Die Sau im Porzellanladen: 77 neue Wortgeschichten 3805339143, 9783805339148

Was macht die Sau im Porzellanladen? Was hat der Raser mit dem Rasierapparat zu tun, und wie fand das Asyl in unserer Sp

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German Pages 196 [197] Year 2008

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Inhalt
ZU DER NEUEN SAMMLUNG
DIE SAU IM PORZELLANLADEN
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Die Sau im Porzellanladen: 77 neue Wortgeschichten
 3805339143, 9783805339148

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Klaus Bartels

Die Sau im Porzellanladen

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KULTURGESCHICHTE DER ANTIKEN WELT BAND 118

VERLAG PHILIPP VON ZABERN · MAINZ AM RHEIN

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Klaus Bartels

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au im

orzellanladen

77 neue Wortgeschichten

VERLAG PHILIPP VON ZABERN · MAINZ AM RHEIN

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14:54 Uhr

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196 Seiten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Weitere Publikationen aus unserem Programm finden Sie unter: www.zabern.de

© 2008 by Verlag Philipp von Zabern, Mainz am Rhein ISBN: 978-3-8053-3914-8 Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen oder unter Verwendung elektronischer Systeme zu verarbeiten und zu verbreiten. Printed in Germany by Philipp von Zabern Printed on fade resistant and archival quality paper (PH 7 neutral) · tcf

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Den Enkelinnen und Enkeln Dominique und Marc, Lars, Sophie, Mathis und Lilian

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Inhalt ZU DER NEUEN SAMMLUNG

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DIE SAU IM PORZELLANLADEN

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Akupunktur

Amnestie Amtsschimmel Ariane Asyl Atmosphäre August

15 17 19 21 23 25 27

Bachelor of Arts

30 33

Cappuccino

35 37 40

Basis

CH: Confoederatio Helvetica Coup

Demokratie

Devisen Digitalis Computator

Elite

E-Mail Enthusiasmus Experiment

42 44 47 49 51 53 55

Fan

Farce Fee Ferien

57 59 61 63

as Generalist und Spezialist

G

65 68

Honorar Identität

71

Impfen Innovation

Januar

Johannisbeere und Johannisbrotbaum Jubiläum

Kaiserschnitt

Kanapee Karneval Kassieren und kassieren Keller und Zelle Kirsche

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73 75 77 79 81 84 87 89 91 93 95 98

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Konjunktur Konkordanz Konkurrenz Kontrolle Kosmopolit Kult und Kultur

101 103 106 108 111 114

Laïzismus

117 119

agier Mai Manifest Märtyrer Medaille Meteorologie Musik

M

121 123 125 127 129 131 133

Nano- und TeraOpposition Palme und Dattel

135

Liberal

Pandemie Panorama Parlament Plagiat Politik Prägnant und präzis

Rasante Raser

Referat, Inserat, Exponat Regel Robustes Mandat

Seite 8

September

165 167 169 171 173 175 177

Test und Testosteron Veterinär Xmas Cards Zentralabitur

180

Serenade Souvenir Spediteur und speditiv Standort, Standplatz, Stall Stil und Styling Stress

183 184 187

137 139 141 143 145 148 151 153 156 158 161 163

ETYMOLOGISCHE NACHSCHLAGEWERKE

189

REGISTER

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Zu der neuen Sammlung Von „Akupunktur“ bis „Zentralabitur“: Die hier vorgelegte Sammlung von wiederum 77 Wortgeschichten ist – als die fünfte in der Reihe – aus einer Zeitungsrubrik hervorgegangen, die seit einem Vierteljahrhundert in steter, loser Folge in der „Stuttgarter Zeitung“ erscheint. Darin geht es um die oft abenteuerlichen Wege der Wörter durch die Alten und die Neuen Sprachen, durch die alten und die neuen Zeiten, ihre so amüsanten wie interessanten Bedeutungssprünge und Beziehungskisten, ihre so frappierend menschlichen Lebensgeschichten über die Jahrhunderte und Jahrtausende hinweg. Anfangs meinte ich, es gebe vielleicht ein, zwei oder drei Dutzend Wörter, deren im Wortsinn merkwürdige Geschichte für eine Tageszeitung taugt. Aber dann gab ein Wort das andere, schärfte eine überraschende Entdeckung den Blick für die nächste, machte ein Aha-Erlebnis neugierig auf das nächste. Weit über fünfhundert solcher „Wortgeschichten“ sind seither erschienen. Darin ist etwa zu lesen – mit den Titeln der früheren Sammlungen –, „Wie Berenike auf die Vernissage kam“ oder „Wie die Murmeltiere murmeln lernten“, wie es den Steuermann der Argonauten in den Cyberspace verschlug oder was die Trüffelschweine auf dem Kartoffelacker zu suchen haben. Die Titelgeschichte dieser fünften Sammlung, die Geschichte des „Porzellans“, ist auf den folgenden Seiten skizziert; sie war mir in meinen Tübinger Studientagen als die erste ihrer Art begegnet und hat mich mit ihrem tollen Schweinsgalopp früh zu dieser fröhlichen Wörterfährtensuche verlockt. Die wieder 77 Wortgeschichten dieses Bandes stammen in der Mehrzahl aus dem letzten Jahrfünft der Stuttgarter Rubrik, eine Anzahl – wie das „CH“ für die eidgenössische Confoederatio Helvetica, die „Konkordanz“ und die „Opposition“ – auch aus der losen Folge der „Stichworte“ im

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Feuilleton der „Neuen Zürcher Zeitung“. Die Texte kommen in alphabetischer Folge und damit in bunter lexikalischer Mischung daher; auf dem Webstuhl der Sprache, „wo ein Tritt tausend Fäden regt, / Die Schifflein herüber hinüber schießen, / Die Fäden ungesehen fließen, / Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt“, ist ja von A bis Z fast alles mit allem verkettet und verwoben. Aktuelle politische Hieb- und Stichworte wie „Asyl“ und „Atmosphäre“, „Farce“ und „Raser“ stehen hier neben einer Märchen-„Fee“ und einer heiteren „Serenade“; geschichtsträchtige Jahrtausendworte wie „Amnestie“ und „Konjunktur“ neben „Cappuccino“ und „E-Mail“, nervendem „Stress“ und perfektem „Styling“. Wieder einmal hat der Wortgeschichtenschreiber hier vielfach zu danken: zuvörderst dem Verlag Philipp von Zabern und seiner Leiterin Dr. Annette Nünnerich-Asmus für das noble, von den 77 Murmeltieren und den 77 Trüffelschweinen nun auch auf diese „Sau“ erstreckte Gastrecht in der traditionsreichen Mainzer Offizin; dem ersten Leser Dr. Cornelius Hartz für die sorgfältige Text-„Kontrolle“ in der Lektor-„Rolle“ (vgl. S. 108 ff.); dem Buchgestalter Lothar Bache für die erlesene graphische Ausstattung und speziell für die 77 zabernroten Häuptchen über den 77 ebendaher benannten „Kapiteln“ (S. 35 f.); den Zeitungsredaktionen für die nachhaltige pandemische Verbreitung (S. 141 f.) dieses wortgeschichtlichen Spleens (eigentlich ja einer von fortgeschrittener Philologitis befallenen „Milz“) und last not least den treuen Leserinnen und Lesern für das allzeit rege, anregende Echo und manche erfrischende Fan-Post (S. 57 f.). Die neue Sammlung ist meinen – oder richtig: zugleich im Namen meiner Unica Optima unseren – sechs Enkelinnen und Enkeln gewidmet, deren Jüngste sich auf das unerschöpfliche, unergründliche Spiel mit der Sprache eben erst einlassen.

Kilchberg am Zürichsee, den 6. März 2008

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Klaus Bartels

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Die Sau im Porzellanladen Um drei Ecken, durch drei Sprachen und durch drei Jahrtausende ist die Sau aus einem korinthischen Schweinekoben der klassischen Zeit in die Meissener Porzellanmanufaktur gestürmt. Die erste Ecke: Nicht im griechischen Schulvokabular ad usum Delphini, aber umso öfter bei dem deftigen Aristophanes findet sich das griechische Wort choíros vom „Schwein“ auf die weibliche Scham übertragen. Die Übertragung, die offenbar in Korinth aufgekommen war und vielfach in der Alten Komödie begegnet, meinte es nicht despektierlich; sie deutete doch wohl auf die strotzende Fruchtbarkeit, die das Schwein auch für uns zum rosigen Glücksschwein und zum bauchigen Sparschwein gemacht hat. Der gelehrte Varro bezeugt später eine entsprechende Übertragung für das gleichbedeutende lateinische Wort porcus. Hinter der nächsten, zweiten Ecke ist von dem fruchtbaren Borstentier kaum noch der Ringelschwanz zu sehen. Dafür kommt hier eine exotische Meeresschnecke mit dem griechischen Namen kónche choiríne, „Schweinsschnecke“, in der lateinischen Lehnübersetzung (concha) porcellana, in den Blick, die im Indischen Ozean heimische Kaurischnecke. Dazu schreibt Otto Keller in seinem Handbuch über die „Antike Tierwelt“ aus dem Jahre 1913: „Auch für eine weniger sinnliche Phantasie, als es die der hellenischen Völker war, ist die Ähnlichkeit (dieser Schnecke) mit einem mensch-

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lichen Körperteile zu aufdringlich, als dass sie nicht bemerkt worden wäre, und so ist die Porzellanschnecke in ganz natürlicher Weise zum Sinnbild des Spezifisch-Weiblichen geworden.“ O diese sinnlichen Griechen! Auf die Sphäre der Liebesgöttin deutet, nur leicht chiffriert, auch der lateinische Gattungsname (concha) Cypraea, die „Zyprische“: An der Küste von Zypern war die „schaumgeborene“ Aphrodite in mythischer Zeit dem Meer entstiegen. Hinter der dritten, letzten Ecke ist dann auch jenes „menschliche Körperteil“ aus den Augen, aus dem Sinn: In der dritten Übertragung geht es nicht mehr um die peinliche weibliche Form dieser (concha) porcellana, sondern um ihren weißlichen, spiegelnden Glanz. Als Marco Polo vor gut siebenhundert Jahren die „chinesische Ware“, wie es im Englischen ja noch heißt, ohne ihren chinesischen Namen nach Venedig brachte, brauchte es nicht viel „sinnliche Phantasie“, den inzwischen auch italienischen Namen jener (concha) porcellana auf die gleicherweise weißlichen, glänzenden „schüsseln von porzelane“ zu übertragen, wie sie 1477 im Deutschen erstmals genannt werden. Von einem korinthischen Schweinekoben an die Dresdener Fürstentafel: wirklich eine Wortgeschichte, die sich gewaschen hat! * Habent sua fata libelli, „Sie haben ihre je eigenen Schicksale ...“: Das gilt wie für die hier so liebevoll angesprochenen „Büchlein“ und für diese Geflügelten Worte geradeso für die bloß geläufigen Feld-Wald-und-Wiesen-Wörter unserer Alltagssprache, und zumal für die vielen, deren Lebenswege aus den Alten in die Neuen Sprachen wir über zwei, drei Jahrtausende hinweg überblicken. Quot verba, tot curricula: Wie viele Wörter, so viele Lebensläufe; und wie kein Menschenleben dem anderen, so gleicht kein Wörterleben dem anderen. Manche Wörter sind wie die „Konjunktur“ (vgl. S. 101 f.) in ihrem angestammten Bedeutungsfeld verblieben, aufgestiegen oder abgesunken; andere sind wie das „Plagiat“ (S. 148 ff.) als Quereinsteiger munter von einem Lebensbereich zum anderen übergewechselt. Manche Wörter schlagen wilde Haken und legen falsche Spuren, bändeln mit anderen an wie das „prägnant“ mit dem „präzis“ (S. 153 ff.) oder laufen im Kreis: Wenn aus dem

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„Zentralabitur“ (S. 187 f.) vorn ein anstachelnder „Stachel“ oder ein anspornender „Sporn“ herausschaut, ist das durchaus stimmig. Da gibt es, wie im Musterbeispiel jenes „Porzellans“, die unwahrscheinlichsten Bedeutungssprünge. Wer vermutet hinter einem glücklich gelandeten „Coup“ (S. 40 f.) eine von langer Hand vorbereitete „Ohrfeige“, hinter einer allzu durchsichtigen peinlichen Wahl-„Farce“ (S. 59 f.) gestopfte Mägen und Därme, gefüllte Enten und Kaninchen? Aus einer griechischen Stechmücke hat die Sprache nicht gerade einen Elefanten, aber doch das canapé der Marie Antoinette, original Louis-seize, und neuerdings noch die Party-Kanapees mit Tartar und Lachsmousse gemacht (S. 89 f.); die Gleichnisrede Jesu ist auf einer weit geschwungenen Parabelbahn um den Brennpunkt des „Parlierens“ zu einem debattierenden „Parlament“ und nebenbei zu einem palavernden „Palaver“ geworden (S. 145 ff.). Da gibt es nahe Verwandte, die sich wie diese beiden Vettern so weit auseinandergelebt haben, dass sie nichts mehr voneinander wissen wollen, ja dass auch wir sie aller ohrenfälligen Familienähnlichkeit zum Trotz kaum mehr als verwandt ansehen. Wer denkt denn bei einem „Konjunkturaufschwung“ (S. 101 f.) noch an die strahlenden Konjunktionen am Himmel, wo Merkur an Jupiter vorüberzieht, oder bei einem „Konjunkturrückgang“ an die anderen Konjunktionen vom Schlage eines „Wenn“ und „Aber“ oder die Konjunktive vom Schlage eines „Wäre“ oder „Hätte“, die dann im Nachhinein zu hören sind? Wenn es im Streit um die „digitalisierten Fingerabdrücke“ (S. 47 f.) hoch her geht, wechseln die beiden Wörter im Stillen ein fröhliches Augenzwinkern. Und umgekehrt gibt es da immer wieder Namensvettern und Doppelgänger, die einander täuschend ähnlich sehen und doch, aller Bezüglichkeit ihrer Bedeutungen zum Trotz, nicht das Geringste miteinander zu schaffen haben. Aus der „Atmosphäre“ (S. 25 f.), einer erst neuzeitlichen Prägung, weht uns nicht etwa ein germanischstämmiger „Atem“, sondern – ominös genug – ein griechischstämmiger atmós, ein sengender, dörrender „Gluthauch“ entgegen; die „Demokratie“ (S. 42 f.) und die salopp abgekürzte „Demo“ und wieder diese „Demo“ und das „Demolieren“ verbindet nichts als eine Zufallsnachbarschaft im Alphabet. Vollends verwirrend wird das Vexierspiel, wenn das Kassationsgericht eine Geldstrafe kassiert und die Gerichtskasse dann nichts mehr zu kassieren hat (S. 93 f.). In dem Doping-

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test, der einem Radrenn-Champion allzu männliche Testosteronwerte attestiert (S. 180 f.), oder in dem allzu männlichen Raser, dessen rasante Fahrt zu übler Letzt unterm grünen Rasen endet (S. 156 f.), haben wir sogar zwei veritable Dreifachgänger vor uns. Da gibt es grandiose Aufstiege wie den des schlichten lateinischen Pronomens idem, eadem, idem, „derselbe, dieselbe, dasselbe“, in die existenziellen Sphären von persönlicher Identität, Identitätsängsten und Identitätskrisen (S. 73 f.); da gibt es Wörterbuchschläfer wie die Prinzessin Digitalis und den Prinzen Computator, die nach einem jahrtausendlangen Dornröschenschlaf kürzlich in Silicon Valley eine prächtige Märchenhochzeit gefeiert haben (S. 47 f.); da gibt es allerlei modische Destillate und Derivate: Aus dem „Panorama“ (S. 143 f.), diesem aus dreierlei griechischen Ingredienzien destillierten Retortenwort, ist nach Dutzenden anderer „-ramen“ jüngst noch ein schier unglaubliches kirchliches „Credorama“ hervorgegangen. Habent sua fata ...: Wen kann es wundern, dass dieses unerschöpflich bunte Wörterleben von Alpha bis Omega, von A bis Z, von Homer bis heute, von Altgriechisch bis Neudeutsch, unser buntes Menschenleben so vielfältig spiegelt? In diesen hunderterlei, tausenderlei geschichtsträchtigen Wörterlebensläufen begegnen wir der Sprache in ihrem ureigenen urmenschlichen Leben. „Greift nur hinein ins volle Wörterleben ...“, möchte man da frei nach der Lustigen Person im „Faust“ ausrufen, „und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.“ Die vielerlei Wörter, die wir im Alltag unbesehen gebrauchen, sprechen und schreiben, hören und lesen, haben auch selbst unendlich viel derart „Interessantes“ zu erzählen. Sie haben’s buchstäblich „in sich“: Sie haben, soweit wir die letzte, kurze Wegstrecke überschauen, die Geschichte von Jahrtausenden in sich aufgenommen und auf ihre besondere Art für uns bewahrt. Und sie sprechen davon; man muss sie nur fragen.

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Akupunktur So wenig wie die klassischen, schon vor Jahrhunderten eingeführten Chinawaren, das Papier und das Porzellan, so wenig hat die jüngste Einfuhr aus dem Reich der Mitte, die Akupunktur, ihren ursprünglichen chinesischen Namen beibehalten können. Die allgemeine Regel, dass der Import der Wörter mit dem Import der Waren einhergehe, scheint für China nicht zu gelten, und so stammt denn auch die „Akupunktur“ aus dem unerschöpflichen Namensfundus der Alten Sprachen. Dazu haben die europäischen Importeure das lateinische Substantiv acus mit dem Genitiv acūs, „Spitze, Nadel“, und die von dem Verb pungo, „stechen“, abgeleitete punctura, das „Stechen“, zusammengesetzt: Die „Akupunktur“ ist ein „Nadelstechen“, und damit sind wir mit unserem Latein vorerst am Ende: fertig, basta, Punktum! Punktum? Noch nicht so bald; denn anders als ein mathematischer Punkt ohne Länge, ohne Breite, ohne Tiefe hat dieses „Punktum“ doch immerhin historische Tiefe: Hinter dem lateinischen punctum, dem „Punkt“ in seinen vielerlei Bedeutungen, steht eine griechische stigmé, und dahinter wieder das Verb stízein, dessen Sprachverwandtschaft mit unserem „Stechen“ ja sogleich ins Ohr sticht. Die beiden davon abgeleiteten Substantive stígma und stigmé, eigentlich „Stich“, bezeichnen ursprünglich die Tätowierung eines Menschen, insbesondere zur Kennzeichnung eines Sklaven, dann auch die Brandmarkung eines Stücks Vieh, dann auch die Zeichnung auf der Haut einer Schlange oder im Gefieder eines Vogels. Durch die seit alters so genannten stígmata, die „Wundmale“ Christi, ist das griechische Wort in der heiligenden „Stigmatisation“ bis in die Neuzeit geläufig geblieben; im Anschluss an jene Tätowierung von Sklaven sprechen wir heute von einem brandmarkenden „Stigma“ und der „Stigmatisierung“ eines Einzelnen oder einer Gruppe.

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Die Stich an Stich, Punkt an Punkt setzende „pointillistische“ Technik des Tätowierens hat früh zu Übertragungen vom markierenden Einstich auf den markierten Punkt geführt. Da ist zunächst die mathematische stigmé, der zuerst im 4. Jahrhundert v. Chr. bei Aristoteles genannte mathematische „Punkt“, und sodann die orthographische stigmé, der zuerst im 3. Jahrhundert v. Chr. von Aristophanes von Byzanz eingeführte „Punkt“ am Ende eines jeden und so auch dieses Satzes. Die eine wie die andere stigmé erscheint im Lateinischen in der Lehnübersetzung punctum und danach im Deutschen als „Punkt“. Entsprechend ist aus einer stigmé chrónu im Lateinischen ein punctum temporis und im Deutschen der „Zeitpunkt“ hervorgegangen, samt der Uhrzeit „Punkt zwölf“ und der so merkwürdig benannten Tugend der „Pünktlichkeit“; und geradeso ist aus der blutroten stigmé im Weißen eines angebrüteten Eies, in der Aristoteles das „springende“, klopfende Herz erkannte, erst ein lateinisches punctum saliens und dann bei uns der geflügelte „springende Punkt“ geworden. Auch in unseren Nachbarsprachen lebt dieses lateinische punctum munter fort; aus dem Französischen ist die zugespitzte „Pointe“ und das à point gebratene Entrecôte, aus dem Englischen der Point of no Return und neuerdings der Point of Sale zu uns herübergekommen. In diesen neusprachlichen „Punkten“, „Pointen“ und Points erkennen wir immerhin noch ein lateinisches punctum, und das medizinische „Punktieren“ und „Akupunktieren“ mit der einen und der anderen Nadel und das ziselierende „Punzen“ mit Punze und Hammer ist ja wirklich noch ein „Stechen“ im alten Sinne des Wortes. Aber wer, der’s nicht weiß, würde in einem vielfältigen „kunterbunten“ Festprogramm, in dem Blasmusik und Festreden für die Großen, Blindekuh und Sackhüpfen für die Kleinen in buntem Wechsel aufeinander folgen, gleich einen vielstimmigen „Kontrapunkt“ erkennen, in dem die eine gestochene Note gegen die andere gesetzt ist? Aber so ist es tatsächlich, und allen Lesern, denen es mit diesem „kunterbunt“ hier zum Schluss doch gar zu bunt wird, sei ernsthaft versichert: Das ist eine wortgeschichtlich hieb- und stichfeste Pointe, und damit nun endgültig: fertig, basta, Punktum!

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Amnestie Zwei Tage nach der Ermordung Julius Caesars an den Iden des März berief Marcus Antonius den Senat zu einer Krisensitzung ein. Dazu schreibt Plutarch in seiner Biographie Ciceros: „Als die Verschwörer um Brutus und Cassius ihr Werk vollbracht hatten und die Anhänger Caesars sich gegen die Caesarmörder zusammenschlossen, herrschte Furcht, die Stadt könne in neue Bürgerkriege versinken. Da rief Marcus Antonius, der in dem Jahr Konsul war, den Senat zusammen und sagte kurz etwas von Eintracht und Versöhnung. Nach ihm ergriff Cicero das Wort zu einer langen, der heiklen Situation entsprechenden Rede; er gewann den Senat dafür, nach dem bekannten Beispiel der Athener eine Amnestie für den Mord an Caesar zu beschließen und den Männern um Brutus und Cassius Provinz-Statthalterschaften zuzuweisen. Doch nichts davon gelangte zur Durchführung ...“ An dieser Stelle begegnet der griechische Begriff der amnestía, einer „Amnestie“, erstmals in seiner seither geläufigen politischen Bedeutung. Cicero bezieht sich dort auf die allgemeine Amnestie, mit der die wiederhergestellte athenische Demokratie nach der Vertreibung der Dreißig Tyrannen im Jahre 403 v. Chr. den weniger schwer Belasteten „Vergessen“ und Straffreiheit gewährte. Amnestía: darin steckt ein negierendes a- und die Wurzel mne, „sich erinnern“, die wir von der „Mnemotechnik“, der „Gedächtnisschulung“, her kennen. Das Wort erscheint zuerst in Platons „Menexenos“, dort noch in der allgemeinen Bedeutung eines „Sich-nicht-Erinnerns“: Große, rühmenswerte Taten, heißt es da, dürften nicht der amnestía, der Vergessenheit, verfallen. Für eine politische Amnestie hat die griechische Sprache dann noch ein anderes, schwerer befrachtetes Wort geprägt, das die strafwürdigen Taten unverhüllt ansprach: amnesikakeín, „sich nicht erinnern an

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die kaká, an die Übel“. Wohl vor allem durch die vorher zitierte Plutarchstelle hat sich die einfache amnestía, die „Amnestie“, seither in unserem Euro-Wortschatz durchgesetzt. Wahrscheinlich hatte bereits Cicero in jener Krisensitzung am 17. März 44 v. Chr. von einer amnestía gesprochen. Ein halbes Jahr später, am Anfang seiner 1. Philippischen Rede, erinnert er nochmals an den damals eingebrachten Antrag: „In jener Senatssitzung im Tempel der Tellus habe ich, soweit es an mir lag, das Fundament für den Frieden gelegt und das alte Beispiel der Athener erneuert; sogar das griechische Wort habe ich in Anspruch genommen, das die Athener zur Beilegung der Zerwürfnisse gebraucht hatten, und beantragt, jede Erinnerung an diese Zerwürfnisse in ewigem Vergessen zu begraben.“ Plutarch jedenfalls, anderthalb Jahrhunderte später, lässt Cicero eine amnestía fordern, und in der Folge wurde diese amnestía vornehmlich in diesem engeren Sinne einer politischen „Amnestie“ verstanden. Cicero wusste sehr gut, dass es mit dem Sich-Erinnern und dem Vergessen im politischen Leben seine eigene Bewandtnis hat. Ein Jahr zuvor hatte er sich in seiner Schrift „Über das höchste Gut und das größte Übel“ unter diesem Stichwort auf Themistokles berufen, den die Athener erst als den Sieger in der historischen Seeschlacht von Salamis 480 v. Chr. gefeiert und dann aus seiner Vaterstadt verbannt und in Abwesenheit zum Tode verurteilt hatten: „Liegt es denn überhaupt in unserer Macht, woran wir uns erinnern und was wir vergessen? Simonides – oder wer sonst es war – versprach einmal dem Themistokles, ihn die Kunst der Mnemotechnik zu lehren. ‚Lieber lernte ich‘, erwiderte Themistokles, ‚eine Kunst des Vergessens. Denn ich erinnere mich auch an Vieles, an das ich mich gar nicht erinnern möchte, und kann Vieles nicht vergessen, das ich sehr gern vergessen möchte.‘“

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Amtsschimmel Fac simile!, wörtlich: „Mach ein Gleiches!“, rief in der Zeit, in der das Lateinische noch Kanzleisprache war, der Kanzleichef seinem Sekretär am Stehpult zu, und der rückte das Tintenfass zurecht, nahm den Gänsekiel zur Hand und fertigte fein säuberlich ein „Gleiches“, ein Doppel aus. Dieses „Faksimile“ ist seither zu den Bibliophilen und ihren Faksimile-Drucken abgewandert, doch sonst hat das Bürolatein sein Feld behauptet: Die Kanzlei an den alten cancelli, den „Schranken“ zwischen Gericht und Parteien, heißt immer noch „Kanzlei“, das caput, das „Haupt“ dieser Kanzlei, heißt immer noch französisch „Chef“, die mit den secreta, den „vertraulichen (Betreffen)“, Betrauten heißen immer noch „Sekretär“ und „Sekretärin“, und das Kopiergerät wirft im Sekundentakt eine lateinische copia, wörtlich: eine „Fülle“ (der Papierflut), nach der anderen aus. Aber die Ohren gespitzt: Mischt sich in das sachte Klappen der Aktendeckel und das leise Schleifen der Ärmelschoner nicht von fern her ein fröhliches Wiehern? In einer ordentlichen Registratur geht bekanntlich kein Iota verloren und schon gar nicht zwei auf einmal, und so ist auch jenes alte Fac simile! im Kanzleibetrieb von heute nicht aus den Akten gefallen: Sein Vorderteil hat sich auf das fixe „Fax“-Gerät geworfen, das da ein Fax nach dem anderen um die Welt faxt, und sein Hinterteil, das simile, hat sich mit einer sogenannten Volksetymologie, so einem fröhlichen Fremdwörter-Recycling, in den munter durch die Amtsstuben trabenden, weithin vernehmlich wiehernden „Amtsschimmel“ verwandelt. Wohl im Anschluss an dieses Fac simile!, dieses „Mach ein Gleiches, eine Abschrift!“ war im alten Österreich die Bezeichnung Simile für ein amtliches Formschreiben gebräuchlich geworden. Da mochte die Aufforderung Fac simile! bald soviel wie „Mach das noch einmal genau so!“ bedeuten,

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und da mochte dieses Simile geradezu die ein für allemal ausformulierte, wieder und wieder abgeschriebene Vorlage bezeichnen. Wohl im Anschluss an dieses Simile ist in der Folge unter k. u. k.-Juristen und -Kanzlisten die abschätzige Bezeichnung „Schimmel“ für eine stereotype, wortgleich übernommene Musterentscheidung aufgekommen, und irgendwann im 19. Jahrhundert hat man irgendwo in der k. u. k.-Reichsverwaltung erstmals einen leibhaftigen „Amtsschimmel“ wiehern hören. Aber wo? Niemand weiß heute mehr, wer wann wo als erster dieses lateinische Simile zu einem deutschen „Schimmel“ zurechtgeschoben hat, anfänglich vielleicht durchaus im Gedanken an Aktenstaub und Mief und Moder; niemand weiß mehr, wer wann wo als erster den bürokratischen Prinzipienreiter, der jeden neuen Fall nach dem alten Schema F erledigte, als einen auf derlei Similia versessenen „Similereiter“ oder „Schimmelreiter“ verspottete; niemand weiß mehr, wer wann wo als erster diesen stur auf Prinzipien und Paragraphen fixierten, scheuklappenbewehrten „Amtsschimmel“ durch die Korridore der Amtshäuser geistern ließ. Aber höchstwahrscheinlich ist die im Einzelnen kaum mehr erkennbare Wörterfährte mit diesem Simile und diesem „Schimmel“ im Großen und Ganzen doch verlässlich ausgeschildert. Oder sollen wir tatsächlich glauben, wie hie und da zu lesen steht, dass ausgerechnet die hoch zu Ross anreitenden Schweizer Amtsboten diesem berüchtigten Amtsschimmel Pate gestanden haben? Ja, waren diese eidgenössischen Amtsboten denn durchweg so schimmelfarben beritten? Und brachten diese eidgenössischen Amtsboten denn durchweg so schimmelige Botschaft? Da hat man den schweizerischen Kanzlisten und Sekretären wohl eher einen kapitalen Berner Bären aufbinden oder in diesem Fall einen Wiener Schimmel anhängen wollen. Und tatsächlich: Während wir jetzt davon sprechen, hören wir von ferne schon wieder so ein hellauf wieherndes triumphierendes Lachen, und wie es scheint, kommt es eher aus dem österreichischen Osten als aus dem eidgenössischen Westen.

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Ariane Ariadne: Das war doch die schöne Königstochter, die dem jungen Theseus, als der den Minotauros tötete, mit ihrem Faden aus dem Labyrinth half ... Aber erinnern wir uns ab ovo, und das heißt hier: vom Stier des Poseidon an. Der kretische König Minos hatte den Meeresgott gebeten, ihm zur Bestätigung seiner Herrschaft einen Stier heraufzusenden, und der hatte ihm den Wunsch erfüllt. Als Minos sein Gelübde, den Stier sogleich wieder zu opfern, bricht und das Prachtexemplar seiner königlichen Herde zuführt, gibt der betrogene Gott der Königin Pasiphaë eine rasende Liebe zu dem Götterbullen ein. Der war nun freilich von Horn bis Huf auf Kühe eingestellt; erst mit Hilfe des kunstfertigen Dädalus und einer unwiderstehlich verführerischen Kuhattrappe kommt Pasiphaë zur Befriedigung ihrer sodomitischen Gelüste. Sie gebiert darauf den halb stier-, halb menschengestaltigen Minotaurus, den „Minos-Stier“. Wohin mit einem Prinzen dieser Art? Noch einmal wird der erfinderische Dädalus bemüht; er entwirft das raffiniert verwinkelte, mit seinen tausend Gängen und Kammern hoffnungslos verwirrliche Labyrinth, die peinliche Ausgeburt so prinzengemäß wie ausbruchsicher unterzubringen. Den eben unterworfenen Athenern erlegt König Minos den makabren Tribut auf, dem stierköpfigen hybriden Monstrum Jahr für Jahr sieben Knaben und sieben Mädchen zum Opfer zu bringen. Einmal und noch einmal verschwinden die vierzehn zu dem Opfer Ausgelosten auf Nimmerwiedersehen hinter den Mauern des Labyrinths. Im dritten Jahr entschließt sich der attische Königssohn Theseus, die unglücklichen Landeskinder nach Kreta zu begleiten, mit ihnen den Weg of no return ins Innere des Labyrinths zu wagen und dem stierköpfigen Menschenfresser ein für allemal den Garaus zu machen.

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Hier nehmen wir den Ariadnefaden wieder auf. Die kretische Prinzessin verliebt sich in den attischen Prinzen und gibt ihm, weniger um seinen Zweikampf mit Minotaurus als um sein Wieder-Herausfinden besorgt, ein frauliches Wollknäuel mit. Liebe macht erfinderisch, möchte man meinen, aber der Mythos will es anders und schreibt auch diesen rettenden Einfall dem ingeniösen Dädalus zu. Wie auch immer: Theseus wickelt ab, siegt und wickelt auf; und als er nach dem Zweikampf wieder aus dem Labyrinth herausgelangt und in Ariadnes Arme zurückgekehrt ist, scheinen Happy End und Prinzenhochzeit auf das Feinste eingefädelt. Doch die Nachgeschichte ist so traurig wie die Vorgeschichte grausig: Auf der Rückfahrt nach Athen lässt Theseus die schöne, junge Ariadne schnöde auf der Insel Naxos sitzen, ohne Abschied und ohne Faden, und die Sitzengelassene hat buchstäblich das Nachsehen, bis zuerst der Weingott Dionysos alias Bacchus, später Richard Strauss und zu guter Letzt die Europäische Raumfahrtagentur sich ihrer annehmen. Mittlerweile gibt es hunderterlei „Leitfäden“ durch hunderterlei Labyrinthe. Die findet man im Kaufhaus freilich nicht bei den Kurzwaren; auch sonst sucht man Texte ja nicht in der Textilabteilung. Aber welcher Leitfaden leitet uns von der alten Ariadne auf Kreta und Naxos zu der neuen „Ariane“-Rakete auf dem Startplatz von Kourou? Ich war einmal im Schweizer Fernsehen in der gleichen Magazin-Sendung wie einer der leitenden Raketentechniker der ESA, und der verbürgte mir völlig ernst die folgende Erklärung: Zuerst sei mit dem europäischen Raumfahrtprogramm Vieles schiefgelaufen; doch dann habe ein neuer Projektleiter nochmals ganz neu angefangen und die Sache vom Kopf auf die Füße gestellt. Mit Blick auf diesen Neubeginn habe die Europäische Raumfahrtagentur die kretische Prinzessin Ariadne, französisch Ariane, zur Namenspatin der neu entwickelten Rakete erkoren: „Die hat damals“, sagte er, „aber das wissen Sie ja viel besser als ich – die hat damals ihren hoffnungslos verknoteten Faden doch auch einfach mitten durchgehauen!“ Ja, der Gordische Knoten: aber das war doch die Geschichte mit dem sprichwörtlich unauflöslichen Knoten im phrygischen Gordion, und mit Alexander dem Großen, der das unentwirrbare Unding kurzerhand mit seinem Schwert in Stücke hieb ...

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Asyl A, S, L, das sind wie B, C, D und ihresgleichen ordentliche Buchstaben, wie man sie im Deutschen hat. Aber das Ypsilon verrät es: Das „Asyl“ ist in unserem Wortschatz ein Fremder, ein alter Grieche, der bei uns Asyl gefunden hat. Im 1. Jahrhundert v. Chr. war aus diesem griechischen ásylon in Rom ein lateinisches asylum, im 18. Jahrhundert bei uns ein vollends um die fremde Endung verkürztes „Asyl“ geworden. Aber was wiegt eine abgestoßene Endung gegenüber jenem anstößigen Ypsilon? Das Wort kann seinen Migrationshintergrund nicht verleugnen; mit diesem Ypsilon figuriert das „Asyl“ gleich hinter so schrägen Vögeln wie der „Asymmetrie“ und der „Asymptote“ weiterhin in unseren Fremdwörterbüchern, und Aussicht auf Anerkennung wenigstens als halbwegs assimiliertes Lehnwort besteht einstweilen nicht. Immerhin kann das „Asyl“ sich ordentlich über seine Herkunft ausweisen: Hinter dem aktuellen politischen Stichwort steht das griechische Verb sylán, „abziehen, abstreifen, rauben“, das in der Homerischen „Ilias“ immer da begegnet, wo ein siegreicher Kämpfer dem getöteten Gegner die Rüstung „raubt“. Ein später und selten bezeugtes Substantiv sýle bezeichnete das Recht, sich durch die Beschlagnahme eines fremden Schiffes samt Ladung für früher erlittenes Unrecht schadlos zu halten. Im 5. Jahrhundert v. Chr. hat sich der griechische Stamm, dessen weitere Herkunft völlig im Dunkeln bleibt, mit dem verneinenden Kopfstück a- zu einem Adjektiv ásylos in der Bedeutung „unverletzt, unverletzlich“ verbunden; frühe, vereinzelte Belege finden sich in poetischer Sprache bei dem Philosophen Parmenides und dem Tragiker Euripides. Da geht es nicht um Wehr und Waffen, sondern um Leib und Leben. In der Euripideischen „Medea“ bittet die aus Korinth ausgewiesene Medea

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den König Aigeus, sie in Athen aufzunehmen, und der gewährt es ihr: Wenn sie in sein Haus komme, werde sie ásylos, „unverletzt, unverletzlich“, bleiben: Niemals werde er selbst sie aus Korinth wieder verstoßen und niemals sie einem ihrer Feinde ausliefern. Das ásylon, das Neutrum des Adjektivs, bezeichnete die gewaltfreie Schutzzone eines Tempelbezirks oder eines Altars, die jedem an Leib und Leben Bedrohten eine sichere Zufluchtsstätte bot. Flüchtige Feinde, politisch Verfolgte, Sklaven, ja selbst Kriminelle konnten dieses sakrale Asylrecht jederzeit in Anspruch nehmen, nicht etwa, weil die Gottheit diese Asylsuchenden schonen wollte, sondern weil der heilige Bezirk nicht durch Brachialgewalt oder gar durch Blutvergießen entweiht werden durfte. Im „Ion“ des Euripides führt der Titelheld beredte Klage darüber, dass dieses Tempelasyl Gerechten und Ungerechten unterschiedslos Zuflucht biete. Eine Episode aus dem Trojamythos berichtet von der Unverfrorenheit des „kleinen“ Aias, des Sohnes des Oïleus. Der hatte die in den Tempel der Athene geflüchtete Seherin Kassandra von der Götterstatue weggerissen und sie vergewaltigt; als die ob dieses Frevels erschreckten Mitkämpfer ihn steinigen wollen, nimmt er das eben noch so rücksichtslos missachtete Asyl auf den Altar der Göttin prompt für sich selbst in Anspruch, und sein Asylanspruch wird respektiert. In der römischen Kaiserzeit galt für die Tempel des Kaiserkults und selbst für die Statuen der Kaiser ein entsprechendes Asylrecht, und in der Spätantike ging das seit alters hergebrachte allgemeine Tempelasyl im Zuge der Christianisierung in ein gleicherweise anerkanntes Kirchenasyl über. Über zweieinhalb Jahrtausende hinweg hat sich dieses altsprachliche ásylon oder asylum, einzig der Endung beraubt, nahezu unangetastet in den Neuen Sprachen gehalten. Zu assimilierenden Ableitungen wie etwa einem „asylisch“ oder einem „asylieren“ ist es nicht gekommen. Erst in jüngster Zeit ist dem Wort dann doch noch ein gängiges lateinisches Schwanzstück zugeflogen. Es war wohl die Gesetzes- und Verwaltungssprache, die einen Asylbewerber nach dem Muster eines „Laboranten“, eigentlich eines im Labor „Arbeitenden“, oder eines „Praktikanten“, eigentlich eines in der Praxis „Handelnden“, als einen sozusagen asylierenden „Asylanten“ ansprach. Damit hat die Sprache dem Asylsuchenden schon einmal einen förmlichen Status auf Zeit und fast schon eine Profession verliehen.

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Atmosphäre Die acht Himmelssphären der „alten Astronomie“, die sieben Planetensphären von Mond, Merkur, Venus, Sonne, Mars, Jupiter und Saturn und die sie umschließende Fixsternsphäre, waren der Antike als „Sphären“ wohlvertraut. Doch von einer atmosphaíra wissen die altgriechischen Wörterbücher nichts zu vermelden. Da mochte der Himmel noch so blau sein – die irdische Luftregion unter dem Mond, wo die vier Winde in die Kreuz und Quere wehen und statt Sphärenklängen nichts als Sturmgeheul und Donnerschlag ertönt, schien den alten Astronomen des hehren „Sphären“-Titels wohl nicht wert. Die „Atmosphäre“ ist ein Retortenwort, im Sprachlabor der frühen Neuzeit aus altem Griechisch synthetisiert. Die sphaíra, eigentlich „Ball, Kugel“, ist im 6. Gesang der „Odyssee“ mit einem fröhlichen Ballwurf der Königstochter Nausikaa ins Licht der Wortgeschichte eingetreten. Später bezeichnete das Wort die ineinandergefügten Kugelschalen, in denen die griechische Astronomie Planeten und Fixsterne umlaufen ließ, und schließlich auch den zuinnerst ruhenden Erd-„Ball“. Im lockeren Sinne eines engeren oder weiteren „Bereiches“ sprechen wir neuerdings von einer persönlichen Intim- und Privatsphäre oder von politischen Einfluss- und Interessensphären. Anders als die sphaíra ist der atmós, auch weiblich atmé oder atmís, im Griechischen kein geläufiges Wort gewesen. Um 700 v. Chr., in Hesiods Göttermythen, bezeichnet zunächst die atmé einen „gottgesandten Gluthauch“ über der vom Blitz des Zeus getroffenen „brennenden, schmelzenden Erde“. Im 5. Jahrhundert v. Chr., in der Aischyleischen „Orestie“, spricht die Seherin Kassandra von dem atmós, dem „Modergeruch“, der ihr aus dem Palasttor von Mykene „gleichwie aus einem Grab“ entgegenschlägt; in der gleichen „Orestie“ spricht später der Schatten der von Orest erschlagenen Klytai-

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mestra von dem atmós, dem „hindörrenden Gluthauch“, der dem Mund der alle Blutschuld rächenden Eumeniden entströmt. Sengender Gluthauch, feuchtkalter Moder und wieder dörrender Gluthauch: Was uns aus dieser Jahrtausende tiefen Lexikonspalte nasskalt und glutheiß in die Nase steigt, kann einem schier den Atem verschlagen. Dieser lebensfeindliche atmós ist denn auch nicht mit unserem „Atem“ und unserem „Atmen“ verwandt; die Atmosphäre ist, aller verlockenden Bezüglichkeit zum Trotz, nicht unsere „Atemsphäre“. In der Folge und in Prosa bezeichnet das griechische Wort, bei Aristoteles meist atmís, dann auch allerlei harmlosere feuchte Dämpfe und Dünste, zumal den Wasserdampf, den die Sonne von der Erde aufzieht, einmal auch arabisches Räucherwerk. In der frühen Neuzeit war mit der Ptolemäischen Astronomie der sieben Planetensphären auch die Aristotelische Physik der fünf Elemente dahingefallen, und mit ihr die Schranke zwischen den ewiggleich kreisenden ätherischen Himmelssphären und der wolkigen, windigen, dunstigen, staubigen Luftregion unter dem Mond. Nun stand nichts mehr im Wege, diesen irdisch-trüben atmós mit jener himmlisch-reinen sphaíra zu einer den Erdball rings umhüllenden „Atmosphäre“ zu verkuppeln, und wie in der Antike die ätherischen Planetensphären, so fügen sich nun neue atmosphärische Sphären wie die Troposphäre, die Stratosphäre und die Ionosphäre ineinander. Seit jüngstem bezeichnet diese vergleichsweise junge „Atmosphäre“ auch zwischenmenschliche Schön- und Schlechtwetterlagen: Wie von einem besseren oder schlechteren Arbeits- oder Gesprächs-„Klima“ sprechen wir im gleichen Sinne von einer besseren oder schlechteren Arbeits- oder Gesprächs-„Atmosphäre“. „Jedem Worte klingt“, so schnarren die Greifen in Goethes klassischer Walpurgisnacht, „der Ursprung nach, wo es sich her bedingt.“ Die Wörteralchemisten des 17. Jahrhunderts hatten gewiss mehr Aristoteles als Hesiod und Aischylos gelesen. Aber lassen wir heute die „Atmosphäre“ von ihrer Geschichte erzählen, so scheint diese aus Abermillionen von Auspuffrohren und Fabrikschornsteinen kohlendioxid- und wer-weiß-womit-noch-geschwängerte Atmosphäre uns ominös an jenen sengenden alten „Gluthauch“ über einer „brennenden, schmelzenden Erde“ zu gemahnen. Es fehlt derzeit ja auch nicht an neuen Kassandren, die in unserer Atmosphäre, etymologisch durchaus stimmig, den „hindörrenden Gluthauch“ einer fatalen Klimakatastrophe heraufziehen sehen.

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August Ein Kalendermonat mit Geburtsurkunde? Ja, das gibt es: Der August hat eine, einen förmlichen Beschluss des römischen Senats in sprödem Amtslatein: „Da der Imperator Caesar Augustus im Monat Sextilis sowohl sein erstes Konsulat angetreten hat als auch drei Triumphe in die Stadt geführt hat, ... aber auch weil in diesem Monat Ägypten in die Gewalt des römischen Volkes gebracht worden ist und in diesem Monat den Bürgerkriegen ein Ende gesetzt worden ist und aus diesen Gründen dieser Monat für diese Herrschaft der glücklichste ist und gewesen ist, hat der Senat beschlossen, dass dieser Monat Augustus genannt werde.“ Das war im Jahre 27 v. Chr., im siebten Konsulat ebendieses Caesar Augustus, im dritten seines Vertrauten Marcus Vipsanius Agrippa. Im Sommer des Jahres 29 war Augustus – damals hieß er noch „Imperator Caesar, der (Adoptiv-) Sohn des Vergöttlichten (Julius Caesar)“ – nach seinem Sieg über Antonius und Kleopatra aus Ägypten nach Rom zurückgekehrt. Am 16. Januar 27 v. Chr. hat der Senat dem gefeierten Friedensbringer den Ehrentitel Augustus, griechisch Sebastós, verliehen und den Monat Sextilis, den „sechsten“ nach dem altrömischen Jahresanfang am 1. März, in Augustus umbenannt. Anders als Julius Caesar hat Augustus für sein Denkmal im Kalender nicht seinen Geburtsmonat September, sondern seinen Glücksmonat Sextilis auserwählt: Am 19. Sextilis 43 v. Chr. hatte er – noch nicht zwanzigjährig – sein erstes Konsulat angetreten; am 1. Sextilis 30 war er als Sieger über seinen Bürgerkriegsrivalen Antonius und die ägyptische Königin Kleopatra in Alexandreia eingezogen; am 13., 14. und 15. Sextilis 29 hatte er seine jüngsten Siege mit drei glanzvollen Triumphen gefeiert. Der römische Senatsbeschluss, den der gelehrte Macrobius vier Jahrhunderte später im Wortlaut aus dem Staatsarchiv zitiert, legt den Akzent klar

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auf den 1. Sextilis, fortan August des Jahres 30 v. Chr. Das Ende der fortwährenden Bürgerkriege und zugleich die Unterwerfung Ägyptens deuteten auf eine historische Zeitenwende: Der nunmehr geschlossene „Kreis der Länder“ um das Mittelmeer schien unter der Herrschaft der „Ewigen Stadt“ erstmals zu einem wirklichen und wahrhaften Weltreich vereint; ein Ende nicht nur des hundertjährigen römischen Bürgerkriegs, sondern überhaupt der Kriege und damit ein erstes „Ende der Geschichte“ schien zum Greifen nahe; die von Vergil in der 4. Ekloge prophetisch verkündete Vision eines ewigen Friedens – mythisch gesprochen: der Wiederkehr der Goldenen Zeit – schien sich zu bestätigen. Für all das stand dieser „August“: für den Zusammenschluss der Welt zu einem ersten weltweiten Global Village, für ein Ende der Kriege und den Einzug eines dauernden, ewigen Friedens. Was das Wort „Augustus“ eigentlich bedeutet? Das Adjektiv ist in der kultischen Sprache zu Hause; abgeleitet von dem Verb augere mit der Grundbedeutung „vermehren, vergrößern; erhöhen, vertiefen“ und der prägnanten Bedeutung „in seinem Wert, in seinem Rang erhöhen“, bezeichnet es ursprünglich „verehrungswürdige“ Kultorte und Kulthandlungen. Der Titel Augustus, eigentlich „der Erhöhte“, mit der griechischen Entsprechung Sebastós, „der Verehrungswürdige“, ist zu Ehren des Augustus neu geschaffen worden. Er ist nach dem Tode des Kaisers auf alle seine Nachfolger übergegangen; durch ihn kam das zuvor nur selten bezeugte Wort zu weltweiter Geläufigkeit. Nicht nur rund um das Mittelmeer, sondern rund um die ganze Welt ist der Monatsname in vielerlei Sprachen geläufig geworden; alle Auguste und Augusten, alle Sebastiane, Bastl und Wastl haben in diesem Monat sozusagen ihren Namensmonat. Viele Städte tragen seit alters den römischen Kaisertitel in ihrem Namen, so in Italien Aosta (das alte Augusta Praetoria), in Frankreich Autun (das alte Augustodunum), in der Schweiz Augst bei Basel (das alte Augusta Raurica), in Deutschland Augsburg (das alte Augusta Vindelicum), nicht zu vergessen das ukrainische Sewastopol auf der Halbinsel Krim – die alte, in der Antike griechischsprachige „Augustusstadt“ Sebastopolis. Und mit Augusta, der Hauptstadt des US-Bundesstaates Maine und mehreren anderen Städten gleichen Namens hat auch die Neue Welt ihre traditionsträchtigen Augustusstädte. Sie alle haben ihre Gründungsgeschichte; nur der

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Dumme August stolpert ohne Geburtsurkunde, ohne Namensgeschichte durch die Manege. Sei’s drum; immerhin hat jeder „Clown“ ja seinen eigenen heißen Draht zum alten Rom, ist jeder „Clown“ ja ein Landsmann des alten Augustus: ein römischer colonus, ein tölpelhafter „Bauer“ vom platten Land.

