peter Glotz eine Institution bekannt gemacht hatte, die in Wirklichkeit gar nicht existierte. „Peter Glotz hat – wie in der Zirkuswelt – eine Dame ohne Unterleib verkauft.“73 Ohne Peter Glotz gingen seine internationalen Kontakte in alle Welt verloren, besonders die nach Ost- und Mitteleuropa.74 Auch die Kommunikationswissenschaft war betroffen, denn ohne Glotz wurden wichtige Kontakte zu den Medien beendet. So war eigens ein Professor für Kommunikationspsychologie berufen worden, um das Studienprogramm „Unterhaltungskommunikation“ in Zusammenarbeit mit dem Fernsehsender Pro 7 aufzubauen – „damals eine wegweisende Idee, die es in Deutschland bisher nicht gab“75 – und die ohne Glotz in dieser Form nicht entwickelt werden konnte. In der letzten Sitzung des von Glotz geleiteten Gründungssenats zog „Schluchter noch einmal das Fazit der gemeinsamen Zusammenarbeit. Er würdigte die offene und faire Atmosphäre; ernsthafte Konflikte zwischen Rektor und Prorektoren habe es nie gegeben. […] Man sei ein gutes Team gewesen. Herr Glotz habe der Universität hohe Aufmerksamkeit gesichert, ohne ihn wäre sie nicht in so kurzer Zeit so sichtbar geworden.“ Er habe „wichtige reformerische Impulse gegeben […] [und] Aufbruchstimmung erzeugt. Man könne seinen vorzeitigen Weggang nur bedauern, wenn man die Gründe hierfür auch respektieren müsse, freilich nicht das Wie.“76 Sein frühzeitiger Abschied bedeutete auch, dass das Reformkonzept von den Prorektoren allein getragen werden musste und hier besonders von Prorektor Schluchter. Als Dekan des Max-Weber-Kollegs und der Staatswissenschaftlichen Fakultät sowie als Vizepräsident für Forschung verkörperte er sozusagen in seiner Person die Integration verschiedener Fachrichtungen und Bereiche sowie die Interdisziplinarität allgemein. Die Rückkehr an ihre Heimatuniversitäten – Langewiesche im Jahr 2000, Schluchter im Jahr 2002 – war die zweite Wende, die die Zukunft der Universität mitbestimmte.
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Interview Schluchter. Die wie Glotz aus Böhmen stammende Mitarbeiterin Eugenie von Trützschler, Ehefrau des Abteilungsleiters Werner von Trützschler im TMWK, hatte sich besonders engagiert und u. a. im Mai 1998 eine Tagung „Frauen im vereinten Europa“ veranstaltet, an der Wissenschaftler aus West und Ost, Minister und Leiter von osteuropäischen Hochschulen teilnahmen. Im Dezember 1999 gab sie zusammen mit einem polnischen Wissenschaftler den Band „Role of Communication for boosting Democracy, Open Society and Free-Market Economy“ heraus. Ihre Reaktion auf den Weggang von Glotz war entsprechend. Für sie war Glotz wie alle „böhmischen Männer: sie sehen gut aus, sind blitzgescheit, versprechen alles, halten nichts.“ Interview Eugenie von Trützschler. Die Internationalität wurde später in bescheidenerer Form fortgesetzt. Interview Rössler. GS 16/10.12.1999. UAE, PH 13845.
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Die unmittelbaren Probleme, die Peter Glotz der Universität mit seinem plötzlichen Abtritt verursachte, zeigten sich zunächst bei der Schwierigkeit, einen geeigneten Nachfolger bzw. eine Nachfolgerin zu finden. Die neuberufenen Professoren der Universität waren in der Regel zu jung für das Amt, sodass das Kuratorium die Suche auf Außenstehende erweitern musste. Hier gab es die bekannte Schwierigkeit, dass zu diesem Zeitpunkt nur Professoren Rektor werden konnten. Die Lösung war die Umwandlung des Amtes in das eines Präsidenten, für das allerdings eine neue Planstelle geschaffen werden und für das man die Besoldung erst verhandeln musste. „Hierzu muss ein Posten B-4 geschaffen werden, um ein […] einerseits zumindest geringfügig über dem Gehalt eines Professors der Besoldungsgruppe C-4 liegendes Angebot machen zu können.“ Gleichzeitig musste man sich für den unwahrscheinlichen Fall absichern, dass ein interner Kandidat benannt würde, „um angesichts der knapp bemessenen Professorenstellen der UE […] auf dem dann für sechs Jahre frei werdenden Lehrstuhl eine Vertretung einrichten zu können“.77 Am 10.12.1999 fand die gemeinsame Sitzung von Gründungssenat und Kuratorium statt, um einen Nachfolger für Glotz zu wählen. Die Versammelten „haben sich die Wahl nicht leicht gemacht, ausführlich auch noch andere Namen diskutiert,78 sich aber letztlich […] für eine rasche Regelung der Nachfolge entschieden“.79 Wesentlich hierfür war die Tatsache, dass im kommenden Jahr auch das restliche Leitungsteam ausscheiden würde. „Es ist daher dringlich, dass die Nachfolge rasch geregelt wird, damit der neue Präsident oder Rektor Zeit hat, um noch zusammen mit [den Prorektoren] das Konzept der Universität auch personell zu stabilisieren.“ Der Kandidat, auf den man sich einigte, war Wolfgang Bergsdorf, vormals Ministerialdirektor im Kanzleramt von Helmut Kohl und nun – nach dessen Wahlniederlage – arbeitslos. Die Ernennung Bergdorfs war eine der ersten Amtshandlungen der neuen Thüringer Wissenschaftsministerin, Frau Professor Dagmar Schipanski.80
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Ebd. Einer von ihnen, der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhoff, zog seine Kandidatur kurz vor dem entscheidenden Gespräch zurück. Wolfgang Frühwald an die Mitglieder des Kuratoriums der Universität Erfurt, 12.12.1999. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1 (Hervorhebung im Original). Frau Professor Schipanski war Dekanin und Rektorin an der TU Ilmenau. 1996-1998 Vorsitzende des Wissenschaftsrates, wurde 1999 von der CDU/CSU als Kandidatin für das Amt des Bundespräsidenten aufgestellt, war 1999-2004 Ministerin in Thüringen, 2004-2009 Mitglied des Landtags und dessen Präsidentin.
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Die Wahl Bergsdorfs war nicht unumstritten,81 aber die Tatsache, dass er schnell zur Verfügung stand, gab den Ausschlag. Es gab jedoch weitere Merkwürdigkeiten: Der Kandidat stellte sich vor der Wahl dem Senat nicht persönlich vor. Da diese gleichsam „blinde“ Wahl gegen alte Hochschultraditionen und sogar die Grundordnung der Universität verstieß, enthielten sich die beiden Prorektoren bei der Abstimmung. Für sie wurde Bergsdorf vom Ministerium „reingeschoben. [Das] muss man wirklich sagen, denn der Vorgang war schon merkwürdig. […] Das war damals schon eine Manipulation.“82 Die restlichen 12 Senatoren stimmten – vermutlich mit Erleichterung – zu, denn damit blieb der Einrichtung eine weitere, qualvolle Suche erspart. Bergsdorf hatte jedoch auch Vorzüge für die Universität. Er war als außerplanmäßiger Professor für Politikwissenschaften der Universität Bonn akademisch annehmbar und als Mit-Herausgeber des Rheinischen Merkur, Träger des Bundesverdienstkreuzes etc. allgemein respektiert.83 Gerade seine – auch politische – Erfahrung als Administrator war für eine Universität wie Erfurt, die vor großen Problemen stand, von beträchtlichem Vorteil. Dies gelte besonders „angesichts der […] ‚desinteressierten Normalität‘, mit welcher die Universität nach wie vor durch die für [sie] verantwortlichen Beamten des Ministeriums behandelt wird“, die bereits zu schmerzlichen Absagen bei der Berufung von älteren, erfahrenen Dozenten geführt habe. „Auch bei der politischen Spitze des Landes Thüringen [genieße] Herr Bergsdorf großes Ansehen.“ Denn Vogel hatte seine Kandidatur nachdrücklich unterstützt.84 Damit stand Bergsdorf jedoch von vornherein besonders bei den Ostdeutschen unter dem Vorbehalt, politische „Vetternwirtschaft“ habe ihn ins Amt gehievt.85 „Das ist kaum verwunderlich, da in dem ostdeutschen Bundesland die Mehrheit der Bürger konfessions- und parteilos ist, und das vermehrte Auftreten von katholischen Westdeutschen in Führungspositionen als eine Art ‚Invasion‘ durch die ‚katholische Mafia‘ interpretiert wurde.“86 Andererseits resultierte die politische Konstellation unmittelbar darin, dass sich das Verhältnis
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„Er war wohl die schlechteste Wahl aus der guten Tausendschaft früh pensionierter politischer Beamter, […] dass er als früh pensionierter Beamter schnell zur Verfügung stünde, war das Einzige, was Frau Schipanski für Bergsdorf vorbringen konnte“. Wilhelm HENNIS, „Neues von der ‚Familie‘. Warum wird der Kohl-Mann Wolfgang Bergsdorf Rektor der Universität Erfurt?“, in: Die Zeit, 5.1.2000. Der Autor war ehemaliger Professor für Politikwissenschaft an der Universität Freiburg. Tobias JUST, Interview Schluchter, S. 16. Für weitere Einzelheiten zu Bergsdorf vgl. u. a. die Angaben bei Wikipedia. Bergsdorfs hervorragende Vernetzung in der Politik zeigte sich auch darin, dass er als Mitglied des sogenannten „Küchenkabinetts“ u. a. neben Horst Teltschik einer der engsten Berater des Bundeskanzlers Helmut Kohls gewesen war. Zitat in Monika SCHATTENMANN, Universitätsgründungen, S. 301. Ebd.
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zwischen der Hochschule und dem Ministerium merklich verbesserte.87 Bergsdorf kannte zudem den Staatssekretär des TMWFK, Dr. Jürgen Aretz, aus dem Bundeskanzleramt. Zu einem gewissen Grade wurde der Vorwurf von Bergsdorfs CDUVerbundenheit durch seine Freundschaft mit dem SPD-Mitglied Peter Glotz entkräftet: Sie kannten sich seit der Zeit, als Bergsdorf in München die Vorlesungen von Glotz besucht hatte. Später waren sie als Verantwortliche für ihre jeweiligen Parteizeitungen kollegiale Rivalen. Diese alte Bekanntschaft hatte dazu geführt, dass Glotz Bergsdorf als ersten Leiter seiner geplanten European School of Governance haben wollte. In der Rede anlässlich seiner Investitur als Präsident am 9.5.2000 bestätigte Bergsdorf seine volle Unterstützung für das Reformkonzept der Universität. In einer Zeit, „die von der Beschleunigung des Wandels überschattet“ wird, zwinge das Leben zu einem permanenten Lernprozess; letztlich würden „Kommunikation- und Medienkompetenz zu Schlüsselqualifikationen in der Wissensgesellschaft“. Deren Grundlage sei jedoch „die Kompetenz, kritisch zu denken, die Fähigkeit zur Unterscheidung zwischen zentralen und marginalen Fragestellungen. Voraussetzung für diese kritische Kompetenz seien Sprachbeherrschung, Argumentationskraft, Abstraktions- und Dialogfähigkeit.“88 Dies erfordere ein Studium, „das dazu befähigt, mit wissenschaftlichen Methoden Probleme zu bewältigen und auf neue Situationen systematisch einzugehen“. Dazu habe man in Erfurt das für Alle verpflichtende Studium Fundamentale eingerichtet, das den Studierenden von Anfang an verdeutliche, dass jeder Gegenstand aus verschiedenen Blickwinkeln ausgeleuchtet werden könne. Die Einübung wissenschaftlicher Methoden und Übersichtskenntnisse habe hier Vorrang vor dem Erwerb von Fachkenntnissen.89 Klar durchstrukturierte Studiengänge, ein Leistungspunktesystem und eine gründliche Betreuung durch Mentoren würden dafür sorgen, dass die Regelstudienzeit eingehalten würde.90 Allgemein stünden die Universitäten vor einer dreifachen Herausforderung in der heraufkommenden Wissensgesellschaft: durch Überlast, durch schrumpfende staatliche Finanzierung und durch den verschärften internationalen Wettbewerb. Aber die Universität sei gut aufgestellt. „Das Gründungskonzept […] ist als absolutes Novum überzeugend. Zum ersten Mal gibt es eine realistische Chance, ein wesentliches Stück Hochschul- und Studienreform zu verwirklichen.“ Die Hochschule habe besonders engagierte Studierende, wie eine Teil 87 88
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GS 17/2.3.2000. UAE, PH 13845. Wolfgang BERGSDORF, Die Universität in der Wissensgesellschaft. Rede anlässlich der Investitur als Präsident der Universität Erfurt, 9.5.2000, in: DERS. (Hg.), Erfurter Universitätsreden, 2001, S. 49. Ebd., S. 52. Ebd.
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nahme bei Wahlen zum Studentenrat von 60 % zeige. Sie sollten befähigt werden, „durch eine persönlichkeitsbildende, berufsorientierende und weltoffene Ausbildung, ein gelingendes Leben und ein erfolgreiches Berufsleben zu führen und dabei das Gemeinwohl im Auge zu behalten“.91 In seiner Rede kündigte Bergsdorf demnach zunächst weitgehende Kontinuität mit dem Kurs seines Vorgängers an. „Kontinuität und Beharrlichkeit in der Verfolgung des Reformkonzepts, die realistische Anpassung der Zielsetzung an die verfügbaren Ressourcen und die Konsolidierung nach innen und außen“, das bezeichnete er als Maximen für die verbleibende Gründungsphase bis zum Herbst 2001. Wichtigste Aufgabe sei der Doppelhaushalt 2000/2001, der Gesamtstrukturplan für den wissenschaftlichen Bereich, die Reform der Verwaltungsorganisation, die Zuarbeit zum Hochschul-Entwicklungsplan bis 2010 sowie die endgültige Fassung der Grundordnung.92 Bei der Umsetzung dieser Aufgaben zeigten sich jedoch bald gewisse persönliche Schwächen. Er war kein Impulsgeber.93 Im Gegensatz zu dem streitbaren Glotz wich Bergsdorf eher aus und war auf Ausgleich bedacht. Mit Prorektor Schluchter an seiner Seite ließ sich dies überbrücken, aber nach dessen Weggang wurde seine Führungsschwäche einer der Faktoren, die der Universität gravierende Probleme bescherten. Er war ein schlechter Kommunikator. In Diskussionen überließ er gern anderen für ihn das Wort.94 Nichts hatte ihn in seinen früheren Tätigkeiten auf das offene Aufeinanderprallen persönlicher Interessen vorbereitet, mit dem er in der Universität schon relativ bald konfrontiert wurde. Auch seine häufige Abwesenheit, da er wie viele Westdeutsche seinen Hauptwohnsitz nicht in Erfurt hatte, trug zu dieser Entwicklung bei. Der größte Gegensatz zu Glotz lag jedoch in der Außendarstellung der Universität. Hier konnte der neue Präsident wenig bieten. Die Universität Erfurt verschwand mehr oder weniger aus der öffentlichen Wahrnehmung; der von Glotz geschaffene Bekanntheitsgrad der entstehenden Universität wich einer wachsenden Gleichgültigkeit gegenüber der real existierenden. Dies wirkte sich auf die Berufungen und die Rekrutierung von Studenten aus. Professoren konnten häufig nur mit wachsenden Zugeständnissen gewonnen werden, und die Studentenzahlen verdankte die Hochschule hauptsächlich den Lehramtsstudenten aus den Bereichen der ehemaligen PH. Doch wären diese Entwicklungen vielleicht auch unter einer stärkeren Persönlichkeit eingetreten, denn der Hauptgrund für sie war zweifellos die permanent angespannte Finanzlage. Das
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Ebd., S. 53. Ebd., S. 52. Interview Schluchter. Interview Ettrich.
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Reformkonzept der Universität ließ sich unter diesen Bedingungen nur begrenzt verwirklichen. Trotz seiner persönlichen Schwächen wählte der erweiterte Senat Bergsdorf am 11.7.2001 als einen von neun Bewerbern mit 39:17 Stimmen auf weitere sechs Jahre bis zum 31.10.2007 wieder.
4.
Das Ende des Gründungsprozesses und der Weggang der Prorektoren
DAS ENDE DES GRÜNDUNGSPROZESSES UND DER WEGGANG DER PROREKTOREN Im Sommer 2001 ging der sechsjährige Gründungs- und Aufbauprozess der Universität mit der Wahl des großen Senats zu Ende, dessen konstituierende Sitzung am 11.7.2001 stattfand. Neue Ausschüsse wurden gebildet und Präsident Bergsdorf für weitere sechs Jahre in seinem Amt bestätigt. Am 13.3.2001 hatte der Gründungssenat eine neue Grundordnung beschlossen, in der die „Bewahrung und Weiterentwicklung der Reformprinzipien […] verankert“ wurden.95 Von nun an sollte es nur noch Präsidenten an der Spitze der Hochschule geben; die Option „Rektor“ war nicht mehr zugelassen. Das Kuratorium der Universität würde in Zukunft vom Ministerium bestellt. Ein Verwaltungsrat würde gewählt werden. Der Posten des Kanzlers wurde nicht zum Verwaltungsdirektor aufgewertet, wie von der Reformkommission empfohlen,96 de facto blieb er jedoch gleichberechtigtes Mitglied des Leitungsteams. Mit der Konstituierung der neuen Gremien endete die Amtszeit des Gründungssenats; am 12.7. überreichte dessen Vorsitzender seine 18-seitigen Schlussempfehlungen,97 die die sich zu diesem Zeitpunkt bereits abzeichnenden zukünftigen Probleme der Universität zusammenfassten. Zunächst würdigte er die Leistungen aller an der Gründung beteiligten Personen, Einrichtungen und besonders der Landesregierung, die sich „gegen massive innere und äußere Widerstände“ durchgesetzt habe.98 Eigens hervorgehoben wurde auch der Bei-
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Schlussempfehlungen des Gründungssenats, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden 2001/02, S. 124. Empfehlung der Verwaltungsreformkommission. Vorlage in: GS 23/13.3.2001. PrUE, Protokolle GS. „Der Vorschlag des Kanzlers als Vizepräsident Verwaltung fand keinen Anklang.“ Kur 7/28.1.2002. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Schlussempfehlungen des Gründungssenats, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden 2001/02. Vgl. auch Anmerkungen von Mitgliedern des Gründungssenats zu einem Gespräch mit dem Gründungspräsidenten der Universität Erfurt am 7.5.2001. GS 24/8.5.2001. PrUE, Protokolle GS. Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden 2001/02, S. 110.
