Die Rechtsfolgen prinzipaler Normenkontrollen für Verwaltungsakte: § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO [1 ed.] 9783428527373, 9783428127375

Torsten Gerhard untersucht die Auswirkungen prinzipaler Normenkontrollen auf Verwaltungsakte, die auf der Grundlage eine

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German Pages 288 Year 2008

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Die Rechtsfolgen prinzipaler Normenkontrollen für Verwaltungsakte: § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO [1 ed.]
 9783428527373, 9783428127375

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1101

Die Rechtsfolgen prinzipaler Normenkontrollen für Verwaltungsakte § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO

Von Torsten Gerhard

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

TORSTEN GERHARD

Die Rechtsfolgen prinzipaler Normenkontrollen für Verwaltungsakte

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1101

Die Rechtsfolgen prinzipaler Normenkontrollen für Verwaltungsakte § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO

Von Torsten Gerhard

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim hat diese Arbeit im Jahre 2007 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Werksatz, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-12737-5 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Diese Arbeit wurde im Herbstsemester 2007 von der Abteilung Rechtswissenschaft der Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur sind bis August 2007 berücksichtigt. Besonderer Dank gebührt Herrn Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Schenke, der die Anregung zur Behandlung dieses Themas gab. Er hat die Arbeit von Anfang an persönlich betreut und innerhalb kürzester Zeit das Erstgutachten erstellt. Dafür und für alles, was ich während meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl fachlich und persönlich von ihm lernen durfte, möchte ich ihm herzlich danken. Mein Dank gilt zudem Herrn Prof. Dr. Eibe Riedel für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Dank gebührt auch der Landesgraduiertenförderung Baden-Württemberg, welche die vorliegende Arbeit durch die Gewährung eines Stipendiums erst ermöglicht hat. Außerdem danke ich Herrn Prof. Dr. Peter Baumeister, der sich stets die Zeit für ein gemeinsames (Fach)Gespräch nahm und mit seinen vielen wertvollen Anregungen und Ratschlägen zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen hat. Meinen Lehrstuhlkollegen, stellvertretend hierfür Dr. Marco Hößlein, Jochen Schuff und Dr. Christian Hug, sowie Rechtsanwältin Rita Ullrich danke ich für die kritischfreundliche Unterstützung. Besonderer Dank gilt meinen Eltern, die mich während des Studiums, des Referendariats und der Promotion großzügig unterstützt und gefördert haben. Ihnen widme ich daher diese Arbeit. Stuttgart, im Januar 2008

Torsten Gerhard

Inhalt A. Einleitung und Problemüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I.

Allgemein

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2. Die Nichtigerklärung von Normen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 a) Die verschiedenen Arten der gerichtlichen Kontrolle von Normen . . . 17 aa) Verfassungsgerichtliche Normenkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 (1) Die abstrakte Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG; §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 (2) Die abstrakte Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG, §§ 13 Nr. 6a, 76 ff. BVerfGG (sogenannte „Kompetenzkontrolle“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 (3) Die konkrete Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG; §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 (4) Die Normenkontrolle im Rahmen der Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG; §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG 22 (5) Die kommunale Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 bb) Landesverfassungsgerichtliche Normenkontrollen . . . . . . . . . . . . 24 cc) Verwaltungsgerichtliche Normenkontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 (1) Die prinzipale Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO . . . . . . . 26 (2) Inzidente Normenkontrollen durch das Verwaltungsgericht

. 29

b) Die subjektive Bindungswirkung von Normenkontrollen . . . . . . . . . . 30 c) Wegfall der Norm „ex tunc“ oder „ex nunc“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 d) Varianten des Entscheidungsausspruchs von Normenkontrollentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 aa) Verfassungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 (1) Teilnichtigerklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 (2) Unvereinbarkeitserklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 (3) Appellentscheidung

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

(4) Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 bb) Verwaltungsgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 3. Die Unabhängigkeit des Einzelakts von der ihm zugrundeliegenden Norm 42 II. Darstellung der zu lösenden Konflikte

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

10

Inhalt 1. Die Normenkontrolle und der bestandskräftige Verwaltungsakt – Konflikt zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . a) Der Konflikt zweier ranggleicher Rechtsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Vorgaben zur Lösung dieses Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . aa) § 79 Abs. 2 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) § 183 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Landesrechtliche Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) § 26 Abs. 3 – 4 VerfGHG Rheinland-Pfalz . . . . . . . . . . . . . . . (2) § 46 Abs. 2 VerfGHG Saarland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) § 40 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 StGHG Hessen . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) § 157 FGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der nichtbestandskräftige Verwaltungsakt – Rücknahmeanspruch gegenüber der Verwaltung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorbemerkung: Das Kriterium der Bestandskraft als Unterscheidungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der anfechtbare Verwaltungsakt – Rücknahmeanspruch oder Rücknahmeermessen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fall: Gebührensatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fall: Baugenehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fall: Milchmengenverordnung (in Anlehnung an BVerwG AgrarR 1989, 224 ff.; stark vereinfacht) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

B. § 183 VwGO – Regelung auch für bestandskräftige Verwaltungsakte? . . . . I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 183 VwGO auf Verwaltungsakte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Wortsinn als Grenze der Auslegung des § 183 VwGO . . . . . . . . . . . 2. Erwägungen jenseits der Wortlautgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gesetzgebungshistorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Teleologische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Übernahme der Konzeption des § 183 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Analoge Anwendung oder Übernahme eines allgemeinen Rechtsgedankens? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigene Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

44 44 47 47 49 50 50 51 51 52 52 52 56 57 57 59 60 62 62 63 63 64 64 64 67 68 68 69 73

C. Die Tatbestandsmerkmale des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 I. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 II. „Nicht mehr anfechtbar“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74

Inhalt

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III. „Für nichtig erklärt“ bzw. „die Nichtigkeit festgestellt“ . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Beruhen des Verwaltungsakts auf einer rechtswidrigen Norm . . . . . . . 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff des „Beruhens im revisionsrechtlichen Sinne“ . . . . . . . . . . a) StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vergleichbare Regelungskonzeptionen in der Rechtsordnung . . . . . . . . . 4. Das Beruhen in § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO – Eigene Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Orientierung am „revisionsrechtlichen Beruhensbegriff“ . . . . . . . . . . b) Verfahrensvorschriften als „Normen“ i. S. v. § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ursächlichkeitszusammenhang bei Ermessensverwaltungsakten . . . . 5. Folgen dieser Auslegung und Vereinbarkeit mit der Terminologie des allgemeinen Verwaltungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

76 83 83 86 86 87 88 89 90

D. Die Rechtsfolgen der Unwirksamerklärung einer Norm mit „erga omnes“Wirkung auf noch anfechtbare Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorbemerkung: Die Existenz eines Beseitigungsanspruchs als Fehlerfolge rechtsverletzenden Verwaltungshandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Herleitung des öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs . . . . . 2. Die Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einschränkungen des Beseitigungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Folgerungen für den Fall der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Anspruch auf Aufhebung des noch anfechtbaren Verwaltungsakts durch die Behörde als Folge der Normenkontrollentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Ansatz der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Normenkontrollentscheidung als Sonderfall – Die Rücknahmeverpflichtung als außerprozessuale Folge der Normenkontrolle? . . . . . . . . 5. Eigene Argumentation: Anspruch auf Rücknahme des noch anfechtbaren Verwaltungsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das „kann“ in § 48 VwVfG – Ermächtigung oder Ermessen? . . . . . b) Verfassungsrechtliche Herleitung des Rücknahmeanspruchs . . . . . . c) Historische Auslegung des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG . . . . . . . . . . . . . d) Systematische Auslegung des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG . . . . . . . . . . . e) Kein Bedürfnis nach einem Aufhebungsanspruch? . . . . . . . . . . . . . .

92 92 93 97 98 103 103 103 106 107 109 109 109 110 112 114 115 115 118 119 121 122

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Inhalt f) § 48 VwVfG schützt auch individuelle Interessen . . . . . . . . . . . . . . . 6. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rücknahmeantrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Einschränkungen der Aufhebbarkeit bei Drittbezug? . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die herrschende Meinung: Ausschluss nach § 50 VwVfG . . . . . . . . . . 2. Kritik an der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

E. Die Rechtsfolgen der Unwirksamerklärung einer Norm mit „erga omnes“Wirkung für bestandskräftige Verwaltungsakte. Die Regelungen der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Bedeutung des Begriffes „unberührt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die sprachliche Unbestimmtheit des Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die unterschiedlichen Sichtweisen des Begriffs „unberührt“ . . . . . . . . a) Deklaratorische Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) (Streng) konstitutive Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Beschränkt konstitutive Sichtweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Der Begriff „unberührt“ im Zusammenhang mit gerichtlichen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Begriff „unberührt“ bei gerichtlichen Entscheidungen . . . . . . . . b) Folgerungen für den Bereich der Verwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen gegenüber der Verwaltung nach der Normenkontrollentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Anspruch auf Aufhebung des unanfechtbaren Verwaltungsakts nach Unwirksamerklärung der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemein: Die Aufhebung eines nicht oder nicht mehr anfechtbaren Verwaltungsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausnahmefälle: Rücknahmeanspruch trotz Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Unwirksamerklärung einer Norm als Sonderfall des Anspruchs auf Aufhebung unanfechtbarer rechtswidriger Verwaltungsakte? . . 3. Der Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Unwirksamerklärung der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeine Grundsätze des Wiederaufgreifens . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Das Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne . . . . . . bb) Das Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne . . . . . cc) Ermessensreduktion auf Null und der Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zwischenfazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123 124 124 126 126 128 130

132 132 132 133 133 133 134 135 136 136 141 143 144 144 145 145 150 152 156 156 156 157 162 172

Inhalt b) Die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm als Unterfall des Wiederaufgreifens im engeren Sinne gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Änderung der Rechts- und Sachlage“ gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 VwVfG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Unwirksamerklärung einer Norm als Änderung der Rechtslage? – Die verschiedenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Eigene Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Entsprechende Anwendung der sonstigen Wiederaufgreifensgründe des § 51 Abs. 1 VwVfG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Unwirksamerklärung einer Norm als Grund für ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Eigene These: Die Unwirksamerklärung einer Norm führt zu einem Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne . . . bb) Die Argumente der herrschenden Meinung gegen einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen (i. e. S. und i. w. S.) . . . . . . . . . . . . . . . cc) Kritik an der herrschenden Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Fehlerhafte Differenzierung zwischen dem Wiederaufgreifen i. e. S. und i. w. S. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Unergiebigkeit der historischen Argumentation . . . . . . (3) Überdehnung der „Abschirmfunktion“ . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Keine Spezialität von § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Keine Beschneidung der allgemeinen Beseitigungs- und Anpassungsmodalitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Unzulässigkeit eines Umkehrschlusses aus § 79 Abs. 1 BVerfGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Unzweckmäßigkeit der Gewährung abstrakten Vertrauensschutzes für Begünstigte des Verwaltungsakts . . . . . . . . . . . (8) Kein genereller Ausschluss eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinne unter Hinweis auf eine Obliegenheitsverletzung des Betroffenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (9) Erfordernis einer Abschwächung der starren Trennung zwischen bestandskräftigen und anfechtbaren Verwaltungsakten dd) Reichweite dieser Auffassung und praktische Konsequenzen . . ee) Setzt das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne einen Antrag voraus? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonderfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Dauerverwaltungsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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198 199 201 202 204 204 204

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Inhalt bb) Sonderstellung des Dauerverwaltungsakts . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unterschiedliche Wege zur Beseitigung ex nunc . . . . . . . . . . . . dd) Beseitigungspflicht und Antragserfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 44 SGB X . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolge „pro futuro“ – Inhalt und Reichweite des Vollstreckungsverbotes nach § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Begriff der „Vollstreckung“ im Sinne der genannten Regelungen . a) Sinn und Zweck des Vollstreckungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vollstreckung auch bei positiv gestalterischen Verwaltungsakten? . . aa) Ansatz von Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Kritik an dieser Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirkung des Vollstreckungsverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Prozessuale Möglichkeiten des Betroffenen zur Durchsetzung der festgestellten Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vollstreckungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

205 208 210 212 215 216 216 219 219 221 222 223 226 226 233 233 234 238

F. Exkurs: Die inzidente Normenkontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Übertragbarkeit des Regelungsgedankens des § 183 VwGO? . . . . . . . . . . II. Einfluss der inzidenten Normenkontrolle auf die Rücknahmeentscheidung der Verwaltung in Parallelfällen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eigene Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249 249

G. Lösungsvorschläge zu den Beispielsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Fall: Gebührensatzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Fall: Baugenehmigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Fall: Milchmengenverordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

258 258 259 260

Zusammenfassung der Ergebnisse

252 252 252 255 257

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

A. Einleitung und Problemüberblick I. Allgemein 1. Einleitung Die Fehlerhaftigkeit von Normen und die Möglichkeiten der prozessualen Geltendmachung dieser Fehlerhaftigkeit gehören zum Standardrepertoire der juristischen Ausbildung und zu den meistbehandelten Problemfeldern des öffentlichen Rechts. Allein die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 VwGO und damit verbundene Rechtsfragen waren in den vergangenen Jahren Gegenstand einer großen Vielzahl von Monographien 1 und Aufsätzen 2. Diese intensive wissenschaftliche Behandlung mit den Grundsatzfragen der Fehlerhaftigkeit von Normen ist nicht nur der dogmatischen Herausforderung und der Komplexität dieses Themengebietes geschuldet; nein, sie ist vielmehr auch ein Zeichen der enormen praktischen Relevanz, welche die Fehlerhaftigkeit von Normen nicht erst seit der Einführung von verfassungs- und verwaltungsgerichtlichen Normkassationen besitzt. 3 1 Vgl. u. a. Hahn, Verwaltungsgerichtlicher Schutz gegen Rechtssätze der Verwaltung, 2004; Herr, Die „neue“ Antragsbefugnis im Normenkontrollverfahren nach § 47 II VwGO, 2003; Otto, Nichtigkeitsdogma und Fehlerbehebung im Städtebaurecht, 2000; Schütz, Die Antragsbefugnis bei der Normenkontrolle von Bebauungsplänen nach dem 6. VwGO ÄndG, 2000 und aktuell Schweitzer, Die Befristung prinzipaler Normenkontrollverfahren im Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 4 GG, 2007. 2 Zu der Vielzahl an Aufsätzen alleine aus den Jahren 2005/2006 siehe z. B. Bickenbach, § 47 V 2 VwGO n. F. und die Unwirksamkeit von Rechtsvorschriften, NVwZ 2006, 178 ff.; Ehlers, Die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle, Jura 2005, 171 ff.; Grünebaum, Nichtigerklärung im Normenkontrollverfahren über einen Antrag auf Teilnichtigerklärung hinaus?, DVP 2005, 456 ff.; ders. Antrag auf Normergänzung im Normenkontrollverfahren?, BayVBl 2005, 11 ff.; Jeromin, Normenkontrolle gegen Flächennutzungspläne, NVwZ 2006, 1374 ff.; Kreiner, Parlamentsgesetzlich verändertes Verordnungsrecht und gerichtliche Normenkontrolle, BayVBl 2005, 106 ff.; Schenke, Rechtsschutz gegen Flächennutzungspläne, NVwZ 2007, 134 ff.; ders. Rechtsschutz gegen normatives Unrecht, JZ 2006, 1004 ff.; Schrader, Normverwerfungskompetenz der Behörde?, VBlBW 2006, 382 f. 3 Alleine das Bundesverfassungsgericht beanstandete bis 01. 01. 2007 423 bundes- und 165 landesrechtliche Normen. Insgesamt waren von 1951 bis 2007 3. 350 Verfahren der konkreten Normenkontrolle (Art. 100 Abs. 1 GG), davon 100 in den Jahren 2005/2006, und 162 Verfahren der abstrakten Normenkontrolle (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG), davon neun in den Jahren 2005/2006, beim Bundesverfassungsgericht anhängig. Insgesamt wurden in den beiden Geschäftsjahren 2005/2006 durch das Bundesverfassungsgericht zwei Rechtsvorschriften als nichtig angesehen (darunter das EuHbG vom 21. 07. 2004 – BGBl I S. 1748 [Euro-

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A. Einleitung und Problemüberblick

Betrachtet man allerdings die Vielzahl an Monographien und Aufsätzen genauer, so mag es umso mehr überraschen, dass man sich bislang nur vereinzelt mit der Frage beschäftigt hat, welche Auswirkungen die Normkassation für Verwaltungsakte besitzt, die auf der Grundlage dieser fehlerhaften Norm erlassen wurden. 4 Dabei ergeben sich gerade hier vielfältige Problemstellungen, nicht zuletzt aufgrund des Zusammentreffens mehrerer Rechtsgrundsätze, die nur bedingt miteinander in Einklang zu bringen sind. Die geringe Resonanz, welche die Frage der Folgewirkungen für Verwaltungsakte in der rechtswissenschaftlichen Literatur erfahren hat, mag auch damit zusammenhängen, dass die gesetzlichen Regelungen, die sich mit diesem Thema befassen – wenn auch mit geringen Abweichungen – alle auf der recht unscheinbaren Vorschrift des § 79 Abs. 2 BVerfGG beruhen, einer Vorschrift, deren Platzierung am Ende des Zehnten Abschnittes des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes nur allzu symbolisch für ihre „stiefmütterliche Behandlung“ stehen könnte. Dabei sind § 79 Abs. 2 BVerfGG – und in dessen Gefolge auch der im Mittelpunkt der Abhandlung stehende § 183 VwGO – Vorschriften, die zwar auf den ersten Blick für sich betrachtet nur wenig „Konfliktpotential“ besitzen, deren Vereinbarkeit mit den Regelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts zum fehlerhaften Verwaltungsakt allerdings nicht einfach zu bewerkstelligen ist 5 und deren Inhalt mehrere unterschiedliche verwaltungsrechtliche Regelungskomplexe berührt. 6 So lässt sich zum Beispiel fragen, welche Bedeutung der Begriff „unberührt“ in § 183 S. 1 VwGO für das Wiederaufgreifen von Verwaltungsverfahren oder die Aufhebbarkeit von Verwaltungsakten hat. Werden die allgemeinen Regelungen der §§ 48 –51 VwGO durch § 183 S. 1 VwGO verdrängt oder modifiziert, oder bleiben diese Regelungen auch für den Spezialfall der Nichtigerklärung einer Norm ohne Änderungen anwendbar? Ähnliche Fragestellungen wirft auch die Regelung des § 183 S. 2 VwGO auf: Darf zum Beispiel ein Bürger auch nach der päischer Haftbefehl]), sechs Vorschriften als mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig (darunter Art. 1 Nr. 3 und 4 des 6. HRGÄndG i. d. F. vom 08. 08. 2002 – BGBl I S. 3138 [Studiengebührverbot], sowie § 14 Abs. 3 des LuftSiG vom 11. 01. 2005 – BGBl I S. 78 [Luftsicherheitsgesetz]) und elf weitere als lediglich mit dem Grundgesetz unvereinbar, aber nicht nichtig erklärt (darunter das Gesetz über die vom Freistaat Bayern veranstalteten Lotterien und Wetten vom 29. 04. 1999 – Bay. GVBl S. 226 [Staatliches Monopol für Sportwetten]). 4 Ausführlichere Abhandlungen zu diesem Themenkomplex finden sich lediglich bei Ipsen, Rechtsfolgen der Verfassungswidrigkeit von Norm und Einzelakt (Habilitationsschrift); Kneser, Der Einfluß der Nichtigerklärung von Normen auf unanfechtbare Entscheidungen (§ 79 BVerfGG), AöR 89 (1964), 129 ff. und Steiner, Wirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auf rechtskräftige und unanfechtbare Entscheidungen (§ 79 BVerfGG), in: FS BVerfG, Band I, S. 628 ff. 5 So ist wohl auch Steiner, FS BVerfG I, S. 631, zu verstehen, wenn er feststellt, dass „trotz der zunächst klaren und übersichtlichen Aussage [ . . . ] der Gesetzgeber mit der Regelung des § 79 BVerfGG insgesamt mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet [hat].“ 6 Vgl. NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 1.

I. Allgemein

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Nichtigerklärung des Bebauungsplanes von einer bestandskräftigen Baugenehmigung Gebrauch machen, während die Verwaltung durch das Vollstreckungsverbot des § 183 S. 2 VwGO an der Vollstreckung ihrer bestandskräftigen Abgabenbescheide gehindert wird, soweit durch die Nichtigerklärung der Norm die rechtliche Grundlage für diese Bescheide weggefallen ist? Und wie ist es zu rechtfertigen, dass der säumige Schuldner von Müllgebühren von der Normverwerfung durch das Vollstreckungsverbot des § 183 S. 2 VwGO profitiert, während der pünktlich zahlende Bürger seine im Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit der Müllgebührensatzung erbrachten Leistungen nicht mehr zurückfordern kann? Dies sind nur einige wenige Beispiele der Fragestellungen, mit denen ich mich im Folgenden ausführlich auseinandersetzen möchte. Da im Laufe dieser Arbeit viele verschiedene Teilbereiche des öffentlichen Rechtes anzusprechen sind, werde ich im Allgemeinen Teil (unter A.) – quasi vor die Klammer gezogen – zunächst die „Rahmenbedingungen“, d. h. die zum Verständnis der Problemstellungen notwendigen rechtlichen Grundlagen darstellen, die sich daraus ergebenden grundlegenden Konfliktsituationen erläutern und deren Ausprägungen in der Rechtspraxis anhand von Beispielsfällen (A.III.) aufzeigen. Der zweite Teil (unter B. und C.) befasst sich anschließend mit den einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen der § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO. Teil B ist dabei der Fragestellung gewidmet, inwiefern eine Erstreckung des Regelungskonzeptes des § 183 VwGO auf den Bereich der bestandskräftigen Verwaltungsakte erfolgen kann. Die gemeinsamen Tatbestandsmerkmale der § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO werden anschließend in Teil C behandelt, wobei besonderes Augenmerk auf die Einbeziehung der alternativen Tenorierungspraxis des Bundesverfassungsgerichts zur Fehlerhaftigkeit von Normen (unter C.III.) und auf die Auslegung des Beruhensbegriffes in den genannten Normen (unter C.IV.) gelegt wird. Teil D beschäftigt sich mit den – in § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO nicht angesprochenen – Rechtsfolgen, welche durch die Nichtigerklärung der Norm für noch anfechtbare Verwaltungsakte bewirkt werden. Kernstück der Arbeit ist der Teil E, der sich mit den Rechtsfolgen der § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO und der prozessualen Durchsetzung der festgestellten Ansprüche des betroffenen Bürgers beschäftigt. In einem kleinen Exkurs (unter F.) wird letztlich die Übertragbarkeit der entwickelten Lösungsansätze auf inzidente Normenkontrollentscheidungen untersucht, bevor abschließend in einem kurzen Fazit die im Vorangegangenen entwickelten Ergebnisse gesammelt und in Form von einigen wenigen Leitsätzen zusammengefasst werden. 2. Die Nichtigerklärung von Normen a) Die verschiedenen Arten der gerichtlichen Kontrolle von Normen Gerichtliche Kontrolle von Normen bedeutet die Überprüfung der Vereinbarkeit einer Rechtsnorm mit höherrangigen Rechtsnormen durch die Judikative. Dass Akte der Legislative auf ihre Gültigkeit hin überprüft werden können, ist heutzutage

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A. Einleitung und Problemüberblick

„common sense“. Verfassungsgeschichtlich oder verfassungstheoretisch ist dies jedoch keinesfalls zwingend. 7 Die Existenz von gerichtlichen Normenkontrollen setzt nämlich zwei elementare Komponenten voraus, wie sich besonders gut am Beispiel der Verfassungsgerichtsbarkeit und deren rechtlicher Verankerung im Grundgesetz verdeutlichen lässt: zum einen eine Hierarchie von Rechtsnormen, hier insbesondere der Vorrang der Verfassung gemäß Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG, zum anderen die Anerkennung eines richterlichen Prüfungsrechts. Ein solches folgt zwar nicht zwingend aus dem Vorrang der Verfassung 8, hat jedoch im Gefolge der Entscheidung des Supreme Court im Fall Marbury v. Madison 9 als verbindliche Letztentscheidung über die Gültigkeit gesetzlicher Normen auch in anderen modernen Verfassungsstaaten Eingang in die Verfassung gefunden und findet sich in der Errichtung einer Verfassungsgerichtsbarkeit und der Zuweisung konkreter Verfahrensarten in den Art. 92, 93 Abs. 1 Nr. 2, 2a, 100 Abs. 1 GG quasi als Institutsgarantie des (verfassungs)richterlichen Prüfungsrechts auch im Grundgesetz wieder. Das richterliche Prüfungsrecht hinsichtlich der Gültigkeit von Normen beschränkt sich jedoch nicht ausschließlich auf die Ebene der Verfassungsgerichtsbarkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat als „Hüter der Verfassung“ darüber zu wachen, „ob die Regeln der Verfassung durch Rechtsvorschriften des Bundes oder der Länder verletzt werden“ 10 und hat somit zumindest für nachkonstitutionelle Gesetze ein „Verwerfungsmonopol“ inne. Jedoch gibt es auch jenseits des Grundsatzes des Vorranges der Verfassung verschiedene Rangstufen von Rechtsnormen, die eine allgemeinverbindliche Überprüfung von einzelnen Rechtsvorschriften hinsichtlich der Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht, wenn nicht bereits als zwingend 11, so jedoch als wünschenswert erscheinen lassen. 12 Der Gesetzgeber hat deshalb bestimmten Gerichten auf unterschiedlichen Rechtsebenen Normenkontrollverfahren zugewiesen, die sich nach dem Anlass der Normüberprüfung in die Kategorien abstrakt (die Nachprüfung der Norm erfolgt losgelöst von einer konkreten Streitigkeit) und konkret (hier resultiert die Normenkontrolle aus Anlass einer konkreten Streitigkeit) bzw. nach dem Gegenstand des Verfahrens 7

Vgl. Mückl, Jura 2005, 463; Heun, Normenkontrolle, S. 615. Heun, Normenkontrolle, S. 615. 9 5 U. S. (1 Cranch), 137 (1803): „Judicial Review“; ausführlich dazu Heun, Der Staat 42 (2003), 267; Brugger, JuS 2003, 320; ders., Demokratie, Freiheit, Gleichheit, S. 5 ff. 10 BVerfGE 1, 184 (195 f.). 11 Vgl. Hufen, § 19 Rn. 5, der die prinzipale Normenkontrolle nach § 47 VwGO von Verfassungs wegen als geboten erachtet; anders hingegen die herrschende Meinung, welche die Existenz prinzipaler Normenkontrollen nicht durch Art. 19 Abs. 4 GG geschützt sieht, vgl. BVerfGE 31, 364 (370); BVerfG NVwZ-RR 1991, 55; NKVwGO-Ziekow, § 47 Rn. 22 ff.; Schenke, VPR, Rn. 1064: effektiver Rechtsschutz sei im Regelfall über inzidente Normenkontrolle gewährleistet. 12 Ehlers, Jura 2005, 171. 8

I. Allgemein

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in die Kategorien prinzipal (unmittelbarer Gegenstand des Verfahrens ist hier die Überprüfung der Norm) und inzident (Verfahrensgegenstand ist hier nicht die Normüberprüfung; diese erfolgt lediglich als Vorfrage) unterteilen lassen. Zum besseren Verständnis der vorliegenden Arbeit wird zunächst kursorisch auf die verschiedenen Normenkontrollverfahren und deren Entscheidungswirkungen eingegangen. aa) Verfassungsgerichtliche Normenkontrollen Wie sich aus Art. 93, 100 GG entnehmen lässt, kennt das Grundgesetz die Verfahren der abstrakten und der konkreten Normenkontrolle, die jeweils dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung zugewiesen sind. (1) Die abstrakte Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG; §§ 13 Nr. 6, 76 ff. BVerfGG Besonders gut verdeutlicht die abstrakte Normenkontrolle die Funktion des Bundesverfassungsgerichts als Hüter der Verfassung. Dem Gericht ist in diesem Verfahren die Entscheidung über die Vereinbarkeit von Bundes- oder Landesrecht mit der Verfassung bzw. von Landesrecht mit Bundesrecht zugewiesen. Im Hinblick auf den Anlass des Verfahrens spricht man von einer abstrakten Normenkontrolle, da es sich hier um eine vom konkreten Einzelfall „abstrahierte umfassende Nachprüfung“ 13 der Norm handelt. Diese Loslösung von einem konkreten Verfahren spiegelt sich auch in den Zulässigkeitsvoraussetzungen der abstrakten Normenkontrolle wider: So sind nach der abschließenden Aufzählung in Art. 93 Abs. 1 BVerfGG nur bestimmte staatliche Organe – die Bundesregierung, eine Landesregierung oder ein Drittel der Mitglieder des Bundestags – berechtigt, als Antragsteller aufzutreten. Diese Antragsteller müssen nicht die Verletzung subjektiver Rechte geltend machen, sondern nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG lediglich „Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel“ 14 hinsichtlich der Vereinbarkeit der in Frage stehenden Norm mit höherrangigem Recht äußern. Welcher Grad der Überzeugung von der Nichtigkeit der Norm gegeben sein muss, ist in § 76 Abs. 1 BVerfGG konkretisiert. Danach muss beim konkreten Antragsteller als allein relevantem Meinungsträger die positive Überzeugung von der Nichtigkeit der Norm, also nicht bloße Zweifel hinsichtlich der Gültigkeit der Norm, vorliegen. Ob der Gesetzgeber allerdings durch einfaches Bundesgesetz die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Verfahrens, wie sie im Grundgesetz festgeschrieben wurden, in dieser Weise einschränken kann, ist in der Literatur umstritten. 15 13 Heun, Normenkontrolle, S. 619; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 116. 14 Mückl, Jura 2005, 467; Heun, Normenkontrolle, S. 620; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 123.

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A. Einleitung und Problemüberblick

Prüfungsgegenstand ist nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG Bundes- oder Landesrecht, d. h. uneingeschränkt jede geltende Rechtsnorm der deutschen Rechtsordnung, unabhängig von Rangstufe und Erlasszeitpunkt. 16 Als ungeschriebene Zulässigkeitsvoraussetzung wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht ein „objektives Klarstellungsinteresse“ gefordert 17, das jedoch nur in Ausnahmefällen (z. B. bei Vorliegen einer verfassungsgerichtlichen Entscheidung oder einer Antragsstellung vor Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes) verneint werden dürfte. Liegen diese Voraussetzungen vor, so liegt das sich anschließende Verfahren allein in den Händen des Bundesverfassungsgerichts. Der Antrag des Berechtigten hat zwar eine Anstoßfunktion, in der Folge kommt es jedoch nicht zu einem kontradiktorischen, sondern zu einem rein objektiven Verfahren. 18 Das Bundesverfassungsgericht prüft die angegriffene Norm unter allen möglichen Gesichtspunkten auf die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz bzw. anderen höherrangigen Rechtsnormen: es ist hierbei nicht auf die vom Antragsteller vorgetragenen Gründe beschränkt. 19 Gelangt es dabei zu dem Ergebnis, dass die Norm nicht mit höherrangigem Recht vereinbar ist, so stellt es gemäß § 78 S. 1 BVerfGG die Nichtigkeit der Norm fest. 20 (2) Die abstrakte Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG, §§ 13 Nr. 6a, 76 ff. BVerfGG (sogenannte „Kompetenzkontrolle“ 21) Eine besondere Ausprägung 22 der abstrakten Normenkontrolle findet sich in Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG; §§ 13 Nr. 6a, 76 ff. BverfGG. 23 Danach besteht eine zusätzliche Möglichkeit der abstrakten Normenkontrolle hinsichtlich der Erfor15 Für die Nichtigkeit des § 76 Abs. 1 BVerfGG: Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 123; für Teilnichtigkeit der Vorschrift: Heun, Normenkontrolle, S. 620; Schlaich / Korioth, Rn. 130. Benda / Klein, Rn. 730 und Degenhardt, Rn. 767 wollen diese Bestimmung lediglich verfassungskonform auslegen; a. A. BVerfGE 96, 133 (137); Hillgruber / Goos, Rn. 513. Unabhängig davon wird jedoch der Antragssteller im Regelfall vortragen, dass er von der Nichtigkeit der zur Überprüfung gestellten Norm überzeugt sei. 16 Heun, Normenkontrolle, S. 619; Mückl, Jura 2005, 465. 17 BVerfGE 100, 249 (257); 101, 1 (30); Heun, Normenkontrolle, S. 620; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 124; Mückl, Jura 2005, 468. 18 BVerfGE 1, 208 (219); 1, 396 (414 f.); Heun, Normenkontrolle, S. 619; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck Art. 93 Rn. 119; Mückl, Jura 2005, 469. 19 BVerfGE 39, 96 (106); 93, 37 (65); Hillgruber / Goos, Rn. 526; Rozek, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 76 Rn. 71; Mückl, Jura 2005, 470. 20 Zum Entscheidungssausspruch und dessen Wirkungen siehe unter A.I.2.b –d. 21 So Mückl, Jura 2005, 464, 467. 22 Vgl. Rozek, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 76 Rn. 76; zum Teil wird hier auch vertreten, dass es sich um ein eigenes Verfahren handeln solle, z. B. Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 128; wohl auch Benda / Klein, Rn. 748. 23 Eingeführt durch das 42. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. 10. 1994; BGBl. I, 3146.

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derlichkeit eines Bundesgesetzes im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung nach Art. 72 Abs. 2 GG. Unterschiede zum vorgenannten Verfahren finden sich im erweiterten Kreis der Antragssteller (auch Bundesrat und Volksvertretungen der Länder) und in der Beschränkung des Prüfungsgegenstandes auf Bundesrecht. Im Übrigen kann allerdings umfassend auf die Ausführungen zur abstrakten Normenkontrolle nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG verwiesen werden. 24 (3) Die konkrete Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG; §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG Auch bei der konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG; §§ 13 Nr. 11, 80 ff. BVerfGG handelt es sich um ein von subjektiven Berechtigungen unabhängiges, rein objektives Verfahren zur Kontrolle von Rechtsnormen. 25 Anders als bei der abstrakten Normenkontrolle erfolgt die Überprüfung der Norm hier jedoch aus Anlass eines bestimmten Rechtsstreites, dessen Entscheidung erst nach Klärung der „Vorfrage“ – nämlich der Frage der Anwendbarkeit der entscheidungserheblichen Norm – erfolgen kann. Da der jeweils zuständige Fachrichter aufgrund des Verwerfungsmonopols des Bundesverfassungsgerichts nicht von sich aus eine Norm verwerfen kann, sieht Art. 100 Abs. 1 GG ein Zwischenverfahren 26 zur verbindlichen Beantwortung der Vorfrage (Geltung der Norm) vor. Vorlageberechtigt – bzw. bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen vorlagepflichtig – ist demnach auch nur das jeweils zuständige – im Gegensatz zum Vorabentscheidungsverfahren des Art. 234 EG 27 nicht nur das letztinstanzliche – Gericht, wobei unter Gericht „alle Spruchstellen, die sachlich unabhängig, in einem formell gültigen Gesetz mit Aufgaben eines Gerichts betraut und als Gerichte bezeichnet sind“ 28, verstanden werden. Die Verwaltung besitzt hingegen keine Vorlageberechtigung, sondern muss, auch wenn sie von der Verfassungswidrigkeit der Norm ausgeht, diese anwenden. 29 Im Gegensatz zu der abstrakten Normenkontrolle kann Vorlagegegenstand nicht jedes „Gesetz“ sein: Art. 100 Abs. 1 GG bezweckt den Schutz der Autorität des parlamentarischen Gesetzgebers vor der Missachtung seiner Normen durch den Richter. 30 Dessen Autorität wird jedoch nur für die von ihm erlassenen Gesetze berührt, d. h. nur bei formellen, nachkonstitutionellen 24 Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 128 ff.; Hillgruber / Goos, Rn. 553 ff. 25 Vgl. BVerfGE 20, 350 (351); Benda / Klein, Rn. 772 ff.; Heun, Normenkontrolle, S. 622; Wernsmann, Jura 2005, 335. 26 So auch BVerfGE 42, 42 (49); in anderen Entscheidungen ist auch von „verselbständigtem“ (BVerfGE 49, 217 (219)) oder „objektivem“ (BVerfGE 2, 213 (217)) Verfahren die Rede; Sieckmann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 100 Rn. 5. 27 Zu Vorlagepflichten im Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 234 EG generell Streinz, EuropaR, Rn. 649 ff. 28 BVerfGE 6, 55 (63); 30, 170 (171 f.); Hillgruber / Goos, Rn. 579. 29 Maurer, § 4 Rn. 55 ff.; Wernsmann, Jura 2005, 330.

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A. Einleitung und Problemüberblick

Gesetzen besteht eine grundsätzliche Anwendungspflicht für das Fachgericht, so dass das Bundesverfassungsgericht den Begriff „Gesetz“ in Art. 100 Abs. 1 GG auch in dieser Weise teleologisch reduziert. 31 Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht setzt ferner voraus, dass das Fachgericht selbst die Norm auch tatsächlich als verfassungswidrig erachtet. Bloße Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes reichen hier nicht aus. 32 Die Frage der Verfassungswidrigkeit der Norm muss auch entscheidungserheblich sein, d. h. die Feststellung der Verfassungswidrigkeit muss zur abschließenden Klärung des konkreten (Ausgangs)Falles unerlässlich sein und zu einem anderen Ergebnis führen, als dies bei der Annahme der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes der Fall wäre. 33 Diese Entscheidungserheblichkeit ist zusammen mit der Ansicht der Verfassungswidrigkeit der Norm durch das Fachgericht gemäß § 80 Abs. 2 BVerfGG zu begründen. 34 Das Bundesverfassungsgericht hat ähnlich wie bei der abstrakten Normenkontrolle die vorgelegte Norm unter allen Gesichtspunkten auf ihrer Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. 35 Gelangt es dabei zum Ergebnis der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, so ist auch hier gemäß § 78 S. 1 BVerfGG dessen Nichtigkeit festzustellen. 36 (4) Die Normenkontrolle im Rahmen der Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG; §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG Neben den Normenkontrollverfahren kann das Bundesverfassungsgericht auch im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG; §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG die Gültigkeit von Normen überprüfen und zum Ergebnis 30

BVerfGE 1, 184 (197 f.) und seither ständige Rechtsprechung; Heun, Normenkontrolle, S. 623; Hillgruber / Goos, Rn. 567; Sieckmann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 100 Rn. 3; Wernsmann, Jura 2005, 330. 31 Ständige Rechtsprechung seit BVerfGE 1, 184 (189 ff.) [formelle Gesetze]; 2, 124 (128 ff.) [nachkonstitutionelle Gesetze], vgl. auch Heun, Normenkontrolle, S. 623 f. m. w. N.; Wernsmann, Jura 2005, 330; kritisch Schlaich / Korioth, Rn. 138. 32 BVerfGE 1, 184 (188 f.); 93, 121 (131); Erichsen, Jura 1982, 91; Heun, Normenkontrolle, S. 625; Wernsmann, Jura 2005, 333. Anders aber beim Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH nach Art. 234 Abs. 1 lit a, b, II, III EG, vgl. Ehricke, in: Streinz, EUV / EGV, Art. 234 EGV Rn. 35. Umstritten ist diese Frage bei der abstrakten Normenkontrolle (siehe oben unter (1)). 33 BVerfGE 7, 171 (173 f.); 106, 275 (296); Erichsen, Jura 1982, 92; Heun, Normenkontrolle, S. 625; Sieckmann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 100 Rn. 41; Wernsmann, Jura 2005, 333 f. 34 BVerfGE 104, 373 (383); 105, 48 (56); Heun, Normenkontrolle, S. 626; Sieckmann, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 100 Rn. 59. 35 BVerfGE 3, 187 (196 f.); 67, 1 (11); Hillgruber / Goos, Rn. 614; Wernsmann, Jura 2005, 335. 36 Hillgruber / Goos, Rn. 632; Wernsmann, Jura 2005, 335; zum Entscheidungssausspruch und dessen Wirkungen siehe unter A.I.2.b. – d.

I. Allgemein

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der Nichtigkeit der Norm gelangen. Eine Überprüfung der Norm kann hierbei auf zwei Arten erfolgen, nämlich als Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen ein Gesetz oder als Inzidentprüfung im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen einen Einzelakt. Anders als bei den bereits erwähnten Normenkontrollentscheidungen handelt es sich bei der Verfassungsbeschwerde jedoch nicht um ein rein objektives Beanstandungsverfahren, welches auch nur einem begrenzten Personenkreis offen steht, sondern um ein Verfahren zum Schutz der Grundrechte bzw. weiterer grundrechtsgleicher Rechte. 37 Beschwerdeführer kann somit jedermann sein, der Träger bzw. Inhaber dieser genannten Rechte sein kann. 38 Als Gegenstand der Verfassungsbeschwerde gegen Legislativakte kommen alle Gesetze im materiellen Sinn, sowohl Landes- als auch Bundesgesetze in Betracht. 39 Im Gegensatz zu Normenkontrollverfahren wird das Verfahren nur dann zur Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht angenommen, wenn der Beschwerdeführer plausibel macht, dass er möglicherweise in seinen Grundrechten verletzt ist. 40 Insbesondere bei Verfassungsbeschwerden gegen Gesetze bedeutet dies, dass der Beschwerdeführer durch das Gesetz selbst, gegenwärtig und unmittelbar – d. h. ohne dass es notwendigerweise eines weiteren Vollzugsakts bedürfe – betroffen sein muss. 41 Ferner ist eine Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze nur innerhalb der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG möglich. Zusätzlich ist das Kriterium der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde zu beachten. 42 Bei Verfassungsbeschwerden gegen Einzelakte, die eine inzidente Überprüfung der Norm zur Folge haben, verbleibt es bei den allgemeinen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde. Der Prüfungsumfang der Verfassungsbeschwerde entspricht dem Prüfungsumfang der bereits behandelten Normenkontrollverfahren: Das Bundesverfassungsgericht nimmt demnach eine umfassende Prüfung vor und bleibt nicht auf das Überprüfen des Vorbringens des Beschwerdeführers beschränkt. 43 Wird der Verfassungsbeschwerde stattgegeben, so ist gemäß § 95 Abs. 3 BVerfGG das Gesetz ebenfalls für nichtig zu erklären. 44

37 BVerfGE 1, 4 (5); Hillgruber / Goos, Rn. 79; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 168. 38 Hillgruber / Goos, Rn. 105; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 173. 39 Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 175 m. w. N.; ausführlich hierzu Hillgruber / Goos, Rn. 146 ff. 40 BVerfGE 64, 367 (375); 89, 155 (171); Hillgruber / Goos, Rn. 167 ff.; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 178. 41 BVerfGE 1, 97 (101 ff.); Heun, Normenkontrolle, S. 627; Hillgruber / Goos, Rn. 190 ff.; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 182 ff. 42 BVerfGE 112, 50 (60); Heun, Normenkontrolle, S. 628; Hillgruber / Goos, Rn. 205, 216 ff.; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 186 ff. 43 Heun, Normenkontrolle, S. 628; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 195. 44 Hillgruber / Goos, Rn. 253.

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A. Einleitung und Problemüberblick

(5) Die kommunale Verfassungsbeschwerde gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4b GG, § 91 BVerfGG Der Vollständigkeit halber erwähnt sei auch die kommunale Verfassungsbeschwerde, die trotz ihrer Bezeichnung als Verfassungsbeschwerde ein eigenständiges Normenkontrollverfahren mit gegenständlich begrenzter Antragsbefugnis darstellt. 45 Besonderheiten weist die kommunale Verfassungsbeschwerde insofern auf, als dass nach § 91 BVerfGG nur Gemeinden und Gemeindeverbände antragsbefugt sind. 46 Gegenstand des Verfahrens sind nicht nur Gesetze im formellen Sinne, sondern alle staatlichen Rechtsnormen, somit auch Rechtsverordnungen. 47 Prüfungsmaßstab ist ausschließlich die grundgesetzlich in Art. 28 Abs. 2 GG verbürgte Selbstverwaltungsgarantie der Gemeinde bzw. alle Grundgesetzvorschriften, soweit diese geeignet sind, das verfassungsrechtliche Bild der Selbstverwaltung mitzubestimmen. 48 Zu beachten ist ferner die Subsidiaritätsregelung in § 91 S. 2 BVerfGG, wonach die Geltendmachung einer Verletzung des gemeindlichen Selbstverwaltungsrechts durch Landesrecht ausgeschlossen ist, soweit das jeweilige Landesrecht ein gleichwertiges, dem Schutz des in Art. 28 Abs. 1 GG garantierten Selbstverwaltungsrechts dienendes Verfahren vor den Landesverfassungsgerichten ermöglicht. 49 bb) Landesverfassungsgerichtliche Normenkontrollen Auch die einzelnen Bundesländer haben in ihren Landesverfassungen – mit Ausnahme von Schleswig-Holstein – die Einrichtung einer Landesverfassungsgerichtsbarkeit vorgesehen und dieser ein Prüfungsrecht hinsichtlich der Gültigkeit von Rechtsnormen eingeräumt. Dabei orientieren sich die Regelungen – von wenigen Abweichungen abgesehen – zumeist an den Verfahrensarten des Bundesverfassungsgerichts, so dass generell auf die Anmerkungen zur abstrakten und konkreten Normenkontrolle vor dem Bundesverfassungsgericht verwiesen werden kann. So kennen z. B. alle Landesverfassungen (mit Ausnahme von Schleswig-Holstein) das Verfahren der konkreten Normenkontrolle 50 und bis auf Bayern auch das Verfahren der abstrakten Normenkontrolle 51, wobei dieses in einigen wenigen 45

So ausdrücklich Heun, Normenkontrolle, S. 629; kritisch hierzu Benda / Klein, Rn. 689 ff. 46 Welche Gebietskörperschaften des öffentlichen Rechts als Gemeinde anzusehen sind, ist nach dem jeweils einschlägigen Landesrecht zu beurteilen; vgl. Benda / Klein, Rn. 692. 47 BVerfGE 26, 228 (236); 76, 107 (114). 48 BVerfGE 1, 167 (181 ff.); 56, 298 (310 f.); 79, 127 (141 ff.). 49 Vgl. Benda / Klein, Rn. 702. Sofern die Gemeinde eine Verletzung ihrer Selbstverwaltungsgarantie durch Bundesrecht geltend macht, greift die Subsidiaritätsregelung des § 91 S. 2 BVerfGG nicht ein.

I. Allgemein

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Bundesländern mit dem Organstreitverfahren zu einem gemeinsamen Verfahren zusammengelegt wurde. 52 Individualverfassungsbeschwerden gegen Gesetze sind hingegen nur in manchen Bundesländern vorgesehen. 53 Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen kennen lediglich das Institut der kommunalen Verfassungsbeschwerde gegen Legislativakte. 54 Einige Bundesländer sehen ferner besondere, von den Vorgaben des Grundgesetzes abweichende Verfahrensarten vor. Ein Beispiel hierfür ist die Popularklage in Bayern (Art. 98 S. 4 BayVerf, §§ 2 Nr. 7, 55 BayVerfGHG). Während gegen Rechtssetzungsakte in Bayern keine Verfassungsbeschwerde erhoben werden kann, kann im Verfahren der Popularklage jedermann, unabhängig von einer Verletzung eigener Rechte, Normen des Landesrechts auf ihre Grundrechtskonformität durch den BayVerfGH überprüfen lassen. cc) Verwaltungsgerichtliche Normenkontrollen Die verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollen nehmen innerhalb der Normüberprüfungen zweifelsohne den zahlenmäßig größten Teil der Normenkontrollverfahren ein. Anders als im Verfassungsrecht wird hier jedoch nicht zwischen 50 Vgl. Art. 68 Abs. 1 Nr. 3BWVerf, §§ 8 Abs. 1 Nr. 3, 51 ff. BWStGHG; Art. 65, 92 BayVerf, § 2 Nr. 5, 50 BayVfGHG; Art. 84 Nr. 4 BerlVerf, §§ 14 Nr. 5, 46 ff. BerlVerfGHG; Art. 113 Nr. 3 BbgVerf, §§ 42 ff. BbgVerfGG; Art. 142 BremVerf, §§ 10 Nr. 3, 28 ff. BremStGHG; Art. 65 Abs. 3 Nr. 4 HambVerf, §§ 14 Nr. 6, 44 ff. HamBVerfGG; Art. 133 HessVerf, §§ 41 ff HessStGHG; Art. 53 Nr. 5 MVVerf, §§ 11 Abs. 1 Nr. 3, 42 ff. MVVerfGG; Art. 54 Nr. 4 NdsVerf, §§ 8 Nr. 9, 35 NdsStGHG; Art. 100 GG i. V. m. §§ 50 ff. NWVGHG; Art. 130 Abs. 3, 135 Abs. 1 Nr. 1 RPVerf, §§ 24 ff. RPVerfGHG; Art. 97 Nr. 3 SaarVerf, §§ 9 Nr. 7, 47 f. SaarVerfGHG; Art. 81 Abs. 1 Nr. 3 SächsVerf, §§ 25 ff. SächsVerfGHG; Art. 75 Nr. 5 LSAVerf, §§ 2 Nr. 6, 42 ff. LSAVerfGG; Art. 80 Abs. 1 Nr. 5 ThürVerf, §§ 45 ff. ThürVerfGHG. 51 Vgl. Art. 68 Abs. 1 Nr. 2 BWVerf, §§ 8 Abs. 1 Nr. 2, 48 ff. BWStGHG; Art. 84 Nr. 2 BerlVerf, §§ 14 Nr. 4, 43 ff. BerlVerfGHG; Art. 113 Nr. 2 BbgVerf, §§ 39 ff. BbgVerfGG; Art. 140 BremVerf, §§ 10 Nr. 2, 24 ff. BremStGHG; Art. 65 Abs. 3 Nr. 2 HambVerf, §§ 14 Nr. 2, 40 ff. HamBVerfGG; Art. 131 HessVerf, §§ 41 ff. HessStGHG; Art. 53 Nr. 2 MVVerf, §§ 11 Abs. 1 Nr. 2, 39 ff. MVVerfGG; Art. 54 Nr. 3 NdsVerf, §§ 8 Nr. 8, 33 f. NdsStGHG; Art. 75 Abs. 3 NWVerf, §§ 47 ff. NWVGHG; Art. 130 Abs. 1, 135 Abs. 1 Nr. 1 RPVerf, §§ 23 ff. RPVerfGHG; Art. 97 Nr. 2 SaarVerf, §§ 9 Nr. 6, 43 ff. SaarVerfGHG: Art. 81 Abs. 1 Nr. 2 SächsVerf, §§ 21 ff. SächsVerfGHG; Art. 75 Nr. 3 LSAVerf, §§ 2 Nr. 4, 39 ff. LSAVerfGG; Art. 80 Abs. 1 Nr. 4 ThürVerf, §§ 42 ff. ThürVerfGHG. 52 So u. a. in Bremen und in Rheinland-Pfalz. 53 Vgl. Art. 84 Nr. 5 BerlVerf, §§ 14 Nr. 6, 49 ff. BerlVerfGHG; Art. 6 Abs. 2, 113 Nr. 4 BbgVerf, §§ 45 ff. BbgVerfGG; Art. 131 HessVerf („Grundrechtsklage“), §§ 43 ff. HessStGHG; Art. 53 Nr. 6 MVVerf, §§ 11 Abs. 1 Nr. 8, 51 ff. MVVerfGG; Art. 130a, 135 Abs. 1 Nr. 4 RPVerf, §§ 44 ff. RPVerfGHG; Art. 97 Nr. 4 SaarVerf, §§ 9 Nr. 13, 55 ff. SaarVerfGHG; Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 SächsVerf, §§ 27 ff. SächsVerfGHG; Art. 75 Nr. 6 LSAVerf, §§ 2 Nr. 7, 47 ff. LSAVerfGG; Art. 80 Abs. 1 Nr. 1 ThürVerf, §§ 31 ff. ThürVerfGHG. 54 Vgl. Art. 76 BWVerf, §§ 8 Abs. 1 Nr. 8, 54 BWStGHG; Art. 54 Nr. 3 NdsVerf, §§ 8 Nr. 10, 36 ff. NdsStGHG; § 52 NWVGHG.

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A. Einleitung und Problemüberblick

abstrakten und konkreten Normenkontrollen, sondern nach dem Streitgegenstand zwischen prinzipalen (unmittelbarer Gegenstand des Verfahrens ist hier die Norm selbst) und inzidenten Normenkontrollen (hier ist die Gültigkeit der Norm nur eine Vorfrage für die Beurteilung einer Einzelfallmaßnahme) unterschieden. (1) Die prinzipale Normenkontrolle gemäß § 47 VwGO Eine ausdrückliche gesetzliche Ausgestaltung hat nur die prinzipale Normenkontrolle in § 47 VwGO erfahren. Ähnlich wie bei der abstrakten Normenkontrolle gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG und der Rechtssatzverfassungsbeschwerde erfolgt auch in diesem Verfahren eine Überprüfung einer Rechtsnorm unabhängig von einem konkreten Einzelfall, so dass man sie auch gelegentlich als „abstrakt“ einstuft. 55 Hinsichtlich Zweck und Prüfungsgegenstand weist sie jedoch durch ihre „Doppelfunktion“ 56 starke Abweichungen von den verfassungsgerichtlichen Normenkontrollen auf. Die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 VwGO dient der Wahrung einer objektiven gerichtlichen Überprüfung der Rechtmäßigkeit von Normen und verbindet dies mit Elementen des subjektiven Rechtsschutzes. 57 Der objektivrechtliche Charakter wird bereits in der Wortwahl deutlich, da es sich nicht um eine „Klage“ sondern um einen „Antrag“ handelt. Zum anderen hat die prinzipale Normenkontrolle bereits dann Erfolg, wenn eine rein objektive Rechtswidrigkeit der Norm festgestellt wird. Im Gegensatz zu anderen Verfahrensarten, die wie in § 113 Abs. 1 VwGO eine Verletzung subjektiver Rechte voraussetzen, ist die gerichtliche Überprüfung einer Norm nach § 47 VwGO nicht auf die Verletzung subjektiver Rechte beschränkt. 58 Jedoch weist sie auch subjektive Elemente auf, was im Erfordernis einer Antragsbefugnis verdeutlicht wird: Der Antragssteller (antragsberechtigt ist jede natürliche oder juristische Person 59) muss geltend machen, dass er durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in eigenen (subjektiven öffentlichen) Rechten verletzt ist oder in absehbarer Zeit verletzt wird. 60 Lediglich Behörden, die gemäß § 47 Abs. 2 VwGO ebenfalls antragsberechtigt sind, müssen keine Verletzung eigener Rechte geltend machen. Inwieweit Einschränkungen bei der Antragsbefugnis von Behörden unter dem Gesichtspunkt des objektiven Kontrollinteresses vorzunehmen sind, ist in der rechtswissenschaftlichen Literatur umstritten. 61 Gelangt der Antragssteller über diese Hürde der Antragsbefugnis, so ist grundsätzlich nur noch die objektive 55 56 57 58 59 60

So z. B. Ehlers, Jura 2005, 171. Vgl. BVerwGE 82, 225 (232); Kopp / Schenke, § 47 Rn. 3. Vgl. Schenke, VPR, Rn. 873; a. A. NKVwGO-Ziekow, § 47 Rn. 37. Kopp / Schenke, § 47 Rn. 112; Ehlers, Jura 2005, 171. Ausführlich hierzu Kopp / Schenke, § 47 Rn. 38. Kopp / Schenke, § 47 Rn. 44; Ehlers, Jura 2005, 174 f.

I. Allgemein

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Rechtslage maßgebend, d. h. die Nichtigkeit der Norm kann selbst dann festgestellt werden, wenn diese ausschließlich auf formalen Fehlern beruht, ohne dass dadurch der Antragssteller in subjektiven Rechten betroffen ist. Ein weiterer Unterschied zu den verfassungsgerichtlichen Normenkontrollen liegt im Gegenstand der Prüfung: Wie bereits an anderer Stelle erwähnt, würde eine Verwerfungskompetenz der Verwaltungsgerichte bezüglich nachkonstitutioneller Parlamentsgesetze dem in Art. 100 Abs. 1 GG statuierten Verwerfungsmonopol des Bundesverfassungsgerichts widersprechen. Entsprechendes gilt für den Fall, dass durch Landesrecht ein Verwerfungsmonopol der Landesverfassungsgerichte vorgesehen ist. Daher ist die Normenkontrolle nach § 47 VwGO auf untergesetzliche Normen beschränkt, wodurch sich die gerichtliche Kontrolle in erster Linie auf die rechtssetzende Tätigkeit der Exekutive erstreckt. 62 Verfassungsrechtliche Bedenken, insbesondere vor dem Hintergrund des Gewaltenteilungsgrundsatzes, bestehen daher nicht. Ebensowenig ist eine prinzipiale Normenkontrolle von Verfassungs wegen geboten; das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 GG und die Justizgewährleistungspflicht des Staates begründen lediglich einen Anspruch darauf, dass Rechtsschutz zur Durchsetzung subjektiver Rechte gewährt wird. Diesem Erfordernis wird im Regelfall durch die Möglichkeiten des inzidenten Rechtsschutzes, z. B. in Form von Anfechtungsklagen gegen Normvollzugsakte oder verwaltungsgerichtlichen Feststellungsklagen, Genüge getan. 63 Gegenstand des Verfahrens sind bundesweit nach Nr. 1 alle Satzungen, die nach den Vorschriften des BauGB erlassen worden sind, sowie Rechtsverordnungen auf Grund des § 246 Abs. 2 BauGB, d. h. insbesondere Bebauungspläne (§ 10 Abs. 1 BauGB) 64, Veränderungssperren (§ 16 Abs. 1 BauGB) oder Abrundungssatzungen (§ 43 Abs. 4 BauGB), wegen ihrer bloßen Innenrechtsqualität jedoch grundsätzlich nicht Flächennutzungspläne (§ 5 BauGB) 65. Nach Nr. 2 können auch alle anderen untergesetzlichen Rechtsvorschriften der Länder, d. h. alle abstrakt-generellen Re61 Vgl. hierzu Gerhardt / Bier, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 47 Rn. 78; Ehlers, Jura 2005, 176; ähnlich auch Schenke, VPR, Rn. 898 und in Kopp / Schenke, § 47 Rn. 82, der diese Fragestellung als Frage des Rechtsschutzbedürfnisses einordnet. 62 Ehlers, Jura 2005, 171; Hufen, § 19 Rn. 4. 63 Vgl. BVerwG NVwZ-RR 1991, 55; NKVwGO-Ziekow, § 47 Rn. 24; Kopp / Schenke, § 47 Rn. 8; Schenke, VPR, Rn. 1064; Ehlers, Jura 2005, 171; a. A. Hufen, § 19 Rn. 5. 64 Bebauungspläne hingegen, die in Form eines Parlamentsgesetzes beschlossen werden (nach § 246 Abs. 2 BauGB in Stadtstaaten möglich, so z. B. hamburgische Bebauungspläne), können nicht Gegenstand einer prinzipalen Normenkontrolle nach § 47 VwGO sein; vgl. Kopp / Schenke, § 47 Rn. 21; Ehlers, Jura 2005, 172; Gerhardt / Bier, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 47 Rn. 17; a. A. BVerfG NJW 1985, 2315; NKVwGOZiekow, § 47 Rn. 81 ff. 65 BVerwG NVwZ 1991, 262; Jeromin, NVwZ 2006, 1374; Kopp / Schenke, § 47 Rn. 22; Schenke, VPR, Rn. 878; Hufen, § 19 Rn. 22; a. A. Kment, NVwZ 2003, 1047 ff. Etwas anderes gilt jedoch hinsichtlich des verbindlichen Regelungscharakters von Flächennutzungsplänen nach § 35 Abs. 3 BauGB. Insofern wird von der Rechtsnormqualität von

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A. Einleitung und Problemüberblick

gelungen mit Außenwirkung, Prüfungsgegenstand sein. Dies sind insbesondere Rechtsverordnungen der Landesregierung oder nachgeordneter Behörden 66 und Satzungen der Gemeinden und sonstiger Körperschaften des öffentlichen Rechts 67, nicht jedoch Verwaltungsvorschriften 68. Dies gilt allerdings nur, soweit der Landesgesetzgeber von der Ermächtigung in § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO Gebrauch gemacht hat. 69 Darüber hinaus müssen die allgemeinen Sachentscheidungsvoraussetzungen vorliegen. Zu beachten ist zusätzlich die seit 01. 01. 2007 70 verkürzte Antragsfrist von einem Jahr ab Bekanntmachung der Rechtsvorschrift gemäß § 47 Abs. 2 VwGO und die neueingeführte Präklusionsvorschrift in Abs. 2 a, wonach ein Normenkontrollantrag gegen Bebauungspläne unzulässig ist, wenn der Antragsteller die vorgebrachten Einwendungen bereits im Rahmen der öffentlichen Auslegung oder der Beteiligung der Öffentlichkeit hätte vorbringen können. 71 Daneben gilt auch für die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle das Erfordernis eines Rechtsschutzbedürfnisses, woran es in den Fällen fehlt, in denen eine einfachere Möglichkeit des Rechtsschutzes besteht oder in denen rechtsmissbräuchlich von der Antragsberechtigung Gebrauch gemacht wird. 72 Flächennutzungsplänen ausgegangen, vgl. OVG Koblenz NVwZ 2006, 1442; Jeromin, NVwZ 2006, 1374 f.; Schenke, NVwZ 2007, 140 ff. (§ 47 VwGO analog). 66 Kopp / Schenke, § 47 Rn. 25. 67 VGH Mannheim, NJW 1987, 1350 (RA-Versorgungswerk); OVG Kassel NVwZ-RR 1991, 80 (Universität); Schenke, VPR, Rn. 879. 68 BVerwGE 58, 45 (49), Hufen, § 19 Rn. 22; differenzierend für den Fall, dass Verwaltungsvorschriften auf Außenwirkung gerichtet sind Schenke, VPR, Rn. 882. 69 Dies ist der Fall in Baden-Württemberg (§ 4 AGVwGO), Brandenburg (§ 4 Abs. 1 VwGG), Bremen (Art. 7 AGVwGO), Hessen (§ 15 AGVwGO), Mecklenburg-Vorpommern (§ 13 AGGerStrG), Niedersachsen (§ 7 VwGG), Saarland (§ 18 AGVwGO), Sachsen-Anhalt (§ 10 AGVwGO), Sachsen (§ 24 Abs. 1 JG), Schleswig-Holstein (§ 5 AGVwGO) und Thüringen (§ 4 AGVwGO), sowie eingeschränkt in Bayern (Art. 5 AGVwGO) und Rheinland-Pfalz (§ 4 AGVwGO). Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen haben bisher keine entsprechende Regelung erlassen. 70 Geändert durch Art. 3 Nr. 1a des Gesetzes zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte vom 21. 12. 2006, BGBl. I 3316 mit Wirkung vom 01. 01. 2007. 71 Ausführlich zu den Änderungen der Vorschrift des § 47 VwGO durch das Gesetz zur Erleichterung von Planungsvorhaben für die Innenentwicklung der Städte, insbesondere auch zu der Einfügung der Präklusionsvorschrift des § 47 Abs. 2a VwGO, siehe Battis / Krautzberger / Löhr, NVwZ 2007, 121 ff. 72 Gleiches soll nach BVerwG NVwZ 1989, 653 f.; NVwZ 1990, 158; NVwZ 1998, 733; VGH Mannheim NVwZ 1983, 163, auch für Fälle gelten, in denen selbst bei erfolgreicher Normenkontrolle das eigentliche Ziel des Antragstellers nicht erreicht werden kann (Bsp: Feststellung der Nichtigkeit eines Bebauungsplanes bei bereits bestandskräftigen Baugenehmigungen oder einer Gebührenordnung bei bereits bestandskräftigen und vollzogenen Gebührenbescheiden). Dies ist vor dem Hintergrund zweifelhaft, dass die Behörde selbst bestandskräftige Verwaltungsakte unter Berücksichtigung der Nichtigerklärung einer Norm

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Bei der Prüfung der Begründetheit hat das Oberverwaltungsgericht die Norm grundsätzlich uneingeschränkt auf ihre Vereinbarkeit mit höherrangigem Bundesund Landesrecht 73 zu überprüfen, wobei sich eine Ausnahme aufgrund der Vorbehaltsklausel für die Landesverfassungsgerichte nach § 47 Abs. 3 VwGO ergeben kann. 74 Kommt das Gericht hierbei zu dem Ergebnis, dass die angegriffene Rechtsvorschrift ungültig ist, dann erklärt es diese nach § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO 75 für unwirksam. 76 (2) Inzidente Normenkontrollen durch das Verwaltungsgericht Neben der prinzipalen Normenkontrolle des § 47 VwGO können die Verwaltungsgerichte auch im Wege inzidenter Normenkontrollen die Gültigkeit von Rechtsvorschriften überprüfen. Durch § 47 VwGO wird – nicht zuletzt durch das Erfordernis der Antragsfrist und der neueingeführten Präklusionsregelung – Rechtsschutz gegen normatives Unrecht nur begrenzt gewährt. Aus Art. 19 Abs. 4 GG erwächst jedoch der Grundsatz, dass effektiver Rechtsschutz insoweit gewährt werden muss, als der Betroffene einen materiellrechtlichen Anspruch auf Beseitigung der individuellen Beeinträchtigung besitzt. 77 Diese allein durch § 47 VwGO nicht zu schließende Rechtsschutzlücke wird durch die Möglichkeit inzidenter Normüberprüfungen gefüllt. Der Begriff „inzidente Normenkontrolle“ bezeichnet jedoch kein eigenes Gerichtsverfahren, sondern im Regelfall lediglich einen Prüfungsabschnitt im Verfahren der Anfechtung von Normvollzugsakten wegen Verletzung subjektiver Rechte. Eine inzidente Normenkontrolle kann aber auch in Form einer allgemeinen Feststellungsklage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines durch die Norm intendierten Rechtsverhältnisses erfolgen. 78 zurücknehmen oder widerrufen kann, bzw. – wie im Folgenden noch dargelegt wird – sich aus der Nichtigerklärung Einschränkungen für die Ermessensausübung der Behörde bei der Entscheidung über ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens im weiteren Sinne ergeben; in diese Richtung auch VGH Kassel UPR 1985, 221; VGH Mannheim BauR 1983, 222 („[ . . . ] besteht dennoch in der Regel ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag, wenn mit der beantragten Nichtigerklärung des Bebauungsplanes die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Rücknahme oder nachträgliche Einschränkung des Baugenehmigung geschaffen werden.“); Kopp / Schenke, § 47 Rn. 91; Gerhardt / Bier, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 47 Rn. 77 (jedoch mit anderer Begründung). 73 Umstritten ist, ob auch EG-Recht Prüfungsmaßstab sein kann; dafür BVerwG NVwZ -RR 1995, 359; VGH Mannheim VBlBW 1994, 361; Hufen, § 30 Rn. 16; Kopp / Schenke, § 47 Rn. 99; Pache / Burmeister, NVwZ 1996, 979 ff.; Schenke, VPR, Rn. 917; a. A. VGH München BayVBl. 1996, 243; Rinze, NVwZ 1996, 459 f. 74 Ausführlich zu den sich hierbei ergebenden Fragestellungen siehe Kopp / Schenke, § 47 Rn. 100 ff. 75 In der Neufassung durch Art. 4 des Gesetzes zur Anpassung des Baugesetzbuches an EU-Richtlinien vom 24. 06. 2004 (BGBl. I, 1359); in Kraft seit 20. 07. 2004. 76 Zu den Wirkungen der Unwirksamkeitserklärung nach § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO, siehe unten A.I.2.b. – d. 77 Vgl. Schenke, VPR, Rn. 1064.

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Bestehen in einem konkreten Verfahren Zweifel an der Gültigkeit einer Norm, von der maßgeblich die Rechtmäßigkeit des Vollzugsakts abhängig ist, und besteht die Möglichkeit, dass der Betroffene durch die Norm oder den Vollzugsakt in seiner subjektiven Rechtsstellung betroffen wird, so ist der Richter verpflichtet, die Gültigkeit der Norm inzident, d. h. in einer Zwischenstufe des eigentlichen Verfahrens, zu überprüfen. Dieses Gebot besteht für das Gericht hinsichtlich jeder geltenden Rechtsnorm der deutschen Rechtsordnung, so dass eine Beschränkung auf bestimmte „überprüfbare“ Rechtsvorschriften, wie sie § 47 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwGO vorsehen, hier nicht vorliegt. Jedoch wird bei formellen, nachkonstitutionellen Gesetzen dieses inzidente Rechtsschutzverfahren durch die Zwischenschaltung eines konkreten Normenkontrollverfahrens nach Art. 100 Abs. 1 GG vor dem Bundesverfassungsgericht bzw. vor den Landesverfassungsgerichten modifiziert. 79 Gelangt das Gericht im konkreten Fall zu der Auffassung, die Norm sei ungültig, so erklärt es diese nicht allgemeinverbindlich für unwirksam (wie bei § 47 Abs. 5 VwGO), sondern entscheidet lediglich den konkreten Fall ohne die Anwendung der in Frage stehenden Norm. Die „inzidente Feststellung der Unwirksamkeit“ bleibt somit auf das einzelne Verfahren beschränkt. Gleiches gilt auch für die inzidente Kontrolle von Normen im Rahmen einer Feststellungsklage, soweit hierdurch das Bestehen oder Nichtbestehen eines durch die Norm begründeten subjektiven öffentlichen Rechtsverhältnisses i. S. v. § 43 VwGO festgestellt werden soll. 80 b) Die subjektive Bindungswirkung von Normenkontrollen Der Gesetzgeber kann neben dem gerichtlichen Verfahren auch bestimmen, welche Bindungswirkung die gerichtliche Entscheidung haben soll. Durch die Entscheidung für eine bestimmte Verfahrensart liegt es daher in der Hand des Gesetzgebers, ob der Inhalt der Entscheidung über den konkreten Rechtsstreit hinaus Wirkungen entfalten und, wenn dies grundsätzlich der Fall ist, wer an die Ergebnisse gebunden sein soll. Für das verwaltungsgerichtliche Verfahren gilt im Regelfall die Vorschrift des § 121 VwGO. Danach binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten des Rechtsstreites und deren Rechtsnachfolger (Nr. 1) sowie die am Rechtsstreit beteilig78

Vgl. Schenke, VPR, Rn. 1076; ausführlich dazu Kopp / Schenke, § 43 Rn. 8. Schenke, VPR, Rn. 1071. 80 Vgl. Schenke, VPR, Rn. 1076. Eine Feststellungsklage „sui generis“, gerichtet auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Norm gegenüber dem Kläger (so aber Maurer, FS Kern, S. 305 ff.; Peters, NVwZ 1999, 507) bzw. auf Feststellung einer Rechtsverletzung des Klägers (so aber BVerwG NVwZ 2004, 474; Wilken, DVBl. 1969, 535) ist daneben weder erforderlich, noch mit dem bestehenden Rechtsschutzsystem in Einklang zu bringen; vgl. allgemein zum Rechtsschutz gegen Normen durch Feststellungsklagen Kopp / Schenke, § 43 Rn. 8. 79

I. Allgemein

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ten Dritten, Vertreter des öffentlichen Interesses und Beigeladene (Nr. 2), selbst wenn sich diese nicht direkt am Verfahren beteiligt haben. 81 Außenstehende, am Rechtsstreit nicht Beteiligte, werden von der Bindungswirkung der Entscheidung hingegen nicht betroffen, ebenso wenig werden andere Gerichte durch die Rechtsauffassung des entscheidenden Gerichts beschränkt. Von diesem Grundsatz ist mangels Sonderregelung auch bei einer inzidenten Normenkontrolle durch die jeweiligen Fachgerichte auszugehen. In diesen Verfahren erfolgt keine ausdrückliche allgemeinverbindliche Unwirksamerklärung der Rechtsvorschrift, sondern es bleibt bei der bloßen Nichtanwendung der Norm im Rahmen der Entscheidung des Rechtsstreites. Die Überzeugung des Gerichts, dass die Rechtsnorm gegen höherrangiges Recht verstößt, bleibt auf diesen konkreten Einzelfall beschränkt, d. h. die Unwirksamkeit der Norm steht ausschließlich für das Verhältnis der am Rechtsstreit beteiligten Parteien fest, so dass das Gericht in einem anderen Rechtsstreit an der weiteren Anwendung der Norm nicht gehindert ist. Für die inzidente Normenkontrolle verbleibt es daher bei dieser sogenannten „inter partes“-Wirkung. 82 Sowohl die prinzipale Normenkontrolle nach § 47 VwGO, als auch die verfassungsgerichtlichen Normenkontrollen gehen in ihren Wirkungen über die am Rechtsstreit beteiligten Parteien hinaus. Für die verfassungsgerichtlichen Normenkontrollen und die Rechtssatzverfassungsbeschwerde stellt dies § 31 Abs. 2 BVerfGG fest. Gelangt demnach das Bundesverfassungsgericht in einem der aufgeführten Verfahren zu der Überzeugung, dass eine Norm verfassungswidrig bzw. bundesrechtswidrig ist, so besitzt diese Nichtigerklärung Gesetzeskraft und statuiert eine über den Einzelfall hinausgehende Bindung i. S. d. § 31 Abs. 1 BVerfGG aller Verfassungsorgane, Gerichte und Behörden (deshalb „erga omnes“) an diese Entscheidung. 83 Die Norm ist demnach „inexistent“ und darf nicht mehr angewandt werden. Dem Gesetzgeber wird durch die Gesetzeskraft der Entscheidung auch der Neuerlass einer inhaltsgleichen Regelung grundsätzlich untersagt. Eine Ausnahme hiervon gilt nur dann, wenn sich die rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnisse seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geändert haben. 84 81 Kopp / Schenke, § 121 Rn. 23; a. A. Eyermann-Rennert, § 121 Rn. 39; Clausing, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 121 Rn. 95. 82 Eine über den konkreten Rechtsstreit hinausgehende Bindungswirkung der inzidenten Normenkontrollentscheidung kann sich lediglich aus anderen Faktoren auf rein faktischer Ebene ergeben, z. B. bei einer inzidenten Normenkontrolle durch das Bundesverwaltungsgericht, dessen Stellung als Obergericht gegenüber den Untergerichten eine faktische „Bindungswirkung“ kraft Autorität entfalten kann (vgl. dazu Kapitel F). 83 Vgl. Vogel, FS BVerfG I, S. 613; Schlaich / Korioth, Rn. 482; Wernsmann, Jura 2005, 335; Heun, Normenkontrolle, S. 633; Hillguber / Goos, Rn. 552. 84 BVerfGE 1, 14 (37); Wernsmann, Jura 2005, 335; a. A. BVerfGE 77, 84 (103 f.); 96, 260 (263); Heun, Normenkontrolle, S. 633.

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A. Einleitung und Problemüberblick

Ähnliches gilt auch für die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle gem. § 47 VwGO. Wenn auch der Normenkontrollentscheidung hier kein Gesetzesrang anhaftet, wie dies bei § 31 Abs. 1 BVerfGG der Fall ist, bestimmt § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO aber doch ausdrücklich die Allgemeinverbindlichkeit der Unwirksamkeitserklärung, so dass auch bei der prinzipalen Normenkontrolle nach § 47 VwGO von einer dem Gesetzesrang zumindest nahe kommenden „erga omnes“Wirkung gesprochen werden kann. 85 Die Vorschrift des § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO kann deshalb auch als vorrangige Spezialregelung zu § 121 VwGO angesehen werden, indem sie die subjektiven Grenzen der Rechtskraft für die stattgebenden Normenkontrollentscheidung durchbricht. Die Entscheidung ist vom Antragsgegner zu veröffentlichen und wie eine Rechtsvorschrift bekannt zu machen. 86 In diesem Fall ist ebenfalls von einem grundsätzlichen Normwiederholungsverbot auszugehen. 87 Gelangt das Gericht jedoch zu einer Abweisung des Antrages als unbegründet, so bindet dies nur die am Verfahren beteiligten Parteien untereinander; die abweisende Entscheidung besitzt also lediglich eine „inter partes“-Wirkung. 88 Eine allgemeinverbindliche Gültigerklärung durch das Gericht erfolgt in diesen Fällen nicht. 89 c) Wegfall der Norm „ex tunc“ oder „ex nunc“? Besteht bei der subjektiven Bindungswirkung von Normenkontrollen noch weitgehend Einigkeit, so ist hingegen die Wirkungsweise der Nichtigerklärung unter temporalem Aspekt umstritten, d. h. es stellt sich die Frage, zu welchem Zeitpunkt die Nichtigkeitsfolge eintritt. Die Antwort auf diese Frage wird – zumindest soweit kein Fall des „Rechtswidrigwerdens“ von Normen gegeben ist – zumeist mit der Frage verknüpft, welche Rechtsnatur der prinzipalen Normenkontrollentscheidung nach § 47 VwGO bzw. den verfassungsgerichtlichen Normenkontrollen beigemessen wird: Stellt das Gericht nur deklaratorisch die anfängliche (oder später eingetretene 90) Nichtigkeit einer Norm fest oder wird diese Norm konstitutiv, d. h. erst durch den Entscheidungsausspruch des Gerichts, aufgehoben? Das Meinungsspektrum lässt sich hier grob in zwei Lager einteilen: Die herrschende Meinung geht von der „ipso iure“-Nichtigkeit fehlerhafter Rechtsnormen aus. 91 Verstößt eine Rechtsnorm gegen höherrangiges Recht, so 85

Hufen, § 38 Rn. 49; Kopp / Schenke, § 47 Rn. 142; Ziegelmeier, BayVBl 2006, 520. Hufen, § 38 Rn. 49, Kopp / Schenke, § 47 Rn. 142; Ehlers, Jura 2005, 177. 87 BVerwG NVwZ 2000, 813; BauR 2000, 1019; Hufen, § 38 Rn. 53; NKVwGO-Ziekow, § 47 Rn. 365; Kopp / Schenke, § 47 Rn. 143; a. A. VGH Kassel NVwZ-RR 1993, 296. 88 Ehlers, Jura 2005, 177; Kopp / Schenke, § 47 Rn. 146 m. w. N.; Ziegelmeier, BayVBl 2006, 520. 89 Hufen, § 38 Rn. 54; Ehlers, Jura 2005, 177; Ziegelmeier, BayVBl 2006, 520. 90 Dazu auch unten, E.II.3.b.cc. 86

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konnte diese Rechtsnorm in der Regel bereits von Anfang an keine juristische Geltung erlangt haben und muss folgerichtig „ex tunc“ unwirksam sein. 92 Die Normenkontrollentscheidung stellt danach lediglich deklaratorisch eine Nichtigkeitsfolge fest, die sich bereits aus dem materiellem Recht aufgrund des Verstoßes gegen höherrangige Rechtsnormen ergibt und beseitigt nur den Rechtsschein der Gültigkeit der Norm. 93 Diesem Ansatz steht die Lehre der Vernichtbarkeit von Rechtsnormen gegenüber (Vernichtbarkeitslehre 94). Insbesondere vor dem Hintergrund der normativen Wirkung von verfassungswidrigen Gesetzen und der Entwicklung alternativer Tenorierungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts 95 gelangen die Vertreter dieses Ansatzes zu dem Ergebnis, dass fehlerhafte Normen nicht automatisch nichtig, sondern lediglich vernichtbar sind. Diese Vernichtbarkeit der Norm wird letztlich durch die Entscheidung des Normenkontrollgerichts umgesetzt, d. h. die Entscheidung wirkt konstitutiv. 96 Teilweise wird diese konstitutive Wirkung auch damit begründet, dass die mannigfaltigen Gründe der Fehlerhaftigkeit einer Norm als negative Geltungsbedingungen 97 formuliert sind, deren Nichtvorliegen bis zur Normenkontrollentscheidung durch das Gericht vermutet wird. Welcher Doktrin zu folgen ist, ist für die Bewältigung der Folgen der Fehlerhaftigkeit der Norm nicht unmittelbar entscheidend 98, jedoch ist festzustellen, dass der Gesetzgeber und insbesondere die Väter des Grundgesetzes vom Grundsatz der „ipso iure“- und damit auch der „ex tunc“-Nichtigkeit fehlerhafter Normen ausgegangen sind. 99 Sowohl Art. 100 Abs. 1 GG, wie auch die § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO, § 157 FGO gehen von der Prämisse aus, dass die gerichtliche Entscheidung nur deklaratorisch die Nichtigkeit feststellt und dass ferner die Verwerfung der Norm zum rückwirkenden Wegfall der Rechtsgrundlage des Normvollzugsakts führt. 100 Der Grundsatz der ipso iure-Nichtigkeit ist dem91 Vgl. BVerfGE 1, 14 (37); Benda / Klein, Rn. 1251; Heun, Normenkontrolle, S. 633 m. w. N. Fn. 161; Hufen, § 38 Rn. 50; Kopp / Schenke, § 47 Rn. 144; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 5; BK-Stern, Art. 93 Rn. 271 ff.; NKVwGO-Ziekow, § 47 Rn. 355; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 18. 92 Kopp / Schenke, § 47 Rn. 144; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 5; BK-Stern, Art. 93 Rn. 276. 93 So Hillgruber / Goos, Rn. 552; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 47. 94 NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 13; Pestalozza, § 20 Rn. 14 ff.; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 78 Rn. 13 f.; Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit, S. 41 ff. 95 Dazu siehe unter A.I.2.d. 96 NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 20. 97 NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 20; Schlette, ZG 14 (1999), 89. 98 So bereits Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 18. 99 Vgl. u. a. BT-Drucks. 1/788, S. 34 zu § 72 BVerfGG-Entwurf (=§ 78 BVerfGG). 100 Heun, Normenkontrolle, S. 633 m. w. N.; BK-Stern, Art. 93 Rn. 271.

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nach, wie Stern 101 festgestellt hat, ein der deutschen Verfassung innewohnender Grundsatz. Dass dies jedoch kein apriorisches Rechtsdogma ist und auch der Vernichtbarkeitslehre „rechtslogisch eine gleiche Plausibilität zukommt“ 102, zeigt sich an den von der „ipso iure“-Nichtigkeit abweichenden landesrechtlichen Vorschriften. In Rheinland-Pfalz ist der VerfGH nach § 26 Abs. 3 RPVerfGHG berechtigt, aus schwerwiegenden Gründen des öffentlichen Wohls in seiner Entscheidung einen Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem das Gesetz, dessen Verfassungswidrigkeit ausgesprochen wurde, als außer Kraft getreten gilt. Diese aufgrund der Erfahrungen mit der Nichtigkeit von Neueingliederungsgesetzen eingefügte Durchbrechung der ex tunc-Wirkung der Normenkontrollentscheidung soll dem Gericht die Möglichkeit einräumen, die Belange der Betroffenen und der Allgemeinheit besser miteinander in Einklang zu bringen. 103 Auch in anderen Ländern folgt die Nichtigerklärung von Rechtsnormen dem Grundansatz der Vernichtbarkeitslehre. 104 Es bleibt daher festzuhalten, dass ein erfolgreicher Normenkontrollantrag grundsätzlich zu einer deklaratorischen Feststellung der „ipso iure“-Nichtigkeit von fehlerhaften Rechtsnormen und damit zu einem Wegfall der Norm „ex tunc“ führt. Dieser rigorose Nichtigkeitsansatz besteht jedoch nur in der Theorie. In der Praxis wird die vom Gesetzgeber vorgesehene Regelfolge der rückwirkenden Nichtigkeit der Norm vielfach nicht umgesetzt. Um die mitunter unerfreulichen praktischen Konsequenzen des Nichtigkeitsdogmas abzumildern, hat die Rechtsprechung, insbesondere das Bundesverfassungsgericht, in „prätorischer Rechtsfortbildung“ 105 alternative Tenorierungsmöglichkeiten entwickelt, welche dem Gesetzgeber die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Nachbesserung bieten. d) Varianten des Entscheidungsausspruchs von Normenkontrollentscheidungen aa)

Verfassungsgerichtsbarkeit

Gelangt das Bundesverfassungsgericht in einem Normenkontrollverfahren zu dem Ergebnis, dass eine Rechtsnorm verfassungs- bzw. bundesrechtswidrig ist, 101

BK-Stern, Art. 93 Rn. 271. So die besonders treffende Umschreibung bei Heun, Normenkontrolle, S. 633. 103 Ausführlich mit der Vorschrift des § 26 Abs. 3 RPVerfGHG befasst sich MayerHentschel, DVBl. 1973, 753 ff. 104 So z. B. Art. 140 Abs. 5 S. 3 österr. Bundes-Verfassungsgesetz. Danach kann der österreichische Verfassungsgerichtshof den Zeitpunkt für die Aufhebung eines Gesetzes auch zeitlich (innerhalb einer Frist von 18 Monaten) hinausschieben, dazu auch BerchtoldOstermann / Schober-Oswald, EuGRZ 2006, 525 ff.; weitere Nachweise bei Moench, Verfassungswidriges Gesetz, S. 106 ff. 105 So Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 8. 102

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so hat es diese Norm für nichtig zu erklären. Dieser Entscheidungsausspruch ist in den § 78 S. 1 BVerfGG für die abstrakte Normenkontrolle, in § 82 Abs. 1 i. V. m. § 78 BVerfGG für die konkrete Normenkontrolle und in § 95 Abs. 3 S. 1, 2 BVerfGG für die Verfassungsbeschwerde gegen Gesetze normiert. Die Nichtigkeit bezieht sich dem Wortlaut nach im Grundsatz auf das ganze Gesetz. (1) Teilnichtigerklärung Der Regelfall ist jedoch eine Teilnichtigerklärung, wonach das Gesetz nur nichtig erklärt wird, „soweit“ 106 es bestimmte Regelung enthält, die fehlerhaft sind. Es erfolgt also eine „Reduzierung des Wortlauts der Norm“. 107 Voraussetzung ist, dass der verfassungsrechtliche Mangel einen abtrennbaren Teil der Norm betrifft und der übrig bleibende Teil des Gesetzes auch nach der Teilnichtigerklärung für sich genommen sinnvoll bestehen bleiben kann. 108 Eine Nichtigerklärung des ganzen Gesetzes dürfte daher ausschließlich in den Fällen erfolgen, in denen das Gesetz wegen Fehlens der Gesetzgebungskompetenz oder sonstigen Verfahrensmängeln für nichtig erklärt wird 109 oder es sich bei dem verfassungswidrigen Teil um einen Bestandteil einer Gesamtvorschrift handelt, die nicht in ihre einzelnen Bestandteile zerlegt werden kann, ohne den Regelungsgedanken im Ganzen zu beeinträchtigen. 110 Daneben hat das Bundesverfassungsgericht jedoch weitere Tenorierungsalternativen erfunden 111 und umgeht damit sozusagen „praeter legem“ die eigentliche vom Gesetz vorgesehene Nichtigkeitsfolge fehlerhafter Normen. 112 (2) Unvereinbarkeitserklärung Die wohl bedeutsamste Tenorierungsalternative ist die „Feststellung der Verfassungswidrigkeit“ 113, z. T. auch als „Unvereinbarkeitserklärung“ 114 oder „Verfas106 Der Begriff „soweit“ findet sich häufig im Zusammenhang mit Nichtigerklärungen von Normen und weist auf die Teilnichtigerklärung der im Anschluss zitierten Rechtsvorschrift, vgl. BVerfGE 63, 131 (132); 81, 156 (157); es handelt sich um eine Parallele zum Rechtsgedanken des § 139 BGB. 107 Schlaich / Korioth, Rn. 384. 108 Hillgruber / Goos, Rn. 554. 109 So Heun, Normenkontrolle, S. 634. 110 BVerfGE 8, 274 (301); 111, 226 (273). 111 Hillgruber / Goos, Rn. 538; Heun, Normenkontrolle, S. 634; Schlaich / Korioth, Rn. 395 ff. 112 Diese eigenmächtig durch das Bundesverfassungsgericht eingeführten Entscheidungsalternativen – und somit die Umgehung der „ipso iure“-Nichtigkeit der Norm – werden von den Anhängern der Vernichtbarkeitslehre als Indiz für den Grundsatz der konstitutiven Vernichtbarkeitsentscheidung vorgebracht, vgl. NKVwGO-Heckmann, § 183 VwGO, Rn. 13 m. w. N.

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sungswidrigerklärung“ 115 bezeichnet. Gesetzgeberische Anerkennung hat diese Tenorierungsmöglichkeit in den Paragraphen §§ 31 Abs. 2, 79 Abs. 1 BVerfGG gefunden, die beide neben der Nichtigerklärung auch die Erklärung eines Gesetzes als „unvereinbar“ mit höherrangigem Recht in ihren Anwendungsbereich miteinbeziehen. Dass eine eigentlich verfassungswidrige Norm für eine Übergangsfrist weiter Geltung besitzen kann, findet sich auch in Regelungen des Landesrechts, so z. B. in der Regelung des § 29 Abs. 2 S. 3 BbgVerfGHG, wonach der Verfassungsgerichtshof in seiner Entscheidungsformel bestimmen kann, dass die fehlerhafte Norm abweichend vom Regelfall bis zu einem bestimmten Zeitpunkt weiterhin anzuwenden ist. Doch auch nach der Kodifizierung der Unvereinbarkeitserklärung sind Reichweite und Rechtsfolgen nicht umfassend geklärt. In der Rechtsprechung haben sich mittlerweile mehrere Fallgruppen gebildet, in denen eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht kommt. Zum einen sind dies Verstöße gegen Gleichheitssätze 116, z. B. Art. 3 oder Art. 33 Abs. 1 GG. Ausgangspunkt ist das Gewaltenteilungsprinzip und das damit verbundene Gestaltungsrecht des Gesetzgebers. Diesem stehen nämlich bei Verstößen gegen Gleichheitssätze mitunter mehrere Möglichkeiten offen, den gleichheitswidrigen Zustand zu beseitigen. Das Bundesverfassungsgericht aber hat sich aufgrund der ihm zugewiesenen Kompetenzen auf die Kassation der Norm zu begrenzen und ist nicht befugt, den Spielraum der Legislative dadurch zu beschränken, dass es sich für eine von mehreren Regelungsmöglichkeiten entscheidet und diese von sich aus, d. h. ohne Mitwirkung des Gesetzgebers, anwendet. 117 Eine Nichtigerklärung soll hier nur ausnahmsweise möglich sein, wenn dem Gesetzgeber nur eine bestimmte Möglichkeit zur Beseitigung des Gleichheitsverstoßes offen steht oder der Gesetzgeber infolge eines entsprechenden Verfassungsauftrages einen bestimmten Regelungstypus hätte wählen müssen. 118 Die Unvereinbarkeitserklärung wird ferner benutzt, wenn es infolge der Nichtigerklärung einer Norm zu einem „Rechtsvakuum“ 119 kommen würde oder eine Situation entstünde, die der verfassungsmäßigen Ordnung noch weniger entsprechen würde. 120 In diesen Fällen nimmt das Bundesverfassungsgericht eine Art 113

Hillgruber / Goos, Rn. 538. Vgl. u. a. Heun, Normenkontrolle, S. 634; Sachs, NVwZ 1982, 657 ff.; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 48. 115 Maurer, FS Weber, S. 345 ff. 116 Vgl. BVerfGE 22, 349 (359); 93, 121 (148); 99, 165 (184); 99, 280 (298); 105, 73 (133 f.); 107, 27 (57); 109, 64 (95). 117 A. A. Frenz, DÖV 1993, 847 ff., der dem Bundesverfassungsgericht bei besonders schwerwiegenden Verfassungsverletzungen eine „Interimskompetenz“ zum Erlass einer gesetzlichen Übergangslösung zuerkennen möchte. 118 Vgl. hierzu Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 48 mit Verweis auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. 119 BVerfGE 37, 217 (260); 61, 319 (356). 114

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„verfassungsrechtliche Schadensbegrenzung“ 121 vor, um ein Rechtschaos zu verhindern und einer Auswirkung auf eigentlich verfassungskonforme Rechtslagen vorzubeugen. Gleiches gilt auch, wenn durch eine Nichtigerklärung dem Schutz überragender Güter des Allgemeinwohles die Grundlage entzogen würde. 122 Bei den Rechtsfolgen der Unvereinbarkeitserklärung ist zu differenzieren: Ausgangspunkt ist der Verzicht auf eine Nichtigerklärung der Norm, die trotz festgestellter Verfassungswidrigkeit weiterhin fortbestehen soll. Zugleich wird der Gesetzgeber verpflichtet, „unverzüglich“ 123 oder in einer vom Gericht bestimmten Frist 124, eine Gesetzeslage zu schaffen, die mit höherrangigem Recht vereinbar ist. 125 Unabhängig von dieser Nachbesserungsfrist kann das Bundesverfassungsgericht zugleich eine Anwendungssperre anordnen, d. h. trotz formellen Fortbestehens der Norm dürfen Gerichte und Behörden diese nicht mehr anwenden und müssen laufende Verfahren bis zur „Nachbesserung“ durch den Gesetzgeber aussetzen. 126 In einigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht hingegen trotz festgestellter Rechtswidrigkeit der Norm auch die Weitergeltung und Anwendung anordnen. 127 (3) Appellentscheidung Eine Abwandlung hiervon stellt die sogenannte „Appellentscheidung“ 128 des Bundesverfassungsgerichts dar. Hier stellt das Gericht in den Entscheidungsgründen die „Noch-Verfassungsmäßigkeit“ einer Norm fest, weist den Gesetzgeber aber gleichzeitig darauf hin, dass bei einer absehbaren Entwicklung eine verfassungswidrige Rechtslage drohe, die der Gesetzgeber durch eine Abänderung der Norm abzuwenden habe. 129 Es spricht in diesen Fällen eine Nachbesserungspflicht des Gesetzgebers aus und legt mitunter auch den diesbezüglichen Anpassungsspielraum fest. 130 Die zur Überprüfung gestellte Norm bleibt aber weiterhin 120

BVerfGE 33, 303 (347 f.); 99, 216 (243 f.). Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 10. 122 Vgl. BVerfGE 109, 190 (235 ff.). 123 BVerfGE 84, 168 (187); 92, 158 (186). 124 Z. B. BVerfGE 82, 126 (155): dreieinhalb Jahre; 83, 130 (154): vier Jahre; 90, 263 (276 f.): Ende der nächsten Legislaturperiode; 107, 133, (149): elf Monate; 108, 82 (121): ein Jahr; 109, 256 (273): 13 Monate. 125 Vgl. BVerfGE 32, 199 (221); 34, 9 (44); 86, 369 (379 f.); 93, 121 (122); 101, 54 (105); 101, 106 (131 f.). 126 Vgl. BVerfGE 23, 1 (11 f.); 55, 100 (110); 94, 242 (267); 99, 165 (185); 107, 27 (58); 109, 256 (273). 127 Vgl. BVerfGE 37, 217 (261 ff.); 61, 319 (356 f.); 73, 40 (101 f.); 109, 190 (235); 109, 279 (381). 128 Ausführlich hierzu u. a. Schlaich / Korioth, Rn. 431 ff. 129 BVerfGE 54, 11 (34 ff.); 86, 369 (379). 130 BVerfGE 54, 173 (202); 55, 274 (308 ff.); 56, 54 (81 f.); 92, 245 (296). 121

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uneingeschränkt in Kraft. Inhalt der Entscheidung ist demnach nicht die Feststellung einer schon gegebenen Fehlerhaftigkeit, sondern vielmehr ein Hinweis auf eine mögliche, zukünftige Verfassungswidrigkeit der Norm. Ziel dieser Entscheidungsvariante ist es, eine Rechtslage, die zu erwartenden verfassungsrechtlichen Zweifeln ausgesetzt ist, aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die dem Gesetzgeber obliegende materielle verfassungsrechtliche Beobachtungspflicht 131 zu verdeutlichen. Dadurch wird, trotz der eventuell durch die Appellentscheidung vorgegebenen Kriterien für eine verfassungsmäßige Neuregelung, das gesetzgeberische Gestaltungsrecht gewahrt. 132 (4) Verfassungskonforme Auslegung Schließlich sei an dieser Stelle auf die bedeutsame Variante der verfassungskonformen Auslegung hingewiesen. Bevor eine Norm im Rahmen einer Normenkontrollentscheidung für nichtig erklärt wird, hat das Bundesverfassungsgericht festzustellen, ob eine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Ist dies der Fall, so hat das Gericht vorrangig eine verfassungskonforme Auslegung vorzunehmen. 133 Die inzidente Verwerfung bestimmter anderer Auslegungsvarianten lässt sich zugleich als eine qualitative „Teilnichtigerklärung ohne Normtextreduzierung“ 134 oder als „partielle Unvereinbarkeitserklärung“ 135 begreifen. Im Gegensatz zur verfassungskonformen Auslegung im Rahmen der Fachgerichtsbarkeit erwächst die verfassungskonforme Auslegung im verfassungsgerichtlichen Verfahren in Gesetzeskraft gemäß § 31 BVerfGG und ist somit allgemeinverbindlich. 136 Zugleich birgt dies auch die Gefahr in sich, dass das Bundesverfassungsgericht durch die positive Vorschreibung einer bestimmten Auslegungsvariante und der damit verbundenen „Überformung des legislativen Gestaltungswillens“ 137 seine Kompetenzgrenzen überschreitet, weshalb die Grenzen der verfassungskonformen Auslegung besonderer Beachtung bedürfen. So ist eine verfassungskonforme Auslegung nur innerhalb der Grenzen des Wortlauts möglich und nur insoweit, als sie den Sinn und Zweck einer Vorschrift nicht verfälschen würde. 138

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So wörtlich Hillgruber / Goos, Rn. 47. Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 51. 133 BVerfGE 64, 229 (242); 83, 201 (214 f.); 88, 203 (331); 95, 64 (81 ff., 93). 134 Heun, Normenkontrolle, S. 638; Schlaich / Korioth, Rn. 446; Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 52. 135 Hillgruber / Goos, Rn. 536. 136 Heun, Normenkontrolle, S. 638; Sachs, NJW 1979, 348. 137 Voßkuhle, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 93 Rn. 52. 138 BVerfGE 54, 277 (299); 63, 131 (147 f.); 64, 229 (241 f.). 132

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Die Landesverfassungsgerichte haben weitgehend die im vorangegangenen aufgelisteten Tenorierungsalternativen ebenfalls in ihre Entscheidungspraxis übernommen. 139 bb) Verwaltungsgerichtsbarkeit Vergleichbares gilt auch für die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nach § 47 VwGO. Auch hier gilt zunächst der Grundsatz, dass eine Norm, die gegen höherrangiges Recht verstößt, nichtig ist. Die Nichtigerklärung war denn auch in der bis zum 19. 07. 2004 gültigen Fassung des § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO als Regelfolge vorgesehen. Anerkannt war aber auch, dass das Gericht vom Ausspruch der Nichtigkeit der Norm absehen durfte, wenn die Fehlerhaftigkeit der Norm durch ein ergänzendes Verfahren behoben werden konnte. In diesen Fällen sprach das Gericht von einer lediglich unwirksamen Norm. 140 Diese Tenorierung hat der Gesetzgeber nunmehr durch die Neufassung des § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO 141 in den Gesetzestext übernommen. Danach erklärt das Oberverwaltungsgericht bei Feststellung der Rechtswidrigkeit der Norm diese nicht mehr für „nichtig“, sondern lediglich für „unwirksam“. Durch diese verbindliche einheitliche Tenorierung sollte – zumindest im Entscheidungsausspruch – die bis dato praktizierte Unterscheidung von „nichtigen“ und „unwirksamen“ Normen aufgehoben werden. 142 Materielle Änderungen sollten mit der sprachlichen Neugestaltung jedoch nicht verbunden sein; vielmehr wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass eine städtebauliche Satzung bis zur Fehlerbehebung schwebend unwirksam sein kann. 143 Beide Fälle, sowohl die Nichtigkeit als auch die Unwirksamkeit der Norm, werden von der neuen Tenorierung erfasst. Im Unterschied zur früheren Rechtslage ist eine Differenzierung nicht mehr anhand des Tenors, sondern anhand der Entscheidungsgründe vorzunehmen. 144 Daher gelangen zahlreiche Stimmen in der Literatur zu einer kritischen Einschätzung der Neuregelung, zumal der Gesetzgeber, dessen erklärtes Ziel es war, durch den einheitlichen Entscheidungs139 Vgl. StGH BW ESVGH 29, 160 (169); BayVerfGHE 27, 172 (181); 45, 54 (66); VerfGH NW DVBl. 1976, 395; VerfGH Saar DVBl. 1975, 37. 140 Vgl. zur Rechtslage vor der Novellierung des § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO Kopp / Schenke, § 47 Rn. 120. 141 Geändert durch Art. 4 des Gesetzes zur Anpassung des Baugesetzbuches an EURichtlinien vom 24. 06. 2004, BGBl. I, 1359, mit Wirkung zum 20. 07. 2004. Eingehend damit beschäftigt haben sich u. a. Sendler, DVBl. 2005, 659 ff.; Bickenbach, NVwZ 2006, 178 ff. und Rieger, NVwZ 2006, 1027. 142 BT-Drucks. 15/2250, S. 74. 143 BT-Drucks. 15/2250, S. 65; ob es dieser Klarstellung bedurft hätte ist vor dem Hintergrund der Anerkennung einer bloß schwebenden Unwirksamkeit in der bisherigen Rechtsprechung fraglich, so zu Recht Rieger, NVwZ 2006, 1028. 144 Rieger, NVwZ 2006, 1028.

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A. Einleitung und Problemüberblick

ausspruch die bislang bestehende Rechtsunsicherheit zu beseitigen 145, mit dem Begriff „Unwirksamkeit“ einen Fachterminus verwendet, der bisher auf die Besonderheiten des Baurechts ausgerichtet war und daher nur bedingt auf Bereiche außerhalb des Baurechts übertragbar ist. 146 Die eigentliche Rechtsunsicherheit bleibt demgegenüber weiterhin bestehen, denn zu einer Differenzierung zwischen „dauerhaft unwirksam“ und nur „schwebend unwirksam“ wird es nun in den Gründen der Entscheidung kommen. Es bleibt somit bei dem Grundsatz, dass die Feststellung der Fehlerhaftigkeit einer Norm i. S. d. § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO zu deren dauerhaften „Unwirksamkeit“ führt, wobei der Begriff der (dauerhaften) „Unwirksamkeit“ hier die gleiche Bedeutung wie der bisherige Begriff der „Nichtigkeit“ besitzt. 147 Ergibt sich jedoch aus dem materiellen Recht 148, dass der Normgeber durch ein ergänzendes Verfahren die fehlerhafte Norm quasi „reparieren“ kann, wie dies z. B. in § 214 Abs. 4 BauGB angesprochen ist 149, dann stellt das Gericht im Tenor der Entscheidung nunmehr zwar ebenfalls die Unwirksamkeit der Norm fest. Es handelt sich dabei aber lediglich um eine zeitweilige Unwirksamkeit, die durch Durchführung des ergänzenden Verfahrens wieder entfallen kann und entspricht damit zunächst der bloßen Feststellung der Rechtswidrigkeit und der damit verbundenen schwebenden Unwirksamkeit der Norm. Durch die sprachliche Neufassung des § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO wurde dem Gericht lediglich die Möglichkeit genommen, diese beschränkte Unwirksamkeitserklärung im Tenor zum Ausdruck zu bringen. Es kann jedoch festgehalten werden, dass auch die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle nicht zwingend die „ex tunc“-Nichtigkeit der Norm – wenn auch nun begrifflich abgewandelt – zur Folge hat, sondern dass für den Fall der Existenz eines ergänzenden Verfahrens zur Fehlerbehebung auf der Grundlage des jeweils einschlägigen materiellen Rechts der Entscheidungsausspruch auf eine Feststellung der Rechtswidrigkeit in Form einer zunächst nur schwebenden Unwirksamkeit der Norm beschränkt ist. In Ausnahmefällen kann sich das Oberverwaltungsgericht auch darauf beschränken, die Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht festzustellen bzw. die Norm für unwirksam mit Wirkung ex nunc oder einem späteren Zeitpunkt zu erklären. 150 Die reine Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Norm ohne deren Unwirksamerklärung ist nicht auf den Bereich der Verfas145

BT-Drucks. 15/2250, S. 74. Vgl. die Kritik bei Kopp / Schenke, § 47 Rn. 120; in Ansätzen auch Bickenbach, NVwZ 2006, 179. 147 Kopp / Schenke, § 47 Rn. 120; Sendler, DVBl. 2005, 664 ff.; a. A: EyermannJ. Schmidt, § 47 Rn. 90, der nunmehr in der schwebenden Unwirksamkeit der Norm den Regelfall sieht. 148 Vgl. Kopp / Schenke, § 47 Rn. 120; Bickenbach, NVwZ 2006, 179; Hufen, § 38 Rn. 48. 149 Zu beachten ist, dass durch das EAG Bau (Europarechtsanpassungsgesetz Bau) vom 24. 06. 2004, BGBl. I, 1359, § 215a BauGB aufgehoben wurde, der bislang das ergänzende Verfahren zur Fehlerbehebung von städtebaulichen Satzungen geregelt hat. 146

I. Allgemein

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sungsgerichtsbarkeit beschränkt und kann nicht mit dem Respekt gegenüber dem parlamentarischen Gesetzgeber oder der Stellung des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan erklärt werden. 151 Vielmehr besteht auch bei untergesetzlichen Normen das Bedürfnis nach einer Feststellung der Rechtswidrigkeit ohne gleichzeitiger Feststellung der Unwirksamkeit, insbesondere bei Verstößen gegen den Gleichheitsgrundsatz oder wenn durch die Unwirksamerklärung ein noch rechtsfernerer Zustand drohen würde. Das Bedürfnis nach einer Unvereinbarkeitserklärung in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt aus materiellrechtlichen Gründen und ist daher durch die prozessrechtlichen Vorschriften des § 47 VwGO nicht ausgeschlossen. 152 Somit kann sich auch ein Oberverwaltungsgericht im Rahmen der prinzipalen Normenkontrolle, mittels einer Parallele zur verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung, auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Norm beschränken und unter Umständen ihre Fortgeltung bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber anordnen. 153 In Betracht kommt ferner eine Teilunwirksamerklärung der Norm, soweit sich die Fehlerhaftigkeit auf einen Teil der Regelung beschränkt und die restliche Regelung eine selbständige Bedeutung haben kann. 154 Umstritten ist hingegen, ob das Oberverwaltungsgericht feststellen kann, dass nur eine bestimmte Auslegungsvariante mit höherrangigem Recht unvereinbar ist. Im Hinblick darauf, dass es sich bei der gesetzeskonformen Auslegung um eine Alternative zur herkömmlichen Nichtigerklärung handelt, dass der Entscheidungsausspruch der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle ferner allgemeinverbindlich wirkt und vor dem Hintergrund, dass durch diese Feststellung nur eine bestimmte Auslegungsvariante verworfen, nicht aber die Gültigkeit einer anderen Variante festgestellt wird, muss auch eine solche Verwerfung einer bestimmten Auslegung zulässig sein. 155 Insofern kann auch hier eine Parallele der Entscheidungsvarianten der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle nach § 47 VwGO 150 Vgl. Unruh, in: HK-VwVfG / VwGO, § 47 VwGO Rn. 115; NKVwGO-Ziekow, § 47 Rn. 357 m. w. N.; Würtenberger, Rn. 470. Eine ausführliche Bearbeitung dieser Problemstellung findet sich bei Schenke, GS Kopp. 151 Schenke, GS Kopp, C.II.3.a. 152 Vgl. hierzu die Ausführungen von Schenke, GS Kopp, C. II. 153 Kritisch Hufen, § 38 Rn. 54 und Eyermann-J. Schmidt, § 47 Rn. 92a, der darauf verweist, dass das Verwaltungsgericht nicht zu einer Fortwirkungsanordnung bis zur Behebung des Mangels durch den Normgeber befugt sei; so auch Gerhardt / Bier, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 47 Rn. 113, die feststellen, dass kein Bedürfnis nach anderen Tenorierungsmöglichkeiten als der Tenorierung der Unwirksamkeit der Norm bestehe, a. A. aber BayVGH BayVBl 1982, 730; BVerfG JZ 2006, 1021 ff. und dazu auch Schenke, JZ 2006, 1004 ff. 154 Eyermann-J. Schmidt, § 47 Rn. 93; Kopp / Schenke, § 47 Rn. 122 m. w. N. 155 Kopp / Schenke, § 47 Rn. 124; a. A. Hufen, § 38 Rn. 54; NKVwGO-Ziekow, § 47 Rn. 367.

