Die Welt der Mumien: Von Otzi Bis Lenin 3805345348, 9783805345347

Reich illustrierter Überblick über Funde und Forschungen zu Formen natürlicher wie künstlicher Mumifizierung in allen Re

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German Pages 143 [145] Year 2012

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Wie entsteht eine Mumie? – Die verschiedenen Mumifizierungsarten
Wo gibt es Mumien auf der Welt? – Die geographische Verbreitung von Mumien
Aus welcher Zeit stammen Mumien? – Das Alter von Mumienfunden
Was verraten uns Mumien? – Die wissenschaftliche Untersuchung von Mumien
Radiologische und endoskopische Untersuchungen
Biochemische und histologische Verfahren
Molekularbiologische Analysen
Mumien aus den verschiedenen Regionen der Welt
Mumien aus Südamerika
Juanita, die Inka-Mumie aus den Anden
Chinchorro-Mumien, die ältesten künstlich konservierten Mumien
Mumien aus Europa
Ötzi, der Mann aus dem Eis
Rosalia Lombardo und die Kapuzinergruft in Palermo
Kirchenmumien aus der Gruft von Vác in Ungarn
Lenin und Evita Perón, moderne Mumien aus unserer Zeit
Mumien aus Ägypten
Tutanchamun, der goldene König
Ramses III. und die Haremsverschwörung
Mumien aus Asien
Lady Dai, eine Mumie aus der Han-Dynastie in China
Südkoreanische Mumien, in Seide gehüllt
Ausgewählte Literatur
Bildnachweis
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Die Welt der Mumien: Von Otzi Bis Lenin
 3805345348, 9783805345347

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Albert Zink

Die Welt der Mumien Von Ötzi bis Lenin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

© 2012  Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt/Mainz ISBN: 978-3-8053-4534-7 Gestaltung: TypoGraphik Anette Klinge, Gelnhausen Umschlaggestaltung: Jutta Schneider, Frankfurt am Main Druck: Firmengruppe Appl, aprinta druck GmbH und Co.KG, Wemding Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf fotomechanischem Wege (Fotokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elek-tronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten. Printed on fade resistant and archival quality paper (PH 7 neutral) · tcf Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie unter: www.zabern.de



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Inhaltsverzeichnis Einleitung

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Wie entsteht eine Mumie? – Die verschiedenen Mumifizierungsarten

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Wo gibt es Mumien auf der Welt? – Die geographische Verbreitung von Mumien

22

Aus welcher Zeit stammen Mumien? – Das Alter von Mumienfunden

28

Was verraten uns Mumien? – Die wissenschaftliche Untersuchung von Mumien

31

Radiologische und endoskopische Untersuchungen Biochemische und histologische Verfahren Molekularbiologische Analysen

Mumien aus den verschiedenen Regionen der Welt

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Mumien aus Südamerika Juanita, die Inka-Mumie aus den Anden Chinchorro-Mumien, die ältesten künstlich konservierten Mumien

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Mumien aus Europa Ötzi, der Mann aus dem Eis Rosalia Lombardo und die Kapuzinergruft in Palermo Kirchenmumien aus der Gruft von Vác in Ungarn Lenin und Evita Perón, moderne Mumien aus unserer Zeit

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Mumien aus Ägypten Tutanchamun, der goldene König Ramses III. und die Haremsverschwörung

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Mumien aus Asien Lady Dai, eine Mumie aus der Han-Dynastie in China Südkoreanische Mumien, in Seide gehüllt

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Ausgewählte Literatur

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Bildnachweis

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Einleitung Mumien besitzen eine unglaubliche Anziehungskraft. Man kann sich kaum der Faszination entziehen, die von den konservierten Körpern ausgeht, auch wenn es sich um tote Menschen handelt, die nicht immer einen schönen Anblick bieten müssen. Wissenschaftler und Experten aller möglichen Fachrichtungen reißen sich geradezu darum, Mumienfunde unter die Lupe zu nehmen. Jährlich pilgern abertausende Besucher in die Museen dieser Welt, um Ausstellungen um oder mit Mumien zu sehen. Ausstellungen, die sich ausschließlich mit diesem Thema beschäftigt haben, wie beispielsweise die von den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim initiierte Schau „Mumien – Der Traum vom ewigen Leben“, haben sich als wahre Publikumsmagneten entpuppt. Worin gründet diese Begeisterung, was treibt uns an, uns so intensiv mit den Verstorbenen früherer Zeiten zu beschäftigen? Ein Grund liegt sicher darin, dass Mumien einen unmittelbaren Einblick in die Lebensumstände unserer Vorfahren geben können, zum Beispiel ihre Ernährungsweise, ihre Krankheiten und vieles mehr. Schließlich handelt es sich hierbei um Menschen, die mitunter vor vielen tausend Jahren gelebt haben und somit ein unverfälschtes Bild längst versunkener Kulturen zu liefern vermögen. Dazu kommt, dass durch den Erhalt des Weichgewebes, wie der Haut, der Haare und inneren Organen bis hin zu noch erkennbaren Gesichtszügen, eine gewisse Unmittelbarkeit entsteht. Man erkennt, dass es sich um Menschen handelt, die einmal gelebt und vielleicht mit denselben Ängsten und Nöten zu kämpfen hatten wie wir oder auch die gleichen Freuden erlebt haben. Darüber hinaus konfrontieren uns Mumien auch mit dem eigenen Tod, mit der Vergänglichkeit und der Möglichkeit, den Körper zu konservieren und damit auch den Traum vom ewigen Leben zu versinnbildlichen. Schließlich sind es oft auch die besonderen Fundumstände oder die historischen und kulturellen Hintergründe, aus denen die konservierten Körper stammen, die den besonderen Reiz ausmachen. Sind Mumien doch oft Teil von Kulturen, in denen religiöse Vorstellungen dazu geführt haben, Techniken zu entwickeln, um den natürlichen Kreislauf der Natur zu unterbrechen und den Körper für ein Leben nach dem Tod zu erhalten. Ein Phänomen, das weiter verbreitet ist, als man zunächst denken würde, und bis in unsere Zeit seine Spuren hinterlassen hat.

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Mit dem Begriff „Mumien“ verbindet man in erster Linie ägyptische Mumien und hierbei vor allem die berühmten Könige der pharaonischen Reiche, wie beispielsweise den jungen Pharao Tutanchamun, den „Ketzerkönig“ Echnaton und den erfolgreichen Kriegsherrn und Baumeister Ramses II. Aber auch die Mumien von hohen Beamten und Gelehrten, die zu Dutzenden in den verschiedenen Museen und Sammlungen auf der ganzen Welt zu finden sind, haben die ägyptischen Mumien zum Inbegriff der Mumifizierung und des Wunsches nach der Unversehrtheit des Körpers im Jenseits werden lassen. Die oft kunstvoll gewickelten ägyptischen Mumien und gerade auch die bunt bemalten und reich verzierten Särge mit zahllosen Beigaben von Schmuck, Amuletten, Gefäßen und vielem mehr faszinierten von Beginn an Forscher, Entdeckungsreisende sowie die Leser ihrer Berichte und die Museumsbesucher. Mumien aus anderen Kulturkreisen sind meist weit weniger bekannt. Eine Ausnahme bildet der in den Ötztaler Alpen (Südtirol) gefundene Mann aus dem Eis, der unter seinem Spitznamen „Ötzi“ ebenfalls großes Interesse auf sich gezogen hat. Das mit 5300 Jahren hohe Alter der Gletschermumie, die zufälligen Fundumstände, aber auch die intensive Erforschung seines Lebens bis hin zu seinem gewaltsamen Tod haben ihm einen besonderen Stellenwert sowohl in der Forschung als auch in der öffentlichen Wahrnehmung verschafft. Nicht zuletzt, weil ein Großteil seiner Kleidung und seiner Ausrüstung erhalten geblieben ist, die einen völlig neuen und einmaligen Einblick in die frühe Kupferzeit des Alpenraums ermöglichen. Etwas weniger bekannt als der Mann aus dem Eis oder die ägyptischen Mumien, aber mindestens genauso beeindruckend ist die Mumie der Rosalia Lombardo, die in den Katakomben des Kapuzinerklosters in Palermo auf Sizilien zu finden ist. Der außergewöhnlich gut erhaltene Körper des jungen Mädchens, das von den Einheimischen auch „la bella addormentata“, die schöne Schlafende, genannt wird, wurde nach seinem Tod im Jahre 1920 von Alfredo Salafia meisterhaft einbalsamiert. Darüber hinaus wird gelegentlich auch von Mumienfunden in Südamerika, insbesondere in Peru und Chile, berichtet. Es dürfte aber den wenigsten wirklich bewusst sein, dass Mumien sich nicht auf bestimmte Regionen der Erde und bestimmte Kulturen beschränken, sondern vielmehr ein weltweites Phänomen darstellen. In der Tat finden sich mumifizierte menschliche Überreste auf allen Kontinenten unserer Erde und in vollkommen unterschiedlichen geographischen Regionen mit extrem voneinander abweichenden klimatischen Gegebenheiten. Diese Funde reichen von den in Eis mumifizierten Teilnehmern der Franklin-Expedition im Norden Kanadas bis zu den Hochland- und Wüstenmumien Südamerikas, von den Moorleichen in Nordeuropa über die verschiedensten Kirchenmumien in ganz Europa bis zu den Guanchen-Mumien auf den Kanarischen Inseln und schließlich von den Skythen-Mumien in Sibirien über mumifizierte chinesische, koreani-



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sche und japanische Mönche bis hin zu den tätowierten Köpfen der Maori in Neuseeland. Dabei variieren die Zeitstellung und die Art der Mumifikation ganz erheblich und hängen sehr stark von den entsprechenden Umgebungsbedingungen ab. Das vorliegende Buch beschränkt sich daher nicht auf einige wenige bekannte Mumienfunde, sondern möchte einen umfassenden und allgemein verständlichen Überblick über das Phänomen Mumien geben. Dabei soll zunächst geklärt werden, auf welche Weise Mumien entstehen, wo sie gefunden wurden und aus welcher Zeit sie stammen. Im Anschluss werden Mumienfunde aus allen Regionen der Welt vorgestellt, mit besonderem Augenmerk auf die Forschungsergebnisse, die in jüngster Zeit erzielt wurden.

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Wie entsteht eine Mumie? – Die verschiedenen Mumifizierungsarten

2  Natürlich konservierte Mumie aus der Kapuzinergruft in Palermo.

1 

Chachapoya-Mumie.

Der normale Prozess nach Eintreten des Todes ist die Zersetzung eines Leichnams, der dadurch wieder dem natürlichen Stoffwechselkreislauf zugeführt wird. Dieser beginnt zunächst mit der sogenannten Autolyse, die eine Selbstzersetzung von Zellen und organischen Strukturen durch körpereigene Enzyme darstellt. Im unmittelbaren Anschluss setzen die Prozesse der Fäulnis und Verwesung ein, die jeweils sehr stark von den Lagerungsbedingungen und klimatischen Gegebenheiten, wie Temperatur und Luftfeuchtigkeit, abhängen. Die Fäulnis wird dabei von Bakterien hervorgerufen, die zum einen bereits auf der Haut, in der Mundhöhle, dem NasenRachen-Raum und dem Darm vorhanden sind und zum anderen aus dem umgebenen Milieu stammen können. Dabei kommt es zu einer starken Gasbildung, die in der Regel mit einer Farbveränderung von Organen und Geweben einhergeht und bis zur Verflüssigung der Weichgewebe und zur Skelettierung des Leichnams führen kann. Diesem im Wesentlichen unter Sauerstoffabschluss ablaufenden Prozess steht die Verwesung gegenüber, ein trockener, saurer Vorgang, der unter Anwesenheit von Sauerstoff abläuft. Hier können sich neben Bakterien gerade auch Schimmelpilze am Gewebeabbau beteiligen. Zusätzlich können insbesondere Fliegenmaden zu einer raschen Zersetzung eines toten Körpers beitragen. Je nach Bestattungsform eines Toten bzw. Lagerungsort einer Leiche können die verschieden Prozesse erheblich variieren. Dennoch kommt es in den meisten Fällen früher oder später zu einem vollständigen Abbau der Weichgewebe und inneren Organe und damit zur Skelettierung eines Körpers. Die Knochen können sich in Gräbern aufgrund ihres hohen Mineralgehalts oft viele Jahrhunderte oder gar Jahrtausende erhalten, wobei es gerade in feuchten und sauren Böden auch zu einer vollständigen Zersetzung des Skelettes kommen kann. Für die Mumifikation eines Leichnams müssen daher ganz bestimmte Voraussetzungen gegeben sein, die den natürlichen Prozess der Fäulnis und Verwesung, der unter normalen Umständen umgehend nach dem Tod eines Lebewesens einsetzt, stoppen. Dabei ist wichtig, dass diese Bedingungen aufrechterhalten werden, da ansonsten die körperzersetzenden Abläufe zu einem späteren Zeitpunkt wieder einsetzen können. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass dem toten Körper möglichst rasch das Wasser entzogen wird. Dies kann durch eine trockene Umgebung erfolgen und durch eine gute Belüftung unterstützt werden. Durch die schnelle Austrocknung des Körpers werden die mikrobiellen Aktivitäten, die im Rahmen der Fäulnis

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3  Ötzi mit feiner Eischicht überzogen.

und Verwesung auftreten, gehemmt und können vollständig zum Erliegen kommen. Dabei kommt es zu einer lederartigen Verfestigung der Haut und zu einer Fixierung der beim Todeseintritt eingenommenen Körperhaltung. Typische Beispiele für die Trockenmumifizierung sind einerseits die zahlreichen Kirchen- und Gruftmumien, die meist durch eine Kombination aus geringer Luftfeuchtigkeit und ausreichender Belüftung konserviert wurden. Weitere Beispiele stellen Mumienfunde aus verschiedenen Wüstenregionen dar, etwa aus der Libyschen Wüste oder der Atacamawüste im Norden Chi-



Nächste Seite: 4  Moorleiche des Tollund Mannes. 5  Mumie Ramses II., Museum in Kairo.

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les. Hier führte die Bestattung der Toten im heißen, trockenen Wüstensand zu einer raschen Austrocknung der Körper und damit zur Mumifikation der Leichname. Auch die ersten ägyptischen Mumien sind auf diesem natürlichen Wege durch die Bestattung im Wüstensand entstanden. Eine andere Form der Mumifizierung stellt das Einfrieren des Körpers nach dem Tode dar. Bei entsprechenden klimatischen Voraussetzungen, wie sie beispielsweise in den Polar- und Subpolargebieten der Erde vorherrschen oder in hohen Berglagen und Gletschern und Permafrostböden vorzufinden sind, kann es ebenfalls zu einer Konservierung von Leichnamen kommen. Ein besonders beeindruckendes Beispiel für auf diese Weise im Eis konservierte Mumien stellen die auf dem Friedhof der Beechey-Insel in der kanadischen Arktis bestatteten Teilnehmer der Franklin-Expedition dar. Bei der Forschungsreise des britischen Offiziers und Polarforschers Sir John Franklin in den Jahren 1845 bis 1848 starben auf tragische Weise alle 129 Beteiligten bei dem Versuch, die Nordwestpassage erstmals in ostwestlicher Richtung zu durchsegeln. Bei der Eröffnung von drei Gräbern fand man die fast vollkommen intakten mumifizierten Körper von drei Expeditionsteilnehmern, die von Eis umgeben waren und durch die Bestattung im Permafrost mehr als 150 Jahre überdauert hatten. Ein weiteres Beispiel für eine Konservierung in der Kälte stellen die Mumienfunde aus der Siedlung Qilakitsoq in Westgrönland dar. Hier fanden sich in zwei Gräbern insgesamt acht Mumien, die durch die Kombination von tiefen Temperaturen und trockener Luft, also eine Art Gefriertrocknungsprozess, auf natürliche Weise entstanden sind. Die Verstorbenen, deren Todeszeitpunkt auf das Jahr 1475 n. Chr. datiert wurde und die zu den direkten Vorfahren der Inuit in der östlichen Arktis gehören, waren vollständig bekleidet und zusätzlich mit reichlich Fellen, Jacken und Hosen ausgestattet. Ein weiteres prominentes Beispiel für eine Konservierung im Eis ist die Gletschermumie „Ötzi“. Auch in diesem Fall führten die überwiegend tiefen Temperaturen, eine regelmäßige Bedeckung mit Eis und Schnee in Kombination mit vermutlich starker Sonneneinstrahlung und kräftigen Winden dazu, dass der Mann im Eis über mehrere tausend Jahre konserviert wurde und nicht dem natürlichen Prozess der Verwesung anheimgefallen ist. Zu einer Mumifizierung kann es darüber hinaus kommen, wenn ein Begräbnis unter fast vollständigem Luftabschluss vorgenommen wird oder ein Toter in einer stark sauerstoffarmen Umgebung zum Liegen kommt. So wird angenommen, dass bei einigen Mumienfunden aus dem asiatischen Raum, wie zum Beispiel in China und Südkorea, die Bestattung in mehreren ineinander verschachtelten Holzsärgen und die Versiegelung der Gräber mit Kalkstein oder großen Mengen an Holzkohle und Sediment zu einer weitestgehend sauerstofffreien Atmosphäre im Inneren des Sarges geführt und damit den Mumifizierungsprozess begünstigt hat. Das Paradebeispiel für die



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Mumifizierung im sauerstoffarmen Milieu stellen aber die Moorleichen dar. Diese finden sich fast ausschließlich in Moorgebieten im Nordwesten Europas, insbesondere rund um die Nordsee, also in Dänemark, Norddeutschland, den Niederlanden, Großbritannien und Irland. Grundsätzlich führen die sauerstoffarme Umgebung und das Vorhandensein von Gerbmittel und Huminsäuren zu einer Konservierung der Leichname im Moor. Dabei muss aber zwischen den Hochmooren und Niedermooren unterschieden werden, die eine unterschiedliche chemische Zusammensetzung aufweisen, die zu verschiedenen Erhaltungsarten der Leichen führt. Im Hochmoor herrscht ein stark saures Milieu, das sowohl Knochen als auch Gegenstände aus Horn und Eisen angreift und auflösen kann. Auch Gerbstoffe und Huminsäuren sind hier vorhanden, die zur Gerbung der Haut und zu einer Rotfärbung von Haaren führen kann. Im Niedermoor liegt hingegen eine eher basische Umgebung vor, die zu einem Erhalt der Knochen führt, aber sich ungünstig auf Haut und andere Weichgewebe auswirkt. Daher kann der Erhaltungszustand von Moorleichen erheblich variieren, obwohl man sich typischerweise einen Hautschlauch mit Haaren vorstellt, in dem die Knochen nur noch gummiartig oder gar nicht erhalten geblieben sind. So ist der klassische Vertreter dieses Typus und die wohl bekannteste Moorleiche der in Dänemark gefundene, aus dem 3. Jahrhundert n. Chr. stammende Tollund-Mann. Das unglaublich gut erhaltene Gesicht des etwa 40-jährigen Mannes, in dem noch Falten und Bartstoppeln zu erkennen sind, geben ihm einen besonderen, persönlichen Ausdruck. Er liegt in entspannter Haltung auf der Seite, obwohl ein Strick um den Hals andeutet, dass er einem gewaltsamen Tod durch Erhängen oder Erwürgen zum Opfer gefallen ist. Das Objekt eingehender wissenschaftlicher Untersuchungen wurde auch der in England gefundene Lindow-Mann, der ebenfalls auf unnatürlichem Wege gestorben ist. Sein Schädel und die Halswirbelsäule zeigten massive Anzeichen von Hiebverletzungen, die ihm offensichtlich von hinten zugefügt wurden. Umstritten ist, ob er zusätzlich noch gewürgt wurde und einen Messerstich in den Hals erhalten hatte. Es finden sich unter den Moorleichen zahlreiche weitere Hingerichtete bzw. Ermordete, etwa der in Dänemark gefundene Grauballe-Mann oder der aus Niedersachsen stammende und aufgrund seiner rotbraun verfärbten Haare als Roter Franz bezeichnete Mann von Neu Versen. Beide wurden durch einen Schnitt durch den Hals getötet und anschließend im Moor bestattet. Aus welchen Gründen anscheinend vor allem jene Menschen hier ihre letzte Ruhe fanden, die eines gewaltsamen Todes gestorben waren, ist bis heute nicht geklärt. Vermutet wird jedenfalls, dass die meisten durch Mord, Hinrichtung oder rituelle Tötung oder auch im Krieg ums Leben kamen. Allerdings finden sich auch Moorleichen ohne jegliche Anzeichen einer Gewaltanwendung, bei denen lediglich der Bestattungsort als ungewöhnlich angesehen werden muss.

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Die bisher beschriebenen Mumifizierungsarten haben alle gemeinsam, dass sie ohne Einfluss des Menschen bzw. ohne die erklärte Absicht erfolgt sind, den Verstorbenen in irgendeiner Form zu konservieren. Weder bei den im Permafrost bestatteten Seeleuten noch bei den Moorleichen wurde damit gerechnet, dass diese viele Jahre später als Mumien wieder entdeckt würden. In diesen Fällen spricht man von natürlicher oder auch spontaner Mumifizierung. Sie stellt eine der drei Hauptformen der Mumifizierung dar. Im Gegensatz dazu steht die künstliche Mumifizierung. Hierbei wird der Verstorbene bewusst einer Behandlung unterzogen mit dem ausdrücklichen Ziel, seinen Körper für ein wie auch immer geartetes Leben nach dem Tod zu konservieren. Dabei sind die zugrundeliegenden Mechanismen absolut identisch, da auch hier versucht wurde die natürlichen Prozesse der Fäulnis und Verwesung zu stoppen und auf Dauer zu unterbinden. Aus diesem Grunde benutzten die alten Ägypter bei ihrem Mumifizierungsritual große Mengen an Natronsalz, da dieses die Austrocknung des Körpers beschleunigte und ihn vor der Zersetzung schützte. Zusätzliche Maßnahmen, wie die Verwendung von Harzen, Ölen, Bitumen, die Entnahme der inneren Organe und des Gehirns und das Einwickeln des getrockneten Leichnams in zahlreiche Leinenbinden, halfen den Körper dauerhaft zu konservieren. Künstliche Mumifizierung gab es aber auch in einigen südamerikanischen Kulturen, beispielsweise bei den Chinchorro, die schon lange vor den Ägyptern die Körper der Verstorbenen aufwändig präpariert und haltbar gemacht haben. Eine moderne Form der künstlichen Mumifizierung stellen die Methoden der süditalienischen Einbalsamierer dar, die mit Hilfe von zunächst schwermetallhaltigen Flüssigkeiten Körper konservierten und später formalinbasierte Einbalsamierungsflüssigkeiten verwendeten. Die letztere Methode wird im Prinzip noch heute für Einbalsamierungen von Verstorbenen zur Aufbahrung oder von Körperspendern für die Ausbildung von Medizinstudenten in der Anatomie verwendet. Sie beruht allerdings nicht darauf, dass der Körper schnell ausgetrocknet wird, sondern die Leichenzersetzung wird hierbei durch das Injizieren von fäulnishemmenden Substanzen, zunächst hochgiftigen Arsen- und Quecksilberverbindungen und später Formalinlösungen oder Karbolsäure, verhindert. Die dritte Mumifizierungsform stellt eine Zwischenform zu den beiden bisher genannten dar. Die natürlich-intentionelle Mumifizierung beruht zwar auf den oben beschriebenen natürlichen Prozessen, die zur Erhaltung eines Leichnams führen, diese wurden aber bewusst aus kulturellen oder religiösen Gründen benutzt oder sogar verstärkt. Beispiele dafür sind die Hochlandmumien Südamerikas, die in den hohen Lagen der Anden bestattet bzw. geopfert wurden, da man intuitiv wusste, dass die klimatischen Bedingungen dort zu einer Austrocknung und dadurch zum Erhalt des Körpers führen. Viele Kirchenmumien verdanken sich dem Wissen der Geist-



6  Zwei einbalsamierte Mumien in der Kapuzinergruft von Palermo.

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lichen um die konservierende Wirkung einer Gruftbestattung. Gerade auf Sizilien finden sich in zahlreichen Kirchen spezielle Räume oder Bereiche, wie zum Beispiel die Colatoi in der Kapuzinergruft in Palermo, in denen die Toten gezielt abgelegt wurden, um sie nach erfolgter Mumifizierung in den Grüften oder Katakomben als Mumie zu bestatten. Dabei wurden die Körper aber in der Regel lediglich oberflächlich behandelt, etwa durch Waschen mit Essig oder Aufbringen von Aromen oder Kräutern. Eine Präparation im Sinne einer Öffnung der Körperhöhle, einer Organentnahme oder des Einfüllens einer Einbalsamierungssubstanz hat hier nicht stattgefunden und daher rechnet man diese Formen zur natürlich-intentionellen Mumifizierungsart.

7  Weibliche Kindermumie, Llullaillaco, Nördliches Chile.

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Wo gibt es Mumien auf der Welt? – Die geographische Verbreitung von Mumien Wie oben bereits angedeutet sind Mumienfunde nicht auf wenige Kulturen und geographische Regionen beschränkt, sondern finden sich in fast allen Gebieten unserer Erde. Die Karte Gibt einen Überblick über die wichtigsten Mumienfunde und deren Zeitstellung. Die Mumien, die in diesem Buch näher vorgestellt werden, sind entsprechend markiert. Beim Betrachten der Karte wird deutlich, dass Mumien sehr weit in die Geschichte zurückreichen und auf allen Kontinenten zu finden sind. Selbstverständlich zeichnet sich eine gewisse Häufung der Funde in Regionen ab, die aufgrund ihrer klimatischen Verhältnisse einen natürlichen Mumifizierungsprozess fördern. Dies ist der Fall bei den trockenen Wüstenregionen in Amerika, Afrika und Asien, den kalten Gebieten des polaren und subpolaren Raums, den Hochgebirgen in Südamerika und den Moorgebieten im nördlichen Europa. Auch finden sich dort vermehrt Mumien, wo aufgrund kultureller oder religiöser Einflüsse die künstliche oder natürlich-intentionelle Mumifizierung praktiziert wurden. Dies gilt im Besonderen für das pharaonische Ägypten, aber auch für die Kirchenmumien in Süditalien und für viele asiatische Mumien, wie beispielsweise die Mönchsmumien in Japan, Thailand und Vietnam und die skythischen Eismumien in Sibirien.

Nordamerika: (1) (2) (3)

(4) (5) (6)

Mumien der Franklin-Expedition, drei Seeleute, die im Permafrostboden und Eis bestattet wurden, Beechey-Insel, Kanada, 1846 Familie von Utqiagvik, Opfer einer eingestürzten Holzhütte, zwei weibliche Eismumien blieben erhalten, Alaska, USA, ca. 1500 n. Chr. Kwäday Dän Ts’ìnchi (= Gefundene Person aus ferner Zeit), Kanadischer Iceman, natürliche Mumie eines Mannes, British Columbia, Kanada, 1670–1850 n. Chr. Mumien der Aleuten, einbalsamierte Körper in Felsvorsprüngen und Höhlen, Aleuten-Inseln, Alaska, USA, ca. 1700–1800 n. Chr. Spirit Cave Man, natürliche Mumie eines Mannes, Grotte Spirit Cave, Nevada, USA, 7415 v. Chr. Mumien der Hisatsinom (Anasazi), ca. 100 Mumien durch Austrocknung konserviert, teilweise Hinweise auf mögliche Organentnahme, Four Corners, Südwesten der USA, 100–1200 n. Chr.

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(7)

Lost John, verunglückter Höhlenbesucher, Mammoth Cave, Kentucky, USA, 200 v. Chr. (8) John Paul Jones, in Alkohol mumifizierte Leiche des amerikanischen Kapitäns und Freiheitskämpfers, Annapolis, Maryland, USA, 1792 n. Chr. (9) Elmer McCurdy, durch eine arsenhaltige Lösung mumifizierter Körper eines Gesetzlosen, Oklahoma, USA, 1911 n. Chr.

Mittelamerika: (10) Mumien von Guanajuato, über 100 natürliche Mumien aus dem städtischen Friedhof, Museo de las Momias, Guanajuato, Mexiko, ca. 1800 n. Chr. (11) Mumien von Chihuahua, zwei natürlich konservierte Mumien aus einer Höhle in der Nähe von Chihuahua, Mexiko, 690–610 v. Chr.