DAS ENDE DES GRÜNDUNGSPROZESSES UND DER WEGGANG DER PROREKTOREN
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trag des Gründungsbeauftragten, Professor Klaus-Dieter Wolff, auf den der frühe Bau der Universitätsbibliothek zurückging99 – die wesentliche Voraussetzung einer arbeitenden Universität. Sodann hob er die Rolle des Leitungspersonals – Glotz, Schluchter und Langewiesche – hervor sowie die konstruktive Rolle des Kuratoriums und die gute Zusammenarbeit zwischen Pädagogischer Hochschule und Universität bei der Eingliederung der PH. Auch die wichtige Rolle der Universitätsgesellschaft wurde erwähnt. In den eigentlichen „Empfehlungen“ sah er in dem Übergang von dem vom Ministerium bestimmten Gründungssenat zu dem in den Fakultäten gewählten Senat nicht nur einen weiteren Schritt zur Hochschulautonomie, sondern gleichzeitig ein neues Problemfeld: Waren zahlreiche Mitglieder des Gründungssenats von außerhalb der Universität gekommen, was ihnen einen relativ neutralen, am Gesamtinteresse der aufzubauenden Einrichtung orientierten Blick auf die zu entscheidende Sache verlieh, so würden die gewählten Senatsmitglieder weitgehend ihre eigenen Interessen vertreten bzw. die der von ihnen vertretenen Bereiche. Besonders bei der Mittelverteilung sah er die Gefahr, dass man „versuchen würde, fachspezifische Schwerpunkte durchzusetzen. […] Es wird nicht gerade leicht sein, die notwendige Einheit in Vielfalt zu wahren und die Priorität des Reformkonzeptes gegenüber traditionellen Fachinteressen zu sichern.“100 Neben dieser Sorge um die Zukunft der Institution machte der Gründungssenat 12 spezifische Empfehlungen, u. a.: die Bitte an den Gesetzgeber und die Landesregierung, den geschaffenen Gestaltungsrahmen, d. h. die Experimentierklausel, zu erhalten und weiterzuentwickeln. (Punkt 1). Das sich in der Kommunikationswissenschaft bewährte Auswahlmethode der Studenten durch ein spezielles Verfahren und auf Dauer rechtlich bestätigt werden. In dem geplanten Modell zur leistungs- und belastungsbezogenen Mittelverteilung für die Thüringer Hochschulen (LUBOM) „müssen die Besonderheiten des Erfurter Reformkonzepts angemessen berücksichtigt werden“ (Punkt 2). Innerhalb der Universität sollte bei der Mittelverteilung zur Bewahrung und Weiterentwicklung der Reformprinzipien ein Anreizsystem geschaffen werden, das auf der Grundlage von interner und externer Qualitätskontrolle aufbaue. Daher empfahl der Gründungssenat, „alle Struktureinheiten der Universität regelmäßig zu begutachten“ (Punkt 3). Den Belangen des BA/MA-Modells sollte absolute Priorität eingeräumt werden, was die Umstellung auch der Lehramtsstudiengän-
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Die Universitätsbibliothek beherbergt die wertvolle Bibliothek der Alten Universität Erfurt und wurde mit der 1999 eingegliederten Forschungsbibliothek Gotha eine wichtige Forschungsressource. Schlussempfehlungen des Gründungssenats, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden 2001/02, S. 5.
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ge einschloss (Punkt 4). Besonders hervorgehoben wurde das Studium Fundamentale als der „in Deutschland einzige Versuch, durch Vermittlung eines kritischen Methodenbewusstseins extremer Spezialisierung entgegenzuwirken“. Hierzu rief der Gründungssenat alle Lehrenden auf „sich auf diesem Feld besonders zu engagieren“ (Punkt 5). Die Angebote zur Weiterbildung wie den „Master of Public Policy“ seien stärker zu nutzen (Punkt 6) sowie die Schwerpunktsetzungen in den verschiedenen Bereichen und das integrative Konzept der Staatswissenschaftlichen Fakultät weiter zu verfolgen (Punkt 7). Das MaxWeber-Kolleg sollte auf den Campus verlegt werden, „damit [es] seine Rolle als Impulsgeber für die interdisziplinäre Forschung und die Vernetzung mit den Fakultäten stärken“ könne (Punkt 8). Die Unterfinanzierung des Sprachenzentrums gefährde die beabsichtigte Internationalisierung der Universität. Die Hochschule solle intensives Marketing betreiben und Kontakte und Kooperationsbeziehungen mit der Wirtschaft aufbauen. In diesem Zusammenhang könne auch die Alumni-Betreuung besser gepflegt werden. Abschließend wünschte man den Verhandlungen mit dem Vatikan besten Erfolg. Die Funktionsweise des erweiterten Senats, die Mittelzuweisung auf der Grundlage von LUBOM, das integrative Forschungskonzept der Staatswissenschaftlichen Fakultät und das Verhältnis zwischen Max-Weber-Kolleg und Universität sollten in der Tat schwierige Problemfelder für die Universität werden. Diese Themen wurden auch vom neu gewählten Präsidenten Bergsdorf in seiner Rede anlässlich der feierlichen Investitur am 2.11.2001 aufgegriffen.101 Er erinnerte die versammelten Mitglieder der Landesregierung an die „Experimentierklausel“ und appellierte an sie, „die erforderlichen normativen Grundlagen zu schaffen“.102 Auch der Gründungssenat habe dies in seinen Schlussempfehlungen angemahnt „um den damit geschaffenen Gestaltungsrahmen zu erhalten und weiterzuentwickeln“. Damit würde die Universität beispielsweise das Recht zur Auswahl aller Studenten erhalten, die sich in der Kommunikationswissenschaft so gut bewährt habe. „Die Universität Erfurt will mehr Autonomie wagen“ in Erfüllung ihres Auftrags als Reformuniversität. Leitbegriffe für seine kommende Amtszeit sei die Umsetzung und Weiterentwicklung der begonnenen „Reform- und Profilbildung“.103 Der Weggang der Prorektoren kurze Zeit später bildete einen weiteren Wendepunkt in der Entwicklung der Universität. Beide waren von ihren Hochschulen Heidelberg und Tübingen für ihre Tätigkeit in Erfurt nur beurlaubt worden. Der plötzliche Abgang von Glotz – und besonders dessen „Wie“ –
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Wolfgang BERGSDORF, Ist der Fortschritt noch zu retten? in: DERS. (Hg.), Erfurter Universitätsreden 2001/02. Ebd., S. 94. Ebd., S. 95.
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beeinflusste auch den Weggang der Prorektoren. Langewiesche hatte schon Anfang 2000 seine Absicht verkündete, sich in Tübingen wieder ganz der Forschung widmen zu wollen. Er blieb jedoch noch einige Jahre als Mitglied und Vorsitzender des Kuratoriums mit der Universität verbunden.104 Im März 2000 nahm er ein letztes Mal an der Sitzung des Gründungssenats teil, in der Präsident Bergsdorf seine Verdienste würdigte.105 Die von ihm entscheidend geprägte Philosophische Fakultät sei auf gutem Wege. Er habe maßgeblich an der Erarbeitung der Grundordnung und bei der Reform der Studienorganisation mitgewirkt. Hier sei besonders seine große Erfahrung in die Konzeption des konsekutiven Studienaufbaus eingeflossen.106 Für Langewiesche stellte diese Studienform mit ihrem studienbegleitenden Prüfungssystem die notwendige Anpassung an „den dramatischen Strukturbruch“ dar, den die Geisteswissenschaften in den letzten beiden Jahrzehnten durchlaufen hatten.107 Der Abschied Schluchters vollzog sich „auf Raten“. Im März 2000 erklärte er im Kuratorium, von nun an nur noch zur Hälfte der Universität zur Verfügung zu stehen und sich ganz dem Max-Weber-Kolleg widmen zu wollen.108 Damit begann jener Prozess der Loslösung des Kollegs von der Universität, der die Entwicklung der Hochschule langfristig beeinträchtigen sollte. Ende des Sommersemesters 2002 zog Schluchter sich auch vom Max-Weber-Kolleg zurück. Während Langewiesche sich an den neuen Gegebenheiten orientierte und die Umstellung auf die BA/MA-Struktur vor allem im Lehramtsstudium nicht einfach war, erforderten Schluchters Vorstellungen der integrierten Forschung eine beträchtliche Anpassung der einzelnen Bereiche. Für das Max-WeberKolleg war dies sehr erfolgreich, handelte es sich hier doch um die Zusammenarbeit auf Zeit von bereits in ihren Disziplinen etablierten Wissenschaftlern. Die Situation war anders in der Staatswissenschaftlichen Fakultät mit ihren mehrheitlich jungen Wissenschaftlern. Sie standen in der Anfangsphase dem Reformkonzept positiv gegenüber, waren jedoch zunehmend auf ihre weitere Karriere außerhalb der Erfurter Hochschule bedacht. In dieser Hinsicht sahen sie in der integrierten Forschung in Erfurt, die es so an anderen Universitäten nicht gab, ein Karrierehindernis. „Das ging gut, solange ich da war, aber nach
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Rektor wollte er allerdings nicht werden. Interview Langewiesche. GS 17/2.3.2000. PrUE, Protokolle GS. Ebd., S. 7. Dieter LANGEWIESCHE, Universitätsstudium im Wandel, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden 2000, S. 18. Die Zahlen waren dramatisch: Während 1980 die westdeutschen Länder noch fast 61 % der Studienabgänger mit Staatsexamen einstellten, waren es sechs Jahre später nur noch 19 %. Ebd., S. 19. Kur 3/8.3.2000. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. Für ihn war das Max-Weber-Kolleg „eine Erholung vom Stress der Fakultät“. Interview Schluchter.
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meinem Weggang wirkten die disziplinären Orientierungen als zentrifugale Kräfte.“109 Auch in anderer Hinsicht war Schluchters Anwesenheit wesentlich: Er konnte „Bergsdorf bei der Hand nehmen“,110 d. h. ihm in Konfliktsituationen den Rücken stärken. Ohne ihn bahnten sich erhebliche Probleme an. Für die Zurückgebliebenen war Schluchters Weggang gerade in dieser Phase schlicht „Fahnenflucht“.111 Seine Verdienste um die Universität waren jedoch unbestreitbar. Im Jahre 2003 wurde er daher auch ihr erster Ehrendoktor. Im Rückblick räumt er gewisse strukturelle Schwächen seines Konzepts ein, die das Verhältnis vom MaxWeber-Kolleg zur Universität beeinflussen sollten: So sei die ursprüngliche Erwägung, auch den Leiter des Kollegs nur auf Zeit zu berufen bzw. den Posten offiziell mit dem des Vizepräsidenten für Forschung zu verknüpfen, nicht verwirklicht worden.112 Gerade die Position auf Lebenszeit und die immer lockerer werdende Bindung an die Universität sowie das originelle Konzept des Kollegs waren es jedoch, die die Anziehung von Spitzenwissenschaftlern an das Kolleg und mit ihnen den rasanten Erfolg des MWK zur Folge hatten. Auch Langewiesche wurde 2007 Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät der Universität. Trotz der Würdigungen bleibt die Tatsache bestehen, dass auch die Prorektoren die Universität vor Beendigung ihres Aufbaus verließen. Die Hochschule musste von nun an ohne ihr Prestige und ohne ihre Erfahrung die zahlreichen zukünftigen Herausforderungen bestehen.
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Tobias JUST, Interview Schluchter, S. 4. Allerdings „knirschte es“ schon zu Schluchters Zeiten zwischen ihm und der Fakultät. Interview Hanske. Ebd. So und ähnlich in verschiedenen Interviews. Interview Schluchter.
IX.
DIE UNIVERSITÄT AUF DEM PRÜFSTAND: ENTWICKLUNGEN UNTER PRÄSIDENT BERGSDORF
DIE UNIVERSITÄT AUF DEM PRÜFSTAND
1.
Landesfinanzen und interne Spannungen
LANDESFINANZEN UND INTERNE SPANNUNGEN Kurz nach Schluchters Weggang kam es zu einer einschneidenden Entwicklung in der Landespolitik: der Amtsübergabe von Ministerpräsident Vogel an den vormaligen Kultusminister Dieter Althaus am 5.6.2003.1 Mit seinem Rücktritt verlor die Universität ihre wichtigste Stütze in der Landespolitik, hatten doch Präsident Bergsdorf wie sein Vorgänger Glotz ein besonders gutes Verhältnis zu Vogel. „In dem Moment, wo [sein] Einfluss auf die CDU beschränkt war und sich die parteipolitische Situation in Thüringen änderte, war der Wille des Landes [zur Unterstützung der Universität] auch aus finanziellen Gründen nicht mehr da.“2 Aber auch die finanziellen Möglichkeiten des Landes verschlechterten sich dramatisch. Sie waren zu diesem Zeitpunkt in allen Bundesländern angespannt, wobei der Hochschulbereich allgemein einen Prozess des „Gesundschrumpfens“ durchmachte, den man euphemistisch als „Reformkonzept“ beschrieb. Für die ostdeutschen Länder bedeutete die Entwicklung „Aufbau im Abbau“. Gerade in Thüringen als kleinem Land waren die Auswirkungen entsprechend spürbar. Hier hatten die Ausgaben regelmäßig die Einkünfte übertroffen, sodass das Loch im Landeshaushalt stetig gewachsen war.3 In den folgenden Jahren wurde daher ein rigoroser Sparkurs verfolgt.4 Besonders der Personalhaushalt – 25 % des gesamten Haushalts – wurde in Angriff genommen, der Anfang 2004 durch die Tariferhöhungen im Öffentlichen Dienst zusätzlich unter Druck geriet.
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Er hatte die Altersgrenze von 65 Jahren erreicht, obwohl Beobachter ihm auch weiterreichende Motive zuschrieben. Es wurde vermutet, dass er für die anstehende Bundespräsidenten-Wahl bereitstehen wollte. So Christoph Matschie, Thüringens SPD-Landeschef. TA, 16.3.2003. Interview Ettrich. Vgl. den Aufmacher der TA, 10.7.2003: „Thüringen geht bis an die äußerste Schuldengrenze. Kreditaufnahme nur noch knapp unter Verfassungswidrigkeit.“ Auf Landesebene geschah dies u. a. durch das Zusammenlegen von zwei Ministerien, des Wissenschafts- und Kultusministeriums im Jahre 2004.
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Für die Hochschulen hatte die Landesregierung bereits im Laufe des Jahres 2000 einen neuen Finanzierungsmodus entwickelt, das sogenannte „Thüringer Mittelverteilungsmodell“ LUBOM – „die Leistungs- und belastungsorientierte Mittelverteilung im Hochschulbereich“. Damit verband sie die Bereitstellung von Mitteln direkt mit Leistungen der Universität in der Forschung bzw. der Drittmitteleinwerbung. Eine Hochschule wie Erfurt, die sich noch im Aufbau befand, war von dieser Entwicklung besonders negativ betroffen. Anfang 2002 „gab es eine vorläufige Mittelsperre von 20 %. […] Der Personalhaushalt für 2002 war nurmehr zu 95 % ausfinanziert. […] Doch es sollte noch schlimmer kommen. […] Anfang Juni erreichte alle Geschäftsbereiche eine tiefgreifende Haushaltssperre. […] Der Kanzler sah sich vorerst gezwungen, einen totalen Ausgabestopp über die […] Stellen zu verhängen. […] Eine Situation, wie sie dieses Jahr für die Thüringer Hochschulen eingetreten ist, darf sich aber bei allen Sparzwängen nicht mehr wiederholen. Dabei geht es […] weniger um die Einsparsummen als um den Modus der Umsetzung.“ Kurz: Es ging um „künftige Berechenbarkeit“ der finanziellen Ausstattung.5 Diese wurde mit der am 3.12.2002 von der Landesregierung verkündeten Rahmenvereinbarung „Zur Sicherung der Leistungskraft der Thüringer Hochschulen“ angestrebt. Dieser sogenannte „Hochschul- und Zukunftspakt“ zwischen der Landesregierung und den Hochschulen des Landes sollte den Hochschulen Planungssicherheit bis 2006 bringen und eine grundständige Versorgung garantieren. Alle hatten jedoch eine Einsparung von 15 % ihrer Mittel vorzunehmen. Darüber hinaus wurde die Absicht des Kultusministeriums bekannt, ab 2008 20 % und ab 2011 65 % des Personalbudgets formelgebunden zuzuweisen. „Zwar wendeten andere Länder solche Mittelverteilungsmodelle zum Teil schon länger auch auf die Personalbudgets an, nicht jedoch in dieser neuen Thüringer Radikalität.“6 Für die Universität bedeutete es ein Loch im Personalhaushalt von 900.000 Euro für das Jahr 20087 und bis 2011 einen Gesamtverlust von 3,6 Millionen Euro.8 Am 1.1.2007 trat das neue Hochschulgesetz in Kraft, das den Hochschulen größere Autonomie zusicherte, sie aber zugleich verpflichtete, sich zunehmend in „wirtschaftlicheren“ Studienrichtungen zu betätigen, beispielsweise in denen der Weiterbildung. Auch die Unterstützung von Existenzgründern aus der Forschung heraus sollten gefördert und Studiengebühren als Verwaltungskostenbeitrag erhoben werden. Das Lehrdeputat der Professoren wurde von acht auf
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Kur 8/8.7.2002. Bericht des Präsidenten. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K4. Kur 17/19.9.2006. Ebd., Bd. 14/K5. Senat 7/5.11.2006, Bericht des Präsidenten, in: Campus, 23.1.2007. Senat 9/20.12.2007, in: Campus, 6.2.2008.
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neun Stunden pro Woche erhöht.9 Es war „eine wichtige Zäsur für die Thüringer Hochschulen“.10 Auf den vom Landtag beschlossenen Doppelhaushalt für 2008/09 folgte am 18.12.2007 eine neue Rahmenvereinbarung zwischen Landesregierung und Hochschulen, die landespezifische Regelungen zum „Hochschulpakt 2010“ enthielt: Im Zeitraum 2007–2010 würden den Hochschulen 15 % der jährlichen Bundesmittel als Pauschale überwiesen. „Das Personalbudget der Hochschulen verzeichnet nominell Zuwächse. Unterm Strich aber bleibt es beim IST, da Mittel für die Tarifanpassungen für Beamtenpensionen eingestellt wurden.“11 Für die Universität Erfurt bedeutete dies einen rigorosen Sparkurs. Ein davon besonders betroffener Bereich waren die Rechtswissenschaften, wo allein acht Lehrstühle verloren gehen würden. Laut Presseberichten sei dies zu verkraften, „da in Erfurt eine volle juristische Ausbildung nicht vorgesehen war“.12 Ein weiteres Problem waren die ungewöhnlichen Abschlüsse der Universität, bei denen nicht erwiesen war, ob die Thüringer öffentlichen Arbeitgeber diese Juristen mit BA-Abschluss einstellen würden. „Ohne eine solche, auch öffentlich geäußerte Bereitschaft sei es für einen Juristen nicht zumutbar, sich in Erfurt ausbilden zu lassen.“13 Die Universität musste sich fragen, „ob wir nicht am Markt vorbei ausbilden“.14 Das von Schluchter entworfene Strukturkonzept schien an seine praktischen Grenzen zu geraten. Vor diesem Hintergrund und auch aus anderen Gründen wurde die Staatswissenschaftliche Fakultät zum Mittelpunkt von internen Streitigkeiten in der Universität. Dies war zum einen der negativen Beurteilung ihrer Forschungsleistung durch den Wissenschaftsrat als „gering und nicht herausragend“ geschuldet,15 wofür man in der Fakultät das Reformkonzept mit den geplanten integrierten Forschungsprojekten verantwortlich machte. Hinzu kam zum anderen, dass für die meist jungen Wissenschaftler Forschungen auf dieser Grundlage ihrer Karriere nicht förderlich waren, weil die traditionellen Universitäten den Ansatz nicht teilten, was für Bewerber aus Erfurt ein beträchtlicher Nachteil sein konnte. Vizepräsident Schluchter hatte diese Argumente noch widerlegen können: Man wolle in Erfurt bewusst das Monopol der Einheitsjuristen brechen. Es gebe zurzeit ohnehin eine breite Debatte über die juristischen Abschlüsse, der Markt für Rechtsanwälte sei schon jetzt sehr schwierig. Auch im Wissenschafts-
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Campus, 9.2.2007. Präsident Bergsdorf vor dem Erweiterten Senat, 14.2.2007, in: Campus, 27.4.2007. Senat 8/19.12.2007, in: Campus, 6.2.2008. Die Zeit, 5.8.2003. Professor Lübbe in: Kur 3/8.3.2000. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 13/K1. Ebd. „Kritische Bewertung durch den Wissenschaftsrat.“ TA, 2.6.2004.