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Bachelor of Arts Wie das Schlagwort „Pisa“ bei den Schulen aller Stufen, so hat das Schlagwort „Bologna“ bei den Universitäten zugeschlagen: Unter dem Namen der norditalienischen Metropole werden die europäischen Universitäten auf gleichlaufende Studiengänge und gleichlautende B. A.- und M. A.-Abschlüsse verpflichtet. Was ein M. A. ist, das pfeifen in Oxford und Cambridge die Spatzen von den College-Dächern: Das ist im Latein des Mittelalters ein Magister Artium, ein „Meister der Künste“, im Englischen mit den gleichen Initialen ein Master of Arts. Der stolze Meistertitel bezieht sich auf den spätantiken und dann mittelalterlichen Bildungskanon der sieben artes liberales, der einem freien Bürger wohl anstehenden „freien Künste“ im Unterschied zu den banausischen Handwerkskünsten; dazu zählten die drei sprachlichen „Künste“ Grammatik, Dialektik und Rhetorik und die vier mathematischen „Künste“ Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik. Aber was ist ein B. A.? Gehen wir den gleichen Weg zurück, so begegnet uns zunächst wieder ein mittelalterlicher, mittellateinischer Baccalaureus Artium, im Englischen wieder mit den gleichen Initialen ein Bachelor of Arts. Wer ein feines Gehör für Anklänge, ein waches Gespür für Bezüge und obendrein noch ein paar Wörter Latein im Hinterkopf hat, sieht bei diesem Stichwort Baccalaureus einen frischexaminierten Studienabsolventen mit einem früchtetragenden Lorbeerkranz auf dem Kopf vor dem inneren Auge. Gibt es im Lateinischen nicht eine – weibliche – laurus mit der Bedeutung „Lorbeer“, und ist ein Poeta laureatus nicht ein „lorbeerbekränzter Dichter“? Und gibt es im Lateinischen nicht auch eine bac(c)a mit der Bedeutung „Beere“, und ist die mittelhochdeutsche – wieder weibliche – lorber, unser „Lorbeer“, nicht eigentlich eine „Lor(beer)-Beere“ wie der lorboum ein „Lor(beer)-baum“?

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Nun hätte unser Baccalaureus ja gewiss solch einen früchtetragenden Lorbeerkranz verdient; doch irritierend ist, dass das klassische Latein keinen baccalaureus kennt, und irritierend auch, wieso hier schon der angehende B. A., der Geselle, und nicht erst der fortgeschrittene M. A., der Meister, so ehrenvoll bekränzt daherkommt. Tatsächlich sind der Lorbeerkranz und die Beeren daran erst später an der Reihe. Der englische Bachelor of Arts und der entsprechende französische bachelier lassen sich noch bis ins 11. Jahrhundert auf einen altfranzösischen bachelor in der Bedeutung eines „Knappen“, eines Jungritters, zurückführen, und dieser altfranzösische bachelor lässt uns darüber hinaus noch auf einen spätlateinischen baccalarius zurückschließen; danach verliert sich die Spur unseres Baccalaureus Artium im Dämmerlicht zwischen Spätantike und Frühmittelalter. Wahrscheinlich hat sich hier – wer weiß, wann, wo und wie – eine ursprünglich gallische Bezeichnung für einen jungen Adligen mit einer ordentlichen Endung zu einem fortschrittlichen lateinischen baccalarius aufgeputzt. Mit dem Aufkommen der Universitäten ist das Wort von den ritterlichen Turnieren in Helm und Harnisch zu den akademischen Disputationen in lateinischer Rüstung übergesprungen. Es lag nahe, aus jenem doch wohl gallischstämmigen, schon längst nicht mehr verstandenen baccalarius die beiden geläufigen lateinischen Wörter bac(c)a, „Beere“, und laurus, „Lorbeer“, herauszuhören und jenen verstummten baccalarius mit einer unbekümmerten Volksetymologie zu einem sprechenden baccalaureus, einem „Lorbeerbekränzten“, zu erheben; da konnte man sich bei dem Wort doch wieder etwas denken. Und es lag wiederum nahe, das derart auf den klassischen Siegespreis der Dichter und Sänger umgedeutete Wort fortan auf ein erstes akademisches Examen, sozusagen einen ersten akademischen Ritterschlag zu übertragen. Soweit lässt sich die Verwandlung des ritterlichen baccalarius und dann bachelor in einen akademischen Baccalaureus und dann Baccalaureatus noch mit einiger Wahrscheinlichkeit rekonstruieren. Im Englischen führte der Bedeutungswandel darauf noch einen Schritt weiter zum bürgerlichen Status eines noch nicht verheirateten jungen bachelor, eines der Ehe- und Familienlast noch ledigen „Junggesellen“. Stufenfolgen, Leitersprossen: Da wird im Studium der B. A., der „Lorbeerbekränzte“, auf der nächsten Stufe zum M. A., zum „Meister der – freien – Künste“, im Handwerk der Geselle

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auf der nächsten Stufe zum Meister. Ja, sollte dann entsprechend der Junggeselle mit der bloßen Heirat zum Meister der Lebenskünste werden? Schön wär’s und stimmig auch; aber dafür kann die Sprache keine Haftung übernehmen.

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Basis „Meine Basis und ich sind schwere und schwerste Gewichte!“ „Meine Basis und ich wiegen geradeso viel!“ „Aber ich habe allein zweimal das Gewicht deiner Basis!“ „Wie? Deine Basis wieg’ ich dreimal aufs Gramm genau auf!“ Trumpfen hier zwei Parteipräsidenten voreinander auf, indem sie das politische Schwergewicht ihrer Basis und dazu ihr eigenes Schwerstgewicht in die Waagschale werfen? Nein, hier geht es um Statuen und ihre marmornen Basen, vielleicht um Olympische, herkulische Schwerathleten, die den Wettstreit von der Palästra auf die Waage verlagern. Das reizvolle Versrätsel findet sich unter allerlei anderen im 14. Buch der „Anthologia Palatina“; der byzantinische Herausgeber erklärt vorweg, er bringe diese Beispiele, „damit du erkennst, was die Kinder der Alten geleistet haben und was die der Neuen noch leisten“. Das Schwanzstück „-sis“ zeigt es an: Wie die „Praxis“, eigentlich das „(ärztliche) Handeln“, wie die „Dosis“, eigentlich das „Geben“ und dann die „(Medikamenten-) Gabe“, und wie die „Krisis“ oder „Krise“, eigentlich die „Entscheidung (zwischen Genesung und Tod)“, so ist diese „Basis“ griechischer Herkunft, und wie jene drei über die Hippokratische Medizin, so ist diese „Basis“ über die Bildhauerkunst, die Architektur und die Euklidische Geometrie zunächst ins Lateinische und weiter in die Neuen Sprachen gelangt. Die von dem griechischen Verb baínein, „gehen, schreiten“, abgeleitete básis bezeichnete eigentlich das „Gehen“ oder „Schreiten“ und hat ihre Bedeutung dann selbst Schritt für Schritt auf Weiteres übertragen. Eine erste Übertragung führte zu dem einzelnen „Schritt“, mit dem einer einen Schritt weiter geht oder eine Stufe höher steigt; eine zweite führte zu dem

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„Fuß“, den einer bei diesem Schritt vor den anderen setzt; eine dritte führte schließlich zu dem festen „Grund“, auf dem er diesen Schritt tut, auf dem er steht und geht. Derlei Übertragungen haben immer auch ihre leichten Unschärfen: So konnte man bald auch von dem Fuß einer tönernen Amphore als der „Basis“ dieser Amphore sprechen, obwohl eine Amphore auf diesem Fuß ja nur steht und keineswegs geht. Und entsprechend konnte man von dem Sockel einer marmornen Statue als der „Basis“ dieser Statue sprechen, auch wenn eine Statue auf diesem Sockel wieder nur steht und keineswegs geht. Von der Basis einer Statue hat sich die Bedeutung des Wortes weiter auf das Fundament eines Gebäudes und auf den Unterbau einer Maschine übertragen. Aber wie geht und steht es mit der „Basis“ einer Partei? Steht der Präsident da etwa stolz auf hohem Podest, und liegt die „Basis“ da en bloc unter seinen Füßen? Das wäre doch politisch allzu inkorrekt; so kann das nicht gelaufen sein. Schon bei Platon konnte diese básis auch das „Fundament“, die Grundlinie einer geometrischen Figur wie etwa eines Dreiecks bezeichnen, und mit diesem Schlenker über die Geometrie bewahrt das Bild seine politische Korrektheit: Die breite, von der linken bis zur rechten Ecke erstreckte „Basis“ liegt dem Dreieck buchstäblich zu Grunde; darüber erhebt sich die mehr oder weniger weit entrückte, mehr oder weniger weit nach links oder rechts verschobene Spitze, und so hat beides seinen Rang: Was wäre ein Dreieck, was wäre eine Partei ohne die Basis zuunterst und was ohne die Spitze zuoberst? Die geometrische Figur erinnert an das arithmetische Problem, wie viel wohl jene beiden schwergewichtigen Schwerathleten und ihre nicht ganz so schweren Statuenbasen auf die Waage bringen. Es gibt unzählige richtige Lösungen, aber die Verhältnisse sind allemal die gleichen und so einfach, dass der alte Pythagoras daran seine helle Freude hätte. Die Gewichte der ersten Statue, der zweiten Statue, der Basis der zweiten und der Basis der ersten verhalten sich zueinander wie 4 : 3:2 :1. Wer Töchter oder Söhne, Enkelinnen oder Enkel hat, mag jetzt PISA-mäßig testen, wie viel oder wie wenig die Kinder von heute neuerdings schon wieder oder nur noch leisten!

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Cappuccino Wenn jemand erklärt, beim Cappuccino sei das Häuptchen die Hauptsache, so hat er gleich dreifach recht: Erstens, weil die Hauptsache ja allemal, wie das Wort sagt, obendrauf sitzt; zweitens, weil ein Cappuccino ohne Häuptchen gar kein Cappuccino wäre, und drittens, weil der Cappuccino nach dem lateinischen caput, „Kopf“, geradezu „Häuptchen“ heißt. Der Wörter, die aus diesem lateinischen caput in den Euro-Wortschatz eingegangen sind, ist Legion. Ziehen wir hier ein paar heraus: Das Kapitol am Tiber, das dem Capitol am Potomac den Namen gegeben hat, ist seit alters das stolz erhobene „Haupt“ der Ewigen Stadt gewesen. Das Kapital, nach dem Adjektiv capitalis, präsentiert sich schlichtweg als die „Hauptsache“ – wonach die Zinsen dann wohl eine Nebensache wären, freilich, wenn wir an den französischen intérêt und das englische interest denken, eine durchaus interessante. Der Kapitän ist das „Haupt“ einer Schiffsbesatzung oder einer Fußballmannschaft, der Chef eine „Hauptperson“ à la française, der CEO, der Chief Executive Officer, eine „Hauptperson“ auf englisch. Das „Kapitel“ im Buch, nach einem verkleinernden capitulum, bezeichnete ursprünglich nur das „Köpfchen“ vorneweg: die Kapitelüberschrift und die Inhaltsübersicht. Die daraus abgeleitete „Kapitulation“ hat erst jüngst völkerrechtliche Bedeutung angenommen; „kapitulieren“ hieß im Mittelalter lediglich: einen Vertragsinhalt in einzelne Kapitel fassen, „rekapitulieren“ entsprechend: diese einzelnen Kapitel nochmals durchsehen. Das „Kapitell“, nach einem wiederum verkleinernden capitellum, deutet auf das dorisch streng, ionisch lockig oder korinthisch üppig frisierte „Köpfchen“ einer klassischen Säule. Verwunderlich bleibt, warum unsere Atlanten nicht die hochragenden Häupter der Berge, sondern die vorspringenden Spitzen des Landes als „Kap“ bezeichnen: Da hatten die ersten

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Kap-Umsegler – sei’s vom Sturm, sei’s vom Durst – offenbar neunzig Grad Schräglage. Mit der „Kapelle“ hat es eine eigene Bewandtnis: Die Kapellen haben ihren Namen von der spätlateinischen cappa, dem Kapuzenmantel, den der heilige Martin von Tours nach der Legende mit einem Schwertstreich mittendurch hieb und mit einem frierenden Bettler teilte. Die Könige des Frankenreichs führten die liebevoll capella genannte Reliquie als Reichskleinod auf ihren Reisen mit, und mit diesem „Mäntelchen“ ging das Wort auf Wanderschaft: zunächst zu den durch seine Einkehr geheiligten Pfalzkapellen, dann überhaupt zu allen Schlosskapellen, schließlich zu den a cappella singenden geistlichen Kapellen und zuletzt, als von dem alten „Mäntelchen“ des barmherzigen Martin kein heiliges Zipfelchen mehr herausschaute, zu allerlei weltlichen Tanzkapellen. Es ist eine schier unendliche Verwandtschaft, eine Hauptversammlung mehr oder weniger hoher Hauptpersonen und Hauptsachen, in der wir uns da bewegen, und manche sind inkognito dabei: Auch hinter dem „Korporal“ an der Schnittstelle zwischen einem italienischen caporale, dem kommandierenden „Hauptmann“, und einem französischen corps, dem ihm unterstellten „(Truppen-) Körper“, auch hinter dem „Kabis“, dem „Kohlkopf“, und dem „Kappes“-Reden im Sinne des „Kohl(kopf )“-Redens verkappt sich ein solches quicklebendiges, verwandlungsfrohes lateinisches caput. Von der wetterfesten mönchischen „Kapuze“, nach dem spätlateinischen caputium, und den nach ihr benannten „Kapuzinern“ führt der Weg über den gleichbedeutenden italienischen cappuccio geradewegs zu unserem „Cappuccino“, unserem „Häuptchen“-Kaffee, herüber. Und selbst das auf einen übel missratenen Cappuccino gemünzte Witzwort „Kaputtschino“ gehört noch zur Familie: Hinter diesem „kaputt“ steht wahrscheinlich ein französisches capoter für das Scheitern eines kieloben, kopfüber gekenterten Schiffes und ein être capot oder faire capot für ein entsprechendes Scheitern im Kartenspiel. Das kam im Dreißigjährigen Krieg über den Rhein, und mit diesem Absturz von lauter Hauptpersonen und Hauptsachen zu einem jämmerlichen Schiffbruch, von einem Hauptwort ersten Ranges zu dem umgangssprachlichen „kaputt“, war das alte Wort zuletzt auch selbst kopfüber, kieloben gekentert.

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CH: Confoederatio Helvetica Wie mögen sich die Nachbarn jenseits der schweizerischen Landesgrenzen das Autokennzeichen „CH“ und neuerdings das E-Mail-Kennzeichen „ch“ verdolmetschen? Die im Norden denken da wohl am ehesten an einen gutturalen Urlaut des Schweizer Dialekts. Es ist ja auch kaum zu erraten. Hier hat die Schweizerische Eidgenossenschaft gut föderalistisch und zugleich gut europäisch keiner ihrer vier Landessprachen Deutsch und Französisch, Italienisch und Rätoromanisch, sondern der alten Landessprache aller dieser Nachbarländer die Ehre gegeben; in diesem änigmatischen „CH“ verbirgt sich eine ehrwürdige lateinische Confoederatio Helvetica. Wer nun im guten alten Georges, diesem zweibändigen „Ausführlichen lateinisch-deutschen Handwörterbuch“, unter dem Stammwort foedus nachschlägt, stößt dort zunächst auf ein Adjektiv mit mehr widerwärtigen Bedeutungen, als die Hydra Köpfe hatte: „garstig, widrig, ekelhaft, hässlich, scheußlich, abscheulich, greulich, grauenhaft, grässlich, schimpflich, verächtlich, entsetzlich“. Eine „Konföderation“, der „Föderalismus“ zwölffach garstig, widrig etc.? Das kann doch nicht sein, und das ist auch nicht

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so. Gleich darunter in der Lexikonspalte folgt dann noch ein völlig gleichlautendes Substantiv foedus mit dem Genitiv foederis, sächlichem Geschlecht und der bündigen Bedeutung „Bündnis, Bündnisvertrag; Freundschaftsbund, Liebesbund“, und glücklicherweise haben diese beiden Wörter namens foedus nichts, aber auch gar nichts miteinander zu tun. Auch die lateinische Sprache hat ihre unliebsamen Namensvettern. Die römische Republik regelte ihre Beziehungen zu den verbündeten Städten im engeren Latinischen und im weiteren Italischen Städtebund durch eine Vielzahl solcher foedera, solcher „Bündnisverträge“. Darin ging es um Stadtverwaltung und Gerichtsbarkeit, Münzhoheit und Handelsrechte, Eheschließung und Bürgerrechte, die Stellung von Truppen und Schiffen, allerlei Warenlieferungen für das römische Heer und Dienstleistungen für durchreisende Magistraten. Neben einem sogenannten foedus aequum, einem „Bündnis zu gleichem Recht“, sozusagen auf gleicher Augenhöhe, gab es da ein nie so offen benanntes foedus iniquum, bei dem Rom die Augen um einiges höher hatte, und zum Ritual des Bündnisschlusses gehörte eine harte Selbstverfluchung für den Fall eines Vertragsbruchs. Aber das Beste stand nicht im Vertrag, sondern in dem Wort selbst. In seiner Schrift „Über die lateinische Sprache“ bezeugt der gelehrte Varro neben der geläufigen Lautgestalt foedus noch ein altes feidus alias fidus, und hier kommt nach jenem zwölffach garstigen Namensvetter noch eine höchst schätzenswerte Stammverwandte in den Blick: Das foedus, das „Bündnis“, ist gleichen Stammes mit der lateinischen fides, der „Treue“. Jedem römischen Bündnisvertrag war die Bündnistreue in den Titel geschrieben, und ein alter Römer hat aus dem feierlich geschlossenen foedus die darin feierlich beschworene fides wohl noch herausgehört. Ein Wortspiel des altrömischen Dichters Ennius deutet auf die Wortverwandtschaft: „Accipe daque fidem foedusque feri bene firmum ...“, „Nimm an und gib Treue und schließ ein grundfestes Bündnis ...“ Entsprechend waren die Bronzetafeln mit diesen Bündnisverträgen seit alters im Heiligtum der Fides Populi Romani, der „Treue des römischen Volkes“, auf dem Kapitol aufgestellt. Zu einer foederatio im Sinne eines „Bündnisschlusses“ und schließlich einer vollends eng „zusammen“-geschlossenen confoederatio, wie sie heute im lateinischen Namen der Schweizerischen Eidgenossenschaft, des „Helveti-

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schen Bundesstaates“, und so auf jedem Fünffränkler, jedem Zehn- und Zwanzigräppler figuriert, ist es erst in der Spätantike gekommen. Das einfache foedus ist geläufiger geblieben; so treu, wie es dem Wort entspricht, hat es im „Föderalismus“ seine ursprüngliche staatsrechtliche Bedeutung bewahrt. In dem Ländernamen „Bundesrepublik Deutschland“ erscheint es in deutscher Übersetzung, in der englischen Namensform „German Federal Republic“ wieder in seiner angestammten Gestalt. In der geläufigen Abkürzung „FBI“ für das US-amerikanische „Federal Bureau of Investigation“ gibt sich dieses foedus ein konspirativ verdecktes Stelldichein, und selbst in der „FIFA“, der „Fédération Internationale de Football Association“, gilt erst das zweite „F“ dem Fußball und das erste der Fédération.

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Coup Was ist ein Coup? Da sprechen die Lexika von einer frischgewagt bis geradezu tolldreist angelegten, überraschend lancierten und jedenfalls erfolgreich durchgeführten Unternehmung: Ein Coup, der fehlschlägt, ist ein Coup gewesen. Der Griechengott des großen Coups ist der so ingeniös diebische wie ingeniös erfinderische junge Hermes: Ein nächtlicher Banküberfall à la Rififi mit zweistelliger Millionenbeute ist ein Coup so gut wie eine über Nacht bekanntgewordene Bankenfusion mit zweistelligem Milliardengewinn. Aber was reden wir da von Millionen und Milliarden? Eigentlich ist ein Coup eine Ohrfeige. Der jeder Eindeutschung und damit jeder Rechtschreibreform spottende „Coup“ ist unverkennbar zunächst französischer Herkunft. Ein mittelalterlicher französischer colp aus dem 11. Jahrhundert und ein gleichfalls mittelalterlicher lateinischer colpus in der Bedeutung eines derben Schlages oder Hiebes weisen uns noch ein gutes Jahrtausend weiter in die klassische Antike zurück: zu einem leichthin latinisierten colaphus und schließlich zu einem griechischen kólaphos in der Bedeutung des derben Schlages, den wir im Deutschen eine „Ohrfeige“ nennen. Die weitere Stammverwandtschaft und damit die Grundbedeutung des griechischen Wortes bleiben im Dunkeln; nur eines ist sicher: Ein „Ohr“ oder eine „Feige“ schauen da nicht heraus. Von der griechischen und Jahrhunderte später von der römischen Komödienbühne schallt unter diesem Stichwort ein ohrenfälliges Knallen zu uns herüber: Im 5. Jahrhundert v. Chr. hat der sizilische Komödiendichter Epicharm einem Sporttrainer den sprechenden Spitznamen Kólaphos, „Ohrfeige“, gegeben, und über die lateinischen Versionen griechischer Komödien ist das Wort im 3. und 2. Jahrhundert v. Chr. aus dem Griechischen

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ins Lateinische übergewechselt. Bei dem gröberen Plautus klagt ein Schmarotzer, ohne colaphi, ohne „Ohrfeigen“, gehe es in seiner Profession nun einmal nicht ab, und selbst bei dem feineren Terenz jammert ein Kuppler einmal lautstark über die „reichlich fünfhundert colaphi“, der er in der Nacht zuvor bezogen habe. In unserem „Überraschungsschlag“ und im militärischen „Handstreich“ schlägt die ursprüngliche Bedeutung des „Coup“ noch vernehmlich durch, und nicht von ungefähr stellt unsere Bildersprache auch den ordentlich verbal am Konferenztisch und durchaus nicht irgendwie brachial hinter den Kulissen ausgehandelten Coup noch drastisch vor Augen: Einen politischen oder wirtschaftlichen Coup kann man im Deutschen „von langer Hand“ vorbereiten, zu einem Coup kann man „weit ausholen“, einen Coup kann man zu guter Letzt glücklich „landen“ – nur dass der anvisierte Landeplatz jetzt nicht mehr die linke oder rechte Backe eines Ohrfeigengesichts, sondern die erste Meldung in der abendlichen Tagesschau oder die Titelseite einer Tageszeitung ist. Gleich nach dem überraschenden coup de chance serviert uns das französische Lexikon noch eine perlend überschäumende coupe de champagne, den von langer Hand vorbereiteten und schließlich glücklich gelandeten Überraschungstreffer nun auch gebührend zu feiern. Aber das ist lediglich eine Zufallsbegegnung im Alphabet: Hinter dieser coupe de champagne, diesem einen allzu rasch geschlürften Dezi Champagner, das der Schweizer Dialekt auch liebevoll als ein „Küpli“ anspricht, steht eine lateinische cupa, ursprünglich ein „Fass“ und schließlich ein „Becher“, und damit sind wir hier weit jenseits aller handgreiflichen und sonstwie ausgehandelten Landemanöver bei dem versöhnlichen Happy End dieser Wortgeschichte von schallenden Ohrfeigen und anderen Handstreichen angelangt: bei knallenden Sektkorken und klingenden Anstoßmanövern.

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Demokratie Zu erklären, dass die Demokratie griechischen Ursprungs ist und einen griechischen Namen hat, hieße ja wohl Eulen nach Athen tragen. Vorneweg geht da das Substantiv démos, „Volk“, und hinterdrein kommt da das Verb krateín, „herrschen“, das im Griechischen eine den Gegner überwältigende, unterkriegende, mit dem bildkräftigen schweizerischen Dialektwort: den Gegner „bodigende“ Überlegenheit bezeichnet. In den Olympischen Spielen der Antike hieß der Catch-as-catch-can-Ringkampf, bei dem außer Beißen und Kratzen alles erlaubt war, pankrátion, drastisch wörtlich: das „All-Bodigen“. Die „Demokratie“ bezeichnet die Staatsform, in der sich die „Vielen“, wie man damals oft auch sagte, oder dann der démos, das „Volk“, gegenüber dem Führungsanspruch eines Einzelnen oder einer Gruppe durchsetzt. In der „Demagogie“, der „Demographie“ und der „Demoskopie“ ist das Volk dann nicht mehr Subjekt, sondern Objekt. Die „Demagogie“, die „Volksverführung“, hat sich bezeichnenderweise von allem Anfang an, vom 5. Jahrhundert v. Chr. an, der „Demokratie“ beigesellt; die „Demographie“, die das Volk statistisch erfasst und „beschreibt“, und die „Demoskopie“, die dem Volk in Herz und Seele „schaut“, sind moderne Retortenwörter. Aus klassischer Zeit stammt dann wieder die „Epidemie“, die ursprünglich den Aufenthalt eines „beim Volk“, in der Stadt gastierenden Star-Sophisten oder Star-Rhetors bezeichnet; im Titel der Hippokratischen „Epidemien“ ist das Wort früh auf die unwillkommene Einkehr einer „beim Volk“, in der Stadt sozusagen gastierenden, grassierenden Krankheit übertragen worden. Ihren ersten Auftritt hat die so zusammengesetzte „Demokratie“ im 5. Jahrhundert v. Chr. in Herodots Geschichtswerk, im 6. Buch, im 43. Kapi-

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tel. Da vermeldet der griechische Historiker der Perserkriege als ein „höchst verwunderliches“ Faktum das Folgende: Ausgerechnet der persische Feldherr Mardonios, der Schwiegersohn des Perserkönigs Dareios, habe auf seinem Feldzug gegen Griechenland von 492 v. Chr. die Tyrannenherrschaften in den ionischen Griechenstädten allesamt ablösen und stattdessen – man höre und staune – demokratíai, „Demokratien“, einrichten lassen. Der Perser meinte wohl, derlei griechische „Volksherrschaften“ mit ihren häufigen Wahlkämpfen und ihrem dauernden Parteienstreit ließen sich leichter niederhalten als die zuvor dort etablierten Tyranneien. Die griechischen Politologen des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. haben dieser „Herrschaft der Vielen“ oder „des Volkes“ eine königliche oder tyrannische monarchía, eine „Monarchie“, wörtlich: die „Herrschaft eines Einzelnen“, und eine aristokratische oligarchía, eine „Oligarchie“, wörtlich: die „Herrschaft der Wenigen“, gegenübergestellt. In diesen beiden anderen Staatsformen ist statt des brachialen griechischen krateín das weniger gewaltträchtige Verb árchein, „anfangen, der Erste sein, herrschen“, zum Zuge gekommen. Aus der Sicht der Antike ist eine neuzeitliche Demokratie ja allemal eine „gemischte Verfassung“: ein fein abgestimmter Verfassungs-Cocktail mit einem Schuss Monarchie, einem Schuss Oligarchie und einem Schuss Demokratie darin – jeweils mal mehr, mal weniger von dem einen oder anderen. Mit der Erinnerung, dass die nach dem geläufigen Muster von „Info“ und „Memo“ salopp verkürzte „Demo“ eigentlich eine „Demonstration“ ist und mit der „Demokratie“ sprachlich nicht das Geringste zu tun hat, tragen wir schon wieder Eulen nach Athen oder jetzt Gänse aufs Kapitol. Aber es ist hübsch zu sehen, wie diese griechischen und lateinischen Namensvettern einander heute in der demokratisch garantierten Demonstrationsfreiheit über den Weg laufen, und wir können uns freuen, dass wenigstens die hehre „Demokratie“ nicht auch noch zur „Demo“ zusammengeschnurrt ist. Mit dem – gleichfalls lateinischen – destruktiven „Demolieren“, wörtlich einem „Abreißen, Einreißen“, hat diese „Demo“ glücklicherweise wieder nicht das Geringste zu schaffen.

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Devisen „Diviser pour régner“ – das war die Herrschaftsdevise König Ludwigs XI. von Frankreich, die zu jener Zeit, im späteren 15. Jahrhundert, ihre seither geläufige, ja geflügelte lateinische Fassung „Divide et impera!“ gefunden hat, schulmäßig wörtlich übersetzt: „Teile und herrsche!“ oder deutlicher mit Goethe: „Entzwei’ und gebiete!“ Hier können die Wörter im Vorübergehen ein fröhliches Augenzwinkern wechseln: Nicht nur das französische diviser in dieser machtpolitischen Devise, auch die „Devise“ selbst in diesem Sinne eines Leitworts oder Wahlspruchs geht auf das geläufige lateinische Verb dividere, „teilen, einteilen, aufteilen“, zurück, das diviser auf geradem Weg, die „Devise“ um drei Ecken, und bei den „Devisen“ im Sinne der fremdländischen Währungen ist es sogar noch eine mehr. Dieses lateinische dividere hat in unserem Euro-Wortschatz ein paar offenkundige Verwandte. Aus der divisio, der „Teilung“, ist bereits in der Spätantike die arithmetische „Division“ im Sinne der vierten Grundrechenart und dann im 18. Jahrhundert die militärische „Division“ im Sinne einer Heeres-„Abteilung“ hervorgegangen. Und zu dem alten „Dividenden“, der „zu teilenden“ Zahl in der Rechenstunde, hat sich gleichfalls im 18. Jahrhundert die „Dividende“, der „zu verteilende“ Unternehmensgewinn an der Aktienbörse gesellt. Dabei ist aus dem französischen – männlichen – dividende im Deutschen eine – weibliche – „Dividende“ geworden und aus der gesamten „zu verteilenden“ Summe der pro Aktie ausgeschüttete Bruchteil. Die „Devise“ im Sinne eines Leitspruchs oder eines Wahlspruchs und mit ihr die „Devisen“ im Sinne fremdländischer Scheine und Münzen stehen im Lexikon ein paar Seiten weiter vorn, und wenn es nicht gerade um das geflügelte „Divide et impera!“ geht, ist da von einem „Teilen“ nicht

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mehr viel herauszuhören. In der heraldischen „Herolds“- oder Wappenkunst der frühen Neuzeit bezeichnete die französische devise zunächst einen „abgeteilten“ Platz in der oberen oder unteren Hälfte, der linken oder rechten Seite des Schildes und danach den dort eingesetzten meist lateinisch lapidar gefassten Sinnspruch. Ein spätlateinisches divisare und dann devisare und ein frühfranzösisches deviser, durchweg in der Bedeutung „teilen“, markieren den Weg jenes alten dividere zu diesen „Devisen“ auf den Wappenschildern der Renaissance und in der Sinnbildkunst des 16. und 17. Jahrhunderts. In der Regel gilt: ein Wappenschild – ein Wappenspruch, und so blieb der Plural frei zu weiterer Verwendung. Folgen wir der geläufigen Erklärung, so haben die Devisen in fremder Währung ihren Namen von den lebensklug mahnenden und abmahnenden klassischen Zitaten, mit denen humanistisch angehauchte Bankiers der späten Goethezeit ihren Wechselvordrucken ein höheres Ansehen gaben. Statt eines herrscherlichen „Divide et impera!“ stand da nun vielleicht ein dem Bankgeschäft entsprechendes geflügeltes „Fide, sed cui, vide!“ Aber auch Wörter sind Wechsel, und auch für sie gilt dieses „Trau, schau, wem!“ Wer weiß: Möglicherweise hat jenes frühfranzösische deviser, dessen Bedeutungsentwicklung erst vom Einteilen zum Anordnen und dann vom Anordnen zum Verfügen führte, diese Wechsel auch ohne alle Leitworte und Wahlsprüche ganz unbildlich zu „Devisen“ im Sinne von Zahlungs-„Verfügungen“ gemacht. Weiter hinten im Lexikon, unter dem negierenden „In-“, gibt sich das lateinische dividere nochmals ein Stelldichein: mit dem „Individuum“, eigentlich dem „unteilbaren (Einzelnen)“. Die ursprünglich Ciceronische Lehnübersetzung individuum (corpus), „unteilbarer (Körper)“, für das griechische átomon (sóma), das – Leukippische und Demokritische – „Atom“, hatte sich in der Antike nicht durchsetzen können. Doch neuerdings hat sie erst bei den Biologen für das einzelne Lebewesen und dann bei den Soziologen für die einzelne Person Verwendung gefunden und ist schließlich mit dem „Individualisten“ und dem „individuellen Service“ auch in unserer Alltagssprache geläufig geworden. Wenn heute ein Polizeirapport drei verdächtige Individuen vor einem Atomkraftwerk registriert, so wäre da schon wieder solch ein fröhliches Augenzwinkern unter alten Bekannten fällig, und hätte Cicero mit seiner

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Lehnübersetzung des griechischen „Atoms“ damals nachhaltigen Erfolg gehabt, so hätten da vielleicht sogar umgekehrt drei verdächtige Atome vor einem Individualkraftwerk polizeilichen Verdacht erregt – wenn auch gewiss nicht den, dass sich da etwa griechische Atome als lateinische Individuen oder lateinische Individuen als griechische Atome vermummt hätten.

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Digitalis Computator Zwischen den „digitales canaliculi“, den „fingerbreiten Fußbodenfugen“, bei Vitruv und den Mini-Kürbissen „digitali crassitudine“, „von Fingerdicke“, bei Plinius dem Älteren und jetzt den „digital“ gespeicherten Fingerabdrücken im neuen Euro-Pass liegen zwei Jahrtausende. Damals, in der Fachsprache der römischen Architekten und Agronomen, bezeichnete das lateinische Adjektiv digitalis nichts als eine schlichte Fingerbreite, Fingerdicke oder Fingerlänge, ein Sechzehntel des römischen Fußes. Doch dann ist das Wörterbuch zum Märchenschloss geworden: Bald nach ihrem ersten Auftritt in Vitruvs „Lehrbuch der Architektur“ und der enzyklopädischen „Naturgeschichte“ des älteren Plinius ist die Prinzessin Digitalis in einen tiefen Wörterbuchschlaf gefallen, bis über tausend und wieder tausend Jahre Prinz Computator, auch er seit seinem Debut zur gleichen Zeit bei Seneca ein solcher Wörterbuchschläfer, sie wachküsste und in seine schöne neue Welt heimführte. Ja, es gibt Dornröschenwörter, und mit dieser Digitalis und diesem Computator, eigentlich einem peinlich genauen „Rechner“, sind wir an ein wahres Traumpaar geraten. Der digitus, „Finger“, das Stammwort hinter allem Digitalen, und das computare, „rechnen“, das Stammwort hinter unserem Computer, sind einander seit eh und je nahe gewesen. Keine Frage, was die Finger mit dem Rechnen zu tun haben: Unsere zehn Finger sind ja unser ureigener digitalis computator, unser natürlicher Personal Computer, und sie sind es ja, die uns das Zehnersystem mit seinen Zehnern, Hunder-

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tern und Tausendern beschert haben. Im frühen Griechisch, bei den Dichtern der klassischen Zeit, heißt das Zählen geradezu noch pempázein, „fünfen“. In einer Plautinischen Komödie, im „Ruhmreichen Soldaten“, haben sich die beiden zukunftsträchtigen Stammwörter einmal in ein und demselben Vers zusammengefunden. Da deutet einer auf den Sklaven Palaestrio, wie der in stummem Spiel mit drastischer Gestik und wirbelnden Fingern seine Intrige ausheckt: „Ecce: ... digitis rationem computat“, „Seht: ... mit den Fingern rechnet er sich seinen Plan aus“. Ovid spricht von den „Fingern, mit denen wir zu zählen pflegen“, und Cicero nimmt seinen Verleger Atticus einmal freundschaftlich-ironisch hoch: „... si tuos digitos novi“, „... wenn ich deine Rechenkünste kenne“. Und noch einmal kommt es zu einem beziehungsreichen Wörtertreff, wenn Seneca, der Moralist, mit ebendiesen Rechenkünsten selbst abrechnet: „Der Mathematiker lehrt mich zu zählen und macht meine digiti, meine Finger, der Geldgier dienstbar, statt mich zu lehren, dass alle diese computationes, diese Rechnungen, zu nichts führen ...“ Im Mittelalter bezeichnet der lateinische digitus neben diesen rechenfertigen Fingern in bildlicher Sprache zunächst die Reihe der Einer und dann die einzelnen Ziffern, und im Englischen hat sich der digit neben dem germanischen finger als zoologisches Fachwort und in dieser Bedeutung als „Einer“ und „Ziffer“ erhalten. Von da führt die Wortgeschichte des alten Stammworts digitus geradewegs hinüber zu der ewigjungen Prinzessin Digitalis, die inzwischen dem Roten Fingerhut (Digitalis purpurea Linné) ihren Namen geliehen hatte, und zu der Märchenhochzeit in Silicon Valley, mit der Prinz Computator seine alte Liebe zu einem neuen, zweiten Leben erweckte. Digitale Uhren, drei in jeder Küche, und allerlei andere Digitalanzeigen gehören mittlerweile längst zum alten Hausrat; das digitale Fernsehen und der digitale Mobilfunk sind weltweit im Kommen, und zu guter Letzt bringt der nächste Euro-Pass – da kommt es zu einem reizvollen verdeckten Wörtertreff – nun auch digitale Fingerabdrücke. Hier spielen die Bezüge nun nicht mehr zwischen Fingerbreite und Fußlänge, sondern zwischen Digitalem und Analogem, Ziffernmäßigem und Verhältnismäßigem, und statt der zehn Ziffern gibt es hier nur noch zwei. Wer denkt heutzutage, wenn diese Nullen und Einsen in der Black Box des Prozessors im Mega-Hertz-Takt durcheinanderwirbeln, noch an Fingerrechenkünste? Aus dem „Bit“, diesem zusammengezogenen binary digit, schaut immerhin noch eine Fingerspitze heraus.

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Elite Im edlen Wettstreit der Almae matres, der akademischen „Nährmütter“, um den erlesenen Rang einer Elite-Universität ist die „Elite“ wieder einmal zum Hieb- und Stichwort geworden. Früh übt sich, frei nach Wilhelm Tell, was ein M. A. werden will. Wer im Elite-Kindergarten sein obligates Frühfranzösisch mit dem Pausenschoppen reingezogen hat, wird in unserer „Elite“ unschwer die französische élite wiedererkennen, und wer als EliteErstklässler seine hundert Lektionen Frühlatein intus hat, wird daraus ohne viel Besinnen ein lateinisches eligere herauslesen. Mit diesem „Herauslesen“ sind wir der Elite-Uni schon ganz nahe. Das lateinische Verb eligere heißt eben das: „auslesen, auswählen“; das Wort ist zusammengesetzt aus dem Kopfstück ex- oder e-, „heraus-“, und dem Verb legere, „aufnehmen, wegnehmen“, mit dem grandiosen Bedeutungsaufschwung von einem handgreiflichen Muscheln- oder Steine-Aufsammeln bis zu dem hochkomplexen Wörter- und Sätze-Aufsammeln, das wir mit einem sprachverwandten Wort „lesen“ nennen; im „Auflesen“ und im „Auslesen“ oder etwa in der „Weinlese“ und der „Spätlese“ hat sich die Ursprungsbedeutung des Wortes noch erhalten. Vor zwei Jahrtausenden ist dieses eligere im alten Latium, der Heimat des Lateinischen, durchaus geläufig gewesen, anfänglich und im allgemeinen Sprachgebrauch noch nicht mit Bezug auf etwas Elitäres, sondern auf die bäuerliche Alltagsarbeit. Da sagt etwa der Agro-Literat Columella in seinem Lehrbuch „Über die Landwirtschaft“ mit diesem Verb eligere, man solle die Steine aus dem Boden „herauslesen, entfernen“, oder man solle das Unkraut mit der Hand „herauslesen, ausjäten“. Verkehrte Welt: Auf diesem lateinischen Campus, diesem altrömischen „Feld“, flog die so sorgsam herausgelesene, aufgelesene Stein- und Unkraut-Elite sogleich in ho-

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hem Bogen auf die Steinhalde am Rande des Weges oder auf den Komposthaufen. Zugleich entwickelte dieses eligere bereits in der Antike die geläufige Bedeutung des „Aussuchens, Auswählens“ einzelner Personen für dieses und jenes Geschäft. Die schmale Brücke zu unserer „Elite“ führt über den militärischen Sprachgebrauch, über die electio, das „Herauswählen, Herausziehen“ bewährter einzelner Soldaten aus ihren „Hundertschaften“ oder kampferprobter einzelner „Hundertschaften“ aus größeren Verbänden. Dazu passt, dass das Partizip electus sich vornehmlich auf derart „herausgewählte, herausgezogene“ Offiziere und Soldaten, eben auf die bis heute so genannten „Elite“-Truppen bezieht. Wie aus dem einfachen lateinischen legere, „lesen“, in der französischen Tochtersprache ein zusammengezogenes lire, so ist aus dem zusammengesetzten eligere, „auslesen, auswählen“, über ein spätlateinisches exlegere und ein altfranzösisches eslire in der Tochtersprache ein entsprechend verkürztes élire geworden. Im 14. Jahrhundert erscheint die aus dem Participe passé gewonnene élite in der heute geläufigen Bedeutung einer „herausgewählten, herausgezogenen“ Truppe oder Gruppe; im 18. Jahrhundert ist das Wort in ebendieser Bedeutung einer „Elite“-Truppe oder -Gruppe aus dem Französischen ins Deutsche übergegangen. Beim Auflesen von Steinen findet man manchmal noch einen alten Cent oder Rappen, beim Aufsuchen eines Zitats manchmal noch ein anderes nebenbei. Für den Fall, dass es an Streu fürs Vieh mangle, empfiehlt der alte Cato in seinem Leitfaden „Über die Landwirtschaft“ das legere, das „Auflesen, Aufsammeln“ von Laub. Da ist unter dem Laub der Glücksfund zum Vorschein gekommen, den wir hier sogleich an die bildungspolitischen Eliten weiterreichen: „Sieh zu, dass du mit allen deinen Arbeiten beizeiten fertig wirst. Mit der Landwirtschaft ist das ja so: Wenn du eine einzige Arbeit zu spät anpackst, wirst du in der Folge alle deine Arbeiten zu spät anpacken.“ Und nach diesem unvermittelt eingeschalteten guten Ratschlag geht es dort geradeso unvermittelt weiter im Text: „Sieh zu, dass du einen großen Misthaufen hast ...“

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E-Mail Achilleus hat die goldglänzenden, von dem Schmiedegott Hephaistos gefertigten Waffen angelegt – „die wurden ihm wie Flügel ...“ – und ist auf den Streitwagen gestiegen, „in seinen Waffen ganz leuchtend wie Eléktor, der Sonnengott ...“ Mit dem Beinamen des Sonnengotts Eléktor, „der Strahlende“, ist das „E-“ wie „E-Mail“ in Homers „Ilias“ in das Licht der Wortgeschichte eingetreten. Etwas später ist in der „Odyssee“ noch das Substantiv élektron mit den Varianten eines oder einer élektros und mit doppelter Bedeutung gefolgt: Auf der einen Seite bezeichnet das merkwürdig schillernde Wort eine hie und da vorkommende natürliche Gold-Silber-Legierung, auf der anderen den seit frühester Zeit auf dem Seeweg in den Mittelmeerraum eingeführten Bernstein. Ein Sonnenstrahl fällt von daher auf die mythische Elektra hinüber, doch im Übrigen bleibt die Herkunft dieses élektron, das im griechischen Lexikon nicht unter dem kurzen Epsilon, sondern unter dem langen Eta aufzusuchen wäre, ganz im Dunkeln. Vermutlich hat der „strahlende“ Sonnengott sowohl der goldglänzenden Legierung als auch dem sonnenhellen Bernstein den Namen gegeben. Dazu fügt sich der griechische Mythos von Phaëthon, dem Sohn des Sonnengottes, und seinen Schwestern, den Heliaden: Ovid erzählt, wie Phaëthon aus dem rasant schleudernden, Himmel und Erde versengenden Sonnenwagen herabstürzt und wie seine trauernden Schwestern in Pappeln, ihre aus den Stämmen hervorquellenden Tränen in Bernstein verwandelt werden. Im Lateinischen erscheint das Wort zuerst ins Vergils Dichtersprache, ausschließlich noch im Neutrum electrum und zunächst noch in der doppelten Bedeutung jener Gold-Silber-Legierung, für die Plinius der Ältere nun das Mischungsverhältnis von vier zu eins angibt, und des Bernsteins,

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der inzwischen auch seinen Landweg über die Bernsteinstraße in die Mittelmeerwelt gefunden hatte. Von diesem lateinischen electrum in seiner zweiten Bedeutung „Bernstein“ ist in der frühen Neuzeit die weitere, zukunftsträchtige Entwicklung der Bedeutung ausgegangen. Auf dieser zweiten Wegstrecke geht es nun nicht mehr um eingefangenen Sonnenglanz oder versteinerte Heliadentränen, sondern um die geheimnisvolle „elektro“-statische Anziehungskraft des kostbaren Schmuckes. Bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. hatte Platon in seinem kosmologischen Altersdialog „Timaios“ von der rätselhaften Anziehungskraft des Bernsteins als einem „staunenerregenden“ Phänomen gesprochen. Er vergleicht sie an der Stelle mit der geradeso rätselhaften Anziehungskraft des damals sogenannten „Herakleïschen Steins“, den der Tragiker Euripides in einer verlorenen Tragödie als erster den „Magnetischen Stein“ genannt hat, dies wohl nach einem Fundort bei Magnesia, dem heutigen Manisa nahe Izmir. Seit jener Zeit sind die „elektrischen“ und die „magnetischen“ Phänomene in der Wissenschaftsgeschichte eng miteinander verbunden geblieben; im „Elektromagnetismus“ sind sie dann ja auch begrifflich verkoppelt. Im Jahre 1600, fast zwei Jahrtausende nach Platon, hat der englische Arzt und Naturforscher William Gilbert in seinem Werk „De magnete“ den corpora electrica, den „bernsteinhaften Körpern“, eine grundlegende Untersuchung gewidmet. Durch das neugeprägte Adjektiv electricus, „bernsteinhaft“, und das davon abgeleitete Substantiv electricitas, „Bernsteinhaftigkeit“, ist das alte Wort in der Folge auf alles „Elektrische“ und weiter auf alles „Elektronische“ übergegangen. Im späten 19. Jahrhundert ratterte in Berlin die erste bernsteinhafte „Elektrische“ ohne Pferdetraktion über den Potsdamer Platz, und seit dem späten 20. Jahrhundert spannt sich das weltweite Netz einer neuen, nun anglogriechisch benannten Bernsteinstraße rund um die Welt. Auch das germanische Wort für den Bernstein, das bei Plinius und Tacitus bezeugte glaesum, hat das Rennen durch die Jahrhunderte und Jahrtausende gemacht: Bei den alten Germanen auf allerlei römisches Importglas übertragen, lebt es bis heute in jedem Wasser- und jedem Wein-„Glas“ fort.