Südamerika: (12) Mumien von Musica, Mumien von Hochlandbewohnern, sowohl natürlich entstanden als auch künstlich konserviert, Zentralkolumbien, 1000–1520 n. Chr. (13) Mumien der Jivaro, mumifizierte Schrumpfköpfe, östliches Ecuador, ca. 1600–1980 n. Chr. (14) Mumien von Paracas, in Textilbündel geschnürte Bestattungen, Paracas-Halbinsel, Peru, ca. 600 v. Chr.–200 n. Chr. (15) Mumien der Nazca-Kultur, spontan mumifizierte Mumienbündel und Trophäenköpfe, Nasca, Peru, um 250 v. Chr.–750 n. Chr. (16) Mumien der Chachapoya, künstliche Mumien der „Wolkenmenschen“, Kondorsee, Anden, Nordperu, 800–1400 n. Chr. (17) Mumien der Moche-Kultur, natürliche Mumien mit Körperbemalungen, darunter Lady Cao, Nordwestperu, ca. 100–800 n. Chr. (18) Mumien der Huari und Tiahuanaco, Mumienbündel, teilweise mit Scheinköpfen verziert, Küstenregion Perus und Andenhochland in Peru, Bolivien und Chile, ca. 600–900 n. Chr. (19) Mumien der Inka, spontane und natürlich-intentionelle Mumienbündel und Menschenopfer, darunter Juanita (Ice Maiden), vereinzelt Hinweise auf künstliche Mumifizierung, Arequipa und weitere Fundorte in Peru, ca. 1400–1500 n. Chr. (20)  Mumien der Chinchorro, 100–200 künstlich konservierte Mumien, Arica, Chile, ca. 7000–1500 v. Chr. (21) Mumien vom Llullaillaco, drei in 6700 m Höhe mumifizierte Menschenopfer, Berg Llullaillaco, Salta, Argentinien, ca. 1400 v. Chr. (22) Evita Perón, einbalsamierter Leichnam der verehrten argentinischen Präsidentengattin, Buenos Aires, Argentinien, 1952 n. Chr.

24 Mumien der Franklin-Expedition

1 Beaufor tsee

Baffin Bay

2

Alëuten 4

Grönland

23

Mumien von Qilakitsoq

Europäisc hes Nordmeer

Hudson Bay

Golf von Alaska

LindowMann 24

3

24 24

N O R DA M E R I K A E U RO PA Spirit Cave Man 5

8

7

6

9

Atlantischer Ozean

11 Golf von Mexiko

Kanarische Inseln 27

10 Kar ibisc hes Meer

12

Pazifischer Ozean

Golf von Guinea

13 16

Mumien der Moche-Kultur 17 darunter Lady Cao

Mumien der Chachapoya

Chavin-Kultur

Mumien von Paracas 14 19 Mumien der Inka darunter Juanita (Ice Maiden) Mumien der Nazca-Kultur 15 El Toro Mumien der Chinchorro 20 18 Mumien der Huari und Tiahuanaco

Küstenregion Perus und Andenhochland in Peru, Bolivien und Chile

Acha-Mann

21

Mumien vom Llullaillaco

S Ü DA M E R I K A 22

Cerro Torre

Evita Perón

Atlantischer Ozean

2

24 2

25



Barentssee

S

Tollund-Mann

24

Mann von Neu Versen (Roter Franz)

29

Lenin

35

Kirchen- und Gruftmumien

26 Italien, Deutschland, Norwegen, Österreich,

Ötzi, der Mann aus dem Eis Sc hwarzes Meer

25

Rosalia Lombardo

34

33 Rotes

31

r

i

e

n

Oc hotskisc hes Meer

Kamtschatka

Mumien der Skythen/Pazyryk-Kultur

Aralsee

Kaspisc hes Meer

Mittelmeer

i

darunter die Eisprinzessin (Altaische Lady),

Spanien, Polen, Tschechien usw.

28

b

ASIEN

24

Grauballe-Mann

i

Mumien des 36 Tarimbeckens Käwirgul, Yanbulag Schönheit von Lulan, Cherchen-Mann, Frau aus Qizilhoqa

Mao Zedong 41

Japanisc hes Meer 38 Fujiwara-Mumien Joseon-Dynastie/ Eung Tae/ Gyeongsun/ 39 Buddhistische Yangju

Mönche

Mumien der Han-Dynastie 37 darunter Lady Dai

30 Meer

Tutanchamun, Echnaton, Ramses III. und andere Mumien

42 Arabisc hes Meer

Golf von Bengalen

Ho Chi Minh

Pazifischer Ozean

40

39

Buddhistische 39 Mönche

AFRIKA Sumatra

Borneo Neu-Guinea Java

Madagaskar

Indischer Ozean

44

43

45

AUSTRALIEN 32 Kap der Guten Hoffnung

Cook-In

47 46 Neuseeland

26

Europa: (23) Mumien von Qilakitsoq, sechs Frauen und zwei Kinder, vollständig bekleidet, Halbinsel Nuussuaq, Grönland, Dänemark, um 1475 n. Chr. (24) Moorleichen aus Nordeuropa, Tollund-Mann, Lindow-Mann, Mann von Neu Versen (Roter Franz) und zahlreiche natürlich konservierte Funde im Moor, Dänemark, Norddeutschland, England, Irland, Niederlande, ca. 800 v. Chr.–1400 n. Chr. (Skelettfunde bis 8000 v. Chr.) (25)  Mumien von Vác, natürlich mumifizierte Leichname, die in einer Gruft gefunden wurden, Vác, Ungarn, 1731 –  ca. 1800 n. Chr. (25) Sizilianische Kirchenmumien, Mumien von Kirchenvertretern und Bürgern, darunter Rosalia Lombardo (Kapuzinergruft, Palermo), natürliche, natürlich-intentionelle und künstliche Mumien, Sizilien, Italien, 1599–1920 n. Chr. (26) Kirchen- und Gruftmumien, natürliche und natürlich-intentionelle Mumienfunde in weiten Teilen Europas: Italien, Deutschland, Norwegen, Österreich, Spanien, Polen, Tschechien usw., ca. 13.–20. Jahrhundert n. Chr. (27) Guanchen-Mumien, künstlich konservierte Höhlenbestattungen, Kanarische Inseln, Spanien, 400–1500 n. Chr. (28) Ötzi, der Mann aus dem Eis, Gletschermumie aus dem Ötztaler Alpen, Similaun, Südtirol, Italien, ca. 5300 v. Chr. (29) Lenin, einbalsamierte Leiche des Staatsgründers der Sowjetunion, Moskau, Russland, 1924 n. Chr.

Afrika: (30) Ägyptische Mumien, natürliche Mumien aus der prädynastischen Zeit und künstliche Mumien der Pharaonenzeit, darunter unter anderem Tutanchamun, Ramses II., Echnaton und Sethos I., Ägypten, ca. 4000 v. Chr.– 400 n. Chr. (31) Mumie aus der Libyschen Wüste, durch Austrocknung natürlich konservierte Kindermumie, Zentrallibyen, 3455 v. Chr. (32) Kouga-Mumie, einziger Mumienfund in Südafrika, Wildschutzgebiet Baviaanskloof, Südafrika, ca. 50 v. Chr. (33) Jordanische Mumien, natürliche, teils und ganz mumifizierte Leichen eines Friedhofs, Khirbet Qazone, Jordanien, 0 –200 n. Chr.

Asien: (34) Iranische Salzmumien, fünf verschüttete Opfer einer Salzmine, Chehrabad- Salzmine, Provinz Zanjan, Iran, 600–400 v. Chr. und 400–600 n. Chr. (35) Mumien der Skyten, künstlich mumifizierte Leichname der PazyrykKultur, darunter die Eisprinzessin (Altaische Lady), Altaigebirge, Sibirien, Russland, um 500–300 v. Chr.



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(36) Mumien des Tarimsbeckens, natürliche Mumien aus dem zentralasiatischen Tarimbecken, an der Seidenstraße gelegen, Käwirgul, Yanbulag u. a., Westchina, 1800 v. Chr. –1000 n. Chr. (37) Mumien der Han-Dynastie, feucht konservierte Leichen der chinesischen Han- Zeit (206 v. Chr. – 220 n. Chr.), darunter Lady Dai, Changsha, Provinz Hunan, China. (38) Fujiwara-Mumien, mumifizierte Körper der japanischen Herrscherfamilie, Chūson-ji-Tempel, Hiraizumi, Japan, ca. 1100 n. Chr. (39) Buddhistische Mönchen, Selbstmumifizierung von buddhistischen Mönchen, Japan, Thailand und Vietnam, ca. 1300–1903 n. Chr. (40) Mumien der Ibaloi, durch Feuer und Rauch getrocknete Mumien, Kabayan, Provinz Benquet, Philippinen, ca. 1500–1800 n. Chr. (41) Mao Zedong, Gründer der Volksrepublik China, Peking, China, 1976 n. Chr.. (42) Ho Chi Minh, Gründer des modernen Vietnam, Hanoi, Vietnam, 1969 n. Chr.

Ozeanien und Australien: (43) Mumien von Koke, getrocknete und geräucherte Mumien vom Stamm der Anga, die in Felsvorsprünge platziert wurden, Koke, Papua-Neuguinea, ca. 1800–1950 n. Chr. (44) Mumien der Torres-Straße, neun künstliche Mumien, die mit roter Ockerfarbe bemalt und mit Muscheln dekoriert wurden, Torres-Straße, Nordaustralien, vor und um 1900 n. Chr. (45) Australische Mumien, künstliche Mumifizierung durch Eviszeration und Austrocknung, Queensland, Australien, vor und um 1900 n. Chr. (46) Maori-Mumien, präparierte, tätowierte Köpfe von Anführern oder hochrangigen Stammesangehörigen, Neuseeland, ca. 1600 –1800 n. Chr. (47) Mumien von den Cookinseln, Tahiti und Samoa, durch Trocknung und Einschnitte präparierte Mumien, Pazifische Inseln, vor und um 1900 n. Chr.

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Aus welcher Zeit stammen Mumien? – Das Alter von Mumienfunden Immer wieder tauchen in den Medien Berichte über den Fund der ältesten Mumie der Welt auf. Dabei wird meist nicht sehr genau unterschieden, ob es sich um natürliche oder künstliche Mumien handelt und unter welchen Umständen es zur Mumifikation und zum dauerhaften Erhalt des Fundes gekommen ist. Daher sollen in diesem Abschnitt die ältesten bislang bekannten und sicher datierten Mumienfunde kurz vorgestellt werden, um einen Eindruck zu vermitteln, aus welcher Zeit menschliche Körper überliefert wurden und wie weit die natürlich-intentionelle und die künstliche Mumifizierung zurückreichen. Die künstliche Haltbarmachung von menschlichen Überresten ist natürlich vor allem aus dem alten Ägypten in der Zeit der großen Herrscher wie Tutanchamun oder Ramses bekannt. In der Tat hat die Mumifikation gerade im Neuen Reich des alten Ägyptens, ca. 1550 bis 1080 v. Chr., ihre Blütezeit erreicht, in der die Technik und die Effizienz des Verfahrens extrem ausgereift waren. Dennoch reichen die Anfänge der Einbalsamierung bis in das Alte Reich, also bis etwa 2500 v.  Chr. zurück. Vor einigen Jahren wurden sogar die etwa 5000 Jahre alten mumifizierten Überreste eines Beamten der ersten Dynastie im alten Ägypten entdeckt, auf denen Hinweise auf die Aufbringung einer harzartigen Substanz gefunden wurden. Somit zählt dieser Fund zu den ältesten Belegen für die künstliche Mumifizierung im alten Ägypten. Darüber hinaus finden sich aber noch deutlich ältere Mumien aus der prädynastischen Zeit (ca. 4000 bis 3000 v. Chr.) des alten Ägyptens. Ein bekanntes Beispiel ist die Mumie mit dem Spitznamen „Ginger“, die seit 1901 im British Museum London ausgestellt ist und auf ca. 3400 v.  Chr. datiert wurde. Dabei handelt es sich um die sehr gut erhaltene Mumie eines Mannes, die gemeinsam mit fünf weiteren Mumien aus einer Grabstätte nahe des Ortes Gebelein in der ägyptischen Wüste geborgen wurde. Seit dem Jahr 2004 wird der Spitzname „Ginger“ aus ethischen Erwägungen seitens des British Museums nicht mehr offiziell verwendet. Bei der Mumie handelt es sich um ein frühes Beispiel für eine natürliche Mumifikation, bei der der außerordentlich gute Erhaltungszustand auf die trockene Lagerung im Wüstensand zurückzuführen ist. Von der Zeitstellung her ist sie mit der Gletschermumie „Ötzi“ zu vergleichen, die auf 3.300 v. Chr. datiert wurde und ebenfalls ein Beispiel für die natürliche Mumifikation darstellt, wobei diese im Fall des Mannes aus dem Eis auf die ständige Lagerung in Schnee und Eis zurückzuführen ist. Darüber hinaus weisen Funde aus Libyen darauf hin, dass auch dort bereits vor etwa



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5500 Jahren Verstorbene künstlich mumifiziert wurden. Somit reichen die Mumienfunde der Alten Welt zurzeit bis etwa 3500 v. Chr. zurück. Deutlich ältere Mumien finden sich dagegen auf dem amerikanischen Kontinent. Südamerika bietet eine immense Fülle an Mumienfunden, die zwar weit weniger bekannt sind als die altägyptischen Mumien, aber eine ebenso große Faszination ausstrahlen und auch von großem wissenschaftlichem Interesse sind. Gerade in den trockenen Wüstengebieten Perus und Chiles, aber auch in den hochgelegenen Andenregionen finden sich ideale klimatische Voraussetzungen, die eine natürliche Konservierung von toten menschlichen Körpern ermöglichen. So reichen die Mumienfunde, die überwiegend im Westen Südamerikas gemacht wurden, von Kolumbien über Ecuador bis nach Argentinien. Darunter finden sich auch einige der bislang ältesten bekannten Mumien der Welt. In der Atacama, einer der trockensten Wüste der Erde, lebte seit etwa dem 7. Jahrtausend v. Chr. das Volk der Chinchorro. Aus dieser Kultur stammen die ersten künstlichen Mumien, wobei die Chinchorro zunächst ihre verstorbenen Kinder und später auch Personen aller anderen Altersgruppen konservierten. Die ältesten Funde wurden auf 5050 v. Chr. datiert und sind somit über 1000 Jahre älter als die ältesten ägyptischen Mumien. Zudem finden sich auch frühe Beispiele natürlich entstandener Mumien. Darunter ist mit dem sogenannten Acha-Mann, der in der Nähe der Hafens von Antofagasta gefunden wurde und auf ca. 7000 v. Chr. datiert wurde, eine der ältesten nachgewiesenen Mumien der Welt. Des Weiteren sind vereinzelte Funde aus anderen Regionen Südamerikas bekannt geworden, die ebenfalls auf ein sehr hohes Alter geschätzt werden. So sind beispielsweise im Jahre 1964 an der Grenze von Argentinien zu Chile, in der Provinz San Juan, Bergsteiger am Andengipfel Cerro Torre auf eine vermutlich 7000 Jahre alte Mumie gestoßen. In Peru sind sogar Mumienfunde vorhanden, die auf ein Alter von bis zu 10 000 Jahren geschätzt werden. Allerdings fehlen in diesen Fällen noch fundierte Untersuchungen zur genauen Datierung und den kulturellen Hintergründen. Solange diese nicht vorliegen, muss man die Chinchorro-Mumien als die derzeit ältesten bekannten Mumien Südamerikas betrachten. Um nochmals mehr als 400 Jahre vor den ersten Chinchorro-Mumien datiert die Mumie eines etwas 45 bis 55 Jahre alten Mannes, der in der Spirit-Cave-Grotte im heutigen Staat Nevada in Nordamerika gefunden wurde. Bei den menschlichen Überresten handelt es sich um eine teilweise skelettierte und trockenmumifizierte Leiche, bei der Schädel und Schulter noch mit Haut und Haaren versehen waren. Die anfangs als deutlich jünger betrachtete Mumie wurde 1994 einer Radiokarbondatierung unterzogen und dabei ergab sich das erstaunliche Alter von 9415 +/– 25 Jahren. Somit kann der Spirit Cave Man als die zurzeit älteste Mumie der Welt angesehen werden.

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Die Mumifikation ist allerdings keineswegs nur ein Phänomen vergangener Zeiten und früherer Kulturen, sondern hat bis in die heutige Zeit Bestand. In Europa finden sich in zahlreichen Kirchen und Grüften natürlich konservierte Mumien, die bis ins 19. Jahrhundert hinein in diesen bestattet wurden und überwiegend aufgrund der günstigen klimatischen Bedingungen mumifiziert wurden. Zusätzlich setzte sich in Europa zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Technik des Einbalsamierens durch, bei der eine arsenhaltige Flüssigkeit über die großen Blutgefäße, wie beispielsweise die Halsschlagader oder Oberschenkelarterie, in den Körper des Verstorbenen eingefüllt wurde, der dadurch konserviert wurde. Diese Methode, die eine Eröffnung des Körpers überflüssig machte, wurde vor allem im südlichen Italien weiter verfeinert und es wurde zunehmend versucht Alternativen zu der Verwendung der giftigen Schwermetalle Arsen und Quecksilber zu finden. Dies gelang als einem der Ersten dem sizilianischen Präparator und Einbalsamierer Alfredo Salafia, der eine eigene Einbalsamierungslösung entwickelte, die auf Formalin, Glyzerin und Alkohol (in Wasser gelöstes Formaldehyd) basierte. Dadurch wurde die Verwendung von giftigen Schwermetallen unnötig und Salafia konnte mit seiner neuen Methode beeindruckende Ergebnisse erzielen. Einige Beispiele für seine Einbalsamierungskunst finden sich noch heute in der Kapuzinergruft in Palermo, zu denen auch die beeindruckend gut erhaltene, 1920 im Alter von nur zwei Jahren gestorbene Rosalia Lombardo gehört. Die Verwendung von Formalin setzte sich im Allgemeinen in der medizinischen Präparation (Anatomie) von menschlichen Geweben durch und wird noch heute zum Beispiel in den USA zur Einbalsamierung von Leichnamen verwendet, um eine vorübergehende Aufbahrung der Toten zu ermöglichen. Die Technik der Einbalsamierung wurde vor allem auch bei hochgestellten Persönlichkeiten wie Päpsten, Mitgliedern von Herrscherfamilien und Politikern angewandt. Die bekanntesten Beispiele dafür sind Lenin, Mao Zedong und Evita Perón. Insgesamt ist es aus religiösen, ethischen und auch gesellschaftlichen Gründen in der heutigen Zeit nicht mehr üblich die Toten mit dem Ziel einer dauerhaften Erhaltung der körperlichen Hülle für die Ewigkeit zu konservieren. Generell dienen Einbalsamierungen nur noch der vorübergehenden Bewahrung des Körpers zum Zwecke der Aufbahrung oder auch zur Ausbildung von Medizinstudenten in der Anatomie. Ausnahmen bilden dabei vielleicht die Plastinate des Präparators Gunther von Hagens und der Versuch von oft schwerkranken Menschen, durch die sogenannte Kryokonservierung in flüssigen Stickstofftanks zu überdauern, um in weiter Zukunft bei entsprechender Weiterentwicklung der medizinischen Verfahren wieder zum Leben erweckt und geheilt werden zu können.



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Was verraten uns Mumien? – Die wissenschaftliche Untersuchung von Mumien Das Interesse an Mumien reicht in Europa in das 13. bis 16. Jahrhundert zurück. In dieser Zeit war die Arznei „mumia“, die aus pulverisiertem ägyptischen Mumienmaterial bestand, sehr gefragt und erfreute sich einer breiten Anwendung. Auf wissenschaftlicher Ebene war es der britische Chirurg und Antiquar Thomas Joseph Pettigrew, der zum ersten Mal eine detaillierte Studie zu einer ägyptischen Mumie vorlegte. In seinem 1834 erschienenen Buch „A History of Egyptian Mummies“ beschreibt er im Detail die Auswickelung einer Mumie und setzt sich mit der Geschichte und den Technik der Mumifizierung im alten Ägypten auseinander. In jüngerer Zeit hat sich die Untersuchung von mumifizierten Funden mehr und mehr zu einem ernsthaften wissenschaftlichen Zweig entwickelt, in dem die verschiedensten modernen Verfahren aus den Bereichen der Medizin, Molekularbiologie, Chemie und Physik zur Anwendung kommen. Die verschiedenen Untersuchungsverfahren werden mittlerweile genutzt, um anhand von Mumienfunden aus der ganzen Welt die historischen Lebensbedingungen, Ernährungsgewohnheiten, Krankheiten, die Herkunft und genetischen Familienverhältnisse der Menschheit zu rekonstruieren. In mehreren molekularen Studien konnten beispielsweise verschiedene Infektionskrankheiten nachgewiesen werden, die tiefe Einblicke in das Auftreten, die Verbreitung und die Evolution von Krankheiten wie zum Beispiel der Tuberkulose, Malaria oder Leishmaniose erlaubt haben. Der gute Erhaltungszustand von Weichgeweben in Mumien ermöglichte es, breite Studien zum Vorkommen von Krebserkrankungen und vaskulären Erkrankungen, wie beispielsweise der Arteriosklerose, durchzuführen. In den letzten Jahren kamen sogar Methoden der modernen Nanotechnologie zur Anwendung, die wichtige Erkenntnisse zur Konservierung von Proteinen, wie zum Beispiel Kollagen, und roten Blutkörperchen in Mumien lieferte und neue Einblicke in die Mumifizierungsprozesse von natürlichen Mumien erlaubte. Eine große Rolle in der Mumienforschung spielen die bildgebenden Verfahren, wie die Radiologie, Computertomographie und Magnetresonanztomographie, die alle eine zerstörungsfreie Untersuchung von Mumien erlauben. Bei den Untersuchungsmethoden unterscheidet man grundsätzlich invasive von nicht invasiven Verfahren. Bei den nicht invasiven Methoden oder zerstörungsfreien Verfahren ist es nicht notwendig, der Mumie Gewebeproben zu entnehmen. Die Mumie kann hierbei in ihrem ursprüngli-

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chen Zustand belassen werden. Ein Aspekt der zunehmend an Bedeutung gewinnt, da Mumien grundsätzlich auch als Kulturgüter angesehen werden müssen, die nicht ohne weiteres beprobt und damit beschädigt oder sogar zerstört werden dürfen. Zudem spielt auch die Frage eines ethisch angemessenen Umgangs mit Mumien eine wichtige Rolle, da es sich primär um verstorbene Menschen handelt, die entsprechend würde- und respektvoll behandelt werden müssen. So gehören mittlerweile Mumienautopsien der Vergangenheit an, da diese zum einen zu einer weitgehenden Zerstörung des Kulturguts Mumie führen und zum anderen dank der Weiterentwicklung der medizinisch-naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden dieselben Erkenntnisse zerstörungsfrei oder zumindest mit nur geringem Probenmaterial gewonnen werden können.

Radiologische und endoskopische Untersuchungen Die wohl bedeutendste nicht invasive Untersuchungstechnik in der Mumienforschung stellt die Radiologie dar. Mit Hilfe des Röntgens, der Computertomographie und der Magnetresonanztomographie lassen sich Einblicke in das Innere von Mumien gewinnen und dank der ständig verbesserten Auflösung mittlerweile kleinste Details herausarbeiten. Die klassischen Röntgenaufnahmen spielten gerade zu Beginn der wissenschaftlichen Mumienuntersuchung eine große Rolle. Sie wurden bereits ein Jahr nach der Entdeckung der Röntgenstrahlen an zwei Mumien des Senckenbergischen Naturkundemuseums erfolgreich angewandt. Des Weiteren wurden in den 60er und 70er Jahren die ägyptischen Königsmumien im Museum in Kairo geröntgt. Durch die Entwicklung des Computertomographen und Fortschritte in der computergestützten Bildnachbearbeitung, die zu einer deutlichen Verbesserung der radiologischen Diagnostik geführt haben, wurde das konventionelle Röntgen immer stärker zurückgedrängt. Dadurch war es erstmals möglich, nicht nur Übersichtsaufnahmen (Summationsbilder) zu erstellen, sondern sogar eine virtuelle dreidimensionale Rekonstruktion von Binnenstrukturen, zum Beispiel des Schädels. Analog zur medizinischradiologischen Diagnostik können so mit dem Computertomographen auch in Mumien feine Strukturen und deren Veränderungen wesentlich besser nachgewiesen werden. Komplizierte Frakturen, aber auch Gefäße, Gefäßverläufe, Verkalkungen etc. lassen sich im Detail viel deutlicher erfassen. Zudem ist, gerade auch bei Mumien, eine genaue Verortung von Artefakten, wie beispielsweise Amuletten oder Mumifizierungsmaterialien, möglich. Für einen ersten Einblick in das Innere einer Mumie und zur Erfassung von zum Beispiel einfachen Knochenbrüchen ist aber das konventionelle Röntgen durchaus eine sinnvolle Alternative. In vielen Fällen ist es auch



8  CT-Untersuchung einer Mumie.

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nicht möglich, Mumienfunde zur Untersuchung in ein Krankenhaus zu bringen, in dem ein CT-Gerät zur Verfügung steht. Zur Untersuchung von Mumien vor Ort, also an der Fundstätte, eignet sich oft ein tragbares Röntgengerät, da dieses vergleichsweise einfach zu transportieren und bedienen ist. Eine weitere Möglichkeit stellen mobile CT-Geräte dar, die auf einem LKW montiert sind und so in die Nähe von Mumienfunden gebracht werden können. Auf diese Weise wurden beispielsweise die ägyptischen Königsmumien des Ägyptischen Museums in Kairo oder einige Mumien aus der Kapuzinergruft in Palermo untersucht. Die Magnetresonanztomographie

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(Kernspintomographie) wurde lange für Mumienuntersuchungen als nicht einsetzbar eingestuft, da diese Untersuchungsmethode auf der Anregung von Wasserstoffkernen (Wassergehalt von Organen) beruht und normalerweise in Mumien wenig bis gar kein Wasser vorhanden ist. Durch die Entwicklung neuer Software ist es aber mittlerweile gelungen, auch mit der Magnetresonanztomographie Bilder von Mumiengewebe zu generieren und dabei bestimmte Strukturen wie etwa Bandscheiben besonders detailliert zu visualisieren. Die verschiedenen radiologischen Verfahren und insbesondere die Computertomographie bieten dem Wissenschaftler somit die Gelegenheit, auf zerstörungsfreie Weise das Alter und Geschlecht von Mumien zu bestimmen, Details über die Mumifizierungsart herauszufinden, Amulette und Einbalsamierungsmaterial (Binden, Bitumen, Nilschlamm etc.) zu identifizieren, Krankheiten (Tumoren, Knochenbrüche, Gefäßverkalkungen, Verletzungen, Organveränderungen und -erkrankungen) nachzuweisen und vereinzelt sogar Hinweise auf die Todesursache zu erhalten, wie wir in den Kapiteln zu Ötzi und Ramses III. noch sehen werden. Eine weitere nicht invasive Untersuchungsmethode stellt die Endoskopie dar, insofern Zugänge wie natürliche oder postmortale Körperöffnungen (nach dem Tod oder im Zuge der Mumifikation eingetreten) vorhanden sind. Die Anwendung von Endoskopen bietet in der Mumienforschung die Möglichkeit, Einblicke in (nahezu) geschlossene Hohlräume von Körpern zu erhalten. Damit ist neben der Röntgen- und CT-Analyse ein zweites Verfahren zur zerstörungsfreien bzw. zumindest zerstörungsarmen Analyse verfügbar, das zudem die Möglichkeit bietet, über zumeist wenige Millimeter dünne Arbeitskanäle kleine Proben von unberührtem Biomaterial zugänglich zu machen. Eine besondere Anwendung von endoskopischen Untersuchungen liegt im Bereich der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, da mit Hilfe endoskopischer Verfahren hier Einblicke in Höhlenregionen des Schädels gewonnen werden können. Eine Anwendung bei Mumien auch unter Grabungsbedingungen ist heute inzwischen gut möglich.

Biochemische und histologische Verfahren Die Analyse von Proteinen in Mumiengewebe gibt Aufschluss über den Erhaltungszustand des Gewebes sowie einzelne (wenige) Hinweise auf spezifische Stoffwechselbedingungen (etwa chronische Mangelernährung). Das Hauptziel in frühen biochemischen Analysen war in der Regel das Kollagen mit seinen verschiedenen Ausbildungsformen. Das Hauptstützprotein des Körpers, das unter anderem für die Elastizität der Haut und der inneren Organe verantwortlich ist, aber auch ein wichtiger Be-



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standteil der Knochen, der Knorpel und Sehnen ist, zeichnet sich durch eine erhebliche Widerstandsfähigkeit gegenüber der Diagenese und Autolyse aus und ist in zahlreichen Mumienfunden oft noch gut erhalten. Die Ergebnisse einer Aminosäurenanalyse kann anhand des Verteilungsmusters Hinweise auf den Erhaltungszustand von Knochenkollagen und eine eventuelle Beimengung von Fremdproteinen, zum Beispiel von außen angebrachte „Kontaminationen“, geben. Weitere biochemische Analysen etwa von spezifischen Zellproteinen oder Enzymen sind in Mumiengewebe vereinzelt gelungen, lieferten bisher jedoch nur begrenzt zusätzliche Information. Histologische Untersuchungen stellen heute im klinischen Alltag eine weit verbreitete diagnostische Methode dar, die auch für die Mumienforschung erhebliche Bedeutung besitzt. Entscheidend für eine erfolgreiche histologische Analyse ist es, das getrocknete und im Rahmen der Einbalsamierung oft chemisch vorbehandelte Material wieder in einen rehydrierten Zustand zu bringen. In mehreren Studien an Mumiengewebe hat sich gezeigt, dass dabei die Anwendung einer Mischung aus Formalin und Detergentien, eventuell mit Beimengung von alkoholischen Lösungen, durchaus zufriedenstellende histomorphologische Ergebnisse liefern kann. Neben Übersichtsfärbungen (zum Besipiel Hämatoxylin-Eosin) und Spezialfärbungen (zum Beispiel van Gieson, PAS) wurden bislang vereinzelt immunhistochemische Verfahren erfolgreich angewandt. Bei Knochenproben ist zusätzlich vor der Einbettung in Paraffin ein Entkalkungsschritt notwendig, bevor Routinefärbungen angewandt werden können. Durch die Histologie lassen sich in vielen Fällen noch verschiedene Gewebetypen oder innere Organe identifizieren. Dies kann von großer Bedeutung sein, wenn die Weichgewebe durch starke Austrocknung nicht mehr eindeutig anzusprechen sind, oder innere Organe entnommen wurden und beispielsweise in Gefäßen eingebracht wurden. Die Untersuchung von Gewebedünnschnitten im Mikroskop kann zudem Hinweise auf verschiedene Krankheiten und Verletzungen liefern. Dadurch können beispielsweise auch Parasiteneier im Darm oder anderen Organen nachgewiesen werden.

