Die Reform des Gottesdienstes und die hochkirchliche Bewegung [Reprint 2019 ed.] 9783111699646, 9783111311197


182 87 2MB

German Pages 24 [28] Year 1922

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
10.
11.
12.
13.
Recommend Papers

Die Reform des Gottesdienstes und die hochkirchliche Bewegung [Reprint 2019 ed.]
 9783111699646, 9783111311197

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Vie Reform des Gottesdienstes und die hochkirchliche Bewegung von

D. Dr. Martin Lchian ord. Professor der Theologie in Gießen

1922 Verlag von Alfred Opelmann in Gießen

1. vor einem Vierteljahrhundert begann die Frage der Reform der predigt die Gemüter lebhaft zu beschäftigen. 1902 erschien F. Rie­ be r g e. I l s Buch „Wie predigen wir dem modernen Menschen?" h 3m selben Jahre kamen 3. Smends Abhandlung „Zur Frage der Kultus« rede"*2) und Theodor Härings Büchlein „Zeitgemäße predigt"3) her­ aus. 1904 veröffentlichte Baumgarten seine „Predigtprobleme". Un­ zählige Broschüren und Rufsätze, aber auch gewichtige Homiletiken folgten. Das Problem der vorfpredigt wurde erwogen?) Man war inne gewor­ den, daß die predigt krank fei; darum suchte man ihr zu helfen. Aber man hätte sich nicht so stark um sie bemüht, wenn man nicht der Meinung gewesen wäre, bajj durch ihre Reform der evangelischen Kirche neue Kraft zugeführt werden könnte. Der Strom der Äußerungen zur Predigtreform ist keineswegs ver­ siegt. Wie sollte er auch? Es ist nach wie vor eine Frage von höchster Wichtigkeit, ob die Tausende von predigten, die jeden Sonntag gehalten werden, gut oder schlecht sind. Und während des Weltkriegs hat die predigt — wie man auch sonst die Kriegspredigt beurteile — jedenfalls bewiesen, daß sie nach wie vor eine ungemein große Bedeutung hat. Aber die Predigtreform ist jetzt nicht mehr das Thema der Erörterung, vielmehr ist neben den durch die Revolution dringend gewordenen Der« faffungsfragen nunmehr das Problem des Gottesdienstes in den Mittelpunkt des 3ntereffes gerückt. Man kann sagen: die Frage der Predigtreform ist erweitert und auf den Gefamtgottesdienst, zu dem ja doch die predigt gehört, ausgedehnt worden. Diese Formulierung trifft aber nicht voll die Motive der gottesdienstlichen Reformbewegung, viel­ mehr geht wenigstens ein Teil der Reformer von einer ganz anderen Voraussetzung aus als jene Bewegung zur Erneuerung der predigt. Er will die Predigt zu gunsten anderer Bestandteile des Gottesdienstes zurückdrängen. Damals war die Stimmung etwa die: predigt gewonnen, alles gewonnen. Jetzt klingt es anders. Die predigt wird mit halber (Bering» h 1906 folgte ein zweiter Teil; 1921 ein dritter, der Beispiele bietet. Die beiden ersten sind mehrfach aufgelegt. (Tübingen.) 2) 3n der Festschrift für h. 3. Holtzmann. („Theologische Abhandlungen". Tübingen und Leipzig.) 8) Göttingen 1902. h vgl. fl. Uckelep, Die moderne Dorfpredigt. 2. Ausl. 1914 (Leipzig); 3. Boehmer, Dorfpfarrer und Dorfpredigt, 1907 (Gießen). Weiteres in meinem Grundriß der praktischen Theologie S. 255.

2

schätzung angesehen- das liturgische Moment erscheint als das Wichtigste. Auch wo man die Einseitigkeit dieser Stellung vermeidet, betont man stärker als früher den Gesamtaufbau des Gottesdienstes, weil man der predigt nicht mehr das Zutrauen entgegenbringt, das vergangene Ge­ schlechter ihr gewidmet haben. Diese gottesdienstliche Reformbewegung geht in ihren Anfängen freilich schon weiter zurück. Man muß an Friedrich Spittas Briefe „Zur Reform des evangelischen Rultus"x) erinnern. Spitta und Sm end mühten sich in der 1896 gegründeten Monatschrift für Gottes­ dienst und kirchliche Kunst*2) um die Gestaltung des Gottesdienstes in allen seinen Teilen. Wichtig war ihnen insbesondere die gesangliche Be­ lebung des Gottesdienstes. Dabei suchten sie die Gemeinde selbst durch mannigfaltige Gliederung zu wirksamer Betätigung zu bringen?) Vie große Bewegung der evangelischen Kirchengesangvereine, die ja mit Hes­ sen eng verbunden ist, pflegte mehr den Chorgesang?) Der Reform der Abendmahlsfeier wendete sich im Anfang des 20. Jahrhunderts die leb­ hafteste Aufmerksamkeit zu- mit den Bestrebungen auf Einführung des Linzelkelchs verband sich der Wunsch, die Form der sitzenden Kommunion zur Erhöhung feierlicher Gemeinschaft einzubürgern?) Liturgische Gottes­ dienste, musikalische Andachten wurden hier und da eingerichtet. Den neuen oder doch neu durchgesehenen amtlichen Agenden traten Privat­ agenden zur Seite — so die von I. Smenö6),7 8dann 9 10 die Kriegsagende von Arp er und Zillessen?), das „Liturgische Hilfsbuch für die Zeit des Wiederaufbaus" von Arp er und änton, endlich das von Arper und Zill ess en herausgegebene Evangelische Kirchenbuch?) In wel­ chem Umfang und mit welchem Eifer die Frage der Agendenreform theoretisch und praktisch behandelt worden ist, das kann ich hier nur andeuten?o) In diesen Erörterungen traten allmählich bestimmte einzelne Ge­ sichtspunkte in den Vordergrund- so der der Einheitlichkeit des Gottes­ dienstes n) und der seiner Anpassung an die Verhältnisse einer dörflichen Göttingen 1891. 2) Ebenda. Jetzt im 27. Jahrgang. 3) vgl. auch I. Smenö, Der ev. Gottesdienst. 1904. 4) vgl. h. A. Köstlin, Kirchengesangvereine, in Haucks Realenznklopädie. 3. Aufl. Bö. 10 5. 367 ff. 5) Besonders F. Spitta: Die Kelchbewegung in Deutschland und die Reform der Abendmahlsseier. 1904. 6) I 19102, II 1908. 7) In 3 Teilen- alle wiederholt aufgelegt. Zuerst Göttingen 1914, 1915. 8) Mit dem Titel Aus tiefer Rot. Göttingen 1919. 9) I 1921 3; 4 5II in Vorbereitung. 10) Nähere Angaben in meinem Grundriß der praktischen Theologie. 1922. S. 172. vgl. Arnold Hein, Zur evangelischen liturgischen Bewegung. Kartell­ zeitung (Organ des Eisenacher Kartells Akad.-Theol. Vereine) 1921 S. 152 f. n) Th. Voß, Der Gottesdienst als liturgische Einheit, 1915. Arnold Hein, Die sonntägliche Gemeindefeier als liturgische Einheit. Kartellzeitung 1921 S. 37 ff., 49 ff.

3

Gemeinde *); endlich wurde das Verhältnis der gottesdienstlichen litur­ gischen Formulare zu den heutigen theologischen und religiösen Anschau­ ungen reichlich besprochen. Sündenbekenntnis und Glaubensbekenntnis Beim Gemeindegottesdienst, Gelübde und Glaubensbekenntnis bei der Konfirmation wurden Gegenstände lebhafter Auseinandersetzungen?) Die Zeitschrift „Vie Dorfkirche" brachte praktische Ratschläge für die belebtere anschauliche Gestaltung des vorfgottesdienstes.

2.

In allerjüngster Zeit nahm die Reformbewegung eine ganz neue Wendung insofern, als „hochkirchliche" Neigungen sich stark be­ merkbar machten. 1918 versandten die Gründer der eben ins Leben tretenden „hochkirchlichen Vereinigung" gedruckte „Richtlinien", die von den Pastoren Hansen in Kropp und Mosel in Hetzdorf unterschrieben waren. Die den Gottesdienst betreffenden Sätze dieser Richtlinien waren so for­ muliert 3* )2 4: „Sie (die h. v.) wünscht gegenüber dem Überwiegen der Wortver­ kündigung eine stärkere Betonung der Bedeutung der heiligen Sakra­ mente und ihres objektiven Charakters, d. h. ihrer Wirkung ex opere operato; unerläßliche Voraussetzung ist ihr Vollzug nach den Ordnungen der Kirche (Augsb. Bek. Art. 14). Sie befürwortet, um die Gemeinde in den Gottesdiensten möglichst unabhängig zu machen von menschlicher Subjektivität und sie zugleich mehr als bisher selbsttätig daran zu beteiligen, ein maßvolles Zurück­ treten der predigt und demgegenüber eine reichere liturgische Ausge­ staltung der evangelischen Gottesdienste. Sie wünscht, daß die evangelische Kirche von der römischen lerne, in ihren Gottesdiensten (durch Kirchen- und Altarschmuck, priesterliche Gewandung u. a.) dem Sinn für das Schöne Rechnung zu tragen und den heiligen Inhalt stets auch in heiligen würdigen Formen darzubieten." Diese Sätze sind in der Gründungsversammlung am 9. Dkt. 1918 in Berlin äbgeändert worden. Sie lauten jetzt in den offiziellen „Grund­ sätzen" der h.v. folgendermaßen ^): „Vie h.v. wünscht ein maßvolles Zurücktreten der predigt, eine stärkere Betonung der Bedeutung der heiligen Sakramente und ihres objektiven Charakters — unerläßliche Voraussetzung ist ihr Vollzug nach den kirchlichen Ordnungen — und eine reichere liturgische Ausgestaltung der Gottesdienste. Sie will darauf hinarbeiten, daß in den Gottesdiensten (durch Kir­ chen- und Altarschmuck, Musik, reicheren Ornat u. a.) dem Sinn für das h 3. Grape, Der ländliche Gottesdienst als Gemeindefeier. Bettac, 2) $. 173 3) 4)

Dessau 1912. Unsere Gottesdienste. Berlin 1915; viele Aufsätze der Dorfkirche. Einige Literaturangaben in meinem Grundriß der pralrt. Theologie (Gottesdienst), 206 (Konfirmation). Rach dem Abdruck preuß. Kirchenztg. 1918 Sp. 265 f. Rach dem Abdruck in der „hochlrirche" 1919 Rr. 1.

