Die Reichstage unter Karl V.: Verfahren und Verfahrensentwicklung 1521–1555 [1 ed.] 9783666360886, 9783525360880, 9783647360881


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Die Reichstage unter Karl V.: Verfahren und Verfahrensentwicklung 1521–1555 [1 ed.]
 9783666360886, 9783525360880, 9783647360881

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© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525360880 — ISBN E-Book: 9783647360881

Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften Band 100

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525360880 — ISBN E-Book: 9783647360881

Thomas Felix Hartmann

Die Reichstage unter Karl V. Verfahren und Verfahrensentwicklung 1521–1555

Vandenhoeck & Ruprecht

© 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525360880 — ISBN E-Book: 9783647360881

Die Schriftenreihe wird herausgegeben vom Sekretär der Historischen Kommission: Helmut Neuhaus

Umschlagabbildung: Der Einzug Karls V. in Augsburg 1530, Holzschnitt von Jörg Breu d. Ä., nach 1530 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 0568-4323 ISBN 978-3-666-36088-6 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter: www.v-r.de Gedruckt mit Unterstützung der Franz Schnabel Stiftung. © 2017, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: PTP-Berlin, Protago-TEX-Production GmbH, Berlin

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Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Die Reichstage unter Karl V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Der Wormser Reichstag von 1521 . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die Regimentsreichstage 1522–1529 . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Der Nürnberger Reichstag von 1522 . . . . . . . . . . . 1.2.2 Der Nürnberger Reichstag von 1522/23 . . . . . . . . . 1.2.3 Der Nürnberger Reichstag von 1524 . . . . . . . . . . . 1.2.4 Der gescheiterte Augsburger Reichstag von 1525 . . . . 1.2.5 Der Speyerer Reichstag von 1526 . . . . . . . . . . . . 1.2.6 Der Regensburger Reichstag von 1527 . . . . . . . . . 1.2.7 Der Reichstag 1529 in Speyer: Die Aufgabe des Konsensprinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der Reichstag in der Krise: 1530–1541 . . . . . . . . . . . . . 1.3.1 Der Augsburger Reichstag von 1530 . . . . . . . . . . . 1.3.2 Der Regensburger Reichstag von 1532 . . . . . . . . . 1.3.3 Der Regensburger Reichstag von 1541 . . . . . . . . . 1.4 Vermittlung durch Ferdinand 1542–1543 . . . . . . . . . . . 1.4.1 Der Speyerer Reichstag von 1542 . . . . . . . . . . . . 1.4.2 Der Nürnberger Reichstag von 1542 . . . . . . . . . . . 1.4.3 Der Nürnberger Reichstag von 1543 . . . . . . . . . . . 1.5 Zwischen Krieg und Vermittlung: 1544–1546 . . . . . . . . . 1.5.1 Der Speyerer Reichstag von 1544 . . . . . . . . . . . . 1.5.2 Der Wormser Reichstag von 1545 . . . . . . . . . . . . 1.5.3 Der Regensburger Reichstag von 1546 . . . . . . . . . 1.6 Die Verfestigung der Kurien: 1547–1551 . . . . . . . . . . . . 1.6.1 Der geharnischte Augsburger Reichstag von 1547/48 . . 1.6.2 Der Augsburger Reichstag von 1550/51 . . . . . . . . . 1.7 Konsens oder Mehrheit? Der Augsburger Reichstag von 1555

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33 34 39 39 43 45 50 51 53

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2. Der Ablauf eines Reichstags . . . . . . . . 2.1 Genehmigung und Ausschreiben . . . 2.2 Vorbereitung und Anreise . . . . . . . 2.3 Registrierung bei der Mainzer Kanzlei

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. 95 . 96 . 105 . 114

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Inhalt

2.4 Audienzen vor dem Reichstag . . . . . . . . . . . . . 2.5 Verhandlungen über Beginn oder Prorogation . . . . 2.6 Eröffnung und Proposition . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.1 Eröffnungsprozession und Gottesdienst . . . . . 2.6.2 Proposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6.3 Abschrift und Bedenkzeit . . . . . . . . . . . . 2.7 Feststellung der Beschlussfähigkeit . . . . . . . . . . . 2.8 Festlegung der Verhandlungsweise . . . . . . . . . . . 2.9 Der Abschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.9.1 Formulierung und Überprüfung des Abschieds 2.9.2 Verlesung des Abschieds und Überprüfung der Subskriptionen . . . . . . . . . . . . . . . . 2.10 Nach dem Abschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Die Verhandlungen – Versammlungsformen, Ergebnisfindung und Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Versammlungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Versammlung vor dem Herrscher . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Gemeine Versammlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Versammlungen der Kurien . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Reichsrat und Kurien im Verständnis der Reichstagsteilnehmer 3.3 Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Zum Ausschussbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Zusammensetzung der Ausschüsse . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Bildung der Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Ausschusswesen und Parteilichkeit . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Zusammenfassung – Ausschüsse . . . . . . . . . . . . . 3.4 Umfrage und Mehrheitsabstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Anwendung des Mehrheitsprinzips . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Das Verfahren der Umfrage: Ein Beispiel . . . . . . . . . 3.4.3 Die Rolle des Direktoriums . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.4 Konsens und Mehrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.5 Ausblick auf die Jahrzehnte nach Karls Abdankung . . . 3.4.6 Zusammenfassung – Umfrage und Mehrheitsprinzip . . 3.5 Kommunikation der Kurien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5.1 Das Kurienverfahren und der Ausführliche Bericht . . . 3.5.2 Kommunikation außerhalb der Relation . . . . . . . . . 3.5.3 Kommunikation in der Relationssitzung . . . . . . . . . 3.5.4 Zusammenfassung – Kurienkommunikation . . . . . . . 3.6 Kommunikation mit dem Herrscher . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

3.7 Sessionsstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7.1 Sessionsstreit zwischen Gesandten und Fürsten . . . . 3.7.2 Sessionsstreit am Beispiel von Österreich und Salzburg 3.7.3 Sessionsstreit am Beispiel der Grafenstimmen . . . . . 3.7.4 Reaktionen auf Sessionsanmaßungen . . . . . . . . . . 3.7.5 Zusammenfassung – Sessionsstreit . . . . . . . . . . .

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4. Verfahrensentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Verfahrensbildung als Verdrängung der Standespersonen . . . 4.2 Entstehung von Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Ursachen von Verfahrensstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Verfahrensstreit – ein Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5 Systematik des Verfahrenskonflikts . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.1 Rechtfertigung bei Verfahrensfragen . . . . . . . . . . 4.5.1.1 Juristische Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . 4.5.1.2 Rechtfertigung über Notwendigkeit . . . . . . . 4.5.1.3 Soziales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2 Argumentation im Verfahrensstreit . . . . . . . . . . . 4.5.2.1 Erinnerung und Vergessen . . . . . . . . . . . 4.5.2.2 Argumentation mit Neuerung, Ausnahme und Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.5.2.3 Drohungen und Sanktionen im Verfahrensstreit 4.6 Zufall und Sinnzusprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Zusammenfassung – Verfahrensentwicklung . . . . . . . . .

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Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 Quellen- und Literaturverzeichnis Archivalische Quellen . . . . Gedruckte Quellen . . . . . . Literatur . . . . . . . . . . . .

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Personen- und Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367

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Vorwort

Die nachfolgende Arbeit habe ich im Rahmen meines Promotionsstudiums angefertigt, das ich 2009 unmittelbar in Anschluss auf meinen Magisterabschluss aufnahm. Im Januar 2010 einigte ich mich mit meinem Betreuer Maximilian Lanzinner auf ein Thema für die Dissertation, die sich damals noch dem Fürstenrat als einzelner Kurie des frühneuzeitlichen Reichstags widmen sollte. Im Anschluss daran begab ich mich auf die Suche nach einer Finanzierung und erhielt ab dem Januar 2011 schließlich ein Stipendium der Friedrich-Ebert-Stiftung. Das Thema weitete ich bald auf das Reichstagsverfahren generell aus. 2014 wurde meine Arbeit von der Philosophischen Fakultät der Universität Bonn als Dissertationsschrift angenommen und ich erhielt die Druckerlaubnis. Im Frühjahr 2015 wandte ich mich wegen der ausstehenden Veröffentlichung an die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, die sich im Jahr darauf dafür entschied, meine Arbeit in ihre Schriftenreihe aufzunehmen. Nun bleibt mir an dieser Stelle noch die erfreuliche Aufgabe, all jenen zu danken, die zu meinem erfolgreichen Promotionsstudium beigetragen haben. Da ich in einem Land lebe, in dem die Bildungschancen maßgeblich vom Elternhaus abhängen, darf es kaum verwundern, dass ich hier an erster Stelle meinen Eltern Gudrun und Hans-Heinrich Hartmann danken möchte, die mich seit meiner Kindheit stets gefördert und in meinen Interessen bestärkt haben. Besonderer Dank gilt natürlich auch Maximilian Lanzinner, der mein Promotionsstudium betreut hat. Nach dessen plötzlicher schwerer Erkrankung übernahm 2014 dankenswerterweise Guido Braun die Betreuung. Beide Betreuer haben meine Arbeit mit großem Wohlwollen und Interesse begleitet. Der Friedrich-Ebert-Stiftung danke ich für das großzügige Stipendium, das es mir gestattete, mich drei Jahre lang fast nur mit Reichstagsakten zu beschäftigen. In der Frühphase des Promotionsstudiums, als es darum ging, die Fragestellung zu entwickeln und ein Exposé zu entwerfen, habe ich nicht nur Unterstützung von meinem Betreuer erhalten, sondern wurde auch von anderen Experten der Reichstagsgeschichte beraten. Besonders hervorheben möchte ich Dietmar Heil, der mich in einer Reihe von ausführlichen Gesprächen sehr hilfreich beraten und mich auch im späteren Verlauf stets mit seinen Einschätzungen und Hinweisen unterstützt hat. Ferner danke ich Martina Fuchs und Albrecht Luttenberger für ihren Rat hinsichtlich der Quellenlage zum Reichstag von 1530. Silvia Schweinzer-Burian und Rosemarie Aulinger ermöglichten mir 2011 Zugriff auf ihre Ständetabellen zu den Reichstagen von 1521 bis 1555, worüber ich mich ebenfalls sehr gefreut habe. Auch während der Jahre des Quellenstudiums erfuhr ich von verschiedenen Seiten freundliche Unterstützung. Sehr gefreut hat mich, dass Silvia SchweinzerBurian mir gestattete, Quellentranskriptionen zu verwenden, die für den von ihr bearbeiteten Editionsband zum Reichstag von 1543 angefertigt wurden. In

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Vorwort

diesem Zusammenhang entwickelte sich auch ein Schriftverkehr, in dem wir uns über unsere Einschätzungen zu verschiedenen Quellenstellen austauschten. Ihr Interesse an meiner Arbeit hat mich dabei sehr bestärkt. Auch Josef Leeb gilt mein Dank, der mir Kopien entsprechender Transkriptionen von Quellen zum Reichstag von 1594 zukommen ließ. Dem Institut für Geschichtliche Landeskunde Mainz und dort speziell Elmar Rettinger danke ich für die Möglichkeit, die in Mainz vorhandenen Mikrofilme des Erzkanzlerarchivs einzusehen. Mein Dank gilt auch den Mitarbeitern der Archive, die ich im Laufe meiner Forschungen aufgesucht habe. Besonders hervorheben möchte ich dabei Elisabeth Noichl, die mich im Bayerischen Hauptstaatsarchiv in München sehr zuvorkommend unterstützt hat. Im Anschluss an das Quellenstudium folgte die Schreibphase. Hier schulde ich zuvorderst Tristan Nowak meinen Dank, der stets Zeit hatte und helfen konnte, wenn ich mich mit Fragen zur Textsatz-Software und elektronischer Literaturverwaltung an ihn wendete. Besonderer Dank gilt natürlich auch den Korrekturlesern: Pia Rudnik und Hans-Heinrich Hartmann dürften zu den besten Kennern dieses Buches geworden sein. Cordia Baumann hat sich um das sorgfältige Durchsehen der Fußnoten verdient gemacht. Danken möchte ich auch Yasmin Rescher und Nina Schnutz, die sich in der späten Phase bereit erklärt haben, bei ihren Archivaufenthalten für mich noch nachträglich weitere Scans einzelner Quellen anfertigen zu lassen. Für die regelmäßigen Ratschläge, Einschätzungen und Anregungen danke ich den Teilnehmern der Oberseminare und den Mitarbeitern des Zentrums für Historische Friedensforschung in Bonn, vor allem Maria-Elisabeth Brunert, Christiane Neerfeld und Peter Heuser. Nicht vergessen möchte ich auch meine langjährige Mensarunde. Das Anfertigen einer Dissertation ist eine recht einsame Tätigkeit und die täglichen Gespräche bei Essen und anschließendem Kaffee haben dazu beigetragen, mich über die Jahre motiviert zu halten. Für die Aufnahme in die Schriftenreihe danke ich ganz herzlich der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Bonn im September 2016

Thomas Felix Hartmann

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Einleitung

Forschungsstand Als die kleine Stralsunder Bürgertochter Gertrud Sastrow um 1540/41 beim Spinnen von den Erwachsenen erfuhr, dass »die Kay. May. einen Reichstag ausgeschrieben hette, darhin der Kaiser, König, Chur- unnd Fürsten, Graven und große Herren bey einander kömen«, fragte sie, »was sie dar machten«. Die Antwort war: »Sie verordneten unnd schlussen, wie es in der Welt gemacht unnd zugeen solte«1. Was muss diese Beschreibung für einen Eindruck hinterlassen haben: Der Kaiser, der König, all die Kurfürsten und Fürsten, Grafen und Herren kamen zusammen, verordneten und beschlossen, wie es auf der Welt zugehen sollte! Es ist kein Wunder, dass diese Antwort die Fantasie des Mädchens anregte. Sie wünschte sich zumindest nun, »das sie doch auch ernstlich verordenen mochten, das solche kleine Mägdlein nicht spinnen dörfften!«2 Eine Abschaffung der häuslichen Kinderarbeit wäre ihr womöglich nicht in den Sinn gekommen, wenn sie ihre Antwort von der modernen Geschichtswissenschaft bezogen hätte. Heutige Historiker tun sich deutlich schwerer, den Reichstag zu beschreiben. Weit nüchterner, als die Familie Sastrow es ausdrückte, wird das Phänomen der Reichstage inzwischen in Worte gefasst. So heißt es beispielsweise: »Personen aus allen Regionen des Reiches trafen auf engem Raum aufeinander und traten in komplexe Interaktionsverhältnisse zueinander«3. Doch wie sahen diese komplexen Interaktionsverhältnisse aus? Auf welche Weise interagierten der Kaiser und seine Fürsten? Welchen Zweck erfüllten ihre Versammlungen? Den Reichstag zu verstehen, erfordert zunächst die Erkenntnis, dass dieser oft Veränderungen unterlag. Nicht nur die Zeitgenossen Gertrud Sastrows neigten dazu, den Reichstagen den Charakter einer unveränderlichen Institution zuzuschreiben. Es liegt in der Natur des damals maßgebenden Gewohnheitsrechts, Kontinuitäten zu betonen und Umbrüche zu verschweigen. So kommt es, dass noch die Juristen des 18. Jahrhunderts nicht generell zwischen den Hoftagen des frühen 11. Jahrhunderts und den letzten Reichstagen des Alten Reichs unterschieden.⁴ Auch die im 19. Jahrhundert begonnene Edition der Deutschen Reichstagsakten setzt in ihrer Älteren Reihe im 14. Jahrhundert ein,⁵ also lange

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Mohnike, Bartholomäi Sastrowen, Bd. 1, S. 25. Ebd. Stollberg-Rilinger, Symbolik der Reichstage, S. 77. So beginnt die Sammlung der Reichsabschiede auch mit Dokumenten aus der Zeit Konrads II.: Senckenberg/Koch, Neue Sammlung. 5 RTA ÄR 1.

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Einleitung

vor der Entstehung des Reichstagsbegriffs⁶. Seither hat die Geschichtswissenschaft dazu beigetragen, in der Wahrnehmung der Reichsversammlungen zu differenzieren. Der markanteste Entwicklungsschritt wurde dabei für die Regierungszeit Maximilians I. konstatiert.⁷ Hier habe sich der Reichstag im eigentlichen Sinne aus zwei Wurzeln herausgebildet: Die eine sei der königliche Hoftag⁸, die andere die Versammlung der Kurfürsten, bzw. der von diesen einberufene königlose Tag.⁹ Zwischen dem Kaiser und dem Reich zu unterscheiden, sei dabei ein wesentlicher Entwicklungsschritt gewesen.1⁰ Dieser Prozess fand seinen Höhepunkt in den Auseinandersetzungen zwischen König Maximilian I. und seinem Reichserzkanzler Berthold von Henneberg11. Der Mainzer Kurfürst strebte danach, die Reichsversammlungen als Gegengewicht zur kaiserlichen Herrschaft zu etablieren.12 Wie sollte ein solches Gegengewicht geschaffen werden? Berthold von Henneberg wollte verhindern, dass der Kaiser oder König nach eigenem Ermessen Stände zu seinen Hoftagen rief.13 Stattdessen plante er eine »möglichst vollzählige Versammlung aller Kurfürsten, Fürsten und Städte des Reiches, die dem Reichsoberhaupt geschlossen und solidarisch handelnd gegenübertreten, um ihre gemeinsamen Interessen wahrzunehmen und durchzusetzen.«1⁴ Wesentliche Punkte dieses Umwandlungsprozesses vom königlichen Hoftag zum neuen Reichstag waren: 1. Der Anspruch auf Vollzähligkeit, der die Einladung aller Reichsstände erforderte. 2. Die Herausbildung eines Gemeinschaftsgefühls unter den versammelten Ständen. 3. Die Verbindlichkeit der auf den Reichsversammlungen getroffenen Entscheidungen. 4. Die Herausbildung der Kurien für eine getrennte Beratung. 5. Die Einführung und Durchsetzung einer Geheimhaltungspflicht über den Verhandlungsverlauf. Hierdurch sollte der Einfluss des Reichsoberhaupts auf die Verhandlungen eingeschränkt werden. 6. Die Ausrichtung des Beratungsgeschehens auf den Mainzer Kurfürsten als Reichserzkanzler. Sie sollte das Reichsoberhaupt weiter vom Verhandlungsverlauf ausgrenzen und gleichzeitig die Bedeutung des Mainzer Erzbischofs vergrößern. 7. Die Herausbildung eines 6 Zum Auftauchen des Begriffs »Reichstag«: Isenmann, Kaiser, Reich und deutsche Nation, S. 192–194; Moraw, Versuch, S. 6–8; ders., Hoftag und Reichstag, S. 17; Seyboth, Reichstage der 1480er, S. 519–520. 7 Moraw, Versuch; ders., Hoftag und Reichstag. 8 Zur Entwicklung des mittelalterlichen Hoftags: Annas, Hoftag; zur Entwicklung von Hoftag zu Reichstag auch: Isenmann, Kaiser, Reich und deutsche Nation, S. 195–218. 9 Moraw, Versuch, S. 14–31; Martin, Auf dem Weg zum Reichstag, S. 214–242. 10 Moraw, Versuch, S. 19–20. 11 Trotz der unumstritten großen Bedeutung Bertholds für die Verfassungsgeschichte des Alten Reichs fehlt bisher eine umfassende moderne Untersuchung zu seinem Leben und Wirken. An älteren Beiträgen sind zu nennen: Schröcker, Unio atque concordia; Hartung, Berthold; Bader, Staatsmann. 12 Seyboth, Reichstage der 1480er, S. 545; ders., Gestalt und Wandel, S. 67–84; Angermeier, Die Reichsreform 1410–1555, S. 145–229; Schubert, König und Reich, S. 329. 13 Zur Entwicklung dieser Frage vor der Zeit Bertholds von Henneberg: Isenmann, Kaiser, Reich und deutsche Nation, S. 196–203. 14 Seyboth, Reichstage der 1480er, S. 525.

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Einleitung

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dauerhaften Verfahrens für die Versammlungen, in dem die Mainzer Kanzlei eine zentrale Rolle spielte.1⁵ Diese Entwicklungen sind jedoch nicht als klares reichspolitisches Konzept zu verstehen, nach dem das Reich umgestaltet werden sollte. Sie vollzogen sich in einer eigenen Dynamik, deren Auswirkungen nicht vorhersehbar waren. Keineswegs war es allein der Gegensatz Reichsoberhaupt–Stände oder Maximilian– Berthold, der hierfür verantwortlich war. Die Festigung des Kurvereins einerseits und die Ausweitung der Reichsversammlungen durch die Beteiligung nahezu aller reichsunmittelbarer Stände andererseits standen im Zusammenhang mit dem Machtgewinn weltlicher Fürstendynastien und der damit einhergehenden Bedrohung geistlicher Herrschaften.1⁶ Durch die Verdichtung1⁷ des Reichs mittels der entstehenden Reichstage gelang die Einbindung sowohl der aufstrebenden Fürstentümer als auch der in ihrer Reichsunmittelbarkeit bedrohten Stände in ein System, das sich langfristig rechtsichernd auswirkte. Davon profitierten schließlich neben den Fürstbistümern auch andere von Mediatisierung gefährdete Stände wie die Freien und Reichsstädte, Reichsprälaten1⁸ und reichsunmittelbare Grafen und Herren.1⁹ Sie alle wurden durch ihre Teilnahme an den Reichstagen und die damit einhergehende Beteiligung an Reichssteuern zu Reichsständen.2⁰ Dies hob sie hinaus über jene Stände, die dem Reich nur mittelbar unterworfen waren. Die Etablierung der Reichstage trug somit dazu bei, die Vielzahl der Stände des Reichs eindeutiger zu gliedern: Wer Reichsstand war, nahm an den Reichstagen teil. Wer dem Reich nicht direkt unterworfen war, war Landstand seines jeweiligen Fürstentums. Als solcher konnte er am Reichstag nur als Bittsteller auftreten.21 Die Reichstage waren als Kommunikationsforen nicht nur für Reichsoberhaupt, Reichsstände und landständische Gesandtschaften von Bedeutung, sondern auch für ausländische Stände und Mächte, die sich an das Reich als Gesamtheit und nicht nur an den Herrscher wenden wollten. Dies galt zunächst für das Königreich Ungarn, das sich Hilfe gegen die Türken erhoffte. Für die habsburgische Herrschaft 15 Ausführlich zu diesen sieben Entwicklungsaspekten: Seyboth, Reichstage der 1480er, S. 529–544. 16 Roll, Rolle Bertholds von Henneberg. 17 Peter Moraw unterscheidet zwischen einem verdichteten und einem offenen Reichsbegriff: Moraw, Neue Ergebnisse der deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, S. 70–71. Zur Integration des vermeintlich reichsfernen Norddeutschlands durch den Reichstag: North, Reich und Reichstag im 16. Jahrhundert. 18 Die Beteiligung der Prälaten an den Reichstagen des 16. Jahrhunderts ist bisher kaum untersucht worden. Zu den schwäbischen Prälaten: Reden-Dohna, Die schwäbischen Reichsprälaten und der Kaiser – Das Beispiel der Laienpfründen; dies., Reichsstandschaft und Klosterherrschaft; dies., Problems of Small Estates of the Empire: The Example of the Swabian Imperial Prelates. 19 Zur Funktion des Reichstags als Ersatz für militärische Bündnisse: Schmidt, Städtecorpus. 20 Lanzinner, Der deutsche Reichstag und Karl V., S. 5. 21 Zu landständischen Gesandten am Reichstag: Luttenberger, Landstände, Kaiser, Reichstag. Vor allem die österreichischen Landstände wandten sich oft an den Reichstag: Burkert-Dottolo, Die Landstände der österreichischen Erbländer auf dem Weg ins »Reich«.

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in Europa noch relevanter waren die Versuche der französischen Könige, über Gesandtschaften auf den Reichstagen die Politik der französischen Krone gegenüber den Reichsständen zu rechtfertigen.22 Auch für die römische Kurie boten die deutschen Reichstage die Möglichkeit, auf die politischen Entwicklungen im Reich einzuwirken.23 Es bleibt also festzuhalten, dass vornehmlich zur Regierungszeit Maximilians I. ein Prozess stattfand, der den Reichsversammlungen eine neue Qualität gab. Dieser Prozess führte dazu, dass nun ein deutlich größerer, aber auch beständigerer Kreis von Ständen geladen wurde. Diese Stände gewannen durch ihre gemeinsamen Beratungen das Gefühl einer gemeinsamen Verantwortung für das Reich, die in ihnen eine Identität als Reichsstand weckte. Durch ihre Beteiligung an den Entscheidungen fühlten sich die Reichsstände den gemeinsamen Beschlüssen stärker verpflichtet. Die Legitimierung von Entscheidungen blieb also eine wichtige Aufgabe der Reichsversammlungen. Das Gemeinschaftsgefühl der Reichsstände führte aber nicht zu einem Gefühl der Gleichheit unter den Ständen. So blieben tatsächliche und traditionelle Unterschiede nicht nur bestehen, sondern äußerten sich auch stets in den getrennten Beratungen, die Kurfürsten einerseits und die Städte andererseits von den Ständen separierten. Dabei nahm der Mainzer Kurfürst eine zentrale Rolle ein, der die Beratungen der Stände koordinierte und vom Einfluss des Reichsoberhaupts abschirmte. Dies gelang auch mittels der Herausbildung eines Verfahrens. Ebenso ist aber zu betonen, dass der beschriebene Prozess nicht unter Maximilian I. abgeschlossen wurde. Er fand zu dieser Zeit lediglich einen Höhepunkt. Eine weitere Zäsur in der Reichstagsentwicklung sieht die Forschung im letzten Reichstag Karls V. im Jahr 1555.2⁴ Diese Zäsur ist jedoch nicht als Umbruch zu sehen, sondern als Endpunkt einer Verfahrensentwicklung. Ab den Reichstagen von 1555 und 1559 habe »ein geschlossenes System von Regeln des Verfahrens« bestanden, »die immer wieder Anwendung fanden.«2⁵ Dabei habe die Reformation zur Ausformung des Reichstags beigetragen.2⁶ Welche Entwicklungen sind 1521, zum ersten Reichstag unter Karl V., noch nicht vollzogen gewesen, sodass sie Anlass zu dieser Einteilung bieten? Auffällig ist

22 Beiderbeck, Wahrnehmung des Reichstages, S. 500–501; Luttenberger, Karl V., Frankreich und der deutsche Reichstag; Pariset, Humanisme – réforme et diplomatie. Les relations entre la France et l’Allemagne au milieu du XVIe siècle d’après documents inédits. Zur umgekehrten Nutzung des Reichstags zur Diffamierung des französischen Königs durch Maximilian I.: Seyboth, Reichstag und politische Propaganda. 23 Angermeier, Kirche und Reichstag; Braun, Wahrnehmung der Reichstage, S. 461–490; Luttenberger, Kaiser, Kurie und Reichstag; Schweinzer, Ringen um Konzil und Kirchenreform; Wolff, Päpstliche Legaten. 24 Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 135; Heil, Der Reichstag des 16. Jahrhunderts als politisches Kommunikationszentrum, S. 258–262. 25 Lanzinner, Juristen unter den Gesandten der Reichstage 1486–1654, S. 357. 26 Press, Territorialstruktur, S. 243-244.

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zunächst das Projekt des zweiten Reichsregiments, das 1521 in Worms beschlossen wurde.2⁷ Das Reichsregiment wirkte sich auch auf die Reichstage aus, da es in der Zeit, in der Karl V. nicht im Reich war, Reichsversammlungen ausschrieb und diese im Namen des Kaisers eröffnete. Nach Karls Rückkehr ins Reich und der bald folgenden Wahl seines Bruders Ferdinand zum römischen König gab es nie wieder eine solche Einrichtung. Eine weitere interessante Entwicklung ist die des Ausschusswesens. Hier standen vor allem jene Ausschüsse im Mittelpunkt des Forschungsinteresses, die Stände aus mehreren Kurien zusammenführten. Solche waren vor allem die Großen Ausschüsse, die in den 1520er Jahren zunächst noch ohne besondere Einschränkung ihrer Befugnisse einberufen wurden. Sie gaben Gerhard Oestreich einst sogar Anlass, von einer »parlamentarischen Arbeitsweise«2⁸ der Ausschüsse zu schreiben. Angesichts der enormen Unterschiede zwischen modernen Volksvertretungen und frühneuzeitlichen Reichstagen wurde diese Formulierung aber bald zurückgewiesen.2⁹ Es lässt sich beobachten, dass die Großen Ausschüsse mit der Zeit einerseits in ihren Aufgaben eingeschränkt und andererseits immer zögerlicher einberufen wurden. Ihr Ende fanden diese auch als interkurial3⁰ bzw. interständisch31 bezeichneten Ausschüsse mit dem Abschluss des Reichstags von 1547/48. Nach diesem Reichstag unterbanden die Kurfürsten dauerhaft die Bildung weiterer Ausschüsse solcher Art.32 Schon auf den vorangegangenen Reichstagen war die Initiative zu solchen Ausschüssen hauptsächlich vom Fürstenrat ausgegangen. Bestimmte kurienübergreifende Ausschüsse bestanden jedoch weiter. So wurden auch nach 1547/48 der Supplikationsrat33 und der Ausschuss zur Abhörung des Reichsabschieds weiter mit Personen aus unterschiedlichen Kurien besetzt.3⁴ Neben den Ausschüssen fand aber auch das Abstimmungsverfahren Interesse.3⁵ Hierbei ist nicht immer klar ersichtlich, in welchem Verhältnis Konsensbildung und Mehrheitsabstimmung zueinander standen. Trotz vorhandener Berichte über Mehrheitsabstimmungen wurden die so zustande gekommenen Ergebnisse oft

27 Roll, Zweites Reichsregiment. 28 Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise. 29 Schlaich, Mehrheitsabstimmung, S. 315; Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 117; Moraw, Hoftag und Reichstag, S. 8; ders., Neue Ergebnisse der deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, S. 68; ders., Reichsreform, S. 291; dagegen bezeichnet Schulze den Reichstag jedoch als »frühparlamentarische Versammlung«: Schulze, Deutscher Reichstag, S. 449. 30 Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise, S. 230. 31 Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 118. 32 Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise, S. 234. 33 Zur Entwicklung des Supplikationsausschusses: Neuhaus, Supplikationsausschuß; ders., Supplikationen auf Reichstagen des 16. Jahrhunderts. 34 Lanzinner, Die Rolle des Mainzer Erzkanzlers auf den Reichstagen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 72. 35 Schlaich, Mehrheitsabstimmung.

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angezweifelt.3⁶ Die größte Verfahrensunklarheit gab es hierbei im Fürstenrat. Es ist noch nicht einmal sicher, ob in ihm unter Karls Vorgänger überhaupt Mehrheitsabstimmungen stattfanden.3⁷ Um diese im Vergleich mit dem Kurfürstenrat defizitäre Verfahrensausbildung zu erklären, wurde auf den Begriff »Verfahrensautonomie«3⁸ zurückgegriffen.3⁹ Gerade der Fürstenrat erfüllte kaum die Kriterien für Verfahrensautonomie, was sein Verfahren angreifbar machte. Auch die Entwicklung der Schriftlichkeit wurde hervorgehoben. Sie hatte sich bereits im 15. Jahrhundert enorm gesteigert.⁴⁰ Auf den Hoftagen Friedrichs III. war bereits die schriftliche Kommunikation zwischen Kaiser und Ständen zeitweise üblich, was sich unter Maximilian I. jedoch wieder änderte.⁴1 Während der Herrschaft Karls V. stieg die Schriftlichkeit auf den Reichstagen stark an.⁴2 Sie wird als Ausdruck der Modernisierung des Reichstags angesehen.⁴3 Sowohl die Protokollierung der Verhandlungen wurde ausführlicher als auch die Verschriftlichung der Zwischenergebnisse. Gründe hierfür werden darin vermutet, dass einerseits die Fürsten seltener persönlich an den Verhandlungen teilnahmen und deshalb schriftliche Berichte über die Arbeit ihrer Räte notwendiger und andererseits vorbereitende und den Reichstag begleitende Treffen einzelner Gruppierungen üblicher wurden.⁴⁴ Auch die Politik der Religionsgespräche⁴⁵ und die fehlenden Deutschkenntnisse des Kaisers⁴⁶ können dabei eine Rolle gespielt haben. Geprägt wurde die Schriftlichkeit dabei vornehmlich durch die von den Ständen am Reichstag eingesetzten Juristen.⁴⁷ Es lässt sich somit feststellen, dass die Reichsversammlungen deutlichen strukturellen Wandlungen unterlagen. Das hat dazu geführt, dass der Begriff »Reichstag« in der Forschung inzwischen deutlich vorsichtiger verwendet wird als noch in der Sprache der Reichstagsteilnehmer. Es ist auch bekannt, dass der größte Bedarf an der Ausformung von Verfahren im relativ jungen Fürstenrat bestand. Der im Anfangszitat angesprochene Reichstag von 1541 war deshalb keine erneute bloße Wiederholung des ständig gleichen Ablaufs. Jede Reichsversammlung zwischen dem Tod Maximilians I. und der Abdankung Karls V. trug noch zur Verfeinerung

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Schlaich, Maioritas. Heil, Der Reichstag des 16. Jahrhunderts als politisches Kommunikationszentrum, S. 254–255. Stollberg-Rilinger, Einleitung in: »Vormoderne politische Verfahren«, S. 15. Zur Bedeutung von Autonomie für Verfahren auch: Sikora, Der Sinn des Verfahrens, S. 34–35. Schubert, Umformung, S. 226–236. Seyboth, Reichstage der 1480er, S. 527–528. Schweinzer-Burian, Einleitung zu RTA JR 12, S. 45. Heil, Verschriftlichung des Verfahrens. Zu den Auswirkungen der Schriftlichkeit auf die Bedeutung der symbolischen Kommunikation: Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 514–515. Cohn, Protocols, S. 58. Ebd., S. 62–63. Ebd., S. 53. Lanzinner, Juristen unter den Gesandten der Reichstage 1486–1654, S. 365–366. Zur zunehmenden Bedeutung der Juristen auch: Meußer, Für Kaiser und Reich, S. 220-221.

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des Verfahrens bei. Bei einer Untersuchung der komplexen Interaktionsverhältnisse auf den Reichstagen ist deshalb insbesondere auf Veränderungen zu achten. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Reichstagsforschung ist sicherlich die Frage nach den Aufgaben der Reichsversammlungen. Welchen Zweck erfüllten Reichstage? Auch hier ist es ratsam, sich von der Sicht der Juristen und Staatstheoretiker zu distanzieren. Der Reichstag war eine Versammlung von Kaiser und Ständen – oder zumindest deren Vertretern. Als solche wirkte er sich auf den Alltag und das soziale Verhalten der Versammlungsteilnehmer⁴⁸ ebenso aus wie auf das Leben der Bewohner der Tagungsstadt.⁴⁹ Selbst wenn sich ein Historiker bei der Untersuchung dieser Versammlungen auf die Aspekte der Politik beschränken wollte, hätte er mehr zu beachten als die formalen Beschlüsse, die gefasst wurden. Auf einen wichtigen Aspekt des Reichstagsgeschehens wies Albrecht P. Luttenberger hin, indem er gesellschaftliche Repräsentation und »zeremonielle Strukturierung«⁵⁰ zum Gegenstand seiner Untersuchung machte. Dieser Ansatz hat sich inzwischen als äußerst fruchtbar erwiesen, denn er führte zu einer deutlichen Sensibilisierung der Reichstagsforschung gegenüber der Bedeutung von Zeremoniell und symbolischer Kommunikation.⁵1 Zeremoniell wird dabei als Mittel verstanden, den Status der Beteiligten zueinander zu definieren und zu festigen.⁵2 Auf dieser Grundlage lassen sich für die Reichstage drei kommunikative Ebenen erkennen, die für die Teilnehmer wichtige Funktionen erfüllten: 1. Formell geregelte Verhandlungen, 2. informeller Austausch und soziale Kontakte zwischen den Teilnehmern und 3. eine performative und symbolische Ebene, die mit Ritual und Inszenierung arbeitet.⁵3 Unterschiedlich fällt dabei die Bedeutung aus, die diesen Ebenen jeweils zugesprochen wird.⁵⁴ Parallel zu diesen Kommunikationsebenen lassen sich den Reichstagsteilnehmern auch verschiedene Zielsetzungen unterstellen: Oft diente der Reichstag der Politik des Reichsoberhaupts, denn dieses gab die Verhandlungsthemen in seiner Proposition weitgehend vor und erzielte nach Möglichkeit im Laufe des Reichstags Zusagen, die in den Reichsabschieden größtenteils verschriftlicht wurden. Ebenso gab es aus den Reihen der Stände Eingaben und politische Initiativen, die auf der formellen Ebene angesprochen und behandelt wurden. Ferner bot der Reichstag den Teilnehmern die Möglichkeit, sich mit Entscheidungsträgern der anderen Territorien auszutauschen und Absprachen zu treffen. Solche informellen Absprachen bezogen sich dabei natürlich vorrangig auf die erste Ebene, die der formellen Verhandlungen. Die dritte Ebene äußerte sich im Bestreben der Teilnehmer, durch entsprechende Prachtentfaltung ihr Ansehen zu verbessern oder zumindest zu erhalten. Von großer Bedeutung 48 49 50 51

Eltz, Reise zum Reichstag; Kohler, Wohnen und Essen; Luttenberger, Pracht und Ehre. Aulinger, Reichsstädtischer Alltag. Luttenberger, Pracht und Ehre, S. 325. Stollberg-Rilinger, Zeremonielle Inszenierung; dies., Symbolische Kommunikation; dies., Symbolik der Reichstage. 52 Zu diesem Aspekt mittelalterlichen zeremoniellen Verfahrens: Althoff, Beratungen, S. 53–61. 53 Lanzinner, Juristen unter den Gesandten der Reichstage 1486–1654, S. 354–355. 54 Schmidt, Aushandeln, S. 97.

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für die einzelnen Stände war auf dem Reichstag die hierarchische Sitzordnung, die Session, nach der sie anderen Reichsständen entweder über- oder unterlegen waren,⁵⁵ was zu nicht abreißenden Streitigkeiten und Boykotten führte.

Fragestellung und Terminologie Hinsichtlich der deutschen Reichstage lässt sich somit zusammenfassen, dass sie im engeren Sinne eine Versammlungsform waren, die erst unter Maximilian I. entstand. Die Prozesse, die zur Umformung von königlichem Hoftag und Kurfürstentag zu einer Versammlung aller das Reich ausmachenden Stände führten, sind weitestgehend bekannt. Auch wurde erkannt, dass die Integration der neuen Fürstenkurie in das Reichstagsverfahren eine wesentliche Herausforderung darstellte. Außerdem wird davon ausgegangen, dass spätestens ab den Reichstagen nach 1555 das Verfahren der drei Reichstagskurien in großen Teilen formalisiert war. Zu den Vorgängen, wie sich diese Entwicklung vollzog, ist aber bisher nur wenig bekannt. Wie unterschieden sich die Reichstage der ersten Regierungsjahre Karls V. von denen in den Jahren unmittelbar vor seiner Abdankung? Die bisherigen Untersuchungen zu den Reichstagen unter Karl bezogen sich häufig lediglich auf Quellen zu einem oder wenigen Reichstagen. Inzwischen ist die Edition der Reichstagsakten der Zeit Karls V. so weit abgeschlossen, dass zu nahezu allen Reichstagen der Zeit die entsprechenden Bände vorliegen. Ein Vergleich der einzelnen Reichstage ist somit unmittelbar zu bewerkstelligen. Diesem Zweck dient die vorliegende Arbeit. Dabei ist zu überprüfen, was aus den bekannten Quellen über den Ablauf und das Verfahren der Reichstage zu erfahren ist. Hierbei ist zunächst von Interesse, welche Differenzen es im Vergleich zu den tradierten Darstellungen des Reichstagsverfahrens gibt. Ferner bleibt zu untersuchen, welche Entwicklungen im Ablauf der Reichstage sich während der Regierungszeit Karls V. vollzogen haben. Dies führt schließlich zu der Frage, welche Mechanismen zu Verfahrensbildung und Verfahrensänderung führten. Eine Untersuchung zu den Reichstagen der Frühen Neuzeit steht zunächst unweigerlich vor dem Problem, dass Reichstage eine schwer greifbare Einheit darstellen. Die politische Sprache der Zeitgenossen war bisweilen großzügiger in der Verwendung des Reichstagsbegriffs. Beispielsweise fasste Deutschmeister Walter von Cronberg die Religionskolloquien Karls als Reichstage auf, ohne dass diese Versammlungen viel mit den übrigen Reichstagen gemein hatten.⁵⁶ Auf der anderen Seite wurde für manche Versammlungen der Begriff »Reichstag« bewusst gewählt oder vermieden.⁵⁷ Helmut Neuhaus ist der Meinung, die Versammlung 55 Zu Bedeutung und Mechanismen der Sessionsfragen: Ott, Präzedenz. 56 RTA JR 12, Nr. 251 (S. 1113–1115), S. 1114. 57 So wurde bewusst offengelassen, ob unter der von den Ständen oft geforderten Nationalversammlung ein kirchliches Konzil, ein Reichstag oder eine neue Versammlungsform gemeint war: Laubach, »Nationalversammlung« im 16. Jahrhundert, S. 10-16.

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der Reichsstände von 1535 sei nicht als Reichskreistag, sondern als Reichstag aufzufassen.⁵⁸ Um eine einfache und eindeutige Bestimmung des Reichstagsbegriffs zu verwenden, ist die vorliegende Arbeit jedoch auf solche Versammlungen beschränkt, die auch als Reichstage ausgeschrieben wurden.⁵⁹ Eine einheitliche Definition von »Reichstag«, die über diese simple Einteilung hinaus geht, existiert nicht. Allgemein herrscht eine große Uneinheitlichkeit in der Kategorisierung des Phänomens. Dies berührt auch die Frage, ob eine frühneuzeitliche Ständeversammlung in Zusammenhang mit dem Begriff »Parlament« gesetzt werden kann. Während »Reichstag« ein Wort ist, das erst unter den Reichsversammlungen Maximilians I. Verwendung fand, gab es bereits im Spätmittelalter das Wort »parlamentum«.⁶⁰ Dieser vermutlich unter französischem Vorbild entlehnte mittellateinische Begriff bezeichnete dabei auch königliche Hoftage.⁶1 Ebenso fand er als »parliamentum« im normannisch geprägten England Verwendung für die dortige Ständeversammlung.⁶2 Der Begriff blieb auch dauerhaft in Gebrauch und bildete die Vorlage für das englische Wort »parliament«. Da sich in England der Wandel von Ständeversammlung zu Volksvertretung kontinuierlicher vollzog als in Frankreich oder Deutschland, bestand auch kaum das Bedürfnis, die Veränderung begrifflich zu kennzeichnen. Es ist deshalb nicht besonders verwunderlich, wenn englischsprachige Literatur den Parlamentsbegriff ohne Abgrenzung mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Ständeversammlungen von modernen Volksvertretungen verwendet.⁶3 Zwar wird keineswegs abgestritten, dass diese sich wesentlich unterscheiden; es überwiegt aber die empfundene Kontinuität. Vorbild bleiben hier das alte englische Parlament und das Parliament of the United Kingdom der letzten Jahrhunderte. Der Schwerpunkt des englischen Begriffs »parliament« liegt daher deutlich auf dem legislativen Charakter der Versammlung und auf ihrer Aufgabe, die Macht des Regenten zu kontrollieren.⁶⁴ Parallel zum englischen Parlament wird der englische Begriff auch für den deutschsprachigen Raum verwendet, obwohl es in Deutschland keine entsprechende Kontinuität

58 Neuhaus, Reichsständische Repräsentationsformen im 16. Jahrhundert, S. 87–91. Zu den entsprechenden Erwägungen der Stände: Ders., Ferdinands I. Reichstagsplan 1534/35, Zweiter Teil, S. 28-33. 59 Zu alternativen Formen der Reichsversammlung ab der Mitte des 16. Jahrhunderts: Ders., Von Reichstag(en) zu Reichstag. 60 Moraw, Versuch, S. 7; Höß, Parlamentum. 61 Als Beispiel für die Verwendung in diesem Sinne: »in parlamentis regalibus« in: RTA ÄR 1, Nr. 149 (S. 263–264), S. 263. 62 Clarke, Medieval Representation and Consent. 63 Graves, The Parliaments of Early Modern Europe. 64 Francis Ludwig Carsten lehnt sogar für die deutschen Landtage der frühen Neuzeit das Wort »Estates« ab und hält »Parliament« für angemessen: Carsten, Princes and Parliaments in Germany, S. V. Tim Neu dagegen verwendet im Englischen den Begriff »territorial Diets«: Neu, Rhetoric and Representation: Reassessing Territorial Diets in Early Modern Germany, S. 2.

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gibt. So heißt es in der englischsprachigen Literatur: »the Reichstag, the imperial parliament«⁶⁵. In der deutschen Sprache entwickelte sich das Wort »Parlament« jedoch anders. Für die Reichstage wurde es in der Frühen Neuzeit nicht mehr verwendet. Schon die mittelalterliche Verwendung scheint, parallel zum französischen »parlement«, den Aspekt des Gerichtstags bei »parlamentum« mehr gewürdigt zu haben als den Beratungsaspekt.⁶⁶ Im 16. Jahrhundert hätte deshalb auch das Reichskammergericht als kaiserliches Parlament bezeichnet werden können. Im heutigen Deutsch ist die Bedeutung von »Parlament« dagegen deutlich durch das 19. Jahrhundert und den Kampf um eine neue, konstitutionelle Staatlichkeit geprägt. Diese entstand in Deutschland als »eine Verbindung französischer Ideen mit englischen Institutionen«⁶⁷ und nicht als Weiterentwicklung der Ständeversammlung. Die Wortbedeutung ist somit stark verknüpft mit Eigenschaften moderner Staatlichkeit. »Parlament« steht im Deutschen für Gewaltenteilung und für Volkssouveränität, die in einer demokratischen Volksvertretung Ausdruck erhält. Das Wort impliziert auch eine fest geregelte Geschäftsordnung, ein modernes Bewusstsein für Repräsentation und andere Eigenschaften, die im völligen Widerspruch mit dem Reichstag des Alten Reichs stehen. Dennoch verwendeten deutsche Historiker den Begriff für den Reichstag. Oestreichs Formulierung »parlamentarische Arbeitsweise« wurde schon genannt.⁶⁸ Winfried Schulze ordnete die Reichstage des 16. Jahrhunderts in die »Geschichte der frühparlamentarischen Versammlungen«⁶⁹ ein. Aus den bereits genannten Gründen erwecken solche Bezeichnungen jedoch falsche Assoziationen. Vor allem Neuhaus wandte sich deshalb schon früh gegen Vergleiche mit modernen Parlamenten,⁷⁰ nachdem er ursprünglich die Reichstage selbst als besonderen Typ »von reichsständeparlamentarischer Versammlung«⁷1 aufgefasst hatte. Es bleibt ein wichtiges Kriterium für den frühneuzeitlichen Reichstag, dass die Versammelten sich in erster Linie nicht als Repräsentanten des Reichs verstanden, sondern als privilegierter Personenkreis, der das Recht hatte, an den Versammlungen teilzunehmen.⁷2 Die Beschlüsse, die die versammelten Reichsstände fällten, erreichten keine Gesetzeskraft wie die moderner Parlamente. Sie wurden als Ratschlag an das Reichsoberhaupt aufgefasst. Erst dessen Zustimmung oder Entscheidung, die keineswegs eine reine Formalie

65 Graves, The Parliaments of Early Modern Europe, S. 96. Zu diesen Begriffsunterschieden auch: Neu, The Importance of Being Seated, S. 125. 66 Zur Entwicklung des Begriffs im Deutschen: Grimm/Grimm, Deutsches Wörterbuch, Bd. 13, Sp. 1463 bis 1464. 67 Moraw, Hoftag und Reichstag, S. 46. 68 Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise. 69 Schulze, Deutscher Reichstag, S. 449. 70 Besonders deutlich: Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 117. 71 Ders., Reichsständische Repräsentationsformen im 16. Jahrhundert, S. 92. 72 Schubert, Deutsche Reichstage, S. 38.

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war, war ausschlaggebend für die Aufnahme in den Reichsabschied.⁷3 Dessen Vergleichbarkeit mit modernen Gesetzen ist ebenfalls fraglich.⁷⁴ Peter Moraw fasst diese Gedanken zusammen: »Der Reichstag […] war kein Parlament, obwohl er in dieser oder jener Hinsicht einem solchen vorarbeiten mochte. Mit dem Begriff des ›Parlaments‹ und damit mit dessen modern-staatlichen Assoziationen geht die Ständeforschung in Europa viel zu großzügig um.«⁷⁵ Der Reichstag kann deshalb nicht als Parlament aufgefasst und auch nicht als solches bezeichnet werden. Es ist für das Verständnis der frühneuzeitlichen Politik geradezu schädlich, sich an späteren Institutionen zu orientieren.⁷⁶ Barbara Stollberg-Rilinger geht sogar so weit, eine völlige Ablösung von bekannten Strukturen zu versuchen und fordert für die Verfassungsgeschichte der Frühen Neuzeit eine »Radikalisierung des historischen Blicks«⁷⁷. Historiker sollten sich demnach dem frühneuzeitlichen Reichstag nähern wie Ethnologen einer unbekannten Kultur: unvoreingenommen und ohne vorschnelle Vergleiche mit bekannten Phänomenen.⁷⁸ Wenn es nun also falsch wäre, sich dem Reichstag über moderne Vergleichsgrößen zu nähern, welcher Begriff eignet sich dann zur Beschreibung der Reichstage? Oft findet sich die Bezeichnung »Institution« für den Reichstag.⁷⁹ Bisweilen aber wird dieser Begriff im Zusammenhang mit dem Reichstag jedoch abgelehnt.⁸⁰ Dabei wird bei der Verwendung von »Institution« für den Reichstag nie definiert, wie das Wort zu verstehen ist. Gerade diese Bezeichnung wird jedoch äußerst unterschiedlich verstanden.⁸1 Sie wird beispielsweise verwendet für Sitten und Bräuche einer Kultur, für Gesetze, für Gerichte, für juristische Körperschaften und für politische Gremien.⁸2 Dementsprechend existieren unterschiedliche Definitionen, von denen manche für die Beurteilung des Reichstags hilfreich sein können, 73 74 75 76 77 78 79

Moraw, Hoftag und Reichstag, S. 10. Schlaich, Maioritas, S. 288–289; ders., Mehrheitsabstimmung, S. 320. Moraw, Neue Ergebnisse der deutschen Verfassungsgeschichte des späten Mittelalters, S. 68. Neuhaus, Das Heilige Römische Reich in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 34–36. Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 491. Hierzu auch: Dies., Einleitung in: »Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?«, S. 11–14. Beispiele für diese Verwendung: Aulinger, Die Reichstage des 16. Jahrhunderts im Spiegel bildlicher Quellen, S. 313, 319; Schubert, Deutsche Reichstage, S. 36–37; Luttenberger, Konfessionelle Parteilichkeit, S. 70; Schmidt, Städte auf dem Reichstag, S. 36–37; Press, Territorialstruktur, S. 244; Roll, Rolle Bertholds von Henneberg, S. 14; Seyboth, Reichstage der 1480er, S. 530–531; Stollberg-Rilinger, Zeremonielle Inszenierung, S. 245; dies., Kaisers alte Kleider, S. 9; Neuhaus, Das Heilige Römische Reich in Mittelalter und Früher Neuzeit, S. 34–36. Klaus Malettke sieht den Reichstag als eines der »organes de l’Empire« und die »fonction institutionnalisée« der Kurfürsten als eine seiner beiden Wurzeln: Malettke, Situation politique, S. 34. 80 Lanzinner, Warten auf den Reichstag, S. 190; ders., Juristen unter den Gesandten der Reichstage 1486–1654, S. 357. 81 Melville, Institutionen als geschichtswissenschaftliches Thema, S. 1–6. 82 Kiwit/Voigt, Überlegungen zum institutionellen Wandel unter Berücksichtigung des Verhältnisses interner und externer Institutionen, S. 118.

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andere dagegen nicht.⁸3 Die meisten Missverständnisse scheint der Institutionenbegriff dann zu erzeugen, wenn er im sozialwissenschaftlichen Sinne für eine über das einzelne Individuum hinaus greifende Regel verwendet wird, der Leser ihn aber im Sinne einer Organisation versteht. Um verschiedenen Anwendungsmöglichkeiten des Begriffs »Institution« gerecht zu werden, wurden auch weitere Differenzierungen vorgenommen. So unterscheidet Maurice Hauriou aus dem Blickwinkel der Rechtswissenschaft zwei Typen: Personen-Institutionen, die man als Organisationen von Personen begreifen könnte, und Sach-Institutionen, die beispielsweise Normen umfassen.⁸⁴ Ein solcher Ansatz bietet sich für eine Beschreibung des frühneuzeitlichen Reichstags jedoch nicht an, da dieser weder als Körperschaft noch als einfache Rechtsnorm aufzufassen ist. Aus der Politikwissenschaft stammt der Vorschlag, zwischen sozialer und politischer Institution zu unterscheiden.⁸⁵ Demnach seien politische Institutionen »Regelsysteme der Herstellung und Durchführung verbindlicher Entscheidungen und Instanzen der symbolischen Darstellung von Orientierungsleistungen einer Gesellschaft«⁸⁶, soziale Institutionen aber »durch Internalisierung verfestigte Verhaltensmuster und Sinngebilde mit regulierender und orientierender Funktion«⁸⁷. Die Unterscheidung zwischen sozialer und politischer Institution ist für die Betrachtung von frühneuzeitlichen Reichstagen aus verschiedenen Gründen ebenfalls nicht sinnvoll. Zunächst würde diese Unterscheidung nahelegen, den Reichstag in eine unpolitische und eine politische Sphäre zu zerlegen. Eine solche Trennung ist schon für die Moderne fraglich. Für einen Untersuchungsgegenstand wie den frühneuzeitlichen Reichstag, bei dem Politik im Wesentlichen aus dem Zusammenwirken privilegierter Personen bestand, ist sie nicht anwendbar. Eine Konzentration auf die Unterscheidung zwischen Orientierung einer einzelnen Person und verbindlichen Entscheidungen einer Gesellschaft, die dieser Definition zugrunde liegt, brächte weitere Fragen mit sich: Wie ist etwa verbindlich zu verstehen? Was unter Gesellschaft? Ein derartiger Ansatz liefe Gefahr, in eine normative Interpretation zu münden. Gerade dies soll hier vermieden werden. Stollberg-Rilinger warnt in diesem Zusammenhang: »Eine Institution wie etwa der Reichstag wird nicht angemessen beschrieben, wenn man ihn nur oder in erster Linie als Organ zur Herstellung allgemein verbindlicher Entscheidungen versteht.«⁸⁸ Dies mag irritieren, wenn man sich vor Augen führt, wie die Zeitgenossen den Reichstag beschrieben (»Sie verordneten unnd schlussen, wie es in der

83 Weitere Überlegungen zum Institutionenkonzept finden sich auch bei: Acham, Struktur; Bak, Symbol – Zeichen – Institution; Blänkner, Überlegungen zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Theorie politischer Institutionen; Göhler, Politische Institution und ihr Kontext; ders., Institution; Hauriou, Theorie der Institution. 84 Ders., Theorie der Institution, S. 34–35. 85 Göhler, Institution, S. 210–214. 86 Ebd., S. 213. 87 Ebd., S. 212. 88 Stollberg-Rilinger, Zeremonielle Inszenierung, S. 245.

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Welt gemacht unnd zugeen solte«⁸⁹). Sicherlich waren mit dem Entschluss zum Ausschreiben eines Reichstags Erwartungen an dort zu fällende Entscheidungen geknüpft. Es war der erklärte Zweck der Versammlung, Entscheidungen herbeizuführen. Auch wurde die allgemeine Verbindlichkeit dieser Entscheidungen bereits unter Maximilian I. beansprucht. Der Reichstag ließe sich somit aus gutem Grund auch als politische Institution begreifen und auch als solche beschreiben. Eine solche Beschreibung müsste aber die beschriebene Trennung von Politischem und Sozialem vornehmen, die hier nicht möglich ist. Um diese zu vermeiden, soll hier auf die eingangs genannte Beschreibung zurückgegriffen werden: Demnach waren Reichstage Versammlungen von Personen, die »in komplexe Interaktionsverhältnisse zueinander«⁹⁰ traten. Der Schwerpunkt dieser Betrachtungsweise liegt somit auf der Interaktion zwischen Personen und trennt nicht zwischen Sozialem und Politik. Eine Betrachtung der Interaktion kann daher viel unvoreingenommener geschehen und wird der anzunehmenden Vielzahl von Einzelinteressen der Beteiligten eher gerecht. Auch im Zusammenhang mit der Untersuchung von Interaktionsverhältnissen bietet sich der Institutionenbegriff an. Douglass C. North sieht den Zweck von Institutionen darin, »Richtlinien für menschliche Interaktion«⁹1 zu schaffen, die dabei helfen, Unsicherheit abzubauen. Institutionen sind demnach Regeln, die Rollen zuweisen. Menschen erfahren dabei über Institutionen eine Einschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten, die ihnen gleichzeitig Sicherheit verleiht. Geraten Menschen in Interaktionsverhältnisse, deren Rahmenbedingungen nicht institutionalisiert sind oder deren Regeln sie nicht kennen, fühlen sie sich unsicher. Sind die Regeln jedoch bekannt, fühlen sie sich sicher. Somit wirken Institutionen, sobald Menschen in soziale Situationen treten, die ihnen bekannt sind. Wenn Menschen aber in ihnen unbekannte soziale Situationen geraten, fehlen ihnen solche Regeln und sie empfinden ein Gefühl von Unsicherheit. North unterscheidet dabei klar zwischen Institutionen und Organisationen. Während Institutionen als Regeln generell menschliche Interaktion beschränken, sind Organisationen ihm zufolge handlungsfähige Körperschaften.⁹2 Dieser Ansatz erwies sich als nützlich. Stefan Voigt definiert Institutionen deshalb »als allgemein bekannte Regeln, mit deren Hilfe wiederkehrende Interaktionssituationen strukturiert werden und die mit einem Durchsetzungsmechanismus bewehrt sind, der eine Sanktionierung bzw. Sanktionsandrohung im Falle eines Regelverstoßes bewirkt.«⁹3 Bei näherer Betrachtung eignet sich diese Definition, die aus den Wirtschaftswissenschaften stammt, für die Beurteilung des Reichstags im 16. Jahrhundert. Im Sinne dieser Arbeit sollen, wie dargestellt, alle Reichsversammlungen als Reichstage aufgefasst werden, die auch als Reichstage ausgeschrieben wurden. Folglich 89 90 91 92 93

Mohnike, Bartholomäi Sastrowen, Bd. 1, S. 25. Stollberg-Rilinger, Symbolik der Reichstage, S. 77. North, Institutionen, S. 4. Ebd., S. 5. Voigt, Institutionenökonomik, S. 27.

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liegt es nahe, Reichstage als »wiederkehrende Interaktionssituationen« zu verstehen. Die Reichsstände reisten zu Versammlungen, die in ihrer Bezeichnung als Reichstage bereits eine gewisse Orientierung darüber vermittelten, was die Beteiligten zu erwarten hatten. Es muss also von Regeln ausgegangen werden, die diese »Interaktionssituationen« strukturierten. Menschliche Interaktion wird von vielen Regeln gesteuert. Diese können unterbewusst wirken. Sie können aber auch massiv durch Dritte erzwungen sein. Dementsprechend kann die »Sanktionierung« der Regelverstöße auch sehr unterschiedlich ausfallen. Die Existenz solcher Regeln schließt deren Veränderung nicht aus. Entscheidend für die Wirksamkeit der Regeln sind aber ihre allgemeine Bekanntheit und die Möglichkeit einer Sanktionierung. Bezogen auf den Reichstag ist also zu fragen: Gab es hier »allgemein bekannte Regeln«, die die Reichstage über die einzelne Versammlung hinaus strukturierten und deren Missachtung zu irgendeiner Form von Sanktionierung geführt hätte? Diese Frage führt zur Entwicklung des Reichstagsverfahrens. Die offene Definition der »allgemein bekannte[n] Regeln« unterscheidet zunächst nicht zwischen sozialer Kontrolle und behördlicher Ahndung. Sie eignet sich deshalb dafür, von der kritisierten Denkweise wegzukommen, die die Verfahrens- und Verhaltensregeln der Reichstage als behördliche oder juristische Einrichtungen konstruiert.⁹⁴ Vor diesem Hintergrund ist auch der Prozess der Formalisierung des Verfahrens – die Verfahrensbildung – zu betrachten. Zu jedem Zeitpunkt des Mittelalters galten im Aufeinandertreffen von Fürsten Regeln, selbst wenn diese vielleicht nur als Ausdruck von Höflichkeit⁹⁵ und Anstand wahrgenommen wurden. Der Vorgang der Institutionalisierung des Reichstags erfordert also, dass diese Regeln differenziert wurden und sich schließlich von denen anderer »Interaktionssituationen« unterschieden. Im Sinne obiger Definition lässt sich also der Reichstag dann als Institution auffassen, wenn er für die Beteiligten eine eigene Regelumgebung darstellte. Diese unterschiedlichen Regelumgebungen gestalteten dann das Aufeinandertreffen von Reichstagsteilnehmern während der eigentlichen Reichstagshandlungen anders als außerhalb des Reichstags, zum Beispiel bei einem höfischen Fest. Es ist anzunehmen, dass die Institutionalisierung des Reichstags ein länger andauernder Vorgang war. Sie ist dann in weiten Teilen mit der Formalisierung der Verhandlungen gleichzusetzen. Die Formalisierung, die bis 1555 weitestgehend abgeschlossen war, schränkte die Handlungsmöglichkeiten der Reichstagsteilnehmer innerhalb der Reichstagsumgebung immer mehr ein. Sie konnte aber, weil es sich bei ihr nicht um angeordnete Regeln handelte, nicht unmittelbar wirken. Sowohl die Bekanntheit der Regeln als auch deren Durchsetzung durch irgendwie gestal94 Unter diesen falschen Vorstellungen ist sogar von einer offiziösen »Geschäftsordnung« des Reichstags im 16. Jahrhundert geschrieben worden: Rauch, Zum Traktat über den Reichstag im 16. Jahrhundert, S. 513. 95 Zur Abgrenzung von Höflichkeit und Zeremoniell in der Frühen Neuzeit: Beetz, Frühmoderne Höflichkeit, S. 121–125.

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tete Sanktionen mussten erst langsam entstehen. In Anlehnung an die verwendete Definition von Institution ist also zu fragen: Welche Regeln bildeten die Grundlage für das Verhalten der Reichsstände auf den Reichstagen? Wie verfeinerten sie sich? Wie erreichten sie allgemeine Bekanntheit? Welche Sanktionen wurden zu ihrer Durchsetzung angewendet? Es fehlt an dieser Stelle noch eine Definition von »Verfahren«. Auch dieser Begriff kann sehr unterschiedlich aufgefasst und verwendet werden. Er steht zunächst für die Art und Weise, in der jemand bei einer Sache vorgeht. Hierbei nähert sich der Begriff der Bedeutung von »Verhalten« oder »Vorgehensweise« an. Es ließe sich also fragen: Wie verhielten sich die Reichstagsteilnehmer auf den Reichstagen, wie gingen sie vor? Andererseits hat der Verfahrensbegriff auch eine juristische Komponente. In diesem Sinne ist ein Verfahren ein juristischer Prozess. Dies kann ein Gerichtsverfahren sein oder auch ein behördliches Verwaltungsverfahren. Nicht weit von diesem Begriffsverständnis entfernt ist die Verwendung bei »Gesetzgebungsverfahren«. Hier beschreibt »Verfahren« den Vorgang bei der Bildung neuer Gesetze. Sowohl der gerichtliche Prozess als auch das Gesetzgebungsverfahren zeichnen sich dadurch aus, dass sie Regeln umfassen, wie Entscheidungen mit einem gewissen Anspruch auf allgemeine Anerkennung getroffen werden sollen.⁹⁶ Den Aspekt der allgemeinen Anerkennung würdigt Niklas Luhmann in seinem Buch zur Legitimation durch Verfahren. Ausgehend von der Frage, ob bei Gerichtsprozessen die Wahrheitsfindung überhaupt die zentrale Funktion des Verfahrens darstelle,⁹⁷ kommt Luhmann zu dem Schluss, dass beim Gerichtsverfahren wie überhaupt bei allen (juristischen) Verfahren die Rechtfertigung des schließlich Beschlossenen im Mittelpunkt steht. Es ließe sich also die »Zustimmung auch der Nichtzustimmenden«⁹⁸ als Zweck des Verfahrens ausmachen. Verfahren schaffe also Legitimität. Diese sei aufzufassen als »eine generalisierte Bereitschaft, inhaltlich noch unbestimmte Entscheidungen innerhalb gewisser Toleranzgrenzen hinzunehmen«⁹⁹. Dabei sei für das Verfahren von Bedeutung, dass diese Bereitschaft nicht aus persönlicher Überzeugung entsteht. Die Legitimität begründe sich »auf einem sozialen Klima, das die Anerkennung verbindlicher Entscheidungen als Selbstverständlichkeit institutionalisiert und sie nicht als Folge einer persönlichen Entscheidung, sondern als Folge der Geltung der amtlichen Entscheidung ansieht.«1⁰⁰ An dieser Stelle fügt sich das Verfahrensverständnis Luhmanns in den bereits vorgestellten Begriff der Institution ein. Ein Verfahren ist demnach eine institutionalisierte Vorgehensweise, die der Erzeugung allgemein anerkannter Entscheidungen dient. Dabei ist nicht nur die Vorgehensweise selbst institutionalisiert,

96 Zu den sozialwissenschaftlichen Betrachtungen von Verfahren: Sikora, Der Sinn des Verfahrens, S. 26–31. Zum »Problem des Entscheidens«: Krischer, Problem des Entscheidens. 97 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 21–22. 98 Ebd., S. 22. 99 Ebd., S. 28. 100 Ebd., S. 34.

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sondern auch die bereits im Vorhinein zu leistende Anerkennung des Ergebnisses: Jemand, der vor Gericht klagt, muss idealerweise nicht nur das Vorgehen des Gerichts bei der Bearbeitung der Sache, sondern auch das Urteil anerkennen, ohne dieses vorher zu kennen. Verliert eine Partei einen Gerichtsprozess, wird sie sich der Entscheidung beugen, selbst wenn sie individuell nicht von deren Richtigkeit überzeugt ist. Doch wie entsteht diese Anerkennung? Nach Luhmann ist die korrekte Durchführung des Verfahrens dafür verantwortlich, sobald dieses über verschiedene Eigenschaften verfügt und die hierfür verantwortlichen Umstände gegeben sind. Zunächst sei von Bedeutung, dass auch rechtlich geregelte Verfahren keine Entscheidung direkt vorgeben. Dies unterscheide sie vom Ritual, das nur aus einer festen und unveränderlichen Folge von Handlungen bestehe.1⁰1 Sowohl Rituale als auch Verfahren sind also bestimmte Vorgehensweisen. Der unklare Ausgang des Verfahrens ist dabei aber wesentlich für seine Fähigkeit, Entscheidungen zu erzeugen. Gleichzeitig zu seinem offenen Ausgang erfülle das Verfahren jedoch auch die Aufgabe, Komplexität zu reduzieren. Luhmann begreift Verfahren deshalb als soziale Systeme mit spezifischer Funktion und räumlicher sowie zeitlicher Begrenzung.1⁰2 Innerhalb dieser Systeme seien die Handlungsmöglichkeiten jedes Einzelnen deutlich reduziert. Sowohl die eigenen Handlungen als auch die der anderen Beteiligten seien deshalb überschaubarer. Das soziale System weise den einzelnen Beteiligten Rollen zu, die von ihren sonstigen Rollen getrennt sind.1⁰3 Dabei sei wichtig, wie sehr es dem System gelingt, die verfahrensspezifischen Rollen des Einzelnen von seinen übrigen sozialen Rollen zeitlich und räumlich abzukoppeln. Die Einhaltung der in den rechtlichen Vorgaben für das Verfahren angegebenen Bedingungen erzeuge schließlich die Legitimität der getroffenen Entscheidungen, die im Laufe des Verfahrens durch schrittweisen Ausschluss von Möglichkeiten zustande komme.1⁰⁴ Die genannten Eigenschaften prägen laut Luhmann die Autonomie des Verfahrens.1⁰⁵ Verfahrensautonomie zeichnet sich demnach dadurch aus, dass das Verfahren räumlich und zeitlich abgetrennt ist, dass die beteiligten Personen ebenfalls klar definiert sind, dass diesen Beteiligten eindeutige Rollen zugewiesen werden und dass das Verhalten der Beteiligten im Verfahren von äußeren Einflüssen getrennt wird. Dabei bleibt noch anzumerken, dass Luhmann bewusst nicht Verfahren generell untersucht, sondern sich auf moderne, rechtlich geregelte Verfahren beschränkt. Die rechtliche Regelung des Verfahrens sei sogar eine Vorbedingung für dessen Autonomie.1⁰⁶ Der Existenz eines Unterschieds zu früheren Verfahren ist Luhmann sich bewusst: Legitimation durch Verfahren ersetze »das alteuropäische

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Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 38. Ebd., S. 40–41. Ebd., S. 47–48. Ebd., S. 38–53. Ebd., S. 69–74. Ebd., S. 71.

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Modell einer hierarchischen Ordnung von Rechtsquellen und Rechtsmaterien«1⁰⁷. Verfahren seien dabei historisch aus einer Vermischung von »archaischen Schlichtungsverfahren ohne bindende Entscheidung und zwangsläufige[n] Ritualien zur Erreichung einer übernatürlichen Entscheidung«1⁰⁸ entstanden. Trotz der Ausrichtung auf moderne Verfahren nutzt Stollberg-Rilinger den von Luhmann geprägten Begriff der Verfahrensautonomie zur Beschreibung des frühneuzeitlichen Reichstags.1⁰⁹ Dies steht nur scheinbar im Widerspruch zu ihrer ebenfalls bereits genannten Prämisse, den Reichstag unvoreingenommen und ohne vorschnelle Vergleiche zu untersuchen.11⁰ Tatsächlich eignen sich die Überlegungen Luhmanns als Schablone, um die Unterschiede des Reichstagsverfahrens zu modernem Verfahren (oder zwischen frühneuzeitlichen und modernen Verfahrensvorstellungen) hervorzuheben. Dennoch entwickelt Stollberg-Rilinger kein eigenes Verfahrenskonzept, das den Umständen der Frühen Neuzeit gerecht wird. Stattdessen definiert sie Verfahren weiterhin ganz so, wie Luhmann moderne rechtlich geregelte Verfahren auffasst.111 Da das Verfahren frühneuzeitlicher Reichsversammlungen den Ansprüchen Luhmanns zur Verfahrensautonomie aber kaum gerecht werden kann, gewichtet Stollberg-Rilinger den Aspekt des Zeremoniells deutlich stärker als den der Entscheidungsfindung. Zweck des Zeremoniells am Reichstag sei in erster Linie die Abbildung der Hierarchie112 und die Überwindung von Konflikten,113 nicht die Rolle des Einzelnen bei der Beschlussfassung. Die Entscheidung tritt in den Hintergrund und das Symbolische wird betont. Das Fehlen von Autonomie wird in Folge dieser Betrachtungen zur Erklärung dafür herangezogen, warum die meisten frühneuzeitlichen Ständeversammlungen angeblich kaum »politische Wirkungskraft«11⁴ entfalten konnten. Um beide Aspekte zu berücksichtigen, schlägt Tim Neu, in Anlehnung an Stollberg-Rilinger, für die Betrachtung frühneuzeitlicher Landtage ein neues Konzept vor, das er »zeremonielles Verfahren«11⁵ nennt. Dieser Verfahrenstypus soll sowohl die Überlegungen Luhmanns zum Verfahren als auch Stollberg-Rilingers zur Rolle des Zeremoniells berücksichtigen. Neu versteht das zeremonielle Verfahren als »eine (gewohnheits- oder positivrechtlich) geregelte Prozedur zur Herbeiführung und Darstellung von kollektiv verbindlichen Entscheidungen«11⁶. Die Entscheidungsfindung wird hierbei also als ein wesentlicher Zweck der Landtags107 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 7. 108 Ebd., S. 40. 109 Stollberg-Rilinger, Einleitung in: »Vormoderne politische Verfahren«. Zur Rezeption Luhmanns durch die Geschichtswissenschaft: dies., Einleitung in: »Herstellung und Darstellung von Entscheidungen«. 110 Dies., Einleitung in: »Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?«, S. 11–14. 111 Dies., Einleitung in: »Herstellung und Darstellung von Entscheidungen«, S. 9. 112 Dies., Zeremoniell als politisches Verfahren, S. 106–110. 113 Dies., Kaisers alte Kleider, S. 135–136; dies., Symbol und Diskurs, S. 87. 114 Asch, Zeremoniell und Verfahren, S. 493. 115 Neu, Zeremonielle Verfahren, S. 30. 116 Ebd.

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versammlung gesehen. Zeremonielles Verfahren unterscheide sich dabei jedoch vom rechtlich geregelten Verfahren, wie Luhmann es beschreibt, durch seine mangelnde Autonomie. In der fehlenden Autonomie sieht Neu jedoch kein Hindernis für die Erzeugung verbindlicher Entscheidungen. Stattdessen substituiere beim zeremoniellen Verfahren das Zeremoniell die Autonomie.11⁷ Das Zeremoniell legitimiere bei korrekter Durchführung die getroffenen Entscheidungen.11⁸ Dabei korrespondierten die Verfahrensrollen mit den »Rangpositionen der Akteure in der gesellschaftlich-politischen Ordnung«11⁹. Die Teilnehmer am zeremoniellen Verfahren schlüpfen also nicht in besondere, autonome Rollen, solange das Verfahren läuft. Auf das Verfahren hat die Verknüpfung von Verfahrensrolle und gesellschaftlicher Rolle verschiedene Auswirkungen: Das Verfahren darf in seinem Ablauf die gesellschaftliche Rolle der Teilnehmer nicht übergehen. Dies bedingt die hohe Bedeutung der Sessionsstreitigkeiten für das Verfahren. Auf der anderen Seite ist jedoch auch die gesellschaftliche Rolle des Teilnehmers an die getroffene Entscheidung geknüpft, was dieser Legitimität verleiht. Trotz der starken Orientierung des Verfahrens an der gesellschaftlichen Hierarchie seiner Teilnehmer bleibt das Ergebnis des Verfahrens in gewissen Grenzen frei. Es ist somit zu Beginn des Verfahrens noch nicht vorgegeben, sondern wird erst in Verhandlungen erzielt.12⁰ Es liegt nun nahe, das von Neu vorgeschlagene Konzept auf den Reichstag zu übertragen. Die wesentlichen Voraussetzungen des zeremoniellen Verfahrens – die mangelnde Autonomie und die Bedeutung des Zeremoniells – zeichnen auch die Reichstage Karls V. aus. Die Reichstagsteilnehmer trennten zunächst nicht zwischen ihrer Position in der Hierarchie des Reichs und ihrer Verfahrensrolle. Sie nutzten den Reichstag gerade im Gegenteil als Bühne zur Behauptung ihrer gesellschaftlichen Stellung. Das Konzept des zeremoniellen Verfahrens soll deshalb der vorliegenden Arbeit als Definition für Verfahren genügen. Als Verfahren121 sollen demnach alle Regeln verstanden werden, durch deren Einhaltung die Reichstagsteilnehmer zur Legitimität der auf den jeweiligen Reichstagen gefällten Beschlüsse beitrugen. Es soll davon ausgegangen werden, dass die korrekte, unangezweifelte Durchführung von Verfahrensregeln Legitimität schuf. Diese Legitimität wurde brüchig, sobald das angewandte Verfahren der gesellschaftlich-hierarchischen Rolle einzelner oder mehrerer Teilnehmer in auffälliger Weise nicht gerecht wurde. Dies könnte zum Beispiel der Fall sein, wenn eine wichtige Person bei einer Entscheidung nicht berücksichtigt wurde. Die Frage nach dem Reichstagsverfahren ist in diesem Sinne also eine recht weit gefasste Frage nach Regeln, die zu diesem 117 Neu, Zeremonielle Verfahren, S. 31. 118 Entsprechend wird das Zeremoniell auch bei mittelalterlichen Wahlen bewertet: Rüther, Geleit, Verfahren und Versprechen, S. 86–88. Zu Wahlen in der Vormoderne vgl. auch: Weller, Technik und Symbolik vormoderner Wahlverfahren – Einleitung. 119 Neu, Zeremonielle Verfahren, S. 31. 120 Ebd., S. 31–32. 121 »Verfahren« steht hier und an weiteren Textstellen in Einzahl mit Nullartikel, da kein bestimmtes, einzelnes Verfahren gemeint ist, sondern generell das Phänomen der Herausbildung und Existenz von Verfahrensregeln.

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ungeschriebenen Kanon gehörten, Regeln, die aus Sicht der Reichstagsteilnehmer einen korrekt durchgeführten Reichstag ausmachten. Ausgehend davon, dass 1521 diese Regeln noch nicht feststanden oder zumindest noch geändert und verfeinert werden konnten, ist zu fragen, wie sie sich schließlich herausbildeten. Ein weiterer Aspekt, der bisher in der Literatur zum Reichstagsverfahren kaum Beachtung fand, ist die unterschiedliche Bedeutung von Verfahrensregeln für die sich versammelnden Fürsten und für die an deren Stelle zusammenkommenden Räte und Gesandten. Bei der Untersuchung des Verfahrens bleibt die vorliegende Arbeit jedoch auf die konkrete Durchführung der Reichstage beschränkt. Nicht zum Untersuchungsgegenstand gehören die Entwicklung der Schriftlichkeit auf den Reichstagen und auch nicht die Herausbildung des Teilnehmerkreises. Ebenso werden keine Vergleiche mit anderen Ständeversammlungen angestellt. Dies geschieht jedoch nicht, weil die entsprechenden Gegenstände eine nähere Betrachtung nicht wert wären. Sie böten im Gegenteil jeweils Anlass zu einer eigenen Untersuchung.

Methode Im Sinne des dargestellten Konzepts sollen die Reichstage hier als Institutionen verstanden werden. Reichstage sind demnach wiederkehrende Interaktionsverhältnisse, die durch bestimmte, allgemein bekannte und zunehmend verfeinerte Regeln strukturiert wurden und deren Regeln bei Verstößen Sanktionen nach sich zogen. Wie lassen sich solche Regeln und Regelveränderungen erkennen? Es ist bekannt, dass es seit der Mitte des 16. Jahrhunderts ein Interesse daran gab, die Regeln, die die Reichstage inzwischen bestimmten, schriftlich zu vermitteln. Als frühes Beispiel hierfür ist das Gutachten für Herzog Christoph von Württemberg zu nennen.122 Dieser erhielt für den Augsburger Reichstag von 1555 von seinen Räten eine schriftliche Übersicht über die wichtigsten Regeln, die er bei seiner persönlichen Anwesenheit auf dem Reichstag zu beachten und einzufordern habe. Bekannter und deutlich umfangreicher ist die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts innerhalb der Mainzer Kanzlei entstandene Regelzusammenstellung, die schließlich in mehreren leicht voneinander Abweichenden Versionen als Druck veröffentlicht wurde und so eine gewisse normative Kraft entfaltete, ohne jemals in irgendeiner Form offiziell erlassen worden zu sein. Diese Mainzer Darstellung des Reichstagsverfahrens erschien ab 1612 unter verschiedenen Titeln, darunter »Ausführlicher Bericht/ Wie es uff Reichß Tägen pflegt gehalten zu werden«123 mit der Überschrift »Tractuatus de comitiis Augustae Vindelicorum«, was Karl Rauch 1905 zum Anlass nahm, den Text unter dem irreführenden Titel »Traktat über den 122 Ernst, Briefwechsel des Herzogs Christoph von Wirtemberg, Bd. 3, Nr. 3 (S. 4–32). Hierzu: Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 113–115, 135. Zu Herzog Christoph: Press, Herzog Christoph. 123 Ausführlicher Bericht/ Wie es uff Reichß Tägen pflegt gehalten zu werden.

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Reichstag im 16. Jahrhundert. Eine offiziöse Darstellung aus der Kurmainzischen Kanzlei« erneut zu veröffentlichen.12⁴ Diese Darstellungen, das Gutachten für Herzog Christoph und der Ausführliche Bericht, sollen hier als Vergleichsgrundlage dienen. Obwohl davon auszugehen ist, dass beide in einzelnen Fragen lediglich die Perspektive der verfassenden Partei enthalten, können sie als brauchbare Beschreibung des formalisierten Verfahrens der zweiten Jahrhunderthälfte herangezogen werden. Das offensichtliche Interesse an solchen Anleitungen für das Verhalten auf Reichstagen ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass sich ein Bewusstsein für diese speziellen Verhaltensregeln entwickelt hatte. Diesen Zusammenstellungen sind die Akten der Reichstage zwischen 1521 und 1555 gegenüberzustellen. Als Quellengrundlage für die Reichstage unter Karl V. dienen in erster Linie die Bände der Jüngeren Reihe der Deutschen Reichstagsakten. Ergänzt werden diese durch archivalische Quellen, vor allem zu den wenigen Reichstagen, die bis zum Abschluss der Aktenrecherche für diese Arbeit noch nicht im Rahmen der Editionsreihe bearbeitet wurden. Zum Reichstag von 1543 werden auch Transkriptionen mehrerer Protokolle verwendet, die für den noch ausstehenden Editionsband von Silvia Schweinzer-Burian angefertigt wurden.12⁵ Auch wird auf eine Protokolltranskription von Josef Leeb aus seinen Arbeiten zum Editionsband des Reichstags von 1594 zurückgegriffen.12⁶ Da es zu den Städten bereits umfangreiche Untersuchungen12⁷ gibt, liegt der Schwerpunkt in dieser Arbeit auf den oberen Reichstagskurien, vor allem auf dem Fürstenrat. Betrachtet werden ihre internen Regeln, aber auch ihre Kommunikation und Interaktion untereinander, ebenso wie ihr gemeinsames Auftreten gegenüber der dritten Kurie. Die wichtigsten Quellengattungen sind dabei die Protokolle, Diarien und Reichstagsberichte. Darin sind ausführliche Darstellungen zum angewendeten Verfahren jedoch nur mühsam zu finden, weil ihr Hauptaugenmerk meist auf den Verhandlungsthemen und den getroffenen Beschlüssen liegt. Große Bedeutung für die Erschließung von Verfahren, Verfahrensentwicklung und politischem Selbstverständnis der Handelnden haben deshalb vor allem diejenigen Fälle, in denen Streit über das korrekte Verfahren ausbrach. Verfahrenskonflikte sind in vielen Quellen keine Seltenheit, sondern finden häufig Erwähnung. 124 Rauch, Traktat. Zur Datierung und Einordnung des Traktats: Hartung, Zum Traktat über den Reichstag im 16. Jahrhundert; Rauch, Zum Traktat über den Reichstag im 16. Jahrhundert; Lanzinner, Die Rolle des Mainzer Erzkanzlers auf den Reichstagen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 73–74. 125 Frankfurt ISG, RTA 54; StA Hannover, Hild. Br.1, Nr. 80, fol. 211rv, 176r–177r, 779r, 786r–787r, 783r–786r, 592r–593r, 301rv; HStA München, Kasten blau, 271/4, fol. 10r–19r; HStA Stuttgart, A 262, Bü. 21; StA Würzburg, Würzburger RTA, 21. 126 ÖStA HHStA Wien, RK RTA, 65-1. 127 Gerber, Die Bedeutung des Augsburger Reichstags von 1547/48 für das Ringen der Reichsstädte um Stimme, Stand und Session; Isenmann, Reichsstadt und Reich an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit; ders., Die Städte auf den Reichstagen im ausgehenden Mittelalter; Krischer, Inszenierung und Verfahren; Schmidt, Städtecorpus; ders., Städtetag in der Reichsverfassung; Schmidt, Reichsstädte; Schmidt, Städtetag und Reichsverfassung; ders., Städte auf dem Reichstag.

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Unterschiedlich fällt aber die Ausführlichkeit ihrer Behandlung aus. Welche Aufschlüsse geben diese Streitigkeiten? Hierzu lassen sich auf vier Wegen Erkenntnisse erlangen: Zunächst waren die Streitigkeiten ein Anlass, die ansonsten nicht fixierten Regeln zu benennen. Wollte ein Reichstagsteilnehmer die Überschreitung einer Regel anprangern, so musste er sie in seiner Klage darüber auch formulieren und erklären können. Aufzeichnungen über Verfahrensstreitigkeiten sind deshalb oft die einzige ausführliche Quelle zu einem bestimmten Verfahrensbestandteil. Neben dieser offensichtlichen Information lässt sich aus einem solchen Streit auch schließen, dass das beanstandete Verfahren offensichtlich noch nicht ausreichend institutionalisiert war. Wäre die betreffende Regel nämlich allgemein bekannt und ausreichend mit Sanktionsmöglichkeiten belegt gewesen, wäre es nicht zu einem solchen Konflikt gekommen. Hierbei zeigt sich der langsame Prozess der Etablierung der Regeln, denn oft entsteht aus Verfahrenskonflikten kein ausführlicher Streit. Dass eine Regel schon nahezu institutionalisiert war, zeigt sich in denjenigen Fällen, bei denen die Regelübertretung für die meisten Beteiligten so offensichtlich ist, dass der Übertreter seine Zurechtweisung bald akzeptierte. Dabei kann schon die erfolgte Zurechtweisung als ausreichende Sanktion im Sinne der benutzten Definition von Institution verstanden werden. Zusätzlich lässt sich aus Verfahrenskonflikten, die zu ausführlichen Argumentationen ohne schnelle Beilegung des Streits führten, das politische Selbstverständnis der Versammelten erschließen. Dabei darf aber die Argumentation nicht mit den tatsächlichen Ansichten oder gar Motiven der Streitenden verwechselt werden. Es ist davon auszugehen, dass die zur Durchsetzung des eigenen Standpunkts verwendeten Argumente so ausgewählt waren, dass sie in der begrenzten Öffentlichkeit des Austragungsraums auf Akzeptanz stoßen sollten. Sie spiegeln somit die Erwartungen der Argumentierenden wider, welche Argumente bei den Zuhörern im Raum Anerkennung finden würden. Diese Erwartungen setzen aber voraus, dass der Argumentierende auf eine allgemein akzeptierte Legitimation seines Standpunkts zurückgreifen konnte. Somit können Argumente in Verfahrensauseinandersetzungen offenbaren, wie die Reichstagsteilnehmer das verwendete Verfahren herleiteten. Zu beachten bleibt dabei aber, dass diese Herleitungen nicht identisch sein müssen mit der tatsächlichen Herkunft einer Verfahrensweise. Der vierte Nutzen, der sich aus der Untersuchung solcher Streitfälle ergibt, ist die Möglichkeit, auf weitere Sanktionen zu stoßen. Bisweilen untermauern die Streitenden ihre Standpunkte, indem sie eine bestimmte Reaktion androhen, falls der Gegner nicht einlenken sollte. Diese Drohungen können miteinander verglichen werden. So lässt sich insgesamt erkennen, wie »Sanktionierung bzw. Sanktionsandrohung« der Reichstagsinstitutionalisierung funktionierten. Einen weiteren Ansatz zur Untersuchung von politischem Verständnis für die Institutionalisierung des Reichstags bietet die Sprache: Dabei wird davon ausgegangen, dass bei einer stärkeren Institutionalisierung auch präzisere Begriffe entstehen. Die bisweilen noch ungenaue Verwendung des Worts »Reichstag« wurde bereits angesprochen. Parallel dazu lässt sich untersuchen, ob sich eindeutige Begriffe für

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bestimmte Verfahrenselemente herausbilden. Dabei bleibt jedoch zu beachten, dass im 16. Jahrhundert das generelle Bedürfnis nach präzisen Fachbegriffen für politische Prozesse bei weitem nicht so ausgeprägt war wie in der Moderne. Eine Begriffsbildung im Zusammenhang mit den Reichstagen ist deshalb schon dann festzustellen, wenn eine Person einen bestimmten Vorgang nicht mehr einfach nur beschreibt, sondern wiederholt eine kürzere Benennung hierfür benutzt. Wie lässt sich eine Arbeit zum Verfahren der Reichstage Karls V. gliedern? Da die einzelnen Reichstage jeweils ein eigenständiges und bedeutsames Ereignis darstellten und sie sich zum Teil, abhängig von den jeweiligen politischen Umständen, deutlich voneinander unterschieden, kann eine chronologische Herangehensweise gewählt werden. Das Ergebnis wäre eine Geschichte der Reichstage von 1521 bis 1555 unter verfahrenstechnischer Perspektive. Ein Nachteil einer solchen Herangehensweise wäre jedoch, dass sich die zahlreichen einzelnen Vorgänge, die sich auf fast allen Reichstagen wiederholten, nicht entsprechend gewürdigt werden könnten. Auch wäre eine rein chronologische Vorgehensweise nicht geeignet, langfristige Veränderungen im Verfahren darzustellen. Hierzu eignet sich eher ein Aufbau, der sich des typischen Ablaufs der Reichstage und der einzelnen Verfahrenselemente annimmt. Zu den jeweiligen Aspekten ließen sich dann Vergleiche einzelner auch zeitlich weiter voneinander getrennter Reichstage leicht anstellen. Eine Orientierung an einem als typisch angenommenen Ablauf der Reichstage ist jedoch nur beschränkt möglich. Während sich bestimmte Elemente tatsächlich regelmäßig wiederholten, wie etwa die Eröffnungssitzung mit der Proposition oder die abschließende Verlesung des Abschieds am Ende des Reichstags, lassen sich die Aspekte der eigentlichen Verhandlungen kaum so einfach gliedern. Hier bietet sich eher eine Einzelbetrachtung hervorgehobener Gesichtspunkte an. Beispielsweise ließen sich die Bildung von Ausschüssen und die Praxis der Umfrage besser losgelöst vom chronologischen Ablauf eines Reichstags beschreiben, da beide Phänomene zwar bedeutsam für das Abhalten von Reichstagen waren, aber nicht allein zu einem festen Zeitpunkt erfolgten. Auch die Frage nach den Mechanismen der Verfahrensbildung und -änderung erfordert eine andere Gliederung. Aus den genannten Gründen wurde für die vorliegende Arbeit ein Aufbau gewählt, bei dem zunächst in einem chronologischen Teil eine Einordnung der jeweiligen Reichstage vorgenommen wird. Dabei soll knapp auf Besonderheiten des angewendeten Verfahrens und die politischen Umstände, die den Ablauf des jeweiligen Reichstags beeinflussten, eingegangen werden. Ein weiterer Teil ist dann dem äußeren Aufbau, dem Ablauf der Reichstage, gewidmet. Von diesem Teil abgegrenzt erfolgt eine Betrachtung einzelner Aspekte, die die Reichstagsverhandlungen ausmachten. Diese sind die verschiedenen Versammlungsformen auf den Reichstagen, die Etablierung der Reichstagskurien, die Bildung und die Zusammensetzung von Reichstagsausschüssen, das Mehrheitsprinzip bei Abstimmungen im Rahmen der Umfrage, die Formalisierung der Kommunikation zwischen den einzelnen Reichstagskurien und Sessionskonflikte. Zuletzt und aufbauend auf den Beobachtungen aus den vorangegangenen Teilen schließen sich die gewonnenen Erkenntnisse zum Vorgang der Verfahrensbildung und -änderung an.

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1. Die Reichstage unter Karl V. Das auf den Reichstagen in der Zeit Karls V. angewandte Verfahren war in hohem Maß abhängig von den politischen Umständen, unter denen der jeweilige Reichstag abgehalten wurde. Dies lag zum einen daran, dass das Verfahren der Reichstage noch nicht kleinteilig festgelegt war. Noch bedeutender aber war zum anderen die enorme Belastungsprobe, der sich die Fürstengesellschaft des Alten Reichs unter dem Eindruck der Religionskrise ausgesetzt sah. Dabei wandelte sich der Charakter der Versammlungen: Statt einer Verhandlung zwischen dem Kaiser auf der einen Seite und einer großen (möglichst geschlossenen) Ständeversammlung unter Führung der Kurfürsten auf der anderen mussten nun größere Gegensätze innerhalb der Stände überwunden werden. Der Kaiser und seine Kommissare sahen sich fortan oft mit einer Situation konfrontiert, in der sie eine ausgleichende Funktion ausüben mussten. Um den Einfluss der politischen Umstände auf das Reichstagsverfahren darzustellen, sollen zunächst im vorliegenden Kapitel die Reichstage von 1521 bis 1555 als Einzelereignisse gewürdigt und in ihren politischen Kontext eingeordnet werden. Es soll dargestellt werden, welche politischen Konstellationen die Reichstage jeweils prägten und welche Auswirkungen diese auf das angewendete Verfahren hatten. Da viele Aspekte des Reichstagsverfahrens in weiteren Kapiteln genauer untersucht werden sollen, bleibt das vorliegende Kapitel aber auf eine knappe Darstellung einiger wesentlicher Punkte beschränkt. Einer der Verfahrensaspekte, auf die hier eingegangen werden soll, ist die An- oder Abwesenheit des Karls V. und seines Bruders. In Karls Abwesenheit oblag die Leitung des Reichstags verschiedenen Personen, die im Lauf der Zeit wechselten. In den 1520er Jahren spielte das Reichsregiment in Vertretung Karls eine bedeutsame Rolle, später, nach seiner Königswahl, schrieb Ferdinand auch selbst Reichstage aus. Der abwesende Kaiser entsandte in den meisten Fällen zusätzlich noch weitere Kommissare an den Reichstag. Neben der Anwesenheit des Kaisers ist hier auch von Interesse, welche Versammlungsformen den Reichstag bestimmten. Je nach politischer Lage tagten die Stände in den sich etablierenden Kurien, in Großen Ausschüssen oder gar separiert in Partikularräten. Besondere Aufmerksamkeit soll dabei dem Ausschusswesen zukommen, da dieses deutlich von der politischen Polarisierung unter den Ständen beeinträchtigt wurde. Das Auftreten nicht reichsständischer Gesandtschaften auf dem Reichstag soll ebenfalls berücksichtigt werden. Auf weitere Aspekte des Verfahrens soll nur dann eingegangen werden, wenn der entsprechende Reichstag hierfür große Bedeutung erlangte. Auf eine genaue Beschreibung der Verfahrensbeteiligung von Städten wird größtenteils verzichtet. Zu den Grafen sei auf die Arbeit von Ernst Böhme verwiesen, der ausführlich auf die Entwicklung der Grafenstimmen eingeht.1 1 Böhme, Das fränkische Reichsgrafenkollegium, S. 90–113.

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Die Reichstage unter Karl V.

Es wurde zu Recht darauf verwiesen, dass die Ausgangslage für die Reichs- und Reichstagspolitik Karls V. sich anders gestaltete als die seines Vorgängers.2 Die Wahl Karls zum römischen König fiel in eine Zeit starker sozialer Spannungen und politischer Unsicherheit. Deshalb wurde der Wunsch nach einem durchsetzungsfähigen Kaiser geäußert. Das Reich sei »in sich selbs erschopft und unvormoglich«3, hatte der Mainzer Kurfürst Albrecht anlässlich der bevorstehenden Wahl⁴ festgestellt. Um zu verhindern, dass sich Städte und Landstände den Schweizern anschlössen und um die Türken von deutschen Gebieten fernzuhalten, bedürfe es eines Kaisers, »der geforcht«⁵ werde. Der Kurfürst nannte die Gefahr von Aufständen, die sich gegen das Reich, aber auch gegen die Kirche richteten. Der neue Herrscher müsse nicht nur tatkräftig, sondern auch finanzstark sein, denn die Einführung von reichsweiten Steuern sei in der angespannten Lage kaum möglich. Dabei verwies der Erzbischof auf die Bundschuh-Verschwörungen⁶, die ihm wohl eine Vorahnung auf den drohenden Bauernkrieg gaben. Statt der Furcht vor einem zu eigenmächtigen Herrscher dominierte also die Besorgnis um die innere Stabilität des Reichs die Argumentation des Kurfürsten. Als Ursache für Instabilität nannte Albrecht den »gemein man«⁷. Tatsächlich stellte aber die sich bei der Wahl Karls noch nicht abzeichnende Spaltung der Fürstengesellschaft langfristig das größte Problem dar, mit dem sich Karl V. auf den Reichstagen konfrontiert sah. Die Argumentation mit der Angst vor Erhebungen sollte tatsächlich eine Rolle bei der Behandlung der Glaubensspaltung auf den kommenden Reichstagen spielen, denn in Abwesenheit des Herrschers schien eine vorsichtige Behandlung der neuen religiösen Strömungen auch vor diesem Hintergrund angebracht. Die Herrschaft Karls V. war mit großen, wenn auch oft gegenläufigen Erwartungen an ihn verknüpft. Dies brachte den neuen Kaiser in eine besondere Situation, die sich auch häufig auf das Verfahren der Reichstage auswirkte.

1.1 Der Wormser Reichstag von 1521 Von allen Reichstagen, die in der Herrschaftszeit Karls V. abgehalten wurden, nimmt der Wormser Reichstag von 1521 aus mehreren Gründen eine Sonderstellung ein. Zunächst war von Bedeutung, dass Karl persönlich teilnahm. Dies sollte in den folgenden neun Jahren nicht mehr geschehen. Die Versammlung von 1521 war der einzige von Karl persönlich besuchte Reichstag, der nicht von der 2 Angermeier, Die Reichsreform 1410–1555, S. 230–237. 3 RTA JR 1, Nr. 378 (S. 843–844), S. 843. 4 Zur Wahl und zur Einflussnahme der Kandidaten auf die Kurfürsten: Weickler, Die Stellung der Kurfürsten zur Wahl Karls V. im Jahr 1519. 5 RTA JR 1, Nr. 378 (S. 843–844), S. 844. 6 Zur Bundschuhbewegung: Dillinger, Freiburgs Bundschuh. Vgl. auch die einzelnen Beiträge im Sammelband: Blickle/Adam (Hg.), Bundschuh; ausführlich: Rosenkranz, Der Bundschuh. 7 RTA JR 1, Nr. 378 (S. 843–844), S. 844.

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Der Wormser Reichstag von 1521

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Glaubensspaltung dominiert wurde. Obwohl Martin Luthers Lehre bereits viele Anhänger fand und Luther sich in Worms vor dem Kaiser rechtfertigen sollte, war noch nicht abzusehen, dass die Reformation die Kirche spalten würde. Die neue Lehre hatte deshalb noch keine Auswirkungen auf das Reichstagsverfahren. Als erster Reichstag eines neuen Herrschers erfüllte die Reichsversammlung in Worms deutlich vielseitigere Funktionen als andere Reichstage. Für viele Reichsstände bot sie eine erste Gelegenheit, den neuen »Erwählten Römischen Kaiser« persönlich kennenzulernen. Die Stände hatten Karl aber auch ihre Huldigung⁸ entgegenzubringen. Dieser hingegen verlieh ihnen ihre Reichslehen neu und bestätigte ihre Privilegien.⁹ Auf dem Reichstag von 1521 zeigten sich somit die feierlichen Elemente des mittelalterlichen Hoftags1⁰ deutlich. Wegen seiner Bedeutsamkeit wurde der Reichstag von vielen Reichsständen persönlich besucht.11 Er grenzt sich somit ab vom Bild des funktionell ausgerichteten Gesandtenreichstags der Frühen Neuzeit. Die persönliche Anwesenheit des Erwählten Kaisers und vieler Fürsten lud geradezu ein zu sinnlicher Erfahrbarkeit des Reichs.12 Karl nutzte etwa den traditionellen kaiserlichen Ornat, der ihm von der Nürnberger Gesandtschaft ausgehändigt worden war, zu traditionellen Belehnungen unter freiem Himmel, bei denen er zudem allen anwesenden Fürsten den Ritterschlag erteilte.13 Außerdem gab es ein Turnier, an dem sich auch die Fürsten beteiligten.1⁴ Die Stadt Worms1⁵ war durch die Vielzahl der Besucher völlig überfüllt,1⁶ so dass hier tatsächlich von einer »Reichsöffentlichkeit schlechthin«1⁷ gesprochen werden kann. Die Teilnehmer erhofften sich vom Reichstag und dem neuen Herrscher aber auch die Lösung dringlicher Probleme. Seit der Wahl Karls hatte sich die angespannte Lage keineswegs beruhigt. Die Eskalation des Konflikts um Martin Luther zog viel Aufmerksamkeit auf sich, denn vielerorts fand der Reformator begeisterte Zustimmung. Seine Schriften verbreiteten sich rasch auf dem Nährboden der generellen antipäpstlichen Stimmung im Reich und dienten als willkommene Rechtfertigung dafür, gewohnte Institutionen der Kirche anzuzweifeln. Die deutschen Fürsten, die den Reichstag besuchten, erhofften sich, über die Behandlung 8 Bei diesem aus dem Mittelalter stammenden Ritual erkannten die Fürsten den neuen Herrscher an und bekräftigten ihre gegenseitige Bindung mit einem Eid. 9 RTA JR 2, Nr. 112 (S. 765–767). 10 Moraw, Versuch, S. 15–24. 11 Wohlfeil, Der Wormser Reichstag von 1521, S. 82–83. 12 Zu den Funktionsbereichen des Reichstags: Lanzinner, Juristen unter den Gesandten der Reichstage 1486–1654, S. 354. 13 RTA JR 2, Nr. 112 (S. 765–767), S. 765. 14 Ebd., Nr. 6 (S. 147–153), S. 152. 15 Entgegen den Bestimmungen der Goldenen Bulle [Fritz, Die Goldene Bulle, § 29 I, S. 87] und Karls eigener Wahlverschreibung [RTA JR 1, Nr. 387 (S. 864–876), S. 875] fand der erste Reichstag Karls nicht in Nürnberg statt, da von dort ansteckende Krankheiten gemeldet wurden [RTA JR 2, Nr. 1 D (S. 133–134), S. 134; Nr. 1 E (S. 134–135), S. 135; Nr. 2 (S. 137–138), S. 137]. 16 Reuter (Hg.), Reichstag 1521, S. 41–44. 17 Stollberg-Rilinger, Symbolik der Reichstage, S. 77.

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der Gravamina der deutschen Nation1⁸ in Worms eine Entspannung erreichen zu können.1⁹ Andererseits strebte die römische Kurie eine rasche politische Lösung der Luthersache durch eine Verurteilung von Luthers Gedanken als Häresie an und wollte den Reichstag dazu nutzen, den Fürsten und der Reichsöffentlichkeit ihre Haltung zur neuen Lehre zu kommunizieren.2⁰ Eine päpstliche Gesandtschaft hatte Karl, der sich neben der Lutherproblematik im Reich in Spanien mit Aufständen konfrontiert sah,21 bereits in den Niederlanden aufgesucht und dort die Verbrennung von Schriften des Reformators veranlasst.22 Nun sollte Nuntius Aleander auf dem Wormser Reichstag die Verhängung der Reichsacht über Luther erwirken. Der Fall Martin Luthers gehörte jedoch nicht zu den offiziellen Verhandlungsthemen, die den Ständen in der Proposition vorgetragen wurden. Der Reichstag als Reichsversammlung erfüllte hier zusätzlich die Funktion eines Gerichtstags, bei dem die verschiedenen Positionen vom Reichsoberhaupt angehört werden konnten. Die versammelten Stände hatten dagegen laut Karls Proposition, die am 27. Januar verlesen wurde,23 zunächst über Fragen und Projekte zu beraten, die sich aus der unter Maximilian I. eingeleiteten Reichsreform ergaben: Landfrieden, Polizeiordnung und vor allem die bereits 1519 in der Wahlkapitulation versprochene2⁴ Errichtung eines zweiten Reichsregiments standen zur Beratung. Ein weiterer Punkt war Karls Forderung nach einer Romzughilfe, mittels derer er die Kaiserwürde erlangen und auch die dem Reich verloren gegangenen Gebiete wieder eingliedern wollte.2⁵ Tatsächlich entwickelte sich aber der Umgang des jungen Herrschers mit der dringlichen Lutherthematik zum folgenreichsten Aspekt seines ersten Reichstags.2⁶ Die auf dem Reichstag verhandelnden Reichsstände befanden sich somit in einem Spannungsfeld von drei grundlegenden Interessen: Zunächst gab es die Tradition der von Berthold von Henneberg angestoßenen Reichsreform, die eine Abgrenzung der Reichsstände vom Kaiser und eine Institutionalisierung der Reichspolitik verfolgte. In dieser Tradition stand die Forderung nach einem neuen 18 RTA JR 2, Kapitel VIII (S. 661–718). Zu den Gravamina: RTA JR 21; Schmidt, Gravamina, Suppliken, Artikel, Aktionen; Rublack, Gravamina und Reformation; Störmann, Die städtischen Gravamina gegen den Klerus am Ausgange des Mittelalters und in der Reformationszeit; Gebhardt, Die gravamina der Deutschen Nation; zur Gravaminaforschung: Würgler, Bitten und Begehren. 19 Wohlfeil, Der Wormser Reichstag von 1521, S. 86–89. 20 Müller, Die römische Kurie und der Reichstag; Wohlfeil, Der Wormser Reichstag von 1521, S. 71. 21 Zu den Verhältnissen in Spanien: Carrasco, Les crises du début du règne: les Comunidades et les Germanías, la conversion des mudéjares de la Couronne d’Aragon. 22 Aleander berichtete 1520 entsprechend an Leo X.: RTA JR 2, Nr. 59 (S. 454–457). 23 Ebd., Nr. 7 (S. 153–156). 24 RTA JR 1, Nr. 387 (S. 864–876), S. 866. 25 Wohlfeil, Der Wormser Reichstag von 1521, S. 136–146. 26 Kohler, Karl V. 1500–1558, S. 153–157; Luttenberger, Die Religionspolitik Karls V. im Reich, S. 295–301; Schilling, Karl V. und die Religion.

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Der Wormser Reichstag von 1521

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Reichsregiment, das auch die Furcht der deutschen Fürsten vor einer spanischen Fremdherrschaft eindämmen sollte.2⁷ Ein weiteres Grundinteresse war die rasche Reaktion auf die mit der Begeisterung für Luther einhergehenden umstürzlerischen Tendenzen im Reich, was den Wunsch nach einer Auseinandersetzung mit Luther förderte. Zuletzt hofften viele Fürsten noch, die causa lutheri für eine antikuriale Politik auf dem Boden der traditionellen Kirche verwenden zu können.2⁸ Der Beginn der Verhandlungen wurde zunächst durch den Streit der Kurfürsten von Mainz und Sachsen um die Umfrage2⁹ aufgehalten.3⁰ Der Streit war nicht neu: Bereits 1487 zweifelte Sachsen die Mainzer Umfrage an. Damals wurde eine Abmachung getroffen, derzufolge der Mainzer Kurfürst zwar die Umfrage unter den Kurfürsten, der sächsische Kurfürst aber die Umfrage unter den übrigen Ständen führen solle.31 Sachsen hatte seitdem aber mehrfach gefordert, Mainz möge seinen Anspruch auf die Umfrage beweisen. Am 30. Januar 1521 wurden die Verhandlungen des Reichstags gleich beim ersten Zusammentreten der Stände wieder unterbrochen, da Sachsen nicht mehr bereit war, die Mainzer Umfrage anzuerkennen. Schließlich sollte der Kaiser mittels einer Kommission ein Urteil fällen. Da Mainz dieses aber nicht anerkannte, blieb es bis 1529 bei einer vorläufigen Regelung, bei der Mainz zwar im Kreis der Kurfürsten die Umfrage führen sollte, Sachsen dagegen bei Versammlungen aller Reichsstände.32 Die Verhandlungen wurden am 5. Februar wieder aufgenommen und es wurde ein Großer Ausschuss gebildet, wie er für die Reichstage der 1520er Jahre üblich bleiben sollte: Er bestand aus Vertretern aller Kurien und hatte umfassende Kompetenzen, war also nicht, wie spätere kurienübergreifende Ausschüsse, auf einen bestimmten Propositionspunkt festgelegt. Stattdessen sollte er »uf […] kei. Mt. furhalten radslagen«33, also eine Antwort auf die gesamte Proposition entwerfen. Bei der Zusammensetzung des Ausschusses wurde dem hohen Anteil persönlich anwesender Stände Rechnung getragen, denn es »söllt jeder churfurst zwen rett und jeder furst einen ratt mit im nemen.«3⁴ Dies ermöglichte es den Fürsten und Kurfürsten, nicht an jeder Sitzung persönlich teilzunehmen, während die beteiligten Räte die Beratungen kontinuierlich begleiten konnten.3⁵ Mit den sechs Kurfürsten, jeweils vier geistlichen und weltlichen Fürsten, einem Prälaten, zwei Grafen und einem bzw. zwei Städtevertretern umfasste der Große Ausschuss 18 bzw. 19 Reichsstände. Durch die Räteregelung versammelten sich aber bis zu 27 Angermeier, Die Reichsreform 1410–1555, S. 230–279. 28 Wohlfeil, Der Wormser Reichstag von 1521, S. 89–90. 29 Die Umfrage war das Verfahren, mittels dessen während der Sitzungen die Meinung der Beteiligten gehört wurde. Vgl. hierzu das Kapitel 3.4 ab S. 210. 30 Verschiedene Berichte über den Streit: RTA JR 2, Nr 6 (S. 147–158), S. 152; Nr. 8 (S. 156–157), S. 157; Nr. 9 (S. 157–168), S. 160. 31 RTA MR 2, Nr. 378 (S. 480–481), S. 481. 32 Eine Zusammenfassung des Streits: RTA JR 2, Nr. 105 (S. 749–752). 33 Pfälzer Aufzeichnungen über den Reichstagsbeginn, ebd., Nr. 6 (S. 147–153), S. 152. 34 Bischöflich-straßburgisches Protokoll, ebd., Nr. 9 (S. 157–168), S. 161. 35 Wohlfeil, Der Wormser Reichstag von 1521, S. 81.

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39 Personen, von denen 18 allein die Kurfürsten mit ihren Räten ausmachten. Bald beschloss man, diesen Großen Ausschuss weiter zu mindern, also aus ihm wieder einen Unterausschuss zu bilden. Hierzu wurden von allen Kurfürsten je ein Rat, von den geistlichen und den weltlichen Fürsten jeweils zwei Räte, von den Prälaten ein Rat, ein Graf und von den Städten insgesamt ein Vertreter abgeordnet. Der Unterausschuss war von gelehrten Räten geprägt. Unter den 13 Ausschussmitgliedern waren allein fünf Kanzler3⁶ und fünf waren promoviert.3⁷ Dieser »geringe« oder »kleine Ausschuss« war somit ein reines Expertengremium, das die anstehenden Materien für den Großen Ausschuss vorbereiten sollte. Auch im Kleinen Ausschuss wirkte sich der schwelende Umfragestreit zwischen Mainz und Sachsen aus. So musste »ungefragt fur sich selbs jeder nach seinem gefallen reden von ordnung des camergerichts«3⁸. Die gewohnte Umfrage wurde also zeitweise komplett ausgeklammert und stattdessen wurde anscheinend frei und ohne Aufruf gesprochen. Auch der Kleine Ausschuss ernannte Unterausschüsse für Spezialfragen.3⁹ Der junge Herrscher konnte während der Beratungen der Stände auf diese einwirken. Da die Verhandlungen ihm in die falsche Richtung zu gehen schienen, legte er eine zweite Proposition vor, in der er seine Vorgaben zum Reichsregiment präzisierte.⁴⁰ Der Abschied⁴1 ordnete ein neues Reichsregiment⁴2 für die Zeit der Abwesenheit Karls vom Reich an. Außerdem wurde das Reichskammergericht neu eingerichtet. Ferner wurde die geforderte Romzughilfe in Höhe von 20.000 Knechten und 4.000 Reitern bewilligt. Bei seiner Anhörung weigerte sich Martin Luther, sich von seinen Schriften zu distanzieren und sich durch Widerruf der Acht zu entziehen.⁴3 Die Anhörung führte deshalb zur Publikation des Wormser Edikts⁴⁴, das über Luther und seine Unterstützer die Reichsacht verhängte.⁴⁵

36 Es handelte sich um die Kanzler der Kurfürsten von Trier, Köln und Pfalz, sowie die des Straßburger Bischofs und Markgraf Kasimirs. 37 Das bischöflich-salzburgische Protokoll verzeichnet die Doktorgrade der Abgeordneten: RTA JR 2, Nr. 9 (S. 157–168), S. 162-163. 38 Ebd., Nr. 9 (S. 157–168), S. 163. 39 Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise, S. 232. 40 RTA JR 2, Nr. 14 (S. 185–189). 41 Ebd., Nr. 101 (S. 729–743). 42 Roll, Zweites Reichsregiment, S. 23–20; Rauscher, Personalunion und Autonomie, S. 23–26. 43 Brecht, Martin Luther und Karl V.; Moeller, Luthers Bücher auf dem Wormser Reichstag von 1521; Zager, Martin Luther vor dem Reichstag zu Worms. 44 RTA JR 2, Nr. 92 (S. 640–659). 45 Schmidt, Aushandeln, S. 103–109; Wohlfeil, Der Wormser Reichstag von 1521, S. 148–151. Brecht, Martin Luther und Karl V. Zum Verhältnis Karls zu Luther: Escamilla, Le face à face de Worms. Zur Rolle der folgenden Reichstage: Press, Reformatorische Bewegung und Reichsverfassung, S. 490–491.

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Die Regimentsreichstage 1522–1529

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1.2 Die Regimentsreichstage 1522–1529 Eine Zeit lang sah es so aus, als zentriere sich in Nürnberg eine neue, ständische Reichsregierung. Sowohl das von den Reichsständen und dem Kaiser gemeinsam besetzte Reichsregiment als auch das Reichskammergericht sollten hier eingerichtet werden. Auch war Nürnberg der Tagungsort der folgenden Reichsversammlungen. Doch das Reichsregiment, in Worms 1521 als Kompromiss zwischen ständischer Eigenverwaltung und monarchischer Statthalterschaft vereinbart, hatte bereits bei Aufnahme seiner Tätigkeit mit enormen Problemen zu kämpfen.⁴⁶ Dies lag sowohl an den beteiligten Ständen, die das Regiment zunächst nur unzureichend mit Personal beschickten, als auch am erwählten Kaiser, der es versäumte, das Regiment mit den erforderlichen Siegeln auszustatten.⁴⁷ Die genaue Stellung des Reichsregiments im politischen Gefüge des Reichs war mit seiner Errichtung noch nicht geklärt. Die Erwartungen an seine Aufgaben und seine Rolle waren sehr unterschiedlich: Sie reichten von der Vorstellung einer Institution mit den Befugnissen und der Autorität des Kaisers bis zu einer dem Großen Reichstagsausschuss vergleichbaren ständischen Zentralvertretung.⁴⁸ Diese Unklarheit wirkte sich unausweichlich auch auf die Reichstage aus, wo Aufgabe, Anerkennung und Wirksamkeit des Regiments auf die Probe gestellt und durch die geschaffene Öffentlichkeit zeremoniell ausgelotet werden mussten. Diese zeremonielle Auslotung war wesentlich für die Etablierung des Reichsregiments als politischer Institution. Die Art und Weise, wie auf der Reichsversammlung den Regimentsräten vonseiten der versammelten Fürsten oder deren Gesandten begegnet wurde, war das politische Kapital des Regiments.

1.2.1 Der Nürnberger Reichstag von 1522 In der Zeit, in der das Regiment noch mit seinen Startschwierigkeiten zu kämpfen hatte, nahm die Bedrohung des Reichs durch die vordringenden Türken zu. Während des Wormser Reichstags 1521 hatten sie bereits Belgrad erobert⁴⁹ und drohten nun, weiter vorzudringen. König Ludwig von Ungarn wandte sich an den Kaiser, um Hilfe zu erbitten.⁵⁰ Dieser leitete die Anfrage an die Reichsstände weiter und verwies darauf, derzeit in Kämpfen mit Frankreich gebunden zu sein. Auch die Reichsstände waren zunächst kaum bereit, etwas gegen die türkische Bedrohung zu unternehmen. Nachdem es kurzzeitig danach ausgesehen hatte, dass sich 46 Roll, Kaiserlose Zeiten, S. 280–283. 47 Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 19 (S. 44–47), S. 45; Wrede, Einleitung, S. 21. 48 Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 121–123; Schmidt, Deutschland, S. 15; Wohlfeil, Der Wormser Reichstag von 1521, S. 124–131. 49 Kohler, Ferdinand I. 1503–1564, S. 207, 220. 50 Zur Verknüpfung der Politik Karls und Ferdinands mit Ungarn bis 1526: Ders., Karl V., Ferdinand I. und das Königreich Ungarn; Kovács, Erzherzog Ferdinand und Ungarn (1521–1526).

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Die Reichstage unter Karl V.

die Türken wieder zurückzögen,⁵1 kamen schließlich beunruhigende Neuigkeiten von erneuten Vorstößen.⁵2 Daraufhin forderte der Kaiser vom Reichsregiment ein Gutachten zur Türkengefahr an.⁵3 In seiner Antwort⁵⁴ erklärte das Regiment die Notwendigkeit eines Reichstags. Der Kaiser genehmigte die Reichsversammlung und bot die Verwendung der 1521 bewilligten Romzughilfe gegen die Türken an. Das Regiment schrieb schließlich am 12. Februar 1522 einen Reichstag für den 23. März nach Nürnberg aus.⁵⁵ Dieser Reichstag stellte nun eine Bewährungsprobe für das in Worms für die Zeit der Abwesenheit Karls entworfene System ständischer Selbstregierung dar. Vor dem eigentlichen Reichstag sollte zunächst, wie in der Regimentsordung bestimmt,⁵⁶ ein Fürstentag stattfinden. Dieser scheiterte jedoch an der mangelnden Bereitschaft der 18 Fürsten, rechtzeitig nach Nürnberg zu kommen. Einige Fürsten versuchten, ihre Regimentsräte in Nürnberg gleichzeitig mit ihrer Vertretung am Reichstag zu betrauen, was vom Regiment aber zurückgewiesen wurde.⁵⁷ Der Reichstag von 1522 war der erste, der vom neuen Reichsregiment ausgeschrieben und organisiert wurde. Aus diesem Grund waren viele konkrete Verfahrensweisen ungeklärt, da es hierfür keine Präzedenzfälle gab. Dies äußerte sich direkt bei der Eröffnung des Reichstags: Das Regiment verstand sich als Vertretung der kaiserlichen Herrschaft und verlangte daher einen Rangvorzug vor den Reichsständen, wie ihn der Kaiser beanspruchen konnte.⁵⁸ Deshalb sollten die kurfürstlichen Regimentsräte und die zum Regiment gehörenden Fürsten vor den Reichstagsgesandten der Kurfürsten gehen.⁵⁹ In den Augen der übrigen Fürsten waren die Regimentspersonen aber keineswegs höhergestellt. Es kam daher bei der Eröffnungsprozession am 26. März zu einer »irrung des geens und steens halber«⁶⁰, die man zunächst löste, indem man »nach vilen streitreden«⁶1 dem kaiserlichen Statthalter, Pfalzgraf Friedrich⁶2, gestattete, neben dem kurmainzischen Gesandten und vor allen anderen zu gehen. Der Posten des kaiserlichen Statthalters wurde mit dieser Geste verfassungsrechtlich zum ersten Mal genauer eingeordnet.⁶3 Die 51 52 53 54 55 56

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Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 16 (S. 36–39), S. 38. Ebd., Nr. 26 (S. 57–58), S. 57. Ebd., Nr. 28 (S. 62–66), S. 65. RTA JR 3, Nr. 4 I (S. 46–50). Ebd., Nr. 1 (S. 38–40). Die Regimentsordnung sah vor, dass sich die Regimentsfürsten im Notfall persönlich treffen sollten, um Gefahren zu beraten, die den Frieden im Reich bedrohten: RTA JR 2, Nr. 21 (S. 222–233), S. 227. Wrede, Einleitung, S. 31–32. Zur zeremoniellen Einordnung des Regiments auf dem Reichstag 1522: Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 121–123. Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 53 (S. 120–123), S. 121. Kurmainzer Aufzeichnung über den Beginn des Reichstags, RTA JR 3, Nr. 3 (S. 42–46), S. 42. Ebd., S. 43. Zu Friedrichs II. Zeit als kaiserlicher Statthalter beim Regiment: Baar-Cantoni, Religionspolitik Friedrichs II. von der Pfalz im Spannungsfeld von Reichs- und Landespolitik, S. 53–64. Zur Position des Statthalters im Reichsregiment: Roll, Zweites Reichsregiment, S. 24–49.

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Die Regimentsreichstage 1522–1529

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Reichsstände bestanden aber darauf, dass der Reichstag »etwas mehr und grosser were den das regement«⁶⁴. Die Regimentsräte blieben der Zeremonie deshalb fern, denn sie waren weiterhin der Meinung, das Regiment »were alles ein corpus und representiret den kaiser«⁶⁵. Durch ihre Abwesenheit verweigerten sich die Regimentsräte der Interpretation der Stände und hielten damit auch die Frage nach ihrer endgültigen Stellung offen.⁶⁶ Der nächste »krig«⁶⁷ zwischen Regiment und Reichsständen entbrannte gleich nach dem Gottesdienst: Das Reichsregiment wollte den Ständen die Proposition verlesen und bat die Reichsversammlung deshalb zu sich. Die Reichsstände aber verweigerten diese Geste der Unterordnung unter Verweis auf den bisherigen Brauch.⁶⁸ Man unterbrach daher die Reichstagseröffnung und führte sie am folgenden Tag in einem dritten, neutralen Haus weiter, zu dem beide Seiten sich begeben mussten.⁶⁹ Hier verlas das Regiment seinen Briefwechsel mit Karl V. Nun stellte sich die Frage, inwiefern die Regimentsräte an den anstehenden Beratungen beteiligt werden sollten. Sehr schnell und ohne besondere Verfahrensformen einigten sich die Stände nach der Verlesung der Proposition noch im Reichsrat auf ein generelles Mandat, in dem alle Bewohner des Reichs aufgefordert werden sollten, durch Messen, Pilgerfahrten, Glockenleuten und Gebete den Zorn Gottes zu besänftigen.⁷⁰ Zur Erörterung weiterer Maßnahmen beschloss man aber, einen Ausschuss einzurichten. Dieser Ausschuss stellt eine Besonderheit dar, denn er setzte sich sowohl aus Reichsständen als auch aus Regimentspersonen zusammen: Vier Fürsten und die drei anwesenden Kurfürstengesandten von Mainz, Pfalz und Brandenburg aus der Reichsversammlung, sowie vier Personen aus dem Regiment (zwei Regimentsfürsten und zwei Regimentsräte), bildeten zusammen einen Ausschuss, in dem aber anscheinend keine Städtevertreter vertreten waren.⁷1 Das Reichsregiment, das zwar größtenteils von den Ständen besetzt wurde, aber im Namen des Kaisers handelte, wurde somit direkt in die Verhandlungen des Reichstags integriert. Der so gebildete Große Ausschuss nahm sich auch der Anliegen fremder Gesandtschaften an, die sich an die Reichsstände wandten: Eine niederösterreichische und eine ungarische Gesandtschaft wollten den Ständen vom Verlauf des Krieges

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Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 53 (S. 120–123), S. 121. Ebd., S. 121. Zu Abwesenheit als Mittel im Verfahrensstreit: Kapitel 4.5.2.3, ab S. 309. Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 53 (S. 120–123), S. 121. Laut dem Regimentsrat Planitz argumentierten sie: »wue ir Mt. einen reichstag vorsamlet, den stenden ein haus und gemach beschiden; doselsbt hin kem ir Mt zu inen geritten ader irer Mt. geschigkte […] und were der gebrauch nicht, das die stende dem keiser ader seinen geschigkten im anfange nochgingen«: Ebd., Nr. 53 (S. 120–123), S. 122. 69 Ebd., Nr. 53 (S. 120–123), S. 121–122. 70 RTA JR 3, Nr. 3 (S. 42–46), S. 43; Nr. 6 (S. 56–59). 71 Weder die Mainzer Aufzeichnungen noch die des kursächsischen Regimentsrats nennen Städteboten: Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 56 (S. 126–130), S. 128; RTA JR 3, Nr. 3 (S. 42–46), S. 43.

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mit den Türken berichten. Zunächst wurden die Österreicher von einer Gemeinen Versammlung⁷2 aller Stände angehört, am Folgetag wurden dann zwei österreichische Kriegsräte im Ausschuss näher vernommen. Daraufhin sollten die Ungarn in Anwesenheit der Österreicher vor der Reichsversammlung sprechen. Dabei überreichten sie ihr Anliegen auch schriftlich.⁷3 Ein Ungar bot sich dem Ausschuss als Kriegssachverständiger an.⁷⁴ Zunächst wurden die Ungarn vom Ausschuss näher zu militärischen Einzelheiten befragt.⁷⁵ Daraufhin wurde vonseiten der geistlichen und weltlichen Fürsten ein neuer Ausschuss von Kriegsräten einberufen, der die Aufgabe hatte, das von den Gesandtschaften eingereichte Material zu sichten. Ihre Ergebnisse fassten sie in einem Gutachten⁷⁶ zusammen. Obwohl dieser Ausschuss von Sachverständigen nur aus fürstlichen Räten bestand, ist er als Unterausschuss des Großen Ausschusses zu begreifen, denn er fertigte ein Gutachten für den Großen Ausschuss an. Der Große Ausschuss bezog im Anschluss zu den vorgeschlagenen Maßnahmen Stellung.⁷⁷ Das Eintreffen des kursächsischen Gesandten ließ den Umfragestreit wieder aufflammen, als der Gesandte für Kursachsen die Umfrage im Ausschuss forderte. Die übrigen Stände im Ausschuss intervenierten beim persönlich anwesenden Kurfürsten von Mainz und erwirkten eine provisorische Alternation, nach der sich Mainz und Sachsen bei der Umfrage täglich abwechseln sollten.⁷⁸ Die Türkengefahr blieb das wichtigste Thema des Reichstags. Andere Verhandlungspunkte waren die Finanzierung des Reichskammergerichts und des Reichsregiments. Auch unterbreitete das Regiment das Gutachten eines eigenen Ausschusses zum Münzwesen.⁷⁹ Bei den weiteren Verhandlungen übernahm das Regiment den Part des Kaisers, indem es an seiner Stelle mit dem Ausschuss über den Abschied verhandelte.⁸⁰ Die Stände versprachen König Ludwig II. von Ungarn zwar Hilfe für das kommende Jahr, wollten aber Einzelheiten der Reichshilfe mit ihm auf einer Versammlung in Wien besprechen.⁸1 Zusammen mit dem Abschied⁸2 wurde ein neuer Reichstag beschlossen, der im September des gleichen Jahres zusammentreten sollte.⁸3 Hier sollte über eine Türkenhilfe der Reichsstände beraten werden.

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Zu dieser Versammlungsform: S. 165. RTA JR 3, Nr. 11 (S. 74–76). Ebd., Nr. 3, (S. 42–46), S. 44. Ebd., Nr. 13 (S. 77–79); Nr. 14 (S. 79–81). Ebd., Nr. 15 I (S. 82–86). Ebd., Nr. 15 II (S. 87–88). Ebd., Nr. 9 (S. 69–71). Ebd., Nr. 30 (S. 156–160). Ebd., Nr. 32 I (S. 162–165); Nr. 32 II (S. 165–170). Ebd., Nr. 33 (S. 170–185), S. 172. Ebd., Nr. 33 (S. 170–185). Ebd., Nr. 34 (S. 185–188).

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Die Regimentsreichstage 1522–1529

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1.2.2 Der Nürnberger Reichstag von 1522/23 Der zweite Nürnberger Reichstag des Reichsregiments sollte zügig auf die Bedrohung Ungarns durch die Türken reagieren. Da Karl V. inzwischen nach England und Spanien gereist war, hatte das Regiment jedoch Schwierigkeiten, von ihm Weisungen zu erhalten. So erreichten wichtige Antwortbriefe das Regiment in Nürnberg erst mehr als einen Monat nach Reichstagsbeginn.⁸⁴ Ebenfalls hinderlich für die Durchführung des Reichstags war die Fehde, die Franz von Sickingen gegen den Kurfürsten von Trier begonnen hatte.⁸⁵ Im September erschienen zunächst nur äußerst wenige Ständegesandte in Nürnberg, so dass das Regiment in Erwägung zog, den Reichstag abzusagen und einen neuen auszuschreiben.⁸⁶ Schließlich hielt es jedoch am ursprünglichen Plan fest und forderte die Stände ein zweites Mal zum Besuch des Reichstags auf.⁸⁷ Darauf trafen langsam weitere Stände ein. Erst am 17. November wurde der Reichstag dann schließlich mit dem Gottesdienst eröffnet.⁸⁸ Da nach dem Kirchgang⁸⁹ nicht mehr viel Zeit war, wurde die Proposition erst am Folgetag verlesen.⁹⁰ Sofort richtete man einen Großen Ausschuss ein.⁹1 Am Tag darauf wollte man die Gesandtschaften des Papstes⁹2 und der Ungarn⁹3 anhören.⁹⁴ Zum zweiten Nürnberger Reichstag unter der Leitung des Regiments sind äußerst viele Ausschüsse überliefert. Den Mainzer protokollarischen Aufzeichnungen liegt eine Liste von 19 Ausschüssen bei, die aber nicht vollständig ist, denn es fehlen mindestens noch der Große Ausschuss und zwei weitere kurzzeitige Unterausschüsse zur Türkenhilfe.⁹⁵ Das Regiment wurde weniger als am vorangegangenen Reichstag beteiligt. Die Regimentsräte entsandten diesmal keinen Rat aus ihren Reihen in den Großen Ausschuss und auch viele weitere Ausschüsse bestanden allein aus Reichsständen oder deren Reichstagsgesandten. Regimentsräte finden sich aber in den Ausschüssen zur Linderung des »gemeinen anschlags«⁹⁶, zu einer 84 Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 126 (S. 280–287), S. 284–285; RTA JR 3, 215; Nr. 40 (S. 225–228); Nr. 41 (S. 228–237). 85 Zu den Auswirkungen der Reformation auf den Adel: Press, Adel, Reich und Reformation, dort zu Franz von Sickingen: S. 341–342. Generell zu den Auswirkungen der Reformation und den sozialen Spannungen im Reich: Ders., Soziale Folgen der Reformation. 86 Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 85 (S. 191–193), S. 192; Nr. 96 (S. 214–218), S. 217. 87 RTA JR 3, Nr. 48 (S. 251–252). 88 Ebd., Nr. 51 (S. 281–311), S. 283–284. 89 Zum Eröffnungsgottesdienst als Teil des üblichen Reichstagsablaufs: S. 130. 90 RTA JR 3, Nr. 49 (S. 252–263). 91 Ebd., Nr. 186 (S. 853–559), S. 853–854. 92 Ebd., Nr. 54 (S. 321–323). 93 Ebd., Nr. 55 (S. 323–328). 94 Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 113 (S. 248–250), S. 248. 95 RTA JR 3, 282, Anm. 1. 96 Dieser Ausschuss ist nicht näher beschrieben und hat sich vermutlich mit den Beiträgen der Reichsstände zum Reichsregiment, dem Reichskammergericht oder generell mit der Reichsmatrikel befasst: Ebd., S. 282, Anm. 1.

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Die Reichstage unter Karl V.

Supplikation der Städte, zur Verhandlung mit den drei Fürsten von Trier, Pfalz und Hessen wegen der Sickingenfehde, zur Steuerleistung der kleinen Städte, zur Verfassung des Abschieds, zur Rechnungsprüfung, zum Supplikationsrat und bei der Antwortdelegation an die fränkische Ritterschaft.⁹⁷ Die enorme Anzahl an Ausschüssen erklärt sich größtenteils durch ihre meist geringe Dauer. So setzte beispielsweise der Große Ausschuss Unterausschüsse ein, die anstehende Sitzungen vorbereiten sollten. Ein Beispiel hierfür ist der Ausschuss vom 4. Dezember 1522: Man verordnete »etlich der fursten rete vor dem grossen ausschuss, als nemlich des morgens zu 15, das zu 7 ohren nach dem cleinen zeiger⁹⁸, auf das rathus kemen und zuvor die puncten, davon man ratschlagen solt, berauchwerkten, hin und here erwegten und disputirten und darnach dem grossen ausschuss ir bedenken anzeigten«⁹⁹. In diesem Fall sollten fünf Räte1⁰⁰ einen Ausschuss bilden, der sich zeitlich aber nur auf eine Diskussion vor der eigentlichen Ausschusssitzung begrenzte, bei der die Räte dann auch anwesend waren. Das Einsetzen von Ausschüssen erfolgte also bisweilen eher informell und umfasste auch kurze Vorgespräche einzelner Räte. Die dadurch entstandene hohe Zergliederung des Reichstags in Einzelgremien veranlasste einst Oestreich, von einer parlamentarischen Arbeitsweise des Reichstags zu sprechen.1⁰1 Tatsächlich zeigt aber gerade der Reichstag von 1522/23, dass der Ausschussbegriff sehr vage und die Bedeutung der einzelnen Ausschüsse sehr unterschiedlich war. Mit dem formellen Einsetzen eines Ausschusses im modernen parlamentarischen Betrieb hatten diese Reichstagsausschüsse wenig gemein.1⁰2 Zur Türkenabwehr, dem Hauptgrund für den Reichstag, sah der Abschied vor, dass von der 1521 beschlossenen Romzughilfe im Umfang von 20.000 Knechten und 4.000 Reitern zunächst einmal 4.000 Knechte samt Offizieren und Ausrüstung finanziert und den Ungarn für sechs Monate für die Besetzung von Festungen zur Verfügung gestellt werden sollten.1⁰3 Karl V. hatte angeboten, die eigentlich für den Romzug gewährten Mittel der Türkenabwehr zu widmen. Die Stände wollten aber keine Hilfe in Höhe des geplanten Romzugs für Ungarn bezahlen und erwirkten eine Reduzierung auf die Hälfte des eigentlichen Anschlags, mit der 4.000 Knechte besoldet werden konnten. Eine beharrliche Türkenhilfe1⁰⁴ kam nicht zustande.1⁰⁵

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Auflistung der Ausschussmitglieder: RTA JR 3, S. 282, Anm. 1. Gemeint ist vermutlich 7:15 Uhr. Kurmainzer protokollarische Aufzeichnung, RTA JR 3, Nr. 51 (S. 281–311), S. 294. Die Quelle nennt nur Dr. Lukas[Haug/Hug?], Dr. Baumgartner, Dr. Hanau und Bernhart Wormser namentlich, dazu den »Magdeburgisch canzler«: ebd., Nr. 51 (S. 281–311), S. 294. Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise. Zur Verwendung des Begriffs »Ausschuss«: Kapitel 3.3.1 ab S.179. RTA JR 3, Nr. 117 (S. 736–759), S. 737–743. Der Begriff »beharrliche Türkenhilfe« bezeichnete eine nie umgesetzte Steuer. Das Konzept sah vor, statt der üblichen einmaligen Steuerbewilligungen eine dauerhafte oder zumindest zeitweilige Besteuerung zur Türkenabwehr einzuführen. Zur Türkenhilfe der Reichsstände unter Karl V.: Steglich, Die Reichstürkenhilfe in der Zeit Karls V. RTA JR 3, Nr. 35 (S. 188–197).

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Die Reformation war auch ein Thema der Verhandlungen, nachdem eine Minderheit im Reichsregiment unter dem kaiserlichen Statthalter Erzherzog Ferdinand sowie die päpstliche Gesandtschaft ein stärkeres Vorgehen gegen evangelische Prediger und Martin Luther forderten. Der Große Ausschuss beauftragte einen Unterausschuss mit der Ausarbeitung einer Antwort an den päpstlichen Nuntius.1⁰⁶ Weitere Themen des Reichstags waren Monopole, Münzen, die Möglichkeit eines Reichszolls,1⁰⁷ die Gravamina deutscher Nation1⁰⁸ und Beschwerden der Städte, aber auch der Reichsritterschaft.1⁰⁹ Über eine Änderung der Exekutionsordnung wurde ebenfalls nachgedacht.11⁰ Am 9. Februar 1523 wurde der Abschied verlesen,111 in dem ein weiterer Reichstag bereits für den 13. Juli 1523 in Nürnberg vorgesehen war, vornehmlich um das Projekt einer beharrlichen Türkenhilfe weiter zu beraten.112

1.2.3 Der Nürnberger Reichstag von 1524 Der Reichstag von 1522/23 hatte geendet, ohne dass eine beharrliche Türkenhilfe beschlossen worden war. Aber auch neben der Bedrohung durch die Osmanen gab es ausreichend Handlungsbedarf im Reich: Die Änderung der Reichsexekutionsordnung, die geplante Halsgerichtsordnung und die Möglichkeit eines Reichszolls zur Finanzierung von Reichskammergericht und Reichsregiment waren ungeklärte Themen, die auf einem neuen Nürnberger Reichstag im Sommer 1523 verhandelt werden sollten.113 Dieser neue Reichstag wurde jedoch äußerst spärlich besucht. Ein vom Kaiser angekündigter Gesandter traf nicht ein und der ebenfalls abwesende Erzherzog Ferdinand ließ um Verschiebung des Reichstags bitten.11⁴ Den Unterhalt des Regiments wollte er bis dahin vorstrecken. In dieser Situation lehnten es die anwesenden Gesandten der Stände ab, mit dem Reichsregiment zu verhandeln.11⁵ Selbst auf vorbereitende Unterredungen wollten sie sich nicht einlassen.11⁶ 106 RTA JR 3, S. 383–387. 107 Ebd., S. 554–555. 108 Aulinger, Einleitung der Bandbearbeiterin, S. 47;Grundmann, Die Beschwerden der Deutschen Nation auf den Reichstagen der Reformation, S. 66–68; RTA JR 3, S. 645. 109 Ebd., S. 689–690. 110 Ebd., Nr. 120 (S. 767–771). 111 Ebd., Nr. 117 (S. 736–759). Die Städte weigerten sich jedoch, den Abschied anzuerkennen: S. 736; Nr. 256 (929-930), S. 929; Nr. 260 (S. 932-933), S. 933. 112 Ebd., Nr. 117 (S. 736–759), S. 754. 113 RTA JR 4, S. 1–9. 114 Ebd., Nr. 5 (S. 18–20). 115 Ebd., Nr. 6 (S. 20–26). 116 Laut der anscheinend anstelle eines Abschieds verfassten Verhandlungsprotokollierung erklärten sie, »das si in sollichen schweren dapferen sachen an der anderen beisein und sunderlich vor des kai comissaris ankonft etwas handeln sollten, achten si inen hochbeschwerlich, kunten auch sollichs nit thun, zu dem es alles vergeblich und undfurchper wer,

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Die Reichstage unter Karl V.

In der Folgezeit begann der Niedergang des Reichsregiments11⁷. Im Bemühen, Reichssteuern einzutreiben und den Frieden aufrecht zu erhalten, strengte das Regiment einige Gerichtsverfahren an und erließ Mandate, die ihm die Feindschaft des Schwäbischen Bunds und bedeutender Fürsten einbrachten. Besonders schädlich für das Regiment war die Verärgerung des Kurfürsten Ludwig V. von der Pfalz.11⁸ Sie äußerte sich schon im Herbst des Jahres 1523, als Pfalzgraf Friedrich im Einverständnis mit seinem Bruder die Statthalterschaft niederlegte und auch die anwesenden Regimentsfürsten sich weigerten, an den Sitzungen teilzunehmen. Sie schlossen sich der Ansicht der Regimentsgegner an, das Regiment sei nach dem Auslaufen seiner Finanzierung nicht mehr legitimiert.11⁹ Eine für September angesetzte Versammlung der 18 Fürsten scheiterte ebenfalls. Nur Georg von Sachsen erschien.12⁰ Dem Regiment blieb nun nur noch, einen neuen Reichstag auszuschreiben. Obwohl die rheinischen Kurfürsten Worms oder Frankfurt als Tagungsort wünschten und Ferdinand seinerseits versuchte, Augsburg durchzusetzen,121 wurde auch der dritte Reichstag unter dem Reichsregiment an dessen Sitz in Nürnberg einberufen. Beginn sollte der 11. November 1523 sein.122 Die in Aussicht gestellten Verhandlungsgegenstände entsprachen dem gescheiterten Sommerreichstag. Wieder wurde der Reichstag zunächst nur zögerlich besucht. Im Dezember 1523 baten einige der wenigen anwesenden Stände daher sogar um eine Auflösung der Versammlung.123 Auch hatte das Regiment große Mühe, Kurfürst Friedrich von Sachsen zum Bleiben zu überreden.12⁴ Erzherzog Ferdinand bemühte sich, die Stände trotz des Ausbleibens eines kaiserlichen Kommissars zum Beginn der Verhandlungen zu bewegen. Erst am 14. Januar 1524 verlas das Regiment schließlich seine Proposition.12⁵ Direkt im Anschluss an die Reichstagseröffnung begann wieder der Umfragestreit zwischen Sachsen und Mainz. Der Streit wurde so unnachgiebig geführt, dass es kaum zu zielführenden Verhandlungen kam.12⁶ Beim Versuch, eine erste Sitzung des Kurfürstenrats abzuhalten, sprachen deshalb beide Parteien gleichzeitig

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ee und zufor man kai𝑟 M𝑡 gemut auf den egemelten abschid vernomen het«: RTA JR 4, Nr. 6 (S. 20–26), S. 28. Zum Sturz des Regiments: Roll, Zweites Reichsregiment, S. 205–227. Beschwerde der drei Fürsten Trier, Pfalz und Hessen und der darauf erfolgende Schriftwechsel am Reichstag: RTA JR 4, Nr. 121 (S. 526–537). Zum Machtverlust des Regiments: Ebd., S. 6–9. Ebd., Nr. 12 (S. 32–34). Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 229 (S. 530–532), S. 531. RTA JR 4, Nr. 14 (S. 37–40). Ebd., Nr. 20 (S. 50–51). Ebd., Nr. 21 (S. 51–53). Ebd., Nr. 32 (S. 270–290). Pfalz versuchte zunächst zu vermitteln und bot Mainz auf Initiative Sachsens die Fortführung der Alternationsregel vom vorigen Reichstag an, was Mainz jedoch zurückwies: Ebd., Nr. 22 (S. 53–97), S. 54–57.

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und erteilten, den jeweils anderen ignorierend, Pfalz das Wort.12⁷ Während Pfalz und nachher auch Brandenburg bei ihrer Stimmabgabe noch betonten, beiden Fragenden zu antworten, weigerten sich Mainz und Sachsen jeweils, auf die Frage des Anderen zu antworten. Sie erklärten jeweils, ihre Stellungnahme sei nicht als Antwort auf die Frage der Gegenpartei zu verstehen.12⁸ Auch bei folgenden Sitzungen musste ähnlich improvisiert werden. Die nicht am Streit Beteiligten gaben jeweils zu Protokoll, von beiden Seiten gefragt worden zu sein und derjenigen Seite zu antworten, die das Recht zur Umfrage habe (ohne diese Seite jedoch zu nennen). Mainz und Sachsen protestierten jeweils gegen das Verhalten des Anderen.12⁹ Diese Vorgehensweise wurde anscheinend den ganzen Reichstag über beibehalten.13⁰ Ende Januar war endlich auch der erwartete kaiserliche Kommissar Johann/Jean Hannart eingetroffen, der am 4. Februar eine kaiserliche Proposition verlesen ließ.131 Sie bildete nun die Grundlage für die Verhandlungen und ersetzte die Proposition des Regiments. Die Opposition vieler Reichsstände gegen das Regiment äußerte sich bald in den Verhandlungen. Der Fürstenrat traf die für ihn ungewöhnliche Entscheidung, sich gegen einen Großen Ausschuss auszusprechen.132 Kurfürst Ludwig V. von der Pfalz wandte sich offen gegen jede Beteiligung des Reichsregiments am Reichstag und forderte direkte Verhandlungen zwischen den versammelten Ständen, dem Statthalter und dem kaiserlichen Kommissar.133 Statthalter und Kommissar erklärten sich zwar zu Verhandlungen bereit, gingen aber nicht auf die Rolle des Regiments ein.13⁴ Von Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte der Reichstage ist auch die Supplikation der Städte13⁵ an Statthalter und Stände zur Anerkennung ihrer Rechte. Die Abwesenheit des Kaisers schwächte die Position der Städte enorm.13⁶ In den 1520er Jahren wurden die Städteboten im Reichstagsgeschehen kaum als Entscheidungsberechtigte wahrgenommen,13⁷ was sich darin äußerte, dass sie selten die Möglichkeit erhielten, zu den Beschlüssen der oberen Kurien Stellung zu nehmen. Lediglich in den Ausschüssen waren ihre Gesandten teilweise vertreten. Die 127 In den Aufzeichnungen der Mainzer Kanzlei wird der Konflikt deutlich beschrieben: »Alsbald hat Friederich Thone [=Friedrich Thun, kursächsischer Rat] angefangen zu proponiren, hat der Meinzisch canzler gleich in momento auch proponirt und also beide miteinander geredt. Und hat der Meinzische canzler sein rede zum ersten geendet und Pfalz gefragt. Hat Friederich Dhone von Sachsen wegen darnach auch Pfalz gefragt, darauf Pfalz personlich geantwort«: RTA JR 4, Nr. 22 (S. 53–97), S. 57–58. 128 Ebd., S. 58. 129 Ebd., S. 58–59. 130 Ebd., S. 268. 131 Ebd., Nr. 34 (S. 290–296). 132 Ebd., Nr. 26 (S. 176–212), S. 182; Nr. 39 (S. 306–307). 133 Ebd., Nr. 38 (S. 303–306), S. 305–306. 134 Ebd., Nr. 22 (S. 53–87), S. 64–65. 135 Ebd., Nr. 38 (S. 303–306), S. 305–306. 136 Schmidt, Städtetag in der Reichsverfassung, S. 267. 137 Ders., Städte auf dem Reichstag, S. 37.

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Die Reichstage unter Karl V.

Städte hatten sich wiederholt an den Kaiser und die Stände gewandt, um Sitz und Stimme am Reichstag zu behaupten.13⁸ 1524 gaben sich die Städte kämpferisch und bestanden zunächst auf ihren Forderungen, bei denen sie der kaiserliche Kommissar unterstützte. Ohne eine Antwort auf ihre Supplikation wollten sie gar nicht an den Reichstagsverhandlungen teilnehmen. Folge der Supplikation war schließlich, dass den Städten von den übrigen Ständen gegen Ende des Reichstags angeboten wurde, zwei Vertreter mit insgesamt einer Stimme in den Fürstenrat zu entsenden.13⁹ Dies hätte, wäre es von den Städten angenommen worden, zu einer Herausbildung von lediglich zwei Reichstagskurien geführt und damit die Reduzierung der Beteiligung der Reichsstädte auf ein den Grafen und Prälaten vergleichbares Niveau bedeutet. Dieser Vorschlag von 1524 zur Regelung der Städtebeteiligung ist bisher in der Forschung kaum ausreichend gewürdigt worden, da er ausschließlich aus Perspektive der Städte beschrieben wurde.1⁴⁰ Die eigentlichen Verhandlungen über die Themen der Proposition begannen im Februar mit einer Ablehnung der Reichsstände, über eine Weiterfinanzierung des Regiments zu verhandeln, solange das Personal des Reichsregiments nicht ausgetauscht würde. Das Reichskammergericht hingegen wollten die Stände weiter unterhalten.1⁴1 Hierbei kam es zu einem Zerwürfnis zwischen dem pfälzer und dem sächsischen Kurfürsten, da dieser das Regiment in Schutz nehmen wollte.1⁴2 Im März einigten sich Statthalter, Kommissar und Stände darauf, einen gemeinsamen Ausschuss mit der Beratung der Regimentsthematik zu beauftragen.1⁴3 In gewisser Weise folgte auch dieser Ausschuss, dem vonseiten der Reichsstände zwei fürstliche und zwei kurfürstliche Räte angehörten, der vorigen Praxis gemeinsamer Ausschüsse von Regiment und Ständen. Hier setzten sich die regimentsfeindlichen Stände weitestgehend durch, so dass es schließlich zu einer Neubesetzung des Regiments und einer Verlegung desselben nach Esslingen kam. Die Befürworter des bisherigen Regiments konnten nur erreichen, dass dessen Entlassung nicht mit einem Fehlverhalten, sondern nur mit dem Auslaufen der Finanzierung begründet wurde.1⁴⁴ Für Ferdinand war der Reichstag nicht wegen des Reichsregiments, sondern wegen der Möglichkeit einer beharrlichen Türkenhilfe von Bedeutung. Wie schon

138 Isenmann, Reichsstadt und Reich an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit, S. 141–148. 139 RTA JR 4, Nr. 48 (S. 333–334); Nr. 49 (S. 334–335). 140 Isenmann, Reichsstadt und Reich an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit, S. 148–149; Schmidt, Städtetag in der Reichsverfassung, S. 273–274; ders., Städtetag und Reichsverfassung, S. 53–54; ders., Städte auf dem Reichstag, S. 37–38. 141 RTA JR 4, Nr. 50 (S. 340–341). 142 Ebd., Nr. 51B (S. 343–344). Der Gegensatz bei der Bewertung des Regiments führte am 23. Februar sogar zu einem gespaltenen Votum des Kurfürstenrats: Nr. 22 (S. 53–87), S. 71. 143 Dazu sollten vier Personen vonseiten des Statthalters und des Kommissars sowie vier vonseiten der Reichsstände verordnet werden: Ebd., Nr. 22 (S. 53–87), 75. 144 Ebd., Nr. 86 (S. 427–428). Eine Zusammenfassung der Auseinandersetzung findet sich ebd., S. 336–340.