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rat gebe es Bestrebungen, der zu beobachtenden Überproduktion von Einheitsjuristen Querschnittsqualifikationen entgegenzusetzen. So böten die Fachhochschulen beispielsweise bereits Studienrichtungen wie „Wirtschaftsrecht“ an.16 Das Festhalten am ursprünglichen Reformkonzept hatte auch relativ geringe Studentenzahlen zur Folge. Im September 2006 berichtete der Präsident, dass die Anmeldungen für die Staatswissenschaftliche Fakultät (150) weit hinter ihren kapazitären Möglichkeiten zurückgeblieben seien, insbesondere die Wirtschafts- und Rechtswissenschaften müssten sich steigern. Der Kanzler bestätigte, dass die Zahlen „auch damit zusammenhingen, dass sich die öffentlichen Arbeitgeber nur sehr zögerlich den neuen Abschlüssen […] für diese Disziplinen öffneten“.17 Nach dem Weggang Schluchters brachen diese latenten Spannungen in offene Konflikte aus, die sich über Jahre hinzogen. Festzumachen waren diese anhand zweier Persönlichkeiten: Schluchters Nachfolger als Vizepräsident, Professor Dietmar Herz, einerseits und dem Dekan der Staatswissenschaftlichen Fakultät, Professor Arno Scherzberg, andererseits.18 Professor Dietmar Herz war in der Zwischenzeit immer mehr in den Vordergrund getreten, was Präsident Bergsdorf dankbar begrüßte. Er hatte sich nicht nur mit zahlreichen Reformen in der Universität verdient gemacht, wie die der Lehramtsausbildung, er war auch – nach dem fehlgeschlagenen Versuch mit der European School of Governance – erfolgreich bei der Schaffung der European School of Public Policy (ESPP). Zudem lag er bei der Drittmitteleinwerbung an einsamer Spitze.19 Von Nachteil wurde allerdings seine Persönlichkeit: redselig und streitbar20 schien ihn die ihm zugefallene Rolle autoritärer und arrogant im Auftreten zu machen.21 Während Schluchter mit der Autorität des hoch angesehenen Wissenschaftlers gegenüber der Fakultät auftreten konnte, war dies Professor Herz 16
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Als Mitglied einer Arbeitsgemeinschaft des Wissenschaftsrats zur Reform der Juristenund Mediziner-Ausbildung hatte er entsprechende Empfehlungen ausgearbeitet. „Diese Empfehlungen sind jedoch verpufft. […] Die Reform ist am Widerstand der Disziplinen gescheitert.“ Tobias JUST, Interview Schluchter, S. 1. Ebd. Es schien auch in der Fakultät allgemein zu „brodeln“. Ihr Dekan, Professor Peter Backhaus, war zurückgetreten, weil er „nicht mehr über die uneingeschränkte Unterstützung der gesamten Fakultät verfügte“. Kur 11/18.11.2003. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Übersicht Drittmitteleinnahmen 2002. (Stand 31.12.2002). Demnach hatte Professor Herz 946.408,24 Euro eingenommen, gefolgt von Professor Rössler (Kommunikationswissenschaft) mit 212.114,42 Euro. Ohne die von Professor Herz geworbenen Gelder hatte die Staatswissenschaftliche Fakultät nur 10.961,19 Euro an Drittmitteln aufzuweisen. Kur 9/10.3.2003. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K4. Verschiedene Interviews „Er verstand nicht, dass Reformen nur mit, nicht gegen die Leute durchzusetzen waren.“ Interview Ettrich.
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nicht möglich. Dieser Umstand und sein kompromissloses Eintreten für das Reformkonzept brachten ihn in Konflikt vor allem, aber nicht ausschließlich, mit den Kollegen der Staatswissenschaftlichen Fakultät, der letztlich den Rücktritt des immer mehr zum „Übervater“ werdenden Herz und des gesamten Leitungsteams der Hochschule nach sich zog. Die Prioritäten der meist jungen, selbstbewussten Staatsrechtler in der Forschung unterschieden sich stark von denen des von Herz vertretenen Reformkonzepts. Hier gelang es Herz nicht, die nötige Überzeugungsarbeit zu leisten. Der Konflikt verschärfte sich, als bekannt wurde, dass Herz das Amt des Präsidenten nach dem Ende der Amtszeit Bergsdorfs anstrebte. Für die Fakultät brachte die „Causa Schattenmann“ die Gelegenheit, diese Entwicklung zu verhindern. Mark Schattenmann war Mitarbeiter von Professor Herz. Mit einem Stipendium der Harvard Universität ausgestattet, bestand kein Zweifel an seiner akademischen Qualität; seine Dissertation war mit „summa cum laude“ beurteilt worden. Auf dieser Grundlage wurde er auf eine Juniorprofessur für „Public Policy“ berufen. Doch stellte sich bald heraus, dass der Kandidat bereits ca. 60 % des Materials der Dissertation für seine Magisterarbeit verwendet hatte,22 ohne diesen Tatbestand bekannt zu machen – ein (unterschiedlich zu bewertender) Verstoß gegen akademische Gepflogenheiten. Die Juniorprofessur schien auf unredliche Art vergeben worden zu sein. Für Herz war das kein Problem: Es habe sich um „eine weit über das Magister-Niveau herausragende Arbeit gehandelt“. Man müsse dies als Sonderfall ansehen. Auch für andere Professoren, wie dem Direktor des MWK, Joas, war der Fall „unerheblich“.23 Der sich hieraus entwickelnde, jahrelange Streit um die Interpretation der Promotionsordnung der Staatswissenschaftlichen Fakultät erklärt sich großenteils aus dem oben beschriebenen Hintergrund. Die Fronten verhärteten sich derartig, dass sogar die Ethikkommission der Universität und der Ombudsmann der Deutschen Forschungsgemeinschaft angerufen wurden. Viel hing davon ab, eine Täuschungsabsicht des Kandidaten zu beweisen. Der Hochschulleitung wurde vorgeworfen, die Aufklärung der Umstände zu behindern, was in der Drohung durch Dekan Arno Scherzberg mündete, eine rechtsaufsichtliche 22
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Sein „Magistervater“ war Professor Peter J. Opitz, Universität München. In der „Danksagung“ der Veröffentlichung seiner Doktorarbeit („Wohlgeordnete Welt. Immanuel Kants politische Philosophie in ihren systematischen Grundzügen“, München 2006) bezog Schattenmann sich auf diese Vorgänge. Opitz, der seine Magisterarbeit „Kant als Theoretiker der internationalen Politik“ betreut hatte, „hat mir als Erster geraten, diese Arbeit, die im Umfang über das übliche Maß, und in ihrer Anlage über ihre unmittelbare Aufgabenstellung hinausging, durch Überarbeitung und Erweiterung zu einer vollwertigen Studie über Kants politische Philosophie auszubauen. Für diesen Rat bin ich dankbar, auch wenn das Unterfangen mit mehr Schwierigkeiten und Problemen verbunden war, als wir beide ahnen konnten.“ Kur 16/25.4.2006. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5.
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Klärung der Amtsführung des Präsidenten herbeizuführen. Mehrere Professoren beteiligten sich mit Briefen an den Präsidenten und an die Presse.24 Die Kontroverse war so intensiv, wie es ein erfahrenes Kuratoriumsmitglied in noch keiner anderen Universität erlebt hatte.25 Andere sahen eine „Gefährdung der Universität, die noch nicht gefestigt ist“.26 Herz sah im Vorgehen der Fakultät den Versuch, „den Reformkurs, für den er gemeinsam mit der Hochschulleitung stehe, zu desavouieren und einen anderen Kurs einzuschlagen“.27 Seine Auftritte vor der Fakultät, um einen Kompromiss zu erreichen, „hätten die Form von Schauprozessen angenommen“. Von nun an war er nicht mehr zu Vermittlungsversuchen von Anderen bereit. Allerdings war Herz nicht nur „Opfer“; auch er war mit Artikeln in die Presse gegangen.28 Damit war der Streit endgültig in der Öffentlichkeit. Wie schädlich diese Öffentlichkeit für die Universität war, wurde auch vom vormaligen Ministerpräsident Vogel gerügt: „Streiten Sie in dieser Universität um den richtigen Weg, aber bitte bei geschlossenen Türen und nicht auf den Balkonen! Raufen Sie sich zusammen, bedenken Sie: es geht um die Zukunft der Universität. Bleiben Sie dem Gedanken, eine Reformuniversität zu schaffen, verpflichtet.“29 Herz fehlte es allgemein an Unterstützung in der Universität und seine Erklärung kurze Zeit später, „aus persönlichen Gründen mit Wirkung vom 18. Mai 2006 von seinem Amt als Vizepräsident […] sowie vom Direktorat der ESPP“ zurücktreten zu wollen, kam nicht überraschend. Bei der Würdigung seiner Verdienste hob der Vorsitzende des Kuratoriums besonders seinen Einsatz zur Verstärkung der Forschung an der Universität hervor. „Die besondere Schwierigkeit dieser Aufgabe werde durch die an der Universität Erfurt ungewöhnlich intensiv geführte Diskussion über den teilweise überbewerteten Gegensatz zwischen dem Anspruch der Forschungsfreiheit des Einzelnen und dem
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Beobachter sahen in der Affäre einen „Stellvertreterkrieg“. Interview Ettrich. Kur 16/25.4.2006. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. So der Vorsitzende des Kuratoriums, Professor Winfried Benz, der ehemalige Vorsitzende des Wissenschaftsrats. Wie gefährdet die Universität zu diesem Zeitpunkt war, zeigte sich in Überlegungen in der Landesregierung, die Universität eventuell mit der Fachhochschule Erfurt in einem „Lüneburger Modell“ zu einer neuartigen Hochschule zusammenzulegen bzw. die Regelschulausbildung von Erfurt an die FSU Jena zu verlegen. Auch die Trennung der Finanzierung von Max-Weber-Kolleg und Universität wurde angedacht. Kur 14/30.5.2005. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Ebd. Hermann HORSTKOTTE, „Freistil-Ringen um Titel und Karrieren“. SPIEGEL-online, 17.3.2006; „Erfurter Querelen: starker Mann über Bord“. Ebd., 12.5.2006. Bernhard VOGEL, Grußwort, in: Wolfgang BERGSDORF (Hg.), Erfurter Universitätsreden. Sonderband im Gedenken an Peter Glotz, S. 18.
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Zwang, aber auch der Chance der Schwerpunktsetzung in der Forschung charakterisiert.“30 Seine Nachfolge übernahm kurzfristig Professor Frank Ettrich.31 Im September kündigte auch Präsident Bergsdorf an, „dass ich nach den Ereignissen der Vorwochen nicht anstrebe, meine Amtszeit in jedem Falle voll auszuschöpfen. Sowohl Frau Kollegin [Professorin Dagmar] Demming als auch ich werden unsere Positionen zur Verfügung stellen, sobald eine geeignete Persönlichkeit die neue Präsidentschaft antreten kann.“ Bergsdorf war, von den Anfeindungen zermürbt, amtsmüde. „Er war ängstlich geworden vor den Hyänen, die ihn umgaben.“ Seine Persönlichkeit, ideal als Scharnier zwischen der Politik und einem noch nicht abgeschlossenen Projekt, als „Kanalarbeiter“ im Hintergrund, war für diese Auseinandersetzungen nicht geeignet. Eine Mehrheit der führenden Universitätsmitglieder wollten Bergsdorf daher „los sein“.32
2.
Reformuniversität unter Druck
REFORMUNIVERSITÄT UNTER DRUCK Noch vor Bergsdorfs Rücktritt hatte der wachsende Spardruck in der Universität zu einer umfassenden Bestandsaufnahme geführt, die die anstehende Nachbegutachtung der Universität durch den Wissenschaftsrat, die Erstellung eines umfassenden Lehrberichts und die Evaluierung des gesamten Thüringer Hochschulsystems durch die von der Landesregierung eingesetzte Expertenkommission ohnehin nötig machte.33 Unabhängig davon hatte auch die Entwicklung des Studienbetriebs der Universität gezeigt, dass das Gründungskonzept keinen ausreichenden Rahmen bildete für die nach der Gründungs- und unmittelbaren Anfangsphase aufgetretenen finanziellen, organisatorischen und konzeptionellen Veränderungen. Man nutzte den Druck der Sparzwänge für die erforderlichen Strukturveränderungen und Reformen. Mit dem unter dem Namen „PHOENIX“ zusammengefassten, durch verschiedene Versionen gehenden Maßnahmenbündel versuchte die Universitätsleitung, sich „von der Diktatur
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Kur 17/19.9.2006. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Für Mark Schattenmann bedeuteten die Vorfälle das Ende einer vielversprechenden Karriere. Frank Ettrich, Professor für Soziologie, war von der Humboldt-Universität Berlin bereits 1991 an die PHEM gegangen, in Erwartung der dortigen Universitätsgründung. Interview Ettrich. Interview Ettrich. Kur 10/26.5.2003, Top 2: Bericht des Präsidenten, S. 3. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K4.
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des Zufalls [zu befreien], um eine Planungssicherheit für die nächsten Jahre zu erreichen.“34 Am 23.7.2003 verabschiedete der Senat PHOENIX V, der die Rahmenbedingungen für eine solide ausfinanzierte Strukturplanung erstellte: 18 Professuren müssten auf mittlere Dauer „stillgelegt“ werden. Nun müsse man diejenigen Professuren und Studienrichtungen identifizieren, die in diesen „Struktursicherheitsfonds“ eingehen könnten.35 Die Konzentration auf die Finanzierung der Professuren rückte jedoch die der Forschung in den Hintergrund. „Das Kuratorium sieht mit großer Besorgnis, dass die neue Haushaltssituation über das Konzept Phoenix zwar für die Lehre – mit großen Opfern – einigermaßen aufgefangen wird, für die Forschung dagegen zu einer sich dramatisch verschlechternden Lage mit möglicherweise langfristigen negativen Folge führt.“36 Das Kuratorium empfahl dem Präsidium der Universität „nachdrücklich […] inneruniversitäre Sparmaßnahmen auch gezielt für die Schließung der größten Finanzierungslücken im Forschungsbereich einzuplanen“.37 Das Kuratorium sah zudem die Bedeutung des Max-Weber-Kollegs für die Universität nicht genügend gewürdigt. „Die Weichen sind nach seiner Auffassung falsch gestellt, wenn statt der zentralen Bedeutung […] nur die Bestandssicherung des Kollegs herausgestellt wird.“38 Die kritischen Stimmen mehrten sich. Die Erfurter Universität war „kein deutsches Harvard.“ Laut Ranking von CHE und ‚Stern‘ lag sie in Erziehungswissenschaften und Geschichte nur im Mittelfeld. Denn „die Ausstattung mit Forschungsgeldern reicht nur für Schlussgruppe“.39 Auch Glotz äußerte sich ähnlich: „Wenn man mehr Geld hätte, könnte man auch mehr aus Erfurt machen.“ Der Feier zum 10. Jahrestag der Gründung blieb er wegen „anderer Verpflichtungen“ demonstrativ fern.40 Wie richtig diese Einschätzungen waren, zeigte sich in der erneuten Evaluation der Hochschule durch den Wissenschaftsrat.41 Dessen Kritik bezog sich
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SZ, 5.8.2003. Kur 13/25.10.2004. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Folgende Kriterien für deren Auswahl wurden aufgestellt: Relevanz für das Reformkonzept, Beitrag zur Profilbildung der Universität, Gewährleistung der Grunderfordernisse zur Sicherung der Regelschullehrerausbildung, Umsetzbarkeit innerhalb eines realistischen Planungszeitraums. Stellungnahme des Kuratoriums der Universität Erfurt zum Reformentwicklungs- und Sicherheitskonzepts für die Universität Erfurt. (Stand: PHOENIX V vom 23.7.2003). Kur 10/18.11.2003. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K4. Bei ausreichender Finanzierung wäre ein „sowohl als auch“ möglich gewesen, so der Vorsitzende Benz. Ebd. Ebd. TA, 15.4.2004. TA, 29.4.2004. „Kritische Bewertung durch den Wissenschaftsrat.“ TA, 2.6.2004.
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auf die Defizite im Bereich der Forschung: Die Universität war noch nicht Mitglied der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die Forschungsaktivitäten der Staatswissenschaftlichen Fakultät „sind gegenwärtig noch gering und nicht herausragend“. In der Philosophischen Fakultät ist ein „übergreifendes, auf das kulturwissenschaftliche Profil der Universität zugeschnittenes Forschungskonzept noch nicht erkennbar“. In der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät waren die drittmittelfinanzierten Forschungsaktivitäten unter den antragsfähigen Personen ungleich verteilt „und insgesamt steigerungsfähig“. Auch auf eines der zentralen Probleme der Universität wurde hingewiesen: die schwache Einbindung des Max-Weber-Kollegs in die Universität.42 Die Hochschulleitung reagierte mit einem 14-Punkte-Programm.43 Es sah die Errichtung eines „Forschungszentrum[s] Gotha für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien“ (FZG) und dessen Ausrüstung mit Mitteln für die Startphase vor, eine intensivere Vernetzung des MWK mit den Fakultäten durch ein abgestimmtes Programm sowie Stärkung der Erfurt School of Public Policy. Deren derzeit bei Studienanfängern am meisten nachgefragtes Magisterprogramm würde durch zusätzliche Mitarbeiterstellen auf eine hinreichende Basis gestellt. Mit der Schaffung einer Juniorprofessur „Bildungsmanagement“ würde das ZLB Gotha zu einem Zentrum für Weiterbildung und Wissenstransfer entwickelt. Die sogenannte „Clusterbildung“ sollte durch „Joint Appointments“ unterstützt werden, wie das bei Ausschreibungen in der Philosophischen und Staatswissenschaftlichen Fakultäten mit Bezug auf die European School of Public Policy und zum Forschungszentrum Gotha bereits geschehen sei. Das von Fachvertretern gegründete „Forum Religion“ werde zu einer zentralen Einrichtung ausgebaut. Damit sollte ein wichtiger Schwerpunkt fachlicher und fachübergreifender Forschung entstehen. Von entscheidender Bedeutung würde auch die Einrichtung eines Stellenpools, aus dem „auf Zeit schwerpunkt-, leistungs- und belastungsorientiert“ Stellen vergeben werden könnten. Konkret kam es zunächst zu einer Reihe von Reformen: die Umstrukturierung der Verwaltung bis Ende 2003 und die der Lehrerbildung.44 In den folgenden Jahren erforderten die Sparzwänge der Landespolitik ein noch radikaleres Umdenken in der Universität. Eine erste „Zielstruktur Phoenix VI“ vom 8.5.2006 ging von Folgendem aus: „Grundsätzlich gilt, dass bei jeder
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Für das Folgende vgl. Kur 13/25.10.2004. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 14/K5. Es war vor allem auch eine Reaktion „auf die negative Presse, die sich im Vorfeld aufgrund einer Indiskretion ergeben hatte“, die eine Richtigstellung erforderte. Ebd. Vgl. Kap. VII.2.2. Der „Phoenix-Prozess werde […] klären, welche der eingereichten Ordnungen wieder zurückgezogen werden müssten, da die Studiengänge ganz eingestellt oder im Angebot reduziert würden.“ Auch die Studien- und Prüfungsordnungen wurden überarbeitet. Kur 10/26.5.2003, Top 3: Bericht zum Entwicklungsstand der Reform der Lehrerbildung. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K4.