Molekularbiologische Analysen Eine enorme Erweiterung des diagnostischen Spektrums erfuhr die Mumienforschung in den letzten Jahren durch den Einsatz von molekularbiologischen Methoden. Durch die Entwicklung der Polymerasekettenreaktion (engl. polymerase chain reaction, PCR) ist es möglich geworden alte DNA (aDNA) in Mumien- und Skelettmaterial nachzuweisen. Durch Extraktion von aDNA aus Gewebeproben und anschließende gezielte Amplifikation

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charakteristischer Genomabschnitte konnten pathogene Keime nachgewiesen werden. Zusätzlich können humane Genomabschnitte der untersuchten Individuen zur molekularen Geschlechtsbestimmung, Klärung von Verwandtschaftsverhältnissen und zur Detektion angeborener Fehlbildungen, die durch Mutationen im menschlichem Genom hervorgerufen werden, analysiert werden. Dennoch sind auch der aDNA-Technologie Grenzen gesetzt, die vor allem im raschen Abbau der DNA nach dem Tod eines Individuums und der Gefahr der Verschleppung und Kontamination durch moderne DNA begründet sind. In den letzten Jahren hat die Entwicklung von neuen Sequenzierverfahren, dem sogenannten „next generation sequencing“ oder „whole genome sequencing“, völlig neue Möglichkeiten in der molekularbiologischen Untersuchung von Mumien eröffnet. Seit wenigen Jahren ist es nun möglich aus wenig Probenmaterial das gesamte Erbgut einer Mumie (oder auch Skeletts) zu rekonstruieren. Dabei lassen sich tiefgreifende Informationen zur genetischen Herkunft, zum Aussehen, wie beispielsweise Augen- und Haarfarbe, zu Körperfunktionen, Blutgruppe, Laktose-Unverträglichkeit und zum Auftreten von Krankheiten und zu genetisch bedingten Krankheitsanlagen untersuchen. Am Beispiel des Mannes aus dem Eis werden im entsprechenden Kapitel die Ergebnisse einer solchen Untersuchung dargestellt.



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Mumien aus den verschiedenen Regionen der Welt In diesem Abschnitt werden nun die wichtigsten Mumienfunde aus den verschiedenen Regionen unserer Erde vorgestellt. Nach einem allgemeinen einleitenden Teil werden jeweils einige besondere Vertreter der jeweiligen Kulturen oder Zeitstellungen im Detail beschrieben, wobei im Besonderen auf die neuesten naturwissenschaftlichen Ergebnisse eingegangen wird.

Mumien aus Südamerika Mumien und Mumifizierung nehmen einen hohen Stellenwert in der präkolumbianischen Kultur Südamerikas ein. Auf keinem anderen Kontinent findet sich eine derartige Vielfalt an unterschiedlichen Mumien und Mumifizierungsformen über einen Zeitraum von vielen tausend Jahren. Grundsätzlich sind in fast allen Ländern Südamerikas Mumien zu finden, wobei die überwiegende Zahl vor allem in den westlichen Regionen entlang der Pazifikküste und in den Hochlagen des Andengebirges anzutreffen ist. Ein Umstand, der sowohl die natürliche als auch die natürlich-intentionelle und künstliche Mumifizierung beeinflusst hat, sind vermutlich die besonderen klimatischen Gegebenheiten in dieser Region Südamerikas. Zum einen befinden sich im Westen des Kontinents entlang der Küste extrem trockene Wüstengebiete, die zu den trockensten Gegenden der Welt überhaupt zählen, wie zum Beispiel die Atacama- und die Sechurawüste. Zum anderen liegen entsprechend günstige klimatische Voraussetzungen auch in den westlichen Anden vor. In der bis zu fast 7000 Meter hohen Gebirgskette herrschen nachts sehr tiefe Temperaturen und tagsüber zum Teil sehr starke Sonneneinstrahlung. Dazu kommt ein geringer Sauerstoffgehalt in großer Höhe, der eine natürliche Konservierung von biologischen Materialien weiter begünstigt. In den abfallenden Gebirgsketten haben sich zahlreiche Täler mit Flüssen und Bächen ausgebildet, die zusätzlich gute Voraussetzungen für die Entwicklung von Hochkulturen boten. In Südamerika findet sich das gesamte Spektrum von natürlich konservierten Mumien und von künstlichen Mumien, die durch Organentnahme, äußere Behandlung mit Balsamierungssubstanzen oder Ähnliches haltbar gemacht wurden, sowie von natürlich-intentionellen Mumien, wobei die Leichen beispielsweise

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in großer Höhe bestattet oder zu Bündeln verschnürt und somit bewusst einem natürlichen Mumifizierungsprozess ausgesetzt wurden. Die zurzeit ältesten bekannten Mumien aus Südamerika sind der Chinchorro-Kultur zuzuschreiben, deren früheste Zeugnisse bis zu 9000 Jahre zurückreichen. Seit spätestens 5050 v. Chr. praktizierten die Chinchorro eine ganz spezielle Mumifizierungsmethode mit aufwändiger Präparation der toten Körper einschließlich Organentnahme, von der im Kapitel zu den Chinchorro-Mumien noch im Detail die Rede sein wird. Auf der ParacasHalbinsel im Süden Perus finden sich die mumifizierten Überreste der Paracas-Kultur, die von etwa 600 v. Chr bis 200 n. Chr. andauerte. In der älteren Phase der Kultur wurden die Verstorbenen überwiegend in Schachtgräbern, sogenannten Cavernas, bestattet. Bei den dort gefundenen Mumien handelt es sich vorwiegend um ältere weibliche Individuen, die keilförmig deformierte Schädel aufweisen. Zudem fanden sich in hoher Zahl Trepanationen, also Schädeleröffnungen, die zu Lebzeiten durchgeführt wurden und in den meisten Fällen wohl auch von den Betroffenen überlebt wurden. Die Toten wurden in Hockerstellung verschnürt und mit reichlich Grabbeigaben wie Nahrungsmitteln, Amuletten usw. ausgestattet. In der jüngeren Phase der Paracas-Kultur wurden ganze Totenstädte (Nekropolen) mit zahlreichen unterirdischen Grabbauten angelegt. Hier fanden sich insgesamt 429 Mumienbündel von überwiegend erwachsenen Männern. Die Frage, inwieweit es sich hier um einen natürlichen Mumifizierungsprozess handelte oder ob dieser artifiziell unterstützt wurde, ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Mit Sicherheit kann davon ausgegangen werden, dass keine Organentnahme stattgefunden hat. Vereinzelt haben sich bei den Mumien aber Hinweise auf eine Trocknung über dem Feuer bzw. durch Raucheinwirkung nachweisen lassen. Im Anschluss an die Paracas-Kultur hat sich in der Region der Stadt Nasca die Hochkultur der Nazca entwickelt, die von 200 v. Chr. bis 600 n. Chr. andauerte. Besonders bekannt wurde die Kultur durch die in der Hochebene zwischen dem Pazifik und den Anden angelegten riesigen Symbol- und Tierzeichnungen (Geoglyphen), die allgemein als NazcaLinien bezeichnet werden. In der Nazca-Kultur wurden die Toten ebenfalls als Mumienbündel in dem extrem trockenen Wüstengebiet der Atacama und im Palpatal bestattet. Auch hier wurde die künstliche Deformierung der Schädel praktiziert. Zusätzlich finden sich sogenannte Trophäenschädel, also speziell mumifizierte Köpfe, die meist an Schnüren aufgehängt und mit herumgetragen wurden. Diese wurden meist als Kriegsbeute angesehen, doch neuere wissenschaftliche Forschungen haben gezeigt, dass es sich bei den Toten um Verwandte oder zumindest Bewohner desselben Dorfes gehandelt haben muss. Unklar ist lediglich, ob dabei an Menschenopfer oder lediglich an einen besonderen Totenkult zu denken ist. Eine unterschiedliche Mumifizierungsweise weisen die Mumien der Chavin- und der

9  Weibliche Mumie mit zwei Kindern, Quiani Region, nördliches Chile.

10  Chachapoya-Mumie aus Leymebamba.

11  Männliche Kindermumie, Llullaillaco, Nördliches Chile.

Moche-Kultur an der Nordküste Perus auf. Hier wurden die Verstorbenen in ausgestreckter Lage bestattet und es fand offensichtlich auch keine künstliche Mumifizierung statt. In der Moche-Kultur finden sich Beispiele für Körperbemalungen an Mumien, etwa ein mit Tiersymbolen tätowierter Arm, und auch das mit zahlreichen Waffen ausgestattete Grab einer Anführerin oder Kriegerin, Lady Cao, die etwa 400 v. Chr. bestattet wurde. Mit dem Beginn des als Mittlerer Horizont bezeichneten Zeitalters um 600 n. Chr. bildeten sich im Hochland die Tiahuanaco- und die Huari-Kultur heraus, die zu Großreichen heranwuchsen. Auch hier wurden Hockerbestattungen durchgeführt, wobei die Mumienbündel teilweise mit falschen Köpfen (Scheinköpfen) verziert wurden. Etwa von 800 bis 1400 n. Chr. existierte die

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12  Peruanische Kindermumie, 1334 +/– 42 n. Chr.

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Kultur der Chachapoya, die ihren Namen, der so viel wie „Wolkenmenschen“ oder „Nebelkrieger“ bedeutet, von den Inka erhielten. In den 1990er Jahren wurde im Norden Perus in der Nähe des Kondorsees in den Anden eine große Begräbnisstätte der Chachapoya entdeckt. Die Toten wurden durch Organentnahme und Dränage der Körperflüssigkeiten mumifiziert und mit Grabbeigaben in Felshöhlen und Felsnischen bestattet. Zahlreiche weitere Mumien existieren aus der Zeit der Inka, die von 1438 bis 1533 n. Chr. ein riesiges Reich errichteten, das sich von Grenze Kolumbiens bis nach Chile spannte. Die Königsmumien in der Hauptstadt des Inkareiches, Cusco, wurden dabei besonders verehrt und beim Ritual des Sonnenfests präsentiert. Diese Mumien sind aber leider nicht erhalten geblieben, da sie von den spanischen Eroberern zerstört wurden. Aus der Inkazeit gibt es zahlreiche Hinweise auf die Durchführung von rituellen Menschenopfern. Hierbei wurden vor allem Kinder in den hohen Gebirgslagen der Anden bestattet. Beispiele hierfür sind die Kindermumien, die am Berg Llullaillaco in 6700 Meter Höhe an der Grenze zwischen Argentinien und Chile entdeckt wurden, die Mumie Juanita an der Spitze des Vulkans Ampato, eine Mumie am Picchu Picchu in 5670 Meter Höhe und die Mumie eines jungen Mannes am El Toro. Mit der Eroberung Südamerikas durch die Spanier und dem Beginn der Kolonialzeit endete auch die Tradition der Mumifizierung. Daher sind in der Zeit von 1534 bis 1821 kaum noch Mumienfunde zu verzeichnen.

Juanita, die Inka-Mumie aus den Anden Am 6. September 1995 brachen der Archäologe und Experte für südamerikanische Mumien Johan Reinhard und sein peruanischer Kollege Miguel Zárate zu einer Expedition auf den 6288 Meter hohen Schichtvulkan Ampato im südlichen Peru etwa 100 Kilometer nordwestlich von Arequipa auf. In dieser Zeit war der benachbarte Vulkan Sabancaya aktiv, was dazu führte, dass der Gletscher am Gipfel des Ampato zu schmelzen begann und daraufhin archäologische Funde freigelegt wurden. Zwei Tage später stießen die beiden Bergsteiger nur wenige Meter unterhalb des Gipfels zunächst auf einen Haarfederschmuck aus der Inkazeit. Kurz darauf entdeckten sie ein Mumienbündel, das offensichtlich im Zuge der Gletscherschmelze von seinem ursprünglichen Bestattungsort am Gipfel des Vulkans heruntergefallen war. Bei genauerer Betrachtung stellte sich nun heraus, dass es sich um den gefrorenen Körper eines jungen Mädchens handelte. Damit war sie zu diesem Zeitpunkt die erste gefrorene weibliche Mumie Südamerikas. Rasch entschied sich Johan Reinhard die etwa 40 Kilogramm schwere Mumie so schnell wie möglich nach Arequipa zu bringen, da die Gefahr bestand, dass die Mumie durch die Vulkanasche erheblich beschä-

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13  Fundstelle des Mumienbündels von Juanita am Ampato Vulkan.

digt würde, und eine Wiederbestattung unter den extremen Bedingungen nicht möglich war. Unter enormen Anstrengungen erreichten die beiden Forscher zwei Tage später die katholische Universität Santa Maria in Arequipa, wo unter der Leitung von Professor José Antonio Chávez umgehend ein Labor zur Untersuchung der Mumie eingerichtet und Maßnahmen zur



14  Auffindung der Mumie Juanita.

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15  Weibliche Goldstatuette als Grabbeigabe.



16  Mumienbündel der Juanita vor dem Auswickeln.

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Konservierung getroffen wurden. Reinhard und seine Kollegen kehrten bald darauf zu der Fundstelle zurück, um eine genaue archäologische Bearbeitung durchzuführen. Dabei wurden weitere Mumien und Grabbeigaben entdeckt und dokumentiert. Die zu einem Bündel geschnürte Mumie des jungen Mädchens erhielt den Spitznamen Juanita, abgeleitet von dem spanischen Wort für Johan, sie wird aber auch „Ice Maiden“, Jungfrau aus dem Eis, genannt. Die Untersuchung der Mumie ergab, dass die äußere Umwicklung vermutlich durch den Sturz stark beschädigt wurde. Auch weist eine Gesichtshälfte des Mädchens eine dunklere Verfärbung auf. In dem Mumienbündel fanden sich unter anderem Haarbüschel, möglicherweise von ihrem eigenen ersten Haarschnitt, eine an einer Schnur aufgezogene Muschelschale und ein kleiner Stoffbeutel. Zusätzlich zu ihren persönlichen Sachen fanden sich auch noch ein

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17  Mumie Juanita in gehockter Stellung.

18  Detailaufnahme der Hände von Juanita.

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Beutel mit Kokablättern, mehrere Gewandnadeln, kleine Figürchen sowie ein Gefäß mit Maisbier und gerösteter Mais. Im Mai 1996 wurde Juanita zur weiteren Untersuchung in die Vereinigten Staaten von Amerika geflogen. In der Abteilung für Radiologie des Johns Hopkins Hospitals in Baltimore wurde sie einer computertomographischen Untersuchung unterzogen. Dabei konnte das Untersuchungsteam einen Knochenbruch oberhalb des rechten Auges feststellen. Daraus wurde geschlossen, dass sie einen starken Schlag auf ihre rechte Schläfe erhalten haben musste, der möglicherweise zum Tod geführt haben könnte. Da keine Anzeichen eines Heilungsprozesses vorhanden sind, muss der Schlag zumindest kurz vor dem Tod erfolgt sein. Es ist allerdings auch nicht auszuschließen, dass der Knochenbruch am rechten Auge postmortal, also nach dem Tode erfolgt ist, beispielsweise als Folge des Sturzes des Mumienbündels vor seiner Auffindung. In jedem Fall ist aber davon auszugehen, dass

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das Mädchen während der Opferungszeremonie aufgrund der Erschöpfung und möglicherweise berauscht durch alkoholhaltige Getränke einen schnellen Tod gefunden hat. Eine Untersuchung des Mageninhalts mit einer feinen Biopsienadel ergab zudem, dass Juanita etwa sechs bis acht Stunden vor ihrem Tode ihre letzte, pflanzliche Nahrung zu sich genommen haben muss. Ansonsten zeigten sich an der Mumie keinerlei Anzeichen für eine Unterernährung oder andere Krankheiten. Der Knochenbau und das Knochenwachstum waren völlig normal. Die anthropologische Auswertung ergab, dass das Mädchen zum Zeitpunkt ihres Todes etwa 14 Jahre alt und 1,40 Meter groß war. Eine Radiokarbondatierung ihrer Haare, durchgeführt an der University of California in Riverside, ergab, dass Juanita vor 540 Jahren, um 1470 n. Chr. gelebt haben muss, also kurz bevor Christoph Columbus in Amerika landete. Weitere Untersuchungen lieferten Ergebnisse zu Pollen von 17 verschiedenen Pflanzen, die in Juanitas Kleidern gefunden wurden. Untersuchungen ihres Erbguts halfen bei der Rekonstruktion der Bevölkerungsgeschichte Südamerikas. Bei der Frage nach der künftigen Konservierung der Mumie einigten sich die Spezialisten darauf, dass der Körper bei möglichst hundertprozentiger Luftfeuchtigkeit und bei Temperaturen um –20° C aufbewahrt werden sollte. Zu diesem Zwecke wurde eine speziell angepasste Transport- und Aufbewahrungseinheit angefertigt, die eine stetige Kontrolle und Regulation der Temperatur und Luftfeuchtigkeit ermöglichte. Zusätzlich erlaubte die Konstruktion, dass die Mumie besichtigt werden konnte. Dies hatte zur Folge, dass Juanita zunächst in den USA und später in Japan zu einem begehrten Ausstellungsstück wurde. Mehr als 80 000 Menschen bewunderten sie in weniger als einem Monat alleine in der Explorers Hall der National Geographic Society. In Japan tourte die Ausstellung 15 Monate lang durch zahlreiche verschiedene Städte. Die Ausstellungen der Jungfrau aus dem Eis wurden auch von kritischen Stimmen begleitet, da insbesondere die häufigen Transporte ein erhöhtes Risiko für die Konservierung der Mumie darstellten. Nach den Auslandsaufenthalten kehrte Juanita nach Peru zurück und ist heute noch im Museo Santuarios de la Universidad Católica de Santa María in Arequipa in einer Kühlvitrine ausgestellt und kann dort besichtigt werden. Juanita stellt mit Sicherheit ein besonders gut erhaltenes Beispiel einer inkazeitlichen Mumie dar, die auch aufgrund ihrer Fundgeschichte und ihrer detaillierten Untersuchung einen besonderen Bekanntheitsgrad erreicht hat. Andererseits ist sie aber nur ein Exemplar einer unglaublichen Vielzahl und Vielfalt an Mumienfunden, die Südamerika zu bieten hat. Es bleibt zu wünschen, dass nach Juanita und einigen anderen noch viele weitere südamerikanische Mumien einer ähnlich detaillieren Untersuchung unterzogen



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werden können, um die noch offenen Fragen hinsichtlich der Mumifizierungspraktiken, der natürlichen Mumifizierungsvorgänge und der jeweiligen kulturellen Hintergründe der verschiedenen Kulturen beantworten zu können.

Chinchorro-Mumien, die ältesten künstlich konservierten Mumien

19  Mumienbündel der Chinchorro.

Der Name Chinchorro geht auf eine Begräbnisstätte zurück, die an der Küste in Arica im nördlichen Chile liegt. Sie wurde von Max Uhle im frühen 20. Jahrhundert entdeckt und enthielt eine geschätzte Zahl von 282 künstlich herge-

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20  Ausgewickelte Chinchorro-Mumie.



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stellten Mumien. Die Fundstelle, die namensgebend für die Chinchorro-Kultur war, wurde auf ca. 5050 bis 500 v. Chr. datiert und somit stellen die dortigen Bestattungen die ältesten Belege für eine artifizielle Mumifizierung dar. Die Chinchorro waren Jäger, Sammler und Fischer, die entlang der Pazifikküste der Atacamawüste im Norden Chiles bis ins südliche Peru lebten. Die ältesten Belege für die Chinchorro-Kultur stammen aus Acha und datieren auf etwa 7000 v.  Chr. Hier fanden sich auch die ältesten auf natürliche Weise mumifizierten Leichname, zum Beispiel der sogenannte Acha-Mann, der auf 7020 v. Chr. datiert wurde. Große Mengen an Muschelschalenabfällen und Isotopenuntersuchungen von menschlichen Knochen legen nahe, dass der Anteil an mariner Nahrung, also an Fisch und Meeresfrüchten, bei den Chinchorro bei etwa 90 % lag. Zwischen den frühesten Belegen für die natürliche Mumifikation, die bis ins Jahr 7020 v. Chr. zurückreichen, und dem Beginn der künstlichen Mumifizierung um 5050 v. Chr. liegen fast 2000 Jahre. Aus diesen Zeitraum gibt es keine Mumienfunde und es ist bislang ungeklärt, wie genau sich die spezielle Form der Mumifizierung bei den Chinchorro entwickelte. Eine Theorie besagt, dass zunächst eine erhöhte Arsenbelastung im Trinkwasser zu einer hohen Kindersterblichkeit geführt hat. Es ist bekannt, dass in der Atacamawüste hohe natürliche Arsengehalte vorkommen. Das Arsen kann über die Flüsse ins Wasser gelangt sein und zu einer gesundheitlichen Gefährdung insbesondere der weniger widerstandsfähigen Kinder geführt haben. Aus Trauer über den zahlreichen Verlust der Kinder könnte sich die Gemeinschaft entschlossen haben, deren Körper zu konservieren. Nachdem die künstliche Mumifizierung zunächst an den Kindern erfolgreich angewandt worden war, entschloss man sich diese Praxis auf alle anderen Altersgruppen auszudehnen. Es ist aber bis heute nicht eindeutig geklärt, ob sich die Form der Mumifizierung in der Tat aufgrund einer erhöhten Kindersterblichkeit entwickelte oder vielmehr schrittweise in den 2000 Jahren, für die keine weiteren Belege vorliegen. Jedenfalls erreichte die Mumifizierungspraxis bei den Chinchorro eine unglaublich hohe Komplexität, die durchaus an die ausgefeilten Methoden der altägyptischen Einbalsamierer heranreicht. Zumal wenn man bedenkt, dass die frühesten Belege einer künstlichen Mumifizierung bei den Chinchorro etwa 2000 Jahre älter sind als die ersten Hinweise im alten Ägypten. Die Mumifizierungstechniken zeigen einen gewissen Wandel im Laufe der Zeit. Bei der aufwändigsten Methode wurden zunächst die Haut und das Muskelfleisch vom Körper sowie das Gehirn entfernt, das Skelett weitestgehend zerlegt und die Knochen getrocknet. Im Anschluss wurden sie wieder zusammengesetzt, die Gelenke verstärkt und die wesentlichen Körperteile mit Stöcken stabilisiert. Die Muskeln und das Weichgewebe wurden durch Lehm und Pflanzenteile ersetzt und mit der ursprünglichen Haut bzw.

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Kindermumie der Chinchorro.

einer Tierhaut bedeckt und verschnürt. Danach wurde das Gesicht noch durch eine Maske aus Ton bedeckt und mit einer Haarperücke geschmückt. Am Ende wurde die Körperoberfläche mit einer schwarzen Manganfarbe komplett bemalt. Bei einer anderen Variante wurde der Körper nicht vollständig zerlegt, sondern es wurden durch mehrere Einschnitte die Organe entnommen und der Körper ausgetrocknet. Dabei wurde auch der Kopf abgenommen, um das Gehirn zu entnehmen. Der Körper wurde dann mit verschiedenen Materialien ausgestopft, um ihm eine annähernd normale Form zu geben, mit Stöcken verstärkt und die Einschnitte wurden mit Gras vernäht. Am Ende wurde bis auf den wieder angefügten Kopf der Körper mit einer roten Eisenoxidfarbe bemalt. Daher spricht man in diesem Fall auch



22  Freigelegte Mumien der Chinchorro Kultur.

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von der roten Mumientechnik im Gegensatz zu der davor beschriebenen schwarzen Mumientechnik. Bei der zeitgeschichtlich jüngsten Methode der Mumifizierung in der Chinchorro-Kultur wurden weder Organe entnommen noch Einschnitte in den Körper vorgenommen, sondern der Körper wurde lediglich mit einer dicken Schicht aus Lehmschlamm und Sand bedeckt, die mit Eiern oder Fischleim gebunden wurde. Die so präparierten Körper wurden dann in die Gräber eingebracht. Es ist weitestgehend ungeklärt, welche Einflüsse zu den Veränderungen in den Mumifizierungstechniken geführt haben, es kann aber davon ausgegangen werden, dass durch den Kontakt mit benachbarten Völkern und durch die Einführung der Landwirtschaft in der Küstenregion sich auch ein Wandel in der Bestattungspraxis vollzog,

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der letztendlich zu einem Verschwinden dieser sehr ausgefeilten und aufwändigen Mumifizierungsart geführt hat. Die Untersuchungen an den Chinchorro-Mumien erlaubten Wissenschaftlern wie dem renommierten und weltberühmten Mumienforscher Arthur Aufderheide Einblicke in den Gesundheitszustand und die Lebensweise dieser Menschen zu erhalten. Dabei fanden sich an den Mumien keinerlei Hinweise auf Schädeltrepanationen, dafür in einigen Fällen künstliche Schädeldeformationen. Der allgemeine Gesundheitszustand der Bevölkerung scheint insgesamt relativ gut gewesen zu sein. Einige der bestatteten Individuen erreichten sogar ein Alter von über 60 Jahren. Es fanden sich darüber hinaus allerdings Belege für einen gewissen Grad an interpersonellen Gewalttätigkeiten. Bei etwa 25 % der Mumien fanden sich verheilte Schädelfrakturen. Ein erwachsener Mann wurde durch zwei Stichwunden in die Brust getötet, die vermutlich durch Harpunen verursacht wurden. Zudem wies der Körper dieses Mannes unverheilte Schädelfrakturen und Wunden im Gesicht auf.

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Mumien aus Europa Im Gegensatz zu Ägypten und, wie im vorherigen Kapitel beschrieben, Südamerika gibt es in der Geschichte Europas keine lange zurückreichende Tradition, die Körper der Verstorbenen für die Ewigkeit zu konservieren. Erst in der jüngeren Geschichte entwickelte sich in Südeuropa und insbesondere in Süditalien der Brauch, Angehörige des geistlichen Standes und teilweise auch bedeutende und sozial hochstehende Bürger in den Katakomben oder Kellern von Kirchenhäusern zu bestatten. Dabei kam es, begünstigt durch ein spezielles Mikroklima mit Trockenheit, stetiger Ventilation und wenig schwankenden Temperaturen, zunächst zu spontanen Mumifikationen der Bestatteten. Aus diesem natürlichen Prozess entwickelte sich dann eine neue Bestattungskultur, in der die Möglichkeit der Mumifizierung bewusst genutzt wurde, mit dem Ziel, die Körper der Toten zu erhalten und auch den Angehörigen zugänglich zu machen. Dabei wurde allerdings lediglich der natürliche Mumifizierungsprozess verstärkt, indem die Verstorbenen in bestimmte Bereiche der Katakomben oder Grüfte gebracht wurden, in denen die klimatischen Bedingungen aus Erfahrung sehr günstig für eine Erhaltung des Körpers waren. In diesen Trocknungskammern, den sogenannten „Colatoi“, wurden die Leichen auf Terrakottaröhren über steinerne Wannen gelegt, um das Abfließen von Körperflüssigkeiten im Zuge des Mumifizierungsvorganges zu ermöglichen. In anderen Grüften wurden die Toten in Mauernischen gesetzt, die zum selben Zweck in der Sitzfläche eine Abflussöffnung besaßen. Der Mumifizierungsprozess wurde teilweise weiter unterstützt durch eine äußere Behandlung des Körpers, etwa durch Waschen mit Essig und das Einbringen von Pflanzen und Kräutern in vorhandene Körperöffnungen. Aus der zunächst natürlichen und dann natürlich-intentionellen Form der Mumifizierung entwickelte sich dann im 19. Jahrhundert die Einbalsamierung von Verstorbenen mit Schwermetalllösungen und später unter der Verwendung von Formalin. Diese Techniken kamen auch zum Einsatz bei der Mumifizierung von berühmten Persönlichkeiten, wie zum Beispiel Lenin, Mao Zedong oder Evita Perón. Im Gegensatz zu den neuzeitlichen und modernen Mumien gibt es aus den älteren europäischen Kulturen überwiegend Beispiele von natürlicher Mumifizierung. Der sicherlich bekannteste Vertreter der natürlichen Mumien aus dem europäischen Raum ist der Mann aus dem Eis, die Gletschermumie aus den südlichen Alpen, die vor allem unter ihrem Spitznamen „Ötzi“ weltweit für Aufregung sorgte. Alle Details hierzu und die neuesten Erkenntnisse der Forschung werden im folgenden Kapitel vorgestellt. Weitere bekannte europäische Mumien sind die aus unterschiedlichen Epochen stammenden Moorleichen, die im Nor-

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23  Gruftmumie, Frau Schenck von Geyern aus der Gruft der von Crailsheim in Schloss Sommersdorf.