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auf vorigen Reichstagen sprachen wieder eine päpstliche und eine ungarische Gesandtschaft vor, um die Stände zu einer Hilfeleistung zu bewegen.1⁴⁵ Für diese Thematik wurde ein Ausschuss eingerichtet, der auch die von päpstlichen Legaten wieder angestoßene Lutherproblematik beratschlagen sollte.1⁴⁶ Er bestand aus drei kurfürstlichen und sechs fürstlichen Räten, einem Prälaten, einem Grafen und zwei städtischen Gesandten. Statt der erhofften beharrlichen Hilfe sah das ständische Ausschussgutachten lediglich eine erneute Zusicherung der bereits 1523 in Aussicht gestellten Reichstruppe vor, außerdem eine Gesandtschaft der Stände zu Karl V. und zum französischen König Franz I., die einen Frieden vermitteln sollte.1⁴⁷ Um die Türkenthematik weiter zu beraten, wurde ein weiterer Ausschuss eingerichtet, zu dem auch Ferdinand und Hannart drei Räte verordneten.1⁴⁸ Dieser Ausschuss schlug nun unter dem Einfluss Ferdinands vor, die ganze Romzughilfe für den Türkenkampf zu nutzen.1⁴⁹ Dem konnten sich die Stände jedoch nicht anschließen, so dass es bei der verringerten Hilfe blieb.1⁵⁰ Auch das Gesandtschaftsvorhaben der Stände konnte Ferdinand nicht unterbinden.1⁵1 In der Lutherthematik gelang es dem päpstlichen Legaten Campeggi nicht, die Stände von dem Wunsch nach einem Nationalkonzil abzubringen.1⁵2 Am 18. April 1524 wurde schließlich der Abschied verlesen.1⁵3 Gegen den Willen des Legaten wurde eine »gemeine versamlung Teutscher nation« für den 11. November in Speyer angekündigt,1⁵⁴ auf der die Stände beraten sollten, wie »bis zu anstellunge eins gemeinens consiliums«1⁵⁵ mit der ungelösten Religionsproblematik umgegangen werden sollte. Dazu sollten die Stände ihre Religionsgelehrten strittige Aspekte der reformatorischen Schriften zusammentragen lassen. Auch die Beschwerden deutscher Nation sollten erörtert werden.1⁵⁶ Bis zu dieser neuen Reichsversammlung sollten die Stände das Wormser Edikt »sovil inen muglich«1⁵⁷ zur Anwendung bringen. Dieses Vorhaben stellte eine eigenmächtige religionspolitische Initiative der Stände dar, mit der sie sich klar von den Vorstellungen des Kaisers und der Kurie distanzierten. Durch die Formulierung zum Wormser Edikt war es nun allen Ständen möglich, dieses unter Verweis auf den Unmut in der Bevölkerung weitestgehend zu ignorieren.

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RTA JR 4, Nr. 106 (S. 483–489); Nr. 88 (S. 432–433). Ebd., Nr. 25 (S. 104–176), S. 156. Ebd., Nr. 90 (S. 434–436). Ebd., Nr. 25 (S. 104–176), S. 157–158. Ebd., Nr. 92 (S. 442–451), S. 443–445. Ebd., Nr. 96 (S. 456–459), S. 457–458. Ebd., Nr. 100 (S. 463–465); Nr. 101 (S. 465–466). Ebd., S. 467–471. Ebd., Nr. 149 (S. 590–613). Zu den Vorstellungen einer gemeinen Versammlung oder einer Nationalversammlung im 16. Jahrhundert: Laubach, »Nationalversammlung« im 16. Jahrhundert. 155 RTA JR 4, Nr. 149 (S. 590–613), S. 604. 156 Ebd., S. 605. 157 Ebd., S. 603.

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1.2.4 Der gescheiterte Augsburger Reichstag von 1525 Die geplante Versammlung in Speyer kam nicht zustande. Karl V. untersagte sie, als er von ihr erfuhr.1⁵⁸ Er sprach den Ständen die Kompetenz ab, in kircheninternen Dingen zu entscheiden. Dies sei Aufgabe von Kaiser und Papst. Die Lutherthematik sei bereits in Worms 1521 durch das Wormser Edikt ausreichend behandelt worden. Weiteres könne nur auf einem durch den Papst einberufenen Konzil geschehen. Erzherzog Ferdinand hingegen war kein strikter Gegner einer weiteren Reichsversammlung. Die bisher unbefriedigend verlaufenden Verhandlungen zur Türkenhilfe ließen in seinen Augen einen weiteren Reichstag nötig erscheinen. Jedoch sah Ferdinand auch die Gefahr, die von der unter den Reichsständen verbreiteten Ablehnung gegenüber Karl V. und dem Haus Habsburg ausging, und fürchtete die Wahl eines Gegenkönigs.1⁵⁹ Tatsächlich gab es bereits Treffen der antihabsburgischen Opposition, die die Wahl eines wittelsbachischen Königs in Erwägung zog.1⁶⁰ Wegen dieser gefährlichen Situation sprach sich schließlich auch Ferdinand zunächst gegen einen Reichstag aus.1⁶1 Bald änderte er seine Meinung aber wieder und erbat vom Esslinger Reichsregiment ein Gutachten. Das Regiment sprach sich für einen Reichstag zu Ostern in Speyer aus, wohl um die Stadt für den Ausfall der von Karl verbotenen Versammlung zu entschädigen.1⁶2 Verschiedene Faktoren, darunter die Verlagerung des Kriegs mit Frankreich nach Italien, verzögerten den Reichstag,1⁶3 der von Karl schließlich erst für den 29. September 1525 nach Augsburg ausgeschrieben wurde.1⁶⁴ Zwei Ereignisse hatten die politische Lage inzwischen verändert: In Oberdeutschland waren weiträumig Bauernaufstände ausgebrochen, die seitens der Bauern auch mit religiösen und kirchlichen Missständen begründet wurden,1⁶⁵ und in Italien hatten Karls Truppen den französischen König in der Schlacht von Pavia besiegt und gefangen genommen.1⁶⁶ Trotz des Sieges bei Pavia und entgegen seiner Ankündigung konnte Karl nicht nach Augsburg kommen. Kaum ein Reichsstand erschien persönlich. Ferdinand traf im Dezember in Augsburg ein und wurde dort von einer Delegation der anwesenden Stände gebeten, den Reichstag entweder zu beginnen oder aufzulösen.1⁶⁷ Schließlich sah Ferdinand die geringen Erfolgschancen der aktuellen Versammlung ein. Ein eigens 158 RTA JR 5/6, Nr. 1 (S. 104–107); Nr. 9 (S. 127–128). 159 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 58. Ferdinand fürchtete ein Treffen der Kurfürsten »ad eligendum novum regem.«: Bauer (Bearb.), Korrespondenzen österreichischer Herrscher. Die Korrespondenz Ferdinands I. I. Band, Nr. 76 (S. 147—192), S. 158. 160 Kohler, Antihabsburgische Politik, S. 82–86. 161 Bauer (Bearb.), Korrespondenzen österreichischer Herrscher. Die Korrespondenz Ferdinands I. I. Band, Nr. 76 (S. 147–195), S. 158. 162 RTA JR 5/6, Nr. 12 (S. 131–133); Nr. 14 (S. 146–147). 163 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 60–61. 164 RTA JR 5/6, Nr. 18 (S. 160–164). 165 Übersicht und Literaturverweise zum Bauernkrieg: Blickle, Der Bauernkrieg; ders., Die Revolution von 1525. 166 Kohler, Karl V. 1500–1558, S. 175–179. 167 RTA JR 5/6, Nr. 43 (S. 225–231).

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dazu eingesetzter Ausschuss formulierte einen Abschied1⁶⁸, der am 9. Januar 1526 verlesen wurde und das erneute Zusammentreten der Reichsstände für den 1. Mai desselben Jahres in Speyer ankündigte.

1.2.5 Der Speyerer Reichstag von 1526 Der Speyerer Reichstag wurde, wie Ferdinand es befürchtet hatte, vom Thema der Glaubensspaltung dominiert.1⁶⁹ Dies kündigte sich bereits dadurch an, dass die meisten deutschen geistlichen Fürsten in dieser Zeit keinen Reichstag bei Abwesenheit des Kaisers wünschten, da sie in ihm die entscheidende Stütze ihrer Positionen sahen.1⁷⁰ Viele weltliche Fürsten versprachen sich jedoch von einer Behandlung kirchlicher Missstände und der Reduzierung kirchlicher Privilegien einen Ausweg aus den derzeitigen Spannungen im Reich. Noch waren die Stände nicht fest in ein altgläubiges und ein neugläubiges Lager gespalten. Vielmehr gab es, auch vor dem Hintergrund der überstandenen Bauernaufstände, unter den weltlichen Fürsten unabhängig von ihrer Einstellung zu Luther ein großes Interesse an kirchlichen Reformen. Angesichts dieser reformfreundlichen Stimmung fürchteten viele geistliche Fürsten, ihre Privilegien verteidigen zu müssen. Der Reichstag war deshalb von gegenseitigem Misstrauen zwischen weltlichen und geistlichen Fürsten geprägt. Der Kaiser wünschte keine Behandlung religiöser Fragen und auch die römische Kurie war diesmal nicht am Reichstag präsent.1⁷1 Das Ausschreiben vom 1. Februar 1526 behielt den 1. Mai als Datum des Reichstagsbeginns bei,1⁷2 obwohl Karl in Spanien blieb. Ferdinand traf selbst am 18. Mai mit geraumer Verspätung in Speyer ein, jedoch hatten sich bis zur Eröffnung am 25. Juni fünf Kurfürsten und eine Reihe von Fürsten persönlich in der Stadt eingefunden.1⁷3 Karl wünschte sich laut seiner Proposition1⁷⁴ den Rat der Stände in folgenden Punkten: 1. Wie bis zu einem generellen Konzil die Umsetzung des Wormser Edikts gewährleistet werden könne und diejenigen, die es ignorieren, bestraft werden könnten. 2. Wie in Zukunft weitere Aufstände in der Bevölkerung vermieden werden sollten. 3. Wie das Reich die Ungarn gegen die Türken unterstützen könne. 4. Eine dauerhafte Regelung zur Finanzierung von Reichskammergericht und Reichsregiment. 5. Verschiedene Fragen zu Handelspolitik und Münzwesen.

168 RTA JR 5/6, Nr. 34 (S. 198–204). 169 Zur Geschichte des Speyerer Reichstags von 1526: Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 73–100; Brieger, Speierer Reichstag; Friedensburg, Reichstag zu Speier 1526; Kluckhohn, Der Reichstag zu Speier im Jahre 1526. 170 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 62–63. 171 Wolgast, Die Religionsfrage auf den Reichstagen 1521 bis 1550/51, S. 15. 172 RTA JR 5/6, Nr. 61 (S. 285–287). 173 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 74. 174 RTA JR 5/6, Nr. 71 (S. 300–306).

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Obwohl im Ausschreiben das von vielen weltlichen Fürsten gewünschte Thema der kirchlichen Missbräuche nicht angesprochen wurde, gelang es, sie in die genannten Punkte hinein zu interpretieren.1⁷⁵ Der erste Verhandlungspunkt wurde daher von den Ständen in mehrere Unterpunkte untergliedert.1⁷⁶ Diese waren das Verbot von Neuerungen und Beschlüssen in Glaubenssachen, die Erhaltung der kirchlichen Bräuche, die Abstellung von Missbräuchen, das Verhalten der Reichsstände gegenüber Übertretern der Reichsordnungen und die Durchführung des Wormser Edikts.1⁷⁷ Die Verhandlungen des Reichstags waren durch die drohende Kirchenspaltung geprägt. Bemühungen des Fürstenrats, einen Großen Ausschuss zur Beratung der Missbräuche einzurichten, scheiterten zunächst an der Ablehnung der Kurfürsten, mit den Städten zusammenzuarbeiten.1⁷⁸ Diese galten generell als lutherisch und traten in ihrer Kleruskritik sehr aggressiv auf.1⁷⁹ Unter den gegebenen Spannungen schien ein gemeinsamer Großer Ausschuss daher kein probates Mittel. Stattdessen wurde der erste Propositionspunkt in den einzelnen Kurien getrennt beraten. Der Fürstenrat richtete dazu einen Ausschuss aus acht Personen ein. Hierbei zeigten sich ebenfalls Auswirkungen der Glaubensproblematik: Vor allem die geistlichen Fürsten fürchteten sich vor den unvorhersehbaren Konsequenzen eines Ausschusses und wollten diesen zunächst nur bewilligen, wenn sie die weltlichen Ausschussmitglieder bestimmen dürften (und umgekehrt die weltlichen Fürsten die geistlichen Ausschussmitglieder).1⁸⁰ Anfang August wurde schließlich doch ein Großer Ausschuss eingerichtet, der sich neben der Forderung nach Türkenhilfe auch wieder mit den kirchlichen Missbräuchen und den Gravamina der deutschen Nation befasste.1⁸1 Ferdinand entschied sich deshalb, eine bisher zurückgehaltene Nebeninstruktion1⁸2 des Kaisers vorzulegen. Damit sollte den Ständen verdeutlicht werden, dass die kaiserlichen Kommissare keine Befugnis hatten, in religiösen Dingen Beschlüsse zu fassen. Somit seien alle Beratungen über Missstände Zeitverschwendung.1⁸3 Dies stieß bei vielen Ständen auf Unverständnis. Man bemühte sich, auch diese Instruktion so zu interpretieren, dass die Glaubensthematik nicht 175 176 177 178 179

180 181 182 183

RTA JR 5/6, Nr. 124 (S. 517–519). Friedensburg, Reichstag zu Speier 1526, S. 255. Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 78. RTA JR 5/6, Nr. 208 (S. 842–845), S. 843. Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 80. Generell wurde die Furcht geäußert, »die grafen und stett wrüden mit irn stymen im außschus was unchristenlichs erhalten.« RTA JR 5/6, Nr. 205 (S. 832–837) S. 835. Friedensburg, Reichstag zu Speier 1526, S. 272–273. Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 83. RTA JR 5/6, Nr. 62 (S. 287–289). Laut der österreichischen Aufzeichnung über die Verlesung der kaiserlichen Nebeninstruktion ließen Statthalter und Kommissare erklären, dass: »betreffent unsern hl. cristenlichen glauben […] ksl. stathalter und commissari in craft und vermög irer gewaltsbrieff und instruction zu sliessen nicht macht heten, dardurch man die zeit vergebens verzert und in anderen handlungen verhindrung und verzug gebrauchet wurde«: Ebd., Nr. 141 (S. 558–559), S. 559.

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völlig aufgegeben werden musste.1⁸⁴ Auf Vorschlag der Städte beschlossen die Reichsstände deshalb, sich mit einer Gesandtschaft direkt an den Kaiser zu wenden. Dieses Projekt scheiterte aber schließlich sowohl an den Kosten als auch an der Uneinigkeit der Stände über die Instruktion der Gesandtschaft. Bezüglich des Wormser Edikts blieb es bei der äußerst freien Anweisung an die Reichsstände, »fur sich also zu leben, zu regiren und halten, wie ein yeder solhs gegen Got und ksl. Mt. hofft und vertrauet zu verantwurten.«1⁸⁵ Auch die Verhandlungen zur Türkenhilfe verliefen nicht nach Ferdinands Wünschen. Von den Ständen wurde negativ aufgefasst, dass die anwesende ungarische Botschaft nur aus einem königlichen Sekretär bestand.1⁸⁶ Die im Abschied bewilligte Türkenhilfe ging nicht über die bereits gewährte Unterstützung aus den Mitteln der Romzughilfe hinaus.1⁸⁷

1.2.6 Der Regensburger Reichstag von 1527 Am 29. August 1526 starb König Ludwig II. von Ungarn in der Schlacht bei Mohács.1⁸⁸ Der überwältigende Sieg der Türken veränderte auch die Bedrohungslage für das Reich. Ferdinand informierte bereits die Reichsstände, als der Tod Ludwigs noch nicht sicher bekannt war.1⁸⁹ Das Reichsregiment schrieb gemäß der Regimentsordnung für den 1. Dezember 1526 einen Fürstentag nach Esslingen aus.1⁹⁰ Diesmal folgten die vorgesehenen 18 Fürsten dem Aufruf. Angesichts der Gefahr eines türkischen Angriffs auf deutsche Gebiete kamen die meisten sogar persönlich nach Esslingen.1⁹1 Zur Verhandlung standen im Wesentlichen zwei Anliegen: eine eilende und eine beharrliche Türkenhilfe. In der eilenden Hilfe ging man jedoch nicht über das bereits Bewilligte hinaus und forderte lediglich säumige Stände auf, ihren Anteil zu hinterlegen.1⁹2 Der wichtigste Beschluss war, einen Reichstag für den 1. April 1527 in Regensburg einzuberufen,1⁹3 da die geforderte beharrliche Hilfe »einen gemeinen reichsstag oder versamlung aller reichsstend«1⁹⁴ erfordere.

184 RTA JR 5/6, Nr. 142 (S. 560–561). 185 Ebd., Nr. 221 S. (879–895), S. 881. 186 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 87–88; RTA JR 5/6, Nr. 120 (S. 483–498), S. 493, dort auch: Anm. 18. 187 RTA JR 5/6, Nr. 221 (S. 879–895), S. 885–887. 188 Steglich, Die Reichstürkenhilfe in der Zeit Karls V., S. 23–25. Einordnungen der Schlacht in die ungarische Geschichte: Bues, Die Jagiellonen, S. 144–149; Kovács, Ungarn, S. 219–223. Eine detaillierte Schilderung des Schlachtgeschehens: Perjés, War and Society, S. 173–272. 189 LA Düsseldorf, Kurköln II, Nr. 5141, Bd. 1, fol. 33rv. 190 RTA JR 5/6, Nr. 225 (S. 903–906). 191 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 100. 192 RTA JR 5/6, Nr. 237 (S. 956–961), S. 959. 193 Ebd., S. 958. 194 Ebd., S. 957.

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Eine weitere wichtige politische Entwicklung war der sich abzeichnende Thronstreit zwischen Erzherzog Ferdinand und dem Woiwoden Zapolya/Szapolyai um die vakante Stephanskrone.1⁹⁵ Für die Behauptung seiner ungarischen Herrschaft hoffte Ferdinand auf Unterstützung der Reichsstände,1⁹⁶ während der ungarische »Gegenkönig« die Anerkennung seiner Königswürde durch den Reichstag erhoffte.1⁹⁷ Seine Gesandtschaft wurde aber von Ferdinand am Besuch des Reichstags gehindert.1⁹⁸ Die Reichsversammlung drohte bald zu scheitern: Mitte April waren noch kaum reichsständische Gesandte in Regensburg eingetroffen.1⁹⁹ Nachdem zumindest Gesandte aller rheinischen Kurfürsten angekommen waren, wurde am 27. April schließlich eine erste Versammlung einberufen, die über den Beginn des Reichstags entscheiden sollte.2⁰⁰ Die versammelten Gesandten entschieden, noch länger auf weitere Reichstagsteilnehmer zu warten. In den folgenden Tagen kam es zu separaten Beratungen des Regiments und der anwesenden Gesandten der 18 Fürsten des Esslinger Fürstentags.2⁰1 Am 4. Mai wurde der Reichstag schließlich vorläufig eröffnet. Die Stände versammelten sich wieder im Rathaus, wo ihnen Regiment und Statthalter die Gründe für den Reichstag vortrugen und um Geduld bis zur Ankunft Ferdinands baten. Die Gesandten der Kurfürsten und Stände nahmen sich anschließend eine Bedenkzeit.2⁰2 Am Folgetag erklärten sie nach Beratungen in den Kurien, weitere acht Tage warten zu wollen.2⁰3 Schon am 9. Mai teilten die Stände den Städten mit, sie erwarteten keinen Erfolg des Reichstags mehr und hätten bereits einen Abschied vorbereitet.2⁰⁴ Am Folgetag wurde das Bedenken der Stände dem Regiment überreicht.2⁰⁵ Am 13. Mai bemühten sich die Gesandten Ferdinands, die Stände zum Bleiben zu bewegen.2⁰⁶ Wenig später kam jedoch die Nachricht, dass Ferdinand den Reichstag nicht mehr persönlich besuchen werde.2⁰⁷ Statt nun weitere Beratungen zu führen, forderten die anwesenden Gesandten jetzt eine zeitliche Verschiebung des Reichstags. Am 17. Mai wurde unter Beteiligung der Städte ein Ausschuss zur endgültigen Formulierung eines Abschieds gebildet,2⁰⁸ der am darauf folgenden Tag verlesen werden konnte.2⁰⁹ Im Abschied entschuldig195 Bessenyei, Ferdinand und die ungarische Aristokratie; Kohler, Ferdinand I. 1503–1564, S. 167–169. 196 RTA JR 7, S. 8. Vgl. auch: LA Düsseldorf, Kurköln II, Nr. 5141, Bd. 2, fol. 1r–4v. 197 Ebd., Nr. 3 (S. 976–979). 198 Ebd., Nr. 21 (S. 996–997). 199 Ebd., S. 47–48, 51. 200 Ebd., S. 47, 55–56. 201 Ebd., S. 58, 59. 202 Ebd., S. 61. 203 Ebd., S. 63. 204 Ebd., S. 68–69. 205 Ebd., S. 70. 206 Ebd., S. 71. 207 Ebd., S. 73. 208 Ebd., S. 75. 209 Ebd., S. 76; Nr. 23 (S. 999–1005).

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ten sich das Regiment und die versammelten Ständegesandten mit der geringen Teilnehmerzahl der Versammlung dafür, dass die wichtigen Anliegen des Esslinger Fürstentags nicht beraten werden konnten, und baten den Kaiser sowohl um die Ansetzung eines neuen Reichstags als auch um seinen persönlichen Beitrag zur Verteidigung des Reichs.

1.2.7 Der Reichstag 1529 in Speyer: Die Aufgabe des Konsensprinzips Im folgenden Jahr sollte es keinen Reichstag geben. Eine nach Regensburg angesetzte Versammlung wurde abgesagt.21⁰ Erst im Januar 1529 schrieb Ferdinand in Karls Namen einen Reichstag für den 21. Februar nach Speyer aus und erhoffte sich, durch sein persönliches Erscheinen auch die Kurfürsten zu einem Besuch bewegen zu können.211 Am 4. März traf Ferdinand schließlich in Speyer ein, wo er zwar vom Reichsregiment empfangen wurde, jedoch noch keinen Reichsfürsten antreffen konnte.212 In den folgenden Wochen kamen die ersten Fürsten hinzu, so dass der Reichstag am 15. März eröffnet werden konnte. Kursachsen, Anhalt und Henneberg blieben dabei dem gemeinsamen Kirchgang fern.213 Die religiöse Spaltung der Reichsstände war somit bereits im Eröffnungszeremoniell sichtbar. Für den Reichstag von 1529 gab es zwei Propositionen: Eine kam vom Kaiser aus Spanien. Sie erreichte den Tagungsort jedoch nicht rechtzeitig. In dieser Proposition forderte der Kaiser die Stände wieder auf, gemeinsam mit den kaiserlichen Kommissaren Wege zur Überwindung der Glaubensspaltung zu suchen.21⁴ Die kaiserliche Haltung zur Religion war entgegenkommend. Die Gravamina wurden diesmal im Propositionstext direkt angesprochen und die Abstellung von Missbräuchen als Verhandlungspunkt explizit genannt.21⁵ Die kaiserliche Proposition hätte den Ständen somit eine Grundlage geboten, die kirchlichen Missstände im Reich zu behandeln, ohne die bestehenden theologischen Differenzen in den Mittelpunkt zu rücken. Hauptthema der kaiserlichen Proposition war wieder die Bedrohung durch die Türken. Hierzu griff die Proposition erneut den Gedanken einer beharrlichen Hilfe auf.21⁶ Die Unterhaltung und Beschickung des Reichsregiments wurden ebenfalls wieder angesprochen. Weitere Punkte waren die Durchsetzung von Reichstagsbeschlüssen, die Anwendung der Reichsmünzordnung, Monopole, die Höhe der Reichsanschläge und die Halsgerichtsordnung.21⁷ Statt der noch nicht eingetroffenen kaiserlichen Proposition ließ Ferdinand eine eigene Proposition vortragen, deren Inhalt er aber gegenüber den Ständen als 210 211 212 213 214 215 216 217

RTA JR 7, Nr. 72 (S. 1080–1084), S. 1080. Ebd., S. 484–485. Ebd., S. 525. Ebd., S. 547–549. Ebd., Nr. 72 (S. 1080–1084), S. 1081. RTA JR 7, Nr. 72 (S. 1080–1084), S. 1082. Ebd. Ebd., S. 1082–1084.

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kaiserlichen Willen darstellte.21⁸ Politisch brisant war in diesem Zusammenhang der im Namen des Kaisers ausgesprochene Widerruf des letzten Speyerer Beschlusses zur Religionsproblematik: Aus kaiserlicher »machtvolkomenheit« wurde die Gewissensregelung von 1526 »cassirt und vernicht«21⁹. Die eigenmächtige Formulierung Ferdinands hatte weitreichende Folgen. Ferdinand zwang die Stände so in Abwesenheit des Kaisers zu einer erneuten Auseinandersetzung mit dem Wormser Edikt. In Bezug auf den Glaubenskonflikt war seine Proposition die Fortsetzung der bisherigen strengen kaiserlichen Linie. Die Gravamina wurden nicht angesprochen und den Ständen somit im Gegensatz zu Karls Propositionstext nicht die Möglichkeit gegeben, jenseits der theologischen Zerwürfnisse über eine Reform der Reichskirche zu verhandeln. Stattdessen wurde den Ständen im Stil eines Mandats bei Androhung der Acht jegliche Änderung in der Religion verboten und die Angelegenheit auf ein zukünftiges Konzil verschoben.22⁰ Eine solche Proposition stärkte diejenigen Stände, die die Reformation uneingeschränkt ablehnten, und erschwerte es neutralen Ständen, einen Ausgleich zu vermitteln. Andererseits nahm die Proposition den lutherischen Ständen die Perspektive, sich wieder auf eine uneindeutige Formulierung einigen zu können. Am Tag nach der Propositionsverlesung begannen die nach Kurien getrennten Beratungen. Die Stände vertagten sich aber bald um einige Tage, um auf weitere Fürsten, vor allem aber auf Kurtrier zu warten.221 Da erste Initiativen zur Bildung eines Großen Ausschusses bereits begonnen worden waren, nutzten die Städte die folgenden Tage zur Vorbereitung ihrer Reichstagspolitik durch eigene Ausschüsse.222 Am 18. März kamen die Kurien schließlich wieder zusammen und richteten den Großen Ausschuss ein. Dieser sollte sich zunächst mit den Propositionsartikeln Glaubensspaltung und Türkenhilfe befassen.223 Beim ersten Artikel waren sich die Ausschussmitglieder einig, dass es eines generellen Konzils oder eines Nationalkonzils bedürfe, um die religiöse Einheit wiederherzustellen. Um Regelungen für die Zwischenzeit entwerfen zu können, wurde ein Viererausschuss gebildet, der die relevanten Beschlüsse der bisherigen Reichstage sichten, zusammenfassen und daraus eine neue Regelung vorschlagen sollte.22⁴ Er bestand aus vier promovierten Räten der Stände Kurmainz, Kursachsen, Salzburg und Bayern sowie aus einem beigeordneten Mainzer Sekretär.22⁵ Wie der Viererausschuss wurde auch der Große Ausschuss von einer deutlichen Mehrheit der Reformationsgegner dominiert. Der sächsische Kurfürst konnte nur mit Unterstützung der Städte Straßburg und Nürnberg rechnen, während alle

218 219 220 221 222 223 224 225

Kühn, Die Geschichte des Speyrer Reichstags 1529, S. 59–62. RTA JR 7, Nr. 104 (S. 1128–1136), S. 1134. Ebd., S. 1132–1135. RTA JR 7, S. 558. Ebd., S. 560–563. Ebd., S. 564–563, 571–572. Ebd., S. 572–573, 581. Ebd., S. 573.

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sieben vertretenen Fürsten altgläubig waren.22⁶ Der Umgang mit der religiösen Spaltung sollte sich als das entscheidende Problem des Reichstags erweisen. Die Fronten zwischen den Ständen unterschiedlicher religiöser Ausrichtung waren inzwischen deutlich verhärtet. Der Memminger Gesandte Ehinger beklagte in seinen Briefen vom Reichstag etwa: »Jnn soma, die gaistlichen Sampt Dr. Egken, Fabri Regieren gwaltigclich disen Richstag«22⁷. Mit Eck (Bayern) und Fabri (Bistum Konstanz) nennt Ehinger hier gleich zwei Personen des Großen Ausschusses. Entscheidend für die Entwicklung der Reichstage war, dass sich die Reformgegner diesmal, wohl durch die Proposition Ferdinands bestätigt, weigerten, einen Ausgleich mit den lutherischen Ständen zu suchen. Während sich diese bis zum Ende des Reichstags nicht mit ihrem Ziel, der Beibehaltung der Gewissensformulierung von 1526, durchsetzten, konnten Ferdinand und die Kommissare nicht verhindern, dass eine Reihe von evangelischen Ständen mehrfach protestierte22⁸ und sich weigerte, den Reichsabschied anzunehmen. Diese bisher nicht vorgekommene Situation prägte später die Bezeichnung »Protestanten«. Nach Schlaich führte sie auch zur Anfechtung der Gültigkeit von Mehrheitsbeschlüssen bei Glaubensfragen.22⁹ Tatsächlich war das Prinzip der Mehrheitsentscheidung jedoch vor 1529 noch nicht durchgesetzt. Es ist eher davon auszugehen, dass der Verweis auf das Mehrheitsprinzip ein Ausdruck der Hilflosigkeit war, die die altgläubige Partei gegenüber dem ungewohnt scharf formulierten Widerspruch der Protestanten empfand. Bisher waren die Reichstage von einem unausgesprochenen Zwang zur Einigkeit geprägt gewesen, der dafür gesorgt hatte, dass man strittige Themen eher vertagte, als dass gegen den erklärten Willen bedeutender Stände entschieden wurde. Dieses Verhalten lag weniger in dem Bestreben der Reichsstände nach einer möglichst großen Geschlossenheit gegenüber dem Reichsoberhaupt begründet, sondern war vielmehr Ausdruck genereller politischer und sozialer Konventionen, nach denen das öffentliche Zurschaustellen von Dissens unter den Reichsständen die Legitimität ihrer Beschlüsse infrage stellte.23⁰ In der Situation offenkundiger Uneinigkeit suchten die altgläubigen Stände deshalb nun eine Rechtfertigung, denn nach den politischen Prinzipien der Zeit war offensichtliche Uneinigkeit zunächst ein Makel für alle Beteiligten. Die Rechtfertigung bestand schließlich darin, dass

226 Im Ausschuss waren neben den Städtern und den Kurfürsten (oder deren Gesandten) der Erzbischof von Salzburg, der Bischof von Augsburg, Herzog Ludwig von Bayern und Markgraf Philipp von Baden in Person sowie die Räte von Würzburg, Konstanz, Bayern (Dr. Eck für Hg. Wilhelm) und Braunschweig, Weingarten für die Prälaten und die Grafen Bernhard von Solms und Walter von Geroldseck: RTA JR 7, S. 565–566. 227 Dobel, Hans Ehinger 1529, Nr. XI (S. 69–71), S. 70; fast wortgleich bereits in: Nr. VIII (S. 62–65), S. 63. 228 RTA JR 7, S. 668, 702–710, 777–778, 789. 229 Schlaich, Die »protestatio« beim Reichstag in Speyer von 1529 in verfassungsrechtlicher Sicht. 230 Ausführlich hierzu: Schwedler, Formen und Inhalte.

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man durch die Formulierung einer Regel den Protestanten ein unangemessenes Verhalten vorwarf.231 Die öffentliche Erklärung mehrerer Stände, sich in einer so wichtigen Angelegenheit wie der Religion nicht an den Reichsabschied gebunden zu fühlen, stellte das Scheitern des Reichstags dar. Während frühere Abschiede die Stände noch in ihrer Außenwirkung in Einheit belassen hatten, wurde die Spaltung 1529 offenkundig. Die Weigerung der Protestanten stellte die Autorität Ferdinands und des durch ihn und die Kommissare vertretenen Kaisers infrage. Dementsprechend fielen die Reaktionen aus. Vor allem die Städte wurden von Ferdinand und den kaiserlichen Kommissaren, aber auch von der altgläubigen Ständemehrheit, massiv unter Druck gesetzt. Während Ferdinand die Städte, die dem Wormser Edikt weitestgehend gefolgt waren, demonstrativ ehrte und ihre würdigende Nennung beim Kaiser ankündigte,232 wurden die Gesandten der evangelischen Städte im Gegenzug separat geladen und zu Gehorsam gemahnt.233 Später, als die Städtekurie die Annahme des Religionsartikels verweigerte, wurde sie aufgefordert, gegen das übliche Verfahren eine Liste zu erstellen, die die Städte in Ungehorsame und Gehorsame einteilte.23⁴ Diejenigen, die sich dabei als gehorsam erwiesen, wurden von Ferdinand und den Kommissaren am Folgetag nochmals geehrt, indem sie zu einer Audienz geladen wurden, wo ihre Treue dem Kaiser gegenüber ausdrücklich gewürdigt wurde.23⁵ Als die Protestanten gegen Ende des Reichstags bereits Vorbereitungen für ihre vorzeitige Abreise trafen, versuchten spezielle Unterhändler Ferdinands vergeblich, sie doch noch von der Annahme des Abschieds zu überzeugen.23⁶ Neben der Glaubensfrage beschäftigte sich der Große Ausschuss auch mit den übrigen Hauptverhandlungspunkten, für die nach Bedarf Unterausschüsse eingerichtet wurden. Am 23. März wurde beispielsweise ein vierköpfiger Unterausschuss eingerichtet und damit beauftragt, sich mit den bisherigen Beschlüssen zur Türkenhilfe zu befassen.23⁷ Ab dem 30. März behandelte der Große Ausschuss die Thematik mit der Sorge, die Steuern könnten Ferdinand persönlich zugutekommen, statt der Verteidigung des Reichs zu dienen.23⁸ Bereitschaft zu einer beharrlichen Hilfe gab es keine.23⁹

231 Vgl. hierzu Kapitel 3.4 zu Umfrage und Mehrheitsabstimmung ab S. 210 und Kapitel 4. zu Verfahrensentwicklung ab S. 275. 232 RTA JR 7, S. 641–642, 648. 233 Ebd., S. 648–649. 234 Laut Tetlebens Protokoll teilten die Stände den Städten mit: »volebant scire statim nomina civitatum, que vellent obedire imperio et qui non«: Ebd., S. 705. 235 Ebd., S. 724–725. 236 Ebd., S. 813–814, 844–845. 237 Ebd., S. 595–596. 238 Hans von Minkwitz schrieb an Johann Friedrich, im Ausschuss werde darauf abgezielt, dass »dem konig das geld nit in sein hant keme, auch zu nichts anders dann wider den Turken gebraucht werd«: Ebd., S. 617–618. 239 Im Großen Ausschuss wurde beschlossen, »quod super ea decernenda nihil concludi posset, nam esset totalis expeditio contra Turcas, que sine auxilio aliorum potentatum expediri

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Am 8. April wurden schließlich vier Kleine Ausschüsse eingerichtet, in denen Räte aus den oberen Kurien spezielle Themen wie Visitation und Reform von Reichskammergericht und Reichsregiment, Halsgerichtsordnung, Reichskammergerichtsordnung, Münzwesen und Supplikationen behandeln sollten.2⁴⁰ Die genaue personelle Zusammensetzung dieser Kleinen Ausschüsse änderte sich anscheinend während des Reichstags. Auffällig ist außerdem, dass dem Ausschuss zu Visitation und Reformation von Regiment und Kammergericht der österreichische Gesandte Georg Truchsess von Waldburg vonseiten Ferdinands und der Kommissare beigeordnet wurde.2⁴1 Zum Reichstag von 1529 kamen auch wieder auswärtige Gesandtschaften, die sich an die Stände wandten. Ein päpstlicher Nuntius wurde von Ferdinand, den Kommissaren und den Reichsständen angehört, sein Schreiben verlesen und eine Antwort formuliert.2⁴2 Größere Schwierigkeiten hatte ein Herold des französischen Königs, der ein Schreiben an alle Reichsstände sowie einzelne Briefe für die Kurfürsten mit sich führte.2⁴3 Ferdinand versuchte, eine solche offizielle Kommunikation des Reichstags mit dem politischen Gegner Habsburgs nach Möglichkeit zu unterbinden.2⁴⁴ Dadurch entbrannte ein Streit über die Kompetenzen des Reichstags. In der Fürstenkurie konnte Österreich durchsetzen, dass das französische Schreiben nicht geöffnet werden solle, ohne zuvor den kaiserlichen Statthalter darüber zu unterrichten.2⁴⁵ Die Kurfürsten dagegen legten Wert darauf, dass es ihr Recht sei, jegliche an sie gerichtete Post unabhängig vom Reichsoberhaupt zu öffnen.2⁴⁶ Es kam zu keiner Einigung. Der Fürstenrat setzte Ferdinand anscheinend unabhängig vom Kurfürstenrat offiziell von dem Schreiben in Kenntnis. Darauf brachte Ferdinand zwar seine Enttäuschung zum Ausdruck, untersagte das Öffnen und Verlesen der Botschaft aber auch nicht. Nach dem Öffnen des Briefes wurde Ferdinand eine Abschrift zugestellt.2⁴⁷

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non posset, ad quos legati et oratores mitti deberent. Et deinde cum eisdem agi deberet. Et ita articulus rejectus fuit per deputatus ad status imperii« (zitiert aus der Aufzeichnung Tetlebens): RTA JR 7, S. 633. Ebd., 675–676. Die genannten Ausschüsse waren vom Mainzer Kanzler bereits am 3. April vorgeschlagen worden: S. 637–638. RTA JR 7, S. 675–676, 736; Oestreich geht davon aus, der Ausschuss habe mehrere Regimentsräte umfasst: Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise, S. 675–676, 736. RTA JR 7, S. 692–693, 725–728, 848–850. Ebd., S. 638–641, 647–648, 677, 691. Luttenberger, Karl V., Frankreich und der deutsche Reichstag, 197–198, 208. Dass, wie Luttenberger (S. 208) schreibt, Ferdinand den Herold zunächst köpfen lassen wollte, geht anscheinend nur aus dem überspitzten französischen Gesandtschaftsbericht hervor, nicht aber aus den Aufzeichnungen der Reichsstände, in denen es nur um die Frage eines Geleitbriefes für den Herold geht. Vgl.: RTA JR 7, S. 677. RTA JR 7, S. 638–641. Tetleben formulierte, »esset consuetudo, quod principes electores illas [=solche Schriften] legere et aperire possent non expectato iussu imperatoris aut illius locumtenentis«: Ebd., S. 640. Ebd., S. 647.

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Die Reichstage unter Karl V.

Ein weiteres Ereignis des Reichstags von 1529 war für das Reichstagsverfahren langfristig von großer Bedeutung: Der Umfragestreit zwischen Sachsen und Mainz, der seit 1487 geschwelt hatte, wurde nach der Vernehmung einiger Zeugen und der Erwägung einiger Kompromissvorschläge2⁴⁸ durch eine vertragliche Regelung2⁴⁹ schließlich beigelegt.2⁵⁰ Sie sah vor, dass die sächsischen Kurfürsten in der Gemeinen Versammlung die Umfrage führen sollten und Mainz dieses Recht im Kurfürstenrat haben sollte. Für Ausschüsse wurde eine Alternation der Umfrage festgelegt.

1.3 Der Reichstag in der Krise: 1530–1541 1529 war der Reichstag an einen kritischen Punkt gelangt: Die grundsätzliche Solidarität der Reichsfürsten war zerbrochen und die Gegensätze zwischen den entstehenden Konfessionsgruppen offen zutage getreten. Die altgläubigen Stände hatten ihre zahlenmäßige Übermacht im Großen Ausschuss wie auch im Reichsrat dazu verwendet, die von Ferdinand in seiner Proposition geforderte Rücknahme des Gewissensvorbehalts durchzusetzen. Für das Reichstagsverfahren bedeutete der Eklat von 1529 den Beginn einer Krise: Die Parteien konnten nicht mehr damit rechnen, dass ihre Differenzen auf den Reichstagen notfalls verschleiert würden. Die Altgläubigen formulierten den Anspruch, ihre zahlenmäßige Überlegenheit erfordere ein Einlenken der Lutheraner. Diese wiederum beriefen sich, in Ermangelung eines entsprechenden Verfahrens, auf ihr Gewissen. Entscheidend war der Verlust des Vertrauens zwischen den Reichsständen. 1529 war somit ein Problem zutage getreten, das sich langfristig in einer Abkehr vom Konsensprinzip und einer Zuwendung zum Mehrheitsprinzip niederschlug. Dieser Prozess wurde 1529 eingeleitet. Für die folgenden Reichstage war den Reichsständen nun klar: Die Lutheraner mussten damit rechnen, dass die Ständemehrheit auch Abschiede durchsetzte, die die Meinung des sächsischen Kurfürsten und seiner Anhängerschaft einfach übergingen. Die altgläubigen Stände dagegen konnten erwarten, dass sich die Protestanten auch zukünftig einfach über die Abschiede hinwegsetzten. Die Einschätzung Schlaichs, die Protestation von 1529 habe »keinen unmittelbaren Einfluß auf das Verfahren beim Reichstag in Speyer«2⁵1 gehabt, ist daher zurückzuweisen. Es hatte ein doppelter Tabubruch stattgefunden, der eine Fortsetzung der Reichstage nach altem Muster enorm erschwerte. Zunächst hofften beide Seiten aber auf die lange erwartete Rückkehr des Kaisers. Von ihm und seiner Autorität versprachen sich die Stände einen Ausweg aus der verfahrenen Lage.2⁵2 248 249 250 251

RTA JR 7, S. 670–672, 693, 789–790, 846. Ebd., Nr. 166 (S. 1344–1345). Ebd., S. 851–852. Schlaich, Die »protestatio« beim Reichstag in Speyer von 1529 in verfassungsrechtlicher Sicht, S. 18. 252 Zu den Erwartungen der Protestanten: Strohm, Das Reich, S. 13–14.

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1.3.1 Der Augsburger Reichstag von 1530 1530 kam Karl V. nach fast einem Jahrzehnt Abwesenheit wieder ins Reich. Nach seinen Siegen in Italien hatte er in seinem Ausschreiben vom 21. Januar von Bologna kurz vor seiner Kaiserkrönung aus angekündigt, ins Reich ziehen zu wollen, um sich der Türkengefahr zu widmen.2⁵3 Um dafür alle Kraft des Reichs mobilisieren zu können, wolle er sich auch einer Lösung des Glaubenskonflikts annehmen. Karl kündigte an, sich die Einwände der Konfliktparteien anzuhören und unvoreingenommen zu prüfen. Insgesamt dürften für Karl drei Anliegen den Ausschlag für einen Reichstag gegeben haben: Dies waren erstens der Wunsch nach einer beharrlichen Türkenhilfe, also einer dauerhaften Steuer zur Abwehr der türkischen Bedrohung, deren Ausmaß 1529 in der Belagerung Wiens deutlich geworden war, zweitens die Beendigung der Glaubensspaltung durch eine Mischung von Diplomatie, Kompromissbereitschaft und Einschüchterung und drittens die Sondierung von Möglichkeiten einer Königswahl Ferdinands durch die Kurfürsten.2⁵⁴ Der Reichstag sollte laut Ausschreiben am 8. April in Augsburg beginnen.2⁵⁵ Der Kaiser ermahnte die Stände ausdrücklich, sich nicht um mehr als zehn Tage zu verspäten, da ab dann die Beratungen auch für die Abwesenden bindend seien.2⁵⁶ Jedoch verspätete sich Karl selbst erheblich, so dass am 24. Mai die vier in Augsburg versammelten Kurfürsten den Kaiser bitten ließen, seine Anreise zu beschleunigen.2⁵⁷ Wegen der seit 1521 nicht mehr erreichten überdurchschnittlich zahlreichen persönlichen Anwesenheit von Fürsten mit umfangreichem Gefolge mussten vor dem Einzug des Kaisers noch die zeremoniellen Einzelheiten geklärt werden.2⁵⁸ Karl inszenierte seine kaiserliche Autorität bereits im feierlichen Einzug in die Stadt am 15. Juni mit mehreren tausend Reitern.2⁵⁹ Einen Auftakt zum anstehenden Kräftemessen zwischen kaiserlicher Autorität, ständischem Selbstbewusstsein und lutherischer Gewissensfreiheit boten die Auseinandersetzungen um die Teilnahme der Protestanten an der Fronleichnamsprozession2⁶⁰ und um das Verbot lutherischer Predigten in der Reichstagsstadt.2⁶1 253 Förstemann, Urkundenbuch, Bd. I, Nr. 1 (S. 1–9). 254 Kohler, Antihabsburgische Politik, S. 115–202. 255 Der Reichstag von 1530 ist in der Reihe der Deutschen Reichstagsakten noch nicht ediert. Einzelquellen und Quellensammlungen bieten: Brieger, Beiträge; Dobel, Hans Ehinger 1530; Förstemann, Urkundenbuch; Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530; Honée, Der Libell des Hieronymus Vehus zum Augsburger Reichstag 1530; Schirrmacher (Hg.), Briefe und Acten. 256 Förstemann, Urkundenbuch, Bd. I, Nr. 1 (S. 1–9), S. 8–9. 257 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 56. 258 Ebd., 56–57. Zur Rolle des Schwertträgers: Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), 127, Briefe fol. 18, 19. Hierzu auch: Stollberg-Rilinger, Symbol und Diskurs, S. 91–93. 259 Dobel, Hans Ehinger 1530, Bd. 4, Nr. II. (S. 28–30); Förstemann, Urkundenbuch, Bd. I, Nr. 92 (S. 257–267). 260 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 62. 261 Förstemann, Urkundenbuch, Bd. I, Nr. 93 (S. 267–269); Nr. 98 (S. 283–290); Nr. 100 (S. 293); Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, 62–63; ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 5-1, fol. 1r–3v.

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Die Reichstage unter Karl V.

Während des Reichstags unterlagen die Bemühungen zur Überwindung der Glaubensspaltung2⁶2 starken Schwankungen, die auch Auswirkungen auf das Verfahren hatten. Zunächst schwebte dem Kaiser anscheinend eine Lösung in Form eines kaiserlichen Richtspruchs vor, für den beide Parteien im Religionsstreit ihre Stellungnahmen und Gravamina einreichen und sich schließlich der kaiserlichen Entscheidung beugen sollten.2⁶3 Die lutherischen Stände nutzten diese Gelegenheit, dem Kaiser ihre Bekenntnisschrift vorzulegen.2⁶⁴ Die altgläubige Seite sah sich aber nicht veranlasst, eine eigene Schrift vorzulegen, und empfahl stattdessen die Begutachtung der Confessio Augustana durch gebildete, aufrichtige und gemäßigte Fachleute.2⁶⁵ Ausdrücklich wiesen sie den Gedanken zurück, sich selbst als »Parthei«2⁶⁶ im Religionsstreit zu betrachten. Aus Sicht der Altgläubigen stellten allein die protestantischen Stände eine Partei dar. Die Altgläubigen verstanden sich dagegen als »gemaine Reichsstende«2⁶⁷, also als der versammelte Reichstag, der sich mit den Forderungen einiger Stände auseinanderzusetzen hatte, die sich vom Reichstag abgesondert hatten. Wollte der Kaiser für seinen Richtspruch »cleger und Anntworter«2⁶⁸, so müsse er nicht die Frage nach der Religion, sondern nach der gehorsamen Anwendung des Wormser Edikts stellen. Für das Zusammenwirken von Ständen und Kaiser bei der Beilegung des Glaubenskonflikts bestand kein eindeutiges Verfahren. Entgegen den Empfehlungen aus dem Kurfürstenrat beschloss der Fürstenrat die Einrichtung eines aus zwölf Personen (acht Fürsten und vier fürstliche Gesandte) bestehenden Ausschusses, der sich mit der Glaubensthematik beschäftigen sollte.2⁶⁹ Die geplante kaiserliche Gerichtshandlung wandelte sich bald in eine direkte Glaubensverhandlung 262 Eine Übersicht über die Religionsverhandlungen bietet: Kohnle, Reichstag und Reformation, S. 381–394. Genauere und spezielle Betrachtungen finden sich bei: Becker, Die Verhandlungen der Reichsstände über die Confessio Augustana als Ringen um Einheit und Kirchenreform; Decot, Confessio Augustana und Reichsverfassung; Honée, Kontinuität und Konsistenz; ders., Die katholischen Berichte über die Ausschußverhandlungen; Immenkötter, Die Rahmenbedingungen der Augsburger Religionsverhandlungen; Lutz, Kaiser, Reich und Christenheit; Müller, Anhänger der CA und Ausschussverhandlungen; Rabe, Befunde und Überlegungen zur Religionspolitik Karls V. am Vorabend des Augsburger Reichstags 1530; Rischar, Johann Eck auf dem Reichstag zu Augsburg 1530. 263 Zu Karls Vorstellungen vom Ablauf des Reichstags: Stollberg-Rilinger, Symbol und Diskurs, S. 88–89. 264 Im Zusammenhang mit der Verlesung und Übergebung der Confessio Augustana sowie der entsprechenden Antwort, der Confutatio, rangen die Parteien um symbolträchtige Einzelheiten: ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 5-1, fol. 16v–17r, 18r. Vgl. hierzu: Ebd., S. 98–99. 265 Brieger, Beiträge, Nr. 1 (S. 126–127). 266 Ebd., Nr. 3 (S. 130–133), S. 131. 267 Ebd. 268 Ebd. 269 Tetleben notiert zur Einrichtung des Ausschusses: »Wywoll dey fursten gesageth, das der keysser dey sache des globens handeln solle, doch solthe der usschoes auch darneben darvon reden. Quod principibus electoribus non placuit.« Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 72.

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zwischen den protestantischen Ständen und dem Kaiser unter Vermittlung der »gehorsamen« Stände, bei der der Kaiser, gestützt auf das angeforderte theologische Gutachten, die lutherische Lehre zurückwies. Die vermittelnden Stände versuchten im Anschluss, die Lutheraner durch Entgegenkommen bei vielen Gravamina zur Annahme der kaiserlichen confutatio zu bewegen. Dies geschah zunächst über einen Großen Ausschuss der oberen Kurien,2⁷⁰ dann über einen paritätisch2⁷1 zusammengesetzten Vierzehnerausschuss,2⁷2 in dem von beiden Seiten jeweils zwei Fürsten, zwei Juristen und drei Theologen sitzen sollten, und schließlich durch einen deutlich verkleinerten paritätischen Sechserausschuss, bei dem jede Seite drei Personen stellen sollte.2⁷3 Diese nochmalige Verkleinerung sollte die Verhandlungen beleben, indem nun nur noch Unterhändler zugelassen werden sollten, die »dem handel nicht hessich und sceydlich seyn«2⁷⁴. Damit sollte anscheinend vor allem der als »acer in parte catholicorum« und nicht »idoneus pro mediatore in negotio fidei«2⁷⁵ angesehene Herzog Georg von Sachsen ausgeschlossen werden. Schließlich konnten die protestantischen Stände jedoch nicht zur Annahme des ersten Religionsabschieds des Kaisers bewegt werden. Stattdessen reisten die persönlich anwesenden lutherischen Fürsten teilweise ohne Erlaubnis2⁷⁶ vor Ende des Reichstags ab und entzogen sich so der weiteren Teilnahme an der Versammlung. Die Versuche, mittels kaiserlicher Autorität die evangelischen Stände zu einem Einlenken zu bewegen, waren gescheitert. Ein Kaiser, der von seinen Fürsten teilweise sogar unangekündigt verlassen wurde, konnte und musste dies als öffentlichen Angriff auf seine Autorität verstehen. Deshalb hatten die altgläubigen Stände den Kaiser auch gewarnt, dass eine Nichtanerkennung des kaiserlichen Richtspruchs Karl »zu verachtung raichen«2⁷⁷ werde. In diesem Sinne ist auch das Entschuldigungsschreiben des hessischen Landgrafen zu verstehen, der mit der Angabe verschiedener Abreisegründe, etwa der Krankheit seiner Frau, die Situation nachträglich zu entschärfen versuchte.2⁷⁸ Da die Entscheidungshoheit für die Glaubensangelegenheit aber als Sache des Kaisers angesehen wurde, konnte Karl im September nach der Abreise der evangelischen Fürsten wieder auf sein ursprüngliches Konzept eines Gerichtstags zurückgreifen. Er befahl den Ständen, einen Ausschuss zu ihm zu schicken, der ihn in seiner Entscheidung beraten sollte. Hierbei äußerte Karl klare Vorgaben: Aus dem Kurfürstenrat wollte er nur die persönlich anwesenden Kurfürsten in diesem Gremium haben, nicht aber die Botschaften der Abwesenden. Aus dem Fürstenrat

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Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, 103; ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 5-1, fol. 19r. Zu dieser Entwicklung: Neuhaus, Der Augsburger Reichstag des Jahres 1530, S. 206–208. Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 117–118. Ebd., S. 131. Ebd. Ebd., S. 122. Vgl. auch: Förstemann, Urkundenbuch, Bd. II, Nr. 162 (S. 290–292), S. 290. Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 104–105. Brieger, Beiträge, Nr. 3 (S. 130–133), S. 131. Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 104–105.

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Die Reichstage unter Karl V.

sollten von jeder Bank drei Fürsten gewählt werden.2⁷⁹ Auf den Einwand des Kurkollegs (vor allem des kurpfälzischen Gesandten), die Kurfürsten müssten stets gemeinsam gehört werden, ließ der Kaiser über den Salzburger Erzbischof erklären, es sei in schwerwiegenden Fällen bereits unter Karls Vorgänger üblich gewesen, derartige Ausschüsse zu fordern, und dass es sich somit um keine Neuerung handle.2⁸⁰ Hiermit meinte die kaiserliche Seite vermutlich die Verhandlungen zur Beilegung des Landshuter Erbfolgestreits im Rahmen des Kölner Reichstags von 1505. Damals kombinierte Maximilian eine königliche Gerichtsversammlung mit einem Reichstag, um der Gerichtsentscheidung zum Landshuter Erbfolgekrieg Legitimität zu verleihen.2⁸1 Im Rahmen der Gerichtsverhandlungen zum Landshuter Erbfolgekrieg benannte Maximilian die Vermittler selbst.2⁸2 Entsprechend sah sich Karl V. 1530 wohl parallel zu 1505 berechtigt, die Entscheidung über die Evangelischen mit einem Gremium zu beraten, dessen Mitglieder er allein bestimmte. Die Auseinandersetzung zwischen Kaiser und kurpfälzischen Räten berührte dabei wesentliche Fragen des Reichstagsverfahrens: Wie viel Einfluss durfte der Kaiser auf die Zusammensetzung von Ausschüssen nehmen? War er berechtigt, bevollmächtigte Gesandtschaften anders zu behandeln als persönlich anwesende Kurfürsten? Konnte der Kaiser bei Angelegenheiten, die ihm zur Entscheidung anheim gestellt wurden, eigenmächtig Stände auswählen, die ihn beraten sollten? Während Karl sich 1530 in diesen Fragen mit seinen Ansichten durchsetzen konnte, reduzierten sich die kaiserlichen Gestaltungsmöglichkeiten langfristig. Bei den Verhandlungen auf dem Reichstag von 1530 zeigte sich ein Phänomen, das fast die gesamten übrigen Reichstage Karls V. prägen sollte: Durch die Trennung der Stände in zwei Gruppen, den Gehorsamen und den Protestanten, etablierte sich die verfahrenstechnische Trennung der entstehenden Konfessionen. Die Lutheraner nahmen zu Beginn des Reichstags an vielen Verhandlungen und Ausschüssen nicht teil. Sie wurden dabei ähnlich behandelt wie Bittsteller in Konflikten, bei denen an den Reichstag suppliziert wurde. Die beratende Reichstagsmehrheit wurde zwar nicht als »corpus catholicorum«, sondern als Versammlung der Reichsstände aufgefasst, tatsächlich etablierte sich aber 1530 die später wiederholte Praxis der Partikularberatungen.2⁸3 Nach der Abreise der Lutheraner wurde der Religionsabschied noch weiter verschärft. Die angestrebte beharrliche Türkenhilfe wurde jedoch nicht bewilligt. Stattdessen wurde sie einfach uminterpretiert und als Verpflichtung der Stände zur Abwehrbereitschaft gedeutet. Sollten die Türken angreifen, verpflichteten sich 279 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 150–151. 280 Ebd., S. 154. 281 So war der Kölner Spruch zum Landshuter Erbfolgekrieg zwar formell Ergebnis der königlichen Gerichtsverhandlung, wurde aber als Reichstagsbeschluss wahrgenommen: Heil, Einleitung zu RTA MR 8, S. 118. 282 Ders., Einleitung zu RTA MR 8, S. 118; ders., Reichstag zu Köln, S. 43. 283 Das Verfahren nach Konfession getrennter Beratungen wurde in der Mitte des 17. Jahrhunderts auch noch nach ähnlichen Prinzipien angewandt. Vgl.: Brunert, Reichsständische Protokolle beim Westfälischen Friedenskongress, S. 254.

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die Stände aber zur Leistung ihrer Kontingente in Personen über die Reichskreise. Dem Kaiser wurden Verhandlungen mit anderen christlichen Herrschern zu einem gemeinsamen Türkenkrieg zur Auflage gemacht.2⁸⁴ Statt der Möglichkeit eines von den Reichsständen finanzierten Feldzugs gegen die Osmanen bestand nun, nach dem Augsburger Reichstag, sogar die Gefahr eines Kriegs innerhalb des Reichs zwischen den Religionsparteien. Dieser Bedrohung sollte mit einem rein defensiven Beistandsversprechen der gehorsamen Stände begegnet werden.2⁸⁵

1.3.2 Der Regensburger Reichstag von 1532 Nach dem Reichsabschied von 1530 schien die Lage der Augsburger Konfession im Reich zunächst äußerst bedrohlich zu sein. Es musste aus protestantischer Sicht befürchtet werden, dass der Kaiser plante, den Augsburger Abschied durch ein Offensivbündnis zu exekutieren.2⁸⁶ Gegen die Bedrohung, die durch den Ausschluss der evangelischen Stände aus der Friedensordnung des Reichs aufgekommen war, wurde der Schmalkaldische Bund ins Leben gerufen.2⁸⁷ Jedoch änderte sich die politische Situation durch zwei Faktoren entscheidend: Die Habsburger stießen bei der Durchsetzung der Königswahl Ferdinands auf Widerstand, der sich mit den bayerischen Wittelsbachern auch auf bedeutende altgläubige Stände erstreckte.2⁸⁸ Zudem drohte nach dem Ablauf eines Waffenstillstands in Ungarn ein erneuter türkischer Angriff,2⁸⁹ so dass vor allem Ferdinand auf die breite Unterstützung der Reichsstände angewiesen war. Weil die Protestanten den letzten Abschied jedoch nicht angenommen hatten, war mit deren Aufgeboten zum Reichsheer nicht zu rechnen. Die kaiserliche Politik musste daher das schwierige Ziel verfolgen, einerseits einen Kompromiss mit den evangelischen Ständen zu schließen, andererseits aber dabei die antievangelischen Reichsstände nicht zu sehr zu erzürnen. Diese Ausgangslage bedingte ein kompliziertes Verfahren: Auf dem zunächst für September 1531 nach Speyer ausgeschriebenen2⁹⁰ und schließlich auf Januar 1532 nach Regensburg verschobenen2⁹1 Reichstag sollte ursprünglich möglichst nur über die Türkenhilfe und nicht über die rechtliche Stellung der evangelischen

284 Senckenberg/Koch, Neue Sammlung, Bd. II, S. 322–323. 285 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 192–193, 195–196, 197–198; Förstemann, Urkundenbuch, Bd. II, Nr. 253 (S. 737–740). 286 Kohnle, Reichstag und Reformation, S. 395. 287 Haug-Moritz, Reichstag, Bundestage, Land- und Ausschusstage; Strohm, Das Reich, S. 17–21; Dommarsch, Religionsprozesse. 288 Kohler, Antihabsburgische Politik, S. 203–244; Brendle, Karl V. und die reichsständische Opposition, S. 697–701. 289 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 10, S. 98–99, 114–123. 290 RTA JR 10, Nr. 1 (S. 213–214). 291 Ebd., Nr. 12 (S. 242–244).

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Die Reichstage unter Karl V.

Stände verhandelt werden.2⁹2 Vor dem Reichstag begannen dagegen am 1. April 1532 separate Verhandlungen in Schweinfurt, die im Mai nach Nürnberg verlegt wurden.2⁹3 Hier arbeiteten die vom Kaiser als Vermittler akzeptierten Kurfürsten von Mainz und der Pfalz2⁹⁴ mit den evangelischen Ständen an der Ausformulierung eines Friedens, der bis zum dringend für nötig erachteten Konzil (oder einem kommenden Reichstag) gelten sollte. Entgegen den ursprünglichen Plänen Karls kamen diese Vermittlungen aber nur sehr langsam voran und waren während des Reichstags in Regensburg, der mit großer Verzögerung erst am 17. April eröffnet wurde, noch nicht abgeschlossen. Die Themen »Türkenhilfe« und »Religionsfriede« wurden also zunächst räumlich getrennt verhandelt. Der Kaiser, die evangelischen Stände und die vermittelnden Kurfürsten waren an beiden Orten vertreten.2⁹⁵ Die Befürworter einer Politik der Unnachgiebigkeit in der Glaubensfrage, die den Regensburger Reichstag dominierten, brachten aber die Glaubens- und vor allem die Konzilsfrage ebenfalls zur Sprache und erreichten schließlich bis Ende Juni, dass der Kaiser sie über die Fortschritte in Nürnberg unterrichtete.2⁹⁶ Die dort in Erwägung gezogenen Kompromisse lehnten sie nun vehement ab. Stattdessen forderten sie als Alternative zum bisher nicht berufenen Generalkonzil ein Nationalkonzil unter Vorsitz des Kaisers und die uneingeschränkte Anwendung des Augsburger Abschieds.2⁹⁷ Die Stände Augsburger Konfession wurden von diesen Verhandlungen ausgeschlossen. Dies ist aber nicht, wie Rosemarie Aulinger schreibt,2⁹⁸ eine Neuerung, sondern die Fortsetzung des Verfahrens von 1530. Der Unterschied zu 1530 besteht vielmehr darin, dass die Vermittlungsverhandlungen mit den Evangelischen diesmal völlig vom Reichstagsgeschehen losgelöst an einem anderen Ort stattfanden und somit auch nicht mehr durch einen ständischen Ausschuss, sondern durch zwei Kurfürsten geführt wurden. Der Widerstand der Regensburger Ständemehrheit gegen einen Frieden mit den Evangelischen war ungewöhnlich heftig. Schließlich wurde der Friede deshalb nicht in den Reichsabschied vom 27. Juli2⁹⁹ aufgenommen. Der Nürnberger Anstand blieb somit eine Übereinkunft zwischen Karl und den betroffenen Ständen, wurde aber nicht durch einen Reichstagsbeschluss bestätigt.

292 In der Proposition werden die Stände ausdrücklich gebeten, die Türkenhilfe vor allen anderen Themen zu besprechen: RTA JR 10, Nr. 30 (S. 293–297), S. 296. 293 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 10, S. 129–146. 294 Zur Vermittlungsinitiative dieser Kurfürsten: Dies., Die Verhandlungen der Kurfürsten Albrecht von Mainz und Ludwig von der Pfalz mit Karl V. 1532 in Mainz. 295 Dies., Einleitung zu RTA JR 10, S. 150–151. 296 RTA JR 10, Nr. 107 (S. 604–607). 297 Ebd., Nr. 109 (S. 609–610); Nr. 110 (S. 611–612); Nr. 113 (S. 616–618); Nr. 114 (S. 618–622); Nr. 116 (S. 629–636). 298 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 10, S. 176. 299 RTA JR 10, Nr. 303 (S. 1056–1087).

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Der Reichstag in der Krise: 1530–1541

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Die Regensburger Reichstagsverhandlungen stützten sich wieder wesentlich auf Ausschüsse.3⁰⁰ Karl, der hier zum dritten Mal seit seiner Wahl persönlich einem Reichstag beiwohnte, versuchte, die Reichsstände zu einem umfassend bevollmächtigten Großen Ausschuss zu bewegen, der mit seinen Räten direkt verhandeln sollte. Dieser Vorschlag war vor dem Hintergrund, dass in den 1520er Jahren noch Räte des Reichsregiments zu den Ausschusssitzungen zugelassen worden waren, keine undenkbare Neuerung. Dennoch lehnten die Stände ein solches Vorgehen ab. Stattdessen legten sie Wert darauf, das Verfahren vom Einfluss des Kaisers abzuschirmen: Sie genehmigten zwar einen Großen Ausschuss,3⁰1 dieser sollte jedoch unabhängig von kaiserlichen Räten beraten.3⁰2 Die endgültige Entscheidung sollte ausdrücklich bei den Kurien bleiben. Neben diesem Großen Ausschuss, der sich vornehmlich der Türkenhilfe annahm, gab es noch zahlreiche Neben- und Unterausschüsse: Ein eigener Rat befasste sich beispielsweise mit den meisten Supplikationen,3⁰3 ein anderer hörte die Gesandten Lothringens an,3⁰⁴ ein weiterer Ausschuss befasste sich mit dem rechtlichen Status einiger Stände in Brabant,3⁰⁵ eine kurzfristige Arbeitsgruppe beschäftigte sich mit den Möglichkeiten einer Steuerreform3⁰⁶ und ein Ausschuss von gelehrten Räten beratschlagte über das Reichskammergericht und die Halsgerichtsordnung.3⁰⁷ Ein kleiner Ausschuss entwarf noch vor der Einberufung des Großen Ausschusses die unmittelbare Antwort auf die Proposition.3⁰⁸ Ein besonderer Ausschuss war der zur Aushandlung von militärischen Einzelfragen, zu dem auch kaiserliche Räte zugelassen waren.3⁰⁹ Eine weitere Besonderheit hinsichtlich des Verfahrens ist, dass sich die Stände 1532 erfolgreich gegen Karls Versuch wehrten, gewisse Entscheidungen nur mit den

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Aulinger, Einleitung zu RTA JR 10, S. 164–166. RTA JR 10, Nr. 32 (S. 303–360), S. 308–309; Nr. 33 (S. 361–370), S. 366–367. Ebd., Nr. 32 (S. 303–360), S. 310. Tetleben protokollierte: »Und haben de stende besloszen, eynen kleynen uschoes zu den supplicationen zu verordnen«: Ebd., Nr. 32 (S. 303–360), S. 310. Hierzu heißt es in den Aufzeichnungen Tetlebens: »Eß haben dey heren deß groszen uschoes darzü vorordenth eynen kleynen uschoes, qui simul com consiliariis ces. Mtis audirent oratores duci Lothringie«: Ebd., Nr. 32 (S. 303–360), S. 326. Tetleben notierte: »Status cum comiserunt illud privilegium incorporationis examinandum sex deputatis et doctis, qui de illo disputent et conferrent et deinde quid agendum sit statibus omnibus referent«: Ebd., Nr. 32 (S. 303–360), S. 327. Laut Tetleben »haben dey vorordenthen des groszen uschoeß, welcher sechs gewest, alle anslege besichtigeth und deyselbig zu item von item berathslagth, erwogen und ermeszen, welche wys ader ungewysz weren; und nach besichtigung derselbigen, auch ersehung deß artikels des jüngsten absceyds zu Auspurgh, haben sze gestaldt eyne cedelen, wy dem zu thun ist mydt der ilend hulf, auch wes anlage qwys ader ungewis szey vorzeyendt«: Ebd., Nr. 32 (S. 303–360), S. 337. Tetleben schrieb: »fuit factus eyn kleyner uschoeß syben doctorum super examinatione visitationis et refirmationis iudicii camere imperialis […] ne interim der groesze uschoeß in aliss negotiis inpediretur«: Ebd., Nr. 32 (S. 303–360), S. 347. Bericht des Ausschusses: S. 348. RTA JR 10, Nr. 33 (S. 361–370), S. 365–366. RTA JR 10, Nr. 92, S. 556–563. Hierzu: Aulinger, Einleitung zu RTA JR 10, S. 166.

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Die Reichstage unter Karl V.

kurfürstlichen Räten und den persönlich anwesenden Fürsten zu besprechen. Dies war der Fall, als der Kaiser über die Eröffnung des Reichstags beraten wollte.31⁰ Zusammenfassend lässt sich das Reichstagsverfahren von 1532 als Ausdruck des Dilemmas verstehen, in das die habsburgische Politik in der Glaubensfrage geraten war: 1530 hatte sich der Kaiser noch unter dem Eindruck seiner Siege selbstbewusst zur Politik des Wormser Edikts bekannt. 1532 sah er sich angesichts der außenpolitischen Bedrohungslage zu einem Kompromiss gezwungen. Damit provozierte er jedoch Widerstand in den Reihen der altgläubigen Stände. Aus ihrer Sicht geschah durch die Umwidmung von Kirchengütern in protestantischen Territorien vielfaches Unrecht, dessen Eindämmung sie vom Kaiser verlangten und dessen reichspolitische Billigung sie vehement bekämpften. Karl musste deshalb gegenüber den Altgläubigen, denen er eigentlich näher stand, eine Politik durchsetzen, die er selbst nur gezwungenermaßen vertrat. Mit dieser Politik war es für den Kaiser in beiden politischen Lagern schwierig, Vertrauen und Zuspruch gewinnen. Um bei diesen Gegensätzen dennoch eine finanzielle Unterstützung durch die Stände zu erreichen, versuchte die kaiserliche Politik, die Zusagen an die evangelischen Stände vollkommen aus dem Reichstagsverfahren auszuklammern. Gleichzeitig sollte ein im Vergleich zur Reichsversammlung deutlich übersichtlicher Großer Ausschuss in direkte Verhandlungen mit den kaiserlichen Räten treten. Bei diesem Verfahren hätten die jeweiligen Stände im Ausschuss leichter unter Druck gesetzt werden können, da sich ihr Verhalten im Ausschuss direkt auf ihre Gunst beim Kaiser ausgewirkt hätte. Beide Vorhaben wurden jedoch durch die altgläubige Partei in Regensburg vereitelt: Die Zusagen an die Protestanten wurden ein Verhandlungsthema, auch schirmten die Gegner der Kompromisspolitik Karls den Großen Ausschuss deutlich vom Kaiser ab und traten – hier im Geiste der Politik der Reichsreform – als Gesamtheit der Stände auf. Im Vergleich zu dem noch deutlich dem Kaiser offen stehenden Verfahren von 1521 zeigt sich, wie sehr das angewendete Verfahren hinsichtlich der Ausschüsse von gegenseitigem Vertrauen abhängig war. Erhofften sich die Stände oder eine Ständemehrheit vom Kaiser noch Unterstützung in den eigenen Anliegen, war es für den Kaiser deutlich leichter, Einfluss zu nehmen. Erst das Misstrauen gegenüber dem Reichsoberhaupt ließ die Stände auf Mechanismen zurückgreifen, die den Einfluss des Kaisers zurückdrängten. Die Wahl des Verfahrens nahm somit schon Einfluss auf das Ergebnis der Verhandlungen.

1.3.3 Der Regensburger Reichstag von 1541 Mit dem Nürnberger Anstand begann eine lange reichstagslose Zeit.311 Die zeitliche Beschränkung des zugesagten Friedens bis zum nächsten Reichstag kann, wie 310 RTA JR 10, Nr. 33 (S. 361–370), S. 361. 311 Die Reichsversammlung von 1535 wurde nicht als Reichstag ausgeschrieben und ist deshalb nicht als Reichstag im Sinne der dieser Arbeit zugrunde liegenden Abgrenzung anzusehen.

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Der Reichstag in der Krise: 1530–1541

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Helmut Neuhaus vermutet,312 als ein Grund dafür angesehen werden. Gegen Ende der 1530er Jahre gab es schließlich wieder einige reichspolitische Initiativen zur Behebung des Glaubenskonflikts im Reich. Das bisher als anzustrebende und lange als endgültige Lösung geltende Konzil war nicht zustande gekommen. Die außenpolitische Lage ließ einen baldigen Konzilsbeginn auch nicht erwarten. Zudem war bei einem Konzil mit päpstlicher Beteiligung zu erwarten, dass die evangelischen Stände dieses nicht anerkennen würden und ein Konzil den Glaubensgegensatz deshalb sogar noch verschärfen würde.313 Als Alternative zum Konzilsweg kam der Gedanke einer Wiedervereinigung des Glaubens durch Religionsgespräche wieder auf.31⁴ Eingeleitet durch Kolloquien in Hagenau31⁵ und Worms31⁶, versuchte der Kaiser schließlich, auf dem Regensburger Reichstag 1541 die konfessionsneutralen Kräfte im Reich zu nutzen und eine Reunion der Religion über ein Glaubensgespräch zu erzielen.31⁷ Zur Legitimierung des Religionsgesprächs sollte auch ein päpstlicher Legat anwesend sein.31⁸ Hintergrund des neuen Reichstags war aber wieder die Bedrohung durch die Türken. Eine niederösterreichische31⁹ und eine ungarische32⁰ Gesandtschaft sollten mit ihren Schilderungen vom Türkenkampf die Bereitschaft zur Steuerbewilligung heben. Trotz sorgfältiger Vorbereitung und starker Einflussnahme gelang es Karl jedoch nicht, die beiden konfessionellen Parteien einander anzunähern.321 Neben den eklatanten theologischen Gegensätzen bei den Verhandlungsführern der konfessionellen Parteien gab es auch keinen Willen zu einem politischen Kompromiss in der Glaubenssache.322 Schon in seinen Vorbereitungen zum Reichstag stieß Karl auf erhebliche Schwierigkeiten. So ließ »das beschwerlich vnnd sorglich mistrauen, So leijder vnnder

312 313 314 315 316 317

318 319 320 321 322

Neuhaus, Reichsständische Repräsentationsformen im 16. Jahrhundert, S. 36–46, 94–109. Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede, S. 186. Ebd., S. 200–241. Ganzer/Mühlen, Akten der Reichsreligionsgespräche 1; Ortmann, Reformation und Einheit, S. 113–147. Ganzer/Mühlen, Akten der Reichsreligionsgespräche 2; Ortmann, Reformation und Einheit, S. 149–231. Augustijn, Quest of Reformatio; Brieger, Gasparo Contarini und das Regensburger Concordienwerk des Jahres 1541; Decot, Religionsgespräch und Reichstag, S. 222–223; Hausberger, Verlauf und Scheitern; Kretschmar, Reichstag von Regensburg 1541; Luttenberger, König Ferdinand I., der Frankfurter Anstand (1539) und die Reunionspolitik Karls V.; Ortmann, Reformation und Einheit, S. 233–265; Schultheis, Die Verhandlungen über das Abendmahl und die übrigen Sakramente auf dem Religionsgespräch in Regensburg 1541; Winkler, Das Regensburger Religionsgespräch 1541; Ziegler, Religion und Politik. Luttenberger, Kaiser, Kurie und Reichstag. StA Hannover, Hild. Br.1, Nr. 78, fol. 277r–288v, 289r–295r. StA Hannover, Hild. Br.1, Nr. 78, fol. 270r–273v, 386r–398v. Luttenberger, Konfessionelle Parteilichkeit, S. 83–94. Deutlich zeigt sich das im Entwurf Leonhard von Ecks für ein bayerisches Antwortschreiben an den Kaiser: ARC 3, Nr. 114 (S. 371–372).

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denn Stennden des Reichs teutzscher Nationn diser Zeit Ist«323, die protestantischen Stände fürchten, auf dem Reichstag könnten sie unter Druck gesetzt oder gar gefangen genommen zu werden. Um dieses Misstrauen zu mindern, versprach der Kaiser den beiden Führern des Schmalkaldischen Bunds weitreichende Sicherheiten: Wohl eingedenk der teilweise unangekündigten Abreise der protestantischen Stände auf dem Reichstag 1530 stellte er durch seinen Geleitbrief in Aussicht, eine solche vorzeitige Abreise sei (gegen den üblichen Brauch) diesmal erlaubt. Diese sollte nach »notturfft vnd gelegenheit« der Betroffenen, aber mit Wissen und der »gnedigen erlaubnus«32⁴ des Kaisers möglich sein. Karl hoffte offensichtlich, mit diesen Zusagen Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen und Landgraf Philipp von Hessen eher zu einem persönlichen Reichstagsbesuch bewegen zu können. Ferner wurde zugesichert, dass der Nürnberger Friede gültig bleiben sollte, falls in Regensburg weder ein Religionsvergleich zustande kommen sollte noch ein dauerhafter Friede erzielt würde.32⁵ Der Kaiser stellte somit eine automatische Verlängerung des vorherigen, 1532 eigentlich nur bis zum nächsten Reichstag bewilligten Friedstands in Aussicht und entkräftete damit ein wesentliches Hindernis für den Regensburger Reichstag.32⁶ Für die Dauer des Reichstags garantierte der Kaiser ausdrücklich die Ungültigkeit »aller Constitution, Satzungen, Decreten, Concilien, Edicten, Reichsabschieden, vnd aller anderer Gesatzen«32⁷, die den Sicherheiten des Geleitbriefs zuwider wären. Die Gegner der Protestanten sollten also keine rechtliche Grundlage haben, im Umfeld des Reichstags gegen die evangelischen Stände vorzugehen.32⁸ Auch hob der Kaiser zu diesem Zweck für den Reichstag die Acht gegen die evangelischen Städte Goslar und Minden auf.32⁹ Trotz der vielen Zugeständnisse33⁰ blieben sowohl der sächsische Kurfürst als auch der Landgraf von Hessen dem Reichstag fern.331

323 Aus einem Brief des sächsischen Kurfürsten und des hessischen Landgrafen vom 23. November 1540 an den Kaiser, Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), 139, fol. 1–9, Zitat von fol. 1v. 324 Geleitbrief Karls: Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10183/5, fol. 1, 8r–9v, Zitat von fol. 1r. 325 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10183/5, fol. 1r. 326 Neuhaus vermutet in der Begrenzung des Friedstands von 1532 auch den Grund dafür, dass die Reichsversammlung von 1535 nicht als Reichstag ausgeschrieben wurde: Neuhaus, Reichsständische Repräsentationsformen im 16. Jahrhundert, S. 36–46, 94–109. 327 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10183/5, fol. 1r. 328 Vgl. hierzu den entsprechenden, deutlich knapperen Geleitbrief für den Reichstag von 1532: RTA JR 10, Nr. 11 (S. 241–242). 329 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10183/5, fol. 2. 330 Zu den Vorbereitungen Karls auch: Luttenberger, Konfessionelle Parteilichkeit, S. 83–84. 331 Auf kursächsischer Seite wurde aber eine persönliche Teilnahme des Kurfürsten vorbereitet: Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), 139, fol. 10–64, 114–125.

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Der Reichstag in der Krise: 1530–1541

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Eröffnet wurde der Regensburger Reichstag332 am 5. April mit dem traditionellen Gottesdienst, an dem die protestierenden Stände, wie inzwischen üblich, nicht teilnahmen,333 und mit der Verlesung der Proposition.33⁴ In einer längeren Einleitung ließ Karl die vielfältigen Gründe schildern, die ihn seit dem lange zurückliegenden Reichstag von 1532 daran gehindert hätten, sich den Anliegen des Reichs gebührend zu widmen.33⁵ Trotz Krankheit habe er sich aber nach Regensburg begeben, um sich der dringenden Probleme des Reichs persönlich anzunehmen.33⁶ Als Hauptpunkte der Verhandlungen wurden zunächst die Vereinigung der Religion33⁷ und anschließend die Abwehr der Türken33⁸ genannt. Das aufwendig vorbereitete Religionsgespräch begann am 27. April. Ende Mai konnte dem Kaiser schließlich ein Ergebnisbericht vorgelegt werden, in dem jedoch neun Punkte noch immer unverglichen waren. Nach einem weiteren gescheiterten Vermittlungsversuch durch den brandenburgischen Kurfürsten und den Bischof von Konstanz versuchte Karl noch, die Stände wenigstens zur Annahme der verglichenen Artikel zu bewegen. Außerdem sollten auf Wunsch des Kaisers in den unverglichenen Punkten zukünftig die Meinungen beider Seiten toleriert werden. Aufgrund heftigen Widerstands unter den Ständen musste Karl aber auch diese Pläne aufgeben.33⁹ Der Reichstag von 1541 zeichnet sich durch eine völlige Lähmung des herkömmlichen Kuriensystems aus, wie sie sich schon 1530 und 1532 angebahnt hatte. Dies lag im Wesentlichen daran, dass sich die beiden konfessionellen Parteien weiterhin wichtigen Verfahrensprinzipien verweigerten, die ansonsten die Reichstagsverhandlungen geprägt hatten: So weigerten sich die evangelischen Stände, sich in bestimmten Fragen den Entschlüssen des Reichstags zu beugen. Die altgläubige Partei war nicht bereit, Beschlüsse nur im allgemeinen Konsens zu fällen. Die antievangelischen Stände um die Herzöge von Bayern lehnten es daher ab, mit den evangelischen Ständen überhaupt in einem Rat zu verhandeln, solange diese nicht 332 Der Reichstag von 1541 ist in der Reihe der Deutschen Reichstagsakten noch nicht ediert. Ein Protokoll der Mainzer Kanzlei befindet sich in: ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 7-2, fol. 2r–20r. Ein aus kursächsischer Feder stammender Bericht über den letzten Tagungsmonat befasst sich vornehmlich mit dem Reichstagsende aus protestantischer Perspektive und mit Partikularinteressen des Hauses Sachsen (und seiner Erbeinungsverwandten): Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), 140, fol. 369r–383r. Einzelquellen vor allem zum Religionsgespräch bietet: Ganzer/Mühlen, Akten der Reichsreligionsgespräche 3. 333 ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 7-2 , fol. 2r. 334 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10183/5, fol. 13r–22v, dort auf den 6. April datiert. 335 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10183/5, fol. 13v–18v. 336 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10183/5, fol. 19v–20r. 337 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10183/5, fol. 20r–20v. 338 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10183/5, fol. 21v–22r. 339 Ortmann, Reformation und Einheit, S. 236–241. Das Religionsgespräch und der Ausgang des Reichstags hatten aber Einfluss auf den Reformversuch Hermann von Wieds: Sommer, Hermann von Wied. Erzbischof und Kurfürst von Köln.

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Die Reichstage unter Karl V.

anerkannten, dass sie überstimmt werden konnten. Auf der anderen Seite blieben die protestierenden Stände auf ihrem Standpunkt, sich bei Religionsangelegenheiten und damit verbundenen Fragen nicht überstimmen zu lassen. In dieser Situation war nichts mehr übrig vom bestimmenden Gedanken der Reichsreform, die Verhandlungen der Stände vom Einfluss des Kaisers abzuschirmen. Allein der Kurfürstenrat unternahm noch ernstzunehmende Versuche, die drohende Spaltung abzuwenden.3⁴⁰ Karl V. bemühte sich vergeblich, nach dem Scheitern der von ihm stark beeinflussten Religionsgespräche den Reichstag wieder in die gewohnte Kurienform zu zwingen und die entstandenen Partikularräte zu unterbinden. Von den drei Kurien blieb jedoch nur die Städtekurie ungeteilt, da hier die ständische Solidarität der Freien und der Reichsstädte noch stärker wog als die konfessionelle Parteilichkeit.3⁴1 Seinen Missmut über die unnachgiebige Haltung der Parteien ließ Karl deutlich äußern, als sich am 21. Juli anlässlich der Anliegen des Herzogs von Jülich hinsichtlich des Herzogtums Geldern alle anwesenden Stände zusammenfanden, um den Kaiser um eine gütliche Einigung in dem Konflikt zu bitten. Die Stände wüssten, so ließ der Kaiser ihnen mitteilen, wie beschwerlich die Lage in der Religion, bei der Türkengefahr und in anderen Dingen sei. »Es hettenn sich aber Churfurstenn vnnd Stende niemals derhalben wöllen zusamenn findenn, Sonder hettenn sich alweeg gesundert, auch oft Inn gering sachenn.«3⁴2 Jetzt, da es um eine Sache gehe, die gegen den Kaiser gerichtet sei, sei auffällig, dass sie »eintrechtiglich mit einander kohmenn, vnnd sich nicht gesondert hetten«3⁴3. Um ein Scheitern des Reichstags zu verhindern, übernahm der Kaiser schließlich eine äußerst dominante Vermittlerrolle, als er gegen Ende der Reichsversammlung die Stände zu sich in seine Herberge rief.3⁴⁴ Hier ließ er sie zwar nach Konfessionsparteien getrennt beraten, setzte sie jedoch durch seine anwesenden Räte massiv unter Druck.3⁴⁵ Selbst in diesem Umfeld konnte er die Zustimmung der Stände zur geplanten Steuer nur durch separate geheime Deklarationen sichern. Bewilligt wurde eine eilende Hilfe in Form eines halben Romzugs auf drei bis vier Monate.3⁴⁶ Strittige Punkte hinsichtlich des Münzwesens wurden auf eine zukünftige Tagung verschoben, die in Speyer stattfinden sollte.3⁴⁷

340 Luttenberger, Konfessionelle Parteilichkeit, S. 77. 341 Ebd., S. 73–74. 342 Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), Nr. 138, fol. 248r. 343 Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), Nr. 138, fol. 248v. Vgl. hierzu auch den Bericht von Jakob Sturm: Winckelmann (Bearb.), Politische Korrespondenz 3, Nr. 203 (S. 202–205), S. 202. 344 Ebd., Nr. 203 (S. 202–205), S. 203–204. 345 Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), 140, fol. 371r–372v. Hierzu auch: Luttenberger, Konfessionelle Parteilichkeit, S. 94. 346 Senckenberg/Koch, Neue Sammlung, Bd. II, S. 437, § 44. 347 Ebd., II, S. 439, §§ 63–67.

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Vermittlung durch Ferdinand 1542–1543

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Die gesamte Vorgehensweise des Kaisers 1541 erinnert stark an die Hoftage des 15. Jahrhunderts. Die Uneinigkeit der Stände drängte ihn wieder in eine zentrale Rolle. Die Beratungen auf dem Reichstag von 1541 fanden demnach hauptsächlich in Partikularräten statt. Dabei setzte sich der Kaiser bisweilen für eine Reduzierung der Teilnehmer ein, etwa beim Religionsgespräch oder in Form des evangelischen Ausschusses, der die Schlussverhandlungen mit dem Kaiser führte.3⁴⁸

1.4 Vermittlung durch Ferdinand 1542–1543 Karls neue Initiative zur Lösung des Glaubenskonflikts war gescheitert, die benötigte Türkenhilfe nur durch geheime Zusagen an die beiden gegensätzlichen Parteien zustande gekommen. Der Gegensatz zwischen den Konfessionsparteien, der 1529 zum ersten Mal zutage getreten war, beschränkte seither die Durchführbarkeit von Reichstagen enorm. Auch wenn seitens der habsburgischen Brüder ein primäres Interesse an der Hilfe der Stände bei der Sicherung Ungarns bestand, war stets zu erwarten, dass die religiösen Parteien jegliche Zugeständnisse davon abhängig machen würden, inwiefern im Gegenzug auf ihre jeweiligen religionspolitischen Forderungen eingegangen würde. Die außenpolitische Lage erforderte aber Wege, die Religionsproblematik bei der Bewilligung neuer Steuern zu umgehen.

1.4.1 Der Speyerer Reichstag von 1542 Der Türkenkrieg nahm nach dem Regensburger Reichstag von 1541 keinen erfreulichen Verlauf für die Habsburger: Nachdem türkische Truppen die ungarischen Städte Ofen und Pest am 29. August 1541 eingenommen hatten, lief Ferdinand Gefahr, seinen gesamten verbliebenen Einfluss in Ungarn an die Osmanen zu verlieren. Die Regensburger Reichshilfe kam zu spät.3⁴⁹ Nach dem Reichstag war der Kaiser nach Italien gereist, um mit dem Papst zu verhandeln und anschließend nach Nordafrika aufzubrechen. Er sandte seinen Vizekanzler Dr. Naves zu Ferdinand, um die Umwandlung der geplanten Speyerer Versammlung in einen Reichstag zu besprechen, auf dem neue Gelder für den Krieg in Ungarn bewilligt werden sollten.3⁵⁰ Es war der erste Reichstag, der von Ferdinand als Römischer König ausgeschrieben wurde und nicht, wie bisher, im Namen Karls V. Die Sackgasse, in der die Reichspolitik wegen der Religionsspaltung steckte, wurde diesmal im Ausschreiben gar nicht erwähnt. Stattdessen stellte der Text die drohende Gefahr durch die Türken allein in den Mittelpunkt und nannte nur beiläufig die Mög-

348 Luttenberger, Konfessionelle Parteilichkeit, S. 85–88, 94. 349 Steglich, Die Reichstürkenhilfe in der Zeit Karls V., S. 50; Schweinzer-Burian, Einleitung zu RTA JR 12, S. 55. 350 Ebd., S. 56.

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lichkeit anderer Beratungsthemen.3⁵1 Ferdinand versuchte augenscheinlich, den Reichstag in Speyer so wenig wie möglich mit der Thematik zu belasten, die in Regensburg zur völligen Lähmung geführt hatte. Das seit langem immer wieder vorgeschlagene Projekt einer beharrlichen Hilfe sollte endlich wirksam umgesetzt werden. So sprachen die beiden Propositionen im Namen des Kaisers3⁵2 und König Ferdinands3⁵3 auch nur die Türkenhilfe als Verhandlungsthema an. Die Stände wurden stattdessen ausdrücklich ermahnt, nichts zu beraten und zu unternehmen, was die Türkenhilfe verzögern würde.3⁵⁴ In Vorbereitung für ihr Vorgehen gegen den Herzog von Braunschweig-Wolfenbüttel3⁵⁵ trafen sich die führenden protestantischen Fürsten im Oktober 1541 in Naumburg. Dort wurde nun auch eine gemeinsame politische Linie für den Reichstag abgesprochen. Sie sah vor, die beharrliche Türkenhilfe in großer Höhe zu genehmigen, jedoch nur unter einer Reihe von weitreichenden Bedingungen. Die wichtigste Forderung war ein mindestens zehn Jahre währender Friedstand.3⁵⁶ Moritz von Sachsen war der einzige der beteiligten Protestanten, der seine Reichstagsgesandten instruierte, die Türkenhilfe notfalls selbst ohne die geforderten Bedingungen zu genehmigen.3⁵⁷ Auch die Städte bereiteten sich in einer eigenen Versammlung auf den kommenden Reichstag vor. Der für die Entwicklung der Reichstage bedeutendste Beschluss des Speyerer Städtetags war die Verknüpfung der Steuerzusage mit der städtischen Forderung nach Session und Stimme im Reichsrat.3⁵⁸ Der schnellen Beschlussfassung des Reichstags standen daher zwei Hindernisse entgegen. Jedoch herrschte zur Notwendigkeit einer Türkenhilfe angesichts der beeindruckenden Erfolge der Türken ein genereller Konsens. So gelang es Ferdinand in Speyer, ein erneutes Zerbrechen der Reichstagsstruktur zu verhindern. Die Stände berieten zunächst vom 13. Februar an in den Kurien und ab dem 8. März bis zum 31. März in einem Großen Ausschuss über die Türkenhilfe.3⁵⁹ Mit der Einrich351 Im Ausschreiben Ferdinands heißt es, dass neben der Türkenhilfe »auch in andern puncten und artickeln vermög deß regenspurgischen reichsabschids statlich und ansehlich geratschlaget, gehandlt und entlich beschlossen werden möge, wie dann solhes die hoch und unvermeidlich notturft erfordert«: RTA JR 12, Nr. 1 (S. 72–74), S. 73. 352 Ebd., Nr. 42 (S. 238–244). 353 Ebd., Nr. 43 (S. 245–250). 354 Die Stände sollten »iren entschluß und bewilligung, sovil indert muglich ist, furdern und in sollichem khain stund noch zeit verlieren, sonder alles das, so etwo der sachen zu verzug oder lengerung ursach geben möchte, umbgeen und vermeiden«: Ebd., Nr. 42 (S. 238–244), S. 244. 355 Vertrag gedruckt bei: Brandenburg (Hg.), Politische Korrespondenz I, Nr. 228 (S. 225–231). Vgl.: Lenz (Hg.), Briefwechsel Landgraf Philipp’s des Großmütigen von Hessen mit Bucer, 3, S. 154–160; Schweinzer-Burian, Einleitung zu RTA JR 12, S. 56–58. 356 Lenz (Hg.), Briefwechsel Landgraf Philipp’s des Großmütigen von Hessen mit Bucer, 3, Nr. 1 (S. 161–167), S. 162. 357 RTA JR 12, Nr. 22 (S. 182–184). 358 Schmidt, Städtetag in der Reichsverfassung, S. 278–279. 359 Schweinzer-Burian, Einleitung zu RTA JR 12, S. 62–64.

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Vermittlung durch Ferdinand 1542–1543

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tung eines kurienübergreifenden Ausschusses kamen die Stände der Forderung der Städte nach Beteiligung entgegen, da im Ausschuss zwei städtische Vertreter zugelassen waren.3⁶⁰ Neben den eigentlichen Reichstagsverhandlungen traf sich die protestantische Partei jedoch weiterhin zur Abstimmung der eigenen Politik oder zu separaten Verhandlungen mit Ferdinand und den Kommissaren.3⁶1 Die altgläubigen Stände versammelten sich ebenfalls zu partikularen Beratungen.3⁶2 Eine Besonderheit stellten die Kreisversammlungen dar, die parallel zum Reichstag einberufen wurden: Der für den Türkenkrieg vorgesehene Anführer der Reichstruppen, der Kurfürst von Brandenburg, hatte gefordert, dass die Kriegsräte, die ihm die Reichskreise zu stellen hatten, nicht erst auf zukünftigen Kreistagen benannt werden sollten. Der Kurfürst fürchtete vermutlich nicht grundlos, dass eine solche Regelung die Benennung enorm verzögern würde. Deshalb berieten sich noch während des Reichstags die Stände in separaten Versammlungen ihrer jeweiligen Kreise.3⁶3 Ein Auseinandergehen der Stände zu getrennten Kreistagen während eines Reichstags gab es 1542 anscheinend zum ersten Mal. Eine Gesandtschaft des französischen Königs versuchte, mit einer längeren lateinischen Rede vor König, Kommissaren und Ständen den Reichstag von einem Türkenfeldzug abzubringen.3⁶⁴ Im Gegenzug baten die Stände die Gesandten um Stellungnahme zu mehreren Artikeln.3⁶⁵ Die Franzosen reisten aber schon vor einer offiziellen Antwort ab, da die Erfolglosigkeit ihrer Mission anscheinend offensichtlich war.3⁶⁶ Ein Brief ihres Königs an die Stände erreichte darauf den Tagungsort zu spät und ging ungeöffnet zurück.3⁶⁷ Der päpstliche Nuntius Morone3⁶⁸ unterbreitete den Ständen die Bereitschaft des Papstes zu einem Konzil und eine Auswahl möglicher Konzilsorte, die Paul III. in Anbetracht seines hohen Alters noch erreichen könne.3⁶⁹ Die evangelischen Stände protestierten gegen die Einberufung eines Konzils durch den Papst.3⁷⁰ Zur Verwirklichung einer beharrlichen Hilfe wurde wieder auf das Konzept des Gemeinen Pfennigs3⁷1 zurückgegriffen.3⁷2 Diese Finanzierungsart sollte die 360 RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 366. 361 Ebd., Nr. 46 (S. 329–343), S. 333, 338–339, 340–341; Nr. 47 (S. 343–380), S. 354, 372, 375; Nr. 120 (S. 718–734); Nr. 122 (S. 736–743). 362 Ebd., Nr. 141 (S. 807). 363 Ebd., Nr. 46 (S. 329–343), S. 336–337. 364 Ebd., Nr. 47 (S. 343–380), S. 355–357; Nr. 120 (S. 850–860). 365 Ebd., Nr. 48 (S. 481–404), S. 390–391. 366 Luttenberger, Karl V., Frankreich und der deutsche Reichstag, S. 198–200. 367 Ebd., S. 202. 368 Schweinzer, Ringen um Konzil und Kirchenreform. 369 RTA JR 12, Nr. 153 (S. 839–842). 370 Ebd., Nr. 154 (S. 842–843). 371 Zu den konkurrierenden Steuerkonzepten von Matrikel und Gemeinem Pfennig (mit weiteren Literaturangaben): Lanzinner, Der Gemeine Pfennig, eine richtungsweisende Steuerreform?; Moraw, Der »Gemeine Pfennig«. Zum Gemeinen Pfennig von 1495: Schmid, Der Gemeine Pfennig von 1495. 372 RTA JR 12, Nr. 285 (S. 1168–1210), § 50, S. 1182.

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Stände entlasten und eine Diskussion um die Anschlagsgerechtigkeit der Wormser Matrikel umgehen. Man plante, die geforderten Truppen zunächst über die Kreise nach der gewohnten Matrikel zu bezahlen und die den Ständen entstandenen Kosten nach der Einnahme des Gemeinen Pfennigs zu begleichen. Zur Umsetzung der Steuer wurde für den Sommer ein weiterer Reichstag angesetzt.3⁷3 Gleichzeitig mit der Türkenverhandlung fanden Gespräche zu den evangelischen Forderungen statt, die wieder auf erheblichen Widerstand der bayerisch geführten altgläubigen Partei trafen.3⁷⁴ Ferdinand kam nicht umhin, die Annahme des Abschieds durch teilweise widersprüchliche Deklarationen3⁷⁵ zu erwirken. In dieser Hinsicht ähnelte der Reichstag von Speyer stark dem Regensburger Reichstag vom Vorjahr. Ferdinand nutzte bei den Verhandlungen den Umstand, dass sein Bruder abwesend war, als Argument. Der Reichstag sei allein wegen der Türkengefahr ausgeschrieben worden und für weitreichende Verhandlungen zur Religionssache sei Ferdinand nicht instruiert. Er verwies auf die Ergebnisse des Regensburger Reichstags.3⁷⁶ Schließlich wurden den Evangelischen fünf Jahre Friedstand nach Ende des Türkenzuges zugesagt.3⁷⁷ Auch die Städte konnten ihre Forderung nicht voll durchsetzen, ließen sich aber vom König und den kaiserlichen Kommissaren ihre Vorbehalte beurkunden.3⁷⁸ Der Speyerer Abschied von 1542 war der erste, der von Ferdinand ausgestellt wurde.3⁷⁹

1.4.2 Der Nürnberger Reichstag von 1542 Der zweite Reichstag von 1542 verlief im Wesentlichen anders als geplant. Die Erhebung des Gemeinen Pfennigs war nicht flächendeckend erfolgt und hatte die Erwartungen enttäuscht. Gleichzeitig waren die Reichstruppen in Ungarn stark unterfinanziert und das Heer unter Kurfürst Joachim II. drohte, sich aufzulösen.3⁸⁰ Zudem brach der Krieg zwischen Habsburg und dem französischen König wieder aus. Im Reich fand während des Nürnberger Reichstags der Feldzug der Schmalkaldener gegen den Herzog von Braunschweig statt.3⁸1

373 RTA JR 12, Nr. 285 (S. 1168–1210), §§ 118–120, S. 1197–1198. 374 Zu den Verhandlungen über Religion, Friede und Recht: Schweinzer-Burian, Einleitung zu RTA JR 12, S. 65–66. 375 RTA JR 12, Nr. 148 (S. 818-820); Nr. 149 (S. 820-821). 376 Ebd. Nr. 131 (S. 775–778). Zu den eingeschränkten religionspolitischen Möglichkeiten Ferdinands: Roll, Kaiserlose Zeiten, S. 287–288. 377 RTA JR 12, Nr. 285 (S. 1168–1210), §§ 130–133, S. 1201–1202. 378 Ebd., Nr. 119 (S. 709–711). 379 Ebd., Nr. 285 (S. 1168–1210), S. 1168. 380 Schweinzer-Burian, Einleitung zu RTA JR 13, S. 80. 381 Haug-Moritz, Wolfenbütteler Krieg.

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Der Reichstag sollte in erster Linie die Finanzierung der Reichstruppen sicherstellen. Die Durchführung des Reichstags überließ der Kaiser in allen Einzelheiten seinem Bruder. Dieser eröffnete den Reichstag am 24. Juli, obwohl kaum Reichsstände eingetroffen waren, und brachte in der Proposition3⁸2 wieder nur die Türkenhilfe und die militärische Lage zur Sprache. Diesmal kam es auch nicht, wie zuvor in Speyer und Regensburg, zu einer generellen Ausweitung der Verhandlungen auf die Probleme, die sich aus der Glaubensspaltung ergeben hatten. Obwohl Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen seine Gesandten ausdrücklich instruierte, keine reguläre Kurieneinteilung zu akzeptieren und auf Partikularräten zu bestehen,3⁸3 wurde der Reichstag im Kuriensystem abgehalten. Allein bei der Beratung zur Reichsgesandtschaft zu den Konfliktparteien im Streit um Braunschweig-Wolfenbüttel und bei den Vermittlungsversuchen zwischen dem Schmalkaldischen Bund und Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel wurden die Stände, die zu einer der Streitparteien gehörten, von den Beratungen ausgeschlossen.3⁸⁴ Wie auch auf früheren Reichstagen üblich, wurden wieder kurienübergreifende Ausschüsse wie der für Supplikationen3⁸⁵ und der zur Formulierung des Reichsabschieds3⁸⁶ eingesetzt. Der Reichstag dauerte nur fünf Wochen und endete mit Zusagen der oberen Kurien zu weiteren Zahlungen sowohl in Form der alten Matrikelanlage3⁸⁷ als auch in Form der Erhebung eines neuen Gemeinen Pfennigs3⁸⁸. Die Städte lehnten den Abschied jedoch ab und protestierten gegen ihren Ausschluss von den Verhandlungen und die in ihren Augen ungerechte Besteuerung.3⁸⁹ Die starke Einbindung der Reichskreise in die Erhebung des Gemeinen Pfennigs und in die Stellung von Truppenkontingenten führte auch diesmal zu einzelnen Kreistagungen während des Reichstags3⁹⁰ und unmittelbar danach.3⁹1 Im Anschluss an die Verlesung des Abschieds reiste Ferdinand wieder in Richtung des Heerlagers ab.3⁹2

382 RTA JR 13, Nr. 18 (S. 158–166). 383 In der Instruktion heißt es, die kursächsischen Räte sollten »bei andern confession- und zuforderst einungsverwanten dahin richten, das sie beieinander pleiben und steen und sich in den gemeinen reichsrath und session nicht einteilen lassen«: Ebd., Nr. 25 (S. 191–203), S. 198. 384 Ebd., Nr. 61 (S. 431–438), S. 434. 385 Ebd., S. 454. 386 Ebd., Nr. 55 (S. 298–394), S. 379–382. 387 Ebd., Nr. 198 (S. 884–902), § 20, S. 890–891. 388 Ebd., Nr. 198 (S. 884–902), § 25, S. 892. 389 Ebd., Nr. 199 (S. 904–909). 390 Ebd., Nr. 61 (S. 431–438), S. 434, 435–436; Nr. 57 (S. 395–408), S. 403. 391 Ebd., RTA JR 13, Nr. 57 (S. 395–408), S. 407. 392 Ebd.

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Die Reichstage unter Karl V.

1.4.3 Der Nürnberger Reichstag von 1543 Die weiteren Ereignisse ließen auch den kommenden Reichstag3⁹3 wieder zu einem »Türkenreichstag«3⁹⁴ werden. Das Reich und auch das Herrschaftssystem der Habsburger befanden sich in einer kritischen, angespannten Lage. Der Sultan hatte sich mit dem französischen König gegen die Habsburger verbündet, wodurch die beiden stärksten Gegner Habsburgs nun miteinander kooperierten. Karl musste mit französischen Angriffen in Italien, in den spanischen Königreichen und in den Niederlanden rechnen und konnte die iberische Halbinsel wegen der französischen Bedrohung Navarras lange nicht verlassen.3⁹⁵ Ferdinand konnte in Ungarn kaum mit Karls Hilfe rechnen.3⁹⁶ Das Heer in Ungarn litt weiterhin an starker Unterfinanzierung.3⁹⁷ Das geschlagene Reichsheer löste sich auf.3⁹⁸ Parallel dazu hatte sich auch die Lage innerhalb des Reichs angespannt. Der Konflikt um die Erbfolge in Geldern zwischen Karl V. und dem von Frankreich unterstützten Herzog Wilhelm V. von Jülich, Kleve und Berg war noch immer ungelöst.3⁹⁹ Während der Erbstreit auf eine gewaltsame Lösung zusteuerte, fand Herzog Wilhelm Sympathien bei vielen Reichsständen. Selbst eine Unterstützung durch den Schmal393 Der Reichstag von 1543 ist in der Reihe der Deutschen Reichstagsakten noch nicht ediert. In den kurmainzischen Reichstagsakten (ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 8-3) und denen der Reichskanzlei (ÖStA HHStA Wien, RK RTA, 11-3) befindet sich kein Protokoll. Ein Protokoll aus dem Kurfürstenrat existiert anscheinend nicht. Überprüft wurden: Kurpfalz (HStA München, Kasten blau, 104/5 AB) und Kursachsen (Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E [Reichstage], 148, 149 [hier kürzere Berichte zu einzelnen Tagen], 150.) Ein Bericht des Gesandten Herzog Albrechts von Preußen liegt gedruckt vor: Bezzenberger (Hg.), Berichte, Nr. 13 (S. 29–53). Ausführliche Berichtsprotokolle fürstlicher Gesandtschaften befinden sich in Stuttgart (HStA Stuttgart, A 262, Bü. 21, fol. 1r–21v) und Würzburg (StA Würzburg, Würzburger RTA, 21, fol. 1r–16v). Ein Bericht von Pfalz-Neuburg setzt in der zweiten Februarhälfte ein (HStA München, Kasten blau, 271/4, fol. 10r–19r). Von Tetleben stammen einige verstreute Aufzeichnungen (StA Hannover, Hild. Br.1, Nr. 80, fol. 211rv, 176r–177r, 779r, 786r–787r, 783r–786r, 592r–593r, 301rv). Eine Übersicht über die politischen Umstände des Reichstags bietet: Heidrich, Karl und die Protestanten, Teil 1. Zu den Auswirkungen dieser auf das Reichstagsverfahren: Edelmayer, Kursachsen, Hessen und der Nürnberger Reichstag von 1543. 394 Ebd., S. 190. 395 Kohler, Karl V. 1500–1558, S. 277–280. 396 Ders., Ferdinand I. 1503–1564, S. 213–215. 397 ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 8-3, fol. 8rv, 10r–14v. 398 Steglich, Die Reichstürkenhilfe in der Zeit Karls V., S. 53. Berichte über den Türkenkrieg: Meyer, Die Feldhauptmannschaft Joachims II. im Türkenkriege von 1542; Traut, Kurfürst Joachim II. von Brandenburg und der Türkenfeldzug vom Jahre 1542. 399 Einen knappen Überblick über den geldrischen Erbfolgestreit bieten: Finger, Geldern an der Schwelle, S. 93–94; Jahn, Der Geldrische Erbfolgestreit (1538–1543); Janssen, Die Geschichte Gelderns bis zum Traktat von Venlo (1543), S. 23–25; ders., Geschichte Gelderns, S. 19–22. Zur Rolle Philipps von Hessen: Petri, Nordwestdeutschland im Wechselspiel der Politik Karls V. und Philipps des Großmütigen von Hessen. Ausführlich aus der älteren Forschung: Crescelius, Der Geldrische Erbfolgestreit zwischen Kaiser Karl V. und Herzog Wilhelm von Jülich, Berg und Cleve (1538–1543); Heidrich, Der geldrische Erbfolgestreit 1537–1543.

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kaldischen Bund wurde zeitweise in Erwägung gezogen.⁴⁰⁰ Auch war der Streit zwischen Herzog Heinrich II. von Braunschweig-Wolfenbüttel und den Städten Goslar und Braunschweig eskaliert. Truppen des Schmalkaldischen Bündnisses hatten während des letzten Nürnberger Reichstags das Herzogtum besetzt und Herzog Heinrich vertrieben. Das militärische Vorgehen der schmalkaldischen Stände gegen einen anderen Reichsfürsten konnte sowohl als Hilfe für ihren Bundesgenossen gegen einen Aggressor als auch als Bruch des Landfriedens aufgefasst werden. Die Kriegshandlungen boten somit einen möglichen Anlass für ein militärisches Eingreifen. Dementsprechend fürchteten sich die schmalkaldischen Stände vor Angriffen der Habsburger.⁴⁰1 Ursprünglich war vorgesehen, dass 1543 die wegen der Dringlichkeit der Türkengefahr nicht abschließend beratenen Themen des letzten Reichstags behandelt werden sollten. Wegen der drohenden Gefahr eines Angriffs des Sultans und der spärlichen Umsetzung der bisherigen Hilfe beschränkte sich Ferdinand in seiner Proposition aber wieder darauf, um Hilfe gegen die Türken zu bitten. Die Religionsproblematik blieb dagegen zunächst ausgeklammert.⁴⁰2 Der Reichstag befasste sich jedoch nicht ausschließlich mit der türkischen Bedrohung. Das Bündnis von Sultan und französischem König setzte die Habsburger unter Druck. Deshalb warb Granvelle im Namen Karls auch um Unterstützung des Reichs für die Niederlande.⁴⁰3 Neben österreichischen und ungarischen Gesandten⁴⁰⁴ wandten sich auch wieder Vertreter des französischen Königs an die Stände. Letztere überbrachten ein Rechtfertigungsschreiben.⁴⁰⁵ Außerdem wurde in Nürnberg die Haltung der Reichsstände zum geldrischen Erbfolgestreit besprochen.⁴⁰⁶ Die vielseitig angespannte politische Ausgangssituation wirkte sich deutlich auf das Verfahren des Nürnberger Reichstags von 1543 aus. Die politische Spaltung des Reichs konnte auf diesem Reichstag nicht wieder überbrückt werden. Stattdessen äußerte sie sich noch deutlicher als 1541 in Regensburg. Dafür war ausschlaggebend, dass der Schmalkaldische Bund wegen der Besetzung des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel ein hohes Interesse an einer Neubesetzung des Reichskammergerichts und an einer reichsrechtlichen Absicherung der Protestanten hatte. Die Notlage, in der sich Ferdinand befand, und die Abwesenheit des Kaisers sollten ausgenutzt werden, um dauerhaft günstige Zusicherungen zu erzwingen.⁴⁰⁷ Auf diese Weise sollte noch vor einer Rückkehr des Kaisers ins Reich die Gefahr 400 Jahn, Der Geldrische Erbfolgestreit (1538–1543), S. 64. 401 Edelmayer, Kursachsen, Hessen und der Nürnberger Reichstag von 1543, S. 196–198. 402 Proposition vom 30. Januar: ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 8-3 fol. 1r–7v; Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), Nr. 150, fol. 159r–163r; HStA München, Kurbayern Äußeres Archiv, 3159, fol. 1r–4r. 403 Heidrich, Karl und die Protestanten, Teil 1, S. 118. 404 Ebd., S. 121. 405 ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 8-3, fol. 186r–186(b)r. StA Würzburg, Würzburger RTA, 21, fol. 10v. 406 ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 8-3, fol. 216–402v. 407 Edelmayer, Kursachsen, Hessen und der Nürnberger Reichstag von 1543, S. 195–198.

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Die Reichstage unter Karl V.

eines Kriegs gemindert werden. Zu diesem Zweck bemühten sich die schmalkaldischen Führungsstände Kursachsen und Hessen darum, alle Protestanten zu einer geschlossenen politischen Front zu vereinen. Auf dem Reichstag versuchten sie, ihre Teilnahme an den Sitzungen von der Erfüllung ihrer Forderungen abhängig zu machen.⁴⁰⁸ In einer unmittelbar nach Eröffnung des Reichstags Ferdinand übergebenen Schrift formulierten sie ihre Bedingungen.⁴⁰⁹ Sie hofften, Ferdinand würde wegen der Türkengefahr bei den altgläubigen Ständen Zugeständnisse durchsetzen, um auch mit den Türkensteuern der Evangelischen rechnen zu können. Diese Politik scheiterte aber an der ebenfalls unbeugsamen Haltung der antievangelischen Partei unter Führung des bayrischen Rats Dr. Eck⁴1⁰. Den Protestanten gelang es nicht, ihre Forderungen zu einem ernsthaft behandelten Verhandlungsgegenstand zu machen. Im Gegenzug unterließen die Parteigänger Kursachsens und Hessens jede Beteiligung an den Beratungen zur Türkenhilfe.⁴11 Die bayerische Partei weigerte sich entschieden, auf Vermittlungsversuche Ferdinands einzugehen. Auch zeigten die altgläubigen Stände keine Bereitschaft zu einer weiteren Offensive gegen die Türken.⁴12 Statt einer Rückeroberung Ungarns sollte nur noch die Befestigung der Grenzen finanziert werden.⁴13 Schließlich brachte der Geldern-Konflikt kurzzeitig etwas Bewegung in die festgefahrene Situation, indem die Gesandtschaft Jülich-Kleves die Protestanten um Vermittlung bat. Auch hieß es, unter den altgläubigen Ständen gebe es viele, die einen Kompromiss mit den Evangelischen wünschten.⁴1⁴ Deshalb erschienen die evangelischen Stände in den Kurien und verbanden ihre Forderungen nach Frieden und Recht mit dem Anliegen der jülich-klevischen Gesandtschaft um Vermittlung im Konflikt mit den Habsburgern. So gelang es ihnen, dass sich der sonst altgläubig dominierte Fürstenrat mehrheitlich dafür aussprach, vor der Bewilligung der Türkenhilfe zunächst für Frieden und Recht im Reich sowie für Steuergerechtigkeit zu sorgen.⁴1⁵ Obwohl sich kurz darauf auch der Kurfürstenrat willig zeigte, diesem Anliegen nachzukommen und ein Vermittlungsausschuss zu Geldern gebildet werden sollte, initiierten nun die Gegner der Protestanten um Dr. Eck einen eigenen Partikularrat, der über die Bewilligung der Türkenhilfe beriet und die restlichen Stände erst im Nachhinein informierte. Es war das erste Mal, dass sich die Altgläubigen bewusst von den Kurienverhandlungen separierten 408 Edelmayer, Kursachsen, Hessen und der Nürnberger Reichstag von 1543, S. 198–202. 409 ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 8-3, fol. 51r–64v; Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), 149, fol. 368r–385v. 410 Obwohl Leonhard von Eck lange Zeit die bayerische Politik bestimmte, war er nie, wie ihm bisweilen unterstellt wrid, bayerischer Kanzler: Metzger, Leonhard von Eck, S. 11. Zur offiziellen Stellung Ecks am bayerischen Hof: S. 11-15. 411 Edelmayer, Kursachsen, Hessen und der Nürnberger Reichstag von 1543, S. 204–211. 412 ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 8-3, fol. 16r–20r, 27r–40r. 413 Steglich, Die Reichstürkenhilfe in der Zeit Karls V., S. 53. 414 Edelmayer, Kursachsen, Hessen und der Nürnberger Reichstag von 1543, S. 216. 415 Ders., Kursachsen, Hessen und der Nürnberger Reichstag von 1543, S. 216–217; Heidrich, Karl und die Protestanten, Teil 1, S. 129–130.

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Zwischen Krieg und Vermittlung: 1544–1546

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und einen zuvor gefällten Mehrheitsbeschluss ablehnten. Eine Überwindung der Gegensätze konnte nicht mehr erzielt werden. So endeten die Beratungen in einer Sackgasse. Schließlich wurde die von den altgläubigen Ständen bewilligte defensive Hilfe in den Abschied⁴1⁶ aufgenommen. Als dieser verlesen wurde, protestierten die Evangelischen und alle Städte gegen den Abschied und erklärten, sie sähen sich nicht an ihn gebunden.⁴1⁷ Erst die Ankunft des Kaisers im Reich und sein rascher militärischer Erfolg gegen Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg veranlassten die Schmalkaldener, ihre Türkenhilfe als Partikularhilfe zu leisten.⁴1⁸ Ähnlich wie schon der Reichstag von 1541 war der Nürnberger Reichstag von 1543 somit an den konfessionellen Gegensätzen unter den Ständen gescheitert und hatte sich in Partikularräte aufgespalten, deren einzelne Forderungen nicht miteinander in Einklang zu bringen waren. Anders als auf den Reichstagen von 1532 und 1541 lag das Scheitern des Reichstags 1543 aber nicht daran, dass kaiserliche Kompromissbereitschaft auf die Unnachgiebigkeit altgläubiger Stände traf. Die Abwesenheit der kaiserlichen Macht und die außenpolitisch schwierige Lage der Habsburger ermunterten diesmal die schmalkaldische Partei zur Unnachgiebigkeit bei ihrer Forderung nach Friedenszusagen. Das protestantische Bündnis scheiterte jedoch erneut am Widerstand seiner Gegner. Der Reichstag von 1543 veranschaulicht deshalb, wie sehr das Gelingen einer Reichsversammlung vom generellen Konsenswillen der Beteiligten oder zumindest von der Präsenz einer starken, vermittelnden Autorität abhing. Waren relevante beteiligte Stände nicht zur Einigung bereit, gelang es dem Reichstagsverfahren nicht, anerkannte Beschlüsse zu generieren. Dies zeigt sich deutlich am Verhalten Bayerns, das im Zweifelsfall sogar bereit war, die Reichstagsmehrheit zu ignorieren, um einen Kompromiss mit den evangelischen Ständen zu verhindern.

1.5 Zwischen Krieg und Vermittlung: 1544–1546 Der Reichstag von 1543 markiert einen weiteren Tiefpunkt: Die Erwartungen der konfessionellen Parteien hatten sich wieder äußerst verhärtet gegenüber gestanden und Ferdinand war es nicht gelungen, einen Ausgleich zu erzielen. Ein Reichstag mit allgemein anerkanntem Ergebnis war unter diesen Umständen unmöglich. Nach seinen italienischen Siegen 1543 konnte sich Karl wieder vermehrt dem Reich zuwenden. Eher ist es der Autorität des anwesenden Kaisers und weniger inhaltlichen Fortschritten geschuldet, dass in den Folgejahren weitere Reichstage stattfinden konnten. Der Gegensatz in der Religionsfrage blieb dabei das wesentliche Hindernis.

416 Senckenberg/Koch, Neue Sammlung, S. 482–494. 417 Heidrich, Karl und die Protestanten, Teil 1, S. 146–147. 418 Eltz, Einleitung zu RTA JR 15, S. 98–109; Edelmayer, Kursachsen, Hessen und der Nürnberger Reichstag von 1543, S. 218–219.

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Die Reichstage unter Karl V.

1.5.1 Der Speyerer Reichstag von 1544 Die Rückkehr des Kaisers ins Reich und seine starke militärische Präsenz veränderten die politischen Kräfteverhältnisse. Der folgende Reichstag in Speyer wurde nun von der Autorität Karls dominiert. Der gemeinsame Angriff Frankreichs und der Türken auf die Habsburger trug ebenfalls dazu bei, die Akzeptanz einer umfangreichen Hilfe unter den Reichsständen zu fördern. Dem Kaiser musste es darum gehen, nach dem Sieg am Niederrhein nun auch den Krieg mit Frankreich siegreich zu beenden. In der aktuellen Situation war an eine militärische Lösung des Religionskonflikts ohnehin nicht zu denken. Deshalb zeigte sich Karl 1544 den Protestanten gegenüber außerordentlich kompromissbereit, was aufseiten der Protestanten auch vermerkt wurde: Der Kaiser zeige, schrieb die Straßburger Gesandtschaft ihren Auftraggebern, den Evangelischen gegenüber so viel Entgegenkommen, wie es ihm nur möglich gewesen sei.⁴1⁹ Ende Mai 1543 hatte Karl den Speyerer Reichstag noch in Genua auf den letzten Novembertag ausgeschrieben.⁴2⁰ Erst am 23. November schrieb er den Ständen, dass die militärischen Gegebenheiten im Kampf gegen Frankreich seine Ankunft in Speyer mindestens bis zum 10. Januar verzögern würden.⁴21 Statt den Reichstag zu verschieben, versuchte Karl, ihn zeitlich in zwei Abschnitte zu teilen: Zunächst sollten von ihm ausgesandte Kommissare in Speyer mit den Ständen verhandeln und dabei über all die in seinen Augen unwichtigeren Verhandlungspunkte beraten, die auf den bisherigen Reichstagen zu kurz gekommen waren, wie die Steuergerechtigkeit, das Münzwesen und verschiedene Sessionsfragen. Bei Karls Ankunft sollte sich der Reichstag dann den aus seiner Sicht wichtigeren Punkten widmen können. Dieses Vorhaben scheiterte aber, denn die meisten Reichsstände zögerten die Beschickung des Reichstags hinaus und die bereits eingetroffenen Stände lehnten eine Beratung der in ihren Augen nicht unwichtigen Nebenpunkte im kleinen Kreis vor der eigentlichen Proposition ab. Selbst bei der Ankunft des Kaisers, die sich bis zum 30. Januar hinauszögerte, waren noch kaum Stände anwesend.⁴22 Erst am 20. Februar konnte der Reichstag mit der Verlesung der kaiserlichen⁴23 und der königlichen⁴2⁴ Proposition eröffnet werden.⁴2⁵ Bald zeigte sich wieder die poltische Spaltung des Reichstags, als die evangelischen Stände es wie im Vorjahr erneut ablehnten, an den Sitzungen der Kurien teilzunehmen, wenn nicht zunächst ihre Forderungen nach einem ausreichenden Friedstand erfüllt seien. Auf der anderen Seite wollten die restlichen Stände die Religionsangelegenheit verschieben.⁴2⁶ Es kam zunächst wieder zu nach Kon419 420 421 422 423 424 425 426

Winckelmann (Bearb.), Politische Korrespondenz 3, Nr. 474 (S. 504–507), S. 505. RTA JR 15, Nr. 1 (S. 151–153). Ebd., Nr. 10 (S. 165–167). Eltz, Einleitung zu RTA JR 15, S. 111–114. RTA JR 15, Nr. 74 (S. 353–362). Ebd., Nr. 77 (S. 370–376). Ebd., Nr. 83 (742–793), S. 754–759. Eltz, Einleitung zu RTA JR 15, 119, Anm. 267.

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fessionszugehörigkeit getrennten Partikularverhandlungen, die Karl schließlich mit dem Vorschlag unterbinden konnte, die evangelischen Stände sollten sich an den Beratungen zur Türkenhilfe zunächst vorbehaltlich einer Friedensregelung beteiligen.⁴2⁷ Anfang Mai befahl der Kaiser den Kurfürsten von der Pfalz und von Brandenburg, ihm einen Vorschlag für einen Frieden zu unterbreiten, der in den Abschied übernommen werden könne. Auf deren Bitten hin wurden diesem Vermittlungsausschuss auch noch Räte seitens des Kaisers und des Königs zugeordnet.⁴2⁸ Auf Basis des Vorschlags des Vermittlungsausschusses wurde in Verhandlungen mit Protestanten und Altgläubigen tatsächlich ein Frieden ausgearbeitet,⁴2⁹ der in den Abschied aufgenommen wurde.⁴3⁰ Dies geschah jedoch nicht durch Anerkennung aller Stände, sondern allein durch kaiserliche Machtvollkommenheit. Da das erhoffte Konzil noch nicht absehbar war, sollte noch im selben Jahr ein einzuberufender Reichstag eine »freündtliche und christliche vergleichung«⁴31 der Religion anstreben. Durch diese Formulierung vermied man den Eindruck, die evangelischen Stände müssten sich dabei der Mehrheit beugen.⁴32 Keine Lösungen waren hingegen zur Besetzung des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel⁴33 und der Reform des Reichskammergerichts⁴3⁴ gefunden worden. Die Verhandlungen in Speyer waren wieder durch eine Reihe von Ausschüssen und Unterausschüssen geprägt, die größtenteils auch kurienübergreifend arbeiteten.⁴3⁵ Trotz der Überreichung ihrer juristisch sorgfältig formulierten Beschwerdeschrift⁴3⁶ an den Kaiser konnte sich die Städtekurie mit ihren Forderungen nach einer gleichberechtigten Teilhabe an den Verhandlungen nicht durchsetzen.⁴3⁷ Für die kriegerischen Ambitionen des Kaisers war der Reichstag ein Erfolg: Die Stände bewilligten neben umfangreichen Hilfen gegen die Türken auch Mittel zur Bekämpfung Frankreichs.⁴3⁸ Durch sein Bündnis mit den Türken hatte der französische König sein Ansehen unter den Reichsständen verspielt. Einer französischen Gesandtschaft wurde das Geleit verwehrt und ein am Reichstagsort auftauchender französischer Herold unter Drohungen fortgeschickt.⁴3⁹ Dagegen wurden eine ungarische und eine niederösterreichische Gesandtschaft angehört.⁴⁴⁰ 427 428 429 430 431 432 433 434 435 436 437

Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede, S. 265–266. RTA JR 15, Nr. 85 (S. 845–890), S. 845. Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede, S. 267–290. RTA JR 15, Nr. 565 (S. 2244–2285), §§ 76–98, S. 2269–2276. Ebd., § 80, S. 2271. Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede, S. 272. Eltz, Einleitung zu RTA JR 15, S. 138–142, 145. RTA JR 15, Nr. 565 (S. 2244–2285), § 92, S. 2274–2275. Eine Übersicht zu den Ausschüssen befindet sich in: RTA JR 15, S. 2301–2304. Ebd., Nr. 103 (S. 976–991). Schmidt, Städtetag in der Reichsverfassung, S. 284–286; Isenmann, Reichsstadt und Reich an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit, S. 159–162; Eltz, Einleitung zu RTA JR 15, S. 124–127. 438 RTA JR 15, Nr. 565 (S. 2244–2285), § 5–73, S. 2247–2268. 439 Eltz, Einleitung zu RTA JR 15, S. 115. 440 RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 769–770.

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1.5.2 Der Wormser Reichstag von 1545 Der Reichstag von 1545 sollte eine Reihe von Themen behandeln, die auf dem Speyerer Reichstag ausgeklammert oder nicht abschließend verhandelt worden waren. Angesichts der theologischen Zerwürfnisse und der politischen Gegebenheiten war das Vorhaben illusorisch, auf diesem Reichstag eine interimistische Lösung der Glaubensspaltung auf Basis erneuter Religionsgespräche zu finden.⁴⁴1 Zur Bewältigung der Materie war vorgesehen, gleichzeitig zum Reichstag einen Reichskreistag⁴⁴2 abzuhalten.⁴⁴3 Dieser sollte aus vier Räten pro Reichskreis bestehen und eine gerechtere Steuermatrikel ausarbeiten. Dieser Moderationstag⁴⁴⁴ sollte somit den Reichstag entlasten. Wie auch beim Speyerer Reichstag kamen die Beratungen jedoch nicht pünktlich in Gang. Sowohl für den Reichstag als auch für den Moderationstag war ursprünglich der 1. Oktober 1544 als Eröffnungstag vorgesehen gewesen. Als der zuständige kaiserliche Kommissar am 28. Oktober schließlich den Reichskreistag eröffnete, waren nur wenige Räte anwesend.⁴⁴⁵ Die Eröffnung des Reichstags erfolgte erst am 15. Dezember.⁴⁴⁶ Da aber immer noch kaum Reichsstände zugegen waren, einigten sich die Stände mit den Kommissaren darauf, mit den Beratungen zur Proposition zu warten.⁴⁴⁷ Am 12. Januar begannen schließlich Verhandlungen über die Reichsmünzordnung in einem kurienübergreifenden Ausschuss.⁴⁴⁸ Wegen der Gichterkrankung des Kaisers verzögerte sich dessen Ankunft und damit der eigentliche Beginn des Reichstags weiter, so dass Karl seinen Bruder aufforderte, für ihn zum Reichstag zu reisen und diesen zunächst zu leiten.⁴⁴⁹ Ferdinand ließ am 24. März 1545 eine zweite Proposition vortragen.⁴⁵⁰ Erst am 16. Mai traf der Kaiser schließlich in Worms ein.⁴⁵1 Am 4. August endete der Reichstag mit seiner Vertagung nach Regensburg.⁴⁵2 In allen wesentlichen Punkten, der Religion, dem Reichskammergericht und der Türkenhilfe, waren keine Einigungen erzielt worden. Stattdessen sollte nach dem Willen des Kaisers unmittelbar vor dem Regensburger Reichstag ein Religionsgespräch stattfinden, über dessen Ergebnis dann der Reichstag beraten sollte. Die altgläubigen Stände zweifelten aber die Notwendigkeit solcher Gespräche an. Schon damals lag der Verdacht nahe, dass Karl nur Zeit zu gewinnen versuchte, 441 Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede, S. 291–298. 442 Bei einem Reichskreistag berieten die Reichsstände in nach Reichskreiszugehörigkeit getrennten Beratungen. 443 RTA JR 15, Nr. 565 (S. 2244–2285), §§ 12–25, S. 2250–2253. 444 Der Begriff »Moderationstag« bezeichnet eine Versammlung, die sich mit Steuergerechtigkeit befasst. 1545 diente der Reichskreistag als Moderationstag. 445 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 16, S. 62–64. 446 RTA JR 16, Nr. 6 (S. 93–97). 447 Ebd., Nr. 60 (S. 355–671), S. 357–358; Nr. 62 (S. 672–740), S. 674–675. 448 Ebd., Nr. 60 (S. 355–671), S. 363–365. 449 Ebd., Nr. 12 (S. 104–106); Nr. 13 (S. 107–109). 450 Ebd., Nr. 16 (S. 123–129). 451 Ebd., Nr. 62 (S. 672–740), S. 704. 452 Ebd., Nr. 341 (S. 1657–1669), S. 1658–1659.

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um sich auf einen Krieg mit den evangelischen Ständen vorzubereiten. Während des Reichstags traf er mit einem päpstlichen Legaten zusammen, der ihm offiziell Geld für den Türkenkrieg zur Verfügung stellte. Tatsächlich besprachen Karl und der Legat wohl aber auch die Möglichkeit eines Kriegs gegen die Protestanten.⁴⁵3 Die Verhandlungen während des Reichstags vollzogen sich in sehr verschiedenen Formen. Neben dem bereits genannten Moderationstag gab es noch spezielle Ausschüsse, die Gutachten zu den Beratungsthemen vorlegen sollten. So sollte ein Ausschuss von Sachverständigen einen Vorschlag zur Behebung des alten Streits um eine einheitliche Reichswährung unterbreiten.⁴⁵⁴ Wie bereits dargestellt, gab es zeitweise einen kurienübergreifenden Ausschuss. Anlässlich der religionspolitischen Themen kam es auch wieder zu nach Konfessionen getrennten Beratungen. Der Kaiser führte ferner Verhandlungen mit einzelnen Ständegruppen über das weitere Schicksal des Herzogtums Braunschweig-Wolfenbüttel und die Wiedererrichtung des Schwäbischen Bunds.⁴⁵⁵ Ein reichspolitisch nicht unerhebliches Thema waren die Klagen des Kölner Domkapitels gegen die Reformen des Kurfürsten Hermann von Wied.⁴⁵⁶ Wegen ihrer hohen Bedeutung wurden sie auch nicht im Supplikationsrat, sondern in den Kurien behandelt. Dies führte aufgrund des konfessionellen Gegensatzes aber zu keiner allgemein anerkannten Entscheidung. Stattdessen wurden dem Kaiser neben der Mehrheitsmeinung des Kurfürstenrats auch die abweichende Meinung der Kurfürstenratsminderheit und der Fürstenratsmehrheit mitgeteilt.⁴⁵⁷ Die versammelten Reichsstände hörten die Rede eines Gesandten des französischen Königs an, in der für das Konzil in Trient geworben wurde.⁴⁵⁸ Andere nicht reichsständische Gesandtschaften an den Reichstag gab es 1545 nicht.

1.5.3 Der Regensburger Reichstag von 1546 Wann Karl V. sich dazu entschied, gegen den Kurfürsten von Sachsen und den Landgrafen von Hessen militärisch vorzugehen, ist nicht klar ersichtlich. Der Reichstag von 1546 und das zuvor stattgefundene Religionsgespräch waren aber 453 454 455 456

Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede, S. 318. Aulinger, Einleitung zu RTA JR 16, S. 66–67. Ebd., S. 78. Badea, Kurfürstliche Präeminenz, Landesherrschaft und Reform, S. 132–134. Zur Reformpolitik Hermanns: Sommer, Hermann von Wied. Erzbischof und Kurfürst von Köln; Laux, Reformationsversuche in Kurköln. 457 Die entsprechende Diskussion im Protokoll der Mainzer Kanzlei: RTA JR 16, Nr. 60 (S. 355–671), S. 645–650 (Dort heißt es auf S. 649: »Die catholici status haben uff die zweyerlay bedncken, den Ebf. zu Colln betreffend, sich wyther miteinander underredt, ob ir bedencken neben des merern des churfurstenraths und wenigern teils des furstenraths bedencken und bitt der ksl. Mt. furzutragen sein solte oder nit.«); verschiedene Schreiben bezüglich der Angelegenheit: Nr. 297–303 (S. 1545–1560). 458 Ebd., Nr. 281 (S. 1541–1515).

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recht deutlich nur dazu da, dem Kaiser Zeit für die diplomatische Vorbereitung seines Angriffs zu verschaffen.⁴⁵⁹ Das Religionsgespräch wurde von den altgläubigen Ständen ohnehin abgelehnt, da sie das Konzil in Trient für die zuständige Stelle hielten. Für den Kaiser war es daher schon schwierig, das Kolloquium auf altgläubiger Seite überhaupt mit Theologen zu besetzen.⁴⁶⁰ Der Gesprächsbeginn wurde zunächst vom 30. November auf den 17. Dezember 1545 verschoben, fand aber erst am 27. Januar 1546 statt. Bald kam es zu einem Streit über das Verfahren.⁴⁶1 Am 10. März wurden die Verhandlungen eingestellt. Die evangelischen Stände zweifelten an, dass es dem Kaiser ernsthaft um eine Vergleichung der Religion ginge und zogen deshalb ihre Räte aus Regensburg ab.⁴⁶2 Der Beginn des Reichstags, ursprünglich für den 6. Januar geplant, wurde von Karl Ende Januar auf den 15. März verschoben.⁴⁶3 Er selbst traf jedoch erst am 10. April in Regensburg ein.⁴⁶⁴ Abgesehen von den verbliebenen Teilnehmern des Religionsgesprächs waren jedoch noch kaum Stände vertreten. Deshalb sandte Karl einen erneuten Aufruf zur Beschickung des Reichstags aus,⁴⁶⁵ der aber kaum Wirkung zeigte.⁴⁶⁶ Immerhin kamen die Schmalkaldener Bundesstände nun nach Regensburg.⁴⁶⁷ Der Reichstag wurde daher erst am 5. Juni eröffnet, fast fünf Monate nach dem ursprünglich geplanten Termin.⁴⁶⁸ Zu weiterführenden Beratungen kam es allerdings nicht. Bezeichnend für den Wandel der Mehrheitsverhältnisse im Kurfürstenrat war, dass nun die altgläubigen Stände auf einer nach Konfessionen getrennten Beratungsweise bestanden, während die Evangelischen diesmal für eine gemeinsame Beratung in den Kurien plädierten. Die Altgläubigen sahen ihren Standpunkt dadurch untermauert, dass es sich beim Regensburger Reichstag um die Fortsetzung des Wormser Reichstags des Vorjahrs handelte und somit dessen Verfahren, die Beratung der Religion in Partikularräten, fortgeführt werden müsse.⁴⁶⁹ Die Protestanten dagegen interpre459 Kohler, Karl V. 1500–1558, S. 298–301. 460 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 17, S. 38. 461 Die kaiserliche Seite wollte den Inhalt der Verhandlungen geheim halten, während die evangelischen Stände sie gerne aufzeichnen und verbreiten wollten: Ebd., S. 39. 462 Ebd., S. 38–41. 463 RTA JR 17, Nr. 1 (S. 58–59). 464 Ebd., Nr. 7 (S. 79–80). 465 Ebd., Nr. 8 (S. 80–82). 466 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 17, S. 49. 467 Ebd., S. 42. 468 RTA JR 17, Nr. 58 (S. 391–395). 469 Der Mainzer Kanzler meinte zu Beginn der ersten Umfrage: »Und nachdem der keiser im anfang und zuleczt habe anczeigen lassen, zu widerbringung der zeit die sachen zu furdern und die zeit wider herein zu bringen, wissen sich diejenigen, so zu Wormbs gewest, [zu erinnern,] wie aldo procedirt und wie die sachen anher verschoben, [dass] dieser reichstag kein weiter handel [ist], sonder ein continuacion der vorigen handelungen.« ebd., Nr. 52 (S. 275–308), S. 275. Am Ende der ersten Umfrage äußerte er sich wieder (S. 276): »Weil aber die wormbsische handellung alher verschoben und alhie vorfaren werden sol, weil man dan daczumal zu Worms ain sondern proceß gehalten, als Trier, Meincz und die im

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tierten die aktuelle Versammlung als neuen Reichstag, da inzwischen eine neue Proposition verlesen worden war.⁴⁷⁰ Die Stimmung zwischen den Konfessionsparteien war anscheinend zunehmend feindselig und den evangelischen Verbündeten blieb nicht verborgen, dass ein baldiger Krieg wahrscheinlich war.⁴⁷1 Ab dem 3. Juli brachen daher die meisten evangelischen Gesandten ihren Reichstagsaufenthalt ab und begaben sich aus Furcht vor Übergriffen auf getrennten Wegen zurück zu ihren Fürsten.⁴⁷2 Zur Verlesung der kaiserlichen Replik zur Glaubenssache am 12. Juli⁴⁷3 waren somit nur noch wenige protestantische Gesandte zugegen. Am 24. Juli wurde schließlich der Reichsabschied verlesen, in dem der Reichstag wieder vertagt wurde.⁴⁷⁴ Bereits am 20. Juli hatte der Kaiser die Reichsacht über Johann Friedrich von Sachsen und Philipp von Hessen verhängt.⁴⁷⁵ Damit begann der Schmalkaldische Krieg.

1.6 Die Verfestigung der Kurien: 1547–1551 Die Reichstage 1547/48 und 1550/51 unterscheiden sich hinsichtlich der politischen Rahmenbedingungen und daher auch im Verfahren von den anderen Reichstagen der 1540er Jahre. Seit 1541 hatte die intransigente Haltung der Konfessionsparteien das Abhalten eines Reichstags nach dem traditionellen Verfahren enorm erschwert oder gar unmöglich gemacht. Wesentliche Triebkraft für das Zustandekommen eines Reichsabschieds waren dabei stets die Autorität und die Diplomatie des Kaisers beziehungsweise seines Bruders gewesen. Um die erwünschten Steuerbewilligungen zu erreichen, hatten beide mit unterschiedlichem Erfolg durch Vermittlungsarbeit und Druck auf die Stände eingewirkt. Mit dem Schmalkaldischen Krieg änderte sich jedoch die kaiserliche Politik. Nach den raschen Siegen gegen die Wortführer der protestantischen Partei konnte Karl auch auf dem Reichstag autoritativer auftreten. Hatten die Reichstage von 1541 bis 1546 offenbart, dass eine Politik der Religionsgespräche den Glaubenskonflikt nicht einvernehmlich zu lösen vermochte, so zeigten die folgenden Jahre, dass er auch durch zeitweilige militärische Überlegenheit nicht gelöst werden konnte. Sowohl der Reichstag von 1547/48 als auch der Reichstag von 1550/51 waren von dem Versuch des Kaisers geprägt, mit einer autoritären Regierungsweise eine Glaubenseinheit zu erzwingen und das Reich stärker den Herrschaftsmechanismen seiner Dynastie zu unterwerfen. Dies beeinflusste auch das Verfahren der Reichstage. Vor allem im Kurfürstenrat, der

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furstenradt, weil dan zuvor also procedirt, achten sie noch uf disen wegk furgenommen und heraus gegangen sol werden.« RTA JR 17, Nr. 52 (S. 275–308), S. 276. Ebd., Nr. 52 (S. 275–308), S. 295–297. Aulinger, Einleitung zu RTA JR 17, S. 51. RTA JR 17, Nr. 68 (S. 430–431). Ebd., Nr. 109 (S. 519–523), § 5, S. 521–522. Ebd., Nr. 112 (S. 529–533).

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von habsburgischem Einfluss am besten abgeschottet war, war die Tendenz groß, verfahrenstechnisch auf Distanz zu achten. Als Gegenbewegung zu dem vom Kaiser zunächst massiv eingeforderten kurienübergreifenden Ausschuss kam es deshalb auch zu einer schärferen Betonung der einzelnen Kurien, die sich in vielen Verfahrenskonflikten äußerte.

1.6.1 Der geharnischte Augsburger Reichstag von 1547/48 Der Schmalkaldische Krieg verzögerte die Wiedereinberufung des 1546 vertagten Reichstags.⁴⁷⁶ Erst nach seinem Sieg und der Gefangennahme seiner beiden Hauptgegner plante Karl V., auf einem neuen Reichstag seine momentane Überlegenheit und Macht für zwei ambitionierte innenpolitische Projekte einzusetzen. Mit dem Augsburger Interim wollte der Kaiser eine Einigung im Religionsstreit erzwingen und mit einem Reichsbund die politische Struktur des Reichs auf den Kaiser ausrichten.⁴⁷⁷ Um seine Ziele auf dem geplanten Reichstag durchsetzen zu können, war es wichtig, dass dieser gut besucht würde und viele Fürsten persönlich erscheinen würden. Dies gelang Karl auch: Alle Kurfürsten begaben sich nach Augsburg und auch von den Fürsten ließen sich nur wenige vertreten.⁴⁷⁸ Außergewöhnlich war auch, dass der Reichstag pünktlich begann: Am 1. September, dem im Ausschreiben⁴⁷⁹ vorgesehenen Termin, wurde die Proposition verlesen.⁴⁸⁰ Zuvor hatte Karl bereits die Bundesverhandlungen von Ulm nach Augsburg verlegt und war auch selbst frühzeitig angereist. Die Freie Stadt Augsburg war seit dem Krieg von kaiserlichen Truppen besetzt und auch im Umland befanden sich spanische Söldner des Kaisers. Die militärische Überlegenheit Karls war somit für alle Stände sichtbar.⁴⁸1 Die Proposition selbst ging nur in der Frage zur Erneuerung des Reichskammergerichts ins Detail und forderte von den Ständen, die Besetzung des Gerichts vorerst dem Kaiser zu überlassen, das Gericht jedoch zu bezahlen.⁴⁸2 Um die Akzeptanz bei den evangelischen Ständen zu erhöhen, behielt sich Karl an dieser Stelle die Entscheidung zum entzogenen Kirchenbesitz ausdrücklich vor. Mit der Beratung der Türkenhilfe sollte bis zur Ankunft Ferdinands gewartet werden.⁴⁸3 476 Machoczek, Einleitung zu RTA JR 18, S. 54–57. 477 Zu Reichsbund und Interimspolitik: Rabe, Reichsbund und Interim, S. 548; ders., Befunde und Überlegungen zur Religionspolitik Karls V. am Vorabend des Augsburger Reichstags 1530; ders., Zur Interimspolitik Karls V.; Schorn-Schütte (Hg.), Das Interim 1548/50; dies., Das Interim (1548/50) im europäischen Kontext. Vgl. auch: Press, Habsburgisches Reichssystem und deutsche Reformation; Schmidt, Sprache und Politik. 478 Machoczek, Einleitung zu RTA JR 18, S. 60. 479 RTA JR 18, Nr. 10 (S. 141–143). 480 Ebd., Nr. 33b (S. 216–222). 481 Machoczek, Einleitung zu RTA JR 18, S. 59. 482 Zur Neuordnung des Reichskammergerichts: Ebd., S. 61, 73–80. 483 Ebd., S. 61.

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Die Verhandlungen in Augsburg zeichneten sich durch die Ausgliederung der Bundesverhandlungen aus dem eigentlichen Reichstagsverfahren aus. Sie stellten somit zunächst private Partikularverhandlungen neben dem offiziellen Reichstagsgeschehen dar, die bereits vor dem Reichstag in Ulm begonnen hatten und nur an den Ort des Reichstags verlegt worden waren. Ein Verhandlungsthema des Reichstags waren sie vorerst nicht. Eine weitere Besonderheit war, dass Karl diesmal in seiner Proposition ausdrücklich die Bildung von Partikularräten untersagte.⁴⁸⁴ Die eigentlichen Reichstagsverhandlungen waren stark von dem Bemühen der Kurfürsten um verfahrenstechnische Distanz zum Fürstenrat bestimmt. Lange weigerten sie sich, mit den größtenteils von Österreich dominierten Fürsten gemeinsame Ausschüsse zu bilden und verwiesen mit ungewohntem Nachdruck auf ihre Präeminenz. Dazu gehörte auch, dass die Mainzer Räte äußerst sorgsam auf die genaue Ausführung von Verfahrensregeln in der Kommunikation der Kurien achteten.⁴⁸⁵ Auch im Fürstenrat gab es Widerstand gegen die habsburgischen Pläne.⁴⁸⁶ Der energische Widerstand des bayerischen Rats Leonhard von Eck war sogar Anlass zu einer Beschwerdeschrift des Kaisers an Herzog Wilhelm IV. von Bayern.⁴⁸⁷ Im Laufe des Reichstags, der mit zehn Monaten der bisher längste Reichstag überhaupt war, wurden schließlich doch mehrere kurienübergreifende Ausschüsse eingerichtet, deren Aufgaben aber stark eingegrenzt blieben. An diesem Punkt kam es auch zur Verquickung von Reichstags- und Bundesverhandlungen, denn der Kaiser forderte von den Ständen einen kurienübergreifenden Ausschuss, dessen Zusammensetzung er, was das Verhältnis der darin vertretenen Ständegruppen betraf, vorgeben wollte. Die Stände weigerten sich allerdings, die Städte wie vorgesehen mit vier Vertretern zu beteiligen, und bestanden darauf, wie am Reichstag üblich, nur zwei Städtevertreter zu akzeptieren. Vorerst einigte man sich, den Ausschuss mit zwei Städtegesandten mit Reichstagsmaterien zu befassen. Als später das Bundesprojekt wieder zur Beratung stand, verweigerte man den Städten aber weiterhin ihre zusätzlichen Gesandten.⁴⁸⁸ Nach sieben Monaten auf dem Reichstag baten die Stände um ein baldiges Ende der Verhandlungen oder zumindest um die Erlaubnis zur Abreise. Nach drei weiteren Monaten wurde der Reichstag schließlich beendet.⁴⁸⁹ Seine Ziele hatte Karl in Augsburg nicht uneingeschränkt verwirklichen können. Der geplante Reichsbund war gescheitert und die verbindliche Einführung eines Interims galt schließlich nur für die evangelischen Stände, was dessen ursprünglichem Sinn keineswegs

484 RTA JR 18, Nr. 33b (S. 216–222), S. 221–222. 485 Beispiele hierfür liefert das Kurfürstenratsprotokoll: Ebd., Nr. 62 (S. 317–815), S. 375, 408–409. 486 Rabe, Reichsbund und Interim, S. 207. 487 RTA JR 18, Nr. 339 (S. 2531–2532). 488 Machoczek, Einleitung zu RTA JR 18, S. 95. 489 Ders., Einleitung zu RTA JR 18, S. 104; Rabe, Reichsbund und Interim, S. 450–457.