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freiwerdenden Professur ihre Ausrichtung und Wertigkeit überdacht werden sollte. […] Nicht auszugehen ist davon, dass die Gleichwertigkeit der Stellen automatisch festgeschrieben wird – vielmehr sind die Fakultäten bei Neubesetzungen aufgefordert, die Wertigkeit der Stellen zu überdenken. Dies gilt für alle Fakultäten und Einrichtungen.“45 Die Kalkulation dieser „Wertigkeit“ war jedoch schwierig: es galt, Datenschutzbestimmungen zu berücksichtigen46 bzw. grundsätzliche Fragen wie: Sollten individuelle Leistungen als Anreiz wie in der Wirtschaft belohnt werden oder Team-Leistungen‘?47 Zur Analyse der Gesamtsituation der Universität wurden zwei „Task Forces“ („Task Force Struktur“ und „Task Force Mittelbau“) gebildet.48 Den Task Forces unter dem Vorsitz von Geschichtsprofessor Gunther Mai gehörten führende Mitglieder aller Fakultäten, des MWK und der Verwaltung an. Die Empfehlungen der „Task Force Struktur“ vom 21.1.2007 sahen als Kernpunkt die notwendige Einsparung von 17 % in allen Bereichen vor, wofür eine Strukturentscheidung nötig sei.49 In der Klausur am 23./24.2.2007 wurden sie von der gesamten Führungsebene der Universität unter dem Motto „Zukunftswerkstatt Universität Erfurt 2017“ beraten.50 Laut Präsident Bergsdorf war es das Ziel, die nötigen Maßnahmen zu besprechen, „damit die UE das Zieljahr als leistungsstarke Universität erreicht, nicht als integrierte Gesamthochschule mit Gartenbau und Verkehrstechnik und einem Max-Weber-Kolleg und katholischer Theologie als exotischem Anhang“. Die Schwächen der Universität, so sein Resümee, waren in der Tat offenkundig: Nicht nur war sie im Bereich der Internationalität nur noch „Thüringer Mittelmaß“; die Hochschule habe nur einen international attraktiven Studien-
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Beschlusslage PHOENIX V mit Änderungsbeschlüssen seit dem 23.07.03. Material Mai. Vgl. Satzung zum Schutz personenbezogener Daten bei der Bewertung von Leistungen in Lehre und Forschung an der Universität Erfurt vom 20.12.2006. Material Mai. Vgl. die detaillierte 21-seitige „Vorlage eines Modellvorschlags an die Task Force ‚Struktur‘ für die Bewertung von Studiengängen an der Universität Erfurt. Hier: Ableitung und Beschreibung von Indikatoren zur Bewertung von Lehrleistung und -belastung“. Material Mai. Universität Erfurt, Task Force Struktur, Zwischenbericht: Eckpunkte für eine neue Personalstruktur. Entwurf, Stand: 16.10.2006. Der Senat stimmte den „Eckpunkten“ am 15.11.2006 zu. Material Mai. Laut ihrem Vorsitzenden, Professor Mai, waren sie „der Versuch, die Kriterien ‚Klasse‘ und ‚Masse‘ in Balance zu bringen.“ Material Mai, Bestand „Task Force“. – Ein Problem war, dass die zur Einsparung zur Sperrung vorgesehenen Professuren nur teilweise tatsächlich gesperrt wurden. Es mussten daher Stellen des wissenschaftlichen Mittelbaus zur Finanzierung herangezogen werden. Weitere Stellen des Mittelbaus wurden geopfert, um der Universitätsbibliothek Mittel für weitere Bücher-Anschaffungen bereitzustellen. Für das Folgende vgl. Universität Erfurt, Klausurtagung. Seminarhaus „Zur Talsperre“, Heyda: Protokoll. Material Mai.
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gang, den Master of Public Policy. Sondern sie verfehlte mit ihren 4.000 Studenten die Zielzahl des Landeshochschulplans von 5.000 deutlich. „Damit ist sie gerechnet pro Studenten die mit weitem Abstand teuerste Hochschule des Landes. Das ist unser großes Problem auch in der öffentlichen Wahrnehmung. […] Fallen wir wieder unter die 4.000-Marke steht wieder die Existenzdebatte an, wie beispielsweise die ‚Fusion‘ mit anderen Einrichtungen des Landes.“ Denn die Einstellung der anderen Thüringer Einrichtungen gegenüber der Hochschule bliebe weiterhin negativ. Inzwischen sei es sogar zu Demonstrationen vor dem Ministerium gekommen, in denen die Schließung der Universität Erfurt gefordert wurde. Die Universität Erfurt gelte angesichts ihrer derzeitigen Leistungsbilanz weiterhin als bevorzugt, zu Lasten der anderen Thüringer Hochschulen. Diese forderten mehr oder weniger lautstark das Ende des „ErfurtBonus“ oder zumindest den raschen „Einstieg in die Deprivilegierung“. Diese schien ohnehin im Gange: Der vom Land als Träger und Finanzier der Universität eingeräumte, befristete Sonderstatus liefe spätestens in vier Jahren ab.51 Spätestens dann würden ihr nur noch 85 % ihrer jetzigen Personalmittel garantiert. Die restlichen Mittel würden in einen wettbewerblich organisierten Finanzierungspool des Landes eingehen.52 Nach aktuellen Werten würde die Universität in diesem Wettbewerb voraussichtlich 15 % ihrer derzeitigen Personalmittel, also ca. 3,5 Millionen Euro, verlieren. Zur Bestandswahrung und Weiterentwicklung im Thüringer Wettbewerb müsste beinahe Unmögliches erreicht werden: „binnen vier Jahren die Anzahl der Regelzeitstudierenden (derzeit ca. 3.000) erheblich gesteigert;53 die Anzahl der Absolventen (derzeit ca. 950) weiter angehoben; die Anzahl der Promotionen (derzeit 25) wenigstens verdoppelt; das Drittmittelaufkommen (derzeit ca. 4 Mio.) deutlich erhöht54 sowie die sonstigen Einnahmen (ohne Studiengebühren) verstärkt werden“. Der Präsident stellte dazu 12 Thesen der Hochschulleitung vor, u. a. die Profilschwerpunkte der Universität, die struktur- und haushaltspolitisch als
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Im Rahmen des Hochschulgesetzes waren der Universität bis 2011 Sondermittel für genau vereinbarte Vorhaben bereitgestellt worden. Von den anderen Thüringer Hochschulen „wird dies heftig kritisiert“. Campus, 4.11.2009. Indikatorgestützt wurden die Mittel wie folgt verteilt: 25 % nach Anzahl der Regelzahlstudierenden; 25 % nach Anzahl der Absolventen; 15 % nach Anzahl der Promotionen; 30 % nach Höhe des Drittmittelaufkommens; 5 % nach Höhe der Einnahmen. Das Problem blieben „unsere bescheidenen Studentenzahlen“, die „der Hauptgrund für die schrittweise deutlichen Verluste der Universität nach der bisherigen LUBOMKalkulation“ waren. Die Schwäche der Hochschule auf diesem Gebiet zeigt eine „Übersicht der Drittmittel“ vom 31.12.2002: den ca. 3 Millionen Euro der Universität Erfurt standen 7 Millionen der Viadrina Frankfurt/Oder, ca. 9 Millionen der Bauhaus-Universität Weimar, 17 Millionen der TU Ilmenau und 40 Millionen der FSU Jena gegenüber. UAE, PH 13845.
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prioritär eingestuft wurden.55 Vor allem die andauernde schwache Anbindung des Max-Weber-Kollegs an die Universität kam in den Blick. Zwar hatte das Kolleg als Reaktion auf die vom Wissenschaftsrat mehrfach angemahnte stärkere Vernetzung mit der restlichen Universität bereits 2003 den sogenannten „Erfurt Fellow“ eingeführt, wodurch Universitätsprofessoren für ein Jahr von ihren Lehrverpflichtungen ganz (oder später teilweise) beurlaubt am Kolleg forschen konnten.56 Allerdings betraf dieses Angebot nur eine kleine Zahl der Professoren. Die Universität dagegen forderte weiterhin einen Gesamtbeitrag zur Lehre in Höhe von 10 Semesterwochenstunden durch die Fellows des Kollegs als Gegenleistung für dessen Anerkennung als Struktureinheit mit gesetztem Forschungsschwerpunkt und die Garantie seiner Budgetsicherheit. Bereits im Jahr 2004 hatte das „Forum Religion“ eine intensivere Arbeitsbeziehung zwischen Max-Weber-Kolleg und Theologischer Fakultät gebracht. Auch eine leistungsfähige Universitätsbibliothek war für Forschung und Lehre der Universität unverzichtbar. Weitere acht Punkte galten der Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit. Den Profilschwerpunkten entsprechend sollten Promotionszentren eingerichtet; unwirtschaftliche MA-Programme mit Anfängerkohorten von unter 25 mittelfristig eingestellt und freiwerdende Personalkapazitäten umgeschichtet werden. Die Einrichtung marktfähiger integrativer sowie anwendungsorientierter Masterprogramme sollten unterstützt sowie die Fakultäten aufgefordert werden, selbsttragende kommerzielle Weiterbildungsangebote zu entwickeln. BA-Studiengänge müssten personell ihrer Auslastung entsprechend ausgestattet werden. Überproportional kapazitätsbindende Regelungen waren abzubauen. Mittelfristig seien integrative und anwendungsorientierte Angebote zu entwickeln; die Serviceangebote der Universität für Externe sollten weitgehend kommerzialisiert und die wettbewerbliche Entwicklung der Universität durch ein schrittweise einzuführendes System der leistungskontingenten Mittelverteilung unterstützt werden. Eine erste Stellungnahme der Dekane war mehrheitlich konstruktiv. Nur das Max-Weber-Kolleg wiederholte die schon häufig gemachte Forderung nach dem Habilitationsrecht.57 In seiner Zusammenfassung der vorgelegten Stellungnahmen kündigte der Präsident folgende Entscheidungen an:
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Die Profilschwerpunkte waren: Bildung/Lehrerbildung; Religion und Kultur; Kommunikation/Medien; Menschliches Verhalten in ökonomischen und sozialen Kontexten. Erster Fellow war Professor Rüpke, Dekan der Philosophischen Fakultät und später amtierender Präsident der Universität. Es folgten u. a. die Professoren Thumfart, (Politikwissenschaft), Malik (Religionswissenschaften), Mai (Geschichtswissenschaft), Wegner (Rechtswissenschaft), Bultmann (Evangelische Theologie). Vgl. auch „Stellungnahme des Max-Weber-Kollegs zu den Empfehlungen der Task Force Struktur“ vom 22.1.2007. Universität Erfurt, Klausurtagung Heyda. Material Mai.
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Philosophische Fakultät: Die Hochschulleitung unterstützt grundsätzlich die Planungen der Philosophischen Fakultät. Das Grundprinzip der Stilllegung einzelner Professuren und Nutzung des freiwerdenden Finanzvolumens für profilbildende Maßnahmen wird akzeptiert. Die Staatswissenschaftliche Fakultät sollte ihre Studentenzahlen mit einem attraktiven wirtschaftswissenschaftlichen Studienangebot erhöhen. Es wurde weiterhin empfohlen, „ein attraktives anwendungsorientiertes politikwissenschaftliches Angebot unter Einbezug von Public Policy zu entwickeln. Für das innovative Konzept einer integrierten neuen Staatswissenschaft sei die rechtswissenschaftliche Komponente ein integrales Element. Der MA Public Policy sollte stärker vermarktet werden.“ Weitere MA-Programme waren bei ihrem jetzigen Auslastungsgrad offensichtlich nicht wettbewerbsfähig. Die weitere Profilierung von Forschungsschwerpunkten, insbesondere des von Professor Bettina Rockenbach begründeten Center for Empirical Research in Economics and Behavioral Sciences (CEREB) als ein Anliegen der Universität Erfurt hervorgehoben. In der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät wurde eine temporäre Erhöhung der Zulassungsgrenze für Pädagogik der Kindheit auf 250 empfohlen. Die Katholische Fakultät sollte die Vernetzung von Studienangebot und Forschung mit anderen Fakultäten fortführen. Diese überwiegend pessimistischen Ausführungen Bergsdorfs schienen auch durch die Umstände gekennzeichnet, die zu seinem bevorstehenden Rücktritt führten. Denn die Universität hatte andererseits auch Positives aufzuweisen. Das Forschungszentrum Gotha entwickelte sich positiv. Dank Förderung der DFG wurden ihre Bestände gut erschlossen, und mit Hilfe des Herzog-ErnstStipendienprogramms der Fritz-Thyssen-Stiftung konnte auch die inhaltliche Erschließung und Auswertung der Bestände eingeleitet werden.58 Die von Glotz geplante European School of Governance wurde als postgraduale Willy-BrandtSchool of Government and Public Policy neu gegründet – einer der erfolgreichsten Bereiche der Hochschule. Die Universität war mit ihrem Antrag auf Einrichtung einer Graduiertenschule „Religion im Modernisierungsprozess“ im Rahmen der vom Bund geförderten Exzellenzinitiative in die zweite Runde gekommen, ein „enormer Erfolg“ für eine kleine Universität.59 Denn im Gegensatz zu etablierten Hochschulen konnte „Erfurt […] für die Graduiertenschule vor Ort […] nicht auf 58
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Die Bestände sind in mehreren Bereichen bedeutender als die der berühmten AnnaAmalia-Bibliothek in Weimar oder die der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel. Auskunft Professor Mai, E-Mail vom 7.12.2020. Als Dekan der Philosophischen Fakultät war er, zusammen mit Professor Peer Schmidt, dem ersten Direktor, für die Gründung des Forschungszentrums Gotha verantwortlich. Campus, 26.10.2007, S. 1.
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die Kooperation mit starken außeruniversitären Partnern aufbauen wie etwa die Berliner Konkurrenz“.60 In den nächsten vier Jahren plante das Land zudem Investitionen von 2,81 Milliarden Euro für seine Zukunftsinitiative „Exzellentes Thüringen“, die u. a. auch der Universität Erfurt zugutekommen würden. Forschungsschwerpunkte waren nun Religion, Medien, Bildung. Die intensive Förderung von Nachwuchsforschern wurde in den Mittelpunkt gestellt. Die Universität stellte dafür Promotionsstipendien zur Verfügung, die bereits von 25 Doktoranden aufgegriffen worden waren. Um die Hochschule für sie weiter attraktiv zu machen, stellte man einen „Forschungsmanager“ ein, der an der unter LUBOM besonders wichtig gewordenen erhöhten Anzahl an Promotionen und der allgemein verbesserten Leistungsbilanz der Universität arbeiten sollte. Die Verbesserung der Graduiertenausbildung wurde in allen Fakultäten angenommen. Das früheste Datum für einen Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft sei allerdings erst das Jahr 2010.61 Die Umsetzung der diversen Vorhaben und Pläne war jedoch den Nachfolgern in der Hochschulleitung überlassen.
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Interview Ettrich, in: Campus, 26.10.2007. Ebd.
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AUSBLICK: DIE UNIVERSITÄT UNTER PRÄSIDENT KAI BRODERSEN
AUSBLICK: DIE UNIVERSITÄT UNTER PRÄSIDENT KAI BRODERSEN AUSBLICK: DIE UNIVERSITÄT UNTER PRÄSIDENT KAI BRODERSEN Obwohl Präsident Bergsdorf bereits 2006 angekündigt hatte, nicht über das Ende seines Vertrags im November 2007 bleiben zu wollen, gelang es der Hochschule erst im Januar 2008 einen Nachfolger zu finden.1 Die Suche nach einem/r geeigneten Kandidaten/in wurde erschwert durch die relativ ungünstigen Verhältnisse vor Ort: Die Universität war eine kleine Hochschule mit einem Jahresbudget von 40 Millionen Euro2 und einem eingeschränkten Fächerspektrum.3 Auch für einen reinen Verwaltungsfachmann war die Universität zu klein, um interessant zu sein. Die Schwäche der Forschung, die fehlende Mitgliedschaft in der Deutschen Forschungsgemeinschaft sowie der teilweise sehr öffentliche Rücktritt des Leitungspersonals spielten ebenfalls hinein. Die Ausschreibung war bereits im Sommer 2006 erfolgt. Eine Findungskommission4 beschäftigte sich insgesamt mit 40 Namen; von 20 ernsthaften Kandidaten wurden schließlich elf eingeladen. Zwei kamen in die engere Wahl: „einer der beiden Kandidaten […] weigerte sich, auf einer Liste mit nur zwei Namen zu stehen.“5 Die übriggebliebene Frau ließ „sich erst den Weg zum Präsidentschaftsamt ebnen“, blieb dann doch lieber an ihrer heimischen Universität, um dort einen besser dotierten Posten anzunehmen. Ihre kurzfristige Absage „bescherte […] den Erfurtern eine [handfeste] Personalkrise“6 und wiederum eine kritische Berichterstattung in der Presse.7 Die Universität war „in einem frühen Stadium des Verfahrens an zwei kritischen Punkten Opfer eines so nicht vorhersehbaren Missgeschicks geworden“. 1
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Am 30.9.2007 war auch der Kanzler zurückgetreten, dessen Amt auf den Präsidenten überging, bevor der Stellvertretende Kanzler bis auf Weiteres die Geschäfte übernahm: Dr. Jürgen Leitgebel von der ehemaligen PHE. Campus, 26.10.2007. „In anderen Hochschulen haben allein die Abteilungen einen höheren Etat.“ Interview Rössler. Hochschulleiter ziehen es in der Regel vor, einer Hochschule vorzustehen, in der auch das eigene Fach vertreten ist. Mitglieder des Kuratoriums waren Professor Winfried Benz, Professorin Beate Schneider, Professor Hans N. Weiler und Propst i. R. Joachim Jaeger; für die Universität Erfurt die Professoren Tilman Betsch, Hans Joas und Jörg Rüpke. Campus, 27.4.2007. Kultusminister Jens Goebel. TLZ, 27.9.2007. Falk HENNEMANN, „Erneute Absage für die UE.“ TA, 25.6.2007. Gerlinde SOMMER, „Eine Frau hat die ganze Miserere vertieft.“ TLZ, 27.9.2007; Falk HENNEMANN, „Vergesst Harvard …“. TA, 26.9.2007.