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Enthusiasmus „Enthusiastisch“, war da nach der letzten Papstwahl überall zu hören und zu lesen, hätten die Wartenden auf dem Petersplatz das weiße Räuchlein über der Sixtinischen Kapelle begrüßt, „enthusiastisch“ hätten die Gläubigen dem neugewählten Papst Benedikt XVI. zugejubelt. „Enthusiastisch“: Hinter dieser ehrwürdigen griechischen Prägung stecken zuerst ein heidnischer Olympischer Gott und dann der christliche Heilige Geist; wir könnten auch sagen: zuerst ein Apollinischer Musenkuss und dann ein Apostolisches Pfingstwunder. Aber dieser griechische „Enthusiasmus“ ist eine Chiffre und will erst einmal entschlüsselt werden. Ein erster Schlüssel erschließt das Wort: Der enthusiasmós begegnet zuerst im 5. Jahrhundert v. Chr. bei dem Vorsokratiker Demokrit von Abdera, in einem von dem Kirchenvater Clemens Alexandrinus überlieferten Fragment: „Was immer ein Dichter mit Enthusiasmus und heiligem Anhauch schreibt, das ist gewiss schön ...“ Das Adjektiv éntheos, das darin steckt, ist zusammengesetzt aus der Präposition en, „in“, und dem Substantiv theós, „Gott“; es bezeichnet einen, „der einen Gott in sich hat, von einem Gott erfüllt ist“, einen „Gottbegeisterten“. Aus diesem Adjektiv éntheos oder zusammengezogen énthūs mit einem langen „u“ ist zunächst das Verb enthusiázein, „gottbegeistert sein“, und daraus wieder das Substantiv enthusiasmós, „Gottbegeisterung“, hervorgegangen. Ein zweiter Schlüssel erschließt die Sache: Wie zuvor Demokrit, so hat ein Jahrhundert später Platon den epischen oder lyrischen, tragischen oder komischen Dichter als einen „Gottbegeisterten“ verstanden und ihn damit in eine Reihe mit den vom Weingott Dionysos ergriffenen Mänaden und Silenen und den vom Delphischen Apollon begeisterten Seherinnen und Sehern gestellt. So gesehen, spricht der Dichter nicht aus seiner eigenen

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menschlichen Vernunft. Er ist buchstäblich „außer sich“; dafür hat ein Gott in ihm Einzug gehalten und lässt ihn aus göttlicher Eingebung sprechen. In seinem „Ion“ fasst Platon die begeisternde Kraft, die von dem Dichtergott Apollon und den Musen ausgeht und der Reihe nach erst den Dichter, dann den Rhapsoden und die Schauspieler und schließlich die Zuhörer und Zuschauer ergreift, in ein einprägsames Bild: „Es ist die gleiche göttliche Kraft, die auch in dem Stein wirkt, den Euripides den ‚Magnetischen‘ genannt hat und den man allgemein den ‚Herakleïschen‘ nennt. Denn auch dieser Stein zieht nicht nur selbst die eisernen Fingerringe an, sondern teilt zugleich seine Kraft auch diesen Ringen mit, so dass diese wiederum die gleiche Wirkung auszuüben vermögen wie jener Stein, weitere solche Ringe anzuziehen. So kommt es, dass manchmal eine ganze Kette von eisernen Ringen aneinanderhängt; alle diese Ringe aber leiten ihre Anziehungskraft nur von jenem einen Stein her. Geradeso erfüllt auch die Muse manche Menschen, die Dichter, selbst mit göttlicher Begeisterung, und um ihrer Gotterfülltheit willen hängt sich wiederum eine ganze Kette weiterer göttlich Begeisterter an sie an.“ Die Apostelgeschichte spricht in der Erzählung des Pfingstwunders nicht von „Enthusiasmus“, sondern von einem „heiligen Geist“, einem hágion pneúma; da lesen wir: „... und es erschienen ihnen – den Jüngern – Zungen wie von Feuer, die sich zerteilten, und auf jeden von ihnen ließ eine sich nieder. Und sie wurden alle erfüllt von heiligem Geist und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie der Geist es ihnen eingab.“ Das Wort „Enthusiasmus“ war damals wohl noch zu sehr auf die heidnischen Götter, auf Apollon und die Musen bezogen. Aber letztlich verdanken wir diesem Bericht der Apostelgeschichte die Überlieferung des eingangs angeführten Demokritfragments. Der Kirchenvater Clemens Alexandrinus, der es zitiert, hat ja den göttlichen „Enthusiasmus“ der alten Musenjünger und die göttliche Begeisterung der von „heiligem Geist“ (hágion pneúma) erfüllten Jünger in eins gesehen, wenn er den alten Demokrit halb heidnisch, halb christlich so verdolmetscht: „Was immer ein Dichter mit Enthusiasmus (enthusiasmós) und heiligem Anhauch (hierón pneúma) schreibt, das ist gewiss schön ...“

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Experiment „Vita brevis, ars longa“, „Das Leben ist kurz, die Kunst ist lang“, im griechischen Original „Ho bíos brachýs, he de téchne makré“: Der im Lateinischen auf vier Worte, zwei Gegensatzpaare gestellte Auftakt des ersten Hippokratischen „Aphorismus“ hat sich früh von seinem ursprünglichen Bezug auf die ärztliche Kunst gelöst und auf leichten Flügeln in den Zitatenhimmel aufgeschwungen. Die gleicherweise aufs Äußerste verknappte Fortsetzung des im Ganzen fünfgliedrigen Spruches spricht von der Schwierigkeit des ärztlichen Handelns zwischen Versuch und Erfolg, Scheitern und Gelingen; für ein geläufiges Zitat und erst recht für ein Geflügeltes Wort war sie wohl zu schwer befrachtet: „Der kairós, der rechte Augenblick, ist flüchtig, die peíra, der Versuch, gefährlich, die krísis, die Entscheidung, schwer.“ Peíra: Das ist im Griechischen der „Versuch“, den ein Krieger mit seinem Gegner macht: wer in dem Kampf den Sieg davonträgt; oder den ein Mensch mit einem anderen macht: ob er sich auf ihn verlassen kann. Peirásthai, „versuchen“, ist das Verb dazu: Auch wir können ja sagen, dass zwei Kämpfer es „miteinander versuchen“ oder dass man es mit einem Menschen „einmal versuchen wolle“. Peíra: das ist auch der Versuch, den ein Räuber mit seinem Opfer macht: ob er zu seiner Beute kommt. Daher hat im Griechischen der peiratés und bei uns der „Pirat“ seinen Namen: Das ist der, der’s immer aufs Neue mit seinen Opfern versucht, der’s immer aufs Neue wissen will. In dem Wort klang wohl noch die Erinnerung an heroische Zweikämpfe und athletische Wettkämpfe an. Und im Neuen Testament bezeichnet diese peíra schließlich auch die „Versuchung“: Als der peirázon, als der „Versucher“, tritt der Teufel Jesus in der Wüste entgegen. Von der peíra führt ein kleiner Schritt zum émpeiros, dem „Erfahrenen“, der „im Versuch“ Erfahrung gesammelt hat, und weiter zur empeiría, der

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„Erfahrung“, der „Empirie“. Ein größerer Schritt führt über das Griechische hinaus zu ein paar interessanten lateinischen Sprachverwandten. Da entspricht dem griechischen peirásthai das Verb ex-periri, „versuchen“, eigentlich etwas „ausschöpfend versuchen, erschöpfend erfahren“, mit dem bald aktivisch, bald passivisch gebrauchten Partizip expertus. Man muss kein mit allen Wassern und Wörtern gewaschener Experte sein, um ebendiesen „Experten“ aus diesem Partizip expertus abzuleiten, sei es in dem aktivischen Sinne „der sich in einer Sache versucht hat, darin Erfahrung hat“, sei es in dem passivischen Sinne eines „erprobten, bewährten“ Sachverständigen. In Neronischer Zeit haben Seneca und Petron, Quintilian und der ältere Plinius den Verbstamm experi-, „versuchen“, mit dem Schwanzstück -mentum, das ein Werkzeug oder überhaupt ein Mittel bezeichnet, zu einem experimentum verbunden; ein physikalisches oder politisches Experiment ist danach nicht einfach ein „Versuch“, der gelingen oder misslingen kann, sondern ein „Mittel, etwas in Erfahrung zu bringen“. „Der Versuch ist gefährlich“, hatte der Hippokratische Aphorismus gesagt; der Eingriff kann glücken und heilen, aber auch scheitern und schaden. Das Lateinische macht dies auch in der Sprache deutlich. Da hatte das Substantiv periculum mit dem Schwanzstück -culum ursprünglich einmal wie die griechische peíra einen „Versuch“ bezeichnet, und hie und da schlägt diese eigentliche Bedeutung auch im klassischen Latein noch durch. Im Ganzen aber hat sich die Bedeutung dieses lateinischen periculum und des Adjektivs periculosus und so dann auch seiner neusprachlichen Abkömmlinge früh zur bedrohlichen „Gefahr“ und zum „Gefahrvollen“ gewandelt. Auch dass im Deutschen die „Erfahrung“ und die „Gefahr“ vom „Fahren“ her, vom Unterwegs-Sein in der Fremde, verstanden und bezeichnet sind, ist ein feines Beispiel für Lebenserfahrung in Wörterbuchspalten.

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Fan Als die griechische Götterwelt in Rom Einzug hielt und die Olympier Zeus, Hera und Athene unter den Namen Jupiter, Juno und Minerva ihren Tempel auf dem Kapitol bezogen, wirkte die griechische Kultsprache vielfältig in die römische hinüber. In Entsprechung zu der griechischen Bezeichnung témenos für einen heiligen Bezirk kam damals im Lateinischen die stammverwandte Bezeichnung templum für den bis heute so genannten Tempelbezirk und den darauf errichteten Tempel auf. Das altlateinische Kultwort fanum in der gleichen Bedeutung eines solchen „heiligen Bezirks“, ein entfernter Verwandter der „Festtage“ und der „Ferien“, konnte sich dagegen nicht behaupten. Neben dem allgemein geläufigen templum fristete dieses fanum fortan das Schattendasein einer halb ehrwürdigen, halb altertümlichen Antiquität. Mit zwei Ableitungen lebt das alte Wort in unserem Euro-Wortschatz fort, und beide führen aus dem Heiligtum hinaus. Die erste ist das Adjektiv profanus, eigentlich „draußen vor dem heiligen Bezirk befindlich“, das alle nicht am Kult Teilnehmenden, nicht in den Kult Eingeweihten, auch alles im kultischen Sinne Unreine und Befleckte bezeichnete. In der christlichen Welt steht dieses Profane im Gegensatz zum Christlichen, Kirchlichen, Geistlichen; so sprechen wir von profaner Kunst, profaner Architektur, profaner Musik im Gegensatz zu christlicher Kunst, kirchlicher Architektur und geistlicher Musik und schließlich im Sinne des Gewöhnlichen, Alltäglichen von allerlei profanen Sorgen und Verpflichtungen. Die andere Ableitung, das Adjektiv fanaticus, „fanatisch“, hatte bereits in der Antike einen schrillen Klang. Eigentlich sollte dieses Adjektiv auf -icus, im Deutschen auf „-isch“, lediglich etwas irgendwie „zum Heiligtum Gehöriges“ bezeichnen, und tatsächlich spricht eine Inschrift einmal von einer Fi-

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nanzierung „ex pecunia fanatica“, „aus Mitteln des Tempels“. Aber schon in klassischer Zeit hat das Wort die Bedeutung des „Gottbesessenen“ angenommen. Wie ein antiker Lexikograph erklärt, weist der rätselhafte Ausdruck arbor fanatica auf einen vom Blitz getroffenen Baum. Entsprechend weist der Ausdruck homo fanaticus auf einen vom Gott getroffenen Menschen; doch hier geht es nicht um die heilige Gottergriffenheit eines Orakelpriesters oder einer Priesterin wie der delphischen Pythia, sondern um eine heillose „fanatische“ Besessenheit. In seiner Rede „Über das eigene Haus“ vor dem Kollegium der Oberpriester hängt Cicero seinem Erzfeind Clodius den „Aberglauben eines alten Weibes“ an und doppelt gleich noch mit der Anrede „Homo fanatice“, „Du von allen üblen Geistern Besessener“, nach; in seiner Schrift „Über die Weissagung“ findet sich die gleiche Steigerung, wenn Cicero unter der Rubrik der „rasenden Besessenheit“ seinen Spott an „diesen abergläubischen und geradezu besessenen Philosophen“ auslässt. Etwas später ist bei Livius, in einem Bericht über gotteslästerliche Mysterienkulte, die Rede von einem „fanatischen Hin- und Herwerfen des Körpers“. Dazu passt die Mahnung des großen Rhetors Quintilian, Kopfbewegungen für Zustimmung und Ablehnung, Zweifel, Staunen und Empörung nur mit größter Zurückhaltung einzusetzen; schon wiederholtes Kopfnicken sei strikt zu vermeiden, „aber gar den Kopf hin- und herzuwerfen oder gar herumzuwirbeln, dass die Haare fliegen, ist vollends fanatisch.“ Kein Zweifel: Dieses gliederverrenkende, gliederverwerfende, eher gottverlassene als gottbesessene „Fanatische“ lag schon für die alten Römer jenseits nicht nur aller Rationalität, sondern auch aller Religiosität. Von dort führt der Weg dieser Wortgeschichte auf der einen Seite zu den selbstmörderischen Fanatikern der internationalen Terrorszene, auf der anderen Seite zu den wüst randalierenden Fußball-Fans dieses oder jenes Fan-Clubs, aber glücklicherweise auch zu allerlei anderen harmlosen Pop-Fans, die ihre gefeierten Pop-Legenden, -Mythen und -Ikonen mit ihrer Fan-Post eindecken und auf jede erdenkliche Art auch sonstwie – ja, das gibt es! – „fänen“.

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Farce Nichts als Theater sei das ganze Leben, erklärt der griechische Epigrammatiker Palladas um 400 n. Chr., und in Shakespeares „As you like it“ nimmt der weise Jaques das Wort wieder auf: „All the world’s a stage ...“, „Die ganze Welt ist eine Bühne ...“ Die alte Bildlichkeit ist bis heute lebendig geblieben. Da sprechen die Nachrichten von einer Unwetter-„Tragödie“ und anderen „tragischen“ Unglücksfällen, von einem Geisel-„Drama“ und anderen „dramatischen“ Entwicklungen, von einer Terror- oder einer Drogen„Szene“, von allerlei besser oder schlechter gelungenen „Auftritten“ und „Abgängen“, besser oder schlechter gespielten „Rollen“ – und mit besonderer Pointe, wenn irgendwo in diesem globalen Welttheater ein grandios inszeniertes und doch peinlich durchsichtiges Illusionsspektakel über die Bühne geht, von einer „Farce“. Die französische „Farce“ und das junge Retortenwort „Herzinfarkt“ gehen auf das gleiche lateinische Verb (in-) farcire, „(hinein-) stopfen“, zurück. Aber in der Antike hatte das lateinische Wort noch nichts mit dem Herzen und einer „Herzverstopfung“ zu tun. Der Sprachgebrauch weist vielmehr, als gäbe es da heimliche Bezüge, auf fette Würste und volle Bäuche. Der römische Metzger sprach mit diesem farcire, „stopfen“, von gestopften Mägen oder Därmen, und der römische Gourmet schwärmte mit diesem Wort von gefüllten Enten oder Hasen. In einer spitzigen Pointe macht Seneca die berüchtigten Fresssäcke seiner Zeit einmal selbst zu wandelnden Speckwürsten: „Sie füllen ihren Magen nicht – sie stopfen ihn.“ Hinter den Rauchschwaden gallischer Herdfeuer und dem Bratendunst gefüllten Geflügels bleibt der Weg dieses Wortes aus der Spätantike ins Mittelalter, aus dem Römerreich ins Frankenreich auf weite Strecken im Dunkeln. Im hohen Mittelalter, im 12. Jahrhundert, erscheint im Altfran-

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zösischen eine farce in der Bedeutung einer „Füllung“ aus kleingehacktem Fleisch, Fisch, Gemüse, Ei und allerlei Gewürzen, mit der man Enten und Gänse, Hasen und anderes Wildbret füllt. In der Folge ist das Wort von den Küchenbrettern, auf denen man diese verschiedenen Ingredienzien hackte, zu den anderen Brettern aufgestiegen, die – mit Schillers Gedicht „An die Freunde“ – „die Welt bedeuten“. Seit dem 14. Jahrhundert erscheint die farce in Paris in einer ersten Übertragung von der Küche aufs Theater als ein leichtgeschürztes, scharfgewürztes „Füllsel“ im geistlichen Schauspiel, als ein kurzer, derber Zwischenakt mit viel Blend- und Knalleffekt. Im späten 16. Jahrhundert ist das Wort zunächst in dieser übertragenen theatralischen, im frühen 18. Jahrhundert dann auch in seiner ursprünglichen kulinarischen Bedeutung ins Deutsche gekommen. „Farce heißt in der Küche kleingehacktes Fleisch ... Die Teutschen Köche nennen es ein Gehäck“, erklärt das 1715 in Leipzig erschienene „Nutzbare, galante und kuriöse Frauenzimmer-Lexicon“ den feinen Import. Seither ist die kulinarische französische „Farce“ weithin von der eingedeutschten „Füllung“ zurückgedrängt worden. Dafür hat die theatralische „Farce“ in einer zweiten Übertragung vom Theater auf das Leben neuerdings eine stark abwertende, ja verächtliche Bedeutung entwickelt; von allerlei illusionären Inszenierungen im häuslichen Zimmertheater und ohne Zuschauerschaft reicht das Spektrum dieser „Farce“ bis hinauf zu einem nicht ganz lupenrein rechtsstaatlichen Schauprozess und einer nicht ganz lupenrein demokratischen Parlamentswahl. Ein Dopingskandal hat der „Tour de France“ den Spottnamen einer „Tour de Farce“ eingetragen. „Eine Angelegenheit“, erklärt Dudens „Großes Wörterbuch der deutschen Sprache“ zu unserem Stichwort, „bei der die vorgegebene Absicht, das vorgegebene Ziel nicht mehr ernst zu nehmen ist, eigentlich nur noch lächerlich gemacht, verhöhnt wird.“ Der eingangs zitierte Palladas, dieser unglückliche Bettelpoet, hat im Menschenleben überhaupt nichts als leichtgewichtiges Theater, eine bloße Farce ohne tiefere Bedeutung gesehen: „Bühnenspiel ist das Leben und Scherz. Also lerne zu scherzen, / schieb beiseite den Ernst – oder ertrag deinen Frust!“

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Fee „Fee“: Man lasse sich das zarte Wort auf der Zunge zergehen, und es versetzt uns in einen Mittsommernachtstraum, in dem fürwitzige Elfen und tolpatschige Gnomen ihr ungebärdiges Wesen treiben, entrückt uns in ein Zauberreich, in dem gute und böse Feen im Handumdrehen, Stabumdrehen allerlei Wünsche erfüllen oder versagen. Klassische Märchen-Feen können einer Prinzessin oder einem Prinzen schöne Verheißungen und üble Verwünschungen in die Wiege legen, und wir wissen, wie es mit Dornröschen fortgegangen ist; moderne Fernseh-Feen drehen Lotto-Trommeln und ziehen Lottozahlen, verteilen Millionengewinne und Karibikkreuzfahrten, und wie das herauskommt, zeigt sich dann irgendwann im Nachhinein. Aber wer jetzt feinsinnig gedacht hätte, das so feenhaft hingehauchte Wort sei nichts als Lautmalerei für ein zartes Märchenwesen, das „F“ vorneweg für das leichtbeflügelte Schweben, das lange „e“ hinterdrein für den aufgelösten Haarschweif, der wäre vollends ins Fabulieren geraten. Unsere kleine, feine „Fee“ ist vielmehr nach strengen allgemeinen Lautgesetzen und zugleich in einem wundersamen Bedeutungswandel aus dem gewichtigen lateinischen fatum, „Schicksal, Fatum“, hervorgegangen. Auch die Sprache ist ja, bei all ihrer strengen Gesetzlichkeit, zugleich eine virtuose Zauberkünstlerin: Sie hat das sprichwörtlich unausweichliche, unerbittliche „Fatum“ mit leichter Hand in eine „Fee“ verwandelt, die man um alles bitten kann. Ursprünglich hatte dieses schicksalsschwere fatum, ein Partizip Perfekt Passiv des Verbs fari, „sagen, sprechen“, einmal die Allerweltsbedeutung eines „gesagten, gesprochenen (Wortes)“. Aber dann ist das Wort aus der Alltagssprache, als hätte eine Sprach-Fee es mit ihrem Zauberstab angerührt,

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in die höchsten Sphären aufgestiegen: Im klassischen Latein bezeichnet das fatum zunächst das von einer Gottheit feierlich Gesprochene, Verkündete, dann das dem Menschen zugesprochene, zugemessene Lebensschicksal, schließlich die im Verborgenen wirkende göttliche Schicksalsmacht selbst. Die Philosophenschule der Stoa hat dieses Fatum derart als ein vorherbestimmtes, unausweichliches Verhängnis verstanden; daher rühren in unserem Fremdwortschatz noch die unaufhaltsame „fatale“ Entwicklung und der schicksalsergebene „Fatalismus“. Kein Wunder, dass dieses unerbittliche Fatum in der Antike in einem Zuge mit den geradeso unerbittlichen Parzen genannt wurde; und wohl darum hat wieder eine Sprach-Fee der spätesten Spätantike das sächliche fatum, diese unpersönliche Schicksalsmacht, in eine Schwester der drei Parzen, in eine weibliche Fata, eine personifizierte Schicksalsgöttin, verwandelt. Aus dieser spätlateinischen Fata ist in der Folge eine italienische fata, eine französische fée und schließlich eine deutsche „Fee“ hervorgegangen, und dies jenseits aller feinsinnigen Lautmalerei nach denselben allgemeinen Lautgesetzen, die etwa eine in der Taufe „wiedergeborene“ lateinische Renata zu einer französischen Renée, eine „von den Sternen herabgewünschte“ lateinische Desiderata zu einer französischen Désirée haben werden lassen. Eine einzige solche Fata hat sich unverkürzt behauptet: die Fee mit dem – griechischen oder arabischen? – Spitznamen Morgana, die „Fata Morgana“ alias Fée Morgane, die nach mittelalterlicher Überlieferung die Seefahrer an der Straße von Messina mit ihren irritierenden Luftspiegelungen ins Verderben lockte. An dieser gefürchteten Passage war es ja seit jeher nicht geheuer gewesen. Dort hatte die antike Mythendeutung die Meeresungeheuer Skylla und Charybdis lokalisiert: hüben die menschenfressende Skylla, die mit ihren sechs Drachenköpfen dem Odysseus sechs tüchtige Gefährten raubte, drüben die wasserspeiende Charybdis, die das Meereswasser dreimal am Tag einsaugte und mit entsetzlichem Gebrüll wieder ausstieß. In der Folge ist der Spitzname dieser irrlichternden Luftspiegelungen an der Straße von Messina auf allerlei andere optische und psychische Vorspiegelungen übergesprungen, auf vorgegaukelte Oasen über den Wüstendünen und illusionäre Luftschlösser über dem Alltagshorizont.

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Ferien Wer seine hundert oder dreihundert Wörter Italienisch für den Touristengebrauch über das Lateinische gelernt hat und aus jedem orario ferroviario sogleich ein Ciceronisches horarium ferroviarium herausschauen sieht, ist über kurz oder lang mit seinem Italienisch und seinem Latein am Ende, und beim Fahrplanlesen spätestens dann, wenn er in den Fußnoten auf die verwirrliche Unterscheidung von giorni feriali und giorni festivi stößt. Ja, fragt er sich irritiert, kennen diese italienischen Eisenbahner denn überhaupt nur „Ferientage“ und „Festtage“ – und allenfalls noch ihre obligaten Streiktage, die ja weder im Kalender noch im Kursbuch stehen? Im klassischen Latein waren die feriae, in altrömischer Zeit fesiae, bei uns heute die „Feiertage“ und dann die „Ferien“, und die festi dies, bei uns heute die „Festtage“, nicht nur allernächste Stammverwandte, sondern auch fast gleichbedeutend: Beide bezeichneten die Tage, an denen die Menschen ruhen und „feiern“ und zugleich den Göttern geben, was den Göttern zukommt. In seiner Schrift „Über die Gesetze“ bemerkt Cicero einmal mit feiner Ironie, die feriae und die festi dies brächten „den Freien Ruhe vor ihren gerichtlichen und politischen Streitigkeiten und den Sklaven Ruhe vor den Anstrengungen ihrer Alltagsarbeit“. Es gab im alten Rom eine Vielzahl staatlicher und kultischer feriae, an denen die öffentlichen Geschäfte wie Gerichtsverhandlungen oder Senatssitzungen an einem Tag oder an mehreren Tagen ruhten; teils hatten diese „Ruhetage“ ihren festen Platz im römischen Kalender, teils mussten sie von den Priestern oder Magistraten jeweils eigens angekündigt werden. Darüber hinaus kannte man private feriae in den einzelnen Häusern oder Familien, wie auch heute Geburtstage oder Todestage, Verlobungs- oder Hochzeitstage; und schließlich feierte dieser oder jener gesellschaftliche, literarische oder phi-

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losophische Zirkel seine besonderen feriae; der ältere Plinius mokiert sich einmal über die Epikureer, die den Geburtstag ihres Meisters mit strenger Observanz als einen regelrechten Feiertag respektierten. Von der ältesten Zeit bis zu Caesars Tod an den „Iden des März“ 44 v. Chr. hat dieser altrömische „Ferien“- und „Fest“-Kalender unangetastet fortbestanden. In der Folge sind zunächst eine Anzahl Caesarischer und Augusteischer und dann eine Vielzahl kaiserlicher feriae hinzugekommen; mit jedem frisch vergöttlichten Kaiser wurde die Liste um einen solchen Feiertag, in der Regel seinen Geburtstag, länger. Bei all dem ist ja zu bedenken, dass man in Rom seit der frühen Kaiserzeit wohl den periodischen Wechsel der babylonischen Wochentage unter dem Regime der sieben Planetengötter kannte, doch nicht die stete Wiederkehr eines durchweg respektierten Ruhetages alle sieben Tage, wie der jüdische Sabbat und in seinem Gefolge der christliche Sonntag sie seither so praktisch bieten. Wir wissen nicht, wann genau und wie diese lateinischen feriae, diese vielerlei „Ruhe-“ und „Feiertage“ des heidnischen Götter- und Kaiserkults, in der italienischen Tochtersprache zu giorni feriali im Sinne unserer „Werktage“ geworden sind. Nach dem endgültigen Verbot der heidnischen Kulte durch Kaiser Theodosius I. im späten 4. Jahrhundert n. Chr. lag es wohl nahe, diese nun obsolet gewordenen feriae des hergebrachten Festkalenders fortan als gewöhnliche Alltage und so auch Werktage anzusehen. Ins Deutsche ist das Wort in zwei Schüben gelangt: ein erstes Mal im frühen Mittelalter in seiner alten Bedeutung und leicht verschobener Lautgestalt in der „Feier“ und im „Feiern“, dem „Feiertag“ und dem früher ja tatsächlich abendlichen „Feierabend“, und ein zweites Mal in der frühen Neuzeit, nun in seiner alten Lautgestalt und leicht verschobener Bedeutung, in den Gerichts-„Ferien“ und den Schul-„Ferien“. Feriae und festi dies, „Ferien“ und „Festtage“: In der Spätantike deuteten die feriae offenbar mehr aufs Beten und Opfern, die festi dies mehr aufs Essen und Trinken. „Die feriae“, sagt da einer, „stehen um der Götter willen im Kalender, die festi dies auch um der Menschen willen.“ Seither haben die alten Zwillingswörter die Rollen getauscht: Die „Festtage“ lassen uns heute an die hohen kirchlichen Feste wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten denken, die „Ferien“ an die Betriebsferien und die Schulferien, die wir „haben“, oder dann, nach jüngstem Sprachgebrauch, an die Badeferien und die Skiferien, die wir daraus „machen“.

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Gas Was für die physikalische Kosmologie dieser zweiten Jahrtausendwende der Urknall, das ist für den ältesten europäischen Schöpfungsmythos im frühen 7. Jahrhundert v. Chr. das „Chaos“ gewesen: „Ja, wahrhaftig: zuallererst ist das cháos entstanden“, erklärt der frühgriechische Dichter Hesiod am Anfang seines epischen Gedichts vom Ursprung der Götter, „aber gleich darauf die breitbrüstige Erde, für alle unsterblichen Götter, die das Haupt des schneebedeckten Olympos bewohnen, ein niemals wankender Sitz ...“ Was ist dieses cháos, aus dem Hesiod zunächst den Erebos, die Finsternis unter der Erde, und die Nacht, die Finsternis über der Erde, und weiter den strahlend blauen Himmel und den leuchtend hellen Tag hervorgehen lässt? Stammverwandte dieses cháos sind im Griechischen das Adjektiv chaúnos, „locker, löchrig, schwammig“, und das Verb chásko, „klaffen, gähnen“, und im Deutschen reicht die Stammverwandtschaft bis zu ebendiesem klaffenden „Gähnen“ und zu unserem hohlgewölbten „Gaumen“. Ob sich da lautmalerisch, wie das Duden-Herkunftswörterbuch mutmaßt, letztlich „ein Gähnlaut, ein heiseres Ausfauchen und ähnliche Schalleindrücke“ vernehmen lassen, wird der Leser hoffentlich nicht jetzt sogleich abschätzen können. Aristoteles hat das cháos des gut dreihundert Jahre älteren Hesiod im Sinne eines leeren Raumes verstanden: Mit Recht, erklärt er in seiner „Physik“, habe Hesiod als Allererstes das cháos entstehen lassen; für die Erde und alles übrige Seiende müsse doch zunächst einmal ein leerer Raum gegeben sein. Der alte Hesiod hätte seine „breitbrüstige Erde“, die Finsternis unter und über der Erde, die Himmelsbläue und die Tageshelle gewiss noch nicht als „Seiendes“ angesprochen, und auch sein ursprüngliches

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cháos hat Hesiod gewiss noch nicht in einer philosophischen oder physikalischen Begrifflichkeit, sondern in einer urmächtigen mythischen Bildlichkeit vor sich gesehen: als ein gewaltiges Auf- und Auseinanderklaffen, oder sagen wir’s salopp: als ein gewaltiges Maulaufsperren des Nichts, das dann all die finsteren und strahlenden Ausgeburten dieses halb theologischen, halb kosmologischen Schöpfungsmythos in sich aufnehmen sollte. Schon vor Aristoteles erscheint das Hesiodeische cháos in den Aristophanischen Komödien mehrfach in der Bedeutung des offenen Luftraums. Da bekennt sich in den „Wolken“ ein windiger Sokrates zu der Dreieinigkeit von „cháos, Wolken und (entsprechend nebuloser) Zunge“ und flucht dementsprechend „beim Atemschnappen, beim cháos und beim Luftreich“; da fliegt in den Aristophanischen „Vögeln“ die Götterbotin Iris unangemeldet und unautorisiert durch das cháos, den „Luftraum“, über dem neugegründeten Vogelstaat. Über die Vorstellung einer grenzenlosen Weite und inhaltlosen Leere ist das cháos in der Folge zum Fachwort für den unermesslichen, nach antiker Ansicht bis zum Mond hinaufreichenden Luftraum geworden, den wir seit dem 17. Jahrhundert mit einem griechischstämmigen Kunstwort als die Atmosphäre, wörtlich die „Dunstsphäre“, bezeichnen. Im 16. Jahrhundert hatte der aus dem schweizerischen Einsiedeln gebürtige Arzt und Naturforscher Theophrast von Hohenheim alias Paracelsus das griechische Wort als gelehrte Bezeichnung für das luftige Element gebraucht, und in seinem Gefolge hat der niederländische Naturforscher Jan Baptista van Helmont im 17. Jahrhundert verschiedene besondere „Luftarten“ als „Chaos“ bezeichnet, wobei er das griechische Wort als ein holländisches gas in seine Sprache übernahm. Das war zunächst Wissenschaftsholländisch; doch mit dem Aufkommen von Gaslaternen und Gasherden, Gasballons und Zeppelinen ist das Wort im frühen 19. Jahrhundert weltweit auch in der Alltagssprache heimisch geworden. Das uranfängliche Hesiodeische cháos hat derweil Seite an Seite mit dem ebenso uranfänglichen biblischen Tohuwabohu seinen eigenen Weg zu uns gefunden. Wir sprechen geläufig von einem „Chaos“ im Sinne eines unentwirrbaren, heillosen Durcheinanders und von entsprechenden „chaotischen“ Zuständen; in der Wissenschaft hat das Wort einer faszinierenden „Chaos“-Theorie, in der Gesellschaft hat es einem demolierenden „Chaoten“-Mob Pate gestanden. Hie und da treffen sich die Wege wieder: Wenn

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einmal die allzu vielen Gaspedale ein Verkehrschaos und ein andermal gähnend leere Gasleitungen ein Energie-Chaos heraufbeschwören, wird die Sprache zum verwunderlichen Spiegelkabinett. Und jetzt darf, wer nur immer will und kann, ungeniert mit einem herzhaften, vernehmlichen Gähnen und Fauchen experimentelle Sprachforschung betreiben!

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Generalist und Spezialist Der eine wird selten ohne den anderen genannt, und der eine ist so berüchtigt wie der andere: der Spezialist, der mit dem hübschen Bonmot „von immer weniger immer mehr versteht“, und der Generalist, bei dem es sich mit der Breite, Höhe und Tiefe seines Sachverstandes irgendwie umgekehrt verhält. Und wenn dieser zweite, ins Extrem gesteigert, von fast allem so gut wie nichts mehr versteht und der erste von so gut wie nichts mehr fast alles, so ist klar, dass der tüchtige Manager irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden seinen Platz hat. Die Wortgeschichte des „Generalisten“ und des „Spezialisten“ ist eine Paargeschichte, und sie beginnt im Griechischen, bei Aristoteles. In seiner Klassifizierung der Tiere bezeichnete der große Philosoph und Zoologe die übergeordnete Klasse oder Gattung als génos, eigentlich „Geschlecht, Familie“, die einzelne Art als eídos, eigentlich „Aussehen, Erscheinung“. Es lag nahe, dass Aristoteles diese systematischen Ordnungsbegriffe zugleich in sein Collegium Logicum übernahm; dort diente das génos entsprechend zur Bezeichnung der übergeordneten Klasse oder, wie wir heute sagen, der Menge, das eídos zur Bezeichnung der darin enthaltenen Objekte oder, wie wir heute sagen, der Elemente. Über die wissenschaftliche Terminologie, wohl hauptsächlich über die Aristotelische Systematik, ist das griechische Begriffspaar in Ciceronischer Zeit ins Lateinische übergegangen, und hier kommt nach dem „Generalisten“ erstmals

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auch der „Spezialist“ in den Blick. Für die Wiedergabe des griechischen génos im Sinne der übergeordneten „Klasse“ bot sich das sprachverwandte, gleichbedeutende lateinische genus mit dem Genitiv generis an; für die Wiedergabe des griechischen eídos wählte Cicero – oder wer ihm da zuvorgekommen war – die nahezu gleichbedeutende lateinische species, „Aussehen, Erscheinung“. Das griechische Begriffspaar von génos und eídos war schon in der Schule des Aristoteles, bei seinem Schüler Theophrast, von den Tierklassen und Tierarten zu den Pflanzenklassen und Pflanzenarten übergesprungen. Auch das lateinische Begriffspaar von genus und species hat bald in weiteren systematischen Wissenschaften Bedeutung gewonnen, so zunächst in der Rhetorik: Da halfen die verschiedenen übergeordneten genera und ihre vielfältigen untergeordneten species, eine abgestufte Ordnung in die Wirrnis der je verschieden gelagerten juristischen Streitfälle und geradeso in die Vielfalt der je verschieden einzusetzenden rhetorischen Kunstmittel zu bringen. Bereits im klassischen Latein waren aus den Substantiven genus und species die Adjektive generalis und specialis hervorgegangen: generalis in dem Sinne „generell auf die ganze Gattung, auf das Allgemeine bezogen“ und specialis in dem Sinne „speziell auf die einzelne Art, auf das Besondere bezogen“, und aus diesen Adjektiven waren im späteren Latein mit dem abstrahierenden Schwanzstück -tas, im Deutschen „-heit, -keit“, wieder die Substantive generalitas und specialitas hervorgewachsen. Die Fremdwörterlexika bezeugen die üppige Fruchtbarkeit dieses so vielfältig brauchbaren Wörterpaars: Da hat, um nur weniges zu nennen, auf der einen Seite das Militär seine Generäle und seine Generalität, ein Unternehmen seinen Generaldirektor, die UNO ihren Generalsekretär; da hat auf der anderen Seite die Wissenschaft ihre Spezialgebiete, ein Kaufhaus seine Spezialabteilungen, ein Restaurant seine Spezialitäten, (zoo)logisch verstanden: die ihm besonders zukommenden, seine Eigenart ausmachenden „spezifischen“ Merkmale. Zu guter Letzt kommen wir hier mit dem professionalisierenden griechischen Schwanzstück „-ist“ zu dem weitherum orientierten „Generalisten“, der eine breite Fächerklasse, und zu dem mehr oder weniger spezialisierten „Spezialisten“, der umgekehrt ein schmales Fächlein zu seiner Sache gemacht hat. Auf ihn hat Georg Christoph Lichtenberg in einem seiner „Sudelbücher“ aus dem Jahr 1789 einen treffenden, seiner Zeit weit vorauseilenden Aphorismus gemünzt: „Rousseau hat, glaube ich, gesagt: Ein Kind,

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das bloß seine Eltern kennt, kennt auch die nicht recht. Dieser Gedanke lässt sich auf viele andere Kenntnisse ... anwenden ...: Wer nichts als Chemie versteht, versteht auch die nicht recht.“ Am fernen Horizont kommt hier bereits der scheuklappenbewehrte, ganz auf sein Fach fixierte ExtremSpezialist in den Blick, den eine köstliche Wortschöpfung jüngst zum „Fachidioten“ befördert hat, wortwörtlich, so paradox wie punktgenau: zum „Fach-Nichtfachmann“.

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Honorar Ein Honorar hat es mit der Ehre zu tun: Unverkennbar schaut aus dem „Honorar“ das lateinische Substantiv honor, „Ehre“, heraus, das uns an die Honoratioren, die „höher Geehrten“ im Städtchen, oder an den Dr. h. c., honoris causa, den Doktor „ehrenhalber“, denken lässt. Das Schwanzstück -arius markiert eine Zugehörigkeit, und so bezeichnen das lateinische Adjektiv honorarius und sein wieder zum Substantiv erhobenes Neutrum honorarium, das bei uns barbarisch endungslos als „Honorar“ daherkommt, etwas irgendwie „zur Ehre Gehöriges“ – aber was und wie? Manchmal ganz Unerwartetes: Am Anfang seiner Schrift „Über die beste Art von Rednern“ weist Cicero dem Redner drei Hauptaufgaben zu: Er solle sein Publikum unterrichten, es unterhalten und es überzeugen. Dabei sei das Unterrichten etwas Geschuldetes, das Unterhalten ein honorarium, etwas „zur Ehre Gehöriges“, das Überzeugen etwas Notwendiges. Da erscheint der Unterhaltungswert einer Rede als eine Dreingabe ehrenhalber: Der Redner ehrt sein Publikum, wenn er ihm nicht nur schuldigerweise klares Wasser, sondern vergnüglicherweise klaren Wein einschenkt. Ein Jahrhundert früher hatte der alte Cato, der gestrenge Zensor, von einem vinum honorarium, einem „ehrenhalber überreichten Krug Wein“, gesprochen, mit dem der römische Staat seinen Provinzstatthaltern über alle geschuldeten Entschädigungen hinaus seinen Dank bezeugte. Später lesen wir bei Plinius dem Jüngeren, der damals als Statthalter in Bithynien amtete, von einem honorarium in der umgekehrten Richtung: Da geht es um eine „ehrenhalber gestiftete Summe“, mit der neu ernannte Ratsherren sich der Staatskasse gegenüber ehrerbietig zeigen durften oder allenfalls auch mussten. Das vinum honorarium, von dem Cato da spricht, erinnert an die traditionellen Ehrengaben Wein und Salz, mit denen die Provinzstatthalter

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ihrem zivilen und militärischen Stab – damals durchweg Leuten, die auf finanzielle Bezüge nicht angewiesen waren – den sauren, faden Provinzdienst zu versüßen und zu salzen suchten. Anfangs war das wirklich noch ein Drei-Liter-Krug Wein und ein Säckchen Salz gewesen; doch schon in jenem 2. Jahrhundert v. Chr. hatten die meisten Prokonsuln diese symbolträchtigen Ehrengaben in ein mehr oder weniger üppiges Geldgeschenk, das sogenannte salarium, „Salzgeld“, umgewandelt. In Augusteischer Zeit wurde daraus ein festes Jahresgehalt; auch das hieß weiterhin salarium. Die höheren Magistraten in der Provinz und mit ihnen die öffentlich angestellten Ärzte und Lehrer figurierten fortan als noble salariarii, „Salzgeldhonorierte“; in einer Inschrift erscheint sogar einmal ein stolzer „hydraularius salariarius“, ein „salzgeldhonorierter Wasserorgelspieler“ der zweiten Legion. Im Gefolge dieses salarium, dieses mit altrömischer Tradition gesalzenen „Salärs“, ist bereits in der Antike ein entsprechendes honorarium im Sinne eines ehrenhalber vergüteten „Honorars“ etwa für Vermessungsingenieure und für Advokaten, „herbeigerufene“ Rechtsbeistände, aufgekommen. Die Honoratioren des Römischen Reiches ließen sich nun einmal lieber für ihre Verdienste um den Staat mit einem solchen salarium oder honorarium „salarieren“ und „honorieren“ als unvornehmerweise nach Heller und Pfennig bezahlen. Ein Hauch von Ehrendienst und Unbezahlbarkeit hängt diesem „Honorar“ bis heute an: Was wiegt die saftigste Bezahlung oder gar Entlöhnung gegen ein noch so mageres Honorar? Die noble Gesinnung, die zwischen Unbezahlbar und Bezahlbar so streng unterschied, spricht auch aus dem feinen Satz, mit dem der römische Jurist Ulpian im frühen 3. Jahrhundert n. Chr. eine Erörterung über Honorarfragen abschließt: „Manche Honorare lassen sich durchaus in Ehren annehmen, aber doch nicht in Ehren einfordern.“

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Identität Ein glücklicher Lotteriegewinner, nennen wir ihn Fortunat, kommt an den Bankschalter, stellt sich als Glückskind vor, präsentiert sein Glückslos und will seine Tausender einkassieren. Der Mann am Schalter, nennen wir ihn Simplicius, fragt: „Ja, aber haben Sie denn auch einen Ausweis dabei?“ Fortunat kramt Portemonnaie und Brieftasche durch: „Moment, vielleicht – nein, doch nicht – ja doch, hier: ein Passfoto von mir!“ Simplicius wirft einen prüfenden Blick erst auf den strahlenden Fortunat und dann auf sein lächelndes Konterfei, konstatiert befriedigt: „Ja, Sie sind’s!“ und zählt ihm die Tausender hin. Das ist ein alter Witz; er stammt aus einer Zeit, da man sich von einer biometrischen Identifikation noch nichts hatte träumen lassen. Die „Identität“, dieses Der-und-der-sein, Die-und-die-Sein, Das-unddas-Sein, ist wie alle diese „-täten“ lateinischen Ursprungs. Das Wort ist aus drei Stücken zusammengestückt: das erste ist ein schlichtes, bloßes „i-“, das hier nicht „Information“ heißt, sondern mit dem Zeigefinger zeigt, das zweite ein nachdoppelnder aufmunternder Zuruf und das dritte ein abstrahierendes Schwanzstück. Aber nehmen wir’s gemächlich, eines nach dem anderen: In der lateinischen identitas steckt an erster Stelle das gewöhnliche dreigeschlechtige Demonstrativpronomen is, ea, id in der Bedeutung „dieser, diese, dieses“ und an zweiter Stelle ein hinweisendes altes em!, etwa in dem Sinne: „Sieh!“, ursprünglich wahrscheinlich ein abgewetztes eme!, „Nimm!“ Die beiden Stücke haben sich früh zu einem wieder dreigeschlechtigen i(s)dem, eadem, idem, eigentlich „der da, die da, das da“, in der Bedeutung „derselbe, dieselbe, dasselbe“ zusammengefunden. Offenbar hatte es dabei unter den Geschlechtern noch ein Hin und Her gegeben: Das Neutrum id-em wurde in zwei Silben i-dem gesprochen, und in der Folge ist dieses falsch abgetrennte -dem auch auf die natürlichen Ge-

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schlechter übergesprungen, so dass das Maskulinum nun i(s)-dem und das Femininum ea-dem lautete. Erst die Kirchenväter haben aus diesen beiden ersten Stücken und dem abstrahierenden Schwanzstück -tas als drittem eine spätlateinische identitas, sozusagen eine „Selbigkeit“, zusammengesetzt. Bei ihnen ging es noch nicht um die Dreiselbigkeit von Passbild, Name und Leibhaftigkeit, sondern um die Dreieinigkeit von Vater, Sohn und Heiligem Geist. Mittlerweile hat das Wort über die Theologie und die Philosophie hinaus zumal in der Psychologie Bedeutung gewonnen; da sprechen wir von Identitätsängsten und Identitätskrisen, Identitätssuche und Identitätsfindung. Der römische Epigrammatiker Martial hat von einer derart verlorenen oder gefundenen Identität noch nichts gewusst; aber auch so hat er in einem feinen Glücksgedicht auf die Frage „Vitam quae faciant beatiorem ...“, „Was das Leben glücklicher macht ...“, auch diese Antwort notiert: „Quod sis, esse velis nihilque malis“, „Dass du, was du bist, sein willst, und nichts lieber“. In der frühen Neuzeit ist das lateinische Wort in die Neuen Sprachen übergegangen; im 18. Jahrhundert ist noch das Adjektiv „identisch“, eigentlich „derselbig, dieselbig, dasselbig“, aufgekommen, und seit dem 19. Jahrhundert können wir Menschen und Sachen „identifizieren“, eigentlich: mit einem Namen oder einer Sache „selbigmachen“. Jetzt fehlte nur noch, dass irgendein Superkorrekter oder irgendeine Superkorrekte in dieser „Identität“ ein bislang unentdecktes politisch inkorrektes Maskulinum identifizieren und dieser „Identität“ der Männer eine entsprechende „Eadentität“ der Frauen zugesellen wollte. Vor Jahrzehnten ist der Wortgeschichtenschreiber als glücklicher Empfänger einer kantonalen „Aufmunterungsgabe“ in der Schalterhalle der Zürcher Kantonalbank in die gleiche heikle Lage geraten wie jener Fortunat. Der Scheck war dabei, ein Ausweis nicht. Und dies ist jetzt kein alter Witz, sondern köstliches Erlebnis. Ich durchblätterte meine Brieftasche nach irgendetwas Identitätshaltigem; da unterbrach mich der Kassier: „Warten Sie – ist das nicht die Handschrift von Professor von Salis?“ Er hatte recht gesehen; der große Jean-Rodolphe von Salis hatte zugleich mit mir eine Ehrengabe erhalten, und wir hatten Briefe gewechselt. Ich reichte ihm den Brief hinüber, und damit war die Identität gesichert: „Also gut“, sagte der Kassier, „ich kann Ihnen das auszahlen“ – und gab mir die drei Tausender.

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Impfen Wann hat das „Impfen“ angefangen? Wenn wir uns an die Sache halten, gelangen wir ins 18. Jahrhundert zurück: In den zwanziger Jahren jenes Jahrhunderts gab es die ersten Schutzimpfungen gegen die Blattern oder Pocken; in den sechziger Jahren kam dafür das Fachwort „impfen“ auf, und seither sprechen wir von Impfungen gegen diese oder jene Krankheit, von Impfstoffen und Impflingen. Wenn wir uns an das Wort halten, kommen wir ein paar Jahrhunderte weiter ins Mittelalter zurück: Bereits im Althochdeutschen begegnet ein entsprechendes impfon, im Mittelhochdeutschen ein impfeten oder auch schon ein kürzeres impfen. Aber da ging es noch nicht um Schutzimpfungen gegen Blattern oder Pocken, Grippe oder Vogelgrippe, sondern um das Okulieren von Obstbäumen und Rebstöcken. Ein Bäumchen-wechsle-dich-Spiel im Obstgarten, im Weinberg: Schon die Gärtner, Obstbauern und Winzer der klassischen römischen Zeit hatten die Knospen bildhaft oculi, „Augen“, und das veredelnde „KnospenEinsetzen“ entsprechend inoculare, „Augen-Einsetzen, Okulieren“, genannt. Irgendwann zwischen Spätantike und Frühmittelalter ist im Deutschen dafür jenes alte impfon, impfeten oder impfen aufgekommen. Als dieses „Impfen“ im späteren 18. Jahrhundert von dem veredelnden gärtnerischen TSchnitt auf den vorsorglichen medizinischen T-Schnitt übertragen wurde, kehrte das alte lateinische „Okulieren“ in die Fachsprache der Gärtner zurück. Im Französischen und im Englischen war kein „Impfen“ dazwischengekommen; da bezeichnete das seit alters hergebrachte romanische inoculer beziehungsweise inoculate neben dem veredelnden „Okulieren“ Obstbäume und Weinstöcke in einer zweiten bildhaften Übertragung fortan auch das vorsorgliche „Impfen“ gegen diese oder jene Infektionskrankheit.

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Hier sind wir mit unserem Latein aber noch nicht am Ende; letztlich geht auch das „Impfen“ aufs Lateinische zurück. Dahinter stehen das Adjektiv purus, „rein, pur“, und das Verb putare mit der geläufigen Allerweltsbedeutung „glauben, meinen“ und der weniger geläufigen Bedeutungsentwicklung „(Wolle) reinigen, auswaschen“, sodann „(Bäume oder Weinstöcke) bereinigen, schneiden“, weiter „(Rechnungen) bereinigen, rechnen“ und schließlich „(Gedanken) bereinigen, glauben, meinen“. Die Bedeutung „schneiden“ ist in unserem Euro-Wortschatz mit der „Amputation“ vertreten, die Bedeutung „rechnen“ mit dem „Computer“, die Bedeutung „glauben, meinen“ mit der „Disputation“. Bereits im klassischen Latein erscheint das mit dem Kopfstück in-, „ein-, hinein-“, gebildete Kompositum imputare in der kaufmännischen Bedeutung „in Rechnung stellen, anrechnen“ auch in der übertragenen Bedeutung „als Schuld, als Verdienst anrechnen“. Eine handgreifliche, dem chirurgischen amputare, „beidseits, ringsum schneiden“, entsprechende gärtnerische Bedeutung „einschneiden, okulieren“ ist für das klassische Latein noch nicht bezeugt; aber mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfen wir in dem althochdeutschen impfon und so auch unserem neuhochdeutschen „Impfen“ ein solches in Gärtnerei, Obst- und Weinbau überkommenes spätlateinisches imputare wiedererkennen. Aus dem mittelhochdeutschen impfeten scheint das lateinische Wort ja noch herauszuschauen. Nun geistert in der Wortgeschichte unseres „Impfens“ noch ein griechisches in seiner Bedeutung frappierend einschlägiges, in seiner Lautgestalt frappierend anklingendes Wort herum: das Verb emphyteúein, „einpflanzen“. Es fällt schwer, sich die Odyssee dieses griechischen Wortes in den germanischen Obst- und Weinbau und damit ins Althochdeutsche auszumalen, und die Sprache ist ja reich an derlei zufälligen Bedeutungsbezügen und lautlichen Anklängen. Aber wenn das griechische Wort tatsächlich irgendwann, irgendwo, irgendwie dazu beigetragen haben sollte, dass das lateinische imputare neben seiner kaufmännischen Bedeutung „anrechnen“ noch die gärtnerische Bedeutung „okulieren“ angenommen hat, so hätten wir hier ein reizvolles Beispiel für die Okulation eines Wortes mit einem anderen gefunden.

