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German Pages 280 [278] Year 2021
Naika Foroutan Die postmigrantische Gesellschaft
X-Texte zu Kultur und Gesellschaft
Naika Foroutan
Die postmigrantische Gesellschaft Ein Versprechen der pluralen Demokratie
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2021 transcript Verlag, Bielefeld 2., unveränderte Auflage Alle Rechte vorbehalten. Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat & Korrektorat: Demian-Noah Niehaus, Nürnberg Satz: Michael Rauscher, Bielefeld Druck: Friedrich Pustet GmbH & Co. KG, Regensburg Print-ISBN 978-3-8376-5944-3 PDF-ISBN 978-3-8394-5944-7 EPUB-ISBN 978-3-7328-5944-3 https://doi.org/10.14361/9783839459447 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vor schau-download
Inhalt Vorwort und Danksagung � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 7 Einleitung Die große Gereiztheit � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 11 PmG – kurz und knapp � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 19 Zum Aufbau � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 21
Grundlagen und Kernthese Ankerpunkte einer postmigrantischen Analyse � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 27 Die plurale Demokratie � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 27 Das politische Versprechen � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 36 Die postmigrantische Gesellschaft � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 46
I. Anerkennung und Aushandlung Der Kampf um gleiche Rechte � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 73 Vom normativen Anspruch zur empirischen Wirklichkeit � � � � � � � � � � � � � � � 73 Strukturelle Anerkennungsdefizite: Leistungsmythos und Chancenungleichheit � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 83 Kulturelle Anerkennungsdefizite: Die Debatte um die Zugehörigkeit des Islam � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 92 Soziale Anerkennungsdefizite: Verwehrung sozialer Nähe – trotz Integration � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 97 Identifikative Anerkennungsdefizite: Exklusion aus dem nationalen Narrativ � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 104 Ausblick: Das normative Paradoxon als Herausforderung für die Gesellschaft? � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 108
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten Die Irritation der Mehrdeutigkeit � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 111 Doppelte Ambivalenz: Verunsicherung durch normative Widersprüche und Un-Ordnung � � � 113 Ambiguität und Hybridität: Mehrdeutigkeiten in der postmigrantischen Gesellschaft � � � � � � � � � � � � � 120 Stereotypisierung und othering : Einhegung von Ambivalenz und Ambiguität � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 130 Ausblick: Hyperrealitäten als Ausweg aus der Ambivalenz? � � � � � � � � � � 153
III. Antagonisten und Allianzen Die Konfliktlinie der Pluralität � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 157 Polarisierung der postmigrantischen Gesellschaft � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 160 Postmigrantische Antagonismen – Abwehr statt Anerkennung � � � � � � 190 Postmigrantische Allianzen – Haltung statt Herkunft � � � � � � � � � � � � � � � � � � 198 Ausblick: Neue Lager der Zugehörigkeit? � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 209
Fazit, Ausblick und Nachwort � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 213 Das normative Paradoxon � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 213 Die Pluralität � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 216 Ausblick: Ein neues Narrativ für die postmigrantische Gesellschaft � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 219 Nachwort: Ist Deutschland nun eine postmigrantische Gesellschaft? Eine didaktische Checkliste zum Abschluss � � � � � � � � � � 223
Literatur � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � � 229
Vorwort und Danksagung
Dieses Buch ist aus einer Reihe von Vorpublikationen und verschiedenen Versionen von Artikeln zur postmigrantischen Gesellschaft hervorgegangen, die am Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) der Humboldt-Universität zu Berlin in den Jahren 2014 bis 2019 entstanden sind. Es ist als Versuch eines dialektischen Brückenschlags zwischen der kritischen Migrationsforschung und der empirischen Sozialforschung zu betrachten. Die gesellschaftspolitische Grundlage für die Entwicklung der Forschungsfragen entstand durch die intuitive und subversive Wortschöpfung des ›Postmigrantischen‹ durch Shermin Langhoff, einer der zentralen Kunst- und Kulturschaffenden im politischen Kontext der deutschen Einwanderungsgesellschaft. Ihr künstlerischer Claim bestand darin, dass sich Gesellschaften nicht mehr in Kategorien von ›Migranten‹ und ›Einheimischen‹ erzählen und begreifen lassen, wenn die Generationen, die hier sozialisiert werden, nicht nur beanspruchen, ein selbstverständlicher Teil des Ganzen zu sein, sondern ›das Ganze‹ neu zusammensetzen. Dies hat zur Irritation etablierter migrationstheoretischer Kategorien und empirischer Analyserahmen geführt und eine Reihe neuer Forschungsfragen entstehen lassen, wofür Shermin Langhoff mein erster Dank gebührt. Die empirische Grundlage für diese zeitdiagnostische Gesellschaftstheorie bilden zwei Datensätze, die in den Jahren 2014/15 und 2018/19 unter meiner Leitung an der Humboldt-Universität zu Berlin durch das Zentrum für empirische Sozialforschung (ZeS) erhoben und mit einem Team von Kolleg*innen am BIM und am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) in der Folgezeit ausgewertet und in zahlreichen Formaten publiziert wurden. Die Datensätze sind als ein operationalisierender Versuch zu bewerten, eine Vorstellung, die aus der Kunst- und Kulturszene kommt und sich daher nicht
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erklären muss, in das Korsett empirischer Überprüfung zu überführen, um theoriebildend vorgehen zu können. Ich danke hierbei vor allem meinem Kollegen Coşkun Canan für seine exzellente Mitarbeit und Hilfe bei den quantitativen Analysen in den letzten fünf Jahren. Meinen Kolleg*innen vom Rat für Migration, besonders dem ehemaligen Vorstand, Werner Schiffauer, Andreas Pott, Andreas Zick und Riem Spielhaus, sowie der Sektion postmigrantische Gesellschaften, im Besonderen Juliane Karakayalı, Vassilis Tsianos, Iman Attia, Gökce Yurdakul, Urmila Goel und Paul Mecheril danke ich für zahlreiche kritische Diskussionen in dieser Zeit, die zu Perspektivwechseln im Laufe der Abschrift geführt haben. Klaus Bade möchte ich explizit dafür danken, dass er durch seine permanente Infragestellung des Begriffes die terminologische und empirische Operationalisierung vorangetrieben hat und als ermutigender Mentor die Entstehung des Buches mitbegleitet hat. Meinem Partner beim Auf bau und im Vorstand des DeZIM-Instituts, Frank Kalter, gebührt mein ganz besonderer Dank, nicht nur für seine kollegiale Unterstützung, sondern auch dafür, dass er – obwohl aus der thematisch und emotional nicht zugewandten quantitativen Sozialforschung kommend – die Geduld und die wissenschaftliche Neugier erbracht hat, meine Annahmen und Hypothesen zunächst zu verreißen, um sie nach vielfältigen Diskussionen, Präzisierungen und empirischer Überprüfung doch zu verstehen bereit zu sein. Ohne ihn wäre dieses Buch nicht zu Ende geschrieben worden. Ich hatte in den letzten fünf Jahren die Möglichkeit, das Konzept der postmigrantischen Gesellschaft auch mit zahlreichen Kolleg*innen im internationalen Rahmen zu diskutieren und weiterzuentwickeln. Im Jahr 2015 wurde der Begriff und das dahinterliegende Konzept erstmalig auf einer internationalen Tagung des Jüdischen Museums Berlin und des Rates für Migration mit internationalen Kolleg*innen wie Philomena Essed und Fatima El-Tayeb im Kontext von Kontroversen zu Rassismus, Minderheiten und Pluralisierung diskutiert. Ich danke hier vor allem meiner Kollegin Yasemin Shooman für die enge Kooperation mit dem Jüdischen Museum. Das American Council on Germany hat mir im Jahr 2016 im Rahmen seiner Warburg-Chapters eine Lecture-Reihe in den USA ermöglicht, wo ich das Konzept an der Boston University und an der University of Minnesota – Minneapolis vorstellen und durch kritische Diskussionen
Vorwort und Danksagung
Veränderungen an den theoretischen Prämissen vornehmen konnte. Dafür bin ich sehr dankbar. International hatte ich des Weiteren 2017 die Möglichkeit, die Fragestellung, den theoretischen Rahmen und die entwickelten Orientierungshypothesen auf Einladung des Havens Center for Social Justice der University of Wisconsin in Madison/USA intensiv zu diskutieren. Ich danke Eric Olin Wright für diese Möglichkeit und Mark Silberman, Myra Marx Ferree, Patrick Barret, Deepa Kumar und Felix Elwert für die kritische Ref lexionsmöglichkeit am Havens Center. Der Ryerson University Toronto und hier besonders meinem Kollegen Harald Bauder und der Senatorin Ratna Omidvar danke ich dafür, dass sie mir im Verlauf des Jahres 2018 mehrfach die Möglichkeit gegeben haben, die weiterentwickelten Ergebnisse und Konzepte zur postmigrantischen Gesellschaft im akademischen Kontext in Toronto zu diskutieren und unterschiedlichen kanadischen Audiences vorstellen zu dürfen. Die Diskussionen in Toronto und das Feedback der Kolleg*innen der Ryerson University haben meine Perspektive geweitet und die Frage eröffnet, inwiefern sich die theoretischen Prämissen dieses Buches auf einen außereuropäischen Raum übertragen lassen. Die Überprüfung dieser Frage überlasse ich den Kolleg*innen aus Übersee. Meiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin Sana Shah danke ich dafür, dass sie mir bei der Konzeptionalisierung und beim Übertrag der Forschungsfragen auf den angelsächsischen Raum geholfen hat. Ich konnte meine Forschung so auch an der SOAS, University of London und bei der fünften Jahreskonferenz des Journal for Ethnic and Migrations Studies (JEMS) am Sussex Centre for Migration Research in Brighton zur Diskussion stellen. Ein ganz besonderer Dank geht auch an meine wissenschaftliche Mitarbeiterin Katarina Stjepandić für die Leitung und Organisation des Buchprojektes und ihre kluge Kritik und weiterführende Ref lexion zur Schärfung des Konzepts. Ebenfalls danke ich meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Pascal Dengler für all die Jahre der weitsichtigen Unterstützung und Vorarbeiten zu diesem Buch sowie Sophia Schmidt und Nina Bühler für ihre Arbeit bei der Finalisierung. Außerdem möchte ich meinem langjährigen wissenschaftlichen Mitarbeiter Damian Ghamlouche für die jahrelangen Diskussionen und Gedanken bei der Herleitung des theoretischen Rahmens danken. Auch bei meinem Lektor Demian Niehaus möchte ich mich für seine ausgezeichnete Arbeit bedanken. Er hat nicht nur stilistische Kleinarbeiten vorgenom-
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men, sondern tiefgreifende strukturelle Impulse gegeben und sehr konstruktiv das gesamte Buch und Konzept mitgedacht. Meinem Mann und meinen Kindern danke ich für ihre Geduld, für ihren familiären Support und für all die Jahre, in denen sie sich gefragt haben, wann denn das Nachdenken über dieses amorphe Konzept sich endlich in einem greif baren Buch manifestiert und das Ganze mal ein Ende hat?! Es ist soweit. Ich freue mich, dass Ihr nicht an mir verzweifelt seid.
Einleitung Die große Gereiztheit »Eigentlich ist alles in Ordnung. Drei Mahlzeiten am Tag, immer genug zu tun, und wenn die Katze auf dem Baum sitzt, kommt die Feuerwehr. Die Renten sind sicher, Häuser und Autos glänzen prächtig, und viele denken in den dunklen Stunden des Nachmittags schon an die kommenden Sommerferien. Und doch […] wenn man in die Ferne schaut, die zeitliche oder räumliche, sieht es dunkel aus. Wie zu viele dunkle Folien schieben sich die Krisen, die Sorgen vor jede Lichtquelle, plötzlich erscheint der Horizont beladen und beängstigend. Und wenn man darüber reden möchte, wird es schnell noch beklemmender. Jeder Smalltalk gerät zum Zank, es ist im Alltag wie auf der politischen Bühne: Nerven liegen blank, Kooperation wird gemieden, Sprüche werden geklopft. Also werden Fäuste in der Luft geschüttelt oder auf die eigene Brust getrommelt. Es ist, als spielten alle eine berühmte Episode aus Thomas Manns ›Zauberberg‹ nach, das Kapitel von der ›großen Gereiztheit‹.« Nils Minkmar, »Gereiztes Land kurz vorm Durchdrehen«, Der SPIEGEL vom 22.02.2016
Die deutsche Gesellschaft ist polarisiert. Im europäischen und internationalen Vergleich zählt Deutschland zu den reichsten Industrienationen der Welt und gleichzeitig gilt das Land als eines mit der höchsten Vermögensungleichheit (Alvaredo et al. 2018; Fratzscher 2016; Oxfam 2019). Das reichste Prozent der Deutschen verfügt über ebenso viel Vermögen wie die 87 ärmeren Prozent der deutschen Bevölkerung, 80 %
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der deutschen Wirtschaft befinden sich in Familienhand. Trotz überdurchschnittlich guter Konjunktur im letzten Jahrzehnt gilt im Jahr 2018 jedes fünfte Kind als arm (BMAS 2017). Die Steuereinnahmen steigen seit Jahren,1 Deutschland ist Exportweltmeister – zugleich glauben immer mehr Bundesbürger*innen, ihren Kindern werde es einmal schlechter gehen als ihnen selbst (Bude 2014; Nachtwey 2016). Vor diesem sozioökonomisch paradoxen Hintergrund spielen sich wertepolitische Polarisierungen ab, die den gesellschaftlichen Diskurs dominieren: Gegner*innen und Befürworter*innen der pluralen Demokratie stehen sich in verfeindeten Lagern gegenüber und streiten um die Grundlagen des Zusammenlebens (Nassehi 2013). Parallel zur strukturellen und sozialen Ungleichheit wächst die kulturelle und emotional-identifikative Desintegration – also das Gefühl, sich nicht mehr mit dem Land, in dem man lebt, identifizieren zu können und dessen kulturelle Prämissen und Selbstbeschreibungen nicht mehr zu teilen; der Migrationsforscher Klaus Bade spricht hier von »zunehmender Kulturangst« (Bade 2016). Bernhard Pörksen beschrieb in seinem gleichnamigen Buch 2018, die große Gereiztheit als einen Erregungszustand des digitalen Zeitalters, welches den Verlust einer gesicherten Wahrheit mit sich führt und die Menschen in ihren Wahrnehmungen der Welt verängstigt. Dabei ist eine teilweise dystopische Stimmung zu beobachten und das Land befindet sich in akutem Identitätsstress. Als Erklärung werden in Meinungsumfragen neben Globalisierungsängsten, Europamüdigkeit, Elitenkritik und Genderverwirrung immer stärker Überfremdungs- und Islamisierungsängste genannt (Bertelsmann Stiftung 2015a; Infratest dimap 2010, 2016a), bedingt durch die gestiegene Zahl von Migrant*innen: Man erkenne sein Land nicht mehr wieder durch die vielen Fremden; ob Deutschland noch Deutschland bleiben werde in Anbetracht der vielen Muslime im Abendland? Migration spielt im öffentlichen Diskurs eine immer stärkere Rolle. Es kann regelrecht eine Omnipräsenz von Migrationsdebatten konstatiert werden, und zwar nicht erst seit dem Anstieg der Fluchtmigration im Jahre 2015. Das Thema Migration in Form von Ein- und Auswanderung, aber auch als bewertende und zuschreibende Ordnungskategorie ist in der politischen und gesellschaftlichen Beschreibung des Landes allgegenwärtig. Migration hat sich regelrecht zu einem Metanarrativ entwickelt, das vielfach als alles erklärende Kategorie herangezogen wird: Bildungs1 Vgl. BMF (2019).
Einleitung
rückstände, Kriminalität, soziale Transferleistungen, Wohnungsnot, Geschlechterungleichheit, Antisemitismus und viele sozialstrukturelle und -kulturelle Probleme mehr werden mit diesem Metanarrativ erklärt, welches in grundlegende gesellschaftliche Lebensbereiche hinein übertragen wird: ob Sicherheit, Gesundheit, Bildung, Politik, Religiosität etc. – die deutsche Gesellschaft scheint sich vor dem Hintergrund der Migrationsdebatten identitär neu zu ordnen. Doch die Kopplung der Identitätsfrage an die Zahl der Migrant*innen bzw. Menschen muslimischen oder anderen Glaubens ist ein kausaler Trugschluss, der sich nicht nur am Beispiel der – relativ zur Gesamtbevölkerung – geringen Zahl der Muslime in Deutschland dekonstruieren ließe, von denen gegenwärtig knapp sechs Millionen hier leben. Und auch die 2,5 Millionen Gef lüchteten, die im Zuge der Fluchtmigration 2015/16 nach Europa kamen, davon ca. 1,2 Millionen nach Deutschland, können nicht als relevante quantitative Größe den vermeintlichen Identitätsverlust und den Anstieg des Rechtspopulismus legitimieren. Zum einen, weil die Zahl der Gef lüchteten nach Europa im Vergleich zu 500 Millionen EU-Bürger*innen weiterhin sehr marginal ist – selbst für Deutschland, das Land mit den absolut genommen höchsten Aufnahmezahlen, bleiben die Gef lüchtetenzahlen von 2015/16 zusammen noch unter einem Prozent der Gesamtbevölkerung –, zum anderen, weil die rechtspopulistischen Parteien weit vor der Flüchtlingskrise bereits in den meisten europäischen Parlamenten vertreten waren und zunehmend Wähler*innen und politisches Terrain gewinnen konnten, ohne dass einer der 2,5 Millionen Gef lüchteten seinen Fuß auf europäischen Boden gesetzt hatte. Die Feindseligkeit gegenüber Minderheiten hängt also nicht von der Größe ihrer Gruppe ab – was die Judenfeindlichkeit in der gesamten europäischen Geschichte belegen kann. Es geht in Wahrheit also gar nicht primär um Migration – die große Gereiztheit liegt vielmehr daran, am eigenen Anspruch einer weltoffenen, aufgeklärten Demokratie zu scheitern. Die Migration ist dabei der Spiegel, in dem wir diese Gewissheit erkennen: Wir sind hässlich geworden und wir schieben die Wut auf den Boten, der uns das übermittelt. Dies ist die Hauptthese dieses Buches. Der Kernkonf likt in postmigrantischen Gesellschaften dreht sich nur an der Oberf läche um Migration – tatsächlich ist der Konf likt jedoch angetrieben von der Aushandlung und Anerkennung von Gleichheit als zentralem Versprechen der modernen Demokratien, die sich auf Pluralität und Parität als Grundsatz
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berufen. Die Omnipräsenz des Migrationsdiskurses verdeckt diesen zentralen Aushandlungskonf likt. Um die Probleme zu erkennen, die derzeit Gesellschaften polarisieren, müssen wir hinter die Migrationsfrage schauen, also postmigrantisch denken. Dazu ist es erforderlich, den Fokus auf gesellschaftspolitische Kernkonf likte um Anerkennung, Chancengerechtigkeit und Teilhabe zu lenken, die als umkämpfte politische Güter auch von Migrant*innen und ihren Nachkommen beansprucht werden. Das ist der Kern einer postmigrantischen Analyse. Die Ausgangsthese ist also, dass Migration sich regelrecht zu einer Chiffre für Pluralität herauskristallisiert hat, in deren Ablehnung sich gleichermaßen die Abwehr weiterer pluraler Lebensentwürfe bündelt. Denn mit dem Aufstieg des Rechtspopulismus werden im Windschatten der Migrationsabwehr auch andere liberale Pluralitätsentwürfe zurückgedrängt. Antifeminismus, Homo- und Transphobie, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Rassismus und Xenophobie sind sichtbare Elemente einer Vereindeutigungspolitik geworden, der es zunehmend gelingt, Wählerschichten zu mobilisieren. Auch Teile der unentschiedenen Mitte fühlen sich von den vermeintlich klaren Angeboten angezogen, die in die Arena der verwirrenden Pluralität eingespeist werden: Rückkehr zu Nation, Religion oder Männlichkeit – teilweise in karikaturesker Übertreibung – bestimmen nach einem Zeitalter liberaler Demokratiebewegungen in erhöhtem Maße das politische Angebot. Ob Trump, Putin, Bolsonaro, Erdoğan, Orbán oder Netanjahu; ob Salafismus, Hindu-Nationalismus, ultra-orthodoxes Judentum, schiitische Allmachtsphantasien oder christliche Evangelikale; ob Alt-Right, ›America First‹, ›La France d’abord‹, ›Deutschland den Deutschen‹ oder die Siedlungspolitik im Westjordanland – weltweit ist eine Politik der Anti-Liberalität auf dem Vormarsch. Sie alle kombinieren Vorstellungen homogener und/oder superiorer Nationalität mit einer patriarchalen Inszenierung, die suggeriert, man hole sich zurück, was der Nation gehöre: vergangene Stärke und verlorene Macht. Was die letzten Jahrzehnte als Folge von emanzipativer Politik als überholt galt, inszeniert sich heute als Politik für das vermeintlich klar definierbare ›Volk‹ und als subversive Neudefinition von Bürgerlichkeit und Konservatismus neu. Der Rechtspopulismus schlägt offen zurück und stellt das Normensystem der pluralen Demokratie in Frage, besonders dort, wo die Forderungen nach Gleichheit automatisch auch die Infragestellung von Privilegien mit sich führen – z. B. als (Frauen-)Quoten, Gleichstellungsgesetze, Antidiskriminierungsrichtlinien oder Sprachsensibili-
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sierung. Die Gleichheits- und Emanzipationsprozesse werden als Bevormundung, Volksverrat oder Luxusprobleme inszeniert; dabei wird kaschiert, dass eine feministische Politik auch gleichzeitig eine AntiUngleichheitspolitik ist – noch immer sind alleinerziehende Frauen die Gruppe, die am stärksten von Armut betroffen ist – und dass antirassistische Politik auch handfeste Arbeiterpolitik ist – Migrant*innen und ihre Nachkommen sind überwiegend immer noch Arbeiter*innen. Eine Politik, die sich um ihre Belange sorgt, sollte also nicht als entkoppelte Identitätspolitik diskreditiert werden. Der Schulterschluss, der gegen Gender-, Gleichstellungs- und Migrationspolitik von den Rändern bis in die Mitte der Gesellschaft hinein gesucht wird, basiert auf dem Verweis darauf, dass die Vertreter*innen der pluralen Demokratie ihre Bodenhaftung verloren und durch ihre politische Korrektheit das Volk bevormundet hätten, welches sich jetzt aus der moralischen Unterdrückung befreie. Die Abwehr von Migration ist also nicht nur ein Phänomen gesellschaftlicher Ränder (Zick et al. 2016; Brähler/Decker 2018). Seit beinahe einem Jahrzehnt – beginnend mit den Debatten um Thilo Sarrazins Buch »Deutschland schafft sich ab« im Jahr 2010 – können wir in der deutschen Gesellschaft entlang der Positionierung zu Migration einen Rollback erkennen. Während das Jahrzehnt zuvor, besonders seit der Zuwanderungskommission unter der Leitung von Rita Süssmuth von Entwicklungen in Richtung der Akzeptanz, ein Einwanderungsland zu sein, geprägt war, hat sich die Abwertung von migrantisierten Anderen wieder als Teil des Sagbarkeitsrepertoires der gesellschaftlichen Mitte etabliert. Rückblickend reihen sich die Sarrazin-Debatten der frühen 2010er in eine Reihe von nationalen Debatten ein, die zeitgleich auch in anderen europäischen Einwanderungsländern rund um das Thema der nationalen Identität und Zugehörigkeit geführt wurden. Die Schweiz, Frankreich, England, Holland – sie alle handelten gegen Ende der nuller Jahre ihre nationale Identität in Feuilletondebatten und Fernsehansprachen neu aus. Und sie alle schärften ihre nationale Identität in der Auseinandersetzung mit Eingewanderten und speziell den als »Anderen« konstruierten Muslimen in ihren Ländern. Globalisierung, Schengen, ›Europa ohne Grenzen‹ und die Position als globale Weltbürger auf der einen Seite korrelierten mit der Sehnsucht nach Einengung und Grenzziehung im Inneren. Als die Schweiz im Jahr 2009 ihr Minarettverbot aussprach, knüpfte parallel dazu in Frankreich der damalige französisches Staatspräsi-
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dent Nicolas Sarkozy seine Debatten um die identité nationale ebenfalls an die Sichtbarkeit und Anerkennungsforderung der Muslime. Demut und Zurückhaltung, »une humble discrétion«, forderte er von den Muslimen, die sich als legitime Staatsbürger Frankreichs sahen und für sich ein Recht auf Praktizierung ihrer Religion und ein Heraustreten aus der Unsichtbarkeit der Assimilation einforderten (Le Bars 2009). Auch die Niederlande waren in den Jahren 2009/2010 mit Geert Wilders’ Aufstieg und zunehmenden antimuslimischen Debatten konfrontiert. Ausgelöst durch den Mord am Regisseur Theo van Gogh durch einen radikal-islamistischen Attentäter marokkanischer Herkunft im Jahr 2004 waren dort bereits gesellschaftliche Auseinandersetzungen um das Zusammenleben mit muslimischen Einwanderern sowie um die Politik der multikulturellen Gesellschaft entbrannt. Die kontroverse Frage, die seitdem europaweit debattiert wird, ist, ob die multikulturellen Gesellschaften zu nachlässig im Umgang mit Minderheiten waren und zu freimütig erkämpfte emanzipatorische Rechte aufgegeben haben oder ob sie, im Gegenteil, vielmehr ihrem Versprechen der Gleichheit von Anbeginn nicht konsequent genug nachgekommen sind (Modood 2007; Grillo 2007; Scheffer 2011). Die Islamdebatten der 2010er Jahre fielen außerdem in einen Kontext, in dem europäische Gesellschaften auch mit terroristischen Attentaten durch Islamisten, teils in Form von home-grown terrorism, konfrontiert wurden. Einige europäische Länder wie England, Frankreich, Spanien oder die Niederlande waren zudem in Kriegen und Konf likten in muslimischen Ländern wie Afghanistan und dem Irak involviert. Die äußeren kriegerischen Konf likte, die innere Bedrohungslage durch Terroranschläge und die steigende Radikalisierung salafistischer Gruppierungen erzeugten ein zunehmendes Misstrauen und pauschale Abwertungen gegenüber muslimischen Einwanderern und ihren Nachkommen (Triandafyllidou/Modood 2006). In den beginnenden 2000er Jahren hatte allerdings die zunehmende Liberalisierung nach dem Ende des Ost-West-Konf liktes, die im Anschluss folgende Globalisierung, die Auseinandersetzungen mit kultureller Diversität und das gestiegene Bewusstsein gegenüber Diskriminierung und Nichtanerkennung zu veränderten politischen Bekenntnissen und zu emanzipativen Bestrebungen in den europäischen Gesellschaften geführt. Zunehmend verstanden sich diese, als plurale und offene Einwanderungsländer Diese emanzipativen politischen Prozesse hatten auch die Migrant*innen und ihre Nachkommen in die Position versetzt, ihre Rechte auf strukturelle, soziale, kulturelle und
Einleitung
identifikative Anerkennung offensiver einzufordern und auszuhandeln. Sie sahen sich im Recht, als Teil der Gesellschaft sichtbarer aufzutreten und auch in ihrer Verschiedenheit Teil des Kollektivs zu sein. Eine außen- und innenpolitisch explosive Situation nach dem 11. September, den Kriegen in Irak und Afghanistan und ersten Terrorattacken im Inland traf also auf ein zeitgleich stattfindendes Erwachen der Einwanderungsgesellschaften und ihrer Einwanderer. Das erzeugte soziale und identitäre Spannungen, in deren Kontext bis heute die Aushandlungskämpfe um nationale Zugehörigkeit und die Rolle von Migration – und daran geknüpft und teilweise synonym dazu verwendet: die Rolle von Islam und Muslimen in Europa – zu verorten sind.2 Die Fluchtmigration der Jahre 2015/16 hat diese Debatten nur verschärft; sie hat sie weder ausgelöst noch begünstigt. Über Migration, Muslime und Islam werden Fragen von Rassismus, Antisemitismus, Geschlechtergerechtigkeit, Homophobie, sozialem Aufstieg und sozialer Ungleichheit gleichzeitig thematisiert – oder aber auch unsichtbar gemacht und de-thematisiert. Migration ist also einerseits Auslöser gesellschaftspolitischer Debatten um Normen und Werte, dient aber andererseits auch dazu, die Aushandlung zentraler Wertedefizite in der Gesellschaft zu überdecken: Wenn z. B. Antisemitismus vorrangig als ein Kernproblem der nach Deutschland gef lüchteten Muslime diskutiert wird, so verdeckt die überbordende Kopplung dieser Normverletzung an die Migrationsfrage die Sachlage, dass Antisemitismus nicht erst durch Migration nach Deutschland gekommen ist und dass es in allen Berichtsjahren der Kriminalstatistik vor allem Personen waren, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden, die antisemitische Delikte verübten – 2017 waren es z. B. 1.412 der knapp 1.500 Täter. Das Gleiche gilt für die Debatten um Geschlechtergerechtigkeit oder soziale Abstiegsängste durch erhöhte Migration. Diese gesellschaftlichen Konf liktfelder sind und bleiben auch ohne Migration virulent – aber Migration nimmt zunehmend die Rolle eines Katalysators ein. Die Migrationsdebatten verdecken und transzendieren also gleichzeitig Grenzen gesellschaftlicher Konf likte. Es wäre daher notwendig, eine postmigrantische Perspektive einzunehmen, um die zu2 Riem Spielhaus macht in zahlreichen Texten darauf aufmerksam, wie die Verknüpfung von Islam und Migration die gesellschaftlichen Debatten prägt und wie die Begriffe ›Migrant‹ und ›Muslim‹ synonym und austauschbar verwendet werden (Spielhaus 2011, 2013a, 2018).
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grundeliegenden Konf likte auf ihren Migrationsbezug hin zu überprüfen oder sie in ihrer allgemeinen Ausprägung beschreiben zu können. Niemand wird leugnen, dass traumatische Erfahrungen auf der Migrationsroute einen Effekt auf psychisches Verhalten haben – und niemand stellt in Frage, dass dies ein Problem ist, welches mit Migration zu tun hat, ebenso wie Depression und Verlustangst durch die Sehnsucht nach der verlorenen Heimat entstehen können oder rückständige Rollenbilder, ethnische Konf likte, Männlichkeitsvorstellungen und Demokratiedistanz mit migrieren können. Auch eine verfehlte Migrationspolitik, die kaum Wege zur legalen Einwanderung ermöglicht, oder Rechts- und Statusentscheidungen in Bezug auf Aufenthalt oder Abschiebung erzeugen Konf likte, wie z. B. Illegalität oder Kriminalität, die einen Bezug zur Migration haben. Allerdings bleiben Fragen der Wohnungsnot, der Kinderarmut, der Geschlechterungleichheit, des Antisemitismus, der Bildungsmisere etc. allesamt bestehen, auch wenn es keinen einzigen Migranten in diesem Land gäbe. Also muss auch auf die Verdeckung dieser Konf liktlinien durch das Dauerthema Migration hingewiesen werden, um dieses alles überlagernde Thema zu dekonstruieren und hinter der Migrationsfrage nach Fragen von Statusverteidigung und Selbstbildkonstruktionen zu blicken, die möglicherweise einen Hinweis darauf liefern, warum so viele Ängste auf »die Migranten« transportiert werden. Geht es bei den aktuell als Migrationskonf likte markierten Kämpfen und dem Anstieg der Rechtspopulisten wirklich um Migration – verstanden als dauerhafte Verlagerung des Lebensmittelpunktes von Menschen aus anderen Ländern –, oder geht es vielmehr um Fragen der sozialen Anerkennung, auch verbunden mit der Sicherung der eigenen Privilegien gegen aufsteigende Nachfolgegenerationen und ehemals marginalisierte gesellschaftliche Gruppen, die in der gesellschaftlichen Distributionsarena nach den gleichen Ressourcen und Privilegien verlangen? Eine Gesellschaft, die normativ die Hierarchisierung in Etablierte und Außenseiter nicht nur ächtet, sondern aktiv in Frage stellt und angreift – indem sie Anerkennungspolitiken zum zentralen Ausgangspunkt ihrer Selbstbeschreibung macht und die binäre Codierung in »Migranten und Einheimische« für aufgelöst erklärt, kann als postmigrantische Gesellschaft bezeichnet werden. Sie stellt die große Frage danach, wie wir über die gesellschaftliche Trennlinie der Migration hinausgelangen können, wenn wir in immer pluraler werdenden Gesellschaften zusammenleben wollen. Wenn knapp 40 % der schulpf lichti-
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gen Kinder in diesem Land einen Migrationshintergrund haben, dann wird die etablierte defizitäre Kategorisierung des migrantischen Anderen in absehbarer Zeit nicht mehr hinreichend sein und auch nicht mehr hingenommen werden. Das führt in postmigrantischen Gesellschaften zu einem Anstieg von kulturellen und emotional-identifikativen Debatten um Heimat, Nation und Zugehörigkeit zur kollektiven Identität.
PmG – kurz und knapp Warum aber soll diese Gesellschaft »post«-migrantisch heißen, wenn es doch scheinbar die ganze Zeit um Migration geht? Die zentrale Annahme ist, dass es nicht um Migration selbst geht, sondern um gesellschaftspolitische Aushandlungen, die nach der Migration erfolgen, die hinter der Migrationsfrage verdeckt werden und die über die Migration hinaus weisen. Konkreter: es geht hier nicht mehr darum, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, sondern wie dieses Einwanderungsland gestaltet wird: • In postmigrantischen Gesellschaften stehen die Aushandlungsprozesse nach der Anerkennung, ein Migrationsland bzw. Einwanderungsland geworden zu sein, im Fokus. Die Gesellschaft formuliert sich in diesem Kontext neu – auch identitär; • in postmigrantischen Gesellschaften werden auf der Matrix der Migrationsfrage relevante gesellschaftliche Normen und Wertedebatten geführt und dabei hinter der Migrationsfrage andere Kämpfe um strukturelle, soziale, kulturelle und identifikative Anerkennung ausgeblendet; • das »post« weist auch über die trennende Migrationslinie hinaus: Die etablierte binäre Codierung in Einheimische und Eingewanderte löst sich auf, da Migration sich bei aller »Gereiztheit« zunehmend in die Komposition und Selbstbeschreibung der Gesellschaft einwebt und es für dieses agreement des gesellschaftlichen Zusammenlebens vielfältige Allianzen gibt. Der Zugang zu dieser Gesellschaftsanalyse ist ein zeitdiagnostischer (Nowicka 2018). Die Forschung dazu ist empirisch-analytisch angeleitet und normativ grundiert. Gleichzeitig ist ein kritisch-dialektischer
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Fokus des Hinterfragens und Neubetrachtens erkenntnisleitend für die Analyse. Im Unterschied zur Ungleichheitsforschung mit ihrem starken Fokus auf strukturelle und soziale Ungleichheit addiert der disziplinäre Zugang über die Integrationsforschung zusätzlich kulturelle und symbolische, also auch emotional-identifikative Ansätze in die Analyse gesellschaftlichen Zusammenlebens ein. Dieser multiparadigmatische Zugang unterscheidet den Ansatz der postmigrantischen Gesellschaftsanalyse von ökonomischen und sozialstrukturellen sowie modernisierungstheoretischen Ansätzen, die gesellschaftliche Konf likte und zunehmende Abwertung vor allem im Kontext sozialer Ungleichheit, ökonomischer Statusverluste und Modernisierungs- bzw. Globalisierungsverunsicherung interpretieren. Deren Grundanalysen werden von der postmigrantischen Gesellschaftsanalyse nicht in Frage gestellt, jedoch gibt es vermehrt Hinweise darauf, dass die Unterstützung für rechtspopulistische Parteien sowie Migrations- und Minderheitenfeindlichkeit keineswegs nur in sozial schwachen und verunsicherten Strukturen präsent sind, wo es in der Migrationsfrage vor allem um Konkurrenz um Arbeit, Wohnen oder sonstige Versorgungsgüter geht. Vielmehr scheinen sie zunehmend auch ein Phänomen bürgerlicher Abwehr zu sein und haben in den reichsten Ländern der Welt zum Einzug islamfeindlicher Parteien in die Parlamente geführt. Sie sind gruppiert um Fragen der Zugehörigkeit und Anerkennung sowie um eine Sehnsucht nach Eindeutigkeit, die in der Bestimmung einer nationalen Identität, einer Heimat und einer Grenze erkennbar wird. Insofern sind auch Fragen der Definitionsmacht und Dominanzkultur von Relevanz, die vor allem in der Rassismusforschung eine Rolle spielen (Attia et al. 2015; Shooman 2014; Terkessidis 1998; Rommelspacher 2001). Bevölkerungsumfragen machen deutlich, dass Migrationsfeindlichkeit, gekoppelt mit Islamfeindlichkeit, auch in statushohen und statusstabilen Gruppen präsent ist (Heitmeyer 2011; Pew Research Center 2018) und mit der Emanzipation und Integration der Migrant*innen und Muslim*innen offenbar zunimmt – von »Statusbedrohung durch Migranten, die zu den besten Aspiranten auf Integration zählen« spricht etwa Sutterlüty vom Frankfurter Institut für Sozialforschung (2010). Sind es also der Aufstieg, die Emanzipation und die Sichtbarkeit der Minderheiten, die die Gesellschaften Europas so stark polarisieren, weil sie Anerkennung einfordern, die nur gewährt werden kann, wenn sich etablierte privilegierte Positionen öffnen? Ist es die zunehmende
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Ambivalenz und Hybridisierung der Gesellschaft, die die Sehnsucht nach Homogenität antreibt und Debatten der nationalen Identität wieder in den Vordergrund rückt? Ist es das Hadern mit den eigenen Normen, die Gleichheit versprechen und nicht erfüllen? Führt diese hohe Norm der Demokratie zur Polarisierung, weil ihre Nichterfüllbarkeit die Gesellschaft zunehmend in Gereiztheit versetzt und ein Teil der Gesellschaft mit einer Absenkung der Norm darauf antwortet? Und welche Rolle nehmen in diesem gesellschaftlichen Konf liktfeld »die Migranten«, »der Islam« und »die Muslime« ein? Diesen Fragen soll in diesem Buch nachgegangen werden.
Zum Aufbau Das Buch hat einen Grundlagenteil zur Einführung in das Konzept, eine Kernthese und drei Hauptkapitel. Alle Kapitel sind zweiteilig aufgebaut: Es gibt zunächst eine theoretische Einführung in das Konzept, das diskutiert wird, und dann empirische Hinweise, um die Theorie zu vertiefen. Die empirischen Ergebnisse basieren zum größten Teil auf zwei Erhebungen, die als repräsentative Bevölkerungsumfragen in den Jahren 2014 sowie 2018/19 unter meiner Leitung an der Humboldt-Universität zu Berlin durchgeführt wurden und sich mit Einstellungen innerhalb der Bevölkerung in Deutschland gegenüber Religion, Identität und nicht-dominanten Gruppen in der Gesellschaft befassten.3 Teilweise werden in den Kapiteln auch selektiv ausgewählte 3 Die in diesem Buch verwendeten Ergebnisse basieren auf zwei repräsentativen Bevölkerungsumfragen. Die Erste, im Jahr 2014 bundesweit durchgeführte Datenerhebung, erfasste Einstellungen der Bevölkerung in Deutschland zu Gesellschaft, Religion und Identität. Insgesamt wurden 8.270 Menschen telefonisch befragt. Aus der ersten Erhebungswelle im Jahr 2014 ergaben sich zahlreiche Publikationen, unter anderem die Studie: Naika Foroutan/Coşkun Canan/Sina Arnold/Benjamin Schwarze/Steffen Beigang/Dorina Kalkum (2014): »Deutschland postmigrantisch I. Gesellschaft, Religion, Identität – Erste Ergebnisse«, die im Folgenden in diesem Buch unter »Foroutan et al. 2014« zitiert wird. Weitere empirische Befunde in diesem Buch basieren auf einem zweiten, im Jahr 2018/2019 bundesweit erhobenen Datensatz zu Einstellungen der Bevölkerung Deutschlands, mit einem Schwerpunkt auf Einstellungen gegenüber nicht-dominanten Gruppen wie Ostdeutschen, Muslimen und Migranten. Die Größe des Datensatzes (n = 7.233) und die disproportional geschichtete Stichprobe erlauben es, Aussagen nicht nur für Gesamtdeutschland, sondern auch für Ost- und Westdeutschland sowie einzelne bevölkerungsreiche
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exemplarische Studien anderer Wissenschaftler*innen herangezogen. Der empirische Teil bezieht sich ausschließlich auf Deutschland und es handelt sich vor allem um deskriptive Analysen, die zur Hypothesenbildung herangezogen werden können. Aber die postmigrantische Gesellschaftstheorie, die hier entwickelt wird, muss nicht ausschließlich auf Deutschland beschränkt bleiben, im Gegenteil: ihre Annahmen können als Orientierungshypothesen dienen und fruchtbar auf andere Länder übertragen werden – auch wenn der Begriff in Deutschland entstanden ist. Das Herausfordernde ist, dass es sich hierbei um einen Begriff aus der Kunst- und Kulturszene handelt, der in diesem Buch auf die Sozialwissenschaften übertragen und operationalisiert wird. Die meisten zur Veranschaulichung herangezogenen empirischen Studien (jedoch nicht alle) fokussieren dabei Einstellungen zu und insbesondere Abwertungen von Muslimen. Dabei geht es nicht darum, die Kategorie ›Migrant‹ durch die Kategorie ›Muslim‹ zu ersetzen, vielmehr wird der Umgang mit kulturellen, ethnischen, religiösen und nationalen Minderheiten exemplarisch am Beispiel der Einstellungen gegenüber Musliminnen und Muslimen als der größten religiösen Minderheit in diesem Land erhoben. Zugleich ist als ein starkes Erkennungsmerkmal rechtspopulistischer und migrationsfeindlicher Positionen auch eine starke Fixierung auf Islam und Muslim*innen erkennbar. Die Islam- und Muslimbilder dienen daher als Gradmesser der gesellschaftlichen Haltung gegenüber einer sich pluralisierenden und heterogenisierenden Gesellschaft, die hier in ihrer normativen Zielsetzung als ›postmigrantisch‹ (also nicht mehr binär in ›Migranten und Deutsche‹ codiert) bezeichnet werden soll. Grundlagen und Kernthese – das Versprechen der pluralen Demokratie: Die Kernthese des Buches lautet, dass die plurale Demokratie, so wie sie im Deutschen Grundgesetz verankert ist, Gleichheit für alle verspricht, in Wahrheit jedoch mit wachsender Ungleichheit konfrontiert ist, und die Argumente, die im öffentlichen Diskurs dominieren, sich zu wenig mit sozialstrukturellen Fragen der Ungleichheit und zu viel mit einer Erklärung der Missstände über Migration befassen. Die Kernthese des Buches wird im Grundlagenkapitel ausgearbeitet und Bundesländer zu treffen. Erste Befunde dieser Studie wurden publiziert unter dem Titel: Foroutan, Naika; Kalter, Frank; Canan, Coşkun; Simon, Mara (2019): Ost-Migrantische Analogien I. Konkurrenz um Anerkennung. Unter Mitarbeit von Daniel Kubiak und Sabrina Zajak. Berlin: DeZIM-Institut. Sie werden in diesem Buch zitiert als: »Foroutan et al. 2019«, der Datensatz heißt »Ost-Migrantische Analogien«.
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der Begriff des Postmigrantischen genauer erklärt. Dieser quasi einführende Teil des Buches stützt sich vor allem auf demokratietheoretische Annahmen (Dahl, Mouffe), aber auch auf integrationspolitische Grundfragen (Bade, Bommes) und auf Vorarbeiten zum Konzept des Postmigrantischen (Mecheril, Spielhaus, Karakayalı, Foroutan). Kapitel I – Anerkennung und Aushandlung: Im ersten Kapitel folgt zunächst eine Einführung in Anerkennungsprämissen, vor allem auf Basis der Anerkennungstheorie Axel Honneths. Dabei wird auch Bezug auf Michèle Lamonts Erkenntnis genommen, dass Anerkennung nicht nur als strukturelle Verteilungsfrage (distribution gap) verstanden, sondern auch als kulturelle und identifikative Kluft (recognition gap) empfunden werden kann und symbolisch gewährt werden muss. Menschen streben nach Anerkennung. Die plurale Demokratie macht dieses Bestreben für alle legitim und gewährt Gleichheit auch vormals marginalisierten Gruppen. Das Narrativ der Einwanderungsgesellschaft verspricht die Gleichwertigkeit explizit auch jenen, die nicht schon immer da waren: Migrant*innen und ihren Nachkommen. Der empirische Teil dieses Kapitels geht daher Anerkennungsdefiziten in zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Zusammenlebens nach, um sie mit dem Versprechen der pluralen Demokratie zu kontrastieren. Dabei wird auf die Kernthese rekurriert, wonach die plurale Demokratie mit einem normativen Paradoxon konfrontiert ist: Sie wird angetrieben von einem Wert, den sie empirisch nachweisbar nicht gewährt. Kapitel II – Ambivalenz: Im zweiten Kapitel wird darauf eingegangen, dass die Gesellschaft mit einer doppelten Ambivalenz konfrontiert ist. Zum einen muss sie die objektiv nachweisbare Ambivalenz des normativen Paradoxons ertragen – nämlich die oben genannte Tatsache, dass die plurale Demokratie eine Gleichheit als Ziel in Aussicht stellt, sie gar verspricht – aber nicht einlöst. Zum anderen muss sie mit einer zunehmenden subjektbezogenen Ambivalenz umgehen, nämlich der Tatsache, dass Staatsangehörigkeit gewährt wird und Migration als konstituierendes Element die deutsche Einwanderungsgesellschaft antreibt – jedoch Zugehörigkeit verwehrt wird und nationale Identität zum umkämpften Gut wird. Wenn zunehmend mehr Menschen für sich in Anspruch nehmen, deutsch zu sein, auch wenn ihre Vorfahren es nicht waren und sie selbst Namen haben, die nicht klassisch deutsch klingen, oder Haar- und Hautfarben, die nicht als typisch deutsch gelten, dann erzeugt diese Hybridisierung der Zugehörigkeit eine subjektbezogene Ambivalenz. Kulturelle und symbolische Begründungen
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werden herangezogen, um dieser migrantisch markierten Gruppe das Versprechen der Demokratie vorzuenthalten (Bauman, Hall, Bhabha). Die empirischen Befunde in diesem Kapitel konzentrieren sich auf Stereotypisierung und Exklusion aus der kollektiven Identität. Kapitel III – Antagonisten und Allianzen: Das letzte Kapitel setzt sich damit auseinander, wie unterschiedlich auf kognitive Dissonanzen reagiert wird, die sich aus dem normativen Paradoxon und der doppelten Ambivalenz ergeben. Während ein Teil der Gesellschaft auf den Widerspruch zwischen Norm und Empirie mit einer Absenkung der Norm reagiert, versucht ein anderer Teil der Bevölkerung durch den umgekehrten Weg, nämlich durch Ressourcenauf bau das Verhalten an die Norm anzugleichen. Wir können dabei neue postmigrantische Allianzen erkennen, die sich auf Basis eines strategischen Zusammenschlusses dem Versprechen der pluralen Demokratie annähern (Essed, Durkheim, Wimmer). Konfrontiert sind sie mit stark antagonistischen Positionen, die migrations-, minderheiten- und vor allem muslimfeindlich aufgestellt sind. Dazwischen gibt es eine unentschiedene Mitte, die tendenziell nach beiden Seiten mobilisierbar ist, wobei derzeit die antagonistischen, rechtspopulistischen Positionen offensichtlich stärker mobilisieren können. Dieses Kapitel basiert vor allem auf theoretischen Argumenten der Populismus- und Polarisierungsforschung (Mudde, Kaltwasser), aber auch auf sozialpsychologischen Zugängen zur Erfassung kognitiver Dissonanz (Festinger, Haisch). Empirisch werden dabei vor allem Befunde herangezogen, die die kognitive Dissonanz mit Bezug auf die gesellschaftspolitische Haltung zum Versprechen der Demokratie erheben. Die Dynamik der postmigrantischen Gesellschaft spannt sich also in einem hochpolarisierten gesellschaftlichen Feld auf, in welchem neue Allianzen entstehen, um die plurale Demokratie zu verteidigen und das Versprechen der Anerkennung auszuhandeln, während gleichzeitig antagonistische Positionen nicht nur diese Allianzen in Frage stellen, sondern das Recht auf Anerkennung selbst. Fünf A’s beschreiben somit in diesem Buch die Interaktionsdynamik der postmigrantischen Gesellschaft: Anerkennung, Aushandlung, Ambivalenz, Antagonismen und Allianzen. Im Laufe der einzelnen Kapitel werden eine Vielzahl empirischer Studien als Evidenzen für die vermuteten Kernprozesse herangeführt. Diese sind nicht im Sinne strikter Hypothesentests zu verstehen, sondern als Hinweise auf die potentielle theoretische Fruchtbarkeit des ge-
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nerellen Ansatzes zu lesen. Ähnlich wie bei anderen allgemeinen theoretischen Perspektiven gilt es, diesen Rahmen an vielen Stellen weiter mit spezifischen Randbedingungen und Detailmechanismen zu füllen, um zu empirisch strikter testbaren Hypothesen zu gelangen. Das Buch soll Orientierungshypothesen als Anstöße für die weitere Theorieentwicklung in der Migrationsforschung liefern mit dem Blick darauf, welche Fragen, Konzepte und Zusammenhänge von zentraler Bedeutung sind, um Dynamiken pluraler Demokratien zu verstehen. Es bedient sich dabei Prämissen der Ungleichheitsforschung, der Demokratieforschung, der Populismusforschung und der Rassismusforschung. Dem Buch liegen somit gleichzeitig eine normativ-ontologische und eine empirisch-analytische Perspektive zugrunde. Diese einander in der Migrationsforschung bislang konf likthaft gegenüberstehenden Theoriezugänge möchte die postmigrantische Gesellschaftsanalyse mittels einer kritisch-dialektischen Lesart miteinander verbinden. Das Buch ist damit auch als Versuch zu verstehen, die in der Migrationsforschung in Deutschland latent gegnerisch aufgestellten Lager und Prämissen der empirischen Sozialforschung und der kritischen Migrationsforschung miteinander in Dialog zu bringen.
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Grundlagen und Kernthese Ankerpunkte einer postmigrantischen Analyse Die plurale Demokratie Demokratietheoretische Grundlagen Auch wenn heute knapp die Hälfte der Weltbevölkerung in demokratischen Staaten lebt und die Zahl der Demokratien die der Autokratien deutlich übersteigt – Demokratien sich also als politisches Erfolgsmodell etabliert haben –, ist zunehmend von einer Krise der Demokratie die Rede. Die wahrgenommene Diskrepanz zwischen dem, was Demokratie bedeutet oder bedeuten sollte, und der Praxis, in der sie politisch realisiert wird, erzeugt eine permanente Desillusionierung. Zwar glauben die meisten Bürger*innen weiterhin an die Werte der liberalen Demokratie, sie zweifeln jedoch an der Funktionsweise ihrer politischen Systeme und der Politik, die im Namen der Demokratie betrieben wird (Stoker/Evans 2014; Merkel 2014). Schon im 19. Jahrhundert beschrieb Alexis de Tocqueville, dass mit einer nachweisbar abnehmenden Ungleichheit paradoxerweise die Unzufriedenheit und Kritik der Menschen am Staat zunehme. Dieses ›Tocque ville-Paradoxon‹ erklärte er mit einer zunehmenden Erwartungshaltung der Bürger*innen, die, wenn Emanzipation, Reformen und Abbau von Ungleichheiten erst einmal eingeleitet seien, die bestehenden Ungleichheiten deutlich weniger tolerieren würden, als wenn alles beim Alten geblieben wäre (Tocqueville 1978: 169 ff.). Der Demokratietheoretiker Robert A. Dahl beschrieb analog dazu ein Jahrhundert später das Paradoxon der Demokratie als das Scheitern ihrer normativen Konstruktion an der empirischen Realität (Dahl 1989). Auch Jürgen Habermas beschrieb diesen Kernwiderspruch zwischen Norm und Praxis und beschrieb ihn als Konf likt zwischen Verfassungsrecht und Verfas-
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sungswirklichkeit (Habermas 1992). Für die Politiktheoretikerin Chantal Mouffe besteht das demokratische Paradox im Versprechen der gleichzeitigen Erfüllung von Gleichheit und Freiheit, zwei gesellschaftlich in Aussicht gestellte Ziele, die sich selbst widersprächen. Denn Gleichheit erfordert eine Regulierung der Gesellschaft durch den Staat, während Freiheit der Regulierung entgegensteht (Mouffe 2008). Das Paradoxon liegt laut Mouffe bereits in der Wortschöpfung der liberalen Demokratie, in welcher der Liberalismus die individuelle Freiheit und die Werte der Menschenrechte betone, was den Kernwerten der demokratischen Tradition von Gleichheit und Volkssouveränität zwar nicht widerspräche, diese jedoch zumindest einhege (ebd.). Bereits Tocqueville hatte zum Freiheitskonzept als großer Herausforderung der Demokratie Bezug genommen und es in Gegensatz zu Sicherheit platziert: Der Wunsch der Bürger*innen nach Sicherheit würde automatisch eine Beschneidung von Freiheiten zur Folge haben und demnach einen dominanten Widerspruch erzeugen. Gleichzeitig sahen alle erwähnten Theoretiker*innen in diesem Paradoxon auch eine produktive Spannung. Dahl sah darin die Möglichkeit einer immerwährenden Erneuerung und Neudeutung von Demokratien, die er aufgrund ihrer vielfältigen Ausprägungsformen als ›Polyarchien‹ bezeichnete (Dahl 1998). Mouffe wiederum führt die Grundwidersprüchlichkeit der Demokratie als wesenhaft für ihre Weiterentwicklung an, ja sie sieht sogar im Auf heben der Ambivalenz und des Widerspruchs die Auf hebung der Demokratie als solcher (Mouffe 2008). Habermas stellt im Gegenzug zwar Faktizität und Geltung (als Norm und Handeln) gegeneinander, sieht jedoch die Grundidee der Realisierung der Norm als sinnstiftend und strebt somit im Gegensatz zu Mouffe eine zunehmende Auf hebung dieser paradoxalen Ambivalenz an (Habermas 1992). Neben der Beschreibung jener dichotomen Faktoren, die Demokratien durch Ambivalenz unter Spannung setzen, hat es in der Demokratieforschung immer auch die Suche nach Indikatoren gegeben, die ein Gelingen der Demokratie unterstützen. Um dem normativen Ideal der Demokratie zu entkommen, sprach Dahl wie bereits erwähnt, von Polyarchien und bemaß Demokratiequalität anhand von sieben Kernelementen. Dazu zählte er einerseits ganz basale Kennwerte, wie (1) die Möglichkeit der Wahl und Abwahl der Amtsinhaber, (2) regelmäßig wiederkehrende Wahlen, die fair und frei sein müssten, sowie (3) die Möglichkeit, sich aktiv zur Wahl zu stellen, und das passive Wahlrecht
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für Erwachsene. Dazu gesellte er jedoch auch eine Reihe von normativen Prämissen, die verrechtlicht werden müssten, nämlich (4) die Möglichkeit der freien Meinungsäußerung, (5) die Informationsfreiheit, (6) die Freiheit zur Bildung einer Organisation bzw. zur Bildung politischer Parteien und Interessengruppen sowie (7) die politischen und bürgerlichen Rechte, die für möglichst alle gelten sollen, womit Dahl die Norm der Gleichheit vor dem Recht und in der politischen Ansprache im Laufe seines Werkes zunehmend als einen der Kernaspekte von Demokratien betonte (Dahl 2006). Er setzte dabei die politische Gleichheit nicht nur als wünschenswertes Ideal, sondern als politisches Ziel und Maßstab, an dem sich die Demokratie ausrichten soll (ebd.). Gleichheit im Dahl’schen Sinne ist dabei nicht nur die Gleichwertigkeit eines jeden Menschen, sondern auch der konkrete Abbau von Ungleichheit. Mit der Zeit addierten sich weitere Kernkonzepte zum Kanon der Demokratieindikatoren hinzu: Für manche Demokratietheoretiker wurden Repräsentation und Pluralismus zu zentralen Kategorien, die das politische System der Demokratie nicht nur gewähren, sondern sicherstellen muss (Dahl 1975; Mill 1869; Kelsen 1929; Fraenkel 1964). Während Dahl dabei zunächst vornehmlich mit dem Konzept der repräsentativen und pluralistischen Demokratie arbeitete, in der Macht delegiert und von repräsentativen Volksvertretern und Parteien reguliert wird, verwiesen andere Demokratietheorien stärker auf Repräsentativität, Konkordanz und Proporz. Arend Lijphart (1999) etwa betonte Proporz und Konkordanz als wesentliche Elemente moderner Demokratien. Ziel einer Demokratie sollte nach Lijphardt sein, unterschiedliche Interessen von Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen und zu einem Ausgleich zu bringen sowie einen Konsens oder eine Übereinstimmung in der Entscheidungsfindung herbeizuführen. Nur die Beteiligung von unterschiedlichen sozialen Gruppen ermögliche Stabilität (ebd.). Lijphardt forderte, marginalisierte Gruppen durch Proporz oder Quoten an gesellschaftlichen und politischen Machtpositionen zu beteiligen und in die demokratische Interessenartikulation und Entscheidungsfindung einzubeziehen. Das Konzept der Repräsentation wurde hier explizit um die Sichtbarkeit und Teilhabe von Minderheiten in relevanten politischen Positionen erweitert. Benjamin Barber (1984) und Anthony Giddens (1977) gingen noch einen Schritt weiter, indem sie Partizipation und Teilhabe als zentrale Werte hinzunahmen.
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Diese Vorstellungen standen in einem Gegensatz zu identitären demokratietheoretischen Vorstellungen, wie z. B. Carl Schmitt sie formulierte, der den Antrieb und die Stabilität von Demokratien in der Einheit und Gleichheit – auch im Sinne von identitärer, ethnischer oder religiöser Homogenität – verankert sah (Schmitt 1932). Pluralität sowohl der Interessen als auch der politischen Artikulationen, oder mehr noch die Vorstellung von Selbstentfaltung oder gleicher Teilhabe marginalisierter Positionen, erschien in diesen Vorstellungen von Demokratie vor allem als spannungsreich und daher implizit demokratiegefährdend. So erklärt sich, dass vor diesem Hintergrund die Demokratieforschung noch bis vor wenigen Jahren »ethnische und/oder religiöse Einheitlichkeit« als eine Bedingung für die Stabilität westeuropäischer und nordamerikanischer Demokratien formulierte, wie ein Einführungsbuch von Manfred Schmidt noch im Jahr 2000 festhält (Schmidt 2000: 421). Im Gegensatz zur Schmitt’schen Vorstellung von demokratischer Gleichheit, die auf Gleichartigkeit bzw. Homogenität gründet, bemisst sich die Idee der liberalen, modernen oder pluralen Demokratie1 am Grad der Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe und dem Ziel, möglichst alle Bürger*innen in zentralen gesellschaftlichen Prozessen und Positionen zu repräsentieren. Das formulierte Ziel der pluralen Demokratie ist dabei Machtgleichheit und die Infragestellung der Verankerung von Herrschaft in den Händen einiger weniger privilegierter Gruppen. Unterfüttert werden diese Theorien durch multikulturalistische und postkoloniale Demokratiekonzepte etwa von Charles Taylor (1993), Stuart Hall (2002) oder Tariq Modood (2007). Hier wird die Teilhabe von marginalisierten gesellschaftlichen Gruppen explizit als Kennwert und Richtlinie pluraler Demokratien gesetzt. Es gibt also nicht nur gesellschaftspolitisch, sondern auch demokratietheoretisch eine Spannung zwischen jenen, die Pluralität und Repräsentation als grundlegend für die Verfasstheit der Demokratie sehen, und jenen, die eine gelingende Demokratie vor allem in einer größtmöglichen Homogenität verankern.
1 Diese drei Begriffe der liberalen, modernen oder pluralen Demokratie werden zunehmend synonym verwendet (siehe Mouffe 2008). Im vorliegenden Buch wird vor allem die plurale Demokratie als Sinnbild herangezogen, in welchem die Vorstellung der liberalen Demokratie von Gleichheit und Freiheit mit den Grundindikatoren der modernen Demokratie, wie Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung etc., gebündelt wird.
Grundlagen und Kernthese
Migration und die plurale Demokratie Das vorliegende Buch führt neben Freiheit, Gleichheit und Sicherheit Pluralität als ›paradoxale Bezugsgröße‹ in die Demokratietheorie ein. Das demokratische Paradoxon, welches, wie oben skizziert, aus dem permanenten Widerspruch zwischen Norm und Realität entsteht, spiegelt sich auch im Umgang mit Pluralität. Während Pluralität als Norm im Grundgesetz verankert ist, entfaltet sich eine explosive gesellschaftliche Polarisierung zwischen jenen, die diese Vielfalt und die daraus entstehende Mehrdeutigkeit und Ambivalenz akzeptieren, und jenen, die sich nach Eindeutigkeiten sehnen und die Norm der Pluralität bezweifeln. Pluralität gilt einerseits als empirische Beschreibung von Gesellschaft, andererseits als normativer Grundsatz, während sie gleichzeitig als Auslöser gesellschaftlicher Widersprüche und Krisen eingehegt werden soll. Migration stellt dabei zwar eine zentrale Quelle der Pluralität dar – aber dennoch nur eine neben vielen anderen. Geschlecht, sexuelle Orientierung, Alter, Religions- und Schichtzugehörigkeit und viele Aspekte mehr kennzeichnen die Pluralität von Gesellschaften, was in diesem Sinne wahlweise auch als Diversität oder Vielfalt beschrieben wird. Die Pluralität erschwert das Versprechen der Gleichheit, da zunehmend mehr soziale Gruppen diese Gleichheit für sich in Anspruch nehmen. Sie erhöht gleichzeitig die Anforderungen an die Freiheit, da zunehmend mehr soziale Gruppen das Recht auf Entfaltung oder alltagspraktische Erleichterungen ihrer kulturellen, ethnischen, religiösen oder sexuellen etc. Belange artikulieren. Und sie bedroht für viele das Gefühl der Sicherheit, da zunehmend mehr soziale Gruppen Teilhabe an zuvor homogenen Räumen einfordern und dadurch etablierte Zugänge, Positionen und Privilegien in Frage stellen. In diesem Sinne ist Pluralität eine Herausforderung für die Demokratie – und gleichzeitig ihre Grundlage (Dahl 1982; 2006). Migration ist derzeit jener Bezugspunkt der Pluralität, der augenscheinlich im Vordergrund zu stehen scheint. An der Migrationsfrage scheiden sich die politischen und gesellschaftlichen Positionen, mit ihr werden Wahlkämpfe geführt und Trennlinien markiert. Sie ist zum neuen Metanarrativ geworden, zum exemplarischen Kampffeld um Pluralität. In diesem Buch wird Migration als wichtiger Auslöser von Transformationen in demokratischen Gesellschaften gelesen, gleichzeitig wird aber die metanarrative Funktion von Migration in Frage gestellt – dort,
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wo Migration herangezogen wird, um von anderen Fragen abzulenken. Das Problem zunehmend unbezahlbaren Wohnraums, die Unterrepräsentation von Frauen in zentralen Positionen oder die zunehmende Prekarisierung der Arbeit – sie alle haben wenig mit Migration zu tun. Auch sind Sexismus, Antisemitismus oder Homophobie nicht erst mit Migration nach Europa eingewandert. Obwohl die migrantische Realität, nicht nur bezogen auf die Fluchtmigration der letzten Jahre, in manchen Ländern faktisch eine verschwindend geringe Rolle spielt, werden die Debatten auch in Ländern mit einer geringen Migrationsdichte wie Polen, Slowenien oder Tschechien so geführt, als handle es sich um ein zentrales und zunehmend bedrohliches Phänomen. Die Migrationsfrage verschleiert somit ungelöste soziale Fragen und kann gleichzeitig wie ein Prisma wirken, wenn es gelingt, die Aufmerksamkeit und die Bündelung zu brechen und dabei sichtbar zu machen, wie gesellschaftliche Konf likte um Gleichheit, Freiheit und Sicherheit – also um die Ziele und Versprechen der Demokratie – exemplarisch anhand der Migrationsfrage verhandelt werden. Das Brechen der Aufmerksamkeitsakkumulation gegenüber Migration und das Erkennen der dialektischen Funktion von Migration für die Aushandlung der pluralen Demokratie soll dabei als postmigrantische Perspektive bezeichnet werden (Foroutan 2018a).
Pluralität als Basis und Treiber der (deutschen) Gesellschaft Pluralismus, Diversität, Vielfalt – hier zusammengefasst als Pluralität – sind, wie bereits angedeutet, in unterschiedlichen Formen grundsatzgebend für die Vorstellung von Demokratie. In diesem Buch wird anstelle von ›Pluralismus‹ oder ›pluralistischer Demokratie‹ bewusst von ›Pluralität‹ und der ›pluralen Demokratie‹ gesprochen, da die beiden letzteren in der Demokratietheorie vor allem mit Parteienvielfalt und weniger mit dem normativen Grundgedanken von gesellschaftlicher Vielfalt oder Diversität verbunden sind. Diversität und Differenz f ließen jedoch als Interessen-, Meinungs- und Entscheidungspluralismus in die Parteienpluralität ebenso ein wie in die diskursive Normgebung. Die Beteiligung von Minderheiten als zusätzliche Bezugsgröße hat Robert Dahl bereits in den 1970er Jahren als einen weiteren zentralen Kennwert definiert, auch in Reaktion auf die Civil Rights Movements in den USA. Pluralität als Kennwert von Demokratien ist also keineswegs ein Kriterium, das sich erst im Zuge der Globalisierung nach dem Zu-
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sammenbruch der bipolaren Weltordnung eingestellt hat. Die Demokratie sei eine »Mehrheitsherrschaft mit Minderheitenrecht«, heißt es bei Dahl schon 1975 (Dahl 1975: 15 f.). Demnach gibt es keine demokratische Herrschaft ohne ein Prinzip politischer Gleichberechtigung. Erst wenn Personen sich politisch als gleichberechtigt betrachten, sehen sie Formen der Mehrheitsentscheidung als legitimes Prinzip ihrer politischen Beteiligung an: »Eine Gruppe von Personen, die das Prinzip der Mehrheitsentscheidungen akzeptiert, erklärt sich gleichzeitig bereit, sich gegenseitig als politisch gleichberechtigte zu behandeln.« (Dahl 1975: 15) Innerhalb dieses Mehrheitsprinzips gibt es aber auch Dinge, die nicht dem Zugriff einer Mehrheit preisgegeben werden sollten, z. B. Minderheitenrechte. Die Existenz einer Mehrheit geht immer einher mit der Existenz einer Minderheit. Um die Gleichberechtigung beider Gruppen zu gewährleisten, ist es unabdingbar, dass auch die Minderheit immer einen Zugriff auf universelle Grundfreiheiten und damit die Chance innehat, durch Überzeugung der anderen die Machtverhältnisse zu verändern und so potentiell selbst zur Mehrheitsmeinung beizutragen oder in Machtpositionen zu gelangen. Diese Grundfreiheiten wären z. B. Meinungsfreiheit, Veröffentlichungsfreiheit, Versammlungsfreiheit etc. (ebd.) Im Rahmen des Zugeständnisses dieser bürgerlichen Grundfreiheiten bildet sich dann eine Zivilgesellschaft heraus, die politische Meinungsbildung und politische Herrschaft beeinf lussen kann (Kößler/Melber 1993). In den heutigen Debatten um Pluralität und Vielfalt wird immer wieder der Vorwurf der Überforderung der Bevölkerung durch Migration in den Vordergrund gestellt. Pluralität wird als postmodernes normatives Novum dargestellt, welches erst durch die Globalisierung und die Debatten um Deutschland als Einwanderungsland überrelevant geworden sei. Diversität und Multikulturalität werden dabei mit dem Argument diskreditiert, sie seien ein moralischer Diskurs einer liberalen Elite, die kosmopolitisch und entwurzelt sei (Merkel 2017; Zürn/De Wilde 2016). Dabei ist Pluralität tief in der deutschen Identität verankert. Bereits der Gründungsakt Deutschlands basiert auf Pluralität. Aus 39 Fürstentümern mit höchst unterschiedlicher Herrschaftsform, Religionszugehörigkeit und Sprache entstanden die ersten Bemühungen um ein Gebilde, das später Deutschland heißen sollte. Im Ursprungsmoment wurde die Idee Deutschlands als eine plurale Zugehörigkeit gedacht, die nicht an ethnische Herkunft und Exklusivität gebunden
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war. In den Verhandlungen der deutschen konstituierenden Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche hieß es visionär: »[A]llerdings ist der Begriff Nation ein viel weiterer geworden, als früher. Er hat sich völlig geändert, die Nationalität ist nicht mehr begrenzt durch die Abstammung und die Sprache, sondern ganz einfach bestimmt durch den politischen Organismus, durch den Staat. […] Alle, welche Deutschland bewohnen, sind Deutsche, wenn sie auch nicht Deutsche von Geburt und Sprache sind. Wir decretiren sie dazu, wir erheben das Wort ›Deutscher‹ zu einer höheren Bedeutung, und das Wort ›Deutschland‹ wird fortan ein politischer Begriff.« (Wigard 1848: 737) Auch Preußen basierte seine nationale Identität nicht auf ethnischen oder kulturellen Merkmalen. Vielmehr galt auch hier ein territorialer Bezugsrahmen. Eine ethnische Konstruktion von Zugehörigkeit gab es nicht. Die legitimen Einwohner Preußens waren deutsch-, polnisch-, litauisch-, sorbisch- oder französischsprachig, eine sprachliche Einheit lag also genauso wenig vor, auch wenn Schlegel und Fichte zuvor den Versuch unternommen hatten, die Sprache als Kategorie natürlicher geistiger Vergemeinschaftung zu etablieren (Reiß 2006: 124). Johann Gottfried Herder (1887) sah in der gemeinsamen Sprache die Möglichkeit, eine Gemeinschaft zu konstituieren, die letztlich der deutschen Nation eine Existenz jenseits der notwendigen Schaffung eines staatlichen Rahmens ermöglichen sollte. Die deutsche Gemeinschaftsbildung sollte dabei über eine gemeinsame Kultur erfolgen, Deutschland eine Kulturnation sein. Dieser Gedanke war zwar kulturell exklusiv, jedoch erlaubte er wiederum eine über die Staatsgrenze hinausgehende, quasi supranationale Verbundenheit mit späteren deutschsprachigen Nationen. Jedoch: Die Suche nach dem, was letztlich das Deutschsein definierte, kulminierte in rassischen und genetischen Definitionen, was den Zugang zu dieser Frage nachhaltig erschwerte. Das deutsche Grundgesetz – welches 1949 nach einem regelrechten Rausch der Homogenität und im Grauen vor dessen Zerstörungswut geschrieben wurde – beginnt daher die ersten fünf seiner zwanzig Grundrechte mit Artikeln, die inhärent auf die Pluralität der Gesellschaft ausgerichtet sind und die freiheitlich demokratische Grundordnung im Gewahrwerden und Schützen dieser Pluralität verankern. Artikel 1 lautet: »Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpf lichtung aller staatlichen Gewalt.« Er bezeugt, dass der Wert der Würde allen Bürger*innen zusteht, und be-
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inhaltet somit bereits die Basis des Gedankens einer zu schützenden Pluralität, die unweigerlich über Privilegien von Schicht und Klasse, Herkunft, Religion, Geschlecht etc. hinausdenkt. In Artikel 2 heißt es: »Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.« Dies betont erneut Pluralität im Sinne von Entfaltung und Identitätsbildung. Durch das einleitende abstrakte Pronomen »jeder« ist gleichermaßen das Spektrum der Entfaltungen indefinit. Artikel 3, der Gleichheitsgrundsatz, sagt: »Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.« Das Gleichheitsversprechen ist hier explizit. Es verknüpft sich ebenfalls uneingeschränkt mit dem Gedanken der Pluralität, welche hier kategorial zwar vorformuliert ist, jedoch nicht ausschließend gelesen werden darf. So stehen Schicht und soziale Lage hier zwar nicht explizit formuliert, da jedoch der Würde- und der Persönlichkeitsartikel vorgeschaltet sind, liest sich das Verbot der Ungleichheit gleichermaßen inklusiv für Schicht und Klasse. Artikel 4 betont: »Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.« Zwar werden Glaube und Religion, auf Basis der historischen Erfahrungen in Deutschland mit religiösen Glaubenskriegen und dem Vernichtungsfeldzug gegen die Jüdinnen und Juden, in diesem Artikel besonders hervorgehoben. Letztlich ist jedoch selbst diese Hervorhebung von Religion nur ein weiteres Indiz dafür, wie maximal Pluralität als Gültigkeits-, Rechts- und Normanspruch im gesamten Grundgesetz verankert ist. Artikel 5 unterstreicht und transzendiert den Pluralitätsgedanken darüber hinaus bis in die Beschreibungsgrundlagen von Gesellschaft: »Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.« Chantal Mouffe betont darüber hinaus, dass die plurale Demokratie nicht nur die Gleichheit aller Bürger*innen vor dem Recht verspricht, sondern auch ihre Gleichwertigkeit bei der Normsetzung bzw. der »Normalität« (Mouffe 2008). Pluralität bezieht sich neben der rechtlichen vor allem auch auf die symbolische Ebene: »Auf dem Spiel steht
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die Legitimation von Konf likt und Teilung, das Auftreten individueller Freiheiten und die Annahme gleicher Freiheit für alle.« (Ebd.: 34) Mouffe sieht diese Pluralität nicht lediglich als empirisches »Faktum, das wir zähneknirschend ertragen müssen oder einzudämmen versuchen« (ebd.: 35). Vielmehr sei der Pluralismus, der wesentlich schon anti-essentialistisch sei, konstitutiv für die »Natur moderner Demokratie« und stelle »die Objektivität der Einhelligkeit und Homogenität, die sich immer als fiktiv erweist, […] in Frage« (ebd.). Hier macht sie deutlich, wo die Spaltung der Gesellschaft verläuf t: zwischen AntiEssentialismus und Homogenitätsfiktion. Zusammenfassend können wir Pluralität also als das zentrale Spannungsfeld bezeichnen, vor dessen Hintergrund sich die postmigrantische Gesellschaft herauskristallisiert.