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entsprach.⁴⁹⁰ Jedoch gelang es, die Besetzung des neu geordneten Reichskammergerichts durch den Kaiser durchzusetzen. Die Finanzierung des Gerichts sollte durch die Stände erfolgen, da diese sich auf keine allgemeine Reichssteuer einigen konnten.⁴⁹1 Die in der Proposition angekündigte erneuerte Reichspolizeiordnung wurde veröffentlicht.⁴⁹2 Ferdinand setzte sich mit seiner Forderung nach Eintreibung ausgebliebener Steuergelder und einem Baugeld in Höhe von 100.000 Gulden zur Grenzbefestigung durch.⁴⁹3 Im Rahmen der Beratungen zur Türkenabwehr wurden auch auf dem Augsburger Reichstag wieder eine ungarische und eine niederösterreichische Gesandtschaft angehört.⁴⁹⁴ Außerdem erreichte Karl mit dem Burgundischen Vertrag die juristische Neuordnung seiner niederländischen Territorien, die unter den Schutz des Reichs gestellt, rechtlich jedoch aus diesem herausgelöst wurden.⁴⁹⁵ Die am Reichstag vertretenen Städte erlangten in Augsburg schließlich eine kaiserliche Bestätigung ihres Rechts, in den Reichstagsverhandlungen angehört zu werden. Dazu gehörte auch, ihnen unter normalen Umständen eine gewisse Bedenkzeit einzuräumen. Die oberen Kurien wurden aber nicht verpflichtet, sich unbedingt mit den Städten zu vergleichen.⁴⁹⁶ Damit wertete der Kaiser die Stellung der Städte gegenüber den oberen Kurien zwar etwas auf, erfüllte aber keineswegs die städtische Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe an den Verhandlungen.

1.6.2 Der Augsburger Reichstag von 1550/51 Der letzte Reichstag, den Karl V. persönlich leitete, fand wieder in Augsburg statt. Da abzusehen war, dass die Umsetzung der Religionsmandate zu Interim in den evangelischen Territorien und Reformation der geistlichen Territorien nur äußerst mangelhaft erfolgte, plante er schon bald nach dem geharnischten Reichstag eine weitere Reichsversammlung.⁴⁹⁷ Da er aber zuvor noch die Wahl des neuen Papstes und dessen Einverständnis zur kaiserlichen Konzilspolitik abwartete,⁴⁹⁸ schrieb Karl den Reichstag erst am 13. März 1550 für den 25. Juni desselben Jahres nach 490 Für die geistlichen Territorien sollte eine eigene Reformation gelten: RTA JR 18, Nr. 215 (S. 1960–1995). Hierzu: Wolgast, Formula reformationis; Decot, Die Reaktionen der katholischen Kirche auf das Interim. 491 Machoczek, Einleitung zu RTA JR 18, S. 73–80. 492 RTA JR 18, Nr. 238 (S. 2074–2081); Nr. 273b (S. 2651–2694), §§ 90–93, S. 2678–2679; Machoczek, Einleitung zu RTA JR 18, S. 93–94. 493 RTA JR 18, Nr. 372b (S. 2651–2694), §§ 96–103, S. 2681–2684. 494 Ebd., Nr. 285–290 (S. 2276–2296); Nr. 291–294 (S. 2296–2304). 495 RTA JR 18, Nr. 260 (S. 2166–2176); Machoczek, Einleitung zu RTA JR 18, S. 95–99. 496 RTA JR 18, Nr. 318 (S. 2473–2476); Isenmann, Reichsstadt und Reich an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit, S. 162–163; Schmidt, Städte auf dem Reichstag, S. 38; ders., Städtetag und Reichsverfassung, S. 54; Gerber, Die Bedeutung des Augsburger Reichstags von 1547/48 für das Ringen der Reichsstädte um Stimme, Stand und Session. 497 Luttenberger, Glaubenseinheit und Reichsfriede, S. 495–501. 498 Eltz, Einleitung zu RTA JR 19, S. 48–49.

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Augsburg aus.⁴⁹⁹ Der Reichstag wurde schließlich am 26. Juli eröffnet.⁵⁰⁰ Karl hatte vergeblich versucht, die weltlichen Kurfürsten zu einem persönlichen Erscheinen zu bewegen.⁵⁰1 Die Themen des Reichstags waren neben den angesprochenen Religionsmandaten der Landfrieden, der Umgang mit den seit dem Schmalkaldischen Krieg noch nicht mit dem Kaiser ausgesöhnten Ständen, die Verlängerung der Amtszeit der 1548 benannten außerordentlichen Reichskammergerichtsbeisitzer, die Aufrichtung einer einheitlichen Reichsmünzordnung, die Reform der Reichsmatrikel und die Umsetzung der 1548 beschlossenen Polizeiordnung.⁵⁰2 Im Frühjahr 1551 richtete sich König Ferdinand mit einer eigenen Proposition⁵⁰3 an die Reichsstände. Anlass dazu bot die Befürchtung, die Türken könnten den vereinbarten Waffenstillstand brechen. Der König bat deshalb um die rasche Unterstützung der Stände beim Ausbau der Grenzbefestigung und im Fall eines türkischen Angriffs. Damit brachte er sich in einen Interessenkonflikt mit dem Kaiser, der die Steuerbewilligung der Stände zur Achtexekution gegen Magdeburg nicht gefährden wollte.⁵⁰⁴ Charles de Marillac, der als Gesandter König Heinrichs II. von Frankreich am Reichstag war, berichtete vom Machtverlust des Kaisers.⁵⁰⁵ Neben dem eigentlichen Reichstagsgeschehen fanden in Augsburg auch interne Verhandlungen des Hauses Habsburg über die Zeit nach der Herrschaft Karls statt.⁵⁰⁶ Das Verfahren des Reichstags von 1550/51 zeichnete sich durch stark kurial geprägte Verhandlungen aus, die nur in wenigen Ausschüssen durchbrochen wurden. Neben dem Supplikationsausschuss gab es an Ausschüssen mit Beteiligten aller drei Kurien noch den Ausschuss zur Begutachtung der Münzordnung, zur Aussöhnung Bremens mit dem Kaiser und den üblichen Ausschuss zur Erstellung des Reichstagsabschieds.⁵⁰⁷ Zur Behandlung der Rebellion Magdeburgs durch einen kurienübergreifenden Ausschuss waren dagegen keine Städte zugelassen.⁵⁰⁸ Zwei Ursachen bedingen die relative Bedeutungslosigkeit des Abschieds von 1551: Zunächst diente der Reichstag in weiten Teilen lediglich der Nachbesserung oder Vollziehung der bereits 1548 getroffenen Entscheidungen. So wurde bezugnehmend auf den inzwischen stattgefundenen Münztag in Speyer ein festes Verhältnis der Gold- zur Silberwährung vorläufig festgeschrieben, Weiteres aber auf einen kommenden Valuationstag verschoben.⁵⁰⁹ Die außerordentlichen

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RTA JR 19, Nr. 5 (S. 80–85). Ebd., Nr. 79 (S. 258–259). Eltz, Einleitung zu RTA JR 19, S. 48–51. Proposition Karls: RTA JR 19, Nr. 78 (S. 249–257). Proposition Ferdinands: Ebd., Nr. 150 (S. 930–936). Lanz, Correspondenz, Band 3, Nr. 723 (S. 11–15); Nr. 724 (S. 15–21). Druffel, Beiträge zur Reichsgeschichte 1546–1551, Nr. 557 (S. 555–556). Kohler, Karl V. 1500–1558, S. 325–337. Eine Übersicht zu den Ausschüssen befindet sich in: RTA JR 19, S. 1633–1634. Ebd., S. 1634. Ebd., Nr. 305 (S. 1578–1614), §§ 35–51, S. 1588–1591; Nr. 308 (S. 1621–1629).

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Die Reichstage unter Karl V.

Reichskammergerichtsbeisitzer sollten noch weiter beschäftigt werden.⁵1⁰ Bei der Religion wandten sich die Stände zwar nicht direkt gegen die Politik Karls V., sie konnten ihm jedoch auch keine Vorschläge unterbreiten, wie man auf den Widerstand gegen seine Mandate reagieren könne. Die zweite Ursache ist in dem bald nach dem Reichstag ausbrechenden Fürstenaufstand unter Moritz von Sachsen⁵11 zu sehen, der schließlich im Passauer Vertrag von 1552 mündete und die Interimspolitik des Kaisers beendete.⁵12 Der Reichsabschied von 1551 schuf bereits die Ausgangslage für den Aufstand, indem er eine gewaltsame Niederwerfung Magdeburgs durch ein Reichsheer unter dem sächsischen Kurfürsten vorsah.⁵13

1.7 Konsens oder Mehrheit? Der Augsburger Reichstag von 1555 Der Augsburger Reichstag von 1555 stellte sich zwei elementaren Herausforderungen, deren Bewältigung für einen beständigen Frieden im Reich unabdingbar waren: Nach dem Fürstenaufstand⁵1⁴ galt es, gemäß den Bestimmungen des Passauer Vertrags⁵1⁵ den Landfrieden zu erneuern und einen zeitlich unbegrenzten Religionsfrieden zu schließen.⁵1⁶ Vor allem die endgültige Anerkennung des Luthertums als gleichberechtigtes Bekenntnis und die rechtliche Absicherung des Verhältnisses der Konfessionen untereinander stellten dabei große Hürden dar. Der Passauer Vertrag von 1552 hatte einen Reichstag binnen eines halben Jahres vorgesehen.⁵1⁷ Verschiedene politische Umstände verzögerten aber dessen Einberufung.⁵1⁸ Hierbei spielten vor allem der sich anbahnende Rückzug des Kaisers aus der Politik und sein Verhältnis zu Ferdinand eine Rolle. Karl V. wollte vermeiden, dass ein dauerhafter Religionsfriede noch in seinem Namen geschlossen würde. Nach mehrmaliger Verschiebung wurde der Beginn des Reichstags schließlich für den 11. November 1554 festgesetzt.⁵1⁹ Auch dieser Termin konnte nicht einge510 RTA JR 19, Nr. 305 (S. 1578–1614), §§ 29–28, S. 1585–1586. 511 Zur Persönlichkeit des Herzogs: Herrmann, Moritz von Sachsen. 512 Wartenberg, Moritz von Sachsen und die protestantischen Fürsten; Rudersdorf, Moritz (1541/47–1553). 513 RTA JR 19, Nr. 195 (S. 1054–1056); Nr. 305 (S. 1578–1614), §§ 18–20, S. 1583–1584. 514 Badea, Markgraf Albrecht und der Fürstenaufstand; Luttenberger, Politische Kommunikation; Rebitsch, Kaiser auf der Flucht; Schirmer, Finanzierung der Fürstenrebellion; Winter, Kurfürst Moritz. 515 Drecoll, Der Passauer Vertrag; Kohler, Karl V. und der Passauer Vertrag; Neuhaus, Der Passauer Vertrag und die Entwicklung des Reichsreligionsrechts: Vom Nürnberger Anstand zum Augsburger Religionsfrieden; Schindling, Der Passauer Vertrag und die Kirchengüterfrage; Wolgast, Die Religionsfrage auf den Reichstagen 1521 bis 1550/51. 516 Einen Überblick über die verschiedenen Friedenspläne von 1532 bis 1555 bietet: Kohnle, Nürnberg – Passau – Augsburg: Der lange Weg zum Religionsfrieden. 517 RTA JR 20, Nr. 3 (S. 123–135), S. 127. 518 Lutz, Christianitas, S. 217–233; Kohler, Von Passau nach Augsburg; Laubach, Kooperation und Kollision. 519 RTA JR 20, Nr. 67 (S. 376–378).

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Konsens oder Mehrheit? Der Augsburger Reichstag von 1555

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halten werden. Erst am 5. Februar 1555 wurde der Reichstag mit der Verlesung der Proposition eröffnet.⁵2⁰ Der König war verärgert darüber, dass sich keiner der Kurfürsten persönlich nach Augsburg begeben hatte.⁵21 Die Ausgangslage schien somit nicht gut zu sein. Die Verhandlungen auf dem Augsburger Reichstag von 1555 waren schon durch den ungewöhnlichen Umstand geprägt, dass Ferdinand einerseits mit uneingeschränkter Vollmacht seines Bruders den Reichstag leitete, er andererseits aber den Kaiser, dessen Kommissare vor Ort waren, nicht aus der Verantwortung ließ. Die Verhandlungen selbst begannen getrennt nach Kurien. Dabei setzten sich die Stände über die von Ferdinand vorgegebene Beratungsreihenfolge hinweg und begannen gleich mit den Verhandlungen zum Religionsfrieden.⁵22 Erst im Anschluss wurde über den Landfrieden und die Reichsexekutionsordnung verhandelt.⁵23 Trotz der Abwesenheit des Kaisers führte der Kontrast zwischen den Konfessionsparteien nicht mehr zur vollständigen Lähmung der Verhandlungen. Der Wunsch nach einem dauerhaften Frieden war weit verbreitet. Im Fürstenrat gelang es Ferdinands Räten, die Beratungen in weiten Teilen zu steuern.⁵2⁴ Dennoch musste der König wiederholt persönlich in die Verhandlungen eingreifen.⁵2⁵ Innerhalb der Kurien wurden Ausschüsse gebildet, die für das Plenum ihrer Kurie Gutachten zu erstellen hatten.⁵2⁶ Auch kam es zu separaten Beratungen der einzelnen Parteien. Dies geschah aber nicht mehr zum Ausschluss der Gegner, sondern oft zur Einigung auf eine gemeinsame Linie. Bemerkenswert ist, dass sich auf altgläubiger Seite die geistlichen Fürsten zeitweise von den weltlichen Fürsten absonderten.⁵2⁷ Zusätzlich gab es aber auch die bekannten Sitzungen der »catholischen«⁵2⁸ Stände.⁵2⁹ Die Gegensätze vor allem zwischen den geistlichen Fürsten und den Ständen der Augsburger Konfession konnten von den Ständen nicht vollständig überwunden werden. Jedoch gelang es, durch Anheimstellung 520 RTA JR 20, Nr. 148 (S. 1687–1698). 521 Gegenüber der kurmainzischen Gesandtschaft äußerte er seinen Unmut deutlich: Lutz/ Kohler, Hornung-Protokoll, S. 33. 522 Aulinger/Eltz/Machoczek, Einleitung zu RTA JR 20, S. 70–72. 523 Ebd., S. 90–101. 524 Als Beispiel kann hier die Initiative Österreichs im Fürstenratsausschuss zum Religionsfrieden dienen: Laubach, Ferdinand I., S. 58–64. Über das Vorgehen der Österreicher im Fürstenrat berichtet Zasius in seinem ausführlichen Protokoll: RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536). 525 Laubach, Ferdinand I., S. 58–64; Einleitung.RTA.JR.20, S. 86. 526 So tagten die vom Fürstenrat für den nicht zustande gekommenen Großen Ausschuss ausgewählten Stände in Form eines Fürstenratsausschusses: RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1291, hier auch: Anm. 47. 527 Solche Versammlungen werden beispielsweise im österreichischen Protokoll genannt: Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1342, 1344, 1385. 528 Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1480. 529 Wie auf evangelischer Seite üblich, kam es auch bei den Altgläubigen zu kurienübergreifenden Sitzungen zumindest der Kurfürsten und Fürsten. So beispielsweise am 6. September: Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1480–1481.

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Die Reichstage unter Karl V.

der strittigen Punkte an König Ferdinand⁵3⁰ einen Religionsfrieden zu schließen und durch eine neu ausgearbeitete Exekutionsordnung zu sichern. Von entscheidender Bedeutung für das Zustandekommen des Religionsfriedens wird die vergleichsweise hohe Bereitschaft vieler bedeutender Stände gewesen sein, einen solchen Frieden zu schließen. Nicht ein legitimierendes Verfahren, sondern der ausdrückliche Verzicht auf Mehrheitsverfahren bei der Formulierung des Friedens, wie es der Passauer Vertrag vorgesehen hatte, und die allgemeine Einsicht in die Notwendigkeit des Friedens waren somit die Motoren des Religionsfriedens. Der Reichstag griff 1555 auf ein altes Prinzip zurück, das im Zusammenhang mit der Glaubensspaltung bisher ignoriert worden war: Man versuchte einen abschließenden Text zu verfassen, dem sich alle anwesenden Stände (wenn auch unter gewissem Druck) anschließen konnten. Da dies nur begrenzt funktionierte, sah sich Ferdinand jedoch gezwungen, die Zustimmung der Protestanten durch die später als declaratio Ferdinandea so häufig herangezogene Zusatzdeklaration⁵31 zu erreichen.⁵32 Umgekehrt darf aber auch nicht übersehen werden, dass der ausdrückliche Verzicht auf Mehrheitsverfahren in der Religionsfrage die allgemeine Anerkennung des Mehrheitsverfahrens in allen anderen Angelegenheiten impliziert. Dies wurde auch während des Reichstags angesprochen. So äußerte sich Hessen im Fürstenrat: »Darumb, ob es schon in andern sachen im reichsrath mit dem mehrern anders herkomen, so müg und soll es doch in disem puncten relligionis nit also gehalten […] werden.«⁵33 Auch hierdurch setzte der Religionsfrieden von 1555 das Reichstagsverfahren auf eine neue Stufe. Langfristig hatte sich seit der Protestation von 1529, bei der zum ersten Mal ein Mehrheitsverfahren postuliert worden war, bis zum Religionsfrieden von 1555 die grundsätzliche Anerkennung dieses Verfahrens durchgesetzt.

530 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1415–1416; Nr. 195 (S. 1938–1945). 531 Ebd., Nr. 231 (S. 2132–2134). 532 Zur Rolle Ferdinands beim Zustandekommen des Religionsfriedens: Kohler, Ferdinand I. Vater des Religionsfriedens. 533 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1355.

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2. Der Ablauf eines Reichstags

Im vorausgegangenen Kapitel wurden die Reichstage von 1521 bis 1555 als Einzelereignisse gewürdigt. Dabei lag der Schwerpunkt der Darstellung auf den jeweiligen Besonderheiten der einzelnen Versammlungen. Das vorliegende Kapitel ist nun dem typischen Ablauf der Reichstage gewidmet. Dabei soll jedoch nicht der Eindruck vermittelt werden, die Reichsversammlungen seien stets einem von bedeutenden Einzelheiten abgesehen kontinuierlichen Ablauf gefolgt. Vielmehr gilt es, auch bei der Darstellung des Ablaufs die stetige Veränderung hervorzuheben, der das Verfahren unterlag. Das angewandte Verfahren richtete sich zwar immer nach dem der vorangegangenen Versammlungen, wurde aber stets auch an die aktuellen Gegebenheiten angepasst. Die Variationen im Verfahren bedeuten andererseits aber nicht, dass das Verfahren als beliebig angesehen wurde. Zur Durchführung eines Reichstags orientierte man sich stets an einem fiktiven Ideal,1 das von der persönlichen Anwesenheit des Herrschers und aller Stände ausging. Da dieses Ideal nie erreicht wurde, waren häufig viele Fragen zu klären. Das zeigt sich beispielsweise an der Rolle des Herrschers selbst, in der der Kaiser den Ständen gegenüber als in »seine« Stadt ladender Gastgeber auftrat. In der Zeit Karls V. war selbst diese Rolle nicht eindeutig auf eine Person festgelegt. In den 1520er Jahren versuchten die kaiserlichen Statthalter und das zweite Reichsregiment als kaiserliche Regierung, die Funktionen des abwesenden Herrschers auf den Reichstagen zu übernehmen. Sie wurden in dieser Rolle von den Ständen aber nicht uneingeschränkt anerkannt. Die Königswahl Ferdinands versetzte diesen in eine neue Rolle. Stärker als in seiner vorigen Position als kaiserlicher Statthalter konnte Ferdinand nun in Karls Abwesenheit die Rolle des Kaisers auf den Reichstagen ersetzen. Gleichzeitig traten auf vielen Reichstagen aber noch kaiserliche Kommissare auf. In diesen Fällen und auch in jenen, bei denen sowohl Ferdinand als auch Karl eigene Propositionen präsentierten, teilte sich so die ursprüngliche Hoftagsrolle des Herrschers auf mehrere Personen auf. Solche Unklarheiten in der Umsetzung des fiktiven Ideals zeigten sich auch vielfach bei den versammelten Ständen. Im Spätmittelalter ist die persönliche Anwesenheit der Fürsten noch von größerer Bedeutung gewesen.2 Im 16. Jahrhundert änderte sich das und es bildete sich eine neue Schicht von Reichstagsgesandten heraus. Dies lag am Ausbau der fürstlichen Zentralbehörden, für die eine steigende Zahl von Räten in Dienst gestellt wurde.3 Dieser Ausbau beeinflusste auch die Reichstage. Es sind im 16. Jahrhundert weniger die Fürsten persönlich gewesen, die 1 Die Vorstellung von einem nicht zu erreichenden Idealzustand zeigt sich beispielsweise bei der Session: Ott, Präzedenz, S. 511. 2 Stollberg-Rilinger, Kaisers alte Kleider, S. 51–52. 3 Lanzinner, Juristen unter den Gesandten der Reichstage 1486–1654, S. 362–363.

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Der Ablauf eines Reichstags

die Reichstagsverhandlungen prägten, sondern ihre Räte.⁴ Das Reichstagsverfahren unterlag deshalb einem andauernden Anpassungsprozess. Eine Beschreibung des Reichstagsablaufs muss dem Rechnung tragen. Unter der in der Einleitung vorgestellten Annahme, dass sich das Verfahren im Untersuchungszeitraum festigte, soll hier auch betrachtet werden, wie variabel bestimmte Elemente des Verfahrens waren und ob sich diese Variabilität im Untersuchungszeitraum reduzierte.

2.1 Genehmigung und Ausschreiben Dem Reichsoberhaupt oder seinem jeweiligen Stellvertreter war vor allem vor wichtigen Reichstagen viel daran gelegen, dass die Stände persönlich erschienen. Dies hatte wieder vielschichtige Gründe: Es ist zunächst klar, dass persönlich anwesende Stände weniger Möglichkeiten hatten, sich direkten Forderungen des Kaisers zu entziehen.⁵ Andererseits steigerte die persönliche Anwesenheit der Fürsten mit prachtvollem Gefolge auch das Ansehen des Reichsoberhaupts. Umgekehrt wäre es für den Kaiser eine große Schmach und ein Zeichen des Machtverlusts gewesen, zu einem Reichstag zu laden, ohne dass ein nennenswerter Teil der Stände erschien. In der Achterklärung gegen die schmalkaldischen Hauptleute von 1546 ist deshalb als einer der Gründe für die Verhängung der Acht aufgeführt: »Gleichermassen sy [= die Ächter] auch auß vermessenlicher keckhait nit underlassen haben, mit etlichen stenden zu practicieren und sy dahin zu weisen, disen unsern gemainen reichstag nit zu besuechen, sonder zweifels kainer andern maynung, dann uns zu höchster verachtung und damit in des hl. Reichs beschwerlichen obligen dester weniger fruchtbars aufgericht werden möchte.«⁶ Es wurde als Verrat und als »verachtung« des Kaisers angesehen, andere Stände zum Fernbleiben vom Reichstag zu überreden. Missachteten Stände die Ladung durch den Kaiser, missachteten sie seine Herrschaft. An gleicher Stelle wurde auch die Unrechtmäßigkeit der Mediatisierung sächsischer Hochstifte mit deren Reichstagsverhalten untermauert: Neben dem üblichen Argument, die betroffenen Bischöfe hätten stets Session und Stimme auf den Reichstagen gehabt, wurde explizit darauf verwiesen, dass sie dabei auch immer zu Reichshilfe willig gewesen seien und somit Verantwortungsbereitschaft gegenüber dem Reich bewiesen hätten.⁷ Dieser Argumentation zufolge war es also ein Grund für einen noch intensiveren Schutz durch den Kaiser, wenn die jeweiligen Stände auf den Reichstagen im Sinne des Kaisers votierten.

4 Der Anteil von persönlich anwesenden Ständen verringerte sich langsam, so dass die Reichstage langfristig zu Gesandtenkongressen wurden: Kohnle, Die Reichstagsgesandten der Fürsten. 5 Lanzinner, Juristen unter den Gesandten der Reichstage 1486–1654, S. 370–371. Zum Konkurrenzverhältnis zwischen Räten und persönlich anwesenden Fürsten: ders., Fürsten und Gesandte, S. 68. 6 RTA JR 17, Nr. 115 (S. 552–562), S. 556–557. 7 Ebd., Nr. 115 (S. 552–562), S. 556.

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Genehmigung und Ausschreiben

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Für die Reichsstände war die Teilnahme an Reichstagen dagegen bisweilen lästig. Die Wahlkapitulation Karls V. verpflichtete den Herrscher deshalb dazu, vor der Einberufung eines Reichstags die Zustimmung der Kurfürsten einzuholen und die Reichsstände nicht mit unnötigen Reichstagen zu belasten.⁸ Bei der Planung des ersten Reichstags wurden die Kurfürsten auch tatsächlich wie vorgeschrieben um Rat gefragt. Kurmainz organisierte auf Anfrage Karls das Zusammentreten der kurfürstlichen Gesandten, die einen Reichstag nach Worms genehmigten.⁹ In den folgenden Jahren befand sich der neue Herrscher jedoch nicht im Reich. Die Initiative zu den zahlreichen Reichstagen der 1520er Jahre ging daher fast immer vom nun zuständigen Reichsregiment aus. Es lässt sich vermuten, dass sich bei den Regimentsreichstagen die formelle Genehmigung durch die Kurfürsten erübrigte, da die Kurfürsten selbst im Regiment vertreten waren. Aber auch später kam es anscheinend nicht mehr zu so formellen Bewilligungen wie für 1521. Karl und Ferdinand bereiteten spätere Reichstage vor, indem sie Gesandte zu den Kurfürsten, aber auch zu bedeutenden Fürsten, schickten und um ihre Zustimmung zur Einberufung eines Reichstags warben.1⁰ Eine formelle Genehmigung durch eine eigens dafür einberufene Versammlung gab es unter Karl V. nicht mehr.11 Die Reichstagsgenehmigung durch die Kurfürsten war also unter Karl trotz der Wahlverschreibung noch nicht gefestigt. Der erste essenzielle Schritt bei der Ausrichtung eines Reichstags war die Versendung des Ausschreibens an die Reichsstände. Es informierte die Stände über Anlass, Zeitpunkt und Ort der Reichsversammlungen. Die teils handschriftlichen, teils gedruckten Texte waren zu Karls Regierungszeit so gestaltet, dass die Stände darin nicht eingeladen, sondern in Form eines Mandats verpflichtet wurden, die Reichsversammlung zu besuchen. Die Sprache der Ausschreiben orientierte sich 8 Burgdorf (Bearb.), Die Wahlkapitulationen der römisch-deutsche Könige und Kaiser 1519–1792, Wahlkapitulation Karls V., Frankfurt am Main, 3. Juli 1519 (S. 21–32), S. 25. Dort heißt es, der Kaiser solle »die Churfürsten und anndere desselben Reichs Stennde mit den Reichstegen […] unnotturftigclich und on redlich Ursach nit beladen noch besweren. Auch in zuegelassen notturftigen Fellen […] Reichstege on Wissen und Willen der sechs Churfürsten, wie obgemelt, darzue erfordert, nit ansetzen, noch ausschreiben und sonnderlich kainen Reichstag ausserhalb der Reichs tewtscher Nation furnemen oder ausschreiben.« 9 RTA JR 2, Nr. 1 (S. 132–136). 10 Aulinger, Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert, S. 167–168; Pflüger, Kommunikation, S. 213–215. 11 Diese Entwicklung spiegelt sich auch in den Reichstagsausschreiben: Nur das Ausschreiben zum Reichstag 1521 erwähnt eine Absprache mit den Kurfürsten über Notwendigkeit, Zeit und Ort des Reichstags: RTA JR 2, Nr. 2 (S. 136–138), S. 137. Danach wurden die Rücksprachen mit den Kurfürsten nicht mehr erwähnt. Erst nach Karls Rücktritt, in der zweiten Jahrhunderthälfte, setzte es sich durch, die Bewilligung durch die Kurfürsten wieder im Ausschreiben zu nennen. Die Formulierung von 1521 fand beispielsweise im Ausschreiben Maximilians II. für 1566 Verwendung: RTA RV 1566, Nr. 1 (S. 135–139), S. 138. Auch Rudolf II. nannte 1582 ausdrücklich das Einverständnis der Kurfürsten: HStA München, Kasten blau 274/3, f1. Im Ausschreiben für den Reichstag von 1541 verkündete Karl den Reichstag sogar explizit aus »key[serlicher] macht volkomennheit«: ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 7-2, fol. 41r. Vgl. auch: Ganzer/Mühlen, Akten der Reichsreligionsgespräche 3, Nr. 1 (S. 1–4), S. 3.

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dabei stark an der anderer kaiserlicher Mandate und war deshalb an gewisse überkommene Formen gebunden. Es ist aber auffällig, dass die Formulierungen, mit denen zu den Reichstagen geladen wurde, dennoch nicht immer einheitlich waren. Einige Veränderungen in den Formulierungen der Ausschreiben von 1521 bis 1555 sind Reaktionen auf die weit verbreitete Unpünktlichkeit der Stände und die Gefahr, dass manche Stände den Reichstag erst gar nicht besuchten. Auf beides wurde, wie sich zeigen wird, sehr unterschiedlich eingegangen. Vor dem Hintergrund der genannten Veränderung der Reichstage durch die Verwendung von Gesandten ist an dieser Stelle auch interessant, wie sich diese Veränderung in den Ausschreiben spiegelte, denn obwohl am Ideal der persönlichen Anwesenheit aller Reichsstände lange festgehalten wurde, gingen die Ausschreiben oft auch auf die Möglichkeit ein, dass der entsprechende Kurfürst oder Fürst verhindert sein könne. Eine solche Verhinderung galt im 16. Jahrhundert als formelle Voraussetzung für eine Gesandtschaft. Dabei lässt sich beobachten, dass die entsprechenden Bestimmungen in den Ausschreibungen starken Veränderungen unterworfen waren. Auch ist die Entwicklung nicht geradlinig. Sie ist geprägt vom Festhalten an dem oft für effizienter gehaltenen Ideal der persönlichen Anwesenheit aller Stände einerseits und dem Anerkennen der Notwendigkeit von Gesandtschaften andererseits. Ein Blick in die Ausschreiben der Vorgänger Karls V. zeigt, dass diese Problematik schon länger bestand. Im 15. Jahrhundert war es bereits üblich, bevollmächtigte Räte zu den Reichsversammlungen zu schicken.12 Manche Tagungen waren sogar bereits »reine oder fast reine Gesandtenkonferenzen«, waren aber wegen ihrer mangelnden Legitimierung durch persönlich anwesende Fürsten »nicht geeignet, definitive Beschlüsse zu fassen«13. Die Ladungsschreiben enthielten deshalb teilweise auch schon ausdrückliche Anweisungen an die Geladenen, persönlich zu erscheinen. So verlangte beispielsweise Friedrich III. 1492 von den angeschriebenen Ständen, persönlich und mit gerüsteten Truppen zu einer Versammlung nach Metz zu kommen, die der Kaiser zur Vorbereitung eines Feldzugs gegen den König von Frankreich1⁴ nutzen wollte.1⁵ Im Text von 1492 finden sich bereits einige Formulierungen, die immer wieder in den Ladungsschreiben erscheinen. So ermahnte Friedrich III. die Empfänger »bey den pflichten und ayden«, mit denen sie dem Kaiser »und dem hl. Reich verbunden«1⁶ seien, »aus röm. ksl. macht und oberkait ernstlich«1⁷, in eigener Person zu erscheinen und Truppen mitzu-

12 Koch, Räte auf deutschen Reichsversammlungen; Martin, Auf dem Weg zum Reichstag, S. 141. 13 Isenmann, Kaiser, Reich und deutsche Nation, S. 212. 14 Zu den Auseinandersetzungen mit dem König von Frankreich: Seyboth, Reichstag und politische Propaganda. 15 RTA MR 4, Nr. 751 (S. 888–895). 16 Ebd., Nr. 751 (S. 888–895), S. 891. 17 Ebd., Nr. 751 (S. 888–895), S. 892.

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bringen.1⁸ Der Kaiser kündigte aber im Ausschreiben auch deutlich an, dass die Versammelten im Anschluss an die Versammlung gemeinsam ins Feld ziehen würden. Die persönliche Anwesenheit der Geladenen stand in diesem Fall im direkten Zusammenhang zu deren militärischen Beistandspflichten als Vasallen. Auch Maximilian I. forderte in seinen Ausschreiben gewöhnlich die persönliche Anwesenheit. Dies war beispielsweise 1505 zum Gerichtstag über den niederbayerischen Erbfolgestreit in Köln der Fall.1⁹ Die Forderung betraf aber nicht alle Stände gleichermaßen. Bei einzelnen Ständen wurde auch 1505 die Vertretung durch einen Anwalt ausdrücklich akzeptiert.2⁰ Karls V. erstes Ausschreiben enthielt keinen Hinweis auf die Pflichten der Angeschriebenen gegenüber dem Herrscher und dem Reich. Dies mag daran liegen, dass die meisten Stände dem neuen Herrscher noch nicht gehuldigt und ihre Regalien noch nicht verliehen bekommen hatten. Im Ausschreiben heißt es: »Solchs verkunden wir E. L., mit sonderm vleis begerend, das ir euch mit einer geringen anzal auf solchen tag personlichen fueget«21. Die Erwähnung des Gefolges scheint eine aus dem Mittelalter stammende Komponente der Ladungsschreiben zu sein, die unter Karl V. schließlich aufgegeben wurde. 1495 hatte Maximilian I. die Zuführung von Gefolge auch von den geladenen Städten gefordert.22 Die Formulierung von 1521 impliziert, dass die Zahl der Begleiter gering gehalten werden sollte, und bezog sich wohl nur auf das Gefolge der Fürsten. In den Ausschreiben an die Reichsstädte wurde dieser Teil 1521 deshalb weggelassen. Es war das letzte Mal, dass ein Ausschreiben Karls überhaupt auf das Gefolge einging. Die persönlich anreisenden Fürsten führten aber weiterhin zur Prachtentfaltung eine große Gefolgschaft mit. Die folgenden Reichstage wurden zunächst nicht mehr direkt vom erwählten Kaiser ausgeschrieben und geleitet, sondern in dessen Namen durch das Reichsregiment. Ein Vergleich zwischen den Ausschreiben Karls V. von 1521 und des Regiments offenbart einen deutlichen Umbruch, denn das Reichsregiment nutzte deutlich schärfere Formulierungen. Bereits in seinem ersten Ladungsschreiben schlug das Regiment einen sehr strengen Ton an. Es griff die von früheren Ausschreiben bekannte Formulierung von der Pflichtverbundenheit des Angeschriebenen wieder auf. Diese Formel sollte auch in den folgenden Ausschreiben immer wieder auftauchen. Im ersten Ausschreiben des Regiments hieß es über den Reichstag: »welichen wir deiner andacht hiemit verkünden und ernstlich bevelhen, bei den pflichten, da du uns und dem reich verwandt pist, gebietend, das du dich auf solchen reichstag personlichen fügen und zu bestimpter zeit daselbt

18 Der Geladene sollte »mit deiner person mit den deinen zu roß und fuß, so sterkest du magst, im harnasch und aller bereitschaft, als in ain feld gehort, wolgerust« erscheinen: RTA MR 4, Nr. 751 (S. 888–895), S. 892. 19 RTA MR 8, Nr. 128 (S. 297), Nr. 129 (S. 297). 20 Ebd., Nr. 223 (S. 364). 21 RTA JR 2, Nr. 2 (S. 136–138), S. 137. 22 Dort heißt es: »mit einer anzal der ewrn«: RTA MR 5, Nr. 27 (S. 124–129), S. 129.

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zu Nurmberg gewißlich erscheinen […] und je nit ausbleiben, noch auf jemands andern waigern oder verziehen wöllest.«23 Die umständlichen doppelten Formulierungen lassen aber vermuten, dass das Regiment bereits ahnte, wie schwierig es sein würde, die Stände zum persönlichen Besuch zu bewegen. Daher wurde im Text des Ausschreibens weiter auf die Pflichten des Empfängers und auf mögliche Konsequenzen eingegangen: »Daran thüet dein andacht, zusambt du das in kraft obberürter ordnung, abschied, auch als ein christenlich glid und des reichs verwandtsnüß nach schuldig pist, unser ernstlich mainung. Dann wo dein andacht darüber aussenbleiben, dardurch also zu verhinderung des ernstlichen und hochnotturftigen werks ursach geben wurdest, so wöllen wir uns gegen den almechtigen und meniglich hiemit bezeugt und die andern gehorsamen entschuldigt haben, das solchs durch uns oder unsern vleiß nit gestanden, besonder dich, was solch deiner andacht ungehorsam und aussenbleiben bei meniglich verdachts und anders mitbringen mög, hiemit gnediglich gewarnt und erindert haben«2⁴. Das Regiment warnte also den Angeschriebenen direkt vor Konsequenzen, sollte dieser nicht persönlich kommen. Dem Kaiser wurde die »ernstlich mainung« in den Mund gelegt, der Empfänger sei schuldig, zu kommen. Ein Fernbleiben werde den Stand von den anderen, den »gehorsamen«, isolieren. Deutlich wurde auf die Möglichkeit angespielt, den Zorn des Kaisers auf sich zu laden: Wer nicht käme, werde »meniglich verdachts und anders« auf sich ziehen. Das zweite Ausschreiben des Jahres 1522 wurde wieder vom Reichsregiment in Karls Namen formuliert und übertraf das erste noch in der gebrauchten Schärfe. Es beinhaltete die Klage darüber, dass der vergangene Reichstag zu schwach besucht worden sei. Der Verweis auf mögliche Konsequenzen war diesmal ungleich deutlicher: »Demnach erfordern und ermanen wir dich bei den pflichten, damit du uns und dem heiligen reich verwandt bist, auch bei verlierung aller deiner regalien, freiheiten und gnaden, so du von uns und dem heiligen reich hast und tregst, ernstlich gepietend und wellen, das du […] in aigner person gewislich erscheinest«2⁵. Das Regiment drohte den Verlust aller Herrschaftsrechte und Privilegien des Empfängers an, sollte dieser nicht in eigener Person erscheinen. Mit dieser Formulierung war der Höhepunkt dieser Entwicklung erreicht. Der Entzug aller Regalien, Privilegien und Rechte wurde nur noch in zwei späteren Reichstagsausschreiben angedroht,2⁶ wurde aber auch in anderen kaiserlichen Mandaten als Sanktionsmittel aufgeführt.2⁷ Die Formulierung war ebenfalls keine Erfindung

23 RTA JR 3, Nr. 1 (S. 38–40), S. 39–40. 24 Ebd., S. 40. 25 RTA JR 3, Nr. 1 (S. 185–188), S. 188. Zu dieser Pönformel: Aulinger, Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert, S. 172. 26 Dies waren die Ausschreiben zu 1528 und 1529. 27 Ein kaiserliches Mandat von 1526 kündigt beispielsweise den Verlust »aller Ewer Regalien, Lehen, gnaden vnd freyhaiten« im Fall militärischer Unterstützung der Kriegsgegner Karls an: LA Düsseldorf, Kurköln II, Nr. 5141, Bd. 2, 24rv.

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des Reichsregiments, sondern fand schon in mittelalterlichen Hoftagsladungen Gebrauch.2⁸ Langfristig wurden die Ladungsschreiben hinsichtlich des persönlichen Erscheinens abgemildert. Im Ausschreiben für den schließlich an mangelnder Beschickung gescheiterten Reichstag im Sommer 1523 hieß es zwar weiterhin, die Reichsstände sollten persönlich kommen. Nun wurde aber hinzugefügt: »oder auch durch völligen Gewalt«2⁹. Hier wurde also die ohnehin inzwischen gängige Praxis der Gesandtschaft als Möglichkeit angesprochen. Eine Vorlage für die Vollmacht (»Gewalt«) von Gesandten wurde beigelegt.3⁰ Neu war 1523 auch, dass das Ausschreiben eine Strafzahlung in Höhe von 20 Mark reinen Goldes für den Fall des Nichterscheinens vorsah.31 Die in der 1522 neu eingesetzten Pönformel angedrohte Strafe wurde also binnen eines Jahres vom Verlust aller Regalien und Rechte auf eine vergleichsweise schlichte Geldstrafe reduziert. Als der erwählte Kaiser 1525 ein Ausschreiben in Spanien aufsetzen ließ, wurde darin ebenfalls persönliche Anwesenheit gefordert. Die Möglichkeit einer Vertretung sollte nur dann gegeben sein, wenn dafür ausreichende Gründe vorlägen. Die zulässigen »grossen, ehaften ursachen« wurden auf »leibs krankeiten oder thetlicher uberzug eurer landt und leut«32 eingeschränkt. So wurde neben der Möglichkeit einer Erkrankung auch der aktuellen politischen Situation des Bauernkriegs und der allgemeinen Furcht vor weiteren Reichsfriedensverletzungen Rechnung getragen. Eine Strafe für Nichterscheinen wurde nicht mehr aufgeführt. Neu am Ausschreiben von 1525 war die kaiserliche Ankündigung, die Verhandlungen sollten spätestens 15 Tage nach dem genannten Termin ohne Rücksicht auf noch nicht erschienene Stände beginnen. Alle Beschlüsse sollten dann für die Abwesenden ebenso bindend sein, wie wenn sie dabei gewesen wären.33 Dabei wurde eindringlicher als in früheren Ausschreiben die Unpünktlichkeit vieler Stände getadelt. Dem üblichen Bestandteil »ye nit aussenbeleibet noch auf yemants andern weygert noch verzieht« ist noch beigefügt: »damit nit, wie vormals oft bescheen, andere, so zeitlich ankumen, mit verdruß, schweren costen und nachteiliger verzerung der zeit warten mussen«3⁴. Diese Formulierung wurde nun dauerhafter Bestandteil der Reichstagsausschreiben. Eine Verspätung der Stände wurde als Behinderung der dringenden Reichsangelegenheiten, pünktliches Erscheinen hingegen als Ausdruck von Solidarität mit anderen Ständen aufgefasst. 28 So drohte beispielsweise das Ladungsschreiben Ludwigs des Bayern 1330 dem Halberstädter Bischof für den Fall seines Nichterscheinens mit »pena privacionis omnium iurium et feodorum«, die der Bischof vom Reich habe: MGH Const. VI, Nr. 865 (S. 718–719), S. 719. Vgl.: Martin, Auf dem Weg zum Reichstag, S. 139. 29 RTA JR 4, Nr. 1 (S. 9–10), S. 10. Zu den Überlegungen, dass Räte für diesen Reichstag ausreichend sein sollten: ebd., S. 1. 30 Ebd., Nr. 1 (S. 9–10), S. 10: Beilage 2. 31 Ebd., Nr. 1 (S. 9–10), S. 10. 32 RTA JR 5/6, Nr. 18 (S. 160–164), S. 161–162. 33 Ebd., S. 162. 34 Ebd.

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Im Reichsabschied von 1525, mit dem der Reichstag verschoben wurde, war von Entschuldigungsmöglichkeiten nicht mehr die Rede. Dort hieß es wieder nur, die Stände sollten in eigener Person erscheinen.3⁵ Das im Februar 1526 vom Reichsregiment verfasste neue Ausschreiben informierte im Namen des Kaisers über die Vertagung der jüngsten Reichsversammlung und forderte die Stände persönlich nach Speyer, ohne Gesandtschaften als Option zu erwähnen.3⁶ Für den Fall, dass die Geladenen nicht erscheinen würden, kündigte das Schreiben an: »wurden wir versursacht, gegen euch deshalben ernstlich handlung, wie sich umb solh eur ungehorsam geburt, furtzunemen«3⁷. Im Ausschreiben für Regensburg 1528 fand sich wieder die schon 1522 verwendete Drohung mit dem Entzug aller »freiheiten und gnaden«, sollten die Stände nicht am genannten Tag in Regensburg erscheinen3⁸ – bezeichnenderweise im Ausschreiben eines Reichstags, der auch aus Mangel an Teilnehmern scheiterte.3⁹ Auch das Ausschreiben für den Reichstag von 1529 drohte noch mit dem Verlust der Regalien, Freiheiten und Lehen.⁴⁰ Die Stände sollten persönlich kommen. Im Falle »ehafter verhinderung« sollte aber eine ausreichend bevollmächtigte Gesandtschaft genügen.⁴1 Für Verspätungen wurde eine Frist von zehn Tagen eingeräumt.⁴2 Auch spätere Reichstagsausschreiben behielten die Grenze von zehn Tagen bei.⁴3 Es ist auffällig, dass die Ausschreiben für die Reichstage von 1522 bis 1529, während Karls Abwesenheit, sehr streng formuliert waren. Gerade die Ausschreiben, die nicht direkt vom Kaiser kamen, enthielten deutliche Hinweise auf mögliche Konsequenzen, sollten die Stände dem Ladungsschreiben nicht Folge leisten. Die mangelnde Autorität des Reichsregiments und der kaiserlichen Statthalter sollte anscheinend ausgeglichen werden. Nach 1529 folgten drei Reichstage, die auf Initiativen des Kaisers zurückgingen und von Karl auch persönlich geleitet wurden. Die Ladungsschreiben zu diesen Reichstagen sind deutlich selbstbewusster formuliert und kommen ohne Drohungen aus.⁴⁴ Für die Reichstage von 1532 und

35 RTA JR 5/6, Nr. 34 (S. 198–204), S. 199. 36 Neben der bekannten Formel von den Pflichten des Empfängers wurde auch »vermeidung unser [= des Kaisers] swern ungnad und straff« als Grund zum Besuch des Reichstags genannt. Eine konkrete Strafe wurde im Ausschreiben von 1526 aber nicht mehr aufgeführt: Ebd., Nr. 62 (S. 285–287), S. 286–287. 37 Ebd., Nr. 62 (S. 285–287), S. 287. 38 RTA JR 7, Nr. 27 (S. 1010–1011), S. 1011. 39 Ebd., Nr. 72 (S. 1080–1084), S. 1080. 40 Ebd., Nr. 70 (S. 1073–1075), S. 1074. 41 Die Gründe der Verhinderung sollten die Stände dann aber unter »brief und siegel an eids statt beteuren«: Ebd., Nr. 70 (S. 1073–1075), S. 1074. 42 Ebd., Nr. 70 (S. 1073–1075), S. 1074. 43 RT 1530: Förstemann, Urkundenbuch, Nr. 1 (S. 1–9), S. 8; RT 1532: RTA JR 10, Nr. 1 (S. 213–214), S. 214. 44 Ausschreiben RT 1530: Förstemann, Urkundenbuch, Nr. 1 (S. 1–9). Ausschreiben RT 1532: RTA JR 10, Nr. 1 (S. 213–214), S. 214. Ausschreiben RT 1541: Ganzer/Mühlen, Akten der Reichsreligionsgespräche 3, Nr. 1 (S. 1–4).

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1541 waren auch wieder bevollmächtigte Gesandtschaften bei gesundheitlichen Problemen der Geladenen vorgesehen.⁴⁵ Die von Karl verfolgte Tendenz, den Ständen keine direkten Konsequenzen anzudrohen und durch die Erwähnung von Entschuldigungsgründen die Möglichkeit für bevollmächtigte Gesandtsschaften offen zu halten, wurde nun auch von Ferdinand I. fortgesetzt, der die folgenden Reichstage ausschrieb und leitete. Die Ausnahmeklausel zur persönlichen Anwesenheit fiel 1542 sehr allgemein aus.⁴⁶ Auch die Ermahnung zur Pünktlichkeit beschränkte sich auf die bekannte Formel, die zu Solidarität mit den rechtzeitig erscheinenden Ständen aufrief.⁴⁷ Als im Abschied des Speyerer Reichstags ein weiterer Reichstag nach Nürnberg für das gleiche Jahr festgesetzt wurde, wurde sogar eine noch zurückhaltendere Formulierung gewählt. Die Stände sollten »personlich oder durch ire potschaften mit gnugsamen volmechtigen gewalt«⁴⁸ nach Nürnberg kommen. Eine besondere Priorität der persönlichen Anwesenheit ist hier nicht mehr erkennbar.⁴⁹ Auch für den Reichstag von 1543 waren die Entschuldigungsgründe nur sehr vage vorgegeben.⁵⁰ Nach der erneuten Rückkehr Karls ins Reich forderte er die Stände auf, sich durch »nichts dann Gottes gewalt«⁵1 vom persönlichen Reichstagsbesuch abhalten zu lassen. Darunter verstand der Kaiser, wie im weiteren Text deutlich wird, wieder am ehesten Krankheitsfälle. In der Folgezeit variierten die Ausschreiben kaum mehr. Sie behielten die Form eines kaiserlichen Mandats. Folgende Bestandteile bildeten nun die Reichstagsausschreiben: 1. Eine intitulatio nennt den Aussteller. 2. Anrede. 3. Ein relativ variabler Text erklärt die Umstände, die den Reichstag erfordern, und bietet so auch einen kurzen Einblick in die Beratungsgegenstände. 4. Die Entscheidung, einen Reichstag abzuhalten, Datum und Ort werden genannt. 1521 und zu den Reichstagen nach Karl V. folgt an dieser Stelle der Verweis auf das Einverständnis der Kurfürsten. 5. Der Reichstag wird dem Empfänger verkündet und dieser bei den Pflichten, durch die er dem Reich und dem Kaiser verbunden ist, ermahnt, am Reichstag teilzunehmen. Zusätzlich wird dies auch unter Verweis auf die kaiserliche Macht (1541 sogar durch kaiserliche Machtvollkommenheit) geboten oder befohlen. 6. Die persönliche Anwesenheit (außer bei Städten) wird angeordnet.

45 Für 1532 lautete die Formulierung: »allein leibs ehaft und unvermuglichkeit und Gots gewalt«: RTA JR 10, Nr. 1 (S. 213–214), S. 214. Für 1541: »allein in fall leibs ehaffter krankheit«: ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 7-2 fol. 41r. 46 Bevollmächtigte könnten »auß ehaften ursachen« entsandt werden: RTA JR 12, Nr. 1 (S. 72–74), S. 73. 47 Ebd., Nr. 1 (S. 72–74), S. 74. 48 Ebd., Nr. 285 (S. 1168–1210) §118 (S. 1197–1198), S. 1198. 49 Die Stände wurden jedoch, wie inzwischen üblich, ermahnt, sie seien auch dann an die Beschlüsse des Reichstags gebunden, wenn sie nicht kämen: Ebd., Nr. 285 (S. 1168–1210) § 120 (S. 1198). 50 Gesandtschaften waren den Ständen gestattet im Fall »irer ehaften, unvermeindlichen verhinderung«: RTA JR 13, Nr. 198 (S. 884–902) § 36 (S. 895–896), S. 896. 51 RTA JR 15, Nr. 1 (S. 151–153), S. 153.

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7. Eine Ausnahmeklausel formuliert die Möglichkeit einer Vertretung durch eine Gesandtschaft unter besonderen Umständen, üblicherweise im Krankheitsfall. 8. Als Zweck der Teilnahme wird nun ausdrücklich der gemeinsame Ratschlag und das gemeinsame Handeln der Reichsstände genannt. Diese müssten in Reichsangelegenheiten zu Ehre, gemeinem Nutzen und Wohlfahrt des Reichs und in anderen Dingen handeln, wie sie es schuldig seien. 9. Die Stände werden zu Pünktlichkeit ermahnt, da dies für einen erfolgreichen Reichstag wichtig sei. Außerdem schade der zu spät eintreffende Stand den Pünktlichen, indem er unnötige Wartekosten verursache. 10. Erklärung, die Stände kämen durch die Teilnahme am Reichstag (die auch als Ausdruck der Vaterlandsliebe des Angeschriebenen gewertet wird⁵2) nicht nur ihren Pflichten eines Vasallen des Reichs nach, sondern vollzögen dadurch auch des Kaisers Willen. 11. Für den Fall, dass der Empfänger nicht erscheint, wird darauf hingewiesen, dass die Beschlüsse der Versammlung auch für Abwesende bindend seien. 12. Datierung und Unterzeichnung. Zusammenfassend lässt sich hervorheben, dass die Form der Reichstagsausschreiben während der Regierungszeit Karls V. noch deutlichen Änderungen unterlag und sich erst im Laufe dieser Zeit festigte. Die Erwähnung von mitzuführendem Gefolge, wie sie unter den Vorgängern Karls bisweilen in den Ladungsschreiben auftauchte, erfolgte nach 1521 nicht mehr. Hinsichtlich der Praxis, Gesandte in Vertretung zu entsenden, wurden die Ausschreiben im Untersuchungszeitraum sehr unterschiedlich gestaltet. Auffällig ist, dass in der Zeit der ersten Abwesenheit Karls vom Reich die Ausschreiben in einem sehr strengen Ton verfasst sind. Mit wechselnder Deutlichkeit wurden den Ständen unangenehme Konsequenzen angedroht, wenn sie nicht persönlich zum Reichstag kommen sollten. Diese Entwicklung wurde nach der Rückkehr des Kaisers ab dem Reichstag von 1530 wieder rückgängig gemacht. Es ist deshalb anzunehmen, dass sie Ausdruck der mangelnden Autorität des Reichsregiments und der kaiserlichen Statthalter war. Gerade weil dem Reichsregiment die Autorität des Herrschers fehlte und es auch keine eigene Autorität unter den Ständen erlangen konnte, versuchte es, bei der Formulierung der Ausschreiben die kaiserliche Autorität für sich zu nutzen. Die vom Regiment verfassten Ausschreiben enthielten in ihrem Text deshalb auch keinen Hinweis darauf, dass sie nicht vom Kaiser stammten. Die genutzten Drohungen waren allerdings unglaubwürdig. Auch war es bei einem Reichstag, der durch das Regiment und nicht durch den Kaiser persönlich veranstaltet wurde, für die Stände vergleichsweise naheliegend, ebenfalls nur eine Gesandtschaft zu schicken. Hierin mag ein Grund dafür liegen, dass die Ausschreiben des Regiments so eindringlich die persönliche Anwesenheit der Stände forderten. Die strenge Formulierung der Ausschreiben durch das Regiment war auch Ausdruck des schlechten Verhältnisses zwischen Regiment und Reichsständen. Schon 1522 hatte sich gezeigt, wie unterschiedlich die Selbstauffassung des Regiments und die Einschätzung desselben durch die Reichsstände waren. Das Regiment bean52 Die übliche Formulierung war: »aus liebe des gemeinen vatterlandts« RTA JR 20, Nr. 7 (S. 143–146), S. 145.

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spruchte eine Rangstellung, die dem Kaiser angemessen war.⁵3 Die Reichsstände wollten dem Regiment jedoch eine so eminente Bedeutung nicht zubilligen und empörten sich generell über Anmaßungen des Regiments.⁵⁴ Nach der Rückkehr des Kaisers normalisierte sich der Stil der Ausschreiben deshalb wieder. Die Bedeutung des Reichstags von 1530 wird den meisten relevanten Ständen ohnehin bekannt gewesen sein. Auch wenn Karl und Ferdinand zu den nun folgenden Reichstagen bei bedeutenden Fürsten immer wieder um persönliche Teilnahme warben, wurde es jedoch allgemein üblich, die Möglichkeit einer Gesandtschaft im Ausschreiben anzusprechen und diese explizit nur in bestimmten Fällen zu gestatten.

2.2 Vorbereitung und Anreise »Die Reichstage des 16. Jahrhunderts pflegten nicht pünktlich zu beginnen.«⁵⁵ Dieser von Horst Rabe hervorgehobene Umstand war auch den Reichstagsteilnehmern bewusst. Bis auf wenige Ausnahmen begannen alle Reichstage mit wesentlicher Verzögerung. Daran änderten auch die Ermahnungen in den Ausschreiben nichts. Selbst der Kaiser oder sein Stellvertreter trafen oft nicht zum vorgesehenen Termin ein.⁵⁶ Vielmehr löste die Ausschreibung eines neuen Reichstags einen schwierigen Prozess des Organisierens und Abwägens aus, der die Anreise der Stände bestimmte. Ein Brief des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich an den Landgrafen von Hessen von 1544 vermittelt einen guten Eindruck über die Faktoren, die dabei eine Rolle spielten. Zwar habe der Kaiser, so der Kurfürst, schriftlich angekündigt, bis zum 10. Januar in Speyer einzutreffen, aber »so ist es doch aus vielen ursachen nit wol zu gedencken, sonder wirdet ungewiss sein. Solten dann wir ehe zu Speier ankommen, so tetten wir einen trefflichen, unnoturftigen uncosten, nachdeme alle ding des orts teuer sein und allererst am kauf steigen werden.«⁵⁷ Auch zu Karls Ankündigung, die kaiserlichen Kommissare sollten mit den Ständen bereits vor seinem Eintreffen die Verhandlungen zu unbedeutenderen Punkten beginnen, äußerte sich der Kurfürst skeptisch: Er habe gehört, dass bisher nur Reichsvizekanzler Johann von Naves in Speyer eingetroffen sei. Deshalb sei fraglich, »was 53 54 55 56

Zum Reichstag von 1522: Kapitel 1.2.1 ab S. 39. Zum Machtverlust des Regiments: RTA JR 4, S. 6–9. Rabe, Reichsbund und Interim, S. 195. Bezeichnend für die weit verbreitete Erwartung eines verspäteten Reichstagsbeginns ist der Beschluss der schmalkaldischen Stände von 1542, den im Winter anstehenden Reichstag pünktlich zu besuchen, um die so entstehende Wartezeit noch für unerledigte Bundesverhandlungen nutzen zu können. Der Reichstag war für den 14. Dezember 1542 ausgeschrieben worden. Erst am 6. Januar waren ausreichend Bundesstände anwesend, um mit den Bundesverhandlungen zu beginnen. Am 31. Januar wurde der Reichstag schließlich eröffnet: Edelmayer, Kursachsen, Hessen und der Nürnberger Reichstag von 1543, S. 194–195. 57 RTA JR 15, Nr. 15 (S. 172–173), S. 172–173.

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er in der sachen allein wurde handeln oder ausrichten mugen«⁵⁸. Die politische Durchsetzungsfähigkeit des kaiserlichen Rats wurde hier also infrage gestellt. Aber auch für den Fall, dass der einflussreichere Nicolaus Perrenot Granvelle hinzukäme »werden sie doch sobaldt zur resolution derselben articel nit kommen, zudem das der Naves sich etwas beschwert soll haben vermercken lassen, das die fursten noch nit ankommen weren.«⁵⁹ Die Abwesenheit anderer Fürsten ließ den Kurfürsten damit rechnen, er werde, wenn er schließlich um den 4. Februar 1544 herum abreise, »nichts vorseumbt haben«, sondern »alsdan noch zeitlich genug kommen.«⁶⁰ Um sicher zu gehen, habe er einen seiner Diener nach Köln gesandt, um »aldo aigentliche erfarung zu hoben, wann sich ksl. Mt. erheben wirdet, nach Speier zu tziehen. Darnach konnen wir uns alßdan auch weiter richten.«⁶1 Ferner verwies Johann Friedrich noch darauf, dass weder Herzog Moritz von Sachsen noch Kurfürst Joachim II. von Brandenburg bald aufbrechen würden. Dies schloss er aus dem Umstand, dass bisher noch keiner der beiden ihn um Geleit gebeten habe. Für die geladenen Stände war also eine Vielzahl von Aspekten von Bedeutung, wenn sie ihre Anreise zu den Reichstagen planten. Der zitierte Brief verdeutlicht vor allem aber das Bedürfnis der Stände nach präzisen Informationen über den tatsächlichen Stand der Reichstagsvorbereitungen und er zeigt auch, dass die Vermittlung dieser Informationen rege betrieben wurde. Wie im vorigen Kapitel dargestellt, hatte der Kaiser ein hohes Interesse daran, möglichst viele bedeutende Stände zum persönlichen Besuch des Reichstags zu bewegen. Zu diesem Zweck wurden auch noch nach dem Ausschreiben Gesandtschaften zu den Kurfürsten und anderen wichtigen Fürsten geschickt, um dort für die persönliche Anwesenheit am Reichstag zu werben.⁶2 Zusätzlich versandten der Kaiser und bisweilen auch der König Mahnschreiben, die die Stände zu Pünktlichkeit und persönlicher Anwesenheit aufforderten.⁶3 Zur Vorbereitung eines Reichstags suchte der Kaiser also den Kontakt mit den bedeutenden Reichstagsteilnehmern. Auch noch während der Reichstage wurden Gesandte bisweilen aufgefordert, ihre Auftraggeber zu einem persönlichen Erscheinen zu bewegen.⁶⁴ Die Stände dagegen mussten abwägen, wie sie sich verhalten sollten: Für Fürsten war es bei einer persönlichen Anwesenheit obligatorisch, eine standesgemäße Begleitung und Hofhaltung zu unterhalten, was den Aufenthalt am Reichstag 58 59 60 61 62 63

RTA JR 15, Nr. 15 (S. 172–173), S. 173. Ebd. Ebd. Ebd. Aulinger, Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert, S. 172. Beispiele für solche Mahnschreiben finden sich in: ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 7-2, fol. 43r–44r; Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10184/05 fol. 17; Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), Nr. 139, fol. 186; RTA JR 12, Nr. 2 (S. 74–76); RTA JR 13, Nr. 5 (S. 110); Nr. 7 (S. 111–112); RTA JR 15, Nr. 17 (S. 175–176); RTA JR 17, Nr. 8 (S. 80–82). 64 Ein Beispiel hierfür: Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), Nr. 137, fol. 7v–8r, 11r–15v.

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ungemein verteuerte.⁶⁵ Eine einfache Gesandtschaft aus einigen Räten, wie sie die Städte sandten, war sehr viel günstiger im Unterhalt. Statt eines ganzen Hofstaats mussten bei einer Gesandtschaft nur eine Handvoll Personen Unterkunft und Verpflegung finden. Deshalb reichten die Kosten für den Reichstag auch von einigen hundert Gulden für kleine Gesandtschaften bis hin zu mehreren zehntausend Gulden für den Aufenthalt eines Kurfürsten.⁶⁶ Unabhängig von diesen Erwägungen war es für die Reichsstände teuer, zu früh zum Reichstag zu kommen. Ein prächtiger Einzug in die Stadt erweckte außerdem einen größeren Eindruck, wenn schon andere Stände zugegen waren, die den Ankömmling begrüßen und das mitgebrachte Gefolge bestaunen konnten.⁶⁷ Auch lief ein zu früh eingetroffener Fürst Gefahr, dass andere, später eintreffende Fürsten ihr Gefolge entsprechend aufstocken und ihn in Anzahl der begleitenden Reiter übertreffen konnten.⁶⁸ Aber auch, wenn der Fürst nicht persönlich zum Reichstag kam, verursachte eine zu früh eingetroffene Gesandtschaft unnötige Kosten. Gleichzeitig fehlten dann die entsandten Räte der heimischen Verwaltung. Deshalb lag es gewöhnlich im Interesse der Stände, den Reichstag möglichst zeitnah zu seinem Beginn zu erreichen. Ein wichtiger Indikator für den baldigen tatsächlichen Beginn des Reichstags war die Anwesenheit des Kaisers oder seiner Kommissare, denn ohne sie konnte der Reichstag nicht eröffnet werden. Da das Reichsoberhaupt und seine Vertreter mit dem Beginn aber in der Regel warteten, bis eine entsprechende Anzahl an bedeutsamen Ständen eingetroffen war, berücksichtigten die Stände bei der Planung ihrer Anreise auch Informationen über die Anwesenheit oder das Fehlen anderer Stände. Um den Kaiser einerseits nicht durch langes Fernbleiben vom Reichstag zu erzürnen, andererseits aber nicht unnötig viel Geld auszugeben, gab es zwei Vorgehensweisen, die öfter Anwendung fanden: Vor allem kleinere und finanzschwache Stände organisierten kooperative Gesandtschaften, die mehrere Stände gemeinsam vertreten sollten. Dieses Mittel wurde von den Prälaten, sowie von den Grafen der Wetterau und Schwabens regelmäßig angewandt und trug so zum Entstehen der Kuriatstimmen⁶⁹ bei. Die andere Maßnahme war, Kundschaft über den Reichstag einzuholen. Die Stände ließen sich dabei über die Lage in der Tagungsstadt informieren und legten anhand dieser Informationen den Zeitpunkt 65 Zur Steigerung des Repräsentationsbewusstseins auf den Reichstagen des 16. Jahrhunderts: Lanzinner, Fürsten und Gesandte, S. 62–64, 67. 66 Einige Kostenvergleiche finden sich bei: Eltz, Reise zum Reichstag, S. 216–217; Lanzinner, Fürsten und Gesandte, S. 60. Sehr sparsam ist die Kostenplanung 1542 für die Gesandtschaft der Pommernherzöge: RTA JR 13, Nr. 246 (S. 42). 67 Zur optischen Aufwertung des Gefolges durch besonders gestaltete Kleidung: Selzer, Überlegungen zur Optik des Reichstags, S. 251–254. 68 Der Kurfürst von Sachsen wartete zu diesem Zweck 1544 die Nachricht von der Ankunft Philipps von Hessen ab: Eltz, Reise zum Reichstag, S. 217. Vgl. aber auch die oben zitierte anderslautende Erklärung des Kurfürsten: RTA JR 15, Nr. 15 (S. 172–174). 69 Zur Entwicklung der Beteiligung der Grafen und damit auch zum Entstehen der Kuriatstimmen: Kapitel 3.7.3 ab S. 270.

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fest, an dem sie persönlich beziehungsweise ihre vollzähligen Gesandtschaften aufbrachen. Aber nicht nur aus der Tagungsstadt holte man Informationen ein. Als Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen 1541 die Instruktion seiner Gesandtschaft erst nach dem offiziellen Reichstagsbeginn vornahm, wies er seine Gesandten an, dies, sollte der Reichstag tatsächlich schon begonnen haben, damit zu entschuldigen, er habe aus verschiedenen Quellen »glaublich« erfahren, dass sich der Kaiser noch in den Niederlanden aufhalte.⁷⁰ Im eingangs zitierten Brief wurde von einem nach Köln gesandten Diener berichtet, der den Kurfürsten über einen Durchzug des Kaisers in Kenntnis setzen werde. Um an die nötigen Informationen zu gelangen, war es bei größeren Gesandtschaften und auch bei der Planung einer persönlichen Anwesenheit sinnvoll, zunächst wenige Beauftrage an den Tagungsort zu schicken, die über Briefe den Heimathof auf dem Laufenden hielten. Dies hatte den Vorteil, dass sich diese Beauftragten bereits in der Mainzer Kanzlei anmelden und nach einer passenden Herberge suchen konnten. Zum entsprechenden Zeitpunkt konnten dann die restlichen Räte oder gar der Fürst nachkommen. Dieses Vorgehen scheint sehr üblich gewesen zu sein. Als Beispiel mögen hier die würzburgischen Räte 1542 beim Reichstag in Speyer dienen: Der Reichstag war auf den 14. Januar 1542 ausgeschrieben worden.⁷1 Anfang Dezember 1541 forderte König Ferdinand I. die Fürsten in einem Schreiben zum pünktlichen Besuch des Reichstags am 14. Januar auf.⁷2 Am 28. Dezember erschien ein Bote mit einem Schreiben des Würzburger Bischofs in Speyer, in dem er die Stadt um angemessene Herbergen für sich und sein adeliges Gefolge bat.⁷3 Am 9. Januar aber instruierte der Fürstbischof eine Gesandtschaft von drei Räten, ihn auf dem Reichstag zu vertreten.⁷⁴ Von diesen dreien reiste zunächst nur einer, der Kanzler, in Begleitung von acht Personen nach Speyer. Auf einem Karren transportierten sie zwei Truhen, in denen die Reichstagsunterlagen mitgeführt wurden. Der Zug brach am 16. Januar auf. Noch am selben Tag warb der Gesandte einen weiteren Fuhrknecht samt Fahrzeug an und erreichte die Stadt Speyer schließlich am 20. Januar,⁷⁵ wo er die Gesandtschaft anmeldete. Am 22. Januar sandte er einen Teil seiner Leute mit einem ersten Brief zurück nach Würzburg. Im Berichtsprotokoll verzeichnete er die bereits anwesenden Stände.⁷⁶ Eine Übersicht über diese wird auch Inhalt seines Briefs gewesen sein. Der König zog am 2. Februar nachmittags in Würzburg ein. Am Folgetag schickte der Gesandte seinen inzwischen dritten Brief nach Würzburg.⁷⁷ Am 7. Februar trafen dann die restli70 Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), Nr. 139, Instruktion fol. 95–102, dort fol. 97v. 71 RTA JR 12, Nr. 1 (S. 72–74). 72 Ebd., Nr. 2 (S. 74–76). 73 Ebd., Nr. 47 (S. 343–380), S. 344. 74 Ebd., Nr. 16a (S. 146–147). 75 Ebd., Nr. 47 (S. 343–380), S. 344. 76 Ebd., S. 345. 77 Ebd., S. 346–347. Einen zweiten Brief hatte der Kanzler bereits am 29. Januar versandt.

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Vorbereitung und Anreise

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chen Gesandten ein, so dass die würzburgische Gesandtschaft komplett war.⁷⁸ Am 9. Februar wurde der Reichstag schließlich eröffnet.⁷⁹ Der Bischof hatte also auf eine gestaffelte Gesandtschaft zurückgegriffen: Ein erster Bote sollte zunächst bei der Stadt um Herbergen werben. Später reiste dann nur ein Teil der Gesandtschaft, jedoch mit allen nötigen Unterlagen, zum Reichstagsort. Dieser eine Rat begann sogleich einen Briefwechsel mit dem Heimathof. So gelang es, erst unmittelbar vor Beginn des Reichstags die volle Gesandtschaft in Speyer zu versammeln, obwohl der Reichstag mit einer Verspätung von drei Wochen eröffnet wurde. Auch den Speyerer Reichstag von 1544 wollte der Würzburger Bischof ursprünglich anscheinend (oder zumindest vorgeblich) persönlich besuchen. Es wurde nach einem ähnlichen Muster verfahren: Der Bischof verfügte bereits zufällig über zwei Räte in Speyer, die sich dort anlässlich der Reichskammergerichtsvisitation aufhielten. Als der Bischof das Ausschreiben zum Reichstag Mitte November 1543 erhielt, sandte er seinen Küchenmeister mit einem Reitboten nach Speyer, die dort eine Herberge finden sollten. Das Ausschreiben sah den letzten Novembertag für den Beginn des Reichstags vor.⁸⁰ Die Herberge, die für den Fürsten vorgesehen war, befand sich 1544 im Haus des gleichen Bürgers wie schon 1542.⁸1 Der Bischof wünschte sich mehrere Herbergen: Eine für seine Person und »derselbigen camerdienern, jung vom adel, muntkhoche, schencken, becken und andere, so uff irer fstl. Gn. leib warten.«⁸2 Weiteres Gefolge, darunter auch Grafen und Herren, sollte drei weitere Gebäude beziehen. Die kaiserlichen Furiere gestatteten dem Küchenmeister aber nur den Bezug von insgesamt drei Gebäuden. In einem Schreiben ordnete der Kaiser schließlich die Verschiebung des Reichstagsbeginns auf den 10. Januar an.⁸3 Dies ließ eine weitere Verzögerung der Reichstagseröffnung vermuten. Die ersten Räte der Reichstagsgesandtschaft des Bischofs trafen deshalb erst am 17. Januar in Speyer ein. Mit sich führten sie wieder die Reichstruhen auf Fuhrwerken. Diese Fahrzeuge wurden aber, vermutlich um Kosten zu sparen, sofort mit überzähligen Knechten zurückgesandt.⁸⁴ Am 25. Januar ließ der Kaiser den versammelten Ständen über seinen Kammerrichter mitteilen, er werde bald in Speyer eintreffen. Deswegen ließ er den Befehl übermitteln, »ain jede bottschaft und gesandter sollt seinem hern uffs forderlichst zuscheiben, unverzoglich personlich alhie einzukhommen und dem außschreiben nach zu erscheinen.«⁸⁵ Der Kaiser, selbst noch gar nicht eingetroffen, rechnete anscheinend damit, dass viele Stände zunächst Gesandte an den Reichstagsort befohlen hatten und mit ihrer persönlichen Ankunft auf den tatsächlichen Reichs78 79 80 81 82 83 84 85

RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 347–348. Ebd., S. 349–353. RTA JR 15, Nr. 1 (S. 151–153). Dieser Bürger war Conradt Lutz. Vgl. RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 344; RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 742. RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 742. Ebd., Nr. 10 (S. 165–167). Ebd., Nr. 83 (S. 742–793), S. 744. Ebd., S. 745.

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Der Ablauf eines Reichstags

tagsbeginn warten wollten. Natürlich galt dieser Aufruf auch jenen Botschaften, deren Auftraggeber gar nicht die Absicht hatten, den Reichstag persönlich aufzusuchen. Im Falle Würzburgs plante der Fürst anscheinend inzwischen keine Reise zum Reichstag mehr. Am 29. Januar traf weiteres würzburgisches Personal in Speyer ein: Der Hofmeister und neun andere Diener des Bischofs erreichten die Stadt mit zwei Wagen. Fuhrwerke und überzählige Knechte reisten aber auch diesmal sofort wieder zurück. So blieb eine Gesandtschaft, die, das einfache Personal hinzugezählt, dauerhaft 13 Personen umfasste.⁸⁶ Es konnte bei diesem Anreisesystem durchaus passieren, dass zu Reichstagsbeginn die Anwesenheit eines Reichsstands wegen einer solchen gestaffelten Anreise noch ungenügend war, weil die wichtigsten Personen der Gesandtschaft oder der Fürst selbst noch nicht anwesend waren. Als beispielsweise 1547 die Reichstagshandlungen begannen, waren für Joachim II. von Brandenburg nur unzureichend bevollmächtigte Gesandte in Augsburg. Markgraf Johann Georg von Brandenburg, der Sohn des Kurfürsten, erklärte aber im Kurfürstenrat, sein Vater werde bald eintreffen.⁸⁷ Beim Augsburger Reichstag 1555 sahen es die versammelten Stände zu Reichstagsbeginn sogar als notwendig an, mit den Beratungen noch zu warten, weil viele Gesandtschaften erst noch vervollständigt werden mussten: Es seien »etliche anwesendt rethe irer meher mitverordneten in kurtzen tagen gewertig«⁸⁸. Dies lässt vermuten, dass die anwesenden Räte eher eine beobachtende Funktion hatten und, als sich der Beginn des Reichstags abzeichnete, die bedeutenderen Räte aus den Heimatterritorien angefordert hatten. Hätte Ferdinand 1555 nach der Verlesung der Proposition nicht so nachdrücklich auf einen baldigen Beratungsbeginn und auf wenig Bedenkzeit gedrängt,⁸⁹ wären die fehlenden Räte größtenteils vielleicht noch rechtzeitig eingetroffen. Einen anderen Weg als die fürstlichen Botschaften mussten die Gesandten der weniger finanzstarken Stände gehen. Da diese Gesandtschaften oft kleiner waren, wäre es für sie keine Möglichkeit zur Kostenersparnis gewesen, eine Abteilung mit einer Vollmacht vorauszuschicken und auf Nachricht zu warten. Als ein Beispiel für das Vorgehen solcher Gesandtschaften mag hier der Bericht des Gesandten der Wetterauer Grafen auf dem Nürnberger Reichstag von 1542, Gregor von Nallingen, dienen.⁹⁰ Dieser wurde auf einem Grafentag am 7. und 8. Juli zum gemeinsamen Gesandten der Grafen bestimmt,⁹1 reiste aber zunächst heim nach Speyer. Hier wartete er zehn Tage, in denen weitere Vollmachten für ihn eintrafen. Um zu erfahren, wann es ratsam wäre, den Reichstagsort aufzusuchen, hörte er sich nach Informationen über den Stand der Dinge in Nürnberg um. Weil »man

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RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 746. RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 317–318. RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 648. Ferdinand befahl am 6. Februar den Beginn der Beratungen und setzte sich damit über den Rat der Mainzer Räte hinweg: Ebd., Nr. 144 (S. 645–1272), S. 648–649. 90 RTA JR 13, Nr. 60 (S. 414–430). Zu dem Gesandten vgl. Weckbach, Gregor von Nallingen. 91 RTA JR 13, Nr. 45 (S. 260–262).

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Vorbereitung und Anreise

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zu Speir nit wiste, ob solicher reichstag furginge ader nit«⁹2, wandte er sich nach Heidelberg an die kurfürstlichen Räte. Dort erfuhr er, dass der König inzwischen in Nürnberg eingetroffen sei und dass die kurfürstlichen Räte deshalb nun auch dorthin aufbrechen wollten. Am 25. Juli ritt der Grafengesandte von Speyer los und war Ende des Monats in Nürnberg. Obwohl dort kaum Stände anwesend waren, war der Reichstag bereits am 24. Juli eröffnet worden. Wegen dieses unüblichen Vorgangs traf Nallingen eine Woche zu spät ein. Hätte der König – was üblicher gewesen wäre – noch ein paar Tage gewartet, wäre Nallingen mit seiner Methode des Umhörens sogar noch pünktlich eingetroffen. Es liegt auf der Hand, dass ein solches Verhalten immer wieder zu einer Verspätung des Reichstagsbeginns führen musste. Dies erstaunt aber kaum, bedenkt man den hohen Aufwand, den die Stände beim Besuch des Reichstags betreiben mussten. Beim Reichstag versammelten sich die politischen Entscheidungsträger eines Gebiets von Pommern bis Trient an einem Ort. Dass eine solche Versammlung nur schwierig rasch einzuberufen war, ist demnach kein Wunder. Um den Beginn des Reichstags zu beschleunigen, wandten sich der Kaiser oder seine Stellvertreter am besten persönlich an ausgewählte wichtige Fürsten und baten sie zum Reichstagsort. So konnte durch die Nachricht über die Ankunft des Reichsoberhaupts und einiger Fürsten an die wartenden Stände der Eindruck vermittelt werden, es lohne sich jetzt, ebenfalls aufzubrechen. Dies ging einher mit dem Bestreben der kaiserlichen Seite, möglichst viele Fürsten zum persönlichen Besuch zu bewegen. Deshalb war es üblich, dass Kaiser oder König noch von der Reichstagsstadt aus Botschaften und Gesandte an noch nicht erschienene oder sich entschuldigende Stände schickten. Korrespondiert wurde anlässlich eines anstehenden Reichstags aber nicht nur, um den geeignetsten Zeitpunkt für die Anreise abzuklären. Auch die Vorbereitung repräsentativer Details des eigenen Einzugs wurde abgesprochen. Für die Anreise zum ersten Reichstag Karls V. sah sich etwa der brandenburgische Kurfürst Joachim I. veranlasst, Herzog Albrecht VII. von Mecklenburg den Vorschlag einer gemeinsamen Anreise zu unterbreiten. Zu diesem Zweck wollte er das genaue Erscheinungsbild des Geleits aufeinander abstimmen. Er bat auch unabhängig davon darum, sich für den Zug zum Reichstag frühzeitig einige mecklenburgische Musiker ausleihen zu dürfen, die bis zum Aufbruch noch rasch einige Stücke mit den Seinigen einüben sollten.⁹3 Einen weiteren Anlass zu Korrespondenzen bot die Frage, wer alles zum Reichstag geladen wurde. Dies spielte dann eine Rolle, wenn die Reichsstandschaft eines Stands umstritten war. Beispielsweise wandte sich der sächsische Kurfürst anlässlich des Regensburger Reichstags von 1541 in einem Brief an den Kaiser, um sich über die Ladung der Bischöfe von Naumburg, Meißen und Merseburg zu beschweren, die das Haus Sachsen als landsässig betrachtete.⁹⁴ 92 RTA JR 13, Nr. 60 (S. 414–430), S. 414. 93 RTA JR 2, Nr. VI (S. 129–130). 94 Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), 142, fol. 38rv.

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Vor der Abreise planten die Stände ihre Reiseroute und die dabei anfallenden Tagesetappen.⁹⁵ Die Anreise erfolgte bei persönlich erscheinenden Reichsfürsten in Form eines längeren, militärisch anmutenden Zugs von Berittenen und Wagen.⁹⁶ Gesandte reisten in viel kleineren Gruppen gewöhnlich zu Pferd, manchmal aber auch auf Wagen oder in Kutschen.⁹⁷ Bisweilen dienten mitgeführte Wagen auch dem Transport von Unterlagen, Vorräten und Geschenken. Es war üblich, dem Kaiser oder dessen Vertretern Geschenke, oft Wein oder andere Verbrauchsgüter, zu überreichen. 1544 brachte beispielsweise ein eigener Transportwagen Wein⁹⁸ als Geschenk des Bischofs von Würzburg für den Kaiser, den König und deren Räte von Würzburg nach Nürnberg mit.⁹⁹ 1542 schenkte die Stadt Speyer als Gastgeber dem König zwei Fässer guten Weins und fünf Karren mit Hafer.1⁰⁰ Ein weiterer Aspekt der Reichstagsvorbereitung war auch die Zusammenstellung der so genannten Kanzlei- oder »reichstruen«1⁰1, in denen die relevanten Unterlagen für den Reichstag mitgeführt wurden. Was die Gesandtschaft oder der Fürst und seine Räte mitnahmen, wurde dabei bisweilen auf Listen notiert. Zweck dieser Listen wird gewesen sein, die Zusammenstellung der Reichstruhen zu planen und den Rückgang der verwendeten Akten überprüfen zu können. Hierzu einige Beispiele: Die Räte Herzog Georgs fertigten für den Augsburger Reichstag von 1530 ein Verzeichnis mit 19 Einträgen an, die sich jeweils entweder auf einzelne Stücke, etwa das Ausschreiben zum aktuellen Reichstag, oder auf Zusammenstellungen mehrerer Dokumente bezogen, wie beispielsweise die seit dem Wormser Reichstag von 1521 entstandenen Reichsabschiede.1⁰2 Für den Regensburger Reichstag 1541 erstellte die bayerische Verwaltung ebenfalls ein Verzeichnis der Schriften, die für die Dauer der Reichsversammlung nach Regensburg mitgegeben wurden.1⁰3 Zu Herzog Christoph von Württemberg ist überliefert, dass dessen Kanzler und zwei seiner Räte eine Zusammenstellung aller notwendigen Schriftstücke anfertigten, die für den Augsburger Reichstag 1555 verwendet werden sollten.1⁰⁴

95 Eine Aufstellung zweier Entwürfe für solche Reiserouten findet sich in: Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), 139, fol. 75, 76. 96 Eltz, Reise zum Reichstag, S. 213. 97 Ders., Reise zum Reichstag, S. 214–215; Melanchthon reiste 1541 in einer Kutsche: Mundhenk, Reformstau und Politikverdrossenheit, S. 57. 98 »Unser gnediger H. hat zwen wagen mit franckenwein gein Speier geschickt«: RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 748. 99 Ebd., Nr. 83 (S. 742–793), S. 748–749. 100 RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 347. Es war üblich, dass die gastgebende Stadt die Reichstagsbesucher mit »Ehrengeschenken« begrüßte: Aulinger, Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert, S. 200–201. 101 RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 744. 102 »Was vor hendel mit vffn Reichstag genommen sein 1530«: Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10182/12, fol. XIr–XIIIr. 103 HStA München, Kurbayern Äußeres Archiv, 3153, unfoliiert zwischen fol. 217 und 218. 104 Ernst, Briefwechsel des Herzogs Christoph von Wirtemberg, Bd. 3, Nr. 1 (S. 1–4).

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Vorbereitung und Anreise

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Neben der Auswahl der Akten war auch die Entscheidung von Bedeutung, welches Personal mitzunehmen beziehungsweise in Vertretung zu entsenden war. Während kleine Gesandtschaften über wenig Personal verfügten, bisweilen sogar nur eine Person umfassten, bereiteten sich größere Stände umfangreich auf den Reichstag vor. Sprachkenntnisse und (vornehmlich juristische) Fachkenntnisse waren dabei entscheidend. Die kursächsische Instruktion für den Regensburger Reichstag von 1541 ging davon aus, dass am Reichstag »Teutzsch vnnd Lateinisch wirdet mussen geret werdenn« und wies deshalb an, »das Hanns vonn pack das jhenige So inn teutzscher sprach, sol geret werdenn, redenn soll, Es werre dann das solche reden inns recht lauffen wollten, dieselbenn soll doctor pleickhart1⁰⁵ thun, Was aber Lateinisch, soll geredt werdenn, das sol vnser Canntzler thun.«1⁰⁶ Die Instruktion teilte die Wortführung in den Reichstagshandlungen in drei Kategorien ein: Deutsch, juristische (deutsche) Fachsprache und Latein. Diesen Sprachen wurde jeweils ein Fachmann zugeordnet, der dann entsprechend das Wort für Kursachsen zu ergreifen hatte. Zur Vorbereitung eines Reichstags lässt sich zusammenfassen, dass es für alle Beteiligten schwierig war, den tatsächlichen Reichstagsbeginn abzuschätzen. Der Kaiser konnte durchaus durch unerwartete politische Ereignisse am Besuch des Reichstagsorts gehindert werden und auch sein Bruder erschien nicht immer rechtzeitig. Da es für alle Parteien einerseits sehr kostspielig war, zu früh am Tagungsort einzutreffen, und andererseits die heimischen Ländereien Aufmerksamkeit erforderten, war das Abwägen des richtigen Zeitpunkts für den Aufbruch zum Reichstag nicht einfach. Deshalb gingen die Reichsfürsten oft so vor, dass sie eine gestaffelte Beschickung vornahmen, bei der zunächst einfache Boten an den Tagungsort reisten und erste organisatorische Aufgaben übernahmen. Zu einem späteren Zeitpunkt reisten erste Räte ab, die bisweilen bereits bevollmächtigt waren, um im Fall eines überraschend frühen Reichstagsbeginns ihre Herren vertreten zu können. Die vollständige Gesandtschaft oder gar der Fürst persönlich reisten dann erst nach, wenn die Anzeichen für einen baldigen Reichstagsbeginn sprachen. Dieses Vorgehen hatte den Vorteil, dass der jeweilige Reichsstand sein wichtiges Personal noch lange zurückhalten konnte und dennoch formell bereits am Reichstag vertreten war. Obwohl der Fürst und wichtige Räte erst sehr spät abreisten, war die Gefahr, den Kaiser zu verärgern, mit dieser Vorgehensweise recht gering. Unbedeutendere und wenig finanzkräftige Stände gingen dagegen oft das Risiko ein, zu spät zu kommen, und orientierten sich an allgemeinen Nachrichten über die Reisebewegungen von Kaiser, König und anderen Ständen. Eine Entwicklung lässt sich hinsichtlich der Anreise nicht nachvollziehen, was daran liegt, dass detailliertere Berichte hierzu erst mit dem Anstieg der Schriftlichkeit in den 1540er Jahren häufiger werden. Es lässt sich jedoch vermuten, dass sich die ge-

105 Dr. Bleickhard Sindringer. 106 Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), 136, Instruktion fol. 28–72, Zitat von fol. 71v.

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Der Ablauf eines Reichstags

staffelte Anreise parallel zum Ausbau der Landesbehörden in den Fürstentümern entwickelte und spätestens in den 1540er Jahren üblich wurde.

2.3 Registrierung bei der Mainzer Kanzlei Es ist eine Besonderheit der Reichstage des Heiligen Römischen Reichs, dass sie als Ausdruck eines Machtkampfs zwischen dem Reichsoberhaupt und seinem Erzkanzler entstanden sind. Ergebnis dieser Entwicklung war die merkwürdige Doppelstruktur der Reichstage: Der Kaiser war der einzige, der Reichstage einberufen durfte. Auf die formelle Ladung des Kaisers hin kamen die Reichsstände zum Tagungsort, um das Reichsoberhaupt zu beraten. Die Leitung der Verhandlungen zwischen den Ständen oblag aber nicht mehr dem Kaiser, sondern verlagerte sich unter Karl V. endgültig auf den Mainzer Kurfürsten als Erzkanzler des Reichs.1⁰⁷ Dies hatte zur Folge, dass der Mainzer Kanzlei eine Vielzahl von organisatorischen Aufgaben zukam und sie während der Reichstage gleichsam als Werkzeug der Stände, als »organum statuum«1⁰⁸, angesehen wurde. Für die anreisenden Stände war daher zunächst von Bedeutung, dass sie der Mainzer Kanzlei ihre Anwesenheit anzeigten, um bei den Sitzungsaufrufen überhaupt berücksichtigt zu werden. Dies galt vor allem für Gesandtschaften.1⁰⁹ Sie mussten sich in der Mainzer Kanzlei akkreditieren, indem sie sich dort vorstellten, ihren jeweiligen Auftraggeber entschuldigten und ihre Vollmachten überreichten. Die Kanzleimitarbeiter ermittelten dann, ob die Vollmachten den Anforderungen des Ausschreibens entsprachen, und notierten sich die Herberge, in der die Gesandten residierten. Auch für persönlich anreisende Fürsten war es üblich, sich der Kanzlei anzuzeigen.11⁰ Für die Gesandtschaften der Städte galt die Besonderheit, dass sie keiner schriftlichen Vollmacht bedurften.111 Dies mag auch daran liegen, dass die Städte häufig Ratsmitglieder und Bürgermeister und somit bereits einen Teil ihrer universitas entsandten.112 Wegen ihrer wichtigen Aufgaben konnte die Mainzer Kanzlei die anwesenden Stände auch mit Informationen zum aktuellen Reichstag versorgen. Sie hatte einen Überblick darüber, wer schon eingetroffen war, wer welche Stände vertreten sollte und wo die jeweiligen Personen anzutreffen waren. Da sie auch den offiziellen Schriftverkehr der Reichstage führte, war die Mainzer Kanzlei von zentraler Be107 Zur Wahrung der Erzkanzlerrechte Albrechts von Brandenburgs gegenüber Karl V.: Schmidt, Beziehungen, S. 140-142. 108 Zitiert aus den Aufzeichnungen des Hildesheimer Kanzlers Dr. Johann Katzmann (1546), RTA JR 17, Nr. 53 (S. 308–323), S. 309. 109 Härter, Kurmainzer Reichstagsdirektorium, S. 179. 110 Valentin von Tetleben notierte sich 1529, während seiner Zeit als Kanzleimitarbeiter, dass persönlich anwesende Fürsten keine Vollmacht benötigten: RTA JR 7, S. 675. 111 Rauch, Traktat, S. 47. 112 Zum entsprechenden korporativen Repräsentationsverständnis: Hofmann, Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff der Repräsentation in Reich und Kirche, S. 21–24.

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Registrierung bei der Mainzer Kanzlei

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deutung für das Reichstagsverfahren. Ihre Kompetenzen waren zur Regierungszeit Karls V. aber noch im Wandel. Am offensichtlichsten zeigt sich dies am Streit um die Umfrage am Reichstag zwischen Kursachsen und Kurmainz, der bis 1529 geführt wurde und die zentrale mainzische Bedeutung lange infrage stellte.113 Die Ansprüche beider Seiten leiteten sich aus den entsprechenden Erzämtern Reichserzkanzler (Kurmainz) und Reichserzmarschall (Kursachsen) ab.11⁴ Dies hatte nicht nur Auswirkungen auf die Umfrage. Neben der Mainzer Kanzlei verfügte auch der Reichserbmarschall zu Pappenheim11⁵ als Vertreter des Kurfürsten von Sachsen über Kompetenzen in der Reichstagsorganisation, die nicht immer deutlich von denen der Kanzlei abgegrenzt waren. Die Aufgaben des Erbmarschalls reduzierten sich jedoch unter Karl V. Zu Beginn der 1520er Jahre hieß es noch über das Amt des Erbmarschalls: »wer zu dem reichstag von fürsten, potschaften des reichs stenden komen wurd, der oder welche die sein, von wem sie geschickt, die sollen sich des reichs marschalh von wegen meins gnedigen herrn von Sachsen etc. ansagen; alsdann soll derselbig marschalh die fursten oder geschickten meinem gnedigsten herrn von Meinz als des reichs canzler, die aufzuzeichnen, sagen.«11⁶ Dem Erbmarschall kam nach dieser Darstellung eine zentrale Rolle bei der Anmeldung zu. Er sollte die nötigen Informationen an den Mainzer Kurfürsten weiterleiten. Tatsächlich waren die Verhältnisse spätestens ab den 1540er Jahren aber genau umgekehrt: Die Anmeldung erfolgte in der Kanzlei und diese informierte den Erbmarschall. Es fand also in der Regierungszeit Karls V. eine Entwicklung statt, die hinsichtlich der Anmeldung von Gesandtschaften die Rolle der Mainzer Kanzlei hervorhob11⁷ und die des Erbmarschalls auf zeremonielle Angelegenheiten reduzierte. Parallel gewann die Registrierung generell eine größere Bedeutung, da sich formell gesehen nur die in der Frühen Neuzeit häufiger werdenden Gesandtschaften akkreditieren mussten. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Ausbau des Gesandtschaftswesens dazu beitrug, dass sich der Vorgang der Anmeldung formalisierte. Diese Entwicklung lässt sich anhand der Instruktionen nachvollziehen. In den 1520er Jahren enthielten die Instruktionen der abwesenden Kurfürsten und Fürsten für ihre Gesandtschaften oft keine Anweisungen für eine Anmeldung. Wurde eine Anmeldung angeordnet, bezog sich diese in der Regel auf die kaiserlichen Kommissare oder auf die Allgemeinheit der Stände: Kurfürst Johann von Sachsen beispielsweise instruierte seine Gesandtschaft für den Reichstag von 1526, ihren Gewaltbrief »bey ksl. Mt. verordenten reten und commissarien, auch andern chur113 Zur Einigung von 1529: RTA JR 7, 851–852. Verschiedene Lösungsvorschläge: Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), 127, fol. 66–68, 72r. 114 Zu den Erzämtern: Schubert, Erz- und Erbämter am hoch- und spätmittelalterlichen Königshof, dort zur frühen Inanspruchnahme der Erzämter: S. 227–231. 115 Zum Erbamt der Familie von Pappenheim: Ebd., S. 231–235. 116 Anzeige des Marschalls von Pappenheim über seine Gerechtsame RTA JR 2, Nr. 4 (S. 142–145), S. 144. 117 Erst im Laufe der 1520er Jahre wurde es allgemein üblich, sich direkt bei der Mainzer Kanzlei zu registrieren: Decot, Albrecht von Brandenburg als Reichserzkanzler, S. 63.

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Der Ablauf eines Reichstags

fursten und fursten«11⁸ vorzuzeigen. Eine besondere Rolle der Mainzer Kanzlei wurde nicht genannt. Es gab also nach dem Verfahrensverständnis dieser Instruktion keine zentrale Instanz, die die Vollmacht überprüfen musste. Vielmehr sollte die Vollmacht anscheinend allen vorgezeigt werden, die diese zu sehen wünschten. Zu demselben Reichstag befahl der Bischof von Bamberg seinen verordneten Räten, sie sollten kraft ihrer Vollmacht bei »stathaltern und commissarien freuntliche diensterpiettung thun«11⁹, ohne dass eine andere Anmeldung erwähnt wurde. Die Anerkennung durch die Stellvertreter des Kaisers stand auch hier im Mittelpunkt. In der Instruktion des Deutschmeisters drückte sich die zu jener Zeit herrschende Unklarheit noch deutlicher aus: Der Gesandte sollte die Vollmacht »in die meintzisch cantzley oder wohin sichs eygent«12⁰ bringen. Die Mainzer Kanzlei erschien hier, vermutlich in ihrer Eigenschaft als Anlaufstelle für den Schriftverkehr auf dem Reichstag, als naheliegender Vorschlag, nicht aber als zwingend vorgeschriebene Instanz. Dagegen finden sich zu den 1540er Jahren häufig Beispiele, bei denen das Aufsuchen der Mainzer Kanzlei ausdrücklich angeordnet wurde. Kurbrandenburg instruierte seine Gesandtschaft 1542 für den Nürnberger Reichstag, sich nach ihrer Ankunft bei der Mainzer Kanzlei anzumelden. Die Entschuldigung für das Fernbleiben ihres Herrn sollte aber vor den Reichsständen erfolgen.121 Während die kurpfälzische Instruktion für den Nürnberger Reichstag von 1542 noch nicht auf eine Registrierung einging,122 sah die von 1543 eine Anmeldung beim Mainzer Kurfürsten unmittelbar nach Ankunft ausdrücklich vor.123 Bei späteren Reichstagen war diese Anweisung ein häufiger Bestandteil der Gesandtschaftsinstruktionen.12⁴ Sie wurde aber keineswegs obligatorisch. Auch allgemeine Formulierungen wie »vor röm. ksl. Mt. […] auch Kff., Ff. und andern stenden des hl. Reichs mit geburlicher reverentz und sonst, wie der gebrauch ist, von unsernwegen anzaigen […]«12⁵ oder das Ausweisen »im reichsrath«12⁶ kamen noch weiterhin vor. Gleiches galt für den Verzicht auf solche Anweisungen. Die Notwendigkeit für die Gesandten, sich mit ihrer Vollmacht beim Mainzer Kanzler zu registrieren, entstand nur langsam. Ebenso nahm die Bedeutung des Erbmarschalls nicht schlagartig ab. In den 1540er Jahren kam es noch vor, dass

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RTA JR 5/6, Nr. 97a (S. 355–356), S. 356. Ebd., Nr. 98a (S. 362–365), S. 362. Ebd., Nr. 99b (S. 366–367), S. 366. RTA JR 13, Nr. 23 (S. 186–187), S. 186. Ebd., Nr. 24 (S. 188–189). HStA München, Kasten blau, 104/5 A, unfoliiert. Beispiele hierfür vom Reichstag 1544: RTA JR 15, Nr. 47 (S. 226–240), S. 226; Nr. 54 (S. 267–274), S. 267; vom Reichstag 1545: RTA JR 16, Nr. 24b (S. 159–165), S. 159; Nr. 26a (S. 187–192), S. 187 (hier sollen die Gesandten ihre Vollmacht nur »uff erforderung« übergeben); vom Reichstag 1526: RTA JR 17, Nr. 24a (S. 127–132), S. 127; Nr. 26a (S. 156–157), S. 156. 125 RTA JR 16, Nr. 27a (S. 193–196), S. 193. 126 RTA JR 17, Nr. 28a (S. 159–161), S. 159.

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Registrierung bei der Mainzer Kanzlei

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gräfliche Gesandte sich zuerst beim Reichserbmarschall zu Pappenheim anmeldeten. An den Reaktionen des Erbmarschalls zeigte sich jedoch, dass dieser es immer weniger als seine Aufgabe ansah, Registrierungen vorzunehmen: 1542 ging der Wetterauische Grafengesandte Gregor von Nallingen noch am Tag seiner Ankunft zum Erbmarschall, um sich anzumelden: »den letsten Julij uf Montag zu Nurnberg ankomen, sobalt meiner habenden instruction nach mich dem marschalck von Bappenheim antzeigt, wie ich entgegen, die wederauischen zu vertretten, ir stime und session zu halten.«12⁷ Der Grafengesandte war also dazu instruiert, sich bei Pappenheim anzumelden. Erst am Folgetag ging er schließlich zur Mainzer Kanzlei, um dort seine Vollmacht einzureichen. Gregor von Nallingen beschreibt also eine zweiteilige Anmeldung, bei der dem Erbmarschall mehr Bedeutung zukam und die Kanzlei anscheinend nur für die Verwahrung der Vollmacht zuständig war. Auch 1546 war der Wetterauer Gesandte, Johannes von Hattstein, dazu instruiert, sich beim Erbmarschall anzumelden. Er teilte dem Marschall mit: »Dieweil er nun von wolgemelten seinen gnedigen herren bevelh hette, sobald er alher queme, sich bei ime, dem marschalck, anzuzeigen, so were sein freundlich bith, das er, der marschalck, sollich sein ansuchen wolt also registrieren lassen.«12⁸ Der Erbmarschall empfand diese Anmeldung aber bereits als falsch adressiert,12⁹ denn er antwortete: »nachdem der gesandt an inen gesonnen, solich sein ersuchen zu registrieren, wolt er ime nit bergen, das es der brauch nit were, das er sollichs registrieren liese, sonder wan er oder sein diener wusten, wie der gesandt hieß, von waß wegen er geschickt und in was herberg er lige, und er, der vilgesacht gesandt, muß sich in der meinczischen canczlei auch anzeigen, da pflegt man es zu registrieren.«13⁰ Dieser Aufforderung kam Hattstein dann auch nach. Die Tätigkeit des Erbmarschalls beschränkte sich während des Reichstags neben zeremoniellen Aufgaben inzwischen wesentlich auf das Weiterleiten von Sitzungsinformationen und auf Anweisungen während der Versammlungen. Der Gesandte nahm die Zurechtweisung durch den Erbmarschall mit in seinen Bericht an die Grafen auf. Dauerhaft blieb die Mainzer Kanzlei die Instanz, bei der sich die Gesandten registrieren mussten. Beim Erbmarschall hatten sie nur vorzusprechen, damit dieser sie zum Reichsrat

127 RTA JR 13, Nr. 60 (S. 414–430), S. 414–415. 128 RTA JR 17, Nr. 56 (S. 369–379), S. 369. 129 Tatsächlich erwähnte der Erbmarschall bereits 1541 in einem Brief an den Kurfürsten von Sachsen über die Aufgaben seines Amts während der Reichstage die Registrierung der Gesandten nicht mehr: Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), 139, fol. 126–130. 1546 beklagte Pappenheim stattdessen den drohenden Verlust von Rechten im Zeremoniell: Ebd., Nr. 25c (S. 144–146). 130 Ebd., Nr. 56 (S. 369–379), S. 369.

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Der Ablauf eines Reichstags

rufen konnte.131 Die für seine Aufgaben benötigten Informationen erhielt er aber auch durch die Kanzleimitarbeiter.132 Auch wenn die Mainzer Kanzlei überprüfte, ob die Gesandtschaften der Stände der oberen Kurien ausreichende Vollmachten vorweisen konnten, war es dennoch für Gesandte durchaus noch lange Zeit möglich, ohne Vollmacht an der Reichsversammlung teilzunehmen. Auch dies lässt sich an einigen Beispielen belegen: 1526 hatte der kursächsische Gesandte seine Gewalt »in also grosser yle«133 zuhause vergessen, wurde aber dennoch zur Reichsversammlung zugelassen, nachdem er gelobt hatte, tatsächlich vom Kurfürsten bevollmächtigt zu sein.13⁴ 1529 beanstandete der Mainzer Kanzler die Anwesenheit nicht ausreichend bevollmächtigter Botschaften im Reichsrat, direkte Konsequenzen scheinen sich daraus aber nicht ergeben zu haben.13⁵ Vom Nürnberger Reichstag 1543 ist dagegen überliefert, dass während der Eröffnungssitzung alle unzureichend Bevollmächtigten seitens des Königs ermahnt wurden, den Saal zu verlassen. Andernfalls drohe ihnen Strafe.13⁶ Begründet wurde dies wohl mit dem Ziel, die Beratungen und Beschlüsse des Reichsrats sollten geheim bleiben.13⁷ Wie viele Personen betroffen waren und ob überhaupt jemand den Saal verlassen musste, wird im entsprechenden Berichtsprotokoll jedoch nicht erwähnt. Die strenge Ermahnung zeigt aber, dass sich die Verpflichtung zur ausreichenden Bevollmächtigung der Gesandten auch 1543 noch immer nicht vollkommen durchgesetzt hatte. Im Zweifelsfall war dem Kaiser, seinem Bruder und den versammelten Ständen mehr daran gelegen, dass sich alle Gesandtschaften an den Beratungen beteiligten. Ein Ausschluss wichtiger Gesandter schadete auch dem Kaiser. Es entsprach zudem nicht dem Solidaritätsgedanken innerhalb des Kurfürstenkollegiums, die Gesandten eines Mitglieds auszuschließen. So war es deshalb auch in den späten 1540er Jahren möglich, ohne Vollmacht zumindest vorläufig zugelassen zu werden. 1547 setzte sich der Kurfürstenrat immerhin länger mit der Frage auseinander, ob die Gesandten Kurtriers

131 Im Ausführlichen Bericht ist eine Anmeldung beim Marschall vorgesehen: Rauch, Traktat, S. 47. 132 Ders., Traktat, S. 58–59; Lanzinner, Die Rolle des Mainzer Erzkanzlers auf den Reichstagen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 71. 133 RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 433. 134 Er wurde »auf glubde und spruchnus« zugelassen: Ebd., Nr. 119 (S. 430–482), S. 434. 135 RTA JR 7, S. 675. 136 Es »were irer kgl. Mt. gnedigst begerr und ernstlich bevelch, dieselbigen wollten sich dessen [= des Reichsrats] hinfüro endthalten und daruber weiter nicht eintringen, dann wa das hieruber von jemandt beschehe, der wurde sein wollverdiente und gepurliche straff darumb unnachleßlich empfahen etc.«: HStA Stuttgart, A 262, Bü. 21 fol. 4rv. 137 Der König hat »anzeigen lassen, wie sie glaublich bericht, daß sich etlich personen in namen etlicher stende, von denen sie keinen bevelch, in den reichsrhat inschleiffen solten. Daß wolt ir Mt. die stende vorwarnet haben, damit sie daruff gutte achtung hetten, auch sunst alle reichshendel und waß in den rheten gehandlet wurde in hochster gehaim halten wolten etc.«: Frankfurt ISG, RTA 54, unfoliiert in »Communia uff dem tag zu Nurnberg anno etc. 43 gehalten« zum 31. Januar.

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Registrierung bei der Mainzer Kanzlei

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und Kurbrandenburgs ohne ausreichende Vollmacht zuzulassen seien.13⁸ Weniger bedeutsame Gesandtschaften konnten ebenfalls darauf hoffen, dennoch zugelassen zu werden. Beispielsweise war im Jahr zuvor der Wetterauer Grafengesandte ohne Vollmacht angenommen worden. Der Mainzer Kanzler erläuterte ihm den Brauch, erklärte aber: »Doch wo er, der gesandt, deßmal keinen gewalt hette und derselbig hernach keme, hette es auch kein noth.«13⁹ Tatsächlich konnte Hattstein seinen Gewaltbrief später nachreichen. Im Fall des kursächsischen Gesandten, der, wie oben erwähnt, 1526 seine Vollmacht vergessen hatte, war es Erzherzog Ferdinand, der sich um die Zulassung des Gesandten bemühte: Der Gesandte hatte Ferdinand anscheinend in einer Audienz glaubhaft versprochen, die vergessene Vollmacht innerhalb zweier Wochen nachzureichen. Daraufhin ließ Ferdinand den Kurfürstenrat in seinem und im Namen der kaiserlichen Kommissare bitten, den Gesandten aufzunehmen.1⁴⁰ Die fehlende Gewalt benachteiligte den sächsischen Gesandten aber bereits bei seinem Versuch, die sächsischen Ansprüche auf die Umfrage gegen Mainz durchzusetzen.1⁴1 Erst vom Reichstag 1556/57 ist überliefert, dass sich der Verhandlungsbeginn verzögerte, weil auf fehlende Vollmachten gewartet wurde.1⁴2 Was die Mainzer Kanzlei über die Überprüfung der Vollmacht hinaus jedoch nicht leistete, war die Entscheidung darüber, ob ein Stand generell zum Reichsrat zugelassen werden durfte. Die Registrierung bei der Kanzlei wurde aber als Argument für die Zulassung verwendet: Als sich am Augsburger Reichstag von 1555 der Gesandte einiger Freiherren dem Vorwurf des bayerischen Herzogs ausgesetzt sah, seine Auftraggeber seien bayerische Landsassen und daher nicht zur Teilnahme berechtigt, wehrte sich der Gesandte, indem er nicht nur auf das kaiserliche Ausschreiben verwies, das seine Auftraggeber erhalten hätten, sondern auch darauf, dass die Mainzer Kanzlei seine Vollmacht angenommen habe.1⁴3 Der Registrierung bei der Mainzer Kanzlei wurde also etwas Legitimierendes zugesprochen. Das Einreichen der Vollmachten bei der Kanzlei war auch eine erste Gelegenheit für die Gesandten, die Abwesenheit ihres Auftraggebers zu entschuldigen.1⁴⁴ Da die persönliche Anwesenheit der Stände in den Ausschreiben gewöhnlich angeordnet wurde, war es bei der Anmeldung üblich, die Gründe für das Fernbleiben zu benennen.1⁴⁵ Hier wurde Bezug genommen auf die in den Ausschreiben unterschiedlich klar eingegrenzten »ehaften ursachen«1⁴⁶, die die Stände am Kommen 138 139 140 141 142 143 144

RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 317–320, 322–323, 325–326, 328–329, 331. Protokoll des wetterauischen Grafengesandten, RTA JR 17, Nr. 56 (S. 369–379), S. 370. RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 433–434. Ebd., Nr. 119 (S. 430–482), S. 433–436. RTA RV 1556/1557, Nr. 114 (S. 436–439), S. 438, Anm. b. RTA JR 20, Nr. 146 (S. 1536–1677), S. 1539. Vgl. beispielsweise die Instruktion Kurfürst Joachims von 1542: RTA JR 12, Nr. 5b (S. 89–91), S. 89. 145 Eine ausführliche Beschreibung einer mündlichen Entschuldigung bei der Registrierung bietet: RTA JR 19, Nr. 80 (S. 259–260). 146 Zu dieser Formulierung: Kapitel 2.1, S. 103.

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Der Ablauf eines Reichstags

hindern konnten. Wichtiger war aber die Entschuldigung beim Kaiser, beim König oder bei den Kommissaren. Bei der Anmeldung in der Kanzlei hatten die Stände oder ihre Gesandten außerdem die Möglichkeit, sich über den Stand der Reichstagsvorbereitungen zu informieren. 1542 notierten beispielsweise die Gesandten Salzburgs, sie hätten bei der Registrierung den Mainzer Kanzler nach seiner Einschätzung gefragt, wann der Reichstag beginnen werde. Der Kanzler habe geantwortet, den König treibe zwar große Eile und er leide jede Stunde, die sich der Reichstag verzögere, jedoch seien bisher noch keine Fürsten eingetroffen.1⁴⁷ Durch die zentrale Aufgabe der Ständeregistrierung wusste die Kanzlei immer am besten über die Anzahl der anwesenden Stände Bescheid. Deshalb war es naheliegend, dass auch Fragen nach dem Stand der Entwicklungen an sie gerichtet wurden. Die parallel dazu entwickelte Protokollierung des Reichstagsgeschehens durch die Mainzer Kanzlei verstärkte deren Bedeutung noch. So kam es, dass der entsprechende Mainzer Sekretär schließlich als »des Reichs notarien«1⁴⁸ angesehen wurde. Sollte eine Handlung, Stellungnahme oder Protestation nicht in Vergessenheit geraten, war es ratsam, sie »bey des hl. Reichs mänczischn canczley zue kunftigen wissen und gedächtnuß ze registriern.«1⁴⁹ Die Mainzer Kanzlei registrierte somit nicht mehr nur die Reichstagsteilnehmer und deren Vollmachten, sondern generell die für das Gewohnheitsrecht relevanten Informationen. Wie der Notar, mit dem sie verglichen wurde, diente sie damit der Beglaubigung und Überlieferung juristisch relevanter Handlungen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Registrierung in der Mainzer Kanzlei vor allem für Gesandtschaften von Bedeutung war. Aber auch die persönlich anreisenden Stände meldeten sich hier an. 1529 befanden sich noch unzureichend bevollmächtigte Gesandte im Reichsrat, obwohl die Mainzer Kanzlei dies bemängelte. 1543 dagegen wurden die nicht bevollmächtigten Gesandten zum Verlassen der Beratungsräume aufgefordert. Die Notwendigkeit der Anmeldung bei Kurmainz war bis in die 1540er Jahre noch nicht allen Ständen bewusst oder zumindest noch nicht völlig anerkannt. Die Aufgaben der Mainzer Kanzlei lösten sich aber zwischen 1521 und 1546 von den Kompetenzen des Erbmarschalls. Der Versuch der Wetterauer Grafen, ihren Gesandten 1546 beim Erbmarschall zu Pappenheim zu registrieren, wurde von diesem bereits zurückgewiesen. Auch scheint der Umgang mit Gesandtschaften, die keine gültige Vollmacht vorweisen konnten, mit der Zeit strenger geworden zu sein. Obwohl selten jemand von den Verhandlungen ausgeschlossen wurde, lassen sich schon die strengen Ermahnungen und die Beratungen über die (vorläufige) Zulassung von nicht ausreichend Bevollmächtigten als Sanktionsmechanismen verstehen. Die Anmeldung in der Kanzlei 147 RTA JR 12, Nr. 48 (S. 381–404), S. 381. 148 Protestation Kurbrandenburgs 1526 gegen die Session Pommerns, RTA JR 5/6, Nr. 190 (S. 787–789), S. 788. 149 Zitiert aus einer Gegenstellung Ferdinands anlässlich des Sessionsstreits mit Salzburg 1545: RTA JR 16, Nr. 262 (S. 1470–1471), S. 1471.

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Audienzen vor dem Reichstag

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war somit im Laufe der Regierungszeit Karls V. zu einem Verfahrensbestandteil geworden, der als institutionalisiert gelten kann.

2.4 Audienzen vor dem Reichstag Audienzen waren ein wichtiges Mittel der kaiserlichen Politik.1⁵⁰ Auf den Reichstagen war es üblich, dass die eintreffenden Stände beim Kaiser, bei dessen Bruder oder bei den kaiserlichen Kommissaren um eine Audienz nachsuchten. Diese Audienzen erfüllten mehrere Funktionen, auf die hier näher eingegangen werden soll. Es bleibt zunächst festzustellen, dass es keine vorgegebene Reihenfolge für die Registrierung in der Kanzlei und die Audienz gab. Da Audienzen beim Kaiser oder dessen Stellvertretern generell nicht so schnell zu erhalten waren wie der Zugang zu Mainzer Kanzleiangestellten, meldeten sich die eintreffenden Gesandten häufig zuerst bei der Kanzlei. Freilich war dabei auch von Bedeutung, ob die Mainzer Kanzlei oder der Kaiser beim Eintreffen der jeweiligen Gesandtschaft selbst überhaupt schon am Tagungsort waren.1⁵1 Die Audienz wurde auch verwehrt, wenn der Verdacht bestand, der Kaiser könne sich dabei mit einer Krankheit anstecken.1⁵2 Ebenso wie in einigen Instruktionen an erster Stelle die Anmeldung in der Kanzlei genannt wurde, gab es auch Fälle, in denen die Audienz für wichtiger erachtet wurde: Die Instruktion des Passauer Bischofs von 1542 gab dem Gesandten beispielsweise vor, sich an den König zu wenden und anschließend die mainzische Kanzlei aufzusuchen.1⁵3 Auch im Ausführlichen Bericht ist für alle Stände vorgesehen, sich zuerst an den Kaiser oder seine Kommissare zu wenden.1⁵⁴ Bisweilen scheint eine solche Audienz aber auch überhaupt nicht erfolgt zu sein. Die Audienz stellte im Rahmen des Reichstags die erste formelle Kontaktaufnahme zwischen dem ladenden Herrscher (oder seinen Stellvertretern) und dem jeweiligen Reichsstand dar und erfüllte in gewisser Weise ebenso wie die Registrierung bei der Kanzlei die Funktion einer Anmeldung. Während die Registrierung bei Kurmainz als Reichserzkanzler eine langfristige Konsequenz der Politik Bertholds von Henneberg und somit Ausdruck des reichsständischen Aspekts der Reichstage war,1⁵⁵ zeigte sich in den Audienzen der Aspekt des kaiserlichen oder 150 Zu den Funktionen von Audienzen: Luttenberger, Pracht und Ehre, S. 316–318. 151 Kam der Kaiser schließlich, zogen ihm die anwesenden Stände entgegen und begrüßten ihn vor der Stadt: Aulinger, Das Bild des Reichstages im 16. Jahrhundert, S. 193–200; StollbergRilinger, Symbol und Diskurs, S. 92–93. Eine Beschreibung eines solchen Einzugs findet sich bei: Dobel, Hans Ehinger 1530, S. 28–29. 152 Beispielsweise heißt es ein einem salzburgischen Bericht von 1545: »Als aber die ksl. Mt. verstanden, das unsere diener kranck weren, hat si uns nit audiens geben«: RTA JR 16, Nr. 260 (S. 1461–1467), S. 1467. 153 RTA JR 12, Nr. 12 (S. 125–126), S. 125. 154 Dort ist die Audienz als erste Handlung am Reichstagsort für persönlich anwesende Fürsten ebenso wie für Gesandtschaften vorgesehen: Rauch, Traktat, S. 46–47. 155 Zu den Auswirkungen der Reichstagspolitik Bertholds von Henneberg: Seyboth, Reichstage der 1480er, S. 526–544; ders., Gestalt und Wandel, S. 67–84.

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Der Ablauf eines Reichstags

königlichen Hoftags. Der Kaiser war trotz der hohen Bedeutung des Erzkanzlers der Veranstalter der Reichstage, der seinen Fürsten und anderen Ständen befahl, sich an seinen Hof zu begeben. Unter diesem Aspekt war es naheliegend, sich bei Ankunft beim Kaiser als gehorsam erschienener Gefolgsmann zu melden. Durch die Verwendung von Gesandtschaften wurde diese Anmeldefunktion der Audienz noch verstärkt. Da das persönliche Erscheinen der geladenen Stände in den Ausschreiben gewöhnlich ausdrücklich gefordert wurde, hatten die Gesandtschaften zunächst die Entschuldigung ihres Fürsten vorzubringen. Dieser nannte seine Gründe dem Kaiser bisweilen auch in einem Brief, der den Gesandten mitgegeben wurde.1⁵⁶ Es lag daraufhin am Kaiser bzw. seinem Stellvertreter, die Entschuldigung anzuerkennen oder seinen Unwillen über das Fernbleiben des Geladenen zum Ausdruck zu bringen. Die am häufigsten genannten Gründe für das Fernbleiben der Fürsten waren Krankheit und dringende Angelegenheiten in den eigenen Territorien. Die Ausführlichkeit der Entschuldigungen schwankte deutlich und hing auch mit der politischen Relevanz des Reichsstands zusammen. Zur Veranschaulichung sollen hier zwei Beispiele dienen: Da es für die Grafen üblich war, ihre Stimmen gebündelt einem Gesandten zu übertragen, und weil die Grafen ohnehin nur eingeschränkt zum Reichsrat zugelassen waren, konnte deren Entschuldigung sehr allgemein ausfallen. So hieß es 1546 pauschal für alle Wetterauer Grafen: »Es weren aber wolgenanntem grafen dermassen ehaft gescheft furgefallen, das sein Gn. jeczo albaldt alhie nit erscheinen hett kunden.«1⁵⁷ Die Grafen ließen sich also allesamt wegen nicht näher ausgeführter »gescheft« entschuldigen. Der bayerische Herzog Wilhelm dagegen entschuldigte sich und seinen Bruder Ludwig 1545 – viel ausführlicher – einerseits mit dem Verweis auf die schlechte gesundheitliche Verfassung beider Herzöge.1⁵⁸ Andererseits wies Wilhelm auf die unsichere politische Situation hin, die durch Truppensammlungen entlang des Rheins entstanden sei. Da man nicht wissen könne, wohin die Truppen zögen, sei es nicht ratsam, das Territorium zu verlassen. Der Herzog sei sogar von seinen »treffenlichen landsleuten und räten hievor und jetzt zum höchsten darfur erpetten und angesuecht worden«1⁵⁹, nicht zum Reichstag zu reisen.1⁶⁰ Krankheit, Alter und Kriegsgefahr waren nicht die einzigen Entschuldigungsgründe, die die Gesandten vorbrachten. 1542 ließ sich etwa der Passauer Bischof »aus weytte der raiß, auch anderer unstatten halber«1⁶1 entschuldigen. Im selben Jahr entschuldigte sich Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen mit dem Hinweis 156 157 158 159 160

Ein Beispiel für ein solches Schreiben: RTA JR 5/6, Nr. 68 (S. 297–298). RTA JR 17, Nr. 56 (S. 369–379), S. 369. Tatsächlich starb Ludwig X. bald darauf: Laschinger, Ludwig X., in: NDB, S. 366. RTA JR 16, Nr. 14 (S. 109–112), S. 110. Die Angst vor Angriffen auf eigene Ländereien taucht wiederholt in fürstlichen Entschuldigungen auf. 1525 wurden im Reichstagsausschreiben Kampfhandlungen im eigenen Territorium sogar ausdrücklich als Entschuldigungsgrund genannt: RTA JR 5/6, Nr. 18 (S. 160–164), S. 161–162. 161 RTA JR 12, Nr. 12 (S. 125–126), S. 125.

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Audienzen vor dem Reichstag

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auf die Probleme, die daraus resultierten, dass er die Königswahl Ferdinands nicht anerkannte.1⁶2 Dies war bedeutsam, da die Reichstage von 1542 im Namen Ferdinands ausgeschrieben waren und auch von diesem geleitet wurden. Eine persönliche Teilnahme des Kurfürsten von Sachsen wäre einer Anerkennung von Ferdinands Königswahl gleichgekommen. Vermutlich um diese schwierige Situation nicht zu sehr in den Mittelpunkt zu stellen, verwies der Kurfürst in seiner Entschuldigung jedoch auch auf die anstehende Hochzeit seines Bruders, die seine Anwesenheit in Sachsen erfordere.1⁶3 Da es in der Regierungszeit Karls V. sehr häufig vorkam, dass sich Stände durch Gesandte vertreten ließen, könnte der Eindruck entstehen, dass die Entschuldigung für das Fernbleiben der Fürsten eine bloße Formalie wurde, deren Bedeutung weniger im Wortlaut lag und mehr in der Bestätigung des sich verstetigenden Ausnahmecharakters zu suchen war. Dies traf jedoch nicht uneingeschränkt zu, wie ein Beispiel vom Augsburger Reichstag 1555 verdeutlicht: Als die Gesandten des Mainzer Kurfürsten König Ferdinand mitteilten, ihr Herr werde momentan nicht persönlich erscheinen, griffen sie dabei auf mehrere sehr übliche Entschuldigungsgründe zurück: Da der Kurfürst nicht über die nötigen Gelder für einen Reichstagsbesuch verfüge, er sich zudem körperlich schwach fühle und auch den Weg für zu unsicher hielte, habe er zunächst nur seine Räte nach Augsburg entsandt. Diese Gesandten würden ihm bei Reichstagsbeginn eine Benachrichtigung senden. Erst dann wolle er anreisen.1⁶⁴ Ferdinand akzeptierte diese Gründe nicht. Er erläuterte dies den in Augsburg anwesenden kaiserlichen Räten, indem er sich mit den einzelnen Argumenten des Kurfürsten auseinandersetzte: »Die Ko. Mt. hab sich ob dem furbringen nit unbillich endtsetzt, dann sie hab zu gemuet gefurt, mit was treffenlicher ungelegenheyt sie sich personlich hieher begeben, allein umb gemeiner wolfart willen. Meintz hab nit so weit hieher, sey auch nit so arm, das er den unkosten nit uber sich nemen konnt; so werd die leibsblodigkeit auch so gross nit sein. Wo dann die sachen allenthalben nit sicher, sollt man billich desto mer zusamen kommen, sunderlich in diser winterzeit, do sich keins uberfals leichtlich zu befaren«1⁶⁵. Für Ferdinand war 1555 der Vorgang der Entschuldigung der Gesandtschaft also keine reine Formalität. In seiner Ablehnung wies Ferdinand die Mainzer Räte darauf hin, ihr Kurfürst stünde als der Vornehmste seines Stands und als Erzkanzler in hoher Verantwortung und werde durch sein Kommen viele andere Stände zur Anreise bewegen. Ferdinand schlug den Gesandten gegenüber einen gereizten Ton an, wenn er sie schließlich belehrte: »Konnt er [=der Kurfürst] nit reiten, sollt er auf einer senften faren, do fure er doch als in einer stueben.«1⁶⁶ Wohlwollender

162 RTA JR 12, Nr. 7d (S. 99–110), S. 99. Zu diesem Konflikt: Mentz, Johann Friedrich der Großmütige 1504–1554. 163 RTA JR 12, Nr. 7e (S. 110–117), S. 110. 164 Lutz/Kohler, Hornung-Protokoll, S. 32. 165 Ebd., S. 33. 166 Ebd.

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Der Ablauf eines Reichstags

wurde 1555 dagegen die Gesandtschaft von Kurpfalz aufgenommen. Diese nannte für das Fernbleiben ihres Herrn gegenüber den kaiserlichen Kommissaren drei Gründe: Friedrich II. sei sehr alt und leide deshalb »vilfeltige beschwerung«1⁶⁷. Ferner sei der Kurfürst, der seine ganze Jugend im Dienst des Kaisers verbracht habe, nun nahezu jeden Tag krank (»teglich blodigkaiten«1⁶⁸). Außerdem fürchte man sich vor Krieg. Die Kommissare nahmen die Entschuldigung an und drückten den Gesandten ihr Bedauern über die Erkrankung des Kurfürsten aus.1⁶⁹ Auffällig ist, dass beide Kurfürsten sich aus sehr ähnlichen Gründen entschuldigen ließen. Der Unterschied in den Reaktionen des Königs auf die Mainzer Gesandtschaft und der Kommissare auf diejenige Friedrichs mag verschiedene Gründe haben: Dass die Entschuldigungen beider Kurfürsten wegen Krankheit nicht völlig unbegründet gewesen sein können, zeigt schon, dass der Mainzer binnen weniger Monate,1⁷⁰ der Pfälzer noch im Folgejahr1⁷1 verstarb. Vielleicht spielte es für die Ablehnung eine Rolle, dass Kurfürst Sebastian deutlich jünger war als Friedrich und dass Ferdinand noch hoffte, den Kurfürsten zum Reichstagsbesuch bewegen zu können. Auch ließ sich der Römische König vielleicht eher als die kaiserlichen Kommissare dazu hinreißen, eine Entschuldigung nicht anzunehmen. Schließlich waren die Kommissare zwar im Auftrag des Kaisers in Augsburg, von sich aus aber – verglichen mit Ferdinand – von deutlich niedrigerem Rang.1⁷2 Zusätzlich waren gerade 1555 die Interessen von König und kaiserlichen Kommissaren den anstehenden Reichstag betreffend nicht identisch. Neben der Entschuldigung, die erforderlich war, wenn der Stand eine Gesandtschaft zum Reichstag beauftragte, dienten die Audienzen beim Kaiser oder bei dessen Kommissaren auch dazu, individuelle Anliegen vorzubringen. Hierzu einige Beispiele: Im Salzburger Protokoll von 1542 wird berichtet, während der Audienz hätten die Gesandten König Ferdinand die Positionen ihres Herrn zum schwelenden Sessionskonflikt und zu den Steuerstreitigkeiten mit Österreich vorgetragen.1⁷3 Die Gesandten von Herzog Moritz hatten dagegen den Auftrag, während der Audienz in dessen Namen seine Lehen entgegenzunehmen und Verträge seiner Vorgänger zu bestätigen.1⁷⁴ Dass die Audienz beim Kaiser oder bei Ferdinand von den Reichsständen sehr ernst genommen wurde, zeigt schon, dass sich in man-

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Lutz/Kohler, Hornung-Protokoll, S. 39. Ebd. Ebd., S. 39–40. Zu Kurfürst Sebastian von Heusenstamm: Decot, Religionsfrieden und Kirchenreform. Zu Kurfürst Friedrich II: Baar-Cantoni, Religionspolitik Friedrichs II. von der Pfalz im Spannungsfeld von Reichs- und Landespolitik. 172 Der ranghöchste Kommissar war der Bischof von Augsburg. Die beiden anderen Kommissare waren bürgerliche Räte. Vgl. die Ständetabelle: Aulinger/Schweinzer-Burian, Habsburgische und reichsständische Präsenz auf den Reichstagen 1521–1555. 173 RTA JR 12, Nr. 48 (S. 381–404), S. 381–385. 174 Ebd., Nr. 22 (S. 182–184).

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Audienzen vor dem Reichstag

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chen Reichstagsinstruktionen die Anweisungen größtenteils auf diese Begegnung beziehen.1⁷⁵ Grund für eine Audienz konnte auch die Bitte um Beurlaubung sein: Als der bayerische Herzog Ludwig X. 1522 für den zweiten Nürnberger Reichstag am Tagungsort eintraf, fand er heraus, dass noch kein anderer Fürst eingetroffen war. Deshalb meldete er sich bei Ferdinand, zeigte ihm seine Ankunft an und bat darum, wieder nach Landshut reiten zu dürfen. Er wolle Räte vor Ort belassen und, sobald Nachricht vom Zuzug weiterer Fürsten einträfe, wieder nach Nürnberg kommen, welches er innerhalb dreier Tage erreichen könne. Obwohl Ferdinand sich dem Vorschlag geneigt zeigte, lehnte das Regiment das Ansinnen mit der Befürchtung ab, eine solche Beurlaubung könne anreisende Fürsten ebenfalls zur Umkehr verleiten.1⁷⁶ Auch für den Kaiser, den König und die kaiserlichen Kommissare erfüllten die Audienzen eine wichtige Funktion, denn sie boten die Möglichkeit, die Stände in ihrem Sinne zu beeinflussen.1⁷⁷ Zu diesem Zweck wurden Gesandte sogar gezielt zur Audienz geladen. Auch hierzu ein Beispiel: Zum Speyerer Reichstag 1542 berichtete die kurbrandenburgische Gesandtschaft, sie sei zum König gerufen worden. Dieser habe ihnen eröffnet: »Dieweil man dan uff morgen zu rat gehen solte, szo wolten uns ire Mt. etzliche vorwarnung, darnach wir uns im rat zu richten, vortrauter meynung thuen, doch das es auch vortraulich blibe.«1⁷⁸ Es folgte eine ausführliche Einschätzung des Königs zur politischen Lage und die dringliche Empfehlung, zuerst die geforderte Türkenhilfe zu beraten. Verschiedene kurbrandenburgische Bedenken versuchte Ferdinand zu zerstreuen.1⁷⁹ An der gewählten Formulierung Ferdinands lässt sich erkennen: Der König sah sich in der Position, den Gesandten die Reihenfolge der Beratungsthemen vorzuschreiben, und verlangte gegenüber Dritten Stillschweigen über diese Beeinflussung. Die Gesandten gaben dem König jedoch zu erkennen, in den angeführten Punkten anders instruiert zu sein. Für den gleichen Tag, den 12. Februar, verzeichnet auch das Protokoll der württembergischen Gesandten eine Audienz auf Forderung des Königs. Dieser teilte ihnen dabei nicht nur mit, er nehme die Entschuldigung für das Fernbleiben ihres Herrn an, sondern ging im Wesentlichen auch auf die Punkte ein, die er den Brandenburgern vorgehalten hatte.1⁸⁰ Es ist anzunehmen, 175 Die Gesandtschaftsinstruktion Herzog Heinrichs von Sachsen für 1541 behandelt beispielsweise bis fol. 15v ausschließlich die Audienz beim Kaiser. Über die Hälfte der Instruktion bezieht sich also allein auf die Audienz: Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10183/6, fol. 1r–25r. 176 RTA JR 3, Nr. 173 (S. 838–841), S. 839. 177 Den Verlauf eines solchen Gesprächs schildert auch: Aulinger, Ein treuer Diener seines Herrn, S. 94–95. 178 Kurbrandenburgisches Protokoll, RTA JR 12, Nr. 44 (S. 252–257), S. 252–253. 179 Ebd., Nr. 44 (S. 252–257), S. 253–254. 180 Ebd., Nr. 46 (S. 329–343), S. 331–333. Die genaue Reihenfolge der Audienzen lässt sich nicht feststellen, da in der kurbrandenburgischen Aufzeichnung keine Uhrzeit festgehalten ist. Württemberg wurde für 13 Uhr zur Audienz gerufen.

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Der Ablauf eines Reichstags

dass diese beiden Stände nicht die einzigen waren, die Ferdinand auf diese Weise zu sich forderte, um sie in seinem Sinne zu beeinflussen. Der Umstand, dass der König auf die Entschuldigung Württembergs einging, lässt auch vermuten, dass sich dessen Gesandtschaft bisher noch nicht beim König vorgestellt hatte. Es kam also anscheinend auch vor, dass Gesandtschaften aus eigenem Antrieb gar nicht um Audienz baten.1⁸1 Solche Einflussnahme musste aber nicht immer in Form einer Audienz oder eines Antrittsbesuchs geschehen. Es gibt Beispiele dafür, dass der Kaiser oder sein Bruder schon vor dem Reichstagsbeginn mit ausgewählten Ständen Beratungen führte, um den Ablauf des Reichstags nach seinen Wünschen zu gestalten. 1521 berichtete ein Pfälzer Rat über die Zeit vor dem Reichstagsbeginn: »Und ward von der zeit ane bisher […] noch kein reichsversamlung oder gemeiner ratses; allein das etlicher churfursten und fursten, zuvorderst kei. mt. rette zusamengiengen, in des richs sachen, sonderlich des camergerichts wegen underrede und bedenken gethan, wie die ding uf disem richstag [anzustellen], sonderlichen uf den radsalg, [den] min gn[edig]ster her kei. Mt. machen, ubergeben und furdragen und hernach in Franzosischer sprach behendigen lies: das seiner mt. woll gefiel.«1⁸2 Der Rat berichtet hier über informelle Beratungen, die anscheinend von kaiserlichen Räten geleitet wurden. Den anwesenden Ständen wurden dabei schon konkrete Erwartungen des Kaisers und des Pfälzer Kurfürsten an den Reichstag vorgestellt. Beratungen vor dem eigentlichen Reichstagsbeginn gab es auch 1542 in Nürnberg, wo Ferdinand so in Eile war, dass er gleich am Tag nach seiner Ankunft die anwesenden Stände zusammenrief, auch wenn er mit der formellen Proposition noch vier Tage wartete.1⁸3 1530 mussten in Vorverhandlungen zunächst die Voraussetzungen für einen friedlichen Reichstag geschaffen werden, als es um die Frage ging, wie mit den Predigern verschiedener Konfessionen umgegangen werden sollte. Sie waren teilweise im Gefolge der Stände angereist und verbreiteten Unfrieden, indem sie sich in ihren Predigten gegenseitig angriffen.1⁸⁴ Es lässt sich hier abschließend zusammenfassen, dass Audienzen sowohl für die Stände als auch für den Herrscher wichtige Funktionen erfüllten. Für die Stände boten die Audienzen die Gelegenheit, auch Angelegenheiten anzusprechen, die nicht direkt mit den Verhandlungsthemen des Reichstags in Verbindung standen. Für die Gesandtschaften abwesender Fürsten war zusätzlich von Bedeutung, ihren Herrn zu entschuldigen. Der Kaiser und sein Bruder Seite nutzten die Audienzen dagegen gezielt, um den Verlauf des Reichstags zu beeinflussen.

181 Der Herzog von Jülich bezeichnete die Audienz dagegen bereits 1526 als dem Brauch entsprechend: RTA JR 5/6, Nr. 105 (S. 377–380), S. 378. 182 Pfälzer Aufzeichnung über verschiedene Verhandlungen, RTA JR 2, Nr. 6 (S. 147–153), S. 148. 183 Schweinzer-Burian, Einleitung zu RTA JR 13, S. 77. 184 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 62–63, 65–66.

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Verhandlungen über Beginn oder Prorogation

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2.5 Verhandlungen über Beginn oder Prorogation Vor allem für die zahlreichen Reichstage, an denen der Kaiser nicht persönlich teilnahm, bestand die Gefahr, dass sie nur von einer äußerst geringen Zahl von Ständen besucht würden. Trat dieser Fall ein, drohte der Reichstag zu scheitern. Auch wenn immer wieder angekündigt wurde, die Ergebnisse der Reichstage seien auch für die Abwesenden bindend, war es kaum möglich, einen erfolgreichen Reichstag ohne die wichtigsten Stände und ohne nennenswerte Teilnehmerzahl abzuhalten. Die Schwierigkeit bestand hierbei nicht nur darin, dass dem Reichsoberhaupt kaum Mittel zur Verfügung standen, Reichstagsbeschlüsse durchzusetzen.1⁸⁵ Auch wollte sich eine kleine Gruppe von Ständen selten anmaßen, im Namen aller Stände zu entscheiden. Durch den langsamen Zuzug der Stände und des Reichsoberhaupts war der Erfolg eines Reichstags im Vorhinein oft schwer abzuschätzen. Wie beschrieben konnte das Warten auf weitere Stände außerdem zu hohen Kosten führen. Waren auch nach einer erheblichen Wartezeit kaum Stände eingetroffen, stellte sich die Frage nach einer »Prorogation«, der Verschiebung des Reichstags. Dieser Fall trat im Dezember 1525 ein. Der Reichstag war für den 11. November ausgeschrieben worden. Es trafen jedoch kaum Stände ein. Selbst die kaiserlichen Kommissare waren zunächst nicht vollzählig. Die geistlichen Stände fürchteten wegen der verbreiteten antiklerikalen Haltung einen Reichstag in Abwesenheit des Kaisers.1⁸⁶ Von den kaiserlichen Kommissaren abgesehen waren nur zwei Fürsten, die Erzbischöfe Bernhard von Cles (Trient) und Matthäus Lang (Salzburg), waren persönlich gekommen. Die versammelten Gesandten wandten sich am 24. Dezember mit der Bitte an Statthalter Ferdinand, den Reichstag entweder endlich zu beginnen oder die Versammlung aufzulösen. Ferdinand versuchte noch, die Stände zum Warten zu bewegen, löste den Reichstag aber schließlich auf und setzte für den kommenden Mai eine neue Versammlung an.1⁸⁷ Während der Regimentsreichstage der 1520er Jahre kam es wiederholt vor, dass angesichts der geringen Teilnahme die Eröffnung des Reichstags infrage stand. Es lässt sich beobachten, dass sich damals ein Verfahren etablierte, das bis 1532 genutzt wurde, um über die Eröffnung des Reichstags zu entscheiden. Es sah vor, dass die Vertreter des Kaisers alle bereits anwesenden Reichsstände zusammenrief und deren Rat zum weiteren Vorgehen einholte. Zum ersten Mal wurde diese Verfahrensweise anscheinend 1522 angewandt. Zum zweiten Nürnberger Reichstag der 1520er Jahre waren Anfang November nur wenige Stände erschienen. Obwohl der Reichstag noch nicht begonnen hatte, rief das Regiment eine Versammlung der Reichstagsteilnehmer im Rathaus ein.1⁸⁸ Zu ihnen kamen die Regimentsräte und -fürsten, allen voran Ferdinand, und baten um den Ratschlag der Stände, »wie und auf was tag der reichstag sich anfangen kunt.«1⁸⁹ Dabei wurde Wert darauf 185 186 187 188 189

Schlaich, Mehrheitsabstimmung, S. 320–323; ders., Maioritas, S. 288–289. Zum Reichstag 1525: Kapitel 1.2.4 ab S. 50. Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 62–64. RTA JR 3, Nr. 177 (S. 843–845), S. 844. Ebd., Nr. 173 (S. 838–841), S. 840.

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Der Ablauf eines Reichstags

gelegt, dass die Regimentspersonen nicht gleichzeitig Teil der Ständeversammlung sein durften.1⁹⁰ Deshalb berieten die Stände in Abwesenheit des Regiments und überließen schließlich die Entscheidung Ferdinand. Ihm wurde zugetraut, den besten Überblick darüber zu haben, welche Fürsten noch zu erwarten seien. Ferdinand legte fest, noch acht Tage zu warten und dann den Eröffnungsgottesdienst zu halten.1⁹1 Auch 1524 wurde ähnlich über die Eröffnung des Reichstags verhandelt: Zunächst riefen Ferdinand und das Regiment die Stände ins Rathaus und baten sie um Rat über den Beginn des Reichstags. Die Stände berieten unter Ausschluss des Regiments und getrennt in Kurien. Auch diesmal überließen sie den genauen Termin dem Erzherzog.1⁹2 1525 kam es zum Abbruch, ohne dass Ferdinand eine Versammlung dazu einberief. Die Stände wandten sich aus eigenem Antrieb an den Erzherzog. 1527 fragte das Regiment am 27. April die anwesenden Räte nach dem geschilderten Muster, bekam diesmal aber die abschlägige Antwort, die Stände sähen sich wegen der geringen Teilnehmerzahl nicht in der Lage, etwas zu beschließen.1⁹3 Am 4. Mai gab es eine weitere vorbereitende Sitzung, in der unter den bereits anwesenden Ständen die Sessionsproblematik besprochen wurde.1⁹⁴ Es kam aber zu keinen eigentlichen Reichstagsverhandlungen mehr und der Reichstag löste sich Mitte Mai wieder auf.1⁹⁵ 1530 war der Kaiser seit langem wieder persönlich bei einem Reichstag und die Frage nach der Eröffnung stellte sich nicht, denn die Teilnahme war groß und die meisten Stände waren vor dem Kaiser eingetroffen.1⁹⁶ Anders war die Situation 1532. Auf diesem Reichstag zeigte sich, dass sich das in den 1520er Jahren etablierte Verfahren inzwischen so gefestigt hatte, dass auch Karl sich daran halten musste. Obwohl der Kaiser persönlich anwesend war, reisten nur wenige Stände nach Regensburg. Um den Reichstag zu eröffnen, bat der Kaiser lediglich die kurfürstlichen Räte und die persönlich anwesenden Fürsten um ihren Rat. Diese verwiesen ihn aber auf das in den 1520er Jahren übliche Verfahren, als sie darauf bestanden, diese Frage mit allen anwesenden Ständen gemeinsam zu beraten.1⁹⁷ Alle in Regensburg anwesenden Reichsstände versammelten sich deshalb am Folgetag im Rathaus und beschlossen formell über die Eröffnung des 190 Herzog Wilhelm von Bayern schrieb seinem Bruder: »Do wir also in der anzall bei einander sassen auf dem haus alhie, kam unser vetter Verdinanus mit dem regiment hinein zu uns, dan die, so im regiment jetz sitzen, wollen si mit ir person nit ins reich rat sein, sunder muessen dem regiment auswarten, werden aber ein jedere inen ratt an sein statt under setzen«: RTA JR 3, Nr. 173 (S. 838–841), S. 840. 191 Ebd., Nr. 173 (S. 838–841), S. 840; Nr. 177 (S. 843–845). 192 RTA JR 4, Nr. 22 (S. 53–87), S. 53–54. Die Beratung nach Kurien erschließt sich aus der im Anschluss geschilderten Verhandlung über die Umfrage im Kurfürstenrat, S. 55–58. 193 RTA JR 7, S. 55. 194 Ebd., S. 61. 195 Zum Reichstag von 1527: Kapitel 1.2.6 ab S. 53. 196 Zum Reichstag von 1530: Kapitel 1.3.1 ab S. 61. 197 Ob der Kaiser die gerufenen Stände nur als angeforderte Delegation der Stände auffasste oder von ihnen direkt eine Antwort erwartete, ist nicht genau ersichtlich. Die vom Kaiser ausgewählten Stände begründeten ihr Vorgehen so: »dieweil allgereit etlicher fursten,

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Verhandlungen über Beginn oder Prorogation

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Reichstags. Sie stellten dem Kaiser die Eröffnung frei, gaben aber zu bedenken, ob nicht noch auf die in Schweinfurt vermittelnden Kurfürsten von Mainz und Pfalz gewartet werden sollte.1⁹⁸ Bei den folgenden Reichstagen kam es anscheinend nicht mehr zu derartigen Vorverhandlungen, auch wenn die Beschlussfähigkeit der Versammlung durchaus noch nach der Propositionsverlesung angezweifelt wurde. Es fällt auf, dass das Phänomen fast nur bei Reichstagen des Reichsregiments auftrat. Die Ursache hierfür ist vermutlich die mangelnde Autorität des Regiments. Es konnte in den 1520er Jahren nicht so viele Stände versammeln wie Karl 1521 persönlich. Dies ließ die Frage aufkommen, ob der Reichstag trotz der mangelhaften Beteiligung begonnen werden könne. Nach der Rückkehr des Kaisers ins Reich waren 1530 Dringlichkeit und Besucherdichte so hoch, dass die Reichstagseröffnung außer Frage stand. Der Reichstag von 1532 war stark von den Auswirkungen enormer Spannungen zwischen den Konfessionsparteien und der kaiserlichen Vermittlungspolitik geprägt. Generell sahen sich die Habsburger Brüder mit starker Opposition konfrontiert, die die Königswahl Ferdinands infrage stellte.1⁹⁹ In dieser angespannten Lage bestanden die von Karl gefragten Stände auf dem unter dem Regiment angewandten Verfahren, alle bereits anwesenden Stände zu einer Sitzung ins Rathaus zu rufen. Es hatte also anscheinend eine Traditionsbildung stattgefunden, bei der ein Verfahren entwickelt wurde, durch das festgestellt wurde, ob der Reichstag »eröffnungsfähig« war. Der Verweis der Stände von 1532 auf diese Entwicklung ist dabei jedoch schlecht zu trennen vom üblichen Bestreben der Stände, dem Kaiser angesichts ihrer Opposition möglichst geschlossen gegenüber zu treten. Bei einer harmonischeren politischen Ausgangslage hätten die Stände in Regensburg auf diese Geste ihres Zusammenhalts vielleicht eher verzichtet. Nach der neunjährigen reichstagslosen Zeit von 1532 bis 1541 wurde auf die Tradition, vor der Reichstagseröffnung den Rat der anwesenden Stände einzuholen, aber anscheinend nicht mehr zurückgegriffen. Begünstigend war dabei sicherlich der lange zeitliche Abstand zwischen den Regensburger Reichstagen, der sich auf die Erinnerung der Teilnehmer auswirkte. Aber auch die veränderte politische Situation trug dazu bei, denn die Reichstage der 1540er Jahre waren vom Zusammenbruch der ständischen Solidarität und einer starken Einflussnahme seitens des Kaisers und seines Bruders geprägt. Im viel später entstandenen Ausführlichen Bericht findet sich der undeutliche Hinweis, der Kaiser werde den Reichstag eröffnen, sobald alle Kurfürsten oder nur ein Kurfürst und eine nicht festgelegte Menge

geistlichen und weltlichen, der stett und ander pottschaften von stenden im hl. Reych alhie, die von irer herrn wegen mit gewalt und bevelch zum reichstag auch abgefertigt weren, so wollten sie solch irer ksl. Mt. furhalten an dieselben pottschaften auch gelangen lassen, sich derhalben miteinander unterreden und irer ksl. Mt alßdann iren rathe und bedencken unterdeniglich entdecken«: RTA JR 10, Nr. 32 (S. 361–370), S. 361. 198 Ebd., Nr. 32 (S. 361–370), S. 361–362. 199 Kohler, Antihabsburgische Politik, S. 203–244.

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anderer Stände eingetroffen seien.2⁰⁰ Eine einheitliche Vorgehensweise hatte sich trotz der Ansätze in den 1520er Jahren also nicht etabliert.