4 Schöne, Edle und echt volkstümliche immer mehr Rechnung getragen und der heilige Inhalt stets in heiligen würdigen Formen dargeboten werde." Die Formulierungen der „Richtlinien" dürfen also der H.V. als solcher nicht zur Last gelegt werden. Offenbar hatte die Gründungsver­ sammlung das höchst Bedenkliche derselben — Wirkung ex opere operato ist ja ganz einfach katholisch und gar nicht anders als katholisch auszu­ deuten — erkannt. Ruch der Wunsch, die evangelische Kirche möge von der römischen lernen, ist — wohl nur vorsichtshalber — beseitigt,- nicht minder die „priesterliche" Gewandung. Aber jene Richtlinien zeigten doch, wie die Gründer der H.V. gestimmt waren. Hansen war zuerst Vor­ sitzender, Mosel ist bis heute Schriftführer der Vereinigung. In Veröffentlichungen aus hochkirchlichen Kreisen sind die skizzier­ ten Grundsätze breiter ausgeführt worden. Dabei ist wohl zu beachten, daß die h. v. nur für das verantwortlich gemacht werden darf, was sie selbst als ihre Kundgebung bezeichnet. Rber wir haben es gar nicht bloß mit der h. v. selbst zu tun. Uns geht es um die aus jenem ganzen Rnschauungskreis heraus erklingenden Stimmungen, Wünsche und Forde­ rungen. Für ihre Kenntnis ist das Organ der H.V. die ergiebige (Quelle: die nach einigen Wandlungen jetzt im 4. Jahrgang erscheinende „Hoch­ kirche"?) Ganz und gar als (Quellen für die Tendenzen der Vereinigung selbst dürfen die Gottesdienste gewertet werden, die bei Veranstaltungen der h.v. stattfanden und deren Ordnungen von der Hauptgeschäftsstelle der h. v. zu beziehen sind?) Um die Reformgedanken zum Gottesdienst, die in diesen Kreisen lebendig sind, zu verdeutlichen, muß man m. E. auf zweierlei achten: erstens auf die in ihrer Mitte zum Kusdruck kommenden idealen Ziele3* ),2 * * * * * * 10 zweitens auf die von ihnen geübte und empfohlene gottesdienstliche Praxis. i) L Jahrgg., 1919, unter dem Titel „Die Hochkirche"; 2. Jahrgg. 1920, unter dem Titel „Monatsschrift der h. ö."; vom 3. Jahrgg., 1921, ab führt das Blatt wieder den Kamen Die Hochkirche. Der 1. Jahrgang erschien in Siegen­ seit dem zweiten erscheint sie im Selbstverlag. Vie unter dem Kamen „Die Kirche, 2. Jahrgang der Hochkirche" in Siegen erschienenen hefte sind privatunternehmen. (Abkürzung für „Die Hochkirche": H.K.) *) Hm 30. Koo. 1920 beim 2. Hochkirchentag wurde ein solcher Gottesdienst in der Kapelle des Tlisabethkrankenhauses in Berlin gehalten, am 25. Gkt. 1921 ein weiterer in der Berliner Reformationskirche (dazu Hochkirche 1921 S. 353, 357 ff.). Die Sächsische Hrbeitsgemeinschaft der h. v. hielt ein „evangelisch-luthe­ risches Hochamt am 10. und 11. Hugust 1921 in Themnitz (hierzu K. h—n, „Tin evang.-luth. Hochamt" in Schles. Blatt für ev. Kirchenmusik, 1921/22 $. 7 ff; auch die Hochkirche 1921 S. 367 ff. druckte den Hufsatz ab). Ähnliche Gottesdienste sind auch sonst gehalten worden; vgl. z. B. Hochkirche 1921 Z. 44 f. Ich be­ trübte folgende gedruckte Ordnungen (Verlag der h. v.): Vesper (Themnitz, 10. 8. 1921); hochkirchliche Sakramentsfeier (ebenda, 11. 8. 1921); hochlnrchl. Gottesdienst (Berlin, 25. 10. 1921); Gstervesper (Berlin-wilmersdorf, 25. 4. 1922); Ordnung eines hochlnrchl. Gottesdienstes (ohne Datum; wohl die beim Hochkirchentag 1920 gebrauchte). 8) vgl. hierzu: U). Paul, Die hochkirchliche Richtung, HT. f. past. 1919/20 $. 20 ff.; h. Frick, Die bochkirchliche Bewegung und ibr geistesgeschichtlicher Hintergrund. Die Thristl. Welt 1920 Kt. 57 Sp. 581—584*

5

Die idealen Ziele schildert Pastor Graf von Lüttichau in Berlin — Inhaber der Ranzel, auf der einst Schleiermacher stand — in einem ausführlichen Aufsatz: „Vie hochkirchliche Vereinigung" *) etwa so. Unser üblicher Gottesdienst ist Predigtgottesdienst. Der evangelischen predigt verdanken wir unendlich viel. Sie muß bleiben- aber sie darf nicht das Einzige sein. Anregung muß mit Anbetung, Bereicherung des Wissens und der Erkenntnis muß mit inbrünstiger Versenkung in das Unfaßliche des Gotteswunders Hand in Hand gehen. Nur dann kommt Gemeinschaft zustande und nicht bloß Einzelerbauung. „Vas mystische Element als Gegengewicht gegen die rationalen Formen der Predigt ist unerläßlich für die Frömmigkeit." 3m Gottesdienst muß Handlung sein. Die Gemeinde soll sich selbst betätigen. Gemeinschaftlich rhythmisch gesprochene Gebete, psalmodieen, Wechselgesänge sollen Platz finden. „Vas Stillgebet auf den Knieen, Augenblicke, in denen alles, auch die Grgel, schweigt, und die sich dann in Formen der! Kunst, in Worten und Tönen, auflösen, sollen uns die übersinnliche Welt nahebringen." „Zu diesen Höhepunkten anbetender Feier eignet sich aber nichts anderes in dem Klaß als das Sakrament des heiligen Abendmahls." Aus diesem Grunde soll der objektive Charakter der Sakramentsfeier auch dadurch in die Erscheinung treten, daß ab und an das Sakrament in den Mittelpunkt des Gottesdienstes gerückt und „in, mit und unter" den heiligen Sym­ bolen, die unser Herr gegeben hat, seine besondere Gegenwart in an­ betender Feier für die Gemeinde und für den Einzelnen verwirklicht wird." Am Schluß seiner Darlegung betont Graf Lüttichau nochmals die Weckung des Bewußtseins innerlicher Zusammengehörigkeit und gläu­ biger Gemeinschaft.

Schon diese Darlegung der allgemeinen Ziele geht an einigen Stellen in praktische Linzelvorschläge über (psalmodieen, Wechsel­ gesänge, gemeinsam gesprochene Gebete, Stillgebet). Ein ganz deutliches Bild der praktischen Absichten geben die von hochkirchlichen Kreisen ver­ anstalteten Gottesdienste und zahlreiche Aufsätze der h. K. Die Predigt wird keineswegs immer, aber doch zuweilen (bei einer rein „eucharisti­ schen" Feier, aber auch bei einer Gstervesper) ausgeschaltet. Vie Liturgie wird reich ausgestattet und gegliedert. Der Altargesang des Liturgen erscheint als selbstverständlich. Gemeindegesang behält Raum; da­ neben tritt Chorgesang stark hervor, psalmodieen und Wechselgesänge finden sich regelmäßig; das gemeinsame Sprechen scheint dagegen doch auf Schwierigkeiten zu stoßen. Neben dem Liturgen fungieren bei der Abendmahlsfeier ein Diakon, Chorknaben, auch andere Helfer — Pfarrer im Drnat, Kirchenälteste, Gemeindevertreter. Jedem, der diese Gottes­ dienste erlebt oder ihre Grdnungen liest, muß dabei die sehr kräftige Anlehnung an die gottesdienstliche Praxis der kathol i s ch e n Kirche auffallen. Der Abendmahlsgottesdienst ist zum „hoch-

*) £j. K. 1921 $. 147 f.

6

amt" geworben1);2 3bas Abenbmahl selbst wirb als „Eucharistie" bezeich­ net^); für ben Gottesbienst finbet sich bie Bezeichnung Messe, für ben bie Abenbmahlsfeier norbereitenben Teil bes Gottesbienstes ber flus= bruck vormesse?) Vie einzelnen liturgischen Bestanbteile werben wie selbstverstänblich mit ben aus ber katholischen Liturgik bekannten Na­ men genannt, eine Fülle frembsprachlicher Ausbrücke (als gäbe es keine brutschen Bezeichnungen!) finben sich auch in ben für bie hanb ber Genteinbe bestimmten (Drbnungen. stus einer einzigen führe ich an: Introi­ tus, Tonfiteor, Absolution, Gloria, Salutatio, Grabuale, Crebo, (Offer­ torium, Präfation, Sanfetus, Anaphora, Epiklese, Verba Testamenti, Agnus vei, Paternoster, Hagia, Pax, Lommunio, postcommunio, Benebtcamus.4) * Der 6 * *Friebenskuß 9 wirb geübt, Weihrauch ist wieber einge­ führt?) Der schlichte schwarze Talar bes evangelischen Pfarrers wirb burch einen weißen Talar ober auch burch Alba unb Stola ersetzt?) Grunbsätzlich wirb ibie Benutzung ber Alba unb ber Stola geforbert; wenigstens spricht sich ber Schriftführer ber h. v. unb Schriftleiter ber h. K. in biesem Sinn aus?) Die Stola begrünbet er bamit, baß ben evangelischen Geistlichen priesterliche Funktionen zustehen. Dagegen rät er von ber Benutzung bes Meßgewandes, ber Kasel, „vorerst noch" ab, weil „wir auch auf biesem Gebiete benen nicht gleich „starke Speise" reichen bürfen, bie nur erst Milch vertragen können." Tatsächlich ist bis Kasula bei hochkirchlichen Gottesbiensten gebraucht worben. Bei einer „Sakramentsfeier" in Themnitz amtierte ber Liturg im weißen Thorrock mit golbgestickter weißer Kasula; es assistierte ber Diakon, mit Alba unb Stola befeleibet; zwei größere unb zwei kleinere Chorknaben trugen ben roten Ministrantenmantel mit weißem Thorhemb?) Die Ausstattung bes Gottesbienstes folgt burchaus katholischem Muster. In Themnitz zogen währenb bes Eingangsliebes Diakon unb Liturg unter Vorantritt von Kerzen tragenben Chorknaben feierlich von ber Sakristei zum Altar?) Die liturgische Kommission ber h. v. schlug fotgenbe Gestaltung bes Zugangs zum Altar vor. „Aus ber Sakristei treten zwei Chorknaben mit brennenben Lichtern, zwei Chorknaben mit Weihrauchfaß unb Schiff­ chen unb zwei Gemeinbevertreter (Alteste); von ben letzteren trägt ber eine bie Hostienbose mit ben Hostien, ber anbere ben Abenbmahlswein (in !) £).K. 1921 S. 323, 353, 367 ff., 38'1. 2) H.K. 1919 5. 16 ff., 23 ff., 34 ff.; 1921 §. 104, 111, 215, 271. 3) h. lc. 1920 S. 45 ff.; 1921 S. 369. Auch Canon Missae kommt vor (H.K. 1920 S. 40). 4) Sakramentsfeier in Themnitz. °) H.K. 1921 S. 308 f., vgl. 368. 6) t).K. 1919 S. 78; 1920 S. 19, 52; 1921 5. 92, 308, 331. ’) t). K. 1921 S. 331. Der genannte Mitbegründer der h. v. glaubt aller­ dings, daß die Lösung der Drnatfrage „nicht überstürzt" werden sollte. „Sonst entsteht leicht der Eindruck, als sähen wir sie als Kardinalfrage an“. s) Sch les. Blatt für eo. Kirchenmusik 1921/22 Nr. 1/2; vgl. £). K. 1921 S. 368. 9) Ebenda.