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Innovation Reformen, Reformen, Reformen – so tönt es an allen Ecken und Enden, so werden sie allenthalben gefordert und versprochen, durchgezogen oder auch nicht durchgezogen und so oder so, je nachdem, gepriesen oder gescholten. Eine davon hat jüngst auch die „Reform“ selbst reformiert und ihr die neue Wechsel-Etikette „Innovation“ angeheftet. Scheint solch eine unverbrauchte „Innovation“ oder gar ein „Jahr der Innovationen“ nicht irgendwie frischer und grüner, jünger und kühner als jene gute alte „Reform“ oder ein „Jahr der Reformen“? Weht um einen innovativen „Innovationsgipfel“ nicht irgendwie ein frischerer Wind als um einen noch so reformfreudigen „Reformgipfel“? Beides ist gutes altes Latein; das aus dem Kopfstück re-, „wieder-“, und dem Substantiv forma gebildete Verb reformare bedeutet „nochmals in eine – neue – Form bringen“ oder „wieder in die – alte – Form bringen“; das von dem Adjektiv novus, „neu“, abgeleitete Verb novare bedeutet allgemein „neu machen, erneuern“, sei es, dass da etwas Neues geschaffen wird, sei es, dass da etwas Altes durch etwas Neues abgelöst oder einfach das Alte in eine neue Form gebracht wird. Auch das klassische Latein kennt bereits ein mit dem Kopfstück in-, „hinein-“, aufgeputztes innovare, wortwörtlich „eine Erneuerung in etwas hineinbringen“. In der Antike ist das einfache novare das gebräuchliche Wort gewesen, das so zusammengesetzte innovare eine seltene Variante geblieben. Eine Inschrift des 2. Jahrhunderts n. Chr. auf einem Meilenstein besagt, Kaiser Marc Aurel habe diesen Stein „innoviert“, irgendwie „erneuert“. In der Folge erscheint das Kompositum mehrfach bei den römischen Juristen und den alten Kirchenvätern. Erst die sprachlich so innovationsfreudige Spätantike hat dem Verb eine neu geprägte innovatio, eine „in etwas hin-

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eingebrachte Erneuerung“, und schließlich noch einen innovator zur Seite gestellt, für einen „Erneuerer“, der sich mit seiner Innovationslust einen Namen gemacht hat. Für allfällige Interessenten liegt da ein noch völlig ungebrauchter, prägefrischer Ehrentitel bereit. Auch die Wörter haben ihre Biotope, ihre „Lebensräume“: Gewöhnliche Wohngebäude werden „renoviert“, historische Baudenkmäler dagegen „restauriert“; Gesetze werden „novelliert“, so nach der liebevoll verkleinernden Adjektiv-Variante novellus, „jung, zart“, und einem davon abgeleiteten Verb novellare, zwei Prägungen, die sich im klassischen Latein ursprünglich etwa auf junge Weinstöcke und die Ersetzung alter Reben durch junge bezogen haben. In der Politik wird weder „renoviert“ – das klänge nach Tünche – noch „restauriert“ – das klänge nach Rückschritt – noch „novelliert“ – das klänge zu zaghaft –, sondern vielmehr „innoviert“: Das klingt nach Neuland, nach Aufbruch. Seit ihrem unverhofften Comeback ist diese zukunftsfrohe „Innovation“ auch in eigener Sache kräftig am Innovieren. Wir sprechen von innovationsfreundlichen und innovationsfeindlichen Bedingungen und Verhältnissen, beschwören die Innovationsfreude der Politiker und die Innovationskraft der Wirtschaft, klagen über den leidigen Innovationsstau und hoffen auf einen kräftigen Innovationsschub. Aber seine ultimative, buchstäblich einschneidende Innovation hat das Wort noch vor sich. Wann wird die vielzitierte „Innovation“ mit diesem bruchstellenverdächtigen „o“ in der Mitte ihren lateinischen Eidechsenschwanz fahren lassen und nach dem bekannten Muster von „Info“ und „Memo“, „Demo“ und „Euro“ rücksichtslos verhackstückt als eine flotte, mundgerecht abgekürzte und neumodisch leichtgeschürzte „Inno“ daherkommen?

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Januar Unsere Monate sind römisches Erbe; ihre lateinischen Namen und ihre wechselnde Länge sind mit Julius Caesars „Julianischem“ Kalender auf uns gekommen, und wer in einem lateinischen Lexikon unter dem Stichwort „Januar“ nachschlägt, findet dort sogleich erhellende Auskunft und buchstäblich offene Türen und Tore. Auf den groß geschriebenen Ianuarius (mensis), den „Januarischen (Monat)“, folgt da zunächst ein klein geschriebener ianus, ein überwölbter „Torbogen“, samt der mit ihm verschwisterten ianua, der „Eingangstür“, und darauf der wieder groß geschriebene Ianus, der altrömische Schutzgott der Stadttore und dann überhaupt von Eingang und Ausgang, Anfang und Ende. Ein stimmiges Bild: Da scheint der Eingangsmonat unseres Jahres seit alters unter den Schutz des Eingangsgottes Janus gestellt, und in diesem Sinne haben die Römer der klassischen Zeit den Januar denn auch durchweg als einen anfänglichen „Janusmonat“ verstanden. So ruft Ovid den Schutzherrn von Eingang und Ausgang am Anfang seines Kalendergedichts als den Schutzherrn des Jahresanfangs an – und siehe da: Der doppelköpfige, zugleich vorwärts und rückwärts blickende Gott erscheint dem entsetzten Dichter in leibhaftiger Gestalt und gewährt ihm ein exklusives Interview, zu sich selbst, zu Neujahrstag und Neujahrsgeld, zur alten und zur neuen Zeit. Aber ganz so einfach kann es nicht gewesen sein. Denn wie die Monatsnamen von September bis Dezember, „Siebenter“ bis „Zehnter“, noch bezeugen, begann das altrömische bäuerliche Jahr erst Anfang März, so dass der Januar ursprünglich gar nicht der erste, sondern der elfte Monat war. Erst im Jahre 153 v. Chr. ist der 1. Januar zum Neujahrstag des Konsulatsjahres und darauf allmählich – offiziell erst mit der Einführung des Juliani-

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schen Kalenders im Jahre 45 v. Chr. – zum Neujahrstag des bürgerlichen Jahres geworden. So kann dieser Ianuarius nicht von vornherein den „Eingangsmonat“ des Kalenderjahres bezeichnet haben; er markierte ursprünglich wohl eher das „Eingangstor“ eines neuen Sonnenumlaufs, bis Sonnenwende und Jahresanfang seit der Mitte des 2. Jahrhunderts v. Chr. schließlich – fast – zusammenfielen. Aber was hat der zugleich voraus- und zurückblickende Gott in jenem Interview zum Stichwort Einst und Jetzt zu Protokoll gegeben? Da singt er zunächst das Lob der „guten alten Zeit“, als man das Kapitol noch mit frischem Laub statt mit Gold und Edelsteinen schmückte und der Senator seine Schafe noch eigenhändig auf die Weide führte, und übt zugleich herbe Kritik an der maßlosen Konsumsucht der Gegenwart: „Blindlings erwirbt man, verbraucht man, erwirbt man neu das Verbrauchte; während sie wechselt, ernährt jegliche Übel die Sucht ... Was heute gilt, ist das Geld: Der Besitz verleiht Ämter und Würden, Freunde verschafft der Besitz – arm giltst du überall nichts ...“ Doch dann schlägt die nostalgische Verklärung der altrömischen Vätersitte unversehens in ein lächelndes Einverständnis mit der goldglänzenden Gegenwart um: „Auch uns Götter erfreuen, so sehr wir die alten auch schätzen, goldene Tempel: Ihr Glanz steht einem Gotte wohl an. Ja, wir loben die alten, doch freuen uns unsere Zeiten: Beiderlei Lebensart ist gleich hoher Schätzung wohl wert!“ Wen wundert’s, dass dieser doppelköpfige Janus derart doppeldeutige Reden führt? Er hat ja so recht, auch heute noch, nachdem seine Augusteische „neue Zeit“ nun längst zu unserer Antike, unserer „alten Zeit“, geworden ist. Das ganze – vor fast genau zweitausend Jahren aufgezeichnete – Interview ist in Ovids Kalendergedicht, Buch 1, Vers 89 ff. nachzulesen.

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Johannisbeere und Johannisbrotbaum Wenn der Kalender nicht nach dem Mond geht und das Klima nicht aus den Fugen ist, sollten die Johannisbeeren just zum Johannisfest am 24. Juni reif werden: Daher haben sie ja ihren Namen. Seit dem 5. Jahrhundert feiert die christliche Welt an diesem 24. Juni die Geburt Johannes des Täufers. Das Datum des Festes, sechs Monate vor der Geburt Jesu am 24. Dezember, geht auf ein Wort des Verkündigungsengels am Anfang des Lukasevangeliums zurück. Nachdem der Erzengel Gabriel sich dort seiner Hauptbotschaft entledigt hat, spricht er weiter zu Maria: „Schau auf Elisabet, deine Verwandte, auch sie hat einen Sohn empfangen in ihrem Alter; und dies ist der sechste Monat für sie ...“ (Elisabet mit bloßem „t“? Das ist kein Druckfehler, sondern ein Wahrzeichen der wortgetreuen und hier sogar buchstabengetreuen neuesten „Zürcher Bibel“: Im Lukasevangelium hat diese Elisabet tatsächlich nur ein „t“ und kein „th“.) Von Johannisbeeren weiß das Neue Testament und überhaupt die Antike noch nichts zu vermelden; die rote Johannisbeere wird erstmals im 15. Jahrhundert als Heilpflanze angeführt, die schwarze im 16. Jahrhundert von dem Zürcher Naturforscher Conrad Gesner beschrieben. Dagegen begegnet der nach dem gleichen Johannes benannte, im Orient weit verbreitete Johannisbrotbaum bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. bei Theophrast. Mit seinem ursprünglichen griechischen Namen hieß er keronía oder keratonía, „Hörnchenbaum“, so nach seinen horn- oder sichelartig gekrümmten, bis

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zwölf Zentimeter langen, drei Zentimeter breiten Schoten. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn lesen wir bei dem Evangelisten Lukas, der ins Elend geratene, von seinem Herrn zum Schweinehüten ausgeschickte Sohn „wäre zufrieden gewesen, sich den Bauch zu füllen mit den kerátia, den „Hörnchen“, die die Schweine fraßen, doch niemand gab ihm davon“. Die „Hörnchen“, von denen das Gleichnis da spricht, sind ebendiese braunen Schoten mit ihrem süßlichen, nahrhaften Fruchtfleisch. Die Evangelisten Matthäus und Marcus berichten, Johannes der Täufer habe sich in der Wüste von Heuschrecken und „wildem Honig“ genährt. Solch ein Honigschlecken schien zum kargen Leben in der Wüste nicht zu passen, und so haben spätere Erzähler der Johanneslegende diesen „wilden Honig“ – vielleicht im Gedanken an das Jammerleben des verlorenen Sohnes – auf die gleichen süßen Schoten jenes anspruchslosen „Hörnchenbaums“ bezogen. Wir wissen nicht, wer dem knorrigen Baum danach zuerst den ehrenden Namen „Johannisbrotbaum“ verliehen hat; im Deutschen ist zuerst in Pilgerberichten des späten 15. Jahrhunderts von „Sant Johannes broidt“ oder „Johansbrott“ die Rede. Wie immer Johannes sich damals seine Heuschrecken gesüßt, was immer er als Zubrot dazu genossen haben mag – fortan war die Johanneslegende mit dem Johannisbrotbaum untrennbar verbunden. Der alte griechische Name keratonía, „Hörnchenbaum“, hat sich in dem lateinischen systematischen Namen Ceratonia siliqua, sozusagen: „Hörnchenbaum Schote“, erhalten; aber nicht nur darin. Die überall und allezeit so genau gleichgewichtigen Leichtgewichte der Johannisbrotbohnen, die getrocknet jeweils gerade ein Fünftel Gramm wiegen, dienten im Orient und in der Mittelmeerwelt als allgemein anerkannte Gold- und Edelsteingewichte. Von diesen kerátia, diesen „Hörnchenbaum“-Bohnen, hat die Maßeinheit ihren Namen, mit der wir bis heute das Gewicht von Edelsteinen und den Feingehalt einer Goldlegierung bezeichnen: Ein geschliffener Brillant von 1 Karat bringt gerade ein Fünftel Gramm auf die Waage, und das für Goldschmuck gebräuchliche 18karätige Gold weist einen Feingehalt von 750 Tausendstel auf. Noch zwei andere erweisen Johannes dem Täufer an diesem 24. Juni die Reverenz. Wenn – wieder – der Kalender nicht nach dem Mond geht und das Klima nicht aus den Fugen ist, öffnet das Johanniskraut pünktlich zum Jo-

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hannistag seine goldgelben, mit schwarzen Pünktchen und Strichlein gezeichneten Blüten, und wenn das Glück es besonders gut mit uns meint, sehen wir in der Abenddämmerung dieser frühen Sommertage ein gelbgrün leuchtendes Johanniswürmchen von einem Strauch zum anderen fliegen. Das hat seinen ersten Auftritt in der Aristotelischen „Tierkunde“, im 4. Jahrhundert v. Chr.; dort heißt es noch ganz unheilig pygolampís, „PoLämpchen“.

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Jubiläum Jubel, Jubeln, jubilieren, Jubiläum: da scheint wie beim „Jauchzer“ und beim „Jauchzen“ ein unartikulierter Freudenruf zum artikulierten Wort geworden, das sich durch alle Fälle deklinieren, durch alle Personen konjugieren lässt. Aber beim „Jubeln“ liegt die Sache nicht so einfach wie beim „Jauchzen“. Schon der Ausklang des „Jubiläums“ verweist aufs Lateinische – wer hätte je von einem „Jauchzäum“ gehört? Tatsächlich kommt das „Jubiläum“ zunächst aus dem mittelalterlichen Kirchenlatein, und seine Wurzeln reichen noch viele Jahrhunderte weiter zurück: einerseits in das ländliche Leben und Treiben des alten Latium und andererseits in ehrwürdige Kulttraditionen des alten Israel. Das klassische Latein kennt ein lautmalendes iubilum und ein iubilare für den lustvollen „Jubel“ und das „Jubilieren“ der Bauern und Winzer, der Hirten und Jäger. Wie das geklungen haben mag? Jedenfalls laut und durchdringend und nicht unbedingt wohltönend; die lateinischen Wörter konnten auch ein Mark und Bein erschütterndes Kriegsgeschrei bezeichnen, und antike Glossatoren, „Worterklärer“, lassen auch kreischende Raubvögel und quietschende Türangeln mit ebendiesem Verb iubilare zum Ohren-Zuhalten lautstark „jubilieren“. Die andere Wurzel des Wortes reicht ins Judentum hinüber, zu dem im 3. Buch Mose 25, 8 ff. eingesetzten heiligen „Jobeljahr“ oder dann „Jubeljahr“. In diesem alle siebenmal sieben – oder nach alter Zählweise alle fünfzig – Jahre gefeierten „Jobeljahr“ sollten die Gegensätze zwischen Reich und Arm ein Stück weit gemildert werden, sollten die Ärmsten ihren unter drückender Schuldenlast verpfändeten Besitz und allenfalls ihre verlorene persönliche Freiheit zurückerhalten: „Jeder von euch soll wieder zu seinem Besitz kommen, und jeder soll zurückkehren zu seiner Sippe.“ Seinen Na-

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men hatte dieses „Jobeljahr“ von dem hebräischen Wort jobel für das „Widderhorn“, mit dem die Wiederkehr eines solchen „Jobeljahres“ angekündigt wurde: Das „Jobeljahr“ ist eigentlich ein „Widderjahr“. Als der Kirchenvater Hieronymus um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert die Bibel ins Lateinische übersetzte, führte der nahe Anklang des hebräischen jobel an das lateinische iubilum zu einer volkstümlichen Umdeutung. Es verwundert nicht, dass man das hebräische „Jobeljahr“, das den Ärmsten derart Entlastung von ihrer Schuldenlast verhieß, im Westen des Reiches nun als ein lateinisches „Jubeljahr“ verstand, das die so Entlasteten über diesen Schuldenerlass fröhlich jubilieren ließ. Mit dieser sogenannten „Volksetymologie“ war das unverstandene, verstummte Wort doch wieder zu einem verständlichen, sprechenden Wort geworden, und in dieser Lautung und Bedeutung ist es in der Folge in die Neuen Sprachen eingegangen. Im hohen Mittelalter hat das alttestamentliche „Jobel-“ oder dann „Jubeljahr“ in Rom eine neue Bedeutung gefunden. Die phantastische Erinnerung eines 107 Jahre alten Mannes, im Jahrhundertjahr 1200 habe es in der Ewigen Stadt einen vollkommenen Ablass gegeben, und das europaweit umlaufende Gerücht, im Säkularjahr 1300 sei dort wieder solch ein Ablass zu erwarten, veranlasste Papst Bonifatius VIII., tatsächlich einen solchen „Jubiläums“-Ablass anzukündigen, um die von weither anrückenden Pilgerheere nicht zu enttäuschen. Zunächst dachte man damals an einen neuen solchen Ablass zu jeder Jahrhundertwende; doch das Echo auf das erste „Anno Santo“ war so überwältigend, dass man das nächste „Heilige Jahr“ schon nach fünfzig Jahren folgen ließ. Auch diese kürzere Frist verkürzte sich bald weiter auf erst dreiunddreißig und dann fünfundzwanzig Jahre. Zuletzt hat die römische Kirche im Jahre 2000 ein solches „Jubiläum“ und in diesem Millenniumsjahr sogar ein sogenanntes „Großes Jubiläum“ gefeiert. Von diesen kirchlichen „Jubiläen“ ist das Wort seither auf allerlei weltliche „Jubiläen“ übergesprungen. Aus dem lateinischen iubilare war bereits im Mittelalter ein französisches jubiler und ein mittelhochdeutsches jubilieren hervorgegangen. Das vollends eingedeutschte „Jubeln“ und der „Jubel“ sind im 15. und 16. Jahrhundert aufgekommen, und die beiden Jüngsten in der Familie, der „Jubilar“ und die etwas jüngere „Jubilarin“, sind im

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Deutschen erst im 18. Jahrhundert geläufig geworden. Aber was heißt da „erst“? Diese beiden „Jüngsten“ sind, nach runden zweieinhalb Jahrhunderten, fünfmal fünfzig, zehnmal fünfundzwanzig Jahren, ja selbst schon höchst ehrwürdige Jubilare!

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Kaiserschnitt Kaiseradler, Kaiserkrone, Kaiserpinguin, Kaiserquartett, Kaiserschmarren, Kaiserschnitt, Kaisersemmel, Kaiserthron, Kaiserwetter, Kaiserzeit – was ist in diesem lexikalischen Nest von lauter kaiserlichen Wörtern wohl das Kuckucksjunge? Alle diese strahlenden Herrlichkeiten von der Krone bis zum Wetter, alle diese prächtigen Adler und Pinguine, selbst die Schmarren und die Semmeln, haben ihren Namen von den alten und den neuen Kaisern. Nicht so der Kaiserschnitt: Der hat, wenn er denn mit Recht so heißt, umgekehrt zuerst den Iulii Caesares zu ihrem Beinamen und dann allen römischen und byzantinischen, deutschen und österreichischen Kaisern samt den russischen Zaren, allen diesen Adlern und Pinguinen und so auch den Schmarren und Semmeln zu ihrem Kaisertitel verholfen. Mit einem Kaiserschnitt, wenn er denn mit Recht so heißt, hat die ganze Kaiserei erst angefangen. „Unter einem günstigeren Omen stehen die Geburten, die dem Tod der Mutter abgerungen sind. So ist der ältere Scipio Africanus auf die Welt gekommen, so auch der erste mit dem Beinamen ‚Caesar‘, der nach dem aufgeschnittenen Mutterleib so benannt worden ist, und aus dem gleichen Grund haben auch die Caesones ihren Vornamen erhalten.“ So schreibt Plinius der Ältere im 7. Buch seiner enzyklopädischen „Naturgeschichte“, und auf diesen drei, vier Zeilen beruht die geläufigste und plausibelste Erklärung des Beinamens, der erstmals für einen Sextus Iulius Caesar, einen Prätor des Jahres 208 v. Chr., bezeugt ist und dann durch Gaius Julius Caesar zuerst zu einem großen Namen und dann zum Kaisertitel aufgestiegen ist. „A caeso matris utero“, heißt es da im Lateinischen, „nach dem aufgeschnittenen Mutterleib“. Das lateinische Verb caedere mit dem Partizip Per-

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fekt Passiv caesus, „fällen, hauen“, vielfach auch: „schneiden“, steht in entsprechender Bedeutung auch hinter der „Zäsur“, dem „Einschnitt“, und den medizinischen Termini technici „Inzision“, „Exzision“ und „Zircumzision“. In der „Präzision“ hat sich das Bild eines vorn abgeschnittenen, spitz zugeschnittenen Holzpfahls oder Federkiels im späteren Latein zur Bezeichnung einer buchstäblich auf die Spitze getriebenen Genauigkeit gesteigert. Der in einem Zweig des Julischen Geschlechts jeweils vom Vater auf den Sohn vererbte Beiname „Caesar“ ist in der Antike verschieden erklärt worden. Ob die von Plinius überlieferte, wohl von dem gelehrten Varro übernommene Erklärung die wahre ist, lässt sich heute so wenig entscheiden wie damals. Eine konkurrierende Erklärung, die den Beinamen „Caesar“ auf ein dubioses punisches oder maurisches Wort für den Elefanten und die spektakuläre Erlegung eines karthagischen Kriegselefanten zurückführt, wirkt verdächtig gut erfunden: Da haben wir es wohl eher mit einer verherrlichenden, verheißungsvollen Heldenlegende für das erste Kapitel der Familienchronik dieser Iulii Caesares zu tun. Aber so oder so: Auf diesen damals bei den Juliern aufgekommenen Beinamen „Caesar“ und seine Deutung als „der aus dem Mutterleib Geschnittene“ geht die Bezeichnung „Kaiserschnitt“ zurück. Unter dem glückverheißenden Stern Gaius Julius Caesars hat der alte Name einen unwahrscheinlichen Aufschwung erlebt. Der „Kaiserschnitt“ hat daran teilgenommen, und das auf eine höchst merkwürdige Weise: Erst hat der – damals noch nicht so benannte – Kaiserschnitt den Iulii Caesares einen sprechenden Beinamen gegeben, dann hat umgekehrt der aus diesem Namen hervorgegangene Titel jenem – fortan durchweg so genannten – Kaiserschnitt seinen kaiserlichen Ehrentitel verliehen. In der mittelalterlichen, seither fachsprachlichen Bezeichnung Sectio Caesarea, Wort für Wort übersetzt: „Caesarischer, kaiserlicher Schnitt“, deutet paradoxerweise nur noch die Sectio, der „Schnitt“, auf den chirurgischen Eingriff; das folgende Wort Caesarea, das ursprünglich ja auf ebendiesen Schnitt verwiesen hatte, erinnert einzig noch an Caesars Namen und den Kaisertitel. Und so steht dieser „Kaiserschnitt“, als wäre er der Schnitt der Schnitte, heute im Alphabet in einer Reihe mit Kaiseradler und Kaiserkrone, Kaiserpinguin und Kaiserwetter, genau: zwischen Kaiserschmarren und Kaisersemmel.

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Kanapee Im 5. Jahrhundert v. Chr. berichtet Herodot, der „Vater der Geschichtsschreibung“, wie die alten Ägypter mit der Mückenplage im Niltal fertig werden: Die weiter oben am Nil Wohnenden bauen sich hohe Schlaftürme und bleiben dort von Stichen verschont, weil die Mückenschwärme wegen der starken Winde so hoch gar nicht hinaufkommen; die weiter unten im Delta Wohnenden helfen sich anders: „Jeder von ihnen besitzt ein Netz, mit dem er am Tag auf Fischfang geht, und in der Nacht gebraucht er es so: Er stellt das Netz um sein Bett auf, und dann schlüpft er hinein und schläft darunter ... Und durch dieses Netz versuchen die Mücken gar nicht erst zu stechen.“ Soweit Herodot zur ägyptischen Mückenplage, und von hier geht eine Wortgeschichte um drei Ecken aus, die uns von diesen Fischerhütten im Nildelta über orientalische Purpurbaldachine, das Luxusleben des Antonius und der Kleopatra und die komfortablen Interieurs des 18. Jahrhunderts bis in die vergleichsweise anspruchslose zeitgenössische Partyszene führt. Zunächst ist hier buchstäblich eine Mücke, wenn schon nicht zu einem Elefanten mit vier Beinen, so doch zu einem Prunkbett mit vier Pfosten geworden. Im Griechischen heißt die Stechmücke kónops; das davon abgeleitete konópion bezeichnet zunächst das über dem Bett aufgespannte Stechmücken- oder Moskitonetz und dann das ganze Bett mit einem solchen Mückennetz darüber. In der alten Literatur ist öfter von Palästen als von Hütten die Rede, und so bezieht sich das ohnehin seltene Wort in der Folge eher auf prachtvolle Prunkbetten und kostbare Baldachine. Von einem solchen konópion der besonderen Art lesen wir etwa in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta, in der apokryphen Erzählung von Judith und Holofernes: „Holofernes ruhte auf ei-

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nem Bett unter einem konópion, einem Baldachin aus Purpur und Gold, in den Smaragde und andere edle Steine eingewoben waren.“ Nur eingefleischte Etymologen oder Entomologen können hier noch an eine Stechmücke denken. Im späteren 1. Jahrhundert v. Chr. ist das Wort ins Lateinische übergegangen, nicht zufällig zu der Zeit, in der sich das senatorische Rom über das Luxusleben des Antonius und der Kleopatra und ihre „unnachahmlichen Lebenskünste“ weidlich entrüstete. Der Augusteische Dichter Horaz empört sich bei der Vorstellung, das „schändliche conopium“, das Prachtund Prunkbett, Schimpf- und Schandbett dieser beiden unter römischen Feldzeichen zu sehen; den etwas jüngeren Properz schaudert es bei dem Gedanken, die „königliche Dirne des blutschänderischen Kanopus“ hätte ihr „abscheuliches conopium“ auf dem Kapitol aufstellen können. Der Anklang des Wortes an den Namen der leichtlebigen Stadt Kanobos alias Canopus kam dem Dichter noch gut zupass, die Empörung zu schüren. Im Lateinischen ist neben dieses conópium später ein conopéum getreten; danach erscheint im 12. Jahrhundert im Französischen ein conopé im Sinne eines Bettvorhangs und im 17. Jahrhundert im Französischen und bald auch im Deutschen ein canapé im Sinne eines eleganten Salonmöbels. Die Zeiten ändern sich: Derlei üppig gepolsterte „Kanapees“ mit ein paar raffiniert drapierten Kissen darauf sind Lifestyle von gestern. Doch das Wort hat sich in der Partywelt behauptet, und so kommen die Kanapees neuerdings mit dem Catering Service in Gestalt quadratischer oder kreisrunder, getoasteter oder ungetoasteter Weißbrotschnittchen daher, und statt mit kunstvoll arrangierten Kissen sind sie nun üppig mit Tartar und Roastbeef, Lachsmousse und Crevetten und anderen Unwiderstehlichkeiten befrachtet. Die sind ja allemal gut; aber Hand aufs Herz: Schmecken sie nicht noch einmal so gut, wenn die Gedanken dabei in die Jahrhunderte und Jahrtausende zurückschweifen: zu Ludwig XVI. und seiner Marie Antoinette, zu Antonius und Kleopatra, zu Judith und Holofernes und schließlich zu Herodot und den selig unter ihren Mückennetzen träumenden Fischern im Nildelta?

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Karneval Juxdaten: Am glückverheißenden 07. 07. 07 und wieder am 08. 08. 08 hat der Run auf die Standesämter um sieben Uhr sieben oder doch um acht Uhr acht begonnen; im September 09 und Oktober 10 werden die Standesbeamten etwas länger schlafen können. Und dann kommt das Traumdatum des 11. 11. 11, Punkt elf Uhr elf: Da wird man rechtzeitig reservieren müssen, die Partnerin und den Termin. Doch an dem Tag wird nicht nur geheiratet; diesen 11. 11. haben längst schon andere für sich reserviert und geradezu abonniert: An diesem 11. 11., „seinem“ 11. 11., pünktlich um Elf Uhr elf feiert Prinz Karneval mit seinem ehrenwerten Elferrat alljährlich den Einstieg in die närrische Karnevalssaison, und wir erweisen dem Prinzen auf unsere Art die Reverenz: Wir fragen uns, woher sein Name stammt und was der heißt. Bis in die frühe Neuzeit sehen wir noch zurück: Da bekommen wir im 15. Jahrhundert ein italienisches carnevale und dann wieder gegen Ende des 16. Jahrhunderts ein französisches carnaval zu fassen. Im 17. Jahrhundert ist das Wort ins Deutsche gekommen, mit Bezug zuerst auf die farbenprächtigen Karnevalsumzüge in Florenz, Rom und Venedig, dann auch auf die schlichter gehaltenen Prozessionen im Norden der Alpen. Anfangs wusste man nicht recht, ob man da „einen“, „eine“ oder „ein Karneval“, einen Prinzen, eine Prinzessin oder gar ein Neutrum, feiern solle, bis man sich schließlich fürs Maskulinum, für „den“ Karneval entschied. Noch in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts veranstalteten die „Würzburger Juriscandidaten“ ein „Venetianisches (!) Karneval“; im Jahr 1779 hält Prinz „Karneval“ unter diesem zukunftsträchtigen Namen Einzug in seinen rheinischen Hochburgen: im karnevalsfrohen Köln und bald danach in dem nicht minder karnevalsfrohen Mainz.

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Die Spuren dieses italienischen carnevale führen offensichtlich ins Lateinische zurück. Aber hier wird das Wort zu einem doppeldeutigen, uns fröhlich narrenden Vexierbild. Die einen drehen es so herum, dass ihnen aus diesem carnevale das lateinische Substantiv caro mit dem Genitiv carnis, „Fleisch“, samt dem Verb levare, „aufheben, wegnehmen“, in die Augen springt. So verstanden bezeichnete das Wort, wortwörtlich verdolmetscht, das „Fleisch-Wegnehmen“ vom Speisezettel am Aschermittwoch, und nach dieser Deutung hätte es sich von Anfang an auf die vierzigtägige vorösterliche Fastenzeit bezogen. Die anderen drehen das Vexierbild dieses „Karnevals“ so herum, dass daraus ein lateinischer carrus, ein „Karren“, samt dem Adjektiv navalis, „zum Schiff gehörig“, herauszuschauen scheint; diese Deutung bezieht das Wort auf die volkstümlichen Umzüge, mit denen man in Italien nach dem Abklingen der Winterstürme die Wiederaufnahme der Schifffahrt feierte. So verstanden bezöge sich das Wort ursprünglich auf die bei diesen Umzügen mitgeführten beräderten „Schiffskarren“, und dann wäre es irgendwann, irgendwo in einer volksetymologischen Umdeutung vom Beginn des Schifffahrtsjahres im Frühjahr auf den Beginn der Fastenzeit vor Ostern übertragen worden. Gemeinhin gilt ist die erste, näherliegende Erklärung als die wahrscheinlichere; aber vielleicht haben sich die Wege der Wörter auch irgendwie gekreuzt. Das Nebeneinander der zwei Deutungen verrät, wie sehr wir da im Dunkeln tappen. Eines aber ist gewiss: dass die große Menge der Karnevalsnarren, denen die sprachliche Herkunft ihres „Karnevals“ vom „Fleisch“ oder vom „Schiff“ Jacke wie Hose oder Hans wie Heiri war, sich bald ihren eigenen Reim auf das Wort gemacht hat. Die hörte aus diesem carnevale ganz einfach vorn ein carne und hinten ein vale! heraus und verstand das Wort als einen Aschermittwochs-Abschiedsgruß an das üppige Leben, als ein „Fleisch Ade!“ Aber das ist natürlich eine närrische Jux-Etymologie, die eher zu einer launigen Büttenrede als zu einer ernsthaften Wortgeschichte taugt, so närrisch wie jene Jux-Heiratstermine. Dazu sei nur noch angemerkt, dass dieser „Jux“ auch selbst ein Jux-Wort ist: eine – doch wohl studentische – Verhohnepipelung des lateinischen iocus, „Scherz, Spaß“.

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Kassieren und kassieren Wenn die erste Instanz gegen einen Angeklagten eine Geldstrafe verhängt und das Urteil rechtskräftig wird, hat die Gerichtskasse etwas zu kassieren. Doch wenn der Verurteilte dagegen Berufung einlegt und die zweite Instanz das Urteil der ersten kassiert, hat der Kassierer doch noch das Nachsehen. Aber nehmen wir uns ein „Kassieren“ nach dem anderen vor: Hinter jenem ersten, bei dem der Euro in der Kasse klingelt, steht zunächst natürlich ebendiese „Kasse“, sodann im Italienischen, der Muttersprache der Finanzen und Bilanzen, die gleichbedeutende cassa und schließlich im Lateinischen, der Großmuttersprache aller dieser Wörter, ein eher seltenes Substantiv capsa für einen kleineren oder größeren Behälter und das Allerweltsverb capere mit der allgemeinen Bedeutung „nehmen“. Da haben wir des Pudels Kern: Unserer „Kasse“ ist von Hause aus das „Nehmen“ auf den blechernen oder stählernen Leib geschrieben, und das ist für eine Kasse ja kein schlechtes Omen. In der Antike bezeichnete die capsa, in der Verkleinerungsform capsula, vornehmlich einen trommelförmigen Behälter zur Aufnahme von Buchrollen. Solche Bücher-„Kapseln“ standen in einer Bibliothek nebeneinander im Regal; ein fest schließender Deckel schützte die kostbaren Papyrusrollen vor Staub und Licht, ein Etikett auf der Vorderseite verzeichnete die Autoren und die Buchtitel. Eine solche capsa diente offenbar auch als Schulranzen: Während der griechisch benannte, oft selbst griechischsprachige paedagogus, wortwörtlich der „Kinderführer“, den jungen Römer in die Schule des Grammaticus begleitete, trug der capsarius, ein Sklave minderen Ranges, dem kleinen Gaius oder Lucius seine Schullektüre, seinen Homer oder seinen Vergil, seinen Demosthenes oder seinen Cicero, in der Schul-„Kapsel“ hinterdrein. In den dunklen Jahrhunderten zwischen Spätantike und Frühmittelalter, als die Papyruslieferungen aus dem östlichen Mittelmeerraum ausblieben

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und der Pergament-Codex, dieser gewichtige Buch-„Klotz“, an die Stelle der dünneren oder dickeren Buchrolle trat, hatte die alte Bücher-„Kapsel“ ausgedient. In der Folge wurde die lateinische capsa im Italienischen zur cassa, im Französischen zur caisse und im Deutschen zur „Kasse“ und füllte sich statt mit klassischer Literatur nun mit klingenden Gold- und Silbermünzen und schließlich, als das Papiergeld aufkam, auch mit knisternden Scheinen. Auf diese lateinische capsa geht im Französischen auch die châsse, der kostbar geschmückte Reliquienschrein, und im Englischen das weltweit geläufige cash zurück. Die Verkleinerungsformen sind ihre eigenen Wege gegangen: Die lateinische capsula, die alte „Büchertrommel“, hat in der vergleichsweise winzigkleinen Medikamenten-„Kapsel“ und in der vergleichsweise riesengroßen Astronauten-„Kapsel“ ihre angestammte Lautgestalt und ihre kreisrunde oder ovale Form bewahrt. Freilich: Wer wollte angesichts solch einer Mini-Kapsel aus dem Schrank des Apothekers oder solch einer Maxi-Kapsel an der Spitze der Rakete noch an jene alte Büchertrommel denken? Die italienische cassetta, unsere „Kassette“, hat dem Wort jüngst noch einmal zu einem unverhofften großen Comeback verholfen; da mochte eine Audiooder Videokassette mit einem „Ilias“-Hörbuch oder einer „Odyssee“-Verfilmung auf der Rolle unversehens ihren alten Inhalt wiederfinden. Aber was hat es mit jenem anderen „Kassieren“ auf sich, und was besagt es, wenn eine höhere Instanz das Urteil der ersten Instanz kassiert? Hat der hohe Gerichtshof da etwa eine trommelförmige römische Reißwölfin stehen, einen sogenannten Papierwolf (wohl zu unterscheiden von einem harmlosen Papiertiger), der die nicht ganz hieb- und stichfesten Urteile der ersten Instanz glattweg verschlingt und in seinem Innern auf Nimmerwiederlesen verschnippelt und verschnetzelt? Nein, da haben wir es mit einem ganz anderen „Kassieren“ zu tun: Dahinter steht ein lateinisches Adjektiv cassus mit der Bedeutung „leer, hohl; eitel, nichtig“, und daraus ist in der Folge ein Verb cassare, „für nichtig erklären“, und eine cassatio, eine „Nichtigkeitserklärung“, und schließlich im Jahre 1738 der französische „Cour de cassation“, der „Kassationshof“, hervorgegangen, der dann wieder zum Muster aller späteren Kassationsgerichte wurde. Die sind, wo es sie gibt, die höchste und letzte Instanz, und wenn die eine zu Unrecht verhängte Geldstrafe kassieren, gilt allemal die Regel: Kassieren geht über Kassieren!

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Keller und Zelle Die Stiegen von der Mönchszelle in den Klosterhof und weiter in den Weinkeller hinab führen zugleich in die lateinische Sprach- und Lautgeschichte zurück: Hinter diesem „Keller“ und jener „Zelle“ steht ein und dieselbe lateinische cella, nur dass diese cella zweimal nacheinander in je verschiedener Lautgestalt in unsere Alltagssprache übergegangen ist: ein erstes Mal in der römischen Kaiserzeit, als die alten Römer durchweg noch „Kaesar“ und „Kikero“ sagten und so denn auch von einer „kella“ sprachen, ein zweites Mal im frühen Mittelalter, nachdem ein allgemeiner Lautwandel aus diesen drei Wörtern einen „Zaesar“, einen „Zizero“ und so denn auch eine „zella“ gemacht hatte. Entsprechend erscheint ja auch der römische „Caesar“-Titel bei uns erst als „Kaiser“ und dann als „Zar“. In der Spätantike, um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert n. Chr., hat sich die Aussprache des „c“ vor den hellen Lauten „ae“, „e“, „i“, „oe“ und „y“ von einem knackenden „k“ zu einem zischenden „z“ gewandelt. So bezeugen es die griechischen Inschriften, die das „c“ in römischen Namen und Titeln bis dahin durchweg mit dem Knacklaut „k“ wie Kappa und von da an durchweg mit dem Zischlaut „z“ wie Zeta wiedergeben. Der Lautwandel selbst liegt offen zu Tage, das Warum und Wieso bleibt im Dunkeln. Selbst ein Zeitgenosse hätte wohl kaum sagen können, wie es zu diesem ohrenfälligen Wechsel von „Kaesar“ und „Kikero“ zu „Zaesar“ und „Zizero“ kommen konnte oder musste; darauf angesprochen, hätte er vielleicht erwidert: Ja wirklich: mein Großvater hat immer noch „Kaesar“ gesagt, aber wir Jüngeren sagen jetzt alle „Zaesar“ ... Im klassischen Latein bezeichnete die cella ursprünglich eine Vorratskammer, besonders einen Weinkeller, oder dann überhaupt einen kleinen, engen Raum wie die Schlafkammer eines Sklaven oder eine Pförtnerloge,

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auch schon die geschlossene, dunkle „Cella“ eines Tempels und die sechseckige „Zelle“ einer Bienenwabe oder eines Wespennestes. Im Zuge der römischen Entwicklungshilfe, in diesem Fall: der römischen Ziegelbauweise ist das Wort in der frühen Kaiserzeit über die Alpen gekommen. Zusammen mit zahlreichen anderen einschlägigen Fachwörtern wie tegula, „Ziegel“, oder mortarium, „Mörtel“, murus, „Mauer“, oder fenestra, „Fenster“, ist damals auch diese cella und das davon abgeleitete cellarium, die „Vorratskammer“, ein erstes Mal in unserer Sprache heimisch geworden. Die römischen Baumeister sprachen und die germanischen Lehrlinge hörten zu der Zeit noch ein lateinisches „kellarium“, und so erscheint das Wort im Althochdeutschen als kellari, im Mittelhochdeutschen als keller. Mit den Klosterbauten des frühen Mittelalters ist ebendiese lateinische cella ein zweites Mal ins Deutsche übergewechselt, mittlerweile nicht mehr „kella“, sondern „zella“ gesprochen und zunächst mit besonderem Bezug auf die enge, schmale Mönchs-„Zelle“. Seither haben sich die Wege der beiden deutschen Wörter getrennt. Während der „Keller“ allgemein das in die Erde versenkte Untergeschoss mit seinen dunklen, kühlen Vorratsräumen bezeichnet, ist an der „Zelle“ die Ursprungsbedeutung des Kleinen, Engen, in sich Geschlossenen haften geblieben. Von der Reihe der schmalen, kargen Klosterzellen ist das Wort im 18. Jahrhundert – gewiss nicht zur Freude der Ordensbrüder – auf die Reihe der gleicherweise schmalen, kargen Gefängniszellen übertragen worden. Im frühen 19. Jahrhundert hat die botanische und zoologische Fachsprache das Wort für die kleinste in sich geschlossene Einheit des Lebenden, die pflanzliche oder tierische „Zelle“, übernommen, und in jüngster Zeit hat sich zu dem theatralischen Bild einer weltweit agierenden kriminellen Terror-„Szene“ das von daher wieder übernommene Bild einer kleinen, in sich geschlossenen konspirativen Terror-„Zelle“ gesellt. „Keller“ und „Zelle“, „Kaiser“ und „Zar“: Da ist der knackende und der zischende Anlaut jeweils ein für allemal auf die verschiedenen Wörter verteilt. Aber wie sollen wir es mit Caesar und Cicero, zu deren Lebzeiten „Kaesar“ und „Kikero“, halten? Wenn wir im deutschen Kontext von den beiden sprechen oder lesen, nennen wir sie unbekümmert „Zaesar“ und „Zizero“; wenn sie uns im lateinischen Kontext ihrer Zeit begegnen, sagen wir nach neuerem Schulgebrauch zeitgerecht „Kaesar“ und „Kikero“. Wer’s

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ganz genau nehmen wollte, müsste das lateinische „c“ vor hellen Vokalen in antiken Texten wie „k“, in mittelalterlichen Texten wie „z“ aussprechen ... A propos Cicero: Ausgerechnet der große Marcus Tullius Cicero hat noch solch ein „K“-Wort bei sich: die „Kichererbse“. Der Beiname der Familie, nach lateinisch cicer, „Erbse“, deutet auf Erbsenzucht; die „Kichererbse“ ist eine früh übernommene, doppelt gemoppelte „Erbsenerbse“.

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Kirsche „Dass die Kirschen, die Lust der Knaben und der Vögel, von dem reichen Lucullus, dem Sieger über Mithridates, nach Europa gebracht worden, das weiß auch jeder Knabe aus der römischen Geschichte, obgleich ihm vor dem vollen Korbe mit den süßen roten Beeren die Sache so gleichgültig ist wie dem naschenden Sperling auf dem Baum.“ So schreibt Victor Hehn in seinem Klassiker über „Kulturpflanzen und Haustiere“ aus dem späten 19. Jahrhundert, als die Knaben offenbar noch recht viel und die Mädchen offenbar noch gar nichts aus der römischen Geschichte wussten. Nicht nur die Kirsche selbst, auch den kleinasiatischen Namen der Kirsche hat Lucius Licinius Lucullus damals von der Schwarzmeerküste in den Westen gebracht. Seit seinem Konsulatsjahr 74 v. Chr. hatte der römische Imperator in Kleinasien gegen König Mithridates VI. von Pontos mit glänzendem Erfolg Krieg geführt, bis er das Kommando nach Meutereien in seinen Legionen und Quertreibereien in Rom 66 v. Chr. an seinen Rivalen Gnaeus Pompeius abgeben musste. In Ciceros Konsulatsjahr 63 v. Chr. feierte er noch einen späten, von Cicero dem Volk „mit viel Bitten“ abgerungenen Triumph; danach zog er sich aus dem politischen Leben zurück. Plutarch nennt die spektakulärsten Beutestücke; dazu zählten einige der berüchtigten „gepanzerten Reiter“ auf ihren gepanzerten Rössern, zehn der ebenso gefürchteten sichelbewehrten Streitwagen, sechzig Gefolgsleute und Truppenführer des Mithridates; 110 Kriegsschiffe mit bronzenen Rammspornen, eine überlebensgroße goldene Statue des Königs, ein mannshoher, über und über mit kostbaren Steinen besetzter Prunkschild, zwanzig Traggestelle voll silberner Geräte, 32 Traggestelle voll goldener Trinkbecher, Waffen und Münzen, acht Maultiere mit goldenen Speisesofas, 56 Maultiere mit Traglasten von Silberbarren, 107 Maultiere mit Traglasten von Silbermünzen.

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Von den Kirschbäumen, die Lucullus damals privatissime und doch wohl schiffsladungsweise vom Schwarzen Meer an den Tiber verfrachtet hat, sagt Plutarch nichts. Unter all dem klirrenden, rasselnden bronzenen und eisernen Rüstzeug, all den gleißenden goldenen und silbernen Preziosen hätte sich eine Reihe Leiterwagen mit blühenden jungen Kirschbäumen darauf oder eine Maultiergruppe mit Tragkörben voll Kirschen und Kirschenzwillingen über den Ohren doch recht seltsam ausgenommen; mit gepanzerten Reitern auf gepanzerten Rössern ist nun einmal nicht gut Kirschen essen. Und doch ist der Kirschbaum von der ganzen Beute jenes Mithridatischen Krieges für den Triumphator ein Denkmal „aere perennius“, „dauernder als Erz“, und für die Nachwelt das Nachhaltigste gewesen: Er blüht und blüht und blüht, nun schon ins dritte Jahrtausend hinein, nachdem sich jene 110 bronzenen Rammsporne längst in den Grund der Geschichte gebohrt haben. „Kirschkulturen hat es vor dem Sieg des Lucullus über Mithridates in Italien nicht gegeben; er hat erstmals den Kirschbaum aus dem Pontos in den Westen gebracht.“ So bezeugt es der ältere Plinius um die Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. in seiner enzyklopädischen „Naturgeschichte“. In den 120 Jahren seither sei der Kirschbaum von den Gärten des Lucullus „über den Okeanos hinaus“ bis zu den britannischen Inseln vorgedrungen. In Ägypten sei er nicht gediehen: Er „liebe“ den Norden und die Kälte. Mit der exotischen Frucht hat sich ihr Name „über den Okeanos hinaus“ verbreitet: Das kleinasiatische – für uns nicht mehr sprechende – Wort für Kirschbaum und Kirsche hatte zuerst der „Kirschenstadt“ Kerasos an der östlichen südlichen Schwarzmeerküste, dem heutigen Giresun, den Namen gegeben. In den benachbarten griechischen Kolonien war die Frucht als kérasos oder kerásion bekannt, in der Villa des Lucullus auf dem römischen Pincio, zu Häupten der Spanischen Treppe, kam sie als cerasus oder cerasium auf den Tisch, und so erscheint ihr Name später in den Neuen Sprachen: im Italienischen mit einem Wechsel der liquiden, „flüssigen“ Laute als ciliegia, im Französischen als cerise, im Deutschen als „Kirsche“, im Schweizer Dialekt als „Chriesi“, im Englischen als cherry. Wie die Korngöttin Demeter alias Ceres und der Weingott Dionysos alias Bacchus in der Antike als die Spender von Korn und Wein Verehrung gefunden haben, so ist der Lebensgenießer Lucullus als der Stifter der Kirsche

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in die Geschichte eingegangen. In seiner „Verteidigung des Christentums“ hat der Kirchenvater Tertullian die heidnischen Götter und den römischen Imperator in einer ironischen Randbemerkung auf eine Stufe gestellt: Wenn man Ceres und Bacchus als die Spender der Kornfrucht und des Weines als Götter verehre, ihnen Tempel errichte und Opfer darbringe, so sei dem Lucullus Unrecht widerfahren, wenn man ihn, „der doch als erster die Kirschen aus dem Pontos eingeführt und in Italien verbreitet hat“, nicht gleichfalls unter die Götter aufgenommen habe ...