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A. Einleitung und Problemüberblick

zu den Entscheidungsvarianten der verfassungsgerichtlichen Normenkontrollen gezogen werden. 3. Die Unabhängigkeit des Einzelakts von der ihm zugrundeliegenden Norm Die Fehlerhaftigkeit von Normen führt grundsätzlich zu deren Nichtigkeit bzw. zu deren Unwirksamkeit. Die Folgen der Fehlerhaftigkeit von Verwaltungsakten hat der Gesetzgeber davon abweichend geregelt. Zwar unterscheidet man auch im Bereich der Verwaltungsakte zwischen wirksamen und unwirksamen Verwaltungsakten; während hingegen bei Rechtsnormen der Grundsatz der Unwirksamkeit fehlerhafter Normen gilt und nur in wenigen Ausnahmefällen eine fehlerhafte Norm weiterhin Wirksamkeit besitzen soll, so wird dieses Regel-Ausnahme-Verhältnis bei Verwaltungsakten auf den Kopf gestellt: Verwaltungsakte sind – auch wenn sie fehlerhaft sind – regelmäßig wirksam und nur in Ausnahmefällen nichtig, d. h. die Wirksamkeit eines Verwaltungsakts hängt im Gegensatz zu der Wirksamkeit einer Norm nicht von dessen Rechtmäßigkeit ab. Dieses Regelungssystem wird in den §§ 43 ff. VwVfG deutlich. Ein Verwaltungsakt ist nach § 43 Abs. 2 VwVfG so lange wirksam, bis dieser zurückgenommen, widerrufen oder aufgehoben wird oder sich in sonstiger Weise erledigt. Bis zu diesem Zeitpunkt ist auch der rechtswidrige Verwaltungsakt wirksam, so lange dieser nicht nichtig ist (§ 43 Abs. 3 VwVfG). Einige Nichtigkeitsgründe sind in § 44 Abs. 2 VwVfG aufgezählt. Grundsätzlich gilt allerdings, dass ein Verwaltungsakt nur nichtig ist, wenn er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und diese Fehlerhaftigkeit zugleich auch offensichtlich ist (§ 44 Abs. 1 VwVfG), was der bereits vor der Einführung des § 44 VwVfG vertretenen Evidenztheorie entspricht. 156 Schwerwiegend ist ein Fehler nur dann, wenn der Verwaltungsakt aufgrund des Fehlers als schlechterdings unerträglich erscheint, d. h. mit den tragenden Verfassungsprinzipien oder den der Rechtsordnung immanenten wesentlichen Vorstellungen unvereinbar ist. 157 Offenkundigkeit bedeutet, dass die Fehlerhaftigkeit für einen verständigen Durchschnittsbetrachter evident ist 158 oder plakativ ausgedrückt: der Verwaltungsakt müsse den „Makel der Rechtswidrigkeit auf der Stirn tragen“. 159 Als Nichtigkeitsgrund kommt demnach die tatsächliche Unmöglichkeit eines Verwaltungsakts, die völlige Unbestimmtheit 160 oder die Widersprüchlichkeit des 156

Vgl. z. B. BVerwGE 19, 284 (287f); 27, 295 (299); VGH München BayVBl. 1975,

141. 157 BVerwG DVBl. 1985, 624 f.; BVerwGE 104, 289 (296); a. A. Maurer, § 10 Rn. 32, der dieses Kriterium als zu eng empfindet. 158 Ule / Laubinger, § 57 Rn. 9; Maurer, § 10 Rn. 32. 159 So bildlich ausgedrückt durch Peine, Rn. 704.

I. Allgemein

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Inhaltes von Verwaltungsakten in Betracht. Stützt sich der Verwaltungsakt indes auf eine fehlerhafte Rechtsnorm, so führt dies in der Regel nicht zu dessen Nichtigkeit, denn die Frage der Gültigkeit einer Rechtsnorm ist zumeist Gegenstand vertiefter rechtlicher Auseinandersetzungen, so dass die Ungültigkeit einer Norm, zumal für einen verständigen Durchschnittsbetrachter, schon gar nicht evident sein kann. 161 Etwas anderes kann lediglich für den – wenn auch praktisch kaum denkbaren – Fall angenommen werden, dass die Rechtsvorschrift bereits vor Erlass des Verwaltungsakts durch eine Normenkontrollentscheidung für nichtig bzw. unwirksam erklärt wurde. 162 Die nachträgliche Nichtigerklärung einer Rechtsvorschrift aber kann den darauf beruhenden Verwaltungsakt nicht unwirksam werden lassen, da eine Offenkundigkeit des Mangels auch hier zu verneinen ist. 163 Ein Fall des § 44 Abs. 1 VwVfG ist somit selbst dann nicht gegeben, wenn ein Gericht die Unwirksamkeit einer Rechtsnorm feststellt, auf welcher der Verwaltungsakt beruht, d. h. ein solcher Verwaltungsakt ist nicht nichtig. 164 Dies wird durch die im Folgenden zu behandelnden Regelungen der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO und § 157 S. 1 FGO explizit festgestellt. Mit dem Wirksamkeitsprinzip und dem Grundsatz der Verselbständigung des Einzelakts weicht der Gesetzgeber also von seinem Regelungskonzept ab, das er bei fehlerhaften Normen, aber auch bei rechtswidrigen Privatrechtsgeschäften zur Anwendung bringt. Dies ist der „Eigenart des Verwaltungsakts als Emanation der Autorität“ geschuldet. 165 In Anlehnung an die These Otto Mayers von der „Selbstbezeugung des Verwaltungsakts“ 166 wurde dieser Grundsatz aus der Weimarer Zeit in den Geltungsbereich des Grundgesetzes übernommen. 167 Ausgangspunkt ist die Überlegung, dass der Verwaltungsakt als hoheitliche Maßnahme des Staates die Vermutung der Gültigkeit in sich trägt, da ihm eine gewisse Autorität anhaftet. 168 Verwaltungsakte sind danach notwendigerweise als Ausdruck der Autorität des Staates zu beachten, bis diese Bekundung der hoheitlichen Autorität von einer vergleichbaren Stelle aufgehoben wird.

160

Vgl. z. B. OVG Münster NWVBl. 1989, 93. Ule / Laubinger, § 57 Rn. 15. 162 Umstritten: dafür Ule / Laubinger, § 57 Rn. 15; dagegen Kopp / Ramsauer, § 44 Rn. 30. 163 Peine, Rn. 707. 164 So bereits BVerwGE 1, 67 (69); OVG Münster DVBl. 1965, 950; OVG Greifswald LKV 2003, 32. 165 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 93. 166 Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band I (3. Aufl.), S. 95 f. 167 Zur geschichtlichen Entwicklung dieses Grundsatzes vgl. Ipsen, Rechtsfolgen, S. 38 ff., 63 ff. und 93 f. mit zahlreichen Hinweisen auf die damalige rechtswissenschaftliche Literatur. 168 Ule / Laubinger, § 56, Rn. 2. 161

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A. Einleitung und Problemüberblick

Die Beachtung von hoheitlichen Maßnahmen ergibt sich zwingend aus der Aufgabe des Staates, die freie Selbstbestimmung seiner Bürger und die Sicherung der Ordnung zu gewährleisten. Es würde zu einem Zustand der Anarchie und zu einer „Paralysierung der staatlichen Hoheitsgewalt“ 169 führen, wären Verwaltungsakte nicht grundsätzlich auch bei ihrer Rechtswidrigkeit zunächst zu befolgen, da sich anderenfalls jedermann der Anweisung des Staates allein dadurch entziehen könnte, dass er persönlich zu der Einschätzung gelangt, eine solche Anweisung sei rechtswidrig. Dies macht es unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und der Funktionsfähigkeit der Verwaltung erforderlich, die Wirksamkeit des Verwaltungsakts bis zur Feststellung des Gegenteils aufrechtzuerhalten. Es handelt sich also um eine bloß vorläufige Wirksamkeit, die durch die gerichtliche Überprüfung aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit eingeschränkt ist. 170 Diese zunächst bloß vorläufige Wirksamkeit erstarkt jedoch trotz Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nach Eintritt der Bestandskraft zu einer endgültigen Wirksamkeit, so dass es mit Eintritt der Bestandskraft zu einer endgültigen Entkoppelung von fehlerhafter Norm und dem darauf beruhenden fehlerhaften Verwaltungsakt kommt.

II. Darstellung der zu lösenden Konflikte 1. Die Normenkontrolle und der bestandskräftige Verwaltungsakt – Konflikt zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit a) Der Konflikt zweier ranggleicher Rechtsgrundsätze Erklärt ein Gericht eine Norm für nichtig oder unwirksam, so fällt diese im Regelfall mit Wirkung ex tunc weg. Noch nicht bestandskräftige, rechtswidrige Verwaltungsakte bleiben – aufgrund des zuvor behandelten Grundsatzes der Selbständigkeit des Einzelakts von der ihm zugrundeliegenden Norm – grundsätzlich wirksam, können jedoch unter Umständen mit den allgemeinen Anpassungs- und Beseitigungsmodalitäten aufgehoben oder abgeändert werden. Insoweit besteht zunächst keine „Konfliktsituation“, denn der Wegfall der Norm führt, soweit dadurch der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und subjektive Rechte des Betroffenen verletzt, mittelbar, nämlich im Rahmen des jeweils einschlägigen Rechtsbehelfsverfahrens, zur Beseitigung des fehlerhaften Einzelakts. Insofern wird dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall durch die Möglichkeit der Beseitigung einer rechtswidrigen Regelung im Widerspruchs- oder Anfechtungsverfahren Folge geleistet. In eine Konfliktsituation gerät man allerdings, wenn die Beseitigungsmodalitäten für den Betroffenen nicht mehr eröffnet sind. Aus Gründen der Rechtssi169 170

Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 7. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 7.

II. Darstellung der zu lösenden Konflikte

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cherheit hat der Gesetzgeber die Rechtsbehelfsmöglichkeiten zeitlich beschränkt. Mit dem Eintritt der sogenannten formellen Bestands- bzw. Rechtskraft 171 tritt der Gedanke der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens in den Vordergrund. Der Betroffene kann die Verletzung seiner subjektiven Rechte nicht mehr ohne weiteres rügen. Für die Normenkontrollentscheidung bedeutet dies zunächst, dass der Adressat eines bestandskräftigen Verwaltungsakts keine Möglichkeit mehr besitzt, den Wegfall der Norm infolge einer prinzipalen Normenkontrollentscheidung im (Anfechtungs-)Widerspruchs- oder Anfechtungsverfahren mit Erfolg geltend zu machen. Muss daher vom Betroffenen die mitunter feststehende Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und der damit verbundene Grundrechtseingriff hingenommen werden? In besonderem Ausmaß wird diese Konfliktsituation im Bereich des Strafrechts deutlich: Wurde ein Angeklagter durch ein Gericht für schuldig befunden und verurteilt und wird nach Eintritt der Rechtskraft deutlich, dass dieses Urteil auf einer im Rahmen eines Normenkontrollverfahrens für nichtig erklärten Norm beruht, so bestünde für den Verurteilen zunächst nach Strafverfahrensrecht keine Möglichkeit, sich gegen dieses Urteil noch gerichtlich zur Wehr zu setzen. Mit Eintritt der formellen Rechtskraft entfallen sowohl Berufungs- als auch Revisionsmöglichkeiten und auch die Wiederaufnahmeregelungen des § 359 StPO erwähnen den Fall der Nichtigerklärung eines Gesetzes nicht als Wiederaufnahmegrund. Gerade die strafrechtliche Verurteilung, z. B. in Form einer Freiheitsstrafe, stellt nun aber für den Betroffenen einen außerordentlich intensiven Eingriff in seine Grundrechte dar. Hier gebietet es ein „elementares Rechtsgefühl“ 172, eine Rückabwicklung der durch das fehlerhafte Urteil statuierten Lage zugunsten 173 des Verurteilten vorzunehmen. Niemand soll gezwungen sein, sich den Makel der Strafe anhaften zu lassen. 174 Der Gesetzgeber hat dieses Rechtsgefühl in der Vorschrift des § 79 Abs. 1 BVerfGG gesetzlich verankert. Danach ist trotz Eintritt der formellen Rechtskraft ein Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach den Vorschriften der StPO zulässig. Das Verfahren wird quasi in die Lage zurückversetzt, die es bei Eröffnung des ursprünglichen Verfahrens hatte, d. h. die Rechtswirkung des Strafurteils wird zwar nicht unmittelbar aufgehoben, das Urteil wird allerdings wieder anfechtbar. 175 Die Vorschrift des § 79 Abs. 1 BVerfGG erweitert die in § 359 Nr. 1 –6 StPO aufgelisteten Wiederaufnahmegründe um einen zusätzlichen Antragsgrund 176 und räumt damit dem Betroffenen die Möglichkeit ein, sich durch die Ingangsetzung eines neuen Verfahrens zu rehabilitieren. 177 171

Vgl. zur Bestands- und Rechtskraft Maurer, § 11 Rn. 1 ff. BVerfGE 11, 263 (265). 173 Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 10; eine Anwendung zuungunsten des Betroffenen scheitert bereits an Art. 103 Abs. 3 GG; ausführlich hierzu bereits Kneser, AöR 89 (1964), 159 f. 174 BVerfGE 12, 338 (340). 175 BVerfGE 15, 303 (308); 15, 309 (312). 172

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A. Einleitung und Problemüberblick

Doch auch außerhalb des Strafrechts lassen sich vergleichbare Konfliktsituationen feststellen, wenn auch dort die Eingriffe in die subjektiven Rechte des Betroffenen in der Regel 178 weniger gravierend sind. So gelangt man nach der Nichtigerklärung einer Norm auch im Bereich der Verwaltungsakte in das Dilemma, zwischen Gerechtigkeit im Einzelfall und Rechtssicherheit abwägen zu müssen, d. h. in eine Spannungslage zwischen „libertas“ und „securitas“. 179 Unter dem Gesichtspunkt der materiellen Einzelfallgerechtigkeit ist es für die Gewährung individuellen Freiheitsschutzes grundlegend, dass rechtswidrige hoheitliche Eingriffe rückabgewickelt werden. 180 Eine Hinnahme von Grundrechtseingriffen, ohne dass diese Eingriffe zu rechtfertigen sind, ist mit unserem Rechtsgefühl auch nur schwer vereinbar. Auf der anderen Seite steht jedoch der Grundsatz der Rechtssicherheit und damit das Bedürfnis nach einem verbindlichen Abschluss von Rechtsstreitigkeiten. Auch die Gewährleistung des Rechtsfriedens durch eine verbindliche Regelung der Beendigung von Verfahren, wie sie das deutsche Recht in den Formen von Rechtskraft und Bestandskraft kennt, sowie das Vertrauen des Bürgers in den Bestand der Ergebnisse dieser abgeschlossenen Verfahren, gehören zu unserer Rechtsordnung. 181 Welchem dieser Grundsätze ist nun der Vorrang einzuräumen und wie kann dieser Konflikt gelöst werden? Diese Frage ist auch deshalb nicht eindeutig zu klären, weil beide Grundsätze Verfassungsrang genießen. 182 Als Bestandteile des Rechtsstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 3 GG sind sie einander nicht über- oder unterzuordnen, sondern ranggleich. 183 Der Gesetzgeber 184 verfügt in einem solchen Widerstreit zweier ranggleicher Verfassungsgrundsätze über einen Gestaltungs176 So u. a. Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 25, der § 79 Abs. 1 BVerfGG „quasi als Nr. 7“ des § 359 StPO bezeichnet; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 11. 177 Ausführlich zu der Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG und den Einzelheiten des Verfahrens siehe Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 23 ff.; Kneser, AöR 89 (1964), 157 ff. 178 Es sind aber auch Fallkonstellationen denkbar, in denen ein belastender Verwaltungsakt für den Betroffenen unter Umständen gravierendere Konsequenzen (insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht) hat als eine Verurteilung in einem Strafverfahren; z. B. bei einem Entzug einer Genehmigung, der für den Betroffenen existenzbedrohende Wirkungen entfaltet. 179 So Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 2. 180 Vgl. Schlaich / Korioth, Rn. 390; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 3. 181 BVerfGE 2, 380 (403); vgl. Roellecke, HStR II, § 54 Rn. 17. 182 BVerfGE 7, 194 (195 f.); 19, 150 (166). 183 BVerfGE 7, 194 (195 f.). 184 Die Entscheidung, welchem Grundsatz der Vorrang einzuräumen ist wurde durch das Bundesverfassungsgericht wiederholt als „Aufgabe“ oder „Sache“ des Gesetzgebers bezeichnet und sei nicht von der Verfassung vorentschieden, vgl. BVerfGE 3, 225 (227); 15, 313 (319 f.); 22, 322 (329); 25, 269 (290).

II. Darstellung der zu lösenden Konflikte

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spielraum 185, wie er beide Prinzipien in Einklang bringt oder welches Gewicht er den einzelnen Grundsätzen im Rahmen seiner Abwägung beimisst. Diesen Gestaltungsspielraum hat der Gesetzgeber für die Folgen prinzipaler Normenkontrollen durch die Entscheidung für eine bestimmte einheitliche Grundsatzentscheidung ausgefüllt, wie sich den folgenden Regelungen entnehmen lässt. b) Gesetzliche Vorgaben zur Lösung dieses Konflikts aa) § 79 Abs. 2 BVerfGG „Im übrigen bleiben vorbehaltlich der Vorschrift des § 95 Abs. 2 oder einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 78 für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. Soweit die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung durchzuführen ist, gilt die Vorschrift des § 767 der Zivilprozessordnung entsprechend. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung sind ausgeschlossen.“

Der Gesetzgeber hat die Spannungslage zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit infolge der Nichtigerklärung einer Norm durch das Bundesverfassungsgericht in der Weise gelöst, dass er für die Vergangenheit dem Grundsatz der Rechtssicherheit den Vorzug vor dem Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit eingeräumt hat. 186 Die Entscheidungen abgeschlossener Verfahren bleiben unangetastet, die Nichtigerklärung als solche führt nicht zu einer unmittelbaren Beseitigung des Bestandes von gerichtlichen Entscheidungen oder Verwaltungsakten. Gleiches gilt auch für bereits durchgeführte Vollstreckungsmaßnahmen, die ebenfalls keiner automatischen Rückabwicklung unterliegen. Es gilt demnach der Grundsatz, dass die nachteiligen Wirkungen der Entscheidung für die Vergangenheit durch § 79 Abs. 2 BVerfGG nicht beseitigt werden. 187 Der „status quo“ im Zeitpunkt der Normkassation wird somit aufrechterhalten. 188 Für die Zukunft hingegen werden die Wirkungen der Einzelakte nicht von dieser „Bestandsgarantie“ 189 mitumfasst. Der erkannt rechtswidrige bestandskräftige Verwaltungsakt soll nicht noch weiter, d. h. über die bisher erfolgten Eingriffe hinaus, zwangsweise umgesetzt werden dürfen, wodurch zukünftige Beeinträchtigungen 185

Benda / Klein, Rn. 1254; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79

Rn. 3. 186 BVerfGE 32, 387 (389 f.); Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 3; Papier, NJW 1979, 523; Steiner, FS BVerfG I, S. 632 m. w. N. 187 BVerfGE 20, 230 (236); 37,217 (263); 91, 83 (90 f.); 97, 35 (48). 188 So wohl u. a. Ipsen, Rechtsfolgen, S. 284; Kneser, AöR 89 (1964), 181; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 3. 189 Vgl. Steiner, FS BVerfG I, S. 646. Lechner / Zuck, § 79 Rn. 8 und Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 44 sprechen von einer „Fortbestandsgarantie“.

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A. Einleitung und Problemüberblick

des Bürgers durch den bestandskräftigen Verwaltungsakt verhindert werden. Hier dominiert der Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall. 190 Eine Perpetuierung der nachteiligen Auswirkungen des Einzelakts für die Zukunft soll durch die Gewährleistung von Vollstreckungsschutz gemäß § 79 Abs. 2 S. 2 –3 BVerfGG verhindert werden. Die fehlende Rechtsgrundlage der Entscheidung ist danach mittelbar über das Vollstreckungsverbot des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG ein zu berücksichtigender Einwand gegen die Vollstreckung der Entscheidung, so dass sich die Behörde nicht mehr auf die Bestandskraft des Verwaltungsakts gegenüber dem Betroffenen im Rahmen der zwangsweisen Durchsetzung des Verwaltungsakts berufen kann. 191 Damit wird die Grundausrichtung der gesetzgeberischen Entscheidung deutlich. Die Nichtigerklärung einer Norm wirkt sich danach unmittelbar bloß auf die Zukunft aus, während die Vergangenheit zunächst unberührt bleibt. Diese vereinfachte Formel regelt die Situation jedoch nicht umfassend, denn trotz der Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers bleiben viele Fragen offen und werden durch die Regelung des § 79 Abs. 2 BVerfGG nicht abschließend beantwortet. 192 So sind einzelne Tatbestandsmerkmale nicht ohne weiteres klar definiert. Zu erörtern ist u. a., wann ein Verwaltungsakt auf einer für nichtig erklärten Norm beruht, insbesondere welche Auswirkungen das Beruhen auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts besitzt (dazu unter C.IV.). Auch das Verhältnis von § 79 Abs. 2 BVerfGG zu den allgemeinen Regelungen hinsichtlich der Anpassung und Beseitigung von bestandskräftigen Verwaltungsakten (§§ 48 – 51 VwVfG), welches durch die herrschende Meinung an dem Begriff des „Unberührtbleibens“ festgemacht wird, bedarf einer ausführlichen Erörterung (dazu E.II.). Zu hinterfragen ist ferner die Reichweite des Vollstreckungsverbotes in § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, insbesondere die Auslegung des Begriffes „Vollstreckung“, der in Literatur und Rechtsprechung nicht immer einheitlich verstanden wird (siehe E.III.). Letztlich lässt sich aus der Regelung des § 79 Abs. 2 BVerfGG auch nicht entnehmen, in welcher Weise die dort aufgeführten Rechtspositionen gerichtlich durchgesetzt werden können; eine Aussage trifft diese Vorschrift lediglich für Entscheidungen, die nach den Vorschriften der ZPO vollstreckt werden, nicht hingegen für Verwaltungsakte (siehe E.IV.).

190 Kneser, AöR 89 (1964), 141; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 57; Steiner, FS BVerfG I, S. 632. 191 Zum Vollstreckungsverbot des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG siehe Kneser, AöR 89 (1964), 185 ff.; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 57 ff.; Zekorn, ZZP 76 (1961), 400 ff. und im Verlauf der Arbeit unter E. III. 192 So auch Steiner, FS BVerfG I, S. 631.

II. Darstellung der zu lösenden Konflikte

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bb) § 183 VwGO „Hat das Verfassungsgericht eines Landes die Nichtigkeit von Landesrecht festgestellt oder Vorschriften des Landesrechts für nichtig erklärt, so bleiben vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung durch das Land die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen der Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die auf der für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. § 767 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend“

Auf § 183 VwGO wird in § 47 Abs. 5 S. 3 VwGO verwiesen: „Für die Wirkung der Entscheidung (Anm: der stattgebenden verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollentscheidung) gilt § 183 entsprechend.“

Die Folgen der Nichtigerklärung einer Rechtsvorschrift durch das Verfassungsgericht eines Bundeslandes werden durch § 183 VwGO geregelt. Den Hauptanwendungsfall des § 183 VwGO bildet jedoch die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle, deren Rechtsfolgen sich aufgrund des Verweises in § 47 Abs. 5 S. 3 VwGO ebenfalls nach dieser Vorschrift bestimmen. Die Norm orientiert sich an der Regelung des § 79 Abs. 2 BVerfGG 193 und lässt danach die gleiche Grundentscheidung des Gesetzgebers erkennen: Beibehaltung der Entscheidung für die Vergangenheit, aber keine Vollstreckung dieser Entscheidungen in der Zukunft. 194 Die Übernahme dieses Grundgedankens auch für den Bereich der verwaltungsgerichtlichen Normenkontrolle war bereits vor Einführung des § 47 Abs. 5 S. 3 VwGO allgemein akzeptiert. 195 Der Gesetzgeber hat diese Ansicht bei Erlass der Vorschrift nochmals ausdrücklich bestätigt. Aufgrund der „Verwandtschaft“ der beiden Vorschriften stellen sich natürlich auch bei § 183 VwGO die gleichen Fragen, wie dies bei § 79 Abs. 2 BVerfGG der Fall ist. Daneben wirft § 183 VwGO jedoch noch weitergehende Fragen auf: So weicht die textliche Fassung der Vorschrift von ihrem „Vorbild“ insoweit ab, als § 183 VwGO sich ausdrücklich auf „gerichtliche Entscheidungen“ beschränkt und somit nicht den etwas weiteren Begriff „Entscheidungen“ (wie bei § 79 Abs. 2 BVerfGG) verwendet. Es ist daher zu fragen, ob und gegebenenfalls wie der Anwendungsbereich des § 183 VwGO auch auf Verwaltungsakte erweitert werden kann (siehe B.II.). Darüber hinaus bleibt zu klären, ob beide Vorschriften trotz unterschiedlicher Normebenen inhaltsgleich zu verstehen sind, d. h. ob die Verfas193 Der Gesetzgeber spricht davon, dass § 183 VwGO der Vorschrift des § 79 Abs. 2 BVerfGG „nachgebildet“ wurde, BT-Drucks. 3/55, S. 49 zu § 172 VwGO-Entwurf (= § 183 VwGO); vgl. auch BVerwGE 56, 172 (176); Kopp / Schenke, § 183 Rn. 1; NKVwGO -Heckmann, § 183 Rn. 3; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 1. 194 Kopp / Schenke, § 183 Rn. 3; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 23; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 13 f. 195 BT-Drucks. 7/4324, S. 12; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 24; Steiner, FS BVerfG I, S. 636.

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A. Einleitung und Problemüberblick

sungswidrigkeit eines Gesetzes weitreichendere Folgen hat als die „bloße“ Unvereinbarkeit eines Gesetzes mit höherrangigem (u. U. Nichtverfassungs-)Recht. cc) Landesrechtliche Regelungen (1) § 26 Abs. 3 – 4 VerfGHG Rheinland-Pfalz 196 „(3) Der Verfassungsgerichtshof kann aus schwerwiegenden Gründen des öffentlichen Wohls in seiner Entscheidung bestimmen, dass ein Gesetz, dessen Verfassungswidrigkeit er ausgesprochen hat, erst zu einem vom Gericht festgesetzten Zeitpunkt außer Kraft tritt. Dieser Zeitpunkt darf nicht nach der Verkündung des Urteils, in Fällen, in denen die Verkündung durch Zustellung ersetzt wird, nicht nach der Zustellung an die Beteiligten liegen. (4) Der Verfassungsgerichtshof kann bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen die Wiederaufnahme anderer, bereits rechtskräftig abgeschlossener Verfahren zulässig ist, soweit eine dort erlassene Entscheidung zu seinem Urteil in Widerspruch steht. Er kann auch bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen unanfechtbare Hoheitsakte, die seiner Entscheidung widersprechen, aufzuheben sind. Im übrigen bleiben die nicht mehr anfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen und die sonstigen Hoheitsakte unberührt. Die Vollstreckung aus ihnen ist unzulässig.“

§ 183 VwGO beansprucht nach eigenem Wortlaut nur insoweit Geltung, als die einzelnen Bundesländer nichts abweichendes hiervon bestimmen. Rheinland-Pfalz hat als eines der wenigen Bundesländer von diesem Vorbehalt einer gesonderten landesrechtlichen Regelung 197 Gebrauch gemacht. Während Abs. 3 dem VerfGHG die Befugnis einräumt, vom Grundsatz der ex tunc-Nichtigkeit abweichend einen gesonderten Zeitpunkt für den Eintritt der Nichtigkeitsfolge zu bestimmen, wird dem Gericht in Abs. 4 überdies die Möglichkeit eröffnet, eine Verpflichtung zur Wiederaufnahme abgeschlossener Verfahren auszusprechen und den Umfang des Wiederaufgreifens im engeren Sinne festzulegen. Zwar soll es auch hier im Übrigen dabei bleiben, dass die Norm mit Wirkung „ex tunc“ wegfällt, das Gericht entscheidet jedoch allgemeinverbindlich darüber, inwieweit infolge der Nichtigkeitsfeststellung eine behördliche Wiederaufgreifensverpflichtung bzw. gar eine Verpflichtung zur Aufhebung unanfechtbarer Hoheitsakte in Ausnahmefällen besteht. 198

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Allgemein zu dieser Regelung vgl. Mayer-Hentschel, DVBl. 1973, 753 ff. Dieser beschränkt sich nach der zutreffenden Ansicht lediglich auf die Regelung des § 183 S. 1 VwGO, vgl. Kopp / Schenke, § 183 Rn. 1; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 30; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 25. Die Länder sind daher befugt, die Rückabwicklung der rechts-, bzw. bestandskräftigen Entscheidungen abweichend zu regeln, indem sie u. a. Wiederaufgreifensverpflichtungen vorsehen. Sie können allerdings nicht von den Regelungen der Sätze 2 und 3 des § 183 VwGO abweichen. Das Vollstreckungsverbot des § 183 S. 2 VwGO ist daher unumgänglich, ebenso der Verweis auf § 767 ZPO; zu § 79 Abs. 2 BVerfGG a. A. hingegen Pestalozza, § 20 Rn. 77. 197

II. Darstellung der zu lösenden Konflikte

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(2) § 46 Abs. 2 VerfGHG Saarland „(2) Im übrigen bleiben vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer gemäß § 45 als nichtig festgestellten Rechtsvorschrift beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. Soweit die Zwangsvollstreckung nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung durchzuführen ist, gilt die Vorschrift des § 767 der Zivilprozessordnung entsprechend. Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung sind ausgeschlossen.“

Der saarländische Gesetzgeber sieht zwar eine eigenständige landesrechtliche Bestimmung vor, beschränkt sich dabei aber auf eine vom Wortlaut her vergleichbare Regelung zu § 79 Abs. 2 BVerfGG. Einen vom Regelungstyp der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO abweichenden Sinngehalt besitzt diese Norm daher nicht. Vergleichbares gilt auch für den sächsischen Gesetzgeber, der zwar keine gesonderte Regelung getroffen hat, in § 24 SächsVerfGHG allerdings explizit auf § 79 Abs. 2 BVerfGG verweist und diesen als entsprechend anwendbar erklärt. (3) § 40 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 StGHG Hessen „(3) [ . . . ] Im übrigen bleiben die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen unberührt. Die Vollstreckung aus solchen Entscheidungen ist unzulässig. (4) Erachtet der Staatsgerichtshof die Voraussetzungen des Art. 150 der Verfassung des Landes Hessen für gegeben, so ordnet er zugleich mit der Feststellung der Nichtigkeit an, dass alle Verfahren, deren Entscheidung auf dem nichtigen Gesetz oder der nichtigen Rechtsverordnung beruht, wiederaufzunehmen sind.“

Die hessische Vorschrift ähnelt der rheinland-pfälzischen Regelung insofern, als auch der hessische Staatsgerichtshof nach Abs. 4 abweichend von § 183 S. 1 VwGO die Wiederaufnahme von bereits abgeschlossenen Verfahren allgemeinverbindlich anordnen kann. Es handelt sich aber nicht um eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entscheidung: Liegen die Voraussetzungen des Art. 150 HessLV vor, so ist der HessStGH zur Anordnung der Wiederaufnahme in allen Fällen verpflichtet, in denen Einzelakte auf der für nichtig erklärten Norm beruhen, wobei ein Anwendungsfall des Art. 150 HessLV, der den demokratischen Grundgedanken der Verfassung und die republikanisch-parlamentarische Staatsform schützt, kaum ernsthaft in Betracht kommen dürfte. Jedoch zeigt diese Vorschrift, dass auch der hessische Gesetzgeber (vergleichbar dem rheinland-pfälzischen Gesetzgeber) den Grundkonflikt zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit zum Teil abweichend von dem allgemeinen Regelungsgedanken, der den Vorschriften des § 79 Abs. 2 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO zugrunde liegt, entscheidet.

198 Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 26 hält hingegen eine solche Regelung nicht mehr von § 183 S. 1 VwGO gedeckt, da die Entscheidung zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit dem Gesetzgeber verbleiben müsse.

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A. Einleitung und Problemüberblick

dd) § 157 FGO „Hat das Verfassungsgericht eines Landes die Nichtigkeit von Landesrecht festgestellt oder Vorschriften des Landesrechts für nichtig erklärt, so bleiben vorbehaltlich einer besonderen gesetzlichen Regelung durch das Land, die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen der Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit, die auf der für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Die Vollstreckung aus einer solchen Entscheidung ist unzulässig. § 767 der Zivilprozessordnung gilt sinngemäß.“

§ 157 FGO ist sprachlich vergleichbar und inhaltlich identisch mit § 183 VwGO und enthält keinen zusätzlichen eigenständigen Aussagegehalt. Die zu § 183 VwGO herausgearbeiteten Ergebnisse können somit ohne Abweichung auch für den Bereich der Finanzgerichtsbarkeit übernommen werden, so dass im Folgenden auf eine ausdrückliche Nennung des § 157 FGO jeweils verzichtet wird. 2. Der nichtbestandskräftige Verwaltungsakt – Rücknahmeanspruch gegenüber der Verwaltung? a) Vorbemerkung: Das Kriterium der Bestandskraft als Unterscheidungsgrund § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO treffen jeweils eine gesetzgeberische Entscheidung bezüglich der Rechtsfolgen von Normenkontrollentscheidungen für bestands- bzw. rechtskräftige Entscheidungen. Für den nicht bestandskräftigen Verwaltungsakt und das noch nicht rechtskräftige Urteil findet sich hingegen keine gesonderte gesetzliche Regelung, so dass im Umkehrschluss davon ausgegangen werden kann, dass hier weder die „Fortbestandsgarantie“ des S. 1, noch das Vollstreckungsverbot aus S. 2 Anwendung finden. Diese Ungleichbehandlung von bestandskräftigem und nicht bestandskräftigem Verwaltungsakt war von Beginn an Ansatzpunkt für die Kritik, dass die genannten Vorschriften wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz in Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig seien 199. Die unterschiedliche Behandlung bestandskräftiger und nicht bestandskräftiger Entscheidungen führe zu einer unterschiedlichen Belastung der Betroffenen, für deren Rechtfertigung kein sachlicher Grund erkennbar sei. 200 Das Bundesverfassungsgericht musste sich bereits früh mit der Verfassungsmäßigkeit des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG beschäftigen und hat dabei festgestellt, dass die Regelung mit dem Grundgesetz, insbesondere mit Art. 3 Abs. 1 GG in 199 So bereits BFH NJW 1958, 199 f. zu § 26 EStG 1957, welcher der Regelung des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG nachgebildet wurde; Böckenförde, ZRP 1969, 131; Schick, JZ 1969, 372; zuletzt auch Trzaskalik, DB 1991, 2256 ff. 200 So der Bundesfinanzhof zu § 26 EStG 1957 (vgl. Fn. 199).

II. Darstellung der zu lösenden Konflikte

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Einklang steht. 201 Begründet wird dies mit der Rechtsbehelfslast des Betroffenen: Die Differenzierung zwischen anfechtbaren und unanfechtbaren Hoheitsakten begegne schon deshalb keinen Bedenken, weil sich aus der Rechtsschutzgewährleistungspflicht des Staates und dem lückenlos gewährten Rechtsschutz gegen hoheitliche Einzelakte als logische Konsequenz die Obliegenheit der Rechtsverfolgung für den Betroffenen ergebe. 202 Der Bürger müsse, will er einen rechtswidrigen Eingriff in seine – zumindest über Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich verbürgten – Freiheitsrechte abwehren, die ihm von der Rechtsordnung gewährten Rechtsschutzmöglichkeiten wahrnehmen. Kommt er dieser Anfechtungslast nicht nach, so verliert er getreu dem Sprichwort „iura vigilantibus sunt scripta“ die Vorteile, welche der „Wachsame als Prämie für seine Rechtsverfolgung“ und die Inkaufnahme des Prozessrisikos gewinnt. 203 Die gesetzgeberische Entscheidung für einen Vorrang des Prinzips der Rechtssicherheit und die damit verbundene „zeitbedingte unwillkürliche Ungleichbehandlung“ 204 sei unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgebotes nicht zu beanstanden. 205 In der Tat ist dem Bundesverfassungsgericht beizupflichten, wenn es vorbringt, dass der Zeitpunkt des Eintritts der Bestandskraft eine Zäsur bedeutet, denn erst ab diesem Zeitpunkt besteht überhaupt eine Spannungslage zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit im Einzelfall und macht eine gesetzgeberische Entscheidung für oder gegen eines dieser Prinzipien notwendig. Insofern unterscheidet sich die Situation des bestandskräftigen Verwaltungsakts wesentlich von der Situation des nicht bestandskräftigen Verwaltungsakts. Zugleich wird mit dieser Lösung die Normenkontrollentscheidung nicht als besonderer Fall der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts behandelt, indem auch hier die allgemeine Trennung zwischen bestandskräftigen und nicht bestandskräftigen Verwaltungsakten gemäß den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts beibehalten wird. Schließlich sind – ausgehend von der ipso iure-Nichtigkeit von Normen – keine alternativen Regelungsmodelle denkbar, die nicht gleichermaßen zu mitunter willkürlich anmutenden Ergebnissen führen würden. 206 Eine abstrakte zeitliche Lösung, nach der ab einem gewissen Zeitpunkt eine verbindliche Rücknahme201

BVerfGE 7, 194 (195 f.). BVerfGE 7, 194 (197); vgl. auch Steiner, FS BVerfG I, S. 632. 203 Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 BVerfGG Rn. 4 f.; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 13; Steiner, FS BVerfG I, S. 632. 204 So NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 6. 205 BVerfGE 7, 194 (197); 20, 230 (235); so auch die herrschende Meinung, vgl. Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 4 f.; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 6; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 13; Steiner, FS BVerfG I, S. 632 f.; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 3. 206 Zu alternativen Regelungskonzepten siehe u. a. Pestalozza, AöR 96 (1971), 27 ff.; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 16 ff. 202

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A. Einleitung und Problemüberblick

pflicht gilt, ist willkürlich und sachlich nicht zu rechtfertigen. Eine generelle, zeitlich unabhängige Rücknahmepflicht widerspricht hingegen der Entscheidung des Gesetzgebers pro Rechtssicherheit, und eine Regelung, die dem Normenkontrollgericht die Entscheidung über das „Ob“ und „Wie“ einer Rücknahmepflicht überlasst, stößt bereits auf große Bedenken im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung. 207 Der Gesetzgeber ist mit seiner Abgrenzung anhand der Bestandskraft meines Erachtens allerdings hart an die Grenze des verfassungsrechtlich Erlaubten gegangen. 208 Die mit diesem Lösungsansatz verbundene strikte Trennung zwischen einem Anspruch auf (gerichtliche) Aufhebung der Regelung im Falle des noch anfechtbaren Verwaltungsakts und dem kompletten Ausschluss eines Wiederaufgreifensanspruchs im Falle des bestandskräftigen Verwaltungsakts ist, wie sich im Verlaufe dieser Arbeit noch näher zeigen wird, nicht überzeugend. Kritisch zu hinterfragen ist bereits die Annahme einer generellen Obliegenheit zur Rüge der Nichtigkeit eines Gesetzes durch den von dem Normvollzugsakt betroffenen, meist rechtsunkundigen Bürger. 209 Zwar verdient der Rechtsbehelfsführer in der Tat eine besondere Prämie 210 aufgrund seiner Initiative und Risikobereitschaft zur Überprüfung der Norm. Diese Prämie zeigt sich in einem Anspruch auf Aufhebung des rechtswidrigen, weil auf einer fehlerhaften gesetzlichen Grundlage beruhenden, Verwaltungsakts. Der Bürger kann aber regelmäßig nicht die Verfassungswidrigkeit einer Rechtsnorm oder den Verstoß gegen höherrangiges Recht überblicken. Bestehen oftmals selbst unter Rechtsgelehrten, Richtern, Professoren oder sogar innerhalb des Gesetzgebungsorgans unterschiedliche Auffassungen darüber, ob ein Gesetz rechtmäßig ist, so kann nicht generell vom Normalbürger verlangt werden, dass er die Fehlerhaftigkeit von Gesetzen innerhalb eines Anfechtungsprozesses gegen einen Normvollzugsakt geltend macht. Zum anderen – und das wurde bereits durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt 211 – kann der Bürger in das ordnungsgemäße Zustandekommen und die inhaltliche Richtigkeit von Gesetzen zumindest bei einem „professionellen Gesetzgeber“ 212 vertrauen. Die Differenzierung anhand des Kriteriums der formellen Bestandskraft begünstigt ferner nicht nur den sogenannten „Wachsamen“, der die Nichtigkeit 207

Vgl. Steiner, FS BVerfG I, S. 635: Entscheidung ist Aufgabe des Gesetzgebers. Insofern stimme ich mit Steiner, FS BVerfG I, S. 634, überein, der die Regelungskonzeption des § 79 Abs. 2 BVerfGG ebenfalls „noch“ im Rahmen der Verfassungsmäßigkeit erachtet. 209 Hierzu ausführlich die Kritik bei Trzaskalik, DB 1991, 2256 f. 210 So wörtlich zu finden bei Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 BVerfGG Rn. 4; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 VwGO Rn. 13. 211 Vgl. BVerfGE 20, 230 (236); 53, 115 (130). 212 Anderes mag bei kommunalen Satzungen der Fall sein, die zumeist von Rechtslaien beschlossen werden. Jedoch besteht auch hier in Form der kommunalen Rechtsaufsicht eine gewisse kompetente Kontrollinstanz, auf deren Überprüfung der Bürger vertrauen darf. 208

II. Darstellung der zu lösenden Konflikte

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der Norm erkannt und im Anfechtungsprozess geltend gemacht hat, sondern es profitieren auch andere davon, die eine Belohnung in Form der Aufhebung des Verwaltungsakts im Vergleich zu den untätig gebliebenen Bürgern nicht verdienen. So z. B. der Querulant, der mit offensichtlich unbegründeten Einwänden gegen den Beitragsbescheid vorgegangen ist: dieser „gewinnt“, wenn das Gericht zufällig, zumindest durch den Kläger nicht beabsichtigt, feststellt, dass die gesetzliche Grundlage des Bescheides fehlerhaft ist. Die Konsequenzen aus der Feststellung der Nichtigkeit der Norm sind hier „eher unverdientes Glück als verdienter Lohn für die prozessualen Bemühungen“. 213 Ebenso profitiert der säumige Bürger, der den per bestandskräftigen Verwaltungsakt eingeforderten Betrag nicht gezahlt hat, ohne dass er Rechtsbehelfe eingelegt hat. Er profitiert vom Vollstreckungsverbot des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, während der ordentlich zahlende Bürger nach § 79 Abs. 2 S. 4 BVerfGG nicht einmal mehr seine fristgerecht getätigten Beitragszahlungen zurückfordern kann. 214 Und letztlich ist eine strikte Trennung zwischen bestandskräftigen und noch anfechtbaren Verwaltungsakten auch deshalb umstritten, weil dadurch oftmals Zufälle über das Bestehen einer Aufhebungspflicht oder den Ausschluss jeglicher Aufhebungsansprüche mitentscheiden können. Der Bürger kann den Eintritt der Bestandskraft nicht immer maßgeblich steuern, sondern dieser ist vielmehr von der Bearbeitungsdauer bei Gericht, der Sorgfalt der Widerspruchsbehörde, der Zustellungsdauer oder im Bereich des Steuerrechts von der unter Vorbehalt der Nachprüfung erfolgten Veranlagung abhängig. 215 Dennoch muss an der auch sonst praktizierten Unterscheidung anhand der Bestandskraft des Verwaltungsakts festgehalten werden. Wenn aber mangels überzeugender Regelungsalternativen trotz aller Bedenken und unerwünschten Ergebnissen dieser Unterscheidung zugestimmt wird, so gilt es jedoch im Rahmen der Rechtsfolgenlösung eine gewisse Annäherung der Rechtsfolgen zu erzielen, indem auch im Falle bestandskräftiger Verwaltungsakte die verfahrensrechtliche Stellung des betroffenen Bürgers gestärkt wird (z. B. durch eine Beschränkung des Ermessensspielraums der Behörde im Rahmen der Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts nach § 48 VwGO 216).

213

So treffend Trzaskalik, DB 1991, 2256. Dies hat auch Steiner, FS BVerfG I, S. 634, so erkannt. 215 Gerade im Steuerrecht wird diese Zufälligkeit deutlich, denn die Offenheit des Steuerfalls kann von vielen Faktoren abhängig sein, die der Betroffene nicht beeinflussen kann. Dazu Trzaskalik, DB 1991, 2256, der dabei auch feststellt, dass von der Offenheit des Steuerfalls durch den Vorbehalt der Nachprüfung auffällig häufig Großverdiener und die „klassischen Steuerhinterzieher“ (Schwarzarbeiter und Kapitalanleger) profitieren. 216 Dazu näher unter E.II.3.c. 214

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A. Einleitung und Problemüberblick

b) Der anfechtbare Verwaltungsakt – Rücknahmeanspruch oder Rücknahmeermessen? Wie weit reicht aber diese „Prämie für den Wachsamen“? Unumstritten ist, dass sich der Betroffene in diesen Fällen im Rahmen des behördlichen Widerspruchsoder des gerichtlichen Anfechtungsverfahrens auf die allgemeinverbindlich festgestellte Nichtigkeit der Rechtsgrundlage des Verwaltungsakts berufen kann. Stellt die Behörde oder das Gericht fest, dass eine Rechtsverletzung vorliegt, dann muss der Verwaltungsakt aufgehoben werden. Dies setzt allerdings voraus, dass der Betroffene die ihm vom Gesetz zur Verfügung gestellten Rechtsbehelfe auch tatsächlich wahrnimmt. Nun kann aber auch die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, von sich aus diesen Verwaltungsakt zurücknehmen. Grundlage für die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts ist die Regelung des § 48 VwVfG, wonach die Behörde den Verwaltungsakt zurücknehmen „kann“. Eben diese „kann“Formulierung ist Ausgangspunkt eines Streites, der – völlig unabhängig von den speziellen Rechtsfolgen prinzipaler Normenkontrollen – bereits mehrfach Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen war. 217 Die überwiegende Ansicht in der Literatur geht davon aus, dass der durch einen rechtswidrigen Verwaltungsakt Verletzte außerhalb des Anfechtungsverfahrens oder eines möglichen Vorverfahrens keinen Anspruch auf eine Rücknahme des Verwaltungsakts durch die Behörde besitzt. 218 Die Beseitigung des Verwaltungsakts stehe insoweit im Ermessen der Behörde. 219 Die Gegenansicht verweist darauf, dass grundsätzlich ein allgemeiner öffentlichrechtlicher Beseitigungsanspruch existiert, der die Rücknahme rechtswidrigen und rechtsverletzenden Verwaltungshandelns gebietet. 220 Dies zwinge zu einer einschränkenden Auslegung des Begriffes „kann“ in § 48 VwVfG und führe zu einem Rücknahmeanspruch des Betroffenen gegenüber der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde. 221 217 Im Gegensatz zu der Frage nach der Rücknahmeverpflichtung bei bestandskräftigen Verwaltungsakten finden sich in der Literatur, wie Schenke, FS Maurer, S. 723, bereits zutreffend festgestellt hat, nur relativ wenige ausführliche Untersuchungen zu dieser Fragestellung. Gleiches gilt für die Rechtsprechung, die sich nur in Ausnahmefällen mit dieser Frage befassen musste, vgl. die Nachweise bei Schenke, FS Maurer, S. 727 f. 218 BVerwG NVwZ 2000, 202; Knack-Meyer, § 48 Rn. 45; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 56, 77 f.; Maurer, JuS 1976, 493; Ziekow, VwVfG, § 48 Rn. 13. 219 BVerwG NVwZ 2000, 202 f.; E / E-Ruffert, § 23 Rn. 13; Knack-Meyer, § 48 Rn. 45; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 56, 77 f.; Maurer, JuS 1976, 493; Remmert, VerwArch 91 (2000), 218; Ziekow, VwVfG, § 48 Rn. 13. 220 So ausdrücklich Baumeister, Beseitigungsanspruch, 227 ff.; Kopp / Schenke, § 47 Rn. 145; Schenke, FS Maurer, S. 728 ff.; ders., NVwZ 1993, 721 ff.; Ule / Laubinger, § 62 Rn. 2. 221 Baumeister, Beseitigungsanspruch, 227 ff.; Kopp / Schenke, § 47 Rn. 145; Schenke, FS Maurer, S. 728 ff.; ders., NVwZ 1993, 721 ff.; Ule / Laubinger, § 62 Rn. 2.

III. Beispielsfälle

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Diese Fragestellung wird auch im Zusammenhang mit prinzipalen Normenkontrollen aktuell, tritt doch durch die Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm die naheliegende Folge der Rechtswidrigkeit des darauf beruhenden Verwaltungsakts umso deutlicher zu Tage. So zeichnet sich in der Literatur denn auch eine Auffassung ab, die speziell für die Fälle der Normenkontrolle eine Beseitigungspflicht hinsichtlich noch anfechtbarer Verwaltungsakte befürwortet. 222 Grundlegend für die Entscheidung dieser Streitfrage ist meines Erachtens das Verhältnis von § 48 VwVfG zu § 113 VwGO, nämlich die Klärung der Frage, ob § 113 VwGO eine selbständige Aufhebungsbefugnis der Verwaltungsgerichte statuiert oder ob diese Vorschrift als prozessuale Ausformung eines generellen Beseitigungsanspruch zu verstehen ist, der sich aus dem materiellen Recht, nämlich aus den Freiheitsgrundrechten ergibt. Diese, auf den ersten Blick rein theoretische Überlegung ist auch von praktischer Relevanz. Zwar bleibt es, egal welchem dogmatischen Ansatz man nun folgen mag, dabei, dass der Bestand des anfechtbaren rechtsverletzenden Verwaltungsakts, der auf einer für unwirksam erklärten Norm beruht, in der Folge der prinzipalen Normenkontrollentscheidung regelmäßig zusammenbrechen wird; sei es durch eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts, der Widerspruchsbehörde oder durch die Rücknahmeentscheidung der Erlassbehörde. Für den betroffenen Bürger macht es jedoch einen erheblichen Unterschied, ob er die Beseitigung des Verwaltungsakts auf gerichtlichem Wege unter Inkaufnahme von zeitlichen Verzögerungen und evtl. finanziellen Vorleistungen erstreiten muss 223 oder ob die Ausgangsbehörde zur Rücknahme des Verwaltungsakts verpflichtet ist, was für den Betroffenen unter zeitlichen und finanziellen Aspekten wohl der effektivere Weg sein dürfte. Diesem Themenkomplex sind die Ausführungen in Kapitel D gewidmet.

III. Beispielsfälle 224 1. Fall: Gebührensatzung In der rheinland-pfälzischen Gemeinde R verabschiedete der Gemeinderat im Dezember 2004 eine neue Gebührenordnung für die Entsorgung von Schmutzwasser, wonach neue, erhöhte Gebührensätze für die Bürger vorgesehen sind. Im Jahr darauf musste das OVG 222

Kerbusch, BlGBW 1981, 123; speziell für die prinzipale Normenkontrolle, wenn auch ohne nähere Begründung, auch Eyermann-J. Schmidt, § 47 Rn. 104; R / Ö-Redeker, § 47 Rn. 46; a. A. NKVwGO-Ziekow, § 47 Rn. 380; Quaas / Müller, Normenkontrolle und Bebauungsplan, Rn. 410. 223 Zusätzlich ist zu berücksichtigen, dass vielfach eine Hemmschwelle besteht, sich gegen staatliche Hoheitsakte zur Wehr zu setzen. 224 Am Ende der Arbeit werden die in der Folge entwickelten Lösungsansätze auf die jeweiligen Fallkonstellationen übertragen und damit deren Praktikabilität am konkreten Fall verdeutlicht, siehe unten G.

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A. Einleitung und Problemüberblick

Koblenz in einem Normenkontrollverfahren über die Gültigkeit dieser Satzung entscheiden. Es stellte fest, dass die Bewertungsmaßstäbe für die einzelnen Gebührentatbestände rechtswidrig, da mit höherrangigem Recht nicht vereinbar, sind. Die Satzung wurde daher am 21. August 2006 für unwirksam erklärt. Zu diesem Zeitpunkt war die Einziehung der Schmutzwassergebühren des Jahres 2005 noch nicht vollständig abgeschlossen. In der X-Straße haben z. B. von 10 Haushalten nur sieben die Gebühren, wie in den Bescheiden jeweils festgesetzt, zum 01. 08. 2006 gezahlt, unter ihnen der Haushalt von Herrn A. Zwei Haushalte, darunter der Haushalt des Herrn B, haben trotz Aufforderung die fälligen Gebühren nicht bezahlt und blieben säumig. Die Gemeindeverwaltung hat diese ausstehenden Gebühren bislang noch nicht vollstreckt. Herr C hingegen hat gegen den Bescheid der Gemeindeverwaltung vom 01. 04. 2006 am 01. 05. 2006 Widerspruch eingelegt. Das Widerspruchsverfahren ist noch anhängig, eine Entscheidung steht erst Ende September aus. Welche Auswirkungen hat nun die Entscheidung des OVG Koblenz für die Herren A, B und C?

Zu erwarten ist, dass der Kreisrechtsausschuss den Gebührenbescheid des Herrn C im Widerspruchsverfahren aufheben wird. Muss sich Herr C aber auf die Entscheidung der Widerspruchsbehörde vertrösten lassen oder ist die Gemeindeverwaltung nicht bereits selbst verpflichtet, den Bescheid, der auf der nichtigen Gebührensatzung beruht, zurückzunehmen? Hat die Behörde hier überhaupt noch einen Ermessensspielraum (vgl. unter Kapitel D)? Dagegen scheint eine Aufhebung der bereits in Bestandskraft erwachsenen Bescheide der Herren A und B vor dem Hintergrund der Regelung des § 183 S. 1 VwGO zunächst nicht in Betracht zu kommen. Offen ist aber, inwiefern ein Rücknahmeantrag der Betroffenen die Gemeindeverwaltung zu einem Wiederaufgreifen des Verfahrens und einer Neuentscheidung im jeweiligen Fall verpflichtet. Wie kann hier die Behörde ihr Ermessen hinsichtlich der Rücknahme der bestandskräftigen Bescheide pflichtgemäß ausüben? Kann sie sich vor dem Hintergrund des § 183 VwGO hierbei auf die Bestandskraft der Gebührenbescheide berufen, deren Grundlage offensichtlich fehlerhaft war? Oder schränkt die Nichtigerklärung der Norm den Ermessensspielraum der Behörde ein (vgl. Kapitel E.II.3.)? Insbesondere Herr A wird eine neue Überprüfung des Bescheides erreichen wollen, da er auf die Gültigkeit der Gebührensatzung vertraut und seine Gebühren fristgemäß bezahlt hatte und sich nun im Vergleich zu den beiden säumigen Gebührenschuldnern benachteiligt fühlt. Schließlich muss sich die Verwaltung die Frage stellen, ob sie durch die Regelung des § 183 S. 3 VwGO und das hierin verankerte Vollstreckungsverbot an der Vollstreckung der offenen Gebührenforderung gegenüber Herrn B gehindert ist oder ob dieser zunächst die Unzulässigkeit der Vollstreckung formell geltend machen muss, zumal Herr B bislang nichts von der Normenkontrollentscheidung des OVG Koblenz weiß und die Nichtigkeit der Norm deshalb nicht geltend machen könnte (vgl. Kapitel E.III.)?

III. Beispielsfälle

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2. Fall: Baugenehmigung Großunternehmer U erhält eine Baugenehmigung für die Errichtung eines großen Einkaufszentrums auf der Gemarkung der Gemeinde G. Das Vorhaben liegt im Außenbereich, grenzt aber an die bisher bestehende Bebauung an. Grundlage für die Baugenehmigung ist ein vorhabenbezogener Bebauungsplan der Gemeinde G, der eigens für die Ansiedlung eines Einkaufszentrums erlassen wurde. Nachbar N wird von der Verwaltung zwar über die Erteilung einer Baugenehmigung an U ordnungsgemäß unterrichtet, versäumt es jedoch, fristgemäß Widerspruch einzureichen. Kurz darauf entscheidet der VGH Mannheim, dass der Bebauungsplan wegen Abwägungsfehlern unwirksam ist. Eine Heilung der Abwägungsfehler durch ein ergänzendes Verfahren nach BauGB kommt nicht in Betracht. Fallvariante: Die Behörde hat Nachbar N nicht ordnungsgemäß von der Erteilung der Baugenehmigung an U unterrichtet. U beginnt zwei Monate später mit den Bauarbeiten. N hat erst durch die Aufnahme der Bauarbeiten von dieser Genehmigung erfahren und möchte nun gegen die Baugenehmigung vorgehen. Durch die zügigen Bauarbeiten hat U bereits einen Teil des Bauvorhabens verwirklicht.

Im Ausgangsfall stellen sich wieder ähnliche Fragen, wie zuvor in Beispielsfall 1. Auch hier ist zu überlegen, welche Entscheidung die Behörde treffen kann, wenn N einen Antrag auf Rücknahme der Baugenehmigung stellt, allerdings hier unter dem zusätzlichen Aspekt des Drittbezuges. Zugleich stellt sich aber auch die Frage, ob U von der bestandskräftigen Baugenehmigung noch Gebrauch machen darf, d. h. ob die Genehmigungsfunktion der Baugenehmigung auch nach der Unwirksamkeitserklärung des Bebauungsplanes fortwirkt. Konkret am Wortlaut des § 183 VwGO festgemacht ist daher zu fragen, ob auch die Ausnutzung einer Genehmigung durch Private einen Fall der „Vollstreckung“ im Sinne von § 183 S. 3 VwGO darstellt oder ob zumindest eine vergleichbare Lage wie beim staatlichen Vollzug von Verwaltungsakten vorliegt, die zu einer Untersagung der Fortsetzung des Bauvorhabens führen kann (vgl. E.III.). Der Fall des nichtbestandskräftigen Verwaltungsakts mit Drittbezug findet sich in der Fallvariante wieder. Vorausgesetzt man geht vom Vorliegen eines Aufhebungsanspruchs bei rechtsverletzenden, noch anfechtbaren Verwaltungsakten aus, so ist zu entscheiden, inwieweit der Drittschutz Einschränkungen dieses Aufhebungsanspruchs rechtfertigen kann. Konkret hier im Beispiel bedeutet dies: Wird ein Aufhebungsanspuch des N bereits dadurch ausgeschlossen, dass U im Vertrauen auf den Bestand der Baugenehmigung sein Bauvorhaben weiter vorangetrieben hat? Einen solchen Ausschluss legt die Regelung des § 50 VwVfG nahe. Muss N demnach zunächst Rechtsbehelfe einlegen, um ein schutzwürdiges Vertrauen des U auf den Bestand der Baugenehmigung zu zerstören oder ist ein schutzwürdiges Vertrauen bereits durch die Nichtigerklärung des der Baugenehmigung zugrundeliegenden Bebauungsplanes ausgeschlossen (vgl. Kapitel D.III.)?

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A. Einleitung und Problemüberblick

3. Fall: Milchmengenverordnung (in Anlehnung an BVerwG AgrarR 1989, 224 ff.; stark vereinfacht) Die Milchbauern A und B haben beide – unabhängig voneinander – wegen der Ablehnung einer von ihnen beantragten Anerkennung einer besonderen Anlieferungsreferenzmenge durch die Landwirtschaftskammer Widerspruch und Klage beim Verwaltungsgericht erhoben. Die Landwirtschaftskammer berief sich bei ihrer Ablehnung auf die Vorschrift des § 6 Abs. 6 Milch-Garantiemengen-Verordnung vom 18. 08. 1986, wonach lediglich eine Milchmenge anerkannt wird, die der durchschnittlichen Milchmenge von 80 Kühen entspricht. Beide Kläger haben sich in ihren jeweiligen Verfahren auf die Nichtigkeit dieser Regelung berufen, da sie durch die Begrenzung der Anlieferungsreferenzmenge in ihren Grundrechten verletzt seien. Eine bereits zuvor eingereichte Verfassungsbeschwerde der Milchbauern wurde wegen der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Sowohl das Verwaltungsgericht, wie auch das Oberverwaltungsgericht haben der Klage nicht stattgegeben. Während Bauer B von einer Revision zum Bundesverwaltungsgericht absah, da ihn die bisher erfolglosen Verfahren viel Zeit, Geld und Nerven geraubt haben, wollte A notfalls bis zum Bundesverfassungsgericht gehen und stellte daher zunächst einen Antrag auf Zulassung der Revision beim Bundesverwaltungsgericht. Das Bundesverwaltungsgericht erachtete die Revision als zulässig und begründet und verwies in seiner Begründung auf die Verfassungswidrigkeit der sog. „80-Kuh-Grenze“ wegen Verstoßes gegen Art. 14 GG 225.

Hier handelt es sich um eine „inzidente Normenkontrolle“, d. h. einer Feststellung der Nichtigkeit einer Norm, die lediglich zwischen den Parteien (inter partes) wirkt. Diese inter partes-Wirkung führt in den Fällen der Bauern A und B zu weitreichenden Unterschieden. Während der ablehnende Bescheid an Bauer A nunmehr aufgehoben wird und Bauer A die beantragte Anerkennung wohl erhalten dürfte, sieht sich Bauer B einem bestandskräftigen Ablehnungsbescheid der Landwirtschaftskammer gegenüber gestellt. Zu fragen ist nun, ob auch Bauer B von der zumindest inzidenten Nichtigerklärung der Norm im Verfahren des Bauern A profitieren kann (vgl. Kapitel F). Dies ist bereits insofern zweifelhaft, als das für Bauer B zuständige Gericht aufgrund der fehlenden „erga omnes“-Wirkung der Entscheidung nicht an die Ergebnisse des vorangegangen Verfahrens von Bauer A gebunden ist und somit berechtigt ist, im Falle des Bauern B – zumal in anderer Besetzung oder aufgrund der Zuweisung zu einem anderen Senat – anders zu entscheiden. § 183 VwGO findet vom Wortlaut ausgehend keine unmittelbare Anwendung. Auf ein Vollstreckungsverbot nach § 183 S. 2 VwGO könnte sich B ebenfalls nicht direkt berufen. Hat das Ergebnis im Parallelverfahren vielleicht dennoch Auswirkungen auf einen Antrag des B auf Rücknahme des Bescheides? Muss die Behörde im Rahmen der ermessensfehlerfreien Entschei225

Eine ausführliche Beschäftigung mit der Verfassungswidrigkeit des § 6 Abs. 6 MGVO findet sich bei Schenke, AgrarR 1987, S. 89 ff.

III. Beispielsfälle

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dung über den Eintritt in eine erneute Sachprüfung und über die Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides die Ergebnisse der inzidenten Normenkontrolle des Bauers A mitberücksichtigen? Letztlich ist hier auf den Sonderfall hinzuweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht oder ein anderes oberstes Gericht die Nichtigkeit der Norm inzident festgestellt hat (vgl. Kapitel F), da von Entscheidungen der Obergerichte eine „faktische Bindungswirkung“ ausgeht, die zwar nicht mit der Gesetzeskraft einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und der Allgemeinverbindlichkeit einer Normenkontrollentscheidung nach § 47 VwGO gleichzusetzen ist, die aber im Sinne der Vereinheitlichung der Rechtsprechung von den unterrangigen Gerichten in der Regel beachtet wird. Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass Bauer B von der Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts sogar negativ betroffen wird. Hätte erst eine spätere Verfassungsbeschwerde des Bauern A zur Nichtigerklärung der Norm geführt, könnte sich Bauer B im Rahmen des behördlichen Rücknahmeverfahrens oder hinsichtlich der Vollstreckung des Verwaltungsakts auf die Nichtigerklärung der Norm berufen – ein Weg, der ihm nur dadurch genommen wurde, dass bereits das Bundesverwaltungsgericht die Nichtigkeit festgestellt hat und hierdurch die Grundlage für eine spätere Verfassungsbeschwerde entfallen ließ.

B. § 183 VwGO – Regelung auch für bestandskräftige Verwaltungsakte? I. Allgemein Wie bereits eingangs erwähnt, hat sich der Gesetzgeber bei der Einführung der Regelung des § 183 VwGO am Vorbild des § 79 Abs. 2 BVerfGG orientiert. So findet sich in den Gesetzesmaterialien die unmissverständliche Aussage des Gesetzgebers, dass § 183 VwGO dieser Regelung in Struktur und Wirkung nachgebildet werden sollte. 1 Gleichwohl hat der Gesetzgeber aber – ohne Angabe von Gründen 2 – den Wortlaut des § 183 VwGO abgeändert und spricht in S. 1 lediglich davon, dass „gerichtliche Entscheidungen“ von der Normenkontrollentscheidung unberührt bleiben. Dennoch geht die einhellige Ansicht in Rechtsprechung und Literatur davon aus, dass auch das Schicksal von Verwaltungsakten, welche auf der für nichtig erklärten Norm beruhen, von § 183 VwGO mitgeregelt wird. Ist dies bei der Parallelvorschrift des § 79 Abs. 2 BVerfGG durchaus ohne weiteres nachvollziehbar – spricht doch § 79 Abs. 2 BVerfGG allgemein von Entscheidungen, zu denen zweifellos auch Verwaltungsakte zu rechnen sind 3 – so ist bei § 183 VwGO zunächst festzustellen, ob tatsächlich auch Verwaltungsakte von der Regelung des § 183 VwGO erfasst werden und in welcher Weise eine Anwendung dieser Vorschrift auf den Bereich der Verwaltungsakte, trotz sprachlicher und systematischer Bedenken, dogmatisch widerspruchsfrei hergeleitet werden kann.

1

BT-Drucks. 3/55, S. 49. Zur Intention des Gesetzgebers für die Beschränkung auf „gerichtliche Entscheidungen“ siehe unten B. III. 2. 3 Vgl. zu § 79 BVerfGG: BVerfGE 15, 309 (312); 20, 230 (236); Benda / Klein, Rn. 1255; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 46; Steiner, FS BVerfG I, S. 641; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 24; ausführlich zum Begriff „Entscheidungen“ in § 79 Abs. 2 BVerfGG siehe Kneser, AöR 89 (1964), 177 ff. 2

II. Erstreckung des Anwendungsbereichs auf Verwaltungsakte?

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II. Erstreckung des Anwendungsbereichs des § 183 VwGO auf Verwaltungsakte? 1. Der Wortsinn als Grenze der Auslegung des § 183 VwGO „Gerichtliche Entscheidungen“, so § 183 VwGO, bleiben von der Nichtigerklärung einer Norm durch ein Landesverfassungsgericht oder, infolge des Verweises in § 47 Abs. 5 S. 3 VwGO, durch ein Oberverwaltungsgericht unberührt. Verwaltungsakte werden von diesem Wortlaut ohne Zweifel nicht erfasst. Damit steht diese Norm im Gegensatz zu § 79 Abs. 2 BVerfGG, der den Anwendungsbereich großzügiger bestimmt und alle „Entscheidungen“ unberührt lässt, d. h. alle Rechtsanwendungsakte von Behörden oder Gerichten des Bundes und der Länder, welche die Norm im Einzelfall angewendet haben. 4 Durch den Begriff „gerichtliche Entscheidungen“ sondert § 183 VwGO die Rechtsanwendungsakte der Behörden aus der vorgenannten Definition aus. Eine unmittelbare Anwendung des § 183 VwGO auf Verwaltungsakte ist somit nicht möglich. Eine unmittelbare Anwendung des § 183 VwGO kann auch nicht über eine extensive Auslegung der Vorschrift erreicht werden. Mögen auch teleologische, systematische und historische Erwägungen für eine Einbeziehung der behördlichen Entscheidungen in den Tatbestand des § 183 VwGO sprechen 5, so scheitert eine Ausdehnung des Tatbestandes im Wege der Auslegung am insofern eindeutigen Wortlaut der Vorschrift. Der „Wortsinn der Vorschrift“ stellt regelmäßig die äußerste Grenze der Auslegung und den Beginn der Rechtsfortbildung dar. 6 So hat auch das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass eine Auslegung dort ihre Grenzen findet, „wo sie zu dem Wortlaut und Willen des Gesetzgebers in klarem Widerspruch stünde“. 7 Eine Auslegung, welche auch behördliche Rechtsanwendungsakte unter den Begriff der „gerichtlichen Entscheidungen“ subsumieren würde, widerspräche insofern dem klaren Wortlaut des § 183 VwGO, so dass es bei dem Ergebnis bleibt, dass eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift auf Verwaltungsakte nicht erfolgen kann.

4

Kneser, AöR 89 (1964), 177 ff; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 45 ff.; Steiner, FS BVerfG I, S. 641; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 24; Pestalozza, § 20 Rn. 76; vgl. auch Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 51: alle Hoheitsakte, die als autoritative Entscheidung über die Auslegung und Anwendung des objektiven Rechts grundsätzlich ohne Rücksicht auf ihre Vereinbarkeit mit dem geltenden Recht Wirksamkeit und Verbindlichkeit erlangen. 5 Siehe unten B. II. 2. 6 BVerfGE 71, 108 (114 f.); 87, 209 (224); Horn, Rechtsphilosophie, Rn. 178; Wank, S. 63 ff.; Zippelius, Methodenlehre, S. 47. 7 BVerfG NJW 1994, 2476.

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B. § 183 VwGO – Regelung auch für bestandskräftige Verwaltungsakte?

2. Erwägungen jenseits der Wortlautgrenze a) Gesetzgebungshistorie Bereits mehrfach wurde auf die Entstehungsgeschichte des § 183 VwGO hingewiesen. In den Gesetzgebungsmaterialien ist ausdrücklich klargestellt, dass § 79 Abs. 2 BVerfGG bei der Schaffung des § 183 VwGO Pate stand und dass § 183 VwGO seinem Regelungsvorbild in Struktur und Wirkung entsprechen sollte. 8 Auch wenn der Wortlaut der Regelung enger gefasst wurde, als der Wortlaut des § 79 Abs. 2 BVerfGG, so wird in den Gesetzesmaterialien an keiner Stelle ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit der unterschiedlichen Wortwahl auch den Anwendungsbereich der Vorschrift gegenüber der Regelung des § 79 Abs. 2 BVerfGG einengen wollte. Letztlich sei darauf hingewiesen, dass bereits vor Schaffung des § 47 Abs. 5 S. 3 VwGO in der Literatur davon ausgegangen wurde, dass die Regelung des § 79 Abs. 2 BVerfGG entsprechend auf die prinzipale verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle angewandt werden muss. 9 Auch diesbezüglich hat der Gesetzgeber nicht erkennen lassen, dass er mit der damaligen Neuregelung des § 47 Abs. 5 S. 3 VwGO von der bisherigen Regelungspraxis hinsichtlich der Auswirkungen einer prinzipalen Normenkontrolle auf Verwaltungsakte abweichen wollte. 10 Vielmehr findet sich in den Gesetzgebungsmaterialien zum heutigen § 47 Abs. 5 S. 3 VwGO die Aussage des Gesetzgebers, dass die Regelung des Satzes 3 auch für Verwaltungsakte gelte. 11 b) Teleologische Erwägungen Weitaus gewichtigere Erwägungen für eine Übernahme der Regelung des § 183 VwGO auf den Bereich der Verwaltungsakte lassen sich unter teleologischen Gesichtspunkten herausarbeiten. Sinn und Zweck der Regelungen der § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO ist das Fällen einer gesetzgeberischen Regelentscheidung im Rahmen der Spannungslage zwischen dem Grundsatz der Rechtssicherheit auf der einen und dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall auf der anderen Seite. 12 Dieses, sich als Folge einer prinzipalen 8

BT-Drucks. 3/55, S. 49. Bettermann, FS Wolff, S. 485 m. w. N.; Nachweise auch bei Kerbusch, BlGBW 1981, 122; kritisch hierzu Steiner, FS BVerfG I, S. 636. 10 Vgl. Kopp, NJW 1976, 1965, der anmerkt, dass es wünschenswert gewesen wäre, wenn der Gesetzgeber mit der Neuregelung des § 47 Abs. 5 S. 3 (dem § 47 Abs. 6 S. 3 a. F.) zugleich auch die wohl zu bejahende Anwendbarkeit des § 183 VwGO auf Verwaltungsakte mitentschieden hätte. 11 BT-Drucks. 7/4324, S. 12. 12 Vgl. statt vieler Eyermann-P. Schmidt, § 183 Rn. 1; Kopp / Schenke, § 183 Rn. 3; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 1; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 13 ff.; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 1. 9

II. Erstreckung des Anwendungsbereichs auf Verwaltungsakte?

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Normenkontrolle ergebende Konfliktverhältnis zwischen den genannten Rechtsgrundsätzen liegt nicht nur bei gerichtlichen Entscheidungen vor, sondern auch bei allen weiteren Rechtsanwendungsakten, deren Bestand durch den Grundsatz der Rechtssicherheit abstrakt geschützt wird. Bei gerichtlichen Entscheidungen erfolgt dieser „Bestandsschutz“ über das Institut der Rechtskraft, bei Verwaltungsakten wird Rechtssicherheit durch den Eintritt der Bestandskraft gewährleistet. Rechtskraft und Bestandskraft besitzen viele Parallelen. Sie sind allerdings nicht deckungsgleich und weisen durchaus gewichtige Unterschiede auf, die der Gesetzgeber bereits durch die unterschiedliche Terminologie zum Ausdruck bringt. 13 Dabei bezeichnen beide Begriffe unter formellen Gesichtspunkten den Eintritt der Unanfechtbarkeit der jeweiligen Entscheidung, d. h. formell rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen und formell bestandskräftige Verwaltungsakte können jeweils nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln bzw. Rechtsbehelfen angefochten werden. 14 Die formelle Rechtskraft und die formelle Bestandskraft wirken sich demnach auf die prozessuale Stellung des von der Entscheidung Betroffenen aus und sind jeweils an den Zeitpunkt des Ausschlusses der (ordentlichen) Rechtsmittel- bzw. Rechtsbehelfsmöglichkeiten gebunden. Unterschiede zwischen Bestandskraft und Rechtskraft werden allerdings unter materieller Hinsicht offenbart. Die Rechtskraft eines Urteils bindet gemäß § 121 VwGO die am Prozess beteiligten Parteien, deren Rechtsnachfolger und Beigeladene an die im Urteil getroffenen Feststellungen, soweit darin über den Streitgegenstand entschieden wurde, unabhängig davon, ob das Gericht „richtig“ entschieden hat. 15 Durchbrechungen der Rechtskraft eines Urteils sind nur ausnahmsweise im Rahmen eines streng formalisierten Verfahrens möglich, z. B. durch ein Wiederaufnahmeverfahren nach § 135 VwGO oder eine Abänderungsklage gemäß § 173 VwGO i. V. m. den Vorschriften der ZPO. 16 Das Gericht selbst kann von sich aus das Verfahren nicht mehr neu in Gang setzen und sein eigenes Urteil abändern oder aufheben. Die Bindungswirkung eines materiell bestandskräftigen Verwaltungsakts bleibt hinter der materiellen Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung zurück und ist weit schwächer ausgestaltet. Zwar sind auch hier die Verfahrensbeteiligten zunächst an die im Verwaltungsakt getroffenen Feststellungen gebunden; Verwaltungsakte können jedoch von der Ausgangsbehörde jeweils frei – unter Beachtung der gesetzlichen Grenzen der §§ 48 ff. VwVfG – abgeändert und beseitigt werden. 17 Auch steht es dem Betroffenen offen, die Rücknahme 13

Schenke, DÖV 1983, 321. Schenke, DÖV 1983, 321. 15 Kopp / Schenke, § 121 Rn. 2. 16 Zu den Durchbrechungsmöglichkeiten der Rechtskraft eines verwaltungsgerichtlichen Urteils siehe Kopp / Schenke, § 121 Rn. 30. 14

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B. § 183 VwGO – Regelung auch für bestandskräftige Verwaltungsakte?

eines Verwaltungsakts zu beantragen und die Behörde zumindest zu einer ermessensfehlerfreien Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu zwingen. 18 Die Bindungswirkung der Bestandskraft kann somit viel einfacher durchbrochen werden, als dies bei einem rechtskräftigen Urteil der Fall ist. 19 Dieser unterschiedliche Schutzmechanismus ist den unterschiedlichen Funktionen geschuldet, die Rechtsprechung und Verwaltung einnehmen. Die Exekutive muss als ausführende Gewalt mit flexiblen Handlungsmöglichkeiten ausgestattet sein 20, wozu auch die Möglichkeit der Beseitigung eigenen Handelns in der Vergangenheit gehört. Die Judikative hingegen hat die Aufgabe, Rechtsstreitigkeiten zu befrieden und ist durch die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG mit einem Letztentscheidungsrecht ausgestattet. 21 Hier tritt der Gedanke der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens weitaus stärker zu Tage, so dass sich alleine aus der Funktion der Rechtssprechung bereits die verstärkte Verbindlichkeit von gerichtlichen Entscheidungen erklären lässt. 22 Es ist also als Zwischenergebnis festzuhalten, dass sowohl die Rechtskraft von Urteilen als auch die Bestandskraft von Verwaltungsakten in vergleichbarer Weise dem Grundsatz der Rechtssicherheit dienen, dass jedoch die Rechtskraft in ihrer Bindungswirkung über die Bindungswirkung der Bestandskraft hinausreicht. Vor diesem Hintergrund spricht der Sinn und Zweck der Regelung des § 183 VwGO dafür, den Anwendungsbereich dieser Vorschrift auf Verwaltungsakte auszudehnen. Denn der dort angesprochene Grundkonflikt und die gesetzgeberische Intention, nämlich diesen Konflikt zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit für die Vergangenheit zugunsten der Rechtssicherheit zu entscheiden, passt erst Recht auch auf Verwaltungsakte. Wie bei gerichtlichen Entscheidungen führt hier die Nichtigerklärung der Norm nicht zum automatischen Wegfall der Norm und macht eine gesetzgeberische Entscheidung der Spannungslage notwendig. Für Verwaltungsakte hat der Gesetzgeber eine solche Entscheidung bereits in § 79 Abs. 2 BVerfGG getroffen; für die verwaltungsgerichtliche Normenkontrolle ist die Situation dieselbe, eine Tatsache, die für eine Übernahme des Lösungskonzeptes des § 79 Abs. 2 BVerfGG auch bei § 183 VwGO spricht. Geht man davon aus, dass § 183 S. 1 VwGO einen konstitutiven Gehalt hat und eine Fortbestandsgarantie statuiert 23, dann sprechen auch praktische Bedürfnisse für eine Ausdehnung auf den Bereich der Verwaltungsakte, denn eine Fortbestandsgarantie allein für den 17 So bereits Körner, BayVBl 1957, 58 f.; vgl. BVerwGE 57, 1 (4); BFH NVwZ 1990, 700; E / E-Ruffert, § 23 Rn. 13 ff.; Knack-H. Meyer, § 48 Rn. 44; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 77; aktuell auch Sanden, DVBl. 2007, 665. 18 Vgl. Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 79 m. w. N.; VGH Mannheim, VBlBW 2001, 23. 19 Allgemein zu den Möglichkeiten der Durchbrechung der Bestandskraft von Verwaltungsakten siehe Schenke, DÖV 1983, 320 ff. 20 Schenke, DÖV 1983, 321. 21 Schenke, DÖV 1983, 321. 22 Siehe Schenke, DÖV 1983, 321.

II. Erstreckung des Anwendungsbereichs auf Verwaltungsakte?

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Bereich gerichtlicher Entscheidungen würde kaum einen eigenen Regelungsgehalt ausdrücken, sind rechtskräftige Urteile aufgrund der Bindungswirkung der Rechtskraft ohnehin doch nur in Ausnahmefällen wiederaufzugreifen. Ein praktisches Bedürfnis nach einer Fortbestandsgarantie läge hingegen insbesondere für den Bereich der Verwaltungsakte vor, deren Bestand durch die Anpassungs- und Beseitigungsmodalitäten des allgemeinen Verwaltungsrechts gefährdet wird. Noch deutlicher tritt das Erfordernis nach einer entsprechenden Anwendung der Vorschrift des § 183 VwGO auf Verwaltungsakte zu Tage, wenn man sich das Vollstreckungsverbot des § 183 S. 2 VwGO betrachtet. Hier ist ein „Erst-recht-Schluss“ zu ziehen: Erachtet es der Gesetzgeber für notwendig, gerichtliche Entscheidungen trotz ihrer sehr begrenzten Abänderbarkeit und ihrer starken Bindungswirkung mit einem Vollstreckungsverbot zu belegen und somit die Auswirkungen der Rechtskraft „pro futuro“ zu durchbrechen, so muss dies erst recht bei anderen Entscheidungen der Fall sein, bei denen der Bestand der jeweiligen Entscheidung weitaus weniger stark geschützt ist, als dies bei Gerichtsentscheidungen der Fall ist. Insbesondere bei Verwaltungsakten, die aufgrund der Bestandskraft lediglich beschränkt abänderbar sind, zeigt sich die Notwendigkeit eines Vollstreckungsverbotes. Es wäre hier sinnwidrig, rechtsverletzende Verwaltungsakte, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, weiterhin vollstrecken zu lassen, während der ersichtlich durchsetzungsfähigere Titel des verwaltungsgerichtlichen Urteils einem Vollstreckungsverbot unterfiele. Zu einem paradoxen Ergebnis käme es gar in der Konstellation, dass ein solcher Verwaltungsakt bereits vor Bekanntgabe der Normenkontrollentscheidung durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde. Hier wäre der Verwaltungsakt selbst weiterhin vollstreckbar, nicht aber dessen gerichtliche Bestätigung durch ein verwaltungsgerichtliches Urteil. 3. Zwischenergebnis Bestandskräftige Verwaltungsakte werden aufgrund des insoweit eindeutigen Wortlautes nicht unmittelbar von der Regelung des § 183 VwGO erfasst. Historische, aber vor allem teleologische Gründe, legen nahe, dass die Regelungskonzeption der § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO auch in den Fällen bestandskräftiger Verwaltungsakte Anwendung finden muss.

23 So u. a. Ipsen, Rechtsfolgen, S. 280 f.; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 44; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 42; Steiner, FS BVerfG I, S. 646; dazu kritisch unten E. II.

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B. § 183 VwGO – Regelung auch für bestandskräftige Verwaltungsakte?

III. Übernahme der Konzeption des § 183 VwGO 1. Analoge Anwendung oder Übernahme eines allgemeinen Rechtsgedankens? Das Schicksal bestandskräftiger Verwaltungsakte in der Folge einer Normenkontrollentscheidung der Landesverfassungs- und Oberverwaltungsgerichte entspricht dem Schicksal, welches § 183 VwGO für gerichtliche Entscheidungen statuiert. Hierin stimmen Rechtsprechung und Literatur weitgehend überein. In der Tat finden sich in der neueren Literatur kaum Stimmen, die diese Aussage ersichtlich in Frage stellen. 24 Doch auch die Art und Weise, wie § 183 VwGO auf Verwaltungsakte Anwendung findet und die dogmatische Herleitung dieses Ergebnisses bleiben weitgehend unerörtert; zumeist wird die Anwendbarkeit des § 183 VwGO ohne aussagekräftige Begründung und unter bloßem Hinweis auf den Willen des historischen Gesetzgebers festgestellt. 25 Teilweise wird die Regelung des § 183 VwGO analog auf Verwaltungsakte angewandt. 26 Eine nähere Begründung dieser Analogie unterbleibt zumeist. Gelegentlich wird auch auf die mit § 79 Abs. 2 BVerfGG vergleichbare Ausgangslage und auf die zu § 79 Abs. 2 BVerfGG ergangene Rechtsprechung verwiesen 27, wobei dessen Wortlaut – wie bereits mehrfach erwähnt – unzweifelhaft eine Anwendung auf Verwaltungsakte rechtfertigt. Nähere Ausführungen zur dogmatischen Herleitung dieser Analogie, insbesondere zum Vorliegen einer planwidrigen Regelungslücke, sind nicht zu finden. Eine mittlerweile weitverbreitete Ansicht lehnt eine solche analoge Anwendung ab und verweist auf einen allgemeinen Rechtsgedanken, der eine entsprechende 24

Lediglich Hufen, § 38 Rn. 52, lehnt eine Übernahme der Regelungskonzeption des § 183 VwGO auf Verwaltungsakte unter dem Hinweis ab, dass es Sache des Gesetzgebers sei, eine Regelung für den Bereich der Verwaltungsakte vorzusehen; § 79 BVerfGG und § 183 VwGO seien als Ausnahmevorschriften hingegen eng auszulegen. Meines Erachtens übersieht Hufen, dass es sich bei den genannten Vorschriften für den Spezialfall der Rechtsfolgen prinzipaler Normenkontrollen gerade nicht um Ausnahmevorschriften handelt, sondern um ein erkennbar durchgängiges Regelungskonzept des Gesetzgebers. Alleine der Hinweis auf eine fehlende ausdrückliche gesetzgeberische Klärung dieser Fragestellung bedeutet nicht zugleich den Ausschluss einer bedarfsgerechten Rechtsfortbildung. Dass die Übernahme dieses Regelungskonzeptes auf Verwaltungsakte in der Tat sachgerecht ist, wird auch von Hufen, aaO., anerkannt. 25 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung findet sich lediglich bei Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 51 ff. 26 BVerwGE 56, 172 (176); Eyermann-J. Schmidt, § 47 Rn. 104; Würtenberger, Rn. 473; so wohl auch NKVwGO-Ziekow, § 47 Rn. 380, der von einer entsprechenden Anwendung des § 183 VwGO auf Verwaltungsakte spricht. Weitere Nachweise auch bei Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 51 Fn. 116. Von einer „Analogiefähigkeit“ ging auch Pietzner, VerwArch 73 (1982), 460, noch aus. 27 Vgl. BVerwGE 56, 172 (176).

III. Übernahme der Konzeption des § 183 VwGO

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Einbeziehung von Verwaltungsakten in den Anwendungsbereich des § 183 VwGO rechtfertige. 28 Dieser allgemeine Rechtsgedanke 29 ergebe sich aus den Regelungen der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO, § 157 FGO und den entsprechenden Vorschriften der Länder und besage, dass der Gesetzgeber bei der Entscheidung zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit für die Vergangenheit der Rechtssicherheit den Vorzug einräume und lediglich für die Zukunft den Gesichtspunkt der Einzelfallgerechtigkeit und des Individualrechtsschutzes in den Vordergrund stelle. 30 Eine Analogie scheitere indes am Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke. Eine solche könne schon deshalb nicht vorliegen, da der Gesetzgeber Fragen des Wiederaufgreifens und der Vollstreckung von Verwaltungsakten nur begrenzt regeln darf und für den Bereich der Landesverwaltungsverfahrensgesetze keine Regelungskompetenz besitzt. 31 Der Wortlaut des § 183 VwGO sei daher kein gesetzgeberisches Versehen, sondern vielmehr eine verfassungsrechtlich gebotene Selbstbeschränkung des Gesetzgebers. 32 Liegt demnach keine planwidrige Regelungslücke vor, so gelangt man nur über den Weg des allgemeinen Rechtsgedankens zu dem gewünschten, sachgerechten Ergebnis. 2. Eigene Argumentation In der Tat ist der Ansicht zu folgen, welche die Anwendung des § 183 VwGO auf Verwaltungsakte als Ausfluss eines allgemeinen Rechtsgedankens anerkennt. Dieser Rechtsgedanke, der sich einheitlich aus den Bestimmungen der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO, § 157 FGO und den vergleichbaren landesrechtlichen Bestimmungen entnehmen lässt, besagt, dass rechts- und bestandskräftige Entscheidungen aus Gründen der Rechtssicherheit von einer unmittelbaren Beeinträchtigung durch die Normenkontrollentscheidung verschont bleiben, dass jedoch für die Zukunft eine Perpetuierung der rechtswidrigen Lage durch ein Verbot der Vollstreckung dieser Entscheidungen verhindert wird. 28 Eyermann-P. Schmidt, § 183 Rn. 9; Gosch, Wiederaufnahme, S. 126; Kerbusch, BlGBW 1981, 122; Kopp / Schenke, § 183 Rn. 5; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 9; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 53; R. Schmidt, Wiederaufgreifen, S. 53. 29 Vgl. auch BVerfGE 32, 387 (389 f.). 30 Vgl. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 53: „Die § 183 VwGO, § 157 FGO, § 79 Abs. 2 BVerfGG und die eingangs genannten Vorschriften des Landesrechts bringen einen allgemeinen Rechtsgedanken zum Ausdruck, der an der eigentümlichen Wirkkraft hoheitlicher Einzelfallentscheidungen anknüpft und der besonderen Eingriffsschwere staatlichen Vollstreckungszwangs Rechnung trägt.“ 31 Kopp / Schenke, § 183 Rn. 5; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 52; dass Fragen des Wiederaufgreifens und der Vollstreckung von Verwaltungsakten nicht mehr von Art. 74 Nr. 1 GG erfasst werden bereits BVerfG NJW 1981, 329, 336; BVerwGE (GS) 22, 281 (284). 32 So wörtlich Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 52.

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B. § 183 VwGO – Regelung auch für bestandskräftige Verwaltungsakte?

Die Existenz eines solchen Rechtsgedankens kann auch nicht mit dem Argument entkräftet werden, dass es sich bei diesem „Regelungsprinzip“ um eine bloß vertretbare Lösung eines Interessenkonfliktes handele, die nicht kraft Wiederholung zu einem allgemeinen Rechtsgedanken erwachse. 33 Als bloße gesetzgeberische Entscheidung für eines von mehreren Regelungsmodellen besäßen die genannten Regelungen nicht die Überzeugungskraft, welche einem allgemeinen Rechtsgedanken innewohnt. 34 Zwar enthalten die aufgeführten Regelungen zugegebenermaßen eine gesetzgeberische Entscheidung einer Konfliktsituation, die aufgrund des Fehlens verfassungsrechtlicher Vorgaben durchaus auch in anderer Weise hätte ergehen können. Die theoretische Möglichkeit einer anderslautenden gesetzgeberischen Entscheidung kann jedoch nicht die Existenz eines allgemeinen Rechtsgedankens in Frage stellen. Das Fehlen von Regelungsalternativen ist kein Tatbestandsmerkmal eines allgemeinen Rechtsgedankens. Vielmehr lässt sich all diesen Entscheidungen ein einheitliches Regelungskonzept entnehmen, dass der Bundesgesetzgeber – und auch die Mehrheit der Landesgesetzgeber mit geringen Abweichungen – zur Lösung vergleichbarer Konfliktsituationen zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit gewählt haben. Es handelt sich demnach nicht um eine bloße Repetition einer Einzelfallentscheidung, sondern vielmehr um die konsequente Umsetzung einer gesetzgeberischen Leitentscheidung in vergleichbaren Konfliktlagen. Auch Einwände gegen die Existenz eines allgemeinen Rechtsgedankens, wonach zumindest in der Zukunft die Vollstreckung solcher Entscheidungen verwehrt wird, sind nicht überzeugend. Steiner führt diesbezüglich an, dass ein allgemeiner Rechtsgedanken dergestalt, dass im Rechtsstaat die staatliche Vollstreckung nicht zum zwangsweisen Vollzug eines Hoheitsakts eingesetzt werden kann, der auf einer für nichtig erklärten Norm beruht, eine Aufwertung des Vollstreckungsverbotes darstellen würde, die ausschließlich dadurch gerechtfertigt werden könne, wenn im Rechtsstaat staatliche Vollstreckungsgewalt grundsätzlich nicht zum zwangsweisen Vollzug eines solchen Hoheitsakts eingesetzt werden darf. 35 Dies wäre allerdings nicht vereinbar mit dem Verweis des § 183 S. 3 VwGO auf die Einredemöglichkeit des § 767 ZPO, der es dem Betroffenen selbst auferlegt, gegen die Vollstreckung vorzugehen. 36 Diese Ansicht berücksichtigt nicht ausreichend das Verhältnis von § 183 S. 2 und S. 3 VwGO bzw. § 79 Abs. 2 S. 2 und S. 3 BVerfGG. Wie im Verlauf der Arbeit noch erörtert wird, möchte der Gesetzgeber mit dem Verweis auf die 33 So aber Steiner, FS BVerfG I, S. 637, vor Schaffung des § 47 Abs. 5 S. 3 VwGO zu einem möglichen allgemeinen Rechtsgedanken, der sich aus den Regelungen der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO und § 26 Abs. 5 EStG 1957 ergeben sollte. 34 In diese Richtung wohl Steiner, FS BVerfG I, S. 638. 35 Steiner, FS BVerfG I, S. 638. 36 Steiner, FS BVerfG I, S. 638.

III. Übernahme der Konzeption des § 183 VwGO

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Vollstreckungsgegenklage der ZPO die sich bereits aus S. 2 ergebende Unzulässigkeit der Vollstreckung nicht beschränken, indem er diese nur auf Antrag des Betroffenen feststellen lässt, sondern dem Betroffenen eine Möglichkeit zur gerichtlichen Geltendmachung des Vollstreckungsverbotes für den Fall anbieten, dass die Vollstreckung trotz Vollstreckungsverbot weiter fortgeführt wird. 37 Eines solchen zusätzlichen Rechtsbehelfs bedurfte es insbesondere bei gerichtlichen Entscheidungen schon deshalb, weil hier unter Umständen der Gerichtsvollzieher als unabhängiges Organ bei der Vollstreckung mitwirkt, der im Zweifelsfalle weder vom Vorliegen eines Vollstreckungsverbotes nach § 183 S. 2 VwGO weiß, noch die Qualifikation besitzt, um die mitunter nur schwer zu beantwortende Frage des Beruhens der Entscheidung auf der für nichtig erklärten Norm festzustellen. Die teilweise vorgebrachte analoge Anwendung des § 183 VwGO auf Verwaltungsakte kann hingegen nicht überzeugen. Voraussetzung für eine Analogie ist neben dem Vorliegen einer vergleichbaren Rechtssituation auch das Vorhandensein einer planwidrigen Regelungslücke. 38 Hieran fehlt es aber: Eine planwidrige Regelungslücke kann nämlich nur dann vorliegen, wenn der Gesetzgeber unbeabsichtigt für die konkrete Fragestellung keine Regelung getroffenen hat. Pietzner u. a. verweisen insofern aber zurecht auf den Kompetenzkatalog der Art. 70 ff. GG. 39 Der Bundesgesetzgeber besitzt nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Kompetenz zur Regelung des gerichtlichen Verfahrens. Hierunter werden z. B. Fragen des Bestandes und der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen erfasst. Von dieser Kompetenz hat der Gesetzgeber durch die Regelung des § 183 VwGO auch Gebrauch gemacht. Ebenfalls erfasst werden von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Vorschriften, welche durch Ablauf prozessualer und vorprozessualer Rechtsbehelfsfristen den Eintritt der Bestandskraft des Verwaltungsakts begründen, wie z. B. §§ 70, 74 VwGO. 40 Nicht erfasst werden hingegen Vorschriften, welche sich mit dem Wiederaufgreifen von Verwaltungsverfahren, der Rücknahme oder der Vollstreckung von Verwaltungsakten befassen. Mangels einer abweichenden Kompetenzregelung im Grundgesetz besitzt für diese Themenbereiche nicht der Bundes-, sondern nur der jeweilige Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz. 41 Nun ist bereits umstritten, ob § 183 VwGO tatsächlich konstitutive Aussagen zum Wiederaufgreifen unanfechtbar abgeschlossener Verwaltungsverfahren enthält oder die Rücknahme 37

Dazu unten E. III. 3. Vgl. Horn, Rechtsphilosophie, Rn. 185 m. w. N.; Würdinger / Bergmeister, Jura 2007, 17; weiter jedoch Wank, S. 115 ff., der auf das Kriterium der „Planwidrigkeit“ der Regelungslücke verzichtet. 39 Vgl. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 52; Kopp / Schenke, § 183 Rn. 5; R. Schmidt, Wiederaufgreifen, S. 53. 40 Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 52. 41 BVerfGE 55, 274 (320 f.); 75, 108 (152); 76, 1 (76); BVerwGE (GS) 22, 281 (284). 38

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B. § 183 VwGO – Regelung auch für bestandskräftige Verwaltungsakte?

solcher Verwaltungsakte ausschließt. 42 Unabhängig davon steht allerdings fest, dass der Bundesgesetzgeber diesbezüglich keine Gesetzgebungskompetenz hat, ebenso wenig für den Erlass eines Vollstreckungsverbotes für Verwaltungsakte, wie § 183 S. 2 VwGO dies vorsieht. Pietzner spricht in diesem Zusammenhang von einer verfassungsrechtlich gebotenen Selbstbeschränkung des Gesetzgebers. 43 Der Gesetzgeber habe bewusst darauf verzichtet, § 183 VwGO tatbestandlich auch auf Verwaltungsakte auszuweiten, da er diesbezüglich über keine Gesetzgebungskompetenz verfüge. 44 Meines Erachtens ist diese Deutung fragwürdig, wenn man eine Parallele zu § 79 Abs. 2 BVerfGG zieht. Dort hat der Bundesgesetzgeber ausdrücklich auch Verwaltungsakte in den Anwendungsbereich der Vorschrift mit aufgenommen und somit auch das Verwaltungsverfahren in Bezug auf Rücknahme und Vollstreckung von Verwaltungsakten im landeseigenen Vollzug mitgeregelt. Teilweise wird für die Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus dem Kompetenztitel des Art. 94 Abs. 2 GG entnommen, der als „lex specialis“ den Kompetenzregelungen der Art. 70 ff. GG vorrangig sei. 45 Danach kann der Bundesgesetzgeber jedoch nur bestimmen, „in welchen Fällen seine Entscheidungen [Anm: des Bundesverfassungsgerichts] Gesetzeskraft haben“. Dies hat er in § 31 BVerfGG getan. Art. 94 Abs. 2 GG spricht jedoch nicht davon, dass der Bundesgesetzgeber auch die Auswirkungen seiner Entscheidung auf das Verwaltungsverfahren der Länder mitregeln darf. Pestalozza hat diese Auswirkungen als reine Tatbestandswirkung der Entscheidung bezeichnet, über die derjenige Gesetzgeber zu entscheiden habe, der auch für den Tatbestand zuständig sei. 46 Bei Landesverwaltungsakten ist dies aber der Landesgesetzgeber, so dass auch bei § 79 Abs. 2 BVerfGG eine verfassungskonforme Einengung des unmittelbaren Anwendungsbereiches auf den Bereich der Verwaltungsakte der Bundesbehörden erfolgen muss. Vor diesem Hintergrund ist die Annahme einer bewussten verfassungsrechtlich gebotenen Selbstbeschränkung des Gesetzgebers bei Schaffung des § 183 VwGO spekulativ, zumal sich in den Gesetzgebungsmaterialien auch

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Dazu später unter E.II.3.c. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 52. 44 Etwas anderes gilt lediglich für Verwaltungsakte von Bundesbehörden, die nach BVwVfG zu behandeln sind und bezüglich derer der Bundesgesetzgeber eine Gesetzgebungskompetenz besitzt; vgl. hierzu insbesondere die Ausführungen von Pestalozza, § 20 Rn. 76. 45 Kneser, AöR 89 (1963), 137 f.; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 52 Fn. 122; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 25. Die Kompetenzfrage wird im Rahmen des § 79 Abs. 2 BVerfGG nur vereinzelt erörtert. Den Gesetzgebungsmaterialien ist auch kein Hinweis zu entnehmen, dass diese Frage im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses angesprochen wurde. 46 Pestalozza, § 20 Rn. 76; ebenfalls kritisch hinsichtlich der Gesetzgebungskompetenz des Bundes Baumeister, VerwArch 83 (1992), 389. 43

III. Übernahme der Konzeption des § 183 VwGO

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keine diesbezüglichen Nachweise finden lassen: eine solche Selbstbeschränkung des Gesetzgebers wäre sicherlich in den Gesetzesmaterialien vermerkt worden. Besteht auch Streit über die Motive des Gesetzgebers, so besteht dennoch Einigkeit darüber, dass eine planwidrige Regelungslücke nicht vorliegt, denn es gilt der Grundsatz, dass nicht planwidrig sein kann, was nicht planbar war. Hat der Bundesgesetzgeber keine umfassende Regelungskompetenz für das Verwaltungsverfahren, so kann nicht angenommen werden, dass in der Beschränkung des § 183 VwGO auf gerichtliche Entscheidungen eine unbeabsichtigte Regelungslücke vorliegt. Zwar könnte man eine solche planwidrige Regelungslücke für den Bereich der Verwaltungsakte von Bundesbehörden erkennen und insoweit eine analoge Anwendung des § 183 VwGO annehmen. Es wäre jedoch unpraktikabel und würde die Gesetzesanwendung unhandhabbar machen, wenn innerhalb des § 183 VwGO nochmals zusätzlich zwischen Verwaltungsakten von Landes- und Bundesbehörden unterschieden werden müsste, zumal diese Verwaltungsakte nur einen mengenmäßig geringen Anteil an dem Gesamtaufkommen von Verwaltungsakten ausmachen und sich eine solche Unterscheidung auch im Ergebnis nicht auswirkt. 3. Zwischenergebnis Es bleibt daher bei dem Ergebnis, dass die Regelungskonzeption der Vorschriften der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO, § 157 FGO und der jeweiligen landesrechtlichen Bestimmungen als allgemeiner Rechtsgedanke entsprechend auf Verwaltungsakte in Folge prinzipaler Normenkontrollen von Landesverfassungsund Oberverwaltungsgerichten anzuwenden ist.

C. Die Tatbestandsmerkmale des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO I. Allgemein Neben dem Begriff der „Entscheidung“ bzw. der „gerichtlichen Entscheidung“ weisen die § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO eine Reihe weiterer Tatbestandsmerkmale auf, die in Rechtsprechung und Literatur teilweise uneinheitlich interpretiert werden. Eine (gerichtliche) Entscheidung bleibt nur dann unberührt, wenn es sich um eine „nicht mehr anfechtbare“ (unter II.) Entscheidung handelt, die auf einer Norm „beruht“ (unter IV.), deren „Nichtigkeit festgestellt“ bzw. die „für nichtig erklärt“ wurde (unter III.).