2.6 Eröffnung und Proposition Da Machtverhältnisse und politische Befugnisse im 16. Jahrhundert nicht durch schriftliche Normen begrenzt oder geregelt wurden, kam dem gemeinsamen zeremoniellen und symbolischem Handeln eine enorme Bedeutung zu.2⁰1 Die Eröffnung eines Reichstags hatte unter diesem Gesichtspunkt einen hohen Stellenwert.2⁰2 Hierbei wurde der ursprüngliche königliche beziehungsweise kaiserliche Hoftag nachgebildet.2⁰3 Die Stände traten als die Gefolgsleute des Kaisers auf und wurden von diesem um Rat gefragt. Verhalten und Darstellung der einzelnen Beteiligten waren von dieser Vorstellung geprägt. Für die Stände war die im Zeremoniell abgebildete Hierarchie Ausdruck ihrer jeweiligen Stellung und Bedeutung. Durch die Teilnahme am Zeremoniell erzeugten die Beteiligten eine Gemeinschaft, die sich den Anspruch von innerer Ordnung gab. Dies traf natürlich in besonderem Maße auf Reichstage zu, bei denen der Kaiser und viele Stände persönlich teilnahmen. Nicht zuletzt war ein solcher Reichstag in der Außenwirkung Ausdruck der Macht des Herrschers. Deshalb waren auch Einzelheiten des Zeremoniells und die Teilnahme aller Stände bedeutsam und standen unter dem Eindruck der politischen Lage.2⁰⁴

2.6.1 Eröffnungsprozession und Gottesdienst Jeder Reichstag wurde traditionell mit einem gemeinsamen Kirchgang aller Teilnehmer begonnen. Zu diesem Zweck wurden zunächst alle Stände ins Rathaus oder zur Herberge des Kaisers gerufen. Dort begrüßte sie dieser und man zog in einer gemeinsamen Prozession zur Kirche. Hier wurde ein Gottesdienst nach altgläubiger Liturgie abgehalten. Anschließend zog man zum Rathaus, wo die Beratungen stattfinden sollten. Tatsächlich variierte dieser Ablauf oft in Abhängigkeit von den gegebenen Umständen. Reichstage, an denen sowohl der Kaiser als auch viele Fürsten persönlich zugegen waren, wurden für entsprechende Prachtentfaltung genutzt. Dann versam200 Rauch, Traktat, S. 51. 201 Stollberg-Rilinger, Symbolische Kommunikation, S. 509–510. Zur mittelalterlichen Tradition, politische Vorgänge in ritualisierten symbolischen Handlungen auszudrücken: Althoff, Veränderbarkeit von Ritualen. 202 Stollberg-Rilinger, Symbolik der Reichstage, S. 87. 203 Dies spielte bei den Auseinandersetzungen um die Rolle des Reichsregiments bei der Reichstagseröffnung 1522 eine bedeutsame Rolle. Zum Reichstag von 1522: Kapitel 1.2.1 ab S. 39. 204 Barbara Stollberg-Rilinger veranschaulicht dies am Beispiel des Reichstags von 1530: Stollberg-Rilinger, Kaisers alte Kleider, S. 97–114.

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Eröffnung und Proposition

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melten sich alle Stände vor der kaiserlichen Herberge und geleiteten den Herrscher in einer feierlichen Prozession zur Kirche. Wichtig war dabei, dass auch diese Prozession dem Rang der einzelnen Teilnehmer gerecht wurde, weshalb der Position, an der die einzelnen Personen jeweils gingen, enorme Aufmerksamkeit zukam. Neben der bekannten Schwierigkeit, die dies bereits für die Abbildung der Reichshierarchie mit sich brachte, mussten auch noch Würdenträger in die Prozession integriert werden, die nicht zum Reichsverband gehörten, sondern den Kaiser aus seinen anderen Königreichen begleiteten. Ebensolches galt für päpstliche Gesandte. Für die Eröffnungsprozession 1544 vermerkte die würzburgische Gesandtschaft, dem Kaiser seien »etzliche außlendische herrn und vom adel«2⁰⁵ vorangegangen, gefolgt von ausländischen kaiserlichen Amtsträgern im Fürstenrang und schließlich den deutschen Fürsten. Der Beginn der deutschen Abteilung war für die Zuschauer sogar besonders gekennzeichnet: »Uff dise fursten zwen keiserische diener geritten, jeder furent ain groß silbern ubergulte seul, wie gepreuchlich ›plus ultra‹ etc. bezeigent. Nach disen vier reitende herolden in iren paludimenten und denen ›Germania‹ mit ainem versilberten steblein in der hende uber sich, aber die andern fuerten nichts.«2⁰⁶ Auf diese Herolde folgte wie üblich der Reichsmarschall mit dem blankgezogenen Schwert. Er schritt dem Kaiser voraus, der wiederum von den Kurfürsten begleitet wurde. Den Schluss der Prozession bildeten die Gesandten der nicht persönlich anwesenden Stände und der Freien und Reichsstädte. Es lässt sich an dieser Beschreibung also erkennen, dass die ausländischen Fürsten klar von der deutschen Prozession getrennt wurden, um nicht eine umfassende Hierarchie aller Anwesenden entwickeln und darstellen zu müssen. Wenn ohnehin kaum Stände persönlich anwesend waren, fielen Prozession und Messe schlichter aus. Manchmal war auch das Wetter dafür verantwortlich, dass der Reichstag weniger festlich eröffnet wurde.2⁰⁷ Zum zweiten Reichstag von 1542 wird ein eröffnender Kirchgang gar nicht erst erwähnt. Stattdessen ließ Ferdinand die Stände direkt um 7 Uhr im Rathaus erscheinen, wo die Proposition verlesen wurde.2⁰⁸ Dass es dennoch einen Gottesdienst gab, ist nicht auszuschließen, denn es gab auch Reichstage, an denen Gottesdienst und Propositionsverlesung an unterschiedlichen Tagen stattfanden. Beim ersten Nürnberger Reichstag lag dies an den Verzögerungen durch die Zeremonialstreitigkeiten zwischen Regiment und Ständen, deretwegen die Proposition erst am Folgetag verlesen werden konnte.2⁰⁹ 205 RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 754. 206 Ebd. 207 Beim Speyerer Reichstag von 1542 versammelten sich die Stände vor der Herberge des Königs. Da es aber regnete, zog dieser zunächst die Anhörung der französischen Gesandtschaft vor. Erst gegen 9 Uhr ritt er dann zum Dom: RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 349–353. 1543 war es so kalt, dass man bei der Prozession von der Nürnberger Burg, wo der Gottesdienst in einer Kapelle stattgefunden hatte, hinunter in die Stadt auf Pferde verzichtete: StA Würzburg, Würzburger RTA, 21, fol. 7r. 208 RTA JR 13, Nr. 57 (S. 395–408), S. 397. 209 Hierzu: Kapitel 1.2.1 ab S. 39.

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Der Ablauf eines Reichstags

Auch beim zweiten Nürnberger Reichstag reichte die Zeit nur für Prozession und Gottesdienst.21⁰ Die Mainzer Kanzlei wertete dabei den Tag des Gottesdienstes als den Tag des Reichstagsbeginns.211 Den Gottesdienst zur Reichstagseröffnung hielt immer ein Bischof. Die Messe war dem Heiligen Geist gewidmet; nur 1521 richtete er sich an die Dreifaltigkeit.212 Der Heilige Geist sollte die Teilnehmer am Reichstag zu richtigen Entscheidungen leiten.213 Die Hoffnung auf Beistand durch den Heiligen Geist stand dabei in der Tradition eines mittelalterlichen Politikverständnisses, demzufolge der Heilige Geist bei wichtigen politischen Fragen den Beteiligten die richtige Lösung eingab. Dies äußerte sich nach der tradierten Auffassung darin, dass einstimmig entschieden wurde.21⁴ Der gemeinsame Besuch der Kirche hatte einen starken symbolischen Gehalt, denn er erzeugte sichtbar eine Gemeinschaft, die sich im christlichen Glauben verbunden fühlte, womit auch die religiöse Legitimation des Heiligen Reichs demonstriert wurde. Während der Herrschaftszeit Karls V. aber entwickelten sich Prozession und Kirchenbesuch zum sichtbaren Zeichen der Religionsspaltung. Da die altgläubige Liturgie der Messe von den Evangelischen abgelehnt wurde, standen diese vor der Entscheidung, sich gleich zu Reichstagsbeginn sichtbar von Kaiser und altgläubigen Ständen abzugrenzen oder aber von ihrer theologischen Position abzurücken. Gegen Ende der 1520er Jahre wurde es deshalb im Zusammenhang mit dem steigenden Gegensatz zwischen den Anhängern und Gegnern Luthers üblich, dass die evangelischen Stände dem Gottesdienst fernblieben. 1524 nahm Friedrich der Weise noch an der Prozession und sicher am Gottesdienst teil.21⁵ 1529 wartete Ferdinand vor der Prozession lange auf den sächsischen Kurfürsten Johann.21⁶ Dieser weigerte sich jedoch, zur Kirche zu gehen und verwies auf sein Gewissen.21⁷ Die Ablehnung der Teilnahme wurde also ähnlich legitimiert wie die Ablehnung der Protestanten, sich in religiösen Fragen überstimmen zu lassen. Dies verdeutlicht den hohen Stellenwert des gemeinsamen Kirchgangs. Ihn zu verweigern, war offen zur Schau gestellte Opposition. Da auch die Anhänger Luthers unter den Ständen kein Interesse daran hatten, den Konflikt eskalieren zu lassen, suchten sie nach Möglichkeiten, dennoch ihren Gehorsam zu demonstrieren. 1529

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214 215 216 217

RTA JR 3, Nr. 51 (S. 281–311), S. 283–284. Ebd., S. 283. RTA JR 2, Nr. 6 (S. 147–153), S. 151. Zur Anrufung wurde die Formel »veni sancte spiritus, reple tuorum corda fidelium, et tui amoris in eis ignem accende« (StA Hannover, Hild. Br.1, Nr. 77 3r bzw. RTA JR 7, S. 548) gesungen, wie es sonst zu Pfingsten Brauch war. Zur Pfingstsequenz und ihrer Anwendung: Dotzauer, Anrufung und Messe, S. 14–16. Ders., Anrufung und Messe; Llanque, Politische Ideengeschichte, S. 275–276; Töbelmann, Formen der Repräsentation, S. 226–227. RTA JR 4, Nr. 23 (S. 87–99), S. 89. RTA JR 7, S. 547. StA Hannover, Hild. Br.1, Nr. 77 fol. 3r.

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wartete Kursachsen schließlich gemeinsam mit Anhalt und Henneberg im Rathaus auf den König, als dieser von der Messe kam.21⁸ 1530 äußerte sich der religiöse Konflikt direkt im Machtkampf zwischen Kaiser und Protestanten um deren Teilnahme an der Fronleichnamsprozession.21⁹ Dem Gottesdienst zur Reichstagseröffnung wohnten die evangelischen Stände diesmal aber größtenteils bei, um den Kaiser nicht frühzeitig zu erzürnen. Dabei legten sie jedoch Wert auf Gesten, die ihre Ablehnung der altgläubigen Liturgie bezeugen sollten.22⁰ Der Landgraf von Hessen brachte seine Haltung dadurch zum Ausdruck, dass er zu Beginn des lateinischen Gebets den Gottesdienst verließ und erst später wieder hereintrat.221 In den 1540er Jahren war es dann üblich, dass die Protestanten im Rathaus auf die übrigen Stände warteten.222 Das Fernbleiben vom Eröffnungsgottesdienst blieb aber weiterhin ein Thema, dem Aufmerksamkeit gewidmet wurde. 1544 war »auch ein merertheil der protestirenden stende«223 anwesend, als der Kaiser in seiner Herberge für den Gottesdienst abgeholt wurde. Noch 1547 wurde in den Reihen der Städtegesandten ausdrücklich vermerkt, dass die Teilnahme am Gottesdienst freiwillig sei.22⁴ Es bleibt anzumerken, dass das Fernbleiben vom Gottesdienst nur im Zusammenhang mit der Glaubensspaltung als Ungehorsam aufgefasst wurde. Es war durchaus möglich, nicht teilzunehmen, ohne die kaiserliche Autorität anzugreifen. Sehr alte oder gesundheitlich beeinträchtigte Reichstagsbesucher kamen bisweilen wie die Protestanten ebenfalls direkt zum Rathaus.22⁵ 1544 verließ der Mainzer Kurfürst den Eröffnungsgottesdienst vorzeitig, aus Angst, im allgemeinen Gedränge zu Schaden zu kommen.22⁶ War der Kaiser selbst körperlich nicht dazu in der Lage, die Kirche aufzusuchen, fand die Messe in dessen Herberge statt. Dies war 1532 in Regensburg der Fall, als Karl nach einem Jagdunfall am Bein verletzt war.22⁷ Die Aufstellung der Gottesdienstteilnehmer war ebenso wie der Platz innerhalb der Prozession ein Abbild der Hierarchie. Vom Altar aus gesehen standen der Kaiser oder seine Stellvertreter dabei rechts, daneben die Kurfürsten, gefolgt von den weltlichen Fürsten. Auf der linken Seite dagegen befanden sich die Stände der

218 219 220 221 222

223 224 225 226 227

RTA JR 7, S. 548–549. Zum Reichstag von 1530: Kapitel 1.3.1, ab S. 61. Stollberg-Rilinger, Symbol und Diskurs, S. 95–96. Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 67–69. Das Würzburger Reichstagsdiarium von 1544 beschreibt ausführlich die inzwischen entstandene Begegnungszeremonie zwischen Kaiser und Protestanten am Rathaus: RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 755–756. Ebd., Nr. 83 (S. 742–793), S. 754. RTA JR 18, Nr. 64 (S. 933–937). So 1544 der Bischof von Speyer: RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 755. »Volgents Maintz, eher das ampt auß gewesen, auch auß der kirchen gangen, domit er seiner blodigkhait halb ime gedrenge nit ubereitet wurde«: Ebd. RTA JR 10, Nr. 32 (S. 303–360), S. 305–306.

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geistlichen Fürstenbank.22⁸ Dabei wurden Regeln, die innerhalb des Reichsrats und der Kuriensitzung zur Lösung von Sessionsstreitigkeiten entwickelt wurden, anscheinend auch im Gottesdienst verwendet. Auffällig ist beispielsweise, dass der Salzburger Erzbischof 1529, nachdem er die Messe gesungen hatte, den Platz mit dem österreichischen Gesandten tauschte.22⁹ Es wurde also die umstrittene Vorrangstellung auf der geistlichen Fürstenbank berücksichtigt. Die genaue Erfassung der Aufstellung während der Messe lag vielen Verfassern von Berichten und Reichstagsdiarien sehr am Herzen. Bisweilen wurden hierzu sogar kleine Skizzen angefertigt.23⁰

2.6.2 Proposition Nach dem Gottesdienst zogen die Stände gewöhnlich zum Rathaus. Hier wurde der Reichstag mit der Verlesung der Proposition inhaltlich eröffnet. Verfahrenstechnisch griff man dabei auf die mittelalterliche Urversion des Reichstags zurück, den königlichen Hoftag: Formell versammelte der Kaiser die Reichsstände um sich, konfrontierte sie mit bestimmten Reichsangelegenheiten und bat sie hierbei um ihren Rat. Da die Stände seit der Zeit Bertholds von Henneberg dem Kaiser idealerweise nur noch geschlossen antworteten, war es nötig, sich für die Beratungen vom Kaiser zu trennen. Im Verlauf der Reichstagsverhandlungen teilten die Stände ihre Ergebnisse dem Kaiser dann als ihren Ratschlag mit. Bei der Beendigung des Reichstags wurde die gleiche Versammlung, wie sie bei der Proposition stattfand, schließlich wieder einberufen und der Abschied verlesen. Die Reichstagsverhandlungen stellten somit formell die Unterbrechung eines kaiserlichen Hoftags dar, während derer sich die Stände auf einen gemeinsamen Ratschlag einigten. Aus diesem Grund orientierte man sich für die Eröffnungs- und Abschlusssitzung am traditionellen mittelalterlichen Vorbild. Für die Proposition begaben sich die Stände in einen repräsentativen Raum im Rathaus.231 Der Saal war entsprechend geschmückt und vorbereitet. Zur Eröffnungszeremonie von 1544 heißt es in den Würzburger Aufzeichnungen: »Und als ir Mt. in die grossen radtsstuben khomen, sich in irem wolzubereiten und mit gulden thuchern sampt dem adler und wappen, dreier staffeln hoch uber der churfursten nebenbanck gestellten und gezierten stule nidergsatzt, auch ir ksl. Mt. die churfursten zu beden seyten niderzusitzen begnadet und volgents die andere fursten, nemblich die geistlichen zu rechten und die weltlichen zu linken

228 Tetleben fertigte 1530 eine Skizze der Aufstellung in der Kirche an: Grundmann, TetlebenProtokoll 1530, S. 68. 229 RTA JR 7, S. 548. 230 Ein Beispiel: StA Hannover, Hild. Br.1, Nr. 77, fol. 1v. 231 1532 fand auch die Eröffnungssitzung in der kaiserlichen Herberge statt, weil der Kaiser diese wegen einer Verletzung nicht verlassen wollte: RTA JR 10, Nr. 32 (S. 303–360), S. 305–306.

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seiten herab sampt dero bederseits bottschaften, jeder furst und bottschaften seine gepurende session eingenomen.«232 Für den Kaiser war ein Thron bereitgestellt worden, hinter dem sich ein Vorhang aus Tüchern befand, die das kaiserliche Wappen und den Reichsadler zeigten. Eine ähnliche oder vielleicht sogar die gleiche Verzierung aus Stoffbahnen kam zum Einsatz, wenn der Kaiser öffentlich unter freiem Himmel belehnte.233 Gewöhnlich stand für die geistlichen und weltlichen Kurfürsten im Rathaussaal jeweils eine eigene Bank bereit.23⁴ Während der Kaiser das Rathaus betrat, wurde ihm weiterhin das blanke Schwert vorangetragen. Nachdem er sich gesetzt hatte, erlaubte er zuerst den Kurfürsten, sich ebenfalls zu setzen. Dann erst ließ er die Fürsten und deren Gesandte Platz nehmen. Die anwesenden Städtevertreter blieben stehen. So äußerte sich auch in der Vollversammlung des Reichstags die hierarchische Trennung von Kaiser und den drei Kurien. Die unterschiedlichen Zeitpunkte, an denen sich Kaiser, Kurfürsten und Fürsten setzen durften, verdeutlichten ihren Rangunterschied. Dass sich die Städtegesandten überhaupt nicht setzen durften, demonstrierte, dass sie keinen auch nur annähernd ähnlich wertvollen Rang hatten wie die Kurfürsten und Fürsten.23⁵ Aus der Perspektive des Kaisers waren die Fürsten so aufgeteilt, dass die Geistlichen und ihre Gesandten auf der rechten Seite, die Weltlichen samt deren Botschaften auf der linken Seite saßen.23⁶ Nun lag es am Reichsmarschall, beziehungsweise bei dessen Personal, alle, die nicht zur Teilnahme am Reichsrat berechtigt waren, aus dem Saal zu weisen und im Anschluss für Ruhe zu sorgen.23⁷ Es ist auffällig, dass dem Kaiser bei der nun folgenden Reichstagseröffnung kaum eigener Redeanteil zukam. Dies mag ursprünglich aus Rücksicht auf Karls V. Deutschkenntnisse geschehen sein. Aber auch sein Bruder Ferdinand, der sich seit Karls Königswahl fast ausschließlich in deutschsprachiger Umgebung aufhielt, überließ in der Regel die Ansprachen zur Reichstagseröffnung seinen Räten. Dies unterschied die beiden von ihrem Großvater Maximilian I., der gewohnt war, auf Reichstagen frei zu reden.23⁸ Auffällig ist aber, dass parallel dazu auch die Stände auf Räte und Sekretäre zurückgriffen, wenn sie, zumindest im Reichsrat und in Anwesenheit des Reichsoberhaupts und der Stände, etwas zur Sprache bringen wollten. Im Verlauf des 16. Jahrhunderts wurde es vollkommen unüblich, dass sich Kaiser und Fürsten in den Reichsräten persönlich äußerten.23⁹

232 RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 756. 233 Eine Beschreibung einer solchen Belehnung, in der auch auf die Verzierung der Tribüne eingegangen wird, findet sich in: StA Hannover, Br. 1 Nr. 78 252r–255r. 234 Stollberg-Rilinger, Zeremoniell als politisches Verfahren, S. 101. 235 Zur Bedeutung gemeinsamen Sitzens: Goetz, Der rechte Sitz, S. 15–16. 236 RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 756. 237 RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 351. 238 Helmrath, Rhetorik und ›Akademisierung‹ auf den deutschen Reichstagen im 15. und 16. Jahrhundert, S. 440–442. 239 Lanzinner, Fürsten und Gesandte, S. 69.

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Der Vortrag der Proposition war gewöhnlich in drei Teile geteilt. Zunächst sprach ein vom Kaiser ernannter Redner zu den Ständen. Diese Rede wurde üblicherweise von einem kaiserlichen Rat im Rang eines Reichsfürsten gehalten. Er dankte im Namen des Kaisers für das Erscheinen der Stände und kündigte an, der Kaiser habe die Gründe für die Einberufung dieses Reichstags in Schriftform bringen lassen. Anschließend wurde die Proposition verlesen. Dies übernahm gewöhnlich, aber nicht immer, ein kaiserlicher Sekretär. Im Anschluss an den vorgelesenen Text ergriff der erste Redner erneut das Wort und wünschte sich wieder im Namen des Kaisers, die Stände mögen die vorgetragenen Punkte zufriedenstellend beraten. Nun berieten die Stände über die Proposition, indem sie auseinandergingen und sich nach Kurien getrennt besprachen. Der insgesamt schwierige Stand, den die Freien und Reichsstädte auf dem Reichstag hatten, kam auch hier deutlich zur Geltung, denn die Städtekurie wurde bei diesen Beratungen üblicherweise ignoriert. So notierte die Würzburger Gesandtschaft in Speyer 1542: »Volgendts nach gehaptem bedacht und vergleichung des rathschlags, den jeder theil, als nemblich der churfursten, auch der anderen gemainen stende allain gehapt, wie dann preuchlich und herekommen«2⁴⁰, sei die Antwort der Stände vorgetragen worden. 1544 hieß es: »von beden chur- und furstenrethe, jedem in sonder«2⁴1. Auch nach der Intervention des Kaisers zugunsten der Städte auf dem Reichstag 1547/48 änderte sich daran nichts.2⁴2 Nach dem Anhören der Proposition einigten sich die Stände auf eine Antwort, die dann von Kurmainz (1530 von Kurbrandenburg2⁴3) dem Kaiser vorgetragen wurde. Obwohl sie immer, sogar in getrennten Kuriensitzungen, beraten wurde, war die erste Antwort der Stände stark ritualisiert und fiel immer ähnlich aus: Die Stände hätten den Vortrag gehört, dankten dem Kaiser für seine Worte, bzw. erkannten darin den Willen zur Besserung der Verhältnisse im Reich und versprachen, die proponierten Punkte zu behandeln. Da diese aber einerseits sehr wichtig und andererseits umfangreich seien, bäten die Stände den Kaiser um Abschrift der Proposition, um sie genauer und sorgfältiger beraten zu können.2⁴⁴ Im Ausführlichen Bericht sind separate Beratungen der drei Kurien über die erste Antwort 240 RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 352. 241 Würzburger Reichstagsdiarium, RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 759. 242 1550 wurden die Städte über den Beschluss der oberen Kurien informiert: RTA JR 19, Nr. 79 (S. 258–259), S. 258, Anm. 3. 243 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 70. 244 Diese formelle Bitte ist häufig belegt: RTA JR 2, Nr. 9 (S. 157–168), S. 159; RTA JR 7, S. 553–554; Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 71; ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 7-2, fol. 2v–3r; RTA JR 12, Nr. 46 (S. 329–343), S. 330; Nr. 47 (S. 343–380), S. 352; RTA JR 13, Nr. 57 (S. 395–408), S. 397; HStA Stuttgart, A 262, Bü. 21, fol. 4r; RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 759; RTA JR 16, Nr. 60 (S. 355–671), S. 356; Nr. 64 (S. 801–849), S. 802; RTA JR 17, Nr. 53 (S. 308–323), S. 309; RTA JR 20, Nr. 146 (S. 1536–1677), S. 1538. Der erste Nürnberger Reichstag von 1522 bildet eine Ausnahme: Anscheinend forderten die Stände keine Abschrift, sondern beschlossen unmittelbar ein Mandat und die Einrichtung eines Großen Ausschusses: RTA JR 3, Nr. 3 (S. 42–46), S. 43.

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ausdrücklich vorgesehen,2⁴⁵ auch wenn er für die Antwort an den Kaiser bereits eine Textvorlage enthält.2⁴⁶ Die Antwort der Stände mit Bitte um Abschrift beendete den ersten, stark formalisierten Abschnitt eines Reichstags, indem die Stände nun vonseiten des Kaisers die Einwilligung zur Abschrift erhielten. Die Proposition wurde Kurmainz als Erzkanzler überlassen und gewöhnlich am Folgetag, bisweilen aber auch im Anschluss an die Propositionssitzung, vervielfältigt. Dies geschah, indem Mitarbeiter der Mainzer Kanzlei den Text bei einem gesonderten Termin langsam vorlasen, während Schreiber, die von den einzelnen Ständen dazu verordnet waren, das Gehörte mitschrieben.2⁴⁷ Ebenso wie die Prozession und der Gottesdienst war auch die Verlesung der Proposition ein Akt von hoher symbolischer Relevanz, weshalb die genaue zeremonielle Ausgestaltung dieser ersten Sitzung stetig an die politischen Verhältnisse angepasst werden musste. Dabei mussten wiederholt Umstände berücksichtigt werden, die in das beschriebene Verfahren nicht einfach einzuordnen waren. Dies lag daran, dass die feierliche Teilnahme der Stände als Anerkennung der in der Sitzung dargestellten Verhältnisse gewertet wurde. Gerade wenn diese Verhältnisse umstritten waren oder wenn nicht ersichtlich war, mit welcher Rechtfertigung eine einzelne Person im Zeremoniell mitwirkte, konnte dies zu Schwierigkeiten führen. Im Lauf der Regierungszeit Karls V. rührten solche Schwierigkeiten aber nicht nur von den üblichen Sessionskonflikten der Reichsstände her, sondern betrafen oft auch die Funktion des Herrschers, der den Reichstag leitete. Grund hierfür war, dass es mit den Mitgliedern des Reichsregiments, mit Ferdinand als römischem König und mit den kaiserlichen Kommissaren eine Reihe von Personen gab, die wiederholt in Vertretung des Kaisers agierten und deren zeremonielle Einordnung nicht eindeutig war. Im Fall des zweiten Reichsregiments wurde die Verlesung der Proposition 1522 zu einer Statusprobe, als das Regiment kaiserliche Autorität in Anspruch nahm und die Stände zu sich forderte. Die Reichsstände lehnten diese Geste der Unterordnung ab und bestanden auf eine Verlesung im Rathaus. Gelöst wurde der Konflikt durch einen Kompromiss, der keiner der beiden Seiten eindeutig Recht gab.2⁴⁸ Die zeremonielle Einordnung Ferdinands war besonders schwierig, da die Funktion, die er am Reichstag erfüllte, nicht eindeutig war und sich auch wandelte. 1521 war Ferdinand offiziell nur der Bruder des erwählten Kaisers; noch nicht einmal in Österreich regierte er aufgrund eigenen Rechts. Bald war er kaiserlicher Statthalter am Reichsregiment und später wurde er zum Römischen König gewählt. In der ersten Hälfte der 1540er Jahre leitete er schließlich einige Reichstage, die 245 Rauch, Traktat, S. 54–55. 246 Ebd., S. 55–56. 247 Beispiele hierfür: RTA JR 2, Nr. 8 (S. 156–157); Nr. 9 (S. 157–168), 159–160; RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 431; RTA JR 7, S. 554; ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 7-2, fol. 2v–3r; RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 353; RTA JR 16, Nr. 60 (S. 355–671), S. 356; RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 648. Vgl. auch: Cohn, Protocols, S. 48. 248 Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 53 (S. 120–123). Zum Reichstag 1522: Kapitel 1.2.1 ab S. 39.

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er auch im eigenen Namen ausgeschrieben hatte. 1555 ersetzte er faktisch bereits den Kaiser, der einen dauerhaften Religionsfrieden nicht verantworten wollte.2⁴⁹ Mit seiner Königswahl vivente imperatore2⁵⁰ errang Ferdinand eine Position, die im politischen System des Reichs mehr Tradition hatte als der Statthalter am Reichsregiment. Dass Ferdinand jedoch auch als König zeremoniell nicht leicht einzuordnen war, lag daran, dass er, seit er die böhmische Krone erworben hatte, auch Kurfürst war.2⁵1 Als Erzherzog von Österreich war er außerdem Reichsfürst und seine Räte nahmen im Fürstenrat Sitz und Stimme Österreichs wahr. All dies führte immer wieder dazu, dass auch bei der Durchführung der ersten Reichstagssitzung zeremonielle Detailfragen hinsichtlich Ferdinands geklärt werden mussten. Als Karl 1530 wieder einen Reichstag persönlich leitete, stellte sich die Frage nach der Berücksichtigung seines Bruders in besonderer Weise.2⁵2 Karl ließ Ferdinand gegenüber seinem Thron auf einem Stuhl Platz nehmen, der höher war als die Bank der Kurfürsten. Tetleben berichtet, die Kurfürsten hätten Ferdinand diesen Ehrenplatz lediglich nach einem langen Streit zugestanden. Sie betonten dabei, dass sie Ferdinand nur als ungarischen König und als Bruder und Rat des Kaisers auffassten. Großen Wert legten sie darauf, dass die Ehrenstellung in keiner Verbindung zur böhmischen Kurwürde stand.2⁵3 Die Problematik entsprang dabei dem Gewohnheitsrecht: Für die Kurfürsten bestand die Gefahr, dass in Zukunft ein böhmischer König die gleiche Position beanspruchen würde, ohne in einer ähnlichen familiären Verbindung zum Kaiser zu stehen. Die Protestation der Kurfürsten sollte dies verhindern. Nach seiner Wahl zum Römischen König wurde Ferdinands Sitzplatz nicht mehr angezweifelt. Auch seine Gesandten wurden entsprechend behandelt, wenn sie nicht explizit als Reichstagsgesandte Österreichs und so in Ferdinands Eigenschaft als Reichsfürst auftraten. Dies zeigt sich beispielsweise deutlich bei der Eröffnungssitzung des Speyerer Reichstags von 1544. Dort stellten sich der Passauer Bischof und Dr. Georg Gienger als königliche Gesandte vor. Sie befanden 249 Zur Entwicklung von Ferdinands Stellung auf den Reichstagen: Aulinger/Machoczek/ Schweinzer-Burian, Ferdinand I. und die Reichstage unter Karl V. 250 Zur römischen Königswahl vivente imperatore: Neuhaus, Römische Königswahl. 251 Der böhmische Kurfürst nahm eine Sonderstellung ein, da sich die böhmischen Landstände seit dem Spätmittelalter nicht mehr als Teil des Reichs ansahen. Die böhmische Kur kam nur noch bei Königswahlen zum Tragen. An Reichstagen war Böhmen jedoch nicht als Reichsstand beteiligt. Zu dieser Entwicklung: Begert, Böhmen, die böhmische Kur und das Reich vom Hochmittelalter bis zum Ende des Alten Reiches, S. 229–266, 303–335. 252 Zu den verschiedenen Funktionen Ferdinands 1530: Stollberg-Rilinger, Kaisers alte Kleider, S. 125. 253 Tetlebens Formulierung: »Post multam contencionem principes electores hoc ad peticionem Cesaree Maiestatis annuerunt, quod Ferdinandus uti rex Ungari, non Bohemie (ratione cuius regni est elector imperii), et uti frater et consiliarius Cesaris sederet in illa sede eminentiore ultra alios principes electores in facie Cesaris et pro hac vice, salvis tamen ipsorum electorum privilegiis et bulla aurea in futurum, de quo protestabantur«: Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 70.

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sich zunächst rechts vom Kaiser, also wahrscheinlich bei den geistlichen Fürsten, wo auch Österreich seine Session hatte. Nachdem sie sich aber als Gesandte des Königs vorgestellt hatten, sei »von der andern seiten durch des Reichs marschalck ain banck heruber getragen worden, daruff der hochermelter von Bassaw nidergesatzt und ermelter vicecantzler von kgl. Mt. wegen ongeferlich […] vorgetragen«2⁵⁴. Der geistliche Reichsfürst, der Bischof von Passau, vertrat zusammen mit Gienger Österreich. Solange die Räte Ferdinands Österreichs Session auf der geistlichen Fürstenbank einnahmen, wurden sie wie Gesandte eines Fürsten behandelt. Beim Passauer Bischof kam dabei noch hinzu, dass dieser selbst ein Fürst war. Im Rahmen der Eröffnungzeremonie sollten sich die beiden jedoch mit einer Rede an die Stände wenden, die Ferdinand in seiner Rolle als Römischer König vortragen lassen wollte. Diese Qualitätsänderung wurde zeremoniell dadurch verdeutlicht, dass dem Bischof nur für die Ansprache eine eigene Bank herbeigetragen wurde, wie sie Ferdinand in seiner Eigenschaft als Römischer König zugestanden hätte. Der Bischof als der ranghöhere der beiden Gesandten setzte sich und erfüllte somit die zeremonielle Funktion des Königs. Der Vizekanzler aber blieb stehen, wie er es auch getan hätte, wenn Ferdinand sich auf die Bank gesetzt hätte, und hielt in dessen Namen die kurze Ansprache, in der der König um die Verlesung seiner Proposition2⁵⁵ bat. Die königliche Gesandtschaft simulierte damit die unter Karl V. gängige Praxis, dass Kaiser und König auch bei persönlicher Anwesenheit nicht selbst sprachen, sondern diese Aufgabe an einen Rat oder Sekretär abgaben. Das hier im Zusammenhang mit den Gesandten Ferdinands geschilderte Vorgehen ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich auf den Reichstagen unterschiedliche Rollenzuweisungen etablierten, die sich situativ ändern konnten. Anders als noch im Hochmittelalter wurden die Reichstagsteilnehmer nicht mehr als einzelne Personen mit einem gewissen Status gewürdigt,2⁵⁶ sondern in ihrer aktuellen Funktion. Die Beschreibung der Eröffnungssitzung von 1544 enthält wegen einiger Komplikationen in ihrem Ablauf noch mehr Hinweise auf ihre Planung und Durchführung. Die Vorgehensweise des Reichsmarschalls war anscheinend geplant gewesen und keine spontane Improvisation, um auf die Anmeldung eines königlichen Vortrags zu reagieren. Sie war zumindest mit dem Kaiser abgesprochen. Das lässt sich schon daran erkennen, dass Karl bei der beschriebenen Sitzung einen Vortrag des kursächsischen Kanzlers nicht zuließ, weil zuvor die Rede der königlichen Gesandtschaft gehört werden sollte.2⁵⁷ Auch ein Brief der Gesandten lässt diesen Schluss zu, obwohl er nichts darüber enthält, zu welchem Zeitpunkt die Verlesung

254 RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 757. 255 Ebd., Nr. 77 (S. 370–376). 256 Der Übergang ist hierbei fließend. Im hochmittelalterlichen Zeremoniell wurde jedoch mehr Wert auf die tatsächliche Bedeutung einer Person gelegt, die sich aus vielen Faktoren ergeben konnte. Dieses Prinzip galt eingeschränkt aber auch noch im 16. Jahrhundert. Zu diesem Unterschied: Goetz, Der rechte Sitz, S. 38. 257 RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 756–757.

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der Proposition Ferdinands abgesprochen wurde.2⁵⁸ Hinsichtlich der Planung der Eröffnungssitzung ergeben sich daraus zwei weitere Erkenntnisse: Zum einen war die Rede der königlichen Gesandtschaft zwar dem Kaiser, aber nicht den Ständen angekündigt worden. Ansonsten hätte sich Kursachsen nicht während der Sitzung belehren lassen. Zum anderen war der im Anschluss doch noch erfolgte Vortrag des sächsischen Kanzlers nicht vorher abgesprochen; ansonsten wäre es auch in diesem Fall nicht dazu gekommen, dass der Kaiser dem sächsischen Kanzler zu schweigen befahl. Dass diese Zurückweisung nicht in erster Linie in dem gestörten Verhältnis des Kaisers zu den schmalkaldischen Ständen begründet war, zeigt sich dagegen darin, dass die sächsische Rede nach dem Vortrag Giengers noch angehört und nicht gänzlich abgelehnt wurde.2⁵⁹ Beide Texte, die nach dem Vortrag der kaiserlichen Proposition verlesen wurden (die königliche Proposition und ein sächsischer Vortrag zum Konflikt mit Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel), wurden vom Mainzer Kanzler gelesen. Im Fall der königlichen Proposition geschah dies auf Befehl des Mainzer Kurfürsten.2⁶⁰ Beim sächsischen Text weigerte sich Kurmainz jedoch zunächst: »Und wiewol der maintzisch cantzler vornen dem Kf. zu Maintz stunde und sich der saxisch cantzler als vill erzaigte, als sollt der maintzisch cantzler sollich [=solche] schrieft von ime nemen, hat er doch dasselbig nit gethan, sonder, alß Maintz etliche kurtze wort mit ksl. Mt. geredt, hat ir Mt. dem Naves gewinckt, die schrieft durch inen vom saxischen cantzler nemen zu lassen, der volgents dieselbig schrieft vorermelten maintzischen cantzler uberantwort, welche derselbig also verlesen.«2⁶1 Der Mainzer Kanzler wollte also das gegen Heinrich von Braunschweig gerichtete Schreiben nicht von Kursachsen annehmen. Erst über den Umweg des kaiserlichen Vizekanzlers nahm es der Mainzer Kanzler an. Die für 1544 protokollierten Unstimmigkeiten bei der Eröffnungssitzung geben auch Auskunft über die Position der Räte persönlich anwesender Stände. Wie aus dem obigen Zitat deutlich wird, standen die Kanzler der Kurfürsten und des Kaisers unmittelbar bei ihren Dienstherren: Naves war zumindest im Raum, denn er konnte das Handzeichen des Kaisers wahrnehmen. Die Position des Mainzer Kanzlers wird eindeutig beschrieben: Er stand vor seinem Kurfürsten. Da der sächsische Kanzler dem mainzischen einen Text überreichen wollte, ist davon auszugehen, dass auch der sächsische Kanzler sich in unmittelbarer Nähe befand. 258 Nach der Beschreibung des Eröffnungsgottesdiensts und der Verlesung der kaiserlichen Proposition heißt es dort: »Nachdem uns nu euer kgl. Mt. instruction auflegt, das wir derselben verfasten schriftlichen furtrag auch furbringen und dabey vleiß haben sollen, das der in beywesen hochermelter ksl. Mt. geschehen möcht, haben wir bey irer ksl. Mt. undthertheniclich angelangt und erhalten, das euer kgl. Mt. furtrag gleich auf der ksl. Mt. proposition geschehen und also bayd irer ksl. und euer kgl. Mtt. propositionen von den stenden under aynist in bedacht genomben worden seyen«: RTA JR 15, Nr. 75 (S. 362–364), S. 362. 259 Ebd., Nr. 83 (S. 742–793), S. 757–758. 260 Ebd., Nr. 83 (S. 742–793), S. 757. 261 Ebd., Nr. 83 (S. 742–793), S. 758.

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Der sächsische Kurfürst war aber ebenfalls persönlich zugegen.2⁶2 Während die Kurfürsten und wahrscheinlich auch der Kaiser von ihren Kanzlern in die Eröffnungssitzung begleitet wurden, befanden sich die fürstlichen Kanzler und sonstige Räte anscheinend zwar ebenfalls im Raum, jedoch etwas abseits. Dies wird aus der Reaktion Heinrichs von Braunschweig-Wolfenbüttel auf den erwähnten sächsischen Vortrag deutlich: »Aber als dise schrieft und protestacion des standts halb ime Reich gegen Hg. Hainrich von Braunschweig ime reichsrathe verlesen worden, ist itzbemelter furst uffgestanden, seinen cantzler Dr. Johann Sropffler zu sich beruffen und nach kleinem gehapten bedacht dise volgende maynung ongeferlich durch inen furpringen lassen«2⁶3. Herzog Heinrich wurde auf die vorgetragenen Vorwürfe hin also gestattet, sich eine Zeit lang mit seinem Kanzler zu besprechen. Dieser scheint sich im Hintergrund aufgehalten zu haben, denn er wurde von seinem Herzog herbeigerufen. Da das nun Vorgetragene nicht schriftlich vorlag und deshalb nicht verlesen wurde, war es am braunschweigischen Kanzler, die mündliche Antwort seines Herzogs zu verkünden. Offensichtlich wollten die Defensionsverwandten nun wieder auf Braunschweig antworten, denn ihre Fürsten sind nun ebenfalls »uffgestanden«2⁶⁴, um sich mit ihren Räten zu besprechen. Der Kaiser ließ sie nun auffordern, dies zu unterlassen. Dies geschah wieder nicht durch den anwesenden Kaiser persönlich, sondern durch dessen Räte Pfalzgraf Friedrich und Vizekanzler Naves, die dafür zu den aufgestandenen Fürsten »geschickt«2⁶⁵ wurden.2⁶⁶ Die Fürsten im Reichsrat hatten ihre Räte also auch bei der eröffnenden Sitzung in ihrer Nähe. Sie standen jedoch nicht unmittelbar bei ihnen. Deshalb erhoben sich die Fürsten, um mit ihren Räten Rücksprache zu halten. Die Kommunikation unter den Sitzungsteilnehmern erfolgte über deren Kanzler oder Räte. Im Anschluss an die erste Reichstagssitzung, in der sie um Abschrift der Proposition baten und diese gewährt wurde, kehrten die Stände in ihre Herbergen zurück. Wenn der Kaiser persönlich bei der Eröffnungssitzung im Rathaus war, wurde er in einer kleineren Prozession von einigen Ständen zurück in seine Herberge begleitet.2⁶⁷

2.6.3 Abschrift und Bedenkzeit Nach der Eröffnung des Reichstags war es üblich, dass bis zur ersten inhaltlichen Sitzung den Ständen Zeit zur Vorbereitung eingeräumt wurde. Wie schon beschrieben, ließen diese den Text der Proposition durch Schreiber kopieren. An-

262 263 264 265 266 267

Er war zwei Tage zuvor eingetroffen: Eltz, Einleitung zu RTA JR 15, 114, Anm. 249. RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 758. Ebd. Ebd., S. 759. Ebd., S. 758–759. Ebd., S. 759.

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schließend gingen sie die Proposition durch und bereiteten sich darauf vor, zu den genannten Punkten ein Votum abzugeben. Die hierfür gewährte Zeit wurde, wie bereits geschildert, anscheinend auch genutzt, um noch fehlende Räte zum Reichstagsort anreisen zu lassen. Die württembergischen Räte beschrieben 1554 für ihren Herzog den Beginn eines Reichstags wie folgt: »Da nun die session auf vorgeend ansagen der stend zusamenkunft beschehen, würdet erstlichs von der kai. mt. oder derselbigen commissario der anfang mit der proposition gemacht, die one zweifel auf ir mt. dieses reichstags ausschrieben gestelt sein wurdet. 2. wurdt selbige proposition von der stend hierzu gesetzten schreibern abgeschriben, welche schreiber ires verordnens von irn hern urkund haben muessen. 3. würt (nach gelegenheit und vile der proponierten puncten) ein zeitlang von iedem daheim daruber deliberiert, was zu votiern sein welle.«2⁶⁸ Die Bedenkzeit nach Verlesung und Abschrift der Proposition wurde also als ein fester, sogar mit einer eigenen Nummer2⁶⁹ versehener Bestandteil des Reichstagsablaufs angesehen. Ein Vergleich der Reichstage von 1521 bis 1555 zeigt, dass eine Bedenkzeit tatsächlich sehr üblich war. Schon zu Karls erstem Reichstag wurde sie den Ständen eingeräumt: 1521 eröffnete Karl den Reichstag am 28. Januar. Am 30. Januar beschlossen dann die Stände in einer ersten Sitzung, einen Großen Ausschuss einzuberufen.2⁷⁰ Beim folgenden Reichstag in Nürnberg beschlossen die Stände jedoch schon unmittelbar auf die Verlesung der Proposition hin die Einrichtung eines Ausschusses.2⁷1 Auch beim zweiten Nürnberger Reichstag wurde der Ausschuss bereits am Tag der Proposition eingerichtet, nahm seine Arbeit aber anscheinend erst zwei Tage nach der Reichstagseröffnung auf.2⁷2 1524 gab es hinsichtlich des Regiments und des Umfragestreits so viele Hindernisse zu Beginn des Reichstags, dass eine Bedenkzeit nicht relevant war.2⁷3 1526 war die Bedenkzeit nur kurz und reichte wohl gerade zur Vervielfältigung der Proposition: Am 25. Juni wurde der Reichstag eröffnet und die Abschrift bewilligt, aber schon am Folgetag wurde die erste Sitzung abgehalten.2⁷⁴ 1527 erbaten sich die Stände Bedenkzeit bis auf den Folgetag.2⁷⁵ Auch 1529 begannen die Beratungen am Tag nach der Proposition.2⁷⁶ Auf dem Augsburger Reichstag 1530 vergingen dagegen zwei Nächte zwischen der Verlesung der Proposition (20. Juni) und den ersten Beratungen der Stände (22. Juni).2⁷⁷ Auf dem folgenden Regensburger Reichstag verging noch ein 268 Ernst, Briefwechsel des Herzogs Christoph von Wirtemberg, Bd. 3, Nr. 3 (S. 4–32), S. 6. 269 Die Zahlen sind keine Ergänzung des Editors, sondern im ursprünglichen Text enthalten: HStA Stuttgart, unfoliiert in A 262 Bü 38. 270 RTA JR 2, Nr. 9 (S. 157–168), S. 159–160. 271 RTA JR 3, Nr. 3 (S. 42–46), S. 43. 272 Ebd., Nr. 51 (S. 281–311), S. 284–285. 273 Hierzu: Kapitel 1.2.3 ab S. 45. 274 RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 430–431. 275 RTA JR 7, S. 61. 276 Ebd., S. 547, 558. 277 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 67–71.

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Eröffnung und Proposition

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Tag mehr. Die Eröffnung war am 17. April und die erste inhaltliche Versammlung kam erst am 20. April zusammen.2⁷⁸ 1541 wurde die Proposition Dienstag, den 5. April, verlesen, die Beratungen begannen aber erst am Samstag darauf.2⁷⁹ In Speyer lagen 1542 drei Tage zwischen Proposition2⁸⁰ und Aufnahme der Beratungen.2⁸1 In Nürnberg wurde im gleichen Jahr die erste Beratung aber wieder direkt für den Tag nach der Proposition angesetzt.2⁸2 Der Gegenstand der Proposition war aber bereits im Wesentlichen durch den vorangegangenen Reichstag in Speyer bekannt. 1543 blieben die Stände noch eine Stunde im Saal, nachdem König Ferdinand gegangen war.2⁸3 Ob dabei bereits inhaltlich beraten wurde, ist unklar. 1544 begann die Beratung der Proposition2⁸⁴ drei Tage nach deren Verlesung.2⁸⁵ 1545 lagen in Worms wieder zwei Tage zwischen Proposition und den Beratungen,2⁸⁶ 1546 drei Tage.2⁸⁷ 1547 ließ sich der Mainzer Kanzler zwei Tage Zeit, bis die erste Sitzung einberufen wurde.2⁸⁸ Viel Zeit verging 1550 in Augsburg: Die Proposition wurde am 26. Juli verlesen,2⁸⁹ die Verhandlungen wurden aber erst am 31. Juli aufgenommen.2⁹⁰ 1555 wollte die Mainzer Kanzlei den Ständen wohl ebenfalls viel Bedenkzeit lassen, wurde aber von König Ferdinand dazu gedrängt, bald mit den Reichstagssitzungen zu beginnen, weshalb es zunächst bei zwei Tagen Bedenkzeit blieb.2⁹1 Zusammenfassend lässt sich über die Bedenkzeit sagen, dass sie schon wegen der technischen Notwendigkeit für die Abschrift der Proposition sehr üblich war. Ob sie notwendig war, wurde jedoch von Fall zu Fall entschieden. Bei den ersten Regimentsreichstagen entfiel sie ganz. Auch beim Nürnberger Reichstag von 1542, auf dem die zu behandelnde Materie den Teilnehmern schon früher bekannt war, wurde kaum Bedenkzeit gewährt. Die Dauer der Bedenkzeit lag üblicherweise bei etwa zwei Tagen.

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RTA JR 10, Nr. 32 (S. 303–360), S. 305–307. ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 7-2, fol. 2r–3r. RTA JR 12, Nr. 42 (S. 238–245). Ebd., Nr. 44 (S. 252–257), S. 254. RTA JR 13, Nr. 57 (S. 395–408), S. 397. StA Würzburg, Würzburger RTA, 21 fol. 7v. RTA JR 15, Nr. 74 (S. 353–362). Ebd., Nr. 81 (S. 383–655), S. 383. RTA JR 16, Nr. 60 (S. 355–671), S. 355–356. Das Hildesheimer Protokoll verzeichnet für zwei ganze Tage »Nihil«: RTA JR 17, Nr. 53 (308–323), S. 310. RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 317. RTA JR 19, Nr. 78 (S. 249–257). Ebd., Nr. 82 (S. 261–724), S. 261. RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 645–649.

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Der Ablauf eines Reichstags

2.7 Feststellung der Beschlussfähigkeit Der Reichstag hatte kein schriftlich festgehaltenes Verfahren. Es war auch nicht festgelegt, wie viele Reichsstände mindestens anwesend sein mussten, um einen Reichstag abhalten zu können. Schon deshalb konnte keine »Feststellung der Beschlussfähigkeit« im Sinne moderner Gremien erfolgen. Dennoch kam es vor, dass sich die auf einem Reichstag versammelten Stände noch nach der Reichstagseröffnung mit der Frage auseinandersetzten, ob es angesichts der geringen Teilnehmerzahl sinnvoll sei, mit den eigentlichen Beratungen zu beginnen. Dabei waren solche Überlegungen nie institutionalisierter Bestandteil des Reichstagsverfahrens, sondern eher ein Ausdruck dafür, dass die Gültigkeit des momentanen Reichstags angezweifelt wurde. Um dies zu verstehen, reicht jedoch nicht die Erkenntnis, dass es kein schriftlich festgehaltenes Verfahren gab. Es gab für die Gültigkeit und die Durchsetzung von Reichstagsbeschlüssen überhaupt kein Verfahren. Auch wenn in den Ausschreiben regelmäßig angekündigt wurde, dass Reichstagsbeschlüsse auch für Abwesende gültig seien, war dies in der Realität nicht durchsetzbar. Die Reichstagsentscheidungen waren zu weiten Teilen Konsensentscheidungen.2⁹2 Aus dem Mittelalter hatte sich das Bewusstsein erhalten, dass Abwesenheit bei einer Konsensentscheidung eine, vielleicht sogar die einzig mögliche Form der Ablehnung war.2⁹3 Es lag daher nahe, schwerwiegende Entscheidungen, die alle Stände betrafen, lieber in Anwesenheit einer großen Zahl von Fürsten zu fällen. In dieser Hinsicht ähnelten die Beratungen der Reichstage modernen internationalen Geberkonferenzen: Unter einem gewissen öffentlichen Druck verpflichteten sich die Teilnehmer selbst. Musste der Gegenstand der Beratungen zwangsläufig alle Stände betreffen, war deshalb auch eine große Teilnehmerzahl für die Akzeptanz der angestrebten Änderung erforderlich. Es lässt sich deutlich erkennen, dass die Reichstagsteilnehmer ihre Beurteilung, ob genügend Reichsstände zugegen waren, anhand der empfundenen Wichtigkeit der Materie fällten. 1530 wichen die Stände auf Anregung des Fürstenrats der Beratung über eine Reform des Reichskammergerichts zunächst mit der Begründung aus, es seien zu wenige Fürsten und Kurfürsten in eigener Person anwesend.2⁹⁴ Die Stände zweifelten dabei nicht ihre generelle Befähigung an, die übrigen Themen des Reichstags zu behandeln. Nur diesen einen Punkt hielten sie für zu bedeutsam, um in Abwesenheit vieler Fürsten darüber zu entscheiden. Ebenso argumentierten die Stände 1545 in Worms: Das Reichskammergericht sei so wichtig, dass (so Mainz im Kurfürstenrat) »etliche fursten und stende personlich daby sein«2⁹⁵ müssten. Mit den aktuell anwesenden Ständen ließe sich eine solche Materie nicht erörtern. Die fehlende persönliche Anwesenheit von Reichsständen konnte somit 292 293 294 295

Stollberg-Rilinger, Einleitung in: »Vormoderne politische Verfahren«, S. 22. Schwedler, Formen und Inhalte, S. 160–161. Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 185–186. RTA JR 16, Nr. 60 (S. 355–671), S. 359.

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Feststellung der Beschlussfähigkeit

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auch bei umfassenden Vollmachten für deren Gesandte ein Argument sein, um sich der Beratung bestimmter Angelegenheiten zu entziehen. Manchmal berieten die versammelten Stände unmittelbar nach der Reichstagseröffnung darüber, ob sie mit der Behandlung der Proposition bis zur Ankunft weiterer Stände warten sollten. Auch hier wurde ein empfundener Zusammenhang zwischen der Anzahl der Anwesenden und der Bedeutung der zu beratenden Themen formuliert: Auf dem Reichstag 1529 in Speyer beschlossen die Stände zum Beispiel, zunächst mit den Beratungen über die Proposition auf wichtige Stände zu warten, aber schon einmal über die Einrichtung eines Ausschusses zu verhandeln.2⁹⁶ Die Festlegung des Beratungsverfahrens trauten sich die Stände zu, während die eigentliche Beratungsmaterie für so wichtig erachtet wurde, dass sie wenigstens noch ein paar Tage auf weitere Reichstagsteilnehmer warten wollten. Im Dezember 1544 baten die Stände die kaiserlichen Kommissare um Geduld: Da »die stende in cleiner anzale alhie und der artickel wichtig«2⁹⁷ seien, wollten die Anwesenden auf weiteren Zuzug warten. Selbst als die Kommissare Anfang Januar auf einen Beginn der Verhandlungen drängten, wurden sie von Mainz zurückgewiesen.2⁹⁸ Ähnlich war die Situation auf dem Reichstag 1544/45.2⁹⁹ 1555 war neben der noch geringen Anzahl an Teilnehmern die mangelnde Instruktion der Gesandten ein Grund dafür, dass über einen Aufschub der Verhandlungen nachgedacht wurde: Die Stände seien »einsthails abwesendt und sonst auch einsthails on befelch«3⁰⁰. Eine Variante stellt das Warten auf weitere Räte dar. So kam es vor, dass einzelne Stände in den anfänglichen Beratungen darum baten, die Ankunft ihrer jeweiligen Gesandtschaft abzuwarten. Dies stand im Zusammenhang mit der geschilderten Praxis, Gesandtschaften aus Kostengründen gestaffelt zu entsenden.3⁰1 Neben der Ablehnung eines bestimmten Verhandlungsthemas und dem Beschluss, trotz Verlesung der Proposition mit den Verhandlungen zu warten, gab es noch die Möglichkeit, dass die Verhandlungen kurzfristig eingestellt wurden, weil zu wenig Stände im Rathaus erschienen waren. Dies geschah im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den Konfessionsparteien 1546: Da die Protestanten am Morgen des 25. Juni nicht zum Rathaus kamen, konnte vormittags »nichts gehandlet«3⁰2 und selbst ein Vortrag des kaiserlichen Rats Vigilius van Zwichem

296 297 298 299

RTA JR 7, S. 558. RTA JR 16, Nr. 60 (S. 355–671), S. 357. Ebd., Nr. 60 (S. 355–671), S. 357–358; Nr. 62 (S. 672–740), S. 674–675. Ebd., Nr. 60 (S. 355–671), S. 357–358. Dort heißt es auf S. 357 über das Bedenken der Kurfürsten: »Mochten sye aber befinden, das soliche artickel underschiedlich, und sonderlich der artickel, des chammergerichts underhaltunge belangend, bedencken sye, dieweil die stende und derselben botschaften in cleiner anzale alhie, so hetten sye bedencken, in solichen wichtigen artickeln zu volfarn«. 300 RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 654. 301 Ein Beispiel hierfür bietet das trierische Votum 1555: Ebd., Nr. 144 (S. 645–1272), S. 652. 302 RTA JR 17, Nr. 53 (308–323), S. 319.

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Der Ablauf eines Reichstags

vorerst nicht angehört werden.3⁰3 Das Warten auf die Evangelischen war also eine besondere Geste. Gewartet wurde aber nicht nur in solchen durch die Entstehung der Konfessionsparteien hervorgerufenen Sonderfällen. Zum Beispiel vertagte sich 1555 der Fürstenrat zeitweise, da anscheinend wenige Stände im Rat waren und das bedeutsame Bayern noch auf Weisung wartete.3⁰⁴ Die Feststellung, dass der Reichstag nicht beschlussfähig war, erfolgte also nie aus einem gefestigten Verfahren heraus und orientierte sich auch nicht an einem festen Rahmen. Der Tagungsbeginn war daher, ebenso wie die Frage nach der Reichstagseröffnung, Gegenstand von Verhandlungen zwischen Ständen und der Seite des Herrschers. Doch war es keineswegs obligatorisch, die Frage nach einer ausreichenden Anzahl von Teilnehmern überhaupt anzusprechen. Die meisten Reichstage begannen, ohne dass sich der Reichstag mit der Frage befasste, ob er ausreichend besucht war.

2.8 Festlegung der Verhandlungsweise Zu Beginn der Beratungen scheinen auf allen Reichstagen zwischen 1521 und 1555 zumindest kurze Verhandlungen darüber stattgefunden zu haben, wie die proponierten Fragen behandelt werden sollten. Die Aufzeichnungen darüber sind jedoch, zumindest für die Reichstage der 1520er Jahre, zu großen Teilen äußerst knapp. Zwei Fragen mussten vor Beratungsbeginn geklärt werden. Die erste lautete: Sollte man die Proposition an einen Großen Ausschuss aller Kurien verweisen? Dies war die gängige Vorgehensweise zu Beginn der 1520er Jahre. Die andere Frage lautete: In welcher Reihenfolge sollten die proponierten Artikel behandelt werden? Die Proposition gab zwar in der Formulierung der Artikel bereits eine Reihenfolge vor, aber im Zusammenhang mit der Glaubensspaltung wurde die Beratungsreihenfolge immer bedeutsamer für die Verhandlungstaktik der Interessengruppen. Seit der Erneuerung des Wormser Edikts durch den Reichstag von 15293⁰⁵ und der Zurückweisung der Confessio Augustana 15303⁰⁶ war die Reichspolitik der Evangelischen von dem Wunsch nach reichsrechtlicher Absicherung geprägt. Schon 1530 setzten die evangelischen Stände durch, dass die Religion als erstes Thema behandelt wurde. Ab 1532 verknüpften die evangelischen Stände ihre Bereitschaft zu Reichssteuern mit ihren Forderungen nach Friedensgarantien.3⁰⁷ Dies ließ auch die Beratungsreihenfolge relevant werden: Wurde die Türkenhilfe als vermeintlich wichtigstes Thema zuerst behandelt, war es für die Evangelischen schwieriger, im Nachhinein noch Zugeständnisse im Religionsbereich zu erzwingen. 303 RTA JR 17, Nr. 53 (308–323), S. 319. Dies bedeutete freilich nicht, dass die altgläubigen Reichsstände immer auf die Abwesenheit der Evangelischen Rücksicht nahmen. Gerade unter Karl V. waren Beratungen ohne die andere Konfession sehr häufig. 304 RTA JR 20, Nr. 146 (S. 1536–1677), S. 1579. 305 Zum Reichstag von 1529 siehe Kapitel 1.2.7 ab S. 55. 306 Zum Reichstag von 1530 siehe Kapitel 1.3.1 ab S. 61. 307 Zum Reichstag von 1532 siehe Kapitel 1.3.2 ab S. 65.

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Festlegung der Verhandlungsweise

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Besonders für die frühen Reichstage unter Karl V. sind die Aufzeichnungen über die Festlegung der Verhandlungsweise sehr knapp. Es war üblich, direkt einen Großen Ausschuss zu wählen, so dass es anscheinend wenige Auseinandersetzungen in dieser Frage gab, die es wert gewesen wären, notiert zu werden. Zu Karls erstem Reichstag wird die Festlegung des Prozedere so beschrieben: Zu Beginn des Reichstags »sind churfursten, fursten und stend in die versamlung komen und obgemelten abscheid nach beratschlagt, dass uf kai. Mt. schriftlich furtrag denselbigen zu berattschlagen soll ein ausschucz geordnet werden.«3⁰⁸ Über das Verfahren, wie die Stände zu diesem Beschluss kamen, wird jedoch nichts berichtet. Wie unter Karl V. allgemein üblich, wurden die Städte auch in dieser Frage nicht berücksichtigt. Ausführlichere Berichte von späteren Reichstagen lassen erkennen, dass der Beschluss zum Ausschuss zunächst in den Kurien und dann erst in der gemeinsamen Versammlung der oberen Kurien getroffen wurde. Zum ersten Nürnberger Reichstag heißt es entsprechend ohne nähere Erklärung: »Darauf hat die versamlung ein ausschuss gemacht«3⁰⁹. Auch zu den folgenden Reichstagen finden sich keine Hinweise zu diesen Beratungen. Erst für den Reichstag von 1526, auf dem zunächst beschlossen wurde, keinen Ausschuss einzurichten, finden sich mehr Angaben zur entsprechenden Sitzung: Zunächst wurde »auf die ubergeben ksl. instruction in ratschlag gestelt, wo der handel der ubergeben instruction anzufahen sey«, worauf »sich Kff., Ff. und stende darauf einhelliglich entschlossen, das vorn in der instruction angefangen und von einem ort zu dem andern geschridten werde«31⁰ . Die Stände berieten also über die richtige Reihenfolge der proponierten Artikel und kamen zu dem Ergebnis, die Reihenfolge wie in der Proposition beizubehalten. Diese Entscheidung wird als »einhelliglich« beschrieben, fand also keinen nennenswerten Widerspruch. Laut Mainzer Protokoll hat sich anschließend lediglich »der merer teyl«311 der Stände dafür ausgesprochen, auf einen Ausschuss zu verzichten. Es scheint also Widerspruch zu dieser Vorgehensweise gegeben zu haben. Die Verhandlungen, die zum Beschluss der Beratungsreihenfolge und zur Ablehnung eines Ausschusses führten, fanden anscheinend ohne die Städte, aber in einer gemeinsamen Versammlung der oberen Kurien statt. Im Anschluss sind die Städte dem Protokoll zufolge nämlich informiert worden und die Kurien danach in getrennte Räume gegangen.312 Wahrscheinlich werden sich die Kurfürsten und die Stände des Fürstenrats aber auch vor diesem Entschluss bereits separat besprochen haben. 1529 verbanden sich die einleitenden Überlegungen über das Verfahren mit dem Vorhaben der Stände, auf den Zuzug Kurfürst Richards von Trier und weiterer Fürsten zu warten.313 Noch in der ersten Sitzung am 16. März, in der eine

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Bischöflich straßburgische Aufzeichnungen, RTA JR 2, Nr. 9 (157–168), S. 160. RTA JR 3, Nr. 3 (S. 42–46), S. 43. Mainzer Protokoll, RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 431. Ebd. Ebd., S. 431–432. Hierzu auch: Friedensburg, Reichstag zu Speier 1526, S. 223–225. RTA JR 7, S. 558.

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Wartezeit von zwei Tagen vereinbart wurde, sprachen die versammelten Stände schon über die Möglichkeit eines Ausschusses. Am 18. März wurde der Ausschuss dann schließlich eingerichtet.31⁴ Valentin von Tetleben berichtete in seinem Protokoll vom Augsburger Reichstag 1530 ebenfalls von Beratungen über die richtige Reihenfolge der Propositionsartikel. Nach der Verlesung der Proposition gewährte der Kaiser zwei Tage »ad describendum et deliberandum«31⁵. Die Stände sollten die Proposition also nicht nur abschreiben, sondern sich bereits mit ihrem Inhalt beschäftigen. Damit sind wahrscheinlich interne Erwägungen der einzelnen Stände gemeint, denn eine Versammlung der Stände erwähnte Tetleben nicht. Erst nach diesen zwei Tagen sollten die Stände wieder zu einer gemeinsamen Sitzung zusammenkommen.31⁶ Zu dieser Versammlung notierte Tetleben, Kurfürsten und Fürsten hätten darin übereingestimmt, vor allen anderen den Religionsartikel zu beraten. Leider enthält auch Tetlebens Bericht keinen Hinweis auf das angewendete Verfahren, also ob eine Umfrage direkt in der gemeinen Versammlung erfolgte oder zuvor getrennt beraten wurde. Direkt im Anschluss wurde ein Ausschuss zum Religionsartikel eingerichtet.31⁷ Hier finden sich mehr Hinweise zum Verfahren: Während sich die Fürsten für den Ausschuss aussprachen und auch schon zwölf Personen dafür verordneten, wollten die Kurfürsten die Entscheidung des Kaisers zur »Confessio Augustana« abwarten.31⁸ Da Tetleben nur die Meinungen der beiden Kurien notierte, ist davon auszugehen, dass die Beratungen über einen Ausschuss innerhalb des Kurfürstenrats und des Fürstenrats getrennt erfolgten. Entsprechend lässt sich annehmen, dass die Kurien auch die Frage nach der Beratungsreihenfolge voneinander getrennt behandelten. Zu den 1540er Jahren werden die Aufzeichnungen über die Beratungen zur Verfahrensfestlegung ausführlicher. Nach dem Scheitern des Regensburger Religionsgesprächs 1541 dominierte der Konflikt zwischen den beiden Konfessionsparteien weiterhin das Reichstagsverfahren. Dementsprechend wurde die Beratungsreihenfolge der Themen Frieden und Türkensteuer politisch bedeutsamer. Nach dem weiteren Vordringen der Türken 1541 waren die protestantischen Stände in Speyer 1542 aber darauf bedacht, nicht den Eindruck zu erwecken, ihnen sei die Türkenabwehr nicht wichtig. Deshalb erklärten sie sich schließlich bereit, mit der Türkenhilfe zu beginnen. Die Entscheidung zur Beratungsreihenfolge wurde durch getrennte Kurienversammlungen getroffen. Im Kurfürstenrat, wo nur Sachsen Einwände gegen die Beratungsreihenfolge erhob, war die Entscheidung schnell gefallen.31⁹ Dagegen war sich der Fürstenrat zunächst nicht einig. Schließlich übernahm er zwar die Ansicht des Kurfürstenrats, drängte jedoch auf einen Aus-

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RTA JR 7, S. 564–567. Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 71. »ad consultandum in commune«: Ebd. Ebd., S. 72. Zum Reichstag von 1530: Kapitel 1.3.1 ab S. 61. RTA JR 12, Nr. 44 (S. 252–257), S. 254–255.

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Festlegung der Verhandlungsweise

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schuss, den die kurfürstlichen Räte aber nicht genehmigen wollten. An dieser Stelle intervenierte König Ferdinand, unter dessen Einfluss der Ausschuss doch noch eingerichtet wurde. Der Fürstenrat hatte die Materie mittlerweile schon von einem eigenen Ausschuss vorbereiten lassen.32⁰ Das anzuwendende Verfahren blieb auch bei den folgenden Reichstagen eine Konfliktquelle zwischen Kurfürsten- und Fürstenrat. Es gab kein klares Verfahren zur Absprache bei diesen Fragen. Auf dem Reichstag in Speyer 1544 etwa bemühten sich die Stände des Fürstenrats beim Kurfürstenrat um die Anhörung ihres ersten Ratschlags. Der Kurfürstenrat lehnte ab und verwies darauf, selbst noch keine Entscheidung getroffen zu haben. Außerdem rügte der Kurfürstenrat die Fürsten, weil sie im Gegensatz zum üblichen Verfahren schon vortragen wollten.321 Da sich die Stände des Fürstenrats jedoch gerne mit dem Kurfürstenrat hinsichtlich der Beratungsreihenfolge absprechen wollten, insistierten sie anscheinend auf einer Mitteilung, die im Protokoll des Kurfürstenrats schließlich als Supplikation notiert wurde: Die Stände des Fürstenrats wollten zwar den Brauch und das Recht des Kurfürstenrats nicht angreifen, hätten »aber des process halben ein bedencken, nemlich ob di turckenhilf zum ersten zu erledigen oder frid und recht«322. Diese Formulierung impliziert eine verfahrenstechnische Unterscheidung von regulärer Verhandlungsmaterie und Verfahrensfragen. Der Fürstenrat war der Meinung, zumindest ein Austausch über das anzuwendende Verfahren dürfe stattfinden, ohne die strenge Verfahrensweise der Kurien anzuwenden, nach der erst der Abschluss der Beratungen in beiden (oberen) Kurien abgewartet werden musste. Der Fürstenrat fragte deshalb an, wie der Kurfürstenrat über die Reihenfolge beschlossen habe und »was des außschuß halben ir gemut sei«323, denn gerade in dieser Frage seien die Stände im Fürstenrat sich uneinig. Der Kurfürstenrat sah indirekt ein, dass die Anfrage des Fürstenrats gerechtfertigt sei, indem er antwortete, er sei selbst noch »in ratschlag, wie der process zu halten«32⁴, und bliebe deshalb bei seiner vorherigen Ablehnung. Was lässt sich aus dieser Anfrage über die Festlegung des Verfahrens schließen? Die Kurien begannen anscheinend mit den Beratungen, ohne einander über den Beratungsgegenstand zu informieren. Die Festlegung einer Beratungsreihenfolge und auch die Klärung der Frage, ob ein kurienübergreifender Ausschuss eingerichtet werden sollte, war im Empfinden der Reichstagsteilnehmer kein obligatorischer Bestandteil der Reichstagsberatungen. Um zu erfahren, ob sich die andere Kurie überhaupt mit diesen Fragen beschäftigte, musste zunächst nachgefragt werden. Jedoch scheinen sich die Reichstagsteilnehmer auch nicht völlig sicher gewesen zu sein, ob die Fragen nach der Beratungsreihenfolge und der Möglichkeit eines kurienübergreifenden Ausschusses ein regulärer Beratungsgegenstand waren 320 321 322 323 324

RTA JR 12, Nr. 46 (S. 329–343), S. 333–336. RTA JR 15, Nr. 81 (S. 383–655), S. 386. Ebd. Ebd. Ebd.

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oder eine eigene Kategorie darstellten. Zunächst wies der Kurfürstenrat den Fürstenrat schroff zurück. Nachdem er dessen Anliegen erfahren hatte, berichtete er aber vom Stand der eigenen Beratungen. Auch wurde die Anfrage als Supplikation32⁵ notiert, obwohl Inhalt und Form nicht dem entsprachen, was bei einer Supplikation üblich war.32⁶ Dies hatte seinen Grund in gewohnheitsrechtlichen Erwägungen: Eine Supplikation war formal gesehen eine untertänige, flehentliche Bitte und die Berücksichtigung einer Supplikation war somit ein Ausdruck von Gnade. Die Mainzer Kanzlei notierte die Anfrage also wahrscheinlich deshalb unter dem Begriff »Supplikation«, um den erfolgten Austausch über das Verfahren vom eigentlichen Relationsverfahren deutlich zu trennen. Da sie sich selbst nicht sicher war, wie und ob Anfragen zum Verfahren zu behandeln waren, wollte sie durch die Einordnung als Supplikation verhindern, durch einen Verfahrensfehler einen Präzedenzfall zu schaffen. Sehr ausführlich beschrieben sind die Überlegungen zum Verfahren für den Wormser Reichstag 1545.32⁷ Sie zogen sich, mit einer fast zweiwöchigen Unterbrechung, vom 17. Dezember 1544 bis zum 10. Januar 1545 hin. Die Kommunikation zwischen den Kurien verlief dabei aber anscheinend problemlos. Der Kurfürstenrat war schon am ersten Beratungstag zu dem Entschluss gekommen, dass die kaiserlichen Kommissare um Geduld ersucht werden sollten, da man für die wichtigen Fragen der Proposition (vor allem zum Reichskammergericht) auf weitere Stände warten wollte. Ferner sei der Münzartikel so speziell, dass er nicht regulär in den Kurien (»nit in der gemeyn […] rathe«32⁸), sondern in einem Ausschuss von Fachleuten (»sonderliche leuthe«32⁹) beraten werden sollte. Bis zu dessen Einrichtung sollte die Mainzer Kanzlei jedoch zunächst alle relevanten älteren Münzordnungen zusammensuchen. Dieser Meinung schloss sich der Fürstenrat an.33⁰ Erst am 2. Januar 1545 traten die Stände, offensichtlich auf Drängen der Kommissare, wieder zusammen.331 Letztere wollten erreichen, dass die wenigen bereits versammelten Stände zumindest unwichtigere Artikel schon vor Karls Ankunft erörterten. Unter den oberen Kurien begann nun ein Austausch darüber, welche Artikel für eine vorgezogene Behandlung als geeignet eingestuft wurden. Erst am 12. Januar nahm schließlich der schon im Dezember 1544 angedachte Ausschuss zur Münzordnung seine Arbeit auf.332 [Nr. 60 (S. 355–671), S. 363–365] Die wesentliche Ursache für 325 »Der stendt suplic«: RTA JR 15, Nr. 81 (S. 383–655), S. 386. 326 Supplikationen wurden am Reichstag gewöhnlich schriftlich eingereicht und bezogen sich in der Regel auf einen als ungerecht empfundenen Umstand. Die Anfrage der Stände wurde anscheinend mündlich vorgetragen und enthielt im Wesentlichen neben der grundsätzlichen Anerkennung der kurfürstlichen Position Einwände rein praktischer Natur. Zu Supplikationen auf den Reichstagen: Neuhaus, Supplikationen auf Reichstagen des 16. Jahrhunderts. 327 RTA JR 16, Nr. 60 (S. 355–671), S. 357–362. 328 Ebd., S. 357. 329 Ebd. 330 Ebd. 331 Ebd., S. 358–360. 332 Ebd., S. 363–365.

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Festlegung der Verhandlungsweise

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diesen langen und ausführlichen Austausch über das Verfahren – die Einrichtung eines Fachausschusses und die Wahl des ersten Verhandlungsartikels – war der Umstand, dass die Stände lieber noch auf weitere Teilnehmer und den Kaiser warten wollten. Nur um dem Druck der kaiserlichen Kommissare etwas nachzugeben, wurden die Versammlungen im Januar überhaupt wieder einberufen. Die Wahl des Artikels, über den zuerst verhandelt werden sollte, war in diesem Fall also nicht Gegenstand einer Reichstagsstrategie der Parteien im Religionskonflikt. Stattdessen suchten die Stände offensichtlich nach einem Beratungsgegenstand, der den Reichstagsteilnehmern ausreichend irrelevant zu sein schien, um ihn auch in kleinem Kreis erörtern zu können. Kurfürstenrat und Fürstenrat unterbreiteten sich dabei gegenseitig einige Vorschläge, zogen sie aber bereitwillig wieder zurück, wenn die jeweils andere Kurie anderer Meinung war. In diesem Fall waren die langwierige Festlegung des Verfahrens und die langsame Wahl eines zweitrangigen Verhandlungsgegenstands also eine Verzögerungstaktik. Eine weitere Besonderheit stellen die Verfahrensüberlegungen zu Beginn des Regensburger Reichstags 1546 dar. Hier verhandelten die oberen Kurien zunächst darüber, ob das Verfahren des Vorjahrs – die getrennte Beratung nach Konfessionsgruppen – wieder aufgegriffen werden sollte oder nicht.333 Die altgläubigen Stände tendierten zur getrennten Beratung und vertraten dabei die Auffassung, der aktuelle Reichstag sei kein neuer Reichstag, sondern eine »continuacion der vorigen handelungen«33⁴. Aus diesem Grund sei das im Vorjahr angewandte Verfahren weiterzuführen. Die evangelischen Stände nahmen jedoch den Reichstag von 1546 als einen eigenständigen Reichstag wahr und wollten das Prozedere mit dieser Begründung neu verhandeln. Zunächst versammelten sich die Kurien jeweils zu einzelnen Sitzungen, in denen das anzuwendende Verfahren besprochen wurde. In diesen Sitzungen unterbreiteten die jeweiligen Vorsitzenden – im Kurfürstenrat Mainz und im Fürstenrat Österreich – den Versammelten ihre Ansicht, es handele sich um eine Wiederaufnahme der Verhandlungen von 1545, stellten dies aber zur Umfrage. Dabei formulierte Mainz im inzwischen protestantisch dominierten Kurfürstenrat die Frage offener: Da es sich um eine Wiederaufnahme der Verhandlungen handle, sei zu klären, »wie die sachen anczugreifen«33⁵ seien. Im Fürstenrat dagegen fragte der für Österreich sprechende Passauer Bischof direkt, »ob demnach auch dißmals solche articell widerumb durch jede sonderliche stend, als die catholices einer- und die protestantes anderseits, zu beradschlagen«33⁶ seien und stimmte sogleich als Votum Ferdinands für die Partikularräte. Trotz der formulierten Auffassung beider Direktorien, dass der Reichstag vom Vorjahr nur weitergeführt werde, sahen beide es für notwendig an, die Frage nach dem Verfahren in der Versammlung der jeweiligen Kurie zu stellen. In keiner der beiden Kurien wurde in dieser Frage ein Konsens erzielt, so dass sie sich in der ers333 334 335 336

Zum Reichstag von 1545: Kapitel 1.5.2 ab S. 84. RTA JR 17, Nr. 52 (S. 275–308), S. 275. Ebd. Ebd., Nr. 53 (S. 308–323), S. 310.

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Der Ablauf eines Reichstags

ten Relationssitzung auch jeweils gespaltene Voten vortrugen.33⁷ Die Reaktionen in Kurfürsten- und Fürstenrat zeigen, dass sich viele der anwesenden Räte von der Situation überfordert fühlten. Die evangelische Partei im Kurfürstenrat wies darauf hin, es sei eine Neuerung, dem Fürstenrat gespaltene Mitteilung zu machen.33⁸ Im Fürstenrat gingen die Meinungen darüber, wie mit der Uneinigkeit über das Verfahren umgegangen werden sollte, weit auseinander. Obwohl die Mehrheit auf Beratungen nach Konfessionsgruppen bestand, berichtete die Delegation des Fürstenrats auch von anderen Meinungen: So seien einige unschlüssig, was zu tun sei, und wollten erst ihre Auftraggeber informieren. Andere hielten die Situation für völlig neu und plädierten dafür, den Kaiser um Entscheidung zu bitten.33⁹ Die anwesenden Räte erkannten also, dass kein Verfahren existierte, an dem sie sich in diesem Fall orientieren konnten. Der Kurfürstenrat lehnte es jedoch ab, sich deshalb an den Kaiser zu wenden. Hier setzte sich die Auffassung durch, dass in einer Situation, in der ein Teil der Versammelten gemeinsame Beratungen mit dem jeweils anderen Teil ablehnte, auch der Kaiser nicht helfen könne: »wo ein teil separatim will handeln, die andern coniunctim, so muge ein jeder uf ein orth treten, dan der keiser thue erclerung, wie er will, wirdet doch schwerlich die sambtliche beratslagung3⁴⁰ erfolgen und bewilligt werden«3⁴1. Der Kurfürstenrat sah also ein, dass gemeinsame Beratungen der Konfessionsparteien nur auf Basis beiderseitigen Einverständnisses geführt werden könnten. Das müssten auch jene Stände anerkennen, die gemeinsame Beratungen befürworteten. Tatsächlich begannen die Religionsverhandlungen dann auch getrennt. Im Folgejahr wurde in den anfänglichen Beratungen zum Verfahren des Augsburger Reichstags von 1547/48 wieder in Erwägung gezogen, auf den Kaiser als Schiedsrichter zurückzugreifen. Diesmal war der Gegenstand der Auseinandersetzung aber nicht mehr so essenziell wie die Frage, ob die Kurien geschlossen oder nach Konfessionen getrennt beraten sollten. Es ging dagegen wieder um die Beratungsreihenfolge der Propositionsartikel: Der Fürstenrat war der Ansicht, man könne zunächst die Proposition als Ganzes in den Kurien beratschlagen und sich dann darüber austauschen, während die Kurfürsten darauf bestanden, die Artikel nach der Reihenfolge zu beraten, wie sie in der Proposition aufgeführt waren. Während der Kurfürstenrat in dieser Frage nun bereit war, sich an den Kaiser zu wenden, konnte der Fürstenrat den Kompromiss erzielen, die Artikel zwar einzeln zu beraten, dem Kaiser aber erst nach Beendigung sämtlicher Beratungen darüber zu berichten.3⁴2

337 338 339 340

RTA JR 17, Nr. 52 (S. 275–308), S. 277–278. Ebd., S. 277. Ebd., S. 279. Mit »sambtliche beratslagung« ist hier die gemeinsame Beratung der Konfessionsgruppen gemeint. 341 RTA JR 17, Nr. 52 (S. 275–308), S. 277–278. 342 RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 321–322.

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Festlegung der Verhandlungsweise

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Die Kurfürstenratsprotokolle des Reichstags 1550/51 enthalten kurze Berichte über Beratungen, wie mit dem Fürstenrat über das anzuwendende Verfahren kommuniziert werden sollte.3⁴3 Dies zeugt von einer Reflexion über die Problematik, dass der Weg zur Festlegung des Verfahrens noch nicht institutionalisiert und im Wesentlichen den beteiligten Räten überlassen war. In diesem Fall stellte Mainz im Kurfürstenrat zur Beratung, ob der Fürstenrat zu einer gemeinsamen Sitzung zu laden sei, bei der die Proposition vor den Räten beider Kurien noch einmal verlesen werden sollte. Der Kurfürstenrat entschied sich für die Alternative, nämlich getrennt vom Fürstenrat über das Prozedere zu beraten. Bemerkenswert ist dabei, dass Trier eine Delegation vorschlug, die den Fürstenrat darüber informieren sollte, dass der Kurfürstenrat das Prozedere besprach. Irritationen, wie sie 1544 aufgetreten waren, wollte Trier diesmal wohl vermeiden. Da die kurfürstlichen Räte sich 1550 aber sehr rasch auf ein Verfahren einigten, konnte die Delegation des Kurfürstenrats – der mainzische Kanzler und ein pfälzischer Rat – den Fürsten sogar bereits mitteilen, wie der Kurfürstenrat sich das Verfahren vorstellte. Die Delegation des Kurfürstenrats wartete in diesem Fall nicht ab, bis der Fürstenrat ebenfalls einen Ratschlag gefunden hatte, sondern teilte den Entschluss des Kurfürstenrats mit, ohne sofort ein Gegenbedenken zu erwarten. Die Zeit, die der Fürstenrat benötigte, um auf den Vorschlag des Kurfürstenrats zu antworten, wollten die kurfürstlichen Räte nutzen, um die eigentlichen Beratungen zu beginnen.3⁴⁴ Der Kurfürstenrat legte zu dieser Zeit bereits großen Wert darauf, dass die Relationssitzungen der oberen Kurien erst dann stattfanden, wenn beide Kurien ihre Beratungen beendet hatten.3⁴⁵ Im Fall der Beratungen zum Prozedere hielt er sich jedoch nicht an diese Regel. Dies wird damit zusammenhängen, dass der Kurfürstenrat hinsichtlich des Prozedere den Anspruch vertrat, sich nicht durch die anderen Kurien Vorgaben machen zu lassen. 1550 ging der Fürstenrat auch größtenteils auf den Vorschlag des Kurfürstenrats ein. Er bat aber darum, drei nach seiner Auffassung thematisch sehr verwandte Artikel der Proposition zu einem Verhandlungsgegenstand zusammenzufassen.3⁴⁶ Dem stimmte der Kurfürstenrat zwar zu, jedoch sah er für sich intern vor, die genannten Artikel doch getrennt zu beraten. Man könne die Ergebnisse dann schließlich dem Fürstenrat gemeinsam vortragen, so dass es für den Fürstenrat irrelevant sei, wie die kurfürstlichen Räte die Sache berieten.3⁴⁷

343 344 345 346

RTA JR 19, Nr. 82 (S. 261–724), S. 262. Ebd., S. 262–263. Zur Entwicklung der Relationssitzungen: Kapitel 3.5.3 ab S. 245. Im Kurfürstenratsprotokoll ist als Antwort der Stände notiert: »Fursten hetten das anpringen gehort, welchermaßen ein prozeß uber die proposition furgenommen, das ein articul noch dem andern solt furgenummen werden, laßen inen gefallen. Neben dem gedencken sie, das etlich articul ainander angehorig, als nemlich die drey ersten zuosamenzufaßen«: RTA JR 19, Nr. 82 (S. 261–724), S. 263. 347 Ebd., S. 263–264.

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Der Ablauf eines Reichstags

Das Vorgehen des Kurfürstenrats unterschied sich 1550 somit sehr vom Reichstag 15443⁴⁸ Die kurfürstlichen Räte sahen die Verfahrensklärung als einen notwendigen Bestandteil des Reichstags an und zogen verschiedene Möglichkeiten in Erwägung, den Fürstenrat in ihre Überlegungen einzubeziehen. Sie entschieden sich dafür, ihre Verfahrensvorstellungen durch eine Delegation übermitteln zu lassen. Dieses Vorgehen zeigt, dass die kurfürstlichen Räte 1550 – anders als 1544 – davon überzeugt waren, dass in der Frage der Verfahrensklärung nicht das gleiche Verfahren anzuwenden sei, wie es bei regulären Beratungsgegenständen der Fall war. Ansonsten hätte er abwarten müssen, bis der Fürstenrat sich meldete. Auch 1555 betrachtete die Mainzer Kanzlei die Klärung der Verfahrensweise als einen obligatorischen Bestandteil der Reichstagsordnung: Nachdem in längeren Verhandlungen schließlich der Beginn der Beratungen beschlossen worden war, fasste Mainz dies im Kurfürstenrat zusammen und proponierte, man habe deshalb nun »de modo procedendi zu reden.«3⁴⁹ Damit war aber nur noch die Reihenfolge der Beratungsgegenstände gemeint. Der Ausführliche Bericht sieht die Frage nach dem Prozedere als feststehenden Inhalt der ersten Proposition durch Kurmainz in der ersten Sitzung nach der Reichstagseröffnung vor.3⁵⁰ Demnach sollte zunächst im Kurfürstenrat gefragt werden, ob man die Ansichten des Kurfürstenrats über das Prozedere den anderen Kurien einzeln oder in einer gemeinsamen Versammlung mitteilen sollte. Zur Frage des Prozedere sieht der Verfasser des Ausführlichen Berichts jedoch nur noch die Festlegung der Beratungsreihenfolge vor. Ausschüsse werden hier – dem Brauch der Entstehungszeit entsprechend – nicht mehr erwähnt. Die Entwicklung der Art und Weise, wie die Reichstage ihr eigenes Verfahren festlegten, ist eng mit der Geschichte des Verfahrens selbst verknüpft. Es ist auffällig, dass in den 1540er Jahren die meisten Probleme in diesem Zusammenhang überliefert sind. In den 1520er Jahren waren die Großen Ausschüsse noch üblich und die Entscheidung, einen solchen einzurichten, fiel gewöhnlich rasch und ohne viel Diskussionsbedarf. Auf den Reichstagen der 1540er Jahre wurden die Ausschüsse anfangs noch zur Sprache gebracht. Unter dem Eindruck des Zerfalls der Kurien in einzelne konfessionelle Versammlungen wurde die Möglichkeit eines kurienübergreifenden Ausschusses aber schließlich nicht mehr selbstverständlich in Erwägung gezogen. Dagegen entwickelte sich offenbar unter den Reichsräten ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Verfahrensabsprache. Gegenstand dieser Absprache war nur noch die Reihenfolge, in der die proponierten Artikel behandelt werden sollten. Die Frage nach einem Ausschuss stellte sich dabei bald nicht mehr.

348 Vgl. oben S. 149. 349 RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 668. 350 Rauch, Traktat, S. 61.

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Der Abschied

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2.9 Der Abschied Nach den Verhandlungen wurde anhand des Vereinbarten der Abschied entworfen. Es waren aber formell gesehen nicht die Reichsstände, die etwas entschieden. Sie berieten den Kaiser lediglich. Tatsächlich waren die Reichsabschiede ausgehandelte Kompromisse verschiedener Interessen, denen deshalb in der Forschung ein gewisser Vertragscharakter zugesprochen wurde.3⁵1 Formell war der Abschied als Urkunde gestaltet, in der der jeweilige Aussteller über die Ergebnisse der Reichstagsverhandlungen informierte. Dies konnte der Kaiser selbst sein,3⁵2 aber auch Statthalter und Kommissare3⁵3 oder König Ferdinand3⁵⁴.

2.9.1 Formulierung und Überprüfung des Abschieds Die Formulierung des Abschieds oblag wiederum der Mainzer Kanzlei. Sie orientierte sich dabei an den Resolutionen von Ständen und Kaiser. Der fertige Text wurde zunächst im Kurfürstenrat präsentiert. Um sicherzustellen, dass er auch den Vorstellungen der meisten Stände entsprach, wurden zusätzlich kurienübergreifende Ausschüsse eingerichtet, die den Text überprüfen sollten, bevor er »verabschiedet«, also im Reichsrat verlesen und von den beteiligten Ständen gesiegelt beziehungsweise in ihrem Namen unterzeichnet wurde.3⁵⁵ Einen speziellen Ausschuss zur Formulierung des Abschieds gab es bereits früh. 1521 beriet der vom Großen Ausschuss zu seiner generellen Unterstützung eingerichtete Kleine Ausschuss über einen ersten Abschiedsentwurf, der dem Großen Ausschuss vorgelegt wurde.3⁵⁶ Auf dem Reichstag von 1522/23 wurde für den Abschied eigens ein neuer (Kleiner) Ausschuss eingerichtet, an dem auch Räte aus dem Reichsregiment beteiligt waren.3⁵⁷ Auch dieser erstellte einen Entwurf, der dann dem Großen Ausschuss vorgelegt wurde. 1526 wurde wieder ein eigener Ausschuss für den Abschied eingerichtet, der aus drei kurfürstlichen und drei fürstlichen Räten, einem Prälaten, einem Grafen und dem Vertreter einer Reichsstadt bestand.3⁵⁸ 351 Schlaich, Maioritas, S. 141; Mühlhofer, Die Reichstage unter Karl V., S. 113. 352 RTA JR 2, Nr. 101 (S. 729–743); RTA JR 3, Nr. 33 (S. 170–185); Nr. 117 (S. 736–759); RTA JR 4, Nr. 149 (S. 590–613); Senckenberg/Koch, Neue Sammlung, Bd. 1, S. 306–332; RTA JR 10, Nr. 303 (S. 1056–1087); Senckenberg/Koch, Neue Sammlung, Bd. 1, S. 428–444; RTA JR 15, Nr. 565 (S. 2244–2285); RTA JR 16, Nr. 341 (S. 1657–1669); RTA JR 17, Nr. 109 (S. 519–523); RTA JR 18, Nr. 372b (S. 2651–2694); RTA JR 19, Nr. 305 (S. 1578–1614). 353 RTA JR 5/6, Nr. 221 (S. 879–895); RTA JR 7, Nr. 148 (S. 1296–1314). 354 RTA JR 12, Nr. 285 (S. 1168–1210); RTA JR 13, Nr. 198 (S. 884–902); Senckenberg/Koch, Neue Sammlung, Bd. 1, S. 482–494; RTA JR 20, Nr. 390 (S. 3102–3158). 355 Lanzinner, Die Rolle des Mainzer Erzkanzlers auf den Reichstagen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 72–73. 356 RTA JR 2, S. 718. 357 RTA JR 3, S. 736. 358 RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 481.

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Der Ablauf eines Reichstags

In den 1520er Jahren war es anscheinend generell üblich, dass der Große Ausschuss über den endgültigen Abschiedsentwurf entschied. Als solche Ausschüsse später unüblich wurden, wurde die Überprüfung des Abschieds einem speziell dafür eingerichteten kurienübergreifenden Ausschuss übertragen, an dem auch weiterhin Vertreter des Kaisers und auch des Königs beteiligt waren. Die Arbeit solcher Ausschüsse wird in den entsprechenden Protokollen der Mainzer Kanzlei von den Reichstagen 1547/483⁵⁹ und 1550/513⁶⁰ beschrieben. In diesen Ausschüssen wurden die einzelnen Artikel des Abschieds der Reihe nach besprochen. Zu den einzelnen Artikeln erfolgte jeweils eine Umfrage, bei der sich die Ausschussmitglieder zu dem Entwurf äußern sollten. Einwände der Stände bezogen sich meistens auf Formulierungsdetails. Bisweilen wurde dabei auf mögliche Konsequenzen verschiedener Formulierungen hingewiesen: Beispielsweise regte Bayern 1551 an, bei der Unterwerfung der Stände unter das Konzil von Trient anzumerken, dass diese Unterwerfung auch dann gelten solle, falls das Konzil ohne endgültigen Beschluss beendet und ein neues Konzil einberufen werden sollte.3⁶1 Die Räte von Kaiser und König äußerten sich immer am Schluss der Umfrage. Wenn sie Unterschiedliches einzubringen hatten, sprach der königliche Rat zuerst.3⁶2 1551 kam es zunächst zu Irritationen, da der österreichische Rat Dr. Alber nicht nur im Namen des Königs anwesend war, sondern anscheinend ohne sein Wissen auch von der geistlichen Fürstenratsbank in den Ausschuss gewählt worden war.3⁶3 Dr. Alber bestand aber auf seiner Rolle als königlicher Rat. Ausführlicher als das Protokoll von 1548 geht das von 1551 auf die Phase der Klärung des Prozedere im Abschiedsausschuss ein: Die Mainzer Kanzlei begann zwar mit dem Vorschlag für die Präambel und für den ersten Artikel des Abschieds, stellte dann aber die Frage, ob sie fortfahren und den gesamten Entwurf verlesen sollte oder ob stattdessen sofort jeder Artikel einzeln behandelt werden sollte.3⁶⁴ Auch gab es Unklarheit über die Beteiligung der Räte von König und Kaiser. Der Kanzler war anscheinend nicht geneigt, Dr. Alber als königlichem Rat eine besondere Behandlung zukommen zu lassen, ohne dass dieser gemeinsam mit den kaiserlichen Räten agierte. Der Mainzer Kanzler fragte die Kaiserlichen, nicht aber Dr. Alber, zu welchem Zeitpunkt sie in der Umfrage aufgerufen werden wollten. Die Kaiserlichen verzichteten aber darauf, gefragt zu werden, und meinten, sie seien nur instruiert, den Abschied zu hören.3⁶⁵ Als nun die kurfürstlichen Räte um ihre Meinung gebeten wurden, unterbrach Dr. Alber den Kanzler, um sich darüber zu beschweren, dass die Kurfürsten vor ihm als königlichem Rat gefragt würden.3⁶⁶ 359 360 361 362 363 364 365 366

RTA JR 18, Nr. 370 (S. 2602–2625). RTA JR 19, Nr. 304 (S. 1552–1578). RTA JR 18, Nr. 370 (S. 2602–2625), S. 2603. Ebd., S. 2607. RTA JR 19, Nr. 304 (S. 1552–1578), S. 1552–1553. Ebd., S. 1553. Ebd. »Nota: Hiezwischen zeigt Dr. Alber an, dieweil er von wegen der kgl. Mt. hierzu verordnet, so wollt ime bedenckhlich sein, das die churfürsten vor ime gefragt werden sollten«: Ebd.

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Der Abschied

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Der Mainzer Kanzler verwies nun darauf, dass bei den vorigen Reichstagen die Räte von Kaiser und König stets zuletzt gefragt worden seien. Nun übernahm Dr. Alber das österreichische Votum, sprach also nach den Kurfürsten.3⁶⁷ Im Protokoll wurde eigens notiert, die kaiserlichen und königlichen Räte seien nicht gefragt worden, weil sie zuvor angezeigt hätten, nicht votieren zu wollen.3⁶⁸ Der Mainzer Kanzler weitete also die Mitteilung der kaiserlichen Räte auf den König aus und ließ Dr. Alber nur für Österreich, nicht aber für den König sprechen. Nachdem der Ausschuss den Abschied angehört hatte, meldeten sich die kaiserlichen Räte wieder zu Wort und erbaten, das Abschiedskonzept mitnehmen und separat besprechen zu können.3⁶⁹ Nach ihren Beratungen meldeten sie sich wieder bei der Mainzer Kanzlei.3⁷⁰ In der nun einberufenen, aber schlecht besuchten Sitzung des Ausschusses erläuterten sie ihre Einwände zu einzelnen Formulierungen. Auch die königlichen Räte wurden als solche – und nicht als Vertreter Österreichs – angehört.3⁷1 Auf einer weiteren Sitzung stellte die Mainzer Kanzlei nun ihr verbessertes Konzept vor, zu dem sich der Ausschuss erneut äußern sollte.3⁷2 Die abgeänderte Fassung scheint den kaiserlichen Räten gefallen zu haben, denn im Anschluss beriet der Ausschuss nur noch über Mandate und die Neufassung der Münzprobierordnung.3⁷3 Das Verfahren des Ausschusses von 1551 unterschied sich somit hinsichtlich der Beteiligung der kaiserlichen Räte deutlich von dem von 1548. Damals waren die kaiserlichen Räte Teil des Ausschusses und brachten ihre Änderungswünsche ebenso ein wie die beteiligten Reichsstände. 1551 befanden sich die kaiserlichen Räte zwar auch im Ausschuss, äußerten sich aber erst, nachdem die Änderungswünsche der anderen Ausschussmitglieder berücksichtigt worden waren. Das Verfahren der Abschiedsausschüsse scheint also in der gesamten Regierungszeit Karls V. variabel geblieben zu sein. Bei den frühen Reichstagen unter Karl V. übernahmen noch die in ihren Kompetenzen kaum eingeschränkten Großen Ausschüsse die Überprüfung der Abschiedstexte und beauftragten auch Kleine Ausschüsse, erste Entwürfe auszuarbeiten. Später wurden für das Anhören der Abschiedsentwürfe immer eigene Ausschüsse eingerichtet, deren Verfahren aber nicht feststand. Dies zeigt sich schon daran, dass noch der Ausschuss von 1551 in seiner ersten Sitzung zunächst sein eigenes Prozedere besprach.

367 368 369 370

RTA JR 19, Nr. 304 (S. 1552–1578), S. 1553–1554. Ebd., S. 1554. Ebd., S. 1558. Diese Vorgehensweise wird aus der Erzählung des Mainzer Kanzlers am Folgetag klar: Ebd., S. 1561. 371 Ebd., S. 1558–1561. 372 Ebd., S. 1561–1573. 373 Ebd., S. 1574–1578.

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Der Ablauf eines Reichstags

2.9.2 Verlesung des Abschieds und Überprüfung der Subskriptionen Parallel zur feierlichen Eröffnung des Reichstags mit der Verlesung der Proposition stand am Reichstagsende die Verlesung des Abschieds. Diese Parallelität äußerte sich im Zeremoniell und in der starken Ritualisierung beider Versammlungen, die den gemeinsamen Rat von Kaiser und Ständen wiederherstellten. Im Würzburger Protokoll vom Nürnberger Reichstag 1542 wird die Abschiedszeremonie eines Reichstags sehr ausführlich beschrieben.3⁷⁴ Es soll hier zur Darstellung des üblichen Verfahrens herangezogen werden: Weil der Kaiser nicht in Nürnberg war, leitete König Ferdinand den Reichstag. Zur Verabschiedung ließ er allen Ständen mitteilen, sie sollten am festgelegten Tag um sechs Uhr morgens im Rathaus erscheinen, um »den verfasten und uffgerichten abschiedt offentlich anzuhoeren und zu beschliessen«3⁷⁵. Diese Formulierung darf nicht so verstanden werden, dass die Stände inhaltlich noch etwas zu beschließen hatten, denn der Prozess der Verhandlungen war bereits abgeschlossen. Sie sollten stattdessen den Reichstag beenden. Der Vorgang der Verlesung hatte allerdings eine große zeremonielle Bedeutsamkeit: Hatten sich die Stände zu Beginn des Reichstags vor dem Kaiser (oder seinem Stellvertreter) versammelt, um in der Proposition die Angelegenheiten anzuhören, in denen er ihren Rat zu hören wünschte, so kamen sie nun wieder zusammen, um mit dem Kaiser auf ihren inzwischen erfolgten Ratschlag hin zu den beratenen Fragen formell einen Beschluss zu fassen. Wichtig war dabei, den Abschied »offentlich anzuhoeren«. Durch das feierliche und widerspruchslose gemeinsame Anhören des Texts signalisierten die Reichsstände einerseits ihr Einverständnis mit dem Beschlossenen und bezeugten andererseits den Abschied. Die Reichsstände fanden sich also ab sechs Uhr morgens im Rathaus ein. Gegen sieben Uhr ritt dann der König von der Nürnberger Burg herunter zum Rathaus, begleitet von seinem Hofgesinde. Dort traten die kurfürstlichen Räte hervor und begleiteten den König »hinauf in die reichsversamlung«, wo dieser sich, ähnlich wie bei der Verlesung der Proposition, auf einen vorbereiteten »khonigstüll« setzte. Daraufhin nahmen auch die Fürsten und die meisten Botschaften der abwesenden Fürsten Platz. Dagegen mussten ein Teil der Gesandten sowie die Boten der Freien und Reichsstädte stehen bleiben. Jetzt ließ der König seinen Vizekanzler, Dr. Georg Gienger, eine Rede halten. Dabei berichtete dieser zunächst von »herkhommen und gestalt dises reichsdags nach der lenge«, gab also eine Zusammenfassung der Umstände, die zu dem Reichstag geführt hatten, und fasste auch den Verlauf der Verhandlungen noch einmal zusammen. Darauf folgte eine ausführliche Danksagung an die versammelten Stände für ihr Erscheinen und ihre Teilnahme an den Verhandlungen. Sie schloss mit dem Anerbieten im Namen des Königs, »sollichs alles in freuntschaft und mit gütem willen gnedigst zu erkennen und zu bedencken und in gnaden und allem guten nit zu vergessen«.3⁷⁶ Die Teilnahme am Reichstag 374 RTA JR 13, Nr. 57 (S. 395–408), S. 406–407. 375 Ebd., Nr. 57 (S. 395–408), S. 406. 376 RTA JR 13, Nr. 57 (S. 395–408), S. 406.

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Der Abschied

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wurde also als Dienst am Reich anerkannt und sollte die »gnade« erweitern, die die Beteiligten vom Reichsoberhaupt zu erwarten hatten. Da die Beratungen weit gekommen seien, hieß es in der Rede weiter, habe die Mainzer Kanzlei einen Abschied über die ganze Beratungsmaterie, »so biß anhere gepflegen«3⁷⁷, verfasst. Hier bezog sich die Rede auf den Umstand, dass der Reichstag zwar formell beendet werden sollte, einige Beratungen aber noch nicht zu einem Ende gekommen waren. Diesen Abschied sollten die Stände nun gemeinsam anhören. Nach der Rede war es die Aufgabe der Mainzer Kanzlei, den von ihr verfassten Text zu verlesen. In besagtem Fall begann der Mainzer Kanzler Jakob Jonas mit der Verlesung. Er wurde irgendwann von einem weiteren Mainzer Rat, Dr. Jakob Reuter, abgelöst, der den Text zu Ende las. Die Verlesungszeremonie wurde in diesem Fall durch den König selbst abgebrochen, was nicht dem üblichen Verfahren entsprach. Der König wartete nur ab, bis der gesamte inhaltliche Teil des Abschieds verlesen war. Als der Lesende begann, die Subskriptionen zu verlesen, unterbrach ihn der König unter dem Verweis, in Eile zu sein. Die anwesenden Fürsten begleiteten Ferdinand daraufhin noch bis zur Burg, von wo er gegen elf Uhr aufbrach, um sich ins »kristlich leger«3⁷⁸ des Türkenkriegs zu begeben. Der rasche Aufbruch Ferdinands hatte aber auch taktische Gründe, denn so konnte das öffentliche Überreichen von Protestationen in der Abschlusssitzung verhindert werden.3⁷⁹ Rede, Verlesung des Abschieds und letzte Abreisevorbereitungen des Königs dauerten also insgesamt vier Stunden, wovon die eigentliche Abschiedszeremonie wahrscheinlich nur die Hälfte ausmachte.3⁸⁰ Die anwesenden Fürsten und auch Vertreter des Nürnberger Rats begleiteten den König noch bis vor die Stadt. Seine Abreise verlief somit parallel zur Ankunft mit Einholung durch die versammelten Stände. Auch wenn Ferdinand die Verlesung des Abschieds im vorgestellten Beispiel unterbrach, darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Handlungsspielraum der Beteiligten bei der Verlesung des Abschieds ähnlich begrenzt war wie bei der Eröffnung des Reichstags. Eröffnung und Abschied waren beide stark ritualisiert und markierten Beginn und Ende der Reichstage. Die Rituale verdeutlichten den Beteiligten, dass der Reichstag ein besonderes Handlungssystem war, in dem ihre jeweiligen Rollen sich von ihren gewöhnlichen stark unterscheiden konnten. Sie vereinfachten damit die Bildung eines eigenen Reichstagsverfahrens.3⁸1 Der Text der Abschiede vermittelt den irreführenden Eindruck, die in den Subskriptionen aufgeführten Stände seien bei der Verabschiedung zugegen gewesen. Für die Stände war es von Interesse, wer im Abschied unter den beteiligten 377 378 379 380

RTA JR 13, Nr. 57 (S. 395–408), S. 406. Ebd., S. 407. Schmidt, Städtetag in der Reichsverfassung, S. 283. 1544 in Speyer dauerte die Abschiedszeremonie weniger als zwei Stunden. Sie begann um sechs Uhr und um acht Uhr war die würzburgische Gesandtschaft schon wieder in der Herberge: RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 379. 381 Zur Bedeutung ritualisierten Zeremoniells für Verfahren: Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 38.

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Der Ablauf eines Reichstags

Ständen angegeben war, denn die Nennung im Reichsabschied kam einem Beweis der Reichsstandschaft gleich. In Fällen, bei denen eine Reichsstandschaft umkämpft war, konnte es daher Streit um die Aufnahme in den Abschied geben. Dies war beispielsweise im Streit zwischen den sächsischen Herzögen und den Bischöfen zu Naumburg, Meißen und Merseburg um deren Reichsunmittelbarkeit relevant. 1541 hörten die sächsischen Räte bei der Verlesung der Subskriptionen die Nennung Meißens und Merseburgs. Nach der Verlesung des Abschieds seien sie deshalb in die Mainzische Kanzlei gegangen, um dort »das Originalh des abschieds Zubesichtigen […] Welches sie gannz schwerlich erlannget«. Als sie dort die Namen der Bischöfe der drei strittigen Hochstifte fanden, erwirkten sie beim Kaiser den Befehl, die Bischöfe dort wieder »außzuradieren, wie auch geschehenn«3⁸2. Dies zeigt, dass die den Abschieden angefügten Subskriptionen bereits vor der eigentlichen Abschiedsverlesung angefertigt wurden. Sie stellten somit nicht eine Liste der Anwesenden in der letzten Sitzung dar und konnten im Nachhinein noch verändert werden.

2.10 Nach dem Abschied Im Normalfall endete der Reichstag mit der Verlesung des Abschieds. In vielen Fällen reisten Stände aber bereits vor dem Abschied vom Reichstagsort ab. Es gab aber auch wiederholt Versuche, noch nach dem Abschied Verhandlungen zu ungeklärten Details weiterzuführen. Dies waren zum Beispiel 1542 in Speyer die Auseinandersetzung der Stände mit der Behauptung der lothringischen Gesandtschaft, Lothringen gehöre nicht zum Reich, und die Beratungen zu ausstehenden Sessionsfragen.3⁸3 1542 ging es in Nürnberg wieder um Lothringen und die Verweigerung der Türkenhilfe durch die Städte3⁸⁴ und 1544 um eine Antwort an die Schweizer, ausstehenden Sold und um das Gnadengesuch eines Söldnerführers.3⁸⁵ Die nach dem Abschied behandelten Themen waren also entweder Versuche, die Akzeptanz des Abschieds zu vergrößern, oder betrafen Anliegen von geringer Relevanz. Beratungen nach dem Abschied dauerten nie sehr lange. Es ist wahrscheinlich, dass sie in Zusammenhang mit der Abschreibearbeit der Gesandtschaften und Räte zu sehen sind: Nach der Verlesung des Abschieds konnten sich die Stände Abschriften davon anfertigen. Dazu verordneten sie – wie bei der Proposition – Schreiber zur Mainzer Kanzlei, deren Räte den Text laut vorlasen, während die verordneten Schreiber mitschrieben. Dies konnte deutlich länger dauern als die Verlesung des Abschieds in der Abschlusssitzung.3⁸⁶ Oft gab es auch 382 Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), Nr. 140, fol. 382v. 383 RTA JR 12, Nr. 46 (S. 329–343), S. 342–343. 384 RTA JR 13, Nr. 55 (S. 298–394), S. 349; Nr. 57 (S. 395–408), S. 407. 385 RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 791. 386 1544 begann die Vervielfältigung beispielsweise um fünf Uhr und dauerte den ganzen Tag, wobei etwa 60 Stände dazu Schreiber verordnet hatten: Ebd., Nr. 83 (S. 742–793), S. 792.

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Nach dem Abschied

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noch weitere Dokumente, die abgeschrieben werden mussten.3⁸⁷ Da sie also ohnehin warten mussten, lag es für die Stände nahe, sich in dieser Zeit unerledigten Angelegenheiten zuzuwenden. Die Abreise wurde bisweilen auch wie die Anreise gestaffelt: Der würzburgische Rat Ewald Kreuznacher berichtet vom Reichstag 1542 aus Speyer, die anderen Räte hätten ihn für die Zeit dieser Abschreibearbeiten mit einem Fuhrmann und einigen Pferden zurückgelassen. Nach Beendigung der Abschriften zahlte Kreuznacher den Herbergswirt und das Personal aus und brachte die Truhen mit den Reichstagsakten nach Würzburg zurück.3⁸⁸ Auf diese Weise wurden unnötige Kosten vermieden und das meiste Personal konnte schon früher am Würzburger Hof tätig sein, während der Zurückgelassene die ausbleibenden Aufgaben der Reichstagsgesandtschaft wahrnahm.

387 Hatten sich beispielsweise fremde Fürsten oder Landstände an die versammelten Reichsstände gewandt, nahmen die Stände oft eine Abschrift ihrer gemeinsamen Antwort in ihre Akten auf. 388 RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 379–380.

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3. Die Verhandlungen – Versammlungsformen, Ergebnisfindung und Kommunikation Wie entstanden die »Ergebnisse« eines Reichstags? Diese Frage ist schwer zu beantworten, weil die hierfür relevanten Prozesse teilweise nur scheinbar einem Verfahren im modernen Sinne unterlagen. Bekannt ist das oft beschriebene Verfahren, bei dem die drei Kurien die Materie getrennt berieten und sich ihre Ergebnisse – zumindest, was die beiden oberen Kurien angeht – gegenseitig mitteilten. In weiteren getrennten Beratungen besprach man dann die Überlegungen der jeweils anderen Kurie und nahm dazu Stellung. Dies wurde theoretisch so lange fortgesetzt, bis die beiden oberen Kurien sich einig waren. Das erzielte Ergebnis wurde daraufhin der Städtekurie mitgeteilt. Diese durfte, je nach Interpretation,1 dazu auch eine Erklärung abgeben.2 Anschließend teilten die Stände dem Kaiser oder seinen Kommissaren das erzielte Verhandlungsergebnis als Ratschlag aller Stände mit.3 Um die Verhandlungen genauer zu untersuchen, bietet es sich an, getrennt nach einzelnen Ebenen vorzugehen: Wie funktionierte etwa die Entscheidungsfindung innerhalb einer Kurie? Wie gestalteten sich die Relationssitzungen, auf denen sich die Kurien gegenseitig berichteten? Wie reagierten die Kurien intern auf die Relation der jeweils Anderen? Jedoch zeigt die Geschichte der Reichsversammlungen zwischen 1521 und 1555 auch, dass selbst die Trennung nach Kurien auf den einzelnen Reichstagen unter Karl V. unterschiedlich gehandhabt wurde. Hier ist vor allem der Wandel in der Bedeutung der Großen Ausschüsse zu nennen, den Gerhard Oestreich untersuchte.⁴ Aber auch die Spaltung der Reichstage in konfessionelle Partikularräte hatte einen enormen Einfluss auf das Reichstagsverfahren. Es ist also nicht nur nach den einzelnen Stationen und Mechanismen des Kurienverfahrens zu fragen, sondern auch generell nach den Versammlungsformen, in denen Reichstage abgehalten wurden, und auch danach, wie sich diese Versammlungsformen entwickelten. Gerade hier täuscht die Beschreibung aus dem Ausführlichen Bericht eine falsche Kontinuität vor. Zunächst ist deshalb der

1 Schmidt, Städtetag in der Reichsverfassung, S. 246–287; ders., Städte auf dem Reichstag, S. 38; Isenmann, Reichsstadt und Reich an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit, S. 141–189; ders., Die Städte auf den Reichstagen im ausgehenden Mittelalter, S. 549–550. Vgl. hierzu auch die Schilderung im Ausführlichen Bericht: Rauch, Traktat, S. 87. 2 Traditionell war es für die Beteiligten niederen Rangs angemessen, »nur noch Einwände und Verbesserungswünsche im Detail« vorzubringen, die Entscheidungen von Kurfürsten und Fürsten aber nicht substanziell zu kritisieren: Isenmann, Kaiser, Reich und deutsche Nation, S. 213. 3 Eine ausführliche Übersicht bietet: Rauch, Traktat, S. 84–89. 4 Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise.

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Die Verhandlungen

Frage nachzugehen, in welcher Form sich die Stände anlässlich der Reichstage überhaupt versammeln konnten. Erst im Anschluss daran sind die Fragen zu den Einzelheiten des Kuriensystems zu klären.

3.1 Versammlungsformen Die Reichsstände konnten auf Reichstagen generell in sehr unterschiedlichen Zusammensetzungen aufeinander treffen.

3.1.1 Versammlung vor dem Herrscher Die vielleicht ursprünglichste Form war die Versammlung aller Stände vor dem Reichsoberhaupt oder seinen Stellvertretern. Im Zuge der Reichsreform wurden die internen Verhandlungen der Reichsstände aber von der förmlichen Beratung des Kaisers getrennt. Deshalb kam die Versammlung aller Stände vor dem Kaiser nur noch selten zustande, obwohl sie ein essenzieller Teil des Reichstagsverfahrens blieb. Jeder Reichstag stellte mindestens zu seiner Eröffnung und zu seinem Ende diese ursprüngliche Versammlung wieder her, wenn alle Reichsstände mit dem Kaiser die Proposition oder den Reichsabschied anhörten.⁵ Es gab sie aber zu bestimmten Anlässen auch während der Reichstage, nämlich wenn der Kaiser eine neue Proposition stellte⁶ oder wenn eine gemeinsame Handlung von Herrscher und Reichsständen vorgenommen wurde. Dies konnte zum Beispiel die Anhörung von fremden Gesandtschaften sein.⁷ Auch das gemeinsame Anhören von Neuen Zeitungen⁸ und Briefen gehörten dazu. Zum Kaiser, König oder Kommissaren wurden die anwesenden Stände außerdem dann gerufen, wenn den Ständen neue Forderungen übermittelt werden sollten, etwa die nach einem Ausschuss oder zum Verlauf der Verhandlungen. Die jeweilige Beteiligung der kaiserlichen Seite an Versammlungen lässt auch auf den jeweiligen Stand des kaiserlichen Einflusses schließen.

5 Zur Propositionsverlesung: Kapitel 2.6.2 ab S. 134. Zur Abschiedsverlesung: Kapitel 2.9.2 ab S. 158. 6 RTA JR 2, Nr. 14 (S. 185–189), laut dem Bericht über die Verlesung, Nr. 15 (S. 189–191), »in ir aller gegenwurth« (S. 189) verlesen. 7 Eine Beschreibung einer solchen Anhörung unter Anwesenheit des Königs und der kaiserlichen Kommissare bietet: RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 355–357. 8 Ein Beispiel hierfür bietet die Versammlung vor König Ferdinand am 16. August 1542 in Nürnberg: RTA JR 13, Nr. 61 (431–438), S. 435.

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Versammlungsformen

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3.1.2 Gemeine Versammlung Eine weitere Versammlungsform stellt die gemeine Versammlung dar.⁹ Dieser Begriff taucht in den Quellen häufig auf und umschreibt eine kurienübergreifende Versammlung der Stände.1⁰ Bisweilen wird dabei von einem »gemeinen rath«11 gesprochen oder davon, dass etwas in »gemainer rathsversamblung«12 erörtert wird. Auf Latein schrieb man, die Verhandlung habe »consilio publico«13 oder »in conventu plenu [!]«1⁴ stattgefunden. Wichtig für diesen Begriff ist das »gemein«, also die Gemeinsamkeit im Gegensatz zur üblichen Trennung (»sonderheit«) nach Kurien. Dabei kann die Bezeichnung sowohl für die oft abgehaltenen gemeinsamen Sitzungen der oberen Kurien, als auch für Sitzungen aller Kurien einschließlich der Städte Verwendung finden. Gemeinsame Sitzungen der Stände des Fürstenrats und der Städte gab es hingegen nicht. Den Aufgaben und dem Verfahren eines solchen »Gemeinen Rats« wurde besonders im Verlauf der späten 1540er Jahre verstärkte Aufmerksamkeit durch den Kurfürstenrat zuteil. Die Gemeine Versammlung stellte dabei einen Zwischenschritt zwischen der Ständeversammlung vor dem Herrscher und der Beratung in Kurien oder Ausschüssen dar: Formell betrachtet rief der Kaiser seine Stände zu sich, um ihren Ratschlag einzuholen. Diesen Rat erbat er in Anwesenheit aller Stände durch die Verlesung der Proposition. Nun zogen sich die Stände für ihre Beratungen zurück, um dem Kaiser schließlich gemeinsam ein Beratungsergebnis zu präsentieren. Die Gemeine Versammlung diente in der Regel also zur Kommunikation unter den Kurien und ist deshalb zumeist im Rahmen des Relationsverfahrens anzutreffen. Hierbei kamen die jeweils beteiligten Kurien zusammen, um sich gegenseitig ihre Ratschläge, also die Ergebnisse ihrer Beratungen, mitzuteilen.1⁵ Ferner kamen die Stände in einer Gemeinen Versammlung zusammen, wenn es darum ging, allen Beteiligten bestimmte Informationen zukommen zu lassen. Dabei konkurrierte diese Versammlungsform mit der Versammlung vor der dem Herrscher: Die Beteiligung des Kaisers, des Königs, des kaiserlichen Statthalters oder der kaiserlichen Kommissare schwächte die Autonomie der Ständeversammlung gegenüber dem Reichsoberhaupt. Durch eine Gemeine Versammlung ohne den Kaiser oder seine Stellvertreter demonstrierten die Stände in manchen Fällen ihre selbstständige Handlungsfähigkeit. Ein 9 Dieser Quellenbegriff wird in der Forschung kaum gebraucht. Isenmann würdigt ihn als Unterscheidung zwischen Zusammenkunft der Stände mit dem Herrscher (»dieta«) und der eigentlichen Ratsversammlung: Isenmann, Kaiser, Reich und deutsche Nation, S. 192–193. 10 Wie die meisten Quellenbegriffe des Reichstagsverfahrens ist auch die Gemeine Versammlung ein nicht definierter Begriff. Bisweilen wurde damit sogar allein der Fürstenrat bezeichnet und so von Ausschüssen oder Delegationen des Fürstenrats abgegrenzt. Ein Beispiel für eine solche Begriffsverwendung stellt das Kölner Votum vom 11. August 1542 zum Fehlverhalten Dr. Ecks dar: RTA JR 13, Nr. 55 (S. 298–394), S. 340. 11 Passauer Reichstagsprotokoll, RTA JR 20, Nr. 146 (S. 1536–1677), S. 1553. 12 Österreichisches Reichstagsprotokoll, ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1396. 13 Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1435. 14 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 89. 15 Hierzu: Kapitel 3.5 ab S. 238.

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Die Verhandlungen

gutes Beispiel für die Konkurrenz beider Versammlungsformen bietet der Streit um die Annahme verschiedener Schreiben auf dem Reichstag von 1555: Als die oberen Kurien am 8. April darüber berieten, wie mit einem Schreiben des französischen Königs umgegangen werden sollte, legte Zasius – einer der österreichischen Räte in der Fürstenkurie1⁶ – sein ganzes politisches Geschick in die Waagschale, um zu verhindern, dass die Stände den Brief selbst öffneten. Zunächst sollte der König informiert und erst mit dessen Zustimmung der Brief geöffnet und verlesen werden.1⁷ Nur die »vleisige bemuehung«1⁸ der österreichischen Räte, so Zasius, konnte verhindern, dass sich der Fürstenrat dem Kurfürstenrat beugte, der das Schreiben in einer Gemeinen Versammlung ohne den König aufbrechen und verlesen wollte. Am 20. April kam der Kurfürstenrat jedoch auf das Thema zurück und erklärte, er habe die Öffnung des Schreibens beschlossen. Nun gelang es Zasius nicht mehr, den Fürstenrat auf der königlichen Linie zu halten. Auch der Fürstenrat wollte das Schreiben nun verlesen lassen, dessen Inhalt aber im Anschluss dem König mitteilen.1⁹ Dieser äußerte sich in seiner Stellungnahme dann aber hauptsächlich über den französischen König.2⁰ Er kritisierte jedoch auch, dass die Stände das Schreiben selbstständig geöffnet hatten.21 Der gleiche Streit entbrannte zwischen österreichischen und den kurfürstlichen Räten am 8. Mai erneut, als es darum ging, ein Schreiben des geächteten Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach anzunehmen.22 Aus kaiserlicher Sicht drohte eine eigenständige Versammlung der Stände ohne das Reichsoberhaupt, die nicht der Beratung der Proposition diente, den Reichstag zu einem vom Reichsoberhaupt unabhängigen Akteur zu machen. Eine besondere Gefahr lag dabei in einer möglichen eigenständigen Politik der Reichsversammlung gegenüber den mit Karl V. verfeindeten französischen Königen.23 Wie der Streit über den Umgang mit dem Schreiben des Geächteten zeigt, galt dies gegenüber allen »Feinden des Reichs«.2⁴ Unproblematisch dagegen waren anscheinend

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Zur Person Zasius: Meußer, Für Kaiser und Reich. RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1375–1376. Ebd., S. 1376. Ebd., S. 1380; ähnlich waren die Stände schon 1529 vorgegangen: RTA JR 7, S. 647. RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1386–1387. Lutz/Kohler, Hornung-Protokoll, S. 55–56. RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1396–1401; HStA München, Hochstift Passau, Lit. 2251, fol. 50r–53r. 23 Zur Problematik der Annahme französischer Schreiben und Gesandtschaften: Luttenberger, Karl V., Frankreich und der deutsche Reichstag; zur französischen Reichspolitik: Pariset, Humanisme – réforme et diplomatie. Les relations entre la France et l’Allemagne au milieu du XVIe siècle d’après documents inédits; zur Außenpolitik der versammelten Reichsstände: Heinig, Römisch deutscher Herrscherhof und Reichstag im europäischen Gesandtschaftssystem an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, S. 252–254. 24 Ferdinand argumentierte 1555, dass der französische König, dessen Schreiben die Stände angenommen hatten, »nit allein der Kay. Mt., sonder auch des heyligen reichs offentlicher feind« sei: Lutz/Kohler, Hornung-Protokoll, S. 56.

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Schreiben anderer ausländischer Potentaten. Ein Schreiben des dänischen Königs wurde problemlos in einer Gemeinen Versammlung verlesen.2⁵ Neben der Relation über das Beratene und dem Anhören an die Stände gerichteter Schriften war es auch üblich, Neuigkeiten oder Mitteilungen, die der Kaiser oder dessen Stellvertreter dem Mainzer Kanzler übergeben hatten, in einer Gemeinen Versammlung zu verlesen. Somit war die Gemeine Versammlung eine offizielle Kommunikationsversammlung der Stände. »Offiziell« war sie im Gegensatz zu den üblichen Verlesungen von Schriftstücken vor versammelten Schreibern, die zur Vervielfältigung der Texte dienten: Zunächst wurde eingehendes Schriftgut stets in einer Gemeinen Versammlung verlesen und die Stände so, juristisch gesehen, mit dessen Inhalt vertraut gemacht. Die Abschrift erfolgte dagegen aus praktischen Erwägungen. Da die Kurfürsten unter allen Anwesenden bei einer Gemeinen Versammlung die ranghöchsten waren, mussten sich die Stände der anderen Kurien in den Raum der Kurfürsten begeben. Ob dies auch galt, wenn kein Kurfürst persönlich anwesend war, wurde unter Karl V. erst noch entschieden: Auf dem Nürnberger Reichstag 1542 begaben sich die kurfürstlichen Räte von sich aus zu den anwesenden Fürsten, um ihnen das Bedenken des Kurfürstenrats mitzuteilen.2⁶ 1545 kamen die Fürsten bei einer vergleichbaren Situation nur widerwillig in den Kurfürstenrat.2⁷ 1555 weigerten sich die persönlich anwesenden Fürsten, in den Kurfürstenrat zu kommen, da kein Kurfürst persönlich anwesend war. Weil sich niemand an das Verfahren von 1542 erinnerte, einigte man sich stattdessen darauf, dass die Fürsten ebenfalls nur Räte in die Gemeine Versammlung schickten.2⁸ Die persönlich anwesenden Fürsten verzichteten somit auf eine Teilnahme an der Versammlung, um keinen Präzedenzfall zu schaffen. Die Sitzordnung in der Gemeinen Versammlung war natürlich von großer Bedeutung. Für die Nachwelt notierte Valentin von Tetleben sie anlässlich eines Sessionsstreits auf dem Augsburger Reichstag 1530: »Nam tres sunt banci: unus electorum in medio, et soli illi sedent, alter principum ecclesiasticorum a latere dextro, et tercius principum secularium a latere sinistro ipsorum electorum. Quod etiam hic scribendum putavi pro memoria; nam michi immite et rusticum videbatur, quod bancus electorum deberet decurtari quodammodo in contemptum aliorum principum secularium.«2⁹ Die Sitzordnung der Versammlung orientierte sich demnach an den Prinzipien, die bereits im Zusammenhang mit der Reichstagseröffnung dargestellt wurden: Die Kurfürsten saßen auf einer gemeinsamen Bank, während sich die Stände der

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RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1375–1376. RTA JR 13, Nr. 55 (S. 298–394), S. 314. RTA JR 16, Nr. 62 (S. 672–740), S. 707. RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 650–651. Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 89.

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Fürstenkurie auf zwei weitere Bänke aufteilten: eine geistliche zur Rechten der Kurfürsten und eine weltliche auf der linken Seite.3⁰ Eine Besonderheit bei der Gemeinen Versammlung als Forum zur Informationsweitergabe war, dass vor der jeweiligen Sitzung nicht mitgeteilt wurde, worum es gehen werde. Allein die Mainzer Kanzlei wusste, weshalb sie die Stände zur Gemeinen Versammlung rief. Erst in der Sitzung eröffnete sie den Ständen den Grund für ihr Zusammenkommen.31

3.1.3 Versammlungen der Kurien Neben der Gemeinen Versammlung sind die Sitzungen der einzelnen Kurien als weitere Versammlungsform zu nennen. Üblicherweise erfolgte die Trennung in die einzelnen Kurien, indem die beiden unteren Kurien aus dem Raum der Kurfürsten traten, zu denen sie sich zuvor für die Gemeine Versammlung begeben hatten, und ihre eigenen Stuben aufsuchten. Die Kurfürsten nahmen nun in ihrer Stube in einer Anordnung Platz, die in der Goldenen Bulle bestimmt wurde.32 Mainz übernahm demnach in Abwesenheit des Kaisers den Vorsitz. Die übrigen fünf Kurfürsten gruppierten sich in vorgeschriebener Anordnung zu beiden Seiten.33 In der Fürstenkurie gab es zwei Bänke: die der geistlichen und die der weltlichen Fürsten. Dabei standen die Bänke so, dass, obwohl der Kaiser nicht anwesend war, anhand ihrer Session die Bank der Geistlichen als die rechte, die der Weltlichen als die linke gelten konnte. Die Sitzordnung folgte dabei der internen Logik, dass die Sitzplätze, die sich näher am fiktiven Sitzplatz des Herrschers befanden, die vornehmeren waren. Am weitesten von dieser Position entfernt, und somit »unter« den Fürsten, saßen die Vertreter der Prälaten und der Grafen und Herren. Der vornehmste Platz wurde hier nicht, wie im Kurfürstenrat, in eine zentrale Position verwandelt, an der sich die Übrigen ausrichteten. Es lag im Fürstenrat an sich nicht am Inhaber der vornehmsten Sitzposition, die Umfrage zu führen, also den einzelnen Ständen das Wort zu erteilen. Stattdessen nahm diese Aufgabe der Reichserbmarschall wahr, wenn er zugegen war. Er selbst verfügte aber über keinen Sitz und keine Stimme im Rat und musste deshalb während der Versammlungen auch stehenbleiben.3⁴ Dagegen formulierte der Inhaber des vornehmsten Bankplatzes die Fragen und fasste die Umfrageergebnisse zusammen.3⁵ Das Direktorium, wie

30 Der Einschub »et soli illi sedent« bezieht sich nur auf die Kurfürstenbank. Die Fürsten sollten demnach nicht, wie Tetleben es 1530 beobachtet hat, auf der Kurfürstenbank Platz nehmen. 31 Dies wird vonseiten der Kanzlei bisweilen auch ausdrücklich notiert. Ein Beispiel von 1542: »Ist gemeyner versamlung angezeygt, warumb sye beruft worden« in: RTA JR 13, Nr. 55 (S. 298–394), S. 336. 32 Fritz, Die Goldene Bulle, S. 57–59. 33 Eine Beschreibung findet sich im Ausführlichen Bericht: Rauch, Traktat, S. 59–60. 34 Schulze, Reich und Türkengefahr, 124, insbesondere Anm. 145. 35 Zum Verfahren der Umfrage: Kapitel 3.4 ab S. 210.

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diese Aufgabe genannt wurde, lag somit bei Österreich und Salzburg, die um den Vorsitz auf der geistlichen Bank stritten. Eine Besonderheit der Reichstage nach Karl V. war, dass man zwischen Virilund Bankstimmen unterschied. Virilstimmen standen nur Ständen im Fürstenrang zu, während sich die nicht gefürsteten Prälaten, Grafen und Herren ihre ihnen zur Verfügung stehenden Bankstimmen teilen mussten. Diese Trennung gab es unter Karl V. noch nicht so deutlich, jedoch ließ man bereits nicht mehr als zwei Grafen zu Wort kommen. Die Vorstellung, dass diese jeweils ein Votum für Grafen einer bestimmten Region abgaben, entwickelte sich jedoch erst in den 1540er Jahren.3⁶ In beiden Kurien war es üblich, dass die Stände Räte in die Sitzungen mitnahmen. Die Räte Christophs von Württemberg kündigten ihrem Herzog 1554 an: »Darneben ist hie und sonderlich zu merken, das vil personen von den stenden in rat zur consultation mitgenomen, die dahinder steen, zuhören, und auf aller vota achtung haben, dieselbige und was geredt oder gehandelt, alles notieren, und furnemlich Osterreich.«3⁷ Die mitgenommenen Personen standen also während der Verhandlungen hinter den Wortführern, seien es nun persönlich anwesende Stände oder deren Bevollmächtigte. Wie sich aus obigem Zitat auch schließen lässt, war es üblich, sich während der Sitzungen mit den Räten in »consultation« zu begeben. Dies passt zu den beschriebenen Szenen während der Reichstagseröffnung, wo die Stände anscheinend ebenfalls ihre Räte in ihrer Nähe hatten.3⁸ Tatsächlich wird die Anwesenheit mehrerer österreichischer Räte auch im österreichischen Protokoll bestätigt. Wiederholt wird hier von den österreichischen Räten berichtet. Einer saß und stimmte dabei im Namen Österreichs, während die anderen in der Nähe waren, um ihren Sprecher beraten zu können. Zum 30. März 1555 heißt es: »H. Wilhelm truchsäß, so damals von Österreich weegen gesessen, [sei] aufgestanden und [habe] sich mit sein österreichischen collegis underredt und [es sei] under ihnen stattlich beratschlagt worden«3⁹. Die Österreicher waren zu dieser Sitzung also zumindest zu dritt im Fürstenrat. Während die Mitnahme von beratendem und mitschreibendem Personal in die Beratungen unter Karl V. anscheinend nicht problematisch war, wurde sie zumindest im 17. Jahrhundert im Fürstenrat stark eingeschränkt.⁴⁰ Da es unter Karl V. noch immer möglich war, als persönlich anwesender Fürst hin und wieder an den Beratungen teilzunehmen, war durch das zusätzliche Personal eine Kontinuität gewährleistet.

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Zu der Entwicklung der Grafenstimmen: Böhme, Das fränkische Reichsgrafenkollegium. Ernst, Briefwechsel des Herzogs Christoph von Wirtemberg, Bd. 3, Nr. 3 (S. 4–32), S. 7. Vgl. die Beschreibung auf S. 141 dieser Arbeit. Österreichisches Reichstagsprotokoll, RTA JR 20, RTA 1555, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1356. Weitere Hinweise auf die Anwesenheit mehrerer österreichischer Räte finden sich immer wieder im Protokoll. Ein Beispiel hierfür enthält das württembergische Votum vom 18. März (S. 1316). 40 Brunert, Einleitung zu APW III A 3/3, S. CIII.

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3.2 Reichsrat und Kurien im Verständnis der Reichstagsteilnehmer Es ist nicht einfach, die Genese einer Institution nachzuzeichnen, die sich gewohnheitsrechtlich bildete. Die Kurien der deutschen Reichstage sind solche Institutionen: Vom Immerwährenden Reichstag sind sie bekannt als klar definierte Gremien bestimmter Stände mit eigenem Herkommen und mit fest umrissenem Mitgliederkreis. Versammlungen in den drei getrennten Räten sind schon früh nachweisbar. In den 1520er Jahren beschränkte sich die Aufgabe dieser Versammlungen aber oft darauf, die Mitglieder eines kurienübergreifenden Ausschusses zu benennen. Im Hinblick auf die in dieser Arbeit verwendete Definition von Institutionen als allgemein bekannte Regeln lässt sich daher fragen: Wie wurden die Kurien in der Zeit Karls V. wahrgenommen? Galten sie als wesentlicher Bestandteil des Reichstagsverfahrens? In diesem Zusammenhang ist ein interessanter Indikator für die Institutionalisierung der Kurien die terminologische Sicherheit, mit der sie benannt werden konnten. Verfügten die an den Reichstagen Beteiligten über ausreichende Begriffe für die Kurien? Auffällig ist, dass in den Quellen der Begriff »reichsrat« erstaunlich unscharf verwendet wird. Mit Reichsrat konnte sowohl eine Versammlung als auch allgemein die Beratungen des Reichstags gemeint sein. Häufig und langfristig wurde der Begriff zur Bezeichnung einer Versammlung aller Stände (mitunter auch in Anwesenheit des Kaisers) verwendet. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele. Deutlich wird diese Verwendung des Begriffs beispielsweise in folgender Notiz vom Reichstag 1532: Die versammelten Stände richteten einen Ausschuss von vier Personen ein, der eine Antwort auf die kaiserliche Proposition erarbeiten sollte. Diese vier Personen »wollten sie, die potschaften der Kff., Ff. und stände und derselben aller gesandten, nachmittag im reichsrath hören, weiter bedencken und alßdann ksl. Mt. uberantwurten«⁴1. Der »reichsrath« war hier also die Gemeine Versammlung der oberen Kurien. Der Begriff bezog sich aber nicht fest auf eine bestimmte Versammlungsform. Hierzu ein Beispiel von 1542 aus dem Protokoll Württembergs: Als »wir in dem reichsrath zu erscheinen ervorderet, wie dann auch beschehen, ist im fürstenrath von verner anlag und zuzug angerögt und zu berathschlagen fürgenomen.«⁴2 Es ist in diesem Fall auszuschließen, dass mit »reichsrath« eine Gemeine Versammlung gemeint war, in der die Themenstellung des Verhandlungstags (Anlage und Zuzug) kommuniziert wurde, bevor man in die Kurien ging, denn dies geschah ausdrücklich im Fürstenrat. Württemberg verwendet den Begriff »reichsrath« stattdessen generell für die Reichstagsberatungen. Davon abgegrenzt taucht der Begriff »füstenrath« für die Kurie als Versammlungsform auf. Mit »reichsrath« war hier also unabhängig von der konkreten Versammlungsform der Umstand gemeint, dass man sich zu den Reichstagsverhandlungen begab. Die Verwendung von reichsrat im allgemeinen Bezug auf Reichstagsverhandlungen hielt sich lange. 1555 merkte Hessen an, außer in Religionsfragen wende man 41 Protokoll des Balthasar von Rechenberg, RTA JR 10, Nr. 32 (S. 361–370), S. 366. 42 RTA JR 13, Nr. 61 (431–438), S. 431.

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»im reichsrath«⁴3 das Mehrheitsverfahren an. Der Begriff »reichsrath« wurde aber auch verwendet, wenn es um den Fürstenrat ging. Dies zeigt beispielsweise der Beschluss der oberen Kurien von 1524, den Städten Session im »reichsrath« zu gewähren, womit eindeutig der Fürstenrat gemeint war.⁴⁴ Im Ausführlichen Bericht dagegen heißt der Fürstenrat der »ander ReichsRaht«⁴⁵ neben dem Reichsrat der Kurfürsten. Die Städtekurie ist dort der »dritte ordinari Reichs-Raht«⁴⁶. Dem Text des Ausführlichen Berichts zufolge sind die Kurien somit feste Gremien. Sie werden als eigene Institutionen beschrieben. Der Begriff »reichsrat«, der sonst unscharf für Reichstagsverhandlungen verwendet wurde, wird nun im Plural verwendet: Es würden auf den Reichstagen »allzeit drey Räth gehalten«⁴⁷, die bei jedem Reichstag wieder zusammen kämen. Die Reichstagskurien hatten somit in den Augen der Verfasser des Ausführlichen Berichts einen den einzelnen Reichstag überdauernden Charakter. Gerade diese Institutionalisierung ist in der Sprache der Reichstagsakten unter Karl V. noch nicht so eindeutig. Vielmehr verrät die in den Protokollen verwendete Ausdrucksweise häufig die Auffassung, die einzelnen Räte konstituierten sich immer wieder neu. Beispielsweise wird notiert: »Decima Januarii ist abermals ein kfstl. und daneben ein fstl. rath versamblet gewesen«⁴⁸. An den einzelnen Tagen kamen also Personen zusammen und bildeten einen Rat. Akteure blieben die Versammelten, nicht die Gremien. Trotzdem lassen sich auch Formulierungen finden, die einen dauerhaften Rat implizieren. Etwa notierte der Passauer Protokollant 1555: »Frue, als der fstl. rath zusamenkhomen«⁴⁹. In der Zeit Karls V. war es also nicht undenkbar, die Kurien und andere Versammlungsgremien als mehr oder weniger dauerhafte Institutionen wahrzunehmen. Es war aber auch nicht selbstverständlich. Wie mag sich ein solches Bewusstsein für drei Reichsräte gebildet haben? Relativ neu war unter Maximilian I. der unter Führung des Mainzer Kurfürsten erhobene Anspruch, alle Stände des Reichs zu laden. Auf den mittelalterlichen Hoftagen war die Versammlung deshalb häufig deutlich kleiner als auf frühneuzeitlichen Reichstagen. Die Kurfürsten hatten sich im Spätmittelalter eine herausgehobene Stellung in der Reichsverfassung erarbeitet⁵⁰ und stellten auch den Kern der noch

43 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1355. 44 Das Angebot an die Städte wurde formuliert als Vorschlag, »das die stett in reichsrath […] mochten gelassen werden«: Beschluss der Stände, RTA JR 4, Nr. 48 (S. 333–334), S. 333–334. Damit war zwar zunächst ihre generelle Beteiligung an den Verhandlungen gemeint. Konkret bezog sich der Vorschlag jedoch auf den späteren Fürstenrat. 45 Rauch, Traktat, S. 64. 46 Ebd., S. 67. 47 Ebd., S. 59. 48 Bericht des Dr. Wolfgang Weidner über den Sessionsstreit auf der Grafenbank, RTA JR 16, Nr. 254 (S. 1449–1454), S. 1452. 49 RTA JR 20, Nr. 146 (S. 1536–1677), S. 1556. 50 Schubert, Die Stellung der Kurfürsten in der spätmittelalterlichen Reichsverfassung; ders., Königsabsetzung.

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vom König geleiteten Hoftagsberatungen.⁵1 Fürsten traten auf den Hoftagen oft nur in besonderen Rollen auf. Daran erinnerte man sich auch noch unter Karl V.: Die Kurfürsten »als seulen im Reich«⁵2 seien von entscheidender Bedeutung für die Reichstagsbeschlüsse. Sie hätten einst »alle verwaltung und reth mit kayser und konigen uf den höfen gehabt«. Weil aber »fursten der ksl. Mt. des dinsts gewart, denen zu eheren die hendel und tractation zuzeiten eröffnet, die reichsteg nit lang gewhert und neulich die fursten zu aignem rath eingedrungen«⁵3, gebe es überhaupt den Fürstenrat. Aus Sicht der Kurfürsten rechtfertigte sich die Teilnahme der Fürsten somit ursprünglich durch den Reichsdienst, den einzelne Fürsten dem Kaiser leisteten. Städter traten dagegen als Untertanen des Kaisers und Grafen gewöhnlich im Gefolge bedeutsamerer Hoftagsbesucher und des Herrschers auf.⁵⁴ Schon wenn man sich solche Hoftage allein als soziales (feierliches) Ereignis einer hierarchisch gegliederten Gesellschaft vorstellt, ist eine Trennung einzelner Gruppen naheliegend: Säulen im Reich und bedeutende Reichsfürsten in kaiserlichen Diensten werden sich ungern zu Untertanen aus Königsgütern gesellt haben. Auch politisch war die Teilnahme an Hoftagen für die geladenen Städte eher lästig. Es gab für sie im 15. Jahrhundert auch noch kein Recht auf Teilnahme an den Verhandlungen. Die Städte wurden vereinzelt geladen, um auf den Reichstagen geplante Projekte umsetzen zu können.⁵⁵ Zugespitzt formuliert waren sie (zumindest aus fürstlicher Sicht) Befehlsempfänger, die sich zur Durchführbarkeit des Geplanten äußern durften, durch ihre Anwesenheit aber auch ihren Gehorsam in der geplanten Angelegenheit in Aussicht stellten.⁵⁶ Diese Tendenz zur Abgrenzung der Stände von den Reichsstädten lässt sich bereits in den Reichstagsakten der Zeit Maximilians I. erkennen: 1495 erarbeiteten Kurfürsten und Fürsten in einem gemeinsamen Ausschuss einen Entwurf für die Reichsregimentsordnung, den sie so sowohl dem König, als auch den Städtegesandten übergaben.⁵⁷ Im Reichstagsprotokoll von 1505 wird über die Eröffnungsrede des Kölner Reichstags berichtet, es seien nicht nur »Kff., Ff. und stende des Hl. Reichs«, sondern auch »die geschickten von weigen der erbarer frey und Reichs steden«⁵⁸ anwesend gewesen. Nach der Rede hätten sich jedoch nur »Kff., Ff. und stende underredt«⁵⁹ und erst, als sich diese einer »meynunge entslossen«, hätten sie »die geschickten der erbaren steide zo iren Gnn. komen lassen und denselbigen ire meynunge furgehalten.«⁶⁰ In den nachfolgenden Verhandlungen zwischen König und Ständen werden die 51 52 53 54 55 56 57 58 59 60

Moraw, Fürsten am spätmittelalterlichen Königshof, S. 22–23. Mainzer Protokoll des Kurfürstenrats, RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 397. Ebd., Nr. 62 (S. 317–815), S. 397. Moraw, Versuch, S. 20–21, 30. Schmidt, Städtetag und Reichsverfassung, S. 53; ders., Städte auf dem Reichstag, S. 37. Zu Anwesenheit als Ausdruck der Unterwerfung: Moraw, Fürsten am spätmittelalterlichen Königshof, S. 24–25. RTA MR 5, Nr. 326 (S. 335–346). RTA MR 8, Nr. 345 (S. 467–476), S. 468. Ebd. Ebd., S. 469.

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Städte noch nicht einmal als Anwesende genannt. Von einer stillschweigenden Subsummierung unter dem Ständebegriff ist aber nicht auszugehen. Dafür ist die einleitende Unterscheidung von Kurfürsten, Fürsten und Ständen auf der einen und den Städteboten auf der anderen Seite zu ausdrücklich formuliert.⁶1 Es war die große Leistung Bertholds von Henneberg, die Vielzahl an Reichsständen auf den entstehenden Reichstagen zu einer gesamtständischen Opposition gegenüber Maximilian I. zu instrumentalisieren. Mit dem Anspruch, zu jeder Versammlung alle Stände zu laden⁶2 und die Versammlungen auch möglichst jährlich oder wenigstens regelmäßig abzuhalten,⁶3 ging das Problem einher, dem enormen Bedeutungsgefälle zwischen den Ständen Rechnung zu tragen. Die Städteboten in den Beratungen von den übrigen Ständen zu trennen, war zumindest außerhalb der Ausschüsse eine Selbstverständlichkeit. Die fragliche Rolle der Städte auf den Hoftagen war auch der Ursprung für das andauernde Anzweifeln der städtischen Reichsstandschaft. Die übrigen Stände – in ihren eigenen Augen die wirklichen Reichsstände – stellten aber weiterhin keine homogene Gruppe dar. In ihrem Bewusstsein von Präeminenz und in der Tradition ihres Kurvereins pflegten die Kurfürsten auch auf den Reichstagen den Brauch, sich von den anderen Ständen zu trennen und unter sich eine gemeinsame Linie abzusprechen. Durch diese Abgrenzung der Kurfürsten blieben Stände übrig, aus denen sich schließlich der Fürstenrat bildete. Für die Entstehungsgeschichte des Fürstenrats ist es von großer Bedeutung, dass dieser nicht durch die Einteilung der anwesenden Stände in drei Räte entstand, sondern allein durch die Ab- beziehungsweise Ausgrenzung der beiden anderen Gruppen – die der Kurfürsten und der Städte. Hierin lässt sich auch die unpräzise Abgrenzung von reichsrat und fürstenrat in den Quellen erklären: In der Wahrnehmung der betroffenen Stände war der Fürstenrat zu Beginn die eigentliche Reichsversammlung, von der besondere Gruppen ausgelagert waren. Bei den beiden anderen Kurien bestimmte sich die Zugehörigkeit zur Kurie durch die Zugehörigkeit ihrer Mitglieder zu einer bestimmten, leicht definierbaren Gruppe. Die Zugehörigkeit zum Fürstenrat war aber gerade dadurch bedingt, nicht zu einer dieser besonderen Gruppen zu gehören. Über diese Negativabgrenzung hinaus bestand zunächst keine umfassende, verbindende Gemeinsamkeit. Die Stände der mittleren Kurie waren in erster Linie Reichsstände. Zur Zeit des Herrschaftsantritts Karls V. scheint die Wahrnehmung von Kurien als wesentliche Institutionen des Reichstags deshalb noch nicht bestanden zu haben. Die Berichte über die Reichstagseröffnung von 1521 lesen sich kaum

61 Der Begriff »Reichsstände« war um 1500 noch verhältnismäßig neu: Isenmann, Kaiser, Reich und deutsche Nation, S. 187–192. Je nach Auffassung wurden auch die Kurfürsten und Fürsten als ein Stand angesehen und die übrigen nicht-städtischen Stände zu einem zweiten Stand zusammengefasst: S. 191. 62 Seyboth, Reichstage der 1480er, S. 529–530. 63 Neuhaus, Reichsständische Repräsentationsformen im 16. Jahrhundert, S. 36–37; Seyboth, Gestalt und Wandel, S. 74–75.