Das politische Versprechen Einwanderungsland Deutschland – das Versprechen der Anerkennung Deutschland ist heute ein Einwanderungsland. Laut statistischem Bundesamt lebten 2017 rund 19,3 Millionen Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund2 in diesem Land (Statistisches Bundesamt 2018a). Schon jetzt hat fast jede vierte in Deutschland lebende Person Eltern oder Großeltern, die aus einem anderen Land nach Deutschland eingewandert sind. Betrachtet man die Zahl der schulpf lichtigen Kinder, so nähert sich die Zahl derer, die Migrationsbiographien haben, schon bald 40 % (2017: 37 %). Vor allem in den westdeutschen Großstädten ist die Geschichte und Gegenwart von Migration allgegenwärtig. In Hamburg hat knapp jeder dritte Einwohner einen Migrationshintergrund, 46 % der unter 18-jährigen – also fast jedes zweite Kind. In Frankfurt a. M. hat bereits jeder zweite Einwohner eine Migrationsgeschichte, bei den schulpf lichtigen Kindern sind es fast 70 % (67 %). Auch in den anderen Großstädten wie in Köln, München und Stuttgart beträgt der Anteil der unter Sechsjährigen, die über einen Migrations2 Die geläufige Definition von ›Migrationshintergrund‹ lautet: »Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde.« (Statistisches Bundesamt o. D.)
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hintergrund verfügen, mehr als die Hälfte (Statistisches Bundesamt 2018b). Jede dritte Familie in diesem Land hat ausländische Wurzeln (BMFSFJ 2017a). Während Migration also vielerorten Teil der Alltagskomposition geworden ist, gibt es dennoch auch Gegenden, in denen Migration nicht erfahrbar ist. Fast 95 % aller Personen, die statistisch unter die Kategorie »Migrationshintergrund« fallen, leben in Westdeutschland, weniger als 5 % leben in Ostdeutschland. Trotzdem ist die Angst vor »Überfremdung« dort höher (Brähler/Decker 2018). Trotz dieser empirischen Befunde, die eine faktische Einwanderungsrealität dokumentieren, wird die Frage danach, ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, immer noch von einigen Teilen der Bevölkerung hinterfragt. Die Frage, ob Deutschland ein Einwanderungsland sei, wurde von der deutschen Politik jahrzehntelang ignoriert. Vielmehr wurde die Vorstellung einer substantiellen Unveränderbarkeit lange Jahre hochgehalten. Noch 1982 hieß es im Koalitionsvertrag von CDU und FDP, »Deutschland ist kein Einwanderungsland« (CDU Extra 1982: 7), obwohl bis dahin bereits 14 Millionen Migrant*innen als »Gastarbeiter*innen« in dieses Land eingewandert waren. Zwar waren auch etliche Millionen von ihnen wieder zurück in ihre Herkunftsländer gegangen, andere aber holten ihre Familien nach und wurden Teil der deutschen Gesellschaft (Meier-Braun 2003). Die offizielle politische Anerkennung der Einwanderungsrealität erfolgte für Deutschland erstmalig im Jahr 2001 in der Vorlage des Zuwanderungsgesetzes auf Basis des Berichts der sogenannten Süssmuth-Kommission. Als Reaktion auf die Mängel des veralteten Ausländergesetzes, das der Realität eines Einwanderungslandes nicht mehr gerecht werden konnte, berief die damalige Bundesregierung die »Unabhängige Kommission Zuwanderung« ein, die unter der Leitung von Rita Süssmuth einen umfangreichen Bericht mit Vorschlägen zur neuen Zuwanderungsgesetzgebung erarbeite. Auch wenn sich das Bekenntnis, ein Einwanderungsland zu sein, bereits 1999 in einem Regierungsdokument der rot-grünen Regierung findet, so kam erst die Süssmuth-Kommission im Juli 2001 zu dem konstitutiven Ausspruch: »Deutschland ist faktisch ein Einwanderungsland. Menschen sind gekommen und geblieben – andere sind in ihre Heimatländer zurückgekehrt oder weiter gewandert. Zuwanderung ist zu einem zentralen öffentlichen Thema geworden. Die Anerkennung der Realität ist an die Stelle von Tabus getreten. Sachlichkeit bestimmt zunehmend die öf-
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fentliche Auseinandersetzung.« (Unabhängige Kommission »Zuwanderung« 2001: 1) Diese offizielle politische Anerkennung im Jahr 2001, deren Ausbleiben lange Zeit rassistische Strukturen und die Imagination von Reinheit und Exklusivität in der Gesellschaft stabilisierte und aufrechterhielt, konnte als ein längst überfälliges Eingeständnis an die Empirie verstanden werden. Diese Anerkennung lenkte den Blick auf einen transformativen Prozess, der nicht nur Einzelakteur*innen wie Nachbar*innen oder Arbeitskolleg*innen und Subsysteme wie Schulen oder Arbeitsplätze als durch Migration beeinf lusst sah, sondern seitdem die gesamte Gesellschaft in der Aushandlung ihrer Selbstbeschreibung, ihrer Politik und ihrer Sozialstruktur in Bezug auf Migration reanalysiert und re-formuliert. Nach dieser politischen Anerkennung von Einwanderung bzw. Migration als konstituierendem Baustein der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung mussten politische und gesellschaftliche Aushandlungen und Forderungen nach einem Abbau der Repräsentationslücken als demokratisch legitim anerkannt werden. Das hatte vielzählige gesetzgebende Initiativen zu Folge. Exemplarisch zu nennen wären das Zuwanderungsgesetz (2004), die Bluecard (2011), die Anerkennung ausländischer Abschlüsse (2012) oder die doppelte Staatsbürgerschaft für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern (2014), die allesamt infolge der politischen Anerkennung, ein Einwanderungsland zu sein, implementiert wurden. Die Veränderung der Gesetzeslage und die Anerkennung der rechtlichen Forderungen erfolgten allerdings nicht, wie vielfach angenommen, allein aufgrund einer erhöhten Zahl an Migrant*innen: Die Einwanderungszahlen waren zu Beginn der 2000er Jahre nicht wesentlich anders als in den 1990er Jahren – eher niedriger (Statistisches Bundesamt 2018c). Es war also nicht die Empirie oder die Quantität, die zu dieser veränderten politischen Lage führte, sondern die Qualität der Forderungen und eine sich verändernde conscience collective (Durkheim), ein Bewusstsein der Illegitimität dieser fehlenden Anerkennung, welches auch die Dynamik der politischen Aushandlungen antrieb. Das gesellschaftspolitische Umdenken, die zunehmende Akzeptanz, ein Einwanderungsland geworden zu sein, das sich seit 2001 nun vermehrt durchsetzte, war jedoch nicht nur der veränderten Bundespolitik zu verdanken – im Gegenteil: Das lange vor der offiziellen Anerkennung begonnene Engagement zahlreicher migrantischer und
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zivilgesellschaftlicher Akteur*innen, ihre Aushandlungskämpfe bzw. »Kämpfe der Migration« (Bojadžijev/Karakayalı 2007), deren Ursprung und historische Kontinuität sich in eine Tradition der Autonomie und Selbstbestimmung Marginalisierter einreihen lässt (Fanon 1966; Hardt/ Negri 2002; Trouillot 2015), hatten einen erheblichen Einf luss auf die Transformation von Politik, Gesellschaft und öffentlicher Wahrnehmung. Die Zäsur bestand darin, dass der politische Akt der Anerkennung eine neue legitimatorische Basis herbeiführte und gleichzeitig eine stärkere rechtliche Basis für die Aushandlung von Positionen, Repräsentationen und Gleichheit legte, da er diese politisch manifestiert und die Kämpfe um diese Gleichberechtigung im rechtlichen Rahmen legitimiert hatte. Er trug diesen Anspruch auf Gleichheit somit aus dem vorpolitischen, moralischen Raum in den politischen Raum der Veränderbarkeit von Gesellschaften hinein. Die Grundlage für das Versprechen der Gleichheit richtete sich nun auch an Menschen, deren Vorfahren nicht immer schon in diesem Land gelebt hatten. Die politisch ausgesprochene Anerkennung erhöhte im Anschluss stetig den Druck von Seiten der migrantischen Bevölkerung und ihren politischen und gesellschaftlichen Allianzpartner*innen, Ungleichheiten nicht mehr fatalistisch als systemimmanent zu akzeptieren, sondern das politische System in seinem demokratischen Selbstanspruch herauszufordern. Minderheitenrechte und -positionen werden seitdem im Kontext von Wettbewerbs- und Verteilungsfragen neu ausgehandelt, die Frage nach Privilegien wird offen artikuliert. Aus diesem Grund sollen jene Gesellschaften als ›postmigrantisch‹ beschrieben werden, in denen der Akt der politischen Anerkennung, ein Einwanderungsland geworden zu sein, die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse prägt.
Integration für alle – das Versprechen der (Chancen-)Gleichheit Der politische Akt des Bekenntnisses, ein Einwanderungsland zu sein, trägt in sich die Bedeutung eines Gesellschaftsvertrags, eines Versprechens. Dieses rückt die Legitimation der Forderungen nach Gleichheit in den Vordergrund – und zwar auch für Migrant*innen. Dieses Versprechen entsteht genealogisch aus dem Grundsatz der pluralen Demokratie, wie im deutschen Grundgesetz, aber auch in anderen Verfassungen dieser Welt verankert.
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Auf Basis dieses Gleichheitsversprechens folgten in den letzten Jahrzehnten politische Maßnahmen, die im Falle der Menschen mit Migrationshintergrund jahrelang unter dem Stichwort Integration verhandelt wurden. Darunter war nach Ansicht der Integrationsforschung eine Annäherung an den gesellschaftlichen Median gemeint (Alba 2008; Esser 2001; Portes/Zhou 1993; Berry 1997; Kalter/Granato 2002). Dies bedeutet eine strukturelle Angleichung bei Bildungszugängen, Arbeitsmarktzugängen, Gesundheitszugängen etc. ebenso wie eine soziale Annäherung über Freundschafts- und Nachbarschaftskontakte, Vereinsmitgliedschaften oder binationale Ehen. Gleichzeitig ging die Forschung davon aus, dass kulturelle Anpassungen in Form von Spracherwerb sowie Werte- und Normenübernahme erfolgten sowie eine identifikative Verschmelzung mit der neuen Heimat stattfinden würde, die als Primärzugehörigkeit letztlich die alte Herkunftsverbundenheit affektiv, emotional und erinnerungsbedingt überlagern würde. Aus diesem hochkomplexen Zugang zur Gleichheitsfrage wurde im Zuge der politischen Debatten um Integration zunehmend eine Einforderung von Assimilation und in den gesellschaftlichen Diskursen ging es vornehmlich um eine Angleichung an ein vermeintlich schon auf allen diesen vier Ebenen (der kulturellen, strukturellen, sozialen und identifikativen Ebene) erfolgreiches und überlegenes Kernkollektiv (Goel/Böcker/Heft 2010), weswegen dem Integrationsbegriff zunehmend mit Ablehnung begegnet wurde.3 Die postmigrantische Gesellschaft verändert die Vorstellung von Integration grundlegend und paradigmatisch. Da sie die Anerkennung der einwanderungsgesellschaftlichen Realität als Ausgangspunkt nimmt und das Versprechen der Gleichheit – in diesem Sinne also auch in Bezug auf Zugänge zu gesellschaftlichen Ressourcen, definiert als Chancengleichheit für alle – in den Mittelpunkt rückt, entfernt sie sich vom Assimilationsdruck und von der Vorstellung einer Bringschuld der Migrant*innen. Es geht bei der postmigrantischen Integration also nicht mehr um einen einseitigen Prozess, der von Einwanderern und ihren Nachkommen erbracht werden muss und auch nicht um die Plattitüde, dass Integration keine Einbahnstraße sei und demnach auch von Seiten der ›aufnehmenden Gesellschaft‹ erbracht werden müsse. Die postmigrantische Gesellschaft erwartet eine Abstraktion, die über die 3 Vgl. den Aufruf des Netzwerkes für Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung: »Demokratie statt Integration« (Kritnet 2010).
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Bindung der Kategorie Integration an die der Migration hinausgeht. Integration ist damit zu einer politischen Leistung geworden, an der sich der Staat und die plurale Demokratie messen lassen müssen. Klaus Bade und Michael Bommes definierten dies bereits 2004 für den deutschen Zuwanderungsrat als »die messbare Teilhabe aller an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, das heißt an Erziehung, Bildung, Ausbildung, Arbeitsmarkt, Recht, Sozialem bis hin zur politischen Partizipation« (Bade 2013). Bade und Bommes emanzipierten somit die Vorstellung der Integration von ihrer starken Verknüpfung mit Migration und Migrant*innen und platzierten Integration in das systemische und politische Feld von Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe (Foroutan 2015a). »Integration für alle« müsste der politische Aufruf heißen, der dahintersteckt und der als sinnstiftender Endpunkt die plurale Demokratie in ihrem Gleichheitsversprechen antreiben sollte. Die Großerzählung, die hinter einem postmigrantischen Integrationsvertrag für die gesamte Gesellschaft stehen könnte, hätte die große Frage zum Inhalt, wie es gelingen kann, vor dem Hintergrund wachsender Ungleichheit und einer wachsenden, nicht nur kulturellen, Diversität – also einer zunehmenden Pluralisierung – eine Gesellschaft norm- und sinngebend zusammenzuführen und Zugehörigkeit und Identifikation für alle Bürger*innen zu schaffen, und zwar einschließlich der Neubürger*innen. Die Gesellschaft muss sich als »Einheit der Verschiedenen« erzählen, wie es auch andere Einwanderungsgesellschaften bereits erproben, z. B. Kanada, das als sinnstiftendes Leitbild für das Land eine Unity in Diversity schon seit den 1970er Jahren angibt. Integration lässt sich somit neu definieren als ein gesellschaftsstrukturierendes Leitmotiv, das sich aus den Teilsegmenten Anerkennung, Chancengerechtigkeit und Teilhabe zusammensetzt mit dem Ziel, Diskriminierung und gesellschaftliche Ungleichheit zu überwinden. Dieses normative Versprechen liegt der pluralen Demokratie zugrunde. Die Infragestellung nicht nur von strukturellen und sozialen, sondern auch von symbolischen Privilegien erzeugt dabei steigende Rekurse auf Heimat und nationale Identität – als Distinktion und Zeichen eines kulturellen, symbolischen und primordialen Privilegs. Oberf lächlich sind postmigrantische Gesellschaften von einem Konf likt zwischen Migrationsbefürworter*innen und -gegner*innen geprägt. Tatsächlich geht es jedoch um das Versprechen der pluralen Demo-
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kratie, welche allen Bürger*innen die Unantastbarkeit der Würde aller Menschen (Art. 1 GG), außerdem die Persönlichkeitsentfaltung (Art. 2 GG), Gleichheit (Art. 3 GG), Religions- (Art. 4 GG) und Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) in Aussicht stellt. Dieses Versprechen wird von vormals marginalisierten Gruppen offensiv eingefordert und gemeinsam mit Allianzpartner*innen erkämpft. Die Idee, für gleiche politische, ökonomische, soziale, kulturelle und symbolische Rechte kämpfen zu dürfen, gründet dabei vor allem auf dem Versprechen der Gleichheit (Art. 3 GG), weniger auf dem Versprechen der Freiheit, und ist wie bereits beschrieben mit der offiziellen Anerkennung, ein Einwanderungsland geworden zu sein, auch an Migrant*innen und ihre Nachkommen gegeben worden. Die Aushandlung dieses Versprechens treibt die postmigrantische Gesellschaft an.
Normatives Paradoxon – das Versprechen der Teilhabe und ihre Verwehrung Der demokratische Gleichheitsgrundsatz wird, wie beschrieben, zunehmend auch von jenen in Anspruch genommen, die nicht schon immer hier waren – also von Migrant*innen und ihren Nachkommen. Das Einfordern von struktureller, sozialer, kultureller und identifikativer Teilhabe führt dabei zu Konkurrenz um Ressourcen, also Verteilungswettbewerben, sowie zu ständigen Positionskämpfen und Neuzuweisungen in der Gesellschaft. Gleichzeitig gibt es zahlreiche empirische Befunde, die verdeutlichen, dass gerade die Lebensrealität von Migrant*innen und ihren Nachkommen von diesem Versprechen der Gleichheit noch weit entfernt ist. Dies führt zu einem paradoxalen Moment, so wie es in der Demokratietheorie mehrfach besprochen wurde (vgl. Kapitel »Grundlagen«, Unterkapitel »Die plurale Demokratie«). Normative Paradoxien entstehen, wenn legitime Anerkennungsforderungen während des Umsetzungsprozesses Gegenwirkungen hervorrufen, wenn also als legitim erachtete Ansprüche verwehrt werden (Hartmann 2002). Honneth und Sutterlüty nennen vier Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein normatives Paradoxon vorliegt (Honneth/Sutterlüty 2011: 73):
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(1) Erstens muss es bei Anerkennungsansprüchen »möglich sein, die normativen Absichten zu rekonstruieren« (ebd.); (2) zweitens muss die Umsetzung von Anerkennungsansprüchen »als normativer Fortschritt im Sinne eines breiten Gesellschaftsverständnisses interpretiert werden« (ebd.); (3) drittens muss die Umsetzung »unerwünschte und unbeabsichtigte Folgen durch veränderte sozioökonomische, soziostrukturelle und kulturelle Rahmenbedingungen hervorrufen, die nicht den ursprünglichen Zielen entsprechen oder ihnen sogar diametral entgegenstehen« (ebd.); (4) viertens müssen die »ursprünglichen moralischen Leitansprüche und Ideale weiterhin gültig sein« (ebd.). Auf das Versprechen der pluralen Demokratie angewendet heißt dies: (1) Wenn nicht-dominante Gruppen Anerkennungsansprüche stellen, z. B. in Bezug auf Quoten, Gesetzesänderungen (beispielsweise zu drittem Geschlecht, Homoehe oder doppelter Staatsangehörigkeit) oder Antidiskriminierungsrichtlinien, dann ist darin die normative Absicht der Teilhabe auf Basis von Art. 3 GG erkennbar. (2) Eine Umsetzung dieser Ansprüche wird als normativer Fortschritt gewertet. (3) Gleichzeitig kann die Umsetzung dieser Norm »unerwünschte und unbeabsichtigte« Folgen haben: z. B. kann die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft dazu führen, dass ein Diktator in Deutschland um seine Wähler wirbt, wie im Falle Erdoğans. Auch sozioökonomisch können Folgen entstehen, wenn z. B. Frauenquoten eingeführt werden und Männer dadurch Privilegien der Platzierung auf dem Arbeitsmarkt verlieren. Oder: Wenn Antidiskriminierungsrichtlinien eingeführt werden, führt eine Pf licht zu anonymisierten Bewerbungen zum Verlust der subjektiven Auswahlmöglichkeit. (4) Wenn nun die Teilhabe verwehrt wird, während gleichzeitig die moralischen Leitansprüche und Ideale weiterhin gültig sind, dann kann von einem normativen Paradoxon gesprochen werden. Während Gleichheit als Norm von vielen kognitiv akzeptiert wird, stößt dieselbe Norm in konkreten Fällen auf emotionale und affektive Abwehr, wenn nicht-dominante Gruppen ihre Teilhaberechte einzuholen versuchen. Die meisten Menschen wissen zwar, dass allen Menschen die gleichen Rechte zustehen, und stimmen dem auch auf einer abstrakten Ebene zu – im nächsten Moment verweigern sie die Teilhabe jedoch emotional, strukturell oder auch sozial und kulturell, weil
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dieses Gleichheitsversprechen unintendierte Effekte haben kann; nämlich die Infragestellung der eigenen sozioökonomischen, soziostrukturellen oder kulturellen Position und Privilegien in der Gesellschaft. Als Konsequenz entsteht ein normatives Paradoxon, eine Situation der Ambivalenz, die die postmigrantische Gesellschaft prägt. Die plurale Demokratie ist also ambivalent und unübersichtlich. Ihr Versprechen einer radikalen, über das Migrantische hinausweisenden Norm der Gleichheit und Gerechtigkeit wird unabhängig von sozialer, kultureller, ethnischer, religiöser und nationaler Herkunft verhandelt und auch von Migrant*innen eingefordert – besonders, wenn dieses Zugeständnis politisch gegeben wurde, z. B. im Bekenntnis, ein Einwanderungsland zu sein. Die plurale Demokratie hat sich somit ein Versprechen gegeben, das sie in ihren Grundfesten erschüttern kann: Die Gleichheit aller Menschen ist eine Norm, die Teilhabeermöglichung aller Bürger*innen in einigen Bundesländern sogar eine gesetzliche Zusage, und die Anerkennung ist ein Gut, das marginalisierte Gruppen zunehmend einklagen. Ihre Nichterfüllung führt zu einem paradoxen und dadurch reizbaren Moment. Einerseits besteht das Selbstbild einer offenen, pluralen, toleranten demokratischen Republik – andererseits attestiert der Weltreport über Ungleichheit einer Forschergruppe um Thomas Piketty Deutschland so viel Ungleichverteilung bei Vermögen wie zuletzt 1913 (Alvaredo et al. 2018). Und es gibt ein Klima der Menschenverachtung, das sich nicht nur gegen Migration, sondern gegen liberale, plurale Lebens- und Gesellschaftsentwürfe allgemein richtet. Zu beobachten ist eine neue Bipolarität: zwischen jenen, die Pluralität und ihren Bezug zu Gleichheit und Gleichberechtigung anerkennen, und jenen, die sie zutiefst abwehren und abwerten. Das deutsche Grundgesetz ist jedoch auf Pluralität ausgerichtet: Freiheitsrechte, Gleichheitsrechte und Teilhaberechte durchziehen das Grundgesetz und sind fundamentale Grundrechte, auf denen das Gesellschaftsverständnis einer Demokratie auf baut, wie oben dargelegt wurde. Seit geraumer Zeit wird das Konzept der Pluralität vor allem mit der Heterogenisierung der Gesellschaft durch Migration in Verbindung gebracht. Zu beobachten ist dabei, dass eine aktive Abwehr und Infragestellung von Migration zunehmend auch zur parallelen Erosion der pluralen Demokratie als normativem Richt- und Leitwert der deutschen Gesellschaft führt. Indem diskursiv induziert wird, Migration sei ein neuartiges Phänomen, das etablierte Ordnungsmecha-
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nismen in Frage stelle, wird implizit der Versuch unternommen, das Carl Schmitt’sche Konzept der Einheit in Gleichheit als demokratische Logik par excellence zu deuten, während im Konzept des deutschen Grundgesetzes die Einheit in Vielfalt bereits angelegt ist – dieses also keineswegs eine moderne Neudeutung ist. Das Hadern mit der Idee der Pluralität trieb auch den Verfassungstheoretiker Böckenförde um, der dies einst prägnant formulierte: »Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürger*innen gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Andererseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit den Mitteln des Rechtszwanges und autoritativen Gebots zu garantieren suchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurückzufallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.« (Böckenförde 1976: 60) Die Verknüpfung von Demokratie mit Homogenität wird demnach durch die zunehmende Heterogenisierung von Gesellschaften in ihrem Deutungsprivileg in Frage gestellt. Dieser mismatch zwischen verankerter Norm und neuer Realität erzeugt eine kognitive Dissonanz. Auf diese reagiert ein Teil der politischen Elite mit einer Absenkung ihrer zentralsten Norm: Das Versprechen der pluralen Demokratie wird als kosmopolitische Utopie ins Reich der »Gutmenschen« verschoben. Gleichheit wird zum naiven Luxusgut deklariert, Teilhabe verwehrt und Anerkennung für Teile der Gesellschaft wieder zurückgenommen. Plurale Demokratien drohen dabei am Dilemma zwischen dem normativen Versprechen der Gleichheit und dem empirischen Scheitern bei der Umsetzung dieser Norm zu zerbrechen. Die Hypothese soll lauten: Der eingeforderte Gleichheitsanspruch durch die migrantischen oder als solche markierten Subjekte erinnert die Gesellschaft schmerzlich an den Verrat oder die Unerreichbarkeit der eigenen Norm und führt bei einem Teil der Bevölkerung zu Aggressionen gegenüber den migrantisierten Anderen, denn: Durch den Verweis auf die erkennbare Lücke zwischen Norm und Realität wird deutlich, dass existentielle Veränderungen notwendig wären, wollte man diese gesellschaftlich destruktive Dissonanz auf lösen. Es müsste Platz geschaffen werden für jene, die bis dato als nicht zugehörig galten und
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nun den Anspruch erheben, Teil nicht nur der demokratischen Gesellschaft auf materieller Ebene, sondern auch des nationalen Kollektivs auf emotionaler Ebene zu sein.
Die postmigrantische Gesellschaft Der Begriff ›postmigrantisch‹ stammt ursprünglich aus der Kunst- und Kulturszene und wurde im Jahr 2008 von der Berliner Theaterintendantin Shermin Langhoff etabliert. Mit der expliziten Positionierung, dass ihre Form der Theaterproduktion kein ›migrantisches Theater‹ sei, sondern eines, das – auf der heutigen pluralen Gesellschaftsdynamik beruhend – deutsche Gesellschaft, Geschichte und Kultur ref lektiert, schuf sie fortan ›postmigrantische Kulturproduktionen‹. Ihr Ziel war es, ein Bewusstsein dafür zu erzeugen, dass eine zunehmende Pluralisierung der Gesellschaft und Auseinandersetzungen mit Geschichten der Migration neue Narrative von Deutschsein bzw. deutscher Kultur hervorbringen, die ebenfalls Teil des deutschen Kulturkanons sein müssten.
Akteursbezüge – gibt es nun den Post-Migranten? Shermin Langhoff näherte sich dem Begriff zunächst über konkrete Akteursbezüge an: Sie verwies darauf, dass eine als Migrant*in bezeichnete Person ohne eigene Migrationserfahrung (also der zweiten oder dritten Generation) aufgrund ihrer Familiengeschichte andere Erfahrungsmomente, andere Perspektiven und andere Erzählungen in die Gesellschaft mit einbringe als Zuwanderer mit eigener Migrationserfahrung. Deshalb könne auch eine neue Bezeichnung erprobt werden: »Es scheint mir einleuchtend, dass wir die Geschichten der zweiten und dritten Generation anders bezeichnen. Die stehen im Kontext der Migration, werden aber von denen erzählt, die selber gar nicht mehr gewandert sind. Eben postmigrantisch.« (Langhoff 2009) Diese akteursbezogene Perspektive nahm der in Innsbruck lehrende Sozialwissenschaftler Erol Yıldız auf. In seiner Perspektive des Postmigrantischen wurden Menschen der zweiten und dritten Generation – die selbst nicht über Migrationserfahrung verfügen und die selbst ihre Geschichten neu erzählen wollen – zunächst als ›Postmigranten‹ beschrieben. Yıldız forderte, dass man diese Geschichten in das hegemo-
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niale Narrativ einweben müsse: »Gerade Jugendliche der zweiten und dritten Generation setzen sich sowohl mit der Migrationsgeschichte ihrer Eltern als auch mit der Gesellschaft, in der sie aufgewachsen sind, auseinander und entwickeln daraus hybride Welten. In dieser Rekonstruktionsarbeit betreiben sie eine Art ›Erinnerungsarchäologie‹ und versuchen andere Geschichten, die bisher nicht erzählt wurden, in das öffentliche Gedächtnis zu bringen. Dabei geht es nicht mehr um Eindeutigkeit und binäre Zuordnungen, sondern um Überschneidungen, Grenz- und Zwischenräume, um Kreuzungen und simultane Zugehörigkeiten, die eine völlig andere Sicht auf die Migrationsgesellschaft eröffnen.« (Yıldız 2013: 144 f.) Die akteursbezogene Perspektive beinhaltete ein Empowerment, das darauf setzte, Migrant*innen und ihre Nachkommen in der deutschen Erzählung, aber auch in der deutschen Hochkultur sichtbarer zu machen. Wagner Carvalho, einer der beiden Intendanten des Ballhaus Naunynstraße, betonte damals: »Das postmigrantische Theater stellt Menschen und Künstler in den Mittelpunkt, die mindestens seit zweieinhalb Generationen im Land leben und als Protagonisten bislang nicht anerkannt waren.« (Carvalho 2014)
Gesellschaftsbezüge – der gesamtgesellschaftliche Blick auf Post-Migration Von dieser akteurszentrierten Perspektive emanzipierte sich der Begriff jedoch mit der Zeit zunehmend und entwickelte sich in Richtung einer kritischen Gesellschaftsanalyse weiter, die sich stärker auf die Deutung von Gesellschaft als Ganzem und ihrer Transformationsprozesse nach erfolgter Migration bezog als auf neue Benennungspraxen. Die Islamwissenschaftlerin Riem Spielhaus kritisierte am Akteursbezug: »The term explicitly does not pertain to a person’s situation or history as a new word for difference in physiognomy, accent or family history.« (Spielhaus 2013c: 329) Diese Kritik unterstützten auch die Ethnologinnen Regina Römhild und Manuela Bojadžijev: »In einer zunehmend populären Auslegung wird der Begriff des Postmigrantischen derzeit als Label für und von Personen entdeckt und angeeignet, die selbst keine unmittelbaren Migrationserfahrungen gemacht haben und dennoch in der Fortschreibung diese Kategorie über Generationen hinweg weiterhin als Migranten und Migrantinnen markiert werden. Hier wird der Begriff des Postmigrantischen zu einer politisch nutz-
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baren Formel, die den dauerhaft hierarchisierenden Einschluss als MigrantIn und einen daran gekoppelten, ebenso auf Dauer gestellten Integrationsimperativ […] kritisch zu benennen und zurückzuweisen erlaubt. Allerdings läuft dieser Gebrauch Gefahr, wie KritikerInnen meinen, dennoch wieder nur dem alten Label zu neuem Leben zu verhelfen, das dann vor allem junge (Post-)MigrantInnen der x-ten Generation einschließt.« (Bojadžijev/Römhild 2014: 18) Die Kritik am Integrationsbegriff hat sich parallel zur Entwicklung der postmigrantischen Perspektive verschärft. Dem Integrationsbegriff wurde, wie im obigen Zitat ersichtlich, ein imperativer Charakter zugeschrieben und ein verengter Fokus auf eine Gruppe – »die Migranten« – vorgeworfen (u. a. Foroutan 2015b; Mecheril 2011; Böcker/Goel/ Heft 2010). An dieser einseitigen Verschränkung von Integration mit Migration war die Migrationsforschung seit den 1980er Jahren maßgeblich beteiligt. Mit ihrem legitimen und wichtigen Anliegen, auf Hürden der Integration und auf Ausschlussstrukturen gegenüber Migrant*innen hinzuweisen und somit die Politik aufzufordern, hier nachholend aktiv zu werden, hatte die Migrationsforschung die enge Kopplung des Integrationsbegriffes an Migrant*innen und ihre Nachkommen unwillkürlich perpetuiert. Die Vorstellung einer assimilativen Anpassung hatte den Begriff der Integration über die Jahre geprägt und prallte mit dem zunehmenden Selbstbewusstsein der migrantischen Nachfolgegenerationen zusammen, selbst Teil dieses Landes zu sein und mitbestimmen zu wollen, was die Kultur dieser Gesellschaft ausmacht. Die in diesem Buch vorgestellte gesellschaftstheoretische Perspektive versucht nun, mit dem Wissen um die Pluralisierung der Gesellschaft den Integrationsbegriff paradigmatisch auszuweiten und darauf aufmerksam zu machen, dass Integration in postmigrantischen Gesellschaften nicht nur Migrant*innen betrifft, sondern all jene, denen »die messbare Teilhabe […] an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, das heißt an Erziehung, Bildung, Ausbildung, Arbeitsmarkt, Recht, Sozialem bis hin zur politischen Partizipation« (Bade 2013) verwehrt bleibt. Mangelnde Anerkennung, fehlende Chancengleichheit und nicht gegebene Teilhabe als Treiber der Desintegration betreffen demnach weit mehr Menschen in diesem Land als nur »die Migranten«. Darauf aufmerksam zu machen ist ein zentrales Ziel der postmigrantischen Gesellschaftstheorie. So wie es Shermin Langhoff fordert, richtet das Postmigrantische seinen Blick über das Migrantische hinaus; es nimmt die gesamte Gesellschaft und ihre Aus-
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handlungsstrategien unter dem Eindruck zunehmender Pluralisierung in den Fokus: »Darüber hinaus steht ›postmigrantisch‹ in unserem globalisierten, vor allem urbanen Leben für den gesamten gemeinsamen Raum der Diversität jenseits von Herkunft.« (Langhoff 2011) Fassen wir zusammen: Der Terminus postmigrantisch ist als subversiver Verweis auf die Fluidität von Herkunft, Kultur und die Transformation kollektiver Identität entstanden. Wenn Neues hinzukommt und Altes bestehen bleibt, beides nebeneinander steht, sich zusammenfügt, ausschließt oder ganz neu sortiert, dann braucht es dafür auch Begriffe, die diese Transitionsphasen benennen. Das Postmigrantische verweist auf eine stetige Hybridisierung und Pluralisierung von Gesellschaften, die zwar nicht allein durch Migration erzeugt, jedoch an ihr entlang verhandelt werden. Migration wirkt als zentraler diskursiver Treiber in dieser Gesellschaft und ordnet kulturelle Erzählungen, nationale Narrative und Prämissen der Zugehörigkeit neu.
Wissenschaftsbezüge – das postmigrantische Paradigma Während der Begriff des Postmigrantischen sich in den Sozialwissenschaften zu etablieren beginnt, ist er auch im politischen und öffentlichen Raum zunehmend hörbar. Dort bezeichnet er vor allem migrationsbezogene Vielfalt und den Umgang damit. Als »Vision und Aufgabe einer postmigrantischen Kirche in der Schweiz« ist z. B. eine Handreichung überschrieben. Darin heißt es: »Eine ›postmigrantische Kirche‹ anerkennt die bleibende Veränderung und Veränderlichkeit unserer Kirche durch die Migration: mehr Vielfalt, Sprachen und Kulturen, mehr Hybriditäten und Vermischungen, mehr Unterschiede und Spannungen, mehr Buntheit, mehr Unüberschaubarkeit, mehr Überraschungen […] gehören zur Normalität der Kirche. Diese postmigrantische Normalität verlangt inhaltliche, organisatorische und strukturelle Anpassungen.« (Bünker 2017) Auch in der Politik gibt es konkrete Bezugspunkte: So bekennt sich beispielsweise das Bundesfamilienministerium mit einer Erklärung unter dem Titel Auf dem Weg zum neuen Wir zu gesellschaftlicher Diversität und fordert »mehr Teilhabe in der postmigrantischen Gesellschaft« (BMFSFJ 2017b). In den Sozialwissenschaften, besonders in der kritischen Migrationsforschung, aber auch in den Geistes- und Kulturwissenschaften beziehen sich im letzten Jahrzehnt, seitdem Shermin Langhoff 2008
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den Begriff in der Kulturszene etabliert hat, mehr und mehr Autor*innen explizit und teilweise hinterfragend auf den Begriff des Postmigrantischen. In Deutschland sind dies u. a. Kira Kosnick (2010), Paul Mecheril (2014), Riem Spielhaus (2014), Vassilis Tsianos und Juliane Karakayalı (2014) Fatima El-Tayeb (2016), Regina Römhild (2017), die sich dem Begriff des Postmigrantischen aus unterschiedlichen disziplinären Blickwinkeln, wie der Pädagogik, der Soziologie, der Islamwissenschaft oder der Ethnologie nähern. In Österreich blicken Marc Hill und Erol Yıldız (2015; 2018) sowie Heiko Berner (2018) aus der Perspektive der Erziehungswissenschaften und der sozialen Arbeit mit einer postmigrantischen Perspektive auf personelle und nationale Identitätstransformationen, in der Schweiz versucht Kijan Espahangizi eine zeithistorische Lesart des Begriffs (2017) und in Dänemark analysieren Anne Ring Petersen und Moritz Schramm (Petersen/Schramm 2017) aus der Perspektive der Literaturwissenschaft Veränderungen des Wissens- und Literaturkanons mit einem postmigrantischen Paradigma. Weitere Autor*innen wie Urmila Goel (2013), Kien Nghi Ha (2014), Iman Attia (2014), Sabine Hess (2015), Mark Terkessidis (2015), Manuela Bojadžijev (2018) und Mathias Rodatz (2018) nehmen vor allem aus einer Perspektive der kritischen Rassismus- und Grenzforschung Bezug auf den Begriff. Ein Großteil der Autor*innen hat in einem gemeinsamen Sammelband unter dem Titel »Postmigrantische Perspektiven« (Foroutan/Karakayalı/Spielhaus 2018) ihre analytischen Zugänge zu diesem neuen gesellschaftstheoretischen Begriff zusammengefasst. Bisherige Bezüge auf ›post-immigration‹ oder ›postmigration‹ im französisch-, spanisch- und englischsprachigen Raum beschreiben dagegen weiterhin vor allem konkrete Belange, die Migrant*innen betreffen, nachdem diese migriert sind, seien es identitätsspezifische oder gesundheitliche, oder aber auch ganz funktionale Belange, z. B. an welche Behörden sie sich zu wenden haben (vgl. Hyman et al. 2000; Modood 1999; Shirpak et al. 2011; Sime/Fox 2014; Fazel 2018). Damit beschränken sie sich auf die Begriffsgrundlage der ›Post-Migration‹ und schauen weniger auf die gesamtgesellschaftlichen Transformationen, die mit Migration einhergehen. Ein Jahrzehnt, nachdem dieser Begriff erstmalig verwendet wurde, nimmt sich das vorliegende Buch die weitere Konkretisierung dieses teilweise kontra-intuitiven Begriffes – der durch sein Präfix ›post-‹ gleichermaßen auf eine Zeitenwende wie auf bestehende Kontinuitäten verweist – für die Sozialwissenschaften vor. Es ist nicht unüblich,
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dass die Sozialwissenschaften Begriffe aus der Kultur, der Technik, anderen Disziplinen oder der breiteren Gesellschaftswelt übernehmen und zu operationalisieren versuchen: ›Integration‹ z. B. bezeichnet ursprünglich die ›(Wieder-)Herstellung eines Ganzen‹ und gehört deshalb auch zum alltäglichen Sprachgebrauch von Mathematiker*innen und Wirtschaftswissenschaftler*innen, während ›Transformation‹ einen Begriff aus der Physik darstellt. Die Kunst- und Kulturwelt ist ebenfalls schon früher ein starker Stichwortgeber gewesen, denken wir etwa an die Performanztheorien, die Althusser (1977) und Butler (1991) aus der szenischen Darstellung übernommen haben. Jedoch liegt ein Vorzug der Kunst und Kultur darin, Begriffe im Bereich des Erahnten belassen und mit Irritationen stehen lassen zu können. Für die Sozialwissenschaft ist das eine große Herausforderung. Wenn ein amorpher und subversiver Begriff, der von einer Künstlerin als Irritation etablierter Migrations-Denkmuster erfunden wurde, möglicherweise auch am Ende dieses Buche nicht eindeutig operationalisierbar gemacht werden kann, dann heißt es jedoch nicht, dass der Versuch sich nicht lohnen würde.
Noch ein Präfix? ›Post‹-Theorien als Indikatoren einer Zeitenwende Kommt jetzt also nach Postmoderne, Postnationalismus, Postkolonialismus, Postkapitalismus und Postdemokratie mit der postmigrantischen Gesellschaft eine weitere zeitdiagnostische Gesellschaftsanalyse, die sich nicht traut, den großen konstruktivistischen Wurf zu wagen? Allen Post-Analysen ist gemein, dass sie sich auf einen transitiven Moment, eine bevorstehende Zeitenwende beziehen, ohne das Neue klar konturieren zu können: Etwas geht vorbei, verbleibt, hallt nach, prägt das Hier und Jetzt noch deutlich – gleichzeitig ist zu spüren, dass es sich nicht mehr wird halten können und ein totaler Umbruch bevorstehen könnte, jedoch ist nicht genau zu erkennen, was danach kommt und wie viel von gestern und heute noch im Morgen stecken wird. Transit ist für manche durch eine tiefe Sehnsucht nach dem, was vorher war, und Angst vor dem, was kommen wird, gekennzeichnet, andere treibt der Wunsch nach einem schnellen Durchschreiten auf dem Weg zum Kommenden an. Allen ist der disruptive Zustand bewusst, was eine nervöse Spannung – eine »große Gereiztheit« – erzeugt. Deutlich ist derzeit spürbar, dass das große Gefühl, sich in einer Übergangszeit zu befinden (Hobsbawm 2010) – was alle ›Post‹-Gesell-
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schaften gleichermaßen auszudrücken bemüht sind –, für viele Menschen nicht mit der Vorfreude auf eine bessere Welt gepaart ist. Vielmehr können wir im Gegensatz zu Mannheims »Ideologie und Utopie« (1929) das heutige dominante Gesellschaftsgefühl als ein von Planlosigkeit und Dystopie gekennzeichnetes beschreiben. Darauf weisen empirische Befunde hin, die zeigen, dass eine große Zahl an Menschen nicht mehr glaubt, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird als ihnen selbst (Bude 2014; IfD Allensbach 2018). Zwar wissen wir kontinuierlich mehr, doch fehlt vielen die Vorstellung davon, wie dieses Wissen in Realität umzusetzen wäre. Die Vereinten Nationen haben die Vision, bis 2030 die Armut auszurotten (UN 2015), die Welternährungsorganisation der UN weiß, wie der Hunger weltweit durch gezielten landwirtschaftlichen Anbau einzudämmen wäre (FAO 2014), und die UN-Klimaziele liefern konkrete Berechnungen, wie die zerstörende Erderwärmung aufgehalten werden kann (UNFCCC 2015). Dennoch ist der Glaube daran, dass Armut und Hunger eingedämmt werden könnten oder die Klimaziele umgesetzt würden, verschwindend gering – und das, obwohl es keine Phantasten sind, die dies berechnen, sondern Expert*innen. Ein bedeutender Teil der Gesellschaft scheint desillusioniert und demoralisiert, Kulturpessimismus greift um sich (Stern 2005). Reduktionistische Metanarrative sind zurückgekehrt, verdeutlicht in der Rückkehr von Nationalismus, Chauvinismus und Fundamentalismus und in Gestalt von Vertretern einer Politik, die als anachronistisch galt. Trump, Putin, Erdoğan, Netanjahu, Bolsonaro und andere Vertreter einer nationalistischen, sexistischen, rassistischen oder fundamentalistischen Politik sind tonangebend in der internationalen Politik, rückwärtsgewandte Politik hat Aufwind. Der Philosoph François Lyotard hatte die großen Erzählungen der Moderne noch für beendet erklärt und damit die Postmoderne eingeläutet, eine Zeitenwende, in der alles möglich schien und nebeneinander bestehen konnte (Lyotard 1979). Der zeitgeschichtlich ›neue‹ Moment, vor dessen Hintergrund sich die transitäre postmigrantische Gesellschaft formiert, scheint jedoch darin zu bestehen, sich in der Geschichte gleichzeitig vorwärts und rückwärts zu bewegen – was die Linearitätsvorstellung der Moderne ebenso durchbricht wie den kreativen, emanzipativen Gesellschaftsgedanken der Postmoderne. Der Gedanke, dass wir uns in der ›Posthistoire‹ befänden – einer Zeit, in der sich nichts mehr an der Grundstruktur der westlichen Gesellschaft ändere und es keine Umbrüche mehr gebe, weil die demokratischen
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Gesellschaften sich ihren gesetzten Normen und Zielen absolut angenähert hätten (Baudrillard 1992; Fukuyama 1992) –, scheint also in der aktuellen zeitdiagnostischen Wahrnehmung von Gesellschaft überholt. Vielmehr greift ein Gefühl des ›Re-Histoire‹ um sich, die Befürchtung einer Wiederkehr vermeintlich überwundener Rückständigkeit. Einen Hinweis auf dieses Gefühl gibt der Anstieg der rechtspopulistischen bis rechtsnationalen und teilweise rechtsextremen Parteien in den europäischen Parlamenten und deren sprachliche und politische Grenz- und Normüberschreitungen. Die ehemalige Integrationsministerin Italiens und heutige EU-Abgeordnete Cécile Kyenge fasste das anschaulich zusammen, als sie beschrieb: »Früher hörte ich oft den Satz: ›Ich bin kein Rassist, aber …‹ Heute hat sich das geändert, und die Leute sagen: ›Ich bin stolzer Rassist, und ihr müsst in eure Heimatländer zurückkehren.‹« (Kyenge 2018) Ähnlich wie die postkolonialen Theorien enthält auch das Postmigrantische eine widerständige Strategie: Es geht um die aktive Infragestellung etablierter Machtstrukturen und Privilegien. Einerseits wird das Bewusstsein für historische Entstehungsbedingungen der Macht- und Differenzverhältnisse geschärft, gleichzeitig werden deren Legitimationsmechanismen decodiert (Young 2001; Zantop 1999; Bhabha 1994; Hall 1992a; Said 1978). Auch die zeitliche Doppelebene des postkolonialen Ansatzes lässt sich im Postmigrantischen wiederfinden: Soziale Ungleichheiten wurden in der Epoche des Kolonialismus weltweit verfestigt; damals etablierte Legitimationsmuster werden seitdem weiter perpetuiert und sind Grundlagen für politische und gesellschaftliche Entscheidungsprozesse (Heyden/Zeller 2007; Bechhaus-Gerst/Gieseke 2007; Loomba 2005; Young 2001; Yeğenoğlu 1998). Auch die Migrationsfrage und ihre Kopplung an »gescheiterte Integration« haben bis heute den Grundstein für strukturelle, politische und rechtliche Ungleichheiten sowie symbolische Ausschlüsse gelegt, die dominant nachwirken. Die Anlehnung des Postmigrantischen an das Postkoloniale bedeutet daher eine Einreihung in eine kontextbezogene rassismuskritische Analyse von Gesellschaftsordnungen, die das Wissen und eine historische Informiertheit über das Nachwirken kolonialer Strukturen voraussetzt und stets mitdenkt, auch wenn sich die hier erarbeitete Perspektive des Postmigrantischen auf die jüngere Migrationsgeschichte fokussiert.
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Terminologische Einordnung ›Die postmigrantische Gesellschaft‹ – was soll das sein? Ist es nicht kontra-intuitiv, von ›post‹-migrantisch zu sprechen, wenn laut UNHCR-Bericht aus dem Jahr 2018 weltweit 70 Millionen Menschen auf der Flucht sind (UNHCR 2018) und parallel dazu Pendel-, Arbeits-, Binnen- und temporäre Migration zunimmt? Laut UN-Report leben mehr als 250 Millionen Menschen in einem anderen Land als dem, in welchem sie geboren wurden (UN 2017). Wenn der Begriff ›postmigrantisch‹ so gelesen würde, als beschriebe er ein Ende der Migration, dann wäre er fürwahr irreführend. Auch Paul Mecheril (2014) stößt sich in einem kritischen Aufsatz an der terminologischen Irritation, die in dem Begriff steckt. »Was ist das X im Postmigrantischen?« fragt er und kritisiert: »dass es in der gegenwärtigen Situation nicht um eine Absetzbewegung vom Migrantischen, sondern von bestimmten einf lussreichen politischen, diskursiven und kulturellen Reglementierungen migrationsgesellschaftlicher Phänomene (bzw. des Migrantischen) gehen sollte. Der Ausdruck ›postmigrantisch‹ distanziert sich in meinem Verständnis gewissermaßen vom falschen Objekt.« (Mecheril 2014: 108) Weiter schreibt er, dass »Kritik eine falsche Richtung einschlägt, wenn sie danach trachtet, eine Distanz zum Migrantischen zu gewinnen. Es geht um die politische, kulturelle, epistemische Besetzung des Migrantischen/des Migrationsgesellschaftlichen, nicht um seine Überwindung« (Ebd.). Gleichzeitig erkennt er den kritischen Gehalt des Begriffes an und sieht ihn darin begründet, (1) das nationalstaatliche Integrationsdispositiv zu hinterfragen, (2) die Defizitperspektive auf Migration sichtbar zu machen, (3) zu verdeutlichen, dass die migrationsgesellschaf tliche Wirklichkeit sich nicht auf (klassische) Einwanderung reduzieren lässt, und (4) eine Kritik an den bestehenden Repräsentationsverhältnissen zu äußern (ebd.: 108 f f.). Seine terminologische Kritik bleibt jedoch bestehen im Vorwurf, der Begrif f des Postmigrantischen inszeniere das Migrantische als »etwas, von dem sich abzusetzen angeraten sei« (ebd.: 111). Lesen wir postmigrantisch jedoch (1) als Anstoß zu einer empirischen Analyse, nachdem Migration erfolgt ist, dann erhält der Begriff einen weniger normativen und stärker prozessualen Charakter. Er beschreibt gesellschaftliche Transformationsprozesse – also »Postmigration« – und fragt zunächst einmal empirisch-analytisch: Was verändert sich nach der Migration?
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Lesen wir im Begriff postmigrantisch zusätzlich (2) eine dialektische Kritik, die sich als Folge aus dem oben genannten prozesshaften »nach der Migration« ergibt, befähigt der Begriff dazu, Aushandlungsprozesse zu erkennen, die sich auch und vor allem an dem Anspruch der Migrant*innen und ihrer Nachkommen festmachen, ihr Recht auf Anerkennung als Gleiche unter Gleichen einzufordern und auszuhandeln. Konf likte, die vordergründig über Migration erklärt werden, lassen sich demnach decodieren und in größere gesellschaftliche Zusammenhänge bringen: Dient die defizitäre Sichtweise auf Migration der Sicherung der eigenen Positionen und Privilegien in der Gesellschaft? Stellt die hybride Präsenz der ›Postmigrant*innen‹ die Vorstellung von Nation und Zugehörigkeit in Frage? Eine postmigrantische Analyse befähigt dazu, hinter die Migrationsfrage zu blicken und zu fragen, was ausgehandelt wird, also: Was ist, wenn Migration nicht alles ist? Lesen wir postmigrantisch schließlich (3) als normative Auf forderung, binäre Codes zu erweitern und gesellschaftliche Konf likte in Bezug auf ihr Gleichheitsversprechen zu analysieren, statt sie über etablierte Trennlinien zwischen Migrant*innen und Nichtmigrant*innen zu erklären, dann weist der Begriff über ›das Migrantische‹ als dominanten Exklusionsmarker hinaus und fragt: Wie gelangen wir über die hierarchisierende Demarkationslinie hinaus, die Gesellschaf ten in Migrant*innen und Nichtmigrant*innen binär codiert? Also: Wie nähern wir uns dem Ziel, in pluralen Gesellschaf ten gleichberechtigt zusammenzuleben? Das ›Migrantische‹ ist also nicht das, was es zu überwinden gilt – vielmehr geht es darum, die implizite Hierarchie und die defizitäre und binäre Codierung in Etablierte und Außenseiter zu hinterfragen, wenn Gesellschaften sich zunehmend pluralisieren und bald jede vierte Person einen sogenannten Migrationshintergrund hat. Wahrscheinlich wäre es terminologisch korrekter gewesen, den Begriff ›post-migrantisierend‹ einzuführen, da jedoch ›postmigrantisch‹ bereits im öffentlichen Diskurs etabliert war und dort auch schon eine kritische und widerständige Perspektive eingefordert und angestoßen hat, wird hier auf terminologische Spitzfindigkeit und auf die Einführung eines neuen Begriffes verzichtet. Vielmehr kann zusammengefasst werden, dass unter dem Dach des Postmigrantischen sowohl Forschung zu Postmigration (empirischanalytische Forschung zur Transformation der Gesellschaft nach erfolgter Migration) als auch zu Postmigrant*innen (kritisch-dialektische Aushandlung der Anerkennungsrechte von Migrant*innen und ihrer
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Nachkommen in der Gesellschaft) sowie zu Postmigrantisierung (normativ-ontologische Infragestellung der Hierarchisierung entlang binärer Codes) ihren Platz hat. Auch der Begriff ›Migrant‹ wird sowohl in der Forschung als auch in politischen Zusammenhängen sowie im öffentlichen Diskurs sehr unterschiedlich definiert. Während in der Forschung damit vorrangig eine ›dauerhafte Verlagerung des Wohnungsmittelpunktes‹ gemeint ist, wird im öffentlichen Diskurs der Begriff vor allem verwendet, wenn es um phänotypisch erkennbare Personen geht. Kaum jemals wird mit dem Begriff ein eingewanderter Schwede adressiert, wohingegen selbst Kinder der dritten Generation, wenn sie türkeistämmig sind, als Migrant*innenkinder klassifiziert werden und schwarze Deutsche, selbst wenn sie nie migriert sind, ebenfalls unter der Kategorie Migrant*in angesprochen werden. Auf politischer Ebene gibt es ebenfalls unklare Zugänge zu dem Begriff. Der Europarat verwendet z. B. eine sehr breite Definition, die auch die Nachkommen von Migrant*innen mit einschließt: »a term used widely in the work of the European Committee on Migration to refer, depending on the context, to emigrants, returning migrants, immigrants, refugees, displaced persons and persons of immigrant background and/or members of ethnic minority populations that have been created through immigration« (Europarat 2012: 623). Dahingegen bezieht die International Organisation for Migration (IOM) den Begriff nur auf jene Menschen, die freiwillig ihr Land verlassen haben, um anderswo zu leben. Gef lüchtete gelten als refugees und nicht als migrants: »The term ›migrant‹ in article 1.1 (a) should be understood as covering all cases where the decision to migrate is taken freely by the individual concerned, for reasons of ›personal convenience‹ and without intervention of an external compelling factor.« (IOM 2011) In diesem Buch wird Migration als dauerhafte Verlagerung des Wohnmittelpunktes von einem Land in ein anderes verstanden und der Begriff Migrant bezieht sich somit auch auf Gef lüchtete. Des Weiteren wird in diesem Buch von ›Personen mit Migrationshintergrund‹ gesprochen, was auch die Nachkommen von Migrant*innen beinhaltet. Die Definition stützt sich auf die deutsche Definition im Mikrozensus, wonach jemand einen Migrationshintergrund hat, der/die mindestens einen im Ausland geborenen und/oder eingebürgerten Elternteil besitzt.4 Außer4 Die Kritik am Begriff ›Migrationshintergrund‹ ist mir bewusst, dennoch entscheide ich mich für dessen Verwendung an manchen Stellen in diesem Buch, aus Mangel
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dem wird in diesem Buch der Begriff ›migrantisch‹ als Adjektiv verwendet, das attributiv, prädikativ und adverbial verwendbar ist und ein Eigenschaftswort darstellt, so wie ›deutsch‹. Es ist z. B. die Rede von ›migrantischen Akteur*innen‹, ›migrantischen NGOs‹ oder ›migrantischen Sprecher*innen‹. Damit ist migrantisch als eine Bezeichnungspraxis neben der Kategorie ›mit Migrationshintergrund‹ lesbar. Als weitere terminologische Klärung soll hier angemerkt werden, dass der Begriff der ›postmigrantischen Gesellschaft‹ die Begriffe der ›Einwanderungsgesellschaft‹ und der ›Migrationsgesellschaft‹ analytisch ergänzt. Um nicht nur den politischen, sondern auch den gesellschaftlichen Wandel zu betonen, wird in den Sozialwissenschaften sowohl die Beschreibung Einwanderungsgesellschaft (Bade 2013) als auch Migrationsgesellschaft (Broden/Mecheril 2007) verwendet. »Die Rede ist hier von ›Migrationsgesellschaft‹ und beispielsweise nicht von Einwanderungsgesellschaft, weil der Begriff Migration weiter als der der Einwanderung ist und dadurch einem breiteren Spektrum an Wanderungsphänomenen gerecht wird.« (Broden/Mecheril 2007: 7) In diesem Sinne geht der Begriff der postmigrantischen Gesellschaft noch einen Schritt weiter und stellt die Frage, wie eine Gesellschaft gedacht werden kann, in der Migration nicht die Demarkationslinie der Differenz darstellt, sondern die großen gesellschaftlichen Differenzlinien vor allem entlang der politischen Haltung zu Pluralität und zum Versprechen der pluralen Demokratie laufen.
Gesellschaftsbegriff Worauf basiert die Idee der Gesellschaf t in diesem Buch? Reicht schon die Vorstellung aus, eine Gemeinschaft zu sein, um im nächsten Schritt eine Gesellschaft zu bilden – wie Benedict Anderson die Kraft von ›imagined communities‹ (Anderson 1983) erklärt? Oder basiert die Idee auf einem entschiedenen Zusammenschluss, welcher erst eine ›gewollte Gesellschaft‹ formt, die sich dann wieder zu einer nächsthöheren Instanz, der Nation, zusammenfindet, wie Ferdinand Tönnies es beschreibt (Tönnies 1887)? Ist also Deutschland gemeint, wenn hier von postmigrantischer Gesellschaft die Rede ist? Oder sind einzelne imaginierte Subeinheiten angesprochen, die politisch für oder gegen an besseren Fachtermini in der deutschen Sozialwissenschaft. Zu den Kategorisierungsfallen und Ausschlussmechanismen des Begriffes vgl. Will (2018).
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eine plurale Demokratie eintreten, sich gesellschaftlich assoziieren und Allianzen bilden und dadurch eine plurale Gesellschaft entstehen lassen? In Anlehnung an Simmel ist tatsächlich beides gemeint: »Der Begriff der Gesellschaft deckt zwei, für die wissenschaftliche Behandlung streng auseinander zu haltende Bedeutungen. Sie ist einmal der Komplex vergesellschafteter Individuen, das gesellschaftliche geformte Menschenmaterial, wie es die ganze historische Wirklichkeit ausmacht. Dann aber ist ›Gesellschaft‹ auch die Summe jener Beziehungsformen, vermöge deren aus den Individuen eben die Gesellschaft im ersten Sinne wird.« (Simmel 1908: 4) Simmel verweist also ebenfalls auf die Makrodimension von Gesellschaft als komplexen Interaktionsraum, der Individuen konditioniert und sozialisiert, und er verweist gleichzeitig auf die Mikroebene und den kleinteiligeren Zusammenschluss von Individuen als Aushandlungsgrundlage dessen, was später Gesellschaft auf der Makroebene ist. Auch in diesem Buch wird Gesellschaft mehrdimensional verstanden: zum einen bezugnehmend auf Prozesse, wie politische Aushandlungen und rechtliche Anerkennung auf der Makroebene – also im weitesten Sinne die Transformation Deutschlands in ein Einwanderungsland bzw. eine Migrationsgesellschaft und die damit einhergehenden Veränderungen der Gesellschaft. Zum anderen werden Akteure und ihre Imaginationen und gewollte Zusammenschlüsse für die Bildung von Gesellschaft als grundlegend betrachtet. Hier finden kulturelle, soziale und identifikative Aushandlungen auch auf der Mikroebene statt und formen die deutsche Gesellschaft, die eben auch aus knapp 25 % Menschen mit Migrationshintergrund besteht (Statistisches Bundesamt 2018a). Auch Émile Durkheim vertrat eine eher transzendente Vorstellung von Gesellschaft, als er schrieb, dass »die Gesellschaft nicht eine einfache Ansammlung von Individuen ist, sondern ein Sein, das seine Besonderheit, sein Leben, sein Bewusstsein, seine Interessen und seine Geschichte hat« (Durkheim 1981: 41). Den Gesellschaftsbegriff vertiefter zu definieren, ist nicht Ziel dieses Buches. Da jedoch der Begriff der Gesellschaft im Titel angeführt ist, soll vermerkt sein, dass neben dem Simmel’schen Ansatz der ineinander übergreifenden Makro- und Mikro-Gesellschaft der Durkheimsche Ansatz, wonach das kollektive Bewusstsein (conscience collective) von Gesellschaften durch Erziehung in das Individuum hineingetragen wird und sich in dessen Moralvorstellungen, Sitten und Glauben widerspiegelt (ebd.), die Basis der postmigrantischen Gesellschaftsbeschreibung bildet. Die postmigrantische
Grundlagen und Kernthese
Gesellschaft wird angetrieben von einer conscience collective – einem übergeordneten Bewusstsein oder einer Selbstbeschreibung – die dieses Land als plurale Demokratie mit all ihren Normen wahrnimmt und beschreibt, aber gleichzeitig mit einer faktischen Ungleichheit, die dieser Norm widerspricht, umgehen muss. Die Norm der Demokratie bestimmt auf der einen Seite die Makrodimension – Deutschland ist laut Ewigkeitsklausel daran gebunden und Artikel 20 des Grundgesetzes (»Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat«) darf in seinem ursprünglichen Bestand und Sinngehalt nicht verändert werden. Dies ist im kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft verankert. Gleichzeitig wird auf der Mikroebene – also in der Gesellschaft – immer wieder neu ausgehandelt, was dies konkret bedeutet. In postmigrantischen Gesellschaften gesellt sich zur Aushandlung der Demokratienorm noch – quasi zur Extrapolation – die Aushandlung der Migrationsfrage, die sich mit dem Versprechen der pluralen Demokratie verwebt. Das kollektive Bewusstsein sei selbst in abweichendem, also regelwidrigem Verhalten erkennbar, so Durkheim, und beschreibe die Dynamik gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse zwischen Abwehr und Herstellung von Norm. Wenn die Abweichung in der Gesellschaft zur Regel wird, das kollektive Bewusstsein also nicht mehr in der Lage ist, für die Aufrechterhaltung der Norm zu sorgen, spricht Durkheim von ›Anomie‹. Dies bedeutet, dass sich die Gesellschaft vom ›Normalen‹ zum ›Pathologischen‹ verändert hat (Durkheim 1981: 41 ff.). Ausgangspunkt der Abschrift dieses Buches ist eine Normverschiebung in europäischen Gesellschaften und eine zunehmende Anomie. In fast allen Parlamenten Europas sind rechtspopulistische Parteien vertreten und die Erosion demokratischer Normen lässt sich am Umgang mit der Migrationsfrage, die vom Innenminister Deutschlands zur »Mutter aller politischen Probleme« (Seehofer 2018a) erklärt wurde, ablesen. Migration hat sich zur dominanten Chiffre für die Frage Europas nach seiner demokratischen Verfasstheit entwickelt. Die Migrationsfrage ist somit zur neuen sozialen Frage des 21. Jahrhunderts geworden – an ihr entscheiden sich Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, der Teilhabe und der kulturellen Selbstbeschreibung. Sie dient gesellschaftspolitisch als Proxy, also als stellvertretend dafür, ob die Zukunft Deutschlands und Europas offen, international und verantwortungsbewusst sein wird oder ob Abschottung, Isolation und Eigeninteressen das kollektive Bewusstsein prägen werden.
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Kennzeichen Der postmigrantische Zugang will keineswegs ein Ende der Migration ankündigen oder Migration als konf likthafte Kategorie in Frage stellen, im Gegenteil: Indem das ›post-‹ den Akt der Migration zum Ausgangspunkt der Analyseperspektive erklärt, der alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens berührt, eröffnet es auch die Perspektive, über den Migrationsmoment hinaus gesellschaftliche Transformationsprozesse zu analysieren und in Bezug zueinander zu setzen. Die postmigrantische Gesellschaft sei grob anhand von drei Beschreibungen konkretisiert: 1. Die Gesellschaft ist von der zurückliegenden Zuwanderung eines Teils der Bevölkerung geprägt und Migration ist politisch als konstitutiver Bestandteil der Gesellschaftsordnung anerkannt (MakroNorm). 2. Die Aushandlung der Migrationsfrage wird von zwei gegensätzlichen Positionen dynamisch angetrieben: von jener Seite, die die politische Anerkennung ausweiten möchte, und von jener, die sie einschränken will. Das führt zu neuen Allianzen und Antagonismen und zu einer Polarisierung der Gesellschaft rund um die Migrationsfrage (Mikro-Aushandlungen). 3. Eine Gesellschaft ist postmigrantisch, wenn es zunehmend schwieriger wird, sie in Migrant*innen und Nichtmigrant*innen zu unterteilen, und wenn jeder Versuch, die Trennschärfe wiederherzustellen und die zunehmende Hybridisierung und Ambivalenz einzudämmen, zum Anstieg rassifizierender Denkmuster führt und auf Kosten der demokratischen Norm geht (also eine Infragestellung der conscience collective und letztlich Anomien erzeugt). Die postmigrantische Gesellschaft ist von Ambivalenzen und Unübersichtlichkeit geprägt, was sie konf liktreich macht; gleichzeitig beinhaltet sie das Versprechen einer über das Migrantische hinausweisenden Utopie der Gleichheit, die außerhalb der Herkunft verhandelt wird (Foroutan 2016a). Der Titel »Die postmigrantische Gesellschaft« ist daher sowohl analytisch als auch programmatisch zu lesen: als Aufforderung zur Einsicht, dass Gesellschaften, in denen Pluralisierung zunimmt, nicht mehr ohne Weiteres in kategorialen Lesarten von Hinzukommenden und Im-
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mer-schon-Dagewesenen interpretiert werden können, dass also eine binäre Codierung zwischen Migrant*innen und Einheimischen analytisch unscharf wird, wenn die Gesellschaft sich zunehmend pluralisiert; und dass es genau diese Unschärfe ist – diese blurring boundaries, wie Andreas Wimmer (2008) sie nennt –, die zu einer zunehmenden Sehnsucht nach Eindeutigkeiten führt, welche die rechtspopulistische Stimmung antreibt. Um dieser zunehmenden Stimmung etwas entgegensetzen zu können, muss deutlich werden, dass die völkischen und nationalistischen Trennlinien, die angeboten werden, nicht die gesellschaftliche Komposition moderner Demokratien erfassen: Auch Einheimische können sich ›un-deutsch‹ fühlen, während Migrant*innen der dritten Generation die Frage danach, wo sie herkommen, oft kaum anders beantworten können als durch den Verweis auf ihren deutschen Stadtteil. Wie erwähnt, hat knapp ein Viertel der Bevölkerung in Deutschland einen sogenannten Migrationshintergrund, bei den schulpf lichtigen Kindern liegt dieser Anteil im Jahr 2018 bei 37 %. Zugehörigkeiten verschieben sich, Konf liktlagen ähneln sich, Bedarfe sind teilweise synonym bis identisch, etablierte Klassifizierungsmechanismen lösen sich auf. Auf diese zunehmende Pluralisierung wird ambivalent reagiert. Manche sehnen sich nach Eindeutigkeiten, als »Deutschland noch Deutschland« war, andere können sich ein anderes Lebensgefühl als »Deutschland ist bunt« nicht mehr vorstellen. In beiden Lagern finden sich auch Migrant*innen und ihre Nachkommen.