7

einer Kanne) herzu,' hinter diesen drei Paaren schreitet der Liturg mit! dem vom Kelchvelum verhüllten Kelche. Die Chorknaben stellen sich rechts und links vom Altare auf, die Ältesten bleiben, die Altarmitte zum Aufstieg für den Geistlichen freilassend, rechts und links vor den Altar­ stufen stehen, bis der Liturg sich die Gaben für die Sakramentsfeier von ihnen hat reichen lassen. Darauf nehmen sie die für sie bestimmten vor­ deren Plätze ein, um am Schlüsse der heiligen Feier dieselben Gefäße wie vorher dem Liturgen voran zur Sakristei zurückzutragen. — von An­ fang an sind 12 Lichte auf dem Altar."x) Der Verwandtschaft der gottesdienstlichen Bestrebungen der l).v. mit dem katholischen Kultus ist man sich in den Kreisen der letzteren natürlich bewußt. Die Glieder antworten auf entsprechende vorwürfe in der Regel mit der Behauptung, daß sie sich lediglich den „gemein­ kirchlichen" oder auch „altkirchlichen", nicht aber den römischen Formen anpassen?) von ganz besonderer Wichtigkeit ist die in der l). v. vertretene lvertung des Abendmahls und die damit zusammenhängende Auf­ fassung vom Verhältnis des evangelischen Gottesdienstes zur Abendmahls­ feier. Das Abendmahl wird als (Opfer gedeutet,' nicht einmal oder zwei­ mal im vorübergehen, sondern in wiederholten ausführlichen Darlegun­ gen und mit ganz nachdrücklicher Betonung?) „Aus dem Wesen des Kreuzesopfers ist der Gpferbegriff herzuleiten und analog auf die eucha­ ristische Handlung am Altare zu übertragen. Das Wesen des (Opfers liegt in der inneren tOpfergesinnung, in der völligen Selbsthingabe an Gott, diedurcheinerealeoderäquivalenteveränderungoder UmgestaltungderGpfergabeineinemGpferakteeinen äußeren symbolischen Ausdruck finden muß": so lautete einer der Leitsätze eines Referats auf der Tagung der Berliner Arbeits­ gemeinschaft der H.v. im April 1921?) Die versuche, den „eucharisti­ schen" Gpferbegriff klarzustellen, sind zahlreich und mannigfaltig- ge­ legentlich tritt die Erkenntnis hervor, daß eine „erneute, tiefgehende Durcharbeitung des Gpferbegriffs" nötig sei und daß es sich dabei um eine recht schwierige Sache handle?) Aber in der These selbst ist man anscheinend einig. IHit dieser Betrachtungsweise hängt die Auffassung der „eucharistischen Gegenwart" Thristi zusammen. Man er­ wägt den Moment des Eintritts und der Dauer dieser Gegenwart?) Diese „eucharistische Gegenwart" Thristi ist nun die Voraussetzung dafür, daß dem Gottesdienst der Charakter als „Anbetung" gegeben wird. Davon ist außerordentlich häufig und mit starker Betonung die Rede. Wir ') t).K. 2) tj.K. ’) £).K. 215 ff., 271 f. 4) Ej.K. s) £?. K. °j H.R.

1921 S. 105. 1921 S. 358 f. u. ö. 1919 S. 16; 1920 S. 41, 72 f., 89 f.; 1921 S. 271. 1921 S. 105. 1921 S. 272.

192'1

S.

105, 109 ff.,

8

brauchen mehr „Gottesdienste reiner Anbetung": wird immer wieder verbünbet.1) Die Anbetung wird dem „in Christus gegenwärtigen Gott", das heißt also dem eucharistisch gegenwärtigen Gott gewidmet. Pastor Stoevesandt führte in einem beim 2. Hochkirchentag gehaltenen, in der £). K. abgedruckten und dringend empfohlenen Vortrag aus: „Vie Anbetung muß der Höhepunkt des Kultus fein . . ." Da nun die pre­ digt im besten Falle Gott nahe liegt, aber ihr Anhören noch, niemals gemeinsame Anbetung ist, so kann die Verkündigung des göttlichen Wor­ tes, so unumgänglich notwendig sie ist, nicht der erstrebte Höhepunkt sein . . . wir müßten uns an dem Schlußgebet genügen lassen,- hat aber die predigt das religiöse Gefühl nicht geweckt, so wird auch beim Schluß­ gebet das numen praesens, die Gegenwart Gottes, nicht erfahren wer­ den. wir brauchen aber nicht lange zu suchen,- denn Christus hat uns seine wunderbare Gegenwart im Abendmahl ver­ heißen. Nur das Sakrament des Altars, in dem alle Mysterien der Erlösung sich zusammendrängen, kann deshalb der Höhepunkt des Gottes­ dienstes sein . . . Damit tritt das Objektive hervor, das ganz Große, das Jneffabile, was nur feierlich dargestellt, geschaut und in stiller ge­ meinsamer Anbetung hingenommen werden kann."2)* * hier haben wir die Grundlage für die immer wiederkehrende Forderung des Stillgebets als der Form der „reinen" Anbetung. Ls gilt dem im Abendmahl gegen­ wärtigen, „eucharistischen" Christus. Zwei in den Richtlinien oder in den Grundsätzen erwähnte Ziele scheinen dieser Angleichung an den katholischen Kultus zu widersprechen: die Selbsttätigkeit der Gemeinde und die Volkstümlichkeit des Gottesdienstes, wie die letztere verstanden wird, das scheint mir ein in der h. K. abgedrucktes Zitat zu zeigen, in dem es heißt: „Volkstümlich­ keit bedeutet Ritus, feierliche Form, institutionellen Vollzug."2) Die Selbsttätigkeit der Gemeinde soll wohl durch ihre Beteiligung bei Wechselgesängen und Psalmodieen gefördert werden. Auch daß beim Ge­ meindegebet eine mehrmalige Antwort der Gemeinde — also die Form der Litanei — vorgesehen wird und daß beim Glaubensbekenntnis die Beteiligung der Gemeinde angestrebt wird (sie soll unisono sprechen oder nach der Intonation des Liturgen fortfahren) h, mag dahin ge­ hören. Abßt wichtige Teile der Liturgie werden der Gemeinde entzogen und dem Chor zugewiesen- die Gemeinde durfte mehrfach nach dem Confiteor des Liturgen und dem Bittgebet des Diakonen nur das Amen fingen.5) Anläßlich einer hochkirchlichen Lucharistiefeier in Berlin klagt l) Dabei beruft man sich mehrfach auf A. harnack (was wir von der bath. Kirche lernen und nicht lernen sollen. Reden und Aufsätze. 2. B6. 2. Ausl. 1906. S. 254). ’) h. U. 1921 S. 77. Sperrungen von mir. •) £?. K. 1921 S. 248 (dar Zitat stammt von Prof. Bachmann in (Erlangen und ist der Allg. ev.-luth. Rirchenztg. 1920 Rr. 46 entnommen). ') H.K. 1921 S. 114 f. «l Schief. Blatt für eo. Kirchenmusik 19’21/22 S. 8. vgl. die gedruckten Ordnungen,- Dstervesper S. 1; Sakramentsfeier S. 2.

9

ein diesen Kreisen angehörender Berichterstatter: „wieviel mehr würde! die Doxologie und das Sanktus die Seelen zur Anbetung erhoben haben, wenn sie sich still dem Gesang des Chores hätten hingeben dürfen, ohne vom Mitsingen der Gemeinde gestört zu werden." **) Alles das steht durchaus nicht im Gegensatz zu katholischer Art. Sieht auch die Messe keine solche Betätigung der Gemeinde vor, so begegnet sie doch bei katho­ lischen Gebetsgottesdiensten. Über die Linien dieser Gottesdienste geht sie nicht hinaus?) 3.

Neben diesen Bestrebungen der hochkirchlichen Kreise gehen nun andere gottesdienstliche Reformwünsche her, die, ob auch mehrfach mit ganz anderen theologischen und kirchlichen Anschauungen verbunden, doch in manchen Punkten ähnliche Ziele verfolgen. Rudolf Otto nahm in seinem zuerst 1917 erschienenen Buche „Das Heilige"3) Stellung gegen die Vorherrschaft des „rationalen" Moments in der Religion. Soll die Religion wirklich Religion sein, so lebt in ihr noch ein ganz anderes Moment, das „Ruminose". Der besondere Gefühlsreflex des Numinofen im menschlichen Gemüt ist das Mysterium tremendum. von hier aus zieht Otto Folgerungen auch für den Gottes­ dienst. 3n einem 1919 erschienenen Aufsatz kritisiert er unsere gewöhn­ lichen Gebete und Lieder als solche, die sich im Bereich des „Rationalen" halten?) Ihnen fehle das Irrationale, das Numinofe. Wir haben — meint er — keine ganz großen und starken Ehrfurchtslieder,' unsere Lieder sind durchweg „Vu-Lieder", während wir „Er-Lieder" brauchen. Die Kreatur erträgt es einfach nicht, so immer und ohne weiteres, ohne die „Heiligenblende", dem Ewig-Höchsten gegenüberzustehen. Sein Mqsteriumscharakter geht dadurch verloren. Er setzt diesen Gedankengang in einem weiteren „Schweigender Dienst" betitelten Aufsatz (1920)5) ins Praktische hinein fort. Anschließend an das Silent worship der Ouäker stellt er den Satz auf, daß wir das kultische Schweigen als die geistigste *) t). K. 1921 S. 324 (Anmerkung). ’) An die Wünsche der £). v. erinnert die „Kundgebung der lutherischen Benediktiner" (Grdensriedlung Kristwald a. Ostsee), dieser jüngsten Erscheinung auf dem Boden deutschen evangelischen Kirchentums. 3n ihr heißt es (II Abs. 4): „Die vornehmste Aufgabe der Grdensmänner ist das tägliche feierliche Gotteslob und die Betrachtung der heiligen Geheimnisse im liturgischen Ghordicnst. Wenn in der Römischen Kirche zu viel gebetet und zu wenig gepredigt wird, so wird in unserer Kirche zu viel gepredigt und zu wenig gebetet. Wir wollen einen Aus­ gleich schaffen durch Lob, Dank und Fürbitte in der heiligen psalmodie. Evangelisches Brevier und Festkalender sind im Entstehen." s) Ich benutzte die 5. Auflage 1920. *) Neues Singen. Die christliche Welt 1919 Nr. 48. vgl. übrigens auch Dttos Beitrag: „Die INissionspflicht der Kirche gegenüber der religionslosen Ge­ sellschaft" in: Revolution und Kirche, herausgegeben von F. Thimme und Ernst Rolffs. 1919. S. 273 ff., bes. S. 293 f. 5) Vie Christliche Welt 1920 Nr. 36; abgedruckt in „Das Heilige", 5. Aufl., $. 239—247.