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anders als der von 1505⁶⁴. Nach der Verlesung der Proposition »samelten sich die churfursten, fursten und stende des richs von dag zu dage, machten ein usschus und lissen uf obgemeltes kei. Mt. furhalten radslagen bis in die vassenacht«⁶⁵. Die Protagonisten des Reichstags waren laut dieser pfälzischen Darstellung die Stände der oberen Kurien. Die Städte wurden ausgeklammert. Auch die bischöflich straßburgischen Aufzeichnungen berichten über die Zeit zwischen der Eröffnung und der Bildung des Großen Ausschusses nur von Beratungen der Kurfürsten und Fürsten.⁶⁶ Dies schließt nicht aus, dass sich die Kurfürsten während dieser Verhandlungen auch von den anderen Ständen separierten, demonstriert aber, dass die späteren Kurien nicht für wesentlich gehalten wurden. Die reichsstädtischen Vertreter ignorierte man in dieser Phase des Wormser Reichstags wohl noch (auch wenn sie dann schließlich im Großen Ausschuss berücksichtigt wurden) und das vermutlich erfolgte Abtreten der Kurfürsten wurde anscheinend nicht als ein eigener Rat angesehen, sondern nur als zeitweilige separate Beratung. Dass diese separate Beratung der Kurfürsten schließlich dazu führte, dass neben den kaum anerkannten Städten zwei Räte parallel tagten, wurde in den 1520er Jahren jedoch wahrgenommen und auch so formuliert. Auffällig ist dabei, dass die Beratungsform des werdenden Fürstenrats – also im Grunde des Reichsrats ohne die Kurfürsten – noch keinen Namen hatte. Deshalb griffen die Beteiligten auf teilweise sehr ausführliche Umschreibungen zurück. Dabei wurde das Ausscheiden der Kurfürsten auch oft noch ausdrücklich genannt. Es finden sich Formulierungen wie: »Doruf sint die churfursten abgetretten, und die andern gemeinen fursten [haben] die sach auch beratschlagt«⁶⁷. An anderer Stelle heißt es recht kurz: »In der geistlichen und weltlichen fursten rath ist beschlossen«⁶⁸. Damit kam man der späteren Benennung »Fürstenrat« schon recht nahe, was fast den Eindruck vermittelt, der Fürstenrat sei schon als Selbstverständlichkeit wahrgenommen worden. Dass dem nicht so war, belegen verschiedene Formulierungen, bei denen besonderer Wert auf die Abwesenheit der Kurfürsten gelegt wurde. 1526 wurde beispielsweise im Zusammenhang mit der Frage nach der städtischen Beteiligung im Ausschuss notiert: »Und ist [der Vorschlag, Städteboten im Ausschuss zuzulassen] also gestern im ganzen rathe furgehalten und von den gemeinen stenden, ausgescheiden die churfursten, fur gut angesehen [worden]«⁶⁹. Bei genauer Betrachtung verraten diese Formulierungen viel: Der Vorschlag sei »im ganzen rathe« vorgebracht worden. Hiermit ist eine Versammlung der Kurfürsten und der Stände des Fürstenrats gemeint. Diese bildeten gemeinsam den eigentlichen Reichsrat der Reichsstände. Der Vorschlag wurde dann aber anscheinend in zwei separaten Räten besprochen, denn die Kurfürsten sind »aus64 65 66 67

Vgl. oben S. 172. Pfälzer Aufzeichnung über verschiedene Verhandlungen, RTA JR 2, Nr. 6 (S. 147–153), S. 152. Ebd., Nr. 9 (S. 157–168), S. 159–161. Protokollarische Aufzeichnung Dr. Simon Ribeisens (1524), RTA JR 4, Nr. 25 (S. 104–176), S. 108. 68 Beschluss der geistlichen und weltlichen Fürsten (1524), ebd., Nr. 39 (S. 306–307), S. 307. 69 RTA JR 5/6, Nr. 208 (S. 842–845), S. 843.

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gescheiden«. Diese Formulierung bezieht sich nicht auf den Inhalt, bedeutet also nicht, dass alle außer den Kurfürsten den Vorschlag für gut hielten. Sie bedeutet, dass sich die Kurfürsten von den anderen Ständen räumlich trennten und für sich eine eigene Meinung fanden. Sie wurden dabei aber als Teilmenge der gemeinen Stände angesehen. Dass die Kurfürsten in besagter Verhandlung nicht anwesend waren, sondern separat tagten, wurde deshalb deutlich angemerkt. Der Fürstenrat wurde also noch 1526 nicht vollständig als eigenes Gremium wahrgenommen. Sehr aufschlussreich für die Konzeption der Kurien in den 1520er Jahren ist auch die Diskussion auf dem Reichstag von 1524 über die Beteiligung der Reichsstädte. Die Städte wehrten sich gegen die ablehnende Haltung der übrigen Stände und forderten, ihnen »als einem reichstand gepürende stimm und session zu geben«⁷⁰. In diesem Zusammenhang äußerten die Kurfürsten den Vorschlag, »dass den stedten session mit zweien person neben fursten, prelaten und graffen und einer stüm im reichsrate gegunt wurt und zugelossen.«⁷1 Die Städtekurie wurde hier nicht als Teil der eigentlichen Reichsversammlung – dem Reichsrat – angesehen. In dieser sollten nun die Städte zwei Personen mit insgesamt einer Stimme stellen dürfen. Zu dieser Zeit stand auch die Anzahl der Grafenstimmen noch nicht fest und manche vertraten die Ansicht, den Grafen gebühre ebenfalls nur eine Stimme.⁷2 Der kurfürstlichen Auffassung zufolge gab es somit einen Reichsrat, in den man bestimmte Ständegruppen nur mit einer begrenzten Anzahl von Personen und Stimmen zulassen könne. Dies sollte nicht mehr nur die Grafen, sondern auch die Freien und Reichsstädte betreffen. Ihre eigenen separaten Beratungen erwähnten die Kurfürsten nicht. Die Stände des Fürstenrats lehnten diesen Vorschlag zunächst mit der Begründung ab, die Reichsstädte seien »von alters in reichsrat nie zugelassen«⁷3 gewesen und hätten deshalb darin auch niemals eine Stimme gehabt. Die Rolle Bertholds von Henneberg wurde in diesem Zusammenhang hervorgehoben: Dieser habe »erstmals angefangen«⁷⁴, die Städte in Ausschüsse des Reichsrats zu laden. In den eigentlichen Reichsrat seien sie aber nie gelassen worden. Es sei auch »den fursten, prelaten und graven etwas beschwerlicher dan den churfursten, das die stett zu inen in reichsrat gelassen werden«⁷⁵, da die Städte in diesem Fall die Meinung jedes einzelnen Fürsten hören könnten, was den Unmut der Städter auf bestimmte Fürsten ziehen könne. In dieser Hinsicht seien »die churfursten, dwil sie in irem rat nit kumen, uberhaben«⁷⁶. In diesen Äußerungen wird ein Bewusstsein für zwei verschiedene Räte deutlich: einen für die Kurfürsten und einen für die übrigen Stände. Beide zusammen seien aber der Reichsrat. Anscheinend auf Druck von Statthalter und kaiserlichem Orator wurde 70 71 72 73

Entgegnung der Städte auf die Duplik der Stände (1524), RTA JR 4, Nr. 45 (S. 325–327), S. 326. Protokollarische Aufzeichnung Dr. Simon Ribeisens (1524), ebd., Nr. 25 (S. 104–176), S. 108. RTA JR 7, 675, Anm. 2. Bedenken der Fürsten, Prälaten und Grafen, 18. Februar 1524, RTA JR 4, Nr. 46 (S. 327–329), S. 328. 74 Ebd. 75 Ebd. 76 Ebd.

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die Initiative noch am gleichen Reichstag wieder aufgegriffen und ein Vorschlag an die Städte ausgearbeitet.⁷⁷ Laut diesem immerhin von den beiden oberen Kurien gebilligten Vorschlag sollten die Städte zwei Personen mit einer Stimme in den Reichsrat entsenden »und ir session und stim nach den graven und hern haben«⁷⁸. Dort sollten sie »mit churfursten, fursten und andern stenden oder deren botschaften im reichsrathe also sitzend ratschlagen«⁷⁹. Auffällig ist, dass hier wieder die Trennung zwischen Kurfürsten und übrigen Ständen außer Acht gelassen wurde und alle zum Reichstag Versammelten dem Reichsrat zugeordnet wurden. Das Angebot wurde jedoch seitens der Städte bald nach dem Reichstag auf einem Städtetag abgelehnt.⁸⁰ Die dargestellten Überlegungen von 1524 sind sehr ungewöhnlich: Die Stände erwogen, das Reichstagsverfahren durch ihren Beschluss beziehungsweise durch einen Vergleich untereinander zu ändern oder zumindest zu regeln. Normalerweise gab es nur eine schleichende Verfahrensentwicklung mit stetigen Verweisen auf bisherige Präzedenzfälle.⁸1 Präzedenzfälle spielten zwar auch im Kampf der Städte um Session und Stimme eine Rolle. Angesichts der städtischen Forderungen wurde 1524 aber dann innerhalb der oberen Kurien recht offen diskutiert, wie das Verfahren entsprechend angepasst werden könnte und welche Nachteile dies nach sich zöge. Die Stände sahen sich in diesem Fall also in der Lage, über das angewandte Verfahren (oder zumindest einen Teil davon) frei durch einvernehmliche Einigung zu bestimmen. Die hohe (zumindest theoretische) Flexibilität in der Frage nach der Beteiligung der Städte ist mit der noch mangelnden Institutionalisierung der Kurien zu erklären. Den Ständen war bewusst, dass das Reichstagsverfahren in mancher Hinsicht ein Novum war. Dies zeigt sich schon darin, dass sie Berthold von Henneberg in diesem Zusammenhang namentlich erwähnten. Vor diesem Hintergrund sahen sie sich in der Lage, über die Form ihrer Beratungen nachzudenken. Dabei wurde die Trennung des Reichsrats in Kurfürstenrat und Rat der restlichen Stände unterschiedlich bewertet. Als die Städte ihre Forderungen auf einem Städtetag nochmals berieten, gingen auch sie von einer zeitweilig durch Auseinandertreten einzelner Standesgruppen geprägten Gesamtversammlung aus: Sollten auf zukünftigen Reichstagen »yn gantzer versamelung«, also in einer Gemeinen Versammlung aller Stände, etwas zur Beratung kommen und »Kff., Ff. und stende sich sondern«, womit separate Beratungen der oberen Kurien gemeint waren, sollten auch die Städte von den übrigen Ständen getrennt beraten. Wenn dann Kurfürsten, Fürsten und Stände »mit derselben beratschlagten sachen widder yn die reichsversamelung kemen«⁸2, sollten auch die 77 78 79 80

RTA JR 4, Nr. 48 (S. 333–334). Ebd., S. 334. Ebd. Isenmann, Reichsstadt und Reich an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit, S. 148–149; Schmidt, Städtetag in der Reichsverfassung, S. 273–274; ders., Städtetag und Reichsverfassung, S. 53–54; ders., Städte auf dem Reichstag, S. 37–38. 81 Zur Entwicklung von Verfahren: Kapitel 4. ab Seite 275. 82 RTA JR 5/6, Nr. 2 (S. 107–114), S. 108.

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Städte angehört und ihre eventuell abweichende Meinung berücksichtigt werden. Auch aus der Städtesicht war 1524 der Reichstag im Kern eine Versammlung aller Stände, deren Standesgruppen sich aber zu näheren privaten Verhandlungen »sondern«. Erst mit der sinkenden Bedeutung der Großen Ausschüsse und dem gleichzeitigen Bedeutungsgewinn der Beratungen in den einzelnen Kurien rückten diese stärker in das Bewusstsein der Reichstagsteilnehmer. Eine klare Benennung der Fürstenkurie als Fürstenrat gab es in den 1520er Jahren nicht. Noch 1530 notierte der Mainzer Kanzleimitarbeiter Tetleben »dey fursten geistlich und weltlich in oerem ratth«⁸3, wenn er den Fürstenrat meinte. Auch im Mainzer Protokoll von 1541 wurde die mittlere Kurie noch »die Stende ausserhalb der stett«⁸⁴ genannt. In den 1540er Jahren bürgerte sich der Begriff des Fürstenrats schließlich ein. Beispielsweise notierte Kursachsen 1541, dass »in der fusten [!] Rath«⁸⁵ keine Einigung erzielt werden konnte. Auch die Stände des Fürstenrats nutzten nun den Begriff. Salzburg schrieb 1542 in Speyer: »wie wir nun im furstenrhadt all nacheinander gehordt und verstanden«⁸⁶. Zum Nürnberger Reichstag 1542 wird ebenfalls vom Geschehen »im fürstenrath«⁸⁷ berichtet. Auch eine Unterscheidung von Fürstenrat und Reichsrat als Gemeiner Versammlung wurde bisweilen vorgenommen: Die salzburgische Gesandtschaftsinstruktion für den Reichstag 1542 in Speyer verwendete die Formulierung »den gemainen reichs- und der furstenrat besuechen«⁸⁸. Obwohl »furstenrat« hier bereits als ein Wort verwendet wurde, zeigt die grammatikalische Verwendung des Worts (»der furstenrat besuechen« im Sinne von »den Rat der Fürsten besuchen«), dass es weniger als Name denn als Beschreibung verwendet wurde. Die Benennung als Fürstenrat taucht in den Quellen aus den 1540er Jahren häufig auf, ist aber bei weitem nicht die einzige Form, mit der auf den Fürstenrat verwiesen wurde. Oft wurde dabei noch auf die Angewohnheit der 1520er zurückgegriffen, einfach alle Standesgruppen zu benennen, die die Kurie ausmachten. Folgerichtig wurde nicht von einer Fürstenratsmehrheit, sondern vom »mererthail im fursten-, graven- und prelatenrhadt«⁸⁹ berichtet. Häufig wurden Zusammenfassungen verwendet wie »den fursten und gemeynen stenden in iren rath zu geben«⁹⁰ oder einfach »Fursten und stenden ist angezeygt worden«⁹1. Auf die Unterscheidung von tatsächlich anwesenden Fürsten und Gesandten wurde ebenfalls viel Wert gelegt, weshalb der Fürstenrat auch als »die gemeinen stende, als fursten, prelaten, graven, herren und 83 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 100. 84 ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 7-2, fol. 3r. 85 Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), Nr. 140, fol. 371r. 86 RTA JR 12, Nr. 48 (S. 381–404), S. 388. 87 RTA JR 13, Nr. 61 (431–438), S. 434. 88 RTA JR 12, Nr. 14b (134–144), S. 135. 89 Bericht des Dinkelsmühler Bgm. Michael Mayer (1545), RTA JR 16, Nr. 340 (S. 1654–1657), S. 1655. 90 Kurbrandenburgisches Protokoll (Speyer 1542), RTA JR 12, Nr. 44 (S. 252–257), S. 255. 91 Protokoll der Mainzer Kanzlei (Nürnberg 1542), RTA JR 13, Nr. 55 (S. 298–394), S. 367.

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der abwesenden bottschaften«⁹2 umschrieben wurde. In der kursächsischen Instruktion von 1541 wurde von zwei Reichsräten ausgegangen. Kursachsen nannte dort den Fürstenrat »den vnderen oder gemainen des Reichs Rath«⁹3. Auffällig bleibt, dass der Fürstenrat häufig nur als Ort oder Versammlungsform, aber nicht als Adressat verstanden wird: Die Stände im Fürstenrat werden informiert, nicht der Fürstenrat selbst. Es gab Tendenzen, die Fürsten als die einzig tatsächlich relevante Ständegruppe der mittleren Kurie ausschließlich zu benennen und die übrigen dort vertretenen Stände stillschweigend ungenannt zu lassen. Laut Augsburger Berichtsprotokoll beschloss 1544 etwa der Kurfürstenrat, seine Beratungsergebnisse »den fursten und der abwesenden pottschaften antzuzaigen«⁹⁴. Die Prälaten und Grafen wurden bei dieser Formulierung nicht mehr berücksichtigt. Aus dieser Verkürzung entstand die Benennung »Fürstenrat«. Die Reduzierung auf die Fürsten war aber nicht die einzige Variante: Die mittlere Kurie wurde auch »Stendtradt«⁹⁵ genannt. Im Fürstenrat selbst sprach man aber auch einfach von »unserem rath«⁹⁶ oder »consilio nostro«⁹⁷. Langfristig setzte sich die Variante »Fürstenrat« jedoch durch. Dabei ist zu beobachten, dass der Fürstenrat im Verlauf der 1550er Jahre nicht mehr nur als ein Ort oder eine Versammlungsform betrachtet wurde, sondern auch als institutionalisiertes Gremium, das personifizierbar war. 1550/51 benannte man den Ort, an dem der Fürstenrat tagte, noch »der stendt deß fürstenraths stuben«⁹⁸. Die Stube war also die der Stände des Fürstenrats, nicht aber die Stube des Fürstenrats. 1555 wurden »fursten-, stende-, und stettegesandten« dagegen angewiesen, »in den beiden verordneten des furstenrats und der stet stuben«⁹⁹ zu erscheinen. Der Fürstenrat besaß 1555 selbst eine Stube. Entsprechend konnte er auch Handlungen vornehmen. Zasius notierte 1555: »In consilio electorum [sei] der furstenrath erschinen«1⁰⁰. Der Fürstenrat konnte nun also selbst an einem Ort erscheinen und seine Meinung kommunizieren. Der Begriff wurde personifiziert verwendet und umschrieb inzwischen nicht mehr nur die in der mittleren Kurie versammelten Stände. Der Fürstenrat handelte entsprechend der Beschlüsse der in ihm beteiligten Stände. Durch eine solche Formulierung war es möglich, inhaltlich zwischen einer abstrakten Meinung des Fürstenrats und der unmittelbaren Meinung einzelner Stände zu unterscheiden. 92 Würzburger Protokoll (Speyer 1542), RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 359. 93 Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), Nr. 136, 37r. 94 Protokoll des Kurfürstenrats (1550/51), RTA JR 15, Nr. 82 (S. 656–741), S. 661. 95 Votenprotokoll des Kurfürstenrats (1547/48) RTA JR 19, Nr. 82 (S. 261–724), S. 361. 96 Berichtsprotokoll des Gesandten der Wetterauer Grafen (Nürnberg 1542), RTA JR 13, Nr. 60 (S. 414–430), S. 419. 97 Protokoll von Dr. Johann Zasius (1555), RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1274. 98 Protokoll der Verhandlungen über die Endfassung des Abschieds, RTA JR 19, Nr. 304 (S. 1552–1578), S. 1571. 99 Protokoll des Kurfürstenrats, RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 649. 100 Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1476.

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Die angeführten Personifizierungen des Fürstenrats sind mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bewusst als solche formuliert worden. Sie sind eher als Ergebnis der subjektiven Wahrnehmung einzelner Reichstagsteilnehmer zu verstehen. Der Prozess der Verfahrensbildung und der Institutionalisierung war ein langsamer und erfolgte nicht in einzelnen, klar zu benennenden Schritten. Gerade dies schlug sich in den Notizen der Reichstagsteilnehmer nieder. Die vorgestellte Unterscheidung von Formulierungen, die die einzelnen Teilnehmer als Akteure nennen und jenen, die die Kurien personifizieren, musste dem Schreiber nicht bewusst sein. Sie verrät aber dennoch, wie das Verfahren des Reichstags wahrgenommen werden konnte. Selbst wenn auf den ersten Blick sowohl in den 1520er Jahren als auch in den 1550er Jahren die gleichen Ständegruppen jeweils einen eigenen Rat bildeten, hatte sich anscheinend in der Wahrnehmung der Teilnehmer im Laufe der Zeit etwas geändert. Beschrieb man zu Beginn der Herrschaft Karls V. die Kurien noch als Unterbrechung des eigentlichen Reichsrats, so waren sie bei seinem Rückzug aus der Politik feste Institutionen geworden. Institutionen waren sie, weil sie als wesentliche und dauerhafte Bestandteile des Reichstagsverfahrens aufgefasst wurden. Die Beratungen in den Kurien erfolgten somit nach dauerhaften, allgemein bekannten Regeln, über die man sich nicht hinwegsetzen konnte. Dies war in den 1520er Jahren noch nicht so eindeutig der Fall gewesen. Damals war die Beteiligung der nichtfürstlichen Stände noch kaum geregelt und ihre Rolle am Reichstag noch nicht allgemein anerkannt.

3.3 Ausschüsse Eine besondere Versammlungsform waren die Ausschüsse. Schon früh würdigte sie die historische Forschung als einen bedeutsamen Bestandteil des Reichstagsverfahrens. An dieser Stelle soll der Frage nachgegangen werden, wie Ausschüsse gebildet wurden und wie sie sich zusammensetzten. Außerdem soll ihre Rolle im Reichstagsverfahren neu bewertet werden. Zunächst gilt es jedoch, auf einige Unterschiede zwischen dem heutigen und dem frühneuzeitlichen Ausschussverständnis hinzuweisen.

3.3.1 Zum Ausschussbegriff Das Wort »Ausschuss« ist heute ein Fachbegriff und wird direkt mit Politik und Verwaltung assoziiert. Im 16. Jahrhundert wurde der Begriff jedoch noch allgemeiner im Sinne einer »Auswahl« oder »Absonderung« verstanden. Es wäre daher falsch, sich unter einem »Ausschuss der Stände« etwas Institutionelles vorzustellen, beispielsweise ein politisches Gremium. Im 16. Jahrhundert bedeutete der Begriff zunächst nur, dass von allen Ständen eine irgendwie bestimmte Gruppe abgetrennt wurde. Der Zweck, zu dem dies geschah, war durch den Ausschussbegriff noch nicht vorgegeben. Auch Delegationen konnten beispielsweise als Ausschüsse

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bezeichnet werden und wurden daher oft nach den gleichen Grundsätzen gebildet. Viele in den Reichstagsprotokollen verzeichnete Ausschüsse sind tatsächlich Delegationen des Fürstenrats zur Kommunikation der Ratsbedenken mit dem Kurfürstenrat1⁰1 oder der oberen Kurien mit den Reichsstädten,1⁰2 die man heute nicht als Ausschüsse bezeichnen würde. Gerade in der scheinbaren Vertrautheit des Ausschussbegriffs liegt deshalb die Gefahr der Fehlinterpretation. Im Folgenden soll es darum gehen, das Ausschussverständnis des 16. Jahrhunderts und die damit verbundene Terminologie zu beleuchten. Zunächst wird dabei ein Blick auf die beiden wichtigen Funktionen geworfen, welche die Ausschüsse erfüllten, anschließend wird die Benennung verschiedener Ausschusstypen durch Historiker und Reichstagsteilnehmer gegenübergestellt. Ausgehend von der Wortbedeutung lässt sich hinsichtlich der Funktion von Ausschüssen festhalten, dass jeder Ausschuss eine Verkleinerung eines Personenkreises darstellte. Im Fall der Großen Ausschüsse und der kurienübergreifenden Ausschüsse erfolgte diese Verkleinerung auch in Kombination mit einer Zusammenführung eigentlich getrennt beratender Beteiligter. Sowohl die Verkleinerung des Personenkreises als auch die Zusammenführung eigentlich getrennter Personengruppen unterschieden die Ausschüsse von den übrigen Reichstagsverhandlungen. Zur Verkleinerung: Ausschüsse stellten im Normalfall eine Teilmenge des größeren Beratungsgremiums dar, aus dem sie gebildet wurden. Dabei wurden die Ausschüsse – mit Ausnahme der Fachausschüsse – immer nach einem bestimmten Abbildungsprinzip gebildet: Die Ausschussmitglieder wurden nicht allein nach ihrer speziellen Tauglichkeit oder politischen Relevanz gewählt. Stattdessen war von Bedeutung, dass man bei der ständischen Zusammensetzung des entstehenden Ausschusses die Zusammensetzung der Gruppe beibehielt, die den Ausschuss einsetzte. Das bedeutete, dass gewöhnlich von jeder in der ursprünglichen Gruppe vertretenen Ständekategorie auch mindestens eine Person im Ausschuss sein sollte. Selbst wenn von einer bestimmten Ständekategorie nur eine Person in der Versammlung war, die den Ausschuss bildete, war es üblich, diese eine Person auch in den Ausschuss zu schicken. Der Grundgedanke dieses Prinzips erklärt sich aus dem vormodernen Repräsentationsverständnis, demzufolge eine Körperschaft oder Gesamtheit durch Personen aus derselben repräsentiert wird, ohne dass es dazu unbedingt einer weiteren Bevollmächtigung bedarf.1⁰3 Teilnehmende Angehörige einer Gruppe standen somit für die ganze Gruppe. Dies hatte zur Folge, dass in den Großen Ausschüssen, bei denen aus Dutzenden von Ständen schließlich bis zu zwei Dutzend in den Ausschuss gewählt wurden, stets auch Stände waren, 101 Beispiele hierfür: RTA JR 13, Nr. 55 (S. 298–394), S. 339; RTA JR 17, Nr. 52 (S. 275–308), S. 280, 381; RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 409; RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1314. 102 RTA JR 12, Nr. 44 (S. 252–257), S. 257. 103 Gesamtheit, lateinisch universitas, war ein (Rechts-)Begriff, der eine Gruppe von Personen bezeichnen konnte, etwa die Bürgerschaft einer Stadt. Zu diesem Repräsentationsverständnis: Hofmann, Der spätmittelalterliche Rechtsbegriff der Repräsentation in Reich und Kirche, S. 21–28; siehe auch: Stollberg-Rilinger, Symbolik der Reichstage, S. 84–85.

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die zu den politisch unbedeutenderen ständischen Gruppen der Grafen, Prälaten und Städte gehörten. Die Zusammenstellung von Ausschüssen folgte also dem Prinzip der Unterteilung der Stände in Kategorien. Aufgrund des vorherrschenden Repräsentationsverständnisses musste jede dieser Kategorien in dem zu bildenden Ausschuss abgebildet sein. Das Verfahren der Ausschusswahlen wird in den Quellen nur selten erwähnt. Man ging dabei anscheinend so vor, dass zunächst die Anzahl der Personen aus den einzelnen Kategorien für den zu bildenden Ausschuss festgelegt wurde. Anschließend teilten sich die anwesenden Stände entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu den verwendeten Kategorien auf und wählten jeweils unter sich die Personen für den Ausschuss aus. Jede einzelne Ständegruppe bildete somit zunächst einen eigenen Ausschuss. Als zusammengehörende Ständegruppen wurden bei der Bildung der Großen Ausschüsse die Kurfürsten, die geistlichen Fürsten, die weltlichen Fürsten, die Reichsprälaten, die Grafen (einschließlich der Herren) und die Städte betrachtet. Zusätzlich zu diesen Ständevertretern waren vor allem in den 1520er Jahren vereinzelt auch weitere Räte in den Ausschüssen vertreten, die zum Reichsregiment oder zum Kaiser gehörten. Dieses Abbildungskonzept wurde jedoch nicht für alle Ausschüsse angewandt. Je konkreter die fachliche Ausrichtung und je bestimmter die Aufgabe eines Ausschusses war, desto wahrscheinlicher war es, dass sachverständige Personen ohne Berücksichtigung der Ständehierarchie ausgewählt wurden. Diese Fachausschüsse hatten gewöhnlich die Aufgabe, entweder eine Übersicht früherer Beratungsergebnisse und Beschlüsse zu einem Thema zu verfassen oder ein Fachgutachten für eine spezielle Materie zu erstellen.1⁰⁴ Delegationen zur reichstagsinternen Kommunikation folgten ebenfalls oft nicht dem Abbildungsprinzip: So bestand die Delegation des Fürstenrats an die Kurfürsten gewöhnlich nur aus zwei Ständen.1⁰⁵ Zur Zusammenführung: Die Großen Ausschüsse und auch spätere Ausschüsse ignorierten das ansonsten eingehaltene Trennungsprinzip. In ihnen waren sowohl die Kurfürsten als auch gewöhnliche Stände und sogar die Städte vertreten. Gerade die Kurfürsten legten bei sonstigen Beratungsformen und selbstverständlich auch im zeremoniellen Umgang großen Wert darauf, den aus ihrer Sicht enormen Rangunterschied zwischen ihnen und den übrigen Ständen deutlich darzustellen.1⁰⁶ Aber auch die Integration der Städte war eine Besonderheit, da deren Reichsstandschaft und verfahrenstechnische Einbindung in den Reichstag unter Karl V. stark angezweifelt wurden.1⁰⁷ Ausschüsse waren deshalb für die Städte die einzige Möglichkeit, tatsächlich an den Verhandlungen beteiligt zu werden.

104 Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 131–133. 105 Als Beispiel soll hier der Austausch der Kurien am 2. Mai 1555 genügen, wo Österreich und Bayern für den Fürstenrat sprachen: RTA JR 20, RTA 1555, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1400. Zur Kommunikation der Kurien untereinander: Kapitel 3.5 ab S. 238. 106 Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 125–131; Ott, Präzedenz, S. 515; Gotthard, Säulen des Reiches, S. 205–208. 107 Schmidt, Städtetag in der Reichsverfassung, S. 246–289.

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Das Ausschusswesen der Reichstage, vor allem das der 1520er Jahre, scheint aus heutiger Sicht bei oberflächlicher Betrachtung wegen dieser genannten Eigenschaften geradezu modern und effizient: Durch die fest definierte Anzahl von Ausschussmitgliedern ließen sich Ergebnisse leicht mittels eines auf Mehrheit basierenden Abstimmverfahrens erzielen.1⁰⁸ Die Beteiligung aller Ständegruppen scheint eine Form von Repräsentation darzustellen. Da die Gutachten der Ausschüsse selten abgelehnt wurden,1⁰⁹ scheinen Ausschüsse auch die zeitsparende Alternative zum trägen Kurienverfahren gewesen zu sein. Dies erklärt die Faszination der Reichstagshistoriker für die Ausschüsse: Gerhard Oestreich sah in ihnen die verpasste Chance zur frühzeitigen Entwicklung moderner Staatlichkeit.11⁰ Es wurden Überlegungen angestellt, nach denen die Ausformung des Ausschusswesens unter Karl V. eine zeitlich begrenzte Sonderentwicklung der Reichstage war, die aber im Zusammenhang mit Karls Bundesplänen in einem Prozess der Rekurialisierung endete.111 Diese Annahme impliziert freilich, dass bereits vor der Etablierung der Ausschüsse ein Kuriensystem bestand, zu dem zurückgekehrt werden konnte.112 Das unklare Verhältnis der Ausschüsse zu den drei Reichstagskurien führte in der Forschung zu terminologischen Schwierigkeiten. Helmut Neuhaus weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass die Auswahl der Mitglieder der Großen Ausschüsse nicht durch die einzelnen Kurien, sondern durch die darin vertretenen Ständegruppen erfolgte.113 Der von Neuhaus als Alternative für das von Oestreich vorgeschlagene Wort »interkurial«11⁴ verwendete Begriff »interständisch«11⁵ ist aber mindestens ebenso problematisch, denn er unterscheidet überhaupt nicht zwischen den Kurien. Somit wäre, folgte man der Argumentation von Neuhaus, auch ein gewöhnlicher Fürstenratsausschuss als interständisch zu bezeichnen, weil er aus den dort zusammenkommenden Ständegruppen gebildet wurde. Die von Oestreich mit seinem Begriff intendierte Hervorhebung des kurienübergreifenden Aspekts wird so nicht beachtet: Wichtig für Oestreich war gerade der Umstand, dass »interkuriale« Ausschüsse Personen aus mehreren Kurien zusammenbrachten. Der Begriff »interkurial« ist somit zur Kennzeichnung solcher, die Trennung überwindender Versammlungen zweckmäßig.11⁶ In der vorliegenden Arbeit wird aber stattdessen der auch in den neueren Editionen der Reichstagsaktenreihe ge108 109 110 111 112 113 114 115 116

Schlaich, Mehrheitsabstimmung, S. 307–308. Heil, Der Reichstag des 16. Jahrhunderts als politisches Kommunikationszentrum, S. 258. Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise, S. 242–243. Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 125–131. Zur Ausgestaltung des Kuriensystems: Kapitel 3.2 ab S. 170. Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 118. Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise, S. 230. Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 118. Die Begriffskritik von Neuhaus wurde wenig rezipiert. Zuletzt sprach sich Mühlhofer für die Verwendung von »interständisch« aus: Mühlhofer, Die Reichstage unter Karl V., S. 111.

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nutzte Begriff »kurienübergreifend« verwendet. Er betont eben den von Oestreich intendierten Aspekt, berücksichtigt jedoch auch die Kritik von Neuhaus an der Missverständlichkeit des Begriffs »interkurial«. Wie angedeutet, lassen sich unter den Ausschüssen mehrere Typen unterscheiden: Zunächst ist die bereits diskutierte Teilung in »kurienübergreifende« Ausschüsse und kurieninterne, »innerkuriale« Ausschüsse zu nennen. In dieser Arbeit bezeichnet der Begriff »kurienübergreifend« alle Ausschüsse, die Stände oder Personen vereinten, die nach dem Kuriensystem unterschiedlichen Kurien zugeordnet worden wären. »Innerkuriale« Ausschüsse dagegen sind solche Ausschüsse, die nur von Ständen einer einzelnen Kurie beschickt wurden. In den Reichstagsakten der Jahre 1521 bis 1555 ist die Terminologie für Ausschüsse noch kaum ausgebildet. Gewöhnlich wird allgemein das Wort »Ausschuss« verwendet und situationsabhängig – aber nicht systematisch – ein beschreibendes Adjektiv hinzugefügt. Trotz der kaum entfalteten Terminologie ist ein Quellenbegriff von der Forschung übernommen worden: der Große Ausschuss.11⁷ Gemeint ist zunächst ein Ausschuss aller drei Kurien oder, wie man es zutreffender interpretieren kann, aller versammelten Stände.11⁸ Nach dieser Auslegung wäre der Große Ausschuss ein Produkt der Gemeinen Versammlung, des Plenums. Es bleibt aber zu betonen, dass der Begriff »Großer Ausschuss« in den Quellen nicht durchgehend verwendet wird. Vielmehr war es zu Beginn der Regierung Karls V. so üblich, Große Ausschüsse einzuberufen, dass die Zuschreibung »Groß« lediglich der Abgrenzung von anderen Ausschüssen diente. Die Einrichtung eines kurienübergreifenden Ausschusses mit umfassender Beratungskompetenz auf Karls V. erstem Reichstag 1521 wurde mit den Worten beschrieben, es solle »ein ausschucz geordnet werden«11⁹. Als der Große Ausschuss in Erwägung zog, einen Fachausschuss für die Reichskammergerichtsordnung einzurichten, wurde dieser als »ein usschuez […] von den gelerten«12⁰ bezeichnet. In der Zusammenarbeit dieser Ausschüsse wurde dann aber »der kleine ausschucz« von »dem grossen ausschucz«121 unterschieden. Die beiden Begriffe sind hier anscheinend nicht als feste Benennungen, sondern nur als Beschreibungen zu verstehen. Die Differenzierung erfolgte nicht aus verfahrenstechnischer Terminologie, sondern einfach aus dem Bedürfnis heraus, die jeweiligen Ausschüsse in

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Entsprechend nutzt Mühlhofer den Begriff auch in seiner Dissertation: Mühlhofer, Politik der fränkischen Reichsstände, S. 36. Vor allem Oestreich verwendet den Begriff generell für kurienübergreifende Ausschüsse: Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise, S. 230–243. Der Begriff wurde auch außerhalb des Reichstags genutzt: Bei landständischen Versammlungen wurden ebenfalls Ausschüsse gebildet und als »großer« oder »kleiner« Ausschuss bezeichnet: Greindl, Untersuchungen zur bayerischen Ständeversammlung im 16. Jahrhundert, S. 37–73. Aufzeichnungen des bischöflich straßburgischen Kanzlers Dr. Eitelhans Rechburger, RTA JR 2, Nr. 9 (S. 157–168), S. 160. Ebd., S. 161. Ebd., S. 167.

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den angefertigten Notizen zu unterscheiden. 1522 beschrieb Planitz den Großen Ausschuss als »auschuß der stende«122. In seinem Brief ging er überhaupt nicht auf den Beschluss zur Schaffung eines Ausschusses ein, sondern nannte einfach die zu diesem verordneten Stände. Die Einrichtung eines Ausschusses stand für ihn offensichtlich außer Frage. 1523 befahl das Reichsregiment den Ständen, »einen ausschuss wie von alter her«123 zu erwägen. 1524 wurde der Große Ausschuss ebenfalls nur als »ein auschuss«12⁴ bezeichnet. Als 1526 die Kurfürsten nur widerwillig einen Großen Ausschuss einrichten wollten und dessen Kompetenzen klarer definiert werden sollten, wurde der einzurichtende Ausschuss wieder lediglich »usschutz«12⁵ genannt und auch der Große Ausschuss selbst nannte sich nur »ußschuß«12⁶ der Kurfürsten, Fürsten und anderer Stände. Im Vertrag zwischen Mainz und Sachsen über die Umfrage am Reichstag wurde auch die Umfrage in Ausschüssen geregelt. Hierzu hieß es, die getroffene Vereinbarung gelte in jedem kurienübergreifenden Ausschuss, »er sei groß oder klein«12⁷. Einen weiteren Hinweis auf die Verfestigung des Begriffs »Großer Ausschuss« geben die Aufzeichnungen Tetlebens. Dieser legte 1529 anscheinend großen Wert auf diesen Terminus, wenn er in einem ansonsten komplett lateinischen Satz den deutschen Begriff einfügt: »[…] mane convenerunt domini deputati des großen uschoes, qui […]«12⁸. Es ist generell auffällig, dass Tetleben in seinen Reichstagsaufzeichnungen bei der Benennung der Ausschüsse gerne ins Deutsche wechselt. Der Ausschussbegriff scheint also eine eigenständige Bedeutung gewonnen zu haben, die im Lateinischen abzubilden Tetleben sich nicht zutraute. Eine gewisse Sensibilität in Hinblick auf den Ausschussbegriff generell zeigte sich auch schon 1526 im Ansinnen der Kurfürsten, die Städte zu keinem Ausschuss zuzulassen. Im Ringen um Alternativen schlugen sie hinsichtlich einer Ausschussbildung vor, man solle »dasselbig nit ein ausschuss nennen, sonder sollten allein verordente person sein«12⁹. 1530, als die thematische Einschränkung der Großen Ausschüsse begann, meinte Tetleben mit »der grosse usschoes«13⁰ den Ausschuss der oberen Kurien, der die Verhandlungen mit den Lutheranern führte. Auch zu den Gravamina131, der Türkenhilfe132 und der Glaubenssache133 erwähnte Tetleben den Großen Ausschuss. Insgesamt 122 Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 113 (S. 248–250), S. 248. 123 Hamann von Holzhausen an Frankfurt (Brief vom 20.11.1522), RTA JR 3, Nr. 181 (S. 847–848), S. 847. 124 Aufzeichnungen des Dr. Simon Ribeisen, RTA JR 4, Nr. 25 (S. 104–176), S. 156. 125 Kurpfälzer Beratungsaufzeichnung, RTA JR 5/6, Nr. 144 (S. 564–565), S. 564. 126 Bedenken des Großen Ausschusses (7.8.1526), ebd., Nr. 145 (S. 565–568), S. 566. 127 RTA JR 7, Nr. 166 (S. 1344-1345), S. 1345. 128 Ebd., S. 722. 129 Balthasar von Weitolshausen an Lgf. Philipp von Hessen (Brief vom 8.7.1526), RTA JR 5/6, Nr. 208 (S. 842–845), S. 843. 130 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 110. 131 Ebd., S. 121. 132 Ebd., S. 180. 133 Ebd., S. 183, 192.

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bleibt seine Benennung der vielen einzelnen Ausschüsse von 1530 sehr ungenau. Als er 1532 wieder Aufzeichnungen anfertigte, griff Tetleben nicht auf den Begriff des Großen Ausschusses zurück, als er notierte, der Kaiser habe die Stände gebeten, »eynen uschoeß zu maghen«13⁴. Zur Abgrenzung des Supplikationsrats vom Großen Ausschuss nutzte Tetleben dann aber wieder die Bezeichnung »eynen kleynen uschoes zu den supplicationen«13⁵. Der Begriff »Großer Ausschuss« wurde aber noch in den frühen 1540er Jahren verwendet: 1542 notierte die würzburgische Gesandtschaft, man nenne den kurienübergreifenden Ausschuss den Großen Ausschuss.13⁶ Auch 1544 benutzte sie diesen Begriff.13⁷ Generell scheint die Bezeichnung im Laufe der 1540er Jahre aber außer Gebrauch gekommen zu sein. Selbst als auf dem Reichstag 1547/48 die Kurfürsten gegen einen kurienübergreifenden Ausschuss argumentierten, legten sie keinen Wert darauf, genau zwischen einzelnen Ausschusstypen zu differenzieren. Beispielsweise konstatierte Trier: »Zudem komen di stett auch in die ausschuß«13⁸. Ausschüsse waren aus Sicht der Stände anscheinend in erster Linie kurienübergreifende Versammlungen, also Ausschüsse der gesamten Reichsversammlung. Dies wird darin deutlich, dass innerkuriale Ausschüsse in den 1540er Jahren als solche besonders gekennzeichnet wurden. So sprach Mainz in derselben Diskussion von »ir, der stendt, ausschuss«13⁹, um einen Fürstenratsausschuss zu benennen. Als der Fürstenrat 1555 bei den Kurfürsten für einen kurienübergreifenden Ausschuss warb, bedurfte er aber einer Formulierung, um sich begrifflich klar von den innerkurialen Ausschüssen abzugrenzen. Der österreichische Rat Zasius berichtete: »Wiewol nun der furstenrath hart daruf getrungen, daß solcher punct in allwege auch in gemainen ausschuß aller stend solte berathschlagt werden[…]«1⁴⁰. Der Begriff »Großer Ausschuss« scheint vergessen worden zu sein. Zasius umschrieb stattdessen den kurienübergreifenden Ausschuss als Gemeinen Ausschuss aller Stände, in Anlehnung an die Gemeine Versammlung, das Plenum des Reichstags. Auch im Ausführlichen Bericht wird kein spezieller Begriff für den kurienübergreifenden Ausschuss verwendet.1⁴1 »Großer Ausschuss« ist also ein Begriff, der in den Quellen zwar vereinzelt, aber nicht häufig auftaucht. Wenn man ihn gebrauchte, dann für einen kurienübergreifenden Ausschuss aller Stände. Er ist somit abzugrenzen vom Kleinen Ausschuss, der zwar auch aus Personen aller Ständegruppen bestehen konnte, aber als Unterausschuss vom Großen Ausschuss eingerichtet wurde. Auch der Begriff »Kleiner Ausschuss« wurde in den 1540er Jahren schließlich nicht mehr verwendet. 134 RTA JR 10, Nr. 32 (S. 303–360), S. 308. 135 Ebd., Nr. 32 (S. 303–360), S. 310. 136 »vorgemelt außschus (so man den grossen außschuss nennt)«: RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 366. 137 RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 786. 138 Kurfürstenratsprotokoll (1547/48) RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 397. 139 Ebd., S. 408. 140 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1281. 141 Rauch, Traktat, S. 68–78.

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1542 griff Sachsen im Kurfürstenrat in Nürnberg noch die Möglichkeit auf, »das ein cleiner ausschuß gemacht werde«1⁴2. Tatsächlich waren aber alle in den 1540er Jahren eingesetzten kurienübergreifenden Ausschüsse zweckgebunden. Wollte man sie voneinander abgrenzen, genügte es, sie nach der ihnen zugewiesenen Verhandlungsmaterie zu benennen. In gewisser Weise repräsentiert damit das Begriffspaar Großer und Kleiner Ausschuss das Ausschusswesen der 1520er Jahre, das durch Plenumsausschüsse dominiert wurde. Das wesentliche Merkmal der Großen Ausschüsse der Reichstage vor 1530 war, dass sie üblicherweise nicht für einen bestimmten Zweck, sondern generell für die Beratung der Proposition zusammengestellt wurden. Sie hatten somit die umfassende Aufgabe, sich mit allen Themen des Reichstags zu befassen. Zu diesem Zweck griffen die Großen Ausschüsse dann auch auf die Einrichtung von speziellen Unterausschüssen zu bestimmten Themen zurück. Die Ausschüsse ab 1530 waren jedoch in ihrer Kompetenz eingeschränkt und wurden nur noch angewiesen, bestimmte definierte Themen zu erörtern.1⁴3 Zusammenfassend kann hier festgehalten werden, dass es zur Zeit Karls V. keine klaren Begriffe für verschiedene Ausschusstypen und auch noch keine Einengung des Ausschussbegriffs auf seine heutige Bedeutung gab. Die Bildung eines Ausschusses war ein äußerst flexibles Verfahrensmittel, das leicht den speziellen Gegebenheiten eines Reichstags angepasst werden konnte. Die Großen Ausschüsse der 1520er Jahre befassten sich mit allen Materien des Reichstags und tagten entsprechend lange. Auf der anderen Seite gab es auch eine Vielzahl von Ausschüssen, die nur für eine spezielle Aufgabe gebildet wurden und deshalb äußerst kurzlebig waren.1⁴⁴ Vor allem durch den Beitrag Oestreichs ist der Begriff »Großer Ausschuss« auch zu einem Forschungsbegriff geworden, den es von seiner historischen Verwendung abzugrenzen gilt. Wenn er in der vorliegenden Arbeit verwendet wird, ist ein kurienübergreifender Ausschuss gemeint, der zumindest mit bedeutsamen Verhandlungsgegenständen betraut wurde.

3.3.2 Zusammensetzung der Ausschüsse Oestreich hat zurecht darauf hingewiesen, dass Ausschüsse keinem regelmäßigen Verfahren unterlagen. Weder Anzahl noch Zusammensetzung der Ausschüsse waren jemals gleich.1⁴⁵ Dennoch impliziert der Text des Ausführlichen Berichts, 142 RTA JR 13, Nr. 55 (S. 298–394), S. 334. 143 Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 123–124. 144 Beispielsweise konnte der Kurfürstenrat einen Ausschuss bilden, um Petenten anzuhören, ohne dass der Kurfürstenrat dafür seine eigentlichen Beratungen unterbrechen musste. 1547 wurde so bei Gesandten verfahren, deren Anliegen man nicht kannte. Trier votierte damals: »Achten, den gesandten seie nit abzuschlagen, sie zu hören. Damit andere sachen gefurdert, mocht solchs durch verordente rethe gescheen«: RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 400. 145 Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise, S. 219, 232.

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es habe sich bis zur völligen Ablehnung der Ausschüsse durch die Kurfürsten ein Verfahren entwickelt, das die Zusammensetzung der Großen Ausschüsse regelte. In der dort aufgeführten Argumentation, warum die Kurfürsten solche Ausschüsse nicht mehr bewilligten, heißt es: »Zum andern, das auch sie, die Churfürsten, in denselben Ausschussen gemeinlich uberstimmet werden, dann irer nit mehr als 6, dern Vota erstlich gehört, der andern Nachvotierenden aber aus beyden Räthen 8 seyen: als nemblich von Fürsten 2, einer von der Geistlichen, der ander von der Weltlichen Banck, von Praelaten 2, von Graven und Herrn 2, deßgleichen von Stätten 2, von jeder Banck einer. Daraus leichtlich erfolgen kan, das obberürte 6 Churfl. Räth von den andern 8 durch ein Mehrers überstimmet und also der Churfürsten Vota, Meinungen und Autoritet dadurch zuruckgesetzt werden. Und deswegen haben die Churfürsten solche Deputationes und Ausschuß alweg so vil müglich vermitten, hergegen aber die andern stend mermals daruff getrungen.«1⁴⁶ Hat eine solche Festlegung auf das Kräfteverhältnis im Ausschuss tatsächlich stattgefunden? Zur Klärung dieser Frage soll hier die Zusammensetzung der kurienübergreifenden Ausschüsse unter Karl V. verglichen werden. 1521 bestand der Große Ausschuss aus den sechs Kurfürsten, vier geistlichen Fürsten, vier weltlichen Fürsten, einem Gesandten der Prälaten, zwei Grafen und zwei Städtegesandten. Wegen der vielen persönlich anwesenden Stände wurde eine eigene Regelung getroffen, um die Anzahl der mit in den Ausschuss zu nehmenden Räte zu begrenzen.1⁴⁷ Jeder Kurfürst sollte sich auf zwei, die Fürsten auf einen Rat beschränken.1⁴⁸ Wegen der Begrenzung der Räte konnten im Großen Ausschuss von 1521 somit bis zu 39 Personen zusammenkommen, darunter zwölf kurfürstlichen Räte und acht fürstliche Räte neben ihren persönlich anwesenden Herren. Insgesamt gab es also 19 Stimmen. Die geistlichen und weltlichen Fürsten waren viermal so stark vertreten wie im Ausführlichen Bericht beschrieben. Im Kleinen Ausschuss zur Reichskammergerichtsordnung wurde die Anzahl der Nichtkurfürsten reduziert: Neben den sechs Kurfürsten waren hier nur zwei geistliche und zwei weltliche Fürsten, der Prälatengesandte, ein Graf und ein reichsstädtischer Gesandter vertreten.1⁴⁹ Auch in diesem Ausschuss waren die Fürsten noch doppelt so zahlreich wie im Ausführlichen Bericht beschrieben. Auf dem ersten Nürnberger Reichstag 1522 gehörten zum Großen Ausschuss vom 27. März auch vier Personen, die wegen ihrer Zugehörigkeit zum Reichsregiment ausgewählt worden waren. Insgesamt wurde der Ausschuss gebildet aus den drei Gesandten der Kurfürsten von Mainz, Pfalz und Brandenburg, vier Fürsten und vier Regimentspersonen, von denen zwei Fürsten und zwei Räte waren.1⁵⁰ Im Herbst desselben Jahres richtete der zweite Nürnberger Reichstag wieder einen

146 Rauch, Traktat, S. 70. 147 RTA JR 2, Nr. 9 (S. 157–168), S. 161. 148 Hierzu auch: Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise, S. 234–235; Wohlfeil, Der Wormser Reichstag von 1521, S. 80–81. 149 RTA JR 2, Nr. 9 (S. 157–168), S. 162–163. 150 Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 56 (S. 126–130), S. 128; RTA JR 3, Nr. 3 (S. 42–46), S. 43–44.

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Großen Ausschuss ein. Diesmal wurden neben den Kurfürsten wieder vier geistliche und vier weltliche Fürsten, der Gesandte der Prälaten und ein Nürnberger Rat zum Ausschuss geordnet. Von den Fürsten ließ sich Georg von Sachsen aber ausdrücklich durch zwei Räte vertreten.1⁵1 Mit acht beteiligten Fürsten ähnelte diese Zusammensetzung der von 1521. In den zahlreichen Unterausschüssen waren die Kurfürsten zum Teil überhaupt nicht vertreten. Auffällig ist aber die rege Beteiligung des Regiments, wobei die Anzahl der Regimentspersonen in den Ausschüssen anscheinend wenig diskutiert wurde, was Formulierungen nahelegen wie »zwene oder einer aus dem regiment«1⁵2 beim Ausschuss zu Münzwesen und Monopolfragen oder »auch etlich aus dem regiment und chamergericht«1⁵3 im Ausschuss zur Erörterung des Vorgehens der Stände in der Sickingenfehde. Die geringe Bedeutung der Räteanzahl lässt vermuten, dass die Arbeit der Ausschüsse noch nicht durch zahlenmäßiges Überstimmen im Sinne moderner Verfahren geprägt war, wie es die anfangs zitierte Formulierung im Ausführlichen Bericht nahelegt. Der am 26. März 1524 eingerichtete Große Ausschuss umfasste neben den drei kurfürstlichen Räten von Mainz, Köln und Trier sechs fürstliche Räte, einen Prälaten, einen Grafen und zwei Vertreter der Städte. Auffallend ist, dass bei der Auflistung der fürstlichen Räte diese nicht nach Bänken eingeteilt, sondern sie abwechselnd in der Reihenfolge ihrer Stimmabgabe notiert wurden.1⁵⁴ Auch war die Beteiligung der Kurfürsten in gesamtständischen Unterausschüssen ebenfalls gering: Die Supplikation der Geistlichen der salzburgischen Kirchenprovinz gegen die Besteuerung durch Ferdinand1⁵⁵ wurde als »ein sach, so das reich und gemeine steend und nit allein die geistlichen betrifft«1⁵⁶ angesehen und dazu ein Ausschuss einberufen, in dem neben vier fürstlichen Räten von den Kurfürsten allein Kurköln vertreten war.1⁵⁷ 1526 gab es zunächst enorme Schwierigkeiten, überhaupt einen Großen Ausschuss zu bilden.1⁵⁸ Von den Kurfürsten wurden zu diesem schon thematisch gebundenen Ausschuss wieder sechs Räte beordert.1⁵⁹ Der Fürstenrat stellte je fünf Delegierte seitens der geistlichen und der weltlichen Bank, dazu jeweils einen Delegierten von den Grafen und den Prälaten.1⁶⁰ Die Städte waren mit Straßburg und Nürnberg beteiligt.1⁶1 Damit waren in einem Ausschuss von 20 (oder eventuell 151 152 153 154 155 156 157 158 159 160 161

Wülcker/Virck, Planitz, Nr. 113 (S. 248–250), S. 248. Mainzer Aufzeichnung über die Verhandlungen, RTA JR 3, Nr. 51 (S. 281–311), S. 290. Ebd., S. 291. RTA JR 4, Nr. 25 (S. 104–176), S. 156, Anm. 2. Ebd., Nr. 134 (S. 563–565). Aufzeichnungen des Dr. Simon Ribeisen, ebd., Nr. 25 (S. 104–176), S. 159. Ebd., S. 159–160. Zum Reichstag von 1526: Kapitel 1.2.5 ab S. 51. Friedensburg, Reichstag zu Speier 1526, S. 334. RTA JR 5/6, Nr. 121 (S. 499–504), S. 502–503. Kluckhohn, Der Reichstag zu Speier im Jahre 1526, S. 209; Friedensburg, Reichstag zu Speier 1526, S. 334–335.

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auch 211⁶2) Personen allein zehn Fürsten oder fürstliche Räte. Ungewöhnlich war die Zusammensetzung des Großen Ausschusses von 1529: Neben den Kurfürsten beziehungsweise deren Räten befanden sich sieben Fürsten entweder persönlich oder mit Räten im Ausschuss: vier geistliche und drei weltliche. Dazu kamen ein Vertreter der Prälaten und zwei Grafen, so dass hierdurch zumindest das Verhältnis der Geistlichen zu den Weltlichen ausgeglichen war. Von den Städten kamen wieder Straßburg und Nürnberg in den Ausschuss.1⁶3 Der Große Ausschuss zählte 1529 also 18 Delegierte, wobei die nicht persönlich teilnehmenden Kurfürsten zwei Räte in den Ausschuss sandten, von denen jeweils einer den Sitz für den Kurfürsten einnahm. Dagegen war Brandenburg bei der Bildung des Ausschusses anscheinend noch nicht in Speyer vertreten, weshalb sich zunächst nur fünf Kurfürsten persönlich oder durch Räte im Ausschuss befanden. Um die erhoffte Beilegung des Religionsgegensatzes zu erzielen, wurde das Ausschusssystem 1530 vielfältig in Anspruch genommen. Es gab daher mehrere Ausschussprojekte: Der bald nach Reichstagseröffnung im Fürstenrat eingerichtete Ausschuss zur Religionsfrage wurde von den Kurfürsten wegen seines Beratungsgegenstandes missbilligt. Er blieb daher ein Fürstenratsausschuss, dessen zwölf Mitglieder entweder Fürsten oder fürstliche Gesandte waren.1⁶⁴ Ein kurienübergreifender Ausschuss der oberen Kurien zur Erörterung der Gravamina der weltlichen Stände gegen die geistlichen vom 11. Juli umfasste neben Räten der fünf nicht lutherischen Kurfürsten anscheinend zwei Räte von jeder Fürstenbank.1⁶⁵ Im Ausschuss zur Verhandlung mit den Lutheranern vom 6. August befanden sich wieder neben den Kurfürsten beziehungsweise deren Gesandten drei geistliche und drei weltliche Fürstenstände. Als Besonderheit kam noch der österreichische Rat Georg Truchsess hinzu. Die Prälaten waren diesmal wieder durch den Abt von Weingarten vertreten und ein Graf nahm ebenfalls teil.1⁶⁶ Laut dem Kurmainzer Protokoll umfasste der Ausschuss zusätzlich zu den genannten Fürsten noch die Räte des Bischofs von Regensburg, des Markgrafen von Baden und des Herzogs von Jülich.1⁶⁷ Obwohl Österreich in der Auflistung von den Fürsten abgesondert hinter den Kurfürsten genannt wird, kann man davon ausgehen, dass die Überzahl an Räten von der weltlichen Bank mit der Zuordnung Österreichs zur geistlichen Bank erklärt werden kann und so die Symmetrie der Bänke im Ausschuss bewahrt wurde. Der Ausschuss zur Religion vom 14. August stellte schon wegen seiner paritätischen Zusammensetzung und seiner Aufgabe, einen Ausgleich zwischen zwei Parteien zu erzielen, eine Besonderheit dar.1⁶⁸ Er bestand aus jeweils sieben 162 Laut Friedensburg waren zwei Grafendelegierte im Ausschuss: Friedensburg, Reichstag zu Speier 1526, S. 334. 163 RTA JR 7, S. 565–566. 164 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 72. 165 Tetleben notiert zusätzlich noch Bamberg zu den weltlichen (!) Fürsten: Ebd., S. 85. 166 Ebd., S. 103. 167 ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 5-1, fol. 142r. 168 Zur Etablierung paritätischer Ausschüsse: Wolgast, Die Religionsfrage auf den Reichstagen 1521 bis 1550/51, S. 17–18.

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Personen jeder Religionspartei: »alße zwen fursten, eyne geisligen und weltligen, […], zwen doctores iuris, […], et tres theologos«1⁶⁹. Die Zusammensetzung dieses Ausschusses war ein Kompromiss aus dem Abbildungsprinzip und dem Fachausschusskonzept: Da die evangelischen Stände nur einen Kurfürsten und keinen geistlichen Fürsten in ihren Reihen hatten, der Ausschuss aber paritätisch zusammengesetzt wurde, konnten nur die nicht protestierenden Stände darauf achten, auf ihrer Seite jeweils einen Fürsten von jeder Bank zu benennen. Die Kurfürsten wurden in diesem Ausschuss gar nicht abgebildet. Der Kölner Kurfürst steuerte jedoch mit seinem Kanzler einen Juristen bei und der sächsische Kurfürst besetzte mit seinem Sohn einen der Fürstenposten.1⁷⁰ Die Überlegung, Theologen und Juristen in ihrer Eigenschaft als wissenschaftlich versierte Personen in den Ausschuss aufzunehmen, erinnert an Fachausschüsse. Weil der Ausschuss in der Religionssache nicht weit kam, wurde der Fachausschussaspekt noch weiter verstärkt. In einem neuen, kleineren Ausschuss sollten beide Seiten mit einem kompromissbereiten Theologen und zwei Juristen vertreten sein.1⁷1 Ein weiterer Ausschuss, der sich mit den Gravamina auseinandersetzen sollte, orientierte sich wieder stärker an den bisherigen Großen Ausschüssen und umfasste neben den Kurfürsten wieder jeweils vier Fürsten oder fürstliche Räte von jeder Bank, dazu einen Abt und einen Grafen.1⁷2 Um in der Glaubenssache voranzukommen, ordnete der Kaiser schließlich einen Ausschuss von Kurfürsten und Fürsten an, dessen Zusammensetzung er weitestgehend vorgab. Wichtig war ihm, dass nur persönlich anwesende Stände im Ausschuss sein sollten. Deshalb forderte er neben den zwei persönlich anwesenden Kurfürsten noch von jeder Bank jeweils drei frei zu bestimmende Fürsten.1⁷3 Zur Türkenhilfe bildete wieder zunächst nur der Fürstenrat einen Ausschuss aus jeweils fünf Mitgliedern der beiden Bänke einschließlich der Prälaten und Grafen.1⁷⁴ Erst nach der Relation ihrer Bedenken verordnete auch die Kurfürstenkurie Räte zu diesem Ausschuss, der somit zu einem kurienübergreifenden Ausschuss wurde.1⁷⁵ Im Oktober umfasste der Ausschuss, der sich mit dem weiteren Vorgehen gegenüber den Lutheranern befasste, die Kurfürsten oder deren Botschaften und sechs Fürsten, je drei von jeder Bank, ohne Grafen und Prälaten.1⁷⁶ Auffallend am ganzen Augsburger Reichstag von 1530 ist, dass die Städte völlig aus den Ausschüssen herausgehalten wurden. Auf dem Regensburger Reichstag von 1532, dem letzten vor der langen reichstagslosen Zeit, bewilligten die Stände im April auf Bitten des Kaisers wieder einen Großen Ausschuss. Dessen Zusammensetzung folgte wieder dem alten Abbildungsgrundsatz. Das Recht der Kurfürsten, sich in allen Ausschüssen zu beteiligen, wie 169 170 171 172 173 174 175 176

Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 117. Ebd., S. 117–118. Ebd., S. 131. Ebd., S. 132. Ebd., S. 150–151. Ebd., S. 176–177. Ebd., S. 178–180. Ebd., S. 193.

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es 1530 durch Karl angegriffen wurde, wurde nun wieder ausdrücklich betont, als Tetleben zum Ausschuss notierte: »das haben de stende gethan hoc modo, das der churfursten botscoft alle in dem uschoeß bliben, wy gewonlich, das alleweg de churfursten selbest in allen uschoszen blyben ader oere rethe derzu verordenen«1⁷⁷. Hinzu kamen jeweils drei fürstliche Stände von der geistlichen und der weltlichen Bank, ein Vertreter der Prälaten, zwei Grafen und zwei Städtegesandte.1⁷⁸ Die Stände des Fürstenrats stellten somit neun von – je nach Kurfürstenbeteiligung – bis zu 17 Ausschussmitgliedern. Die Beteiligung von kaiserlichen und königlichen Räten am Ausschuss wurde 1532 allerdings zurückgewiesen: Während die Stände den kaiserlichen Räten zumindest gestatten wollten, dem Ausschuss die Ansichten des Kaisers mitzuteilen, aber nicht, an den Beratungen teilzunehmen, wandten sie sich schroff gegen jede Beteiligung Ferdinands: Sie, so die Stände, »mugen noch konnen kgl. Mt noch alsze eynen röm. kunigen noch eynen Ehg. zu Osterich noch alsze Kg. von Ungern und Behem in dem uschoes zulassen«1⁷⁹. Auch wenn das Ausschusssystem des Regensburger Reichstags nicht mehr so umfangreich war wie das der Reichstage des vorangegangenen Jahrzehnts, so gab es aber auch 1532 neben speziellen Ständeausschüssen (wie dem Supplikationsrat)1⁸⁰ einige spezielle Fachausschüsse im Sinne Kleiner Ausschüsse des Großen Ausschusses.1⁸1 1541 verweigerten sich die Stände in Regensburg gemeinsamen Beratungen und tagten größtenteils nach Parteien getrennt. Zum Großen Ausschuss in Speyer vom 8. März 1542 verordneten die Stände des Fürstenrats zwölf Personen: fünf Fürsten oder deren Räte von jeder Bank und je einen von Prälaten und Grafen. Dazu kamen die Räte der sechs Kurfürsten und zwei städtische Gesandte.1⁸2 Die Stände des Fürstenrats stellten somit zwölf von 20 Ausschussmitgliedern. Der Große Ausschuss baute wieder einmal auf einem Fürstenratsausschuss auf, der schon am 21. Februar 1542 eingerichtet worden war und erst später durch die Teilnehmer aus den anderen Kurien ergänzt wurde.1⁸3 1543 gab es keinen kurienübergreifenden Ausschuss, der über reine Delegationen oder kurze Aufgaben hinausging. Der von Friedrich Edelmayer für den 22. März genannte Große Ausschuss zur Geldernfrage1⁸⁴ scheint lediglich die Aufgabe gehabt zu haben, als Vermittlungsdelegation im Namen der Stände bei König und Kommissaren vorzusprechen.1⁸⁵ Deutlich später, am 9. April, wurde aber ein

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RTA JR 10, Nr. 32 (S. 303–360), S. 308. Ebd. Ebd., S. 310. Ebd., S. 310, 327. Ebd., S. 324, 326, 342, 347–348. RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 366. Ebd., S. 360. Edelmayer, Kursachsen, Hessen und der Nürnberger Reichstag von 1543, S. 216–217. Frankfurt ISG, RTA 54, Bericht unfoliiert in »Tagebuch des Hieronymus zum Lam über den reichstag zu Nürnberg 1543« zum 22. März.

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Ausschuss zu Geldern verordnet.1⁸⁶ Über die Zusammensetzung der Ausschüsse ließen sich jedoch keine Überlieferungen finden. Von evangelischer Seite wurde wieder ein paritätischer Ausschuss vorgeschlagen, der über ihre Forderungen nach Friede und Recht beraten sollte. Dieser Vorschlag wurde aber abgelehnt.1⁸⁷ Im kurienübergreifenden Ausschuss zur offensiven Türkenhilfe waren 1544 insgesamt 19 Stände vertreten: Alle Kurfürsten jeweils mit zwei Räten, die Räte von vier geistlichen und fünf weltlichen Fürsten, die Prälaten und Grafen jeweils mit einer Person und die Städte mit zwei Vertretern.1⁸⁸ Die ungerade Zahl von fürstlichen Räten ist hier ungewöhnlich. Für die bayerischen Herzöge waren insgesamt zwei Räte im Ausschuss. Vermutlich wechselten sich diese ab oder führten für das Haus Bayern nur eine Stimme. Selbst in diesem Fall kamen die Stände des Fürstenrats im Ausschuss auf zehn Stimmen von 18, womit ihr Anteil noch immer deutlich über dem lag, was im Ausführlichen Bericht beschrieben wird. Zum kurienübergreifenden Ausschuss auf dem Reichstag von 1545 wurden neben den Räten der Kurfürsten noch vier fürstliche Räte, jeweils einer von Prälaten und Grafen und wieder zwei Städte verordnet.1⁸⁹ Dieser Ausschuss umfasste somit außergewöhnlich wenige fürstliche Räte, auch wenn die Zahl der Fürsten noch immer nicht mit der im Ausführlichen Bericht genannten übereinstimmte. Die Anzahl der Prälaten und Grafen ist im Gegensatz dazu noch kleiner als im Ausführlichen Bericht angegeben. Möglich wäre vielleicht, »von wegen der grafen, hern und prelaten zwen«1⁹⁰ so zu interpretieren, dass jeweils zwei Personen für Prälaten und Grafen zum Ausschuss zugelassen wurden. Es scheint aber wahrscheinlicher, dass 1545, wie auch sonst zuvor, nur ein Prälat im Ausschuss war, nämlich der Langzeitrepräsentant der schwäbischen Prälaten, Abt Gerwig Blarer von Weingarten.1⁹1 Somit entspräche auch dieser Ausschuss trotz der geringeren Anzahl an fürstlichen Räten nicht der im Ausführlichen Bericht genannten Zusammensetzung. Eine ähnliche Zusammensetzung eines kurienübergreifenden Ausschusses findet sich auch auf dem Reichstag 1547/48 bei den Verhandlungen über die jeweiligen Repliken zu Vorrat und Baugeld: Neben den sechs Kurfürsten waren die Räte vierer Fürsten, die Prälaten durch den Abt von Weingarten, die Grafen durch eine (namentlich nicht genannte Person) und zwei Städte vertreten.1⁹2 Bei den 186 Frankfurt ISG, RTA 54, Bericht unfoliiert in »Communia uff dem tag zu Nurnberg anno etc. 43 gehalten« zum 9. März. 187 Frankfurt ISG, RTA 54, Bericht unfoliiert in »Communia uff dem tag zu Nurnberg anno etc. 43 gehalten« zum 12. März. 188 RTA JR 15, S. 2301 V. 189 RTA JR 16, Nr. 62 (S. 672–740), S. 678. 190 Ebd. 191 Zu Gerwig Blarer: Günter (Hg.), Gerwig Blarer. Abt von Weingarten 1520–1567. Zur Stellung der schwäbischen Prälaten: Reden-Dohna, Zwischen Österreichischen Vorlanden und Reich: die Schwäbischen Reichsprälaten. Zur Rolle Weingartens: Neuhaus, Das Reich in der Frühen Neuzeit, S. 31. 192 Vgl. das entsprechende Votenprotokoll: RTA JR 18, Nr. 262 (S. 2195–2209).

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vorangegangenen Ausschussverhandlungen zu den entsprechenden Propositionen Karls und Ferdinands beteiligten sich aber sechs fürstliche Stände im Ausschuss.1⁹3 Eine Besonderheit war, dass Karl für eine starke Beteiligung der Städte eintrat. Zeitweise stand die Entsendung von vier Städtevertretern in den Ausschuss für Bundesfragen im Raum, auch wenn dies von den oberen Kurien abgelehnt wurde. Nach Karls Vorstellungen hätte der Ausschuss neben vier Kurfürsten, vier geistlichen und vier weltlichen Fürsten, vier Städtegesandten, zwei Prälaten und zwei Grafen auch noch zwei Ritter umfassen sollen.1⁹⁴ 1550/51 wurden wieder einige spezielle kurienübergreifende Ausschüsse eingerichtet. Der Ausschuss zur Begutachtung der Münzordnung umfasste alle Kurfürsten, drei fürstliche Räte von jeder Bank und zwei Städte.1⁹⁵ Zum Ausschuss zu Bremen verordnete der Fürstenrat ebenfalls sechs fürstliche Räte. Hinzu kam noch ein Vertreter der Prälaten.1⁹⁶ Im Ausschuss zu Magdeburg waren keine reichsstädtischen Gesandten zugelassen. Neben den Räten der Kurfürsten bestand der Ausschuss aus sechs fürstlichen Räten und jeweils einem Vertreter für Prälaten und Grafen.1⁹⁷ Überblickt man nun die vorgestellten Ausschüsse von 1521 bis 1550/51, fällt vor allem eines auf: Es gab keine feste Systematik ihrer Zusammensetzung, die über das beschriebene Abbildungsprinzip hinausging.1⁹⁸ Es gab keinen Ausschuss, der der Zusammensetzung entsprach, wie sie, einige Jahrzehnte später, im Ausführlichen Bericht beschrieben wurde. Das dort beschriebene Ungleichgewicht zuungunsten der Kurfürsten war tatsächlich noch viel stärker. Im Ausführlichen Bericht heißt es an der oben zitierten Stelle, den sechs Kurfürsten hätten im Ausschuss acht Personen aus den anderen Kurien gegenübergestanden. Es hat sich jedoch gezeigt, dass die Zahl der nichtkurfürstlichen Ausschussmitglieder fast immer deutlich höher als im Ausführlichen Bericht angegeben war. Teilweise waren sogar allein bis zu zehn fürstliche Stände im Ausschuss. Der Ausführliche Bericht sieht dagegen nur zwei Fürsten insgesamt vor. Relativ konstant war die Beteiligung der übrigen Stände: ein Prälat und ein bis zwei Grafen. Wenn sie beteiligt wurden, waren die Städte ebenfalls mit ein bis zwei Personen im Ausschuss vertreten. Woher nahm der Verfasser der zitierten Stelle im Ausführlichen Bericht also die Zahlenangaben für die dort vorgestellte Ausschusszusammensetzung? Die einzigen kurienübergreifenden Ausschüsse, die die Kurfürsten auch nach 1547/48 noch regelmäßig bewilligten, waren die Supplikationsräte1⁹⁹ und die Ausschüsse zur Verfassung beziehungsweise zur Abhörung der Reichsabschiede. 1555 war 193 Vgl. das entsprechende Votenprotokoll: RTA JR 18, Nr. 261 (S. 2179–2195). 194 Machoczek, Einleitung zu RTA JR 18, S. 95; Gerber, Die Bedeutung des Augsburger Reichstags von 1547/48 für das Ringen der Reichsstädte um Stimme, Stand und Session, S. 186. 195 RTA JR 19, S. 1633. 196 Ebd. 197 Ebd., S. 1634. 198 Dies traf auch für die Supplikationsausschüsse zu: Neuhaus, Supplikationsausschuß, S. 170–182. 199 Hierzu: Ebd., S. 301–308.

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der entsprechende Ausschuss zum Abschied so zusammengesetzt, dass es in ihm insgesamt 16 Voten gab: Die der sechs Kurfürsten, drei von den geistlichen und drei von den weltlichen Fürsten, je eines für Prälaten und Grafen und zwei von den Städten.2⁰⁰ Auch 1559 stellten die Fürsten sechs Personen im Ausschuss.2⁰1 Der entsprechende Ausschuss von 1566 umfasste ebenfalls sechs fürstliche Stände, einen Vertreter der Prälaten und einen der Grafen.2⁰2 Auch gab es damals einen kurienübergreifenden Münzausschuss, zu dem ebenfalls sechs fürstliche Räte und jeweils einer von Prälaten und Grafen verordnet wurden.2⁰3 Auch 1567 in Regensburg setzte sich der Ausschuss zur Prüfung des Reichsabschieds so zusammen, dass neben jeweils einer Person von Prälaten und Grafen aus dem Fürstenrat sechs fürstliche Stände ausgewählt wurden.2⁰⁴ Die Ausschüsse zur Formulierung und zum Anhören der Abschiede scheiden also als Vorlage für den Ausführlichen Bericht aus. Die Supplikationsräte, die sich unter Karl noch – wie alle anderen Ausschüsse – sehr unregelmäßig zusammensetzten, umfassten in der zweiten Jahrhunderthälfte aber auch konstant sechs fürstliche Stände neben den Vertretern von Prälaten und Grafen.2⁰⁵ Sie kommen also ebenfalls für eine Rechtfertigung des Ausführlichen Berichts nicht infrage. Die Angaben aus dem Ausführlichen Bericht sind also völlig aus der Luft gegriffen und entbehren jeglicher Grundlage. Es hat anscheinend nie einen Ausschuss gegeben, der so zusammengesetzt war, wie es im Ausführlichen Bericht als üblich beschrieben wird. Da es schwer vorstellbar ist, dass die Mainzer Kanzlei bei der Erstellung des Texts in völliger Unkenntnis handelte, lässt sich vermuten, dass die falsche Zusammensetzung absichtlich aufgenommen wurde, um eventuelle Diskussionen in der Zukunft zu beeinflussen. Dies würde ein Bewusstsein der Verfasser für eine zukünftige normative Wirkung des Texts voraussetzen. War der Text tatsächlich zunächst für den Eigengebrauch der Kanzlei bestimmt, so werden seine Verfasser ihre eigenen Nachfolger womöglich gezielt getäuscht haben.

3.3.3 Bildung der Ausschüsse Der Prozess, durch den ein Ausschuss beschlossen und seine Zusammensetzung festgelegt wurde, ist vor allem für die frühen Reichstage Karls V. sehr undurchsichtig. Dies liegt sicher vornehmlich daran, dass es hierbei lange nicht zu schwerwiegenden Verfahrensstreitigkeiten kam, die es wert gewesen wären, notiert zu werden. Gerade zu den Großen Ausschüssen auf den ersten Reichstagen Karls 200 Vgl. die Protokollierung vom 22. September 1555: RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1531–1533. 201 RTA RV 1558/1559, Nr. 324 (S. 981). 202 RTA RV 1566, Nr. 115 (S. 621). 203 Vgl. die entsprechenden Ausschussprotokolle: Ebd., Nr. 177 (S. 697–701), Nr. 178 (S. 701–709), Nr. 179 (S. 709–715) und weitere. 204 RTA RV 1567, Nr. 39 (S. 248). 205 Neuhaus, Supplikationsausschuß, S. 183.

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verraten die Quellen in diesem Punkt kaum etwas. Erst unter dem Eindruck des wachsenden konfessionellen Konflikts wurde auch die Besetzung der Ausschüsse politisch bedeutsamer. 1526 kam es bei der Bestimmung der Mitglieder des Großen Ausschusses im Fürstenrat zu einigen Streitigkeiten, von denen der straßburgische Kanzler Dr. Rechburger2⁰⁶ und der bayerische Gesandte Schwarzenberg2⁰⁷ berichteten. Schwarzenbergs Brief ist in diesem Zusammenhang eine äußerst wertvolle Quelle, da er an mehreren Stellen das verwendete Verfahren beschreibt. Zunächst berichtet er, Kurfürsten, Fürsten und gemeine Stände seien zusammengekommen und hätten »ainhelligklich« – also ohne Gegenstimmen – beschlossen, »ainen gemainen ausschus, darzu Kff., Ff., die von prelaten, grafen, herrn und stett verordnen solten, zu machen«2⁰⁸. Es wird jedoch nicht darauf eingegangen, dass über die Anzahl der Deputierten für die jeweilige Ständegruppe entschieden worden sei. Dies geschah anscheinend erst im Fürstenrat. Wie Rechburger berichtet, wurde dort festgelegt, von jeder Bank fünf Personen zu verordnen und dazu noch einen Prälaten und einen Grafen zu benennen.2⁰⁹ Schwarzenberg beschreibt, wie sich zu diesem Zweck die Fürstenkurie aufspaltete: »Als […] aber umb sechs ur vormittag die von der weltlichen banck zusamen in ain stuben khamen, wurden aller fursten und deren bottschaften, weltlichs stands, namen auf ein bapir geschriben, darauß solt man von sollicher banckh wegen zum ausschus zwen fursten, drei bottschaften und ain grafen wölen. Und gieng ainer nach dem andern zum zetteln den der badisch cantzler und ander vor in hetten, und wöllche zwu person auß den fursten, drei aus den bottschaften ainem gevilen, zu der namen macht er ain strichlin, dann von der grafen wegen war G. Bernhart von Sulms vorgeordnet.«21⁰ Die Stände des Fürstenrats suchten also nach Bänken getrennt zwei verschiedene Räume auf, um jeweils ihren Ausschuss zu wählen. Festgelegt war anscheinend aber schon zuvor, dass jeweils zwei Fürsten in eigener Person und drei Gesandte gewählt werden sollten: Die Stände der geistlichen Bank wählten in ihrem Raum nämlich ebenso zwei Fürsten und drei Gesandte.211 Gewählt wurde mittels einer Liste, die die Namen aller anwesenden Fürsten und Gesandten enthielt. Alle Stimmberechtigten waren nun aufgefordert – wahrscheinlich in der Reihenfolge ihrer Session – zu diesem Zettel zu gehen und bei den Namen von zwei Fürsten und drei Gesandten jeweils einen Strich zu setzen. Die Stimmabgabe erfolgte vor den Augen des badischen Kanzlers Hieronymus Vehus »und ander«, war also innerhalb der Kurie nicht geheim. Jeder, der abstimmte, schlug mit fünf Strichen einen kompletten Ausschuss vor. Die Wahl des Grafen scheint zumindest im Ansatz auch so geplant gewesen zu sein, denn schließlich sollten die Stände anhand des Papiers auch »ain grafen wölen«. Tatsächlich stand der in den Ausschuss zu

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RTA JR 5/6, Nr. 121 (S. 499–504), S. 502–503. Ebd., Nr. 214 (S. 861–865); vgl. auch: Friedensburg, Reichstag zu Speier 1526, S. 335–339. RTA JR 5/6, Nr. 214 (S. 861–865), S. 861. Ebd., Nr. 121 (S. 499–504), S. 502. Ebd., Nr. 214 (S. 861–865), S. 863. Ebd., S. 864.

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entsendende Graf aber schon fest. Warum das so war, ist nicht zu erkennen. Möglich wäre, dass Bernhard von Solms zu diesem Anlass der einzige Graf in der Stube war, oder dass die Grafen ihren Vertreter im Ausschuss bereits festgelegt hatten. Als alle ihre Stimmen auf diese Art abgegeben hatten, wurde jeweils anhand der gezählten Striche festgestellt, welche zwei Fürsten und welche drei Gesandten »die merer stim«212 erhalten hatten. Diese Personen galten dann als gewählt. Ihre Namen wurden nun anscheinend verlesen, denn in der Beschwerde der bayerischen Räte heißt es später einleitend, sie »hetten die personen des ausschus gehort«213. Vehus, der die Wahl leitete oder zumindest organisierte, hatte schon viele Reichstage besucht und deshalb bereits mehrere Ausschusswahlen erlebt.21⁴ Es ist daher anzunehmen, dass das hier beschriebene Verfahren den Gepflogenheiten entsprach und keine spontane Erfindung des Kanzlers war. Dafür spricht auch, dass in der anschließenden Beschwerde der bayerischen Gesandten das Verfahren an sich nicht angezweifelt wurde, sondern nur sein Ergebnis. Der Umstand, dass dieses jedoch erfolgreich beanstandet wurde, verdeutlicht wiederum, wie variabel das Reichstagsverfahren noch war. Die »Baierischen«21⁵ unterredeten sich nun und kamen zu dem Schluss, es sei nicht hinnehmbar, dass das Haus Bayern im Ausschuss gar nicht vertreten sei, obwohl es im Fürstenrat sechs Stimmen habe. Mit diesen sechs Stimmen sind anscheinend alle wittelsbachischen Stimmen gemeint: die des persönlich anwesenden Johann von Pfalz-Simmern, die der Gesandten der beiden bayerischen Herzöge und die der Gesandten und Räte von Pfalzgraf Friedrich, Pfalz-Neuburg und Pfalz-Zweibrücken.21⁶ Schwarzenberg sollte für das Haus Bayern die versammelten Stände der weltlichen Bank auf diesen Missstand hinweisen. Er brachte die bayerische Hoffnung zum Ausdruck, es handle sich hierbei nicht um »ain bös zaichen«21⁷, denn dass keiner der ihren im Ausschuss sei, das »gedächt onzweifel kain man, das je beschehen.«21⁸ Schwarzenberg nutzte hier zwar nicht die Begriffe »Herkommen« oder »Brauch«, jedoch implizierte er einen gewissen aus der Tradition hergeleiteten Anspruch des Gesamthauses Wittelsbach. Dadurch, dass der bayerische Redner vor den Ständen betonte, niemand könne sich an einen Ausschuss erinnern, an dem das Haus Bayern nicht beteiligt war, wies er auf einen empfundenen Widerspruch zum Herkommen ebenso hin wie auf die damit verbundene Kränkung des Hauses. Deutlicher wird dies noch in der folgenden 212 RTA JR 5/6, Nr. 214 (S. 861–865), S. 863. 213 Ebd., Nr. 214 (S. 861–865), S. 864. 214 Unter Karl V. ist er schon auf den Reichstagen 1521, 1524, 1525/26 in Erscheinung getreten. Vgl. die Ständetabelle von Aulinger und Schweinzer-Burian: Aulinger/Schweinzer-Burian, Habsburgische und reichsständische Präsenz auf den Reichstagen Karls V. (1521–1555) im Spiegel der Reichsmatrikel von 1521. Eine prosoprographische Erfassung; vollständig im Netz: Dies., Habsburgische und reichsständische Präsenz auf den Reichstagen 1521–1555. 215 RTA JR 5/6, Nr. 214 (S. 861–865), S. 863. 216 So auch: Friedensburg, Reichstag zu Speier 1526, 336, Anm. 2. 217 RTA JR 5/6, Nr. 214 (S. 861–865), S. 863. 218 Ebd., S. 864.

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Erklärung Schwarzenbergs für die bayerischen Räte: »Aber wir muessens unsersthails beschehen lassen, doch wollten wir, das unsere genedigsten, genedigen herrn Kff. und Ff. des haus Baiern anzaigen, ine nichtz begeben noch unserthalb bewilligt haben.«21⁹ Zwar mussten die Räte das durch das Wahlverfahren erzielte Ergebnis anerkennen (»beschehen lassen«), jedoch wollten sie bezeugen22⁰, dass diese Anerkennung nicht bedeute, das Haus Bayern erkenne dies für zukünftige Ausschusswahlen ebenfalls an (»ine nichtz begeben noch unserthalb bewilligt«). Die bayerischen Räte waren sich anscheinend selbst nicht sicher, ob es ein Recht darauf gab, in den Ausschuss gewählt zu werden. Der bayerische Einspruch drückt somit die auf den Reichstagen dieser Zeit übliche Mischung von traditionellem Konsenswillen und sich institutionalisierendem Verfahren aus, denn auch wo es ein Verfahren gab, ließ sich dieses offensichtlich brechen, wenn damit Unstimmigkeiten vermieden werden konnten. Ein weiterer Aspekt der dargestellten Diskussion ist aber auch, dass es keine Trennlinie zwischen institutionalisiertem Verfahren und den Erfordernissen von Höflichkeit und Anerkennung gab. Ebenso wie die Sitzordnung ursprünglich Ausdruck individueller Wertschätzung für die Fürsten durch den Herrscher war und sich über die Jahrhunderte zu einem festen Regelwerk entwickelte, werteten die bayerischen Räte die Wahl zum Ausschuss als eine Art traditionelles Recht. Nicht nur das Wahlverfahren selbst, sondern auch das Ergebnis der Wahl konnte sich somit institutionalisieren. Der Logik der bayerischen Räte zufolge bedeutete es eine unzumutbare Kränkung des von ihnen vertretenen Hauses, keinen Wittelsbacher zu wählen. Würden sie, so die Annahme der Bayern, diese Kränkung widerspruchslos hinnehmen, könnte sich daraus langfristig ein Nachteil ergeben. Tatsächlich zeigten die bayerischen Einwände Wirkung, denn Schwarzenberg berichtet: »Also sahe ainer den andern an, styesen die köpf zusamen, wolten vil, die wal sollt fur sich geen«221. Die Anwesenden redeten also anscheinend jeweils mit ihren Nachbarn, statt auf das Anliegen mit einer Umfrage zu reagieren. In diesen informellen Gesprächen – so zumindest die Interpretation Schwarzenbergs – waren »vil« dafür, die Wahl zu wiederholen. Auch diese Reaktion verdeutlicht den angesprochenen Kompromiss aus Konsens und Mehrheitsverfahren: Zwar sollten die Ausschussmitglieder durch ein scheinbar ergebnisoffenes Wahlverfahren bestimmt werden, jedoch musste man dieses Wahlverfahren eben wiederholen, wenn das Ergebnis ein ranghohes Haus zu kränken drohte oder aus anderen Gründen den Eindruck vermittelte, unangemessen zu sein.

219 RTA JR 5/6, Nr. 214 (S. 861–865), S. 864. 220 »Bezeugen« ist hier im Sinne von »protestari« zu verstehen. Das deutlich wahrnehmbare Äußern (protestieren) eines Rechtsstandpunkts stand in der Tradition der protestatio und hatte im Gewohnheitsrecht eine große Bedeutung, da die widerspruchslose Duldung eines Sachverhalts nachträglich als dessen Anerkennung gewertet werden konnte. Zur protestatio: Becker, Protestatio, Protest; Schlaich, Maioritas; ders., Die »protestatio« beim Reichstag in Speyer von 1529 in verfassungsrechtlicher Sicht. 221 RTA JR 5/6, Nr. 214 (S. 861–865), S. 864.

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In dieser Situation der Unklarheit bot nun Markgraf Ernst von Baden an, seinen Ausschussplatz mit dem einzigen anwesenden bayerischen Fürsten zu tauschen. Er erklärte, auch er empfinde es als »unbillich, nit nuz noch guett«222, wenn sowohl er als auch der Kanzler seines Bruders (Vehus) einen Platz im Ausschuss hätten, das Haus Bayern jedoch keinen. Der Markgraf argumentierte ebenfalls nicht mit »Herkommen« oder »Brauch«. Stattdessen verwies er auf sein Gerechtigkeitsempfinden (»unbillich«) und auf den Nutzen (»nuz«) der Berücksichtigung der Wittelsbacher. In einer politisch weniger angespannten Situation wäre der Vorschlag des Markgrafen sicherlich angenommen worden. In diesem Fall bestanden aber Hessen, Lüneburg »und ir anhang«223 – also die lutherischen Stände – auf der Gültigkeit der Wahl. Schwarzenberg notierte weiter, nun habe jeder geschwiegen. Anscheinend waren die meisten ratlos, wie der aufgekommene Streit zu schlichten sei. Allein er selbst »als der thor, soe zuvor geredt«22⁴, ergriff wieder das Wort für Bayern. Es gab noch immer Widerstand gegen seine Forderungen. Schwarzenberg berichtet: »Jedoch pliben wir auf unserm furnemen und balgten [=forderten] also lang, das man noch einmal umbfragen muest.«22⁵ Nun bestätigten die weltlichen Stände den Tausch zwischen Markgraf Ernst und Pfalzgraf Johann. Es ist nicht vollkommen klar, wie dies bestätigt wurde. Schwarzenberg impliziert in seinem Schreiben aber, dass dies über eine normale Umfrage geschehen ist. Die Anwesenden wurden wahrscheinlich gefragt, ob sie mit dem angebotenen Tausch einverstanden seien. Nach dieser Vorgehensweise wäre es nicht verwunderlich, dass die Stände den Wechsel bewilligten. Hatten sie zuvor lediglich auf einer Liste ihre Favoriten markieren müssen, sollten sie nun vor allen Ständen der weltlichen Bank Stellung zu einem Angebot eines anwesenden Fürsten beziehen. Abzulehnen, hätte nicht nur das Haus Bayern direkt gekränkt, sondern auch das Urteil des Markgrafen Ernst in Zweifel gestellt. Die bayerischen Räte nutzten also aus, dass das Reichstagsverfahren in vielen Teilen noch nicht vollständig institutionalisiert war. Es war möglich, eine Wiederholung des Verfahrens zu erwirken, indem man auf die Gefahr einer Kränkung hinwies. Auch wurde das verwendete Wahlverfahren nicht komplett wiederholt, sondern dessen Ergebnis schließlich mit der Bestätigung eines einzelnen Vorschlags durch die Umfrage abgeändert. Wie den Formulierungen Schwarzenbergs zu entnehmen ist, maß dieser der Ausdauer, mit der die Forderung vertreten wurde, entscheidende Bedeutung zu. Ebenfalls interessant an Schwarzenbergs Bericht ist die offensichtlich unterschiedliche Haltung der persönlich anwesenden Fürsten und die der gesandten Räte: Die Räte nahmen die Ausschussbesetzung äußerst ernst. Zwar griffen sie auf die für nicht fürstliche Räte üblichen Bescheidenheitsformulierungen zurück, indem sie etwa betonten, nicht persönlich an Ausschussplätzen interessiert zu 222 223 224 225

RTA JR 5/6, Nr. 214 (S. 861–865), S. 864. Ebd. Ebd. Ebd.

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sein. Jedoch zeigten die beteiligten Fürsten die meiste Flexibilität in der Ausschussfrage. Es waren die bayerischen Räte, die den Einwand erhoben. Markgraf Ernst von Baden bot sogleich an, auf seinen Platz zu verzichten. Auf der anderen Seite versuchte der durch diese Geste der Großzügigkeit in den Ausschuss gelangte Johann von Simmern nach dem Mittagessen offensichtlich, seinen Ausschussplatz doch noch abzulehnen. Schwarzenberg beschreibt die Reaktion der Räte: »Darfur wir aber, die baierischen räthe, all euer fstl. Gn. halben vetterlich unserthalben underthänigklich baten, auf das sein Gn. bewilligt zu syzen.«22⁶ Auffällig ist an dieser Formulierung, dass die Räte den anwesenden Fürsten nicht allein im eigenen Namen »underthänigklich«, sondern auch »vetterlich« anstelle ihrer Auftraggeber baten: Sie empfanden die Beteiligung Johanns am Ausschuss also als eine Angelegenheit, die auch die abwesenden Fürsten des Hauses Wittelsbach betraf, und verwendeten bei der Erörterung dieser Frage Wendungen, die angesichts der anwesenden Fürsten nicht ihnen, sondern nur ihren Auftraggebern zustanden. Sie machten dadurch ihren Anspruch deutlich, in dieser Angelegenheit mit der Autorität ihrer Fürsten zu sprechen. Den Fürsten scheint die eigene Mitwirkung im Ausschuss bei weitem nicht so bedeutsam gewesen zu sein wie den Räten. Es ließe sich sogar beiden genannten Fürsten unterstellen, gar nicht glücklich über ihre Wahl in den Ausschuss gewesen zu sein. Zumindest aber verpflichtete sie ihr Selbstverständnis, nicht auf einem solchen Posten zu bestehen und ihn stattdessen einem anderen Fürsten anzubieten. Bei den Räten zeigte sich hier ein ganz anderes Bewusstsein für die Bedeutung der Ausschüsse. Deshalb drängten sie Johann von Simmern im Interesse ihrer Auftraggeber, nicht auf seinen Ausschussplatz zu verzichten. Sie interpretierten die Ausschusswahl politischer und juristischer. Dies zeigt schon die Erklärung der Räte, ein jetziger Verzicht bedeute keinen Verzicht für zukünftige Wahlen. Solche Erklärungen stehen in der juristischen Tradition der Protestation und sollten Auswirkungen auf das Gewohnheitsrecht abmildern oder ganz verhindern. Es ist auch zu erkennen, dass die Räte die sozialen Mechanismen, die zwischen den Fürsten wirkten, für ihre Ziele nutzten: Als das Haus Wittelsbach durch keine Person im Ausschuss vertreten sein sollte, beanstandeten dies allein die Räte der fünf abwesenden wittelsbachischen Fürsten. Aber anstatt die Wahl eines bayerischen Rats zu fordern, setzten sie sich für Johann von Simmern ein, denn es war deutlich leichter, den einzigen persönlich anwesenden Fürsten des Hauses Wittelsbach nachträglich in den Ausschuss zu bringen, als einen der Gesandten. Das Wahlverfahren war aber nicht nur innerhalb einer einzelnen Bank anfechtbar. Im Anschluss an die beschriebene Ausschusswahl durch die weltlichen Fürstenratsstände wird davon berichtet, dass diese nicht mit der Wahl der geistlichen Bank zufrieden waren. Ein Beschwerdepunkt war die Vertretungsregelung der Geistlichen für den Fall, dass ihre in den Ausschuss gewählten Fürsten an den Sitzungen nicht teilnehmen wollten. Ferner beanstandeten die weltlichen Stände, dass »die geistlichen fursten nit einen vom hauß Osterreich in ausschutz genomen 226 RTA JR 5/6, Nr. 214 (S. 861–865), S. 864.

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haben«22⁷. Auch hier sprachen die weltlichen Stände von Häusern, die ihrer Ansicht nach im Ausschuss vertreten sein sollten. Argumentativ folgten sie damit der zuvor gehaltenen Rede der bayerischen Räte. Ebenfalls unzufrieden waren die weltlichen Stände mit der Wahl Dr. Fabris, der wegen seiner lutherfeindlichen Predigten wohl vor allem bei den protestantischen Ständen unbeliebt war.22⁸ Zwar wurden diese Beanstandungen von den Geistlichen beraten, führten aber nicht dazu, dass die Wahl Fabris geändert wurde. Ein weiteres Beispiel dafür, dass 1526 das Verfahren zur Ausschusswahl als verhältnismäßig frei verhandelbar galt, ist der aus Angst vor einem lutherisch geprägten Ausschuss geäußerte Vorschlag der geistlichen Stände, jede Bank sollte die Ausschussmitglieder der jeweils anderen Bank auswählen.22⁹ Zur Bildung der Ausschüsse lässt sich auch die Frage stellen, wie die Reichstagsteilnehmer die Berufung in die Ausschüsse auffassten. Waren die Gewählten als individuelle Personen im Ausschuss oder als Vertreter ihres Standes oder gar der Ständegruppe, die sie wählten?23⁰ Dies lässt sich für das geschilderte Verfahren von 1526 scheinbar leicht beantworten: Schon das Vorhaben, zwei Fürsten persönlich und drei Räte zu wählen, verrät, dass die Verordneten als Personen gewählt wurden. In der genannten Wahlliste waren alle anwesenden Personen aufgeführt und nicht bloß die von ihnen vertretenen Stände. Auch mussten die Verordneten nie mit ihrer Ständegruppe Rücksprache halten. Vielmehr waren sie zu einer gewissen Geheimhaltung verpflichtet. Tatsächlich war das Verhältnis hier aber problematischer: Dort, wo persönlich anwesende Stände gewählt wurden, stellte sich schnell die Frage, ob diese sich vertreten lassen konnten. Die Parallele zum Besuch des Reichstags generell ist offensichtlich, schließlich waren alle Reichsfürsten aufgefordert, persönlich zu kommen und das Reichsoberhaupt zu beraten. Ihre Vertretung durch Gesandte galt formell als Ausnahme, auch wenn sie bereits üblich war. Selbst wenn die Fürsten persönlich zum Reichstag reisten, war es für sie durchaus üblich, nicht bei allen Verhandlungen anwesend zu sein und stattdessen Räte für sich sprechen zu lassen. Entsprechend naheliegend ist der Gedanke, so auch im Ausschuss vorzugehen. Weil 1521 die persönliche Teilnahme am Reichstag groß war, wurde die Anzahl der Räte limitiert, die die einzelnen Ausschussmitglieder mit in den Ausschuss nehmen konnten.231 Diese Räte konnten auch verhandeln, wenn ihre Herren nicht anwesend waren. Sie handelten im Ausschuss also nicht in eigenem Namen, sondern anstelle ihres persönlich in

227 228 229 230

Ney, Analekten, S. 312. Zu Fabri: Tüchle, Johannes Fabri, in: NDB. Friedensburg, Reichstag zu Speier 1526, S. 273. Neuhaus betont hierzu, es habe keine Form von Repräsentation gegeben, die über eine Vertretung eines bestimmten Fürsten durch dessen Rat hinausging: Neuhaus, Der Streit um den richtigen Platz. Ein Beitrag zu reichsständischen Verfahrensformen in der Frühen Neuzeit, S. 289–290. 231 RTA JR 2, Nr. 9 (S. 157–168), S. 161.

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den Ausschuss gewählten Auftraggebers.232 1526 trafen die geistlichen Stände des Fürstenrats für die zwei Fürsten, die sie persönlich in den Ausschuss wählten, eine Regelung, damit diese nicht an jeder Sitzung teilnehmen mussten. Sie wählten die Bischöfe von Würzburg und Straßburg »mit der bescheidenheit, wo sie nit eigner person da sein mochten, das sie macht haben sollen, yeder einen seiner geschicktesten rheten an sein stat do zu haben«233. Die Stände der weltlichen Bank wollten dies aber nicht anerkennen. Sie verwiesen darauf, dass jeder Fürst höchstens einen Rat mit in den Ausschuss nehme. Dieser Rat müsse immer der gleiche sein. Sollte der Fürst nicht an einer Sitzung teilnehmen können, genüge die Anwesenheit dieses Rats, den der Fürst »an sein statt setzen«23⁴ könne. Der Einwand der weltlichen Bank verrät, dass die für 1521 bekannte Regel auch bei den folgenden Ausschüssen angewendet und 1526 (seitens der weltlichen Fürsten) schon für selbstverständlich gehalten wurde. Jeder Kurfürst durfte demnach zwei Räte und jeder Fürst einen Rat mit sich in den Ausschuss nehmen. Diese Räte setzten sich dann an die Stelle ihrer Herren, sollten diese nicht persönlich an der Sitzung teilnehmen. Die Stände der weltlichen Bank sprachen sich demnach nicht generell gegen die Möglichkeit aus, sich vertreten zu lassen, sondern nur dagegen, von Fall zu Fall weitere Ersatzräte zu ernennen. Der eine Rat sollte genügen und der jeweilige Fürst den Rat auch »nit verendern«23⁵, also nicht nach Belieben austauschen. Dies sollte der Geheimhaltung des Verhandelten dienen. Geheimhaltung war auch einer der aufgeführten Gründe, mit der die Wahl Fabris in den Ausschuss angegriffen wurde: »dan er predige hie vnd mecht auß seiner predig vermerkt werden, was ime ausschutz gehandelt wurd.«23⁶ Auch wenn das Unbehagen vieler weltlicher Stände gegen Fabri in erster Linie in seiner theologischen Ausrichtung begründet gewesen sein wird, zeigt die Verwendung des Arguments an erster Stelle, dass der Geheimhaltung der Ausschussverhandlungen eine gewisse Bedeutung beigemessen wurde. Gerade bei der Benennung von Räten oder Gesandten für den Ausschuss waren die Stände daher darauf bedacht, dass die Beteiligten nicht einfach ausgetauscht wurden. Die Qualität der Ausschusswahl lässt sich also insofern unterteilen, als dass persönlich anwesende Fürsten zwar auch als Person gewählt wurden, sich aber leichter vertreten lassen konnten. Räte und Gesandte, die in den Ausschuss gewählt wurden, hatten diese Möglichkeit nicht. Ein Fürst, der absehbar dauerhaft nicht mehr am Ausschuss teilnehmen konnte, wurde hingegen durch einen anderen ersetzt. Ein Beispiel hierfür ist die Wahl Georgs von Sachsen in den Großen Ausschuss von 1530: Der sächsische Herzog ersetzte dabei Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, der auf Befehl des Kaisers den Reichstag verließ, um den Landgrafen von Hessen aufzusuchen.23⁷ Die unklare Auffassung der Stände 232 Zu den Räten im Großen Ausschuss von 1521: Wohlfeil, Der Wormser Reichstag von 1521, S. 81. 233 Ney, Analekten, S. 311. 234 Ebd., S. 312. 235 Ebd. 236 Ebd. 237 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 121–122.

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über die Ernennung der Ausschussmitglieder kommt auch in vielen erhaltenen Ausschusslisten zum Ausdruck, in denen zwischen einzelnen Namen und den entsprechenden Ständen willkürlich gewechselt wird. Aufschlussreich ist auch die Erwiderung der Geistlichen auf den genannten Einwand der Weltlichen zur fehlenden Berücksichtigung des Hauses Österreich. Die Geistlichen wiesen darauf hin, dass »hievor vff kheinem rheichstag das hauß Osterreich oder derselbigen botschafft in die ausschutz gebraucht worden seyen. Darumb laß man es auch diser zeit also bleyben.«23⁸ Sie bestätigten damit die Ansicht der bayerischen Räte, dass es von enormer Wichtigkeit für ihr »Haus« sei, in den Ausschuss gewählt zu werden. Während die bayerischen Räte eine Wahl erfolgreich mit dem Hinweis anfochten, noch nie sei ein Ausschuss ohne Berücksichtigung des Hauses Wittelsbach gewählt worden, konnten die Geistlichen die Beanstandung ihres Wahlergebnisses mit dem Verweis darauf zurückweisen, dass Österreich noch nie in den Ausschuss gewählt worden sei. In beiden Fällen war also nicht die Autonomie des Wahlverfahrens entscheidend, sondern die Frage, ob das Ergebnis die Rechte eines Hauses verletzte. Es gab somit drei verschiedene Konzepte zur Besetzung der Ausschüsse: Das Wahlverfahren, bei dem jeder Anwesende für so viele Personen jeweils eine Stimme abgeben konnte, wie zu wählen waren, ferner das Prinzip, alle wichtigen Fürstenhäuser im Ausschuss zu repräsentieren, und schließlich das Herkommen, nach dem häufige Ausschussteilnahme auch eine Berechtigung für die Zukunft darstellte. Keines der drei Konzepte wurde allerdings konsequent angewandt. Wäre das Wahlverfahren nämlich widerspruchsfrei institutionalisiert gewesen, hätte es nach der Wahl unter Dr. Vehus 1526 keinen Widerspruch mehr gegeben. Nach dem Repräsentationsanspruch der Fürstendynastien hätte sich der Ausschuss in letzter Konsequenz immer aus den gleichen Familien zusammengesetzt. Nach dem Herkommen zu gehen hätte bedeutet, dass die Ausschüsse immer aus den gleichen Ständen bestanden hätten. Die scheinbare Widersprüchlichkeit dieser Konzepte verdeutlicht die Flexibilität des politischen Systems der Reichstage, auf denen juristische und verfahrenstechnische Aspekte ebenso Berücksichtigung fanden wie die Umgangsregeln der Fürstengesellschaft. Man legte auch bei sich etablierendem Verfahren Wert auf Prinzipien, die im Gerechtigkeitsempfinden der Beteiligten – dem Gefühl für billichait – eine Rolle spielten.23⁹ Auch der Kaiser konnte Einfluss auf die Bildung von Ausschüssen nehmen. Oft kam ein Ausschuss erst durch drängendes Bitten des Herrschers zustande. Die Rolle des Kaisers bei der Besetzung der Ausschüsse war stark von seiner Autorität bei den Ständen abhängig. Die unter diesem Gesichtspunkt eigenwilligste Ausschussbesetzung für Karl V. war sicher die zur Entscheidung der Religionsfrage von 1530: Karl wollte nur mit persönlich anwesenden Fürsten verhandeln und ordnete daher an, dass die Gesandten der Kurfürsten nicht Teil des Ausschusses 238 Ney, Analekten, S. 313. 239 Zum Gerechtigkeitsempfinden als Argument im Verfahrensstreit: Kapitel 4.5.1.1 ab S. 298.

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sein sollten.2⁴⁰ Er griff damit eine Vorgehensweise Maximilians I. wieder auf, der zur Beilegung von Streitigkeiten unter den Ständen ebenfalls nach eigenem Ermessen Gremien zusammenstellte.2⁴1 Die Kritik an dieser Vorgehensweise durch die kurfürstlichen Gesandten bezog sich allerdings nicht darauf, dass Karl ein etabliertes Wahlverfahren umgehe, sondern allein auf den traditionellen Anspruch der Kurfürsten, in allen Ausschüssen vertreten zu sein. Auf welche Weise bestimmt wurde, wie viele Personen von den jeweiligen Ständegruppen zum Ausschuss gewählt wurden, ist kaum durch Quellen belegt. Hier ist natürlich der Fürstenrat von besonderem Interesse, denn die Zahl der aus diesen Ständen delegierten Personen schwankte an den einzelnen Reichstagen deutlich. Bei der oben geschilderten Ausschussbildung von 1526 entschied der Fürstenrat selbst, wie sich seine zehn Delegierten zusammensetzen sollten: von jeder Bank jeweils zwei persönlich anwesende Fürsten und drei Gesandte. Unklar bleibt aber, in welcher Form die Anzahl von zehn Fürsten oder Fürstengesandten insgesamt festgelegt wurde. Naheliegend wäre, dass bei der Bildung eines Großen Ausschusses die Anzahl der Verordneten zwischen den beteiligten Kurien ausgehandelt wurde. Jedoch sind die Aufzeichnungen über die Entscheidung für einen solchen Ausschuss in der Regel sehr knapp. Das Herkommen kann angesichts der enormen Unterschiede in der Zusammensetzung der Großen Ausschüsse keine außerordentlich große Rolle gespielt haben. Hinweise auf Absprachen zwischen den Kurien lassen sich erst für späte Reichstage finden. Auf dem Reichstag von 1547/48 sollte nach dem Wunsch des Kaisers im Zusammenhang mit Karls Bundesplänen auch die Zusammensetzung der kurienübergreifenden Ausschüsse, vor allem die Beteiligung der Städte, reformiert werden. Die Städte erkundigten sich deshalb bei der Ausschussbildung, wie viele Personen sie zu verordnen hätten. Im Bericht über die Relation an die Städte heißt es: »Als nhun die gesandten der stett gefragt, wievil sie personen verordenen sollten, hett Dr. Dillman2⁴2 angetzaigt, das sie deshalb khain bevelch hetten. Es wurden aber chur- und fursten in khlainer anzal verordnen. Derhalb die gesandten der stett bedacht genomen und sich verfangen, was sie sich also vergleichen wurden, in die maintzisch cantzley anzuzaigen. Haben daruff in gmainer umbfrag 4 personen zu pundssachen, nemlich Strasburg, Augspurg, Nurnberg und Lübeckh, verordent«2⁴3. Die Abgeordneten der Stände, die die Städte über den Ausschuss informieren sollten, konnten also keine Vorgaben nennen, wie viele städtische Vertreter zum Ausschuss entsandt werden sollten. Anscheinend hatten sich die oberen Kurien aber bereits über die Anzahl ihrer eigenen Vertreter ausgetauscht, denn zumindest

240 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 150–151. 241 Zum Reichstag von 1530: Kapitel 1.3.1 ab S. 61. Ein Beispiel für ein solches Gremium auf dem Kölner Reichstag 1505 bietet: Heil, Einleitung zu RTA MR 8, S. 118; ders., Reichstag zu Köln, S. 43. 242 Dr. Thilmann Dichtelbach, mainzischer Vizekanzler. 243 RTA JR 18, Nr. 63 (S. 815–933), S. 870.

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wusste der mainzische Vizekanzler zu berichten, sie würden »in khlainer anzal verordnen«. Konkrete Zahlen wurden aber nicht genannt. In der Hoffnung, die Stände würden diese Anzahl akzeptieren, meldeten die Städte daraufhin vier Deputierte an die Mainzer Kanzlei. Die zitierte Quelle lässt die Interpretation zu, dass die Zusammensetzung der Ausschüsse kaum abgesprochen wurde. Für den Supplikationsrat von 1550/51 ist dagegen der Versuch der Stände des Fürstenrats überliefert, ihren Anteil an diesem Gremium nachträglich aufzustocken. Nachdem der Ausschuss schon geraume Zeit getagt hatte, eröffnete der bayerische Gesandte den anderen Ausschussmitgliedern, der Fürstenrat habe nach altem Herkommen acht Personen – jeweils vier von jeder Bank – zum Supplikationsausschuss beordert. Deshalb hätten die Stände des Fürstenrats nun vier weitere Stände verordnet.2⁴⁴ Die anderen Ausschussmitglieder zweifelten zwar die vorgebrachte Begründung an, erklärten sich aber bereit, statt der vier immerhin zwei weitere Stände zuzulassen. Weil die Stände des Fürstenrats dies aber ablehnten, musste der Kurfürstenrat sich mit dem Thema befassen. Es wurde darüber diskutiert, ob der Supplikationsrat überhaupt ein richtiger Ausschuss oder etwas anderes sei und ob zu den sechs Personen, die der Fürstenrat gewöhnlich dazu verordnete, bereits die Vertreter von Prälaten und Grafen gehörten oder es sich allein um reichsfürstliche Räte handelte.2⁴⁵ Interessant ist hierbei, dass sich der Fürstenrat, der den Supplikationsrat als Ausschuss auffasste, berechtigt sah, allein auf Basis des Herkommens ohne vorige Rücksprache weitere Ausschussmitglieder zu verordnen. Parallel dazu könnte man annehmen, dass die Ausschüsse, die noch nicht so fest zu einer »Institution«2⁴⁶ geworden waren wie der Supplikationsrat, vom Fürstenrat relativ frei beschickt wurden. Hierfür spricht, dass der Fürstenrat gewöhnlich einen eigenen Ausschuss einrichtete, wenn ein Großer Ausschuss nicht sofort zustande kam. Dieser Fürstenratsausschuss konnte dann durch Delegierte der anderen Kurien nachträglich zu einem kurienübergreifenden Ausschuss erweitert werden.2⁴⁷ Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Stände des Fürstenrats in den 1520er Jahren verhältnismäßig leicht beeinflussen konnten, wie viele Mitglieder sie in die kurienübergreifenden Ausschüsse entsandten, solange sie dabei nicht zu sehr von den durch das Herkommen geprägten Erwartungen abwichen. So lässt sich auch erklären, warum die Großen Ausschüsse der 1520er Jahre so unterschiedlich zusammengesetzt waren.

244 Indirekt wiedergegeben in: RTA JR 19, Nr. 256 (S. 1360–1447), S. 1370; wörtlich zitiert bei: Neuhaus, Supplikationsausschuß, S. 177–178. 245 Ders., Supplikationsausschuß, S. 178–182. 246 Ebd., S. 182. 247 1526 versuchten die Fürsten beispielsweise, die Kurfürsten zur Beteiligung an einem Ausschuss zu den Missbräuchen und Gravamina zu bewegen, den sie bereits eingerichtet hatten. Hätten die Kurfürsten sich an diesem Ausschuss beteiligt, wäre seine Zusammensetzung im Wesentlichen durch den Fürstenrat bestimmt gewesen: Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 81.

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3.3.4 Ausschusswesen und Parteilichkeit Als eine große verfahrenstechnische Errungenschaft wird die eindeutige Teilnehmerzahl der Ausschüsse bewertet.2⁴⁸ Gerade unter dem Gesichtspunkt der Verfahrensautonomie, wie ihn Luhmann einführte,2⁴⁹ stellen die Ausschüsse des Reichstags eine Besonderheit dar.2⁵⁰ Sowohl die kurienübergreifenden als auch die kurieninternen Ausschüsse erfüllten die Bedingungen für Verfahrensautonomie deutlich besser als die meisten anderen Versammlungs- und Beratungsformen des Reichstags. Die Ausschusssitzungen waren deutlich von den übrigen Sitzungen getrennt, ihre Mitglieder waren definiert und sogar in gewissem Grad unabhängig von äußeren Einflüssen. Durch die Anwendung von Mehrheitsabstimmungen waren die Ausschussmitglieder im verfahrenstechnischen Sinn außerdem nahezu gleichwertig. Da die Ausschussgutachten gewöhnlich großen Einfluss auf den Reichsabschied hatten, ist verständlich, warum Ausschüsse oft als die effizienteste Versammlungsform der Reichstage wahrgenommen werden. Diese Auffassung teilten jedoch nicht alle Reichstagsteilnehmer. Bisweilen wurde den Ausschüssen sogar vorgeworfen, ineffizienter als das Kurienverfahren zu sein.2⁵1 Wie lässt sich dies erklären? In der Literatur zu den Reichstagen wird gewöhnlich die auch im Ausführlichen Bericht2⁵2 formulierte Ansicht vertreten, die vergleichsweise unbedeutenden Rolle der Kurfürsten in den Ausschüssen sei der Hauptgrund für den Niedergang des Ausschusswesens.2⁵3 Dies mag auf lange Sicht, auch mit Blick auf die Zeit nach Karl V., richtig sein. Ein weiterer wesentlicher Grund für die Verhinderung kurienübergreifender Ausschüsse war aber sicherlich gerade die hohe Verfahrensautonomie, die dem Charakter der Reichsversammlungen nicht gerecht wurde. Unter dem Eindruck der Glaubensspaltung, die das Reich in seinem Fundament – dem Sinn stiftenden Glauben – erschütterte, war die hohe Verfahrensautonomie der Ausschüsse unangebracht. Große Ausschüsse konnten die Beschlussfassung der Reichsversammlung beschleunigen, solange ein grundsätzlicher Konsens gegeben war. Dies traf auf den Reichstag von 1521 beispielsweise viel deutlicher zu als für den von 1530: 1521 ging es um Themen wie die Ausgestaltung eines Reichsregiments, ein Projekt, das unter den Ständen keine Gegner hatte, und um die Bewilligung und Ausgestaltung einer 248 Schlaich, Mehrheitsabstimmung, S. 307–308. 249 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 69–74. 250 Zu Verfahrensautonomie in der Frühen Neuzeit auch: Stollberg-Rilinger, Einleitung in: »Vormoderne politische Verfahren«, S. 17–18. 251 So beispielsweise das kursächsische Votum vom 4. Oktober 1547: RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 387–388. 252 Rauch, Traktat, S. 70. 253 Einige Beispiele: Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise, S. 242-243; Lanzinner, Der deutsche Reichstag und Karl V., S. 5-7; ders., Die Rolle des Mainzer Erzkanzlers auf den Reichstagen in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 72; Heil, Der Reichstag des 16. Jahrhunderts als politisches Kommunikationszentrum, S. 257.

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Romzughilfe, die dem gewählten Kaiser von alters her ohnehin zustand. Hierzu die genaue Ausarbeitung einem Ausschuss anzuvertrauen, in dem sich Vertreter aus allen beteiligten Ständegruppen befanden, war vergleichsweise einfach. Neun Jahre später standen sich mit Gegnern und Befürwortern Luthers zwei Gruppen gegenüber, die sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber hatten, wie der Kaiser den Streit beilegen sollte. Mit zunehmender konfessioneller Ausrichtung der Stände konnte ein potenzieller Ausschuss nicht mehr auf den grundsätzlichen Konsens unter den Ständen aufbauen. Vielmehr sahen sich die Reichsstände nahezu unüberwindlichen Gegensätzen ausgesetzt: Während besonders für die geistlichen Fürsten die Zurückdrängung der neuen Lehre von existenzieller Notwendigkeit war, lag für die evangelischen Fürsten in der Reformation die Rechtfertigung ihres Landesausbaus. In dieser Situation gegenseitigen Misstrauens bargen die Reichsversammlungen – mochten sie auch aus anderen Gründen einberufen worden sein – stets die Gefahr, die Lage der Parteien weiter zu verschlechtern. Die Parteien sorgten sich daher um den Einfluss der jeweils anderen Partei. Nicht ohne Grund fürchteten die geistlichen Fürsten 1526 angesichts der antiklerikalen Grundstimmung einen Reichstag ohne den Kaiser.2⁵⁴ Auch war für den Kurfürstenrat die offen lutherische Haltung der Städte ein Hindernis für einen Großen Ausschuss.2⁵⁵ Dagegen drückte der Memminger Gesandte Hans Ehinger 1529 seine Furcht vor der altgläubigen Dominanz aus, als er schrieb: »Es gefellt mir die sach vebell. Dr. Egck, Fabrj vnd ander gaistlich regierend gantz gwaltigclichen auff disem richstag«2⁵⁶. Der Schwebezustand, in dem sich die Religionsfrage unter Karl V. befand, konnte nicht durch eine Mehrheitsabstimmung beigelegt werden. Er musste künstlich aufrecht erhalten werden, um eine Eskalation zu vermeiden. Gerade weil sie leicht zu eindeutigen Ergebnissen führten, waren in solchen Situationen Ausschüsse deshalb das falsche Mittel. Das angewendete Mehrheitsverfahren hätte in Religionsfragen einfach derjenigen Religionspartei recht gegeben, die mehr Mitglieder im Ausschuss stellte. Dies hätte bei der unterlegenen Partei aber nicht zu einem Einlenken geführt, sondern den Streit eskalieren lassen. Beispiele für solche Eskalationen sind sicher die Protestation von 1529 und die vorzeitige Abreise der Protestanten 1530 und 1546.2⁵⁷ Das einzige Mittel, das im Rahmen der Reichstage und unter den gegebenen politischen Machtverhältnissen eine Möglichkeit für einen erfolgreichen Reichstag zur Türkenhilfe und anderen nicht religiösen Themen bot, war die Ritualisierung des Konflikts. Dies geschah etwa mit der andauernden Verschiebung des Religionskonflikts auf ein lange Zeit nicht absehbares Konzil oder die Ankündigung neuer Religionsgespräche. Zwei Möglichkeiten wurden genutzt, um trotz dieser Situation auf Ausschüsse zurückzugreifen: Zunächst konnten Ausschüsse, die sich mit der Glaubensthe254 255 256 257

Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 62–63, 79. Ebd., S. 80. Dobel, Hans Ehinger 1529, Nr. VIII (S. 62–65), S. 63. Zu den jeweiligen Reichstagen: Kapitel 1.2.7 (1529) ab S. 55, Kapitel 1.3.1 (1530) ab S. 61 und Kapitel 1.5.3 (1546) ab S. 85.

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matik befassten, paritätisch zusammengesetzt werden.2⁵⁸ Wie gezeigt, wurde dies 1530 versucht und auch später im Rahmen der von Karl geförderten Religionsgespräche praktiziert. Das bedeutete aber den Verzicht auf die Mehrheitsabstimmung und auf die Verfahrensautonomie. Die andere Möglichkeit war, die Aufgaben des zu bildenden Ausschusses möglichst genau einzugrenzen und seine Gutachten ausdrücklich der weiteren Behandlung in den Kurien zu unterstellen. So ist leicht zu verstehen, warum die kurienübergreifenden Ausschüsse spätestens ab 1530 keine uneingeschränkte Kompetenz mehr zugesprochen bekamen. Schon 1526, als die Bildung eines Großen Ausschusses auf Widerstand traf, hieß es über dessen Mitglieder, »das sie darin gar nichts beschliessen oder zu beschliessen haben sollen, sonder ir einhellig bedencken aufzceichnen und das furter den Kff. und Ff. furgehalten werden. Die sollen solichs furter fur sich selbs, nemlich die churfursten in irem rathe fur sich selbs, dergleichen die fursten und stende in irem rathe und, wes sie von beiden teiln sich dan einmutiglich entschliessen und begreiffen, das soll also angenommen, gehalten und vollenzogen haben.«2⁵⁹ Die Formulierung verdeutlicht das Misstrauen, das den Ausschussgutachten entgegengebracht wurde. Es sollte ausgeschlossen werden, dass das Gutachten einen irgendwie gearteten Zwang für die endgültige Entscheidung ausüben würde. Formell erstellten Ausschüsse immer nur ein Gutachten, das für sich keine Rechtskraft hatte. Die Ausführung dieser scheinbaren Selbstverständlichkeit verdeutlicht, wie schwierig es für Minderheiten war, sich gegen die Ausschussgutachten noch im Nachhinein zu wehren. Misstrauen war zunächst der Grund, weshalb nicht mehr zu uneingeschränkten Ausschüssen gegriffen wurde. Gerade wegen seiner Verfahrensautonomie bedurfte ein Großer Ausschuss des Vertrauens der Stände. Die geringe Verfahrensautonomie der Ständeversammlung war in diesem Sinne kein Defizit an Verfahren, sondern Ausdruck der politischen Notwendigkeit. Nur wenn alle Stände den Ausschussmitgliedern vertrauen konnten, konnten sie wichtige Angelegenheiten einem verhältnismäßig autonomen Verfahren unterwerfen. Es ist auch anzunehmen, dass sich die Wahrnehmung des Abstimmungsverfahrens durch die Ausschussteilnehmer im Laufe der Zeit änderte. Parallel zum Mehrheitsverfahren in den Kurien ist davon auszugehen, dass auch die Großen Ausschüsse zu Beginn der 1520er Jahre von einem starken Konsenszwang geprägt waren und dass die Benachteiligung der Kurfürsten in den Ausschüssen ursprünglich nicht daher kam, dass ihre Stimmen so viel wogen wie die der anderen Stände. Die anderen Ausschussmitglieder konnten im Ausschuss jedoch – und das war der Unterschied zum Verfahren der Kurien – die Meinung der einzelnen Kurfürsten hören, bevor diese sich geeinigt hatten. Zeigte sich im Ausschuss keine einheitliche Meinung der Kurfürsten, konnten auch andere Stände leichter in ihrer Meinung 258 Solche Ausschüsse wurden ausdrücklich als freundschaftliches Einvernehmen (compositio amicabilis) verstanden: Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 133–135. 259 RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 438.

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von einzelnen Kurfürsten abweichen, ohne dass dies als Respektlosigkeit gegenüber den Kurfürsten gewertet wurde. Vermutlich wurde die tatsächliche Anzahl der Stimmen deswegen auch in den Ausschüssen erst bedeutsam, als sich generell ein Bewusstsein für Mehrheitsabstimmungen entwickelte. Auch arbeiteten die paritätisch zusammengesetzten Vermittlungsausschüsse von 1530 nicht mit einzelnen Voten. Dies mag einerseits auf der Hand liegen, immerhin waren sie ja paritätisch zusammengesetzt, um kompromissloses Überstimmen zu verhindern. Andererseits hätte das tatsächlich angewendete Verfahren auch unterschiedlich große Gruppen ermöglicht. Tatsächlich bestanden die Vermittlungsausschüsse nämlich aus jeweils zwei einzelnen Ausschüssen, deren Aufgabe anscheinend darin bestand, miteinander zu kommunizieren: Der Vierzehnerausschuss von 1530 setzte sich aus zwei Ausschüssen zusammen, die jeweils von den lutherischen und von den übrigen Ständen gebildet wurden. Laut der Protokollierung der Verhandlungen2⁶⁰ äußerten sich beide Seiten jeweils abwechselnd. Die beiden Einzelausschüsse berieten also vermutlich jeweils separat, denn die Beiträge der einzelnen Parteien sind stets als geschlossene Meinung notiert: »Auf dises fhurhalten des andern thails verordent haben wir von gemaynen Stenden nach gehaptem bedacht Inen muntliche antwort geben vff die zwen Artickel […]«2⁶1. Auch als der Vermittlungsausschuss auf sechs Personen verkleinert wurde, arbeiteten diese als zwei miteinander kommunizierende Dreierausschüsse.2⁶2 Die Reduzierung der Beteiligten auf eine paritätische Anzahl zu beiden Seiten wirkte sich also nicht auf die unmittelbare Votenabgabe im Vermittlungsausschuss aus. Stattdessen waren wenige Personen aufgerufen, mit der Gegenseite eine Einigung zu finden. Diese besprachen sich aber jeweils im Kreis ihres eigenen Ausschusses und teilten erst bei einer – vermutlich im allgemeinen Konsens gefundenen – Einigung ihre Position dem anderen Ausschuss mit. Die Aufgabe, die diese Ausschüsse erfüllten, war also nur, auf jeder Seite die Anzahl der beteiligten Personen zu reduzieren. Die Parität der Ausschussmitglieder erfüllte aber keine numerische verfahrenstechnische Funktion, sondern drückte die Ebenbürtigkeit der beiden Parteien aus. Zwischen den Parteien wurde bewusst auf jegliches Verfahren verzichtet, das zu verbindlichen Entscheidungen führen musste. Nur so war eine Behandlung der Thematik durch einen Ausschuss überhaupt möglich, ohne von Vornherein zum Scheitern verurteilt zu sein. Die Ausschüsse waren aber nicht die einzige Versammlungsform, die unter dem Eindruck der Glaubensspaltung zurückgedrängt wurde. Nicht beachtet wurde in diesem Zusammenhang bisher leider, dass auch die vermeintlich regulären Kuriensitzungen durch die Glaubensspaltung oft gespalten und teilweise durch 260 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10182/13, fol. 20r–54v; Förstemann, Urkundenbuch, Band 2, Nr. 144 (S. 219–230), Nr. 147 (S. 236–238), Nr. 154 (S. 263–271). 261 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10182/13, fol. 48v. 262 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 10182/13, fol. 55r–68v. Die jeweiligen Beiträge und Antworten im Sechserausschuss finden sich auch bei: Förstemann, Urkundenbuch, Band 2, Nr. 163–165 (S. 292–300), Nr. 306 (S. 306–310).

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Partikularräte ersetzt wurden. Die zunehmend unversöhnliche Haltung der beiden Konfliktparteien, die schon früh die Entwicklung des Ausschusswesens dämpfte, wirkte sich auch auf die anderen Versammlungs- und Beratungsformen der Reichstage aus.

3.3.5 Zusammenfassung – Ausschüsse Das Ausschusswesen der Reichstage unter Karl V. war äußerst komplex und flexibel. Dies drückt sich schon darin aus, dass weder die Zusammensetzung noch die Anzahl oder Aufgabenfelder sich im Laufe der Zeit verstetigten. Die einzigen Ausnahmen sind hier wohl der Supplikationsausschuss, dessen Eigenschaft als Ausschuss bereits 1550 angezweifelt wurde, und der Ausschuss zum Reichsabschied. Große Ausschüsse scheinen ursprünglich nicht als Gremien zur Entscheidungsfindung durch Mehrheitsabstimmungen gedacht gewesen zu sein. Sie dienten zunächst eher der gütlichen Einigung der Standesgruppen. Der Ausführliche Bericht betrachtet die kurienübergreifenden Ausschüsse bereits in der Retrospektive und zeichnet dabei ein eindeutig – und angesichts der anzunehmenden Reichstagserfahrung seiner Verfasser wahrscheinlich bewusst – falsches Bild von der Zusammensetzung der früheren Großen Ausschüsse. Ebenfalls Ausdruck der genannten Flexibilität ist die fehlende Begriffsbildung im Ausschusswesen. Abgesehen vom Supplikationsrat bildete sich für keinen Ausschusstyp ein präziser, allgemein anerkannter Begriff heraus. Bei der Bildung von Ausschüssen wurde anscheinend ein Wahlverfahren angewandt, das aber ebenfalls leicht abzuwandeln war und sich zusätzlich an Normen orientieren musste, die durch die Hierarchie der anwesenden Stände und durch das Herkommen geprägt waren. Das Verfahren zur Ausschussbildung folgte bei persönlich anwesenden Fürsten anderen Normen als zwischen gesandten Räten. Dies hatte Auswirkungen darauf, wie Ausschüsse seitens der Fürsten und der Gesandten jeweils wahrgenommen und besetzt wurden. Die Ausschusswahl von 1526 zeigt, dass dem bereits Rechnung getragen wurde, indem die verfügbaren Ausschussplätze schon vorab in Fürsten- und Rätesitze eingeteilt wurden. Während Räte bei der Besetzung der Ausschüsse mehr Wert auf gewohnheitsrechtliche Ansprüche legten, sahen sich die Fürsten untereinander zu einem großzügigeren Handeln veranlasst. Außerdem schätzten sie die Teilnahme an Ausschüssen weniger als die gelehrten Räte. Die verhältnismäßig große Verfahrensautonomie der ständischen Ausschüsse war für den Umgang mit der Glaubensspaltung nicht hilfreich. Gerade durch die klaren Wege der Entscheidungsfindung und wegen der fehlenden Möglichkeiten für Minderheiten, sich gegen solche Entscheidungen zu wehren, drohten Ausschüsse den Glaubenskonflikt eskalieren zu lassen. Dies war ein wesentlicher Grund für die zunehmende Einschränkung des Ausschusswesens.

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3.4 Umfrage und Mehrheitsabstimmung 3.4.1 Anwendung des Mehrheitsprinzips Das Verfahren der Umfrage war universelle Mittel zur Meinungsfeststellung und -findung auf den Reichstagen und auch bei vergleichbaren Situationen und Versammlungen – etwa Landtagen. Dabei ist schwer zu fassen, wie das Verfahren der Umfrage nun genau funktionierte.2⁶3 Gerade angesichts der deutlich schwankenden Anzahl und der ungleichen Bedeutsamkeit der Teilnehmer wird vor allem dem Fürstenrat unterstellt, bei der Abstimmung in irgendeiner Form »ponderiert«2⁶⁴ – also gewichtet – zu haben.2⁶⁵ Auch Winfried Schulze weist darauf hin, dass bei Mehrheitsabstimmungen »number and status of those estates«2⁶⁶ berücksichtigt wurden. Diese Ansicht geht vermutlich zurück auf den Juristen Johann Peter Ludewig, der zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu erklären versuchte, weshalb es auf den frühen Reichstagen noch keine Praxis der Stimmenakkumulation gab.2⁶⁷ Ludewig beschreibt, ursprünglich sei die »Macht der uotirenden« wichtiger gewesen als die Anzahl der Stimmen. Da die Anzahl der Fürstenvoten ständig gestiegen sei, »hat man den Schluß nicht nach denen meisten Stimmen gerechnet und sich, wie ietzo geschiehet, nach solcher anzahl abmaioriren lassen«, sondern »nach der Macht der uotirenden und der Beschaffenheit der sache geachtet und, nach der geistlichen weise, mehr ponderiret, als numeriret, mehr erwogen, als nur gezehlet«. Es sei daher völlig unerheblich gewesen, ein oder mehrere Voten zu haben, »weil ein mächtiges mehr, als zehen und zwanzig andere uota kleiner und barmhertziger Fürsten oder Pfaffen gegolten hat.«2⁶⁸ Solche Beschreibungen können den Eindruck erwecken, es habe eine Art abstrahierendes System bestanden, nach dem der Rang eines Abstimmenden die Wertigkeit seiner Stimme vorgegeben habe, als habe es eine Art Stimmgewichtsmatrikel gegeben, die das Gewicht einer jeweiligen Stimme angab. Eine solche Liste gab es natürlich jedoch nicht. Wie funktionierte dann die Umfrage in den Kurien, vor allem im heterogenen Fürstenrat? War es dem Direktor der Umfrage überlassen, die Stimmen der Anwesenden nach eigenem Gutdünken zu gewichten? Zunächst muss beachtet werden, dass der Begriff »Umfrage« in den 1520er Jahren noch kein spezielles Verfahren bezeichnete, sondern auf verschiedene Verfahrenstechniken angewandt wurde. Dies zeigt die schon im Zusammenhang mit 263 Isenmann schreibt etwa: »Das Mehrheitsprinzip ist nicht [als] ein mechanisches Durchzählen der Einzelvoten zu verstehen. Mit der Herausbildung kurialer Beratungsformen setzen sich zunächst Mehrheitsverhältnisse durch, über deren Zustandekommen die Quellen schweigen«: Isenmann, Kaiser, Reich und deutsche Nation, S. 209. 264 Becker, Der Kurfürstenrat, S. 75; Stollberg-Rilinger, Zeremoniell als politisches Verfahren, S. 111. 265 Hierzu auch: Ott, Präzedenz, S. 48. 266 Schulze, Majority Decision, S. 49. Vgl. auch: ders., Reich und Türkengefahr, S. 126–127. 267 Zur Herausbildung der Voten: Domke, Die Viril-Stimmen im Reichs-Fürstenrath von 1495–1654. 268 Ludewig, Vollständige Erläuterung der Güldenen Bulle, Bd. 2, S. 1485.

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der Bildung der Ausschüsse dargestellte Auseinandersetzung um die Ausschusswahl von 1526 mittels Strichliste, bei dem jeder Stand die gleiche Stimmanzahl hatte.2⁶⁹ Nachdem die bayerischen Gesandten das Wahlergebnis erfolgreich angegriffen hatten, bot ein in den Ausschuss gewählter Fürst dem einzigen anwesenden Wittelsbacher seinen Ausschussplatz an. Als die Rechtmäßigkeit dieses Wechsels angezweifelt wurde, bestanden die bayerischen Räte hartnäckig auf ihrer Position und erreichten, »das man noch einmal umbfragen muest«2⁷⁰. In dieser Umfrage wurde die Aufnahme des Wittelsbachers in den Ausschuss bestätigt. Schwarzenberg, von dem das Zitat stammt, betrachtete also anscheinend sowohl das Abstimmen mittels einer Strichliste als auch die Umfrage, bei der die Anwesenden nacheinander gefragt wurden und ihre Meinung äußern durften, als »Umfrage«. Hätte er begrifflich zwischen Strichlistenwahl und mündlicher Umfrage unterschieden, hätte man nicht »noch einmal« umfragen müssen. Auch im Abstimmungsverfahren gab es also kaum eine zuverlässige Begriffsbildung. Die fehlende Unterscheidung zwischen den beiden Verfahren lässt aber auch eine empfundene Gleichwertigkeit vermuten, die eine terminologische Differenzierung nicht notwendig werden ließ. Genaue Aussagen zu Abstimmungen sind gerade zu den frühen Reichstagen nicht leicht zu treffen, da die Protokollierung der einzelnen Voten zu der Zeit noch nicht üblich war.2⁷1 Gerade für den in dieser Hinsicht interessanten Fürstenrat entwickelte sich die Protokollierung nur langsam. Noch in den 1540er Jahren wurden – wenn überhaupt – oft nur sehr knappe Berichte über die Verhandlungen im Fürstenrat angefertigt. Anstelle ausführlicher Voten heißt es da oft für ganze Verhandlungstage lediglich, man habe »abermals den gantzen dag rathe gehalten«2⁷2. Für die meisten Reichstage unter Karl V. lassen sich also nur indirekt Schlüsse über die Abstimmungen ziehen. Hinzu kommt, dass in den 1520er Jahren die Großen Ausschüsse Abstimmungen im Fürstenrat selten notwendig werden ließen. Auf dem Reichstag von 1526, einem der ersten, an denen das Ausschusswesen zurückgedrängt wurde, wurde die Umfrage im Fürstenrat aber schon bedeutsam. Hier ist aus den Aufzeichnungen der Mainzer Kanzlei überliefert, dass die Stände des Fürstenrats dem Kurfürstenrat über ein Stimmenpatt berichteten. Zu der Frage, ob die kirchlichen Missbräuche verhandelt werden sollten, meldeten sie: »das ir ratschlag auf zweyerley maß gefaßt und das zu ydem die stim gleich seyen«2⁷3. Im Fürstenrat gab es also zwei verbreitete Meinungen, die gleich viele Stimmen bekommen hatten. Auch im Kurfürstenrat hatte es eigentlich ein Stimmenpatt gegeben: Die eine Hälfte war für, die andere gegen die Beratung der Missbräuche. Der Kurfürstenrat hatte aber schließlich entschieden, das Thema zu verschieben. Den kaiserlichen Kommissaren, die die Frage angeregt hatten, sollte deshalb zunächst 269 270 271 272 273

Vgl. das Kapitel zur Bildung der Ausschüsse (3.3.3), S. 195. RTA JR 5/6, Nr. 214 (S. 861–865), S. 864. Zur Entwicklung der Protokolle: Cohn, Protocols. RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 374. RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 456.

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ausweichend geantwortet werden.2⁷⁴ In beiden Kurien war es also möglich und anscheinend auch üblich, die Anzahl der Voten für oder gegen eine Möglichkeit zu zählen. Während die Kurfürsten jedoch gewöhnlich in solchen Pattsituationen dazu neigten, nach außen möglichst lange geschlossen aufzutreten, scheuten sich die Stände der zweiten Kurie nicht, ihre Uneinigkeit zu kommunizieren. Vom Augsburger Reichstag 1547/48 ist überliefert, dass die Stände des Fürstenrats in der Relationssitzung dem Kurfürstenrat sogar mitteilten, wie viele Stände im Fürstenrat sich der Haltung des Kurfürstenrats hatten anschließen wollen: Obwohl 14 Stände dafür gewesen seien, habe sich die Mehrheit des Fürstenrats dagegen ausgesprochen.2⁷⁵ Am umfangreichsten informieren die Reichstagsakten von 1555 über Abstimmungen im Fürstenrat. Dem österreichischen Rat Dr. Johann Ulrich Zasius sind recht genaue Aufzeichnungen zu verdanken.2⁷⁶ Als Mitverantwortlicher für die österreichische Politik im Fürstenrat sah er sich auch veranlasst, über seine teilweise vergeblichen Versuche zu berichten, den Fürstenrat auf österreichische – also königliche – Linie zu bringen. Als es um den Brief eines Geächteten ging, versuchte er, diesen nur in Anwesenheit des Königs öffnen zu lassen: »Und wiewol vast der weltlichen all (außerthalb Braunschweig) etlich vil und dann der gaistlichen in contrarium votiert, so ist doch unserm voto das mehrer zugefallen. Gleichwoll allain mit ainer stimb, deren wir mehr als die andern gehapt.«2⁷⁷ Zasius berichtet also von einer Mehrheitsabstimmung, in der zwar fast alle weltlichen Stände und auch einige geistliche Fürsten gegen die österreichische Haltung votierten, aber Österreichs Meinung dennoch mit einer knappen Mehrheit von lediglich einer Stimme angenommen wurde. Nachdem sich in der Relation mit dem Kurfürstenrat jedoch herausgestellt hatte, dass dieser der Meinung war, das Schreiben sei vorbehaltlos zu öffnen, wurde im Fürstenrat wieder dazu umgefragt. Zasius nutzte wieder die hervorgehobene Stellung Österreichs, um die Stände in einer langen Rede von seiner Position zu überzeugen, doch diesmal scheiterte er: »Aber unangesehen aller dieser ausfuerung und ablainung, so mit guettem vleiß und etwas weitleffter deduciert worden, seindt die gaistlichen (ausser Bamberg und Wirtzburg und das Saltzburg zu aim schein an sein hern zu pringen genomben) vast alle etwas unzimlich abgefallen und durch das mehrer sich mit der kfstl. räth bedenckhen stracks verglichen, doch der gestalt, daß das marggrävisch schreiben allein angenomben, erprochen und verlesen, aber on vorwissen der kgl. Mt. nit allain nichts darüber deliberiert, sonder auch dasselbe nit abgeschriben werden sollte.«2⁷⁸ Zur zweiten Abstimmung nennt Zasius keine genaue Stimmendifferenz, auch gibt er generell keine Auskunft über die Anzahl der abgegebenen Stimmen. Er no274 275 276 277 278

RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 454-455. RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 375. RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536). Ebd., S. 1397. Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1400.

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tiert lediglich, »das mehrer«, also die Mehrheit, sei nun den Kurfürsten zugefallen. Interessant ist aber, dass nicht zwischen den zwei Alternativen entschieden wurde, die die bisherigen Kurienrelationen vorgaben. Diese wären das von den Kurfürsten vorgeschlagene Öffnen des Briefs und die von Österreich geforderte Weitergabe an den König gewesen. Stattdessen schlossen sich die Stände den Kurfürsten zwar an, formulierten aber eine neue Bedingung, nämlich nach dem Öffnen des Briefs dessen Inhalt nur zu erörtern, wenn zuvor der König informiert worden sei. Dies klingt nach einem zumindest symbolischen Entgegenkommen gegenüber dem überstimmten Direktor Österreich. In den genannten Fällen lieferte die Umfrage also ein Ergebnis, bei dem die Anzahl der Stimmen gezählt werden konnte. Das Direktorium der jeweiligen Sitzung, im Fürstenrat also täglich wechselnd Österreich oder Salzburg, konnte aber durch die Formulierung der Frage und die Möglichkeit, früh zu sprechen, die Umfrage steuern. Auffällig ist, dass die Abstimmungsergebnisse, zu denen ein konkretes Stimmverhältnis greifbar wird, gewöhnlich Fragen des Verfahrens betreffen: Wie soll der Ausschuss besetzt sein? Soll ein Ausschuss sich mit den kirchlichen Missbräuchen befassen, obwohl der Kaiser Neuerungen in der Religion untersagt hat? Soll ein Brief geöffnet werden? Soll vor dem Öffnen des Briefs der König informiert werden? All diese Fragen hatten keine direkte politische Tragweite. Sie waren zwar für die Beteiligten von Bedeutung und waren auch Ausdruck eines bestehenden Mächteverhältnisses. Sie tangierten Fragen wie die Stellung der Kurfürsten zu den übrigen Ständen, die Stellung einzelner Stände in ihrer Ständegruppe und die Rolle des Kaisers oder des Königs gegenüber den Ständen. Sie betrafen aber keine weitreichenden politischen Entscheidungen wie beispielsweise den Religionsfrieden. Aber auch diese Entscheidungen wurden mittels der Umfrage getroffen. Wie ging man dabei vor? Auch hierzu bietet das Protokoll von Zasius wertvolle Informationen.

3.4.2 Das Verfahren der Umfrage: Ein Beispiel Die protokollierten Umfragen eines Verhandlungstages sollen hier als ausführliches Beispiel dienen: Am 30. März 1555 stimmte der Fürstenrat über ein Gutachten ab, das der zuständige Fürstenratsausschuss entworfen hatte.2⁷⁹ Gegenstand des Gutachtens war der Entwurf für einen dauerhaften Religionsfrieden, also das politisch brisanteste Thema des Reichstags. Verfahrenstechnisch relevant war, dass nach dem Passauer Vertrag das Mehrheitsverfahren bei der Ausarbeitung des Friedens nicht angewandt werden sollte.2⁸⁰ Die Beratungsweisen des Reichstags mussten also entsprechend angepasst werden. Dabei wurde aber kein komplett anderes Verfahren entworfen, sondern lediglich das Ziel einer Einigung im Konsens

279 RTA JR 20, Nr. 165 (S. 1779–1787). 280 RTA JR 15, Nr. 3 (S. 123–135), S. 128.

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Die Verhandlungen

festgehalten. Wie genau man dabei vorgehen sollte, war umstritten und wurde somit selbst Gegenstand der Verhandlungen. Österreich hatte mit Bayern einen Vorschlag für einen Religionsfrieden eingebracht. Dieser war durch einen Fürstenratsausschuss begutachtet worden. Nun wollte Österreich das Ausschussgutachten nach Möglichkeit nur noch durch den Fürstenrat bestätigen lassen, um es als »Ratschlag der Fürsten und Stände« dem Kurfürstenrat präsentieren zu können. Österreich, dem – sicherlich nicht zufällig2⁸1 – das Direktorium an diesem Tag zufiel, eröffnete deshalb die Umfrage und erklärte, es sei selbst im Ausschuss vertreten gewesen und mit dessen Gutachten zufrieden.2⁸2 Auch Bayern, das ebenfalls Ausschussmitglied war, stimmte dem Gutachten nun zu. Daraufhin äußerte sich mit Salzburg ein Stand, der nicht im Ausschuss war, und berichtete von einer Unterredung der geistlichen Stände. Diese hatten zur Vorbereitung der Sitzung das Ausschusskonzept durchgesehen und eine Liste von Ergänzungen vorgenommen, die Salzburg jetzt ausführlich vorstellte.2⁸3 Anschließend übergab es die Änderungsvorschläge in Schriftform.2⁸⁴ Nachdem diese Änderungsvorschläge eingereicht worden waren, vielleicht nach einer Beratungspause, eröffnete Österreich die unterbrochene Umfrage von Neuem. Die Stände sollten sich nun sowohl zum Ausschussgutachten als auch zu den Eingaben Salzburgs äußern. Österreich blieb bei seiner Haltung, das Konzept unverändert dem Kurfürstenrat vorzustellen. Bayern schloss sich dem wieder an. Salzburg bestand aber auf den eingebrachten Änderungen und rechtfertigte diese wieder ausführlich.2⁸⁵ Der nun angesprochene Herzog von Württemberg2⁸⁶ bezog nicht direkt Stellung zu den Änderungsanträgen, sondern empfahl, diese Änderungen nicht als Ganzes, sondern einzeln zu beraten. Wenn dies angenommen würde, wolle er sich zum ersten Änderungsvorschlag äußern.2⁸⁷ Interessant an dem bisher geschilderten Ablauf ist, dass zwar Österreich als Direktor die Frage vorgab, zu der die Stände ihre Meinung abgeben sollten, diese Frage dann aber von den Ständen modifiziert wurde: Zunächst hatte Salzburg mit seinen Änderungsvorschlägen erwirkt, dass die Umfrage neu begonnen wurde und die Stände sich dabei auch zu den Vorschlägen der Geistlichen äußern sollten. Auch diese Umfrage verlief nicht wie vorgesehen, denn nun beantragte Württemberg, angesichts der Änderungsvorschläge die Kapitel des Gutachtens einzeln 281 Da Salzburg und Österreich sich mit dem Direktorium abwechselten und Salzburg kein Anhänger der Friedensvorschläge des Ausschusses war, liegt die Vermutung nahe, dass Österreich zur Präsentation des Ausschussgutachtens gezielt einen Tag ausgesucht hatte, an dem es selbst das Direktorium im Fürstenrat innehatte. 282 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1344. 283 »Saltzburg hat die correcturas über das concept, deren sich die gaistlichen letstlich underainander verglichen ad longum deduciert«: Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1344. 284 Ebd., Nr. 169 (S. 1798–1804). 285 Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1344–1345. 286 Da Christoph von Württemberg persönlich zugegen war, wurde sein Votum direkt nach Salzburg angehört. 287 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1345.

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Umfrage und Mehrheitsabstimmung

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und nicht als Ganzes zu beraten. Auf diesen Antrag hin begann anscheinend eine »verner umbfrag«2⁸⁸, aus der als Mehrheitsmeinung hervorging, Württembergs Anregung zu folgen und die Kapitel einzeln zu beraten. Das Protokoll impliziert, dass diese neue Umfrage nicht mit dem österreichischen Votum begann, sondern bei Württemberg, dem sich die Mehrheit anschloss.2⁸⁹ Österreich war also mit seinem Versuch gescheitert, das Ausschussbedenken möglichst rasch durch den Fürstenrat zu bringen. Als geklärt war, dass die Stände den Friedensentwurf einzeln nach Kapiteln durchsprechen wollten, begann Österreich eine »Andere umbfrag«2⁹⁰, also eine zweite Umfrage.2⁹1 Die Zählung bezog sich dabei nur auf das Ausschusskonzept und schloss die verfahrenstechnische Umfrage nicht mit ein. Österreich blieb bei seiner Haltung, das Friedenskonzept sei möglichst unverändert dem Kurfürstenrat vorzulegen. Auch Bayern sprach sich erneut dagegen aus, das Gutachten substanziell zu verändern, signalisierte jedoch Bereitschaft, möglicherweise »etliche additionen«2⁹2 zu akzeptieren. Salzburg bestand weiter auf seinen Änderungen. Württemberg führte schließlich seinerseits Änderungswünsche zum ersten Kapitel des Religionsfriedens an.2⁹3 Damit war die Umfrage wieder komplexer geworden: Die nachfolgenden Stände mussten nun nicht mehr nur zum Ausschussgutachten und zu den geistlichen Änderungsanträgen Stellung nehmen, sondern auch zu denen Württembergs. Eine einfache Auszählung der Stimmen wurde so immer schwieriger. Auch wurde die Umfrage nicht noch einmal neu begonnen. Nur die nachfolgenden Stände konnten sich in ihren Stellungsnahmen zu den Vorschlägen Württembergs äußern. Nicht überraschend ist, dass sich die meisten folgenden geistlichen Voten dem salzburgischen Votum anschlossen. Es wurden aber auch weiterführende Kommentare notiert: So ergänzte Würzburg beispielsweise, zwar für die salzburgischen Änderungen zu stimmen, aber auch offen für anderslautende Vorschläge zu sein, solange sie ihm vernünftig erschienen.2⁹⁴ Eichstätt, ebenfalls ein Mitglied des Ausschusses, bezog sich dagegen wohl auf das bayerische Votum, als es erklärte, der salzburgische Antrag enthalte aus seiner Sicht keine substanziellen Änderungen. Als einziger geistlicher Stand bezog es sich aber auch auf Württemberg, das eine Änderung bei der Formulierung zu Sekten gefordert hatte.2⁹⁵ Trient und Brixen waren anscheinend nicht unter denjenigen Geistlichen, die die salzburgischen Änderungsanträge ausgearbeitet hatten: Sie erklärten, sie hätten das Ausschussbedenken eigentlich befürworten wollen. Nun

288 289 290 291 292 293 294 295

RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1345. Ebd., S. 1345–1347. Ebd., S. 1347. Im Frühneuhochdeutschen wird bisweilen gezählt: der erste, der andere, der dritte... Ein Beispiel dafür unter vielen: Dobel, Hans Ehinger 1529, Nr. III, S. 45–46. RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1347. Ebd. Ebd., S. 1348. Ebd., S. 1349.