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Erstens war es der Rückzug in letzter Minute von zwei vorzüglichen Kandidaten, was „heute keine Seltenheit mehr“ ist. Hinzu kam zweitens, „dass es in Deutschland heute überaus schwierig ist, für die immer komplexer und […] anspruchsvoller werdenden Aufgaben der Leitung einer Hochschule geeignete und bereitwillige Kandidaten zu finden“. Darüber hinaus sei die Findungskommission mit hohen Erwartungen an die Qualität möglicher Kandidaten in die Auswahl gegangen und habe diese auch nicht kompromittieren wollen.8 Der am 14.1.2008 in einem beschleunigten Verfahren gewählte Professor Brodersen erfüllte in hohem Maße alle Kriterien: „Er ist ein Wissenschaftler von hohem Rang und erlesener Reputation: Er verfügt über reichhaltige und solide hochschulpolitische Erfahrung innerhalb, wie auch außerhalb einer Universität.“9 Da Brodersen jedoch erst am 2.7.2008 sein Amt antreten konnte, wurde der Dekan der Philosophischen Fakultät, der Religionswissenschaftler Professor Jörg Rüpke, Amtierender Präsident der Universität.10 Nach den vorausgegangenen Querelen und den schwierigen Versuchen, die Hochschule auf die neuen finanziellen Gegebenheiten umzustellen, galt es für Rüpke, zunächst Zuversicht zu verbreiten. Im Gegensatz zu Bergsdorf war er kontaktfreudig und brachte mit 12- bis 14-stündigen Arbeitstagen neuen Schwung in die Hochschule. Er sah sein Amt als eine Zeit des „Übergangs und Aufbruchs: die Universität kann optimistisch in die Zukunft blicken“.11 Nun mussten Entscheidungen getroffen werden, wo es bisher Entwürfe und Planungen gegeben hatte. Er fand bei seinen Kollegen große Bereitschaft zu Veränderungen, was sich darin zeigte, dass sie neue Mittel-Verteilungsmodelle akzeptierten, „die sich nicht an Tradition und Besitzstand orientierten, sondern Faktoren berücksichtigten […] wie Studentenzahlen oder Betreuungsaufwand“. In den sechs Monaten seiner Amtszeit waren Prioritäten jedoch weitgehend von außen vorgegeben, wie eine neue Grundordnung, die Zielvereinbarungen 8 9 10
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Campus, 6.2.2008. 2010 wurde er u. a. in die Sächsische Akademie der Wissenschaften, Leipzig, gewählt. Rüpke war 1995-1999 Professor für Klassische Philologie an der Universität Potsdam und seit April 1999 Professor für Vergleichende Religionswissenschaft mit dem Schwerpunkt Europäische Polytheismen an der Universität Erfurt; 2000-2008 Koordinator des DFG-Schwerpunktprogramms 1080 „Römische Reichs- und Provinzialreligion“; 20042007 Dekan der Philosophischen Fakultät; 2008 Amtierender Leiter der Universität Erfurt; seit 2008 Ko-Direktor (mit Hans Joas) der DFG-Kollegforschergruppe „Religiöse Individualisierung in historischer Perspektive“ an der Universität Erfurt und Fellow des Max-Weber-Kollegs. – 2003/04 Fellow des Max-Weber-Kollegs; 2004 Gastprofessor an der Sorbonne, Paris; 2005 Webster-Lecturer an der Stanford University; 2008 GuyLussac-Humboldt-Preisträger für deutsch-französische Zusammenarbeit; 2009 Fellow des Humanity Councils der Princeton University; 2010 Gastprofessor am Collège de France und an der Universität Aarhus; seit 2011 Honorarprofessor an der Universität Aarhus. Wikipedia Eintrag, eingesehen 9.7.2020. Interview in der Universitätszeitung Campus, 6.2.2008 für das Folgende.
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zwischen der Hochschulleitung und der Landesregierung sowie zwischen Hochschulleitung und Fakultäten. „Der Druck, Entscheidungen zu treffen, ist sehr groß.“ Sie waren notwendig, um die Handlungsfähigkeit der Universität zu stärken. „Bis Brodersen kommt, wollen wir die Weichen gestellt haben. Die Strukturreform sei bereits durchgemacht.“ Die Hochschule müsse nicht nur bei der Internationalität „deutlich nachlegen“, auch im Verhältnis zur Stadt bestehe klarer Nachholbedarf. Als Forschungsschwerpunkte definierte er „Religion und Bildung“, womit die Universität den Schwerpunkten des Max-Weber-Kollegs (und seinen eigenen Interessen) näherkam. Dies entsprach jedoch den Realitäten der Forschungsleistungen der Hochschule. Auch Präsident Brodersen passte mit seinem Studium der Alten Geschichte, klassischen Philologie und Evangelischen Theologie gut in diesen Rahmen. Am 27.2.2008 wurde die Grundordnung verabschiedet, die u. a. die Hochschulleitung stärkte. Proteste des Mittelbaus und der Studenten blieben wirkungslos. Damit tat man einen entscheidenden Schritt zu mehr Autonomie bei Berufungs- und Satzungsangelegenheiten in Richtung „unternehmerische Hochschule“, wie in der Neufassung des Thüringer Hochschulgesetzes von 2006 vorgesehen. Alleiniges Kollegialorgan war zukünftig der Senat mit den zentralen Aufgaben des erweiterten Senats, dessen Amtszeit am 31.12.2007 zu Ende gegangen war. Zur gleichen Zeit stellte das Kuratorium seine Arbeit ein. Da ein vom Ministerium berufener Hochschulrat noch nicht existierte, schuf die Universität selbst drei Berufungsbeauftragte, um ihre Handlungsfähigkeit bei Berufungsverfahren aufrechtzuerhalten.12 Anfang Juli begann die Amtszeit von Präsident Brodersen. Bei seinem Amtsantritt war in der Universität inzwischen weitgehend Ruhe eingekehrt. Darauf aufbauend signalisierte Brodersen Kontinuität und Bodenständigkeit, indem er – im Gegensatz zu zahlreichen anderen westdeutschen Professoren – ein Haus in der Altstadt kaufte und seine ganze Familie mit ihm nach Erfurt zog.13 Seine wichtigsten Entscheidungen betrafen zunächst die Finanzierung der Stellen – jenes Problem, das innerhalb der Universität bereits intensiv beraten worden war. „Er war sehr dankbar für die Vorarbeiten [der Task Force].“ Brodersen setzte sie um, in dem er „das Ganze […] auf Leistung umstellte, alle freiwerdenden Mittelbaustellen in einen großen Topf kamen und durch ein Voucher-System zugeteilt wurden. Damals zählten die Promotionen besonders
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Einer der Berufungsbeauftragten war Professor Gunther Mai, der sich bereits als Vorsitzender der „Task Forces“ engagiert und als Dekan der Philosophischen Fakultät 20012004 alle damaligen Berufungsverfahren persönlich geleitet hatte. Damit vermittelte er der Hochschulöffentlichkeit: „Ich bin hier und ich bleibe.“ Interview, in: Campus, 6.2.2008. Professor Brodersen lehrt noch immer an der Universität.
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als Kennziffer für die Verteilung der Gelder auf die Universitäten, […] sodass derjenige, der seine Mitarbeiter zügig und erfolgreich promovierte bzw. Drittmittel für Promovenden einwarb, entsprechend belohnt wurde, weil von ihm erwartet wurde, dass er auch da wieder erfolgreich sein würde.“14 Bis zum Ende seiner offiziellen Amtszeit – nachdem er bereits Ende 2012 aus gesundheitlichen Gründen weitgehend von seinen Amtsgeschäften zurückgetreten war – konnte die Universität unter Präsident Brodersen punktuell erfreuliche Erfolge vorweisen. Die „Hochschulnachrichten“ erwähnten u. a. Kooperationsvereinbarungen mit anderen Einrichtungen, wie die zwischen der Staatswissenschaftlichen Fakultät mit dem Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI).15 Die Forschungsleistungen einzelner Hochschullehrer wurden gewürdigt, wie die von Professor Bettina Rockenbach,16 deren Auszeichnung „vom Forschungsmonitoring des Vereins für Socialpolitik in dieser Woche im ‚Handelsblatt‘ veröffentlicht wurde.“17 Die Christa-Hoffmann-Riem-Stiftung der renommierten Vereinigung für Recht und Gesellschaft zeichnete Professor Dr. Arno Scherzberg18 mit dem Preis „Recht und Gesellschaft“ aus. „Mit der mit 2000 Euro dotierten Auszeichnung würdigt die Vereinigung Scherzbergs Verdienste um die rechtswissenschaftliche Grundlagenforschung.“ Professor Patrick Rössler war, „wie die Hochschulrektorenkonferenz und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft jetzt mitteilten, in die Endrunde der Entscheidung über die Verleihung des Ars-legendi-Preises [Platz 3] gekommen.“19 Auch das Interesse von Wissenschaftlern an einem Forschungsaufenthalt in der Forschungsbibliothek Gotha der Universität Erfurt war in den vergangenen Jahren stetig gestiegen. Weit über 70 % mehr Wissenschaftler als noch in den vorhergegangenen Jahren bewarben sich um das seit 2004 von der Fritz
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Professor Mai, E-Mail an die Autorin, 7.12.2020. Für eine betreute Promotion gab es einen Voucher für eine halbe Mitarbeiter-Stelle, für eine betreute Habilitation einen für eine ganze Stelle. Hochschulnachrichten 2010 für das Folgende. Inhaberin des Lehrstuhls für Mikroökonomie und Vizepräsidentin für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs. Von Interesse ist hier der Gegensatz zwischen den Professoren Rockenbach und Joas. Erstere repräsentierte einen völlig andere „Veröffentlichungskultur“, mit Forschungen, die in „peer reviewed“-Artikeln in Fachzeitschriften erschienen, gegenüber den Buchveröffentlichung von Joas und den meisten Fellows des Max-Weber-Kollegs. Hier war ein weiterer Grund für den Abstand zwischen dem MWK und besonders der Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität. Interview Joas. Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften an der Staatswissenschaftlichen Fakultät. Professor Rössler war Professor für Kommunikationswissenschaft, Dekan der Philosophischen Fakultät und Vizepräsident für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs als Nachfolger von Bettina Rockenbach. Er lehnte Rufe nach Dresden und München ab.
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Thyssen Stiftung geförderte Herzog-Ernst-Stipendium, das den Forschungsaufenthalt auf Schloss Friedenstein ermöglichte.20 Zum Wintersemester 2010/2011 verzeichnete die Universität mit fast 5.500 Immatrikulierten so viele Studierende wie nie zuvor. Ihre Zukunftsaussichten waren jedoch düsterer. Der demografische Wandel würde nicht spurlos an der Universität Erfurt vorübergehen. „Wir werden weiter jede Anstrengung unternehmen, unsere thüringischen Abiturientinnen und Abiturienten im Land zu halten und gleichzeitig Studieninteressierte aus anderen Bundesländern für ein Studium in Erfurt zu begeistern.“21 „Unser wichtigster Erfolg ist die Qualität der Arbeiten, die nicht zuletzt darin begründet liegt, dass unsere Wissenschaftler über ihre eigenen Disziplingrenzen hinweg denken und arbeiten müssen. Das schafft einen Facettenreichtum, der seinesgleichen sucht.“22 Aber es zeichneten sich auch Schattenseiten ab. Die Förderung der Graduiertenschule seit 2008 durch die „Pro Exzellenz“-Initiative des Landes Thüringen würde Ende 2011 auslaufen. Die Finanzen der Universität allgemein besserten sich ebenfalls zunächst nicht. Gewisse Problemfelder blieben, wie u. a. das Studium Fundamentale23 oder die Verbindung zur Stadt. Der Präsident konnte somit auf eine Reihe von Erfolgen in der Universität verweisen, doch kam es gleichzeitig zu neuen Konflikten. Zum einen waren sie die Folge von Brodersens Amtsverständnis, das sich grundlegend von dem seines Vorgängers unterschied. War Bergsdorf auf Ausgleich bedacht, bestand Brodersen auf der Autorität seines Amtes. Das langjährige Beraterteam von Wolff, Glotz und Bergsdorf wurde unzeremoniell entlassen;24 andere Mitarbeiter traten von sich aus zurück. Die Entwicklung wurde „extrem konfliktreich; er brachte die ganze Universität gegen sich auf.“25 Hier lag einer der Gründe dafür, dass er nicht für eine zweite Amtszeit kandidierte. Sein Anspruch, dass „[ein] Universitätspräsidium die Aufgabe hat, allen Interessen an der Universität gerecht zu werden“.26 betraf u. a. den Sonderstatus des
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Hochschulnachrichten 2010. Professor Dr. Andrea Schulte, Vizepräsidentin für Studium und Lehre. Ebd. Professor Dr. Jörg Rüpke, Sprecher der Graduiertenschule „Religion in Modernisierungsprozessen“ an der Universität Erfurt. Ebd. Siegfried UHL/Manfred KUTHE, Zentrale Ergebnisse der Systemevaluation im Sommersemester 2003, 15.11.2003. Kur 10/18.11.2003. PrUE, Protokolle Kur, Bd. 17/K4. Vgl. die Diskussion auf der Klausurtagung im Februar 2007. Auch andere bewährte Mitarbeiter/innen wurden brüskiert, sodass eine langjährige Sekretärin ihre Stelle kündigte. Interview Schluchter. Interview Hollstein. „Da sich das Max-Weber-Kolleg und insbesondere sein damaliger Direktor als unantastbarer ‚Leuchtturm‘ verstanden und energisch Sonderbehandlung einforderten (ich erinnere mich lebhaft an diesbezügliche Telefonate und Gespräche mit Herrn Joas), kam es zu einer schwierigen Situation. […] Man bat sogar einen externen Vermittler und Gut-
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Max-Weber-Kollegs innerhalb der Hochschule. Hier bestand in der Tat das Problem, dass „das Kolleg nur in der Universität funktionieren konnte, solange die Idee war, eine Spitzenuni zu machen. Sobald die Universität aber faktisch eine der schwächeren Unis war, hatte das MWK keinen richtigen Ort. Das ging unter Bergsdorf noch gut, weil er nicht das Beste in Erfurt kaputtmachen wollte. Brodersen sah das anders.“27 Brodersen irritierte die Beschreibung der Universität durch den Wissenschaftsrat als „Flachbau“ neben dem „Turm“ des Max-Weber-Kollegs. Dem hielt er einen egalitären Ansatz entgegen, was ihn der Einstellung von Angehörigen der Staatswissenschaftlichen Fakultät näher brachte, die bereits seit Jahren Joas abgelehnt hatten.28 Denn die Exzellenz des Kollegs überschattete ihrer Meinung nach die der Fakultät, die ohne diese Konkurrenz besser dastehen würde. Joas dagegen sah in der Fakultät nur zweitbzw. drittklassige Professoren mit einem übertriebenen Selbstverständnis. In der Folgezeit eskalierten die Spannungen. Während der Abwesenheit von Joas verweigerte die Hochschulleitung die Repräsentanz des Kollegs in den Hochschulgremien durch dessen bereits unter Schluchter amtierende, erfahrene Geschäftsführerin Bettina Hollstein. Es wurde auch von dem vereinbarten neuen für den Mittelbau (Voucher) ausgeschlossen, mit der Begründung, dass bei dessen Einbindung „nichts für die Fakultäten übrigbliebe“, da das Kolleg fast ausschließlich promovierte, und das mit zunehmendem Erfolg.29 Vor allem der Anspruch Brodersens, dass er als Präsident der ganzen Universität das Recht habe, die Fellows des MWK zu ernennen, war eine direkte Herausforderung von Joas, würde er damit doch die Kontrolle über das Kolleg verlieren. Brodersen dagegen drohte Joas, bei einer Weigerung „habe er die Möglichkeit, das Budget des Kollegs so drastisch zu reduzieren, dass es pleitegehen würde“.30 Die Arbeit des Kollegs wurde zusehends von „strukturbezogenen Konflikten“31 überschattet. Versuche einer Einigung mit einer Vereinbarung zwischen dem Ministerium, der Hochschulleitung und dem Max-Weber-Kolleg brachten kein endgültiges Ergebnis. Eine vom Hochschulrat eingesetzte unabhängige
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achter um Vorschläge.“ Professorin Friederike Kippel, damalige Vorsitzende des Hochschulrats, E-Mail an die Autorin, 19.6.2020. Interessant war, dass Professor Schluchter die Hochschulleitung unterstützte, das Ministerium dagegen voll hinter Joas stand. Interview Joas. Telefon-Interview Hollstein, 22.5.2020. Aus der Fakultät sei ihm von Anfang an „Feindschaft“ entgegengeschlagen. Interview Joas. Die meisten Fakultätsmitglieder hegten zwar einen gewissen Neid gegenüber dem besser ausgestatteten MWK, sahen aber auch, dass das Kolleg die Sichtbarkeit der Universität erhöhte. Interview Hollstein. Professor Mai, E-Mail an die Autorin, 17.4.2020. „Er hat mir mehr gedroht, als ich je in meiner Universitätslaufbahn bedroht worden bin.“ Interview Joas. Nachrichten des Max-Weber-Kollegs, 2011, Einleitung.
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externe Kommission bestätigte „die gute Arbeit“ der Einrichtung und empfahl die Beibehaltung ihrer institutionellen Eigenständigkeit. Erst im Mai 2012 wurden die Diskussionen durch einen entsprechenden Beschluss des Senats der Universität beendet. Das Kolleg blieb weiterhin Selbstverwaltungseinheit mit eigenem Promotionsrecht und eigenem Budget. Im Dezember kündigte das Ministerium seine von der Universität unabhängige zukünftige Finanzierung an.32 Joas legte gleichwohl sein Amt als Dekan des Max-Weber-Kollegs nieder; er hatte 2011 ein attraktives Angebot des Freiburger Institute for Advanced Studies (FRIAS) erhalten, und in den folgenden zwei Jahren übernahm von Mai 2011 bis September 2013 zunächst ein Interimsdekan, Professor Wolfgang Spickermann, die Leitung des Max-Weber-Kollegs.33 In den Jahren 2013/14 fanden sowohl im Kolleg wie in der Hochschulleitung Führungswechsel statt. Im Max-Weber-Kolleg wurde Professor Hartmut Rosa Leiter, der das Amt noch heute innehat. Professor Rosa war seit 2005 Professor für Allgemeine und Theoretische Soziologie der FSU Jena. Mit der Übernahme der Leitung des Kollegs blieb er auch weiter in dieser Position.34 In der Universität wählte der Hochschulrat am 22.5.2014 mit 5 zu 2 Stimmen Professor Walter Bauer-Wabnegg zum neuen Präsidenten. Wieder hatte die Hochschule zuvor eine Absage erlebt; der Kandidat der ersten Wahl, Professor Hans Vorländer, hatte es nach langen Verhandlungen mit seiner Heimatuniversität, der TU Dresden, im August 2013 vorgezogen, dort ein Bleibeangebot anzunehmen.35 Als Professor für Medientheorie/Medienpraxis unterschied sich BauerWabnegg von seinen unmittelbaren Vorgängern und ähnelte in dieser Beziehung mehr dem Gründungsrektor Glotz. Seit 2001 war er Rektor der BauhausUniversität Weimar gewesen, mit einer fünfjährigen Unterbrechung als Staatssekretär im Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur.36 Bauer-Wabneggs hervorragende Kenntnis der Thüringer Hochschullandschaft war ausschlaggebend für das Votum, angesichts der Spannungen zwischen der Erfurter Universität und den anderen Thüringer Hochschulen ein besonderer
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Ebd., 2/2012. Er war seit März 2009 als Professor für Religionsgeschichte des Mittelmeerraums in der römischen Antike am Max-Weber-Kolleg tätig. Seit Oktober war er Professor für Alte Geschichte an der Universität Graz und ist assoziierter Fellow des MWK. Seit 2017 ist er Sprecher eines internationalen Graduiertenkollegs an der Universität Graz und dem MWK. Rein technisch war er an der UE angestellt und der FSU Jena zu 50 % „ausgeliehen“. Interview Rüpke. Er teilt sich die Leitung des MWK mit Professor Rüpke. Wikipedia-Eintrag Hans Vorländer, eingesehen 27.5.2020. In dieser Funktion hatte er die erwähnte Fusion der Universität Erfurt mit der Fachhochschule Erfurt und die Verlegung der Realschullehrerausbildung an die FSU Jena angedacht.