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Konjunktur Die bunte Bildersprache der Ökonomen liest die Konjunkturschwankungen am Konjunktur-„Barometer“ ab, spricht mit den Seglern von einer Konjunktur-„Flaute“, mit den Oldtimerfans von einer Konjunktur-„Ankurbelung“, mit den Ärzten von einer Konjunktur-„Spritze“ oder mit den Turnern von einem Konjunktur-„Aufschwung“ oder -„Abschwung“. Die Wortgeschichte sucht die Konjunkturprognosen in den Sternen. Hinter der „Konjunktur“ steht wie hinter den „Konjunktionen“ das lateinische Verb iungere, „(unter einem Joch) verbinden, zusammenspannen“. Das Kopfstück con-, „zusammen-“, doppelt noch einmal nach, die Schwanzstücke -tura oder -tio, entsprechend unserem „-ung“, machen das Ganze zu einer „Verbindung“. Das klassische Latein kannte nur die coniunctio und die einfache iunctura; zu einer coniunctura ist es erst im Mittelalter gekommen. Verbinden lässt sich vielerlei. In der Grammatik und der Rhetorik bezeichnete die bildhafte coniunctio die Verknüpfung der Wörter und Sätze und bezeichnet ja bis heute die „Konjunktionen“ vom Schlage eines Weil oder eines Wenn. In der Astrologie deutete diese coniunctio – als eine genaue Lehnübersetzung der griechischen syzygía, wörtlich: einer „Zusammenjochung“ – auf die Verbindung zweier oder mehrerer Planeten unter einem Tierkreiszeichen. Nehmen wir das Wort beim Wort, so zeigt es uns gleiche und ungleiche Planeten – „gute“ oder „schlechte“, „tägliche“ oder „nächtliche“, „männliche“ oder „weibliche“ – jeweils unter einem Joch zusammengespannt, den Karren der Geschichte und unseres Lebens für die kürzere oder längere Dauer dieser „Zusammenjochung“ eine Strecke weiter zu ziehen. Auch die Wörter haben ihren Auf- und Untergang: In der Spätantike erscheint neben der seit Cicero geläufigen coniunctio noch eine neu geprägte, mit

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der lateinischen stella, „Stern“, gebildete constellatio, wörtlich: eine „Zusammenstirnung“, im Sinne einer besonderen Planeten-„Konstellation“ und des daraus ermittelten Geburtshoroskops. Und ein Jahrtausend später, mit der Kopernikanischen Wende, geht die „Konjunktion“ in die Neue Astronomie über und hält die „Konjunktur“ in der alten Astrologie Einzug: Fortan sprechen die Astronomen vorzugsweise von der „Konjunktion“ oder dann der „Opposition“ eines Planeten zur Sonne, die Astrologen mit der jüngeren Variante des Wortes vorzugsweise von einer „Konjunktur“ der Planeten untereinander und mit der Sonne. Von dieser himmlischen zu unserer irdischen „Konjunktur“ war es nur noch ein kleiner Schritt. Im 17. Jahrhundert, in den Nöten und Ängsten des Dreißigjährigen Krieges, übertrug sich das Wort von der Glück und Unglück verheißenden himmlischen Planeten-„Konjunktur“ auf eben dieses irdische Glück und Unglück selbst, auf die fetten und mageren Jahre, auf kriegerische Verwicklungen und Naturkatastrophen, und im 18. Jahrhundert, unter nunmehr friedlicheren Konjunkturen, verengte sich die Bedeutung des Wortes auf den wechselnden Aufschwung und Abschwung von Handel und Wandel, eben die bessere oder schlechtere wirtschaftliche „Konjunktur“. Entsprechend hat sich zur gleichen Zeit auch die himmlische Planeten-„Konstellation“ auf allerlei irdische Macht-„Konstellationen“ übertragen. Dazu fügt es sich hübsch, dass die fünf Wirtschaftsgutachter der deutschen Bundesregierung jeweils unter dem Spitznamen der „Fünf Weisen“ zitiert werden. Da bleibt nur die Frage offen, ob diese fünf „Wirtschaftsweisen“ nun eher nach den astrologisch und theologisch orientierten Drei Weisen aus dem Morgenland oder eher nach den politisch und ökonomisch versierten Sieben Weisen aus dem Abendland benannt seien. Apropos „seien“: Gibt es neben jenen grammatischen „Konjunktionen“ vom Schlage eines Wenn und Aber nicht auch noch die „Konjunktive“ vom Schlage eines Wäre und Hätte? Richtig; die haben zwar weniger mit den Planeten- als vielmehr mit den Satzkonstellationen zu tun, sind aber doch gleich mit dabei, wenn einer zu erklären hat, dass diese oder jene Konjunkturprognose schon längst eingetroffen wäre, wenn es nicht noch dieses oder jenes Wenn und Aber gegeben hätte.

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Konkordanz Ein 100-Meter-Läufer oder ein Marathonläufer stellt einen neuen Weltrekord auf; das „Book of Records“ verzeichnet alle denkbaren und undenkbaren Rekorde; der alte record-player spielte records, der neue FestplattenRecorder recordet Bits und Bytes; der Musiker spielt Akkorde; die Juristen schließen Akkorde; die Akkordarbeiter arbeiten im Akkord; Frankreich und England hatten ihre überschallschnelle Concorde; der Vatikan hat seine Konkordate; der Schweizer Bundesrat hat seine Konkordanz, diese nahezu fünfzigjährige, weitherum einzigartige Zauberformel, nach der die führenden Parteien sich die hohen Sitze teilen. Aber wo ist die etymologische Kordel, die diesen ganzen Wörterstrauß zusammenhält? Das Herzstück aller dieser Wörter ist das lateinische Substantiv cor mit dem Stamm cord-, das eben „Herz“ bedeutet und mit der griechischen kardía und auch mit unserem „Herzen“ stammverwandt ist. Die neuzeitliche Medizin ist zur Sprache des Hippokrates zurückgekehrt; da sprechen wir griechisch von der „Kardiologie“, der „Herzwissenschaft“, oder einem „Elektrokardiogramm“, eigentlich einer „Bernsteinherzschrift“. Aber in allen anderen Herzensangelegenheiten hat sich die lateinische Ausprägung im Euro-Wortschatz durchgesetzt; daher rühren jene spektakulären „Rekorde“ und die rekordschnelle Concorde, daher auch der einvernehmliche „Akkord“ und die einträchtige „Konkordanz“. Das Blut ist, mit Goethes Mephistopheles, „ein ganz besondrer Saft“, und mit ihm das Herz ein ganz besonderes Organ. Platon hatte das Hirn als den Sitz der Vernunft, die „Akropolis“ des Körpers, und das schlagende Herz als den Sitz des Mutes angesprochen. Aristoteles wollte das Hirn nurmehr als eine Art Kältespeicher betrachten; er hat all unser Sehen und Hören, Denken und Fühlen im Herzen als dem „Herd“ und wieder der „Akropo-

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lis“ des Körpers versammelt. Wir mögen darüber lächeln, dass der große Denker dachte, dass er mit dem Herzen denke. Aber Hand aufs Herz: Spüren wir denn, wo wir denken? Und sagen nicht auch wir uns „herzliche Grüße“ und „herzlichen Dank“, sprechen nicht auch wir von „herzigen“ Kindern und einem „beherzten“ Passanten, von Unmenschen, die kein Herz im Leibe haben, und von Freunden, die ein Herz und eine Seele sind? Die griechische Sprache bewahrt noch ältere, tiefere Bauchgefühle. Da war das Denken in der phren, im „Zwerchfell“ zu Hause; „ich denke“ heißt griechisch „ich zwerchfelle“. Eugen Bleulers Retortenwort „Schizophrenie“ erinnert noch daran. Das Latein hält es dann wieder mit dem Herzen. Das mit dem Kopfstück re-, „zurück-“, gebildete Verb recordari, „sich erinnern“, bedeutet eigentlich „sich etwas ins Herz zurückrufen“; danach versteht sich dieses Herz selbst als eine Art Festplatten-„Recorder“, erklärt sich jeder neue „Rekord“ als ein Eintrag in die Harddisk unseres Herzens. Entsprechend bezeichnet das mit dem Kopfstück con-, „zusammen-, mit-“, gebildete Verb concordare, „übereinstimmen“, eigentlich ein Zusammenkommen der Herzen, des Denkens und Fühlens. Daraus ist im Mittelalter eine concordantia und in der frühen Neuzeit die „Konkordanz“ hervorgegangen, und wenn wir recht hinhören, fällt uns auch daraus noch ein einträchtiger Herzschlag ins Ohr. Da haben wir die Kordel, die diesen bunten Wörterstrauß zusammenknüpft; doch was hat diese „Kordel“ selbst mit all dem zu schaffen? Ursprünglich nichts: Hinter unserer „Kordel“ steht vielmehr eine griechische chordé, eine „(Darm-) Saite“, die dann als c(h)orda – mit einer verkleinernden c(h)ordula – ins Lateinische, als corde ins Französische und als korde ins Mittelhochdeutsche übergegangen ist. Von der zarten Lyra-Saite ist die Bedeutung des Wortes im Mittelalter auf eine gewöhnliche Schnur oder ein fingerdickes Seil und in der Neuzeit noch auf einen absperrenden PolizeiKordon übergegangen. Aber derlei Schnüre und Seile bilden verfängliche Schlaufen und Schlingen. Unter dem Einfluss jener griechischen chordé, lateinisch c(h)orda, französisch corde, hat ein jenem concordare nachgebildetes spätes accordare, französisch accorder, seine Bedeutung vom „Herzen“ und den damit abgeschlossenen Akkorden zugleich auf die „Saiten“ und die darauf gestrichenen Akkorde übertragen. Da bindet diese „Kordel“ zu guter Letzt auch die

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politischen und die musikalischen „Akkorde“ mit in diese Wortgeschichte ein. Kein Wunder, dass die sieben Schweizer Bundesräte unter dem Zauberstab dieser legendären parteiübergreifenden „Konkordanz“ seit nunmehr fast einem halben Jahrhundert allezeit ein Herz und eine Seele, ja nun sogar ein Herz und eine Saite sind! Übrigens: Auch der französische courage, auch das beherzte „couragierte“ Handeln, auch die Zivil-„Courage“ gehören hier zur Familie.

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Konkurrenz Konkurrenz belebt das Geschäft: Konkurrenz macht die Unternehmer zu Wettkämpfern und die Kunden zu Schiedsrichtern; Konkurrenz lässt die Preise purzeln und die Kassen klingeln. Aber wer jetzt an Galopp-Konkurrenzen auf der Pferderennbahn oder Formel-1-Konkurrenzen auf der Autorennstrecke denkt, ist schon auf dem Holzweg. Das Wort meint keineswegs, dass etwa die konkurrierenden Confiseure von jeweils schräg gegenüber immer wieder ein imaginäres Tortenrennen austragen und sich auf der Zielgeraden, ihre dreistöckigen Sahnetorten balancierend, noch ein spektakuläres Finish liefern. Es ist viel schlimmer – oder, für begeisterte Dick und Doof-Fans, viel schöner. Das „Kon-“ weist ins Lateinische; hinter allen diesen sportlichen und wirtschaftlichen „Konkurrenzen“ steht das aus dem Kopfstück con-, „zusammen-“, und dem Stammwort currere, „laufen“, zusammengesetzte Verb concurrere, „zusammenlaufen“. Aber so, wie die alten Römer das Wort verstanden haben, deutete es nicht auf ein Nebeneinander-Her-Laufen oder -Fahren wie bei einem Wettlauf an den Olympischen Spielen oder einem Wagenrennen im Circus Maximus, sondern auf ein Aufeinander-Zu-Laufen aus verschiedenen Richtungen auf einen Platz, sei’s unter Freunden, um einem frischgewählten Konsul zu gratulieren, sei’s unter Feinden, um miteinander in offener Feldschlacht zu kämpfen. Unter dem Zeichen dieses lateinischen Kopfstücks con-, „zusammen-“, fallen das Miteinander und das Gegeneinander in eins; zwischen einem Miteinander-Kämpfen und einem Gegeneinander-Kämpfen liegt ja nicht ein Wandel der Bedeutung, sondern nur ein Wechsel der Perspektive. Aber so oder so: Dieses klassisch-lateinische concurrere ließ die alten Römer nicht an ein olympisches oder zirzensisches Um-die-Wette-Rennen oder

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-Fahren, sondern eher an ein martialisches Aufeinandertreffen denken. Entsprechend will dann auch die davon abgeleitete erst mittelalterliche concurrentia und schließlich auch die im 18. Jahrhundert ins Deutsche übernommene „Konkurrenz“ verstanden sein: Da liefern sich jene konkurrierenden Confiseure von schräg gegenüber, bleiben wir beim Bild, nicht einen imaginären spektakulären Tortenlauf, sondern eine imaginäre nicht minder spektakuläre Tortenschlacht; da gehen die Konkurrenten auf dem Schlachtfeld des Marktes kampflustig aufeinander los und schlagen sich ihre Sahnetorten um die Ohren. Und sollte sich einer dieser Konkurrenten je vollends geschlagen geben müssen, so bleibt auch das in der Familie. In der Fachsprache der späteren römischen Juristen konnte sich jenes concurrere auf verschiedene miteinander „konkurrierende“, einander widerstreitende Rechtsansprüche auf ein und dieselbe Sache beziehen, der davon abgeleitete concursus mit dem Genitiv concursūs entsprechend den Widerstreit verschiedener solcher Rechtsansprüche auf ein und dieselbe Sache bezeichnen. In der Neuzeit bedurfte es dann nur noch eines kleinen Bedeutungssprungs, dass dieser fachsprachliche „Konkurs“ von dem Widerstreit der Rechtsansprüche an einen zahlungsunfähigen Schuldner auf die förmlich festgestellte Zahlungsunfähigkeit ebendieses Schuldners selbst überging. Kein Wunder, dass ein in der Rechtssprache unbewandertes, aber immerhin doch lateinkundiges Laienvolk diesen „Konkurs“ in der Folge auch ganz unbildlich, ganz buchstäblich verstand: als das wilde „Zusammenlaufen“ der plötzlich aufgeschreckten Gläubiger, die dem in Konkurs gegangenen Unternehmer alle miteinander die leere Ladenkasse und sich selbst, einer dem anderen, die erhitzten Köpfe einrennen. Auch bei diesem weniger martialischen Aufeinandertreffen liegt ja zwischen dem fröhlichen Miteinander und dem knallharten Gegeneinander nur ein Wechsel der Perspektive.

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Kontrolle Wenn irgendwo in einer abgelegenen öden Gegend zwei westöstliche Rüstungskontrolleure sich bei den Raketensilos treffen, der eine mit der Liste der Raketen, die da stehen sollen, der andere mit der Liste derer, die da wirklich stehen, so sind das richtige „Kontrolleure“, und wenn sie dann die Bestände abzählen, ihre Listen abgleichen und die Posten abhaken, so ist das eine richtige „Kontrolle“ mit Liste und „Gegen-Liste“. Hinter unserer „Kontrolle“ und dem englischen control steht ein seit dem 14. Jahrhundert bezeugter französischer contre-rôle, eine „Gegen-Rolle“, und ein im frühen 15. Jahrhundert daraus zusammengezogener contrôle, dies ursprünglich im Sinne der Zweitausfertigung einer Urkunde oder einer Liste, mit der sich die Erstausfertigung jederzeit überprüfen, eben „kontrollieren“ lässt. Das französische Kopfstück contre-, „gegen-“, weist uns auf das gleichbedeutende lateinische contra zurück. Da kommen uns zunächst das rhetorische „Pro und Contra“, das „Für und Wider“, und das „Kontra-Geben“, das „Gegenworte-Geben“, in den Sinn und weiter eine Reihe geläufiger Fachwörter wie die medizinische „Kontraindikation“, die gegen die Anwendung eines Medikaments sprechende „Gegenanzeige“, der musikwissenschaftliche „Kontrapunkt“, in dem „Punkt gegen Punkt“, „Note gegen Note“ gesetzt ist, oder der kunstwissenschaftliche „Kontrapost“ einer Statue, das ausbalancierte Widerspiel von Standbein und Spielbein. Jüngst ist noch das modische „Kontraproduktive“ hinzugekommen, dieses so gar nicht förderliche, vielmehr hinderliche „Gegenförderliche“. Auch das Stammwort der „Kontrolle“ hat einen lateinischen Hintergrund; in der rôle und der so urdeutsch klingenden „Rolle“ steckt eine Verkleinerungsform der mit unserem „Rad“ sprachverwandten lateinischen rota, die neben einem Wagenrad und einer losen oder festen Rolle hie und

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da auch eine für Schwertransporte eingesetzte Walze bezeichnet. Hier denkt der Zeitungsleser an die mit hundert Walzen rotierende Rotationsmaschine, der Flugbegeisterte an die wirbelnden Rotoren eines Helikopters, der Rotarier an sein 24-zähniges Zahnrad und der Freund Herodots und der Geschichte an die Rota Fortunae, das Riesenrad der Glücksgöttin, das „sich immerfort um und um dreht und nicht zulässt, dass immer dieselben im Glück sind“. Zwei Verkleinerungsformen, ein männlicher rotulus und eine weibliche rotula, sind seit alters nebeneinander gebräuchlich gewesen. Aus dem rotulus ist im Französischen der rôle – und im Alamannischen noch der „Rodel“ – hervorgegangen, aus der rotula im Deutschen die „Rolle“. In der Kanzleisprache des Mittelalters bezeichneten die beiden verkleinernden Formen ein nicht gefaltetes, sondern aufgerolltes Dokument, eine Pergament-Rolle und dann auch eine Papier-Rolle. Danach sprach man früher von einer Bürgerrolle im Sinne einer Bürgerliste und von einer Steuerrolle, im Militär entsprechend von einer Stammrolle, in der Seefahrt von einer Musterrolle. In diesem Wortgebrauch haben der französische contrôle und unsere „Kontrolle“ im Sinne eines Vergleichs von Beständen und Listen, Listen und „Gegen-Listen“ ihren Ursprung. In der frühen Neuzeit hat das wieder auflebende Theater jener „Rolle“ eine neue, zukunfts- und bilderträchtige Bedeutung gegeben. Da schrieben sich die einzelnen Schauspieler ihren Part und ihre Stichworte auf handliche Rollen heraus, die sie bei der Probe bequem in der Linken halten und im Laufe der Szene abrollen konnten. Seither spielt ein Schauspieler auf der Bühne seine tragische oder komische Rolle, spielen wir alle im Leben unsere großen oder kleinen Rollen; seither gibt es Rollenerwartungen und Rollenzwänge, Doppelrollen und Rollenkonflikte. Wer denkt, wenn von Rüstungskontrolle oder von irgendeiner simplen Lagerkontrolle oder Präsenzkontrolle die Rede ist, noch an jene langen Listen und „Gegen-Listen“, Rollen und „Gegen-Rollen“? Wer denkt, wenn die Rolle der Vereinten Nationen in der Welt oder die Rolle der Frau in der modernen Gesellschaft diskutiert wird, noch an die eng beschriebene Textrolle in der Hand des Schauspielers? Das müsste dann schon ein ganz besonderer Wörter-Kontrolleur sein, und bei der Billettkontrolle im Foyer oder der Fahrscheinkontrolle im Zug spielen diese aufgerollten Rollen ja auch wirklich

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und buchstäblich „keine Rolle“ mehr. Eine witzige Schwarzfahrer-Abmahnung in der Münchner U-Bahn hat die eine und die andere Rolle kürzlich noch einmal zusammengebracht. Da zeigte eine Comic-Zeichnung den Kontrolleur und den ertappten Schwarzfahrer in theatralischem Disput, und die Legende darunter lud zu dem großen Auftritt ein: „Einmal im Leben im Mittelpunkt stehen, einmal im Leben die Hauptrolle spielen!“

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Kosmopolit Ein rechter alter Grieche nannte sich mit Namen, Vatersnamen und Bürgerort, also etwa: „Sokrates, Sohn des Sophroniskos, von Athen“. Einmal, im späteren 4. Jahrhundert v. Chr., hat da einer quergeschossen. Auf die Allerweltsfrage, von wo er sei, soll der berüchtigte Diogenes von Sinope, dieser vaterlandslose Rucksackphilosoph, rotzfrech nur dieses eine Wort zurückgeknurrt haben: „Kosmopolítes“, „Weltbürger!“ Ben trovato? Wahrscheinlich schon; aber die Anekdote passt gut zu Diogenes und in jene Alexanderzeit, in der die griechischen Stadtstaaten ihre Eigenständigkeit verloren hatten und die griechische Welt sich gegenüber den persischen „Barbaren“ zu öffnen begann. Mit der Unterwerfung Griechenlands durch den Makedonenkönig Philipp II. im Jahr 338 v. Chr. hatte sich die alte griechische Polis, der „Stadtstaat“ samt Umschwung, endgültig überlebt. Der Siegeszug Alexanders des Großen durch die Weiten des Orients, bis hin zu den Wundern Indiens, hatte Perspektiven weit über die in sich geschlossene Mittelmeerwelt hinaus eröffnet, und mit der Mega-„Hochzeit von Susa“, in der Alexander den makedonischen Adel symbolträchtig mit Töchtern des persischen Adels vermählte, war eine erste Brücke geschlagen über den tiefen Graben zwischen griechischsprechenden Griechen und barbarisch brabbelnden „Barbaren“, bei denen die Griechen nur noch „Bahnhof“ verstanden. In der zukunftsträchtigen Prägung kosmopolítes, „Weltbürger“, haben sich zwei griechische Grundworte zu einem geschliffenen Hieb- und Schlagwort verbunden. Der kósmos lässt uns die Welt, das „All“, mit griechischen Augen sehen: Er bezeichnet eine Ordnung, die ihre eigene Schönheit, und zugleich ebendiese Schönheit, die ihre innere Ordnung hat. Die Neuen Sprachen fassen diese ursprüngliche Ganzheit nicht mehr in eins,

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und so kommt es in unseren Schulwörterbüchern unter dem Stichwort kósmos zu der buchstäblich merk- und lern-würdigen Doppelbedeutung „1. Ordnung, 2. Schönheit“ und in unseren Fremdwörterbüchern zu der verwunderlichen Nachbarschaft von „Kosmos“ und „Kosmetik“. Hinter dem polítes, dem „Bürger“, steht das geradeso geläufige griechische Grundwort pólis, „Stadt, Staat“, dem unser moderner Euro-Wortschatz die „Politik“, den „Politiker“ und überhaupt alles „Politische“ bis hin zur jungen „Politologie“ verdankt, nicht zu vergessen die „Polizei“ und die „Poliklinik“. Auch diese pólis hat im Griechischen eine doppelte Bedeutung: Sie bezeichnet zunächst die auf ihren festen Grund und Boden gegründete „Stadt“, allenfalls mit einer „Akropolis“, einer „Hochstadt“, in ihrer Mitte und einer „Nekropolis“, einer Totenstadt, vor ihren Toren, und sie bezeichnet zugleich den auf seine politeía, seine „Verfassung“, gegründeten „Staat“ mit seinen polítai, seinen „Staatsbürgern“, und seinen politikoí, seinen „Politikern“. In der Philosophie der Stoa hat diese weltoffene Menschheitsidee der Alexanderzeit bald nach Aristoteles ihre feste Verankerung gefunden. In seiner Schrift „Über das höchste Gut und das größte Übel“ legt Cicero dem jüngeren Cato, einem überzeugten Stoiker, hierzu die folgenden wahrhaft „kosmopolitischen“ Gedanken in den Mund: „... dass es geradezu eine allgemeine natürliche Empfehlung eines jeden Menschen an jeden anderen gibt, ja dass ein Mensch einem Menschen allein schon aus dem Grunde, dass er ein Mensch ist, nicht als ein Fremder gelten darf.“ Im Verein mit der dringlichen Verpflichtung, „dass wir das Interesse dieser großen Menschheitsgemeinschaft unserem eigenen Interesse überordnen sollen“, kommt da – frappierend aktuell – jenseits des seit alters geächteten Landesverrats erstmals ein noch schärfer zu ächtender Menschheitsverrat in Sicht: „... und nicht schärfer ist zu tadeln, wer sein Vaterland verrät, als wer das Interesse oder das Wohl dieser großen Menschheitsgemeinschaft preisgibt zugunsten seines eigenen Interesses oder Wohles.“ Von einem schleichenden Klimawandel und entsprechenden Zukunftsängsten war damals noch nichts zu ahnen. Nichtsdestoweniger lässt Cicero seine Darlegung in einem stoischen Postulat gipfeln, das jene weltumspannende Gemeinschaft nicht nur im Raum über alle politischen und kulturellen Grenzen, sondern zugleich in der Zeit über alle Generationen-

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grenzen hinweg erstreckt: „Und da ja der berüchtigte Spruch derer als unmenschlich und verbrecherisch gilt, die sagen, sie hätten nichts dagegen, wenn nach ihrem Tode über alle Länder der Weltbrand hereinbreche – was sie dann gewöhnlich mit einem geläufigen griechischen Vers verkünden –, so trifft gewiss auch die umgekehrte Verpflichtung zu: dass wir auch für die Generationen, die in Zukunft einmal leben werden, um ihrer selbst willen Vorsorge treffen müssen.“

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Kult und Kultur Das Wörternest „Kult, Kultur, Kultus“ in Dudens „Großem Wörterbuch der deutschen Sprache“ hat es in sich. Das reicht von „Kult“ Nummer eins mit seinen antiken Kultstatuen und Kultstätten und „Kult“ Nummer zwei mit seinen postmodernen Kultsängern und Kultbüchern bis zu einem „Kultus“-Ministerium, und dazwischen tut sich über sechs Spalten hinweg ein stichwortreiches, vielfältiges kulturelles Panorama auf: Weit über hundert fettgedruckte „Kultur“-Wörter decken vom Kulturbeutel an aufwärts so ziemlich alles ab, was den Menschen vom Tier unterscheidet. Es ist ein durchaus bodenständiges Wort, das sich in der Folge dann so hoch emporgeschwungen hat: das lateinische Verb colere mit dem Partizip Perfekt Passiv cultus, culta, cultum und den davon abgeleiteten Substantiven, der weiblichen cultura und dem männlichen cultus mit dem Genitiv cultūs. Das Verb hatte die hie und da noch fassbare Grundbedeutung „ein Land bewohnen“ – der incola, der „Einwohner“, erinnert noch daran –, und von da war es nicht weit zu der seit alters geläufigen Bedeutung „das Land bebauen, das Feld bestellen“. Unter dem Zeichen solcher erdverbundener Sorge und Pflege ist das Wort bald in die höchsten Himmelssphären aufgestiegen; in Ciceronischer Zeit konnten die Römer mit diesem einen Verb colere ihr Feld „bestellen“ und ihr Vieh „aufziehen“, ihr Leben „gestalten“, ihren Körper „pflegen“ und „schmücken“, Freundschaften „pflegen“, die Alten „ehren“ und „achten“, die Götter „verehren“ und die Gesetze „hochhalten“. Von den beiden zukunftsträchtigen Ableitungen hat es die cultura in der Antike zunächst nur bis zur agri cultura, zum „Ackerbau“, gebracht. Der Bauer hieß im Lateinischen agricola, „Landbewohner, Landbebauer“, und im Anschluss an die „Agrikultur“ sprechen wir ja bis heute von landwirt-

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schaftlichen „Kulturen“. In seinen „Tuskulanischen Gesprächen“ hat Cicero die Philosophie einmal bildhaft als eine cultura animi angesprochen; doch im klassischen Latein hat dieses einprägsame Bild von einer „Feldbestellung des Geistes“ zunächst noch keine Nachfolge gefunden. Dagegen ist die andere Ableitung cultus mit dem Genitiv cultūs der himmelstürmerischen Bedeutungsentwicklung des Verbs bis zu den „Kulten“ der Götter hinauf gefolgt. Cultus: das Wort bezog sich in der Antike zunächst auf eine sorgliche, pflegliche Landwirtschaft, nun auch inklusive Viehzucht, doch dann weit über Rübenacker und Schweinekoben hinaus auf eine sorgfältige Körperpflege und gepflegte Kleidung, überhaupt auf einen kultivierten, ja luxuriösen Lebensstil, auf eine verfeinerte Geistesbildung und einen geschliffenen Redestil, auf Respekt und Ehrerbietung gegenüber achtbaren Mitbürgern und schließlich auf die Verehrung, den „Kult“, der Götter. Seither hat es zwischen den Wortfeldern von cultura, im Deutschen dann „Kultur“, und cultus, im Deutschen dann „Kult“, einen mächtigen Erdrutsch gegeben. Wohl hauptsächlich um des lautlichen Gleichklangs mit der entsprechend von der lateinischen natura abgeleiteten „Natur“ willen bestellt die „Kultur“ heute das gesamte weiterstreckte jener „Natur“ gegenüberliegende Bedeutungsfeld. Daher rührt die gute Hundertschaft der in Dudens „Großem Wörterbuch“ aufgeführten „Kultur“-Stichwörter, und Cicero hätte wohl seine helle Freude an dem grandiosen späten Siegeszug dieser cultura, der jüngst noch zu einer „Gesprächskultur“ und einer „Streitkultur“, einer „Unternehmenskultur“ und einer „politischen Kultur“ geführt hat. Dem „Kult“ war dagegen nurmehr eine Art Altenteil geblieben, zumal der nichtchristliche, heidnische Götterkult der Antike oder der exotische Götterkult ferner Völker. Der allgemeine Sprachgebrauch unterscheidet ja zwischen heidnischen Götter-„Kulten“ und christlicher Gottesverehrung, heidnischen „Kult“-Handlungen und christlichen Gottesdiensten. Doch neuerdings haben bei diesen alten und fernen Kulten noch die neuen und nahen Kultbands und Kultsänger, Kultbücher und Kultautoren, Kultfilme und Kultregisseure Aufnahme gefunden. Cultura und cultus, „Kultur“ und „Kult“: Im Ganzen ist das ein verwirrliches Bäumchen-wechsle-dich-Spiel; aber macht es nicht Sinn, dass der ekstatische, enthusiastische Dionysos

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und die erotische, köpfeverdrehende Aphrodite mit ihren alten Götterkulten jetzt mit allem, was hier und heute jeweils enthusiastischer, köpfeverdrehender „Kult“ ist, unter ein und dasselbe Stichwort fallen?

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Laïzismus Darf eine islamische Lehrerin oder Schülerin im Unterricht ein Kopftuch tragen? Der in einem Bundesland nach dem anderen aufflammende „Kopftuchstreit“ hat den „Laïzismus“ zum aktuellen Hieb- und Stichwort gemacht. „Weltanschauliche Richtung“, definiert das große Duden-Wörterbuch der deutschen Sprache, „die die radikale Trennung von Kirche und Staat fordert“. Gehen wir am Leitseil dieses Wortes die Jahrhunderte hinauf, so führt uns der französische laïcisme über das Adjektiv laïc zu einem kirchenlateinischen laïcus, zu einem kirchengriechischen laïkós und schließlich zu dem schon Homerischen Substantiv laós, „Volk“. Und gehen wir von jenem kirchenlateinischen laïcus die Jahrhunderte wieder herunter, so kommen wir über ein althochdeutsches laigo und ein mittelhochdeutsches leige oder leie wieder zurück zu unserem geläufigen „Laien“. Das von dem geläufigen Substantiv laós abgeleitete Adjektiv laïkós ist in der vor- und außerchristlichen Antike nur vereinzelt belegt. In der christlichen Literatur begegnet es zuerst in einem griechischen Sendschreiben der römischen an die korinthische Gemeinde aus dem späten 1. Jahrhundert n. Chr., das dem dritten Nachfolger des Apostels Petrus, Papst Clemens I., zugeschrieben wird. In diesem sogenannten „Ersten Clemensbrief“ bezieht sich das Wort auf den „Laien“ in dem bis heute geläufigen kirchlichen Sinne, auf das gewöhnliche Gemeindeglied im Unterschied zu einem priesterlichen Amtsträger. Wie in der griechischen Kirchensprache der frühchristlichen Zeit der laïkós dem klerikós, so steht in der lateinischen Kirchensprache des Mittelalters der laïcus dem clericus, der gewöhnliche „Laie“ dem ordinierten „Kleriker“ gegenüber. Im Anschluss an diesen alten Wortgebrauch spricht die katholische Kirche bis heute von „Laienbrüdern“ und „Laienschwestern“ und sprechen die christlichen Kirchen überhaupt von „Laienpredigern“ und „Laientheologen“.

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In der frühen Neuzeit ist aus diesem „Laien“ im ursprünglichen Sinne des Nicht-Geistlichen allmählich der „Laie“ im allgemeinen Sinne des Nicht-Studierten, Nicht-Gelernten hervorgegangen, den wir leichter Hand zum „vollkommenen, absoluten Laien“ oder nach dem Muster des „blutigen Anfängers“ reichlich drastisch zum „blutigen Laien“ steigern. So sprechen wir etwa von einem medizinischen oder einem juristischen „Laien“, von einem „Laienchor“ oder einem „Laientheater“; hier steht der Laie jeweils dem studierten Mediziner oder Juristen, dem ausgebildeten Chorsänger oder Schauspieler gegenüber. Erst weit jenseits aller Wissenschaft und Meisterschaft sehen wir diesen nicht-studierten, nicht-gelernten Laien und den Professionellen wieder Seite an Seite vor dem einen oder anderen Weltwunder ihre Maulaffen feilhalten: „Da staunt der Laie, und der Fachmann wundert sich.“ Die Weltanschauung des Laïzismus hat ihre Wurzeln in der Aufklärung und zumal in Frankreich, wo der Unterrichtsminister Jules Ferry im späteren 19. Jahrhundert die öffentliche Schule „laïzisierte“. Gegen das geradezu religionsfeindliche Prinzip jenes damals neu postulierten, neu benannten laïcisme, das jegliche Religiosität aus den öffentlichen Schulen zu verbannen suchte, hat sich im frühen 20. Jahrhundert in Frankreich und im übrigen Europa das durchaus religionsfreundliche Prinzip einer wiederum neu postulierten, neu benannten laïcité durchgesetzt, das die Glaubensfragen zur Privatsache erklärt und den Staat zur strikten Neutralität gegenüber allen Religionen verpflichtet. Seither bezieht sich das Schlagwort „Laïzismus“ bei uns allgemein auf eine entschiedene Trennung von Kirche und Staat; erst neuerdings und vereinzelt meldet sich daneben eine eingedeutschte „Laïzität“ im Sinn der französischen laïcité bei uns zu Wort. „Mulier taceat in ecclesia“, fordert eine Paulinische Weisung an die Korinther: „Die Frau schweige in der Gemeinde.“ Der achtbändige Große Duden verzeichnet neben jedwedem fettgedruckten Fachmann superkorrekt durchweg eine gleichermaßen fettgedruckte Fachfrau. Hängt es vielleicht mit dem kirchlichen Ursprung des „Laien“ zusammen, dass die deutsche Sprache dem „Laien“ bis heute keine „Laiin“ zur Seite gestellt hat? Übrigens präsentiert sich auch der Laïzismus in diesem Wörterbuch als eine reine Männerdomäne: mit „Laïzisten“, aber ohne „Laïzistinnen“.

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Liberal Auch ein großes Leitwort kann einmal verstummen: Von der griechischen eleuthería, der „Freiheit“, des 5. Jahrhunderts v. Chr. ist in unserem EuroWortschatz kein Nachhall zu hören. In den romanischen Sprachen und im Englischen lebt die – urverwandte – lateinische libertas fort; aus Paris und New York grüßt sie mit dem Kampfruf „Liberté, Égalité, Fraternité“ und der Statue of Liberty zu uns herüber. Im Deutschen ist die alteuropäische Freiheitsidee in ebendiese „Freiheit“ eingeflossen. Eine in der frühen Neuzeit ausgeprägte „Libertät“ ist bald wieder in Vergessenheit geraten; abgesehen von dem Libero im Fußballfeld und einem Überraschungsgast, der uns nachher die Schlusspointe liefert, ist der lateinische Stamm bei uns fast nur im politischen Wortschatz, im „liberalen“ Denken und im gesellschaftspolitischen, wirtschaftspolitischen „Liberalismus“ gebräuchlich geblieben. „Liberal“: Da hat sich das lateinische Adjektiv liber, „frei“, mit dem Schwanzstück -alis, das eine Zuordnung bezeichnet, zu dem weiteren Adjektiv liberalis verbunden. Das gilt nicht mehr der Freiheit selbst, sondern dem Tugendkatalog, der dem freigeborenen Bürger im Unterschied zum Sklaven zugeordnet ist, oder vielmehr: den diese Freigeborenen sich selbst zugeordnet haben. Kein Wunder, dass die Wörterbücher des 19. Jahrhunderts unter diesem Stichwort allerlei Edles nennen. Der zweibändige klassische Georges verdolmetscht das Adjektiv liberalis als „edel, von edler Art oder Gesinnung, vornehm, anständig, freigebig ...“ und die liberalitas entsprechend als „edle, freisinnige Denk- und Handlungsart, ehrenhafte, edle, wohlwollende Gesinnung, leutseliges Wesen, Güte, Freigebigkeit ...“ Die artes liberales erscheinen da als „Wissenschaften, die sich für einen freigeborenen Menschen schicken (Dichtkunst, Beredsamkeit, Geschichte, Sprachkunde, Philosophie)“; die liberalis forma eines jungen Mädchens erklärt

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sich als eine „edle Gesichtsbildung“, ein liberalis sumptus als ein „Aufwand, wie ihn Ehre und Anstand erfordern“. Eine Komödienszene illustriert die Wortbedeutung über allen Edelmut hinaus. In Terenzens „Brüdern“ hat sich der junge Aeschinus durch eine heimliche Liebschaft in eine heikle Situation gebracht. Es kommt zu einer Aussprache zwischen (Adoptiv-) Vater und Sohn, und gleich anfangs, als Aeschinus sich offenbaren will und seinen Fehler eingesteht, spricht der alte Micio ihm sein Vertrauen aus: „Ich kenne dein ingenium liberale.“ Wie soll man das übersetzen? Fast möchte man mit den alten Wörtern einfach sagen: „... deine liberalen Gene.“ Was dieser Micio meint, wird aus dem Fortgang der großartigen Szene deutlich: dass er seinem Sohn zutraut, seine Verantwortung gegenüber der jungen Frau und dem just an diesem Tag geborenen Kind und nicht zuletzt seine Verantwortung gegenüber sich selbst im doppelten Sinne wahrzunehmen. Liberalis: das bedeutet, dass ein freigeborener Bürger seine angestammte Freiheit recht zu gebrauchen weiß, dass er der Herausforderung dieser Freiheit gerecht zu werden weiß. Das beginnt mit jener derart „liberalen“, einem freien Bürger wohlanstehenden Großzügigkeit, zu der ein Sklave mangels Masse gar nicht fähig wäre, und steigt auf zu dieser derart „liberalen“ Selbstverantwortung im Denken und Handeln, die ohne solche Freiheit gar nicht denkbar wäre. Das Gegenwort „servil“, eigentlich „sklavisch“, und die unterwürfige „Servilität“ haben sich in unserem Fremdwortschatz gehalten; der Stamm der Leitwörter liber und libertas, liberalis und liberalitas lebt über die ja tatsächlich „edle“, hohe Bedeutungsstufe der „Selbstverantwortung“ fast nur im „liberalen“, „freisinnigen“ politischen Denken, im „Liberalismus“ des frühen 19. Jahrhunderts und jüngst noch in der „Liberalisierung“ fort. Fast nur: das ist das Stichwort für den Überraschungsgast, und der kommt mit dem Lieferwagen vorgefahren. Im späten Latein entwickelte das Verb liberare, „befreien“, den Bedeutungsspross „freigeben, ausliefern“, und so erscheint es im Französischen als livrer, im Englischen als deliver, im Deutschen als „liefern“. Die Lieferung ist danach der Befreiungsakt, mit dem sich der Lieferant – da scheint die lateinische Endung noch durch – von seiner Lieferverpflichtung befreit, und die schicke Livree des Liftboys Felix Krull im Pariser „Saint James and Albany“, graues Tuch mit roten Litzen, ist die von Generaldirektor Stürzli „gelieferte“ Montur eines Luftikus.

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Magier „Als Jesus in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes zur Welt gekommen war, siehe, da kamen Sterndeuter aus dem Morgenland nach Jerusalem und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, ihm zu huldigen.“ So lesen wir’s im Evangelium nach Matthäus, am Anfang des 2. Kapitels, in der Übersetzung der neuesten Zürcher Bibel von 2007. Mágoi heißen diese „Sterndeuter“ im griechischen Original, magi in der lateinischen Bibel, „Weise“ in der Übersetzung Martin Luthers. Mit den Priestern der Meder und Perser, die der griechische Historiker Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. als mágoi bezeichnet, haben diese Wallfahrer aus dem Morgenland freilich nicht mehr viel gemeinsam. Inzwischen war das ursprünglich iranische Wort in der griechischen Welt längst zum Allerweltswort für jeglichen „Magier“ von irgendeinem Traum- und Zeichendeuter bis zum dubiosen Zauberkünstler, von einem altersweisen Einsiedler bis zum betrügerischen Jahrmarkts-Scharlatan geworden. Die erstaunliche Weite des Bedeutungsspektrums liegt wohl in der Sache; unsere „Magie“ und überhaupt alles „Magische“ haben sie bis heute bewahrt. „Wir haben seinen Stern aufgehen sehen ...“: Das ließ bereits die frühen Christen an gelehrte Astrologen, babylonische „Sterndeuter“, denken. Doch bei dieser naheliegenden ersten Deutung ist es nicht geblieben. Jesaja hatte vorausgesagt: „Könige werden es sehen und sich erheben, Fürsten – und sie werden sich niederwerfen ...“, und ein Psalm hatte prophezeit: „Die Könige von Tarschisch und den Inseln müssen Geschenke bringen, die Könige von Saba und Seba Tribut entrichten. Vor ihm sollen sich niederwerfen alle Könige, alle Nationen sollen ihm dienen ...“ Im Gedanken an solche Propheten- und Psalmenworte hat der Kirchenvater Ter-

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tullian jene mágoi bereits im 3. Jahrhundert zu mächtigen Königen erhoben. So, als orientalische Herschergestalten, treten uns jene „mágoi aus dem Morgenland“ zunächst in der höfischen römischen und byzantinischen Kunst der Spätantike vor Augen; so schreiten sie in den Mosaiken der alten Palastkirche San Apollinare Nuovo in Ravenna aus dem 6. Jahrhundert n. Chr. eilfertig auf die hoch zwischen vier Engeln thronende Gottesmutter und den Jesusknaben auf ihrem Schoß zu. Den Künstlern des Kaiserreichs war der Bildertypus des exotisch gekleideten, ehrerbietig huldigenden Königs ja bestens vertraut. Und so, als fremdländische Könige in prächtigen Gewändern und mit stattlichem Gefolge, ziehen sie ein Jahrtausend später auf dem Fresko Benozzo Gozzolis in der Kapelle des Palazzo Medici-Riccardi in Florenz und auf zahlreichen weiteren Fresken und Gemälden der Renaissance stolz vor uns vorüber und bringen knieend, wie Jesaja und der Psalm es prophezeit hatten, ihre Gaben dar. In der Folge hat sich die Legende dieser magoi immer weiter ausgewachsen. Bereits im 5. Jahrhundert hatte die Dreizahl der Gaben „Gold, Weihrauch und Myrrhe“ zu einer Dreizahl der Geber geführt; seit dem 8. Jahrhundert unterscheidet man nach Alter und Namen den jungen Kaspar, den reifen Balthasar und den greisen Melchior. In der Folge verstand man die Heiligen Drei Könige zugleich als Repräsentanten der drei alten Erdteile Europa, Asien und Afrika, und seit dem 15. Jahrhundert präsentiert sich der „Afrikaner“ Kaspar durchweg als Schwarzer. So schien in diesen drei Königen die ganze „Ökumene“, die ganze „bewohnte Welt“ gegenwärtig, dem Kind im Stall von Bethlehem zu huldigen. Im 12. Jahrhundert sind die Reliquien der Heiligen Drei Könige durch Kaiser Friedrich Barbarossa als Kriegsbeute aus der Mailänder Kirche S. Eustorgio zunächst in die Kölner Peterskirche und im folgenden Jahrhundert in den Kölner Dom verbracht worden: Dort, am Rhein, sind diese „Sterndeuter aus dem Morgenland“ nun vollends im Abendland angekommen.

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Mai „Im wunderschönen Monat Mai, / als alle Knospen sprangen, / da ist in meinem Herzen / die Liebe aufgegangen ...“ So hat Heinrich Heine in seinem „Lyrischen Intermezzo“ 1822/23 seine junge Liebe besungen. Monatsnamen haben ihren je besonderen Klang: Zum April gehört das wetterwendische Aprilwetter, zum November die Novembertristesse, zum Mai Kirschbaumblüte und Bienengesumm. Kein Wunder, dass der Große Duden unter diesem Monat mit „Maiengrün, Maienluft und Maiennacht“ gleich drei als „dichterisch“ etikettierte Mai-Wörter verzeichnet; kein Wunder auch, dass eine nordländische Volksetymologie die lombardische Metropole jenseits der Alpen, das einstige Mediolanum und heutige Milano, zu einem südlichen, blühenden „Mailand“ erhoben hat. Unsere Monatsnamen sind wie überhaupt unser Julianischer, Caesarischer Kalender allesamt römischen Ursprungs. Die Sommermonate Juli und August haben ihren Namen von dem vergöttlichten Dictator Julius Caesar und seinem politischen Erben Kaiser Augustus; die vom „Siebenten“ bis zum „Zehnten“ einfach durchgezählten Monate von September bis Dezember erinnern an den altrömischen Jahresanfang am 1. März. Die sechs Monatsnamen der ersten Jahreshälfte erklären sich nicht ganz so leicht. Gerade für den „Mai“, lateinisch Maius, waren bereits in der Antike mancherlei verschiedene, einander widersprechende Erklärungen im Umlauf. Als der Augusteische Dichter Ovid in seinen „Fasti“, einem poetischen Festkalender, auf den Mai und die Herkunft seines Namens zu sprechen kommt, gesteht er ohne Umschweife sein Nichtwissen ein und bittet – er ist ja Dichter – die Musen um Auskunft. Die mythologisieren und etymologisieren sogleich munter drauflos: Polyhymnia macht den Mai zum Mo-

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nat der ehrfurchtgebietenden maiestas, der „Majestät“, der Würde des Kapitolinischen Jupiter und der altrömischen Staatsämter. Urania macht ihn zum Monat der ehrwürdigen maiores, der „Älteren“, der Väter und Vorväter, und führt zur Bestätigung an, dass der folgende Juni ja entsprechend den iuniores, den „Jüngeren“, gewidmet sei. Wenn nur die notorisch eifersüchtige Juno das nicht mitgehört hat! Kalliope, als dritte und letzte, macht den Mai zum Monat der griechischen Bergnymphe Maia: Der Götterbote Merkur habe dem Monat zu Ehren seiner Mutter Maia den Namen Maius gegeben. Da wäre der geflügelte Gott seiner Zeit Jahrtausende vorausgeflogen: Offiziell ist der Mai ja erst jüngst zum Muttertagsmonat geworden. Ovid gibt klugerweise allen dreien recht, und auch wir wollen uns mit den Musen nicht in einen Streit einlassen, umso weniger, als die Wissenschaft seither nicht viel klüger geworden ist. Philologen, die im Monatsnamen „Mai“ das sprießende Gras wachsen hören, erklären den Monatsnamen Maius heute am ehesten aus der Wortwurzel mag- für Größe und Wachstum. Darin wurzeln ja auch das lateinische Adjektiv magnus, „groß“, mit dem Komparativ maior und dem Superlativ maximus, das Adverb magis, „mehr“, jene vorher genannte maiestas, eigentlich die „größere“ Würde, und wohl auch der Name einer vereinzelt bezeugten altitalischen Göttin Maia, der man am 15. Mai ein Opfer darbrachte, wohl um des Wachstums des Getreides willen. Freilich: ob der Mai seinen Namen nun von dieser wenig bedeutenden Göttin Maia oder diese Göttin Maia umgekehrt ihren Namen von dem sonstwie benannten Mai erhalten hat oder ob jene wachstumsfreundliche Wurzel mag- diese beiden Namen unabhängig voneinander hat aufsprießen lassen, bleibt für uns im Ungewissen. Aber das müsste ja auch ein unverbesserlicher Mai-Muffel sein, der diese erzakademische Frage in einer linden Maiennacht, wenn alle Menschen Maiglöckchenduft in der Nase, Maikäfergebrumm im Ohr und Heinrich Heines Mailied im Herzen haben, unbedingt noch auseinanderklamüsern wollte! Stellen wir das so gar nicht maienhafte Problem also getrost auf den tristen, grauen November zurück und lassen wir hier lieber Heines Lied vollends ausklingen: „... Im wunderschönen Monat Mai, / als alle Vögel sangen, / da hab ich ihr gestanden / mein Sehnen und Verlangen.“

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Manifest Was ist der Unterschied, wenn die eine große Partei ein Wahl-„Programm“ und die andere große Partei ein Wahl-„Manifest“ präsentiert? Zunächst, dass ein „Manifest“ im Alphabet ein wenig weiter vorn steht, oder auch, wenn wir die Buchstaben einmal nicht in der Tiefe gestaffelt, sondern in der Breite aufgereiht vor uns antreten lassen, stimmigerweise ein wenig weiter links. Und dann, dass das „Programm“ aus dem Griechischen und das „Manifest“ aus dem Lateinischen stammt. Das „Programm“, griechisch prógramma, wortwörtlich übersetzt das „Vorgeschriebene“, erscheint zuerst im 4. Jahrhundert v. Chr. bei Demosthenes und Aristoteles und bezeichnet dort zunächst die Tagesordnung des Stadtrats von Athen. Und das „Manifest“? Das ist alles andere als eben manifest, „eindeutig als etwas Bestimmtes zu erkennen, offenkundig“, wie der Große Duden das Wort erklärt. Das lateinische Adjektiv manifestus begegnet uns zuerst um die Wende vom 3. zum 2. Jahrhundert v. Chr. bei dem Komödiendichter Plautus; es bezeichnet dort einen auf frischer Tat ertappten Täter oder ebendiese frische Tat. Und weil man sich den so überraschten Dieb ganz handgreiflich am Arm oder am Rockschoß gepackt vorstellt, liegt es nahe, in dem ersten Teil des Wortes eine lateinische manus, eine „Hand“, dingfest zu machen. Diese – notabene weibliche – manus mit dem Genitiv manūs ist in unserem Euro-Wortschatz ja allgegenwärtig. Wir finden sie, um aus der Vielzahl der Abkömmlinge nur einige wenige zu nennen, in allem „manuell“ Gehandhabten, in der „Manege“ und im „Manager“, in der „Manipulation“ und im „Manöver“, in der „Manufaktur“ und im „Manuskript“ und zuletzt noch in der jungen „Maniküre“. Wenn wir dieses lateinische manifestus nun mit „handgreiflich“ wiedergeben wollen und hinter dem zweiten Teil dem Wortes so etwas wie ein

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„Zupacken“ oder „Zufassen“ vermuten möchten, so gehen wir damit wohl nicht in die Irre, greifen aber doch ins Leere: dieses -festus, das mit den geheiligten dies festi, den „Festtagen“, und deren Verwandten gewiss nicht das Geringste zu schaffen hat, lässt sich nicht verlässlich deuten. Auch Wörter können sich dem Zugriff ein für allemal entziehen; auch die Sprache hat ihre unaufgeklärten Fälle. In Ciceronischer Zeit hat dieses manifestus seine Bedeutung über den in flagranti ertappten Täter und seine „brennende“ Tat hinaus kräftig ausgeweitet. „So allgemein bekannte, so vorzüglich bezeugte, so erhebliche, so manifeste Tatsachen werde ich vorbringen ...“, wettert Cicero gegen den korrupten Statthalter Verres. Das Zitat markiert den Weg der Übertragung; fortan gilt das Wort allem, was offensichtlich und offenkundig, unzweideutig und unbestreitbar vor Augen steht. Schon das klassische Latein hat aus dem Adjektiv manifestus das Verb manifestare, „(etwas Verborgenes) aufdecken, enthüllen, offenlegen“, abgeleitet, und das Kirchenlatein hat darauf das Substantiv manifestatio im Sinne der christlichen „Offenbarung“ folgen lassen. Später haben die Mediziner von der „Manifestation“, dem „Offenbarwerden“ einer Krankheit, die Juristen von einem „Manifestationseid“, einem „Offenbarungseid“ gesprochen. Aber wenn heute von einem „Manifest“ die Rede ist, denkt jedermann zuerst an das Kommunistische Manifest, das Karl Marx und Friedrich Engels im Winter 1847/48 verfasst und unter dem klassenkämpferischen Ruf „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ veröffentlich haben. In der klassischen Walpurgisnacht in Goethes „Faust“ schnarren die Greifen: „Jedem Worte klingt / der Ursprung nach, wo es sich her bedingt ...“ Für dieses Wort ist das Kommunistische Manifest von 1847/48 zu einem zweiten Ursprung geworden, und der klingt ihm über diese anderthalb Jahrhunderte hinweg bis heute nach, wann immer und wo immer es sich vernehmen lässt.