Geht es um Migration? Wir bewegen uns ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der bipolaren Weltordnung und nach jener dazwischenliegenden Periode, die von vielen Politikwissenschaftler*innen als neue ›Welt-Un-Ordnung‹ (Huntington 1998; Tibi 1998; Masala 2016; Zellner 2017) oder aber als Zeit der Heterogenität, der Vielfalt und Differenz, der Multikulturalität und superdiversity (Vertovec 2007; Yıldız 2009; Kymlicka 1999) bezeichnet wurde, wieder auf einen dominanten Dualismus zu. Die neue bipolare Bruchlinie hat sich von der außenpolitischen Blockkonfrontation in den Innenraum der europäischen Gesellschaften verlagert und richtet sich nach außen an der Frage der Migration und der Positionierung dazu aus. Die Frage des Umgangs mit Migration ist zu einer Chiffre für den Umgang mit Differenz, Hybridität und Ambiguität geworden und dient als grundsätzliche Metapher für den Umgang von Mehrheiten mit
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Minderheiten in pluralen Demokratien. Migration ist der Bruchpunkt unserer normativen Ordnung geworden und steht für die große Frage danach, wer ›wir‹ sind bzw. was wir vorgeben, glauben oder wünschen zu sein. Die Frage der Migration steht auch sinnbildlich für die Frage nach der Verwobenheit Europas in globale Ungleichheitsprozesse, nach der Selbstwahrnehmung als toleranter, demokratischer und den Menschenrechten verschriebener Kontinent. Die Migrationsfrage ist somit eine existentielle: Sie steht nicht nur für die Beschreibung von Wanderungsprozessen oder die Anpassungsleistung von Migrant*innen an die Ankunftsländer und ihre strukturelle, kulturelle, soziale oder identifikative Assimilations- oder Integrationsleistung. Die Migrationsfrage ist vielmehr zur Systemfrage geworden, an der sich Verunsicherung, Überforderung, Abwehr und Angst artikulieren, die von viel größeren Problemen handeln (Karakayalı/Mecheril 2018). Die Frage: »Wie hast du es mit der Migration?« ist also eine exemplarische, anhand derer die übergeordnete Frage danach, was die pluralen Demokratien zusammenhält, verhandelt werden muss. Die Idee der postmigrantischen Gesellschaf t verweist darauf, dass die Epoche der klaren kulturellen, ethnischen, religiösen und nationalen Selbsterzählungen zu Ende geht und dass die zunehmende Hybridisierung es nicht mehr zulässt, eine »deutsche Leitkultur«, einen »wahren Franzosen« oder eine scharfe Grenze zu definieren. Dort, wo die Hybridisierung der Gesellschaft durchbrochen wird und »Wahre Finnen«, »Schwedendemokraten« oder »Get back control«-Vorstellungen identitäre Klarheit zu erzeugen versuchen, werden auch etablierte demokratische Normen oder Systemstrukturen ins Wanken gebracht, wie der Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union verdeutlicht. Parallel geht die Epoche der geschlechtlichen Erzählungen zu Ende. Es gibt nicht mehr nur Männer oder Frauen, sondern vielzählige Geschlechter dazwischen. Die Zeit der binären Codierung der Welt löst sich auf. Das beschreibt die postmigrantische Gesellschaft. Das ›Post-‹ fordert ein, hinter die etablierten Migrationsdiskurse zu schauen, um migrationsabhängige und migrationsunabhängige Konf likte voneinander unterscheiden zu können. Eine postmigrantische Analyse erhebt den Anspruch, Migration als erklärende Variable für Alterität in Frage zu stellen und den Fokus auf herkunftsübergreifende Erklärungen für gesellschaftspolitische Kernkonf likte um Anerkennung, Chancengerechtigkeit und Teilhabe zu lenken. Der dynamische
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Aushandlungsprozess zwischen Empirie und Norm in pluralen Demokratien wird in der postmigrantischen Analyse als gesellschaftlicher Kernkonf likt in den Vordergrund gestellt. Zur Erinnerung, die zentrale These lautete: Der Kernkonf likt heterogener Gesellschaften dreht sich nicht um Migration, sondern um die Aushandlung und Anerkennung von Gleichheit als zentralem Versprechen der modernen Demokratien, die sich auf Pluralität und Parität als Grundsatz berufen. Auch Migrant*innen und ihre Nachkommen berufen sich auf dieses Versprechen und betreten die Aushandlungsarena als dynamische Akteure. Es handelt sich also um einen Demokratiediskurs, der die postmigrantischen Gesellschaften kennzeichnet. Die Omnipräsenz des Migrationsdiskurses verdeckt diesen zentralen Aushandlungskonf likt, der eben nicht nur Migranten betrifft.
Erkenntnistheoretische Zugänge – Wissen über postmigrantische Gesellschaften Wie dargestellt hat sich der Begriff des Postmigrantischen in den vergangenen zehn Jahren zunehmend in die Sozial- und Kulturwissenschaften ausgeweitet und zu einem gesellschaftsanalytischen Terminus entwickelt, der zeitdiagnostische Erkenntnisse ermöglichen soll (Nowicka 2018). Für das Verständnis von Gesellschaften, die durch und von Migration und Migrationsdiskursen geprägt sind und die sich zunehmend weiter pluralisieren, bietet die postmigrantische Analyse drei erkenntnisleitende Zugänge an, die quasi als toolbox eine postmigrantische Lesart von Gesellschaften ermöglichen sollen: (1) Das empirisch-analytische Potential der postmigrantischen Analyse liegt im Erkennen der Transformationsprozesse, die nach erfolgter Migration auf struktureller, kultureller, sozialer und identifikativer Ebene einsetzen. Der empirisch-analytische Zugang dient demnach sowohl einer Bestandsaufnahme der gesellschaftspolitischen Veränderungen im historischen Verlauf der jüngeren Einwanderungsgeschichte als auch dem Erfassen der vorherrschenden gesellschaftlichen Einstellungen und Haltungen bezüglich migrationspolitischer Fragen von symbolischer und materieller Zugehörigkeit. Es werden strukturelle, kulturelle, soziale und identifikative Differenzlinien und Anerkennungsdefizite erhoben und analysiert.
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(2) Der kritisch-dialektische Zugang bettet die empirischen Erkenntnisse in herrschende gesellschaftliche Bedingungen ein und ist somit kontextanalytisch von Bedeutung. Er untersucht anhand vorherrschender Diskurse um die Rolle, Position und Rechte von Migrant*innen und ihren Nachkommen in Deutschland strukturelle, soziale, kulturelle und emotional-identifikative Anerkennungsdefizite und stellt die Frage nach deren Grund: Was kann die Ursache für die Verwehrung gleicher Rechte sein? Inwiefern geht es um Konkurrenz, um die Sicherung von Privilegien und um das Aufrechterhalten von Machtpositionen? Das kritisch-dialektische Potential liegt in der Diskussion und Dekonstruktion etablierter Narrative und konzentriert sich auf die Frage, ob Migration wirklich das zentrale Element einer Konf liktdynamik darstellt oder ob dahinter andere Konf liktfaktoren verdeckt werden. Der dialektische Zugang trägt durch die Diskussion von Widersprüchen und die Suche nach Analogien zur (Re-)Interpretation von Interaktionsprozessen bei. Der dialektische Zugang ermöglicht es außerdem, Aushandlungsprozesse vor dem Hintergrund etablierter Machtstrukturen zu analysieren. (3) Das normativ-ontologische Potential der postmigrantischen Analyse, also ihr wertorientiertes, sozial-ethisches Ziel, liegt darin, auf das existentielle Dilemma zwischen Norm und Empirie aufmerksam zu machen und empirische Befunde zu Ungleichheiten in Demokratien mit der Vorstellung von einer gerechten Gesellschaft abzugleichen, um die Frage danach zu stellen, wie sehr die plurale Demokratie ihrem Versprechen der Gleichheit für alle – im Sinne des demokratischen Gleichheitsanspruches – nachkommt und welche Folgen das unerfüllte Versprechen für die gesellschaftliche Konf liktkomposition hat. Hierbei denkt die postmigrantische Analyse über etablierte Trennlinien in der Sozialforschung hinaus und nimmt die Gesellschaft als Ganzes in den Blick, statt sich auf etablierte Analysekonzepte von Migrant*innen versus Nichtmigrant*innen – häufig gerahmt als Minderheiten und Mehrheitsgesellschaft – zu konzentrieren. Die normative Positionierung der PmG-Analyse ergibt sich aus der Tatsache, dass das auf dem Spiel stehende Gut die Aushandlung der gleichen Rechte ist. Diese drei etablierten allgemeinen politikwissenschaftlichen Theoriezugänge gelten zwar mittlerweile als analytisch wenig anspruchsvoll und veraltet sowie als keineswegs trennscharf (Beyme 2000). Trotz-
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dem kann im Zusammenführen dieser drei erkenntnistheoretischen Zugänge ein Potential für die zerstrittene Migrationsforschung liegen, die sich an der analytischen Erfassung zunehmend heterogener Gesellschaftsstrukturen in unterschiedlichen Lagern aufreibt. Eine hybride Gesellschaftsanalyse, die gleichzeitig empirisch und normativ ist, konstruktivistische und dekonstruierende Zugänge wählt, kritisch auf etablierte Zustände schaut und dabei dialektische Aushandlungen rund um das Zusammenleben in heterogenen Gesellschaften besonders in den Fokus nimmt, reagiert auf eine in der Migrationsforschung schon länger zu beobachtende Lagerbildung zwischen einem vorrangig quantitativ, empirisch-analytisch forschenden Lager, das überwiegend aus Soziolog*innen und Politikwissenschaftler*innen besteht, und einem rassismuskritischen, dekonstruktivistischen Lager, dem Normativität und somit Distanzlosigkeit vorgeworfen wird. In diesem Feld sind vor allem Kultur- und Erziehungswissenschaften sowie Ethnologie und Anthropologie präsent. Mit sehr unterschiedlichen, sich teils deutlich widersprechenden Prämissen, Methoden und Fragen nähern sich die Kolleg*innen dem Forschungsgegenstand der durch Migration pluralisierten Gesellschaft an. Da die Auseinandersetzung mit dem Feld Migration transdisziplinär und widersprüchlich ist, erlaubt sich die postmigrantische Analyse einen kombinatorischen Zugang über erkenntnistheoretische Wege, die sich augenscheinlich widersprechen. Dies wird von der Annahme getragen, dass in diesem multiparadigmatischen Zugang und Vielklang von Methoden und Positionen der Schlüssel zum Verständnis pluraler Demokratien liegt – vielleicht sogar, dass die Analyse pluraler Demokratien in all ihrer Unübersichtlichkeit und Hybridität nur durch eine methodische und erkenntnistheoretische Hybridität zu bewerkstelligen ist. Eine postmigrantische Perspektive richtet also empirisch-analytisch den Blick auf die Dynamik des Wandels und die Folgen der Transformationsprozesse für die gesamte Gesellschaft und verlässt somit die jahrelange Fixierung auf »die« Migrant*innen als vorrangige Adressaten von Integration. Mit der kritisch-dialektischen Ref lexion der Debatten rund um die Konstruktion des migrantischen Anderen lenkt die postmigrantische Perspektive die Gesellschaftsanalyse gezielt auf Fragen der ökonomischen, geschlechtsspezifischen, machtorientierten, kulturell und ethnisch bzw. rassistisch legitimierten Ungleichheit und die normative Kernfrage, wie wir in zunehmend pluralen Gesellschaften zusammenleben wollen.
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Dynamik und Prozesshaftigkeit Gegenstand einer postmigrantischen Gesellschaftsanalyse sind die Prozesse und Dynamiken, die eintreten, wenn Migration zu einem Bestandteil zentraler Lebens- und Erfahrungsbereiche einer Gesellschaft geworden ist. Wenn die Gesellschaft über Politiken, Diskurse, Sichtbarkeiten, Freundeskreise, Partnerschaften, Konsumgewohnheiten, Sport, Kulturproduktion, Medien etc. als Ganzes durch »Erfahrung der Migration strukturiert ist«, wie Vassilis Tsianos und Juliane Karakayalı (2014: 34) schreiben, dann sind zwar Konf liktlinien zwischen neu Hinzugekommenen und jenen, die schon länger hier sind – also zwischen Etablierten und Außenseitern, wie Norbert Elias (Elias/Scotson 2002) die Konf liktlinien beschreibt –, weiterhin präsent. Sie gehören jedoch in ihrer binären (Migrations-)Logik in Frage gestellt: Denn die, die schon länger hier sind – also die Etablierten –, können auch Migrant*innen sein, wie sich z. B. in Abwertungen von neu hinzugekommenen Gef lüchteten durch Migrant*innen der ersten Generation erkennen ließ (Matic 2016). Die analytische Kategorie der Etabliertenvorrechte bleibt dabei weiterhin konsistent, sie verweist jedoch auf immer neue positionale Veränderungen in der Gesellschaft. Die Unterscheidungskriterien und Stratifikationslinien der Ungleichheit in Gesellschaften strukturieren sich üblicherweise entlang der drei Kernfelder race, class und gender (Collins 2016; Rothman 2004). Diese werden durch die derzeit überdimensionierte Kategorie der Migration gekreuzt, also intersektional verbunden. Das schwächt gleichzeitig ihre eigene analytische Erklärungskraft. Wenn alles mit Migration oder Migrationshintergrund erklärt wird, verschwindet z. B. die analytische Schärfe der Kategorie Klasse. Sind Kinder von türkeistämmigen Einwanderern weniger in Hochschulen vertreten, weil sie Migrant*innen sind, oder weil sie Kinder aus Arbeiterfamilien sind? Auch Gender als Stratifikationsmerkmal wird oft durch die Migrationsüberlagerung unsichtbar: Sind Frauen mit Migrationshintergrund weniger in Elitepositionen vertreten, weil sie aus migrantischen Familien kommen, oder weil Positionen in höheren Gehaltsstufen für Frauen noch immer schwieriger zugänglich sind als für Männer? Ist Sexismus ein Problem, das durch Migration in die Gesellschaft hineingebracht wird, oder werden eigene sexistische Traditionen durch den Verweis auf Migrant*innen relativiert und dadurch gestärkt? Auch die Rassismusfrage wird teilweise durch die Migrationsfrage überlagert: Sprechen wir
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von Migration, wenn wir Migrationshintergrund sagen, oder sprechen wir von rassifizierten Personen? Denn nur wenige haben bei der Bezeichnung Migrationshintergrund die Kinder schwedischer oder britischer Einwanderer vor Augen. Die meisten denken dabei an Kinder arabischer, muslimischer, Schwarzer 5 Menschen – also phänotypisch sichtbare oder am Namen erkennbare Personen aus Ländern, die hierarchisch abgewertet werden und als mit Deutschland »kulturell inkompatibel« im kollektiven Bewusstsein verankert sind. Vergessen wird dabei interessanterweise, wie lange »der Franzose«, »der Russe«, »der Amerikaner« als kulturell inkompatibel galt (Gienow-Hecht 2006; Peter 2001). Dabei leben gerade Schwarze Deutsche teilweise in fünfter Generation in Deutschland – viele von ihnen sind also keine Migrant*innen (Kantara 2000). Wie bereits beschrieben, ist nicht alles Migration, woran das ›Migrationsschild‹ klebt. »Aus einer postmigrantischen Perspektive müsste man davon wegkommen, das Migrantische an Personen und Bevölkerungsgruppen festzumachen«, schreibt daher der Schweizer Historiker Kijan Espahangizi 2017 treffend. »Stattdessen ginge es darum, eine Gesellschaft zu analysieren, die zwar – bildlich gesprochen – insgesamt längst ›Migrationsvordergrund‹ hat, ohne dass sich dies jedoch angemessen in den gesellschaftlichen Selbstbildern und Teilhabestrukturen widerspiegelt.« Mit dem Fokus auf zentrale Akteure und Prozesse, welche die Dynamik in heterogenen Gesellschaften kennzeichnen, wird es möglich, eine Konf likt- und Gesellschaftsanalyse auch unabhängig von migrantischnichtmigrantischen Dichotomien einzuführen. Es geht nicht darum, dort diese Konf liktlinien zu negieren, wo Migrationserfahrungen oder -bedingungen tatsächlich ursächlich sind. Jedoch wirkt es nicht mehr zielführend, empirische Erklärungen über soziale Ungleichheit, Mobilität oder Partizipation vorrangig an einer Analyse des Migrationshintergrundes zu orientieren. Zu divers sind mit der Zeit die Milieus und Herkünfte, das soziale Kapital und die Migrationsbiographien geworden. Es geht vielmehr darum, den analytischen Blick auszuweiten, zusätzliche erklärende Variablen einzubringen und Orientierungshypothesen vorzuschlagen, die in Zukunft empirisch überprüft werden können. 5 Zur Großschreibung des Adjektivs ›schwarz‹: »Schwarz wird großgeschrieben, um zu verdeutlichen, dass es sich um ein konstruiertes Zuordnungsmuster handelt, und keine reelle ›Eigenschaft‹, die auf die Farbe der Haut zurückzuführen ist. So bedeutet Schwarz-sein in diesem Kontext nicht nur, pauschal einer ›ethnischen Gruppe‹ zugeordnet zu werden, sondern ist auch mit der Erfahrung verbunden, auf eine bestimmte Art und Weise wahrgenommen zu werden.« (Schearer/Haruna 2013)
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Die PmG-Analyse schlägt daher vor, 1. Prozesse von Anerkennung und Aushandlung, 2. Ambivalenz- und Ambiguitätspositionen sowie 3. Antagonisten und Allianzen in den Blick zu nehmen, um eine Analyse gesellschaftlicher Transformationsprozesse in pluralen Demokratien in ihrer gesamtgesellschaftlichen Dynamik zu ermöglichen. Diese drei ineinandergreifenden Dimensionen von Akteuren, Prozessen und Effekten bilden die zentrale Struktur des vorliegenden Buches und werden in drei Hauptkapiteln theoretisch eingeführt und mit eigenen empirischen Befunden und exemplarischen Ergebnissen anderer sozialwissenschaftlicher Studien unterlegt. Normative und kritisch-dialektische Ref lexionen grundieren die Kapitel.
Veranschaulichung – Die fünf A’s der postmigrantischen Gesellschaftsanalyse Das folgende Schaubild (Abbildung 1) soll die Interaktion der fünf Kernkonstrukte der postmigrantischen Gesellschaftsanalyse – Anerkennung, Aushandlung, Allianz, Antagonismus und Ambivalenz – und ihre Bezugspunkte zum Versprechen der pluralen Demokratie nachvollziehbar machen. Es fasst die Dynamik der postmigrantischen Gesellschaft zusammen und verdeutlicht, in welchem Spannungsverhältnis sie steht. Der Nukleus, um den sich alles dreht und der die Dynamik der postmigrantischen Gesellschaft antreibt, ist also das Versprechen der pluralen Demokratie. Die postmigrantische Gesellschaft ist daher gekennzeichnet durch (1) eine polarisierte Akteurskonstellation (Antagonisten und Allianzen) auf der einen und (2) eine sich ebenfalls aufeinander beziehenden Prozesskonstellation (Aushandlung und/von Anerkennung) auf der anderen Seite. Die widersprüchliche Interaktion von Prozessen und Akteuren erzeugt (3) einen ambivalenten Effekt, der sich verunsichernd auf jenen Teil der Bevölkerung auswirkt, der Pluralität abwehrt und dynamisch auf einen anderen Teil der Bevölkerung, der Pluralität befürwortet. Dazwischen gibt es weniger trennscharfe Positionierungen, die für eine zusätzliche Dynamik sorgen, da sie sich je nach Mobilisierungsgrad und gesellschaftlichem Topos auf die eine oder andere Seite schlagen können. Auch das erhöht die Ambivalenz
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und die Ambiguität in der postmigrantischen Gesellschaft. Grob gesagt: Alles kreist um das Gleichheitsversprechen der pluralen Demokratie. Diese verspricht normativ, dass alle Bürger*innen gleichermaßen an den Ressourcen und Gütern der Gesellschaft beteiligt werden sollen. Das Versprechen ist nur durch eine Integrationspolitik für die gesamte Gesellschaft einzulösen – in Anlehnung an Rousseaus Gesellschaftsvertrag braucht es daher einen ›Integrationsvertrag für alle‹! Integration ist hier gemeint als messbare Teilhabe aller an den zentralen Gütern und Ressourcen der Gesellschaft (Bade 2013). Damit sind nicht nur ökonomische und soziale Güter gemeint, sondern auch symbolische, identifikative und kulturelle. Das unterscheidet die Integrationsforschung von der Ungleichheitsforschung, die sich vor allem auf soziale und ökonomische Ungleichheiten konzentriert und dabei die kulturelle und identifikative Teilhabe latent vernachlässigt – aber gerade diese werden derzeit besonders stark eingefordert (Lamont 2018). Die auf Abbildung 1 dargestellte Interaktion der fünf Kernkonstruk te der PmG-Analyse ist wie folgt zu verstehen: • Die Dynamik der Transformation entsteht dadurch, dass das Versprechen der Gleichheit – einmal im Raum – offensiver von marginalisierten Gruppen eingefordert wird und die Aushandlung von Rechten, Positionen und Privilegien auf Basis der legitimen Vorstellung geschieht, dass das GG in Artikel 3 einen Gleichheitsgrundsatz formuliert, der auch für Minderheiten gilt. • Dafür gewinnen die marginalisierten Gruppen Allianzen – denn alleine haben sie weder Macht noch Ressourcen, das zu tun. Die Allianzpartner*innen sind nicht unbedingt ebenfalls marginalisiert. Sie können auch zur Dominanzgesellschaft gehören. Es können sich aber auch marginalisierte Gruppen zu einer strategischen Allianz zusammenschließen. • Gemeinsam erzielen sie Aushandlungsgewinne im Recht auf Anerkennung. Diese Positionserrungenschaften verändern die Gesellschaft sowohl strukturell-institutionell (Einrichtung neuer Verbände oder neuer Behörden, z. B. der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, neue Gesetze, wie Reform der Staatsangehörigkeit), als auch sozial (binationale Ehen, Nachbarschafts- und Freundschaftsverhältnisse, Vereinslandschaft etc.), kulturell (Sprache, Religiosität, Normen – z. B. Diversität als Norm) und identifikativ (nationale Identität, Zugehörigkeit, Heimat).
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• Dagegen begehren unterschiedliche Gruppen auf und stellen sich als Antagonisten gegen die Allianzpartner und die marginalisierten Gruppen sowie gegen die bereits errungenen Anerkennungsgewinne und im weitesten Sinne gegen das Recht, diese überhaupt auszuhandeln. Manche begehren auf, weil es einen Ressourcenkonf likt gibt und sie um Arbeit, Bildung und andere Güter konkurrieren, andere, weil sie um ihre symbolischen oder kulturellen oder ökonomischen Privilegien fürchten. • Dieser ganze Prozess treibt die postmigrantische Gesellschaft dynamisch an und erzeugt dabei einen Raum erhöhter Ambivalenz: zum einen, weil es im Zuge der Aushandlung von Anerkennung zu einem Widerspruch zwischen kognitiver Akzeptanz und emotionaler Distanz kommt – man ist bereit, Rechte abstrakt einzuräumen, aber wenn es konkret wird, dann zieht man zurück, was eine spannungsreiche kognitive Dissonanz erzeugt; zum anderen, weil sich der Akteursraum pluralisiert und hybridisiert und gewohnte Konstellationen, Allianzen, Grenzen und Beziehungszusammenhänge sich auf lösen oder neu ausrichten (blurring boundaries). Abb. 1: Das dynamische Kernmodell der postmigrantischen Gesellschaf t (pmG-Kernmodell)
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Zusammengefasst: Der Kernkonf likt in postmigrantischen Gesellschaften dreht sich nur an der Oberf läche um Migration – tatsächlich ist der Konf likt jedoch angetrieben von der Aushandlung und Anerkennung von Gleichheit als zentralem Versprechen der pluralen Demokratien. Dieses Versprechen treibt die soziale Mobilität und den Demokratieglauben auch von unterrepräsentierten Gruppen an und gilt dementsprechend auch für Migrant*innen und ihre Nachkommen. Pluralität und Parität als Grundsatz werden von einem Teil der Gesellschaft als legitim erachtet und als sinnstiftender Endpunkt der Demokratie politisch eingefordert und ausgehandelt, was eine progressive Dynamik in Gang setzt. Dieser pluralitätsbefürwortende Teil der Gesellschaft bildet eine Allianz aus dominanten und nicht-dominanten Gruppen, um gemeinsam Anerkennungsziele auszuhandeln. Ein weiterer Teil der Gesellschaft lehnt dieses Versprechen ab, bzw. sieht den Anspruch der eigenen Gruppe als vorrangig an. In dieser pluralitätsabwehrenden Gruppe finden sich ebenfalls Akteure aus dominanten und nicht-dominanten Gesellschaftspositionen. Es entfaltet sich also zeitgleich eine progressive und regressive Dynamik, was eine akute Ambivalenz erzeugt. Während Rechte von Minderheiten erkämpft, anerkannt und umgesetzt werden – findet gleichzeitig diskursiv und machtpolitisch eine Abwehr der Forderungen statt, womit wieder Rückschritte einhergehen. Wir können also von einer stark polarisierten, ambivalenten Gesellschaft sprechen.
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I. Anerkennung und Aushandlung Der Kampf um gleiche Rechte Vom normativen Anspruch zur empirischen Wirklichkeit In Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten politisch und gesellschaftlich eine kontinuierliche Aushandlung in der Anerkennung der Migrationsfrage zu beobachten. Während dabei die ersten 25 Jahre nach dem Anwerbeabkommen von 1955 vor allem von der Annahme geprägt waren, die eingewanderten Migrant*innen würden wieder in ihre alte Heimat zurückkehren, waren die darauffolgenden 25 Jahre politisch von der Abwehr dagegen geprägt, einzugestehen, ein Einwanderungsland geworden zu sein. Erst die beginnenden 2000er Jahre und besonders das Jahrzehnt nach dem ›Integrationsgipfel‹ 2006, auf dem die deutsche Politik auf Drängen der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel erstmals eine konzertierte staatlich gesteuerte Integrationspolitik entwarf, kann als eine sehr dynamische Phase betrachtet werden, in der die deutsche Gesellschaft ihre Migrationsrealität aktiv ausgehandelt und in Teilen politisch anerkannt hat. Diese Aushandlung und Anerkennung der Migrationsrealität hat bestehende Ungleichheiten zugleich sichtbar gemacht und in Frage gestellt, was zu den starken politischen Spannungen und gesellschaftlichen Positionskämpfen geführt hat, die unsere heutige polarisierte Zeit kennzeichnen. Migration ist nach demographischen Parametern zu einem Wesensmerkmal der gesellschaftlichen Realität geworden. Wie zuvor beschrieben, hat sich Deutschland zunehmend zu einer Einwanderungsgesellschaft entwickelt, nicht nur demographisch, sondern seit der Zuwanderungskommission 2001 (der sogenannten ›Süssmuth-Kommission‹) und dem daraus folgenden Zuwanderungsgesetz von 2005 (BGBl 2004: 1950) auch politisch. So sind Migration und Einwanderung als konstituierende gesellschaftliche Basis politisch anerkannt, sie kön-
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nen nicht mehr geleugnet werden, auch wenn sie zum Teil gesellschaftlich massiv in Frage gestellt werden. Was wir seit 2001 vermehrt beobachten können, sind daher Aushandlungs- und Anerkennungsprozesse, die sich gegenseitig bedingen, zeitgleich oder kontinuierlich aufeinanderfolgend stattfinden und immer in einem reziproken Zusammenhang zueinander stehen. Ausgehandelt und anerkannt wird dabei nicht weniger als das Einlösen des demokratischen Versprechens der Gleichheit, verbunden mit der Vorstellung von Anerkennung und Teilhabegerechtigkeit (vgl. Kapitel »Grundlagen«, Unterkapitel »Das politische Versprechen«). Integration ist dabei bislang ein Paradigma gewesen, das vor allem auf eine Bringschuld der Migrant*innen hinwies. Dieses Paradigma hat sich zunehmend ausgeweitet und wird nun auf breitere Teile der Gesellschaft bezogen und dadurch zu einer Holschuld umdefiniert: Wenn Kindern aus Einwanderungsfamilien, Frauen, ostdeutschen Menschen, Transmenschen, Arbeiterkindern oder Menschen mit Behinderung der Zugang zu gesellschaftlichen Positionen gleichermaßen erschwert ist, dann liegt es auf der Hand, nach systemischen Anerkennungsdefiziten zu fragen. In diesem Kapitel sollen zunächst kursorisch einige anerkennungstheoretische Prämissen herangezogen werden. Exemplarische empirische Befunde sollen sodann die bestehenden Anerkennungsdefizite greif bar machen, die sowohl strukturell als auch kulturell, sozial und identifikativ nachweisbar sind. Die empirischen Befunde verdeutlichen, welches die Anerkennungslage der postmigrantischen Aushandlungsprozesse sind und welche Kämpfe der Anerkennung auf dem Weg zum Gleichheitsversprechen noch auszufechten sind.
Anerkennungstheoretische Prämissen Axel Honneth beschreibt den Kampf um Anerkennung als einen zentralen Treiber sozialen Wandels, denn die Sehnsucht, Suche und Forderung danach wirken persönlich und kollektiv sinnstif tend (Honneth 1992). »Anerkennung bezeichnet […] den Akt, in dem zum Ausdruck kommt, dass die andere Person Geltung besitzen soll [und] die Quelle von legitimen Ansprüchen ist« (Honneth 2003: 15), schreibt Honneth und rückt somit Anerkennung sowohl in einen rechtlichen wie in einen existentiellen Bereich – beides zunächst normative Ebenen. Sein philosophischer Zugang zu Anerkennung als Streben nach Liebe, Recht und sozialer Wertschätzung beschreibt zudem sowohl
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einen personalen als auch einen gruppensoziologischen Interaktionsmechanismus. Paul Ricœur fügt dem noch einen dritten Grad hinzu und übersetzt Anerkennung als einen Dreiklang aus Erkennen, Wiedererkennen und Anerkanntsein, woraus eine quasi deterministische Perspektive folgt: Wir können nur etwas erkennen und anerkennen, wenn wir uns selbst darin wiedererkennen und wenn wir selbst erkannt und anerkannt werden (Ricœur 2006). Dies erhöht den Druck, auch in gesellschaf tlichen Positionen sichtbar und repräsentiert zu sein. Wenn Angehörige nicht-dominanter Gruppen sich selbst im breiten gesellschaf tlichen Spektrum nicht wiedererkennen, weil sie keinen Zugang zu sichtbaren oder repräsentativen Positionen haben, dann entsteht ein Anerkennungsdefizit. Außerdem wird das Moment verwehrt, von der hegemonialen Seite als soziale Gruppe, die zur Gemeinschaf t dazugehört, erkannt und wiedererkannt zu werden. Dadurch wird das Anerkanntsein blockiert, was mit dem bestehenden Normenverständnis der pluralen Demokratie kollidiert und ein normatives Paradoxon auslöst, welches wiederum zu gesellschaf tlichen Spannungen führt. Analog dazu löst auch die Repräsentationslücke für andere nicht-dominante Gruppen Spannungen aus, wie die Debatten um eine Frauenquote in Dax-Unternehmen oder eine Ostdeutschen-Quote in Elitepositionen zeigen. Die Vorstellung, dass bestimmte Erfahrungen für Individuen vergleichbar oder sogar generalisierbar sind, erhebt das Streben nach Gleichheit in der Anerkennung somit zu einem intersubjektiven Kriterium und ist in der Moderne in einen Konsens der Forderung nach Gleichheit gemündet, welche sich politisch z. B. in der Erklärung der Allgemeinen Menschenrechte oder in diversen Verfassungstexten weltweit widerspiegelt, z. B. in Artikel 3 der deutschen Verfassung (vgl. Kapitel »Grundlagen«, Unterkapitel »Die plurale Demokratie«). Das Gleichheitsstreben konkurriert gesellschaftspolitisch mit dem Freiheitsstreben, denn Gleichheit ist mit mehr Regulation verbunden, was Freiheitsprämissen widerstrebt. Nicht eingedämmte Ungleichheiten können jedoch ab einem bestimmten Grad dysfunktional auf Gesellschaften wirken, soziale Spannungen erzeugen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden (Piketty 2013). Armin Nassehi beschreibt in diesem Sinne die Forderung nach Gleichheit als eine Forderung nach Symmetrie (Nassehi 2004), womit gleichere Gesellschaften als ausgeglichener imaginiert werden. Asymmetrien hingegen deuten auf Unausgeglichenheit hin und gründen laut Pierre Bourdieu
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auf ungleicher Verteilung und ungleichen Zugängen zu ökonomischem, kulturellem, sozialem und symbolischem Kapital. Die Bündelung dieser Kapitalressourcen und ihre ungleiche Verteilung in der Gesellschaft definieren Macht und Privilegien und erzeugen Interdependenzen – wer ökonomisches Kapital besitzt, kann Arbeit vergeben oder sie verwehren; wer kulturelles Kapital besitzt, hat nicht nur Zugang zu Sprache und Hochkultur, sondern kann Diskurse und somit Realitäten erzeugen; wer soziales Kapital hat, kann Freundschaften und Netzwerke anbieten oder entziehen; wer symbolisches Kapital besitzt, kann über Zugehörigkeiten bestimmen oder sie negieren (Bourdieu 1992). Insofern fordern postkoloniale Zugänge einen Ausgleich dieser Machtungleichheit und erweitern dabei die materielle Dimension der Asymmetrie um die symbolische Dimension ungleicher Anerkennungsverhältnisse (Fanon 1966; Said 1978; Spivak 1990). Damit wird ein Grundstein für moderne Identitätspolitik gelegt, der an Ricœur anschließt: Indem die Forderung nach Sichtbarkeit (als Erkennen) aufgenommen und in einen politischen Claim gewendet wird – was sowohl einen Anspruch als auch eine Forderung ref lektiert –, wird erst die Positionalität als politisches Subjekt eingenommen und dann ein Wiedererkennen als demokratisches Subjekt erzwungen, welches Forderungen stellen und Repräsentation einklagen kann. Daraus ergeben sich konkrete Forderungen z. B. nach Quoten und anderen ausgleichenden Maßnahmen (af firmative action). Dabei rückt auch die Anerkennung von Differenz und Identität in den Fokus, die sich nicht nur über sexuelle und geschlechtliche Differenzakzeptanz, sondern auch über ethnische und migrationsbezogene Diversität artikuliert (Benhabib 2002; Butler 1991; Kymlicka 1995; Taylor 1993). Bereits Charles Taylor hält die destruktiven gesellschaftlichen Folgen ungewährter Anerkennung fest, wenn er schreibt: »Nichtanerkennung […] kann eine Form der Unterdrückung sein, kann den Anderen in ein falsches deformiertes Dasein einschließen.« (Taylor 1993: 13) Taylor geht davon aus, dass Anerkennung ein menschliches Grundbedürfnis ist und daher auch staatlich einklagbar sein sollte, so wie andere Primärgüter auch. Anerkennung wäre demnach vergleichbar mit Meinungsfreiheit, Rechts- und Einkommenssicherheit oder Gesundheitsversorgung (ebd.: 15). Dabei geht Taylor noch einen Schritt weiter und fordert die Anerkennung von Dif ferenz als ein weiteres zentrales
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Ziel pluraler Demokratien aufzunehmen.1 Für eine egalitäre Anerkennung fordert er umfangreiche Sonderrechte und Minderheitenschutz, die den Fortbestand nicht-dominanter Gruppen in ihrer Besonderheit sicherstellen sollen (ebd.: 28). Die Frage der Anerkennung ist demnach als eine zentrale politische Triebkraft unserer Zeit zu lesen, was Honneths Position zu bestätigen scheint. Eine prononcierte Kritik an Honneths Anerkennungskonzept wird von Nancy Fraser geäußert, die seinem Konzept vorwirft, den Kampf um Anerkennung zu sehr auf die persönliche Dimension der identitären Anerkennung verlagert zu haben (Fraser/Honneth 2003). Tatsächlich definiert Honneth Anerkennung in den drei Bereichen Liebe, Recht und Solidarität vor allem mit Folgen für das Individuum: Anerkennungsgewinne in den drei genannten Feldern führen demnach zu Selbstvertrauen, Selbstachtung und Selbstwertgefühl (Honneth 1992: 271). Frasers Vorwurf lautet, dass durch die Konzentration auf das Individuum Fragen von gesellschaftlicher Machtkonzentration und ökonomischer Ungleichheit ausgeblendet werden – denn die drei individualen Anerkennungsfelder können auch bei gleichzeitiger gesellschaftlicher Ungleichheit erfüllt sein. Die Anerkennung der gleichen Rechte von Frauen in Artikel 3 GG sowie entgegengebrachte Liebe und Solidarität können z. B. nicht darüber hinwegtäuschen, dass Frauen immer noch deutlich weniger verdienen als Männer im gleichen Beruf und dass sie deutlich weniger in Elitepositionen vertreten sind. Frasers moralphilosophische Forderung lautet dabei, die individuale Anerkennung mit der Forderung nach sozialer Gleichberechtigung und Teilhabe zu verbinden. Ihre Forderung ist demnach die Verschränkung der Klassenfrage, also der ökonomischen Frage, mit den Differenzlinien Gender und race als kultureller Frage. Die Kritik lautet, die Emanzipation und Sichtbarwerdung marginalisierter Gruppen sei zu stark identitätspolitisch aufgeladen worden und habe zentrale Konf likte um Klasse und Kapital überlagert und unsichtbar gemacht. (Lilla 2017, Nachtwey 2016, Pfaller 2018). Diese Identitätspolitik sei von den »Anywheres« und Kosmopoliten unterstützt worden, die überall auf der Welt zu Hause sein können und habe Fragen der materiellen Ungleichheit und der Ausbeutung der Lohnarbeit der »Somewheres« (Goodhart 1 Taylor spricht dabei nicht von pluralen Demokratien, sondern von multikulturellen Gesellschaften. Seine diesbezüglichen Prämissen bilden die Grundlage der Selbstbeschreibung und Politikausrichtung Kanadas.
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2017), also der Verwurzelten, weniger mobilen Lohnarbeiter*innen, zur Seite gedrängt und dadurch die vergessenen »angry white men« (Kimmel 2013) zu einem kommunitaristischen Protest gegen eine vermeintlich hegemoniale und entkoppelte kulturelle Moralität angestachelt. Um den geteilten Lagern der ›Ökonomisten‹ und der ›Kulturalisten‹ ein konstruktives Angebot zu machen, nimmt Michèle Lamont Frasers Kritik auf, indem sie fordert, die Prämissen der Ungleichheitsforschung mit den Kulturwissenschaften zu verbinden. Während erstere die soziale Frage vorrangig um Klassenfragen und Stratifikation gruppiert und eine Verteilungsungleichheit (distribution gap) als Kernelement gesellschaftlicher Verwerfungslinien erkennt, konzentriert sich letztere vor allem auf ein kulturelles Anerkennungsdefizit (recognition gap) und sieht symbolische und affektive trade-of fs als Treiber gesellschaftlicher Dynamik (Lamont 2018). Anstatt diese beiden Ansätze in Konkurrenz zu sehen, zeigt Lamont auf, wie Anerkennungsdefizite und symbolische Grenzziehungen das physische und subjektive Wohlbefinden auf individueller und Gruppenebene beeinf lussen können. Sie fordert daher ein interdisziplinäre und systematische Analyse von recognition gaps und deren Wechselbeziehung zu anderen Formen der Ungleichheit: »I suggest that we should now tackle ›recognition gaps,‹ defined as ›disparities of cultural membership between groups,‹ with the goal of extending cultural membership to the largest number. This could positively affect collective well-being (Hall/Lamont 2013) […] and the quality of social life more generally.« (Lamont 2018: 423) In der postmigrantischen Gesellschaft bleiben die dominanten Konf liktlinien der Aushandlung sozialer Gleichheit weiterhin rund um die ökonomische Frage gruppiert, jedoch werden sie f lankiert von emanzipativen, identitären Gleichheitskämpfen, z. B. der Gleichberechtigung der Geschlechter oder der Ablehnung von Rassismus und Diskriminierung in all ihren kulturellen, ethnischen, religiösen, nationalen und klassenspezifischen Spielarten. »Class«, »race« und »gender« bleiben also unweigerlich miteinander verwoben. Der Vorwurf, die Identitätspolitik der letzten Jahre hätte sich nur auf die beiden Letzteren konzentriert, ist empirisch fraglich, weil soziale Gruppen, die unter den Konsequenzen von Geschlechterungleichheit oder ethnischer, religiöser und kulturrassistischer Diskriminierung leiden, statistisch gesehen auch am stärksten von sozialer Ungleichheit betroffen sind (Gieesecke et al. 2017). Grundsätzlich ist die Migrationsfrage nicht von der Klassenfrage zu trennen. »Die da unten« sind also schon lange auch
I. Anerkennung und Aushandlung
»die Frauen« und »die Migranten« – und für diese sozialen Gruppen ist Antidiskriminierungs- oder Genderpolitik keine kosmopolitische Gesinnungsethik, sondern handfeste Interessenvertretung und Anti-Ungleichheitspolitik.
Dynamik der Aushandlung Die Forderung nach Anerkennung führt implizit auch die Erwartung von Chancengleichheit und die Ermöglichung von Teilhabe mit an und lässt somit systemrelevante Transformationen und politischen Widerstand erwarten, wenn diese Forderungen nachweislich unerfüllt bleiben. Die existentielle Frage lautet hier: Was zieht es eigentlich für Konsequenzen für die eigene Rolle und Position nach sich, wenn jedem Bürger und jeder Bürgerin, gleich welcher Herkunft, die gleichen Rechte zustehen sollten und Etablierten nicht mehr Rechte zustehen dürften als Neubürger*innen? Marginalisierte, nicht-dominante oder sozial benachteiligte Gruppen beginnen, auf Basis des Versprechens der pluralen Demokratie ihre »messbare Teilhabe […] an den zentralen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, das heißt an Erziehung, Bildung, Ausbildung, Arbeitsmarkt, Recht, Sozialem bis hin zur politischen Partizipation« (Bade 2013) einzufordern. Wenn Ungleichheit politisch als illegitim betrachtet wird, werden die bestehenden Ansprüche offensiver ausgehandelt. Die Aushandlung von Anerkennung ist demnach ein zentraler dynamischer Treiber gesellschaftlicher Veränderungen. Die aktive Aushandlung von Rechten und Privilegien, aber auch von kultureller Hegemonie und Zugehörigkeit geht immer auch mit gesellschaftlichen Konf likten einher, die durch die Spannung zwischen Akzeptanz und Ablehnung der gestellten Forderungen auftreten: Migrant*innen und ihre Nachkommen verlangen mehr repräsentative, sichtbare Positionen in Politik, Kultur, Medien, öffentlichem Dienst etc., vor allem jedoch handeln sie die im Grundgesetz angelegten Versprechen der pluralen Demokratie aus: insbesondere jenes Versprechen der Gleichheit aller Bürger*innen vor dem Recht. Dazu gesellen sich normative Aspekte des Anspruchs auf Zugehörigkeit zu symbolischen Beziehungszusammenhängen wie z. B. zur nationalen Identität. Die Aushandlungsprozesse lösen gesellschaftliche Debatten aus und kreisen nicht zuletzt auch um existentielle, normative und moralphilosophische Fragen: Wenn von rechtlicher Anerkennung gesprochen wird,
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ist es dann legitim, wenn Transgendermenschen zwischen Mann und Frau als Geschlechterangaben wählen müssen oder dass Kinder von Migrant*innen systematischer Benachteiligung im Bildungssystem unterliegen? Das Gender-Beispiel soll dazu dienen zu verdeutlichen, dass die Aushandlung von Anerkennung nicht nur um die Migrationsfrage gruppiert ist, auch wenn sich dieses Buch vorrangig auf migrationsgerahmte Konf likte konzentriert. Hieran lässt sich zeigen, dass aus der Aushandlung von Geschlechtergerechtigkeit politisch-rechtliche Veränderungen erfolgt sind – z. B. hat das Bundesverfassungsgericht 2017 entschieden, dass eine dritte Geschlechtskategorie eingeführt werden soll (BVerfG 2017). Es sind auch institutionelle Veränderungen sichtbar, wenn etwa öffentliche Institutionen Unisex-Toiletten oder -Garderoben einführen müssen. Strukturelle Veränderungen sind beispielsweise in der Schaffung von Bundesbehörden zu sehen, die für Antidiskriminierung sorgen sollen – wie z. B. in Deutschland die Antidiskriminierungsstelle des Bundes, die auch wiederum für eine rechtliche Transformation gesorgt hat, indem sie im Jahr 2006 das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geschaffen hat. Auch Sprache und Kulturkanon verändern sich, was ebenfalls für starke Konf likte sorgt, da es teilweise zu fundamentalen Neuorientierungen in über Jahrzehnte etablierten politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Praktiken kommen kann, die von der Bevölkerung kontrovers diskutiert werden, wie die zahlreichen zum Teil sehr polarisierend geführten Debatten um gendergerechte Sprache zeigen (Lühmann/Wizorek 2018; Günthner 2017; Pusch 2014). Analog zu Gender-Beispielen können Aushandlungsprozesse mit Migrationsbezug durchdekliniert werden. Nehmen wir einmal die Anerkennung der doppelten Staatsangehörigkeit, die einen langen gesellschaftlichen Aushandlungsprozess hinter sich hat – vom Ende der 1990er Jahre, als es einen regelrechten Wahlkampf dagegen gab,2 bis zur offiziellen politischen Anerkennung im Jahr 2014 (BPA 2014) verging ein Vierteljahrhundert der Aushandlungen. Strukturell haben sich dadurch Gesetze und der Zugang zur Staatsangehörigkeit verändert, aber auch Fragen von doppeltem Wahlrecht oder Erbzugängen, Militärdienst und vielem mehr sind davon betroffen (SVR 2014: 145 ff.). 2 Siehe hierzu beispielsweise die CDU/CSU-Unterschriftenaktion, die im Januar 1999 unter dem Slogan »Ja zur Integration, Nein zur doppelten Staatsangehörigkeit« gegen die doppelte Staatsbürgerschaft warb (Huber 1999).
I. Anerkennung und Aushandlung
Mit der politischen Anerkennung enden die Aushandlungsprozesse keineswegs, denn ein Gesetz unterliegt Deutungsprozessen und Recht erzeugt nicht automatisch auch gesellschaftliche Akzeptanz. So wird z. B. darüber gestritten, ob es legitim sein kann, an zwei Orten zu wählen, was besonders konf liktvoll wird, wenn mit dem zweiten Pass eine Diktatur oder Autokratie im ehemaligen Herkunftsland unterstützt wird. Auch kulturelle Fragen werden offensiver ausgehandelt: Gehört nun Beschneidung zur deutschen Kultur? Oder das Tragen des Kopftuchs? Wenn die Trägerin Deutsche ist, ist dann ihre Religionspraxis Teil des kulturellen Kanons dieses Landes? Oder generell die Frage der Sprache und Begriffspraxis: Wie nennen wir uns gegenseitig, jetzt, wo manche in diesem Land mehr als eine nationale Zugehörigkeit haben? Diese Fragen reichen auch weit in den identifikativen Anerkennungssektor hinein: Ist es legitim, Kinder von türkeistämmigen Menschen als »Ausländerkinder« anzusprechen, wenn sie doch einen deutschen Pass haben? Gehört zur Annahme der zweifachen Staatsangehörigkeit nun ein emotionaler Entscheidungszwang, welcher Teil der Nationalität mehr wiegt oder mehr Zugehörigkeit bietet? Hybridisiert sich die Gesellschaft dadurch, oder nationalisiert sie sich vielmehr? Wird durch das Wissen um die deutsche Staatsangehörigkeit soziale Distanz geringer? Ist es emotional einfacher, jemanden zu heiraten, der oder die einen deutschen Pass hat, oder determiniert immer noch die kulturelle, ethnische oder religiöse Herkunft unsere Näheverhältnisse? Der Kampf um die Etablierung des Gleichheitsanspruches, der auch zu einer Infragestellung der Privilegien hegemonialer Akteur*innen führt, muss stets als ein Kampf ohne sicheren Ausgang betrachtet werden, in welchem Minderheiten etablierte Strukturen grundlegend in Frage stellen und jederzeit an bestehenden Machtkonstellationen scheitern können (Spivak 1988). Soziale Hierarchien und Privilegien werden allerdings nicht kampf los aufgegeben. Ein Modus, bestehende Ungleichheit zu legitimieren, ist Rassismus. Mit Rassismus ist nach Mark Terkessidis »keineswegs eine Anhäufung von Irrtümern und Ausnahmen im Betrieb der Moderne gemeint […], sondern ein hoch komplizierter Bestandteil von deren Funktionieren« (Terkessidis 2004: 100), denn »[i]n der Moderne ist die gesellschaftliche Ordnung als Ordnung der Ungleichheit nicht mehr natürlich – sie bedarf der Legitimation« (ebd.: 97). Das schließt an Nassehis oben beschriebenen Ansatz der Symmetrie an, der Gesellschaften, die mehr Gleichheit gewähren, als ausgeglichener beschreibt (Nassehi 2004). Terkessidis’ Verweis darauf,
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dass Ungleichheit in modernen Gesellschaften zumindest normativ geächtet ist, deutet auf ein normatives Paradoxon hin, wie Honneth und Sutterlüty es skizziert haben (Honneth/Sutterlüty 2011: 73): Wenn (1) Gleichheit in modernen Gesellschaften als Norm der Demokratie definiert wird, gleichzeitig jedoch festgestellt wird, dass (2) das Gleichheitsversprechen auch eine Repräsentation und Teilhabe marginalisierter Gruppen zur Folge haben muss, dann kann (3) der unintendierte Effekt entstehen, dass die Aufstiege der Minderheiten zu Lasten etablierter Gruppen gehen und deren Positionen und Privilegien in der Gesellschaft in Frage stellen, womit (4) ein Ignorieren oder Verwehren der Teilhabe zwar nachvollziehbar erscheint, jedoch bei gleichzeitiger Kenntnis des Idealzustandes einen Normenwiderspruch erzeugt. Dieser muss legitimiert werden, um die kognitive Dissonanz, auf die im nächsten Kapitel näher eingegangen wird, aufzulösen. Daher wird den nicht-dominanten Gruppen die Schuld an ihrer sozialen Benachteiligung zugesprochen. Rommelspacher (2009a) hebt diesen Aspekt ebenfalls hervor und bezeichnet Rassismus explizit als Legitimationslegende. Durch Rassismus werde versucht, »die Tatsache der Ungleichbehandlung von Menschen ›rational‹ zu erklären […], obgleich die Gesellschaft von der prinzipiellen Gleichheit aller Menschen ausgeht« (ebd.: 26). Eine Aushandlung von Anerkennung kommt also nicht umhin, in den Deutungsmustern zu Ungleichheiten in der Gesellschaft rassistische Legitimationsstrukturen zu benennen. Auch das führt zu aversiven Zurückweisungen von Seiten der hegemonialen Akteur*innen. Die Aushandlung von Minderheitenrechten und -positionen in der Gesellschaft führt also zu neuen Sichtbarkeiten und Gesetzesänderungen, darf aber nicht als linearer Erfolgsprozess gelesen werden, denn die Anerkennungsgewinne können auch wieder rückgängig gemacht werden – so wurde etwa 2017 weniger als ein Drittel Frauen als Abgeordnete in den deutschen Bundestag gewählt, was die niedrigste Quote seit 1994 war. Die Konf liktdynamik der postmigrantischen Gesellschaft definiert sich demnach im Zugang zu (Macht-)Ressourcen, die nun auch von Minderheiten in Anspruch genommen werden können. Im Narrativ, dass Deutschland (oder Frankreich, die Niederlande etc.) ein Einwanderungsland ist, schwingt, wie bereits dargelegt, mit, dass Rechte von eingewanderten Bürger*innen den Rechten der Etablierten gleichgestellt seien oder dies zumindest nach Ablauf einer absehbaren Frist und spätestens mit der Einbürgerung der Fall sein sollte. Zur Er-
I. Anerkennung und Aushandlung
innerung: Das heißt, dass politisch und gesellschaftlich der Kampf um diese Rechte und Ressourcen legitim ist und sogar im Narrativ der pluralen Demokratie gründet. Auch die Positionalität verschiebt sich: Es sind nicht mehr nur die Mehrheiten, die Diskursmacht besitzen, vielmehr bringen Minderheiten sich in den hegemonialen Diskurs mit ein. Sie sind ab dem Zeitpunkt, da das Land als Einwanderungsland beschrieben wird, zu legitimen Diskursteilnehmenden aufgewertet worden – zumindest theoretisch. Die Zielsetzung, diese theoretische Gleichwertigkeit in strukturelle, kulturelle, soziale und identifikative Gleichbehandlung sowie Anerkennung umzusetzen, kennzeichnet die postmigrantische Gesellschaft. Dieses Versprechen, das zunächst rechtlich und politisch gegeben wurde, wird nicht nur strukturell, sondern auch sozial, kulturell und identifikativ eingefordert und bildet die Grundlage der gesellschaftlichen Spannungen, die im Kampf um die Verteilung objektiver und symbolischer Güter entbrannt sind. Dem Ringen um gleiche Bildungschancen, faire Arbeitsmarktbeteiligung und Repräsentation folgt ein Aushandeln kultureller Deutungshoheit, sozialer Zugehörigkeit und nationaler Identität. Anerkennungsdefizite bilden dabei den Ausgangspunkt für Aushandlungsprozesse. Aus diesem Grund sollen nun zentrale Anerkennungslücken und mangelnde Teilhabe und Chancengleichheit von migrantischen Gruppen in den oben genannten Feldern anhand exemplifizierender empirischer Befunde skizziert werden, um die Legitimität der Anerkennungsforderungen zu verdeutlichen, die derzeit dynamisch auf die postmigrantische Gesellschaft einwirken.
Strukturelle Anerkennungsdefizite: Leistungsmythos und Chancenungleichheit In der Integrationsforschung haben zentrale Autor*innen immer wieder darauf verwiesen, dass strukturelle Ungleichheiten den Aufstieg von Migrant*innen und ihren Nachkommen behindern können (Gordon 1964; Esser 1980; Alba/Handl/Müller 1994). Zwar führen diese Autor*innen unterschiedliche Aufstiegswege und Bemühungen auf dem Weg der gesellschaftlichen Integration an, die von Assimilation bis Systemveränderung reichen – alle jedoch sind sich über die negativen Effekte der strukturellen Desintegration einig. Manche nennen expli-
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zit Diskriminierung oder Rassismus als Gründe für strukturelle Ungleichheiten (Mecheril et al. 2010; Karakaşoǧlu/Wojciechowicz 2017; Fereidooni 2016; Gomolla/Ratke 2002). Andere nennen mangelnde kulturelle Anpassungsstrategien von Migrant*innen, fehlende Ressourcenausstattung und ideologische Vorbehalte gegenüber emanzipativen Wertvorstellungen als zentralen Grund (Koopmans 2017; Esser 2001). Mit dem Hinweis, dass Diskriminierung sehr schwer messbar und noch schwerer nachweisbar sei (Diehl/Fick 2016; Kristen 2006), wurde in Deutschland der Aushandlungsprozess von Gleichheit lange Jahre eher als generationale Aufgabe von Migrant*innen gelesen, die über die Zeit ihre sozialen und kulturellen Defizite abschleifen und sich an die Grundstruktur der Aufnahmegesellschaft anpassen würden, womit durch zunehmende Akkulturationsprozesse strukturelle Ungleichheiten abnähmen (Kalter/Granato 2002). Es dominierten nicht selten eingeengte und kulturalisierende Ursachenanalysen, die sich durch eine individuell-defizitäre Sichtweise auf Kinder mit Migrationshintergrund und ihre Familien kennzeichneten (Diefenbach 2010). In den letzten Jahren hat allerdings die Zahl quantitativer Studien, die auf systematische Diskriminierung als Ursache für strukturelle Ungleichheiten hinweisen, zugenommen (Kaas/Manger 2012; Schneider/ Weinmann/Yemane 2014; Koopmans/Yemane 2018). Dies zeugt nicht nur von einer engeren methodischen und theoretischen Kooperation und Verzahnung, vor allem in der Migrationsforschung, sondern geht möglicherweise auch auf Aushandlungsprozesse zurück, die durch Aufstiege von migrantischen Akteur*innen in den öffentlichen und wissenschaftlichen Raum ermöglicht wurden. Ihre Sichtbarwerdung und Positionierung hat die Erfahrungen der Diskriminierung in einen theoretischen Sprechakt umgewandelt und im öffentlichen Diskurs platziert, von wo aus er wieder in die wissenschaftlich-empirische Überprüfung eingespeist wurde. Der gesellschaftliche Aushandlungsakt hat also auch Effekte auf die Wissenschaft und ihre Überprüfungsstandards. Die Folge waren verfeinerte Methoden, veränderte theoretische Annahmen und experimentelle Umfragen, die im angelsächsischen Raum schon vielfach Studien wie die Stereotype-threatStudien (Steele/Aronson 1995; Blanton/Gonzales/Williams 2002) beeinf lusst hatten, in der deutschen Forschungslandschaft jedoch weniger repliziert wurden. Im Folgenden sollen einige empirische Befunde skizziert werden, die auf Anerkennungsdefizite als Ursache struktureller Ungleichheit hinweisen.
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Verwehrte Bildungsgleichheit Viel ist in den deutschen Bildungsstrukturen von Differenz die Rede, die sich in Ungleichheit niederschlägt. Entgegen vielen politischen Selbstverpf lichtungen wie der, »kein Kind zurück[zu]lassen« (SPD NRW 2017), oder normativ verinnerlichter Prämissen, wonach jedes Kind in Deutschland die gleichen Chancen auf Bildung haben sollte, hat nicht zuletzt der sogenannte PISA-Schock3 offenbart, dass es deutliche strukturelle Nachteile für Kinder aus sozial benachteiligten Familien gibt. Zwar liegt Deutschland heute nicht mehr auf dem letzten Platz, allerdings lag noch im Jahr 2004 der Befund vor, dass in keinem anderen vergleichbaren OECD-Land ein so enger Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft eines Kindes und seinen Bildungserfolgen herrscht wie in Deutschland (Radtke 2004: 145). Außerdem wurde im zweiten Staatenbericht des Kinderrechtsausschusses der Vereinten Nationen von 2004 für Deutschland eine »De-facto-Diskriminierung von ausländischen oder Minderheiten angehörenden Kindern« (UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes 2004: 5) konstatiert. Im deutschen Bildungssystem wird die vorgebliche Chancengleichheit, im Sinne einer meritokratischen Vorstellung, durch eine milieuabhängige Schulbesuchsquote und damit durch eine eingeschränkte soziale Durchlässigkeit f lankiert. Auch nach den aktuellsten Zahlen lassen sich weiterhin 17 % der Leistungsvarianz von Schulkindern in Deutschland durch den sozialen Status erklären (OECD 2016: 8). Im »Chancenspiegel« der Bertelsmann Stiftung wurde nachgewiesen, dass die institutionelle Benachteiligung von Kindern aus sozial schwachen Familien dazu führt, dass diese eine fünfmal geringere Chance haben, das Gymnasium zu besuchen, als Kinder aus sozial besser situierten Familien (Bertelsmann Stiftung 2017). Diese Korrelation betrifft seit Jahren vor allem Kinder aus Familien mit Migrationsbiographien, da hier das Risiko, von Armut betroffen zu sein, vergleichsweise höher ist (BMAS 2017: 26). Im aktuellsten Bildungsbericht wurde nachgewie3 »PISA (›Programme for International Student Assessment‹) ist eine international vergleichende Schulleistungsstudie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), die seit dem Jahr 2000 alle drei Jahre stattfindet. Sie erfasst unter anderem, inwieweit Schülerinnen und Schüler im Alter von 15 Jahren Kompetenzen in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften erworben haben und inwiefern die Leistung von der Herkunft abhängt.« (Bundeszentrale für politische Bildung 2014)
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sen, dass Kinder mit Migrationsgeschichte einer viermal größeren Gefahr ausgesetzt sind, gleichzeitig von sowohl sozialen, bildungsbezogenen und finanziellen Risikolagen betroffen zu sein (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018: 38). Zwar haben sich die Disparitäten seit der ersten Untersuchungswelle verringert und es hat Reformen des Bildungssystems gegeben (Stanat/Pant 2014), dennoch weisen zahlreiche Studien weiterhin nach, dass bei gleicher Qualifikation Kinder mit migrantisch klingenden Namen benachteiligt werden (Lorenz 2018; Bonefeld/Dickhäuser 2018; Bonefeld et al. 2017). Besonders wurde das mit Bezug auf Notengebung und institutionelle Übergänge in andere Schulformen festgestellt (Kristen/Dollmann 2009).4 Die IGLU-Studien5, ebenso wie der Bildungsbericht des Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, welche die Mathematikleistungen und Lesekompetenzen der Kinder in Deutschland standardisiert überprüfen, zeigten ebenfalls auf, dass Kinder mit Migrationshintergrund »bei derselben Leistung etwas schlechtere Noten [erhalten] als ihre Mitschüler*innen« (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 165). Im Jahr 2017 fand ein Forschungsteam der Universität Mannheim heraus, dass Kinder von Migrant*innen im Fach Mathematik bei gleicher Sprachfertigkeit und sozialer Herkunft im Vergleich zu ihren Mitschüler*innen ohne Migrationshintergrund schlechter bewertet wurden (Bonefeld et al. 2017). Georg Lorenz und Sarah Gentrup konnten in ihren Studien nachweisen, dass Grundschullehrer*innen bereits ab der ersten Klasse und den ersten Zusammentreffen mit Erstklässler*innen dazu neigten, Kinder mit türkischen Namen systematisch zu unterschätzen, ganz 4 Der Bildungsbericht konstatierte: »Selbst wenn man diese beiden Faktoren [schulische Leistung und soziale Herkunft] statistisch kontrolliert, ist die Chance auf eine Gymnasialempfehlung für Kinder, deren Eltern in Deutschland geboren wurden, 1,66-mal höher als für Kinder, deren Eltern beide nicht aus Deutschland stammen.« (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006: 165) 5 Bei IGLU handelt es sich um eine Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung, die seit dem Jahr 2001 in weltweit 35 Staaten durchgeführt wird. International ist sie unter dem Titel »Progress in International Reading Literacy Study« (PIRLS) bekannt. Im Rahmen von IGLU werden am Ende der vierten Jahrgangsstufe die Lesekompetenzen von Schüler*innen getestet, sowie Informationen zu den Rahmenbedingungen des Lesenlernens erhoben (vgl. IGLU 2016). Weitere Informationen unter: https://www.bmbf.de/de/iglu-internationale-grundschul-lese-untersuchung-82. html.
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gleich, welchen sozioökonomischen Status diese Kinder hatten (Lorenz/Gentrup 2017; Gentrup et al. 2018). Es war ihnen gleich, ob die Kinder aus bildungsnahen Familien stammten oder nicht – hatten diese einen türkischen Namen, so wurde von ihnen sowohl im Lesen als auch in Mathematik weniger erwartet.6 Ein Jahr später konnte das bereits erwähnte Mannheimer Forschungsteam in einer experimentellen Studie nachweisen, dass Schüler*innen mit ausländischem Namen schlechter benotet wurden, auch wenn sie im Diktat die gleiche Anzahl von Fehlern machten wie ihre Mitschüler*innen ohne Migrationshintergrund. Ihre Studie, die unter dem Namen »Max und Murat« öffentlich diskutiert wurde, brachte den irritierenden Befund zutage, dass selbst neutrale und standardisierte Leistungsmessungen, die genau dazu dienen, subjektive Bewertungen, welche als Diskriminierungsbeweggrund gelten, zu eliminieren, nicht greifen, wenn es um Kinder mit türkischem Namen geht.7 Neben der Tatsache, dass Kinder mit Migrationshintergrund in der Schule schlechter abschneiden als ihre gleichaltrigen Mitschüler*innen ohne Migrationshintergrund, sind sie bereits zuvor öfter von Zurückstufungen in den Kindergärten sowie in Spezialklassen bzw. -schulen betroffen (Flam 2009: 240). Die Auswirkungen der kontinuierlichen Benachteiligung beeinträchtigen Schüler*innen auch und vor allem nach dem Schulabschluss weiterhin. Im Bildungsbericht 2017 wurde gezeigt, dass junge Menschen 6 Nachweisen konnten das die Kolleg*innen mit Videoaufnahmen, in denen sie die Interaktion der Lehrkräfte mit den türkeistämmigen Kindern im Vergleich zu ihren Mitschüler*innen dokumentierten und auswerteten und dabei erkennen konnten, dass deutlich seltener auf deren Meldungen reagiert wurde. Außerdem gaben die Forschenden den Kindern standardisierte Mathematiktests zur Bearbeitung und fragten im Anschluss die Lehrkräfte nach ihrer Einschätzung, ob die Kinder den Test bestanden hatten oder nicht. Auch hier fiel die Einschätzung der Lehrkräfte mit Bezug auf die türkeistämmigen Schüler*innen systematisch negativer aus. 7 Dabei hatten die Forschenden 204 angehenden Lehrkräften in einer experimentellen Studie ein identisches Diktat vorgelegt, welches einmal vermeintlich von einem Schüler namens »Max« und einmal vermeintlich von einem Schüler namens »Murat« geschrieben worden war. Die Anzahl der gefundenen Fehler war dabei gleich. Die Kolleg*innen wiesen dabei nach, dass die Beurteilungen trotz der gleichen Anzahl von Fehlern zu unterschiedlichen Noten führten. Murat wurde dabei wiederum systematisch schlechter bewertet als Max. Auch hier also wieder der Nachweis, dass bereits der Name für eine schlechtere Einschätzung ausreichte (Bonefeld/Dickhäuser 2018).
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mit Migrationsbiographien zwar ein nachweisbar höheres Studieninteresse aufweisen als ihre deutschen Mitstreiter*innen, sie ihren Wunsch jedoch oftmals nicht realisieren können (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2018: 155): Schulabsolvent*innen mit Migrationshintergrund besuchen zu 15 % seltener eine Hochschule als gleichaltrige »Herkunftsdeutsche« (ebd.: 5). Wenn allgemeine Leistungskriterien im Bildungssystem nicht dazu dienen, soziale Ungleichheiten und Klassenprivilegien abzubauen, sondern zu ihrer Aufrechterhaltung beitragen, da wiederkehrende klassenbasierte Unterschiede Teil der Bewertung von Schüler*innen und Student*innen sind, so stellt das für Honneth und Sutterlüty ein Beispiel für ein normatives Paradoxon dar (Honneth/Sutterlüty 2011: 78). Hier nutzten Honneth und Sutterlüty die Erkenntnisse von Bourdieu und Passeron (1971) in ihrer Studie »Die Illusion der Chancengleichheit«, wonach klassenbezogene und habituelle Unterschiede in die Beurteilung der Schüler*innen und Student*innen mit einf ließen. Im Falle der skizzierten Befunde heißt das, bezogen auf das Vorliegen eines normativen Paradoxons: Wenn (1) rekonstruiert werden kann, dass migrantische Eltern hohe Bildungsaspirationen für ihre Kinder haben (Salikutluk 2016) und (2) Bildung im Gesellschaftsverständnis als Integrationsfortschritt interpretiert wird, während (3) erhöhte Bildungschancen für migrantische Kinder systematisch blockiert werden, aber (4) weiterhin daran festgehalten wird, dass Bildung der Schlüssel zur Integration sei – dann liegt ein normatives Paradoxon vor. Dieses wirkt auf die migrantischen Kinder demotivierend, behindert Aufstiegsträume und führt zu Abkapselung. Gleichzeitig wird dagegen rebelliert. Das normative Paradoxon erzeugt somit eine Spannung in der postmigrantischen Gesellschaft.
Leistungsmythos und ungleiche Arbeitsmarktchancen Experimentelle Studien, die strukturelle Diskriminierungen nachweisen, gibt es auch für die Arbeitsmarktbeteiligung von Migrant*innen. Ungleiche Zugänge zum Arbeitsmarkt thematisierten u. a. Brücker et al. (2017), Salikutluk et al. (2016), Koopmans/Veit/Yemane (2018) und Giesecke et al. (2017); sie dokumentierten somit ebenfalls die Diskrepanzen zwischen dem Versprechen der Gleichheit und der empirischen Realität.