10 Form des Gottesdienstes von den (Quäkern lernen und dadurch unserem Gottesdienst eine Weihe geben sollten, die er zu seinem Schaden eingebüßr hat. Das kultische Schweigen sei dreifacher Art: numinossakra mentales Schweigen, als Höhepunkt des Gottesdienstes in dem Augenblick, wo das numen praesens erlebt wird, wartendes Schwei­ gen — Zuwarten „auf das Kommen und „Einrünen" des Geistes und seiner Rede",- endlich einendes Schweigen, das Gemeinschaftgewinnen und Einswerden, die „Kommunion". Nun ist nach (Dtto in einer „Kirche", wie wir sie haben, der „schweigende Dienst" in der vollen Gestalt, wie ihn die (Quäker besitzen, nicht möglich- ein solcher kann nur in einer vertrauten und geschlossenen „Bruderschaft des Geistes" sein Recht haben. Wohl aber ist es nach seiner Ansicht möglich, auch dem gemeinsamen und allsonntäglichen Gottesdienste einen Gipfel- und Höhepunkt von „schweigendem Dienste" zu schaffen, der „numinos-sakramental" ist. Da­ zu empfiehlt (Dtto einen „Schweige- und Weihe-Akt", der „ohne den kulti­ schen Apparat und die Mythologie der Wandlungslehre", in einfacher Schlichtheit und reiner Geistigkeit tiefer sakramental sein würde als die von vielen heute wieder begehrte Messe. Er will diesen Gottesdienst in zwei Teile gliedern. Der erste soll ohne langen Umschweif rasch zuv Predigt eilen und mit kurzem „Nachlied" und (Drgelspiel in sich ab­ schließen. Der zweite soll als ein Akt großer Anbetung gestaltet werden; seine Vollendung soll „die sakramentale Feier der Nähe Gottes im Schweigen" sein. Als Bestandteile denkt (Dtto freie und geformte Gebete, für jede Feier sich besonders gestaltend, verteilt auf Presbyter, Diakon und Responsen der Gemeinde; beginnend mit präfatio und Sanktus, wechselnd zwischen Er- und Du-Gebeten und zwischen Singen und Spre­ chen. Dann faßt der Geist sich „in geballter Kraft zur Ektenie" zusammen, zur Anrufung mit Kraft, zur sakramentalen Epiklese, d. h. zum Weihe­ gebet um die Zukunft und Nähe des Ewigen an diesem (Drt und zu dieser Stunde. Es folgt die göttliche Antwort: „Nahet euch zu mir, so nahe ich mich zu euch" und die Ankündigung (Diakon): „Der Herr ist in seinem Tempel; es sei stille vor ihm alle Welt." Die Gemeinde kniet nieder^ und es herrscht völliges Schweigen, bis die Betglocke dreimal drei Schläge getan hat. Dann erhebt sich die Gemeinde und „in der vollen Gegenwart Gottes" bringt sie ihre heiligste (Dpfergabe dar, das Gebet des Vaterunser. Der Geistliche singt es; die Gemeinde schließt mit Lobpreisung und dem Gesänge: Ich hab' von ferne, Herr, deinen Thron erblickt?) Da­ mit ist das Sakrament zu Ende, und der ganze Gottesdienst schließt nun schnell und kurz mit Postkommunio, Benedicamus, Segen und einem Schlußlied. Es ist vielleicht nicht ganz überflüssig, zu bemerken, daß diese Feier t) Daß (Dtto gerade diesem Lied in seinem Gottesdienst eine Stelle gibt, ist interessant. Sein Verfasser, der Breslauer Johann Timotheus Hermes, war ja ein Mann der Aufklärung, von nüchtern-pedantischer Sinnesart. Und das Lied stebt zuerst in dem Roman „Sophieens Reife“! vgl. G. Hoffmann, Jot). Tim. Hermes. 1911 (bes. S. 304 ff.).

11 sakramentaler Anbetung in Ottos Sinn mit der Feier des Abendmahls nichts zu tun hat. Das Wesen des Sakramentalen ist nach Otto die reale Gegenwart des llberweltlich-heiligen selber zu Anbetung, Gemein­ schaft, Besitzergreifung und Genuß?) Diese reale Gegenwart ist nicht etwa an das Abendmahl gebunden. Gott ist, w o e r s e i n w i l l. Die frei­ lich seltenen Feierstunden, in denen der Gläubige diese Gegenwart erlebt, sind „das wahre Sakrament, gegen das alle Hochämter, Messen und Reden aller Welt zu kindlichen Figuren werden." Richt Feier des Abendmahls ist Ottos „Sakrament". Aber — die Gestalt der Handlung ist weithin der Messe nachgebildet. Der erste Teil bringt die predigt, der zweite das Sakrament selbst. In diesem zweiten begegnen Präfatio, Sanktus, „schweigender Dienst", postkommunio, Bene» dicamus; daneben allerdings Bestandteile, die nicht zur Messe gehören (Lieder der Gemeinde). Oder soll man sagen, daß dieser Teil der luthe­ rischen Abendmahlsfeier nachgebildet ist? Die Anbetung des numen praesens spricht mehr für die erstere Fassung als für diese. Beachtung verdient auch der Umstand, daß man in der hochkirchlichen Bewegung, so gewaltig die Kluft zwischen ihrem Sakramentsbegriff und demjenigen Ottos ist, doch Ottos Gedankengänge und sprachliche Wen­ dungen gern benutzt. Die oben erwähnten Ausführungen des Grafen Lüttichau3* )2 * 5beweisen das. Diese Übereinstimmung derer, die in ihrer Sakramentsfeier alles auf die „eucharistische Gegenwart" Thristi ein­ stellen, mit dem Fürsprecher eines christuslosen Sakraments gehört zu den merkwürdigsten, aber auch bemerkenswertesten Symptomen der Ent­ wicklung. Daß Otto auch dem Gebrauch des Weihrauchs freundliche Teilnahme widmet, verdient immerhin Erwähnung?)

4. An diese Äußerungen Ottos knüpfen — wenn schon in sehr ver­ schiedener Art — die Reformwünsche Anderer an. Interessant ist nament­ lich die Stellungnahme Friedrich Heilers. In seinem großen Werk „Das Gebet", das ja auch das gottesdienstliche Gebet geschichtlich und grundsätzlich eingehend würdigt, findet sich eine kritische Betrachtung des evangelischen Gottesdienstes3), die wenigstens in ihren Grundzügen den eben dargelegten Gedanken Ottos konform ist. Es ist ein für Evange­ lische sehr scharf klingendes Urteil, wenn heiler bei einem vergleich zwischen der römischen Messe und dem evangelischen Gottesdienst folgende Sätze prägt6): ') Für diesen Satz und für da; Folgende vgl. „Das heilige". S. 243 f. 2l Ebenda S. 246 f. ’) Besonders h.tt. 1921 S. 146 f. Die Christliche Welt 1921 Sp. 61 f. 5) 2. Auflage 1920 S. 475 f. 6) Ebenda S. 476.

5. stuft.

12 „während der evangelische Gemeindegottesdienst in seiner geistigen Nüchternheit und ethischen Herbheit in der Menge der vurchschnittsgläu« bigen nur schwer lebendige Kräfte individueller Gicketsfrömmigkeit zu entbinden vermag, ist die katholische Meßliturgie in ihrem numinösen Mysteriencharakter und ihrem Reichtum an sinnlich-ästhetischen Reizen seit Jahrhunderten der Ausgangspunkt mystischen Betens und Kontern« plierens gewesen. (Es ist unzweifelhaft, daß. im katholischen Sakraments­ gottesdienst vor dem in der Eucharistie gegenwärtigen Gott, vor dem numen praesens, mehr und inniger gebetet und angebetet wird als im evangelischen Wortgottesdienst." Aber heiler sieht trotzdem das Ideal mit Bestimmtheit auf der Seite des evangelischen Christentums. „Der evangelische Gemeinde­ gottesdienst, d. h. die opferlose, geistige Anbetung Gottes durch eine Ver­ sammlung reifer christlicher Persönlichkeiten, ist die höchste und reinste Form des Kultus."x) Er hat dem vergleich zwischen katholischem und evangelischem Gottesdienst eine besondere Schrift gewidmet?) hier findet der katholische Gottesdienst eine dermaßen begeisterte, nach meiner An­ sicht übrigens stark idealisierende Schilderung, daß man dabei den Schlag des Herzens des Verfassers aufs deutlichste zu spüren meint. Dann aber stellt er diesem Wunderbild doch eine Zeichnung evangelischen Gottes­ dienstes gegenüber, die diesem nicht nur völlig gerecht wird, die nicht allein seinen tiefsten Gegensatz zum katholischen Gottesdienst mit schar­ fem Zufassen herausstellt, sondern die geradezu in das entscheidende Bekenntnis mündet: „Zwei verschiedenartige Welten tun sich vor unseren Blicken auf; man kann nicht zugleich in der einen und in der anderen leben; wer von der einen in die andere geht, muß notwendig der alten Welt sich entfremden."3* )2 Es scheint mir von Wert, Heilers Stellung zu einigen im vorigen besprochenen Fragen klarzustellen. 3 u n ä ch st nimmt er gegen eine Synthese von katholischem und evangelischem Gottesdienst, wie sie z. B. in der altkatholischen und in der katholisch-apostolischen Liturgie (der sog. irvingianischen) erscheint, insofern entschieden Stellung,-als er sie zwar dort, wo sie besteht, geschätzt und geachtet wissen will; „aber wo sie nicht be­ steht, soll sie nicht angestrebt werden."4) Er wünscht die beiden Typen in ihrer Reinheit erhalten zu sehen. Zweitens erklärt er sich von hier aus zwar nicht absolut gegen die hochkirchliche Bewegung auf gottes­ dienstlichem Gebiet; das freie evangelische Lhristentum müsse auch Raum haben für ein den Sakramentsdienst schätzendes Christentum. Aber er hält es für völlig verkehrt, in einer hochkirchlichen Liturgiereform das h Lbenda S. 476. 2) Katholischer und evangelischer Gottesdienst. 1921. 3) Kats), und cd. Gottesdienst S. 44; vgl. Das Gebet S. 474, 476. 3d) h?be den Eindruck, daß die grundsätzliche Entscheidung für den evang. Gottes­ dienst in der Schrift über den bath, und eo. Gottesdienst 1921 viel schärfer und klarer heraustritt als in der 2. Auflage des Buchs über Das Gebet. (1921). ‘) Lbenda S. 45.

13 sicherste oder gar alleinige Mittel zur Hebung des darniederliegenden Gottesdienstlebens der deutschen Landeskirchen zu erblicken- die Über­ nahme katholischer Formen könne durchaus nicht helfen- sie berge viel­ mehr die stete Gefahr eines neuen unorganischen Synkretismus oder der völligen Katholisierung in sich?) Drittens rpill er auch dem wort­ losen, schweigenden Gebet im evangelischen Gottesdienst Raum geben. „Aber weil der Gott der evangelischen Frömmigkeit nicht der deus absconditus, sondern der deus revelatus ist, darum ist im Gegensatz zur katholischen Mystik und Mysterienliturgie nicht die stille Adoration der heiligste Augenblick des Gottesdienstes, sondern das vom Liturgen oder der gesamten Gemeinde gesprochene Vaterunser."2) 5.