24  Moorleiche Tollund Mann.



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25  Moorleiche Windeby I.

den Europas auf natürliche Weise im Moor konserviert wurden. Im Nordwesten Europas und hier vor allem in Dänemark, Norddeutschland, den Niederlanden, Großbritannien und Irland finden sich die Vertreter dieser natürlichen Mumifizierungsweise. Bekannte Beispiele sind der TollundMann und der Grauballe-Mann in Dänemark, die beide gewaltsam zu Tode gekommen sind und anschließend im Moor bestattet wurden. Die sauren Eigenschaften des Moors haben dabei zu einem extrem guten Erhaltungszustand des Weichgewebemantels geführt, wohingegen von den Knochen nur noch gummiartige Reste überdauert haben. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr dem in Niedersachsen gefundenen Mann von Neu Versen, der aufgrund seiner auffälligen Haarpracht den Spitznamen Roter Franz erhalten hat. Der Mann starb durch einen Schnitt in den Hals. Aus England stammt der berühmte Fund des Lindow-Mannes, der detaillierten wissenschaftli-



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chen Untersuchungen unterzogen wurde. Die hervorragend erhaltenen Körper in Kombination mit zahlreichen Hinweisen auf Gewalteinwirkungen beflügelten die Fantasie von Wissenschaftlern und der Öffentlichkeit in fast gleichem Maße. Dies führte zu einigen Fehleinschätzungen bis hin zu Beschreibungen von Moorleichenfunden ohne gesicherte Quellenangaben. Durch eine kritische Überprüfung reduzierte sich die Zahl der gesicherten Moorleichenfunde inzwischen auf eine Zahl von etwa 1000. Ein Beispiel für eine Fehl- oder auch Überinterpretation ist die in der Ortschaft Windeby in Schleswig-Holstein gefundene Moorleiche, die als Mädchen von Windeby zweifelhafte Berühmtheit erlangen sollte. Die Mumie wurde zunächst als 14-jähriges Mädchen bestimmt und aufgrund der Fundumstände, ihrer Handhaltung und der späteren Auffindung einer männlichen Moorleiche in unmittelbarer Nähe, bald als Ehebrecherin abgestempelt, die vor ihrem Tod gequält und schließlich gemeinsam mit ihrem Geliebten hingerichtet worden sei. Erst rund 50 Jahre nach der Entdeckung der Moorleiche wurde durch wissenschaftliche Nachuntersuchungen die Theorie der Ehebrecherin zum Einsturz gebracht. Zunächst konnte anhand von C14-Datierungen gezeigt werden, dass die beiden Mumien zu völlig unterschiedlichen Zeiten bestattet wurden und somit in keinem Sittenverhältnis zueinander gestanden haben konnten. Zum anderen ergab die Studie, dass es sich bei dem Mädchen von Windeby in Wahrheit um einen 15- bis 17-jährigen Jungen gehandelt hat, der im 1. Jahrhundert n. Chr. gestorben ist. Zudem scheint es sich um eine einfache, aber reguläre Bestattung gehandelt zu haben. Darauf deuten die mitgegebenen Tongefäße und die Decke aus Gräsern hin.

Ötzi, der Mann aus dem Eis Seit seiner Auffindung am 19. September 1991 durch das Bergsteigerehepaar Erika und Helmut Simon beschäftigt die weltweit bekannte Gletschermumie „Ötzi“ die Öffentlichkeit und die Medien, aber vor allem auch eine Vielzahl von Wissenschaftlern, die mit immer ausgefeilteren Methoden versuchen, dem Mann aus dem Eis seine letzten Geheimnisse zu entlocken. Die Verwendung modernster Untersuchungstechniken repräsentiert einen allgemeinen Trend in der Mumienforschung. Dabei stellt sich die Frage, ob dadurch lediglich historische Aspekte des Lebens und Sterbens von Menschen früherer Epochen erhellt werden können oder ob diese Untersuchungen auch eine Relevanz für die moderne, insbesondere klinische Forschung haben. Im Folgenden soll exemplarisch erläutert werden, wie durch die Verwendung moderner Forschungsansätze und Technologien immer mehr Details zur Lebensweise des Mannes aus dem Eis bis hin zu seinem gewaltsamen Tod geklärt werden konnten und welche Bedeutung bzw. welches

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26  Übersichtsaufnahme des Mannes aus dem Eis.

Potential diese Ergebnisse für die aktuelle biowissenschaftliche und medizinische Forschung haben. Das Ziel der Ötzi-Forschung ist es nicht nur, alle vorhandenen Objekte, Probenmaterialien und bisherigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu sammeln und kritisch zu überprüfen, sondern vielmehr auch neue Forschungsansätze zu entwickeln, um den letzten noch verbliebenen Geheimnissen der weltberühmten Mumie auf die Spur zu kommen. Denn trotz intensiver Forschung seit seiner Auffindung am Hauslabjoch in den Ötztaler Alpen gibt es immer noch offene Fragen rund um das Leben des Mannes aus dem Eis und vor allem um seinen gewaltsamen Tod. Nichtsdestotrotz hat die mittlerweile über 20-jährige Forschung einige gesicherte Erkenntnisse über seine Person und seine Lebensgeschichte erbracht, die hier kurz vorgestellt und zusammengefasst werden sollen. Mit Hilfe der Radiokarbonmethode wurde die Mumie auf die Jahre 3350 bis 3100 v. Chr. datiert. Dies entspricht im Alpenraum der Epoche der ausgehenden Jungsteinzeit (Neolithikum) bzw. der Kupferzeit, wie der Fund einer Axt mit Kupferklinge bei der Gletschermumie belegt. Isotopenuntersuchungen verschiedener Elemente, wie beispielsweise Strontium, Blei und Sauerstoff, haben gezeigt, dass Ötzi tatsächlich südlich des Alpenhauptkammes gelebt hat. Die Analysen ergaben, dass er seine frühe Kindheit im oberen Eisacktal oder im unteren Pustertal verbrachte und vor seinem Tod mindestens zehn Jahre im Vinschgau lebte. Die Altersbestimmung anhand von anthropologischen und histologischen Kriterien ergab, dass er in einem Alter zwischen 40 und 50 Jahren gestorben sein muss. Der Mann aus dem Eis war zu Lebzeiten etwa 160 Zentimeter groß und wog um die 60 Kilogramm. Er litt an einer geringgradigen Arthrose der Lendenwirbelsäule und der Knie- und Fußgelenke. In Proben aus seinem Darm wurden Parasiteneier des Peitschenwurms nachgewiesen. An seinen Körper befinden sich zahlreiche Tätowierungen in Form von einfachen Strichen, die in der Regel parallel angeordnet sind, lediglich am rechten Knie ist eine kreuzförmige Tätowierung zu sehen. Die Tätowierungen finden sich fast ausschließlich an Stellen, an denen der Mann aus dem Eis mit Sicherheit immer wieder von Schmerzen geplagt wurde, wie gerade am unteren Rücken, am Knie und an den Fußgelenken. Daher liegt die Vermutung nahe, dass die strichförmigen Einritzungen in die Haut zu Therapiezwecken angebracht worden sind, entweder als eine Form der Akupunktur oder im Sinne von Hautritzungen, wie sie noch heute von einigen Völkern, wie etwa den Dagomba in Ghana, zur Therapie verschiedener Erkrankungen benutzt werden. Dass Ötzi eines nicht natürlichen Todes starb, wurde bereits vermutet, nachdem im Juli 2001 eine Pfeilspitze in seinem Körper entdeckt worden war. Sicher ist man sich aber erst aufgrund einer erneuten computertomographischen Untersuchung im Jahre 2005, bei der deutlich gezeigt werden



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27  Fundstelle des Mannes aus dem Eis (roter Kreis) vor dem Similaun.

konnte, dass der Pfeil beim Eindringen in den Körper ein großes Blutgefäß verletzte und dadurch innerhalb weniger Minuten zum Tod des Mannes aus dem Eis geführt haben muss. Somit stand fest: Ötzi wurde mit einem Pfeil erschossen, und zwar unmittelbar an der Stelle, an der er über 5300 Jahre später aufgefunden wurde. Doch wer war sein Mörder und warum wurde er im Hochgebirge von hinten erschossen? War er in einen Konflikt involviert, wurde er verfolgt oder war er am Ende gar das Opfer eines Raubüberfalls? Dieser wohl älteste Kriminalfall der Geschichte war und ist immer noch Stoff für viele neue Geschichten und Theorien, die sich zu den bereits vorhandenen und zum Teil sehr obskuren Versuchen, das Ableben des Mannes aus dem Eis zu erklären, hinzugesellen. Leider fehlt vielen davon die wissenschaftliche Basis oder sie gründen zum Teil sogar auf fraglichen Untersuchungsergebnissen. Wir haben es uns daher zur Aufgabe gemacht, derartige wissenschaftlich fragwürdige Arbeiten einer kritischen Überprüfung zu unterziehen und neue Untersuchungen mit modernster Methodik durchzuführen, um fundierte Erkenntnisse über den Mann aus dem Eis zu erhalten. Dabei geht es nicht nur um die Hintergründe seines gewaltsamen Todes, sondern vielmehr auch darum, noch mehr vom dem Menschen zu erfahren, der hier in dieser Region südlich des Alpenhauptkammes aufgewachsen ist und gelebt hat. Letztendlich ergibt sich daraus die Frage, in welchen Verhältnis der Mann aus dem Eis zu der heutigen in Südtirol lebenden Bevölkerung steht. Ist er ein direkter Vorfahr und welche Informationen trägt er in sich, die uns Aufschluss über das Vorkommen und die Entwick-

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28  Untersuchung und Probenentnahme am Ötzi.

lung von genetisch basierten Erkrankungen geben kann? Mit modernsten Untersuchungsmethoden aus den verschiedensten Bereichen der Medizin, der Paläogenetik bis hin zur Nanotechnologie wird diesen Fragestellungen nachgegangen. Insbesondere wird dabei darauf geachtet, vor allem zerstörungsfreie Untersuchungsmethoden zu verwenden, bei denen der Mumie kein Probenmaterial entnommen werden muss. In einigen Fällen lässt sich dies dennoch nicht ganz vermeiden, da zum Beispiel mikrobiologische oder genetische Untersuchungen nur direkt anhand von Gewebeproben des Mannes aus dem Eis durchgeführt werden können. Glücklicherweise reichen heutzutage geringfügigste Mengen für biomedizinische Analysen aus, so dass keine großen Eingriffe in die Mumie vorgenommen werden müssen.



29a, 29b, 29c  Tätowierungen am Körper des Ötzi: a)  Detailaufnahme des Rücken mit parallel verlaufenden strichförmigen Tätowierungen, b)  Tätowierung am Rücken unter normalem Licht, c)  Tätowierung am Rücken unter UV-Licht.

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Der gewaltsame Tod des Mannes aus dem Eis Die Frage nach den Hintergründen des gewaltsamen Todes des Mannes aus dem Eis übt eine besondere Faszination aus, die entsprechende Diskussion wird sowohl in der Fachwelt als auch der breiten Öffentlichkeit mit großem Interesse geführt und verfolgt, wobei Fakten und Mutmaßungen nicht selten ein kaum zu entwirrendes Geflecht bilden. Daher ist es nötig, geradezu kriminalistisch an diese Fragestellung heranzugehen, um wissenschaftlich haltbare Erkenntnisse zu sammeln und diese für eine mögliche Rekonstruktion des Tathergangs zu verwenden. Einen wichtigen Zugang zur Rekonstruktion der letzten Stunden bzw. Tage im Leben des Mannes aus dem Eis bieten die Verletzungen an seinem Körper. Bereits vor einigen Jahren wurden bei einer gründlichen Inspektion der Mumie mehrere Wunden an der Hand und am Rücken der Gletschermumie entdeckt. Dabei handelt es sich um eine tiefe Schnittwunde an der rechten Hand, kleinere blaue Flecken am Rücken und die Eintrittswunde des Pfeils, die sich im Bereich der linken Schulter befindet. Diese Verletzungen wurden zunächst einer detaillierten histologischen Untersuchung unterzogen, bei der mikrometerdünne Gewebeschnitte hergestellt, gefärbt und am Mikroskop beurteilt werden. Um den Erhaltungszustand des Gewebes besser beurteilen zu können und mögliche Hinweise auf Blutreste zu erhalten, wurden weiterführende Untersuchungen mit nanotechnologischen Methoden durchgeführt. Interessanterweise ergaben die histologischen Färbungen, dass die Schnittwunde an der Hand bereits mindestens zwei bis drei Tage alt war und ihm somit nicht unmittelbar vor dem Tod zugefügt worden sein konnte. Die Pfeilwunde wies hingegen keinerlei Heilungsspuren auf und bestätigte somit das bereits angenommene unmittelbare Ableben des Mannes aus dem Eis durch die Pfeilschussverletzung. Dennoch ist ein gewisser Zusammenhang der beiden Verletzungen nicht ganz auszuschließen, da die Handverletzung beispielsweise auf einen länger andauernden Konflikt hinweisen könnte, bei der Ötzi zunächst an der Hand verletzt und mehrere Tage später dann von seinem Rivalen tödlich getroffen wurde. Im Zuge der weiteren Untersuchungen mittels der nanotechnologischen Verfahren konnte ein besonders wichtiger Befund erhoben werden. Durch die Verwendung eines sogenannten Rasterkraftmikroskops, das die Untersuchung der Gewebeproben im Nanometerbereich ermöglichte, konnte zunächst ein ausgezeichneter Erhaltungszustand der Gewebestruktur des Mannes aus dem Eis gezeigt werden. Darüber hinaus konnte nun zum ersten Mal seit der Auffindung der Mumie Blut in Form von roten Blutkörperchen nachgewiesen werden. Die roten Blutkörperchen erwiesen sich dabei in Größe und Form als absolut identisch mit heutigen, frischen Erythro-



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30  Einschussstelle des Pfeils.

zyten. Lediglich von ihrer Elastizität haben sie in den über 5000 Jahren im Eis etwas eingebüßt und sind im Vergleich zu modernen Proben etwas weicher geworden. Mit dem bei der nanotechnologischen Untersuchung eingesetzten Raman-Spektroskop konnten zudem an der Rückenwunde Hinweise auf Fibrin gefunden werden. Dieses Protein bildet sich bei der frühen Wundheilung und hilft die Wunde zu schließen. Im Zuge der weiteren Heilung wird das Fibrin wiederum durch andere Stoffe ersetzt. Durch den Nachweis von Fibrin im Bereich der Rückenwunde konnte bestätigt werden, dass der Mann aus dem Eis die Pfeilschussverletzung nicht lange überlebt hat, sondern unmittelbar an deren Folgen gestorben sein muss.

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Blutspuren an der Kleidung und der Ausrüstung Bereits 1998 veröffentlichte der mittlerweile verstorbene australische Wissenschaftler Tom Loy eine populärwissenschaftliche Studie, in der er behauptete, deutliche Blutspuren an dem Dolch und der Axt des Mannes aus dem Eis gefunden zu haben. In den darauf folgenden Jahren kamen angebliche genetische Untersuchungen der Blutspuren dazu, die Loy darauf schließen ließen, das Ötzi vor seinem Tod in einen blutigen Kampf mit mehreren Gegnern verwickelt gewesen sei, der ihm schließlich das Leben kostete. Diese Geschichte wurde in einem vom Discovery Channel produzierten Dokumentarfilm spektakulär in Szene gesetzt. Die Bestätigung der Untersuchungsergebnisse in Form einer wissenschaftlichen Publikation blieb allerdings aus, was bei Fachkollegen zu berechtigten Zweifeln führte. Dieser Umstand wurde zum Anlass genommen, eine erneute Untersuchung der Kleidung und der Ausrüstung des Mannes aus dem Eis auf Blutspuren durchzuführen. Neben der Frage nach der Glaubwürdigkeit der vorherigen Analysen sollte auch der Frage nachgegangen werden, inwieweit und wie viel Blut aus der Wunde der Pfeilschussverletzung ausgetreten ist. Dies ist von großer Bedeutung für die Rekonstruktion der genauen Todesumstände, da der Eismann durch die Verletzung der Arterie einen erheblichen Blutverlust erlitten haben muss. In Rahmen dieses Projekts wurden in Zusammenarbeit mit Spezialisten der Rechtsmedizin von der LudwigMaximilians-Universität München mit einer speziellen Spurenlampe und chemischen Teststreifen die Kleidung und die Ausrüstungsgegenstände des Mannes aus dem Eis systematisch auf Blutungsreste untersucht. Mit Hilfe der forensischen Spurenlampe war es möglich, durch den Einsatz von Licht unterschiedlicher Wellenlänge (UV-Bereich bis sichtbares Licht) Verfärbungen auf den Materialien sichtbar zu machen, die auf eine Blutspur hinweisen. Diese Verfärbungen sind unter normalen Lichtbedingungen in der Regel nicht oder kaum zu erkennen. In einem weiteren Schritt wurden die verdächtigen Stellen mit Hilfe von hochsensitiven Teststreifen, die auf die Ringstruktur des roten Blutfarbstoffes Hämoglobin reagieren, untersucht. Im Falle einer deutlichen Reaktion des Teststreifens gilt das Vorhandensein von Blutungsresten als nachgewiesen. Bemerkenswerterweise zeigten sich bei den ersten Untersuchungen keine Hinweise auf Blutspuren an den Werkzeugen (Axt, Dolch). Somit konnten die früheren Behauptungen von Tom Loy nicht bestätigt werden. Hingegen fanden sich mehrere Blutspuren an der Grasmatte und vor allem an dem Fellmantel des Mannes aus dem Eis. Dabei könnte es sich um Blut handeln, das aus der Pfeilschusswunde ausgetreten ist. In weiteren Untersuchungen ist nun zu klären, ob es sich hier tatsächlich um menschliches Blut handelt und ob es vom Mann aus dem Eis stammt oder möglicherweise einer anderen Quelle zuzuordnen ist.



31  Nanotechnologische Aufnahme

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Neue radiologische Befunde

eines roten Blutkörperchens des Mannes aus dem Eis.

Durch wiederholte Analyse der radiologischen Aufnahmen der Gletschermumie konnten neue interessante Befunde erhoben werden. Dabei zeigte sich beispielsweise, dass der rechte Oberarm gebrochen ist, dies aber wohl auf die unsachgemäße Bergung zurückzuführen ist. Des Weiteren fanden sich im Bereich der Kniegelenke Zeichen einer chronischen Mehrbelastung. Daraus kann geschlossen werden, dass der Mann aus dem Eis wohl sehr häufig in den Bergen unterwegs war und es somit gewohnt war sich im alpinen Raum fortzubewegen. Der wohl spannendste Befund war aber, dass Ötzis Magen identifiziert werden konnte und dieser, entgegen früheren An-

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nahmen, mit Speiseresten gefüllt war. Frühere Versuche an der Universität Innsbruck, den Magen zu lokalisieren und endoskopisch Mageninhalt zu gewinnen, scheiterten vermutlich an der relativ hohen und queren Lage des Organs hinter dem Rippenbogen. Die Tatsache, dass der Mann aus dem Eis kurz vor seinem Tod Nahrung zu sich genommen hatte, wirft ein völlig neues Licht auf die Geschehnisse am Hauslabjoch vor mehreren tausend Jahren. Es erscheint nun als sehr unwahrscheinlich, dass er in großer Eile war und sich beispielsweise auf der Flucht vor Verfolgern befand. Vielmehr fühlte er sich vermutlich in Sicherheit, legte nach dem mühevollen Aufstieg eine Pause ein und nahm eine ausgiebige Mahlzeit zu sich. Kurz darauf wurde er nur wenige Meter von seinem Rastplatz entfernt aus dem Hinterhalt ermordet. Die Fundsituation und auch die Lagerung der Mumie sprechen sehr klar dafür, dass der Mann aus dem Eis direkt an der Fundstelle gestorben ist und in den über 5000 Jahren bis zu seiner Auffindung kaum oder gar nicht bewegt wurde. Anders lautende Theorien, die Anzeichen für eine Bestattung Ötzis am Fuße des Similauns sehen, konnten bislang einer kritischen wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten. Wie diese Ergebnisse zeigen, lassen sich durch die wissenschaftlichen Untersuchungen zunehmend der Tathergang und einige Umstände, die im Zusammenhang mit der Tötung des Mannes aus dem Eis stehen, rekonstruieren. Künftige Analysen und neue Verfahren werden sicher dazu beitragen, weitere Einzelheiten dieses Falles zu klären. Dennoch gibt es auch Fragen, die nur sehr schwer zu beantworten sein werden; manches wird möglicherweise für immer im Dunkel der Geschichte verborgen bleiben. Wer war bzw. waren der oder die Mörder des Eismannes und was war das Motiv der Tat? War es ein Racheakt, war die Rivalität verschiedener Gruppen oder gar ein kriegsähnlicher Territorialstreit die Ursache? Selbst wenn diese Fragen vielleicht niemals endgültig beantwortet werden können, tragen sie doch dazu bei, den Fall Ötzi spannend zu halten. Ein gewisses Maß an Spekulationen und gewagten Theorien ist auch durchaus als legitim zu betrachten, zumindest solange diese klar und deutlich von fundierten wissenschaftlichen Erkenntnissen abgegrenzt bleiben. In letzter Zeit wurden verstärkt Bemühungen unternommen, neue Forschungsansätze zum Mann aus dem Eis zu entwickeln. In groß angelegten Projekten werden dabei grundlegende Fragen zur Konservierung und zur genetischen Herkunft und Charakterisierung der Gletschermumie behandelt. Gerade durch die Verwendung modernster Untersuchungsmethoden gelingt es der Mumienforschung eine Brücke zu den modernen biologischen und medizinischen Forschungsbereichen zu schlagen. Eine wichtige Fragestellung, die seit vielen Jahren Ötzi- und andere Mumienforscher beschäftigt, ist, inwieweit noch Leben in Form von Mikroor-



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ganismen (Bakterien, Pilzen) in der Gletschermumie sein könnte. Obwohl strenge Maßnahmen dafür Sorge tragen, dass in der Kühlzelle sterile Verhältnisse herrschen und die Mumie seit vielen Jahren frei von äußerlichem mikrobiologischen Befall ist, ist dennoch nicht ganz auszuschließen, dass im Inneren der Mumie Keime vorhanden sind, die bei einer Veränderung der Konservierungsbedingungen zum Wachstum angeregt werden könnten. Insbesondere wäre es denkbar, dass während ihrer jahrtausendelangen Lagerung in Schnee und Eis sogenannte kälteliebende bzw. kältetolerante Bakterien ihren Weg in die Mumie gefunden haben. Obwohl es momentan keine offensichtliche Gefährdung der Mumie und keine erkennbaren Anzeichen für eine bakterielle Aktivität gibt, erscheint es sehr wichtig diese Möglichkeit wissenschaftlich zu untersuchen, um den langfristigen Erhalts dieses bedeutenden Mumienfundes gewährleisten zu können. Ziel des Projektes ist daher die Bestimmung der Anwesenheit und Vielfalt von Bakterien und dabei insbesondere kälteliebenden Mikroorganismen in der Mumie des Mannes aus dem Eis. Diese sollen durch Untersuchungen von Gewebeproben aus den äußeren und inneren Teilen des Mumienkörpers bestimmt werden. Die detaillierte Analyse der Mikroorganismen erfolgt dabei durch eine Kombination von verschiedenen methodischen Ansätzen, die sowohl genetische Untersuchungen als auch traditionelle mikrobiologische Verfahren beinhalten. Diese Verfahren ermöglichen einen direkten Nachweis der Mikroorganismen. Ein weiterer methodischer Ansatz ist der Nachweis von Stoffwechselaktivität der Mikroorganismen mit massenspektrometrischen Verfahren. Diese hochempfindliche Technik ermöglicht die quantitative Bestimmung von gasförmigen Molekülen bis in einem Bereich von 10–9 Gramm. Das bedeutet, dass selbst geringfügigste Spuren einer bakteriellen Stoffwechselaktivität noch erfasst werden können. Letztendlich soll die Studie den Kenntnisstand über kälteliebende Mikroorganismen, die an der Mumie möglicherweise Kolonien bilden und zu einer mittel- bis langfristigen Schädigung der Mumie führen könnten, entscheidend erweitern. Sie soll deren Einfluss beim Abbau der organischen Materie der Gletschermumie bestimmen und eine Strategie erarbeiten, die eine möglichst ideale Konservierung und damit einen Schutz der Mumie über lange Zeit ermöglicht.