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Gewinn. Auch seine Versiertheit in bundesweiten Wissenschaftsangelegenheiten sowie seine langjährige Erfahrung in Hochschulleitungsfunktionen waren von Vorteil. Im Dezember 2018 wurde er für eine weitere Amtszeit wiedergewählt. Die lange Kontinuität in den Leitungen der Universität und des Max-WeberKollegs hat die Hochschule verstetigt. Sie machte Fortschritte bei der Einwerbung von Drittmitteln; Kolleg und Hochschule näherten sich allmählich an. Ein gemeinsames Projekt wurde die lange angestrebte Aufnahme in die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die ab 2014 besonders von der damaligen Vizepräsidentin für Forschung, Professor Susanne Rau, betrieben wurde. „In den vergangenen Jahren ist viel in die Begleitung und Beratung von Anträgen bei der DFG, aber auch bei anderen Institutionen, die Forschung fördern, investiert worden. Der Erfolg ist heute sichtbar. In allen Fakultäten ist der Anteil an Drittmittelprojekten signifikant gestiegen.“37 Auch die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses, also von Promovierenden und Postdocs war deutlich ausgebaut worden, was sich besonders am Christoph-Martin-WielandGraduiertenforum zeigte. Hier wurden die Aktivitäten in der wissenschaftlichen Begleitung wie in der Karriereentwicklung zusammengeführt, als Teil des sogenannten „Karriere- und Qualifizierungsprogramms“ für den wissenschaftlichen Nachwuchs der Universität, wobei viele auf dem Campus in diesem Forum mitarbeiteten. Ein Promotionspreis der Universität wurde eingeführt. „Das alles sind Schritte, die für den Antrag auf Aufnahme in die DFG wichtig sind, die uns aber [auch …] als Universität weiter vorangebracht haben.“ Allerdings war das Verfahren komplex; „es heißt also jetzt: abwarten. Aber keine Frage: Es wäre ein wirklicher Erfolg, wenn wir im 25. Jahr des Bestehens der wiedergegründeten Universität Erfurt in die Deutsche Forschungsgemeinschaft aufgenommen würden. Entsprechend hoch sind unsere Erwartungen.“38 Von Interesse war dabei, wie sich die Universität darstellen würde, d. h. ob sie sich weiterhin als „Reformuniversität“ sah, mit direktem Bezug auf die ursprünglichen Konzepte. Bereits Brodersen hatte im Reformkonzept als Ganzem ein Problem für die Universität gesehen. „2009/2010 hatten er und Kanzler Hinz im Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät das Ende der Reformuniver 37
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Interview mit Professor Benedikt Kranemann, Vizepräsident für Forschung und Nachwuchsförderung, in: WortMelder. Der News-Blog der Universität Erfurt, 20.11.2018, eingesehen 27.5.2020. „Der Antrag ist ein Projekt der gesamten Uni. Professor Dr. Jörg Rüpke konnte als Verantwortlicher für den Antragstext gewonnen werden. Dr. Matthias Engmann hat die redaktionelle Arbeit übernommen. Es gab Zuarbeit aus den Fakultäten und dem MWK, aus dem Präsidiumsbüro und den Stabsstellen der Universität. Nicht zuletzt aber haben alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mitgewirkt, indem sie Publikationen in die Hochschulbibliografie eingegeben, Daten über Drittmittelprojekte zusammengestellt und z. B. auch die neuen Schwerpunktfelder beschrieben haben. Das muss man wirklich hervorheben.“ Ebd.
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sität verkündet. Es gab dann nicht wenige Proteste im Fakultätsrat und dem Senat. Man hat sich dann wohl auf Kompromisse geeinigt – also nicht mehr vom Ende der Reformuni oder vom Ende des Schluchterschen Konzepts gesprochen, aber einige Elemente, in denen sich Interdisziplinarität zeigte, eingestellt – nicht zuletzt, weil damals schon immer weniger Geld vorhanden war, um all’ die Stellen zu finanzieren.“39 Ein Entwurf zu den „Leitlinien für Studium und Lehre“ zeigt, dass man weiterhin der „Interdisziplinarität“ verpflichtet ist: „Interdisziplinarität ist eine Grundvoraussetzung für die Bewältigung gesellschaftlicher Herausforderungen in einer Welt, die sich nicht mehr durch eine einfache Fachsicht erklären und verstehen lässt, sondern vielfältig, vernetzt und globalisiert ist. Die Universität Erfurt gewährleistet ein Studium, das multiperspektivische Analysen in das Erschließen der Welt integriert und kollaborative Lösungsansätze über die Grenzen der Fachdisziplinen hinweg ermöglicht.“40 Die intensive Vorbereitung des Antrags war erfolgreich. Im Juli 2019 wurde die Universität Erfurt in die Deutsche Forschungsgemeinschaft aufgenommen. Damit hatte sie trotz schwieriger Ausgangsbedingungen einen wichtigen Meilenstein erreicht. Sie war nunmehr anerkanntes, gleichberechtigtes Mitglied der Thüringer Hochschullandschaft.
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Professorin Rau, E-Mail an die Autorin, 18.7.2020. Ebd.
XI.
SCHLUSSFOLGERUNGEN
SCHLUSSFOLGERUNGEN SCHLUSSFOLGERUNGEN Die Länge des Gründungsprozesses der Universität Erfurt zeigt bereits die Schwierigkeit des Unterfangens. Er umfasste verschiedene Phasen: die Aktivitäten von Erfurter Bürgern in der Endphase der DDR und der unmittelbaren Nachwende-Zeit, um die im Mittelalter berühmte Universität wieder zu gründen; die Entschlossenheit der Landesregierung unter Ministerpräsident Bernhard Vogel, eine neue nach westdeutschen Konzepten gegründete Universität als politisches Projekt unter schwierigen Bedingungen durchzusetzen; die Vorstellungen der Gründungsexperten von einer kleinen, geisteswissenschaftlich orientierten Reformuniversität und ihre Verwirklichung in der entstehenden Universität. Die in Erfurt bestehenden Einrichtungen: Medizinische Akademie, Philosophisch-Theologisches Studium und Pädagogische Hochschule, sahen im Eingehen in die wieder gegründete alte Universität eine Möglichkeit, ihr Überleben zu sichern bzw. im Fall der Medizinischen Akademie ihre Interessen zu fördern. Die damit verbundene Aufwertung der Erfurter Akademie stellte jedoch die bisherige Alleinstellung der Medizinischen Fakultät der Universität Jena infrage; erwartungsgemäß stieß das Vorhaben von Anfang an auf deren Widerstand. Dabei fällt auf, dass die Institution, die die FSU Jena direkt herausforderte, am dramatischsten scheiterte. Denn das Bestreben der Medizinischen Akademie, ihre Einrichtung, die bis dahin keine volle medizinische Ausbildung bieten konnte, zu einer vollen Hochschule umzubilden bzw. Fakultät in einer Erfurter Universität zu werden, stand in direkter Konkurrenz zu den Interessen der FSU. Kompromisse, wie vom Oberbürgermeister der Stadt Erfurt vorgeschlagen, die Medizin an beiden Einrichtungen „abzuspecken“ und zu einer sinnvollen Arbeitsteilung zwischen ihnen zu kommen, hatten daher keine Chance. Es ging letztlich um institutionellen Machterhalt, was der gut vernetzten FSU weitgehend gelang. So gesehen lässt sich die Schließung der Medizinischen Akademie nicht ausschließlich mit finanziellen Engpässen des Landes erklären. Das Philosophisch-Theologische Studium und die Pädagogische Hochschule dagegen überlebten durch späteres Eingehen in die Universität Erfurt. Das „Studium“ konnte der durch den Geldmangel des Vatikans drohenden Schließung entgehen; die PHE wurde mit ihrer Einbindung in die Universität den westdeutschen Pädagogischen Hochschulen gleichgestellt, ihre erziehungswissenschaftlichen Bereiche in einer gleichnamigen Fakultät aufgewertet und die bereits als Universitätsprofessoren an ihr lehrenden Hochschullehrer in eine angemessenere Struktur eingefügt.
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Andere Interessen kamen bei einer Universitätsgründung in Erfurt hinzu: Für Aktivisten aus der PH war es die Beschäftigung mit dem westthüringischen Kulturgut, das zu dem Ostthüringens um Weimar und Jena deutliche Unterschiede aufwies. Mit dem politischen Umbruch schien ein neues Beginnen möglich, um Erfurt und den westlichen Teil Thüringens kulturell aufzuwerten. Für die Stadt Erfurt, nunmehr Regierungssitz und Landeshauptstadt, war die wirtschaftliche und strukturpolitische Bedeutung einer Universität der Grund, aus dem sie bereits die Interessengemeinschaft „Alte Universität Erfurt“ der Bürgerbewegung tatkräftig unterstützt hatte. Diese Faktoren, die für eine Universität in Erfurt sprachen, waren es jedoch, die die Opposition gegen sie stärkten. Die allgemeine Abneigung gegen Erfurt hatte sich u. a. bereits in der Debatte um den Regierungssitz im Landtag gezeigt: Erfurt war schon zu DDR-Zeiten begünstigt worden, und dies schien sich nun zu wiederholen. Auch parteipolitisch wurde Erfurt als Sitz von CDU-Vorstand und Geschäftsleitung stärker gegenüber Jena mit der gleichen Rolle für die kleinere FDP. Der Einfluss Jenas und der dortigen Universität auf die Entscheidungsfindung der Landesregierung für oder gegen eine Universitätsgründung in Erfurt blieb in der Folgezeit jedoch disproportional hoch. Nicht nur war Wissenschaftsminister Fickel Mitglied der FDP; er hatte auch in Jena studiert. Auch die – bis auf eine Ausnahme – westdeutschen Beamten, die eine traditionelle westdeutsche Universitätsausbildung durchlaufen hatten und daher bestimmte Vorstellungen von einer Universität mitbrachten, favorisierten die Traditionsuniversität Jena. Mit nur einer Volluniversität unterschied sich Thüringen von den meisten anderen ostdeutschen Ländern, die davon ausgingen, dass gerade der Wettstreit zwischen mindestens zwei Universitäten vorzuziehen sei.1 In Thüringen wurde zwar ein „Campus Thüringen“ angedacht mit mehreren Hochschulen und unterschiedlichen Schwerpunkten; aber Jena hätte in einigen Bereichen Ressourcen zugunsten der anderen abgeben müssen. Diese wohl unrealistischen Vorstellungen hätten jahrelange, mühselige Konflikte für die Landesregierung in dem ärmeren Thüringen bedeutet. Die Sonderstellung Jenas war demnach sicher. Das Projekt „Universitätsgründung“ der Interessengemeinschaft „Alte Universität Erfurt“ ließ sich bei fehlender Unterstützung durch die Landesregierung nicht realisieren. Neben der anfänglichen Unsicherheit des zuständigen Ministers bestanden die westdeutschen Beamten auf den traditionellen Amtswegen, für die die Aktivitäten einer basisdemokratischen Bürgerbewegung eine ungeliebte Herausforderung darstellten. In ihrem Sinne betonte Minister Fickel wie-
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Wie es der letzte DDR-Bildungsminister und spätere sächsische Wissenschaftsminister Meyer in Sachsen praktizierte.
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derholt seine Amtshoheit, kraft der er allein in Universitätsdingen Entscheidungen traf.2 Dies schloss eine gewisse Herablassung besonders gegenüber der an der Initiative beteiligten Pädagogischen Hochschule ein, wie sie auch andere, an den Beratungen der Interessengemeinschaft „Alte Universität Erfurt“ beteiligte Westdeutsche an den Tag gelegt hatten. Hinzu kam, dass die Medizinische Akademie und die PHEM (als „rotes Kloster“) den schlechten Ruf besonderer Nähe zum SED-Regime hatten, der von den Gegnern einer Universität Erfurt gern gepflegt wurde. In dieses Bild fügt sich auch die Tatsache, dass die späteren westdeutschen Planer die von der Interessengemeinschaft „Alte Universität“ erzeugte und für die Gründung so wichtige „Öffentlichkeit“ nie offen anerkannten. Erst die politische Erfahrung von Ministerpräsident Bernhard Vogel machte das Projekt „Universität Erfurt“ realisierbar. Die Berechtigung einer zweiten Universität in Thüringen stand für ihn außer Frage: Ohne die deutsche Teilung wäre eine Universität in Erfurt nach seiner Auffassung schon in den 1960er Jahren gegründet worden, wie es in zahlreichen westdeutschen Bundesländern geschehen war. Daraus folgte, dass er auch in Erfurt ähnlich wie im Westen vorgehen würde: mit der Einbindung westdeutscher Hochschulgremien, Experten und Wissenschaftler. Obwohl den Ostdeutschen gegenüber allgemein positiv eingestellt, hatte er in der Frage der Universitätsgründung keine Verwendung für ihre bisherigen Initiativen.3 Da sich das Land laut Wissenschaftsrat eine zweite Universität und vor allem eine weitere medizinische Einrichtung – die Medizinische Hochschule in Erfurt – nicht leisten konnte, zögerte er nicht, die in der DDR hochangesehene Hochschule kurzerhand zu schließen. Hier schien sich in Erfurt der in der Nachwendezeit bekannte allgemeine west-/ostdeutsche Gegensatz zu zeigen, denn auch in Thüringen war es zwischen 1990 und 1993 zu einer „westdeutschen Landnahme im übelsten Sinne gekommen“.4 In dem für die Universität zuständigen Ministerium kamen, wie erwähnt, alle Beamten bis auf eine Ausnahme aus dem Westen. In den Hochschulgremien waren die westdeutschen Mitglieder in der Überzahl, in der Thüringer Hochschulstrukturkommission sahen sich die Ostdeutschen großenteils nur als Statisten. Der Gründungsprozess der Universität wurde ausschließlich von Westdeutschen betrieben, die im Osten eine Gelegenheit sahen, ihre Reformideen zu verwirklichen.
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Dies erklärt auch die Ablehnung der Angebote der IG „Alte Universität“ zur Zusammenarbeit, würde diese doch eine Aufwertung der Bürgerbewegung bedeuten. Hinzu kam die politische Undurchsichtigkeit eines führenden Aktivisten. Vogel hatte jedoch bereits genug Probleme mit den „Altlasten“ in seiner Partei. Interview Ettrich.
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Andererseits war die enge Verbindung der Landesregierung mit der Hochschulstrukturkommission und dem Wissenschaftsrat in den Kontroversen um die Erfurter Universität ungemein nützlich: Der Wissenschaftsrat wurde das „Schutzschild“, mit dessen Hilfe die Verantwortlichen unpopuläre Maßnahmen durchsetzen konnten. Die führenden Personen signalisierten auch eine koordinierte Vorgehensweise. Der von Vogel berufene Gründungsbeauftragte für die Universität, der vormalige Gründer der Universität Bayreuth, Dr. Klaus-Dieter Wolff, war bereits Mitglied in der Zentralen Strukturkommission des Wissenschaftsrats zur Umgestaltung des Hochschulwesens der ehemaligen DDR gewesen, von wo aus er Mitglied der Thüringer Hochschulstrukturkommission wurde und deren engere spezielle Arbeitsgemeinschafts „Universität Erfurt“ er leitete. Seine Ernennung 1992 zum Gründungsbeauftragten der Universität war daher ein geschickter Zug Vogels. Schon früh arbeitete auch Professor Schluchter, einer der späteren Prorektoren, in einer Arbeitsgemeinschaft des Wissenschaftsrats für die Universität mit. Wolff und Schluchter waren es auch, die die „Empfehlungen“ der von Wolff eingesetzten Gründungskommission auf die finanziellen Möglichkeiten des Landes zurückschnitten. Die Stellungnahme des Wissenschaftsrats zu dem ersten schnellen Antrag der Landesregierung war ebenfalls im Sinn der Gründer: Eine „Marktlücke“ für eine weitere Universität wurde gefunden in einer kleinen, geisteswissenschaftlich orientierten Hochschule, deren Gründung zudem erst in den späten 1990er Jahren stattfinden sollte. Die Ausrichtung auf Geisteswissenschaften war ganz im Sinne Vogels, denn damit wollte man zeigen, wie die sich seit Langem in einer Krise befindenden Geisteswissenschaften neu formiert werden konnten. Diese so strukturierte Hochschule würde auch keine Konkurrenz für Jena darstellen. In seiner Stellungnahme machte der Wissenschaftsrat jedoch auf das zentrale Problem der Universitätsgründung aufmerksam: die Finanzierung. Der von ihm vorgegebene Aufschub der Gründung um mehrere Jahre brachte die grundsätzliche Schwächung des Projekts: Flossen in den frühen 1990er Jahren die Finanzmittel noch relativ großzügig, wurde der Gründungsprozess in Erfurt durch die von den späteren Kürzungen der Bundesmittel verursachten, verschärften Sparzwängen bestimmt. Zu diesen Bedingungen wurde es unmöglich, anerkannte Wissenschaftler an die Universität zu berufen, ohne die sich das ehrgeizige Reformkonzept nicht verwirklichen ließ. Das gleichzeitige Versprechen der Landesregierung an die anderen Hochschulen des Landes, die Erfurter Universität nicht auf ihre Kosten zu gründen, engte den finanziellen Spielraum weiter ein und bedeutete letztlich, dass die Universität die Stellen und Liegenschaften der Pädagogischen Hochschule zum Aufbau benötigte. Der Prozess „Aufbau Universität-Abbau PH“ war für Letz-
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tere bei laufendem Lehrbetrieb schwierig, zumal sich ihre Integration in die Universität über Jahre hinzog. Aber es war zugleich die Garantie, dass die PH früher oder später in die Universität eingehen würde. Die verzögerte Gründung der Universität kam dem systematischen Vorgehen des Gründungsbeauftragten Wolff entgegen mit einer Planungsphase und dem Aufbau sowie der Ernennung des Leitungspersonals vor der Arbeitsaufnahme der Hochschule. Für das zuständige Ministerium und die PH ergab sich daraus ein unangenehmer „Schwebezustand“. Auch die Tatsache, dass die Zustimmung des Wissenschaftsrats zu einem erneuten, diesmal gut fundierten Antrag erst nach einer beträchtlichen Verzögerung im November 1995 kam, zeigte nochmals, wie umstritten das Projekt war. Dieser Hintergrund erklärt auch die schwierige Suche nach einem Gründungsrektor der Universität, bei der eine Reihe prominenter Kandidaten abgewunken hatten. Die Berufung des Leitungstrios war dennoch geglückt: des bekannten SPD-Politikers Peter Glotz als Gründungsrektor und die der Prorektoren, der Professoren Schluchter (Heidelberg) und Langewiesche (Tübingen). Ein gutes Verwaltungsteam sicherte die Organisation der Anfänge. Glotz, der glänzende, hervorragend vernetzte Kommunikator, der die noch nicht existierende Universität deutschlandweit und international als „Reformuniversität“ bekannt machte, war zweifellos ein großer Gewinn. Auf ihn ging ein breites Netz internationaler und nationaler Kontakte zurück sowie die Einführung der später sehr erfolgreichen Kommunikationswissenschaft, für die die Studenten eigens von der Hochschule ausgewählt wurden.5 Andere ehrgeizige Vorhaben schlugen fehl, auch weil Glotz frühzeitig das Handtuch warf. Jedoch wäre nach dem Urteil aller Beteiligten die Universität ohne die Vision von Peter Glotz „nichts geworden“. Umso größer war der Rückschlag nach seinem plötzlichen Weggang. Die Gründe hierfür waren komplex: eine Mischung aus persönlichen Motiven, aber hauptsächlich die Realisierung, dass seine hochfliegenden Pläne nicht mit den Thüringer Realitäten in Einklang zu bringen waren. Seinem Amtsverständnis als Rektors einer Exzellenzinstitution stand ihre Behandlung als „stinknormale“ Universität durch die Ministerialbürokratie entgegen, die keine Sonderbehandlung verdiente. Sein Abschied war daher verständlich, nicht aber das geheim gehaltene, plötzliche „Wie“ – eine Flucht vor der erwarteten allgemeinen Empörung. Den wissenschaftlichen Aufbau, die Verwirklichung des Reformkonzepts leisteten die Prorektoren. Allgemeine Grundlage für die Universität war die
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Der Studiengang, wie ihn Glotz konzipierte, war allgemein noch so unbekannt, dass ihn das Ministerium mit „Medienstudien“ an den anderen Thüringer Hochschulen gleichsetzte – zur erheblichen Verärgerung von Glotz.