von den zahlreichen Reformvorschlägen, die sonst in den letzten fahren laut geworden sind, bespreche ich hier nur die, welche irgendwie in den bereits geschilderten Bahnen gehen?) Das gemeinsame Moment, das eine ganze Reihe kennzeichnet, ist die Forderung: MehrRnbetung in unseren Gottesdiensten! Um dieser Forderung willen verlangt man eine stärkere Betonung der Liturgie, weil sie es vor allem sei, in der die Stimmung der Anbetung ihren Ausdruck finden könne und solle?) von ihr aus will man das Abendmahl wieder in jedem „vollständigen feier­ lichen Gottesdienst" gehalten wissen?) Da dieser Wunsch doch unausführ­ bar erscheint, stellt ein anderer Reformer als Programm die regelmäßige, nach der predigt zu vollziehende Selbstkommunion des Geistlichen auf, während die Gemeinde die „geistige Kommunion" empfängt?) Um der Ebenda 5. 48 (Anm. zu $. 45). 2) Ebenda S. 39. 8) Ich nenne: Karl weyrich, Die Erneuerung des kirchlichen Gemeinde­ lebens. Monatschr. f. pastoralth. 1919/20 S. 2 ff.; A. Müller, Gottesdienste der reinen Anbetung. Ebenda h. 7/8 S. 190 ff.; U. Altmann, Sur Zrage der Anbetung im Gottesdienst. Ebenda 1920/21 $. 170 ff.; Zendt, „Gottesdienste reiner Anbetung". Ebenda 1920/21 S. 25 ff.; Rumland, Wie kann dem Be­ dürfnis nach „reiner Anbetung" in unseren Gottesdiensten besser Rechnung ge­ tragen werden? Ebenda 1920/21 S. 297 ff.; Ulrich Altmann, Das Stillgebet in der evang. Gemeindefeier. Ebenda 1920/21 $. 351 ff.; Ders., Schweigender Dienst. Die Ehristl. Welt 1921 Hr. 14; Kirchner, Sum „Daß" und warum, wie und wo des sog. Schweigenden Dienstes. Monatschr. f. Gottesdienst und kirchliche Kunst. 26. Iahrgg. (1921) heft 7/8; U. Altmann, Ev. Gottesdienst und Still­ gebet. Ev. Kirchenbl. f. Schlesien 1921 S. 363 ff.; Ders., Sur Gestaltung unserer Gottesdienste. Ebenda 1921 S. 207 ff.; B. Müller, Gedanken zur Reform unseres Gottesdienstes. Ebenda 1921 S. 324 f.; B. Klaehre, Mehr reine Anbetung in unseren Gottesdiensten. Die Dorfkirche 1922 h. 7 S. 205 ff.; A. Strewe, Die Liturgie als handeln und Schauen. 1922; A. Kurz, Reform des Gottesdienstes. Magdeburg 1922 (volkskirchliche hefte Hr. 15). Die beiden zuletzt genannten Schriften konnten nicht mehr genauer berücksichtigt werden. — Beachtung ver­ dient auch die Erörterung über eine in Liegnitz gehaltene psingstmatutine im Ev. Kirchenbl. für Schlesien 1921 Hr. 23 (Z. 181 f.), 26 ($. 206 f.), 32 (S. 253 ff.). 4) Altmann (M. f. past. 1921 5. 171). 5) Rumland (M. f. past. 1921 S. 298. Diese abschließende Zorderung dieses Aufsatzes paßt zu seinem gut evangelischen Unterbau wie die Zaust aufs Auge). 6) Es ist sicherlich kein Susan, daß dieser Gedanke von einem früheren Katholiken stammt (Fendt, M. f. past. 1920/21 S. 30 f.).

14 „reinen Anbetung" willen wird der „schweigende Dienst", das Stillgebet, wärmstens empfohlen?) Allerdings will es Altmann, der mit besonderem Nachdruck für dieses Gebet eintritt, nicht in den Hauptgottesdienst, sondern in Nebengottesdienste eingeordnet wissen. Auch abgesehen von diesen Folgerungen aus dem verlangen nach „reiner Anbetung" werden zahllose einzelne Reformwünsche laut. Rein Stück unserer Gottesdienste bleibt dabei unberücksichtigt. Vie Aufmerkkeit wird ebenso den Höhepunkten wie den Äußerlichkeiten, z. B. der Ein­ gliederung der sog. Abkündigungen, zugewandt?) Auf alle diese Ge­ danken im Einzelnen einzugehen, liegt nicht in meinem Plan.

6. Die Übersicht versuchte bereits die Grundgedanken der Reformbe­ strebungen herauszustellen. So kann nunmehr alsbald das Urteil, die eigene Stellungnahme, folgen?) vorausgeschickt sei eine Bemerkung allgemeiner Art. Es fällt auf, wie wenig die Arbeit der Wissenschaft der praktischen Theo­ logie von den Urhebern dieser Vorschläge beachtet wird. Was auf jedem anderen Gebiet der Theologie als unzulässig gilt, nämlich die Ignorierung früher geleisteter Gedankenarbeit, das scheint auf dem Ge­ biet der praktischen Theologie als selbstverständlich berechtigt angesehen zu werden. Auch ein Fachmann auf anderem Gebiet wie (Btto geht über die praktische Theologie einfach hinweg?) Daß Anton mit viel zu 1) vgl. besonders die oben genannten Aufsätze Altmanns und dazu: U. Alt­ mann und G. Blümel, Stille zu Gott. (Entwürfe zu Wochenschluß-Andachten.) 1921. 2) vgl. z. B. v. Kirchner, Der Grt der Abkündigungen in den Gottes­ diensten. m. f. past. 1920/21 12. h. $. 302 ff. 3) Ich notiere eine Reihe von Äußerungen, die sich mehr referierend oder auch kritisch mit den geschilderten Reformbestrebungen befassen. Allgemein: Karl Anton, Angewandte Liturgik (prakt. Handbibliothek Bd. 23) 1919; Taube, Gedanken und wünsche zur Reform des Gottesdienstes. Die Volkskirche 3. Jahr­ gang 1921 Nr. 17/18 (5p. 262 ff.); 20 (Sp. 311 ff.); Nr. 23 ($p. 358 ff.); 4. Iahrgg. 1922 Nr. 1 (5p. 1 ff.); Nr. 3 (5p. 39 ff.); Nr. 8 (5p. 114 ff.). Besonders zu den hoch kirchlich en Bestrebungen: Jul. Smend, was be­ deuten die liturgischen Bewegungen der Gegenwart für die ev. Gemeinde? Mit­ teilungen des deutschen Cv. Gemeindetags Nr. 30 (1921), 32 (1922); Turt Horn, Die Kultusform der hochkirchl. Vereinigung. Monatschr. f. Gottesdienst usw. 1922 h. 2 5. 45—49; Sur Reform des Gottesdienstes. Die Volkskirche 1920 Nr. 24 5. 361—368; 1921 Nr. 14 5p. 213 f. (Leitsätze von R. Günther,); Nr. 15/16 5p. 237 ff.; (D. Hoffmann, Das Gebet im Gottesdienst. Cv. Kirchenbl. f. Schlesien 1922 5. 61 ff., 69 ff., 78 ff.; $. Spitta, Liturgische fragen zur "kirch­ lichen Neugestaltung. Monatschr. f. Gottesdienst usw. 1921 h. 11/12 5. 242 bis 244; 1922 h. 4 5. 8—102; Ders., Vorsicht bei der liturgischen Entwicklung. Ebenda 1922 h. 1 5. 1—5. 3u heiler: R. Güntber, Über kath. und ev. Gottesdienst. Monatschr. f. Gottesdienst 1922 h. 1 5. 5—14. 4) In dem oben erwähnten Aufsatz in „Revolution und Kirche" 5. 279 fordert Otto, daß die „Settlementsbewegung" „geradezu zu einem Teile der praktischen Theologie gemacht" werde. Auch diese Wendung erklärt sich nur aus mangelnder Fühlung mit der Wissenschaft der praktischen Theologie. Eine

15 weitgehender Polemik gegen „die Liturgik" in gewissem Maß dieser Ab­ neigung gegen die praktische Theologie Vorschub leistet, ist schmerzlich. (Eine Beschäftigung mit der Wissenschaft der Praktischen Theologie würde einerseits vor manchen geschichtlichen Aussagen bewahren, die als unzulänglich angesprochen werden müssens- andererseits würde sie zu einer klaren Besinnung aus das Wesen evangelischen Gottesdienstes führen, deren Fehlen der Fachmann nicht selten bitter vermißt, stuf diese Grund­ frage muß ich noch zurückkommen.

7. Ich gehe nun auf die Sache selbst ein. Vas Erste, was ausgespro­ chen werden muß, ist, daß die Beobachtungen, von denen die Forderung einer Reform unseres Gottesdienstes ausgeht, vielfach richtig sind. (Es ist freilich einseitig, wenn heiler sagt: „Vie Eindrücke, die man in evangelischen Gottesdiensten, gerade in Mitteldeutschland, gewinnt, sind großenteils erschütternd."2) (Es ist auch viel zu scharf ausgedrückt, wenn Ferdinand Menegoz vom evangelischen Gottesdienst urteilt: „(Es ist, wie wenn er den Reichtum seltener seliger Stunden durch jahrelange Armut erkaufen müßte, und das, weil er eines über alles andere stellt: die Wahrhaftigkeit."3) Aber das Suchen, Tasten, verlangen nach an­ deren Formen ist doch nicht nur ein Zeichen dafür, daß reichlich Kritiklust und Reformsucht in der Welt ist, sondern es beweist auch, daß unsere Gottesdienste viel religiöses Begehren unbefriedigt lassen. Und wenn auch das Bild, das die Gottesdienste in manchen Gegenden Mitteldeutsch­ lands bieten, keineswegs typisch ist, wenn auch in Stadt und Land Sonntag um Sonntag zahllose Gottesdienste voll innerer Kraft in evangelischen Kirchen gehalten werden, so wird es doch richtig sein, daß daneben viele andere mit sehr kühler Temperatur stehen, viele, bei denen die Ge­ meinde, sofern wirklich eine solche anwesend ist, eben nur pflichtmäßig Anteil zu nehmen scheint. Vie hochkirchliche Bewegung fordert ein maßvolles Zurücktreten der predigt- sie schiebt die Schuld also, wenigstens teilweis, auf das Über­ einzelne, ganz einzelne soziale Maßnahme kann doch — und wäre sie noch so wichtig — nicht „Teil" unserer Wissenschaft sein! !) Genaue geschichtliche Untersuchung der römischen Messe führt m. T. un­ weigerlich zur Ablehnung der Schilderung bei heiler (Kath. und ev. Gottes­ dienst S. 10), nach der die Liturgie des kathol. Gottesdienstes uns „in ihrer wundersamen Gliederung und klaren Linienführung" als eine „logische Einheit" erscheint, in der auch das kleinste Stück Sinn und Bedeutung im großen Ganzen hat. Zu Recht besteht vielmehr dar Urteil von p. Drews (RGG. IV Sp. 519): „Die Messe ist ein Gebilde, das Altes und Heues, verständliches und Unver­ ständliches, Berechtigtes und Unberechtigtes nebeneinander zeigt. Sie i [t alles andere, nur kein Kun st wer k." — Sehr zu beanstanden sind viele ge­ schichtliche Urteile aus den hochkirchlichen Kreisen nainentlich über Luthers und der lutherischen Reformation Stellung zu den gottesdienstlichen Fragen. 2) Kath. und ev. Gottesdienst S. 45. vgl. Das Gebet 5. 476. 8) Briefliche Äußerung (bei heiler, Gebet S. 477).