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Märtyrer Wörter haben wetterwendische Bezüge: Heute denkt der Zeitungsleser, wenn sein Blick in einer Schlagzeile auf das Wort „Märtyrer“ fällt, eher an einen Täter als an ein Opfer, eher an einen islamistischen Selbstmordattentäter als an ein Opfer der Christenverfolgungen. Die Wortgeschichte des „Märtyrers“ beginnt im 8. Jahrhundert v. Chr. in der Homerischen „Ilias“. Ein mártyros, wie das Wort dort lautet, oder ein mártys, wie es im Attischen heißt, ist ursprünglich nichts weiter als ein „Zeuge“ in einem Rechtsstreit, ein martýrion nichts weiter als das „Zeugnis“, das er darin ablegt. Fern am Horizont der Sprachgeschichte ist darüber hinaus noch die allgemeine Grundbedeutung einer „Erinnerung“ auszumachen. Der Vielgötterkult der heidnischen Antike hat niemandem ein Glaubensbekenntnis abverlangt und so auch niemanden zum Märtyrer werden lassen. Zeus und Hera alias Jupiter und Juno und ihre vielköpfige Olympische Großfamilie mit Zweitwohnsitz auf dem römischen Kapitol begnügten sich mit ihren fröhlichen Festen und blutigen Opfern. Anders der eine jüdische und dann christliche Gott, der keinen anderen Gott neben sich duldete und, wo es zum Konflikt mit dem römischen Kaiserkult kam, Bekennermut und Opfermut forderte. Ungezählte Christen, die das heidnische Opfer für den römischen Kaiser verweigerten, haben um dieses Glaubenszeugnisses willen einen qualvollen Opfertod erlitten; für sie ist das martýrion, das Glaubens-„Zeugnis“, zum tödlichen Martyrium und zugleich umgekehrt dieser qualvolle Märtyrertod zum martýrion, zum Glaubens„Zeugnis“, geworden. Bereits die „Offenbarung des Johannes“ aus dem späten 1. Jahrhundert weist auf die Sonderstellung dieser Glaubenszeugen voraus. Da heißt es in der Vision von den sieben Siegeln: „Und als das Lamm das fünfte Siegel

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öffnete, sah ich am Fuß des Altars die Seelen derer, die hingeschlachtet worden waren um des Wortes Gottes willen und um des Zeugnisses – der martyría – willen, das sie abgelegt hatten“, und später in der gleichen „Offenbarung“: „Und ich sah die Seelen derer, die enthauptet worden waren um ihres Zeugnisses – ihrer martyría – für Jesus willen und um des Wortes Gottes willen ... Sie wurden lebendig und herrschten mit Christus, tausend Jahre lang.“ Tausend Jahre mit Christus, ehe schließlich auch die anderen Toten wieder „lebendig werden“ und vor das Weltgericht gerufen werden sollten: Dieser besondere Vorrang machte die Märtyrer zu vielgefragten Fürbittern. Der Ehrentitel eines mártys, lateinisch martyr, ist erst im späteren 2. Jahrhundert aufgekommen. Als erster wurde der hochangesehene Bischof Polykarp von Smyrna, der in den sechziger Jahren des 2. Jahrhunderts das Martyrium erlitt, in einem zeitgenössischen Bericht als ein solcher „Glaubenszeuge“ gerühmt und in seiner Vaterstadt Smyrna, dem heutigen Izmir, als Märtyrer verehrt. In den Christenverfolgungen des 3. Jahrhunderts und vollends in Konstantinischer Zeit verbreitete sich der rasch aufblühende Märtyrerkult im ganzen Römischen Reich. Jeweils am Jahrestag des Todes wurde an den Märtyrergräbern das Abendmahl gefeiert; vielerorts wurden über den Gräbern – wie über dem Petersgrab in Rom – repräsentative Basiliken errichtet. In Menschen wie Dietrich Bonhoeffer und Alfred Delp hat auch die Gegenwart ihre christlichen Märtyrer. Aber in neuerer Zeit hat sich das griechische Wort doch zusehends aus seinen ursprünglichen christlichen Bezügen auf das Glaubens-„Zeugnis“ und den Märtyrertod gelöst. Das Wort „Martyrium“ bezeichnet im heutigen Sprachgebrauch ganz allgemein eine schwere Leidenszeit, fernab jeglicher Zeugenschaft, und eher die Todesangst als den Tod selbst. In der eingedeutschten „Marter“ und den davon abgeleiteten Verben „martern“ und „sich abmartern“ verleugnet das Wort gleicherweise seine ursprüngliche griechische Herkunft und seine hergebrachte christliche Prägung. Und einzig eine frische Blutspur markiert den jüngsten Seitenweg des Wortes zu den selbsternannten extremistischen „Märtyrern“, die sich mit massenmörderischen Selbstmordanschlägen eine ewige Seligkeit zu erbomben wähnen.

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Medaille Alle vier Jahre, nachdem der olympische Medaillensegen vollends ausgeschüttet, die glücklichen Gewinner gehörig gefeiert, die enttäuschten Verlierer fürs Erste getröstet sind, alle vier Jahre nach soviel neu registrierten Höchstleistungen, soviel neu geschriebener Sportgeschichte kommt wieder die rechte Zeit für diese neu geschriebene Wortgeschichte. Sie kommt all denen zupass, die da wegen ein, zwei oder drei lächerlicher Hundertstelsekunden nur die Vierten, Fünften oder Sechsten geworden sind. Denn was die glückstrahlenden Ersten, Zweiten und Dritten da um den Hals gehängt bekommen, die „Medaille“, ist eigentlich doch nur ein Bröckchen Urgestein. Das Urgestein, aus dem die Sprachgeschichte alle diese goldenen, silbernen und bronzenen „Medaillen“ ausgeschmolzen hat, ist das griechische métallon, das uns zuerst im 5. Jahrhundert v. Chr. bei Herodot begegnet und im Altgriechischen noch nichts speziell „Metallisches“ bedeutet; das Wort bezeichnet allgemein irgendein Bergwerk oder irgendeinen Tagebau, ein Salzbergwerk oder einen Marmorsteinbruch geradeso wie ein Eisen- oder ein Kupferbergwerk, eine Gold- oder eine Silbermine. Herkunft und Grundbedeutung dieses alten métallon bleiben im Dunkel der Bergwerksstollen verborgen. Im Griechischen ist das Wort ein Fremdling; wahrscheinlich haben die Griechen es bei ihrer Einwanderung bei den alten Gruben vorgefunden und dann mitsamt der metalliké téchne, der „Bergwerkstechnik“, der früheren Betreiber in ihre Sprache aufgenommen. Eine frühe Ableitung hat sich bei Homer erhalten, das Verb metallán, das wohl eigentlich ein bergmännisches „Nachgraben, Nachschürfen“ bezeichnet hatte und dann in der epischen Sprache zum Wort für ein eindringliches „Nachforschen, Nachfragen“ geworden ist. Zu der zukunftsträchtigen Übertragung des Wortes von den Abbaustätten auf das darin abgebaute Gestein und das daraus gewonnene „Metall“ ist es

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erst im Lateinischen und auch dort erst ganz allmählich gekommen. Im späteren 1. Jahrhundert v. Chr. beziehen die Augusteischen Dichter Vergil und Horaz das kostbar griechisch gleißende, lediglich in der Endung latinisierte metallum in dichterischer Bildersprache zunächst auf die edlen Metalle Gold und Silber. Im späteren 1. Jahrhundert n. Chr. finden wir das Wort in der „Naturgeschichte“ des älteren Plinius noch auf die Kreide, in einem Epigramm Martials noch auf den Marmor bezogen. Um die gleiche Zeit erklärt der Historiker Tacitus, Britannien fördere „Gold, Silber und andere Metalle“, und in diesem Sinne hat sich die Bedeutung in der Folge fortentwickelt. Seither hat das altsprachliche métallon alias metallum durchweg den metallischen Klang von Gold und Silber, Bronze und Eisen angenommen; in den Neuen Sprachen klingt dem Wort von einem „Bergwerk“ oder gar von einem „Steinbruch“, von „Kreide“ und „Marmor“ nichts mehr nach. Damit ist hier zunächst das griechische und lateinische mehr oder weniger edle „Metall“ zu Tage gefördert, aus dem die Sprache diese neusprachlichen Olympischen „Medaillen“ geprägt hat. Die letzte Etappe vom lateinischen metallum zu unserer „Medaille“ führt über das Missing Link einer spätlateinischen metallia (moneta), einer „metallischen (Münze)“, zu der italienischen medaglia und schließlich zu der französischen, seit dem 16. Jahrhundert auch im Deutschen eingebürgerten „Medaille“. Ein Nebenweg führt hier über die italienische Vergrößerungsform medaglione zu dem französischen, seit dem 18. Jahrhundert auch bei uns heimisch gewordenen „Medaillon“ im Sinne eines um den Hals getragenen kleinen, runden, edel eingefassten Bildnisses: „Dies Bildnis ist bezaubernd schön ...“ Nach den Olympischen Spielen ist, nach der paradoxen Formel, allemal vor den Olympischen Spielen, und so schweift der Blick an dieser Stelle von den medaillentrunkenen Siegesorgien zu der medaillenträchtigen Athletendiät fürs nächste Mal hinüber: zu den nun gar nicht mehr bergmännischen, gar nicht mehr metallischen, einfach nur medaillengroßen, medaillenrunden Rinds- oder Kalbsmedaillons. Medaillen und Medaillons, Medaillons und Medaillons: Unbekümmert um hehre Gefühle, um Siegerstolz und Liebesglut, springt die Sprache von einem zum anderen, und selbst der Sprung vom Goldmedaillon mit dem Bildnis der Geliebten zum Schweinsmedaillon mit Kräuterbutter ist da nur ein kleiner Schlenker.

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Meteorologie Die Meteorologen, diese klugen Wetterfrösche, lassen Abend für Abend die Hochs und Tiefs mit ihren männlichen und weiblichen Spitznamen über die Bildschirme wandern; sie sagen uns voraus, wann die Sonne scheint und wann es Hunde und Katzen regnet, wie warm es am Tag und wie kalt es in der Nacht wird, wo es blitzt und donnert, aus welcher Richtung und in welcher Stärke die Winde wehen, wo Sturm aufkommt und wo es die vielzitierten legendären Taubeneier hagelt. Eigentlich sollten die Meteorologen ja wohl auch für Meteoritenschauer und Meteoritenschwärme zuständig sein, aber welcher Meteo-Wetterfrosch hat je einen Meteoritenschwarm oder auch nur einen Sternschnuppenschwarm angekündigt? Vor zweieinhalb Jahrtausenden waren die Dinge noch nahe beieinander. Da bezeichnete das griechische Adjektiv metéoros alles hoch in der Luft, hoch über der Erde „Hängende, Schwebende“, und da bezog sich die summarische Formel ta metéora, „das (über der Erde) Hängende, Schwebende“, noch gleicherweise auf Sonne, Mond und Sterne, Wolken, Blitz und Donner. In den Augen der großen Menge hing der Beschäftigung mit diesen metéora damals noch etwas sträflich Gotteslästerliches an. Der Sonnengott Helios und die Mondgöttin Selene genossen kultische Verehrung; als der Naturforscher Anaxagoras in den dreißiger Jahren des 5. Jahrhunderts v. Chr. die Sonne als einen glühenden Eisenball und den Mond als eine schrundige Steinkugel bezeichnete, drohte ihm in Athen eine Anklage auf Leben und Tod. Wenig später machte der Komödiendichter Aristophanes diese heiklen, heiß diskutierten metéora in seinen „Wolken“ zum Gegenstand einer bis heute köstlich zu lesenden Wissenschaftspersiflage; darin präsentierte er einen fiktiven „Meteorosophisten“ namens Sokrates in der komischen Pose eines Sternenguckers in der Hängematte, wie der an die-

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sem sozusagen selbst „meteorischen“ Forschungsplatz seinen absonderlichen „meteorischen“ Spintisierereien nachgeht. Das blieb haften; noch ein Vierteljahrhundert später, 399 v. Chr., figurierte der Anklagepunkt „Erforschung der metéora“ in der Anklageschrift gegen den historischen Sokrates. Die Substantive meteorológos und meteorología finden sich zuerst im späten 5. Jahrhundert v. Chr. bei dem Rhetor Gorgias und dann im 4. Jahrhundert bei Platon. Eine Zeitlang liefen die damals neu aufkommenden Bezeichnungen astronomía oder auch astrología, „Lehre von den Sternen“ und meteorología, „Lehre von den Dingen über uns“, noch fast gleichbedeutend nebeneinander her. Erst Aristoteles hat die astronomía eindeutig den ewiggleich kreisenden Himmelssphären über dem Mond und die meteorología der vielfältig bewegten Erdatmosphäre unter dem Mond zugewiesen. Es war gewiss in seinem Sinn, dass die Astronomen des 17. Jahrhunderts die in der Atmosphäre verglühenden, allenfalls auch sie durchschlagenden Meteore oder Meteoriten zu den „meteorologischen“ Erscheinungen zählten und entsprechend benannten. So ist die althergebrachte atmosphärische Nachbarschaft von Wind und Wetter, Blitz und Donner, Meteoren und Meteoriten in der Wissenschaftssprache bis heute bezeugt; aber eben: Aus der Wetterfroschperspektive der neuzeitlichen Meteorologen sind die Meteore schon längst nicht mehr im Blick, und um eines Meteoriten- oder Sternschnuppenschauers willen würden wir ja auch keinen Regenschirm einpacken. Übrigens hat die Meteorologie neben ihrem griechischen Namen auch ihr klassisches Maskottchen aus der Antike ererbt. Schon die alten Griechen hatten dem Laubfrosch den sprechenden Spitznamen mántis, „Seher“, gegeben. Cicero zitiert einmal einen griechischen Vers, der den Laubfrosch als Wetterpropheten rühmt, und knüpft daran die Frage: „Wer könnte in diesen Feld-Wald-und-Wiesen-Fröschen solche Sehergabe vermuten? Aber tatsächlich haben diese Frösche, so klein sie sind, ein natürliches Vermögen, den Wetterwechsel vorherzusagen. Die Sache selbst ist verlässlich bestätigt, auch wenn wir Menschen sie nicht verstehen.“

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Musik Ein Fach, ein Wort unter Dutzenden von Wissenschaftsbezeichnungen gleicher Prägung: Wie die „Grammatik“ und die „Rhetorik“, die alte „Physik“ und die junge „Informatik“, so geht die „Musik“ auf ein griechisches Adjektiv auf -ikós in Verbindung mit dem griechischen Substantiv téchne, „(erlernbares) Können; Handwerk, Wissenschaft, Kunst“, zurück. Der Weg aus den Alten in die Neuen Sprachen ist da allemal der gleiche: In unserem Fall ist aus einer griechischen, zuerst im 5. Jahrhundert v. Chr. bei Pindar und Herodot belegten musiké (téchne), der „musischen (Kunst)“, über eine lateinische musica (ars) im Italienischen die musica, im Französischen die musique, im Englischen ein sächliches music und im Deutschen die „Musik“ geworden. Das weibliche Geschlecht aller dieser Fremdwörter auf „-ik“ geht auf die griechische téchne zurück; die Betonung auf der letzten Silbe hat die „Musik“ aus dem Französischen ins Deutsche mitgebracht. In neuerer Zeit ist dieser Ausgang auf „-ik“ auch auf lateinischstämmige Wissenschaftsdisziplinen wie die „Informatik“ übergesprungen. Im klassischen griechischen Bildungskanon war die nach den drei oder dann neun Musen benannte musiké téchne, die „musische Kunst“, das Gegenstück zu der im Griechischen unerschrocken so bezeichneten gymnastiké téchne, der sportlichen „Nacktkunst“. Über den engeren Bereich unserer „Musik“ hinaus schloss die geistige Bildung jener „Musenkunst“ in der Antike noch die epische, lyrische und dramatische Dichtung und den Tanz der lyrischen, tragischen und komischen Chöre ein. Dieser ursprüngliche, weitere Bereich der alten „Musenkunst“ ist in unserer Sprache einzig noch in dem Begriff des „Musischen“ bewahrt. Die „Musik“ erstreckt sich ja wahrhaftig auch heute über ein schier unüberschaubar weites Feld; aber nehmen wir die „musische“ Begabung, die „musische“ Bildung, den „musi-

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schen“ Menschen zum Maßstab, so wird deutlich, welche Einengung jene altgriechische musiké in unserer „Musik“ erfahren hat. Das griechische Substantiv museíon, das unserem „Museum“ zugrundeliegt, bezeichnet eigentlich ein Musenheiligtum; man verehrte die Musen in der Regel in der freien Natur, an einem schlichten Altar bei einer Quelle oder bei einem Baum. Platons „Akademie“, die älteste der vier Athener Philosophenschulen, hatte die Rechtsform einer Kultgemeinschaft zu Ehren der Musen, und nach ihrem Beispiel genossen die Musen in vielen Philosophen- und Rhetorenschulen der Antike kultische Verehrung. Die berühmte, im frühen 3. Jahrhundert v. Chr. gegründete Bibliothek von Alexandria hieß geradezu Museíon, „Musenheiligtum“, und das mit bestem Recht: sie war es ja, die mit ihren unvergleichlichen Bücherschätzen und ihrer philologischen Wissenschaft das musische Vermächtnis der klassischen Zeit für Mitwelt und Nachwelt bewahrte. Von diesem Alexandrinischen Museíon, lateinisch Museum, haben die neuzeitlichen Museen ihren Namen. Und ein menschlicher, allzu menschlicher blindwütiger Sammeleifer, der allerlei Urväterhausrat in Depots und Vitrinen stopft, hat es schließlich dahin gebracht, dass die göttlichen Musen jenseits von allem „Musischen“ zu übler Letzt auch dem nach Staub und Spinnweben schmeckenden „Musealen“ ihren Namen leihen mussten. Für die Bildenden Künste waren die Musen in der Antike eigentlich nicht zuständig. Aber es lag verführerisch nahe, eine in der römischen Kaiserzeit vereinzelt bezeugte Bezeichnung museum oder musivum (opus) für ein Fußbodenmosaik auf die Musen zu beziehen und solch eine „Mosaik“-Arbeit als ein „Musen“-Werk zu verstehen. Der Ursprung dieses lateinischen museum oder musivum liegt für uns im Dunkeln; nur sein weiterer Weg zu einem italienischen mosaico, einem französischen mosaïque und schließlich einem deutschen „Mosaik“ ist klar ausgeschildert. Wahrscheinlich stammt das Wort weder aus dem Griechischen noch aus dem Lateinischen; die Buchstaben-Steinchen dieses wirklich fremden „Mosaiks“ bleiben ein unlösbares Puzzle.

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Nano- und TeraFrühfranzösisch oder Frühenglisch? Oder Frühfranzösisch mit Frühenglisch? Unsere Erstklässler haben sich längst entschieden: für Frühenglisch mit Frühgriechisch. Ihre Wertskala für alles, was dem Herzen einheizt und das Blut doch kalt lässt, lautet „cool, cooler, megacool“, und wer weiß, vielleicht bald „gigacool“ und schließlich „teracool“. Auch Wörter haben ihre Schicksale: Wie dieses „mega-“ neuerdings auf den Schulhöfen und in Diskoschuppen wiederauflebt und seinen alten griechischen Landsleuten „Schule“ und „Disko“ fröhlich zuzwinkert, so ist das gleichfalls griechische „Nano-“ für das Reich des Kleinsten jüngst aus einem zweitausendjährigen Lexikonschlaf erwacht. Von „Kilo-“ zu „Mega-“, von „Mega-“ zu „Giga-“, von „Giga-“ zu „Tera-“ steigt das moderne Maßsystem die Leiter der Zehnerpotenzen hinauf. Kilometer und Kilogramm konnte man 1795 in Paris noch nach dem griechischen Zahlwort chílioi, „tausend“, benennen. Doch mit dem folgenden mýrioi, das über die „zehntausend“ hinaus zugleich auch schon „unzählig“ bedeutete, war das Griechische mit seinen Zahlwörtern am Ende. Für das tausendmal Tausendfache ist zunächst das Adjektiv mégas, „groß“, mit dem schon Homerischen und bis heute jugendfrischen Kopfstück „Mega-“ eingesprungen; das Weitere hat die moderne Wissenschaft dem griechischen Mythos entlehnt. Die riesenhaften Giganten, diese urtümlichen Ausgeburten der Erde, die der Mythos mit unbändigen Kräften ganze Berge aufeinandertürmen und so bäumeschleudernd den Olymp bestürmen lässt, stehen mit einem zurechtgestutzten „Giga-“ (statt giganto-) für die Zehn hoch Neun. Das ähnlich verhackstückte, auf zwei Silben verkürzte „Tera-“ (statt terato-) für die Zehn hoch zwölf, nach dem griechischen téras, „Ungeheuer, Monster“,

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führt uns vollends in das Horrorkabinett des griechischen Mythos: zu dem abgeschlagenen Haupt der Gorgo, zu dem dreiköpfigen Kerberos, zu der menschenfressenden Sphinx. Wie die Abertausende haben in dieser Skala auch die Abertausendstel ihre Spitznamen, und die Kopfstücke für die positiven Exponenten finden sich in denen für die negativen Exponenten durchweg symmetrisch gespiegelt. Dem „Kilo-“, „Tausend-“, entspricht das lateinische „Milli-“, gleichfalls „Tausend-“, für die Zehn hoch minus Drei; dem „Mega-“, „Groß-“, steht das wiederum griechische „Mikro-“, „Klein-“, für die Zehn hoch minus Sechs gegenüber. Und die Giga-Riesen, spiegeln die sich nun in Nano-Zwergen? So ist es tatsächlich; die Nano-Wissenschaften sind „Zwergen“-Wissenschaften. Der griechische Mythos erzählt allerhand Putziges von den Pygmäen, einem südlich von Ägypten lokalisierten Zwergenvolk, und ihren komischen Schlachten gegen die dort überwinternden Kranichheere. Doch ein „Nano-“, nach dem gleichbedeutenden nános, „Zwerg“, fügte sich glatter in die Reihe dieser durchweg zweisilbigen Kopfstücke. Das seltene, fast nur bei Aristophanes und in der Aristotelischen Zoologie belegte Wort war weithin in Vergessenheit geraten; heute ist es zum Herold einer zukunftsträchtigen Nano-Technologie geworden, und die medizinischen und sonstigen Nano-Roboter präsentieren sich mit reizvollem Bezug als zwergenhaft winzige, zwergenhaft werkelnde Heinzelmännchen. Wie lang oder vielmehr wie kurz ist ein Nanometer, dieses Tausendstel eines Tausendstels eines tausendstel Meters? Das ist angesichts der Größe unserer Zeigestöcke schwer zu zeigen. Aber das Licht, das pünktlich vor gut acht Minuten die Sonne verlassen hat, um jetzt auf diese aufgeschlagene Buchseite zu fallen, braucht von da bis zum Auge des geneigten Lesers – je nach dem Neigungsgrad – ziemlich genau gut oder knapp eine Nanosekunde. „Megacool“, werden die Jüngeren dazu sagen, vielleicht bald „gigacool“ und schließlich „teracool“, und da könnten diese alten Landsleute „Nano-“ und „Tera-“ über 21 Zehnerpotenzen hinweg wieder ein fröhliches Augenzwinkern wechseln.

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Opposition Wer in dem großformatigen, schwergewichtigen „Oxford Latin Dictionary“ der Wortgeschichte der „Opposition“ nachspürt, stößt überraschenderweise auf eine Fehlanzeige; ein Stichwort oppositio figuriert darin nicht. Das politische Leben der römischen Republik kannte natürlich politische Freunde und Gegner, die althergebrachten Gegensätze zwischen den patrizischen und den plebejischen Geschlechtern und die unversöhnlichen Parteikämpfe zwischen den sogenannten „Popularen“ und „Optimaten“; aber der lateinische Begriff der „Opposition“, der heute weltweit zum Abece und Einmaleins der politischen Kultur gehört, hätte Cicero und seinen Zeitgenossen nichts bedeutet. Immerhin verzeichnet der Oxforder Achtpfünder ein aus dem Kopfstück ob-, „entgegen-“, und dem Verb ponere, „setzen, stellen, legen“, zusammengesetztes opponere, und gleich der erste dazu angeführte Beleg zeigt, wie grob solch ein beinhartes „Entgegensetzen“ dem unbildlich Betroffenen in die Rippen fahren kann und wie fein sich mit dem Opponieren gegen das Opponieren Liebesbande knüpfen lassen: Da empfiehlt Ovid, der Geliebten im Circus Maximus allerlei kleine Aufmerksamkeiten zu erweisen, ihr etwa angeflogenen – oder auch nicht angeflogenen – Staub vom Gewand zu schütteln und zumal darauf zu achten, dass ja kein Raubein in der Sitzreihe dahinter ihr mit „entgegengesetztem Knie“, „opposito genu“, in den zarten Rücken stoße. Im Übrigen reicht das Spektrum dieses klassisch-lateinischen „Opponierens“ von der lockeren Handbewegung, die eine Zärtlichkeit abwehrt, bis zum waffenstarrenden Bollwerk, das einem Feind den Weg verlegt, und im übertragenen Sinn von einer grobklotzig einschüchternden Drohung bis zu einer kunstgerecht geschliffenen Rede. Aber wieviel auch Patrizier und Ple-

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bejer, Optimaten und Popularen und schließlich die tödlich verfeindeten Bürgerkriegsparteien einander damals an Waffen und Worten entgegengesetzt, -geworfen und -geschleudert haben, für eine oppositio hatte selbst der prägefreudige Cicero noch keinen Prägungsbedarf. Seinen ersten unscheinbaren Auftritt hatte das Wort bei einem spätantiken Rhetor ungewisser Zeit namens Julius Rufinianus, als lateinisches Fachwort für die griechische antíthesis, die Gegenüberstellung zweier Wörter in entgegengesetzter Bedeutung, und zugleich für die griechische anthypophorá, die Vorwegnahme eines zu erwartenden gegnerischen Arguments. Erst in der Neuzeit ist das Wort so recht zu Wort gekommen. Mit der Kopernikanischen Astronomie ist die „Opposition“ im Sinne eines „Gegenscheins“ in die Planetensphären aufgestiegen, mit dem Gegenüber von Her Majesty’s Government und Her Majesty’s Opposition ist sie in England in die Parlamente eingezogen, und seit der Französischen Revolution ist diese „Opposition“ vollends zu einem weltweit geläufigen Leitwort der politischen Kultur geworden. Unter dem Datum des 9. Juli 1827 berichtet Johann Peter Eckermann von einem abendlichen Gespräch zu dritt in Goethes Haus am Frauenplan, wo Kanzler Friedrich von Müller aus „öffentlichen Blättern“ erzählt und nach allerhand Heiterem von widerwärtigen Menschen und tröstlicherweise noch widerwärtigeren Affen auf die „neuesten Zustände zwischen der Oppositions- und der Ministeriellen Partei zu Paris“ und das dort erlassene „einschränkende Pressgesetz“ zu sprechen kommt. Das gibt Goethe Anlass zu der Bemerkung: „Eine Opposition, die keine Grenzen hat, wird platt. Die Einschränkung aber nötigt sie, geistreich zu sein, und dies ist ein großer Vorteil. Direkt und grob seine Meinung herauszusagen, mag nur entschuldigt werden können und gut sein, wenn man durchaus recht hat. Eine Partei aber hat nicht durchaus recht, eben weil sie Partei ist ...“ Spät am Abend begleitete Eckermann den Kanzler noch zu seiner Wohnung. „Es war ein schöner Abend, und wir sprachen im Gehen viel über Goethe. Besonders aber wiederholten wir uns gerne jenes Wort, daß eine Opposition ohne Einschränkung platt werde.“

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Palme und Dattel Das Wort „Palmsonntag“ ruft mancherlei Bilder in uns wach: wie Jesus auf dem Esel, dem „Palmesel“, auf das Stadttor von Jerusalem zureitet; wie die jubelnde Volksmenge Gewänder und Palmzweige vor ihm auf die Straße breitet, wie manche Schaulustige auf die Bäume steigen, um nur ja nichts zu versäumen. Die Evangelisten Matthäus und Marcus lassen die Leute einfach „Zweige“ von den Bäumen oder auf den Feldern schneiden; erst Johannes gibt ihnen „Palmzweige“ in die Hand: „Als am Tag darauf die große Volksmenge, die zum Fest gekommen war, hörte, dass Jesus nach Jerusalem komme, nahmen sie die Palmzweige und zogen hinaus, ihn zu empfangen ...“ Im Griechischen heißt die Palme phoínix, die „Phönizierin“, so zuerst im späten 8. Jahrhundert v. Chr. in der Homerischen „Odyssee“, wo der schiffbrüchige, an die Küste der Phäaken verschlagene Odysseus die Königstochter Nausikaa mit der heiligen Palme auf Delos vergleicht, und so auch noch acht Jahrhunderte später bei dem Evangelisten Johannes, wo die Volksmenge den in Jerusalem einziehenden König der Juden mit den zum Fest geschnittenen und aufgestellten Palmwedeln begrüßt. Und wieder viele Jahrhunderte später hat Linné die Dattelpalme in seiner lateinischen Systematik mit ihrem griechischen Namen Phoinix dactylifera genannt, die „datteltragende Phönizierin“. Auch unser Wort „Palme“ kommt aus dem Griechischen; aber da geht es nicht um die Heimat des Baumes und die Herkunft der Früchte, sondern um die Form der Blätter. Die Griechen hatten zwei – bei Homer noch fast unterschiedslos nebeneinander stehende – Wörter für die „Hand“: das geläufige Wort cheir und das seltenere poetische Wort paláme. Die cheir ist in unserem Euro-Wortschatz durch den „Chirurgen“ vertreten, wörtlich:

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den „Handwerker“ unter den Ärzten, der dem Patienten handgreiflich zu Leibe rückt; aus der paláme ist im Lateinischen die palma und im Deutschen die „Palme“ geworden. Das bildhafte Wort hat offenbar zunächst das gefächerte Blatt der Zwergpalme als eine vielfingrige ausgespreizte „Hand“ angesprochen und ist dann erst auf das gefiederte Blatt der Dattelpalme und schließlich auf den ganzen Baum übertragen worden. Wie hieß das eben noch in Linnés Systematik: Phoinix dactylifera, die „datteltragende“ oder eigentlich im Deutschen: „fingertragende Phönizierin“? Hat diese schöne Phönizierin nicht nur „Hände“ als Blätter, trägt sie zugleich noch „Finger“ als Früchte? Tatsächlich kann das griechische Wort dáktylos sowohl einen „Finger“ als auch eine „Dattel“ bezeichnen, und tatsächlich hat man den Namen der Dattel in der Antike allgemein im Sinne eines „Fingers“ verstanden. Aber hier haben wir es wohl mit einer sogenannten Volksetymologie zu tun. Wahrscheinlich hat man da ein semitisches Wort für die Dattel, einen alten Verwandten des arabischen daqal, zu einem griechischen dáktylos zurechtgeschneidert und -geschustert, und allenfalls mochte man in der länglichen Dattel ja auch einen länglichen Finger erkennen. Von diesem dáktylos, lateinisch dactylus, aus ist der Weg in die Neuen Sprachen dann wieder klar ausgeschildert; im Deutschen führt er über einen althochdeutschen dahtil(boum) und eine mittelhochdeutsche tatel oder datel. Wie bei den Olympischen Spielen der Antike der Ölbaumzweig und bei den Delphischen oder Pythischen Spielen der Lorbeerzweig, so dienten sonst in der griechischen und der römischen Welt vielfach Palmzweige als Siegeszeichen und Siegespreise, und in der christlichen Kunst der Spätantike bezeugen Palmen und Palmzweige den Sieg der Märtyrer über Tod und Hölle. Wenn der Evangelist Johannes in seinem Bericht vom Einzug Jesu in Jerusalem die Volksmenge nicht einfach irgendwelche „Zweige“ vor Jesus auf den Weg streuen, sondern sie mit „Palmzweigen“ in den Händen vors Tor hinausziehen lässt, so deutet er mit diesem Siegessymbol hier bereits auf die Auferstehung Jesu am siebenten Tag nach diesem „Palmsonntag“ voraus.

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Pandemie Wenn heute von einer „Epidemie“ oder einer drohenden „Pandemie“ die Rede ist, denken wir an alte und jüngste Menschheitsplagen: an die Pest, deren ominöser, seit dem altrömischen Dichter Ennius bezeugter lateinischer Name pestis Tod und Verderben fürchten lässt, an die Pocken mit ihren „buckeligen“ Bläschen, an die unversehens zupackende, „zugreifende“ Grippe und die nach dem gleichen harten Griff benannte Vogel„Grippe“ oder schließlich an die jüngste Menschheitsplage Aids, in deren Namen ein anglolateinisches, anglogriechisches Adopted immune deficiency syndrom abgekürzt ist. Aber das sind neuzeitliche Assoziationen; wenn im alten Athen die „Epidemie“ einer prominenten Persönlichkeit oder sonst eine „pandemische“ Lustbarkeit angekündigt war, wollte jeder dabei sein und sicherte sich sein Plätzchen. „Epidemie“ und „Pandemie“ sind griechische Geschwister. Die „Epidemie“ ist zusammengesetzt aus dem Kopfstück epí- in der Bedeutung „auf-, bei-“, das auch im „Epigramm“ oder im „Epizentrum“, dem auf die Erdoberfläche projizierten Erdbebenzentrum, vorneweg geht, und aus dem Substantiv démos, „Volk“, das uns aus der „Demokratie“ oder der „Demagogie“, der „Volksverführung“, geläufig ist. Die griechische epidemía bezeichnete einen Aufenthalt „bei einem Volk“, in einer Stadt, so im klassischen 5. Jahrhundert v. Chr. etwa das Gastspiel eines griechischen StarRhetors oder später den Besuch eines römischen Kaisers. Hätte das Wort seine ursprüngliche Bedeutung über die Jahrtausende hinweg bewahrt, sprächen wir heute wohl von der „Epidemie“ einer Girl-Group, die gerade Kult ist, oder eines prominenten Nobelpreisträgers. Nun gibt es willkommene und unwillkommene Gäste, und so konnte diese epidemía bald auch den durchaus unerwünschten Gastaufenthalt ei-

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ner landauf, landab von einem Ort zum anderen durchziehenden, in einer Stadt umgehenden, grassierenden Krankheit bezeichnen. In diesem übertragenen medizinischen Sinne einer „in der Stadt eingekehrten, auf der Stadt lastenden“ Krankheit ist bereits in medizinischen Schriften des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. hie und da von einer epidemía die Rede. Eine Sammlung minutiös von Tag zu Tag aufgezeichneter Krankengeschichten aus dem späten 5. oder frühen 4. Jahrhundert v. Chr., deren älteste wohl noch auf Hippokrates selbst zurückgehen, trägt sogar den Titel „Epidemíai“, sozusagen „Heimsuchungen“. Wohl vor allem um dieses Titels willen ist die im Griechischen und im Lateinischen gleichlautende epidemia in der Renaissance zum geläufigen Fachwort für eine grassierende Infektionskrankheit geworden. Ein eingedeutschtes „epidemisch“ begegnet bereits im 16. Jahrhundert bei dem erklärten Lateinmuffel Paracelsus, der in Basel in seiner deutschen Muttersprache Vorlesung hielt und einmal frank und frei bekennt, „dass ich mich keiner Rhetorik noch Subtilitäten berühmen kann, sondern nach der Zungen miner Geburt und Landes spreche, der bin ich von Ainsiedeln, des Lands ein Schweizer“. Aber im Übrigen sprachen und schrieben die Mediziner der subtileren akademischen Art weiterhin lateinisch; erst im 18. Jahrhundert ist eine eingedeutschte „Epidemie“ in unsere Sprache eingegangen. Und die „Pandemie“? Da geht das Kopfstück pan-, „all-, ganz-“, voraus; das griechische Adjektiv pandémios oder pándemos bezeichnet in klassischer Zeit etwa einen „für das ganze Volk“ ausgeschriebenen Wettkampf oder ein „für das ganze Volk“ ausgerichtetes Festmahl. Und wie der große Hippokrates von „Epidemien“ spricht, die in einer Stadt einkehren, so spricht der große Galenos sechshundert Jahre später im gleichen Sinn von „Pandemien“, die das ganze Volk befallen. Im Gefolge der Hippokratischen „Epidemien“ sind im 18. Jahrhundert dann auch die Galenischen „Pandemien“ zum Terminus technicus für die verheerenden Epidemien geworden, die nicht nur eine einzelne Region heimsuchen, sondern in einem ganzen Land, in einem ganzen Kontinent oder rund um die Erdkugel grassieren. Die stehen im Fremdwörterlexikon gleich neben dem „Pandämonium“, in dem alle bösen Geister auf die arme Menschheit losgelassen sind. Auch ein blindes Huhn, sagt das Sprichwort, findet einmal ein Korn, und auch dem blinden Alphabet gelingt manchmal ein Link.

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Panorama Eine „atemberaubende Aussicht“, wie sie im Prospekt eines Engadiner Fünf-Sterne-Hotels angepriesen wird, ist allemal, wie atemberaubend auch immer, eine Aussicht nach hüben oder drüben, auf dieses oder jenes. Aber ein Alpen-„Panorama“, das diesen stolzen Namen verdient, lässt den Blick des Gipfelstürmers rings in alle Himmelsrichtungen schweifen, und die Schlachten-„Panoramen“ des 19. Jahrhunderts wie das jüngst restaurierte mehr als 100 Meter lange, 15 Meter hohe Bourbaki-Panorama in Luzern stellen den schaudernden Betrachter mitten ins grausige Geschehen hinein. Da schauen wir geradeaus vor uns, zur Linken und zur Rechten ins Getümmel, und wenn wir uns umdrehen, haben wir den Schlachtendonner vor uns plötzlich im Rücken, steht was links war, plötzlich rechts, und was rechts war, plötzlich links. Auch sprachlich ist die Sache einigermaßen verwirrlich. Wenn von einem Panorama die Rede ist, hören und sprechen wir vier Silben: Pa-no-rama, und die vielerlei Wer-weiß-was-für-„ramen“, die heute kursieren, lassen uns das Wort unwillkürlich als ein „Pano-rama“ verstehen. Aber eigentlich haben wir es hier nicht mit zwei, sondern mit drei einzelnen Stücken zu tun, und es sind allesamt wohlerhaltene griechische Antiquitäten. Vorneweg geht das Kopfstück pan-, „all-“, das etwa auch in der „Pandemie“, dieser „All-Völker-Seuche“, oder im „Pantheon“, diesem „All-Götter-Tempel“, begegnet; in der Mitte steht der Verbstamm (h)ora-, „sehen“, der sich auch in der geistigen Schau der „Theorie“ ein heimliches Stelldichein gibt; hinterdrein kommt das Schwanzstück -ma, das aus alledem ein Ding macht. Nehmen wir die drei zusammen, ist ein Panorama ein „All-sehe-Ding“. Freilich: Wer jetzt ein griechisches Schulwörterbuch aufschlägt, findet an der Stelle im Alphabet nur den „All-Ankerplatz“ Panórmos, das heutige

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Palermo, doch kein „All-sehe-Ding“ panórama. So munter die Griechen damals mit ihrem unerschöpflichen Wörterbaukasten gespielt haben, ein „Panorama“ ist dabei noch nicht herausgesprungen. Das so ordentlich zusammengesetzte, scheinbar so prägefrisch erhaltene Wort stammt erst aus einer neuzeitlichen Münzwerkstätte; mit der modernen Landschafts- und Gartenarchitektur ist es im späteren 18. Jahrhundert in England aufgekommen und von da sogleich über den Ärmelkanal ins Französische und darauf über den Rhein ins Deutsche eingegangen. Kein Wunder: die modische Prägung hatte ja die Zauberkraft, jede neblige nördliche Parklandschaft im Handumdrehen, Wortumdrehen in ein heiteres griechisches Arkadien zu verwandeln. Auf die Landschafts- und die Schlachtenpanoramen des 18. und 19. Jahrhunderts sind seither die aussichtsreichen Panorama-Wege und die rings verglasten Panorama-Wagen und darauf die ringsum ins Land schauenden Fernsehsendungen und Zeitungskolumnen unter dieser Rubrik gefolgt. In jüngster Zeit hat das kaum mehr verstandene Retortenwort eine lange Reihe abstruser weiterer Retortenwörter ans Licht steigen lassen. Hundertschaften geläufiger Fremdwörter von der Astro-nomie bis zur Zoo-logie, allesamt mit einem griechischen o-Stamm an der ersten Stelle, verführten dazu, das dreigeteilte „Pan-(h)ora-ma“ als ein zweigeteiltes „Pano-rama“ misszuverstehen, das Rumpfstück „-(h)ora-“ mitten durchzuhauen und das derart irrig abgelöste „-rama“ in der Bedeutung „-schau“ als ein allerorten passendes Versatzstück einzusetzen. Seither gibt es ein Technorama und ein Kulturama, ein klapperndes Mühlerama und ein flatterndes Papiliorama, ein modisches Moderama und ein komfortables Conforama, ein Telerama, ein Teleforama und hunderterlei andere -ramen, die einem schier den Atem verschlagen, und nach einer kirchlichen Multimediaschau „Credorama“ (sic!) scheint nichts mehr unmöglich. Etwa zur gleichen Zeit und gleich brutal ist die Prinzessin Europa auf das eurokompatible Vier-Buchstaben-Format Euro- zurechtgestutzt worden, und neuerdings hat man den neu entwickelten militärischen Euro-Heliko-pter, diesen Euro-„Dreh-flügler“, ähnlich übel zu einem viersilbigen „Euro-kopter“ verhackstückt. Wer weiß, zu seiner Indienststellung gibt es vor dem Nato-Hauptquartier in Brüssel ja vielleicht ein Eurokopterama!

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Parlament Die Etymologie beschäftigt sich, wie das griechische Wort es sagt, mit den „wahren Wortbedeutungen“, und so schlagen wir den dummen Wortwitz, der das „Parlament“ aus parlare alias parler und mentire alias mentir als eine Schwätzer- und Lügnerversammlung erklären will, hier sogleich in den Wind: Das ist italienisch wie französisch gleich albern dahergeschwatzt und dahergelogen. Gehen wir den Weg des Wortes durch die Jahrhunderte zurück, so führt uns die erste Wegstrecke von den Parlamenten aller Herren Länder zunächst zu einem mittelhochdeutschen parlament und weiter zu einem altfranzösischen parlement in der allgemeinen Bedeutung einer „Besprechung“ oder „Versammlung“. Darin hatte sich das französische parler, „sprechen“, mit dem lateinischen Schwanzstück -mentum alias französisch -ment zur Bezeichnung eines Instrumentes zusammengefunden, und da fassen wir die eigentliche, „wahre“ Bedeutung des Wortes: Ursprünglich ist das Parlament ein Instrument, etwas zu besprechen, eine eben dazu anberaumte „Besprechung“ oder einberufene „Versammlung“. In dieser noch ganz unpolitischen Bedeutung war das französische Wort im Gefolge der Normannen nach England gekommen. Dort stieg es im 13. und 14. Jahrhundert in angelsächsischer Lautung und Schreibung zur Bezeichnung der beiden „Houses of Parliament“ auf, und in dieser zukunftsträchtigen, mittlerweile weltweit geläufigen Bedeutung ist es in der Folge, reich befrachtet mit der Tradition jenes „House of Lords“ und jenes „House of Commons“, in der frühen Neuzeit aus England auf den Kontinent zurückgekehrt. Dem französischen parler entsprach schon damals ein mittelhochdeutsches parlieren oder auch parolen, und damit beginnt die zweite, fernere Wegstrecke dieser Wortgeschichte, die noch mehr als ein Jahrtausend wei-

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ter ins Lateinische und Griechische zurückreicht. Hinter dem französischen parler, „sprechen“, steht ein mittellateinisches paraulare, was über ein parablare auf ein kirchenlateinisches parabolare zurückgeht, und entsprechend hinter der französischen parole, „Wort“, eine mittellateinische paraula, die über eine parabla auf eine kirchenlateinische parabola und weit darüber hinaus schließlich auf eine griechische parabolé zurückweist. Parabola? Parabolé? Parabel? Da werden auf der einen Seite die Mathematiker und die Ballistiker und auf der anderen Seite die Literaten und zumal die Lessingfreunde hellhörig. Aber was haben die Flugparabel einer Kanonenkugel und die Ringparabel des weisen Nathan miteinander und dann noch mit dem „Parlieren“ zu schaffen? Die griechische parabolé, eine Zusammensetzung aus dem Kopfstück para-, „daneben-“, und dem Stammwort bolé, „Wurf“, bezeichnet wortwörtlich ein „Daneben-Hinwerfen“, ein Daneben- oder Gegenüberstellen, ein „Vergleichen“. Die mathematische Parabel zwischen Ellipse und Hyperbel – und so denn auch die physikalische Flugparabel – ist ein Kegelschnitt sozusagen „parallel“ zur Schräge des Kegelmantels, eine literarische Parabel wie Lessings vielzitierte Parabel von den drei Ringen und den drei Religionen Judentum, Christentum und Islam ist eine Erfindung sozusagen „parallel“ zur Wirklichkeit. Und das Dritte, das „Parlieren“? Das steht der Ringparabel näher als der Flugparabel. Von den kunstgerechten Vergleichungen der griechischen Rhetorik war die parabolé in christlicher Zeit auf die einprägsamen Gleichnisse Jesu übertragen worden, aus der griechischen in die lateinische Kirchensprache übergegangen und schließlich in der spätlateinischen und frühfranzösischen Alltagssprache von der gehobenen Gleichnisrede zum gewöhnlichen „Sprechen“, ja zuletzt bei uns noch zu einem flüssig dahinplätschernden lockeren „Parlieren“ abgesunken. Ein Schlenker über das portugiesische Schwarzafrika hat im 19. Jahrhundert wider alle politische Korrektheit noch zu einem rassistisch gefärbten „Palaver“ geführt; darin hat sich die knappe, einprägsame Gleichnisrede jener alten parabolé in ein gleichgültiges, durchaus unparlamentarisches endloses Gerede verkehrt. Ein Wort auf der Parabelbahn: Aus der Tiefe der neutestamentlichen Gleichnisse Jesu schwingt es sich in enger Kurve um den Brennpunkt des alltäglichen Sprechens und wieder hinaus in die Weite der parlamentarischen Debatte. Zwischendurch ist das Wort auch einmal auf dem Bau vor-

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beigekommen und hat dort dem „Polier“ den Namen gegeben. Ein ursprünglich altfranzösisches parlier oder parlierer bezeichnete im Mittelhochdeutschen den „Sprecher“, der unter den Maurern und Zimmerleuten das Sagen hatte und auch gegenüber dem Bauherrn das Wort führte. Das im Französischen auch selbst sprechende Wort war im Deutschen stumm geworden, bis im 19. Jahrhundert das „Volk“, das die Volksetymologien macht, aus diesem kauderwelschen parlier einen ordentlichen „Polier“ heraushörte: den Mann, der dem Bau den letzten Schliff, die letzte Politur verleiht.