Die Gene des Mannes aus dem Eis In den letzen Jahren wurde von einer Arbeitsgruppe der Universität Camerino in Italien erfolgreich die mitochondriale DNA des Mannes aus dem Eis analysiert. Dieses Erbgut, das aus bestimmten Zellorganellen, den sogenannten Mitochondrien stammt und nur von der Mutter an ihre Nachkommen vererbt wird, hat gezeigt, dass Ötzi einer bestimmten genetischen

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Gruppe angehört, die sich heute immer noch im europäischen Raum findet. Allerdings gehört er offensichtlich einer Untergruppe an, die bislang noch in keiner modernen Population nachgewiesen werden konnte. Dies führte zu der etwas überspitzten Interpretation, dass der Mann aus dem Eis zwar eindeutig aus dem europäischen Raum stamme, es aber keine lebenden Verwandten mehr von ihm gebe. Hierbei muss man allerdings bedenken, dass bei einer solchen Analyse nur die mütterlichen Verwandten berücksichtigt werden und zudem bislang nur ein sehr geringer Teil der aktuellen Bevölkerung genetisch untersucht wurde. Verwandte der väterlichen Linie werden durch diese Methode gar nicht erfasst. Für eine exaktere Bestimmung der genetischen Wurzeln des Mannes aus dem Eis wurde es daher notwendig, eine möglichst vollständige Analyse des gesamten Erbguts, also der KernDNA, durchzuführen. Das größte Problem dabei besteht darin, dass das Erbgut in den vergangenen 5300 Jahren erheblich abgebaut bzw. in viele kleine Fragmente zersetzt wurde. Diese sogenannte antike oder alte DNA muss mit besonderer Sorgfalt und in einem speziell dafür eingerichteten Labor bearbeitet werden. In einem aktuellen Projekt wurde dazu im Labor für alte DNA des Instituts für Mumien und den Iceman eine Knochenprobe des Mannes aus dem Eis einer DNA-Extraktion unterzogen. Das gewonnene Erbgut wurde im Anschluss in Zusammenarbeit mit der Universität Tübingen und der Biotechnologie-Firma Febit aus Heidelberg einer Gesamtgenomsequenzierung unterzogen. In diesem hochmodernen Verfahren wird die gesamte Erbinformation aus einer einzelnen Probe in mehreren Schritten vervielfältigt und ausgewertet. Für die kostbare Ötzi-Probe wurde dazu von der Firma life technologies aus den USA die neueste Plattform (SOLiD 4) zur Verfügung gestellt, die bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht auf dem Markt verfügbar war. Die erste Auswertung der Sequenzierungsergebnisse ergab einen erstaunlich guten Erhaltungszustands der Kern-DNA des Mannes aus dem Eis. Mit Hilfe von bioinformatischen Analysen konnte eine Abdeckung von etwa 85 % des Genoms (Erbguts) von Ötzi rekonstruiert werden. Dabei muss betont werden, dass ein chromosomales Genom aus ca. 3 Milliarden Basenpaaren besteht und wesentlich mehr Informationen enthält als das mitochondriale Genom mit lediglich 17 000 Basenpaaren. Dieses Ergebnis ist von immenser Bedeutung, da das Erbgut sämtliche Gene enthält, die den Mann aus dem Eis, seine Körperfunktionen und auch potentielle Krankheiten charakterisieren. Die Auswertung der Geninformation lieferte dabei detaillierte Information zu Ötzis Aussehen und Körperfunktionen, seine Herkunft und Abstammung sowie Hinweise auf Erkrankungen und Krankheitsanlagen. So zeigte die genetische Untersuchung, dass Ötzi mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 % braune Augen hatte und keine blauen Augen, wie bisher angenommen wurde. Er war zudem laktoseintolerant, das bedeu-



32  Rekonstruktion des Mannes aus dem Eis.

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tet, er konnte keinen Milchzucker verdauen. Dazu muss angemerkt werden, dass vermutlich der Großteil der damaligen Bevölkerung noch nicht in der Lage war, Milchzucker zu verdauen. Die genetische Veränderung, die zu einer Laktosetoleranz führte, erwies sich zwar im Laufe der Entwicklung von Viehzucht und Milchwirtschaft als Vorteil, setzte sich aber erst über viele Generationen durch und es dauerte etwa bis zum Mittelalter, bis die Milchzuckerverträglichkeit in der europäischen Bevölkerung überwog. Ein weiteres überraschendes Ergebnis der Genanalyse war, dass der Mann aus dem Eis einige genetisch bedingte Krankheitsanlagen in sich trug, die unter gewissen Umständen zu schweren Erkrankungen hätten führen können. Insbesondere zeigte Ötzi ein stark erhöhtes Risiko für Herz- und Kreislauferkrankungen, die ihn möglicherweise anfällig für einen Herzinfarkt oder Gehirnschlag gemacht hätten, wäre er nicht durch den Pfeilschuss vorzeitig getötet worden. Die Untersuchung des Gesamterbguts ermöglichte es auch das Y-Chromosom, also das männliche Geschlechtschromosom zu analysieren, das die männliche Verwandtschaftslinie widerspiegelt und somit Aussagen über die Bevölkerungszugehörigkeit und Abstammung erlaubt. Dabei zeigte sich, dass der Mann aus dem Eis einer sehr seltenen Gruppe (Haplogruppe) angehört, die heute in Europa insgesamt sehr selten anzutreffen ist. Lediglich auf Sardinien und Korsika ist die Ötzi-Haplogruppe noch relativ häufig vertreten. Daraus lässt sich schließen, dass der Mann aus dem Eis und die Bevölkerung Sardiniens und Korsikas gemeinsame Vorfahren hatten, die in der Zeit des Neolithikums nach Europa eingewandert sind. In weiten Teilen Europas wurden die Vertreter dieser Gruppe im Laufe der Jahre verdrängt, nur in abgelegenen Gebieten wie den Mittelmeerinseln konnten sie sich bis in die heutige Zeit in größerer Zahl halten. Die Frage, inwieweit sich diese Populationen auch in den abgelegenen Gebieten der Alpen gehalten haben und ob im weitesten Sinne heute noch lebende Verwandte des Mannes aus dem Eis in Südtirol ansässig sind, kann zurzeit aufgrund fehlender Daten noch nicht beantwortet werden, ist aber Gegenstand eines aktuellen Forschungsprojekts des EURAC-Instituts für Mumien und den Iceman. Um zusätzliche Informationen aus diesem Gesamtdatensatz zu extrahieren, sind noch weitere sehr aufwändige und zeitintensive Analysen notwendig. Die bisherigen Ergebnisse zeigen aber bereits, dass sich nun die Möglichkeit ergibt, eine Reihe von bislang verborgenen Informationen über den Mann aus dem Eis zu erhalten. Zunächst kann anhand der vorliegenden Daten ein exakter genetischer Fingerabdruck des Ötzi erstellt und der Frage nach seiner genauen Herkunft und dem Vorhandensein noch lebender Verwandter nachgegangen werden. Des Weiteren können verschiedenste Gene können untersucht werden, die sein Äußeres bestimmt haben, aber auch Hinweise auf Krankheiten bzw. Krankheitsanlagen lie-



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fern. Besonders spannend wird dabei die Frage sein, inwieweit genetische Unterschiede zwischen früheren und heutigen Populationen festgestellt werden können. Zahlreiche heute weit verbreitete Krankheiten, wie Diabetes, Alzheimer, Gefäßverkalkungen und Herzerkrankungen, haben einen wichtigen genetischen Hintergrund, der immer stärker in den Fokus von modernen klinischen Studien rückt. Das entschlüsselte Genom des Mannes aus dem Eis bietet dabei die einzigartige Gelegenheit, einen Einblick in die Situation vor über 5000 Jahren zu gewinnen und zu verstehen, ob und inwiefern diese genetischen Veränderungen bereits lange vor unserer Zeit eingetreten sind. Sollten sich in der Tat derart spezifische Veränderungen im Erbgut (Mutationen) des Mannes aus dem Eis nachweisen lassen, muss das Konzept, dass es sich bei diesen Erkrankungen um sogenannte Zivilisationskrankheiten handelt, ernsthaft in Frage gestellt werden. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass ein besseres Verständnis der Entwicklung von Krankheiten und deren genetischer Basis eine wichtige Grundlage bildet, um neue Behandlungsansätze und Strategien zur Prävention zu entwickeln. Unsere genetischen Untersuchungen an der Gletschermumie haben dabei durchaus ein großes Potential, einen wichtigen Beitrag dazu zu leisten.

Rosalia Lombardo und die Kapuzinergruft in Palermo Im Jahre 1534 ließen sich die Kapuzinermönche in Palermo nieder. Dazu wurden ihnen gestattet, ihren Konvent neben der bereits existierenden Kirche Santa Maria della Pace am Rande der Stadt zu errichten. Wie die Franziskaner verehrten die Kapuziner ihre Toten, die im Alltag durch Gebete und Gedenkfeiern weiterhin präsent blieben. Zu dieser Zeit wurden die verstorbenen Mönche in großen Gruben in der Nähe der Kirche begraben, da laut den Gründungsregeln des Ordens, den 1536 im Kloster zur heiligen Euphemia in Rom angenommenen „Konstitutionen“, keine Bestattungen innerhalb der Kirche erlaubt waren. Ende des 16. Jahrhunderts wurden bei einer zufälligen Exhumierung 45 gut erhaltene Leichname entdeckt. Dieser Fund wurde als ein direktes Eingreifen Gottes betrachtet und es wurde daraufhin beschlossen, dass die Körper in einem anderen Bereich aufbewahrt werden sollten. Nach historischen Quellen wurden im Jahre 1599 40 der 45 mumifizierten Leichname, darunter Bruder Silvestro da Gubbio, in einen neuen Raum verlegt, der hinter dem Hauptaltar errichtet wurde. Aufgrund der zunehmenden Zahl an Kapuzinern, die im Konvent lebten und starben, wurden 1601 ein weiterer Raum und eine Kapelle angelegt und so entstand 1619 der erste Korridor einer unterirdischen Grabanlage für die Kapuzinermönche, der später unter dem Namen Kapuzinergruft bzw. -katakomben bekannt wurde. Um 1680 erreichte der Korridor den Bereich

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um den Hauptaltar und die dort bestatteten Mönche wurden mit eingeschlossen. Als älteste Mumie der Kapuzinergruft ist heute die von Bruder Silvestro da Gubbio unmittelbar in der Nähe des Eingangs zu bewundern. Während des 16. Jahrhunderts wurden die ersten Adligen, welche die Kapuzinermönche unterstützten, in die Katakomben aufgenommen. Bereits 1732 erreichte die Gruft die heutigen Ausmaße mit vier Korridoren in einer viereckigen Anordnung. Tatsächlich war die Nachfrage nach einer Bestattung in den Katakomben von Palermo bis 1787 so groß, dass die unterirdische Grabanlage für jedermann zugänglich gemacht wurde. Nach 1823 war dieser ausgedehnte und außergewöhnliche unterirdische Friedhof komplett belegt und es wurden nur noch Reparaturen und Instandhaltungsmaßnahmen durchgeführt. Heute befinden sich in der Kapuzinergruft über 1800 Mumien, der Großteil davon liegend oder an Haken aufgehängt in den Wandnischen entlang der Korridore. Die anderen Leichname befinden sich in zum Teil schön gearbeiteten und verzierten Holzsärgen. Im Laufe der Zeit wurden die Verstorbenen nach Geschlecht, Alter und Beruf geordnet, so dass im Wesentlichen fünf Hauptbereiche für Mönche, Priester, verschiedene Berufsgruppen, Frauen und Kinder entstanden. Die Mumien sind fast alle bekleidet und tragen Hüte, Schuhe und vereinzelt sogar Handschuhe. An einigen der mumifizierten Mönche sind auch Dornenkronen und um den Hals gelegte Seile als Zeichen der Reue zu sehen. Es mag dem einen oder anderen merkwürdig erscheinen, dass in Palermo eine derartige Konservierung der Verstorbenen praktiziert wurde. Tatsächlich ist dieses Phänomen aber auch in zahlreichen anderen Kirchen und Grüften Siziliens und Süditaliens zu beobachten. In der Neuzeit wurde diese Bestattungsform zunächst auf die Vertreter der Kirchen und Orden angewandt und später auf Adlige und vornehme Bürger ausgedehnt, die willens waren ihre Körper auf Dauer auszustellen. Angeblich sollte dies der Stärkung der sozialen Eliten und ihrer Verewigung dienen. Kurz nach dem Tod wurden die Leichname in spezielle Präparationsräume gebracht und dort auf spezielle Vorrichtungen, wie beispielsweise Rostgitter aus Terrakottaröhren über Steinwannen oder Steinsitze mit Öffnungen, gelegt, die den Abfluss von Körperflüssigkeiten erlaubten und dadurch den natürlichen Mumifizierungsprozess verstärkten. Dann wurden die zellenartigen Räume, „Colatoi“ genannt, für den Zeitraum von etwa einem Jahr verschlossen. Danach wurden die getrockneten Leichname herausgenommen, mit Essig gewaschen und schließlich bekleidet und ausgestellt oder in Särge gelegt. Im Fall, dass die Mumifizierung nicht ganz erfolgreich verlaufen und der Körper überwiegend skelettiert war, wurden die fehlenden Weichteile mit Hilfe von Stroh ersetzt. Bis heute wurden die Prozesse, die in den Trocknungsräumen abliefen, experimentell nicht bestätigt. Es ist aber davon auszugehen, dass in den in Tuffstein gegrabenen



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33  Frate Silvestre da Gubbio.

Räumen eine relativ geringe Luftfeuchtigkeit und konstant kühle Temperaturen herrschten, die den Mumifizierungsprozess günstig beeinflussten. Neben dem zwar intentionellen, aber natürlich ablaufenden Prozess der Mumifizierung finden sich in den Katakomben von Palermo aber auch Beispiele für eine künstliche Mumifizierungspraxis, die auch als Einbalsamierung bezeichnet wird. Nachdem bereits in älteren Zeiten bei Epidemien die Toten in Kalk getaucht oder damit bestreut worden waren, eine Substanz,

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34  Korridor in den Katakomben mit zahlreichen Mumien.

die stark austrocknende Eigenschaften besitzt, entwickelten sich im frühen 19. Jahrhundert verschiedene Methoden, um Leichname zu konservieren. Diese umfassten zum Teil die Eröffnung des Körpers mit Organentnahme oder direktes Einbringen von Einbalsamierungssubstanzen, das Eintauchen des gesamten Körpers in eine Mumifizierungslösung oder die direkte Injektion des Balsamierungsmittels in ein großes Blutgefäß. Ein wichtiger Vorreiter der arteriellen Injektion war der Italiener Giuseppe Tranchina, der in den 1830er Jahren diese Methode entwickelte und damit eine Entnahme von inneren Organen überflüssig machte. Mit seiner neu entwickelten Technik wurden einige historisch bedeutende Persönlichkeiten mumifiziert, darun-



35  Detailaufnahme einiger Mumien.

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ter die Königin Maria Christina von Savoyen (1836). Zu dieser Zeit bestanden die Einbalsamierungssubstanzen im Wesentlichen aus Quecksilber oder Arsenlösungen, die trotz ihrer hohen Giftigkeit nie vom italienischen Gesetz verboten wurden. Zusätzlich wurden noch Zinnoberrot, ein Quecksilbersulfid, und Bleirot, ein Bleioxid, als Farbstoffe verwendet, die den Toten eine lebensnahe Farbe verleihen sollten. Die Verwendung von Glasaugen und Kosmetik war ebenso eine nicht seltene Praxis. Trotz der Entwicklung dieser Verfahren zur künstlichen Konservierung der Verstorbenen sollten die Bestattungen in den Katakomben bald ihr Ende finden. Kurz nach der nationalen Einigung Italiens im Jahre 1861 wurde das Austrocknen von

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36  Detailaufnahme einiger Mumien.

Leichnamen aufgrund hygienischer Erwägungen verboten. Neue Friedhöfe wurden angelegt und eine Bestattung außerhalb dieser Bereiche war nun nicht mehr erlaubt. Die Kapuzinergruft wurde zwar noch etwa für 60 weitere Jahre benutzt, aber nur als vorübergehende Aufbewahrungsmöglichkeit für Särge vor der eigentlichen Beisetzung auf dem nahe gelegenen Friedhof. Der jüngste identifizierte Sarg in den Katakomben gehört einem Giovanni Licata di Baucina, Graf von Isnello, der im Jahre 1939 verstarb. Unter den letzten Bestattungen in den Katakomben finden sich Mumien, die von Alfredo Salafia hergestellt wurden, einem lokalen Präparator und Einbalsamierer, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine neue Methode zur dauerhaften Konservierung von menschlichen Geweben entwickelte, die frei von giftigen Chemikalien sein sollte. Dazu gehören die Mumien des amerikanischen Vizekonsuls Giovanni Paterniti (1911), von Ernesto Salafia,



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einem berühmten Fechtmeister seiner Zeit (1914) und des kleinen Mädchens Rosalia Lombardo (1920), die aufgrund ihres außergewöhnlichen guten Erhaltungszustands auch als „die schöne Schlafende“ bezeichnet wird. Rosalia Lombardo wurde am 13. Dezember 1918 als Tochter des Offiziers Mario Lombardo (1890–1980) und der Maria Di Cara (1897–1966) geboren und starb am 6. Dezember 1920, nur eine Woche vor ihrem zweiten Geburtstag. Dem Autopsiebericht zufolge starb sie an einer Bronchopneumonie, einer Form der Lungenentzündung. Die Eltern der kleinen Rosalia entschieden sich ihre Tochter von Alfredo Salafia einbalsamieren zu lassen. Das neu entwickelte Verfahren von Salafia bestand aus einer einzigen Injektion der Balsamierungssubstanz vorzugsweise in die Oberschenkelarterie, die mit Hilfe der Gravitation in den Körper eingebracht wurde. Die genaue Zusammensetzung der Flüssigkeit wurde zu Lebzeiten Salafias geheim gehalten und das Geheimnis konnte erst vor wenigen Jahren von unserer Arbeitsgruppe aufgedeckt werden. Einem meiner Mitarbeiter war es gelungen ein von Alfredo Salafia handgeschriebenes Manuskript aufzufinden, das eine genaue Beschreibung der Formel enthielt. Die Einbalsamierungslösung setzte sich aus einem Teil Glyzerin, einem Teil Formalin gesättigt mit Zinksulfat und -chlorid und einem Teil Alkohol gesättigt mit Salizylsäure zusammen. Salafia kann somit als einer der Ersten betrachtet werden, die eine Lösung auf Formaldehyd-Basis verwendeten, die nach und nach die bisher benutzten Schwermetalllösungen ersetzen sollte. Zusätzlich beschreibt Salafia in seinem Manuskript die Verwendung von in Äther gelöstem Paraffinwachs, das unter das Gesicht der Verstorbenen gespritzt wurde, um die Gesichtszüge rundlich und damit lebensechter erscheinen zu lassen. Die Mumie von Rosalia Lombardo ist heute immer noch in ihrem Originalsarg, der mit einer Glasscheibe verschlossen wurde, in der Kapuzinergruft ausgestellt. Dabei ist nur ihr Kopf zu sehen, während der Rest ihres Körpers mit einem Tuch bedeckt ist. Ihr Gesicht und die mit einer gelben Schleife verzierten Haare weisen einen beeindruckenden Erhaltungszustand auf, der in der Tat an ein schlafendes Mädchen erinnert und weniger an eine Tote. In den letzten Jahren zeigten sich allerdings vermehrt Hinweise auf eine leichte Verschlechterung des Zustands der Mumie. So erscheinen die Haare und auch die Textilien heller als in früheren Aufnahmen, wohingegen das Gesicht dunkler wurde und etwas weniger rundlich wirkt. Eine von unserem Institut durchgeführte radiologische Untersuchung zeigte, dass nicht nur der Kopf, sondern der ganze Körper von Rosalia Lombardo erhalten ist. Auf digitalen Röntgenbildern waren dabei auch innere Organe, zum Beispiel das Gehirn und die Leber, zu erkennen. In einer weiteren Untersuchung hatten wir die Möglichkeit, das kleine Mädchen in einem mobilen Computertomographen zu untersuchen, der eigens für diesen Zweck auf einem speziellen LKW montiert zum Kapuzinerkloster in

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Palermo transportiert wurde. Bei der computertomographischen Inspektion zeigte sich dann ein außergewöhnlich guter Erhalt praktisch aller inneren Organe. Zudem konnte eine Lungenentzündung diagnostiziert werden und somit die ursprünglich festgestellte Todesursache bestätigt werden. Darüber hinaus war es auch möglich einen genaueren Einblick in den Ablauf des Mumifizierungsprozesses und die Verteilung der Einbalsamierungssubstanz über die Blutgefäße zu erhalten. Aufgrund der Verschlechterung des Erhaltungszustandes der Mumie von Rosalia Lombardo und der momentan ungünstigen klimatischen Verhältnisse in der Kapuzinergruft, mit einer deutlich zu hohen Luftfeuchtigkeit, entschlossen wir uns ein neues Konzept zur Konservierung der kleinen Rosalia zu entwerfen. Das Ziel war dabei, die Mumie in eine Umgebung mit konstanter und kontrollierter Luftfeuchtigkeit und frei von Sauerstoff zu bringen. Eine zu hohe Luftfeuchtigkeit stellt im Allgemeinen eine große Bedrohung für Mumienfunde dar, da hierdurch Prozesse der Fäulnis und Verwesung wieder einsetzen und im schlimmsten Fall zu einer vollständigen Zerstörung der Mumie führen können. Der in der normalen Atmosphäre vorhandene Sauerstoff fördert zudem das Wachstum vieler Bakterien und Pilze, die gerade auch im feuchten Milieu erheblichen Schaden anrichten können. Moderne Konservierungskonzepte zielen daher bei biologischen Materialien grundsätzlich auf eine niedrige relative Luftfeuchtigkeit und eine sauerstofffreie Atmosphäre ab, wobei diese mit Stickstoff oder einem Edelgas, etwa Argon, gesättigt sein kann. Im Fall von Rosalia Lombardo entwickelten wir eine vollständig neue Vitrine, die eine optimale Konservierung, aber auch eine gute Sichtbarkeit der Mumie gewährleisten sollte. Schließlich stellt die Mumie des kleinen Mädchens den wohl bekanntesten Fund der Kapuzinergruft dar und sollte weiterhin für die Besucher der Katakomben zu besichtigen sein. Ein weiterer wichtiger Aspekt war es, ein passives System zu entwickeln, das wenig bzw. gar keine Wartung benötigt, da in dem Konvent kein entsprechendes Personal zur Verfügung stand, die eine ständige Kontrolle und Überholung der Anlage durchführen konnte. Die mittlerweile in Betrieb genommene Vitrine besteht aus einem Edelstahlrahmen, auf dem eine konvex gebogene doppelte Glasscheibe mit eingearbeitetem UV-Schutz aufgesetzt und mit einem Spezialwachs luftdicht abgedichtet wurde. Über Ventile wurde die Luftfeuchtigkeit auf den berechneten Idealwert eingestellt und das Innere des Schaukastens mit Stickstoff gefüllt, bis der Sauerstoff vollständig verdrängt war. Über drahtlose Sensoren und einen angeschlossenen Computer können die Werte nun kontrolliert werden, die sich bis zum heutigen Tag konstant verhalten. Damit konnte Rosalia Lombardo vorerst vor einem drohenden Verfall gerettet werden. Dennoch ist die klimatische Situation in den Katakomben weiterhin unzureichend für eine dauerhafte Konservierung der dort einge-



37  Mumie der Rosalia Lombardo.

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38  Mumie der Rosalia Lombardo in der hochmodernen Glasvitrine.



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lagerten Mumien. Es sind dringend weitere Maßnahmen nötig, um die ursprünglich günstigen Temperatur- und Luftfeuchtigkeitswerte wiederherzustellen, da ansonsten schwere Schäden an der einzigartigen Sammlung zu befürchten sind. Es bleibt zu hoffen, dass entsprechende finanzielle Mittel bereitgestellt werden und die Kapuzinermönche, die zuständigen Behörden, wie das Landesdenkmalamt in Palermo, und die beteiligten Wissenschaftler gemeinsam eine Lösung finden, dieses wichtige und interessante Kulturerbe auf lange Zeit zu erhalten.

Kirchenmumien aus der Gruft von Vác in Ungarn Auch wenn sich in Süditalien und Sizilien besonders viele Mumien in Grüften, Krypten und Katakomben von Kirchen finden, ist dieses Phänomen keineswegs auf Italien oder den Süden Europas beschränkt. Gerade im deutschsprachigen Raum finden sich ab dem 16. Jahrhundert zahlreiche Grüfte, in denen sich gut betuchte Bürger im kirchlichen Umfeld bestatten ließen, und vor allem auch Fürsten- oder Adelsgrüfte, in denen hochrangige Persönlichkeiten ihre letzte Ruhe fanden. Beispiele dafür sind in Wien die Kapuzinergruft, in der sich über viele Generationen hinweg die Herrscher aus dem Hause Habsburg bestatten ließen, und die Gruft der Michaelerkirche, in der insgesamt etwa 4000 reiche Bürger und Adlige bestattet wurden. In Deutschland finden sich beispielsweise in der Krypta der Stiftskirche St. Servatius in Quedlinburg die mumifizierten Überreste König Heinrichs I. und seiner Frau Mathilde sowie in der Fürstengruft die Mumien historisch bekannter Persönlichkeiten, wie der Gräfin Aurora von Königsmarck und Marie Elisabeth von Schleswig-Holstein-Gottorf. Ein weiteres anschauliches Beispiel ist die Familiengruft der Familie von Crailsheim in Sommersdorf bei Ansbach, in der sich die Vorfahren der Familie bestatten ließen und auf natürlichem Wege mumifiziert wurden. Das German Mummy Project der Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim unter der Leitung von Dr. Wilfried Rosendahl führt eine wissenschaftliche Untersuchung dieser Familiengruft durch und widmet sich generell dem Phänomen von Kirchen- und Gruftmumien in ganz Europa. Eine besonders interessante Fundsituation liegt auch im sogenannten Bleikeller des St.-Petri-Doms in Bremen vor. Hier wurden im 19. Jahrhundert in der Ostkrypta des Doms zufälligerweise natürlich mumifizierte Leichname entdeckt. Nachdem man lange davon ausgegangen war, dass das für die Reparatur des Daches verwendete und im Keller eingelagerte Blei zur Konservierung der Bestatteten geführt habe, konnte inzwischen durch Messungen gezeigt werden, dass dies nicht der Grund gewesen sein konnte und hier wohl eher die für Kirche typischen günstigen klimatischen Verhältnisse ausschlaggebend waren. Die

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39  Kirche von Vác in Ungarn.

Faszination, die von den Mumien des Bleikellers ausgeht, hat aber auch dazu geführt, dass aufregende Geschichten über die Toten und deren Todesumstände erzählt wurden. So soll es sich bei einer der Mumien um einen Dachdecker handeln, der bei einem Sturz ums Leben kam und erst viele



40  Sterberegister der Dominikanerkirche.

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Jahre später im mumifizierten Zustand gefunden wurde. Bei jüngeren Untersuchungen stellte sich aber heraus, dass der Körper keine entsprechenden Verletzungen aufwies, sondern eine Kugel im Rücken stecken hatte. Es handelt sich somit viel eher um einen Soldaten, der vermutlich im Krieg gegen die Schweden gefallen ist. Ebenso wenig konnten die Geschichten über die Mumie einer angeblichen englischen Lady und die eines Studenten verifiziert werden. Es gibt zahlreiche weitere Beispiele für Kirchenmumien in Europa, von Spanien und Frankreich über Norwegen und Litauen bis hin zu Polen, Tschechien und Kroatien. In einigen dieser Fälle war und ist es möglich diese Mumien einer detaillierten wissenschaftlichen Untersuchung zu unterziehen und dadurch fundierte Einblicke in das Leben und Sterben

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41  Mumie des Józef Weiskopf mit stark verkrümmter Wirbelsäule.

der damaligen Bevölkerung zu erhalten. Ein solches Beispiel stellen die Funde der Dominikanerkirche im ungarischen Vác dar, die nun etwas ausführlicher vorgestellt werden sollen. Die Kleinstadt Vác in Ungarn liegt nördlich von Budapest an der Donau. Bei Sanierungsarbeiten der Dominikanerkirche im Jahr 1994 wurde unter der Kirche ein riesiges Gewölbe mit einer Krypta entdeckt, die lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Darin fanden die Forscher zu ihrer großen Überraschung zahlreiche reich verzierte Särge, die bis an die Decke gestapelt waren und die mumifizierten Überreste von 265 Verstorbenen enthielten. Laut historischen Quellen wurde die Dominikanerkirche in Vác um 1699 errichtet, wobei mit dem Bau der Krypta 1729 begonnen wurde, in der nach dem Sterberegister die erste Bestattung im Jahre 1731 stattfand. Die Krypta wurde in den darauf folgenden Jahren bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts als Begräbnisstätte benutzt. Ein Großteil der Särge wies Beschriftungen mit dem Namen und dem Todesdatum der Verstorbenen auf. Dadurch gelang es den ungarischen Forschern 166 der 265 Mumien zu identifizieren und über die Sterberegister weitere Informationen über das Alter, die Verwandtschaftsverhältnisse, die Todesursache und vereinzelt sogar die Berufe der Bestatteten zu erhalten. So ließen sich anhand der Mumien von Vác die Stammbäume ganzer Familien und auch deren Lebensumstände vor über 200 Jahren rekonstruieren, die geprägt waren von zahlreichen Krankheiten und einer hohen Kindersterblichkeit. Die 265 Mumien teilen sich auf in 199 männliche und 107 weibliche Individuen, von 38 Personen konnte das Geschlecht nicht mehr bestimmt werden. Die Altersspanne reicht von Neugeborenen bis zu 95-Jährigen und die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer lag bei 44,6 Jahren und die der Frauen bei 38,8 Jahren. Wer das kritische Kindesalter überstanden hatte konnte im Schnitt noch ein Alter von 53 bis 54 Jahren erreichen. Untersuchungen an den Zähnen der Verstorbenen ergaben, dass der allgemeine Zustand der Gebisse im 18. Jahrhundert offensichtlich grundsätzlich wesentlich schlechter war als in Vergleichsserien aus früheren Zeiten. Frauen hatten zudem schlechtere Zähne als die Männer. Eine mangelnde Zahnhygiene der damaligen Bevölkerung führte zu starker Zahnbelagbildung, die heute noch an den Mumien nachweisbar ist. Da Zahnbelag bzw. Plaque sowohl Eiweiß, Kohlenhydrate als auch Bakterien enthält, lassen sich daraus anhand von Mumien oder auch Skelettfunden Ernährungsgewohnheiten und möglicherweise auch Krankheitskeime rekonstruieren. Die Analyse der dentalen Plaque an den Mumien aus Vác ergab Hinweise auf tierische Nahrung in Form von Kollagen und Muskelfasern und vor allem Rückstände von Weizen, Mais und Kartoffelstärke. Dies stellt den ersten Beleg für einen hohen Anteil von Mais und Kartoffeln in der Ernährung der Bewohner Vács dar.



42  Mumie, an der eine Autopsie durchgeführt wurde.

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43  Mumie der Tereszia Borsodi.