16 gewicht der predigt. Der gleiche Gedanke, nur in grundsätzlich schärferer Formulierung, begegnet weniger bei Gtto als bei Anderen, die ihm folgen.1) Denn der Dorwurf allzu „rationaler" Haltung des Gottesdienstes trifft doch vor allem den Predigtteil. Ich kann in diesem Zusammenhang nicht ausführlich über Wert und Unwert der Predigt in unserer Zeit sprechen, sondern ich mutz mich auf wenige Sätze beschränken. (Es ist mir zweifellos, datz noch heute die evangelische predigt in sehr vielen Gottes­ diensten den Höhepunkt bedeutet, datz sie in unendlich vielen Fällen die Stimmung der Gemeinde aufwärts führt, datz sie Gewissen weckt und Herzen tröstet. Uber ich kann und will nicht bestreiten, datz viele pre­ digten allsonntäglich diesen Zweck verfehlen, weil sie zu schwerverständ­ lich oder zu oberflächlich, zu langweilig oder — auch das kommt vor — zu kunstvoll-geistreich sind, weil sie ihre Zuhörer überhaupt nicht fesseln oder weil sie sie innerlich kalt lassen. Weil das so ist, empfinde auch ich es als eine große Schwierigkeit, daß unser Gottesdienst in so starkem Maß auf die predigt zugeschnitten ist. Dabei behalte ich mir aber die Stellungnahme zu der Ansicht, die gerade die Predigt für das Überwiegen des „rationalen" Charakters des Gottesdienstes verantwortlich macht, vor. Keinesfalls trägt nach meiner Ansicht die predigt die Alleinschuld an der unbefriedigenden Wirkung unserer Gottesdienste. Tatsache'ist, daß die Liturgie in vielen Gegenden Deutschlands von der Gemeinde weniger, vielleicht viel weniger geschätzt wird als die predigt. Selbst unsere Art zu singen entspricht nicht dem Ideal. Endlich mutz erwogen werden, daß das Gelingen jedes Gottesdienstes, wie er auch gestaltet sei, abhängig ist von der religiösen Stimmung der Teilnehmer. Ist diese kühl, so kann die beste Form des Gottesdienstes nicht viel ausrichten. Wir haben int Anfang des Krieges erlebt, welche Wirkung Gottesdienste — auch solche nach der herkömmlichen Art — haben können, wenn die Teil­ nehmer sich in religiöser Erregung befinden. Wer auf diese Vorbedingung zu achten vergißt, der wird niemals die richtige Stellung zu unseren Gottesdiensten finden. Richtig aber bleibt, daß ein großer Teil unserer Gottesdienste unter den gegebenen Umständen, und zwar nicht nur wegen der niedrigen Temperatur des religiösen Lebens der Gemeinden, sondern auch, weil sie nicht richtig auf die Gemeinden eingestellt sind, wirkungs­ los bleiben. Die predigt trägt nicht allein die Schuld. Aber sie trägt Mitschuld. Der predigt dahin zu helfen, daß sie ihrer gewaltigen Aufgabe besser als bisher gerecht werde, ist und bleibt ein Problem von eminenter Wichtig­ keit. Aber die Reformer mögen darin Recht haben, datz die Sache noch anders angefaßt werden muß. Man wird eben immer mit der Unvoll­ kommenheit zahlreicher predigten und mit der Unfähigkeit vieler Hörer zu rechter Aufnahme der predigt rechnen müssen. Daher neige auch ich mehr und mehr dazu, auch meinerseits ein „maßvolles Zurücktreten" der Predigt unter bestimmten Bedingungen zu befürworten. Die eine !) 3. B. bei Kltmaim, M. f. P. 1921 S. 171.

17 Forderung muß: die der gedrungenen Kürze fein; sie gilt unter allen Um­ ständen. Die zweite bezieht sich aus besondere Gelegenheiten: Gottes­ dienste mit ganz kurzer Unsprache sollen neben solchen mit predigten stehen; vielleicht sollte es auch Gottesdienste ohne Unsprache geben. Zu dritt wünsche ich Ubendmahlsgottesdienste gleichberechtigt neben Predigt­ gottesdienste gestellt zu sehen. Endlich halte ich es für sehr wichtig, daß, der Monotonie des Predigtbrauchs gewahrt werde: die ganze Urt, ja auch der Platz der Predigt im Gottesdienst soll nicht stereotyp gleich sein, son­ dern jedesmal der Besonderheit der Stunde entsprechen.

8. Die h. v. wünscht stärkere pflege des „Sinns für das Schöne, Edle und echt volkstümliche". Das sind Worte, die ich gern unter­ schreibe. Uber sie sagen wenig, was ist schön und edel? was volks­ tümlich? wir sahen, daß in den Kreisen der h. v. feierlicher, institutio­ neller Vollzug als besonders volkstümlich angesehen zu werden scheint. Undere werden sehr anderer Meinung sein. Schön, würdig, feierlich sind Eigenschaften, die der Gottesdienst allerdings haben muß. Zugegeben, daß sie öfter fehlen! Es gibt Pfarrer, die unglaublich wenig Sinn für feierliche und würdige Urt haben. Dieser Sinn muß Mehr gepflegt wer­ den! Es ist fürchterlich, wenn bei der Ubendmahlsfeier die Teilnehmer in der Kirche hören können, wie der Küster die Weinflaschen in der Sa­ kristei geräuschvoll öffnet; es ist abscheulich, wenn derselbe unmittelbar aus der Flasche Wein in die auf dem Ultar stehende Kanne nachgießt; es ist gräulich — und wirkt, weil die Kunde davon durchsickert, auch auf die Gemeinde —, wenn es vorkommt, daß der Kirchenvorstand den Rest des Ubendmahlsweins zu trinken bekommt. Das ist mehr als Form­ losigkeit, das ist Sünde wider den Geist des Gottesdienstes. Uber — zu hochkirchlichen Formen kommt, wer für feierliche würde eintritt, darum noch keineswegs mit Notwendigkeit. Es gibt auch eine schlichte würde, eine ganz einfache Feierlichkeit, vielleicht wirkt sie manchmal besser als pomphafte Aufmachung. Die t). 0. will Selbsttätigkeit der Gemeinde. Ein trefflicher Gedanke! 3n der Tat: die Passivität wirkt erdrückend. Je stärker die Gemeinde sich tätig beteiligt, um so reger wird ihr Interesse sein. Eine andere Frage aber ist, ob die Urt, wie die hochkirchlichen Reformbe­ strebungen die Gemeinde selbsttätig machen wollen, richtig ist. In psalmodieen und Hymnen wechselt die Gemeinde mit dem Thor ab, so daß jedem von beiden Teilen ein Vers oder ein halbvers zufällt. Gb dieses Psalmodieren jemals volkstümlich werden kann, ist mir ernstlich zweifelhaft. Wer beobachtet, welche Gattung von Melodien unseren Gemeinden am meisten gefällt, der wird kaum die Hoffnung hegen, daß der psalmodierende Sprechgesang der Gemeinde die Gottesdienste heben wird. In eng­ lischen Gottesdiensten habe ich beobachtet, daß weder Schönheit noch Feier­ lichkeit des Gottesdienstes durch ihn gehoben werden. Und warum nimmt

18 man der Gemeinde andere Weisen der Selbstbetätigung? Warum gibt man mehrfach dem Liturgen allein das Sündenbekenntnis und läßt die Ge­ meinde nur mit Amen antworten? 9.

Gerade vom Gesichtspunkte der Volkstümlichkeit und der Gemeinde­ betätigung aus muß ich auch die Nachahmung katholischer For­ men des Gottesdienstes nachdrücklich beanstanden. Soll es „volkstüm­ lich" sein, wenn der Gemeinde Formulare der Liturgie in die Hand ge­ geben werden, in denen es von lateinischen Ausdrücken wimmelt? Wenn statt des deutschen „Herr erbarme dich" wieder das fremdsprachliche Ryrie eingefügt wird? Meint man damit die innere Gemeindebeteiligung und ihre äußere Betätigung zu heben? Die gleiche Eigenart hochkirchlicher Gottesdienste muß aber auch und vor allem vom Standpunkt der evange­ lischen Gesamtanschauung aus als durchaus abwegig bezeichnet werden. Die Berufung auf „altkirchliche" Formen vermag um so weniger zur Begründung zu dienen, als sie nur sehr teilweis zutrifft. Es ist doch eben tatsächlich der römische, lateinische Gottesdienst, dem man s i ch a n p a ß t, — bis auf die gottesdienstlichen Gewänder, bei denen ja doch, mindestens sofern Stola und Rasula in Betracht kom­ men, „altkirchliche" Vorbilder gar nicht in Frage stehen. Ganz außerordentlich bedenklich macht sich diese Nachahmung der katholischen Art geltend, wo es sich nicht bloß um Formen, sondern recht eigentlich um den Gedankengehalt, also um das Wesen des Gottesdienstes handelt. Sch habe gezeigt, wie die hochkirchlichen Tendenzen die „ob­ jektive" Wirkung betonen, ja wie der Gedanke des opus operatum naheliegt. Das ist einfach katholisch. Das Gleiche gilt von dem versuch, der Nbendmahlsfeier Opfer ch ar akter zu geben. Man kann gewiß befürworten, daß der Gpfergedanke auch im Protestantismus zu seinem Recht komme. Aber das wird niemals anders geschehen dürfen als im Sinne von Röm. 12, V M. a. W.: unser Leben soll ein leben­ diges Opfer fein; der Gottesdienst aber soll nur helfen, daß wir fähig werden, dieses Opfer des Lebens zu bringen. Den Gottesdienst selbst als Opfer zu bezeichnen, halte ich für durchaus verkehrt. Man findet in der alten Kirche^) bei Luther und in Kirchenliedern das Gebet als Opfer bezeichnet. Das ist eine bildliche Redeweise, bei der der Begriff des Opfers keine Ausdeutung verträgt. Sie ist veranlaßt durch die Anpassung an biblische, wesentlich alttestamentliche oder aus dem Alten Testament stammende Wendungen und durch die Übernahme von Wendungen aus dem katholischen Sprachgebrauch. Aber sie steht, wenn man scharf zu­ sieht, mit dem evangelischen Begriff des Gottesdienstes nicht im Einklang. Die Gemeinde betet nicht, um Gott zu opfern, sondern um sich im Ver­ kehr mit Gott — im biblischen vollsinn — zu einer Behausung Gottes 11 Vgl. heiler, Das Gebet. S. 468.