II. „Nicht mehr anfechtbar“ Keiner ausführlichen Untersuchung bedarf es hinsichtlich des Tatbestandsmerkmales der „nicht mehr anfechtbaren“ Entscheidung. Hier stellt der Gesetzgeber offensichtlich darauf ab, dass eine Entscheidung nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden kann. 1 Überträgt man diesen Grundsatz auf Verwaltungsakte, so wird deutlich, dass hierunter alle (formell) bestandskräftigen Verwaltungsakte fallen. Der Begriff „nicht mehr anfechtbar“ könnte aber auch so verstanden werden, dass hierdurch nur Entscheidungen erfasst werden, die ursprünglich mit ordentlichen Rechtsbehelfen angefochten werden konnten, denn nur solche sind „nicht mehr“ anfechtbar. 2 Damit würden Entscheidungen aus dem Anwendungsbereich der besagten Regelungen entfallen, die bereits von Anfang an keiner Anfechtungsmöglichkeit unterlagen. Ein solches Verständnis wird jedoch – soweit ersichtlich – nicht ernsthaft erwogen: die Konfliktsituation zwischen materieller Gerechtigkeit auf der einen und Rechtssicherheit auf der anderen Seite stellt sich auch 1 Kneser, AöR 89 (1964), 146; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 49; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 38; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 33. 2 Diese Frage thematisieren u. a. Betghe, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 50; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 38, und Pietzner, in: Schoch / SchmidtAßmann / Pietzner, § 183 Rn. 33.

II. „Nicht mehr anfechtbar“

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bei Entscheidungen, die niemals angefochten werden konnten (Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts; Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts gemäß § 152 Abs. 2 VwGO; Kostenentscheidungen nach § 158 VwGO). Auch solche bereits ursprünglich unanfechtbaren Entscheidungen werden demnach von § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO erfasst. 3 Für den hier behandelten Bereich der Verwaltungsakte stellt sich diese Frage aber ohnehin nicht; denn alle Verwaltungsakte sind – wenn schon nicht im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens – so doch im Wege der Anfechtungsklage anfechtbar. „Nicht mehr“ setzt auch nicht voraus, dass der Betroffene überhaupt von seinen Anfechtungsrechten Gebrauch gemacht hat. 4 Die Vorschriften stellen allein auf den Status der Unanfechtbarkeit ab und setzen nicht voraus, dass diese Unanfechtbarkeit erst nach einer zuvor erfolgten Überprüfung der Entscheidung (z. B. im Widerspruchs- oder Anfechtungsverfahren) eingetreten ist. Auch der Verwaltungsakt, der allein durch Ablauf der Anfechtungsfristen unanfechtbar und somit bestandskräftig wurde, unterliegt dem Anwendungsbereich den genannten Vorschriften. 5 Aus dem Wortlaut lässt sich ferner die Aussage entnehmen, dass die Unanfechtbarkeit – hier die Bestandskraft des Verwaltungsakts – bereits vor dem Zeitpunkt der Nichtigerklärung der Norm eingetreten sein musste. 6 Stellt danach ein Gericht die Nichtigkeit einer Norm bereits zu einem Zeitpunkt fest, zu dem der Verwaltungsakt noch mit ordentlichen Rechtsbehelfen angefochten werden kann, so darf sich der Betroffene nicht auf dieser Nichtigerklärung ausruhen. Er kann (und muss im Regelfall) – selbst bei Annahme eines allgemeinen öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs gegenüber der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde 7 – die bereits festgestellte Nichtigkeit der Norm im Rahmen des ordentlichen Rechtsmittelverfahrens, sei es im Widerspruchsverfahren oder im Wege der Anfechtungsklage, geltend machen, will er die Beseitigung des Verwaltungsakts erreichen. 8 Tut er dies nicht, so profitiert er auch nicht von dem Vollstreckungsverbot des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG bzw. des § 183 S. 2 VwGO. 9 Dieser Ausschluss 3 Kneser, AöR 89 (1964), 146 f.; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 50; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 38; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 33; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 32. 4 NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 38. 5 NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 38. 6 Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 51; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 33. 7 Dazu siehe unter D. 8 BGHZ 54, 76 (80); Kneser, AöR 89 (1964), 147 f.; Pietzner, in: Schoch / SchmidtAßmann / Pietzner, § 183 Rn. 34. 9 So auch Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 34 m. w. N.; Kneser, AöR 89 (1964), 147 f.; a. A. NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 47; in die gleiche Richtung auch Kraft, UPR 1988, 296 f.

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C. Tatbestandsmerkmale § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO

aus dem Anwendungsbereich der besagten Regelungen und die somit erfolgende Ungleichbehandlung von anfechtbaren und nicht anfechtbaren Verwaltungsakten rechtfertigen sich hier vor dem Hintergrund, dass dem Betroffenen eines noch anfechtbaren Verwaltungsakts ohnehin weitreichendere Beseitigungsmöglichkeiten offen stehen, die den Bestand des Verwaltungsakt als solchen bereits zu Fall bringen, so dass es eines speziellen Vollstreckungsverbotes für diese Fälle nicht bedarf. Macht der Betroffene die Nichtigkeit der Norm demnach nicht in den ihm noch offen stehenden Rechtsbehelfsverfahren geltend, so kann dieser Verwaltungsakt nach Eintritt der Bestandskraft vollstreckt werden. Eine Einschränkung ist jedoch dann zu machen, wenn der Betroffene von der gerichtlichen Nichtigerklärung einer Norm unverschuldet nichts wusste. Dem Betroffenen ist nämlich nicht zuzumuten, innerhalb der kurzen Anfechtungsfristen der §§ 70, 74 VwGO nachzuforschen, ob eine streitentscheidende Norm in der Zwischenzeit gerichtlich kassiert wurde. 10 In diesen Fällen ist dem Betroffenen durch eine weite Auslegung der Wiedereinsetzungsregeln (z. B. § 60 VwGO) entgegenzukommen. 11 Hier ist dann auch im Einzelfall festzustellen, ob der Rechtsbehelfsführer doch von der gerichtlichen Feststellung der Nichtigkeit der Norm in ihm zumutbarer Weise Kenntnis erlangen konnte, d. h. ob eine unverschuldete Unkenntnis wirklich vorlag (zur Frage des Vollstreckungsverbotes bei anfechtbaren Entscheidungen siehe auch die Ausführungen zu E.III.3. am Ende).

III. „Für nichtig erklärt“ bzw. „die Nichtigkeit festgestellt“ § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO setzen als weiteres Tatbestandsmerkmal voraus, dass die Entscheidung auf einer Norm beruht, die „für nichtig erklärt“ wurde. Im Falle des § 183 VwGO wird überdies noch erwähnt, dass die Rechtsfolgen auch dann eintreten sollen, wenn das Gericht die Nichtigkeit der Norm festgestellt hat. Vom Wortlaut dieser Regelungen ausgehend wird so10 A. A. NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 46, wonach eine Obliegenheit besteht, sich während des Laufs der Rechtsmittelfristen, gegebenenfalls unter Zuhilfenahme kundigen Rechtsrates, zu informieren, ob landesverfassungsrechtliche Nichtigerklärungen hinsichtlich der streitentscheidenden Normen ergangen sind. Meines Erachtens ist eine solche Nachforschungspflicht praxisfern, denn das Ergehen einer Normenkontrollentscheidung bedeutet nicht, dass diese Tatsache zugleich weiten Teilen der Bevölkerung mitgeteilt wird. Selbst von Anwälten kann nicht gefordert werden, dass sie sich über jedes anhängige Normenkontrollverfahren unterrichten lassen. Ist bereits zum Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung ein Anfechtungsverfahren anhängig gewesen, würde diese Auffassung auch zu dem paradoxen Ergebnis führen, dass von einem Betroffenen eine größere Nachforschungspflicht verlangt würde, als von dem entscheidenden Richter. 11 Kneser, AöR 89 (1964), 148; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 34 Fn. 79.

III. „Für nichtig erklärt“ bzw. „die Nichtigkeit festgestellt“

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mit nur der vom Gesetzgeber als Regelfall vorgesehene Entscheidungsausspruch der Normenkontrollentscheidung von diesen Regelungen unmittelbar erfasst, wonach das Gericht eine gegen höherrangiges Recht verstoßende Norm für nichtig bzw. unwirksam erklärt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und in dessen Folge auch die Rechtsprechung der einzelnen Landesverfassungsgerichte haben in den vergangenen Jahrzehnten seit Einführung der gerichtlichen Normenkontrolle von diesem Regelfall abweichende, alternative Tenorierungsmöglichkeiten entwickelt, deren Zulässigkeit mittlerweile weitgehend anerkannt ist. 12 Dies betrifft zum einen die Feststellung der Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht, bei der es sich quasi um ein Bescheidungsurteil 13 handelt, durch das der Gesetzgeber aufgefordert wird, den rechtswidrigen Zustand durch eine gesetzliche Neuregelung zu beseitigen. Zum anderen ist hier die gerichtliche Verwerfung bestimmter Auslegungsvarianten einer Norm zu erwähnen, die unter Umständen einer teilweisen Kassation 14 einer Norm vergleichbar ist, ohne jedoch den Wortlaut der Norm als solchen als unvereinbar mit höherrangigem Recht zu erklären. Umstritten ist nun, ob auch diese alternativen Tenorierungsmöglichkeiten die Rechtsfolgen des § 79 Abs. 2 BVerfGG auslösen, insbesondere ob auch in diesen Fällen eine Vollstreckung der genannten Entscheidungen ausgeschlossen ist. Hiergegen spricht der Wortlaut des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG im Vergleich zu Abs. 1 der Vorschrift. § 79 Abs. 1 BVerfGG wurde im Jahr 1970 in seinem Wortlaut geändert 15 und auf die neuentwickelte Tenorierungsform der Unvereinbarerklärung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwerfung einer bestimmten Auslegungsmöglichkeit angepasst. Nach § 79 Abs. 1 BVerfGG muss die Entscheidung nicht auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, sondern es reicht aus, dass das Bundesverfassungsgericht die Norm „als mit dem Grundgesetz unvereinbar“ deklariert oder eine bestimmte Form der Auslegung der Norm für nichtig erklärt. Wenn nun der Gesetzgeber den Anwendungsbereich des § 79 Abs. 1 BVerfGG eigens erweitert hat, um den Entwicklungen der Rechtsprechung zu folgen, dabei bewusst aber auf eine vergleichbare Anpassung des Wortlautes des Abs. 2 verzichtet hat, dann könne eine entsprechende Anwendung des § 79 Abs. 2 BVerfGG auf den Fall der Unvereinbarkeitserklärung nicht in Betracht kommen, ebenso wenig, wie dies bei der bloßen Verwerfung einer bestimmten Auslegungsvariante der Fall sein könne. 16 12 Ausführliche Erläuterungen zu den einzelnen Entscheidungsaussprüchen des Bundesverfassungsgericht, der Verfassungsgerichte der Länder und der Oberverwaltungsgerichte siehe oben unter A.I.2.d. 13 So wörtlich Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 22. 14 Vgl. BVerfGE 20, 230 (235); Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 45; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 22. 15 Gesetz vom 21. 12. 1970, BGBl I, 1765.

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C. Tatbestandsmerkmale § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO

Teilweise wird auch vertreten, dass zwar die Unvereinbarkeitserklärung entsprechend der in § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG getroffenen Regelung ein Vollstreckungsverbot bewirkt, nicht aber die verfassungskonforme Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht. 17 Dies sei dadurch zu rechtfertigen, dass die Unvereinbarkeitserklärung die weitere Konkretisierung des Verfassungsverstoßes verhindern möchte, der in der Rechtswidrigkeit des Gesetzes liegt. Deshalb müsse auf die Unvereinbarkeitserklärung das Vollstreckungsverbot des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG entsprechend angewandt werden. 18 Bei der Verwerfung einer bestimmten Auslegungsalternative solle dies – neben der Tatsache, dass der Gesetzgeber die verfassungskonforme Auslegung nicht in § 79 Abs. 2 BVerfGG erwähnt hat 19 – aber deshalb nicht gelten, da die damit verbundene Ungleichbehandlung zwischen der verfassungskonformen Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht und durch die einzelnen Fachgerichte nicht erklärt werden könne. 20 Außerdem handele es sich bei der Verwerfung einer Auslegungsvariante gerade nicht um eine Teilkassation des Gesetzes. Bei einer solchen Teilkassation wird ein Bestandteil einer Norm eliminiert; der Verfassungsverstoß liegt hier in dem Erlass eines fehlerhaften Gesetzes durch den Normgeber. Bei einer verfassungskonformen Auslegung wird hingegen ein Verfassungsverstoß des Rechtsanwenders gerügt. Diesen Verfassungsverstoß hätte der Betroffene allerdings im Rahmen der vorgegebenen Rechtsschutzmöglichkeiten rügen müssen, so dass er von der Verwerfung einer bestimmten Gesetzesauslegung nicht profitieren könne. 21 Das Bundesverfassungsgericht 22 und die herrschende Meinung in der Literatur 23 gehen dennoch mit guten Gründen davon aus, dass sowohl die Unvereinbarerklärung als auch die verfassungskonforme Auslegung durch das Bundesverfassungsgericht von der Regelung des § 79 Abs. 2 BVerfGG erfasst werden. Aus den Geset16 Pestalozza, § 20 Rn. 77; insbesondere auch aus der zivilrechtlichen Literatur: Baumbach / Lauterbach / Albers / Hartmann, § 767 Rn. 33; MüKo-K. Schmidt, § 767 Rn. 70; nunmehr a. A. (im Gegensatz zur Vorauflage) Zöller-Herget, § 767 Rn. 12. Weitere Nachweise bei Sachs, JuS 2006, 454 Fn. 4. 17 So dezidiert Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 37 f. 18 Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 37; vgl. auch Benda / Klein, Rn. 1278; Papier, NJW 1979, 522. 19 OLG Stuttgart NJW 1996, 1683; Pestalozza, § 20 Rn. 77; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 38. 20 Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 38. 21 Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 38. 22 Zur Unvereinbarkeitserklärung BVerfGE 37, 217 (262 f.); 81, 363 (384); 99, 165 (184 f.); zur verfassungskonformen Auslegung BVerfGE 20, 230 (235 f.), zuletzt auch ausdrücklich BVerfG ZIP 2006, 60 ff. und BGHZ 167, 272 (276); a. A. Minderheitsvotum Haas, BVerfG ZIP 2006, 65 ff. 23 U. a. Eyermann-P. Schmidt, § 183 Rn. 2; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 18, 45; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 29; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 22.

III. „Für nichtig erklärt“ bzw. „die Nichtigkeit festgestellt“

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zesmaterialien lasse sich nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass der Gesetzgeber bei der Gesetzesänderung des Ausnahmefalls des § 79 Abs. 1 BVerfGG eine von § 79 Abs. 2 BVerfGG abweichende Regelung treffen wollte. 24 Ein Umkehrschluss, wie ihn die Mindermeinung ziehen möchte, kommt hier nicht in Betracht, zumal nach der Rechtsprechung bereits vor Änderung des § 79 Abs. 1 BVerfGG die alternativen Entscheidungsaussprüche des Bundesverfassungsgerichts die in § 79 BVerfGG vorgesehenen Rechtsfolgen ausgelöst haben. 25 Hätte der Gesetzgeber mit der Änderung des § 79 Abs. 1 BVerfGG nicht nur eine Klarstellung, sondern auch eine Einschränkung des Tatbestandes des § 79 Abs. 2 BVerfGG bewirken wollen, so hätte er dies in den Gesetzesmaterialien sicherlich auch zum Ausdruck gebracht. 26 Es sind auch keine weiteren Gründe ersichtlich, die eine solche Auslegung stützen könnten, denn es ist nicht nachvollziehbar, dass alleine eine vom Regelfall abweichende und vom Wortlaut des Gesetzes gar nicht vorgesehene Tenorierung im Falle der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Norm über Bestand und Vollstreckbarkeit der auf dieser Norm beruhenden Verwaltungsakte entscheiden kann. Egal, welchen Tenor die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch besitzt, so steht doch in diesen Fällen mit der Entscheidung zugleich fest, dass die gesetzliche Grundlage des Verwaltungsakts rückwirkend wegfällt und der Verwaltungsakt, so er denn auf dieser Grundlage beruht, rechtswidrig ist. 27 Hierdurch wird eine Konstellation geschaffen, die der Nichtigerklärung einer Norm gleicht und bei der es zu einer Kollision zwischen Rechtssicherheit und Rechtmäßigkeit kommt. 28 Weshalb hier die Wertungen des Gesetzgebers nicht entsprechend anzuwenden sein sollen, ist nicht nachvollziehbar. Auch die Einwände hinsichtlich einer entsprechenden Anwendung des § 79 Abs. 2 BVerfGG im Falle der verfassungskonformen Auslegung sind nicht überzeugend. Für den Bürger macht es nur wenig Unterschied, ob die Rechtswidrigkeit der Norm und die damit in der Regel verbundene Rechtswidrigkeit des auf ihr 24

BVerfG ZIP 2006, 62; Sachs, JuS 2006, 455. Vgl. zur Rechtsprechung vor Änderung des § 79 Abs. 1 BVerfGG BVerfGE 20, 230 (235 f.); 37, 217 (262 f.). 26 BVerfG ZIP 2006, 62; Sachs, JuS 2006, 455. 27 Zu dieser Verknüpfung zwischen „Beruhen“ und „Rechtswidrigkeit“ im Folgenden unter C. IV. 5. 28 So auch BVerfG ZIP 2006, 62: Zur Vermeidung inhaltlicher Widersprüchlichkeit und zur Wahrung des Grundsatz-Ausnahmeverhältnisses der Absätze 2 und 1 von § 79 BVerfGG ist es geboten, bei Satz 1 und den Anschlussregelungen in den Sätzen 2 und 3 des § 79 Abs. 2 BVerfGG genauso zu verfahren [wie bei der Regelung des Abs. 1]; vgl. auch Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 18 und Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 22: die hieraus entstehende Kollision zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit fordert keine anderen Lösungen als im Fall der Nichtigerklärung. 25

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C. Tatbestandsmerkmale § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO

beruhenden Verwaltungsakts aus einem Fehlverhalten des Gesetzgebers oder einer fehlerhaften Auslegung der Norm durch den Rechtsanwender resultiert. Dieser Auffassung kann auch nicht entgegengehalten werden, dass der Betroffene gegen das fehlerhafte Verhalten des Rechtsanwenders den Rechtsweg hätte bestreiten können 29. Denn gegen ein Fehlverhalten des Gesetzgebers hätte er ebenfalls klagen können. Es macht keinen Unterschied, ob es der Betroffene unterlassen hat, gegen eine Norm oder gegen eine auf dieser Norm beruhende Fehlentscheidung des Rechtsanwenders vorzugehen. Einzig von Bedeutung ist, dass mit der Normenkontrollentscheidung quasi gesetzeskräftig feststeht, dass ein Fehler begangen wurde, der regelmäßig die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zur Folge hat. Diese allgemeinverbindliche Wirkung unterscheidet die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auch von der verfassungskonformen Auslegung einer Norm durch Fachgerichte und rechtfertigt die Sonderregelung des § 79 Abs. 2 BVerfGG. Im Übrigen stellt die verfassungskonforme Auslegung einen Spezialfall der Teilnichtigerklärung dar, bei der nicht der Wortlaut der Norm, sondern eine nach dem Wortsinn dieser Norm mögliche Auslegungsvariante verworfen wird. 30 Es macht aber keinen Unterschied, ob die nicht mehr anfechtbare Entscheidung auf der verfassungswidrigen Auslegung einer Rechtsnorm oder auf der verfassungswidrigen Vorschrift unmittelbar beruht. 31 In beiden Fällen, Teilnichtigerklärung des Wortlautes oder Verwerfung einer Auslegungsvariante, stellt sich der auf der Norm beruhende Verwaltungsakt als ein fehlerhaftes Produkt der Normanwendung dar. Es überzeugt daher, wenn der Fall der verfassungskonformen Auslegung einer Norm mit dem Regelfall der Nichtigerklärung einer Norm gleichgesetzt wird und ebenfalls die Anwendung des § 79 Abs. 2 BVerfGG nach sich zieht. 32 Das Bundesverfassungsgericht führt zusätzlich aus, dass es widersprüchlich wäre, wenn zwar die Einzelakte im Falle der Nichtigerklärung einer Norm „Bestandsschutz“ nach § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG genießen, nicht aber die Einzelakte im Falle der „bloßen“ Unvereinbarerklärung bzw. der verfassungskonformen Auslegung, obwohl diese nur ein „Minus“ zur Nichtigerklärung darstellen. 33 Es wäre unverständlich, wenn der schwächere Entscheidungstenor weitreichendere Folgen auf den Bestand des Einzelakts hätte (nämlich den Ausschluss des „Bestandsschutzes“ nach Abs. 2 S. 1), als dies bei der gravierenderen Nichtigerklärung einer Norm der Fall wäre. 34 29

So aber Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 38. Schlaich / Korioth, Rn. 446; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 22. 31 So BVerfG ZIP 2006, 62. 32 BVerfGE 20, 230 (235 f.); ZIP 2006, 60 ff.; Benda / Klein, Rn. 1288 Fn. 178; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 18; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 29; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 22. 33 BVerfG ZIP 2006, 62. 30

III. „Für nichtig erklärt“ bzw. „die Nichtigkeit festgestellt“

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Daher bleibt festzuhalten, dass von § 79 Abs. 2 BVerfGG nicht nur der Fall der Nichtigerklärung einer Norm, sondern auch die Unvereinbarerklärung und die verfassungskonforme Auslegung einer Rechtsnorm durch das Bundesverfassungsgericht erfasst werden. Etwas anderes gilt lediglich in den Fällen, in denen das Bundesverfassungsgericht zwar im Grundsatz die Unvereinbarkeit einer Norm mit höherrangigem Recht feststellt, die Norm aber explizit bis zu einer Neuregelung des Gesetzgebers oder bis zum Ablauf einer Frist zur Nachbesserung der Norm weiterhin für anwendbar erklärt. 35 Da bei solchen Unvereinbarkeitsentscheidungen der Gesetzgeber nur für die Zukunft eine verfassungsgemäße Neuregelung vornehmen muss und bis dahin die Norm über eine Fortgeltungsanordnung weiterhin Anwendung findet, bleiben die bisher aufgrund dieser Norm ergangenen Entscheidungen nicht nur unberührt, sondern behalten auch ihre Rechtmäßigkeit bei. Das Vollstreckungsverbot gemäß § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG ist nicht anwendbar 36, denn es kommt in diesen Fällen gerade nicht zu einer vergleichbaren Konfliktsituation zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit, wie dies bei dem rückwirkenden Wegfall der Norm festzustellen ist. Fehlt hingegen eine ausdrückliche Fortgeltungsanordnung, so sind die zu diesem Zeitpunkt noch anhängigen Verfahren bis zur Neuregelung durch den Gesetzgeber auszusetzen. Das Vollstreckungsverbot des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG ist allerdings zu beachten. Dem Bundesverfassungsgericht ist meines Erachtens aber grundsätzlich zu folgen, wenn es den Anwendungsbereich des § 79 Abs. 2 BVerfGG auch für die Unvereinbarerklärung sowie die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer bestimmten Auslegungsvariante öffnet und diese somit, zumindest die Rechtsfolgen betreffend, mit dem gesetzlich vorgesehenen Regelfall der Nichtigkeit der Norm gleichstellt. Gleiches gilt auch für die Vorschrift des § 183 VwGO 37, insofern auch die Landesverfassungsgerichte in ihrer Entscheidungspraxis dem Beispiel des Bundesverfassungsgerichts gefolgt sind und dessen alternative Tenorierungsmöglichkeiten in ihre Spruchpraxis übernommen haben. 38 Auch hier erfordert die Kollision von Rechtssicherheit und Gerechtigkeit kein anderslautendes Resultat. 34 BVerfG ZIP 2006, 62; ebenso BGHZ 167, 272 (276). Dieses Argument stützt das Ergebnis jedoch nur bedingt, da bereits umstritten ist, ob § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG einen ausdrücklichen Bestandsschutz anordnet, wie es das Bundesverfassungsgericht hier voraussetzt, oder ob sich der Regelungsgehalt dieser Vorschrift nicht nur in der deklaratorischen Feststellung des unmittelbaren Fortbestandes des Einzelakts trotz Nichtigerklärung der Norm beschränkt (dazu später ausführlich unter E. I. und II.). 35 BFHE 175, 519 (524); Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 39 Fn. 89; Steiner, FS Leisner, S. 577; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 7. 36 Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 59; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner § 183 Rn. 39; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 7. 37 Vgl. NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 29; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, Rn. 22.

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C. Tatbestandsmerkmale § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO

Was hingegen die Regelung des § 47 Abs. 5 S. 3 VwGO i. V. m. § 183 VwGO betrifft, so stellt sich das Problem, dass nach der Neufassung der Vorschrift des § 47 VwGO das Resultat einer stattgebenden Normenkontrolle vor den Oberverwaltungsgerichten nicht die Feststellung der Nichtigkeit der Norm, sondern die Feststellung der Unwirksamkeit der Norm ist. Diese Änderung in der Terminologie hat jedoch, wie bereits an anderer Stelle erwähnt 39, keine Auswirkungen auf den Wegfall der Norm ex tunc. Vielmehr handelt es sich um die sprachliche Vereinheitlichung des Entscheidungsausspruches des verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahrens. Inhaltlich bleibt es aber bei dem Grundsatz, dass die Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm im verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren, soweit sich aus den Regelungen des materiellen Rechtes nicht die Möglichkeit einer Heilung des Fehlers in einem ergänzenden Verfahren ergibt, rückwirkend den Wegfall der Norm feststellt und dass die „dauerhafte“ Unwirksamkeit somit der Nichtigkeit einer Norm entspricht. 40 Demnach bestehen keine Bedenken – zumal der Gesetzgeber auch nach der Neuregelung des § 47 VwGO weiterhin auf die Regelung des § 183 VwGO verweist – die Rechtsfolgen der „Unwirksamkeitserklärung“ nach § 47 VwGO weiterhin nach der Vorschrift des § 183 VwGO zu bestimmen. Sofern, wie bereits unter A.I.2.d. behandelt, auch im Rahmen der prinzipalen Normenkontrolle nach § 47 VwGO die Möglichkeit der bloßen Feststellung der Rechtswidrigkeit ohne Unwirksamerklärung der Norm für zulässig erachtet wird 41, sind die zur Unvereinbarkeitserklärung des Bundesverfassungsgerichts entwickelten Ergebnisse entsprechend anwendbar. Stellt das Oberverwaltungsgericht die Rechtswidrigkeit der Norm fest und untersagt zugleich die weitere Anwendung und den Vollzug der Norm, so findet auch in diesen Fällen die Regelung des § 183 VwGO Anwendung. Erlässt das Oberverwaltungsgericht aber, trotz Feststellung der Rechtswidrigkeit der Norm, die explizite Anordnung der Fortwirkung der fehlerhaften Norm, so kann § 183 VwGO, insbesondere das Vollstreckungsverbot des § 183 Abs. 2 VwGO, keine Anwendung finden. 42 Gleiches muss aber erst recht für die Fallkonstellation gelten, dass eine Norm zwar rechtswidrig ist, aber diese Rechtswidrigkeit weder durch das Normenkontrollgericht unmittelbar noch durch eine Pflicht zur Nachbesserung durch den Gesetzgeber sanktioniert wird (z. B. gemäß § 214 Abs. 3 S. 2 BauGB, wonach Mängel im Abwägungsvorgang dann unerheblich sind, wenn sie sich offensichtlich nicht auf das Abwägungsergebnis 38 Vgl. StGH BW ESVGH 29, 160 (169); BayVerfGHE 27, 172 (181); 45, 54 (66); VerfGH NW DVBl. 1976, 395; VerfGH Saar DVBl. 1975, 37. 39 Vgl. oben unter A.I.2.d. am Ende. 40 Vgl. Hufen, § 38 Rn. 48; Kopp / Schenke, § 47 Rn. 120. 41 So NKVwGO-Ziekow, § 47 Rn. 357; Schenke, GS Kopp, C. II.; Würtenberger, Rn. 470; a. A. Eyermann-J. Schmidt, § 47 Rn. 92a; Hufen, § 38 Rn. 54; Gerhardt / Bier, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 47 Rn. 113. 42 Hinsichtlich der Begründung dieses Ergebnisses siehe oben C. III. am Anfang.

IV. Verwaltungsakt und rechtswidrige Norm

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ausgewirkt haben). 43 Besteht in diesen Fällen kein Bedarf nach einer Normkorrektur, dann scheidet auch eine Sanktionierung hierauf beruhender Normvollzugsakte im Sinne von § 183 S. 2 VwGO aus. Soweit in der Folge die Begriffe „Unwirksamkeit der Norm“, „Nichtigkeit der Norm“ oder „Feststellung der Rechtswidrigkeit der Norm“ verwendet werden, so sind diese, auch wenn sie nicht identisch sind, doch in einem einheitlichen Sinne zu verstehen und miteinander austauschbar, da die Art der Tenorierung für die Feststellung der Rechtsfolgen und insbesondere für die Anwendung der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO keine Auswirkung hat. In der Regel wird jedoch in der Folge der Ausdruck „Unwirksamkeit der Norm“ verwendet.

IV. Das Beruhen des Verwaltungsakts auf einer rechtswidrigen Norm 1. Allgemein Nach § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO bleiben Verwaltungsakte von der Unwirksamerklärung einer Norm unberührt, wenn sie auf dieser Norm „beruhen“. Der Wortlaut des Begriffes scheint die Frage, wann ein Verwaltungsakt auf einer Norm beruht, auf den ersten Blick nicht abschließend zu klären, da mehrere Deutungsmöglichkeiten dieses Begriffes denkbar sind. Zumindest ist aber die Kernaussage erkennbar, dass der Begriff „Beruhen“ eine bestimmte Kausalverknüpfung von rechtswidriger Norm und Einzelakt voraussetzt. Die für unwirksam erklärte Norm muss also Auswirkungen auf den konkreten Einzelakt haben. Dies setzt in einem ersten Schritt voraus, dass die fehlerhafte Norm im Verfahren, das zum Erlass des Einzelakts führte, angewendet wurde. Allein die Anwendung einer Norm kann jedoch nicht ausreichen, um einen Verwaltungsakt als auf dieser Norm beruhend i. S. v. § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO anzusehen. Kennzeichnend für den Anwendungsbereich dieser Normen ist nämlich die Spannungslage zwischen Gesetzmäßigkeit und Rechtssicherheit. 44 Würde die bloße Anwendung der mittlerweile als rechtswidrig deklarierten Norm bei Erlass des Verwaltungsakts – unabhängig von möglichen Auswirkungen auf dessen Rechtmäßigkeit – ausreichen, um ein Vollstreckungsverbot zu begründen, wie es die Vorschriften der § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO vorsehen, so würde man den Besonderheiten dieser Regelungen, nämlich der Spannungslage zwischen Rechtssicherheit und Einzelfallgerechtigkeit, nicht gerecht werden. 43 Hierzu ausführlich Schenke, GS Kopp, Kap. C, 4.c. In diesen Fällen wird der Regelungsgedanke des § 46 VwVfG auf rechtswidrige, nicht korrekturbedürftige Normen übertragen. 44 Statt vieler Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 12 ff.; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 1.

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Denn hätte die den Verwaltungsakt erlassende Behörde auch ohne die Anwendung der fehlerhaften Norm den Verwaltungsakt ohne inhaltliche Änderung erlassen oder – soweit es sich um eine gebundene Entscheidung handelt – sogar erlassen müssen, dann lägen keine nachvollziehbaren Gründe vor, weshalb die Behörde nun von einer Vollstreckung dieses Verwaltungsakts absehen sollte. Die bereits in der Einleitung dargestellte Spannungslage besteht nur in Fällen, in denen die Nichtigerklärung der Norm die Gesetzmäßigkeit des Einzelakts in Frage stellt. Der Beruhensbegriff muss demnach einen Ursächlichkeitszusammenhang zwischen Norm und Einzelakt beschreiben, wonach sich die Anwendung der Norm auf die objektive 45 Richtigkeit des Einzelakts ausgewirkt haben könnte. Es besteht daher Einigkeit, dass ein Verwaltungsakt zumindest dann auf einer für nichtig erklärten Norm beruht, wenn die Behörde bei richtiger Gesetzesanwendung, d. h. ohne die Anwendung der für nichtig erklärten Norm, zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen 46, wenn also die Norm „conditio sine qua non“ für die letztlich getroffene Entscheidung war. Ein solcher Zusammenhang ist zweifellos dann gegeben, wenn die Nichtigerklärung einer Norm des materiellen Rechts zu eine Lücke im logischen Aufbau der Begründung des Verwaltungsakts führt. 47 Dies lässt sich anschaulich an einem Beispiel aus dem Baurecht darstellen: Lehnt die Behörde die Erteilung einer Baugenehmigung ab, weil das geplante Bauvorhaben gegen die Festsetzungen eines Bebauungsplanes widerspricht, so beruht der Ablehnungsbescheid nach der Nichtigerklärung des Bebauungsplanes nur dann auf selbigem, wenn das Vorhaben ohne die Existenz des Bebauungsplanes zu genehmigen wäre (z. B. weil es sich in die nähere Umgebung nach § 34 Abs. 2 BauGB einfügt). Ist aber das Bauvorhaben auch ohne den Bebauungsplan nicht genehmigungsfähig (z. B. weil es sich nicht in die nähere Umgebung einfügt oder sich im Außenbereich befindet und offensichtlich schädliche Auswirkungen im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB aufweist), so hätte die Behörde eine Entscheidung gleichen Inhaltes treffen müssen. Ein Verwaltungsakt beruht also immer dann auf einer für nichtig erklärten Norm des materiellen Rechts, wenn die Behörde ohne die Anwendung dieser Norm zwingend zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Deutlich komplizierter stellt sich die Situation aber dann dar, wenn dieses Ergebnis, d. h. dieser Nachweis einer anderen, für den Betroffenen günstigeren 45

Es besteht Einigkeit, dass die Auswirkungen der Norm auf den Einzelakt objektiv, d. h. aus einer übergeordneten Perspektive heraus zu ermitteln sind. Die subjektive, weil allein auf die Ansicht des erkennenden Gerichts (bzw. der Erlassbehörde) abstellende Deutungsweise wird lediglich bei Zekorn, ZZP 74 (1961), 405 ff., erwähnt, der allerdings eine solche subjektive Auslegung des Begriffes „Beruhen“ ebenfalls ablehnt. 46 Vgl. Kneser, AöR 89 (1964), 149 f.; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 183 Rn. 48; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 40; Pietzner, in: Schoch / SchmidtAßmann / Pietzner, § 183 Rn. 35. 47 Kneser, AöR 89 (1964), 150.

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Entscheidung nicht zwingend erbracht werden kann. Dies betrifft zum einen die Fälle, in denen der Nichtigerklärung eine Norm formellrechtlichen Inhalts zugrunde liegt, da hier die logische Verknüpfung zwischen der Nichtigerklärung der Norm und der konkreten Einzelfallentscheidung nicht offen zu Tage tritt. Die Frage, ob die den Verwaltungsakt erlassende Behörde bei Durchführung eines fehlerfreien Verwaltungsverfahrens (z. B. in anderer Besetzung, unter Einhaltung von Anhörungspflichten oder bestimmter Fristen) zu einem inhaltlich anderen Ergebnis gelangt wäre, ist nur in wenigen Ausnahmefällen endgültig zu klären. 48 Daher wird teilweise vertreten, dass ein Verwaltungsakt nur auf einer Norm des materiellen Rechts im Sinne der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO beruhen kann, d. h. dass die Nichtigerklärung einer Norm des formellen Rechts nicht die Folgewirkungen der benannten Vorschriften auslösen kann. 49 Diese restriktive Auslegung wird jedoch mehrheitlich abgelehnt. 50 Aber auch bei Normen des materiellen Rechts kann es zu Situationen kommen, in denen weder ein Kausalzusammenhang, noch dessen offensichtliches Fehlen zweifelsfrei nachgewiesen werden kann. Diese, in der Literatur bislang kaum behandelten Fallkonstellationen, sind insbesondere bei Verwaltungsakten zu finden, bei deren Erlass die Behörde über einen Ermessensspielraum verfügt. 51 Denn stützt sich die Behörde im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung auf Erwägungen, die sie auch ohne die konkret für nichtig erklärte Rechtsgrundlage zum Erlass eines inhaltsgleichen Verwaltungsakts berechtigen würde, so bleibt es quasi unaufklärbar, ob in diesem Fall die Behörde den Verwaltungsakt unter Zugrundelegung einer anderen Ermächtigungsnorm mit den gleichen Ermessenserwägungen ebenfalls erlassen hätte. Diese Nichtfeststellbarkeit einer „Erfolgskausalität“ mag dann noch zu Lasten der Behörde gehen, wenn die Behörde unter Zugrundelegung einer anderen Ermächtigungsgrundlage andere oder noch zusätzliche, über die bisher getätigten Überlegungen hinausreichende Ermessenserwägungen hätte anstellen müssen. Fraglich ist jedoch, ob auch dann von einem Beruhen gesprochen werden kann, wenn die gleichen Ermessenserwägungen auch auf der Grundlage 48

So auch Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 274. Zekorn, ZZP 74 (1961), 415 ff. unter Verweis auf die zu § 79 Abs. 1 BVerfGG ergangene Entscheidung BVerfG NJW 1960, 1563. 50 Kneser, AöR 89 (1964), 149 ff.; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 40; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 35. 51 Eine genaue Untersuchung des Beruhensbegriffes findet sich nur selten in der Literatur. Grundlegende Ausführungen zu dieser Thematik enthalten lediglich die Beiträge von Zekorn, ZZP, 1961, 401 ff. und Kneser, AöR 89 (1964), 129 ff., die sich jedoch nicht mit den Fällen von verwaltungsbehördlichen Ermessensentscheidungen befassen. Auch die Kommentierungen zu § 183 VwGO und § 79 BVerfGG behandeln diese Fallkonstellation nicht und stellen bei ihrer Definition des Beruhensbegriffes in den genannten Normen auf gebundene Entscheidungen, insbesondere auf gerichtliche Entscheidungen ab, vgl. NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 40; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 35. 49

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einer anderen Ermächtigungsgrundlage den erlassenen Verwaltungsakt rechtfertigen würden. Insofern muss untersucht werden, ob es für die Feststellung des Tatbestandsmerkmales „beruhen“ auch bei materiellrechtlichen Normen unter Umständen ausreichen muss, dass sich die Anwendung der Norm nur möglicherweise auf den Inhalt des Verwaltungsakts ausgewirkt hat. Bevor eine speziell auf den Bereich der Verwaltungsakte abstellende Definition des Beruhensbegriffes für die Vorschriften der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO herausgearbeitet werden kann, soll zunächst auf andere Rechtsnormen eingegangen werden, die den Begriff „Beruhen“ enthalten. Der Beruhensbegriff findet sich durchgängig in den verschiedenen Verfahrensordnungen und ist insbesondere charakteristisch für das jeweilige Revisionsrecht der StPO, der ZPO und der VwGO. Da eine gewisse Vermutung dafür spricht, dass der Gesetzgeber identischen Begriffen auch einen identischen Aussagegehalt zuerkennt, insbesondere wenn der Begriff mehrfach innerhalb des selben Gesetzes verwendet wird 52, wie dies in der VwGO der Fall ist, können sich der Auslegung der revisionsrechtlichen Vorschriften möglicherweise weitere Rückschlüsse auf die Deutung des Begriffes im Zusammenhang mit den Vorschriften der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO entnehmen lassen. 2. Der Begriff des „Beruhens im revisionsrechtlichen Sinne“ a) StPO Die Strafprozessordnung benutzt den Begriff „beruhen“ in den Vorschriften zur Revision (§§ 337, 338 StPO). Nach der Ausgangsvorschrift des § 337 StPO kann die Revision nur damit begründet werden, dass das vorausgehende Urteil auf einer Verletzung des Gesetzes „beruht“. Die Spezialvorschrift des § 338 StPO führt in der Folge bestimmte Fallkonstellationen auf, in denen ein Urteil als auf einer Rechtsverletzung beruhend anzusehen ist. In diesen Fällen, den sogenannten absoluten Revisionsgründen, wird ein „Beruhen“ unwiderlegbar vermutet. 53 Eine gerichtliche Überprüfung des Tatbestandsmerkmales „beruhen“, wie dies grundsätzlich durch § 337 StPO gefordert wird, erfolgt hier nicht. 54 All diesen absoluten Revisionsgründen nach § 338 StPO liegt eine Verletzung von Verfahrensvorschriften, also eine Verletzung von Normen des formellen Rechts, zugrunde. 52 Vgl. Zippelius, Methodenlehre, S. 53; auch Wank, S. 68, der gleichzeitig unter dem Gesichtspunkt der Relativität der Begriffsbildung darauf hinweist, dass es sich dabei nur um eine Vermutung handelt: Der Gesetzgeber bemühe sich zwar um eine einheitliche Terminologie, doch sei es durchaus möglich, dass innerhalb eines Gesetzes derselbe Ausdruck in einer anderen Bedeutung verwendet werde. 53 Meyer-Goßner, § 338 Rn. 1; L / R-Hanack, § 337 Rn. 254. 54 L / R-Hanack, § 337 Rn. 254.

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Außerhalb dieser absoluten Revisionsgründe ist das Revisionsgericht zur Überprüfung des Tatbestandsmerkmales „beruhen“ hingegen verpflichtet. 55 Dabei wird unter „Beruhen“ ein ursächlicher 56 Sachzusammenhang der Gestalt verstanden, wonach bei richtiger Anwendung der Gesetze das Urteil anders, für den Revisionsführer günstiger ausgefallen wäre. 57 Dabei reicht die bloße Möglichkeit eines abweichenden Ergebnisses aus. 58 An einem Ursächlichkeitszusammenhang fehlt es hingegen, wenn eine Beeinflussung des Urteils durch den Verstoß ausgeschlossen oder rein theoretischer Natur ist. 59 Das Revisionsgericht trägt hier die „Beweislast“ 60 für die Annahme, dass das angefochtene Urteil auch ohne die Rechtsverletzung in gleicher Weise ausgefallen wäre, dass also die Möglichkeit eines anderen Urteilsinhaltes ausgeschlossen ist. Eine Differenzierung zwischen Verfahrensvorschriften und materiellen (Sach-)Vorschriften wird dabei nicht vorgenommen. Auch bei der Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften ist – soweit diese nicht bereits dem Anwendungsbereich des § 338 StPO unterfallen – zu untersuchen, ob ein rechtsfehlerfreies Verfahren zu demselben oder möglicherweise zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. 61 Während sich diese Erkenntnis bei materiellrechtlichen Mängeln des Urteils jeweils direkt aus der Urteilsbegründung ergeben dürfte, muss das Revisionsgericht diese Frage bei Verfahrensfehlern unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalls beantworten. 62 Ferner ist auf die Möglichkeit der rechtzeitigen Heilung von Verfahrensfehlern hinzuweisen, die ein „Beruhen“ des Urteils auf dem ursprünglichen Verfahrensfehler in der Regel ausschließt. 63 b) ZPO Auch die Revisionsvorschriften der ZPO (§§ 545, 546, 547 ZPO) setzen für den Erfolg einer Revision voraus, dass das vorangehende Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht. Dies ist dann der Fall, wenn das Urteil bei richtiger Anwendung der 55

Meyer-Goßner, § 337 Rn. 37. So die ständige Rechtsprechung seit RGSt 1, 254 (255); Meyer-Goßner, § 337 Rn. 37; Roxin, § 53 Rn. 30; z. T. wird auch von einem finalen Zusammenhang (vgl. Blomeyer, JR 1971, 142) bzw. von einem normativen Zusammenhang (vgl. Herdegen, NStZ 1990, 513 ff.; L / R-Hanack, § 337 Rn. 254; Schlüchter, FS Krause, S. 485 ff.) ausgegangen, wobei sich diese unterschiedlichen Ansätze in der Regel nicht auf das Ergebnis auswirken. 57 BGH NJW 1951, 206; Meyer-Goßner, § 337, Rn. 37. 58 Vgl. BVerfGE 4, 412 (417); BGHSt 1, 346 (350); 8, 155 (158); 22, 278 (280). 59 BGHSt 14, 265 (268); 18, 290 (295); BGH NStZ 1985, 135. 60 So wörtlich Herdegen, NStZ 1990, 516. 61 L / R-Hanack, § 337 Rn. 256 ff.; Meyer-Goßner, § 337, Rn. 38. 62 So auch L / R-Hanack, § 337 Rn. 257; Meyer-Goßner, § 337 Rn. 38. 63 Herdegen, NStZ 1990, 519; L / R-Hanack, § 337 Rn. 261; Meyer-Goßner, § 337 Rn. 38. 56

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Gesetze durch das Gericht anders gelautet hätte. 64 Der Gesetzgeber der ZPO hat sich ebenfalls dafür entschieden, zwischen absoluten und relativen Revisionsgründen zu unterscheiden. So zählen § 547 Nr. 1 – 6 ZPO bestimmte Verfahrensfehler auf, bei denen das Beruhen unwiderleglich vermutet wird. 65 Damit ist ähnlich wie in § 338 StPO die Revision in diesen Fällen selbst dann begründet, wenn feststeht, dass sich der Verfahrensfehler unter keinen Umständen auf das Ergebnis der Entscheidung auswirken konnte. 66 Die Regelung des § 561 ZPO, nach der die Revision zurückzuweisen ist, wenn sich das angefochtene Urteil aus anderen Gründen heraus als richtig erweist, ist in den Fällen der absoluten Revisionsgründe des § 547 ZPO nicht anwendbar. 67 Ist § 547 ZPO nicht einschlägig, so muss der Kausalzusammenhang zwischen der verletzten Rechtsvorschrift und dem Urteilsinhalt positiv festgestellt werden. Bei Verfahrensfehlern reicht es dabei aus, wenn das angefochtene Urteil auf dem Verstoß beruhen kann 68, d. h. wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht ohne den Verfahrensfehler zu einer für den Revisionskläger günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Gleiches gilt im Übrigen auch für die zivilprozessuale Berufung, die nach § 513 Abs. 1 Alt. 1 ZPO ebenfalls darauf gestützt werden kann, dass das Urteil auf einer Rechtsverletzung beruht. 69 Die Vorschriften zur Berufung orientieren sich insofern an den Vorschriften zur Revision. Somit bleibt festzuhalten, dass auch das Zivilprozessrecht sowohl die Verletzung materiellrechtlicher Vorschriften, als auch die Verletzung formellrechtlicher Vorschriften als mögliche Revisionsgründe anführt und bzgl. letzteren einen zumindest möglichen Ursächlichkeitszusammenhang fordert. c) VwGO Auch die VwGO verwendet mehrfach den Begriff des Beruhens. Wie bereits bei den anderen Prozessordnungen festgestellt werden konnte, so unterscheidet auch die VwGO zwischen absoluten und relativen Revisionsgründen. § 138 VwGO entspricht weitestgehend den Regelungen der § 338 StPO und § 547 ZPO, indem dort bestimmte Verfahrensfehler aufgelistet werden, bei deren Vorliegen ein Kausalzusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Urteilsinhalt unwiderlegbar vermutet wird. 70 Die Regelung des § 144 Abs. 4 VwGO greift hier grundsätzlich nicht ein. 71 Bei den relativen Revisionsgründen verbleibt es gemäß § 137 VwGO hingegen 64

Zöller-Gummer, § 547 Rn. 1 m. w. N. Baumbach / Lauterbach, § 547 Rn. 1; Zöller-Gummer, § 547 Rn. 1 und § 545 Rn. 1. 66 Baumbach / Lauterbach, § 547 Rn. 1; Zöller-Gummer, § 547 Rn. 1. 67 Baumbach / Lauterbach, § 561 Rn. 4; Zöller-Gummer, § 561 Rn. 1; offen gelassen BGH NJW 1981, 1046. 68 BGHZ 27, 164 (169); BGH NJW 1990, 122. 69 Vgl. hierzu Zöller-Gummer / Heßler, § 513 Rn. 5. 65

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bei dem Erfordernis, die Ursächlichkeit der Rechtsverletzung für den konkreten Inhalt der letztlich getroffenen Entscheidung festzustellen. Bei Verfahrensfehlern reicht bereits die Feststellung aus, dass das Gericht ohne den Verfahrensfehler möglicherweise zu einem für den Revisionskläger günstigeren Ergebnis gelangt wäre. 72 Allerdings entfällt auch hier das Beruhen, wenn die fehlerhafte Verfahrenshandlung noch so nachgeholt werden konnte, dass damit der Zweck, der mit dieser Verfahrenshandlung verknüpft ist, noch erreicht werden konnte. 73 Wird eine Verletzung materiellen Rechts gerügt, so ist umstritten, ob ein Ursächlichkeitszusammenhang positiv festgestellt werden muss 74 oder ob es auch hier ausreicht, dass sich die Rechtsverletzung auf das Ergebnis (bloß) ausgewirkt haben könnte 75. Außerhalb der Revisionsvorschriften verwendet die VwGO den Begriff „beruhen“ auch im Rahmen der Vorschriften bezüglich der Zulassung von Rechtsmitteln, insbesondere in § 124 Abs. 2 Nr. 4 und 5 VwGO (Berufungszulassung) und § 132 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO (Revisionszulassung). Inhaltlich weicht der Begriff nicht von der Auslegung des „revisionsrechtlichen Beruhensbegriffes“ ab, so dass auf die bisherigen Ausführungen verwiesen werden kann. 76 d) Zwischenfazit Der Begriff „Beruhen“ wird demnach in den Vorschriften, die sich mit der Revision befassen, in allen Verfahrensordnungen 77 einheitlich verwendet. Eine Differenzierung zwischen materiellen und formellen Fehlern, wie von Zekorn für 70 BVerwG NJW 1995, 2308; NKVwGO-Neumann, § 138 Rn. 1; Kopp / Schenke, § 138, Rn. 1; R / Ö-v. Nicolai. § 138 Rn. 1; Würtenberger, Rn. 737. 71 BVerwGE 62, 6 (10); 102, 7 (11); Kopp / Schenke, § 144 Rn. 6; NKVwGO-Neumann, § 144 Rn. 31; R / Ö-v. Nicolai, § 144 Rn. 3; a. A. Eichberger, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 144 Rn. 54 ff., teilweise auch BVerwG NVwZ-RR 2000, 234, wonach § 144 Abs. 4 VwGO auch bei Vorliegen eines absoluten Revisionsgrundes anwendbar sein soll, wenn sich der Verfahrensfehler nicht auf das Ergebnis ausgewirkt haben kann und keinen Bezug zu den das Ergebnis tragenden Gründen besitzt. Für den absoluten Revisionsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 138 Nr. 3 VwGO gelte der Ausschluss von § 144 Abs. 4 VwGO jedoch nicht, vgl. auch BVerwGE 15, 24 (26); Kopp / Schenke, § 144 Rn. 6; grundsätzlich auch NKVwGO-Neumann, § 144 Rn. 32, der diese Ausnahmefälle aber nicht auf den Revisionsgrund des § 138 Nr. 3 VwGO beschränkt. 72 BVerwGE 14, 342 (246); Eyermann-P. Schmidt, § 137 Rn. 20; NKVwGO-Neumann, § 137 Rn. 17; Kopp / Schenke, § 137, Rn. 23; R / Ö-v. Nicolai, § 137 Rn. 14. 73 Kopp / Schenke, § 137 Rn. 23b. 74 So Eyermann-P. Schmidt, § 137 Rn. 20; NKVwGO-Neumann, § 137 Rn. 17. 75 Kopp / Schenke, § 137 Rn. 23; R / Ö-v. Nicolai, § 137 Rn. 14; Würtenberger, Rn. 736. 76 Zur Berufungszulassung: NKVwGO-Seibert, § 124 Rn. 180 ff. (zu Nr. 4) und 219 ff. (zu Nr. 5) ; zur Revisionszulassung: NKVwGO-Czybulka, § 132 Rn. 97 (zu Nr. 2) und 123 (zu Nr. 3); Kopp / Schenke, § 132 Rn. 19 (zu Nr. 2) und 23 (zu Nr. 3), alle jeweils m. w. N. 77 Gleiches gilt neben den hier aufgeführten Verfahrensordnungen auch für die Vorschriften der §§ 118, 119 FGO, § 162 SGG, § 73 ArbGG oder § 127 BRRG, die hier jedoch

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C. Tatbestandsmerkmale § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO

§ 79 Abs. 2 BVerfGG vorgeschlagen 78, wird dabei grundsätzlich nicht vorgenommen, lediglich hinsichtlich der Nachweisbarkeit eines Kausalzusammenhangs werden bei Verfahrensfehlern teilweise geringere Anforderungen gestellt. Bei bestimmten (absoluten) Verfahrensfehlern wird sogar eine Kausalverbindung unwiderlegbar vermutet. Generell bleibt es aber bei einer einheitlichen Auslegung, wonach ein Urteil auf einer Rechtsverletzung nur dann beruht, wenn dieses Urteil ohne die Rechtsverletzung anders ausgefallen wäre oder dies jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann. Danach erlangt der Beruhensbegriff – auch wenn Verfahrensfehler grundsätzlich ausreichen, um ein Beruhen zu begründen – nur dann Geltung, wenn durch die Rechtsverletzung die materielle Richtigkeit des Urteils, also der Entscheidungsinhalt in der Form des Urteilstenors, (möglicherweise) betroffen wird. 3. Vergleichbare Regelungskonzeptionen in der Rechtsordnung Vergleichbare Beruhenserfordernisse finden sich nicht nur im Rechtsmittelrecht. Die Rechtsordnung enthält darüber hinaus Regelungen, die zum Teil explizit den Wortlaut „beruhen“ enthalten oder die zumindest in ihrer jeweiligen Ausgestaltung durch die Rechtsprechung eine vergleichbare Regelungskonzeption aufweisen. Explizit erwähnt wird der Begriff „beruhen“ z. B. in § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO. Nach § 79 Abs. 2 S. 2 VwGO liegt eine zusätzliche Beschwer im Sinne von § 79 Abs. 2 S. 1 VwGO, wonach der Widerspruchsbescheid alleiniger Gegenstand der Anfechtungsklage sein kann, dann vor, wenn der Widerspruchsbescheid auf einem wesentlichen Verfahrensmangel beruht. Nach allgemeiner Ansicht wird auch in diesem Zusammenhang der Begriff „beruhen“ entsprechend den Regelungen des Revisionsrechts ausgelegt 79 und darunter das Vorliegen einer kausalen Verbindung zwischen Verfahrensmangel und dem Inhalt des Widerspruchsbescheids verstanden, oder anders ausgedrückt: Die Missachtung verfahrensrechtlicher Regelungen muss sich im materiellen Ergebnis niedergeschlagen haben. Da sich dies nur in Ausnahmefällen nachweisen lässt, reicht es bereits aus, wenn die Möglichkeit eines abweichenden Ergebnisses besteht, d. h. wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Entscheidung der Widerspruchsbehörde bei fehlerfreiem Verfahren anders ausgefallen wäre. 80

nicht gesondert dargestellt werden, da insofern – bis auf geringfügige Abweichungen – auf die Kurzzusammenfassung der Revisionsvorschriften der ZPO, StPO und VwGO verwiesen werden kann. 78 Zekorn, ZZP 74 (1961), 405 ff. 79 OVG Bremen NJW 1983, 1869; Kopp / Schenke, § 79 Rn. 14; NKVwGO-Brenner, § 79 Rn. 50; Schenke, VPR, Rn. 244; Pietzcker, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 79 Rn. 15.

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Auch in anderen Bereichen des Rechts lassen sich „Beruhenserfordernisse“ finden, wenn auch dort der Begriff „beruhen“ nicht ausdrücklich im Wortlaut einer Norm zu finden ist. Hier wurden durch die Rechtsprechung oder durch die rechtswissenschaftliche Literatur Konstruktionen entwickelt, die sich mit dem Regelungskonzept des „Beruhens im revisionsrechtlichen Sinne“ vergleichen lassen. Einen sehr detaillierten Überblick hierzu bietet Baumeister, der feststellt, dass das Beruhenserfordernis ein „anerkanntes Kriterium der gesamten Rechtsordnung“ darstellt. 81 Eine umfassende Behandlung dieser Beruhenserfordernisse außerhalb des Revisionsrechts würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Dennoch sollen zunächst exemplarisch einige wenige Fallkonstellationen dargestellt werden. Besonders anschaulich verdeutlicht wird das Erfordernis einer Ergebniskausalität im Bereich des Wahlrechts. Die im Zusammenhang mit den Fehlerfolgen einer Wahl gebräuchlichen Begriffe der „Effektivitätstheorie“ 82, der „Mandatsrelevanz“ 83 oder des „Prinzips der potentiellen Kausalität“ 84 umschreiben nichts anderes, als dass sich auch hier die Rechtsfolgen eines Verfahrensfehlers nach der Relevanz dieses Fehlers für das Ergebnis der Wahl richten. Ein Fehler, der sich nach allgemeiner Lebensauffassung nicht auf die Mandatsverteilung ausgewirkt haben kann, hat keinen Einfluss auf die Gültigkeit der Wahl. 85 Diese Begrenzung der Fehlerfolgen auf ergebnisrelevante Verfahrensmängel ist dem Zweck des Wahlprüfungsverfahrens, der Sicherstellung der ordnungsgemäßen Zusammensetzung des Parlaments 86, geschuldet. Gleiches gilt aber auch im Bereich des Zivilrechts, so z. B. im Vereins- oder Gesellschaftsrecht. Hier ist – ohne dass diesbezüglich gesetzliche Regelungen existieren – anerkannt, dass nicht jeder Verfahrensverstoß im Zusammenhang mit Beschlüssen von Vereins- oder Gesellschaftsgremien ohne weiteres zu deren Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit führt, sondern dass auch hier das zusätzliche Kriterium des Beruhens, d. h. einer Ergebnisrelevanz, die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit fehlerhafter Beschlüsse einschränkt. 87 Die Rechtsprechung spricht in diesem Zusammenhang von einem „Kausalitätserfordernis“ 88, wobei hier – ähn80 OVG Bremen NJW 1983, 1869; Kopp / Schenke, § 79 Rn. 14; NKVwGO-Brenner, § 79 Rn. 50. 81 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 258 ff. 82 AK-GG-H.-P. Schneider, Art. 41 Rn. 3. 83 Klein, in: Maunz / Dürig, Art. 41 Rn. 110; Sachs-Magiera, Art. 41 Rn. 4. 84 Achterberg / Schulte, in: v. Mangoldt / Klein / Starck, Art. 41 Rn. 46. 85 BVerfGE 4, 370 (372 f.); 35, 300 (301 ff.); 66, 369 (378); 79, 173 (173 f.); 85, 148 (158 f.); 89, 243 (254); 89, 266 (273); 89, 291 (304); 103, 111 (133 f.); so auch die einhellige Ansicht in der Literatur, vgl. Klein, in: Maunz / Dürig, Art. 41 Rn. 110 f. m. w. N. 86 BVerfGE 4, 370 (372 f.); 85, 148 (158 f.); Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 260; Klein, in: Maunz / Dürig, Art. 41 Rn. 106. 87 Dabei ist die Terminologie unterschiedlich. Vgl. dazu A. Schmitt, Das Beschlußmängelrecht der Personengesellschaften, 1997, 95 ff. und die Nachweise bei Baumeister,

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lich wie im Revisionsrecht – ein potentieller Kausalitätszusammenhang zwischen Verfahrensfehler und Beschlussinhalt ausreichen kann. 89 Für den Bereich der Verwaltungsakte findet sich eine vergleichbare Fehlerfolgenregelung in § 46 VwVfG. Diese Vorschrift, die hier nur in aller Kürze skizziert werden soll 90, regelt die Unbeachtlichkeit von Verfahrensmängeln, wenn diese sich offensichtlich nicht auf das Ergebnis ausgewirkt haben. § 46 VwVfG statuiert also die Unbeachtlichkeit von Verfahrensfehlern für den spiegelbildlichen Fall: den Fall der fehlenden Erfolgsrelevanz bzw. der „Ergebnisneutralität“. 91 Beruht demnach ein Verwaltungsakt auf einer für unwirksam erklärten Norm, so schließt dies die Anwendung des § 46 VwVfG zwingend aus und der Verfahrensfehler bleibt beachtlich. Unabhängig davon, welche Auswirkungen von § 46 VwVfG ausgehen (d. h. inwiefern in den Fällen des § 46 VwVfG die Rechtswidrigkeit des verfahrensfehlerhaften Verwaltungsakts, dessen subjektive Rechtsverletzung oder lediglich Ansprüche auf Aufhebung des Verwaltungsakts entfallen 92), so ist dadurch zumindest doch festgelegt, dass ein Aufhebungsanspruch aufgrund der fehlenden Relevanz des Verfahrensfehlers für die Vereinbarkeit des Verwaltungsakts mit der objektiven Rechtslage ausgeschlossen ist. Aus den vorgenannten Beispielen lässt sich die allgemeine Aussage entnehmen, dass die Beschränkung von (Verfahrens-)Fehlerfolgen aus Gründen fehlender Relevanz für die materielle Richtigkeit der konkreten Entscheidung, ein Regelungstypus ist, der die gesamte Rechtsordnung durchzieht. 4. Das Beruhen in § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO – Eigene Argumentation a) Orientierung am „revisionsrechtlichen Beruhensbegriff“ Nach diesem kurzen Überblick über die Auslegung des Begriffes im Zusammenhang mit den Vorschriften zur Revision und ähnlichen Regelungskonzepten in der deutschen Rechtsordnung lassen sich aus den zuvor gewonnenen Ergebnissen auch Anhaltspunkte für eine genaue Bestimmung des Beruhensbegriffes in § 79 Beseitigungsanspruch, S. 262 Fn. 173. Im Ergebnis besteht zwischen den verschiedenen Meinungen jedoch weitgehend Übereinstimmung. 88 Vgl. u. a. BGHZ 36, 121 (139 f.); 49, 209 (213); 59, 369 (375); 100, 264 (269); 107, 296 (307); 119, 1 (18 f.). 89 Weitere Beispiele für vergleichbare Regelungskonzepte bei Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 259 ff. 90 Eine ausführliche Untersuchung des § 46 VwVfG findet sich bei Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 254 ff. 91 Beaucamp, JA 2007, 120. 92 Für letztere Auffassung mit guten Gründen Schenke, DÖV 1986, 305 ff. m. w. N. auch auf z. T. vertretene Gegenauffassungen.

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Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO gewinnen. Insbesondere die Auslegung des revisionsrechtlichen Tatbestandmerkmals „beruhen“ lässt die Vermutung nahe liegen, dass der Gesetzgeber in den besagten Vorschriften den gleichen Wortlaut auch in der gleichen Art und Weise verstanden haben möchte. Verwendet der Gesetzgeber an verschiedenen Stellen eines Gesetzes – wie z. B. in den §§ 79, 124, 132, 137, 138 und 183 VwGO – den selben Begriff, so deutet dies darauf hin, dass er diesen Begriff in übereinstimmender Weise verstanden haben möchte. Es dürfte sehr unwahrscheinlich sein, dass ein und derselbe Begriff innerhalb des gleichen Gesetzes in mehreren unterschiedlichen Auslegungsvarianten verwendet wird. 93 Demnach würde eine Entscheidung i. S. d. § 79 Abs. 2 BVerfGG oder § 183 VwGO dann auf einer rechtswidrigen Norm beruhen, wenn ohne die beanstandete Norm das Gericht zu einem für den Betroffenen günstigeren Ergebnis gelangt wäre oder – bei der Rechtswidrigkeit einer Norm formellrechtlichen Inhaltes – zumindest hätte gelangen können. 94 Diese Aussage ist jedoch nur teilweise korrekt. Ihr ist zuzustimmen, soweit danach ein Verwaltungsakt auch auf einer rechtswidrigen Norm des formellen Rechts beruhen kann und hier die grundsätzliche Möglichkeit der Ergebnisrelevanz bereits ausreicht, um die Rechtsfolgen der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO auszulösen. Die Annahme, dass der Verwaltungsakt auf einer materiellrechtlichen Norm beruhen müsse 95 und die damit einhergehende restriktive Auslegung des Beruhensbegriffes, können nicht überzeugen. b) Verfahrensvorschriften als „Normen“ i. S. v. § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO Entgegen Zekorn ergibt sich eine solche restriktive Auslegung nicht aus den Gesetzesmaterialien zu § 79 BVerfGG, insbesondere nicht aus den Äußerungen der Berichterstatter Dr. Wahl und Neumayer. Zekorn 96 verweist als Beleg für seine These auf die Aussagen dieser beiden Berichterstatter in der 112. Sitzung des Bundestages. 97 Daraus möchte er die Schlussfolgerung ziehen, dass hier der Gesetzgeber nur von Gesetzen materiellrechtlichen Inhaltes ausgegangen ist und bewusst nicht auch Gesetze mit formellrechtlichem Inhalt erfassen wollte. Zekorn verkennt hier allerdings den Zusammenhang, in dem diese Äußerungen getätigt wurden. In der Tat spricht insbesondere Dr. Wahl davon, dass eine Wiederaufnahme nur dann vorgesehen sei, wenn die Strafe auf der Grundlage einer 93

Vgl. Zippelius, Methodenlehre, S. 53. So Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 48; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 35. 95 So aber ausdrücklich Zekorn, ZZP 74 (1961), 419. 96 Zekorn, ZZP 74 (1961), 417. 97 Sitzungsprotokolle, 1. Wahlperiode, S. 4228, 4234. 94

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verfassungswidrigen Strafnorm ergangen ist 98 und diese Voraussetzung auch für das Verbot der Vollstreckung zu gelten habe. Neumeyer spricht in gleichem Zusammenhang von einem „Entbehren der Rechtsgrundlage“ 99. Diese Aussagen bezogen sich allerdings unmittelbar nur auf die Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG, der eine Spezialregelung für das Strafrecht darstellt und bei dem in ständiger Rechtsprechung in der Tat davon ausgegangen wird, dass unter Normen im Sinne von § 79 Abs. 1 BVerfGG nur materielle Strafrechtsnormen erfasst werden. 100 Aus diesen Aussagen jedoch im Umkehrschluss die These zu entnehmen, dass ein Verwaltungsakt nicht auf formellrechtlichen Normen im Sinne von § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO beruhen könne, ist fragwürdig. Näher liegt die Annahme, dass man sich bei der Beratung über den Gesetzesentwurf noch nicht bewusst war, dass ein Strafurteil – und gleiches gilt für den Verwaltungsakt – auch auf einer für nichtig erklärten formellrechtlichen Norm beruhen kann. 101 Die Gesetzeshistorie liefert jedenfalls, unabhängig von ihrer ohnehin nur geringen Bedeutung für die Gesetzesauslegung, keine Hinweise, dass der Beruhensbegriff in den genannten Normen abweichend von dem Beruhensbegriff im revisionsrechtlichen Sinne auszulegen ist und damit nur Normen mit materiellrechtlichem Inhalt erfasst würden. 102 Zekorn stützt seine Auslegung ferner auf das Argument, dass sich diese restriktive Auffassung aus dem Vollstreckungsverbot des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und der Verweisung auf § 767 ZPO ergebe. 103 Im Gegensatz zu materiellrechtlichen Normen lässt sich nach der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer formellrechtlichen Norm nicht ohne weiteres feststellen, ob dieser formellrechtliche Mangel zu einer fehlerhaften Entscheidung geführt hat. Diese Frage dürfe jedoch – Zekorn bezieht sich hier auf gerichtliche Entscheidung – durch das Prozessgericht nicht nochmals geprüft werden, da das Gericht aufgrund der Rechtskraft (gleiches müsste dann auch für die Bestandskraft gelten) an die Erkenntnisse des Ausgangsprozesses gebunden sei. 104 Anders als bei materiellrechtlichen Normen werden durch die Nichtigerklärung einer Verfahrensvorschrift keine neuen „Klagegründe freigelegt, über die es (Anm.: das Gericht) erstmalig zu entscheiden hätte“. 105 Wollte der Gesetzgeber aber eine erneute Prüfung der Kausalität des Wegfalls der formellrechtlichen Norm für das Ergebnis des vorangegangenen Einzelakts vorsehen, so hätte er ein Wiederaufnahmeverfahren anordnen müssen. 106 Eine Verlagerung 98

Sitzungsprotokolle, 1. Wahlperiode, S. 4228. Sitzungsprotokolle, 1. Wahlperiode, S. 4234. 100 Vgl. u. a. BVerfGE 11, 263 (265); 12, 338 (340); BayVerfGH BayVBl. 1983, 270. 101 So Kneser, AöR 89 (1964), 153. 102 Kneser, AöR 89 (1964), 153. 103 Zekorn, ZZP 74 (1961), 415 f. 104 Zekorn, ZZP 74 (1961), 416. 105 Zekorn, ZZP 74 (1961), 416. 99

IV. Verwaltungsakt und rechtswidrige Norm

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dieser Frage in das Verfahren der Vollstreckungsgegenklage und ein hiermit verbundenes Unterlaufen der Bindungswirkung der Rechts- bzw. Bestandskraft dürfe daher nicht in Betracht kommen. Dieser Gedankengang wird allerdings der Regelung des § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG und des § 183 S. 3 VwGO aus mehreren Gründen heraus nicht gerecht. Der Verweis auf § 767 ZPO und die damit verbundene Klagemöglichkeit ist nicht im Sinne einer Rechtsgrundverweisung zu verstehen. Die Rechts- bzw. Bestandskraft der Entscheidung wird von Zekorn überbewertet, denn der Gesetzgeber hat bereits durch die Zulassung einer nach § 767 ZPO eigentlich schon präkludierten Einwendung des Betroffenen – die Nichtigkeit einer Norm wirkt bekanntlich ex tunc und hätte bereits im Ausgangsverfahren geltend gemacht werden können – die Wirkung der Rechts- bzw. Bestandskraft zurückgenommen. 107 Ferner übersieht Zekorn, dass auch bei dem Wegfall einer materiellrechtlichen Norm nicht unbedingt die Kausalität zwischen deren Anwendung und dem Widerspruch zur objektiven Rechtslage ohne erneute Prüfung feststellbar ist. Insofern sei auf die bereits erwähnten Schwierigkeiten bei Ermessensverwaltungsakten hingewiesen. Hier ist nicht offensichtlich, ob die Behörde den gleichen Verwaltungsakt auch aufgrund einer anderen Ermächtigungsgrundlage unter Heranziehung der gleichen Ermessenserwägungen treffen konnte, wenn die ursprünglich angewendete Ermächtigungsgrundlage nun durch ein Gericht für unwirksam erklärt wurde. Damit stellt sich eine mit der Rechtswidrigkeit einer formellrechtlichen Norm vergleichbare Situation dar. Wenn Zekorn aber bei formellrechtlichen Normen eine erneute Prüfung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Anspruchs aufgrund der Rechtskraft für ausgeschlossen erachtet, so müsste dies konsequent auch in den zuvor genannten Fällen eingreifen. Eine strikte Trennung von formell- und materiellrechtlichen Normen kann hier nicht vorgenommen werden. Zum anderen wäre es widersprüchlich, dass der Gesetzgeber dem Betroffenen die Möglichkeit der Vollstreckungsgegenklage eröffnet, um die Position des Betroffenen zu stärken, diese Stärkung seiner Rechtsschutzmöglichkeiten aber gleichzeitig als Argument herangezogen wird, um damit die Ausklammerung formellrechtlicher Normen aus dem Anwendungsbereich des § 183 VwGO bzw. des § 79 Abs. 2 BVerfGG und damit letztlich die Beschränkung der Rechtsstellung des Betroffenen zu begründen. In der Tat hat der Gesetzgeber nicht ausdrücklich eine Wiederaufnahme des Verfahrens in § 79 Abs. 2 BVerfGG angeordnet, wie er dies in § 79 Abs. 1 BVerfGG getan hat. Wie bereits oben festgestellt, hätte der (Bundes)Gesetzgeber aber auch gar nicht die Gesetzgebungskompetenz gehabt, ein Wiederaufgreifen von (Landes-) Verwaltungsakten vorzusehen, da Regelungen über das Wiederaufgreifen von Lan106 107

Zekorn, ZZP 74 (1961), 416. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 46.

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C. Tatbestandsmerkmale § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO

desverwaltungsakten (die den mengenmäßig größten Teil der Verwaltungsakte ausmachen) zum Verwaltungsverfahren gehören, für das die jeweiligen Länder zuständig sind. 108. Abgesehen davon weist der Verweis auf § 767 ZPO und die dort zu erfolgende Prüfung des Kausalzusammenhanges zwischen rechtswidriger Norm und Entscheidungsinhalt „Charakterzüge eines begrenzten Wiederaufnahmeverfahrens“ 109 auf, das nicht zuletzt durch die Möglichkeit der von Kneser so bezeichneten „Replik der materiellen Richtigkeit“ 110 geprägt wird. Das Verfahren nach § 767 ZPO bietet dem Vollstreckungsgläubiger auch die Möglichkeit, auf die inhaltlicher Richtigkeit der Entscheidung auch ohne Anwendung der rechtswidrigen Norm hinzuweisen. Schließlich würde der Verweis auf § 767 ZPO an Bedeutung verlieren, wenn man als Grundlage des Beruhensbegriffes nur materiellrechtliche Normen anerkennt. Beruht eine Entscheidung auf einer materiellrechtlichen Norm, so dürften die Auswirkungen auf die materielle Rechtmäßigkeit der Entscheidung in vielen Fällen (zumindest bei gebundenen Entscheidungen) offensichtlich sein. Eine gerichtliche Kontrolle, wie § 767 ZPO dies vorsieht, dürfte sich demnach meist erübrigen. Anders ist die Situation aber bei der Nichtigerklärung von Normen mit formellrechtlichem Inhalt. Hier ist es oftmals streitig, ob ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Anwendung der fehlerhaften Norm und dem Entscheidungsinhalt besteht. Gerade hier macht es also Sinn, ein gerichtliches Überprüfungsverfahren einzubauen, das die Beruhensfrage klärt. Dies dient auch den Rechtsschutzmöglichkeiten des Bürgers, der sich bei der Nichtigerklärung formellrechtlicher Normen eher einer drohenden Vollstreckung durch die Behörde ausgesetzt sehen dürfte, als bei der Nichtigerklärung materiellrechtlicher Normen. Ist die Beruhensfrage nämlich ohne weiteres zu klären, so wird die Verwaltung von sich aus auf eine Vollstreckung der Verwaltungsakte verzichten. Ist dies aber nicht der Fall – und dies dürfte auf die Fälle der Nichtigerklärung formellrechtlicher Normen in weitaus größerem Maße zutreffen als bei der Nichtigerklärung von Normen materiellrechtlichen Inhaltes – so bedarf der Betroffene einer Möglichkeit der gerichtlichen Feststellung der Unzulässigkeit der Vollstreckung. Eine Auslegung, die von § 79 Abs. 2 BVerfGG ausschließlich ein Beruhen auf einer rechtswidrigen Norm des materiellen Rechts erfasst sehen möchte, wird somit dem Sinn und Zweck der Verweisung auf § 767 ZPO nicht gerecht. Demnach sprechen die überzeugenderen Argumente gegen eine restriktive Bestimmung des Beruhens, so dass ein Verwaltungsakt sowohl auf einer Norm des materiellen Rechts als auch auf einer Norm des formellen Rechtes i. S. v. § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO beruhen kann. 108

BVerfGE 55, 274 (320 f.); 75, 108 (152); 76, 1 (76). Ipsen, Rechtsfolgen, S. 310; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 46. 110 Kneser, AöR 89 (1964), 192. 109

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c) Ursächlichkeitszusammenhang bei Ermessensverwaltungsakten Soweit jedoch verlangt wird, dass ein Beruhen auf einer materiellrechtlichen Norm nur dann vorliegt, wenn das Ergebnis ohne die Anwendung dieser Norm anders ausgefallen wäre, kann der revisionsrechtliche Beruhensbegriff nicht kritiklos übernommen werden. Denn wie auch bei Normen des formellen Rechtes kann es bei Normen des materiellen Rechts Fälle geben, in denen ein Zusammenhang zwischen der Anwendung der Norm und dem Inhalt der konkreten Einzelentscheidung nicht mit absoluter Gewissheit nachgewiesen werden kann. 111 Eine solche Auslegung des Beruhensbegriffes mag zwar bei Entscheidungen der Gerichte zutreffen: die Gerichte sind beim Erlass von Urteilen gebunden und haben keine Ermessenserwägungen anzustellen. Liegen die Umstände des Falles so, dass ein bestimmter Tatbestand erfüllt ist, dann muss das Gericht auch die Rechtsfolge aussprechen, der dieser Tatbestand zugrunde liegt. Anders stellt sich die Situation bei Verwaltungsakten dar. Handelt es sich um eine gebundene Entscheidung, so kann zweifelsfrei eine Feststellung hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Norm und Entscheidungsinhalt getroffen werden. So z. B. im Falle der Baugenehmigung die aufgrund eines neuen Bebauungsplanes versagt wurde, weil das beantragte Bauvorhaben nicht den Vorgaben des neuen Bebauungsplanes entsprach. Fällt dieser neue Bebauungsplan nun weg und entspricht das Vorhaben den Vorgaben des alten Bebauungsplanes, so hätte die Behörde, da die Erteilung einer Baugenehmigung eine gebundene Entscheidung darstellt, die beantragte Baugenehmigung erteilen müssen. Der Kausalzusammenhang ist offensichtlich. Grundlegend verschieden ist die Situation aber im Polizeirecht. Fällt die Ermächtigungsgrundlage einer Standardmaßnahme weg, so kann nicht genau gesagt werden, ob die Polizeibehörde die getätigte Maßnahme nicht auch auf die polizeirechtliche Generalklausel hätte stützen können. Hier handelt es sich um eine Ermessensentscheidung – eine exakte Feststellung dessen, was die Behörde „hätte tun können“, kann in diesen Fällen nicht getroffen werden, da die jeweils zu berücksichtigenden Ermessenserwägungen an unterschiedliche Voraussetzungen gebunden sind. 112 Einzig in den Fällen, in denen sich ein Verwaltungsakt auf zwei übereinstimmende Ermächtigungsgrundlagen stützen ließe und beide Ermächtigungsgrundlagen das Anstellen der gleichen Ermessenserwägungen erfordern, kann das Fehlen einer Kausalverbindung festgestellt werden, d. h. ist die rechtswidrige Norm durch eine rechtmäßige Norm austauschbar, dann kommt ein Beruhen des Verwaltungsakts auf der für nichtig erklärten Norm nicht in Betracht. In allen anderen Fällen von Ermessensentscheidungen kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, 111

Vgl. Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 295 ff., 437, zur vergleichbaren Problematik im Zusammenhang mit § 46 VwVfG. 112 So auch – allerdings zu § 46 VwVfG – Beaucamp, JA 2007, 119.

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C. Tatbestandsmerkmale § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO

dass die Behörde durch zusätzliche oder andere Ermessenerwägungen auch zu einem anderen, für den Betroffenen letztlich günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Deshalb ist der revisionsrechtliche Beruhensbegriff insoweit abzuändern, als dass es für Ermessensverwaltungsakte auch bei materiellrechtlichen Normen ausreicht, dass die Behörde den Verwaltungsakt möglicherweise mit einem anderen, für den Betroffenen günstigeren Inhalt erlassen hätte. Diese möglicherweise für den Betroffenen günstigere Entscheidung darf allerdings nicht rein theoretischer Natur sein. Die Möglichkeit einer Entscheidungsalternative muss sich aus konkreten Anhaltspunkten entnehmen lassen. 113 Allein diese Auslegung des Beruhens wird dem Sinn und Zweck der Vorschriften des § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO, nämlich der Gewährleistung eines Ausgleiches zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit, gerecht. Für den Betroffenen macht es nämlich keinen Unterschied, ob sich „möglicherweise“ ein fehlerhaftes Ergebnis aufgrund der Unwirksamkeit einer formellrechtlichen oder materiellrechtlichen Norm ergibt. Ebenso wenig dürfte der Betroffene danach unterscheiden, welcher Art von Norm er den ihn betreffenden rechtswidrigen Verwaltungsakt zu verdanken hat. Zugleich ist es dem Bürger nicht zuzumuten, zu prüfen, ob sich der Verwaltungsakt möglicherweise auf eine andere gesetzliche Grundlage stützen lässt oder durch andere Ermessenserwägungen gerechtfertigt werden kann. Dies ist Aufgabe der Behörden, die deshalb die fehlende Auswirkung der Anwendung einer unwirksamen Norm für das Ergebnis nachzuweisen haben. Dass der Betroffene nicht mehr bekommt, als er verdient – nämlich den Ausschluss der Vollstreckung eines inhaltlich richtigen Verwaltungsakts durch § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG oder § 183 S. 2 VwGO – wird durch die gerichtliche Überprüfbarkeit der Beruhensfrage im Rahmen einer Klage auf Feststellung der Unzulässigkeit der Vollstreckung – nicht aber durch eine Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO – gewährleistet. 114 Ein Verwaltungsakt beruht daher immer dann auf einer rechtswidrigen Norm, wenn die den Verwaltungsakt erlassende Behörde bei der gebotenen Nichtanwendung dieser Norm nicht zwingend zu einer identischen Entscheidung gekommen wäre. 5. Folgen dieser Auslegung und Vereinbarkeit mit der Terminologie des allgemeinen Verwaltungsrechts Die Auslegung des Begriffes „Beruhen“ ist für den weiteren Verlauf dieser Arbeit jedoch nur eine Zwischenstation. Denn wenn nach den Folgewirkungen 113

Ausführlich hierzu Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 295 ff., 437. Vgl. zum Rechtsschutz des Betroffenen gegenüber einer trotz Vollstreckungsverbot nach § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, bzw. § 183 S. 2 VwGO drohenden Verwaltungsvollstreckung, unten E. IV. 3. 114

IV. Verwaltungsakt und rechtswidrige Norm

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der gerichtlichen Feststellung der Nichtigkeit oder Unwirksamkeit einer Norm für die auf ihr beruhenden Verwaltungsakte gefragt wird, so finden sich hierzu Regelungen in den Bereichen des allgemeinen Verwaltungsrechts und des Verwaltungsprozessrechts, sofern es sich um die prozessuale Durchsetzung möglicher Ansprüche handelt. Diesen Gebieten ist jedoch der Begriff des „Beruhens“ im Zusammenhang mit den Fehlerfolgen von Verwaltungsakten – abgesehen von § 46 VwVfG – nicht geläufig. Vielmehr unterscheidet das Verwaltungsrecht zwischen nichtigen und wirksamen, rechtmäßigen und rechtswidrigen Verwaltungsakten und stellt hinsichtlich derer prozessualen Aufhebung darauf ab, ob der Verwaltungsakt den Kläger in dessen Rechten verletzt. Um die Auswirkungen der Rechtswidrigkeit von Normen zu untersuchen, ist es somit unumgänglich, die inhaltlichen Aspekte des Beruhensbegriffes auf die zuvor aufgelisteten Kategorien des Verwaltungsrechts zu übertragen. Recht einfach ist dies, wenn man den Beruhensbegriff im Hinblick auf die Unterscheidung zwischen nichtigen und wirksamen Verwaltungsakten betrachtet. Das Beruhen eines Verwaltungsakts auf einer rechtswidrigen Norm hat nämlich keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Bestand des Verwaltungsakts. Wie bereits erwähnt, führt das Beruhen eines Verwaltungsakts auf einer rechtswidrigen Rechtsgrundlage nicht zu dessen Nichtigkeit. 115 Es handelt sich bei der Nichtigbzw. der Unwirksamerklärung einer Norm nicht um einen Fall des § 44 VwVfG, der die Nichtigkeitsgründe umfassend behandelt. Zum anderen würden die Regelungen der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO und § 157 FGO, insbesondere auch die Beruhensfrage und der damit umschriebene Kausalzusammenhang, ihres Regelungszweckes beraubt, wenn der Verwaltungsakt unmittelbar mit dem Schicksal seiner Rechtsgrundlage verknüpft wäre. 116 Einer Regelung bedürfte es in diesem Falle nämlich bereits deshalb nicht, weil ein nichtiger Verwaltungsakt keine Bestandskraft besitzt, die es im Konflikt mit dem Gesetzmäßigkeitsgrundsatz zu schützen gilt. Auch die gesonderte Statuierung eines Vollstreckungsverbotes wäre dann überflüssig, da aus einem nichtigen Verwaltungsakt ohnehin nicht vollstreckt werden darf. 117 Danach müssen zwangsläufig auch Verwaltungsakte, die auf einer rechtswidrigen Norm beruhen, grundsätzlich wirksam sein. Ebenfalls ohne weiteres einleuchtend ist die Feststellung, dass ein Verwaltungsakt, der auf einer rechtswidrigen Norm beruht, immer auch selbst rechtswidrig ist. Dieses Ergebnis liegt für Normen mit materiellem Inhalt auf der Hand. Fällt die Rechtsgrundlage eines Verwaltungsakts weg und ist der Entscheidungsinhalt nicht durch eine andere Rechtsgrundlage abgedeckt, so ist ein solcher Verwaltungsakt 115 Vgl. BVerwGE 1, 67 (69); OVG Münster DVBl. 1965, 950; OVG Greifswald LKV 2003, 32; Eyermann-J. Schmidt, § 47 Rn. 104; Peine, Rn. 707; Ule / Laubinger, § 57 Rn. 15. 116 BVerwGE 19, 284 (287); 27, 141 (143); Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 6; Steiner, FS BVerfG I, S. 641. 117 Schenke / Baumeister, NVwZ 1993, 2 m. w. N.

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C. Tatbestandsmerkmale § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO

rechtswidrig. Hier klaffen objektive Rechtslage und die Entscheidung der Behörde auseinander. Materiell rechtmäßig ist aber nur ein Verwaltungsakt, der mit der objektiven Rechtslage übereinstimmt. 118 Da dies bei der Anwendung einer rechtswidrigen Norm nur der Fall sein kann, wenn zwischen der Anwendung der fehlerhaften Norm und dem letztlichen Ergebnis kein kausaler Zusammenhang besteht und dies gerade nicht den Vorgaben des Beruhensbegriffes entspricht, ist die Rechtswidrigkeit des Einzelakts die zwingende Folge des Wegfalls der ihm zugrundeliegenden Norm. 119 Rechtswidrig sind aber auch Verwaltungsakte, bei deren Erlass eine Norm formellrechtlichen Inhaltes angewendet wurde, deren Rechtswidrigkeit nunmehr allgemeinverbindlich festgestellt wurde. Die Anwendung einer unwirksamen Norm im Verwaltungsverfahren und die dadurch vorgenommene – oder rechtswidrig unterbliebene – fehlerhafte Verfahrenshandlung stellen immer auch einen Verfahrensfehler dar, der zur formellen und – sollte sich der Verfahrensfehler gar auf das Ergebnis ausgewirkt haben – auch zur materiellen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts führt. Dass selbst in den Fällen, in denen sich der Verfahrensfehler nicht auf das Ergebnis des Verwaltungsakts auswirken konnte, weiterhin von einem formell rechtswidrigen Verwaltungsakt die Rede ist, zeigt bereits § 46 VwVfG. An dieser Regelung wird deutlich, dass der Beruhensbegriff enger ist als der Rechtswidrigkeitsbegriff, dass also die Rechtswidrigkeit die Fälle des Beruhens komplett umfasst. § 46 VwVfG, der bereits zuvor als Beispiel des „gesetzgeberischen Regelungstypus der Erfolgsrelevanz“ dargestellt wurde 120, erfasst ausschließlich Verwaltungsakte, die in verfahrensfehlerhafter Weise zustande gekommen sind, bei denen sich aber der Verfahrensfehler offensichtlich nicht auf das Ergebnis des Verwaltungsakts ausgewirkt hat. Damit umschreibt § 46 VwVfG aber auch das Gegenteil zu den Fällen, die hier im Zusammenhang mit dem Beruhensbegriff behandelt werden und bei denen ein Kausalzusammenhang zwischen fehlerhafter Norm und Entscheidungsinhalt gerade nicht ausgeschlossen werden kann. Nun besteht jedoch weitgehend Einigkeit darin, dass § 46 VwVfG die Rechtswidrigkeit eines in verfahrensfehlerhafter Weise zustande gekommenen Verwaltungsakts unberührt lässt 121, d. h. dass die formelle Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts – anders als in den Fällen der Heilung des Verfahrensfehlers nach § 45 VwVfG 122 – nicht durch die Unbeachtlichkeit des Fehlers für den 118

Vgl. Maurer, § 10 Rn. 14 ff. Maurer, § 10 Rn. 15. 120 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 254 ff. 121 Ausführlich hierzu Schenke, DÖV 1986, 305 ff. und ders., FS Maurer, S. 741. 122 So Schenke, VerwArch 97 (2006), 595 ff. Gestritten wird hier lediglich um die Frage, ob eine Heilung die Rechtswidrigkeit ex tunc oder lediglich ex nunc entfallen lässt, siehe dazu ebenfalls Schenke, aaO. 119

IV. Verwaltungsakt und rechtswidrige Norm

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materiellen Inhalt des Verwaltungsakts entfällt. Dies lässt sich auch vor dem Hintergrund des § 59 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG nicht ernsthaft anzweifeln. 123 Sind nun aber selbst die nicht aufhebungspflichtigen verfahrensfehlerhaften Verwaltungsakte nach § 46 VwVfG rechtswidrig, so muss dies erst recht für Verwaltungsakte gelten, die einen „gravierenden“ Verfahrensfehler aufweisen, der möglicherweise das Ergebnis selbst betrifft, also die Fälle in denen auch von einem „Beruhen“ im Sinne der hier behandelten Normen auszugehen ist. Die allgemeinverbindliche gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm formellrechtlichen Inhaltes führt somit zwingend zur (formellen) Rechtswidrigkeit des auf der Norm beruhenden Verwaltungsakts. Daher bleibt es bei dem Zwischenergebnis, dass ein Verwaltungsakt, der auf einer für rechtswidrig erklärten Norm beruht, grundsätzlich auch (formell oder materiell) rechtswidrig ist. Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts gibt dem durch den Verwaltungsakt Betroffenen für sich allein jedoch noch keinen Anspruch auf dessen Aufhebung. Die Anfechtungsklage, wie aber auch der öffentlichrechtliche Beseitigungsanspruch 124, setzen zusätzlich voraus, dass ein objektiv rechtswidriger Verwaltungsakt auch zugleich den Betroffenen in dessen subjektiven Rechten verletzt. Eine allgemeine Aussage dergestalt, dass jeder Verwaltungsakt, der auf einer unwirksamen Norm beruht, gleichzeitig auch immer den Betroffenen in dessen subjektiver Rechtsstellung verletzt, lässt sich nicht tätigen. Hier ist jeweils im Einzelfall festzustellen, ob sich der Fehler auf eine geschützte Rechtsposition des Einzelnen auswirkt, d. h. ob ein Eingriff in subjektive Rechte vorliegt. Die Begriffe „Beruhen“ und „Rechtsverletzung“ betreffen also zwei unterschiedliche, miteinander nicht in Einklang zu bringende Fragestellungen. Dennoch kann man teilweise Verbindungen dieser beiden Begriffe erkennen, zumindest was das Verhältnis Staat-Bürger betrifft. Erlässt die Behörde in einem Zwei-Parteien-Verhältnis einen belastenden Verwaltungsakt, der auf einer rechtswidrigen Norm beruht, so liegt in diesem objektiv rechtswidrigen Verwaltungsakt auch gleichzeitig ein Eingriff in die subjektiven Freiheitsrechte des Adressaten bzw. des betroffenen Bürgers. In einem solchen Fall würde nämlich das Ergebnis des Verwaltungsakts bei Nichtanwendung der Norm für den Betroffenen günstiger sein, d. h. es liegt eine für den Adressaten negative Abweichung von der objektiven Rechtslage vor. Dies stellt aber nun immer zugleich eine Belastung dar, die den Adressaten des Verwaltungsakts im Lichte der weiten Auslegung des Art. 2 Abs. 1 GG nach der ELFES-Rechsprechung 125 zumindest – sollten nicht andere, speziellere Rechtspositionen betroffen sein – in dessen Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG betrifft. Dieser objek123 124 125

Nachweis anderer Ansichten bei Schenke, DÖV 1986, 306. Dazu später ausführlich unter D. I. BVerfGE 6, 32 ff.

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C. Tatbestandsmerkmale § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO

tiv rechtswidrige Eingriff in die geschützte Rechtsposition des Adressaten stellt damit regelmäßig eine subjektive Rechtsverletzung dar. Danach dürfte ein belastender Verwaltungsakt, der auf einer rechtswidrigen Norm beruht (bei dem es sich folglich nur um einen Spezialfall des rechtswidrigen Verwaltungsakts handelt) in einem reinen Bürger-Staat-Verhältnis bei dem Adressaten grundsätzlich eine subjektive Rechtsverletzung zur Folge haben. In Mehrpersonenverhältnissen kann ein solcher Zusammenhang jedoch nicht hergestellt werden. Hier mag zwar die Anwendung einer Norm zu einem für den betroffenen Dritten ungünstigen Ergebnis geführt haben, jedoch muss dies nicht zwangsläufig einen Eingriff in dessen geschützte Rechtspositionen zur Folge haben. Eine Baugenehmigung mag sich nach Wegfall eines Bebauungsplanes auch gegenüber dem Nachbarn aus bauordnungsrechtlichen Gründen heraus als rechtswidrig erwiesen haben. Berühren diese bauordnungsrechtlichen Mängeln jedoch keine nachbarschützenden Vorschriften (als solche kommen i. d. R. nur Vorschriften zu Abstandsflächen, Standsicherheit, Brand- und Schallschutz von Gebäuden in Betracht 126), dann kann der Dritte auch nicht die Aufhebung der Baugenehmigung verlangen. Es bleibt also bei dem Ergebnis, dass ein Verwaltungsakt, der auf einer für unwirksam erklärten Norm beruht, nicht zwingend eine subjektive Rechtsverletzung zur Folge haben muss. Formelhaft ausgedrückt kann gesagt werden, dass ein Verwaltungsakt, der auf einer rechtswidrigen Norm beruht, einen Unterfall des rechtswidrigen Verwaltungsakts darstellt, dass aber wie bei allen objektiv rechtswidrigen Verwaltungsakten jeweils im Einzelfall eine durch die Rechtswidrigkeit gleichzeitig begründete subjektive Rechtsverletzung festgestellt werden muss.

126

Vgl. hierzu Dürr, Baurecht BW, Rn. 277 ff.

D. Die Rechtsfolgen der Unwirksamerklärung einer Norm mit „erga omnes“-Wirkung auf noch anfechtbare Verwaltungsakte I. Vorbemerkung: Die Existenz eines Beseitigungsanspruchs als Fehlerfolge rechtsverletzenden Verwaltungshandelns Um die Rechtsfolgen der Unwirksamerklärung einer Norm mit Wirkung „erga omnes“ für noch nicht unanfechtbare Verwaltungsakte zu bestimmen, kann nicht auf § 79 Abs. 2 BVerfGG oder § 183 VwGO zurückgegriffen werden, da sich beide Normen – wie unter C.II. dargelegt – ausschließlich mit „nicht mehr anfechtbaren“ Entscheidungen befassen. Es bedarf daher zunächst eines Rückgriffes auf die allgemeinen Fehlerfolgen rechtswidrigen Verwaltungshandelns für den Zeitraum vor Ablauf der Rechtsbehelfsfristen und hier insbesondere auf den allgemeinen öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruch. 1. Die Herleitung des öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs Greift jemand in ein absolutes Recht einer anderen Person, z. B. in dessen Eigentum, ein, so kennt das Zivilrecht einen negatorischen Beseitigungsanspruch, der in § 1004 BGB seine gesetzliche Ausgestaltung erfahren hat. Dieser Anspruch zielt auf die Beseitigung der fortdauernden Beeinträchtigung des absoluten Rechts mit Wirkung für die Zukunft ab 1, berührt indes nicht die bislang in der Vergangenheit eingetretene Rechtsverletzung. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass effektiver Schutz der zivilrechtlichen Unterlassungsansprüche 2 nur durch einen diese Ansprüche flankierenden Beseitigungsanspruch gewährleistet werden kann. Nun sind die Konstruktionen des Zivilrechts nicht ohne weiteres auf den Bereich des öffentlichen Rechtes übertragbar. Dennoch ist allgemein anerkannt, dass auch im öffentlichen Recht Beeinträchtigungen von Rechtspositionen des Bürgers durch den Staat, so diese denn nicht gerechtfertigt sind, grundsätzlich zu beseitigen sind. 3 Die Existenz eines allgemeinen Beseitigungsanspruchs steht demnach nicht 1 2

Baur / Stürner, § 12 Rn. 20 ff.; Palandt-Bassenge, § 1004 Rn. 27 ff. Baur / Stürner, § 12 Rn. 25 ff.; Palandt-Bassenge, § 1004 Rn. 31 ff.

104 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

in Frage 4, wenn sich auch die Literatur bisher nur äußerst sporadisch mit diesem Anspruch ausführlich auseinandergesetzt hat 5 und sich zumeist nur auf den Folgenbeseitigungsanspruch als spezielle Ausprägung eines allgemeinen Beseitigungsanspruchs konzentriert 6. Demnach wird unter dem allgemeinen Beseitigungsanspruch ein Anspruch verstanden, wonach die Folgen rechtsverletzenden Handelns des Staates umfassend zu beseitigen sind, sowohl das rechtswidrige Handeln des Staates selbst (also die konkrete staatliche Handlung, wie z. B. den belastenden Verwaltungsakt), als auch die weiteren Folgen dieser Handlung. 7 Ausschließlich diese weiteren Folgen des staatlichen Handelns sind Gegenstand des Folgenbeseitigungsanspruchs. 8 Der Folgenbeseitigungsanspruch ist somit eine besondere Ausprägung des allgemeinen Beseitigungsanspruchs oder, wie Baumeister dies bezeichnet: Es besteht zumindest Teilidentität zwischen dem allgemeinen Beseitigungsanspruch und dem Folgenbeseitigungsanspruch. 9 Dies lässt den weiteren Schluss zu, dass beide auf der gleichen Rechtsgrundlage beruhen. 10 Was nun aber die dogmatische Herleitung des Beseitigungsanspruchs betrifft, so gehen die Meinungen auseinander. Diese Ansichten sollen in dem folgenden Überblick in aller gebotenen Kürze dargestellt werden 11 – auf die inhaltliche Ausgestaltung und die Folgen für die im Rahmen dieser Arbeit zu behandelnden Fragestellungen dürfte sich jedoch die Zuordnung zu einer bestimmten Ansicht nicht auswirken. 3 Ossenbühl, 7. Teil, S. 297: Der Grundsatz, dass der Staat die Folgen des von ihm verursachten Unrechts prinzipiell beseitigen muss ist „evident und unbestritten“. 4 Vgl. Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 6 ff.; Horn, DÖV 1990, 866 ff.; Maurer, DÖV 1966, 483 f.; Ossenbühl, 7. Teil, S. 291 f.; Rupp, JZ 2005, 158 f.; Sachs, in: Stern, Staatsrecht III / 1, S. 671 ff.; Schenke, FS Maurer, S. 733 ff.; ders., NVwZ 1993, 723 f.; ders., VerwArch 97 (2006), 600 ff. und auch BVerfG NJW 1974, 817. 5 Eine umfassende Behandlung mit Herleitung, Tatbestandsmerkmalen und Folgen des allgemeinen öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs findet sich bei Baumeister, Der Beseitigungsanspruch als Fehlerfolge des rechtswidrigen Verwaltungsakts, 2006. 6 U. a. Brugger, JuS 1999, 625 ff.; Schenke, JuS 1990, 370 ff.; dazu auch Schoch, VerwArch 79 (1988), 34 ff. 7 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 6 f.; Ossenbühl, 7. Teil, S. 291 f.: grundrechtlicher Schutzanspruch auf Unterlassung, Beseitigung und Herstellung. 8 Z. B. BVerwG BauR 1999, 733. 9 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 7. 10 In diese Richtung bereits Schleeh, AöR 92 (1967), 76, der feststellt, dass im Grunde die Anfechtungsklage gegen Verwaltungsakte nichts anderes als das Hauptanwendungsgebiet des öffentlichrechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs ist. 11 Eine ausführliche Untersuchung der in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Konzepte zur Herleitung des Beseitigungsanspruchs würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und der eigentlichen Aufgabenstellung, nämlich der Untersuchung der Rechtsfolgen der prinzipalen Normenkontrolle für Verwaltungsakte, nicht gerecht werden. Eine ausführliche Darstellung der vertretenen Ansichten und eine umfassende Kritik dieser Auffassungen findet sich bei Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 6 ff.