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Beispielsweise zeigte die Ökonomin Weichselbaumer in einer IZAStudie8, dass hier aufgewachsene Bewerberinnen mit besten Deutschkenntnissen und »deutscher« Bildungs- und Ausbildungsbiographie dennoch erheblich benachteiligt werden, wenn sie einen türkisch klingenden Namen haben und sich noch dazu auf dem Bewerbungsfoto mit Kopftuch zeigen. Bewerbungen mit typisch deutschen Namen, in dieser Studie »Sandra Bauer«, bekommen in 18,8 % der Fälle eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch, während identische Bewerbungen mit einem türkischen Namen wie »Meryem Öztürk« nur in 13,5 % der Fälle eine positive Rückmeldung erhielten. Als Weichselbäumer zusätzlich die ansonsten gleiche Bewerbung der fiktiven türkischstämmigen Bewerberin Meryem Öztürk mit einem Kopftuch versendete, sank die Rate für eine positive Rückmeldung auf 4,2 %. Somit muss sich eine Person mit Kopftuch 4,5-mal öfter bewerben als eine gleich qualifizierte Person mit dem Namen Sandra Bauer, um zu eine Einladung zum Bewerbungsgespräch zu erhalten (Weichselbaumer 2016a). Auch hier zeigt sich eine Ambivalenz zwischen der offiziellen politischen Anerkennung, dem Selbstbild und der Wirklichkeit. Auf der einen Seite gibt es das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG), welches die Gleichbehandlung von Frauen und Minderheiten auf dem Arbeitsmarkt festschreibt. Gleichzeitig findet die hier aufgezeigte Ungleichbehandlung empirisch nachweisbar statt. Dabei werden die Ungleichheiten und die mangelnden Einstellungen von Migrantinnen auf dem Arbeitsmarkt oft mit einer geringeren Qualifikation erklärt. Die Ergebnisse der Kollegin Weichselbaumer weisen hingegen auf Diskriminierung von Bewerberinnen mit Kopftuch bzw. Migrationshintergrund hin. Dabei nahm die Diskriminierung zu, wenn sich die fiktiven Bewerberinnen auf höher qualifizierte Stellen bewarben. So wurden sie eher als Sekretärinnen in Betracht gezogen denn als Bilanzbuchhalterinnen. »Im Westen wird das Augenmerk stets auf die Situation von Frauen in muslimischen Kulturen gerichtet, selten jedoch beschäftigen wir uns mit der Diskriminierung von Musliminnen durch die westliche Gesellschaft«, kritisiert Weichselbaumer (2016b). Angesichts der aktuellen Migrationsströme sei es »politisch unerlässlich, die enormen Schwierigkeiten abzubauen, denen muslimische Kandidatinnen aus8 In einem Feldversuch versendete die Wissenschaftlerin rund ein Jahr lang fast 1.500 fiktive Bewerbungen an Unternehmen in Deutschland und analysierte die Rückmeldungen der Personalabteilungen.
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gesetzt sind, wenn sie sich im deutschen Arbeitsmarkt integrieren wollen« (ebd.). Das normative Paradoxon zeigt hier: Es gibt eine Diskrepanz zwischen dem Leistungsmythos, der in Deutschland als grundlegend für die Entscheidungen zur Bewertung von Qualifikation gilt und den Selbstanspruch sowie das Selbstbild der politischen Kultur in diesem Land prägt – und der nachweisbaren Präferenz für Arbeitskräfte auf der Basis von Kultur, Ethnizität, Religion oder Nationalität anstelle von Leistungsentscheidungen. Die Kolleg*innen Koopmans, Veit und Yemane haben ebenfalls experimentelle Korrespondenz-Studien mit identischen Bewerbungen durchgeführt und dabei ein höchst unterschiedliches Einladungsverhalten auf Basis ethnischer Präferenzen dokumentiert, wobei muslimische Bewerber*innen bei gleicher Qualifikation schlechter abschnitten als Bewerber*innen mit Migrationshintergründen aus nicht-muslimischen Ländern (Koopmans/Veit/ Yemane 2018). Ähnliches hatten zuvor die Kollegen vom Sachverständigenrat Deutscher Stiftungen für Integration und Migration mit der Einmündung migrantischer Schulabgänger*innen in den Ausbildungsweg nachgewiesen, wo ebenfalls bei gleicher Qualifikation (experimentell manipulierte Zeugnisse und Bewerbungsunterlagen) die Einladungsquote für Jugendliche mit türkischem oder arabischem Migrationshintergrund signifikant geringer war (Schneider/Weinmann/Yemane 2014).
Repräsentationslücken Die öffentliche Darstellung und die politische und soziale Repräsentation pluraler Lebensformen gelten als Indikatoren für eine Transformation hin zu einer migrationsgesellschaftlichen Normalität. Allerdings haben die skizzierten Anerkennungsdefizite im Zugang zu Bildung und Arbeit gezeigt, dass die deutsche Gesellschaft empirisch noch deutlich von der Umsetzung des Gleichheitsversprechens und der Integration für alle entfernt ist. Derzeit ist die empirische Realität in Deutschland und den meisten europäischen Ländern vielmehr von starken Unterschieden in der Repräsentation und den Teilhabemöglichkeiten marginalisierter Gruppen geprägt (Broden/Mecheril 2007: 10). Zwar nehmen Eingewanderte und ihre Nachkommen zunehmend für sich in Anspruch, das kollektive Narrativ mitzuprägen. Sie partizipieren als Politiker*innen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene an Gesetzgebungsprozessen, beeinf lussen als Journalist*innen die
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öffentliche Meinung und lassen sich zu Lehrer*innen ausbilden. Dass Migrant*innen und ihre Nachkommen aber immer noch nicht entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung repräsentiert sind, zeigt sich in einer Vielzahl gesellschaftlicher Bereiche. Obwohl fast ein Viertel der Bevölkerung Deutschlands einen sogenannten Migrationshintergrund aufweist, verfügen gerade einmal 14,8 % der im öffentlichen Dienst auf der Ebene der Bundesverwaltung Beschäftigten über eine Migrationsbiographie; betrachtet man zusätzlich die Ergebnisse für die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung allgemein, so ergibt sich ein Anteil von lediglich 6,7 % (BiB 2016: 30). Nur knapp 5 % der Journalist*innen in den deutschen Medien haben einen Migrationshintergrund (Pöttker/Kiesewetter/Lofink 2015). Und unter den Lehrkräften verfügen – trotz eines Anstiegs der Zahlen an Schüler*innen mit Migrationshintergrund auf 33 % (Statistisches Bundesamt 2017a) – laut einem SPIEGEL-Artikel nur 10,7 % über einen Migrationshintergrund (Klovert 2018). Im Jahr 2011 wurde gar noch von 6 % Lehrkräften mit Migrationshintergrund gesprochen, bei knapp 30 % Schulkindern mit Migrationshintergrund (Karakaşoğlu 2011). Auch in der Frühen Bildung verfügen nur 11 % der Fachkräfte über einen Migrationshintergrund (Autorengruppe Fachkräftebarometer 2017: 14). Nur 4 % der Stadträte (Schönwalder/Sinanoğlu/Volkert 2011) und gerade einmal 9 % der Beschäftigten in Führungspositionen deutscher Stiftungen (in den 30 größten Stiftungen nur 3 %) (Citizens for Europe 2014) haben eine Migrationsbiographie. Im 2017 gewählten Bundestag verfügen gerade einmal 58 von 709 Parlamentarier*innen über einen Migrationshintergrund: Der Anteil der Bürgervertreter*innen mit Migrationshintergrund liegt somit bei 8,2 % (Mediendienst Integration 2017). Ähnliche Ergebnisse zeigen sich auch im Hinblick auf deutsche Landtage, hier haben nur 4,5 % der Abgeordneten eine migrantische Biographie (IntMK 2015). Gerade bei den Spätaussiedler*innen aus der Ex-Sowjetunion, die mit 2,9 Millionen Menschen die größte Bevölkerungsgruppe mit Migrationshintergrund in Deutschland bilden (Statistisches Bundesamt 2018c), ist die mangelnde Partizipation in politischen Strukturen auffällig. Repräsentation ist jedoch ein zentrales Kriterium der Anerkennung nach Ricœur. Im Dreiklang von Sehen, Erkennen und Wiedererkennen erwächst das Subjekt zum gleichberechtigten Bürger oder zur gleichberechtigten Bürgerin. Wenn sich die Angehörigen nicht-dominanter Gruppen an gesellschaftlich relevanten Stellen jedoch nicht wieder-
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erkennen, weil sie dort schlichtweg nicht vertreten sind, dann kann dies eine Infragestellung demokratischer Prämissen mit sich führen. Und wenn die Angehörigen nicht-dominanter Gruppen nicht gesehen werden, dann kann es auch keine Erkenntnis geben, dass diese zur pluralen Demokratie gehören, und zwar nicht nur als Gäste, sondern als legitime politische und gesellschaftliche Stakeholder. Repräsentationslücken weisen demnach auf ein unerfülltes Versprechen der pluralen Demokratie hin.
Kulturelle Anerkennungsdefizite: Die Debatte um die Zugehörigkeit des Islam Aktuelle und vergangene Migrationsprozesse führen dazu, dass das Etablierte und Bekannte in Abgrenzung zum Neuen und Fremden bestätigt und modifiziert oder aber in Frage gestellt wird (Broden/Mecheril 2007). Über Migration und die migrantische Figur des Anderen finden Aushandlungs- und Anerkennungsprozesse über die Grenzen natio-ethno-kultureller Zugehörigkeiten und Nicht-Zugehörigkeiten statt (Mecheril 2003a). Das kann sowohl zur Infragestellung etablierter Vorstellungen von nationaler Identität als auch zu deren Stärkung führen. Eingebettet sind die kulturellen, symbolischen und emotionalen Grenzziehungen in gesellschaftliche Differenz- und Dominanzverhältnisse (Foroutan/Ikiz 2016: 95). Die hegemoniale Gruppe gibt vor, was die deutsche Kultur ist, wer deutsch ist und wer nicht sowie welche soziale Gruppe zu diesem symbolischen Raum der Zugehörigkeit gezählt wird und wer nicht. Wenn sich aber der gesellschaftliche Raum pluralisiert, gibt es plötzlich mehrere hegemoniale Positionen, die miteinander konkurrieren. Dies führt zu einer Polarisierung der Gesellschaft entlang der großen Frage der Anerkennung legitimer Positionen.
Religionsrechte und Tendenzen der Abwehr Einige der zentralen Debatten um die Legitimität kultureller Anerkennung kreisten in den letzten Jahren um die Frage der Zugehörigkeit des Islam zu Deutschland. Bereits im Jahr 2006 sagte der damalige Bundesinnenminister Schäuble zur Eröffnung der ersten Deutschen Islamkonferenz: »Der Islam ist Teil Deutschlands und Teil Europas, er ist
I. Anerkennung und Aushandlung
Teil unserer Gegenwart und er ist Teil unserer Zukunft. Muslime sind in Deutschland willkommen. Sie sollen ihre Talente entfalten und sie sollen unser Land mit weiter voranbringen.« (Schäuble 2006) Mit dieser öffentlich und medial verbreiteten Aussage, wurde die Tatsache akzeptiert, dass ca. 5 % der Bevölkerung Deutschlands einen muslimischen Hintergrund haben und sie und ihre Religion einen selbstverständlichen Bestandteil des Einwanderungslandes Deutschland bilden. Nur vier Jahre später löste eine fast gleichlautende Aussage durch den damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff 9 massive Abwehrreaktionen aus, die nicht nur die Unsicherheit eines Teils der deutschen Bevölkerung im Umgang mit dem Wandel hin zu einem Einwanderungsland ref lektieren, sondern auch auf Ressentiments und Etabliertenvorrechte gegenüber einem sich wandelnden öffentlichen Raum hindeuten, der in Kultur, Ethnizität, Lebenswandel und Normenentwürfen immer vielfältiger wird (Zick et al. 2016; Heitmeyer 2011). Die Frage der Anerkennung dieser Religion ist seitdem von vielen weiteren Politiker*innen diskutiert worden.10 Die Debatten darüber haben sich seit der ersten Deutschen Islamkonferenz im Jahr 2006 zunehmend verschärft, wie der Anstieg islamfeindlicher Einstellungen in Deutschland nachweist (Decker/Brähler 2018; Zick et al. 2016; Foroutan 2012). Dies deckt sich mit der Grundthese dieses Buches, dass nach der politischen Anerkennung die Konkretisierung der Aushandlungsprozesse eingefordert wird, was die migrantischen – in diesem Fall muslimischen – Akteur*innen als legitime Stakeholder der pluralen Demokratie sichtbar macht. Die Deutsche Islamkonferenz war damals ein offizielles Anerkennungszeichen von Seiten der Politik. Seitdem wurden und werden von muslimischer Seite immer weiter rechtliche Konkretisierungen dieser symbolischen Anerkennung ausgehandelt, z. B. das 9 »Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland. Vor fast 200 Jahren hat es Johann Wolfgang von Goethe in seinem West-östlichen Divan zum Ausdruck gebracht: ›Wer sich selbst und andere kennt, wird auch hier erkennen: Orient und Okzident sind nicht mehr zu trennen.‹« (Wulff 2010) 10 So sagte beispielsweise Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung im März 2018: »Es steht völlig außer Frage, dass die historische Prägung unseres Landes christlich und jüdisch ist. Doch so richtig das ist, so richtig ist es auch, dass mit den 4,5 Millionen bei uns lebenden Muslimen ihre Religion, der Islam, inzwischen ein Teil Deutschlands geworden ist.« (Merkel 2018) Wenige Tage zuvor hatte Horst See hofer in einem Interview erklärt: »Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Deutschland ist durch das Christentum geprägt. Dazu gehören der freie Sonntag, kirchliche Feiertage und Rituale wie Ostern, Pfingsten und Weihnachten.« (Seehofer 2018b)
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Recht auf Gebetsräume, auf rituelle Bestattung oder muslimische Seelsorge und Altenpf lege oder auch das Recht auf das Tragen des Kopftuches für Lehrerinnen. Parallel zur Aushandlung dieser Teilhaberechte lassen sich starke Tendenzen der Abwehr und Infragestellung der Religionsrechte von Muslim*innen feststellen. Dabei werden religiöse Grundrechte als substantieller Bestandteil kultureller Selbstbestimmung sogar verfassungsrechtlich geschützt. Zur Erinnerung – in Artikel 4 des Grundgesetzes steht: »(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. (2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.« Auch diese normative Prämisse wird in Bezug auf die größte religiöse Minderheit in Deutschland empirisch immer wieder konterkariert. Die Versicherung des Schutzes der Grundrechte, so wie sie im Grundgesetz angelegt sind, ist allerdings für eine staatsbürgerliche Gleichstellung elementar. Religiöse Symbolik, islamischer Religionsunterricht, das Tragen des Kopftuchs, die Beschneidung von Jungen und der Moscheebau bilden auf der einen Seite zentrale Punkte in der öffentlichen und politischen Diskussion auf Bundes- und Landesebene, auf der anderen Seite stellen sie entscheidende Wegmarkierungen für die gesellschaftliche Partizipation einer religiösen Minderheit – der Musliminnen und Muslime – dar. In den vergangenen 20 Jahren hat es unterschiedliche Konf liktfälle von religiöser Symbolik in deutschen Schulen gegeben, beispielsweise die Frage, ob im Schwimmunterricht Burkinis getragen werden oder Kruzifixe in Klassen hängen dürfen oder ob das Tragen des Kopftuchs bei muslimischen Lehrerinnen erlaubt sei (Korteweg/ Yurdakul 2016; Berghahn 2016; Ludin/Abed 2015). Die beiden letztgenannten Fälle wurden bis vor das Bundesverfassungsgericht getragen und dort ausgefochten: Während dieses die verpf lichtende Anbringung von Kruzifixen als Verstoß gegen die Religionsfreiheit wertete, spielte es beim Kopftuch den Ball zunächst zurück zu den Ländern. Diese konnten gesetzlich das zulässige Ausmaß religiöser Bezüge in der Schule neu bestimmen (BVerfG 2003). Im Jahr 2015 revidierte das Bundesverfassungsgericht sein Urteil; der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts entschied, dass ein pauschales Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild von Pädagoginnen und Pädagogen in öffentlichen Schulen mit deren Glaubens- und Bekenntnisfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) nicht vereinbar ist.
I. Anerkennung und Aushandlung
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Abb. 2: Einstellungen zum Kopf tuch bei Lehrerinnen, zur religiösen Beschneidung von Jungen, zum Moscheebau und zum Islamunterricht % 100 80 60
68,5 60,4 48,4
54,2
48,6
42,2
40
33,9
28,4
20 5,7
3,0
3,6
3,1
0 »Wo auch immer eine große »Der Bau von öffentlich »Eine muslimische Lehrerin »Die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen sollte sichtbaren Moscheen sollte in Anzahl von Muslimen lebt und sollte das Recht haben, im die Schule besucht, sollte verboten werden.« Deutschland eingeschränkt Schulunterricht ein Kopftuch zu islamischer Religionsunterricht werden.« tragen.« angeboten werden.«
Zustimmung
Ablehnung
keine Angabe
Quelle: Foroutan et al. 2014, Deutschland Postmigrantisch I, S. 35
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2015, das Kopftuchverbot zu kippen, kann als eine klare kulturelle Anerkennung am Ende eines langen Aushandlungsprozesses um das Kopftuch gedeutet werden. Beinahe die Hälfte der deutschen Bevölkerung findet allerdings trotz dieser Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes, dass Lehrerinnen kein Kopftuch tragen sollten. Wir können die Akzeptanz des Kopftuchs als eine Form kultureller Anerkennung interpretieren, die von 48,4 % der Befragten verweigert wird (Foroutan et al. 2014). Auch dies ist ein Hinweis auf ein normatives Paradoxon: Das Aushandeln eines Rechtes, welches auf Basis des Werteverständnisses der pluralen Demokratie, der grundgesetzlichen Verankerung und aktualisierten verfassungsrechtlichen Revisionen legitimiert sein sollte, führt zu akuten Spannungen zwischen jenen, die dieses Recht in Anspruch nehmen wollen, und jenen anderen, die dadurch eine fundamentale Werteveränderung befürchten. Es liegt nahe, dass die verbitterten Auseinandersetzungen um das Kopftuch auch mit gestiegener Sichtbarkeit im Zuge von Aushandlungsprozessen in Zusammenhang stehen könnten. Nicht umsonst wird immer wieder polemisch darauf hingewiesen, dass das Kopftuch kein gesellschaftliches Problem darstellte, solange es vorrangig von Putzfrauen getragen wurde, und die gesellschaftlichen Debatten sich erst mit dem Aufstieg muslimischer
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Frauen in der Gesellschaft und ihrer Sichtbarwerdung als Bürger*innen und legitime politische Akteur*innen, die bereit waren, ihr Recht gegebenenfalls auch einzuklagen, verschärften (El-Mafaalani 2018; Korteweg/Yurdakuld 2016; Attia 2014). Erst mit der Anerkennung der Einwanderungsrealität, der Aushandlung der Frage, was dies nun für das gesellschaftliche Zusammenleben bedeute, und dem Anspruch der Teilhabe von Migrant*innen nicht nur an öf fentlichen Gütern, sondern auch an symbolischen Positionen, ging der Streit um die Legitimation des Kopftuches in den öf fentlichen Diskursraum über. Richterinnen und Lehrerinnen können zwar mit dem Verweis auf die vermeintliche religiöse Neutralität des Staates daran gehindert werden, ein Kopftuch zu tragen, Anwältinnen, Ärztinnen oder Unternehmerinnen jedoch nicht. Somit findet der Ricœur’sche Dreiklang aus Erkennen, Wiedererkennen und Anerkanntsein derzeit vorerst nur auf den ersten beiden Stufen statt. Das Anerkanntsein ist in der momentan stark aufgeladenen antimuslimischen Atmosphäre, in der täglich Frauen mit Kopftuch beleidigt und abgewertet werden, noch in weiter Ferne. Zu den großen religionspolitischen Debatten der letzten Jahre zählte außerdem noch die Frage der religiös motivierten Beschneidung von Jungen. Sowohl im Islam als auch im Judentum ist die Beschneidung von Jungen als wesentlicher Teil der religiösen Praxis vorgesehen (Rohe 2012; Knobloch 2012). Nachdem die Beschneidung in Deutschland viele Jahre auch ohne gesetzliche Regelung toleriert wurde, löste das Landgericht Köln 2012 mit seiner Einstufung der Beschneidung als Körperverletzung eine breite öf fentliche und stark polarisierende Debatte aus (Çetin/Voß/Wolter 2012). Dabei wurde immer wieder unterstellt, dass jüdische und muslimische Eltern sich über die Grundrechte ihrer Kinder hinwegsetzen würden und das Kindeswohl für sie eine geringere Rolle spiele als ihre alten Traditionen. Im Ergebnis verabschiedete der Deutsche Bundestag ein Gesetz, wonach Beschneidungen durch die Eltern auch ohne medizinische Notwendigkeit veranlasst werden können, da »[j]üdisches und muslimisches religiöses Leben […] weiterhin in Deutschland möglich sein [muss]« (Deutscher Bundestag 2012: 6). Jedoch scheint sich die Akzeptanz des Rechts der religiösen Beschneidung und somit die Forderung nach kultureller Gleichheit in der Bevölkerung nicht endgültig durchzusetzen. Zwei Jahre nach der Beschneidungsdebatte wollten 60,4 % der Befragten
I. Anerkennung und Aushandlung
die Beschneidung von Jungen trotzdem verbieten (Foroutan et al. 2014: 36).11 Der Bau von repräsentativen Moscheen steht im Zentrum einer weiteren ständig wiederkehrenden Debatte um das Recht von Musliminnen und Muslimen, ihren Glauben in Deutschland sichtbar zu leben. Seit den 1990er Jahren entstehen zahlreiche sichtbare und repräsentative Moscheeneubauten, die erkennen lassen, dass Muslim*innen Deutschland zunehmend als ihre neue Heimat verstehen (Spielhaus/ Mühe 2018; Rommelspacher 2009b; Kraft 2002: 199 ff.). Auf der anderen Seite sind diese Moscheebauten jedoch häufig Auslöser von scharfen Konf likten, wie etwa in Köln-Ehrenfeld, Duisburg-Marxloh, Berlin-Heinersdorf oder Leipzig-Gohlis. Insgesamt sprechen sich 42,2 % der Gesamtbevölkerung für eine Einschränkung des Baus öffentlich sichtbarer Moscheen aus (Foroutan et al. 2014: 35). Für postmigrantische Gesellschaften sind Moscheebauten deshalb von großer Relevanz, weil hier die symbolische Position ausgehandelt wird, die den Musliminnen und Muslimen innerhalb des Stadtraums von der etablierten nicht-muslimischen Mehrheitsgesellschaft zugestanden wird (Leggewie/Joost/ Rech 2002: 33). Dies führt häufig zu Konf likten, da Vorrechte der nichtmuslimischen Mehrheitsgesellschaft auf symbolische Etabliertheit im öffentlichen Raum herangezogen werden (Spielhaus/Färber 2006).
Soziale Anerkennungsdefizite: Verwehrung sozialer Nähe – trotz Integration Die Frage der sozialen Anerkennung wird neben der strukturellen, kulturellen und identifikativen Anerkennung als einer der Kernparameter der Zugehörigkeit und Integration gewertet (Parsons 1967; Durkheim 1995; Alba/Nee 2003; Esser 2001). Unter sozialer Integration werden unter anderem Freundschaften, Partnerschaften und Nachbarschaftsverhältnisse gemessen. Sie sind ein Indikator für Kontakt und Vergesellschaftungsprozesse (Allport 1954). Fehlt die soziale Anerkennung oder gibt es einen hohen Grad an sozialer Distanz zwischen Gruppen, dann kann dies zu gegenseitiger Abschottung und Misstrauen führen 11 Dieser Abschnitt, an dem Steffen Beigang maßgeblich mitgeschrieben hat, basiert auf der Studie »Deutschland Postmigrantisch I«, die meine Kollegen und ich gemeinsam im Jahr 2014 herausgegeben haben.
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(Tajfel/Turner 1986) und Stereotype und Vorurteile zementieren (Pettigrew 1958). Michèle Lamont beschreibt, wie soziale Anerkennung bzw. Nicht-Anerkennung symbolische Grenzlinien aufrechterhält und soziale Distanz legitimiert: »›Symbolic Boundaries‹ are the lines that include and define some people, groups, and things while excluding others. […] These distinctions can be expressed through normative interdictions (taboos), cultural attitudes and practices, and patterns of likes and dislikes. They play an important role in the creation of inequality and the exercise of power. The term ›symbolic boundaries‹ also refers to the internal distinctions of classification systems and to temporal, spatial, and visual cognitive distinctions in particular.« (Lamont et al. 2015: 850) Im gesellschaftspolitischen Diskurs europäischer Einwanderungsländer ist es derzeit die Gruppe der Muslim*innen, zu der die höchste soziale Distanz besteht. Regelmäßig gibt es hohe Zustimmungswerte zu Aussagen wie »Der Islam passt nicht zur westlichen Kultur«, »Muslimen sollte die Zuwanderung nach Europa untersagt werden« oder »Muslime bedrohen unsere kulturellen Werte« (Decker/Brähler 2018: 102; Zick et al. 2016: 44). Die soziale Distanz wird vornehmlich über die kulturelle Inkompatibilität erklärt. Dabei gibt es seit langem empirische Studien, die nachweisen, dass sich die soziale Integration der Muslim*innen in einigen messbaren Kategorien offener darstellt, als der Vorwurf der kulturellen Schließung vermuten lässt. So sind mehr als 50 % der Muslim*innen über 16 Jahre Mitglied in einem deutschen Verein, nur 4 % sind ausschließlich Mitglied in einem herkunftslandbezogenen Verein (Haug et al. 2009: 253 ff.). Und bereits 2010 stellte eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) starke Diskrepanzen im Nachbarschaftsverhältnis gegenüber türkeistämmigen Bürger*innen fest (Beier et al. 2010),12 die in der medialen Kommentierung prägnant zusammengefasst wurden: »Die Türken wünschen sich mehr Kontakt zu den Deutschen, aber die Deutschen zeigen ihnen die kalte Schulter.« (Drobinski et al. 2010) Soziale Distanz von Seiten migrantischen Akteur*innen ist jedoch ebenfalls nachweisbar. So zeigen Studien auf, dass binationale Ehen weiterhin sehr selten sind (Nottmeyer 2010) und besonders Muslim*in12 40,9 % der befragten türkischen Jugendlichen gaben dabei an, sie fänden deutsche Nachbarn sehr angenehm. Hingegen fänden es nur 9,2 % der deutschen Jugendlichen sehr angenehm, wenn türkische Nachbarn neben ihnen wohnen würden (Beier et al. 2010: 117).
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nen es vorziehen, unter sich zu heiraten (Haug et al. 2009: 278). Andere Studien konnten nachweisen, dass für zwei Drittel der türkeistämmigen Muslim*innen nichtmuslimische Schwiegertöchter, insbesondere aber nichtmuslimische Schwiegersöhne ein großes Problem darstellen würden (Şen/Sauer 2006). Hier stellt sich folgende Frage: Führt eine zunehmende Teilhabe und Partizipation dazu, soziale Distanz zu verringern, wenn soziale Nähe normativ als Ideal eines gesellschaftlichen Zusammenhalts gilt? In der bereits zitierten Studie »Deutschland postmigrantisch I« aus dem Jahr 2014 sollte soziale Nähe gegenüber Angehörigen religiöser Minderheiten gemessen werden, speziell gegenüber Muslim*innen, da diese in den diskursiven Aushandlungsdebatten europäischer Einwanderungsländer in den letzten Jahrzehnten einen zunehmend polarisierenden Stellenwert eingenommen haben (Foroutan et al. 2014). Dabei konnte nachgewiesen werden, dass bei dieser Gruppe sogar Beweise einer selbst erbrachten Nähe und Teilhabe die soziale Distanz nicht gänzlich auf heben. Handlungen, die im kollektiven Verständnis integrativ wirken und eine Bereitschaft zur Nähe zur Gesamtgesellschaft verdeutlichen, führen also nicht automatisch zu einer Bereitschaft durch die Gesellschaft, Minderheiten – in diesem Fall Muslim*innen – soziale Nähe und Gleichheit zu gewähren (Foroutan/Canan 2016b). Auch dies lässt sich als normatives Paradoxon oder zumindest als ambivalente Position klassifizieren. Konkret wurde in der Studie untersucht, inwiefern sich Wahrnehmungen gegenüber Muslim*innen in der Bevölkerung Deutschlands ändern, wenn Muslim*innen mehrdimensional kategorisiert werden, d. h. mit unterschiedlichen sozial-kulturellen Eigenschaften beschrieben werden, die im Kontext der allgemeinen Vorstellungen von Integration als »Bringschuld« der Minderheiten, als wünschenswert oder nicht wünschenswert gelten.13 13 Diese empirische Studie wollte prüfen, ob ein Nachweis der Nähe, wenn er von Seiten einer negativ kategorisierten Minderheit – in diesem Fall Muslim*innen – kommt, zu Einstellungsveränderungen innerhalb der Gesellschaft führt. Die Analyse beruht auf den Angaben von 7.341 Personen aus einer repräsentativen telefonischen Bevölkerungsumfrage in Deutschland. Es wurde ein sogenanntes Vignetten-Experiment aufgesetzt, in dem einer hypothetischen muslimischen bzw. christlichen Person verschiedene Kategorien wie Mann oder Frau, deutsche oder arabische Namen, hohe oder niedrige Schulbildung, verschiedene Engagementformen, z. B. im Altenheim, in der Moscheegemeinde oder in der Kirchengemeinde
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Dabei konnten folgende Befunde festgehalten werden: Bei den Männern reichte die Information »muslimisch« aus, um signifikant negativere Einstellungen zu erzeugen. Wenn jemand »Ibrahim« oder »Stefan« hieß und muslimisch war, war die Information, dass dieser einen hohen Bildungsgrad hat (»hat Abitur«) oder dass er sich freiwillig für die Allgemeinheit engagiert (»engagiert sich im Altenheim«) vollkommen nachrangig. Es veränderte die Einstellungen zu »Ibrahim« oder »Stefan« nicht positiv. Dabei liefert »Ibrahim« (bzw. »Stefan«) mit diesen Informationen deutliche Hinweise darauf, dass er bildungsnah und sozial engagiert ist. Bildungsnähe und soziales Engagement sind zwei Kriterien, die der Begründung widersprechen würden, man sei distant gegenüber Muslim*innen, weil diese die Werte der Gesellschaft ablehnten. Immerhin können Bildung und soziales Engagement als Proxy für eine Einbettung in bildungsbürgerliche Wertemaßstäbe gelesen werden. Jedoch wäre es fast 30 % der Befragten unangenehm, würde eine Person wie Ibrahim oder Stefan in ihre Familie einheiraten. Neuere Daten des Pew Research Center unterstützen diesen Befund. Demnach wären in Deutschland 33 % der Bevölkerung nicht bereit, Muslim*innen in ihrer Familie zu akzeptieren. Von den Katholiken in Deutschland wären sogar 51 % dagegen, einen muslimischen Menschen in der Familie zu akzeptieren, und 19 % der Bevölkerung würden keine jüdischen Menschen in der Familie akzeptieren (Pew Research Center 2018). Die Selbstwahrnehmung als offen und tolerant stößt also auf emotionale Distanz und soziale Schließungen. Auch die Allgemeine Bevölkerungsbefragung der Sozialwissenschaften (ALLBUS) stellt in Deutschland die Frage nach der Einheirat von Angehörigen verschiedener religiösen Gruppen in die eigene Familie – wenn auch nur eindimensional, also nicht mit der Kopplung z. B. an soziales Engagement oder Bildung.14 Im ALLBUS zeigt sich für die Umfrage im Jahr zugewiesen wurden. Insgesamt gab es 64 Vignettenkombinationsmöglichkeiten. Den Personen wurde am Telefon folgender Satz vorgelesen: »Ich lese Ihnen nun eine Beschreibung von einer Person vor. Bitte stellen Sie sich vor, diese Person würde in Ihrer Nachbarschaft wohnen. Im Anschluss stelle ich Ihnen einige Fragen zu dieser Person.« Dann gab es randomisiert immer unterschiedliche Beschreibungen und Namen, die miteinander kombiniert wurden. Im Anschluss wurden die Befragten u. a. gebeten zu antworten, wie angenehm bzw. unangenehm sie es fänden, wenn eine solche Person in ihre Familie einheiraten würde. 14 Fragetext ALLBUS: »Und jetzt möchte ich wissen, wie angenehm oder unangenehm es Ihnen wäre, wenn ein Angehöriger einer dieser Konfessionen in Ihre Fa-
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2012, dass 4,8 % der Befragten eine Katholikin oder einen Katholiken als potentielles Familienmitglied als unangenehm empfinden und 5,7 % einen Protestanten oder eine Protestantin. Fragt man nach der Einheirat von Jüdinnen und Juden, so sagen bereits 25,1 %, dass ihnen das eher unangenehm wäre, und 43,3 % äußern diese Einstellung, wenn sie nach der Einheirat von Muslim*innen befragt werden. Insofern deuten die 29 %, die sich in unserem Sample negativ äußern, durchaus auf eine positive Veränderung, wenn Integrationsangaben als Information mitgeliefert werden. Aus dem Befund unserer Studie kann allerdings geschlossen werden, dass Integrationsbemühungen bei ca. einem Drittel der Bevölkerung de facto keinen Effekt beim Abbau ihrer Stereotype erzeugen, denn ganz gleich, ob gebildet und sozial engagiert – es reichte, dass der Mann muslimisch war, um ihm soziale Nähe und damit Anerkennung zu verweigern. Die folgende Grafik verdeutlicht nochmals die empirische Befundlage. Abb. 3: Negative Einstellungen gegenüber muslimischen Männern (Vignettenexperiment)
Christ
Muslim
0
%
20
40
Ibrahim
29,0
Stefan
26,7
Ibrahim Stefan
19,1 8,1
Wie unangenehm wäre es, wenn jemand wie [Ibrahim/ Stefan] in Ihre Familie einheiraten würde?
Quelle: Canan/Foroutan 2016b
Dass die mehrdimensionale Kategorisierung – also die zusätzlichen Informationsbeigaben zur Integration – bei einem muslimischen Mann keine Wirkung erzielte, kann damit zu tun haben, dass die Assoziation milie einheiraten würde. Der Skalenwert -3 bedeutet ›wäre mir sehr unangenehm‹, der Skalenwert +3 bedeutet ›wäre mir sehr angenehm‹, der Wert 0 bedeutet ›wäre mir gleichgültig‹. Mit den Werten dazwischen können Sie Ihre Meinung abstufen. Inwieweit wäre es Ihnen angenehm oder unangenehm, wenn ein [Katholik/Protestant/Jude/Muslim] in Ihre Familie einheiraten würde?«
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des muslimischen Mannes mit Bedrohung, Patriarchat und Gewalttätigkeit in weiten Teilen der Bevölkerung äußerst dominant erscheint. Auch weil damit womöglich Geschlechterungleichheiten und die Einschränkung der Rechte von Frauen assoziiert werden, wird weniger gewünscht, dass ein Muslim in die Familie einheiratet. Eine Ablehnung und Abwertung erfolgt demnach aus einer antizipierten Vorstellung, »die Muslime« lehnten die eigenen erkämpften Werte ab. Dass dabei ein hoher sozialer Wert, nämlich der der Gleichheit und Anerkennung, aufgegeben wird, kann als Legitimierende Normative Antinomie (LNA) bezeichnet werden, worauf später im Buch noch eingegangen wird. Vorab: Es bedeutet, dass negative Diskriminierungseffekte in Kauf genommen werden und die eigene Wertestruktur untergraben wird, weil dem Anderen, in diesem Fall dem muslimischen Mann, negative Einstellungen unterstellt werden (zu Antinomien vgl. Kapitel II). Hier wird also mit der vorauseilenden Unterstellung, dass jemand anderes die Werte der Demokratie in Frage stellt, ein zentraler Wert der Demokratie unterlaufen. Die Schuld wird auf den Anderen externalisiert und das eigene Fehlverhalten durch den Verweis des Schutzes der Demokratie/Werte/Normen legitimiert. Auch gegenüber muslimischen Frauen gab es Vorbehalte, die zu sozialer Verweigerung von Anerkennung führten – besonders, wenn die hier simulierte Muslimin sich in einer Moscheegemeinde engagierte. So wäre es 25 % der Bevölkerung unangenehm, wenn eine muslimische Frau, die sich in einem Moscheeverein engagiert, in die Familie einheiraten würde. Bei den Frauen wurde jedoch eine muslimische Frau, die sich im Altenheim engagiert, signifikant besser angenommen. Trotzdem blieben deutliche Wahrnehmungsunterschiede zur christlichen Frau weiterhin bestehen, die unabhängig von ihrer Beschreibung – auch wenn sie einen Hauptschulabschluss hatte und sich gar nicht engagierte – am Positivsten wahrgenommen wurde. Das zeigt: Als Subalterne und damit als Untergeordnete werden Muslim*innen im nächsten Familienkreis eher akzeptiert – aber als Gleiche unter Gleichen werden sie trotz Bildung und sozialen Engagements von fast einem Drittel der Bevölkerung nicht angenommen. Das deutet auf ein normatives Paradoxon hin, da es mit den eigenen Wertekategorien nicht übereinstimmt und gleichzeitig einen negativen Effekt erzeugen kann. Es lässt die Vermutung zu, dass bei ca. 30 % der Bevölkerung eine aversive Grundhaltung gegenüber muslimischen Männern besteht, die auch nicht durch Bildungsaufstiege, soziales
I. Anerkennung und Aushandlung
Abb. 4: Negative Einstellungen gegenüber muslimischen Frauen (Vignettenexperiment)
Christin
Muslimin
0
%
20
Moscheegemeinde
25,3
Altenheim
Kirchengemeinde Altenheim
40
14,0
8,0 8,6
Wie unangenehm wäre es, wenn jemand wie [Amirah/ Lisa] in Ihre Familie einheiraten würde?
Quelle: Canan/Foroutan 2016b
Engagement oder Partizipation von Muslimen abgebaut werden kann. Hier müssen die Integrationsansätze also stärker auf die sozial distante Gruppe konzentriert werden und nicht auf das Anpassungsverhalten von Minderheiten. Binationale, bikulturelle oder multireligiöse Ehen gelten als Hinweis auf voranschreitende Integrationsprozesse in vielfältigen Gesellschaften. Wenn 30 % der Bevölkerung diese essentiellen Integrationskriterien verweigern, dann muss das politische Augenmerk auch auf diese Abwehr gelenkt werden. Es mag argumentiert werden, dass Heirat als letzte emotionale Hürde einen sehr intimen Bereich betrifft und hierbei vor allem nach Ähnlichkeiten selektiert wird. Daher würde die Verwehrung einer Einheirat in die Familie bzw. die Aussage, dass man dies als unangenehm empfinde, nicht automatisch ein aversives Verhalten darstellen. Allerdings muss im Kontext der westeuropäischen Werteorientierung angemerkt werden, dass Heirat und Eheschließung als genuin selbstbestimmte Prozesse gesehen werden, in welche Familienmitglieder sich nicht einmischen sollten. Wird die Wahl einer Ehepartnerin bzw. eines Ehepartners getroffen, so ist dies als Autonomie der Wählenden anzusehen. Eine Einbindung von Familien in Eheentscheidungen gilt vielmehr als Rückständigkeit nicht-westlicher Kulturen. Auch wenn die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass das Familienmitglied, welches die Wahl des Ehepartners oder einer Ehepartnerin trifft, aufgrund seiner Sozialisation in der Familienstruktur nicht sehr wertedistant zur Familie auswählen wird, sind die negativen Bilder und Stereotype so dominant, dass der Wahl der Tochter misstraut wird – ca. 30 % der
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Bevölkerung können sich offenbar nicht vorstellen, dass es ›passende‹ Muslime geben könnte. Diese Vorstellungen, die das Verhalten trotz empirischer Widerlegung prägen, nennt Terkessidis »rassistisches Wissen« (Terkessidis 2004: 83 ff.). Dies sind Bilder und Vorstellungen über »Andere« bzw. »Fremde«, welche grundlegend für Ab- und Ausgrenzungspraxen sowie spezifische Ungleichheitsverhältnisse entlang von race, Kultur- und Wertekonstruktionen sorgen und jene, die nicht dazugehören, von jenen, die dazugehören, trennen (ebd.). Dieses rassistische Wissen ist in gesellschaftliche Strukturen eingelassen bzw. institutionalisiert. So gesehen handelt es sich beim rassistischen Wissen um ein Repertoire an Bildern, Vorstellungen, Ideen etc. für die Deutung und Ordnung der sozialen Wirklichkeit. Die Entscheidungsträger*innen wiederum sind insofern in diese verstrickt, als diese Bilder und das rassistische Wissen den Kontext darstellen, in dem sie leben und agieren (ebd.). Dieses Wissen ist internalisiert und spiegelt sich daher – intendiert oder unintendiert – im alltäglichen Denken und Handeln wider. Da es also zur Normalität des Alltags gehört, werden das rassistische Wissen und die Effekte von Rassismus in Form von Ausgrenzungen und Diskriminierungen selten auch als solche erkannt. Vielmehr stellt das rassistische Wissen logische und sinnhafte Deutungsmodelle für gesellschaftliche Ungleichheitsverhältnisse bereit. Rassistisches Wissen behindert nicht nur soziale Anerkennung, sondern ist auch ein Hinderungsgrund für die Herstellung von Identifikation und Zugehörigkeit in pluralen Demokratien (Foroutan/Ikiz 2016).
Identifikative Anerkennungsdefizite: Exklusion aus dem nationalen Narrativ In diesem Buch wird der Begriff der Integration paradigmatisch verstanden: als das Gewähren von Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe. Diese drei Elemente erzeugen Zugehörigkeit und Identifikation, also den Umstand, sich mit der Umwelt kongruent – nicht fremd – zu fühlen. Heckmann und Lutz beschreiben identifikative Integration ebenfalls als ein Zugehörigkeitsgefühl (Heckmann/Lutz 2010: 22). Hartmut Esser beschreibt Integration grundsätzlich als »die Entstehung von gleichgewichtigen Interdependenzen zwischen Personen und Gruppen« (Esser 2010: 9) und identifikative Integration als
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Hinwendung zum Aufnahmeland (Esser 2001). Zwar konzentriert er sich dabei vor allem auf das Verhältnis von Migrant*innen und ihren Nachkommen zur Dominanzgesellschaft – aber die Aussage selbst funktioniert auch unabhängig von Migration, um relationale Verhältnisse der Gleichheit zu beschreiben. Das reziproke und interdependente Verhältnis, das hier angedeutet wird, ist jedoch so lange asymmetrisch, wie gesellschaftliche Machtverhältnisse hegemonialen Gruppen mehr Definitions- und Deutungsmacht erlauben als Minderheiten. Das soll heißen, dass der Prozess der Identifikation mit einem Land und einer Gesellschaft jederzeit abgebrochen werden kann, wenn die Seite, die für sich in Anspruch nimmt zu definieren, wie dieses Land sich in seiner »Leitkultur« beschreibt, jene soziale Gruppe, zu der eine Minderheit oder eine unerwünschte Mehrheit gehört, als nicht zugehörig beschreibt. Identifikation ist also in starkem Maße abhängig von Anerkennung, und Zugehörigkeit kann sich nicht unabhängig von ihrer Gewährung durch andere einstellen. Ein Konzept, an dem Zugehörigkeit gemessen werden kann, ist nationale Identität. Nach wie vor impliziert das Konzept der nationalen Identität einen Ausschluss von Gruppen und Menschen aus dem kollektiven Narrativ. Dabei ist zu berücksichtigen, dass laut der sozialen Identitätstheorie (Mead 1934; Jenkins 1996; Goffman 1967) grundsätzlich eine soziale Gruppe nur durch Ausschluss einer anderen sozialen Gruppe existieren und sich selbst auch nur in Abgrenzung zu einer anderen Gruppe definieren kann (Tajfel/Turner 1986). Insbesondere aus postmigrantischer Perspektive sehen sich Menschen, die für sich beanspruchen, längst Teil des nationalen Kollektivs zu sein, hegemonialen und wirkmächtigen Narrativen ausgesetzt, die ihre Person oder soziale Gruppe aufgrund phänotypischer Merkmale und/oder kultureller, ethnischer, religiöser oder nationaler Zuschreibungen abwerten und Ereignisse und Erzählungen, die sie und ihre Gruppe betreffen, nicht im kulturellen Repertoire des Landes mitdenken. Narrative sind Erzählungen bzw. Erzählstrukturen, die Gemeinschaften betreffen und die über Zeit und Raum eine Reproduktion erfahren. Ihre Funktion liegt in der Konstruktion eines kollektiven Gedächtnisses und somit in der Konstruktion vergangener und gegenwärtiger Wirklichkeit (Klein/Martínez 2009). Sie sind »zentral für die Darstellung von Identität, für das individuelle Erinnern, für die kollektive Befindlichkeit von Gruppen, Regionen, Nationen, für ethnische und geschlechtliche Identität« (Müller-Funk 2008: 17).
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Derzeit ist noch immer zu beobachten, dass in den Narrationen des Deutschseins konstitutive Elemente für das Beschreiben der eigenen Identität wirkmächtig sind, die allesamt migrantische Perspektiven auslassen, verschweigen oder nicht mitdenken. Dazu gehören solche Kernnarrative wie z. B. der Holocaust, der Zweite Weltkrieg, der Wiederauf bau oder die Wiedervereinigung. Dabei ist auch der Holocaust eine Geschichte, die mit Migration und Migrant*innen in Verbindung steht und noch heute auf Migrationsgeschichten einwirkt, ebenso wie der Zweite Weltkrieg, der bis heute in Biographien von Familien mit Migrationshintergrund eine Rolle spielt. Durch die Zuweisung migrantischer Akteur*innen auf Plätze außerhalb dieser Erzählgemeinschaft wird zum einen der Versuch unternommen, subjektbezogene Ambivalenzen zu reduzieren, denn wenn die Personen klar als Andere und als ›Außen‹ markiert werden, erscheint ›das Deutsche‹ nicht mehr so hybrid. Zum anderen ist empirisch nachweisbar, dass mit diesem Verweis außerhalb des nationalen Narrativs auch eine Einschränkung von Partizipations- und Teilhaberechten sowie eine Infragestellung demokratischer Rechte einhergeht, wie im folgenden Abschnitt gezeigt werden soll. In einem Survey-Experiment der bereits zitierten Studie »Deutschland postmigrantisch I« sollte die Zugehörigkeit von Muslim*innen zum deutschen nationalen Kollektiv – also zu einem ›deutschen Wir‹ – überprüft werden. Dabei wurden Muslim*innen in drei verschiedenen Aussagen mit einem kollektiven ›Wir‹ verglichen, welches die Befragten in einer nachfolgenden Frage selbst bestimmen konnten.15 Zwei dieser Aussagen enthielten zwei gesellschaftlich dominante und etablierte Kernstereotype gegenüber Muslim*innen, die um Gewalt und Bildungsferne kreisten (»Muslime sind aggressiver als wir«; »Muslimische Eltern sind genauso bildungsorientiert wie wir«). Die dritte Aussage kreiste um die allgemeine Einstellung dazu, ob Muslimen mehr Anerkennung entgegengebracht werden sollte (»Wir sollten Muslimen mehr Anerkennung entgegenbringen«). Die Befragten sollten angeben, ob sie diesen Aussagen zustimmen oder nicht zustimmen.16 Das Experiment erfüllte somit einen zweifachen Zweck: Zum einen sollte es stereotype Einstellungen gegenüber Muslim*innen messen und zum 15 Muslimische Befragte haben dieses Survey-Experiment nicht erhalten. 16 Die Folgefrage lautete »An wen haben Sie eigentlich gerade gedacht, bei dem ›Wir‹?« und wurde offen gestellt.
I. Anerkennung und Aushandlung
anderen sollte die Hypothese überprüft werden, dass Muslim*innen nicht in dem benannten ›Wir‹ mitgedacht und ergo nicht als Teil des deutschen Narrativs wahrgenommen werden (Foroutan et al. 2014). Die oben skizzierte Wir-ihr-Dichotomie stellte einen experimentellen Bestandteil der Fragestellung dar, da anschließend den befragten Personen die Möglichkeit zur Erläuterung gegeben wurde, wen sie unter dem abgefragten ›Wir‹ eigentlich verstehen. Da es sich hierbei um eine offene Angabe handelte, konnte eine hohe Bandbreite an Aussagen aufgenommen und durch eine nachträgliche Codierung sowie Kategorisierung statistisch greif bar gemacht werden. Zu erkennen war, dass weit mehr als ein Drittel der Antwortgruppe (37,6 %) als Wir-Gruppe die ethnische bzw. nationale Kategorie »deutsch« angab und diese als die ingroup den Muslim*innen entgegenstellte. Darunter fielen Antworten wie »wir Deutsche«, »die deutsche Bevölkerung«, »die deutsche Allgemeinheit« oder »Deutschland«. Derlei Antworten können Kennzeichen für eine narrative Exklusion sein, implizieren sie doch, dass ›deutsch‹ und ›muslimisch‹ einander ausschließende Kategorien sind – als gäbe es keine deutschen Muslim*innen und keine muslimischen Deutschen (faktisch besaßen bis zum Anstieg der Fluchtmigration im Jahr 2015 ca. 50 % der in Deutschland lebenden Muslim*innen die deutsche Staatsangehörigkeit, vgl. Haug et al. 2009: 80). ›Muslimisch‹ und ›deutsch‹ werden demnach überwiegend als Gegenkategorien wahrgenommen und Musliminnen und Muslime aus dem ›deutschen Wir‹ herausdefiniert. Tatsächlich hätten die Personen auch mit einer Komplementärkategorie auf die Frage antworten können, wen sie bei dem ›Wir‹ eigentlich im Sinn hatten – also als sie sagten: »Muslimische Eltern sind genauso bildungsorientiert wie wir.« Sie hätten z. B. mit religionsbezogenen Kategorien antworten können, darunter Nennungen wie z. B. »Ich hatte die Nicht-Muslime im Sinn« oder »die Christen«. Diese wären logische Komplementärkategorien zu ›muslimisch‹, die allerdings nur von 5,7 % der Befragten mindestens einmal genannt wurden. Hier zeigt sich abermals die Bedeutung von nationaler oder ethnischer Identität, die in Deutschland von vielen Befragten als Gegensatz zu einer religiösen Kategorie – dem Muslimischsein – konstruiert wird. Dies stützt die Beobachtung, dass Muslim*innen aus dem nationalen Narrativ ausgeschlossen werden. Einschränkend muss jedoch gesagt werden, dass es sich hierbei um ein Survey-Experiment handelt und es nicht klar ist, was Personen mei-
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nen, wenn sie diese nationalen oder ethnischen Kategorien verwenden. Die meisten Befragten verwendeten keine dieser beiden Kategorien (47,5 %) und gaben sonstige Faktoren wie familiäres Umfeld, Freunde etc. als Teil des narrativen ›Wir‹ an, welches sie Muslim*innen gegenüberstellten. 9,1 % der Befragten wollten oder konnten sich nicht festlegen und verwiesen damit unter Umständen auf eine Sichtweise, die starren und eindeutigen Identitäten skeptisch gegenüber steht. Eine befragte Person brachte diese Widersprüchlichkeit klar zum Ausdruck: »Das ist ja genau das Problem: Es gibt nicht den Deutschen, es gibt nicht den Moslem oder Türken. Das bringt mich ins Schwimmen.« (Foroutan et al. 2014)
Ausblick: Das normative Paradoxon als Herausforderung für die Gesellschaft? Verschiedene empirische Studien, eigene Datenerhebungen und theoretische Erkenntnisse, die in diesem Kapitel angeführt wurden, legen nahe, dass in Deutschland seit geraumer Zeit in Bezug auf nicht-dominante Gruppen – in diesem Fall Migrant*innen und Muslim*innen – objektive Leistungskriterien außer Kraft gesetzt werden, Normenprämissen an Geltung verlieren und demokratische Grundsätze abgeschwächt werden, und zwar nicht nur im Hinblick auf strukturelle Integrationsaufgaben, wie die Ermöglichung von Bildungs- und Arbeitsmarktzugängen, sondern auch in Fragen der sozialen Anerkennung, der Gewährung religiöser Grundrechte und des Zugeständnisses von Zugehörigkeit. Wir wissen aus der Forschung zu Vorurteilen und Stereotypen, dass eine sogenannte outgroup immer eine Bedeutung für die ingroup hat (Tajfel/Turner 1986; Brewer/Brown 1998): Die Bilder, die es in Deutschland über Muslim*innen gibt, sagen auch etwas über die Selbstbilder, Ängste und Projektionen der nicht-muslimischen Bevölkerung aus (Attia 2007). Flankiert werden diese exkludierenden Wertediskurse durch stereotype Narrative, die häufig Sozialisationsfaktoren in Charaktereigenschaften und Mentalitäten umdeuten und festschreiben und sie als grundlegende charakterliche Aggression oder veranlagte Bildungsferne codieren, die sie der Kultur, der Ethnie, der Religion oder der Nationalität zuschreiben, wie oben nachgewiesen wurde. Zu beobachten ist dabei auch etwas Kontraintuitives: Je mehr Rechte, Positionen und Privilegien ausgehandelt und anerkannt werden, je
I. Anerkennung und Aushandlung
offensiver der demokratische Gleichheitsgrundsatz eingefordert wird und je sichtbarer migrantische Präsenzen in der Öffentlichkeit werden, desto stärker wird die Ablehnung der als migrantisch markierten Bevölkerung. Positionsgewinne und Aufstiege migrantischer Akteur*innen führen parallel zu Konkurrenz- und Teilhabekonf likten um symbolische Güter wie nationale Identität und kulturelle Hegemonie (El-Mafaalani 2018; Foroutan 2012). Die normative Paradoxie besteht darin, dass im Prozess der Aushandlung der Anspruch der Minderheiten auf zusätzliche Anerkennung nicht nur entsteht, sondern weiter zunimmt. Dies geschieht allerdings, während parallel systematische Anerkennungsbarrieren ignoriert oder geleugnet werden, was Aufstiege umso schwieriger macht. Die empirische Faktizität der Ungleichheit führt unweigerlich zu der Annahme, dass diese Situation für eine plurale Demokratie mit einer verfassungsrechtlichen Verankerung der Vorstellung von Gleichheit und Würde aller Menschen nicht legitim sein kann. Die Fragen, denen weiter nachgegangen werden muss, lauten, ob diese normativen Paradoxien destruktiv auf die Gesellschaft wirken und wie es möglich ist, bei dieser Ambivalenz das gesellschaftliche Selbstbild einer modernen und aufgeklärten Demokratie aufrechtzuerhalten, wonach kein Mensch aufgrund seiner Herkunft, seiner Religion, seines Geschlechts etc. benachteiligt werden darf. Es bleibt zu untersuchen, ob die Ambivalenz empirisch nachweisbarer Anerkennungsdefizite bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung einer hohen demokratischen Norm und des Versprechens der pluralen Demokratie, alle Menschen gleichermaßen an den zentralen Ressourcen dieser Gesellschaft teilhaben zu lassen, zu erhöhten gesellschaftlichen Spannungen führt und wie diese Spannungen sich entladen. Kurz: Löst die Ambivalenz vielleicht die »große Gereiztheit« aus? Im nächsten Kapitel soll auf Ambivalenzen und Ambiguitäten als Merkmal der Dynamik postmigrantischer Gesellschaften, die Anerkennung aushandeln und dabei mit Allianzen und Antagonisten gleichzeitig konfrontiert sind, eingegangen werden.
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II. Ambivalenzen und Ambiguitäten Die Irritation der Mehrdeutigkeit Etwas gilt als ambivalent und ambig, wenn es als uneindeutig oder widersprüchlich empfunden wird oder wenn es zur gleichen Zeit zwei Bedeutungen aufweist, die sich gegenseitig ausschließen (Bauer 2011). Das kann Irritation, Zwiespalt und Spannungen erzeugen. Wenn ein politisch leitendes Narrativ in diesem Land seit 2001 erzählt, dass Deutschland ein Einwanderungsland sei, und wenn dieses Narrativ zudem impliziert, dass den nach Deutschland eingewanderten Menschen und ihren Nachkommen gleiche gesellschaftliche Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe ermöglicht werden sollten, dann ist die bestehende strukturelle, soziale, kulturelle und identifikative Ungleichheit zwischen migrantischen und nicht-migrantischen Bürger*innen zumindest ambivalent. Mittelfristig kann diese widersprüchliche Situation soziale Spannungen erhöhen, da sie zu einer Infragestellung der Demokratie führen kann. Demokratien stellen neben dem Wert der Freiheit den Wert der Gleichheit in den Mittelpunkt politischer und gesellschaftlicher Verwirklichung. Und sie streichen den Stellenwert von Minderheiten in besonderem Maße als Erkennungsmerkmal heraus, da ein Spezifikum dieser Staatsform auf einer Mehrheitsherrschaft mit starken Minderheitenrechten beruht (Dahrendorf 1958). Begründet wird die Bedeutung von Minderheitenrechten damit, dass diese aufgrund ihrer Gruppengröße niemals die Möglichkeit haben werden, eine critical mass (Oliver et al. 1985) zu bilden und durch Wahlgewinne Einf luss auf ihre gesellschaftliche Positionierung zu haben. Sie sind daher entweder darauf angewiesen, durch Allianzen eine politische Position für ihre Minorität zu erlangen, oder aber ihnen werden verfassungsrechtlich Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhaberechte aufgrund ihres Minderheitenstatus zugestanden bzw. garantiert (Habermas 1992).
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Wie geht eine Gesellschaft mit dieser normativen Paradoxie um? Wie verarbeitet sie die kognitive Dissonanz zwischen einer weithin geltenden Normenbasis, die Pluralität und Anerkennung auf der einen Seite betont und auf der anderen Seite mit einer systematischen empirischen Missachtung dieser Norm für bestimmte soziale Gruppen konfrontiert ist? Im vorigen Kapitel deutete sich bereits folgende Annahme auf Basis der empirischen Befunde an: Um die normative Paradoxie aufzulösen, werden diejenigen, denen die legitimen Zugangs- und Anerkennungsrechte verwehrt werden, als Fremde im Diskurs festgeschrieben und ihnen wird ein Platz außerhalb des kollektiven Narrativs bzw. des nationalen Kollektivs zugewiesen, um diese Abwehr zu legitimieren. Diese Fremdheitszuschreibung erfolgt in den letzten Jahren zunehmend über ein Migrations-Label oder auch über ein Muslimisierungs-Label (Spielhaus 2018). In einer postmigrantischen Gesellschaf t werden jedoch sowohl die Migrationszuschreibungen als auch die Zuschreibungen als Muslime von vielen der markierten Subjekte abgewehrt: Die Folgegenerationen fühlen sich oft weder als Muslim*in noch als Migrant*in (Foroutan 2013). Durch diese zunehmende Pluralisierung und Hybridisierung wird die kulturelle Hegemonie in Frage gestellt. Zu beobachten ist: Je mehr Migrant*innen und ihre Nachkommen ihr Bekenntnis zu und ihre Verbundenheit mit Deutschland artikulieren, desto stärker werden Begriffe wie Heimat, Nation und Volk in einen exklusivistischen Diskurs überführt. In diesem Kapitel soll auf das Phänomen der doppelten Ambivalenz und die Spannung zwischen einer zunehmenden Hybridisierung/Ambiguität der Gesellschaft auf der einen und dem Versuch der Reduktion von Mehrdeutigkeiten auf der anderen Seite eingegangen werden. Während Kapitel I bereits die objektive Ambivalenz zwischen Normerwartung und Anerkennungsdefiziten beschrieben hat, indem der Unterschied zwischen dem Anerkennungsversprechen mit zentralen Anerkennungsdefiziten auf struktureller, kultureller, sozialer und identifikativer Ebene kontrastiert wurde, konzentriert sich dieses Kapitel II vor allem auf die subjektbezogene Ambivalenz: Damit ist die erhöhte Hybridisierung der Gesellschaft gemeint sowie die Irritation, die es für die Beschreibung der nationalen Identität auslöst, wenn zunehmend Menschen, die vorher nicht zum nationalen Kollektiv hinzugezählt wurden, nun beanspruchen, Teil desselben zu sein. Um das normative Paradoxon – zwischen Gleichheitsversprechen und Anerkennungsde-
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fizit – auszugleichen, werden Stereotype bedient, die entlastend wirken und die ungleiche Behandlung legitimieren. Die Stereotypisierung und die Betonung der eigenen nationalen Zugehörigkeit führen zur stärkeren Infragestellung von Grundrechten. Dies wird mit vermeintlich deviantem Verhalten der abgewerteten Minderheit legitimiert. Die Aufstiege von Minderheiten ändern nichts an der stereotypen Wahrnehmung, sondern werden als Bedrohung wahrgenommen. Ambivalent ist: Je näher »die Migranten« an die Gesamtgesellschaft rücken und je stärker die Hybridisierung der Gesellschaft voranschreitet, desto exklusiver wird das Narrativ der deutschen bzw. nationalen Identität, was wiederum zur stärkeren Infragestellung von Grundrechten führt. Auch dieses Kapitel grundiert die theoretischen Annahmen mit eigenen empirischen Analysen.
Doppelte Ambivalenz: Verunsicherung durch normative Widersprüche und Un-Ordnung Ambivalenz (abgeleitet von lateinisch ambo »beide« und valere »gelten«) weist, wie eingangs angedeutet, auf einen gleichzeitigen Geltungsanspruch von Positionen, Einstellungen und Aussagen hin, die sich widersprechen oder sogar gegenseitig ausschließen. Damit verbunden ist das Gefühl von Zwiespalt und Doppeldeutigkeit, was negativ konnotiert ist, oder von Doppelwertigkeit, was positive Implikationen haben kann. In der Psychologie deutet Ambivalenz auf ein Nebeneinander von gegensätzlichen Gefühlen, Einstellungen und Gedanken in ein und derselben Person hin – was für viele Menschen ein durchaus vertrauter Erfahrungszustand ist, den sie nicht unbedingt als pathologisch empfinden würden, sondern eher als entscheidungshemmend (Bleuler 1914; Ziegler 2010). Und laut Religionswissenschaft gehört Ambivalenz und der Umgang damit zum Repertoire der Gläubigen, die mit einem doppeldeutigen Gottesbild, einer gleichzeitig gütigen und strafenden Gottesfigur vertraut sind, was in vielzähligen Religionen der Fall ist (Klessmann 2018). Ambivalenz kann somit gleichzeitig ein alltäglicher Umstand und ein krisenhafter Verunsicherungszustand sein. Die Frage, die sich stellt, ist, wie Individuen, soziale Gruppen oder Gesellschaften mit Ambivalenz umgehen. Chantal Mouffe spricht von Ambivalenz als notwendigem politischem Motor, der zu immerwährenden Aushandlungen von sich wider-
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sprechenden Positionen führt und somit die Möglichkeit eröf fnet, in einem dialektischen Prozess Gehör auch für marginalisierte Positionen zu schaffen (Mouffe 2008). Wenn sich widersprechende Positionen in Dialog treten, dann treibt dies soziale Veränderungen an und ermöglicht durch den Widerspruch die Infragestellung absoluter Hegemonie. Mouffe sieht daher in einer Auf lösung dieser ambivalenten Struktur eine Gefahr für die Demokratie, da die Auf lösung der Spannung »immer die Hegemonie einer Seite etablieren [wird]« (ebd.: 22). Außerhalb der politischen Positionierungen sowie der empirischen und normativen Widersprüchlichkeiten nimmt in der postmigrantischen Gesellschaft – die von der Anerkennung der Migrationsfrage bei Ausweitung der damit einhergehenden Rechte für Migrant*innen und gleichzeitigem Widerstand dagegen gekennzeichnet ist – die Ambivalenz auch auf der Akteursebene zu. Das heißt, dass es nicht nur um ambivalente politische Positionen geht, die zur Demokratie dazugehören, sondern auch um soziale Gruppen oder einzelne Personen – also migrantische und/oder migrantisierte Andere –, die als ambivalent empfunden werden, weil sie nicht eindeutig zugewiesen werden können. Die Hybridisierung der gesellschaftlichen Akteur*innen hat allerdings nicht nur migrationsbedingte Gründe. Zwar hat mittlerweile fast ein Viertel der deutschen Bevölkerung einen sogenannten Migrationshintergrund, dies geht jedoch nicht automatisch mit ethnischer bzw. racebasierter, also sichtbarer Hybridisierung einher. Über 60 % der Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland kommen aus Europa (Statistisches Bundesamt 2018c: 61), viele von ihnen werden nicht als Migrant*innen codiert, weil sie phänotypisch nicht erkannt werden. Für diejenigen, die jedoch mit rassifizierenden Markierungen konfrontiert sind, ist die Frage nach der Herkunft häufig eine, die mit identitären Reaktionsmechanismen einhergeht (Hall 1992b; Bhabha 1994; Fanon 1988; Spivak 1990). Für sie werden die Marker durch die immerwährende Wiederholung und Anrufung relevanter (Butler 1991; Althusser 1977). Gleichzeitig ist über die (neue) Heimat Deutschland eine Verbundenheit und Identifikation mit diesem Land vorhanden (Haug et al. 2009). Auch hybridisieren sich häufig die Partner*innen, Freund*innen und Verwandten, für die durch die emotionalen Kontakte migrantische Bezugspunkte ebenfalls überrelevant werden und ihre Identitätsbezüge mitformen (Foroutan 2013). Parallel hat auch das Sprechen über genderbasierte Hybridisierung in der Gesellschaft zugenommen und Debatten über die Auf lösung der Binarität der Geschlechterordnung
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
führen regelmäßig zu abwehrenden und antagonistischen Positionen (Hornscheidt 2012; Eisenberg 2017). Wir haben es also mit unterschiedlichen Formen der Ambivalenz zu tun, weswegen von einer doppelten Ambivalenz gesprochen werden kann: (1) Zum einen können wir von einer objektiven Ambivalenz sprechen, die nachweisbar ist, nämlich jene zwischen der Norm der Gleichheit und der Empirie der Ungleichheit (siehe Kapitel I). (2) Zum zweiten können wir eine subjektbezogene Ambivalenz beschreiben, die in der Zunahme von Pluralisierung und Hybridisierung zu suchen ist. Hybridität ist also einerseits alltäglich geworden und wird andererseits zeitgleich abgewehrt.
Subjektbezogene Ambivalenz – Abwehr von Pluralisierung, Hybridität und Ambiguität Eine Grundannahme, welche die postmigrantische Gesellschaftsanalyse formuliert lautet, dass es bei der steigenden migrationsfeindlichen Aversion und Aggression, die europaweit zu spüren ist, auch um den Versuch der Reduktion von Pluralität, auch empfunden als Ambiguität (verstanden als Mehrdeutigkeit) und Hybridität geht, welche die Gesellschaften zunehmend unklassifizierbarer und ambivalenter macht (Foroutan 2018b). Kischkel, der eine Skala zur Erfassung von Ambiguität entwickelt hat, stellte fest, dass »unstrukturierte, unvollständige, erwartungswidrige, in sich widersprüchliche oder mehrdeutige Informationen als Ursache psychischen Unwohlseins wahrzunehmen« seien (Kischkel 1984: 144). Ein nicht unerheblicher Teil der Bevölkerung kann mit der zunehmenden Komplexität der Gesellschaft weder terminologisch noch emotional und identifikativ umgehen und sehnt sich nach eindeutigen Kategorien und Benennungspraxen, Trennschärfe in der Personenbeschreibung (z. B. auch mit Bezug auf Gender) und Klarheit in der nationalen, kulturellen und religiösen Verortung von Menschen zurück (Mecheril 2003a). Klarheit zu schaffen kann als ein Versuch gewertet werden, das normative Paradoxon aufzulösen. Es ist allerdings auch als ein unverhohlener Angriff auf die Postmoderne und die liberale, offene, plurale Demokratie (oder wie auch immer man die emanzipativen Errungenschaften der demokratischen Gesellschaften klassifizieren möchte) zu begreifen, mit dem revisionistischen Ziel der Etablierung einer Vorstellung von Einheitlichkeit, die in der Vergangenheit gesucht wird – »als alles noch klarer war«.
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Herstellung von Ordnung durch Klassifizierung Zygmunt Bauman hat sich in seinem Buch »Moderne und Ambivalenz« mit der Irritation der Ambivalenz auseinandergesetzt. Er beschreibt darin das Projekt der Moderne in der Herstellung von Ordnung und damit einhergehend in der Beseitigung von Ambivalenz (Bauman 2016). Dabei verweist er auf den Nationalsozialismus als den Höhepunkt eines Versuches, »Ordnung herzustellen« und die Welt von jeglicher Ambivalenz zu befreien. Die Ordnungsphantasien waren an kulturellen, ethnischen, religiösen, nationalen, sexuellen und genetischen Klassifizierungsmechanismen ausgerichtet und betrafen darüber hinaus auch die Lebensführung und die politische Weltanschauung. Der Übergang zur Postmoderne geht Bauman zufolge mit dem Verlust einer kulturellen Deutungsmacht einher, da die Postmoderne, anders als die Moderne mit ihrer Ordnungsobsession, einen Pluralismus von Kulturen, Traditionen, Ideologien sowie Lebensformen postuliere (Bauman 1995: 23 ff.). Insofern sind die populistischen Angriffe, die gegen die postmigrantische Gesellschaft artikuliert werden, auch als eine Sehnsucht nach der Wiederherstellung einer ehedem überblickbaren Ordnung zu verstehen. Während die neurechte Ideologie diese Ordnung vor allem kulturell, ethnisch, religiös und national1 bedroht sieht, erhebt die Linke eher den Vorwurf, diese KERN-Parameter verschatteten die soziale Frage und lenkten von Schicht und Klasse und der ökonomischen Frage als zentralem Konf liktmotiv ab (Lilla 2017; Gabriel 2017; Pfaller 2018; Fraser 2018). ›Get back control‹ oder die Herstellung von Ordnung ist ein Postulat des aktuellen zeitgeschichtlichen Kontextes, das gleichzeitig das Austrittsvotum Großbritanniens aus der Europäischen Union gerahmt hat, Debattenkern der Kritik gegenüber der Flüchtlingspolitik Angela Merkels in Europa war und in Frankreich den Hauptanspruch der Rechtspopulisten um Marine Le Pen bildet, die damit Frankreich in ein Ordnungsmodell einpassen wollen, welches autark, autonom und national gedacht wird. Die Idee der Herstellung von Ordnung verknüpft sich mit der Idee der Abwehr von Pluralität als Unordnung. Ordnung geht mit Klassifizierung einher: »Klassifizieren bedeutet trennen, absondern. Es bedeutet zunächst zu postulieren, dass die Welt aus diskreten und unter1 Diese Parameter sollen im Folgenden bezugnehmend auf ihr Akronym als ›KERNKonflikte‹ bezeichnet werden.