19

im Geist zu erbauen. (Es ist richtig, daß die h. v. in dieser Wiederhervor­ kehrung des (Oberbegriffs im Gottesdienst Vorgänger hat, die keines­ wegs hochkirchlich sind- aber sachlich wird dadurch nichts geändert. Auch harnacks hierhergehorige These ging nicht von einem scharfen Begriff des Wesens evangelischen Gottesdienstes aus.1)2 vollends katholisch aber werden die hochkirchler dort, wo sie die „Eucharistie" selbst als (Opfer zu fassen sich bemühen. Das evangelische Abendmahl kann in keiner Weise als (Opfer verstanden wer­ den, sondern — von anderen Gesichtspunkten abgesehen — als ein Mahl des Gedächtnisses an das (Opfer Lhristi am Kreuz. Die mühsamen und künstlichen versuche, ein eucharistisches „(Opfer" mit evangelischen Ge­ danken zu vereinigen, müssen mißglücken- sie beweisen nur das Line, daß man gern auch in diesem Kardinalpunkt eine Angleichung an die römische Messe vollziehen will- m. a. w., daß man katholischen Ge­ dankengängen folgt. —

10.

hochkirchliche Linien kommen teilweis überein mit Linien, die (Otto gezeichnet hat, wenn es sich darum handelt, daß das „N u m i n o f e" zur Wirkung kommen soll. An diesem Punkt haben wir ein gewisses Recht der modernen Bestrebungen festzustellen. Wenigstens ist es meine Überzeugung, daß unsere Gottesdienste vielfach zu nüchtern, also — um (Ottos Ausdruck zu brauchen — zu sehr „rational" verlaufen. Die Ehr­ furcht vor der Majestät Gottes fehlt. Zwar zeigt die Gemeinde durch­ schnittlich in unseren Kirchen eine ehrerbietige Haltung. Das ist um so wertvoller, als frühere Zeiten in diesem Stück böse Mängel sahen.-) Aber das Schweigen scheint oft mehr auf dem Zwang der Sitte zu be­ ruhen als auf innerer Ehrfurcht und Andacht. (Es mag sein, daß das Bewußtsein der Nähe Gottes, des unmittelbaren Verkehrs mit ihm viel­ fach verloren gegangen ist. (Es mag sein, daß unseren Gottesdiensten ein „mystischer" Einschlag — das wort „mystisch" recht verstanden — not tut. (Es mag sein, daß die „behäbige Selbstverständlichkeit", mit der wir nach (Otto von Gottes Allgegenwart zu reden pflegen -), jene innere Gehaltenheit, jenes ehrfürchtige Staunen schädigt, mit dem der Verkehr mit dem lebendigen Gott den sterblichen Menschen, der Verkehr mit dem heiligen Gott den sündigen Menschen immer erfüllen soll. 1) vgl. harnacks Rede „Protestantismus und Katholizismus in Deutsch­ land". 1907. Aus Wissenschaft und Leben. Bd. 1 $. 244: „Ist nicht der Gpferbegriff bei seiner Reinigung im Protestantismus zu stark zurückgedrängt worden?" — wer Heilers (Das Gebet. 2. Aufl. $. 71 ff.) Ausführungen über das Gpfer liest, spürt, wie das Gpfer als eine Gabe zur Gewinnung göttlicher Gunst, in­ sofern im Sinn des naiven Menschen als eine „Unterstützung" des Gebets, vom Wesen des christlichen Gottesdienstes ausgeschlossen bleiben muß,- daß die Messe es zum Bestandteil, ja zum Kernteil des Gottesdienstes macht, ist eben ein Beweis für das Eindringen unterchristlicher Vorstellungen. 2) vgl. z. B. meine Studie: Johann Jakob Rambach als Prediger und Predigttheoretiker. Beiträge zur hessischen Kirchengeschichte 4 5. 112, 124.

20 Man kann diese Gedanken sogar nachdrücklich betonen und doch bei ihrer weiteren Ausführung, namentlich auch, wenn die Übertragung in die Praxis in Frage kommt, ganz erhebliche Einwendungen sowohl gegen die hochkirchlich Gestimmten wie gegen Otto geltend machen. Gegen die hochkirchlich Gesinnten: denn sie suchen die Stimmung heiliger Ehrfurcht durch eine Sakramentsauffassung zu fördern, die die evangelischen Linien verläßt, wiederum in Anlehnung an den katholischen Gottesdienst spitzen sie die Entwicklung von Predigt und Liturgie auf die reale Gegenwart Ehristi in den Elementen zu; dahin weist der Aufwand, der auf die Ele­ mente verwendet wird, dahin der gesamte liturgische Gang, dahin das Stillgebet nach dem Offertorium, dahin das Stillgebet der Gemeinde. Aber auch Ottos Auffassung unterliegt schweren Einwänden. Die Art, wie er eine quasi-sakramentale Gegenwart Gottes herbeiführen will, bleibt unter der Linie evangelischer, ja unter der Linie christlicher Auf­ fassung. Gott kommt nur, wo er will. „Aber er will kommen auf echte Anrufung und bei gründlicher Sichbereitung. Und dieses beides ist in unsere Hand ge st eilt, oder im Falle des Kultus in die Hand des feinfühlenden, weise leitenden Liturgikers, der die hohe Kunst kennt, durch Formung und Fügung von predigt, Lied, feierndem Gebet, durch zarte Rhythmen von Spannung, Entspannung und Höhenspannung das schwere Werk der Seelensammlung zu leiten, die Gemüter zu einen und tief nach innen zu ziehen, die Andacht vereinten Gebetes so zu stärken, daß es zur Beschwörung wird und den Ewigen herab­ zwing t auf Grund seiner Verheißung, um zuletzt int Dienst sakramentalen und einenden Schweigens das Sakrament der Zukunft des Herrn zu er­ fahren." x) In diesen Sätzen ist der Einfluß mit Händen zu greifen, den außerchristlicher, theurgisch gearteter Mysteriendienst auf Ottos gottes­ dienstliche Anschauungen geübt haben, vom evangelischen, ja vom christ­ lichen Standpunkt aus muß man dazu glattweg Nein sagen. Keine Litur­ gie und kein Liturg kann Gott „herabzwingen". Ja, evangelischer Gottesdienst will ihn nicht herabzwingen, darf das gar nicht versuchen, weil er es nicht zu tun braucht. Er soll lediglich die Gemeinde anleiten, in innerlich kräftigen, bewußten, das gesamte Denken und Empfinden, den ganzen Nlenschen in Anspruch nehmenden verkehr mit dem gegenwärtigen Gott zu treten. Nicht Gott herabzuzwingen ist seine Absicht, sondern die Gemeinde zum rechten tief innerlichen Verkehr mit Gott zu bringen. Damit hängt ein Anderes zusammen. Otto liebt den Gedanken des Mysterium tremenduin?) Ihm nach sprechen andere von den „Schauern des religiös Geheimnisvollen", die zu Unrecht aus unseren Gottesdiensten verschwunden seien?). Nun wird die Majestät des ewigen, heiligen Gottes gewiß, wenn es recht steht, eine Stimmung wecken, die an Jes. 6, 5 anklingt. Aber es ist doch sehr falsch, daß Otto den Gehalt des Erlebens der Gegenwart Gottes wesentlich durch diese Momente *) Das heilige S. 244 f. Sperrungen von mir. ’j Das heilige S. 13 ff. •) 3. B. Altmann, M. f. p. 1921 S. 171.

21 bestimmt sein läßt. Wo bleibt die Fülle der Inhalte, die der Verkehr mit dem gegenwärtigen Gott aus der christlichen Erkenntnis Gottes als des Vaters unseres Herrn Jesu Christi und unseres Vaters zieht? Ein Vaterunser beschließt bei Gtto das Schweigen der Anbetung. Gott sei Dank! Vater unser! Ghne dieses Gebet wiese sein „schweigender Dienst" in seinem zweiten (Haupt-) Teile keinerlei christliche Bestimmt­ heit auf.

11. (Es bleiben in der Hauptsache zwei Gedanken zu besprechen, in denen hochkirchliche Reformgedanken mit den von Otto vertretenen — ich möchte sagen — religionsgeschichtlichen Impulsen verwandt sind: der Gedanke der „reinen Anbetung" und die praktisch eng damit verknüpfte Empfeh­ lung des gottesdienstlichen Schweigens, des Stillgebets. Mehr „reine Anbetung" in unseren Gottesdiensten! Was ist der Sinn der Anbetung? Welches ist das Verhältnis der „Anbetung" zum Wesen evangelischen Gottesdienstes? Darüber schweigen sämtliche Re­ former. Gerade hier tritt der Mangel grundsätzlich klarer Erfassung des Wesens des Gottesdienstes kraß hervor! Vie Praktische Theologie könnte wahrhaftig nützlich wirken, — wenn man sich die Mühe nähme, sie zu beachten! Evangelischer Gottesdienst ist Verkehr der Gemeinde mit Gott und Gottes mit der Gemeinde. Alles, was zu diesem Verkehr gehört, hat Platz im Gottesdienst: Alles, was Gott seiner Gemeinde zu sagen und zu geben hat: Gnade, Trost, Kraft, Ansporn, Hoffnung. Und alles, was die Gemeinde ihrem Gott zu sagen hat: Bitte, Dank, Lobpreis, Gelöbnis. In diesen Rahmen gehört auch die „Anbetung", sofern sie wesentlich die tiefe Beugung vor dem Ewigen, Unendlichen, Majestäti­ schen bedeuten soll. Aber sie kann nur e i n Moment neben anderen sein. Sie soll als Grundton den Verkehr mit Gott durchziehen, beherrschen; aber sie bestimmt ihn nicht allein; sonst bliebe unendlich viel verlangen des Menschenherzens ungestillt. Und „reine" Anbetung? Mag jene anbetende Beugung ein Stück des Gottesdienstes besonders beherrschen, es berührt doch sehr eigentümlich, daß dieser Ausdruck gewählt, über­ haupt daß auf die Aussonderung des Anbetungsmoments so starkes Gewicht gelegt wird. Man wird nicht fehlgreifen, wenn man darin eine Einwirkung teils katholisierender, teils außerchristlicher Vorstellungen zu erkennen glaubt.

12. Sodann das gottesdienstliche Schweigen. Gtto sagt: „Schweigender Dienst". Er hat das Wort wohl von den Guäkern über­ nommen?) Dienst (Service) ist bei ihnen natürlich Gottesdienst; das Wort hat dann eben den gleichen Sinn wie unser Gottesdienst. So mag man es hinnehmen; müssen wir doch auch, weil das Wort nun einmal vgl. die von Mio bevorwortete Schilderung des Duäkergottesdienstcs: v. Hodgkin, Schweigender Dienst. 1921.

22 so stark eingebürgert ist und weil wir kein anderes geeigneteres besitzen, das Wort Gottesdienst weiter brauchen. Aber warum nun dieses wort noch in besonderer Anwendung auf einen Teil des Gottesdienstes? war­ um in der Abkürzung „Dienst"? warum also gerade denjenigen Bestand­ teil des Wortes Gottesdienst herausheben, der unterchristlich ist? wenn die christliche Gemeinde sich versammelt, so will sie nicht „Dienst" tun, sondern mit Gott reden und handeln. Ls ist wirklich schmerzlich, daß dieser durch evangelische Gedanken nicht nahegelegte, sondern, streng genommen, verbotene Ausdruck nun durch Dtto bei uns — das Wort ist kaum zu scharf — Mode geworden ist! Und wie urteilen wir sachlich? Ts läßt sich in der Tat manches dafür anführen, daß einige Minuten der Stille in unseren Gottesdienst eingefügt werden. Auf das Vorbild der Ouäker gebe ich dabei wenigihr Gottesdienst ist ursprünglich enthusiastisch, und es ist völlig verkehrt, ihn uns als Muster zu bieten. Aber wir haben ja eine solche stille Zeit auch in manchen deutschen Gottesdiensten. Merkwürdig, daß das Keiner der neueren Reformer zu wissen scheint! 3n Württemberg findet sich seit alters im Predigtgottesdienst ein stilles Vaterunser nach dem (Eingangs« gebet,- seit 1907 heißt es nicht mehr „stilles Vaterunser", sondern „stilles Gebet"3) Auch im regelmäßigen Gottesdienst des Predigerseminars in der Schloßkirche zu Wittenberg fand sich in meiner Kandidatenzeit ein stilles Gebet, und zwar nach der predigt. Die Zrage, ob ein solches Still­ gebet wünschenswert sei, ist int Anschluß an diese Sitte in der evangeli­ schen Liturgik längst besprochen worden- Smend hat sein Recht im evangelischen Gottesdienst vertreten. „(Es braucht doch nicht immer in unseren Kirchen etwas zu tönen- mancher sehnt sich nach Stille!"*2) Sch denke ganz ähnlich, habe also gegen Einfügung eines stillen Gebets gar nichts einzuwenden. Nur bitte dringend: „stilles Gebet", nicht „schwei­ gender Dienst"! Und nicht in dem Sinn, als ob nun die „Anbetung" im Gottesdienst auf dieses Stillgebet beschränkt wäre oder nur durch das­ selbe zu ihrem Recht käme! Das stille Gebet kann natürlich auch der Anbetung Raum geben- dagegen ist nichts zu erinnern. Rur nicht — wie die hochkirchlichen Ordnungen es verzweifelt nahe legen — der An­ betung des eucharistischen Lhristus! Und nicht der Anbetung des durch liturgische Beschwörung herabgezwungenen numen praesens! Sondern der Anbetung des Gottes und Vaters Jesu Lhristi im Geist und in der Wahrheit! Zweierlei freilich scheint mir sicher. Wer die Einfügung eines Still­ gebets in den Gottesdienst gleichsam als die Lösung des Rätsels, als den Weg zur Reform des Gottesdienstes betrachtet, der irrt gründlich. ') Ehr. Kolb, Vie Geschichte des Gottesdienstes in der evangelischen Kirche Württembergs. S. 85 f. 2) Smenö, Der evangelische Gottesdienst 1904 S. 42 f. — vgl. übrigens auch Lrnst Strasser, Beurteilung der Lehre Schleiermachcrs vom Kultus im Blick auf die Reform unseres gottesdienstlichen Lebens, lllonatschr. f. Gottesdienst 1922 S. 102 ff., 127 ff., bes. S. 131 f. Schleiermacher empfiehlt ein stilles Gebet!