I. Vorbemerkung

105

Zum Teil wird die Existenz eines Beseitigungsanspruchs auf das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gestützt 12, zum Teil auch auf das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit 13. Auch eine Analogie zu §§ 12, 862, 1004 BGB 14, das Gewohnheitsrecht 15 oder gar eine Kombination der unterschiedlichen Aspekte 16 werden zur Herleitung eines (Folgen)Beseitigungsanspruchs angeführt. Die Rechtsprechung hat sich bislang ebenfalls nicht erkennbar einer bestimmten Ansicht zugeordnet und besticht vor allem durch eine Uneinheitlichkeit zwischen den verschiedenen Senaten des Bundesverwaltungsgerichts. So wurde der Folgenbeseitigungsanspruch unter anderem auf das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gem. Art. 20 Abs. 3 GG gestützt 17, auf die (Freiheits-)Grundrechte 18 und gar auf eine Mischung von materieller Rechtsstaatlichkeit und richterrechtlich geprägten, gewohnheitsrechtlichen Gesichtspunkten 19. In aller Regel aber unterlässt es das Bundesverwaltungsgericht, sich überhaupt zur Rechtsgrundlage des Folgenbeseitigungsanspruchs zu äußern und verweist lapidar auf dessen allgemeine Anerkennung. 20 Die herrschende Meinung in der Literatur geht indes zu Recht davon aus, dass sich die Existenz des Folgenbeseitigungsanspruchs und folgerichtig auch die Existenz des allgemeinen öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs aus den Grundrechten herleiten lässt. 21 Aus der Qualifizierung der Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat lassen sich Unterlassungsansprüche herausarbeiten, wonach es dem Staat untersagt ist, durch hoheitliches Handeln in die geschützten Rechtspositionen der Bürger einzugreifen. 22 Diesen Unterlassungsansprüchen müssen jedoch als Pendant auch Beseitigungsansprüche gegenüberstehen, da nur durch diese Ergänzung ein wirksamer Schutz der Grundrechte gegenüber staatlichen Eingriffen gewährleistet werden kann. 23 Der allgemeine Beseitigungsanspruch mit der Folge der Beseitigung der fortdauernden 12

Fiedler, NVwZ 1986, 970 f. Erichsen, VerwArch 63 (1972), 221. 14 Bettermann, DÖV 1955, 534 f.; Enders, DV 30 (1997), 38. 15 Schwerdtfeger, Rn. 289; Ipsen, Allg. VerwR, Rn. 1337. 16 Brugger, JuS 1999, 627 ff. 17 BVerwGE 69, 366 (370). 18 BVerwG NJW 1972, 269; NJW 1985, 1481. 19 BVerwGE 94, 100 (103). 20 So vgl. BVerwG NVwZ-RR 2002, 620. 21 Ausdrücklich für den allgemeinen öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruch, Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 8, und Schenke, FS Maurer, S. 734; wohl auch Horn, DÖV 1990, 866. Für den Folgenbeseitigungsanspruch, vgl. u. a. Faber, NVwZ 2003, 161; Maurer, § 30 Rn. 5; Kopp / Schenke, § 113, Rn. 81; Ossenbühl, 7. Teil, S. 298 ff.; Schenke, JuS 1990, 371 ff., ders., DVBl. 1990, 330; Schoch, VerwArch. 79 (1988), 34 ff. 22 Laubinger, VerwArch 80 (1989), 299. 23 Vgl. Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 427. 13

106 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

Beeinträchtigung führt demnach zum Schutz und zur Umsetzung der sich aus den Grundrechten ergebenden Unterlassungspflichten des Staates. Dies wird auch vor dem Hintergrund der Rücknahmeverpflichtung bei rechtsverletzenden Realakten deutlich. Hier ist allgemein anerkannt, dass der Bürger einen Anspruch auf Beseitigung des ihn in seiner subjektiven Rechtsposition verletzenden Realakts besitzt, der aus der subjektiven Rechtsqualität der Freiheitsgrundrechte abzuleiten ist. 24 Gleiches wird im Übrigen auch für den Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch vertreten. 25 Es wäre nun aber widersinnig, wenn sich aus den Freiheitsgrundrechten lediglich die Beseitigung der Folgen eines rechtsverletzenden Handelns des Staates ergeben würde, nicht jedoch die Beseitigung der rechtsverletzenden hoheitlichen Maßnahme selbst. Es überzeugt daher alleine der Ansatz, dass sich aus der subjektiven Rechtsqualität der Freiheitsgrundrechte ein Anspruch des Bürgers auf Beseitigung des rechtsverletzenden staatlichen Handelns ergeben müsse, der freilich gewissen Einschränkungen unterliegen muss. 2. Die Tatbestandsvoraussetzungen Nicht jedes Fehlverhalten der Verwaltung führt nun aber zu der Folge, dass der Bürger die Beseitigung der staatlichen Handlung verlangen kann. Der allgemeine Beseitigungsanspruch ist an das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen gebunden: die Rechtswidrigkeit des staatlichen Handelns sowie eine Verletzung der subjektiven Rechte des Betroffenen. Insofern ähnelt der allgemeine Beseitigungsanspruch der gesetzlichen Regelung des § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO, was nicht verwundert, denn diese Regelung der gerichtlichen Aufhebung rechtswidriger, die subjektiven Rechte des Betroffenen verletzender Verwaltungsakte im Rahmen der Anfechtungsklage setzt schon begrifflich das Bestehen eines materiellrechtlichen Beseitigungsanspruchs voraus. 26 Während das Kriterium der Rechtswidrigkeit des Verwaltungshandelns nach allgemeinen Grundsätzen bestimmbar ist, lohnt sich ein Blick auf das Tatbestandsmerkmal der subjektiven Rechtsverletzung. Leitet man die Existenz des allgemeinen Beseitigungsanspruchs nämlich aus der subjektiven Rechtsqualität der Freiheitsgrundrechte ab, so kann ein Beseitigungsanspruch auch nur insofern auf einer verfassungsrechtlichen Grundlage beruhen, als auch im Einzelfall eine Verletzung dieser Freiheitsgrundrechte selbst gegeben ist. Eine Verletzung von Freiheitsgrundrechten liegt jedoch stets vor, wenn ein Verwaltungsakt in subjektive Rechte des Bürgers eingreift. Jeder rechtsverletzende Verwaltungsakt greift nämlich zugleich in die verfassungsrechtlich gewährleisteten Schutzbereiche der 24

So Schenke, VerwArch 97 (2006), 601. Vgl. Fn. 21. 26 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 9; Horn, DÖV 1990, 866; Morlok, DV 25 (1992), 379; Remmert, VerwArch 88 (1997), 120; Schenke, DÖV 1986, 309 f. 25

I. Vorbemerkung

107

Freiheitsgrundrechte ein, sei es in ein spezielles Freiheitsgrundrecht oder, sofern nicht die Verletzung eines speziellen Freiheitsgrundrechts vorliegt, jedenfalls in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG, dem das grundgesetzlich verbürgte Abwehrrecht des Bürgers zu entnehmen ist, von unberechtigen, nicht rechtsstaatlichen Eingriffen der Staatsgewalt verschont zu bleiben. 27 Bei Verfahrensfehlern ist hingegen ein Beseitigungsanspruch nicht bereits unmittelbar aus dem Vorliegen des Verfahrensfehlers alleine zu folgern. 28 Hier muss zumindest die Möglichkeit bestehen, dass sich der Verfahrensfehler auf die materielle Rechtslage ausgewirkt hat. Zwar ergibt sich bereits aus dem Verfahrensfehler selbst eine mittelbare Freiheitsgrundrechtsverletzung, da Art. 2 Abs. 1 GG nicht zwischen Verletzungen von Normen des materiellen Rechtes und solchen des Verfahrensrechts unterscheidet. Verfahrensfehler können aber nur mittelbar einen Beseitigungsanspruch begründen, wenn sich in Folge des Verfahrensfehlers ein Widerspruch zwischen objektiver Rechtslage und Entscheidungsinhalt ergibt. Entscheidend ist demnach alleine die (wenn auch nur mögliche) Verletzung materieller subjektiver Rechte. 29 Schließlich muss die Rechtsverletzung noch andauern. Dies bedarf jedoch keiner näheren Erläuterung, da offensichtlich nur beseitigt werden kann, was noch fortdauert. 3. Einschränkungen des Beseitigungsanspruchs Die Existenz eines allgemeinen öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs bedeutet nun aber nicht, dass jedes rechtswidrige und subjektive Rechte des Betroffenen verletzende Staatshandeln auch zwangsläufig Ansprüche des Bürgers auf Beseitigung dieses Staatshandelns nach sich führt. Vielmehr ist auch der grundrechtlich fundierte Beseitigungsanspruch an verfassungsimmanenten Grundsätzen zu messen und mit diesen abzuwägen. Besonders deutlich wird dies für den Bereich der unanfechtbaren Verwaltungsakte. 30 Hier ist unbestritten ein allgemeiner Beseitigungsanspruch nicht (mehr) gegeben. 31 Eine Abwägung zwischen den Interessen des betroffenen Bürgers und dem Interesse des Staates an dem Fortbestand der Maßnahme, lässt hier den Grundsatz der Rechtssicherheit überwiegen. Hatte der von einem Verwaltungsakt betroffene Bürger die Möglichkeit, sein Recht und damit insbesondere sein Recht auf Aufhebung der Maßnahme gerichtlich geltend zu machen, und hat er dieses Recht entweder versäumt oder nicht 27 28 29 30 31

BVerfGE 9, 83 (88). Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 429. Ausführlich hierzu die Ausführungen bei Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 64 ff. Hiermit beschäftigt sich Kapitel E. II. 1. BVerfGE 27, 297 (305 f.); Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 223.

108 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

ordnungsgemäß geltend gemacht, so wird sein Aufhebungsanspruch aus Gründen der Rechtssicherheit überlagert und seinen Aufhebungsinteressen kommt im Rahmen der Abwägung in der Regel kein nennenswertes Gewicht mehr zu. 32 Diese Beschränkung ist zwar im Gesetz nicht verankert – insbesondere lässt sich ein solcher zwingender Schluss nicht aus § 48 VwVfG entnehmen 33 – ergibt sich aber aus der Abwägung der beiden verfassungsrechtlich verankerten Grundsätze der Rechtmäßigkeit und der Rechtssicherheit. Auch aus praktischen Gründen ist diese Beschränkung des Beseitigungsanspruchs notwendig, um die Tätigkeit der Verwaltung nicht zu paralysieren, da die Verwaltung ansonsten gezwungen wäre, ihre Maßnahmen zeitlich unbeschränkt immer wieder neu zu rechtfertigen. 34 Hier ist dem Grundsatz der Rechtssicherheit, der sich in dem Institut der Bestandskraft von Verwaltungsakten niederschlägt, der Vorrang einzuräumen. Ähnliche Einschränkungen ergeben sich auch aus § 46 VwVfG. Dieser berührt zwar nicht die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts oder dessen Charakterisierung als rechtsverletzend 35 – vielmehr schränkt diese Vorschrift lediglich die Beseitigungspflicht ein. Dies ist dem Gedanken geschuldet, dass es weder aus verwaltungsökonomischen, noch aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten heraus gerechtfertigt ist, einen Verwaltungsakt zu beseitigen, der zwar verfahrensfehlerhaft zustande gekommen ist, dessen Verfahrensfehlerhaftigkeit sich jedoch offensichtlich nicht auf das Ergebnis ausgewirkt hat. Ein solcher Verwaltungsakt könnte und müsste sogar in einigen Fällen nach seiner Aufhebung sofort wieder neu erlassen werden. Der Grundgedanke des rechtmäßigen Alternativverhaltens liefe leer, wenn sich der Bürger hier auf einen rein formalen Beseitigungsanspruch berufen könnte, der seine Rechtsposition aufgrund des unmittelbar folgenden Neuerlasses des Verwaltungsakts in keinster Weise verbessert. 36 Anhand dieser beiden Beispiele wird klar, dass ein allgemeiner öffentlichrechtlicher Beseitigungsanspruch, der sogar Verfassungsrang besitzt, nicht uneingeschränkt zur Beseitigung allen rechtswidrigen und rechtsverletzenden staatlichen Handelns führt, sondern dass auch ein solcher Anspruch Einschränkungen unterliegen muss, die sich aus rechtlichen, aber auch aus praktischen Gesichtspunkten heraus ergeben.

32

Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 223. Zu Einschränkungen des Beseitigungsanspruchs aufgrund der Regelung des § 48 VwVfG siehe unten, D. II. 5. 34 Vgl. Baumeister, VerwArch 83 (1992), 381. 35 Dazu Schenke, FS Maurer, S. 741; ders., DÖV 1986, 305 ff. m. w. N. auch zur Gegenansicht. 36 Schenke, FS Maurer, S. 741. 33

II. Anspruch auf Aufhebung des noch anfechtbaren Verwaltungsakts

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4. Folgerungen für den Fall der gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit der Norm Diese kurze Darstellung der Herleitung, Voraussetzungen und der Beschränkungen des allgemeinen öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs kann nun für den Fall der gerichtlichen Nichtig- oder Unwirksamkeitserklärung einer Norm fruchtbar gemacht werden. Wie bereits festgestellt wurde ist ein Verwaltungsakt, der auf einer solchen Norm beruht, nach deren Nichtigkeits- bzw. Unwirksamkeitsfeststellung von Anfang an als rechtswidrig anzusehen. Wird durch diesen Verwaltungsakt nun auch in Rechte eines Betroffenen eingegriffen, was beim Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts immer, bei Drittbetroffenen nur bei Vorliegen eines drittschützenden Rechts der Fall ist 37, dann sind die Tatbestandsmerkmale des allgemeinen Beseitigungsanspruchs gegeben. Demnach wären solche Verwaltungsakte, die auf einer für unwirksam erklärten Norm beruhen, zu beseitigen, wobei die Beseitigung des Verwaltungsakts nichts anderes bedeutet als dessen Rücknahme. Es ist nun aber in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob sich aus anderen Gesichtspunkten heraus eine Beschränkung dieses Rücknahmeanspruchs ergibt und wie sich die Annahme einer Rücknahmeverpflichtung der Behörde mit den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts in Einklang bringen lässt.

II. Anspruch auf Aufhebung des noch anfechtbaren Verwaltungsakts durch die Behörde als Folge der Normenkontrollentscheidung 1. Die Fragestellung So einhellig die Existenz eines allgemeinen Beseitigungsanspruchs anerkannt wird, so weitgehend uneinheitlich wird jedoch die Frage beantwortet, inwiefern ein solcher Beseitigungsanspruch gegenüber der Verwaltung geltend gemacht werden kann. Diese Frage knüpft an die Regelung des § 48 VwVfG an, der die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte zum Inhalt hat, denn die Rücknahme des rechtswidrigen und in die subjektiven Rechte des Betroffenen eingreifenden Verwaltungsakts ist die denknotwendige Rechtsfolge eines allgemeinen Beseitigungsanspruchs. Der Inhalt der Regelung des § 48 VwVfG und die aus den Grundrechten abzuleitende Forderung der Beseitigung rechtsverletzender hoheitlicher Eingriffe müssen demnach in Einklang gebracht werden. § 48 VwVfG spricht nun aber davon, dass die Verwaltung einen rechtswidrigen Verwaltungsakt auch nach Unanfechtbarkeit zurücknehmen „kann“. Dieses 37

Vgl. hierzu die Ausführungen unter C. IV. 5.

110 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

Wort „kann“ bildet den Kernpunkt des Streites: Ist die Verwaltung vor Ablauf der Anfechtungsfristen zur Rücknahme eines rechtswidrigen, rechtsverletzenden Verwaltungsakts von Amts wegen verpflichtet 38 oder hat sie diesbezüglich ein Rücknahmeermessen, wie es die Verwendung des Begriffes „kann“ andeutet 39? Oder – wenn man diese Fragestellung auf die zuvor herausgearbeitete dogmatische Ebene überträgt – wird durch den Begriff „kann“ der grundgesetzlich verankerte Beseitigungsanspruch insoweit eingeschränkt, als dass die Behörde nach freiem Ermessen über die Rücknahme des noch anfechtbaren Verwaltungsakts entscheiden darf? Für den Fall der allgemeinverbindlichen Unwirksamerklärung einer Norm ist diese allgemeine Frage von unmittelbarer Bedeutung. Wird der Behörde im Rahmen des § 48 VwVfG ein generelles Rücknahmeermessen eingeräumt, so müsste nach den Kriterien für die Ausübung dieses Ermessens gefragt werden und dabei insbesondere Stellung zur Berücksichtigung der Entscheidung der prinzipalen Normenkontrolle im Rahmen der Rücknahmeentscheidung genommen werden. Zugleich müsste dann geprüft werden, ob die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm eine Sonderstellung einnimmt, wie teilweise behauptet 40, und das Rücknahmeermessen der Behörde insofern überlagert wird. Führen die weiteren Untersuchungen bereits zu der Feststellung einer allgemeinen behördlichen Aufhebungsverpflichtung hinsichtlich rechtsverletzender, noch anfechtbarer Verwaltungsakte, so erübrigt sich die Frage nach einer eventuellen Sonderstellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts infolge einer Normenkontrollentscheidung. In diesem Fall würde die prinzipale Normenkontrolle die Rechtsfolge auslösen, dass die Behörde trotz der „kann“-Regelung in § 48 VwVfG noch anfechtbare belastende Verwaltungsakte grundsätzlich zurücknehmen muss. 2. Die Rechtsprechung Die Rechtsprechung hat sich zu der Frage einer behördlichen Rücknahmeverpflichtung hinsichtlich noch anfechtbarer, rechtsverletzender Verwaltungsakte noch nicht ausdrücklich geäußert. Dies ist aber insofern auch nicht verwunderlich, kann doch die Existenz eines Aufhebungsanspruchs hinsichtlich eines belastenden Verwaltungsakts vor dessen noch möglicher Anfechtung nur schwerlich unmittelbarer Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens sein. Zum einen wird der von dem Verwaltungsakt Betroffene nur in den seltensten Fällen das Bestehen eines Aufhebungsanspruchs außerhalb eines förmlichen Rechtsbehelfsverfahren geltend machen, so lange ihm noch die Möglichkeiten von Widerspruch und Anfechtungsklage offen stehen. Zum anderen ist das Bestehen eines Aufhebungs38 39 40

Vgl. unten D. II. 5. Vgl. unten D. II. 3. So z. B. Kerbusch, BlGBW 1981, 123.

II. Anspruch auf Aufhebung des noch anfechtbaren Verwaltungsakts

111

anspruchs gegenüber der Verwaltung nicht entscheidungsrelevant für die gerichtliche Entscheidung im Anfechtungsprozess, da das Gericht hier nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO zwar die Rechtswidrigkeit und die Verletzung subjektiver Rechte des Klägers prüft, nicht aber die Pflicht der Verwaltung, den Verwaltungsakt bereits im noch anfechtbaren Stadium zurückzunehmen. 41 Dennoch finden sich in der Rechtsprechung zum Teil inzident Stellungnahmen, die sich mit der Thematik des Aufhebungsanspruchs bei anfechtbaren Verwaltungsakten befassen. Der Bundesgerichtshof hat z. B. 1986 eine Rücknahmepflicht der Verwaltung bei rechtswidrigen Verwaltungsakten angenommen, indem er in einem Amtshaftungsprozess anmerkte, dass „im Rahmen der rechtmäßigen Amtsausübung für die insoweit zuständigen Amtsträger in der Regel die Pflicht [besteht], als rechtswidrig erkannte oder erkennbare Verwaltungsakte zurückzunehmen“ 42 und dass die schuldhafte Nichterfüllung dieses Rücknahmeanspruchs nach Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts einen Schadensersatzanspruch nach § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG begründen kann 43. Kurz gesagt: Die schuldhafte Nichtrücknahme eines nicht bestandskräftigen, rechtswidrigen Verwaltungsakts sei amtspflichtwidrig. Auch die Verwaltungsgerichte haben sich nur in Ausnahmefällen, zumeist in Fällen mit Drittbezug, inzident mit der vorliegenden Frage befasst. So hat das OVG Münster 1982 festgestellt, dass das Ermessen der Behörde, einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt (hier: eine Baugenehmigung) zurückzunehmen, in den Fällen auf Null reduziert ist, in denen der Verwaltungsakt Dritte in deren Rechten verletzt und im Rechtsmittelverfahren oder Abhilfeverfahren ohnehin aufgehoben werden muss. 44 Ebenfalls zur Frage der Rücknahmeverpflichtung bei einer den Nachbarn begünstigenden Baugenehmigung führte hingegen das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Entscheidung über die Rücknahme der noch anfechtbaren Baugenehmigung im Ermessen der Behörde liege. 45 Allerdings lag hier der Sonderfall vor, dass die Baugenehmigung dem Nachbarn nicht bekannt gegeben wurde und der Bauherr bereits einen erheblichen Baufortschritt an seinem Haus erreicht hatte. Das Gericht betonte hier das Vorliegen eines schützenswerten Vertrauens des Bauherrn, der mit einer Drittanfechtung der Baugenehmigung nach mehreren Monaten nicht mehr rechnete und der daraufhin bereits mit den umfangreichen Baumaßnahmen begonnen hatte. In diesem Fall, so das Gericht, seien die Gesichtspunkte des Vertrauens des Bauherrn in den Bestand der Baugenehmigung in die Ermessensentscheidung über die Rücknahme der Baugenehmigung miteinzubeziehen. 46 Eine außerhalb dieses Ausnahmefalls allgemeinverbindliche 41 42 43 44 45

Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 226; Schenke, FS Maurer, S. 727. BGH NJW 1986, 2953. BGH NJW 1986, 2953. OVG Münster BRS 39 Nr. 157, S. 337. BVerwG NVwZ 1994, 896.

112 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

Aussage zur Existenz eines Rücknahmeanspruchs kann deshalb dem Urteil nicht entnommen werden. In einem weiteren Fall musste sich das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Vergabe kontingentierter Genehmigungen mit einer Klage eines Mitbewerbes auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrages beschäftigen, ohne dass dieser die bereits erfolgte Vergabe von bestimmten Kontingenten an die übrigen Bewerber angefochten hatte. 47 Das Gericht ging dabei davon aus, dass es der nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffenden Entscheidung der Behörde überlassen sei, ob und gegebenenfalls welchen Mitbewerbern die rechtswidrig erteilte Genehmigung wieder zu entziehen ist“ 48, was ebenfalls auf das Vorliegen eines behördlichen Ermessen hinsichtlich der Rücknahme anfechtbarer Verwaltungsakte hindeutet. Eine ausdrückliche allgemeingültige Stellungnahme zu dieser Thematik findet sich, wie sich den Beispielen entnehmen lässt, in der Rechtsprechung jedoch nicht. 3. Der Ansatz der herrschenden Meinung In der Lehre wird die Existenz eines allgemeinen Rücknahmeanspruchs bei rechtsverletzenden, noch anfechtbaren Verwaltungsakten überwiegend abgelehnt 49 und auch für den Sonderfall der Unwirksamerklärung der gesetzlichen Grundlage des Verwaltungsakts so vertreten. 50 § 48 VwVfG begründe vielmehr ein Rücknahmeermessen für die Verwaltung, dessen Ausübung den allgemeinen Vorschriften, insbesondere § 40 VwVfG, unterfalle. 51 Dabei verweisen die Vertreter dieser Ansicht auf den insofern eindeutigen Wortlaut des § 48 VwVfG, wonach ein rechtswidriger Verwaltungsakt, „auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise [ . . . ] zurückgenommen werden kann.“ Diese „kann“-Formulierung wird als typische Formulierung für das Vorliegen eines Ermessensspielraums gewertet. Eine Deutung des Begriffes „kann“ als Handlungsermächtigung, wie dies z. B. in § 35 Abs. 2 BauGB der Fall ist, komme hier nicht in Betracht. 52 46

BVerwG NVwZ 1994, 896. BVerwG NJW 1989, 1749 ff. 48 BVerwG NJW 1989, 1750. 49 E / E-Ruffert, § 23 Rn. 13 ff.; Ipsen, Allg. VerwR, Rn. 723; Kerbusch, BlGBW 1981, 123; Knack-H. Meyer, § 48 Rn. 58; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 74, 77; Maurer, § 11 Rn. 48; Obermayer-Schäfer, § 48 Rn. 27; Peine, Rn. 927; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 87 ff.; Ziekow, VwVfG, § 48 Rn. 13. 50 Speziell zu dieser Fallkonstellation Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 56, 71 m. w. N.; Maurer, § 11 Rn. 48; NKVwGO-Ziekow, § 47 Rn. 380. 51 Ziekow, VwVfG, § 48 Rn. 13. 52 Vgl. z. B. Obermayer-Schäfer, § 48 Rn. 27; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 87 ff. 96. 47

II. Anspruch auf Aufhebung des noch anfechtbaren Verwaltungsakts

113

Verstärkt werde dies durch die fehlende Differenzierung zwischen anfechtbaren und bestandskräftigen Verwaltungsakten im Gesetzeswortlaut des § 48 VwVfG. Bei letzteren besteht nach insofern einhelliger Ansicht kein Rücknahmeanspruch. Ein Rücknahmeermessen wird der Behörde in diesen Fällen allerdings eingeräumt. 53 Aus § 48 VwVfG lasse sich jedoch nicht entnehmen, warum sich die Auslegung des Begriffes „kann“ bei anfechtbaren Verwaltungsakten nun in Richtung einer Handlungsermächtigung ändern solle, wo doch § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG gerade anfechtbare und bestandskräftige Verwaltungsakte durch die Formulierung „auch nachdem er unanfechtbar geworden ist“ gleichstelle. 54 Teilweise verweisen die Anhänger dieser Lehre auf die Entstehungsgeschichte von § 48 VwVfG. Die Regierungsbegründung zum damaligen Gesetzesentwurf spreche von einem Grundsatz der freien Rücknehmbarkeit von Verwaltungsakten ohne Differenzierung nach der Bestandskraft und besagt an anderer Stelle, dass die Rücknahme in das Ermessen der Behörde gestellt werde. 55 Schließlich ergeben sich auch aus systematischen Aspekten Hinweise für das Vorliegen eines Rücknahmeermessens, wie bereits ein Vergleich mit § 44 SGB X zeige. Danach sind rechtswidrige belastende Verwaltungsakte auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit von der Behörde zurückzunehmen. Wird hier eine Rücknahmeverpflichtung der Behörde explizit durch das Gesetz statuiert, so könne dort, wo es an einer solchen ausdrücklichen Nennung im Gesetz fehlt, keine Rücknahmeverpflichtung eingreifen. 56 Außerdem belege auch die Sonderstellung der Rücknahmeverpflichtung in § 44 SGB X, die sich aus dem besonderen Charakter von Sozialleistungen für den Empfänger ergibt, dass es gerade einer Berücksichtigung spezieller Umstände bedürfe, um eine Rücknahmepflicht zu statuieren – eine solche Pflicht müsse deshalb dem allgemeinen Verwaltungsrecht fremd sein. 57 Auch der Sinn und Zweck der Regelung des § 48 VwVfG mache deutlich, dass das Verwaltungsrecht keine allgemeine Rücknahmepflicht bei anfechtbaren Verwaltungsakten kenne. Ein Vergleich mit den Regelungen der VwGO zeige deutlich, dass die verwaltungsprozessualen Anfechtungsmöglichkeit alleine aus Gründen des Individualrechtsschutzes vorgesehen sind. Der Betroffene sei dispositionsbefugt, durch seinen Antrag über die Anfechtung des ihn belastenden Verwaltungsakts mitzuentscheiden. Die Anfechtungsklage nach § 42 VwGO schütze damit lediglich die eigenen Interessen des Klägers. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrensrechts stehe der Schutz individueller Interessen aber nicht im Mittelpunkt. § 48 VwVfG statuiere vielmehr eine Rücknahme des Verwaltungsakts, die nicht 53 54 55 56 57

Vgl. dazu unten E.II.2.a. So Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 71. BT-Drucks. 7/910, S. 68 zu § 44 VwVfG-Entwurf (= § 48 VwVfG). Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 87. Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 87.

114 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

individuelle Interessen schützt, sondern aus Gründen des öffentlichen Interesses erfolge. 58 Der Rechtschutzgedanke werde aber durch die Möglichkeiten des Widerspruchs (§§ 68 ff. VwGO) und der Anfechtungsklage (§ 42 VwGO) ausreichend geschützt, so dass es einer, das Rücknahmeermessen der Verwaltung nach § 48 VwVfG einschränkenden Auslegung oder gar der Statuierung einer behördlichen Rücknahmepflicht ohnehin nicht bedürfe. 59 Teilweise wird zusätzlich angemerkt, dass durch die dogmatische Konstruktion eines Rücknahmeanspruchs die verfassungsrechtliche Herleitung über Gebühr strapaziert werde, zumal sich nicht erkennen lasse, welchen Effizienzgewinn der Betroffenen hierdurch erziele. 60 4. Die Normenkontrollentscheidung als Sonderfall – Die Rücknahmeverpflichtung als außerprozessuale Folge der Normenkontrolle? Auch wenn die herrschende Meinung eine Rücknahmeverpflichtung ablehnt, so mehren sich doch die Stimmen, die speziell als Folge der Normenkontrollentscheidung eine Rechtspflicht der Behörde zur Aufhebung belastender, noch anfechtbarer Verwaltungsakte und einen auf Rücknahme gerichteten Rechtsanspruch des betroffenen Bürgers vorsehen. 61 Teilweise entbehren die diesbezüglich getroffenen Aussagen aber jeglicher Herleitung oder Begründung. 62 Einzig Kerbusch gibt eine Begründung, beschränkt sich dabei allerdings auch auf die bloße Feststellung, dass es sich bei dieser Rechtspflicht zur Rücknahme noch anfechtbarer Verwaltungsakte um eine aus der materiellen Rechtskraft der Normenkontrollentscheidung fließende Rechtspflicht handelt, deren Herleitung keine besonderen Probleme bereitet, da außerprozessuale Wirkungen der materiellen Rechtskraft bei verwaltungsgerichtlichen Urteilen anerkannt seien. 63 Eine Begründung, weshalb gerade in dieser Fallkonstellation eine außerprozessuale Wirkung der Normenkontrollentscheidung eingreifen solle, bleibt Kerbusch hingegen schuldig. Er verweist lediglich darauf, dass einer Rücknahme keine im Rahmen der Ermessensanwendung zu gewichtenden Gesichtspunkte entgegenstehen und dass hier weder der Gleichheitsgrundsatz noch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Einräumung eines unbeschränkten Rücknahmeermessens gebieten. 64 Dies ist meines Erachtens nicht überzeugend, denn es ist nicht nachvollziehbar, weshalb 58

Vgl. hierzu Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 71. Knack-H. Meyer, § 48 Rn. 58; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 50 Rn. 77. 60 Knack-H. Meyer, § 48 Rn. 58. 61 Eyermann-J. Schmidt, § 47 Rn. 104; Kerbusch, BlGBW 1981, 123; R / Ö-Redeker, § 47 Rn. 46. 62 So bei Eyermann-J. Schmidt, § 47 Rn. 104 und R / Ö-Redeker, § 47 Rn. 46. 63 Kerbusch, BlGBW 1981, 123. 64 Kerbusch, BlGBW 1981, 124. 59

II. Anspruch auf Aufhebung des noch anfechtbaren Verwaltungsakts

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die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts infolge der Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm anders zu behandeln sein soll als die Rechtswidrigkeit vergleichbarer Verwaltungsakte, bei denen Kerbusch ausdrücklich von einer Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts spricht. Die begründungslose Annahme einer außerprozessualen Wirkung der Normenkontrollentscheidung ist daher nicht überzeugend. Wie sich in der Folge zeigen lässt, bedarf es einer solchen Konstruktion zur Begründung einer behördlichen Rücknahmeverpflichtung nicht. 5. Eigene Argumentation: Anspruch auf Rücknahme des noch anfechtbaren Verwaltungsakts a) Das „kann“ in § 48 VwVfG – Ermächtigung oder Ermessen? Die herrschende Meinung begründet ihre Ablehnung gegenüber einer Aufhebungspflicht der Behörde insbesondere mit dem Gesetzeswortlaut 65 – und in der Tat muss der herrschenden Meinung darin zugestimmt werden, dass der Begriff „kann“ in Gesetzen typischerweise auf das Bestehen eines Ermessensspielraums hindeutet, wohingegen pflichtenbegründende und damit auch anspruchsbegründende Normen zumeist den Wortlaut „ist“ (Beispiel: Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung gemäß § 60 LBO RLP) oder „hat“ (Beispiel: Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens gemäß § 51 VwVfG) enthalten. Dass der Gesetzeswortlaut aber nur ein Indiz gegen das Bestehen einer Aufhebungspflicht ist, zeigt sich, wenn man den Wortlaut anderer „kann“-Bestimmungen heranzieht. „Kann“ steht nämlich nicht immer auch für ein behördliches Ermessen, sondern kann unter Umständen auch zu einem „muss“ werden. Bestes Beispiel hierfür ist die Vorschrift des § 35 Abs. 2 BauGB: Danach „können“ Bauvorhaben im Außenbereich zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange nicht beeinträchtigt. Hier ist allgemein anerkannt, dass – trotz des Gesetzeswortlautes „können“ – ein Anspruch auf Zulassung des Bauvorhabens im Außenbereich besteht, sofern keine der in § 35 Abs. 3 BauGB aufgezählten Ausschlussgründe vorliegen. 66 Diese Auslegung des Begriffes „kann“ ergibt sich aus der durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Eigentumsfreiheit. Soweit keine gesetzlichen Vorschriften nach Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG diese Eigentumsfreiheit einschränken oder einem Bauvorhaben entgegenstehen 67, und somit keine Interessen der Allgemeinheit durch das geplante Vorhaben beeinträchtigt werden, folgt aus der verfassungsrechtlich verbürgten „Baufreiheit“, dass die zuständigen Behörden ein solches Bauvorhaben zulassen müssen, um die grundrechtlich verankerte 65

Vgl. u. a. E / E-Ruffert, § 20 Rn. 13; Obermayer-Schäfer, § 48 Rn. 27. BVerwGE 18, 247 (250); BGH BauR 1981, 357; Battis, BauR, S. 155; Dürr, Baurecht BW, Rn. 129; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 35 Rn. 43. 67 Vgl. hierzu auch Beuermann, Intendiertes Ermessen, S. 41 m. w. N. 66

116 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

Rechtsposition des Bauherrn zu wahren. Hier steht die Zulassung des Bauvorhabens gerade nicht im Ermessen der Behörde: Steht die fehlende Beeinträchtigung öffentlicher Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB fest, so ergibt sich aus § 35 Abs. 2 BauGB ein Zulassungsanspruch im Rahmen einer gebundenen Entscheidung. 68 Das Hauptargument der herrschenden Meinung, der Wortlaut des § 48 VwVfG, fordert daher nicht zwingend das Vorliegen eines Ermessensspielraums der Verwaltung bei der Entscheidung über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts. Es gibt aber unterschiedliche Ansätze, wie der Begriff „kann“ als „muss“ zu verstehen ist. In Ausnahmefällen, wie zum Beispiel bei § 35 Abs. 2 BauGB, wird der Begriff „kann“ als Handlungsermächtigung der Verwaltung verstanden. 69 Hier handelt es sich um eine gebundene Entscheidung. Liegen z. B. die Tatbestandsvoraussetzungen des § 35 Abs. 2 BauGB vor, so ist das Vorhaben zuzulassen, liegen die Tatbestandsvoraussetzungen hingegen nicht vor, so besteht diese Zulassungspflicht nicht. Der Begriff „kann“ kann jedoch auch auf anderem Wege als „muss“ verstanden werden. Zu dem gleichen Ergebnis, nämlich einer Rücknahmeverpflichtung bzgl. rechtsverletzender, noch anfechtbarer Verwaltungsakte, könnte man auch über die Rechtsfigur des „intendierten Ermessen“ gelangen. Danach hätte die Verwaltung zwar formell einen Ermessensspielraum, den sie aber nur in atypischen Konstellationen frei ausüben kann, während im Regelfall eine bestimmte Entscheidung bereits vorgegeben ist. 70 Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann die Verwaltung eine von der Regel abweichende Ermessensentscheidung treffen. Der Begriff des „intendierten Ermessens“ 71 besagt daher im Grunde nichts anderes, als eine Ermessensreduktion auf Null im Regelfall oder, anders formuliert, die Vorsteuerung des Ermessens und eine Entbehrlichkeit einer Abwägung für alle typischen Fälle. 72 Er unterscheidet sich jedoch insofern von einer bloßen Ermessensreduktion auf Null, dass eine Reduzierung des an und für sich gewährten Ermessensspielraums nicht nur aufgrund der spezifischen Umstände eines Einzelfalls auf eben diesen konkreten Einzelfall bezogen erfolgt, sondern dass sich diese Begrenzung für den Regelfall bereits aus abstrakten Gründen heraus 68 BVerwGE 18, 247 (250); BGH BauR 1981, 357; Dürr, Baurecht BW, Rn. 129; Krautzberger, in: Battis / Krautzberger / Löhr, BauGB, § 35 Rn. 43. 69 So zu finden bei Beuermann, Intendiertes Ermessen, S. 41; Schenke, FS Maurer, S. 729; Ule / Laubinger, § 62 Rn. 2; wohl auch v. Einem, Strukturen, S. 146; a. A. Volkmann, DÖV 1996, 282 ff. Weitere Beispiele für solche „kann“-Normen, die auf Rechtsfolgenseite kein Ermessen einräumen sind z. B. § 105e Abs. 1 GewO (BVerwGE 24, 15 (22)) oder § 3 FamNamÄndG (BVerwGE 15, 207 (211 f.)). 70 Beuermann, Intendiertes Ermessen, S. 38 m. w. N. 71 Allgemein zu der Rechtsfigur des „intendierten Ermessens“: Beuermann, Intendiertes Ermessen, 2002. Einen kurzer Überblick zu diesem Rechtsinstitut liefert auch Beaucamp, JA 2006, 76 ff. 72 Beaucamp, JA 2006, 76; Beuermann, Intendiertes Ermessen, S. 37 f.

II. Anspruch auf Aufhebung des noch anfechtbaren Verwaltungsakts

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ergibt. 73 Das intendierte Ermessen beschreibt also eine abstrakt-typisierende Ermessensreduktion auf Null. Da in der vorliegenden Fallkonstellation die Existenz eines verfassungsrechtlich geforderten Beseitigungsanspruchs – zumindest im reinen Staat-Bürger-Verhältnis 74 – den Regelfall darstellt, läge hierin ein Vorteil der Rechtsfigur des intendierten Ermessens gegenüber einer „bloßen“ Ermessensreduktion auf Null im Einzelfall. 75 Im Ergebnis wirkt sich diese Differenzierung jedoch nicht aus. Auf den Fall der Rücknahmeentscheidung übertragen würde dieses intendierte Ermessen bedeuten, dass die Behörde den rechtsverletzenden, noch anfechtbaren Verwaltungsakt in der Regel aufheben muss, in Ausnahmefällen die Rücknahme aber weiterhin in ihrem Ermessen verbleibt, zum Beispiel auch im Falle des § 46 VwVfG. Diese Deutung hätte den Vorteil, dass sie sich mit der fehlenden sprachlichen Differenzierung zwischen bestandskräftigen – in diesem Zusammenhang muss der Begriff „kann“ unbestritten als Einräumung eines Ermessensspielraums angesehen werden 76 – und anfechtbaren Verwaltungsakten in § 48 VwVfG ohne weiteres vereinbaren ließe 77, denn das „kann“ würde weiterhin einen generellen Ermessensspielraum der Verwaltung hinsichtlich der Rücknahme von Verwaltungsakten statuieren, der sich – ohne dass eine sprachliche Änderung der Regelung nötig ist – im Falle des noch anfechtbaren, rechtsverletzenden Verwaltungsakts aus verfassungsrechtlichen Erwägungen zu einem Rücknahmeanspruch des Betroffenen und einer Rücknahmeverpflichtung der Behörde verdichtet 78. Einer solchen Konstruktion einer Rücknahmeverpflichtung bei anfechtbaren, rechtsverletzenden Verwaltungsakten über den Weg einer Ermessensschrumpfung bedarf es indes nicht, zumal sie einigen, meines Erachtens überzeugenden Gegenargumenten ausgesetzt ist. Zwar wäre danach der im Gesetz einheitlich verwendete Begriff „kann“ in § 48 VwVfG immer als eine ermessensbegründende Begrifflichkeit zu verstehen, unabhängig vom jeweiligen Verfahrensstadium, in dem sich der Verwaltungsakt befindet. Da der Eintritt der Bestandskraft aber weiterhin eine Zäsur in der Ausübung des Rücknahmeermessens bildet, würde es sich allerdings nur um einen rein „formalen“ Gewinn handeln. Eine solche Deutung des Begriffes „kann“ in § 48 VwVfG macht nämlich nur dann Sinn, wenn überhaupt Fälle denkbar sind, in denen der Behörde ein freies Ermessen hinsichtlich der Rücknahme noch anfechtbarer, rechtsverletzender Ver73

Beuermann, Intendiertes Ermessen, S. 37 f. Zur Frage des Rücknahmeermessens in Fällen mit Drittbezug vgl. unten D. III. 75 Für eine Ermessensreduktion auf Null aber Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 231. 76 Dazu auch unten E.II.2.a. 77 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 231. 78 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 232; Remmert, VerwArch 91 (2000), 218 f.; tendenziell auch Bull / Mehde Rn. 804. 74

118 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

waltungsakte verbleibt. Solche Fälle sind aber – an dieser Stelle sei schon auf das Ergebnis der im Folgenden behandelten Aussagen vorgegriffen – zum einen nicht denkbar, zum anderen können Ausnahmen einer allgemeinen Rücknahmeverpflichtung und einer Deutung des Begriffes „kann“ als „muss“ im Zusammenhang mit noch anfechtbaren, rechtsverletzenden Verwaltungsakten auf andere Weise erklärt werden. Hier sind insbesondere Erwägungen des Vertrauenssschutzes, der Verwirkung und des Grundsatzes „dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est“ zu nennen. Das Eintreten in eine Ermessensabwägung ist auch in diesen Fällen nicht notwendig. Letztlich sei darauf hingewiesen, dass auch bei der gerichtlichen Aufhebung von nicht bestandskräftigen, rechtsverletzenden Verwaltungsakten nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO keine Ermessenserwägungen angestellt werden und auch nicht überprüft wird, ob die Behörde von einem Rücknahmeermessen ordnungsgemäß Gebrauch gemacht hat. 79 Es spricht daher nichts dagegen, den Begriff „kann“ in § 48 VwVfG – ähnlich wie in § 35 Abs. 2 BauGB – als Handlungsermächtigung der Verwaltung zu verstehen. Einer Verteidigung des Begriffes „kann“ als Einräumung eines (wenn auch reduzierten) Ermessensspielraums über die Konstruktion einer Ermessensreduktion auf Null oder eines „intendiertes Ermessen“ bedarf es demgegenüber nicht. b) Verfassungsrechtliche Herleitung des Rücknahmeanspruchs Kann nun die Frage der Existenz eines Aufhebungsanspruchs bei noch anfechtbaren rechtswidrigen Verwaltungsakten alleine aus dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG nicht abschließend beantwortet werden, so gilt es weitere Aspekte heranzuziehen. Wie bereits erwähnt, ergibt sich ein allgemeiner öffentlichrechtlicher Beseitigungsanspruch nicht aus der Norm des § 48 VwVfG, sondern lässt sich aus den Grundrechten und dem Rechtsstaatprinzip herleiten. Dieser Beseitigungsanspruch fordert die unmittelbare Beseitigung von hoheitlichem Handeln, sobald der Bürger durch dieses Handeln in seinen subjektiven Rechten verletzt wird. 80 Dies ist aber bei belastenden Verwaltungsakten ohne Zweifel dann der Fall, wenn die Norm, auf welcher der Verwaltungsakt beruht, durch ein Gericht ausdrücklich für unwirksam erklärt wird, da der hierdurch rechtswidrige Verwaltungsakt die Freiheitsgrundrechte des Adressaten – denen subjektive Rechtsqualität zukommt 81 – beeinträchtigt. Geht man also von der Existenz eines öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs kraft Verfassung aus, so müsste jeder Eingriff und jede Beschränkung dieses Anspruchs verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden.

79 80 81

Siehe dazu D.II.5.b. Dazu oben D.I.1 und 2. U. a. Schenke, FS Maurer, S. 734 m. w. N.

II. Anspruch auf Aufhebung des noch anfechtbaren Verwaltungsakts

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Eine solche Einschränkung ist im Falle des bestandskräftigen Verwaltungsakts aus Gesichtspunkten der Rechtssicherheit durchaus angebracht 82, für die Fälle des noch anfechtbaren Verwaltungsakts ergibt sich hingegen kein zwingender Grund, weshalb hier der öffentlichrechtliche Beseitigungsanspruch keine Geltung besitzen sollte. In diesem Fall sind keine der Rücknahmeverpflichtung entgegenstehende Rechtsgrundsätze ersichtlich. Eine Einschränkung des Rücknahmeanspruchs, wie sie die herrschende Meinung durch die generelle Statuierung eines Rücknahmeermessens in § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG vornimmt, hielte einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung nicht stand und würde somit zwingend die Verfassungswidrigkeit des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG zur Folge haben. 83 Dieses Ergebnis kann nur durch eine verfassungskonforme Auslegung des § 48 Abs. 1 VwVfG als Handlungsermächtigung der Verwaltung erzielt werden. Auch aus dem Prinzip der Gewaltenteilung lassen sich Gründe für eine Rücknahmeverpflichtung der Behörde anführen. Das Verhältnis von Judikative und Exekutive ist gekennzeichnet durch die Kontrollbefugnis der Gerichte über Exekutivakte. Es ginge jedoch über diesen Charakter hinaus, wenn die Judikative selbst Verwaltungsakte nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO aufheben oder die Behörde zur Rücknahme anweisen könnte, wenn sich nicht aus dem materiellem Recht bereits eine Rücknahmeverpflichtung der Exekutive ergeben würde. 84 Diese Annahme folgt denknotwendig aus dem Gegenüber von Anspruch und Verpflichtung: Es kann von einer Gewalt nur das gefordert werden, zu dem sie auch materiellrechtlich verpflichtet ist. Dieses System würde aber gesprengt, wenn die Judikative die Exekutive zu Maßnahmen anhalten könnte, zu denen die Exekutive selbst von Gesetzes wegen nicht verpflichtet ist. Damit käme der Judikative über die Befugnis zur Rechtskontrolle quasi eine „negative Exekutivfunktion“ zu. Die Gerichte könnten daher einen Verwaltungsakt weder selbst aufheben, noch die Behörde zur Rücknahme des Verwaltungsakts verpflichten, läge nicht eine materiellrechtliche Pflicht der Behörde zur Beseitigung des Verwaltungsakts vor. 85 Auch dies spricht eindeutig für das Vorliegen eines Rücknahmeanspruchs, da nur auf diesem Wege die gerichtliche Befugnis zur Aufhebung rechtswidriger Verwaltungsakte im Rahmen der Anfechtungsklage erklärt werden kann. c) Historische Auslegung des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG Die von der herrschenden Meinung vorgebrachten Verweise auf die Entstehungsgeschichte des § 48 VwVfG können die Existenz eines Aufhebungsanspruchs 82

Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 223; vgl. auch oben D.I.3. So Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 230; Ule / Laubinger, § 62 Rn. 2; Remmert, VerwArch 91 (2000), 218 f. 84 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 230. 85 So explizit Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 230. 83

120 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

ebenfalls nicht widerlegen. Abgesehen von der geringen Bedeutung der historischen Auslegung nach dem vorherrschenden Standpunkt der objektiven Auslegungstheorie, wonach der historischen Auslegung nur bei Ergebnislosigkeit der übrigen Auslegungsmethoden Gewicht zukommt 86, lässt sich aus den Gesetzesmaterialen gerade nicht die Verneinung eines Rücknahmeanspruchs entnehmen. So heißt es zwar in der Begründung des Regierungsentwurfes zum VwVfG vom 18. 07. 1973, dass die Rücknahme ins Ermessen der Behörde gestellt wird 87, jedoch bezieht sich diese Aussage ausschließlich auf den Fall des bereits bestandskräftigen Verwaltungsakts 88. Dies wird schon dadurch deutlich, dass innerhalb der Gesetzesbegründung auf mehrere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts 89 und Stellungnahmen in der Literatur 90 verwiesen wird, die allesamt nur bestandskräftige Verwaltungsakte zum Gegenstand hatten. Außerdem stellte sich sowohl für den Gesetzgeber als auch für die Gerichte gerade nicht die Frage, ob bei anfechtbaren rechtswidrigen Verwaltungsakten eine Rücknahmeverpflichtung bestehe, da es für die Verwaltungsgerichte nicht auf die Existenz von Aufhebungsansprüchen, sondern lediglich auf die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und das Vorliegen einer Rechtsverletzung des Klägers ankommt (§ 113 Abs. 1 VwGO): das Bestehen einer Rücknahmepflicht der Behörde wird vor Gericht nicht verhandelt. Es kann daher nicht unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien behauptet werden, der Gesetzgeber habe sich bewusst für ein Ermessen der Behörde in den Fällen des rechtswidrigen, noch anfechtbaren Verwaltungsakts entschieden – mit dieser Thematik hat sich der Gesetzgeber nämlich, da offensichtlich kein praktischer Anlass hierzu bestand 91, zu keiner Zeit befasst. Die Beschränkung des Gesetzgebers bei seinen Ausführungen zum Rücknahmeermessen des § 48 VwVfG auf den Fall des bestandskräftigen Verwaltungsakts lässt sich auch an anderer Stelle in der Regierungsbegründung entnehmen, wenn es dort heißt, dass ein Rücknahmeanspruch „schon deshalb unvertretbar sei, weil die Rechtsmittelfristen dann praktisch bedeutungslos würden und weder Verwaltungsbehörden noch Gerichte jemals zu Ruhe kommen würden“. 92 Das Abstellen auf den Schutz der Anfechtungsfristen macht aber nur Sinn, wenn sich diese Aussage auf den Rücknahmeanspruch bei bestandskräftigen Verwaltungsakten bezieht, denn solange Verwaltungsakte noch der Anfechtung unterliegen, werden die Anfechtungsfristen durch einen Rücknahmeanspruch in keinster Weise berührt. 93 86 87 88 89 90 91 92 93

Vgl. Schenke, FS Maurer, S. 730 m. w. N. (Fn. 31). BT-Drucks. 7/910, S. 69. Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 228; Schenke, FS Maurer, S. 730. BVerwGE 11, 124 ff.; 15, 155 ff.; 28, 122 ff. U. a. Heimerl, BayVBl 1971, 366 ff. Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 229. BT-Drucks. 7/910, S. 69. Schenke, FS Maurer, S. 730.

II. Anspruch auf Aufhebung des noch anfechtbaren Verwaltungsakts

121

Im Gegenteil kann aus der historischen Analyse des § 48 VwVfG sogar die Behauptung entnommen werden, der Gesetzgeber ging von einer allgemeinen Rücknahmeverpflichtung der Exekutive vor Eintritt der Bestandskraft des rechtswidrigen Verwaltungsakts aus. Vor Erlass des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG gingen führende Rechtswissenschaftler, die, wie z. B. Haueisen, auch maßgeblichen Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess hatten 94, davon aus, dass es „wohl unbestritten [sei], dass [rechtsverletzende] Verwaltungsakte, die noch anfechtbar sind, stets von den Verwaltungsbehörden zurückgenommen werden müssen“ 95, bzw. dass erst der Eintritt der Unanfechtbarkeit eine hiervon abweichende Beurteilung erlaube 96. Wollte der Gesetzgeber von dieser in der Literatur vorherrschenden Meinung abweichen, so hätte er dies im Gesetzgebungsprozess sicherlich dokumentiert. Eine Aufhebung der behördlichen Rücknahmeverpflichtung hinsichtlich noch anfechtbarer, rechtswidriger Verwaltungsakte wurde jedoch in den Gesetzesmaterialien an keiner Stelle erwähnt und somit durch den Erlass des § 48 Abs. 1 VwVfG wohl auch nicht beabsichtigt. d) Systematische Auslegung des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG Auch systematische Überlegungen stützen den bisher entwickelten Ansatz. So hat schon Ule festgestellt, dass der verfassungsrechtlich fundierte Rücknahmeanspruch seine einfachgesetzliche Anerkennung in § 46 VwVfG findet. 97 In der juristischen Literatur ist weitgehend anerkannt, dass § 46 VwVfG zum Ausschluss des Anspruchs auf Aufhebung des rechtswidrigen, den Betroffenen in seinen Rechten verletzenden Verwaltungsakts führt. 98 Lehnt man hingegen die Existenz eines solchen Rücknahmeanspruchs ab, indem der Behörde ein generelles Rücknahmeermessen eingeräumt wird, so verlöre § 46 VwVfG seinen Sinn. 99 Auch das Argument, die Existenz eines Ermessensspielraums bei der Rücknahme eines noch anfechtbaren Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG werde durch einen Vergleich mit § 44 SGB X belegt, überzeugt nicht. Die herrschende Lehre übersieht hier die Sonderstellung, die § 44 SGB X innehat. Im Sozialrecht soll, anders als im allgemeinen Verwaltungsrecht, der Bürger seinen Anspruch auf Sozialleistungen auch nach dem Eintritt der Bestandskraft von Verwaltungsakten geltend machen können. 100 Diese erleichterte Geltendmachung von Sozialansprü94

Vgl. Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 228. Maurer, DÖV 1966, 478, 490. 96 Haueisen, NJW 1954, 1426 f. 97 Ule / Laubinger, § 62, Rn. 2; vgl. auch Schenke, FS Maurer, S. 729. 98 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 227 f.; Schenke, FS Maurer, S. 729; Ule / Laubinger, § 58 Rn. 25 m. w. N. 99 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 227. 100 So auch Schenke, FS Maurer, S. 729. 95

122 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

chen ist dem Charakter dieser Leistungen geschuldet, die oftmals zur Führung eines menschenwürdigen Lebens für den Betroffenen unersetzlich sind. 101 Gerade deshalb hat sich der Gesetzgeber dazu entschlossen, dass solche Ansprüche unter den Voraussetzungen des § 44 SGB X auch nach Unanfechtbarkeit der Ablehnung weiterhin geltend gemacht werden können. Der Unterschied zu § 48 VwVfG liegt hier in der zum Verwaltungsverfahrensrecht unterschiedlichen Behandlung der Verwaltungsakte, die bereits in Bestandskraft erwachsen sind. Während bestandskräftige Verwaltungsakte im allgemeinen Verwaltungsrecht grundsätzlich nicht mehr mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit angegriffen werden können, hat die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts im Sozialrecht selbst dann noch zu erfolgen, „auch nachdem er unanfechtbar ist“ 102. Der unanfechtbare und der anfechtbare Verwaltungsakt werden im Sozialrecht dadurch gleichgestellt. Im allgemeinen Verwaltungsrecht verbietet sich mangels Gleichstellung von bestandskräftigen und anfechtbaren Verwaltungsakten eine entsprechende „Ist“-Formulierung. 103 Ein Vergleich zwischen § 48 VwVfG und § 44 SGB X hat damit allenfalls für die Fallgruppe der bestandskräftigen Verwaltungsakte Aussagekraft. 104 e) Kein Bedürfnis nach einem Aufhebungsanspruch? Der herrschenden Meinung ist ferner auch nicht beizupflichten, insofern sie auf die Rücknahmemöglichkeiten im Widerspruchsverfahren bzw. im Rahmen einer Anfechtungsklage verweist und deshalb kein Bedürfnis nach einem Aufhebungsanspruch vor Ablauf der Anfechtungsfristen sieht. 105 Dem steht zunächst entgegen, dass ein Widerspruchsverfahren gemäß § 68 Abs. 1 S. 2 VwGO ohnehin nicht in allen Fällen vorgesehen bzw. statthaft ist, so dass zumindest in diesen Fällen eine Verweisung des Betroffenen auf das Widerspruchsverfahren (in dem nicht nur die Rechtmäßigkeit, sondern auch die Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts geprüft wird) ausscheidet. Zum anderen ist der Verwaltungsakt auch noch nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens anfechtbar. Wird erst in diesem Stadium die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Norm für nichtig erklärt, so ist dem Betroffenen die Möglichkeit der behördlichen „Reparatur“ im Widerspruchsverfahren ebenfalls verwehrt. 106

101 Vgl. dazu die Gesetzesmaterialien BT-Drucks. 8/2034, S. 34 zu § 42 (heute: § 44 SGB X). 102 Schenke, FS Maurer, S. 729. 103 So Schenke, FS Maurer, S. 729. 104 Dazu unten E.II.2.a. 105 So z. B. Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 50 Rn. 77. 106 Schenke, FS Maurer, S. 731 f.

II. Anspruch auf Aufhebung des noch anfechtbaren Verwaltungsakts

123

Die Existenz eines Rücknahmeanspruchs bleibt hingegen auch dann sinnvoll, wenn der Betroffene die Aufhebung noch im Wege der gerichtlichen Anfechtungsklage erwirken kann. Wenn die herrschende Lehre vorträgt, dass kein praktisches Bedürfnis für eine Rücknahmeverpflichtung bestehe, dann wird sie der Funktion der Gerichte nicht gerecht, denn Aufgabe der Judikative ist lediglich die Kontrolle von Exekutivakten. Ist jedoch die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts schon vor Einleitung des Anfechtungsverfahrens für alle Seiten erkennbar, so bedarf es dieser Kontrolle eigentlich nicht mehr. Die Gerichte sollen in diesen Fällen nicht „Reparaturbetrieb“ für Fehler der Verwaltung sein, wenn diese Reparatur durch die Verwaltung selbst bereits vorgenommen werden könnte. Außerdem würde hierdurch die Einräumung eines Ermessensspielraums für die Behörde bei der Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts „ad absurdum“ geführt, da die Verwaltungsgerichte den rechtsverletzenden Verwaltungsakt ohnehin im Wege der Anfechtungsklage kassieren müssen. Die Rücknahme des Verwaltungsakts durch die Behörde ist für den Betroffenen zusätzlich wesentlich effektiver, da sie mit weniger Kosten verbunden ist und auch schneller erfolgen kann, als dies bei einem gerichtlichen Verfahren der Fall wäre. Bei der bereits enormen Verfahrensbelastung der Gerichte dürfte der hier vertretene Ansatz auch aus Effizienzgründen vorzugswürdig sein. 107 Schenke hat überdies zutreffend darauf hingewiesen, dass es systemfremd wäre, wenn man das Bestehen eines Rücknahmeanspruchs an die Einlegung förmlicher Rechtsbehelfe koppeln würde. 108 Ein solches Konstrukt wäre auch wenig überzeugend, da eine Rücknahmeverpflichtung der Ausgangsbehörde im Widerspruchsverfahren gemäß § 72 VwGO nur schwer mit einem generellen Rücknahmeermessen im Rahmen von § 48 VwVfG zu vereinbaren wäre. 109 f) § 48 VwVfG schützt auch individuelle Interessen Letztlich versagt auch das Argument, § 48 VwVfG schütze ausschließlich objektive Interessen und könne daher nicht als einfachgesetzlicher „Ausgangspunkt“ einer Rücknahmeverpflichtung herangezogen werden. 110 Wie noch im Zusammenhang mit bestandskräftigen Verwaltungsakten festgestellt wird, ist durch die Rechtsprechung anerkannt, dass selbst im Fall des bestandskräftigen Verwaltungsakts der Betroffene einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts besitzt. 111 Es wäre unverständlich, weshalb 107 Vgl. auch Schenke, FS Maurer, S. 733: sowohl aus verfahrensökonomischen und funktionellrechtlichen Gründen, aber auch unter dem Aspekt der Rechtsschutzeffektivität vorzugswürdig. 108 Schenke, FS Maurer, S. 732. 109 Schenke, FS Maurer, S. 732. 110 Vgl. Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 71.

124 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

eine solche Subjektivierung des § 48 VwVfG für den Fall des bestandkräftigen Verwaltungsakts eingreifen solle, wenn die Vorschrift nicht jedenfalls auch Interessen des Betroffenen schützt. Gleiches muss auch für den noch anfechtbaren Verwaltungsakt gelten. Danach kann ein Ausschluss des Beseitigungsanspruchs nicht auf eine rein objektive Natur des § 48 VwVfG gestützt werden. 112 Wenn nun aber, wie im weiteren Verlauf der Arbeit noch ausgeführt wird, die Verwaltung das „Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne“ selbst bei Bestandskraft nicht mit dem bloßen Verweis auf die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts ablehnen kann, dann muss sie sich mit „schwächeren“, weil noch anfechtbaren Verwaltungsakten erst recht inhaltlich auseinandersetzen und diese zurücknehmen, wenn sie deren Rechtswidrigkeit feststellt. 6. Fazit Demnach ist die Behörde verpflichtet, einen noch anfechtbaren Verwaltungsakt, der auf einer für unwirksam erklärten Norm beruht, zurückzunehmen, wenn er in die subjektiven Rechte des Betroffenen eingreift. Einer gesonderten Rücknahmekonstruktion bedarf es nicht, da sich diese Rücknahmeverpflichtung bereits aus den allgemeinen Regelungen ergibt. Aufgrund des verfassungsrechtlich fundierten allgemeinen öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs wird der diesbezügliche Ermessenspielraum der Behörde nach § 48 VwVfG überlagert. Der Begriff „kann“ in § 48 VwVfG ist verfassungskonform so auszulegen, dass die Behörde im Regelfall 113 zu einer Rücknahme des Verwaltungsakts gezwungen ist. Im Folgenden ist aber noch auf die Frage einzugehen, ob unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes, insbesondere aufgrund des § 50 VwVfG, eine Rücknahmeverpflichtung der Behörde in Drei-Personen-Verhältnissen unter Umständen ausgeschlossen ist. 7. Rücknahmeantrag Besteht ein Rücknahmeanspruch, so stellt sich zugleich auch die Frage, wie dieser geltend zu machen ist. Denkbar ist zunächst ein Antrag des Betroffenen auf Rücknahme des Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG. Ein solcher Antrag ist zulässig und – sollten die Voraussetzungen des Beseitigungsanspruchs vorliegen – auch begründet. Das Stellen eines solchen Antrages ist auch ratsam, da mit Ablauf der Rechtsbehelfsfristen der Beseitigungsanspruch überlagert wird und eine Rücknahmeverpflichtung entfällt. 114 111

BVerfGE 27, 297 (207 ff.); vgl. auch unten E.II.2.a. Schenke, FS Maurer, 731. 113 Anderes gilt, wie unter D.II.5.a. bereits erwähnt, wenn die Voraussetzungen einer Verwirkung des Rücknahmeanspruchs vorliegen bzw. wenn sich ein Absehen von einer Rücknahme aus Vertrauensschutzgesichtspunkten oder aus dem „dolo-agit“-Grundsatz heraus rechtfertigt. 112

II. Anspruch auf Aufhebung des noch anfechtbaren Verwaltungsakts

125

Dieser Antrag darf aber nicht verwechselt werden mit einem Widerspruch nach § 68 VwGO. Ein solcher setzt ein förmliches Vorverfahren in Gang, dass sich nach den Regelungen der §§ 69 –73 VwGO richtet und aus dem bestimmte Kostenfolgen resultieren. Es ist daher bedenklich, wenn man mit dem Bundesverwaltungsgericht 115 einen Rücknahmeantrag vor Ablauf der Rechtsbehelfsfristen generell als Widerspruch auslegt. Der Betroffene kann nicht gezwungen werden, ein formelles Widerspruchsverfahren zu führen, wenn er auch durch einen formlosen Antrag gegenüber der Ausgangsbehörde die Rücknahme des Verwaltungsakts beantragen und erwirken kann. Im Regelfall dürfte aber das Begehren des Betroffenen auf die Beseitigung des Verwaltungsakts gerichtet sein, unabhängig davon, in welchem Verfahren die Aufhebung des Verwaltungsakts erfolgt. Da der zumeist rechtsunkundige Bürger nicht zwischen behördlichem Rücknahmeverfahren nach § 48 VwVfG und Widerspruchsverfahren nach § 68 VwGO unterscheidet und über die Möglichkeit eines Rücknahmeverfahrens (im Gegensatz zur Möglichkeit eines Widerspruchsverfahrens) nicht im Rahmen der Rechtsmittelbelehrung informiert wird, dürfte der Antrag auf Rücknahme des Verwaltungsakts im Regelfall, so sich denn eine Beschränkung auf das Rücknahmeverfahren nach § 48 VwVfG nicht ausdrücklich dem Antrag entnehmen lässt, zugleich auch als Erhebung des Widerspruchs nach § 70 Abs. 1 VwGO – oder umgekehrt – verstanden werden. Von der Statthaftigkeit eines Rücknahmeanspruchs unabhängig ist die weitergehende Frage, ob die Behörde von Amts wegen verpflichtet ist, ihre rechtswidrigen, da auf einer unwirksamen Norm beruhenden, Verwaltungsakte vor Eintritt der Bestandskraft zu beseitigen. Dafür spricht die Tatsache, dass ein Beseitigungsanspruch weitgehend leer laufen würde, setzte man jeweils die Stellung eines Rücknahmeantrages voraus, da zumindest in den Fällen der Unwirksamerklärung einer Norm, der Betroffene in der Regel nichts von dem Vorliegen eines Beseitigungsanspruchs weiß. Weitere Anhaltspunkte für das Bestehen einer Rücknahmeverpflichtung von Amts wegen lassen sich ferner vergleichbaren Regelungen entnehmen, die einen Anspruch auf Rücknahme zum Gegenstand haben, so zum Beispiel § 44 SGB X. Hier ist anerkannt, dass bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen die Behörde von sich aus tätig werden muss und eine Aufhebung des Verwaltungsakts nicht nur auf Antrag erfolgt. 116 Stößt die Verwaltung auf einen rechtswidrigen, noch anfechtbaren Verwaltungsakt, so hat sie diesen daher auch ohne Antrag zurückzunehmen. Daneben ist die Behörde aber nicht verpflichtet, von sich aus Akten auf potentielle Rücknahmeverpflichtungen hin zu durchforsten. 117 Gerade die Unwirksamerklärung einer Norm kann sich auf eine Vielzahl von Fällen auswirken. Wäre die Behörde verpflichtet, von sich aus nach Rücknah114 115 116 117

Dazu oben D.I.3 und unten E.II.2.a. BVerwG NJW 2002, 1137: „muß als Widerspruch auslegen“. Wiesner, in: v. Wulffen, § 44 Rn. 13. So zu § 44 SGB X Wiesner, in: v. Wulffen, § 44 Rn. 13.

126 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

meansprüchen zu suchen, würde dies die Kapazitäten der Verwaltung überfordern. Von daher rechtfertigen sich hier Einschränkungen der Überprüfungspflicht.

III. Einschränkungen der Aufhebbarkeit bei Drittbezug? 1. Die herrschende Meinung: Ausschluss nach § 50 VwVfG Dass der öffentlichrechtliche Beseitigungsanspruch nicht grenzenlos gewährt wird, wurde bereits festgestellt. Verfassungsrechtliche Vorgaben, wie der Grundsatz der Rechtssicherheit, aber auch einfachgesetzliche Vorschriften, wie z. B. § 46 VwVfG, überlagern den Beseitigungsanspruch oder schränken ihn ein. 118 Eine solche Einschränkung soll sich auch aus § 50 VwVfG unter dem Aspekt des Vertrauensschutzes ergeben. Selbst diejenigen Autoren, die von einer grundsätzlichen Rücknahmeverpflichtung hinsichtlich noch anfechtbarer, rechtswidriger Verwaltungsakte ausgehen, vertreten überwiegend die Auffassung, dass eine solche Rücknahmeverpflichtung bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung nicht besteht. 119 Darunter werden Verwaltungsakte verstanden, die für den Adressaten eine Begünstigung begründen, während sie einem Dritten gegenüber eine Belastung darstellen – oder umgekehrt 120, d. h. es handelt sich um Verwaltungsakte mit Drittwirkung. Diese Einschränkung des allgemeinen Beseitigungsanspruchs sei der Norm des § 50 VwVfG zu entnehmen. Danach gelten die Vertrauensschutzbestimmungen des § 48 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 –4 VwVfG nicht, „wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch oder der Klage stattgegeben wird“. Hieraus wird der Gegenschluss gezogen, dass in allen übrigen Fällen die Behörde bei ihrer Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts Vertrauensschutzgesichtspunkte des durch den Verwaltungsakt Begünstigten berücksichtigen muss, d. h. die Verwaltung könne solche Verwaltungsakte außerhalb einer Anfechtung durch förmliche Rechtsbehelfe nur nach Maßgabe der Rücknahmevorschriften bezüglich begünstigenden Verwaltungsakten durchführen. 121 Selbst wenn der Verwaltungsakt noch anfechtbar ist, so habe der Gesetzgeber in diesem Stadium den Interessen des durch den Verwaltungsakt Begünstigten Vorrang eingeräumt. 122 118

Dazu oben D.I.3. Ule / Laubinger, § 64, Rn. 10; Wernsmann, DV 36 (2003), 75; vgl. zu § 50 VwVfG auch Maurer, § 11 Rn. 70. 120 Maurer, § 9 Rn. 50; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 50 Rn. 12 ff.; Ule / Laubinger, § 64 Rn. 1. 121 Ule / Laubinger, § 64, Rn. 10. 122 Ule / Laubinger, § 64, Rn. 10. 119

III. Einschränkungen der Aufhebbarkeit bei Drittbezug?

127

In der Tat hat der Gesetzgeber die Nichtberücksichtigung von Vertrauensschutzaspekten bei der Rücknahme von Verwaltungsakten an das Einlegen von Rechtsbehelfen gekoppelt. So findet sich in den Materialien unter anderem die Aussage, dass die „potentielle Möglichkeit der Klageerhebung“ für den Ausschluss des § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG nicht genüge 123, sondern dass eine tatsächliche Anfechtung vorliegen müsse. Eine analoge Erstreckung des § 50 VwVfG auf die Fälle des noch nicht angefochtenen, aber noch anfechtbaren Verwaltungsakt scheidet bereits deshalb aus. 124 Im gleichen Zusammenhang betont der Gesetzgeber, dass es ihm um eine Kompetenzangleichung zwischen Ausgangsbehörde, Widerspruchsbehörde und Verwaltungsgericht gehe: Die Behörde soll „nicht gezwungen sein, untätig die gerichtliche Entscheidung im Verwaltungsprozess abzuwarten“. 125 Diese Aussage lässt erahnen, dass der Gesetzgeber zumindest davon ausging, dass, ohne eine Regelung wie die des § 50 VwVfG, die Behörde durch Vertrauensschutzerwägungen an der Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts ohnehin gehindert wäre. 126 Auch das Argument der Befürworter eines Rücknahmeanspruchs auch bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung, der Verletzte sähe sich zu einer frühzeitigen Einlegung von Rechtsbehelfen genötigt, um den Vertrauensschutz des Begünstigten zu vereiteln und könne deshalb die ihm eingeräumten Rechtsmittelfristen nicht sinnvoll ausnutzen 127, kann der herrschenden Ansicht nicht entgegengehalten werden. Denn die Tatsache, zu welchem Zeitpunkt der Vertrauensschutz nicht mehr berücksichtigt wird, stärkt und schwächt die Rechtsposition des Belasteten nicht. Ist der Verwaltungsakt nämlich rechtswidrig und verletzt den Betroffenen in seinen Rechten, so wird dieser nach Einlegung von Widerspruch oder Anfechtungsklage ohnehin aufgehoben, da insoweit irrelevant ist, ob und wie lange der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsakts vertrauen durfte. Der Belastete sieht sich durch § 50 VwVfG deshalb nicht gehindert, die Anfechtungsfristen völlig auszuschöpfen; er erleidet durch eine möglichst späte Einlegung von Rechtsbehelfen keinen Nachteil.

123

BT-Drucks. 7/910, S. 74 zu § 46 VwVfG-Entwurf (= § 50 VwVfG). So wohl aber Horn, DÖV 1990, 870 ff., der § 50 VwVfG im Wege einer „teleologischen Extension“ auf noch nicht angefochtene Verwaltungsakte mit Drittwirkung anwenden möchte; a. A. Schenke, FS Maurer, S. 736; Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 233. 125 BT-Drucks. 7/910, S. 74. 126 So bereits Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 232. 127 So aber Schenke, FS Maurer, S. 738. 124

128 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

2. Kritik an der herrschenden Meinung Dennoch bestehen Bedenken gegen dieses Ergebnis, denn an der grundlegenden Situation des Betroffenen ändert sich durch die Drittwirkung des Verwaltungsakts nichts: Betrifft der rechtswidrige Verwaltungsakt eine geschützte Rechtsposition des Belasteten 128, dann steht zugleich das Vorliegen eines nicht zu rechtfertigenden Eingriffes in dessen Freiheitsgrundrechte fest, den es zu beseitigen gilt. Für den Betroffenen macht es keinen Unterschied, ob ein rechtsverletzender Verwaltungsakt womöglich für einen Dritten auch eine Begünstigung darstellt. 129 Alleine die begünstigende Wirkung kann nicht rechtfertigen, dass ein festgestellter Grundrechtseingriff fortdauern darf. Nur wenn zusätzliche schützenswerte Belange vorliegen, wie z. B. schützenswerte Interessen des Begünstigten, kann sich die Beschränkung des Beseitigungsanspruchs rechtfertigen lassen. Der Ausschluss des verfassungsrechtlich begründeten Rücknahmeanspruchs durch § 50 VwVfG ist daher alles andere als zwingend. § 50 VwVfG besagt nicht mehr und nicht weniger, dass in den Fällen des noch anfechtbaren, aber noch nicht angefochtenen Verwaltungsakts das Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts im Rahmen der Rücknahmeentscheidung der Behörde zu berücksichtigen ist, soweit dieses schützenswert ist. 130 Das Vertrauen des Begünstigen ist jedoch in aller Regel gerade nicht schützenswert, solange dieser noch während des Laufes von Anfechtungs- und Widerspruchsfristen mit der Einlegung von Rechtsbehelfen rechnen musste 131 – eine Aussage, die auch der Gesetzgeber teilt, wenn er in der Regierungsbegründung zu § 50 VwVfG ausführt, dass „der Begünstigte, da er mit der Einlegung von Rechtsbehelfen durch andere Personen oder Stellen rechnen muss, keinen Vertrauensschutz [verdient]“ 132. 128

Die Feststellung einer Rechtsverletzung des Betroffenen ist bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung von besonderer Bedeutung. Während im reinen Staat-Bürger-Verhältnis das Vorliegen der Rechtswidrigkeit im Lichte der ELFES-Rechtsprechung in der Regel auch auf das Vorliegen einer Rechtsverletzung schließen lässt, ist bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung zu untersuchen, ob durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt geschützte Rechtspositionen des Betroffenen beeinträchtigt werden, d. h. nicht jeder rechtswidrige Verwaltungsakt stellt auch gleichzeitig eine Rechtsverletzung beim Belasteten dar (z. B. bei Verletzung nicht nachbarschützender Normen des Bauordnungsrechts). 129 So selbst die Vertreter der herrschenden Meinung, vgl. Ule / Laubinger, § 64 Rn. 15; Horn, DÖV 1990, 864 ff. 130 So ausdrücklich auch in § 48 Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 S. 1 VwVfG, die jeweils nur das schützenswerte Vertrauen aufführen. Auch wenn § 48 Abs. 2 S. 2 VwVfG bei Vorliegen der dort beschriebenen Umstände in der Regel von einem schützenswerten Vertrauen ausgehen, entbindet dies nicht die für die Rücknahme zuständige Behörde von der Pflicht zur Ermittlung des Vertrauensschutzes, vgl. auch Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 146 ff. 131 Vgl. auch Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 233; Obermayer-Schäfer, § 50 Rn. 10; Schenke, FS Maurer, S. 737; Wolff / Bachof / Stober, Bd. II § 51 Rn. 30; z. T. auch Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 50 Rn. 73.

III. Einschränkungen der Aufhebbarkeit bei Drittbezug?

129

Würde man der herrschenden Meinung folgen, so käme es zu einem Hin- und Her, oder bildlich gesprochen zu einem „Wechselbad“ 133 hinsichtlich des Vertrauensschutzes. Denn dann genösse der durch den Verwaltungsakt Begünstigte bis zur Einlegung des Widerspruchs Vertrauensschutz, um diesen mit Einlegung des Widerspruchs wieder einzubüßen. Nach Abschluss des Widerspruchsverfahrens würde der Vertrauensschutz wieder aufleben, mit Einlegung der Anfechtungsklage letztlich aber endgültig entfallen. Hier gilt es vielmehr, eine klare Aussage zu treffen: Entweder ist das Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts schützenswert, oder nicht. Ein schutzwürdiges Vertrauen des Begünstigten kann nicht von der tatsächlichen Einlegung von Rechtsbehelfen abhängig sein. 134 Die Aberkennung eines Aufhebungsanspruchs bei Verwaltungsakten mit Drittwirkung ohne die vorherige Einlegung von Widerspruch oder Anfechtungsklage führt nämlich zu dem systemwidrigen Ergebnis, dass erst der Rechtsbehelf das Recht auf Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsakts entstehen ließe. 135 Dass eine solche Abhängigkeit des verfassungsrechtlich verbürgten Rücknahmeanspruchs von der Geltendmachung prozessualer Rechte nicht vorliegen kann, wurde bereits erläutert. 136 Der zwingende Ausschluss eines Rücknahmeanspruchs ist auch nicht mit der Tatsache vereinbar, dass Vertrauensschutzaspekte im Anfechtungsverfahren völlig unberücksichtigt bleiben. Das Verwaltungsgericht prüft hier nur, ob der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und dadurch zugleich eine Rechtsverletzung vorliegt. Ist der Verwaltungsakt aber rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, so wird das Gericht diesen Verwaltungsakt unabhängig davon aufheben, ob der Begünstigte bereits Aufwendungen im Vertrauen auf den Bestand des ihn begünstigten Verwaltungsakts getroffen hat oder nicht. 137 Ferner erfolgt die Aufhebung rückwirkend auf den Zeitpunkt seines Erlasses. Auch hier stellen die Gerichte nicht auf den Zeitpunkt ab, an dem die Anfechtungsklage bei Gericht eingegangen und der „Vertrauensschutz des Begünstigten“ – so man denn einen solchen durch § 50 VwVfG bis Einreichung des Rechtsbehelfes gewährleistet sieht – entfallen ist. Stellt sich die Entscheidung des Gerichts gemäß § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO als eine Bestätigung des Vorliegens eines Rücknahmeanspruchs dar, so müssten, sollten Vertrauensschutzaspekte bei noch anfechtbaren Verwaltungsakten zu einem Ausschluss des Rücknahmeanspruchs führen, solche im Anfechtungsverfahren auch geprüft werden. 138 132 133 134 135 136 137 138

BT-Drucks. 7/910, S. 74. So die überaus treffende Formulierung bei Schenke, FS Maurer, S. 738. So aber Ule / Laubinger, § 64 Rn. 15; zurecht a. A. Horn, DÖV 1990, 869. Horn, DÖV 1990, 869; Schenke, FS Maurer, S. 738. Dazu oben D.II.5.e. am Ende. BVerwG DVBl. 1994, 284 ff.; vgl. dazu auch Schenke, FS Maurer, S. 739 m. w. N. So bereits Schenke, FS Maurer, S. 739.

130 D. Die Unwirksamkeit einer Norm und der noch anfechtbare Verwaltungsakt

Erst recht kann ein genereller Ausschluss des Rücknahmeanspruchs bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung nicht damit begründet werden, dass Vertrauensschutzgesichtspunkte auch nach Einreichung von Rechtsbehelfen noch im Rahmen der Rücknahmeentscheidung nach § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG zu berücksichtigen sind. 139 Insoweit kann der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht gefolgt werden: Eine Berücksichtigung von Vertrauensschutzgesichtspunkten nach der Einlegung von Widerspruch oder Anfechtungsklage würde die in § 50 VwVfG enthaltene Absicht des Gesetzgebers missachten, der dort die Berücksichtigung des Vertrauensschutzes gerade für den Fall der Anfechtung durch den Ausschluss der § 48 Abs. 2 – 4 VwVfG vorgesehen hat. 3. Zwischenergebnis Danach ist als Zwischenergebnis festzustellen, dass auch in Fällen der Drittbegünstigung die Verwaltung in der Regel den rechtsverletzenden, nicht bestandskräftigen Verwaltungsakt aufzuheben hat. Das Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts ist vor Ablauf der Rechtsbehelfsfristen der §§ 70, 74 VwGO grundsätzlich nicht schützenswert und führt daher auch nicht zu einer Einschränkung des Rücknahmeanspruchs des Betroffenen. Es bleibt jedoch zu fragen, was von § 50 VwVfG nach der hier vertretenen Ansicht noch übrig bleibt. Zumindest in den Fällen des rechtmäßigen Ermessensverwaltungsakts besitzt § 50 VwVfG einen konstitutiven Regelungsinhalt. Gleiches gilt für die Fälle, in denen der Verwaltungsakt zwar rechtswidrig ist, den Betroffenen aber nicht in seinen Rechten verletzt, da insoweit bereits kein Rücknahmeanspruch besteht. 140 Schließlich bleibt § 50 VwVfG auch in der hier zu behandelnden Konstellation, nämlich bei Vorliegen eines Rücknahmeanspruchs bei einem auf der nichtig erklärten Norm beruhenden, noch anfechtbaren Verwaltungsakt insoweit bedeutungsvoll, als in Ausnahmefällen ein schutzwürdiges Vertrauen auch vor Ablauf der Anfechtungsfristen zum Ausschluss des Rücknahmeanspruchs führen kann. Ein solches schützenswertes Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts liegt zum Beispiel in den Fällen vor, in denen dem Betroffenen zwar der Verwaltungsakt nicht bekannt gegeben wurde, dieser jedoch anderweitig von dem Verwaltungsakt erfahren hat und den Verwaltungsakt dennoch erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums anfechtet. Hier muss meines Erachtens nicht erst auf das (materiellrechtliche) Institut der Verwirkung abgestellt werden. 141 Gleiches gilt 139 So BVerwG NVwZ 1994, 897; a. A. jedoch die überwiegende Ansicht in der Literatur, z. B. Ule / Laubinger, § 64 Rn. 15; Remmert, VerwArch 91 (2000), 221 f.; Schenke, FS Maurer, S. 739. 140 Vgl. Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 233 f.; Schenke, FS Maurer, S. 740 m. w. N. auch zur Frage, ob § 50 VwVfG in diesen Fällen überhaupt einschlägig ist.

III. Einschränkungen der Aufhebbarkeit bei Drittbezug?

131

auch für den Fall, dass die Behörde verbindlich erkennen lässt, dass sie den rechtsverletzenden Verwaltungsakt mit Drittwirkung, dessen gesetzliche Grundlage durch die Normenkontrollentscheidung entfallen ist, umgehend auf eine wirksame rechtliche Basis stellen wird. 142 Diese dem „dolo-agit“-Grundsatz entsprechenden Erwägungen können ebenfalls zu einem Überwiegen des Vertrauensschutzes des Drittbetroffenen und daher zu einem Ausschluss der Rücknahmeverpflichtung führen. Demnach besitzt die Regelung des § 50 VwVfG auch hinsichtlich noch anfechtbarer, rechtswidriger Verwaltungsakte einen konstitutiven Regelungsgehalt, soweit nämlich in Ausnahmefällen tatsächlich ein schutzwürdiges Vertrauen des Begünstigten bereits vor Eintritt der Unanfechtbarkeit vorliegt. Da dieses jedoch aufgrund der vorangestellten Überlegungen nur in Ausnahmefällen festzustellen sein dürfte, bleibt es beim generellen Bestehen eines Rücknahmeanspruchs in den Fällen des gesetzeslosen, noch anfechtbaren Verwaltungsakts.

141

So aber Schenke, FS Maurer, S. 746 m. w. N. Beispiel: Durch verwaltungsgerichtliches Urteil wird ein Bebauungsplan für unwirksam erklärt. Das bereits begonnene Bauvorhaben des durch die Baugenehmigung Begünstigten beurteilt sich nunmehr nach § 34 BauGB, fügt sich jedoch nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die Baubehörde hat jedoch bereits zu erkennen gegeben, dass sie aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls eine Befreiung nach § 31 BauGB erteilen wird. 142

E. Die Rechtsfolgen der Unwirksamerklärung einer Norm mit „erga omnes“-Wirkung für bestandskräftige Verwaltungsakte Die Regelungen der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO

I. Die Bedeutung des Begriffes „unberührt“ 1. Allgemein Während es für rechtswidrige, noch anfechtbare Verwaltungsakte an einer ausdrücklichen Rechtsfolgenregelung fehlt, scheint der Gesetzgeber die Rechtsfolgen der Unwirksamerklärung einer Norm für nicht mehr anfechtbare Verwaltungsakte in § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO geregelt zu haben. Man sollte daher meinen, dass eine solche ausdrückliche gesetzliche Normierung zu weitaus weniger Kontroversen führt, als dies aufgrund des Fehlens einer Regelung für die Konstellation des noch anfechtbaren Verwaltungsakts der Fall war. 1 Doch dem ist nicht so. Literatur und Rechtsprechung konnten sich bislang nicht auf eine einheitliche Auslegung der genannten Vorschriften einigen und präsentieren daher ein sehr breites, teilweise diffuses und unübersichtliches Meinungsspektrum. 2 Dies rührt zum einen daher, dass bereits die Grundlagen der Rechtsfolgen fehlerhafter Verwaltungsakte, insbesondere die Rücknahme- und Wiederaufgreifensregelungen 3, äußerst umstritten sind. Zum anderen ist umstritten, inwieweit die Rechtsfolgen der Unwirksamerklärung einer Norm überhaupt durch den Bundesgesetzgeber durch die Vorschriften des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO geregelt wurden. Die Beantwortung dieser letztgenannten Fragestellung steht und fällt mit dem zentralen Begriff der Rechtsfolgenregelung jener Vorschriften: Was bedeutet es also, wenn eine Entscheidung von der Nichtigerklärung einer Norm „unberührt“ bleibt?

1

Siehe oben Kapitel D. II. – III. Darstellungen dieses Meinungsspektrums finden sich bei Ipsen, Rechtsfolgen, S. 276 ff.; Steiner, FS BVerfG I, S. 640 ff. und v. Einem, Strukturen, S. 173 ff. 3 Zu den allgemeinen Regelungen des Wiederaufgreifens von Verwaltungsakten vgl. unten E.II.3.a. 2

I. Die Bedeutung des Begriffes „unberührt“

133

2. Die sprachliche Unbestimmtheit des Begriffs Der Wortlaut des Begriffes „unberührt“ gibt nicht zwingend eine bestimmte Auslegung vor. Alleine der Blick in ein Synonymwörterbuch belegt die Schwierigkeit, die sprachlichen Grenzen des Begriffes hinreichend präzise zu bestimmen. So ist der Begriff „unberührt“ unter anderem gleichzusetzen mit „unbenutzt“, „unverfälscht“ oder „unbefleckt“. 4 Ein in der Rechtssprache geläufiges Synonym zu „unberührt“ findet sich dort zwar nicht, aber insbesondere die Nähe zu den Begriffen „unverfälscht“ oder „unbefleckt“ lässt erahnen, was der Gesetzgeber in den aufgeführten Regelungen ausdrücken wollte. Der Einzelakt wird durch den Wegfall seiner Rechtsgrundlage nicht verfälscht, er erfährt keine unmittelbare Änderung und er wird nicht mit dem gleichen Makel belastet, welcher der fehlerhaften und für unwirksam erklärten Norm anhaftet. Die Entscheidung bleibt in ihrem Bestand (zumindest unmittelbar) unangetastet. 5 3. Die unterschiedlichen Sichtweisen des Begriffs „unberührt“ Soweit besteht denn zunächst auch Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur. Der Verwaltungsakt, dessen rechtliche Grundlage durch die Entscheidung des Gerichts nachträglich wegfällt, bleibt bestehen und ist in seinem Bestand nicht von der Existenz der Rechtsnorm abhängig. 6 Streit herrscht aber, ob es bei dieser Loslösung von der Nichtigkeit der Rechtsnorm verbleibt oder ob durch die Regelungen der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO zugleich ein über die „unmittelbare Bestandssicherung“ hinausgehender Bestandsschutz eingerichtet wird, d. h. ob der Begriff „unberührt“ auch Aussagen zu den Fragen der Rücknahme und des Wiederaufgreifens von solchen Verwaltungsakten trifft. Im Wesentlichen kann man die hierzu bisher vertretenen Ansichten in drei grobe Lager einteilen, die im Folgenden zunächst skizziert werden. a) Deklaratorische Sichtweise Dem Begriff „unberührt“ kann zunächst eine rein deklaratorische Wirkung zuerkannt werden. Demnach würde durch die gesetzlichen Regelungen nur klargestellt werden, dass die Unwirksamkeitserklärung einer Norm nicht zugleich die Unwirksamkeit, d. h. die Nichtigkeit des auf ihr beruhenden Verwaltungsakts nach sich zieht. 7 Bleibt die Wirkung der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO auf diese 4

Duden, Synonymwörterbuch, S. 907. Ipsen, Rechtsfolgen, S. 278; Steiner, FS BVerfG I, S. 641; bereits weitergehend u. a. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 30, der nicht den Bestand, sondern die Bestandskraft des Verwaltungsakts unangetastet erachtet, in die gleiche Richtung auch NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 41 f. 6 Vgl. NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 1 m. w. N. 5

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Feststellung beschränkt, so spricht man von einer deklaratorischen Sichtweise: Der Begriff „unberührt“ beschriebe lediglich eine Rechtsfolge, die sich –wie zuvor festgestellt 8 –bereits im Grundsatz der Verselbständigung des Einzelakts zeigt und die allgemein anerkannt ist. Über diese rein feststellende Wirkung hinaus, käme dem Begriff „unberührt“ kein weiterer – insbesondere kein eigener – konstitutiver Sinngehalt zu. Vertritt man diese Auffassung, so läge zwischen § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO auf der einen und den allgemeinen Vorschriften bzgl. der Rücknahme oder des Wiederaufgreifens von Verwaltungsakten auf der anderen Seite kein Konflikt vor, da sich den Vorschriften der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO keine Aussagen zu Fragen der Rücknahme und des Wiederaufgreifens von Verwaltungsakten entnehmen lassen, die mit den Regelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts kollidieren könnten. 9 b) (Streng) konstitutive Sichtweise Das gegenüberliegende Ende des Meinungsspektrums bildet die streng konstitutive Sichtweise. 10 Zwar wird auch im Rahmen der konstitutiven Sichtweisen dem Begriff „unberührt“ unter anderem eine deklaratorische Wirkung zugestanden 11; die eigentliche Aussage dieses Begriffes reicht jedoch über die reine Verweisungsfunktion auf den allgemeinen Grundsatz der Selbständigkeit des Einzelakts hinaus und statuiert einen weitreichenden Bestandsschutz. Danach solle sich den genannten Vorschriften eine gesetzgeberische Entscheidung zugunsten der Rechtssicherheit entnehmen lassen, nach welcher den staatlichen Organen die Rücknahme bzw. das Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens aus Gründen des Wegfalls der Norm verwehrt bleibe. 12 § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO würden nach dieser Sichtweise durch den Begriff „unberührt“ die Pflicht, aber auch das Recht zur Rücknahme staatlicher Einzelakte einschrän7

Vgl. Kopp / Schenke, § 183 Rn. 5; Majer, Folgen, S. 191 ff.; Maurer, DÖV 1966, 484; Pestalozza, § 20 Rn. 77; auch Baumeister, VerwArch 83 (1992), 389. Dieser Auffassung stimmt das OVG Greifswald LKV 2003, 32 ff., ausdrücklich zu, wenn dort in Leitsatz 1 festgestellt wird: „Der Verweis in § 47 Abs. 5 S. 3 VwGO auf § 183 VwGO bedeutet nur, dass unanfechtbare Verwaltungsakte wegen Aufhebung einer Norm nicht automatisch unwirksam werden.“ 8 Hierzu ausführlich unter A.I.3. 9 U. a. Kopp / Schenke, § 183 Rn. 6; Majer, Folgen, S. 191 f.; Pestalozza, § 20 Rn. 77; im Ergebnis auch Baumeister, VerwArch 83 (1992), 389 und Kneser, AöR 89 (1964), 181 f.; ebenfalls BSG NVwZ 1989, 998 ff.: § 79 Abs. 2 BVerfGG schränkt die Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte nicht ein. 10 Vgl. dazu die Nachweise bei Latzel, Wirkung für nichtig erklärter Steuerrechtsnormen, S. 102. Hierzu auch Ipsen, Rechtsfolgen, S. 277 und v. Einem, Strukturen, S. 176. 11 Vgl. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 30: § 183 S. 1 VwGO „bestätigt damit, was sich bereits aus § 173 VwGO i. V. m. §§ 578 ff. ZPO ergibt“. 12 Nachweise bei v. Einem, Strukturen, S. 176; unklar bei NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 41, wenn dort von einem „Ausschluss jeglicher Rückabwicklung“ die Rede ist.

I. Die Bedeutung des Begriffes „unberührt“

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ken und deren Bestand somit zementieren, was einem „absoluten Schutzwirkungsmodell“ gleichkommt. 13 Folge dieser Sichtweise wäre dann der generelle Ausschluss der Rücknahme- und Wiederaufgreifensvorschriften des allgemeinen Verwaltungsrechts durch einen Vorrang der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO. c) Beschränkt konstitutive Sichtweise Wie so oft trifft sich auch hier die herrschende Meinung in der Mitte dieser zwei extremen Gegensätze. 14 Danach bewirke der Begriff „unberührt“ einen grundsätzlichen Bestandsschutz für den betroffenen Einzelakt. Die staatlichen Organe sollen gerade nicht dazu verpflichtet sein, die aufgrund des Wegfalls der Rechtsgrundlage nunmehr als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakte aufzuheben, selbst wenn sich eine solche Rücknahme- oder Wiederaufgreifensverpflichtung aus den Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsrechts ergeben könnte. 15 Insoweit stimmt diese Ansicht mit der streng konstitutiven Sichtweise überein. Im Gegensatz zu der streng konstitutiven Sichtweise nehmen die Regelungen des § 79 Abs. 2 BVerfGG und des § 183 VwGO den Behörden jedoch nicht die Befugnis, die rechtswidrigen Verwaltungsakte zurückzunehmen. Kurz gesagt: Die Nichtigkeitsfeststellung einer Norm beseitigt zwar die Pflicht zur Korrektur des fehlerhaften Einzelakts (und damit auch den hiermit korrespondierenden Beseitigungsanspruch), lässt der Behörde hingegen das Recht, aus eigenem Antrieb heraus solche Einzelakte im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben aufzuheben. 16 Für das Verhältnis dieser Vorschriften zu den Regelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts bedeutet dies konsequenterweise, dass § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO anspruchsbegründenden Normen, wie z. B. § 51 VwGO (soweit dieser überhaupt einschlägig wäre 17), als speziellere Vorschriften vorgehen 18, während reine Befugnisnormen, 13

So die Terminologie bei v. Einem, Strukturen, S. 176 unter Hinweis auf Latzel und Ipsen. 14 Vgl. Benda / Klein, Rn. 1255; Ipsen, Rechtsfolgen, S. 278 ff.; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 49, 56; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 31; Steiner, FS BVerfG I, S. 645 ff.; v. Einem, Strukturen, S. 176 ff. 15 BGHZ 167, 272; VG Hannover NdsVBl 2006, 344; Benda / Klein, Rn. 1255; Gosch, Wiederaufnahme, S. 123; Ipsen, Rechtsfolgen, S. 281; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 31; Steiner, FS BVerfG I, S. 645. 16 VG Hannover NdsVBl 2006, 344; VG Düsseldorf, Urteil vom 04. 02. 2003 –17 K 991/ 02 (nicht veröffentlicht); Benda / Klein, Rn. 1255; Ipsen, Rechtsfolgen, S. 280; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 56; Pietzner, in: Schoch / SchmidtAßmann / Pietzner, § 183 Rn. 55; v. Einem, Strukturen, S. 178. 17 Dazu später unter E.II.3.b. 18 So ausdrücklich Bastian, Ermessen, S. 120; Gosch, Wiederaufnahme, S. 115 ff.; Ipsen, Rechtsfolgen, S. 281; R. Schmidt, Wiederaufgreifen, S. 48 ff.; Pietzner, in: Schoch / SchmidtAßmann / Pietzner, § 183 Rn. 54; Steiner, FS BVerfG I, S. 646; v. Einem, Strukturen, S. 179; zur Frage der Spezialität der Regelungen der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

wie z. B. § 48 VwGO, auch weiterhin anwendbar bleiben und der Behörde die Möglichkeit der Beseitigung des Verwaltungsakts belassen. 4. Der Begriff „unberührt“ im Zusammenhang mit gerichtlichen Entscheidungen Nun finden die Vorschriften der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO nicht nur Anwendung auf Verwaltungsakte, sondern sind primär auf das Schicksal von gerichtlichen Entscheidungen ausgerichtet. Demnach könnten sich nähere Rückschlüsse darauf, welcher Sichtweise zu folgen ist, aus der Untersuchung ergeben, welche Bedeutung dieser Begriff in Bezug auf gerichtliche Entscheidungen hat. a) Der Begriff „unberührt“ bei gerichtlichen Entscheidungen Bzgl. der Rechtsfolge des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO für gerichtliche Entscheidungen besteht weitgehend Einigkeit: Die Nichtigerklärung einer Rechtsnorm stellt keinen Grund dar, der für sich betrachtet zur Wiederaufnahme eines gerichtlichen Verfahrens führen könnte. 19 Eine Ausnahme von diesem Grundsatz macht § 79 Abs. 1 BVerfGG für Strafurteile, da dem von einer gerichtlichen Verurteilung Betroffenen nicht zugemutet werden kann, mit dem Makel der Verurteilung zu leben. 20 Hier reicht allein die Untersagung der Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidung nicht aus, um den Belangen des zu Unrecht Verurteilten nach Rehabilitation gerecht zu werden. Der Makel der fehlerhaften Verurteilung muss beseitigt werden, was die grundsätzliche Verpflichtung zu einer Neuaufnahme des Verfahrens und einer damit verbundenen Rechtskraftdurchbrechung zugunsten 21 des Verurteilten rechtfertigt. Damit ist dem besonderen Eingriffscharakter der Entscheidungen der Strafgerichte Geltung getragen worden. Nun könnte man daraus den einfachen, aber voreiligen Schluss ziehen, dass § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG konstitutive Wirkung haben müsse und zwar dergestalt, dass erst durch diese Norm der generelle Ausschluss der Wiederaufnahme gerichtlicher Entscheidungen, die auf einer für unwirksam erklärten Norm beruhen, begründet werde. So ist dies zum Beispiel bei Pietzner zu finden, wenn dort steht: „§ 183 gegenüber den allgemeinen Anpassungs- und Rücknahmeregelungen siehe auch unten E.II.3.c.cc.(4). 19 Kopp / Schenke, § 183 Rn. 3; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 54; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 1; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 30. 20 Benda / Klein, Rn. 1257; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 41; vgl. hierzu auch oben A.II.1.a. 21 Kneser, AöR 89 (1964), 159 f.; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 10.

I. Die Bedeutung des Begriffes „unberührt“

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S. 1 VwGO und § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG schließen die Pflicht der rechtsprechenden [ . . . ] Gewalt aus, ihre rechtkräftig gewordenen Hoheitsakte wegen der Nichtigerklärung der sie tragenden Rechtsnorm massenhaft wiederaufnehmen zu müssen“. 22 Woraus sich eine solche grundsätzliche Pflicht zur Wiederaufnahme gerichtlicher Entscheidungen ergeben soll, sagt Pietzner allerdings nicht. Erstaunlicherweise taucht in den Kommentierungen zu § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO an keiner Stelle die Vorschrift des § 153 VwGO auf, welche die Wiederaufnahme verwaltungsgerichtlicher Verfahren zum Inhalt hat. 23 Vielmehr befassen sich die Autoren in erster Linie mit dem Wiederaufgreifen von Verwaltungsverfahren, obwohl beide Vorschriften doch primär auf gerichtliche Entscheidungen und nicht auf Verwaltungsakte ausgerichtet sind. Betrachtet man sich die Vorschriften über die Wiederaufnahme von gerichtlichen Verfahren jedoch genauer, so stellt man fest, dass weder die §§ 579, 580 ZPO, noch § 359 StPO, noch § 153 VwGO i. V. m. §§ 578 ff. ZPO die Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm als besonderen Wiederaufnahmegrund anführen. Bedenkt man ferner, dass diese Vorschriften die Wiederaufnahme gerichtlicher Verfahren abschließend behandeln, so wird klar, dass sich bereits aus den allgemeinen Verfahrensvorschriften ergibt, was nun der „konstitutiven Wirkung“ des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG bzw. des § 183 S. 1 VwGO zugeschrieben wird, nämlich dass eine Verpflichtung der Gerichte zur Wiederaufnahme von rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren aufgrund des Wegfalls einer Rechtsnorm grundsätzlich nicht besteht. Wird aber in § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO nur bestätigt, was sich bereits aus den allgemeinen Regelungen des Prozessrechts ergibt, so deutet dies vielmehr auf einen deklaratorischen Charakter dieser Vorschriften hin. Die konstitutive Sichtweise ließe sich nur dann begründen, wenn die § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO einen zusätzlichen Regelungsgehalt aufweisen würden, der sich nicht nur in der Darstellung des bereits anderweitig Geregelten erschöpft. Ipsen 24 und Steiner 25 stellen einen solchen zusätzlichen Regelungsgehalt für § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG fest. Danach werde durch § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG auch festgelegt, dass durch die Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm eine Wiederaufnahme eines bereits durch ein rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen gerichtlichen Verfahrens selbst dann verwehrt sei, wenn durch die Unwirksamerklärung ein Wiederaufnahmegrund gemäß den Katalogtatbeständen der §§ 579, 580 ZPO 22

Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 31. Vgl. hierzu die Kommentierungen von Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 44 ff.; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 41 f. und Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, Rn. 30 ff.; lediglich Kopp / Schenke, § 183 Rn. 3 stellen fest, „dass die Nichtigerklärung auch kein Wiederaufnahmegrund i. S. v. § 153 VwGO ist.“ 24 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 305 ff.(allerdings unmittelbar nur für die Wiederaufnahme zivilgerichtlicher Verfahren). 25 Steiner, FS BVerfG I, S. 645. 23

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

freigelegt werde. Die konstitutive Wirkung des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG schließe die Berücksichtigung bundesverfassungsgerichtlicher Unwirksamkeitsentscheide im Tatbestand spezieller prozessrechtlicher Wiederaufnahmetatbestände aus. 26 Eine vergleichbare Aussage findet sich auch in einem aktuellen Urteil des Bundesgerichtshofs 27 wieder. Danach soll die Regelung der Folgen einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für rechtskräftig abgeschlossene Verfahren in § 79 BVerfGG Vorrang vor dem Restitutionsrecht der Zivilprozessordnung, insbesondere vor § 580 Nr. 6 ZPO haben. 28 Eine über den Hinweis auf die in § 79 Abs. 2 BVerfGG getroffene Grundsatzentscheidung des Gesetzgebers 29 und den abschließenden Charakter dieser besonderen Regelung 30 hinausgehende Begründung dieser These findet sich allerdings auch in diesem Urteil nicht. Ipsen führt zur Veranschaulichung dieser These ein Beispiel an. 31 Die Nichtigerklärung des § 1629 Abs. 1 BGB durch das Bundesverfassungsgericht 32 habe dazu geführt, dass zahlreiche Minderjährige als Partei eines Rechtsstreites nicht nach den Vorschriften der Gesetze entsprechend vertreten waren. Die nicht ordnungsgemäße Vertretung einer Partei im Prozess unterfällt dem Wiederaufnahmetatbestand des § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO. Dies hätte nun zur Folge, dass die Gerichte massenhaft, nämlich potentiell in jedem Verfahren mit einem Minderjährigen als Partei, mit Wiederaufnahmeverfahren belastet würden. Gerade vor diesen Auswirkungen massenhafter Wiederaufnahmeverfahren möchte § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG die Gerichte schützen, indem dieser Vorschrift eine konstitutive „Abschirmungsfunktion“ 33 zugesprochen werden müsse. 34 „Die Nichtigerklärung einer Norm lässt folglich nicht nur den Bestand der auf sie gestützten Zivilurteile unberührt, sondern vermag auch keine Wiederaufnahmegründe offenzulegen, die dann ihrerseits zur Durchbrechung der Rechtskraft führen könnten. Damit wird die im Zusammenhang mit den Verwaltungsakten begonnene dogmatische Linie weitergezogen.“ 35 Den Ausführungen von Ipsen und Steiner kann meines Erachtens jedoch nicht ohne weiteres gefolgt werden. Eine so weitreichende, die allgemeinen Wiederaufnahmeregelungen durchbrechende Wirkung kann den genannten Vorschriften 26 27 28 29 30 31 32 33 34 35

Steiner, FS BVerfG I, S. 645; a. A. Sommerlad, NJW 1984, 1491. BGHZ 167, 272 ff. BGHZ 167, 272; Leitsatz 1. BGHZ 167, 272 (275 f.). BGHZ 167, 272 (275). Ipsen, Rechtsfolgen, S. 305 f., vgl. auch bei Steiner, FS BVerfG I, S. 642. BVerfGE 10, 59 ff. Ausdrücklich Ipsen, Rechtsfolgen, S. 306. So auch zu finden bei Steiner, FS BVerfG I, S. 645. Ipsen, Rechtsfolgen, S. 307.

I. Die Bedeutung des Begriffes „unberührt“

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nicht entnommen werden. Rechtsfolge der Unwirksamerklärung einer Norm ist nach dem Gesetzeswortlaut allein, dass die auf der Norm beruhenden Einzelakte unberührt bleiben. Unberührtbleiben bedeutet aber nicht eine Einschränkung von Rechten des Betroffenen, die dieser ohne die Unwirksamerklärung der Norm zweifellos hätte. Genau das würde aber eintreten, wenn man den Vorschriften der §§ 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO einen konstitutiven Aussagegehalt zuspräche, wie dies u. a. Steiner und Ipsen vorschlagen. Denn somit würde dem Betroffenen durch die Normenkontrollentscheidung ein Wiederaufnahmegrund quasi „geraubt“, der bereits unabhängig von der Unwirksamerklärung der Norm einschlägig wäre. 36 Ipsen bestreitet auch nicht, dass die Minderjährigen in seinem Fallbeispiel vor der gerichtlichen Unwirksamerklärung der Norm zweifellos einen Anspruch auf Wiederaufnahme des Verfahrens hatten und dass ihnen insoweit ein materielles Recht zugestanden hat. 37 Dieses Recht hätten die Minderjährigen auch schon vor der Normenkontrollentscheidung geltend machen können, allerdings mit der Gefahr, dass das zuständige Gericht das Vorliegen eines Wiederaufnahmegrundes entweder bezweifelt oder gar verkannt hätte. Nun, da durch die Unwirksamerklärung der Norm endgültig Sicherheit über die Rechtswidrigkeit der Norm und damit auch über das Bestehen des materiellen Rechtes auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach § 579 Abs. 1 Nr. 4 ZPO geschaffen wurde, soll aber das Recht auf Wiederaufnahme des Verfahrens entfallen oder durch § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG überlagert werden? Es ist in der Tat ein „paradoxes“ 38 Ergebnis, dass ein Richterspruch, der das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen einer Anspruchsnorm quasi abschließend und allgemeinverbindlich feststellt, gleichzeitig die Geltendmachung dieses Anspruchs auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens untersagt. Die Ansicht, § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG enthalte eine konstitutive Aussage zu den prozessualen Wiederaufnahmevorschriften, kann auch nicht mit einer angeblichen Abschirmungsfunktion dieser Regelung begründet werden. 39 Ipsen hat Recht, wenn er feststellt, dass das Wiederaufnahmerecht auf Einzelangriffe zugeschnitten ist und nicht für eine massenhafte Wiederaufarbeitung bereits abgeschlossener Verfahren vorgesehen war. 40 Daraus kann sich aber im Gegenzug nicht ergeben, dass die Unwirksamerklärung einer Norm generell die Möglichkeit einer Wieder36

Dies dürfte auch dem Willen des Gesetzgebers entsprechen, wenn in den Gesetzesmaterialien davon die Rede ist, dass § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG keineswegs Aufhebungsmöglichkeiten des Einzelnen ausschließen wolle; so Sitzungsprotokolle, 1. Wahlperiode, S. 4234 (Aussagen der Abgeordneten Neuhäuser und Laforet); vgl. auch Papier, NJW 1979, 524. 37 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 306. 38 Selbst Ipsen, Rechtsfolgen, S. 306, verwendet in diesem Zusammenhang das Wort „paradox“, wobei die Konsequenzen nur „vordergründig paradox“ sein sollen. 39 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 281; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183, Rn. 31; Steiner, FS BVerfG I, S. 645.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

aufnahme des Verfahrens aufgrund des durch die Normenkontrollentscheidung zu Tage tretenden Wiederaufnahmegrundes ausschließt. Hierdurch würde der zur Wiederaufnahme des Verfahrens nach §§ 579, 580 ZPO Berechtigte allein deshalb benachteiligt, weil in der Regel auch andere sein Schicksal teilen. Ist das Wiederaufnahmerecht aber auf Einzelangriffe zugeschnitten, so können außerhalb des konkreten Einzelfalls liegende Umstände nicht den Ausschluss des Wiederaufnahmerechts des Betroffenen rechtfertigen. Ipsen überspannt zudem diese angebliche 41 Abschirmfunktion, denn eine massenhafte Befassung der Gerichte mit abgeschlossenen Verfahren ist zwar theoretisch denkbar, dürfte jedoch in der Praxis aus mehreren Gründen nicht der Fall sein. Zum einen ist es nur in Ausnahmefällen denkbar, dass die Unwirksamerklärung einer Norm einen prozessualen Wiederaufnahmegrund offenlegt. Schaut man sich den Katalog der möglichen Wiederaufnahmegründe an, so ist kaum denkbar, dass die Restitutionsgründe nach § 580 ZPO durch die Unwirksamerklärung einer Norm betroffen sein können. § 580 ZPO führt nämlich ausschließlich Restitutionsgründe an, die sich auf ein durch Straftaten oder durch Beweisunterdrückung erschlichenes Urteil beziehen. Auch die in § 579 ZPO erwähnten Wiederaufnahmegründe dürften nur in Ausnahmefällen von der Unwirksamerklärung einer Norm betroffen werden. Zusätzlich eingeschränkt wird die Möglichkeit eines massenhaft geltend gemachten Wiederaufnahmegrundes nach § 579 ZPO ferner durch die in Abs. 2 dieser Vorschrift geregelte Subsidiarität der Nichtigkeitsklage und die nach § 586 ZPO geltende Notfrist von einem Monat ab Kenntnis des Wiederaufnahmegrundes bzw. ab Zustellung des Urteils an den gesetzlichen Vertreter der Minderjährigen (Abs. 3). Zum anderen führt nicht jede Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm gleichzeitig dazu, dass hiervon eine Vielzahl von Personen betroffen wird. 42 Es ist denkbar, dass vor der Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm nur wenige Entscheidungen auf der Grundlage dieser Norm ergangen sind. Hier ist bereits theoretisch ausgeschlossen, dass sich die Gerichte einer großen Zahl von Wiederaufnahmeverfahren ausgesetzt sehen. Es würde damit in unverhältnismäßiger Weise in das Recht der Betroffenen auf Wiederaufnahme ihres Verfahrens eingegriffen, würde § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und dessen vermeintliche konstitutive Wirkung die Anwendbarkeit der gesetzlich vorgesehen Restitutionsgründe alleine aufgrund der bloßen theoretischen Möglichkeit einer massenhaften Wiederaufnahmewelle ausschließen. 40 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 280 f. unter Hinweis auf Gaul, Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, S. 214. 41 Es ist bereits fraglich, ob die Regelung des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG eine solche Abschirmfunktion besitzt, so dass die Gefahr eines Zirkelschlusses besteht, wenn man mit dieser Abschirmfunktion die konstitutive Wirkung des Begriffes „unberührt“ begründen möchte. 42 So bereits Majer, Folgen, S. 192.