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
schiedenen Elementen besteht; dann zu postulieren, dass jede Einheit eine Gruppe von ähnlichen oder benachbarten Einheiten hat, zu denen sie gehört und mit denen – gemeinsam – sie bestimmten anderen Einheiten entgegengesetzt ist […]. Mit anderen Worten, klassifizieren heißt, der Welt eine Struktur zu geben.« (Bauman 2016: 11) Diese Strukturgebung wiederum erleichtert Lern- und Erinnerungsprozesse, Menschen bilden auf Basis einer erkannten und bekannten Struktur Sicherheiten heraus (ebd.: 12). Folglich kann eine Infragestellung der Klassifizierungsschemata als Angriff auf die Strukturgebung und somit auch erlernte Sinngebung verstanden werden. Die Welt als ›mir bekannte Ordnung‹ wird unbegreif barer, wenn ein erlerntes Klassifizierungsschema ambivalent wird – also unterschiedliche Dinge zur gleichen Zeit bedeuten kann: »Aus demselben Grund erfahren wir Ambivalenz als Unbehagen und als eine Drohung. Ambivalenz wirft die Berechnung von Ereignissen über den Haufen und bringt die Relevanz erinnerter Handlungsstrukturen durcheinander.« (Ebd.) Allerdings beschreibt Bauman Ambivalenz nicht nur als Grund, sondern gleichzeitig auch als ein Produkt der Klassifizierungssehnsucht, denn jede Form von Klassifizierung erzeuge automatisch wieder etwas Unklassifizierbares. Die Benennung als ›Mann‹ und ›Frau‹ löst die Frage danach nicht auf, wie jene zu benennen sind, die weder Mann noch Frau sind. Und die Klassifizierung von Migrant*innen und Einheimischen löst die Frage danach nicht, wie jene genannt und gesellschaftlich adressiert werden, die selbst schon immer hier waren, aber deren Eltern oder Großeltern irgendwann einmal zugewandert sind. »Strangers no more« nennen sie Nancy Foner und Richard Alba in ihrem gleichnamigen Buch (Alba/Foner 2015). Aber diese Personen, die keine Fremden mehr sein wollen, artikulieren Ansprüche und fordern Gleichwertigkeit und Anerkennung über politisch-rechtliche, strukturelle, kulturelle und soziale Ebenen hinaus bis in emotionale und identifikative Dimensionen der gesellschaftlichen Zugehörigkeit. Und ihre Forderungen nach neuen Begriffspraxen und Benennungspolitiken fordern auch die Sozialwissenschaften heraus. Die sozialpsychologische Forschung hat hinreichend gezeigt, dass die Zuordnung zu sozialen Kategorien (z. B. Geschlecht, sozialer Herkunft, ethnischer Herkunft etc.) zu unterschiedlichen Erwartungen an Menschen und soziale Gruppen führen kann (Tajfel/Turner 1986). Wenn sich die Gruppenangehörigen zu einer oder mehrerer dieser Kategorien zugehörig fühlen, kann diese Wahrnehmung sie in ihrem Ver-
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halten beeinf lussen und zur Differenzierung in ingroup und outgroup beitragen (für einen Überblick: Brewer/Brown 1998). Zwar gehen mit der Differenzierung nicht zwangsläufig Aufwertungen bzw. Abwertungen bestimmter Gruppen einher (Babad/Inbar/Rosenthal 1982; Brewer 2000), allerdings können soziale Kategorien in bestimmten Situationen zu Bewertungskriterien werden (Sherif 1966) oder als Stigmata (Goffman 1967) zur Ausgrenzung und Diskriminierung von Personengruppen führen. Bei dem Wunsch, sich von diesen Markierungen zu lösen und Kategorien aufzulösen, was zunehmend aus aktivistischer und kritischdialektischer Perspektive an die quantitativen Sozialwissenschaften herangetragen wird, kommt es jedoch zu einem Dilemma: Es geht darum, diskriminierende Strukturen zu erkennen, die sich am Umgang mit und der Abwehr von Differenz messen lassen – beispielhaft seien Untersuchungen zur Öffnung von Schulen, Sportvereinen, Gesundheits- und anderen Institutionen für Migrant*innen und deren Nachkommen sowie weitere als »anders« markierte Gruppen genannt (Michelini et al. 2018; El-Kayed/Hamann 2018; Theobald 2017; Braun/ Nobis 2011). Gleichzeitig können diese Analysen von Diskriminierung in ebenjenen institutionellen Feldern nicht empirisch erfolgen, wenn keine kategoriale Bezeichnung vorliegt, nach der eine fehlende Repräsentation von Minderheiten in Institutionen nachgewiesen werden kann. Es braucht Sichtbarkeit und Benennung, um Unsichtbarkeit und Ungleichheit anzugreifen. Gleichzeitig wird durch die Kategorisierung von Migrant*innen und ihren Nachkommen eine immerwährende Differenz reproduziert. Das Dilemma kann nicht aufgelöst werden und führt auch innerhalb der Wissenschaft (besonders in der Migrationsund Integrationsforschung) zu unterschiedlichen, sich teilweise widersprechenden – also ambivalenten – Positionen (Mecheril et al. 2013; Castro Varela 2013; Hamburger/Stauf 2009; Aikins/Supik 2018).
Verkörperlichung der Un-Ordnung In der postmigrantischen Gesellschaft ist die Position zu Migration ambivalent: Auf der einen Seite ist die pmG geprägt von zunehmender Alltäglichkeit, da immer mehr Menschen Migrationsbezüge aufweisen, auf der andere Seite wird Migration als omnipräsentes Thema dominanzkulturell mit systemischen Fehlfunktionen oder Devianz in Verbindung gebracht; Änderung von Mehrheits- und Minderheitsverhält-
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nissen als Bedrohungsszenario wahrgenommen (Wagner et al. 2006) und die Anerkennung von Multikulturalität als Verlust von Privilegien (Honneth/Sutterlüty 2011, Taylor 1993, Modood 2007) erzeugt Abwehr. Assimilation wird weiterhin als optimale Zielvorgabe geführt und Hybridisierung und verbleibende Heterogenitätsmarker (in Sprache, Body-Codes, Religions- oder Traditionspraxis) gelten als transitorisch und als Zeichen noch nicht vollendeter Integration (Bhabha 2000, Hall 1992b). Eine leitende Annahme dieses Buches lautet, wie eingangs ausgeführt, dass neben dem Anstieg ökonomischer und sozialer Ungleichheit die Abwehr von Pluralität, Hybridität und Ambiguität – als gestiegene subjektbezogene Ambivalenz – die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen antreibt. Migration als sinngebende und verkörperlichte Pluralität ist dabei einer der sichtbarsten Angriffspunkte. Eine Aberkennung der Zugehörigkeit und eine stete Exklusion als Fremde ist ein wiederkehrendes Motiv, das Fatima El-Tayeb 2016 in ihrem Buch »Undeutsch« beschreibt. In der Figur des Migranten kulminieren die Vorstellungen der Grenzüberschreitung und der Unordnung. Die Folgegenerationen – also die Nachkommen der Migrant*innen – stellen zudem weitere etablierte Klassifizierungsmechanismen in Frage, indem sie eine hybride Mehrfachidentität für sich in Anspruch nehmen (Bhabha 2000; Hall 1992b; Foroutan 2013). Dies erhöht den Grad der Irritation und führt zu zunehmenden Diskursen des Ausschlusses, bis hin zu rassistischen Attacken und dem Aufstieg von Parteien, die eine klare Hierarchie über nationale und ethnische Zugehörigkeitsverweise propagieren – denn »[w]enn die Eindeutigkeit der Zugehörigkeitspraxis praktisch oder symbolisch in Frage gestellt wird, wird das binäre Schema der Reinheit-Unreinheit mobilisiert« (Mecheril 2003b: 30). Und dieses binäre Schema kann sich in Gewalthandlungen niederschlagen. Bauman sieht dann nicht nur die Ambivalenz als Konstrukt angegriffen, sondern die Träger der Ambivalenz selbst: »Einige Fremde sind freilich nicht die bis-jetzt-Unentschiedenen; sie sind im Prinzip Unentscheidbare. Sie sind die Vorahnung jenes ›dritten Elementes‹, das nicht sein sollte. Sie sind die wahren Hybriden, die Monster – nicht einfach unklassifiziert, sondern unklassifizierbar. Sie stellen nicht einfach diese eine Opposition hier und jetzt in Frage: Sie stellen Oppositionen überhaupt in Frage, das Prinzip der Opposition selbst, die Plausibilität der Dichotomie, die es suggeriert, und die Möglichkeit der Trennung, die es fordert. Sie demaskieren die brüchige Künstlichkeit der Trennung. Sie zerstören
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die Welt. Sie verwandeln das zeitweilige Unbehagen des ›nicht mehr Weiterwissens‹ in eine endgültige Paralyse. Sie müssen tabuisiert, entwaffnet, unterdrückt, physisch oder geistig exiliert werden – oder die Welt könnte zugrunde gehen.« (Bauman 2016: 100) Dieser dystopische Ansatz Baumans wird selbstverständlich nicht von der gesamten Gesellschaft geteilt. Vielmehr ist empirisch nachweisbar, dass ein großer Teil der Gesellschaft Pluralität und Ambivalenz durchaus als Errungenschaften der Moderne begreift, akzeptiert und vielfach auch wertschätzt, worauf im dritten Kapitel zu postmigrantischen Allianzen weiter eingegangen wird. Allerdings gibt es auch eine empirisch nachweisbare Zunahme der Abwehr von Uneindeutigkeit, verbunden mit einer Hierarchisierung der Gesellschaft über binäre Codes von Ein- und Ausschluss, worauf ebenfalls im dritten Kapitel eingegangen wird.
Ambiguität und Hybridität: Mehrdeutigkeiten in der postmigrantischen Gesellschaft Der Begriff der Ambiguität, der dem der Ambivalenz ähnelt, da er dem gleichen lateinischen Wort ambo, also »beide«, entstammt, wird in der Theorie vor allem dann relevant, wenn das psychologische Konstrukt der Ambiguitätstoleranz ins Feld geführt wird. Ambiguität bedeutet ebenfalls »Mehrdeutigkeit« und bezieht sich auf Widersprüchlichkeiten, ungewisse und unstrukturierte Situationen oder unterschiedliche Erwartungen und Rollen, die an die eigene Person gerichtet sind. Im Gegensatz zur Ambivalenz, die sich auf das bezieht, was eine Person an mehrdeutigen Informationen, Signalen, Rollen etc. sendet, ist Ambiguität eher auf das Empfangen von Signalen und die Wahrnehmung ausgerichtet. Sozial- und kulturwissenschaftliche Ambiguitätsforschung fragt vor allem nach den Emotionen, die durch Mehrdeutigkeiten ausgelöst werden (Bernecker/Steinfeld 1992).
Hybridisierung und Auflösung von kulturellen Grenzen Der Begriff der Ambiguität ist außerdem eng mit dem der Hybridität bzw. Hybridisierung verbunden. Im allgemeinen Sprachgebrauch steht ›Hybridität‹ zumeist für diverse Arten von Vermischung, (Re-)Kombination, Überschneidung, Kreuzung und Überlagerung (Bronfen/Marius/
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
Steffen 1997; Bienfait 2006; Hein 2006). Der Begriff markiert im etymologischen Wortsinne die Hybris der Grenzüberschreitung: ›Hybridität‹ stand in der griechischen Mythologie für die verbotene Verbindung zwischen Göttern und Menschen, aus welchen Halbwesen – z. B. der Minotaurus oder der Zentaur – hervorgingen, die gleichzeitig als bedrohlich und unglücklich galten (Ha 2005). Im Mittelalter wurden Kinder, die aus verbotenen Verbindungen zwischen Menschen unterschiedlicher Stände hervorgingen und ebenfalls auf die Überschreitung etablierter Grenzen hinwiesen, analog zur griechischen ›Hybris‹ als »Bastarde« bezeichnet. Und in den Kolonialrassediskursen des 16. Jahrhunderts galten Kinder, die aus einer Verbindung zwischen Kolonialherren und Kolonisierten hervorgingen, als Mischlinge, Unreine oder ›Kreolen‹, denen negative Attribute wie mangelnde Intelligenz, Verschlagenheit oder Unfruchtbarkeit zugeschrieben wurden (Young 1995: 175 ff.). Hybridität stand also für Rassenmischung und degradierte Gestalten, die die angebliche ursprüngliche Reinheit des Blutes aufhoben (Hein 2006: 54 f.). Im ausgehenden 19. Jahrhundert wurde der Begriff biologisiert und stand zunächst wertneutral für eine Kreuzung unterschiedlicher Pf lanzenarten. Bekanntheit errang er durch Gregor Mendels »Versuche über Pf lanzen-Hybriden« (1866). Im Zuge der Rassendiskurse des beginnenden 20. Jahrhunderts stand jedoch der »Rassenmischling« wieder für körperliche und geistige Unterlegenheit, physische und psychische Dysfunktionalität, Überlebensunfähigkeit als Folge biologisch bedingter Unfruchtbarkeit, mangelnde Intelligenz und charakterliche Schwäche (Foroutan/Schäfer 2009). Erst mit dem Eintritt des Begriffes in das Gebiet der Technik gelang der sogenannte postmodern turn – Hybridität stand nun für eine gelingende Zusammenführung unterschiedlicher Sphären (z. B. Hybridmotoren). Bei der Überführung des Begriffes der Hybridität von der Naturwissenschaft und Technik in die Kulturtheorie und Sozialwissenschaft übernahm der Begriff die positive Konnotation und stand nun gemeinsam mit dem Begriff der diversity für einen zentralen Ansatz der gesellschaftlichen Neuordnung: Durch diesen Zugang – der gleichzeitig Vielfalt und Differenz bezeichnet – entstand ein neuer Blick auf gesellschaftspolitische Realitäten, die durch globale und transnationale Wanderungsprozesse, einen internationalisierten Arbeitsmarkt und in deren Folge einen zwangsläufigen und zwangloseren Umgang mit Heterogenität bestimmt sind (Hein 2006: 28). Die 2000er Jahre waren davon geprägt, Hybridität als unauf haltsame Normalität zu kennzeichnen: »Hybridity,
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So What?« (»Hybridität, na und?«) hieß ein Aufsatz, der fragte, ob es denn überhaupt noch etwas »Un-Hybrides« gebe (Pieterse 2005). Der postmodern turn etablierte für die Kulturwissenschaften poststrukturalistische und postkoloniale Denkschulen, in denen ein Verständnis von Kultur und Identität sichtbar wurde, das sich vom binären Code der Moderne lossagte (Hein 2006; Foroutan 2013). Ambiguität und Hybridität symbolisieren darin eine Dekonstruktion essentialistischer Sichtweisen auf Kultur und Identität und gehen nicht mehr von einer immerwährenden Entscheidbarkeit oder inhärenten Inskription eines kulturellen Codes in ein Volk, eines identitären Codes in einen Menschen oder eines nationalen Codes in ein Land aus. Während in der Moderne dem Menschen eine stabile Identität vor allem aufgrund von eindeutigen Zuordnungen zu festen Gruppen zugeschrieben wurde und dieser seine Identität im Laufe seines Lebens über eine stufenförmige Leiter chronologisch komplettierte (Erikson 1992), werden Identitäten in der Postmoderne mehrfach, multipel oder in einem Patchwork gedacht (Keupp et al. 1999; Reckwitz 2006; Straub 2002); jedoch werden diese trotz oder gerade aufgrund ihrer situativen Wandelbarkeit als stabil angesehen. Der Druck des statischen Bekenntnisses zu einem unverrückbaren ›Ich‹ ist dem Bewusstsein gewichen, dass Menschen nicht mehr in angestammte Rollenprofile hineingeboren werden, nach welchen sie sich ein Leben lang zu verhalten haben. Sie können nicht nur ihre soziale Herkunft verändern, ihre Aufgaben oder Rollenerwartungen, sondern sogar ihre Sexualität und ihr Geschlecht. Zugehörigkeitsverhältnisse zu mehreren sozialen Kontexten sind eine Selbstverständlichkeit in pluralen Gesellschaften – und gelten nicht als Anomalie. Selbst Familiengründungen erzwingen keine Entscheidungsnormativität mehr, wie der Rollenausstieg aus klassischen Familienstrukturen verdeutlicht, z. B. in Form von Kindesadoption in homosexuellen Ehegemeinschaften. Diese Unentscheidbarkeit und Unentschiedenheit wird von manchen als Befreiung und von anderen als Überforderung oder gar als Provokation empfunden. Jene, die mit der Hybridisierung und Ambivalenz besser umgehen können, sind auch stärker bereit Pluralität progressiv zu begreifen, während die gleiche soziale Realität anderen Angst macht oder aggressiv abgewehrt wird. Im Körper der hybriden Subjekte (Reckwitz 2006) ist die Grenzüberschreitung eingeschrieben – sie symbolisieren die Ambivalenz, die als Spannung die Gesellschaft durchzieht, sie erinnern in ihrer physischen Präsenz an die hohe Norm
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und das Versprechen der pluralen Demokratie und machen das normative Paradoxon greif bar. Allein ihre Präsenz löst bei einem Teil der Bevölkerung Aggressionen aus. Deswegen sind sie es auch, die die Zielscheibe reduktionistischer Angriffe bilden. So als könnte die Norm erfüllt werden, wenn diese Gruppe nicht mehr da wäre. Die erstarkenden rechten Bewegungen gegen eine vermeintliche Islamisierung Europas sind also Angriffe auf die plurale Realität Europas. Sie sind nicht mit einer tatsächlichen Erhöhung der Anzahl von Muslimen oder Gef lüchteten zu erklären – in Ungarn, Tschechien, Polen oder der Slowakei sind die Zahlen der Muslime marginal, die islamfeindlichen Kräfte jedoch sehr stark. Auch in Frankreich, Dänemark oder den Niederlanden ist kein nennenswerter quantitativer Anstieg zu verzeichnen, der einen Anstieg der islamfeindlichen Parteien im gleichen Maße begründen könnte. Vielmehr ist eine Teilhabeforderung der zweiten und dritten Generationen migrantischen Akteure im Raum, die sich als zugehörig sehen und für sich die gleichen Rechte auf Anerkennung aushandeln wollen. Die Angriffe auf Migrant*innen und Muslim*innen sind vor allem ein Angriff auf die Hybridisierung der Gesellschaften. Sie sind ein unverhohlener Versuch der Reduktion von Ambivalenz durch eine Ausweisung dieser Gruppe aus dem nationalen Kollektiv.
Verortung und Zugehörigkeit Dort, wo auf lokalem Raum unterschiedlichste kulturelle Codes aufeinandertreffen und Partikularisierungstendenzen den scheinbar generalisierenden Charakter der nationalen Identität irritieren, entstehen zunehmend – wie derzeit in den europäischen Einwanderungsländern zu beobachten ist – Abwehrreaktionen und eine Infragestellung von demokratischen Zugehörigkeitskonzepten. Begründet wird dies vor allem über eine kulturelle und wertebasierte Unvereinbarkeit mit dem ›Eigenen‹ (Reuter 2002: 24 f.). Dieses ›Eigene‹ wird in eine Zeit vor der Einwanderung imaginiert und als originäre nationale Identität oder Kultur gedacht, die es gegen den Prozess der Vermischung, des Verschwimmens oder der Hybridisierung zu verteidigen gilt (ebd.). Diese sozialen Konf likte betreffen nicht nur das Zusammenleben von Alteingesessenen und Zuwanderern in der von Norbert Elias als »Etablierte und Außenseiter« beschriebenen klassischen Konf liktformation (Elias/ Scotson 2002); sie betreffen zunehmend auch Menschen, die seit Generationen da sind, jedoch aufgrund ihrer phänotypischen Marker als
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ewige Außenseiter ansprechbar bleiben, wie z. B. Schwarze Menschen in Deutschland, die, wie bereits erwähnt, keineswegs erst seit den Migrationsbewegungen infolge der Anwerbeabkommen der 1950er Jahre in Deutschland sind (El-Tayeb 2001; Oguntoye 1997). Die Frage der Zugehörigkeit betrifft in besonderem Maße Personen, die als nicht-deutsch oder als Migrant*innen codiert werden, sei es durch Name, Akzent, Haut- oder Haarfarbe oder auch Religion. Hybridität wird vor allem dann als widerständiges Konstrukt wahrgenommen, wenn Identitätsbildungsprozesse damit verbunden werden, die für sich in Anspruch nehmen, Referenzsysteme ineinander zu vereinen, die sich nach dem Geltungsanspruch der Mehrheitsgesellschaft gegenseitig ausschließen: Demnach ist es nach den gängigen Normalitätsvorstellungen schwer miteinander vereinbar, gleichzeitig deutsch und türkisch oder gleichzeitig muslimisch und säkular zu sein. Es steht also eine Eindeutigkeitsimagination im Raum, die daraus resultiert, dass in als zentral empfundenen Klassifizierungsmechanismen, die sich um Nation, Kultur, Ethnizität, Religion oder Sexualität drehen, eine Entscheidung, ja ein Bekenntnis für eine Seite erwartet wird (Mecheril 2003a). Dieser binäre Code wird aufrechterhalten, obwohl – oder vielleicht gerade weil – es gleichzeitig mehr und mehr Entgrenzung gibt (Beck/Bonß/Lau 2004). Vielfach wird eine Entscheidung im Laufe der Persönlichkeitsbildung erwartet: Das Bekenntnis zu einer Staatsangehörigkeit und die Aufgabe der anderen, das Bekenntnis zu einer Religion und das Misstrauen gegenüber der anderen, die Zugehörigkeit zu einer Kultur im Gegensatz zur anderen und die Identifikation mit einem der beiden Geschlechter und keine Verortung dazwischen. In den Biographien der Migrant*innen spielen diese unterschiedlichen Referenzsysteme jedoch oft ein Leben lang und auch über die Generationen hinweg eine Rolle. Sie können zu unterschiedlichen Momenten relevant werden, was den hybriden Subjekten eine f luide und transitorische Identität gibt (Straub/Renn 2002). Die Abwehr von Assimilation und Unsichtbarkeit und die Forderung nach dem Ricœur’schen Dreiklang von Erkennen, Wiedererkennen und Anerkennen führt dazu, dass die Referenzsysteme der Herkunftsländer im Einwanderungsland ebenfalls gelebt werden wollen und nach Legitimation verlangen, was eine Aushandlung nötig macht. Die Gleichzeitigkeit von (identitären) Referenzsystemen kann vor allen Dingen dann problematisch sein, wenn diese vom Geltungsanspruch der Dominanzgesellschaft als antagonistisch, als dem Eigenen
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widersprechend betrachtet werden – so wie dies derzeit in westlichen Industrienationen in einer diskursiven Positionierung gegenüber »dem Islam« zu beobachten ist (Zick/Küpper/Hövermann 2011). Der Islamwissenschaftler Thomas Bauer verweist darauf, dass Ambiguitäten dann in Gesellschaften als problematisch gelten, wenn sie die gültigen Leitdifferenzen verwischen (Bauer 2011), was negative Emotionen hervorruft. Leitdifferenzen sind nach der Systemtheorie von Niklas Luhmann dichotome Eindeutigkeiten – binäre Unterscheidungen (Codes), über welche die Kommunikation in gesellschaftlichen Ordnungen funktioniert, wie z. B. Recht/Unrecht oder wahr/falsch (Luhmann 1987). Nach Bauer liegt kulturelle Ambiguität vor, wenn »über einen längeren Zeitraum hinweg einem Begriff, einer Handlungsweise oder einem Objekt gleichzeitig zwei gegensätzliche oder mindestens zwei konkurrierende, deutlich voneinander abweichende Bedeutungen zugeordnet sind, wenn eine soziale Gruppe Normen und Sinnzuweisungen für einzelne Lebensbereiche gleichzeitig aus gegensätzlichen oder stark voneinander abweichenden Diskursen bezieht oder wenn gleichzeitig innerhalb einer Gruppe unterschiedliche Deutungen eines Phänomens akzeptiert werden, wobei keine dieser Deutungen ausschließliche Geltung beanspruchen kann.« (Bauer 2011: 27) Hybride Identitäten lassen sich also nicht nur nicht mehr eindeutig einer bestimmten ›Kultur‹ zuordnen, da durch sprachliches oder kulturelles Code-Switching die Zugehörigkeitsbestimmungen situativ verändert werden können. Vielmehr können sie auch gleichzeitig über Referenzsysteme verfügen, die sich gegenseitig ausschließen (Foroutan 2013). Das macht sie für manche zu kontextuellen, ungreif baren Gestalten, denen mit Misstrauen begegnet wird. Der größte im Raum stehende Vorwurf ist dabei jener der wechselnden Loyalitäten. Er platziert die Träger des Hybridität dauerhaft außerhalb des nationalen Kollektivs, der als Schutzraum gilt. Für manche Träger hybrider Identitäten sind die ursprünglichen kulturellen Unterscheidungen jedoch nur noch teilweise rekonstruierbar. Sie haben die Sprache ihrer Eltern oder Vorfahren verlernt oder nie gesprochen, kennen keine Kultur, Norm oder Tradition des Herkunftslandes mehr oder lehnen diese ab und fühlen sich in ihrer Zugehörigkeit emotional und kognitiv im Einwanderungsland oder in der postmigrantischen Gesellschaft verortet. Die Wahrnehmung der Unterschiedlichkeit dieser Menschen bleibt jedoch, trotz fehlender kultureller Codes, häufig durch Aussehen, Name oder Sprache bestehen. Dies
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führt zu einer stetigen Spiegelung des ›Andersseins‹ durch die Außenwelt und in der Folge zu fortlaufenden Übersetzungs- und Aushandlungsprozessen nicht nur mit der Außenwelt, sondern auch innerhalb des Selbst (Bhabha 2000). Die Frage nach dem ›Wer bin ich?‹ wird überrelevant. Gleichzeitig findet durch Fremdzuschreibung immer wieder eine Reduktion auf identitäre Herkunft oder »Ursprung« statt, selbst wenn die Migration schon Generationen zurückliegt. Vom Umfeld und vom Selbst werden scheinbare Widersprüche in der Selbstverortung wahrgenommen, da Differenz als wahrnehmbares Kernmoment der Ich-Konstitution (Straub 2002) sehr schwierig zu akzeptieren ist, wenn das gesellschaftliche Umfeld immer noch kulturelle, ethnische, religiöse und nationale Einheitlichkeit und Eindeutigkeit als Maß der Normalität wahrnimmt, Vielheit in diesem identitätskonstituierenden Feld hingegen als Ausnahme gilt (Mecheril 2003a). Die Reaktionen auf diese einseitig ethnisierten Identitäten (»entweder man ist Türke oder man ist Deutscher«) können auch in einer Konstruktion von Selbstethnisierung und Retraditionalisierung oder in neuen Erfindungen und Performanzen von ›Ausländischsein‹ münden – also als invented traditions re-interpretiert werden (Hobsbawm 2012). Diese gründen darin, dass die Person die Zuschreibungen, die an sie herangetragen werden, aufnimmt und versucht, sie mit Inhalten zu füllen, um sich selbst in der Zuschreibung wiedererkennen zu können (Park 1931; Butler 1991; Althusser 1977). Diese Sehnsucht nach einer Zusammenführung von Selbstbeschreibung und Fremdmarkierung liegt in dem Wunsch begründet, die fortwährende Divergenz zwischen Selbst- und Fremdbild aufzulösen und den Objektivierungsstrategien zu entkommen. Sie ist aber auch der Motor für die Reduktion von Ambivalenz als konf liktauslösendem Phänomen. Das heißt: Die als fremd markierten Subjekte beginnen, sich den Vorstellungen, die es von ihnen gibt, anzupassen, um den dauernden Widerspruch zwischen ihrer Wahrnehmung von sich selbst und der Wahrnehmung durch die Gesellschaft aufzulösen (Bhabha 1994; Butler 1991; Fanon 1980). Dadurch internalisieren sie die negativen Stereotype, was zu erhöhten Spannungen führen kann (Steele/Aronson 1995; Steele 1997; Aronson et al. 1998; Inzlicht/Schmader 2011). Es gibt jedoch auch Widerspruch, Gegenwehr und Neudeutungen, wie Tajfel und Turner es für die Strategie der Flucht aus negativer Stigmatisierung am Beispiel des Black Panther Movement beschrieben haben (Tajfel/Turner 1979).
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Hybridisierung kann somit als ein immerwährender Aushandlungsprozess in Gesellschaften beschrieben werden, aber auch als ein personaler Aushandlungs- und Identitätsbildungsprozess, der Ambiguität in Gesellschaften erhöhen kann und somit Klassifizierungen erschwert (Foroutan 2013). Die Hybridisierung wird nicht nur von manchen »Einheimischen« als Belastung empfunden. Auch die erste Generation von Migrant*innen empfindet teilweise gegenüber ihren Nachkommen Entfremdungsgefühle, wenn diese sich zu sehr von der ehemaligen Herkunftskultur der Eltern entfernen und die Codes der neuen Heimat verinnerlichen. Gleichzeitig ist für viele Menschen die Dynamik der Hybridisierung und das Codeswitching selbstverständlich, alltäglich oder auch ein wertvoller Skill moderner Gesellschaften. Es gibt also sehr ambivalente Haltungen dazu.
Ambiguitätstoleranz und -intoleranz in postmigrantischen Gesellschaften Postmigrantische Gesellschaften sind Gesellschaften, in denen Migration und Migrationsbezüge große Teile der Bevölkerung in Interaktionszusammenhänge setzen. Dabei muss die Interaktion nicht unbedingt physisch sein – sie kann auch diskursiv und kognitiv vonstattengehen, emotional und affektiv, ohne dass es zu Begegnungen kommt. Mehrdeutigkeit und Hybridität bilden in diesen Gesellschaften nicht mehr die Ausnahme. Ihre Präsenz führt zur Infragestellung etablierter Identitätskonzepte und gesellschaftlicher Annahmen wie der Theorie der Assimilation oder der binären Codierung von Gesellschaften, z. B. bei Geschlechterkonstruktionen oder der Codierung entlang von Einheimischen und Eingewanderten: In Deutschland geborene Kinder von Migrant*innen sind de facto nicht eingewandert – sind sie also Einheimische? (Canan 2015). Multiple Identitätskonstruktionen, Geschlechterkategorien, sexuelle Identitäten und Familienkonstellationen werden diskursiv debattiert und verlangen nicht nur nach Anerkennung und Teilhabe, sondern auch nach einem Verständnis, das mit dem zunehmenden Wandel und den sich diversifizierenden und hybridisierenden Identitäten und den neuen pluralen Zuständen mitgeht. Das überfordert viele Menschen, da es parallel zur Pluralisierung der Gesellschaft keine Erziehung zur Pluralität gegeben hat. Adorno hat das Verlernen der Homogenitätsphantasien und den Umgang mit Unterschiedlichkeit als einen zen-
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tralen Punkt einer re-education zum Verlernen des Antisemitismus gesehen (Adorno 1969). ›Ohne Angst verschieden zu sein‹ war eine seiner zentralen Vorstellungen. Pluralität zu verstehen und mit Widersprüchen umzugehen, also Ambiguitätstoleranz, bemisst sich dabei an der Fähigkeit, »Vieldeutigkeit und Unsicherheit zur Kenntnis zu nehmen und ertragen zu können« (Häcker/Stapf 2004: 33). Nach Furnham/Ribchester (1995) verweist das Konzept der Ambiguitätstoleranz auf die Art und Weise, wie eine einzelne Person – oder aber auch eine Gruppe – Informationen in ungewissen, unstrukturierten und widersprüchlichen Situationen wahrnimmt und verarbeitet oder wie sie auf unterschiedliche Rollen und Erwartungen reagiert. Immer wieder wird dabei in der Forschung das Wort »aushalten« verwendet, als Verweis darauf, dass Mehrdeutigkeiten ein Spannungsverhältnis erzeugen, dem es sich zu stellen gilt, da dieses nicht aufzulösen oder auszulöschen ist – es sei denn durch existentielle Beschneidung von Menschenrechten wie Ghettos, ethnische Säuberung, Völkermord etc. Die Fähigkeit, Mehrdeutigkeit auszuhalten, bezeichnet auch Habermas als Ambiguitätstoleranz (Habermas 1968: 128). Habermas ging schon in den 1960er Jahren davon aus, dass in jedem sozialen Rollenhandeln immer eigene Bedürfnisse unterdrückt werden. Darüber hinaus sind soziale Rollen niemals eindeutig. Das Individuum als Teil einer Gesellschaft muss das, so Habermas, aushalten lernen (ebd.). Krappmann geht einen Schritt weiter, wenn er Ambiguitätstoleranz als Fähigkeit bezeichnet, die Mehrdeutigkeit nicht nur auszuhalten, sondern darauf auch wohlwollend zu reagieren, ohne Aggressionen und Unwohlsein zu empfinden (Krappmann 2000). Insgesamt wird bei verschiedenen Definitionsversuchen von Ambiguitätstoleranz immer wieder auf die Fähigkeit verwiesen, Mehrdeutigkeit nicht nur wahrzunehmen, sondern diese auch nicht als negativ zu werten (Budner 1962: 49; MacDonald 1970). Wenn die Vieldeutigkeit bei Menschen starke Irritationen auslöst, mit denen sie nicht umgehen können, spricht Krappmann hingegen von Ambiguitätsintoleranz. Die Information der Mehrdeutigkeit ist in ihrer Komplexität eine zu große Herausforderung und erzeugt Unruhe, die teilweise Aversion und Aggression auslöst. Eine Möglichkeit der Reaktion darauf ist Stereotypisierung, um die Komplexität zu reduzieren (Krappmann 2000). Gerade in postmigrantischen Gesellschaften kommt dieser Form der Abwehr eine besondere Bedeutung zu. Durch die Stereotypisierung wird die Hybridität reduziert und auf ein ein-
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deutiges – wenn auch defizitäres – Muster zusammengeschmolzen. Besonders der Aufstieg migrantischer Akteur*innen geht immer mit einer erhöhten Sichtbarkeit von Pluralität einher und mit einer Verunsicherung, wenn die migrantischen oder migrantisierten Personen ihre durch Stereotype zugewiesene Rolle im unteren Segment der Gesellschaft verlassen. Ihr Eintreten in soziale Räume, die zuvor für sie nicht zugänglich waren, lässt eine Revision des Rollenbildes erwarten, das damit einherging, Migrant*innen vornehmlich in weniger privilegierten Positionen zu verorten (Uslucan 2015). Gesellschaften, Gruppen oder Individuen, die in der Lage sind, Widersprüche und gegensätzliche Erwartungen, die aufgrund von mehrdeutigen Informationen oder Referenzsystemen existieren, zu ertragen, zu verarbeiten und für Neucodierungen zu verwenden, sind eher fähig, sich mit unerwarteten Reaktionen und Handlungen zu arrangieren und diese Aufstiege sogar als wertvoll und positiv bzw. als ›Erfolg‹ zu empfinden (Hatzer/Layes 2005). Im Gegensatz dazu beschrieb die deutsch-amerikanische Psychologin Else Frenkel-Brunswick (1949) schon vor Jahrzehnten, dass jene Menschen, die sich weigern, emotionale Ambivalenzen zu verstehen bzw. nicht die Fähigkeit dazu besitzen, auch auf kognitiver Ebene eine hohe Ambiguitätsintoleranz aufweisen. Das heißt, sie werden die Aufstiege nicht wahrnehmen, selbst wenn diese empirisch nachweisbar sind. Dies könnte erklären, warum die Aufstiege gerade der türkeistämmigen Kinder in Deutschland so wenig wahrgenommen werden. Es könnte auch den starken Zuspruch zu Thilo Sarrazins Buch »Deutschland schafft sich ab« erklären, einem Bestseller zu Beginn der 2010er Jahre, in dem die Aufstiege und Fortschritte der türkeistämmigen Kinder nicht nur negiert, sondern auch für zukünftig unmöglich gehalten wurden, da diese Einwanderergruppe sich aufgrund ihrer Kultur nicht für Bildung interessiere – in der ersten Auf lage hatte Sarrazin noch geschrieben, dies liege an ihrer genetischen Disposition (Sarrazin 2010). Ferner stellte Frenkel-Brunswick fest, dass ambiguitätsintolerante Persönlichkeiten dazu neigen, leichtere Erklärungsmuster, Lösungen und voreilige Urteile anzunehmen und unhinterfragt stehen zu lassen. Sie neigten zur »tendency to resort to black-white solutions, to arrive at premature closure as to valuative aspects, often at the neglect of reality, and to seek for unqualified and unambiguous overall acceptance and rejection of other people« (Frenkel-Brunswick 1949: 115). Sie zeigte damit, dass zwischen Ambiguitätsintoleranz und Rassismus ein nicht unerheblicher Zusammenhang besteht. Budner (1962) und Norton (1975)
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gehen noch einen Schritt weiter und zeigen, dass Persönlichkeiten mit hoher Ambiguitätsintoleranz ambigue Situationen nicht lediglich als unangenehm empfinden, sondern vornehmlich als Gefahr interpretieren (Budner 1962: 49; Norton 1975: 608). Dies schließt an Baumans oben beschriebene Bedrohung durch »das Unklassifizierbare« an. Um der Bedrohung zu entkommen, werden »die Bedrohlichen« ausgeschaltet – in Baumans Vorstellung die Träger*innen der Hybridität. Dies ist nicht unbedingt physisch zu verstehen – auch wenn Anstiege physischer Gewalt gegenüber Menschen, die als ›fremd‹ markiert sind, zunehmen (Amadeu Antonio Stiftung 2018; Bayrakli/Hafez 2018: 28 ff.). Das Ausschalten kann auch diskursiv passieren oder symbolisch – in der Aberkennung der Zugehörigkeit und des Rechts auf Sichtbarkeit, also auch im Verwehren der Anerkennung. Diese Bedrohungsphantasien richten sich in den derzeit stark polarisierten Debatten vor allem gegen Muslim*innen, die größte religiöse Minderheit in Europa. Eine Analyse zunehmender Muslimfeindlichkeit sagt somit mehr über das Hadern der europäischen Gesellschaften mit ihrem eigenen Versprechen der Gleichheit und Akzeptanz von Pluralität sowie ihren Umgang mit Ambivalenz, Hybridität und Ambiguität aus als über die Muslim*innen selbst. Im Folgenden sollen die dargelegten theoretischen Annahmen auf Basis exemplarischer empirischer Studien überprüft werden. Die Fragen, denen hierbei nachgegangen wird, drehen sich vor allem um den Umgang mit und die Reaktion auf Ambivalenz und Ambiguität.
Stereotypisierung und othering: Einhegung von Ambivalenz und Ambiguität Stereotype sind vereinfachende Beschreibungen von Personen oder Gruppen. Sie dienen dazu, komplexe Situation leichter und schneller zu begreifen, weil Personengruppen nicht immer wieder von Situation zu Situation neu erklärt und interpretiert werden müssen. Sie können allerdings auch Menschen in ein defizitäres Weltbild einkapseln und sie in ihrer Entwicklung bedrohen (Aronson/Steele 1995). Gesellschaften, die sich bedingt durch Migrations- und Globalisierungsprozesse verändern, sind mit einer doppelten Ambivalenz und somit einer erhöhten Komplexität konfrontiert, die durch alte und neue Stereotype, Grenzziehungen und binäre Codiermuster reduziert werden kann. Ein Mechanismus, welcher der Herstellung von Grenzziehungen und natio-
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ethnokultureller Zugehörigkeiten zugrunde liegt und mit Formen der Stereotypisierung operiert, nennt sich othering (»Ver-Anderung«). Ausgearbeitet wurde dieses Konzept von Gayatri C. Spivak (1985). Damit benennt sie eine machtvolle Bezeichnungs- und Abgrenzungspraxis, durch die im gesellschaftlichen Diskurs ›der Andere‹ in Differenz zum Eigenen hervorgebracht wird. Denn das, was als ›anders‹ bzw. ehemals und gefühlt immer noch ›fremd‹ den Anspruch erhebt, am Eigenen teilzuhaben, stellt Privilegien, vermeintliche Selbstverständlichkeiten und die etablierte Ordnung in Frage. Die Figur des Anderen oder Fremden wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts und bis in die 1940er Jahre literarisch und wissenschaftlich vor allem als ein Außenseiter beschrieben, der auf eine etablierte Gruppe trifft und versucht, sich an diese bestehende Gruppe heranzutasten und von ihr angenommen zu werden – heute würden wir sagen, in sie integriert zu werden –, und dabei entweder eingegliedert oder abgewiesen wird (Simmel 1908; Park 1928). Der Sozialpsychologe Mead bezog hierbei bereits die Interaktion zwischen dem Fremden und dem Eigenen ein (Mead 1934), was heute auch die Grundlage der soziologischen Beschreibung von Begegnung und dynamischer Wechselwirkung darstellt. In einer binären Unterscheidungspraxis, die unsere Klassifizierungsmodalität anleitet und in der das Eigene als Referenzpunkt dient und daher unbenannt und unmarkiert bleibt, wird der oder die kulturell bzw. ethnisch, religiös oder national Andere in Abgrenzung dazu als anormal markiert und repräsentiert. Das Anormale wird mit einem Bedrohungspotential versehen und der Gesellschaft als Gefahr gegenübergestellt. In den politischen Debatten der letzten Jahre ist der dominante Andere sehr stark in der Figur des Muslims verankert worden. Allerdings erfüllt diese Konstruktion des Fremden in der Suche nach nationalen Identitäten eine gesellschaftliche Funktion. Die Figur ist daher austauschbar. Lange Jahrhunderte wurde sie vor allem in der antisemitischen Abwehr »der Juden« geformt. Auch Gef lüchtete, Homosexuelle, Sinti und Roma oder Menschen mit Behinderung können diese Funktion als Fremd- und Feindkategorie einnehmen. Hierbei haben abgrenzende und zumeist negative und abwertende Zuschreibungen gegenüber der anderen Gruppe eine identitätsstiftende und integrierende Funktion für die Eigengruppe. Georg Simmel stellte bereits 1908 in seinem »Exkurs über den Fremden« heraus, dass der Andere als der Fremde immer »ein Element der Gruppe selbst [ist …] – ein Element, dessen immanente und Gliedstellung zugleich ein Außer-
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halb und Gegenüber einschließt« (Simmel 1908: 686). Indem Distanz zur anderen Gruppe hergestellt wird, wird die Zugehörigkeit zur eigenen Gruppe definiert. Birgit Rommelspacher (1995) hebt hervor, dass es je nach Situation und (historischem) Kontext und den gesellschaftlichen Herrschafts- und Machtverhältnissen variieren kann, welche soziale Gruppe nach welchen Kriterien bzw. Merkmalen ver-andert wird und in welcher Form die Ver-Anderung stattfindet (Rommelspacher 2002: 19). Dies hängt auch von gesellschaftlichen Machtverteilungen ab und davon, wer in der hegemonialen Position ist, Menschen beispielsweise entlang ambiguer ›kultureller‹ bzw. ›ethnischer‹ oder hybrider Merkmale zu markieren und sie stereotypisierend und essentialisierend auf diese Merkmale hin als Andere zu fixieren (Foroutan/Ikiz 2016). Bei der Markierungs- und Bezeichnungspraxis der Ver-Anderung ist es also entscheidend, wer die Repräsentations- und Definitionsmacht innehat, um seiner Stimme Gehör zu verschaffen, und wessen und vor allem welche Bilder und Stereotype Eingang in das gesellschaftlich ›gültige‹ Wissen finden, auf dessen Grundlage dann wiederum Ver-Anderungsprozesse stattfinden. Bei diesen ›Bildern‹ – Haisch (2011) bezeichnet sie als »konsonante Kognitionen« – handelt es sich um soziale Repräsentationen. Sie sind »ein Bestandteil von gesellschaftlichen Bedeutungsmustern, die über Diskurse transportiert werden […]. Diese Diskurse enthalten Bilder, die in vereinfachender Weise Vorstellungen von Phänomenen und Zusammenhängen oder von sozialen Gruppen (Ethnien/Völker, ›Rassen‹, Nationen, soziale Klassen, Geschlechtergruppen) repräsentieren.« (Leiprecht 2001: 13 f.) Dieses Wissen, welches über Repräsentationen transportiert wird, hat eine orientierende und sinnstiftende Wirkung. Es ist grundlegend für das alltägliche Begreifen und ermöglicht Subjekten, miteinander zu kommunizieren und Dinge in ähnlicher Art und Weise zu interpretieren, indem sie »bestimmte Codes für den sozialen Austausch und zur Benennung und Klassifikation liefern« (Leiprecht 2001: 7). Stuart Hall (2003) beschreibt soziale Repräsentationen als Teile eines sozialen Prozesses, in denen Bedeutungen diskursiv produziert werden, die im Alltag zum Tragen kommen (ebd.: 17). An Stabilität gewinnen Diskurse, indem das diskursive Wissen wiederholt, aktualisiert und ›objektiviert‹ wird (Bublitz 2003: 33). Die Wirkmächtigkeit von Diskursen zeigt sich darin, dass sie über Wissen machtvoll ›Wahrheiten‹ produzieren und transportieren und somit die Wahrnehmung und Interpretation von sozialer ›Wirklichkeit‹ beeinf lussen (Berger/
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Luckmann 1966). So können Diskurse auch als »Machtphänomene« beschrieben werden (Bublitz 2003: 59), wobei zwischen Macht und Wissen eine wechselseitige Bedingtheit vorherrschend ist: Auf der einen Seite wird in Machtverhältnissen Wissen hervorgebracht und auf der anderen Seite werden Machtverhältnisse durch Wissen (re-)produziert (Mecheril 2004: 44). Dieses reziproke Verhältnis von Macht und Wissen wird in Michel Foucaults Macht-Wissen-Komplex aufgegriffen (Foucault 1972). Nicht alle Akteur*innen haben gleichermaßen Macht, soziale Repräsentationen diskursiv durchzusetzen und als ›gültiges Wissen‹ sozialer Wirklichkeit zu etablieren, die dann die Grundlage für Grenzziehungen und Zugehörigkeiten bilden. In einer Gesellschaft, die von Dominanzverhältnissen durchzogen ist, handelt es sich deswegen bei Ver-Anderungspraxen nicht um bloße Unterscheidungs-, sondern vielmehr um asymmetrische Markierungs- und Abgrenzungspraxen, die als Ausgangspunkt für die Ab- und Ausgrenzung von Anderen fungieren (Rommelspacher 1995). Soziale Repräsentationen sind hierbei ein zentraler Bestandteil der Stärkung und Problematisierung von Zugehörigkeitsgrenzen (Broden/Mecheril 2007). In postmigrantischen Gesellschaften werden Minderheitenrechte und -positionen offensiver ausgehandelt sowie Fragen nach nationaler Identität, Zugehörigkeiten, Privilegien und Repräsentationen neu gestellt. Die Frage nach dem ›Wer sind wir?‹ tritt in diesen Gesellschaften, die von einem Migrationsdiskurs geprägt sind, stärker in den Vordergrund. Die Ver-Anderung nimmt zu und die Figur des ›Fremden‹ wird mit Überfremdungs- und – in unseren Studien und im aktuellen Diskurs der Rechtspopulisten besonders deutlich – Islamisierungsstereotypen kombiniert, was sich in einem zunehmenden xenophoben und/ oder antimuslimischen Rassismus in ganz Europa widerspiegelt. Auf diese Weise lässt sich erklären, wie z. B. auf Basis einer nationalen Zugehörigkeit die homogene und einheitliche Gruppe der »Herkunftsdeutschen« konstruiert werden kann, auch wenn zwischen den Einzelnen nach Region, Schichtzugehörigkeit oder politischer Positionierung beliebig große Unterschiede bestehen können. Gleichzeitig verdeutlicht dieser Prozess des othering die Homogenisierung der Anderen zu als einheitlich wahrgenommenen Gruppen – wie z. B. die »der Muslime«. Sowohl das Eigene als auch das Fremde können somit auf Cluster-Konstruktionen beruhen und unsere Vorstellung von Wirklichkeit leiten. Was bzw. wer in der Gesellschaft als fremd und nicht zugehörig wahrgenommen wird, unterliegt wiederum gesellschaftlichen Kon-
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texten und Konjunkturen. Wurde »der Franzose« über Jahrhunderte hinweg als gegenteilig zum »Deutschen« imaginiert, sind beide nun im »island of meaning« (Zerubavel 1991) Europas weitgehend gleich, stellt man sie »den Muslimen« gegenüber. Im Folgenden sollen einige empirische Befunde aus eigenen Studien und Erhebungen skizziert werden, um othering und Stereotypisierung am Beispiel der Einstellungen gegenüber Muslim*innen zu verdeutlichen. Die empirischen Beispiele beziehen sich auch deswegen immer wieder auf Muslim*innen, weil diese in allen Diskursen der rechtspopulistischen Parteien in den europäischen Parlamenten die zentrale outgroup darstellen, über welche politische Mobilisierung stattfindet.
Empirische Befunde – Stereotype und othering zur Reduktion von Ambivalenz In der bereits in Kapitel I erwähnten Studie »Deutschland Postmigrantisch I« zu Einstellungen in der Bevölkerung zu Identität, Religion und Kultur konnte nachgezeichnet werden, wie ein Ausschluss aus dem nationalen Kollektiv mit stereotypen Zuweisungen verbunden wird. Stereotype werden auch als Begründung herangezogen, um soziale Aufstiege als illegitim darzustellen (Foroutan et al. 2019). Etablierte gesellschaftliche Stereotype schreiben Muslim*innen als aggressiv, bildungsfern, demokratiefeindlich und extremistisch fest (hierzu mehr in Kapitel III). Auf dieser Basis werden ihre Aufstiege als bedrohlich wahrgenommen und ihr Ausschluss aus dem nationalen Kollektiv sowie die Negierung religiöser Grundrechte gelten als nachvollziehbar. So wie Rommelspacher (2009a) und Terkessidis (1998) Rassismus als Strategie zur Legitimierung von Ungleichheit beschreiben, kann antimuslimischer Rassismus zusätzlich als Strategie zur Reduktion von Pluralität herangezogen werden sowie als Versuch, die zunehmende kulturelle, ethnische, religiöse und nationale Hybridisierung einzuschränken und das Versprechen der Gleichheit, welches in der pluralen Demokratie gegeben wird, einzuengen (Shooman 2014; Wagner 2010; Attia 2007). Ungefähr 6 % der Bevölkerung in Deutschland haben einen muslimischen Hintergrund.2 Etwas mehr als zwei Drittel dieser Gruppe sind 2 Zur Schwierigkeit der Klassifizierung und Vermessung der Muslime, siehe Spielhaus (2013b).
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
selbst als Erwachsene*r oder als Kind nach Deutschland eingewandert, ein weiteres Drittel ist bereits hier geboren (Stichs 2016). Auch Muslim*innen hybridisieren sich zunehmend (Foroutan/Schäfer 2009; ElMafaalani/Toprak 2011; Yıldız 2016; Foroutan 2016b). Außerdem sind starke Bildungsaufstiege (Kalter 2018: 326 f.; Statistisches Bundesamt 2017b) und Bildungsaspirationen (Salikutluk 2016; Becker 2010) sowie erhöhte Partizipation in Kommunal- und Landespolitik nachweisbar (Schönwälder et al. 2012; Wüst 2017). Auch im Bundestag ist der Anteil muslimischer Abgeordneter überproportional hoch, gemessen an ihrer Gesamtgröße in der deutschen Bevölkerung (Mediendienst Integration 2017); 3 und ihre Präsenz in Popkultur, Fernsehen, Medien und Kulturbetrieb ist deutlich wahrnehmbar.4 Ihre Aufstiege gehen parallel mit einer zunehmenden islamfeindlichen Einstellung in der Bevölkerung einher, worauf im dritten Kapitel unter ›Antagonismus‹ noch näher eingegangen wird. Gleichzeitig gibt es, wie im ersten Kapitel dargestellt, nachweisbare strukturelle, soziale und kulturelle Anerkennungsdefizite. Ebenfalls in Kapitel I wurde auf ein Survey-Experiment verwiesen, in welchem der identifikative Ausschluss aus dem nationalen Kollektiv getestet wurde. Zur Erinnerung: Darin wurden Muslim*innen in verschiedenen Aussagen mit einem kollektiven ›Wir‹ verglichen, und in einer Nachfrage wurde dann getestet, wer eigentlich mit diesem ›Wir‹, von dem sich ›die Muslime‹ unterschieden, gemeint war. Zwei dieser Aussagen enthielten die im öffentlichen Raum dominanten Stereotype von Gewaltbereitschaft und Bildungsferne. Die konstruierten Aussagen in unserer Studie lauteten dementsprechend: »Muslime sind aggressiver als wir« und »Muslimische Eltern sind genauso bildungsorientiert wie wir«. Die Befragten sollten angeben, ob sie diesen Aussagen zu3 Der Mediendienst Integration hat eine Liste der Abgeordenten mit Migrationshintergrund zusammengestellt: https://mediendienst-integration.de/fileadmin/MDI_ Recherche_Bundestag_2017.pdf. Darin sind von 58 Abgeordneten mit Migrationshintergrund 14 türkeistämmig, fünf iranstämmig und einer ägyptenstämmig. Auch wenn diese Personen sich teilweise selbst nicht als muslimisch bezeichnen, so haben sie doch nach dem Mikrozensus eine statistische Zugehörigkeit zu dem jeweiligen Land und in diesem Kapitel wurde darauf aufmerksam gemacht, dass othering nicht die eigene Selbstbezeichnung berücksichtigt, sondern vor allem auf Basis einer Fremdmarkierung geschieht. 4 Exemplarisch und selektiv seien hier aufgezählt: Nazan Eckes, Bülent Ceylan, Kaya Yanar, Mesut Özil, Ilkay Gündogan, Bushido, Eko Fresh, Pinar Atalay u. v. m.
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Die postmigrantische Gesellschaft
stimmten oder nicht zustimmten. In Kapitel I wurde nachgezeichnet, wie diese Einschätzung mit der Konstruktion einer imaginären deutschen ›Wir‹-Gruppe korrelierte. Muslimischsein wurde hierbei als etwas Gegensätzliches zum Deutschsein konstruiert. Im Folgenden geht es nun darum, die Stereotype in diesem Experiment mit Bezug auf ihre Funktion zur Reduktion von Ambivalenz zu interpretieren: Wenn Muslim*innen z. B. Aggression oder Bildungsferne unterstellt wird, dann kann dies als legitimatorisches Argument dienen, um ihre ungleiche Position in der Gesellschaft zu rechtfertigen. Nach dem Motto: sie sind zurecht dort unten, denn sie interessieren sich nicht für Bildung. Abb. 5: Wahrnehmung von Muslim*innen in Abgrenzung zu einer WirGruppe (in Prozent, gewichtet) % 100
80
68,0
64,2 55,2
60
40
30,1
26,5 20
25,7 14,8
9,3
6,3
0
»Muslime sind aggressiver als wir.«
»Muslimische Eltern sind genauso bildungsorientiert wie wir.«
Zustimmung
Ablehnung
»Wir sollten Muslimen mehr Anerkennung entgegenbringen.«
keine Angabe
Quelle: Foroutan et al. 2014, Deutschland Postmigrantisch I, S. 30
Abbildung 5 zeigt: Die meisten Befragten (64,2 %) positionierten sich gegen die Stereotypisierung von Muslim*innen, etwas mehr als ein Viertel (26,5 %) aller Befragten ging allerdings davon aus, dass es etwas unveränderlich ›Muslimisches‹ gibt – nämlich ein hohes Aggressionspotential. Der Aussage »Muslimische Eltern sind genauso bildungsorientiert wie wir« stimmten zwar die meisten Befragten zu (55,2 %), doch immerhin 30 % der Befragten sprachen sich dagegen aus und knapp 15 % gaben an, dass sie es nicht wüssten. Demnach gingen nur etwas mehr als die Hälfte der Befragten davon aus, dass muslimischen Eltern Bildung für ihre Kinder wichtig sei. Die Unterstellung einer intrinsischen
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
Interessenlosigkeit gegenüber Bildung – übrigens eines der zentralen Argumente in der Sarrazin-Debatte – widerspricht allerdings sämtlichen Befunden zur Bildungsaspiration muslimischer Eltern: Unter dem sozialwissenschaftlichen Begrif f immigrant optimism weisen zahllose Studien auf den Ef fekt hin, dass gerade migrantische Eltern eine sehr hohe Bildungsaspiration aufweisen und durch den Aufstieg mittels Bildung für ihre Kinder Zugänge zu gesellschaftlichen Positionen erreichen wollen, die ihnen durch fehlende Netzwerke verwehrt sind (Kalter et al. 2014; Heath/Birnbaum 2007; Alba/Nee 2003). Für den deutschsprachigen Raum haben Dollmann und Kristen nachgewiesen, dass bei gleichem sozioökonomischem Status die Aufstiegswahrscheinlichkeit türkeistämmiger Kinder sogar über dem der vergleichbaren »herkunftsdeutschen« Kinder liegt (Kristen/Dollmann 2010). Wichtig ist zu wissen, dass in der Vergangenheit in den meisten empirischen Studien in Deutschland die türkeistämmige Bevölkerung stellvertretend für Muslim*innen herangezogen wurde, da bis zur Fluchtmigration in den Jahren 2015 und 2016 mehr als zwei Drittel der in Deutschland lebenden Muslim*innen aus der Türkei stammten. Familien mit türkischem Migrationshintergrund wiesen demnach eine höhere Bildungsaspiration im Vergleich zu Familien ohne Migrationshintergrund auf – 80 zu 74 % beim gewünschten Schulabschluss Abitur (Dollmann 2010: 87). Das resignierte Fazit lautete allerdings, dass die erhöhte Bildungsaspiration der türkeistämmigen Eltern die ungleichen schulischen Leistungen der Kinder in den ersten Schuljahren nicht auszugleichen vermöge und die »nachteiligere soziale Positionierung der Migranten und der damit verbundenen schlechteren Ausstattung mit bildungsrelevanten Ressourcen« (ebd.: 166) nicht kompensieren könne, wodurch Kinder aus türkeistämmigen Familien häufiger niedrigere Schularten besuchen. Bei gleichen Ausgangsbedingungen jedoch wechseln Kinder aus türkeistämmigen Familien häufiger auf anspruchsvollere Schulen als Kinder aus Familien ohne Migrationshintergrund (ebd.: 153). Umso erstaunlicher, dass trotz dieses empirisch gesicherten Befundes nur gut jeder zweite in der deutschen Bevölkerung der Aussage »Muslimische Eltern sind genauso bildungsorientiert wie wir« zustimmen wollte. Im deutschen Diskursraum sind stattdessen beharrlich Aussagen von prominenten Bildungsbürger*innen zu hören, die gerade den türkeistämmigen Menschen jegliches Interesse an Bildung absprechen und eine Geschichte der gescheiterten Integration erzählen,
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Die postmigrantische Gesellschaft
auch wenn die Befunde Gegenteiliges beweisen (Kalter 2018: 326 f.). Die empirischen Daten dringen offenbar kognitiv nicht in das Bewusstsein der breiteren Öffentlichkeit vor, aber auch soziale Eliten scheinen diese nicht zur Kenntnis zu nehmen, was auf den Verweis von FrenkelBrunswick hindeutet, dass Ambiguität nicht nur emotional, sondern auch kognitiv reduziert wird (Frenkel-Brunswick 1949). Der Historiker Hans Ulrich Wehler, ein führender deutscher Intellektueller, der 2014 verstarb, sagte in einem SPIEGEL-Interview im Jahr 2013: »Im Gegensatz zu vielen Spaniern, Griechen oder Italienern, die als Gastarbeiter kamen und ihre Kinder bald auf weiterführende Schulen schickten, sind die Türken erstaunlich resistent geblieben gegen jede Form von Aufstiegsdenken oder Weiterbildungsangeboten.« (Wehler 2013) Dabei lagen die oben zitierten Befunde alle bereits vor 2013 vor. Wehlers lapidare und empirisch falsche Aussage im Interview blieb unwidersprochen, weil sich diese Wahrnehmung mit dem Grundgefühl nicht nur der ungebildeten Bürger*innen deckt, sondern auch in der bildungsbürgerlichen Elite resoniert. Empirisch ist außerdem nachweisbar, dass bei sämtlichen Zuwanderungsgruppen mit muslimischem Migrationshintergrund 5 die Angehörigen der zweiten Generation deutlich häufiger als ihre Elterngeneration das deutsche Schulsystem mit einem Schulabschluss verlassen (Babka von Gostomski 2010), was sich mit den erwähnten Erkenntnissen aus der Migrationssoziologie zum Aufstiegswillen von Einwanderern deckt (Alba/Nee 2003; Salikutluk 2016), und auch die PISA-Studien der letzten Jahre stellten infolge eines stetigen Bildungsanstieges bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund einen kontinuierlichen Rückgang der Unterschiede zwischen Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund fest. Zugleich wird herausgestellt, dass im Erhebungszeitraum bei Jugendlichen, die keinen Migrationshintergrund haben, kaum Kompetenzsteigerungen zu verzeichnen sind (Reiss et al. 2015: 320). Hier wird zwar allgemein von Kindern mit Migrationshintergrund gesprochen und nicht explizit von muslimischen Kindern, allerdings ist der Anteil der muslimischen Kinder an allen Kindern mit
5 Die Bezeichnung »mit muslimischem Migrationshintergrund« soll darauf verweisen, dass es sich bei der Gruppe um Menschen handelt, die selbst oder deren Eltern aus einem Land mit einer mehrheitlich muslimischen Bevölkerung eingewandert sind, und dass es sich bei der Untersuchungsgruppe nicht um Muslime handelt, die keine Migrationsbiographie haben.
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
Migrationshintergrund höher als ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung, und wenn von Aufstiegen gesprochen wird, dann betrifft das eben genau jene Gruppen, die zuvor als Underperformer galten. Zusammengefasst kann gesagt werden: Die Bildungsaufstiege der migrantischen – in diesem Fall türkeistämmigen – Kinder und die Bildungsaspiration ihrer Eltern ändern das defizitäre Stereotyp gegenüber dieser Gruppe nicht, die als bildungsfern und, mehr noch, als an Bildung desinteressiert gilt. Es ist zu erkennen, dass empirische Erkenntnisse offensichtlich nicht in der Lage sind, etablierte Stereotype mit Bezug auf die türkeistämmige und/oder muslimische Population zu dekonstruieren. Die Frage, die sich stellen muss, ist daher, ob diese Stereotype die Funktion erfüllen, etablierte systemische und strukturelle Ungleichheiten zu legitimieren. Wenn die Ungleichbehandlung und der systematische Erwartungsmangel gegenüber türkeistämmigen Kindern durch Lehrkräfte schon ab der ersten Klasse nachgewiesen werden kann (Lorenz/Gentrup 2017; Bonefeld/Dickhäuser 2018; siehe Kapitel I), dann ist das Einspeisen des Stereotyps, dass deren Eltern sowieso kein Interesse an Bildung haben, eine psychologische Entlastung, welche dazu dienen kann, das normative Paradoxon kognitiv auszugleichen. Hierbei wird ein systemisches und zu behebendes strukturelles Defizit mit dem Verweis auf eine migrationsbedingte Devianz legitimiert. Häufig kommt es dann zu Erklärungsmustern, die interpretieren, dass ›Migranten/Muslime/Türken‹ die schulischen Leistungen nicht erbringen könnten, da z. B. ihre Eltern nicht an Bildung interessiert seien. Die Selbstref lexion und -kritik könnte stattdessen zumindest hinzufügen: ›Sie schaffen es nicht, weil wir von ihnen denken, dass sie sich nicht für Bildung interessieren (Foroutan et al. 2014), unsere Lehrer*innen daher weniger mit ihren Kindern interagieren (Lorenz/Gentrup 2017), sie im Unterricht weniger aufrufen (ebd.), weniger von ihnen erwarten und ihre Diktate trotz gleicher Fehler schlechter bewerten (Bonefeld/Dickhäuser 2018).‹ Es zeigt sich: Um das normative Paradoxon – zwischen Gleichheitsversprechen und Anerkennungsdefizit – auszugleichen, werden Stereotype bedient, die entlastend wirken und die ungleiche Behandlung legitimieren. Gleichzeitig werden die hybriden Subjekte als Fremde außerhalb des Kollektivs platziert, was durch Stereotype legitimiert wird (›sie sind nicht so wie wir‹).
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Empirische Befunde – Stereotypisierung und ihre Folgen für die Anerkennung von Grundrechten Stereotype können also dazu dienen, mangelnde Anerkennung zu legitimieren (Allport 1954; Wenzel 1978). So lässt sich empirisch eine deutliche Verknüpfung zwischen den oben skizzierten Stereotypen und der Bereitschaft zur Aberkennung religiöser Grundrechte nachweisen. Wird der Zusammenhang zwischen den beiden obigen Stereotypen (Aggressions- und Bildungsstereotyp) und der in Kapitel I dargestellten Infragestellung von religiösen Grundrechten, also der Abwehr von Beschneidungsrecht, Kopftuchtragen und Moscheebau, betrachtet, lässt sich zeigen, dass die Stereotypisierung »Muslime sind aggressiver als wir« sowie die Wahrnehmung, muslimische Eltern seien nicht genauso bildungsorientiert wie die eigene Gruppe, mit einem höheren Ausgrenzungspotential und einer stärkeren Negierung religiöser Grundrechte einhergehen. So lehnen Personen, die Muslim*innen als aggressiver als die eigene Gruppe wahrnehmen, eine sozialräumliche, symbolische und kulturelle Teilhabe von Muslim*innen mit deutlich höherer Wahrscheinlichkeit ab als Personen ohne dieses Stereotyp, wie Abbildung 6 verdeutlicht (Foroutan/Canan 2016a). Es gibt deutliche Unterschiede zwischen Personen, die dem Aggressionsstereotyp zustimmen, und denjenigen, die das nicht tun. So liegt die Bereitschaft, der Einschränkung von öffentlich sichtbaren Moscheebauten zuzustimmen, bei Personen mit einem Aggressionsstereotyp bei 56 %, während diese Wahrscheinlichkeit bei der Vergleichsgruppe, also denjenigen, die ein Aggressionsstereotyp ablehnen, bei 38,2 % liegt. Das sind fast 18 Prozentpunkte Unterschied. In gleicher Weise äußern sich Befragte, die dem Aggressionsstereotyp zustimmen, signifikant häufiger gegen das Tragen des Kopftuchs bei muslimischen Lehrerinnen. Während die Wahrscheinlichkeit, es als rechtmäßig zu empfinden, dass muslimische Lehrerinnen ein Kopftuch tragen dürfen, für Befragte, die dem Aggressionsstereotyp nicht zustimmen, bei 52,5 % liegt, liegt der entsprechende Wert bei denjenigen, die das Aggressionsstereotyp teilen, bei 37,1 % – dies, zur Erinnerung, obwohl das Bundesverfassungsgericht das Kopftuchverbot als diskriminierend aufgehoben hat. Es konnte nachgewiesen werden, dass die Effekte des Aggressionsstereotyps und die Bereitschaft, sozialräumliche oder symbolische Anerkennung und Teilhaberechte zu gewähren, zusammenhängen. Im
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
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Abb. 6: Zusammenhang zwischen der Zustimmung zum Aggressionsstereotyp und der Anerkennung von Grundrechten %
100
Vorhergesagte Wahrscheinlichkeit für Zustimmung
Bau von öffentlich sichtbaren Moschee einschränken
Lehrerinnen dürfen ein Kopftuch tragen
Beschneidungsverbot bei Jungen
80 66,8 56,0
60
52,5 46,4
40
38,2
41,5
44,4
71,2
69,1
68,3
49,3
37,1
20
0
»Muslime sind »Muslimische Eltern »Muslime sind »Muslimische Eltern »Muslime sind »Muslimische Eltern aggressiver als wir.« sind genauso aggressiver als wir.« sind genauso aggressiver als wir.« sind genauso bildungsorientiert bildungsorientiert bildungsorientiert wie wir.« wie wir.« wie wir.« Nein
Ja
Quelle: Foroutan/Canan 2016a
Unterschied dazu bleibt dieser Effekt beim Thema der Beschneidung zwar signifikant, aber relativ klein. Sowohl für Personen, die das Aggressionsstereotyp teilen, als auch für Personen, die das nicht tun, liegt die vorhergesagte Wahrscheinlichkeit hoch: bei ersteren bei 66,8 %, bei letzteren bei 71,2 %. In beiden Fällen stimmt also eine deutliche Mehrheit einem Beschneidungsverbot zu. Im Vergleich zum Einf luss des Aggressionsstereotyps ist der Einf luss des Bildungsstereotyps auf die Anerkennung von sozialräumlichen, symbolischen und kulturellen Anerkennungsrechten geringer. So liegt beispielsweise die vorhergesagte Wahrscheinlichkeit, das Kopftuch bei muslimischen Lehrerinnen zu befürworten, für Personen, die das Bildungsstereotyp teilen, bei 44,4 % und für diejenigen, die das nicht tun, bei 49,9 %. Auch beim Moscheebau sind die Unterschiede zwischen den Gruppen signifikant. Beim Recht auf Beschneidung liegt kein signifikanter Unterschied vor. Es wird deutlich, dass Stereotype unterschiedlich stark mit Anerkennung von Rechten zusammenhängen. Die Stärke des Zusammenhangs hängt dabei vom Inhalt des Stereotyps sowie vom Inhalt des Rechts ab. Besonders das Aggressionsstereotyp, das immer wieder von rechtspopulistischen Parteien eingesetzt wird und auf antimuslimischen Demonstrationen zu hören ist, weist einen starken Effekt auf die
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Die postmigrantische Gesellschaft
Negation von Grundrechten auf. Die Effekte des Bildungsstereotyps auf die Bereitschaft der Befragten, Partizipationsrechte zu gewähren, fallen im Vergleich dazu moderat aus. Die Bereitschaft, Partizipationsrechte zu gewähren oder zu verweigern, bildet ein Potential für Ausgrenzung und Anerkennung, an das politische oder zivilgesellschaftliche Akteur*innen oder Gruppen andocken können. Wenn explizit eine Einschränkung religiöser Grundrechte gefordert würde, würde den meisten Menschen auffallen, dass eine solche dem Grundgesetz widerspricht. Erfolgt ein Absprechen der Rechte jedoch in Verknüpfung mit Stereotypisierungen, dann erscheint die Infragestellung demokratischer Grundrechte legitimiert. Die Stereotype finden auch deshalb eine Resonanz, weil sie in bestimmte Erzählstrukturen und Informationen eingebettet sind. Nach Jahrzehnten islamistischer Radikalisierung und Krieg in muslimischen Ländern sowie Terrorattacken in Europa und der starken negativen Präsenz in Medien und im öffentlichen Diskursraum hat sich die Verknüpfung von Aggressionsstereotypen mit Islam und Muslim*innen diskursiv etabliert. In der Folge wird von rechtspopulistischen Parteien eine aktive Infragestellung religiöser Grundrechte in Einwanderungsländern, in denen Muslim*innen leben, vorangetrieben und erscheint nicht mehr so unhinterfragt wie zum Zeitpunkt unserer Publikation im Jahr 2016 angenommen (Foroutan/Canan 2016a).