23 Es wird berichtet, welchen Eindruck das Stillgebet auf Teilnehmer eines hochkirchlichen Gottesdienstes gemacht habe. Aber dabei mutz man das Ungewohnte in Rechnung stellen. Bei regelmäßiger Wiederholung würde der Eindruck sich sehr abstumpfen. Sodann darf nicht vergessen werden, daß die Masse der Teilnehmer des Gottesdienstes mit den stillen Minuten wenig anzufangen wissen würde. Man wird daher der stillen Andacht gemeinsamen bestimmten Inhalt geben müssen. So empfiehlt Smend das Stillgebet besonders, wenn das, was ihm voraufgegangen ist oder folgen soll, die Gedanken aller auf einen Gegenstand konzentriert."^) So rät Klähre für den Dorfgottesdienst*2) zu einer „Erziehung zum Stillgebet",- zuerst soll sogar der Wortlaut angegeben werden- den Konfirmanden soll gesagt werden, was Inhalt der stillen Gebete beim Gottesdienst und bei den Amtshandlungen ist. Vas ist in der Tat prak­ tisch und auch für die stillen Gebete am Eingang und am Schluß des Gottesdienstes in jedem Fall nützlich. Eigentümlich berührt es nur, wenn auch diese Art in Zusammenhang mit der üblichen Tagesförderung gebracht wird: „Mehr reine Anbetung!" Am glücklichsten will es mir erscheinen, wenn nicht regelmäßig, aber gelegentlich etwa bei bestimm­ ten Anlässen ein stilles Gebet eingefügt wird, und wenn bei der Auf­ forderung dazu ohne viel Worte kurz der Gegenstand des Gebets ge­ nannt wird. So werden die stillen Minuten eine Mahnung zu ein­ dringender Sammlung werden können. Uber die Vorschläge von Rumland — jeder Gottesdienst schließe mit Abendmahl,- damit Kommunikanten da seien, soll es den Kirchen­ vorstehern zur Pflicht gemacht werden, sich zu beteiligen — und von Fendt — Selbstkommunion des Geistlichen bei jedem Gottesdienst — brauche ich nicht ausführlich zu sprechen. Vie regelmäßige Verbindung von Predigtgottesdienst und Abendmahl hat sich längst als unmöglich erwiesen,- daß sie als notwendig zu fordern sei, ist trotz S t e i n m e p e r3), den Kumland zitiert, gegen die evangelische Auffassung vom Sakrament, was aber die Forderung an die Kirchenältesten betrifft, regelmäßig zu kommunizieren, so ist ganz einfach zu sagen: sie wäre das beste Mittel, um tuns die Gewinnung von Kirchenältesten unmöglich zu machen. Fendts Vorschlag kann ich nicht anders ansehen, denn als ein Residuum aus katholischer Gewohnheit.

13. von den Reformvorschlägen, die ich besprach, bleibt nicht viel übrig. Einige allgemeine Gedanken: Volkstümlichkeit! Schönheit! Feier­ lichkeit! Selbsttätigkeit der Gemeinde! Mehr Stimmung heiliger Ehr­ furcht! Und wünschenswert wäre von Zeit zu Zeit die Einfügung eines stillen Gebets. Sonst kann ich mir die praktischen Vorschläge nicht an­ eignen, weder die von der hochkirchlichen Seite her noch die von der !) Der eo. Gottesdienst 5. 43. 2) Die Dorfkirche 1922 S. 207. 3) Die Lucharistiefeier und der Kultus. 1877.

24 religionsgeschichtlichen Seite her. Kleine eigenen Vorschläge hier darzu­ legen, ist nicht mehr möglich. Ich habe sie an anderem Grte bereits an­ gedeutet. Ich denke an starke Selbstbetätigung der Gemeinde, aber nicht an psalmodieren, sondern, abgesehen von den ihr und nicht dem Chor zuzuweisenden Antworten bei der Liturgie, an Hebung des Gemeindegesanges, der jetzt von der Grgel vielfach erdrückt wird, und an Belebung des Gemeindegesangs durch Einführung von Wechselgesang. Auch kann die Rinderschar — als Gemeindeteil — sich mit schlichten Liedern beteiligen?) Ich denke an größere Mannigfaltigkeit der Gottesdienste. Die stets schematisch gleiche Anordnung wirkt abstumpfend, vermieden werden mutz unruhiges Tasten,' aber zwischen den Extremen liegen viele gute Möglichkeiten. Man benutze doch die Möglichkeiten der Abwechselung, die die regelmätzigen und etwaige besondere Feste bieten! Ich denke ferner an größere Anschaulichkeit. Es ist richtig, datz unsere Gottesdienste manchem zu abstrakt sind. Wie schaffen wir Abhilfe? Altarschmuck durch frische Blumen ist wunderschön,' gegen die Aufstellung von Lichtern auf dem Altar ist vom evangelischen Standpunkt nicht das Mindeste einzuwenden. Am Erntedankfest sollten Erntegaben vor dem Altar ihren Platz finden. Am Pfingstfest ist die Kirche mit frischen Birkenzweigen zu schmücken, vielleicht läßt sich auch Handlung mit Anschaulichkeit verbinden. Wie, wenn die Konfirmandenschar am Beginn des Gottesdienstes unter Gesang eines pfingstliedes, Birken­ zweige tragend, die Kirche betritt und die Zweige, genau vorbereitetem Plan entsprechend, zur Schmückung der Kirche anbringt? Es gibt genug andere, ähnliche Wege. Ich denke endlich an sorgfältige Gedrungen­ heit der predigt wie der Liturgie,- auch in der letzteren kann zu viel getan werden! Das Wichtigste wird aber unter allen Umständen bleiben, datz wir Gemeinden bekommen, die mit dem heiligen Willen, Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott zu pflegen, das Gotteshaus aufsuchen,' datz wir Pfarrer bekommen, die den Gottesdienst voll ernstester Sammlung, in dem Bewutztsein größter Verantwortung vor Gott leiten. Es ist ohne Zweifel heilsam, datz die Frage der Gestaltung des Got­ tesdienstes aufs Neue gründlich durchdacht wird. Die geschilderten Re­ formbestrebungen regen weite Kreise zum Nachdenken an und helfen so, die große Frage in Fluß zu bringen. Was das Wichtigste ist: sie machen auf den Kernpunkt aufmerksam: Gemeinschaft mit dem gegen­ wärtigen, heiligen, ewigen Gott. Sie mahnen dazu, diesem Tharakter des Gottesdienstes mehr Rechnung zu tragen, als oft geschieht. So viel und so nachdrücklich ich zu widersprechen habe, — dafür will ich ihnen danken. 1) Grundriß der praktischen Theologie S. 131 f. (Wege der Zukunft.) 2) 3n einer schlesischen Stadtgemeinde pflegte eine Rinderschar bei der Thrist. nacht ein weihnachtrlied zu singen. Ich weiß, daß dieser Gesang vielen Teil, nehmern tiefen Eindruck machte.

Martin Schian orb. Professor ber Theologie in Gießen

Gmndritz der Praktischen Theologie 412 Seiten

[Sammlung Töpelrnann „Die Theologie im Abriß" Banb 6] Geheftet M. 58.-, gebunden IN. 80.-

1922

Gänzlich uneingeschränkt ist meine Freude über den eben erschienenen Grundriß von Schian . . . Für die Hand des Studenten wissen wir keinen besseren Grundriß der praktischen Theologie als diesen. Pfarrer Hein in d. KartelkStg. (Es ist nicht nur ein treffliches Studentenbuch, sondern auch ein gutes Pfarrerbuch für die Männer irn Amte, auch den erfahrenen Pfarrer. Gerade dieser wird großen Segen von dem Durchdenken des Inhalts haben . . . mittigen des dtschen Cvang. Gemeindetags. Wir können das Buch warm empfehlen. Den jungen Theologen für die es in erster Linie bestimmt ist, gibt es einen ausgezeichneten Überblick, von besonderem Wert ist das Werk für den prakt. Geistlichen, dem es eine Fülle von An­ regungen für seine Gemeindearbeit bietet, Prof, v d. Goltz im Nirchl. Amtsblatt f. Pommern. Die „pr. Theol." von D. Schian als Wegweiser in den brennenden Fragen unserer kirchlichen Verfassung, überschreibt Pfarrer Schubert in der „Volkskirche" einen drei Spalten langen Aufsatz und bezeichnet es darin als „dringend notwendig, daß wir uns, unbehindert durch parteipolitische Brillen und persönliche Voreingenommenheiten, über die in der entscheidungsvollen Gegenwart gestellten Aufgaben grundsätzlich klar werden". Er fährt dann fort: „(Einen gar guten Dienst kann uns hierbei die soeben erschienene pr. Theol. von Schian leisten, die eigentlich nur ein Studentenbuch sein will, aber weit darüber hinaus in die Hände sämtlicher theologischen und nichttheologischen Führer unserer Kirche und unserer Gemeinden gehört.

Die evangelische Kirchgemeinde [Stub. z. prakt. Theol., tjrsgg. von dienten, (Eger, v. d. Goltz, Renbtorff, Schian, I. 4] 118 Seiten 1907 M. 2.70

Zur Beurteilung der modernen positiven Theologie 125 Seiten

M. 2.80

1907

Der moderne Individualismus und die kirchliche Praxis 40 Seiten

[Dorträge ber theol. Konferenz zu Gießen. 1911

31. $olge] M. 1.—

Orthodoxie und Pietismus im Kampf um die Praxis (Ein Beitrag zur Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts

[Studien z. Gefch. b. neueren Protestantismus, hrsgg.v. H. Hoffmann u. L. Ascharnack, 7. Hefts 188 Seiten 1912 M. 4.80

Ideelle Gemeinde und empirische Gemeinde in „Lebendige Gemeinden", Festschrift für (Emil Sülze [Studien zur praktischen Theologie 6. Band, 1. Heft. 1912. 228 Seiten. 5 Marks 3u den Preisen kommen noch die jeweilig gültigen Verlags-Teuerungszuschläge.

Verlag von Alfred Töpelmann in Gietzen