Neben vereinzelten Befunden zu Krankheiten und Todesursachen der Verstorbenen sorgte im Besonderen der Nachweis der Infektionskrankheit Tuberkulose für wissenschaftliches Aufsehen. In einer groß angelegten Studie untersuchten die ungarischen Wissenschaftler unter der Leitung von Ildiko Pap vom Ungarischen Museum für Naturgeschichte in Budapest und Kollegen aus Großbritannien und Israel die Mumien mit radiologischen, histologischen und molekularbiologischen Methoden auf Hinweise für das Vorliegen von Tuberkulose. Historisch ist bekannt, dass Tuberkulose mit die häufigste Todesursache im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts war und in ganz Europa seuchenartige Spuren hinterließ. Es war allerdings nicht bekannt, inwieweit auch die Einwohner von Vác unter dieser schrecklichen Krankheit zu leiden hatten und mit welcher Häufigkeit diese Erkrankung in der damaligen Zeit dort aufgetreten ist. Die erste morphologische und radiologische Untersuchung der mumifizierten Körper brachte dabei bereits erste Fälle mit einer fortgeschrittenen Knochentuberkulose zu Tage. In diesem fortgeschrittenem Stadium der Erkrankung breiten sich die zunächst auf die Lunge beschränkten Erreger, Mycobacterium tuberculosis, auf den ganzen Körper aus und befallen Organe und insbesondere die Knochen und Gelenke. Typischerweise wird bevorzugt die Wirbelsäule befallen, in der es durch die Zerstörung einzelner Wirbelkörper bis zur Ausbildung eines Buckels, eines sogenannten Pott’schen Gibbus kommen kann. Im weiteren Verlauf der Studie wurden von 253 Mumien Gewebeproben entnommen und molekularbiologisch auf das Vorhandensein von Resten der Tuber-



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kuloseerreger getestet. Dabei konnte in fast 70 % der Mumien das Erbgut der Tuberkulosebakterien nachgewiesen werden. Dieser Befund macht sehr deutlich, dass die Tuberkulose zu dieser Zeit in Vác und vermutlich auch grundsätzlich in Ungarn sehr weit verbreitet und praktisch jeder Bewohner den Erregern ausgesetzt war. Dennoch überlebten viele diese Erkrankung und starben erst im hohen Alter, obwohl die Tuberkel noch nachweisbar sind. Die Mumien von Vác bieten daher eine einzigartige Möglichkeit, Fragen zur genetischen Disposition oder zur natürlichen Immunität von Menschen gegenüber der Tuberkulose zu untersuchen, in einer Zeit, in der es weder adäquate Behandlungsmöglichkeiten noch Antibiotika gab. Solche Erkenntnisse können einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Mechanismen dieser Erkrankung besser verstehen zu lernen und neue Ansätze zu finden, die Tuberkulose effektiver und erfolgreicher zu behandeln bzw. zu vermeiden. Schließlich ist die Tuberkulose noch heute einer der häufigsten Todesursachen weltweit und fordert jedes Jahr mehrere Millionen Opfer. Durch die Aufschriften auf den Särgen, die Informationen aus den Sterberegistern und die medizinischen Untersuchungen ließen sich in Vác auch einige besondere Einzelschicksale und besondere Einzelfunde rekonstruieren. So fanden sich in insgesamt vier Mumien Hinweise darauf, dass an den Verstorbenen eine Autopsie durchgeführt wurde. Es liegt die Vermutung nahe, dass die Eröffnungen der Leichname nicht zu anatomischen Lehrzwecken durchgeführt wurden, sondern vielmehr dazu dienten, die krankheitsbedingte oder möglicherweise gewaltsame Todesursache zu ergründen. Sogenannte pathologische oder gerichtsmedizinische (forensische) Autopsien waren in Ungarn im 18. Jahrhundert durchaus weit verbreitet. Bei der Mumie eines etwa 20-jährigen unbekannten Mannes sind die Zeichen der Autopsie noch sehr deutlich zu erkennen, bei der der Oberkörper Y-förmig eröffnet, einige Organe entnommen und auch der Schädel geöffnet wurde. Höchstwahrscheinlich wurde die Leichenschau hier aus gerichtsmedizinischen Gründen durchgeführt. Bei der Mumie der im Jahre 1794 im Alter von 26 Jahren verstorbenen Terézia Borsodi fanden die Forscher hingegen deutliche Hinweise auf einen Kaiserschnitt. Ihr Sohn wurde offensichtlich noch lebend geboren und getauft, starb aber kurz darauf und wurde letztendlich gemeinsam mit der Mutter beigesetzt. In der damaligen Zeit war es üblich bei verstorbenen Müttern einen postmortalen Kaiserschnitt durchzuführen, um dem Kind, sofern es noch am Leben war, die Taufe zu ermöglichen und damit seine Seele zu retten. Die Untersuchung der Mumie ergab keine anatomischen Gründe dafür, warum das Kind nicht unter normalen Umständen geboren werden konnte. Auch die Größe und das Gewicht des Kindes sprechen für eine normale Entwicklung. Möglicherweise war die junge Mutter aus gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage, das Kind zu gebären, und ver-

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44  Mumie einer Nonne.

starb vor der Geburt. Der postmortale Kaiserschnitt ermöglichte dem Kind zwar noch die Taufe, konnte es aber nicht vor dem Tode bewahren. Unter den Mumien der Dominikanerkirche befanden sich auch einige Nonnen, die dort ihre letzte Ruhestätte erhielten. Bei einer dieser Nonnen wurde nach dem Tode das Herz durch einen scharfen Einschnitt in die Brust entnommen, bei einer weiteren Nonne wurden zwei von ihrer linken Hand abgetrennte Finger in einem verschnürten Päckchen beigelegt. Die Finger wurden offensichtlich kurz vor oder nach dem Tod abgetrennt, allerdings liegt die Ursache dafür vollkommen im Dunkeln. In einem reich verzierten



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Holzsarg fanden sich die Überreste der einer adligen Familie entstammenden Nonne Baroness Antónia Tauber, die 1768 im Alter von 37 Jahren verstorben ist. Die sehr gut erhaltene Mumie weist ein entstelltes Gesicht und eine sehr starke Deformation der Wirbelsäule auf, die vermutlich durch eine Entwicklungsstörung hervorgerufen wurden. Zudem wurde auch bei ihr Tuberkulose nachgewiesen, wobei unklar ist, ob die Krankheit zu ihrem Tode geführt hat. Aus historischen Quellen ist bekannt, dass Antónia Tauber trotz ihrer körperlichen Mängel eine hervorragende Lehrerin für die adlige Jugend war und ein liebenswertes, gewissenhaftes und freundliches Wesen besaß.

Lenin und Evita Perón, moderne Mumien aus unserer Zeit Lenin, der eigentlich Wladimir Iljitsch Uljanow hieß, wurde am 22. April 1870 in Simbirsk geboren und starb am 21. Januar 1924 in Gorki. Er war kommunistischer Politiker und einer der Theoretiker des wissenschaftlichen Sozialismus und die von ihm initiierte Oktoberrevolution führte letztendlich zur Gründung der Sowjetunion. Lenin starb im Alter von 54 Jahren, nachdem er mehrere Schlaganfälle erlitten hatte. Trotzdem ist die genaue Todesursache Lenins bis heute nicht endgültig geklärt, es wurden verschiedenen Grundkrankheiten, wie Arterienverkalkung und Syphilis, und auch die Folgen von Schussverletzungen diskutiert, die ihm bei einem Attentat am 30. August 1918 zugefügt wurden. Der Tod des Sowjetführers stellte eine große Gefahr für die Stabilität der jungen Sowjetunion dar, drohte doch ein erneuter Bürgerkrieg und möglicherweise der Kollaps des Regimes. Um das Gedenken an Lenin und seine Errungenschaften aufrechtzuerhalten, setzte sein Nachfolger im Amt, Josef Stalin, durch, dass der Körper des Verstorbenen einbalsamiert werden sollte. Dies erfolgte offensichtlich gegen den Willen des Verstorbenen und seiner Familie und stand auch im Widerspruch zur Revolutionsideologie. Zunächst waren die Voraussetzungen für eine Konservierung günstig, da zum Todeszeitpunkt im Januar hohe Minustemperaturen herrschten und dadurch der Leichnam frisch gehalten werden konnte. Mit der Untersuchung und der ersten Konservierung wurde der Pathologe Alexei Iwanowitsch Abrikossow beauftragt, der dem Körper sechs Liter einer Mischung aus Formalin, Alkohol, Chlor, Wasser und Glyzerin in die Hauptschlagader injizierte. Die Behandlung zeigte aber nur vorübergehend Erfolg und im Laufe der Zeit begann die Leiche auszutrocknen und Anzeichen von Zerfall zu zeigen. Selbst die Kühlung des Körpers konnte diesen Prozess nicht aufhalten und so waren bald Leichenflecken, Hautverfärbungen und ein Auseinanderklaffen der Lippen zu beobachten. Es entbrannte ein heftiger Streit über das richtige Konservierungskonzept,

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45  Einbalsamierter Leichnam des Lenin.

bis schließlich der erfahrene Präparator Wladimir Worobjow aus Charkow, Leiter der dortigen Anatomie, überzeugt werden konnte die Einbalsamierung zu leiten. Ihm zur Seite wurden der junge Biochemiker Boris Iljitsch Sbarski und der Anatom Petr Karusin gestellt. Inzwischen waren bereits zwei Monate seit dem Tod Lenins vergangen und es bestand dringender Handlungsbedarf. Worobjow begann umgehend mit der Entnahme der inneren Organe und spülte im Anschluss die Körperhöhle mit destilliertem Wasser und Essig. Das Gewebe wurde mit Formalin fixiert und Gesicht, Hände und Rumpf wurden mit in Formaldehydlösung getränkter Watte umwickelt. Zusätzlich wurde eine Gummiwanne herbei-



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geschafft, in der Lenins Leichnam in eine spezielle Lösung getaucht wurde. Diese bestand zunächst aus Alkohol und Glyzerin und wurde dann durch eine Mixtur aus Glyzerin und Wasser ersetzt. Danach kam reichlich Kaliumazetat hinzu sowie Chlorchinin und Phenol zur Desinfektion. Durch zahlreiche Einschnitte in den Körper wurde die Flüssigkeit ins Gewebe aufgenommen, das dadurch die zuvor verlorene Feuchtigkeit zurückerhielt. Zusätzlich wurden diverse kosmetische Behandlungen durchgeführt, um unschöne Flecken zu entfernen und die Haut rosa erscheinen zu lassen. Die Augäpfel wurden durch Prothesen ersetzt und Lippen und Augen unsichtbar vernäht. Dadurch gelang es die individuellen Gesichtszüge zu erhalten und aus dem Leichnam ein ansehbares Porträt zu kreieren. Trotz der aufwändigen Mumifizierung Lenins ist bis heute eine stetige Pflege und Nachsorge notwendig. Zweimal in der Woche werden die frei liegenden Körperstellen mit der Einbalsamierungsflüssigkeit bestrichen und alle 18 Monate wird der Körper komplett inspiziert und in das oben beschriebene Bad getaucht. Dabei werden auch regelmäßig Flecken oder Schimmelstellen entfernt und kosmetisch nachgebessert. Ebenso muss die Kleidung regelmäßig gewaschen und immer wieder erneuert werden. Das Mausoleum, in den Lenin ruht und in dem sich auch die Konservierungsabteilung befindet, wurde zunächst unmittelbar nach seinem Tod aus Eichenholz auf dem Roten Platz in Moskau errichtet. Ein zweites Holzmausoleum wurde dann im Jahre 1930 durch einen pyramidenartigen Bau aus rotbraunem Granit und Labradorstein ersetzt. Das integrierte Forschungszentrum verfügte über zahlreiche Wissenschaftler, die den Auftrag hatten, die Mumie vor dem Zerfall zu schützen und auch das Gehirn des Toten im Detail zu untersuchen. Man vermutete, dass sich die Genialität des Revolutionsführers in der Hirnstruktur nachweisen ließe. Im Zweiten Weltkrieg veranlasste Stalin, dass der mumifizierte Leichnam ins ferne Tjumen in Westsibirien ausgelagert wurde. Die mitgereisten Wissenschaftler nutzten die Zeit, um eine gründliche Überholung der Einbalsamierung durchzuführen und dem Toten eine fast lebensechte Hautfarbe zu verpassen. Die Art der Konservierung hat immer wieder Zweifel an der Echtheit der ausgestellten Mumie hervorgerufen und zur Vermutung geführt, es handle sich in dem Glassarg um ein Wachsmodell Lenins. Diese Theorie lässt sich zwar nicht hundertprozentig widerlegen, dennoch sind die Experten, welche die Mumie aus der Nähe betrachten konnten, der Meinung, dass es sich hier nicht um eine Nachbildung handelt. Mit dem Ende der Sowjetunion verlor auch das Mausoleum an Bedeutung und der neue russische Staat war nicht mehr bereit die hohen Kosten für die Konservierung und den Betrieb des Forschungslabors aufzubringen. Das Mausoleum ist 1990 zum UNESCO-Weltkulturerbe ernannt worden und wird mittlerweile nur noch von einer kleinen Gruppe von Wissenschaftlern

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betreut, die aber weiterin die Konservierung Lenins garantieren. Zur Finanzierung des Labors werden inzwischen auch Fremdaufträge angenommen, bei denen Leichen mit Hilfe der an Lenin erprobten Konservierungsmethoden für die Bestattung präpariert werden. Ein weiteres, ähnlich beeindruckendes Beispiel für die Mumifizierung einer historisch bedeutsamen Person, deren Körper nicht dem Verfall preisgegeben werden sollte, ist Eva Perón, genannt Evita. Die zweite Ehefrau des argentinischen Diktators Juan Perón starb am 26. Juli 1953 mit nur 33 Jahren einen langsamen qualvollen Tod. Schon zu Lebzeiten wurde Eva Perón von ihrem Volk glühend verehrt, basierend auf ihrem märchenhaften Aufstieg, ihrem Charme und ihrer Schönheit. So führte ihr tragischer Tod zu einer märtyrerartigen Verehrung und die öffentliche Anteilnahme erreichte unglaubliche Dimensionen. Bei der Aufbahrung der Toten in einem Sarg mit Glasdeckel in der Halle des Kongresses, die zwölf Tage dauerte, sollen zwölf Millionen Trauernde Abschied von ihr genommen haben. Für die lange Abschiedszeremonie war es nötig den Körper von Evita einzubalsamieren. Dies übernahm der erfahrene Präparator und Arzt Pedro Ara, der zu dieser Zeit Kulturattaché an der spanischen Botschaft in Argentinien war. Bizarrerweise wird Pedro Ava nachgesagt die Vorbereitungen für eine bevorstehende Einbalsamierung noch zu Lebzeiten Evitas getroffen zu haben. So behandelte er beispielsweise verbrannte Stellen auf ihrer Haut, die von der im Zuge ihrer Erkrankung durchgeführten Bestrahlung herrührten, mit Ölen. Die eigentliche Mumifizierung begann aber erst unmittelbar nach dem Ableben von Eva Perón mit der Injektion einer Konservierungsflüssigkeit über die Hauptschlagader. Dadurch konnte ihr Körper in dem eigens mit einer Belüftung ausgestatteten Glassarg die Aufbahrung unbeschadet überstehen. Im Anschluss vollendete Ara sein Werk in einem gut ausgestatteten Labor innerhalb des prunkvollen Gewerkschaftshauses. Dazu leitete er eine Formalinlösung in die Adern der Toten und spülte den Körper mit Formalin und Zinkchlorid. Im Gegensatz zu Lenin blieben die inneren Organe enthalten, die mit Paraffinfäden umwickelt wurden. Ara verwendete vereinzelt noch andere Chemikalien wie Borat, Karbolsäure und Quecksilber und versiegelte den Körper am Ende mit einer Schicht aus Wachs. Das Ergebnis der Einbalsamierung war beeindruckend und Evita konnte in einer Kapelle in der Nähe des Labors aufgebahrt auf einem weißem Seidentuch bewundert werden. Der Plan, für die unvergängliche Evita ein prächtiges Mausoleum mitten in der Hauptstadt zu errichten, wurde durch den Putsch der Peróngegner im Jahre 1955 jäh zunichte gemacht. Da sie noch immer eine enorme Popularität besaß, entschloss sich das neue Regime ihren mumifizierten Körper an einem geheimen Ort zu beerdigen. Unter der Leitung des Oberstleutnants Carlos Eugenio Moori Koenig wurde sie nach der Unterbringung in mehreren Verstecken schließlich nach Mailand ausgeflogen



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und dort, wohl unter der Mithilfe des Vatikans, unter dem Namen María Maggi de Magistris beigesetzt. Die Anhänger Evitas hörten jedoch nicht auf, nach der sterblichen Hülle ihres Idols zu suchen, und im Jahre 1971 gelang es ihnen den Bestattungsort in Mailand ausfindig zu machen. Der Leichnam wurde daraufhin ausgegraben und zu dem mittlerweile in Madrid im Exil lebenden Juan Perón gebracht, der davon wenig begeistert schien. Der angereiste Präparator Pedro Ara bestätigte die Identität und Unversehrtheit der Mumie, verheimlichte bzw. ignorierte dabei aber die von den Schwestern Evas berichteten schweren Schäden am Gesicht und Körper. Der einbalsamierte Leichnam verblieb zunächst in Madrid und wurde erst nach Juan Peróns Tod im Jahre 1974 auf Veranlassung von dessen dritter Ehefrau Isabella nach Argentinien zurückgebracht. Dort wurde die Mumie von Domingo Tellechea umgehend restauriert und in der Residenz aufbewahrt, bis zum erneuten Putsch zwei Jahre später. Nun konnte Evita endlich von ihren Schwestern in dem Familiengrab der Duartes auf dem Friedhof Recoleta in Buenos Aires zur letzten Ruhe gebettet werden. Die Grabstätte ist zu einer beliebten Touristenattraktion geworden und heute noch pilgern zahlreiche Menschen zur unvergesslichen Eva Perón, um zu beten und insbesondere am Muttertag Blumen niederzulegen.

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Mumien aus Ägypten Die meisten Menschen verbinden mit dem Begriff „Mumien“ die aufwändig mumifizierten Körper der berühmten Herrscher und Noblen des alten Ägyptens. Schließlich faszinieren diese die Menschheit schon seit vielen hundert Jahren und auch das Wort „Mumie“ wurde aus dem arabischen Wort „mumia“, das so viel wie Erdpech bzw. Bitumen bedeutet, abgeleitet, das seinerseits aus dem Persischen übernommen wurde, wo es ursprünglich Bienenwachs bezeichnete. Das Interesse an den ägyptischen Mumien in Europa geht in das 13. bis 16. Jahrhundert zurück, als ein Heilmittel aus zerkleinertem oder pulverisiertem ägyptischen Mumienmaterial, das als „Mumia“ oder „Mumia vera aegyptiaca“ bezeichnet wurde, zunehmend Verbreitung fand und an Bedeutung gewann. Die Heilwirkung des Mittels, das noch bis in die 1920er Jahre hinein verwendet wurde, ist allerdings äußerst umstritten; es ist eher dem Bereich der Magie und Zauberei zuzuordnen. Die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit konservierten Leichnamen geht auf die Arbeit von Thomas Joseph Pettigrew zurück, der Mitte des 19. Jahrhunderts zum ersten Mal die Auswicklung einer ägyptischen Mumie detailliert beschrieb und dokumentierte. Seitdem waren die Mumien aus Ägypten ein beliebtes Studienobjekt und noch heute beschäftigen sich zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten mit diesem Thema. Dabei wandelte sich die Form der Untersuchung von zunächst rein beschreibenden Ausführungen zu immer komplexeren Analysen unter Zuhilfenahme von verschiedenen medizinischen und naturwissenschaftlichen Methoden. Gerade radiologische Techniken, und hierbei vor allem die Computertomographie, haben sich als geeignete Methodik erwiesen, da sie eine zerstörungsfreie Untersuchung der Mumien erlauben. Ein wichtiger Aspekt, wenn man bedenkt, welch hoher Stellenwert der Unversehrtheit und Erhaltung des Kulturguts Mumie heute zugesprochen wird. Zwar ist für diverse Untersuchungen, wie zum Beispiel die DNA- oder die Isotopen-Analyse, die Entnahme von Probenmaterial unvermeidlich, doch kann heute mit sehr geringen Mengen gearbeitet werden, wobei eine intensive und vorausschauende Planung der Analyse extrem wichtig ist. Die Anfänge der Mumifizierung im alten Ägypten gehen auf die sogenannte prädynastische Zeit zurück, also auf die Epoche vor der Ausbildung der Dynastien, in der das ägyptische Reich geeint wurde. Die Mumien aus dieser Zeit sind noch durch einen natürlichen Mumifizierungsprozess entstanden, der durch die Bestattung der Toten im trockenen Wüstensand begünstigt wurde. Allerdings gibt es aus einigen Fundstellen, wie etwa



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Saqqara und Abydos, bereits erste Hinweise, dass zur Konservierung der Verstorbenen mit Harz getränkte Leinenbinden verwendet wurden. Die ältesten auf natürliche Weise erhaltenen Mumien gehen bis etwa 3500 v. Chr. zurück, so etwa die im British Museum in London ausgestellte Mumie mit dem Spitznamen „Ginger“. Frühe Anzeichen von künstlichen Mumifizie-

46  Apothekergefäß mit Mumia.

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47  Prädynastische Mumie aus Gebelein („Ginger“), British Museum London.

48a, 48b  Mumie des Ankhpakhered: a) Sarg, b) vollständig eingewickelte Mumie.

rungsversuchen fanden sich im Grabkomplex des Djer, einem König der 1. Dynastie, der im 31. Jahrhundert v. Chr. gelebt hat. Hier fand der britische Archäologe Flinders Petrie bei seinen Ausgrabungen in Abydos einen Unterarm, der mit Binden umwickelt und mit reichlich Schmuck verziert war. Bis heute konnte allerdings nicht geklärt werden, ob es sich dabei um den Arm des Königs, seiner Frau oder eines anderen Grabinsassen gehandelt hat. Im Alten Reich (ca. 2700 bis 2200 v. Chr.) entwickelte sich dann eine immer ausgefeiltere Mumifizierungspraxis. Aus der 4. Dynastie gibt es bereits Belege, dass innere Organe über einen Einschnitt in das Abdomen entfernt wurden, um das Austrocknen des Körpers zu erleichtern. Die entnommenen Organe wurden in mit Harz getränkte Leinentücher eingewickelt und teilweise in Behälter, sogenannte Kanopen, gelegt oder in bestimmte Bereiche



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49  Mumienpoträit eines Mannes aus dem Fayum.



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innerhalb der Grabmauern gebracht. Nach dem Ende des Alten Reichs wurden die Körper in zunehmendem Maße in große Mengen von Leinenbinden eingewickelt, und dies auch bei einfacheren Bestattungen. Zusätzlich wurden nun meist auch Mumienmasken aus Kartonage angefertigt und die Mumien in zum Teil reich dekorierte Särge gelegt. Für die Mumifizierung selbst wurde zur effizienten Austrocknung des Körpers reichlich Natron verwendet und die Organe über einen abdominalen Schnitt entnommen, wobei das Gehirn noch eher selten entfernt wurde. Die leere Körperhöhle wurde im Anschluss mit Leinenbinden, Sägemehl oder Nilschlamm ausgestopft. Die Organe wurden in den Kanopen mit beigesetzt. Im Neuen Reich (ca. 1550 bis 1070 v. Chr.) erreichte die Mumifizierung im alten Ägypten ihre Blütezeit. Die aufwändige Prozedur umfasste die Entnahme der Organe einschließlich des Gehirns über die Nasenöffnung, die Austrocknung mit Natronsalz, die Verwendung von verschiedenen Ölen, Harzen, Bitumen, Wachs, Kräutern und Duftstoffen, das Auf- und Einbringen von Amuletten und schließlich das Einwickeln in mehrere Lagen von Leinenbinden. Das Herz verblieb in der Regel im Körper, da es als Sitz der Seele angesehen wurde, wohingegen bestimmte Organe nach ihrer Extraktion in Kanopengefäße eingebracht wurden, deren Deckel teilweise mit Darstellungen der vier Söhne des ägyptischen Gottes Horus verziert waren. Im Neuen Reich wurden zunehmend anthropoide Särge verwendet. Sarkophage aus Stein waren zunächst noch den Königen vorbehalten, wurden dann später aber auch zur Bestattung von Privatleuten, wie hohen Beamte, benutzt. In der Spätzeit des ägyptischen Reiches nahm die Verwendung von Bitumen im Rahmen der Mumifizierung stark zu, das teilweise in relativ großen Mengen in und über die Körper gegossen wurde. Die inneren Organen wurden oft in die Körperhöhle zurückgelegt und insgesamt zeigte sich eine große Variabilität in der Durchführung der Prozedur. In der griechisch-römischen Periode kam es zu einer Renaissance der Mumifizierung, die durch eine sehr komplexe und feine Bindenwicklung charakterisiert war. Zudem tauchen in dieser Zeit vor allem in den Nekropolen von Fajum, einer Stadt im nördlichen Ägypten südwestlich von Kairo, sogenannte Mumienportäts auf, bei denen es sich um auf Holztafeln oder direkt auf die Mumienleinwand gemalte Porträts der Verstorbenen handelt.

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Tutanchamun, der goldene König

50  Howard Carter bei der Untersuchung des Sargs von Tutanachamun.

Der wohl bekannteste Pharao der ägyptischen Geschichte ist der junge Tutanchamun. Kaum ein zweiter König fasziniert die Menschen in ähnlicher Weise und die Hinterlassenschaften aus seinem Grabmal im Tal der Könige sind geradezu das Sinnbild für die vergangene Hochkultur. Die zahlreichen Goldschätze, darunter die berühmte Goldmaske, die fast in jedem Beitrag über das alte Ägypten zu sehen ist, lassen den Glanz, den Reichtum und die Macht der einstigen Herrscher Ägyptens spüren. Dabei sind es nicht die großen Taten, wie siegreiche Schlachten oder eindrucksvolle Bauwerke, die Tutanchamun so berühmt haben werden lassen, sondern schlicht und einfach die Entdeckung seines unberührten Grabes, das den Grabräubern und lange Zeit auch den Archäologen verborgen geblieben war. Es dauerte bis ins Jahr 1922 bis der britische Forscher Howard Carter den Eingang zu der Grabanlage westlich des Nils bei der Stadt Theben, dem heutigen Luxor, entdeckte. Die relativ kleindimensionierte Begräbnisstätte, mit der heutigen Bezeichnung KV62, enthielt einen unglaublichen Reichtum an Beigaben, aus Unmengen an Gold, Edelsteinen und feinsten Materialien gefertigt, die den König für das ewige Leben ausstatten sollten. Hinter einer gemauerten Wand befand sich die eigentliche Sargkammer, die insgesamt vier Schreine und vier Sarkophage enthielt, die alle ineinander verschachtelt waren. Der innerste Sarg bestand aus purem Gold und barg die reich verzierten mumifizierten Überreste von Tutanchamun, der in dicke Bandagen gewickelt war und dessen Kopf und Schultern mit der strahlenden Goldmaske bedeckt waren. Die Särge und auch die Goldmaske waren offensichtlich während des Bestattungsrituals mit großen Mengen einer bitumenhaltigen Substanz begossen worden. Im Laufe der Zeit härtete das harzartige Material aus und konnte später nur unter großen Mühen von Howard Carters Mitarbeitern entfernt werden. Die Goldmaske war so fest mit der Mumie verbunden, dass bei deren Entfernung ein erheblicher Schaden entstand. Die Mumie von Tutanchamun ist bei weitem nicht so gut erhalten wie diejenigen anderer Pharaonen derselben Dynastie. Eher unüblich für diese Zeit wurden bei seiner Mumifizierung große Mengen an Bitumen verwendet und die Prozedur scheint insgesamt weniger sorgfältig und möglicherweise mit großer Eile durchgeführt worden zu sein. Dass der Körper des Königs im Vergleich zu der sehr aufwändigen und kostbaren Grabausstattung eher einfach bzw. überstürzt präpariert wurde, lässt sich möglicherweise auf den frühen Tod des Königs zurückführen. Es wäre auch denkbar, dass der junge Pharao weit entfernt von seinem Regierungssitz gestorben ist und seine Leiche bei der Rückkehr bereits Anzeichen einer fortgeschrittenen Verwesung aufwies, die eine schnelle Behandlung notwendig machten. Dafür fehlen allerdings



51  Mumie des Tutanachamun.

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jegliche historische Belege und somit lassen sich über die Gründe nur Mutmaßungen anstellen. Wie bereits erwähnt starb Tutanchamun früh, in einem Alter von 18 bis 20 Jahren. Er war König der 18. Dynastie des alten Ägyptens, die das Land von 1550 bis 1295 v. Chr. beherrschte und gemeinsam mit der 19. und 20. Dynastie die Epoche des sogenannten Neuen Reiches bildet (1550 bis

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52a, 52b

Mumien aus Ägypten

Jüngere und ältere Frau

aus dem Grab KV 35 im Tal der Könige.

1070 v. Chr.). Er wurde bereits im Alter von etwa neun Jahren zum Pharao ernannt und seine Regierungszeit währte lediglich weitere neun Jahre, von 1332 v. Chr. bis zu seinem Tod im Jahre 1323 v. Chr. Trotz der reichen Grabausstattung war bis vor kurzer Zeit wenig bekannt über die Familienverhältnisse von Tutanchamun und darüber, was den jungen König so früh aus dem Leben gerissen hatte. Es war eines der größten Rätsel der ägyptischen Geschichte, wer seine Eltern waren und wie sich der Stammbaum der königlichen Familie genau zusammensetzte. Als wahrscheinliche Kandidaten für seinen Vater wurden sein Vorgänger als Pharao, der auch als Ketzerkönig bekannte Echnaton, und der enigmatische Semenchkare gehandelt.