Legitimierende Normative Antinomien (LNA) Die oben aufgestellte Hypothese aus dem Journal-Beitrag Foroutan/Canan 2016, dass Stereotype die Infragestellung demokratischer Grundrechte legitimieren, wurde im Jahr 2019 noch einmal expliziter getestet und weitergeführt.6 Weil die meisten Menschen sich jedoch grundsätzlich darüber bewusst sind, dass eine Infragestellung von Grundrechten der eigenen Norm widerspricht, werden zur Legitimation zusätzlich normative Antinomien ins Feld geführt – so die Weiterführung der Hypothese. Antinomien sind in sich widersprüchliche Aussagen, die je für sich eine intrinsische Logik beinhalten, sich jedoch gegensätzlich ausschließen. Es entsteht ein logischer Widerspruch, der nicht auf den ersten Blick erkennbar ist, da die sich widersprechenden Aussagen für 6 Es handelt sich hierbei wieder um eine repräsentative Bevölkerungsumfrage in Deutschland mit mehr als 7.233 Befragten (siehe Einleitung).
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
sich stehend gut begründet oder bewiesen sind. Nach dem Motto ›Ich bin Demokrat, aber …‹ ist eine Bereitschaft zu antidemokratischem Verhalten zu erkennen, das legitimiert wird, indem auf das antidemokratische Verhalten einer Minderheit verwiesen wird. Um diese Hypothese zu testen, suchten wir nach etablierten Stereotypen gegenüber Muslimen, die besonders oft auf rechtspopulistischen Blogs und Demonstrationen sowie in Parteiprogrammen auftauchten. Diese Stereotype nahmen wir als Grundlage und kombinierten sie mit der Zustimmung und Verwehrung bestimmter Grundrechte für Muslime. Um zuvor zu erfahren, ob diese Grundrechte überhaupt geteilt wurden, hatten wir nach der Einschätzung der Wichtigkeit von wesentlichen Grundrechten in der Verfassung gefragt und hohe Zustimmungswerte gefunden (Mehr dazu in Kapitel III). Auch das Demonstrationsrecht (Art. 8 GG) zählt in Deutschland zu den zentralen Grundrechten. Abbildung 7 bildet einen interessanten Befund ab, der unsere Hypothese von legitimierenden normativen Antinomien (LNA) stützt: Ungefähr ein Drittel der Bevölkerung wäre bereit, Muslim*innen das Demonstrationsrecht abzuerkennen, wenn die Frage mit dem Stereotyp der Demokratiefeindlichkeit verknüpft wird. Die Aussage lautete: »Das Demonstrationsrecht für Muslim*innen sollte eingeschränkt werden, weil sie die Demokratie in Frage stellen.« Allerdings ist eine Infragestellung des Demonstrationsrechtes für Minderheiten selbst eine Aussage, die dazu dient, die Demokratie in Frage zu stellen. Da die Wahrnehmung, Muslim*innen bedrohten die Demokratie und die westlichen Werte und passten nicht in die westliche Welt, aus dem Diskurs der Rechtspopulisten bereits in die öf fentliche Meinung überzugehen scheint, worauf empirische Befunde hindeuten (Bertelsmann Stif tung 2013: 40; Infratest dimap 2016a; Decker/Brähler 2018), besteht eine latente Gefahr für die Grundrechte dieser religiösen Minderheit. Und fast 40 % der Bevölkerung waren der Meinung, sie möchten nicht, dass immer mehr Muslim*innen in wichtige Ämter kommen, da diese nicht für Gesamtdeutschland sprechen würden. Die normative Antinomie liegt darin, dass einerseits das Aufstiegsversprechen, welches auch mit dem Gedanken der Chancengleichheit zusammen geht, in einer Demokratie für alle Bürger*innen gilt und außerdem fast 95 % der Bevölkerung finden »dass niemand wegen seiner Herkunft benach-
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Die postmigrantische Gesellschaft
teiligt oder bevorzugt werden darf (Art. 3 GG)«7 – während sie zugleich den Aufstieg von Musliminnen doch nicht goutieren. Dies begründen sie damit, dass diese als »ewige Fremde« nicht die Interessen des Landes vertreten könnten. Dies deckt sich zum einen mit der Annahme, dass Aufstiege von Muslim*innen nicht erwünscht seien – obwohl die Integrationsdefizitdiskurse der letzten Jahrzehnte vor allem um niedrigen Status, soziale Abhängigkeit von Transferleistungen, niedrige Bildung etc. kreisten – und suggerierten, der niedrige Status der Muslim*innen führe zu einer Belastung der Gesellschaft. Es ist also erkennbar, wie Stereotype dazu dienen, Anerkennungsentzug zu legitimieren. Die Meinungsfreiheit einzuschränken waren immerhin auch 18,0 % der Bevölkerung bereit, auch wenn dieses Grundrecht mit dem Stereotyp gerahmt wurde, Muslim*innen nutzten die Meinungsfreiheit für Propaganda.8 Diejenigen, die dem Stereotyp zustimmten, Muslim*innen würden die Grundlagen der Demokratie nicht verstehen, gaben sogar zu 29,4 % an, die Meinungsfreiheit einschränken zu wollen (Abb. 7). Abb. 7: Legitimierende normative Antinomien (LNA) %
100 75,4
80 61,0
60 40
54,3 39,7
32,4 18,0
20 6,6
6,6
6,0
0
»Das Demonstrationsrecht für Muslime »Muslime nutzen die Meinungsfreiheit »Ich möchte nicht, dass immer mehr sollte stärker eingeschränkt werden, für Propaganda, deshalb dürfen sie Muslime in wichtige politische Ämter weil sie die Demokratie in Frage nicht das gleiche Recht für kommen, denn sie sprechen nicht für stellen.« Meinungsfreiheit erhalten.« Gesamtdeutschland.« Zustimmung
Ablehnung
keine Angabe
Quelle/Datensatz: Ost-Migrantische Analogien, eigene Berechnungen
7 Die Ergebnisse stammen aus der in der Einleitung erwähnten Erhebung im Jahr 2019 an der Humboldt-Universität. 8 Wir haben im Datensatz feststellen können, dass die Einschränkung der Meinungsfreiheit von Muslimen von 22 % der Ostdeutschen gefordert wurde. Dies wird in einer Folgestudie publiziert werden.
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
Aufstiegsverweigerung – Outgroup Mobility Threat (OMT) Zu beobachten ist außerdem: Je mehr Rechte, Positionen und Privilegien ausgehandelt und anerkannt werden, je offensiver der demokratische Gleichheitsgrundsatz eingefordert wird und je sichtbarer migrantische Präsenzen in der Öffentlichkeit werden, desto stärker drehen sich die Integrationsdebatten um symbolische Güter wie nationale Identität oder um abstrakte Gefühle der Abwehr. Viel ist über dieses sogenannte ›Integrationsparadox‹ geschrieben worden, das von der Annahme geleitet ist, dass Positionsgewinne und Aufstiege migrantischer Akteur*innen zu Konkurrenz- und Teilhabekonf likten führen – und zwar nicht nur um ökonomische Güter, sondern auch um kulturelle und identifikative Zugehörigkeit. Vielfach haben Kolleg*innen beschrieben, dass mit erhöhten Integrationsgewinnen nicht unbedingt eine erhöhte Anerkennung einhergeht. Sowohl auf migrantischer als auch auf nichtmigrantischer Seite erhöhen sich mit fortschreitender Anpassung die Erwartungshaltungen (Dixon et al. 2010; Tolsma et al. 2012; Foroutan 2012; Ten Teije et al. 2013; Foroutan/Canan 2016b; El-Mafaalani 2018). Die Migrant*innen und ihre Nachkommen nehmen Anerkennungsdefizite stärker wahr und reagieren sensibler auf Abwertungen und fehlende Gleichheit (Verkuyten 2016; De Vroome et al. 2014; Schaeffer 2014). Und die nichtmigrantische Bevölkerung reagiert teilweise mit Statusangst (Sutterlüty 2010). Die Abwehr des Aufstiegs wird dabei mit der Furcht vor dem eigenen Abstieg legitimiert. Abbildung 8 zeigt, dass ein Drittel der Bevölkerung (33,7 %) dem Aufstieg von Muslim*innen negativ gegenübersteht: »Ich hätte ein schlechtes Gefühl, wenn immer mehr Muslim*innen in wichtige Führungspositionen auf dem Arbeitsmarkt kämen.« Analog dazu stimmen 36,4 % der Bevölkerung dem folgenden Satz zu: »Ich befürchte, je besser es den Muslimen geht, desto mehr Forderungen stellen sie.« Die Angst vor Führungspositionen und sozialem Aufstieg von Muslim*innen verweist auf das normative Paradoxon, das im vorliegenden Buch immer wieder empirisch nachgewiesen wird. Einerseits gibt es den Wunsch nach Integration und Gleichheit – andererseits führt der Aufstieg von marginalisierten Gruppen zur Infragestellung der stereotypen Zuweisung zum unteren Segment der Gesellschaft. Dies macht das Normenversprechen der pluralen Demokratie nur noch relevanter, welches Ungleichheit nicht nur ächtet, sondern zu Anerkennung und
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Die postmigrantische Gesellschaft
Abb. 8: Outgroup Mobility Threat (OMT) – Bedrohung durch Aufstieg der »Anderen« % 100 80 62,2
62,1
56,7
60 40
33,7
36,4
31,3
20 6,5
4,1
6,9
0
»Ich hätte ein schlechtes Gefühl, »Wir müssen aufpassen, dass wenn immer mehr Muslime in Bildungserfolge von Muslimen nicht wichtige Führungspositionen auf dem zu Lasten der Bildungschancen der Arbeitsmarkt kämen.« Restbevölkerung gehen.« Zustimmung
Ablehnung
»Ich befürchte, je besser es den Muslimen geht, desto mehr Forderungen stellen sie.«
keine Angabe
Quelle: Foroutan et al. (2019)
Teilhabezugeständnissen aufruft und damit die Frage der Privilegienabgabe allgegenwärtig macht. Wenn 31,3 % der Bevölkerung sagen, wir müssten aufpassen, dass Bildungserfolge von Muslim*innen nicht zu Lasten der Bildungschancen der Restbevölkerung gingen, dann wird die Frage der Privilegiensicherung damit verknüpft. »Die Aufstiege von Minderheiten ändern nichts an der stereotypen Wahrnehmung, sondern werden als Bedrohung wahrgenommen«: Dies war eine der Hypothesen, die zu Beginn dieses Kapitels genannt wurden. Wie hier gezeigt, gibt es für diese Hypothese empirische Hinweise, denen weiter nachgegangen werden sollte.
Empirische Befunde – Reduktion von Ambivalenz durch Betonung von nationaler Identität als exklusiver Kategorie Nationale Identität ist ein starker emotionaler Marker der Zugehörigkeit. Ein Großteil der Menschen in diesem Land identifiziert sich mit Deutschland und fühlt sich mit dem Land verbunden (Abbildung 9). 65,4 % der Bevölkerung fühlten sich positiv berührt, wenn sie die deutsche Nationalhymne hörten, und 85,1 % stimmten der Aussage »Ich liebe Deutschland« zu, wie die Studie »Deutschland Postmigrantisch I« belegen konnte (Foroutan et al. 2014: 22). Für 45,6 % der Befragten war es zudem wichtig, dass andere sie auch als Deutsche sehen, und 81,8 %
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
147
stimmten der Aussage »Ich fühle mich deutsch« zu. Die Frage der nationalen Identität geht also mit einem Gefühl der Zugehörigkeit und auch mit dem Wunsch einher, als zugehörig erkannt zu werden. Fehlt diese Anerkennung bei gleichzeitigem Wunsch danach, können soziale Konf likte, Rückzüge, Depressionen und Identitätsstörungen entstehen (Brubaker 1992; Smith 1991). Abb. 9: Patriotismus und emotionale Verbundenheit mit Deutschland % 100 85,1
81,8
80 65,4 60 45,6 40 20 0
52,8
33,3 17,5
14,4
»Ich liebe Deutschland.«
1,7
1,2
0,6
0,7
»Wenn ich die deutsche »Es ist wichtig für mich, dass »Ich fühle mich deutsch.« Nationalhymne höre, fühle mich die anderen als ich mich positiv berührt.« Deutsche oder Deutschen sehen.« Zustimmung
Ablehnung
keine Angabe
Quelle: Foroutan et al. (2014), Deutschland Postmigrantisch I, S. 23
Auch bei den Deutschen mit Migrationshintergrund ist die Verbundenheit mit Deutschland hoch (Abbildung 10): 80,7 % geben an, Deutschland zu lieben, und 76,5 % fühlen sich deutsch. Fast jedem zweiten Deutschen bzw. jeder zweiten Deutschen mit Migrationshintergrund (47,4 %) ist es außerdem wichtig, als deutsch gesehen zu werden – genauso viel wie bei den Deutschen ohne Migrationshintergrund (47,1 %). 86 % von diesen lieben Deutschland und ebenso viele fühlen sich auch deutsch (86,1 %). Wir können daran erkennen, dass sich die nationalen Identitätsbezüge ausweiten: Immer mehr Menschen sehen sich selbst als deutsch, selbst wenn ihre Vorfahren nicht immer in diesem Land gelebt haben. Dies ist eine grundlegend neue Situation in Bezug auf die Definition nationaler Identität. So wird Deutschsein zunehmend pluraler, wenn immer mehr Menschen, die lange Zeit nicht als Teil dieser Kollektividentität wahrgenommen wurden und es teilweise immer noch nicht werden, dieses Gefühl des ›Deutschseins‹ aber für sich in
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Die postmigrantische Gesellschaft
Anspruch nehmen. Die nationale Identität hybridisiert sich und wird dadurch subjektiv ambivalenter. Abb. 10: Emotionale Verbundenheit mit Deutschland (nach Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund) %
100 86,0
86,1
80,7
80
76,5
60 47,1
51,8
47,4
50,9
40 20 0
22,6
18,6
13,4
0,7
0,6
Deutsche ohne Migrationshintergrund
13,3
Deutsche mit Migrationshintergrund
»Ich liebe Deutschland.«
0,9
0,6
Deutsche ohne Migrationshintergrund
Deutsche mit Migrationshintergrund
»Ich fühle mich deutsch.«
Zustimmung
Ablehnung
1,1
Deutsche ohne Migrationshintergrund
1,7
Deutsche mit Migrationshintergrund
»Es ist wichtig für mich, dass mich die anderen als Deutsche oder Deutschen sehen.«
keine Angabe
Quelle: Foroutan/Canan (2016c): Deutschland postmigrantisch III, S. 53 f.
Wenn es aber so vielen Menschen wichtig ist, als Deutsche oder Deutscher gesehen zu werden, dann müssen wir erfahren, wer denn in der Außenwahrnehmung überhaupt so gesehen wird. Wer gehört für die Menschen zum Deutschsein dazu – und wer nicht? Welche Kriterien werden dafür als wichtig angesehen? Die nationale Identität ist eine Frage, die in einer postmigrantischen Gesellschaft zum Gegenstand von Aushandlungen wird (Foroutan 2016c). Denn mit der fortschreitenden Pluralisierung der Gesellschaft entstehen hybride Identitäten, die das Deutschsein jeweils auf andere Weise kennenlernen und erfahren (Canan 2015). Es finden dabei diverse Neo-Kategorisierungen statt (Foroutan/Canan 2016a), die dazu führen können, dass Merkmale, die früher einmal als wichtige Kriterien für die nationale Identität erachtet wurden, an Bedeutung verlieren – und umgekehrt können andere oder neue Merkmale an Bedeutung gewinnen. Die Kriterien des Deutschseins können in erlernbare bzw. erreichbare Merkmale (z. B. die deutsche Sprache zu beherrschen) und in nicht erlernbare bzw. nicht erreichbare Merkmale (z. B. deutsche Vorfahren zu haben) eingeteilt werden (Wright 2011). Die ersteren sind veränderbar und daher offener als die letzteren.
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
149
Abbildung 11 zeigt, dass die ›Narrationen des Deutschseins‹ an vielen Stellen offen sind und entsprechend erlern- und erwerbbare Merkmale gegenüber feststehenden, nicht erwerbbaren Merkmalen betont werden. Hier wurde nach Faktoren gefragt, die für das Deutschsein einer Person als wichtig erachtet werden. Genannt wurden mit etwa 80 % der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit sowie mit fast 97 % die Fähigkeit, Deutsch sprechen zu können. Das bedeutet, es ist nach den Angaben der Bevölkerung auch für Personen mit Migrationshintergrund möglich, deutsch zu sein und als Deutsche*r angesehen zu werden. Zumindest kognitiv scheint diese Erkenntnis, die für ein modernes Einwanderungsland konstitutiv ist, verarbeitet zu sein. Inwieweit es sich bei den positiven Werten um ein Antwortverhalten handelt, dass von sozialer Erwünschtheit beeinf lusst wurde, konnten wir hier nicht messen. Abb. 11: Welche Kriterien sind für die Bevölkerung wichtig oder unwichtig, um deutsch zu sein? 0
20
40
»Deutsch sprechen zu können?«
%
60
80
100
2,9
96,8
»Die deutsche Staatsangehörigkeit zu besitzen?«
20,4
78,9
»Akzentfrei Deutsch sprechen zu können?«
58,8
40,8
0,3
0,8
0,4
»Auf das Kopftuch zu verzichten?«
37,8
59,7
2,5
»Deutsche Vorfahren zu haben?«
37,0
62,4
0,5
wichtig
unwichtig
keine Angabe
Quelle: Foroutan et al. (2014): Deutschland Postmigrantisch I, S. 26
Was wir aber aus den Daten erkennen konnten, ist, dass sich die Narrationen des Deutschseins trotz dieser ›Modernisierung‹ und Offenheit in der Wahrnehmung deutscher Identität in zentralen Punkten immer noch exklusiv zeigen. So dachten 37 % der Deutschen weiterhin, dass deutsche Vorfahren wichtig sind, damit jemand deutsch ist. Das bedeu-
150
Die postmigrantische Gesellschaft
tet, dass beispielsweise junge Menschen, die in Deutschland geboren wurden, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, Deutsch sprechen, sich deutsch fühlen und angeben, das Land zu lieben, trotzdem nicht als deutsch und somit nicht als Teil des nationalen Narratives gesehen werden – weil ihre Eltern oder Großeltern als Migrant*innen nach Deutschland gezogen sind. Die Exklusionsprozesse, die diese Wahrnehmung mit sich führt, wurden in quantitativen Vorstudien geprüft (Skrobanek 2007). Auf ein weiterhin enges Verständnis von Deutschsein weist auch hin, dass fast 40 % der Bevölkerung der Meinung waren, man müsse dafür akzentfrei Deutsch sprechen. Dieses Verständnis von ›korrekter Sprache‹ als nationalem Kriterium offenbart eine fehlende Anerkennung der Realitäten einer Einwanderungsgesellschaft, in der die Dynamik der Veränderungen auch die Sprache vielfältiger werden lässt. Denn in Wahrheit sind längst schon Hybridisierungen der deutschen Sprache zu beobachten (Wiese 2012). Die Narrationen des Deutschseins bleiben an zentralen Punkten also immer noch exklusiv. Dies zeigt sich auch deutlich daran, dass 38 % der Bevölkerung der Meinung sind, wer ein Kopftuch trage, könne nicht deutsch sein. Diese Einstellung bedeutet für manche gläubige muslimische Frauen notwendigerweise, dass sie durch einen großen Teil der Bevölkerung aus dem nationalen Narrativ und somit auch aus der kollektiven Identität herausdefiniert werden, egal ob sie hier geboren sind, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, Deutsch sprechen und eventuell sogar deutsche Vorfahren haben – was bei den Kindern bikultureller Familien, bei konvertierten Frauen und bei Kindern von Konvertit*innen der Fall sein kann. Die Frage, was Deutschsein bedeutet und was dabei wichtig ist, unterliegt beständigen Debatten und Auseinandersetzungen. Mehr noch: Erst in den entsprechenden Diskursen wird konkretisiert und konstruiert, was Deutschland und Deutschsein ist bzw. sein soll. Dabei entwickelt sich der Blick auf die Gegenwart nicht zuletzt auch durch den Blick zurück. Dieses Bild wird jedoch konterkariert, wenn es um konkrete Konditionen der Zugehörigkeit geht. Wenn jeweils 37 bis 41 % der Befragten es für das Deutschsein als wichtig empfinden, deutsche Vorfahren zu haben, akzentfrei Deutsch zu sprechen oder auf das Kopftuch zu verzichten, so weist dies auf jenen Widerspruch hin, der auch zwischen den Debatten um die Fußballweltmeisterschaft 2006 und jenen um das Sarrazin-Buch von 2010 aufscheint: Das Selbstverständnis
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
der Offenheit findet seine Grenzen, wenn es konkret wird. Stellen das Erlernen der Sprache oder die Annahme der deutschen Staatsangehörigkeit aus Sicht der Befragten auch notwendige Bedingungen dar, um deutsch sein zu können, so sind sie noch nicht hinreichend: Dies ist für einen bedeutenden Teil der Befragten offenbar erst die Assimilation, das Unsichtbarwerden des scheinbar Anderen. Diese vermeintliche Klarheit und Eindeutigkeit in der Zuschreibung von nationaler Identität steht schon längst in Widerspruch zur demographischen Realität in diesem Land, in dem knapp ein Viertel der Bevölkerung bereits eine Migrationsbiographie hat und von dieser Gruppe wiederum 51 % die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. In einer postmigrantischen Gesellschaft lässt sich Integration unter anderem an der Identifikation von Menschen mit Migrationsgeschichten mit der Gesamtgesellschaft messen, aber im Sinne eines dynamischen und reziproken Prozesses auch an der Anerkennung, die Menschen mit Migrationsgeschichten als selbstverständlichem Teil des nationalen Kollektivs entgegengebracht wird. Während wir für die emotionale Identifikation mit Deutschland auf Seiten der migrantischen Bevölkerung deutliche Anzeichen in den Daten finden, können wir bei ca. einem Drittel der nichtmigrantischen Bevölkerung deutliche Lücken feststellen, was die konkrete Anerkennung von Migrant*innen und Pluralität betrifft. Dies verstärkt sich, wenn man sich jene Bevölkerungsgruppen näher anschaut, die angaben, eine große emotionale Verbundenheit zu Deutschland zu haben. Zur Erinnerung: Zu Anfang dieses Unterkapitels wurde darauf verwiesen, dass knapp die Hälfte der Bevölkerung angab, dass es für sie wichtig sei, als Deutsche*r gesehen zu werden. Wir konnten nachweisen, dass bei denjenigen, für die dies wichtiger ist, die ausgrenzenden Tendenzen und die Bereitschaft, religiöse Grundrechte zu verwehren, deutlich höher sind als bei denjenigen, denen das nicht wichtig ist. In Bezug auf das Verbot der Beschneidung bei muslimischen Jungen (Abb. 12) unterscheiden sich die beiden Gruppen (diejenigen, für die es wichtig war, als deutsch gesehen zu werden, und jene Gruppe, für die das nicht wichtig war) um ca. 14 Prozentpunkte (67,8 vs. 54,2 %). Das ist eine deutliche Diskrepanz, die auch darauf verweist, wie nationale Verbundenheit mit einem Ausschluss von Minderheiten einhergehen kann. Der Nachweis, dass die Teilhaberechte für Minderheiten desto stärker eingeschränkt werden, je wichtiger der nationale Bezugspunkt für die antwortende Person ist, zog sich auch durch die Frage nach der
151
152
Die postmigrantische Gesellschaft
Abb. 12, 13 und 14: Zusammenhang zwischen der Wichtigkeit, als Deutsche*r wahrgenommen zu werden, und Zustimmung zu religiösen Grundrechten %
100 80
67,8 54,2
60
39,4
40
26,8
20
5,4
6,5
0
Zustimmung
Ablehnung
keine Angabe
»Die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen sollte verboten werden.« Wichtig als Deutsche/r gesehen zu werden
Nicht wichtig als Deutsche/r gesehen zu werden
% 100 80
54,0
60 40
56,3 42,6
41,4
20
2,3
3,4
0
Zustimmung
Ablehnung
keine Angabe
»Eine muslimische Lehrerin sollte das Recht haben, im Schulunterricht ein Kopftuch zu tragen.« Wichtig als Deutsche/r gesehen zu werden
Nicht wichtig als Deutsche/r gesehen zu werden
% 100 80 60 40
62,4
54,8 35,2
41,6
20
3,6
2,4
0
Zustimmung
Ablehnung
keine Angabe
»Der Bau von öffentlich sichtbaren Moscheen sollte in Deutschland eingeschränkt werden.« Wichtig als Deutsche/r gesehen zu werden
Nicht wichtig als Deutsche/r gesehen zu werden
Quelle: Foroutan et al. (2014): Deutschland Postmigrantisch I, eigene Berechnungen
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
Einschränkung des Baus von Moscheen (Abb. 14). Zur Erinnerung: Der Bau von Gotteshäusern ist laut Artikel 4 des Grundgesetzes ein religiöses Grundrecht. 42,2 % der Gesamtbevölkerung waren für eine Einschränkung des Baus öffentlich sichtbarer Moscheen. Befragte, denen es wichtig war, als Deutsche*r gesehen zu werden, stimmten einer Einschränkung von Moscheebauten zu 54,8 % zu. Dies sind wiederum mehr als 12 Prozentpunkte Unterschied. Und bei der Frage, ob muslimische Lehrerinnen das Kopftuch tragen dürften (Abb. 13), waren sogar knapp 14 Prozentpunkte Unterschied zwischen jenen mit starken nationalen Bezugspunkten und jenen, für die die nationale Identität weniger relevant war, feststellbar (Unterschied 56,3 % zu 41,4 %). Es wird deutlich, dass die identifikative Anerkennung nicht von objektiven Kriterien abzuhängen scheint: Sie wird mal gewährt und mal entzogen. Es zeigt sich auch, dass die Betonung der nationalen Identität ähnlich wie die Betonung von Stereotypen dazu führen kann, Anerkennung in Frage zu stellen. Um die normative Paradoxie aufzulösen, werden diejenigen, denen die legitimen Zugangs- und Anerkennungsrechte verwehrt werden, als illegitime Fremde im Diskurs festgeschrieben und ihnen wird durch Stereotype ein Platz außerhalb des kollektiven Narrativs bzw. des nationalen Kollektivs zugewiesen, um diese Abwehr zu legitimieren. »Die Stereotypisierung und die Betonung der eigenen nationalen Zugehörigkeit führen zur stärkeren Infragestellung von Grundrechten« – dies war eine der Annahmen zu Beginn des Kapitels, die hier ebenfalls mit empirischen Hinweisen unterlegt wurde. Auch diese Befunde können als Orientierungshypothese dienen und sollten weiter überprüft werden.
Ausblick: Hyperrealitäten als Ausweg aus der Ambivalenz? Das jahrzehntelang dominierende Bild eines natio-ethno-kulturell homogenen Deutschlands (Mecheril 2003a: 24) ist der Versuch Hybridität zu reduzieren und als eine Art Hyperrealität in öffentlichen Diskursen bestehen geblieben. Völkische Definitionen von nationaler Identität, nicht nur in der neuen rechten Szene, sondern zunehmend auch innerhalb der Mitte der Gesellschaft, definieren die migrantischen Anderen – oder besser: die migrantisierten Anderen – als eine Abwei-
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Die postmigrantische Gesellschaft
chung von der Normalität, als Invasion und Angriff auf die nationale Identität und die ursprüngliche Ordnung der Gesellschaft. Auch dies kann als ein Versuch gedeutet werden, Ambiguität und Ambivalenz einzuhegen, indem die hybriden Subjekte nicht als Teil des Eigenen sondern als Fremde markiert werden. Das ermöglicht es, Exklusion als Selbstschutz zu deklarieren und dadurch koloniale und nationalsozialistische Spuren des Rassismus zu verwischen, deren Präsenz sich im migrantischen bzw. migrantisierten Anderen manifestiert (El-Tayeb 2016). In Anlehnung an Jean Baudrillard (1994) bezeichnet der Begriff ›Hyperrealität‹ einen durch Simulation ausgelösten gesellschaftlichen Zustand, in welchem die Zeichen nicht mehr einer Logik der Repräsentation angehören. Vielmehr verselbständigen sich die medial und diskursiv erzeugten Zeichen und generieren wiederum als Simulakren eine Hyperrealität, die alles Reale aufsaugt und die Realität ersetzt, wodurch die Trennlinie zwischen Realem und Imaginärem verschwimmt (ebd.). In der Hyperrealität ist dann Deutschland nicht immer schon ein pluraler Raum gewesen, sondern erst durch die neue Migration in einen ›Ausnahmezustand‹ versetzt worden. Deutschland ›vor‹ der Migration gilt darin als geordneter homogener nicht-ambivalenter Raum. Die Existenz der Hyperrealität im Sinne einer Fiktion der Homogenität steht in absolutem Widerspruch zur gesellschaftlichen Realität der postmigrantischen Gesellschaft. Migration ist hier als Folge einer immer reziproker verschränkten und globalen Welt zu einer gesellschaftlichen Grundkonstante geworden und auch darüber hinaus sind Gesellschaften durch Geschlechterverhältnisse, Schichtzugehörigkeit, Lebensstile etc. (Kaschuba 2016) zunehmend heterogenisiert. Der Rückbezug auf die Hyperrealität der homogenen Ordnung bekräftigt die Wahrnehmung, Migration sei eine Störung der Ordnung, eine Anomalie, die eine zunehmende Ambivalenz erzeuge. Die daraus folgende Auseinandersetzung mit Migration hat sich in den letzten Jahrzehnten zu einer – um mit Marcel Mauss zu sprechen – »totalen sozialen Tatsache« transformiert, die sämtliche Aspekte des gesellschaftlichen Lebens dominiert – wirtschaftliche, politische, juristische, diskursive und identitäre, religiöse und mythologische (Mauss 1990: 18 f.). Migration ist also zu einem Metanarrativ geworden, das die aktuelle Konf liktlogik dominiert. Die Funktion dieses Metanarrativs ist das Ordnen und Strukturieren von Wissen und Erfahrung, getrieben von dem Wunsch nach Übersichtlichkeit (Lyotard 1979). Dabei ist Migration »auch als ein Medium zu begreifen, mit dem symbolische Grenzen ge-
II. Ambivalenzen und Ambiguitäten
zogen werden und das den Menschen ›ihre‹ Position in der Gesellschaft zuweist« (Rommelspacher 2006: 3). Die solcherart ordnende binäre Opposition ›Migrant*innen versus Einheimische‹, welche als Kontinuität rassistischer Diskurse gesellschaftliche Schließungslegitimationen weiterführt, erzeugt ein dichotomes Klassifikationsschema, welches entlang bipolarer Konf liktlinien gesellschaftsstrukturierend wirkt (Durkheim 1995) – ganz, als ob Migrant*innen keine Einheimischen werden könnten und vice versa (Canan 2015). Postkoloniale Theoretiker*innen weisen darauf hin, dass die Essentialisierung von Identitäten – in diesem Fall als ewige Migrant*innen, Migrantenkinder, Migrantenenkel*innen etc., die somit außerhalb des kollektiven Narrativs platziert werden – einen entscheidenden Mechanismus (post-)kolonialer Herrschaft darstellt (Castro Varela/Dhawan 2005; Attia et al. 2015; Spivak 1990; Eriksen 1993: 137). Die nervöse Spannung in der Gesellschaft, die »große Gereiztheit« und die zunehmende Etablierung rechtspopulistischer Positionen kann auch in diesem Kontext betrachtet werden. Die empirisch nachgewiesene Ambivalenz läuft den subjektiven Normvorstellungen zuwider und das omnipräsente Metanarrativ der Migration, wonach Migration als »Mutter aller Probleme« auch für diesen Missstand der Ungleichheit verantwortlich sei, dient dem Zweck, die unerwünschte Ungleichheit nicht mit der eigenen Position in der Gesellschaft in Verbindung setzen zu müssen. Um Zweifeln an der Legitimität der eigenen Privilegiertheit entgegenzutreten, wird zunehmend auf ein rassistisches, sexistisches und schichtspezifisches Repertoire zurückgegriffen, um in einer Gesellschaft, die sich eigentlich der Norm der Gleichheit verschrieben hat, die eigene hierarchische Position zu erhalten oder zu begründen (Balibar 1991; Miles 1989; Essed 1996). Somit gelangen im Zuge der Migrationsdebatten zunehmend rassistische Denktraditionen aus ihren zwischenzeitlich angestaubten Archiven in den öffentlichen Diskursraum und verfestigen gesellschaftliche Ungleichheiten, die strukturell nachweisbar sind, zusätzlich um kulturelle und affektive Bedeutungszusammenhänge. Das kognitive Wissen, die Norm, die gesellschaftliche, moralische und soziale Überzeugung, dass Menschen mit Migrationshintergrund dieselben Rechte zustehen wie der sogenannten ›Mehrheitsgesellschaft‹ ohne Migrationshintergrund, ist in weiten Teilen der Bevölkerung angekommen. Geht es aber um konkrete Forderungen der Anerkennung ihrer Gleichheit und ihrer Rechte, dann werden diese von einem nicht
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Die postmigrantische Gesellschaft
unbeträchtlichen Teil der Gesellschaft verwehrt. Dabei werden Stereotype herangezogen, um sich kognitiv und emotional zu erklären und zu entlasten. Und die Hyperrealität der Homogenität speist eine vermeintlich höher gelagerte Norm mit ein. Die subjektbezogene Ambivalenz, die zudem durch zunehmende Hybridisierung steigt, macht das moralische Dilemma noch größer. Denn es fällt offensichtlich leichter, ›Fremden‹ Anerkennung und Zugehörigkeit zu verwehren; was aber, wenn die migrantische Bevölkerung sich gar nicht mehr als fremd betrachtet und zum eigenen kollektiven ›Wir‹ dazugezählt werden möchte? Was, wenn ihre Nähe, Liebe und Verbundenheit mit diesem Land der eigenen zunehmend ähnlicher wird? Das Metanarrativ der Migration hält die Bedrohlichkeit und Fremdheit omnipräsent und erlaubt somit eine Auf lösung der subjektiven Ambivalenz, indem die hybriden, ›neuen‹ Deutschen immerfort als Fremde weitergeführt werden. Wenn diese ›neuen‹ Deutschen aufsteigen, in Führungspositionen gelangen, ihre Kinder Bildungsaufstiege verzeichnen und sie die Popkultur, Politik und Zivilgesellschaft mitprägen, dann führt das nicht automatisch zu einer Erhöhung von Akzeptanz. Vielmehr kann das mit Konkurrenz- und Verteilungskampf einhergehen und weitere soziale Spannungen erzeugen. Die Ambivalenz löst sich nicht auf – sie nimmt sogar weiter zu. Sowohl die objektive als auch die subjektbezogene Ambivalenz erzeugen in der postmigrantischen Gesellschaft eine spannungsreiche Dynamik, die weiterhin die Aushandlung von Anerkennungsrechten antreibt. Im Zuge dieser Aushandlungsdynamik verändern sich nicht nur strukturelle, kulturelle, soziale und identifikative Güter, sondern auch die sozialen Gruppen und Positionen, die in den ambivalenten Raum eintreten. Es entstehen neue gesellschaftliche Allianzen und antagonistische Gegenpole rund um die Aushandlung der pluralen Demokratie, worauf im nächsten Kapitel eingegangen werden soll.
III. Antagonisten und Allianzen Die Konfliktlinie der Pluralität In Politik und Gesellschaft hat sich trotz Friktionen und Widerstand die Wahrnehmung durchgesetzt, dass Migration kein temporärer Status mehr ist, sondern mittel- und langfristig anhalten und eine strukturelle, soziale, kulturelle und emotional-identifikative Transformation aller zentralen Bereiche der deutschen Gesellschaf t zur Folge haben wird. Dies löst unterschiedliche Reaktionen und Positionierungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft aus. Während Wirtschaftsforschungsinstitute teils positive, teils negative Bilanzierungen der Einwanderung vorlegen, sind sie sich dennoch einig darüber, dass die wirtschaftliche Stabilität Deutschlands ohne eine deutlich erhöhte Einwanderungsquote gefährdet ist. Die Zahlen, die seit Jahren als anvisierte Migrationsquote genannt werden, liegen zwischen 400.000 und 500.000 Menschen Nettozuwanderung1 pro Jahr (IAB 2017; Fuchs/ Kubis 2016; Bertelsmann Stiftung 2015b). Allerdings ist die Wirtschaft vorrangig an einer Einwanderung von Fachkräften interessiert, weswegen lange um ein Fachkräfteeinwanderungsgesetz gerungen wurde, welches die deutsche Regierung schließlich Ende 2018 vorgelegte.2 Politisch wurde Einwanderung hingegen, wie bereits zuvor skizziert, jahrelang als Ausnahmefall betrachtet und die Migrationsrealität in Deutschland von zentralen Parteien ignoriert oder abgewehrt. Jedoch wurde im letzten Jahrzehnt, nach dem Integrationsgipfel 2006, verstärkt eine nachholende Integrations- und Migrationspolitik betrieben (Bade 2007). Gesellschaftlich ist diese nachholende Politik teilweise als Top-down-Politik aufgenommen worden und ein Teil der Bevölkerung 1 D. h. nach Abzug derjenigen, die das Land im gleichen Zeitraum verlassen. 2 https://www.bmas.de/DE/Presse/Meldungen/2018/fachkraef teeinwanderungsge setz.html
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Die postmigrantische Gesellschaft
geht weder mit den Schätzungen und Bedarfsanalysen der Wirtschaft noch mit den veränderten politischen Paradigmen, wonach Deutschland nun als Einwanderungsland gilt und Migration positiv zu bewerten ist, d’accord. Dieser Teil der Gesellschaft fühlt sich zunehmend entfremdet von der Selbstbeschreibung Deutschlands als offene, plurale Einwanderungsgesellschaft. Abb. 15: Bewertung von Migration für die Gesellschaf t: Wie gut oder schlecht sind Migrant*innen für die Wirtschaf t, das kulturelle Zusammenleben und soziale Miteinander in Deutschland? Wirtschaft
15,5
53,9
20,4
5,1 5,0
Kulturelle Zusammenleben
16,2
51,9
22,0
6,1 3,9
Soziale Miteinander
8,6
Sehr gut
45,4
Eher gut
33,8
Eher schlecht
Sehr schlecht
8,2
4,1
Keine Angabe
Quelle/Datensatz: Ost-Migrantische Analogien, eigene Berechnungen
Abbildung 15 verdeutlicht dies anhand der unterschiedlichen Positionierung der Bevölkerung zu Migration. Während ungefähr ein Viertel der Bevölkerung Migration wirtschaftlich und kulturell eher ablehnt, antworten zwei Drittel der Bevölkerung auf die Frage danach, ob es gut oder schlecht für die Wirtschaft bzw. das kulturelle Zusammenleben in Deutschland ist, dass Migrant*innen hierher kommen, eher mit gut bis sehr gut, wie die Daten aus dem Jahr 2018/19 zeigen, die diesem Abschnitt zugrunde liegen.3 Einzig bei der Einschätzung, ob Migration gut für das soziale Miteinander ist, antwortet die Bevölkerung in Deutschland knapp zur Hälfte optimistisch (54 %) bzw. pessimistisch (42 %), wobei immer noch der Optimismus überwiegt, wie die Aussagen in Abbildung 15 verdeutlichen. Auch andere Umfragen in Deutschland bezeugen eine tendenziell positive und offene Einstellung gegenüber Integration und Migration (SVR 2018). 3 Auf die beiden Datenerhebungen an der Humboldt-Universität, die in den Jahren 2014 und 2018/19 als repräsentative Bevölkerungsumfragendurchgeführt wurden, ist in der Einleitung ausführlicher verwiesen worden.
III. Antagonisten und Allianzen
Umso erstaunlicher ist es, wie der migrationsfeindliche bis -aversive Teil der Bevölkerung die Politik europäischer Gesellschaften vor sich herzutreiben scheint. Die rechtspopulistischen Parteien folgen dabei einer antipluralistischen Rhetorik mit einer Kombination aus antikosmopolitischen, antimigrantischen, antigeschlechterpolitischen und verstärkt antimuslimischen Positionen und haben mit diesem Konglomerat der Abneigung in den Jahren seit der Finanzkrise 2008 – in manchen Ländern wie z. B. Frankreich, den Niederlanden oder den Visegrád-Staaten allerdings auch schon früher – in Europa deutliche Wahlerfolge erzielen können, so dass sie in fast allen europäischen Parlamenten die Tonalität der Politik vorgeben. Der Populismusforscher Cas Mudde spricht gar von einem »populistischen Zeitgeist« (Mudde 2004) und beschreibt, dass dieser von dem Phänomen begleitet wird, dass selbst Mainstream-Parteien eine Rhetorik und Agenda übernommen haben, in denen rechtspopulistische Elemente anklingen. Wenn explizit populistische Außenseitergruppen an Bedeutung gewinnen, so Mudde, dann werden Teile des Establishments mit einer kombinierten Strategie der Ausgrenzung und Integration reagieren; sie versuchen, die populistischen Akteur*innen von der politischen Macht auszuschließen, und beziehen zeitgleich deren populistische Themen und Rhetorik mit ein: »This dynamic will bring about a populist Zeitgeist.« (Mudde 2004: 563) Dieses Kapitel beschäftigt sich mit der Polarisierung der postmigrantischen Gesellschaften in pro-plurale Allianzen und dagegen gerichtete antiplurale Antagonisten. Dabei lautet die Hypothese, dass das normative Paradoxon, welches auf der Makroebene zu beobachten ist – also das Versprechen der Gleichheit gegenüber Migrant*innen und ihren Nachkommen und die gleichzeitig aufrechterhaltene Ungleichheit – auf der Mikroebene eine spannungsreiche kognitive Dissonanz erzeugt, auf die in der Gesellschaft sehr different reagiert wird, was wiederum eine kollektive gesellschaftspolitische Dynamik erzeugt. Das Begriffspaar Allianz und Antagonismus wird in diesem Kapitel als dynamische Bipolarität verwendet. Dabei steht Allianz für den Pluspol, der sich der Migrations- und Pluralisierungsfrage gegenüber offen bis zugewandt zeigt, und Antagonismus für die dagegen gerichteten Abwehrhaltungen, den Minuspol. Die Dynamik der postmigrantischen Gesellschaft speist sich aus dem Energiekreislauf zwischen diesen beiden Polen, die aus gänzlich gegenseitigen Haltungen heraus die Fragen der Anerkennung von Gleichheit und Teilhabe aushandeln. Das Be-
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Die postmigrantische Gesellschaft
griffspaar selbst könnte grundsätzlich auch vice versa genutzt werden. Es könnte z. B. auch von antipluralen Allianzen gesprochen werden. Und im Gegenzug dazu könnte dann auch von propluralen Antagonisten gesprochen werden. Allerdings wird in diesem Buch den beiden Begriffen ein framing gegeben, um die sich widersprechenden dominanten und konkurrierenden gesellschaftlichen Haltungen in der postmigrantischen Gesellschaft besser beschreiben zu können. Die Allianz wird also als jene Koalition vorgestellt, die sich auf der Basis einer gemeinsamen Haltung für eine plurale Gesellschaft zusammenschließt, während die antagonistische Position vor allem eine der Gegnerschaft ist: gegen Europa, Genderpolitik, Minderheiten, Muslim*innen – kurz: gegen Pluralität auf unterschiedlichen Ebenen.
Polarisierung der postmigrantischen Gesellschaft Seit mehr als einem Jahrzehnt ist in Europa ein Erstarken migrationsfeindlicher Parteien zu beobachten, die sich dabei nicht nur gegen Migration, sondern gleichzeitig gegen die Europäische Union, gesellschaftliche Eliten und soziale sowie religiöse Minderheiten positionieren (Wodak 2015, 2013; Inglehart/Norris 2017; Larsson/Spielhaus 2017). So steigt parallel zur Migrationsfeindlichkeit auch die Europaskepsis, die Feminismusfeindlichkeit, Homo- und Transfeindlichkeit, die Islamfeindlichkeit, der Antisemitismus und die Feindseligkeit gegenüber jenen, die aus der Gesamtgesellschaft heraus politisch und gesellschaftlich für eine plurale Demokratie eintreten und keiner Minderheit angehören. Die genannten Angriffspunkte stehen alle sinnbildlich für Pluralität, werden jedoch vom Migrationsthema als übergeordnetem Narrativ gerahmt: Auch die EU symbolisiert Pluralität, steht sie doch für einen pluralen Raum, der die Ausweitung der Grenzen der Nation bedeutet; die als »Gutmenschen« und »Volksverräter« angegriffenen und diffamierten »Eliten« sind vor allem pluralitätsoffene Akteur*innen, die als Kosmopoliten und »vaterlandslose Gesellen« geschmäht werden, weil sie eine internationalistische Perspektive einnehmen und vertreten. Nach derselben Manier werden Migrant*innen, Muslime sowie sexuelle Minderheiten als national, religiös und identitär amorphe Stellvertreter der Heterogenität gesehen, welche etablierte kategoriale Grenzen pluralisieren und damit Diversitätsstress und Mehrdeutigkeit erzeugen. Da die Abwehr von Migration sich mit anderen gruppenbe-
III. Antagonisten und Allianzen
zogenen Menschenfeindlichkeiten paart und sich im rechtspopulistischen Milieu die Europa-, Eliten- und Demokratiefeindlichkeit hinzugesellen (Kaltwasser et al. 2017), kann ein Muster der Antipluralität diagnostiziert werden (Decker/Brähler 2018: 100; Zick et al. 2016), das auch mit einer Form der Ambiguitätsintoleranz einhergeht (Furnham/ Ribchester 1995). Migration wird dabei subjektiv zum Ausgangspunkt der Heterogenisierung und Pluralisierung der Gesellschaft erklärt, da in der Präsenz der migrantischen Anderen die Pluralität sichtbarer, manifester, physischer zu werden scheint als in der Vielfalt von Geschlechtern, von Nationen und von politischen Positionen. Und während die Europäische Union seit dem Schengener Abkommen die nationalen Grenzen verblassen lässt und die Genderfrage zunehmend die geschlechtliche Codierung und Grenzziehung in Frage stellt, verkörperlicht Migration die Überwindung objektiver und symbolischer Grenzen gleichermaßen – objektiver Grenzen, weil die Migrant*innen, um in Deutschland anzukommen, Ländergrenzen überschritten haben, und symbolischer Grenzen vor allem dann, wenn sie das Versprechen der Demokratie einfordern, Anerkennung aushandeln und Teilhabe als Gleiche unter Gleichen beanspruchen (Römhild 2018). Damit weisen sie auf die Auflösung von Gruppengrenzen hin und lösen, wie im vorigen Kapitel zu Ambivalenz und Hybridisierung beschrieben, etablierte Kategorisierungen auf. Lamont und Molnár beschreiben symbolische Grenzen als konzeptuelle Unterscheidungen, die von sozialen Akteur*innen vorgenommen werden, um Kategorien aufrechtzuerhalten. Sie erzeugen dabei eine Realität, die für viele bindend ist. Lösen sich diese Kategorien auf, so erzeugt dies für manche Menschen Stress, da sich damit ihre Realität und ihr Zugehörigkeitsgefühl zu Gruppen, Nationen oder Religionen nicht mehr klar gestaltet: »Symbolic boundaries are conceptual distinctions made by social actors to categorize objects, people, practices, and even time and space. They are tools by which individuals and groups struggle over and come to agree upon definitions of reality. […] Symbolic boundaries also separate people into groups and generate feelings of similarity and group membership.« (Lamont/Molnár 2002: 168) Die Infragestellung symbolischer Grenzen kann somit hochgradige Irritationen auslösen, wenn damit Gruppenzusammenhänge oder Ideen von Nation und Volk unscharf werden und verschwimmen. Andreas Wimmer nennt das blurring boundaries (Wimmer 2008). Migration lässt über die Zeit diese etablierten Grenzen verschwimmen und
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162
Die postmigrantische Gesellschaft
erhöht durch eine zunehmende Hybridisierung der Gesellschaft die subjektbezogenen Ambivalenzen (vgl. Kapitel II). Parallel zu dieser Pluralitätsabwehr sind allerdings auch Anstiege ehrenamtlicher Flüchtlingsarbeit, Willkommensbewegungen und staatliche sowie nicht-staatliche Bekenntnisse gegen Rechtspopulismus und für Migration, Europa und Pluralität zu erkennen (Schiffauer et al. 2017; Marg et al. 2016; Hamann/Karakayalı 2016). Die Gesellschaften erscheinen daher hochgradig ambivalent und polarisiert, wenn es um die Fragen von Zugehörigkeit, nationaler Identität und den Umgang mit Heterogenität und Pluralität geht (Foroutan 2016: 241). Die postmigrantische Gesellschaft, die binäre Codierungen in Frage stellt, da die vielfältigen Migrationsbezüge keine klaren Einteilungen in Etablierte und Hinzugezogene mehr erlauben, wird zur Unordnung stilisiert, die Herstellung von Eindeutigkeit zu einem Kriterium erhoben, das legitim erscheint, um Ordnung wiederherzustellen (Bauman 1992). Unter dem Deckmantel der Wiederherstellung von Ordnung werden dabei etablierte Privilegien gesichert und geschlechtliche, rassistische und schichtspezifische Hierarchien (re-)aktiviert, die durch die plurale Demokratie und das darin enthaltene Versprechen der Gleichheit in Frage gestellt wurden und werden (Weldon 2006). Tilly schreibt über die Folgen sich auf lösender Grenzen, dass dieser amorphe Übergangsprozess politische Identitäten aktivieren oder deaktivieren kann, dass er zu wirtschaftlicher Ausbeutung und kategorischer Diskriminierung, aber auch zu Demokratisierung führen kann; dass er Unsicherheit und den Ausbruch kollektiver Gewalt fördern oder verhindern kann, dass also das Auf lösen etablierter Vorstellungen einen ambivalenten Raum erzeugt, der von unterschiedlichen Seiten aus gestaltet werden kann: »Boundary change figures importantly in a wide variety of phenomena, including the activation or deactivation of political identities, economic exploitation, categorical discrimination, democratization, and the alterations of uncertainty that promote or inhibit the outbreak of collective violence […]. I argue that similar or identical causal mechanisms operate across a very wide range of boundary changes.« (Tilly 2016: 215; siehe auch McAdam, Tarrow, and Tilly 2001) Ein Unterschied zwischen den beiden Polen der Pro- und Antipluralität – man könnte auch sagen, jenen, die ambiguitätstolerant sind, und jenen, die sich nach Eindeutigkeiten sehnen – kann darin gesehen werden, dass für erstere die sozialen Fragen vor allem systemisch gelöst werden müssen und Integration als strukturelle und soziale Teilhabe
III. Antagonisten und Allianzen
aller an den zentralen Gütern und Ressourcen der Gesellschaft verstanden werden müsste, während letztere vor allem kulturelle und identitäre Fragen ins Feld führen und Verteilungsgerechtigkeit vor allem auf Basis der Zugehörigkeit zur Eigengruppe – also völkisch – definieren (Thurich 2011; Cheneval 2015). Minderheitenrechte und -positionen werden von beiden Polen offensiv debattiert sowie Fragen nach nationaler Identität, Zugehörigkeiten, Privilegien und Repräsentationen neu ausgehandelt. Wie bereits beschrieben tritt die Frage nach dem ›Wer sind wir?‹ in postmigrantischen Gesellschaften, die von einem obsessiven Migrationsdiskurs (Spielhaus 2014) geprägt sind, stärker in den Vordergrund. Dabei geht es auch um die Sicherung von Privilegien. Wenn zunehmend Menschen, die andere Hautfarben oder Namen haben, mit beanspruchen, Teil des nationalen Kollektivs zu sein, tritt die Herausforderung der Demokratie, ihr Versprechen der Gleichheit und Gleichwertigkeit zu erfüllen, deutlich zu Tage. Was in postmigrantischen Gesellschaften greif bar wird, ist auch eine Veränderung der etablierten politischen Lager und Zuweisungen. Es sind nicht ›die Migrant*innen‹ auf der einen Seite, die in einem Konf likt mit ›den Einheimischen‹ stehen. Es kämpfen nicht nur Migrant*innen und ihre Nachkommen um mehr Anerkennung, Chancengerechtigkeit und Teilhabe, sondern gemeinsam mit ihnen auch große Teile der nicht-migrantischen Bevölkerung, denn: Minderheitenrechte werden als ein Basiselement demokratischer Gesellschaften verstanden und die Gewährleistung von Gleichwertigkeit gegenüber nicht-dominanten Gruppen wird als emanzipatives Ziel von Demokratien definiert (Dahl 1975; Dahrendorf 1958). Wir haben es also in postmigrantischen Gesellschaften mit einer Form der Polarisierung zu tun, die diskursiv entlang von kulturellen, religiösen, ethnischen oder nationalen Herkunftsgrenzen verläuft. Tatsächlich ist aber die polarisierte Gegnerschaft der beiden Lager übergreifender: Es handelt sich um einen ideologischen Dualismus – also um einen Wettbewerb politischer Haltungen um Hegemonie und Deutungsmacht über die conscience collective, also das kollektive Bewusstsein, wie Durkheim sagt (siehe Kapitel »Grundlagen«), oder um die moral majority, die moralische Majorität (Hall 1994). Gegner*innen und Befürworter*innen der pluralen Demokratie stehen sich teilweise antagonistisch – also in der Bereitschaft, einander jegliche Legitimität abzusprechen – gegenüber. Es kann geradezu von einem neuen bipolaren Konf likt gesprochen werden, der entlang der Trennlinie der Pluralität verläuft. Auf der einen
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Seite stehen jene, die Pluralität ertragen, akzeptieren oder sogar ersehnen, auf der anderen Seite jene, die sich unbehaglich fühlen, Pluralität ablehnen oder gar den Wunsch nach Homogenität, Reinhaltung und Rettung Europas vor kultureller Mischung und Zuwanderung aggressiv vertreten und sich zunehmend radikalisieren. Pluralität – und damit Migration als Sinnbild der pluralen Gesellschaft – ist zu einem dominanten cleavage geworden. So bezeichnet die Politikwissenschaft einen »dauerhafte[n] politische[n] Konf likt«, der »in der Sozialstruktur verankert ist und im Parteiensystem seinen Ausdruck gefunden hat« (Pappi 1977: 195). Um von einem cleavage – also einer Kluft bzw. Spaltung – zu sprechen, müssen beständige gesellschaftspolitische Grundüberzeugungen zur Debatte stehen, die einer starken Politisierung ausgesetzt sind und Gesellschaften in polare Lager teilen (Neto/Cox 1997: 152). Lipset und Rokkan definierten als zentrale cleavages, die im 19 Jahrhundert dominant waren und das Parteiensystem der westlichen Staaten prägten, die Konf liktlinien zwischen Stadt und Peripherie, zwischen Kapital und Arbeit und zwischen Staat und Kirche (Lipset/Rokkan 1967: 6). An diesen Polen sortierte sich die Gesellschaft in vibrierende Metropolen versus modernisierungsskeptische Provinzen, in Unternehmer*innen und Vermögensbesitzer*innen, die ihr Kapital vermehren konnten, und Arbeiter*innen, die ebenfalls um Positionen im politischen und gesellschaftlichen Gefüge kämpften, oder in Anhänger*innen eines starken Staates einerseits und einer autonomen und bestimmenden Kirche andererseits. Mit der Säkularisierung wurde der cleavage zwischen Staat und Kirche weniger dominant. Jedoch zeichnen sich im Parteiensystem der Bundesrepublik noch immer die Cleavage-Strukturen ab. Während die CDU/ CSU sich vorrangig als Partei des Landes, der Kirchen und des Kapitals darstellte, sah sich die Sozialdemokratie vor allem als Vertreterin der Arbeiter*innen in den Städten und vertrat religionsskeptische Positionen. Die Parteienstruktur hat sich seit den 1980er Jahren stark verändert, neue Parteien sind im Spektrum der politischen Auseinandersetzungen präsent und auch Klimaschutz oder Diversitätspolitik haben Spaltungen in der partei- und gesellschaftspolitischen Positionierung mit sich geführt. Ein Blick auf die Parteienlandschaft und Wählerbewegungen der letzten Jahre verdeutlicht allerdings, dass die Migrationsfrage zu einer der zentralen Dimensionen geworden ist, um die herum eine politische Positionierung aller Parteien erfolgt (Schmidtke 2015): Für oder gegen Migration, das ist zu einer omnipräsenten Frage
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geworden und die Parteien haben sich entlang des Migrations-cleavage neu sortiert. Ein dominanter Konf likt zwischen Pluralitätsbefürwortung und Homogenitätssehnsucht spaltet die europäischen Einwanderungsländer und wird über das Metanarrativ der Migration, als Proxy in den Vordergrund gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse gerückt. Wir beobachten also eine bipolare und teilweise kontra-intuitive Referenzlogik: Während sich auf der einen Seite nicht-dominante Gruppen politische Rechte erkämpfen, mehr Positionen erhalten, sichtbare Repräsentation einfordern, Antidiskriminierungsrichtlinien verabschiedet und Diversity-Konzepte in vielen gesellschaftlichen Bereichen erarbeitet werden und Migration zunehmend für viele Menschen zur Normalität und zum gewohnten Alltagsbild wird, erstarken gleichzeitig die Gegenbewegungen. Rassistische Positionen werden offen artikuliert, Sagbarkeitsgrenzen als political correctness diffamiert und aktiv überschritten. Wir sehen also, wie sich die Gesellschaft pluralisiert, öffnet und diversifiziert – während zugleich der Rechtspopulismus wächst. Ernst Bloch hat dieses Phänomen als die »Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen« bezeichnet – ohne sich dabei explizit auf den Anstieg des Rechtspopulismus zu beziehen (Bloch 1973). Die ideologischen Lager in der Gesellschaft sortieren sich dabei neu, alte Links-rechts-Positionen werden brüchig, wie unter anderem in den Willkommensinitiativen in Deutschland im Zuge der Fluchtmigration zu beobachten war: Protestantische Lehrer*innen, katholische Rentner*innen, linke Aktivist*innen, migrantische Organisationen, Alte und Junge führte eine gemeinsame Vorstellung von Gleichheit und Gerechtigkeit zusammen auf die Straße. Zeitgleich erkennen wir, dass AfD-Anhänger*innen, bürgerliche Mittelschichtspolitiker*innen, migrantische Fundamentalist*innen, völkische Feminist*innen und Rechtsextreme teilweise erstaunlich ähnlich abwehrende Positionen vertreten und sich zum Teil sogar eine ideologische Querfront mit vergleichbaren Narrativen beobachten lässt (Meiering et al. 2018). Die Heterogenität dieser beiden Lager erzeugt dabei eine weitere hochgradig ambivalente Situation, da viele etablierte Erklärmuster verschwimmen, wenn nicht nur sozial abgehängte oder bildungsferne Menschen plötzlich pluralitätsfeindlich sind, sondern Angehörige der gesellschaftlichen Mitte oder auch Migrant*innen selbst. Umgekehrt ist es genauso: Wenn die Frage der Offenheit für und Aufnahme von Gef lüchteten quer über alle etablierten gesellschaftlichen Lager von links bis rechts, von liberal bis konservativ, alt bis jung, migrantisch bis nicht-migrantisch
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im langen Sommer der Migration 2015 mit Tatkraft und Engagement beantwortet wurde, dann kann nicht von einer links-liberalen Phantasterei gesprochen werden, welche die konservative Gefühlslage der Bevölkerung ignoriere.
Polarisierung als Folge realistischer und/oder symbolischer Bedrohung Die Polarisierung der Gesellschaft verläuft also, wie oben dargestellt, entlang der Grenze der Pluralität, die durch die Migrationsfrage versinnbildlicht wird. Dabei ist die Frage, was denn an der Pluralität bedrohend wirkt und wer sich durch migrationsbezogene Pluralität bedroht fühlt, eine zentrale. Ist die Pluralität eine realistische oder eher eine symbolische Bedrohung für jene, die Migration abwehren? Erzeugt die erhöhte Pluralität vor allem soziale und strukturelle Bedrohungen, wie Konkurrenz um Arbeit, Wohnraum oder ökonomische Ressourcen? Oder wirken die Pluralitätsängste vor allem im kulturellen und identifikativen Feld, weil sie symbolische und kulturelle Bedrohungsgefühle wie Identitätsangst, Hybridisierungsstress oder symbolischen Statusverlust erzeugen, weil nun auch nicht-dominante Gruppen in die symbolische Distributionsarena eintreten und als Gleiche unter Gleichen angesprochen werden wollen sowie nach den gleichen Rechten, Positionen und Privilegien verlangen? Die Frage nach realistischen und symbolischen Bedrohungs- und Abwehrgefühlen treibt Populismus- und Ungleichheitsforscher gleichermaßen um (Inglehardt/Norris 2017; Chung/Mau 2014; Lengfeld/ Ordemann 2017). In der Sozialpsychologie wird die Verknüpfung von realistic threat (Sherif 1966) versus symbolic threat – also symbolischer Bedrohung der sozialen Identität (Tajfel/Turner 1979) – seit Jahren diskutiert, wobei zahlreiche Studien eine Interaktion zwischen symbolischen Bedrohungsgefühlen und realer Performanz beobachten. Diese Studien werden jedoch eher in der Vorurteilsforschung durchgeführt, wo es z. B. um Bedrohungsgefühle durch intergruppale Kontakte oder durch Stereotypisierung geht (Pettigrew 1998; Steel/Aronson 1995), als in der Populismusforschung. Zur symbolischen und/oder realistischen Bedrohung als Grund für den Anstieg von (Rechts-)Populismus gibt es innerhalb der Sozialforschung konkurrierende und komplementäre Erklärungen. Die Ungleichheitsforschung verbindet die gestiegene Migrationsabwehr vor allem mit realen Konkurrenzanstiegen um Arbeits-
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plätze und Sozialleistungen und beobachtet empirisch, dass die ›Modernisierungsverlierer‹ aus Gründen des ökonomischen Wettbewerbs und der Statusbedrohung stärkere Verunsicherungen erfahren und diese in fremdenfeindlichen Positionen entladen (Chung/Mau 2014; Nachtweih 2018; Bude 2014). Die Populismusforschung ergänzt dies um Fragen der Zugehörigkeit und Wertschätzungsverluste als zentrale Treiber für den Anstieg von Rechtspopulismus (Mudde 2016a; Mudde/ Kaltwasser 2013) und die Rassismusforschung steuert Hypothesen zur kulturellen Schließung und Privilegiensicherung bei (Mecheril/Castro Varela 2016; Attia 2009; Shooman 2014). Die Integrationsforschung bedient sich als Querschnittsforschung dieser unterschiedlichen Zugänge. In Kapitel I wurde bereits über die Frage von realistischen und symbolischen Gütern geschrieben und auf Michèle Lamont verwiesen, die von Verteilungslücken (distribution gaps) und Anerkennungslücken (recognition gaps) als gleichermaßen bedeutsam spricht, jedoch darauf hinweist, dass Fragen der Ungleichverteilung in der empirischen Forschung dominieren: »Contemporary sociologists tend to focus on inequality in the distribution of resources, such as occupations, education, and wealth. Complementing this research, this address draws attention to ›recognition gaps,‹ defined as disparities in worth and cultural membership between groups in a society.« (Lamont 2018: 419) Zusätzlich werden der Wettkampf und die Konkurrenz von Lebensstilen (Hochschild 2017; Kaschuba 2016) und ein Kampf zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen um die kulturelle Deutungshoheit der Gesellschaft und der Lebensrealitäten als Gründe für die Polarisierung der Gesellschaft und den Anstieg des Rechtspopulismus angeführt (Merkel 2017; Zürn/De Wilde 2016; Hebling/Teney 2014). Ronald Inglehart und Pippa Norris (2016) schreiben zu diesen divergierenden Ansätzen: »Perhaps the most widely-held view of mass support for populism – the economic insecurity perspective – emphasizes the consequences of profound changes transforming the workforce and society in post-industrial economies. Alternatively, the cultural backlash thesis suggests that support can be explained as a retro reaction by once-predominant sectors of the population to progressive value change […]. Sectors once culturally predominant in Western Europe may react angrily to the erosion of their privileges and status.« (Inglehart/Norris 2016: 1 f.) Die Analyse, dass soziale Ungleichheit und ökonomische Instabilität Gründe für die steigende Polarisierung der Gesellschaften und den
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Anstieg rechtspopulistischer Parteien bilden und Migrationsfeindlichkeit mit Abstiegsängsten und Ressourcenkonkurrenz in der Bevölkerung zusammenhängt, ist vielfach beschrieben und empirisch untermauert worden (Chung/Mau 2014; Mau et al. 2012). Didier Eribon (2016), Eric Olin Wright (2017), Thomas Piketty (2016), Anthony Atkinson (2016), Robert Reich (2016) – sie alle sehen in der steigenden sozialen Ungleichheit ein Hauptmotiv für den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien, Bewegungen und Akteur*innen. Das Irritierende ist jedoch, dass der Rechtspopulismus auch in ökonomisch wohlhabenden Ländern stark zugenommen hat, wozu sicher die Schweiz und Deutschland gehören, aber auch Österreich, die Niederlande oder die skandinavischen Länder. Sie alle sind zudem stabile Wohlfahrtsstaaten mit einer hohen Migrationsdichte. Vergleicht man diese Länder mit Polen, Ungarn, Tschechien oder der Slowakei, wo Rechtspopulisten mit einer sehr starken Abwehragenda bereits als Mehrheiten regieren, so ist augenscheinlich, dass die ökonomische Grundlage, aber auch die Migrationsdichte kaum miteinander vergleichbar sind. Die letztgenannten Länder haben eine sehr geringe Migrationsdichte und trotzdem eine hohe kulturelle Abwehr von Migration und Multikulturalität (Nowicka 2013; Canan/Simon 2018). Sie sind zudem nicht als funktionierende Wohlfahrtsstaaten zu klassifizieren. Umgekehrt ist auch zu konstatieren, dass die Erstgenannten zwar wirtschaftlich zu den wohlhabendsten Nationen der Erde gehören, jedoch gleichzeitig mit einer erhöhten inneren Ungleichheit konfrontiert sind und die Angst, der Wohlfahrtsstaat könnte durch open-border policies kollabieren, ein zusätzlich erklärender Faktor sein könnte (Bauder 2017; Scherr 2015). Zur Erinnerung: Der »Weltreport über Ungleichheit« einer Forschergruppe um Thomas Piketty attestiert Deutschland so viel ökonomische Ungleichverteilung wie zuletzt 1913 (Piketty et al. 2018). Manche Sozialwissenschaftler*innen erklären den Anstieg des Rechtspopulismus in wirtschaftlich prosperierenden Nationen des globalen Nordens vor allem über kulturelle Abwehr und einen Abschied von der linksliberalen moralischen Majorität, weil sie deren Gleichheitsversprechen als Bedrohung ihrer symbolischen privilegierten Position wahrnehmen. Den Verlust der kulturellen Dominanz und die Erosion etablierter Privilegien sehen sie als primäre Gründe für die steigende Unterstützung des Rechtspopulismus bis in die Mitte der Gesellschaft an (Inglehart/Norris 2017; Golder 2016; Bustikova 2014; Mudde 2007). Vor dem Hintergrund der erfolgten emanzipativen Fortschritte und
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Gewinne der letzten Jahrzehnte, eines empirisch beobachtbaren Aufstiegs von Migrant*innen und ihren Nachkommen (Kalter/Granato 2018; Kalter et al. 2018, 2011; Dollmann 2017; Brücker et al. 2014) sowie erfolgter politischer und symbolischer Anerkennungsprozesse gegenüber anderen nicht-dominanten Gruppen scheint es, als ob die Aufstiege der Migrant*innen, Muslim*innen, Frauen und Homosexuellen zusätzlich zu den symbolischen auch realistische Bedrohungsgefühle erzeugt haben, worauf empirische Hinweise in Kapitel II hindeuten. Die Legitimation der bestehenden Privilegien zu hinterfragen, erzeugt demnach offenbar mindestens ebenso reaktive Dynamiken wie die Angst vor ökonomischem Statusverlust. So zeigen Umfragen, dass die Lösung realistischer Bedrohungen deutlich weniger relevant ist als die Lösung kultureller Fragen. In einer Phase besonders hoher offener Gewalt gegen Gef lüchtete und ihre Unterkünfte in Deutschland im Jahr 2016 (BMI 2018: 8) gaben drei Viertel der Bevölkerung (73 %) an, die drängendsten zu lösenden Aufgaben seien Flüchtlinge, Zuwanderung und Integration – dabei war nicht der Schutz der Gef lüchteten vor Gewalt gemeint. Nur 10 % gaben Arbeit und Beschäftigung an, nur 8 % Wirtschaft und nur 4 % Rente (Infratest dimap 2016b: 5). Ökonomische Fragen waren relativ niederrangig, wenn wir sie für den Anstieg von Gewalt als erklärende Einstellung hätten heranziehen wollen. Dafür gab jeder Zweite an, die Sorge zu haben, dass wegen der Flüchtlinge der Einf luss des Islam in Deutschland zu stark würde (Infratest dimap 2016a: 17). Zur Erinnerung: Der Anteil der Muslim*innen an der deutschen Bevölkerung beträgt 5,5 % – die neuen Gef lüchteten seit 2015 mit eingerechnet (Stichs 2016). Es gibt also eine Diskrepanz zwischen dem emotionalen und kulturellen Bedrohungsempfinden und der empirischen Realität. Auch in Trumps Amerika scheint die Kulturangst (Bade 2015) größer zu sein als die Angst vor sozialem Abstieg. So gaben bei einer Befragung 68 % der weißen USamerikanischen Arbeiter*innenklasse an, der American way of life müsse gegen ausländische Einf lüsse geschützt werden, und mehr als jeder Zweite (52 %) war der Überzeugung, Rassismus gegen Weiße sei zu einem ähnlich großen Problem angewachsen wie die Diskriminierung von Schwarzen und anderen Minderheiten. Im Vergleich dazu sagten deutlich weniger (27 %), ihre finanzielle Situation habe sich verschlechtert (Cox et al. 2017). Postmaterialistische und symbolische Beweggründe scheinen also – zumindest wenn man Meinungsumfragen betrachtet – stärker die Be-
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völkerung in Wohlstandsländern wie Deutschland und den USA anzutreiben als reale Abstiegsängste und ökonomische Not. Zudem deuten einige Daten darauf hin, dass robustere Wohlfahrtsstaaten dazu neigen, stärkere rechtsextreme Bewegungen zu haben (Beauchamp 2017a). Golder (2016) kontrastiert in seinem Review-Artikel unterschiedliche Argumente in Bezug auf die Stärke rechter Parteien. Im Hinblick auf ökonomische Ursachen kam er zu dem Schluss, es sei zu wenig auf die Verknappung ökonomischer Güter und die Folge dieser Verknappung auf den Anstieg der Rechtspopulisten eingegangen worden: »To a large extent, the impact of economic contextual factors on far right success has been undertheorized, and empirical models that examine it are almost certainly underspecified.« (Ebd.: 484) Er verweist dabei auf Dancygier (2010), die die Interaktion von ökonomischer Knappheit und migrantischem Wahlrecht analysiert hatte. Sie kommt zu dem Befund, dass bei gleichzeitiger ökonomischer Knappheit und gewährten Wahlrechten (also Gleichheitsrechten) für Migrant*innen, Entscheidungsträger – also Etablierte und Privilegierte – Anreize dafür sähen, Migrant*innen materielle Vorteile zuzugestehen und sie der einheimischen Population vorzuenthalten. Sie erhofften sich daraus, von den Migrant*innen gewählt und unterstützt zu werden. Denn Wahlrechte als grundlegende Beteiligungsrechte leiten auch einen Aufstieg in der symbolischen Zugehörigkeit ein und Migrant*innen stellen eine potentielle neue Wählerklientel. Das geht mit der Investition von Ressourcen einher, denn um als gleichberechtigte Bürger*innen angesprochen zu werden, muss die bestehende ethnische Unterschichtung behoben und die starke Ungleichheit eingeebnet werden (z. B. durch Quoten oder positive Maßnahmen). Diese ausgleichende Ressourcenzuwendung werde nicht gleichzeitig ebenfalls den Einheimischen gewährt, was die Einheimischen gegen die Migrant*innencommunities auf begehren lasse, was wiederum zu Konf likten zwischen Migrant*innen und Einheimischen führe und rechtspopulistische Bewegungen begünstige (Dancygier 2010). Ähnliche Analysen gibt es mit Bezug auf die Af firmative Action Laws in den USA, worin von Teilen der Bevölkerung ebenfalls eine Bevorzugung von Minderheiten gesehen wird und nicht ein Ausgleich der ungleichen Verhältnisse marginalisierter Gruppen (Carr 2018; Moore 2018; Kawashima 2017). Teilhabe und Partizipation von Migrant*innen wären in ökonomisch knappen Zeiten also als ein Nullsummenspiel zu deuten, das zulasten der Einheimischen bzw. Nichtmigrant*innen ginge. Die Aufstiege der Migrant*innen würden in
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einer Zeit, in der aufgrund ökonomischer Knappheit nicht mehr in die einheimische Bevölkerung investiert wird, deutlicher sichtbar. Das Gefühl, diese bekämen etwas, was man selbst nicht erhält, treibt die Missgunst an, selbst wenn es nur ein ausgleichender Verteilungsschlüssel ist. Bustikova (2014) argumentiert daran anlehnend, jedoch mit einem anderen Resümee, dass der Aufstieg von Migrant*innen und eine Propluralitätspolitik die Migrationsfrage unabhängig von der ökonomischen Ausgangslage sichtbar hervorstechen ließen und dadurch Konkurrenzmotive anfeuerten, selbst wenn es keine ökonomische Verknappung gibt: »I argue that temporal variation in the success of radical right parties is driven by the success of ethnic and socially liberal parties on the left. The presence and actions of the bilateral opposite polarize the party system and increase issue salience. Contrary to economic issues where parties can project positions that are salient, yet also centrist, non-economic issues become salient when parties polarize; that is, when politically organized minorities ascend to power and governments pursue pro-minority policies.« (Bustikova 2014: 1740) Auch Mudde zweifelt an der dominanten Erklärung der Ungleichheitsforschung. Wenn soziale und ökonomische Ungleichheit die Hauptursache wären, so Mudde, warum wendeten sich Wähler*innen, die im Großen und Ganzen vom Wohlfahrtsstaatsprinzip und dem Versprechen der Gleichheit profitieren, gegen genau jene Parteien, die dafür am stärksten kämpfen, also die Sozialdemokraten und Sozialisten (Mudde 2016b)? Die Maxime scheint also weniger ›Gleichheit für alle‹ – das Versprechen der Sozialisten – zu sein als vielmehr ›Mehr Gleichheit für mich und meinesgleichen und weniger für die Fremden und ihre Kinder!‹. Wobei mit ›Fremden‹ und ›anderen‹ nicht nur neu hinzugezogene Gef lüchtete gemeint sind, sondern zunehmend auch jene, die schon seit Generationen hier sind und als migrantische Andere Anerkennung und Teilhabe einfordern sowie das Ende ihrer Ver-Anderung und Nicht-Zugehörigkeit. Richten sich die Abgehängten also, wie Bustikova sagt, weniger nach Parteien, die ihnen mehr sozialen Aufstieg versprechen, als vielmehr nach jenen, die anderen – in diesem Fall Migrant*innen und anderen marginalisierten Minderheiten – weniger sozialen Aufstieg, Sichtbarkeit, Teilhabe und Versprechen der Gleichheit geben wollen (Bustikova 2014)? Und ist der Rechtspopulismus der Mitte und Eliten möglicher-
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weise eher ein postmaterialistisches Phänomen, das dann relevant wird, wenn die wichtigsten materiellen Bedürfnisse gedeckt sind und Fragen der nationalen Identität als Distinktionskriterium ins Feld geführt werden? Wenn man die AfD-Wählerschaft betrachtet, verdient immerhin fast die Hälfte der Sympathisant*innen dieser Partei mehr als der Median, und die Partei selbst hat eine sehr hohe Akademikerdichte und Unterstützung auch in der oberen Mittelschicht (Geiges et al. 2015; Vorländer et al. 2016). Cas Mudde schlussfolgert mit Bezug auf die reichen Wohlfahrtsstaaten und den Anstieg des Rechtspopulismus in Ländern wie der Schweiz, Deutschland, Österreich oder Skandinavien, die alle wirtschaftlich prosperieren, dass die gestiegene wirtschaftliche Sicherheit offenbar die Ängste und Aversionen gegenüber Einwanderung und gesellschaftlicher Diversität und Pluralisierung nicht oder nicht ausreichend mildert. Vielmehr scheint es so zu sein, als sei die autochthone Mehrheitsbevölkerung der Wohlfahrtsstaaten in einem regelrecht postmaterialistischen Akt davon befreit worden, sich Gedanken über ihre Grundsicherung zu machen, und nun machten sie sich mehr Gedanken darüber, wer in ihre Nachbarschaft zieht und mit ihnen um Jobs konkurriert, so Mudde (2016b). Ignazi (1992) begriff diesen kulturellen backlash gegen die liberalen Errungenschaften schon 1992 als eine »silent counter-revolution«, in Anlehnung an Ingleharts »silent revolution« (Inglehart 1977). Letztere stellte einen postmaterialistischen kulturellen Wandel in der Expansion des Strebens nach individueller Freiheit und der Betonung von Liberalität, Multikulturalität, Geschlechtergleichheit und ethnischer Diversität dar. Nachdem die materiellen Grundbedürfnisse gedeckt waren und nun die freiheitlichen und liberalen Bedürfnisse im Vordergrund standen, sei ein reaktionärer backlash bei jenen zu beobachten, die sich durch Liberalisierung in ihrer etablierten Positionalität verdrängt sahen und weniger in ihrer materiellen Position (Ignazi 1992). Auch Norris und Inglehart (2016) schließen ihre empirische Analyse mit dem Befund, dass sie mehr Hinweise für die Kulturangsthypothese finden als für die ökonomische Bedrohungssituation und Wohlstandsverluste: »Overall, we find the most consistent evidence supporting the cultural backlash thesis.« (Ebd.: 1) Auch eine Studie von Leipziger Soziologen zur Motivation von AfD-Wähler*innen kommt zu folgendem Schluss: »In unserer Analyse ist es maßgeblich der Wunsch nach kultureller Schließung, der die Menschen mit AfD-Neigung von Menschen mit anderen politischen Orientierungen unterscheidet.« (Lengfeld/Dilger
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2018: 196a) Der Wunsch nach kultureller Schließung ist demnach ein zentraler Treiber für rechtspopulistische Parteien. Die Vorstellung kultureller Homogenität allerdings steht in starkem Gegensatz zur zunehmenden kulturellen Hybridisierung der Einwanderungsgesellschaften. Es wird somit deutlich, dass soziale Ungleichheit und realistische Bedrohungen nicht die einzige Erklärung für den Anstieg des Rechtspopulismus und die Polarisierung der Gesellschaft darstellen. Eine gestiegene Pluralitätsabwehr kann auch durch die Aufstiege der Migrant*innen, Muslim*innen, Frauen und Homosexuellen in den öffentlichen Diskurs- und Verteilungsraum und die Forderung der marginalisierten Gruppen nach Teilhabe, Partizipation und Machtgleichheit erklärt werden. Diese scheinen mindestens zur moralischen Infragestellung der kulturellen Dominanz zu führen. Die Pluralität bzw. der Anspruch der sichtbar werdenden marginalisierten Gruppen und ihre Anerkennungsprämissen und -aushandlungen hinterfragen die hegemonialen gesellschaftlichen Deutungsmuster und Privilegien, womit ein möglicher symbolischer Statusverlust eine ebenso starke Dynamik erzeugen kann wie die Angst vor ökonomischem Statusverlust.