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Die Verhandlungen

schlössen sie sich aber den salzburgischen Anträgen an.2⁹⁶ Sie hatten sich also während der Sitzung durch die Argumente Salzburgs überzeugen lassen. Weniger einheitlich stimmten die weltlichen Fürsten. Pommern votierte zwar wie Württemberg, bei der Formulierung zu den Sekten aber wie Salzburg.2⁹⁷ Simmern stimmte im Grunde Württemberg zu, hatte aber ebenfalls eine Anregung zur Umformulierung des Abschnitts über die Sekten.2⁹⁸ Auch das ernestinische Sachsen und Brandenburg-Ansbach, die sich Württemberg anschlossen, hatten noch eigene Vorschläge.2⁹⁹ Hessen dagegen äußerte sich, es habe sich zwar einige eigene Einwände notiert, wolle diese aber nicht vortragen, da sie im Grunde mit denen Württembergs und Sachsens übereinstimmten.3⁰⁰ Straßburg, ebenfalls Ausschussmitglied, mahnte in der selben Umfrage dazu, beim Ausschussgutachten zu bleiben. Sollten nun alle Stände des Fürstenrats eigene Änderungswünsche einbringen, säße der Fürstenrat noch im Herbst über dieser Materie. Es äußerte außerdem Zweifel daran, dass die einzelnen Stände noch etwas Neues vorbringen könnten, was der Ausschuss nicht schon längst erörtert habe. Auch das Ausschussmitglied Jülich war dieser Meinung, während sich das Ausschussmitglied Augsburg zwar auch gegen weitläufige Diskussionen aussprach, aber andererseits Salzburg beipflichtete.3⁰1 Zum Ende dieser Umfrage notiert das österreichische Protokoll »Relatio deß mehreren ut Saltzburg.«3⁰2 Tatsächlich waren an diesem Tag fünf geistliche Stände mehr im Fürstenrat anwesend als weltliche. Da fast alle Geistlichen wie Salzburg gestimmt hatten, ist nachvollziehbar, dass das Direktorium nun eine Mehrheit für Salzburg sah. Weil viele Voten sich aber auf einzelne andere Voten bezogen hatten, wäre es auch verständlich gewesen, wenn ein weiteres Mal zum ersten Abschnitt des Religionsfriedens umgefragt wordern wäre. Als Österreich am Nachmittag proponierte, man solle nun zum zweiten Kapitel des Gutachtens Stellung nehmen, widersprach Württemberg, das wegen der persönlichen Anwesenheit des Herzogs direkt nach Österreich sprach, der österreichischen Ansicht über das Mehrheitsergebnis: »Hat die heutig umbfrag angehört und in effectu das mehrer nit wie Österreich, sonder dahin verstanden, daß aine enderung der substantz der beratschlagung des concept solle declarieret werden durch beederseits bedencken und nicht durch das saltzburgisch allein. Wo es aber ain andere gestalt haben und die mainung sein solt, daß man doch auch in disem puncten gleich also precise auf das mehrer wolte fussen und also der lintzischen und passauischen abred in disem vahl vergessen, ja zuwider handlen, so wurd sein notturft sein, daß aim

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RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1350. Ebd., S. 1349. Ebd., S. 1347. Ebd., S. 1347–1349. Ebd., S. 1350. Ebd., S. 1349. Ebd., S. 1350.

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Umfrage und Mehrheitsabstimmung

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yeden, sein bedencken underschiedlich zu fassen und dem kfstl. rath zu übergeben, vorbehaltlich sein mueßt.«3⁰3 Württemberg zweifelte hier an, dass Österreich den Mehrheitswillen richtig interpretiert hatte. Stattdessen spreche sich eine Mehrheit für Änderungsvorschläge beider Konfessionsparteien aus. Tatsächlich konnte man die ursprüngliche Umfrage so verstehen, dass die Stände sich dazu äußern sollten, ob das Gutachten angenommen werden solle oder nicht. Dieser Ansicht folgend wäre es naheliegend gewesen, die von den Ständen vorgetragenen Änderungsvorschläge zu beraten. Württemberg führte diesen Gedanken aber nicht konsequent weiter, sondern verwies auf die Absprachen zu Linz3⁰⁴ und Passau und auf das bereits genannte Versprechen, zum Religionsfrieden kein Mehrheitsverfahren anzuwenden. Württemberg argumentierte auf zwei Ebenen: Einerseits sei auch nach dem üblichen Mehrheitsverfahren noch kein richtiges Ergebnis erzielt worden, andererseits dürfe man das Mehrheitsverfahren auch nicht vollkommen konsequent anwenden. Interessant ist, dass Württemberg hier nicht den vollständigen Verzicht auf das Mehrheitsverfahren forderte, sondern nur, dass dieses nicht so »precise« angewandt werden solle. Als nächstes äußerte sich Salzburg, das nicht auf den Passauer Vertrag einging, sondern nur in Bezug auf den Vorwurf antwortete, Österreich habe den Mehrheitswillen falsch zusammengefasst: Salzburg »achtet es, wie referiert, fürs mehrer«3⁰⁵. Die folgenden Stände äußerten sich nun dazu, ob das »mehrer« von Österreich ihrer Meinung nach richtig interpretiert worden sei oder nicht. Auch zur Anwendung des Passauer Vertrags nahmen sie Stellung. Zur zweiten Rubrik des Religionsfriedensentwurfs, wie eigentlich proponiert, äußerten sie sich jedoch nicht mehr. Die Umfrage wechselte also, während sie vollzogen wurde, ihren Gegenstand. In ihren Argumentationen gingen die Stände davon aus, dass das »mehrer« interpretierbar sei: Sachsen habe etwa »das mehrer dahin verstanden, daß« keine substanziellen Änderungen vorgenommen werden sollten.3⁰⁶ Als Würzburg sich äußern sollte, regte es sogar wieder eine neue Umfrage an: Da »von aim andern modo procedendi geredt wurde, wollt er das mehrer hören«3⁰⁷. Die Umfrage wurde zwar nicht neu begonnen, jedoch orientierten sich die nachfolgenden Voten anscheinend auch an der würzburgischen Aufforderung. Sie nahmen Stellung zum evangelischen Vorschlag, Änderungsvorschläge von jeder Partei jeweils mit den Namen der Befürworter auf gesonderten Papieren dem Gutachten beizulegen, das dem Kurfürstenrat dann vorgestellt werden sollte. Bei ihren Voten erklärten einige Stände, wie sie reagieren würden, wenn ihre jeweilige Position nicht berücksichtigt werden würde: Sachsen drohte beispielsweise,

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RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1350–1351. Zu den Linzer Verhandlungen: Drecoll, Der Passauer Vertrag, S. 10–20, 137–143. RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1351. Ebd., S. 1351. Ebd., S. 1353.

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Die Verhandlungen

es »wöllt auch nit weitter handeln«3⁰⁸, sollten nur die Zusätze der stärksten Fraktion angenommen werden. Solche Äußerungen verdeutlichen, dass das Verfahren der Umfrage auf einen Konsens abzielte. Ein Votum konnte deshalb in verschiedenen Abstufungen abgegeben werden, je nachdem, ob das Vorgetragene für den jeweiligen Stand unverzichtbar oder nur als Vorschlag gemeint war. Augsburg – um Erfolg des Entwurfs bemüht – warnte davor, nach Bänken getrennt auseinander zu gehen. Die Sonderung in Partikularräte bezeichnete Augsburg zwar schon als »alten prauch«, den anzuwenden jetzt aber »nit guth« sei: »Wo es aber ye nit anders sein kunt, dan daß ain ietlich panckh sein mainung anzaigen söllt, wolte es im auch nit entgegen3⁰⁹ sein, mueßt es beschehen lassen«31⁰. Augsburg erklärte also ausdrücklich, dass es im Gegensatz zu Sachsen weiter an den Verhandlungen teilnähme, sollte man anders verfahren. Mit derartigen Ankündigungen bezogen sich die Stände auf ein wichtiges Mittel der Reichstagspolitik: Abwesenheit. Sie stellten in Aussicht, eine gegen ihr Votum gerichtete Entscheidung mitzutragen oder sich gegebenenfalls aus den Verhandlungen zurückzuziehen und die Entscheidung zu boykottieren.311 Angesichts der weit auseinander liegenden Positionen, der vielen individuellen Stellungnahmen und der verfahrenstechnischen Vorwürfe gegenüber dem österreichischen Direktorium war es nun nicht einfach, das Votum des Fürstenrats zusammenzufassen. Das österreichische Protokoll enthält nach dem hessischen Votum zu dieser Umfrage lediglich die Anmerkung, die übrigen Voten hätten fast alle entweder Salzburg oder Württemberg zugestimmt.312 Hinsichtlich des Vorwurfs, das »mehrer« falsch interpretiert zu haben, beschlossen die Österreicher, dass ihr Redner Wilhelm Truchsess von Waldburg zu »eingang seiner relation«313, also zu Beginn der erwarteten Zusammenfassung seiner Umfrage, die Vorwürfe zurückweisen sollte. Waldburg erklärte, er habe nichts anderes referiert »dan was daß mehrer gewesen, wie demselben mehrern nit mehr dan 16 vota entgegen und zuwider gestimbt hetten, deß ließ er sich an alle die, so solch mehrer gemacht. Und het solchs zu seiner nottwendigen entschuldigung ungeandeth nit lassen kunden.«31⁴ Österreich nahm den Vorwurf, falsch gezählt zu haben, also ernst und erklärte, nicht mehr als 16 Stimmen gegen den salzburgischen Vorschlag

308 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1352. 309 »Entgegen« ist hier im Sinne von »entgegen kommend«, nicht als »seiner Meinung entgegen« zu verstehen. 310 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1352. 311 Hierzu: Kapitel 4.5.2.3 ab S. 309. 312 »Die übrigen vota seind vast in zweierlei weeg auf ein mainung hinaußgeschlagen, dan die übrigen gaistlichen haben schier durchauß mit Saltzburg gestimbt, ausser Weingarten, der von der prelaten wegen geraten, daß die suchung der vergleichung nachmals dem ausschuß zu bevelchen etc. Welchem die schwäbischen grafen auch zugefallen. Aber Anhalt und die wederausichen grafen haben Wirtemberg zugestimbt«: RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1355. 313 Ebd., S. 1356. 314 Ebd.

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Umfrage und Mehrheitsabstimmung

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vernommen zu haben. Die Rechnung ist allerdings wegen der vielen in den Voten vorgebrachten Meinungen zu Detailfragen nicht übersichtlich. 16 Stimmen waren für den salzburgischen Vorschlag abgegeben worden.31⁵ Von kleinen Zusätzen abgesehen kamen für Württemberg zehn Stimmen zusammen.31⁶ Für Österreich und Bayern waren fünf Stimmen abgegeben worden,31⁷ während Straßburg, das sich sehr ähnlich wie Österreich geäußert hatte, auf drei Stimmen kam.31⁸ Tatsächlich gegen Salzburg hatten somit nur zehn Stände gestimmt. Salzburg vereinigte aber auch keineswegs, wie es modern ausgedrückt würde, eine absolute Mehrheit hinter sich, sondern lediglich eine einfache. Dies reichte Österreich aber anscheinend als Erklärung und zu einer »nottwendigen entschuldigung« dafür, das »mehrer« im Sinne Salzburgs festgestellt zu haben. Der eingebrachte Verweis auf den im Passauer Vertrag zugestandenen Verzicht auf Mehrheitsverfahren wurde auch im Folgenden nur bedingt beachtet. Im Grunde könnte man behaupten, der Fürstenrat habe in einer Mehrheitsabstimmung darüber abgestimmt, ob Mehrheitsabstimmungen gültig seien. Nach dem gescheiterten Versuch, das Ausschussgutachten ohne Änderungen durch den Fürstenrat zu bringen, war es nun das Ziel der österreichischen Räte, wieder den Ausschuss mit der weiteren Bearbeitung des Religionsfriedens zu beauftragen. Zunächst musste Österreich jedoch ein Ergebnis der letzten, sehr kontroversen Umfrage zusammenfassen. Wohl, um in seiner Mehrheitsfeststellung nicht wieder angezweifelt zu werden, drückte sich Waldburg diesmal vorsichtiger und erklärender aus und ging dabei noch weniger auf konkrete Stimmverhältnisse ein: »Was aber die jetzig consultacion belangte, het er mitsambt sein collegis allerlei getailte mainungen angehört, dan etliche stimbten noch dem saltzburgischen votum zu, etliche achteten, daß beede bedencken dem kfstl. rath underschiedlich zu ubergeben, die dritt wären der mainung, daß nochmaln weeg gesucht werden solten, damit die beede mainungen verglichen. Und dise mainung hielt er mitsambt sein collegis für das mehrer. Weil dan darneben etliche noch weitter gangen und deß bedenckens gewesen, daß dise suchung vernerer vergleichung der getailten bedencken dem zuvor geordneten ausschuß des furstenraths zu bevelhen, so möchte darauf weitter umbgefragt werden«31⁹. Dieses Zitat verdeutlicht, welche Freiheiten das Direktorium bei der Zusammenfassung der Voten hatte. Waldburg reduzierte nach seinem Ermessen die

315 Dies waren die Stimmen von Salzburg, Deutschmeister, Bamberg, Würzburg, Worms, Eichstätt, Konstanz, Augsburg, Freising, Passau, Trient, Naumburg, Münster, Osnabrück, Lüttich und Ellwangen. Zusätzlich äußerte sich noch Braunschweig-Wolfenbüttel dahingehend, zwar keine eigenen Änderungswünsche zu haben, aber mit denen Salzburgs einverstanden zu sein. 316 Württemberg, Simmern, Sachsen, Brandenburg, Markgraf Georg Friedrich, Pommern, Baden, Hessen, Anhalt und Wetterauer Grafen. 317 Österreich, Bayern, Baden-Baden, Prälaten und schwäbische Grafen. 318 Straßburg, Jülich und Regensburg. 319 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1356.

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vorgefallene Diskussion auf drei verfahrenstechnische Optionen: Bei strikter Anwendung des Mehrheitsverfahrens müsse dem Kurfürstenrat das Ausschussgutachten mitsamt den salzburgischen Änderungen überreicht werden. Nach dem unter Verweis auf den Passauer Vertrag vorgeschlagenen Verfahren hätte sich der Fürstenrat in zwei Partikularräte gespalten. Als dritte Möglichkeit fasste Waldburg alle übrigen Voten zusammen, nämlich nochmals nach Wegen zur Einigung zu suchen. Mit dieser Zusammenfassung formulierte Waldburg die Variante, die zu dem von Österreich gewünschten Ausschuss führen konnte, zunächst so offen, dass sich dem viele Stände anschließen konnten. Die Beauftragung des Ausschusses kategorisierte Waldburg als eine Untervariante der dritten Möglichkeit, über die er nun eigens in einer weiteren Umfrage abstimmen lassen wollte. Waldburg und seine Kollegen gingen bei dieser Zusammenfassung also im Gegensatz zur vorherigen Umfrage nicht stur danach, welche Variante die meisten Stimmen bekommen hatte. Stattdessen fragten sie: Welchem Vorgehen könnten die meisten Anwesenden zustimmen? In ihrem weiteren Vorgehen nutzten die österreichischen Räte ihre Stellung als Direktor des Fürstenrats massiv aus und gaben dies im weiteren Protokollverlauf auch ausdrücklich an: »Auf welches zum andern mal umbgefragt und auf disen fürschlag, so gleichwol nit dem mehrern expresse, aber durch die relation der österreichischen tacite fürs mehrer anzaigt worden, ist der ainmuetig beschluß deß gantzen furstenrats dahin gangen, daß, oberurte vergleichung verner zu suchen, in allweeg dem ausschuß solte bevolhen werden. Gleichwol hat der straßburgisch32⁰ und noch ain oder 2 seer darwider geschrien, auf mainung, daß sich kainer vergleichung im ausschuß zu verhoffen und dises allain ain verlengerung der sachen geperen wurd. Denen aber durch die österreichischen starck eingeredt und diser hoch nutzlicher beschluß allain durch ir, der österreichischen, fürwendung, wie es sich erscheint, mit etwaß sondern bedächtlicheit hindurchgetruckt worden.«321 Die Mehrheit für den österreichischen Vorschlag wurde nicht »expresse«, also ausdrücklich, sondern nur »tacite«, also schweigend, erzielt. Anscheinend sprachen sich die Stände zwar nicht mehrheitlich für den Vorschlag aus, waren aber in den meisten Fällen auch nicht ausdrücklich dagegen. Die anschließende Relation Österreichs, der Verweis an den Ausschuss sei die Mehrheit, rief deshalb auch wenig Widerstand hervor. Lediglich Salzburg und ein paar seiner Anhänger waren so erzürnt, dass sie sogar »darwider geschrien« haben.322 Die Österreicher hatten nun die Zahl ihrer Gegner stark reduziert. Dennoch mussten sie den intensiven Widerstand der Verbliebenen ernst nehmen. Erst nachdem diesen »starck

320 Da sich Straßburg bei dieser Verhandlung bisher eher auf Seiten Österreichs befunden hat, lässt sich vermuten, dass hier Salzburg gemeint ist. Salzburg war schließlich ein entschiedener Gegner des österreichischen Plans. 321 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1356. 322 Zu Tradition und Notwendigkeit lauten Widerspruchs: Schwedler, Formen und Inhalte, S. 163–164; zu lautem Sprechen als Mittel zur Erzielung von Öffentlichkeit: Stollberg-Rilinger, Symbol und Diskurs, S. 98–99.

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eingeredt« worden war, ging die Angelegenheit an den Ausschuss zurück. Die Österreicher hatten nach eigenem Bekunden ihr Anliegen somit durch den Fürstenrat »hindurchgetruckt«.

3.4.3 Die Rolle des Direktoriums Was bedeutet dies alles nun für die Möglichkeiten des Direktoriums? Es war anscheinend möglich, das »mehrer« etwas zu biegen und durch eigene Interpretationen zu beeinflussen. Starker Widerstand – kam er auch von einer Minderheit – musste jedoch ernst genommen werden. Es gab also unterschiedliche Formen beziehungsweise Abstufungen der Ablehnung. Gerade in einer Situation, bei der selbst das Direktorium in seinen eigenen Aufzeichnungen zugab, nicht ganz dem üblichen Verfahren entsprochen zu haben, war es notwendig, energischen Einspruch nicht einfach zu übergehen. Das Stillschweigen der übrigen Stände konnte aber als nachträgliche Annahme gewertet werden. Einfluss nahm das Direktorium also sowohl durch die Formulierung der Frage, als auch durch die »relation«, die Zusammenfassung der Voten. Letztere Möglichkeit bestand eher dann, wenn keine klar abgegrenzten Alternativen vorgegeben waren, deren Befürworter jeweils zählbar waren. Wurden wie im aufgeführten Beispiel viele verschiedene Meinungen vorgebracht, hatte der Direktor die Möglichkeit, diese Meinungen nach eigenem Ermessen zu übergeordneten Gruppen zusammenzufassen. Durch diese Zusammenfassung konnte das Ergebnis der Umfrage beeinflusst werden. Deutlich zeigt sich dies an der Interpretation der ersten Umfrage zu den Änderungen: Möglich gewesen wäre eine Zusammenfassung der Voten zu einer Gruppe, die sich für eine Weitergabe des Gutachtens ohne Änderungen aussprach, und zu einer anderen Gruppe, die das Gutachten noch ändern wollte. Stattdessen entschied sich Österreich, das Gutachten mit dem Zusatz als angenommen zu erklären, dass die Änderungsanträge der stärksten Fraktion berücksichtigt würden. Bei der zweiten Umfrage wäre es dagegen möglich gewesen, die Voten so zusammenzufassen, dass nur eine Minderheit für die Rückweisung des Gutachtens an den Ausschuss war. Weil die Österreicher diese Möglichkeit aber favorisierten, fassten sie sie mit allen anderen Voten zu einer Gruppe zusammen, die weder die salzburgische Position noch die Weitergabe eines gespaltenen Votums unterstützten. Als gemeinsame Meinung dieser neuen Votengruppe sahen die Österreicher an, dass weiter nach Wegen für einen Ausgleich gesucht werden sollte. Die Rückweisung an den Ausschuss wurde dabei als zusätzliche Option im Rahmen dieser vermeintlich stärksten Meinung präsentiert. Es war für das Direktorium sicher nicht einfach, die Voten der Stände zu gruppieren. Da jeder Stand seine Meinung zur behandelten Materie sehr frei vortragen durfte, beinhalteten auch die einzelnen Beiträge eigentlich kooperierender Stände immer wieder individuelle Schwerpunkte oder Zusätze. Die Schwierigkeit, all diese Nuancen zu erfassen, äußert sich auch in der Protokollierung: Im österreichischen Protokoll von 1555 ist etwa zum 2. September notiert, die Grafen der Wetterau

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hätten durch ihren Vertreter »Vast ut Sachssen«323 gestimmt. Der Protokollant – so lässt diese Notierung vermuten – erkannte in der Rede des Grafenvertreters zwar eine individuelle Ausrichtung, summierte sie aber unter dem sächsischen Votum. Ein weiteres Mittel des Direktoriums zur Einflussnahme war sicherlich, dass es die Wahl hatte, ein »mehrer« für gefunden zu erklären oder die Umfrage zu wiederholen, eventuell unter Berücksichtigung eines eingebrachten Vorschlags. Gerade im Kurfürstenrat waren mehrere Umfragen zu einem Thema üblich, bei denen die Gefragten die Gelegenheit hatten, auf die inzwischen gehörten Argumente einzugehen. Mainz hatte dabei eine besonders günstige Stellung, da es das letzte Votum führte und dieses direkt mit der Umfragerelation und der Formulierung der neuen Frage verbinden konnte. Im Fürstenrat wurde bisweilen ebenfalls mehrfach umgefragt.32⁴ Deutlich haben sich aber auch die Grenzen dieser Möglichkeiten zur Einflussnahme gezeigt: Auf die Relation der ersten Umfrage reagierte Württemberg sogleich mit dem Vorwurf, Österreich habe die Mehrheit falsch zusammengefasst. Generell äußerten die meisten Stände ihre Meinung zu der österreichischen Mehrheitszusammenfassung. Die Interpretation der Mehrheit konnte also leicht hinterfragt werden. Auch die Formulierung der Frage kannte ihre Grenzen: Österreich hatte in dem Bemühen, die Abstimmung zugunsten des Gutachtens schnell zu beenden, im dargelegten Beispiel die Stände gefragt, ob sie dem Gutachten als Ganzes zustimmten. Nun beantragte Württemberg, dass das Gutachten einzeln nach Rubriken besprochen werden sollte. Dem schlossen sich die übrigen Stände an. Österreich konnte als Direktor also nicht verhindern, dass das Gutachten in seinen Details besprochen werden sollte. Die Stände konnten somit auch die Formulierung der Frage angreifen und erfolgreich ändern. Das Direktorium musste seine Möglichkeiten also sorgfältig einsetzen, da es ansonsten die Zustimmung der Stände verlieren konnte. Ein nicht zu übersehender Aspekt des Fürstenratsdirektoriums war in diesem Fall, dass mit Österreich König Ferdinands Räte im Fürstenrat sprachen und alternierend das Direktorium führten. Zwar lässt sich hier früh eine Rollentrennung erkennen, bei der die entsprechenden Räte im Fürstenrat nicht als königliche, sondern als österreichische Gesandte wahrgenommen wurden. Jedoch kombinierte ein österreichisches Direktorium die Instrumente des Direktoriums mit der Autorität Ferdinands und der Habsburger. Besonders deutlich wird diese unvollkommene Rollentrennung bei Auseinandersetzungen zwischen Österreich und der traditionellen habsburgischen Klientel, als hinsichtlich der Beratungen über die Bedingungen des Religionsfriedens im katholischen Partikularrat verschiedene geistliche Fürsten Zasius in »heftige reden« darauf hinweisen mussten, »daß

323 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1475. 324 An demselben Reichstag beispielsweise noch zur Vergleichung der Bedenken der oberen Kurien am 22. August: Ebd., S. 1461–1463.

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Umfrage und Mehrheitsabstimmung

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Osterreich gar nit zu gebieten, sonder allain und glimpflichen zu votirn«32⁵ habe, und Zasius darauf in seiner Antwort erwiderte, seine Äußerungen seien »rath und nit gebotsweiß geschehen«32⁶ und deshalb nicht als Befehl zu verstehen.

3.4.4 Konsens und Mehrheit In allen soeben beschriebenen Beispielen wurden beim Zählen der Stimmen die abgegebenen Voten gleich gewichtet. Wie kam es, dass wichtige Stände dennoch im Fürstenrat mehr Durchsetzungskraft hatten als unbedeutende? Welcher Mechanismus kam hier zum Tragen, sodass Historiker davon sprechen, es sei »ponderiert« worden? Um diesen Fragen nachzugehen, genügt es nicht, die Protokollierung von Umfragen durchzusehen und die Einzelvoten zu vergleichen. Es ist stattdessen zu fragen, welche Prinzipien die Beteiligten bei ihrer Stimmabgabe zu berücksichtigen hatten. Von den mittelalterlichen Reichsversammlungen ist bekannt, dass dort das Konsensprinzip galt. Dieses Prinzip findet generell vor allem bei Versammlungen ohne institutionalisiertes Verfahren Anwendung.32⁷ Da das Umfrageverfahren im Fürstenrat auf den Reichstagen unter Karl V. noch wenig institutionalisiert war, hatte das mittelalterliche Konsensprinzip noch deutlichen Einfluss auf die Verhandlungen. Weil das Umfrageverfahren – wie fast das gesamte Reichstagsverfahren – nie bewusst und formell geändert wurde, ist der Übergang vom Konsensprinzip zu einem irgendwie ausgestaltetem Mehrheitsprinzip freilich nicht schlagartig erfolgt. Was bedeutet das Konsensprinzip? In erster Linie zeichneten sich Abstimmungen nach dem Konsensprinzip dadurch aus, dass ihre Ergebnisse einstimmig erzielt wurden. Die Zustimmung aller Beteiligten führte man auf die Beteiligung des Heiligen Geists am Entscheidungsprozess zurück.32⁸ Liturgisch wurde dieser Erwartung auf den Reichstagen in den Eröffnungsgottesdiensten Rechnung getragen, die dem Heiligen Geist gewidmet waren.32⁹ Die erzielte Einstimmigkeit darf aber nicht über zwei Aspekte des Konsensprinzips hinwegtäuschen: Konsens bedeutete nicht unbedingt einen Kompromiss33⁰ und Einstimmigkeit nicht das Fehlen abweichender Meinungen.331 Die Herrschaftstradition, auf die sich das Alte Reich zu Beginn der Frühen Neuzeit stützte, basierte im Wesentlichen auf den Beziehungen zwischen Personen. Die 325 326 327 328

RTA JR 20, Nr. 146 (S. 1536–1677), S. 1571. Ebd., S. 1572. Schwedler, Formen und Inhalte, S. 153. Töbelmann, Formen der Repräsentation, S. 226–227; Maleczek, Abstimmungsarten, S. 81–101; Gaudemet, Unanimité et majorité; zu den Ursprüngen der Einstimmigkeit im kanonischen Recht: Grossi, Unanimitas. 329 Vgl. hierzu Kapitel 2.6.1 ab S. 132. 330 Schwedler, Formen und Inhalte, S. 154. 331 Maleczek, Abstimmungsarten, S. 84–86, 97; Schwedler, Formen und Inhalte, S. 157.

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Fürsten wählten nach mittelalterlicher Tradition jemanden aus ihrem Kreis zum König. Dieser band Fürsten an sich durch Lehnseid und andere dienstliche Verpflichtungen, familiäre Bindungen und rechtliche Privilegierung (jeder Fürst war wiederum seinerseits auf Gefolgsleute angewiesen). Das Durchsetzungsvermögen eines Herrschers war somit direkt abhängig von der Loyalität dieses bestimmten fürstlichen Personenkreises, dem er selbst entstammte. Das Fehlen von institutionalisierten Strukturen und die hohe Bedeutung von persönlichen Bindungen erklären die Wichtigkeit, die im Mittelalter persönlicher Begegnung und der Versammlung der Fürsten auf den Hoftagen zukam. Dass in einer politischen Struktur, die wesentlich auf der Stellung des Einzelnen innerhalb der relevanten Fürstengesellschaft basierte, die Frage nach dem eigenen Rang und der Anerkennung von hoher Bedeutung für die Beteiligten war, ist ebenfalls einleuchtend.332 Hatte ein Fürst »hohes Sozialprestige und politischen Einfluß«333 erlangt, so äußerte sich dies für alle wahrnehmbar in der Inszenierung des eigenen Rangs. Ein Angriff auf die Stellung des Fürsten hingegen erfolgte über die demonstrative Nichtbeachtung der sozialen Regeln. Im hierarchischen System der mittelalterlichen (und auch frühneuzeitlichen) Gesellschaft gebührten allen Personen bestimmte, ihrem Rang entsprechende Respektbekundungen. Das Ausbleiben solcher Respekterweisungen wurde sofort als Botschaft verstanden.33⁴ Umgekehrt musste jede Person, die Teil dieses sozialen Systems war, darauf achten, welche Aufmerksamkeiten ihr von Anderen zuteilwurden, und eventuelle Respektlosigkeiten als Angriffe auf den eigenen Status sanktionieren. Ein politisches System, bei dem der Status der Beteiligten an der Behandlung durch Andere gemessen wurde, wirkte sich natürlich auch auf kaum oder nicht institutionalisierte politische Versammlungen aus, denn Widerspruch gegenüber der getroffenen Entscheidung musste sich auch persönlich gegen jene richten, die für diese Entscheidung eintraten (und umgekehrt). Direkt und klar formulierter Dissens lässt sich leichter und bedenkenloser äußern, wenn er zwischen gleichrangigen Personen in einem institutionalisierten Rahmen vorgebracht wird, der die Möglichkeit von Uneinigkeit vorsieht. Auf mittelalterlichen Hoftagen trafen Personen jedoch in einer Art aufeinander, in der Politik und Verfahren nicht von sozialen und persönlichen Mechanismen zu trennen waren. In diesem Umfeld war ein einstimmiges Ergebnis notwendig, um keine Teilnehmer abzuwerten. Damit ein einstimmiges Ergebnis erzielt werden konnte, begannen politische Versammlungen zunächst als »informeller, bereits aber schon von hierarchisch formalisierten Strukturen geleiteter Austausch«33⁵ über die verbreiteten Meinungen. Zeichnete sich dabei eine erkennbare Tendenz zu einer bestimmten Richtung

332 Zum mittelalterlichen Rangdenken: Spieß, Rangdenken und Rangstreit im Mittelalter. 333 Ebd., S. 44–45. 334 Anschaulich für diese Geisteshaltung sind die verschiedenen Legenden von Freiherren, die, um ihre Unabhängigkeit zu demonstrieren, vor dem heranziehenden Kaiser am eigens dafür herbei geholten Tisch sitzen blieben: Ebd., S. 43, dort auch: Anm. 19. 335 Schwedler, Formen und Inhalte, S. 157.

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ab, schlossen sich die übrigen, eigentlich nicht überzeugten Teilnehmer dieser Meinung an, um ihr Gesicht zu wahren. Dieses Nachgeben wurde dabei nicht als Schwäche, sondern als wichtige Geste gedeutet, die das eigene soziale und politische Gewicht erhöhen konnte.33⁶ Der soziale Druck zur Einstimmigkeit war enorm. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die Beteiligten diese Regeln und Mechanismen gewöhnlich nicht bewusst übernahmen, sondern sie über ihre Sozialisierung lernten und intuitiv anwendeten. Die Verhaltensregeln in einer solchen Versammlung unterschieden sich nicht im Wesentlichen von den Regeln, die das soziale Leben der Beteiligten ansonsten gliederten. Ein Teilnehmer, der als einziger vehement auf seiner abweichenden Meinung beharrt hätte, wäre Gefahr gelaufen, sich in der Fürstengesellschaft zu isolieren. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Konsensentscheidungen eigentlich Mehrheitsabstimmungen waren, die dann nach außen als einstimmige Entscheidungen präsentiert wurden. Es war beispielsweise möglich, sich als zahlenmäßige Minderheit mit der eigenen Meinung durchzusetzen, wenn man sich energisch genug dafür einsetzte.33⁷ Voraussetzung dafür war allerdings, dass die Mehrheit ihre Position nicht ausdauernd genug vertrat und schließlich einlenkte. Durch das Erwirken solcher Entscheidungen vergab man somit in gewisser Weise sein soziales Kapital, das man sich (allerdings nicht ausschließlich) durch großzügiges Nachgeben in anderen Fällen aufbauen konnte. Das eigene Ansehen innerhalb der Fürstengesellschaft gab also den Rahmen vor, innerhalb dessen man auf seiner eigenen Position verharren durfte. Die Abstimmungen nach dem mittelalterlichen, von dem Prinzip der Einstimmigkeit geprägten Konsensprinzip lassen sich also in zwei Phasen teilen: Eine tatsächliche Einigungsphase, in der die vorhandenen Meinungen gesammelt wurden und man eine Einigung suchte, und die Phase der formellen Wahl oder Abstimmung, bei der alle Beteiligten ihre Zustimmung signalisierten.33⁸ Diesen Phasen lassen sich unterschiedliche Zwecke zuordnen: In der ersten Phase wurde die Entscheidung getroffen, in der zweiten die Akzeptanz des Ergebnisses durch die Beteiligten demonstriert. Wollte ein Teilnehmer eines mittelalterlichen Hoftags seine politischen Ziele durchsetzen, war es erforderlich, die eigene Position möglichst früh zu äußern und Widerspruch gegen andere Meinungen deutlich zu formulieren.33⁹ Dies bot den diesem Teilnehmer nahestehenden übrigen Teilnehmern noch die Möglichkeit, sich früh ebenfalls für diese Gegenposition auszusprechen. Relevant für die Einigung waren »Autorität und kollektive Akzeptanz«3⁴⁰. Die einzige taugliche Möglichkeit, die eigene Ablehnung gegenüber der Konsensentscheidung aufrecht zu halten, war Abwesenheit, denn nur sie befreite vom Zustimmungszwang.3⁴1 336 Schwedler, Formen und Inhalte, S. 167–172. 337 Ebd., S. 154. 338 Maleczek erläutert diese Einteilung am Beispiel von hochmittelalterlichen Bischofswahlen: Maleczek, Abstimmungsarten, S. 84–85. 339 Schwedler, Formen und Inhalte, S. 163–164. 340 Dilcher, Mittelalterliche Rechtsgewohnheit als methodisch-theoretisches Problem, S. 51. 341 Schwedler, Formen und Inhalte, S. 160–161.

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Dies konnte dazu führen, dass Fürsten – in der Vorahnung, sich nicht durchsetzen zu können – erst gar nicht zu der Versammlung kamen.3⁴2 Es war aber auch ein äußerstes Mittel zur Demonstration von Ablehnung, wenn ein Teilnehmer die Versammlung verließ, sei es, indem er aus dem Raum ging oder sogar ganz vom Tagungsort abreiste.3⁴3 Betrachtet man das Konsensverfahren unter den theoretischen Überlegungen Niklas Luhmanns zu Verfahren, so fällt deutlich auf, dass die nach Luhmann für moderne, rechtlich geregelte Verfahren grundsätzliche Voraussetzung der Rollentrennung nicht gegeben war.3⁴⁴ Die an mittelalterlichen Hoftagen beteiligten Fürsten agierten auf den Versammlungen eben in ihrer Rolle als Fürsten und nicht in einer davon getrennten Rolle als Hoftagsteilnehmer. Dementsprechend schirmte das Konsensverfahren seine Teilnehmer auch nicht von »Folgenverantwortung in anderen Rollen«3⁴⁵ ab. Ihr Verhalten wurde somit durch ihre sonstigen sozialen Rollen vorgegeben und war dem Netz aus Loyalitäten verpflichtet, das die Fürstengesellschaft ausmachte. Wegen der räumlichen Trennung der einzelnen Fürsten untereinander und dem Herrscher gegenüber waren Hoftage und ähnliche Versammlungen überhaupt eine der wenigen Möglichkeiten, in denen die Fürstengesellschaft zusammentraf und wirken konnte. Vor dem Hintergrund von Luhmanns Überlegungen lassen sich auch die Veränderungen der Reichsreform einordnen: Zwei der wesentlichen Veränderungen bei der Entstehung der Reichstage waren der Ausschluss des Herrschers aus den Verhandlungen und die zeitweilige Verpflichtung der Verhandlungsteilnehmer auf Geheimhaltung des Verhandlungsverlaufs. Beide Veränderungen begünstigten eine Entwicklung hin zu einem Verfahren, das Luhmanns Erfordernissen für ein modernes, rechtlich geregeltes Verfahren entsprochen hätte: Durch das Wegtreten der Stände in vom Herrscher abgeschirmte Beratungsräume und durch das Überbringen der Antwort der Stände an denselben wurde das Verfahren räumlich und zeitlich abgegrenzt.3⁴⁶ Durch die Geheimhaltung hätte der Herrscher seine Stellung gegenüber einzelnen Fürsten nicht mehr so leicht nutzen können. Die Teilnehmer wären also von der »Folgenverantwortung«, wie Luhmann es ausdrückt, besser abgeschirmt worden. Es hätte somit zu einer Rollentrennung kommen können, die die Reichstagsteilnehmer in ihrem Verhalten langfristig von ihrer Rolle als Fürsten entlastet hätte. Unter der Führung Bertholds von Henneberg agierten sie idealerweise als Reichsstände, nicht als Fürsten. Eine solche Entwicklung ist aber aus unterschiedlichen Gründen nicht konsequent erfolgt. Beim Herrschaftsantritt Karls V. hatten sich die politischen Gegebenheiten weitrei342 Kaufhold sieht darin den Grund für den mangelnden Bedarf an Verfahren für das mittelalterliche Kurfürstenkolleg: Kaufhold, Entscheidungsspielräume im Spannungsfeld von Repräsentation und Ritual, S. 269. 343 Maleczek, Abstimmungsarten, S. 95. 344 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 47–48, 61. 345 Ebd., S. 48. 346 Auch dies ist eine Voraussetzung bei Luhmann: Ebd., 42–43, zur Abgrenzung des Verfahrens durch Rituale: S. 38.

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chend verändert. Die Reichstage Karls zeichneten sich deshalb auch nicht durch einen Gegensatz von Herrscher und Ständen aus, sondern über lange Zeit durch das Bedürfnis der Stände nach einem vermittelnden und entscheidenden Kaiser. Dies wirkte sich auch auf das Verfahren aus. Außerdem konfrontierte die Unversöhnlichkeit der Parteien im Glaubensstreit die Beteiligten mit dem Unvermögen des Konsensprinzips, auf solche Situationen zu reagieren. Bezogen auf die Reichstage unter Karl V. interessiert in diesem Zusammenhang zunächst, wie viel vom mittelalterlichen Konsensprinzip übrig geblieben war. An erster Stelle ist dabei nach der Rollentrennung zu fragen: Konnte sich ein Reichstagsteilnehmer innerhalb des Reichstagsverfahrens freier äußern als außerhalb des Verfahrens? Dies scheint nicht der Fall gewesen zu sein. Eindrucksvoll warnten vor dem Augsburger Reichstag von 1555 die württembergischen Räte ihren noch unerfahrenen Herzog davor, sich im Fürstenrat zu frei zu äußern: »[Der Herzog müsse beachten] das vil personen […] zuhören, und auf aller vota achtung haben, dieselbige und was geredt oder gehandelt, alles notieren, und furnemlich Osterreich. Deshalben unser g. f. und h. wol umb- oder furzusehen, (furnemblich da ir f. g. den merer teil fürsten, wie obgehört3⁴⁷, vor-, und gar wenig nachsitzen hat), damit ir f. g. die sach wol an sich komen lass und also mit [vermutlich: »nit«] vorgreifen oder in ander weg bei den chur- und fursten nit unwillen oder unglimpf, desgleichen bei kei. und kon. mt. kein ungnad erlang oder auf sich lade, und dannocht dasselbig one alle frucht.«3⁴⁸ Herzog Christoph sollte also besonders vorsichtig sein, um »unwillen oder unglimpf« der Kurfürsten und Fürsten und »ungnad« des Kaisers und des Königs zu vermeiden. Die Sanktionsmechanismen des Konsensprinzips werden hier klar genannt: Da Württemberg relativ spät abstimme, sei es »one alle frucht« – also nutzlos – sich noch gegen das sich abzeichnende Verhandlungsergebnis zu exponieren.3⁴⁹ Statt damit etwas zu erreichen, zöge man nur den Unmut der anderen Reichstagsteilnehmer auf sich. Diese Warnung bezieht sich deutlich nicht nur auf die anderen Stände, sondern auch auf Ferdinand I. und Karl V. Dass die württembergischen Räte mit ihrer Warnung hinsichtlich der österreichischen Protokollanten Recht hatten, zeigt deren Protokoll, in dem beispielsweise der Abfall der meisten Geistlichen von der österreichischen Haltung als »unzimlich«3⁵⁰ bezeichnet wurde, was soviel wie »unangemessen« oder »ungebührlich« bedeutete. Die württembergischen Räte vertraten in ihren Empfehlungen somit klar erkennbar Vorstellungen, die aus dem Konsensverfahren bekannt sind: Der soziale Druck, sich der Mehrheit anzuschließen, war enorm. Sich spät noch gegen die Mehrheit wichtiger und angesehener Fürsten auszusprechen, schmälerte das

347 Die Räte hatten dem Herzog zuvor die Sessionsordnung im Fürstenrat geschildert. 348 Ernst, Briefwechsel des Herzogs Christoph von Wirtemberg, Bd. 3, Nr. 3 (S. 4–32), S. 7. 349 Die Räte ließen hier jedoch außer Acht, dass Christoph von Württemberg als einer der wenigen persönlich anwesenden Fürsten tatsächlich viel früher votieren konnte, als die Session implizierte. 350 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1400.

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eigene Ansehen und damit das politische und soziale Guthaben bei den anderen Teilnehmern der Fürstengesellschaft: Statt mit »glimpff«, Anerkennung und Gnade hatte der, der sich so verhielt, mit Unglimpf, Unwillen und Ungnade zu rechnen. Die Warnung der Räte passt auch zum beobachteten Verhalten der Stände in den oben dargestellten Umfragen: Während in den ersten Voten noch längere unterschiedliche Standpunkte formuliert wurden, tendierten die Inhaber der späteren Voten dazu, sich zumindest zu großen Teilen einer der sich abzeichnenden Meinungen anzuschließen und höchstens einige Ergänzungen anzubringen.3⁵1 Diese Haltung ist keine singuläre Position der württembergischen Räte. Es lassen sich viele Hinweise für eine weite Verbreitung finden. Als sich der Kaiser 1547 veranlasst sah, sich schriftlich über das Verhalten des bayerischen Gesandten Dr. Eck zu beschweren, war gleich der erste von zehn Beschwerdepunkten, Eck habe »wider den willen der furnembsten votiert«3⁵2. Selbst dem bayerischen Gesandten als Vertreter eines der einflussreichsten Fürstenhäuser gestand der Kaiser also nicht das Recht zu, sich völlig frei zu äußern. Auch weitere Beschwerdepunkte des Kaisers offenbaren, wie stark die sozialen Mechanismen der alten Hoftage noch wirkten: So habe Eck zur Uneinigkeit der Stände beigetragen.3⁵3 Auch habe er das Ansehen des Kaisers angegriffen, indem er »unverschampt und trutzlichen der ksl. Mt. reth und commissarien mit vilen worten verclaint«3⁵⁴ habe. Ferner habe er behauptet, »es seihe nit der geprauch, eben das zu beschliessen, das ksl. Mt. begere«3⁵⁵. Der Kaiser sah sich zur Beschwerde über Eck berechtigt, weil dieser angezweifelt hatte, dass die Stände sich der kaiserlichen Meinung anschließen müssten! Das Reichstagsverfahren war also weit entfernt von einer wirkungsvollen Abgrenzung gegenüber dem Kaiser. Nicht nur, dass der Kaiser genau wusste, wie sich der bayerische Gesandte im Rat geäußert hatte. Karl konnte dieses Wissen in seiner Beschwerde auch gegen Eck verwenden. Die zitierte Kritik Karls am bayerischen Rat darf aber nicht überbewertet werden, denn es war ganz offensichtlich möglich, dass Reichsstände gegen den Willen des Kaisers votierten. Die Beschwerde spiegelt in erster Linie die Schwierigkeiten wider, die Karl V. bei der Durchsetzung seiner Bundes- und Interimspläne hatte. Während sich der Kurfürstenrat erfolgreich gegen die Vereinnahmung durch die kaiserliche Politik wehren konnte, war es für das Haus Habsburg im Fürstenrat deutlich einfacher, Einfluss zu nehmen. Dr. Eck fiel bei vielen Gelegenheiten und zu verschiedenen Reichstagen durch seine sture und als respektlos empfundene Haltung auf. Als er 1547 im Fürstenrat als wichtiger katholischer Gegner der kaiserlichen Pläne auftrat,3⁵⁶ zeichnete sich sein Verhalten sicher weniger durch diplomatische Zurückhaltung aus, als es von den meisten Beteiligten für ange351 So heißt es beispielsweise im Fürstenratsprotokoll von 1555: »Et sic caeteri omnes«: RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1347. 352 RTA JR 18, Nr. 339 (S. 2531–2542), S. 2531. 353 Ebd., S. 2531. 354 Ebd., S. 2532. 355 Ebd. 356 Lanzinner, Leonhard von Eck (1480–1550), S. 202–203.

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messen gehalten wurde.3⁵⁷ Dieser Bruch der Verhaltenskonventionen musste im Beschwerdebrief in Worte gefasst werden. Dabei richtete sich die Beschwerde weniger gegen die bloße Opposition Ecks gegenüber den kaiserlichen Plänen, sondern vielmehr gegen die Form, in der Eck diese Opposition äußerte. Dennoch veranschaulichen die Formulierungen des Beschwerdebriefs deutlich den kaiserlichen Anspruch an das Verhalten der Reichstagsteilnehmer. Die Besorgnis um »glimpff« und »unglimpff« war während der Verhandlungen ein wichtiger Faktor, der im Zusammenhang mit den Reichstagsverhandlungen häufig auftaucht. Beispielsweise fürchteten 1543 die evangelischen Stände, die altgläubigen Stände »wurden allen unglimpf uff disse [= die evangelischen] stende legen«3⁵⁸ und sie allein für die Verzögerungen in den Beratungen zur Türkenhilfe verantwortlich machen. Um sich dagegen zu wehren, bereiteten die Evangelischen eine »kurtze erzelung«3⁵⁹ vor, in der sie ihre Politik rechtfertigten. Anders als Dr. Eck versuchten sie somit, ihre ablehnende Haltung auf dem Reichstag durch die Wahl der richtigen Worte und eine nachvollziehbare Erklärung abzumildern. Die Schwierigkeit, offene Ablehnung dauerhaft aufrecht zu halten, ohne »unglimpff« oder gar »ungnade« auf sich zu laden, spiegelt sich auch in den Instruktionen mancher Stände für ihre Gesandtschaften wider. Beispielsweise heißt es in der Instruktion Markgraf Ernsts von Baden 1546 an seinen Gesandten, eine weitere Erhebung eines Gemeinen Pfennigs berge die Gefahr von Aufständen. Sollten der Kaiser und sein Bruder einen Gemeinen Pfennig fordern, so sei ihnen dies deshalb »mit besten fugen und glimpf abzuschlagen«3⁶⁰. Offenbar in Sorge, der Gesandte könne trotz des guten Grundes Unmut auf sich ziehen, fügte der Markgraf hinzu: »Doch soll er [der Gesandte] das abschlagen allweg thun mit undertenigen und gebürlichen worten und mit anzeigung obgemelter oder andern ursachen«3⁶1. Markgraf Ernst legte also deutlich Wert darauf, dass sich sein Gesandter zurückhaltend äußerte und ein Verhalten vermied, das andere verärgern könnte. Bei einigen Instruktionen wurde auch die Möglichkeit berücksichtigt, dass wichtige Stände am Reichstag andere Positionen vertreten sollten. Beispielsweise enthält die salzburgische Gesandtschaftsinstruktion von 1542 eine Bestimmung, nach der sich die Gesandten nur an die Artikel der Instruktion halten sollten, wenn nicht der Papst (durch seinen Nuntius), die kaiserlichen Kommissare, König Ferdinand, die bayerischen Fürsten, Kurmainz und andere altgläubige Stände sich in allen oder einzelnen Artikeln anders positionieren würden. In diesem Fall sollten sich die salzburgischen Gesandten »mit dem merern auch vergleichen«3⁶2. Diese Anweisung wird nicht allein wegen des Vertrauens Salzburgs in die Kompetenz 357 Zu den Angewohnheiten Ecks: Metzger, Leonhard von Eck, S. 16–26. 358 Frankfurt ISG, RTA 54, unfoliiert in: »Communia uff dem tag zu Nurnberg anno etc. 43 gehalten«, Abschnitt zum 12. März. 359 Frankfurt ISG, RTA 54, unfoliiert in: »Communia uff dem tag zu Nurnberg anno etc. 43 gehalten«, Abschnitt zum 12. März. 360 RTA JR 17, Nr. 33b (S. 169–170), S. 170. 361 Ebd. 362 RTA JR 12, Nr. 14b (S. 134–144), S. 144.

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der genannten Stände und Personen entstanden sein, sondern ist eine politische Anlehnung an die genannten Stände und Personen. Auch am Reichstag galt, was Tim Neu für den Landtag des Fürstbistums Münster konstatiert: »So fungierte jede Zustimmung zu einem Inhalt zumindest potenziell auch als eine Zustimmung zu der betreffenden Person.«3⁶3 Am Reichstag galt dies in Übertragung nicht nur für eine bestimmte Person, sondern für die Reichsstände allgemein.3⁶⁴ All diese Beispiele zeigen, wie offensichtlich das Abstimmungsverhalten der Reichstagsteilnehmer von äußeren Erwartungen beeinflusst war. Die Warnung der württembergischen Räte zeigt, dass es nicht sinnvoll war, an später Stelle noch eine bisher nicht vorgetragene gegenläufige Meinung einzubringen. Vor allem in Angelegenheiten, bei denen es generell große Übereinstimmung gab, war ein Widerspruch unklug. Es kann also festgehalten werden, dass das Abstimmungsverhalten der Stände im Fürstenrat stark vom Konsensprinzip beeinflusst war. Die Stimmen wurden zwar nicht direkt »ponderiert«. Jedoch hing es vom generellen Ansehen des Stands ab, wie wohlwollend eine gegenläufige Meinung aufgenommen wurde. Somit wurde das Abstimmungsverhalten durch den sozialen Druck beeinflusst. Dieser Einfluss bestand aber nicht formell, sondern nur in den interpersonellen und interständischen Beziehungen. Wie der württembergische Ratschlag zeigte, beschränkte sich die Rücksicht auf die Haltung anderer Stände nicht nur auf die eigene Kurie und das Herrscherhaus. Explizit wurde auch vor der möglichen Verärgerung der Kurfürsten gewarnt. Auch die Berücksichtigung, die ein abweichendes Votum bei einer Umfrage erfuhr, hing vom Ansehen des sich äußernden Stands ab, denn es gab keine festen Regeln für das Verfassen einer Umfragerelation. Erst bei Widerspruch gegen die Zusammenfassung des Umfrageergebnisses konnte die Interpretation des Direktoriums in einer weiteren Umfrage bewertet werden. Es war daher wohl auch die Aufgabe des Direktoriums, die Stimmenlage möglichst so zusammenzufassen, dass die größtmögliche Akzeptanz aller Beteiligten erreicht wurde. Angesichts des großen Einflusses, den das Konsensprinzip unter Karl V. noch hatte, bleibt zu fragen, welche Unterschiede es zwischen dem Verfahren der Reichstage Karls und dem der mittelalterlichen Konsensabstimmungen gab. Die bedeutsamste Änderung des Reichstagsverfahrens hinsichtlich der Abstimmungen brachte die Glaubensspaltung mit sich. Hier scheiterte das Konsensprinzip offensichtlich an der Unversöhnlichkeit der gegensätzlichen Positionen. Während im Laufe der 1520er Jahre noch lange versucht wurde, die Religionsproblematik durch vage Formulierungen in einem konsensfähigen Rahmen zu halten, eskalierte der Konflikt gegen Ende des Jahrzehnts. Die Beteiligten waren immer weniger bereit, das Problem zu umgehen. Eine einvernehmliche Lösung schien bei dieser Thematik nicht erreichbar. Diese Situation überforderte das Reichstagsverfahren 363 Neu, Zeremonielle Verfahren, S. 39. 364 André Krischer interpretiert daher das Verhalten der Reichsstände falsch, wenn er es als eine Abstimmungsstrategie ansieht, das Votum anderer Stände abzuwarten: Krischer, Inszenierung und Verfahren, S. 189.

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ebenso wie die beteiligten Personen. Als 1529 die Mehrheit der Stände auf einem entschlosseneren Vorgehen gegen die neue Lehre bestand, erklärten die lutherischen Stände in ihrer berühmten Protestation, sich nicht an derartige Beschlüsse gebunden zu fühlen. Nach dem Konsensprinzip bedeutete dies, dass die unterlegene Partei nicht bereit war, sich dem generellen Druck zu beugen und sich der überlegenen Position anzuschließen. Mit dieser Haltung lenkten die Protestanten deutlich unwillen und unglimpf der Mitstände auf sich. So heißt es etwa über die Protestation Philipps von Hessen: »[…]quod tamen est contra morem et consuetudinem regni, quod minor pars debet se opponere publice maiori parti statuum imperii […], sed impetuose hec lantgravius fecit, ductus juvenili furore et puerili consilio«3⁶⁵. Tetleben empörte sich hier ausdrücklich über die öffentliche Opposition und drückte damit seine vom Konsensprinzip geprägte Erwartung aus: Es sei nicht den Sitten und Bräuchen des Reichs gemäß, seine Unzufriedenheit »publice« zu formulieren. Er legte somit weniger Wert darauf, dass die Lutheraner sich von der überlegenen Meinung überzeugen ließen, als darauf, dass sie sich öffentlich der Mehrheitsmeinung anschlössen. Die öffentliche Weigerung reduzierte das politische und soziale Ansehen der protestierenden Stände bei den übrigen Reichstagsteilnehmern. Dies ging sogar so weit, dass Tetleben in seinen Notizen die Zurechnungsfähigkeit des Landgrafen von Hessen anzweifelte. Der Landgraf habe sich bei seinem Protest von jugendlicher Raserei (»juvenili furore«) und kindlicher Absicht (»puerili consilio«) leiten lassen. Aus dem Reichsfürsten wurde hier ein zorniges Kind, das sich nicht zu benehmen weiß. Diese Schmähung des hessischen Fürsten verdeutlicht noch einmal, wie sehr individuelle und persönliche Attribute wie das Alter die Stellung der Reichstagsteilnehmer beeinflussten, denn der Landgraf gehörte unter den anwesenden Fürsten zu den Jüngeren. Nach der Logik des mittelalterlichen Konsensprinzips stand er deshalb schneller in der Kritik, wenn er sich mit seiner Haltung zu sehr gegenüber der Mehrheit exponierte. Philipp selbst versuchte seine vorzeitige Abreise vom Reichstag 1530 mit dem Argument seiner Jugend zu entschuldigen und sprach dabei seine geringe Bedeutung gegenüber den älteren Fürsten an.3⁶⁶ Zum ungleich älteren, aber in seiner Haltung nicht weniger unbeugsamen Herzog Georg von Sachsen äußerten sich die Stände deutlich zurückhaltender.3⁶⁷ Auch der bayerische Gesandte Dr. Eck konnte sich im Alter mehr erlauben. Als der Kurfürstenrat 1542 darüber beriet, wie damit umzugehen sei, dass Eck das Reichstagsverfahren offensichtlich missachte, plädierte Kurbrandenburg dafür, den bayerischen Rat »als eins alten zu verschonen«3⁶⁸.

365 RTA JR 7, S. 668, Anm. 1. 366 »Auch das er eyn jungher furste und nicht fill nuttze hey uff dem reichstage were«: Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 105. 367 So beispielsweise die Begründung, warum Herzog Georg für den Vermittlungsausschuss von 1530 ungeeignet sei: Ebd., S. 122. 368 RTA JR 13, Nr. 55 (S. 298–394), S. 340.

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Die Ständemehrheit von 1529 sah sich aber einer Situation ausgesetzt, in der die soziale Sanktionierung nicht mehr genügte, um einen dem Konsensprinzip gemäßen Ablauf des Reichstags zu gewährleisten. Tatsächlich befand auch sie sich in einem Dilemma, da das Konsensprinzip in solchen Fällen eher dazu tendierte, die Materie zu verschieben, anstatt ranghohe Stände einfach zu übergehen. Vermutlich war es diese Unklarheit, die die Stände dazu veranlasste, über die Regeln nachzudenken, die das Abstimmungsverfahren bestimmten. Schon durch diese Überlegungen aber musste sich das Verfahren von der Ebene intuitiv angewandter sozialer Regeln auf ein abstrakteres Niveau begeben. Erst durch die Formulierung des wahrgenommenen Regelbruchs wurden die gebrochenen Regeln in Worte gefasst und somit auch verändert. Was bisher verdeckt durch ein System von persönlichen Bindungen funktionierte, musste nun – vor allem angesichts der Opposition des ranghohen sächsischen Kurfürsten – in einklagbare Regeln gebracht werden. Statthalter und Kommissare taten dies, indem sie vor den Ständen erklärten, es sei Brauch, »das der minst deil dem merern nach ordnung des h. reichs folgen mußt«3⁶⁹ und dass deshalb ungeachtet der Protestation zum Abschied geschritten werden solle. Ferdinand und die Kommissare sahen es nicht als eine Geste politischen Kooperationswillens an, dass sich die Unterlegenen der Mehrheit anschlossen, sondern verwiesen auf eine nicht weiter erläuterte Reichsordnung, die zum Befolgen der Mehrheitsbeschlüsse verpflichtete.3⁷⁰ Damit war das Reichstagsverfahren – zumindest in Gedanken – vom Konsensprinzip gelöst. Es entsprach dieser Vorstellung nach eher den Anforderungen für rechtlich geregeltes Verfahren nach Luhmann. Die »Zustimmung auch der Nichtzustimmenden«3⁷1 sei nach der Reichsordnung, in diesem Fall also nach dem Gewohnheitsrecht, durch die Mehrheit einforderbar. Tatsächlich blieb diese Vorstellung in der ganzen Regierungszeit Karls V. nicht durchsetzbar. Die politische Lage erlaubte kein Mehrheitsverfahren in Religionsfragen. Die Formulierung der Mehrheitsregel ist daher eher als Rechtfertigung der überlegenen Partei dafür anzusehen, dass sie sich ihrerseits über die Regeln des Konsensprinzips hinweggesetzt und das offene Zerwürfnis mit den Unterlegenen gewählt hatte. Bei der Umfrage blieb es bei dem bereits vorgestellten unpräzisen System. Für Probleme, die von starken politischen Gegensätzen geprägt waren, musste auch in den Folgejahren eine Lösung über Verhandlungen und militärischen Druck gefunden werden. Das vehemente Eintreten für das Mehrheitsprinzip leitete eher die schwierige Phase ein, in der sich das Reichstagsverfahren – zumindest im Hinblick auf die Religionsfrage – weitestgehend blockierte. Allein in kurzfristigen Angelegenheiten, etwa wenn sich der Fürstenrat über das weitere Vorgehen beriet, kam das Mehrheitsverfahren tatsächlich zum Einsatz. Anerkannt wurde es indirekt aber schon 1555: Die evangelischen Stände zweifelten nicht an, dass man sich beim Reichstag grundsätzlich nach der Mehrheit richten müsse, 369 RTA JR 7, S. 776. 370 Zu den Vorstellungen von einer umfassenden Reichsordnung: Kapitel 4.5.1.1 ab S. 295. 371 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 22.

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sondern beschränkten ihre Kritik am Mehrheitsverfahren ausdrücklich auf Religionsangelegenheiten.3⁷2

3.4.5 Ausblick auf die Jahrzehnte nach Karls Abdankung Auch auf dem folgenden Reichstag 1556/57 in Regensburg galt das Prinzip, allein Religionsangelegenheiten vom Mehrheitsverfahren auszuschließen.3⁷3 Lediglich Kurpfalz wollte das Mehrheitsprinzip generell nicht anerkennen.3⁷⁴ Unter den Kurfürsten herrschte noch Uneinigkeit darüber, ob man in der Relation an den Fürstenrat mitteilen sollte, dass ein Beschluss nur durch die Mehrheit zustande gekommen war.3⁷⁵ Gleiches galt für das Bedenken der Stände an den König,3⁷⁶ also für den offiziellen Ratschlag der Reichsversammlung, und für die entsprechende Formulierung im Reichsabschied3⁷⁷. Es war auch keine Selbstverständlichkeit, die Minderheit zu übergehen.3⁷⁸ Der Passauer Vertrag mit seiner Regelung zum 372 Beispielhaft für diese Haltung ist das bereits zitierte Votum Hessens vom 30. März 1555: RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1355. 373 Bei Religionsangelegenheiten gelte die Regel, dass »dises vahls inn zween gleiche thail zerpalten werden mueß«: RTA RV 1556/1557, Nr. 113 (S. 434–436), S. 434, Anm. 1 (siehe Fortsetzung auf S. 435); Salzburg erklärte bei anderer Gelegenheit nach einer Mehrheitsabstimmung, »dieweil dise hanndlung die religion sach belanngte, daß neben dem merern auch ir ainhellige mainung referiert werden sollt. Deß dann vermüg deß passauischen vertrags nicht gewaigert werden khünde«: Nr. 118 (S. 442–448), S. 447; Sachsen notierte zur Erörterung des geistlichen Vorbehalts: »Weil auch sollicher punct der religion mit anhengig were, so konnte das mehrer vermöge des passauischenn vertrags darinnen nicht statt haben«: Nr. 124 (S. 461–462), S. 462, Anm. c. 374 Der König ließ den pfälzischen Gesandten deshalb mitteilen, dass Mehrheitsbeschlüsse »vor ein einhellige meinunge gehaltten und solches durch einen, zwen oder drei nitt verhindertt werden kondt. Wie dan solches auch in allen collegiis und universiteten gepreuchlich«: Ebd., Nr. 106 (S. 417–419), S. 418, Anm. 6. 375 Es kam zur Diskussion darüber, »wie die relation zethun, obe zu sagen: »dem mehern nach«. Aber solchs hat Brandenburg bestritten mit vermeldung, das solchs wider disses churfursten rathes loblich herkomen«: Ebd., Nr. 62 (S. 328–332), S. 331. 376 Die sächsischen Räte im Kurfürstenrat zweifelten an, dass der König einen Verweis auf eine Mehrheitsentscheidung im Abschied erlauben werde, als sie erklärten, »das sie nichts liebers wolten, dan das sie alle einer meinung wern. Aber wie es in abschiedt zupringen mit dem wort »des merern«: Achten sie nit, das zwen churfursten sich von den andern allen absondern solten. Doch wollen sie inen wol gonnen, was sie bei kgl. Mt. erlangten«: Ebd., Nr. 95 (S. 393–396), S. 395. Der Fürstenrat legte gegenüber dem Kurfürstenrat Wert darauf, die Steuerbewilligung nicht als Mehrheitsbeschluss, sondern als »ein einhelligen beschluß« zu referieren: Nr. 105 (S. 412–417), S. 413, Anm. 4. 377 Ebd., Nr. 445 (S. 986–988). 378 Dies zeigen Beispiele, bei denen bedeutende Stände im Verlauf der Verhandlungen ihre Bereitschaft signalisierten, sich einem Mehrheitsvotum zu beugen: Ebd., Nr. 71 (S. 350–351), S. 351; Nr. 98 (S. 397–399), S. 398; Kurpfalz zweifelte das Mehrheitsprinzip grundsätzlich an, als es erklärte, »das es nit also preuchlich, das alwege der weniger thail mit dem mehern sich vergleichen mussen, quia par in parem non habet imperium«: Nr. 102 (S. 401–406), S. 402.

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Die Verhandlungen

Ausschluss des Mehrheitsverfahrens bei Religionsangelegenheiten wurde nun auch angeführt, um Zweifel am Mehrheitsverfahren auszuräumen. Bei den Verfahrensstreitigkeiten im Kurfürstenrat wurde der Passauer Vertrag im Umkehrschluss auch als Argument für eine konsequente Anwendung des Mehrheitsprinzips genutzt: »Und dan zu Passau geschloßen, allein in religion sachen dz mehrer nit stat hab, darumb in andern das mehrer stat haben.«3⁷⁹ Es kann deshalb als unbeabsichtigter Nebeneffekt des Passauer Vertrags angesehen werden, dass er das Mehrheitsverfahren für den Reichstag festschrieb. Auf dem Kurfürstentag von 1558 vereinbarten die Kurfürsten, sich untereinander an Mehrheitsbeschlüsse zu halten, solange diese keine religiöse Thematik berührten. Das Ideal der einmütigen Einigung wurde aber auch hier nicht aufgegeben. Vielmehr sah der neue Kurverein vor, dass die Versammelten auf künftigen Kurfürstentagen »samptlich oder der mherertheil in prophan sachen«3⁸⁰ entscheiden sollten. Die Formulierung lässt sich auf zwei Arten verstehen: Einmal so, dass in weltlichen Sachen durch Mehrheit, in anderen (religiösen) Angelegenheiten aber durch Einstimmigkeit beschlossen werden sollte. In der Mainzer Überlieferung ist »in prophan sachen« aber nachträglich am Rand eingefügt.3⁸1 Der Teil »samptlich oder der mherertheil« bestand also schon vorher, ohne die Spezifizierung auf Profanes. Die Kurfürsten wollten demnach generell möglichst »samptlich« und nur, wenn dies nicht funktionierte, durch den »mherertheil« beschließen. Auf den übrigen Reichstagen der zweiten Jahrhunderthälfte scheint die Anwendung des Mehrheitsverfahrens unter Ausklammerung religiöser Themen zwar üblich, aber nicht unumstritten gewesen zu sein. 1566 wurde auf dem Augsburger Reichstag im Kurfürstenrat das Mehrheitsverfahren wieder angesprochen. Kursachsen meinte im Zusammenhang mit den Beratungen um neue Steuern, es sei »herkommen, das, was andere durchs merer beschlossen, die andern sich nit absondern solten.« Auch bat Kursachsen, »solchs in das maintzisch prothocol einzuverleiben, das, was im merern beschlossen und fur gut angesehen, das demselbsen alle zugeleben schuldig sein sollen.«3⁸2 Dem wurde aber nicht rundum beigepflichtet. Kurpfalz meinte, es sei »anders herkommen«3⁸3. Herkommen und Passauer Abrede bestimmten, so Kurpfalz, dass »keiner in religions und gelt oder ausgabs sachen wider sein gewissen oder vermögen getrungen werden«3⁸⁴ sollte. Hier versuchte Pfalz also, die Ausnahmeregelung, die im Rahmen des Fürstenaufstands und im Augsburger Religionsfrieden für die Religion gefunden wurde, auf Steuerfragen auszuweiten. Es stand mit dieser Ansicht aber isoliert da. Sachsen erwiderte, es könne sich »des herkommens und passauischen vertrags, das der von gelt sachen disponirn solt etc., nit erindern«3⁸⁵. Auch Mainz erklärte in seiner 379 380 381 382 383 384 385

RTA RV 1556/1557, Nr. 63 (S. 332–336), S. 333, Anm. d. RTA RV 1558/1559, Nr. 47 (S. 454–465), S. 460. Ebd., S. 460, Anm. f. Kurfürstenratsprotokoll, 9. April, RTA RV 1566, Nr. 19 (S. 273–278), S. 275. Ebd., S. 276. Ebd. Ebd.

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Umfrage und Mehrheitsabstimmung

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Relation der Umfrage, sich an nichts anderes erinnern zu können, als dass das Mehrheitsverfahren nur in Religionsfragen nicht gelte. 1567 meinte Würzburg im Fürstenrat, dass eine weitere Behandlung der Achtexekution gegen Grumbach3⁸⁶ im Ausschreiben unnötig gewesen wäre, denn es habe »ain jeder standt billich selber wissen sollen«, was auf dem letzten Reichstag dazu beschlossen worden sei. Auch wenn einige Gesandtschaften sich dagegen sträubten, sei es »doch allso herkhomen, was durch daß mehrer jederzeit beschlossen worden, sich die andern davon nit abgesondert.«3⁸⁷ 1570 wurde das Mehrheitsverfahren anscheinend fraglos anerkannt.3⁸⁸ Vom Reichstag 1582 berichtet Henneberg von Vorschlägen der evangelischen Stände im Fürstenrat3⁸⁹ und im evangelischen Partikularrat3⁹⁰, das Mehrheitsverfahren nicht anzuwenden. Ein Argument war hierbei die einsetzende Stimmenakkumulation, beziehungsweise das Problem, das die Teilung eines Fürstenhauses in mehrere Linien bei einem strengen Mehrheitsverfahren mit sich brachte.3⁹1 Ferner wurde darauf verwiesen, dass ein Eingreifen des Reichs in den Achtzigjährigen Krieg zugunsten der Habsburger – wie es damals beraten wurde – kein Anliegen des Reichs sei, sondern allein ein Partikularinteresse des Hauses Österreichs und der an die Niederlande angrenzenden Fürstentümer Jülich und Lüttich. Die Kriegsintervention würde aber andere Stände schwer belasten. Es sei daher nicht angebracht, einfach nach Mehrheit zu beschließen. Stattdessen sollte man »ponderiern«3⁹2 und dabei auch die tatsächliche Steuerleistung der Stände berücksichtigen. 1582 wurde also die Forderung nach einem Verfahren erhoben, das Ludewig schließlich im 18. Jahrhundert als das ursprüngliche erachtete:3⁹3 Die Gewichtung der Voten nach einer Wertigkeit, die sich aus der Bedeutung (hier auch in steuerlicher Hinsicht) der beteiligten Stände ableiten sollte. Zur Anwendung kam ein solches System aber nicht. Es bleibt an dieser Stelle aber noch zu erwähnen, dass auch die langfristige Anerkennung des Mehrheitsprinzips dem Direktorium noch immer große Einflussmöglichkeiten beließ. Sowohl die Formulierung der Frage als auch die Zusammenfassung der Voten zu einem Mehrheitsbeschluss lagen in der Verantwortung des Direktoriums. Überlieferte Kritik an der Arbeitsweise des Direktoriums offen386 Zu Wilhelm von Grumbach und der Achtexekution: Press, Wilhelm von Grumbach; Wagner/ Strohmeyer/Leeb, Einleitung zu RTA RV 1567, 36–41, dort auch weitere Literaturangaben. Grundlegend: Ortloff, Geschichte. 387 RTA RV 1567, Nr. 28 (S. 202–214), S. 207. 388 Die wenigen Erwähnungen des Mehrheitsverfahrens legen einen generellen Konsens darüber nahe: RTA RV 1570, Nr. 45 (S. 268–271), S. 268–270; Nr. 46 (S. 271–275), S. 274; Nr. 156 (S. 513), Anm. c. 389 RTA RV 1582, Nr. 82 (S. 502–513), S. 513, Anm. q. 390 Ebd., Nr. 322 (S. 1151–1153), S. 1153, Anm. d-d. 391 Zur Entwicklung der Virilstimmen und den Möglichkeiten, das Mehrheitssystem auszunutzen: Domke, Die Viril-Stimmen im Reichs-Fürstenrath von 1495–1654, insbesondere S. 138–139. 392 RTA RV 1582, Nr. 322 (S. 1151–1153), S. 1153, Anm. d-d. 393 Ludewig, Vollständige Erläuterung der Güldenen Bulle, Band 2, 1485–1486.

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Die Verhandlungen

bart, dass die Zusammenfassung der Voten auch in der zweiten Jahrhunderthälfte noch keinem klaren Verfahren unterlag, sondern eine Frage der Interpretation blieb: Auf dem Reichstag von 1594 kritisierte Pfalz-Lautern in einer gemeinsamen Sitzung der oberen Kurien das salzburgische Direktorium und bezog sich dabei wieder auf die Tradition des Konsensprinzips: Es hätten »fast alle evangelische ständt« gegen die nun als Mehrheit dargestellte Position votiert. Deshalb sei die Zusammenfassung der Voten nicht rechtens. Salzburg erwiderte jedoch nur, »es sey der beschluß durch 43 vota gemacht worden« und die protestantische Position habe dabei »nuhr 18 stimmen gehabtt«3⁹⁴. Während Salzburg in diesem Fall strikt auf das Mehrheitsprinzip verwies – schließlich sind 18 Voten von 43 keine absolute Mehrheit – verlangte Pfalz-Lautern, dass die verhältnismäßig geschlossene Ablehnung durch 18 Stände Berücksichtigung finden müsse. Diese Argumentation erinnert an die bereits genannte Diskussion von 1555, als das Mehrheitsverfahren zwar nicht generell infrage gestellt wurde, man jedoch forderte, es nicht »also precise«3⁹⁵ anzuwenden. Solange es nicht kritisiert wurde, konnte das Direktorium auch auf den Reichstagen nach 1555 sehr frei entscheiden, ob eine Umfrage bereits zu einem abschließenden Ergebnis geführt hatte oder noch weitere Umfragen nötig waren. Es fand weiterhin keine Trennung von Meinungsfindung, Verhandlung und Abstimmung statt. Das Direktorium konnte somit in einer Umfrage alle anwesenden Stände um ihre Meinung zu einer Frage bitten und dann selbst feststellen, ob aus den Meinungsäußerungen ein gemeinsamer Beschluss der Stände zu formulieren war. Obwohl das Mehrheitsverfahren prinzipiell anerkannt wurde, hatte ein umsichtiges Direktorium dennoch eine möglichst breite Zustimmung für diesen gemeinsamen Beschluss der Kurie anzustreben. Ebenso wie im Kurverein von 1558 war eine einstimmige, im Konsens getroffene Entscheidung auch noch im Fürstenrat ein Idealzustand.3⁹⁶ Wann die Umfrage beendet wurde, obwohl noch nicht alle Stände dem Votum der Kurie zugestimmt hatten, lag im Ermessen der Kurie selbst und damit beim Direktorium. 1594 sah es Pfalz-Lautern deshalb als Affront an, die 18 Protestanten zu übergehen. Es zweifelte dabei nicht an, dass die Mehrheit im mathematischen Sinne richtig ausgezählt worden war. Stattdessen empfand Pfalz-Lautern es als unangemessen, so viele Gegner einer Meinung zu ignorieren. Dies zeigt, wie sehr das Abstimmungssystem der Reichstage auch nach der Zeit Karls V. von Erwartungen geprägt war, die in Verbindung mit dem Konsensprinzip standen. Die Antwort Salzburgs – der einfache Verweis auf die Zahlen – zeigt aber, dass es möglich war, solche Erwartungen zu übergehen. Wann dies zu tun war, war aber auch eine Frage des angemessenen Umgangs der Stände miteinander.3⁹⁷

394 395 396 397

ÖStA HHStA Wien, RK RTA, 65-1, fol. 83r. RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1350–1351. Zum Fortbestand des Konsensideals: Luebke, Ceremony and Dissent. Eine Bewertung der unpräzisen Anwendung des Mehrheitsprinzips in der Umfrage: Krischer, Inszenierung und Verfahren, S. 188–193.

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Umfrage und Mehrheitsabstimmung

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3.4.6 Zusammenfassung – Umfrage und Mehrheitsprinzip In der Forschung war man sich bisher einig, dass ein Mehrheitsprinzip bei den meisten Reichstagsverhandlungen des 16. Jahrhunderts nicht zur Anwendung kam. Wie stattdessen abgestimmt wurde, war aber unbekannt. Vermutlich auf den Behauptungen Ludewigs aufbauend erwähnte man, ohne dazu nähere Aussagen abzugeben, dass die Stimmabgabe in dieser Zeit »ponderiert« wurde. In den Reichstagsakten lassen sich immer wieder Beispiele finden, bei denen in Bezug auf Abstimmungen konkrete Zahlen genannt werden. Diese Abstimmungen betrafen jedoch in den meisten Fällen sehr einfache Fragen, etwa die Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten, das Verfahren fortzusetzen. In all diesen Fällen wurden die jeweiligen Stimmen innerhalb eines Rats gleich gewertet. Es gab somit kein Verfahren, das den einzelnen Stimmen der Stände ausdrücklich unterschiedliche Bedeutung zumaß. Jedoch hat sich sehr deutlich gezeigt, dass von den Ständen ein Abstimmverhalten erwartet wurde, das ihrer Position in der Reichshierarchie angemessen war. Ziel der Verhandlungen war es deshalb auch weniger, durch Zählen der abgegebenen Voten rasch eine Entscheidung präsentieren zu können. Vielmehr sollten in den einzelnen Verhandlungen Ergebnisse gefunden werden, die alle beteiligten Stände mittragen konnten. Die einzelnen Stände wägten selbst ab, wie selbstbewusst sie sich zu einer bestimmten Angelegenheit äußern sollten, und berücksichtigten dabei sowohl ihren eigenen Status als auch die Dringlichkeit, die die behandelte Materie für sie hatte. Dieses auf einen Konsens abzielende System durchlebte im 16. Jahrhundert eine schwere Krise, die einerseits durch die starke Polarisierung der Stände im Zuge des Religionskonflikts, andererseits durch die Loslösung der Verhandlungen von den eigentlichen Fürsten verursacht wurde. Der Gegensatz zwischen den Konfessionsparteien war zeitweise so groß, dass die bewährten Sanktionsmechanismen nicht mehr wirkten und die beteiligten Stände bereit waren, ihren Dissens offen zu zeigen. Diese Eskalation erforderte eine Auseinandersetzung mit den Verfahrensregeln. Die zunehmende Übernahme der Verhandlungen durch juristisch geschulte Räte ließ außerdem das Bedürfnis nach klarer formulierten Regeln ansteigen. Beides begünstigte eine Entwicklung des Reichstagsverfahrens zu einem System, bei dem es eher möglich war, auf einer abweichenden Meinung zu verharren, ohne dass dadurch die Legitimität der gefällten Entscheidungen grundsätzlich infrage gestellt wurde. Dass man sich im Zuge dieser Entwicklung stärker auf die Mehrheit berief, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Verfahren der Reichstage weiterhin durch das oben geschilderte Abwägen von Angemessenheit geprägt blieb. Seine Durchsetzung verdankt das Mehrheitsprinzip ausgerechnet dem ausdrücklichen Verzicht auf Mehrheitsabstimmungen im Passauer Vertrag. Im Umkehrschluss wurden ab 1555 Entscheidungen über säkulare Angelegenheiten auch dann noch als legitim erachtet, wenn einige Stände weiterhin nicht mit ihnen einverstanden waren. Dabei ist davon auszugehen, dass sich das Bewusstsein für eine Gleichheit der Stimmen erst langsam durchsetzte. Dies erklärt auch, warum

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Die Verhandlungen

die Kurfürsten in den 1520er Jahren anscheinend noch keinen Anlass hatten, auf die Anzahl der Stimmen Einfluss zu nehmen, die die übrigen Stände in den gemeinsamen Ausschüssen hatten. Ziel dieser Ausschüsse war damals noch, einen angemessenen Konsens zu finden, bei dem die Meinung eines Kurfürsten ohnehin nicht übergangen wurde. Erst zu Beginn der 1550er Jahre scheint die zunehmende Anerkennung des Mehrheitsprinzips dazu geführt zu haben, dass diese Frage überhaupt eine Rolle spielte.3⁹⁸ Der Ausblick auf die Reichstage nach Karl V. hat gezeigt, dass die Umsetzung des Mehrheitsprinzips von unterschiedlichen Vorstellungen geprägt war. Das Ideal blieb weiterhin die Einstimmigkeit. Gerade in Situationen, bei denen eine Mehrheit genutzt wurde, um politisch stark umstrittene Entscheidungen durchzusetzen, wurde das Bedürfnis formuliert, den Anspruch auf eine Suche nach Kompromiss besser in Regeln zu fassen. Ausdruck dieses Bedürfnisses war auch die zitierte Forderung von 1582, man möge die Stimmen abhängig von ihrer Steuerkraft gewichten. Da solche Zusatzregeln nie eingeführt wurden, blieb das Reichstagsverfahren aber weiterhin darauf angewiesen, dass die Reichstagsteilnehmer Eskalationen vermieden.

3.5 Kommunikation der Kurien Die räumliche Trennung der verschiedenen Ständegruppen war ein wesentlicher Bestandteil des Reichstagsverfahrens. Sie war Ausdruck und Mittel der hierarchischen Gliederung des Reichs. Die Abgrenzung der Kurfürsten von den übrigen Ständen sicherte die kurfürstliche Überlegenheit, ihre Präeminenz. Die nicht als ebenbürtig angesehenen reichsstädtischen Gesandtschaften waren ebenfalls von der mittleren Kurie getrennt und versammelten sich in ihrem eigenen Rat.3⁹⁹ Im Umgang der Kurien miteinander wurde das Machtverhältnis der Ständegruppen ausgelotet. Während die oberen Kurien in einem inhaltlichen Austausch standen, wurden die Beiträge der Reichsstädte in der Regel demonstrativ ignoriert. Für die Städte stellte es daher ein zentrales Anliegen dar, ihre Stellung in der Kommunikation zwischen den Kurien zu verbessern.⁴⁰⁰ Die Kommunikation zwischen den oberen Kurien nahm an Bedeutung zu, als darauf verzichtet wurde, die wesentlichen Reichstagsbeschlüsse von einem Großen Ausschuss vorbereiten zu lassen. Statt im Großen Ausschuss die Möglichkeiten für einen Konsens der Stände zu suchen, mussten im Kurienverfahren die beiden relevanten Kurien zunächst intern eine einheitliche Position zum Verhandlungsthema finden und sie dann der jeweils anderen Kurie mitteilen. Das dabei angewandte Verfahren soll im Folgenden

398 Zur Entwicklung der Ausschüsse siehe Kapitel 3.3 ab S. 179. 399 Zur Entwicklung der Kurien: Kapitel 3.2 ab S. 170. 400 Schmidt, Städte auf dem Reichstag; ders., Städtetag und Reichsverfassung, S. 53–55; ders., Städtetag in der Reichsverfassung, S. 246–289; Gerber, Die Bedeutung des Augsburger Reichstags von 1547/48 für das Ringen der Reichsstädte um Stimme, Stand und Session.

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Kommunikation der Kurien

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genauer betrachtet werden, wobei zwischen der formellen Relation der Kurien und anderen Formen des Austauschs unterschieden werden muss. Das Relationsverfahren der Kurien, das später auch »Re- und Correlation« genannt wurde, war kein direktes Ergebnis aus dem Verzicht auf die Großen Ausschüsse. Schon lange vor Karl V. traten die Kurfürsten getrennt von den übrigen Ständen und den Städten auf und teilten diesen ihre Meinung geschlossen mit.⁴⁰1 Der Verzicht auf Große Ausschüsse mit uneingeschränkter Beratungsbefugnis ließ die Kurienkommunikation aber wieder bedeutsam werden.⁴⁰2 Dabei zeichnete sich eine Tendenz zur präziseren Ausgestaltung der Regeln ab, unter denen dieser Austausch – die Relation der Kurien – stattfinden sollte. Prinzipiell gab es mehrere Möglichkeiten, wie das Relationsverfahren gestaltet werden konnte. Klassisch war die gemeinsame Sitzung beider Kurien, also die bereits vorgestellte Gemeine Versammlung. Der Austausch der Verhandlungsergebnisse konnte aber alternativ auch über Delegationen erfolgen. Dabei war es üblich, dass eine Delegation des Fürstenrats vor dem Kurfürstenrat sprach. Delegationen des Kurfürstenrats gab es dagegen nur gelegentlich im Rahmen einer informellen Kommunikation, gewöhnlich, um eine Relationssitzung in die Wege zu leiten. Weitere Möglichkeiten der Ausgestaltung des Relationsverfahrens betrafen die Reihenfolge und die Form, in der die Kurienbedenken vorgetragen wurden. Der näheren Darstellung der Kurienkommunikation außerhalb und innerhalb der Relationssitzung in der Zeit Karls V. soll hier zunächst die Beschreibung des Relationsverfahrens im Ausführlichen Bericht vorangestellt werden, denn der Text bietet eine idealisierte Fassung des Verfahrens, das sich zur Zeit der Abdankung Karls herausgebildet hatte.

3.5.1 Das Kurienverfahren und der Ausführliche Bericht Der Ausführliche Bericht enthält eine recht genaue Darstellung der Abläufe des Relationsverfahrens.⁴⁰3 Dort wird die Kommunikation zwischen den Kurien so beschrieben: Wenn der Kurfürstenrat einen Propositionsartikel »oder etwas anderes«⁴⁰⁴ so weit erörtert hat, dass er sein Beratungsergebnis an den Fürstenrat weitergeben will, soll er das Bedenken aufschreiben. Dieses Schriftstück soll im Kurfürstenrat vor der Relation an den Fürstenrat verlesen und abgeglichen werden. Damit soll vermieden werden, dass etwas Falsches weitergegeben wird. Wird dann festgestellt, dass auch der Fürstenrat mit seinem Bedenken fertig ist, fordert der Kurfürstenrat die Stände und Gesandten des Fürstenrats zu sich. In der nun gebildeten Gemeinen Versammlung soll der mainzische Kanzler das Wort

401 Beispiele für frühe Kurienkommunikation: RTA MR 1, Nr. 324 (S. 337–338); RTA MR 3, Nr. 278c (S. 1074–1079), S. 1076–1077. 402 Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 125–131. 403 Rauch, Traktat, S. 84–89. 404 Ebd., S. 84.

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Die Verhandlungen

ergreifen, die erschienenen Personen gebührlich anreden und ihnen dann das vorher auf einem Papier vorbereitete Kurfürstenratsbedenken verlesen. Den Vortrag soll der Kanzler mit dem Hinweis abschließen, das Vorgetragene hätten ihm die Kurfürsten zu vermelden aufgetragen, die nun um das Bedenken des Fürstenrats bäten. Jetzt ist es an den Ständen des Fürstenrats, ihr Bedenken vorzutragen. Diese Aufgabe fällt Salzburg oder Österreich zu. Das Fürstenratsbedenken wird dabei »ohn einigen Bedacht«⁴⁰⁵ verlesen. Der Fürstenrat soll also keine Möglichkeit haben, sich vor dem Verlesen des eigenen Bedenkens noch über das Bedenken des Kurfürstenrats zu beraten. Sollte die Relation des Fürstenrats ein Detail, das die Kurfürsten in ihrer Relation berücksichtigt haben, nicht behandeln, ist es Aufgabe des Fürstenratssprechers, hierzu noch weitere Bedenkzeit für den Fürstenrat zu erbitten. Besonderer Wert wird im Ausführlichen Bericht auch darauf gelegt, dass die Relation nur mündlich vollzogen werden soll. Die angefertigten Schriftstücke sollen auch nach formalen Kriterien Konzepte sein und nicht den Eindruck fertiger Beschlüsse erwecken. Sie sollen außerdem nicht ausgetauscht, sondern bei den Akten der Verfasser aufbewahrt werden. Daraufhin treten die beiden Kurien wieder auseinander und beraten getrennt über das Bedenken der jeweils anderen Kurie. Dabei sollen sie nach Möglichkeiten suchen, die beiden Bedenken zu vergleichen, also einen akzeptablen Kompromiss zu finden. Sind beide Kurien sich jeweils über ein neues Bedenken einig, werden die Stände des Fürstenrats wieder in den Kurfürstenrat gerufen. Nun wird das Bedenken des Fürstenrats als erster Text verlesen und erst im Anschluss das des Kurfürstenrats. Die Kurien sind dabei angehalten, ihre Bedenken so zu formulieren, dass die Möglichkeiten zur Einigung beider Kurien im Vordergrund stehen. In einem dritten Bedenken soll dann der Fürstenrat erklären, ob er sich dem kurfürstlichen Bedenken anschließt. Ist dies nicht der Fall, müssen die Bedenken beider Kurien dem Städterat einzeln vorgetragen werden. Dagegen wird bei einer Einigung den Städten das gemeinsame Bedenken der oberen Kurien mitgeteilt. Hierzu werden die Gesandten der Reichsstädte in die Gemeine Versammlung hinzu gerufen, wo sie sich (wie gewohnt) nicht setzen dürfen. Der Mainzer Kanzler verliest ihnen nun das gemeinsame Bedenken oder die getrennten Bedenken der oberen Kurien. Daraufhin dürfen die Städtegesandten ihr Bedenken vortragen und sich gegebenenfalls anschließend noch zur Beratung zurückziehen. Es ist dann die Aufgabe der Kanzlei, das einhellige Bedenken der Stände oder auch die dauerhaft abweichende Meinung der einzelnen Kurien schriftlich zusammenzufassen. Nun muss diese Zusammenfassung in den einzelnen Kurien abgehört, also durch eine Verlesung überprüft werden. Erst bei Zustimmung aller drei Kurien soll das Schriftstück dann dem Kaiser zugestellt werden. Der Text des Ausführlichen Berichts enthält also sehr genaue Bestimmungen über den Ablauf der Relation. Sogar einzelne Formulierungen sind darin vorgegeben. Dieses Verfahren hat sich aber erst langsam herausgebildet und bildet 405 Rauch, Traktat, S. 85.

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Kommunikation der Kurien

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bestenfalls den Stand der zweiten Jahrhunderthälfte ab. Eine Betrachtung der Quellen zum Austausch der Kurien auf den Reichstagen unter Karl V. zeigt, dass hier das Verfahren noch deutlich flexibler war, als es im Ausführlichen Bericht dargestellt wird. Angelehnt an die vorgestellte Darstellung im Ausführlichen Bericht lässt sich das Relationsverfahren anhand von vier Punkten untersuchen: Zunächst lässt sich fragen, wie der Austausch der einzelnen Bedenken eingeleitet wurde. Im Ausführlichen Bericht steht dazu nur, dass vor der Relationssitzung festgestellt werden muss, dass beide Räte zu einem Beschluss gelangt sein müssen. Wie sich die Räte gegenseitig darüber informieren sollten, lässt der Text jedoch offen. Als nächstes stellt sich die Frage nach der Art der Versammlung, in der der Austausch stattfand. Hier gibt der Ausführliche Bericht vor, dass die Stände zur Kurfürstenstube kommen sollten. Drittens bleibt die Frage nach der geforderten Gleichzeitigkeit: Laut dem Ausführlichen Bericht sollten beide Bedenken ohne Bedenkzeit verlesen werden. Zuletzt soll hier noch ein Blick auf die praktische Handhabung der Mündlichkeit der Relation geworfen werden: Im Ausführlichen Bericht wurde sehr viel Wert darauf gelegt, dass die Relation mündlich erfolgt, wenn sie zuvor auch zu Papier gebracht wurde. Von Interesse ist bei diesen Fragen jegliche Kommunikation der Kurien zu ihren Standpunkten, unabhängig davon, ob der Gegenstand der Kommunikation nun ein Propositionsartikel, Eingaben der Stände oder etwas anderes war.

3.5.2 Kommunikation außerhalb der Relation Im Ausführlichen Bericht wird nicht beschrieben, wie die Kurien ihren formellen Austausch einleiteten. Da der Text aber vorschreibt, dass vor der Relationssitzung beide Seiten ihre Bedenken ausformuliert haben müssen, war eine Kommunikation im Vorfeld kaum zu umgehen. Schließlich musste man sich dazu gegenseitig mitteilen, dass man mit den Beratungen fertig war. Gerade, wenn es zu Streit über Verfahrensfragen kam, die die Relation betrafen, gab es weiteren Bedarf an einer Kommunikation vor der eigentlichen Relationssitzung. Auch wegen der starken Formalisierung des Austauschs der Kurienbedenken in einer Relationssitzung muss es zusätzlich Möglichkeiten gegeben haben, außerhalb dieses Verfahrens miteinander zu kommunizieren. In den Reichstagsprotokollen wird die vorbereitende Kommunikation zur Planung des eigentlichen inhaltlichen Austauschs selten erwähnt. Dies ändert sich ab dem Reichstag von 1547/48, als das Relationsverfahren wiederholt Streitgegenstand zwischen den oberen Kurien wurde. Auffällig ist dabei, dass auch die Kommunikation außerhalb der Relationssitzungen gewissen Regeln folgte, die aber kaum ausformuliert, sondern aus einer Mischung aus praktischen Erwägungen und zeremoniellem Taktgefühl geformt wurden. Beispielsweise zeigte sich der Kurfürstenrat 1547 unzufrieden damit, dass ein vorbereitender Zweierausschuss der beiden oberen Kurien zwar den Fürstenrat, aber nicht den Kurfürstenrat über das baldige Ende seiner Arbeit informiert hatte. Dies sei laut der Kritik aus dem Kurfürstenrat besonders deswegen unhöflich, weil einer der Verordneten in

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Die Verhandlungen

demselben Haus wie die anderen mainzischen Räten wohne. Es wäre ihm also leicht möglich gewesen, den Mainzer Kanzler zu informieren.⁴⁰⁶ Bei der Betrachtung von kurienübergreifender Kommunikation außerhalb der Relationssitzungen könnte darüber hinaus in der Theorie noch unterschieden werden zwischen formellem Austausch unter den Kurien, etwa zur Einleitung einer Relationssitzung, und informellem Austausch zwischen einzelnen Personen oder Gremien. Tatsächlich ist diese Grenze aber nicht leicht zu ziehen. Besonders zwischen den Direktorien der oberen Kurien war es bisweilen notwendig, zur Koordinierung der Kurienarbeit informell Absprachen zu treffen. Zum Reichstag von 1555, zu dem neben dem Kurfürstenprotokoll auch von österreichischer Seite ein ausführliches Protokoll existiert, werden solche Kontaktaufnahmen im Zusammenhang mit den schwelenden Konflikten zwischen Dr. Zasius und dem Mainzer Kanzler erwähnt. Zwei Beispiele von 1555 sollen hier die Möglichkeiten dieser Absprachen verdeutlichen. Das erste betrifft das Bestreben, die andere Kurie zu einem Beschluss in einer bestimmten Angelegenheit zu drängen: Es hat sich zugetragen, »daß der meintzisch cantzler, under dem der ausschuß vom furstenrath beyainander gewesen, mich, Zasien, als referenten vor die rathstuben vordern lassen und mich vermanet, darob zu sein, damit sich der furstenrath, weß sich mit dem frantzösischen schreiben zu halten, entschliesse.«⁴⁰⁷ Der Mainzer Kanzler begab sich in diesem Beispiel zu der Stube, in dem der Fürstenratsausschuss zum Religionsfrieden tagte, und bat den Sitzungsleiter Zasius vor die Tür. Dort drängte er Zasius, dieser solle im Fürstenrat darauf hinwirken, bald eine Entscheidung in der Angelegenheit des französischen Schreibens zu fällen. Nach einer ablehnenden Antwort von Zasius entfernte sich der Mainzer Kanzler wortlos. Diese informelle Unterredung fand nur Erwähnung, weil sie ein Thema betraf, dem Zasius viel Bedeutung zumaß und bei dem er sich am Ende nicht gegen die Meinung des mainzischen Kanzlers durchsetzen konnte. Die Stände öffneten das französische Schreiben schließlich ohne Beteiligung König Ferdinands. Die österreichischen Räte hatten deshalb schon zur Rechtfertigung ihrer Arbeit vor Ferdinand ein Interesse daran, ihre Bemühungen in diesem Punkt aufzuzeichnen. Es ist anzunehmen, dass es solche informellen Gespräche zur Koordination der Kurienarbeit deutlich öfter gab, sie aber gewöhnlich nicht in die Berichte und Protokolle aufgenommen wurden. Darüber, wie viele Informationen informell ausgetauscht werden durften, gab es unterschiedliche Ansichten. Beispielsweise berichtete der Mainzer Kanzler 1555 im Kurfürstenrat, der österreichische Rat Zasius habe ihn am Vortag spät abends darüber informiert, der Fürstenratsausschuss zum Religionsfrieden sei mit seinem ersten Gutachten nahezu fertig und werde sich bald weiteren Beratungen zuwenden. Deshalb habe Zasius erfahren wollen, womit sich der Kurfürstenrat derzeit befasse. Der Kanzler gab Zasius aber zunächst keine Auskunft, sondern beriet die Anfrage erst im Kurfürstenrat. Dieser einigte sich dann auf eine Ant406 RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 422–423. 407 Protokoll des Dr. Johann Ulrich Zasius, RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1332.

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Kommunikation der Kurien

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wort, die der Kanzler Zasius mitteilen sollte.⁴⁰⁸ Fälle wie dieser zeigen, wie die Grenzen zwischen Kurien und Einzelpersonen verschwimmen konnten: Zasius fragte anscheinend aus eigenem Antrieb beim Mainzer Kanzler nach, um seine Arbeit im Ausschuss besser ausrichten zu können. Die Antwort erfolgte allerdings im Namen des Kurfürstenrats, richtete sich aber an Zasius in seiner Funktion im Fürstenratsausschuss. Solchen mehr oder weniger informellen Gesprächen und Anfragen stehen die Kommunikationssituationen gegenüber, in denen die Kurien formeller miteinander interagierten. Grundsätzlich gab es zwei Möglichkeiten zur formellen Kontaktaufnahme zwischen den Kurien: Die eine war, eine Delegation zur anderen Kurie zu schicken. Die Delegation konnte dann mitteilen, dass die eigene Kurie in einem bestimmten Punkt zu einem Ergebnis gekommen und man bereit sei, dieses der anderen Kurie vorzutragen. Die andere Möglichkeit war, den Reichserbmarschall damit zu beauftragen, jemanden aus der anderen Kurie in die eigene Stube zu holen und ihm dann die entsprechende Mitteilung zu machen. Diese Möglichkeiten wurden von beiden (oberen) Kurien angewandt. Der Mainzer Kanzler nutzte den Reichserbmarschall ohnehin, um Gemeine Versammlungen einzuberufen. Der Fürstenrat konnte ihm aber ebenfalls befehlen, jemanden zum Fürstenrat zu fordern. Das Einberufen durch den Reichserbmarschall war die deutlich distanziertere Methode, denn dem Einberufenen war dabei anscheinend gewöhnlich nicht bekannt, weshalb er gerufen wurde. Auf den Reichserbmarschall wurde oft zurückgegriffen, wenn man sich über einen Verfahrensfehler beklagen wollte. Auf dem Reichstag von 1547/48 empörte sich beispielsweise der Fürstenrat über den Kurfürstenrat, denn dieser hatte seinen Entwurf für eine Antwort auf eine Stellungnahme des Kaisers dem Fürstenrat schriftlich überbringen lassen, statt den formellen Weg des mündlichen Austauschs in einer gemeinsamen Sitzung zu gehen. Um sich darüber beschweren zu können, befahl der Fürstenrat dem Reichserbmarschall, den verantwortlichen Mainzer Kanzler in den Fürstenrat zu fordern. Der Kanzler hörte sich die Beschwerde zwar an, antwortete aber zunächst nicht. Stattdessen ließ er dazu später eine Delegation des Fürstenrats in den Kurfürstenrat rufen.⁴⁰⁹ Der Reichserbmarschall kam aber nicht nur im Fall von Beschwerden zum Einsatz: Der Mainzer Kanzler rief bei vielen Gelegenheiten, bei denen neue Informationen an alle Stände gelangen sollten, mittels des Reichserbmarschalls eine Gemeine Sitzung ein. Auch Relationssitzungen wurden bisweilen ohne vorherige Absprache einberufen. Als die Kurfürsten auf dem Reichstag von 1547/48 nach langer Zeit schließlich zur Relation bereit waren, bestellten sie den Fürstenrat zu sich. Sie eröffneten diesem, man wolle sich die Bedenken nun gegenseitig berichten, wenn dieser »wie vermutlich«⁴1⁰ auch dazu bereit sei. Die Formulierung impliziert, dass die Kurfürsten zumindest von offizieller Seite keine Mitteilung 408 RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 737–738. 409 RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 414–415. 410 Votenprotokoll des Kurfürstenrats, ebd., S. 374.

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erhalten hatten, ob der Fürstenrat zur Relation bereit war. Stattdessen nahmen sie es einfach an, da viel Zeit verstrichen war. Obwohl der Reichserbmarschall in vielen Fällen offensichtlich nicht den Anlass mitteilte, aus dem Stände zusammengerufen wurden, kam es auch vor, dass er anstelle einer Delegation Mitteilungen überbrachte. 1547 erklärte der Mainzer Kanzler in einer Gemeinen Versammlung der oberen Kurien beispielsweise, der Marschall habe ihm mitgeteilt, die Stände seien »mit irem bedencken fertig«⁴11, also zur Relation bereit. Die vorbereitende Kommunikation mittels Delegationen war anscheinend deutlich üblicher als das Herbeirufen über den Marschall. Aus dem Kurfürstenrat wurden zu diesem Zweck gewöhnlich der Mainzer Kanzler und ein Rat von Kurpfalz delegiert.⁴12 Vonseiten des Fürstenrats wurden damit üblicherweise ebenfalls die gerade am ranghöchsten sitzenden Stände der beiden Bänke beauftragt, also oft Österreich beziehungsweise Salzburg von der geistlichen und Bayern von der weltlichen Bank. Der Fürstenrat war dabei jedoch nicht auf diese Stände festgelegt. Es wurde aber anscheinend Wert darauf gelegt, dass bei Delegationen, die sich aus zwei Personen zusammensetzten, beide Bänke berücksichtigt wurden.⁴13 Ein Beispiel für eine Delegation ohne Österreich, Salzburg und Bayern bietet der Reichstag von 1541, auf dem eine Delegation aus dem Bischof von Speyer und dem Herzog von Braunschweig bestand.⁴1⁴ Zasius erwähnte in seinem Protokoll auch die Bildung von Delegationen zu dem Zweck, die eigentliche Relation einzuleiten. Unter dem 16. März 1555 notierte er, es sei in »gemainer umbfrage daß mehrer worden, daß ain ausschuß zu den kfstl. rathen zu verordnen sein sollt«. Dieser sollte dort mitteilen, »welchermassen dieser furstenrath in den ersten beden puncten albereit entschlossen, auch urbuttig weren, daß dieser furstenrath nach anhorung irer bedenckhen sich dessen, so sy bedacht, auch wollten vernemen lassen.«⁴1⁵ Das Ansinnen der Delegation wurde aber von den Kurfürsten mit der Begründung abgelehnt, die betreffenden Artikel seien noch nicht an der Reihe. Nun wurde im Fürstenrat wieder umgefragt und beschlossen, die Delegation solle die kurfürstlichen Räte ein weiteres Mal besuchen und bei diesen »mit guetten persuasionen und erzelung aller umbstenden und geferlicheitten der sachen zusprechen«⁴1⁶ und sie so vielleicht doch noch davon überzeugen, die Beschlüsse des Fürstenrats anzuhören. Notfalls sollten sie damit drohen, dem König mitzuteilen, die Erledigung der Sache verzögere sich allein wegen der kurfürstlichen Räte.⁴1⁷ Aus dem Protokoll des Kurfürstenrats geht 411 RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 375. 412 Beispielsweise wurden der Mainzer Kanzler und der pfälzische Hofmeister in die Fürstenstube gesandt, als es 1547 darum ging, die Konditionen für eine Relationssitzung mit dem Fürstenrat auszuhandeln: Ebd., S. 408. 413 Hierbei zeigte sich somit wieder das im Zusammenhang mit den Ausschüssen dargestellte Abbildungsprinzip (Zu den Ausschüssen: Kapitel 3.3 ab S. 179). 414 ÖStA HHStA Wien, MEA RTA, 7-2, fol. 3v. 415 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1314. 416 Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1314. 417 Ebd., S. 1314–1315.

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hervor, wie die Delegation dabei vorging: Sie ließ den mainzischen Kanzler und den kurpfälzischen Rat Dr. Melchior Drechsel »ausfurdern und durch sie baide im churfurstenrathe auf inen letzt gegebene antwurt anzaigen,«⁴1⁸ welche Antwort der Fürstenrat ihnen aufgetragen hatte. Wie im obigen Beispiel, bei dem der Mainzer Kanzler Zasius aus der Ausschusssitzung rief, forderten die Delegierten den Kanzler und Dr. Melchior Drechsel ebenfalls vor die Tür ihrer Stube, um dort mit ihnen zu reden. Diese beiden hatten dann das Mitgeteilte an die übrigen Räte im Kurfürstenrat weiterzugeben. Die kurfürstlichen Räte erbaten sich darauf zunächst Bedenkzeit und verordneten schließlich selbst eine Delegation: den mainzischen Kanzler und einen Rat von Kurpfalz, die den Ständen die weiterhin ablehnende Haltung ihres Rats erklären sollten.⁴1⁹ Am Beispiel der dargestellten Delegationen von 1555 zeigt sich, dass die Kurien durchaus in intensivem Austausch stehen konnten, ohne dass es zu formellen Relationssitzungen kam. Die formelle Relation der Bedenken war ein von der sonstigen Kommunikation durch Verfahrensbildung abgetrenntes Ereignis. Die Entsendung einer Delegation wurde – ebenso wie das Herbeirufen durch den Marschall – in »gemainer umbfrage« beschlossen. Sie wurde also zunächst innerhalb der Kurien besprochen. Von ihrer Kurie bekamen die Delegierten Anweisungen, welche Nachricht sie zu überbringen hatten. Die Grenzen zwischen Delegation und informellem Austausch waren allerdings fließend. So suchte bisweilen der Mainzer Kanzler den Kontakt zum Fürstenratsdirektorium, um sich zu erkundigen, ob der Fürstenrat zur Relation der Bedenken bereit sei. Dabei handelte er anscheinend zwar gewöhnlich mit Wissen, aber ohne direkten Auftrag seiner Kurie, also auf eigene Initiative.⁴2⁰

3.5.3 Kommunikation in der Relationssitzung Die bisher dargestellte Kommunikation zwischen den Kurien betraf den Austausch außerhalb der Relationssitzungen. Anders als bei dem im Ausführlichen Bericht dargestellten Relationsverfahren waren dabei gegenseitige Nachfragen und Anregungen möglich. Für die gegenseitige Relation der Bedenken sieht der Ausführliche Bericht dagegen eine gewisse Gleichzeitigkeit vor: Beide Bedenken sollten unmittelbar aufeinander folgend verlesen werden. Die zuletzt verlesende Kurie sollte nicht die Möglichkeit haben, noch vor dem Verlesen des eigenen Bedenkens über das zuerst Gelesene zu beraten.⁴21 Die Möglichkeiten des Aushandelns waren also sehr beschränkt. Erst zur zweiten Relation zu demselben Gegenstand fallen die Bestimmungen im Ausführlichen Bericht – wie eingangs dargestellt – weniger streng aus. In den Reichstagsakten lassen sich für die Regierungszeit Karls V. sehr 418 419 420 421

RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 712. Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1315–1316. Ein Beispiel hierfür von 1555: Ebd., Nr. 144 (S. 645–1272), S. 1048. Rauch, Traktat, S. 85.

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unterschiedliche Berichte über den Austausch zwischen den Kurien finden. Es lässt sich erkennen, dass in diesem Bereich der Prozess der Verfahrensbildung unter Karl V. zunächst noch nicht abgeschlossen und deshalb das Verfahren der Relation lange nicht eindeutig auf eine bestimmte Form festgelegt war. Verschiedene Aspekte sind hier von besonderer Bedeutung, zunächst die Versammlungsform, in der die Relation der Bedenken stattfand. Üblich waren hierzu sowohl Gemeine Versammlungen, zu denen alle Stände der beteiligten Kurien zusammenkamen, als auch Delegationen des Fürstenrats, die sich anstelle aller Stände dieser Kurie in den Kurfürstenrat begab. Je nach Interpretation der Rolle, die die Städtekurie auf dem Reichstag einnahm, lässt sich auch die Delegation der oberen Kurien zur Städtekurie als eine Form der Relationsversammlung einstufen. Dies hängt davon ab, ob man die Mitteilung an die Städte als Mittel der laufenden Verhandlungen oder lediglich als reine Informationsweitergabe an die Städte betrachtet. Ferner ist die Frage nach der im Ausführlichen Bericht geforderten Gleichzeitigkeit der Relation von Interesse, also nach dem Verzicht auf eine Bedenkzeit bei der Erwiderung des Fürstenrats. Zuletzt ist noch zu untersuchen, ob der im Ausführlichen Bericht so stark betonte mündliche Austausch tatsächlich so strikt angewandt wurde oder nicht doch auch schriftliche Ausarbeitungen ausgetauscht wurden. Die Form, in der die Kurien miteinander über die Propositionsartikel kommunizierten, war stets Ausdruck ihres Verhältnisses zueinander. Es ist auffällig, dass vor allem gegen Ende der 1540er Jahre, als das Ausschusswesen endgültig zurückgedrängt wurde, auch eher Streit über das korrekte Relationsverfahren aufkam. Dies ist im Zusammenhang mit den Versuchen der Kurfürsten zu verstehen, die Formalitäten des Reichstagsverfahrens zu nutzen, um sich vor habsburgischen Einflussnahmen zu schützen: Da sie 1547/48 einem kurienübergreifenden Ausschuss schon ablehnend gegenüber standen, lag es nahe, auch in der Gemeinen Versammlung den Fürstenrat auf Distanz zu halten. In den 1520er Jahren war das Relationsverfahren dagegen noch deutlich lockerer reglementiert. Die vorhandenen Quellen enthalten jedoch kaum Informationen zur genauen Ausgestaltung des Verfahrens in dieser Zeit. Dass damals jedoch nicht nach dem im Ausführlichen Bericht beschriebenen Verfahren vorgegangen wurde, lässt sich am Reichstag von 1526 zeigen, auf dem ein Großer Ausschuss lange abgelehnt wurde. Am 29. Juni kam es zu einer ersten Relationssitzung der oberen Kurien, bei der die Kurfürsten ihr Bedenken zum ersten Artikel der Proposition vortrugen. Nun mussten die Stände des Fürstenrats aber nicht – wie im Ausführlichen Bericht später vorgeschrieben – ihr Bedenken unverändert verlesen, sondern konnten sich eine Bedenkzeit nehmen.⁴22 Erst danach trug der österreichische Rat das Bedenken der zweiten Kurie vor. Wie lange die Bedenkzeit dauerte, wird im entsprechenden Protokoll allerdings nicht vermerkt. Sehr lang scheint sie aber nicht gewesen zu sein, da die Antwort noch am selben Tag erfolgte. Im Anschluss antworteten die Kurfürsten

422 RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 432.

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wieder auf die Fürsten, wobei sie einen noch strittigen Punkt ausklammerten. Eine Bedenkzeit ist im Protokoll bei dieser Antwort nicht erwähnt.⁴23 Verfahrenstechnische Flexibilität zeigten die Stände 1526 auch bei der Relation mit den Städten. Diese baten um eine Abschrift des Bedenkens der oberen Kurien und begründeten dies damit, dass der verlesene Text sehr umfangreich sei. Nach kurzer Beratung sandten die oberen Kurien zwei Delegierte zu den Städten, die den Text noch bis zu dreimal vorlesen sollten. Eine schriftliche Kopie wollten die oberen Stände den Städten jedoch vorerst nicht geben, da das Bedenken auch in den oberen Kurien noch weiter beraten werden sollte.⁴2⁴ Die Reichsstädte ließen sich den Text daraufhin ein weiteres Mal vorlesen und nahmen sich im Anschluss eine Bedenkzeit. Eine Antwort auf das Bedenken der oberen Kurien lieferten sie erst einige Tage später.⁴2⁵ Wie dieses Beispiel zeigt, war der Austausch der Kurienbedenken in den 1520er Jahren noch sehr frei. Die Kurfürsten hatten ein Bedenken formuliert und teilten dieses dem Fürstenrat mit. Der Fürstenrat verzichtete auf die Verlesung seines eigenen Bedenkens und zog sich zu einer wahrscheinlich kurzen Beratung zurück. In dieser Beratung stellte er fest, dass er dem Kurfürstenrat in fast allen Punkten zustimmen konnte und teilte im Anschluss nur das Detail mit, bei dem er weiteren Verhandlungsbedarf sah. Der Kurfürstenrat stimmte der Ausklammerung des letzten strittigen Punkts zu und das bisher Beschlossene wurde den Städten mitgeteilt. Auch wenn sich die Bedenkzeit der Städte nun über mehrere Tage hinzog, an denen die oberen Kurien bereits andere Themen berieten, war die Relation insgesamt recht zügig und wenig formalisiert abgelaufen. An einem Verhandlungstag wurden viermal Bedenken verlesen (die Kurfürsten an die Fürsten, die Antwort der Fürsten an die Kurfürsten, dann zweimal die oberen Kurien an die Städte) und drei Bedenkzeiten genommen, bevor auf eine andere Seite geantwortet wurde (die Fürsten vor ihrer Relation, die oberen Kurien vor ihrer Antwort an die Städte und die Städte vor ihrer Antwort auf das Bedenken der oberen Kurien). Zweimal wurde anscheinend spontan geantwortet: als die Fürsten den Kurfürsten ihr Bedenken unterbreiteten und als die Städte das Bedenken der oberen Kurien gehört hatten. Sowohl das spontane Antworten als auch die Bedenkzeiten stehen im Widerspruch zum späteren Verfahren, bei dem ausdrücklich erst die einzelnen Bedenken verfasst werden mussten, die dann ohne Bedenkzeit zu verlesen waren. Das Relationsverfahren beruhte 1526 somit noch eher auf einem Prinzip hierarchischer Anregung: Die Kurfürsten teilten sich dem Fürstenrat mit. Dieser reagierte zunächst, indem er über das Mitgeteilte beriet. Erst danach antwortete er, ob er mit den Vorschlägen der obersten Kurie einverstanden war. Hatten die beiden oberen Kurien sich geeinigt, wurde dies den Städten vorgetragen. Auch die Städte 423 RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 433. 424 Die Delegierten stellten jedoch in Aussicht, dass die Städte bei einem endgültigen Beschluss, bei dem die übrigen Stände auch Kopien erhalten würden, auch eine Abschrift bekämen: Ebd. 425 Ebd., S. 434.

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nahmen sich nun Zeit und antworteten erst, nachdem sie die Position der oberen Kurien erörtert hatten. Als die Städte den oberen Kurien ihre Haltung eröffneten, entschuldigten sie sich dafür, mehrere Tage für ihre Antwort benötigt zu haben. Die Stände der oberen Kurien antworteten den Städten darauf recht wohlwollend. Sie wollten die Städteposition in Erinnerung behalten und kündigten an, sich demnächst wieder zu dem behandelten Thema zu äußern.⁴2⁶ Die Fortsetzung des gegenseitigen Antwortens wurde also angekündigt. Es lässt sich beobachten, dass das spätere Verfahren, bei dem die Relation der oberen Kurien erst dann stattfand, wenn beide Seiten ein Bedenken beschlossen hatten, keine tatsächliche Neuerung der letzten Regierungsjahre Karls V. darstellt. Neu war gegen Ende der Herrschaft Karls V. eher die Festlegung auf das starre Verfahren bei der formellen Relation. Lange Zeit scheint es eine gewisse Parallelität der verschiedenen Möglichkeiten zum gegenseitigen Bericht gegeben zu haben. Es wurde dabei vermutlich zwar als angemessen, weniger aber als verbindlich angesehen, auf die Ausformulierung des Bedenkens der anderen Kurie zu warten. Vom Speyerer Reichstag von 1542 ist überliefert, dass eine Relationssitzung am 13. Februar nicht zustande kam, weil die Stände im Fürstenrat »in irem rathschlag nicht gefast«⁴2⁷ waren. Die Gemeine Versammlung der oberen Kurien wurde daher erst am 14.⁴2⁸ oder 15. Februar⁴2⁹ einberufen. Die Kurfürsten warteten in diesem Fall also, bis auch die Fürsten die Materie erörtert hatten. Auch bei der Frage, ob die Kommunikation zwischen den Kurien in einer Gemeinen Versammlung oder mittels Delegationen erfolgen sollte, waren die Reichsstände in den 1520er Jahren noch verhältnismäßig flexibel. Der Austausch der Kurienbedenken fand im oben dargestellten Beispiel von 1526 fast ausschließlich in Gemeinen Versammlungen statt – die Stände versammelten sich dazu in der Stube der Kurfürsten. Für ihre Antwort an die Städte auf deren Begehren um Abschrift delegierten die oberen Kurien aber zwei Personen, die den Städten ihren Beschluss mitteilen und zum wiederholten Vorlesen des Bedenkens zur Verfügung stehen sollten. Die oberen Kurien griffen dabei also auf eine Möglichkeit zurück, die – wie dargestellt⁴3⁰ – spätestens ab den 1550er Jahren eher vorbereitend oder informell zur Regelung verfahrenstechnischer Fragen verwendet wurde. 1526 legten die Stände aber anscheinend wenig Wert auf eine Trennung der Kurienkommunikation in eine stark durch Verfahrensregeln formalisierte Relationssitzung und eine weniger formelle und vor allem einseitig eingeleitete Kommunikation über Delegationen. Solche Delegationen kamen auf den Reichstagen Karls V. vor allem dann häufig vor, wenn sich ein reger Austausch entwickelte, der ein ständiges Zusammenkommen aller Stände mühselig machte. Die hierarchische Abwertung

426 RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 434. 427 Kurbrandenburgisches Protokoll über die Eröffnungsphase des Reichstags RTA JR 12, Nr. 44 (S. 252–257), S. 255. 428 Ebd., Nr. 47 (S. 343–380), S. 355; Nr. 50 (S. 418–437), S. 420. 429 Ebd., Nr. 44 (S. 252–257), S. 255. 430 Vgl. Kapitel 3.5.2 ab S. 241.

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der Städte – sie wurden durch dieses Verfahren nicht als ein Teil der Gemeinen Versammlung der Reichsstände behandelt – wurde 1526 anscheinend von keiner Seite thematisiert. 1542 kam es dagegen in Speyer zu Unstimmigkeiten über das Relationsverfahren mit den Reichsstädten, bei denen die Versammlungsform eine Rolle spielte. Diese Auseinandersetzung stand im Zusammenhang mit dem Kampf um die Stellung der Reichsstädte auf dem Reichstag. Die Städte beschwerten sich darüber, dass die oberen Kurien das städtische Bedenken nicht zu berücksichtigen gedachten und stattdessen das Bedenken der oberen Kurien bereits »vor beschlossen geachten«⁴31. In einer Audienz vor der Gemeinen Versammlung der oberen Kurien erklärten die Städte ihren Standpunkt. Dabei kamen sie auf die Art und Weise zu sprechen, wie die oberen Kurien mit ihnen kommunizierten. So seien ihnen »die beschluß der Kff. und Ff. oder derselben botschaften nicht in eyner vorsamelung, sonder durch etzliche reth vorghalten, welches wider den alten gebrauch und herkommen bescheen.« Statt einer Gemeinen Versammlung seien »zwen von den churfursten und einer von den fursten kommen und inen die bescheen beschlüsse angezeiget.«⁴32 Die Städte wehrten sich also diesmal dagegen, dass mit ihnen nur über Delegationen kommuniziert wurde, die sie vor vollendete Tatsachen stellen sollten. Sie verlangten stattdessen eine Gemeine Versammlung aller Stände, auf der die Meinungen der Kurien abgeglichen werden sollten. Ihr eigenes Bedenken wollten sie nun schriftlich einreichen. Dies gelang ihnen nur bedingt. In ihrer Antwort an die Städte gingen die Stände der oberen Kurien auch auf die Beanstandung der Delegationen ein und erklärten ihre prinzipielle Bereitschaft zur Gemeinen Versammlung. Sollte es sich aber nur um »kleine und geringe sachen«⁴33 handeln, wollten sie die Praxis der Delegationen beibehalten. Die Beschwerde der Städte wertete also den Verzicht auf eine Gemeine Versammlung als Missachtung ihres Anspruchs auf Session und Stimme am Reichstag. Nach dieser Argumentation war die Gemeine Versammlung die eigentliche Beratungsform der Stände, die sich aber auf die vorbereitenden Erörterungen in den Kurien stützten. Die oberen Kurien wiesen den Anspruch der Städte in diesem Fall nicht zurück. Ihre Erklärung, Delegationen weiterhin bei unwichtigen Angelegenheiten verwenden zu wollen, verweist zum einen auf die herrschende Verfahrensflexibilität, zum anderen aber auch auf die sich abzeichnende Trennung des Verfahrens in eines für wichtige und eines für unwichtige Angelegenheiten. Im gleichen Jahr kam es in Nürnberg erneut zu ungewöhnlichen Situationen im Relationsverfahren. Kein Kurfürst war persönlich zum Reichstag gekommen und nur wenige kurfürstliche Räte waren anwesend. Deshalb erwiesen die kurfürstlichen Räte den persönlich anwesenden Fürsten anscheinend die Ehre, für die Relation der Bedenken zu einigen Eingaben an die Stände in die Fürstenstube zu kommen. Die Ungewöhnlichkeit des Vorgangs wurde im Fürstenrat ausdrücklich 431 RTA JR 12, Nr. 44 (S. 252–257), S. 256. 432 Ebd. 433 Ebd., S. 257.

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gewürdigt: »Die haben sich anfenglich vernemen lassen, das sye willens gewest, etlich auß inen zu den churfurstenrethen altem brauch nach zu schicken, ire meynung anzuzeygen. Aber dieweil die churfurstenrethe furkomen, so wolten sye solich hoflichkeit zu dangk annehmen.«⁴3⁴ Die Fürsten hätten also, wären die kurfürstlichen Räte nicht zu ihnen gekommen, eine Delegation zum Kurfürstenrat gesandt, um die Eingaben zu besprechen. Ein solches Vorgehen empfanden sie als dem Herkommen nach richtig. Zwei Aspekte spielen bei diesem Vorfall eine Rolle: Einerseits das unter Karl V. unzureichend geklärte Verhältnis von Gesandten zu persönlich anwesenden Ständen, das im zeremoniellen Bereich häufig zu Schwierigkeiten führte, und andererseits die verhältnismäßig geringe Bedeutung der Eingaben im Vergleich zu den Propositionsartikeln. Es ist anzunehmen, dass die Fürsten eine Delegation gebildet hätten, die nur aus Gesandten und Räten, nicht aber aus Fürsten persönlich bestanden hätte, um für den zeremoniellen Vorrang von kurfürstlichen Räten gegenüber persönlich anwesenden Fürsten keinen Präzedenzfall zu bieten. Es ist aber auch anzunehmen, dass sowohl die Planung einer Delegation als auch die Entscheidung der kurfürstlichen Räte, in die Fürstenratsstube zu kommen, im Zusammenhang mit der geringen Bedeutsamkeit der Eingaben stand, entsprechend der oben vorgestellten Argumentation, der zufolge das Verfahren bei unwichtigeren Dingen flexibler zu handhaben sei. Die Bedenken zu Propositionsartikeln wurden dagegen auch 1542 in Nürnberg in der Kurfürstenstube ausgetauscht. Dabei wurden jeweils die Bedenken beider Seiten verlesen.⁴3⁵ In Nürnberg kam es 1542 zu einer weiteren Besonderheit bei der Kommunikation zwischen den Kurien: Nach der Antwort der Stände auf die königliche Proposition⁴3⁶ und der entsprechenden Replik Ferdinands⁴3⁷ tauschten sich die oberen Kurien für die Abfassung ihrer Duplik⁴3⁸ über Delegationen des Fürstenrats aus. In diesem Zusammenhang empörte sich der Kurfürstenrat über das Verhalten der Delegation. Der Vortrag der kurfürstlichen Räte enthielt nämlich noch einige Einwände, die einzelne von ihnen vorgebracht hatten. Der bayerische Gesandte Dr. Eck, der zur Delegation gehörte, antwortete den Kurfürsten spontan und gab dabei offensichtlich seine persönliche Meinung wieder, denn er sprach sich noch nicht einmal mit den anderen Delegierten ab. Erst dann zog sich die Delegation in den Fürstenrat zurück.⁴3⁹

434 Protokoll der Mainzer Kanzlei, RTA JR 13, Nr. 55 (S. 298–394), S. 314. 435 Auch wenn die Protokolle bisweilen nur das Bedenken der jeweils anderen Kurie aufführen. Vgl. hierzu die Relationssitzung vom 10. August: Ebd., Nr. 55 (S. 298–394), S. 332; Nr. 60 (S. 414–430), S. 420–421. 436 Ebd., Nr. 86 (S. 548–556). 437 Ebd., Nr. 87 (S. 556–561). 438 Ebd., Nr. 88 (S. 562–566). 439 Ebd., Nr. 55 (S. 298–394), S. 339.

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Kommunikation der Kurien

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Im Kurfürstenrat rief dieses Verhalten deutliches Missfallen hervor und führte zu einer kurieninternen Debatte, wie mit dem Verhalten Ecks umzugehen sei.⁴⁴⁰ Dass Dr. Eck alleine für sich geantwortet hatte, wurde als eine Herabsetzung der Kurfürsten angesehen. In der Debatte äußerten sich die kurfürstlichen Räte auch darüber, wie sich die Delegation aus ihrer Sicht hätte verhalten müssen: »Dieweil der brauch gewest, so die stende auß inen verordent, das es widder an sye gelangt oder zum wenigsten die verordenten sich unterredt, so solt es pillich maß nach also gehalten werde.«⁴⁴1 In dieser Erklärung der kurpfälzischen Gesandtschaft wurden also zwei Möglichkeiten für legitim angesehen: Das übliche Weiterreichen der kurfürstlichen Bedenken an den Fürstenrat und das spontane Antworten der Delegation. Im ersten Fall erfüllte die Delegation nur die Funktion, die Kommunikation zwischen den Kurien zu erleichtern, da nicht alle Stände des Fürstenrats den Raum wechseln mussten. Im zweiten wurde der Delegation eine gewisse Kompetenz zugesprochen, indem ihr zugetraut wurde, auf manches direkt zu antworten. Es lässt sich vermuten, dass die bereits erwähnten Antworten der Kurien ohne Bedenkzeit ähnlich zustande gekommen waren: Der Direktor des Fürstenrats sprach sich dazu wohl kurz mit den Ständen ab und antwortete den Kurfürsten, wenn es keine Anzeichen für Diskussionsbedarf gab, direkt, ohne dass sich die Kurien vorher trennten. Das zitierte kurpfälzische Votum drückt die Ansicht aus, dass eine solche spontane Antwort auch durch die Delegation erfolgen könne. Delegationen durften demzufolge also auch im Namen ihrer Kurie antworten, wenn sie sich sicher waren, dass ihre Antwort bei den Ständen ihrer Kurie Zustimmung finden werde. Auch hier zeigt sich die Flexibilität des Verfahrens in Bezug auf die Bedeutung der behandelten Materie: Wichtig ist die Akzeptanz in beiden Kurien. Die Form der Kommunikation ist dabei zunächst zweitrangig. Bedeutsam ist sie aber im Gefüge des Rangsystems. Die kurfürstlichen Räte empfanden es als Anmaßung, dass Dr. Eck sie während der Relationssitzung mit seinen persönlichen Ansichten belehrte. Dementsprechend fiel die Reaktion der Kurfürsten so aus, dass sie zwar die Einwände Ecks tatsächlich berücksichtigten, sich aber dennoch beim Fürstenrat über dessen Verhalten beklagten.⁴⁴2 1545 kam es im Rahmen der Relation zwischen den katholischen Ständen der oberen Kurien wieder zu einer Situation, die mit dem oben geschilderten Fall von 1542 vergleichbar ist, denn es waren keine altgläubigen Kurfürsten persönlich anwesend. Wie 1542 stand somit die Frage im Raum, ob persönlich anwesende Fürsten die Räte der Kurfürsten im Rahmen des Reichstagsverfahrens wie Kurfürsten behandeln mussten oder einen höheren Rang als die kurfürstlichen Gesandten beanspruchen konnten. Die zwei katholischen Kurfürstengesandtschaften bestanden diesmal jedoch darauf, dass die Fürsten in die Kurfürstenstube kamen. Diese hingegen hielten es für erforderlich, dass die Gesandten der Kurfürsten zu ihnen 440 RTA JR 13, Nr. 55 (S. 298–394), S. 340. 441 Ebd. 442 Ebd., S. 339–341.

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Die Verhandlungen

kamen. Zur Lösung des Streits begaben sich die Fürsten schließlich doch in die Stube der Kurfürsten. Sie erklärten jedoch, dies nur zu tun, um den Reichstag voranzubringen und ohne die Rechtmäßigkeit des Vorgangs damit anzuerkennen.⁴⁴3 Bei ihrer Kommunikation griffen die oberen Kurien auch 1545 auf Delegationen zurück und wandten wieder das System gegenseitiger Anregung an, das schon 1526 benutzt worden war. Beispielsweise erklärten die Fürsten dem Kurfürstenrat am 2. Januar ihre Vorstellungen zu Lösungswegen bei strittigen Sessionsfragen. Dieser antwortete erst am 3. Januar. Interessant ist hier, dass der Kurfürstenrat dazu eine Delegation von zwei Personen in den Fürstenrat schickte. Die Delegation bat die Stände jedoch nicht wieder in den Kurfürstenrat, sondern teilte anscheinend die Antwort des Kurfürstenrats in der Fürstenratsstube mit.⁴⁴⁴ Dieses gegenseitige Antworten und Benachrichtigen bestand also 1545 noch als Möglichkeit neben dem auf späteren Reichstagen üblichen, strengeren Verfahren, bei der beide Bedenken beschlossen sein mussten, bevor diese ausgetauscht wurden. Aber auch das gleichzeitige Referieren der Bedenken wurde 1545 angewandt, etwa bei der Relation über die Reichspolizeiordnung.⁴⁴⁵ Viel Streit um die korrekte Durchführung des Relationsverfahrens gab es erst ab dem Reichstag von 1547/48. Hier zeichneten sich mehrere Verfahrensregeln ab, die schließlich auch im Ausführlichen Bericht geschildert wurden. Dabei entsprach das Vorgehen der Kurien jedoch noch nicht gänzlich den späteren Vorgaben des Ausführlichen Berichts. Die unterschiedlichen Auffassungen darüber, ob persönlich anwesende Stände einen besonderen Vorrang vor Gesandten Abwesender hatten, führten wieder zu Problemen. Der Fürstenrat kommunizierte auch 1547/48 oft über eine Delegation. Diese ersetzte den vollständigen Fürstenrat nicht nur vor dem Kurfürstenrat, sondern auch in der Gemeinen Versammlung bei der Relation der getrennten Bedenken der oberen Kurien an die Städte.⁴⁴⁶ Diese Delegation wurde vom Kurfürstenrat in der Regel anerkannt. Als aber einmal fast alle Kurfürsten persönlich in den Rat gekommen waren, wollten sie die Delegation zum Relationsverfahren nicht akzeptieren. Wegen ihrer persönlichen Anwesenheit bestanden die Kurfürsten stattdessen darauf, dass der Fürstenrat vollzählig erschien. Da der Fürstenrat darauf nicht einging, verließen die Kurfürsten zur Wahrung ihres Vorrangs ihre Kurie und beauftragten ihre Räte damit, die Delegation zu empfangen.⁴⁴⁷ Dieser Vorfall zeigt, dass die allgemeine Entwicklung des Reichstagsverfahrens dahin tendierte, dass persönlich anwesende Stände wegen der offenen zeremoniellen Fragen den Reichstagsablauf zunehmend störten. Ein großer Unterschied zum im Ausführlichen Bericht vorgestellten Verfahren war 1547/48 die hohe Bereitschaft zum schriftlichen Austausch der Bedenken. Bei der Relationssitzung vom 22. September 1547 erklärten die Stände des Fürstenrats, 443 444 445 446 447

RTA JR 16, Nr. 62 (S. 672–740), S. 707. Ebd., S. 677. Ebd., S. 684. RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 394–396. Ebd., S. 408.

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Kommunikation der Kurien

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sie hätten ihr Bedenken beschlossen und »dasselbig in schriften gestellt«⁴⁴⁸. Nach der Verlesung des Kurfürstenbedenkens verlasen die Stände ihr Bedenken und übergaben es anschließend in Schriftform. Der Mainzer Kanzler erklärte dazu: »Die churfursten und der abwesenden botschaft und reth haben gemainer stende resolution abgehört und vernommen. Begern von demselben abschrift, sich darinnen zu ersehen und furter gegeneinander, wie im reich herkomen, zu conferirn. Desgleichen well man inen auch abschrift geben, wie bescheen.«⁴⁴⁹ Der Austausch schriftlicher Bedenken wurde also implizit als ein Teil des Herkommens betrachtet, indem es als Voraussetzung für weitere Erörterungen angesehen wurde. Dies ist durchaus nachvollziehbar, da die Bedenken umfangreich waren.⁴⁵⁰ Die Übergabe der Bedenken in Schriftform nach deren Verlesung galt zwar nicht als obligatorisch, aber auch nicht als dem Herkommen widersprechend und wurde 1547/48 mehrfach vollzogen.⁴⁵1 Im Laufe des Reichstags ging diese Praxis teilweise sogar so weit, dass nur noch Schriften übergeben wurden. So reichte der Fürstenrat Anfang November sein Bedenken zu Änderungsvorschlägen im Landfrieden in Schriftform⁴⁵2 direkt an den Mainzer Kanzler,⁴⁵3 ohne es zuvor in einer entsprechenden Versammlung zu verlesen. Dies war den kurfürstlichen Räten jedoch nicht recht. Sie erklärten zwar, die Schrift freundlich anzunehmen, da dieses Vorgehen »allein zu furderung der sachen« geschehen, also nicht als Missachtung ihres Rats gemeint. Sie baten die Stände des Fürstenrats jedoch, sich zukünftig »des alten brauchs, wie es mit presentirn der schriften oder andern antragen gehalten«⁴⁵⁴, zu erinnern. Die kurfürstlichen Räte legten also trotz des schriftlichen Austauschs Wert darauf, dass die Bedenken vor ihrer Übergabe noch im gemeinsamen Rat verlesen wurden. Die Schriften wurden dabei als praktische Erleichterung, nicht aber als Ersatz angesehen. Mit dem gleichen Argument konnten Abschriften aber auch verwehrt werden: Am 8. November verweigerte der Kurfürstenrat den gemeinen Ständen eine Abschrift, weil diese zu viel Aufwand bedeute und die Räte des Fürstenrats »ains hohen verstands«⁴⁵⁵ seien, der es ihnen ermöglichen werde, die mündlich vorgetragene Relation im Kopf zu behalten. Die kurieninterne Debatte der kurfürstlichen Räte hierzu zeigt aber, dass der Aufwand nicht der wahre Grund war, »sich vor schriften zu hueten«⁴⁵⁶. Anscheinend fürchteten die Räte die Verbreitung der kurfürstlichen Positionen in der Öffentlichkeit, weshalb auch erwogen wurde, ihnen die Abschrift zwar auszuhändigen, diese aber später wieder zurückzufordern.

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Votenprotokoll des Kurfürstenrats, RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 374. Ebd., S. 374. Ebd., Nr. 40 (S. 233–248); Nr. 41 (S. 248–253). Ein weiteres Beispiel hierfür: Ebd., Nr. 62 (S. 317–815), S. 385. Ebd., Nr. 66 (S. 943–952). Ebd., Nr. 62 (S. 317–815), S. 422. Votenprotokoll des Kurfürstenrats, ebd., S. 423. Ebd., S. 430. Ebd.

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Die Verhandlungen

Eine Woche nach der ersten Relationssitzung kamen die oberen Kurien ein weiteres Mal zusammen, wie es im Ausführlichen Bericht beschrieben wird. Hier kam es zur ersten Formulierung der im Ausführlichen Bericht dargestellten Regel, dass bei der zweiten Sitzung der Fürstenrat sein Bedenken als erstes vorträgt.⁴⁵⁷ Die Festlegung ging von der Mainzer Kanzlei aus; der Fürstenrat war noch zu einem deutlich flexibleren Vorgehen bereit: Er erklärte, bereits eine Antwort auf das Bedenken der Kurfürsten fertiggestellt zu haben und diese verlesen zu können. Wenn die Kurfürsten ebenfalls dazu bereit seien, wolle man deren Bedenken aber auch gerne zuerst anhören. Sollte dies nicht der Fall sein, wären sie auch »umb furderung der sachen«⁴⁵⁸ bereit, ihr Bedenken schon jetzt zu verlesen. Im Vordergrund stand bei den gemeinen Ständen also das schnelle Vorankommen der Beratungen. Der Mainzer Kanzler war dagegen sehr auf das korrekte Verfahren bedacht und belehrte die Stände deshalb ausführlich: Der Reichsmarschall habe ihm mitgeteilt, die Stände hätten ihr Bedenken beschlossen und deshalb sei nun diese Sitzung einberufen worden. Die Stände sollten sich »des alten loblichen gebrauchs« erinnern und diesen auch einhalten, »nemlich daß erstlich di churfursten sich zuvor, volgends di stendt haben vernemen lassen, uff welches der churfursten bedencken den stenden gebur, sich weiter zu ercleren, wie man sie dann freuntlich und gutlich hören well.«⁴⁵⁹ Der Mainzer Kanzler legte also großen Wert auf den Wechsel der Reihenfolge der Bedenken in der zweiten Sitzung. Die Stände des Fürstenrats antworteten darauf: »Wiewol sie sich der churfursten angezogen gebrauchs nit zu erinnern wissen, wellen sie doch den churfursten ir bedencken in schriften itzo zustellen, aber damit an dem herkomen und gebrauch nicht begeben haben.«⁴⁶⁰ Sie zogen also zumindest in Zweifel, dass eine solche Verfahrensregel existierte, wollten ihr aber in diesem Fall Folge leisten, ohne damit ihre Gültigkeit anzuerkennen. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich Verfahrensregeln herausbildeten: Einige Beteiligte hatten das gegenseitige Antworten vorheriger Reichstage erlebt und darin eine Regel erkannt. Als aus ihrer Sicht dagegen verstoßen wurde, formulierten sie diese Regel als Brauch und forderten dessen Beachtung ein. Richtete sich dies nicht gegen fundamentale Interessen der Gegenseite, wurde dem oft Folge geleistet. Obwohl die neue Regel dann gewöhnlich – wie in diesem Fall – unter Verweis auf das eigene Nichtwissen angezweifelt wurde, führte ihre Anwendung schließlich doch zur Verstetigung. Die feste Reihenfolge der Bedenken etablierte sich nun anscheinend dauerhaft. Auch auf dem Reichstag von 1550/51 wurden Bedenken schriftlich ausgetauscht.⁴⁶1 Dies geschah anscheinend bisweilen auch, ohne dass sie zuvor im

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Rauch, Traktat, S. 85–86. RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 374. Ebd., S. 375. Ebd. Vgl. die Überschriften auf den Bedenken: RTA JR 19, Nr. 86 (S. 742); Nr. 87 (S. 742); Nr. 263 (S. 1453–1455) und die Behandlung von Nr. 184 (S. 1019–1024) in Nr. 82 (S. 261–724), S. 512.

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Kommunikation der Kurien

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gemeinsamen Rat verlesen wurden.⁴⁶2 Das wurde zwar auch als dem Brauch zuwider eingestuft, aber dennoch so gehandhabt. Es wurde jedoch ausdrücklich als Ausnahme gewertet. Im würzburgischen Protokoll ist etwa notiert, es sei »eines yden raths bedencken in schrieften gestelt und dem andern rath ubergeben, wiewol eß wider den gemainen prauch, aber allein dißmal nachgelassen.«⁴⁶3 Die Stände verzichteten also nicht auf die technisch einfachere Möglichkeit des schriftlichen Austauschs, sahen dies aber schon als Regelbruch an. Hier zeigt sich ein zunehmendes Bewusstsein dafür, dass der schriftliche Austausch der Bedenken nicht dem korrekten Verfahren entsprach. Da in diesem Fall aber anscheinend alle damit einverstanden waren, wurde das Verfahren in diesem Punkt nicht angewandt. In fast allen Fällen wurde aber völlig auf den Austausch von Schriften verzichtet.⁴⁶⁴ Die genaue Reihenfolge, in der die Bedenken ausgetauscht wurden, ist in den meisten Fällen nicht festzustellen. Gleichzeitigkeit scheint aber der Regelfall gewesen zu sein, wobei differenziert werden muss zwischen den ersten Bedenken über die Proposition und dem späteren ständigen Austausch der Kurien über Supplikationen und die Probleme einiger Reichsstädte mit dem Kaiser. In Letzteren scheint es bisweilen auch zu versetzten Mitteilungen gekommen sein. Auf dem Reichstag von 1555 gab es ebenfalls Unstimmigkeiten über das Relationsverfahren: Am 22. April tauschten die beiden oberen Kurien ihre Bedenken zum geplanten Religionsfrieden aus. Da es sich beim Religionsfrieden um ein bedeutsames Thema handelte und der entsprechende Text hohe Relevanz haben würde, lag es nahe, ihn nicht allein über mündlichen Austausch zu verhandeln. Dabei hatten die Kurien unterschiedliche Auffassungen darüber, wie das Reichstagsverfahren an diese besondere Situation anzupassen sei. Die Kurfürsten hatten ihr Bedenken zu Papier gebracht⁴⁶⁵ und ließen es in einer Gemeinen Versammlung aus den beiden oberen Kurien durch den Mainzer Kanzler verlesen.⁴⁶⁶ Daraufhin verlas Salzburg das Bedenken des Fürstenrats.⁴⁶⁷ Es war jedoch »in forma constitutionis«⁴⁶⁸ gestellt, also wie ein fertiger Abschiedstext formuliert. Auch erklärte der salzburgische Rat, die Stände seiner Kurie seien sich in ihrem Bedenken in einem Punkt untereinander nicht einig gewesen und hätten sich vorbehalten, auf Grundlage des Kurfürstenbedenkens noch weiter darüber zu beraten. Außerdem regte

462 RTA JR 19, Nr. 82 (S. 261–724), S. 281, 285. 463 Ebd., S. 281, Anm. 2. 464 Beispiele aus der Zeit 31. Juli bis 1. Dezember: Ebd., Nr. 82 (S. 261–724), S. 290, 291–292, 297, 298–299, 301, 303, 307–308, 309–310, 333, 337–338, 339, 344, 345–346, 346, 348–349, 358, 361–362, 366–367, 370, 383, 384, 388, 389, 393, 397–398, 399–402, 407–408, 410, 410–411–413, 415–416, 417, 420–421, 422, 424, 425, 426–427, 427, 428, 432, 438, 439, 443, 446–447, 450–451, 452, 454, 460, 461, 462, 469, 470–471, 471, 488–489, 490, 499, 505, 507, 518–519, 521, 532, 535–536, 539, 540, 541, 545–546, 546–547, 553–554. 465 RTA JR 20, Nr. 178 (S. 1851–1855). 466 Ebd., Nr. 144 (S. 645–1272), S. 813. 467 Ebd., Nr. 179 (S. 1855–1860). 468 Protokoll des Kurfürstenrats, ebd., Nr. 144 (S. 645–1272), S. 813.

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Die Verhandlungen

der Fürstenrat an, dass »umb meher behalts willen«⁴⁶⁹ Abschriften der Bedenken ausgetauscht werden sollten. Aus zwei Gründen sah sich nun der Mainzer Kanzler veranlasst, den Fürstenrat zurechtzuweisen: Die schriftliche Ausformulierung eines Bedenkens in Form eines Abschiedstexts empfand er als Angriff auf das Vorrecht der Mainzer Kanzlei, die Abschiede und auch die Ständebedenken zu formulieren. Ferner sei es nicht üblich, Bedenken anzunehmen, die noch nicht beschlossen seien. Sollten diese beiden Einwände behoben werden, sei man zur Annahme des Fürstenratsbedenkens bereit.⁴⁷⁰ Der Mainzer Kanzler rief dem Fürstenrat dabei wieder ins Gedächtnis, dass die Relation eigentlich mündlich zu erfolgen habe. Er gab jedoch zu, dass in diesem Fall die »hochwichtigkait der sachen etwo erfordert, das man die bedencken in schriften verfast«⁴⁷1. Er bestehe aber auf einer Formulierung, die den Bedenkencharakter klar erkennen lasse. Der Kanzler formulierte hier wieder indirekt eine Verfahrensregel: Zwar wird die Mündlichkeit wieder als korrektes Verfahren betont, die Möglichkeit des Schriftenaustauschs aber für besonders wichtige Fälle akzeptiert. Der Kurfürstenrat stand 1555 dem Austausch von schriftlichen Bedenken somit erneut deutlich reservierter gegenüber als der Fürstenrat. Dies zeigt sich schon darin, wie die Kurien die Relationssitzung vorbereitet hatten: Der Fürstenrat hatte sein Bedenken bereits ausgearbeitet und war bereit, dieses dem Kurfürstenrat in Schriftform zu übergeben. Dagegen referierte der Mainzer Kanzler das Bedenken seiner Kurie »aus ainem clainem schreibbuchlin von schifer«⁴⁷2. Die Verwendung der Schiefertafel ist ein deutliches Zeichen dafür, dass der Mainzer die Mündlichkeit der Relation wichtig nahm. Die Notizen auf dem Schieferbüchlein werden mit Kreide geschrieben und deshalb leicht zu korrigieren gewesen sein. Solche Aufzeichnungen liefen nicht Gefahr, mit einem fertigen Dokument verwechselt zu werden.⁴⁷3

3.5.4 Zusammenfassung – Kurienkommunikation Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Relation der Bedenken zwischen Kurfürstenrat und Fürstenrat in der Zeit von 1521 bis 1555 deutlich durch Verfahrensbildung geprägt war. Während in den 1520er Jahren die Kurienrelationen wegen der üblichen kurienübergreifenden Ausschüsse weniger Bedeutung hatten, gewannen sie in den 1540er Jahren nach der partiellen Überwindung der Reichstagsspaltung an Bedeutung. Mit dem völligen Verzicht auf vorbereitende Ausschüsse wurden sie das einzige Mittel zum Abgleich der Bedenken. Mit diesem 469 470 471 472 473

RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 813. Ebd., S. 813–814. Ebd., S. 813. Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1377. Weil »das irig allain articuls weiß wnnd im tefelain« geschrieben war, konnten die kurfürstlichen Räte ihr Bedenken auch nicht sofort überreichen: HStA München, Hochstift Passau, Lit. 2251, fol. 36r.