Tutanchamun, der goldene König

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Die Mutter könnte die erste Frau Echnatons, die schöne Nofretete, aber auch dessen zweite Frau Kija gewesen sein. Von keiner dieser Personen existierte bis zu diesem Zeitpunkt eine sicher zugeordnete Mumie, was die Identifizierung von Tutanchamuns Eltern zusätzlich erschwerte. Diese Situation war der Ausgangspunkt für ein groß angelegtes Projekt unseres Instituts in Zusammenarbeit mit der Universität Tübingen und dem Nationalen Forschungszentrum (National Research Center) in Kairo unter der Leitung der ägyptischen Antikenverwaltung mit dem damaligen Direktor Zahi Hawass. Gemeinsam sollte versucht werden die Abstammung und die Familienverhältnisse des goldenen Pharao zu erkunden und, soweit möglich, genauere Informationen zu möglichen Krankheiten bis hin zu seinem Tod zu erhalten. Dafür standen insgesamt elf Mumien zur Verfügung, die der 18. Dynastie zugeordnet wurden. Einige davon waren historisch sicher identifiziert worden, wohingegen andere lediglich aufgrund der Fundsituation oder anderer Hinweise als mögliche Königsmumien gehandelt wurden. Zu den Letzteren zählten eine fast vollständig skelettierte Mumie, die in der Grabanlage KV55 gefunden wurde und die Echnaton oder Semenchkare zugeordnet wurde. Zudem gab es die gut erhaltenen mumifizieren Überreste von zwei weiblichen Individuen, die aus dem Grab KV35 stammen und aufgrund ihres unterschiedlichen Alters lediglich als „jüngere Frau“ (engl. Younger Lady) und „ältere Frau“ (Elder Lady) bezeichnet wurden. Aufgrund der Mumifizierungsart passten die beiden Damen gut in die 18. Dynastie und manche Ägyptologen glaubten, die jüngere Frau als Nofretete bzw. Kija, beides Gemahlinnen von Echnaton, und die ältere Frau ebenfalls als Nofretete oder die Königin Teje, die Gemahlin des lange regierenden Pharao Amenophis III., identifizieren zu können. Klare historische Nachweise konnten allerdings nicht erbracht werden. Aus dem Grab Tutanch-amuns stammten zusätzlich die Mumien von zwei Föten, die beide offenbar noch während der Schwangerschaft verstorben waren und bei denen zudem nicht ersichtlich war, ob sie Nachfahren des Königs waren oder aus anderen Gründen mit bestattet wurden. Zwei weitere, relativ schlecht erhaltene Mumien aus der Grabanlage KV21 im Tal der Könige wurden in das Projekt mit einbezogen, da es sich hier um mögliche Kandidatinnen für Anchesenamun, die junge königliche Gemahlin Tutanchamuns handeln konnte. Zu den sicher identifizierten Mumien des alten Ägyptens zählten neben derjenigen Tutanchamuns die Mumien seiner Urgroßeltern mütterlicherseits Juja und Tuja sowie die von Amenophis III. Die elf Mumien wurden einer detaillierten anthropologischen, radiologischen und molekularbiologischen Untersuchung unterzogen, um das genaue Alter der Individuen zu bestimmen, Hinweise auf mögliche Erkrankungen zu erhalten und die Verwandtschaftsverhältnisse der königlichen Familie der 18. Dynastie aufzuklären. Für die genetische Verwandtschafts-

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53  Stammbaum der königlichen Familie von Tutanchamun.

analyse wurden von allen Mumien mehrere Proben in Form von kleinen Knochenstanzen aus dem Inneren der großen Langknochen (Oberschenkel, Unterschenkel, Oberarmknochen) unter sterilen Bedingungen entnommen. Die radiologischen Untersuchungen konnten an einem mobilen Computertomographen durchgeführt werden, der auf dem Gelände des Ägyptischen Museums in Kairo zur Verfügung stand. Für die genetischen Analysen wurden die entnommenen Knochenproben in einem eigens dafür eingerichteten Labor, das in einem Seitenflügel des Museums angesiedelt war, weiter bearbeitet. Dort wurde in einem komplexen und optimierten Verfahren das noch vorhandene Erbgut der königlichen Mumien extrahiert und damit genetische Fingerabdrücke der einzelnen Individuen angefertigt. Mit Hilfe von statistischen Verfahren wurden die Ergebnisse ausgewertet und daraus konnte ein genetischer Stammbaum der königlichen Familie rekonstruiert werden. Dabei konnten zum einen die skelettierte Mumie aus der Grabanlage KV55 als Vater und zum anderen die jüngere Frau aus dem Grab KV35 als Mutter Tutanchamuns identifiziert werden. Zusätzlich wurde die ältere Frau mit großer Sicherheit als Tochter von Juja und Tuja und damit als Königin Teje bestimmt. Interessanterweise zeigte sich dabei, dass sowohl die jüngere Frau als auch das Skelett aus KV55 gemeinsame Kinder aus ihrer Verbindung mit Amenophis III. waren und somit Tutanchamun das Produkt einer Geschwisterehe. Die Untersuchungen an den beiden Föten aus dem Grab von Tutanchamun erbrachten keine vollständigen genetischen



54a, 54b  CT-Aufnahmen zeigen eine florierende Infektion (a) und das Fehlen eines Zehenknochens des zweiten Zehs am linken Fuß (b).

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Fingerabdrücke, ergaben aber Hinweise darauf, dass es sich bei den beiden Totgeburten in der Tat um die direkten Nachkommen des jungen Königs handeln könnte. Zur namentlichen Identifizierung der Eltern von Tutanchamun sind neben der genetischen Analyse auch historische bzw. ägyptologische Belege notwendig. Im Falle des Vaters konnten von ägyptischer Seite neue archäologische Befunde präsentieren, die darauf hindeuten, dass der Sarg, in dem der mumifizierte Leichnam gefunden wurde, von Echnaton stammt. Dafür sprechen dünne Goldauflagen, die ursprünglich auf dem Sarg angebracht waren und den Sonnengott, Echnaton, darstellten. Frühere anthropologische Untersuchungen an dem Skelett aus KV55 hatten ein Alter von höchstens 25 Jahren ergeben, so dass es unmöglich Echnaton hätte zugeordnet werden können. Die radiologische Altersbestimmung auf Basis der computertomographischen Aufnahmen wies allerdings auf ein deutlich höheres Alter hin und somit ist die Identifikation von KV55 als Echnaton zum gegenwärtigem Zeitpunkt als sehr wahrscheinlich einzustufen. Solange allerdings keine genaueren Angaben zum Leben und Verbleib des geradezu mysteriösen Semenchkare gemacht werden können, lässt sich dieser als möglicher Vater von Tutanchamun nicht gänzlich ausschließen. In früheren radiologischen Untersuchungen an der Mumie Tutanchamuns war zwar das Sterbealter von 18 bis 20 Jahren festgestellt, aber keine gesicherten Erkenntnisse zur möglichen Todesursache gewonnen worden. Vereinzelt wurden sogar auf der Basis von Fehlinterpretation von Röntgenbildern diverse Mordszenarien entworfen, die aber einer kritischen wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhielten. Dahingegen ist die bei einer vorherigen Untersuchung festgestellte unverheilte Fraktur im Bereich des linken Knies

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55  Sparziergang im Garten Amarna. Das Relief zeigt Tutanchamun auf einen Gehstock aufgestützt, Ägyptisches Museum Berlin.

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korrekt diagnostiziert worden. Da hier keine Anzeichen eines Heilungsprozesses festzustellen sind, muss die Verletzung kurz vor dem Tod eingetreten sein und kann somit auch im Zusammenhang mit dem Ableben des jungen Königs stehen. Für die Annahme, dass infolge der Verletzung eine Blutvergiftung aufgetreten sein könnte und der Knochenbruch möglicherweise durch einen Sturz von einem Streitwagen hervorgerufen wurde, fehlen allerdings jegliche Belege und sie muss daher Spekulation betrachtet werden. Die erneute Auswertung der computertomographischen Bilder lieferte neue Erkenntnisse zum Gesundheitszustand des goldenen Pharao. Dabei fanden sich an seinem linken Fuß neben einer leichten Klumpfußbildung deutliche Anzeichen einer akuten entzündlichen Knochennekrose, des sogenannten Freiberg-Köhler-Syndroms. Die Erkrankung, die typischerweise bei Jugendlichen auftritt und in der vorliegenden akuten Form mit Schwellungen des Vorfußes und starken Schmerzen einhergeht, hat mit großer Sicherheit zu einer erheblichen Einschränkung der Mobilität des jungen Königs geführt. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass die in Grabinschriften dargestellten Szenen, in denen Tutanchamun auf einen Gehstock gestützt abgebildet wurde, tatsächlich den wahren Gegebenheiten entsprach. Untermauert wird die Annahme, dass Tutanchamun vermutlich bis zu seinem Tode auf eine Gehhilfe angewiesen war, durch einen Fund von Howard Carter, der 130 zum Teil vollständige, zum Teil fragmentierte Stöcke in dessen Grab gefunden hatte. Hinweise auf die mögliche Todesursache des goldenen Pharao ergaben weitere molekularbiologische Untersuchungen im Rahmen unseres Projekts, bei denen wir das genetische Material auf mögliche Infektionskrankheiten untersuchten. Dabei wurden molekulare Test auf verschiedene Krankheitserreger durchgeführt. Bei den diagnostischen Verfahren wurde schließlich der Erreger der Malaria, das Plasmodium falciparum, bei Tutanchamun, aber auch bei den Mumien von Juja und Tuja nachgewiesen. Dieser Mikroorganismus verursacht die Form der Malaria, die meist von ausgeprägter Blutarmut und neurologischen Komplikationen begleitet wird und einen schweren Verlauf nehmen kann. Der Nachweis von Malariaerregern bei Tutanchamun lässt keinen direkten Rückschluss auf die Todesursache zu. Die Befunde zeigen, dass der jung verstorbene König an mehreren Krankheiten litt, die ihn erheblich geschwächt haben müssen und sich vermutlich auch ungünstig auf seine Immunabwehr ausgewirkt haben. Eine Verletzung, wie beispielsweise ein einfacher Sturz, der durch die vorliegende Gehbehinderung hervorgerufen worden sein könnte, oder die Erkrankung an Malaria könnten schließlich zum Ableben Tutanchamuns geführt haben. Um die Frage zu klären, inwieweit sich die nachgewiesene Geschwisterehe der Eltern von Tutanchamun und mögliche weitere Fälle in der königlichen Familie ungünstig auf das Erbgut des jungen Pharao und seiner Familienangehörigen ausgewirkt hat, bedarf es weiterer detaillierter Untersuchungen.

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Ramses III. und die Haremsverschwörung

56  Tempel von Ramses III. im Karnak Tempelkomplex.

Ramses III. war ein altägyptischer König des Neuen Reiches und Sohn und Nachfolger von Pharao Sethnacht, dem Begründer der 20. Dynastie. Er wurde um 1221 v. Chr. geboren, trat 1188 v. Chr. seine Regentschaft an und starb laut historischen Quellen am 7. April 1156. Besonders das Lebensende von Ramses III. war über viele Jahre hinweg Anlass von eingehenden



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57  Mumie Ramses III.

Diskussionen unter Ägyptologen. In einer Reihe von Dokumenten, unter denen der Turiner Gerichtspapyrus das bedeutendste ist, wird beschrieben, wie Mitglieder seines Harems im Rahmen einer Palastrevolte einen Anschlag auf das Leben Ramses’ III. verübten. Den historischen Quellen zufolge scheiterte zwar der Staatsstreich, jedoch geben sie keinen Aufschluss darüber, ob das Attentat ebenfalls misslang. Der Turiner Gerichtspapyrus berichtet von vier verschiedenen Gerichtsverhandlungen und listet die verhängten Strafen für die an der Verschwörung beteiligten Personen auf. Als



Anführer des Aufstands wurden Königin Teje, eine Nebenfrau Ramses’ III., und deren Sohn Prinz Pentawar identifiziert. Die Bestrafungen reichten vom Abschneiden der Nase und Ohren bis hin zu Hinrichtungen. Einigen hohen Würdenträgern wurde der Befehl zum Selbstmord erteilt. In den alten Aufzeichnungen wird Ramses III. als großer Gott bezeichnet und auch andere Formulierungen sprechen dafür, dass der König zum Zeitpunkt der Verhandlungen bereits verstorben war. Andererseits fungierte der Pharao als Ankläger und der Gerichtshof erhielt seine Anweisungen direkt von ihm. Dies könnte dahingehend interpretiert werden, dass Ramses III. zu Beginn der Verhandlungen noch gelebt und somit den Anschlag zunächst überlebt hat, andere Forscher interpretieren dies als die göttliche Macht des Königs, der die Geschicke seines Volkes auch noch nach seinem Tode lenkt. Aufgrund der nicht eindeutigen Textquellen und fehlender Hinweise auf die Todesursache aus früheren Untersuchungen der Mumie des Königs wurden verschiedene Theorien zum Ausgang der Haremsverschwörung entwickelt: Entweder scheiterte der Anschlag auf Ramses III. vollständig oder er war erfolgreich und führte direkt zu seinem Tod, oder der Pharao wurde schwer verletzt und erlag später seinen Verletzungen. Auch vom Schicksal der Königin Teje ist nichts bekannt, wohingegen von ihrem Sohn Pentawar angenommen wird, dass er sich selbst das Leben nehmen musste. Die Mumie des Prinzen konnte lange Zeit nicht identifiziert werden, jedoch wurde von einigen Wissenschaftlern vermutet, dass es sich bei der Mumie, die als „Unbekannter Mann E“ (engl. Unknown Man E) bezeichnet wird, um dem Königssohn handeln könnte. Diese wurde gemeinsam mit derjenigen von Ramses III. und anderen Königsmumien in der Cachette von Deir elBahari gefunden, einer Grabanlage, die vermutlich in der 22. Dynastie angelegt wurde und als Depot für zahlreiche königliche Mumien zum Schutz vor Grabräubern diente. Um den tatsächlichen Ausgang der Haremsverschwörung zu ergründen, wurde von unserem Institut und dem gleichen deutsch-ägyptischen Team, das bereits die Tutanchamun-Studie durchgeführt hatte, ein weiteres Projekt begonnen, das die Frage nach dem Schicksal Ramses’ III. und nach der Identität der Mumie „Unbekannter Mann E“ mit radiologischen, gerichtsmedizinischen und molekularbiologischen Methoden klären sollte. Dazu wurden die beiden Mumien im Computertomographen untersucht und es wurden, wie im Kapitel zu Tutanchamun beschrieben, Knochenproben entnommen und einer genetischen Analyse unterzogen. Zu unserer großen Überraschung zeigten die CT-Bilder eine tiefe klaffende Wunde im Bereich des Halses von Ramses III. Die Verletzung, die mit großer Wahrscheinlichkeit durch einen scharfkantigen Gegenstand, vermutlich ein Messer oder Schwert, hervorgerufen wurde, ist etwa 70 Millimeter breit und zieht sich vom linken zum rechten Rand der Kehle. Sie reicht zudem bis zu den Halswirbelkörpern und es wurden sämtliche Weichgewebe



58  Mumie des Unbekannten Manns E.

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am vorderen Hals verletzt. Dabei wurde die Luftröhre durchtrennt und die Schnittenden sind deutlich voneinander getrennt. Darüber hinaus sind bei dem Schnitt durch die Kehle auch die Speiseröhre und die großen Blutgefäße verletzt worden. Das Ausmaß und die Schwere der Verletzung lassen nur den einen Schluss zu: Ramses III. wurde durch einen Schnitt quer über den Hals schwer verletzt und muss unmittelbar an den Folgen gestorben sein. Den Nachweis, dass ihm der Halsschnitt nicht später zugefügt wurde, beispielsweise im Zuge der Mumifizierung, erbrachte der Fund eines Amulettes in Form eines Horusauges im Inneren der Wunde. Anhand von dreidimensionalen Rekonstruktionen der computertomographischen Aufnahmen konnte das Objekt mit etwa 15 Millimeter virtuell nachgebildet werden. Das Horusauge stellt ein Schutzsymbol dar und wurde von den altägyptischen Priestern als Zeichen für die Wiederherstellung bzw. Genesung verwendet. Offensichtlich versuchten diese also im Rahmen der Mumifizierung des Königs die Wunde durch das Einbringen eines derartigen Amulettes für das Leben nach dem Tod symbolisch zu heilen. Somit konnte mit hoher Sicherheit belegt werden, dass Ramses III. im Zuge der Haremsverschwörung tatsächlich einem Anschlag zum Opfer gefallen ist und diesen nicht überlebt hat. Die schwere Halsverletzung war bei früheren Untersuchungen verborgen geblieben, da eine dicke Halskrause aus Bindenmaterial diesen Bereich verdeckte und somit erst die radiologische Untersuchung Klarheit bringen konnte. Dabei zeigte sich auch, dass der über 60-jährige König an starker Arteriosklerose inklusive der Herzkranzgefäße litt und damit ein stark erhöhtes Risiko für einen Herzinfarkt vorlag. In seinem Körperinneren fanden sich zudem Amulette, welche die vier Söhne des Horus darstellen. Die Untersuchungen an der Mumie des Unbekannten Mannes ergaben, dass dieser in für die damalige Zeit vollkommen untypischer Weise mumifiziert wurde. Es finden sich an seinem Körper keinerlei Anzeichen für Einschnitte zur Entnahme der inneren Organe oder des Gehirns. Die Haut der Mumie weist eine leicht rötliche Färbung auf und es geht ein unangenehmer, stechender Geruch von ihr aus. Der weit aufgerissene Mund hat ihr die Bezeichnung „Schreiende Mumie“ (engl. screaming mummy) eingebracht und Diskussionen über eine mögliche Bestattung bei lebendigem Leibe entfacht. Allerdings ist dieses Phänomen sehr häufig bei natürlichen Mumien zu beobachten, bei denen es durch die Austrocknung zu einer solchen Verzerrung der Gesichtszüge kommen kann. Diese hat aber in der Regel nichts mit der Form der Bestattung zu tun und stellt mit Sicherheit nicht den Ausdruck des Entsetzens eines Verstorbenen dar. Nichtsdestotrotz ist der Unbekannte Mann offensichtlich auf sehr ungewöhnliche Weise bestattet worden. Er war unbekleidet und nicht in Mumienbinden eingewickelt, sondern lediglich mit einem Ziegenfell bedeckt worden. Darüber hinaus konnten wir bei der forensischen Inspektion feststellen, dass

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das Genital fehlte und sich am Hals auffällige Hautfalten gebildet hatten. Diese erweckten den Eindruck, dass hier möglicherweise ein Strick um den Hals gewunden war. Im radiologischen Bild zeigte die Mumie zudem einen aufgeblähten Oberkörper sowie Anzeichen von degradationsbedingter Gasbildung im Bauch- und Hüftbereich. Diese Merkmale sprechen dafür, dass der Unbekannte Mann keines natürlichen Todes gestorben ist, sondern möglicherweise stranguliert oder erhängt wurde. Aufgrund fehlender weiterer Indizien lässt sich dies aber nicht mit letzter Sicherheit belegen. Fest steht allerdings, dass er keiner regulären Mumifizierung unterworfen wurde und somit vermutlich auch keine ehrenhafte Bestattung erhalten hatte. Die genetische Untersuchung sollte nun Klarheit bringen, ob es sich hier um den Königssohn Pentawer gehandelt haben könnte, der von den Richtern als Mitverantwortlicher für die Palastrevolte schuldig gesprochen und vermutlich zum Freitod verurteilt wurde. Ein Vergleich der genetischen Fingerabdrücke ergab nun in der Tat eine fünfzigprozentige Übereinstimmung der verwendeten Marken zwischen Ramses III. und dem unbekannten Mann E. Zusätzlich fand sich eine vollständige Konkordanz in der genetischen Signatur des Y-Chromosoms, also des männlichen Geschlechtschromosoms. Somit konnte eine Verwandtschaft auf väterlicher Linie zwischen den beiden Individuen belegt werden und aufgrund der Ähnlichkeit im genetischen Fingerabdruck darauf geschlossen werden, dass der Unbekannte Mann ein Sohn Ramses III. war. Leider ist von der Mutter, Königin Teje, keine Mumie überliefert und somit kann der Test keine hundertprozentige Gewissheit geben, dass es sich bei der ungewöhnlichen Mumie tatsächlich um den Prinzen Pentawer handelt. Betrachtet man aber die ungewöhnliche Mumfizierungsart, die Hinweise auf einen gewaltsamen Tod, der eventuell auf einen Freitod durch Erhängen zurückgeführt werden könnte, und die genetische Nähe zu Ramses III. Im Zusammenhang, so erscheint die Identifizierung des Unbekannten Mannes E als Pentawar als durchaus plausibel. Selbst wenn noch wissenschaftliche Zweifel an der Identität der Mumie bleiben, so konnte im Rahmen dieses Forschungsprojekts doch das große Rätsel um den Ausgang der Haremsverschwörung gelöst und ein wichtiges Kapitel der Geschichte des alten Ägyptens geschlossen werden. Der große Pharao Ramses III. fiel einer hinterlistigen Revolte zum Opfer, bei der ihm auf brutale Weise die Kehle durchtrennt wurde. Die historischen Quellen verraten uns, das der Aufstand letztendlich scheiterte und die Verschwörer ihrer gerechten Strafe zugeführt wurden, darunter offensichtlich auch der vermeintliche Thronfolger Prinz Pentawar.

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Mumien aus Asien

59  Skythische Mumie mit Anzeichen künstlicher Mumifizierung, Emeritage St. Petersburg.

Wie alle anderen Erdteile bietet auch der asiatische Kontinent zahlreiche Mumienfunde aus verschiedenen Zeitstellungen. Diese reichen von den etwa 4000 Jahre alten Mumien des zentralasiatischen Tarimbeckens über die bis auf 500 v. Chr. datierenden Bestattungen der skythischen Pazyryk-Kultur, die Feuchtleichen der chinesischen Han-Zeit (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.), die koreanischen und japanischen Mumien der letzten 600 bis 700 Jahre bis hin zu den modernen einbalsamierten Leichnamen des Ho Chi Min und des Staatsgründers der Volksrepublik China Mao Zedong. Ähnlich vielfältig wie die Zeitstellung und die geographische Verbreitung der Mumien sind auch die Mumifizierungstechniken bzw. die klimatischen Gegebenheiten sowie die speziellen Sargmilieus, die zur Konservierung der bestatteten Körper geführt haben. So zeigen die Mumien der sogenannten Pazyryk-Kultur in der heutigen Mongolei klare Anzeichen einer künstlichen Mumifizierung. Zum Beispiel wurde bei der Altaischen Lady, einer skythischen Prinzessin, die auf dem Ukok-Plateau im Altaigebirge entdeckt wurde, festgestellt, dass

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diese nach ihrem Tod einer aufwändigen Prozedur unterzogen wurde. Dabei wurden zunächst über einen Einschnitt in den Oberkörper die inneren Organe entnommen, im Anschluss wurde der Bauchraum mit einer Mischung aus Sand, Wolle und Kräutern und die Brust mit trockenem Torf gefüllt. Das Gehirn wurde ebenfalls entnommen und der leere Schädel mit Rosshaar ausgestopft. Zusätzlich fanden sich Spuren von Wachs, Ton und Quecksilber auf der Haut der Mumie, die zum Zwecke der Konservierung aufgetragen wurden, was wohl auch dazu dienen sollte, den mumifizierten Leichnam noch eine gewisse Zeit ausstellen zu können. Aus historischen Quellen ist zudem bekannt, dass manche skythische Herrscher nach ihrem Tode noch einmal ihr ganzes Reich bereisten. Dies war sicherlich nur im mumifizierten Zustand möglich. Die Bestattung selbst fand in einem der für die Kultur typischen Grabhügel statt, der sogenannten „Kurgane“. Die unterirdischen Bauten aus Holz wurden mit Schotter und Graswurzeln abgedeckt, durch die im Sommer Tauwasser durchsickerte und das Ganze zu einer Eislinse gefrieren ließ. Dieser Umstand verbesserte die Konservierungsbedingungen noch erheblich und führte dazu, dass neben dem Körper auch die organischen Beigaben, wie Teppiche, Kleidung und Pelze, außerordentlich gut erhalten geblieben sind. Im Jahr nach der Auffindung der Eisprinzessin wurde nicht unweit von der Fundstelle die Mumie eines skythischen Kriegers, entdeckt der gemeinsam mit seinem Pferd bestattet wurde. Der Mann wies wie die Altaische Lady auf seinem Oberkörper Tätowierungen in Form von Tiermotiven auf und hatte rotblonde Haare. In den letzten Jahren ist es dem deutschen Archäologen Hermann Parzinger gelungen weitere Mumien der Pazyryk-Kultur aufzuspüren, darunter die konservierte Leiche eines 30bis 40-jährigen Kriegers mit blondem Haarschopf, der mit zwei Pferden und reichlichen Grabbeigaben bestattet wurde, zu denen zum Beispiel auch ein in der altgriechischen Literatur oft erwähnter Kompositbogen gehörte. Im Gegensatz zu den künstlich mumifizierten Körpern der skythischen Krieger finden sich in China zahlreiche Beispiele für einen natürlichen Mumifizierungsprozess, der entweder auf bestimmte klimatische Verhältnisse zurückzuführen ist oder auf eine besondere chemische Zusammensetzung des Sarginneren von Bestattungen. In Xinjiang, das im fernen Westen Chinas liegt, herrschen meist hohe Temperaturen und es liegt eine extreme Trockenheit vor. Insbesondere im Becken von Turfan können im Sommer Werte von bis zu 70 bis 80° C erreicht werden. Die Niederschlagsmenge pro Jahr liegt unter 17 Millimeter und der Grundwasserspiegel findet sich in mehr als 20 Meter Tiefe. Diese ausgesprochen trockenen und heißen klimatischen Verhältnisse führten dazu, dass in zahlreichen Gräbern des Tarimbeckens in der Nähe des Lop-Nor-Sees die Bestatteten auf natürliche Weise mumifiziert wurden. Die oft nur wenige Meter tief im Boden liegenden Grabanlagen datieren überwiegend aus einer Zeit zwischen dem



60  Mumie aus dem Tarimbecken, die „Schönheit von Lulan“.

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8. Jahrhundert v. Chr. und dem 10. Jahrhundert n. Chr. Einige Gräberfelder wurden auf etwa 1800 v. Chr. datiert. Dazu zählt die Nekropole von Käwirgul, die ca. 70 Kilometer westlich des ausgetrockneten Sees Lop Nor neben dem Unterlauf des Konqi auf einer kleinen Düne liegt. Hier fanden Archäologen 42 Gräber von Männern, Frauen und Kindern in jeweils gestreckter Rückenlage mit Ausrichtung von Osten nach Westen. Die extreme Aridi-

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tät und der hohe Salzgehalt des Bodens führten hier zu einer sehr guten Erhaltung der bestatteten Körper. Darunter fanden sich auch vollständig mumifizierte Leichname, darunter die sogenannte „Schönheit von Lulan“, die heute in einem Museum in Ürümqi zu bewundern ist. Sie zeigt wie die anderen frühen Bestattungen des Tarimbeckens eine eher europäische (kaukasische) Physiognomie, ein Eindruck, der durch ein schmales Gesicht mit langer, spitzer Nase und rotbraunes Haar hervorgerufen wird. Andere Mumienfunde aus dieser Region weisen ebenfalls einen Zeichen eines europäischen Ursprungs auf, wie beispielsweise der groß gewachsene rothaarige Cherchen-Mann (1000 v. Chr.), die Hami-Mumie, eine ebenfalls rothaarige Frau aus Qizilhoqa, oder die sogenannten „Hexen von Subeshi“, die hohe schwarze konische Filzhüte und typisch europäische Kleidung trugen. Am östlichen Ende des Tarimbeckens fanden sich in dem Gräberfeld von Yanbulag hingegen 29 Mumien, die überwiegend asiatische bzw. mongolische Gesichtszüge aufwiesen. Die Gräber datieren aus einen Zeitraum von etwa 1100 bis 500 v. Chr. und enthielten zudem acht Mumien, die eher den europäischen Typen der anderen Fundorte glichen. Das überwiegend europäische Physiognomie und Kleidung der Mumien aus dem Tarimbecken hat zu heftigen Diskussionen über den Ursprung der damaligen Bewohner und die Besiedlung der heutigen Xinjiang-Region geführt. Spekulationen über eine europäische Besiedlung und einen starken Einfluss des Westens auf die chinesische Kultur wurden durch die Lage der Fundorte entlang der Seidenstraße noch verstärkt. Neuesten Erkenntnissen zufolge, die sowohl auf archäologischen als auch genetischen Untersuchungen der Mumien beruhen, finden sich aber sowohl west- als auch osteurasische Einflüsse in der frühen Bevölkerung des Tarimbeckens. Daher geht man heute nicht mehr davon aus, dass Siedler aus Europa dort eingewandert sind, sondern eher Bevölkerungsgruppen, die vorher im Bereich des Altaigebirges gelebt haben, also im Grenzgebiet zwischen dem heutigen Russland, Kasachstan und der Mongolei. Zudem siedelten am östlichen Rand des Taminbeckens mongolische Volksstämme und darüber hinaus fand eine Besiedlung der Region offensichtlich auch aus der westlichen Steppe statt. Im Laufe der Zeit begannen die verschiedenen Volksgruppen zu interagieren und sich zu vermischen. Im Kernland Chinas waren die Vorstellungen über die Bedeutung des Todes und den Umgang mit den Verstorbenen einem gewissen Wandel unterworfen. Grundsätzlich bestand aber ein hoher Respekt vor den Toten, die als Ahnen eine besondere Verehrung einforderten. Zudem wuchs im Laufe der Zeit der Wunsch nach Unsterblichkeit und einem ewigen Leben. Insbesondere in der Han-Zeit (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) wurde daher mit großer Begeisterung Alchemie betrieben, im Wesentlichen mit dem Ziel, eine „Unsterblichkeitspille“ zu erzeugen. Zudem konnte man versuchen den Tod