Polarisierung als Folge kognitiver Dissonanz Die Polarisierung der Gesellschaft in pro- und antiplurale Lager und die Zuspitzung auf die Migrationsfrage als realer Bedrohungssituation bzw. symbolische Chiffre für den Verlust der kulturellen Identität Europas findet vor dem Hintergrund des normativen Paradoxons statt, welches die demokratischen Gesellschaften in Europa in einen latenten Spannungszustand versetzt, was nicht nur polarisierende Gruppendynamiken erzeugt, sondern auch auf individueller Ebene polare Reaktionen hervorruft. Dies spiegelt sich in der Haltung zur Migrationsfrage deutlich wider, die in Deutschland quer durch Städte, Freundschaften und Familien hindurch Menschen spaltet und in besagte ›große Gereiztheit‹ versetzt. Das Versprechen der Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe, welches politisch an alle Menschen – und mit der Anerkennung, ein Einwanderungsland geworden zu sein, auch explizit an Migrant*innen und ihre Nachkommen – gegeben wurde, führt zusätzliche Akteur*innen in die Distributionsarena der Verteilung von ökonomischen und symbolischen Gütern ein und stellt etablierte Privilegien, wie z. B. bes-
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seren Zugang zu Wohnungen für jene, die keinen Migrationshintergrund haben, oder höhere Einladungsquoten zu Bewerbungsgesprächen oder stärkere Interaktion und Bevorzugung von Schüler*innen ohne Migrationshintergrund in Frage und ächtet sie diskursiv und kognitiv. Das kognitive Wissen um diese versprochene Norm der Gleichheit bricht sich also tagtäglich an der greif baren Ungleichheit, und zwar nicht nur auf der strukturellen Ebene, sondern auch auf der Ebene der eigenen individuellen Einstellungs- und Verhaltensmuster. Dabei streben Menschen von Natur aus nach Konsistenz. Sie haben den Anspruch, ihre Einstellungen und ihre normative Positionierung mit ihrem Handeln in Einklang zu bringen (Frey/Gaska 2009). Dieser Anspruch wird vielfach geleitet von ihrem Wissen, ihren Gedanken, Einstellungen, Wertvorstellungen, Wahrnehmungen, Absichten und Motivationen zusammengefasst – kurz, ihrer Kognition (Festinger 1957). Stangl erläutert den Begriff folgendermaßen: »Der Begriff Kognition bezieht sich ganz allgemein auf alle Prozesse des Erwerbs, der Organisation, der Speicherung und der Anwendung von Wissen, wobei der Begriff Kognition in der Psychologie recht uneinheitlich verwendet wird: Grob gesagt geht es um die neuronal basierte Informationsverarbeitung im Gehirn, also all jene Prozesse, die beim Wahrnehmen, Denken und Erinnern ablaufen. Unter Kognition werden demnach alle Denk- und Wahrnehmungsvorgänge und deren mentale Ergebnisse (Wissen, Einstellungen, Überzeugungen, Erwartungen) verstanden, wobei Kognitionen bewusst, z. B. beim Lösen einer Rechenaufgabe, und unbewusst, z. B. beim Bilden einer Meinung, ablaufen können.« (Stangl 2019) Es ist allerdings nicht ungewöhnlich, dass das eigentliche Wissen im Gegensatz zum eigenen Handeln steht. Man kann wissen, dass Rauchen schädlich ist, und es trotzdem tun (Feather 1962), oder dass Sport gut für die körperliche Verfasstheit ist, und es trotzdem lassen. Wenn allerdings die eigene oder gesellschaftliche, moralische und soziale Überzeugung immerfort im Gegensatz zum Handeln steht, kommt es durch die andauernde kognitive Dissonanz zu einer Spannung – einer Gereiztheit –, denn es gibt ein Streben der Menschen nach Widerspruchsfreiheit und somit auch das Bedürfnis, kognitive Konsistenz herzustellen (Aronson 1968). Der Mensch ist bemüht, kognitive Dissonanzen auszugleichen, um ein daraus entstehendes psychologisches Unbehagen zu reduzieren. »Empfundene kognitive Dissonanz führt zu Aktivitäten, die dahin gerichtet sind, Dissonanz zu reduzieren, eben-
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so, wie Menschen das Bedürfnis haben, empfundenen Hunger zu reduzieren.« (Raab et al. 2010: 42) Zudem haben die meisten Menschen ein Bedürfnis nach einem positiven Selbstbild – sie wollen sich als vernünftig, moralisch, ehrlich und offen betrachten. Handelt der Mensch wider seine eigentliche Überzeugung, entsteht ebenfalls eine kognitive Dissonanz – ein Unbehagen des Widerspruchs (Festinger 1957; Haisch 2011). Kognitive Dissonanz wird tagtäglich vom Individuum ausgeglichen und verarbeitet, ohne dass es zu dysfunktionalen Spannungen kommt. Allerdings gilt: je größer die empfundene Relevanz der Kognitionen und je größer eine bereits getätigte Investition, desto stärker die Dissonanz im Falle der Unvereinbarkeit mit dem Handeln. Wird z. B. der Klimawandel kognitiv als relevant und als bedrohlicher Konf likt empfunden, so erzeugt ein dagegen gerichtetes eigenes umweltfeindliches Handeln, wie z. B. häufige Flüge oder großer Fleischkonsum, eine kognitive Dissonanz und ein emotionales Unbehagen. Dieser negativen Erfahrung folgt die Motivation, diesen Zustand zu verändern und die Dissonanz zu reduzieren. Dabei kann, grob zusammengefasst, entweder das eigene Verhalten verändert werden oder die Einstellung zur Relevanz des Klimawandels (Haisch 2011). Es kann also eine Verhaltensänderung oder eine Einstellungsänderung erfolgen, um die kognitive Dissonanz aufzulösen. Die Orientierungshypothese dieses Kapitels lautet, dass ein Teil der Bevölkerung mit je einem dieser Muster auf die bestehende kognitive Dissonanz reagiert, die sich durch das normative Paradoxon von der Makroebene auf die Mikroebene der Einstellungen und individuellen Verhaltensänderungen verlagert. Kurz: Die Migrationspolitik der Bundesregierung – normativ hochgradig paradox (Stichwort »Grenzöffnung« versus »Türkeideal«) – setzt sich als kognitive Dissonanz auf der individuellen Einstellungs- und Handlungsebene fort. Auch der Makro-Claim, ein plurales Einwanderungsland zu sein, bei gleichzeitig mangelnder Repräsentation von Minderheiten, ist zumindest ambivalent und setzt sich in Einstellungs- und Handlungsmustern auf der Individualebene fort. Gleiches gilt für die sich widersprechenden politischen Aussagen »Deutschland ist ein Einwanderungsland«4 versus »Migration ist die Mutter aller Probleme«5,
4 Vgl. Unabhängige Kommission »Zuwanderung« (2001). 5 Vgl. Horst Seehofer (2018a).
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Die postmigrantische Gesellschaft
oder auch für »Der Islam gehört zu Deutschland«6 versus »Der Islam gehört nicht zu Deutschland«7. Kognitive Dissonanz als sozialpsychologische Theorie wird vor allem in der Konsumforschung angewendet (Brehm 1956; Cummings/Venkatesan 1975; Frey/Gaska 2009). Die Frage, ob die beobachtete Polarisierung der Gesellschaft entlang der Pluralitäts- bzw. Migrationsfrage eine Folge kognitiver Dissonanz sein könnte, ist in dieser Form noch nicht bearbeitet worden und soll in diesem Kapitel als eine mögliche Erklärung der Lagerbildung in Allianzen und Antagonisten herangezogen werden. Empirische Hinweise lassen zumindest kognitiv dissonante Einstellungen nachweisen. Allerdings bedarf es zusätzlicher Forschung, um von dort kausal auf die Handlungsebene zu schließen. Nach Haisch 2011 kann kognitive Dissonanz auf der Mikroebene reduziert werden »durch die Addition neuer konsonanter Kognitionen, durch die Eliminierung dissonanter Kognitionen oder durch Eliminierung dissonanter und gleichzeitige Addition konsonanter Kognitionen. Reduktionsmöglichkeiten ergeben sich des Weiteren aus Veränderungen beteiligter Einstellungen oder eines beteiligten Verhaltens. Welches Element bei Dissonanz letztlich geändert wird, hängt von der Änderungsresistenz der beteiligten Kognitionen ab. Diese ist dadurch bestimmt, in welchem Verhältnis eine Kognition zu den übrigen Kognitionen steht.« (Ebd.: 51 f.) Grob bedeutet das, bezogen auf die Migrationspolitik: Man kann entweder Ressourcen auf bauen, um sein Verhalten entsprechend seiner Norm zu korrigieren, oder man kann seine Einstellung ändern – also die etablierte Norm in Frage stellen, sie absenken oder sie für bestimmte Gruppen einschränken. Hierbei versucht man auf unterschiedliche Art und Weise sein normwidersprechendes Handeln zu legitimieren, z. B. indem man neue konsonante Kognitionen hinzunimmt (»Ich weiß zwar, dass in Syrien Krieg herrscht und wir einen Asylgrundsatz im Grundgesetz haben, aber wir können nicht die ganze Welt aufnehmen«). Oder indem man dissonante Kognitionen eliminiert (»So schlimm geht es denen gar nicht, die haben ja alle teure Smartphones«). Oder indem man beides gleichzeitig tut – die dissonanten Kognitionen eliminiert und die konsonanten Kognitionen erhöht (»Es ist ja nicht in allen Gebieten in Syrien Krieg – und 6 Vgl. Christian Wulff (2010) und Angela Merkel (2018). 7 Vgl. Hans-Peter Friedrich in Vitzthum (2011) und Horst Seehofer (2018b).
III. Antagonisten und Allianzen
die jungen Männer werden doch eigentlich benötigt, um ihr Vaterland zu verteidigen«).8 Hier soll keine normative Wertung der Argumente erfolgen, sondern nur nachgezeichnet werden, welche Möglichkeiten der kognitiven Dissonanzreduktion sich über Einstellungsergänzungen ergeben können. Auch mit Bezug auf das Gleichheitsversprechen lassen sich Reaktionen auf kognitive Dissonanz exemplarisch darstellen, um anhand des konkreten Beispiels zu begreifen, wie auf individueller Ebene die hohen Versprechen der pluralen Demokratie und ihr empirisches Ausbleiben ebenfalls für Spannungen sorgen. Frey und Gaska (2009) beschreiben fünf konkrete Anwendungsschritte zum Ausgleich kognitiver Dissonanz. Um diese hier beispielhaft und nachvollziehbar zu erklären, soll der in Kapitel I aufgeführte empirische Befund zum Gleichheitsversprechen in der Bildung anhand der fünf Schritte aufgeschlüsselt werden. In diesem Kapitel wurde auf exemplarische empirische Studien verwiesen, die nachweisen, dass in Deutschland Schüler*innen allein aufgrund der Tatsache, dass sie einen türkischen Namen haben, schlechtere Diktatnoten erhalten (Bonefeld/Dickhäuser 2018) und weniger von ihnen erwartet wird (Lorenz et al. 2016). So konf ligiert der Befund, der von mehreren Kolleg*innen nachgewiesen wurde, mit dem normativgrundrechtlichen Prinzip von Art. 3 GG (Gleichheitsgrundsatz), aber auch mit dem kognitiv-ethischen Prinzip der Lehrenden, alle Schüler*innen gleich zu behandeln. Um dieser kognitiven Dissonanz zu entkommen, gibt es nach Frey und Gaska (2009) fünf Möglichkeiten: 1. Es kann eine Addition konsonanter Kognition erfolgen, welche die schlechtere Bewertung legitimieren hilft: So können sich die Lehrenden sagen, »Muslimische Schüler*innen sind weniger ehrgeizig« oder »Muslimische Eltern sind weniger bildungsorientiert« (Lorenz/Müller 2017: 19; in diesem Buch Kapitel 2). 2. Es kann auch zusätzlich die Subtraktion dissonanter Kognitionen erfolgen, z. B. durch Vermeidung der Aufschlüsselung der eigenen Notengebung oder Verneinung subjektiver Implikationen bei der Notengebung. 8 Dies sind keine realen Zitate, aber auch keine erfundenen Argumente. Sie zirkulierten in den Jahren nach 2015, also nach der hohen Fluchtmigration, im öffentlichen Diskursraum, wurden in Talkshows debattiert, von Politikern wiederholt oder auch in Blogs und Feuilletons besprochen.
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Die postmigrantische Gesellschaft
3. Außerdem kann eine Substitution dissonanter Kognitionen durch konsonante Kognitionen erfolgen, wie z. B. durch den Hinweis darauf, dass man keine Vorurteile habe, denn »ich habe doch selber türkische Freunde – da kann ich doch nicht türkische Schüler*innen ungleich behandeln«. 4. Eine Erhöhung der Wichtigkeit konsonanter Kognitionen kann ebenfalls die Dissonanz reduzieren, z. B. indem nochmals das eigene Lehrziel bestätigt wird (»Es ist mir wichtig, alle Schüler*innen gleich zu behandeln, ich kann doch nicht türkische Schüler*innen bevorzugen, wenn ihre Leistungen einfach nicht gleichwertig sind.«) 5. Zuletzt kann auch die Reduktion der Wichtigkeit dissonanter Kognitionen weiterhelfen: »Alle Schüler*innen haben in meiner Klasse die gleichen Chancen. Türkische Schüler*innen können nicht immer alles auf Diskriminierung schieben.« (Diehl/Fick 2016) Durch diese Schritte kann die Dissonanz partiell ausgeglichen und die Spannung, welche durch das Uneinssein von sich widersprechenden Prämissen entsteht, aufgehoben oder umgelenkt werden – in diesem Fall auf die türkeistämmigen Schüler*innen und ihre Eltern, die sich möglicherweise auch weniger engagieren, nicht zum Elternabend kommen und denen unterstellt wird, kein Interesse an Bildung zu haben etc. So finden die Argumentationsbeispiele zur kognitiven Dissonanzreduktion von der individuellen Ebene wieder den Weg in den öffentlichen Diskursraum. Es erfolgt auf individueller Ebene eine Entlastung des eigenen kognitiv dissonanten Verhaltens (hier die systematisch geringere Erwartungshaltung gegenüber türkeistämmigen Schüler*innen), die nicht offensichtlich mit einer Infragestellung der Norm einhergehen muss – jedoch auch ihre Erosion zur Folge haben kann, denn die dissonante empirische Feststellung, dass türkeistämmige Kinder allein aufgrund ihres Namens bereits im frühen Grundschulalter mit Nachteilen konfrontiert sind, ist ja nicht behoben worden. Behoben wurde nur das Missbehagen der Lehrkraft mit diesem Befund und vermieden wurde die Ref lexion, Teil der systemischen Diskriminierungslogik sein zu können. Das reduziert möglicherweise die Spannung auf der Individualebene, jedoch nicht auf der Gesellschaftsebene, erst recht nicht bei den migrantischen Akteur*innen, die zunehmend zu selbstbewussten Akteur*innen der Gesellschaft aufsteigen und dieses normative Paradoxon widerständig thematisieren und salient machen.
III. Antagonisten und Allianzen
Die Spannung in der postmigrantischen Gesellschaft resultiert also, wie als Leitmotiv durch dieses Buch geführt, aus dem unerfüllten Versprechen der pluralen Demokratie, bei gleichzeitigem kollektivem Bekenntnis zu diesem Normenset. Aus dem deutlichen Widerspruch zwischen den moralischen Vorstellungen der Bevölkerungsmehrheit, die Freiheitsrechte hochhält, Pluralität als schützenswert erachtet und Gleichheit als sinnstiftenden Endpunkt von demokratischen Gesellschaften beschreibt, und dem nachweisbar gewordenen Scheitern dieser Ideale ist eine gesellschaftspolitisch brisante normative Paradoxie entstanden, die auf die Individuen kognitiv dissonant einwirkt und auf die diese sehr unterschiedlich reagieren: 1. Proplurale Ressourcenmobilisierung: Ein Teil der Menschen mobilisiert Ressourcen, um ihr eigenes Handeln kongruent zur gesellschaftlichen Norm auszurichten – die auch handlungsleitend für die eigene Moralität ist. Dabei müssen die Ressourcen nicht unbedingt ökonomischer Natur sein, es kann sich auch um affektive, kognitive, kulturelle oder soziale Ressourcen oder Kapitalien handeln, die mobilisiert werden können (Bourdieu 1983). Dies konnte und kann in Deutschland noch immer sehr stark im Zuge des ehrenamtlichen Engagements gegenüber Gef lüchteten beobachtet werden, z. B. im Zuge der Willkommensbewegungen seit dem Jahr 2015 (Karakayalı/Kleist 2016). Die Ressourcenmobilisierung zum Norm-Handeln-Ausgleich führt auch zu zunehmenden Allianzen, wenn Ressourcen gepoolt werden. Die Ressourcenanhebung muss jedoch nicht dauerhaft sein und kann auch zu Überlastungen oder Desillusionierung führen (Hamann et al. 2017; Karakayalı/Kleist 2016; Mutz et al. 2015). 2. Anti-plurale Normenabsenkung: Der Teil der Gesellschaft, der über weniger Ressourcen verfügt – das können ökonomische, soziale oder auch kulturelle oder emotional-identifikative Ressourcen sein, sprich: materieller, kognitiver oder affektiver Ressourcenmangel – stellt vor allem die etablierten Normen in Frage, und das äußert sich in ihrem Einstellungsset. Wenn demokratisches Wissen die Kenntnis der Gleichheit beinhaltet, dann kann das Einspeisen von Stereotypen oder die Abwehr gegenüber Minderheiten eine Legitimation dafür auf bauen, dass diesen Gruppen die ihnen zustehende Gleichheit nicht gewährt wird. So haben Kollegen aus Leipzig in ihrer (mittlerweile »Autoritarismus-Studie« genann-
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Die postmigrantische Gesellschaft
ten) Mitte-Studie festgehalten, dass es eine hohe Zustimmung zu folgender Aussage gibt: »Muslime und ihre Religion sind so verschieden von uns, dass es blauäugig wäre, einen gleichen Zugang zu allen gesellschaftlichen Positionen zu fordern.« 57 % der Bevölkerung stimmten dieser Aussage bereits im Jahr 2012 zu – weit vor der sogenannten »Flüchtlingskrise«. Die Norm der Gleichheit – also das Versprechen, dass in Demokratien allen Menschen der gleiche Zugang zu gesellschaftlichen Positionen gewährt werden müsste – wird abgesenkt durch das Einspeisen von Wissensinhalten, die den Gleichheit einfordernden Bevölkerungsteil delegitimieren oder aus der Gemeinschaft ausgrenzen (»Muslime sind so anders als wir«) und somit das eigene Handeln und die emotionale Abwehr legitimieren. Diese Absenkung der normativen Standards ist besonders nachweisbar im Diskurs rund um die Zugehörigkeit von Islam und Muslim*innen zu Deutschland, aber auch in weiteren antagonistischen, migrationsfeindlichen Positionen der Rechtspopulisten. Eine Funktionsform von Rassismus liegt genau in der Normabsenkung, also darin, Ungleichheit kognitiv und emotional zu legitimieren, indem den ungleich behandelten sozialen Gruppen ein Defizit zugeschrieben wird, wonach sie selbst die Schuld an ihrer Positionalität in der Gesellschaft tragen – mehr noch, wonach es legitim sei, sie ungleich zu behandeln (Rommelspacher 2009a; Miles 1989). 3. Ambivalente Gleichzeitigkeit: Während die ersten beiden Strategien eher gegensätzlich zueinander stehen und die Polarisierung der Gesellschaft auf Basis der unterschiedlichen Reaktionsmechanismen kennzeichnen, gibt es zwischen diesen Reaktionsspektren auch eine unentschiedene Mitte, die tendenziell nach beiden Seiten hin mobilisierbar ist – also sowohl zum pro-pluralen Ressourcenauf bau als auch zur anti-pluralen Normabsenkung. Seit geraumer Zeit ist zu beobachten, dass das anti-plurale Lager besser zu mobilisieren scheint und dass die Mitte der Gesellschaft das Unbehagen des demokratischen Paradoxons ebenfalls dadurch auf löst, dass sie zur Normabsenkung tendiert, da Ressourcenmobilisierung kostenaufwendiger ist und der Mitte der Gesellschaft bereits jetzt hohe Kosten aufgebürdet werden – oder weil die politischen Parteien das Repertoire der Normabsenkung stärker betreiben, da sie in ihrer Ressourcenmobilisierung aufgrund diverser Krisen seit der Finanzkrise überfordert sind.
III. Antagonisten und Allianzen
Die Reaktionsspektren sind hier holzschnittartig auf das Ziel des Kapitels zugeschnitten worden, die Polarisierung als Folge eines Reaktionsmechanismus auf gestiegene Ambivalenz zu erklären, und sind in der Realität selbstverständlich nicht so klar voneinander abgezirkelt. Selbstverständlich ist, wie in jedem psychologischen Setting, das Handeln nicht immer konsistent. Gerade individuelles Handeln wird von einer Vielzahl von Parametern beeinf lusst und kann stets variieren. Und: Auch zur Normabsenkung werden Ressourcen mobilisiert – z. B. in Form von Demonstrationsteilnahmen, Hasskampagnen im Internet, Aufmärschen, Attacken oder auch Wahlkampf- und Parteispenden oder Gründungen von Bewegungen, Plattformen und Parteien etc. Allerdings ist hier ein Effekt zu beobachten: Analog zum Terrorismus, der mit wenigen Mitteln eine sehr hohe Aufmerksamkeit generieren kann (Laqueur 2001, 2003; Hoffman 2001) ist auch bei der Normabsenkung durch die Rechtspopulisten zu beobachten dass sie weitaus weniger Mittel benötigen, um Aufmerksamkeit zu generieren – während ein Ressourcenauf bau zur propluralen Normstabilisierung deutlich weniger Beachtung findet. 3.000 Pegida-Anhänger*innen erzeugen weit mehr mediale Aufmerksamkeit als 30.000 Gegendemonstrant*innen und jede verbale Grenzüberschreitung findet ihren Weg in die aufgeregte Berichterstattung, während die Stützung eines moralisch majoritären Gedankens wenig Aufmerksamkeit zu erzeugen vermag, da sie sich in eine etablierte Denkstruktur einreiht und daher nicht irritiert. Wir können daher besser von einer Ressourcenmobilisierung für eine plurale Demokratie und einer Ressourcenmobilisierung dagegen sprechen, ebenso wie von propluralen Alliierten und ihren Antagonisten, wie in der Einführung zu diesem Kapitel deutlich wurde. Hier das framing darauf zu setzen, dass die Allianzen als pluralitätsoffen und die Antagonisten im Gegenzug dazu als pluralitätsavers bezeichnet werden, ist genauso eine analytische Entscheidung wie die Konzentration darauf, die Ressourcenmobilisierung im pro-pluralen Lager anzuschauen und die Normabsenkung im anti-pluralen. Die Einführung dieser beiden Entscheidungskriterien, die einmal auf die Handlungsebene und einmal auf die Einstellungsebene verweisen, muss allerdings noch tiefergehend empirisch analysiert werden. Erste Befunde zur Einstellungsebene liegen bereits vor und sollen im folgenden Abschnitt kurz skizziert werden.
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Die postmigrantische Gesellschaft
Empirische Hinweise auf kognitive Dissonanz in Bezug auf das Versprechen der pluralen Demokratie Kognitiv dissonanten Einstellungen in Bezug auf das Versprechen der pluralen Demokratie konnten wir mit Kolleg*innen in einer Datenerhebung weiter nachgehen.9 Bereits in Kapitel I wurden empirische Ergebnisse vorgestellt, die die Ambivalenz in der eigenen Positionierung zu relevanten demokratischen Kriterien verdeutlichten. In einer Folgestudie sollte dieser Ambivalenz weiter nachgegangen werden. So befragten wir von September 2018 bis Januar 2019 mehr als 7.000 Menschen in Deutschland zu ihrer Einstellung zu Kernartikeln der pluralen Grundordnung im Deutschen Grundgesetz, um zunächst einmal Anhaltspunkte dafür zu haben, was wir als Hypothese angenommen hatten: dass es auf der einen Seite einen hohen Zuspruch zu demokratischen Normen gibt – auf der anderen Seite jedoch diese Normen abgesenkt werden, wenn es um die Partizipation von Minderheiten geht. Diese Minderheiten werden parallel im Diskurs als Andere fortgeführt und ihre Partizipationsrechte somit delegitimiert, was die kognitive Dissonanz reduzieren hilft. Um nachzuweisen, dass in Deutschland eine große Mehrheit der Bevölkerung demokratische Grundwerte und Überzeugungen teilt und hochschätzt, haben wir sie am Telefon folgendermaßen befragt: »Ich möchte Ihnen nun einige Fragen zur Demokratie stellen. Ich bitte Sie, einmal darüber nachzudenken, wie wichtig oder unwichtig aus Ihrer Sicht bestimmte Dinge für die Demokratie im Allgemeinen sind. Ist es aus Ihrer Sicht sehr wichtig, eher wichtig, eher nicht wichtig oder überhaupt nicht wichtig, … dass jede Person das Recht hat, ihre Meinung frei zu äußern (Art. 5 GG); … dass ungestörte Religionsausübung gewährleistet wird (Art. 4 GG); … dass niemand wegen seiner Herkunft benachteiligt oder bevorzugt werden darf (Art. 3 GG); … dass Kinder als mündige und selbstbestimmte Bürger*innen betrachtet werden? (Neuzusatz Kinderrechte GG)«
9 Es handelt sich hierbei um die bereits in der Einleitung genannte Datenerhebung des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM), die gemeinsam mit meinen Kollegen Coskun Canan und Frank Kalter von September 2018 bis Januar 2019 als repräsentative Bevölkerungsfrage telefonisch in Deutschland durchgeführt wurde.
III. Antagonisten und Allianzen
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Die Ergebnisse, so wie in Abbildung 16 dargestellt, zeigten eine sehr hohe Zustimmung zu den zentralen Grundrechten im deutschen Grundgesetz, nämlich, dass fast 99 % der Bevölkerung das Recht auf freie Meinungsäußerung – also Artikel 5 GG – als wichtig einschätzten, 82,1 % fanden dass es wichtig ist, die ungestörte Religionsausübung zu gewährleisten, und knapp 95 % fanden es wichtig, dass niemand wegen seiner Herkunft benachteiligt oder bevorzugt werden darf (Art. 3 GG).10 Knapp zwei Drittel der Bevölkerung (64,9 %) waren außerdem der Meinung, Kinder sollten als mündige und selbstbestimmte Bürger betrachtet werden. Diesen Zusatz hatten wir aufgenommen, da in Deutschland zu diesem Zeitpunkt über die Aufnahme von Kinderrechten als Grundrecht in der Verfassung bzw. im Grundgesetz diskutiert wurde (Grüter 2018; Wiese 2018). Abb. 16: Demokratische Grundüberzeugungen % 100
»Ist es aus Ihrer Sicht wichtig oder nicht wichtig …
98,8
94,7 82,1
80 64,9 60 40
32,6 15,5
20 0
1,1
2,3
0,2
… dass jede Person das Recht hat, ihre Meinung frei zu äußern?«
… dass ungestörte Religionsausübung gewährleistet wird?«
Wichtig
Unwichtig
4,2
1,1
2,4
… dass niemand wegen … dass Kinder als mündige seiner Herkunft und selbstbestimmte benachteiligt oder Bürger betrachtet werden?« bevorzugt werden darf?« keine Angabe
Quelle/Datensatz: Ost-Migrantische Analogien, eigene Berechnungen
Während wir damit sehr deutliche Befunde haben, die auf einen klaren kognitiven Zuspruch zu den Grundlagen der pluralen Demokratie verweisen, konnten wir gleichzeitig feststellen, dass diese Akzeptanz bei einem Teil der Gesellschaft abnimmt, sobald es um die konkrete 10 Die Kategorien sehr wichtig und eher wichtig wurden in der Kategorie wichtig und die Kategorien eher nicht wichtig und überhaupt nicht wichtig wurden in der Kategorie nicht wichtig zusammengefasst.
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Die postmigrantische Gesellschaft
Umsetzung dieser demokratischen Rechte auch für Minderheiten geht: So gaben 30,6 % der Befragten an, dass die Ausübung des islamischen Glaubens in Deutschland eingeschränkt werden sollte. 19,2 % meinen, eine muslimische Frau mit Kopftuch sollte nicht bei einer politischen Fernsehsendung auftreten dürfen. 36,5 % stimmen zu, dass das Kopftuchtragen für muslimische Schülerinnen in der Schule verboten werden sollte (siehe Abbildung 17). Bereits in Kapitel I wurde die Einstellung zum Kopftuchtragen von Lehrerinnen aus der Studie von 2014 dargestellt; in der aktuelleren Erhebung von 2018/19 wollten wir das Recht auf freie Meinungsäußerung noch stärker zuspitzen, denn die Debatten um das Kopftuch bei Lehrerinnen wurden immer wieder in Bezug auf die Vorstellung von Schule als neutralem Raum gekontert oder dem Argument, dass Lehrkräfte als Vorbilder politisch neutral sein müssten, das Kopftuch jedoch als Zeichen eines politischen Islam zu interpretieren sei und demnach nicht neutral sein könne (Yurdakul/Korteweg 2016). Daher variierten wir die Kopftuchfrage hier, um deutlichere Hinweise auf eine Diskrepanz zu Artikel 4 GG (Religionsfreiheit) zu erlangen. Dass nun die Frage des Kopftuchtragens auf die Schülerinnen ausgeweitet wurde oder auf Frauen im Fernsehen, zeigt einen deutlichen Widerspruch zum Grundsatz der freien Religionsausübung, der wie in der vorigen Abbildung 16 dargestellt von 82,1 % der Bevölkerung als wichtig betrachtet wird. Abb. 17: Einstellungen zur Partizipation von Muslim*innen % 100 79,2
80 65,5
61,3
60 40
36,5
30,6 19,2
20 3,9
2,2
1,6
0
»Die Ausübung des islamischen Glaubens in Deutschland sollte eingeschränkt werden.«
»Eine muslimische Frau mit Kopftuch sollte nicht bei einer politischen Fernsehsendung auftreten dürfen.«
Zustimmung
Ablehnung
»Es sollte verboten sein, dass muslimische Schülerinnen in der Schule Kopftuch tragen.«
keine Angabe
Quelle/Datensatz: Ost-Migrantische Analogien, eigene Berechnungen
III. Antagonisten und Allianzen
Ein weiterer Hinweis auf eine kognitiven Dissonanz, also sich paradoxal widersprechender Einstellungen, konnte mit dem Nachweis erbracht werden, dass diejenigen, die gegenüber der konkreten Teilhabe von Muslim*innen ablehnend eingestellt sind, auf der anderen Seite allgemeine demokratische Werte sehr wohl befürworten. So zeigt Abbildung 18 deutlich, dass zwei Drittel (66,5 %) derjenigen, die angeben, dass die Ausübung des islamischen Glaubens in Deutschland eingeschränkt werden sollte, auf der anderen Seite die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung für wichtig halten (K1: »Die Ausübung des Islamischen Glaubens in Deutschland sollte eingeschränkt werden« ≠ K2: »Die Gewährleistung der ungestörten Religionsausübung ist wichtig«). Diejenigen, die die Aussage ablehnen, dass die Ausübung des islamischen Glaubens in Deutschland eingeschränkt werden sollte, antworten hingegen deutlich konsistenter: 91 % von ihnen sind auch gleichzeitig der Meinung, dass eine ungestörte Religionsausübung gewährleistet sein muss. Abb. 18: Einstellungen zur Religionsfreiheit und Religionsausübung von Muslim*innen % 100
91,0
80 66,5 56,8
60 40
30,6
20
29,2 7,7
0
Zustimmung
Ablehnung
keine Angabe
»Die Ausübung des islamischen Glaubens in Deutschland sollte eingeschränkt werden.« Ungestörte Religionsausübung wichtig
Ungestörte Religionsausübung unwichtig
Quelle/Datensatz: Ost-Migrantische Analogien, eigene Berechnungen
Des Weiteren geben 97,7 % derjenigen, die sich gegen den Auftritt einer muslimischen Frau bei einer politischen Fernsehsendung äußern an, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung für sie wichtig ist, wie Abbildung 19 zeigt. Hieraus ließe sich ableiten, dass die freie Meinungsäußerung nicht für Angehörige religiöser Minderheiten (im vorliegenden Fall muslimische Frauen mit Kopftuch) gleichermaßen zu gelten hat, was jedoch den Prämissen der pluralen Demokratie widerspricht
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Die postmigrantische Gesellschaft
(K1: »Eine muslimische Frau mit Kopftuch sollte nicht bei einer politischen Fernsehsendung auftreten dürfen« ≠ K2: »Das Recht auf freie Meinungsäußerung ist wichtig«). Dieses Recht wird offenbar gar nicht in Bezug gesetzt zur Vorstellung, dass zur Meinungsfreiheit auch gehört, dass eine Frau mit Kopftuch in einer politischen Fernsehsendung auftreten darf. Allerdings muss hier in Erinnerung gerufen werden, dass diese Aussage generell nur 19 % teilen, wie in Abbildung 14 dargestellt wurde. Hier geht es nur darum, kognitive dissonante Aussagen zu vergleichen und nachvollziehbar zu machen, dass Menschen demokratische Grundrechte für Minderheiten in Frage stellen können, während sie gleichzeitig deutlich demokratischen Grundwerten zustimmen. Abb. 19: Einstellungen zur Meinungsfreiheit und freien Meinungsäußerung von Muslim*innen % 100
99,1
97,7
97,5
80 60 40 20 0
1,8
Zustimmung
0,9
Ablehnung
0,0
keine Angabe
»Eine muslimische Frau mit Kopftuch sollte nicht bei einer politischen Fernsehsendung auftreten dürfen.« Recht auf freie Meinungsäußerung wichtig
Recht auf freie Meinungsäußerung unwichtig
Quelle/Datensatz: Ost-Migrantische Analogien, eigene Berechnungen
Auch ist interessant, dass 60,3 % von jenen, die nicht möchten, dass muslimische Schülerinnen in der Schule Kopftuch tragen, gleichzeitig finden, es sei wichtig, dass Kinder als mündige und selbstbestimmte Bürger*innen betrachtet werden (Abbildung 20). Dieser Widerspruch deutet darauf hin, dass muslimische Kinder in der Wahrnehmung dieser Bevölkerungsgruppe offensichtlich nicht in der Lage gesehen werden, als mündige Bürger*innen ihre Entscheidung zur Befolgung einer religiösen Norm selbstbestimmt fällen zu können (K1: »Es sollte verboten sein, dass muslimische Schülerinnen in der Schule Kopftuch tragen« ≠ K2: »Kinder sollten als mündige und selbstbestimmte Bürger betrachtet werden«).
III. Antagonisten und Allianzen
Abb. 20: Einstellungen zur Mündigkeit von Kindern und zum Tragen des Kopf tuchs bei Schülerinnen % 100 80
68,0 60,3
60
56,2 38,4
37,5
40
29,5
20 0
Zustimmung
Ablehnung
keine Angabe
»Es sollte verboten sein, dass muslimische Schülerinnen in der Schule Kopftuch tragen.« Kinder als mündige Bürger*innen wichtig
Kinder als mündige Bürger*innen unwichtig
Quelle/Datensatz: Ost-Migrantische Analogien, eigene Berechnungen
Abb. 21: Einstellungen zur Religionsfreiheit und zum Tragen des Kopf tuchs bei Schülerinnen % 100 87,2 80
77,9
73,8
60
40 23,5 20
18,4 10,7
0 Zustimmung
Ablehnung
keine Angabe
»Es sollte verboten sein, dass muslimische Schülerinnen in der Schule Kopftuch tragen.«
Ungestörte Religionsausübung wichtig
Ungestörte Religionsausübung unwichtig
Quelle/Datensatz: Ost-Migrantische Analogien, eigene Berechnungen
Gleichzeitig halten fast drei Viertel (73,8 %) der Befragten, die für ein Verbot des Kopftuches bei muslimischen Schülerinnen sind, wiederum die ungestörte Gewährleistung der Religionsausübung für wichtig, wie in Abbildung 21 erkennbar ist. Auch hier ist eine kognitive Dissonanz
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Die postmigrantische Gesellschaft
nachweisbar, da beide Kognitionen in einem klaren Widerspruch zueinander stehen (K1: »Es sollte verboten sein, dass muslimische Schüler innen in der Schule Kopftuch tragen« ≠ K2: »Die ungestörte Religionsausübung ist wichtig«). Anhand der exemplarisch dargestellten Befunde in diesem Buch, wonach knapp jede zweite Person in der Bevölkerung (ca. 50 %) das Kopftuch für Lehrerinnen an Schulen verbieten würde (Foroutan et al. 2014), 36,5 % das Kopftuch sogar bei Schülerinnen verbieten würden und jeder Fünfte (19,2 %) auch keine kopftuchtragende Frau in einer politischen Fernsehsendung sehen möchten, lässt sich die kognitive Dissonanz in Bezug auf die breite Zustimmung zu Artikel 4 GG und der ungestörten Religionsausübung im Einstellungsbereich nachweisen. Wie diese kognitive Dissonanz im öffentlichen Diskursraum behoben wird, soll exemplarisch anhand des Festinger’schen Fünfschritts durchdekliniert werden. Dabei werden auch hier Argumente genutzt, die im letzten Jahrzehnt im Zuge der vielzähligen Kopftuchdebatten in diesem Land im öffentlichen Diskursraum präsent waren (Yurdakul/ Korteweg 2016; Ludin/Abed 2015; Ateş 2009). Zur Erinnerung: Die pluralitätsablehnende Kognition (K1) hatten wir empirisch in zwei Erhebungen (2014 und 2018) mit folgenden Bezugspunkten erhoben: »Lehrerinnen sollten in der Schule kein Kopftuch tragen« (2014) + »Schülerinnen sollten in der Schule kein Kopftuch tragen« (2018) + »Frauen mit Kopftuch sollten nicht in politischen Talkshows im TV auftreten« (2018). Die pluralitätszustimmenden Kognitionen (K2) haben wir 2018/19 erhoben: »Die ungestörte Religionsausübung ist wichtig« + »freie Meinungsäußerung ist wichtig« + »Kinder sollen als mündige Bürger betrachtet werden«. Beobachten wir nun einige zentrale Argumente in den öffentlichen Debatten zum Kopftuch, so lassen sich die Dissonanzreduktion und die Begründungen, die dafür eingeführt werden, auf der Einstellungsebene nachzeichnen: 1. Addition konsonanter Kognition: Ein immer wiederkehrendes Argument lautet, die kopftuchtragenden Lehrerinnen/Schülerinnen/ Frauen im TV/in der Schule beeinf lussten säkulare Kinder und Menschen negativ, da sie als role models sozialen Druck auf bauten. 2. Subtraktion dissonanter Kognitionen: Ein weiteres gängiges Argument lautet, die Schule sei ein säkularer Raum und Räume des öffentlichen Dienstes (wozu dann vermutlich das Fernsehen argu-
III. Antagonisten und Allianzen
mentativ hinzugezählt wird, wenn es um öffentlich-rechtlich Sender geht) sollten kopftuchfrei bleiben. 3. Substitution dissonanter durch konsonanter Kognitionen: Es wird auch argumentiert, zuhause könnten die Frauen ihr Kopftuch ja tragen; Religion sei Privatsache. 4. Erhöhung der Wichtigkeit konsonanter Kognitionen: Das Wohl der Mehrheit stünde an erster Stelle und die Mehrheit sei nun einmal nicht muslimisch. 5. Reduktion der Wichtigkeit dissonanter Kognitionen: Vielfach heißt es auch in den Feuilletons, in einer aufgeklärten Gesellschaft verliere Religion ohnehin an Stellenwert, da sei doch das Kopftuch als religiöses Symbol nicht mehr so wichtig und dazu stehe sowieso nichts im Koran. Eine Dissonanzreduktion bedeutet keineswegs, dass nach manipulativen Entlastungen gesucht wird. Es bedeutet nur, dass es eines Sets von Argumenten bedarf, die Kohärenz erzeugen können, damit der Widerspruch der dissonanten Kognitionen ertragen werden kann. Der Widerspruch – also die kognitive Dissonanz – löst sich dadurch jedoch nur individuell auf, gesellschaftlich bleibt die stete Aushandlung ein dynamischer Treiber, der zunehmend polarisierte Positionen erzeugen kann, je nachdem, welcher argumentativen Sets sich die Individuen bedienen. Es kann zusammengefasst werden, dass die Grundlagen der pluralen Demokratie von großen Teilen der Bevölkerung kognitiv geteilt werden – emotional jedoch bei einem Teil der Bevölkerung Distanzierungen stattfinden, sobald diese Versprechen auch Angehörigen von Minderheiten (in diesem Fall religiösen Minderheiten wie Muslim*innen) gewährt werden sollen. Dabei ist mit den vorliegenden Befunden nicht nachweisbar, ob dieser Teil der Bevölkerung tendenziell zu einer weiteren Normabsenkung tendiert, um die kognitive Dissonanz zu beheben (was möglicherweise anhand des Wahlverhaltens überprüft werden könnte), oder ob die Personengruppe sogar zu einer Ressourcenmobilisierung neigen könnte, um ihre Einstellung gemäß der von ihr geteilten Norm zu ändern, oder gar eine Verhaltensanpassung vorzunehmen bereit wäre (z. B. durch Engagement in der Gef lüchtetenhilfe). Diese Fragen könnten jedoch empirisch überprüft werden, was hiermit anderen Kolleg*innen oder Folgestudien überlassen sein soll.
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Postmigrantische Antagonismen – Abwehr statt Anerkennung Konf likte können zunächst auch einen funktionalen Charakter aufweisen und eine dynamische Funktion übernehmen, sie können systemintegrierend wirken und den sozialen Wandel fördern. Aus soziologischer Sicht enthält ein Konf likt bis zu einem gewissen Moment sogar integrative Strukturen. Er wirkt zum einen für die Konf liktparteien nach innen integrierend, da sie sich mittels des Konf liktes klar voneinander abgrenzen, gleichzeitig entsteht durch den Konf likt eine Beziehung mit dem Gegner. Diesen Zustand der produktiven Aushandlung von Ambivalenz bezeichnet Mouffe als »Agonismus«, den sie vom Antagonismus wie folgt abgrenzt: »Dabei handelt es sich um einen anderen Erscheinungsmodus von Antagonismus, da Agonismus kein Verhältnis zwischen Feinden beinhaltet, sondern eines zwischen ›Gegnern‹, die auf paradoxe Weise als ›freundschaftliche Feinde‹ definiert werden, als Personen also, die Freunde sind, weil sie einen gemeinsamen symbolischen Raum teilen, zugleich aber Feinde, weil sie diesen gemeinsamen symbolischen Raum auf unterschiedliche Art organisieren wollen.« (Mouffe 2018: 30) Ein agonistischer Konf likt wirkt also gleichzeitig akteurbildend und strukturbildend. Erst durch die Zuspitzung des Konf liktes auf unüberwindbare – also antagonistische – Feindschaftskategorien wird gesellschaftspolitischen Konf likten ein dysfunktionaler Charakter zugeschrieben. Konf likte zeigen demnach Fehlfunktionen auf, wenn sie nicht mehr nur zur Abgrenzung und Selbstdefinition – sprich zur Outgroup- und IngroupBildung – dienen (Tajfel/Turner 1979), sondern auf die Auslöschung des Gegners ausgerichtet sind. Konf likt gilt in seiner dysfunktionalen Ausformung grundsätzlich als pathologische Erscheinung, wenn er auf ein Ziel ohne Möglichkeit zum Konsens oder gar auf die Zerstörung des Konf liktgegners ausgerichtet ist (Bonacker/Imbusch 1999: 73). Diese Konf liktdefinition gründet auf einem naturrechtlichen Phänomen. Das kritische Spannungsverhältnis entsteht, wenn das adäquate Mischverhältnis von divergierenden und konvergierenden Interessen sich verschiebt und die divergierenden Interessen so stark überwiegen, dass kein Kompromiss mehr möglich ist. Im Konf liktmodell entstehen dann antagonistische Strukturen, die auf pure Gegnerschaft ausgerichtet sind und gewalthaft eskalieren können: »Gewalt schafft eine Form von Eindeutigkeit, die die Last des riskanten Abwägens von Alternativen, den Zwang zur Ref lexion widersprüchlicher Optionen, also all
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das, was das Leben unter gegenwärtigen Bedingungen so anstrengend machen kann, zu erübrigen scheint.« (Keupp 1997: 23) Der Antagonismus, der sich auf Widerspruch ohne Konsensziele ausrichtet, spaltet demnach die Gesellschaft, erhöht das Potential für Feindseligkeiten und erzeugt Anomien, da er im Widerspruch zu Durkheims conscience collective steht. Zur Erinnerung: Durkheim schrieb, dass das kollektive Gewissen für die Einhaltung der Norm sorgt, die sich eine Gesellschaft durch Erziehung, Gesetzgebung etc. gegeben hat. Wenn das kollektive Bewusstsein nicht mehr in der Lage ist, für die Aufrechterhaltung der Norm zu sorgen, spricht Durkheim von »Anomie« (Durkheim 1981: 41 ff.). Die Bekämpfung normativer Prämissen der Demokratie wäre insofern ein Akt, der sich gegen das kollektive Bewusstsein richtet – welches auch auf der Verfassungsnorm grundiert –, und somit als Anomie zu kennzeichnen. Der Anstieg der rechtspopulistischen Parteien in der europäischen Politik hat einen zunehmend antagonistischen Konf liktraum geschaffen, der sich nicht nur in erhöhter Polarisierung und zunehmender Gewaltbereitschaft niederschlägt, sondern auch in politischen Vorstellungen der Abschaffung bestehender pluraler demokratischer Systeme und der Etablierung illiberaler politischer Strukturen ihren Widerhall findet (Pap 2017; Boogards 2018; Zakaria 1997). Allerdings gibt es auch innerhalb der rechtspopulistischen Parteien sehr unterschiedliche Ausformungen des Antagonismus, die nicht gleich auf die Auslöschung des Gegners, sondern zunächst nur auf dessen Einhegung und Abwertung zielen. Die Vorstellung einer neuen gesellschaftlichen und ethisch-moralischen Ordnung mit ethnischen Hierarchien und stärkeren autoritären Strukturen eint jedoch alle rechtspopulistischen Bewegungen gleichermaßen (Kaltwasser et al. 2017). Ihre Position steht damit im Gegensatz zu den Vorstellungen einer pluralen, liberalen und gleichberechtigten demokratischen Grundordnung. In der postmigrantischen Gesellschaft, die von der Aushandlung der Migrationsfrage geprägt ist, gibt es allerdings nicht nur den Antagonismus der Rechten. Auch auf der Linken und in der Mitte der Gesellschaft gibt es antagonistische Positionen. Und nicht nur für die »Herkunftsdeutschen« ist die Migrationsfrage und die Aushandlung von Minderheitenrechten relevant – sie tangiert und positioniert auch die Minderheiten selbst teilweise antagonistisch.
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Radikaler Antagonismus – gegen Anerkennung, Aushandlung und Allianz In seiner radikalsten Ausprägung richtet sich der polarisierende Antagonismus in der postmigrantischen Gesellschaft gegen alle drei Parameter der postmigrantischen Gesellschaft, nämlich (1) gegen die Minderheiten selbst und ihr Recht auf Anerkennung, (2) gegen die Aushandlungsprozesse und -politiken, die die plurale Demokratie bei der Einlösung ihres Versprechens antreiben, und (3) gegen die Allianzpartner*innen, die an diesem Prozess der Aushandlung von Anerkennung beteiligt sind. Die Möglichkeit der Gewaltanwendung bis hin zur Auslöschung des Gegners, der als Feind gesehen wird, ist in dieser Form des Antagonismus mit eingepreist. Hinweise auf eine Zunahme des radikalen Antagonismus geben die Allianzen der Neuen Rechten und Rechtspopulisten über die Grenzen der Nationalstaaten hinaus (Minkenberg 2013; Meiering et al. 2018) und die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre. Die Aberkennung von Minderheiten und ihren Rechten ist besonders stark in der Rhetorik der Rechtsextremen, aber auch bis in die Wahlplakate und Parteiprogramme der Rechtspopulisten vertreten. »Islamfreie Schulen«, Einschränkung von Moscheebauten oder Verbote religiöser Riten wie Schächtung oder Beschneidung, die allerdings auch andere religiöse Minderheiten wie die Jüdinnen und Juden betreffen würden, gehören zu diesen Forderungen nach Einschränkung der Anerkennungsrechte, wie sie vertraglich verbrieft sind. Die Identitäre Partei stellt unter dem Schlagwort eines ›Ethnopluralismus‹ sogar die ›Vermischung‹ der Ethnien in Frage und die extreme Rechte stellt teilweise sogar das Existenzrecht von Minderheiten zur Disposition. So ist ein deutlicher Anstieg nicht nur von volksverhetzenden Taten, sondern auch von Gewaltakten gegen Migrant*innen und Gef lüchtete, besonders seit 2015 zu verzeichnen (BMI 2018: 8; Amadeu Antonio Stiftung 2017).11 2018 wurden in Deutschland alleine im ersten Halbjahr über 700 Angriffe auf Gef lüchtete oder ihre Unterkünfte registriert – das ergibt einen Durchschnitt von knapp 4 Angriffen pro Tag (Ott 2018).12 11 Seit 2015 wurden offiziell insgesamt über 4.000 Straftaten gegen Asylunterkünfte registriert (BMI 2018; BMI 2016). 12 Unter die Angriffe auf Asylsuchende fallen folgende Delikte: Sachbeschädigung, Brandstiftung, Beleidigung, Volksverhetzung. Unter die Angriffe auf Geflüchtete außerhalb von Asylunterkünften: Körperverletzung, Beleidigung, Volksverhetzung, Bedrohung.
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Die Gewaltakte richten sich dabei nicht nur gegen Migrant*innen, Gef lüchtete oder sichtbare Angehörige religiöser Minderheiten wie Muslim*innen oder Jüdinnen und Juden, sondern auch gegen jene, die als deren Unterstützer*innen und Allianzpartner*innen wahrgenommen werden, wie die Anschläge auf Bürgermeister*innen in Deutschland nachweisen, denen eine zu offene Flüchtlingspolitik vorgeworfen wird. So gaben in einer Umfrage von 2016 6 % der deutschen Bürgermeister*innen an, dass sie selbst, Mitarbeiter*innen oder Vertreter*innen des Gemeinderats körperlich angegriffen wurden, fast jede oder jeder zweite berichtete von persönlichen Beleidigungen in Zusammenhang mit der Flüchtlingspolitik (Erhardt 2016). Besonders in Erinnerung bleibt ein Messerangriff auf den Bürgermeister der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Altena, der im Jahr zuvor von der Bundeskanzlerin einen Integrationspreis für seine weitsichtige Flüchtlingsintegration erhalten hatte (Schulte von Drach 2017). Aber auch der Messerangriff auf die Bürgermeisterin von Köln, Henriette Reker, wurde mit deren Offenheit gegenüber Gef lüchteten begründet (Diehl 2015). Schon der Anschlag von Anders Breivik im Jahr 2011 auf Jugendliche der sozialdemokratischen Partei in Norwegen machte deutlich, dass der radikale Antagonismus sich auch auf die Auslöschung der Allianzpartner*innen richtet. Die 77 Jugendlichen, die in einem Feriencamp der sozialdemokratischen Arbeiderpartiet auf der Insel Utøya von Breivik getötet wurden, machte er dafür verantwortlich, dass sie die Überfremdung des Landes und den Verlust der kulturellen Identität politisch ermöglichten, weswegen er sie als »Volksverräter« hinrichtete (Kolb 2011). Auch wird den Allianzpartner*innen vorgeworfen, sie würden sich zu sehr auf Belange der Minderheiten konzentrieren und über diese Konzentration auf Identitätspolitik die Fragen von Schicht und Klasse vernachlässigen und somit »den kleinen Mann« oder »das Volk« verraten, indem sie einseitig Politik für die Minderheiten aushandelten. Der Antagonismus richtet sich demnach auch gegen das Versprechen der pluralen Demokratie, wonach Minderheiten das Recht haben, ihre Position als Gleiche unter Gleichen in einem Einwanderungsland auszuhandeln, und es dabei keine Etabliertenrechte oder ethnischen Vorrechte gibt. Vielmehr wird ein Vorrecht des deutschen Volkes konstatiert und die Aushandlung von Migrationspolitik als illegitim inszeniert. Der radikale Antagonismus kann als signifikantester Gegenpol zu den Normen-, Werte- und Ordnungsvorstellungen der pluralen Demokratie verstanden werden. Er richtet sich nicht nur gegen migrationsbe-
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zogene, sondern auch gegen feministische, LGBTI*- oder race-bezogene Anerkennung, Aushandlungen und Allianzen. Diese antagonistische Position ist auch weniger als Folge einer kognitiven Dissonanz zu verstehen, sondern basiert eher auf einer Konsonanz zwischen einem abwehrenden Weltbild und einer gleichermaßen abwehrenden Einstellungs- und Handlungsdisposition.
Antagonismus der nicht-dominanten Gruppen – Abwehr anderer Minderheitenpositionen Des Weiteren kann ein Antagonismus der nicht-dominanten Gruppen beobachtet werden, der sich eher gegen zwei Parameter der postmigrantischen Gesellschaft richtet: gegen die Aushandlungsprozesse und gegen die Allianzpartner*innen, die als naiv belächelt und als Gutmenschen abgewertet werden, da sie sich nicht wehrhaft gegen die aus ihrer Sicht inkompatiblen Minderheiten einsetzten (Tibi 2002; Mansour 2018). Während die grundsätzliche Anerkennung von Minderheitenrechten als Versprechen der pluralen Demokratie nicht in Frage gestellt wird, ist eine scharfe Abwehr von Aushandlungspolitiken besonders in Bezug auf andere Minderheiten zu beobachten. So konnte im Zuge der Fluchtmigration beobachtet werden, dass von Seiten der bereits in Deutschland lebenden Migrant*innen teilweise f lüchtlingsaversive bis -feindliche Positionen vertreten wurden. Diese reichten vom Vorwurf, dass diese neue Gruppe der Gef lüchteten viel zu viele Vergünstigungen und Aufmerksamkeit bekomme, die der eigenen migrantischen Gruppe nicht gewährt worden seien, bis hin zu stereotypen Abwertungen, wonach die eigene Gruppe der neuen überlegen sei, samt Verunglimpfungen der Neuen im Duktus der Rechtspopulisten als ›Vergewaltiger‹ und ›Sozialschmarotzer‹ (Laugstien 2017). Diese Form der Distinktion in Bezug auf neu Hinzugekommene ist auch im Hinblick darauf zu verstehen, dass es durch die neu Hinzukommenden eine Veränderung in der eigenen Wahrnehmung als ›Etablierte‹ oder bereits Integrierte gibt und durch die Abwertung der neu Hinzukommenden ein Aufstiegsgefühl erzeugt werden kann (Elias/ Scotson 2002). Tajfel und Turner haben viel über Strategien von outgroups zur Rehabilitation negativer Stigmata gegenüber ihrer sozialen Identität geforscht und darauf hingewiesen, dass gerade in der Abwehr der eigenen ingroup als Beweis für eine Distanzierung oder auch in der Abwehr anderer outgroups oder nicht-dominanter Gruppen die Mög-
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lichkeit besteht, die eigene negativ markierte Identität zu verlassen und aufzusteigen (Tajfel/Turner 1979). Und gleichzeitig sind natürlich auch innerhalb nicht-dominanter Gruppen politische Weltbilder und pro- und antiplurale Lager analog zur Gesamtgesellschaft vertreten. Antisemitismus, Muslimfeindlichkeit, Sexismus und andere Formen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit sind bei nicht-dominanten Gruppen gleichermaßen und teilweise sogar erhöht verbreitet – nicht zuletzt, weil sich in die nicht-dominanten Gruppen auch Armut und Bildungsferne ungleich höher hineinselektieren (Koopmans 2010). Dennoch hat es für Überraschung gesorgt, dass fast 30 % der Hispanics in den USA für Donald Trump gestimmt haben, obwohl er eine starke Anti-Hispanic-Rhetorik im Wahlkampf aufgefahren hat (Khalid 2016); auch der Anteil an Frauen, die für Trump stimmten, war in Anbetracht seiner sexistischen Positionen zumindest überraschend (Khazan 2016), ebenso wie die überraschend hohe Präsenz Homosexueller als Führungskader der Neuen Rechten (Beauchamp 2017b; Speit 2016). Für Deutschland lässt sich ein aversives Verhalten von Migrant*innen gegenüber anderen Minderheiten oder migrantischen Gruppen auch in Gründungen von Gruppen wie den ›Migranten in der AfD‹ oder den ›Juden in der AfD‹ nachweisen. Auch das Wahlverhalten der Migrant*innen in Deutschland in Bezug auf die AfD bewegt sich fast analog zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund (Foroutan 2018c). Hier sind es vor allem islamfeindliche, aber auch f lüchtlingsfeindliche Positionen, die als Treiber wirken. Aber auch von anderen nicht-dominanten Gruppen, wie z. B. von feministischer Seite, werden Argumente gegen die Aushandlung speziell von muslimischen Minderheitenrechten ins Feld geführt, die in ihrer Rhetorik in Teilen sehr stereotyp und reduktionistisch sind (Schwarzer 2003; Kelle 2015). Empirische Befunde für Antagonismen nicht-dominanter Gruppen gibt es auch im Hinblick auf Ostdeutsche, die ebenfalls als nichtdominante Gruppe in Deutschland zu gelten haben, wenn man ihre Repräsentation in zentralen politischen und gesellschaftlichen Positionen empirisch überprüft (Kollmorgen 2015; Ahbe 2018; Best/Vogel 2011). Hier kann sowohl der erhöhte Zuspruch zur AfD (Lengfeld/Dilger 2018b) als auch die deutlich erhöhte antimuslimische Positionierung im Gesamtvergleich (Zick et al. 2016) sowie die verbreitete Abwehr gegenüber Aufstiegen von Minderheiten (Foroutan et al. 2019) als Hinweis auf antagonistische Positionierungen aus der Stellung als deprivierte bzw. nicht-dominante Gruppe heraus gedeutet werden. Ein Drittel
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der Ostdeutschen sehen sich und Muslim*innen dabei gleichermaßen als Bürger*innen zweiter Klasse und jede*r zweite Ostdeutsche findet, Muslim*innen und Ostdeutsche müssen sich mehr anstrengen als die Restbevölkerung, um das Gleiche zu erreichen. Und weit mehr als ein Drittel findet, Muslime und Ostdeutsche haben nicht den gleichen Zugang zu allen gesellschaftlichen Positionen (ebd.). Ob damit ein Teil der Abwehr gegenüber Migration und Minderheiten, und speziell gegenüber Muslim*innen, erklärt werden kann, weil diese durch Abwehr und Abwertung zumindest in der sozialen Hierarchie eine Stufe unter der eigenen Gruppe verbleiben, bleibt weiterer Forschung überlassen, für die diese Annahme als Orientierungshypothese dienen könnte.