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Kommunikation mit dem Herrscher

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Bedeutungszuwachs ging auch eine Verfahrensbildung einher, die die Variabilität der Bedenkenrelation einschränkte. Dies betraf zunächst Fragen des Zeremoniells, vornehmlich den Ort, an dem die Relationssitzung stattfinden sollte. Diese Frage war stark mit den generellen Schwierigkeiten verbunden, die sich aus den wechselnden Zusammensetzungen der Kurien aus persönlich anwesenden Ständen und den Bevollmächtigten der Abwesenden ergaben. Ferner engte sich das Verfahren dahingehend ein, dass beide Bedenken in den jeweiligen Kurien fertig beraten und beschlossen sein sollten, um dann ohne Reaktion auf die Gegenseite in einer gemeinsamen Sitzung der Kurien verlesen zu werden. Dies galt vor allem für die erste Relation. Oft entwickelte sich zu einer Frage nach den ersten Bedenken ein reger Austausch zwischen den Kurien, bei dem die Regel der Gleichzeitigkeit nicht mehr so streng angewandt wurde. Auf den ersten Reichstagen unter Karl V. bestand diese Regel anscheinend auch noch nicht. 1526 tauschten sich die Kurien aus, indem sie jeweils auf das Bedenken der anderen Kurie antworteten. Eine weitere Entwicklung betraf die Schriftlichkeit des Austauschs. Während man den Städten bereits in den 1520er Jahren schriftliche Ausfertigungen der Ständebedenken verweigerte, war es zwischen den oberen Kurien lange möglich, bei komplexeren Themen die Bedenken in Schriftform auszutauschen. Dies scheint vor allem in den 1540er Jahren üblich gewesen zu sein. Es zeichnete sich sogar die Entwicklung ab, dass der Austausch von Schriften zu bestimmten Anlässen das mündliche Vortragen dauerhaft ersetzen würde. Gegen diese Tendenzen gab es aber in beiden Kurien Widerstand. Auf den Reichstagen 1547/48, 1550/51 und 1555 war es vor allem die Mainzer Kanzlei, die sich immer entschiedener gegen den Austausch von schriftlichen Bedenken wandte. Dies mündete bis 1555 zwar nicht in einer absoluten Verweigerung eines solchen Austauschs, wie sie im Ausführlichen Bericht formuliert ist. Jedoch wurde zunehmend Wert darauf gelegt, die mündliche Relation als Normalfall zu definieren und den Austausch schriftlicher Bedenken nur noch auf zusätzlichen Antrag bei besonderen Fällen zuzulassen. Neben diesen sich stark formalisierenden Versammlungen gab es parallel einen regen Austausch zur Verfahrenskoordinierung, bei dem einerseits Informationen über den ungefähren Verhandlungsstand und die Bereitschaft zur Relation vermittelt und andererseits Irritationen über das Verfahren generell und das Verhalten einzelner Personen kommuniziert wurden. Diese Kommunikation verlief in sehr unterschiedlichen Bahnen und war kaum reglementiert. Sie reichte von Gesprächen einzelner dazu beauftragter Personen über Mitteilungen durch den Reichserbmarschall bis hin zu Delegationen, die ihre Mitteilung an das Direktorium der anderen Kurie richteten.

3.6 Kommunikation mit dem Herrscher Auf den Reichstagen standen die versammelten Stände in Verhandlungen mit dem Kaiser oder dessen Stellvertretern. Die erste Phase der Verhandlungen nach der

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Die Verhandlungen

Verlesung der Proposition bestand größtenteils in der Meinungsfindung der Stände und so in der Abstimmung innerhalb und zwischen den oberen Kurien. Spätestens ab der ersten Antwort der Stände auf die Proposition begannen die Verhandlungen zwischen Herrscher und den Ständen in Form gegenseitigen Antwortens. Antworten und Anregungen des Kaisers lösten dann wieder den Verhandlungsprozess innerhalb und zwischen den Kurien aus. Zusätzlich zur Proposition und zu den Antworten auf die Ratschläge der Stände standen dem Kaiser oder seinen Stellvertretern die gleichen Möglichkeiten zur Verfügung, die auch von den Kurien zur Kommunikation außerhalb von Relationssitzungen genutzt wurden. Er konnte einzelne Personen zu sich fordern, seine Räte dazu veranlassen, den Ständen in einer einzuberufenden Versammlung eine Mitteilung zu machen und seine Räte in Gesprächen auf einzelne Personen einwirken lassen. Es ist auffällig, dass auch die verfahrenstechnische Position des Kaisers auf den Reichstagen äußerst flexibel war. Sie unterlag jedoch im Zeitraum 1521 bis 1555 einer zunehmenden Einschränkung, war deutlich von der politischen Gesamtlage geprägt und hing von der jeweiligen Reichstagsstrategie des Kaisers, seiner Räte oder Kommissare beziehungsweise seines Bruders ab. Anlass zur formellen Kommunikation zwischen den versammelten Ständen und dem Kaiser beziehungsweise dessen Vertretern war auf den Reichstagen die Übermittlung ständischer Bedenken. Die kaiserlichen Repliken wurden dabei gewöhnlich von kaiserlichen Räten vor der Gemeinen Versammlung verlesen. Das Überbringen der ständischen Bedenken hing zeremoniell stark davon ab, ob der Kaiser die Antwort der Stände persönlich entgegennahm oder nur seine Räte beteiligt waren. Zu diesem Zweck wurden eigens Erkundigungen angestellt. Beispielweise beriet im August 1550 der Kurfürstenrat »De modo presentandi«⁴⁷⁴, also über die Art und Weise, wie die Antwort der Stände zu übermitteln sei. Man beschloss, Kurmainz solle den Reichsmarschall beauftragen, sich beim Kaiser zu erkundigen, ob dieser die Stände selbst anhören wolle. In diesem Fall sollten die Stände selbst zum Kaiser kommen, andernfalls reiche eine Delegation zu den kaiserlichen Räten aus.⁴⁷⁵ Die Kommunikation der Stände mit den kaiserlichen Räten war selbst Gegenstand von Diskussionen unter den Ständen. Ein Beispiel hierfür liefert der Ausschuss zur Abfassung des Abschieds von 1551. Der Ausschuss wollte den kaiserlichen Räten seine Vorschläge zu einem noch unklaren Detail des Abschieds mitteilen und beriet in zwei Umfragen allein darüber, wie die Mitteilung geschehen sollte. Hierzu wurden drei Varianten diskutiert: die kaiserlichen Räte für die Mitteilung ins Rathaus zu rufen, den Mainzer Kanzler mit der Übergabe des Konzepts an den kaiserlichen Vizekanzler Dr. Seld zu betrauen oder – statt nur den Kanzler zu schicken – eine ganze Delegation zusammenzustellen, die dann aus Mainz, Pfalz und ein oder zwei weiteren Ständen bestehen sollte. Man einigte sich auf

474 RTA JR 19, Nr. 82 (S. 261–724), S. 321. 475 Ebd., S. 321–322.

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Sessionsstreit

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die zweite Variante.⁴⁷⁶ Diese Überlegungen des Ausschusses stehen wieder im Zusammenhang mit den enormen zeremoniellen Schwierigkeiten, die sich aus den ständig wechselnden Kombinationen aus persönlich anwesenden Ständen und deren bevollmächtigten Vertretern ergaben.⁴⁷⁷

3.7 Sessionsstreit Zuletzt soll hier noch ein Aspekt berücksichtigt werden, der sich auf alle Reichstagsversammlungen auswirkte: die Sessionskonflikte. Streit um die Session, also die genaue Position, die ein Stand in Bezug auf Mitstände einnehmen durfte, gab es auf allen Reichstagen. Es ist naheliegend, dass die entsprechenden Konflikte vornehmlich zu Beginn des jeweiligen Reichstags aufflammten. Gerade bei den ersten Begegnungen in den Sitzungsräumlichkeiten mussten die einzelnen Stände entscheiden, ob sie den Sitzplatz anzweifeln wollten, den ihre Mitstände wählten. Die Session und auch der Streit um die Session haben in der jüngeren Forschung eine weitgehende Umbewertung erfahren. Moderne Untersuchungen stellen die Bedeutung der Session für die Beteiligten in den Mittelpunkt und würdigen bei der Interpretation der Session deren verfassungsrechtliche und gesellschaftliche Relevanz.⁴⁷⁸ Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll die Session nicht neu bewertet werden. Stattdessen liegt das Hauptaugenmerk auf der Art und Weise, wie Sessionsstreitigkeiten ausgetragen wurden und darauf, welche Reaktionen auf Sessionskonflikte üblich waren. Ferner soll gezeigt werden, dass die Frage nach der zeremoniellen Einbindung von Gesandten für einen wesentlichen Teil der Streitigkeiten verantwortlich war. Sessionsstreitigkeiten waren ein fester Bestandteil jeder Reichsversammlung und sollen hier auch als solcher gewürdigt werden. Dabei soll aber auch dem die Verhandlungen störenden Aspekt der Session nachgegangen werden, den die ältere Forschung in den Mittelpunkt gestellt hat. Während die Neubewertung der Session durch die Forschung teilweise fast den Eindruck vermittelt hat, es sei der vornehmste Zweck der Reichstage gewesen, ein Forum für die Sessionsstreitigkeiten zu bieten, soll hier deshalb auch der Frage nachgegangen werden, ob und wie es gelingen konnte, trotz der allgegenwärtigen Streitigkeiten zügig mit den Beratungen zu beginnen.

476 RTA JR 19, Nr. 304 (S. 1552–1578), S. 1573–1574. 477 Ein frühes Beispiel für solche Spannungen ist der schon mehrfach angeführte Versuch des Reichsregiments, auf dem Reichstag von 1522 zeremoniell eine Stellung zu beanspruchen, wie sie dem persönlich anwesenden Kaiser zugestanden hätte, und so eine verfassungsrechtlich sehr bedeutsame Position zu erreichen. Zum Reichstag von 1522: Kapitel 1.2.1 ab S. 39. 478 Zur Bedeutung der Session: Luttenberger, Zeremonial- und Sessionskonflikte in der kommunikativen Praxis des Reichstages im 16. Jahrhundert; Stollberg-Rilinger, Kaisers alte Kleider; dies., Symbolik der Reichstage; dies., Symbolische Kommunikation; dies., Zeremoniell als politisches Verfahren; Ott, Präzedenz.

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Die Verhandlungen

Schon in der Reichsratssitzung zur Verlesung der Proposition mussten sich die Kurfürsten und Fürsten ihrem Rang entsprechend setzten: Die vornehmeren Stände saßen dabei auf ihrer jeweiligen Bank näher am Kaiser als die weniger vornehmen. Es wurde jedoch nie ein umfassender Katalog entworfen, der die Hierarchie der Stände genauer festgelegt hätte. Die Kurfürsten besaßen allerdings mit der Goldenen Bulle Karls IV. eine Regelung, die ihre innere Hierarchie definierte, auch wenn es zwischen Mainz und Sachsen zu langen Kompetenzstreitigkeiten kam. Für die Stände des Fürstenrats existierte kein vergleichbares Dokument – ein Missstand, der von den Zeitgenossen durchaus erkannt und angesprochen wurde. Während der Vorverhandlungen zum Reichstag von 1530 wurde der Plan gefasst, eine zweite Goldene Bulle für die Fürsten zu erstellen.⁴⁷⁹ Diese sollte dann sein eine »Bulla aurea Caroli quinti, domydt in kumpftigen reichtagen und handlungen nicht alleweghe myth der session und precedentie umgangen und dodurch andere reichshandelungen uffgehalten und verhindert«⁴⁸⁰ würden. Die Zuständigkeit für die Klärung der Sessionsfragen wurde dem Kaiser zugestanden. Er solle den Ständen neun Monate Zeit geben, um ihre Ansprüche zu formulieren, und anschließend ein Machtwort⁴⁸1 sprechen – ein Vorhaben, das nie gelang.⁴⁸2 Das Phänomen des Sessionsstreits wirkt heute befremdlich. Moderne politische und juristische Verfahren neigen dazu, von der Gleichheit ihrer Beteiligten auszugehen. Gerade das Gegenteil war im Alten Reich bestimmend. Die Ungleichheit der Akteure war ein wesentlicher Bestandteil von Politik und Gesellschaft. Deshalb verfügte die vormoderne Fürstengesellschaft des Alten Reichs auch über ein großes Instrumentarium von Gesten und Handlungsweisen, die bei der Begegnung mehrerer Personen unterschiedliche Ranggefälle erkennbar werden ließen. Dies betraf beispielsweise den Ort des Zusammentreffens, die Frage, ob der Besuchte seinem Besucher entgegenkam und natürlich nicht zuletzt das Vorhandensein und die Qualität von Sitzgelegenheit – oder vielmehr die Differenz dieser Qualitäten in Bezug auf die jeweilige Person. Dieses Instrumentarium kam immer dann zur Anwendung, wenn ein Fürst oder eine andere Person von Stand eine weitere Person in einem Umfeld traf, das nicht vollständig privat war. Das Verhalten zweier Personen gegenüber einander war auch für Dritte relevant: Ließ man beispielsweise zwei Personen die gleiche Höflichkeit zukommen, implizierte man deren Gleichrangigkeit, was je nach Selbsteinschätzung der Betroffenen als Beleidigung verstanden werden konnte. Es ist daher leicht nachzuvollziehen, welche enormen zeremoniellen Schwierigkeiten sich durch das Aufeinandertreffen aller Reichsstände ergaben, wie es bei den Reichstagen der Fall war. Selbst zwischen

479 Tetleben formuliert: »una altera bulla aurea inter principes non electores«: Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 67. 480 Ebd. 481 »eynen mechtigen sprugh« damit »alle pardt verdragen seyn und blyben«: Ebd. 482 Hierzu auch: Stollberg-Rilinger, Zeremoniell als politisches Verfahren, S. 119–120; dies., Kaisers alte Kleider, S. 102.

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Sessionsstreit

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den Gesandten der Städtekurie gab es Streit um die durch die Session abgebildete Hierarchie.⁴⁸3 Barbara Stollberg-Rilinger bezeichnet den Reichstag als »Reichsöffentlichkeit schlechthin«⁴⁸⁴. Tatsächlich konnte der Platz, den ein Stand auf dem Reichstag zugewiesen bekam, von allen Mitgliedern der Fürstengesellschaft wahrgenommen werden. Sein Platz stellte den betreffenden Stand in eine Hierarchie der Wertigkeit mit allen anderen Reichsfürsten. Ferner schreibt Stollberg-Rilinger: »Der Reichstag und nur er ermöglichte die vollständige Selbstinszenierung der Adelsgesellschaft des Reiches als einer hierarchischen Gesamtordnung«⁴⁸⁵. Es ist jedoch eine Frage der Perspektive, ob er sie lediglich ermöglichte, oder ob er sie erzwang. Schon im Hochmittelalter drohten Stände ihre lokal gefestigten Ehrenvorrechte zu verlieren, wenn sie an einer – freilich weniger üblichen – überregionalen Versammlung teilnahmen.⁴⁸⁶ Eine sich häufig wiederholende Versammlung aller Reichsstände, wie sie der Reichstag seit den Tagen Maximilians I. darstellte, musste hierbei eine überregional integrierende Wirkung entfalten. Dies barg für all die Stände, die bei regionalen Versammlungen eine der besten Positionen beanspruchen konnten, die Gefahr, auf den Reichstagen diese herausragende Position einzubüßen. Die Ritualisierung des Sessionsstreits ermöglichte es, diese überregionale Hierarchisierung der Reichsstände abzumildern.⁴⁸⁷ Durch die stetige Verschiebung einer endgültigen Klärung der offenen Sessionsfragen mussten viele Stände ihren Anspruch auf den Vorsitz nie offiziell aufgeben. Auf diese Weise und durch die Etablierung der Vorbehaltsklausel zur Session ab 1526 wurde »ein Mindestmaß an Integration«⁴⁸⁸ erreicht und eine vollständige, endgültige Hierarchisierung vermieden. Der Streit um die Session gab der Reichstagsforschung lange Rätsel auf.⁴⁸⁹ Es schien kaum nachvollziehbar, wie die anscheinend dringlichen Aufgaben des Reichstags, beispielsweise die Abwehr türkischer Angriffe oder die Beilegung des Religionskonflikts, mit der Intensivität vereinbart werden konnten, mit der um den richtigen Sitzplatz gekämpft wurde. Vielen Historikern schien der Sessionsstreit allein ein strukturelles Ärgernis zu sein. Diese Position wird bisweilen noch in der jüngeren Forschung rezipiert. Axel Gotthard konstatiert etwa, dass »das der Reichstagsarbeit so hinderliche Gestrüpp der allfälligen Sessionsstreitigkeiten«⁴⁹⁰ den Kurfürstenrat nicht so behindert habe wie den Fürstenrat. Es ist daher eine bedeutende Erkenntnis der letzten Jahrzehnte, Sessionsstreitigkeiten nicht mehr 483 Stollberg-Rilinger, Kaisers alte Kleider, S. 43. Zur Bedeutung des Sitzplatzes in der Städtekurie: Schmidt, Städtetag und Reichsverfassung, S. 51. 484 Stollberg-Rilinger, Symbolik der Reichstage, S. 77. 485 Dies., Zeremoniell als politisches Verfahren, S. 132. 486 Goetz, Der rechte Sitz, S. 29–32. 487 Stollberg-Rilinger, Zeremoniell als politisches Verfahren, S. 125–126. 488 Ott, Präzedenz, S. 511. 489 Zur früheren Einschätzung der Session und des Zeremoniells: Stollberg-Rilinger, Zeremoniell als politisches Verfahren, S. 91–95. 490 Gotthard, Säulen des Reiches, S. 205. Diese Einschätzung des Fürstenrats hat eine lange Tradition, vgl.: Scheible, Fürsten, S. 371.

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als Ausdruck von aus dem Ruder laufenden Abstimmtaktiken zu betrachten,⁴⁹1 denn die Session hatte eine umfassende Bedeutung für die Ständegesellschaft. Es darf aber nicht übersehen werden, dass auch bereits im 16. Jahrhundert Kritik am Zeremonialstreit laut wurde. Vor allem die mit dem Reichstag konfrontierten Reformatoren hatten für die Thematik nicht viel übrig. Martin Luther verurteilte ein solches Verhalten⁴⁹2 und Philipp Melanchthon spottete 1541 über Fürsten, die sich wegen der Sessionskonflikte nicht mit dem eigentlichen Sitzungsthema befassen konnten.⁴⁹3 In den Verhandlungen selbst wurde der störende Aspekt des Streits stets als Argument dafür verwendet, einen Verfahrensstreit nicht eskalieren zu lassen.⁴⁹⁴ Bezeichnend ist, wenn die Beteiligten dabei selbst »weibisch gezencke«⁴⁹⁵ eingestanden und Überlegungen anstellten, den »unnutze zanck«⁴⁹⁶ abzustellen. Auch den Fürsten waren die Nachteile des Sessionsstreits bewusst. Beispielsweise schrieb Herzog Moritz 1543 an seine Gesandten in Nürnberg: »Dann wir wollten ditzmal mit unserer session nicht gern die ratschlege hindern, daran der deutschen nacion zum hochsten gelegen.«⁴⁹⁷ Es bleibt also festzuhalten, dass die Erkenntnis, worin der Sessionsstreit begründet war und welche Bedeutung er für die Beteiligen hatte, nicht ausschließt, dass die Reichstagsteilnehmer ihn trotz seiner hohen gesellschaftlichen Bedeutung auch als Störung des Reichstags empfanden. Eine eindeutige Klärung von Sessionskonflikten war grundsätzlich schwierig, da es keine verbindlichen Regeln dafür gab, woraus sich die der Session zugrunde liegende Hierarchie ableiten ließ.⁴⁹⁸ Die Frage nach der Session war in ihrem Ursprung eine Frage der sozialen Anerkennung. Da die auf dem mittelalterlichen Hoftag und dem frühneuzeitlichen Reichstag versammelte Gesellschaft eine Fürstengesellschaft war, lag es nahe, die Anerkennung auch aus dem jeweiligen Fürstentum oder Amt herzuleiten. Dies konnte aber keineswegs die einzige Grundlage sein. Ein Herrscher, der seine Fürsten versammelte, musste deren individuelles Ansehen berücksichtigen. Dazu gehörte es auch, jene besonders würdigen, die sich in seinen Diensten verdient gemacht hatten.⁴⁹⁹ Außerdem gebot die Würde des Alters, einem greisen Fürsten mehr Anerkennung zukommen zu lassen als einem Fürsten im Jugendalter. Zur Zeit Karls V. befand sich das allgemeine Empfinden 491 492 493 494 495 496 497 498

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Ott, Präzedenz, S. 47–48. Stollberg-Rilinger, Zeremoniell als politisches Verfahren, S. 128. Mundhenk, Reformstau und Politikverdrossenheit, S. 57–58. Ausführlich zu Verfahrensstreit: Kapitel 4.. Bericht des Dr. Wolfgang Weidner über den Sessionsstreit auf der Grafenbank (1545), RTA JR 16, Nr. 254 (S. 1449–1454), S. 1452. RTA JR 12, Nr. 21 (S. 177–182), S. 179. Brandenburg (Hg.), Politische Korrespondenz I, Nr. 424 (S. 539–540), S. 539. Stollberg-Rilinger, Kaisers alte Kleider, S. 41; Peltzer, Das Reich ordnen, S. 102. Wie unklar die Herleitung der Session selbst in den folgenden Jahrhunderten blieb, bezeugen auch die münsterischen Versuche, mit Verweis auf die mittelalterliche Quaternionenlehre eine zusätzliche Session auf der Grafenbank zu erstreiten: Schubert, Quaternionen, S. 17. Reichsdienst wurde im Streitfall auch als Argument für die Session verwendet: Goetz, Der rechte Sitz, S. 22, 29–32.

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Sessionsstreit

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der Session in einem Wandel. Es lassen sich viele Beispiele finden, bei denen individuelle Eigenschaften von Personen, vor allem das Alter, als Argumente für ihre Session verwendet wurden: Bei der Vermittlung eines Sessionsstreits zwischen Bayern/Pfalz, Sachsen und Brandenburg im Fürstenrat sollte 1521 beispielsweise nur der jeweils älteste Bayer vor dem ältesten Sachsen sitzen und sich die Reihenfolge Bayern – Sachsen – Brandenburg dem Alter nach so fortsetzen.⁵⁰⁰ Beim Sessionsstreit der Salzburger Gesandten mit Erzherzog Ferdinand von Österreich empfanden es 1545 die Räte als besonders schmachvoll, selbst dem jüngsten Erzherzog weichen zu müssen.⁵⁰1 Dieser Berücksichtigung individueller Eigenschaften zum Trotz gab es aber eine Tendenz zur Abstraktion. Die Session wurde dabei noch stärker von der traditionellen Position des Reichsstands hergeleitet. Wie sich zeigen wird, ging es hierbei auch um die Frage, wie Gesandte zu behandeln waren. Die Argumente im Sessionsstreit vermitteln ein Bild von der selten widerspruchsfreien Interpretation der Session durch die Reichstagsteilnehmer.

3.7.1 Sessionsstreit zwischen Gesandten und Fürsten Wie äußerten sich im Einzelnen die Sessionsstreitigkeiten in der Regierungszeit Karls V.? Gewöhnlich traten sie beim ersten Zusammentreffen der Streitbeteiligten am jeweiligen Reichstag auf. Dies war in der Regel die Reichstagseröffnung, bisweilen aber auch später, wenn sich ein Stand verspätete. Völlig zum Erliegen brachte der Streit um die Session die Verhandlungen kaum,⁵⁰2 am ehesten noch 1526.⁵⁰3 Der Streit um die Umfrage zwischen Mainz und Sachsen hatte deutlich gravierendere Auswirkungen: 1524 hatte der Fürstenrat bereits einen Monat lang beraten und musste auf den Kurfürstenrat warten. Dieser hatte die Proposition jedoch wegen des Umfragestreits noch gar nicht besprochen.⁵⁰⁴ Vor allem im Fürstenrat sind zwei grundlegende Arten von Sessionsfragen zu unterscheiden: die klassische Rangfrage zwischen bestimmten Ständen und die Frage, wie beim Aufeinandertreffen von Gesandten und persönlich anwesenden Fürsten reagiert werden sollte. Letztere ist unter der Fragestellung dieser Arbeit besonders interessant. Es war eine Frage stetiger Auseinandersetzungen, ob Gesandte einfach den Platz ihres Auftraggebers einnehmen konnten⁵⁰⁵ oder sie immer hinter den persönlich anwesenden Fürsten sitzen mussten und auch erst nach diesen sprechen durften. In einer Protestation der Bischöfe von Hildesheim, Konstanz und Speyer von 1542 heißt es beispielsweise: Es sei auf den Reichstagen üblich, dass »die 500 RTA JR 2, Nr. 6 (S. 147–158), S. 150. 501 RTA JR 16, Nr. 260 (S. 1461–1467), S. 1464. Ausführlicher zu diesem Streit unten ab S. 265. 502 Hierzu auch: Luttenberger, Zeremonial- und Sessionskonflikte in der kommunikativen Praxis des Reichstages im 16. Jahrhundert, S. 235–237. 503 RTA JR 5/6, Nr. 119 (S. 430–482), S. 437. 504 RTA JR 4, Nr. 26 (S. 176–212), S. 182. 505 In der zweiten Jahrhunderthälfte war dies dagegen üblich: Lanzinner, Fürsten und Gesandte, S. 71.

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personliche gegenwurtigkeit der geistlich und weltlichen fursten der abwesenden fursten bodschaften, gesandthen und rethen in der session, umbfrag und stym furgetzogen werden und hierin dieselbig bodschaften den gegenwurtigen fursten weichen«⁵⁰⁶. Dieses Vorstimmrecht sei den Fürsten genommen worden, weil der bayerische Gesandte Dr. Eck es ihnen nicht gestattet habe. Unter den Protestanten befand sich auch Valentin von Tetleben, der vor seiner Wahl zum Bischof langjähriger Mitarbeiter der Mainzer Kanzlei gewesen war. Er kannte das Reichstagsverfahren daher sehr gut und es wird deshalb nicht völlig haltlos gewesen sein, was er vorzubringen hatte. Dennoch konnte sich der eigenwillige bayerische Gesandte damit durchsetzen, nicht erst die Voten aller persönlich anwesenden Bischöfe abzuwarten, bis er für Bayern sprechen durfte. Dieses Beispiel demonstriert, wie unklar das Verfahren auch in Bezug auf die Sessionsordnung zwischen Fürsten und Gesandten unter Karl V. war. Begünstigt wurde diese Unklarheit dadurch, dass kaum ein zweites Mal die gleiche Kombination von persönlich anwesenden Ständen und Gesandten aufeinandertraf. Deutschmeister Walter von Cronberg erinnerte sich anlässlich des gleichen Reichstags einer anderen Regel: »das die botschaften der ertzbischoffen an irer hern statt und uber die bischoffen, so personlich zugegen sitzen«⁵⁰⁷. Es lässt sich hier erkennen, dass der Deutschmeister eine ständische Gruppengraduierung vornahm, die sich auf die Session der Gesandten auswirkte: Die höhere Gruppe stellten demnach die der Erzbischöfe dar, zu denen er sich vom Rang her zugehörig fühlte. Die Bischöfe bildeten eine weitere Gruppe. Wurde nun ein Erzbischof von einem Gesandten vertreten, mochte dieser zwar den persönlich anwesenden Erzbischöfen den Vortritt gewähren. Dies auch den Bischöfen zu gestatten, konnte der Gesandte aber nicht zulassen, ohne den eigenen Auftraggeber in dessen Ehre zu kränken. Ein Blick auf die Reichsversammlungen des 15. Jahrhunderts zeigt, dass es das Prinzip der Gruppeneinteilung tatsächlich gab. Jedoch wurde die Sitzordnung nicht kontinuierlich so gebildet, wie es der Deutschmeister darstellte: 1471 saßen die Gesandten der Erzbischöfe hinter den persönlich anwesenden Bischöfen. Die bischöflichen Vertreter befanden sich jedoch sogar noch hinter den persönlich anwesenden Reichsäbten.⁵⁰⁸ Dies zeigt: Es war zwar Tradition, die erzbischöflichen Gesandten von denen der Bischöfe getrennt zu platzieren. Es war aber keineswegs eindeutig, dass die erzbischöflichen Gesandten den Bischöfen vorgezogen werden müssten. Dabei ist auffällig, dass die Gesandten sich zwischen 1471 und 1542 dem Rang ihres Auftraggebers angenähert hatten. Anscheinend setzte sich also die teilweise Gleichbehandlung von Gesandten über den Umweg durch, bei dem bestimmte Gesandtengruppen gegenüber anderen persönlich anwesenden Ständen bevorzugt wurden. 506 RTA JR 12, Nr. 241 (S. 1080–1081), S. 1080. 507 Ebd., Nr. 251 (S. 1113–1115), S. 1114. 508 Annas, Repräsentation, Sitz und Stimme, S. 124.

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Noch im 16. Jahrhundert konkurrierten zwei Prinzipien bei der Feststellung von Sessionsordnung: Das eine sah vor, dass persönlich anwesende Stände einen Ehrenvorrang vor reinen Gesandten haben mussten. Dieses Prinzip wurde am ehesten akzeptiert, wenn der Rangunterschied der betroffenen Stände ohnehin nicht sehr groß war. Das andere Prinzip setzte die zeremonielle Behandlung des Gesandten mit der Anerkennung gleich, die dessen Auftraggeber erhielt. Diese Regel ließ sich am leichtesten durchsetzen, wenn der Rangunterschied der betroffenen Stände enorm war. Auf diese Art wird auch Eck argumentiert haben. Schon zehn Jahre zuvor war er – wie Valentin von Tetleben damals noch in seiner Eigenschaft als Mitarbeiter der Mainzer Kanzlei protokollierte – mit dem sächsischen Herzog Georg im Ausschuss aneinandergeraten: »Wardt Hg. Jorg zornich, sagethe er: Doctor, ir musset nicht alzoe in maul griffen, ich leydts nicht! Saget Eck, er were von eynes F. von Beyren wegen aldoe, welche szoe gudt were wy er. Sageth Hg. Jurg, er were auch szoe gudt alsze eyn F. von Beyren, und wardt harth bewogen, ut quasi a verbis ventum fuisset ad verbera, nisi aliis verbis fuisset interceptum negotium.«⁵⁰⁹ Eck verteidigte hier seine Angewohnheit, den Herzog wiederholt zu berichtigen, mit seiner Stellung als Gesandter eines bayerischen Herzogs. Dieser sei »szoe gudt« wie Georg. Eck implizierte damit aber auch, er selbst sei in seiner aktuellen Funktion »szoe gudt« wie sein Auftraggeber, könne sich also die gleichen Unverschämtheiten erlauben wie dieser. Der sächsische Herzog widersprach dem im Grunde auch nicht, sondern argumentierte eher auf der Ebene, dass er sich auch vom bayerischen Herzog persönlich ein solches Verhalten nicht gefallen ließe. Ging es beim Sessionsstreit um die Positionierung zweier Gesandter oder zweier persönlich anwesender Stände zueinander, verlief der Streit anders. Hier funktionierte die Ritualisierung des Streits leichter, etwa durch mehr oder weniger komplizierte Alternationsregeln. Dabei entwickelten sich die dauerhaften Rangstreitigkeiten dahingehend, dass die Beteiligten für jeden einzelnen Reichstag formell die gleiche vermeintliche Übergangslösung vereinbarten.

3.7.2 Sessionsstreit am Beispiel von Österreich und Salzburg Ein gutes Beispiel für einen eskalierten Sessionsstreit und die unterschiedlichen Auffassungen zur Einordnung von Gesandten enthält der Bericht der Salzburger Gesandtschaft zum Reichstag 1545.⁵1⁰ Dieser Streit entzündete sich trotz einer getroffenen Vereinbarung, die Alternation zwischen Österreich und Salzburg wie gewohnt auch für den aktuellen Reichstag anzuwenden. Die jeweilige Erneuerung der Alternationsregel bot die Möglichkeit, flexibel auf aktuelle Situationen zu reagieren. Im genannten Fall baten die salzburgischen Gesandten deshalb um eine Zusatzregelung, als sie von den österreichischen Räten ersucht wurden, die 509 RTA JR 10, Nr. 32 (S. 303–360), S. 318. 510 RTA JR 16, Nr. 260 (S. 1461–1467).

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Alternationsregel beizubehalten. Demnach sollten die 1545 anwesenden Söhne Ferdinands nicht in die Alternation einbezogen werden.⁵11 Die erbetene Regelung nahm also individuell Rücksicht darauf, dass auch nicht regierende österreichische Erzherzöge zugegen waren. Weil Österreich den Ehrenvorrang der salzburgischen Gesandten vor den Söhnen des Königs nicht anerkannte, kam es beim Pfingstfest zum Eklat. Es war absehbar, dass auch die Söhne Ferdinands am Gottesdienst teilnehmen würden. Am Tag vor dem Fest hatte Österreich den Vorrang. Einer der salzburgischen Gesandten fragte den österreichischen Rat deshalb »von wegen der station am Phingstag«⁵12. Er wollte also vor dem kritischen Moment, in dem alle Anwesenden die Kirche betraten, eine Regelung treffen, um einen Streit in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Ihm wurde geantwortet, der ältere der jungen Erzherzöge, Maximilian, sei krank und werde deshalb nicht zur Kirche kommen. Eine Regelung sei daher nicht notwendig. Bei der Prozession zur Kirche erkundigte sich der salzburgische Rat bei seinem Nebenmann, ob der jüngere Erzherzog, Ferdinand, dabei sei. Anscheinend kannte der Rat den jüngeren Bruder Maximilians nicht vom Aussehen her. Nachdem er ihm gezeigt worden war, konnte er nun darauf achten, diesem nicht nachgestellt zu werden. In der Kirche geschah dies dann trotzdem: »Als man nun in thuemb in chor ist komen, da hab ich mich hinfur in die mitte getrungen und mein station einnemen wollen, da hat sich Ehg. Ferdinandus⁵13 schon gestelt, also kham der reichsmarschalh und wolt mich unther in lociern; zu dem sagt ich, der vorstand wer heut an Salzprug. Das zaiget er der ksl. und kgl. Mt. an und saget mir darauf, ich solt mich zunechst unther den ertzhertzog stellen.«⁵1⁴ Die Einnahme des richtigen Platzes in der Kirche oblag also im Wesentlichen den Ständen selbst. Der salzburgische Rat drängte sich nach vorne und stellte fest, dass ihm der Sohn des Königs zuvorgekommen war. In der nun beginnenden Auseinandersetzung war es Aufgabe des Reichsmarschalls, dem salzburgischen Rat seinen richtigen Platz zuzuweisen. Salzburg berief sich auf die Alternationsregel und unterschied dabei nicht zwischen Reichstagsberatung und Kirchgang: Der Vorsitz Österreichs in der letzten Beratungssitzung vor Pfingsten berechtigte Salzburg nach dessen Meinung, in der Kirche den ranghöheren Platz zu beanspruchen. Der Reichsmarschall ließ das nicht gelten und bat Salzburg, »zunechst« hinter dem Erzherzog zu stehen. Um kein Präjudiz entstehen zu lassen, verließ Salzburg daraufhin die Kirche. Im Anschluss berieten die Salzburger über die erfahrene Schmähung und kamen zu dem Ergebnis, dass es sich dabei um eine besonders schwerwiegende Kränkung handelte. Sie arbeiteten eine Liste von sechs Gründen aus, die für ihr Urteil ausschlaggebend gewesen seien.⁵1⁵ Diese Gründe und die ihnen zugrunde liegende 511 512 513 514 515

RTA JR 16, Nr. 260 (S. 1461–1467), S. 1461–1462. Ebd., S. 1463. Gemeint ist hier der gleichnamige Sohn König Ferdinands. RTA JR 16, Nr. 260 (S. 1461–1467), S. 1463. Ebd., S. 1464–1465.

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Argumentation beleuchten das Verständnis der Räte von Session und Vortritt. Folgende Aspekte waren für Salzburg besonders schmählich: Zunächst habe man dreimal vor dem Ereignis bei den österreichischen Räten und bei den kaiserlichen Kommissaren um eine einvernehmliche Regelung gebeten. Zweitens sei die Salzburger Gesandtschaft auf dem letzten Reichstag in Speyer durch Österreich gebeten worden, der Kirche fernzubleiben, um eine solche Situation zu vermeiden. Diesmal sei nichts dergleichen geschehen. Drittens sei ein ähnlicher Konflikt mit Österreich beim vergangenen Reichstag dann aufgetreten, als Österreich der Alternationsregel nach den Vorsitz hatte. Nun sei es aber zum Streit gekommen an einem Tag, an dem Salzburg ohnehin vor Österreich hätte postiert werden müssen. Zum Vierten sei der genannte ähnliche Streit in Speyer um die Position des älteren Erzherzogs geführt worden. Der Jüngere sei damals absichtlich ferngeblieben. Nun, da sogar der jüngere Erzherzog über Salzburg postiert wurde, werde impliziert, dass alle Erzherzöge Österreichs eine Position über Salzburg beanspruchten. Fünftens sei die zurückliegende Zurückweisung der Salzburger in Speyer nicht für alle wahrnehmbar gewesen. Dieses Mal jedoch sei sie »offenlich in der kurchen vor kaiser, konig, aller stenden des Reichs und sunst vor vil volks allerlai natzionen beschehen«⁵1⁶. Sechstens habe der König beim vergangenen Reichstag noch von sich aus eine schriftliche Erklärung⁵1⁷ darüber abgegeben, dass der Vorfall keinen dauerhaften Nachteil Salzburgs mit sich bringen werde. Die aufgeführten Gründe lassen einen gewissen Druck erkennen, Sessionskonflikte nicht eskalieren zu lassen. Die salzburgischen Räte betonen in mehreren der aufgeführten Punkte ihre Bemühungen um eine rechtzeitige Übereinkunft und das Desinteresse der Gegenseite an einer solchen. Im Umkehrschluss lässt sich also annehmen, dass es für Salzburg weniger schmachvoll gewesen wäre, unvermittelt in den Konflikt geraten zu sein. Dass Österreich aber nicht angemessen auf die salzburgischen Vorschläge und Abspracheversuche reagierte, werteten die Räte als besondere Unhöflichkeit. Ferner verdeutlichen die aufgezählten Punkte, wie sehr vermeintlich soziale Regeln der Höflichkeit ausschlaggebend waren und dass die Session ein generelles gesellschaftliches Konzept war. Für Salzburg war der Vorrang in der Kirche ungleich wichtiger als der Vorsitz im Fürstenrat. Es wird auch deutlich, dass bei Fragen des Zeremoniells die Öffentlichkeit eine enorme Rolle spielte. Die öffentliche Demütigung Salzburgs vor dem Kaiser, allen Ständen und ausländischen Gefolgsleuten und Gesandten wurde als deutlich schlimmer eingestuft als die Zurückweisung im vergleichsweise privaten Rahmen einer Audienz.⁵1⁸ In ihren Überlegungen formulierten die salzburgischen Räte 1545 auch klar, dass sie die Session in der Kirche als deutlich wichtiger ansähen, als die während der Reichstagsverhandlungen: »Und so wir dann dise ursachen bewegen und vil beschwerlicher geacht, wann so schon ain ertzhertzog in reichsrath khomen wer, 516 RTA JR 16, Nr. 260 (S. 1461–1467), S. 1465. 517 RTA JR 15, Nr. 527 (S. 2158–2160). 518 In Speyer hatte der König die Sache vor dem Osterfest in einer Audienz besprochen und dort die salzburgischen Standpunkte zurückgewiesen: Ebd., Nr. 342 (S. 1780–1785), S. 1780–1781.

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dieweil der reichsrat ain beschwerd und onus quasi in privato tregt, aber das ander die wirde und preeminents in publico vor allem volk erhellt, geschwingen des offenlich angelegten spots und schmach«⁵1⁹. Der Reichsrat wurde also als »quasi in privato« eingestuft. Eine Missachtung Salzburgs im Reichsrat hielten die Räte daher ausdrücklich für vertretbarer als in der Kirche. Trotz dieser Qualitätsunterscheidung scheint es aber keine Tendenz zu komplexeren Alternationsregeln gegeben zu haben. Schließlich wäre es eine Möglichkeit gewesen, Reichsrat und Kirchgänge in Bezug auf die Alternation zu trennen. Tatsächlich war dies aber unerheblich: Wenn Österreich in der letzten Reichstagssitzung vor Pfingsten vor Salzburg saß, beanspruchte Salzburg den Vorrang im Pfingstgottesdienst. Die Session und ihre Ordnung waren im Verständnis der Reichstagsteilnehmer ein allumfassendes und gesellschaftliches Prinzip und kein alleiniges Phänomen der Reichstage. Ausschlaggebend war allein das öffentliche Zusammenkommen: Selbst anlässlich von Beerdigungen wurde um den richtigen Platz gestritten.⁵2⁰ Interessant ist auch, dass die Räte 1545 bei ihrer Argumentation nicht auf das Prinzip eingingen, nach dem persönlich anwesende Fürsten – zumindest der gleichen Ranggruppe – gegenüber Gesandten bevorzugt werden. Tatsächlich lassen sich Beispiele finden, bei denen ein Gesandter dem nächsten Stand trotz dessen persönlicher Anwesenheit vorgezogen wurde. 1530 ließ es der Salzburger Erzbischof beispielsweise zu, dass der österreichische Gesandte – in diesem Fall jedoch selbst ein Reichsfürst – beim Eröffnungsgottesdienst vor ihm platziert wurde.⁵21 Bei besagter Audienz in Speyer hatte König Ferdinand es aber abgelehnt, dass sein jüngerer Sohn beim Ostergottesdienst hinter einem salzburgischen Gesandten positioniert werde.⁵22 1545 wandten sich die Salzburger mit ihren Sessionsproblemen an den Kaiser, der sie auf den Brauch, Gesandte hinter persönlich anwesende Fürsten zu setzen, hinwies: »Aber ir Mt. verstee, es soll ain prauch sein, wann ain furst aigner person verhanden sey, so sollen im die botschaften weichen«⁵23. Im Sessionsstreit zwischen Österreich und Salzburg trafen also wiederholt die beiden oben dargestellten Prinzipien aufeinander. Die Gesandten Salzburgs forderten energisch, zeremoniell wie ihr Fürst verortet zu werden, während die Habsburger nicht einsahen, warum salzburgische Räte bei öffentlichen Kirchgängen einen besseren Platz bekommen sollten als die Söhne König Ferdinands.

519 RTA JR 16, Nr. 260 (S. 1461–1467), S. 1465. 520 RTA JR 2, Nr. 6 (S. 147–153), S. 148–149. 521 »Sinistro latere altaris[:] Reverendissimus dominus Laurentius ... Compegius[,] Bernardus cardinalis Tridentinus episcopus stetit ibi pro archiducibus Austrie[,] Matheus cardinalis Salzeburgensis«: Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 68. 522 »aber wo der jungern sonn von seinem brueder getailt und also nach euer fstl. Gn. potschaft sein stand haben soll, des kem ir Mt. zu sonder ungelegenhait«: RTA JR 15, Nr. 342 (S. 1780–1785), S. 1780. 523 RTA JR 16, Nr. 260 (S. 1461–1467), S. 1466.

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Dass das Aufeinandertreffen dieser beiden Prinzipien wahrgenommen wurde, zeigte sich in verschiedenen Äußerungen der beiden Parteien zu ihrem Streit. Schon 1544 sah der Salzburger Rat Niklas Ribeisen in der falschen Höflichkeit von Gesandten sogar die ursprüngliche Ursache für den Rangstreit der beiden Fürstentümer: Ein salzburgischer Gesandter habe den Bitten Kaiser Maximilians einst nachgegeben, obwohl er dazu nicht instruiert gewesen sei. Damals habe der Kaiser dann zwar eine Urkunde ausgestellt, die Salzburg vor Nachteilen bewahren sollte. Dennoch habe dieses Ereignis den Streit mit Österreich verursacht.⁵2⁴ In der österreichischen Erklärung zur salzburgischen Protestation von 1545 wurde das Vorrangprinzip gegenüber Gesandtschaften ebenfalls als Grund für die Irrung herangezogen: Die allein aus Liebe zum Haus Bayern getroffene Regelung mit Salzburg sei nur für den Fall vereinbart worden, dass Österreich, das eigentlich den alleinigen Vorsitz habe, nur mit Räten vertreten sei. In diesem Fall wollten sie sich mit dem salzburgischen Erzbischof und dessen Gesandten abwechseln.⁵2⁵ Es wurde also vonseiten Österreichs impliziert, die Einwilligung in eine Alternation mit Salzburg sei eigentlich nur eine Höflichkeit der österreichischen Räte gegenüber dem persönlich anwesenden Salzburger Erzbischof gewesen. Tatsächlich hatte Administrator Ernst von Bayern im Jahr 1541 seinen ersten Reichstag als geistlicher Reichsfürst persönlich besucht.⁵2⁶ Beide Seiten sahen also die Ursache für die unklare Session in der Sitte, persönlich anwesenden Fürsten den Vortritt gegenüber Gesandten eigentlich ranghöherer Stände zu genehmigen. So habe sich mit der Zeit der falsche Eindruck eingeschlichen, der Vortritt sei Ausdruck tatsächlichen Vorrangs. Da die Streitparteien unterschiedliche Vorstellungen von der vermeintlich ursprünglichen Session hatten, zogen sie daraus allerdings unterschiedliche Schlüsse: Für Ribeisen war es von großer Bedeutung, auch als Gesandter keinem Erzherzog mehr zu gestatten, sich über die Alternationsregel hinwegzusetzen. Ferdinand dagegen sah sich im Recht, alle seine Söhne vor Salzburg zu postieren. Wie wurde der Streit zwischen Österreich und Salzburg ausgetragen? Es hat sich gezeigt, dass es üblich war, sich vor den eigentlichen Versammlungen abzusprechen und so eine Eskalation in der Öffentlichkeit zu umgehen. Konnte keine Einigung erzielt werden, nahm man lieber gar nicht an der Versammlung teil. Lag keine klare Absprache vor, versuchte man, sich nach Möglichkeit vor dem Konkurrenten durch die Menge an den erwünschten Platz zu drängen. Nach dem oben geschilderten Eklat in der Kirche wandte sich Salzburg an alle Stände und blieb den Ratsversammlungen anschließend fern.

524 RTA JR 15, Nr. 342 (S. 1780–1785), S. 1781–1782. 525 RTA JR 16, Nr. 262 (S. 1470–1471). 526 Eine Präsenzliste des Reichstags findet sich bei: Aulinger/Schweinzer-Burian, Habsburgische und reichsständische Präsenz auf den Reichstagen 1521–1555.

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Die Verhandlungen

3.7.3 Sessionsstreit am Beispiel der Grafenstimmen Der dargestellte Streit zwischen Österreich und Salzburg wurde um den Vorsitz auf der geistlichen Bank und damit um den vornehmsten Platz des Fürstenrats geführt. Ergänzend soll hier nun noch ein Beispiel aus demselben Jahr vom anderen Ende der Hierarchie des Fürstenrats angeführt werden: 1545 beanspruchten drei Personen die zwei vorhandenen und noch keineswegs klar geregelten Grafenstimmen. Dies waren Dr. Matthias Rast (der Kanzler des kaiserlichen Kommissars Friedrich von Fürstenberg sprach im Namen der schwäbischen Grafen), Gregor von Nallingen (auch »Nallinger« genannt, der Gesandte der Wetterauer Grafen) und Dr. Wolfgang Weidner (der Gesandte der fränkischen Grafen). Weidner unternahm während der Fürstenratssitzungen den Versuch, eine Stimme für die fränkischen Grafen etablieren.⁵2⁷ Doch seine Ausgangslage war schlecht. In den letzten Jahrzehnten waren die beiden Grafenstimmen sehr häufig von den Vertretern der Wetterauer und der schwäbischen Grafen geführt worden. Der Graf von Fürstenberg war zudem kaiserlicher Kommissar, was seinem Kanzler eine gute Position verschaffte. Gerade bei den Grafen und Herren spielte die Beanspruchung von Session durch Reichsdienst noch eine hervorgehobene Rolle. Zunächst war Gregor von Nallingen noch nicht am Reichstag, weshalb es für Dr. Weidner einfach war, eine Grafenstimme zu führen, wobei er sich mit dem Kanzler Fürstenbergs in der Rangfolge abwechselte. Die Situation änderte sich jedoch mit dem Eintreffen des Wetterauer Gesandten. Weidner musste nun darauf achten, seine Session nicht wieder zu verlieren. Der Franke notierte, er habe sich deshalb beim Betreten des Ratssaals an den Kanzler gewandt und ihn gefragt, ob man die bisherige Alternation fortführen könne. Dieser reagierte ausweichend und schlug Weidner vor, seine Stimmen an ihn zu übertragen, um das Problem zu umgehen.⁵2⁸ Weidner lehnte dies ab, da er eine fränkische Stimme etablieren wollte. Es kam also zu der Situation, dass sich drei Grafenvertreter zwei Stimmen teilen mussten. Noch im Gespräch seien Weidner und Rast zur Bank gegangen. Nun habe Gregor von Nallingen, als der Kanzler sich an die oberste Grafenposition setzte, »den sitz eylendtz eingenommen«⁵2⁹. Der Wetterauer Gesandte versuchte also seine Session einzunehmen, indem er sich einfach schneller an den umstrittenen Platz setzte. Weidner reagierte zunächst nicht. Er notierte: »Hab mich nit daruber ungestimblich zanckhen wollen.«⁵3⁰ Er wollte also nicht durch einen lautstarken Streit negativ auffallen. Ähnlich wie in den sechs Punkten der Salzburger wird auch hier das Bedürfnis deutlich, solchen Streit möglichst gesittet zu führen. Einen lauten Streit an dieser Stelle hätte Weidner als »ungestimblich«, also wohl als unziemlich oder unangemessen empfunden.

527 528 529 530

Hierzu auch: Böhme, Das fränkische Reichsgrafenkollegium, S. 108–110. RTA JR 16, Nr. 254 (S. 1449–1454), S. 1540. Ebd. Ebd.

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Sessionsstreit

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Offensichtlich fürchtete er, durch unangemessenes Streitverhalten seine Position weiter zu verschlechtern. Kritisch wurde der Moment, in dem die Umfrage an die Grafen kam. Zwar waren noch alle drei Grafenvertreter in den Fürstenrat gelassen worden. Es war jedoch klar, dass die Fürsten nur zwei Voten der Grafen und Herren anhören würden. Matthias Rast redete deshalb – anscheinend während der Stimmabgabe der Fürsten – über den zwischen ihnen sitzenden Gregor von Nallingen hinweg auf Weidner ein, er solle sich ruhig verhalten und stellte eine Vermittlung durch seinen Herrn in Aussicht. Weidner lehnte dies jedoch ab: »Als nhun die stim an grafen und herren khomen, hat der furstenbergisch cantzler erstlich gestimpt, nachmals bin ich uffgestanden und stymmen wollen. Ist mir Dr. Nallinger dreingefallen, hab ich, confusion zu vermeiden, geschehen lassen mussen.«⁵31 Weidner wird sicherlich nicht angenommen haben, der Wetterauer Gesandte wolle seine Stimme nicht wahrnehmen. Dennoch wählte Weidner hier die gleiche Taktik, die Nallingen bei der Sitzeinnahme angewandt hatte: Er wollte schneller sein. Sein Nachbar scheute aber den offensichtlichen Konflikt nicht und fiel ihm ins Wort. Wieder verwies Weidner darauf, keinen lauten Streit, keine »confusion« beginnen zu wollen. Bedeutsam für den Streit war bereits die offen zur Schau gestellte Missachtung des Wetterauer Anspruchs. Nach der Wetterauischen Stimmabgabe erhob sich Weidner erneut, protestierte im Namen der fränkischen Grafen, wogegen Nallingen nun ebenfalls protestierte.⁵32 Der Kampf um den besseren Sitzplatz wurde auch bei den folgenden Sitzungen geführt. Weidner, der vom Wetterauer Gesandten gelernt hatte, dass es wichtig war, zuerst am Platz zu sein, achtete bei nächster Gelegenheit darauf, vor Nallingen im Saal zu sein. Dennoch konnte sich dieser durchsetzen: »Aber der stymmenhalb hat Dr. Nallinger sich hoch hinauf gesetzt gehapt under dye fstl. rethe, den er sahe, das ich den nechsten sytz an dem furstenbergischen cantzler eingenommen. Nachmals ist er von oben herab uff weichung der fstl. gesandten geruckt biß an den furstenbergischen cantzler, damit ich abermals der under gewesen, und also vor unß baiden gestimpt.«⁵33 Gregor von Nallingen besaß wohl die Unterstützung der fürstlichen Gesandten, denn diese rückten nun alle ein wenig zusammen, um den Wetterauer den höchsten Grafenplatz einnehmen zu lassen. Weidner blieb nichts anderes übrig, als die schon vorgetragene Protestation zu wiederholen. Damit zwang er den Wetterauer Gesandten wieder zur Gegenprotestation. Weidner gab noch nicht auf und bemühte sich bei der nächsten Sitzung am 10. Januar, wieder früher als Nallingen am Platz zu sein. Dieser betrat den Raum anscheinend erst, als die anderen schon saßen, genierte sich aber nicht, zur Einnahme seiner Session Gewalt anzuwenden: »Als man gesessen, ist Dr. Nallinger hereintretten, mich beim arm genommen und hinder sich geruckt mit den worten, ir gehort nit daher. Hat der furstenbergisch 531 RTA JR 16, Nr. 254 (S. 1449–1454), S. 1540. 532 Ebd., S. 1450–1451. 533 Ebd., S. 1541.

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cantzler ime gern uber sich gewichen, damit ich weichen mussen. Ich wolt dan ein weibisch gezencke und hader angefangen haben, des ich gar ungewont.«⁵3⁴ Weidner blieb wieder nichts anderes übrig, als in die Stimmabgabe der Grafen einzugreifen. Schnell fügte er diesmal seiner Protestation noch eine Stimmabgabe bei, indem er sich äußerte, die fränkischen Grafen würden mit der Mehrheit stimmen.

3.7.4 Reaktionen auf Sessionsanmaßungen Die geschilderte gewaltsame Verdrängung aus eingenommener Session war anscheinend kein Einzelfall. Freilich kam es nicht mehr zu blutigen Kämpfen mit mehreren Toten wie im Mittelalter,⁵3⁵ aber sanftere Gewalt wurde anscheinend immer noch angewandt. Beispielsweise berichtete der Gesandte BrandenburgAnsbachs, Balthasar von Rechenberg, vom Regensburger Reichstag 1532, er sei von den Vertretern des Hauses Bayern verdrängt worden. Rechenberg war im Fürstenrat mit den Gesandten Herzog Wilhelms, Christoph von Schwarzenberg und Dr. Eck, sowie mit Reinhard von Neuneck, dem Gesandten Ottheinrichs von Pfalz-Neuburg, aneinander geraten. Im Bericht des Gesandten heißt es, die drei Bayern »haben ine auch also ausgetrungen, dann sie sind ime zu starck und er nur allein gewesen.«⁵3⁶ Der markgräfliche Gesandte unterlag also der kombinierten Muskelkraft von Schwarzenberg, Eck und Neuneck. Im Gegensatz zu Weidner wurde Rechenberg jedoch nicht von seinem Platz gezerrt, sondern »ausgetrungen«, also wohl weggeschoben. Rechenberg rechtfertigte seine Niederlage im Sessionsstreit mit der körperlichen Überlegenheit seiner Gegner. Der Einsatz von Gewalt scheint also in gewissen Situationen ein erfolgversprechendes Mittel zur Verteidigung der Session gewesen zu sein. Um Streit zu vermeiden, konnte die Session sogar kurzzeitig geändert werden. Dies geschah wiederholt im Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen der schmalkaldischen Partei und Herzog Heinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel. Landgraf Philipp von Hessen gab an, nicht wie vorgesehen neben dem Herzog sitzen zu können. 1541 setzte man deshalb den Herzog von Savoyen zwischen die beiden.⁵3⁷ 1544 nahm dann Johann II. von Simmern zwischen Herzog Heinrich von Braunschweig und Philipp von Hessen Platz, »dweil sie der sachen seher haftig gegenainander unains und verbittert gewesen, umb friedts willen nidergesatzt, dan ime sonst, vor Braunschweig zu sitzen, gepuret.«⁵3⁸ Der Streit zwischen Heinrich und dem evangelischen Bündnis drohte also die Eröffnungssitzung des Reichstags

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RTA JR 16, Nr. 254 (S. 1449–1454), S. 1452. Goetz, Der rechte Sitz, S. 26–28. RTA JR 10, Nr. 32 (S. 361–370), S. 364. Luttenberger, Zeremonial- und Sessionskonflikte in der kommunikativen Praxis des Reichstages im 16. Jahrhundert, S. 240–242. 538 Würzburgisches Reichstagsdiarium, RTA JR 15, Nr. 83 (S. 742–793), S. 756.

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zu gefährden. Um Heinrich und Philipp nicht auch noch nebeneinander sitzen zu lassen, wurde ein eigentlich ranghöherer Fürst zwischen die beiden gesetzt. Dies ließ sich leichter bewerkstelligen, als einen rangniedrigeren zwischen die beiden zu »befördern«, denn in einem solchen Fall hätte Landgraf Philipp Anlass gehabt, der Änderung zu widersprechen. Auch die von den Grafengesandten angewandte Taktik des Vorrückens wurde ebenfalls von den Fürsten genutzt. Nallinger hatte erreicht, dass die über den Grafengesandten sitzenden Fürstengesandten etwas zusammenrückten, um ihm einen Platz vor dem fränkischen Grafengesandten freizumachen. Auf dem Augsburger Reichstag 1530 notierte der Mainzer Rat Tetleben empört, Wilhelm IV. von Bayern und Georg von Sachsen hätten sich in einer gemeinsamen Versammlung der Stände auf die Bank der Kurfürsten gesetzt.⁵3⁹ Vor dem Hintergrund des andauernden Rangstreits zwischen Bayern, Sachsen und Brandenburg ist anzunehmen, dass diese Verfehlung Ergebnis eines solchen Vorrückens war. Die entsprechenden Stände stritten in diesem Fall um den höchsten Platz auf ihrer Bank. Deshalb blieb ihnen, als das vornehme Ende schon besetzt war, nichts übrig, als sich noch höher, also neben die Kurfürsten zu setzen. Dies erweckte aber wiederum deren Unmut. Die von Weidner geschilderte Taktik, möglichst früh im Ratssaal zu erscheinen, scheint von den fürstlichen Gesandten ebenfalls angewandt worden zu sein. 1543 schlug Herzog Moritz seinen Gesandten vor, sich bereits früh ins Rathaus zu begeben, um die beanspruchte Session wahrnehmen zu können.⁵⁴⁰

3.7.5 Zusammenfassung – Sessionsstreit Es ist offensichtlich, dass keine allgemeinverbindlichen Regeln existierten, die die Session bestimmten. Bei der Festlegung der Sitzordnung handelte es sich ursprünglich um eine Angelegenheit sozialer Regeln. Session war Ausdruck von Höflichkeit und Gunst. Deshalb ist es naheliegend, dass Alter und Reichsdienst eines Individuums im Mittelalter noch ausschlaggebend für dessen Sitzplatz waren. Auf den Reichstagen der Frühen Neuzeit mit ihrer Tendenz zur Verrechtlichung der Beziehungen zwischen den Ständen trat die Relevanz individueller Eigenschaften langsam zurück und das traditionelle Ansehen des jeweiligen Stands wurde ausschlaggebender. Dies wirkte sich auch auf das Selbstverständnis der Gesandten aus. Die zeremonielle Eingliederung einer Person ins Reichstagsgeschehen, die sich vor allem in der Session äußerte, betrachteten die Gesandten zunehmend als eine Frage der Rechte des jeweiligen Reichsstands und nicht mehr nur als individuelle Anerkennung der tatsächlich anwesenden Person. Soziale Regeln blieben aber das bestimmende Element der Session. Wie sich gezeigt hat, regulierten Ehr- und 539 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 89. 540 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10184/5, fol. 35r–35v; zusammengefasst wiedergegeben bei: Brandenburg (Hg.), Politische Korrespondenz I, Nr. 424 (S. 539–540).

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Die Verhandlungen

Höflichkeitsempfindungen die Handhabung eines Sessionsstreits. Die augenfällige Eskalation eines Konflikts wurde als beschämend empfunden. Absprachen im Vorfeld der Sitzungen und das Vortragen von obligatorischen Protestationen wurden deshalb bevorzugt. Wie in vielen anderen Streitfällen auch blieb das bewusste Fernbleiben ein Mittel, den Sessionsstreit zu führen. Der Anspruch mancher Gesandter auf zeremonielle Gleichwertigkeit mit ihren Auftraggebern löste während der Regierungszeit Karls V. besondere Schwierigkeiten aus. Dabei mussten zwei verbreitete, aber gegenläufige Vorstellungen miteinander harmonisiert werden. Diese Vorstellungen waren einerseits der genannte Anspruch der Gesandten, in Momenten, in denen sie im Namen ihres Auftraggebers handelten, wie diese behandelt zu werden, und andererseits die Vorstellung, dass tatsächliche Standespersonen eine bessere Behandlung erwarten konnten als bürgerliche Gesandte. Eindeutig geklärt wurde diese Frage nie, stattdessen versuchte man entsprechende Situationen zu vermeiden.

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4. Verfahrensentwicklung

Wie entsteht Verfahren?1 Wie ändert es sich? Es ist bekannt, dass sich das Verfahren der deutschen Reichstage maßgeblich unter Karl V. herausbildete und verstetigte. Der oft angeführte Traktat über den Reichstag2 vom Ende des Jahrhunderts fasste also ein Verfahren zusammen, dass sich in Karls Herrschaftszeit noch in Bewegung befand und sich erst schrittweise festigte. Die Bildung von Verfahren erfolgte dabei aber nicht in erster Linie über einen besonderen Mechanismus, also nicht durch Rechtsetzung. Deshalb ist das Verfahren der Reichstage anders zu untersuchen als das moderner Gremien, deren Verfahren rechtlich geregelt sind.3 Es ist die herausragende Besonderheit des vormodernen Verfahrens, in der Regel nicht bewusst gesetzt worden zu sein. Vielmehr entstanden Verfahrensregeln und wurden Gewohnheitsrecht, ohne dass dieser Vorgang gesteuert wurde.⁴ Dies bedeutet auf der anderen Seite jedoch nicht, dass auf die Entwicklung von Verfahren kein Einfluss genommen wurde.

4.1 Verfahrensbildung als Verdrängung der Standespersonen Um den Prozess der Verfahrensbildung auf den deutschen Reichstagen zu verstehen, ist es zunächst notwendig, zu erkennen, was das Verfahren bewirkte. Die Aufgabe von Verfahren, wie auch von Ritualen, wird neben der Herbeiführung von Entscheidungen auch darin gesehen, Sicherheit zu vermitteln und zu gewährleisten. Die Anzahl der Handlungsmöglichkeiten aller Beteiligten wird dabei deutlich reduziert, was auch die Angst vor Konflikteskalation vermindert.⁵ Das sich ausbildende Zeremoniell vermittelte Kontinuität und stabilisierte die an die Versammlung gerichteten Erwartungen.⁶ Ein Verfahren zeichnet sich im modernen Verständnis dadurch aus, dass es den Beteiligten eine bestimmte Rolle zuweist, die sich von deren übrigen gesellschaftlichen Rollen unterscheiden kann.⁷ Mit

1 Wie bereits genannt, steht »Verfahren« in dieser Arbeit in Einzahl mit Nullartikel, wenn kein bestimmtes, einzelnes Verfahren gemeint ist, sondern generell das Phänomen der Herausbildung und Existenz von Verfahrensregeln. 2 Rauch, Traktat. 3 Zu modernem, rechtlich geregeltem Verfahren: Luhmann, Legitimation durch Verfahren. 4 Zur besonderen Flexibilität anfangs rein oral tradierter Rechtsgewohnheiten: Schulze, Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten, S. 15. 5 Zu ritualisierten Konflikten: Edelman, Politik als Ritual, S. 82–83. 6 Lanzinner, Recht, Konsens, Traditionsbildung, S. 76. 7 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 47–48.

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Verfahrensentwicklung

seinem Konzept des zeremoniellen Verfahrens versucht Tim Neu eine Erklärung dafür zu finden, wie Verfahren auch ohne Rollentrennung funktionieren konnte.⁸ Der Aspekt der Rollentrennung soll hier genauer betrachtet werden, denn völlig frei von Rollentrennung war auch der frühneuzeitliche Reichstag nicht. »Einfachere Gesellschaften«⁹, so Luhmann, haben bei der Trennung der Rollen besondere Schwierigkeiten. Luhmann führt nicht aus, welche Gesellschaften er für einfacher hält als seine, jedoch lässt sich der Gedanke für die hier untersuchten Reichstage aufgreifen. Für den fiktiven Idealfall – die Versammlung des Kaisers und seiner Fürsten in Person zur gemeinsamen Beratung – gab es keine Rollentrennung. Die bindenden Mechanismen der hier getroffenen Entscheidungen folgten dem Prinzip des zeremoniellen Verfahrens. Sobald jedoch ein geladener Fürst einen Stellvertreter für die Zeit seiner Abwesenheit ernannte, musste dieser Stellvertreter die Rolle des abwesenden Fürsten einnehmen. Dadurch kamen neue Probleme auf. Ein großer Teil der Verfahrensschwierigkeiten der Zeit entstand aus dem unklaren Rollenverständnis von persönlich anwesenden Ständen im Aufeinandertreffen mit Gesandten nicht anwesender Fürsten. Hierzu ließe sich annehmen, dass die gesandten Räte im Vergleich zu den Fürsten eher bereit waren, besondere Rollenzuweisungen im Verfahren der Reichstage zu akzeptieren, denn die Gesandten nahmen selbst eine Rolle ein, die sie privat nicht innehatten. Sie waren schließlich beauftragt, stellvertretend die Rolle eines Fürsten (oder eines anderen Stands) innerhalb des zeremoniellen Verfahrens einzunehmen. Unter diesem Aspekt näherten sich die gesandten Räte also dem Verfahrensverständnis Luhmanns an. Persönlich anwesende Fürsten aber nahmen auf den Reichstagen nicht die Rolle eines Anderen an. Sie waren Fürsten und handelten öffentlich stets als solche, so auch auf den Reichstagen. Dies ist nicht verwunderlich, denn schließlich berechtigte sie erst ihre Rolle als Fürst zur Teilnahme an den Versammlungen. Der persönlich im Reichsrat anwesende Fürst ist daher der Idealfall des zeremoniellen Verfahrens. Trafen nun Fürst und Gesandter aufeinander, interpretierte der Gesandte die Situation unter dem Aspekt der Rollentrennung. Er vertrat einen abwesenden Fürsten und achtete in dessen Auftrag darauf, dass dessen Rechte gewahrt wurden. Der persönlich anwesende Fürst aber interpretierte die Situation unter seinem eigenen Verfahrensverständnis, das vom zeremoniellen Verfahren geprägt war. Für ihn war der Gesandte nur der Rat eines anderen Fürsten und als solcher auf den Reichstagen nicht viel anders zu behandeln als außerhalb. Die Entsendung von Räten zu den Reichstagen muss somit Einfluss auf die Möglichkeit der Rollentrennung und damit auch auf die Herausbildung des Reichstagsverfahrens gehabt haben. Diesen Einfluss gilt es zunächst zu verstehen. Bei genauerer Betrachtung änderte er nämlich den Charakter der Reichsversammlungen. Das Alte Reich und auch andere europäische Reiche waren im Spätmittelalter »durch Personenverbände dominierte und in Gestalt von Personenverbänden vorerst in erster Linie praktisch8 Neu, Zeremonielle Verfahren, S. 30–32. 9 Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 61.

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Verfahrensbildung als Verdrängung der Standespersonen

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politisch existierende Gebilde«1⁰. Durch den intensiven Einsatz von Gesandten und Räten in den Verhandlungen übernahmen in der Frühen Neuzeit zunehmend Berufspolitiker das Reichstagsgeschehen, ohne dass die Fiktion der tatsächlichen Anwesenheit ihrer Fürsten aufgegeben wurde. Die Räte handelten im Namen ihrer Fürsten und simulierten in ihren Sitzungen das nicht mehr stattfindende Aufeinandertreffen der eigentlich geladenen, aber nicht anwesenden Personen. Dadurch wurden die genannten Personenverbände von den tatsächlichen Personen abstrahiert und durch die Räte stellvertretend dargestellt. Zumindest während der Ratssitzungen sprachen Räte in der Rolle ihres Auftraggebers. Dabei wandelte sich die ursprüngliche Ausnahmesituation – der verhinderte Fürst bestellt einen Stellvertreter – zu einem faktischen Normalfall. Dies führte letztendlich dazu, dass die Kurfürsten in der zweiten Jahrhunderthälfte im Rat selbst dann ihren Räten das Wort überließen, wenn sie alle auch persönlich anwesend waren. Eine Sitzung ohne die Räte konnte nun nur »außerhalb des Verfahrens«11 stattfinden. Das Reichstagsverfahren ließ somit zu großen Teilen die Anwesenheit von Räten erforderlich werden und stand am Ende des 16. Jahrhunderts im Widerspruch zur aktiven Beteiligung von Fürsten. Dies war das Ergebnis einer lang anhaltenden Auseinandersetzung um die verfahrenstechnische Einbindung der Gesandten in die Beratungen der Fürsten, die sich zu Schwierigkeiten bei der Einbindung tatsächlich anwesender Fürsten in die Beratungen von Räten wandelte und den persönlich anwesenden Fürsten schließlich vom Störfaktor, den er noch in den 1540er Jahren darstellte, zum Zuhörer degradierte. Hieraus lässt sich erkennen, dass die Verfahrensbildung in der Regierungszeit Karls V. und danach nicht nur dazu beigetragen hat, dass Räte in den Verhandlungen die Rolle ihrer Fürsten einnahmen, sondern dass sie darüber hinaus eine Rolle bekamen, in die die Fürsten selbst nicht mehr hineinpassten. Die Reichstagsverhandlung wurde dabei ein eigener Handlungsraum mit so speziellen Handlungsrollen, dass sie den Fürsten nicht mehr angemessen waren. Somit nahmen schließlich die Räte nicht mehr allein in der Rolle ihrer Fürsten teil, sondern hatten etwas Neues geschaffen. Das Reichstagsverfahren unterschied die Reichstage inzwischen von Versammlungen des ursprünglichen Personenverbands, der zwar auch die Rollenzuweisung durch Zeremoniell kannte, jedoch viel stärker durch intuitive Anwendung sozialer Regeln geprägt war.12 Der Unterschied wurde so groß, dass Christoph von Württemberg für den Reichstag von 1555 schließlich eine Verhaltensanleitung von seinen Räten bekam, um dort während der Ratsversammlung nicht negativ aufzufallen.13 Auf dem Reichstag hatten sich also Regeln gebildet, die für die ursprünglichen Teilnehmer der Versammlung – die Fürsten –

10 Moraw, Reich und Territorien, S. 193. 11 Lanzinner, Fürsten und Gesandte, S. 69. 12 Die Versammelten bedurften als Hochadelige, »die schon wegen ihrer Herkunft ein traditionelles Formenbewusstsein im Umgang pflegten«, keines eigenen Verfahrens: Kaufhold, Entscheidungsspielräume im Spannungsfeld von Repräsentation und Ritual, S. 269. 13 Ernst, Briefwechsel des Herzogs Christoph von Wirtemberg, Bd. 3, Nr. 3 (S. 4–32).

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nicht mehr eingängig waren. Diese Widersprüchlichkeit verdrängte die Fürsten langfristig ganz aus den Ratsversammlungen. Für die gelehrten Räte aber hatte die entstandene Situation ein Umfeld geschaffen, in dem sie ihrer Rolle leichter gerecht werden konnten. Sie traten nun auch im Reichsrat als die Räte ihrer Herren und nicht mehr als Bevollmächtigte zwischen Fürsten auf. Dabei beachteten sie Regeln, die nicht mehr primär den stark vom Ansehen der anwesenden Personen abhängigen Umgangsregeln der fürstlichen Gesellschaft entsprangen. Stattdessen waren die sich institutionalisierenden Verfahrensregeln des Reichstags zunehmend unabhängig von den tatsächlich anwesenden Personen. Sie bildeten dabei Regeln, die immer genauer ausdifferenziert wurden und den Handlungsraum der aufeinander treffenden Räte immer präziser definierten. Der Wert des entstehenden Reichstagsverfahrens lag daher weniger darin, nicht mehr auf Konsensentscheidungen angewiesen zu sein.1⁴ Dafür blieb der Reichstag – auch im Interesse seiner Teilnehmer – zu wenig durchsetzungsfähig. Der Wert des Verfahrens lag dagegen vor allem darin, die Reichstage an die in den Territorien schon stattgefundene Entwicklung des Verwaltungsausbaus anzupassen.1⁵ Faktisch wurden die Reichstage – zumindest während der Verhandlungen – zu Versammlungen der Räte aus den verschiedenen Territorialherrschaften des Reichs. Durch die stärkere Beteiligung studierter Juristen fand ebenso wie in den Verwaltungen der Fürstentümer auch auf dem Reichstag ein »rechtlicher Ausdifferenzierungsprozess«1⁶ statt. Das Reich war nicht mehr nur ein Personenverband der Fürsten und anderer Stände. Die Fürsten nahmen nur noch einen Teil der Aufgaben ihrer Reichsstandschaft persönlich wahr. Durch die Schaffung und den Ausbau von fürstlichen Behörden differenzierte sich die fürstliche Herrschaft aus. Sie bestand inzwischen aus mehr als einer Person mit bestimmten Privilegien und ihren Gefolgsleuten. Diese Ausdifferenzierung der einzelnen Reichsstände musste sich auch auf die Reichstage auswirken. »Das Verfahren kannte nur politisch agierende Reichsstände, nicht Standespersonen.«1⁷ Dieser Grundsatz galt erst vollkommen, als es für Standespersonen unüblich geworden war, sich selbst aktiv an den Reichstagsverhandlungen zu beteiligen. So lässt sich die Verfahrensbildung des Reichstags auch als eine Verdrängung der Standespersonen verstehen. Die Verfahrensbildung auf den Reichstagen war ein Prozess, durch den ein Verhalten, das ursprünglich durch die sozialen Normen geprägt worden war, die den Personenverband der Fürsten ausmachten, in rechtliche Normen übertragen wurde, die von den jeweiligen Personen des ursprünglichen Personenverbandes losgelöst 14 Zu Konsens als Mittel nicht institutionalisierter, offener Formen: Schwedler, Formen und Inhalte, S. 153. 15 Die Literatur zum Ausbau der Landesbehörden ist umfangreich. Eine Auswahl: Brakensiek, Juristen in frühneuzeitlichen Territorialstaaten; Heuvel, Beamtenschaft; Klingenbiel, Ein Stand für sich?, S. 35–140; Lanzinner, Fürst, Räte und Landstände; Press, Finanzielle Grundlagen territorialer Verwaltung um 1500 (14.–17. Jahrhundert); Rauscher, Personalunion und Autonomie; Schirmer, Kursächsische Staatsfinanzen. 16 Lanzinner, Recht, Konsens, Traditionsbildung, S. 74. 17 Ders., Fürsten und Gesandte, S. 71.

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Entstehung von Verfahren

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galten. Diesen Prozess gilt es genauer zu untersuchen. Dabei stellt sich zunächst die Frage, ab wann eine Verfahrensregel als solche existiert.

4.2 Entstehung von Verfahren Der Vorgang, in dem sich das Reichstagsverfahren bildete, war kein geplanter und gesteuerter Prozess. Da das Verfahren nicht angeordnet wurde, was nach den Gepflogenheiten der Reichstage auch nahezu unmöglich war, musste die Entwicklung des Verfahrens aus sich selbst erfolgen. Zwei Fragen drängen sich hierzu auf: Ab wann ist eine Vorgehensweise so etabliert, dass sie eine Verfahrensregel darstellt? Gibt es einen Unterschied zwischen einer Verfahrensregel und sonstigen Gewohnheiten? Es ist nicht einfach, festzulegen, ab wann bestimmte Verfahrensregeln gelten. Dies liegt in der Natur des Gewohnheitsrechts begründet. Gewohnheitsrecht bezieht sich schließlich auf wiederholte Anwendungen. Da die Gewohnheit dabei Rechtskraft erfährt, liegt es in der Natur des Gewohnheitsrechts, seine Anfänge zu verschleiern. Gewohnheit setzt Kontinuität voraus. Deshalb sind im Gewohnheitsrecht besonders jene Rechtsansprüche schwer anfechtbar, die scheinbar immer galten und bisher noch nie angezweifelt wurden. Lässt sich bei einem Streit erkennen, dass die Grundlagen der strittigen Ansprüche unterschiedlich alt sind, ist im Gewohnheitsrecht die Partei mit dem älteren Anspruch stets im Vorteil. Es widerspricht somit den Prinzipien des Gewohnheitsrechts, Veränderungen im Verfahren als solche festzuhalten. Vielmehr galt es, auch bei sich ständig ändernden Konstellationen Kontinuität zu betonen. Die Herausbildung von Verfahrensregeln im Gewohnheitsrecht ist daher bisher kaum erforscht. Einige grundsätzliche Gedanken zur Entstehung von Verfahren auf mittelalterlichen und spätmittelalterlichen Versammlungen äußert Martin Kaufhold: Er kommt ebenfalls zu dem Schluss, dass für die meisten Versammlungen von Hochadeligen keine Verfahrensregelungen erforderlich waren. Es galten unabhängig vom Versammlungstyp die gleichen Umgangsregeln.1⁸ Der geringe Bedarf an Verfahrensregeln sei auch darin begründet, dass die meisten Treffen deutscher Fürsten erst dann zustande kamen, wenn ein genereller Konsens bereits gegeben war. Das gemeinsame Zusammenkommen entstand Kaufhold zufolge also gewöhnlich in der bereits bestehenden Absicht, in einer Angelegenheit zu kooperieren. Als Voraussetzung für die Bildung eines gewohnheitsrechtlichen Verfahrens nennt Kaufhold, dass die betreffende Versammlung einen geklärten Status haben müsse.1⁹ Demnach kamen Fragen zur korrekten Durchführung einer Versammlung erst dann verstärkt auf, wenn die Berechtigung und die Aufgabe der Versammlung an sich nicht mehr infrage gestellt wurden. Der Reichstag habe dabei seinen Status im späten 15. Jahrhundert bereits gefunden gehabt und habe deswegen auch einen 18 Kaufhold, Entscheidungsspielräume im Spannungsfeld von Repräsentation und Ritual, S. 269. 19 Ebd., S. 272.

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ritualisierten »Ablauf in festen Formen«2⁰ entwickeln können. Über den Prozess, der diese festen Formen bestimmte, äußert sich Kaufhold jedoch nicht. Weil es beim Gewohnheitsrecht weder eine Instanz gibt, die das Verfahren festlegt, noch ein institutionalisiertes Verfahren, um neue Verfahrensregeln zu schaffen, scheinen gewohnheitsrechtliche Regeln bisweilen erst durch ihre Niederschrift entstanden zu sein. Wurde beispielsweise bei einer mittelalterlichen Ratswahl ein Protokoll geführt, bot dieses bei der nächsten Wahl eine Orientierungshilfe und trug zur Verstetigung des Verfahrens bei. Aus einem ursprünglich deskriptiv intendierten Text wurde somit ein präskriptiver.21 Es ist jedoch fraglich, ob sich Verfahren tatsächlich durch Niederschrift bildete. Zunächst darf nicht angenommen werden, durch die Verschriftlichung seien die entsprechenden Regeln gewöhnlich erst entstanden. Im Extremfall hieße das, dass bei Versammlungen vor der Verfahrensbildung das jeweilige Vorgehen immer neu erfunden wurde, was freilich nicht so war. Es wird zurecht darauf verwiesen, dass viele Verfahrensregeln der Reichstage deutlich älter waren als ihre Niederschrift.22 Auch ist eine Unterscheidung von präskriptiven und deskriptiven Texten zu den Reichstagen der frühen Neuzeit schwer möglich. Es lässt sich beobachten, dass bei frühen Reichsversammlungen nicht viel mehr als die Ergebnisse der Verhandlungen notiert wurde. Von vielen Verfahrensregeln wird in den Aufzeichnungen dagegen erst berichtet, wenn um ihre korrekte Ausführung gestritten wurde. Die Niederschrift in Form von rein präskriptiv intendierten Texten erfolgte zwar erst in der zweiten Jahrhunderthälfte und damit deutlich später,23 es lässt sich aber bereits den Verfassern von früheren Protokollen und Berichten ein Bewusstsein für die zukünftige Wirkung ihrer Texte unterstellen. Sie beschrieben Verfahrenskonflikte und Verfahrensanwendungen vermutlich in vielen Fällen schon zur Vorbereitung auf zukünftige Verfahrenskonflikte. Ihre Texte sind daher nicht rein deskriptiv zu verstehen. Interpretiert man die Verfahrensbildung wie vorgeschlagen als einen Vorgang, bei dem intuitiv angewandte Regeln in rechtliche Normen umgewandelt wurden, kommt der Verschriftlichung eine enorme Bedeutung zu. Zwar kann die Verrechtlichung des Reichstagsgeschehens nicht als direkte Folge der Verschriftlichung betrachtet werden, jedoch löste die Niederschrift das Verfahren aus der Unsicherheit persönlicher Erinnerung. Die zunehmende Schriftlichkeit ist deshalb umgekehrt als Folge der Verrechtlichung zu verstehen. Gerade weil es auch juristische Relevanz bekam, wurde das sich bildende Verfahren aufgezeichnet. Durch schriftliche Aufzeichnungen wurden die sich bildenden Normen erst verstetigt. Verschriftlichung kann aber nicht als Ursache der Verfahrensbildung angesehen 20 Kaufhold, Entscheidungsspielräume im Spannungsfeld von Repräsentation und Ritual, S. 271. 21 Würgler, Zu den Funktionen von Verfahren und Verhandlungen, S. 520. 22 Dies zeigt sich beispielsweise bei den Regeln der Session: Stollberg-Rilinger, Zeremoniell als politisches Verfahren, S. 101–102. 23 Schubert formuliert dies als einen »Mangel an urkundlicher Fixierung und an einer abstrahierend-generellen Festlegung der gebräuchlichen Ordnungen«: Schubert, Deutsche Reichstage, S. 37.

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Entstehung von Verfahren

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werden, sondern ist eher als Konsequenz und Begleiterscheinung des eigentlichen Prozesses aufzufassen. Dieser Prozess löste die anzuwendenden Regeln vom Individuum des jeweiligen Fürsten (oder sonstigen Reichsstands) und passte sie an die Praxis der Entsendung von Räten an. Dabei ist anzunehmen, dass sowohl diese Abstraktion als auch die einhergehende Verrechtlichung als Folge von Konflikten betrachtet werden müssen, die durch die häufig juristisch geschulten Räte ausgetragen wurden. Die entstehenden Verfahrensregeln setzten sich im »Wechselspiel von Recht und Politik« durch, wurden »Präjudiz und schließlich zum Gewohnheitsrecht, nicht jedoch zu kodifiziertem Recht«2⁴. Hierbei ist die Bedeutung des Präjudiz zu betonen. Ein Präjudiz setzt voraus, dass es zu einem Konflikt kommt. Tatsächlich sind die meisten frühen Verfahrensweisen des Reichstags hauptsächlich aus Verfahrenskonflikten bekannt. In diesen Konflikten wurde eine Regel in Anspruch genommen oder von der Gegenseite angezweifelt. Diese dokumentierten Streitigkeiten sind daher schon deshalb eine wichtige Quelle, weil in ihnen die strittigen Regeln überhaupt erst in Worte gefasst werden. Der Verfahrensstreit war aber auch für die Verfahrensbildung maßgeblich. Solange keine Konflikte aufkamen, orientierten sich alle Beteiligten an intuitiven Verhaltensregeln, die durch ihre persönliche Erinnerung oder durch irgendwie geprägte Vorstellungen ausgebildet wurden. Im Streit wurden diese Vorstellungen und die aus der Erinnerung geprägten Regeln verbalisiert und so auch demjenigen bewusster, der für sie eintrat. Setzte sich eine Regel im Streit durch, ließ sich in Zukunft bei ähnlichen Situationen stets auf diesen Streitfall verweisen. Der Verfahrensstreit – wenn er denn ausgetragen und nicht ritualisiert und verschleppt wurde – konstituierte somit Verfahrensregeln, auch wenn die Ursprünge der Regeln viel ältere Gewohnheiten sein konnten. Selbst dann, wenn der Konflikt ritualisiert weitergeführt wurde, ergab sich aus den dabei getroffenen, scheinbar vorläufigen Regelungen oft auch schon das dauerhafte Verfahren.2⁵ Für die Verfahrensstreitigkeiten ist hinsichtlich der beteiligten Räte ein doppelter Mechanismus anzunehmen. Zunächst führte gerade die Entsendung von gelehrten Räten als Gesandte anstelle ihrer Herren zu Situationen, in denen das korrekte Vorgehen ungeklärt war und deshalb stark von der Interpretation der Beteiligten abhing. Dies führte häufig zu Konflikten. Andererseits passte ein detailliert geführter Verfahrensstreit generell deutlich besser zu den juristisch geschulten Räten der Fürsten als zu den Fürsten selbst. Es ist auffällig, dass die selteneren Verfahrensbeanstandungen durch persönlich anwesende Fürsten gewöhnlich die respektvolle Behandlung ihrer Person durch anwesende Räte zum Gegenstand haben: Georg von Sachsen musste daran gehindert werden, den bayrischen Rat Eck im Ausschuss zu schlagen, weil dieser ihn ungebührlich berichtigte.2⁶ Fürst24 Lanzinner, Recht, Konsens, Traditionsbildung, S. 70. 25 Im Fall der Session wurde die fiktive Vorläufigkeit sogar Teil der Reichsabschiede: Ott, Präzedenz, S. 511. 26 Kapitel 3.7.1, S. 265.

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bischöfe beklagten sich über Eck, weil er nicht mit seinem Votum warten wollte, wie sie es als Ausdruck seines Respekts vor ihrer persönlichen Anwesenheit erwarteten.2⁷ Fürsten traten, wenn sie persönlich im Rat waren, noch stets in ihrer Rolle als Personen von Stand auf und konnten eine durch Verfahren geschaffene Ebenbürtigkeit mit Räten nicht akzeptieren. Die Verfahrenskonflikte, die sich um abstraktere Themen entwickelten, wie etwa das Recht auf die Umfrage im Kurfürstenrat, die Reihenfolge des Bedenkenaustauschs in der Relationssitzung oder die Zulassung von Grafen und Städtern im Reichsrat, wurden dagegen in erster Linie von Räten geführt. Fürsten sahen sich hierbei untereinander anscheinend oft zu einer generell großzügigeren Haltung verpflichtet, die nicht immer leicht mit einem ausführlich diskutierten Streit um das Prozedere vereinbar war. Ein gutes Beispiel ist hierfür sicherlich der schon im Zusammenhang mit Ausschusswahlen von 1526 dargestellte Konflikt um die Wahl eines Wittelsbachers. In diesem Fall waren es die bayerischen Räte, die das Ergebnis der Wahl anfochten und Argumente vortrugen, warum unbedingt ein Wittelsbacher in den Ausschuss müsse.2⁸ Der in den Ausschuss gewählte Fürst bot dem einzigen anwesenden Wittelsbacher als Geste von Großzügigkeit seinen Platz an, dieser wollte aber zunächst ablehnen. Er musste wieder von den anwesenden bayerischen Räten überzeugt werden. Dies darf nicht verwechselt werden mit einem Desinteresse der Fürsten an der Art, wie sie Teil des zeremoniellen Verfahrens wurden. Die juristisch geschulten Räte reagierten auf Konfliktfälle jedoch anscheinend energischer und interpretierten sie rascher in Hinsicht auf die Möglichkeit, einen Präzedenzfall zu schaffen. War der jeweilige Rat als Gesandter am Reichstag, befand er sich in der besonderen Situation, dass er auf die Rechte seines Auftraggebers achten und diese verteidigen musste, ohne dass die Möglichkeit der Konfliktbeilegung zwischen den betroffenen Fürsten als individuellen Personen bestand. Auch dies musste eine Verrechtlichung des Reichstagsverfahrens durch die Beilegung von Konflikten bewirken. Mit der Durchsetzung einer Regel im Konflikt wurde die Regel auch spätestens »gemeinhin bekannt«. Sie erfüllte damit eines der nach Voigt wesentlichen Merkmale von institutionalisierten Regeln.2⁹ Es fällt in diesem Zusammenhang auf, dass in vielen Verfahrenskonflikten die Gegenpartei darauf verwies, eine Regel, wie sie angeführt wurde, nicht zu kennen.3⁰ Durch ihr Einlenken im Konflikt, das dokumentiert wurde oder zumindest im Gedächtnis der Beteiligten blieb, erkannte die Gegenseite die Existenz einer solchen Regel an und konnte deshalb auch nicht mehr behaupten, sie sei unbekannt. Es ist somit gerechtfertigt, dem

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Kapitel 3.7.1, S. 263. Hierzu: Kapitel 3.3.3, ab S. 195. Voigt, Institutionenökonomik, 27. Siehe auch: Einleitung auf S. 23. Hierzu sei auf die bereits behandelten Irritationen über die Reihenfolge der Bedenken in der Relation zwischen den oberen Kurien 1547/48 verwiesen: RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 375.

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Ursachen von Verfahrensstreit

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Streit um Verfahren auch bei der Frage nach dem Entstehen und der Entwicklung von Verfahren eine erhöhte Aufmerksamkeit zu widmen.

4.3 Ursachen von Verfahrensstreit Streit über das richtige Verfahren konnte aus verschiedenen Ursachen entstehen. Der am häufigsten anzutreffende Grund für Streit ist die korrekte bzw. inkorrekte Behandlung einer Person. Da die Hierarchie der Versammelten am deutlichsten durch die Session dargestellt und verwirklicht wurde, kam diese Art von Konflikt gewöhnlich bei der Einnahme der Session auf. Grundsätzlich lässt sich hier jedoch unterscheiden zwischen den Sessionsansprüchen konkurrierender Fürsten beziehungsweise stellvertretend zwischen deren Räten einerseits und den Sessionskonflikten zwischen tatsächlich anwesenden Standespersonen und entsandten Räten andererseits.31 Wie sich gezeigt hat, konnten in der Regierungszeit Karls V. Fürsten, die persönlich im Rat anwesend waren, noch ranghöhere Sitzplätze beanspruchen und darauf bestehen, ihr Votum vor den Räten abwesender, eigentlich ranghöherer Fürsten abgeben zu dürfen. Dieses Prinzip galt aber nicht unumstritten, sondern wurde auch angegriffen.32 Gerade das Aufeinandertreffen von Räten und Fürsten führte oft zu Konflikten, die sich nicht auf die Session beschränkten. Die Reichstage unter Karl V. sind stark geprägt durch verschiedene Konflikte um die Einordnung der Räte in das Reichstagsverfahren. Dies zeigt sich beispielsweise auch beim Ausschusswesen. 1521 wurden zwar Kurfürsten und Fürsten als Personen in den Großen Ausschuss gewählt; gleichzeitig wurde aber eine Begrenzung für die Anzahl der mitzunehmenden Räte beschlossen.33 Man unterschied verfahrenstechnisch noch scharf zwischen den Kurfürsten und Fürsten einerseits und ihren Räten andererseits, selbst wenn die Räte auch dann in den Ausschussverhandlungen blieben, wenn ihr Fürst nicht anwesend war. 1526 beschlossen die Stände des Fürstenrats, von jeder Bank zwei Fürsten und drei Gesandte in den Großen Ausschuss zu wählen.3⁴ Die Botschaften abwesender Fürsten wurden dabei anscheinend als eine eigene verfahrenstechnische Kategorie aufgefasst. Sie waren nicht gleichwertig mit den anwesenden Fürsten, sonst hätte man nicht auf die Symmetrie der Anzahl von Fürsten und Gesandten von beiden Bänken geachtet. Während der Ausschussverhandlungen verlangten die persönlich anwesenden Fürsten von den beteiligten Gesandten respektvolle Zurückhaltung, wie der bereits angeführte Streit zwischen Georg von Sachsen und Dr. Eck zeigt.3⁵ 31 Zu Sessionskonflikten: Kapitel 3.7 ab S. 259. 32 Ein Beispiel hierfür bietet das Verhalten Dr. Ecks. Hierzu: Kapitel 3.7.1, S. 263. 33 RTA JR 2, Nr. 9 (S. 157–168), S. 161. Hierzu auch: Oestreich, Parlamentarische Arbeitsweise, S. 234–235; Wohlfeil, Der Wormser Reichstag von 1521, S. 80–81. 34 RTA JR 5/6, Nr. 214 (S. 861–865), S. 863. Hierzu auch: S. 195. 35 Kapitel 3.7.1, S. 265.

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In den 1540er Jahren wurde es zunehmend unüblicher, dass Fürsten in den Verhandlungen zugegen waren. Dies führte, solange noch Fürsten anwesend waren, zu weiteren Konflikten. Mehrfach kam es vor, dass im Kurfürstenrat nur Räte anwesend waren, im Fürstenrat jedoch auch Fürsten in Person. Sollten die beiden Kurien ihre Bedenken austauschen, stand zur Debatte, ob es in diesem Fall noch angemessen sei, dass sich der Fürstenrat zum Kurfürstenrat begebe. Die persönlich anwesenden Fürsten sahen diese Geste der Unterordnung nur gegenüber persönlich anwesenden Kurfürsten als gerechtfertigt an.3⁶ Gelöst wurden solche Konflikte nicht. Stattdessen trugen sie zu einer Trennung der Verhandlungen von den Standespersonen bei. Waren, um bei dem angeführten Beispiel zu bleiben, keine Kurfürsten im Rat, blieb den anwesenden Fürsten langfristig keine Wahl, als der Relationssitzung ebenfalls fernzubleiben. Bezeichnend ist hierbei, dass diese Lösung von den kurfürstlichen Räten vorgeschlagen wurde: Sie erkannten den Anspruch der Fürsten auf respektvolle Behandlung generell an, konnten aber keine Lösung finden, die gleichzeitig auch ihrem kurfürstlichen Vertretungsanspruch gerecht wurde.3⁷ Eine dritte Kategorie von Verfahrenskonflikten bilden all jene, die weder um die Rechte eines bestimmten Standes noch um die korrekte Interaktion zwischen Standespersonen und Räten geführt wurden. Solche Konflikte gab es sowohl innerhalb einzelner Versammlungen – etwa, wenn die Anwesenden das Vorgehen des Direktoriums infrage stellten – als auch zwischen Kurien. Letzteres ereignete sich häufig im Zusammenhang mit dem Austausch der einzelnen Bedenken.3⁸ Streitigkeiten dieser Gruppe sind anders einzuordnen als die der ersten beiden Kategorien. Durch die Ausbildung eines präzisen Verfahrens für die Kommunikation zwischen den Kurien konnte Distanz geschaffen und gesichert werden. Auf diese Art versuchten sich die Kurfürsten vor einer starken Beeinflussung über den Fürstenrat zu schützen. Die oberen Kurien achteten dagegen gemeinsam auf ein distanziertes Verhältnis zu den Städten. Innerhalb der Kurien und auch in Partikularräten kam es zu Streit darüber, wie ein Verhandlungsergebnis erzielt werden sollte. Auch hier betraf der Streit also gewöhnlich die Machtverhältnisse zwischen Gruppen unterschiedlichen Interesses.3⁹ Besonders die Verfahrensstreitigkeiten der dritten Kategorie trugen erheblich zur Herausbildung jenes Regelsystems bei, das sich schließlich auch im Text des Traktat über den Reichstag niederschlug. Sie präzisierten das Reichstagsverfahren, indem sie die Verfahrensvarianten für sich immer genauer definierende Situatio36 Dagegen stand außer Zweifel, dass die kurfürstlichen Räte gegenüber fürstlichen Gesandten einen Vorrang hatten, ebenso wie dieser Vorrang zwischen Kurfürsten und Fürsten kaum angefochten wurde. Zu der Frage nach dem richtigen Ort für ein Zusammentreffen von persönlich anwesenden Fürsten mit kurfürstlichen Räten: Kapitel 3.1.2, S. 167 und Kapitel 3.5.3, S. 249, 251, 252. 37 RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 651. 38 Zu den Relationssitzungen: Kapitel 3.5.3 ab S. 245. 39 Zur Entwicklung der Umfrage und der anhaltenden Kritik am angewendeten Verfahren: Kapitel 3.4 ab S. 210.

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Verfahrensstreit – ein Beispiel

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nen reduzierten. Ausgangspunkt der Konflikte scheint oft der Umstand gewesen zu sein, dass bisher angewandte Regeln durch unterschiedliche, nicht ausgesprochene Grundsätze gerechtfertigt wurden. Solange diese Grundsätze zur gleichen Regel führten, gab es weder einen Konflikt noch den Bedarf, diese Grundsätze zu diskutieren. Freilich konnte aber gerade die Offenheit in diesem Punkt dazu genutzt werden, den eigenen Standpunkt mit einem Grundsatz zu untermauern, der besonders gut passte. Appelliert wurde hierbei oft, wie noch darzustellen ist, an ein generelles Gerechtigkeitsempfinden, die »billichhait«. Der Ablauf von Verfahrensstreitigkeiten soll hier nun eingehender betrachtet werden. Dabei gilt es, sowohl die angesprochenen Grundsätze, mit denen Verfahrensregeln hergeleitet wurden, als auch die Art und Weise, wie mit diesen argumentiert wurde, zu untersuchen.

4.4 Verfahrensstreit – ein Beispiel Verfahren entwickelte sich durch das Austragen von Streitfällen, die über das korrekte Vorgehen geführt wurden. Es ist deshalb an dieser Stelle sinnvoll, zunächst einen exemplarischen Streit genauer zu betrachten und zu untersuchen, wie dieser ausgetragen wurde. Zweck dieser Betrachtung ist es, zu beobachten, wie die Streitbeteiligten ihre jeweiligen Ansprüche begründeten, wie sie Präzedenzfälle einsetzten und vor allem, wie sie auf die entsprechenden Äußerungen der Gegenseite reagierten. Dies ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil der Verweis auf einen (vermeintlichen) Präzedenzfall keineswegs immer genügte, um den Streit beizulegen. Es soll gezeigt werden, dass Verfahrensstreitigkeiten oft Konflikte um die richtige Interpretation früherer Verfahrensanwendung waren. Dabei mussten die Streitparteien jeweils über die Formulierung von Ausnahmebestimmungen ein Regelgebilde entwerfen, das alle bisher angeführten Verfahrensanwendungen erklären konnte und dennoch die eigene Position in der aktuellen Situation stützte. Ein geeignetes Beispiel für einen Verfahrensstreit, der diese Mechanismen vereint, bietet der bereits genannte Streit zwischen Kurfürstenrat und Fürstenrat über die richtige Form der Kurienrelation am 22. und 24. April 1555. Er begann, als der Mainzer Kanzler die Art und Weise kritisierte, in der der Fürstenrat sein Bedenken zum Religionsfrieden vorgebracht hatte. Gegenstand des Streits war somit die korrekte Durchführung einer Relationssitzung zwischen den oberen Kurien, dabei wies der Kanzler die Stände des Fürstenrats gleich auf mehrere Verfahrensverstöße hin. Diese waren zunächst der Umstand, dass der Fürstenrat sein Bedenken schriftlich übergeben wollte. Ferner war das Bedenken des Fürstenrats nicht als Ratschlag, sondern bereits als fertiger Text formuliert. Dies implizierte einerseits, dass der Kurfürstenrat dem eingebrachten Entwurf nur noch beipflichten sollte, was den Anspruch des Kurfürstenrats verletzte, die Reichstagsbeschlüsse maßgeblich zu verantworten, andererseits verletzte eine solche Formulierung das Recht der Mainzer Kanzlei, den Text des Reichstagsabschieds auszuformulieren. Der Fürstenrat sollte, so die Mainzer Position, seine Bedenken auch als solche formulieren und den Kurfürstenrat nicht schon mit einem fertigen Friedenstext

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konfrontieren. Auch enthielt der Entwurf des Fürstenrats einen Zusatz, der im Fürstenrat keine Mehrheit bekommen hatte, auf den die evangelischen Stände im Fürstenrat jedoch nicht verzichten wollten. Auf die Kritik des Mainzer Kanzlers hin zog sich der Fürstenrat zur Beratung zurück und antwortete seinerseits mit einer ausführlichen Stellungnahme zu den Vorwürfen, woraufhin sich auch der Mainzer Kanzler wieder äußerte. Ablauf und Argumentation in diesem Konflikt sind gut dokumentiert.⁴⁰ Bisweilen sind die wiedergegebenen Formulierungen in den österreichischen und den kurmainzischen Aufzeichnungen sogar wortgleich. Wie kam es überhaupt zu dem Streit? Offensichtlich bestanden in beiden Kurien zunächst unterschiedliche Auffassungen darüber, welchen Spielraum es für eine zulässige Relationssitzung gab. Den Ständen des Fürstenrats war zwar bewusst, dass das Einreichen eines fertigen Texts vom ansonsten üblichen Verfahren abwich, sie hielten dieses Vorgehen aber nicht für einen Bruch der Verfahrensregeln, sondern für eine in bestimmten Fällen zulässige Verfahrensvariante. Da der Religionsfrieden einerseits sehr umfangreich im Text, andererseits sehr umstritten im Wortlaut war, sahen sie es für gerechtfertigt an, die Entwürfe schriftlich und bereits als Friedenstext formuliert auszutauschen. Wie bereits gezeigt, war der Austausch schriftlicher Bedenken tatsächlich auf vielen Reichstagen so erfolgt, vor allem, wenn es sich um längere Texte handelte. Es war den Ständen des Fürstenrats jedoch anscheinend auch klar, dass diese besondere Situation einer Erklärung bedurfte. Sie rechneten also mit der Möglichkeit eines Konflikts und versuchten, diesen bereits im Vorhinein zu entschärfen. Der Redner des Fürstenrats ging deshalb beim Vortragen des Bedenkens auf die besonderen Umstände ein, die aus Sicht seiner Kurie einen schriftlichen Austausch erforderlich machten, und bat formell darum, der Kurfürstenrat möge sein Bedenken ebenfalls schriftlich zur Verfügung stellen. Auch auf die Form des Schreibens ging der Sprecher des Fürstenrats ein. Er erklärte, die Formulierung sei nur »mehrer und besserer richtigkait wegen«⁴1 so gewählt worden und sei, so die Bitte des Fürstenrats, nicht als Einschnitt in die Rechte des Kurfürstenrats und insbesondere der Mainzer Kanzlei zu verstehen. Die Stände des Fürstenrats erkannten also die mainzischen Rechte ausdrücklich an und verwiesen auf die speziellen Umstände, die in diesem Fall den Austausch schriftlicher Bedenken und die Art der Formulierung rechtfertigten. Nach kurzer Beratung antwortete der Mainzer Kanzler im Namen der kurfürstlichen Räte – so das österreichische Protokoll – »mit heftiger und etwas spitzigen ausfuerung«, die drei »weitleuftig«⁴2 ausgebreitete Beschwerdepunkte beinhaltete. Die österreichische Dokumentierung impliziert hier ein unangemessenes Verhalten, indem sie dem Mainzer Kanzler indirekt vorwirft, sich über eine Sache unverhältnismäßig zu empören. Das ist keine unwichtige Bemerkung, denn der 40 RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 811–815, 825–826; Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1376–1381; HStA München, Hochstift Passau, Lit. 2251, fol. 34v–37v. 41 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1377. 42 Ebd.

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Verfahrensstreit – ein Beispiel

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Vorwurf, die Verhandlungen unnötig mit eitlem Streit aufzuhalten, taucht in den Reichstagsakten immer wieder auf. Es muss also festgehalten werden, dass Räte, die Reichstagsverhandlungen mit ihren Verfahrensbeschwerden aufhielten, auch abwägen mussten, ob sie damit nicht zu viel Unmut erregten. Betrachtet man vor allem Rechtfertigungen von Räten für ihr Einlenken in solchen Streitigkeiten, finden sich oft Hinweise auf solche Befürchtungen.⁴3 Die drei vom Kanzler genannten Beschwerden richteten sich gegen die Schriftform des Bedenkens, gegen den im Friedensentwurf verwendeten Formulierungsstil und dagegen, dass dem Entwurf ein Artikel beigefügt wurde, der im Fürstenrat nicht von der Mehrheit unterstützt wurde. Aufgebaut waren die Beschwerden jeweils so, dass eine Regel formuliert und deren Missachtung dann beklagt wurde: So meinte der Kanzler hinsichtlich des ersten Punkts, »wusten sich wol zu erinnern, das altem prauch nach die bedencken muntlichen pflegen referiert«⁴⁴. Damit erinnerte er die Stände an die schon 1547 geführten Auseinandersetzungen um die Mündlichkeit der Bedenkenrelation.⁴⁵ Zwei Merkmale dieser Argumentation sind hier hervorzuheben: die Erinnerung und der alte Brauch. Bei nahezu allen Auseinandersetzungen über Verfahren wird an die Erinnerung der Beteiligten appelliert oder aus der eigenen Erinnerung erzählt. Dies mag als bloße Floskel wirken, ist aber dennoch für die Verfahrensbildung von erheblicher Bedeutung. Verfahrensfragen wurde zwar auch mittels schriftlicher Aufzeichnungen nachgegangen, die persönliche Erinnerung der Beteiligten spielte jedoch stets eine bedeutende Rolle. Mit dem alten Brauch wurde ein gewohnheitsrechtlicher Anspruch erhoben. Das eingeforderte Verfahren sei das breuchige, das richtige, die Vorgehensweise der Gegner dagegen »altem herkhomen und brauch im Hl. Reich zuwider«⁴⁶. Dieses Argument geht gedanklich davon aus, dass es für eine Situation jeweils nur eine richtige Verfahrensweise gibt. Weist man ein Herkommen oder einen Brauch nach, so ergibt sich daraus der Anspruch, dass auch zukünftig so zu verfahren ist. Der Mainzer Kanzler formulierte deshalb nun aus dem Herkommen eine verbindliche Regel: Die Bedenken sollten mündlich ausgetauscht werden, denn es sei dem Herkommen zuwider, »beder räth bedencken ainander schriftlich zu uberraichen, da doch nach altem brauch zwischen den beden räthen ye zu zeitten die handlungen und communicationen der bedencken gar nit schriften, sonder allain mundtlich gehandelt worden«⁴⁷. Der Mainzer legte also besonderen Wert auf die Kontinuität des angeführten Brauchs: Der Austausch sei »gar nit« schriftlich, sondern »allain«, also ausschließlich, mündlich erfolgt. 43 Beispiele hierfür: »domit wir nit so streitig furkomen«: RTA JR 13, Nr. 60 (S. 414–430), S. 430; »nit daruber ungestimblich zanckhen«: RTA JR 16, Nr. 254 (S. 1449–1454), S. 1450; Vermeidung von »hessigkait«: RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1379. Generell zeigte sich diese Haltung auch bereits bei der Beschreibung der Sessionskonflikte in Kapitel 3.7 ab S. 259. 44 RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 813. 45 Hierzu: Kapitel 3.5.3 ab S. 252. 46 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1377. 47 Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1377.

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Dies verdeutlicht einen weiteren Grundsatz des Gewohnheitsrechts: Wurde das angeführte Herkommen nicht durchgängig angewandt, war es angreifbar. Aus diesem Grund achteten die beteiligten Räte stets darauf, ihre Position möglichst nie ohne deutliche Artikulation ihres Widerspruchs aufzugeben. Diesen Schritt kündigte der Kanzler nun auch an: Im Widerspruch zu seinem Verweis auf die ungebrochene Kontinuität der Mündlichkeit räumte er zunächst ein, bisweilen seien die Bedenken im Anschluss auch schriftlich ausgetauscht worden. Dies sei dann aber aus »hochwichtigkait«⁴⁸ der Sache geschehen und sei nicht der Brauch, sondern allein »in diesem Faal für ain notturft«⁴⁹ zu genehmigen. Da das Schriftstück aber wie ein Abschied formuliert sei, könne der Kurfürstenrat es nicht annehmen. Vielmehr werde es die mainzische »notturft erfordern, dargegen zu protestieren«⁵⁰. Der Kanzler nannte damit zwei weitere wichtige Konzepte, die in der Verfahrensbildung Bedeutung hatten: »notturft« und die Protestation. »Notturft« und auch die »hochwichtigkait« konnten das unmittelbar angewandte Verfahren beeinflussen, ohne sich auf Herkommen und Brauch auszuwirken. Dies bedeutete, dass das Herkommen unter Berücksichtigung besonderer Umstände anzuwenden war. Zwangen die äußeren Umstände die Stände zu einem abgeänderten Verfahren, galt dieses nicht als Präjudiz. Diese Argumentation funktionierte in zwei Richtungen: Verfahrensbeispiele, die die Gegenpartei als Brauch anführte, ließen sich entkräften, indem man darauf verwies, sie seien nur unter speziellem Druck entstanden. Andererseits konnte eine Partei, deren Anliegen als dem Herkommen zuwider entlarvt wurde, darauf verweisen, dass die momentanen Umstände das Anliegen unumgänglich machten. Ferner kündigte der Mainzer Kanzler an, zu »protestieren«. Eine protestatio war eine auch für zukünftige Auseinandersetzungen relevante Bezeugung der eigenen Rechtsposition. Protestierte eine unterlegene Streitpartei gegen das angewandte Verfahren, konnte es zukünftig nicht einwandfrei als Präzedenzfall angeführt werden.⁵1 Die Furcht vor dem Präjudiz wurde auch deutlich artikuliert: Da das Bedenken des Fürstenrats dem ganzen Kurfürstenrat und insbesondere der Mainzer Kanzlei »zu nachtail und schmelerung herbrachter preeminentz und ambts preiudicierlich geraichte«⁵2, sei der Mainzer Kanzler gezwungen, dagegen vorzugehen. Die Duldung eines Verfahrens oder einer zeremoniellen Unterordnung bedeutete, solches zu akzeptieren. Später konnte die Gegenseite dann darauf verweisen, ihre Position sei bisher »one widerspruch«⁵3 angewandt worden. Ein weiterer Mechanismus des Verfahrensstreits, der hier angekündigt wurde, darf nicht vergessen werden: Der Mainzer Kanzler drohte auch damit, der Kurfürstenrat werde das Schriftstück des Fürstenrats nicht annehmen. Dies darf nicht als 48 49 50 51 52 53

RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 813. Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1378. Ebd., Nr. 144 (S. 645–1272), S. 814. Ausführlich zu diesem Rechtsbrauch: Becker, Protestatio, Protest; Schlaich, Maioritas. RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1378. So formuliert im Sessionsstreit zwischen Baden und Pommern: HStA München, Kurbayern Äußeres Archiv, 3146, fol. 627v.

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übertriebene Geste eines Gekränkten gedeutet werden. Die Beteiligung aller Streitparteien am Verfahren war äußerst bedeutsam. Hätten die kurfürstlichen Räte das Papier angenommen, hätten sie es damit auch anerkannt. Die Androhung, an dem beanstandeten Verfahren nicht mitzuwirken, hatte daher gewichtige juristische Gründe. Der Mainzer Kanzler kündigte deshalb nicht nur an, das Schreiben des Fürstenrats nicht anzunehmen. Auch wollte er bis zur Richtigstellung der Form das Bedenken seiner Kurie zurückhalten. Die Argumentation beim dritten Beschwerdepunkt – die Aufnahme einer Minderheitsmeinung in die Relation – verlief nach einem vergleichbaren Muster. Der Fürstenrat zog sich daraufhin zurück. In der anschließenden kurieninternen Beratung wurde zwar beschlossen, das Friedensgutachten im Sinne der Mainzer Kanzlei umzuformulieren, das Verhalten des Mainzer Kanzlers wurde jedoch auch verurteilt. Nahezu einstimmig ergab eine Umfrage im Fürstenrat, die kurfürstlichen Räte hätten zu »iren beschwerungen nit ursach«⁵⁴. Die Mainzer Haltung wurde also nicht als gerechtfertigt angesehen. Der Kanzler habe darüber hinaus »sonderlich der gebrauchten scherpf khain fueg«⁵⁵ gehabt. Hier wurde also der eingangs angedeutete Vorwurf unangemessenen Verhaltens erhoben. Der Stil des mainzischen Vortrags wurde als zu angreifend empfunden und daher verurteilt. Ein (schon bestehender) Fürstenratsausschuss beriet nun, wie der Fürstenrat reagieren sollte. Er sprach sich zwar für eine Zurechtweisung des Mainzer Kanzlers aus, aber auch dafür, den Streit schnell beizulegen. Die Erwiderung des Fürstenrats solle kurz gehalten werden, damit zwischen den beiden Kurien »alle hessigkait und weittleuftugkait unfruchtbarer disputationen vermitten«⁵⁶ werde. Für ihre Reaktion berücksichtigten die fürstlichen Räte also zwei übliche Argumente: Sie wollten nicht unangemessen streiten und sie wollten angesichts der Wichtigkeit der Sache keine Verzögerung. Der Ausschuss erarbeitete daher eine in seinen Augen angemessene Erwiderung,⁵⁷ die sich der Argumente des Mainzer Kanzlers annahm und bei nächster Gelegenheit verlesen wurde.⁵⁸ Diese Erwiderung war ähnlich strukturiert wie die bereits vorgestellte Klage des Mainzer Kanzlers. Der Fürstenrat nahm zu den drei dort formulierten Beschwerdepunkten einzeln Stellung. Wieder wurde auf Brauch, Herkommen und Erinnerung verwiesen: So sei der schriftliche Austausch von Bedenken »weder unpreuchig noch ungewönlich oder für ain neuerung anzuziehen«⁵⁹. Hier taucht ein weiterer Begriff auf, der in Verfahrensstreitigkeiten oft verwendet wurde: die »neuerung«. Eine neuerung war die Einführung eines neuen Verfahrens. Als solche konnte sie im Gewohnheitsrecht nur falsch sein, denn die neuerung stand im Widerspruch zum Brauch, zum rechtmäßigen Herkommen. Wollte eine Partei

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RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1379. Ebd. Ebd. Ebd., S. 1379–1381. Ebd., Nr. 144 (S. 645–1272), S. 825–826. Ebd., Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1380.

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ihre Verfahrensinterpretation durchsetzen, so musste sie vermeiden, dass diese als etwas Neues angesehen wurde. Die Stände des Fürstenrats erinnerten sich – und damit wurde wieder auf die Beweiskraft der Erinnerung zurückgegriffen – eines anderen Verfahrens. Auch die vom Mainzer Kanzler betonte Kontinuität wurde dabei aufgegriffen: Im »Hl. Reich und auf allen reichstegen bey menschen gedencken«⁶⁰ seien schriftliche Bedenken stets üblich gewesen. Es wurde damit die maximal mögliche Kontinuität beansprucht, nämlich, dass keine menschliche Erinnerung in Zeiten zurückreiche, in denen das Verfahren anders gewesen sei. Es habe auf allen bisherigen Reichstagen gegolten, also keine Ausnahmen gekannt. Das Reich und die Reichstage werden hier parallel aufgeführt. Auf das Reich verwiesen die Räte, wie noch zu zeigen sein wird, bei Verfahrensstreitigkeiten oft. Sie nahmen dadurch für ihre Position eine noch bedeutsamere Rechtsgrundlage in Anspruch als allein die angeführten Präjudizien. Es folgte die Ausformulierung und Herleitung der Regel, wie sie der Fürstenrat für richtig hielt: »[…] daß in ansehlichen und wichtigen sachen und sonderlichen in denen, die in form ainer constitution zu ziehen und constitutionsweiß und ire stattliche außfuerung haben sollen, zu yeder zeit schriftlich begriffen, entweders durch ainen gemainen ausschuß oder sondere deputierte personen oder aber durch bede räth underschidlich gestellt und den beden räthen hinc inde behendigt. Darüber auch mit ferneren underschidlichen berathschlagungen fürgegangen worden were, biß mit zu entlicher vergleichung derselben bedencken allerseits. Wie dann solches der landfriden, camergerichtsordnung, policey-, müntzordnung, deß Hl. Reichs halßgericht, darzu etliche vil außgegangene ksl. mandata und anders noch heuttigen tags bezeugten.«⁶1 Diese Argumentation beginnt mit der Formulierung einer Ausnahme: Statt generell die Meinung des Mainzer Kanzlers anzuzweifeln, dass die Relation der Kurien im Normalfall mündlich erfolgte, erklärten die Räte des Fürstenrats den aktuellen Fall für eine spezielle Situation, in der spezielle Regeln gelten. Voraussetzung für die Ausnahme sei, dass es sich um besonders wichtige Angelegenheiten handle. Dies betreffe in erster Linie solche Beratungen, die über eine »constitution«, eine Anordnung oder Verordnung, geführt würden. Das ausschlaggebende Kriterium war nach dieser Argumentation offensichtlich, dass der Reichstag einen juristischen Text mit dauerhaft bindender Gültigkeit für alle Reichsstände verabschieden sollte. Die Argumentation des Fürstenrats unterschied also zwischen verschiedenen Typen von Verhandlungsgegenständen: Im aktuellen Fall ging es um eine »constitution«. Der Religionsfrieden sollte zukünftig alle Reichsstände binden und fiel damit der Argumentation des Fürstenrats zufolge in die Kategorie der Themen, die schriftlich verhandelt wurden. Als Beispiele für die andere Kategorie von Verhandlungsgegenständen könnte man sich Verhandlungen über die Aufstellung eines Reichsheers gegen die Türken und dazu bewilligte (einmalige) Steuern, über die Antwort auf ein an die Stände gerichtetes Schreiben oder über 60 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1380. 61 Ebd.

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die Bildung einer Reichsgesandtschaft vorstellen. In diesen Fällen gelte das vom Mainzer Kanzler eingeforderte Verfahren des rein mündlichen Austauschs. Aus moderner Sicht ließe sich diese Unterscheidung mit der Unterteilung in exekutive und legislative Ausformungen der Staatsgewalt vergleichen: Verfassten die versammelten Stände einen Text, der hinsichtlich seiner Aufgabe mit modernen Gesetzen vergleichbar war, sollten andere Regeln gelten als bei Verhandlungen zu konkreten Handlungen, die die Reichsstände vornehmen sollten. Bei der Formulierung der Ausnahme griff der Fürstenrat mit dem Ausschusswesen einen alten Streitpunkt zwischen den Kurien auf. Tatsächlich war es häufig vorgekommen, dass kurienübergreifende Ausschüsse mit dem Ausformulieren von Entwürfen betraut wurden. Besonders galt dies für die vom Fürstenrat angeführten Reichsordnungen. Die Erklärung des Fürstenrats suggerierte: Da der Kurfürstenrat – an sich eine Neuerung – sich inzwischen gemeinsamen Ausschüssen verweigerte, komme es überhaupt zu den aktuellen Irritationen. Die Ausführungen des Fürstenrats integrieren dabei aber alle Beratungsformen des Reichstags in die gleiche Regel: gemeinsame Ausschüsse beider Kurien, speziell für die Ausarbeitung eines Entwurfs verordnete Ausschüsse und den Austausch beider Kurien über die Relation. Für alle diese Beratungsformen wurden die gleichen Präzedenzfälle genannt, die die vom Fürstenrat aufgestellte Regel »bezeugten«. Diese Formulierung ist wörtlich zu lesen: Sie dienten als Präjudizien, als herangezogene Beispiele mit Beweiskraft. Die hier vorgestellte Regelformulierung ist ein gutes Beispiel dafür, wie unterschiedliche, bisher nicht ausgesprochene Herleitungsgrundsätze plötzlich aufeinander trafen. Es ist wichtig, sich bewusst zu machen, dass derartige Regeln erst in solchen Konflikten entstanden. Zuvor orientierten sich die Reichstagsteilnehmer an den bisher bereits praktizierten Verfahrensvarianten. Tatsächlich gibt es sowohl für den rein mündlichen als auch für den schriftlichen Austausch frühere Beispiele. Hier trafen aber nicht zwei jeweils fehlerhafte Erinnerungen aufeinander. Vielmehr wurden in das bisherige Verfahren unterschiedliche Grundsätze hineininterpretiert. Aus der Sicht der Mainzer Kanzlei handelte es sich bei allen früheren Fällen schriftlichen Austauschs um Übertretungen des eigentlichen Herkommens, die aus Notsituationen heraus begangen worden waren und deshalb keine normative Bindung entfalten konnten. Für die Gutachter des Fürstenrats dagegen lagen den unterschiedlichen Verfahrensweisen abweichende Umstände zu Grunde: mündlicher Austausch bei auf lange Sicht unbedeutenderen Themen, schriftlicher bei bedeutsamen, vor allem jenen, die die Formulierung eines gesetzesartigen Texts betrafen. Erst im Konflikt waren die Beteiligten gezwungen, ihre Standpunkte in Regeln zu fassen und mit einer Herleitung zu versehen, die sich als Interpretationsanleitung für das bisher angewandte Verfahren auffassen ließ. Nachdem die Ausnahmeregel formuliert und Beispiele von früheren Reichstagen angefügt waren, folgte nun die Begründung, weshalb die Regel für die aktuelle Situation gelten müsse. Die Stände des Fürstenrats verwiesen darauf, dass der hier traktierte Religionsfrieden die zuvor genannten Beispielfälle »in seiner hochwichtigkait nit allain zu vergleichen, sonder auch zum thail ubertreffen thet und

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dermassen geschaffen wer, daß ausser schriftlichen communication der beden räth bedencken zu entlicher vergleichung nit wol zu khomen sein wurde«⁶2. Wieder tauchen hier die Argumente »hochwichtigkait« und »notturft« auf. Mit hochwichtigkait bezogen sich die Stände hier auf die von ihnen genannten Voraussetzungen für die formulierte Ausnahme. Mit Verweis auf den Zwang durch die äußeren Umstände (notturft) wurde in diesem Fall aber nicht – wie sonst bei der Verwendung dieses Arguments – impliziert, man müsse vom eigentlich richtigen Verfahren abweichen. Vielmehr sollte dem Kurfürstenrat hier vor Augen geführt werden, dass dessen Verfahrensvorstellung nicht richtig sein könne, da sie unmöglich zu einem Ergebnis führen würde. Hinsichtlich der gewählten Textform verzichteten die Stände auf die Ausarbeitung einer eigenen Ausnahmeregel, sondern zweifelten einfach an, dass der Mainzer Kanzler recht habe: Es seien viele Fälle bekannt, in denen vergleichbare Verordnungen und Friedenstexte bereits während der Verhandlungen im Wortlaut ausgearbeitet worden seien, sei es durch einen überkurialen Ausschuss, durch eigens hierfür deputierte Räte oder auch durch die einzelnen Kurien.⁶3 Die Stände erinnerten also auch hier wieder an den Brauch der Ausschussbildung. Auch auf das in ihren Augen unangemessene Verhalten des Mainzer Kanzlers ging der Ausschuss des Fürstenrats ein: Weil es offensichtlich sei, dass der Fürstenrat nur zur Verbesserung der Kurienarbeit so gehandelt habe und er eine Verletzung der Mainzer Vorrechte sogar ausdrücklich vermeiden wollte, wäre er besser »mit solchem hessigen anzug verschont«⁶⁴ worden. Tatsächlich bemühten sich die Stände nun aber um einen Ausgleich: Sie erklärten sich bereit, sich zu entschuldigen und den Text in dritter Person verfasst zu überreichen. Dies täten sie, so betonten sie ausdrücklich, ohne von ihrem Rechtsstandpunkt abzuweichen. Sie gedächten mit dem Kurfürstenrat nur »dißmals weitter nicht zu irren«⁶⁵, um die Einmütigkeit der beiden Räte in dieser wichtigen Sache nicht zu stören. Ihren Vorbehalt machten die Räte des Fürstenrats deutlich mit dem Zusatz: »doch allem gebrauch und herkhomen im Hl. Reich unvergriffen«⁶⁶. Mit vorgreifen oder vergreifen bezog man sich allgemein auf die Gefahr des Präjudiz. In vielen Fällen verwies die einlenkende Seite in einem Verfahrensstreit darauf, dies ihrer jeweiligen Rechte unvorgreiflich zu tun und behielt sich somit die Möglichkeit vor, den Streit bei nächster Gelegenheit wieder aufflammen zu lassen. Den dritten Beschwerdepunkt erklärten die Stände des Fürstenrats zu einem Missverständnis. Sie verwiesen darauf, ihr Friedensentwurf sei durch die Mehrheit beschlossen worden, der zugesetzte Artikel eindeutig nicht. Allein eine Minderheit habe darauf beharrt, ihn beizufügen. Da dieser Punkt viel mit dem Mehrheitsver62 63 64 65 66

RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1380. Ebd., S. 1380–1381. Ebd., S. 1381. Ebd. Ebd.

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fahren des Reichstags zu tun hat, soll er an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Wichtig ist jedoch das hier genutzte Argument: das Beharren auf einem Standpunkt. Tatsächlich kam es immer wieder vor, dass in Verfahrensstreitigkeiten ein Einlenken mit dem unnachgiebigen Beharren der Gegenseite gerechtfertigt wurde. Dieses Argument bezieht sich wieder auf die bereits dargestellten Mechanismen des noch nicht verdrängten Konsensprinzips, bei der ein Einlenken in einem Streit politisches Ansehen erhöhte, ein striktes Beharren dagegen zwar den gegenteiligen Effekt hatte, aber zur Durchsetzung des eigenen Standpunkts gegen eine Mehrheitsmeinung dienen konnte.⁶⁷ Wie reagierte nun der Mainzer Kanzler? Da er sich in seinem Hauptanliegen – der Formulierung als Ratschlag – durchgesetzt hatte, beließ er es bei einer knappen Antwort. Die Behauptung der Stände, die vorzeitige Formulierung als constitution sei übliches Verfahren, wies er im Namen der kurfürstlichen Räte aber zurück: »Wusten sich auch nit zu erinnern, das jemals im furstenrath ichtwes abschiedtsweiß gestelt worden«⁶⁸. Auch dieser Einwand erweist sich bei genauerer Betrachtung als Ausnahmeregel: Der Mainzer ging hier nicht auf Fälle ein, in denen Ausschüsse oder Deputationen Texte ausformulierten, sondern bezog sich nur auf den Fürstenrat. Genau diese Differenzierung hatte der Fürstenrat zu vermeiden versucht und die Kurienarbeit stets in einem Atemzug mit den Ausschüssen genannt. Der Mainzer Kanzler implizierte also: Auch wenn es Ausschüsse gegeben hat, die schon fertige Abschiedstexte ausgearbeitet haben, kann dies nicht als Gepflogenheit für den Fürstenrat gelten. Zum vom Fürstenrat angeführten Beispiel der Kammergerichtsordnung von 1548 meinte er, diese sei zwar von zwei Deputierten der beiden Kurien gemeinsam ausgearbeitet worden, jedoch allein auf Befehl (der Kurien). Sie sei deshalb mit dem Austausch der Kurienbedenken zu vergleichen.⁶⁹ Wieder trafen hier zwei unterschiedliche Herleitungen für das Verfahren aufeinander. Während keine der beiden Seiten anzweifelte, dass 1548 die Reichskammergerichtsordnung schon während der Verhandlungen in eine abschließende Textform gebracht wurde, interpretierten die Streitparteien diesen Vorgang unterschiedlich. Aus Sicht des Fürstenrats bewies er die generelle Gültigkeit von solchen abschließenden Formulierungen schon während der Verhandlungen in Fällen, bei denen es Bedeutsamkeit und praktische Erwägungen nahelegten. Die Mainzer Kanzlei dagegen sah schon die schriftliche Abfassung der Bedenken als einen durch äußere Umstände aufgezwungen Verfahrensbruch an. Die Formulierung als Urkundentext, so die Kanzlei, obliege aber in allen Fällen der Kanzlei und könne nur im Einzelfall delegiert werden. Präjudizien im Sinne nachweisbar angewendeter Verfahren waren also nicht allein ausschlaggebend für die Verfahrensbildung. Allein der Beweis, dass etwas schon früher in einer bestimmten Weise getan wurde, garantierte noch kein klares Herkommen. Vielmehr zeigt dieser beispielhafte Konflikt um die Ausformulierung 67 Hierzu Kapitel 3.4.4, ab S. 223. 68 RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 826. 69 Ebd., Nr. 144 (S. 645–1272), S. 826.

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eines Bedenkens, dass sich Verfahren im Ringen um die richtige Interpretation des Herkommens bildete. Da auf den Reichstagen wie stets im Gewohnheitsrecht der Grundsatz galt, dass idealerweise so zu verfahren sei, wie es schon immer getan wurde, lag die größte Schwierigkeit darin, die Situationen zu kategorisieren. Nie trafen auf Reichstagen die gleichen Personen mit den gleichen Aufgaben aufeinander. Zu jedem Reichstag mussten den aktuellen Situationen vergleichbare aus der Vergangenheit zugeordnet werden. Solange die Regeln für das Verfahren dabei nicht artikuliert wurden, blieb es daher eine Frage der Interpretation, die notwendigen Kategorien zu bilden: Galt das Verfahren zur Kurienkommunikation unabhängig vom Gegenstand der Kommunikation? Verfuhr man bei Friedensschlüssen anders als bei Reichsgesandtschaften? Hatte man einst eine Person bevorzugt behandelt, weil sie ein persönlich anwesender Fürst war oder weil ihr Fürstentum generell diese bevorzugte Behandlung verdiente? All diese Fragen wurden erst beantwortet, wenn darum gestritten wurde. Die Regeln, die ein Verfahren bestimmten, verließen dann den Bereich des Intuitiven. Erst nach dem Streit waren sie allgemein bekannt. Verfahrensstreit reduzierte somit immer die Anzahl der Interpretationsmöglichkeiten für das Herkommen und erzeugte ein Bewusstsein für die Problematik. Es ist daher anzunehmen, dass Texte wie der Traktat über den Reichstag gerade in Bezug auf zuvor strittiges Verfahren mit erhöhter Sensibilität geschrieben wurden.

4.5 Systematik des Verfahrenskonflikts Es bleibt, die aus dem dargestellten Konflikt gezogenen Erkenntnisse zu systematisieren und zu einer vom Einzelfall unabhängigeren Betrachtung des Verfahrenskonflikts zu schreiten. Generell lässt sich fragen: Welche als legitim wahrgenommene Rechtfertigungsgrundlagen gab es für Verfahren? Wie gingen die Streitparteien im Streit vor? Wie bauten sie ihre Argumentationen auf und mit welchen Konsequenzen drohten sie?

4.5.1 Rechtfertigung bei Verfahrensfragen Worauf beriefen sich die Parteien im Verfahrensstreit? Hierbei geht es darum, die wesentlichen Konzepte zu erfassen, die die Teilnehmer der Reichstage für geeignet hielten, um sie für die Herleitung des Verfahrens zu nutzen. Die Argumentation auf Basis solcher Grundsätze impliziert, dass die Anwender dieser Argumentation von der Allgemeingültigkeit oder zumindest von der allgemeinen Anerkennung dieser Grundsätze überzeugt waren. Der häufige und regelmäßige Rückgriff auf die gleichen Rechtfertigungsgrundsätze zeigt, dass diese Überzeugung allgemein verbreitet war. Dabei ist zu beobachten, dass die Begründungen für Verfahren sich selten nur auf einen Grundsatz stützen. Vielmehr argumentierten die Parteien im Verfahrensstreit häufig auf mehreren Ebenen. Insgesamt lassen sich die Rechtferti-

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gungen für bestimmte Verfahrensweisen in drei Bereiche kategorisieren: Recht, Notwendigkeit und Soziales. 4.5.1.1 Juristische Rechtfertigung Es liegt nahe, dass bei der Ausdifferenzierung des Reichstagsverfahrens Argumentation auf Basis von Recht die wesentliche Grundlage darstellte. Aus heutiger Sicht mag jedoch erstaunen, wie sehr zumindest die Rechtfertigungstexte der beteiligten Juristen davon ausgingen, es gebe eine mehr oder weniger unveränderliche Ordnung, die den Reichstag gestalte. Mag es auch den beteiligten Reichsräten vielleicht individuell augenfällig gewesen sein, wie stark die Reichsversammlungen Veränderungen unterlagen, wurde die Fiktion eines ewig gültigen Ideals aufrecht gehalten. Tatsächlich verweisen viele Rechtfertigungen auf eine »Reichsordnung« – ein Begriff, der sich auf eine konkrete Urkunde ebenso beziehen kann wie auf ein diffuses, durch Gewohnheitsrecht geprägtes Gesamtkonzept. Dieses nicht leicht zu fassende Konzept einer Reichsordnung soll anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden: Die kaiserliche Proposition für den Reichstag von 1526 beklagte allerlei religiöse Entwicklungen in der deutschen Nation, die unter anderem »auch der ksl. Mt. und Reichs ordnungen, satzungen, mandaten und abschiden«⁷⁰ zuwider seien. In diesem Fall bezieht sich der Begriff der »Reichsordnungen« recht eindeutig auf nicht näher genannte Anordnungen. Auf dem Reichstag von 1550/51 erklärte Gregor von Nallingen, der Vertreter der Wetterauer Grafen, nach der Verlesung des Abschlussgutachtens der Visitatoren des Reichskammergerichts⁷1 und in Bezug auf einen Bericht über die Visitation⁷2, warum seine Auftraggeber nicht für die mangelhafte Beschickung der Visitation durch die Grafen verantwortlich seien. Man könne, so Nallinger, »auß den Reichs ordnungen versehen«⁷3, dass die Grafen zur Visitation aufgefordert werden müssten. Tatsächlich seien aber nur die schwäbischen Grafen angeschrieben worden. Die Wetterau treffe daher keine Schuld. Der Grafengesandte bezog sich hier vermutlich auf die entsprechenden Bestimmungen in der Reichskammergerichtsordnung⁷⁴, in der die Grafen nur allgemein als Gesamtheit genannt werden. Der gewählte Plural »Reichs ordnungen« ist aber entweder auf die Folge bisheriger Reichskammergerichtsordnungen oder auf die Gesamtheit der im Reich bestehenden Ordnungen zu beziehen. Nallinger nennt außer diesem ungenauen Bezug keine Quelle für seine Behauptung, obwohl es sie gegeben hätte. Sein Standpunkt wurde aber auch nicht angezweifelt und seine Entschuldigung für die Wetterauer Grafen ins Protokoll aufgenommen. Der Verweis auf die Reichsordnungen könnte

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RTA JR 5/6, Nr. 71 (S. 300–306), S. 303. RTA JR 19, Nr. 105 (S. 834–838). Ebd., Nr. 104 (S. 830–834). Votenprotokoll des Kurfürstenrats ebd., Nr. 82 (S. 261–724), S. 351. RTA JR 18, Nr. 116 (S. 1231–1438), Teil 1 § 50 (S. 1311–1313), S. 1312.

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hier also auch dahingehend interpretiert werden, dass Nallinger damit einfach auf geltendes Recht verwies. Andere Verweise auf die Reichsordnung oder Reichsordnungen sind noch weniger einem schriftlich verfassten Text zuzuordnen. Vom Reichstag 1529 ist aus Kölner Feder die Zurückweisung Kursachsens durch die Gemeine Versammlung aller Stände überliefert. Es sei Brauch, dass »der minst deil dem merern nach ordnung des h. reichs folgen mußt«⁷⁵. 1529, als die gewachsenen Gegensätze zwischen den Konfessionsparteien zu stark wurden, als dass sie vom noch angewandten Konsensprinzip ausgeglichen werden konnten, sah sich die altgläubige Mehrheit gezwungen, die Abstimmungsmechanismen des Reichstags in eine Regel zu fassen. Die Stände formulierten als Regel, was bisher auf intuitiver Basis funktioniert hatte: Dass eine unterlegene Partei einlenkte und sich der überlegenen Partei anschloss. Tatsächlich war die Festlegung, dass die überlegene Partei an der Anzahl ihrer Parteigänger erkannt wird, zuvor nicht so klar erfolgt.⁷⁶ Die altgläubigen Stände leiteten sie aber aus der bisherigen Anwendung des Konsensprinzips ab. Die Verwendung von »ordnung des h. reichs« neben dem Verweis auf das Brauchtum ist hier eindeutig nicht als Bezug auf eine genau zu benennende Urkunde zu verstehen. Stattdessen geht dieses Argument von einer generellen Ordnung aus, die das Reich gliedert und auch das Verfahren der Reichstage bestimmt. Der Gesandte der Stadt Memmingen gebrauchte den Begriff »Reichsordnung« im Folgejahr, zum Reichstag von 1530, um die korrekte Ordnung des kaiserlichen Einzugs herzuleiten, denn »nach des Reichs ordnung gepier es sich«⁷⁷, dass die Kurfürsten und nicht der päpstliche Gesandte direkt neben dem Kaiser reiten dürften. Auch hier wurde eindeutig auf keine Reichsurkunde oder eine erlassene Ordnung angespielt, sondern mit der »Reichsordnung« einfach darauf verwiesen, was allgemein richtig oder rechtmäßig sei. Diese Beispiele zeigen, dass der ungenaue Begriff der »Reichsordnung« sowohl bestimmtes verschriftlichtes Recht als auch die (ungeschriebene) Reichsverfassung allgemein meinen konnte. In seiner unpräzisen Verwendung impliziert er jedoch in jedem Fall, dass es eine Ordnung gab. Dies steht allerdings im Widerspruch zu den konkreten Situationen, in denen der Begriff herangezogen wurde. Gerade in seiner allgemeinen Bedeutung unterstellt die Verwendung des Begriffs die Existenz einer allgemeingültigen, alle Reichsangelegenheiten ordnenden Verfasstheit, die es nicht gegeben hat. Bezogen auf die genannten Beispiele lässt sich sagen: Die Reichskammergerichtsordnung berücksichtigte die Problematik der Grafenvertretung überhaupt nicht. Die Grafen wurden zwar genannt, ihre Gliederung in verschiedene regional bedingte Gruppen wurde aber nicht angesprochen. Die ganze Beteiligung des Reichsgrafenstands an den Reichsversammlungen war unter

75 Die Kölner Gesandten an Köln, RTA JR 7, S. 776. 76 Zum Konsensprinzip: Kapitel 3.4.4, ab S. 223. 77 Dobel, Hans Ehinger 1530, Nr. II (S. 28–30), S. 28.

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Karl V. eher von zufälligen Entwicklungen geprägt und wechselhaft.⁷⁸ Nallinger interpretierte die Situation aber im Sinne seiner Auftraggeber und deutete an, dass es nicht genüge, die schwäbischen Grafen für die Visitation anzuschreiben. Ähnliches gilt für 1529: Nirgends war das Mehrheitsprinzip für den Reichstag festgeschrieben oder festgelegt. Vielmehr hätte es nicht unbedingt der Tradition der Reichsversammlungen widersprochen, wenn eine Mehrheit sich einer energisch auftretenden Minderheit anschloss. Es gab traditionell bloß den großen Druck auf alle Versammelten, sich im Rahmen der Reichsversammlung auf einen Beschluss zu einigen. Auch die Anordnung der Beteiligten beim Einzug des Kaisers in die Reichsstadt war nicht zweifelsfrei festgelegt. Allgemein waren die Funktion und die zeremonielle Einordnung päpstlicher Legaten und Nuntien auf Reichsversammlungen nicht eindeutig geklärt.⁷⁹ Auf eine »Reichsordnung« wurde also gerne gerade in Momenten verwiesen, die von Unklarheit geprägt waren. Die Verwendung des Begriffs unterstellte die Existenz einer universellen Ordnung, die es nur wieder herzustellen gelte. Die Grundannahme einer solchen Ordnung zieht sich durch sämtliche untersuchte Verfahrensdebatten. Sie geht dabei zurück auf mittelalterliche Ordnungsvorstellungen. Bei einem Verfahrensstreit musste deshalb im Rahmen juristischer Rechtfertigung immer nachgewiesen werden, dass die eigene Position die eigentlich gültige, der Reichsordnung gemäße Verfahrensweise darstellt. Es gab jedoch keine allgemeine Klarheit darüber, wie der Nachweis zu erbringen war, ob etwas dieser universellen Ordnung entsprach. Anschaulich wird dies am sehr aufwendig ausgearbeiteten Rechtfertigungsbüchlein, das die Freien- und Reichsstädte 1544 dem Kaiser übergaben. Die Städte hatten diese Schrift von Juristen ausarbeiten lassen, um ihren Anspruch auf Mitwirkung an den Reichstagsentscheidungen durchzusetzen.⁸⁰ Der Text greift eine breite Palette an Rechtsgrundlagen auf: »Und bringen demnach volgende mainung eur ksl. Mt. in allerunderthenigkait abermals clagend fur und sagendt, das die frey- und reichsstett den naturlichen der völcker, auch beschribnen rechten der gulden bulla, ksl. reformation des Reichs, ordnungen und abschieden, altem herkomen und der billichait nach, im Hl. Reich und desselbigen versamblungen ir gepurend stand, session und stym allwegen haben, auch hinfurther haben sollen.«⁸1 Laut Auffassung der beauftragten Juristen leitete sich die Reichstagsteilnahme der Städte aus verschiedenen Rechtsquellen her: Genannt wird hier zunächst ein natürliches, ungeschriebenes »Völkerrecht« (wohl in Anlehnung an ius gentium und ius naturale). Dem zur Seite gestellt wird geschriebenes Recht in Form kaiser78 Zur Entwicklung der Grafenstimmen: Böhme, Das fränkische Reichsgrafenkollegium; Schmidt, Wetterauer Grafenverein; ders., Wetterauer Kuriatsstimme. 79 Zur Beteiligung päpstlicher Gesandtschaften auf den Reichsversammlungen: Wolff, Päpstliche Legaten; Luttenberger, Kaiser, Kurie und Reichstag; Schweinzer, Ringen um Konzil und Kirchenreform. 80 Schmidt, Städtetag in der Reichsverfassung, S. 84–85; Isenmann, Reichsstadt und Reich an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit, S. 158–163. 81 RTA JR 15, Nr. 103 (S. 976–991), S. 977.

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licher Urkunden.⁸2 Schließlich wird wieder auf das Herkommen zurückgegriffen und die »billichait« angeführt. Die Herleitung aus gleich mehreren Rechtsquellen war üblich. Auf dem Reichstag von 1545 waren die fränkischen Grafen der Auffassung, es sei »auß pillikeit und das eß bißher also und nit anders under graven und herrn beim Reich herkhommen, auch vermog gemeiner recht«⁸3 vorgesehen, dass diejenigen Grafenvertreter die beiden Grafenstimmen wahrnahmen, die zuerst am jeweiligen Reichstag erschienen seien. Die unterschiedlichen Rechtsquellen lassen sich, gültig für alle Verfahrenskonflikte auf den Reichstagen, grob in drei Kategorien einteilen: Zunächst gab es die Vorstellung von einem natürlichen, von Gott ausgehenden Recht. Diese Vorstellung berührte am stärksten den universalen Gedanken der genannten »Reichsordnung«, blieb aber wenig greifbar. Mit »altem herkomen« wurde das Gewohnheitsrecht aufgegriffen, das aber im Zusammenhang mit dem natürlichen Recht stand. Der Grundgedanke des Gewohnheitsrechts war der einer ursprünglich richtigen Anwendung, die weiterzuführen sei. Dennoch wurden natürliches Recht und Herkommen bisweilen auch getrennt angeführt. Schriftliches Recht bildet die zweite Kategorie. Als legitime Quellen wurden dabei kaiserliche Urkunden bis hin zu früheren Reichsabschieden genannt. Die dritte Kategorie ist das allgemeine Gerechtigkeitsempfinden, die »billichait«⁸⁴. Auf das Gerechtigkeitsempfinden wurde besonders dann zurückgegriffen, wenn eine konkrete Situation nicht präzise durch Herkommen oder andere Quellen geregelt war. Billichait wurde dann angeführt, um die eigene Regelherleitung zu legitimieren. Im Sessionsstreit zwischen Henneberg und Plauen argumentierte Henneberg beispielsweise, man müsse die lange Zeit – über 300 Jahre – beachten, die Henneberg schon gefürstet sei. Angesichts dieser Zeitspanne Plauen zu bevorzugen, empfinde er als »nit pillich«⁸⁵, also als ungerecht. 1543 verwiesen die protestantischen Stände auch auf die »natürliche pilligkeit«⁸⁶, als sie versuchten, zusätzlich zur Türkenhilfe auch ihre Forderungen zum Gegenstand des Reichstags zu machen. Da die Verhandlungsthemen des Reichstags eine Sache des Kaisers waren, hatten sie in diesem Fall keine bessere Rechtsgrundlage als ihr Gerechtigkeitsempfinden. Auf billichait bezog man sich also verstärkt, wenn es juristisch sonst keine bessere Handhabe gab. Dies zeigt sich auch bei der Beteiligung des Grafenstands an den Reichstagsverhandlungen. Sie war in weiten Teilen nicht ge82 Zur Herleitung der städtischen Ansprüche über die Goldene Bulle, Kaiser Friedrichs Reformation und den Reichsordnungen von 1495 äußert sich: Gerber, Die Bedeutung des Augsburger Reichstags von 1547/48 für das Ringen der Reichsstädte um Stimme, Stand und Session, S. 175–176. 83 Bericht des Dr. Wolfgang Weidner über den Sessionsstreit auf der Grafenbank, RTA JR 16, Nr. 254 (S. 1449–1454), S. 1451. 84 Der Begriff »billichait« oder »billigkeit« wurde sehr vielseitig verwendet und konnte je nach Kontext neben »Gerechtigkeit« auch einfach »Recht« oder »Gütlichkeit« bedeuten. Vgl. »Billigkeit« in Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 2, Spalten 336–337. 85 Protokoll des Dr. Johann Ulrich Zasius (1555), RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1410. 86 Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), Nr. 150, fol. 135r.

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regelt und stützte sich auf ein verhältnismäßig kurzes Herkommen. Als schließlich klar war, dass jeweils nur zwei Grafen stimmen durften, mussten die Grafen und Herren unter sich ausmachen, wer diese Stimmen führen durfte. Der Gesandte der Wetterauer Grafen vertrat in den entsprechenden Auseinandersetzungen 1542 die Auffassung, »das aller vernuft billich der den merern bevelhe hette«⁸⁷ auch stimmen solle. Weil er für die größte Anzahl von Grafen zum Reichstag abgeordnet war, empfand er es also als angemessen, eine der beiden Stimmen für sich zu beanspruchen. Das Wort »billich« – also gerecht oder gerechtfertigt – wurde hier in einem Zug mit Vernunft angeführt. Die Begriffe gehen dabei ineinander über. Billichait kann auch Ausdruck von Vernunft sein. Billichait wurde aber auch angeführt, um etwas als angemessen zu bezeichnen: 1545 forderte der Fürstenrat, da im Kurfürstenrat ohnehin nur die Räte zweier Kurfürsten zugegen waren, »es sollten billich beyder churfursten rethe heruber geen in der fursten stuben«⁸⁸. Es sei also in diesem Fall angemessen, wenn die wenigen anwesenden kurfürstlichen Räte den persönlich anwesenden Fürsten im Fürstenrat die Ehre erwiesen, in deren Rat zu kommen. Als Ferdinand 1555 die Entschuldigung des Kurfürsten von Mainz für sein Fernbleiben vom Reichstag nicht annehmen wollte, berichteten wohl die königlichen Räte den kaiserlichen Kommissaren, Ferdinand habe sich über den Mainzer »nit unbillich endtsetzt«⁸⁹, er habe sich also zu Recht empört gezeigt. Dagegen hieß es 1542 in Nürnberg hinsichtlich einer verweigerten Abschrift, die Städte »hetten sich daruber mit keiner billicheit zu beschweren«⁹⁰ und 1545 wurde die Meinung geäußert, es wäre besser gewesen, wenn der König von der hitzigen Anschuldigung durch die salzburgischen Räte »billich verschont worden wäre«⁹1. Zu einer an sich klaren Sessionsfrage plötzlich ein großes Aufheben zu machen, wurde als »unbilliche irrung«⁹2 angesehen. Bei all dieser subjektiven Verwendung des Begriffs mag es erstaunen, dass billichait durchaus eine eigenständige Rolle zur rechtlichen Rechtfertigung des Verfahrens einnahm und bisweilen gegenüber schriftlichem und tradiertem Recht den Vorzug bekam. Über das Konzept der billichait lässt sich verstehen, wie eigentlich klar definierte Bestimmungen der Goldenen Bulle über Jahrhunderte hinweg wissentlich nicht eingehalten wurden.⁹3 Es war der Anspruch, in einer gewissen Verhältnismäßigkeit zu handeln, und die Verpflichtung, besondere Umstände als solche zu berücksichtigen. Billich in seiner Bedeutung als »angemessen« verknüpft dabei die juristische Rechtfertigung mit Rechtfertigungen über Notwendigkeit und Soziales. 87 Berichtsprotokoll des Gesandten der Wetterauer Grafen, RTA JR 13, Nr. 60 (S. 414–430), S. 430. 88 Protokoll des Bamberger Gesandten Dr. Andreas Kebitz, RTA JR 16, Nr. 62 (S. 672–740), S. 707. 89 Lutz/Kohler, Hornung-Protokoll, S. 33. 90 RTA JR 13, Nr. 60 (S. 414–430), S. 416. 91 Gegendarstellung Ferdinands zu einer salzburgischen Protestation, RTA JR 16, Nr. 262 (S. 1470–1471), S. 1470. 92 Protokoll des Balthasar von Rechenberg (1532), RTA JR 10, Nr. 32 (S. 361–370), S. 364. 93 Lanzinner, Recht, Konsens, Traditionsbildung, S. 65.