I. Die Bedeutung des Begriffes „unberührt“

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Schließlich soll noch erwähnt werden, dass im Rahmen der parlamentarischen Beratungen des Entwurfes des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes „zu keiner Zeit und bei keinem der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten die Absicht bestanden hat, die Rechtssicherheit über den allgemeinen Schutz der Rechts- und Bestandskraft hinaus zu gewährleisten.“ 43 Liegt demnach der „neuartige „konstitutive“ Gehalt dieser Vorschrift nicht in der Gewährleistung, sondern in der Durchbrechung der Rechtssicherheit“ 44, dann müssen die bisher bestehenden Durchbrechungen der Rechts- und Bestandskraft von § 79 Abs. 2 BVerfGG unbeeinträchtigt bzw. uneingeschränkt bleiben. Ein genereller Vorrang des Grundsatzes der Rechtssicherheit würde de facto zu einer reinen „ex nunc“-Wirkung der Normenkontrollentscheidung führen, denn ein genereller Bestandsschutz aller Normvollzugsakte bedeutet im Ergebnis, dass das unwirksame Gesetz erst im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Entscheidung des Normenkontrollgerichts als außer Kraft getreten gilt. 45 Es bleibt also dabei, dass nicht überzeugend erklärt werden kann, weshalb § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG – und Gleiches gilt auch für § 183 S. 1 VwGO – die Geltendmachung von prozessualen Wiederaufnahmegründen untersagt, falls diese durch die Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm freigelegt werden. Dem Begriff „unberührt“ in den genannten Vorschriften kann demnach im Zusammenhang mit gerichtlichen Entscheidungen lediglich eine deklaratorische Wirkung entnommen werden. Danach stellt die Unwirksamerklärung einer Norm selbst keinen Wiederaufnahmegrund dar, schließt aber die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens aber auch dann nicht aus, wenn durch die Nichtigerklärung ein (anderer) Wiederaufnahmegrund ersichtlich wird. 46 b) Folgerungen für den Bereich der Verwaltungsakte Diese Erkenntnis legt die Folgerung nahe, dass auch für Verwaltungsakte Gleiches gilt, nämlich dass die Unwirksamerklärung einer Norm auch hier keinen eigenständigen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des (Verwaltungs)Verfahrens gewährt, jedoch ansonsten keine Aussage zum Vorliegen von Rücknahme- und Wiederaufgreifensgründen nach den allgemeinen Regelungen enthält. Diese Folgerung wird auch dadurch gestützt, dass einem Begriff im Rahmen ein und derselben Vorschrift – hier dem Begriff „unberührt“ – in der Regel auch nur eine Auslegung zueigen sein sollte. Doch es gibt zwischen gerichtlichen Entscheidungen und Verwaltungsakten wesentliche Unterschiede, die eine zwingende Gleichbehandlung beider Entschei43 44 45 46

Papier, NJW 1979, 524. Papier, NJW 1979, 524 m. w. N. So zurecht Papier, NJW 1979, 525. Grundlegend Maurer, DÖV 1966, 484.

142

E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

dungstypen nicht unbedingt erforderlich machen. Grundlegende Unterschiede bestehen hier bereits bei der Bestandskraft von Verwaltungsakten im Vergleich zur Rechtskraft von Entscheidungen. Wie bereits an anderer Stelle dargelegt 47, führt die Rechtskraft von Entscheidungen zu einer weitreichenderen Bestandssicherung von gerichtlichen Entscheidungen, als dies bei der Bestandskraft von Verwaltungsakten der Fall ist. Dies spiegelt sich auch in der unterschiedlichen „Beseitigungskompetenz“ wider. Gerichtliche Entscheidungen sind, sofern sie in Rechtskraft erwachsen sind, ausschließlich über das Institut der Wiederaufnahme des Verfahrens, d. h. durch Nichtigkeits- und Restitutionsklage, zu beseitigen. Dem von der unrichtigen Entscheidung Betroffenen steht danach ein sehr begrenzter Katalog von Wiederaufnahmegründen offen, die er in einem äußerst formalisierten Verfahren geltend machen muss. Das Gericht selbst ist ebenfalls an die von ihm getroffene Entscheidung gebunden und hat keine Befugnis im Nachhinein als unrichtig erkannte Entscheidungen nochmals zu korrigieren. Anders ist dies bei Verwaltungsakten: Zwar gewährt die Bestandskraft von Verwaltungsakten diesen grundsätzlich einen gewissen Schutz vor nachträglichen Abänderungen. Dieser Schutz ist allerdings an mehreren Stellen durchbrochen: Zum einen hat der Betroffene bei Vorliegen eines Wiederaufgreifensgrundes nach § 51 VwVfG einen Anspruch darauf, dass sich die Behörde nochmals mit dem Verwaltungsakt befasst und eine neue, auf der aktuellen Rechts- und Sachlage beruhende Sachentscheidung erlässt 48, die selbst wiederum mit ordentlichen Rechtsbehelfen angefochten werden kann. Insoweit entsprechen sich die verwaltungsverfahrensrechtlichen Durchbrechungen der Bestandskraft und die prozessualen Durchbrechungen der Rechtskraft, wobei die Wiederaufgreifensgründe des Verwaltungsverfahrensrechts über die prozessualen Wiederaufnahmegründe hinausreichen, wie man an der Vorschrift des § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG bereits erkennen kann. Zum anderen stellt § 51 VwVfG nicht die einzige Durchbrechung der Bestandskraft dar. Nach § 48 VwVfG kann die Behörde auch nach Eintritt der Bestandskraft jederzeit unter bestimmten Voraussetzungen einen Verwaltungsakt aufheben. Die Behörde hat also das Recht, welches Gerichten verwehrt ist, eigene Entscheidungen rückgängig zu machen oder abzuändern. Diesem Recht der Verwaltung steht korrespondierend auch ein Recht des Bürgers gegenüber, die Ausübung der Rücknahme- oder Abänderungsbefugnis der Verwaltung kontrollieren zu lassen. Die Verwaltung ist nicht völlig frei in ihrer Entscheidung, sondern unterliegt, je nachdem, ob es sich um rechtswidrige oder rechtmäßige, begünstigende oder belastende Verwaltungsakte handelt, unterschiedlichen gesetzlichen Vorgaben.

47 48

Vgl. oben B.II.2.b. Zu § 51 VwVfG vgl. auch unten E.II.3.a.aa. und E.II.3.b.

I. Die Bedeutung des Begriffes „unberührt“

143

Diese Unterschiede zwischen unanfechtbaren gerichtlichen Entscheidungen und unanfechtbaren Verwaltungsakten lassen es aber nicht zu, Erkenntnisse, die für die eine Fallgruppe erarbeitet wurden, ohne weiteres auch auf die andere Fallgruppe zu übertragen. Während sich bei gerichtlichen Entscheidungen die Sachlage verhältnismäßig einfach darstellt, da es in der Wiederaufnahmemöglichkeit nach § 153 VwGO i. v. m. §§ 578 ff. ZPO nur ein abschließend geregeltes Beseitigungsmodul für unrichtige rechtskräftige Entscheidungen gibt, verkompliziert sich die Situation bei unanfechtbaren Verwaltungsakten wesentlich durch das Nebeneinander von Wiederaufgreifensansprüchen des Bürgers und Rücknahmebzw. Wiederaufgreifensbefugnissen der Verwaltung. Dieses Nebeneinander von §§ 51, 48, 49 VwVfG 49, von Rücknahme und Wiederaufgreifen und von unterschiedlichen Rechten des Einzelnen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Verwaltung – sei es bzgl. der Rücknahme von Verwaltungsakten oder bzgl. des Wiederaufgreifens des Verfahrens – macht es unumgänglich, die Auswirkungen der Nichtigerklärung auf Verwaltungsakte gesondert zu bestimmen. c) Zwischenergebnis Der Begriff „unberührt“ ist im Hinblick auf gerichtliche Entscheidungen deklaratorischer Natur. Er besagt lediglich, dass die Unwirksamerklärung einer Norm keinen neuen selbständigen Wiederaufnahmegrund bildet, der die darauf beruhende gerichtliche Entscheidung in Frage stellen könnte. Er besagt aber entgegen anderslautender Ansichten auch nicht, dass die Vorschriften der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO andere – bereits einschlägige – prozessuale Wiederaufnahmegründe überlagern oder zumindest ab dem Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung zurückdrängen. Für die hier zu behandelnde Fragestellung, nämlich der Frage des Schicksals der auf einer für unwirksam erklärten Norm beruhenden, bestandskräftigen Verwaltungsakte, lassen sich jedoch aus dieser Erkenntnis keine Rückschlüsse ziehen. Die unterschiedlichen Durchbrechungen von Bestands- und Rechtskraft machen eine gesonderte Untersuchung der Auswirkungen der Normenkontrollentscheidung auf die Beseitigungs- und Anpassungsverfahren des allgemeinen Verwaltungsrechts notwendig.

49

Dazu unten E. II.

144

E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen gegenüber der Verwaltung nach der Normenkontrollentscheidung 1. Einführung Wie dargestellt lässt sich die Rechtsfolge der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO, das „Unberührtbleiben“ nicht mehr anfechtbarer Einzelakte, allein aus dem Wortlaut der Vorschriften heraus nicht eindeutig bestimmen. Auch der Vergleich mit den Auswirkungen der Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm für die darauf beruhenden gerichtlichen Entscheidungen liefert, aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung von Rechts- und Bestandskraft, allenfalls Indizien, nicht aber grundlegende Rückschlüsse für die Auswirkungen, welche Normenkontrollentscheidungen auf Verwaltungsakte haben. In der Literatur werden die Auswirkungen der Normenkontrollentscheidung auf die Anpassungs- und Beseitigungsmodalitäten des allgemeinen Verwaltungsrechts bisweilen durch das Zugrundelegen eines gewissen Schutzwirkungsmodells bestimmt 50, d. h. zunächst wird § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG bzw. § 183 S. 1 VwGO eine bestimmte Wirkungsweise zugeordnet und daraufhin die Auswirkungen dieser Wirkungsweise auf die allgemeinen Regelungen untersucht. Meines Erachtens empfiehlt sich allein die umgekehrte Vorgehensweise. Der Begriff des „Unberührtbleibens“ muss jeweils im Kontext der potentiell einschlägigen Beseitigungs- und Anpassungsvorschriften des allgemeinen Verwaltungsrechts für fehlerhafte Verwaltungsakte betrachtet werden. Dabei ist zunächst herauszuarbeiten, welche Bedeutung die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm für die Rücknahme, den Widerruf und das Wiederaufgreifen von Verwaltungsakten haben kann. Allein das Verhältnis dieser allgemeinen Aufhebungsund Wiederaufgreifensregelungen zu den speziell auf die Unwirksamkeit einer Norm ausgerichteten Regelungen der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO vermag Auskunft darüber geben, in welcher Weise der Begriff „unberührt“ zu verstehen ist und welches Schutzwirkungskonzept sich sinnvollerweise hinter diesen Vorschriften verbirgt. Geht man hingegen mit der überwiegenden Zahl der Bearbeiter von einer anderen Seite an diese Fragestellung heran und entscheidet sich bereits im Vorhinein für ein bestimmtes Schutzwirkungskonzept, das den genannten Vorschriften zugrunde liegen soll – sei es indem man der „deklaratorischen Auffassung“ folgt oder indem man den Vorschriften eine „konstitutive Ausrichtung“ zuspricht – läuft man Gefahr, in ein zirkuläres Argumentationsmuster zu verfallen, weil die Fest50

So u. a. Ipsen, Rechtsfolgen, S. 276 ff.; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 31; v. Einem, Strukturen, S. 176 ff.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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legung auf ein bestimmtes Schutzwirkungsmodell immer auch das Verhältnis zu den allgemeinen Regelungen bzgl. der Rücknahme von Verwaltungsakten oder des Wiederaufgreifens von abgeschlossenen Verwaltungsverfahren vorbestimmt. Es ist daher vorzugswürdig, in einem ersten Schritt die einzelnen Beseitigungsund Anpassungsmechanismen für bestandskräftige Verwaltungsakte zu beleuchten und diese auf den konkreten Fall der Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm zu übertragen. Erst dann, in einem zweiten Schritt, wird geprüft, ob die Vorschriften des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO diese Mechanismen berühren und gegebenenfalls modifizieren können. In Betracht kommen grundsätzlich drei denkbare Beseitigungs- und Anpassungsmöglichkeiten für fehlerhafte Verwaltungsakte, die im Folgenden in ihrer graduellen Wirkung (d. h. nach der „Intensität“ der Beseitigung) absteigend behandelt werden: die Rücknahme des Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG 51, das Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne gemäß § 51 VwVfG 52 und das sogenannte „Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne“ 53. 2. Der Anspruch auf Aufhebung des unanfechtbaren Verwaltungsakts nach Unwirksamerklärung der Norm a) Allgemein: Die Aufhebung eines nicht oder nicht mehr anfechtbaren Verwaltungsakts Unter der Aufhebung eines Verwaltungsakts ist jede Beseitigung der Rechtswirksamkeit eines Verwaltungsakts durch besondere Anordnung der Behörde oder eines Gerichts zu verstehen. 54 Die §§ 48 –49 VwVfG regeln die Aufhebung eines Verwaltungsakts durch die Behörde in den Formen der Rücknahme (§ 48 VwVfG) und des Widerrufs (§ 49 VwVfG). Beide Vorschriften unterscheiden nicht zwischen der Aufhebung anfechtbarer oder bestandskräftiger Verwaltungsakte. 55 Danach kann die Verwaltung einen Verwaltungsakt, auch nachdem dieser unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise zurücknehmen bzw. widerrufen. Maßgebliches Kriterium der Unterscheidung von Rücknahme und Widerruf ist die Rechtmäßigkeit bzw. die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts. Beiden Vorschriften gleich ist hingegen, dass die Behörde den Verwaltungsakt aufheben „kann“, dass ihr insofern ein Ermessensspielraum offen steht 56 und dass

51 52 53 54 55 56

Dazu E. II. 2. Dazu E.II.3.a.-b. Dazu E.II.3.a. und c. Maurer, § 11 Rn. 11; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 24. Maurer, § 11 Rn. 17. Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 37 ff.; § 49 Rn. 8 ff.

146

E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

damit generell die Existenz eines Anspruchs auf Aufhebung des unanfechtbaren Verwaltungsakts ausgeschlossen erscheint. „Aus den Grundrechten als Abwehrrechten des Einzelnen gegenüber staatlichen Eingriffen ergibt sich grundsätzlich eine Anspruch auf Unterlassung rechtsverletzenden Verwaltungshandelns und gleichsam auf Beseitigung eines rechtsverletzenden Verwaltungsakts“ 57; so wurde bereits im Vorfeld die Existenz eines allgemeinen öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs umrissen. Dieser Beseitigungsanspruch machte eine Modifikation des Aufhebungsermessens der Behörde zumindest für den Fall des noch anfechtbaren rechtswidrigen Verwaltungsakts notwendig. 58 Daher liegt die Frage nahe, ob sich der verfassungsrechtliche verankerte Beseitigungsanspruch auch auf andere Fallgruppen auswirken kann. Dabei können sich die Untersuchungen auf die Fallgruppe des rechtswidrigen, (zumindest auch) belastenden Verwaltungsakt beschränken. Dass der einzelne keinen Anspruch auf Beseitigung eines rein begünstigenden Verwaltungsakts besitzen kann, ist offensichtlich, denn ein rein begünstigender Verwaltungsakt greift nicht in geschützte Rechtspositionen des Begünstigten ein. Soweit die Begünstigung durch den Verwaltungsakt unter dem bleibt, das dem Betroffenen von Gesetzes wegen zustünde, liegt in der Ablehnung der weiteren Begünstigung gleichzeitig auch eine Belastung. Ein Aufhebungsanspruch brächte dem rein Begünstigten aber keinen Nutzen, so dass sich die Frage nach einem „Anspruch auf Aufhebung eines rein begünstigenden Verwaltungsakts“ naturgemäß nicht stellt. Das Nichtbestehen eines Aufhebungsanspruchs ist auch für die Fallgruppe des rechtmäßigen Verwaltungsakts ohne weiteres nachvollziehbar. Ist ein unanfechtbarer Verwaltungsakte rechtmäßig, dann besteht kein Grund, weshalb der Betroffene die Beseitigung dieses Verwaltungsakts verlangen können sollte. Selbst vor Eintritt der Unanfechtbarkeit wäre er mit einem entsprechenden Begehren im Anfechtungsprozess gescheitert. Es ist daher logisch zwingend, dass sich meine folgenden Ausführungen zu einem Aufhebungsanspruch auf den Fall des rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakt beschränken müssen, zumal sich der hier näher zu untersuchende Rechtsgedanke der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 VwGO ohnehin nur auf Verwaltungsakte übertragen lässt, die auf einer unwirksamen Norm beruhen und die daher, wie bereits erläutert 59, immer auch selbst rechtswidrig sind. Eine Modifikation des Rücknahmeermessens nach § 48 VwVfG hin zu einer Ermessensreduktion auf Null und einem Rücknahmeanspruch setzt also zwingend voraus, dass der Verwaltungsakt in geschützte Rechte des Betroffenen eingreift. Für nicht rechtsverletzende Verwaltungsakte verbleibt es daher beim Rücknahmeermessen der Verwaltung. 57 58 59

Siehe oben D.I.1. Vgl. oben D.II.5.b. Vgl. oben C. IV. 5.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

147

Zugleich wurde bereits umrissen 60, dass der öffentlichrechtliche Beseitigungsanspruch nicht generell das Rücknahmeermessen der Behörde zu einem Rücknahmeanspruch des Betroffenen verdichtet. Diese zumindest für den Fall des noch anfechtbaren Verwaltungsakts getroffene Aussage findet keine unbegrenzte Gültigkeit, da der Beseitigungsanspruch mit anderen Verfassungsprinzipien konkurriert und von diesen teilweise überlagert wird. Eine solche Einschränkung ist nach einhelliger Auffassung in Rechtsprechung und Literatur für den Fall des bestandskräftigten Verwaltungsakts gegeben. 61 Diese Konsequenz ergibt sich allerdings nicht, wie vielfach behauptet wird 62, aus dem Wortlaut der Vorschrift des § 48 Abs. 1 VwVfG, wonach die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts in das Ermessen der Behörde gestellt wird. Wie sich anhand der Fallkonstellation des noch anfechtbaren Verwaltungsakts gezeigt hat, führt die Verwendung des Begriffes „kann“ nicht zwingend zu einem Ausschluss der behördlichen Rücknahmeverpflichtung. 63 § 48 Abs. 1 VwVfG allein kann daher keinen sicheren Aufschluss über die Beschränkung des öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs – auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit – geben. Ebensowenig ergibt sich der völlig unbestrittene Ausschluss der Rücknahmepflicht bzgl. rechtswidriger bestandskräftiger Verwaltungsakte aufgrund eines Rückgriffes auf die Rechtsbehelfsfristen der §§ 70, 74 VwGO. 64 Diese Fristenregelungen führen zwar dazu, dass dem durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt Betroffenen nach Ablauf der dort genannten Monatsfristen nicht mehr die Möglichkeiten der prozessualen Geltendmachung eines Aufhebungsanspruchs offen stehen; sie sagen aber nichts darüber aus, ob der materiellrechtliche Anspruch auf Beseitigung des rechtsverletzenden Verwaltungsakts als solcher mit Eintritt der Bestandskraft untergegangen ist. 65 Sinn und Zweck der Rechtsmittelfristen der VwGO ist es – vergleichbar den Verjährungsfristen des Zivilrechts – nicht, einen materiellrechtlichen Anspruch zu beseitigen, sondern lediglich die Verwaltung und die Gerichte davor zu schützen, Verwaltungsakte aufgrund der bloßen Behauptung der Rechtswidrigkeit fortwährend auf ihre Rechtmäßigkeit hin überprüfen zu müssen. 66 Es ist also nicht das Ziel dieser Vorschriften, einen Anspruch 60

Siehe oben D.I.3. Unter den Befürwortern eines öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs: Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 221 ff.; Ule / Laubinger, § 62 Rn. 2; generell gegen einen Rücknahmeanspruch u. a. BVerwGE 11, 124 (125); 28, 122 (127); E / E-Ruffert, § 23 Rn. 15; Knack-H. Meyer, § 48 Rn. 45; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 58; Ziekow, VwVfG, § 48 Rn. 13. 62 Vgl. Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 87. 63 So auch Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 222; Schenke, FS Maurer, S. 729; Ule / Laubinger, § 62 Rn. 2; vgl. dazu auch oben D.II.5.a. 64 So aber z. B. Maurer, § 11 Rn. 48; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 100. 65 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 222 f.; Ule / Laubinger, § 62 Rn. 2. 66 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 381. 61

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

untergehen zu lassen, sondern lediglich dessen prozessuale Durchsetzbarkeit zu hindern, um den Grundsatz der Rechtssicherheit und das Kriterium der Verwaltungseffizienz vor einer unbegrenzten Infragestellung der Rechtsmäßigkeit des Verwaltungshandelns zu schützen. 67 Dennoch ist der herrschenden Meinung zu folgen, denn der Eintritt der Unanfechtbarkeit stellt eine Zäsur für den öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruch dar. Diese Zäsur ist das Ergebnis einer Abwägung privater und öffentlicher Interessen an der abschließenden Klärung der Rechtslage und den Einzelinteressen des durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt Betroffenen an der Beseitigung der Rechtsverletzung. 68 Dass hier im Rahmen dieser Abwägung die Belange des Betroffenen untergeordnet werden, ist damit zu begründen, dass er die Möglichkeit, sein Recht zu verteidigen, ungenutzt verstreichen ließ. 69 Dem Betroffenen obliegt es, von den ihm möglichen Rechtsbehelfen innerhalb der vom Gesetzgeber vorgegebenen Rechtsbehelfsfristen Gebrauch zu machen, um in den Genuss des vollen Schutzes, nämlich auch des prozessualen Anspruchs auf Beseitigung der Beeinträchtigung, zu gelangen. Insofern ergibt sich aus Gründen der Rechtssicherheit eine „Anfechtungslast“ des Betroffenen. 70 Hat der Betroffene von den Anfechtungsmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht, so treten die Interessen der Öffentlichkeit an der Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts regelmäßig in den Vordergrund. Diese Interessen werden durch das Institut der Bestandskraft des Verwaltungsakts und durch den Eintritt der Unanfechtbarkeit geschützt, so dass es nur folgerichtig ist, wenn eben dieser Zeitpunkt die temporale Begrenzung des durchsetzbaren öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs darstellt. Der Grundkonflikt der widerstreitenden Verfassungsprinzipien, der Gerechtigkeit im Einzelfall und der Rechtssicherheit, wird damit für den Regelfall durch eine verhältnismäßige, d. h. eine geeignete, erforderliche und angemessene Überlagerung des Beseitigungsanspruchs gelöst. 71 Diese Unanfechtbarkeit als „Begrenzung“ des Beseitigungsanspruchs findet ihren Niederschlag auch im Gesetz. Hier sind insbesondere die Vorschriften der § 44 SGB X und § 51 VwVfG zu nennen. Letztere wäre ohne vernünftigen Nutzen, wenn sich die Durchbrechung der Bestandskraft bereits aus der Existenz eines öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs ableiten ließe. Dass jedoch § 51 VwVfG für einige ausgewählte Sonderfälle eine Durchbrechung der Bindungswirkung unanfechtbarer Verwaltungsakte statuiert und bei Vorliegen 67 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 223; Ule / Laubinger, § 62 Rn. 2; a. A. Horn, DÖV 1990, 867 f.: mit Unanfechtbarkeit entfalle der Aufhebungsanspruch. 68 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 224. 69 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 224. 70 Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 5; Schmidt-Aßmann, in: Maunz / Dürig, Art. 19 Abs. IV Rn. 237. 71 Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 224.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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der dort aufgezählten Tatbestandsvoraussetzungen die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung verpflichtet 72, lässt im Gegenzug darauf schließen, dass für den Normalfall die allgemeinen Beseitigungsmechanismen mit dem Eintritt der Unanfechtbarkeit ihre verbindliche Wirkung einbüßen, dass also auch ein Anspruch auf Rücknahme des rechtsverletzenden Verwaltungsakts dann nicht mehr gegeben sein kann. 73 Ähnliches lässt sich auch § 44 Abs. 1 SGB X entnehmen. 74 Auch diese Vorschrift ist nur verständlich vor dem Hintergrund der Durchsetzungssperre des Beseitigungsanspruchs mit Eintritt der Unanfechtbarkeit. Würde das Vorliegen eines durchsetzbaren Beseitigungsanspruchs auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit bejaht werden, so bedürfte es der Regelung des § 44 Abs. 1 SGB X nicht. Diese sieht nun für den Bereich des Sozialrechts, aufgrund der besonderen Charakteristika dieses Rechtsgebietes 75, einen Anspruch auf Beseitigung des Verwaltungsakts selbst für den Fall vor, dass dieser bereits in Bestandskraft erwachsen ist. Daraus lässt sich aber die Schlussfolgerung ziehen, dass es außerhalb solcher besonderer gesetzlicher Regelungen wie § 44 Abs. 1 SGB X keinen generellen Anspruch auf Beseitigung eines rechtsverletzenden Verwaltungsakts nach Eintritt der Unanfechtbarkeit geben kann und dass damit auch keine generelle Rücknahmeverpflichtung besteht. Demnach verbleibt es bei dem Grundsatz, dass eine Verpflichtung der Verwaltung zur Rücknahme rechtsverletzender Verwaltungsakte grundsätzlich ab Eintritt der Unanfechtbarkeit nicht mehr besteht, dass aber jede Behörde – getreu dem Wortlaut des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG – auch nach diesem Zeitpunkt die von ihr erlassenen rechtswidrigen Verwaltungsakte innerhalb der Grenzen des § 48 Abs. 2 –4 VwVfG aufheben kann. Diese Befugnis zur Korrektur fehlerhafter Verwaltungsakte ist der Regelung des § 48 VwVfG immanent. Aus dieser Befugnis der Verwaltung, Verwaltungsakte auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit zurücknehmen zu können, ergibt sich aber auch ein Recht des Einzelnen darauf, dass die Verwaltung ihr Rücknahmeermessen entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen zur ordnungsgemäßen Ermessensbetätigung ausübt. Dieses Recht führt zu einem Anspruch des Betroffenen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts. 76 72

Dazu unten E.II.3.a. Vgl. auch Baumeister, Beseitigungsanspruch, S. 222. 74 Näher zu dieser Vorschrift unten E.II.4.b. 75 Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 14. 76 BVerwG NVwZ 1985, 265; 1990, 701; VGH Mannheim DVBl. 1989, 886; E / ERuffert, § 23 Rn. 15; Knack-H. Meyer, § 48 Rn. 44; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 79; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 88; daran zweifelnd Benda / Klein, Rn. 1255: „sollte ein solcher Anspruch überhaupt bestehen.“ Zum Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme eines Verwaltungsakts vgl. auch unten E.II.3.a.bb. und cc. 73

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

b) Ausnahmefälle: Rücknahmeanspruch trotz Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts Es gibt aber auch Ausnahmefälle, in denen dem Interesse des Einzelnen an der Rücknahme des rechtsverletzenden Verwaltungsakts auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit Vorrang vor dem Interesse der Öffentlichkeit an Rechtssicherheit eingeräumt werden muss. In diesen Konstellationen reduziert sich das Rücknahmeermessen der Verwaltung auf Null und der Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung verdichtet sich zu einem Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts. 77 Eine solche Rücknahmeverpflichtung ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1 GG. 78 Hat die Verwaltung in Parallelfällen bereits rechtswidrige Verwaltungsakte aufgehoben und verlangt Art. 3 GG eine Gleichbehandlung, dann muss sie auch in weiteren Fällen entsprechend handeln, d. h. die bereits getätigte Ausübung des Rücknahmeermessens bindet die Verwaltung, ihr Ermessen in vergleichbaren Fällen in gleicher Weise auszuüben (Selbstbindung der Verwaltung 79). Darüber hinausgehend wird ein Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Verwaltungsakts auch für die Fälle angenommen, in denen die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts schlechthin unerträglich wäre 80 oder Umstände ersichtlich sind, welche die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen 81, insbesondere wenn die Behörde selbst in vorwerfbarer Weise zum Unanfechtbarwerden des Verwaltungsakts beigetragen hat 82. Soweit diesbezüglich auf die Rechtsprechung 83 verwiesen wird, ist dies aber so nicht richtig: In den genannten Fällen hat die Rechtsprechung ausschließlich einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne 84 anerkannt, dabei allerdings keine Stellung zur Frage genommen, ob sich in diesen Fallkonstellationen auch ein Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts ergibt 85. 77 BVerwG NVwZ 1985, 265; E / E-Ruffert, § 23 Rn. 15; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 83; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 96 ff. 78 BVerwGE 26, 153 (155); 28, 122 (127 f.); Ipsen, Rechtsfolgen, S. 284; KnackH. Meyer, § 48 Rn. 46; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 83; E / E-Ruffert, § 2 Rn. 15. 79 Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 83. 80 E / E-Ruffert, § 23 Rn. 15; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 83; Kopp / Schenke, § 183 Rn. 6. 81 E / E-Ruffert, § 23 Rn. 15; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 83; Kopp / Schenke, § 183 Rn. 6. 82 Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 83. 83 E / E-Ruffert, § 23 Rn. 15; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 83, und Kopp / Schenke, § 183, Rn. 6, verweisen als Nachweis ihrer Aussagen auf BVerwGE 28, 122 (127 f.); 44, 333 (336); BVerwG NVwZ 1985, 265; VGH Mannheim NVwZ 1989, 884 und OVG Münster NVwZ 1986, 135. 84 Dazu vgl. unten E.II.2.a.cc. 85 Knack-H. Meyer, § 51 Rn. 16, und Maurer, § 11 Rn. 65, haben die in Fn. 83 aufgelisteten Urteile richtigerweise der Frage bzgl. eines Anspruchs auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne zugeordnet.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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Dennoch ist auch in diesen Fällen, über den Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne hinaus, ein Anspruch auf Rücknahme des unanfechtbaren rechtswidrigen Verwaltungsakts gegeben. Ist nämlich die Aufrechterhaltung eines Verwaltungsakts unerträglich, so kann es vernünftigerweise nicht bei einem bloßen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne verbleiben. Denn wenn schon mit der Unerträglichkeit der Aufrechterhaltung argumentiert und die Bestandskraft des Verwaltungsakts deshalb durchbrochen wird, dann muss zwangsläufig als Ergebnis der Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts dieser Verwaltungsakt aufgehoben werden, um den für den Betroffenen so unangemessenen Eingriff zu beseitigen. Der Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne stellt hier nur eine zwingende Vorstufe für die Rücknahme des bestandskräftigen Verwaltungsakts dar. Da im Fall der Rechtsprechung ein solche Konstellation aber nicht vorlag und sich das Bundesverwaltungsgericht 86 gerade nicht zur Existenz eines Beseitigungsanspruchs äußern musste, steht das erwähnte Urteil einer solchen Auslegung nicht entgegen. Gleiches gilt auch für die zweite Variante: Auch in den Fällen, in denen es gegen die guten Sitten bzw. gegen Treu und Glauben verstoßen würde, falls sich die Behörde im Rahmen der Rücknahme des Verwaltungsakts auf die Unanfechtbarkeit beruft, besteht über das Wiederaufgreifen hinaus ein Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts. In dieser Konstellation wird die Bestandskraft durch den Grundsatz von Treu und Glauben durchbrochen. Der Betroffene ist deshalb so zu stellen, wie er ohne die Bestandskraft des Verwaltungsakts stehen würde, d. h. es besteht eine generelle Rücknahmepflicht. Dieses Ergebnis kann auch in der gebotenen Kürze an einem Beispiel verdeutlicht werden: Hat die Behörde den Adressaten eines Verwaltungsakts durch widersprüchliches Verhalten dazu verleitet, nicht fristgerecht gegen den Verwaltungsakt vorzugehen, so darf sich hieraus keine Verkürzung des Rechtsschutzes des Betroffenen ergeben, d. h. trotz formeller Bestandskraft muss der Betroffene eine Überprüfung des Verwaltungsakts erzwingen können. Wird dabei die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts festgestellt, so ist der Betroffene so zu stellen, als hätte er fristgerecht Widerspruch eingereicht oder eine Anfechtungsklage erhoben. Es ist daher nur konsequent, dem Betroffenen eines unanfechtbaren rechtswidrigen Verwaltungsakts auch dann einen Aufhebungsanspruch einzuräumen, wenn die Bestandskraft aufgrund eines Verstoßes gegen Treu und Glauben oder die guten Sitten im Rahmen der Rücknahmeentscheidung nicht mehr angeführt werden darf. Auch hier reduziert sich das Rücknahmeermessen meines Erachtens auf Null. Eine Reduktion des Rücknahmeermessens auf Null wird zusätzlich bei bestandskräftigen gemeinschaftsrechtswidrigen Verwaltungsakten angenommen. Zu den in diesen Fällen zu fordernden Voraussetzungen für einen Rücknahmeanspruch

86

BVerwGE 44, 333 (336); so auch BVerwG NVwZ 1985, 265.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

möchte ich aus Gründen des Umfangs auf die diesbezügliche Spezialliteratur 87 verweisen. Hingegen kritisch zu betrachten ist ein aktuelles Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, wonach ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen rechtswidrigen Verwaltungsakts nach § 51 Abs. 5 i. V. m. § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG bestehen kann, wenn zum Zeitpunkt des Ergehens des Verwaltungsakts an dem Verstoß gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel bestand und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängte. 88 Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme begehrt wird, führe zu der Annahme, dass die Aufrechterhaltung schlechthin unerträglich sei. 89 Die Verknüpfung von offensichtlicher Rechtswidrigkeit und Unerträglichkeit der Aufrechterhaltung überzeugt meines Erachtens nicht, da das Kriterium des „schlechthin Unerträglichseins“ nicht auf die Evidenz der Rechtswidrigkeit, sondern auf die Intensität der Beeinträchtigung abstellt. Schließlich ist derjenige auch nicht schützenswert, der trotz anfänglicher Offensichtlichkeit der Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts diesen nicht mit den ordentlichen Rechtsmitteln zu Fall gebracht hat. Ferner besteht die Gefahr der Vermengung dieser Konstruktion mit der Evidenztheorie bei § 44 Abs. 1 VwVfG, da ein offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakt bei besonders schweren Fehlern bereits nichtig ist. 90 c) Die Unwirksamerklärung einer Norm als Sonderfall des Anspruchs auf Aufhebung unanfechtbarer rechtswidriger Verwaltungsakte? Führt auch die allgemeinverbindliche Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm zu einer solchen Ermessensreduktion auf Null und zu einem Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Verwaltungsakts? In Rechtsprechung und Literatur herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Normenkontrollentscheidung kein Abweichen von der Grundregelung des § 48 Abs. 1 VwVfG rechtfertigt und generell zu einem Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts führt 91: Ein Verwaltungsakt, dessen Rechtsgrundlage für unwirksam erklärt wurde, kann daher, muss aber nicht von der Behörde nach § 48 Abs. 1 VwVfG zurückgenommen werden. 92 Dies ist für die Vertreter der herrschenden Meinung so selbstverständlich, dass eine nähere Begründung hierzu oftmals gänzlich unterbleibt. 93 87

Vgl. E / E-Ruffert, § 23 Rn. 15 und Britz / Richter, JuS 2005, 198 ff. m. w. N. So der Leitsatz in BVerwG, Urteil vom 17. 01. 2007 –6 C 32/06 (bisher nicht veröffentlicht). 89 BVerwG, Urteil vom 17. 01. 2007 – 6 C 32/06 (bisher nicht veröffentlicht). 90 Vgl. Maurer, § 10 Rn. 31. 91 Vgl. VGH München BayVBl, 1989, 86; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 56; Kopp / Schenke, § 183 Rn. 6; Maisack, ZRP 2001, 201; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 56; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 26. 88

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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Eine Mindermeinung vertritt hingegen die These, dass – soweit ein Verwaltungsakt nach allgemeinen Regelungen noch frei aufhebbar sei – die Behörde auch dann noch Verwaltungsakte, die auf einer für unwirksam erklärten Norm beruhen, aufheben müsse, wenn der Betroffene selbst den Verwaltungsakt nicht mehr mit ordentlichen Rechtsbehelfen anfechten kann. 94 Demnach würde das Rücknahmeermessen durch die Unwirksamerklärung der Norm auf Null reduziert werden. Die Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm im Wege einer prinzipalen Normenkontrolle würde damit quasi zu einem außergesetzlichen Rücknahmegrund für die darauf beruhenden Verwaltungsakte fortentwickelt werden, eingeschränkt lediglich durch die Grenzen der Rücknahme gemäß § 48 Abs. 2 – 4 VwVfG. Diese Ansicht lässt sich meines Erachtens nicht mit den Regelungen der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO in Einklang bringen. Selbst wenn man diesen Vorschriften einen rein deklaratorischen Sinngehalt zuordnet und diese als bloßen Verweis auf die Unabhängigkeit von Norm und Einzelakt versteht, könnte der gesetzlichen Regelung kein vernünftiger Sinn innewohnen, wenn die Unwirksamkeit der Norm quasi als außergesetzlicher Rücknahmegrund dienen würde. 95 Zwar teilt der Einzelakt auch nach dieser Auffassung nicht das Schicksal der Rechtsnorm und fällt nicht mit ihr ipso iure weg. Es wäre aber wenig überzeugend, dass sich der Gesetzgeber in beiden Vorschriften ausdrücklich zu der Abkoppelung des Einzelakts von der ihm zugrundeliegenden Norm bekennt und dies – obwohl der Grundsatz der Verselbständigung des Einzelakts allgemein anerkannt ist 96 – nochmals explizit klarstellt, wenn diese Entkoppelung auf der anderen Seite dadurch unterlaufen wird, dass der Verwaltungsakt generell aufzuheben ist. Eine Rücknahmeverpflichtung geht weit über das hinaus, was der deklaratorischen Auslegungsweise zugrunde liegt, wonach die allgemeinen Anpassungs- und Beseitigungsmechanismen des allgemeinen Verwaltungsrechts

92 Auch Ipsen, Rechtsfolgen, S. 282 ff.; Pestalozza, § 20 Rn. 77; Schlaich / Korioth, Rn. 391; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 55; v. Einem, Strukturen, S. 181. 93 Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 56, 74. 94 Zippelius / Würtenberger, S. 458; Körner, BayVBl 1957, 59; ebenso Scheuner, BB 1960, 1255: „Wo die Rücknahme bestehender Akte wegen Rechtsmangels oder Widerruflichkeit möglich ist, muß sie vorgenommen werden.“ In gewisser Weise auch E / E-Ruffert, § 25 Rn. 13, der von einer Reduktion des Rücknahmeermessens auf Null in den Fällen ausgeht, in denen sich die Rechtsprechung mit Bezug auf die Grundlagen des Verwaltungsakts zugunsten des Bürgers ändert. Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 74 Fn. 74, führen hierfür zusätzlich BVerwG NVwZ 1991, 31, an, wobei es sich allerdings um ein Fehlzitat handelt. 95 Folgt man der konstitutiven oder beschränkt konstitutiven Sichtweise stellt sich die Frage nach einer Rücknahmeverpflichtung nicht, da hiernach der Ausschluss jeglicher Beseitigungsverpflichtungen gerade Gegenstand der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO sei, vgl. dazu Ipsen, Rechtsfolgen, S. 276 ff. und v. Einem, Strukturen, S. 173 ff. 96 Dazu oben A.I.3.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

durch die Unwirksamkeit der Norm weder beschränkt noch erweitert werden. 97 Eine generelle Rücknahmeverpflichtung, wie dies Körner und Zippelius / Würtenberger befürworten, scheitert bereits an diesen systematischen Erwägungen. Gegen eine Rücknahmeverpflichtung spricht insbesondere, dass es sich bei der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts aufgrund des Wegfalls der Rechtsgrundlage nur um einen Unterfall des rechtswidrigen Verwaltungsakts handelt, der sich qualitativ nicht von anderen rechtswidrigen Verwaltungsakten unterscheidet. Ein Verwaltungsakt wird nicht „rechtswidriger“, wenn seine Rechtsgrundlage wegen Verstoßes gegen höherrangiges Recht, insbesondere Verfassungsrecht, für unwirksam erklärt wird. Zwar besteht hier insofern eine Besonderheit, als dass die Rechtswidrigkeit eines solchen Verwaltungsakts aufgrund der prinzipiellen Gültigkeitsvermutung für Rechtsnormen 98 für den Betroffenen in der Regel nur schwer festzustellen war. Diese Besonderheit rechtfertigt jedoch noch nicht eine weitgehende Rücknahmeverpflichtung. Es muss daher nicht von der Regel abgewichen werden, dass ein Beseitigungsanspruch grundsätzlich durch den Eintritt der Bestandskraft überlagert wird. 99 Eine solche Ansicht, die dem Prinzip der Rechtssicherheit, welches sich in der Bestandskraft von Verwaltungsakten widerspiegelt, keinerlei Berücksichtigung schenkt, ist mit den gesetzlichen Vorgaben zur Rücknahme von Verwaltungsakten nicht vereinbar. Eine Sonderstellung eines solchen Verwaltungsakts kann sich nur in Bezug auf die verfahrensrechtliche Stellung des Betroffenen ergeben. War die Unwirksamkeit der Norm und damit die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts für den Betroffenen nicht oder nicht ohne weiteres erkennbar, so kann sich dies unter Umständen auf die Verpflichtung der Behörde zu einer erneuten Überprüfung des Verwaltungsakts auswirken. 100 Gleichzeitig stellt die Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm auch ein wichtiges Kriterium im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts dar, das den Ermessensspielraum der Behörde einschränken und gar zu einem Ausschluss der Berufung auf die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts führen kann. 101 Eine Ermessensreduktion auf Null und eine Beseitigungspflicht kann allein mit der Unwirksamerklärung der Norm jedoch nicht begründet werden. Schließlich hätte eine solche Rücknahmeverpflichtung erhebliche praktische Auswirkungen, die im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Rücknahme zu bedenken sind und die bei einer generellen Rücknahmeverpflichtung unberück97 BVerfGE 11, 61 ff.; Kneser, AöR 89 (1964), 181: Die Entscheidungen sollen „mit der Kraft und Schwäche fortbestehen, die sie nach allgemeinen Grundsätzen haben“. Ähnlich auch Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 74. 98 BVerfGE 20, 230 (236); 53, 115 (130). 99 Vgl. oben D.I.3. und E.II.2.a. 100 Siehe unten E.II.3.c. 101 Siehe unten E.II.3.c.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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sichtigt blieben. Gerade für den Fall der Unwirksamkeit einer Rechtsnorm sind Konstellationen denkbar, in denen eine Vielzahl von Einzelakten von dieser Fehlerhaftigkeit „infiziert“ ist. Eine generelle Rücknahmeverpflichtung ex tunc würde in diesen Fällen zu unkontrollierbaren Auswirkungen führen, die sich zum einen in einer von der jeweils zuständigen Behörde nicht zu bewältigenden Rücknahmewelle 102 äußern oder unter finanziellen Aspekten vom jeweiligen Hoheitsträger mehr erfordern, als dieser überhaupt zu leisten im Stande ist. Die Unwirksamerklärung einer Norm würde bei einer allgemeinen Rücknahmeverpflichtung unter Umständen die Tätigkeit der Verwaltung paralysieren. So könnte die Verwerfung einer Beitragssatzung und die sich daraus ergebende Verpflichtung zur Rücknahme von Beitragsbescheiden über mehrere Jahre hinweg, welche eine massenhafte Rückzahlung von Beiträgen zur Folge hätte, zu einer Bankrotterklärung des Hoheitsträgers führen, der die Rückzahlungen nicht mehr durch das – ohnehin zumeist knappe – Haushaltsbudget abdecken kann. Diesen praktischen Bedürfnissen an einer Aufrechterhaltung von rechtswidrigen bestandskräftigen Verwaltungsakten kann nur gerecht werden, wer diese Folgewirkungen als gewichtige Argumentationserwägungen für die letztlich von der Behörde zu treffende Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts berücksichtigt. 103 Damit ist eine generelle Rücknahmeverpflichtung jedoch nicht vereinbar. Es verbleibt daher auch für den Fall der allgemeinverbindlichen Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm bei der allgemeinen Rücknahmeregelung des § 48 Abs. 1 S. 1 VwVfG. Danach sind die Behörden grundsätzlich nicht verpflichtet, bestandskräftige Verwaltungsakte, die auf einer für unwirksam erklärten Norm beruhen, zurückzunehmen. Es liegt jedoch in ihrem Ermessen, ob sie diese Verwaltungsakte unter Berücksichtigung der Einschränkungen des § 48 Abs. 2 –4 VwVfG zurücknehmen möchten. Der Betroffene hat aber einen Anspruch darauf, dass die Behörde in ermessensfehlerfreier Weise über die Rücknahme des Verwaltungsakts entscheidet. In Ausnahmefällen kann sich dieses Rücknahmeermessen auf Null reduzieren, insbesondere wenn sich die Verwaltung über den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG selbst gebunden hat.

102 Diese „Massenwirkung“ thematisieren insbesondere Ipsen, Rechtsfolgen, S. 281, und Steiner, FS BVerfG I, S. 645 f. Hierauf begründet sich auch die angebliche „Abschirmfunktion“ der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO. 103 Vgl. unten E.II.3.c.dd.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

3. Der Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach Unwirksamerklärung der Norm a) Allgemeine Grundsätze des Wiederaufgreifens aa) Das Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne Der Begriff „Wiederaufgreifen des Verfahrens“ umschreibt die auf Antrag des Betroffenen ergangene Entscheidung der Behörde, ein durch einen unanfechtbaren Verwaltungsakt abgeschlossenes (Verwaltungs-)Verfahren erneut einer sachlichen Prüfung zu unterziehen und auf deren Grundlage eine neue Sachentscheidung zu treffen. 104 Eine gesetzliche Regelung hat das Wiederaufgreifen in § 51 VwVfG erfahren. Danach hat die Behörde bei Vorliegen der in § 51 Abs. 1 Nr. 1 –3 genannten Voraussetzungen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsakts zu entscheiden. Dies gilt selbst dann, wenn der unanfechtbare Verwaltungsakt bereits durch eine rechtskräftige Gerichtsentscheidung bestätigt wurde. 105 Die Behörde ist bei diesem sogenannten Wiederaufgreifen im engeren Sinne 106 dazu verpflichtet, eine inhaltliche Überprüfung des unanfechtbaren Verwaltungsakts vorzunehmen, ihr steht insoweit kein Ermessen zu. 107 Ob die Voraussetzungen des § 51 VwVfG vorliegen, d. h. ob der Antrag auf Wiederaufgreifen des Verfahrens zulässig und begründet ist, hat die Behörde in einem ersten Verfahrensschritt 108 festzustellen. Gelangt die Behörde zu einer positiven Wiederaufgreifensentscheidung, so folgt in einem zweiten Verfahrensschritt – vergleichbar mit den prozessualen Wiederaufnahmevorschriften, auf deren Grundlage § 51 VwVfG aufbaut 109 – eine erneute inhaltliche Überprüfung des Sachverhaltes. Die Behörde muss den Sachverhalt ausschließlich auf der Grundlage des in der Sache einschlägigen materiellen Rechtes zum Zeitpunkt der nunmehr zu treffenden Entscheidung neu entscheiden. 110 104 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 375; E / E-Ruffert, § 25 Rn. 1; Maurer, § 11 Rn. 55; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 8 f.; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 1. 105 BVerwGE 82, 272 (274 f.); Sanden, DVBl. 2007, 666. 106 Vgl. die Terminologie bei Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 22; Ule / Laubinger, § 65 Rn. 7 f.; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 1. 107 E / E-Ruffert, § 25 Rn. 2; Gosch, Wiederaufnahme, S. 11 ff.; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 8, 18; Sachs, JuS 1982, 267. 108 Zu der Abstufung des Verfahrens siehe E / E-Ruffert, § 25 Rn. 2; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 12 f.; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 22 ff. 109 Sachs, JuS 1982, 264. 110 So die herrschende Meinung, vgl. BVerwG NJW 1982, 2205; NJW 1985, 281; BayVBl 1993, 120 f.; Baumeister, VerwArch 83 (1992), 376; Bettermann, FS Wolff, S. 497; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 18; Sachs, JuS 1982, 267; Sanden, DVBl. 2007, 666;

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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Auch hier besitzt die Behörde keinen Ermessensspielraum, es sei denn, dass sich ein solcher für den konkreten Sachverhalt aus dem jeweils einschlägigen materiellen Recht ergibt. 111 Dieser Verfahrensabschnitt endet in einem positiven oder negativen Zweitbescheid in Form eines Verwaltungsakts, der an die Stelle des Erstbescheides tritt und den Rechtsweg für den Betroffenen erneut eröffnet. 112 Zusammengefasst: Liegen die Voraussetzungen des Wiederaufgreifens im engeren Sinne gemäß § 51 VwVfG vor, so hat der Antragssteller auch immer einen Anspruch auf eine neue Sachentscheidung auf der Grundlage des in der Sache einschlägigen materiellen Rechts. 113 bb) Das Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne Der Gesetzgeber hat das Wiederaufgreifen abgeschlossener Verwaltungsverfahren durch die Vorschrift des § 51 VwVfG allerdings nur teilweise geregelt. Wie sich aus den Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG ergibt, kann die Verwaltung von Amts wegen oder auf Antrag einen unanfechtbaren rechtswidrigen Verwaltungsakt auch dann beseitigen, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Verfahren nach § 51 VwVfG gerade nicht vorliegen. Diese Möglichkeit der Aufhebung des Verwaltungsakts wird, wie § 51 Abs. 5 VwVfG ausdrücklich klarstellt, durch diese Vorschrift nicht eingeschränkt. 114 Die Behörde ist demnach nicht gehindert, auch außerhalb des Wiederaufgreifens nach § 51 VwVfG in eine erneute Sachprüfung einzusteigen und den Verwaltungsakt zurückzunehmen. Dieser Eintritt in eine erneute Sachprüfung wird überwiegend als „Wiederaufgreifen im weiteren Sinne“ bezeichnet und wird aus den Aufhebungsregelungen der §§ 48, 49 VwVfG abgeleitet. 115 Das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne stellt also einen rein formellen Verfahrensabschnitt dar, nämlich den Eintritt der Behörde in eine erneute sachliche Schenke, DÖV 1983, 330; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 24; a. A. Maurer, § 11 Rn. 61; Meyer / Borgs-Meyer, § 51 Rn. 3 ff., welche die Wiederaufgreifens- und Rücknahmevorschriften verknüpfen und der zu treffenden Sachentscheidung die Regelungen der §§ 48 –49 VwVfG zugrunde legen wollen; ebenso Wolff / Bachof / Stober, Bd. II, Rn 118. 111 BVerwG NJW 1982, 2205; Baumeister, VerwArch 83 (1992), 376; Knack-H. Meyer, § 51 Rn. 20; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 18; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 32; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 25; a. A. OVG Münster NVwZ 1986, 134 f.; Meyer / Borgs-Meyer, § 51 Rn. 1, 21. 112 E / E-Ruffert, § 25 Rn. 11; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 22; zum Rechtsschutz gegen den Zweitbescheid vgl. Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 53 ff.; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 68 ff. 113 Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 1; Baumeister, VerwArch 83 (1992), 376. 114 E / E-Ruffert, § 25 Rn. 12; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 6 f., 50; Sachs, JuS 1982, 264; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 13; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 27. 115 Vgl. Baumeister, VerwArch 83 (1992), 376; Ehlers, DV 37 (2004), 284; E / EErichsen (12. Aufl), § 20 Rn. 20 ff.; Ule / Laubinger, § 65 Rn. 8.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Überprüfung des Verwaltungsakts. Eine explizite Erwähnung dieses Verfahrensschrittes enthalten die §§ 48, 49 VwVfG nicht; im Gegenteil: Wenn man diese Regelungen liest, könnte man auch zu dem Ergebnis gelangen, dass die Behörde über einen Aufhebungsantrag des Betroffenen unabhängig von besonderen „Sachentscheidungsvoraussetzungen“, wie zum Beispiel der Wiederaufgreifensgründe des § 51 Abs. 1 Nr. 1 –3 VwVfG, entscheiden müsse und bereits die Stellung eines Aufhebungsantrages die Verpflichtung zu einer erneuten Sachprüfung entstehen lässt. 116 Doch ist heute überwiegend anerkannt, dass der materiellrechtlichen Frage der Aufhebung eines Verwaltungsakts immer eine positive Entscheidung der Behörde über die verfahrensrechtliche Frage des Wiederaufgreifens vorausgehen muss. 117 Die Notwendigkeit eines verfahrensrechtlichen Zwischenschrittes ergibt sich bereits aus der Existenz der Regelung des § 51 VwVfG, wonach die Verwaltung nur in Ausnahmefällen gehalten ist, eine erneute Sachprüfung eines bereits bestandskräftigen Verwaltungsakts vorzunehmen. 118 Diese Normierung besonderer Wiederaufgreifensgründe wäre aber überflüssig, wenn der Betroffene bereits aus §§ 48, 49 VwVfG in jedem Falle die erneute Überprüfung des Verwaltungsakts erzwingen könnte. 119 Vielmehr beschreibt § 51 VwVfG besondere Fallkonstellationen, in denen mehr oder weniger starke Zweifel an der Rechtmäßigkeit des in Rede stehenden Verwaltungsakts begründet werden. Diese Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts können nur durch eine erneute Überprüfung des Verwaltungsakts beseitigt werden. Eine erneute Sachprüfung außerhalb der Tatbestände des § 51 VwVfG und ein Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Aufhebung eines Verwaltungsakts, setzen deshalb das Vorliegen gewisser Verfahrensanforderungen voraus, die den in § 51 VwVfG normierten Konstellationen zumindest nahe kommen müssen. 120 Zum anderen ergibt sich die Notwendigkeit eines solchen „Vorverfahrens“ auch aus dem Telos der Anfechtungsfristen. Diese verlören ihren Sinn, wenn sich aus § 48 VwVfG eine generelle Pflicht ableiten ließe, wonach die Behörde einen Aufhebungsantrag stets sachlich bescheiden und daher stets eine erneute Rechtmäßigkeitsüberprüfung vornehmen müsste. 121 Sinn und Zweck der Anfech116 Meyer / Borgs-Meyer, § 51 Rn. 3, Schwabe, JuS 1970, 384 ff.; so ebenfalls Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 100: eine gesonderte Vorstufe bzgl. der Rücknahmeentscheidung ist entbehrlich; kritisch hierzu Bastian, Ermessen, S. 64 ff. 117 So ausdrücklich Bastian, Ermessen, S. 67 m. w. N.; vgl. auch Baumeister, VerwArch 83 (1992), 383; Erichsen / Ebber, Jura 1997, 424 f.;Gosch, Wiederaufnahme, S. 244 f.; Maurer, JuS 1976, 29; v. Einem, Strukturen, S. 131 f. 118 Vgl. Bastian, Ermessen, S. 65 ff. 119 Bastian, Ermessen, S. 65. 120 Bastian, Ermessen, S. 72; Maurer, DÖV 1966, 287. 121 Bastian, Ermessen, S. 70; Maurer, JuS 1976, 29; Baumeister, VerwArch 83 (1992), 377.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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tungsfristen ist es aber gerade, die Verwaltung davor zu schützen, dass sie die Rechtmäßigkeit der Verwaltungsakte immer wieder neu überprüfen muss. 122 Eine funktionsfähige Verwaltung und der Grundsatz der Rechtssicherheit sind nur dadurch zu gewährleisten, dass der Bürger nicht unablässig die Rechtmäßigkeit von Verwaltungsakten in Frage stellen kann. Schließlich würde eine generelle Pflicht zu einer erneuten Sachprüfung nach Ablauf der Anfechtungsfristen auch alle rechtmäßigen Verwaltungsakte in ihrem Bestand relativieren. 123 Letztlich spricht auch die Differenzierung in §§ 48, 49 VwVfG für die Notwendigkeit eines „Wiederaufgreifens im weiteren Sinne“. Hat der Betroffene einen Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Beseitigung eines Verwaltungsakts, so ist bereits zur Klärung der Vorfrage, nach welchen Vorschriften sich eine solche Beseitigung richtet, die Feststellung der Rechtmäßigkeit bzw. der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zwingend notwendig. 124 Die §§ 48, 49 VwVfG stellen nämlich unterschiedliche Kriterien für die Rücknahme bzw. den Widerruf eines Verwaltungsakts auf. Erst wenn Gewissheit über die rechtlichen Voraussetzungen der Aufhebung des Verwaltungsakts besteht, kann die Behörde das ihr nach §§ 48, 49 VwVfG eingeräumte Rücknahmeermessen auch fehlerfrei ausüben. Dieser Ermessensentscheidung muss daher ein Vorverfahren vorausgehen, in dem der Verwaltungsakt sachlich überprüft wird. Die Behörde kann erst dann in das eigentliche Beseitigungsverfahren nach den Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG eintreten, wenn sie sich zuvor in einer ersten Entscheidung positiv für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne entschieden hat. 125 In Übereinstimmung mit dem Wiederaufgreifen im engeren Sinne handelt es sich bei dem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne also ebenfalls um ein zweistufiges Verfahren. 126 Es muss auch im Rahmen der Aufhebung von Verwaltungsakten zunächst von der Behörde festgestellt werden, ob sie auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen in eine erneute inhaltliche Überprüfung des Verwaltungsakts einsteigen möchte. Im Gegensatz zu § 51 VwVfG fehlen jedoch gesetzgeberische Vorgaben für diese Entscheidung der Behörde. Die Behörde hat – vorbehaltlich

122

Baumeister, VerwArch 83 (1992), 381. Maurer, DÖV 1966, 487. 124 Bastian, Ermessen, S. 69; Baumeister, VerwArch 83 (1992), 378. 125 Vgl. Bastian, Ermessen, S. 69. 126 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 377; Gosch, Wiederaufnahme, S. 244; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 13 ff.; v. Einem, Strukturen, S. 130 ff.; a. A. Korber, DÖV 1985, 309 ff. m. w. N.; ders. DVBl. 1984, 408; ebenso Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 100 ff. zum Rücknahmeverfahren. Dass Sachs sich in den beiden zitierten Passagen scheinbar widersprüchlich äußert, lässt sich dadurch erklären, dass er den Begriff des Wideraufgreifens i. w. S. anders definiert und dieses Wiederaufgreifen i. w. S. nicht als Bestandteil des Rücknahmeverfahrens erachtet. Nach dem hier vertretenen Verständnis des Wiederaufgreifens i. w. S. spricht sich Sachs gegen die Zweistufigkeit des Verfahrens aus. 123

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

etwaiger Spezialregelungen 127 – nach pflichtgemäßem Ermessen über den Eintritt in eine Überprüfung des Verwaltungsakts außerhalb des § 51 VwVfG zu entscheiden. 128 Dieser Ermessensspielraum ergibt sich nicht unmittelbar aus §§ 48, 49 VwVfG, die lediglich hinsichtlich der Entscheidung über die Aufhebung des Verwaltungsakts ein Ermessen statuieren, jedoch dürfte sich die Einräumung eines „Wiederaufgreifensermessens“ aus der Regelung des § 22 S. 1 VwVfG entnehmen lassen. 129 Darf die Behörde aber nach eigenem Ermessen eine neue Sachprüfung vornehmen, so lässt sich daraus auch ein Anspruch des Betroffenen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens entnehmen. 130 Ein Anspruch auf ein solches Wiederaufgreifen im weiteren Sinne dürfte sich jedoch nur in den Ausnahmefällen der Ermessensschrumpfung auf Null ergeben. 131 Entscheidet sich die Behörde für ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne und tritt sie in eine erneute Sachprüfung ein, so bedeutet dies nicht, dass sie einen Zweitbescheid auf der Grundlage des materiellen Rechts zu erlassen hat, der an die Stelle des ursprünglichen Verwaltungsakts tritt. Die Entscheidung, welche die Behörde in diesem zweiten Verfahrensabschnitt treffen muss, hat sich nicht an dem für den Erlass des Verwaltungsakts anwendbaren Recht zu orientieren, sondern ausschließlich an den Voraussetzungen der Rücknahme und des Widerrufs gemäß den Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG. 132 Das bedeutet, dass die Behörde auch nach Eintritt in eine neue Sachprüfung stets eine Ermessensentscheidung über die Aufhebung des betreffenden Verwaltungsakts zu treffen hat. 133 Hier liegt der wesentliche Unterschied zum Wiederaufgreifen im engeren Sinne, wonach die Überwindung der ersten Stufe zugleich auch einen Anspruch auf eine neue Sachentscheidung zur Folge hat. Mit der Bejahung eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinne ist nämlich noch nichts über die Aufhebung des Verwaltungsakts gesagt. Selbst wenn nach materiellem Recht eine andere Sachentscheidung geboten ist, kann die Behörde das Rücknahmeermessen des § 48 VwVfG pflichtgemäß 127

Vgl. zu § 71 AsylVfG a. F. BVerwGE 78, 332 (336 f.); 106, 171 (174 ff.). BVerwG DVBl. 2000, 1281; DVBl. 2001, 728 f.; Baumeister, VerwArch 83 (1992), 376 f.; E / E-Ruffert, § 25 Rn. 12; Gosch, Wiederaufnahme, S. 244; Knack-H. Meyer, § 51 Rn. 16; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 50; Korber, DÖV 1985, 310; Sachs, JuS 1982, 264; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 15; v. Einem, Strukturen, S. 132 ff. 129 Vgl. E / E-Ruffert, § 25 Rn. 12; Gosch, Wiederaufnahme, S. 244; a. A. v. Einem, Strukturen, S. 133, der das Ermessen als Annex zum Rücknahmeermessen ansieht und aus einem Umkehrschluss zu § 51 VwVfG herleitet. 130 Vgl Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 15. 131 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 378 f.; Knack-H. Meyer, § 51 Rn. 17; Maurer, § 11 Rn. 65; dazu ausführlich unten E.II.3.a.cc. 132 Bastian, Ermessen, S. 72; Baumeister, VerwArch 83 (1992), 383; E / E-Erichsen (12. Aufl.), § 20 Rn. 23; Gosch, Wiederaufnahme, S. 244 ff.; Kopp / Ramsauer, §.51 Rn. 50; v. Einem, Strukturen, S. 142 ff. 133 Ausführlich dazu Gosch, Wiederaufnahme, S. 244 ff., v. Einem, Strukturen, S. 143. 128

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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auch in der Form ausüben, dass der ursprüngliche Verwaltungsakt aufrechterhalten wird. Ergebnis dieses zweiten Verfahrensabschnittes kann daher nur die ganze oder teilweise Aufhebung des Verwaltungsakts oder dessen weitere Aufrechterhaltung sein, nicht aber, wie nach § 51 VwVfG, auch die Einräumung einer im Erstverfahren verweigerten Vergünstigung. 134 Der Begriff des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne ist daher zu Recht Gegenstand vielfältiger Kritik. Die Behörde greift außerhalb des § 51 VwVfG nicht das frühere Verfahren wieder auf und trifft eine neue Sachentscheidung auf der Grundlage des materiellen Rechts, sondern es handelt sich um ein neues Verfahren, d. h. um ein eigenständiges Aufhebungsverfahren. 135 Der Begriff des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne ist daher missverständlich und führt zu Verständigungsschwierigkeiten in der Literatur. Zum Teil wird unter Wiederaufgreifen im weiteren Sinne auch das Treffen einer neuen Sachentscheidung verstanden. 136 Andere Autoren wollen gar das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne komplett von den Regelungen der §§ 48, 49 VwVfG lösen. 137 Die Terminologie des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne lässt sich jedoch historisch begründen und knüpft an die Rechtsprechung vor Erlass des VwVfG an. Damals war unter bestimmten Voraussetzungen, insbesondere unter Anlehnung an das Wiederaufnahmerecht der einzelnen Prozessordnungen, ein Anspruch auf eine erneute Entscheidung in der Sache auf der Grundlage des für den Erlass des Verwaltungsakts geltenden Rechts angenommen worden. 138 Dies entspricht ungefähr dem heutigen § 51 VwVfG. Außerhalb dieser Fallgruppen sollte die Verwaltung 134 E / E-Erichsen (12. Aufl.), § 20 Rn. 17; Ule / Laubinger, § 65 Rn. 9. §§ 48, 49 VwVfG haben nur die Aufhebung des Verwaltungsakts zum Gegenstand, im Rahmen des Wiederaufgreifens im engeren Sinne nach § 51 VwVfG könnte hingegen auch eine neue Sachentscheidung dahingehend ergehen, dass dem Antragssteller eine Begünstigung zugesprochen wird, vgl. Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 39; Ule / Laubinger, § 65 Rn. 33. 135 So ausdrücklich E / E-Ruffert, § 25 Rn. 12; E / E-Erichsen (12. Aufl), § 20 Rn. 23; vgl. auch Baumeister, VerwArch 83 (1992), S. 376 f.; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 16; Ule / Laubinger, § 65 Rn. 9. 136 Oftmals wird nicht deutlich zwischen der Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens und der darauf folgenden Entscheidung über die Aufhebung des Verwaltungsakts unterschieden, unklar z. B. bei E / E-Ruffert, § 25 Rn. 12; Ehlers, DV 37 (2004), 284. Eine eindeutige Trennung dieser beiden Ermessensentscheidungen fehlt auch bei der Darstellung des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne im Zusammenhang mit den § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO, vgl. Ipsen, Rechtsfolgen, S. 282 ff.; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 49, 56; Steiner, FS BVerfG I, S. 647; nicht so bei Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 55. Meist wird in diesem Zusammenhang unter Wiederaufgreifen im weiteren Sinne der Erlass einer mit § 51 VwVfG vergleichbaren neuen Sachentscheidung verstanden. Dass § 51 VwVfG und das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne nicht gleichgesetzt werden können, erläutert Baumeister, VerwArch 83 (1992), 388. 137 Selmer, JuS 1987, 365 f. 138 Nachweise auch bei Bastian, Ermessen, S. 72 ff.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

über den Eintritt in eine erneute Sachprüfung nach freiem Ermessen entscheiden können. 139 Der Gesetzgeber hat in § 51 VwVfG nur die erste Fallgruppe kodifiziert und diese mit dem Begriff „Wiederaufgreifen“ bezeichnet, was dazu führt, dass mit dem Begriff „Wiederaufgreifen“ generell der Erlass eines Zweitbescheides auf der Grundlage des materiellen Rechtes assoziiert wird. Insofern ist die vielfach geäußerte Kritik an der Verwendung des Begriffes „Wiederaufgreifen im weiteren Sinne“ berechtigt, da es hier gerade nicht um das Treffen einer neuen Sachentscheidung geht. Zur Vermeidung von Missverständnissen wäre es daher angebracht, eine andere Formulierung für dieses Vorverfahren der Aufhebungsentscheidung zu verwenden. 140 Zusammengefasst lässt sich daher feststellen, dass das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne eine rein formelle Verfahrensvorstufe der Aufhebungsentscheidung der Verwaltung nach §§ 48, 49 VwVfG darstellt. Die Verwaltung muss zunächst in ermessensfehlerfreier Weise entscheiden, ob sie sich über die Bestandskraft des Verwaltungsakts hinwegsetzt und in eine neue Sachprüfung einsteigt. Tut sie dies, so ist in einem zweiten Schritt eine Ermessensentscheidung über die Rücknahme bzw. den Widerruf des Verwaltungsakts nach den Vorgaben der Regelungen der §§ 48, 49 VwVfG zu treffen, d. h. mit der positiven Entscheidung für ein „Wiederaufgreifen im weiteren Sinne“ ist noch keine (Vor-)Entscheidung über die Folgefrage der Aufhebung oder Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts erfolgt. cc) Ermessensreduktion auf Null und der Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne Welche Kriterien sind nun aber für die Ermessensentscheidung über das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, d. h. hinsichtlich des Eintritts in eine dem Aufhebungsverfahren im engeren Sinne vorgeschalteten Sachprüfung, ausschlaggebend und wann ist insbesondere von einer Ermessensreduktion auf Null und damit von einem Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne auszugehen? Während die Fallgruppen des Wiederaufgreifens im engeren Sinne in § 51 Abs. 1 Nr. 1 –3 VwVfG abschließend 141 aufgezählt werden, fehlt ein ähnlicher Katalog an Wiederaufgreifensgründen außerhalb des § 51 VwVfG. Vielmehr steht, wie oben festgestellt, das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, d. h. der Eintritt in eine erneute Sachprüfung, grundsätzlich im Ermessen der Behörde. 142 Ebensowenig lässt sich den Vorschriften der §§ 48, 49 VwVfG entnehmen, welche Kriterien im 139

E / E-Erichsen (12. Aufl), § 20 Rn. 23; Selmer, JuS 1987, 364 m. w. N. E / E-Erichsen (12. Aufl), § 20 Rn. 23; Ule / Laubinger, § 65 Rn. 9. 141 Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 24; Meyer / Borgs-Meyer, § 51 Rn. 12; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 4. 142 Oben E.II.3.a.bb. 140

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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Rahmen der Ermessensentscheidung über den Eintritt in eine erneute Sachprüfung zu berücksichtigen sind. 143 Aus der Befugnis der Verwaltung zum Wiederaufgreifen eines Verfahrens ergibt sich aber konsequenterweise auf der Grundlage der Lehre vom subjektiven öffentlichen Recht ein formell subjektives Recht des Bürgers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Wiederaufgreifen. 144 Da es sich bei diesem Wiederaufgreifensermessen um ein rechtlich gebundenes Ermessen handelt ist es durchaus denkbar, dass sich dieses Ermessen in Ausnahmefällen auf Null reduziert und sich hieraus ein Anspruch des Bürgers auf den Eintritt in eine erneute Sachprüfung ergibt. 145 Die Rechtsprechung hat sich mit den Ermessenskriterien und einer möglichen Ermessensreduktion auf Null im Zusammenhang mit dem Wiederaufgreifen des Verfahrens außerhalb des § 51 VwVfG nur selten beschäftigt und dabei nicht immer ausreichend deutlich zwischen dem Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne und dem Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts unterschieden. Anerkannt ist ein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne in den Fällen, in denen die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts für den Betroffenen schlechthin unerträglich wäre 146, bzw. in denen sich die Behörde aus Gründen von Treu und Glauben oder aufgrund eines Verstoßes gegen die guten Sitten nicht auf den Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts berufen kann 147 – beides Fallgruppen, in denen zwangsläufig auch ein Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts gegeben sein muss 148. Gleiches dürfte sich auch in den Fällen ergeben, in denen die Verwaltung durch ein Wiederaufgreifen in Parallelfällen über Art. 3 Abs. 1 GG in ihrer Ermessensausübung gebunden ist 149 oder in denen sich aus Gesichtspunkten des Europarechts eine erneute Prüfungspflicht bzw. sogar eine Pflicht zur Aufhebung des Verwaltungsakts ergibt 150. Über diese Fallgruppen hinaus finden sich jedoch auch allgemeine Aussagen des Bundesverwaltungsgerichts zu einem möglichen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne. So soll alleine die behauptete Rechtswidrigkeit des unanfechtbar gewordenen Verwaltungsakts nicht ausreichen, um einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen zu begründen. 151 Ferner verbiete die abschließende Auf143

V. Einem, Strukturen, S. 132. Vgl. Baumeister, VerwArch 83 (1992), S. 382 m. w. N. 145 Vgl. Ule / Laubinger, § 65 Rn. 8 am Ende. 146 BVerwGE 28, 122 (127); BVerwG DVBl. 1989, 1196. 147 BVerwGE 44, 333 (336); BVerwG NVwZ 1985, 265. 148 So bereits oben E.II.2.b. 149 BVerwGE 26, 153 (155); BVerwG DÖV 1966, 866. 150 So unter Zugrundelegung der Entscheidungen des EUGH, Rs. C-392/04 und C-422/ 04, Gärditz, NWVBl 2006, 447, a. A. noch BVerwG NJW 1978, 508. 151 BVerwGE 44, 333 (336); BVerwGE 10, 47 (48); BVerwG NJW 1981, 2595. 144

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

zählung der Katalogtatbestände des § 51 Abs. 1 Nr. 1 –3 VwVfG eine beliebige Erweiterung der gesetzlich vorgesehenen Wiederaufgreifensgründe. Umstände, die im Einzelfall eine erneute Entscheidung fordern, müssen von einer den in § 51 Abs. 1 –3 VwVfG geregelten Fällen vergleichbaren Bedeutung und Gewicht sein. 152 Das bedeutet, der abschließende Charakter des Kataloges in § 51 VwVfG steht Wiederaufgreifensansprüchen im weiteren Sinne zwar nicht entgegen, bietet jedoch einen graduellen Vergleichsmaßstab. Schließlich sei es nicht ermessenfehlerhaft, ein Wiederaufgreifen des Verfahrens unter Berufung auf die Bestandskraft des Verwaltungsakts selbst dann abzulehnen, wenn die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts bereits erkannt wurde. 153 In der neueren Rechtsprechung lässt sich hingegen eine Einschränkung erkennen, wonach ein Wiederaufgreifen in ermessensfehlerfreier Weise nur dann unter Hinweis auf die Bestandskraft des Verwaltungsakts abgelehnt werden kann, wenn sich die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht offensichtlich aufdrängt. 154 Es gilt aber dennoch der Grundsatz, dass ein Antrag auf Rücknahme des Verwaltungsakts bzw. auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne ermessensfehlerfrei allein durch den Hinweis auf die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts abgelehnt werden kann. Auch in der Literatur lassen sich nur sporadisch Äußerungen zu der Fragestellung finden, welche Kriterien der behördlichen Ermessensentscheidung über den Eintritt in eine erneute Sachprüfung des unanfechtbaren Verwaltungsakts zugrunde zu legen sind. 155 Doch trifft man auch hier auf die grundlegende Aussage, dass sich die Behörde bei ihrer Entscheidung über den Eintritt in eine neue Sachprüfung grundsätzlich auf die Unanfechtbarkeit und die Bestandskraft des in Rede stehenden Verwaltungsakts berufen können muss und allein deshalb ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne prinzipiell ablehnen kann. 156 Der Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts soll nämlich die Verwaltung davor schützen, immer wieder neu in eine Prüfung der Rechtmäßigkeit ihrer Verwaltungsakts eintreten zu müssen. Dieser Zweck der Anfechtungsfristen würde unterlaufen werden, wenn sich die Behörde zur Ablehnung einer erneuten Sachprüfung im Regelfall nicht auf den Eintritt der Unanfechtbarkeit berufen könnte. 157

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BVerwGE 95, 86 (92). BVerwGE 28, 122 (127); 44, 333 (336); VGH München BayVBl 1984, 213; ZBR 1992, 23. 154 VGH Mannheim VBlBW 2001, 23; BVerwGE 39, 231 (233). 155 Vgl. hierzu die Ausführungen bei Bastian, Ermessen, S. 63 ff.; Baumeister, VerwArch 83 (1992), 378 ff.; Gosch, Wiederaufnahme, S. 245 f.; Knack-H. Meyer, § 51 Rn. 17; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 18 ff.; v. Einem, Strukturen, S. 130 ff. 156 Knack-H. Meyer, § 51 R. 17. 157 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 381; Maurer, DÖV 1966, 487. 153

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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Andererseits ist der Eintritt der Unanfechtbarkeit nicht das einzige Kriterium für die Ermessensentscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens. Wäre dies der Fall, so liefe das Recht des Betroffenen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts leer, denn das bloße Abstellen auf die Unanfechtbarkeit würde eine Interessenabwägung obsolet werden lassen. 158 So werden unter anderem als weitere Kriterien genannt: das Gewicht der Belastung für den Betroffenen 159, die Besonderheiten des in Frage stehenden Rechtsgebietes 160, der Zeitablauf seit Erlass des Verwaltungsakts 161, die Stärke der Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts 162 oder die Verantwortlichkeit für das Unanfechtbarwerden des Verwaltungsakts 163. Übereinstimmend wird jedoch festgestellt, dass die Behauptung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts allein nicht ausreicht, um ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne zu erzwingen. 164 Differenziert man richtigerweise zwischen der Entscheidung über das Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne auf der einen und der Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts auf der anderen Seite, so müssen die Kriterien für die Ausübung des jeweiligen Ermessens voneinander abgegrenzt werden. Diese logische Konsequenz findet sich so ausdrücklich u. a. bei Baumeister 165 und von Einem 166. Danach könne die Rechtswidrigkeit als solche keinen Einfluss auf die Wiederaufgreifensentscheidung haben, da die Feststellung der Rechtswidrigkeit bzw. der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts erst das Ergebnis der sachlichen Überprüfung des Verwaltungsakts sein kann. 167 Deshalb können auch – so von Einem – bei der Ermessensentscheidung über das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne nur solche Gesichtspunkte berücksichtigt werden, die ohne die konkrete Rechtmäßigkeitsprüfung von Belang sein können 168, während die Offenkundigkeit oder Zweifel an 158

Statt vieler Baumeister, VerwArch 83 (1992), 380, Maurer, § 11 Rn. 64. Gosch, Wiederaufnahme, S. 246; Knack-H. Meyer, § 51 Rn. 17; Maurer, JuS 1976, 28; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 18. 160 Gosch, Wiederaufnahme, S. 246; Knack-H. Meyer, § 51 Rn. 17; Maurer, JuS 1976, 28; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 18. 161 Gosch, Wiederaufnahme, S. 246; Knack-H. Meyer, § 51 Rn. 17; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 18. 162 Gosch, Wiederaufnahme, S. 246; Knack-H. Meyer, § 51 Rn. 17; Maurer, JuS 1976, 28; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 18; teilweise wird auch ein bestimmter Grad der Wahrscheinlichkeit der Rechtswidrigkeit gefordert, vgl. Heimerl, BayVBl 1971, 368 f. 163 Gosch, Wiederaufnahme, S. 246; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 18. 164 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 379; Maurer, § 11 Rn. 64; ders. JuS 1976, 29; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 20. 165 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 380. 166 v. Einem, Strukturen, S. 144. 167 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 380. 159

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

der Rechtmäßigkeit grundsätzlich keine Rolle spielen dürfen 169. Diese Kriterien ordnet er vier verschiedenen Bereichen zu: 1. Kriterien, welche an das Zustandekommen des Verwaltungsakts und seiner Bestandskraft anknüpfen, 2. Kriterien, welche die Art des Verwaltungsakts betreffen, 3. Kriterien, die sich im weitesten Sinne an § 51 Abs. 1 Nr. 1 –3 VwVfG orientieren und 4. Kriterien, die aus dem Gebot der Gleichbehandlung resultieren. 170 Dabei soll der Nähe zu § 51 Abs. 1 Nr. 1 –3 VwVfG zentrale Bedeutung beigemessen werden, da hier der konkrete Vortrag des Betroffenen zu erwarten sei, der die Rechtswidrigkeit ergeben soll. 171 Von Einems Aussagen sind meines Erachtens jedoch nicht gänzlich zutreffend. So werden zum Beispiel Erwägungen bereits im Rahmen der ersten Ermessensentscheidung über das Wiederaufgreifen verortet, die sinnvollerweise erst nach Feststellung der Rechtswidrigkeit im Rahmen der Entscheidung über die Aufhebung des Verwaltungsakts zu berücksichtigen sind. Sollen auf der ersten Stufe alle Kriterien einfließen, welche den Grundsatz der Rechtssicherheit hinter den Grundsatz der Gerechtigkeit im Einzelfall treten lassen können, so können auch nur solche Umstände berücksichtigt werden, die sich konkret auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts auswirken und Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit wecken können, denn Gegenstand des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne ist der Eintritt in eine erneute Sachprüfung. Kriterien, die für die Frage der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts unergiebig sind und keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts aufkeimen lassen, z. B. die Anzahl der betroffenen Fälle oder die Zurechenbarkeit der Nichtberücksichtigung solcher Kriterien im Erstverfahren 172, machen eine erneute Sachprüfung aber nicht notwendig und geben dem Grundsatz der Gerechtigkeit im Einzelfall keinen Vorrang vor dem Grundsatz der Rechtssicherheit. Für die Entscheidung über den Eintritt in eine erneute Sachprüfung sind sie insofern unergiebig. Den Ausführungen von Einems ist allerdings zuzustimmen, wenn die Tatbestandsmerkmale des § 51 Abs. 1 Nr. 1 –3 VwVfG als Gradmesser für die Wiederaufgreifensentscheidung im weiteren Sinne herangezogen werden. 173 Bastian präzisiert diese Aussage unter Zugrundelegung der Rechtsprechung insofern, als er ausführt, „dass es sich insoweit [gemeint ist die Entscheidung über ein Wiederaufgreifen außerhalb der Tatbestände des § 51 Abs. 1 Nr. 1 –3 VwVfG] um besondere, den in § 51 VwVfG normierten Wiederaufgreifensgründen vergleichbare Umstände handeln muss, die zumindest ernsthafte Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Verwaltungsakts begründen und damit ein Abgehen 168 169 170 171 172 173

v. Einem, Strukturen, S. 135, 144. v. Einem, Strukturen, S. 135. v. Einem, Strukturen, S. 136. v. Einem, Strukturen, S. 138. So aber v. Einem, Strukturen, S. 144. Vgl. v. Einem, Strukturen, S. 138 f.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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von der Regel der Unanfechtbarkeit rechtfertigen.“ 174 Und weiter: „Gegenstand der den eigentlichen Aufhebungsverfahren vorgeschalteten Entscheidungsstufe des Wiederaufgreifens ist die Prüfung der Frage, ob derartige besondere Umstände, die eine erneute Sachprüfung zumindest rechtfertigen, im Einzelfall nicht nur behauptet werden, sondern tatsächlich vorliegen.“ 175 Da der Schutz unrichtiger Verwaltungsakte nur eine „unerwünschte Nebenfolge“ 176 des Systems der Sicherung der Rechtsbeständigkeit von Verwaltungsakten sei, müsse dieser Schutz unrichtiger Verwaltungsakte begrenzt werden, so dass es „nur folgerichtig [wäre], den Anspruch des Bürgers auf erneute Sachprüfung und –entscheidung nach Eintritt der Unanfechtbarkeit nur bei Vorliegen abstrakt-theoretischer Zweifel an der Richtigkeit des Ersterkenntnisses auszuschließen, nicht aber, wenn im Einzelfall ausnahmsweise besondere Umstände vorliegen, die ernsthafte Zweifel an der Recht- bzw. Zweckmäßigkeit eines Verwaltungsakts begründen.“ 177 Diese Erkenntnis führt Bastian allerdings zu dem Ergebnis, dass § 51 Abs. 1 VwVfG bereits alle denkbaren besonderen Umstände erfasst, die geeignet sind, ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit sachverhaltsbezogener Wertungen zu begründen 178 und auch nur bestimmte Umstände, die an die rechtlichen Feststellungen des Verwaltungsakts anknüpfen, im Rahmen des Wiederaufgreifens Bedeutung erlangen können 179. Auch nach Maurer ist eine nochmalige Prüfung dann geboten, „wenn der Einzelne die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht nur behaupten, sondern seine Behauptung durch solche Umstände qualifizieren kann, die die Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts zumindest sehr verstärkten Zweifeln aussetzen.“ 180 Als Beispiel führt er eine neue höchstrichterliche Rechtsprechung an, die im Regelfall zwar nicht unter § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG zu subsumieren sei, jedoch dazu führt, dass das Verfahren wiederaufzugreifen sei, falls nicht besondere Gründe dagegen sprechen 181. 174

Bastian, Ermessen, S:85. Bastian, Ermessen, S. 85. 176 Bastian, Ermessen, S. 89. 177 Bastian, Ermessen, S. 89, wobei hier bereits deutlich wird, dass Bastian nicht zwischen einem Wiederaufgreifen im engeren Sinne und einem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne nach den hier entwickelten Grundsätzen unterscheidet. Bastian verknüpft den Anspruch auf eine Sachprüfung und den Anspruch auf eine Sachentscheidung. Ein Anspruch auf eine erneute Sachentscheidung besteht nach der hier vertretenen Ansicht nur innerhalb des Anwendungsbereiches des § 51 VwVfG, nicht jedoch bei einem Wiederaufgreifen außerhalb dieser Vorschrift. Hier bewirkt der Anspruch auf eine erneute Sachprüfung lediglich die Aktualisierung eines Anspruchs auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts. 178 Bastian, Ermessen, S. 109. 179 Bastian, Ermessen, S. 141. 180 Maurer, DÖV 1966, 487. 181 Maurer, § 11 Rn. 66. 175

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Noch einen Schritt weiter geht Baumeister. So sollen immer dann, wenn neue objektive, bisher noch nicht berücksichtigte Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts vorliegen, diese Erwägungen den Ermessensspielraum der Verwaltung bei ihrer der Rücknahme des Verwaltungsakts vorgelagerten Entscheidung über den Eintritt in eine erneute Sachprüfung auf Null reduzieren. 182 Dies habe zur Folge, dass der Betroffene in einem zweiten Schritt einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts besitzt. 183 Baumeister widerlegt im Folgenden auch die Argumentation, dass einer großzügigen Anerkennung von Wiederaufgreifensansprüchen im weiteren Sinne die Fristgebundenheit der prozessualen Rechtsbehelfe entgegen stehe. Die Anfechtungsfristen, so Baumeister, schützen zwar die Verwaltung vor der nutzlosen Überprüfung rechtmäßiger Verwaltungsakte allein auf die Behauptung der Rechtswidrigkeit dieser Verwaltungsakte hin, und dieser Schutzzweck ist sicherlich auch bei der Ermessensentscheidung über das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne mit einzubeziehen. Wie sich aber bereits durch die Anerkennung eines formellen subjektiven Rechts des Betroffenen auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Wiederaufgreifen 184 zeigt, ist der durch die Anfechtungsfristen gewährte Schutz nicht lückenlos. 185 Die Anfechtungsfristen schließen nicht aus, dass die Verwaltung in bestimmten Konstellationen, die den in § 51 Abs. 1 Nr. 1 –3 VwVfG normierten Tatbeständen ähneln, nicht doch in eine erneute Sachprüfung einsteigen müsse. Die Bestandskraft eines Verwaltungsakts wirkt nicht absolut, sondern ist mit zahlreichen Einschränkungen versehen. Solche Einschränkungen sind immer dann gegeben, wenn es zu einer Veränderung der Sach- oder Rechtslage gekommen ist. 186 Dass die Bestandskraft in diesen Fällen durchaus durchbrochen wird, zeigt sich bereits in der Regelung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, wonach eine nachträgliche Änderung der Rechts- und Sachlage zu einem Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne und damit zu einer erneuten Sachentscheidung auf der Grundlage des jeweils einschlägigen materiellen Rechts führt. Hat sich nun nicht die Sach- oder Rechtslage geändert, sind aber neue Anhaltspunkte ersichtlich, welche die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts in gleicher Weise in Frage stellen, nahe legen oder sogar belegen, dann soll auch in diesen Fällen eine erneute Überprüfung des Verwaltungsakts erforderlich sein, nicht unbedingt aber auch eine erneute Sachentscheidung. 187 Dabei wird auch dem Grundsatz Rechnung getragen, dass die bloße Behauptung der Rechts182 183 184 185 186 187

Baumeister, VerwArch 83 (1992), 381. Baumeister, VerwArch 83 (1992), 387. Maurer, § 11 Rn. 63. Baumeister, VerwArch 83 (1992), 382; Maurer, § 11 Rn. 63. Baumeister, VerwArch 83 (1992), 383. Baumeister, VerwArch 83 (1992), 384.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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widrigkeit allein nicht ausreicht, um eine Sachprüfungspflicht zu begründen. Bei neuen, objektiven Anhaltspunkten für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts handelt es sich gerade nicht um eine bloße Behauptung. Der Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit würde ohne Eintritt in eine neue Sachprüfung mehr als nur möglicherweise verletzt, weshalb in diesen Fällen die Verwaltung nicht vor einer erneuten „sinnlosen“ Überprüfung des Verwaltungsakts zu schützen sei. 188 Nun kann man darüber streiten, ob wirklich jeder neue objektive, bisher unberücksichtigte Anhaltspunkt für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts einen Anspruch auf eine erneute Sachprüfung notwendig macht und das Wiederaufgreifensermessen der Behörde auf Null reduziert. Die Erwägungen von Baumeister und Bastian, die zu einer Ausdehnung der Wiederaufgreifensverpflichtung führen, gehen allerdings in die richtige Richtung und sind mit der Rechtsprechung durchaus zu vereinbaren. So besteht Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn es ausführt, dass im konkreten Fall, in dem der Verwaltungsakt bereits als offensichtlich rechtswidrig erkannt worden ist, ein Wiederaufgreifen nur dann abgelehnt werden kann, wenn ein besonderer Gegengrund ersichtlich ist. 189 „Ein Antrag auf Wiederaufgreifen kann ermessensfehlerfrei mit der Begründung abgelehnt werden, es bestehe kein Grund für eine neue Sachentscheidung, wenn sich die Vorfrage nicht aufdrängt, ob der rechtsbeständig gewordene Erstbescheid rechtswidrig zustande gekommen ist.“ 190 Diese Aussage des Bundesverwaltungsgerichts stützt die bisherige These. Denn im Umkehrschluss besagen diese Urteile, dass es gerade nicht ermessensfehlerfrei ist, einen Antrag auf eine erneute Sachprüfung abzulehnen, wenn sich die Vorfrage der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts für die Behörde geradezu aufdrängt. Gleiches gilt, wenn festgestellt wird, dass sich die Behörde zur Ablehnung des Wiederaufgreifensantrages (nur dann) auf die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts berufen kann, wenn sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts nicht aufdrängt. 191 Sofern Baumeister von „neuen“ Anhaltspunkten, d. h. von Anhaltspunkten, die im bisherigen Verfahren nicht oder nicht vollständig vorgebracht bzw. geprüft wurden, spricht, wird deutlich gemacht, dass eine Einschränkung des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne auch nicht unter dem Vorwand von Präklusionserwägungen vorgenommen werden kann. 192 Würde man solche Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts bereits bei der Frage nach einem Wie188

Baumeister, VerwArch 83 (1992), 384 f. BVerwG NVwZ 1983, 153. 190 BVerwGE 69, 90 (94); 44, 333 (338); 39, 231 (233). 191 VGH Mannheim VBlBW 2001, 23. 192 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 385 f. m. w. N. auch für die Gegenauffassung, insbesondere die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes. 189

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

deraufgreifen im weiteren Sinne ausschließen, so würde man dem Charakter des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne als einer rein verfahrensrechtlichen Vorfrage nicht gerecht. Die Regelung des § 51 Abs. 2 VwVfG, an welche der Präklusionsgedanke anknüpft, betrifft zwar bereits die Zulässigkeit des Wiederaufgreifens im engeren Sinne, also bereits die erste (verfahrensrechtliche) Stufe. Ein Ausschluss des Anspruchs auf ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne aufgrund schuldhaft verspäteten Vorbringens ist jedoch dadurch gerechtfertigt, dass bei Überschreiten dieser ersten Stufe immer ein Anspruch auf eine neue Sachentscheidung gegeben ist. Ist diese erste Stufe überschritten, bleibt kein Platz für die Berücksichtigung des Präklusionsgedankens im Rahmen einer weiteren Ermessensentscheidung. Der Vorteil des Anspruchs auf eine neue Sachentscheidung soll aber nur demjenigen erwachsen, der das Vorbringen des Wiederaufgreifensgrundes nicht grob schuldhaft versäumt hat. 193 Beim Wiederaufgreifen im weiteren Sinne kann dieser Gedanke der grob schuldhaften Versäumnis noch im Rahmen der Ermessensentscheidung hinsichtlich der Aufhebung des Verwaltungsakts berücksichtigt werden und dort als eine von mehreren Ermessenserwägungen zur Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts führen. Es besteht hier nicht die Notwendigkeit, dem Betroffenen bereits die neuerliche Sachprüfung zu versagen. Würde man bereits auf dieser Stufe den Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne nach § 48 VwVfG aufgrund dieses Präklusionsgedankens ausschließen, so liefe das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne weitgehend leer, denn konnte der Betroffene die Wiederaufgreifensgründe erst später, d. h. nicht schon im Erstverfahren, vorbringen, so dürfte im Regelfall bereits die Vorschrift des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG einschlägig sein. 194 Daher ist richtigerweise das Ermessen der Behörde hinsichtlich der Entscheidung über eine erneute Sachprüfung auf Null reduziert, wenn bisher unberücksichtigte Anhaltspunkte vorliegen, welche die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts in einer Weise in Frage stellen, wie es bei den gesetzlich normierten Wiederaufgreifensgründen in § 51 Abs. 1 Nr. 1 –3 VwVfG der Fall ist. In diesen Fällen verdichtet sich das Wiederaufgreifensermessen der Behörde zu einer Verpflichtung zu einer erneuten Prüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts. Mit der Anerkennung eines solchen Anspruchs auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne ist aber – und das soll an dieser Stelle nochmals ausdrücklich betont werden – noch keine Aussage über die Aufhebung des Verwaltungsakts getroffen. Diese ist Gegenstand einer zweiten Ermessensentscheidung der Behörde, welche dabei auch die bereits erwähnten Gesichtspunkte der Rechtssicherheit, wie z. B. die Zurechnung des verspäteten Vorbringens, die praktischen Auswirkungen der Rücknahme oder die seit Erlass des Verwaltungsakts verstrichene Zeit, in diese Entscheidung einbeziehen muss. 195 193 194 195

Baumeister, VerwArch 83 (1992), 386. So Baumeister, VerwArch 83 (1992), 386. So auch Baumeister, VerwArch 83 (1992), 386.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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Ist jedoch offensichtlich, dass Ermessenserwägungen, die im Rahmen der Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu berücksichtigen sind, selbst bei Unterstellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts zu einem Ausschluss der Aufhebung dieses Verwaltungsakts führen werden, dann kann die Behörde die zweite Ermessensentscheidung vorziehen. Hier wäre es überzogen, zu fordern, dass die Behörde zunächst das Vorliegen eines Anspruchs auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne bejahen und den Verwaltungsakt auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen müsste, wenn das Ergebnis der Folgeentscheidung offensichtlich vorweggenommen werden kann. 196 So kann z. B. die Aufhebung eines Verwaltungsakts bereits vor dessen erneuter Überprüfung abgelehnt werden, wenn der Betroffene die Gründe, die zu einer erneuten Sachprüfung führen könnten, im Erstverfahren trotz besseren Wissens oder sonst grob schuldhaft unterlassen hatte und keine anderen Gesichtspunkte ersichtlich sind, welche eine Rücknahme des Verwaltungsakts begründen könnten. Nun könnte man die Frage nach dem Sinn eines solchen Anspruchs auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne für den Betroffenen aufwerfen. Ein solches Zwischenverfahren sei doch entbehrlich, wenn die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts bereits feststehe. Dagegen ist jedoch vorzubringen, dass auch in diesen Fällen die Feststellung der Rechtswidrigkeit im Rahmen einer neuen Sachprüfung für den Betroffenen den Nutzen bringt, dass sich die Behörde nun nicht mehr allein auf den Eintritt der Unanfechtbarkeit als Grund für die Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Verwaltungsakts berufen kann. Erst dieser formelle Zwischenschritt über die Anerkennung eines Anspruchs auf erneute inhaltliche Überprüfung zwingt die Behörde zu einer ermessensfehlerfreien Abwägung der Grundsätze von Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit im konkreten Einzelfall. Dies bedeutet, dass das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne zu einer weitreichenderen Konkretisierung des allgemein befürworteten Anspruchs auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Aufhebung des Verwaltungsakts führt. 197 Zum anderen dürfte nur in den seltensten Fällen die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts aufgrund dieser neuen Anhaltspunkte mit letzter Sicherheit feststehen. Hier führt erst die erneute Sachprüfung zu einer verbindlichen Vorentscheidung über die weitere Anwendbarkeit des § 48 VwVfG bzw. des § 49 VwVfG und der sich hierdurch 196 In diese Richtung gehen auch die Bemerkungen Maurers, DÖV 1966, 488, der in diesen Fällen von einem „Prüfungsausschlussgrund“ spricht. 197 Insofern etwas missverständlich Baumeister, VerwArch 83 (1992), 387, der von der „Entstehung oder Aktualisierung“ dieses Anspruchs spricht. Ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme bestandskräftiger Verwaltungsakte besteht unabhängig von einem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne. Lediglich die hierbei anzustellenden Ermessenserwägungen werden durch das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne konkretisiert. Baumeister, aaO, ist dahingehend zu verstehen, dass, sollten bereits auf der ersten Stufe Ermessenserwägungen gegen ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne sprechen, auch die Entscheidung auf der zweiten Stufe, nämlich der Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts, negativ ausfallen müsse.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

ergebenden Voraussetzungen und Beschränkungen einer möglichen Aufhebungsentscheidung. Auch die Befürchtung, durch eine erweiterte Prüfungspflicht werde es zu einer massenhaften Sachprüfung bereits abgeschlossener Verwaltungsverfahren kommen, ist unbegründet. Denn nur in den seltensten Fällen dürften neue konkrete Umstände geltend gemacht werden, die ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts aufkommen lassen. 198 dd) Zwischenfazit Die vorangegangenen Ausführungen haben deutlich gemacht, dass zwischen einem Wiederaufgreifen im engeren Sinne nach § 51 VwVfG und dem sogenannten Wiederaufgreifen im weiteren Sinne unterschieden werden muss, da der Eintritt in eine neuerliche Sachprüfung in beiden Fällen stark voneinander abweichende Folgewirkungen hat. Die etwas unglückliche sprachliche Bezeichnung des „Wiederaufgreifens im weiteren Sinne“ und die Klassifizierung dieses Verfahrens als „Wiederaufgreifen“ sollte abgeändert werden, damit der unterschiedliche Charakter der beiden Verfahren auch sprachlich ausreichend deutlich gemacht und somit Missverständnissen vorgebeugt wird. Im Folgenden ist nun zunächst die Frage zu beantworten, ob es sich bei der Unwirksamerklärung einer Norm um eine Fallgruppe handelt, welche der Regelung des § 51 Abs. 1 VwVfG unterfällt und einen Anspruch auf eine erneute Sachentscheidung begründet (dazu unter b.). Erst wenn diese Frage abgelehnt wird, ist daraufhin zu untersuchen, ob die Unwirksamkeit der Rechtsgrundlage eines Verwaltungsakts über den Weg des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne zumindest zu einer erneuten inhaltlichen Prüfung und zu einem Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Aufhebung des auf der Norm beruhenden unanfechtbaren Verwaltungsakts führt und inwieweit die Regelungen der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO einen solchen Anspruch beschränken oder gar ausschließen können (dazu unter c.). b) Die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm als Unterfall des Wiederaufgreifens im engeren Sinne gemäß § 51 Abs. 1 VwVfG aa) „Änderung der Rechts- und Sachlage“ gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 VwVfG Nach § 51 Abs. 1 S. 1 VwVfG ist die Behörde zu einem Wiederaufgreifen des früheren Verwaltungsverfahrens verpflichtet, wenn sich die dem Verwaltungsakt zugrundeliegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat. Unter dem Begriff der Änderung ist hier jede nachträgliche, d. h. nach 198

So bereits Maurer, DÖV 1966, 487.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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Erlass des Verwaltungsakts eintretende Änderung zu verstehen. 199 Dabei muss sich die Änderung gerade auf solche Faktoren erstrecken, die entscheidungserheblich 200 für das erste Verfahren waren und deren Abänderung nun zu einer Lage führt, welche eine abweichende Beurteilung des Sachverhaltes erlaubt. Hieraus wird deutlich, dass § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG in erster Linie auf Dauerverwaltungsakte ausgerichtet ist 201, denn nur solche Verwaltungsakte werden durch eine Änderung der Rechts- oder Sachlage unmittelbar betroffen. Nicht-Dauerverwaltungsakte dürften hingegen durch eine solche Änderung nur in sehr seltenen Fällen betroffen werden. 202 § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ist daher mit den prozessualen Abänderungsregelungen, insbesondere mit § 323 ZPO, vergleichbar. 203 Unter einer Änderung der Rechtslage werden alle entscheidungserheblichen Veränderungen der rechtlichen Voraussetzungen erfasst, die dem Verwaltungsakt bei dessen Erlass zugrunde gelegen haben. 204 Überdies muss es sich um eine Änderung des materiellen Rechts handeln; rein verfahrensrechtliche Änderungen sollen nicht ausreichend sein. 205 Eine nachträgliche Änderung des geltenden Rechts wird z. B. dann angenommen, wenn der Gesetzgeber eine Vorschrift durch eine neue Vorschrift ersetzt 206, wenn sich allgemeine Rechtsauffassungen ändern 207 oder Rechtsnormen funktionslos werden 208. Dagegen kann von einer Änderung der Rechtslage grundsätzlich nicht die Rede sein, wenn sich lediglich die höchstrichterliche Rechtsprechung 209 oder die Verwaltungspraxis 210 ändert.

199 Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 25; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 93; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 7. 200 BVerwGE 60, 316 (324 f.); BVerwG NVwZ-RR 2002, 550; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 25; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 94; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 10. 201 BVerwGE 104, 115 (120 f.); VGH Mannheim, NVwZ 1990, 986; E / E-Ruffert, § 25 Rn. 6; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 27 m. w. N.; Sachs, JuS 1982, 294; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 91; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 7. 202 Ausnahmsweise können jedoch auch Nicht-Dauerverwaltungsakte von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG erfasst werden, z. B. für den Fall der rückwirkenden Änderung der Rechtslage, vgl. Ziekow, VwVfG, § 51, Rn. 7 m. w. N. 203 So zurecht Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 27. 204 BVerwGE 60, 316 (324 f.); 121, 226 (228 f.); BVerwG NVwZ-RR 2002, 550; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 98; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 10. 205 BVerwGE 60, 316 (324 f.); 121, 226 (228 f.); Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 30; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 100; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 11. 206 Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 98. 207 Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 30 m. w. N. 208 Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 30 m. w. N. 209 U. a. BVerwGE 95, 86 (89 f.); 121, 226 (228 f.); BVerwG NVwZ 1989, 161 f.; E / ERuffert, §25 Rn. 6; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 50; Maurer, § 11 Rn. 58; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 106 ff. m. w. N. auch zur Gegenmeinung und zur Rechtsprechung vor Erlass des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 11.