61  Chinesische Mumie aus Jinghzou, Han Dynastie, Jinghzou Museum.

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durch das Einnehmen von Zinnoberwasser oder Quecksilber, das Verspeisen von Blüten, Pilzen, Pinienkernen und Früchten sowie durch Fasten- und Atmungsübungen oder spezielle Sexualpraktiken zu besiegen. Selbstverständlich waren diese Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt. Die Verstorbenen wurden nach konfuzianischen Totenriten bestattet. Dabei konnten vom Zeitpunkt des Todes bis zur eigentlichen Grablegung, je nach Stand des Toten, mehrere Monate vergehen. Dies machte es erforderlich, deren Leichname zumindest für einen begrenzten Zeitraum zu konservieren. Obwohl keine Mumifizierung im eigentlichen Sinne, etwa mit einer Organentnahme, vorgenommen wurde, wurden die Verstorbenen dennoch zunächst gewaschen und anschließend in ein alkoholisches Bad getaucht, das meist aus Getreidewein mit aromatischen Zusätzen bestand. Der Leichnam wurde

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danach in mehrere Lagen von Seidenkleidern und Decken gehüllt und auf einem Totenbett aufgebahrt, unter das ein Becken mit Eis zur Kühlung gestellt wurde. Während der Bestattung wurden oftmals auch verschiedene Duftstoffe und Räucherwerk beigegeben, wie etwa Weinraute, Magnolienknospen, Zimtrinde und Sandelholz. Die fäulnisabwehrende Eigenschaft von Quecksilber war in China lange bekannt und daher wurde es auch als Mittel zur vermeintlichen Verlängerung des Lebens eingenommen. Zudem kam es bei der Behandlung von Wurmkrankheiten zur Anwendung. Weniger bekannt dürfte hingegen gewesen sein, dass Quecksilber hochtoxisch ist und die Einnahme zu schweren Leber- und Nierenschäden führt. Daher kann man davon ausgehen, dass die Einnahme von Quecksilber und Quecksilberverbindungen einen gegenteiligen Effekt hatte, der sich wahrscheinlich aber als günstig für die Mumifizierung erwiesen hat. Schließlich weiß man aus den Erfahrungen mit Quecksilbervergiftungen, dass der Verwesungsprozess der daran Gestorbenen oft erheblich beeinträchtigt wird. Neben dem zu Lebzeiten eingenommenen Quecksilber fanden sich archäologische Hinweise, dass Quecksilberverbindungen zusätzlich direkt in die Särge eingebracht wurden, die sich in einigen Fällen zusammen mit einer Lage Holzkohle am Sargboden von Bestattungen fanden. Weitere Ursachen, die zur Mumifizierung von Leichnamen geführt haben, waren die Verwendung von mehreren dickwandigen und ineinander verleimten Holzsärgen, die ein stark sauerstoffarmes Milieu erzeugten und daher den Verwesungsprozess verlangsamen oder ganz stoppen konnten. Dazu sind einige Funde aus der Ming-Zeit (1368 bis 1644 n.  Chr.) gemacht worden. Zusätzlich wurde der natürliche Mumifizierungsprozess durch die Anlage von sehr tiefen Grabschächten, die bis zu 20 Meter tief ins Erdreich führten, und die Verfüllung der Grabkammer mit verschiedenen Materialien, wie zum Beispiel Muschelkalk, Holzkohle und Kaolin, unterstützt. Eine ähnliche Art der Bestattung führte auch bei den in Südkorea gefundenen Gräbern zur Mumifizierung der Bestatteten, wovon im entsprechenden Kapitel noch im Detail die Rede sein wird. Eine besonders ungewöhnliche Form der natürlich-intentionellen Mumifizierung findet sich in Japan. Dort herrschen aufgrund des überwiegend feucht-warmen Klimas relativ ungünstige natürliche Voraussetzungen für einen dauerhaften Erhalt von Verstorbenen als Mumien. Dennoch konnten etwa 20 japanische Mumienfunde beschrieben und untersucht werden. Bei den Verstorbenen handelt es sich zum Großteil um Geistliche, vier davon stammen allerdings aus der Herrscherfamilie der Fujiwara im Norden Honshūs. Besonders beeindruckend sind aber die Selbstmumifizierungen von buddhistischen Mönchen, die überwiegend der japanischen ShingonSekte angehörten. Diese Mumifizierungspraxis, die als Sokushinbutsu bezeichnet wird, wurde in der Lehre des Shingon-shū als Möglichkeit ange-

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sehen, durch extreme Vernachlässigung des Körpers zugunsten des Geistes ins Nirvana überzugehen. Der eigentliche Mumifizierungsprozess erfolgte in mehreren Schritten, wobei die Entscheidung dafür von den jeweiligen Person bewusst getroffen wurde. Im ersten Schritt wurde über einen Zeitraum von 1000 Tagen zunächst die Ernährung stark reduziert, wobei auf die gewohnten Nahrungsmittel vollständig verzichtet und stattdessen auf Baumrinde, Wildkräuter und Kiefernwurzeln zurückgegriffen wurde. Am Ende dieser Diät begann der Mönch mit der Einnahme eines giftigen Tees aus dem Harz des Urushi-Baumes, der Erbrechen und starkes Schwitzen auslöst und damit die Austrocknung des Körpers vorantreibt. Am Ende dieses Prozesses wurde er dann in eine belüftete Steinkammer eingeschlossen bzw. darin bestattet, falls er bereits verstorben war. Nach weiteren 1000 Tagen war die Mumifizierung abgeschlossen, die Mumie wurde gegebenenfalls noch mit Hilfe von Rauch oder Hitze getrocknet und im Anschluss in eine Mönchsrobe gekleidet. Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Selbstmumifizierung in Japan verboten; 1903 verstarb der letzte Mönch bei der Ausübung dieses Rituals. Viele der Mönchsmumien sind heute in einem relativ schlechten Erhaltungszustand und bedürfen daher der besonderen Aufmerksamkeit der Forschung.

Lady Dai, eine Mumie aus der Han-Dynastie in China Eine besonders bemerkenswerte Mumie wurde Anfang der 1970er Jahre in Mawangdui bei Changsha in der Provinz Hunan ausgegraben. In einem Doppelhügel befanden sich dort drei Gräber der Fürstenfamilie von Dai, die aus der Westlichen Han-Zeit (206 v. Chr. bis 24 n. Chr.) stammen. Die Gräber gehörten Li Chang, dem ersten Marquis von Dai und Kanzler des Königreichs Changsha, seiner Frau Xin Zhui und einem etwa 30-jährigen Mann, der vermutlich ihr Sohn gewesen ist. Das Grab des Marquis von Dai, der 186 v. Chr. gestorben ist, wurde mehrfach von Grabräubern geplündert und dabei stark zerstört. Eine Mumie des Kanzlers ist nicht erhalten. Die anderen beiden Gräber überstanden die Zeit ungestört, wobei nur im Grab Marquise von Dai ein mumifizierter Leichnam vorgefunden wurde, wohingegen das Grab des vermeintlichen Sohnes nur ein Skelett enthielt. Umso spektakulärer war allerdings der Erhaltungszustand der sogenannten Lady Dai, so dass sie mitunter als die am besten erhaltene Mumie der Welt bezeichnet wird. Sie befand sich im Inneren von vier ineinander verschachtelten lackierten Särgen. Der innerste Sarg war vollständig mit Kleidungsstücken und Decken ausgefüllt, zudem befand sich darin eine gelbbraune Flüssigkeit, in die der Leichnam bis etwa zur Hälfte getaucht war. Das Grab der Lady enthielt unter anderem ein komplett erhaltenes Kosmetikset, lackierte

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62  Ausgrabung der Fürstenfamilie von Dai.

Weinschalen und fein gewobene Seidengewänder, die mit eindrucksvollen Gemälden verziert waren. Außerdem wurde auf dem Sarg der Lady Dai ein Bestattungsbanner aus Seide gefunden, das von einem Gemälde geziert wird, welches die chinesische Vorstellung vom Kosmos und dem Jenseits zur Zeit der Westlichen Han-Dynastie darstellt. In Grab Nr. 3 fanden sich zusätzlich noch auf Seide gemalte Landkarten, die zu den ältesten Funden dieser Art in China gehören. Der mumifizierte Leichnam der Lady wurde nach der Bergung zunächst in einer vier- bis fünfprozentigen Formaldehydlösung aufbewahrt und später einer ausgedehnten Untersuchung unterzogen. Der gute Erhaltungszustand des Körpers, der noch eine gewisse Elastizität aufwies, erlaubte es den Forschern sogar eine Autopsie durchzuführen. Die Fürstin von Dai starb etwa in einem Alter von 50 Jahren. Die Mumie wies eine Körperhöhe von 154 Zentimetern auf und wog bei der Inspektion noch 34,3 Kilogramm. Das für einen mumifizierten Leichnam relativ hohe Gewicht erklärt sich daraus, dass der Körper noch relativ viel Feuchtigkeit enthielt. Dies steht wohl im Zusammenhang mit der Flüssigkeit, die im Sarginneren vorhanden war. Eine Analyse der Sargflüssigkeit ergab, dass diese stark sauer war mit einem pH-Wert von 5,18. Zudem enthielt sie einen geringen Anteil an Quecksilber und hohe Konzentrationen von Phosphor, Magnesium und Natrium. Ihre Herkunft und der genaue Ablauf der Mumifizierung sind aber bis heute nicht vollständig geklärt. Nach Meinung der chinesischen Forscher hat sich die Flüssigkeit erst nach der Bestattung gebildet und zum Erhalt des Körpers der Fürstin beigetragen. Möglicherweise wurde aber die quecksilberhaltige Flüssigkeit aufgrund der damals bereits bekannten fäulnisabwehrenden Eigenschaften des Schwermetalls auch ganz bewusst bei der Bestattung eingefüllt. In jedem Fall kann davon ausgegangen werden, dass der niedrige pH-Wert, der hohe Salzgehalt und das Quecksilber erheblich zur Mumifizierung beigetragen haben. Unterstützt wurde der Prozess mit Sicherheit durch die praktisch luftdichten Verschluss der ineinander geschachtelten Särge, der zusätzlich durch die Konstruktion der Grabkammer unterstützt wurde. Diese wurde in einer Tiefe von über 20 Metern angelegt, mit 60 Tonnen Kohle verfüllt und außen mit einer dicken Lehmschicht versiegelt. Besonders ungewöhnlich ist der Erhaltungszustand der Haut, die noch relativ weich und elastisch war, was sich später auch bei den inneren Organen zeigen sollte. Die Oberfläche der Haut war allerdings unregelmäßig und zeigte an einigen Stellen Hinweise auf eine subkutane Fettwachsbildung. Die meisten Gelenke waren noch leicht beweglich. Es finden sich gewisse Anzeichen eines Fäulnisprozesses, wie beispielsweise die eingefallenen Augen und eine leicht hervortretende Zunge, der aber offensichtlich zum Stillstand gekommen war. Die Autopsie zeigte, dass das Gehirn noch gut erhalten und auf etwa die Hälfte seiner ursprünglichen Größe geschrumpft



63  Mumie der Lady Dai, Provinzialmuseum von Hunan.

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64  Handbemaltes Seidentuch aus dem Grab der Lady Dai.

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war. Die Kopfhaare waren noch völlig intakt. Als Todesursache konnte ein Myokardinfarkt des Herzens festgestellt werden, der vermutlich durch eine Gallenkolik ausgelöst wurde. Die Fürstin litt zu diesem Zeitpunkt bereits an einer starken Verkalkung der linken Koronararterie, die das Volumen des Gefäßes um 25 bis 50 % verringert hatte. Ihre letzte Mahlzeit bestand aus einer Moschusmelone, deren Kerne sich im großer Zahl noch im Magen und der Speiseröhre befanden. Der pathologische Befund ergab weitere Hinweise auf eine allgemeine Arteriosklerose, das Vorliegen von Gallensteinen, knotenförmige Verkalkungen in der Lunge, einen Bandscheibenvorfall im Bereich der Lendenwirbelsäule und alte, verheilte Brüche der rechten Unterarmknochen. Darüber hinaus fanden sich in der Leber und Darmwand Belege für eine Infektion mit Schistosoma japonica, einem Erreger der Bilharziose, eine Wurmkrankheit, die zu schweren Leberschäden führen kann. Zusätzlich konnten Eier der Parasiten des Peitschenwurms (Trichuris trichura) und des Madenwurms (Enterobius vermicularis) nachgewiesen werden. Chemische Analysen ergaben deutlich erhöhte Werte von Blei im Knochen und der Aortenwand und einen weit über den Normalwerten liegenden Quecksilbergehalt in den Nieren und der Leber. Ansammlungen von Zinnober und Blei im Bereich des Dünndarms belegen eindeutig, dass die Substanzen bereits zu Lebzeiten aufgenommen wurden. Wie bereits weiter oben beschrieben, wurde die Einnahme von Schwermetallverbindungen in der damaligen Zeit als lebensverlängernde Maßnahme angesehen. Der starke Befall mit Würmern und Parasiten, der bei der Fürstin von Dai nachgewiesen werden konnte, könnte andererseits ebenfalls ein Grund für die Einnahme dieser Verbindungen gewesen sein. Die Mumie von Xin Zhui, der Fürstin von Dai, ist heute zusammen mit den beeindruckenden Beifunden im Provinzialmuseum von Hunan ausgestellt.

Südkoreanische Mumien, in Seide gehüllt Weniger bekannt als die chinesischen Mumien und insbesondere Lady Dai, aber nicht weniger faszinierend sind die Mumienfunde in Südkorea. Diese haben erst in den letzten knapp zehn Jahren stark an wissenschaftlichem Interesse gewonnen, dank der Bemühungen des Anatomen und Mumienspezialisten Dong Hoon Shin von der Seoul National University. Shin und seinem Team ist es in den letzten Jahren gelungen einige der zuvor wenig bekannten Mumien des Landes wissenschaftlich zu untersuchen und interessante Details zur Mumifizierungsart, den Ernährungsgewohnheiten und vor allem den Krankheiten der früheren Bewohner Südkoreas herauszufinden. Die meisten koreanischen Mumienfunde datieren aus die Zeit der sogenannten Joseon-Dynastie, die von 1392 bis 1910 n. Chr. andauerte. Dabei

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65  Typischer Kalksteinsarg eines koreanischen Klanoberhaupts.

handelt es sich in der Regel um Gräber von Vertretern der herrschenden Gesellschaftsschicht, von Landbesitzern, Gelehrten oder Angehörigen des königlichen Hofs. Die höhergestellten Persönlichkeiten erhielten im Gegensatz zu der gewöhnlichen Bevölkerung eine spezielle Bestattung, bei der die Grabanlage mit einer Kalksteinbodenmischung geradezu versiegelt wurde.



66  Die Mumie des Gyenongsun.

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Im Inneren der Kalksteinbarriere befand sich der hölzerne Sarg bzw. zwei ineinander verschachtelte Särge, in denen wiederum der Leichnam, gehüllt in reichlich Seiden- und Baumwollgewänder, bestattet wurde. Diese besondere Bestattungsform führte dazu, dass die Leichname der hochgestellten Persönlichkeiten auf natürliche Weise mumifizierten. Maßgeblich dafür war mit großer Wahrscheinlichkeit die vollständige Versieglung der Holzsärge durch die Kalksteinhülle und eine damit weitestgehend sauerstofffreie Atmosphäre sowie die große Menge an Kleidungsstücken und Decken, die das Sarginnere fast vollständig ausfüllten. Im Gegensatz dazu kam es bei den herkömmlichen Bestattungen, die aus einfachen, in den Boden eingebrach-

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67  Die CT-Aufnahme zeigt den sehr guten Erhaltungszustand des Gehirns.

ten Särgen bestand, zu keiner Mumifizierung der Verstorbenen. Obwohl diese in dem gleichen Friedhofsareal bestattet wurden, sind hier lediglich Skelette in den Gräbern gefunden worden. Interessanterweise war in einigen Särgen der südkoreanischen Mumien, ähnlich wie bei den chinesischen Mumien aus der Han-Zeit, ein eher feuchtes Milieu vorzufinden und einige mumifizierte Leichname wiesen ebenfalls noch eine gewisse Restfeuchtigkeit auf. Allerdings befanden sich keine größeren Flüssigkeitsmengen im Sarginneren, wie beispielsweise bei der Fürstin von Dai. Es ergaben sich auch keinerlei Hinweise auf das Vorhandensein von Quecksilber oder anderer Schwermetalle im Inneren der Särge oder in den inneren Organen der Mumien. In den letzten Jahren wurden etwa zehn der so erhaltenen Mumien einer intensiven wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen. Dabei hingen die wissenschaftlichen Möglichkeiten sehr stark von den jeweiligen Nachfahren ab, die in jedem Fall ihre Einwilligung zu den Untersuchungen an ihren



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Ahnen geben mussten. In früheren Zeiten waren daher viele koreanische Mumienfunde nach einer vorläufigen Begutachtung wieder bestattet worden und standen somit keiner eingehenderen wissenschaftlichen Analyse zur Verfügung. Daher bemühen sich auch die koreanischen Forscher verstärkt nicht invasive bzw. minimalinvasive Untersuchungstechniken, wie beispielsweise Computertomographie oder Endoskopie, anzuwenden, um die Beschädigung der Mumien zu vermeiden bzw. auf ein Mindestmaß zu reduzieren. Dieser allgemeine Trend in der modernen Mumienforschung stellt eine geeignete Maßnahme dar, die Mumien weitestgehend intakt an die Nachkommen zurückgeben zu können, und unterstützt das Bestreben, Mumienfunde als wichtige Zeugen ihrer Zeit und damit auch als Kulturgüter zu betrachten und deren langfristige Konservierung zu gewährleisten. Die Studien der koreanischen Mumienforscher lieferten sehr viele Details zum Erhaltungszustand der Mumien, bei denen oft sämtliche inneren Organe und auch das Gehirn in sehr gutem Zustand überdauert haben. Ähnlich wie bei anderen Mumienfunden waren auch hier überwiegend das Bindegewebe und die Kollagenstrukutren sehr gut erhalten, zusätzlich aber auch einige zelluläre Komponenten, wie beispielsweise rote Blutkörperchen, Knorpelzellen und Leber- und Muskelzellen. Der gute Erhalt des Verdauungsapparates einschließlich des Magen- und Darminhaltes erlaubte den Wissenschaftlern den Nachweis von zahlreichen Parasiten in den Mumien. Dabei konnten Eier und Larven von Peitschenwürmern (Trichuris trichura), Spulwürmern (Ascaris lumbricoides), chinesischen Leberegeln (Clonorchis

68  Mumie des Eung Tae in zahlreiche Lagen von Gewändern gehüllt.

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sinensis), Fadenwürmern (Strongyloides stercoralis, Trichostrongylus spp.), Lungenwürmern (Paragonimus westermani) und Saugwürmern (Metagonimus yokogawai) in zum Teil beträchtlicher Anzahl identifiziert werden. In einigen Fällen konnten auch andere Erkrankungen nachgewiesen werden und mitunter sogar die Todesursache wie im folgenden Beispiel eines Generals des 17. Jahrhunderts. Im Jahre 2007 wurde die Mumie eines Mannes in einer der typischen, mit Kalkstein versiegelten Grabanlagen in der Stadt Gangneung während der Umbettung der Vorfahren des lokalen Choiklans gefunden und freigelegt. Dank der vorhandenen schriftlichen Aufzeichnungen des Klans und der Inschrift auf dem Grabstein konnte ein persönliches Profil des Verstorbenen rekonstruiert werden. Der Gründer des Klans mit dem Namen Munhan lebte von 1320 bis 1395 n. Chr und war ein Schwiegersohn des damaligen Königs der Goryeo-Dynastie (918 bis 1392 n. Chr.). Nach dem Untergang der Dynastie zog er mit seiner Familie in die Stadt Gangneung. Bei dem mumifizierten Leichnam aus dem Grab handelt es sich um einem Mann mit den Namen Gyeongsun, der ein Nachfahr des Munhan aus der achten Generation war. Sein Vater, Unwoo, war den historischen Quellen zufolge ein berühmter Gelehrter und gehörte einer der angesehensten Familien im Königreich an. Gyeongsun wurde 1561 geboren und starb 1622 im Alter von 61 Jahren. Sein offizieller Titel, der auf dem Grabstein geschrieben stand, war der eines stellvertretenden Generals des Militärkommandos des Königreichs, was wohl eher ein Ehrentitel war und kaum seiner tatsächlichen Stellung entsprach. Die Mumie war in mehrere Lagen von Gewändern aus Seide und Baumwolle gehüllt und wies einen unglaublich guten Erhaltungszustand auf. Bei der Enthüllung des Kopfes waren sogar noch die einzelnen Barthaare deutlich zu erkennen. Bei der medizinischen Untersuchung wurden auch in diesem Fall Eier des Peitschenwurms gefunden, ansonsten ergaben sich aber keine Hinweise auf schwerwiegende Erkrankungen. Der zum Teil noch gefüllte Darm deutete darauf hin, dass der Verstorbene bis etwa zwei Tage vor seinem Tod noch normale Nahrung zu sich genommen hatte. Dies legt die Vermutung nahe, dass der Tod relativ schnell und überraschend eingetreten ist. Hinweise auf die Todesursache ergaben sich schließlich bei der computertomographischen Untersuchung der Mumie. Hierbei zeigte sich ein frischer, unverheilter Bruch des rechten Unterkiefers. Aufgrund fehlender Anzeichen eines Heilungsprozesses muss davon ausgegangen werden, dass der General sich die Verletzung unmittelbar vor dem Tod zugezogen hatte und womöglich unmittelbar an deren Folgen verstorben ist. Ein einzigartiges Beispiel für die tiefe Trauer, die der Tod eines Familienangehörigen hervorrufen kann, fand sich in der Bestattung des Eung Tae, der in der südkoreanischen Stadt Andong zufällig bei Bauarbeiten entdeckt

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wurde. Der im Jahre 1586 verstorbene Mann hinterließ offensichtlich eine Frau, die ihrer Trauer in Form von Liebesbriefen freien Lauf ließ und diese ihrem geliebten Ehemann mit auf den letzten Weg gab. Die Mumie war mit insgesamt 72 Kleidungsstücken, die zum Teil auch von seiner Frau und ihrem Kind stammten, versehen worden. Zusätzlich fanden sich aus Frauenhaaren geflochtene Schuhe und weitere Briefe von Verwandten. Ein Ausschnitt aus dem Brief der Frau beschreibt sehr eindrücklich ihre Verzweiflung: „Du hast immer gesagt, wir würden zusammen leben und am selben Tag sterben. Aber warum bist du alleine in den Himmel gegangen? Warum bist du allein gegangen und hast mich und unser Kind zurückgelassen? ... Ich kann ohne dich nicht mehr leben. Ich wünschte, ich könnte bei dir sein. Bitte lass mich mit dir gehen. Meine Liebe zu dir ist unvergesslich in dieser Welt, und mein Kummer ist ohne Ende.“

Nächste Seite: 69  Kindermumie aus der koptischen Klosteranlage von Deir el-Bachit.

Die Mumie des Eung Tae wurde noch am Tag der Ausgrabung wieder bestattet und daher war es nicht möglich den Leichnam im Detail zu untersuchen, um eventuell den Grund für sein Ableben zu finden. Doch geben die geborgenen Grabbeigaben einen unmittelbaren Einblick in die Gefühlswelt einer frühen koreanischen Familie. Ein weiterer bemerkenswerter Befund gelang den koreanischen Forschern in Zusammenarbeit mit einer israelischen Arbeitsgruppe. Bei einer männlichen Kindermumie aus dem 16. Jahrhundert, die in Yangju in der Provinz Gyeonggi-do gefunden wurde, konnten sie in Leberproben das Hepatitis-B-Virus molekular nachweisen. Dabei konnte die vollständige Genomsequenz des antiken Virus rekonstruiert werden. Ein Vergleich mit modernen Virenstämmen zeigte, dass es sich dabei um einen Vertreter der heute weit verbreiteten südostasiatischen Variante des Hepaitits-B-Virus handelt. Zudem fanden sich eindeutige genetische Unterschiede zu den heutigen Stämmen, die vermutlich auf umweltbedingte, immunologische oder medikamentös bedingte Einflüsse zurückzuführen sind. Der gemeinsame Vorfahre der alten und modernen Virusvariante muss vor mindestens 3000 Jahren, kann aber auch vor bis zu 100 000 Jahren aufgetreten sein. Somit gelang dem Forscherteam nicht nur der Nachweis der wahrscheinlich ersten Hepatitis-B-Form, die in Südostasien aufgetreten ist, sondern auch die Sequenzierung des ersten vollständigen antiken viralen Genoms.

70  Asiatische Mumie.

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Bildnachweis Frontispiz, 2, 6, 8, 33–36, 53:  © Eurac (Zink) 1, 10, 19–22:  mit freundlicher Genehmigung von Sonia Guillen 3, 27:  © Südtiroler Archäologiemuseum 4:  mit freundlicher Genehmigung von Lennart Larsen TM Nationalmuseum 5, 52a, 52b, 57, 58:  Aus: Smith, Grafton Elliot: The Royal Mummies (catalogue general des antiquites egyptiennes du musee du caire; Band 61051–61100. Service des antiquites de l’egypte). London 2000. 7, 11, 13–18:  mit freundlicher Genehmigung von Johan Reinhard 9, 12, 70:  © Jean Christen, Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim 23, 25, 46, 70:  © W. Rosendahl, Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim 24:  mit freundlicher Genehmigung von Ole Nielsen, Silkeborg Museum 26:  © Marco Samadelli 28:  © Südtiroler Archäologiemuseum/Eurac/Samadelli 29a–c, 30:  © South Tyrol Museum of Archaeology/ EURAC/Samadelli/Staschitz 31:  mit freundlicher Genehmigung von Marek Janko, TU Darmstadt 32:  © South Tyrol Museum of Archaeology, Foto Ochsenreiter 37–38:  © Eurac (Samadelli) 39–44:  © Hungarian National Museum/Ildikó Pap 45:  © AP/LaPresse 47:  © Trustees of the British Museum 48a, 48b:  mit freundlicher Genehmigung von Sabina Malgora 49:  The Walters Art Museum, Baltimore; acquired by Henry Walters, 1913 50: gemeinfrei 51:  mit freundlicher Genehmigung von Brando Quilici 54a, 54b:  mit freundlicher Genehmigung von Paul Gostner 55:  Ägyptisches Museum Berlin 56:  GNU Free Documentation License/Effeietsanders 59:  mit freundlicher Genehmigung von Sven Wiegand, Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie 60:  © Xinjiang Uyghur Autonomous Region Museum 61:  Creative Commons Attribution 3.0 Unported/Popolon 62–64:  © Hunan Provincial Museum 65–68:  mit freundlicher Genehmigung von Dong Hoon Shin, Seoul National University 69:  Foto: Albert Zink Karte S. 24/25:  Peter Palm, Berlin

Informationen Zum Buch Mumien sind nicht nur ein Phänomen des alten Ägypten, auch im Hochgebirge und den Wüstenregionen Südamerikas, im eisigen Grönland, in Kirchen und Grüften Europas, in nordeuropäischen Moorgebieten und in Asien wurden mumifiziere Leichname entdeckt. Die ältesten Mumien sind rund 9000 Jahre alt, zu den jüngsten gehören etwa Lenin oder Evita Peron. Der renommierte Mumienforscher Albert Zink erläutert in anschaulicher Weise und auf dem neuesten Stand der Forschung die verschiedenen Prozesse, die zu einer natürlichen oder künstlichen Erhaltung von menschlichen Körpern führen. Anhand von Beispielen führt er den Leser zu den Fundorten berühmter Mumien wie Ötzi oder Tutanchamun, aber auch zu weniger bekannten wie Juanita oder Lady Dai.

Informationen Zum Autor Dr. Albert Zink ist Privatdozent in München und leitet seit 2007 das Institut für Mumien und den Iceman, Europäische Akademie (EURAC), in Bozen. Seine Veröffentlichungsliste umfasst über 130 Publikationen, außerdem ist er der Herausgeber des Anthropologischen Anzeiger – Journal of Biological and Clinical Anthropology und des Yearbook of Mummy Research. Er ist Vorsitzender der Gesellschaft für Anthropologie und einem breiten Publikum bekannt aus zahlreichen TV-Produktionen und Fernsehbeiträgen.