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Plagiat Ein Plagiat: da denken wir an gestohlene literarische Texte und Popmelodien, an imitierte Markenuhren und -textilien und neuerdings noch an Diplom- und Doktorarbeiten, die ein Examenskandidat statt aus den Brüsten seiner Alma Mater dreist aus dem Internet herunterlädt. Ursprünglich deutete das Wort auf unvergleichlich Übleres, auf Menschenraub und Menschenhandel, Piraterie und Geiselnahme. Hinter dem „Plagiat“ steht zunächst ein seltenes lateinisches plagium, das erstmals in Augusteischer Zeit im Sinne einer Großwildjagd mit Hunden und Netzen begegnet und im 2. und 3. Jahrhundert n. Chr. auf den juristischen Tatbestand des Menschenraubs übertragen wurde; der dazu gehörige plagiarius erscheint bei Cicero sogleich im Sinne eines politischen Bauernfängers. In der Spätantike ist für die üble Tat noch das Verb plagiare, „einen Menschenraub begehen“, für den üblen Täter noch ein plagiator, ein notorischer „Menschenräuber“, hinzugekommen. Ein plagium ist buchstäblich eine „Netzerei“, ein plagiarius ein „Netzer“; darin steckt eine lateinische plaga, die im Großen einen weit ausgedehnten Landstrich oder Himmelsstrich, im Kleinen das gleicherweise breit ausgespannte weitmaschige „Netz“ bezeichnet, wie die Jäger es zur Jagd auf Eber und Hirsche gebrauchten. In seiner „Liebesfibel“ nimmt Ovid das Bild auf: Die Mädchen ließen sich, ermuntert er den Liebenden, doch allesamt fangen, „und du wirst sie fangen; spann du nur deine Netze aus! – tu modo tende plagas!“ Eine Pompejanische Wandinschrift nennt die Liebesgöttin Venus eine plagiaria, eine bestrickende „Menschenfängerin“. Doch im Ganzen deuten die Ableitungen plagium und plagiarius in späterer Zeit durchweg auf widerrechtliche Versklavung und Hehlerei, Entführung und Erpressung.

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Damit sind wir auf dem Weg von der Eberjagd zum Plagiat aber erst auf halber Strecke. Das Missing Link zwischen der Versklavung eines freien Bürgers und der Aneignung, sozusagen der Versklavung geistigen Eigentums finden wir im 1. Jahrhundert n. Chr. bei dem großen Spötter Martial, im ersten Buch seiner Epigramme, unter Nr. 52. Irgendein Versemacher hatte Martials Gedichte an der Party irgendeines Quintianus unverfroren als die seinen vorgetragen, und nun ersucht Martial diesen Quintianus für den Wiederholungsfall förmlich um Rechtsbeistand für seine derart „versklavten“ Geisteskinder: „... Wenn sie sich über diesen Sklavendienst beklagen und der Bursche sich dann noch ihren Herrn nennt, sag, sie seien die Meinen, Freigelass’ne! Ruf das drei- oder viermal in die Runde, und bring so diesem Menschenräuber Scham bei! – impones plagiario pudorem!“ Gleich im folgenden Epigramm nimmt Martial wohl den gleichen Plagiator – hier nennt er ihn Fidentinus – noch einmal ins Visier, und schon vorher im gleichen Buch, unter Nr. 38, hatte er auf ebendiesen Fidentinus ein geschliffenes, raffiniertes Distichon abgeschossen: „Das du da rezitierst, das Buch, Fidentinus, ist meines; doch so schlecht rezitiert, fängt es an, deines zu sein.“ Über das einprägsame Bild, in dem Martial seine in die Öffentlichkeit entlassenen Verse als seine freigelassenen Sklaven für sich in Anspruch nimmt und jenen unverschämten Versedieb folgerecht als einen plagiarius, ihren „Entführer“ und „Kidnapper“, an den Pranger stellt, ist das „Plagiat“ zu seiner heute geläufigen Bedeutung gekommen. In der Neuzeit erscheint das Wort ausschließlich noch in diesem Sinne eines geistigen Diebstahls. Im späten 16. Jahrhundert ist aus dem plagiarius ein französischer plagiere und dann ein plagiaire geworden, im späten 17. Jahrhundert aus einem plagiatum, einem derart „entführten, gekidnappten (Geisteskind)“ ein französisches plagiat. Als im 18. Jahrhundert das – nun wieder lateinisch

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ausgesprochene, nun wieder sächliche – „Plagiat“ im Deutschen heimisch wurde und im 19. Jahrhundert der prägefrische plagiator aus dem Lateinischen hinzukam, war von Martials Urheberrecht an dem reizvollen Bild längst nicht mehr die Rede. Aber da ruft keiner mehr nach einem Rechtsbeistand: In der Wortgeschichte sind Plagiate gang und gäbe.

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Politik Achtung: hier kommt ein griechisches Original, eine echte Antiquität aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. angeflogen, ein Geflügeltes Wort aus der Schule des alten Aristoteles, aus dem Anfang seiner „Politischen Schriften“: Ho ánthropos phýsei politikón zóon estin. Alles klar? Jedes Fremdwörterlexikon kann uns das verdolmetschen: Die Anthropologie ist die Menschenkunde, die Physik ist die Naturkunde, das Politische ist eben das Politische, die Zoologie ist die Tierkunde, das kleine Wörtchen estin ist das „ist“, und so heißt der ganze Satz: „Der Mensch ist von Natur ein politisches Lebewesen.“ Aber was ist das: ein „politisches Lebewesen“? Das Grundwort dahinter, die pólis, bezeichnet im Griechischen zunächst einmal die „Stadt“, vielleicht mit einer „Akropolis“, einer „Hochstadt“, in der Mitte oder an der Seite, und jedenfalls mitsamt dem ringsum liegenden Land. Die befestigte Stadt Athen und das ringsum liegende offene Land Attika bildeten eine solche pólis. Für die Griechen der klassischen Zeit war diese pólis zugleich die seit alters hergebrachte politische Einheit: der „Stadtstaat“, wie man ihn in Deutschland von Berlin und den alten Hansestädten Hamburg und Bremen, in der Schweiz von vielen Kantonen wie von Basel und Genf her kennt. Die Griechen von der Straße von Gibraltar bis zur Schwarzmeerküste fühlten sich durch ihre Sprache und ihre Kultur gegenüber ihren barbarisch brabbelnden Nachbarn verbunden, aber bis in die Alexanderzeit hinein war selbst das griechische Mutterland kein einheitliches politisches Gebilde: Ein Athener verstand sich als Athener, ein Spartaner als Spartaner. Aus manchen Städtenamen schaut das alte Wort noch heraus: So ist die libysche Hauptstadt Tripolis eine aus drei Städten zusammengewachsene „Drei-Städte-Stadt“, das ukrainische Sewastopol eine „Augustus-“ oder

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griechisch eine „Sebastos-Stadt“, das spätantike Konstantinopel die „Konstantins-Stadt“ und das neuzeitliche „Istanbul“ verhackstückt aus einem spätgriechischen is tin pólin, „In-die-Stadt“. Und natürlich ist die „Poliklinik“, beim Wort genommen, eigentlich eine „Stadtklinik“, die „Polizei“ eigentlich eine „Stadtpolizei“. Schon in der Homerischen „Ilias“ begegnet ein polítes in dem Sinne eines freigeborenen Stadt-„Bürgers“, etwa eines unter der Herrschaft des Königs Priamos freigeborenen Trojaners. Aber erst unter dem Zeichen der athenischen Demokratie gewinnt das Wort seine zukunftsträchtige Bedeutung im Sinne eines „Bürgers“ mit seinen bürgerlichen Rechten und Pflichten, eines Gleichen unter Gleichen, und erst zu dieser Zeit, im 5. Jahrhundert v. Chr., kommt das von diesem polítes wieder abgeleitete Adjektiv politikós allgemein in Gebrauch. Sein Maskulinum politikós bezeichnete damals sogleich den im Guten oder auch Schlechten, demokratisch oder demagogisch in seiner Polis wirkenden „Politiker“; das Femininum, die politiké (téchne), bezeichnete die zu der Zeit neu entdeckte und teuer vermarktete „politische (Kunst)“ oder kurz die „Politik“. Die griechischen Sophisten und Rhetoren des 5. und 4. Jahrhunderts v. Chr. erboten sich landauf, landab in der griechischen Welt, diese vielgefragte „Kunst“ des politischen Wirkens für gutes Geld zu lehren, und Sokrates stellte auf der Agora von Athen gratis die Jahrhundertfrage, ob eine solche „Kunst“ des politischen Handelns wohl überhaupt lehrbar sei. Der Mensch von Natur ein „politisches Lebewesen“? Mit dieser seither „geflügelten“ Formel klassifiziert der große Zoologe und Politologe Aristoteles den Menschen mit dem bis heute topmodernen Wort als ein „politikfähiges Lebewesen“ oder vielmehr als „das“ politikfähige Lebewesen, das von Natur zum Leben in einer Staatsgemeinschaft geschaffen ist und einzig in einer solchen Staatsgemeinschaft menschengemäß und menschenwürdig leben kann. Mit einem Seitenblick streift Aristoteles da einen Abgrund: „Wie der Mensch, derart zu seiner Vollendung gebracht, von allen Lebewesen das höchste ist, so ist derselbe Mensch, geschieden von Gesetz und Recht, zugleich das niedrigste von allen. Am gefährlichsten ist ja das Unrecht, das über Waffen verfügt; der Mensch aber verfügt von Natur aufgrund seiner Intelligenz und seiner Tüchtigkeit über Waffen, die sich sehr leicht zum Schlimmsten wie zum Besten gebrauchen lassen ...“

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Prägnant und präzis Was ist prägnant? Das rühmende Prädikat bezieht sich auf das gesprochene oder geschriebene Wort und offenbar in jedem Fall auf Einzelnes. Eine Rede oder ein Aufsatz kann im Ganzen ausgefeilt, geschliffen, geradezu brillant geschliffen sein; prägnant ist allenfalls ein einzelnes Wort, ein einzelnes Bild, ein einzelner Satz, prägnant ist der pointierte, ins Schwarze treffende Ausdruck, die jeden Widerspruch aus dem Feld schlagende Wendung. Unter dem Stichwort „Prägnant, Prägnanz“ wartet Dudens „Großes Wörterbuch der deutschen Sprache“ mit einem Beleg aus dem „Kicker“ auf, mit dem unverblümten Spielkommentar eines Fußballtrainers: „‚Wir haben verloren, weil wir gepennt haben!‘ Eine Analyse von wohltuender Kürze und Prägnanz.“ Treffend, schlagend, kurz und bündig? Legen wir das deutsche Wörterbuch einmal beiseite und nehmen wir das lateinische zur Hand, sieht das zunächst ganz anders aus: Da erscheint das Partizip praegnans mit dem Genitiv praegnantis ausschließlich in der Bedeutung „schwanger, trächtig“, durchweg im eigentlichen Sinn bezogen auf schwangere Frauen und trächtige Tiere, hie und da auch übertragen auf eine von Gift „schwangere“ Viper, eine in üppigem Wachstum stehende „schwellende“ Blütentraube oder einen die Rinde sprengenden „schwellenden“ Baumstamm. In dem Wort steckt zuvorderst das Kopfstück prae-, „voran-, voraus-“, und dahinter das Verb (g)nasci, „geboren werden“, mit dem geläufigen Partizip Perfekt Passiv (g)natus, „geboren“; das Partizip Präsens Aktiv praegnans bezeichnet die Frau, die „vor dem Gebären“, oder etwa die Kuh, die „vor dem Kalben“ steht. Das Wort weiß nichts von männlichem Treffen und Schlagen, Hauen und Stechen, im Gegenteil: einzig von weiblichem In-Sich-Tragen und Zur-Welt-Bringen.

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Die Brücke von der alten Wortbedeutung jenes praegnans zu der neuen des „Prägnanten“ führt über ebendieses „In-Sich-Tragen“. Ein „prägnanter“ Wortgebrauch ist – wenn wir das Wort präzise übersetzen – ein „(bedeutungs-) schwangerer“ Wortgebrauch, ein Wortgebrauch, der „es“ – nämlich seine besondere, befrachtete Bedeutung – „in sich hat“. Wenn zum Beispiel ein Menandrischer Komödienvers aus dem späten 4. Jahrhundert v. Chr. mit einem reizvollen Paradox erklärt: „Wie liebenswert ist der Mensch, wenn er ein Mensch ist!“, so meint das Wort „Mensch“ darin ja nicht beidemal das Gleiche: Das erste Mal kommt es vergleichsweise leichtfüßig daher, als das Wort für den zweibeinigen, ungefiederten Artund Zeitgenossen, das zweite Mal trägt es, buchstäblich „prägnant“, die gewichtige Gedankenfracht eines feinen griechischen Menschenbildes in sich. Es leuchtet ein, dass ein einziges Wort in einem derart „prägnanten“, bedeutungsschwangeren, bedeutungsträchtigen Wortgebrauch buchstäblich Bände sprechen kann, und so führt von hier ein gerader, kurzer Weg zu der heute geläufigen Wortbedeutung des Treffenden und Schlagenden, Markigen und Kernigen hinüber. Der achtbändige Große Duden liefert zu dem Stichwort „prägnant“ folgende Erklärung: „Etwas in knapper Form genau treffend, darstellend“. Jenes Fußballerwort „Wir haben verloren, weil wir gepennt haben!“ ist in diesem Sinn „prägnant“ gesagt, nicht „bedeutungsschwanger“, sondern treffend, schlagend, kurz und bündig. Geradeso „wohltuend kurz und prägnant“ wie jener Fußballtrainer hätte damals wohl auch König Pharnakes II. seine Niederlage in der Schlacht bei Zela melden können, als Caesar in vollends unübertrefflicher Kürze und Prägnanz sein geflügeltes „Veni vidi vici“, „Ich kam, ich sah, ich siegte“, in den Zitatenhimmel steigen ließ. Ein paar Spalten weiter in demselben Großen Duden folgt das Stichwort „präzis“ mit einer ganz entsprechenden Erklärung: „Bis ins Einzelne gehend genau (umrissen, angegeben), nicht nur vage“. Das zwiefache „genau“ in den beiden Worterklärungen scheint verräterisch: Gehen wir wohl recht mit der Vermutung, dass unser „prägnant“ hie und da als gehobene Variante jenes „präzis“ hat herhalten müssen, und sollte sich damit der Bedeutungswandel zum „Genauen“ erklären? „Prägnant“ und „Prägnanz“: diese beiden schönen Prädikate wirken so überaus gewählt und edel, fast

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möchte man sagen: so überaus prägnant, und sie klingen so verführerisch an Einprägsames, Ausgeprägtes an ... Lautet die Steigerungsreihe der stilistischen Ruhmesprädikate da vielleicht: genau, präzis, prägnant? Aber Punktum; ausgerechnet unter diesem bedeutungsschwangeren Stichwort wollen wir hier nicht vermutungsschwanger werden!

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Rasante Raser Wenn ein Raser mit zweihundert Sachen über die Autobahn prescht und die rasante Fahrt zu übler Letzt unterm grünen Rasen endet, so scheint das sprachlich geradeso stimmig, wie wenn ein Doping-Test einem Tour-deFrance-Sieger eine Überdosis Testosteron attestiert. Bei solchen Meldungen mag der Hörer, der Ohren hat zu hören, und der Leser, der Augen hat zu sehen, eine Art ohren- und augenfällige Sprachgerechtigkeit am Werke finden. Aber auch die Sprache hat ihre Doppelgänger, und bei diesem rasanten Raser unterm grünen Rasen haben wir es geradeso wie bei Test, Attest und Testosteron sogar mit einem veritablen Dreifachgänger zu tun. Da ist zunächst das lateinische Verb radere, „schaben, kratzen“, das in unserem Fremdwortschatz in dem einen „Radieren“ mit der Radiernadel und dem anderen „Radieren“ mit dem Radiergummi fortlebt; daher rührt ja auch die sprichwörtliche Tabula rasa, eigentlich das „ausgeschabte Schreibtäfelchen“, jenes mit Bienenwachs dünn ausgegossene, mit spitzem Griffel beschriebene und schließlich zu neuem Gebrauch wieder ausgeschabte Holztäfelchen, das den Römern als handliches Notizbuch diente. Aus der verstärkenden jüngeren Variante rasare, „(kräftig) kratzen“, ist das französische raser und daraus wieder im Verein mit allerlei anderen französischen Toilette-Wörtern wie „Frisieren“ und „Perücke“, „Puder“ und „Parfüm“, „Maniküre“ und „Pediküre“ unser „Rasieren“ hervorgegangen. Das französische Partizip rasant, das im 18. Jahrhundert zu uns herüberkam, bezeichnete ursprünglich als ein artilleristischer Terminus technicus die bodennah gestreckte, sozusagen alles im Wege Stehende „wegrasierende“ Flugbahn eines Artilleriegeschosses. Im Deutschen stieß dieses romanischstämmige Fachwort für ein stracks auf Augen- und Ohrenhöhe vorübersausendes Geschoss auf das germanischstämmige Verb „rasen“, das

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allgemein eine beunruhigend, ja beängstigend schnelle Bewegung oder eine unkontrollierte zerstörerische Erregung bis hinauf zur „Raserei“ bezeichnet, und damit war eine sprachliche Streifkollision zwischen diesen beiden Rasern unausweichlich vorprogrammiert. Wenn die Feuerwehr in rasender, rasanter Fahrt an den Brandort rast und dabei in rasendem, rasantem Tempo die Kurven kratzt, dann wird deutlich, wie nahe die beiden Wörter einander im Sprachgebrauch gekommen sind. Mittlerweile bedeutet „rasant“ durchweg soviel wie „rasend schnell“, hinreißend schnell, umwerfend toll. Eine „rasante Karriere“ ist eben gerade nicht eine bodennahe, sondern vielmehr eine aufregend steile Karriere. Nur ein eingefleischter Wortgeschichten-Fan denkt bei der atemberaubend „rasanten“ Fahrt eines verrückten Rasers noch an wegrasierte Kilometersteine oder Tempolimit-Tafeln, und nur ein eingefleischter Artillerist denkt beim Anblick einer umwerfend „rasanten“ Weiblichkeit noch an die durchschlagende Rasanz ihrer feurigen Blicke an der Front oder irgendwelcher Pfeilgeschosse aus dem Hinterhalt. Wo es so rasend und rasant zugeht, kommt es leicht noch zu weiteren Streifkollisionen. Sitzt da eigentlich eine rasante Südländerin am Steuer eines rassigen Kabrios, oder eine rassige Südländerin am Steuer eines rasanten Kabrios? Und hat dieses rasante Kabrio eigentlich eine rassig gestylte Frontpartie, oder hat jenes rassige Kabrio eine rasant gestylte Frontpartie? Schwer zu sagen; diese so rasanten wie rassigen, jeden Mann umhauenden Frontpartien sind allemal so rassig wie rasant. Aber wie auch immer: Bei dem letzten dieser Dreifachgänger, beim grünen „Rasen“, ist nicht nur der rasante Raser mit seiner rasanten Raserei, sondern sind auch wir mit unserem Latein vollends am Ende: Da kommen wir allenfalls noch zu einem mittelhochdeutschen rasen und einem mittelniederdeutschen wrasen zurück; dann verliert sich die Spur. Aber wer das Gras wachsen hört, kann aus dem „Cannstatter Wasen“, dem Stuttgarter Oktoberfest, noch einen Cannstatter „Rasen“ heraushören.

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Referat, Inserat, Exponat Ein alter – oder auch schon ein junger – Lateiner mag bei der Ankündigung eines „Referats“ über dieses oder jenes Thema einen Augenblick stutzen. Steckt hinter diesem „Referat“ nicht ein lateinisches Verb referre mit der doppelten Bedeutung „zurücktragen“ und dann – mit Bezug auf den Kundschafter, der sein Ausgekundschaftetes zurückträgt – „berichten“? Und gehört zu diesem referre nicht das unregelmäßige Partizip Perfekt Passiv relatum, „das Zurückgetragene, das Berichtete“, und gibt es da nicht sogar ein Geflügeltes Wort „Relata refero“, „Ich berichte das Berichtete“? Und wenn das so ist – müsste dieses „Referat“ als ein von allerlei Erkundungen „Zurückgetragenes, Berichtetes“ dann nicht eher oder vielmehr einzig richtig „Relat“ heißen? Ein Advokat, lateinisch advocatus, ist ein als Anwalt „herbeigerufener“ Rechtsbeistand; ein Zitat, lateinisch citatum, ist ein als Zeuge „vorgeladenes, aufgebotenes“ Wort, und so gibt es in unserem Fremdwortschatz von A bis Z Dutzende solcher Partizipien, die wie diese beiden ihre Endung abgeworfen und ihre Betonung auf der vorletzten, nun letzten Silbe beibehalten haben. Aber mit diesem „Referat“ hat es eine andere Bewandtnis: Ein Referat, lateinisch réferat!, ist ursprünglich noch gar nichts „Berichtetes“, sondern lediglich die Anforderung eines Berichtes: „Berichte Er darüber!“, grammatisch gesprochen: gar kein Partizip Perfekt Passiv, sondern ein korrekt gebildeter Konjunktiv.

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Mit diesem „Referat“ ist ein simpler Aktenvermerk aus der Zeit, da in der Staatskanzlei cancellarius und secretarius noch lateinisch miteinander sprachen, im 19. Jahrhundert prägefrisch in unseren geläufigen Fremdwortschatz übergegangen. Wenn eine Vorlage noch nicht entscheidungsreif schien, notierte der Kanzleichef seinem Sekretär ein knappes, auf der ersten Silbe betontes réferat! an den Rand: „Berichte Er darüber!“, und der eine Sekretär mochte dann dem anderen klagen, er habe schon wieder so ein réferat! aufbekommen, er müsse eilends noch so ein réferat! erledigen. Damit war die Randnotiz, die den Bericht einforderte, unvermerkt auf diesen Bericht selbst übertragen, und die vielerlei Fremdwörter vom Schlage jenes „Advokaten“ oder jenes „Zitats“ legten es nahe, den auffordernden Konjunktiv mit der lateinischen Endung -at als ein Partizip mit abgeworfener Endung zu verstehen und entsprechend zu betonen. Noch zwei weitere prägefrische Konjunktive sind von dem gleichen Ursprung und auf dem gleichen Wege als vermeintliche Partizipien in unseren Fremdwortschatz gelangt, so im Verein mit diesem „Referat“ und ebenfalls im 19. Jahrhundert das „Dezernat“. Wenn eine verzwickte Streitsache zur Entscheidung anstand und kein hinhaltendes réferat! mehr aus dem Dilemma half, war ein schwungvoll hingeworfenes decernat (hic aut ille)!, „Entscheide dies doch (der oder der)!“, das rettende Wort; damit war der Schwarze Peter an die nächste Instanz – jetzt hätten wir fast schon gesagt: an das nächste Referat oder an das nächste Dezernat – weitergereicht. Mittlerweile haben sich die „Referate“, die „Berichte“ über dieses oder jenes, zu ganzen Verwaltungsabteilungen voller Referenten ausgewachsen, und die „Dezernate“ sind gar nicht erst zu „Entscheidungen“ über dieses oder jenes, sondern geradewegs zu solchen Behördenabteilungen voller Dezernenten geworden. Aus dem gleichen Kanzleilatein der frühen Neuzeit ist als drittes noch das „Inserat“ hervorgegangen. Der Kanzleivermerk ínserat!, „Reihe Er das ein!“, forderte den Sekretär auf, einen ergänzenden Einschub in das Schriftstück oder nachgereichte Unterlagen in die Akten einzufügen. Im 18. Jahrhundert ist dieses ínserat! aus den Kanzleistuben in die Redaktionsstuben übergewechselt, nun als die Anweisung des Redaktors an den Setzer, einen gehörig überprüften, satzfertigen Text in die Zeitungsspalten „einzureihen, einzurücken“. Wie vorher jenes réferat! auf den Bericht selbst, so wurde

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nun auch dieses ínserat!, das einen Anzeigentext für verlässlich überprüft und satzfertig erklärte, auf den Anzeigentext selbst übertragen, und wie vorher jenes „Referat“ und jenes „Dezernat“, so wurde nun auch dieses „Inserat“ irrig als ein Partizip mit abgeworfener Endung verstanden und entsprechend auf der letzten Silbe betont. Die Museumsdirektoren und -kustoden haben diesen drei echt lateinischen konjunktivischen Randvermerken in allerjüngster Zeit noch ein frisch aus der Retorte gehobenes Kuckucksjunges ins Nest gesetzt: das „Exponat“ im Sinne eines Ausstellungsstücks. Wer ein wenig Latein und dazu die Geschichte dieses „Referats“, dieses „Dezernats“ und dieses „Inserats“ im Hinterkopf hat, könnte aus diesem „Exponat“ wieder solch einen auffordernden lateinischen Konjunktiv expónat!, die Anweisung an den zuständigen Museumskustoden „Stelle Er das aus!“, herauslesen. Aber hier hat der Weg wohl geradewegs von den „Unikaten“ und den „Duplikaten“ und den verschämt verborgenen „Falsifikaten“ zu den prächtig präsentierten „Exponaten“ hinübergeführt. Oder hat man je von einem Museumsdirektor gehört, der etwa einer neu erworbenen Venusstatue voller Besitzerstolz ein solches lateinisches expónat!, „Stelle Er die aus!“, auf den Po notiert hätte?

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Regel „Keine Regel ohne Ausnahme“ sagt das Sprichwort und gibt uns eine Nuss zu knacken auf: Sollte es nach ebendieser Regel nicht irgendwo, irgendwann wenigstens eine Regel ohne Ausnahme geben? Damit sind wir fast schon bei dem Kreter, der die Regel aufstellt, alle Kreter seien Lügner, und ebendiese Regel mit ebendieser Regel wieder in Frage stellt – es sei denn, wir ließen auch hier eine Ausnahme zu. Aber hier wir sind ja nicht im Collegium logicum, sondern im Collegium etymologicum, und da sind die Verhältnisse nicht so verzwickt: Die „Regel“ ist eine eingedeutschte lateinische regula, die „Ausnahme“ eine übersetzte exemptio; unsere Rechtssprache kennt noch die „Exem(p)tion“, die Freistellung einzelner Personen von bestimmten Belastungen und Verpflichtungen. Die lateinische regula führt uns zunächst auf den Bau, zu den Maurern und Gipsern. „Die Waagerechten“, sagt der römische Architekt Vitruv im Kapitel zum Wandverputz, „sollen nach der regula und nach der linea, die Senkrechten nach dem perpendiculum, die Winkel nach der norma ausgerichtet werden.“ Da haben wir das ganze Instrumentarium des Kunstgerechten, Regelrechten beieinander: Die regula, abgeleitet von dem Verb regere, „richten“, bezeichnet ein gerades hölzernes Richtscheit; die linea, abgeleitet von dem Substantiv linum, „Leinen“, bezeichnet eine leinene Richtschnur; das perpendiculum, abgeleitet von dem Verb pendere, „aufhängen“, bezeichnet das Senkblei oder Richtblei; die norma, wahrscheinlich ein im Etruskischen verhackstückter griechischer gnómon, „Winkelmaß“, bezeichnet eben das Winkelmaß für den rechten Winkel. Das Perpendikel ist später aus dem Werkzeugkasten in den Uhrenkasten übergesprungen. Wie die „Mauer“ nach dem lateinischen murus und das „Fenster“ nach der fenestra, der „Ziegel“ nach der lateinischen tegula und der „Mörtel“

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nach dem mortarium, so bezeugen die Namen dieser vier Richtinstrumente den mächtigen Innovationsschub, mit dem die römischen Baumeister ihre germanischen Kollegen damals steinerne Mauern und lotrechte Mores gelehrt haben. Und da das Waagerechte und Lotrechte, Schiefe und Schräge auf dem Bau seit alters anschauliche Bilder für das festgefügte oder aus den Fugen geratene Leben geliefert hat, sind diese Maßstäbe des Waagerechten und Senkrechten früh zu Maßstäben unseres Denkens und Sprechens, Urteilens und Handelns geworden. In seiner Schrift „Über die Gesetze“ nennt Cicero das Gesetz einmal geradezu das „Richtscheit für Recht und Unrecht“. So sind aus der alten regula im Sinne des Richtscheits erst die klösterlichen Ordens-„Regeln“ und dann alle möglichen grammatischen und anderen „Regeln“ hervorgegangen, aus der linea im Sinne der Richtschnur schließlich die „Richtlinien“ – und in einer Verknüpfung mit dem „Leitfaden“ der Ariadne nebenbei noch die „Leitlinien“ –, aus der norma im Sinne des Winkelmaßes die technischen und ethischen „Normen“ samt allem „Normalen“ (nicht dagegen das „Anomale“ – da hat sich ein griechisches anómalos, „uneben“, mit eingemischt). Alle diese Instrumente, Richtscheit und Richtschnur, Senkblei und Winkelmaß, dienen ja der Qualitätskontrolle auf dem Bau, und so ist es kaum ein Zufall, wenn wir bei Plutarch ausgerechnet in einer Schrift über die Qualitätskontrolle bei uns selbst (der Titel heißt wörtlich: „Wie einer seine Fortschritte in der Tugend wahrnehmen kann“) eine Art Gebrauchsanweisung dazu finden. Es ist ein Dichterzitat, das nur an dieser einen Stelle und auch hier ohne Nennung eines Autors überliefert ist, eineinviertel strenggefügte – man möchte fast sagen: an Richtscheit und Senkblei ausgerichtete – Verse: „Setze den Stein nach der Richtschnur, nicht die Richtschnur nach dem Stein.“

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Robustes Mandat Wenn der Sicherheitsrat der UNO seine Blauhelme zu einer Friedensmission – wie kürzlich in den Libanon – entsendet und ihnen dazu in allen gängigen Verkehrssprachen der Vereinten Nationen ein streitbares „robustes Mandat“ erteilt, so spricht er reines, klares Latein, und könnten die alten Römer im Elysium, Abteilung Imperatoren, jetzt lange Ohren machen, so würden sie sich allenfalls über die barbarisch verhackstückten Endungen wundern; sie hätten da wohl ein ordentliches, deklinables robustum mandatum erwartet. Da ist als Erstes das „Mandat“, lateinisch mandatum, ein Partizip Perfekt Passiv des lateinischen Verbs mandare, „beauftragen“. Darin steckt an erster Stelle die manus mit dem Genitiv manūs, die „Hand“, die in unserem Fremdwörterschatz und in unserer Alltagssprache vom „Management“ bis zum „Manuskript“, vom „kommandierenden“ Pascha bis zur „emanzipierten“ Emma hundertfach präsent ist. Und darin steckt an zweiter Stelle das Allerweltsverb dare, „geben“, das sich in dem guten alten kalendarischen „Datum“ zuoberst im Briefkopf, „gegeben (am soundsovielten soundsovielten)“, und den jungen „Daten“ und „Dateien“ zuinnerst auf der Harddisk, diesen digitalen „Gegebenheiten“, so quicklebendig wie seit eh und je präsentiert. Nehmen wir beides zusammen, so verstehen wir das daraus zusammengesetzte „Mandat“, wie es der Klient seinem Rechtsanwalt, der Wähler seinem Abgeordneten und die Vereinten Nationen ihren Blauhelmen erteilen, wortwörtlich als ein „In-die-Hand-Gegebenes“. Da wird das Wort zum Bild, zum Bild einer menschlich sprechenden, vertrauensvollen Geste. Was ist dagegen eine aufgegebene, aufgepackte „Aufgabe“ oder ein aufgetragener, aufgeladener „Auftrag“, und was – man stelle sich das bildhaft vor – ein monströses „beauftragen“ oder gar ein von einem solchen Auftrag betroffener „Beauftragter“?

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Und da ist als Zweites das Adjektiv, das „dazugeworfene“ Wörtchen „robust“, lateinisch robustus, und das verheißt Strapazierfähigkeit. Eine robuste Gesundheit, ein robuster Offroader, ein robuster Schulranzen, die können allerhand Püffe und Knüffe vertragen. Auch hier ist die anschauliche Bildlichkeit des Wortes mit dem lateinischen Hintergrund aus dem Blick geraten. Wir sprechen von einer „eisernen“ Gesundheit, die standfest wie der Eiffelturm allen Schnupfen- und Grippe-Attacken trotzt. Aber was ist eine „robuste“ Gesundheit? Das ist – es klingt fast gleich – eine „eichene“ Gesundheit. Das lateinische Substantiv robur, ein Neutrum, bezeichnet zunächst das aus dem Kernholz der Eiche gewonnene Hartholz und dann überhaupt jede solche „eichene“ Härte und Stärke. Entsprechend bezieht sich das davon abgeleitete Adjektiv robustus zunächst etwa auf eichene Türschwellen oder Türflügel und dann auf allerlei anderes Eichenhartes, Eichenstarkes und nicht zuletzt auf Militärisches. So spricht Cicero einmal bildhaft von dem überlegenen robur, der „eichenen Schlagkraft“, eines Heeres und ein andermal von einem „robustus et victor exercitus“, einem „robusten und sieggewohnten Heer“. Die eichenharte, eichenstarke Schlagkraft, die der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen den jüngst in den Libanon entsandten Blauhelmen mit diesem „robusten Mandat“ in die Hand gegeben hat, scheint gut zu diesem Zedernstaat zu passen. Zedernstaat? Da spielt ein zweiter, nicht minder robuster Baum hinein: Das Libanon-Gebirge hat der hochaufragenden Libanon-Zeder (Cedrus libani) den Namen gegeben, und diese hat es dem Land mit einem klingenden Beinamen vergolten. Aber nehmen wir den Libanon beim Namen, so ist er gar kein „Zedern“-Staat, sondern ein „Weihrauch“Staat: Das aus dem Semitischen im Griechischen eingebürgerte Wort líbanos bezeichnet eben den „Weihrauch“ und danach auch den „Weihrauchbaum“. Wer das Neue Testament auf Griechisch zur Hand hat, kann das bei Matthäus, Kapitel 2, Vers 11, nachlesen: Da bringen die Heiligen Drei Könige dem Jesuskind Gold, líbanon und Myrrhe dar: Gold, Weihrauch und Myrrhe.

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01.09.2008

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September Von der Sommersonnenwende, von der letzten Juniwoche an geht die Sonne am Morgen immer später auf und am Abend immer früher unter. Dessen ungeachtet verbinden wir mit dem Juli und dem August noch die Erwartung sommerlich heißer Tage; erst im September, dem Monat der Tagundnachtgleiche, kommen mit dem bloßen Monatsnamen herbstliche Gefühle und Gedanken auf. „Im Nebel ruhet noch die Welt, / Noch träumen Wald und Wiesen ...“: So blickt der württembergische Dichter Eduard Mörike, selbst träumerisch gestimmt, in einen nebelgrauen, verhangenen Septembermorgen hinaus. Der September ist der erste der acht Monate, die ein „r“ im Namen führen, und zugleich der erste einer Viererreihe von gleichklingenden, anklingenden Monatsnamen. September, Oktober, November, Dezember: Da mag uns ein italienisches sette, otto, nove, dieci in den Sinn kommen, und da mögen dem Musiker seine „Septimen“, „Oktaven“, „Nonen“ und „Dezimen“ in die Ohren fallen. Hinter diesen Monatsnamen stehen die lateinischen Zahlwörter septem, octo, novem und decem, die sich vom „Septimerpass“ bis zum „Dezi“ Wein auch sonst vielfach in unseren Euro-Wortschatz eingeschrieben haben. Die alten Römer haben die Monate der zweiten Jahreshälfte schlicht durchgezählt, freilich nicht vom Siebenten bis zum Zwölften, sondern vom „Fünften“ bis zum „Zehnten“. Der alte Quintilis, der „Fünfte“, ist 45 v. Chr. zu Ehren des Dictators Julius Caesar in „Juli(us)“ umbenannt worden; der alte Sextilis, der „Sechste“, hat bald darauf zu Ehren des Kaisers Augustus den Ehrentitel „August(us)“ erhalten. Aber die folgenden vier Monate, vom September, dem „Siebenten“, bis zum Dezember, dem „Zehnten“, weisen unverkennbar auf den Beginn des altrömischen Bauernjahres am 1. März zurück.

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01.09.2008

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Einen elften und einen zwölften Monat hat es in der frühesten Zeit offenbar nicht gegeben; zwischen dem tollen Saturnfest Ende Dezember und dem Neujahrsfest Anfang März war Winterruhe, bis dann ein Ianuarius und ein Februarius die Zwölfzahl voll machten. Der altrömische Jahresanfang am 1. März prägt sich in unserem Kalender im Februar noch einmal deutlich aus: Mit seinen 28 Tagen gibt sich der Februar bis heute als eine Art Restmonat zu erkennen, und der Julianische Schalttag gegen Ende des Monats, ursprünglich der 24. Februar, markiert bis heute den alten Jahresschluss. Mit der Einführung seines Julianischen Kalenders hat Julius Caesar 45 v. Chr. den Beginn des bürgerlichen Jahres auf den Beginn des Amtsjahres am 1. Januar vorgezogen. An dem Tag hatten seit alters die römischen Konsuln und die übrigen jeweils für ein Jahr gewählten Magistraten ihr Amt angetreten. Seither feiern wir den Neujahrstag am 1. Januar und den Jahresschluss am 31. Dezember. Caesar hatte die hergebrachten Monatsnamen und damit die Monatszählung beibehalten, und so kommt es, dass wir jeweils schon am Ende des „zehnten“ Monats die Korken knallen und die Gläser klingen lassen. Aber wer hört aus dem „Dezember“ denn noch die „Zehn“ heraus? Freuen wir uns, dass diese vier Herbstmonate für uns nicht lediglich eine Zahl, sondern einen Namen tragen. Auch für den gestandenen Lateiner, der sein septem, octo, novem, decem im Traum hinauf- und wieder herunterzählen könnte, ist der September ja nicht lediglich der „Siebente“, sondern eben der „September“ mit allem, was da Septemberliches mitschwingt. Hätte Eduard Mörike sein kurzes Gedicht „September-Morgen“ denn etwa je mit „Siebenter, Morgen“ überschreiben können? So geht es darin fort: „... Bald siehst du, wenn der Schleier fällt, / Den blauen Himmel unverstellt, / Herbstkräftig die gedämpfte Welt / In warmem Golde fließen.“

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01.09.2008

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Serenade Das Wort „Serenade“ lässt an einen linden, langen Sommerabend denken, und tatsächlich: „Abendständchen“, erklärt die zweite, „völlig neu bearbeitete“ Auflage des Duden-Herkunftswörterbuchs von 1989, „das der Liebhaber seiner Geliebten bei schönem Wetter unter dem geöffneten Fenster darbringt“. Ein schönes Bild; aber was ist, wenn ein hartnäckiger Liebhaber der Geliebten sein Lied in strömendem Regen darbringt, und was ist, wenn eine hartherzige Geliebte die Fensterläden schnöde geschlossen hält? Sind das dann keine „Serenaden“? Nein, eigentlich nicht: Die „Serenade“ verlangt Heiterkeit, heiteren Himmel und heitere Seelen. Aus ihr klingt uns ein lateinisches serenus, „heiter“, entgegen; das Wort gilt ursprünglich ausschließlich dem klaren, wolkenlosen „heiteren“ Himmel oder auch dem sternklaren Nachthimmel, und wenn es auf ein Menschengesicht übertragen wird, so bezeichnet es die klare, wolkenlose „heitere“ Miene, die weder Sturm noch Regen, weder Blitz noch Donner fürchten lässt. Heiterer Himmel und heitere Miene: die sind seit jeher nicht weit voneinander gewesen. Vergil hat dazu das Verb serenare, „heiter machen, heiter stimmen“, geprägt; am Anfang der „Aeneis“, zum Auftakt der prophetischen Rede, mit der Jupiter der Venus Trost spendet, spricht er mit diesem Wort von der Miene, mit der Jupiter „Himmel und Wetter heiter stimmt“. Ein Jahrhundert später hat der ältere Plinius dieses serenare wieder aufgenommen; am Anfang seiner „Naturgeschichte“ preist er entsprechend die Sonne, „die Lenkerin der Zeiten und der Länder, der Sterne und des Himmels“, die alle Trübsal des Himmels vertreibe und auch eine wolkenverhangene Seele „heiter stimme“. So bezeichnete die italienische serenata, die dann im Spanischen zur serenada, im Französischen zur sérénade und bei uns zur „Serenade“ gewor-

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den ist, im eigentlichen Sinne einen klaren, „heiter gestimmten“ Himmel, darauf in einer ersten Übertragung das unter diesem heiteren Himmel aus heiterer Seele und hoffentlich für eine geradeso heitere Seele dargebrachte Ständchen und schließlich in einer zweiten Übertragung dieses wo immer, wann immer, wie immer aufgeführte heitere Musikstück selbst. Wie der Sommer die Zeit der Serenaden, so ist der Abend die Zeit der Liebenden: Da treibt es (oder trieb es jedenfalls in der guten alten Zeit) den sangesfrohen Liebhaber unter das Fenster der Geliebten, und da öffnet die glückliche Geliebte schon mal sachte einen Flügel, um zunächst einmal die heitere Serenade zu sich einzulassen. Nun will es der Zufall, dass jenes eine lateinische Adjektiv serenus, „heiter“, ohrenfällig an das andere lateinische Adjektiv serus, „spät“, und an die italienische sera, den „Abend“, anklingt, und so wurde aus dem „heiteren Ständchen“, nachdem die Heiterkeit drunten und droben sich längst von selbst verstand, durchweg bald ein „Abendständchen“. Zu der derart missverstandenen serenata gesellte sich im Italienischen dann noch eine so missgebildete wie wohlklingende mattinata, eine „Morgenmusik“; dahinter stehen das lateinische matutinum (tempus), die „morgendliche (Zeit)“, und der daraus verhackstückte italienische mattino, der „Morgen“. Das Französische war mit seiner soirée und matinée, bei uns Soiree und Matinee, gegen derlei Missverständnisse besser gefeit. Die dritte, wieder „völlig neu bearbeitete“ Auflage des Duden-Herkunftswörterbuchs hat an dem „Abendständchen“ festgehalten, „das der Liebhaber seiner Geliebten bei schönem Wetter unter dem geöffneten Fenster darbringt“, wieder im kollektiven Singular, und wieder im zeitlosen Präsens, und auch in der jüngsten, vierten Auflage hat diese Idylle aller Neubearbeitung getrotzt. O diese glücklichen Redaktorinnen!, möchte man da rufen, und: O diese unglücklichen anderen Geliebten, deren sangesfaule Verehrer auch bei heiterem Himmel, auch bei offenem Fenster statt in die Gitarrensaiten in die Handy-Tasten greifen und statt einer solchen Serenade, eines solchen Abendständchens, eine stumme, stille SM, so eine neumodische Serenata Manipulata, für sich werben lassen!

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Souvenir Subventionen gibt es zweierlei: die millionen- und milliardenschweren auf der politischen Bühne, die die Butterberge wachsen und die Milchseen steigen lassen, und die ganz anderen auf dem häuslichen Kaminsims, die nur wenig oder gar nichts kosten und an ganz andere Berge und Seen erinnern: Das sind sozusagen Subventionen für die reisefrohe, fernwehkranke Seele, und die kommen gewöhnlich französisch daher: als „Souvenirs“. Die Wortgeschichte geht von der ersten Sorte, von den „Subventionen“, aus. „Intervention, Konvention, Prävention“: Da tritt einer dazwischen, da kommen welche überein, da kommt einer zuvor. Aber wie steht es mit den „Subventionen“: Geht da einer oder etwas unter? Und worunter und in welchem Sinn? Alle diese „-ventionen“ sind lateinischen Ursprungs; dahinter steht allemal das Verb venire, „kommen“, und das Schwanzstück -tio, das die Handlung bezeichnet. Vorauf gehen die Kopfstücke, die sagen, wo’s lang geht: Das inter- bedeutet „dazwischen-“, das con- „zusammen-“, das prae- „davor-, zuvor-“. Nach dem letztgenannten heißen ebendiese Kopfstücke mit dem Fachwort der Grammatik „Präfixe“, „Davorgeheftete“. Vom Kopf zum Schwanz: Die Schwanzstücke wie jenes lateinische -tio, im Euro-Fremdwortschatz „-tion“, nennt die Grammatik, als wären’s Fußstücke, mit dem entsprechenden Fachwort „Suffixe“, „Daruntergeheftete“, und da sind wir über Schwanz und Fuß unversehens wieder an den Kopf der „Subvention“ geraten. Ihr Präfix sub- bedeutet „darunter-“; bei diesen Subventionen geht etwas „darunter“, und zwar hier nicht wie bei der „Subversion“, um etwas von unten her umzustürzen, sondern vielmehr wie bei den „Substruktionen“, um etwas von unten her zu unterstützen. Neben diesem subvenire, „(von unten her) zu Hilfe kommen“, gibt es in dieser lateinischen Sub-Kultur noch ein dramatischeres succurrere, „(von

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unten her) zu Hilfe laufen“, dem wir den „Sukkurs“ verdanken, und schließlich ein succedere, „(von unten her) nachrücken, nachfolgen“. Dieses succedere hat seither eine buchstäbliche Erfolgsgeschichte gehabt: Daher kommen der französische succès und das englische success, eben der „Erfolg“ – wobei das Wort beiläufig lehrt, dass ein „Erfolg“ nicht unvermittelt aus dem blauen Himmel fällt, sondern „von unten her“ aufwächst: „Erfolg“ ist, wenn eines aufs andere folgt. Doch nun zurück zu der zweiten Sorte Subventionen, den auf Kommode und Kaminsims aufgereihten Reisemitbringseln. Da sind wir nun endlich, wenn wir nur an die ewige Vaterstadt aller dieser Wörter denken, bei dem aus Marmorstaub gepressten Kolosseum en miniature, der gleicherweise staubgeborenen römischen Wölfin mit den Zwillingen darunter oder dem Mug mit dem großen roten VENI VIDI VICI darauf, all den alten und neuen „Souvenirs“, die unsere Erinnerung unterstützen und mit denen wir dann wieder unsere Gäste unterhalten – im glücklichen Fall derart unterhaltsam „unterhalten“, dass sie nicht vor lauter Langeweile haltlos von den Stühlen fallen. Streng genommen heißen diese Souvenirs freilich nicht danach, dass sie unserer Erinnerung zu Hilfe kommen; ein „Souvenir“ ist eigentlich diese Erinnerung selbst, die von unten, aus der Tiefe in uns aufsteigt. Auch Wörter haben ja ihre unausgeschöpften Bedeutungsreserven: Hie und da war für dieses subvenire schon in der Antike, im 1. Jahrhundert n. Chr., die zukunftsträchtige Bedeutung „unvermerkt in den Sinn kommen“ ganz im Sinn des Wortes „aufgekommen“.

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Spediteur und speditiv Da kommt ein Wort zwischen Sack und Pack, Kisten und Kästen als blinder Passagier über den Gotthard, bringt es im Deutschen in der Kaufmannszunft zu Rang und Würden und putzt sich schließlich mit einem feinen französischen Rockschwanz heraus: So ist im 17. Jahrhundert, als in Mailand, Florenz und Venedig die Wirtschaft blühte, die italienische spedizione über die Alpenpässe gekommen und im Deutschen zur „Spedition“ geworden, und so hat im frühen 18. Jahrhundert, als die höfische Kultur Ludwigs XIV. weit über den Rhein ausstrahlte, ein gewitzter Fuhrunternehmer sich modisch schick zu einem frankophonen „Spediteur“ gemausert. Donnerwetter, mochte da ein biederer Kunde denken, der hat gewiss Filialen von Paris bis nach St. Petersburg ... Freilich: in einem französischen Wörterbuch war damals wie heute zwischen dem spéculateur und dem spéléologue keine spédition und erst recht kein spéditeur verzeichnet ... Aus dem „Pedal“, diesem „Fuß“-Hebel, oder aus der „Pediküre“, der „Fußpflege“, schaut ganz offenkundig ein lateinischer pes mit dem Genitiv pedis, ein „Fuß“, heraus; in der „Spedition“ und im „Spediteur“ ist er wie in einem Vexierrätsel versteckt – hier hätten wir ja auch allenfalls ein Rad und keinen Fuß erwartet. Zwei geläufige lateinische Verben helfen uns, das Rätsel zu lösen: Das erste lautet impedire, wörtlich übersetzt: „einfußen“, und bedeutete ursprünglich wahrscheinlich „die Füße in Fesseln legen“, das zweite lautet expedire, wörtlich: „ausfußen“, und bedeutete ursprünglich umgekehrt „die Füße aus den Fesseln lösen“. Diese bildhaften Bedeutungen sind früh verblasst, und so kam jenes impedire im klassischen Latein zu der allgemeinen Bedeutung „jemanden an etwas hindern, von etwas abhalten“ und sein Gegenstück expedire zu der Bedeutung „freimachen, losmachen; etwas ausliefern, befördern“.

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Im speziellen Sprachgebrauch des römischen Militärs bedeutete dieses lateinische expedire auch „marschbereit machen“; danach bezeichnete die davon abgeleitete expeditio, wörtlich: die „Ausfußung“, ein zeitlich und räumlich begrenztes, ohne schwerfälligen Tross mit beweglichen Truppen ausgeführtes Kommando-Unternehmen. In den militärischen „Straf-Expeditionen“ der Kolonialzeit und in den geographischen Forschungs-„Expeditionen“ zu Nordpol und Südpol, in Wüste und Urwald schlägt die alte Bedeutung noch durch; auch derlei wissenschaftliche Expeditionen führen ja, wenn schon nicht in Feindesland, so doch in unerschlossene, lebensfeindliche Regionen. In der italienischen Tochtersprache wurde aus dem lateinischen expedire ein neues spedire, aus der lateinischen expeditio und ihrem Akkusativ expeditionem eine neue spedizione, und dank jenem proaktiven frankophilen Fuhrunternehmer kann nun auch im Deutschen eine Spedition oder der Spediteur eine Sendung an ihr Ziel „spedieren“, wie man früher sagte: ihr sozusagen die Fußfesseln abnehmen und sie leichtfüßig an ihr Ziel laufen lassen. In der Schweiz kennt man neben derlei „Expeditionen“ und „Speditionen“ noch die „speditive“ Abteilungschefin oder den „speditiven“ Sachbearbeiter. Die sind nicht unbedingt in einer Speditionsfirma tätig; die sorgen vielmehr dafür, dass Offerten, Auftragsbestätigungen und Rechnungen etc. nicht mit bleiern gefesselten Füßen auf dem Schreibtisch liegen bleiben, sondern vielmehr auf freien, „entfesselten“ Füßen und, wenn’s denn eilt, auf Hermesflügeln zu den Kunden eilen. „Speditiv“ ist, wer die kursierenden Papiere am Kursieren und die laufenden Geschäfte am Laufen hält. Und damit wäre ein speditiver Spediteur weder ein „schwarzer Rappe“ noch ein „weißer Schimmel“, sondern ein auf beiden Feldern, im Büro wie auf der Straße, gleichermaßen agiler Entfesselungskünstler.