174

E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

bb) Die Unwirksamerklärung einer Norm als Änderung der Rechtslage? – Die verschiedenen Auffassungen in Rechtsprechung und Literatur Legt man die zuvor erwähnte Definition des Begriffes „Änderung der Rechtslage“ in § 51 Abs. 1 S. 1 VwVfG zugrunde, so kann die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit einer Rechtsnorm hierunter nicht erfasst werden. 211 Die Normenkontrollentscheidung hat nämlich nur deklaratorischen Charakter und stellt fest, was bereits seit Erlass dieser Norm galt, nämlich dass die Norm aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit höherrangigem Recht bzw. der Verfassung nichtig oder unwirksam ist. Gleiches gilt auch für die Unvereinbarerklärung – sofern nicht die Fortgeltung der Norm gerichtlich angeordnet wurde – und für die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer bestimmten Normauslegung. 212 Eine beachtenswerte Anzahl von Rechtswissenschaftlern vertritt demgegenüber die These, dass die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm eine Änderung der Rechtslage herbeiführt, die den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG erfülle. 213 Herrscht unter den Vertretern dieser Auffassung zwar Einigkeit über das Ergebnis, so ist jedoch dessen Herleitung umstritten. R. Schmidt 214 z. B. leitet seine Annahme aus der „rechtssatzähnlichen Kraft“ der Normenkontrollentscheidung des Bundesverfassungsgerichts ab. Zwar sei eine Normenkontrollentscheidung kein „Gesetz“. Die ihr nach § 31 Abs. 1 BVerfGG zuzuordnende Gesetzeskraft erzeuge allerdings eine umfassende Bindungswirkung. Die mit dieser Bindungswirkung ausgestattete Unwirksamerklärung bewirke demnach die rückwirkende Aufhebung der Rechtsnorm und bedeute zugleich, dass das von der Behörde angewandte materielle Recht nach Erlass des Verwaltungsakts geändert worden sei. 215

210

BVerwG NVwZ-RR 1994, 119; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 50; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 99; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 11. 211 U. a. BVerwG NJW 1981, 2595; NVwZ-RR 1991, 32; OVG Lüneburg DÖV 1984, 306; VGH Mannheim NVwZ 1990, 986; OVG Münster NVwZ 1990, 579; Bettermann, FS Wolff, S. 484 f.; Ipsen, Rechtsfolgen, S. 281; Kerbusch, BlGBW 1981, 123; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 30; Kopp / Schenke, § 183 Rn. 6; Kraft, UPR 1988, 295; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 49; NKVwGO-Ziekow, § 47 Rn. 381; Schlaich / Korioth, Rn. 392; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 124; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 102; Ule / Laubinger, § 65 Rn. 19. 212 Vgl. Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 49; Sachs, RdA 1989, 27. 213 Bastian, Ermessen, S. 119; Gosch, Wiederaufnahme, S. 115; Knack-H. Meyer, § 51, Rn. 38; R / Ö-Redeker, § 47 Rn. 46; R. Schmidt, Wiederaufgreifen, S. 48; Stelkens, NVwZ 1982, 494. 214 R. Schmidt, Wiederaufgreifen, S. 47 f. 215 R. Schmidt, Wiederaufgreifen, S. 48.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

175

Gosch 216 legt seiner Argumentation ebenfalls die „rechtssatzähnliche Kraft“ der Normenkontrollentscheidung zugrunde. Anschließend vergleicht er die Normenkontrollentscheidung aber mit einer rückwirkenden Gesetzesänderung. 217 Beide Fälle müssen aufgrund des in § 31 BVerfGG niedergelegten Gesetzesranges der verfassungsgerichtlichen Normenkontrollentscheidung gleichbehandelt werden. Dabei solle es keinen Unterschied machen, ob die Änderung der Rechtslage nach Erlass des Verwaltungsakts eingetreten ist oder ob die Änderung bereits auf den Erlasszeitpunkt des Normvollzugsakts zurückwirkt. 218 cc) Eigene Argumentation Der Rechtsprechung und der herrschenden Meinung ist in diesem Falle zuzustimmen. Die These, die Unwirksamerklärung einer Norm unterfalle tatbestandlich der Regelung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, kann nicht überzeugen. Insofern R. Schmidt auf die Gesetzeskraft der Nichtigerklärung einer Rechtsnorm verweist, wird er der vorliegenden Fragestellung nicht gerecht. Durchaus kommt der Nichtigerklärung nach § 31 BVerfGG Gesetzeskraft zu. Der Ausspruch des Gerichts, in dem die Unwirksamkeit einer Norm festgestellt wird, hat aber – wie bereits in der Einleitung dargestellt 219 – keinen eigenen konstitutiven Gehalt. Die Wirkung nach § 31 BVerfGG zwingt die staatlichen Stellen zur Beachtung des Nichtigkeitsausspruches, gleich wie sie ein Gesetz zu befolgen haben. Dies darf aber nicht dazu verleiten, den Urteilsausspruch mit einem neuerlassenen Gesetz gleichzusetzen. Der deklaratorische Charakter einer Normenkontrollentscheidung, dem der Grundsatz der „ipso iure“-Nichtigkeit einer Rechtsnorm zugrunde liegt, führt nicht zu einer Änderung, sondern lediglich zu einer Klärung der Rechtslage. 220 Gleiches gilt auch, wenn man die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Norm mit einer rückwirkenden Gesetzesänderung vergleicht. Auch hier rechtfertigt der Gesetzesrang der Entscheidung nach § 31 BVerfGG nicht, die Unterschiede zwischen beiden Fallkonstellationen zu überwinden. 221 Dies zeigt § 51 Abs. 1 VwVfG ganz deutlich. Diese Vorschrift hat den Zweck, die Möglichkeit einer erneute Überprüfung des Verwaltungsakts und einer erneuten Sachentscheidung für den Fall zu eröffnen, dass die Gründe für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts ursprünglich nicht geltend gemacht werden konnten. Abs. 1 Nr. 1 betrifft daher Verwaltungsakte, die erst durch eine Änderung der Rechts- und Sach216 217 218 219 220

Gosch, Wiederaufnahme, S. 114 f. So bereits vor Inkrafttreten des § 51 VwVfG Steiner, FS BVerfG I, S. 644 m. w. N. Gosch, Wiederaufnahme, S. 115. Vgl. oben A.I.2.c. Vgl. v. Einem, Strukturen, S. 167; kritisch zu dieser Argumentation Kraft, UPR 1988,

295. 221

So ausdrücklich auch v. Einem, Strukturen, S. 168.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

lage rechtswidrig wurden. Unbestritten wird eine rückwirkende Gesetzesänderung hiervon erfasst, denn hier war der Verwaltungsakt, selbst wenn die Rückwirkung auf den Zeitpunkt des Erlasses fällt, zunächst rechtmäßig, da er auf einer bei Erlass des Verwaltungsakts rechtmäßigen Gesetzesgrundlage basierte. Erst der Erlass eines rückwirkenden Gesetzes führt hier zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts. Bis zu diesem Zeitpunkt verbleibt es aber bei dessen Rechtmäßigkeit. Gerade dies ist aber bei der Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Norm nicht der Fall. 222 Hier war der auf dieser Norm beruhende Verwaltungsakt zu keinem Zeitpunkt rechtmäßig. Es bedurfte gerade keines Zwischenschrittes, um die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts gestalterisch herbeizuführen. Hat sich danach nichts an der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts geändert, so konnte der Entscheidungsausspruch des Gerichts auch keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Verwaltungsakt haben, wie dies für den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG jedoch gefordert wird. Ferner weisen beide Fallkonstellationen einen gravierenden Unterschied auf, die Geltendmachung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts betreffend. 223 Bei einer ursprünglichen Rechtswidrigkeit der Norm – und gerade diese wird durch eine Normenkontrollentscheidung nur klargestellt – hätte der Betroffene diese theoretisch im Rechtsbehelfsverfahren vorbringen können. Bei einer rückwirkenden Gesetzesänderung bestand diese Möglichkeit hingegen nicht. Der Verwaltungsakt wäre auch ursprünglich nicht aufgehoben worden, weil er zu diesem Zeitpunkt rechtmäßig war. Diese „nachträgliche Änderung“ und die fehlende Möglichkeit, die nachträgliche Rechtswidrigkeit im ursprünglichen Verfahren vorzubringen, rechtfertigen es, dem Betroffenen eine zweite Chance einzuräumen, indem er unter Zugrundelegung der „neuen“ Rechtslage eine erneute Sachüberprüfung und -entscheidung beantragen kann. Dies ist ein wesentlicher Unterschied, der eine Gleichsetzung von rückwirkenden Gesetzesänderungen, die unbestreitbar von § 51 Abs. 1 S. 1 VwVfG erfasst werden, und deklaratorisch wirkenden Normenkontrollentscheidungen untersagt. Zugleich ist es ausgeschlossen, dass sich die Frage nach einer Änderung der Rechtslage durch die Normenkontrollentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bzw. Oberverwaltungsgerichts unterschiedlich für die Zeiträume vor und nach Feststellung der Unwirksamkeit der Norm beantworten lässt. 224 Denn auch für die Zukunft liegt keine Rechtsänderung vor. Besitzt ein Verwaltungsakt, der auf einer für unwirksam erklärten Norm beruht, auch für die Zukunft noch weite222 Diesen Unterschied hebt auch v. Einem, Strukturen, S. 168, hervor, wenn er konstatiert, dass die ursprüngliche Rechtswidrigkeit hätte geltend gemacht werden können, während bei einer rückwirkenden Gesetzesänderung eine Anfechtung des Verwaltungsakts zunächst sinnlos gewesen wäre. 223 Auch v.Einem, Strukturen, S. 168. 224 So aber Bastian, Ermessen, S. 120.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

177

re Auswirkungen (davon werden insbesondere Dauerverwaltungsakte erfasst), so sind auch diese nur insofern von der Normenkontrollentscheidung betroffen, als hiermit ihre bereits ursprüngliche Rechtswidrigkeit feststeht. Was den Charakter der Normenkontrollentscheidung betrifft, ändert sich auch für die Zeit nach dieser Entscheidung nichts an der „Rechtslage“ i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Eine Differenzierung nach unterschiedlichen Zeiträumen ist daher nicht vernünftig zu begründen. Sie ist auch, wie sich später noch zeigen wird, überflüssig, da die hier in erster Linie angesprochenen Dauerverwaltungsakte ohnehin Sonderfälle darstellen, bei denen auch außerhalb des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG eine Verpflichtung zur Beseitigung zumindest ex nunc besteht. 225 V. Einem 226 hat zusätzlich untersucht, ob der Normenkontrollentscheidung nicht zumindest insofern konstitutive Wirkung zuerkannt werden kann, als sie einen gewissen „Rechtsschein“ der Gültigkeit der Norm beseitigt. Die Normenkontrollentscheidung stelle auch für den Verwaltungsakt eine Zäsur dar, indem sie die Rechtswidrigkeit des auf der Norm beruhenden Verwaltungsakts klarstellt. Der Rechtsschein der Rechtmäßigkeit werde hierdurch beseitigt und „eine rechtserhebliche Tatsache werde damit aus der Welt geschafft“. 227 Zurecht verwirft v. Einem jedoch diese Gedankenkonstruktion: Durch sie würde der Tatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG über den Umweg eines nur subjektiv vorliegenden Rechtsscheins mit einem Wiederaufgreifensgrund aufgefüllt, der bereits ursprünglich, d. h. bei Erlass des Verwaltungsakts, vorgelegen habe. 228 Dies passt jedoch nicht in den Tatbestand des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG, der nur eine später entstandene objektive Divergenz zwischen der bei Erlass des Verwaltungsakts gegebenen Entscheidungsgrundlage und der sich später darstellenden objektiven Rechtsbzw. Sachlage erfassen möchte. Es ist nun aber erst recht nicht notwendig – wie jedoch vielfach zu beobachten –, die gerichtliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Norm unter den Tatbestand des § 51 Abs. 1 S. 1 VwVfG zu „zwängen“, um dann in einem zweiten Schritt die Anwendung des § 51 Abs. 1 S. 1 VwVfG aufgrund einer angeblichen Spezialität des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG bzw. des § 183 S. 1 VwGO auszuschließen. 229 Die hochumstrittene Frage der Spezialität dieser Regelungen zu den allgemeinen 225

Vgl. unten E. II. 4. v. Einem, Strukturen, S. 165 f. 227 So wörtlich bei Maunz, in: Maunz / Dürig, Art. 93 Rn. 34. 228 v. Einem, Strukturen, S. 166. 229 So aber Bastian, Ermessen, S. 120; Gosch, Wiederaufnahme, S. 117 ff.; R. Schmidt, Wiederaufgreifen, S. 48 ff., und Steiner, FS BVerfG I, S. 645 f., die damit im Ergebnis – mit der hier vertretenen Ansicht übereinstimmend – einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen i. e. S. gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 VwVfG verneinen, jedoch dieses zutreffende Ergebnis über den Umweg einer vermeintlichen Spezialität der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, bzw. § 183 S. 1 VwGO erreichen. Dieses Argumentationsmuster findet sich auch bei Ipsen, Rechtsfolgen, S. 281, und Kraft, UPR 1988, 295, wieder. 226

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Regelungen des Wiederaufgreifens von Verwaltungsverfahren stellt sich schon deshalb nicht, weil § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG tatbestandlich nicht einschlägig ist und es daher bereits an einer Kollision dieser Rechtsnormen fehlt. Die Frage eines Vorrangs der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 VwGO ist an dieser Stelle daher nicht zu erörtern. 230 Eine scheinbare Ausnahme von diesem Grundsatz stellt der nachträgliche Eintritt der Rechtswidrigkeit eines Gesetzes dar. 231 Dies ist z. B. der Fall, wenn sich erst im Laufe der Zeit ein Wertungswiderspruch zwischen einem ursprünglich verfassungsgemäßen Gesetz mit den aktualisierten Wertvorstellungen des Grundgesetzes ergibt. 232 Wirkt in diesen Fällen die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes nicht auf den Erlasszeitpunkt des darauf beruhenden Verwaltungsakts, sondern auf einen danach liegenden Zeitpunkt zurück – der jedoch in der Praxis nur schwer zu konkretisieren sein dürfte –, dann wird diese Konstellation in der Tat von § 51 Abs. 1 S. 1 VwVfG erfasst. Das nachträgliche Rechtswidrigwerden von Gesetzen stellt eine Änderung der Rechtslage dar. Dies darf aber nicht zu der Annahme verleiten, dass jene, dies bloß feststellende Normenkontrollentscheidung die Rechtslage ändern würde. Die Normenkontrollentscheidung stellt auch in diesem Fall nur eine Unwirksamkeit der Norm fest, die sich aufgrund der Änderung der tatsächlichen Verhältnisse ergeben hat, d. h. nicht die gerichtliche Entscheidung über die Unwirksamkeit der Norm, sondern bereits die veränderten Lebensumstände, welche zum Unwirksamwerden geführt haben, sind konstitutiv für die Änderung der Rechtslage. 233 In diesen seltenen Ausnahmefällen muss § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG Anwendung finden, ohne dass aber die Normenkontrollentscheidung selbst als eine Änderung der Rechtslage dargestellt wird. dd) Entsprechende Anwendung der sonstigen Wiederaufgreifensgründe des § 51 Abs. 1 VwVfG? Ist § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG nicht einschlägig, so bleibt nur kurz zu untersuchen, ob sich aus den übrigen Wiederaufgreifensgründen ein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne für den vorliegenden Fall der prinzipalen Normenkontrolle ergibt. Dabei ist allerdings offensichtlich, dass die Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm weder als neues Beweismittel i. S. v. § 51 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG, noch als Wiederaufnahmegrund entsprechend § 580 ZPO 230 Diese Frage wird jedoch relevant für das Verhältnis von § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO zu einem möglichen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne, vgl. dazu unten E.II.3.c.(4). 231 v. Einem, Strukturen, S. 171, bezeichnet diese Konstellation als „seltenen Sonderfall“. 232 Vgl. z. B. die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Witwenrente: BVerfGE 17, 1 ff.; 39, 169 ff. 233 v. Einem, Strukturen, S. 172.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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(gem. § 51 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG) einzuordnen ist. Theoretisch könnte überlegt werden, ob sich eine Gleichstellung der prinzipalen Normenkontrollentscheidung mit den Tatbeständen des § 51 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 VwVfG vornehmen lässt. Von Einem hat dies in Erwägung gezogen, da die mit Gesetzeskraft ausgestattete Unwirksamerklärung einer Norm von der Schwere her den hier aufgezählten Wiederaufgreifensgründen durchaus nicht nachsteht. 234 Zurecht verwirft v. Einem in der Folge 235 diese Überlegung, da eine solche Gleichstellung dem exklusiven Charakter der Wiederaufgreifensgründe in § 51 Abs. 1 VwVfG widersprechen würde. Auch wenn der Gesetzgeber bei Schaffung des verunglückten § 51 VwVfG nicht alle Wiederaufgreifensgründe abschließend bedacht haben mag, ginge es doch zu weit, den Gesetzgeber durch eine solche Rechtsfortbildung zu korrigieren, zumal auch außerhalb des gesetzlich normierten Wiederaufgreifens im engeren Sinne Möglichkeiten des Einstieges in ein Beseitigungsverfahren bestehen und eine extensive Auslegung des § 51 Abs. 1 VwVfG deshalb nicht notwendig ist. ee) Fazit Die Unwirksamerklärung einer Norm im Rahmen einer prinzipalen Normenkontrolle bewirkt keine „Änderung der Rechtslage“ i. S. d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Der Betroffene eines auf der unwirksamen Norm beruhenden Verwaltungsakts besitzt somit keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne nach § 51 Abs. 1 VwVfG und auf eine erneute Sachentscheidung auf der Grundlage des in der Sache anzuwendenden aktuellen materiellen Rechts. c) Die Unwirksamerklärung einer Norm als Grund für ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne aa) Eigene These: Die Unwirksamerklärung einer Norm führt zu einem Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne Nach diesen Vorüberlegungen zum Wiederaufgreifensrecht gelange ich zu dem Ergebnis, dass die Behörde einen Verwaltungsakt, der auf einer für unwirksam erklärten Norm beruht, zwar nicht zurücknehmen oder neu in der Sache entscheiden muss, dass aber eine Pflicht zu einer erneuten inhaltlichen Überprüfung des Verwaltungsakts besteht. 236 Der Betroffene hat im Gegenzug einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne und auf eine darauf folgende ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme oder den Fortbestand 234

v. Einem, Strukturen, S. 169. v. Einem, Strukturen, S. 170. 236 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 381 ff.; Kopp / Schenke, § 183 Rn. 6; Maurer, § 11 Rn. 65. 235

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

des Verwaltungsakts unter Ausschluss der Bestandskraft als ermessensleitendes Kriterium. Bei der prinzipalen Normenkontrolle und der darin ausgesprochenen Unwirksamkeit einer Rechtsnorm handelt es sich – wenn man sich an dem Wortlaut Baumeisters zum Wiederaufgreifen im weiteren Sinne orientiert 237 – um eine neuen, bisher unberücksichtigten Anhaltspunkt, der zumindest ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts hervorruft. Vergleicht man diesen Gesichtspunkt mit den normierten Wiederaufgreifensgründen des § 51 Abs. 1 VwVfG, dann stellt man fest, dass ein gradueller Unterschied nicht zu erkennen ist. Die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit der gesetzlichen Grundlage eines Verwaltungsakts führt im Regelfall – lediglich eingeschränkt durch das Beruhenskriterium – auch zur Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts. In vielen Fällen, insbesondere bei gebundenen Entscheidungen, dürfte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts mit der Normenkontrollentscheidung bereits feststehen. 238 Diese These basiert auf zwei weiteren Überlegungen: Zum einen wird durch eine erneute Prüfpflicht der Behörde dem Betroffenen die Möglichkeit gegeben, die Unwirksamkeit der Norm erstmals erfolgsversprechend geltend zu machen. Wenn man Rechtsnormen allgemein eine Gültigkeitsvermutung zuerkennt 239, dann darf der Betroffene, der auf diese Gültigkeit vertraut hatte, nicht aufgrund seines Vertrauens massiv benachteiligt werden. 240 Es ist daher eine Lösung zu finden, welche dem Interesse des Betroffenen an einer Einbeziehung der Unwirksamerklärung in das Aufhebungsverfahren, aber auch dem Interesse der Öffentlichkeit an Rechtsfrieden und Rechtssicherheit gerecht wird. Erkennt man einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne an, so erzielt man einen angemessenen Interessensausgleich. Der Betroffene erfährt eine Verbesserung seiner Rechtsstellung dadurch, dass er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts im Rahmen des Rücknahmeverfahrens geltend machen kann, ohne dass ihn der Eintritt der Unanfechtbarkeit daran hindert. Es kommt also zu einer Durchbrechung der Bestandskraft des Verwaltungsakts. Auf der anderen Seite kann sich zwar die Behörde nicht mehr auf den Eintritt der Bestandskraft berufen, aber sie kann unter Abwägung aller Umstände ein den Erfordernissen der Rechtspraxis angemessenes Ergebnis erzielen, sei es durch Beseitigung oder durch Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts. Sie bleibt weiterhin „Herrin des Rücknahmeverfahrens“ – dem Betroffenen ist damit lediglich ein „Initiativrecht“ gegeben. Zumeist wird dem Bedürfnis des Betroffenen allein durch eine erneute Überprüfung des Verwaltungsakts bereits Genüge getan. Die erneute Überprüfung gibt dem Betroffenen 237

Baumeister, VerwArch 83 (1992), 381. Vgl. zu dieser Fragestellung oben C. IV. 5. 239 So das Bundesverfassungsgericht, vgl. BVerfGE 20, 230 (236); 53, 115 (130). 240 In diese Richtung auch Böckenförde, Die sogenannte Nichtigkeit, S. 111 ff., und wohl auch die Kritik von Schlaich / Korioth, Rn. 393: „im Ergebnis unbefriedigend“. 238

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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nämlich – unabhängig von einer möglichen Rücknahme des Verwaltungsakts – zumindest das Gefühl, dass nunmehr alle seine Belange von der Behörde ordentlich berücksichtigt wurden. Die zweite Überlegung basiert auf dem vergleichbaren Rücknahmemodell im Bereich des Europarechts. Stellt der EuGH einen Gemeinschaftsrechtsverstoß fest und erklärt zum Beispiel eine Norm des staatlichen Rechts für unanwendbar, so ist die Folge – zumindest in der Praxis – weitgehend vergleichbar mit den Auswirkungen einer prinzipalen Normenkontrolle nach deutschem Recht. Auch hier stellt sich die Frage nach der Aufhebung bestandskräftiger, jedoch materiell gemeinschaftsrechtswidriger Verwaltungsakte. In der jüngeren Literatur 241 – insbesondere nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache „i-21 Germany & Arcor“ 242 – wird von einem „interessenkollisionssensitiven Abwägungsmodell“ 243 ausgegangen. Der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht verpflichtet die staatlichen Behörden von Amts wegen, unter Berücksichtigung der vom EuGH dargelegten Voraussetzungen, eine Aufhebung des Verwaltungsakts zu prüfen, wobei diese Pflicht zur Überprüfung des Verwaltungsakts selbst im Falle der Feststellung der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit des bestandskräftigen Verwaltungsakts nicht zugleich eine Pflicht zu dessen Aufhebung beinhaltet. 244 Eine solche Pflicht ergibt sich aber, wenn das Rücknahmeermessen der staatlichen Behörden zur Sicherung der effektiven Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts, insbesondere im Bereich des Beihilferechts, auf Null reduziert wird. 245 Andererseits erkennt der EuGH, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, die Notwendigkeit der Bestandskraft unter dem Aspekt des Rechtssicherheitsbedürfnisses grundsätzlich an und fordert keine uneingeschränkte Aufhebungspflicht nach nationalem Recht. 246 Demnach sei „unter den Voraussetzungen einer gemeinschaftsrechtlichen Überprüfungspflicht nach Art. 10 EGV lediglich von einer Reduzierung des Wiederaufnahmeermessens auf Null auszugehen, während das Aufhebungsermessen der Verwaltungsbehörde grundsätzlich bestehen bleibt.“ 247 Die hier geschilderte Situation ist durchaus mit der Situation im Fall der Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm vergleichbar. In beiden Fällen sieht sich der Grundsatz der Rechtssicherheit dem Erfordernis einer gesteigerten Berücksich241

Kahl, in: Callies / Ruffert, Art. 10 Rn. 42; Doerfert, JA 2004, 716; Gärditz, NWVBl 2006, 447; Gosch, DStR 2004, 1991; Britz / Richter, JuS 2005, 202; Rüsken, FS Korn, S. 653. 242 EuGH NVwZ 2006, 1277. 243 So die Bezeichnung bei Gärditz, NWVBl 2006, 447. 244 Doerfert, JA 2004, 716; Epiney, NVwZ 2006, 410 f.; Gärditz, NWVBl 2006, 447; a. A. Streinz, JuS 2004, 518: „Ermessen wird zur Pflicht reduziert“. 245 Vgl. Lenze, VerwArch 97 (2006), 56; Frenz, DVBl. 2004, 376. 246 Dazu Kahl, in: Callies / Ruffert, Art. 10 Rn. 42. 247 So Gärditz, NWVBl 2006, 447; auch Britz / Richter, JuS 2005, 202; Kahl, in: Callies / Ruffert, Art. 10 Rn. 42.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

tigung der möglichen Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts im Aufhebungsverfahren ausgesetzt. Das „interessenkollisionssensitive Abwägungsmodell“ besagt nichts anderes, als dass der Eintritt der Unanfechtbarkeit als Kriterium der Aufhebungsentscheidung weniger relevant wird und den Eintritt in einer erneute Sachprüfung nicht verhindern kann. Über die Aufhebung des Verwaltungsakts entscheidet letztlich aber die Behörde nach fehlerfreier Ermessensausübung, wenn auch dieses Rücknahmeermessen nun weiterreichenden Einschränkungen unterliegt. Das Ergebnis ist aber in beiden Fällen eine angemessene Abwägung der widerstreitenden Interessen im konkreten Einzelfall. In der Praxis führt dieser Lösungsansatz über die Verpflichtung zu einer erneuten inhaltlichen Überprüfung lediglich zu der Konsequenz, dass das Rücknahmeermessen der Behörde um den Gesichtspunkt der Bestandskraft des Verwaltungsakts reduziert wird. Die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakt wurde bereits durch den Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne durchbrochen und kann daher auf der zweiten Stufe, der Rücknahmeentscheidung, keine ausschlaggebende Rolle mehr spielen. 248 Jedoch können auch andere Kriterien, wie zum Beispiel das schutzwürdige Vertrauen Dritter auf den Bestand des Verwaltungsakts, die Belastung des Betroffenen durch den Verwaltungsakt, die Anzahl gleichgelagerter Fälle, die Auswirkung der Rücknahme auf die Verwaltungspraxis oder die Verantwortlichkeit für die Nichtberücksichtigung der Unwirksamkeit der Norm im ursprünglichen Verfahren, das Interesse des Betroffenen an der Beseitigung des rechtswidrigen, bestandskräftigen Verwaltungsakts überlagern und zu einer Entscheidung zugunsten der Aufrechterhaltung des Einzelakts führen. 249 bb) Die Argumente der herrschenden Meinung gegen einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen (i. e. S. und i. w. S.) Die herrschende Meinung vertritt hingegen die Auffassung, dass die Unwirksamerklärung einer Norm keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen – sei es im engeren Sinne oder im weiteren Sinne – herbeiführen kann. 250 Dabei wird allerdings weniger auf die allgemeinen Grundsätze des Wiederaufgreifensrechts 248

So auch Baumeister, VerwArch 83 (1992), 387; E / E-Erichsen (12. Aufl), § 20 Rn. 5. Vgl. auch Baumeister, VerwArch 83 (1992), 386; E / E-Erichsen (12. Aufl), § 20 Rn. 5; Maurer, § 11 Rn. 66. 250 U. a. Bastian, Ermessen, S. 120; Benda / Klein, Rn. 1255; Ipsen, Rechtsfolgen, S. 282 ff.; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 55 (kein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne); Steiner, FS BVerfG I, S. 642 ff.; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 26 (Ablehnung der Rücknahme allein aufgrund der Bestandskraft des Verwaltungsakts möglich); v. Einem, Strukturen, S. 182 (Anspruch auf ein Wiederaufgreifen nur unter Umständen); wohl auch Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 74: die Ungültigerklärung einer Vorschrift hat nach § 79 Abs. 2 BVerfGG bzw. § 183 VwGO weder eine Beschränkung noch eine Erweiterung der Befugnis der Behörde zur Rücknahme zur Folge. Nach der hier vertretenen Ansicht besteht zumindest insofern eine Beschrän249

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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abgestellt, sondern vielmehr auf die Regelungen des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO, die als „Spezialregelungen“ den allgemeinen Vorschriften des Wiederaufgreifensrechts vorgehen sollen. 251 Die Argumente, welche von der herrschenden Meinung diesbezüglich vorgebracht werden, lassen sich wie folgt zusammenfassen: Zunächst wird auf den Wortlaut dieser Vorschriften hingewiesen. Ipsen spricht in diesem Zusammenhang davon, dass „Einzelakte von der Nichtigerklärung der sie tragenden Norm doch gerade nicht unberührt bleiben, wenn sie im Wege der Wiederaufnahme – gleichgültig ob es sich um ein Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren handelt – aufgehoben werden müssen.“ 252 Ähnliches ist bei Pietzner zu erkennen, wenn er davon spricht, dass das Gesetz das „Unberührtbleiben“ auf die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, nicht dagegen auf die Vorschriften über die Wiederaufnahme des unanfechtbar abgeschlossenen Verfahrens bezieht. 253 Dieser bewussten Formulierung des Gesetzgebers entspreche es, wenn jegliche Wiederaufgreifensverpflichtung durch diese Regelungen ausgeschlossen werde, selbst dann, wenn die Nichtigerklärung einer Rechtsnorm einen Fehler aufdeckt, der für sich betrachtet einen Wiederaufnahmegrund darstellt. 254 Dieses Wortlautargument werde zusätzlich durch die Entstehungsgeschichte des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG verstärkt. Der Gesetzgeber habe die Regelung des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG nicht deshalb erlassen, um damit lediglich klarzustellen, dass die Unwirksamkeit einer Norm nicht automatisch auch zum Wegfall des auf ihr beruhenden Einzelakts führe. Um diese Aussage wären – so v. Einem – „sicherlich nicht so viele Worte verloren worden.“ 255 Vielmehr sei es um die Frage gegangen, wie die weitreichenden Auswirkungen der Unwirksamerklärung einer Norm begrenzt und damit Rechtssicherheit geschaffen werden kann. Den Äußerungen der damaligen Mitglieder des Rechtsausschusses und der Parlamentarier sei zu entnehmen, dass der Betroffene gerade nicht über den Weg des allgemeinen Wiederaufgreifensrechts von der Unwirksamkeitserklärung der Norm profitieren solle. 256 Die Nichtigerklärung einer Norm sei damit nach dem Willen des historischen Gesetzgebers, dessen Interpretation für die Auslegung der Norm maßgeblich ist, gerade kein ungeschriebener Wiederaufgreifensgrund. 257 Einer kung des Rücknahmeermessens, als nach der erneuten Sachprüfung die Bestandskraft des Verwaltungsakts nicht mehr zur Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts angeführt werden kann. 251 Vgl. u. a. Bastian, Ermessen, S. 120; Ipsen, Rechtsfolgen, S. 281; Kraft, UPR 1988, 295. 252 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 279. 253 Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 31. 254 Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 31. 255 v. Einem, Strukturen, S. 177. 256 v. Einem, Strukturen, S. 177. 257 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 279; v. Einem, Strukturen, S. 177.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Regelung, die lediglich deklaratorische Wirkung besitzt, hätte es damals auch nicht bedurft, da der Grundsatz der Verselbständigung des Einzelakts zu jener Zeit bereits anerkannt war. Auf diesen Überlegungen baut auch die systematische Argumentation der herrschenden Meinung auf. Soll ein Einzelakt, der auf einer unwirksamen Norm beruht, von dieser Unwirksamkeit unberührt bleiben und scheidet eine rein deklaratorische Wirkung aufgrund der Gesetzeshistorie aus, so müsse die Regelung des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG (und damit auch die entsprechende Regelung des § 183 S. 1 VwGO) als Spezialregelung zu den allgemeinen Wiederaufgreifensregelungen angesehen werden. 258 Insbesondere diejenigen, welche die Normenkontrollentscheidung als Änderung der Rechtslage gem. § 51 VwVfG ansehen, lösen auf diesem Weg die Kollision von allgemeinem Verwaltungsrecht und den Regelungen des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO. Der Grundsatz der temporalen Normenkollision, „lex posterior derogat legi priori“, wonach die zeitlich jüngere Regelung Vorrang vor der älteren Regelung habe, greife hier nicht. Insbesondere handele es sich bei den Regelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts nicht um „besondere“ Regelungen im Sinne von § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, welche vorrangig anzuwenden seien. 259 Denn als „besondere Regelungen“ kommen nur solche Rechtsnormen in Betracht, die nicht über eine besondere Gruppe von Verwaltungsakten hinausgehend eine allgemeine Wiederaufnahmeregelung erlassen. 260 Es sei vielmehr – trotz der Ranggleichheit der Rechtsnormen und der beidseitigen Subsidiaritätsregelungen – der Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ einschlägig. 261 Ipsen 262 leitet die Spezialität des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG aus dem Regelungszweck dieser Vorschrift ab: § 79 BVerfGG sei sinnvollerweise nur als eine konstitutive Regelung des Gesetzgebers zwischen der Rechtssicherheit und der Verfassungsverwirklichung zu verstehen. Die Regelung bewirke eine Abschirmung der Verwaltung vor den Massenwirkungen, welche die Rechtswidrigkeit einer Norm zur Folge haben kann. Da nämlich durch die Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm die Rechtsgrundlage einer unbestimmten Vielzahl von Verwaltungsakten entzogen wird, sähen sich die Behörden einer Flut von Rücknahmebegehren ausgesetzt, welche eventuell durch die vorhandenen Kapazitäten nicht aufgefangen werden könnte. 263 Die Verwaltung liefe daher Gefahr, lahmgelegt 258 Vgl. Bastian, Ermessen, S. 120; Gosch, Wiederaufnahme, S. 117 ff.; R. Schmidt, Wiederaufgreifen, S. 48. 259 v. Einem, Strukturen, S. 180. 260 Gosch, Wiederaufnahme, S. 122; Steiner, FS BVerfG I, S. 648 ff. 261 Generell dazu Gosch, Wiederaufnahme, S. 117 ff.; R. Schmidt, Wiederaufgreifen, S. 48 ff. 262 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 280. 263 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 281.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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zu werden. Dieser Gefahr könne jedoch nur begegnet werden, indem das auf Einzelangriffe zugeschnittene Wiederaufgreifensrecht vor den Massenwirkungen der Normenkontrollentscheidung geschützt wird. 264 Das Wiederaufgreifensrecht könne nicht benutzt werden, um die Massenwirkung einer Normkassation aufzufangen. Deshalb sei es nur folgerichtig, wenn man jegliche Ansprüche auf ein Wiederaufgreifen abgeschlossener Verwaltungsverfahren aufgrund der Unwirksamerklärung einer Norm generell ablehnt. Somit müsse – unabhängig davon, ob die Normenkontrollentscheidung eine Änderung der Rechtslage im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG bewirkt – § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG als Spezialregelung den Normen des allgemeinen Verwaltungsrechts, welche sich mit der Frage des Wiederaufgreifens beschäftigen, vorgehen. 265 Dabei ist allerdings auch festzuhalten, dass Ipsen zugleich die Auffassung vertritt, dass ein Rechtsanspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens, ohne dass ein Wiederaufnahmegrund des § 51 VwVfG vorliegt, generell nicht bestehen könne, auch nicht über den Weg einer Ermessensschrumpfung im Rahmen des Anspruchs auf fehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts. 266 Für diese von vielen Autoren angeführte Abschirmfunktion des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG könnte zusätzlich angeführt werden, dass sich die Verwaltung nach Abschluss des Verwaltungsverfahrens nicht mehr mit neu vorgebrachten Argumenten zu beschäftigen habe, welche der Betroffene versäumt hat, rechtzeitig geltend zu machen. Die den Bürger treffende Obliegenheit der Rechtsverfolgung ziehe auf der Gegenseite auch eine erhöhte Schutzbedürftigkeit der Verwaltung nach sich. Der Betroffene hätte die Unwirksamkeit der Norm bereits im Ursprungsverfahren geltend machen müssen. Hat er dies aber, aus welchen Gründen auch immer, unterlassen, dann können solche Gründe nicht als Grundlage für den Eintritt in ein späteres „Zweitverfahren“ herangezogen werden. 267 Dass es sich bei den genannten Vorschriften um Spezialregelungen zum allgemeinen Wiederaufgreifensrecht handelt, zeige auch die Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG. Eine Wiederaufnahme abgeschlossener Strafverfahren solle zwar durch eine allgemeinverbindliche Unwirksamerklärung ausgelöst werden, im Übrigen bleiben die unanfechtbaren Entscheidungen aber bestehen. Daraus werde nicht nur deutlich, dass der Gesetzgeber über den Bereich des Strafrechts hinaus keine neuen Wiederaufnahmegründe begründen möchte, sondern zusätzlich auch, dass 264

Ipsen, Rechtsfolgen, S. 281; v. Einem, Strukturen, S. 175. Ipsen, Rechtsfolgen, S:281. 266 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 284; eine Ausnahme sei nur in den Fällen der Selbstbindung der Verwaltung denkbar. Noch weiter Benda / Klein, Rn. 1255, die einen Anspruch auf fehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG gänzlich in Frage stellen. 267 Diese Überlegung liegt der Regelung des § 51 Abs. 2 VwVfG zugrunde und könnte zur Begründung einer „Abschirmfunktion“ zusätzlich angeführt werden. 265

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

außerhalb des Strafrechts bereits vorliegende Wiederaufnahmeansprüche nicht in dem geschaffenen Umfang fortbestehen sollen. 268 Diese Auslegung folge daraus, dass der Gesetzgeber in § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG gerade nicht zum Ausdruck gebracht hat, dass im übrigen die Vorschriften und ungeschriebenen Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrecht Anwendung finden sollen. 269 Da dies nicht erfolgt sei, könne die Unwirksamkeit einer Norm nicht über die allgemeinen Regelungen zu einer Wiederaufgreifensverpflichtung führen: Das Kollisionsproblem müsse daher zugunsten einer Spezialität des § 79 Abs. 2 BVerfGG gegenüber den §§ 48 ff. VwVfG entschieden werden. 270 Schließlich wird zum Teil darauf verwiesen, dass die beschränkt konstitutive Auslegung der genannten Vorschriften auch zugunsten des Bürgers wirken kann. So könne sich nämlich der Adressat eines begünstigenden Verwaltungsakts nach Ergehen der Normenkontrollentscheidung nicht nur auf einen konkreten, sondern auf einen abstrakten Vertrauensschutz hinsichtlich des Bestands des für ihn positiven, jedoch objektiv rechtswidrigen Verwaltungsakts berufen. 271 Die konstitutive Deutungsvariante wirke daher nicht lediglich zum Nachteil des Bürgers, sondern könne ihm unter Umständen auch zum Vorteil gereichen. cc) Kritik an der herrschenden Meinung Die Argumente, welche die herrschende Meinung für den Ausschluss eines Anspruchs auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne anführt, sind meines Erachtens nicht überzeugend. (1) Fehlerhafte Differenzierung zwischen dem Wiederaufgreifen i. e. S. und i. w. S. Dies ist aber nur teilweise der unterschiedlichen Auslegung der Vorschriften der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 VwGO geschuldet. Die Kontroverse über einen möglichen Wiederaufgreifensanspruch findet ihren Ursprung bereits in einem unterschiedlichen Verständnis der allgemeinen Regelungen des Wiederaufgreifens von Verwaltungsverfahren und hier insbesondere in der Differenzierung zwischen einem Wiederaufgreifen nach § 51 VwVfG und einem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, dass lediglich eine Vorstufe der Aufhebungsentscheidung nach §§ 48, 49 VwVfG darstellt. 272 Diese Trennung unter Herausarbeitung der unterschiedlichen Regelungszwecke – nämlich auf der einen Seite der Anspruch auf eine neue Sachentscheidung auf der Grundlage des materiellen Rechts und auf 268 269 270 271 272

v. Einem, Strukturen, S. 178. v. Einem, Strukturen, S. 178. v. Einem, Strukturen, S. 181. Steiner, FS BVerfG I, S. 646. Dazu oben E.II.3.a.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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der anderen Seite das Treffen einer an den Regelungen der §§ 48, 49 VwVfG orientierten Ermessensentscheidung über den Fortbestand des Verwaltungsakts unter Nichtberücksichtigung der Bestandskraft der Entscheidung – bestimmen maßgeblich das Verständnis der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO. 273 Dies zeigt sich besonders deutlich am Wortlautargument der herrschenden Meinung. Die Aussage, ein Verwaltungsakt bleibe nur dann unberührt, wenn die Verpflichtung der Behörde zum Wiederaufgreifen des Verfahrens ausgeschlossen ist, ist in dieser generellen Form nicht korrekt. Theoretisch mag diese Aussage – unter Umständen – für ein Wiederaufgreifen im engeren Sinn nach § 51 VwVfG durchaus Geltung erlangen. Insofern besteht aber schon kein Bedürfnis nach einer solchen konstitutiven Auslegung des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, da eine Verpflichtung der Behörde zu einem Wiederaufgreifen im engeren Sinne nur bei Vorliegen der Wiederaufgreifensgründe des § 51 Abs. 1 VwVfG bestehen kann und ein solcher Wiederaufgreifensgrund, wie ich zuvor bereits im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal „Änderung der Rechtslage“ ausgeführt habe 274, im Falle der Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm nicht vorliegt. Insofern stimmen konstitutive und deklaratorische Ansicht sogar überein: § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG kann nämlich keine Wiederaufnahmeverpflichtung ausschließen, die es nach den allgemeinen Regelungen ohnehin nicht gibt. Etwas grundlegend anderes gilt aber bei einem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne. Hier wird die Verwaltung aufgrund einer Ermessensreduktion auf Null gezwungen, über die Rücknahme bzw. den Widerruf eines Verwaltungsakts nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ohne dass sie sich dabei auf die bloße Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts berufen kann. 275 Nimmt man einen Anspruch auf ein solches Wiederaufgreifen im weiteren Sinne an, so berührt dieser Anspruch in keiner Weise den Bestand des Verwaltungsakts. Der Bestand des Verwaltungsakts wird nur durch die der erneuten Sachprüfung erst nachfolgende Entscheidung der Behörde über die Rücknahme des Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG unmittelbar beeinträchtigt. Selbst die herrschende Meinung erkennt überwiegend an, dass die Behörde über die Rücknahme eines Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG – auch für den Fall der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts aufgrund des Wegfalls seiner Rechtsgrundlage – nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden kann 276 und dem Betroffenen im Gegenzug ein Anspruch auf 273

Daher auch der unter E. II. 1. dargestellte Ansatz, die Auslegung der § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO jeweils im Kontext der allgemeinen Regelungen hinsichtlich der Beseitigung- und Anpassung von Verwaltungsakten vorzunehmen. Die Entscheidung für ein bestimmtes Schutzwirkungsmodell unabhängig von den Regelungen des allgemeinen Verwaltungsakts birgt das Risiko, dass die allgemeinen Regelungen nur oberflächlich und unvollständig beleuchtet werden und dadurch einzelne Verfahrensabschnitte im Verhältnis zu § 79 Abs. 2 BVerfGG bzw. § 183 VwGO nicht zur Sprache kommen. 274 Siehe oben E.II.3.b. 275 Dazu oben E.II.3.a.bb.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts zusteht. 277 Zum Teil wird sogar ausdrücklich erwähnt, dass ein bloßer Verweis auf die Unanfechtbarkeit ermessensfehlerhaft sei. 278 Unter Umständen sei auch eine Ermessensreduktion auf Null und demnach ein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne gegeben, insbesondere durch den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung nach Art. 3 GG. 279 Auch wenn dieses Ergebnis richtig ist, so zeigt es doch die Schwäche der Argumentation der herrschenden Meinung. Denn wenn sich die Behörde durch ein Wiederaufgreifen in Parallelfällen selbst über Art. 3 GG binden kann, was einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen begründet, dann ist es umso schwerer nachzuvollziehen, dass die Behörde nicht bereits durch gesetzliche Regelungen zu einem Wiederaufgreifen verpflichtet sein kann. Wer also ein Wiederaufgreifen nach – dem hier nicht einschlägigen – § 51 VwVfG wegen einer vermeintlichen Spezialität des § 79 Abs. 2 BVerfGG ablehnt, eine Verpflichtung zu einem Wiederaufgreifen über Art. 3 GG jedoch befürwortet 280, der stellt die Verwaltungspraxis zugleich über das Gesetz. Es wird durch ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne gerade kein Neuentscheidungsanspruch in der Sache statuiert, der den Bestand des Verwaltungsakts unmittelbar berührt. Welche Ermessenserwägungen hierbei anzustellen sind und ob die Unanfechtbarkeit als maßgebliche Ermessenserwägung im Rahmen dieser Rücknahmeentscheidung ausscheidet oder nicht, berührt den Bestand des Verwaltungsakts jedenfalls nicht. Sofern die herrschende Meinung aus dem Wortlaut des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO einen Ausschluss des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne entnehmen möchte, ist dies nicht zutreffend. 276 So BVerwG NJW 1981, 2595; Bastian, Ermessen, S. 121 f.; Ipsen, Rechtsfolgen, S. 284; Kopp / Ramsauer, § 48 Rn. 74, 79; Kraft, UPR 1988, 295; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 56; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 55; Steiner, FS BVerfG I, S. 647; v. Einem, Strukturen, S. 182. 277 Einen solchen Anspruch stellen Benda / Klein, Rn. 1255, ausdrücklich in Frage. Kritisch zu einem Wiederaufgreifen außerhalb des § 51 VwVfG auch Ipsen, Rechtsfolgen, S. 282, der damit aber wohl ausschließlich die Herleitung eines Anspruchs auf eine neue Sachentscheidung über den Weg des § 48 VwVfG als unzulässig erachtet. Dies steht dem Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Aufhebung des Verwaltungsakts im Rahmen der §§ 48, 49 VwVfG jedoch nicht entgegen. 278 V. Einem, Strukturen, S. 182; a. A. Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 26: auch nach Nichtigerklärung eines Gesetzes kann die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts unter Berufung auf dessen Bestandskraft ermessensfehlerfrei abgelehnt werden.; vermittelnd Steiner, FS BVerfG I, S. 647, soweit der bloße Verweis auf die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts ermessensfehlerhaft sei, jedoch es der Verwaltung unbenommen bleibt, die für die Regelung des § 79 Abs. 2 S. 1 maßgeblichen Gesichtspunkte als Ermessenserwägungen geltend zu machen, so auch Pietzner, in: Schoch / SchmidtAßmann / Pietzner, § 183 Rn. 55. 279 Vgl. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 55; Steiner, FS BVerfG I, S. 647. 280 So aber Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 54, 55 und Steiner, FS BVerfG I, S. 645, 647.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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Im Gegenteil: vielmehr steht der Wortlaut „unberührt“ gerade mit der hier vertretenen Ansicht in Einklang, da auch im Falle des Wiederaufgreifensanspruchs im weiteren Sinne die betroffenen Verwaltungsakte zunächst weiter fortbestehen. 281 (2) Die Unergiebigkeit der historischen Argumentation Neben dieser grammatischen Auslegung kann auch die historische Auslegung nicht als Beleg für die Ansicht der herrschenden Meinung angesehen werden, zumal der historischen Auslegung ohnehin nicht die gleiche Bedeutsamkeit zugemessen wird, welche die übrigen Auslegungsmethoden besitzen sollen. 282 Selbst Vertreter der herrschenden Meinung räumen ein, dass die damaligen Äußerungen in den Gesetzgebungsberatungen „mancherlei Deutung zugänglich sind“. 283 Dies ist auch das Ergebnis von Latzel, der sich als einziger in äußerst ausführlicher Weise mit den Gesetzgebungsmaterialien befasst hat. 284 Die Gesetzgebungsmaterialien legen zwar nahe, dass sich im Rahmen der damaligen Beratungen über die Frage gestritten wurde, inwiefern die materielle Gerechtigkeit zu einem Wiederaufrollen bereits abgeschlossener Verfahren führen müsse und dass diese Frage dahingehend beantwortet wurde, dass Strafverfahren aufgrund der Nichtigerklärung einer Norm ausnahmsweise wiederaufgenommen werden müssen. Der Gesetzgeber hat durch § 79 Abs. 1 BVerfGG einen zusätzlichen Wiederaufnahmegrund geschaffen, der zuvor nicht gesetzlich verankert war. 285 Zur Frage, ob ein Wiederaufgreifen des Verfahrens im weiteren Sinne durch diese Regelung ausgeschlossen werden solle, konnte sich der Gesetzgeber aber zum damaligen Zeitpunkt nicht äußern, da ein derart ausgearbeitetes und teilweise kodifiziertes Wiederaufgreifensrecht überhaupt nicht bestanden hat. Die Unterscheidung zwischen einem Wiederaufgreifen im engeren Sinne und einem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, im Gesetz anhand der Regelung des § 51 VwVfG verdeutlicht, erfolgte erst nach Erlass des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG. Es ist also der historischen Auslegung überhaupt nicht zu entnehmen, welche Auswirkungen die Nichtigerklärung einer Norm auf ein mögliches Wiederaufgreifen im weiteren Sinne haben kann. Aufgabe der Rechtswissenschaft ist es nun statt dessen, zu prüfen, welche Aussagen den Vorschriften der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO vor dem Hintergrund der „neuen“ Gesetzeslage entnommen werden können. Nicht die Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsrechts haben aufgrund historischer Erwägungen den genannten Regelungen zu weichen, sondern umgekehrt ist es 281 So bereits Baumeister, VerwArch 83 (1992), 389, a. A. v. Einem, Strukturen, S. 178: „unberührt“ kann nicht für deklaratorische Auslegung ins Feld geführt werden. 282 Vgl. Schenke, FS Maurer, S. 730 Fn. 31 m. w. N. 283 v. Einem, Strukturen, S. 177; a. A. R. Schmidt, Wiederaufgreifen, S. 43: Wille des Gesetzgebers für konstitutive Sichtweise. 284 Latzel, Wirkung für nichtig erklärter Steuerrechtsnormen, S. 109 ff. 285 Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 25.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

die Pflicht, „alte“ Regelungen an die neue Rechtslage anzupassen und in dem Gesamtsystem dieses Themenkomplexes neu zu positionieren. Die historische Auslegung ist demnach für die Lösung dieses Problems unergiebig. (3) Überdehnung der „Abschirmfunktion“ Für die herrschende Meinung solle auch der Sinn und Zweck der Norm des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG sprechen, wonach durch diese Regelung die Verwaltung vor den Massenwirkungen der Unwirksamkeit einer Norm abgeschirmt und gleichzeitig auch das auf Einzelangriffe ausgerichtete Wiederaufgreifensrecht vor einer Wiederaufnahmewelle geschützt werde. 286 Es gelte, dass die Unwirksamkeit einer Norm, welche typischerweise 287 einer Vielzahl von Verwaltungsakten die Rechtsgrundlage entziehe, die Prozessordnungen und Verfahrensgesetze nicht über den Umweg des Wiederaufgreifens überfordern dürfe. Diese, „an den Besonderheiten der Normenkontrollentscheidung orientierte“ 288 Interpretation folgt dem Prinzip, dass nicht sein kann, was nicht sein darf. Konzentriert man den Aussagegehalt des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG in dieser Weise, so wird die Bedeutung einer Abschirmung der Verwaltung ohne Zwang überdehnt. Dass praktische Erwägungen, insbesondere die Leistungsfähigkeit der Verwaltung, die Entscheidung über die Rücknahme eines Verwaltungsakts beeinflussen können, steht außer Frage. 289 Bereits an anderer Stelle wurde verdeutlicht, dass von der Verwaltung solche, auf die tatsächlichen Gegebenheiten bezogenen Argumentationsstränge sorgfältig zu berücksichtigen sind, wenn sie im Rahmen der Rücknahmeentscheidung eine für alle Seiten nachvollziehbare Abwägung zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit treffen muss. 290 Die Leistungsfähigkeit der Verwaltung ist allerdings nicht bereits bei der Frage des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne zu prüfen, sondern erst bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts. Die vielpropagierte „Abschirmfunktion“ des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO nimmt vorweg, was erst Ergebnis einer Abwägung sein kann. Denn nicht in jedem Fall infiziert die Unwirksamkeit einer Norm eine Vielzahl staatlicher Hoheitsakte und nicht in jedem Fall sind die befürchteten „typischen Massenwirkungen“ festzustellen. 291 Ein Beispiel hierfür sind vorhabenbezogene Bebauungspläne: Wird ein solcher Bebauungsplan aufgehoben, so ist wenig ein286 Hierauf verweisen insbesondere Ipsen, Rechtsfolgen, S. 281, und Steiner, FS BVerfG I, S. 646. 287 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 280, spricht hier sogar von „notwendigen“ Auswirkungen. 288 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 281. 289 Vgl Baumeister, VerwArch 83 (1992), 386; E / E-Erichsen (12. Aufl.), § 20 Rn. 5. 290 Vgl. oben E.II.3.c.aa. 291 In diese Richtung bereits Majer, Folgen, S. 192.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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leuchtend, weshalb hier die Behörde das Wiederaufgreifen oder die Rücknahme der auf dem Bebauungsplan beruhenden Baugenehmigung unter Berufung auf die Abschirmfunktion der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO verweigern können sollte. Gleiches ist insbesondere im Bereich von untergesetzlichen Normen festzustellen. Zum anderen wird dieser Befürchtung durch das Erfordernis der Antragsstellung durch den Betroffenen Rechnung getragen. 292 Da die Auswirkungen der Unwirksamkeit einer Norm demnach nicht zwingend auch eine Wiederaufgreifenswelle nach sich ziehen müssen, ist es sachgerechter, einer Überforderung der Verwaltung erst auf der zweiten Verfahrensstufe Rechnung zu tragen und die Massenwirkung als Kriterium im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu berücksichtigen. Selbst wenn durch das Normenkontrollgericht die Unwirksamkeit einer Norm festgestellt wird und auf der Grundlage dieser Norm bereits eine Vielzahl von Verwaltungsakten ergangen ist, so folgt daraus nicht zwingend das Bedürfnis nach zusätzlicher Abschirmung der Verwaltung. Denn sind die Verwaltungsakte, die auf dieser Norm beruhen, in der Regel inhaltlich einander entsprechend oder zumindest vergleichbar, so dürfte das Ergebnis einer erneuten inhaltlichen Überprüfung in den jeweiligen Fällen identisch sein, d. h. die Behörde muss im Normalfall nur eine Überprüfung eines solchen Verwaltungsakts vornehmen und könnte in den anderen Fällen auf diesen „Musterverwaltungsakt“ Bezug nehmen. 293 Auch hier soll ein Beispiel dies veranschaulichen: Hat die Gemeinde A aufgrund ihrer Haushaltssatzung eine bestimmte Steuer für gefährliche Hunde veranlagt und wurde die Höhe dieser Steuer im Rahmen einer Normenkontrolle für unwirksam erklärt, so dürfte sich bei jedem einzelnen Hundesteuerbescheid bzgl. solcher, als gefährlich eingestufter Hunde, die Rechtswidrigkeit des Bescheides ergeben. Hier entsteht der Behörde kein besonderer, mit den vorhandenen Mitteln nicht zu bewältigender Verwaltungsaufwand, um die Rechtswidrigkeit jedes einzelnen Verwaltungsakts festzustellen. Dass der Gesetzgeber wohl selbst nicht an eine „Abschirmung der Verwaltung“ gedacht hat, zeigt auch die Regelung des Vollstreckungsverbotes in § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO: In den Fällen der noch nicht vollstreckten Verwaltungsakte muss die Behörde von Amts wegen 294 überprüfen, ob der konkrete Verwaltungsakt auf der für unwirksam erklärten Norm beruht. Diese 292

Dazu unten E.II.3.c.ee. Diese Gleichartigkeit der jeweiligen Verwaltungsakte erkennt auch Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 55, der die Möglichkeit einer Selbstbindung der Verwaltung für die Frage des Wiederaufgreifens feststellt. Eine Abschirmung der Verwaltung ist dann aber nicht notwendig, wenn sich aus der Entscheidung eines Falles die Marschroute für alle folgenden gleichgelagerten Fälle ergibt. 294 Zu der Frage, ob das Vollstreckungsverbot der § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO von Amts wegen oder nur auf Einrede hin zu berücksichtigen ist, siehe unten E. III. 3. 293

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Überprüfung umfasst auch gleichzeitig eine Feststellung, ob der jeweilige Verwaltungsakt rechtswidrig ist oder ob er sich aus einer anderen Rechtsgrundlage heraus ableiten lässt. Theoretisch wird der Behörde in diesen Fällen zugemutet, alle noch nicht vollstreckten Verwaltungsakte auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen, um dann, je nach Ergebnis, von einer Vollstreckung abzusehen oder nicht. Diese Pflicht der Behörde, auf der unwirksamen Norm beruhende Entscheidungen nicht zu vollstrecken, ist – was in der Regelung der § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfG, § 183 S. 3 VwGO ausdrücklich klargestellt wird – auch gerichtlich überprüfbar. 295 Wenn der Gesetzgeber hier die Behörden zur nochmaligen Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung verpflichtet, so ist es unverständlich, dass er sie an anderer Stelle wegen einer nur möglicherweise gegebenen Überforderung der Verwaltungskapazitäten gänzlich von einer Überprüfungspflicht befreit. Mit einer „Abschirmfunktion“ kann ein Ausschluss des Anspruchs auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne nicht begründet werden. (4) Keine Spezialität von § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO Ein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne kann auch nicht mit dem Argument widerlegt werden, dass es sich bei den Regelungen des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO um Spezialvorschriften zum allgemeinen Wiederaufgreifensrecht handelt. 296 Diese Vorschriften regeln die Rechtsfolgen einer gerichtlichen Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm mit erga omnes-Wirkung nur bedingt und stellen keine Spezialregelungen dar, welche die Vorschriften des allgemeinen Verwaltungsrechts bzgl. fehlerhafter Verwaltungsakte verdrängen. Der vielfach angeführte Grundsatz „lex specialis derogat legi generali“ 297 kann hier aus mehreren Gründen keine Geltung besitzen. So steht bereits die Befugnis des Bundesgesetzgebers zum Erlass einer solchen Spezialregelung in Frage. Zumindest für Landesverwaltungsakte liegt die Befugnis zur Regelung des Wiederaufgreifens des Verfahrens in den Händen der einzelnen Länder. 298 Dem Bundesgesetzgeber steht die Kompetenz zur Regelung des Wiederaufgreifens von Verwaltungsakten ausschließlich für den Bereich der Verwaltungsakte von Bundesbehörden zu. Diese Kompetenzteilung im Bereich des Verwaltungsverfahrensrechts wird einhellig akzeptiert und findet folgerichtig auch in den unterschiedlichen Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder ihren Niederschlag. Dem Bund obliegt auf der anderen Seite die Kompetenz zur Regelung des gerichtlichen Verfahrens, d. h. zur Regelung des verwaltungsgerichtlichen Prozesses. 295

Zum Rechtsschutz hinsichtlich des Vollstreckungsverbotes siehe unten E. IV. 3. Hierzu vgl. Gosch, Wiederaufnahme, S. 117 ff., R. Schmidt, Wiederaufgreifen, S. 48 ff., v. Einem, Strukturen, S. 181. 297 So aber Gosch, Wiederaufnahme, S. 123 m. w. N. 298 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 389; Pestalozza, § 20 Rn. 76. 296

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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Diese Kompetenz befähigt den Bundesgesetzgeber, der sowohl § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG als auch § 183 S. 1 VwGO erlassen hat, das Verfahren, den Entscheidungsausspruch und – möglicherweise auch – die unmittelbaren Folgen dieses Ausspruches zu regeln. 299 In der weitesten Auslegung dieses Kompetenztitels wäre der Bundesgesetzgeber daher eventuell noch befugt, die Unwirksamkeit eines Verwaltungsakts als unmittelbare Folge der Normenkontrollentscheidung mitzuregeln und den Bestand des Verwaltungsakts damit quasi selbst zum Verfahrensgegenstand zu machen. Darüber hinaus verbleibt es allerdings bei der Zweiteilung der Kompetenzen: Für Bundesverwaltungsakte kann der Bundesgesetzgeber demnach bestimmen, dass solche Verwaltungsverfahren auch nach Wegfall der Norm nicht wiederaufgegriffen werden müssen oder gar dürfen. Für die zahlenmäßig wohl weitaus größere Gruppe der Landesverwaltungsakte verbleibt diese Entscheidung in den Händen der Länder. Für die meisten Verwaltungsakte hätte der Bundesgesetzgeber daher nicht einmal die Kompetenz, bestehende Ansprüche auf eine erneute Überprüfung des Verwaltungsakts zu beschränken. Daher ist es unzutreffend, wenn den genannten Regelungen der Charakter einer lex specialis zuerkannt wird, da der Bundesgesetzgeber weder eine ausdrückliche Befugnis, noch eine Kompetenz kraft Sachzusammenhangs zum Erlass allgemeiner Regelungen zur Beseitigung von Verwaltungsakten und zum Wiederaufgreifen des Verfahrens hat. Denn für ein Subordinationsverhältnis von Allgemein- und Spezialregelungen ist es unerlässlich, dass sie entweder beide von ein und demselben Gesetzgeber oder doch zumindest von zwei Gesetzgebern erlassen wurden, die beide über die Kompetenz zur Regelung dieses Themenkomplexes verfügen. Dies ist hier aber nicht der Fall, so dass die genannten Vorschriften bereits denknotwendig nicht als Spezialregelungen zum allgemeinen Wiederaufgreifensrecht eingreifen können. Daran kann auch der Verweis auf Art. 31 GG nichts ändern, wonach die Regelung des § 79 Abs. 2 BVerfGG den Verwaltungsverfahrensgesetzen der Länder vorgehen soll. 300 Auch Art. 31 GG kann nur eingreifen, wenn sowohl der Bundesals auch der Landesgesetzgeber jeweils über die entsprechenden Gesetzgebungskompetenzen verfügen. Danach könnte der Einwand der Spezialität der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 VwGO theoretisch noch bei Bundesverwaltungsakten erhoben werden. Doch auch hier drängen sich Vorbehalte gegen die Annahme einer Spezialität auf. Diese Vorbehalte folgen aus den Widersprüchen, welche durch die Annahme des Charakters der genannten Vorschriften als Spezialregelungen entstünden. Bereits die einzelnen hierzu getätigten Aussagen von Vertretern der herrschenden Meinung sind meines Erachtens nicht miteinander in Einklang zu bringen. So soll 299 300

Vgl. Baumeister, VerwArch 83 (1992), 389. R. Schmidt, Wiederaufgreifen, S. 51.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

die Regelung des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG z. B. „den allgemeinen Regelungen als Spezialgesetz vorgehen“ 301, während in einer anderen Stellungnahme festgestellt wird, dass diese Norm „Entscheidungen keine stärkere Bestandskraft verleiht, als ihnen nach den einschlägigen Vorschriften zukommt“ 302. Diese Aussagen wären nur dann in Einklang zu bringen, wenn man die Existenz eines Wiederaufgreifensanspruchs im weiteren Sinne außerhalb des § 51 VwVfG generell ablehnen würde. Hiervon gehen in der Tat auch einige Vertreter der herrschenden Ansicht aus. 303 Aber selbst unter der Voraussetzung dieser Prämisse, ist die Annahme eines Spezialregelungscharakters der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO nicht überzeugend. Denn wenn es keinen Anspruch auf ein – wie auch immer geartetes – Wiederaufgreifen vor Ergehen der Normenkontrollentscheidung gibt, dann kann auch durch § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG als Spezialregelung kein Anspruch auf ein solches Wiederaufgreifen nach der Unwirksamerklärung der Norm ausgeschlossen werden. § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG kann nicht beschränken, was es nicht gibt. Welcher Wiederaufgreifensregelung sollte § 79 BVerfGG denn vorgehen? Wie bereits zu § 51 VwVfG ausgeführt wurde, besteht hier keine Konfliktsituation zwischen beiden Normen, so dass es auch keiner Spezialität bedarf. 304 Wenn nun aber von Einem, der mangels Änderung der Rechtslage § 51 VwVfG ebenfalls als tatbestandlich nicht anwendbar erachtet, an entsprechender Stelle aussagt 305, dass aus der Formulierung des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG nichts anderes abgeleitet werden kann, als dass „ein Anspruch auf „Wiederaufnahme“ nicht in dem geschaffenen Umfang gegeben sein sollte“, dann zeigt dies, dass zumindest einige Vertreter der beschränkt konstitutiven Sichtweise in der Regelung des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG eine Spezialvorschrift nicht nur bezüglich eines (hier nicht gegebenen) Wiederaufgreifens nach § 51 VwVfG, sondern auch hinsichtlich eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinne erachten. (5) Keine Beschneidung der allgemeinen Beseitigungs- und Anpassungsmodalitäten Wie jedoch dargelegt wurde, hat der Betroffene meines Erachtens einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, der sich zu einem Anspruch auf ein solches Wiederaufgreifen im weiteren Sinne verdichtet, soweit neue, bislang unberücksichtigte Anhalts301

So z. B. Gosch, JA 1976, 227; v. Einem, Strukturen, S. 181. Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 54; vgl. auch Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 26. 303 Insbesondere Benda / Klein, Rn. 1255; kritisch auch Ipsen, Rechtsfolgen, S. 282 ff. 304 Vgl. dazu E.II.3.b.cc. 305 v. Einem, Strukturen, S. 178. 302

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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punkte vorgebracht werden, welche die Rechtswidrigkeit des bestandskräftigen Verwaltungsakts nahe legen. Hiervon kann für den Fall der Unwirksamerklärung einer Norm keine Ausnahme gemacht werden, zumal die Unwirksamerklärung einer Norm einen sehr wichtigen und sehr augenscheinlichen neuen Anhaltspunkt für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts darstellt. Eine Spezialität des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG würde dann nämlich den Bestandsschutz auf dieser Norm beruhender Verwaltungsakte gegenüber anderen rechtswidrigen, bestandskräftigen Verwaltungsakten stärken, indem er die einschlägigen allgemeinen Beseitigungsund Anpassungsregelungen ausschließt. Dies führte aber zu dem paradoxen Ergebnis, dass der Betroffene eines solchen Verwaltungsakts nach der Normenkontrollentscheidung schlechter gestellt wäre, als vor dieser Entscheidung. 306 Während er nämlich zuvor die Rechtswidrigkeit der Rechtsgrundlage des Verwaltungsakts unter Umständen als neuen Aspekt für die Rechtswidrigkeit vorbringen konnte und somit gegenüber der Behörde einen Anspruch auf eine neue Befassung mit dem Verwaltungsakt hatte, würde er nunmehr durch die Normenkontrollentscheidung daran gehindert, auf die Fehlerhaftigkeit der Rechtsgrundlage zu verweisen, d. h. gerade die allgemeinverbindliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Norm schirmt diesen Fehler von der Geltendmachung von Folgewirkungen ab. Dieses Ergebnis, dass nämlich der Betroffene durch eine eigentlich für ihn günstige Normenkontrollentscheidung, da sie die Rechtmäßigkeit des darauf beruhenden Verwaltungsakts ernsthaft in Frage stellt, einen Rechtsnachteil erleidet, kann aber nicht richtig sein. Müssen dem Betroffenen auch nach der Normenkontrollentscheidung die gleichen Beseitigungs- und Anpassungsmodalitäten offen stehen wie vor der gerichtlichen Entscheidung, so kann der Betroffene nach der Nichtigerklärung der Norm die neuen Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, welche durch die Normenkontrollentscheidung nur noch zusätzlich verstärkt werden, im Rahmen des Antrags auf Aufhebung des Verwaltungsakts mit der Folge geltend machen, dass sich die Verwaltung nochmals neu mit der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts beschäftigen und daraufhin eine Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts treffen muss, die sich nicht lediglich auf die Geltendmachung der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts beschränkt. (6) Unzulässigkeit eines Umkehrschlusses aus § 79 Abs. 1 BVerfGG Auch die weiteren von der herrschenden Meinung vorgetragenen systematischen Erwägungen überzeugen nicht. Beim Vergleich dieser Regelung mit § 79 Abs. 1 BVerfGG wurde bereits kurz auf das Argument eingegangen, dass sich im Umkehrschluss aus der Sonderstellung des § 79 Abs. 1 BVerfGG der Ausschluss jeglichen Wiederaufgreifens von Verwaltungsverfahren durch § 79 Abs. 2 306

So bereits Baumeister, VerwArch 83 (1992), 329 f.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

BVerfGG entnehmen lasse. 307 Diese Argumentation verkennt die Ausgangslage und die Unterschiede zwischen Straf- und Verwaltungsverfahren. Gäbe es die Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG nicht, so würde sich aus der StPO selbst nicht ergeben, dass ein Strafverfahren wiederaufgerollt werden muss, wohlwissend, dass der Verurteilung des Betroffenen eine rechtswidrige Norm zugrunde lag, welche die Verurteilung begründet oder zumindest das Strafmaß verschärft hat. Hier hat der Gesetzgeber also aufgrund der Besonderheit des Strafverfahrens und des starken Eingriffspotentials einer Verurteilung durch die Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG – konstitutiv – einen neuen Anspruch geschaffen, um das ursprüngliche Verfahren neu aufzurollen. 308 Im Gegensatz dazu bietet das Verwaltungsverfahren bereits durch die allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder und des Bundes einschlägige Wiederaufgreifensvorschriften. Zwar greift hier kein Tatbestand des § 51 Abs. 1 VwVfG ein und somit ist auch kein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne gegeben, jedoch ergibt sich aus den allgemeinen Regelungen der §§ 48, 49 VwVfG ein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne. Insofern bedurfte es keiner mit § 79 Abs. 1 BVerfGG vergleichbaren Regelung für die Fälle des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne. Es musste keine Ausnahmeregelung wie § 79 Abs. 1 BVerfGG geschaffen werden, sondern es bestand bereits vor der Unwirksamerklärung der Norm ein „Wiederbefassungsanspruch“, der durch die Normenkontrollentscheidung lediglich nochmals aktualisiert wurde. Die förmlichen Wiederaufnahmeverfahren der einzelnen Gerichtsordnungen sind daher auch nicht vergleichbar mit den flexibleren, weniger formalen Wiederaufgreifensverfahren des allgemeinen Verwaltungsrechts. Die Ausnahmeregelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG ist somit alleine der Formalität des Strafverfahrens und der mangelnden Flexibilität der StPO zu verdanken und kann nicht als bewusste gesetzgeberische Entscheidung gegen ein wie auch immer geartetes Wiederaufgreifen von Verwaltungsverfahren angeführt werden. (7) Unzweckmäßigkeit der Gewährung abstrakten Vertrauensschutzes für Begünstigte des Verwaltungsakts Wenig verständlich ist auch der Hinweis, dass durch den Ausschluss jeglicher Wiederaufgreifensansprüche aufgrund der konstitutiven Wirkung des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG der von einem Verwaltungsakt begünstigte Bürger ausschließlich profitiert. Denn, so unter anderem Steiner 309, hiernach könne sich der Begünstigte nicht nur auf den konkreten Vertrauensschutz der §§ 48 Abs. 2 –4, 49 VwVfG, sondern sogar auf einen abstrakten Vertrauensschutz berufen, der den Bestand 307 308 309

U. a. Gosch, Wiederaufnahme, S. 118; v. Einem, Strukturen, S. 178. Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 25 m. w. N. Steiner, FS BVerfG I, S. 646.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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des Verwaltungsakts unabhängig vom Vorliegen jeglicher Vertrauensschutztatbestandsmerkmale sichert. Hier ist bereits zweifelhaft, ob der von einem Verwaltungsakt Begünstigte durch § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG überhaupt begünstigt wird, denn durch § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG wird, so auch Steiner, nicht die Befugnis der Behörde zur Rücknahme ausgeschlossen. 310 Die Behörde kann also immer noch den rechtswidrigen Verwaltungsakt nach den Vorgaben des § 48 Abs. 2 –4 VwVfG zurücknehmen. Geschützt würde der Betroffene lediglich insoweit, als danach ein durch den Verwaltungsakt belasteter Dritter nunmehr keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne geltend machen könnte. Meines Erachtens ist hier bereits fraglich, ob der Begünstigte eines solchen Schutzes überhaupt bedarf, denn Vertrauensschutzgesichtspunkte sind ohne weiteres noch für die Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts ausschlaggebend. Es ist durchaus auch zweckmäßiger, Vertrauensschutzgesichtspunkte erst in diesem zweiten Verfahrensabschnitt zu berücksichtigen, da im Rahmen dieser Abwägung flexibler und auf den Einzelfall bezogen ein Ausgleich zwischen Rechtssicherheit für den Begünstigten und Gerechtigkeit für den Belasteten getroffen werden kann. Ein Ausschluss jeglicher Wiederaufgreifensansprüche würde ein mögliches Ergebnis dieser Abwägung bereits vorwegnehmen. Zum anderen hat eine Normenkontrollentscheidung für den Begünstigten eines Verwaltungsakts nicht nur rechtliche Vorteile. Eine Vielzahl von Rechtswissenschaftlern vertritt die Ansicht, dass die Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm im Rahmen einer allgemeinverbindlichen prinzipalen Normenkontrolle einer Änderung einer Rechtsvorschrift vergleichbar und dass daher die Regelung des § 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG einschlägig sei. 311 Nach dieser Vorschrift wird der Behörde die Möglichkeit eröffnet, einen rechtmäßigen Verwaltungsakt auch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit zu widerrufen, soweit die restlichen Voraussetzungen des § 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG erfüllt sind. Es lässt sich daher feststellen, dass durch die Unwirksamerklärung einer Norm die Widerrufsmöglichkeiten der Behörde sogar erweitert werden. Der Begünstigte eines rechtmäßigen Verwaltungsakts muss hier mit der Beseitigung des Verwaltungsakts als Folge der Normenkontrollentscheidung rechnen. Es wäre nun gerade grotesk, wenn der Begünstigte eines rechtswidrigen Verwaltungsakts aber vor der Rücknahme dieses rechtswidrigen Verwaltungsakts in Folge der Normenkontrollentscheidung zusätzlich durch die Gewährung eines abstrakten Vertrauensschutzes geschützt würde. Die Annahme eines Vertrauensschutzes unabhängig vom Vorliegen eines tatsächlich schützenswerten Vertrauens ist darüber hinaus systemfremd und lässt sich mit der Regelung des § 49 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG nicht in Einklang bringen.

310

Steiner, FS BVerfG I, S. 646 f. Kastner, in: HK-VwVfG / VwGO, § 49 VwVfG Rn. 22; Kopp / Ramsauer, § 49 Rn. 51; Knack-H. Meyer, § 49 Rn. 56; a. A. Obermayer-Schäfer, § 49 Rn. 49. 311

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

(8) Kein genereller Ausschluss eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinne unter Hinweis auf eine Obliegenheitsverletzung des Betroffenen Letztlich ist es auch nicht überzeugend, hinsichtlich der Frage nach einem Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne auf eine Obliegenheitsverletzung des Betroffenen im Ausgangsverfahren zu verweisen und ihm damit quasi die „Schuld für die Nichtgeltendmachung der Unwirksamkeit der Norm“ anzulasten. Zwar stellt die Normenkontrollentscheidung fest, dass die Rechtsgrundlage des Verwaltungsakts von Anfang an nicht existierte und dass der Verwaltungsakt im Rahmen der Anfechtungsfristen mit dem Argument hätte angefochten werden können, dass sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts aus der Rechtswidrigkeit seiner Rechtsgrundlage ergibt. Hätte der Betroffene dies getan, so hätte das Gericht – sofern es richtigerweise die Fehlerhaftigkeit der Rechtsnorm erkannt hätte – den Verwaltungsakt aufgehoben oder – im Falle des Art. 100 GG – bis zu einer vorgreiflichen Entscheidung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Rechtsnorm das Verfahren ausgesetzt. Da der Betroffene dies nicht getan und insofern seine Obliegenheit der Rechtsverfolgung nicht erfüllt hat, besteht nun nach Ablauf der Anfechtungsfristen kein Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts mehr. 312 Auch im Rahmen der Ermessensentscheidung der Behörde bezüglich der Rücknahme des Verwaltungsakts kann die Behörde unter anderem vortragen, dass der Betroffene im ursprünglichen Verfahren die ihm zumutbare Geltendmachung einer fehlerhaften Rechtsgrundlage des Verwaltungsakts unterlassen habe und dass sie deshalb von einer Rücknahme des nunmehr als rechtswidrig erkannten Verwaltungsakts Abstand nehme. Verfehlt wäre es aber, wenn dieses Vorbringen generell ein Wiederaufgreifensverfahren bereits im Keime ersticken lassen könnte. Denn schließt man bereits einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, d. h. auf eine erneute Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts aus, so bleibt die Frage, ob dem Betroffenen wirklich eine Obliegenheitsverletzung vorgeworfen werden kann, unerörtert. Die Verwaltung könnte nach der herrschenden Meinung selbst dann alleine auf den Eintritt der Unanfechtbarkeit verweisen, wenn die Rechtswidrigkeit der Norm dem Betroffenen im Ausgangsverfahren nicht erkennbar war, zumal dieser zumeist rechtlicher Laie ist und auf die Rechtmäßigkeit von Gesetzen vertrauen kann. Insbesondere ist eine erneute Überprüfung des Verwaltungsakts in den Fällen geboten, in denen auch das Gericht im Anfechtungsprozess, das nicht nur die tatsächlichen Fragestellungen (gemäß dem Amtsermittlungsgrundsatz nach § 86 VwGO 313), sondern auch die rechtlichen Fragestellungen umfassend zu prüfen hat 314, nicht auf eine mögliche Rechtswidrigkeit der Norm eingegangen 312

Dazu oben E.II.2.c. Vgl. hierzu Kopp / Schenke, § 86 Rn. 1a, 4 ff. 314 Kopp / Schenke, § 86 Rn. 1a: Verpflichtung zur Feststellung und Auslegung des anwendbaren Rechts ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip. 313

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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ist. Es wäre unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten falsch, den Ausschluss eines Anspruchs auf eine erneute Prüfung damit zu begründen, dass der rechtsunkundige Betroffene etwas im Rahmen des Anfechtungsverfahrens nicht vorgetragen hat, was selbst die rechtskundigen Richter nicht gesehen haben, zumal das Gericht selbst bei Wissen um die Anhängigkeit eines Normenkontrollverfahrens nicht verpflichtet ist, sein eigenes Verfahren auszusetzen, um möglicherweise anstehende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts bzw. der Oberverwaltungsgerichte im Zusammenhang mit dem Schicksal der streitentscheidenden Norm abzuwarten. 315 (9) Erfordernis einer Abschwächung der starren Trennung zwischen bestandskräftigen und anfechtbaren Verwaltungsakten Die hier vertretene Ansicht wird somit am ehesten den unterschiedlichen Interessen der Betroffenen, der Öffentlichkeit und der Verwaltung gerecht, indem sie dem Betroffenen auf der einen Seite einen Anspruch darauf gewährt, dass sich die Behörde abseits des bloßen Verweises auf den Eintritt der Unanfechtbarkeit mit dem jeweiligen Verwaltungsakt nochmals auseinandersetzt, und der Behörde auf der anderen Seite weiterhin die Möglichkeit belässt, den Verwaltungsakt trotz dessen festgestellter Rechtswidrigkeit weiterhin aufrecht zu halten. Zugleich führt diese Lösung zu einer Annäherung von anfechtbaren und bestandskräftigen Verwaltungsakten auf der Rechtsfolgenseite, indem die starre Trennung anhand des Eintrittes der Bestandskraft aufgebrochen wird. Dass die Regelungen der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO bei anderem Verständnis zu teilweise unbefriedigenden Ergebnissen führen, wurde schon zu Beginn der Arbeit festgestellt. 316 So wurde bereits in Beispielsfall 1 317 darauf hingewiesen, dass der säumige Bürger gegenüber dem sich ordnungsgemäß verhaltenden Bürger durch die Normenkontrollentscheidung bevorzugt wird, ohne dass nachvollziehbare Gründe dies rechtfertigen können. Eine vergleichbare Ungleichbehandlung kann sich auch aus einem unterschiedlich schnellen Vorgehen der Behörden bei der Vollstreckung von Verwaltungsakten ergeben 318: Hat die Behörde bei der Vollstreckung eines Verwaltungsakts gegenüber Bürger A zufällig länger gebraucht als bei Bürger B, so kann sich – wird die Rechtsgrundlage der Verwaltungsakte für unwirksam erklärt – Bürger A auf das Vollstreckungsverbot des § 183 S. 2 VwGO berufen, während Bürger B, der im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Norm bereits fristgerecht bezahlt hat, mit „leeren Händen da steht“. 315 316 317 318

Vgl. Dageförde, VerwArch 79 (1988), 141; Kopp / Schenke, § 47 Rn. 108. Siehe oben A.II.2.a. Vgl. oben A. III. 1. Dazu auch Trzaskalik, DB 1991, 2256.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Indem man nun den Betroffenen eines bestandskräftigen, rechtswidrigen Verwaltungsakts für den Fall der Unwirksamerklärung einer Norm einen Anspruch auf eine neue Befassung mit dem rechtswidrigen Verwaltungsakt einräumt, mindert man diese Ungleichbehandlung. Zwar bleibt es auch nach der hier vorgeschlagenen Lösung weiterhin dabei, dass der Eintritt der Bestandskraft als Zäsur für die Abwicklung dieser Verwaltungsakte zu ungerechten Ergebnissen führen kann. Dadurch, dass sich die Behörde aber nochmals mit dem Verwaltungsakt beschäftigen und letztlich eine fehlerfreie Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts treffen muss, überwindet der Betroffene die Barriere der Bestandskraft, die seinem Aufhebungsbegehren ansonsten von der Verwaltung ohne weiteres entgegengehalten werden kann. Die Tatsache, dass der Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts nach Ergehen der Normenkontrollentscheidung nicht mehr der alles entscheidende Grund für die Ablehnung der Rücknahme des Verwaltungsakts sein kann, erleichtert es dem Bürger, in Härtefällen eine Korrektur der durch den Verwaltungsakt geschaffenen Situation durchzusetzen. 319 Dies wird auch der Tatsache gerecht, dass die Rechtssicherheit dann weniger schutzwürdig ist, wenn sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts fast schon aufdrängt. Hier ist es angebracht, die Abwägung zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit nicht ausschließlich zugunsten eines pauschalen Vorranges der Rechtssicherheit für die Vergangenheit zu entscheiden, sondern aufgrund der gravierenden Bedenken an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts auch die materielle Gerechtigkeit im Einzelfall zu akzentuieren. Die Position des durch den rechtswidrigen Verwaltungsakt Belasteten wird dadurch verbessert, ohne die bisherigen Rechtsschutzmöglichkeiten zu erweitern. Die Verwaltung muss daher nicht befürchten, dass bestandskräftig abgeschlossene Verfahren in weitaus größerem Umfang wiederaufgerollt werden müssen, als bisher: Dem Betroffenen stehen auch nach der hier vertretenen Ansicht nur diejenigen Rechtsmittel offen, die auch von der herrschenden Meinung bislang akzeptiert wurden, nämlich ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts. 320 Einzig der Prüfungsmaßstab, anhand dessen diese Ermessensentscheidung der Behörde vorzunehmen ist, wird zugunsten des Betroffenen präzisiert.

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Diese Tendenz zeigt sich auch in VGH Mannheim, UPR 1983, 343: „Sind die dem Antragssteller nachteiligen Festsetzungen eines Bebauungsplanes auf der Grundlage bestandskräftiger Baugenehmigungen bereits verwirklicht, besteht dennoch in der Regel ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag, wenn mit der beantragten Nichtigerklärung des Bebauungsplanes die Tatbestandsvoraussetzungen für eine Rücknahme oder nachträgliche Einschränkung der Baugenehmigung geschaffen werden.“ Dieses Fazit wäre ohne Sinn, wenn sich die Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm nicht doch auf ein mögliches Rücknahmeverfahren auswirken würde. 320 Zur Frage, im Rahmen welcher Klageart dieser Anspruch gerichtlich geltend gemacht werden kann, vgl. unten E. IV. 2.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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dd) Reichweite dieser Auffassung und praktische Konsequenzen Wie schon erwähnt führt die hier vertretene Auffassung im Ergebnis zu keinen gravierenden Abweichungen zu der bislang herrschenden Meinung. Es bleibt dabei, dass in der Regel kein Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG besteht. Der Betroffene hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Behörde das ursprüngliche, bereits abgeschlossene Verwaltungsverfahren wieder neu aufrollt und dieses anhand der nunmehr festgestellten materiellen Rechtslage erneut in der Sache entscheidet, wie § 51 VwVfG dies vorsieht. Selbst wenn die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als Resultat der erneuten Sachprüfung aufgrund der Unwirksamkeit der Norm feststeht, muss der Verwaltungsakt nicht zwingend zurückgenommen oder neubeschieden werden. Insofern besteht also kein Wiederaufgreifensanspruch (im engeren Sinne). Meines Erachtens ist dem Betroffenen aber ein verfahrensrechtlicher Anspruch zuzugestehen. Dieser beschränkt sich ausschließlich auf eine Überprüfung des Verwaltungsakts in der Sache, bewirkt aber keine Vorentscheidung für die sich daran anschließende Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG. In Übereinstimmung mit der herrschenden Ansicht verbleibt es im Rahmen dieses zweiten Verfahrensschrittes bei einer Ermessensentscheidung der Verwaltung. Insofern wird der Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts sogar an die zusätzliche Anforderung eines Anspruchs auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne gebunden. Der grundlegende Unterschied des hier herausgearbeiteten Ansatzes zur bisherigen Auffassung liegt in der Konkretisierung und Beschränkung dieses Rücknahmeermessens. Der Behörde ist es nun untersagt, die Rücknahme des Verwaltungsakts unter Hinweis auf die Unanfechtbarkeit zurückzuweisen. 321 Es ist vielmehr die Aufgabe der jeweiligen Behörde, Gründe vorzutragen, weshalb der Verwaltungsakt, trotz erkannter Rechtswidrigkeit aufgrund des Wegfalls seiner Rechtsgrundlage, nicht zurückgenommen werden soll. Es geht bei einem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne nicht um die Frage, ob die Verwaltung eine neue Sachentscheidung treffen muss – dass sie dies nicht muss, steht außer Frage. Es geht aber um die Frage, weshalb der bestandskräftige, rechtswidrige Verwaltungsakt fortbestehen sollte, und diese Frage darf die Verwaltung nach Eintritt in eine erneute Sachprüfung nicht mehr allein unter Hinweis auf die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts beantworten, da die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts durch den verpflichtenden Eintritt in eine erneute Sachprüfung bereits durchbrochen wurde. Dennoch werden in vielen Fällen vernünftige Gründe für eine weitere Aufrechterhaltung des bestandskräftigen, rechtswidrigen Verwaltungsakts sprechen 321

Vgl. allgemein zu dem Nutzen eines Anspruchs auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, Baumeister, VerwArch 83 (1992), 387 und oben E.II.3.a.cc. am Ende.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

und im Ergebnis zu einer Ablehnung des Rücknahmegesuches des Betroffenen führen. 322 Die Verwaltung kann in diesem Zusammenhang unter anderem auf die erheblichen praktischen Auswirkungen einer Rücknahme hinweisen, durch die sich eine Selbstbindung über Art. 3 GG ergeben könnte und durch die sie sich in der Tat einer kaum zu bewältigenden Flut an Rücknahmegesuchen ausgesetzt sehen würde. Auch die Unmöglichkeit der Rückgewähr bereits geleisteter Beiträge unter haushaltspolitischen Gesichtspunkten, welche die Wahrnehmung der durch den Staat auszufüllenden Pflichtaufgaben ernsthaft gefährden würde, kann einer Rücknahme eines erkannt rechtswidrigen, bestandskräftigen Verwaltungsakts entgegenstehen. Als weitere Aspekte für eine Entscheidung gegen eine Rücknahme des Verwaltungsakts kommen in Betracht: die geringe Belastung des betroffenen Bürgers, deren Rückgängigmachung im Vergleich zu dem erzielten Gewinn für den Bürger außer Verhältnis stehen würde oder die lange Zeitspanne seit Erlass des ursprünglichen Verwaltungsakts, dessen Rückgängigmachung in besonderer Weise den Rechtsfrieden und die Rechtssicherheit in Frage stellen würde. Ferner muss im Rahmen dieser Entscheidung auch berücksichtigt werden, inwieweit der Betroffene selbst die Unwirksamkeit der Norm bereits im Ausgangsverfahren hätte geltend machen können. Dies führt nun aber nicht dazu, dass die Aufrechterhaltung erkannt rechtswidriger Verwaltungsakte nach Eintritt der Bestandskraft eine Ausnahme bilden solle, denn die Rechtswidrigkeit ist nur ein – wenn auch sehr bedeutendes – Kriterium für die Rücknahme des Verwaltungsakts, nicht aber das alles entscheidende. Demnach würden die Behörden im zweiten Verfahrensabschnitt zwar vermehrt zu einer Rücknahme des Verwaltungsakts gelangen, ohne dass aber die Rücknahme des rechtswidrigen, bestandskräftigen Verwaltungsakts den Regelfall bilden dürfte. 323 Die hier vertretene Auffassung ist daher weniger „revolutionär“, als auf den ersten Blick zu befürchten und dürfte – zumindest in den Ergebnissen – mit der bisherigen Rechtsprechung weitgehend vereinbar sein, unabhängig davon, ob man im Rücknahmeverfahren – wie hier vertreten – den Zwischenschritt der erneuten Sachprüfung isoliert betrachtet oder die diesbezüglich zu treffenden Ermessenserwägungen in einem einteiligen Rücknahmeverfahren verarbeitet. 324 ee) Setzt das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne einen Antrag voraus? Die materielle Frage nach dem Vorliegen eines Anspruchs auf eine erneute Sachprüfung ist damit hinreichend geklärt. Fraglich ist allerdings, ob die Behörden 322

Dazu auch Baumeister, VerwArch 83 (1992), 386. Vgl. Baumeister, VerwArch 83 (1992), 386. 324 Bestes Beispiel ist VG Düsseldorf, Urteil vom 04. 02. 2003 –17 K 991/02 (nicht veröffentlicht). Hier wird ein Wiederaufgreifen nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG abgelehnt und im Rahmen des Rücknahmeermessens nicht lediglich auf den Eintritt der Unanfechtbarkeit abgestellt, sondern die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts festgestellt und darauf hin begründet, weshalb dieser rechtswidrige Verwaltungsakt nicht aufgehoben werden kann. 323

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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zu einem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne von Amts wegen oder nur auf Antrag des Betroffenen verpflichtet sind. Für das Wiederaufgreifen im engeren Sinne besteht nach § 51 VwVfG ein Antragsbedürfnis. Ein Antrag des Betroffenen ist Zulässigkeitsvoraussetzung des Wiederaufgreifens. 325 Dieses aus dem insofern eindeutigen Wortlaut des § 51 VwVfG zu entnehmende Erfordernis wird denn auch nur sehr vereinzelt in Frage gestellt. 326 Für den Bereich des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne fehlt es an einer gesetzlichen Regelung. Daher läge zunächst die Annahme nahe, dass hier die Behörden von Amts wegen verpflichtet sind, die betroffenen Verwaltungsakte nochmals zu überprüfen und über deren Rücknahme zu entscheiden. Dafür spricht auch die Tatsache, dass der Bürger oftmals von der Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm keine Kenntnis erlangt und selbst bei Kenntniserlangung regelmäßig nicht in der Lage sein dürfte, die Auswirkungen der Normenkontrollentscheidung für die Rechtmäßigkeit des ihn betreffenden Verwaltungsakt zu erkennen. Würde man einem Antragserfordernis das Wort reden, bestünde die Gefahr, dass die Verpflichtung zum Wiederaufgreifen im weiteren Sinne in großem Maße unterlaufen wird. Auf der anderen Seite geht unser Rechtssystem von einem mündigen Bürger aus und legt es in dessen Hand, ob er seine ihm zustehenden Rechte ausüben möchte oder nicht. Hat sich der Betroffene mit dem ihn belastenden bestandskräftigen Verwaltungsakt abgefunden oder hat er aus sonstigen Gründen heraus kein Bedürfnis nach einer erneuten Überprüfung oder gar einer Rücknahme des Verwaltungsakts, dann wäre es überflüssig, die Behörde zu einer erneuten Sachprüfung und zu einer Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu zwingen. Ebenso wie in anderen Rechtsordnungen muss es vielmehr dem Bürger obliegen, von seinen Rechten Gebrauch zu machen oder untätig zu bleiben. Geht keine Initiative von dem Betroffenen aus, so bleibt es bei der uneingeschränkten Bestandskraft des Verwaltungsakts. Dies ist auch mit dem Grundsatz des Rücknahmeermessens der Behörde nach § 48 VwVfG vereinbar: Auch der Verwaltung steht es frei, grundsätzlich auf die Bestandskraft des Verwaltungsakts vertrauen. Eine permanente Nachforschungspflicht der Behörde, ob sich durch eine Veränderung der Umstände im Einzelfall eine Wiederaufgreifenspflicht ergibt, besteht nicht. Dazu tritt, wie auch schon für die Fälle des noch anfechtbaren Verwaltungsakts erörtert 327, ein Argument aus der Verwaltungspraxis. Die Kapazitäten der Verwaltung würden in einem großen Maße gebunden werden, müssten die Behör325 Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 10; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 22; Sanden, DVBl. 2007, 666; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 6; ausführlich zum Antragserfordernis des § 51 VwVfG: Baumeister, VerwArch 83 (1992), S. 390 ff. m. w. N. auch zu Gegenansichten. 326 Vgl. Schenke, DÖV 1983, 331 f., der in Sonderkonstellationen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG von einem Antragserfordernis abrückt. 327 Dazu oben D. II. 7.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

den jeweils aus eigenem Antrieb heraus alle Verwaltungsverfahren, welche die unwirksame Norm zum Gegenstand hatten, ausfindig machen und einer erneuten Prüfung unterziehen. Zumindest bei Verwaltungsakten, deren Regelungswirkung sich bereits in der Vergangenheit erschöpft hat, wäre dies mit den Grundsätzen der Verwaltungseffizienz nicht in Einklang zu bringen. 328 Eine Verpflichtung zum Eintritt in eine erneute Sachprüfung ist daher lediglich nach Antragsstellung des Betroffenen gegeben. Fehlt ein solcher Antrag, so kann die Behörde von sich aus das Verfahren im weiteren Sinne wiederaufgreifen; eine Verpflichtung hierzu besteht in dieser Konstellation jedoch nicht. 4. Sonderfälle Nach den oben herausgearbeiteten Ergebnissen kann auf die Unwirksamerklärung einer Norm zwar ein Anspruch auf ein sogenanntes Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, d. h. auf eine erneute Sachprüfung, gestützt werden, nicht jedoch ein Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts – diese Entscheidung verbleibt grundsätzlich im pflichtgemäßen (wenn auch eingeschränkten) Ermessen der zuständigen Behörde. Diese allgemeine Feststellung muss jedoch abgewandelt werden, soweit Dauerverwaltungsakte von der Unwirksamkeitsfeststellung der Norm betroffen sind (unter a.) oder soweit sich aus dem Gesetz heraus, hier insbesondere aus § 44 Abs. 1 SGB X, für bestimmte rechtswidrige Verwaltungsakte besondere Rücknahmeverpflichtungen ergeben (unter b). a) Dauerverwaltungsakte aa) Einführung Einer gesonderten Überprüfung bedarf es für den Fall des belastenden, rechtswidrigen Dauerverwaltungsakts, da hier die Ausgangssituation im Hinblick auf das Spannungsfeld zwischen Rechtssicherheit und materieller Gerechtigkeit für den Zeitpunkt ab Verkündung der Normenkontrollentscheidung vom Regelfall abweicht. Unter der Bezeichnung „Dauerverwaltungsakt“ sollen Verwaltungsakte erfasst werden, deren Wirkung nach Sinn und Zweck und dem einschlägigen Recht wesensgemäß auf Dauer angelegt ist 329, d. h. deren Wirkungen nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern während eines bestimmten Zeitraums eintreten. 330 328 Etwas anderes daher mag im Bereich der Dauerverwaltungsakte gelten, dazu unten E.II.4.a. 329 BVerwGE 78, 101 (111); 104, 115 (120); a. A. BSG SGb 2000, 381: Verwaltungsakte, die in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt der Bekanntgabe hinaus Wirkungen zeitigt; dazu kritisch P. Stelkens / U. Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 149 m. w. N., die

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers liegt ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung vor, „wenn sich der Verwaltungsakt nicht in einem einmaligen Ge- oder Verbot oder in einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpft, sondern ein auf Dauer berechnetes oder in seinem Bestand von dem Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet oder inhaltlich verändert.“ 331 Dies sind unter anderem Verwaltungsakte, die den Betroffenen zur Duldung wiederkehrender Eingriffe verpflichten, z. B. durch fortgesetzte, sich immer wieder aktualisierende Leistungsbescheide 332, oder ein dauerhaftes Rechtsverhältnis begründen, z. B. eine Baueinstellungsverfügung 333. 334 Im Zusammenhang mit der Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm dient bereits das Vollstreckungsverbot des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG bzw. des § 183 S. 2 VwGO dem Schutz des betroffenen Bürgers vor zukünftigen Eingriffen. Hierdurch wird zumindest formal sichergestellt, dass die Verwaltung die aus dem Verwaltungsakt für die Zukunft erwachsenden Duldungs- oder Leistungsansprüche nicht zwangsweise im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung durchsetzen kann. In Anbetracht der Risiken, welche das Vertrauen auf den Vollstreckungsschutz der besagten Regelungen mit sich bringt 335, stellt sich die weitergehende Frage, ob sich der Betroffene mit der Abwehr unzulässigen Vollstreckungszwangs zufrieden geben muss. bb) Sonderstellung des Dauerverwaltungsakts Wie ich bereits in den vergangenen Kapiteln ausdrücklich betont habe 336, ist nicht die grundsätzliche Verpflichtung der Verwaltung, fehlerhaftes Verwaltungshandeln zu beseitigen, sondern vielmehr der Ausschluss dieser Verpflichtung zu begründen. So wurde auch festgestellt, dass die sich aus den Grundrechten abzuleitende Beseitigungsverpflichtung der Behörde durch den Eintritt der Unzu Recht entgegnen, dass jeder Verwaltungsakt über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe hinaus wirkt. 330 P. Stelkens / U. Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 35 Rn. 149: zeitraum- und zukunftsbezogene Regelungen. 331 BT-Drucks. 8/2034, S. 34. 332 BVerwG DVBl. 1993, 782. 333 OVG Weimar NVwZ-RR 2000, 580. 334 Eine ausführliche Auflistung verschiedener Dauerverwaltungsakte findet sich bei Kopp / Schenke, § 113 Rn. 43 oder bei P. Stelkens / U. Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 150a. 335 Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung der umstrittenen Frage, ob die Behörde von Amts wegen verpflichtet ist, Vollstreckungsmaßnahmen zu unterlassen oder ob der Betroffene die Unzulässigkeit der Vollstreckung als Einrede geltend machen muss, siehe dazu unten E. III. 3. 336 Dazu oben D.I.3.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

anfechtbarkeit und der damit einhergehenden Bestandskraft des Verwaltungsakts beschränkt wird. 337 Nun wirkt die Bestandskraft aber nicht absolut. Untersucht man die Durchbrechungen der Rechtskraft, die bekanntlich in ihrer Bindungswirkung weitaus stärker ausgeprägt ist, als die Bestandskraft, so erkennt man deutlich, dass alle Prozessordnungen dauerhaft fortwirkende Rechtsverhältnisse, die durch Hoheitsakte begründet wurden, jeweils dann Anpassungsrechten unterwerfen, wenn sich die Sach- oder Rechtslage seit Erlass des rechtskräftigen Hoheitsakts geändert hat, so z. B. in § 323 ZPO. In diesen Fällen sollen die Hoheitsakte nicht statisch fortwirken und die enthaltenen Regelungen nicht ohne Rücksicht auf die geänderte Situation durchgesetzt werden. Die sich aus dem Hoheitsakt ergebenden Verpflichtungen sind an die entsprechenden Gesamtumstände anzupassen, da ein Festhalten an der einmal getroffenen Entscheidung mit dem Prinzip der materiellen Gerechtigkeit und dem materiellen Recht schlechthin unvereinbar wäre. 338 Die Rechtskraft wird von vornherein nur unter dem Vorbehalt einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse gewährleistet. 339 Sie bewirkt daher einen umfassenden Schutz nur für die bereits erfolgten Eingriffe, nicht aber unbegrenzt auch für die zukünftigen Teilregelungen und Vollzugshandlungen, die auf dem in der Vergangenheit liegenden Hoheitsakt beruhen. Diese Durchbrechung der Rechtskraft kann ohne weiteres auch auf die weniger stark ausgeprägte Bestandskraft von Verwaltungsakten übertragen werden: Ändern sich Rechts- oder Sachlage, so ist die Verwaltung verpflichtet, Verwaltungsakte, die fortdauernd zu einer Leistung oder zur Duldung von Eingriffen verpflichten, den neuen, geänderten Umständen anzupassen. Der Gesetzgeber des VwVfG und die Landesgesetzgeber haben dies in der Regelung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG und den entsprechenden Regelungen der jeweiligen LVwVfG auch zum Ausdruck gebracht. Ändert sich die Rechts- oder Sachlage, so besteht ein Anspruch auf eine Anpassung des Verwaltungsakts. 340 Probleme ergeben sich im vorliegenden Fall allerdings daraus, dass die allgemeinverbindliche Unwirksamerklärung einer Norm keine „Änderung der Rechtslage“ im Sinne des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG darstellt 341, denn die Normenkontrollentscheidung hat – trotz ihrer gesetzesgleichen Bindungswirkung – nur feststellenden Charakter und enthält keine konstitutive, gestalterische Regelung, durch welche die Rechtslage erst abgeändert wird. 342 Eine unmittelbare Anwendung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG scheidet deshalb aus. 337

Siehe oben D.I.3. und E.II.2.a. So zur Abänderungsklage des § 323 ZPO: Zöller-Vollkommer, § 323 Rn. 2. 339 Kneser, AöR 89 (1964), 184. 340 Die Regelung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG erfasst de facto nur Dauerverwaltungsakte, so u. a. Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 27; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 7. 341 Siehe oben E.II.3.b.cc. 342 Dazu oben A.I.2.c. 338

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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Dennoch besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass auch eine Klarstellung der Rechtslage durch eine Normenkontrollentscheidung die Verwaltung verpflichtet, eine Anpassung des Dauerverwaltungsakts an die nunmehr festgestellte Rechtslage vorzunehmen, sei es durch Rücknahme oder Abänderung des Verwaltungsakts. 343 Die Interessenlage ist hier für die Zukunft mit den Fällen der Rechtsänderung vergleichbar. Selbst die Vertreter der herrschenden Meinung, die jegliche Anpassungsverpflichtung der Behörde aufgrund einer Normenkontrollentscheidung mit der Begründung ablehnen, dass § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO als Spezialvorschriften vorgehen, machen hiervon eine Ausnahme für die Fälle der Dauerverwaltungsakte. 344 Diese „Sonderbehandlung“ von Dauerverwaltungsakten bei der Nichtigerklärung einer Rechtsnorm lässt sich nicht nur auf die vergleichbare Interessenlage zu § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG stützen, sondern auch auf die besondere Eigenart des Regelungstypus des Dauerverwaltungsakts. Ein Dauerverwaltungsakt fasst mehrere gleichlautende, zeitlich versetzte Einzelregelungen in einem Verwaltungsakt zusammen, die ohne weiteres jeweils selbständig für sich hätten ergehen können. 345 Wäre dies der Fall gewesen, so könnte der Bürger jeweils gegen einzelne Regelungen mit Rechtsbehelfen vorgehen: Wird zum Beispiel ein Bürger durch monatliche Bescheide jeweils zur Zahlung eines bestimmten Beitrages aufgefordert, so könnte er sich gegen jede einzelne Zahlungsaufforderung wehren und damit auch immer neue Anfechtungsgründe vorbringen. Fasst die Behörde nun diese Einzelregelungen in einem Dauerverwaltungsakt zusammen, um sich die Mühen sich immer wieder wiederholender Bescheide gleichen Inhaltes zu ersparen, dann kann alleine durch diese Arbeitserleichterung auf Seiten der Verwaltung nicht die Rechtsposition des Betroffenen verringert werden. 346 Neuartige Entwicklungen und Erkenntnisse, welche auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts hindeuten, muss der Betroffene auch hier zumindest mit Wirkung ex nunc vorbringen können. Die Bestandskraft kann einer solchen Berücksichtigung nicht entgegenstehen. Auf der anderen Seite bewirkt die Zusammenfassung einer Vielzahl von Einzelregelungen auch, dass die Verwaltung fortlaufend zur Kontrolle der Rechtsund Sachlage angehalten ist. 347 Der Erlass eines Dauerverwaltungsakts bewirkt, dass sich die Regelungswirkung der Einzelregelungen fortwährend aktualisiert. 343 Kneser, AöR 89 (1964), 184; Kopp / Schenke, § 183 Rn. 6; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 53; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 56; Steiner, FS BVerfG I, S. 652 f.; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 31; v. Einem, Strukturen, S. 183 f. 344 Bastian, Ermessen, S. 115 f.; Gosch, Wiederaufnahme, S. 123 ff. 345 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 395; Kopp / Schenke, § 113 Rn. 44. 346 So auch Kopp / Schenke, § 113 Rn. 44. 347 Baumeister, VerwArch 83 (1992), 395.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Die Verwaltung hat daher stets zu prüfen, ob im Zeitpunkt der Aktualisierung des Verwaltungsakts die Voraussetzungen für den Neuerlass der jeweiligen „Einzelregelung“ vorliegen. 348 Sind diese Voraussetzungen nicht mehr gegeben, zum Beispiel durch eine Klarstellung der Rechtslage infolge einer Normenkontrollentscheidung, so hätte der Einzelakt isoliert für sich gesehen nicht mehr erlassen werden können. Dann ist es aber auch nur folgerichtig, dass auch die Aktualisierung des bestandskräftigen Dauerverwaltungsakts durch eine Anpassung des Regelungsgehaltes unterbunden wird. cc) Unterschiedliche Wege zur Beseitigung ex nunc Besteht zumindest Einigkeit, dass überhaupt eine Anpassungspflicht besteht, so kann dennoch über den Weg gestritten werden, wie diese Anpassung zu erfolgen hat. Die überwiegende Ansicht in der Literatur verweist auf das Institut des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne. Für den Fall des Dauerverwaltungsakts verdichte sich das behördliche Wiederaufgreifensermessen infolge der Normenkontrollentscheidung auf Null mit dem Resultat, dass der Betroffene einen Anspruch auf eine erneute Sachprüfung besitze und die Behörde zu einer Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts verpflichtet werde. 349 Dabei gehen die Vertreter dieser Ansicht davon aus, dass das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne entsprechend dem Wiederaufgreifen im engeren Sinne nach § 51 VwVfG einen Anspruch auf eine neue Sachentscheidung auf der Grundlage des materiellen Rechts zur Folge hat. 350 Verwiesen wird dabei auf die vergleichbaren Vorschriften der Zivil- und Verwaltungsgerichtsbarkeit, welche eine Anpassung an die „geänderten“ Umstände durch einen Anspruch auf erneute Sachprüfung und -entscheidung gewähren. 351 Ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne führt nun aber gerade nicht zu einem Anspruch auf eine erneute Sachentscheidung. Vielmehr ist die Behörde im Rahmen des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne nur dazu verpflichtet, 348

So ausdrücklich bereits Baumeister, VerwArch 83 (1992), 395. Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 53; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 56; Steiner, FS BVerfG I, S. 653, v. Einem, Strukturen, S. 184; a. A. aber im Ergebnis übereinstimmend Bastian, Ermessen, S. 119 f. und Gosch, Wiederaufnahme, S. 123 ff., die § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO lediglich als Spezialregelungen für die Vergangenheit ansehen, hinsichtlich des Zeitraums ab Verkündung der Normenkontrollentscheidung § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG für anwendbar erachten. 350 So lassen es die Ausführungen bei Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 53 (Anpassung an die verfassungsrechtlich klargestellte Rechtslage) und v. Einem, Strukturen, S. 184 (Anspruch auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens und Beseitigung des Bescheids im Aufhebungsverfahren) erahnen; unklar bei Steiner, FS BVerfG I, S. 653: Angleichung erfolgt auf der Grundlage des Anspruch auf sachliche Überprüfung bei Änderung der objektiven Rechtslage. 351 So Steiner, FS BVerfG I, S. 653. 349

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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auf der Grundlage der gesetzlichen Beseitigungsvorschriften – nämlich §§ 48, 49 VwVfG – in einem neuen Verfahren über die Beseitigung des Verwaltungsakts zu entscheiden. 352 Im Falle des rechtswidrigen Verwaltungsakts würde dies bedeuten, dass die Behörde lediglich zu einer Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG zu befinden hätte. Primäre Zielrichtung eines solchen Verfahrens ist die Rücknahme des Verwaltungsakts, nicht eine Abänderung oder Korrektur der ursprünglichen Entscheidung. Geht man mit den Vertretern dieser Auffassung den Weg über ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, so führt dies genau genommen nur zu einem Anspruch des Betroffenen auf eine erneute Sachprüfung und einer Ermessensentscheidung hinsichtlich der Rücknahme des Verwaltungsakts. Auch wenn diese im Regelfall den Verwaltungsakt zurücknehmen und einen neuen, der Rechtslage angepassten Verwaltungsakt erlassen wird, so hat der Betroffene genau genommen keinen Rechtsanspruch auf die Beseitigung des rechtswidrigen, belastenden Dauerverwaltungsakts. Die Behörde könnte nämlich im Wege der Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts theoretisch auch dessen Aufrechterhaltung anordnen. Erreicht werden sollte allerdings ein Anspruch auf Beseitigung weiterer Folgeeingriffe. Dieser Auffassung gelingt somit keine überzeugende Herleitung eines Anpassungsanspruchs des Betroffenen über den Weg des Wiederaufgreifen im weiteren Sinne. Die Rechtsstellung verbliebe bei der oben dargestellten Lösung, die nach der hier vertretenen Ansicht bereits allgemein für bestandskräftige, rechtswidrige Verwaltungsakte gilt und wird danach den Besonderheiten eines Dauerverwaltungsakts nicht gerecht. Überzeugender ist es daher, dem Betroffenen direkt einen Anspruch auf Aufhebung des Dauerverwaltungsakts einzuräumen, soweit sich dieser in Folge der Normenkontrollentscheidung nunmehr als rechtswidrig und rechtsverletzend erweist. 353 Danach würde sich im Fall der allgemeinverbindlichen Unwirksamerklärung einer Norm das Rücknahmeermessen der Behörde nach § 48 VwGO bezüglich belastender Dauerverwaltungsakte auf Null reduzieren. Es verbleibt nicht bei einem bloßen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne und der damit verbundenen (Ermessens-)Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts, sondern es kommt – ohne den Zwischenschritt des Wiederaufgreifens – unmittelbar zu einer Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung ex nunc. Einem Rücknahmeanspruch mit Wirkung ex tunc hingegen steht weiterhin die Bestandskraft der bisherigen Einzelregelungen entgegen, welche jedoch die Behörde nicht daran hindert, im Wege der Ermessensentscheidung über die rückwirkende Beseitigung des Verwaltungsakts eine anderslautende Entscheidung zu treffen. Für die Zukunft hingegen wird eine Rücknahmeverpflichtung 352 353

184.