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Interdisziplinarität von Forschung und Lehre, was sich gut in dem auf Schluchter zurückgehenden Max-Weber-Kolleg verwirklichen ließ: Auf Zeit anwesende Fellows arbeiteten an integrierten Forschungsprojekten und wirkten gleichzeitig an einem postgradualen Seminar mit, eine in dieser Kombination in Deutschland bis dahin noch nicht bekannte Einrichtung. Das Max-Weber-Kolleg entwickelte sich zum erfolgreichsten Bereich der Universität, was sich an der beeindruckenden Einwerbung von Drittmitteln gut ablesen ließ. In den Fakultäten wurde mit der Lehre in neuartigen BA/MA-Strukturen, mit einem Studium Fundamentale und der Leistungsberechnung mit „Credit Points“ das bis dahin in Deutschland nicht bekannte anglo-amerikanische System eingeführt. Die zum Teil mit großer Begeisterung aufgenommenen Konzepte verloren jedoch als Folge des „Bologna-Abkommens“ mit der allgemeinen Übernahme der BA/MA-Strukturen in allen deutschen Hochschulen relativ schnell ihre Vorreiter-Stellung. Auch das betreuungsintensive Studium Fundamentale erwies sich als schwierig, im Lehrkörper wegen des zusätzlichen Arbeitsaufwandes, in der Studentenschaft, weil ihnen teilweise der Sinn dieser Veranstaltungen nicht zu vermitteln war. In der Staatswissenschaftlichen Fakultät schuf das von Schluchter vorgegebene Reformkonzept der integrierten Forschungsprojekte beträchtliche Probleme, wobei sich die langfristigen Folgen der Unterfinanzierung der Universität zeigten. Statt hervorragender Wissenschaftler, die das Reformkonzept ähnlich wie die Fellows des Max-Weber-Kollegs verwirklichen konnten, hatte die Hochschule meistens nur jüngere Privatdozenten berufen können. Für ihre Karriere mussten sie – abweichend vom Reformkonzept – Forschungsleistungen in ihren Disziplinen vorweisen. Hinzu kam die unkonventionelle Juristenausbildung, die – obwohl im Wissenschaftsrat angedacht – am Arbeitsmarkt vorbei zu qualifizieren schien. Die sich aus dieser Situation ergebenden heftigen, auch öffentlichen Auseinandersetzungen schadeten dem Ruf der Universität, was sich u. a. bei den Schwierigkeiten zeigte, einen Nachfolger für Glotz zu finden. Probleme mit dem Reformkonzept gab es auch in der Philosophischen Fakultät. Hier fand die politisch gewollte „Übernahme der Aufgaben“ der PH statt, was mit ihren Professoren und vor allem den relativ hohen Studentenzahlen in der Fakultät zahlenmäßig ein strukturelles Ungleichgewicht ergab. Auch wissenschaftlich passte sie – auf Lehramtsstudiengänge ausgerichtet – nicht in das von Prorektor Langewiesche geplante Reformkonzept. Obwohl mit der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät und der Umstellung ihrer Studiengänge auf die BA/MA-Strukturen in die Universität eingefügt, blieb die Integration der PH für Experten der „Sündenfall“ bei der Gründung der Reformuniversität. In der späteren Entwicklung der Universität waren es aber gerade die PHStudenten, die der Universität die für die Finanzierung auf der Grundlage von
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Studentenzahlen benötigte „Masse“ verschafften. Auch einzelne PHProfessoren machten sich um die Universität besonders verdient. Der Historiker Professor Gunther Mai beispielsweise war „Erfurt Fellow“ und von 20012004 Dekan der Philosophischen Fakultät, als der er die Integration der Forschungsbibliothek Gotha in die Universität durch das Forschungszentrum Gotha betrieb. Unter Präsident Bergsdorf arbeitete er mit den sogenannten „Task Forces“ die Grundlagen für die Anpassung der Universität an die restriktivere Finanzierung der Hochschule aus. Ein weiterer PH-Professor, der Soziologe Frank Ettrich, übernahm kurzfristig das Amt eines der Prorektoren. Bei der großen Bedeutung des Leitungstrios für die entstehende Universität stellte ihr Weggang zweifellos einen entscheidenden Wendepunkt in den Geschicken der sich noch im Aufbau befindenden Universität dar. Mit Glotz verlor sie den glänzenden Kommunikator. Auch die von ihm eingeführte Kommunikationswissenschaft musste zunächst kritische Momente in der Fakultät überstehen. Sie wurde indes eines der erfolgreichsten Fächer. Die Ostkontakte endeten, und die Internationalität der Hochschule musste später mühsam aufgebaut werden. Kein Nachfolger würde eine ähnliche Rolle wie Glotz spielen können. Die Suche wurde entsprechend schwierig, was die Umstände der Ernennung erklärt: Vom Ministerium ins Amt „gehievt“ kam Professor Wolfgang Bergsdorf als „Kohls Mann“ aus der Bundespolitik. Er wurde ein gewissenhafter Amtsinhaber, war allerdings häufig von Erfurt abwesend und als Persönlichkeit weniger geeignet, in Konfliktsituationen, wie sie später entstanden, führend einzugreifen. Schluchters Weggang zeigte die Probleme, die sich aus der Konzentration allein dreier wichtiger Aufgaben in seiner Hand ergaben: Er war Dekan der Staatswissenschaftlichen Fakultät, des Max-Weber-Kollegs und Prorektor für Forschung. Er war gleichsam die „Verzahnung in einer Person“, die sich in dieser Form unter keinem Nachfolger fortsetzen lassen würde. Da das Verhältnis des Kollegs zur Universität im Reformkonzept nicht klar festgelegt war, wurde es ein zentrales, strukturelles Problem. Dies zeigte sich unter seinem Nachfolger als Dekan bzw. Direktor des Kollegs, Professor Hans Joas. Ihm schwebte ein dem Berliner Wissenschaftskolleg ähnliches Institut vor, das unabhängig von Universitäten arbeitete, was sich in Erfurt so nicht einrichten ließ. Eine „Zwitterlösung“ wurde gefunden: Joas blieb zwar als Dekan des Max-Weber-Kollegs im Senat vertreten, war aber nicht mehr Mitglied der Staatswissenschaftlichen Fakultät, aus der ihm, dem Privilegierten und häufig von Erfurt Abwesenden, von Anfang an besondere Animosität entgegenschlug. Diese machte sich an zwei Aspekten fest: Joas’ Weigerung, den wiederholt von der Universität geäußerten Wunsch nach einem auch im Gründungskonzept vorgesehenen Lehrbeitrag der Fellows in der Universität zu entsprechen, und an seinen Forderungen, dem Kolleg das Habilitationsrecht
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einzuräumen. Der auf Ausgleich bedachte Präsident Bergsdorf ging die Sache diplomatisch und kollegial an, in der Erkenntnis, dass der deutschlandweite und auch international wachsende Erfolg des Kollegs dem allgemeinen Ruf der Universität nützte. Das Verhältnis änderte sich unter Bergsdorfs Nachfolger Brodersen. Neben diesen Problemen mit dem Max-Weber-Kolleg führten die Spannungen um das Reformkonzept und um knappe Ressourcen in der Staatswissenschaftlichen Fakultät zu offenen Auseinandersetzungen mit der Universitätsleitung, die auch in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Der Disput ruinierte nicht nur die akademische Karriere eines vielversprechenden Nachwuchswissenschaftlers, sondern brachte auch den Rücktritt des das Reformkonzept mittragenden Vizepräsidenten für Forschung Professor Dietmar Herz und vor allem den von Präsident Bergsdorf. Den Problemen der Präsidentschaft Bergsdorfs standen eine Reihe Verdienste entgegen. Unter ihm wurde die Integration der Pädagogischen Hochschule zu Ende geführt und ihr erziehungswissenschaftlicher Bereich in die gleichnamige Fakultät überführt. Ihr wissenschaftlicher Status verbesserte sich durch die Erfurt School of Education. Die von Glotz geplante European School of Governance wurde als Willy-Brandt-School of Public Policy neu gegründet, eine der erfolgreichsten postgradualen Einrichtungen der Hochschule. Eine erste Bewerbung der Universität im Rahmen der Exzellenzinitiative der Bundesregierung erreichte mit dem Vordringen in eine engere Auswahl einen Achtungserfolg. Neben der Forschungsbibliothek Gotha wurde das erfolgreiche „Forschungszentrum Gotha für kultur- und sozialwissenschaftliche Studien“ (FZG) entwickelt. Unter Bergsdorf begannen auch erste Anpassungen des Reformmodells an die finanziellen Realitäten der Hochschule. Mit der bereits von Glotz angestrebten Theologischen Fakultät wurde die endgültige Struktur der Universität erreicht, wobei die in und um Erfurt bestehende katholische „Lobby“ half, die Abneigung des Vatikans gegen die theologische Ausbildung in einer staatlichen Universität zu überwinden. Zwar blieb die Theologie wegen ihrer geringen Studentenzahlen problematisch, doch wurde ihre Mitarbeit vor allem im Max-Weber-Kolleg wichtig. De facto war sie, neben dem Max-WeberKolleg, das zweite Standbein, das der Universität das Überleben sicherte. (Das dritte wurde die Ausbildung der Grundschullehrer, die es nur in Erfurt gab.) Gleichwohl überwog der widersprüchliche Ruf der Universität, was sich bei der schwierigen Suche nach einem Nachfolger für Präsident Bergsdorf nochmals zeigte. Eine kleine Universität mit ihrem geringen Budget war für einen Verwaltungsfachmann uninteressant. Das begrenzte Fächerspektrum engte auch die Zahl der interessierten Wissenschaftler ein, die ein solches Amt anstrebten. Gleichzeitig litt die Universität darunter, dass Kandidaten ihre Bewerbung in
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Erfurt für Verhandlungen in ihren Heimatuniversitäten ausnutzten – eine Entwicklung, die sich auch in anderen Universitäten zeigte. Der letztlich ernannte Althistoriker Professor Kai Brodersen passte besser als seine Vorgänger in die Einrichtung. Unter ihm wurde die interne Finanzierung der Stellen systematisiert und eingeführt – die Voraussetzung für das Überleben der Hochschule. Aber sein sich von Bergsdorf stark unterscheidendes Amtsverständnis eines Universitätspräsidenten bedeuteten neue Konflikte mit den Fakultäten und besonders mit dem Max-Weber-Kolleg. Hier beanspruchte er Weisungsbefugnis, einschließlich der Ernennung der Fellows, was gegen das Gleichheitsprinzip des Reformkonzepts verstieß: Universität und Max-Weber-Kolleg sollten sich gleichwertig gegenüberstehen. Die Schwäche der Universität bei gleichzeitigen Erfolgen des Kollegs hatte dieses Gleichgewicht bereits gestört. Brodersen konnte sich daher nicht durchsetzen. Aber das Kolleg verlor nicht nur seinen Dekan; auch sein Sonderstatus war zeitweise in Gefahr. Das Max-Weber-Kolleg blieb letztlich – bei direkter Finanzierung durch das Land – im Rahmen der Universität. Unter Brodersens Nachfolger Professor Walter Bauer-Wabnegg begann das intensive Bemühen der Hochschule, ihre Forschungsleistungen zu verbessern. Seit Gründung der Universität bestand die Kritik, dass Erfurt sehr viel Aufwand in den Aufbau investierte, aber nicht genug in die Forschung. Die Diskrepanz zwischen programmatischem Anspruch der Universität und der Realität der Einrichtung war offenkundig. Dieses Problem wurde nun energisch angegangen, wobei Universität und Max-Weber-Kolleg mit gemeinsamen Projekten und der Antragstellung um Mitgliedschaft bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft als dem Beweis besonderer Forschungsstärke arbeiteten. Dieses Ziel wurde im Juli 2019 erreicht – nach 20-jährigem Bestehen der Hochschule. Was blieb von dem ursprünglichen Reformkonzept erhalten? In ihrem Selbstverständnis ist die Universität noch heute eine „geisteswissenschaftliche Reformuniversität mit dem Hauptfokus auf Multidisziplinarität, Internationalität und Betreuung“.6 Erstere wird durch die anhaltende Finanzknappheit eingeschränkt, und das Bemühen um Internationalität zeigt nur bescheidenen Erfolg: Im Sommer 2020 hatten 74 % der Studierenden kein Auslandssemester absolviert oder geplant.7 Nur 8,3 % der Studierenden waren Ausländer. 72 % waren Frauen, 28 % Männer, die mehrheitlich aus der unmittelbaren Erfurter Umgebung kamen – von den Glotzschen Vorstellungen weit entfernt. Auch die von den Gründern angestrebte Exzellenz ist nur in Teilbereichen vorhanden. Gleichwohl ist die Hochschule mehr als eine „gehobene PH“, als die sie Erfur-
6 7
https://de.wikipedia.org/wiki/Universit%C3%A4t_Erfurt#Fakult%C3%A4ten_und_ Fachbereiche (letzter Zugriff: 15.9.2020). www.studycheck.de (letzter Zugriff: 15.9.2020).
220
SCHLUSSFOLGERUNGEN
ter Bürger bezeichnen. Allein das Max-Weber-Kolleg, die Willy-Brandt-School, die Kommunikationswissenschaft und das Forschungszentrum Gotha sprechen dagegen. Heutzutage hat sich die Universität als eine kleine, geisteswissenschaftlich orientierte Hochschule in Thüringen und auch bundesweit etabliert. Die ehrgeizige „Reformuniversität“ ließ sich dagegen unter den gegebenen Umständen nur teilweise verwirklichen.
ANHANG Abkürzungsverzeichnis AB KÜRZUNGSVERZEICHNIS DHV ESPP EUE EUSG FAZ FSU GEW GS HBFG HRK HSK HSTA KMK Kur LATh MAE MHE MWK PH PHE/PHEM PrUE StAE TA TLZ TMWK TMWFK UAE UE WR
Deutscher Hochschulverband European School of Public Policy Europäische Universität Erfurt European School of Governance Frankfurter Allgemeine Zeitung Friedrich-Schiller-Universität Jena Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Gründungssenat der Universität Erfurt Hochschulbauförderungsgesetz Hochschulrektorenkonferenz Hochschulstrukturkommission Hauptstaatsarchiv Kulturministerkonferenz Kuratorium der Universität Erfurt Landesarchiv Thüringen Medizinische Akademie Erfurt Medizinische Hochschule Erfurt Max-Weber-Kolleg der Universität Erfurt Pädagogische Hochschule Pädagogische Hochschule Erfurt(/Mühlhausen) Präsidium der Universität Erfurt Stadtarchiv Erfurt Thüringer Allgemeine Thüringer Landeszeitung Thüringer Ministerium für Wissenschaft und Kunst Thüringer Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur Universitätsarchiv Erfurt Universität Erfurt Wissenschaftsrat
Wahlergebnisse Land Thüringen und Stadt Erfurt WAHLERGEBNISSE LAND THÜRINGEN UND STADT ERFURT
1. Land Thüringen1 WAHLERGEBNISSE LAND THÜRINGEN
1.1
Volkskammer-/Landtagswahlen
Tab. 1: Ergebnis der Volkskammerwahl 1990 Partei CDU SPD PDS BFD/NDPD B90/Gr DSU
Wahlergebnis in % 54,1 17,5 11,4 5,0 4,1 5,8
Tab. 2: Ergebnisse der Landtagswahlen 1990-2004 Partei CDU SPD LL/PDS FDP NF/Gr/DJ DSU Sonst.
1990 45,4 22,8 9,7 9,3 6,5 3,3 3,0
Wahlergebnis in % 1994 1999 42,6 51,0 29,6 18,5 16,6 (PDS) 21,3 3,2 1,1 4,5 (B90/Gr) 1,9 0,23 0,2 3,27 6,0
2004 43,0 14,5 26,1 3,6 4,5 – 8,3
1
Wahlen im Freistaat Thüringen: https://wahlen.thueringen.de (letzter Abruf: 13.9.2022).
223
STADT ERFURT
1.2
Bundestagswahlen
Tab. 3: Ergebnisse der Bundestagswahlen 1990-2002 Partei 1990 45,2 22,0 8,3 14,6 6,1 1,3 2,5
CDU SPD PDS FDP B90/Gr DSU Sonst.
Wahlergebnis in % 1994 1998 41,0 28,9 30,2 34,5 17,2 21,2 4,1 3,4 4,9 3,9 – – 2,6 8,1
2. Stadt Erfurt STADT ERFURT
2.1
Volkskammer-/Landtagswahlen
Tab. 4: Ergebnis der Volkskammerwahl 1990 Partei CDU SPD PDS BFD/NDPD B90/Gr DSU
Wahlergebnis in % 47,1 21,5 16,5 4,7 5,8 3,8
2002 29,4 39,9 17,0 5,9 4,3 – 3,6
224
WAHLERGEBNISSE LAND THÜRINGEN UND STADT ERFURT
Tab. 5: Ergebnisse der Landtagswahlen 1990-2004 Partei CDU SPD LL/PDS FDP NF/Gr/DJ DSU Sonst.
2.2
1990 38,4 23,0 15,1 8,7 10,3 2,1 3,1
Wahlergebnis in % 1994 1999 35,5 48,7 28,8 18,5 22,8 (PDS) 25,1 2,5 0,8 5,8 (B90/Gr) 3,2 – – 4,6 4,7
2004 36,1 14,5 31,2 3,6 8,5 – 6,3
Volkskammer-/Landtagswahlen
Tab. 6: Ergebnisse der Bundestagswahlen 1990-2002 Partei CDU SPD PDS FDP B90/Gr DSU Sonst.
1990 37,1 23,4 12,6 14,4 9,3 0,8 2,5
Wahlergebnis in % 1994 1998 34,2 24,3 29,8 34,1 23,5 25,7 3,4 3,0 6,8 5,7 – – 2,2 7,2
2002 24,4 41,0 19,0 5,4 6,8 – 3,4
Quellen- und Literaturverzeichnis QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
1.
Quellenverzeichnis
QUELLENVERZEICHNIS
1.1
Archivalische Quellen
Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar Thüringer Staatskanzlei Thüringer Ministerien für Kultur, Kunst, Bildung und Wissenschaft Stadtarchiv Erfurt 1-7/ 5/5-526 5/734 5/734-1 5/734-2
Protokolle Magistrat der Stadt Erfurt Universitätsgesellschaft (Sammlungsgut) Universitätsgesellschaft Erfurt e.V. Veranstaltungen 1987-1994, 3 Bde. Schriftgut 1987-1994, 2 Bde.