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Standort, Standplatz, Stall Der „Standort“ und der „Standplatz“ stehen im Lexikon nahe beieinander. Aber da gibt es feine Unterschiede: Ein Markthändler hat seinen Standplatz; ein Wirtschaftsunternehmen hat seinen Standort in Stuttgart, in Sindelfingen oder umständehalber am Zuger See. Ein Taxifahrer hat wieder seinen Standplatz; ein Politiker hat seinen Standort eher links, in der Mitte oder eher rechts. Und wer Gefahr läuft, rinks und lechts zu velwechsern, macht eine „Standortbestimmung“. Ein Standort ist ein Standplatz mit Geschichte, genau: mit Physikgeschichte. „Gib mir einen Ort, wo ich stehen kann“, hatte Archimedes im 3. Jahrhundert v. Chr. gerufen, „und ich bewege die Erde.“ Das war ins Groteske übersteigert; der geniale Mathematiker, Physiker und Ingenieur postulierte damals die „Goldene Regel der Mechanik“, nach der jede noch so geringe Kraft – theoretisch – jede noch so schwere Last vom Fleck bewegen könne, wenn man nur eine entsprechend hohe Untersetzung dazwischen einschalte. Sein Ruf hieß eigentlich ganz handgreiflich: Gib mir eine zweite Erde, auf der ich stehen und meine Riesen-Untersetzungsgetriebe aufstellen kann, und ich hieve die erste ein wenig zur Seite. Von diesem seither „geflügelten“, der Physik vollends entflogenen Wort her sind „Standorte“ nicht einfach irgendwelche Plätze, an denen ein Markthändler auf Kunden oder ein Taxifahrer auf Fahrgäste wartet, sondern Orte, die einen festverankerten, unverrückbaren Stand bieten, Orte, von denen aus

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ein Unternehmer sich seinen Markt erobern, ein Politiker die Welt vielleicht ein klein wenig nach links oder rechts verschieben kann. Manchmal schnurrt dieser Ort vollends zu einem Punkt zusammen, wenn einer sagt: „Ich stehe auf dem Standpunkt ...“ Mit dem „Standplatz“ hat es eine schlichtere Bewandtnis. Dahinter stehen letztlich das lateinische Verb stare, „stehen“, und das Substantiv stabulum, „Standplatz, Stall“ samt ihren germanischen Stammverwandten; die lateinischen und germanischen Wörter scheinen da früh zu einem mittellateinischen stallum und einem mittelhochdeutschen stal zusammengeflossen zu sein. Übergehen wir hier und heute die tollen Kapriolen, die aus diesem stabulum noch in der Antike eine viehische Absteige und ein Bordell, im Mittelalter erst die Standplätze der Markthändler beim Kirchweihfest und dann die Standplätze der Chorherren im Chorgestühl gemacht und schließlich, über die „Installation“, die „Einsetzung“ der Bischöfe ins Chorgestühl, in jüngerer und jüngster Zeit zu allerlei sanitären „Installationen“ in Küche und Bad, digitalen „Installationen“ auf der Harddisk und künstlerischen „Installationen“ im Museum geführt haben. Eine Weihnachtskrippe mit Ochs und Esel ist in jenem ersten und in diesem letzten Sinne eine wirkliche und wahrhaftige „Installation“. Ein Theologe könnte sich hier zu Wort melden und erklären, dass durch die Geburt des Kindes in Bethlehem, im Stall bei Ochs und Esel, ebendieser ganz gewöhnliche Standplatz für ganz gewöhnliche Vierbeiner zugleich zu einem Archimedischen Standort für buchstäblich Weltbewegendes, Welterlösendes geworden sei. Der Philologe bleibt bei seinem Leisten und erinnert hier nur noch daran, dass Ochs und Esel, von denen Lukas ja nichts weiß, tatsächlich erst im Nachhinein in diesem Stall installiert worden sind. Ein schlichter Übersetzungsfehler in der griechischen Version des Alten Testaments hatte den Propheten Habakuk prophezeien lassen, „inmitten zweier Tiere“ werde der Herr kommen, und ein heiliger Zorn hatte den Propheten Jesaja im Namen Gottes rufen lassen: „Der Ochse kennt seinen Meister und der Esel die Krippe seines Herrn; Israel hat keine Einsicht, mein Volk hat keinen Verstand ...“ Da brauchte es nicht mehr viel, dass der spätantike Autor einer Kindheitsgeschichte Jesu diese beiden bei der Krippe installierte. Schade nur, dass Ochs und Esel auf den meisten Weihnachtsbildern so dreinschauen, als hätten sie gar nicht begriffen, dass ihr Standplatz über Nacht zu einem die ganze Welt bewegenden Standort geworden war.

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Stil und Styling Der Hair-Stylist und sein Styling weisen buchstäblich mit dem Zaunpfahl, dem stýlos, aufs Griechische zurück, aber ihr „y“ ist nichts als griechisches, neuerdings anglogriechisches Styling. Hinter dem französischen style, dem englischen style und unserem „Stil“ steht allemal der gleiche lateinische stilus, der mit dem griechischen „Stigma“ und unserem „Stechen“ verwandt ist und einen spitzen Stachel oder Stichel bezeichnet. Der ältere Plinius schildert in seiner enzyklopädischen „Naturgeschichte“, wie die griechischen Schwammtaucher sich mit solchen stili, eisernen Dreizacken, gegen angreifende Haie zur Wehr setzten; in Caesars „Gallischem Krieg“ lesen wir, wie die Römer mit verdeckt eingegrabenen stili oder stimuli, eisernen Fußangeln, das Vorfeld einer Verteidigungslinie sicherten. Die Zukunft des Wortes aber gehörte nicht diesen spitzigen Dreizacken und Fußangeln, sondern dem kleinen, feinen stilus, mit dem man schrieb. Papyrus war teuer, und so notierte man Alltägliches und geschäftliche Abrechnungen, Briefe und literarische Konzepte mit einem spitzen Eisengriffel auf handliche „Wachstäfelchen“: paarweise zusammengeklappte Holztäfelchen, deren Innenseiten leicht vertieft und mit Wachs ausgegossen waren. Diese sogenannten pugillares, wörtlich „Handys“, ließen sich immer wieder ausschaben, neu mit Wachs ausgießen und neu beschreiben. Ähnlich praktisch wie unsere Bleistifte mit einem Radiergummi am oberen Ende hatte der dazu verwendete eiserne stilus ein spitzes und ein plattes Ende: das spitze zum Einritzen, das platte zum Ausstreichen. „Saepe stilum vertas, iterum quae digna legi sint / scripturus“, mahnt Horaz die schreibbesessenen Dichterkollegen, die frischweg „zweihundert Verse vor, zweihundert nach Tisch“ aufs Wachs werfen: „Oft kehre den Griffel um, um danach etwas zu schreiben, das es verdient, wieder und wieder gelesen zu werden.“

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Von dem spitzen Eisengriffel ist die Bedeutung dieses stilus früh auf das literarische Schreiben und sogleich weiter auf den literarischen Schreib„Stil“ übergesprungen. Auf einen römischen Redner des 2. Jahrhunderts v. Chr., der noch nicht bei den Griechen in die Schule gegangen war, münzt Cicero einmal das Ruhmesprädikat, seine Reden seien „paene Attico stilo“, „fast schon mit attischem Griffel, in attischem Stil“ geschrieben. In der Neuzeit ist das Wort weit über jene Wachstäfelchen und die Literatur hinaus auf alle möglichen anderen Kunst- und Lebens-„Stile“ übergegangen, bis zu dem einen „Stil“ hinauf, bei dem es nicht mehr um die eine oder andere Richtung, sondern einzig noch um Haben oder Nicht-Haben, Stil oder Stillosigkeit geht. Die alten spitzen stili sind da längst vergessen; wer denkt bei dem „Stil“, in dem einer sich kleidet oder einrichtet, oder gar bei diesem einen Stil der Stile noch an einen schlichten Schreibstift? Bereits vor Cicero hatte die ungleiche Begegnung des römischen Griffels mit einer griechischen Säule zu einer unwiderstehlichen Wörter-Fusion geführt. Der lateinische stilus übernahm die Schreibung des – notabene nicht verwandten – griechischen stýlos, der eine Säule, einen Zeltmast oder einen Holzpfahl bezeichnete, und umgekehrt übernahm dieser stýlos – fälschlich, wie ein griechischer Gewährsmann eigens festhält – mancherorts die Bedeutung des lateinischen stilus. Nomen est omen: Der derart veredelte stylus, dieser hochgestylte „Gryffel“, verhieß jedwedem römischen Dutzenddichter ein perfektes attisches Styling. Im französischen stylo und in ebendiesem anglogriechischen, neudeutschen „Styling“ hat sich der Hauch Griechisch ja bis heute gehalten.

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Stress Manchmal stehen Lautgestalt und Bedeutung eines Wortes auch jenseits aller Lautmalerei in merkwürdiger Korrespondenz zueinander. So bei den „Habseligkeiten“, die eine hohe Jury jüngst zum schönsten deutschen Wort gewählt hat: Wenn wir uns dieses Wort Silbe für Silbe ins Ohr fallen oder über die Lippen kommen lassen, fasst unser inneres Auge diese Hab-se-lig-keiten unwillkürlich eine nach der anderen in den Blick; fast meinte man, es seien gerade fünf. Und entsprechend lässt der „Stress“ uns ebenden Stress, den er bezeichnet, schon beim bloßen Hören des Wortes stechend und nervend empfinden. Hand aufs Herz: Kann diese eine messerscharfe Silbe mit diesem zischenden Anlaut und diesem zischenden Auslaut, diesem gequetschten „Str-“ und diesem farblosen „e“ mittendrin denn irgend etwas anderes, irgend etwas Besseres bezeichnen als eben diesen stressenden Stress? In dem Falle dieses „Stresses“ ist die Stimmigkeit von Lautgestalt und Bedeutung vielleicht gar nicht einmal Zufall. Das Substantiv stress bezeichnet im Englischen allgemein eine besondere Beanspruchung, so in seinem eigentlichen physikalischen Sinne eine mechanische Druck- oder Zugbelastung, der ein Material oder eine Konstruktion ausgesetzt ist, im übertragenen Sinne auch das besondere Gewicht, den Nachdruck, den Akzent, den einer auf diese oder jene Bemerkung oder Erklärung legt. Zu seiner psychophysiologischen, physiopsychologischen Bedeutung ist der „Stress“ erst im Sprachlabor der Wissenschaft gekommen. In den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts hat der 1907 in Wien geborene, 1934 nach Kanada emigrierte, 1982 verstorbene Mediziner Hans Selye das englische Wort von der Mechanik der mehr oder weniger elastischen physikalischen Körper auf die Mechanik der mehr oder weniger elastischen menschlichen Seele übertragen. In dieser fachsprachlichen prägnanten Bedeutung ist der „Stress“

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seither in unserer Alltagssprache heimisch geworden, und dies so vollkommen, dass wir ihn kaum mehr irgendwie als fremd betrachten; wir sprechen „Sch-tress“ und klagen über eine „sch-tressige“ Woche, und was uns da alles „gesch-tresst“ hat und immer noch „sch-tresst“ ... Über den verkürzten, seines Kopfstücks beraubten stress hinaus führt die Fährte des Wortes weiter zurück zu einem zusammengesetzten englischen distress in der Bedeutung „Kummer, Qual; Elend, Not“, zu einem gleichbedeutenden altfranzösischen destresse und letztlich zu einem lateinischen distringere mit dem Partizip Perfekt Passiv districtus. Das lateinische Wort bedeutet im eigentlichen Sinne „auseinanderziehen, -dehnen, -strecken“, und dies meist im Sinne einer grausamen Folter: So werden in Vergils „Aeneis“ die mythischen Büßer im Tartarus „auseinandergestreckt“ auf die Speichen von Rädern gebunden; so werden zum Tode verurteilte Sklaven „auseinandergestreckt“ an das Querholz des Kreuzes geschlagen. Der übertragene Wortgebrauch dieses lateinischen distringere führt uns noch näher an den „Stress“ heran: Da werden nicht mehr die Glieder, sondern die Kräfte auf die Folter gespannt, da geht es um Herausforderungen und Beanspruchungen, die von allen Seiten an Leib und Seele ziehen und zerren, buchstäblich um eine Zerreißprobe – hier nicht auf Biegen und Brechen, sondern auf Halten und Reißen. Die Übertragung hat wohl zuerst auf dem Schlachtfeld stattgefunden und ist dann aufs Forum übergegangen. Wenn der jüngere Plinius mit diesem distringere klagt, dass seine öffentlichen und privaten Verpflichtungen seine Kräfte auf eine Zerreißprobe stellen, so schaut aus dem lateinischen Wort schon unverkennnbar der moderne „Stress“ heraus. Ob als Zug, wie das alte Wort die Belastung fasst, oder als Druck, wie wir sie erleben: es ist allemal der gleiche Stress. Nochmals zurück zu jener anderen merkwürdigen Korrespondenz: Bedeuten die drei, fünf oder sieben Habseligkeiten für den, der ihrer habhaft ist, wohl geradeso viele Seligkeiten? Da ist ein lautlich stimmiger Anklang zu einer menschlich stimmigen Andeutung geworden. Den Glückseligen preist die Sprache in seinem Glück „selig“; aber mit den „Habseligkeiten“ steht es anders, wie mit der „Mühseligkeit“ und manchen anderen solchen „-seligkeiten“: Dahinter steckt die „Mühsal“ und das weder selige noch unselige alte Schwanzstück „-sal“, das aus dem Labenden ein „Labsal“, aus dem Rinnenden ein „Rinnsal“, aus dem Bedrängenden ein „Drangsal“ und

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aus dem Herabgeschickten das „Schicksal“ gemacht hat. Was ja keineswegs hindert, dass diese Habseligkeiten den Habseligen, den wir hier sprachselig aus der Retorte heben, geradezu glückselig werden lassen, wie ja auch die Redseligkeit den Redseligen für die nicht geringe Zeit, dieweil er redet und redet und redet, geradezu auf die Inseln der Seligen versetzt.

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Test und Testosteron Das letzte Wegstück liegt offen zutage: Im frühen 20. Jahrhundert ist der „Test“ aus dem Englischen ins Deutsche gekommen, und seit der Mitte des Jahrhunderts ist das vollends eingedeutschte „Testen“ bei uns geläufig geworden. Schauen wir weiter zurück, so scheint zunächst der lateinische testis, der „Zeuge“, für einen Vaterschaftstest in Betracht zu kommen, und zugleich fällt da, als Nachbarin in der Lexikonspalte, noch eine testa, ein „Tonkrug“ oder eine „Scherbe“, ins Auge. Ja – ist der Test dann ein „Zeuge“, das heißt, im eigentlichen Sinne des lateinischen Wortes, der tertius, der „Dritte“, neben Täter und Opfer, Produzent und Konsument? Oder steht hinter dem Test, in dem Sehr-Gut und Mangelhaft, 1. Wahl und Bruch sich scheiden, selbst nichts als tönernes Geschirr, sprichwörtlich brüchige Ware? Der Test ein Qualitätszeugnis? Schön wär’s! Aber jener testis bekennt sich nur zum „Testament“, in dem einer seinen letzten Willen bezeugt, zum ärztlichen „Attest“ und zum „Protest“, mit dem einer öffentlich Zeugnis ablegt. Bei der testa wird es auf den ersten Blick verwirrlich, aber bei ihr sind wir auf der richtigen Spur. Im klassischen Latein bezeichnet das Wort gebrannten Ton in jeder Form: allerlei Tongefäße und -geschirre, Öl- und Weinamphoren, Öllampen und Salbfläschchen, Aschenurnen und Kastagnetten, ja selbst die Fässer am Straßenrand, denen Kaiser Vespasian seine anrüchige „Urinsteuer“, das berüchtigte vectigal urinae, abgewann. Der

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Monte Testaccio in Rom, am Tiberhafen, ist ein echt antiker Scherbenhaufen. Von einer bauchigen Deckelterrine war das Wort früh auf die Schalen der Krustentiere, der Austern und der Purpurschnecken übergesprungen; auch das Kriechtier, das wir im Deutschen als eine gewappnete „Schild“Kröte ansprechen, kroch im Lateinischen als testudo, als eine gedeckelte „Terrine“, durchs Gras. In den Tochtersprachen des Lateinischen ist die Übertragung noch einen Schritt weitergegangen: zunächst auf die bauchige Hirnschale und schließlich auf den ganzen Hartschädel, italienisch testa, französisch tête – da oben in der Chefetage ist auch der Homo sapiens ein wenig Krustentier. Ja – heißt „testen“ dann soviel wie „hirnen“, und ist der Tester dann einer mit Köpfchen? Noch einmal: Schön wär’s! Aber der Weg zu unserem Testlabor ist ganz versteckt schon vorher abgezweigt. In der mittelalterlichen Alchemistenküche diente eine spezielle testa, ein Schmelztiegel, dazu, das brodelnde Metallgebräu auf seinen Gold- oder Silbergehalt zu prüfen, es in dieser tönernen testa buchstäblich zu „testen“. Ein mittelhochdeutsches Lexikon vermerkt unter test nach „Topf, Tiegel, Kopf“ noch die weiteren Bedeutungen „Schlacke, verworrenes, verflochtenes Zeug“. Die stehen für ein unzweideutig negatives Testergebnis; aber wenn schon nicht gleißendes Gold, so ist bei dieser Goldmacherei doch wenigstens unser „Test“ herausgesprungen. Aber was ist, wenn ein Doping-Test einem Tour-de-France-Sieger verdächtig hohe Testosteron-Werte attestiert? Da hat sich zu unseren beiden Zufallsnachbarn im Alphabet, jener tönernen testa und dem testis mit der Bedeutung „Zeuge“, unversehens noch dritter gesellt: ein gleichlautender anderer testis mit der Bedeutung „Hoden“. Wer weiß, was der eine testis mit dem anderen zu tun hat. Aber wie auch immer – von diesem anderen testis kommen die verkleinerten testiculi, die „Testikeln“, und das erst jüngst im Sprachlabor der Biochemie daraus und aus dem griechischen Adjektiv stereós, „solid, massiv, dreidimensional“, destillierte Retortenwort „Testosteron“. Tiegel, Zeuge & Testikeln: Es ist schon ein verhexter Dreierverein, der sich in dieser Lexikonspalte zusammengefunden hat. „When shall we three meet again?“, fragen die drei Hexen in Shakespeares „Macbeth“, und danach fragen die drei Hexen in Fontanes „Brücke am Tay“: „Wann kommen

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wir drei wieder zusamm’?“ Das ist auch bei dem Dreierverein von Test, Attest & Testosteron eine interessante Frage. „Ich nenn’ euch die Zahl!“, ruft da eine bei Fontane, „Und ich die Namen!“ die zweite, „Und ich die Qual!“ die dritte. Na, das kann noch spannend werden!

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01.09.2008

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Veterinär Die Vogelgrippe ruft die Veterinärbakteriologen auf den Plan. Legen wir die kapitale griechisch-lateinische Wortchimäre auf den philologischen Seziertisch, so zeigt die zweite Hälfte einen klaren Befund: Die griechische baktería, eine Schwester des lateinischen bacillus, ist ein „Stäbchen“; die Bakteriologen sind „Stäbchenforscher“. So heißen sie seit dem späten 19. Jahrhundert; im Falle dieser Vogelgrippe, die alles Gefiederte und Geflügelte buchstäblich im „Griff“ hat, haben die Veterinärbakteriologen es allerdings nicht mit ihren guten alten stäbchengestaltigen Bakterien, sondern mit einem üblen lateinischen virus, notabene einem Neutrum, mit der ursprünglichen Bedeutung „Giftschleim“ zu tun. Mit dem „Veterinär-“, das da vorneweg geht, haben wir’s nicht ganz so einfach. Dahinter stehen zunächst im Französischen eine art vétérinaire und ein (médecin) vétérinaire für die Tiermedizin und den Tierarzt, und dahinter wieder im Lateinischen eine medicina veterinaria und ein (medicus) veterinarius für die ärztliche Kunst und den Arzt, die es mit den Haustieren zu tun haben. Solch ein römischer veterinarius, ein „Veterinär“, begegnet zuerst im 1. Jahrhundert n. Chr. bei dem Agronomen Columella, in seinem Handbuch „Über die Landwirtschaft“, und dann in diversen Grabinschriften offenbar verdienter Militärtierärzte. Wie die modernen Panzerdivisionen ihre Mechaniker, so hatten die römischen Reiterkohorten ihre Veterinäre. Ein spätes Veteranentreffen im lateinischen Lexikon: Da hat sich zuoberst in der Spalte, gerade über unserem veterinarius, zunächst der respektvoll so genannte veteranus, eigentlich der „Alte“, eingefunden, der in römischer Zeit freilich noch nicht für den ausgedienten, altersgrauen Veteranen, sondern für den kampferprobten, erfahrenen Soldaten steht. Etwas

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01.09.2008

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tiefer in der Spalte finden sich noch andere alte Hasen wie der alterfahrene veterator und die ihm korrekterweise zugesellte veteratrix; die beiden sind sozusagen der alte Fuchs oder die alte Füchsin, der beziehungsweise die weiß, wie der Hase beziehungsweise die Häsin läuft. Und zuunterst in der Spalte stoßen wir auf das alledem zugrundeliegende Adjektiv vetus mit dem Genitiv veteris und der Bedeutung „alt“. Ja, möchte man da fragen, hatten diese römischen Veterinäre denn lauter vierbeinige Veteranen zu behandeln? Sind wir hier auf einen Gnadenhof geraten, wo abgehalfterte Trosspferde ihren Gnadenhafer fressen? So scheint es fast. Aber werfen wir noch einen zweiten Blick in diese Lexikonspalte der Veterinäre und der Veteranen, so findet sich da auf halber Höhe zwischen unserem tierärztlichen veterinarius und seinem Grundwort vetus noch das Adjektiv veterinus, das gewöhnliche Pferde zu Zug- und Lastpferden macht und im Neutrum Plural veterina allgemein das „Zugvieh“ bezeichnet. An diesem Punkt sind wir mit unserem Latein nicht gerade am Ende, aber doch an einem Dreiweg. Einerseits liegt es nahe anzunehmen, dass manches altershalber ausgemusterte Schlachtross noch manche Jahre als geduldiges Zugpferd diente und dass die Zugpferde darum überhaupt abschätzig veterini, sozusagen „Veteranen“, genannt wurden, und weiter, dass die militärische Tiermedizin es vornehmlich mit diesen altgedienten „Veterinen“, „Zugtieren“, zu tun hatte und darum geradezu als „Veterinen-“ oder „Veterinärmedizin“, als „Zugtiermedizin“, bezeichnet wurde. Aber andererseits gibt es doch auch zu denken, dass ein römischer Lexikograph die Bezeichnung veterina bestia, „Zugtier“, geradewegs auf das geläufige Verb vehi, „fahren“, mit dem Partizip vectus zurückführt – irgendwie mag dieses Verb und gerade sein Partizip vectus hier über ein paar Lexikonspalten hinweg mitgespielt und mit seinem ohrenfälligen Anklang an das Adjektiv vetus der merkwürdigen Bedeutungsentwicklung von den altgedienten zu den vorgespannten Pferden buchstäblich vehement, „zugkräftig“, Vorschub geleistet haben. In der Sprache kommt es ja immer wieder zu wunderlichen Zufallsbegegnungen, wie zum Beispiel gerade jetzt, wenn jenen Veterinärbakteriologen statt ihrer angestammten Zugtiere lauter vom Himmel gefallene grippekranke Zugvögel unters Messer kommen.

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Xmas Cards „Weihnachten“: das ist einmal ein sprechendes und sogar ein unverhüllt sprechendes Wort gewesen. Aber heute muss man schon mit offenem Ohr und hellwachem Sinn hineinhören, um aus dem „Weihnachtsfest“ und den „Weihnachtsgeschenken“, ganz zu schweigen vom „Weihnachtsgeld“ und vom „Weihnachtsgeschäft“, noch die „geweihte Nacht“ herauszuhören. Wir nehmen den inneren Widerspruch in der Zusammensetzung ja kaum mehr wahr, wenn wir von einem „Weihnachtsabend“ oder gar einem ersten oder zweiten „Weihnachtstag“ sprechen. Unsere Sprache hält sich – so schon in der mittelhochdeutschen wîhe naht – an die Weihnachtsgeschichte nach dem Evangelisten Lukas: „Und es waren Hirten in jener Gegend auf freiem Feld und hielten in der Nacht Wache bei ihrer Herde ...“ Die romanischen Sprachen benennen das Weihnachtsfest nach der Geburt im Stall von Bethlehem. Nach dem lateinischen dies natalis, dem „Geburtstag“ Christi, heißt das Fest im Italienischen Natale, im Französischen – über ein etwas älteres Naël – seit dem späten 12. Jahrhundert Noël. Das Englische, die Weltsprache der Christmas Cards, hält sich an den Ehrentitel des Kindes in der Krippe; dieses Christmas oder abgekürzt geschrieben Xmas führt uns eine Strecke weiter ins Griechische zurück. Das griechische Verb chríein bedeutet „einreiben, einsalben“, und dies sowohl im Sinne der alltäglichen Körperpflege – die „Creme“ erinnert noch daran – als auch im Sinne einer rituellen Salbung. Das davon abgeleitete christós begegnet im Griechischen zuerst im 5. Jahrhundert v. Chr. bei den Tragikern Aischylos und Euripides, dort mit Bezug auf eine „einzureibende, eingeriebene“ heilende Salbe, und dann wieder in der sogenannten Septuaginta, der im 3. Jahrhundert v. Chr. in Alexandreia entstandenen

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griechischen Übersetzung des Alten Testaments, dort mit Bezug auf „gesalbte“ Priester und Könige. Im Neuen Testament wird dieses griechische christós zunächst zur Lehnübersetzung des hebräischen „Messias“ und dann zum Ehrentitel Jesu. Als die Sterndeuter aus dem Morgenland nach Jerusalem kommen und nach dem neugeborenen König der Juden fragen, lässt der Evangelist Matthäus den König Herodes Erkundigungen einziehen, wo der Messias, der christós, der „Gesalbte“, denn geboren werden solle. Und als Jesus durch Johannes den Täufer seine ersten Jünger an sich zieht, lässt der Evangelist Johannes den Andreas seinem Bruder Simon Petrus die Botschaft zurufen: „Wir haben den Messias gefunden!“ und verdolmetscht das Wort: „Messias heißt übersetzt: christós, der Gesalbte.“ Bereits in den Evangelien wird aus Name und Titel „Jesus der Gesalbte, der Messias“ der festgeprägte Doppelname „Jesus Christos“, mit lateinischer Endung „Jesus Christus“. Vollends griechisch wird es mit der schon mittelalterlichen Abbreviatur Xmas. In diesem Zeichen X verbirgt sich kein lateinisches „Ix“, wie wir es mit „Xanthippe“ buchstabieren, sondern ein genau so geschriebenes griechisches „Chi“ wie eben in „Christus“. Das -mas dahinter deutet auf die lateinische missa, die englische mass, unsere „Messe“; Christmas oder kurz Xmas heißt „Christmesse“. Und so bringt denn jede der vielen Christmas Cards oder kurz Xmas Cards auf dem Kaminsims oder an der Wäscheleine nicht nur fröhliche Weihnachtsgrüße von den Freunden in London, New York oder San Francisco ins Haus, sondern auch ein Merry Xmas! von den drei Kultursprachen Alteuropas, aus dem Hebräischen, dem Griechischen und dem Lateinischen.

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Zentralabitur Um gute sechs Prozent, meldet die Deutsche Depeschenagentur, habe die Zahl der Lateinschüler an deutschen Gymnasien im Jahr 2007 wieder einmal zugenommen. Sechs Prozent mehr Gymnasiasten werden jetzt mit einem frohen „Alea iacta esto!“, „Der Würfel sei geworfen!“ in das dreigeteilte, bildungsferne Gallien einmarschieren und nach dem Abitur mit einem stolzen „Veni, vidi, vici“, „Ich kam, ich sah, ich siegte“, über Caesar und Cicero, Vergil und Ovid triumphieren, und sechs Prozent mehr Gymnasiasten werden dann genauer wissen, was ein „Abi“ eigentlich bedeutet. Oder vielleicht auch nicht; mir hat es damals keiner erklärt. Es wäre auch schlechtes Latein. Könnte ein alter Römer hier hineinhören, so fielen ihm das Kopfstück ab-, „ab-, weg-“, der Stamm i-, „gehen“, und die Endung -tur durchaus vertraut ins Ohr, und aus dem ganzen „Abitur“ hörte er wohl eine korrekt gebildete Verbform heraus: „Es wird abgegangen“. Ein unpersönliches Passiv – soll das die offizielle Bezeichnung für die hehre Reifeprüfung sein? Nein, da wäre unser alter Römer auf einen schlimmen Holzweg geraten; so unpersönlich werden die reifen, überreifen Gymnasiasten nicht ins „Leben“ entlassen. Aber die Wahrheit ist auch nicht viel besser. Aus dem lateinischen Partizip Futur abiturus, „einer, der abgehen wird“, hat das neuzeitliche, dreifach post-, post-, post-Ciceronische Amtslatein ein Verb abiturire, „abgehen werden, vor dem Abgehen stehen“ abgeleitet, daraus wieder ein Partizip Präsens abituriens, „einer, der abgehen wird, Abiturient“, und daraus schließlich das Substantiv abiturium, „Abgangsprüfung, Abitur“. Bei dem Letzten hat wohl das „(Examen) physikum“, die „naturwissenschaftliche Prüfung“ der Mediziner, aber gewiss kein sprachsinniger Lateiner Pate gestanden.

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Nomen est omen, sagt ein anderes Geflügeltes Wort, „Der Name ist ein Vorzeichen“, und wenn das wahr ist, dürfte das neuerdings wieder vieldiskutierte Zentralabitur Lehrer und Schüler mächtig anspornen und anstacheln. Denn ursprünglich und eigentlich, schon seit Homer, bezeichnet das griechische kéntron, das darin steckt, eine scharfe Spitze wie den Sporn der Hähne und Reiter oder den Stachel der Bienen und Wespen. In der Folge haben die Handwerker und Architekten, Mathematiker und Astronomen das Wort auf den Kreismittelpunkt übertragen: Das in der Mitte eingestochene kéntron, die „Spitze“ des Zirkels, markierte und benannte das kéntron, das „Zentrum“ des Kreises. Vereinzelt erscheint diese übertragene Bedeutung bereits bei Platon und Aristoteles; durch Euklids „Elemente“ der Geometrie hat sie in der Folge weite Verbreitung gefunden. Im Griechischen sind die eigentliche Wortbedeutung „Spitze, Sporn, Stachel“ und die übertragene fachsprachliche Bedeutung „Kreismittelpunkt“ nebeneinander geläufig geblieben. Ins Lateinische ist das Wort über die Fachsprache der Architekten, der Mathematiker und der Astronomen und damit ausschließlich in der übertragenen Bedeutung des „Kreismittelpunkts“ eingegangen. Zuerst und sogleich ganz selbstverständlich erscheint dieses griechische kéntron, obenhin latinisiert zu centrum, in Vitruvs Lehrbuch der Architektur. Seither hat das Wort weit über alle Euklidischen Kreise und Ptolemäischen Sphären hinaus in aller Herren Länder und in allen neuen Sprachen unzähligen Zentren, Zentralen und neudeutschen Centers den Namen gegeben. Wer weiß, ob die deutschen Kultusminister sich jemals auf ein mehr oder weniger zentrales, vielleicht irgendwo mitten in Hessen eingestochenes Zentralabitur einigen werden. Aber wenn die Lateinlehrer unter dem anspornenden Zeichen einer solchen „Stachel-Abgangsprüfung“ neben ihrem Latein noch eine gut verträgliche Dosis Griechisch lehren, werden jetzt wieder sechs Prozent mehr Gymnasiasten ganz nebenbei so Überraschendes zu hören bekommen, wie dass ein „Gymnasium“, griechisch gymnásion, eigentlich ein „Nacktplatz“ ist, oder so buchstäblich Unerhörtes, wie dass die „Schule“, griechisch scholé, eigentlich „Muße“ heißt. Und wenn die „Schüler“, eigentlich ja „Muße“-Schüler, „Muße“-Jünger, dann einmal die so zentrale wie stachelige Frage stellen, was das eigentlich bedeute, kann das ganz gewiss nicht schaden.

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tymologische

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achschlagewerke

Erste Auskunft über etymologische Fragen geben für die deutsche, die lateinische und die griechische Sprache die folgenden Standardwerke: Der Duden in 12 Bänden, Band 7: Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache, herausgegeben von der Dudenredaktion. Redaktion der 3., völlig neu bearbeiteten und erweiterten Auflage durch Anette Auberle und Annette Klosa, der 4., neu bearbeiteten Auflage durch Brigitte Alsleben. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2007 Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, bearbeitet von Elmar Seebold. 24., durchgesehene und erweiterte Auflage, Berlin, New York 2002 Etymologisches Wörterbuch des Deutschen, erarbeitet unter der Leitung von Wolfgang Pfeifer. 2., durchgesehene und ergänzte Auflage, Berlin 1993. Taschenbuchausgabe: 8. Auflage, München 2005 A. Ernout / A. Meillet, Dictionnaire étymologique de la langue Latine. Histoire des mots. Quatrième édition par Jacques André. Paris 1985 A. Walde / J. B. Hofmann, Lateinisches etymologisches Wörterbuch, 3 Bände. Heidelberg, Band I und II: 5. Auflage 1982, Band III: 4. Auflage 1965 Hjalmar Frisk, Griechisches etymologisches Wörterbuch, 3 Bände. Heidelberg, Band I: 2. Auflage 1973, Band II: 3. Auflage 1991, Band III: 2. Auflage 1979

Einen Überblick über lateinisch-, griechisch- und arabischstämmige Wörter in der deutschen Alltagssprache vermitteln die folgenden Lexika und Sammlungen: Duden. Das große Fremdwörterbuch, herausgegeben und bearbeitet vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion. Bearbeitung der 4., aktualisierten Auflage durch Ursula Kraif. Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 2007

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Bernhard Kytzler und Lutz Redemund, Unser tägliches Latein. Lexikon des lateinischen Spracherbes. 7. Auflage, Mainz 2007 Bernhard Kytzler, Lutz Redemund und Nikolaus Eberl, unter Mitarbeit von Elke Steinmeyer, Unser tägliches Griechisch. Lexikon des altgriechischen Spracherbes. 3. Auflage, Mainz 2007 Latein und Griechisch im deutschen Wortschatz. Lehn- und Fremdwörter altsprachlicher Herkunft, auf der Grundlage des lateinischen Grundwortschatzes „Lebendiges Latein” von Friedrich Wolff und Alois Pögl neu entwickelt und überarbeitet von Otto Wittstock und Johannes Kauczor. 6. Auflage, Berlin 1990 Franz Dornseiff, Die griechischen Wörter im Deutschen. Berlin 1950 (wertvolle Ergänzungen dazu bei Richard Harder, Griechische Wörter im Deutschen, in: Kleine Schriften, München 1960, Seiten 462–465) Paul Gessler, Griechische Fremd- und Lehnwörter im Deutschen. Riehen/Basel 1967 Kleines Lexikon deutscher Wörter arabischer Herkunft, herausgegeben von Nabil Osman. 6. Auflage, München 2002 Andreas Unger, Von Algebra bis Zucker. Arabische Wörter im Deutschen, unter Mitwirkung von Andreas Christian Islebe. Stuttgart 2006

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Neben den 77 Titel-Wörtern dieser „Wortgeschichten“ verzeichnet das Register zahlreiche weitere Wörter, die um ihrer Sprachverwandtschaft oder eines anderen Bezuges willen im Text – oft nur im Vorübergehen – angesprochen werden. Abitur 187 f. Advokat 158 Agrikultur 114 f. Aids 141 Akkord 103 ff. Akropolis 103f., 112, 151 Akupunktur 15 f. Alma mater 49 Amnestie 17 f. Amputation 76 Amtsschimmel 19 f. analog 48 anomal 162 Anthropologie 151 Aosta 28 Ariadne, Ariane 21 f. Artes liberales 30, 119 Astronomie 132 Asyl 23 f. Atem, Atmen 26 Atmosphäre 25 f., 66 Atom 45 f. Attest 180 Augsburg 28 Augst 28 August 27 ff., 123, 165 Augustus 28 Autun 28

Bachelor of Arts 30 ff. Bakterie 183 Barbaren 111 Basis 33 f. Bazille 183 Bit 48 Caesar 87 f., 95 f. Campus 49 Cannstatter Wasen 157 Cappuccino 35 f. Cash 94 Center 188 CEO 35 cerise 99 CH 37 ff. Chaos 65 ff. Chef 19, 35 cherry 99 Chirurg 139 Chriesi 99 Christmas 185 f. Christus 185 f. Cicero 95 ff. ciliegia 99 Clown 29 Codex 94 Computer 47 f., 76

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Concorde 103 Confoederatio Helvetica 37 ff. Coup 40 f. coupe 41 Courage 105 Creme 185 Daten, Datei 163 Dattel 139 f. Datum 163 Demagogie 42, 141 Demo, Demonstration 43 Demographie 42 Demokratie 42 f., 141 demolieren 43 Demoskopie 42 Devise, Devisen 44 ff. Dezember 79, 123, 165 Dezernat 159 Dezime 165 digital 47 f. Disputation 76 Dividend, Dividende 44 Division 44 Dosis 33 Dr. honoris causa 71 Drangsal 178

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Drei Weise 121 f. Dummer August 29 E-mail 51 f. elektrisch, Elektrizität 51 f. Elektrokardiogramm 103 Elektron, elektronisch 51 f. Elite 49 f. emanzipiert 163 Empirie 55 f. Enthusiasmus 53 f. Epidemie 42, 141 f. Epigramm 141 Epizentrum 141 Erfahrung 56 Erfolg 170 Exem(p)tion 161 Expedition 172 Experiment 55 f. Experte 56 Exponat 160 Fachidiot 70 Faksimile 19 f. Fan, fanatisch 57 f. fänen 58 Farce 59 f. Fata Morgana 62 Fatum, fatal 61 f. Fax 19 FBI 39 Fee 61 f. Feiertage 63 f. Fenster 96, 161 Ferien 57, 63 f. Festtage 57, 63 f. FIFA 39 Föderalismus 37 ff. gähnen 65 Gas 65 ff.

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Gaumen 65 Gefahr 56 Generalist, General- 68 ff. Genus 69 Giga- 135 f. giorni feriali, festivi 63 f. glückselig 178 f. Glühwürmchen 83 Gordischer Knoten 22 Grippe 141, 183 Gymnasium 188 Gymnastik 133 Habseligkeiten 177 ff. Heilige Drei Könige 121 f. Heiliger Geist 54 heraldische Kunst 44 Herzinfarkt 59 Honorar 71 f. Honoratioren 71 honoris causa 71 Identität 73 f. -ik 133 impfen 75 f. Individuum 45 f. Infarkt 59 Innovation 77 f. Inserat 159 f. Installation 174 Intervention 169 Istanbul 152 Januar, Janus 79 f. Jobeljahr, Jubeljahr 84 f. Johannisbeere, -brotbaum 81 ff. Johanniskraut, -würmchen 82 f. Jubiläum, jubilieren 84 ff. Juli 123, 165 Junggeselle 31 f.

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Kabis 36 Kairos 55 Kaiser 95 f. Kaiserschnitt 87 f. Kanapee 89 f. Kanzlei 19 Kap 35 f. Kapelle 36 Kapital 35 Kapitän 35 Kapitel 35 Kapitell 35 Kapitol 35 kapitulieren 35 Kappes-Reden 36 Kapsel 93 f. kaputt 36 Kapuze, Kapuziner 36 Karat 82 Kardiologie 103 Karneval 91 f. Kassationsgericht 94 Kasse 93 f. Kassette 94 kassieren 93 f. Keller 95 ff. Kichererbse 97 Kilo- 135 f. Kirsche 98 ff. kommandieren 163 Konföderation 37 ff. Konjunktion 101 f. Konjunktiv 102 Konjunktur 101 f. Konkordanz 103 ff. Konkordat 103 Konkurrenz 106 f. Konkurs 107 Konstantinopel 152 Konstellation 102 Kontraindikation 108 Kontrapost 108

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kontraproduktiv 108 Kontrapunkt 16, 108 Kontrolle 108 ff. Konvention 169 Kopie 19 Kordel 104 f. Kordon 104 Korporal 36 Kosmetik 112 Kosmopolit, Kosmos 111 ff. Krise, Krisis 33, 55 Kult, Kultur 114 ff. kunterbunt 16 Küpli 41 Laborant 24 Labsal 178 Laie, Laïzismus 117 f. Leitfaden, Leitlinie 22, 162 Libanon 164 liberal, Liberalismus 119 f. Libero 119 liefern, Lieferant 120 Linie 161 f. Lorbeer 30 f. Master of Arts 30 f. Magier, Magie 121 f. Magnet 52, 54 Mai 123 f. Mailand 123 Majestät 124 Manager 125, 163 Mandat 163 f. Manege 125 Manifest 125 f. Manifestation 126 Maniküre 125 Manipulation 125 Manöver 125

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manuell 125 Manufaktur 125 Manuskript 125, 163 Marter 128 Märtyrer, Martyrium 127 f. Matinee 168 Mauer 96, 161 Medaille, Medaillon 129 f. Mega- 135 f. Metall 129 f. Meteorologie, Meteore 131 f. Mikro- 135 f. Milli- 135 f. Mnemotechnik 17 f. Monarchie 43 Mörtel 96, 161 f. Mosaik 134 Mühsal 178 Museum, museal 134 Musik, musisch 133 f. Nano- 135 f. Natur 115 Nekropolis 112 None 165 Norm 161 f. novellieren 78 November 79, 123, 165 Oktave 165 Oktober 79, 123, 165 okulieren 75 Ökumene 122 Oligarchie 43 Opposition 102, 137 f. Pädagoge 93 Palaver 146 Palermo 144 Palme 139 f.

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Pandämonium 141 Pandemie 141f., 143 Pankration 42 Panorama 143f. Pantheon 143 Parabel 146 parallel 146 Parlament 145ff. Parole 145f. Pedal 171 Pediküre 171 Perpendikel 161 Pest 141 Physik 151 Pirat 55 Plagiat, Plagiator 148ff. Pocken 141 Poeta laureatus 30f. Point of no Return, Pointe 16 Polier 147 Poliklinik 112, 152 Polis, Politik 111f., 151f. Polizei 112, 152 Porzellan 11f. Präfix 169 prägnant 153ff. Praktikant 24 Prävention 169 Praxis 33 präzis 88, 154f. Pro und Contra 108 profan 57 Programm 125 Protest 180 Punkt 15f. Punze 16 pur 76 radieren 156 -rama 144 rasant 156f.

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Rasen 156 f. Raser 156 f. rasieren 156 rassig 157 Recorder 103 f. redselig 179 Referat 158 ff. Reform 77 Regel 161 f. rekapitulieren 35 Rekord 103 f. renovieren 78 restaurieren 78 Richtlinie 162 Ringparabel 146 Rinnsal 178 robust 163 f. Rodel 109 Rolle 108 f. Rota Fortunae 109 Rotarier 109 Rotation, Rotor 109 -sal 178 f. Salär 73 Schicksal 179 Schimmel 20 Schizophrenie 104 Schule 188 Sebastian 28 Sectio Caesarea 88

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Sekretär 19 selig, -selig 178 f. September 79, 123, 165 f. Septime 165 Serenade 167 f. servil 120 Sewastopol 28, 151 Soiree 168 Souvenir 169 f. Spediteur, Spedition 171 f. speditiv 172 Spezialist, Spezial- 68 ff. Spezies 69 Sphäre 25 f. Springender Punkt 16 Stall 174 Standort, Standplatz 173 f. stechen 15 f., 175 Stigma, Stigmatisation, Stigmatisierung 15, 175 Stil 175 f. Stimulus 175 Stress 177 ff. Styling 175 f. Substruktion 169 Subventionen 169 Subversion 169 success 170 Suffix 169 Sukkurs 170

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Tabula rasa 156 Tempel 57 Tera- 135 f. Test 180 ff. Testaccio, Monte 180 Testament 180 Testikeln 181 Testosteron 181 Theorie 143 Tripolis 151 unterhalten 170 vehement 184 Veterinär, Veteran 183 f. Virus 183 Wasen 157 Weihnachten 185 f. Xmas Cards 185 f. Zar 95 f. Zäsur 88 Zeitpunkt 16 Zelle 95 ff. Zentralabitur 187 f. Zentrum, Zentrale 188 Ziegel 96, 161 Zitat 158

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In vier früher erschienenen Sammelbänden sind die folgenden jeweils 77 Wortgeschichten enthalten: „Wie Berenike auf die Vernissage kam“ (3. Auflage 2004): Akademiker – Amethyst – Ampel – Arzt – Asphalt und Beton – Atelier – Automat – Bilanz – Bits und Bytes – Bürokratie – Charakter – Charme – Clown – Code – Computer – Diamant – Digital – Diskette – Dosis – Ecu – Elektronisch – Embargo – Energie – Esoterik – Euro – Fachidiot und Laie – Fax – Finanzen – Frenetischer Beifall – Frugal – Gastronomie – Giro – Herzinfarkt – Industrie – Information – Kader – Kanal – Kanzler – Karat, Talent, Skrupel – Karikatur – Kassette – Kater – Kontamination – Kosmos und Kosmetik – Kran – Krater – Leitfaden – Mappe – Maschine – Ökumene – Palaver – Paragraph – Penicillin – Pilot und Pirat – Porzellan – Profil – Protokoll – Rakete – Rekord – Schule – Sport – Stadion – Statistik – Strolch – Symbol – Sympathie – Takt – Techno – Tempo – Termin – Themen, Thesen, Infotheken – Theorie – Tourist – Uran – Vernissage – Zoll – Zyniker

„Wie der Steuermann im Cyberspace landete“ (1998): Affäre und Skandal – Agenda – Amateur und Dilettant – Amüsement – Anekdote – Auto – Autorität – Belletristik – Bikini – Börse und Bursche – Bravo! – Castor – Chance – Cyberspace – Demokratie – Diner – Dinosaurier – Direktor – Droge – Effizienz – Eventuell – Experte – Fasten, Fest- und Feiertage – Glas – Gratis – Grill – Grippe – Grotesk – His story – Hybrid – Individuum – Infotainment – Installation – Investition – Kalender – Katastrophe – Kavalier – Klischee – Klonen – Kolumne – Kompost – Kontakt – Kostüm – Kritik – Labor – Manager – Mobbing – Multimedia – Nano- – Panik – Pauschal – Pause – Pavillon – Pedant – Philologie – Pille – Proaktiv – Profit und Defizit – Proliferation – Prominent – Qualifikation – Quote – Radar – Raffiniert – Rap – Rivalen – Sekretär und Sekretärin – Service – Skizze und Stegreif – Spargel – Sparte – Stil – Symposion – Synergie – Tresor – Visionen – Zins

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„Wie die Murmeltiere murmeln lernten“ (2001): Absolut – Affekt – Aktualität – Alles klar! – Ano(r)mal – Ball – Bank – Bio- – Boulevard – Brief – Brutal – Condicio sine qua non – Creme – Design – Dialog – Drama – Drastisch – Engel – Examen – Finale – Fonds – Golf – Helikopter – Horizonte – Instanz – Instinkt – Interesse – Isolieren – Kabinett – Kabrio – Kapital – Karriere – Kategorie – Katheder – Koketterie – Kolportage – Kompliment – Konsortium – Kosten – Kredit – Lakonisch und lapidar – Literatur – Makkaroni – Meditation – Millennium – Mode – Modern – Murmeltier und Schmetterling – Ökosteuer – Orientierung – Panzer – Perle – Person – Philotechnie – Pilger – Pionier – Plutonium – Post(h)um – Privat – Profi – Radikale – Rezept – Saison – Sanktionen – Spendenaffäre – Stentorstimme – Stipendium – Stoische Ruhe – Subventionen – Teint – Terawattstunde – Text – Trophäe – Trumpf – virtuell – Weiher – Zentrum

„Trüffelschweine im Kartoffelacker“ (2003): Agenda und Road Map – Aktie – Ambitionen – Ära – Armbrust – Assimilation – Athlet – Attentat – Brezel – Charisma – Debakel – Diät und Diäten – Diskussion – Emanzipation – Epidemie – Europa – Event – Familie – Frust – Fusion – Gnom – Homo – Idee – Juli – Kandidat – Kardinal – Karte – Kartoffel – Klient – Klima – Koalition – Komet – Kompetenz – Kompromiss – Kristall – Laune – Mark – Marmelade – Metall – Methode – Minute und Sekunde – Moment – Monopol – Motivation – Münze – Natürlich – Niveau – November – Papier – Papst – Paradies – Paradigmenwechsel – Parken – Pass – Pfingsten – Problem – Punkt – Putsch – Quentchen – Republik – Resolution – Restaurant – Rezession – Salär – Sekt – Seminar – Senioren – Serum – Silvester – Sisyphusarbeit – Solidarität – Symptom – Toleranz – Utopie – Virus – Weltraumspaziergang – Zukunft

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