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4.5.1.2 Rechtfertigung über Notwendigkeit Bei dem in Kapitel 4.4 dargestellten exemplarischen Konflikt, der 1555 um die schriftliche Bedenkenrelation geführt wurde, sind die Begriffe »notturft« und »hochwichtigkait« aufgetaucht. Sie berühren eine weitere Grundlage zur Rechtfertigung von Verfahrenskonflikten, die man unter Notwendigkeit zusammenfassen könnte. Als besondere Form der »notturft«, also Notdurft im Sinne von Notwendigkeit, Erfordernis oder Zwang⁹⁴, wäre noch die Zeitnot zu nennen. Die Reichstagsteilnehmer waren stets aufgerufen, sich bei Verfahrensfragen den äußeren Umständen anzupassen. Der genannte Konflikt um den Austausch schriftlicher Bedenken wurde im Grunde auch nicht darüber geführt, ob besondere Situationen Schriftlichkeit erzwingen können, sondern nur darüber, ob es sich in diesem Falle um eine bestimmte Verfahrenssituation handelte oder um einen nicht vermeidbaren Verfahrensbruch. Notwendigkeit wurde oft zur Rechtfertigung herangezogen, um dem Vorwurf zu entgehen, man missachte die Gegenpartei. Als die Städtekurie 1542 in Nürnberg um eine Abschrift des Ratschlags der oberen Kurien bat, wurde dies mit der Begründung abgelehnt, die »hohe notturft« erfordere, »mit der antwort zu ylen«⁹⁵. Die oberen Kurien ließen sich in diesem Fall also nicht auf eine Diskussion darüber ein, ob die Städte berechtigt seien, eine Abschrift zu fordern. Als es 1555 darum ging, ob man ein Ausschussbedenken des Fürstenrats abschreiben sollte, verwiesen die salzburgischen Räte darauf, sie müssten »ir notturft vermelden«⁹⁶, mit ihrem nicht im Rat anwesenden Fürsten das Gutachten zu besprechen. Hierfür sei eine Abschrift anzufertigen. Bei selbigem Reichstag kam es auch zu einer Auseinandersetzung zwischen dem königlichen Rat Zasius und dem Mainzer Kanzler, denn die Kurfürsten »hetten sich entschlossen und sehen es für ein notturft an, den marggrävischen brieff abzuschreiben und an ire herren gelangen zu lassen«⁹⁷. Als Zasius den Kanzler darauf hinwies, dass der Fürstenrat aber beschlossen habe, dass das Schreiben nicht ohne Zustimmung des Königs zu vervielfältigen sei, habe, so Zasius, der Kanzler »darauf wider geantwort, daß were also irer herren notturft, und sy wurden es nicht anders machen.«⁹⁸ Der Mainzer missachtete also ausdrücklich das Votum des Fürstenrats unter Verweis auf eine Notwendigkeit: Die kurfürstlichen Räte konnten das Schreiben nicht mit ihren Herren beratschlagen, ohne eine Abschrift davon zu haben. Nicht nur Abschriften wurden mit Notwendigkeit gerechtfertigt. Notwendigkeit oder ihr Fehlen ist ein häufiger Bestandteil bei der Rechtfertigung eines Verfahrens. Österreich versuchte 1555 mehrfach, bei der Ausgestaltung des Religionsfriedens

94 Zu den verschiedenen Bedeutungen des Rechtsbegriffs: Deutsches Rechtswörterbuch, Bd. 9, Spalten 1559–1565. 95 Protokoll der Mainzer Kanzlei, RTA JR 13, Nr. 55 (S. 298–394), S. 311. 96 Protokoll des Dr. Johann Ulrich Zasius, RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1307. 97 Ebd., S. 1400. 98 Ebd.

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mit dem Verweis auf die Zeitnot Druck auszuüben. So warnte es den Rat der katholischen Stände, man werde »in aim jar des religionsfriden nit fertig«⁹⁹, wenn man die dafür vorgebrachten Vorschläge nicht als Ganzes, sondern Artikel für Artikel beratschlage. Dadurch setzte Österreich schließlich durch, dass der fragliche Text als Ganzes verlesen wurde und nur, wenn jemand zu den verlesenen Artikeln Einwände hatte, diese »notturftigclichen vernomen werden«1⁰⁰ sollten. Viele Fragen, die sich mit dem unmittelbaren Vorgehen des Reichstags beschäftigten, wurden unter Berufung auf Notwendigkeit beantwortet: 1530 baten die Protestanten die Stände, ihre Schrift anzunehmen, und hofften, sie würden diese »nottorfich bedencken und der nottorf nach erweghen«1⁰1. 1541 teilten die Kurfürsten den Ständen mit, sie hielten »kein ausschusz von nötten«, auch wenn sie »der fursten und Stendt notturft«1⁰2 hierzu nicht in Abrede stellen wollten. 1543 äußerten sich die altgläubigen Stände, den Forderungen der Protestanten entgegen zu kommen, sei zwar »wider alle pillikeyt, alt herkumen und gebreuch etc., doch ad publicum bonum«1⁰3 und deshalb eventuell doch – unter zeitlicher Begrenzung – zu bewilligen. Ganz deutlich werden hier juristische Rechtfertigung (Gerechtigkeitsempfinden und Gewohnheitsrecht) und Notwendigkeit (Gemeinwohl) gegeneinander abgewogen. Nach der unpräzise gehaltenen Proposition ließ Ferdinand 1555 noch ein eigenes Schreiben verlesen, das den Ständen »die hohe notturft«1⁰⁴ verdeutlichen sollte, einen Religionsfrieden zu schließen. Es bleibt also festzuhalten, dass es eine hohe Bereitschaft gab, das Verfahren an äußere Umstände anzupassen. Wurde etwas für notwendig erachtet, war dies eine ausreichende Rechtfertigung für die Missachtung des eigentlichen Verfahrens. Ein Verweis auf die Notwendigkeit konnte dabei auch verwendet werden, um einer Beantwortung der Frage nach der sonstigen Berechtigung des angestrebten Vorgehens auszuweichen. 4.5.1.3 Soziales Unter die dritte Kategorie fallen Rechtfertigungen, die im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Zwängen stehen.1⁰⁵ Solche Zwänge dienten oft zur Rechtfertigung für ein Einlenken im Verfahrensstreit, obwohl man von der Rechtmäßigkeit der eigenen Position überzeugt war. Auch, wenn das ursprünglich für Hoftage relevante Zusammentreffen der Fürstengesellschaft durch die Bildung eines von Räten geprägten Verfahrens ergänzt und teilweise ersetzt wurde, blieben die Reichstage

99 100 101 102 103 104 105

Passauer Berichtsprotokoll, RTA JR 20, Nr. 146 (S. 1536–1677), S. 1571. Ebd., Nr. 146 (S. 1536–1677), S. 1572. Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 109. LA Düsseldorf, Kurköln VI, Nr. 106, fol. 93v. HStA München, Kasten blau, 271/4, fol. 17r. Lutz/Kohler, Hornung-Protokoll, S. 47. Die Bedeutung sozialer Faktoren für das Reichstagsverfahren generell wurde bisher am deutlichsten von Albrecht P. Luttenberger erkannt: Luttenberger, Reichspolitik und Reichstag unter Karl V.: Formen zentralen politischen Handelns, S. 20–23.

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von sozialen Regeln und Mechanismen geprägt.1⁰⁶ Dies ist zu großen Teilen schon im Zusammenhang mit dem Konsensverfahren diskutiert worden.1⁰⁷ Die Mechanismen, die bei inhaltlichen Abstimmungen wirkten, hatten auch Wirkung auf Verfahrenskonflikte. Für die Frühe Neuzeit lässt sich keine einfache Trennung zwischen sozialen und juristischen Regelbrüchen vornehmen, da auch die juristischen sich größtenteils auf Gewohnheiten bezogen. Der Übergang zu billichait ist hier fließend: Was ist angemessen? Worauf darf man beharren? Wie ist auf eine Beschwerde zu reagieren? Starke Wirkung entfalteten solche Überlegungen im Zusammenhang von Sessionsstreitigkeiten, die zwischen persönlich anwesenden Standespersonen und Gesandten entstanden. Gerade die Berücksichtigung individueller Eigenschaften wie Alter und Verdienste der betreffenden Person fallen in diese Kategorie. Auch die Beanstandung der Ausschusswahl von 1526 mit dem Argument, das Haus Bayern sei trotz seiner Bedeutung nicht gewählt worden, kann in diesem Sinne verstanden werden.1⁰⁸ Wie sich auch schon bei den Sessionskonflikten gezeigt hat, gab es ein soziales Korrektiv, das übermäßigen Streit eindämmte: Wenn jemand zu ausgiebig stritt, lud er den Unwillen der Anderen auf sich. Aus diesem Grund versuchte der Fürstenrat 1555, obwohl er sich in der Frage der schriftlichen Bedenken im Recht sah, »hessigkait und weittleuftigkait unfruchtbarer disputationen«1⁰⁹ zu vermeiden und ging auf die Mainzer Forderungen ein. Der Gesandte der fränkischen Grafen sah sich dagegen 1545 zunächst zu »weibisch gezencke und hader«11⁰ veranlasst, für das er nachher anscheinend Scham empfand.

4.5.2 Argumentation im Verfahrensstreit Wie gezeigt wurde, konnten konkrete Verfahrensfragen über drei grundsätzliche Rechtfertigungskonzepte hergeleitet werden. Dabei ist wesentlich, dass in den meisten Fällen von der Fiktion eines unumstößlichen und richtigen Verfahrens ausgegangen wurde, dessen Regeln auf Gewohnheitsrecht und schriftlichem Recht basierten, wobei es auch im Einklang mit dem Gerechtigkeitsempfinden und dem Gefühl für angemessenes Verhalten stehen musste. Gerade dieser Anspruch ließ es auch zu, dass das Verfahren der aktuellen Situation angepasst werden konnte, sei es, weil äußere Umstände eine solche Anpassung notwendig werden oder aber die Regeln des Anstands und der Höflichkeit ein Abweichen angemessen erscheinen ließen. Nachdem diese grundlegenden und immer wieder angeführten Rechtfertigungen für Verfahren genannt wurden, lässt sich nun ein Blick darauf werfen, wie 106 Laut André Krischer waren beispielsweise »Bekundungen sozialer Wertschätzung« das »Schmiermittel des Verfahrens«: Krischer, Inszenierung und Verfahren, S. 200. 107 Kapitel 3.4.4, ab S. 223. 108 Hierzu: Kapitel 3.3.3, ab S. 195. 109 Protokoll des Dr. Johann Ulrich Zasius, RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1379. 110 Bericht des Dr. Wolfgang Weidner über den Sessionsstreit auf der Grafenbank, RTA JR 16, Nr. 254 (S. 1449–1454), S. 1452.

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mit diesen Grundlagen argumentiert wurde. Zu diesem Zweck kann aus den Berichten über Verfahrensstreit eine Reihe von Argumenten zusammenfasst werden, die sich auf die genannten Grundsätze berufen. Ausgehend von dem gewohnheitsrechtlichen Anspruch, in einem kaum verschriftlichten System größtmögliche Kontinuität zu gewährleisten, ist dabei zunächst die Bedeutung von persönlicher Erinnerung hervorzuheben. 4.5.2.1 Erinnerung und Vergessen Die wenigen bekannten Versuche aus dem 16. Jahrhundert, eine Anleitung für den Reichstag zu schreiben, verdeutlichen ein Problem, das die Bildung von Verfahren mit sich brachte: Durch die entstandenen reichstagsspezifischen Regeln war es Neulingen ohne entsprechende Vorbereitung nicht mehr möglich, sich auf einem Reichstag korrekt zu verhalten. Sowohl die entsprechende Anleitung für Herzog Christoph von Württemberg als auch vermutlich die erste Version des unter dem Namen Traktat über den Reichstag bekannt gewordenen Texts erfüllten ursprünglich oder zumindest in erster Linie den Zweck, Unerfahrene auf den Reichstag vorzubereiten.111 Dies unterschied beide Texte von scheinbar ähnlichen Anleitungen mit normierendem Anspruch, wie etwa dem mittelalterlichen modus tenendi112 des englischen Parlaments.113 Die Entwicklung von Verfahren ließ es erforderlich werden, Räte für die Reichstage zu verwenden, die darin Erfahrung hatten. Ein auf seine Reichstagspolitik bedachter Reichsstand musste daher darauf achten, sein Personal entsprechend zu schulen. Hierzu ein Beispiel: Bei der Zusammenstellung des kursächsischen Hofgesindes für den Reichstag 1526 wurde beschlossen, beide Kanzler, den alten und den neuen, mitzunehmen, »aus bewegenden ursachen, das der nau cantzler der handelung und reichssachen der notturft und gelegenhait nach auch ain wissen und ubung des gebrauchs erlangen muge.«11⁴ Die Erfahrung, die ein Rat oder gar Kanzler auf Reichstagen sammelte, wurde also bereits früh hoch geschätzt und gezielt gefördert. Persönliche Erinnerung und Erfahrung der Räte ersetzte dabei lange schriftliche Aufzeichnungen über das Reichstagsverfahren. Dies wird beispielsweise 1546 deutlich, als mit Sebastian von Heusenstamm ein neuer Kurfürst von Mainz zum Reichstag erwartet wurde. Kursachsen vermutete, dass der neue Erzbischof »vielleicht neue rethe, die zuvor bei den reichshendeln nit gewest, verordenen und schicken mocht«11⁵, und gab der kursächsischen Gesandtschaft 111 Neuhaus, Wandlungen der Reichstagsorganisation in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, S. 113–115. 112 Pronay/Taylor, Parliamentary Texts of the Later Middle Ages, S. 13–114; Oliver, Parliament and Political Pamphleteering in Fourteenth-Century England, S. 11–12; Kaufhold, Entscheidungsspielräume im Spannungsfeld von Repräsentation und Ritual, S. 270–272; Clarke, Medieval Representation and Consent. 113 Schulze dagegen sieht im Ausführlichen Bericht »a German modus tenendi parlamentum of the sixteenth century«: Schulze, Majority Decision, S. 49. 114 Verzeichnis des Hofgesindes, RTA JR 5/6, Nr. 90 (S. 345–346), S. 346. 115 Instruktion für Dr. Erasmus von Mickwitz, RTA JR 17, Nr. 25a (S. 133–138), S. 138.

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deshalb eine Kopie des Vertrags zwischen Kurmainz und Kursachsen zur Umfrage auf den Reichstagen11⁶ mit. Bei den Räten des verstorbenen Kurfürsten Albrecht hatte man darauf vertraut, dass diese die Abmachung aus dem Jahr 1529 kannten. Nur angesichts der Ungewissheit, ob die Räte im Zuge des Herrschaftswechsels in Mainz ausgetauscht wurden, wurde der schriftliche Nachweis mitgenommen. Dass solche Befürchtungen nicht unbegründet waren, zeigen die Verhandlungen zur Fortführung einer Alternationsregelung bei der Session von Würzburg und Worms in Speyer 1542: Der Wormser Gesandte verwies darauf, »er were ein angeender neuer diener« und »wust nichts umb dise handlung«11⁷, willigte unter königlicher Vermittlung aber ein, die Regelung unter Vorbehalt zu akzeptieren. Tatsächlich ist zu beobachten, dass die persönliche Erinnerung der Beteiligten von entscheidender Bedeutung war. Auffällig wird dies in Momenten, in denen sich niemand an eine ähnliche Situation erinnern konnte und daher Ratlosigkeit darüber herrschte, wie vorzugehen sei. Eine solche Situation gab es 1555 im Kurfürstenrat, als die kurfürstlichen Räte sich mit der Forderung des Fürstenrats auseinandersetzen mussten, sie sollten sich wegen der persönlichen Anwesenheit mehrerer Fürsten zu diesen begeben. Die Räte Kurtriers erklärten, sie »wusten sich nit aigentlich zu erinnern, wie es in dissem vhal herkomen«11⁸ sei. Keine kurfürstliche Gesandtschaft kam auf den identischen Fall von 1545 zu sprechen, bei dem die damals versammelten kurfürstlichen Räte dagegen entschieden hatten, der Forderung zu entsprechen.11⁹ Auch damals hatte niemand auf den Nürnberger Reichstag von 1542 verwiesen, auf dem sich die kurfürstlichen Räte tatsächlich einmal in den Fürstenrat begeben hatten.12⁰ Das Beispiel zeigt, dass Verfahren – wurde es nicht individuell in Erinnerung behalten – keine Kontinuität hatte. Erst die Erinnerung oder das tradierte Wissen der Beteiligten sicherte Verfahrenskontinuität. Dagegen ließ kollektives Vergessen die Möglichkeit offen, dass sich neues Verfahren – »neuerung« genannt – etablierte, das älterem widersprach. Dies wurde als eine Gefahr angesehen, die es abzuwenden galt.121 Aus diesem Grund boten die mangelnde Erfahrung und das vermeintlich schlechtere Wissen der Gegenseite über das richtige Verfahren Möglichkeiten, damit im Verfahrensstreit zu argumentieren. So unterstellten während des Umfragestreits die kursächsischen den mainzischen Räten: »sie die Meinzischen beide, die vielleicht nit lang bei der reichshandlung herkommen weren, mochten villeicht das herkommen dieser sachen nit gruntlich wissen haben.« Die Mainzer räumten

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Der Vertragstext von 1529: RTA JR 7, Nr. 166 (S. 1344–1345). Würzburger Protokoll, RTA JR 12, Nr. 47 (S. 343–380), S. 349. Protokoll des Kurfürstenrats, RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 650. RTA JR 16, Nr. 62 (S. 672–740), S. 707. RTA JR 13, Nr. 55 (S. 298–394), S. 314. Wegen der großen Bedeutung kollektiver Erinnerung im Rechtsleben wurden rechtliche Gewohnheiten an Gerichten auch wiederholt öffentlich vorgetragen. So sollte ein Vergessen der Rechtsbräuche auch bei längerer Nichtanwendung verhindert werden: Lück, Nach Herkommen und Gewohnheit, S. 155.

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zwar ein, »nit die eldesten beim reichsherkommen«122 zu sein, wiesen jedoch den Vorwurf zurück, sich nicht auszukennen: Ihr Sekretär Andreas Rucker habe Erfahrung auf mehreren Reichstagen gesammelt und könne bezeugen, dass die Umfrage nicht so gehandhabt werde, wie Kursachsen dies behaupte.123 Der Vorwurf der Unerfahrenheit konnte eine Seite im Verfahrensstreit unter Druck setzen. Wie das Beispiel zeigt, war aber die Bezeugung von persönlicher Erinnerung, in diesem Fall die des Sekretärs Rucker, ein legitimer Weg der Beweisführung im Verfahrensstreit. Sollte bei einem Verfahrensstreit vermittelt werden, wurden daher Zeugen befragt, die sich an frühere Handhabungen erinnern konnten.12⁴ Um dabei auf möglichst altes Herkommen verweisen zu können, versuchte man bisweilen, sehr alte Zeugen zu finden, die sich an weit zurückliegende Reichsversammlungen erinnern konnten.12⁵ Ersatzweise für individuelle Erinnerung gewannen dann auch schriftliche Aufzeichnungen verschiedener Art an Bedeutung, aus denen sich früheres Verfahren herauslesen ließ. 4.5.2.2 Argumentation mit Neuerung, Ausnahme und Nutzen In den meisten Fällen von Verfahrensstreit konnten sich beide Streitparteien auf frühere Ereignisse berufen, mittels derer sie ihre Position untermauerten. Verfahrenskonflikte verliefen deshalb auch nicht in Form vergleichender Aktenrecherche. Vielmehr war es relevant, wie mit den überlieferten und erinnerten Fällen argumentiert wurde. Es ging dabei vielfach um die Deutung des Überlieferten. Die Streitparteien hatten ihre jeweilige Interpretation als das richtige Verfahren durchzusetzen. Dazu lag es nahe, die Position der Gegenpartei als »neuerung«12⁶ darzustellen. Wurde ein bestimmtes Verfahren als »neuerung« angesehen, konnte es leicht angegriffen und nur noch durch besondere Umstände gerechtfertigt werden. Üblicherweise begann ein Streit deshalb damit, dass das Ansinnen einer Seite als Neuerung dargestellt wurde. Neuerungen waren schwierig durchzusetzen, da sie generell als etwas Unrechtmäßiges und Schlechtes angesehen wurden. So erklärten die Mainzer Räte 1555: »Hielten alle neuerung für nit ratsam, wie gering die auch sein mochte«12⁷. Üblicherweise erklärte man also, die Gegenposition sei eine Neuerung, auf die man sich nicht einlassen könne, denn »sonst brenge es ein

122 Protokollarische Aufzeichnungen des Mainzer Sekretärs Andreas Rucker, RTA JR 4, Nr. 22 (S. 53–87), S. 56. 123 Tatsächlich war Rucker bereits auf mehreren Reichstagen anwesend gewesen. Vgl. hierzu die Tabelle: Aulinger/Schweinzer-Burian, Habsburgische und reichsständische Präsenz auf den Reichstagen 1521–1555. 124 Ein Beispiel für eine solche Zeugenanhörung: RTA JR 7, S. 693. 125 So versuchten die Städte in den 1520er Jahren, das Verfahren des 15. Jahrhunderts zu rekonstruieren: Isenmann, Reichsstadt und Reich an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit, S. 144. 126 Beispiele für die Verwendung dieses Begriffs: RTA JR 12, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 1049, 1055, 1056; Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1378, 1380. 127 Protokoll des Kurfürstenrats, RTA JR 20, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 1049.

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einfurung«12⁸, es bestehe also die Gefahr, dass das falsche Verfahren das richtige verdrängte und sich verstetigte. Daraufhin formulierte man die eigene Position als eine tradierte Regel. Diese Regel war stets eine Interpretation bisheriger Ereignisse. Die Gegenseite musste nun den Vorwurf entkräften, eine Neuerung einführen zu wollen. Dazu konnte sie ihrerseits die angeführten Präzedenzfälle als zu spät erkannte Neuerung einordnen, wenn sie noch ältere Fälle anführen konnte, die die eigene Position unterstützten. Vielversprechender war dagegen, eine Erklärung für alle gefundenen früheren Verfahrensbeispiele zu finden, indem für die unterschiedlichen Präzedenzfälle ein verzweigtes Regelsystem entworfen wurde, das die scheinbar widersprüchlichen Präzedenzfälle und Erinnerungen zu einer komplexen Regel harmonisierte. Im ausführlich dargestellten Beispiel, dem Verfahrensstreit 1555 um den Austausch schriftlicher Bedenken,12⁹ verwies der Fürstenrat deutlich auf solche Ausnahmen: Das Verfahren müsse verschiedene Typen von Verhandlungsgegenständen berücksichtigen, zu denen sich auch das Relationsverfahren unterscheide. Das von den kurfürstlichen Räten herangezogene Verfahren früherer Reichstage sei also im Grunde nicht falsch, sondern nur in diesem Fall nicht anzuwenden. Für die Position des Fürstenrats sprächen dagegen andere Vorgänge von früheren Reichstagen, deren scheinbare Widersprüchlichkeit zu den vom Kurfürstenrat angeführten Fällen sich mit der vorgestellten Regel erklären ließ. Ausdrücklich wies der Fürstenrat dabei den Vorwurf der Neuerung zurück: Die Stände dieser Kurie hätten »den anzug und auflag hierin zugemeßner neuerung mit billichem befrembden verstanden«13⁰, es sei also angemessen, vernünftig und richtig (»billich«) gewesen, sich über die voreilige vom Kurfürstenrat vorgenommene Einstufung als Neuerung zu wundern. Auf solche Regelerweiterungen konnte mit weiteren Spezifizierungen oder Gegenentwürfen reagiert werden. Im dargestellten Beispiel tat Kurmainz dies, indem es ein angeführtes Beispiel des Fürstenrats für bereits ausformulierte Entwürfe einer anderen Verfahrenskategorie zuordnete: Die Ausformulierung der Reichskammergerichtsordnung von 1548 sei nicht mit der aktuellen Situation zu vergleichen, weil sie damals von beiden Kurien einem kleinen Ausschuss von zwei Deputierten befohlen worden war. Diese Ausdifferenzierung von Regeln war stets erweiterbar. Üblich war jedoch, dass sich die Parteien möglichst rasch auf eine Regelung einigten, auch wenn diese oft als vorläufig bezeichnet wurde. Dies lag am bereits genannten generellen sozialen Druck, die Verhandlungen der Reichsstände nicht unverhältnismäßig zu verzögern. Angesichts dieser Möglichkeiten sahen sich Stände auch bisweilen dazu veranlasst, das aktuell angewandte Verfahren schon ausdrücklich bestimmten Kategorien zuzuweisen, um eine Fehlinterpretation in der Zukunft auszuschließen. Das geschah beispielsweise 1530, als die Kurfürsten erklärten, sie wollten die zeremonielle Besserstellung Ferdinands nur anerkennen, wenn dies durch seine ungarische Königswürde und den Umstand, dass er der Bruder und Rat des Kaisers war, 128 Kursächsisches Protokoll, RTA JR 17, Nr. 52 (S. 275–308), S. 281. 129 Kapitel 4.4 ab S. 285. 130 RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1380.

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gerechtfertigt würde. In seiner Eigenschaft als böhmischer König (und Kurfürst) könnten sie ihm die entgegengebrachte Ehre nicht zugestehen.131 Es wurde also eine Regelableitung befürchtet, die in Zukunft den böhmischen König bevorzugt hätte. Dem wurde entgegengetreten, indem eine Regelausdifferenzierung zu Protokoll gegeben wurde, die das aktuelle Verfahren erklärte. Alternativ zur Ausdifferenzierung, die voraussetzte, dass für beide Positionen frühere Beispiele zu finden waren, gab es auch die Möglichkeit, sich auf die Einzigartigkeit der aktuellen Situation zu berufen, ohne hieraus direkt eine allgemeingültige Regel abzuleiten. Oft berief man sich hierbei auf die bereits ausführlich dargestellte »notturft« oder aber auf den »gemainen nutzen«132. Der »gemaine nutzen« kam als Argument vor allem dann zum Tragen, wenn eine Neuerung niemandem zu Schaden gereichte, generell aber nützte. Er wurde aber auch angeführt, um sich gegen Widersprüche zu wappnen. Der »gemaine nutzen« diente dann dazu, an die allgemeine Verpflichtung zu erinnern, die Verhandlungen nicht unnötig zu verzögern. Diese Haltung wird immer wieder deutlich. Der Verfasser der bayerischen Instruktion für den Speyrer Reichstag von 1542 befürchtete beispielsweise – wenn auch in diesem Fall nicht auf Verfahrensstreit bezogen – Uneinigkeit der Reichsstände »zum tail aus unverstandt, zum tail aus aigennutzigkhait, zum tail auch aus hoffart und das etlich irn pracht, aigen willen, furnemen, reputacion und ratschleg mer dann gmainen nutz und wolfart der christenhait zu erhalten bedencken möchtn«133. Klar stehen sich hier »aigennutzigkhait« und gemeiner »nutz und wolfart« gegenüber. Bestand eine Streitpartei zu hartnäckig auf ihrer Position, drohte ihr also der Vorwurf der »aigennutzigkhait«. Um sich gut darzustellen, lag es im Gegenzug nahe, sich in Anerkennung von »nutz und wolfart« nicht zu sehr über vermeintliche Kleinigkeiten zu streiten. Mit Nutzen und »notturft« wurde oft hinsichtlich der Bildung von Ausschüssen argumentiert. In Speyer notierte 1542 die Salzburger Gesandtschaft beispielsweise: »ditz monats hat man die zeit boslich verloren mit furnemung aines gemainen ausschuß, so zu disem werch am furtreglichisten gewest wär«13⁴, die Kurfürsten hätten diesen jedoch verhindert. »Notturft« im Sinne von Zeitdruck wurde hier dem Nutzen gegenübergestellt, den ein Ausschuss gebracht hätte. Ein besonderer Fall war dabei noch die Möglichkeit, Verfahrenspräzedenzfälle der Gegenseite zu entkräften, indem man behauptete, diese stellten eigentlich Verfahrensbrüche aufgrund von »notturft« oder »gemainem nutzen« dar. Auch dies kam im dargestellten Streit von 1555 vor: Nach Ansicht der Mainzer Kanzlei handelte es sich bei allen bisherigen Beispielen von schriftlichen Bedenken nicht um das korrekte Verfahren, sondern um Fälle, in denen dieses wegen äußerer Zwänge nicht streng eingehalten werden konnte. 131 Grundmann, Tetleben-Protokoll 1530, S. 70. Hierzu auch: Stollberg-Rilinger, Kaisers alte Kleider, S. 125. 132 RTA JR 12, Nr. 144 (S. 645–1272), S. 1050. 133 Ebd., Nr. 17 (S. 148–157), S. 149–150. 134 Ebd., Nr. 48 (S. 381–404), S. 388.

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4.5.2.3 Drohungen und Sanktionen im Verfahrensstreit Wollte eine Streitpartei, die ihre Gegenseite nicht überzeugen konnte, keinesfalls nachgeben, musste sie sich nach Möglichkeiten umsehen, wie sie den Druck auf den Gegner erhöhen konnte. Es gab zwei unterschiedliche Strategien, dennoch auf das Verfahren einzuwirken. Für weniger mächtige Stände lag es nahe, sich mit den eigenen Anliegen Hilfe bei einflussreicheren Ständen oder beim Kaiser selbst zu suchen. Je mächtiger eine Streitpartei war, desto einfacher war es für sie, Druck aufzubauen, indem sie sich dem Verfahren verweigerte. Ein gutes Beispiel für den ersten Fall stellt die Politik der Freien und Reichsstädte dar. Die übrigen Stände waren nicht bereit, die Städte als vollwertige Reichsstände anzuerkennen. Der sich verstärkende Religionskonflikt verschärfte die Lage in den 1520er Jahren zusätzlich, als die Bildung Großer Ausschüsse unter Beteiligung der Städte vermieden wurde, weil diesen unterstellt wurde, zu kompromisslos lutherisch eingestellt zu sein.13⁵ Die Position der Städte war in der Auseinandersetzung um ihre Beteiligung denkbar schlecht. Mehrfach erklärten sie zwar, sich nicht an die Reichsabschiede gebunden zu fühlen, weil sie auf den jeweiligen Reichstagen nicht zu ihren Rechten gekommen seien.13⁶ Sie konnten sich jedoch nicht erlauben, die jeweils bewilligten Steuerzahlungen tatsächlich zu verweigern, da sie damit Kaiser und König, ihre traditionellen Unterstützer, verärgert hätten. Stattdessen wandten sich die Städte mit ihren Klagen parallel an die versammelten Reichsstände und an Kaiser und König. Sie konnten hoffen, die Reichsstände mit der Fürsprache der Habsburger unter Druck zu setzen. Diese Strategie gipfelte im schon genannten13⁷ Rechtfertigungsbüchlein, das dem Kaiser 1544 übergeben wurde.13⁸ In der Hoffnung, der Kaiser werde sich der Thematik persönlich annehmen, hatten die Städte sogar eine französische Übersetzung hinzugefügt.13⁹ Schon 1542 hatten die Städte die Reichssteuern nur unter der Zusage Ferdinands gezahlt, sich beim Kaiser für die Sache der Städte auszusprechen.1⁴⁰ Der Erbmarschall von Pappenheim – Lehnsnehmer des Kurfürsten von Sachsen – hoffte im Streit um seine Kompetenzen auf den Reichstagen auf die Fürsprache und Einflussnahme der sächsischen Gesandten.1⁴1 Andere Beispiele für solche Klagen bieten die vielfältigen Fälle von Sessionskonflikten, bei denen oft entsprechende Rechtfertigungen an die versammelten Stände und an den Kaiser gerichtet wurden. Die Mechanismen des Verfahrensstreits unterschieden sich dabei nicht wesentlich 135 Aulinger, Einleitung zu RTA JR 5/6, S. 80. 136 RTA JR 3, Nr. 97 (S. 534–539); RTA JR 13, Nr. 199 (S. 904–909); Frankfurt ISG, RTA 54, unfoliiert, Eintrag zum 23. April. 137 Vgl. S. 297. 138 RTA JR 15, Nr. 103 (S. 976–991). 139 Schmidt, Städtetag in der Reichsverfassung, S. 284. 140 Isenmann, Reichsstadt und Reich an der Wende vom späten Mittelalter zur frühen Neuzeit, S. 151–152. 141 Ein entsprechendes Schreiben: Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), Nr. 139, fol. 126–130, dazu der Ergebnisbericht: Thüringisches HStA Weimar, Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage), Nr. 141, fol. 480–481.

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Systematik des Verfahrenskonflikts

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von denen der inhaltlichen Auseinandersetzung. Auch bei Anliegen, die nicht das Verfahren betrafen, war es ein probates und vielversprechendes Mittel, sich an ranghöhere Stände zu wenden. Tatsächlich war selbst der Einfluss des Kaisers auf das angewandte Verfahren gering. Seine Möglichkeiten beschränkten sich oft auf eine vermittelnde Rolle zwischen Streitparteien. Besonders wenn die Zusammenarbeit der Reichsstände untereinander denkbar schlecht war, kam dem Kaiser eine größere Autorität zu. Dies zeigte sich beim Reichstag von 1541, als die Konfessionsparteien eine geschlossene Beratung der Stände ablehnten. Karl V. übte starken Druck auf die Parteien aus, wenigstens in getrennten Beratungen unter seiner Vermittlung ein Ergebnis zu erzielen.1⁴2 Die kaiserliche Autorität stieg bei solchen Fragen also besonders dann, wenn die Einmischung des Kaisers als gerechtfertigt angesehen wurde. In diesen Fällen bedeutete eine hartnäckige Opposition gegenüber dem Kaiser die Gefahr, sich durch dessen Ungnade zu isolieren. Dies bedeutet nicht, dass dem Kaiser beim Verfahren keine Bedeutung zukam. Karl versuchte wiederholt, auf die Form der Beratungen einzuwirken. Am deutlichsten wird dies bei den häufig geäußerten Wünschen und Forderungen des Kaisers hinsichtlich der Bildung von Ausschüssen. Jedoch traf er dabei auch regelmäßig auf Widerstand. Neben solchen Klagen und Hilfegesuchen ist die Verweigerung von Verfahren oder die Verweigerung von Teilnahme am Verfahren zu nennen. Sie ist ähnlich zu verstehen wie die Ablehnung einer Konsensentscheidung durch Abwesenheit: Nahm ein Stand demonstrativ nicht an einer Reichsversammlung teil, signalisierte er damit Ablehnung und stellte damit die Legitimität der Entscheidung infrage. Abwesenheit oder Verweigerung von Teilnahme waren somit die Gegenseite von zeremoniell demonstrierter Einigkeit: War ein Stand bei der Verlesung des Abschieds zugegen, ohne Widerspruch zu formulieren, wurde dies als Zustimmung gewertet und hatte verpflichtenden Charakter.1⁴3 Umgekehrt stellte man das Beschlossene oder auch das angewandte Verfahren infrage, wenn man demonstrativ fernblieb. Solches Fernbleiben musste jedoch ausdrücklich gerechtfertigt werden, damit es nicht als Ungehorsam ausgelegt werden konnte. Deshalb blieb eine derartige Verweigerung gewöhnlich auch das äußerste Mittel, zu dem man griff. Besonders für angesehene und mächtige Stände war aber schon die Androhung einer solchen Verweigerung ein oft ausreichendes Mittel, um sich durchzusetzen oder zumindest eine Verschiebung der Entscheidung zu erreichen. Häufig fand die Androhung von Abwesenheit bei Sessionskonflikten Anwendung: Ohne eine vorläufige Einigung wollte man nicht zulassen, dass der entsprechende Konkurrent einen höheren Sitzplatz erhielt. So hatte die salzburgische Gesandtschaft den Befehl, nicht an Gottesdiensten teilzunehmen, wenn Österreich die Alternationsregel nicht respektierte.1⁴⁴ Eine Besonderheit dieses Vorgehens betrifft den Kampf um die Reichsstandschaft verschiedener von Landsässigkeit 142 Luttenberger, Konfessionelle Parteilichkeit, S. 94–97. 143 Stollberg-Rilinger, Symbolik der Reichstage, S. 88. 144 RTA JR 16, Nr. 260 (S. 1461–1467), S. 1463.

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bedrohter Stände. In diesen Fällen weigerte sich der vermeintliche Herr des betreffenden Stands, am Reichstagsgeschehen teilzunehmen, wenn sein vorgeblicher Landsasse zu den Verhandlungen zugelassen wurde. Er spekulierte dabei darauf, dass sein eigenes politisches Gewicht für den Erfolg der Versammlung als so wichtig eingeschätzt wurde, dass die Interessen des anderen Stands zurückgestellt wurden. Die Erfolgsaussichten für ein solches Vorgehen hingen natürlich auch von der Bedeutung des Konkurrenten ab. Im entsprechenden Streit zwischen Brandenburg und Pommern1⁴⁵ beließ es das Kurfürstentum gewöhnlich dabei, gegen die Anwesenheit Pommerns im Reichsrat Protest einzureichen.1⁴⁶ Tatsächlich wurde aber in Erwägung gezogen, den Reichstag zu boykottieren: 1522 versuchte Kurfürst Joachim I., seinen Bruder, den Kurfürsten von Mainz, davon zu überzeugen, aus Protest gegen die Einladung Pommerns vom Reichstag fernzubleiben. Würden die brandenburgischen Fürsten trotz der Protestationen persönlich zum Reichstag kommen, würde dies, so Joachim, »fur ein leichtfarigket angesehen und nicht wenig nachteil, schaden, schimpf und nachrede daraus erwachsen, sunderlich wo der herzog in unser gegenwertigkeit mit der session folfaren, und wir solten unser entwanten gerechtigkeit der lehenschaft mit Pommern nicht restituirt werden.«1⁴⁷ Der Kurfürst sah also einen direkten Zusammenhang zwischen der tolerierten Teilnahme des Herzogs und dem möglichen Verlust seiner Ansprüche auf Pommern. 1529 verließ der kurbrandenburgische Gesandte unter Protest den Reichsrat, als er den Herzog von Pommern dort erblickte: Er wolle ein »praejudicium«1⁴⁸ vermeiden und deshalb nicht dabei gesehen werden, dass er dessen Session dulde. Brandenburg tat sich aber schwer damit, Pommern aus der Reichsversammlung zu drängen. Im genannten Fall reagierten die anwesenden Fürsten nur mit (betretenem?) Schweigen. Der Herzog wurde weiterhin geduldet. Tatsächlich sahen die Brandenburger von einem konsequenten Boykott der Reichstage ab und konnten auch nicht verhindern, dass Pommern langfristig seine Reichsstandschaft behaupten konnte. Energischer als Brandenburg reagierten die sächsischen Herzöge auf den Anspruch der Stifte Meißen, Merseburg, Naumburg1⁴⁹ und einiger kleinerer Stände auf Reichsstandschaft.1⁵⁰ Im Interesse des gemeinsamen Hauses widersetzten sich die Herzöge beider sächsischer Linien den Versuchen der Bischöfe, im Fürstenrat Sitz und Stimme wahrzunehmen. Herzog Heinrich instruierte seine Gesandten für den Reichstag 1541: »Sollen sie sich solange des Raths eussern bis der Bischoffe 145 Zum Verhältnis der beiden Fürstentümer: Göse, Von verschmähter Vasallität zu dynastischer Übereinkunft. 146 RTA JR 5/6, Nr. 190 (S. 787–789). 147 RTA JR 3, Nr. 204 (S. 872–875), S. 872, Anm. 3. 148 RTA JR 7, S. 735. 149 Zur Entwicklung des Konflikts zwischen den Bistümern und den sächsischen Herzögen: Wolgast, Hochstift und Reformation, S. 237–253. 150 RTA JR 13, Nr. 25 (S. 191–203), S. 192–193; Nr. 183 (S. 841–848), Nr. 185 (S. 854–859); Luttenberger, Zeremonial- und Sessionskonflikte in der kommunikativen Praxis des Reichstages im 16. Jahrhundert, S. 246–249.

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session abgeeschafft wurde«1⁵1. Die kursächsischen Gesandten hatten 1542 für den Reichstag in Speyer den »bevelh, nit dorbei zu sein«1⁵2, wenn die entsprechenden Bischöfe in den Reichsrat gelassen würden. Während die Sachsen mit ihrer Abwesenheit drohten, bemühten sich die betroffenen Hochstifte um Hilfe bei anderen Ständen und dem König.1⁵3 Dieser Fall vereint somit beide vorgestellten Reaktionen: Die vergleichsweise machtlosen Bischöfe suchten Unterstützung bei mächtigeren Ständen und beim König, während die Sachsen bereit waren, notfalls vom Reichstag fernzubleiben. Während den Bischöfen gerade daran gelegen war, ihre Unabhängigkeit durch die Reichstagsteilnahme zu gewährleisten, spekulierte Sachsen darauf, dass seine Präsenz am Reichstag dem König wichtiger war als die Rechte der Bischöfe. Völlig chancenlos waren in einer vergleichbaren Situation die Freiherren von Fraunhofen, die 1555 einen Gesandten nach Augsburg schickten. Bei der Eröffnungssitzung erklärte Herzog Albrecht V. von Bayern, die entsprechenden Freiherren seien seine Landsassen und »hetten auch nie stim noch session im Reich gehabt«1⁵⁴. Als deren Gesandter nun aber darauf verwies, seine Herren hätten eine Ladung zum Reichstag erhalten und er habe sich auch in der Mainzer Kanzlei erfolgreich registrieren lassen, ließ Herzog Albrecht erklären, »wo solicher geliden, khundte er der versamblung nit beiwonen«1⁵⁵. Daraufhin verließ der Herzog die Versammlung. Um den bayerischen Herzog wieder zur Teilnahme zu bewegen, verwiesen die Stände den Gesandten Fraunhofens nun zunächst darauf, dass es ohnehin nur zwei Stimmen für die Grafen und Herren gebe und er sich deshalb mit diesen abzusprechen habe, bevor er an weiteren Sitzungen teilnehmen könne. Der Herzog erwirkte aber eine weitere Behandlung der Stellung Fraunhofens, damit »ir fstl. Gn. stillschweigendt ime nichts nit einreumbten«1⁵⁶. Er hatte seine politische Bedeutsamkeit erfolgreich genutzt, indem er sich unter Nennung seiner Gründe aus der Versammlung zurückzog. Der gezielte Einsatz von Abwesenheit beziehungsweise von Nichtteilnahme beschränkte sich aber nicht auf die Session und die generelle Zulassung zum Reichsrat. Beim ausführlich dargestellten Streit von 1555 darüber, wie der (schriftliche) Austausch der Bedenken zwischen Kurfürstenrat und Fürstenrat abzulaufen habe, drohte der Mainzer Kanzler damit, das nicht korrekt gestaltete Bedenken des Fürstenrats nicht anzunehmen.1⁵⁷ Der Kurfürstenrat verweigerte also die Teilnahme an einem vom Fürstenrat konzipierten Verfahren. Ähnlich reagierten Zasius und der Mainzer Kanzler in ihrem Streit darüber, wie mit dem Brief des geächteten Markgrafen Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach zu 151 Sächsisches HStA Dresden, Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc.10183/6; Anweisung zu den Bischöfen: fol. 22r–23r, hier: fol. 22v. 152 RTA JR 12, Nr. 7d (S. 99–110), S. 102–103. 153 RTA JR 12, Nr. 185d (S. 859); RTA JR 13, Nr. 29 (S. 211–212); Nr. 30 (S. 212). 154 Passauer Berichtsprotokol, RTA JR 20, Nr. 146 (S. 1536–1677), S. 1539. 155 Ebd. 156 Ebd. 157 Kapitel 4.4, S. 288.

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Verfahrensentwicklung

verfahren sei: Der Kanzler empörte sich über die Zurechtweisung durch Zasius und kündigte an, das Schreiben ungeachtet der Einwände abschreiben zu lassen. Der König käme dabei zu seinem Recht, da er ebenfalls eine Abschrift anfertigen lassen könne. Daraufhin sei er, so Zasius, davongegangen. Der Mainzer wollte sich also bewusst über den Fürstenrat hinwegsetzen und durch seinen Abgang dem österreichischen Rat die Möglichkeit nehmen, etwas zu erwidern. Er entschied sich dann doch noch um: Noch »zornmuettiglich« kam er zurück und bot Zasius an, aus Achtung vor dem Votum des Fürstenrats dem Städterat nicht von dem Entschluss zur Abschrift zu berichten. Zasius erwiderte nun aber seinerseits: »er sollts machen wie er wollt, ich wollt nicht daebey sein«1⁵⁸. Zasius signalisierte damit, dem eigenmächtigen Handeln des Kurfürstenrats kein stillschweigendes Einverständnis einzuräumen. Die österreichischen Gesandten drohten ihre Abwesenheit auch im Rat der katholischen Stände für den Fall an, dass diese den Entwurf für den Religionsfrieden Artikel für Artikel diskutieren wollten.1⁵⁹ Beispiele für demonstrative Abwesenheit lassen sich viele finden. Auch konnte Abwesenheit schon vor dem Abschied eingesetzt werden, um das Zustandekommen von Beschlüssen anzugreifen. Als 1545 der evangelisch dominierte Kurfürstenrat sein im Fürstenrat nur von den lutherischen Ständen unterstütztes Bedenken als Bedenken beider Kurien durchsetzen wollte, haben einige altgläubige Stände »nicht dabey sein wollen, als man den stetten referirt«1⁶⁰. Die altgläubigen Stände demonstrierten durch ihre Abwesenheit, dass sie das beim Zustandekommen des entsprechenden Ratschlags der oberen Kurien angewandte Verfahren nicht anerkannten. Ein besonderer Fall der Nichtteilnahme ereignete sich im Umfragestreit zwischen Mainz und Sachsen: Durch tatsächliches Fernbleiben hätte man dem Anspruch des Anderen auf die Umfrage nur noch bessere Chancen eingeräumt. Deshalb kam es zu der Situation, dass sich Mainz und Sachsen gegenseitig ignorierten und gleichzeitig umfragten. Dieses scheiterte aber schon, als die Streitparteien sich gegenseitig das Wort erteilen wollten.1⁶1 Abwesenheit war aber nicht nur ein Mittel zur Eskalation von Streit. Oft wurde Abwesenheit auch bewusst vereinbart, um Streitfällen aus dem Weg zu gehen. Dies war beispielsweise 1555 in dem bereits mehrfach genannten Streit der Fall, bei dem die persönlich anwesenden Fürsten darauf bestanden, dass die kurfürstlichen Räte zu ihnen in den Rat kommen sollten. Da diese sich weigerten, wurde der Streit vermieden, indem die Fürsten davon überzeugt wurden, dem Rat fernzubleiben und an ihrer Stelle nur Räte zu schicken.1⁶2 Ein anderes Beispiel ereignete sich auf dem Reichstag von 1541: Der Kaiser bat den Legaten des Papstes, nicht am

158 Protokoll des Dr. Johann Ulrich Zasius, RTA JR 20, Nr. 145 (S. 1272–1536), S. 1400. 159 Ebd., Nr. 146 (S. 1536–1677), S. 1571. 160 Protokoll des Bamberger Gesandten Dr. Andreas Kebitz, RTA JR 16, Nr. 62 (S. 672–740), S. 728. 161 RTA JR 4, Nr. 22 (S. 53–87), S. 57–58. 162 Hierzu: Kapitel 3.1.2, S. 167.

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Zufall und Sinnzusprechung

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Abendmahl teilzunehmen, um Streit darüber zu vermeiden, ob der Legat vor den Kurfürsten bei der Kommunion zu bevorzugen sei.1⁶3

4.6 Zufall und Sinnzusprechung Verfolgt man die Handhabung bestimmter Verfahrensbereiche über einen längeren Zeitraum, zeigen sich zwei Phänomene, die die Verfahrensentwicklung prägten: Zum einen sind es oft Zufälle, die langfristige Entwicklungen bestimmten, und andererseits gab es eine gewisse Tendenz, dem zufällig entstandenen Verfahren nachträglich Sinn zuzuschreiben. Deutlich lässt sich dies beim lange währenden Streit um die Grafen im Fürstenrat zeigen. Zu den mittelalterlichen Hoftagen kamen Grafen und Freiherren oft im Gefolge anreisender Fürsten,1⁶⁴ zu manchen Versammlungen wurden sie aber auch gezielt eingeladen.1⁶⁵ Zwischen reichsständischen und landsässigen Grafen wurde damals noch nicht unterschieden. Vielmehr verfügten die Grafen gewöhnlich sowohl über Reichsgüter und Eigenbesitz als auch über fürstliche Lehen.1⁶⁶ Die Art und Weise, in der die Grafen auf den mittelalterlichen Hoftagen berücksichtigt wurden, ist nicht einfach zu erschließen. Vermutlich setzte sich aber König Maximilian 1495 dafür ein, dass zwei der anwesenden Grafen zu den Beratungen des Reichstags »von aller Gff. und freien wegen«1⁶⁷ zugelassen wurden. Beide, Haug von Werdenberg und Adolf von Nassau, standen in habsburgischen Diensten.1⁶⁸ Es ist also anzunehmen, dass diese Grafen nicht ausschließlich als Vertreter ihres Stands, sondern eher als Dienstleute der herrschenden Dynastie oder generell als ausreichend einflussreiche Personen wahrgenommen wurden und so Zugang zu den Reichstagsverhandlungen erhielten. Für die Zulassung zum Reichsrat waren »große politische Bedeutung, weitreichende Verbindungen und die Unterstützung mächtiger Verbündeter«1⁶⁹ wichtig. Dagegen ist anzunehmen, dass die Anzahl der Grafen, zwei, ein Produkt des Zufalls war: 1495 waren zwei Grafen in Worms, deren politische Bedeutsamkeit es nahelegte, sie ihnen die Teilnahme am Reichsrat zu gestatten. Auf den folgenden Reichstagen konnte jedoch die Regelung von 1495 erfolgreich als Präzedenzfall angeführt werden. Es setzte sich die Interpretation durch, dass der Grafenstand unter Verweis auf das für 1495 nachweisbare Herkommen stets mit zwei Personen im Reichsrat vertreten

163 Luttenberger, Zeremonial- und Sessionskonflikte in der kommunikativen Praxis des Reichstages im 16. Jahrhundert, S. 238–240. 164 Schmidt, Wetterauer Grafenverein, S. 166; ders., Wetterauer Kuriatsstimme, S. 94–95; Stollberg-Rilinger, Kaisers alte Kleider, S. 50–51. 165 Peltzer, Das Reich ordnen, S. 95. 166 Schmidt, Wetterauer Grafenverein, S. 18. 167 Abschied des Reichstags, RTA MR 5, Nr. 1592 (S. 1135–1140), S. 1138. 168 Böhme, Das fränkische Reichsgrafenkollegium, S. 90–91. 169 Ebd., S. 91.

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sein dürfe. Dieses Recht erlangten die Grafen aber nur gegen Widerstand aus den Reihen der Fürsten.1⁷⁰ Doch wer sollten diese zwei Vertreter sein? Diese Frage entschied sich ebenfalls über einen länger andauernden Verfahrensstreit. Offensichtlich blieb sie noch lange Zeit unbeantwortet. Die übrigen Stände waren nur begrenzt bereit, die Grafen zuzulassen. Sie machten aber von ihrer Seite keine Vorgaben, welche Grafen zuzulassen seien. Anscheinend gab es lange Zeit noch nicht einmal eine Beschränkung für die Anzahl der Grafen im Reichsrat. Die Stände wollten nur nicht zulassen, dass sich alle anwesenden Grafen einzeln äußerten. Auf dem Reichstag von 1529 notierte der sehr an Verfahrensfragen interessierte Mainzer Kanzleimitarbeiter Tetleben beispielsweise, welche Personen zu den Beratungen zugelassen werden dürften: Gesandte nur nach Nachweis ihrer Vollmacht bei der Mainzer Kanzlei; Reichsstände persönlich benötigten kein Mandat. Grafen hielt Tetleben für eine besondere Gruppe, denn er notierte zusätzlich unter einem Trennstrich: »Omnes comites possunt ingredi consilia statuum imperii«1⁷1, sie dürften gemeinsam aber nur eine Stimme führen. Tatsächlich war die Stellung der Grafen und Freiherren zunächst lange unklar. Während viele langfristig zu den Landständen der Fürsten gezählt wurden, gelang es manchen Grafen und Herren, vor allem in den politisch kleinräumiger gegliederten Regionen Schwabens, Frankens und der Wetterau, als Reichsstände wahrgenommen zu werden. Wären alle diese Einzelpersonen mit einer Stimme bedacht worden, hätte dies den Fürstenrat ungemein vergrößert. Es lag also nahe, ihre Teilnahme zu begrenzen. Auch für die Grafen stellte dies prinzipiell eine Erleichterung dar, denn eine regelmäßige Teilnahme an allen Reichstagen hätte sie finanziell zu sehr belastet. Es ist generell zu beobachten, dass sich für weniger einflussreiche Stände wie die Reichsstädte und die Grafen die Teilnahme an den Reichstagen von einer lästigen Verpflichtung zu einer willkommenen Möglichkeit entwickelte, den eigenen Rechtsstatus zu sichern.1⁷2 Die mangelnde Bedeutung, die den vielen Grafen politisch auf den Reichstagen zukam, und die verhältnismäßig hohen Kosten, die sie für die Beschickung oder gar den Besuch eines Reichstags aufwenden mussten, bewirkten zwei Entwicklungen: Die wenigsten Grafen besuchten die Reichstage regelmäßig und nach Möglichkeit versuchten mehrere Grafen, durch die Ernennung eines gemeinsamen Vertreters Kosten zu sparen. Da sowohl in Schwaben als auch in der Wetterau verhältnismäßig viele Grafen angesiedelt waren, war es vor allem für diese Grafen einfach, jeweils eine gemeinsame Vertretung zu organisieren. Grafen, die nicht so viele Standesgenossen in unmittelbarer Umgebung hatten, mussten dafür einen größeren Aufwand betrei170 Böhme, Das fränkische Reichsgrafenkollegium, S. 92. 171 StA Hannover, Hild. Br.1, Nr. 77, fol. 10r. Vgl. RTA JR 7, S. 675, Anm. 2. 172 Schmidt, Städtetag und Reichsverfassung, S. 43–45 (Fernbleiben der Hansestädte), S. 53 (Hoftagsteilnahme als lästige Pflicht für Städte); Gerber, Die Bedeutung des Augsburger Reichstags von 1547/48 für das Ringen der Reichsstädte um Stimme, Stand und Session, S. 91 (Argumentation von Jakob Sturm 1548); Schmidt, Wetterauer Grafenverein, S. 171; ders., Wetterauer Kuriatsstimme, S. 95–96 (Angst der Grafen vor Mediatisierung).

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ben. Dies begünstigte, dass die Grafen Schwabens und der Wetterau in den ersten Jahrzehnten vergleichsweise konstant auf den Reichstagen vertreten waren. In den 1520er Jahren scheint die Vergabe der zwei Stimmen an bestimmte Grafen aber zunächst noch von Fall zu Fall entschieden worden zu sein. So führte bisweilen der angesehene fränkische Graf Georg von Wertheim eine der Grafenstimmen.1⁷3 Zu beachten bleibt auch, dass im Fall von Ausschüssen diese Begrenzung auf zwei bestimmte Grafen nicht zum Tragen kam und außerdem die in die Ausschüsse gewählten Grafen nicht unbedingt identisch mit denen sein mussten, die in der Fürstenkurie votierten. Weil Grafen, die aus Schwaben oder der Wetterau angereist kamen, jedoch gewöhnlich von einer großen Anzahl weiterer Grafen bevollmächtigt waren, gelang es ihnen in der Regel, auch im Zweifelsfall eine der beiden Grafenstimmen zu führen. Langfristig konnten die Grafen Schwabens und der Wetterau so über das Herkommen einen Anspruch darauf anmelden, die beiden Stimmen gebührten ihren Vertretern. Tatsächlich waren die beiden 1495 im Reichsrat vertretenen Grafen eher zufällig ebenfalls diesen Regionen zuzuordnen. Dass dieser Anspruch aber in den 1540er Jahren noch nicht eindeutig gefestigt war, zeigen die dort entstehenden Streitigkeiten mit den inzwischen ebenfalls an den Grafenstimmen interessierten Franken. Sowohl die Franken als auch die Grafen der Wetterau beschlossen im Rahmen dieses Konflikts zeitweise, statt instruierter Juristen lieber einen der Ihren persönlich zu senden. Von einem instruierten Gesandten fürchteten sie, er könne sich nicht gegen einen persönlich anwesenden fränkischen Grafen durchsetzen.1⁷⁴ Die Wahrnehmung der Grafenstimmen war noch stark von dem Wirken und der Anwesenheit einzelner angesehener Personen abhängig.1⁷⁵ Wichtig war, dass die beiden Grafenstimmen nie im Sinne von Kuriatsstimmen1⁷⁶ wahrgenommen wurden: Die Stimmführer mussten sich nicht über eine Wahl durch die übrigen Grafen legitimieren. Sie stimmten zwar stellvertretend für alle Grafen und Herren, waren diesen aber keine Rechenschaft schuldig. Der Umstand, dass die durch den geografischen Zufall bedingte Beauftragung einzelner Grafen durch ihre Nachbarn sich positiv auf ihre Chancen auswirkte, eine Stimme zu führen, bewirkte erst langsam den kurialen, kollektiven Charakter der Grafenstimmen. Vor dem Hintergrund der Stimmstreitigkeiten wurden eine Reihe von unterschiedlichen Regeln formuliert, die die Wahrnehmung der Grafenstimmen rechtfertigen sollten. Im Zusammenhang mit Bemühungen, den Streit zu schlichten, gab es Initiativen, die Grafen langfristig in zwei Gruppen einzuteilen, die dann jeweils einen Gesandten für eine der beiden Stimmen verordnen sollten. Hierzu wurde in einer entsprechenden Vereinbarung folgende Regel formuliert:

173 Böhme, Das fränkische Reichsgrafenkollegium, S. 92–94. 174 Ders., Das fränkische Reichsgrafenkollegium, S. 102–103; Schmidt, Wetterauer Grafenverein, S. 174. 175 Böhme, Das fränkische Reichsgrafenkollegium, S. 99–100. 176 Erst nach Karl V. entwickelte sich an den Reichstagen die Unterscheidung in Viril- und Kuriatsstimmen. Zu den gräflichen Kuriatsstimmen: Schmidt, Wetterauer Kuriatsstimme.

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Verfahrensentwicklung

»Nachdem bißheer im hl. röm. Reich, so darinnen reichstäge gehalten worden sein, die wolgebornen meine gnedigen hern, die oberlendischen und niederlendischen graven und hern, im selbigen reichsrhat zwo stimmen gehabt«1⁷⁷, müssten diese Regionen sich nun auf gemeinsame Vertreter einigen. Was war hier geschehen? Die beteiligten Juristen hatten die Widersprüchlichkeit aufgelöst, die die bisherige Praxis geprägt hatte. Es war nämlich kaum zu verstehen, weshalb alle Reichsgrafen zum Reichstag geladen wurden, aber nur die Grafen zweier Regionen über die beiden Grafenstimmen bestimmen durften. Aufgelöst wurde dieser Widerspruch dadurch, dass Schwaben und Wetterau ersetzt wurden durch eine Einteilung des gesamten Reichs in einen oberen (näher an den Alpen) und einen niederen (näher am Meer gelegenen) Teil. Aus der zufälligen Entwicklung wurde eine sinnhafte Regel: Das Reich war nun eingeteilt in zwei Grafenbezirke, die theoretisch alle Grafen des Reichs umfassten. Jeder Graf konnte sich einer der beiden Stimmen zuordnen. Durch diese Regelformulierung, die sich allerdings nicht durchsetzen konnte, wurde der zufälligen Entwicklung im Nachhinein eine sinnhafte Systematik unterstellt – als habe einst jemand geplant, wie das Reichstagsverfahren aussehen sollte, und für die Reichsgrafen dabei zwei Bankstimmen vorgesehen. Diese Sinnzusprechung bediente die bereits dargestellte Vorstellung einer umfassenden Ordnung. Es ist wesentlich für die Verfahrensentwicklung der frühneuzeitlichen Reichstage, dass das Zustandekommen von Verfahren nicht als Ergebnis einer stark durch Zufall geprägten Entwicklung wahrgenommen wurde. Ein bekanntes Beispiel für dieses Phänomen außerhalb der Reichstage stellt die Herleitung der Kurwürde über die Erzämter dar.1⁷⁸ Auf den Reichstagen fand eine konstante Deutung des Verfahrens im Sinne dieser Ordnungserwartung statt. Gewöhnlich liefen solche Deutungen unsichtbar ab.1⁷⁹ Wesentlich für die Verfahrensbildung war dagegen, dass die Unsichtbarkeit der unterschiedlichen Deutungen aufgehoben wurde. Derartige Deutungsversuche sind als Versuche zur Harmonisierung von Widersprüchen zu sehen und nicht als Zeichen der Unfähigkeit, Entwicklungen als solche zu erkennen. Es lag am Rechtsverständnis der Zeit, dass Verfahrens- und Rechtsveränderungen gewöhnlich nur dann thematisiert wurden, wenn diese als negativ und ungerechtfertigt empfunden wurden. So beklagten die Kurfürsten auf dem Reichstag von 1547/48, der einstige Brauch, dass die Kurfürsten alleine mit dem Kaiser berieten, sei zugunsten einer unverhältnismäßigen Beteiligung der Fürsten aufgegeben worden.1⁸⁰ Noch in der zweiten Jahrhunderthälfte wünschte sich Reichsvizekanzler Seld, »das der nam der reichstäg (davon man dan vor alten zeitten gar nichts gewusst) in abgrund der hell vergraben wär, so wolten wir widerumb grosse sachen ausserhalb Teutschlands verrichten und sonst under 177 RTA JR 16, Nr. 255 (S. 1454–1456), S. 1454. 178 Erkens, Kurfürsten und Königswahl, S. 87–90; Wolf, Entstehung des Kurfürstenkollegs, S. 12–15, S. 51, Anm. 71. 179 Stollberg-Rilinger, Einleitung in: »Was heißt Kulturgeschichte des Politischen?«, S. 20. 180 RTA JR 18, Nr. 62 (S. 317–815), S. 397–398.

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Zusammenfassung – Verfahrensentwicklung

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ainander selbs nit so unainig sein«1⁸1. Man war sich also der relativen Neuheit der frühneuzeitlichen Reichstage prinzipiell bewusst.1⁸2 In beiden Fällen kam die Entwicklung der Reichstage und ihres Verfahrens aber nur deshalb zur Sprache, weil sie als Fehlentwicklung eingestuft wurde.

4.7 Zusammenfassung – Verfahrensentwicklung Die Entstehung und Ausdifferenzierung von Verfahren auf den Reichstagen unter Karl V. waren ein komplexer Prozess, der zwar von vielen beeinflusst, aber kaum gesteuert werden konnte. Die in diesem Kapitel gewonnenen Erkenntnisse lassen sich in folgenden Annahmen zusammenfassen: 1. Das entstehende Reichstagsverfahren trennte die Reichstage von anderen Versammlungen. Die Hoftage des Mittelalters waren gleichzeitig gesellschaftliche Ereignisse und politische Versammlungen, ohne dass die Mechanismen der sozialen und der politischen Aspekte voneinander zu trennen waren. Die Entstehung des Reichstagsverfahrens, die in diesem Sinne schon deutlich vor Karl V. begann, führte dazu, dass eine eindeutige Trennung stattfand zwischen Reichstagsverhandlungen und anderen Formen des Zusammentreffens. Für die Reichstagsverhandlungen bildeten sich Regeln heraus, die außerhalb der Sitzungen nicht oder nur bedingt galten. Somit boten die Reichstagssitzungen ihren Teilnehmern Handlungsräume mit deutlich reduzierten Handlungsmöglichkeiten. 2. Reichstagsverfahren war eine Angelegenheit der Räte. Es ist auffällig, dass viele Irritationen im Reichstagsverfahren unter Karl V. daher rührten, dass es schwierig war, Standespersonen in ein von Räten geführtes Verfahren einzugliedern. Tatsächlich anwesende Fürsten gingen anders miteinander um als die Räte in Vertretung ihrer Fürsten. Während das Aufeinandertreffen der Fürsten stärker von nicht reichstagsspezifischem Zeremoniell und intuitiv angewandten sozialen Regeln geprägt wurde, die sich aus einem Empfinden für Höflichkeit, Angemessenheit und Anerkennung ableiteten, wurden diese Regeln durch Verfahrensbildung abstrahiert. Sie wurden dabei vom Individuum gelöst und galten generell für die jeweilige Vertretung eines Reichsstands am Reichstag. Ergebnis dieser Entwicklung war, dass die anwesenden Kurfürsten und Fürsten sich schließlich nicht mehr persönlich in den Versammlungen äußerten und selbst dann, wenn sie anwesend waren, ihre Räte für sich sprechen ließen. Aus nach individuellen Vorgaben intuitiv angewandten Regeln wurden somit juristisch verstandene, institutionalisierte Regeln. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Fürsten nicht auch dem Verfahren unterworfen waren. Die Verfahrens181 Goetz, Beiträge zur Geschichte Herzog Albrechts V. und des Landsberger Bundes 1556–1598, Nr. 248 (S. 312). 182 Moraw, Versuch, S. 35.

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Verfahrensentwicklung

entwicklung ging jedoch einher mit der Ausweitung des fürstlichen Personals durch juristisch geschulte Räte. Die Professionalisierung in der Verwaltung der einzelnen Fürstentümer wirkte sich so auch auf den Reichstag aus. Verfahren entstand durch Streit. Weder bei der ersten Anwendung noch durch die schriftliche Aufzeichnung einer Anwendung einer bestimmten Vorgehensweise etablierte sich Verfahren. Um ein bestimmtes Vorgehen dauerhaft als Verfahren zu verstetigen, bedurfte es gewöhnlich eines Konflikts. Erst wenn sich das Verfahren in einem Streit durchgesetzt hatte, war es in Form einer allgemein bekannten Regel verankert. Verfahrensstreit war ein Streit um die Bildung von Kategorien. War das Verfahren zuvor noch nicht in Regeln formuliert, wurde ihm von den einzelnen Beteiligten dennoch eine Sinnhaftigkeit unterstellt. Im Verfahrensstreit konkurrierten die unterschiedlichen Interpretationen des früheren Vorgehens. Dabei lag der Unterschied zwischen den Parteien oft darin, dass das frühere Vorgehen unterschiedlich begründet und so auch die aktuelle Situation in andere Kategorien eingeordnet wurde. Dies bedingte einen bedeutsamen Unterschied zu modernen politischen Institutionen, die oft über ihren Zweck legitimiert werden. Das Verfahren der Reichstage legitimierte sich über das Herkommen. Über den Zweck, den es erfüllte, musste gestritten werden. Verfahren wurde über verschiedene Ansätze gleichzeitig gerechtfertigt. Da es keine unanfechtbare Rechtsquelle für Reichstagsverfahren gab, stützten sich auch die Herleitungen in konkreten Einzelfällen gewöhnlich auf mehrere Rechtfertigungsgrundlagen. Diese sind in juristische Begründungen, Berücksichtigung von Notwendigkeiten und Beachtung von sozialen Aspekten einzuteilen. Ausdifferenzierung des Verfahrens geschah über die Formulierung von Ausnahmen. Standen in früherer Zeit prinzipiell mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, wie in einer bestimmten Situation vorzugehen war, und waren diese Möglichkeiten auch als Präjudizien nachweisbar, bildeten sich dennoch Regeln heraus, durch die die unterschiedlichen Vorgehensweisen bestimmten Situationen zugeordnet wurden. Durch die Formulierung von Ausnahmebedingungen wurden die Verfahrensvarianten so genauer definierten Umständen zugeordnet. Teilnahme am Verfahren legitimierte das Verfahren. Nahmen Stände an einem bestimmten Verfahren teil, ohne diesem zu widersprechen, galt dies als Bestätigung der Regel, die das jeweilige Verfahren bedingte. Wollte ein Stand ein Verfahren nicht anerkennen, musste er seine Ablehnung deutlich artikulieren. Hatte ein Stand zu befürchten, seine Teilnahme an einem Verfahren könnte als Zustimmung zu einer Regelinterpretation gewertet werden, die er nicht teilte, so konnte er sich ebenfalls dazu veranlasst sehen, seine Interpretation der Situation deutlich zu artikulieren. Verfahrensstreit fand statt zwischen Konsens und Abwesenheit. Da es keine allgemeingültigen Richter über Verfahrensfragen gab, mussten viele Entscheidungen zu Verfahren über Konsens getroffen werden. Dabei wirkten ähnliche

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Zusammenfassung – Verfahrensentwicklung

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Mechanismen wie in anderen Konflikten innerhalb der Reichstagsversammlung. Das äußerste Mittel war für einflussreiche Stände auch hier die Verweigerung der Teilnahme. Der Stand – und seine Anhängerschaft – verweigerten sich in diesem Fall dem konkreten Verfahren oder gar dem ganzen Reichstag unter Verweis auf die jeweiligen Gründe. 9. Wesentliche Bestandteile des Verfahrens wurden durch Zufälle gestaltet. Dabei wurden Regeln abgeleitet aus Begebenheiten, die sich aus speziellen einmaligen Situationen ergeben hatten. Diese wurden als Präjudizien angeführt und ermöglichten die Bildung einer Regel. Den sich herausbildenden Regeln wurde aber gerne ein Sinn zugeschrieben, der die Zufälligkeit ihrer Entstehung ausblendete.

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Zusammenfassung der Ergebnisse

Die anfangs vorgestellte Annahme, das Reichstagsverfahren habe sich zwischen 1521 und 1555 noch in einem Entwicklungsprozess befunden, konnte bestätigt werden. Wie sich gezeigt hat, waren viele Einzelheiten des Reichstagsverfahrens während dieser Zeit noch ungeklärt oder zumindest deutlichen Veränderungen unterworfen. Dabei sind zunächst zwei Faktoren zu beobachten, die in der Zeit Karls V. enorm zur Ausformung des Reichstagsverfahrens beitrugen. Dies waren einerseits die Ausrichtung des politischen Geschehens auf eine stärkere Beteiligung von Räten und andererseits die politischen Auswirkungen der Reformation. Die zunehmende Bedeutung, die studierte Räte in der Verwaltung der reichsständischen Territorien übernahmen, übertrug sich auch auf die Reichstage. Fürsten nahmen ihre Kanzler und Räte mit zum Reichstag, um auch dort auf deren Unterstützung zurückgreifen zu können, oder sie schickten einen Teil ihrer Räte als Gesandtschaft, ohne persönlich zum Tagungsort zu reisen. Dies führte dazu, dass die Reichstagsverhandlungen zunehmend in die Hände von Räten gelangten und die Reichstage in weiten Teilen zu Räteversammlungen wurden. Diese Veränderung betraf dabei nicht nur die Anzahl oder den Anteil von Räten in den Versammlungen, denn reine Gesandtenkonferenzen hatte es auch schon im 15. Jahrhundert gegeben. Tatsächlich veränderte sich, viel tiefgreifender, das politische Verständnis der Beteiligten. Gesandtschaften und Räte waren zunächst ein Ersatz für nicht anwesende Fürsten. Obwohl sie sich schon früh auf Hoftagen nachweisen lassen, waren Gesandtschaften und Räte jedoch formell eine Ausnahme. Die Reichstage sollten ihrer Tradition gemäß Versammlungen sein, auf denen Fürsten und andere Standespersonen zusammenkamen, die so bedeutend waren, dass der Herrscher ihren Rat beachten müsse und sie nicht übergehen dürfe. An den Versammlungen nahmen sie nach diesem Verständnis als einzelne Personen von Bedeutung teil. Als solche zeichneten sie sich durch individuelle Eigenschaften aus, die nicht ohne weiteres vollständig auf ihre Nachfolger und Erben übergingen. Am Ende der genannten Entwicklung, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, war die Vertretung dieser Personen durch Räte de facto Regelfall. Dadurch institutionalisierte sich diese Vertretung und baute ein eigenes Regelgerüst auf, ein Vorgang, der sich am deutlichsten bei den Sessionsstreitigkeiten des Untersuchungszeitraums zeigt. Von der Session auf mittelalterlichen Hoftagen ist bekannt, dass die Position des einzelnen Teilnehmers noch durch den Herrscher beeinflusst werden konnte und dass dabei der individuelle Rang einer Person von verschiedenen Faktoren abhing. Während der Reichstage des 16. Jahrhunderts reduzierten sich diese Faktoren immer stärker auf die traditionelle Bedeutung des entsprechenden, für die aktuelle Reichstagsteilnahme ausschlaggebenden Fürstentums. Es wurde daher nicht mehr nach dem angemessenen Sitzplatz für die Person des Fürsten gesucht. Stattdessen war – von Extremfällen abgesehen – allein

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die traditionelle Position des Fürstentums von Bedeutung, für das die anwesende Person Sitz und Stimme wahrnahm. Diese Veränderungen führten oftmals zu Irritationen. Die Umwandlung des Reichstags von einer Versammlung bestimmter Individuen zu einer Versammlung abstrakter Stände erfolgte weder bewusst gesteuert noch vollzog sie sich einheitlich. Es hat sich gezeigt, dass für die Reichstagsteilnehmer dabei in vielen Fällen unklar war, welche Regeln anzuwenden waren. Während einige wohlhabende Stände ihre Reichstagsbeteiligung bereits früh in die Hände von juristisch geschulten Räten gaben, die auch am Fürstenhof die alltägliche politische Arbeit übernahmen, sahen andere Stände die Reichstagsteilnahme noch lange als ihre persönliche Angelegenheit an. Waren die Reichsstände persönlich am Reichstag, betraf sie die einsetzende Abstraktion nur bedingt. König Ferdinand ist hierfür ein gutes Beispiel. Er wurde als ein Bruder des Kaisers in dessen Anwesenheit beim Abhalten der Reichstage zeremoniell deutlich besser behandelt als seine Stellung als Kurfürst von Böhmen und Erzherzog von Österreich es erlaubt hätte. Gleichzeitig wurde aber bereits viel Wert darauf gelegt, dass seine Räte im Verfahren lediglich die Ansprüche Österreichs geltend machten. Für Ferdinands Räte bestand die Rollentrennung des Verfahrens also deutlich schärfer als für den König persönlich. Gerade wenn persönlich anwesende Fürsten auf Räte trafen, die abwesende Fürsten vertraten, stießen zwei unterschiedliche politische Konzepte aufeinander. Der anwesende Fürst sah sich als Person von hohem Stand adeligen oder gar bürgerlichen Räten überlegen und suchte nach Möglichkeiten, dieser Differenz Ausdruck zu verleihen. Die Räte dagegen sollten die Rechte ihrer Auftraggeber verteidigen und hatten ein Interesse daran, im Rahmen des Reichstagsverfahrens ein System zu schaffen, bei dem die beteiligten Reichsstände unabhängig von den individuellen Eigenschaften der anwesenden Personen agierten. Bei der Session und auch beim Verfahrensstreit blieben individuelle Eigenschaften aber lange ein Faktor. Beispielsweise wurde eine Session nach Alter der betroffenen Fürsten vorgeschlagen, wenn der Vorrang eines Fürstentums nicht eindeutig war. Auch wurden jüngere Reichstagsteilnehmer harscher kritisiert als ältere. Die in der Zeit Karls V. häufigen Zusammenstöße von Standespersonen und gelehrten Räten zeugen von der verbreiteten Unsicherheit, die die Umstellung mit sich brachte. Der Wunsch der anwesenden Fürsten, sich von den ihnen im Rang unterlegenen Räten abzugrenzen, führte unausgesprochen zu einer Trennung der beiden Gruppen. Nur so konnten langfristig die Schwierigkeiten umgangen werden, die die Parallelität von Standesperson und Repräsentant für das zeremonielle Verfahren mit sich brachte. Diese Tendenz äußerte sich in den 1520er Jahren noch in Verfahrensweisen, bei denen anwesende Fürsten und Räte als unterschiedliche Kategorien aufgefasst wurden. So traten bei Ausschusswahlen Fürsten und Räte nicht direkt gegeneinander an. Stattdessen wurde vorgesehen, aus beiden Gruppen eine bestimmte Anzahl in den Ausschuss zu wählen. In den 1540er Jahren war dabei schon die einfache Benennung der entsprechenden Reichsstände üblich, die dann jeweils gewöhnlich mit ihren Räten im Ausschuss vertreten waren. Ausschussverhandlungen waren

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inzwischen eine Angelegenheit der Räte, bei denen ein tatsächlich anwesender Fürst eine Seltenheit darstellte. Langfristig trennte diese Entwicklung das Reichstagsgeschehen in zwei unterschiedliche Sphären. Die erste war eine deutlich stärker durch Zeremoniell geprägte Ebene, bei der die anwesenden Fürsten eine hervorgehobene Rolle behielten und auch in ihren individuellen Eigenschaften gewürdigt wurden. Dies betraf vor allem die Rituale zur Eröffnung und Beendigung der Reichstage. Je nach Umständen betraf es aber auch die Gemeinen Versammlungen als den Reichsrat aller Stände, wenn etwa Gesandtschaften angehört wurden, die sich an Kaiser und Stände wandten. Waren bei solchen vergleichsweise öffentlichen Handlungen Fürsten persönlich zugegen, wurde ihr Rangvorbehalt gegenüber den Räten berücksichtigt und sichtbar gemacht. Die andere Sphäre war die der Verhandlungen in den einzelnen Versammlungen, seien es nun die Kurien, Relationssitzungen oder Ausschüsse. Hier beteiligten sich in erster Linie Räte und auch persönlich anwesende Fürsten gingen dazu über, innerhalb dieser Versammlungen ihre Räte für sich sprechen zu lassen. Die Rolle der Teilnehmer wurde hier auf ihre Reichsstandschaft reduziert. Augenfällig werden diese beiden Sphären wieder beim bereits angeführten Beispiel Ferdinands, dessen individuelle Eigenschaften im Zeremoniell gewürdigt wurden. So konnte Ferdinand 1530, noch als Erzherzog, im Zeremoniell bereits eine den Kurfürsten überlegene Position einnehmen, weil er der Bruder des Kaisers war. Aus dem selben Grund überließ Ferdinand die Teilnahme an den Verhandlungen aber seinen Räten. Für sein Ansehen und sein politisches Gewicht wäre es wegen der eindeutigen Beschränkung auf die Rolle seines Erzherzogtums abträglich gewesen, sich im Fürstenrat persönlich zu beteiligen. Beide Sphären bildeten das Reichstagsverfahren. Ihnen lassen sich auch die eingangs genannten Aspekte des »zeremoniellen Verfahrens« nach Tim Neu zuordnen: Das Reichstagszeremoniell trug zur Legitimation der getroffenen Entscheidungen und des den Reichstag abhaltenden Herrschers bei, indem die Teilnehmer ihre Bedeutung und Rolle, die sie außerhalb des Reichstags hatten, mit dem Geschehen des Reichstags verknüpften. In den Verhandlungen aber äußerten sich geschulte Räte, die eigens für die Verhandlungen eine besondere Rolle annahmen, die ihnen das Verfahren zuordnete. In dieser Sphäre näherte sich das Verfahren daher deutlich stärker dem Verfahrenskonzept von Niklas Luhmann an, ohne aber eine ausreichend legitimierende Wirkung zu entfalten. Die Verhandlungen erzeugten zwar Entscheidungen; sie allgemein verbindlich zu machen, erforderte aber den zeremoniell ausgedrückten Zuspruch der Beteiligten. Dies wird bei den zahlreichen Reichstagen deutlich, auf denen sich ein Teil der Stände wahrnehmbar dem zeremoniellen Verfahren entzog, indem er sich Beratungen verweigerte, vorzeitig abreiste oder zumindest spätestens bei der Verlesung des Abschieds protestierte. Es bleibt also zu betonen, dass die Entwicklung eines Reichstagsverfahrens nicht dazu beitrug, die Bedeutung des Symbolischen zu reduzieren, das sich im Zeremoniell ausdrückte. Die Behandlung, die eine Person im Zeremoniell erfuhr, blieb ein Ausdruck der politischen Verhältnisse. Die persönliche Anwesenheit wichtiger Kurfürsten und Fürsten bei politischen Entscheidungen trug weiterhin

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enorm dazu bei, diese zu legitimieren. Die Herausbildung des Reichstagsverfahrens schuf dagegen vielmehr eine Möglichkeit, trotz der Beibehaltung des Symbolischen die eigentlichen Verhandlungen den damit beauftragten Räten zu überlassen. Verfahren und Verfahrensentwicklung auf den Reichstagen Karls V. waren stark von den politischen Herausforderungen der Zeit geprägt. Die zweite Veränderung, die sich wesentlich auf die Herausbildung des Reichstagsverfahrens auswirkte, waren daher die politischen Auswirkungen der Kirchenspaltung. Deren Bedeutung wurde in der vorliegenden Arbeit vor allem beim chronologischen Vergleich des Reichstagsverfahrens deutlich. Auf dem ersten Reichstag Karls war die anstehende Entwicklung noch nicht abzusehen. Beim Herrscherwechsel von Maximilian I. zu Karl V. waren die Erwartungen an die kommenden Reichstage noch stark vom Gedanken der ständischen Mitregierung im Reich geprägt. Wie in der Wahlkapitulation vorgesehen, sollte ein neues Reichsregiment unter starker Beteiligung der Stände gebildet werden. Durch die Stellung von Regimentspersonen, die Einrichtung des 18-Fürsten-Tags für Notsituationen und durch regelmäßig stattfindende Reichstage strebten die Reichsstände nach korporativer Verantwortung für die Reichspolitik. Diese Vorstellung gemeinschaftlicher ständischer Verantwortung geriet jedoch in eine Krise, als die bisherigen Institutionen nicht mehr genügten, um die Spannungen und Konflikte unter den Ständen zu überwinden. Die zunehmende Polarisierung der Stände in sich unnachgiebig gegenüberstehende Lager erschwerte bald das Abhalten von Reichstagen. Während die Stände unter Maximilian I. noch dafür kämpften, die Einladung der Gesamtheit aller Reichsstände durchzusetzen und so der kaiserlichen bzw. königlichen Macht möglichst geschlossen gegenüberzutreten, verweigerten sich die Stände unter Karl V. wiederholt und gegen eindringliche Forderungen des Kaisers gesamtständischen Beratungen. Reichstage waren nun vom gegenseitigen Misstrauen geprägt. Dies wirkte sich auch auf das Verfahren der Versammlungen aus. Bisher hatte sich das Verfahren vor allem zu dem Zweck herausgebildet und weiterentwickelt, die einzelnen Stände bei den Beratungen von der Beeinflussung durch das Reichsoberhaupt abzuschirmen. Durch den Ausschluss des Kaisers vor dem Zustandekommen einer gesamtständischen Position und durch die Verpflichtung zur Geheimhaltung sollte der Einfluss des Reichsoberhaupts reduziert werden. Ein einzelner Reichsstand sollte nicht mehr fürchten müssen, wegen seiner Äußerungen in den Verhandlungen unmittelbar in Ungnade zu fallen. Unabhängig davon, wie gut diese Ziele Bertholds von Henneberg umgesetzt werden konnten, stellte sich auf den Reichstagen Karls V. viel dringender eine andere Frage: Wie waren die Konflikte zwischen den Ständen zu überwinden oder wie konnte man zumindest verhindern, dass diese Konflikte das Abhalten von Reichstagen generell blockierten? Diese Frage berührte dabei das Verfahren hinsichtlich des Umgangs mit Dissens innerhalb der Ständeversammlung. Sie betraf die bereits häufiger in der Literatur aufgegriffene Möglichkeit zur Durchführung von Mehrheitsabstimmungen. Da Mehrheitsabstimmungen angesichts der schwankenden Teilnehmerzahlen außerhalb von Ausschüssen schwer durchzusetzen waren, fielen der Forschung gerade die kurienübergreifenden Ausschüsse vermeintlich als un-

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genutzte Chance der Verfahrensbildung auf. Diese Einschätzung hat sich jedoch nicht bestätigt. Der erste Reichstag Karls V. 1521 war noch stark vom Gedanken der ständischen Mitregierung geprägt. Die Stände einigten sich schnell auf einen Großen Ausschuss, der in ihrem Namen die wesentliche Verhandlungsarbeit übernahm. Ihre Ziele waren damals jedoch auch noch verhältnismäßig einheitlich: Die Verwirklichung eines neuen Reichsregiments hatte in ihren Reihen keine vehementen Gegner. Auch erkannten die Stände ihre prinzipielle Pflicht zur Leistung der Romzughilfe an. Unter diesen Umständen war es, verglichen mit späteren Reichstagen, leicht, sich auf die Personen des Ausschusses zu einigen. Es war deshalb nicht die primäre Aufgabe des Großen Ausschusses oder auch anderer Ausschüsse von 1521, bei strittigen Themen durch ein autonomes Verfahren eine anzuerkennende Entscheidung zu fällen. Vielmehr verhandelte der Ausschuss für die Stände mit Karls Räten über die Details der verhandelten Projekte. Konfliktpotenzial lag dabei in erster Linie in den unterschiedlichen Vorstellungen Karls und der Stände hinsichtlich der kaiserlichen Regierung in Karls Abwesenheit. Unter den Ständen selbst gab es in dieser Frage dagegen keine großen Gegensätze. In der Zeit zwischen dem Wormser Reichstag von 1521 und dem Augsburger Reichstag von 1530 änderte sich diese Konstellation erheblich. Dem Reichsregiment und den kaiserlichen Statthaltern gelang es in Karls Abwesenheit nicht, eine Autorität zu entfalten, die auch nur annähernd an die des Herrschers heranreichte. Dennoch suchte das Regiment den Konflikt mit einzelnen Ständen, was zu seiner Entmachtung weiter beitrug. 1522 war das Verhältnis zwischen Regiment und Ständen noch verhältnismäßig ungetrübt, was sich auch im Reichstagsverfahren niederschlug. Die Regimentsräte wurden sogar Teil des Großen Ausschusses. Das Selbstverständnis des Regiments unterschied sich jedoch bereits von der Beurteilung durch die versammelten Stände. Dies wurde am auffälligsten bei der Frage erkennbar, ob das Regiment zeremoniell als Stellvertreter des Kaisers gewürdigt werden müsse. Bald zeigten sich auf den vom Reichsregiment geleiteten Reichstagen die ersten Auswirkungen und Begleiterscheinungen der beginnenden Kirchenspaltung. Zunächst galt es, den auch religiös gerechtfertigten Aufständen der Bauern entgegenzutreten. In diesem Zusammenhang entwickelte sich eine erste Polarisierung unter den versammelten Ständen, die sich auf das Verfahren auswirkte. Der weit verbreitete Unmut über offensichtlichen Missbrauch innerhalb der Kirche äußerte sich auf den Reichstagen zunächst in der Gravaminapolitik der Reichsstände, die die geistlichen Reichsfürsten unter Druck setzte. Angesichts der verbreiteten kirchenfeindlichen Stimmung sahen sich vornehmlich die weltlichen Stände veranlasst, auf kirchliche Reformen zu drängen, ohne dass eine klare Spaltung in die späteren Konfessionen bereits absehbar gewesen wäre. Theologische Differenzen zwischen den einzelnen Reichsständen wurden dabei möglichst mit dem Hinweis übergangen, man hoffe auf eine baldige Klärung durch eine kirchliche Versammlung. In der Mitte der 1520er Jahre war die Bereitschaft zu Reformen in der Reichskirche unter den weltlichen Ständen generell sehr hoch. Die Rolle der römischen

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Kirche im Reich wurde recht offen hinterfragt. Eine Reichsversammlung zu diesen Themen ließ Karl 1524 deshalb verbieten. 1526 äußerte sich das starke Misstrauen der geistlichen Fürsten gegenüber dem weltlichen Stand zunächst darin, dass die Bischöfe einem Reichstag in Karls Abwesenheit ablehnend gegenüberstanden. Ihr Misstrauen war 1526 auch Grund dafür, dass die Bischöfe nicht geneigt waren, einen Großen Ausschuss zu bewilligen. Zu unvorhersehbar schien ihnen wohl der Weg, den ein solcher Ausschuss beschreiten würde. Deshalb baten die geistlichen Fürsten zeitweise auch darum, die weltlichen Ausschussmitglieder ernennen zu dürfen. Obwohl der Große Ausschuss von 1526 schließlich doch zustande kam, zeigte die Entwicklung, dass gerade bei stärkerer Uneinigkeit unter den Ständen Ausschüsse nicht als geeignetes Verfahrensmittel abgesehen wurde. Zu sehr fürchtete man, die Ausschussgutachten könnten eine Partei einseitig begünstigen. Als auf Reichsebene eine eingehende Auseinandersetzung mit den verschiedenen religionspolitischen Strömungen ausblieb, verlagerte sich die Umsetzung der einzelnen Reformvorschläge allein auf die Territorien, was die Polarisierung der Stände förderte. Gab es zunächst viele Stände, die generell eine Reform der Kirche befürworteten, so wuchsen nun die jeweiligen Lager der Anhänger von Luther und Papsttum. Einen vorläufigen Höhepunkt fanden die wachsenden Gegensätze unter den Ständen auf dem Reichstag von 1529. Die dabei verlesene Proposition ist als folgenschwerer Fehler Ferdinands anzusehen. Während die bisher nicht eingetroffene kaiserliche Proposition die Stände diesmal ausdrücklich mit der Behandlung kirchlicher Missstände beauftragt hätte, verbot Ferdinand – eigenmächtig, aber vermeintlich im Namen des Kaisers – jegliche Änderungen in der Religion. Die Kompromissformel, die 1526 noch die Umsetzung des Wormser Edikts dem Gewissen der Stände unterworfen hatte, hob Ferdinands Fälschung unter Verweis auf kaiserliche Machtvollkommenheit wieder auf. Damit zwang Ferdinand die Stände in Abwesenheit des Kaisers zu einer neuen Auseinandersetzung mit dem Wormser Edikt und der Glaubensproblematik, nahm ihnen aber die bisher angewandten Möglichkeiten zur Harmonisierung. Dies förderte ein offenes Ausbrechen der Gegensätze. Eine Konsensentscheidung konnte nicht mehr erzielt werden. Die lutherischen Stände sahen keine Möglichkeit, sich dem Ausschussgutachten anzuschließen, ohne ihre reformatorische Politik aufzugeben, und protestierten unter Führung des sächsischen Kurfürsten gegen den Reichsabschied. Die Ereignisse von 1529 führten die Grenzen des Ausschussverfahrens offen vor Augen. Ein verfahrenstechnisch so autonomes Gremium war nicht geeignet, die Polarisierung unter den Ständen zu überwinden. 1529 brachen die Reichsstände mit dem bisher angewandten Prinzip, ihre Ergebnisse nur im Konsens zu erzielen. Das Konsensprinzip hatte die Stände lange davon abgehalten, in der Religionsangelegenheit Entscheidungen zu fällen, die sich ausdrücklich gegen einzelne Stände richteten. Dieses Prinzip hatte die Stände aber in ein Dilemma geführt: Die steigende Spannung in der Religionsfrage ließ eine Lösung des Problems immer dringender werden. Eine solche Lösung war im Konsens aber gerade wegen der harten Gegensätze nicht zu erwarten. Die Aufhebung der Gewissensformel und das Verbot ständischer Kirchenpolitik erzwangen 1529 ein unvermitteltes Aufein-

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andertreffen der Gegensätze. Statt sie zu überwinden, wurden die Spaltung der Stände nun auch öffentlich sichtbar. Die Protestanten entzogen sich dem Reichstag. Sie verweigerten die Anerkennung seiner Ergebnisse. Die Protestation von 1529 hatte dabei für beide Parteien verfahrenstechnische Konsequenzen. Beide Seiten sahen sich veranlasst, sich zu rechtfertigen. Auf der Seite der Unterstützer des Reichsabschieds geschah dies durch den Verweis auf das Mehrheitsprinzip. Die Reichstagsteilnehmer seien demnach in jedem Fall verpflichtet, sich der Meinung der Mehrheit anzuschließen. Hierbei wurde das bisherige Konsensprinzip einfach umgedeutet. Die Protestanten dagegen formulierten einen generellen Vorbehalt in Glaubensfragen, der es dem Reichstag unmöglich mache, ihnen in religiösen Angelegenheiten etwas vorzuschreiben. Solange diese Positionen zum Verfahren nicht miteinander in Einklang gebracht werden konnten, waren Reichsversammlungen nur noch bedingt möglich. Als der Kaiser 1530 endlich und langersehnt wieder persönlich einen Reichstag leitete, hatten sich die Gegensätze bereits zu stark verfestigt. Auch eine Beilegung des Konflikts nach Vorbild der früheren königlichen Gerichtsversammlungen mittels einer Anhörung beider Parteien war nicht möglich. Zur Lösung der Glaubensfrage beschritt man aber schon jetzt neue Wege: Paritätisch zusammengesetzte Ausschüsse sollten eine Einigung ermöglichen. Tatsächlich etablierte sich damit jedoch eine Beratungsform, die für die weiteren Reichstage Karls V. maßgeblich sein würde. Von 1530 an wurden die Reichstage von getrennten Beratungen der beiden religionspolitischen Parteien geprägt – die Spaltung des Reichs war nun für alle sichtbar. Die kaiserliche Politik musste aufgrund anderer dringender Probleme die Lösung des religiösen Gegensatzes immer wieder zurückstellen. Dies äußerte sich 1532 in den Bemühungen um einen allgemeinen Friedstand mit den evangelischen Ständen und den gleichzeitigen Schwierigkeiten dabei, diesen Frieden von den übrigen Ständen anerkennen zu lassen. Der Reichstag als Institution befand sich in einer tiefen Krise. Die Versammlungen hatten sich gewandelt: Dem Reichsoberhaupt trat nicht mehr eine möglichst geschlossene Ständeversammlung entgegen. Stattdessen mussten der Kaiser und seine Stellvertreter in langen Verhandlungen versuchen, beide Parteien zur Annahme eines Kompromisses zu bewegen, um die benötigten Steuerzusagen zu erhalten. Auf der einen Seite kam dem Reichsoberhaupt durch diese Entwicklung eine zentrale Rolle zu. An ihm war es, unermüdlich auf beide Seiten einzuwirken und zu vermitteln. Andererseits beförderte diese Politik das Misstrauen der altgläubigen Partei gegenüber dem Kaiser und damit auch die verfahrenstechnische Ausgrenzung der kaiserlichen Räte. Hatten sich in den 1520er Jahren kaiserliche Räte oder auch Regimentsräte in die Ausschüsse begeben, achteten die in Regensburg 1532 versammelten Stände darauf, dem Kaiser keinen Einfluss auf ihren Großen Ausschuss zu ermöglichen. Die Krise des Reichstags äußerte sich auch darin, dass in Abwesenheit des Kaisers kein weiterer Reichstag einberufen wurde. 1535 wurde ein solcher trotz der Wiedertäuferproblematik vermieden und ersatzweise eine ähnliche Versammlung improvisiert. Erst 1541 schickte sich Karl V. wieder an, sich dem Problem zu wid-

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men, das die Durchführung der Reichstage so erschwerte. Zwei Jahrzehnte nach dem Wormser Edikt konnte das Religionsgespräch von Regensburg die Kirche jedoch nicht mehr vor einer Spaltung bewahren. Die folgenden Reichstage waren alle durch das Dilemma der habsburgischen Reichspolitik geprägt. Um Reichssteuern zu erhalten, mussten nicht nur Zugeständnisse an die evangelischen Stände erfolgen; sie mussten auch noch bei den altgläubigen Gegnern der Reformation durchgesetzt werden. Dies gelang unterschiedlich gut. 1541 und 1542 gaben Karl und Ferdinand separate Zusagen, die nicht in den Abschied übernommen wurden. 1543 und in den Folgejahren war es die starke militärische Präsenz des Kaisers, die die Evangelischen zu Steuerleistungen veranlasste. Das Reichstagsverfahren spielte dabei aber nur eine untergeordnete Rolle, denn bei strittigen Fragen bildeten sich schnell separate Räte, die einander Bedingungen stellten. Einen neuen Höhepunkt erreichte diese Entwicklung, als 1546 der Kurfürstenrat in seiner Mehrheit mit der evangelischen Partei sympathisierte und es nunmehr die Räte der altgläubigen Kurfürsten waren, die sich nicht auf gemeinsame Verhandlungen des gesamten Rats einlassen wollten. Nach dem Schmalkaldischen Krieg verbot Karl V. für den kommenden Reichstag Partikularräte und zwang die konfessionellen Parteien in gemeinsame Beratungen. Auch sah sich der Reichstag den kaiserlichen Bundesplänen ausgesetzt, gegen die sich vor allem der Kurfürstenrat zur Wehr setzte. Deshalb achteten die kurfürstlichen Räte besonders sorgfältig auf alle Verfahrensregeln, die Kurfürstenrat und Fürstenrat von einander trennten. Dies führte zu vielen kurzen Auseinandersetzungen zwischen den Kurien, die zur endgültigen Ausformung von Verfahrensregeln führten. Gestritten wurde auf den Reichstagen von 1547/48 und 1550/51 nicht nur über die korrekte Durchführung des Relationsverfahrens der Kurien, auch die Zusammensetzung der gemeinsamen Ausschüsse war ein Streitthema, das frühere Reichstage so nicht gekannt hatten. Auch hierin äußerte sich ein neues Verfahrensverständnis, denn in den 1520er Jahren war die Zusammensetzung der Ausschüsse kaum unter verfahrenstechnischen Aspekten betrachtet worden. Der Passauer Vertrag und der darauf folgende Augsburger Religionsfrieden von 1555 bedeuteten auch für das Verfahren der Reichstage eine Neuheit. Mit einem dauerhaften Frieden war die wichtigste Forderung der evangelischen Stände erfüllt. Durch den Verzicht auf Mehrheitsverfahren in Religionsfragen, wie ihn der Passauer Vertrag vorgesehen hatte, wurde eine prinzipielle Anwendung des Mehrheitsprinzips möglich. Gleichzeitig wurden Partikularversammlungen der Konfessions- und Ständegruppen 1555 nicht mehr – wie 1547/48 – untersagt. Tatsächlich blieb aber auch noch nach 1555 das Abstimmungsverfahren der Reichstage davon abhängig, dass die beteiligten Stände nach Möglichkeit eine einvernehmliche Lösung anstrebten. Viele Entwicklungen im Reichstagsverfahren lassen sich jedoch nicht direkt einem dieser beiden vorgestellten Faktoren – der Bedeutungszunahme der gelehrten Räte und den Auswirkungen der Kirchenspaltung – zuordnen. Gleichwohl spielten die beiden genannten Faktoren aber eine indirekte Rolle bei der Ausgestaltung der Entwicklung. In eine dritte Kategorie von Verfahrensbildung fallen daher all

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jene Entwicklungen, die der Durchsetzung von Partikularinteressen einzelner Stände oder gar Zufällen geschuldet waren. Es bleibt dabei zu beachten, dass die Verfahrensbildung eine gewisse eigene Dynamik entfaltete, wofür der Kampf der Städte und Grafen um Sitz und Stimme auf den Reichstagsversammlungen ein gutes Beispiel darstellt. So war es im Spätmittelalter zwar nicht unbedingt gewöhnlich, alle relevanten Stände zu einem Hoftag zu laden. Jedoch wurden Einwände anwesender Adliger und Vertreter der Reichsstädte gegen die getroffenen Entscheidungen gehört und – wenn sie überzeugend waren – berücksichtigt. Mit der Herausbildung des Reichstagsverfahrens musste auch dieser Schritt in ein formelles Regelgerüst eingeschlossen werden, das von den aktuellen Umständen unabhängiger war. Bei den Städten äußerte sich dies in der nie vollständig1 durchgesetzten Forderung, ihren Rat als gleichberechtigte Kurie anzuerkennen, deren Konsens für die Reichstagsbeschlüsse erforderlich sein sollte. Bei den Grafen dagegen war es die willkürlich und zufällig erfolgte Einschränkung auf zwei Grafenstimmen im Fürstenrat, die gerade wegen der wachsenden Bedeutung der Reichstagsteilnahme für die Behauptung der eigenen Reichsunmittelbarkeit zu Schwierigkeiten führte. Einen Höhepunkt erreichte dieser Kampf der Städte und Grafen um ihre Beteiligung und Rolle im Reichstagsverfahren in den 1540er Jahren. Für die Grafen war relevant, dass seit den 1520er Jahren die Anzahl ihrer Stimmen im Fürstenrat zunächst auf zwei beschränkt blieb, obwohl gleichzeitig das Interesse vor allem der fränkischen Grafen an einer Beteiligung wuchs. Für die Städte ergaben sich negative Folgen daraus, dass die Großen Ausschüsse an Bedeutung verloren hatten. Der Religionskonflikt wirkte sich aber auch direkt negativ auf die Teilhabe der Städte am Reichstagsgeschehen aus. Da viele Städte sich in den Augen der altgläubigen Stände zu reformfreundlich äußerten, waren diese daran interessiert, die Städte von den Verhandlungen auszuschließen. In der vorliegenden Arbeit wurden einige Aspekte des Reichstagsverfahrens genauer untersucht, die bisher noch kaum oder zumindest ungenau beschrieben worden waren. Die Untersuchung des äußeren Reichstagsablaufs diente der differenzierten Betrachtung einzelner, sich wiederholender Schritte. Dabei wurden in der vorliegenden Arbeit andere Schwerpunkte gesetzt als in bisherigen Arbeiten zum Reichstagsverfahren. Es hat sich an vielen Stellen gezeigt, dass viele Verfahrensweisen noch wandelbar waren. Ein Beispiel mag hier die wachsende Verbindlichkeit zur Hinterlegung eines Gewaltbriefs bei der Mainzer Kanzlei sein. Außerdem lässt sich feststellen, dass manche Entwicklungen auch wieder verloren gingen. Hierzu sei auf die formelle Anfrage zur Eröffnung des Reichstags verwiesen. Diese hatte sich in den 1520er Jahren etabliert und sah vor, dass die am Tagungsort anwesenden Stände zu einer gemeinsamen Sitzung gerufen wurden und dort den Beginn des Reichstags bewilligten. Nach der Rückkehr des Kaisers wurde dieses Verfahren zuletzt 1532 angewendet und dabei sogar gegen ein anderes Konzept Karls V. durchgesetzt. Danach kam es aber nicht mehr zur Anwendung. 1 Selbst nach 1648 blieb die Kurie der Städte auf den Reichstagen den oberen Kurien gegenüber deutlich benachteiligt.

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Ein großer Teil der vorliegenden Arbeit ist verschiedenen bedeutsamen Einzelaspekten des Reichstagsverfahrens gewidmet. Untersucht wurden dabei zunächst die verschiedenen Versammlungsformen des Reichstags, wobei ein besonderes Augenmerk auf dem in der Literatur bereits häufig beachteten Ausschusswesen lag. Ein weiterer untersuchter Einzelaspekt war der Ablauf der Umfrage und die Frage nach der Mehrheitsabstimmung auf dem Reichstag. Gerade Letztere wurde in der bisherigen Forschung immer wieder aufgeworfen und kaum befriedigend beantwortet. Um über die starre Darstellung der Kurienkommunikation im bekannten Ausführlichen Bericht und in der sich darauf beziehenden Literatur hinauszukommen, wurden in der vorliegenden Arbeit verschiedene Möglichkeiten der Kommunikation zwischen den Kurien beleuchtet und auch die Entwicklung zu strengeren Regeln für die gemeinsamen Relationssitzungen der Kurien nachgezeichnet. Die Untersuchung der häufigen Sessionsstreitigkeiten legte einerseits einen Schwerpunkt auf die im Zusammenhang mit der Fragestellung dieser Arbeit bedeutsame Ausgestaltung von Sessionskonflikten zwischen persönlich anwesenden Ständen und Gesandten abwesender Fürsten und andererseits auf die Beschreibung der Mittel, solche Streitigkeiten zu führen. In den 1520er Jahren wurden die Kurien – oder deren Vorstufen – noch als Auseinandertreten des eigentlichen Reichsrats interpretiert. Gerade der Fürstenrat behielt dabei lange die Rolle des vom Reichsrat übrig gebliebenen Teils: Während sich die Kurfürsten separierten, weil sie sich als besonders privilegierte Gruppe wahrnahmen, entstand der Fürstenrat ex negativo als der Teil der Stände, die nicht zum Kurfürstenkreis gehörten. Der Name »Fürstenrat« ist dabei ursprünglich als Verkürzung der Aufzählung dieser Stände zu verstehen. Auffällig ist auch, dass die Kurien lange Zeit nicht als Körperschaften verstanden wurden: Es wurde die Entscheidung der Stände des Fürstenrats mitgeteilt, nicht die Entscheidung des Fürstenrats. »Im Fürstenrat« bezeichnete lange den Ort, an dem sich die Fürsten berieten, nicht das vom Ort unabhängige Gremium. Im Zusammenhang mit der Entwicklung der Kurien wurde bisher auch nicht ausreichend gewürdigt, dass noch in den 1520er Jahren die Integration der Städte in den späteren Fürstenrat nach dem Vorbild der Grafen und Prälaten diskutiert wurde. Der entsprechende Vorschlag wurde in der Forschungsliteratur nur als ein Zwischenschritt des Kampfs der Städte um Beteiligung am Reichstagsverfahren bewertet. Dabei verdeutlicht er aus der Perspektive der übrigen Reichsstände, wie wenig das Bewusstsein für die späteren Kurien in den 1520er Jahren entwickelt war. Der spätere Fürstenrat wurde noch als der Reichsrat ohne die Kurfürsten interpretiert, in dem – sollten sie denn als Reichsstände anerkannt werden – auch die Städte vertreten sein müssten. Das Ausschusswesen ist bisher sehr positiv bewertet worden. Ihm wurde ein im Vergleich zu den Kurien leistungsfähigeres Verfahren unterstellt. Sein Rückgang wurde dabei mit der abwehrenden Haltung der Kurfürsten begründet, wie sie im Ausführlichen Bericht ausgedrückt wird. Hierzu konnten einige neue Beobachtungen gemacht werden: Das frühere Ausschusswesen wird im Ausführlichen Bericht bereits falsch dargestellt. Eine Zusammensetzung der Ausschüsse, wie sie dort

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beschrieben wird, war nicht üblich. Tatsächlich waren die kurienübergreifenden Ausschüsse in der Zeit Karls V. gewöhnlich so zusammengesetzt, dass der Anteil der Stände aus dem Fürstenrat deutlich höher war. Dabei war die Art und Weise, wie die Ausschüsse gebildet wurden, auffällig selten Grund für Streitigkeiten. Vom Reichstag von 1526 ist die Beanstandung der Wahl der Ausschussmitglieder von der weltlichen Bank überliefert. Dabei ging es aber nur um das Ergebnis der Wahl, nicht um das generelle Wahlverfahren. Auf dem Reichstag von 1550/51 stritt man anscheinend zum ersten Mal über die Zusammensetzung eines Ausschusses, als der Fürstenrat nachträglich weitere Personen in den Supplikationsrat delegieren wollte. Generell scheint die Einberufung eines Ausschusses besonders dann sinnvoll gewesen zu sein, wenn ein grundsätzlicher Konsens über die vom Ausschuss auszuarbeitenden Beschlüsse bestand. Einer Ausschussbewilligung widersetzten sich dagegen die Stände häufig dann, wenn der Ausgang der Ausschussberatungen nicht absehbar war und sie negative Folgen für sich befürchten mussten. Ausschüsse stellten daher ein für die Reichstagsteilnehmer unsicheres Instrument dar. Diese Eigenschaften der Ausschüsse relativieren die bisherigen positiven Bewertungen der Ausschüsse. Sie waren nicht geeignet, langanhaltende Konflikte verschiedener Parteien zu lösen. Für ein funktionierendes Reichstagsverfahren war es dagegen wichtiger, gewisse Sicherheiten zu garantieren. Hierzu leisteten erst der Passauer Vertrag und der Augsburger Religionsfriede ihren Beitrag. Bei der Untersuchung der Mehrheitsabstimmungen und der Umfrage in den Reichstagsversammlungen zeigte sich in erster Linie, dass das angewendete Verfahren deutlich von Subjektivität geprägt war. Unabhängig von der Anerkennung von Mehrheitsbeschlüssen war das Verfahren zur Bestimmung eines Mehrheitsvotums nicht eindeutig. Dies lag vornehmlich daran, dass nicht unterschieden wurde zwischen einer Meinungsbildungs- und einer Abstimmungsphase. Vielmehr oblag es dem jeweiligen Direktorium, aus den gehörten Meinungen einen Beschluss zu formulieren, der möglichst viel Unterstützung finden konnte. Die Mechanismen, die das Verhalten der Stände bei der Umfrage beeinflussten, stammten dabei aus dem schon auf mittelalterlichen Hoftagen angewandten Konsensverfahren. Dieses hatte auch noch nach 1555 deutliche Auswirkungen. An zwei Aspekten lässt sich jedoch beobachten, dass das Mehrheitsverfahren an Einfluss gewann. Zunächst ist es schon als ein Ausdruck des Mehrheitsprinzips zu werten, wenn etwas als beschlossen gilt, obwohl ein Teil der Verhandlungsteilnehmer weiterhin gegen die gefällte Entscheidung votiert. Dies war im Konsensverfahren unüblich, bei dem die unterlegene Partei einlenken musste. Der andere Aspekt ist, dass in allen Fällen, bei denen auf Mehrheit verwiesen wurde, dem konkrete Zahlen von Stimmen zu Grunde lagen. Ein »Wägen« oder »Ponderieren«, wie es in der Literatur seit dem 18. Jahrhundert immer wieder erwähnt wird, scheint es nicht gegeben zu haben – zumindest nicht in dem Sinne eines mathematischen Systems. Die Bedeutung eines Stands wirkte sich aber darauf aus, ob sein Abstimmungsverhalten für angemessen gehalten wurde. Die Bewertung der Angemessenheit von Verhalten wurde bisher in der Literatur zum Reichstag nicht ausreichend gewürdigt. Die ältere Literatur befand sich viel-

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mehr auf der Suche nach klar definierten Regeln, die eine Entscheidungsfindung eindeutig feststellbar machen sollten. Sie wurde dabei geleitet von dem Vorbild moderner Verfahren, bei denen die Äußerung von anhaltender Opposition selbstverständlicher Bestandteil ist. Die neuere Forschung tendierte dagegen angesichts des Fehlens solch klar erkennbarer Regeln teilweise sogar dazu, den Zweck der Reichstage gar nicht in politischen Entscheidungen und ihrer Durchsetzung zu sehen. Es muss darauf hingewiesen werden, dass das Verhalten der Reichstagsteilnehmer während der Verhandlungen stark von der Abwägung geprägt war, wie viel man sich jeweils erlauben durfte. Der Prozess des »Wägens« oder »Ponderierens« fand, wenn man es so will, nicht durch das Direktorium oder eine greifbare Instanz statt, sondern zunächst bei den jeweiligen Teilnehmern selbst. Ihre Handlungen und Äußerungen wurden dann von den übrigen Teilnehmern bewertet. Es ist deshalb als eine wesentliche erste Leistung des sich entwickelnden Mehrheitsverfahrens anzusehen, dass die Reichstagsteilnehmer das offensichtliche Fortbestehen abweichender Meinungen tolerierten. Wie wenig selbstverständlich dies auch in späterer Zeit war, zeigen entsprechende Überlegungen, ob in den jeweiligen Ausformulierungen von Beschlüssen der Umstand erwähnt werden sollte, dass nur eine Mehrheit für den Beschluss gestimmt hatte. Es setzte sich somit nur langsam der Gedanke durch, dass eine Entscheidung auch dann als die Entscheidung einer ganzen Gruppe aufzufassen war, wenn Teile der Gruppe nicht zustimmten. Der Vorgang des Auszählens der Stimmen, ein Verfahrensbestandteil, der aus moderner Sicht der interessanteste Part des Abstimmungsverfahrens ist, blieb im 16. Jahrhundert unpräzise. Auf die Probleme, die ein striktes modernes Mehrheitsverfahren in einer so wechselhaften Versammlung wie dem Fürstenrat mit sich brächte, wurde in der Literatur oft hingewiesen. Auch in diesem Zusammenhang muss aber darauf verwiesen werden, dass die Abwägung angemessenen Verhaltens eine Rolle spielte. Das Direktorium im Fürstenrat konnte sowohl durch die Formulierung der Frage als auch durch die Entscheidung, ab wann ein klares Meinungsbild zu erkennen und deshalb die Umfrage nicht mehr zu wiederholen sei, den Verhandlungsverlauf stark beeinflussen. Gleiches galt für die Art und Weise, wie das Direktorium die abgegebenen Voten zu auszählbaren Gruppen zusammenfasste. Wie gezeigt wurde, kam es aber durchaus vor, dass das Direktorium in seiner Arbeit durch die Stände kritisiert wurde. Solche Kritik konnte dazu führen, dass das Verfahren angepasst wurde. Beispielsweise konnte ein Gegenstand nicht mehr in seiner Gesamtheit zur Abstimmung stehen, sondern seine Bestandteile einzeln zur Diskussion gestellt werden. Auch bei der Entscheidung zur Kritik am Direktorium und bei der Bereitschaft des Direktoriums, auf Kritik einzugehen, werden die Mechanismen des Abwägens von Angemessenheit gewirkt haben. In all den scheinbar durch Verfahren regulierten Bereichen des Reichstagswesens kam also stets der hierarchische Wert der Beteiligten zum Tragen. Hinsichtlich der Kommunikation auf dem Reichstag, vor allem zwischen den Kurien, hat sich gezeigt, dass sich die hierzu vorhandenen Regeln deutlich verfeinerten. Ähnlich wie bei den Ausschüssen legte auch hier der Kurfürstenrat

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zunehmend Wert darauf, die Distanz zwischen den Kurien aufrecht zu halten. Hatten die Kurien in den 1520er Jahren noch verhältnismäßig flexibel miteinander kommuniziert, bestand der Kurfürstenrat vor allem gegen Ende der 1540er Jahre auf bestimmten Formalitäten, wie etwa, dass der Austausch der Kurienbedenken mündlich erfolgen müsse. Zeitweise hatte der Austausch schriftlich ausformulierter Bedenken an Bedeutung gewonnen. Auch wurde es in den 1540er Jahren erforderlich, dass sowohl Kurfürstenrat als auch Fürstenrat unabhängig einen Beschluss gefällt hatten, bevor sie ihre Bedenken austauschten. In den 1520er Jahren war es dagegen noch durchaus möglich, der jeweils anderen Kurie Vorschläge zu unterbreiten, ohne dass diese sich ebenfalls zu dem selben Thema äußern musste. Zu dem bereits oft behandelten Thema der Streitigkeiten über die Session auf den Reichstagen konnte in der vorliegenden Arbeit gezeigt werden, welche Bedeutung auch hierbei zur Zeit Karls V. das zunächst ungeklärte Verhältnis von Rat zu Fürst einnahm. Viele Streitigkeiten um die Session entbrannten, weil nicht leicht zu klären war, ob sich die Sessionsansprüche der Gesandten und Räte von denen persönlich anwesender Stände unterschieden. Dies lag an den beiden eingangs geschilderten politischen Konzepten, wonach bei dem einen die individuellen Eigenschaften der tatsächlich anwesenden Person als ausschlaggebend angesehen wurden und bei dem anderen unabhängig von der tatsächlich anwesenden Person die Stellung des repräsentierten Stands. Neben den Fragen nach der Existenz und der Veränderung von Regeln, die den Reichstag strukturierten, stellte sich in der vorliegenden Arbeit auch die Frage, welche Mechanismen bei der Entwicklung und Veränderung von Verfahren wirkten. Hierzu äußerte sich die bisherige Forschung nur knapp und verwies auf die normierende Kraft von Texten, die über Präzedenzfälle berichteten. Diese Ansicht konnte in der vorliegenden Arbeit deutlich erweitert werden. Zunächst ist die Erkenntnis von Bedeutung, dass erst die Herausbildung eines eigenen Reichstagsverfahrens die Reichstage von anderen politischen Versammlungen unterschied. Das Verfahren bewirkte, dass die beteiligten Personen während der Verhandlungen deutlich eingeschränktere Handlungsmöglichkeiten hatten. Es beschränkte sie auf eine klar definierte Rolle, die mit dem Verhältnis des jeweiligen Reichsstands zum Reich begründet war. Dies begünstigte oder ermöglichte erst eine Abstraktion der Reichsstandschaft von einem Individuum. Erst dadurch wurde die später einsetzende Ansammlung von mehreren Stimmen möglich. Während der Reichstagsverhandlungen interagierten Reichsstände miteinander, auch wenn diese nicht in Form der eigentlichen Fürsten anwesend waren. Verfahrensbildung stand deshalb in unmittelbarem Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutung der Räte, die nicht nur ein Phänomen der Reichstage war. Auch in den fürstlichen Territorien übernahm eine wachsende Zahl von Räten politische Arbeit. Die Verfahrensbildung auf den Reichstagen lässt sich also auch als Umstellung der Reichsversammlung auf eine von Räten mitgetragene Politik verstehen. Sie löste die für den Reichstag relevanten Eigenschaften von der Person des Fürsten ab und ermöglichte es dazu eingesetzten Räten, die Rolle des jeweiligen Reichsstands auf dem Reichstag einzunehmen.

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Die Wandlung der Reichstage von einer Fürstenversammlung zu einem politischen System, bei dem Räte maßgebliche Aufgaben übernahmen, führte vor allem in der Zeit Karls V. zu zahlreichen Irritationen und unterschiedlichen Einschätzungen, die auch häufig Streit aufkommen ließen. Auch bei der Austragung solcher Streitfälle wirkte sich die intensive Verwendung von Räten aus. Während Fürstenversammlungen eher darauf achteten, Streit unter Berücksichtigung der aktuellen Verhältnisse zu schlichten, versuchten Räte in Streitsituationen, auf grundlegende Regeln zu schließen, aus denen das korrekte Vorgehen abzuleiten wäre. Sie sahen deutlicher als die Fürsten in der Lösung eines Streits einen Präzedenzfall für zukünftige Fälle und betrachteten das Reichstagsgeschehen deshalb stärker als Ausdruck bestimmter Rechte, die es zu verteidigen galt. Während Verfahrensstreit zwischen Fürsten und Räten sich gewöhnlich auf Aspekte des zeremoniellen Rangs beschränkte, stritten Räte untereinander auch oft generell um die korrekte Ausführung bestimmter Verfahrensbestandteile. Da die Fürsten die Klärung solcher Fragen gewöhnlich ihren Räten überließen, ist anzunehmen, dass der Verfahrensstreit zwischen Räten einen wesentlichen Anteil an der Ausgestaltung der Verfahrensregeln der Reichstage hatte. Deshalb wurde der Untersuchung von Verfahrensstreitigkeiten in dieser Arbeit besondere Aufmerksamkeit zuteil. Vor allem hinsichtlich der in der Einleitung dieser Arbeit vorgestellten Definition von Institutionen als allgemein bekannte Regeln zeigte sich die Bedeutung von Streit bei der Verfahrensbildung. Es war zunächst der Intuition der Beteiligten überlassen, wie sie sich auf den Reichsversammlungen verhielten und wie sie auf bestimmte Situationen reagierten. Handelten sie dabei zum ersten Mal auf eine bestimmte Weise, bedeutete dies noch keineswegs die Institutionalisierung einer neuen Verfahrensregel. Auch die schriftliche Aufzeichnung dieser Vorgehensweise musste nicht unbedingt zur Verfestigung des neuen Verfahrens beitragen. Streit über das korrekte Verfahren führte jedoch dazu, dass sich alle Beteiligten über ihre Vorstellung vom richtigen Vorgehen austauschten und gewöhnlich auch dazu, dass der Ausgang des Streits in Erinnerung blieb. Auf ihn konnte man in folgenden Fällen verweisen. Zum Verfahrensstreit ließ sich beobachten, dass dieser gewöhnlich um die richtige Interpretation des Herkommens geführt wurde. Dabei wurden oft unterschiedliche Kategorien gebildet, über die dann gestritten wurde. Beispielsweise konnte eine Seite ihre Position damit begründen, dass in früheren Fällen der gleiche Vorgang auf die von ihr geforderte Art ablief. Die Gegenseite konnte dies dann zurückweisen, indem sie bei den genannten vermeintlichen Präzedenzfällen Unterschiede zur aktuellen Situation fand, sie also anderen Verfahrenskategorien zuwies. Dem früheren Handeln wurde dabei jeweils ein anderer Zweck unterstellt. Ausgetragen wurden Verfahrensstreitigkeiten mit den klassischen Mitteln des Konsensprinzips. Von wesentlicher Bedeutung war, dass die widerspruchslose Teilnahme bei einem Verfahren einer Zustimmung gleichkam, weshalb es erforderlich war, Widerspruch gegen das Verfahren augenblicklich vorzutragen. Konnte der Konflikt nicht beigelegt werden, blieb der unterlegenen Seite oft nur die Möglichkeit, unter Protest vom Verfahren fernzubleiben und ihm so einen Teil seiner

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Legitimität zu entziehen. Beispiele für solches Verhalten sind zahlreich und reichen von verhältnismäßig kleinen Zwischenfällen wie dem Fernbleiben Österreichs bei einer Relation der Kurien von 1555 bis zu weittragenden politischen Ereignissen wie die Abreise der evangelischen Stände bei den Reichstagen von 1530 und 1546. Inhaltlicher Streit und Streit um Verfahren sind dabei oft nicht klar zu unterscheiden, denn die Abreise der Protestanten bezog sich zwar inhaltlich auf den Religionskonflikt, verfahrenstechnisch aber auch auf die Kompetenz von Kaiser und Reichstag, ihnen bei Religionsfragen Vorgaben zu machen. Wegen dieser schwierigen Unterscheidbarkeit von inhaltlichem Streit und Verfahrenskonflikt ist es nicht erstaunlich, dass beim Verfahrensstreit mit deutlich artikuliertem Widerspruch, Protestation und Abwesenheit die gleichen Mechanismen genutzt wurden wie bei anderen Konflikten auf dem Reichstag. Weil nicht immer absehbar war, welche Entscheidungen sich wie auf das zukünftige Verfahren auswirken würden, spielte auch der Zufall eine bedeutende Rolle, etwa bei der genannten Festlegung der Anzahl von Grafenstimmen oder deren Verteilung auf die Vertreter von Schwaben und der Wetterau. Auch die persönliche Erinnerung der Reichstagsteilnehmer an frühere Reichstage war von großer Bedeutung, weshalb gerade die zwei Phasen sehr häufig stattfindender Reichstage unter Karl V. (1521 bis 1532 und 1541 bis 1555) dazu beitrugen, dass sich ein komplexes Regelsystem entwickeln konnte, ohne dass dieses früh schriftlich fixiert worden wäre. Es hat sich gezeigt, dass man sich im Verfahrensstreit oft gleichzeitig auf mehrere Möglichkeiten bezog, das angestrebte Verfahren zu begründen. Dies hängt damit zusammen, dass es keine eindeutige Rechtsquelle für Verfahren gab. Beim Herleiten von Verfahrensregeln berief man sich sowohl auf rein juristische Argumente als auch auf bloße Notwendigkeit und auch häufig auf soziale Regeln. Dabei gingen diese Kategorien ineinander über. Eine Streitpartei betonte somit, dass die eigene Position nicht nur aufgrund der Rechtslage die einzig richtige sei, sondern auch, dass sie die einzig praktikable sei. Außerdem stelle eine Missachtung der vorgebrachten Forderungen eine schwere Kränkung einer angesehenen Person oder eines bedeutenden Hauses dar. Die Absicherung der eigenen Position auf so unterschiedliche Weise war keineswegs eine stilistische Frage. Viele Beispiele zeigen, dass diese drei Herleitungsmöglichkeiten stark miteinander verbunden waren und jede für sich das Potenzial hatte, das angewendete Verfahren anzugreifen. Es konnte durchaus eine durch Urkunden verbriefte Verfahrensregel gebrochen werden, wenn das Ansehen einer bedeutsamen Person auf dem Spiel stand. Auch wurde vom gewohnten Verfahren häufig abgewichen, wenn es in der aktuellen Situation nicht als praktikabel galt, beispielsweise, weil Zeitnot herrschte. Die Ausdifferenzierung bestehender Verfahrensregeln geschah durch die Formulierung von Ausnahmen. Vereinfacht ließe sich das ganze Reichstagsverfahren über Ausnahmen darstellen: Bei einem Reichstag versammelte der Herrscher die Reichsstände um sich, die dann bei ihm saßen und ihn berieten. Dieser Behauptung hätte zu Karls V. Zeit kaum jemand widersprochen. Eine übliche Ausnahme von dieser Regel war jedoch die Phase, in der sich die Stände zunächst selbst über ihren Ratschlag einigen mussten. War dies der Fall, trafen sie sich ohne den

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Herrscher in einem Raum. Ausnahme von dieser Regel war schließlich wieder die Phase, in der die Kurfürsten sich abseits von den anderen Ständen zunächst über ihre Meinung verständigten. Dies ließe sich immer weiter fortsetzen. Verfahrensregeln wurden also nicht bewusst abgeschafft und durch neue ersetzt, sondern es wurden Ausnahmefälle geschaffen oder bestehenden Ausnahmefällen neue Bedeutung zugewiesen. Dies betrifft viele Entwicklungen des Reichstagsverfahrens unter Karl V.: Die Kurien wurden nicht eingerichtet, sondern der separaten Beratung bestimmter Ständegruppen kam immer mehr Bedeutung zu. Die kurienübergreifenden Ausschüsse wurden nicht abgeschafft, sondern zunehmend nur noch für spezielle Fälle eingesetzt. Auch die Mehrheitsabstimmung setzte sich besser durch, als zu den Religionsthemen eine Ausnahme geschaffen worden war und somit zwei Kategorien von Verhandlungsthemen definiert waren. Im Verfahrensstreit bildeten sich aus den unterschiedlichen Kategorienzuweisungen der Streitenden Ausnahmeregeln. Beispielsweise musste eine Regel, die bei einer Gemeinen Versammlung angewendet wurde, nicht innerhalb einer Kuriensitzung zum Tragen kommen. Eine Regel, die für die Zusammensetzung von Supplikationsausschüssen galt, musste dagegen nicht für alle Ausschüsse gelten. Solche Unterscheidungen und Festlegungen wiesen früheren Verfahrensvarianten konkrete Geltungsbereiche zu. Den Reichstagsteilnehmern stand es immer weniger frei, sich in bestimmten Verfahrensfragen situationsabhängig zu entscheiden. So differenzierten sich die Verfahrensregeln immer feiner aus.

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Abkürzungen

Abt. Anm. ÄR ARC Bd. Bde. Bgm. bzw. ebd. d Hg. HHStA HStA ISG JR LA Lgf. MEA MR NDB Nr. o. O. ÖStA r RT RTA RV S. Sp. StA v

Abteilung Anmerkung Ältere Reihe Acta reformationis catholicae Band Bände Bürgermeister beziehungsweise ebenda Herzog Haus- Hof- und Staatsarchiv Hauptstaatsarchiv Institut für Stadtgeschichte Jüngere Reihe Landesarchiv Landgraf Mainzer Erzkanzlerarchiv Mittlere Reihe Neue Deutsche Biographie Nummer/Nummern ohne Ortsangabe Österreichisches Staatsarchiv recto Reichstag (Deutsche) Reichstagsakten Reichsversammlungen Seite/Seiten Spalte/Spalten Staatsarchiv verso

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Archivalische Quellen Sächsisches HStA Dresden Geheimer Rat (Geheimes Archiv), Loc. 1082/12, 10182/13, 10183/6, 10184/05, 10184/06, 10184/07

LA Nordrhein-Westfalen, Standort Düsseldorf Jülich-Berg II, Nr. 249c Kurköln II, Nr. 5141

ISG Frankfurt am Main RTA 54

Niedersächsisches HStA Hannover Hild. Br. 1 Nr. 77, 78, 80

Bayerisches HStA München Hochstift Passau, Lit. 2251 Kasten blau, 104/5, 271/4, 274/3 Kurbayern Äußeres Archiv, 3153, 3146

HStA Stuttgart A 262, Bü. 21, 38

Thüringisches HStA Weimar Ernestinisches Gesamtarchiv, Reg. E (Reichstage) 127, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 148, 149, 150

Österreichisches StA HHStA Wien MEA RTA, 5-1, 7-2, 8-3 RK RTA, 11-3, 65-1

StA Würzburg Würzburgische Reichstagsakten 21

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Gedruckte Quellen Ausführlicher Bericht/ Wie es uff Reichß Tägen pflegt gehalten zu werden. II. Consultatio, Von der Keyserlichen Wahl wieder deß Pabsts praetensiones uff Keyser Ferdinandi Allergnedigsten Bevelch/ durch Ihr May. ViceCantzlern abgefast. III. Beschreibung der Wahl und krönung mit Keyser Carlen dem Fünfften vorgangen, Speyer 1612; VD17 23:234079C. Bauer, Wilhelm (Bearb.): Korrespondenzen österreichischer Herrscher. Die Korrespondenz Ferdinands I. I. Band. Familienkorrespondenz bis 1526, Wien 21912 (= Veröffentlichungen der Kommission für Neuere Geschichte Österreichs, Bd. 11). Bezzenberger, Adalbert (Hg.): Die Berichte und Briefe des Rats und Gesandten Herzog Albrechts von Preußen Asverus v. Brandt nebst den an ihn ergangenen Schreiben in dem Königl. Staatsarchiv zu Königsberg. 1. Heft. 1538–1545, Königsberg i. Pr. 1904. Brandenburg, Erich (Hg.): Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen. Band I: Bis zum Ende des Jahres 1543, Leipzig 1900. Brieger, Theodor: Beiträge zur Geschichte des Augsburger Reichstages von 1530. Archivalische Mitteilungen, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 22 (1 1891), S. 123–187. Burgdorf, Wolfgang (Bearb.): Die Wahlkapitulationen der römisch-deutsche Könige und Kaiser 1519–1792, Göttingen 2015 (= Quellen zur Geschichte des Heiligen Römischen Reiches, 1). Deutsche Reichstagsakten: Ältere Reihe: RTA ÄR 1: Weizsäcker, Julius (Hg.): Deutsche Reichstagsakten unter König Wenzel. Erste Abteilung 1376–1387, München 1867, RTA ÄR 2: Ders. (Hg.): Deutsche Reichstagsakten unter König Wenzel. Zweite Abteilung 1388–1397, München 1874. Mittlere Reihe: RTA MR 1: Angermeier, Heinz (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Erster Band. Reichstag zu Frankfurt 1486, Göttingen 1989, RTA MR 2: Seyboth, Reinhard (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Reichstag zu Nürnberg 1487, Göttingen 2001, RTA MR 3: Bock, Ernst (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Dritter Band 1488–1490, Göttingen 1972, RTA MR 4: Seyboth, Reinhard (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Vierter Band. Reichsversammlungen 1491–1493, München 2008, RTA MR 5: Angermeier, Heinz (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Fünfter Band. Reichstag zu Worms 1495, Göttingen 1981, RTA MR 8: Heil, Dietmar (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Maximilian I. Achter Band. Der Reichstag zu Köln 1505, München 2008. Jüngere Reihe: RTA JR 1: Kluckhohn, August (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Kaiser Karl V. Erster Band, Göttingen 21962, RTA JR 2: Wrede, Adolf (Hg.): Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. Zweiter Band. Der Reichstag zu Worms, Gotha 21962, RTA JR 3: Ders. (Hg.): Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. Dritter Band, Göttingen 21963, RTA JR 4: Ders. (Hg.): Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. Vierter Band, Göttingen 21963, RTA JR 5/6: Aulinger, Rosemarie (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. Der Reichstag zu Augsburg 1525. Der Reichstag zu Speyer 1526. Der Fürstentag zu Esslingen 1526, München 2011, RTA JR 7: Kühn, Johannes (Bearb.): Deutsche Reichstagsakten unter Karl V. Siebenter Band, Göttingen 21963,

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Quellen- und Literaturverzeichnis

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Personen- und Sachregister

Adolf von Nassau (Graf) 315 Alber, Dr. Matthias 158, 159 Aleander, Hieronymus 38 Anhalt 57, 135, 220, 221 Augsburg 29, 48, 52, 58, 63, 67, 68, 90–95, 112, 114, 115, 121, 125, 126, 145, 150, 154, 169, 180, 192, 214, 218, 220, 221, 229, 236, 275, 313, 327, 330, 333 – Augsburger Interim 90–92, 94, 230 – Augsburger Religionsfrieden 96, 140, 215–219, 221, 224, 236, 244, 257, 287–289, 291–294, 302, 314, 330 – Bischof Christoph von Stadion 58

Dichtelbach, Dr. Thilmann 205 Drechsel, Dr. Melchior 247 Eck, Dr. Leonhard von 59, 82, 91, 167, 208, 230, 231, 233, 252, 253, 266, 267, 274, 283–285 Ehinger, Hans 59, 208 Eichstätt 217, 221 Ellwangen 221

Fabri, Dr. Johann 59, 202, 203 Ferdinand I. 15, 35, 41, 47, 48, 50–63, 67, 75, 76, 78–83, 86, 90, 92–97, 99, 105, 107, 110, 112, 121, 122, 125–131, 133, 134, 137, 139–142, 145, 151, 153, 157, 160, 161, 166, Baden 191, 221, 290 168, 190, 193, 195, 224, 229, 231, 234, 244, – Markgraf Ernst von Baden-Durchlach 200, 252, 265, 268, 270, 271, 301, 303, 308, 310, 201, 231 324, 325, 328, 330 – Markgraf Philipp I. von Baden 59 Franken 272–275, 316, 317 Bauernkrieg 36, 52, 53, 103, 327 – fränkische Ritterschaft 46 Baumgartner, Dr. Peter 46 Frankfurt 48, 99, 120, 186, 194, 231, 310 Bayern 58, 59, 67, 73, 77, 82, 83, 91, 101, 114, Frankreich 14, 19, 41, 52, 80, 84, 85, 168, 244 121, 148, 158, 183, 194, 197–202, 204, 206, – französische Gesandtschaft 61, 77, 85, 87, 213, 216, 217, 221, 230, 231, 233, 246, 252, 93, 133 265–267, 274, 275, 283, 284, 309 – König Franz I. von Frankreich 51, 52, 61, – Haus Bayern 194, 198–201, 204, 271, 274, 78, 80, 81, 85 304 – König Heinrich II. von Frankreich 93, 168 – Herzog Albrecht V. von Bayern 121, 313 – König Karl VIII. von Frankreich 100 – Herzog Ludwig X. von Bayern 58, 127 Freising 221 – Herzog Wilhelm IV. von Bayern 59, 91, 124, Friedrich III. 100, 300 130, 274, 275 Fürstenberg-Baar, Friedrich III. von 272 Brandenburg 76, 218, 221, 265, 274, 275, 312 – Markgraf Albrecht Alcibiades von Gemeiner Pfennig 77–79, 231 Brandenburg-Kulmbach 168, 313 Georg von Wertheim (Graf) 317 – Markgraf Georg Friedrich von Gienger, Dr. Georg 141, 142, 160 Brandenburg-Ansbach 221 Goldene Bulle 37, 170, 262, 300, 301 – Markgraf Kasimir von Granvelle, Nicolaus Perrenot 81, 108 Brandenburg-Kulmbach 40 Grumbach, Wilhelm von 237 Braunschweig – Herzog Heinrich II. von Halsgerichtsordnung 47, 57, 61, 69, 185 Braunschweig-Wolfenbüttel 59, 76, 78, Hanau, Dr. Nikolaus 46 79, 81, 142, 143, 203, 246, 274 Hannart, Jean 49, 51 Brixen 217 Hattstein, Johannes von 119, 121 Campeggi, Lorenzo 51 Cronberg, Walter von 18, 266

Haug von Werdenwegen (Graf) 315 Haug/Hug, Dr. Lukas 46 Henneberg 57, 135, 237, 300

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Personen- und Sachregister

Hessen 46, 48, 82, 96, 172, 200, 218, 221, 235 241, 242, 244–247, 252, 255–260, 266, – Landgraf Philipp I. (der Großmütige) von 267, 287–295, 302, 309, 313, 314, 316, 331 Hessen 65, 71, 72, 80, 87, 89, 107, 109, – Sebastian von Heusenstamm 135, 186, 204, 233, 274, 275 (Kurfürst) 126, 305 Hildesheim 116, 145 Kurpfalz 40, 46, 48–50, 68, 80, 126, 131, 155, – Bischof Valentin von Tetleben 60, 61, 64, 69, 189, 235, 236, 246, 247, 260 80, 116, 136, 140, 150, 169, 170, 179, 186, – Friedrich II. (der Weise) von der Pfalz 187, 191, 193, 233, 262, 265–267, 275, 316 (Kurfürst) 42, 48, 85, 126, 134, 143, 198 Hoftag, königlicher 11, 12, 16, 18, 19, 37, 74, – Ludwig V. von der Pfalz (Kurfürst) 48, 49, 97, 103, 124, 132, 136, 173–175, 226–228, 131 230, 264, 303, 315, 316, 319, 323, 331, 333 Kursachsen 39, 40, 44, 48, 49, 57, 58, 61, 62, 72, 80, 82, 87, 115, 117, 119, 125, 135, 142, 143, 150, 179, 180, 186, 188, 192, 235, 236, Italien 52, 63, 75, 80, 83 262, 265, 298, 305–307, 310, 313, 314 – Friedrich III. von Sachsen (Kurfürst) 48, 50 Jonas, Dr. Jakob 161 – Johann (der Beständige) von Sachsen Jülich-Kleve-Berg 82, 221, 237 (Kurfürst) 62, 118 – Herzog Wilhelm V. von Jülich, Kleve und – Johann Friedrich I. von Sachsen Berg 74, 80, 83, 128, 191, 218, 221 (Kurfürst) 60, 62, 72, 78, 87, 89, 107, 108, 110, 119, 125 – Moritz von Sachsen (Kurfürst) 76, 94, 108, Karl IV. 262 126, 264, 275 Katzmann, Dr. Johannes 116 Kurtrier 40, 45, 46, 48, 58, 88, 120, 155, 187, Köln 66, 87, 101, 108, 110, 174, 205, 298 188, 190, 306 Konstanz 59, 221 – Richard von Greifenklau (Kurfürst) 149 – Bischof Johann von Weeze 73 – Johann von Weeze 265 Landfrieden 38, 81, 93–95, 255 Kreuznacher, Ewald 163 Linz 219 Kurbrandenburg 43, 49, 77, 118, 121, 127, Lüneburg 200 128, 138, 179, 189, 191, 233, 235, 250, 312 – Joachim I. von Brandenburg (Kurfürst) 113, Luther, Martin 37–40, 47, 53, 134, 135, 264, 328 312 – Joachim II. von Brandenburg (Kurfürst) 73, Lüttich 221, 237 77, 78, 85, 108, 112, 121, 122 Marillac, Charles de 93 – Johann Georg von Brandenburg Maximilian I. 12–14, 16, 18, 19, 23, 38, 66, (Kurfürst) 112 101, 137, 173–175, 205, 263, 271, 315, 326 Kurköln 40, 48, 167, 190, 192 Maximilian II. 99, 268 – Hermann V. von Wied (Kurfürst) 73, 87 Kurmainz 12, 14, 29, 39, 40, 42, 43, 45, 46, 48, Mayer, Michael (Bgm. Dinkelsbühl) 179 Mecklenburg 113 49, 58, 61, 62, 68, 80, 91, 95, 99, 112, 117, – Herzog Albrecht VII. von Mecklenburg 113 118, 121, 123, 125, 126, 131, 138, 139, 142, Melanchthon, Philipp 114, 264 146, 147, 149, 153, 155, 156, 161, 170, 173, Mohács 55 174, 186, 187, 189–191, 224, 231, 236, 244, Morone, Giovanni Girolamo 77 258, 260, 262, 265, 275, 287, 288, 290, 291, Münster 221, 232, 264 294, 295, 301, 302, 304–308, 314 – Albrecht von Brandenburg (Kurfürst) 36, Nallingen, Gregor von (auch genannt: 44, 116, 131, 135, 306, 312 Nallinger) 112, 113, 119, 272, 273, 275, – Berthold von Henneberg (Kurfürst) 12, 13, 297–299 39, 123, 136, 175, 177, 178, 228, 326 Naumburg 76, 114, 161, 221, 312 – Mainzer Kanzlei 13, 29, 30, 61, 72, 87, 88, 110, 116–123, 134, 139, 142, 143, 145, 152, Naves, Dr. Johann von 75, 108, 142, 143 155–162, 169, 170, 179, 196, 205, 206, 213, Neuneck, Reinhard von 274

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Personen- und Sachregister Niederlande 38, 80, 81, 92, 110, 237, 318 Nürnberg 37, 41, 42, 45, 47, 48, 58, 68, 78, 80, 81, 83, 105, 112–114, 118, 120, 127–129, 133, 134, 139, 144, 145, 149, 160–162, 166, 169, 179, 180, 188–191, 194, 251, 252, 264, 301, 302, 306 – Nürnberger Anstand 68, 70, 72

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Reichserzkanzler 12, 116, 117, 123–125, 139 Reichskammergericht 20, 40, 41, 44, 45, 47, 53, 61, 69, 81, 85, 86, 90, 92–94, 111, 128, 146, 147, 152, 189, 190, 292, 295, 297, 298, 308 Reichsregiment 15, 35, 38–45, 47–50, 52, 53, 55–57, 61, 69, 97, 99, 101–104, 106, 107, 127, 129–132, 134, 139, 140, 144, 145, 157, 174, 183, 186, 189, 190, 207, 261, 326, 327, 329 – Regimentsordnung 42, 55 Reuter, Dr. Jakob 161 Ribeisen, Dr. Nikolaus (Niklas) 271 Ribeisen, Dr. Simon 176, 177, 186, 190 Römische Kurie 14, 38, 51, 53 – Papst Hadrian VI. 45 – Papst Julius III. 92 – Papst Paul III. 75, 77, 231 Rucker, Andreas 307

Österreich 61, 91, 95, 126, 136, 140, 141, 153, 158, 159, 168, 171, 183, 187, 191, 204, 214–224, 229, 242, 244, 246, 248, 265, 267–272, 288, 302, 311, 314, 324, 337 – Erzherzog Ferdinand II. von Österreich 268 – Haus Österreich 204, 237 – landständische Reichstagsgesandtschaft 43, 71, 81, 85, 92 Osmanisches Reich 13, 36, 41, 42, 44–46, 51, 53, 55, 57, 63, 66, 67, 71, 73–78, 80–82, 84, 85, 87, 92, 93, 150, 161, 263, 292 – Sultan Süleyman I. 80, 81 Sachsen 72, 114, 125, 218–221, 265, 275, 312, – Türkenhilfe 44–47, 50, 52, 54, 55, 58, 60, 63, 313 66–69, 75, 76, 78, 82, 83, 85, 86, 90, 127, – Herzog Georg (der Bärtige) von Sachsen 48, 148, 150, 162, 186, 192, 194, 208, 231, 300 65, 114, 190, 203, 233, 267, 275, 283, 285 Osnabrück 221 – Herzog Heinrich (der Fromme) von Sachsen 127, 312 Pappenheim Salzburg 58, 66, 122, 126, 136, 171, 179, 190, – Erbmarschall 117, 119, 122, 310 215–222, 231, 235, 238, 242, 246, 257, 265, Passau 167, 168, 173, 219, 221, 258, 288, 303, 267–272, 301, 302, 309, 311 313 – Administrator Ernst von Bayern 271 – Bischof Wolfgang von Salm 123, 124, 141, – Erzbischof Matthäus Lang von 153 Wellenburg 129 – Passauer Vertrag 94, 96, 215, 218, 219, 221, Sastrow, Gertrud 11 222, 235, 236, 239, 330, 333 Schmalkaldischer Bund 67, 72, 78, 79, 81–83, Pavia 52 88–90, 93, 98, 107, 142, 274, 330 Pfalz 238, 265 Schwaben 13, 110, 194, 220, 221, 272, 297, – Pfalzgraf Johann II. von 299, 316–318, 337 Pfalz-Simmern 198, 200, 201, 218, 221, – Schwäbischer Bund 48, 87 274 Schwarzbenberg, Christoph von 197–201, – Pfalzgraf Ottheinrich von 213, 274 Pfalz-Neuburg 274 Schweinfurt 68, 131 Planitz, Hans von der 43, 186 Seld, Dr. Georg Sigmund 260 Plauen 300 Sickingen, Franz von 45, 46, 190 Pommern 109, 113, 122, 218, 221, 290, 312 Sindringer, Dr. Bleickhard 115 – Herzog Georg I. von Pommern 312 Solms, Graf III. Bernhard von 59, 197, 198 Spanien 38, 39, 45, 53, 57, 80, 90, 103 Speyer 51–53, 57, 58, 62, 67, 74–76, 78, 84–86, Rast, Dr. Matthias 272, 273 Rechburger, Dr. Eitelhans 185, 197 93, 104, 105, 107, 108, 110–114, 127, 133, 138, 141, 145, 147, 150, 151, 161–163, 179, Rechenberg, Balthasar von 172, 274, 301 180, 191, 193, 246, 250, 251, 265, 269, 270, Regensburg 55–57, 67, 68, 70–73, 75, 78, 81, 86–88, 104, 114, 115, 130, 131, 135, 145, 150, 306, 309, 313 153, 191, 193, 196, 221, 235, 274, 329, 330 – Bischof Philipp von Flersheim 135

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Personen- und Sachregister

Straßburg 39, 58, 84, 149, 176, 185, 190, 191, 197, 203, 218, 221, 222 – Bischof Wilhelm III. von Hohnstein 40

Weingarten – Abt Gerwig Blarer 59, 191, 194, 195, 220 Weitolshausen, Balthasar von, genannt Schrautenbach 186 Wetterau 110, 112, 119, 121, 122, 124, 180, Thun, Friedrich 49 221, 223, 272, 273, 297, 301, 316–318, 337 Trient 113, 221 Wien 44, 63 – Bischof Bernhard von Cles 129 Worms 15, 36–38, 41, 42, 48, 52, 77, 86, 88, 99, – Tridentinisches Konzil 87, 88, 158, 217 114, 145, 146, 152, 176, 221, 306, 315, 327 – Wormser Edikt 40, 51–55, 58, 60, 64, 70, Ungarn 13, 45, 46, 53, 55, 56, 67, 75, 78, 80, 148, 328, 330 82, 140, 308 Wormser, Bernhart 46 – Gegenkönig Zapolya/Szapolyai 56 Württemberg 127, 128, 144, 171, 172, – König Ludwig II. von Ungarn 41, 44, 55 217–221, 224, 229, 230, 232 – ungarische Gesandtschaft 44, 45, 51, 55, 71, – Herzog Christoph von Württemberg 29, 81, 85, 92 114, 171, 216, 229, 279, 305 Würzburg 59, 80, 110–112, 114, 133, 135, 136, Vehus, Dr. Hieronymus 197, 198, 200, 204 138, 159, 161, 163, 180, 187, 203, 217, 219, 221, 237, 257, 274, 306 – Bischof Konrad von Bibra 110, 111 Waldburg-Trauchburg, Wilhelm d. J. Truchsess von 171, 220–222 Zasius, Dr. Johann Ulrich 95, 168, 180, 187, Waldburg-Zeil, Georg Truchsess von 61 214, 215, 224, 244–247, 302, 313, 314 Weidner, Dr. Wolfgang 173, 264, 272–275, Zwichem, Vigilius van 147 300, 304

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