Archiv der Universität Erfurt Pädagogische Hochschule Erfurt/Mühlhausen Personalverzeichnisse 1990, 1991, 1992, 1993 12037 PH-Wissenschaftlicher Rat, Protokolle 12038 PH-Senat 1990/91 12092 Arbeitsgespräch zum schrittweisen Aufbau einer EUE, 30.4.1992 12595 Rektorat, Senat PH 1995 12856 PH-Konzil 1993/94 12864 PH-Konzil 13717 Gründungssenat 1997 13832 Wissenschaftlicher Sekretär des Rektors. Reden und Berichte 13845 PH/UE (u. a. Reimers-Gutachten) 13846 PH/UE (u. a. Kooperationsvereinbarungen) 14253 Bericht des Rektors 1995/96 und 1996/97 14278 PH-Senat 1991 14279 Rektorat, Bd. 2: 1990 14280 PH-Senat 1993
226
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
14281 14282 14285 14289 14290 14291 14303 14304
PH-Senat 1992 PH-Senat 1994 PH-Senat 1995 PH-Senat 1997 PH-Senat (ab Dezember 1999) PH-Senat 1998-1999 Rektordienstberatungen 1993-1996 Dienstbesprechungen des Rektors 1997-1999
Präsidium der Universität Erfurt Protokolle der Sitzungen des Gründungssenats (1997-2001) Bde. 1-12 Protokolle der Sitzungen des Kuratoriums (1998-2003) Bde. 13-17
1.2
Materialien aus privaten Sammlungen und Handakten
Professor Gunther Mai (Universität Erfurt) Professor Gottfried Meinhold (FSU Jena) Professor Winfried Müller (vormals Medizinische Akademie Erfurt) Dr. Eckhardt Schön (vormals Pädagogische Hochschule/Universität Erfurt) Dr. Monika Schattenmann (vormals Universität Erfurt) Frank-Rüdiger Halt (vormals Universität Potsdam) Dr. Bertram Triebel (FSU Jena)
1.3
Interviews
(u. a. = mehrere Termine) Bernhard Becher 10.6.2019 Professor Klaus Beck 16.9.2019 Professor Christoph Bultmann 17.5.2018 Professor Frank Ettrich u. a. 12.6.2019 Dr. Ulrich Fickel 7.9.2017 Professor Winfried Franzen 20.2.2018 Peter Hanske 22.5.2019 Professor Karl Heinemeyer 8.2.2018 Dr. Diethard Heinze 19.2.2018 apl. Prof. Dr. Bettina Hollstein u. a. 16.5.2018
QUELLENVERZEICHNIS
Professor Hans Joas (telefonisch) 15.5.2020 Dr. Johann Komusiewicz 20.11.2017 Dr. Gerd Krizsmanek 20.2.2018 Professor Dieter Langewiesche 14.6.2019 Dr. Jürgen Leitgebel 17.5.2018 Professor Gunther Mai u. a. 15.5.2018 Professor Claus-Peter März 14.3.2007 Professor Gottfried Meinhold u. a. 10.9.2017 Professor Winfried Müller 8.2.2018 Jens Panse 19.2.2018 Dr. Frank Peukert 6.9.2018 Professor Ulrich Pommer (†) u. a. 6.9.2017 Dr. Steffen Raßloff u. a. 26.9.2017 Professor Patrick Rössler 11.9.2019 Professor Jörg Rüpke 24.9.2019 Professor Hans-Wolfgang Schaller 9.5.2018 Professor Wolfgang Schluchter 14.6.2019 Dr. Eckhardt Schön 8.7.2018 Andrea Scholz 12. 9.2017 Professorin Luise Schorn-Schütte 4.3.2020 Professor Eberhard Tiefensee 16.5.2018 Professor Alexander Thumfart 7.11.2018 Dr. Eugenie von Trützschler 22.2.2018 Dr. Werner von Trützschler 22.2.2018 Dr. Winfried Weinrich 12. 6.2019 Professor Klaus Werner 6.11.2018 JUST, Tobias, Protokoll des Gesprächs mit Professor Dr. Wolfgang Schluchter, 13.6.2007
1.4 Zeitungen, Zeitschriften, Newsletter Thüringer Allgemeine Thüringer Landeszeitung Mitteldeutsche Allgemeine Thüringen Mitteldeutsche Allgemeine Mühlhausen Frankfurter Allgemeine Zeitung Die Zeit/Die Zeit-online Der Spiegel/Spiegel-online Deutsche Universitäts-Zeitung (DUZ) Wir – wissenschaftlich-informativ-richtungweisend (PHEM), 1975-1989
227
228
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
Hochschulzeitung der Medizinischen Akademie Erfurt, 1990-1992 Medizinische Hochschule Erfurt aktuell, bis 1993 Phem-Report (Pädagogische Hochschule Erfurt/Mühlhausen), 1990-1996 PHEM-Report (1997-2000) Campus (Universität Erfurt), seit 1999 Nachrichten des Max-Weber-Kollegs, seit 2002 WortMelder. Der News-Blog der Universität Erfurt https://www.uni-erfurt.de/forschung/aktuelles/forschungsblog-wortmelder
1.5 Drucksachen, sonstige Veröffentlichungen HOCHSCHULREKTORENKONFERENZ, Zur Lage der Hochschulen im Herbst 1991, Entschließung des 165. Plenums, Bonn 4.11.1991. DIES., Zur Neuordnung der Forschungslandschaft in den neuen Bundesländern, Entschließung des 165. Plenums, Bonn 4.11.1991. https://www.hrk.de/positionen/beschluss/detail/zur-neuordnung-derforschungslandschaft-in-den-neuen-bundeslaendern/ WISSENSCHAFTSRAT, Perspektiven für Wissenschaft und Forschung auf dem Weg zur deutschen Einheit. Zwölf Empfehlungen. 6.7.1990 (Drucksache 9847-90). Alle Dokumente unter: https://www.wissen-schaftsrat.de/ download/archiv/ DERS., Empfehlungen zur Lehrerbildung in den neuen Ländern, Juli 1991 (Drucksache 328-91), in: DERS., Empfehlungen zur künftigen Struktur in der Hochschullandschaft in den neuen Ländern und im Ostteil von Berlin, 5 Teile, Köln 1992. Darin Teil IV: Empfehlung zu den Geisteswissenschaften an den Universitäten der neuen Länder. DERS., Stellungnahme zur Gründung einer Universität in Erfurt, 24.1.1992 (Drucksache 538-92). DERS., 10 Thesen zur Hochschulpolitik, Köln 1993 (Drucksache 1001-93). DERS., Empfehlungen zur Förderung Geisteswissenschaftlicher Zentren, November 1994 (Drucksache 1751-94). DERS., Stellungnahme zur Aufnahme der Universität Erfurt in das Hochschulverzeichnis des Hochschulbauförderungsgesetzes, 25.10.1995 (Drucksache 2273-95). SEKRETARIAT DER STÄNDIGEN KONFERENZ DER KULTUSMINISTER IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND (Hg.), Rahmenvereinbarungen über die Ausbildung und Prüfung für Lehrämter in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1997. THÜRINGER LANDTAG, 1. und 3. Wahlperiode. Protokolle und Drucksachen. https://parldok.thueringer-landtag.de/parldok
LITERATURVERZEICHNIS
229
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230
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QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
DERS., Friedliche Revolution und Landesgründung in Thüringen 1989/90, Erfurt 2016. DERS., Mitteldeutsche Geschichte. Sachsen – Sachsen-Anhalt – Thüringen, Beucha-Markkleeberg, überarbeitete Neuausgabe 2019. DERS., Kleine Geschichte der Stadt Dresden, Ilmenau 2019. DERS., Geschichte Thüringens, München 22020. RUGE, Manfred/PIOSSEK, Hans Christian, Die Universität ist in der Stadt angekommen. Zwischenbilanz einer geglückten Partnerschaft, in: Bernhard VOGEL/Dietmar HERZ/Marianne KNEUER (Hg.), Politik – Kommunikation – Kultur. Festschrift für Wolfgang Bergsdorf, Paderborn u. a. 2007, S. 593607. SAUER, Thomas, Die CDU, in: Karl SCHMITT/Torsten OPPELLAND (Hg.), Parteien in Thüringen. Ein Handbuch, Düsseldorf 2008, S. 139-221. SCHATTENMANN, Marc, Wohlgeordnete Welt. Immanuel Kants politische Philosophie in ihren systematischen Grundzügen, Frankfurt am Main 2006. SCHATTENMANN, Monika, Universitätsgründungen in Deutschland und Amerika: Universität Erfurt und University of California at Merced im Vergleich, Frankfurt am Main u. a. 2011. SCHILLING, Willy, Hitlers Trutzgau. Thüringen im 3. Reich. Beiträge, Bilder, Dokumente, Jena/Quedlinburg, Bd. 1, 2005, Bd. 2, 2008. SCHLUCHTER, Wolfgang, Die Hochschulen in Ostdeutschland vor und nach der Vereinigung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte. Beilage zu Das Parlament, B 25 (1995). DERS., Neubeginn durch Anpassung? Studien zum ostdeutschen Übergang, Frankfurt am Main 1996. SCHMIEDEKNECHT, Christiane, Der Neuaufbau der Universitätsbibliothek Erfurt, in: Otto WEIPERT (Hg.), Schritte zur Neuen Bibliothek. Rudolf Frankenberger zum Ausschied aus dem Dienst, München 1998. DIES., Kooperation zwischen Universität und ihrer Bibliothek. Wunsch und Wirklichkeit am Beispiel der Universität Erfurt und ihrer Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha, in: Thomas BÜRGER/ Ekkehard HENSCHKE (Hg.), Bibliotheken führen und entwickeln. Festschrift für Jürgen Hering zum 65. Geburtstag, München 2002, S. 114-123. SCHMITT, Karl/OPPELLAND, Thorsten, Politische Parteien in Thüringen 19902011, Erfurt 22011. SCHMITT, Karl/OPPELLAND, Thorsten (Hg.), Parteien in Thüringen. Ein Handbuch, Düsseldorf 2008. SCHMITT, Karl (Hg.), Thüringen. Eine politische Landeskunde, Baden-Baden 2011. SCHNEIDER, Jens, Das Ende der grauen Zeit, in: Süddeutsche Zeitung, 28./29.3.2002.
LITERATURVERZEICHNIS
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Register REGISTER
1. Personenregister PERSONENREGISTER Das Register verzeichnet alle im Text- und Fußnotenteil erwähnten Personen. Jedoch ist darauf verzichtet worden, jene Personennamen aufzunehmen, auf die nur im Kontext der Forschungsdiskussion rekurriert wird und die lediglich in bibliographischen Angaben erscheinen. Alewell, Karl 57, 59, 75, 99 Altendorf, Gabriele 87 Althaus, Dieter 64, 187 Aretz, Jürgen 157, 180 Backhaus, Peter 81, 190 Barkhaus, Annette 131 Bauer-Wabnegg, Walter 207, 219 Beck, Klaus 138, 141, 176 Becker, Werner 57 Beitz, Bertold 30, 124 Benz, Winfried 192, 194, 202 Bergsdorf, Wolfgang 125, 130, 141, 153, 157, 178–182, 184 f., 186, 187, 190 f., 193, 196, 199, 201 f., 205 f., 217–219 Betsch, Tilman 202 Bismarck, Otto von 15 Boas, Hans Ulrich 82 Böck, Willibald 64 Born, Gustav 76 Brandt, Willy 18, 28, 175 Brans, Werner 54, 57 Brodersen, Kai 202–206, 208, 218 f. Büchner, Mathias 27 Bultmann, Christoph 198
Charles (britischer Thronfolger) 30 Demming, Dagmar 193 Duchač, Josef 33 f., 41 f., 46–49, 64 Ehmke, Horst 175 Eichel, Hans 164 Engmann, Matthias 208 Enkelmann, Andreas 89 f., 99 f. Eppler, Erhard 165 Erichsen, Hans-Uwe 102, 107 Ernst, Wilhelm 113–115, 155, 157 Ettrich, Frank 103, 193, 217 Falcke, Heino 25–27 Färber, Christian 80 Fichte, Johann Gottlieb 20 Fickel, Ulrich 32 f., 41, 43, 46–50, 53 f., 62 f., 66, 69, 74, 77–79, 81, 87, 91, 101, 103, 212 Franzen, Winfried 57 Frick, Wilhelm 17 Frühwald, Wolfgang 102, 107, 116, 135 Geißler, Heiner 164
238 Gerhardt, Wolfgang 32, 80 Glotz, Peter 12, 98, 107–117, 119, 121–127, 130 f., 133, 137–142, 147, 151, 155 f., 163–167, 170– 178, 180 f., 183 f., 187, 194, 199, 205, 207, 215–218 Goethe, Johann Wolfgang von 149, 163 Halt, Frank-Rüdiger 13 Hanske, Peter 13, 65 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 20 Heinemeyer, Karl 103 Henkel-Ernst, Martin 117, 147, Henschel, Thomas R. 125 Herz, Dietmar 125, 154, 190–192, 218 Hinz, Michael 208 Hitler, Adolf 17 Hollstein, Bettina 206 Honecker, Erich 64 Honecker, Margot 21, 92 Horn, Herwarth 102 f. Höpcke, Klaus 81, 99 Jacobsen, Roswitha 30 Jaeger, Joachim 201 Joas, Hans 136 f., 191, 201 f., 204–207, 217 Johannes Paul II. (Papst) 156 Juncker, Jean Claude 164 Kaase, Max 82, 85 Kirchhoff, Paul 178 Kohl, Helmut 178 f., Komusiewicz, Johann 47, 82, 104, 107, 159 König, Eckard 82 Kornadt, Hans-Joachim 150–152 Künzel, Walter 29, 74, 79
REGISTER
Lafontaine, Oskar 174 Lange, Josef 163 Langewiesche, Dieter 12, 107, 112 f., 115, 119, 131, 138, 141 f., 145, 149 f., 170, 172, 174, 176 f., 183, 185 f., 215 f. Laurien, Hanna-Renate 113 f., 157 Lehmann, Karl 158 Leicht, Robert 164 Leistner, Helga 30 Leitgebel, Jürgen 143, 201 Leonhardt, Wolfgang 164 Lübbe, Hermann 69 f., 101, 107 f. Luther, Martin 10, 20, 64, 165 Lutherd, Manfred 86 Mai, Gunther 13 f., 88–91, 94, 96, 98, 103, 143, 196, 198, 203, 217 Malik, Jamal 198 Marx, Karl 19 März, Claus-Peter 49 Meinhold, Gottfried 13 f., 48 Meyer, Hans Joachim 22, 37 Möllemann, Jürgen 30 f., 47 Müller, Albrecht von 114 Müller, Gerhard 18, 26 f. Müller, Winfried 13 f., 74 Murmann, Klaus 31 Neundorf, [N.N.] 86 Opitz, Peter J. 191 Panse, Jens 13 Pfeiffer, Christian 165 Pfordten, Dietmar von der 170 Piossek, Hans-Christian 32, 34 Pommer, Ulrich 14, 30, 55, 59, 83 f., 88, 91, 94, 143 Prohl, Robert 82
PERSONENREGISTER
Raabe, Paul 33 Raßloff, Steffen 14 Rau, Johannes 124 Rau, Susanne 13, 208 Ratzinger, Josef 156 Reimers, Karl Friedrich 140 Renner, Erich 82 Richter, Edelbert 26 Rockenbach, Bettina 199, 204 Rosa, Hartmut 207 Rössler, Patrick 139 f., 190, 204 Ruge, Manfred 28, 32 f.. 35, 48, 50, 52, 67 f., 76, 78 f., 81, 101– 103 Rüpke, Jörg 136, 198, 201 f., 208 Sauckel, Fritz 17 Schaller, Hans-Wolfgang 98, 114, 142, 146 f., 149 f., 153 Schattenmann, Mark 191, 193 Schattenmann, Monika 13 Schellenberg, Wilhelm 82 Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph 20 Scherzberg, Arno 190 f., 204 Schiedermair, Hartmut 33, 48 Schiller, Friedrich 20 Schily, Otto 165 Schipanski, Dagmar 153, 163, 173–175, 178 f. Schlegel, August Wilhelm 20 Schluchter, Wolfgang 12 f., 104, 109, 112 f., 115, 117, 121, 124– 126, 128, 133–136, 144, 149, 172–174, 176 f., 181, 183, 185– 187, 189 f., 206, 214–217 Schmidt, Peer 199 Schneider, Beate 201 Scholz, Andrea 13, 91 Schön, Eckhardt 13 Schorn-Schütte, Luise 173
239 Schramm, Michael 157 Schröder, Richard 107 Schuchardt, Gerd 96 f., 103, 107, 110, 114 Schuster, Herrmann Josef 33 Schwan, Gesine 107 Seibert, Rosemarie 26 f. Späth, Lothar 42 Spiegler, Aribert 27, 30 f., 33, 47, 52 f., 67, 102 Stoph, Willi 18 Thumfart, Alexander 103, 198 Tiefensee, Eberhard 158 Triebel, Bertram 13 Trützschler, Eugenie von 123, 126, 177 Trützschler, Werner von 91, 177 Verheugen, Günter 164 Vogel, Bernhard 11, 43 f., 63–66, 72, 75, 78, 81, 91 f., 101–104, 107 f., 114, 124, 155, 157, 163 175, 179, 187, 192, 211, 213 f. Vorländer, Hans 207 Walch, Felicitas 176 Walser, Martin 164 Wanke, Joachim 26, 157 f. Waschkuhn, Arno 104 Weber, Max 112, 121, 133 Wegner, Gerhard 198 Weiler, Hans N. 201 Weizsäcker, Richard von 32, 39, 47, 51, 101, 157 Werner, Klaus 88 Wieland, Christoph Martin 176 Wolff, Klaus-Dieter 11 f., 54, 56 f., 59, 66–68, 88, 92 f., 99, 102, 104, 107, 116, 133, 148, 183, 205, 214 f.
240 Wünsch, Volkmar 54 Zedler, Peter 82 Zeiss, Carl 16 Zöllner, Reinhard 125
REGISTER
241
ORTSREGISTER
2. Ortsregister ORTSREGISTER Das Register enthält alle im Text- und Fußnotenteil aufgeführten Orte. Geographische Landschaftsbezeichnungen sowie territoriale Bestandteile in Herrschaftstiteln wurden nicht aufgenommen. Ortsnennungen, die lediglich bibliographischen Angaben zugehören, wurden ebenfalls nicht erfasst. Aarhus 202 Bayreuth 54, 56 f., 66, 71, 214 Beloit 166 Berlin 9 f., 17 f., 20, 25, 33, 61, 108 f., 156 f., 193 Bielefeld 73 Bologna 10 Bonn 51, 123, 125, 179 Breslau 20 Dresden 20, 22, 25 f., 156, 204, 207 Eisenach 15 f., 42, 64 Erfurt 10–23, 25–34, 40–42, 44– 51, 53–58, 60–70, 72, 74–83, 86, 89–93, 96–98, 100–107, 109–113, 115, 117, 123–128, 131–134, 138–140, 146, 152– 161, 164 f., 167 f., 170–176, 179–181, 183–185, 188 f., 192, 194–209, 211–214, 217–219 Frankfurt am Main 16, 82 Frankfurt an der Oder 10, 38, 123, 197 Freiburg 179 Gera 15, 18, 42, 64 Gießen 57 Görlitz 156
Gotha 15 f., 23, 42, 167, 183, 195, 199, 204, 217 f., 220 Göttingen 20, 80, 82, 171 Graz 207 Greifswald 20 Halle 10, 20, 22, 79 Hamburg 23 Heidelberg 20, 112, 117, 184, 215 Herdecke 30, 111 Ilmenau 12, 23, 54, 61, 65, 69, 90, 96, 99, 101, 104, 153, 171, 175, 178, 197 Jena 9, 11–17, 19–23, 28 f., 31 f., 34, 42, 46–48, 50, 54, 56 f., 59, 61 f., 65 f., 69 f., 72, 74 f., 77– 79, 81, 83, 88–90, 92, 95 f., 99, 101, 103 f., 108, 171, 192, 197, 207, 211 f., 214 Kaiserslautern 11 Kassel 80 Koblenz 11, 82 Köln 20, 48, 104 Königsberg 20 Landau 11, 82 Leipzig 9, 20, 22, 25 f., 29, 81, 112, 202
242 Magdeburg 10, 20, 22, 53, 57, 75, 79, 81, 156 Mainz 32, 64, 80 Mannheim 82 Marburg 80 Meißen 156 Mühlhausen 21, 43, 65, 69, 82, 91 München 125, 137, 176, 180, 191, 204 Münster 82 Naumburg 72, 98, 159 Nordhausen 17, 23, 83, 169 Paderborn 82 Paris 31, 166, 202 Pilsen 123 Potsdam 9 f., 13, 20 f., 38, 53, 83, 88, 202 Prag 123 Princeton 202
REGISTER
Rostock 20 Saarbrücken 150 Sömmerda 17 Stanford 202 Suhl 18 Trier 11 Tübingen 112, 184 f., 215 Weimar 12, 15–17, 23, 42, 54, 59, 65, 69, 99, 104, 171, 176, 197, 199, 207, 212 Witten 30, 111 Wittenberg 10, 20 Wolfenbüttel 33, 73, 199 Würzburg 134 Zürich 69, 107