Dazu ausführlich oben E.II.3.a.bb. Kopp / Schenke, § 183 Rn. 6; in diese Richtung wohl auch Kneser, AöR 89 (1964),

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

nicht von der Bestandskraft des Verwaltungsakts ausgeschlossen, denn das durch die Unanfechtbarkeit geschützte Rechtssicherheitsprinzip bewirkt insofern keine Sperrwirkung. 354 Zugleich entfällt durch die Unwirksamerklärung der Norm die verfassungsrechtliche Stütze für die Billigung zukünftiger Verfassungsverstöße 355, so dass der allgemeine öffentlichrechtliche Beseitigungsanspruch wieder auflebt und die Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Zukunft gebietet. Nur dieser Lösungsansatz setzt konsequent das im Rahmen der Interessenabwägung zwischen materieller Gerechtigkeit und Rechtssicherheit herausgearbeitete Bedürfnis des Betroffenen nach einer Beseitigung der fortwirkenden bzw. sich aktualisierenden Beeinträchtigungen in die Tat um. Eine Beschränkung des Anspruchs auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne würde ein Haltmachen auf halber Strecke bedeuten, ohne dass die Notwendigkeit eines rein verfahrensrechtlichen Anspruchs zwingend begründet werden kann. dd) Beseitigungspflicht und Antragserfordernis So bleibt auch hier die Frage offen, ob die Behörde nur auf Antrag des Betroffenen verpflichtet ist, den rechtswidrigen Dauerverwaltungsakt nach Verkündung der Normenkontrollentscheidung zurückzunehmen. Ausdrückliche Stellungnahmen zu diesem Problem finden sich nicht. Auf den ersten Blick scheint jedoch alles dafür zu sprechen, in Anlehnung an die Regelung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG die Stellung eines Antrages als Voraussetzung des Rücknahmeanspruchs anzusehen. Zum einen entspricht die Interessenlage bei einem Wiederaufgreifen aufgrund einer Änderung der Rechts- und Sachlage nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG der Interessenlage bei der Beseitigung des rechtswidrigen Dauerverwaltungsakts infolge der Unwirksamkeit der ihm zugrundeliegenden Norm, so dass es nur folgerichtig wäre, die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG entsprechend zu übernehmen. Eine gewisse Tendenz hin zu einem Antragserfordernis lässt sich denn auch teilweise in der Literatur erkennen. So spricht Steiner zum Beispiel davon, „dass dem aus einem Hoheitsakt mit Dauerwirkung Verpflichteten daher die Inanspruchnahme der rechtlichen Möglichkeiten offen steht, die von der allgemeinen Rechtsordnung für die Anpassung rechtsbeständig festgestellter Dauerrechtsverhältnisse hergeleitet werden.“ 356 Und auch Pietzner und v. Einem setzen wohl die Stellung eines Antrages voraus, wenn jeweils aktivisch formuliert wird, dass der Betroffene „die Anpassung an die verfassungsgerichtlich klarge354 Kopp / Schenke, § 183 Rn. 6; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 56. 355 Kneser, AöR 89 (1964), 184. 356 Steiner, FS BVerfG I, S. 652 f., wobei Steiner hierin eine allgemeingültige Aussage auch für den Bereich der prozessualen Anpassungsmechanismen macht, die alle die Stellung eines Antrages auf gerichtliche Anpassung voraussetzen, vgl. § 323 ZPO.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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stellte Rechtslage verlangen können sollte“ 357 oder es ihm „nicht verwehrt sein kann, für die Zukunft Beseitigungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen.“ 358 Zum anderen könnte man auch auf die Überlegungen verweisen, die hier im Zusammenhang mit dem Antragserfordernis bei einem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne 359 oder einem Antragserfordernis bei der Rücknahme noch anfechtbarer Verwaltungsakte angestellt wurden 360. In beiden Fällen wurde darauf verwiesen, dass die Behörde durch eine entsprechende Rücknahmeverpflichtung von Amts wegen nicht überfordert werden darf, indem sie aufgrund der Normenkontrollentscheidung ihre Akten auf mögliche Rücknahmeverpflichtungen durchforsten muss. Dies führte im Zusammenhang mit dem Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne dazu, von einer Pflicht zur erneuten Sachprüfung nur bei Stellung eines Antrages durch den Betroffenen auszugehen. Die Ausgangssituation bei Dauerverwaltungsakten ist allerdings eine andere, sowohl in dogmatischer, als auch in verwaltungspraktischer Sicht. Die Verwaltung muss hier nicht vor einer kaum zu bewältigenden Überprüfungswelle geschützt werden und sie muss auch nicht ihre Akten gesondert auf das Vorliegen eines rücknahmepflichtigen Dauerverwaltungsakts untersuchen, denn diese Fälle sind ihr bereits bekannt. Die Behörde ist nämlich aufgrund der Regelungen des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und des § 183 S. 2 VwGO von Amts wegen 361 verpflichtet, weitere Vollstreckungsmaßnahmen zu unterlassen. Von diesen noch zu vollstreckenden Verwaltungsakten dürfte insbesondere die Gruppe der Dauerverwaltungsakte umfasst werden, enthalten diese doch für die Zukunft sich aktualisierende, jeweils vollstreckungsfähige Regelungen. Insofern besteht aus verwaltungspraktischen Gesichtspunkten heraus kein Bedürfnis nach der „Abschirmung der Verwaltung“ durch ein Antragserfordernis. Entscheidend gegen ein Antragserfordernis spricht allerdings die dogmatische Herleitung des Rücknahmeanspruchs bei Dauerverwaltungsakten. Wenn nun, mit den Worten Knesers 362 ausgedrückt, „die Unwirksamerklärung einer Rechtsnorm die verfassungsrechtliche Stütze von (zukünftigen) Verfassungsverstößen entfallen lässt“ und danach der allgemeine öffentlichrechtliche Beseitigungsanspruchs mit Wirkung für die Zukunft nicht durch die Bestandskraft des Dauerverwaltungsakts überlagert wird, dann muss die Behörde von Amts wegen zu einer Rücknahme des Dauerverwaltungsakts ex nunc angehalten sein. Würde man die Rücknahmeverpflichtung erst auf Antrag des Betroffenen eintreten lassen, so würde man gleich357 358 359 360 361 362

Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 56. v. Einem, Strukturen, S. 183. Dazu oben E.II.3.c.ee. Dazu oben D. II. 7. Dazu unten E. III. 3. Kneser, AöR 89 (1964), 184.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

zeitig den verfassungsrechtlich fundierten Beseitigungsanspruch vom Vorliegen „einfachgesetzlicher“ Tatbestandsvoraussetzungen, wie z. B. einem Antragserfordernis, abhängig machen. Das Bestehen des Beseitigungsanspruchs ist jedoch unabhängig vom Vorliegen eines Antrages des Betroffenen, so dass folgerichtig auch die Verpflichtung der Behörde zur Rücknahme eines rechtswidrigen, da rechtsgrundlosen Dauerverwaltungsakts nicht von der Stellung eines Antrages abhängig gemacht werden darf. 363 b) § 44 SGB X Ferner ist die jeweilige Behörde zur Rücknahme eines bestandskräftigen, infolge der Unwirksamkeit einer Norm rechtswidrigen Verwaltungsakts verpflichtet, wenn besondere gesetzliche Regelungen dies vorsehen. Denn wie bereits festgestellt, beinhalten die Regelungen des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO keine Aussage hinsichtlich des Ausschlusses oder des Fortbestehens von Beseitigungsansprüchen, da Verwaltungsakte auch nach der Nichtigerklärung ihrer Rechtsgrundlage mit der Stärke und Schwäche fortbestehen sollen, die sie bereits zuvor nach allgemeinen Regelungen besaßen. 364 Exemplarisch für diese Fallgruppe sind die Vorschriften der § 44 ff. SGB X. Diese Regelungen durchbrechen die Bindungswirkung bestandskräftiger Verwaltungsakte selbst für den Fall, dass diese Verwaltungsakte bereits durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt worden sind 365, indem sie über die Regelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts hinaus weitergehende Rücknahme- und Widerrufsverpflichtungen begründen, d. h. im Gegensatz zu §§ 48, 49 VwVfG solche Beseitigungsentscheidungen gerade nicht in das Ermessen der jeweiligen Behörde stellen. 366 Die §§ 44 ff. SGB X sind den Besonderheiten des Sozialrechts geschuldet. 367 Der besondere Charakter von Sozialleistungen und die grundrechtliche Verankerung des Sozialstaatsprinzips haben den Gesetzgeber zu einer weit stärkeren Durchbrechung der Bestandskraft veranlasst, als dies dem allgemeinen Verwaltungsrecht bekannt ist. So ist nach § 44 Abs. 1 SGB X ein rechtswidriger belastender Verwal363

Dieses Argument findet sich schon bei Schenke, DÖV 1983, 332, der mit dieser Argumentation das Antragserfordernis nach § 51 Abs. 1 VwVfG für die Fälle des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG in Frage stellt, in denen sich nicht nur ein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne, sondern bereits ein Anspruch auf Beseitigung des Verwaltungsakts ergibt, insbesondere wenn die Änderung der Rechts- und Sachlage zur Rechtswidrigkeit der Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts geführt hat. 364 Kneser, AöR 89 (1964), 181 m. w. N. 365 BSGE 51, 139 (141); Steinwedel, in: KK-SGB, § 44 SGB X Rn. 5. 366 Zu § 44 Abs. 1 SGB X: Blüggel, SGb 2003, 508; Steinwedel, in: KK-SGB, § 44 SGB X Rn. 14; Wiesner, in: v. Wulffen, § 44 Rn. 14. 367 Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 14.

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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tungsakt auch nach dessen Unanfechtbarkeit von der Verwaltung mit Wirkung ex tunc zurückzunehmen, wenn bei seinem Erlass das „Recht unrichtig angewendet wurde“. Nach § 48 SGB X besteht zusätzlich eine Rücknahmeverpflichtung auch in den Fällen, in denen sich seit Erlass des Verwaltungsakts die Sach- oder Rechtslage wesentlich verändert hat. Damit geht das Sozialrecht über die vergleichbare Bestimmung des § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG hinaus, die bei Änderung der Rechtsoder Sachlage lediglich einen Anspruch auf erneute Sachentscheidung gewährt. Für den hier zu behandelnden Fall der gerichtlichen Normenkontrollentscheidung ist im Sozialrecht auf § 44 Abs. 1 SGB X abzustellen. 368 Entgegen eine weitverbreiteten Ansicht stellt auch im Bereich des Sozialrechts die Normenkontrollentscheidung keine „Änderung der Rechtslage“ dar, so dass der Anwendungsbereich des § 48 SGB X nicht eröffnet ist. 369 Bezüglich der Argumentation zu dieser Streitfrage sei auf die Ausführungen zu § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG verwiesen, die für § 48 SGB X grundsätzlich übernommen werden können. 370 Der besondere Charakter des Sozialrechts hat keinen Einfluss auf die Auslegung des Begriffes „Rechtsänderung“, der im Fall der mit Gesetzeskraft ausgestatteten, aber rein deklaratorisch wirkenden Normenkontrollentscheidung nicht einschlägig ist. Im Gegensatz zu § 48 SGB X, der in erster Linie auf Dauerverwaltungsakte ausgelegt ist, greift daher die Vorschrift des § 44 Abs. 1 SGB X ein. Nach der gerichtlichen Feststellung, dass die Rechtsgrundlage des Verwaltungsakts ex tunc unwirksam ist, steht im Regelfall zugleich auch fest, dass die erlassende Behörde das Recht unrichtig angewendet hat. Die Gesetzesterminologie ist unglücklich, da sie zu der Annahme verleiten könnte, dass die Behörde das Recht gerade deshalb nicht unrichtig angewendet hat, weil sie verpflichtet war, das rechtswidrige Gesetz anzuwenden; denn im Gegensatz zur Judikative steht der Exekutive nach herrschender Meinung gerade keine Normverwerfungskompetenz zu. 371 Wie bereits von Einem zutreffend dargelegt hat, geht es aber darum, dass nicht die Vorschrift, sondern das Recht allgemein auch dann unrichtig angewendet wird, „wenn objektiv nicht existente Regelungen als Grundlage eines Verwaltungsakts herangezogen werden.“ 372 Eben diese „unrichtige Rechtsanwendung“ wird aber durch die rückwirkende Unwirksamerklärung einer Norm herbeigeführt; die bloße subjektive Annahme der Gültigkeit einer Norm kann an dieser Einschätzung nichts ändern, 368 So Steinwedel, in: KK-SGB, § 44 SGB X Rn. 9; Pietzner, in: Schoch / SchmidtAßmann / Pietzner, § 184 Rn. 28; Spellbrink / Hellmich, SGb 2001, 606 ff.; v. Einem, SGb 1986, 150; v. Einem, Strukturen, S. 294; Wiesner, in: v. Wulffen, § 44 Rn. 23. 369 So aber Blüggel, SGb 2003, Loytved, SGb 1989, 402. 370 Vgl. oben E.II.3.b. ausführlich zur Abgrenzung von § 44 SGB X und § 48 SGB X auch v. Einem, Strukturen, S. 293 f.; Wiesner, in: v. Wulffen, § 44 Rn. 12 und – wenn auch mit anderem Ergebnis – Blüggel, SGb 2003, 511 f. 371 Siehe dazu aktuell Schrader, VBlBW 2006, 382 f. zu OVG Münster NuR 2005, 191 ff.; Gril, JuS 2000, 1080 ff. 372 v. Einem, Strukturen, S. 296.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

da es bei der Beurteilung der Gesetzmäßigkeit auf subjektive Erwägungen nicht ankommt. 373 Daher stellt sich für die herrschende Ansicht auch hier das Problem einer Konkurrenz zweier Normen, nämlich einerseits § 44 Abs. 1 SGB X, der die Behörde zur Rücknahme des Verwaltungsakts verpflichtet, und andererseits § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, der solche Einzelakte „unberührt“ lässt. In diesem Zusammenhang wird denn auch die Frage erörtert, ob § 44 Abs. 1 SGB X eine „besondere Regelung“ im Sinne des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG darstelle. 374 Diese Frage ist sicherlich zu verneinen, denn § 44 Abs. 1 SGB X bezieht sich gerade nicht auf den konkreten Fall einer Normenkontrollentscheidung, besitzt daher einen allgemeineren Anwendungsbereich und kann schon deshalb nicht eine Spezialregelung zu § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG bzw. zu § 183 S. 1 VwGO sein. 375 Allerdings gilt auch hier wieder das bereits zum Verhältnis von § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO zu den allgemeinen Rücknahme- und Wiederaufgreifensregelungen der §§ 48 ff. VwVfG Ausgeführte. Es liegt nur eine scheinbarer Konkurrenzsituation vor, da sich – entgegen der herrschenden Ansicht – den Vorschriften der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO gerade kein konstitutiver Gehalt entnehmen lässt. 376 Auch hier möchte ich die zahlreichen Argumente nicht nochmals wiederholen 377 und lediglich darauf verweisen, dass die Regelung des § 44 SGB X keinen neuen Rechtsbehelf gegen unanfechtbare Entscheidungen in der Folge einer Normenkontrollentscheidung schafft. Bereits vor der Normenkontrollentscheidung bestehende Ansprüche auf ein Wiederaufgreifen des Verfahrens oder – wie hier – gar auf Rücknahme des Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit werden von § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO nicht ausgeschlossen 378, zumal dies den Einzelakten zu einer gesteigerten Bestandskraft verhelfen und gerade diejenigen treffen würde, die eigentlich von der allgemeinverbindlichen Normenkontrollentscheidung profitieren sollten. Treten aber beide Vorschriften, § 44 SGB X und § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG – gleiches gilt für § 183 S. 1 VwGO – tatbestandlich nicht in Konkurrenz, so gilt für die belastenden Verwaltungsakte des Sozialrechts, dass diese nach § 44 Abs. 1 SGB X mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen sind, wenn 373

Steinwedel, in: KK-SGB, § 44 SGB X Rn. 29; v. Einem, Strukturen, S. 296. Dazu BSG SGb 1989, 400 f.; Blüggel, SGb 2003, 512 ff.; Gosch, Wiederaufnahme, S. 128 ff.; Steinwedel, in: KK-SGB, § 44 SGB X Rn. 9; Bethge, in: Maunz / SchmidtBleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 55; Rudlof, Kompaß 1987, 168; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 28; Spellbrink / Hellmich, SGb 2001, 605 ff.; Steiner, FS Leisner, S. 579 f.; v. Einem, Strukturen, S. 297 ff.; Wiesner, in: v. Wulffen, § 44 Rn. 23. 375 Insoweit zutreffend Steiner, FS Leisner, S. 579 f.; a. A. BSG SGb 1989, 401; v. Einem, Strukturen, S. 301. 376 So richtig Blüggel, SGb 2003, 513 und Loytved, SGb 1989, 404. 377 Vgl. grundsätzlich dazu oben E.II.3.c.cc.(4). 378 Blüggel, SGb 2003, 513. 374

II. Rechte des durch den Verwaltungsakt Betroffenen

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deren Rechtswidrigkeit aufgrund des Wegfalls ihrer Ermächtigungsgrundlage festgestellt wird. 379 Diese Verpflichtung zur Rücknahme besteht von Amts wegen und erfordert keinen Antrag des Betroffenen auf Rücknahme des Verwaltungsakts. 380 Die Behörde ist aber nicht dazu verpflichtet, Unterlagen bereits abgeschlossener Verfahren von sich aus auf mögliche Rücknahmeansprüche durchzuarbeiten. 381 Vielmehr muss sie nur dann einen Verwaltungsakt von Amts wegen zurücknehmen, wenn ihr auch ohne einen konkreten Antrag die Rechtswidrigkeit des konkreten Verwaltungsakts bekannt wird. 382 Die Stellung eines Rücknahmeantrages durch den Betroffenen ist daher durchaus ratsam. 5. Fazit Nach Abschluss der Überlegungen kann daher festgehalten werden, dass in der Regel der Betroffene eines rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakts auch nach der Unwirksamerklärung der Rechtsnorm lediglich einen Anspruch darauf besitzt, dass die Verwaltung eine Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts allein nach der Maßgabe des § 48 VwVfG trifft. Der Vorteil dieses Wiederaufgreifensanspruchs im weiteren Sinne liegt darin, dass sich die Behörde im Rahmen dieser Ermessensentscheidung jedoch nicht mehr ausdrücklich auf die Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts berufen darf, sondern dass darüber hinausgehende Gründe die Beibehaltung des Verwaltungsakts rechtfertigen müssen, wenn die Behörde von einer Rücknahme des Verwaltungsakts absehen möchte. Ein solcher – sprachlich etwas unglücklich so bezeichneter – Anspruch auf ein „Wiederaufgreifen im weiteren Sinne“ wird von den Regelungen des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 S. 1 VwGO nicht berührt. Diese Vorschriften haben keine konstitutive Wirkung und beschränken daher die Rücknahmeund Wiederaufgreifensmöglichkeiten des Betroffenen nicht. Ein Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne scheidet dagegen tatbestandlich aus, da es sich bei der Normenkontrollentscheidung lediglich um eine Feststellung der Rechtslage, nicht jedoch um eine Änderung dergleichen handelt. Eine Ausnahme ist für Dauerverwaltungsakte zu machen, bei denen der Betroffene die Rücknahme aufgrund der Unwirksamerklärung der Rechtsgrundlage zumindest mit Wirkung 379 Im Ergebnis hiermit übereinstimmend BSGE 64, 62 (64); Steinwedel, in: KKSGB, § 44 SGB X Rn. 9; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 28; Spellbrink / Hellmich, SGb 2001, 610; v. Einem, Strukturen, S. 302; Wiesner, in: v. Wulffen, § 44 Rn. 23; a. A. Steiner, FS Leisner, S. 580; Rudlof, Kompaß 1987, 165 ff.; auch Blüggel, SGb 2003, 513, der jedoch einen Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts nach § 48 Abs. 1 S. 2 BVerfGG anerkennt. 380 Steinwedel, in: KK-SGB, § 44 SGB X Rn. 27; Wiesner, in: v. Wulffen, § 44 Rn. 13. 381 Wiesner, in: v. Wulffen, § 44 Rn. 13. 382 Steinwedel, in: KK-SGB, § 44 SGB X Rn. 27.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

ex nunc verlangen kann. Noch weitergehende materielle Ansprüche stehen dem Betroffenen im Bereich des Sozialrechts zu: Hier gewährt § 44 Abs. 1 SGB X einen Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts auch mit Wirkung für die Vergangenheit, der von den Regelungen des § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und des § 183 VwGO nicht eingeschränkt wird und daher buchstäblich „unberührt“ bleibt.

III. Rechtsfolge „pro futuro“ – Inhalt und Reichweite des Vollstreckungsverbotes nach § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO 1. Vorbemerkung Beruht ein Verwaltungsakt auf einer Norm, die ein Verfassungsgericht oder ein Oberverwaltungsgericht im Rahmen einer prinzipalen Normenkontrolle als unwirksam erachtet hat, dann ist dieser Verwaltungsakt in der Regel selbst rechtswidrig. 383 Die Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts ist auch ein ausschlaggebendes Kriterium für die Frage, ob und in welcher Form die Beseitigung dieses Verwaltungsakts erfolgen kann – oder gar erfolgen muss. Sie hat jedoch grundsätzlich keine Bedeutung, wenn es um die Frage der Vollstreckbarkeit des Verwaltungsakts geht. Die jeweiligen Gesetzgeber – die Vollstreckbarkeit von Verwaltungsakten fällt grundsätzlich in die Regelungskompetenz der Länder – haben davon abgesehen, die Vollstreckbarkeit eines Verwaltungsakts von dessen Rechtmäßigkeit abhängig zu machen, d. h. auch rechtswidrige Verwaltungsakte sind grundsätzlich vollstreckbar. 384 Grundvoraussetzung der Verwaltungsvollstreckung ist lediglich die Wirksamkeit des Verwaltungsakts, der ein Ge- oder Verbot enthält; feststellende und gestaltende Verwaltungsakte enthalten keinen vollsteckungsfähigen Inhalt und können daher nicht Grundlage für eine Verwaltungsvollstreckung sein. 385 Hinsichtlich der weiteren Voraussetzungen der Verwaltungsvollstreckung ist zwischen der Vollstreckung wegen Geldforderungen und der Vollstreckung zur Erzwingung eines Handelns, Duldens und Unterlassens zu differenzieren. Im letzteren Fall fordern die Verwaltungsvollstreckungsgesetze übereinstimmend, dass die Grundverfügung bereits unanfechtbar sein muss, bevor es zur Einleitung von Vollstreckungsmaßnahmen kommen darf. Vor Eintritt der Unanfechtbarkeit kann lediglich dann vollstreckt werden, wenn der sofortige Vollzug angeordnet wurde oder Rechtsmit383

Vgl. oben C. IV. 5. Umkehrschluss aus § 6 VwVG bzw. den entsprechenden Regelungen der Länder (z. B: § 2 BWVwVG oder § 2 RPVwVG). 385 Maurer, § 20 Rn. 6; P. Stelkens / U. Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 35 Rn. 139 ff. 384

III. Rechtsfolge „pro futuro“

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tel gegen den Verwaltungsakt keine aufschiebende Wirkung besitzen, also in den Fällen des § 80 Abs. 2 VwGO. 386 Für den Bereich der Vollstreckung wegen Geldforderungen sehen die einzelnen Verwaltungsvollstreckungsgesetze unterschiedliche Regelungen vor. Teilweise wird auch hier – neben dem Vorliegen besonderer Vollstreckungsvoraussetzungen 387 – gefordert, dass der zu vollstreckende Verwaltungsakt bestandskräftig oder gemäß § 80 Abs. 2 VwGO sofort vollziehbar sein muss. 388 Das VwVG des Bundes und einige Landesverwaltungsvollstreckungsgesetze führen den Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts die Vollstreckung hingegen nicht als allgemeine Vollstreckungsvoraussetzung auf. 389 Übereinstimmend soll allerdings nach den meisten Verwaltungsvollstreckungsgesetzen die Vollstreckung einer Geldforderung nur zulässig sein, wenn die angeordnete Leistung fällig ist und eine Frist von einer Woche seit Bekanntgabe des Verwaltungsakts oder, wenn die Leistung erst danach fällig wird, eine Frist von einer Woche seit Eintritt der Fälligkeit abgelaufen ist. 390 Zusätzlich darf die Vollstreckungsanordnung 391 bzw. der Vollstreckungsauftrag 392 im Regelfall erst nach einer weiteren Mahnung des Schuldners erfolgen. 393 Allerdings gilt, dass durch die Einlegung eines mit aufschiebender Wirkung ausgestatteten Rechtsbehelfs die Fortsetzung eines bereits vor Eintritt der Unanfechtbarkeit eingeleiteten Vollstreckungsverfahrens gehemmt und somit vorerst unzulässig wird. 394 Ferner ist zu berücksichtigen, dass die Vollstreckung vor Eintritt der Unanfechtbarkeit das Risiko von Folgenbeseitigungs- und Amtshaftungsansprüchen in sich birgt, so dass in der Praxis, auch ohne das Erfordernis der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts als allgemeiner Vollstreckungsvoraussetzung, die Vollstreckung grundsätzlich erst nach Eintritt der Unanfechtbarkeit erfolgen dürfte. 395

386

So u. a. § 6 BVwVG; § 2 BWVwVG; Art. 19 Abs. 1 BayVwZVG und § 2 RPVwVG. Vgl. z. B. Art. 23 BayVwZVG; § 22 RPVwVG. 388 So z. B. § 2 BWVwVG; Art. 19 Abs. 1 BayVwZVG; § 2 HessVwVG; § 2 RPVwVG; § 3 Abs. 1 Nr. 1 LSAVwVG. 389 So z. B. § 3 BVwVG; § 6 NWVwVG. 390 So u. a. § 3 Abs. 2 BVwVG; Art. 23 Abs. 2 BayVwZVG; § 22 Abs. 1 RPVwVG, § 6 Abs. 1 NWVwVG; § 3 Abs. 1 Nr. 2 –4 LSAVwVG; nicht aber § 14 BWVwVG, die aber erst nach Fälligkeit ausgesprochen werden darf. 391 So § 3 BVwVG. 392 U. a. § 5 BWVwVG; § 21 RPVwVG. 393 Zu den Fragen im Zusammenhang mit dieser Mahnung (Zuständigkeit, Frist, Entbehrlichkeit) siehe Engelhardt / App, § 3 VwVG Rn. 8. 394 Engelhardt / App, § 3 VwVG Rn. 3. 395 Engelhardt / App, § 3 VwVG Rn. 3; Sadler, § 3 VwVG Rn. 27. 387

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Ließe man also die Bestimmung der § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, § 183 S. 2 VwGO beiseite, so würde die Normenkontrollentscheidung an der Vollstreckbarkeit eines unanfechtbaren Verwaltungsakts, welcher auf der als unwirksam eingestuften Norm beruht – gleich ob wegen einer Geldforderung oder zur Erzwingung einer Handlung, Duldung oder Unterlassung vollstreckt werden soll – nichts ändern. Ein solcher Verwaltungsakt könnte von der Verwaltung trotz nunmehr naheliegender Rechtswidrigkeit ohne weiteres vollstreckt werden. Die Regelung des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG – und entsprechend auch § 183 S. 2 VwGO – sieht nun aber vor, dass in diesen Fällen die unanfechtbare Entscheidung gerade nicht mehr als Grundlage für eine Vollstreckung herangezogen werden darf. Obgleich das Verwaltungsvollstreckungsrecht hinsichtlich Verwaltungsakten von Landesbehörden nicht in den Kompetenzbereich des Bundesgesetzgebers fällt und die vorliegende Regelung auch nicht durch den Kompetenztitel des Art. 94 GG abgedeckt wird 396, unterliegen auch solche Verwaltungsakte dem in § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG statuierten Vollstreckungsverbot, allerdings nicht unmittelbar, sondern aufgrund des in dieser Regelung enthaltenen allgemeinen Rechtsgedankens. 397 Das Gleiche gilt auch für Verwaltungsakte, die auf einer durch ein Landesverfassungsgericht für nichtig oder durch ein Oberverwaltungsgericht im Rahmen der prinzipalen Normenkontrolle nach § 47 VwGO für unwirksam erklärten Norm beruhen. Hier findet § 183 S. 2 VwGO ebenfalls nicht unmittelbar Anwendung, da sich diese Vorschrift nur auf gerichtliche Entscheidungen bezieht. Auch hier ergibt sich aber das Vollstreckungsverbot aus dem allgemeinen Rechtsgedanken, der sich aus § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, § 183 S. 2 VwGO und § 157 FGO 398 entnehmen lässt. 399 Hinsichtlich der Herleitung dieses allgemeinen Rechtsgedankens sei an dieser Stelle auf die vorangegangenen Ausführungen verwiesen. 400 Trotz des auf den ersten Blick eindeutigen Wortlauts der genannten Regelungen besteht aber in Einzelfragen durchaus noch Klärungsbedarf. Umstritten ist insbesondere, was unter dem Begriff „Vollstreckung“ im Sinne von § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, § 183 S. 2 VwGO zu verstehen ist (dazu 2.) und inwiefern die Vollstreckungssperre von Amts wegen zu berücksichtigen ist (dazu 3.).

396

Dazu oben B. III. 2. A. A. die herrschende Meinung: Vollstreckungsverbot des § 79 Abs. 2 BVerfGG unmittelbar auf Verwaltungsakte anwendbar, vgl. Ipsen, Rechtsfolgen, S. 307; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 57 ff.; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 36. 398 Auf landesrechtlicher Ebene sind ferner die Vorschriften der § 40 Abs. 2 S. 3 HessStGHG, § 26 Abs. 4 S. 4 RPVerfGHG und § 46 Abs. 2 S. 2 SaarVerfGHG zu nennen, vgl. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 58. 399 Vgl. Kopp / Schenke, § 183 Rn. 5; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 9; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 58. 400 Dazu oben B. II. – III. 397

III. Rechtsfolge „pro futuro“

219

2. Der Begriff der „Vollstreckung“ im Sinne der genannten Regelungen a) Sinn und Zweck des Vollstreckungsverbotes Um die Frage der Reichweite des Vollstreckungsverbotes zu klären, bedarf es zunächst eines Eingehens auf den gesetzgeberischen Willen, der hinter diesen Regelungen steckt. Der Gesetzgeber hat mit § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO versucht, den Grundsatzkonflikt zwischen Rechtssicherheit und Rechtmäßigkeit zumindest auf einer ersten Ebene zu lösen. Unmittelbar aus der Normenkontrollentscheidung soll sich danach kein Anspruch auf die Beseitigung eines Verwaltungsakts für die Vergangenheit ergeben, d. h. die Normenkontrolle schafft keine neuen Rechtsbehelfe gegen den Fortbestand des Verwaltungsakts. Bleibt es – oder besser: aktualisiert sich in der Folge der Normenkontrollentscheidung ein Anspruch des Betroffenen auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts, ohne dass sich die Verwaltung nunmehr allein auf den Eintritt der Unanfechtbarkeit berufen kann, so ist trotzdem unverkennbar, dass für die Vergangenheit grundsätzlich den Gesichtspunkten der Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit der Vorrang eingeräumt wird. Diese Grundsatzentscheidung erfolgt aber zu dem Preis, dass der Gesichtspunkt der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall für die Zukunft eine stärkere Gewichtung erfährt. Dem betroffenen Bürger wird quasi als notwendiger Ausgleich für die „Rückabwicklungssperre“ der Schutz vor einer weiteren Vollstreckung des rechtswidrigen Verwaltungsakts eingeräumt. Wenn der Betroffene sich nämlich bereits mit der grundsätzlichen Fortgeltung des rechtswidrigen Verwaltungsakts abfinden muss, dann kann er im Gegenzug darauf vertrauen, dass sich in der Zukunft aus eben diesem rechtswidrigen Verwaltungsakt keine für ihn nachteiligen Folgerungen ziehen lassen. Pietzner formuliert dies sehr treffend in seiner Aussage, dass es der Bürger „als Zumutung empfinden würde, wenn er Vollstreckungszwang trotz evidenter Verfassungswidrigkeit des Vollstreckungstitels erdulden müsste.“ 401 Dies würde auf Seiten des Betroffenen auch „die Akzeptanz des staatlichen Gewaltmonopols und die Bereitschaft zum Rechtsgehorsam empfindlich schwächen.“ 402 Dieses Regelungskonzept des § 183 S. 2 VwGO wird zwar nicht von Verfassungs wegen zwingend geboten, dürfte aber am ehesten der Situation gerecht werden. Wenn dem Betroffenen im Regelfall kein Anspruch auf Beseitigung des bestandskräftigen rechtswidrigen Verwaltungsakts zusteht und sich der Staat auch dann auf bestandskräftige Einzelakte stützen kann, wenn diese auf einem legislativen Unrecht beruhen, so mildert das Vollstreckungsverbot die negativen Wirkungen für den betroffenen Bürger zumindest ab, indem es eine Vertiefung des 401 402

Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 14. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 14.

220

E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Unrechts 403 mit Wirkung für die Zukunft dadurch verhindert, dass das rechtswidrige Ge- oder Verbot nicht zwangsweise durchgesetzt werden darf. Nicht beabsichtigt ist es hingegen, den Betroffenen von der Normenkontrollentscheidung über Gebühr profitieren zu lassen. Dies wird durch das Beruhenserfordernis sichergestellt. Die Vollstreckung ist nur insoweit untersagt, als sich die zu vollstreckende Grundverfügung nicht bereits aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen als rechtmäßig erweist. 404 Sinn und Zweck der genannten Regelungen ist demnach ausschließlich die „Fixierung des status quo“ zum Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung. 405 Dieser Regelungszweck macht es erforderlich, den Begriff der Vollstreckung in den genannten Regelungen sehr weit zu bestimmen. 406 Unter Vollstreckung in diesem Sinne sind daher nicht ausschließlich die Vollstreckungsmaßnahmen nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen zu verstehen. Würde man sich hierauf beschränken, so überließe man es dem Staat, das Vollstreckungsverbot in § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO zu umgehen. Für verwaltungsgerichtliche Entscheidungen ist daher allgemein anerkannt, dass durch das Verbot der Vollstreckung auch das Folgerungenziehen aus unanfechtbaren Entscheidungen, die lediglich Vorstufen einer späteren Vollstreckung sind, untersagt wird, so z. B. bei Kostenentscheidungen oder Vorabentscheidungen über den Grund. 407 Gleiches gilt auch für Bescheidungsurteile 408, so dass bei Vollzug eines Bescheidungsurteiles, nämlich bei Erlass der durch das Bescheidungsurteil geforderten Maßnahme, nicht mehr auf die für unwirksam erklärte Norm abgestellt werden darf. Die Vollstreckung darf auch nicht dadurch umgangen werden, dass das Ge- oder Verbot zwar nicht im Wege des Vollstreckungszwangs durch-, aber über den Umweg eines gestaltenden Verwaltungsakts dennoch in die Tat umgesetzt wird. 409 Für den Bereich der Verwaltungsakte ist ebenfalls von einer weiten Auslegung des Begriffes auszugehen. Von hoher Bedeutung ist hier insbesondere die Unzulässigkeit der Aufrechnung 410 durch die Behörde, welche die Grundverfügung 403

NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 1. Ipsen, Rechtsfolgen, S. 307; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 65; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 46. 405 Kraft, UPR 1988, 295; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 41, spricht davon, dass „der Rechtsdurchsetzungsprozeß auf dem Stand einzufrieren ist, den er im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der verfassungsgerichtlichen Entscheidung hat.“ 406 Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 61; NKVwGOHeckmann, § 183 Rn. 48; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 41. 407 Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 41 m. w. N. 408 Dazu BVerwG NVwZ 1984, 432; Kopp / Schenke, § 183 Rn. 3; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 42. 409 NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 48; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 43 m. w. N. 404

III. Rechtsfolge „pro futuro“

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erlassen hat. Die Aufrechnung stellt zwar keine Vollstreckungsmaßnahme im engeren Sinne dar; dennoch ist sie dem Begriff der Vollstreckung im Sinne von § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO unterzuordnen, da sie in ihrer Wirkung einer Vollstreckungsmaßnahme sehr nahe kommt, indem sie dem Aufrechnenden die Durchsetzung einer Forderung ohne das Inanspruchnehmen des staatlichen Gewaltmonopols ermöglicht. Der Hoheitsträger kann sich deshalb nicht auf eine Aufrechnungslage berufen, um den Sinn und Zweck des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG bzw. des § 183 S. 2 VwGO zu umgehen, so dass die Aufrechnung – quasi als Vollstreckungssurrogat 411 – mit einer Forderung aus einem Verwaltungsakt, der auf einer für unwirksam erklärten Norm beruht, ebenfalls vom Vollstreckungsverbot dieser Regelungen untersagt wird. b) Vollstreckung auch bei positiv gestalterischen Verwaltungsakten? Umstritten ist die Situation bei Verwaltungsakten, die kein Ge- oder Verbot enthalten, sondern „materiell feststellenden und verfahrensrechtlich gestaltenden“ 412 Inhalt besitzen. Gemeint sind hier insbesondere Verwaltungsakte, die einem Bürger eine Genehmigung aussprechen, also eine Gestattungswirkung enthalten, einem Dritten gegenüber allerdings eine Belastung darstellen. In der Praxis wird diese Fragestellung insbesondere am Beispiel einer Baugenehmigung 413 relevant, wie in Beispielsfall 2 414 zu erkennen ist. Hier stellt sich die Frage, ob der Adressat der bestandskräftigen Baugenehmigung auch nach der Normenkontrollentscheidung noch von dieser Gebrauch machen darf. Beginnt er nach Eintritt der Bestandskraft sein Bauvorhaben gemäß der erteilten Baugenehmigung, dann kann ihn die Behörde nicht mehr durch Einstellungs- bzw. Beseitigungsverfügungen an der Umsetzung des materiell zwar rechtswidrigen, formell aber rechtmäßigen Bauvorhabens hindern. Es käme also zu einer „Vertiefung des Unrechts“ für den belasteten Nachbarn; von einer „Fixierung des status quo“ könne demnach keine Rede sein. 415

410 BFH NJW 1967, 1776; Eyermann-P. Schmidt, § 183 Rn. 8; Kopp / Schenke, § 183 Rn. 7; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 61; NKVwGOHeckmann, § 183 Rn. 48; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 43; ders., VerwArch 73 (1982), 406 f. 411 So der Wortlaut bei Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 61. 412 Kraft, UPR 1988, 295. 413 Vgl. hierzu Kerbusch, BlGBW 1981, 122; Kraft, UPR 1988, 295 f.; NKVwGOHeckmann, § 183 Rn. 48; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 44. 414 Siehe oben A. III. 2. 415 So Kraft, UPR 1988, 295 f.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

aa) Ansatz von Kraft Dieses Ergebnis hat Kraft zum Anlass genommen, um über den Begriff der Vollstreckung im Zusammenhang mit positiv gestalterischen Verwaltungsakten nachzudenken. Eine administrative Vollstreckung durch Befehl und Zwang aufgrund einer behördlichen Initiative ist in diesen Fällen nicht denkbar, da sich die Baugenehmigung auf die reine Legalisierung des Bauvorhabens erstreckt. 416 Diese Legalisierungswirkung der Baugenehmigung wirkt auch nach der Normenkontrolle fort, wenn auch jetzt mitunter feststeht, dass eine Baugenehmigung ursprünglich nicht hätte ergehen dürfen. 417 Würde § 183 S. 2 VwGO in diesem Falle nicht anwendbar sein, so liefe dies der ratio der Vorschrift, nämlich der Fixierung des status quo, zuwider, da es allein in den Händen des Adressaten der Genehmigung liegt, die Realisierung des Vorhabens umzusetzen. Daher müsse unter Vollstreckung im Sinne der genannten Vorschriften auch das Ausnutzen einer unanfechtbaren Genehmigung verstanden werden. 418 Kraft leitet dieses Ergebnis aus den Besonderheiten des konstitutiv gestalterischen Verwaltungsakts ab, die eine Gleichsetzung mit der prozessualen Gestaltungsklage ausschließen. Gestaltungsklagen werden zwar von § 183 S. 1 VwGO erfasst, nicht aber von § 183 S. 2 VwGO, weil es an einem vollstreckbaren Inhalt fehlt. Einer gesonderte Regelung für Gestaltungsklagen bedurfte es auch deshalb nicht, weil das Verwaltungsprozessrecht im Wesentlichen nur die kassatorische Gestaltungsklage in Form der Anfechtungsklage kenne, deren destruktiver Charakter kein Erfordernis nach einem Vollstreckungsverbot aufkommen lasse. Gleiches gelte im Übrigen auch für kassatorisch gestaltende Verwaltungsakte, wie z. B. den Widerruf eines Verwaltungsakts. Grundsätzlich anderes gelte hingegen bei „konstruktiv gestaltenden“ Verwaltungsakten. Durch sie werde abstrakt eine positive Gestattungswirkung erzeugt, die ohne Einschränkung auch in der Folge einer Normenkontrollentscheidung fortwirke. Daher könne eine Gleichsetzung von Gestaltungsklage und gestaltendem Verwaltungsakt nicht erfolgen. 419 Aus der ratio der Regelung des § 183 S. 2 VwGO müsse indes gefolgert werden, dass nicht nur die Abwehr staatlichen Vollstreckungszwangs, sondern auch die Umsetzung einer solchen Entscheidung unzulässig sei. 420 Nur durch diese entsprechende Heranziehung des allgemeinen Rechtsgedankens auch für „konstruktiv gestaltende“ Verwaltungsakte komme es zu einer Einfrierung des status quo, wie es vom Gesetzgeber gewollt war.

416 417 418 419 420

Kraft, UPR 1988, 295 f. Kraft, UPR 1988, 296. Kraft, UPR 1988, 296. Kraft, UPR 1988, 296. Kraft, UPR 1988, 296.

III. Rechtsfolge „pro futuro“

223

Kraft schränkt seine eigene These jedoch in der Folge ein: Aus Gründen des Vertrauensschutzes und zur Verhinderung eines Baustopps auf halbem Wege, gelte dieses „Umsetzungsverbot“ dann nicht, wenn der Adressat der Baugenehmigung bereits einen gewissen Baufortschritt erreicht habe. 421 In diesen Fällen sei dem Vertrauensschutz des Bauherrn – unter Hinweis auf § 50 VwVfG – Vorrang einzuräumen. Der Verwaltung solle hier nur die Möglichkeit der liquidationspflichtigen Rücknahme der Baugenehmigung offen stehen. 422 Ergeht die Normenkontrollentscheidung noch vor Eintritt der Unanfechtbarkeit, so soll die Umsetzungssperre des § 183 S. 2 VwGO entsprechend ohne Einschränkungen gelten. 423 bb) Kritik an dieser Lösung Diese Auffassung findet aus guten Gründen in Literatur und Rechtsprechung nur wenig Zustimmung. Zwar ergibt sich in der Tat aus dem Sinn und Zweck dieser Vorschriften das Erfordernis nach einer sehr weiten Auslegung des Begriffes „Vollstreckung“. Kennzeichen aller Verwaltungsvollstreckungsmaßnahmen und möglicher Umgehungsmöglichkeiten ist aber der staatliche Vollstreckungszwang, dem sich der Betroffene ohne Statuierung eines gesonderten Vollstreckungsverbots nicht entziehen kann. 424 In diesen Konstellationen bieten § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO Schutz, indem sie es dem Hoheitsträger untersagen, sich auf seine eigenen Vollstreckungstitel, hier Verwaltungsakte, als Grundlage der zwangsweisen Umsetzung zu berufen. Das Vollstreckungsverbot ist demnach grundsätzlich auf das Verhältnis Hoheitsträger – Behörde beschränkt. 425 Zwischen Privaten besteht eine vergleichbare Situation nicht. Der private Vollstreckungsgläubiger kann sich nicht selbst einen Vollstreckungstitel verschaffen und Vollstreckungsmaßnahmen durchführen, sondern muss sich – will er eine ihm zustehende Forderung zwangsweise durchsetzen lassen – eines staatlichen Vollstreckungsorgans bedienen. Das Kriterium des staatlichen Durchsetzungszwangs für die Definition des Begriffes Vollstreckung lässt sich auch an anderen Stellen unseres Rechtssystems erkennen. An keiner Stelle wird der Begriff „Vollstreckung“ jedoch im reinen Bürger-Bürger-Verhältnis ohne Einschaltung eines staatlichen Organs benutzt. 426 421

Kraft, UPR 1988, 296. Kraft, UPR 1988, 296. 423 Kraft, UPR 1988, 297. 424 OVG Saarbrücken UPR 1983, 30; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 44. 425 So NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 48. 426 Selbst im Zivilrecht kann der Vollstreckungsgläubiger keine Vollstreckungsmaßnahmen selbst vornehmen, sondern muss sich eines Vollstreckungsorganes, sei es Gerichtsvollzieher oder Vollstreckungsgericht, bedienen, um seine Forderung zwangsweise durchsetzen zu lassen. 422

224

E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Schon die Herleitung der These Krafts klingt wenig überzeugend. Dass sich das Vollstreckungsverbot nicht auf Verwaltungsakte bezieht, die kein Ge- oder Verbot enthalten, also nicht auf rein feststellende oder gestaltende Verwaltungsakte, ergibt sich nicht als Ergebnis eines Vergleichs mit der prozessualen Gestaltungsklage. Der alleinige Grund liegt darin, dass es in diesen Fällen keinen Inhalt gibt, der vollstreckbar ist. 427 Es ist daher nur schwer verständlich, weshalb Kraft die Unterschiede zwischen Gestaltungsklage und gestalterisch wirkendem Verwaltungsakt bemüht. Diese haben keinen Einfluss darauf, dass solche nicht vollstreckungsfähigen Verwaltungsakte nicht dem Rechtsgedanken des § 183 S. 2 VwGO und des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG unterfallen. Überzeugender ist allerdings die Argumentation, dass sich aus der Umsetzung der gestalterischen Wirkung einer Baugenehmigung eine Vertiefung des Unrechts ergebe, die vom Sinn und Zweck der Normen der § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, § 183 S. 2 VwGO, nämlich der Fixierung des status quo zum Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung, nicht beabsichtigt war. 428 In der Tat macht es für den Betroffenen wenig Unterschied, ob der Staat eine Forderung zwangsweise durchsetzt oder ob eine bisher nur auf dem Papier bestehende, rechtswidrige Situation durch seinen Nachbarn in die Praxis umgesetzt wird. Allein diese Interessenlage rechtfertigt es aber nicht, ein auf die Abwehr staatlichen Vollstreckungszwangs zugeschnittenes Recht auf die Beziehung zwischen zwei Privaten zu übertragen. Ungeklärt wäre in diesem Fall denn auch, wie ein solches Umsetzungsverbot funktionieren sollte. Dies beginnt schon bei der Frage, wer dieses Umsetzungsverbot anordnen müsste oder ob der begünstigte Dritte von sich aus die Umsetzung ohne weitere behördliche oder gerichtliche Anordnung zu stoppen hätte. Aufgrund der mitunter komplexen Fragen hinsichtlich der Berücksichtigung des Vertrauensschutzes Dritter und des Beruhens des Verwaltungsakts auf der rechtswidrigen Norm müsste für ein „Umsetzungsverbot“ wohl ein gesondertes Rechtsschutzverfahren eingeführt werden, dessen Rechtsweg nur schwer zu bestimmen wäre, würde es sich doch um eine Streitigkeit zwischen Privaten handeln, deren rechtliche Lösung sich ausschließlich nach verwaltungs- bzw. verfassungsrechtlichen Regelungen bestimmte. Die von Kraft geforderte Erweiterung des Vollstreckungsverbots durch ein generelles Umsetzungsverbot 429 ließe sich in der Praxis kaum durchsetzen. Gestärkt wird diese Auslegung durch eine Analyse des Wortlautes. Der Gesetzgeber spricht hier bewusst von der Unzulässigkeit der „Vollstreckung“, nicht aber davon, dass die betroffenen Entscheidungen nicht „vollzogen“ werden dürfen. 427

Maurer, § 20 Rn. 6; P. Stelkens / U. Stelkens, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 35 Rn. 139a. So Kraft, UPR 1988, 296 m. w. N. 429 So aber Kraft, UPR 1988, 296: „Die Umsetzung einer solchen Entscheidung ist unzulässig.“ 428

III. Rechtsfolge „pro futuro“

225

Der Gesetzgeber der VwGO hat das Begriffspaar „sofortige Vollziehung“ und „aufschiebende Wirkung“ in den Mittelpunkt der Regelung des vorläufigen Rechtsschutzes im Verwaltungsgerichtsverfahren gestellt. Der Begriff „Vollziehung“ geht dabei über den Begriff der „Vollstreckung“ hinaus und erfasst nicht nur Vollstreckungsmaßnahmen im engeren Sinne, sondern auch behördliche Vollziehungsanordnungen, die Aufrechnung sowie das Gebrauchmachen von Erlaubnissen. 430 Ist die sofortige Vollziehung ausgesetzt, so kann die Behörde nach § 80a Abs. 2 Nr. 2 VwGO einstweilige Maßnahmen treffen, um die Rechte des von der Genehmigung negativ betroffenen Nachbarn zu schützen, z. B. die Stilllegung des Bauvorhabens vorsehen oder weitere Anordnungen gegenüber dem Genehmigungsempfänger erlassen, die ihm die Ausnutzung der Genehmigung erschweren oder untersagen. Erst eine solche Anordnung kann gegebenenfalls als Grundlage einer Vollstreckung dienen. Die Vollstreckung eines Verwaltungsakts bleibt daher auf die Beziehung Behörde – Bürger beschränkt. Da der Gesetzgeber in § 183 S. 2 VwGO nun bewusst den Begriff „Vollstreckung“ und nicht den Begriff „Vollziehung“ verwendet, kann diese begriffliche Trennung nicht dadurch übergangen werden, indem man das Vollstreckungsverbot – wie Kraft dies fordert – als Umsetzungs- oder Vollzugsverbot auslegt. 431 Schließlich ist eine solche, über den Wortlaut der Norm weit hinausgehende Deutung auch nicht erforderlich, um einen angemessenen Interessensausgleich zu bewerkstelligen. Nach der hier vertretenen Ansicht hat der betroffene Dritte einen Anspruch darauf, dass sich die Behörde mit der Rücknahme des Verwaltungsakts befassen und – bei Ablehnung des Rücknahmebegehrens – dessen Weitergeltung gesondert begründen muss. 432 In diesem Rahmen sind bereits alle Wertungen vorzunehmen, die Kraft in das Vollstreckungsstadium verlegen möchte. Insbesondere die Frage des Vertrauensschutzes kann und wird im Regelfall auch dazu führen, dass die Verwaltung von einer Rücknahme der rechtswidrigen, aber bestandskräftigen Genehmigung Abstand nimmt. Dies ist auch systemgerecht, da die Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens eines Dritten kein Aspekt ist, der im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen ist – auch nach den Prozessordnungen spielt Vertrauensschutz im Vollstreckungsverfahren keine Rolle. Systematisch korrekt ist es hingegen, diesen Gesichtspunkt gemäß den Vorschriften des § 48 Abs. 2 –4 VwVfG im Rahmen der Rücknahmeentscheidung als ein wichtiges Kriterium der Ermessensausübung zu berücksichtigen.

430 Kopp / Schenke, § 80 Rn. 27ff. mit zahlreichen Nachweisen zu den einzelnen Fallgruppen. 431 In diese Richtung auch Kerbusch, BlGBW 1981, 122; ähnlich weit jedoch Pietzner, VerwArch 73 (1982), 410 f., der den Sinngehalt des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG weiter, über das Verbot staatlicher Zwangsanwendung hinausgehend, fassen möchte und „Vollstreckung“ mit „Verwirklichung“ und „Durchsetzung“ gleichsetzen möchte. 432 Siehe oben E.II.3.c.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Soweit Kraft vor Eintritt der Unanfechtbarkeit der Baugenehmigung deren Legalisierungswirkung entsprechend § 183 S. 2 VwGO pro futuro entfallen lässt, kann ihm ebenfalls nicht gefolgt werden. 433 Zum einen umfasst § 183 S. 2 VwGO vom Wortlaut und Zweck der Vorschrift ausgehend nicht den Fall des anfechtbaren Verwaltungsakts, sondern möchte nur die Fälle der zum Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung unanfechtbaren Entscheidungen regeln. Zum anderen bedarf es vor Eintritt der Unanfechtbarkeit keines umfassenden Vollstreckungsverbotes, soweit der Betroffene noch gegen die Grundverfügung selbst vorgehen kann. Hier muss der Betroffene die Rechtswidrigkeit der Genehmigung im Anfechtungsverfahren geltend machen und kann sich nicht auf ein Umsetzungsverbot berufen 434, zumal – entgegen Kraft – auch hier nach herrschender Meinung § 50 i. V. m. § 48 Abs. 2 –4 VwVfG den Vertrauensschutz des Genehmigungsempfängers hervorheben und so lange als vorzugswürdig erachten, als noch kein Rechtsbehelfsverfahren gegen die Genehmigung eröffnet wurde 435. c) Ergebnis Der Begriff „Vollstreckung“ in den genannten Vorschriften ist weit auszulegen und umfasst neben den herkömmlichen Vollstreckungsmaßnahmen im engeren Sinne auch alle Tätigkeiten des Hoheitsträgers, die einer Umgehung des Vollstreckungsverbots gleichzusetzen sind, insbesondere die Aufrechnung durch den Hoheitsträger. Keine Auswirkungen hat das Vollstreckungsverbot allerdings auf die Legalisierungswirkung von konstitutiv gestaltenden Verwaltungsakten. Das Ausnutzen einer solchen Genehmigung durch den Genehmigungsadressaten nach Eintritt der Bestandskraft ist keine Vollstreckung im Sinne von § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG oder § 183 S. 2 VwGO und ist demnach ohne Einschränkungen möglich. Ein betroffener Dritter kann auch hier lediglich eine behördliche Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts herbeiführen, die jedoch im Regelfall bereits an der Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Genehmigungsempfängers scheitern dürfte. 3. Wirkung des Vollstreckungsverbotes Bereits angeklungen ist die Frage, ab welchem Zeitpunkt das Vollstreckungsverbot eingreift und ob es von Amts wegen oder nur auf Antrag des Betroffenen zu berücksichtigen ist. Zum ersten Aspekt ist festzustellen, dass Einigkeit da433

Hierzu auch die Ausführungen unter C. II. und E. III. 3. Kneser, AöR 89 (1964), 147 f.; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 34; a. A. NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 47. 435 So die herrschende Meinung, vgl. Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 50 Rn. 70 m. w. N.; Remmert, VerwArch 91 (2000), 219 ff. 434

III. Rechtsfolge „pro futuro“

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hingehend besteht, dass erst die Normenkontrollentscheidung, nicht bereits die Einleitung des Normenkontrollverfahrens die Vollstreckung des Einzelakts verhindert. 436 Das bedeutet, dass sich der Betroffene bei bereits begonnenen, jedoch nicht beendeten Vollstreckungsmaßnahmen auf das Verbot der Fortführung der Vollstreckung berufen und die umgehende Einstellung der Vollstreckung erreichen kann. 437 Bevorstehende Vollstreckungen müssen unterbleiben. Vor Erlass der Entscheidung konnte jedoch vollstreckt werden, das heißt auch während des gerichtlichen Normenkontrollverfahrens durfte die Behörde auf der Basis der von ihr erlassenen Verwaltungsakte vollstrecken. 438 Zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits beendete Vollstreckungen bleiben auch nach Entscheidungsbekanntgabe wirksam und können nicht rückabgewickelt werden 439, wobei in den Fällen eine Ausnahme zu machen ist, in denen die Vollstreckung nur vorläufig erfolgte, da der Vollstreckungsschuldner Rechtsbehelfe gegen die Vollstreckung eingelegt hatte. 440 Dies zeigt auch die Regelung des § 79 Abs. 2 S. 4 BVerfGG, wonach eine Rückforderung auf dem Wege staatshaftungsrechtlicher Kondiktions-, Kompensationsoder Restitutionsansprüche ausgeschlossen ist. 441 § 79 Abs. 2 S. 4 BVerfGG hat nur deklaratorischen Charakter, da die bestehende Grundverfügung, so sie denn nicht von der Behörde zurückgenommen wird, den rechtlichen Grund für die Vermögensverschiebung bildet und somit Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung bereits tatbestandlich ausscheiden. 442 Eine Ausnahme gilt nur für Forderungen, die erst nach der Unwirksamerklärung realisiert wurden. 443 Aufgrund des rein klarstellenden Charakters dieser Regelung fehlt bei § 183 VwGO und bei § 157 FGO auch eine entsprechende Gesetzespassage. 444 Generell gilt, dass das Vollstreckungsverbot nur bzgl. solcher Verwaltungsakte gilt, die bereits bei Ergehen der Normenkontrollentscheidung bestandskräftig waren. 445 Konnte der Betroffene die Nichtigkeit der Norm noch im Rahmen eines 436 BVerwGE 56, 172 (179); Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 58; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 45; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 40. 437 Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 57; NKVwGOHeckmann, § 183 Rn. 45. 438 NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 45. 439 Kopp / Schenke, § 183 Rn. 5. 440 BFH NJW 1967, 1775; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 45; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 39 m. w. N. 441 Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 66. 442 Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 66; NKVwGOHeckmann, § 183 Rn. 42; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 38. 443 Kneser, AöR 89 (1964), 206 f.; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 42; Pestalozza, § 20 Rn. 78; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 38; a. A. Neckels, DStZ 1993, 330. 444 NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 42; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 37.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

ordentlichen Rechtsbehelfs- oder Rechtsmittelverfahrens geltend machen, so kann er sich nicht auf das Vollstreckungsverbot der genannten Vorschriften berufen. Diese beabsichtigen nämlich demjenigen einen Ausgleich zu gewähren, der auf die Wirksamkeit der Norm vertraut hat. Musste der Betroffene aber nicht auf diese Wirksamkeit vertrauen, weil die Norm bereits für unwirksam erklärt wurde, so obliegt es ihm, mit ordentlichen Rechtsmitteln gegen die Grundverfügung vorzugehen. Auf diesem Wege erreicht der Betroffene ferner nicht nur die Unvollstreckbarkeit der Grundverfügung, sondern sogar deren Beseitigung. Ihm ist deshalb – auch wenn in der Tat die Gefahr besteht, dass er von der Normenkontrollentscheidung nichts erfährt – die rechtschutzintensivere Form der Anfechtung des Verwaltungsakts zuzumuten. Auch aus dem Wortlaut der Regelungen des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und des § 183 S. 2 VwGO ergibt sich nichts anderes. Zwar könnten unter dem Wortlaut der „nicht anfechtbaren Entscheidungen“ auch solche Verwaltungsakte erfasst werden, deren Bestandskraft erst nachträglich eingetreten ist. Jedoch ist durchweg anerkannt, dass von § 183 S. 1 VwGO nur Entscheidungen erfasst werden, die zum Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung bereits unanfechtbar waren – dies ergibt sich aus dem Vorrang des Primärrechtsschutzes. 446 Es ist aber kein Grund ersichtlich, weshalb von dieser Auslegung des Begriffes „nicht mehr anfechtbar“ in S. 2 der Regelungen abgewichen werden soll, zumal dort jeweils ohne Differenzierung ausdrücklich auf S. 1 Bezug genommen wird. Wie bereits erläutert, handelt es sich bei dem Vollstreckungsverbot um eine Spezialregelung, die demjenigen durch das Verbot der Vollstreckung eine Kompensation für die Hinnahme des Verwaltungsakts gewähren möchte, der sich nicht mehr im Rahmen ordentlicher Rechtsmittel auf die Erkenntnis des Normenkontrollgerichts stützen konnte. Solange aber der Verwaltungsakt noch mit ordentlichen Rechtsbehelfen angefochten werden konnte, besteht dieses Kompensationsbedürfnis allerdings nicht: wer von der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts aufgrund der – nunmehr auch allgemeinverbindlich festgestellten – Unwirksamkeit der Norm ausgehen konnte oder dies gar wusste, der wird nicht anders behandelt als jeder Betroffene eines auf anderer Weise rechtswidrigen Verwaltungsakts, indem er sich nicht auf ein Vollstreckungsverbot berufen kann. Diese Konsequenz folgt dem bisher verfolgten Ansatz der Gleichbehandlung der Unwirksamerklärung einer Norm mit anderen denkbaren Rechtswidrigkeitsgründen eines Verwaltungsakts: Stellt die prinzipale Normenkontrollentscheidung keinen Sonderfall hinsichtlich der Rücknahme oder des Wiederaufgreifens von Verwaltungsakten dar, dann muss auch im Rahmen der Vollstreckbarkeit keine Ausnahme hiervon gemacht werden. 445 Kneser, AöR 89 (1964), 147 f.; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 34 m. w. N. 446 Vgl. Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 51; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 34, jeweils m. w. N.

III. Rechtsfolge „pro futuro“

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Diesem Verständnis kann auch nicht mit dem Argument begegnet werden, dass das Gericht oder die Behörde selbst, im Rahmen eines anhängigen Verfahrens, die Unwirksamkeit der Norm hätten berücksichtigen müssen und vom Bürger im Vergleich hierzu nicht mehr Wachsamkeit erwartet werden kann. 447 Wird die Normenkontrollentscheidung in einem anhängigen Verfahren nicht berücksichtigt, so ist die Entscheidung rechtswidrig und der Betroffene kann noch mit ordentlichen Rechtsmitteln dagegen vorgehen. Sollte ihm die Normenkontrollentscheidung erst nach Ablauf der Rechtsmittelfristen bekannt werden – ohne dass ihm ein Verschulden vorzuwerfen ist – so ist ihm Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand zu gewähren. 448 Es bedarf daher keiner Heranziehung des besonderen Vollstreckungsverbotes der § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, § 183 S. 2 VwGO, da die Beseitigung der Grundverfügung und damit einhergehend auch der Ausschluss der Vollstreckung noch auf ordentlichem Wege erreicht werden kann. Auch das Argument Heckmanns, der Betroffene könne ohnehin zwischen Einlegung des Rechtsmittels und der Vollstreckungsgegenklage wählen 449, überzeugt nicht. In beiden Fällen, Rechtsmittel oder Vollstreckungsgegenklage, muss der Betroffene nämlich seine Einwände gegen die Grundverfügung vorbringen und ein gerichtliches Verfahren einleiten. Vorweggreifend zu den folgenden Ausführungen 450 sei bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das Vollstreckungsverbot der oben genannten Regelungen aber bereits von Amts wegen zu berücksichtigen ist und damit gerade kein gerichtliches Verfahren erfordert. Überträgt man das Vollstreckungsverbot auch auf Verwaltungsakte, die zum Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung noch anfechtbar waren, so nimmt man dem Betroffenen die Rechtsverfolgungslast ohne zwingenden Grund ab, obwohl ihm nach allgemeinen Regelungen eine solche oblag, sei es in Form eines Rechtsmittels oder in Form der Vollstreckungsgegenklage. Ein generelles Vollstreckungsverbot auch in diesen Fällen ließe den Betroffenen von der ihm eigentlich obliegenden Anfechtung des Verwaltungsakts Abstand nehmen und unterliefe das System des Verwaltungsrechtsschutzes. Dieses geht aber gerade von dem mündigen Bürger aus, der sein Recht in die Hand nimmt. Eines zusätzlichen Schutzes des Betroffenen durch ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Vollstreckungsverbot bei nach der Normenkontrollentscheidung in Bestandskraft erwachsenden Verwaltungsakten bedarf es demnach nicht, zumal die Gefahr, dass die Verwaltung in diesen Fällen überhaupt Vollstreckungsmaßnahmen in die Wege leiten wird, in der Praxis rein theoretischer Natur sein dürfte.

447

NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 47. Kneser, AöR 89 (1964), 147 f.; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 34. 449 NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 47 m. w. N. 450 Siehe unten am Ende des Kapitels. 448

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Neben der Frage, ab wann das Vollstreckungsverbot Geltung erlangt, stellt sich die noch relevantere Frage, wie das Vollstreckungsverbot in der Praxis umzusetzen ist, d. h. ob die Behörden die Unzulässigkeit der Vollstreckung von Amts wegen zu berücksichtigen haben 451 oder ob der Betroffene den Einwand des Vollstreckungsverbotes im Rahmen einer (Vollstreckungsgegen-)Klage geltend machen muss 452. Hier hat sich schon früh eine Ansicht dafür ausgesprochen, dass das Vollstreckungsverbot vom Betroffenen eingewendet und gerichtlich festgestellt werden muss. Insbesondere Kneser 453 hat diese Auffassung durch seine Abhandlung zu § 79 BVerfGG bedeutend geprägt. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist der ausdrückliche Verweis in § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG auf die Vollstreckungsgegenklage. Der Gesetzgeber habe hier die Zwischenschaltung eines gerichtlichen Verfahrens vorgesehen. Die Vollstreckungsgegenklage sei eine Notwendigkeit, denn erst durch sie werde das Bestehen eines Vollstreckungsverbotes festgestellt. 454 Für gerichtliche Entscheidungen, bei denen eine Vollstreckung nach zivilprozessualen Regeln erfolgt, ergebe sich das Bedürfnis nach einem zwingenden Rechtschutzverfahren zur Feststellung der Unzulässigkeit der Vollstreckung schon daraus, dass das Vollstreckungsorgan, insbesondere der Gerichtsvollzieher, weder unter Kompetenzgesichtspunkten noch von seiner Ausbildung her in der Lage ist, die mitunter komplexe Feststellung eines Vollstreckungsverbotes zu treffen. 455 Die Situation bei Verwaltungsakten weicht hiervon insofern ab, als die Vollstreckung von Verwaltungsakten nicht die Zwischenschaltung eines Gerichtsvollziehers erfordert und die Behörde hier ihre eigenen Verwaltungsakte unmittelbar vollstrecken kann. Auch ist § 767 ZPO nicht anwendbar, da sich die Vollstreckung von Verwaltungsakten nicht nach der ZPO regelt. Jedoch gibt es auch hier aufgrund landesrechtlicher Spezialregelungen Verfahren, in denen der Betroffene Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch geltend machen kann, so zum Beispiel die Regelung des § 16 Abs. 2 RPVwVG. Im vorliegenden Fall der Unwirksamerklärung einer Norm müssen solche Vorschriften entsprechend ange451 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 310; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 50; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 57; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 58; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 36. Etwas anderes wird z. T. angenommen, wenn sich das Vollstreckungsverbot des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG auf die Vollstreckungsorgane der ZPO auswirkt. Hier wird die Beachtung des Vollstreckungsverbotes von der erfolgreichen Durchführung einer Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO abhängig gemacht, vgl. Ipsen, Rechtsfolgen, S. 310; Zekorn, ZZP 74 (1961), 421 f.; Steiner, FS BVerfG I, S. 639. 452 Kneser, AÖR 89 (1964), 194 ff.; Steiner, FS BVerfG I, S. 638 f.; Zekorn, ZZP 74 (1961), 421 f.; zumindest bzgl. der Vollstreckung zivilgerichtlicher Urteile auch Sommerlad, NJW 1984, 1491. 453 Kneser, AÖR 89 (1964), 194 ff. 454 Kneser, AÖR 89 (1964), 196. 455 Kneser, AÖR 89 (1964), 190; Zekorn, ZZP 74 (1961), 421 f.

III. Rechtsfolge „pro futuro“

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wendet werden, da der Gesetzgeber die nachträgliche Unwirksamerklärung einer Rechtsvorschrift wie eine nachträgliche, nicht bereits präkludierte Einwendung gegen den Verwaltungsakt behandele. Der Gesetzgeber bringe, so Kneser, in all diesen Normen ein bestimmtes Regel-Ausnahme-Verhältnis zum Ausdruck. 456 Danach seien Vollstreckungstitel so lange vollstreckbar, bis die Unzulässigkeit der Vollstreckung gesondert festgestellt wird. § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG und daher auch § 183 S. 2 VwGO bringen jedoch nicht hinreichend zum Ausdruck, dass der Gesetzgeber hier von diesem Regel-Ausnahme-Verhältnis abweichen wollte. 457 Dazu bestünde auch kein Grund, da dem Betroffenen durch das Verwaltungsprozessrecht ein lückenloser Rechtsschutz zur Verfügung stehe. Somit gelte auch für die Vollstreckung von Verwaltungsakten der Grundsatz, dass erst die eine zwischengeschaltete behördliche oder gerichtliche Entscheidung die Unzulässigkeit der Vollstreckung des Verwaltungsakts bewirken kann. Ein von Amts wegen zu beachtendes Vollstreckungsverbot sei danach abzulehnen. Andere Anhänger dieser Auffassung verweisen zusätzlich darauf, dass auch die Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG kein von Amts wegen zu berücksichtigendes Vollstreckungsverbot enthalte, obwohl eine Vollstreckung im Bereich des Strafrechts noch tiefgreifender in Rechte des Vollstreckungsschuldners eingreife. Auch hier müsse die Unzulässigkeit der Vollstreckung vorgebracht und in einem gesonderten Verfahren gerichtlich festgestellt werden. 458 Die herrschende Meinung widerspricht dem und verweist darauf, dass durch die Regelung des § 79 Abs. 1 BVerfGG eine Sicherstellung der strafprozessualen Verfahrensabläufe bewirkt werde und ein Vergleich zwischen § 79 Abs. 1 BVerfGG und § 79 Abs. 2 BVerfGG aufgrund der Spezialität des § 79 Abs. 1 BVerfGG unergiebig bleiben muss. 459 Der Vergleich zu § 79 Abs. 1 BVerfGG kann damit nicht als Rechtfertigung des Ausschlusses eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Vollstreckungsverbot vorgebracht werden. Ebensowenig überzeugt die Argumentation Knesers im Bezug auf § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG. Der Gesetzgeber hat mit dieser Regelung die Rechte des Betroffenen im Rahmen der zivilprozessualen Vollstreckung eindeutig gestärkt. Denn genau betrachtet handelt es sich bei der nachträglichen Normenkontrollentscheidung nicht um eine nachträgliche Einwendung im Sinne des § 767 ZPO, da die Unwirksamkeit der Norm rückwirkend festgestellt wird und der Einzelakt deshalb bereits bei Erlass rechtswidrig war. 460 Dennoch gewährt der Gesetzgeber dem Betroffenen eine Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung seiner Einwendungen 456

Kneser, AÖR 89 (1964), 196. Kneser, AÖR 89 (1964), 196; für den Bereich der gerichtlichen Entscheidungen so auch Zekorn, ZZP 74 (1961), 421 f. 458 Steiner, FS BVerfG I, S. 309 unter Verweis auf BVerfGE 15, 303 (308); 16, 246 (250). 459 Vgl. Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 42. 457

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

gegen die zu vollstreckende Grundverfügung, obwohl solche Einwendungen an sich nur bis zum Abschluss der Anfechtungsfristen vorgetragen werden können. Die Klage nach § 767 ZPO ist, insbesondere bei zivilgerichtlichen Entscheidungen, auch sinnvoll, da im Verlauf der gerichtlichen Auseinandersetzung auch der Vollstreckungsgläubiger Gründe vorbringen kann, welche die Fortsetzung der Vollstreckung rechtfertigen und ein Beruhen der Entscheidung auf der für rechtswidrig erklärten Norm ausschließen (sogenannte Replik der materiellen Richtigkeit 461). Folgt man nun der Aussage Knesers, so würde man den Regelungszweck des § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG, nämlich die Erweiterung der Rechtsschutzmöglichkeiten des Betroffenen, in sein Gegenteil verkehren, da hiermit gleichzeitig eine weitere Voraussetzung für den Eintritt der Unzulässigkeit der Vollstreckung statuiert würde. Bei § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG handelt es sich aber lediglich um eine zusätzliche Berechtigung für den Vollstreckungsschuldner, nicht um ein zusätzliches Tatbestandsmerkmal für ein Vollstreckungsverbot, wie sich unter anderem daran zeige, dass es für Vollstreckungen außerhalb der ZPO an gesonderten Verfahrensvorschriften fehlt. 462 Diese Auslegung wird auch dem Wortlaut der Vorschrift gerecht, der davon spricht, dass eine Vollstreckung aus solch einer Entscheidung unzulässig ist 463. Dies deutet darauf hin, dass es gerade keines konstitutiven staatlichen Aktes bedarf, um die Unzulässigkeit zu begründen. Die Vollstreckung ist unzulässig und kann nicht nur für unzulässig erklärt werden. 464 Eine andere Auslegung brächte die Wirkung der Vorschrift nicht zur optimalen Entfaltung. Der Gesetzgeber hat dem Gesichtspunkt der materiellen Gerechtigkeit für die Zukunft den Vorrang vor den Aspekten der Rechtssicherheit und Rechtsbeständigkeit eingeräumt. Daher dürfen Behörden nicht von sich aus sehenden Auges einen rechtswidrigen, weil einer gesetzlichen Grundlage entbehrenden Verwaltungsakt vollstrecken. Der Vorrang der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall wäre nur äußerst schwach ausgeprägt, wenn die Behörde zunächst die Vollstreckung weiterhin betreiben könnte und erst auf Einwand des Betroffenen unterlassen müsste. Denn dann könnte die Behörde darauf spekulieren, dass sich der Betroffene nicht gegen die Vollstreckung wehrt, zumal ihm die Normenkontrollentscheidung in der Regel ohnehin unbekannt sein dürfte. Der Regelungszweck von § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO könnte nach dieser Auffassung nicht erreicht werden. 460

Vgl. dazu Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 63; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 50. 461 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 310; Kneser, AÖR 89 (1964), 192; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 46. 462 So Ipsen, Rechtsfolgen, S. 309. 463 Ipsen, Rechtsfolgen, S. 309; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, §183 Rn. 39; selbst Zekorn, ZZP 74 (1961), gibt zu, dass der Wortlaut „sicherlich für die Berücksichtigung der Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung von Amts wegen“ spricht. 464 Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 39.

IV. Prozessuale Möglichkeiten des Betroffenen

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Daher ist mit der herrschenden Ansicht in der Literatur und der Rechtsprechung davon auszugehen, dass das Vollstreckungsverbot in der Folge der Normenkontrollentscheidung unmittelbar von Amts wegen zu berücksichtigen ist und die Behörde deshalb auf jegliche weitere Vollstreckungsmaßnahmen ohne weiteres verzichten muss.

IV. Prozessuale Möglichkeiten des Betroffenen zur Durchsetzung der festgestellten Ansprüche 1. Vorbemerkung Wie im Vorangegangenen dargelegt wurde, werden durch die Normenkontrollentscheidung (z. T. bereits bestehende) Rechte des Betroffenen eines Verwaltungsakts, der auf jener unwirksamen Norm beruht, aktualisiert (z. B. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne) oder hervorgerufen (z. B. Vollstreckungsverbot). Den Interessen der Betroffenen wird allein die Feststellung der Existenz dieser materiellen Rechtspositionen jedoch nicht gerecht; vielmehr stellt sich auch hier die Frage, wie diese einzelnen unterschiedlichen Rechtspositionen, so deren Bestehen im Einzelfall zwischen der Verwaltung und dem Betroffenen umstritten ist, gerichtlich durchgesetzt werden können. Auch hier steht das „Ob“ der Durchsetzung nicht in Frage: Gemäß der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG müssen dem Inhaber subjektiver Rechte auch die prozessualen Möglichkeiten offen stehen, diese Rechte gerichtlich durchsetzen zu lassen. 465 Lediglich über das „Wie“ der Durchsetzung kann gestritten werden. Die Frage des Rechtsschutzes wird im Folgenden ausschließlich im Zusammenhang mit dem bestandskräftigen Verwaltungsakt behandelt. Bei noch anfechtbaren Verwaltungsakten stellt sich aufgrund der klaren Vorgaben der VwGO die Frage der Ausformung des Rechtsschutzes nicht. Die Durchsetzung eines Beseitigungsanspruchs bei rechtsverletzenden, noch nicht bestandskräftigen Verwaltungsakten erfolgt im Wege der Anfechtungsklage nach § 42 VwGO 466. Insofern bedarf es keiner näheren Untersuchung. Ebenfalls unstrittig sind die Rechtsschutzmöglichkeiten eines vom ursprünglichen Verwaltungsakt begünstigten Dritten, sollte die Behörde diesen Verwaltungsakt als Konsequenz der Unwirksamerklärung einer Norm zurücknehmen. Da die Rücknahme des Verwaltungsakts selbst einen Verwaltungsakt darstellt 467, kann der Dritte Anfechtungsklage gegen die Rücknahmeentscheidung erheben. 468 Durch

465 466 467 468

Dazu ausführlich BK-Schenke, Art. 19 Abs. 4 GG Rn. 290. Vgl. Kopp / Schenke, § 113 Rn. 5, 6. Maurer, § 11 Rn. 68, Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 48 Rn. 241. Vgl. u. a. Ule / Laubinger, § 61 Rn. 12.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

die Aufhebung der Rücknahmeentscheidung würde nämlich die ursprüngliche Begünstigung wieder aufleben. Im Gegensatz dazu werden der Rechtsschutz gegen bestandskräftige Verwaltungsakte und die Rechtsbehelfe gegen Vollstreckungsmaßnahmen in der VwGO nicht ausdrücklich behandelt. Wie sich aber im Folgenden zeigen wird, kann sich der Betroffene eines Verwaltungsakts, der auf einer unwirksamen Norm beruht, mit den in der VwGO vorgesehenen Rechtsschutzmöglichkeiten sowohl gegen den Fortbestand eines solchen Verwaltungsakts als auch gegen dessen Vollstreckung zur Wehr setzen. 2. Wiederaufgreifen im weiteren Sinne Im Zusammenhang mit dem unter E.II.3.c.aa. erwähnten Anspruch auf ein sogenanntes „Wiederaufgreifen im weiteren Sinne“ stellt sich insbesondere die Frage, wie vorzugehen ist, wenn eine Behörde eine erneute Überprüfung des Verwaltungsakts und die anschließende Ermessensentscheidung über dessen Aufhebung nach § 48 VwVfG unter Hinweis auf die Bestandskraft des Verwaltungsakts ablehnt. Unumstritten dürfte sein, dass die Ablehnung eines Antrages auf ein solches Wiederaufgreifen im weiteren Sinne – wie auch im Übrigen die Ablehnung eines Antrages auf ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne gemäß § 51 VwVfG 469 – grundsätzlich in Form eines ablehnenden Verwaltungsakts erfolgt. 470 Für den Betroffenen bestünde daher zunächst die Möglichkeit, diesen Verwaltungsakt im Wege der Anfechtungsklage nach § 42 VwGO anzufechten. Dem Rechtsschutzziel des Betroffenen würde ein solcher Verweis auf die Anfechtungsklage jedoch nicht genügen, da selbst bei positivem Ausgang lediglich der ablehnende „Wiederaufgreifensbescheid“ kassiert, nicht aber die Behörde gleichzeitig zu einer weiteren Ermessensentscheidung über die Aufrechterhaltung oder Rücknahme des Verwaltungsakts gezwungen würde. Rechtsschutz kann dem Betroffenen in diesen Fällen lediglich über eine Verpflichtungsklage gewährt werden. 471 Ziel einer solchen Verpflichtungsklage muss die Verpflichtung der Behörde zur Rücknahme des Verwaltungsakts bzw. im Regelfall die Verpflichtung der Behörde zur ermessensfehlerfreien Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts im Wege einer sogenannten Bescheidungsklage sein. 472 Wenn in diesem Zusammenhang teilweise die Ansicht vertreten wird, dass eine Verpflichtungsklage auf Rücknahme des bestandskräftigen Ver469 E / E-Ruffert, § 25 Rn. 10; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 22; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 11; Ziekow, VwVfG, § 51 Rn. 24. 470 Siehe Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 18. 471 Zu § 51 VwVfG vgl. u. a. E / E-Ruffert, § 25 Rn. 11; Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 53; Kopp / Schenke, § 42 Rn. 39; Schenke, VPR, Rn. 278; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 69.

IV. Prozessuale Möglichkeiten des Betroffenen

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waltungsakts generell als rechtsmissbräuchlich einzustufen sei, weil hierdurch der Regelungszweck der Anfechtungsfristen der §§ 70, 74 VwGO unterlaufen würde 473, dann wird der subjektive Charakter des Rechtes auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts verkannt. Das Bundesverfassungsgericht hat hierzu unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass der Betroffene eines bestandskräftigen Verwaltungsakts zwar regelmäßig nicht dessen Rücknahme, aber zumindest eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme nach § 48 VwVfG einfordern kann. 474 Dieses Recht ist als subjektives Recht anerkannt und muss vom Betroffenen aufgrund der Garantie des Art. 19 Abs. 4 GG auch eingeklagt werden können. Den Bedenken der Gegenmeinung wird bereits dadurch Folge geleistet, als nach Eintritt der Bestandskraft des Verwaltungsakts die Rechtsposition des Betroffenen weitgehend abgeschwächt wird. 475 Während der Betroffene vor Eintritt der formellen Bestandskraft noch unmittelbar die Beseitigung des Verwaltungsakts verlangen konnte, beschränkt sich sein Anspruch nach Eintritt der Unanfechtbarkeit auf die bloße Ermessensfehlerfreiheit der Rücknahmeentscheidung. Der Sinn und Zweck der Anfechtungsfristen wird durch die grundsätzliche Zulässigkeit einer Verpflichtungsklage auf Rücknahme bzw. ermessensfehlerfreie Entscheidung hinsichtlich der Rücknahme des Verwaltungsakts nicht ausgehöhlt. Etwas schwieriger ist es herauszuarbeiten, worauf sich das Begehren des Betroffenen konkret beziehen muss. Probleme entstehen hier durch die Abgestuftheit des Verfahrens, d. h. es stellt sich die Frage, ob das Klagebegehren unmittelbar auf die Entscheidung über die Rücknahme zu richten ist oder zunächst auf die Feststellung der Wiederaufgreifensverpflichtung im weiteren Sinne beschränkt bleibt. Eine ähnliche Konstellation findet sich auch bei anderen gestuften Verfahren, so z. B. beim Rechtsschutz im Rahmen des Wiederaufgreifens im engeren Sinne. Hier kommt zunächst die Möglichkeit in Betracht, dass das Gericht die Behörde lediglich zu einem Wiederaufgreifen des Verfahrens verpflichtet und sich darauf beschränkt, das Vorliegen eines Wiederaufgreifensgrundes nach § 51 VwVfG zu überprüfen. 476 Der Kläger würde damit eine Entscheidung über das „Ob“ des Wiederaufgreifens herbeiführen. Denkbar ist aber auch, dass das Gericht im Rahmen des Verfahrens, so es denn das Vorliegen eines Wiederaufgreifensgrundes nach § 51 VwVfG feststellt, zugleich auch das Verfahren „durchentscheidet“ und 472 Clausing, JuS 1999, 475 unter Bezugnahme auf BVerwG NVwZ 1998, 861; Kopp / Schenke, § 42 Rn. 39; Schenke, VPR, Rn. 278. 473 Hufen, § 15 Rn. 8 unter Hinweis auf BayVGH BayVBl 1984, 405. 474 Grundlegend BVerfGE 27, 297 (307 ff.). 475 So Kopp / Schenke, § 42 Rn. 39 und Schenke, VPR, Rn. 278, 497b. 476 Hierfür OVG Münster NVwZ-RR 1996, 549; E / E-Ruffert, § 25 Rn. 11; Meyer / Borgs-Meyer, § 51 Rn. 24; Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, § 51 Rn. 69.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

den rechtswidrigen Verwaltungsakt in eigener Kompetenz beseitigt, also in einem Verfahren sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“ des Wiederaufgreifens im engeren Sinne vorgibt. 477 Nach der erstgenannten Auffassung dürfe das Gericht die Behörde lediglich zu einem Wiederaufgreifen im engeren Sinne verpflichten. Die Wiederaufgreifensentscheidung, d. h. die (neue) Entscheidung in der Sache, verbliebe bei der zuständigen Behörde. Das Gericht dürfe sich nicht über den Gewaltenteilungsgrundsatz hinwegsetzen und in eigener Kompetenz in der Sache entscheiden, zumal mit der Anerkennung eines solchen (Durch)Entscheidungsrechts auch eine weitere Verlagerung der Aufklärungsarbeit weg von den Behörden und hin zu den Gerichten erfolgen müsste. 478 Diese Auffassung dürfte in der Praxis mittlerweile durch das Bundesverwaltungsgericht 479 überholt sein. Das Bundesverwaltungsgericht hat hinsichtlich des Wiederaufgreifens eines Asylverfahrens ausgeführt, dass der Kläger nicht darauf beschränkt ist, lediglich die Wiederaufgreifensverpflichtung der Behörde feststellen zu lassen, sondern dass er in einem einzigen Verfahren auch die Sachentscheidung selbst einklagen kann. Das Gericht darf zur Entscheidung in der Sache nicht an die zuständige Behörde zurückverweisen, sondern müsse selbst entscheiden. 480 Das Bundesverwaltungsgericht erkennt hier zutreffend, dass es für den Kläger unbefriedigend wäre, zwei Verfahren führen zu müssen, um die letztendliche Entscheidung des Rechtsstreites herbeizuführen (Grundsatz der Prozessökonomie 481). Gosch stellt daneben noch fest, dass dem deutschen Verwaltungsrecht ohnehin die Figur eines Wiederaufgreifensbescheids fremd sei. 482 Schließlich wird sogar – meines Erachtens mit guten Gründen – vertreten, dass eine isolierte Klage auf Verpflichtung der Behörde zu einem Wiederaufgreifen des Verfahrens im engeren Sinne aufgrund der Unselbständigkeit dieser Verfahrensentscheidung durch die Vorschrift des § 44a VwGO unterbunden sei. 483

477 U. a. BVerwG NVwZ 1998, 861; Clausing, JuS 1999, 475; Ehlers, DV 37 (2004), 284; Gosch, Wiederaufnahme, S. 327 f.; Kopp / Schenke, § 42 Rn. 39; Schenke, VPR, Rn. 278; z. T. auch Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 53 f. für gebundene Entscheidungen; unklar bei Ule / Laubinger, § 65 Rn. 14; a. A. Scherer, VBlBW 1995, 175 (Wahlmöglichkeit des Klägers). 478 Diese Bedenken thematisiert auch Clausing, JuS 1999, 476. 479 BVerwG NVwZ 1998, 861; zuvor schon ähnlich bei BVerwG NJW 1982, 2204 f. 480 BVerwG NVwZ 1998, 861; ähnlich auch BVerwGE 26, 153 (158), BVerwG NJW 1982, 2204 f., wonach selbst dann das Gericht zu einer abschließenden Entscheidung des Verfahrens verpflichtet sein soll, wenn der Betroffene lediglich beantragt hat, das Verfahren wiederaufzugreifen. 481 Kopp / Ramsauer, § 51 Rn. 54; die prozessökonomischen Erwägungen bejahend, aber im Ergebnis anderer Auffassung Sachs, in: Stelkens / Bonk / Sachs, §51 Rn. 71. 482 Gosch, Wiederaufnahme, S. 327, der in der Regel auch das Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses verneint (vgl. Fn. 3).

IV. Prozessuale Möglichkeiten des Betroffenen

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Diese kurzen Ausführungen zur Verpflichtungsklage im Zusammenhang mit einem Wiederaufgreifen nach § 51 VwVfG lassen gewisse Rückschlüsse für den Rechtsschutz in der hier vorliegenden Fallkonstellation zu. Wenn bereits bei einem Wiederaufgreifen im engeren Sinne vertreten wird, dass nach § 44a VwGO lediglich auf den Erlass der Sachentscheidung geklagt werden kann, dann muss dies erst recht auch für den Fall des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne gelten. Beide Fallkonstellationen stimmen zunächst in der Zweistufigkeit des Verfahrens überein, nämlich einer ersten (formalen) Entscheidung über das Wiederaufgreifen und einer zweiten Entscheidung über die Beseitigung des Verwaltungsakts. 484 Im Gegensatz zu § 51 VwVfG sind allerdings bei einem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne die einzelnen Entscheidungsstufen enger miteinander verknüpft. Der ersten Entscheidung über das „Ob“ des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne kommt weniger eigenständige Bedeutung zu, als dies bei der Entscheidung über das Wiederaufgreifen im engeren Sinne der Fall ist. Während dort zunächst die Feststellung des Vorliegens von Wiederaufgreifensgründen anhand der eindeutigen Vorgaben der Regelung des § 51 VwVfG geprüft wird und in einem zweiten Schritt eine neue Sachentscheidung auf der Grundlage des materiell einschlägigen Rechts erfolgt, bauen die beiden Ermessensentscheidungen im Rahmen des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne eng aufeinander auf 485 – was nicht zuletzt die Vertreter der Lehre vom eingleisigen Aufhebungsverfahren als Argument hervorheben. Die Konsequenz der Wiederaufgreifensentscheidung im weiteren Sinne, die Bestätigung des subjektiven Rechtes auf ermessensfehlerfreie Entscheidung unter Berücksichtigung einer gewissen Ermessensschrumpfung, ist weniger stark vom ersten Verfahrensschritt abgekoppelt, als die Konsequenz des Wiederaufgreifens im engeren Sinne, nämlich der Erlass einer neuen Sachentscheidung anhand des jeweils einschlägigen materiellen Rechts; denn mit der Entscheidung für ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne erfolgt auch zugleich eine Entscheidung dahingehend, dass (nicht wie, sondern nur ob) eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme getroffen werden muss. Die Feststellung, dass eine erneute inhaltliche Überprüfung erfolgen muss, hat für den Betroffenen keinen eigenständigen Gehalt, sondern gibt nur die Richtung vor, nach welcher die Ermessensentscheidung über die Beseitigung des Verwaltungsakts erfolgen muss. Die Zweistufigkeit des Verfahrens zwingt meines Erachtens nicht auch zu einer Zweistufigkeit des Rechtsschutzes. Die Entscheidung über das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, d. h. über den Eintritt in eine erneute Prüfung des 483 Hödl-Adick, S. 283 ff., 264 ff.; Kopp / Schenke, § 42 Rn. 39 u. § 44a Rn. 5; Schenke, VPR, Rn. 279; kritisch Clausing, JuS 1999, 476. 484 Vgl. E.II.3.a.bb; siehe auch Baumeister, VerwArch 83 (1992), 376 f.; a. A. Korber, DÖV 1985, 309 ff.; ders., DVBl. 1984, 407 ff. 485 Die Schwierigkeiten, in der Praxis zwischen diesen beiden Ermessensentscheidungen zu trennen, zeigt sich schon bei der Herausarbeitung der jeweils zu berücksichtigenden Ermessenkriterien, vgl. E.II.3.a.cc.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Verwaltungsakts, stellt keine Sachentscheidung dar, sondern lediglich einen verfahrensrechtlichen Zwischenschritt, der Voraussetzung für die ordnungsgemäße Ausübung der Rücknahme- und Widerrufsbefugnis ist. Als Zwischenentscheidung kann sie nur als eine die spätere Sachentscheidung über die Beseitigung des Verwaltungsakts vorbereitende Verfahrenshandlung qualifiziert werden, die aufgrund der Vorschrift des § 44a VwGO nicht isoliert eingeklagt werden kann. 486 Im Regelfall ist dem Betroffenen jedoch anzuraten, lediglich eine Bescheidungsklage zu erheben. Durchaus zulässig ist es aber auch, im Rahmen der Verpflichtungsklage direkt auf Rücknahme des Verwaltungsakts zu klagen. 487 Da die Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts auch nach einem Wiederaufgreifen im weiteren Sinne jedoch (im Gegensatz zu einem Wiederaufgreifen im engeren Sinne) im Ermessen der Behörde steht und eine Ermessensreduktion auf Null nur in wenigen Fällen vorliegen dürfte, würde eine auf Rücknahme des Verwaltungsakts gerichtete Verpflichtungsklage mitunter teilweise abgewiesen werden 488, mit der Folge der anteiligen Kostentragungspflicht des Klägers. Daher ist im Regelfall die Verpflichtungsklage in Form einer Bescheidungsklage der passende Rechtsbehelf. 489 Besteht hingegen ein Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts, wie dies z. B. bei Dauerverwaltungsakten mit Wirkung ex nunc und bei sozialrechtlichen Verwaltungsakten gemäß § 44 Abs. 1 SGB X mit Wirkung ex tunc der Fall ist, dann ist eine Verpflichtungsklage unmittelbar auf Rücknahme des Verwaltungsakts zu erheben. 490 3. Vollstreckungsverbot Schwieriger ist die Frage nach dem passenden Rechtsbehelf für die gerichtliche Durchsetzung des Vollstreckungsverbotes der § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO zu beantworten. Dies liegt zum einen daran, dass der Rechtsschutz im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung bereits in seinen Grundlagen heftigst umstritten ist. 491 Zum anderen wird die Frage des Rechtsschutzes bzgl. der hier vorliegenden gesetzlich angeordneten Vollstreckungsverbote zusätzlich durch den Verweis auf die Vollstreckungsgegenklage verkompliziert. So statuieren nämlich § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG und § 183 S. 3 VwGO, dass dem Betroffenen die Möglichkeit offen steht, die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO zu erheben, 486

So zum Wiederaufgreifen im engeren Sinne: Kopp / Schenke, § 42 Rn. 39 m. w. N. Schenke, VPR, Rn. 279. 488 Schenke, VPR, Rn. 279. 489 Schenke, VPR, Rn. 279. 490 Vgl. zu diesen Fallkonstellationen E. II. 4. 491 Vgl. nur die Darstellungen bei Erichsen / Rauschenberg, Jura 1998, 323; Schenke / Baumeister, NVwZ 1993, 1 ff.; Schenke, VerwArch 61 (1970), 260 ff., 324 ff. 487

IV. Prozessuale Möglichkeiten des Betroffenen

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insoweit die Vollstreckung nach den Vorschriften der ZPO erfolgt. 492 Beide Vorschriften schaffen damit eine Sonderregelung insbesondere für den Bereich der gerichtlichen Entscheidungen, deren Vollstreckung sich – aufgrund des Verweises in § 173 VwGO auch für verwaltungsgerichtliche Entscheidungen – nach den Vorschriften der ZPO richtet. Nun handelt es sich bei dem Vortrag der Rechtswidrigerklärung einer Rechtsnorm um eine Einwendung, die sich unmittelbar gegen den in der Grundverfügung statuierten Anspruch richtet. Aufgrund der „ex tunc“-Nichtigkeit von Normen liegt kein nachträglicher, sondern ein bereits von Anfang an dem Verwaltungsakt anhaftender Makel vor, der im Anfechtungsverfahren hätte geltend gemacht werden müssen. 493 Der Einwand der ursprünglichen Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts kann im Vollstreckungsverfahren deshalb nicht mehr vorgebracht werden, da auf diesem Wege die Anfechtungsfristen der VwGO praktisch unterlaufen würden. 494 Entsprechende Regelungen enthalten auch § 18 Abs. 1 S. 3 BVwVG, § 256 AO (der zum Teil durch Verweis in den jeweiligen VwVG Anwendung findet 495) und die vergleichbaren Vorschriften der Länder, so z. B. ausdrücklich § 16 Abs. 2 S. 2 RPVwVG. Hier bleibt dem Betroffenen lediglich die Möglichkeit, durch eine Verpflichtungsklage die Rücknahme der Grundverfügung zu erwirken, wodurch auch die Vollstreckung – mangels vollstreckungsfähigen Titels – hinfällig würde. 496 Der Gesetzgeber hat im Rahmen der § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG und § 183 S. 3 VwGO allerdings – unter der Voraussetzung, dass die Vollstreckung von Entscheidungen nach den Vorschriften der ZPO erfolgt – die Vollstreckungsgegenklage als geeigneten Rechtsbehelf zur Geltendmachung der Unwirksamkeit einer Rechtnorm im Vollstreckungsverfahren vorgesehen. Danach kann der Betroffene unmittelbar ein Verfahren nach § 767 ZPO anstrengen. Obwohl die Rechtswidrigerklärung einer Norm eine anfängliche Einwendung gegen die Grundverfügung darstellt, so wird sie hier doch wie eine nachträgliche Einwendung behandelt. 497 Das nach der ZPO für die Geltendmachung eines Vollstreckungsverbots gedachte 492 Dieser Zusatz wird zwar in § 183 VwGO nicht erwähnt, ist aber auch deshalb bereits entbehrlich, weil gerichtliche Entscheidungen in Zivil- oder Verwaltungsangelegenheiten – und nur solche erfasst § 183 VwGO unmittelbar – ohnehin nach den Vorschriften der ZPO vollstreckt werden. 493 Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 58; für „Entscheidungen“ i. S. v. § 79 Abs. 2 BVerfGG auch Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 64. 494 Vgl. E / E-Erichsen (12. Aufl), § 21 Rn. 19; Erichsen / Rauschenberg, Jura 1998, 323. 495 Z. B. § 5 BVwVG; vgl. hierzu auch Engelhardt / App, § 256 AO Rn. 5. 496 Schenke / Baumeister, NVwZ 1993, 6, 7; Schenke, VerwArch 61 (1970), 362. 497 Ipsen, Rechtsfolge, S. 308 f.; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge Schenke, § 79 Rn. 64; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 45; a. A. NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 50, der auf der Grundlage der Vernichtbarkeitslehre (vgl. A.I.2.c.) die Unwirksamerklärung einer Norm als nachträgliche Einwendung erachtet.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Institut der Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO wird nicht entsprechend angewendet. Dies rechtfertigt sich nach einhelliger Auffassung aus Gründen der höheren Sachkompetenz des Prozessgerichts gegenüber dem Vollstreckungsgericht hinsichtlich der Beantwortung der unter Umständen komplexen Frage des „Beruhens“ der Entscheidung auf der kassierten Norm. 498 Bei der Vollstreckung gerichtlicher Urteile erwiese sich eine Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO auch bereits deshalb als ungeeignet, da dort die Vollstreckung unter Zwischenschaltung eines Gerichtsvollziehers erfolgt und dieser weder die Aufgabe, noch die fachliche Kompetenz hat, das Vorliegen eines Vollstreckungsverbotes nach § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG bzw. nach § 183 S. 2 VwGO und, in diesem Zusammenhang, die unter Umständen komplexe Frage des Beruhens zu beurteilen. 499 Durch die genannten Sonderregelungen wird für die Vollstreckung einer Entscheidung nach den Vorschriften der ZPO eine an sich bereits präkludierte Einwendung des Vollstreckungsschuldners zugelassen und die Rechtsbeständigkeit dieser Entscheidung zumindest für die Zukunft durchbrochen. 500 Für Verwaltungsakte scheidet eine unmittelbare Anwendung des § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG bzw. des § 183 S. 3 VwGO jedoch aus, da Verwaltungsakte nicht nach zivilprozessualen Vorschriften vollstreckt werden, sondern nach den Vorgaben des jeweils einschlägigen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes. Unumstritten ist aber, dass dem Betroffenen die prozessuale Durchsetzung des Vollstreckungsverbots der besagten Vorschriften offen stehen muss. Daher wird teilweise vertreten, dass auch bei der Vollstreckung von Verwaltungsakten die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO entsprechend anwendbar sei. 501 Insbesondere in der älteren Literatur wird darauf verwiesen, dass bei Verwaltungsakten insofern eine vergleichbare Situation zu den gerichtlichen Entscheidungen vorliege, als auch hier zur Entstehung des Vollstreckungsverbots eine konstitutive Erklärung des Gerichts notwendig sei. 502 Daher sei es angebracht, die Regelung der § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG, § 183 S. 3 VwGO entsprechend auch auf Verwaltungsakte anzuwenden. Kneser bezieht diese Analogie jedoch auf die (erstmalige) Anordnung des Vollstreckungsverbotes, die seines Erachtens erst konstitutiv das Entstehen des Vollstreckungsverbots des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG bewirkt, und möchte in Analogie zu § 767 Abs. 1 ZPO nicht das Gericht, sondern die Behörde, welche den Verwaltungsakt erlassen hat, über die Unzulässigkeit der Vollstreckung entscheiden lassen. 503 Zu den Möglichkeiten des Rechtsschutzes des Betroffenen, sollte 498 Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 64; vgl. für gerichtliche Entscheidungen: Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 45. 499 Vgl. Kneser, AÖR 89 (1964), 190. 500 Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 64 m. w. N. 501 Kneser, AÖR 89 (1964), 196 f. 502 Insbesondere Kneser, AÖR 89 (1964), 196. 503 Kneser, AÖR 89 (1964), 197.

IV. Prozessuale Möglichkeiten des Betroffenen

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die Behörde die Unzulässigkeit der Vollstreckung gerade nicht feststellen, äußert sich Kneser hingegen nicht. Wie bereits an anderer Stelle erläutert wurde, kann allerdings den Ausführungen Knesers nicht gefolgt werden, da das Vollstreckungsverbot der § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, § 183 S. 2 VwGO bereits von Amts wegen zu berücksichtigen ist und zu seiner Entstehung gerade keiner konstitutiven Erklärung mehr bedarf. 504 Ausführungen zur gerichtlichen Durchsetzung des Vollstreckungsverbotes aus § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO finden sich in der Literatur für den Bereich der Verwaltungsakte nicht. Sämtliche Kommentierungen und Abhandlungen zu den genannten Vorschriften beschränken sich auf die reine Feststellung der Existenz des Vollstreckungsverbotes und die Zulässigkeit der Vollstreckungsgegenklage als prozessualer Feststellungsklage für den Bereich gerichtlicher Entscheidungen 505 oder verweisen – wie Pietzner – auf die Rechtsschutzmöglichkeiten, welche nach dem jeweils einschlägigen Vollstreckungsrecht für das Geltendmachen nachträglicher materieller Einwendungen gegen den zu vollstreckenden Anspruch gegeben sind. 506 Die Frage, auf welche Art und Weise der Betroffene eines Verwaltungsakts in diesen konkreten Fällen Rechtsschutz vor Gericht ersuchen kann, ist demnach noch gänzlich unbeantwortet. Bei dem Vollstreckungsverbot der § 183 S 2 VwGO, § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG handelt es sich um eine atypische Fallkonstellation: Zum einen wurde erst durch die Normenkontrollentscheidung, also nachträglich, die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts evident, zum anderen handelt es sich aufgrund der Rückwirkung der Normenkontrollentscheidung um einen anfänglichen Mangel des Verwaltungsakts, der schon von Beginn an, aufgrund fehlender gesetzlicher Grundlage, rechtswidrig erlassen wurde. Es besteht also eine Diskrepanz zwischen der theoretischen und der praktischen Möglichkeit des Betroffenen, diese Fehlerhaftigkeit bereits im ursprünglichen Anfechtungsverfahren geltend zu machen. 507 Für gerichtliche Entscheidungen hat der Gesetzgeber die Einwendung der fehlerhaften gesetzlichen Grundlage, auch wenn sie aufgrund der ex tunc–Nichtigkeit der Norm eigentlich als anfänglich zu typisieren ist, prozessual wie eine nachträgliche Einwendung behandelt. Damit hat der Gesetzgeber die Rechtskraftwirkung der gerichtlichen Entscheidung durchbrochen. Gleiches muss aber erst recht für die weniger starke Bestandskraft von Verwaltungsakten gelten. Als Einwendung gegen die Vollstreckung ist aber nicht die ursprüngliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts 504

Vgl. oben E. III. 3. So z. B. Eyermann-P. Schmidt, § 183 Rn. 8; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 62 ff.; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 49 f.; Graßhof, in: Umbach / Clemens / Dollinger, § 79 Rn. 36; auch bei Kopp / Schenke, § 183 Rn. 1 ff. finden sich keine Aussagen hierzu. 506 Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 58. 507 Anschaulich erläutert dies Ipsen, Rechtsfolgen, S. 308 f. 505

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

anzusehen. Im Falle der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO wird der ursprüngliche Anspruch nämlich ebenfalls nicht bestritten. Vielmehr ist der Wegfall des Leistungsgebotes durch den Eintritt der Vollstreckungssperre einzuwenden. 508 Es liegt daher nahe, auch für den Bereich der Verwaltungsakte den ex tunc wirkenden Wegfall der Rechtsgrundlage aufgrund einer Normenkontrollentscheidung wie eine nachträgliche Einwendung gegen das in der Grundverfügung enthaltene Leistungsgebot zu behandeln. Die Frage des Rechtsschutzes bei nachträglichen Einwendungen gegen den titulierten Anspruch im Allgemeinen – unabhängig von dem konkreten Fall des Vollstreckungsverbotes nach § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO – wird in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beantwortet. Zum Teil wird auch hier auf die Vollstreckungsgegenklage des § 767 ZPO verwiesen. 509 Insbesondere in der älteren Rechtsprechung wurde die Anwendbarkeit des § 767 ZPO über die Verweisungen in §§ 173, 167 Abs. 1 S. 1 und 183 VwGO konstruiert. 510 Diese Auffassung ist allerdings aufgrund des Vorrangs der verwaltungsgerichtlichen Regelungen bereits abzulehnen: Gewährt das Verwaltungsprozessrecht nämlich selbst einen umfassenden Rechtsschutz, auch für das Vollstreckungsverfahren, so bedarf es keines Rückgriffes auf die Vorschriften des Zivilprozessrechts 511, zumal die angesprochenen Verweisungsnormen eine Anwendbarkeit des § 767 ZPO im Bereich der Verwaltungsvollstreckung kaum überzeugend begründen können, da zwischen der Vollstreckung von Verwaltungsakten und der Vollstreckung aus einem gerichtlichen Titel grundlegende Unterschiede bestehen 512. Im konkreten Fall besteht auch kein Bedürfnis für eine Vollstreckungsgegenklage. Diese kann nur dort überzeugen, wo der Titel durch eine prozessuale Gestaltungsklage erst aufgehoben werden muss. 513 Hier ist die Vollstreckung aber bereits ipso iure durch die Regelungen des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und des § 183 S. 2 VwGO unzulässig. 514 Einer Gestaltungsklage bedarf es demnach nicht.

508 Vgl. zu der Differenzierung zwischen nachträglichen Einwendungen gegen die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts, insbesondere der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, und Einwendungen gegen den titulierten Anspruch: Erichsen / Rauschenberg, Jura 1998, 323 ff.; Schenke / Baumeister, NVwZ 1993, 6 ff.; Pietzner, in: Schoch / SchmidtAßmann / Pietzner, § 187 Rn. 60 ff. 509 Vgl. u. a. OVG Berlin NVwZ-RR 1989, 510; VG Freiburg NVwZ-RR 1989, 514; Gaul, JZ 1979, 499 f.; Kleinlein, VerwArch 81 (1990), 177. 510 OVG Münster DÖV 1965, 426; OVG Berlin NVwZ-RR 1989, 510. 511 Erichsen / Rauschenberg, Jura 1998, 324; Schenke / Baumeister, NVwZ 1993, 9; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 167 Rn. 59; Würtenberger, Rn. 817. 512 Erichsen / Rauschenberg, Jura 1998, 324; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 167 Rn. 58. 513 Schenke / Baumeister, NVwZ 1993, 9. 514 Vgl. oben E. III. 3.

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Gleiches gilt auch in Hessen, trotz der Regelung des § 3 Abs. 4 S. 2 HessVwVG. Dieser ordnet zwar ausdrücklich die entsprechende Anwendung der Vollstreckungsgegenklage bei Nichtigerklärung einer dem Verwaltungsakt zugrundeliegenden Norm nach § 47 VwGO an, dürfte aber mangels Gesetzgebungskompetenz des hessischen Gesetzgebers nichtig sein. 515 Hat der Bund von seiner konkurrierenden Gesetzgebung für den Bereich des Verwaltungsprozessrechts „kodifikatorischen“ Gebrauch gemacht, so kann ein Landesgesetzgeber nicht eine neue Klageart gegen Verwaltungsakte einführen. 516 Die Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO ist daher – trotz ausdrücklichen Verweises – nicht statthaft. Demgegenüber unbestritten ist die Möglichkeit des Betroffenen, bei Einwendungen gegen die Vollstreckbarkeit des Verwaltungsakts gegen die einzelnen Vollstreckungsmaßnahmen im Wege der Anfechtungsklage vorzugehen. 517 Enthält die Zwangsmaßnahme eine Regelung, d. h. ergeht sie in Form eines Verwaltungsakts, so kann der Betroffene mittels einer Anfechtungsklage gegen das in der Zwangsmaßnahme innewohnende Leistungsgebot vorgehen, sofern dieses nachträglich entfallen ist. 518 Für den hier vorliegenden Fall eines Vollstreckungsverbotes nach § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, § 183 S. 2 VwGO wäre diese Möglichkeit zwar gegeben, sie genügt jedoch nicht den Interessen des Rechtsschutzsuchenden, zumal sie mit prozessualen Problemen verbunden ist. Der Betroffene eines Verwaltungsakts, welcher der Regelung des § 183 S. 2 VwGO unterfällt, wäre danach gezwungen, gegen jede einzelne Vollstreckungsmaßnahme der Behörde vorzugehen. Auch wenn zu erwarten ist, dass die Behörde nach erstmaliger gerichtlicher Aufhebung einer Vollstreckungsmaßnahme und der damit verbundenen inzidenten Feststellung der Unwirksamkeit von Vollstreckungsmaßnahmen aufgrund der Regelung der § 183 S. 2 VwGO, § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG weitere Vollstreckungsmaßnahmen unterlässt, so ist dies doch nicht gänzlich ausgeschlossen. Es besteht für den Betroffenen ein Bedürfnis nach einer umfassenden verbindlichen Feststellung der Unzulässigkeit jeglicher Vollstreckungsmaßnahmen, wie sie in Kapitel E.III.2. definiert wurden. Die Anfechtung eines einzelnen Vollstreckungsakts sagt diesbezüglich gerade nichts aus, sondern beschränkt sich in ihrem Regelungsgehalt ausschließlich auf die Unzulässigkeit der konkreten Vollstreckungsmaßnahme. Damit ist dem Betoffenen aber nur teilweise gedient. 519 515 So Schenke / Baumeister, NVwZ 1993, 8, unter Berufung auf BVerfGE 20, 238 (248 ff.); Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 58 Fn. 138. 516 Schenke / Baumeister, NVwZ 1993, 8 Fn. 42: keine landesrechtliche Einführung von „Klagetypen sui generis“. 517 Erichsen / Rauschenberg, Jura 1998, 325; Schenke, VerwArch 61 (1970), 342 ff.; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 167 Rn. 66; Würtenberger, Rn. 818, jeweils m. w. N. 518 Vgl. dazu Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 167 Rn. 66. 519 In diese Richtung allgemein auch die Ausführungen bei Schenke, VerwArch 61 (1970), 329 f. m. w. N.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

Zum anderen bestehen Probleme bei Vollstreckungsmaßnahmen, die nicht in Form eines Verwaltungsakts ergehen. Gerade im Zusammenhang mit der Aufrechnung durch die Behörde stellt sich die mitunter nur schwer zu beantwortende Frage, in welcher Weise hier Rechtsschutz zu gewähren ist – was unter anderem vom Entstehungszeitpunkt der Aufrechnungslage abhängt. 520 Dies hätte aber grundlegende Auswirkungen für die jeweils zutreffende Form des Rechtsschutzes. Da ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Vollstreckungsverbot bereits vorliegt, ist es nicht dem Betroffenen aufzulasten, solche komplexen prozessualen Überlegungen des jeweils einschlägigen Rechtsschutzes gegen die konkrete Vollstreckungsmaßnahme anstrengen zu müssen. Ebenfalls vertreten wird die Statthaftigkeit einer Verpflichtungsklage auf Unzulässigerklärung der Vollstreckung durch die Anordnungsbehörde. 521 Diese Auffassung dürfte wohl den Überlegungen Knesers am ehesten entsprechen. Dem Grundgedanken des § 767 ZPO folgend würde danach der Autor des Vollstreckungstitels – und nicht ein Gericht 522 – die Unzulässigkeit der Vollstreckung aussprechen. Die Erstentscheidungskompetenz der Behörde bliebe gewahrt, denn erst ein solches Verwaltungsverfahren könne die Durchbrechung der Bestandskraft des vollstreckungsfähigen Verwaltungsakts herbeiführen. 523 Grundsätzliche Bedenken gegen diese Auffassung werden jedoch im Hinblick auf den Vorbehalt des Gesetzes erhoben. So fehlt es bereits an einer Ermächtigungsgrundlage für einen solchen gestaltenden Verwaltungsakt der Behörde. 524 Dagegen bestehen dann keine Bedenken, soweit Spezialregelungen der Länder hierfür eine gesetzliche Grundlage bieten, wie z. B. Art. 21 BYVwVZG oder § 16 Abs. 2 RPVwVG. 525 Selbst bei Zugrundelegung dieser Regelungen vermag die Verpflichtungsklage im Falle des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG bzw. des § 183 S. 2 VwGO aber nicht zu 520

Vgl dazu Erichsen / Rauschenberg, Jura 1998, 324; Schenke, VPR, Rn. 428 ff. m. w. N. Vgl. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 167 Rn. 68 ff. Würtenberger, Rn. 821 unter Berufung auf OVG Koblenz NJW 1982, 2276 f. 522 Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 167 Rn. 68; Würtenberger, Rn. 821. 523 So Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 167 Rn. 68; Würtenberger, Rn. 821. 524 Vgl. Schenke / Baumeister, NVwZ 1993, 9; a. A. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 167 Rn. 69, der die behördliche Befugnis zur Aufhebung der Vollstreckbarkeit eines Verwaltungsakts als Minus in der Befugnis der Behörde zur Schaffung eines Vollstreckungstitels erblickt und dies als allgemeinen Grundsatz des Vollstreckungsrechts bezeichnet; kritisch hierzu VG Freiburg, NVwZ-RR 1989, 514. 525 Entgegen Renck, BayVBl 1975, 638 ff., sind solche Regelungen ohne weiteres zulässig, da sie nicht den Kodifikationscharakter der VwGO berühren, sondern – ohne unmittelbar auf die Form des gerichtlichen Rechtsschutzes Einfluss zu nehmen – lediglich „die Beseitigung der Vollstreckbarkeit verwaltungsverfahrensrechtlich organisieren“; so bereits Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 167 Rn. 70; insoweit zustimmend auch Schenke / Baumeister, NVwZ 1993, 9. 521

IV. Prozessuale Möglichkeiten des Betroffenen

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überzeugen. In der hier behandelten Fallkonstellation würde ein Gericht die Behörde zu einer Entscheidung verpflichten, welche die – aufgrund der Normierung in § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO – bereits per Gesetz statuierte Rechtsfolge lediglich wiederholt. Ein solches Ergebnis wäre nur dann überzeugend, wenn man von der unzutreffenden Prämisse ausgeht, dass § 79 BVerfGG und § 183 VwGO eine konstitutiv wirkende Unzulässigerklärung der Vollstreckung fordern. Wie bereits mehrfach angesprochen greift das Vollstreckungsverbot jedoch unmittelbar ein, ohne dass es eines zwischengeschalteten Aktes der Vollstreckungsbehörde bedarf. 526 Die Behörde hat von Amts wegen von jeglichen weiteren Vollstreckungsmaßnahmen im weiteren Sinne Abstand zu nehmen. Eine gerichtlich angeordnete Verpflichtung der Behörde ist daher überflüssig, wenn das Gericht die Tatbestandsmerkmale des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG bzw. des § 183 S. 2 VwGO selbst überprüfen und damit das Vorliegen eines Vollstreckungsverbotes feststellen kann. Ein zusätzliches Verwaltungsverfahren zur Durchbrechung der Bestandskraft des vollstreckungsfähigen Verwaltungsakts ist überflüssig, da der Gesetzgeber bereits durch das Vollstreckungsverbot der genannten Regelungen die Bestandskraft des Verwaltungsakts infolge der Normenkontrollentscheidung durchbrochen hat. Es fehlt in den Fällen an der Notwendigkeit einer gestalterischen Erklärung hinsichtlich der Unzulässigkeit der Vollstreckung, wovon die Art. 21 S. 1 BayVwZVG und § 16 Abs. 2 S. 1 RPVwVG für den Regelfall jedoch ausgehen. 527 Eine Verpflichtungsklage auf Unzulässigerklärung der Vollstreckung scheidet für die gerichtliche Durchsetzung des Vollstreckungsverbotes der § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, § 183 S. 2 VwGO aus. Erichsen 528 und Engelhardt / App 529 vertreten die Auffassung, dass die Geltendmachung der mangelnden Vollstreckbarkeit eines unanfechtbaren Verwaltungsakts im Rahmen einer auf Unterlassung der Vollstreckung gerichteten vorbeugenden Unterlassungsklage erfolgen müsse. Die Zulässigkeit einer solchen vorbeugenden Unterlassungsklage als Unterfall der allgemeinen Leistungsklage ist heute grundsätzlich anerkannt. 530 Insbesondere für die Fälle der vorbeugenden Unterlassungsklage gegen drohende Verwaltungsakte wird jedoch auf den grundsätzlichen Vorrang repressiven Rechtsschutzes verwiesen und die Zulässigkeit einer vorbeugenden Unterlassungsklage in den Fällen ausgeschlossen, in denen effektiver Rechtsschutz auch noch durch Widerspruch oder Anfechtungsklage gewährleistet wird. 531 Da es sich bei den meisten Vollstreckungsmaßnahmen selbst um Verwal526

Vgl. oben E. III. 3. Auf diese Grundlage, nämlich dem Bedürfnis nach einem gestalterischen Verwaltungsakt, baut auch die Herleitung dieser Auffassung durch Pietzner, in: Schoch / SchmidtAßmann / Pietzner, § 167 Rn. 68 ff., auf. 528 Erichsen / Rauschenberg, Jura 1998, 325 f. und E / E-Erichsen (12. Aufl.), § 21 Rn. 9. 529 Engelhardt / App, § 18 VwVG Rn. 13. 530 Vgl. dazu Eyermann-Happ, § 42 Rn. 66 ff.; Kopp / Schenke, Vorb § 40 Rn. 33 ff.; R / Ö-v. Nicolai, § 42 Rn. 162; Schenke, VPR, Rn. 354 ff. m. w. N. 527

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

tungsakte handeln dürfte, sind diese Bedenken im Falle einer auf Unterlassung der Vollstreckung gerichteten Leistungsklage zu berücksichtigen. Allerdings ist hier anzumerken, dass die Verwaltungsvollstreckungsgesetze in der Regel die aufschiebende Wirkung von Widerspruch und Anfechtungsklage ausschließen 532, so dass in der Tat Fallkonstellationen denkbar sind, in denen repressiver Rechtsschutz gegen die jeweiligen Vollstreckungsakte nicht ausreichend ist. Gegen eine auf Unterlassung der Vollstreckung gerichtete Leistungsklage spricht allerdings, dass sich die Unterlassungsklage auf ein konkretes Unterlassen beziehen muss 533, auf eine konkrete hoheitliche Maßnahme, wie z. B. den Erlass eines bestimmten Verwaltungsakts. Nicht aber kann sich eine vorbeugende Unterlassungsklage auf ein ganzes Bündel möglicher, unter Umständen stark von einander abweichenden Vollstreckungshandlungen beziehen, da es hier an der Bestimmtheit des Klageantrages mangeln würde. Möchte der Betroffene daher die Behörde zu Unterlassung verschiedener Vollstreckungsmaßnahmen verklagen und damit die Unzulässigkeit der Vollstreckung umfassend sicherstellen, so ginge dies nur im Wege der objektiven Klagehäufung, was wiederum einen erheblichen Kostenmehraufwand verursachen würde. Zugleich bestünde – wenn auch nur theoretisch – die Gefahr, dass die Behörde eine Vollstreckungsmaßnahme vornimmt, die nicht Gegenstand der vorbeugenden Unterlassungsklage war, wodurch der Betroffene gezwungen wäre, dennoch repressiven Rechtsschutz gegen die konkrete Vollstreckungsmaßnahme in Anspruch zu nehmen. Eine generelle Feststellung der Unzulässigkeit der Vollstreckung nach § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO kann der Betroffene auf diesem Wege also nicht erreichen. Solcher Konstruktionen bedarf es nicht bei einer auf Feststellung der Unzulässigkeit der weiteren Vollstreckung gerichteten Klage gemäß § 43 VwGO. Der Betroffene kann hiermit die gerichtliche Feststellung des Vollstreckungsverbotes gemäß § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO herbeiführen und dadurch umfassend feststellen lassen, dass die Behörde zu keinen weiteren Vollstreckungsmaßnahmen im weiteren Sinne berechtigt ist. Nur diese Feststellungsklage wird dem Bedürfnis des Betroffenen nach einer umfassenden und verbindlichen Untersagung der Vollstreckung in einem einheitlichen Verfahren gerecht. Die 531 BVerwGE 85, 54 (54); Kopp / Schenke, Vorb § 40 Rn. 33 m. w. N.; vergleichbar auch BVerwG NVwZ 1984, 168; VGH Mannheim NVwZ-RR 2004, 709; Würtenberger, Rn. 489, wenn dort jeweils von einem besonderen, qualifizierten Rechtsschutzbedürfnis die Rede ist. 532 Vgl. § 80 Abs. 2 S. 2 VwGO; § 12 S. 1 BWVwVG; Art. 38 Abs. 4 S. 1 BayVwVZG; § 4 S. 1 BerlAGVwGO; § 39 S. 1 BbgVwVG; Art. 11 S. 1 BremAGVwGO; § 75 Abs. 1 S. 2 HambVwVG; § 12 S. 1 HessAGVwGO; § 99 Abs. 1 S. 2 MVSOG; § 42 Abs. 4 NdsSOG; §§ 66 S. 2, 70 Abs. 1 NdsVwVG; § 8 NWAGVwGO; § 16 Abs. 5 S. 1 RPVwVG; § 18 S. 1 SaarAGVwGO; § 11 S. 1 SächsVwVG; § 9 LSAAGVwGO; §§ 248 Abs. 1 S. 2, 322 Abs. 1 SHLVwG; § 53 Abs. 4 S. 1 ThürAGVwGO. 533 Vgl. BGH NJW 1991, 296: Klage ist unbestimmt, wenn nicht die beanstandete Verletzungshandlung konkret bezeichnet wird.

IV. Prozessuale Möglichkeiten des Betroffenen

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grundsätzliche Kritik an der generellen Heranziehung von Feststellungsklagen im Bereich des Vollstreckungsrechtsschutzes vermag nicht die hier vertretene Ansicht zu widerlegen. Gegen die Klage auf Feststellung der Unzulässigkeit der Vollstreckung wird im Grundsatz zum Teil argumentiert, dass es an einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis fehle: Im Gegensatz zu den allgemein anerkannten Rechtsverhältnissen gebe es kein Vollstreckungsrechtsverhältnis, dass einer Feststellung nach § 43 VwGO offen stehe. 534 Unabhängig davon, ob man dieser Argumentation zustimmen kann oder nicht, liegt im Fall des § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG bzw. des § 183 S. 2 VwGO ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis vor. Denn dem Betroffenen steht aus den genannten Regelungen ein anerkanntes subjektives Recht zu, von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen jeglicher Art verschont zu bleiben. Die Existenz dieses aus dem Gesetz unmittelbar zu entnehmenden subjektiven Rechtes kann Gegenstand einer Feststellungsklage sein 535, so dass hier gerade nicht auf ein – wie auch immer verstandenes – Vollstreckungsrechtsverhältnis abgestellt werden muss. 536 Eine Feststellungsklage scheitert auch nicht an der Subsidiaritätsregelung des § 43 Abs. 2 VwGO, wonach eine Feststellungsklage durch die Möglichkeit anderweitigen Rechtsschutzes ausgeschlossen wird. 537 Diese Bedenken sind meines Erachtens im vorliegenden Fall unbegründet, denn Klagegegner des Betroffenen ist jeweils die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat und diesen nun – trotz der Vollstreckungssperre der § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, § 183 S. 2 VwGO – weiter vollstrecken möchte. Richtet sich die Feststellungsklage nun ausschließlich gegen einen Hoheitsträger, so ist nach der Rechtsprechung bereits anerkannt, dass die Statthaftigkeit einer Feststellungsklage nicht an der Subsidiaritätsregelung des § 43 Abs. 2 VwGO scheitert. 538 Vom Staat wird nämlich erwartet, dass er sich an die gerichtliche Entscheidung hält, die im Rahmen einer Feststellungsklage ergangen ist. 539 Zum anderen ist ein in gleicher Weise effektiver Rechtsschutz – wie 534 Schenke, VerwArch 61 (1970), 351; Schenke / Baumeister, NVwZ 1993, 10; a. A. Erichsen / Rauschenberg, Jura 1998, 326; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 167 Rn. 71. 535 Vgl. zum Zusammenhang von subjektivem Recht und Rechtsverhältnis i. S. v. § 43 VwGO: Ehlers, Jura 2007, 180 ff.; Kopp / Schenke, § 43 Rn. 11. 536 Gegenstand der Feststellungsklage ist somit nicht das „Vollstreckungsrechtsverhältnis“ als solches, sondern das sich konkret aus § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO ergebende Recht auf Unterlassen jeglicher Vollstreckungsmaßnahmen. 537 So aber z. B. Erichsen / Rauschenberg, Jura 1998, 326; Eyermann-Happ, § 43 Rn. 43, Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 167 Rn. 71. 538 BVerwGE 36, 179 (181 f.); 40, 323 (327); 51, 69 (75); 77, 207 (211); Lorenz, § 22 Rn. 31; a. A. die wohl herrschende Meinung in der Literatur, vgl. Brüning, JuS 2004, 884 m. w. N.; Ehlers, Jura 2007, 186; Klenke, NWVBl 2003, 170 ff.; Köller / Haller, JuS 2004, 191; Kopp / Schenke, § 43 Rn. 28; Schenke, AöR 95 (1970), 255.

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E. Die Unwirksamkeit einer Norm und der bestandskräftige Verwaltungsakt

gerade festgestellt wurde – nicht gegeben, so dass selbst bei Annahme einer grundsätzlichen Subsidiarität der Feststellungsklage diese im konkreten Falle nicht an § 43 S. 2 VwGO scheitern dürfte. 540 Meines Erachtens ist dies auch eine überzeugende und vor allem für den Betroffenen interessensgerechte Lösung. Zum einen wird die Feststellungsklage dem Charakter des Vollstreckungsverbotes als von Amts wegen zu beachtender Vollstreckungssperre am Besten gerecht, indem keine weiteren Erklärungen oder Zwischenstufen zwischen die Normenkontrollentscheidung und den Eintritt der Unzulässigkeit der Vollstreckung geschoben werden. Zum anderen wird für die Zukunft rechtsverbindlich festgestellt, nicht nur wie, sondern ob der Verwaltungsakt überhaupt vollstreckt werden darf. Dies hat für den Betroffenen den Vorteil, dass er in einem Verfahren alle möglichen Vollstreckungsmaßnahmen abwehren kann und nicht, wie in den anderen vorgeschlagenen Verfahren, in die Gefahr gerät, gegen eine Vielzahl von Einzelmaßnahmen der Vollstreckung vorgehen zu müssen. Die Behörde wiederum hat dadurch die Möglichkeit, im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht ebenfalls verbindlich feststellen zu lassen, ob der Verwaltungsakt tatsächlich auf der für unwirksam erklärten Norm beruht, d. h. ihr steht die „Replik der materiellen Richtigkeit“ 541 weiterhin offen. Gerät das Gericht zur Überzeugung, dass der Verwaltungsakt nicht auf der unwirksamen Norm beruht, so ist dem Betroffenen die Berufung auf den Wegfall der Norm als Vollstreckungshindernis endgültig verwehrt. In aller Regel dürfte für den Betroffenen jedoch die Möglichkeit vorläufigen Rechtsschutzes von übergeordnetem Interesse sein. Folgt man der hier vertretenen Ansicht bzgl. des Rechtsschutzes in der Hauptsache, so ist vorläufiger Rechtsschutz in Form einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO gegeben. Der Betroffene kann daher im Wege des Eilrechtsschutzes, der in den hier vorliegenden Fallkonstellationen bei drohender Vollstreckung den Regelfall bilden dürfte, erwirken, dass bis zu einer endgültigen Feststellung der Beruhensfrage und des Vorliegens des Vollstreckungsverbotes die Behörde durch eine einstweilige Anordnung des Verwaltungsgericht vorläufig an der weiteren Vollstreckung des Verwaltungsakts gehindert ist.

539

Kritisch zu dieser Argumentation Kopp / Schenke, § 43 Rn. 28. Vgl. Ehlers, Jura 2007, 185; Eyermann-Happ, § 43 Rn. 41 m. w. N. insbesondere auf die hierzu ergangene Rechtsprechung; Kopp / Schenke, § 43 Rn. 28. 541 Vgl. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 46 m. w. N. 540

F. Exkurs: Die inzidente Normenkontrolle I. Übertragbarkeit des Regelungsgedankens des § 183 VwGO? Die § 183 VwGO, § 79 Abs. 2 BVerfGG betreffen zahlenmäßig lediglich einen kleinen Teil der gerichtlichen Normenkontrollen, nämlich nur den Teil prinzipaler Normenkontrollen. Die inzidente Kontrolle von Rechtssätzen durch die Verwaltungsgerichte wird hingegen nicht thematisiert. Dabei ermächtigt das richterliche Prüfungsrecht das Verwaltungsgericht, vorkonstitutionelle formelle Gesetze sowie untergesetzliche (nicht vom parlamentarischen Gesetzgeber erlassene) Rechtsnormen selbst auf deren Gültigkeit hin zu überprüfen 1, soweit es für die Entscheidung des konkreten Verfahrens auf die Lösung dieser Vorfrage ankommt, d. h. soweit diese Norm entscheidungserheblich ist. Im Gegensatz zu der prinzipalen Normenkontrolle des § 47 VwGO hat der Gesetzgeber für diese inzidente Normenkontrolle – sei es in Form einer Anfechtungsklage gegen Normvollzugsakte oder einer Feststellungsklage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines aus der Norm ableitbaren Rechtsverhältnisses – keine ausdrückliche Rechtsfolgenregelung getroffen. Lediglich § 3 Abs. 4 S. 1 HessVwVG sieht eine dem § 183 VwGO entsprechende Regelung für den Fall vor, dass ein „Verwaltungsgericht [Anm.: außerhalb des Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO] durch ein Urteil eine Norm für nichtig erklärt“, worin eine Spezialregelung auch für die inzidente Normenkontrolle erblickt werden kann. 2 Daher stellt sich die Frage, ob die Rege-

1 Eine Pflicht des Gerichts zur Vorlage an das Bundsverfassungsgericht hinsichtlich der Überprüfung von Rechtsnormen besteht nach Art. 100 GG lediglich für formelle, nachkonstitutionelle Gesetze. Für den Bereich des Landesrechts sehen die Vorschriften des jeweiligen Landesverfassungsrechts entsprechende Regelungen vor, dazu auch oben A.I.2.a.aa.(3). 2 Vgl. Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 23. § 3 Abs. 4 HessVwVG lautet: „Hat der Verwaltungsgerichtshof im Normenkontrollverfahren oder ein Verwaltungsgericht durch ein Urteil eine Norm für nichtig erklärt, so bleiben die auf der Norm beruhenden, nicht mehr anfechtbaren Verwaltungsakte unberührt; ihre Vollstreckung ist jedoch unzulässig. § 767 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.“ Da bei den Verwaltungsgerichten grundsätzlich kein prinzipales Normenkontrollverfahren anhängig sein kann (hierfür besteht eine sachliche Zuständigkeit der Oberverwaltungsgerichte, bzw. Verwaltungsgerichtshöfe nach § 47 Abs. 1 VwGO, vgl. Kopp / Schenke, § 47 Rn. 158) und die Nennung der Verwaltungsgerichte bewusst von der Normenkontrolle vor dem Verwaltungsgerichtshof abgegrenzt wurde, dürfte sich die hessische Regelung in der Tat ausdrücklich auch auf inzidente Normenkontrollen beziehen.

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F. Exkurs: Die inzidente Normenkontrolle

lungskonzeption des § 183 VwGO generell auf inzidente Normenkontrollen der Verwaltungsgerichte entsprechend übertragen werden kann. Nach einhelliger Ansicht in Literatur und Rechtsprechung wird dies verneint. 3 Ausschlaggebend hierfür ist die bloße „inter partes“-Wirkung solcher Entscheidungen. Kommt ein Richter nämlich bei der Entscheidung eines konkreten Verwaltungsrechtsstreites zu der Überzeugung, dass die anzuwendende Norm gegen höherrangiges Recht verstößt und besteht auch keine gesetzliche Vorlageverpflichtung, so kann er die Unwirksamkeit der Norm im Urteil feststellen und diese bei der Entscheidung des konkreten Verfahrens unangewendet lassen. Diese Feststellung bindet aber lediglich die am konkreten Rechtsstreit beteiligten Parteien 4; nach § 121 Nr. 1 VwGO tritt eine Rechtskraftwirkung nur zwischen „den Beteiligten des Vorprozesses (§ 63 VwGO)“ ein. Das gleiche Gericht könnte also in einem späteren Prozess zwischen anderen Beteiligten die gleiche Frage hiervon abweichend beurteilen und in dem dortigen Verfahren die „nichtige“ Norm wieder im Rahmen der Entscheidungsfindung anwenden. 5 Es fehlt daher an einer mit § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO vergleichbaren Allgemeinverbindlicherklärung, welche die subjektiven Grenzen der Rechtskraft aufhebt. 6 Die Regelung des § 183 VwGO ist aber auf die Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte und der Oberverwaltungsgerichte in Normenkontrollverfahren zugeschnitten. Gerade in diesen Fällen ist ein Ausgleich zwischen Rechtssicherheit auf der einen und materieller Gerechtigkeit im Einzelfall auf der anderen Seite notwendig, beinhalten doch diese genannten Entscheidungen eine der Gesetzeskraft des § 31 Abs. 2 BVerfGG vergleichbare Wirkung: sie wirken allgemeinverbindlich und sind wie ein Gesetz zu veröffentlichen. 7 Der materiellen Gerechtigkeit kommt hier eine umso gewichtigere Bedeutung zu, da in der Folge der Normenkontrollentscheidung die Unwirksamkeit der Norm unumstößlich feststeht und dieses Ergebnis auch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Normvollzugsakt bindend ist. Der Regelungsgedanke des § 183 VwGO, nämlich der Ausgleich des 3 BVerwGE 27, 141 (144 f.): weder unmittelbar noch mittelbar, noch auf Grund eines allgemeinen Rechtsgedankens; OVG Münster OVGE 21, 40 (41); Dageförde, VerwArch 79 (1988), 150; Eyermann-P. Schmidt, § 183 Rn. 3; Gosch, Wiederaufnahme, S. 127; Kopp / Schenke, § 183 Rn. 2; Bethge, in: Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Bethge, § 79 Rn. 16; NKVwGO-Heckmann, § 183 Rn. 27; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 23 mit Verweis auf die (angebliche) Gegenauffassung des Bundesfinanzhofs, BFHE 75, 623 (625); Pietzner, VerwArch 73 (1982), 460; teilweise a. A. Bastian, Ermessen, S. 122, wonach auch hier der Grundgedanke der § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO zu berücksichtigen sei. 4 Vgl. z. B. Bastian, Ermessen, S. 122; Dageförde, VerwArch 79 (1988), 150; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 23. 5 BVerwGE 27, 141 (144 f.). 6 BVerwGE 27, 141 (144 f.); Dageförde, VerwArch 79 (1988), 150; NKVwGOHeckmann, § 183 Rn. 27; Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 23. 7 BVerwGE 27, 141 (144 f.); vgl. dazu auch oben A.I.2.b.

I. Übertragbarkeit des § 183 VwGO?

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Konfliktes zwischen Rechtssicherheit und Gerechtigkeit, ist aber dort nicht passend, wo die Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm über den Kreis der am konkreten Rechtsstreit Beteiligten hinausgehend keine verbindlichen Feststellungen enthält. Eine entsprechende Anwendung des § 183 VwGO scheidet demnach aus. Findet § 183 VwGO nun keine entsprechende Anwendung auf inzidente Normenkontrollen der Verwaltungsgerichte, so betrifft dies in erster Linie eine mögliche Übernahme des Vollstreckungsverbots des § 183 S. 2 VwGO. Auch nach einer inzidenten Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Norm kann die Behörde daher in anderen vergleichbaren Fällen aufgrund der jeweils ergangenen Verwaltungsakte weiter vollstrecken. 8 Den jeweiligen Betroffenen steht zwar die Möglichkeit offen, das Resultat der inzidenten Überprüfung der Norm in einem Parallelfall im Rahmen des eigenen Vollstreckungsrechtsschutzes vorzubringen. Die Vollstreckungsbehörde ist an die Feststellung des Gerichts nicht gebunden und kann ohne weiteres den (wenn auch rechtswidrigen) Verwaltungsakt vollstrecken. Von der inzidenten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Norm profitiert – zumindest den unmittelbaren Ausschluss der Vollstreckung betreffend – ausschließlich der Rechtsmittelführer, nicht aber andere, in gleicher Weise betroffene Adressaten eines bestandskräftigen Verwaltungsakts. Dieser Vorteil ist die Prämie des Rechtsmittelführers für seine Wachsamkeit und das in Kauf genommene Prozessrisiko. 9 Mehr ist dieser Aussage, nämlich der Nichtanwendung des § 183 VwGO auf inzidente Normenkontrollen, allerdings nicht zu entnehmen. Da § 183 S. 1 VwGO nach der hier vertretenen Auffassung lediglich deklaratorischen Charakter besitzt 10, ist durch diese Feststellung noch keine Aussage dazu getroffen, inwieweit eine inzidente Normenkontrolle Einfluss auf die Entscheidung der Verwaltung bezüglich der Rücknahme anderer, vergleichbarer Verwaltungsakte besitzt. 11

8 BVerwGE 27, 141 (144 f.); VG Neustadt, Urteil vom 25. 10. 2002 – 4 K 2409/02. NW (unveröffentlicht). 9 Diese Formulierung von Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzners, § 183 Rn. 13, kann auf den Fall der inzidenten Normenkontrolle übertragen werden. Nur derjenige, der durch das Einlegen von Rechtsbehelfen gegen den Verwaltungsakt die inzidente Unwirksamkeitsfeststellung erreicht hat, kann die Beseitigung des auf dieser Norm beruhenden Verwaltungsakts verlangen und wird vor einer möglichen Vollstreckung geschützt. 10 Vgl. dazu oben E.II.3.c.aa. 11 Auch die oft zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, BVerwGE 27, 141 ff. stellt lediglich fest, dass „die Vorschriften der §§ 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG, § 183 S. 2 VwGO weder unmittelbar noch mittelbar, noch auf Grund eines allgemeinen Rechtsgedankens angewandt werden können.“ Das Gericht beschränkt sich demnach lediglich auf die Feststellung der Unübertragbarkeit des Vollstreckungsverbotes und vermeidet jegliche Aussage zu möglichen Auswirkungen der inzidenten Normenkontrolle auf die Beseitungsund Anpassungsmodalitäten des allgemeinen Verwaltungsrechts.

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F. Exkurs: Die inzidente Normenkontrolle

II. Einfluss der inzidenten Normenkontrolle auf die Rücknahmeentscheidung der Verwaltung in Parallelfällen? 1. Allgemein Auch wenn die Regelung des § 183 VwGO auf inzidente Normenkontrollen keine entsprechende Anwendung findet, so könnte die Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm mit bloßer „inter partes“-Wirkung dennoch Auswirkungen auf gleichgelagerte Fälle haben. Im Zusammenhang mit prinzipalen Normenkontrollen wurde festgestellt, dass hier die Feststellung der Unwirksamkeit der Rechtvorschrift ein wichtiges Kriterium im Rahmen der Ermessensentscheidung über die Rücknahme von bestandskräftigen Verwaltungsakten, die auf dieser unwirksamen Norm beruhen, ist. In diesen Fällen besteht ein Anspruch des Betroffenen auf eine erneute inhaltliche Überprüfung des Verwaltungsakts und im Anschluss daran auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts, wobei das Ermessen der Verwaltung insoweit reduziert ist, als die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts nicht mehr auf den Eintritt der Unanfechtbarkeit gestützt werden darf. Es liegt daher nahe, dass auch eine inzident festgestellte Unwirksamkeit einer Norm ein zu berücksichtigendes Kriterium für die Rücknahmeentscheidung nach § 48 VwVfG in gleichgelagerten Fällen darstellt. Unbeantwortet ist jedoch die Frage, welches Gewicht der Inzidentfeststellung der Unwirksamkeit einer Norm dabei beigemessen werden muss. 2. Eigene Erwägungen Die fehlende Allgemeinverbindlichkeit einer solchen Entscheidung spricht auch hier auf den ersten Blick gegen einen maßgeblichen Einfluss der inzidenten Normenkontrolle auf die Rücknahmeentscheidungen der Behörde. Während die Verwaltung durch den Tenor einer prinzipalen Normenkontrolle hinsichtlich der Unwirksamkeit der Norm gebunden wird und die als nichtig oder unwirksam deklarierte Norm ihrer Tätigkeit nicht mehr zugrunde legen darf, ist sie in Folge einer bloß inzident festgestellten Rechtswidrigkeit einer Norm nicht daran gehindert, die Norm weiterhin ihren Entscheidungen zugrunde zu legen. Es lässt sich sogar fragen, ob die Verwaltung die Norm überhaupt außer Acht lassen darf oder ob sie nicht sogar gezwungen ist, die inzident als unwirksam titulierte Norm in anderen Fällen weiter anzuwenden, solange die Unwirksamkeit der Norm nicht im Rahmen einer prinzipalen Normenkontrolle allgemeinverbindlich festgestellt wird. 12 Steht die Unwirksamkeit der Norm und damit die Auswirkung auf den darauf beruhenden Verwaltungsakt nicht bindend fest, so ist dem Gedanken der materiellen

II. Einfluss der inzidenten Normenkontrolle

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Gerechtigkeit im Vergleich zum Kriterium der Rechtssicherheit sicherlich weniger Gewicht einzuräumen. Diese prima vista einleuchtende Folgerung würde nun aber in einigen Konstellationen zu paradoxen Ergebnissen führen: Stellt das Bundesverfassungsgericht im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde die Unwirksamkeit einer Norm fest, so profitieren von dieser Entscheidung über § 79 Abs. 2 BVerfGG auch Dritte, die nicht selbst Rechtsmittel eingelegt haben, aber von vergleichbaren Verwaltungsakten betroffen sind. Infolge der Entscheidung des Bundesverfassungsgericht darf der ihnen gegenüber ergangene Normvollzugsakt nicht mehr vollstreckt werden. Daneben können sie sich im Rahmen eines Rücknahmeverfahrens auf die Erkenntnisse der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts berufen, was zu einer Einschränkung des (Rücknahme-) Ermessensspielraums der Verwaltung führt. Was passiert aber, wenn eine solche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht herbeigeführt werden kann, weil zuvor schon Fachgerichte die Rechtsvorschrift inzident verworfen haben? Würde man der Inzidententscheidung in diesen Fällen keine vergleichbaren Wirkungen für die Rücknahmeentscheidung in anderen Verfahren zuerkennen, so gelangte man in der Tat zu dem paradoxen Ergebnis, dass die Stellung eines Betroffenen sich dadurch erheblich verschlechtert, dass bereits ein Fachgericht inzident die Rechtswidrigkeit einer Norm feststellt; oder umgekehrt: seine Rechtsposition würde sich erheblich verbessern, wenn das Fachgericht die Rechtswidrigkeit nicht selbst feststellt, sondern erst das Bundesverfassungsgericht z. B. im Wege einer Verfassungsbeschwerde zu dieser Einsicht gelangt. Für den Betroffenen dürfte wohl nicht einleuchtend sein, weshalb die Rücknahmekriterien davon abhängig sein sollen, welches Gericht zufällig die Fehlerhaftigkeit der Norm entdeckt hat. Ein weiteres Beispiel für die unzufriedenstellenden praktischen Konsequenzen dieses „prima vista“ einleuchtenden Ansatzes findet sich im Zusammenhang mit untergesetzlichen Rechtsvorschriften: Hinsichtlich untergesetzlicher Rechtsvorschriften besteht für ein Gericht keine mit Art. 100 GG vergleichbare Vorlageverpflichtung. 13 Können Gerichte – und sind sie geradezu dazu verpflichtet –, im Rahmen eines konkreten Verfahrens die Wirksamkeit einer Norm selbst überprü12 Die Frage, ob eine Behörde von sich aus eine seines Erachtens unwirksame Norm anwenden muss oder verwerfen darf, wird unter dem Schlagwort „Normverwerfungskompetenz der Exekutive“ behandelt. Da ein ausführliches Eingehen auf diese Streitfrage selbst den Umfang einer Dissertation annehmen dürfte, möchte ich an dieser Stelle nur auf die Ausführungen von Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, Vorb § 47 Rn. 10; Schrader, VBlBW 2006, 382 f.; Wehr, Inzidente Normverwerfung durch die Exekutive, 1998, und ders., VBlBW 2001, 354 ff., verweisen. 13 Eine Ausnahme gilt für den Fall, dass inzidenter Rechtsschutz gegen sekundäres Gemeinschaftsrecht erstrebt wird. Hier gilt die Vorlagepflicht des Art. 234 EGV, wenn

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F. Exkurs: Die inzidente Normenkontrolle

fen, so wird in der Regel auch keine allgemeinverbindliche Nichtigkeitsfeststellung ergehen, wenn bereits die Fachgerichte selbst zu der Überzeugung gelangen, dass die Rechtsvorschrift unanwendbar ist. Auch hier kommt es zu einem paradoxen Ergebnis: Kann ein Fachgericht selbst die Rechtswidrigkeit einer Norm (inzident) feststellen, so profitiert ein an diesem Rechtsstreit unbeteiligter Dritter nicht, während er dann in den Genuss der Vorteile der Unwirksamerklärung gelangt, wenn das gleiche Fachgericht zwar selbst zu der Auffassung kommt, die Vorschrift sei nichtig, dies aber erst im Rahmen eines Vorlageverfahrens von einem übergeordneten Gericht feststellen lassen muss. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass die allgemeinverbindliche Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm im Wege der prinzipalen Normenkontrolle – nicht zuletzt aufgrund der durch die Neufassung des § 47 VwGO verkürzte Antragsfrist und der neingeführten Präklusionsvorschrift des Abs. 2a – in vielen Fällen gar nicht erfolgen kann. Wird die hierdurch anwachsende Rechtsschutzlücke gegen legislatives Unrecht durch inzidente Normenkontrollen zu füllen versucht, dann spricht dies dafür, die außerprozessualen Wirkungen solcher inzidenter Normenkontrollen in gleichem Maße auszuweiten. Zugleich wird deutlich, dass gerade für den Fall der bloß inzidenten Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm ein erhöhtes Bedürfnis danach besteht, diese Erkenntnis auch für das Rücknahmeverfahren am konkreten Verfahren nichtbeteiligter Dritter nutzbar zu machen. Aufgrund der Unübertragbarkeit des § 183 S. 2 VwGO auf diese Fallkonstellation können sich Betroffene nicht auf ein unmittelbares Vollstreckungsverbot berufen. Es ist ihnen auch nicht möglich, die inzident festgestellte Rechtswidrigkeit der Norm im Rahmen des Vollstreckungsrechtsschutzes wirksam, d. h. für die Verwaltung bindend, geltend zu machen. Auf der anderen Seite ergeben sich aus der Inzidentfeststellung neue Anhaltspunkte, welche die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts auch in Parallelfällen nahe legen. Es besteht daher eine ungleich größere Gefahr, dass die Behörde einen Verwaltungsakt vollstreckt, der aufgrund einer unwirksamen Ermächtigungsgrundlage erlassen wurde. Hätte nun das Bundesverfassungsgericht oder das Oberverwaltungsgericht allgemeinverbindlich die Nichtigkeit festgestellt, könnte der Betroffene die Vollstreckung verhindern. Da § 183 S. 2 VwGO und § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG insoweit keine Anwendung finden, bleibt dem Betroffenen in dieser Fallkonstellation ausschließlich die Möglichkeit, die erneute Überprüfung und Rücknahme des Verwaltungsakts zu beantragen. Je geringer der Schutz im Rahmen der Vollstreckung des Verwaltungsakts ist, umso größer ist das Bedürfnis nach einer Berücksichtigung der Ergebnisse inzidenter Normenkontrollen im Rahmen eben dieser Rücknahmeentscheidung. Schließlich ist zu bedenken, dass es auch außerhalb prinzipaler Normenkontrollen „Bindungswirkungen“ gibt. Solche Bindungswirkungen sind nicht rechtlicher, das Gericht von einem Verstoß sekundären Gemeinschaftsrechts gegen primäres Gemeinschaftsrecht ausgeht, vgl. Kopp / Schenke, § 43 Rn. 8.

II. Einfluss der inzidenten Normenkontrolle

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sondern vielmehr „faktischer“ Natur. Hat zum Beispiel das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen eines konkreten Verfahrens die Unwirksamkeit einer Norm festgestellt und diese daraufhin seiner Entscheidung nicht mehr zugrunde gelegt, so ist durchaus zu erwarten, dass Verwaltungsbehörden und Untergerichte diese Auffassung übernehmen und sich in vergleichbaren Fällen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts anschließen. Gleiches dürfte sich im Bereich des Landesrechts auch für die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgericht bzw. des Verwaltungsgerichtshofs ergeben. Zwar besteht die Möglichkeit, dass die Untergerichte abweichend von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bzw. der Oberverwaltungsgerichte die jeweilige „als unwirksam eingestufte“ Norm weiterhin anwenden. Diese Gefahr ist in den weitaus meisten Fällen aber nur theoretischer Natur, da im Regelfall die Rechtsprechung der Obergerichte auch durch die Rechtsprechung der Untergerichte übernommen wird. Es handelt sich demnach sozusagen um eine „faktische Bindungswirkung“ der obergerichtlichen Rechtsprechung. 3. Auswirkungen Diesen Überlegungen entsprechend ist die inzidente Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm im Rahmen des Rücknahmeverfahrens bei bestandskräftigen Verwaltungsakten als gewichtiges Ermessenskriterium zu berücksichtigen. Da es sich bei einer solchen Inzidentfeststellung um einen neuen besonderen Umstand handelt, der ernsthafte Zweifel an der Rechtsmäßigkeit des Verwaltungsakts begründet 14, hat der Betroffene auch hier unter Umständen einen Anspruch auf eine erneute inhaltliche Überprüfung des Verwaltungsakts durch die Behörde (Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne). Diese These gilt jedoch nicht ausnahmslos. Nicht jede inzidente Feststellung der Unwirksamkeit einer Rechtsnorm begründet einen solchen Wiederaufgreifensanspruch. Stellt z. B. ein Verwaltungsgericht erstmals die Unwirksamkeit einer Norm inzident fest, während die überwiegende Mehrheit der Gerichte weiterhin von der Gültigkeit der Norm ausgeht, so kann allein auf diese Einzelentscheidung nicht die Durchbrechung der Bestandkraft des Verwaltungsakts und der Anspruch auf Eintritt in eine erneute Sachprüfung gestützt werden. Es gilt also, graduelle Unterschiede zu machen. Je höher die „faktische Bindungswirkung“ der Inzidententscheidung ist, desto stärker sind die Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Normvollzugsakts im Parallelfall ausgebildet und desto stärker ist das Bedürfnis nach einer erneuten Sachprüfung. Nur in den Fällen, in denen die höchstrichterliche Rechtsprechung oder eine ständige Rechtsprechungspraxis von der Unwirksamkeit der Norm ausgehen, überwiegt das Bedürfnis nach einer erneuten Sachprüfung zwingend den Grundsatz der Rechtssicherheit. 14

Hierzu vgl. Baumeister, VerwArch 83 (1992), 390.

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F. Exkurs: Die inzidente Normenkontrolle

Die subjektiven Grenzen der Rechtskraft einer Inzidententscheidung bleiben ebenfalls gewahrt. Die Behörde ist im Rahmen der Entscheidung über das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne rechtlich nicht an die inzidente Feststellung der Unwirksamkeit durch ein anderes Gericht gebunden. Ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne kann daher durchaus mit der Begründung abgelehnt werden, dass die Behörde weiterhin von der Wirksamkeit der Norm ausgehe. Die Entscheidung über das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne ist allerdings auf Ermessensfehler hin überprüfbar, so dass eine Ablehnung des Eintrittes in eine erneute Sachprüfung zumindest dann beanstandet werden müsste, wenn die Behörde aufgrund inzidenter Entscheidungen der Gerichte von der naheliegenden Möglichkeit der tatsächlichen Unwirksamkeit der Rechtsnorm ausgehen musste, was insbesondere bei Vorliegen einer höchstrichterlichen Entscheidungen oder einer ständigen Rechtsprechungspraxis der Fall ist. Gelangt sie dabei in Übereinstimmung mit der gerichtlichen Feststellung zu dem Ergebnis, dass die Norm unwirksam ist und der Verwaltungsakt auch auf dieser Norm beruht, so ist die Behörde in einem zweiten Schritt dazu verpflichtet, über die Rücknahme dieses Verwaltungsakts zu entscheiden. Hinsichtlich der Ausübung des Rücknahmeermessens sind die bereits zur prinzipalen Normenkontrolle aufgelisteten Ermessenskriterien heranzuziehen (z. B. Obliegenheitsverletzung des Betroffenen, der Rechtsschutz in Anspruch hätte nehmen müssen; Ablauf eines längeren Zeitraums seit Erlass des Verwaltungsakts; Vertrauensschutz Dritter; unzumutbare Belastung des Haushaltes zu Lasten der Allgemeinheit) 15, denn in diesem zweiten Verfahrensstadium nach Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts unterscheiden sich die Auswirkungen einer prinzipalen Normenkontrolle nicht von den Wirkungen einer inzidenten Normenkontrolle. Da die Aufrechterhaltung rechtswidriger Verwaltungsakte nur eine unerwünschte Nebenfolge der Bestandskraft ist, hat die Behörde, will sie den konkreten Verwaltungsakt trotz erkannter Rechtswidrigkeit nach erneuter Sachprüfung aufrecht erhalten, zu begründen, welche konkreten Erwägungen einer Rücknahme entgegenstehen. Erwähnt sei hier ebenfalls, dass sich aus § 183 S. 1 VwGO keine Aussagen entnehmen lassen, welche der Beschränkung des Rücknahmeermessens in der hier vertretenen Auffassung entgegenstehen, zumal vergleichbare Massenwirkungen wie bei gesetzeskräftigen Verwerfungsentscheidungen selbst nach Auffassung der Gegenansicht nicht drohen. 16

15

Dazu oben E.II.3.c.aa. So ausdrücklich Pietzner, in: Schoch / Schmidt-Aßmann / Pietzner, § 183 Rn. 23; a. A. Bastian, Ermessen, S. 122, der deshalb den Grundgedanken der § 183 S. 1 VwGO und § 79 Abs. 2 BVerfGG entsprechend auch auf die nichtgeregelten Fälle der inzidenten Normenkontrollentscheidung übertragen möchte. 16

II. Einfluss der inzidenten Normenkontrolle

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III. Ergebnis Die Regelung des § 183 VwGO, insbesondere das Vollstreckungsverbot des S. 2, kann nicht entsprechend auf die inzidente Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm übertragen werden. Diesem Vorgehen stünden die subjektiven Grenzen der Rechtskraft einer solchen Entscheidung entgegen. Der Betroffene eines solchen Verwaltungsakts kann jedoch die Inzidentfeststellung im Rahmen eines Antrages auf Rücknahme des Verwaltungsakts geltend machen. Die Verwaltung ist unter Umständen dazu verpflichtet, den Verwaltungsakt nochmals auf seine Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Gelangt sie dabei zu dem Ergebnis, dass der betreffende Verwaltungsakt mangels gesetzlicher Grundlage rechtswidrig ist, so hat sie in einem zweiten Schritt in ermessensfehlerfreier Weise über die Rücknahme zu entscheiden und muss unabhängig vom Eintritt der Bestandskraft begründen, weshalb der erkannt rechtswidrige Verwaltungsakt aufrechterhalten wird. Bezüglich der Rücknahmeentscheidung bestehen somit keine Unterschiede zwischen prinzipaler und inzidenter Normenkontrolle. Lediglich hinsichtlich des Ermessensspielraums bzgl. der Entscheidung über den Eintritt in eine erneute Sachprüfung wirkt sich eine prinzipale Normenkontrolle stärker aus, während die inzidente Normenkontrolle nur in besonderen Fallkonstellationen einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne gewährt.

G. Lösungsvorschläge zu den Beispielsfällen (unter Zugrundelegung der im Vorangegangenen entwickelten Lösungsansätze) 1. Fall: Gebührensatzung Hier hat Herr C einen Aufhebungsanspruch gegenüber der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Der ihm gegenüber erlassene Verwaltungsakt ist noch nicht bestandskräftig und muss, da die gesetzliche Grundlage dieses Verwaltungsakts ex tunc entfallen ist, von der Behörde von Amts wegen nach § 48 VwVfG zurückgenommen werden. Hilft die Behörde entgegen ihrer Verpflichtung dennoch nicht ab, so kann Herr C seinen Beseitigungsanspruch im Wege des Widerspruchsverfahrens oder der Anfechtungsklage durchsetzen. Herr A und Herr B haben hingegen keinen Anspruch auf Beseitigung des jeweiligen Verwaltungsakts. Obwohl die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts durch den Wegfall der Gebührenordnung offensichtlich ist, wird der zunächst vorliegende allgemeine Beseitigungsanspruch aus Gründen der Rechtssicherheit und der Bestandskraft des Verwaltungsakts begrenzt. Die Rücknahme steht ab Eintritt der Bestandskraft nach § 48 VwVfG grundsätzlich im Ermessen der Behörde. Die Nichtigerklärung der Gebührenordnung im Rahmen der Normenkontrollentscheidung stellt jedoch einen neuen besonderen Umstand dar, der die Rechtswidrigkeit des jeweiligen Gebührenbescheides nahe legt. Die Verwaltung ist daher auf Antrag der Herren A und B verpflichtet, die Bescheide jeweils auf ihre Rechtmäßigkeit hin inhaltlich zu überprüfen. Stellt sich dabei in der Tat deren Rechtswidrigkeit heraus, muss die Verwaltung in ermessensfehlerfreier Weise darüber entscheiden, ob sie die bestandskräftigen Verwaltungsakte zurücknimmt oder aufrecht erhält. Dabei kann sie sich jedoch nicht mehr auf den Eintritt der Unanfechtbarkeit berufen, vielmehr muss sie, so sie denn von einer Rücknahme absehen möchte, begründen, weshalb sie von einer Aufhebung absieht. Im vorliegenden Fall dürften sich Gründe für die Aufrechterhaltung der Beitragsbescheide nur schwer finden lassen, da eine Massenwirkung nicht in Betracht kommt, die Auswirkungen auf den Gemeindehaushalt nur gering ausfallen dürften und auch noch kein unverhältnismäßig langer Zeitraum seit Erlass der Gebührenbescheide vergangen ist. Herr B indes wird bereits durch das Vollstreckungsverbot des § 183 S. 2 VwGO geschützt. Selbst wenn er von einem Antrag auf Rücknahme des Verwaltungsakts absieht, darf die Behörde nicht mehr aufgrund des bestandskräftigen Gebührenbe-

G. Lösungsvorschläge zu den Beispielsfällen

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scheides vollstrecken. Dies gilt unabhängig davon, ob Herr B die Nichtigkeit der Gebührensatzung einwendet oder gar von ihr weiß. Zahlt Herr B also weiterhin nicht, darf die Gemeinde weder die Leistung anmahnen noch mit einer eventuellen Gegenforderung aufrechnen. Zahlt Herr B jedoch freiwillig, so kann er im Nachhinein das Geleistete nicht zurückverlangen, solange der Gebührenbescheid als Leistungsgrundlage Bestand hat. Setzt die Behörde hingegen Vollstreckungsmaßnahmen in Gang, kann Herr B im Rahmen einer Feststellungsklage auf Unzulässigkeit der Vollstreckung das Vorliegen des Vollstreckungsverbotes nach § 183 S. 2 VwGO gerichtlich feststellen lassen. 2. Fall: Baugenehmigung Im Ausgangsfall gilt auch hier wieder das zuvor Gesagte: Nachbar N kann die Rücknahme der Baugenehmigung für Unternehmer U nicht beanspruchen. Die Bestandskraft der Baugenehmigung steht einem solchen Anspruch im Wege. N kann lediglich einen Antrag auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme der Baugenehmigung stellen. Dieser Antrag wird hier jedoch, sofern Großunternehmer U bereits im Vertrauen auf den Bestand der Baugenehmigung gewisse Bau- oder Planungsmaßnahmen in die Wege geleitet hat, aus Vertrauensschutzgesichtspunkten abzulehnen sein, zumal mit einer denkbaren Rücknahme der Genehmigung eine – für den Hoheitsträger der Behörde kostspieligen – Entschädigungsverpflichtung nach § 48 Abs. 3 VwVfG verbunden wäre. Auch das Vollstreckungsverbot des § 183 S. 2 VwGO greift hier nicht zugunsten des Nachbarn ein. Das Gebrauchmachen von einer behördlichen Genehmigung ist keine Vollstreckungsmaßnahme im Sinne der genannten Vorschrift und bleibt daher von der Unwirksamkeit des Bebauungsplanes unbeeinträchtigt. In der Abwandlung kann sich Nachbar N hingegen auf das Vorliegen eines Beseitigungsanspruchs berufen, da die Baugenehmigung ihm gegenüber noch nicht bestandskräftig ist und ihn in seinen nachbarschützenden Rechten verletzt. Die Existenz dieses Beseitigungsanspruchs wird generell auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass U auf den Bestand der Genehmigung vertraut hat. Die insofern einschlägige Regelung des § 50 VwVfG besagt lediglich, dass auch in Drei-Personen-Konstellationen nur ein tatsächlich vorliegendes schützenswertes Vertrauen des begünstigten Dritten die Existenz eines Beseitigungsanspruchs begrenzen kann. So denn Nachbar N nicht durch sein eigenes Verhalten Unternehmer U im Glauben gelassen hat, dass er mit dem Bauvorhaben des U einverstanden ist, kann sich Unternehmer U auch vor Einleitung eines Widerspruchsverfahrens durch N nicht auf Vertrauensschutzerwägungen berufen. In der Praxis dürfte N jedoch diesen Beseitigungsanspruch durch Einlegung eines Widerspruchs gegen die Baugenehmigung geltend machen, so dass die Frage, ob bereits vor Einlegung des Widerspruchs ein Beseitigungsanspruch besteht, zumeist von theoretischer Natur sein dürfte. Die Behörde ist dann, soweit die Baugenehmigung Herrn N

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G. Lösungsvorschläge zu den Beispielsfällen

tatsächlich in seinen Rechten verletzt, trotz des erheblichen Baufortschrittes bei U verpflichtet, die Baugenehmigung aufzuheben. Dieses Ergebnis belastet U auch nicht in unzumutbarer Weise, kann er doch den ihm entstandenen Schaden, den er im Vertrauen auf die „scheinbare“ Bestandskraft des Verwaltungsakts erlitten hat, gegenüber der Verwaltung geltend machen. 3. Fall: Milchmengenverordnung Von der inzidenten Normenkontrolle profitiert zunächst Bauer A: Der ihm gegenüber ergangenen Bescheides wird aufgehoben und die Landwirtschaftskammer ist verpflichtet, die Anerkennung einer über die 80-Kuh-Grenze hinausgehenden Milchmenge zu genehmigen. Bauer B sieht sich für das abgelaufene Jahr weiterhin einem bestandskräftigen Bescheid gegenübergestellt, der ihm lediglich eine Anerkennung eines Teiles seiner Milch gestattet. Aufgrund der Bestandskraft besteht auch kein Rücknahmeanspruch. Allerdings hat auch er einen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne, d. h. die Landwirtschaftskammer muss den Bescheid erneut auf seine Rechtmäßigkeit hin überprüfen. Schließt sie sich der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts an und geht von der Nichtigkeit der 80-Kuh-Grenze aus, so steht die Rechtswidrigkeit des Bescheides fest und sie muss nun in einem zweiten Schritt entscheiden, ob und weshalb der Bescheid gegen Bauer B aufrechterhalten werden soll. Im konkreten Fall wäre es wohl ermessensfehlerfrei, wenn die Landwirtschaftskammer auf die haushaltspolitischen Wirkungen und die Kapazitätsbindung verweist, welche eine massenhafte Rücknahme solcher Bescheide infolge der Inzidentfeststellung des Bundesverwaltungsgerichts mit sich brächte, und aus diesen Erwägungen heraus die Aufhebung bereits bestandskräftiger Bescheide verweigert. Diese Entscheidung der Landwirtschaftskammer könnte Bauer B im Rahmen einer Verpflichtungsklage auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts gerichtlich überprüfen lassen.

Zusammenfassung der Ergebnisse Kapitel A I. Gegenstand der Untersuchung ist die Bestimmung der Rechtsfolgen prinzipaler Normenkontrollentscheidungen in der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Zentrale Regelungen sind dabei die Vorschriften des § 79 Abs. 2 BVerfGG und des § 183 VwGO. Diese Regelungen erfassen die vielschichtigen Aspekte möglicher Auswirkungen prinzipaler Normenkontrollen allerdings nicht umfassend, sondern enthalten lediglich zu einigen wenigen Fragestellungen ausdrückliche Antworten, so dass zusätzlich auf die allgemeinen Regelungen des Verwaltungsverfahrensrecht, des Verwaltungsprozessrechts und des Verwaltungsvollstreckungsrecht eingegangen werden muss. Prinzipale Normenkontrollen finden sich in mehreren unterschiedlichen Varianten in der Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dennoch gibt es signifikante Parallelen, die eine gemeinsame Untersuchung solcher Normenkontrollentscheidungen ermöglichen. Normen, welche das Gericht im Rahmen einer prinzipalen Normenkontrolle als rechtswidrig einstuft, werden für nichtig oder unwirksam erklärt. Die Normenkontrollentscheidung stellt diese Unwirksamkeit bzw. Nichtigkeit der Rechtsvorschrift grundsätzlich mit Wirkung ex tunc und erga omnes, d. h. allgemeinverbindlich, fest. Dies hat zur Folge, dass die betreffende Norm weder von Behörden, noch von Gerichten angewendet werden darf. Zunächst als Ausnahmeregelung gedacht, mittlerweile aber allgemein anerkannt, ist die Möglichkeit, dass das Normenkontrollgericht eine alternative Tenorierung vornehmen und – insbesondere zur Wahrung des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums oder zur Vermeidung der Verfassung noch entfernter stehender Rechtslagen – lediglich die Unvereinbarkeit einer Vorschrift mit höherrangigem Recht feststellen und gegebenenfalls sogar die Fortgeltung der Norm bis zu einer Neuregelung des Gesetzgebers anordnen kann.

II. Der Wegfall einer Norm berührt nicht unmittelbar den Bestand des Normvollzugsakts. Es gilt der Grundsatz der Unabhängigkeit des Einzelakts von der ihm zugrundeliegenden Rechtsvorschrift. Dennoch schlägt die Rechtswidrigkeit der Norm regelmäßig auch auf die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts durch. Zu einem Konflikt zwischen dem Grundsatz der Einzelfallgerechtigkeit und dem Grundsatz der Rechtssicherheit kommt es deshalb im Falle des bereits bestands-

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Zusammenfassung der Ergebnisse

kräftigen Verwaltungsakts. Hier hat der Gesetzgeber in den Regelungen der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO und § 157 FGO eine Grundentscheidung dieses Konflikts zweier ranggleicher, von Verfassungs wegen geschützter Rechtsgrundsätze getroffen. Für den noch anfechtbaren Verwaltungsakt hat der Gesetzgeber auf eine gesonderte Rechtsfolgenregelung verzichtet. Diese Unterscheidung anhand des Eintrittes der Unanfechtbarkeit ist zwar vereinzelt auf Kritik gestoßen; die damit verbundene Ungleichbehandlung ist jedoch aus sachlichen Gründen heraus gerechtfertigt, wobei der Gesetzgeber mit dieser Regelung aber an die Grenze des verfassungsrechtlich Erlaubten gegangen ist. Insofern es durch diese schematische Ungleichbehandlung bestandskräftiger und anfechtbarer Verwaltungsakten zu Ergebnissen kommt, die dem Rechtsgefühl der Bevölkerung widersprechen, gilt es diese ungewünschten und mitunter willkürlich anmutenden Ergebnisse durch eine Annäherung der beiden Fallgruppen auf der Rechtsfolgenseite abzumildern.

Kapitel B § 183 VwGO findet aufgrund seines insofern eindeutigen Wortlautes keine unmittelbare Anwendung auf Verwaltungsakte. Auch eine analoge Anwendung dieser Vorschrift scheidet aus: Es liegt zwar eine Regelungslücke vor, diese ist aber nicht planwidrig, da der Gesetzgeber des § 183 VwGO nicht über die Kompetenz zur Regelung des Verwaltungsverfahrens und des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens hinsichtlich Verwaltungsakten von Landesbehörden verfügt. Den Regelungen der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO, § 157 FGO sowie den vergleichbaren Vorschriften der Länder (§ 40 Abs. 3 S. 2 und 3 HessStGHG, § 26 Abs. 3 und 4 RPVerfGHG, § 46 Abs. 2 SaarVerfGHG und § 24 SächsVerfGHG i. V. m. § 79 Abs. 2 BVerfGG) ist ein allgemeiner Rechtsgedanke zu entnehmen, der besagt, dass die unanfechtbar gewordenen fehlerhaften Akte der öffentlichen Gewalt aus Gründen der Rechtssicherheit zunächst bestehen bleiben und die in der Vergangenheit aus ihnen resultierenden nachteiligen Wirkungen auch nicht beseitigt werden müssen, dass aber für die Zukunft die Grundsätze des Individualrechtsschutzes und der Einzelfallgerechtigkeit Vorrang besitzen und somit eine zwangsweise Durchsetzung dieser fehlerhaften Entscheidungen nicht mehr möglich ist. Dieser Rechtsgedanke findet entsprechend auf Verwaltungsakte Anwendung, die auf einer gemäß § 47 VwGO für unwirksam bzw. durch ein Landesverfassungsgericht allgemeinverbindlich für rechtswidrig erklärten Norm beruhen.

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Kapitel C I. Unter dem Begriff der „nicht mehr anfechtbaren“ Entscheidungen werden alle Entscheidungen erfasst, die nicht oder nicht mehr mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden können. Dabei ist es unerheblich, ob die Entscheidung überhaupt jemals anfechtbar war oder erst nach Ablauf bestimmter Rechtsbehelfsfristen unanfechtbar wurde. Ebenso ist es irrelevant, ob der Betroffene von möglichen Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht hat. Die Regelung stellt allein auf den Status der Unanfechtbarkeit ab, ohne nach den Gründen für den Eintritt der Unanfechtbarkeit zu differenzieren. Die Unanfechtbarkeit muss zum Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung bereits vorliegen. Eine gelegentlich erwogene Ausdehnung des Vollstreckungsverbotes nach § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO auf noch anfechtbare Verwaltungsakte ist abzulehnen. In diesen Fällen muss der Betroffene von den ihm noch offenstehenden Möglichkeiten des Primärrechtsschutzes Gebrauch machen und den Bestand des Verwaltungsakts – und damit gleichzeitig die Grundlage der Vollstreckung – beseitigen lassen. Versäumt er unverschuldet die Geltendmachung der Unwirksamkeit der Norm innerhalb der laufenden Rechtsbehelfsfristen, so ist ihm durch eine großzügige Auslegung der Wiedereinsetzungsvorschriften abzuhelfen.

II. Das Tatbestandsmerkmal „für nichtig erklärt“ in § 79 Abs. 2 BVerfGG erfasst nicht nur den vom Gesetz vorgesehen Regelfall der Nichtigerklärung eines Gesetzes als Tenor der Normenkontrollentscheidung, sondern findet ebenfalls Anwendung auf die Verwerfung einer bestimmten Auslegungsvariante im Rahmen der verfassungskonformen Auslegung einer Rechtsnorm sowie auf die Feststellung der Unvereinbarkeit einer Rechtsnorm mit höherrangigem Recht. In letzterem Fall ist § 79 Abs. 2 BVerfGG jedoch dann nicht anwendbar, wenn das Bundesverfassungsgericht zugleich die Fortgeltung der mit höherrangigem Recht unvereinbaren Rechtsvorschrift bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber anordnet. Gleiches gilt für das entsprechende Tatbestandsmerkmal in § 183 VwGO. Auch nach der Änderung des § 47 Abs. 5 VwGO und der Einführung der „Unwirksamkeitsfeststellung“ hat sich inhaltlich nichts geändert. Auch die Feststellung der Unwirksamkeit wird von der Regelung des § 183 VwGO erfasst. Soweit sich die Landesverfassungsgerichte und Oberverwaltungsgerichte an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts orientiert haben und neben der Unwirksamerklärung auch die Feststellung der Unvereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht bzw. die Verwerfung einer bestimmten Auslegungsvariante in ihre Rechtsprechung übernommen haben, ist auch auf diese Entscheidungsformen die Regelung des

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Zusammenfassung der Ergebnisse

§ 183 VwGO entsprechend anzuwenden, soweit das Gericht nicht zugleich die zeitweilige Fortwirkung der rechtswidrigen Norm angeordnet hat.

III. Der Begriff des „Beruhens“ in § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO orientiert sich am revisionsrechtlichen Beruhensbegriff, der in den verschiedenen Verfahrensordnungen einheitlich verwendet wird. Als Grundlage des Beruhens kommen sowohl materiellrechtliche Regelungen als auch Verfahrensvorschriften in Betracht. Wie sich an vielen Stellen der Rechtsordnung erkennen lässt, handelt es sich bei dem Beruhenserfordernis um ein in der gesamten Rechtsordnung anerkanntes Zurechnungskriterium, das einen gewissen Kausalzusammenhang zwischen Rechtsverstoß und Entscheidungsinhalt umschreibt. Hiernach beruht ein Verwaltungsakt nur dann auf einer fehlerhaften Norm, wenn sich nicht zwingend ausschließen lässt, dass die den Verwaltungsakt erlassende Behörde bei Nichtberücksichtigung der fehlerhaften Norm zu einem anderen, für den Betroffenen günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Es reicht daher die durch konkrete Anhaltspunkte begründete Möglichkeit einer abweichenden Entscheidung aus. Das Vorliegen eines Kausalzusammenhanges zwischen Anwendung der unwirksamen Norm und Inhalt des Verwaltungsakts muss umgekehrt nicht positiv festgestellt werden, zumal sich eine solche Feststellung insbesondere bei fehlerhaften Verfahrensvorschriften und bei Ermessensentscheidungen nur in Ausnahmefällen mit absoluter Gewissheit treffen lässt. Andererseits darf die Möglichkeit eines Ursächlichkeitszusammenhanges nicht nur theoretisch sein, sondern muss sich aus konkreten Anhaltspunkten ableiten lassen.

Kapitel D I. Das öffentliche Recht kennt ebenso wie das Zivilrecht die Existenz eines allgemeinen Beseitigungsanspruchs. Als notwendiges Gegenstück der sich aus den Freiheitsgrundrechten ergebenden Unterlassungsansprüche ist der allgemeine öffentlichrechtliche Beseitigungsanspruch verfassungsrechtlich geschützt. Eine einfachgesetzliche Normierung der Tatbestandsmerkmale dieses Anspruchs gibt es nicht. Vielmehr sind die bestehenden Anpassungs- und Beseitigungsmodalitäten im Lichte des öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs auszulegen. Danach sind die Folgen rechtsverletzenden Handelns des Staates umfassend zu beseitigen, sowohl die rechtswidrige Handlung selbst, als auch die weiteren Folgen dieser Handlung (hier in der Form des Folgenbeseitigungsanspruchs). Tatbestandsvoraussetzungen für das Vorliegen des Beseitigungsanspruchs sind die Rechtswidrigkeit des Hoheitsakts und die noch fortdauernde Beeinträchtigung subjektiver Rechte. Der öffentlichrechtliche Beseitigungsanspruch unterliegt ver-

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fassungsimmanenten Schranken und wird unter anderem durch Ausprägungen des Grundsatzes der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens überlagert.

II. Als Folge der Unwirksamerklärung einer Norm im Wege einer prinzipalen Normenkontrolle besitzt der Betroffene eines anfechtbaren Verwaltungsakts, der auf dieser Norm beruht, einen Anspruch auf Aufhebung des Verwaltungsakts gegenüber der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde. Diese ist von Amts wegen verpflichtet, den Verwaltungsakt zurückzunehmen, wobei sie aufgrund der möglicherweise eintretenden Massenwirkung einer Normenkontrolle aber nicht dazu verpflichtet ist, abgeschlossene Verfahren von sich aus auf eine Rücknahmeverpflichtung hin zu durchsuchen. Da mit Eintritt der Bestandskraft der öffentlichrechtliche Beseitigungsanspruch aus Gründen der Rechtssicherheit überlagert wird, ist es deshalb dem Betroffenen zu raten, einen Antrag auf Rücknahme des Verwaltungsakts zu stellen, der zugleich auch als Widerspruch dienen kann – aber nicht muss. Die Behörde ist, trotz der grundsätzlichen Einräumung eines Rücknahmeermessens nach § 48 Abs. 1 VwVfG, verpflichtet, einen noch anfechtbaren Verwaltungsakte, der auf einer für unwirksam erklärten Norm beruht, zurückzunehmen, wenn dieser in die subjektiven Rechte des Betroffenen eingreift. Einer gesonderten Rücknahmekonstruktion über den Weg einer außerprozessualen Wirkung der materiellen Rechtskraft der Normenkontrolle bedarf es hingegen nicht, da sich diese Rücknahmeverpflichtung bereits aus allgemeingültigen Erwägungen ergibt. Aufgrund des verfassungsrechtlich fundierten allgemeinen öffentlichrechtlichen Beseitigungsanspruchs wird der diesbezügliche Ermessenspielraum der Behörde nach § 48 Abs. 1 VwVfG überlagert. Das „kann“ in § 48 VwVfG ist demnach im Zusammenhang mit noch anfechtbaren, rechtsverletzenden Verwaltungsakten verfassungskonform nicht als Ermessenseinräumung, sondern als Handlungsermächtigung auszulegen, so dass die Behörde im Regelfall zu einer Rücknahme des Verwaltungsakts gezwungen ist und nur in atypischen Fällen eine davon abweichende Entscheidung ergehen kann.

III. Auch bei Verwaltungsakten mit Dritt- bzw. Doppelwirkung besteht eine Rücknahmeverpflichtung der Behörde, wenn sich infolge der Normenkontrollentscheidung die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts und gleichsam eine subjektive Rechtsverletzung des Belasteten offenbart. Die Vorschrift des § 50 VwVfG i. V. m. § 48 Abs. 1 S. 2 VwVfG schränkt diese Rücknahmeverpflichtung nicht ein, da sie kein generell schützenswertes Vertrauen des durch den noch anfechtbaren Verwaltungsakt Begünstigten statuiert, sondern ein solches gerade voraussetzt. Solange ein rechtswidriger Verwaltungsakt noch angefochten werden kann, ist das Vertrauen des Begünstigten auf den Fortbestand des Verwaltungsakts in der

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Regel jedoch nicht schützenswert, da er mit der Anfechtung des Verwaltungsakts durch den Belasteten rechnen konnte. Sollte aber in Ausnahmefällen das Vertrauen des Begünstigten trotz noch möglicher Anfechtbarkeit des Verwaltungsakts als schützenswert erachtet werden, so kann dies die Durchsetzbarkeit des Beseitigungsanspruchs verhindern.

Kapitel E I. Der Begriff „unberührt“ in § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO ist sprachlich nicht eindeutig und kann in unterschiedlicher Weise ausgelegt werden. Ausschlaggebend für die Bestimmung des Begriffes ist die Frage, ob die genannten Regelungen deklaratorischen oder konstitutiven Charakter besitzen. Die herrschende Meinung geht von einer beschränkt konstitutiven Wirkung aus, wonach jegliche Verpflichtung zu einer Beseitigung und Rückabwicklung der Entscheidung für die Vergangenheit ausgeschlossen sein solle, während bereits bestehende Beseitigungsbefugnisse hiervon nicht angetastet werden. Im Zusammenhang mit verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen kann dem Begriff „unberührt“ kein eigener konstitutiver Sinngehalt entnommen werden. Er stellt lediglich fest, dass die Unwirksamerklärung einer Norm keinen neuen selbständigen Wiederaufnahmegrund bildet, der die darauf beruhende gerichtliche Entscheidung in Frage stellen könnte. Andererseits werden aufgrund der gesetzlichen Regelungen der § 153 VwGO i. V. m. §§ 578 ff. ZPO bereits einschlägige prozessuale Wiederaufnahmegründe von § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG und § 183 S. 1 VwGO weder verdrängt, noch ab dem Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung überlagert. Für das Schicksal der auf einer für unwirksam erklärten Norm beruhenden bestandskräftigen Verwaltungsakte lassen sich jedoch aus dieser Erkenntnis heraus keine zwingenden Rückschlüsse ziehen. Die unterschiedlichen Durchbrechungen von Bestands- und Rechtskraft machen eine gesonderte Untersuchung der Auswirkungen der Normenkontrollentscheidung auf die Beseitigungs- und Anpassungsverfahren des allgemeinen Verwaltungsrechts erforderlich.

II. Ein bestimmtes „Schutzwirkungsmodell“ der Regelungen der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO ist durch den Begriff „unberührt“ nicht vorgegeben. Vielmehr muss dieser Begriff jeweils im Kontext der potentiell einschlägigen Beseitigungs- und Anpassungsmodalitäten für fehlerhafte Verwaltungsakte betrachtet werden. Erst die Untersuchung des Verhältnisses dieser allgemeinen Aufhebungs- und Wiederaufgreifensregelungen zu den speziell auf die Unwirksamkeit einer Norm ausgerichteten Regelungen des § 79 Abs. 2 BVerfGG und des

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§ 183 VwGO vermag Auskunft darüber geben, welche Rechtsfolgen die besagten Regelungen in Bezug auf bestandskräftige Verwaltungsakte vorsehen. • Aufhebung des Verwaltungsakts Der Betroffene eines unanfechtbaren Verwaltungsakts, der auf einer für unwirksam erklärten Norm beruht, hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts nach § 48 VwVfG. Die Normenkontrollentscheidung stellt insofern keinen besonderen Rücknahmegrund dar, der ein Abweichen von dem generellen Ausschluss eines Rücknahmeanspruchs nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts notwendig macht. Zwar kann es in Sonderfällen über den Weg einer Ermessensreduktion auf Null zu einer Rücknahmeverpflichtung der Behörde kommen, so insbesondere über den Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung, wenn die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts für den Betroffenen unerträglich wäre oder diese einen Verstoß gegen Treu und Glauben bzw. gegen die guten Sitten darstellen würde; allein die Feststellung der Unwirksamkeit einer Rechtsnorm kann eine Ermessensreduktion auf Null grundsätzlich nicht bewirken. • Wiederaufgreifen des Verwaltungsakts Der Begriff des „Wiederaufgreifens des Verfahrens“ umschreibt die auf Antrag des Betroffenen ergangene Entscheidung der Behörde, ein durch einen unanfechtbaren Verwaltungsakt abgeschlossenes Verfahren erneut einer sachlichen Prüfung zu unterziehen und darauf hin neu zu entscheiden. Dabei ist zwischen dem „Wiederaufgreifen im engeren Sinne“ und dem sogenannten „Wiederaufgreifen im weiteren Sinne“ zu unterscheiden. Während im Rahmen des gesetzlich in § 51 VwVfG normierten Wiederaufgreifens im engeren Sinne die Behörde nach Eintritt in die Sachprüfung eine neue, auf der Grundlage des in der Sache jeweils einschlägigen materiellen Rechts basierende Entscheidung zu treffen hat, ist sie nach der erneuten Sachprüfung außerhalb des § 51 VwVfG lediglich zum Erlass einer fehlerfreien Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts verpflichtet. Der Begriff des Wiederaufgreifens im weiteren Sinne ist deshalb irreführend, umschreibt er doch lediglich eine formelle Vorstufe der Rücknahmeentscheidung nach § 48 VwVfG. Steht der Eintritt in eine erneute Sachprüfung hier grundsätzlich im Ermessen der Behörde, so ist die Behörde hingegen zu einer erneuten Sachprüfung verpflichtet, wenn die Voraussetzungen des § 51 VwVfG gegeben sind. Die unglückliche sprachliche Bezeichnung des „Wiederaufgreifens im weiteren Sinne“ sollte daher abgeändert werden, damit der unterschiedliche Charakter der beiden Verfahren klar zum Ausdruck gebracht und somit Missverständnissen vorgebeugt wird. Der Betroffene eines Verwaltungsakts, der auf einer für unwirksam erklärten Norm beruht, hat keinen Anspruch auf ein Wiederaufgreifen im engeren Sinne. Die Normenkontrollentscheidung bewirkt keine „Änderung der Rechtslage“ im Sinne von § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG. Sie stellt lediglich eine von Anfang

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an gegebene Rechtslage fest, gestaltet diese jedoch nicht konstitutiv um. Auch der Hinweis auf die gesetzesgleiche Bindungswirkung prinzipaler Normenkontrollentscheidungen ändert nichts an deren rein deklaratorischen Wirkung. Der auf Dauerverwaltungsakte ausgerichtete § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG erfasst gerade nicht die schon ursprünglich vorliegende Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsakts, sondern betrifft, aufgrund seines insofern eindeutigen Wortlautes, lediglich nachträgliche objektive Änderungen der Rechtslage. Eine entsprechende Anwendung der übrigen Wiederaufgreifensgründe des § 51 Abs. 1 VwVfG scheidet ebenfalls aus. Dagegen besitzt der Betroffene in diesen Fällen einen Anspruch auf ein „Wiederaufgreifen im weiteren Sinne“, d. h. auf eine erneute sachliche Überprüfung und im Anschluss daran auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Aufrechterhaltung bzw. Rücknahme des Verwaltungsakts. Bei der Unwirksamkeitserklärung einer Rechtsnorm handelt es sich um einen neuen, bislang ungeprüften Anhaltspunkt, der zumindest ernsthafte Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts hervorruft. Das Ermessen der Behörde hinsichtlich des Eintrittes in eine erneute Sachprüfung wird hier auf Null reduziert, die Bestandskraft des Verwaltungsakts insofern durchbrochen, als dass sich die Behörde nicht alleine durch den Verweis auf den Eintritt der Unanfechtbarkeit einer erneuten Überprüfung des Verwaltungsakts entziehen kann. Damit ist allerdings noch keine (Vor-)Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts getroffen. Die Behörde hat nach fehlerfreiem Ermessen weiterhin gesondert über die Rücknahme zu entscheiden, wobei sie sich aber in diesem Zusammenhang nicht mehr auf die Bestandskraft des Verwaltungsakts berufen kann. Die Verwaltung kann aber die Aufrechterhaltung des Verwaltungsakts auch auf dieser Stufe ermessensfehlerfrei unter anderem durch Verweis auf die praktischen Auswirkungen einer Rücknahmewelle, auf die Unmöglichkeit der Rückabwicklung unter haushaltsrechtlichen Gesichtspunkten, auf die nur geringe Belastung des Betroffenen, auf die lange Zeitspanne seit Erlass des Verwaltungsakts oder auf die Zurechenbarkeit der Nichtgeltendmachung der Unwirksamkeit der Norm im Ausgangsverfahren begründen Die Regelungen der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO stehen diesem Ergebnis nicht entgegen. Durch sie dürfen dem Betroffenen keine Rechte abgeschnitten werden, die er bereits ohne das Ergehen einer Normenkontrollentscheidung geltend machen konnte. Es wäre paradox, würde der Betroffene gerade für den offensichtlichen Fall der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts infolge der Unwirksamkeit dessen zugrundeliegender Rechtsnorm schlechter gestellt werden. Der Bestand des Verwaltungsakts bleibt unmittelbar von der Normenkontrollentscheidung unberührt, lediglich die Wirkung der Unanfechtbarkeit wird durch die Pflicht zu einer erneuten Sachprüfung durchbrochen. Dieses Ergebnis ist auch interessengerecht, vermeidet es unerträgliche und willkürlich anmutende Ungleichbehandlungen der Betroffenen solcher Verwaltungsakte, welche aus einer strikten Trennung zwischen bestandskräftigen und noch anfechtbaren Verwaltungsakten resultieren würden.

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Eine Verpflichtung zum Eintritt in eine erneute Sachprüfung ist lediglich nach Antragsstellung des Betroffenen gegeben. Fehlt ein solcher Antrag, kann die Behörde von sich aus in eine erneute Sachprüfung einsteigen, ist dazu aber nicht verpflichtet. Drückt der Betroffene nicht in Form eines Antrages sein Bedürfnis nach einer erneuten Überprüfung des Verwaltungsakts aus, so gibt er damit zu erkennen, dass er sich mit dem Bestand des rechtswidrigen belastenden Verwaltungsakts abgefunden hat. Der Verwaltung ist nicht zuzumuten, von sich aus ein Rücknahmeverfahren in allen in Betracht kommenden Fällen zu eröffnen, zumal im Regelfall die Kapazitäten der Verwaltung hierzu nicht ausreichen dürften. • Sonderfälle Bei bestimmten Verwaltungsakten führt die Unwirksamerklärung der Rechtsgrundlage jedoch nicht nur zu einem Anspruch auf eine erneute Sachprüfung, sondern unmittelbar zu einem Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsakts. Dauerverwaltungsakte, d. h. Verwaltungsakte, deren Wirkung nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern während eines bestimmten Zeitraums eintreten, sind mit Wirkung ex nunc aufzuheben. Hier verdichtet sich das behördliche Rücknahmeermessen gemäß § 48 VwVfG auf Null. Der Betroffene muss sich nicht mit einem Vollstreckungsverbot für die Zukunft begnügen, sondern kann darüber hinaus die zukünftige Beseitigung der im Dauerverwaltungsakt aneinandergereihten Einzelregelungen verlangen. Dazu bedarf es keines Antrags des Betroffenen. Die Behörde ist von Amts wegen verpflichtet, Dauerverwaltungsakte mit Wirkung ex nunc zurückzunehmen, soweit sie hiervon Kenntnis erlangt. Eine Pflicht zur Beseitigung bestandskräftiger Verwaltungsakte infolge der Unwirksamkeit der Rechtsgrundlage besteht auch bei Vorliegen besonderer gesetzlicher Regelungen. So ist nach § 44 Abs. 1 SGB X die Behörde verpflichtet, bestandskräftige Verwaltungsakte des Sozialrechts – soweit keine besonderen Vorschriften entgegenstehen – mit Wirkung ex tunc zurückzunehmen, da sich durch die Normenkontrollentscheidung herausstellt, dass die Behörde das Recht zum Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts „unrichtig angewandt“ hat. Die Regelungen der § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG, § 183 S. 1 VwGO gehen § 44 Abs. 1 SGB X nicht als Spezialregelungen vor. Zwar handelt es sich bei § 44 Abs. 1 SGB X nicht um eine „besondere Regelung“ im Sinne von § 79 Abs. 2 S. 1 BVerfGG oder § 183 S. 1 VwGO, aber es liegt auch keine tatbestandsbezogene Konkurrenzsituation vor, da durch die besagten Regelungen des BVerfGG und der VwGO bestehende Ansprüche auf Rücknahme von Verwaltungsakten weder beschränkt, noch erweitert werden sollen. Auch in diesen Fällen ist die Behörde von Amts wegen verpflichtet, solche – als rechtswidrig erkannten – Verwaltungsakte zurückzunehmen. Die Behörde ist aber nicht verpflichtet, von sich aus Akten auf eventuell gegebene Rücknahmeansprüche zu durchsuchen. Insofern ist die Stellung eines Rücknahmeantrages ratsam.

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III. Bestandskräftige Verwaltungsakte, die auf einer für unwirksam erklärten Norm beruhen, dürfen nach § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO nicht mehr vollstreckt werden. Aufgrund des Regelungszweckes dieser Vorschriften, nämlich der Fixierung des status quo zum Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung, wird der Begriff der „Vollstreckung“ sehr weit ausgelegt. Unter Vollstreckung in diesem Sinne werden danach nicht nur alle Vollstreckungsmaßnahmen im engeren Sinne erfasst, sondern auch alle Maßnahmen der Exekutive, die zu einem zwangsweisen staatlichen Vollzug der durch den Verwaltungsakt statuierten Forderung führen, insbesondere der Erlass gestalterischer Verwaltungsakte und die Aufrechnung durch die Behörde mit der im rechtswidrigen Verwaltungsakt enthaltenen Forderung. Nicht von dem Begriff „Vollstreckung“ erfasst wird dagegen die Umsetzung eines Verwaltungsakts mit materiell feststellendem und verfahrensrechtlich gestaltendem Inhalt, so insbesondere das Gebrauchmachen von einer Genehmigung durch einen Privaten. Auch wenn die Umsetzung der Gestattungswirkung einer Genehmigung zu einer „Vertiefung des Unrechts“ führt und das Ziel einer Fixierung des status quo zum Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung übergeht, so wird diese Konstellation nicht durch die Vollstreckungsverbote der besagten Regelungen erfasst. Denn typisch für Vollstreckungshandlungen ist der staatliche Vollstreckungszwang. Es soll dem Hoheitsträger untersagt werden, seine eigens geschaffenen – allerdings rechtswidrigen – Vollstreckungstitel gegen den Willen der Betroffenen durchzusetzen. Das Vollstreckungsverbot darf daher nicht in ein allgemeines Vollzugs- oder Umsetzungsverbot umgewandelt werden. Das Vollstreckungsverbot betrifft alle zum Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung unanfechtbaren Verwaltungsakte, deren Vollstreckung noch nicht abgeschlossen ist. Bereits abgeschlossene Vollstreckungshandlungen bleiben bestehen. Verwaltungsakte, die zum Zeitpunkt der Normenkontrollentscheidung noch mit ordentlichen Rechtsbehelfen angefochten werden konnten, unterfallen nicht § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO. Hier kann sich der Betroffene nicht auf den Ausschluss der Vollstreckung berufen, sondern muss im Wege des Primärrechtsschutzes gegen den noch anfechtbaren Verwaltungsakt unmittelbar vorgehen. Das Vollstreckungsverbot ist von Amts wegen zu berücksichtigen und wirkt somit unmittelbar, ohne dass es einer gesonderten konstitutiven Erklärung zum Ausschluss der Vollstreckung bedarf. Der Verweis in § 79 Abs. 2 S. 3 BVerfGG und § 183 S. 3 VwGO ist unerheblich, zumal sich dieser nur auf Vollstreckungen nach den Regelungen der ZPO bezieht. Der Vorrang des Grundsatzes der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall für die Zukunft wird nur dann effektiv gewährt, wenn die Behörden von Amts wegen und nicht erst auf Einwand des Betroffenen hin sämtliche Maßnahmen zum zwangsweisen Vollzug des Verwaltungsakts zu unterlassen haben.

Zusammenfassung der Ergebnisse

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IV. Die festgestellten Rechtspositionen kann der Betroffene mit den Mitteln des vorhandenen Verwaltungsrechtsschutzes gerichtlich überprüfen lassen. Soweit der Betroffene die Rücknahme des bestandskräftigen (Dauer-)Verwaltungsakts verlangen kann, ist eine Verpflichtungsklage auf Rücknahme des Verwaltungsakts statthaft. Eine Verpflichtungsklage ist auch im Falle eines Anspruchs auf ein Wiederaufgreifen im weiteren Sinne statthaft. Allerdings ist hier nicht isoliert auf Eintritt in eine erneute Sachprüfung zu klagen – dem würde § 44a VwGO entgegenstehen – sondern unmittelbar auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts. Da dieses Rücknahmeermessen im Regelfall nicht auf Null reduziert ist, empfiehlt sich eine Verpflichtungsklage in Form einer Bescheidungsklage. Das Bestehen eines Vollstreckungsverbotes kann ebenfalls mit den durch die VwGO vorgesehenen Klagearten gerichtlich geltend gemacht werden, ohne dass es eines Rückgriffes auf die zivilprozessuale Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO bedarf. Der Betroffene ist nicht darauf angewiesen, Rechtsschutz gegen jede einzelne Vollstreckungsmaßnahme in Anspruch zu nehmen, sondern kann die Existenz eines Vollstreckungsverbotes – und damit den generellen Ausschluss aller drohenden Vollstreckungsmaßnahmen – im Rahmen einer Klage auf Feststellung des Verbots der Vollstreckung nach § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG bzw. § 183 S. 2 VwGO feststellen lassen. Ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis ergibt sich aus dem in § 79 Abs. 2 S. 2 BVerfGG und § 183 S. 2 VwGO enthaltenen subjektiven Recht, von jeglichen Vollstreckungsmaßnahmen verschont zu bleiben, bzw. aus der Pflicht der Behörde, die zwangsweise Durchsetzung des durch den Verwaltungsakt begründeten Anspruchs zu unterlassen. Da sich diese Feststellungsklage zwangsläufig gegen den Hoheitsträger richtet und vergleichbar effektive Rechtsschutzmöglichkeiten nicht ersichtlich sind, unterfällt sie auch nicht der Subsidiaritätsregelung des § 43 Abs. 2 VwGO. Vorläufiger Rechtsschutz wird durch eine einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO gewährt.

Kapitel F I. Der Regelungsgedanke der § 79 Abs. 2 BVerfGG, § 183 VwGO kann weder unmittelbar, noch entsprechend auf die inzidente Feststellung der Unwirksamkeit einer Norm übertragen werden. Beide Regelungen setzen eine, über die subjektiven Grenzen der Rechtskraft nach § 121 Nr. 1 VwGO hinausgehende, allgemeine Bindungswirkung voraus. Da eine inzidente Normenkontrolle lediglich Bindungswirkung zwischen den am konkreten Rechtsstreit beteiligten Parteien entfaltet und es an diesbezüglichen Spezialregelungen wie § 31 BVerfGG oder § 47 Abs. 5 S. 2 VwGO mangelt, sind die Voraussetzungen für eine entsprechende Übernahme des Regelungskonzeptes der § 79 Abs. 2 BVerfGG und § 183 VwGO auf inzidente Normenkontrollen nicht gegeben.

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Zusammenfassung der Ergebnisse

II. Das Ergebnis einer inzidenten Normenkontrolle ist jedoch als wichtiges Kriterium im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Eintritt in eine erneute Sachprüfung und der darauf aufbauenden Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu berücksichtigen. Dabei ist zu bedenken, dass auch von inzidenten Normenkontrollen „faktische“ Bindungswirkungen ausgehen können, z. B. durch eine inzidente Normenkontrolle des Bundesverwaltungsgerichts bzw. anderer Obergerichte oder durch eine ständige Rechtssprechung der Fachgerichte. Je stärker diese „faktische“ Bindungswirkung ist, desto mehr reduziert sich der behördliche Ermessensspielraum bezüglich der Entscheidung über das Wiederaufgreifen im weiteren Sinne. Auf der zweiten Stufe des Rücknahmeverfahrens, nämlich der Ermessensentscheidung über die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts, wirken sich die Unterschiede zwischen prinzipaler und inzidenter Normenkontrolle nicht aus. Hier bleibt es bei dem generellen – durch die Verpflichtung zu einer erneuten Sachprüfung jedoch eingeschränkten – Rücknahmeermessen der Behörde.

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Sachwortverzeichnis Abschirmfunkion 139 f., 185, 190 ff. Allgemeiner Rechtsgedanke 68 ff., 218 f. Analogie 68 ff. Änderung der Rechts- und Sachlage 172 ff. Anfechtungsklage – gegen Vollzugsakte 243 f. – Fristen 147, 158, 168, 235 Antragserfordernis – Dauerverwaltungsakte 210 f. – Rücknahmeanspruch 124 ff. – Sozialverwaltungsakte 215 – Wiederaufgreifen im weiteren Sinne 202 f. Appellentscheidung 37 f. Aufrechnung 220 Bebauungsplan 59 ff., 84, 97, 259 Beruhensbegriff 83 ff. Bescheidungsklage 234 ff. Beseitigungsanspruch – Einschränkungen 107 ff. – Folgenbeseitigung 104 ff. – Herleitung 103 ff. – Tatbestandsvoraussetzungen 106 ff. Bestandskraft 52 ff., 64 ff., 104, 142 Bindungswirkung – erga omnes 30 ff. – faktisch 255 – inter partes 30 ff., 250 Ermessen – Ermessenserwägungen 111 ff., 162 ff. – Ermessensreduktion auf Null 112 ff., 162, 170 – intendiertes Ermessen 112 f.

– Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung 149 f., 180 Feststellungsklage – Rechtsverhältnis 246 – Subsidiarität 246 f. Handlungsermächtigung 112, 115 Intendiertes Ermessen 112 f. Kommunale Verfassungsbeschwerde 24 Nichtigkeit einer Norm – „ex nunc“ 32 ff. – „ex tunc“ 32 ff. Nichtigkeit eines Verwaltungsakts 42 ff., 99 Normenkontrolle – § 47 VwGO 26 ff. – Art. 100 GG 21 f. – Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG 19 f. – Art. 93 Abs. 1 Nr. 2a GG 20 f. – inzidente 29 ff. – landesverfassungsgerichtliche 24 f. – prinzipale 26 ff. – verwaltungsgerichtliche 25 ff. Rechtsschutz – gegen Versagung des Wiederaufgreifens 234 ff. – gegen Vollstreckungsakte 238 ff. – vorläufig 248 f. Rechtssicherheit 44 ff., 53, 107 f. Rücknahme – § 44 SGB X 113, 121, 212 ff.

Sachwortverzeichnis – – – – -

anfechtbarer Verwaltungsakt 109 ff. bestandskräftiger Verwaltungsakt 145 ff. Dauerverwaltungsakt 205 ff. Gemeinschaftsrecht 148, 181 f. Rücknahmeermessen 115 ff., 145 ff., 201 ff., 252 ff.

Selbstbindung der Verwaltung 150, 188 Sozialrecht 113, 121, 212 ff. Spezialität 192 ff. Teilnichtigerklärung 35 Unberührt – beschränkt konstitutive Sichtweise 135 f. – deklaratorische Sichtweise 133 f. – konstitutive Sichtweise 134 – gerichtliche Entscheidungen 136 ff. Unterlassungsklage 245 f. Unvereinbarkeitserklärung 35 ff., 77 ff. Unwirksamkeitserklärung 39 ff. Verfassungsbeschwerde 22 f. Verfassungskonforme Auslegung 38, 77 ff. Vernichtbarkeitslehre 33 Verpflichtungsklage – § 44a VwGO 236 f. – Bescheidungsklage 234 ff. – Vollstreckungsverbot 244 ff. Vertrauensschutz 126 ff., 197 f., 223 ff. Verwaltungsakt

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– anfechtbarer 103 ff. – bestandskräftiger 132 ff. – Dauerverwaltungsakt 205 ff. – Drittbezogenheit 126 ff. – Gestalterischer 221 ff. – Nichtigkeit 42 ff., 99 – Sozialrecht 212 ff. Verwerfungskompetenz – exekutive 214, 252 – judikative 27 Vollstreckbarkeit 216 ff. Vollstreckung 219 ff. Vollstreckungsgegenklage 242 f. Vollstreckungsverbot 219 ff. Vollziehung 225 von Amts wegen 125, 203, 211, 215, 226 ff. vorbeugende Unterlassungsklage 245 f. vorläufiger Rechtsschutz 248 f. Vorrang der Verfassung 14 Wiederaufgreifen des Verfahrens – § 51 VwVfG 136 ff., 173 ff. – einstufiger Wiederaufgreifensbegriff 158 – im engeren Sinne 156 ff. – im weiteren Sinne 157 ff. – zweistufiger Wiederaufgreifensbegriff 158 ff. Wiederaufnahme des Verfahrens 136 ff. Wiederaufnahme im Strafprozess 45