Antagonismus der Mitte – Privilegiensicherung und Kulturangst Parallel zu den beiden zuvor skizzierten Antagonismen sind auch Polarisierungstendenzen und abwehrende Positionen in der Mitte der Gesellschaft zu beobachten. Dabei handelt es sich, so die Hypothese, vor allem um ein Hadern mit der Abgabe von Privilegien. Der Antagonismus der Mitte richtet sich nicht gegen die Allianzpartner*innen oder die Anerkennung der Minderheiten selbst, sondern vielmehr gegen ein Gefühl von »Das geht jetzt aber zu weit«, wenn es zu politischen, rechtlichen und symbolischen Aushandlungen kommt. Es ist ein eher paternalistischer Ansatz, der dem auf klärerischen und emanzipativen Gedanken der pluralen Demokratie zuwiderläuft. Aushandlungsfragen sind mit der Infragestellung etablierter Positionen und Privilegien verbunden. Wenn z. B. Quoten eingefordert werden, um Repräsentationslücken zu schließen, oder eine veränderte Sprache eingefordert wird, um Gendersensibilität anzumahnen und die Präsenz der nicht-dominanten Gruppen auch in der Sprache der Dominanzgesellschaft einzubringen (Horscheidt 2012) oder gar rassistische Sprachformulierungen zu ächten (Dirim/Mecheril 2016; Kosnick 2018), so wird dies schnell als Angriff auf die eigenen Privilegien gelesen und als übergriffige, moralisierende political correctness bekämpft (Scott 2013). Auch die Einführung des Allgemeinen Gleichstellungsgesetzes oder von Antidiskriminierungsrichtlinien haben für starke antagonistische Positionen aus der Mitte der Gesellschaft gesorgt (Beigang/Fetz/Kalkum/Otto 2017). ›Antagonismus‹ mag hier als Wort vielleicht etwas übertrieben erscheinen, da es ja nicht um die Eliminierung des Gegners geht, eher um die Eliminierung bereits eingegangener Politikveränderungen. Die grund-
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sätzlichen Anerkennungsrechte von Minderheiten werden dabei zwar nicht in Frage gestellt – was jedoch, wie bereits zuvor beschrieben, zu kognitiven Dissonanzen führen kann, welche gerade die Mitte der Gesellschaft auch mobilisierbar für die Argumente der Rechtspopulisten machen. Angetrieben wird auch die Mitte von einem alles überschattenden Migrationsnarrativ. So war in den Jahren 2015–2016 in wiederkehrenden Umfragen zu beobachten, dass weniger ökonomische Probleme den Treiber der Migrationsabwehr darstellten, sondern vielmehr Kultur und Überfremdungsängste angegeben wurden, worauf bereits im Abschnitt zu realistischer und symbolischer Bedrohung eingegangen wurde. Für die Mitte der Gesellschaft kommt also zusätzlich zu ökonomischen Fragen der sozialen Ungleichheit vor allem der Anspruch migrantischer Akteur*innen auf kulturelle und identifikative Teilhabe als Verunsicherungsmotiv hinzu. Hier liegt der Rückschluss nahe, dass es weniger der eigene reale soziale Abstieg als der Aufstieg der Migrant*innen sein könnte, der antagonistische Tendenzen auch in der Mitte der Gesellschaft hervorruft und somit eine Einspeisung dissonanter Kognitionen und Stereotype und eine latente Normabsenkung mithilfe der im Diskursraum verfügbaren Argumente der Rechtspopulisten zur Folge hat. Ferdinand Sutterlüty hat das als zentralen Befund seiner empirischen Studie prägnant zusammengefasst: »Die Migranten, die zu den besten Aspiranten auf Integration zählen, sind bevorzugt Ziel von Stigmatisierung, bedrohen sie doch vermeintlich am stärksten den Status der Einheimischen.« (Sutterlüty 2010) Allerdings sind im Antagonismus der Mitte weniger die Migrant*innen selbst das Ziel der Abwehr, da die Mitte bereits kognitiv die Ziele einer pluralen Demokratie verinnerlicht hat. Vielmehr findet eine Abwehr statt, wenn konkrete Rechte von Minderheiten ausgehandelt werden und die Minderheiten somit in den eigenen Statusraum vordringen und etablierte Privilegien möglicherweise in Frage gestellt werden – wozu in diesem Buch zahlreiche empirische Hinweise gegeben wurden. Die drei antagonistischen Felder sind hier nur angerissen worden und bedürfen weiterer empirischer Überprüfung. Eine zukünftig Ausarbeitung könnte dazu beitragen, die Irritation besser zu verstehen, die eintritt, wenn vertraute Personen, die man im politischen Spektrum keineswegs als rechtspopulistisch einordnet, plötzlich Positionen vertreten, die auch im rechten Lager verortet sind. Das Unbehagen, das
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dann entsteht, kann eventuell aufgefangen werden, wenn nach Positionsmustern gesucht wird – nach Brückennarrativen (Meiering et al. 2018) –, die einen Übertritt ins Lager der Rechtspopulisten erlauben, ohne eine komplette personale Verortung in deren Feld vorzunehmen. So kann umgekehrt die Kränkung nachvollzogen werden, wenn Personen sich als ›Rechte‹ markiert sehen, obwohl sie sich in wesentlichen Punkten wie z. B. der Anerkennung von Minderheiten oder der Wertschätzung der Allianzpartner*innen klar im liberalen, bürgerlichen, konservativen oder linken Lager verorten und keineswegs im völkischnationalen oder gar rechtsextremen.
Postmigrantische Allianzen – Haltung statt Herkunft Allianzen, gemeint als gruppenübergreifende Zusammenschlüsse, um für ein gemeinsames Ziel einzutreten, unterscheiden sich von Koalitionen und Solidarnetzwerken insofern, als sie vor allem aus einer Position der Verteidigung entstehen. Sie entstehen als Reaktion oder Antizipation einer gefühlten oder realen Bedrohung oder Schlechterstellung. In den internationalen Beziehungen, wie auch im internationalen Management, liegt dem Begriff ›Allianz‹ ein strategischer Gehalt zugrunde, der vor allem auf die Intention zielt, auf ein gemeinsames Ziel zuzusteuern und auf dem Weg dorthin bestehende Unterschiede auszublenden (Walt 1990; Snyder 1990; Gulati 1998). Die gemeinsame Fokussierung auf eine Agenda, geteilte Ziele und Unterstützung untereinander wirken als Bindeglieder (Parsons 1967: 704; Sabatier 1993: 21). Der Begriff der Allianz verweist also grundsätzlich auf ein strategisches Interesse der Zusammenkunft. Allianzen können temporär sein und sind aktiv zielgerichtet, wobei das Ziel auch die Abwendung einer drohenden Gefahr sein kann – aber auch das Herausfinden aus einer prekären Situation und das Zusteuern auf eine bessere. Obwohl der Begriff ›Solidarität‹ zunächst für ein wechselseitiges Füreinander-Eintreten steht (Jaeggi 2001: 288; Durkheim 1977) und die Ebene des Mitleidens und Nachvollziehens miteinschließt (Adorno 1966: 281), weist er oft auch auf asymmetrische Stärkeverhältnisse hin, in denen stärkere Partner*innen die Schwächeren schützen oder Unterstützung und Rückhalt anbieten (Bayertz 1998; Karakayalı 2014: 121). Der Begriff Koalition weist hingegen eher einen gestalterischen Aspekt auf, der Juniorpartner*innen und Tonangebende für einen be-
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stimmten Zeitraum zusammenführt (Mizrahi/Rosenthal 2001). Dem Allianzbegriff ist hingegen eine stärkere Kräftesymmetrie zu Eigen. Zumindest für die Zeit des gemeinsamen Zusammenschlusses sind die Partner*innen als gleichwertige strategische Akteur*innen vereint. Im Gegensatz zu Solidarität und Koalition erlaubt der Gedanke der Allianz also eine stärkere Gleichwertigkeit. Es geht weniger darum, sich schützend vor eine Minderheit zu stellen, als vielmehr darum, Schulter an Schulter für eine gemeinsame Vorstellung zu kämpfen. Empathie und emotionale Verbundenheit werden über gemeinsame Erfahrungen der Abwertung, der Ungleichheit oder einer geteilten Bedrohung sowie das Ziel, diese negativen Bezugspunkte zu überwinden, erzeugt und dienen als Kitt dieser Allianzen. Sie fördern das gemeinsame Eintreten für die Grundlagen der pluralen Demokratie mit dem Ziel, sozialen Wandel zu gestalten und eine emotionale, affektive Identifikation mit der neuen Erzählung des Landes als Einwanderungsland zu erzeugen (Nussbaum 1997: 90). Allianzen strukturieren Identitätskonzepte und Konzepte der Zugehörigkeit neu; sie können als Absage an die alte Idee der Verbundenheit durch geteilte Ethnizität, Herkunft oder Homogenität im Allgemeinen verstanden werden (Bauman 1992) und schaffen eine Form der hybriden Peergroup-Identität, die in erster Linie auf eine geteilte Haltung zurückzuführen ist (Brah/Coombes 2005). Diese postmigrantischen Allianzen, die migrantische und nicht-migrantische Akteur*innen zusammenführen, eröffnen damit einen Blick auf neue Beziehungen, die jenseits homogener peer groups unterschiedliche Menschen im gemeinsamen Ziel verbinden und auf der Basis einer geteilten Erfahrung oder Haltung zusammenbringen (Foroutan 2018a: 18; Broden/ Mecheril 2014: 15). Andreas Wimmer beschreibt diesen shif t über eine zentrale ethnische oder migrationsbedingte Demarkationslinie hinaus und hin zu übergeordneten systemischen und politischen Parametern der Übereinkunft als boundary blurring: »Boundary blurring aims to overcome ethnicity as a principle of categorization and social organization alltogether. Other nonethnic principles are promoted in order to undermine the legitimacy of ethnic, national or racial boundaires.« (Wimmer 2008: 989) Noch Max Weber hatte Migration als dominantes Kriterium von sozialer Gruppenbildung verstanden und bezog sich dabei vor allem auf ethnische Gruppenbildungsprozesse (Weber 1978: 385 ff.). Allerdings haben sich die sozialen Kohäsionskräfte zunehmend ausdifferenziert und eine Zugehörigkeit zur gleichen ethnischen Grup-
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pe bedeutet keineswegs automatisch eine Zugehörigkeit zur gleichen sozialen Gruppe oder zur gleichen Interessengruppe. In einem vielbeachteten Aufsatz stellte Rogers Brubaker genau dieses grouping in Frage und verwies vielmehr auf strategische, interessenbasierte und machtinteressierte Gründe für soziale Allianzen (Brubaker 2002). Damit wird deutlich, dass Allianzen nicht automatisch entstehen, weil Personen der gleichen ethnischen Gruppe zugehören oder von außen einer bestimmten Religion oder sexuellen Orientierung zugeschrieben werden. Brubaker macht deutlich, dass Allianzen vor allem auf Basis von Interessen gebildet werden und weniger auf Basis von phänotypischen Zugehörigkeiten oder Traditionen (ebd.). Eine bloße Verbundenheit oder Kontakt mit Migrant*innen oder eine eigene Migrationsherkunft erlauben somit noch keine klare Aussage über die Haltung zu Macht, Interessen oder politischen Einstellungen und Haltungen zu pluralen Gesellschaften und zu Einwanderung – weder im negativen noch im positiven Sinne. Zudem ist die eigene Marginalisierungserfahrung keineswegs ein Kriterium für die bessere Behandlung von abgewerteten Gruppen oder Mitgliedern der eigenen negativ markierten Gruppe. Wie schon erwähnt verweisen Tajfel und Turner (1979) in ihren Studien zu sozialer Identität immer wieder auf die Abwertung der eigenen negativ markierten ingroup oder die Stereotypenweitergabe und die Abwertung anderer outgroups als Möglichkeit der Identitätskorrektur und des identitären Aufstiegs. Umgekehrt können Allianzen auch ohne Kontakte und unabhängig von persönlichen Beziehungen entstehen. Diese postmigrantischen Allianzen definieren sich dann nicht über eigene Erfahrungen mit Migration oder Migrant*innen, sondern vor allem über eine politische oder ethisch-moralische Haltung zu Migration – die, wie in diesem Buch herausgearbeitet, für weit mehr steht als für den puren Fakt der Ausoder Einwanderung. Migration ist zu einer Chiffre für den Umgang mit Pluralität geworden: an ihr lässt sich exemplarisch das Gleichheitsversprechen messen. Insofern definieren sich postmigrantische Allianzen nicht mehr über migrantische Biographien, Nationalität oder Religionszugehörigkeit als Kernmarker, sondern über eine geteilte Haltung, die auf Gleichheitsbewusstsein und einer aktiven Akzeptanz von Diversität und Pluralität beruht (Foroutan 2016a: 228). Genau darauf weist der postmigrantische Ansatz hin: Postmigrantische Allianz bedeutet nicht unbedingt, dass es zu einer Solidarisierung zwischen Migrant*innen und Nicht-Migrant*innen auf Basis aktiver Beziehungen
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kommt. Es bedeutet vor allem, dass es zu einer Solidarisierung zwischen pluralitätsoffenen Personen kommt, die sich für die Versprechen der pluralen Demokratie einsetzen – das Migrantische ist dabei sekundär. Damit sind also Allianzen gemeint, die einen Zusammenschluss migrantischer und nicht-migrantischer Akteur*innen beinhalten können – aber nicht müssen –, mit dem Ziel der Umsetzung einer gemeinsamen Vorstellung von jener Gesellschaft, in der sie leben möchten. Emile Durkheim bezeichnete diese Form der gesellschaftsbasierten, über den eigenen identitären Beziehungszusammenhang hinausragenden Zusammenkunft als »organische Solidarität« (Durkheim 1977). Organische Solidarität als zunächst zusammenführender Antrieb entsteht nicht zwangsläufig »quasi naturwüchsig aus gemeinsamen Lebensverhältnissen, sondern viel eher in politischen und kulturellen Praktiken und Diskursen« (Allespach et al. 2011: 81). Die verbindende Gemeinsamkeit verschiebt sich stärker in Richtung politischer Haltung und normativem Ziel (Bayertz 1998: 12). Für das Phänomen der postmigrantischen Allianzen wird ebendiese Verschiebung hin zu geteilten politischen Haltungen als übergeordnete Klammer bedeutsam (Stjepandić/Karakayalı 2018a). Gerade in pluralen Gesellschaften benötigt es verbindender Bezugspunkte, die über persönliche Erfahrungskontexte hinausgehen. Ausgehend von dieser Annahme betonen Stjepandić und Karakayalı (2018b), dass postmigrantische Allianzen auf zwei Arten der Solidarität (im Durkheim’schen Sinne) beruhen müssten: zum einen auf einer organischen Solidarität, unabhängig von biographischen Bezugspunkten, die die geteilte politische Haltung zu Pluralität in den Fokus rückt, und zum anderen auf einer mechanischen Solidarität, aus der die Bereitschaft hervorgeht, die postmigrantische Gesellschaft als gemeinsamen Erfahrungsraum anzuerkennen (ebd.). Somit ist eine postmigrantische Gesellschaft eine Gesellschaft, in der die Grenzen der Zugehörigkeit sich neu sortieren und eine binäre Codierung nicht mehr entlang kultureller, ethnischer, religiöser oder nationaler Zugehörigkeit verläuft. Die Migrationsfrage wird in der postmigrantischen Gesellschaft ihrer Rolle als Metanarrativ gerecht, wenn mit ihr eine Grundsatzfrage danach verknüpft wird, auf welcher Basis Menschen in immer pluraler werdenden Gesellschaften zusammenleben wollen. Wenn postmigrantische Allianzen auf Basis einer gesellschaftlichen Haltung und einer zielgerichteten Bedrohungsabwehr und Handlungsethik entstehen, so ist dies eben nicht nur eine Haltung gegen Rassismus oder für die Gleichbehandlung von Minderheiten,
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sondern viel weitreichender, nämlich als eine normative Positionierung für soziale Gerechtigkeit, politische Emanzipation und Integration für alle zu lesen. Die postmigrantischen Allianz erwächst somit aus einem solidarischen und emanzipatorischen Antrieb. Postmigrantische Allianzen verbindet das strategische Interesse, für einen Gesellschaftsentwurf einzutreten, der sich folgende politische Ziele gibt: 1. Anerkennung von Gleichwertigkeit als zentrale Norm und Versprechen des Grundgesetzes soll die plurale Demokratie – im Sinne der Habermas’schen Sinngebung mit Blick auf einen narrativen Endpunkt (Ricœur 1991) hin – anleiten; 2. Chancengleichheit und der Abbau von Ungleichheit und Diskriminierung sollen als politische Ziele ausbuchstabiert werden; 3. Teilhabe in gleichberechtigter Form an zentralen rechtlichen, politischen und ökonomischen Ressourcen und Gütern der Gesellschaft soll umgesetzt werden. Zusammenfassend und leicht zu merken bietet sich hier das Akronym ACTIV an, das für Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe in Vielfaltsgesellschaf ten steht, also für erweiterte integrationspolitische Maßnahmen (Foroutan 2015a). Allerdings gibt es auch innerhalb der Allianzen graduelle Unterschiede in den Forderungen, die hier analog zu den Antagonisten als radikale Allianzen, Allianzen der Mitte und Allianzen nicht-dominanter Gruppen, zunächst nur auf deskriptiven Beobachtungen auf bauend, oberf lächlich skizziert werden sollen und empirisch noch weiter belegt werden müssen.
Radikale Allianzen – Zusammenschlüsse für Maximalforderungen Wie bereits beschrieben, entstehen Allianzen aus einer gefühlten oder realen, andauernden oder antizipierten Bedrohungssituation, kombiniert mit einem strategischen Ziel, diese zu überwinden. Die Bedrohungen können auch systemimmanent sein, daher können sich Allianzen auch für das Ziel einer grundlegenden Systemveränderung zusammenschließen. Allianzen können zur Umsetzung ideologischer Ziele und Visionen, idealer Vorstellungen oder einer Neuordnung von Gesellschaft auch für radikale Umwälzungen eintreten, die je nach Zu-
III. Antagonisten und Allianzen
sammenschluss auch stark konf likthaft und gewaltbasiert sein können. Diese Allianzen polarisieren nicht nur die Antagonisten, sondern auch die Mitte der Gesellschaft. Gleichzeitig wohnt ihnen ein revolutionärer Charakter inne. Beispielhaft dafür kann Chantal Mouffes Buch »Für einen linken Populismus« (2018) gelten. Die Wut gegenüber Anerkennungsdefiziten, Abwertung, Rassismus, Sexismus und Ungleichbehandlung als systemische Bedrohung spielte beispielsweise in den civil rights movements der 1960er Jahre eine zentrale Rolle für die Forderung nach gänzlich neuen Gesetzen zur Anerkennung von Bürgerrechten für Schwarze in den USA, d. h. Teilhabe, Antidiskriminierung, Gleichbehandlung und Partizipation. Zu den schwarzen Bürgerrechtler*innen gesellten sich über die Zeit auch Allianzpatner*innen aus anderen nicht-dominanten Sektoren und die Frauenbewegung, die gay right movements und die Black-Power-Bewegungen schlossen sich immer weiter zusammen. Einige der Bewegungen, wie die Nation of Islam und die Black-Panther-Bewegung, radikalisierten sich zwischenzeitlich in ihrem Kampf um Bürgerrechte und gaben sich als Ziel, diese notfalls auch mit Gewalt zu erkämpfen (Haines 1984; Wendt 2013; Hurd 1992). Dies fand innerhalb eines Prozesses narrativer Neudeutung statt, wobei exklusive Zugehörigkeiten konstruiert und kulturelle, ethnische, religiöse und nationale Narrationen neu ausgehandelt wurden sowie eine Gegenkultur etabliert wurde, die sich aktiv rassistischem Wissen entgegenstellte aber auch aggressiv andere Gruppierungen ablehnte (Terkessidis 2010). Radikale Allianzen können dabei ein Instrument sein, um diskriminierende Strukturen sichtbar zu machen und anzugreifen und systemische Schließungen aktivistisch zu delegitimieren. Allerdings kann die Grenzüberschreitung, die in der Radikalisierung mit einprogrammiert ist, auch die Allianz selbst delegitimieren. Empirische Studien weisen darauf hin, dass in Deutschland ein Großteil der Bevölkerung Einwanderung positiv gegenübersteht; ein Drittel lehnt diese eher ab (Faus/Storks 2019). Zu dieser polarisierten Positionierung gegenüber Pluralität und Migration ist in diesem Buch schon mehrfach Stellung bezogen worden. Für jene in der Mitte der beiden Pole sind die Angebote und Vorstellungen der pluralitätsoffenen Gruppen teilweise zu weitreichend und sie wehren systemische Veränderungen ab. Vor allem die Open-border- oder No-border-Forderungen von einzelnen NGOs oder politischen Akteur*innen verschrecken die unentschiedene Mitte, die parallel mit Statusverängstigung und Ver-
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teilungskonf likten hadert. Auch ein Teil der propluralen Bürger*innen wollte im Sommer 2015 radikal weiter gehen, als die Regierenden und die Mitte der Gesellschaft bereit waren oder als legitim erachteten: Während von Seiten der Politik schnellere Abschiebungen, die Grenzsicherung oder die Bekämpfung von Schleppern diskutiert und beschlossen und innerhalb der EU Grenzzäune und Stacheldraht hochgezogen wurden, entwickelte sich ein gegendynamischer Prozess auf Seiten vieler Aktivist*innen und humanitär aktiven Bürger*innen. Privatboote und Initiativen wie Seenothilfetelefone wurden eingerichtet, Zäune durchgeschnitten oder niedergetreten und die Dublin-III-Verordnung von Bürger*innen, die engagiert helfen wollten, ignoriert. Privatmenschen wurden zu Fluchthelfern und nahmen Gef lüchtete von den Autobahnen der EU in ihren Autos mit nach Deutschland und setzten sich damit über geltende Rechtsnormen hinweg (siehe z. B. die Initiative Fluchthelfer.in13). Damit entstand in Teilen der gesellschaftlichen Mitte das Gefühl eines partiell rechtsfreien Raumes, das besonders die radikalen Antagonisten medial ausnutzten, um die Ordnungssehnsucht der Mitte weiter auszunutzen.
Allianzen der nicht-dominanten Gruppen – feministische, antirassistische und ost-migrantische Analogien In ihrem Sammelband »Labour versus Empire. Race, Gender and Migration« beschreiben die Autor*innen Gonzalez, Fernandez, Price, Smith und Trinh Võ (2004) unterschiedliche allianztreibende Faktoren. Diese können auf der Basis von identitätpolitischen bondings entstehen, mit der Vorwegnahme eines geteilten Lebensgefühls, so wie z. B. in der Arbeiterbewegung. Dabei handelt es sich um eine spezifische Form der »Binnen-Solidarität« (Hondrich/Koch-Arzberger 1992), die auf der sozialen Nähe, also auf ähnlichen Lebensbedingungen der Arbeiterschaft beruht. Ähnliches gilt für Zusammenschlüsse aufgrund gemeinsamer Erfahrungen, z. B. der Unterdrückung oder mangelnden Repräsentation wie etwa in der Frauenbewegung. Allianzen können also durch eine geteilte Erfahrung der Abwertung und Ungleichbehandlung entstehen. Als Strategie des Zusammenschlusses dient auch eine aktive Anlehnung an Vorläufer emanzipativer Gleichheitskämpfe. So haben sowohl 13 Siehe: www.fluchthelfer.in.
III. Antagonisten und Allianzen
die Arbeiterbewegung als auch die Frauenbewegung und die LGBT-Bewegung seit Jahrzehnten Erfahrung im Aushandeln von Rechten und Repräsentationen und im Zusammenschluss von Allianzen. Philomena Essed (1996) beschreibt die Pionierrolle von Frauen bei übergeordneten Allianzbildungen sowie die Tatsache, dass Frauen cross-ethnische Allianzen auf Basis einer Berufung auf eine verbindende Identifikationslinie eingehen können – die in diesem Fall geschlechtlich legitimiert wird. Das verbindende Element der Erfahrung als Frau kann somit ethnische Grenzlinien verwischen und zu gemeinsamen Allianzformationen führen (ebd.). Dies deckt sich mit Wimmers boundary blurring und der Idee der übergeordneten Identifikation anhand einer Wertestruktur (z. B. Gleichheitsanspruch). Verschiedene gender-race coalitions formten sich in den letzten Jahren auch in Deutschland, vor allem im verschränkten Kampf gegen Geschlechterungerechtigkeit und Sexismus auf der einen und Rassismus auf der anderen Seite. Die Strategie liegt hierbei vor allem im Aufzeigen von Gemeinsamkeiten der Opfer und ist oft verbunden mit einer Kritik an der Vermischung von Sexismus-Vorwürfen und Rassismus (Farris 2017; Hark/Villa 2017; Leiprecht/Lutz 2009). Eine strategische Allianz nicht-dominanter Gruppen kann, wie bereits beschrieben, selbst dann eingegangen werden, wenn es grundsätzliche Unterschiede in der gesellschaftlichen Verortung gibt, jedoch auf Basis gleicher Erfahrungen der Ungleichheit ein partieller Zusammenschluss eine gemeinsame Zielgerichtetheit legitimiert. Bedeutende Teile der deutschen Gesellschaft teilen die Erfahrung von Abstiegsangst, sozialer Deprivilegiertheit und politischer Irrelevanz. Zwei soziale Gruppen sind dabei parallel zur sozialen Ungleichheit stark von symbolischen Ausschlüssen betroffen: Migrant*innen – und innerhalb dieser Gruppe die zunehmend homogenisierte Kategorie der Muslim*innen – und Ostdeutsche. Beide können nicht pauschal als soziale Gruppen definiert werden, da sie in sich viel zu heterogen sind. Jedoch deuten Stereotype und Erfahrungsbeschreibungen darauf hin, dass der Einschluss in eine negative Identität zunehmend zu Reaktionsformen führt, die sich innerhalb dieser beiden Kategorien vergleichen lassen (Foroutan et al. 2019). Aber lassen sie sich auch zu einer Allianz verknüpfen? Wenn of fensichtlich ähnliche Vorurteile gegenüber zwei gänzlich unterschiedlichen Gruppen bestehen und diese immer wieder als deviante Einheiten beschrieben werden, wie dies gegenüber Ostdeutschen und gegenüber Muslim*innen geschieht, dann wäre eine stra-
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tegische Allianz beider marginalisierter Gruppen möglicherweise ein Weg, um auf systemische Diskriminierung aufmerksam zu machen und einen hegemonialen Deutungsdiskurs zu hinterfragen, der auch deswegen stabil bleibt, weil er die weniger privilegierten Gruppen hierarchisiert und spaltet und außerdem für ihre Ungleichbehandlung selbst verantwortlich macht. Ihre mangelnde Repräsentation in der Gesellschaft wird vor allem den eigenen Gruppendefiziten zugeschrieben, statt strukturelle Diskriminierung zu benennen. Diskursiv wird die Verantwortung für die ungleiche Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe an zentralen Ressourcen und Positionen dieser Gesellschaft somit den nicht-dominanten Gruppen selbst angekreidet, weil sie noch nicht so weit seien oder sich undemokratisch, anpassungsresistent und unproduktiv verhielten (Foroutan/Kubiak 2018). Hier zeigt sich deutlich, wie durch eine Einspeisung von stereotypem, rassistischem Wissen eine Konsonanz erzeugt werden kann und somit die kognitive Dissonanz behoben wird, die sich dadurch einstellt, dass den meisten Bürger*innen die Ungleichheit, mit der Ostdeutsche und Migrant*innen konfrontiert sind, zunehmend bewusst ist – und wenn sie bewusst, also salient gemacht wird, am eigenen Selbstverständnis der Gleichbehandlung rüttelt und kognitive Irritationen erzeugt, die ausgeglichen werden müssen. Gleichzeitig gibt es empirische Erkenntnisse, welche die Demokratiedistanz beider Gruppen nachweisen (Zick et al. 2016; Koopmans 2017) – jedoch ist nicht kausal nachweisbar, ob Ausgrenzungen zur weiteren Distanz geführt haben oder die Distanz zu demokratischen Werten den Grund für Ausgrenzungen darstellt. Parallel sind jedoch auch die fehlende Repräsentation und Teilhabe an zentralen Positionen und Gütern empirisch nachgewiesen. Bei der Besetzung zentraler gesellschaftlicher Positionen spielen beide Gruppen noch immer eine marginale Rolle (Kollmorgen 2015; Ahbe 2018; Softić 2016). Allerdings ist trotz der nachweisbaren Analogien (Foroutan et al. 2019) derzeit noch keine Allianz zwischen Ostdeutschen und Muslim*innen erkennbar. Eventuell könnte eine strategische Allianz erzeugt werden, wenn auf die bestehenden Analogien der Abwertung stärker aufmerksam gemacht würde und somit kulturelle, ethnische, religiöse oder nationale Trennlinien sekundär würden. Andreas Wimmer (2008) bezeichnet dies als strategische Expansion von Grenzen (boundaries), mit dem Ziel einer gemeinsamen Koalitionenbildung: »[A]ctors may create a more encompassing boundary by grouping ex-
III. Antagonisten und Allianzen
isting categories into a new, expanded category.« (Ebd.: 987) Wimmer bezieht sich dabei allerdings auf etwas, was er ethnogenesis nennt, also die Erzeugung neuer ethnischer Grenzformationen (ebd.). Bei ost-migrantischen Allianzen kann über eine gemeinschaftsgenerierende Erzählung zwar keine ethnische Identitätskonstruktion erfolgen. Allerdings kann ein verknüpfendes Narrativ sein, dass Ostdeutsche auch mit negativen Fremdwahrnehmungen konfrontiert sind und vielfach Erfahrungen der Abwertung internalisiert haben und diese nun aktiv abwehren. Dafür könnten sie Migrant*innen und Muslim*innen als Allianzpartner*innen ansprechen, um den Kampf gegen Diskriminierung und Ungleichheit und für die Versprechen der pluralen Demokratie gemeinsam anzutreten. Dies würden ost-migrantische Allianzen durchaus zulassen. Eine weitere emotional-identifikative Verbindung als Grundlage für eine Allianz könnte eine geteilte Erfahrung des Heimatverlustes sein, der sich zwar ebenfalls höchst unterschiedlich darstellt, da es das Herkunftsland der Migrant*innen noch gibt, während die DDR nicht mehr existiert – allerdings wurde auf das Gefühl der Migration in Bezug auf Ostdeutsche schon mehrfach rekurriert (Hertog 2004; Cooke 2005). Es wird deutlich, dass Allianzen nicht-dominanter Gruppen über kulturelle, ethnische, religiöse und nationale Trennlinien hinweg eingegangen werden können und als Treiber und sinnstiftender Endpunkt der Allianz die Überwindung geteilter Erfahrungen der Abwertung tragfähig sein kann. Ob die Allianz danach noch anhält, wenn die oben genannten KERN-Parameter14, die auch als Verbindungsmarker wirken, nicht bestehen, bleibt weiterer empirischer Forschung vorbehalten.
Allianzen der Mitte – Willkommenskultur Es sind jedoch nicht nur marginalisierte Gruppen, die durch einen Zusammenschluss demokratische Rechte auf Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe erkämpfen wollen. Mit ihnen zusammen treten vielfältige Akteur*innen, auch aus der Dominanzgesellschaft, für eine Verteidigung der Werte der pluralen Demokratie ein. Die Ausweitung der Allianzen bis in die Mitte der Gesellschaft lässt sich nicht nur, aber durchaus auch über Kontakte erklären (Allport 1954). Die Kategorie ›Migrationshintergrund‹ betrifft in Deutschland zwar nur knapp 25 % der Bevölkerung statistisch. Bezieht man jedoch die 14 Also kulturelle, ethnische, religiöse oder nationale Nähe.
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familialen Verhältnisse mit ein, die sich zusätzlich herstellen – durch Partnerschaften, Ehen, eingeheiratete Schwiegertöchter und -söhne, Verschwägerung, Kinder und Enkelkinder, also durch das Beziehungsgef lecht von »Herkunftsdeutschen« und Personen mit Migrationshintergrund –, weitet sich der Anteil der Bevölkerung, der in seiner Familiengeschichte mit Migrationskontexten verbunden ist, auf 35 % aus (Foroutan et al. 2014: 48). »Migrationserfahrungen sind auch über Liebesbeziehungen, Freundeskreise, über Bücher, Musik, Filme längst zu einem allgemeinen Kulturgut geworden.« (Espahangizi 2015) Migration ist also nicht mehr nur eine Bezugskategorie für Migrant*innen. Bedrohungen, Rassismus und Ausschlüsse, die zu Allianzbildung führen können, betreffen nicht nur Personen mit Migrationshintergrund: Wenn Enkel, Kinder, Ehepartner*innen, Freund*innen und Kolleg*innen rassistisch ausgegrenzt oder diskriminiert werden, verursacht diese Abwertung über die eigene Herkunft hinweg Scham und Schmerzen. Durch Familien- und Freundschaftsbeziehungen entstehen Interaktionen, neues Wissen, Empathie und Positionierungen. Während die als migrantisch gelabelten Subjekte ihre Rechte, Positionen und Zugehörigkeiten aushandeln, gibt es gleichzeitig immer mehr Menschen, die mit ihnen persönlich, politisch oder im Alltag interagieren und in einer gemeinsamen Allianz diese Rechte mit aushandeln, da die Rechte für mehr stehen als nur für die Position der Migrant*innen in dieser Gesellschaft. Sie stehen für das Bild von der Gesellschaft, auf die aktuell oder zukünftig hingelebt wird. Michèle Lamont beschreibt diese Annäherungen als inklusive kulturelle Mitgliedschaften: »Inclusive cultural membership – a key aspect in the process of destigmatization and the closing of recognition gaps – is an important dimension of collective well-being that often is given less weight than other economic, demographic, and political measures of ›societal success.‹« (Lamont 2018: 426) Allianzen der Mitte entstehen aber nicht nur durch Kontakte, sondern auch durch ein neues Narrativ, welches die Einwanderungsgesellschaft als konstitutiv sieht und dementsprechend als legitime Basis dieses Nationalstaates, der demokratisch verfasst ist. Die Allianzen der Mitte entstehen also durch Empathie und Nähe, durch Wissen, Bildung, aber auch durch strategische bzw. politische Interessen und Positionierung mit dem Ziel eines gemeinsamen Zusammenschlusses, um die Gefahr, die von den radikalen Antagonisten ausgeht, abzuwehren. Sie sind verbunden mit einem Ressourcenauf bau zur Annäherung an die Normvorgabe der pluralen Demokratie.
III. Antagonisten und Allianzen
Eine weitere Allianz der Mitte kann auf Basis von Solidarität und Hilfe erfolgen. So setzten sich im Zuge der Fluchtmigration sowohl Migrant*innen als auch Nicht-Migrant*innen gemeinsam für die fast eine Million Gef lüchteten ein, die 2015/16 in Deutschland ankamen. Hilfsorganisationen registrierten in dieser Zeit einen Zuwachs von 70 % mehr Ehrenamtlichen. Die Willkommenskultur dieser Zeit konnte über die Hälfte der Bevölkerung mobilisieren (IfD Allensbach 2017), was trotz aller Rückzüge, Kritik und Distanzierungen zu dieser Bewegung deutlich macht, wie abruf bar die Bereitschaft nicht nur zur humanitären Hilfe, sondern auch zu einem klaren Signal der Offenheit in der Mitte der Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt war (Karakayalı/Kleist 2016). Es hat eine Ad-hoc-Ressourcenmobilisierung stattgefunden und das Bewusstsein, eine Mitverantwortung für politische Entwicklungen in internationalen Beziehungen zu haben, paarte sich mit dem Wunsch, eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse herbeizuführen (ebd.). Hier konnte durch Ressourcenauf bau die kognitive Dissonanz zum eigenen Selbstbild als demokratische und die Menschenrechte achtende Nation für diejenigen, die sich im Sommer der Migration für eine offene und plurale Demokratie alliierten, zumindest punktuell reduziert werden. Mit Sicherheit ist sie für viele seitdem immer wieder neu auszugleichen, auch im Hinblick auf vielfache Enttäuschungen oder die Erkenntnis, dass mit den Gef lüchteten eben nicht nur bedürftige Menschen nach Deutschland kamen, sondern auch solche, die kein Interesse an der pluralen Demokratie mitbrachten oder sie gar bedrohten. Auch die Allianzen der Mitte sind selbstverständlich heterogen. Die Betrachtung der Allianzen ist ebenso wie die der Antagonisten rudimentär und soll in diesem Buch lediglich minimal beschreibend sein und darauf hindeuten, wo es noch weiterer Forschung bedarf, um die Phänomenbereiche der Polarisierung – also pro-plurale Allianzen und anti-plurale Antagonisten – besser zu verstehen.
Ausblick: Neue Lager der Zugehörigkeit? Antiimmigrationsdiskurse unterlegt mit rassistischen und stereotypen Deutungen prägen europaweit die politischen Friktionslinien. Sie werden öffentlich – vielfach sogar in den europäischen Parlamenten – ausgetragen und migrationsfeindliche, EU-feindliche, elitenfeindliche,
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genderfeindliche, revisionistische, antisemitische und antimuslimische Positionen nehmen nicht nur an den Rändern, sondern bis in die bürgerliche Mitte hinein Diskursräume ein. Die jahrzehntelang in den Sozialwissenschaften dominierende Vorstellung, dass jede Gesellschaft einen auf etwa 20 % bezifferten harten Kern an Populisten aufweise, die demokratiedistant seien, hat sich ausgeweitet. In fast allen Ländern Europas sitzen rechtspopulistische bis rechtsradikale Parteien bereits im Parlament. In Frankreich haben Marine Le Pen und ihre rechtsextreme Partei bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2017 mehr als ein Drittel der Stimmen geholt, in Österreich wählte 2016 fast jeder Zweite den Präsidentschaftskandidaten der rechtspopulistischen und xenophoben FPÖ, in der Schweiz regiert die rechtspopulistische und ebenfalls xenophobe SVP mit einem Drittel der Stimmen. In Ungarn liegt die rechtspopulistische Partei Fidesz 2018 bei knapp unter 50 %. In Polen liegen die Rechtspopulisten bei etwas unter 40 %, in Tschechien bei fast 30 %, in Slowenien wurden sie stärkste Kraft mit 25 % der Stimmen. In Großbritannien regieren zwar die Konservativen, jedoch war auch die Brexit-Entscheidung für den EU-Austritt ein klar migrationsfeindliches Votum, ebenfalls getragen von einer Mehrheit. In Italien regiert mit der Lega Nord eine Partei, deren Vorsitzender Matteo Salvini sich für den Einsatz von Schweineblut auf Grundstücken ausspricht, auf denen Moscheen errichtet werden sollen (Migge 2018). Auch in skandinavischen Ländern sind die Rechtspopulisten an der Regierung beteiligt und in Belgien und den Niederlanden wird die Politik von Antimigrationsparteien unter Druck gesetzt. In Deutschland ist die rechtspopulistische AfD im Parlament und in manchen Bundesländern hat sie die meisten Stimmen erhalten. Es kann also nicht mehr davon gesprochen werden, dass pluralitätsfeindliche Positionen Randphänomene seien. In diesem Kapitel wurde vor allem auf die Polarisierung der postmigrantischen Gesellschaft entlang pluralitätsfeindlicher und propluraler Positionen eingegangen. Diese Polarisierung vollzieht sich entlang der Demarkationslinie der Akzeptanz bzw. Abwehr der Versprechen der pluralen Demokratie, für die es wirkmächtige Allianzen gibt, die sich jedoch ebenfalls wirkmächtigen Antagonisten gegenübersehen. In der Migrationsfrage wird der Kampf um die plurale Demokratie besonders deutlich ausgetragen, da diese die etablierten gesellschaftlichen Grenzziehungen sowohl symbolisch als auch sozialräumlich in Frage stellt. Die Migrationsfrage ist in diesem Kontext zur Chiffre dafür ge-
III. Antagonisten und Allianzen
worden ob sich Demokratien als freie, offene und zukunftsgewandte Gesellschaften beschreiben wollen oder als tendenziell illiberaler und begrenzter. Ideologische Überschneidungen und damit einhergehende, teilweise überraschende Zusammenschlüsse unterschiedlicher Akteur*innen finden in postmigrantischen Gesellschaften sowohl auf Seiten derer statt, die Pluralität befürworten und sich für den demokratischen Gleichheitsgrundsatz als sinnstiftendes Ziel einsetzen, als auch im antipluralen Lager. Hier wurde z. B. auf Zusammenschlüsse wie die ›Juden in der AfD‹ oder die ›Migranten in der AfD‹ hingewiesen. Marginalisierte Herkunft alleine scheint also in der ideologischen Positionierung eine uneindeutige Rolle zu spielen, während vor allem eine Haltung für oder gegen die plurale Demokratie jene Teile der Gesellschaft zusammenführt, die in diesem Kapitel als proplurale Allianzen oder antiplurale Antagonisten bezeichnet wurden. Da die Migrationsfrage als Bekenntnis zum Einwanderungsland Deutschland ins nationale Narrativ inkorporiert wurde, ist die Erwartung einer Angleichung der Lebensverhältnisse auch für Migrant*innen und ihre Nachkommen hoch. Die Diskrepanz zwischen dem normativen und politischen Bekenntnis dazu und der empirisch anhaltenden Ungleichheit erzeugt eine kognitive Dissonanz, auf die in der Gesellschaft unterschiedlich reagiert wird. Während postmigrantische Allianzen eine breite kognitive und normative Ressourcenmobilisierung anstreben, um die Norm tiefer zu verankern und auf die Ungleichheit stärker aufmerksam zu machen, ist die antagonistische Position dadurch gekennzeichnet, dass sie die Legitimität dieser Anerkennung anzweifelt, die Aushandlungsprozesse boykottiert und eine Absenkung der Norm diskursiv einspeist. Dadurch polarisiert sich die Gesellschaft zunehmend weiter. Dies tut sie allerdings nicht entlang ethnischer oder nationaler Pole. Vielmehr ist die bipolare Spaltung entlang der Pluralitätslinie zu beschreiben. In den beiden sich gegenüberstehenden Lagern finden sich Migrant*innen und Nicht-Migrant*innen gleichermaßen. Salafisten und Rechtspopulisten stehen ebenso für eine Reduktion der Pluralität wie das Lager der Pro-Pluralisten konservative Kirchgänger und linke Aktivist*innen, Alte und Junge, Städter und Menschen aus Dörfern in ganz Deutschland vereint. Die postmigrantische Gesellschaft kennzeichnet sich dadurch, dass etablierte binäre Codierungen entlang kultureller, ethnischer, religiöser und nationaler Grenzziehungen verschwimmen. Aber auch die
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Grenzen der Generationen oder Links-rechts-Positionierungen werden brüchig. Die neue Grenzziehung verläuft entlang der Haltung für die plurale Demokratie. Das sortiert etablierte gesellschaftliche Kategorien neu und gruppiert sie entlang des zentralen Spannungsmarkers der Pluralität, was gänzlich neue Zugehörigkeiten generiert. Auch dies erhöht die Hybridisierung der Gesellschaft und bleibt ein Erkennungsmerkmal postmigrantischer Gesellschaften. Man könnte hier regelrecht von einer dritten Stufe der Ambivalenz sprechen, die sich auf die doppelte Ambivalenz, wie sie in Kapitel II beschrieben wurde, aufaddiert: Zur objektiven Ambivalenz der normativen Paradoxie und zur subjektbasierten Ambivalenz der sich hybridisierenden Gesellschaft gesellt sich eine Hybridisierung durch postmigrantische Allianzen, die die etablierten gesellschaftlichen Lager neu sortieren.
Fazit, Ausblick und Nachwort
Das normative Paradoxon Die normative Prämisse des Gleichheitsanspruchs und das Versprechen der Reduktion von Ungleichheit treiben die demokratischen Gesellschaften Europas dynamisch an. Als zentraler Ausgangspunkt der »großen Gereiztheit« wurde im vorliegenden Buch das normative Paradoxon genannt, das entsteht, wenn es einen Widerspruch zwischen zentralen Versprechen der pluralen Demokratie – nämlich Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe für alle Bürger*innen – und der empirischen Realität gibt, die nachweisbar von sozialer Ungleichheit und Anerkennungsdefiziten gekennzeichnet ist, und zwar speziell, wenn es um die strukturelle, soziale, kulturelle und identifikative Anerkennung nicht-dominanter Gruppen geht. Nun könnte man gelassen zurückblicken und argumentieren, dass sich dieses normative Paradoxon demokratietheoretisch und -geschichtlich letztlich unvermeidlich durch unsere modernen Gesellschaften zieht: Bereits Tocqueville hat dieses Paradoxon beschrieben und weitere Demokratietheoretiker haben es immer wieder bestätigt. So what? Zeitgeschichtlich neu ist, dass sich das Wissen um das Recht auf Gleichheit und Anerkennung im Gegensatz zu Tocquevilles Zeiten erhöht hat. Nicht nur das: Dieses Recht wurde regelrecht zur politischen Norm par excellence – quasi zum Anrecht – ganz so, als wollte die »freie Welt« nach dem Zusammenbruch der bipolaren Weltordnung klar machen, dass sie nicht nur ökonomisch überlegen war, sondern auch den normativen Anspruch des Kommunismus – nämlich die Gleichheit aller Bürger*innen – besser umsetzen kann. Gleichzeitig hat sich allerdings durch zahlreiche Mess-, Erfassungs- und Statistikverfahren das empirische Wissen um die Ungleichheit erhöht. Die gesellschaftliche Ungleichheit, die sich sowohl ökonomisch als auch politisch und sym-
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Die postmigrantische Gesellschaft
bolisch artikulieren kann, ist also nicht mehr nur ein Gefühl, was schon Treiber genug sein kann – sie ist eine überprüf bare Gewissheit, die sich an einem sehr hoch aufgehängten normativen Versprechen misst. Durch gesteigerte Information wird die Erkenntnis der bestehenden Ungleichheit salienter, fällt mehr ins Auge und wird stärker moralisch geächtet. Dass dieses Versprechen der Gleichheit in der Bevölkerung so stark auf eine Anspruchshaltung der Gewährung trifft, liegt auch daran, dass die meisten europäischen Demokratien in den letzten Jahrzehnten tendenziell liberal ausgerichtet waren. Selbst wenn sie konservativ regiert wurden, war der Orientierungsgedanke der Regierungen ihren Bevölkerungen gegenüber zumeist noch liberal gerahmt und der Gleichheitsgrundsatz wurde als sinnstiftender Endpunkt der Politik und quasi als moralisches Leitmotiv formuliert, an dem sich die Regierungen messen lassen mussten. Selbst wenn dieser Gleichheitsgedanke durch eine zunehmend neoliberale Wirtschaftsordnung nach dem Ende des Ost-West-Konf liktes konterkariert wurde, so blieb er doch als Leitmotiv weitererzählt. Die hohe Norm wurde spätestens mit Beginn der Finanzkrise 2008 als unerfüllbar erkannt und seit dieser Zeit ist das rechte und rechtspopulistische Angebot, die Norm zu senken bzw. sie auf die eigene ethnische »Stammbevölkerung« einzuschränken, wieder zu einem ernsthaften konkurrierenden Angebot in europäischen Gesellschaften geworden. Zwar waren rechte und rechtspopulistische Parteien schon vor der Finanzkrise in Europa aktiv und organisiert, aber nach der Finanzkrise hat sich die Zahl der rechtspopulistischen Parteien in den Parlamenten Europas mehr als verdoppelt und der Anteil rechtspopulistischer Parteien an der Sitzverteilung liegt in Ländern wie Polen und Ungarn bei über 50 %; in Finnland, Italien, Österreich oder der Schweiz sind rechtspopulistische Parteien an der Regierung beteiligt, in Großbritannien, Frankreich und Deutschland treiben sie die anderen Parteien vor sich her und verschärfen den Ton der politischen Debatten. Dies wiederum ging zeitgleich mit einem Pluralitätserwachen in europäischen Gesellschaften einher, von denen viele seit der Jahrtausendwende eine Debatte um ihre nationale Identität führten, die sie vor dem Hintergrund zunehmender Diversität zu reformulieren begannen. Eine Gleichzeitigkeit von ungleichzeitigen Phänomenen prägt also die postmigrantischen Gesellschaften Europas, was auf ihre zunehmende Hybridisierung schließen lässt: Während sie ihre Migra-
Fazit, Ausblick und Nachwort
tionsrealität, die keineswegs neu war, politisch, rechtlich und symbolisch zu verhandeln begannen, während zunehmend mehr Menschen in diese Verhandlungen mit dem Anspruch der Anerkennung und ›Gleichberechtigtheit‹ eintraten, wuchsen parallel die Kenntnisse über die Anerkennungslücken. Und mit der Forderung einer Anerkennungsgleichheit wuchs im Schatten der nationalen Narrative, der neoliberalen Ungleichheitspolitik und der zunehmenden kognitiven Dissonanz die Macht der rechten Gegennarrative. Diese stellten die Frage danach, ob die Gleichheit, wenn sie denn schon so utopisch sei, nicht wenigstens nur dem eigenen Kollektiv zugesprochen werden sollte. Wenn die Norm nicht mehr von der Gleichheit aller ausgeht, dann ist das normative Paradoxon vielleicht auch nicht mehr so spannungsgeladen und dysfunktional. Zur Erinnerung: Ausgangspunkt der Abschrift dieses Buches war eine beobachtbare Normverschiebung in europäischen Gesellschaften. Angelehnt an Durkheims Vorstellung einer Anomie war damit das Vergessen der zentralen Normen, die das kollektive Bewusstsein und Gedächtnis (conscience collective) einer Gesellschaft prägen, gemeint. Wenn die zentrale Norm der Gleichheit, die Europas Gesellschaften nach dem zweiten Weltkrieg antreibt und das kollektive Bewusstsein prägt, aufgrund seiner Nichterfüllbarkeit schlicht für manche Gruppen infrage gestellt oder nach hinten gestellt wird, dann führt dies in einen anomischen, spannungsgeladenen Zustand. Das normative Paradoxon von heute ist also nicht zu vergleichen mit dem normativen Paradoxon der Demokratiegeschichte, das hinnehmbar ist, weil es keine dysfunktionale Auswirkungen hat. Es ist nicht mehr nur ein demokratietheoretisch hinzunehmendes Konstrukt. Es ist »die Mutter aller Probleme« – solange der Anspruch auf Gleichheit als Leitmotiv moderner Demokratien Bestand hat. Anhaltende oder sogar steigende Ungleichheit, wie sie in Europa seit der Finanzkrise 2008 in vielen Ländern zu beobachten ist, prallt also auf ein persistentes Selbstbild eines moralisch überlegenen Kontinents, der seine Identität an Kernnarrative von Auf klärung, Menschenrechten und Toleranz sowie an die emanzipativen Ideen der Freiheit und Gleichheit knüpft. Die Frage danach, ob wir wirklich sind, wer wir glauben zu sein, schleicht sich als permanente Verunsicherung in die kollektive und individuelle Selbstbeschreibung ein. Das erklärt die »große Gereiztheit«. Die Gesellschaft scheitert nicht an der Migration – sondern post-migrantisch: am Umgang mit der Gleichheitsfrage, die
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durch die Migration pars pro toto gestellt wird. Der Kampf um gleiche Rechte, um Anerkennung, Chancengleichheit und Teilhabe wird heutzutage über die Migrationsfrage geführt. Die Migrationsfrage ist somit zur neuen sozialen Frage unserer Zeit geworden. Anhand der Migrationsfrage werden Fragen der Verteilungsgerechtigkeit, der Teilhabe und der kulturellen Selbstbeschreibung Europas exemplarisch verhandelt – am Umgang mit ihr wird der Umgang mit Pluralität und Differenz durchgespielt, am Scheitern an ihr der Grad der offenen Gesellschaft gemessen.
Die Pluralität Was das normative Paradoxon der heutigen Zeit von der demokratietheoretischen und -historischen weiter unterscheidet, ist, dass zu den drei zentralen sich widersprechenden Prämissen, die in der Demokratie als paradoxal zueinander beschrieben werden – Gleichheit, Freiheit und Sicherheit –, eine intersektionale Frequenz hinzukommt: die Pluralität. Die Pluralität fordert die Gleichheit heraus, da sie beansprucht, nicht nur in der Gleichheit, sondern auch in der Differenz gleich behandelt zu werden (ausgedrückt z. B. im Hashtag #vonhier). Sie fordert die Freiheit heraus, wo sie auch das Recht auf Unfreiheit als freie Entscheidung mit einbringt (z. B. im Anspruch, Kopftuch zu tragen), und sie fordert die Sicherheit heraus, z. B. dort, wo sie die Grenzen infrage stellt (z. B. im pluralen europäischen Schengenraum oder im Sinne der Hinterfragung von Geschlechtergrenzen). Die Pluralitätsfrage ist also mitnichten nur eine Frage der Migration. Die modernen Demokratien haben sich anhand vielfältiger Aspekte diversifiziert: Geschlechterverhältnisse, sexuelle Identitäten, religiöser Synkretismus, Multi- und Crosssprachlichkeit etc. Jedoch ist Migration zu einem diskursiv omnipräsenten Thema geworden und somit sehr salient. Die Frage des Umgangs mit Pluralität wird vor allem anhand der Migrationsfrage debattiert. Dies erzeugt in der postmigrantischen Gesellschaft eine zusätzliche Spannung: (1) auf der einen Seite die oben genannte, zwischen dem Gleichheitsversprechen und der empirisch nachweisbaren Ungleichheit, die nicht nur, aber in hohem Maße Migrant*innen und ihre Nachkommen betrifft. (2) Parallel ist eine subjektbasierte Ambivalenz zu erkennen: Denn diese nicht-anerkannte Gruppe wächst stetig demo-
Fazit, Ausblick und Nachwort
graphisch weiter an und Migrant*innen und ihre Nachkommen beanspruchen nicht nur strukturelle und soziale Teilhabe, sondern darüber hinaus beanspruchen sie auch noch, Teil der kulturellen und nationalen Identität zu sein, also symbolische und emotionale Identifikationsangebote zu erhalten. Sie fordern dabei auch, ihre Differenz nicht ablegen zu müssen: Sie wollen also gleich und verschieden zugleich sein. Damit treiben sie die Anerkennungsforderungen noch weiter an und es kommt zu einem Umsetzungsstau in Bezug auf die Anerkennungsgewährung, was wiederum einen Spannungszustand in der Gesellschaft erzeugt und teilweise mit einer Senkung der demokratischen Normen – also der Anrechte von Migrant*innen und ihren Nachkommen auf gleichberechtigte Anerkennung – beantwortet wird. Eine gleichberechtigte Anerkennung bedeutet auch eine veränderte Politik, die Anerkennungsziele definiert und diese an Quoten oder Paritätsvorstellungen austariert. Dies kann dazu führen, dass die eigene privilegierte Position in der Gesellschaft zugunsten einer aktiven Gleichstellungspolitik in Frage gestellt wird. Wenn Frauen die gleiche Anzahl an Sitzen in Parlamenten erhalten sollen, dann heißt dies zwangsläufig, dass weniger Männer dort Platz haben werden. Und wenn eine Quote für die Beteiligung von Migrant*innen und ihren Nachkommen eingefordert werden sollte, um Repräsentationslücken zu schließen, dann würde das bedeuten, dass dafür Platz geschaffen werden müsste, was zu Ungunsten nicht-migrantischer Deutscher gehen würde etc. Um die Nichtanerkennung zu legitimieren, werden Migrant*innen und ihre Nachkommen von einigen Teilen der Gesellschaft daher pauschal zu Fremden erklärt, die außerhalb stehen und demnach in ihren Anspruchspositionen ignoriert oder zurückgewiesen werden dürfen oder sogar müssten. Dadurch wird wieder klar, wer zu »uns« gehört und wer nicht und wem der Anspruch auf Gleichheit zusteht und wem nicht. Klassifizierungsschemata erlangen dadurch wieder ihre Gültigkeit, nachdem sie zunehmend durch die Postmoderne, die liberale, plurale Demokratie und die Hybridisierung der Gesellschaft infrage gestellt worden waren. »Der Islam ist ein Fremdkörper in Deutschland«, betont Alexander Gauland, der Vorsitzende der rechtspopulistischen AfD in Deutschland immer wieder, um legitime Anerkennungsanforderungen von Muslimen in Deutschland abzuwehren. Dies geschieht mehr als zehn Jahre, nachdem die erste Deutsche Islam Konferenz im Jahr 2006 explizit von Seiten der Bundesregierung das Signal an die Muslime gesendet hat, dass sie und ihre Religion Teil dieses Landes
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sind. Simmel hat dieses ambivalente Moment der Abwehr bereits 1908 beschrieben: »Es ist hier also der Fremde nicht […] der Wandernde, der heute kommt und morgen geht, sondern […] der, der heute kommt und morgen bleibt.« (Simmel 1908: 509) Die Hybridität, die sich durch die, die vormals eingewandert und heute Teil der Gesellschaft geworden sind – die also einmal Wandernde waren und heute Einheimische zu sein beanspruchen –, einstellt, löst die etablierten Grenzen der Zugehörigkeit auf und stellt die einstmalige Sicherheit, zu wissen, wer dazugehört und wer nicht, wer Deutscher ist und wer nicht, infrage. Die Grenzen zwischen dem Fremden und dem Eigenen verschwimmen. Und während sie sich über die Generationen hinweg zunehmend auflösen, wächst das Unbehagen innerhalb jenes Teiles der Bevölkerung, für den die Pluralität eine wachsende Unordnung und Infragestellung erlernter Codes darstellt. Zygmunt Bauman hat die Konstruktion von Fremdheit als einen Effekt der Moderne bezeichnet, weil die Moderne mit ihrer Idee der kulturellen Einheit und dem Bestreben, (gesellschaftliche) Ordnung auf der Basis binärer Gegensätze zu konstruieren, die Kategorien des Eigenen und des Fremden zunehmend manifestiert hat (Bauman 1999). Die pmG ist aber eine Gesellschaft, in der etablierte binäre Codierungen entlang kultureller, ethnischer, religiöser und nationaler Grenzziehungen verschwimmen. Aber auch die Grenzen der Generationen, Geschlechter, Nationen oder Links-rechts-Positionierung werden brüchig. Die etablierten cleavages von rechts versus links, jung versus alt, religiös versus säkular oder städtisch versus ländlich werden entlang der Migrationsfrage brüchig. Es wird unklar, welches Lager pro und welches gegen Migration ist: ausländerfeindliche Konservative oder religionsfeindliche Linke gibt es ebenso, wie die große Willkommenskultur im langen Sommer der Migration gerade auch in konservativen, ländlichen und christlichen Regionen hoch war. Und ebenso wie die ungebrochene Solidarität langjähriger Allianzpartner*innen im liberalen und linken Spektrum der Gesellschaft weiterhin besteht, bricht parallel in Teilen des Altfeminismus eine neue Front gegen Migration auf. Umgekehrt zeigen sich viele ältere Menschen, die noch den Krieg und die Flucht erlebt haben, empathischer und offener als junge Identitäre, die keine Kriegsangst mehr kennen, die sie demokratisch bindet, und die die liberalen Errungenschaften der Achtundsechziger belächeln oder die Europa-Konstruktion nur als institutionelle Fehlkonstruktion betrachten und nicht als normatives Gefüge des Aufeinanderzu-
Fazit, Ausblick und Nachwort
gehens. Gleichzeitig sind viele Junge kosmopolitischer und bereits in einem Deutschland aufgewachsen, das sich als Einwanderungsland erzählt, was sie offener für Migration macht, während ältere Menschen sich nach einem »alten Deutschland« sehnen, welches es nicht mehr gibt und die Migrant*innen dafür verantwortlich machen. Die postmigrantische Gesellschaft ist ambivalent. Wer ist hier Alliierter und wer Antagonist? Postmigrantische Allianzen kommen in der Aushandlung der Anerkennung von Gleichheitsgrundsätzen zusammen und sind mit antagonistischen Akteuren und Positionen konfrontiert, die nicht nur die Allianzen und ihre Aushandlungen bekämpfen, sondern die Prämisse ihrer Zusammenkunft selbst infrage stellen, nämlich das Recht auf Anerkennung, Gleichheit und Teilhabe als ein universelles Versprechen.
Ausblick: Ein neues Narrativ für die postmigrantische Gesellschaft Migration ist in der postmigrantischen Gesellschaft ein Bezugspunkt der Ambivalenz: Sie ist Normalität und Notstand gleichermaßen; Migration wird gleichzeitig politisiert und popularisiert. Migration ist das Dauerthema – warum denn dann post-migrantisch? In Deutschland leben im Jahr 2019 knapp 20 Millionen Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund, von denen bereits zehn Millionen die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen (Statistisches Bundesamt 2018a). Knapp 40 % aller schulpf lichtigen Kinder in diesem Land haben eine Migrationsgeschichte (Statistisches Bundesamt 2018c) – in absehbarer Zeit werden sie wahlberechtigt sein und über die politischen und gesellschaftlichen Geschicke mitentscheiden. Dennoch ist es bis dato nicht gelungen, aus dieser Tatsache eine Erzählung zu generieren, die eine neue, plurale und migrationsoffene nationale Identität formuliert, die sich dann mittelfristig in ein kollektives Gedächtnis einspeist und über ein politisches Bekenntnis hinauswirkt. Allerdings: In einer postmigrantischen Gesellschaft werden narrative Neudeutungen und eine Verknüpfung der Geschichten der Migration mit der Erzählung der deutschen Identität verlangt und eingefordert, wie exemplarisch das Buch »Ich bin von hier. Hört auf zu fragen« von Ferda Ataman (2019) zeigt. Narrative werden stets diskursiv konstruiert und passen sich an die Gegenwart und neue Praxen der Gemeinschaftsbildung an. Sie werden
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immer wieder neu ausgehandelt. Im öffentlichen Raum stehen Deutungsmodelle nebeneinander, die um die Diskurshoheit konkurrieren. Narrative zur deutschen Identität beruhen noch immer überwiegend auf rekonstruktiven Bezügen – also auf der Vergangenheit. Dadurch wird die deutsche Identität als eine über die Zeit hinweg gewachsene Beziehung simuliert, welche in teils dramatischen Erfahrungsbezügen eine Gemeinschaft erzeugt hat, in die diejenigen nicht eintreten können, die diese Historizität nicht teilen. Diese rekonstruktiven Narrative sind häufig affektiv und pathosgeladen und werden nur dem eigenen Kollektiv zugestanden. Somit dominieren im öffentlichen Diskurs reduktionistische Ansätze, die das Deutschsein immer wieder als exklusive, nur für einige »Auserwählte« bestimmte Kategorie beschreiben. Dabei könnte auch eine andere Erzählung angeboten werden, die durchaus glaubhaft ist: Dieses Land hat sich verändert. Deutschland normalisiert sich, indem es kulturell, ethnisch, religiös und national vielfältiger wird. Es war schon immer von Vielfalt geprägt. Es ist sozusagen aus einem Moment der Vielfalt entstanden. 1848 kamen in der Paulskirche vielfältige Fürstentümer zusammen, die sich mitnichten als gleich gefühlt haben. In Deutschland sprach man Polnisch, Sorbisch, Französisch, Russisch, wie im Kapitel zu pluralen Demokratien in diesem Buch gezeigt wurde. Deutschland hatte immer schon eine mittlere Kontinentallage. Man konnte nicht über dieses Land hinwegf liegen, man wanderte hindurch. Römer siedelten, Hunnen siedelten, selbst Syrer ließen sich als Bogenschützen in Bayern nieder. Pluralität ist ein Markenzeichen dieses Landes. Wir leben im Zeitalter der globalen Migration, das jenes der überschaubaren nationalen Entscheidungsprozesse abgelöst hat. Alles bewegt sich über Grenzen hinweg – Güter, Ideen, Menschen und Identitäten. Sie werden hybrider. Das erzeugt Unübersichtlichkeiten, denen Populisten mit dem Versprechen von Reduktion und Übersichtlichkeit entgegentreten. Dabei kann diese Reduktion sehr gewaltvoll vonstattengehen: allein von 2015 bis Anfang 2019 gab es über 8.000 dokumentierte Angriffe auf Asylbewerbende und ihre Unterkünfte in Deutschland.1 Das sind mehr als fünf Angriffe pro Tag. Postmigrantische Gesellschaften sind also geprägt von Konf likten zwischen jenen, die unter Demokratie gleiche Rechte für alle Bürger*in1 Siehe hierzu die Chronik flüchtlingsfeindlicher Vorfälle der Amadeu Antonio Stiftung und des Vereins PRO ASYL: https://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/ chronik-vorfaelle.
Fazit, Ausblick und Nachwort
nen verstehen, und jenen, die Vorrechte nur für die jeweils eigene Gruppe beanspruchen. Wir beobachten hier zunehmend eine Spannung zwischen kognitiver und affektiver Wahrnehmung von Zusammenleben: Während auf der einen Seite eine Gelassenheit und Akzeptanz von Migration zu beobachten ist, sind Abwehrhaltungen und Stereotype gegenüber sichtbaren Minderheiten auf einem hohen Niveau stabil. Auch gegenüber ›nicht sichtbaren‹ Minderheiten wie (säkularen) Juden oder Homosexuellen hält sich eine latente emotionale Abwehr. Man könnte geneigt sein zu denken: Solange sie sich »keinen Schaden zufügen«, sollen die Menschen doch denken, was sie wollen – jeder hat ein Recht auf Antipathie, wir sind nicht verpf lichtet, einander zu lieben! Aber die letzten Jahre haben deutliche Gewaltanstiege dokumentiert und wir müssen uns fragen, ob demokratische Grundwerte wie Gleichheit und Gleichwertigkeit als purer Wohlfühldiskurs implodieren, wenn ihre Erfüllung nicht in aktiven Allianzen für alle erstritten, sondern überrumpelt wird von dem berauschenden Angebot einer überschaubaren Volksgemeinschaft – die durch die Rechtspopulisten als Alternative zum verwirrenden »anything goes« der Postmoderne angeboten wird. Wir müssen also die Frage stellen, ob plurale Demokratien an ihrer Pluralität zugrunde gehen können, wenn sie nicht durch ein sinnstiftendes Narrativ zusammengehalten werden. Die Frage ist also, ob heterogene Gesellschaften nicht einer übergeordneten politik- und handlungsleitenden Großerzählung bedürfen, die sie in ihrem politischen und narrativen Selbstbild strukturiert, weil die Pluralität als pures Nebeneinander nicht als sinngebend empfunden wird, wenn ihr kein sinnstiftender Endpunkt vorausgeht, auf den diese Vielheit zuläuft. Pluralität als einfache empirische Kategorie ist kein hinreichend starker Treiber für Akzeptanz – vor allem, weil diese Pluralität, die durchaus auch als positiv und herausfordernd betrachtet wird, oftmals als bedrohlich, verunsichernd und überfordernd wahrgenommen wird und dieses Gefühl von rechten Populisten und Islamisten instrumentalisiert wird, indem permanent Angebote zur Ambiguitätsreduktion gemacht werden. Die Angebotsunterbreiter der AfD, der Brexiteers oder des Rassemblement National warnen vor Parallelstrukturen, Chaos, Unordnung und Bezugslosigkeit, wo andere Mehrfachzugehörigkeiten, Fluidität und Code-Switching hochhalten. Die Salafisten und Islamisten winken mit »wahren« Identitäten, während die andere Seite die Unentschiedenheit und die Hybridität als Normalität betrachtet.
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Die große Frage, die sich nun an die postmigrantischen Alliierten für ihre zukünftige Positionierung und Verteidigung der pluralen Demokratie stellt, ist, ob es auch Großerzählungen geben kann, die sinnstiftend und strukturierend auf Politik und Zivilgesellschaft Einf luss nehmen und gleichzeitig die Polarisierung überwinden. Dabei stellt sich wieder einmal die Frage, ob ein Verfassungspatriotismus als Basis ausreicht, um heterogene Gesellschaften – etwa die deutsche Gesellschaft – zukünftig politisch weiterzudenken. Braucht es vielleicht zusätzlich einen sinnstiftenden Endpunkt, ein handlungsleitendes Motiv oder Leitbild, welches politisch definiert, wie dieses neue plurale Deutschland sich erzählt und, vor allem, wie es plant, diese Erzählung zu erfüllen? Wer erzählt und entwirft dieses Motiv? Und lässt ein solches Leitbild – eine Neudefinition des pluralen postmigrantischen Deutschlands – nicht auch wieder »Andere« zurück, wie Pegida und AfD-Anhänger*innen oder Salafist*innen? Wenn die Sozialpsychologie sagt, dass es keine kollektive soziale Identität geben kann ohne die Existenz einer outgroup, dann müssen wir entweder Heterogenität mit dem Fortbestand von outgroups zusammendenken oder wir denken weniger sozialpsychologisch und orientieren uns am philosophischen Ansatz Martin Bubers (1995) und seinem ›Ich‹ in Gegenüberstellung zum ›Du‹. So könnte ein neues deutsches ›Wir‹, zwar immer noch nur in Kombination mit einem ›Ihr‹ gedacht werden, aber dieses ›Ihr‹ wäre keine dichotome Ingroup-outgroup-Kategorie, sondern ein alliierter Bezugspunkt eines sinnstiftenden Narratives, auf das beide zustreben – in einer dynamischen Integrationslogik, die danach strebt, gemeinsam Ungleichheiten nicht nur für die eigene soziale Gruppe abzubauen, sondern die Analogien der Ungleichheit zu erkennen. Gleichwertigkeit als Basis eines Zusammenlebens in einer Gesellschaft zu sehen, die von Pluralität gekennzeichnet ist, ist allerdings eine höchst normative Erzählung. Diese mit Forderungen nach ökonomischer und struktureller Gleichheit zu verknüpfen, müsste Aufgabe des Leitbildes sein. Die Integration in dieses Leitbild müsste als »Integration für Alle«, die keinen Zugang zu zentralen gesellschaftlichen Gütern und Ressourcen haben, definiert werden. Dies wäre dann eine Zielperspektive, die für die Politik handlungsleitend und für die Zivilgesellschaft sinnstiftend wirken könnte. In den letzten Jahren gab es auf Demonstrationen und im öffentlichen Raum immer Plakate, auf denen stand: Deutschland ist bunt. Die-
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ses etwas einfältig klingende Narrativ birgt eine kraftvolle Erzählung. Es beschreibt eine empirische Realität, eine normative Grundlage und eine dialektische Positionierung zugleich: Wir verteidigen die plurale Demokratie gegen euch. Es muss gelingen, dieses Narrativ zu festigen und im kollektiven Gedächtnis zu verankern. Und parallel muss es gelingen, auch jene zu integrieren, denen das bunte Deutschland nicht gefällt. Für beides braucht es politische Maßnahmen auf dem Weg zu einer gleichberechtigten Gesellschaft. Das wäre eine postmigrantische Politik im Sinne eines gesamtgesellschaftlichen Ziels: Integration für alle.
Nachwort: Ist Deutschland nun eine postmigrantische Gesellschaft? Eine didaktische Checkliste zum Abschluss Wenn Sie dieses Buch bis hierher gelesen haben und sich immer noch fragen, was eine postmigrantische Gesellschaft ist, oder wenn Sie nur Einleitung und Fazit gelesen haben, weil Sie wenig Zeit haben, dann soll dieses Nachwort Ihnen eine kleine Checkliste an die Hand geben, um das Konzept der postmigrantischen Gesellschaft dicht und kondensiert zu verinnerlichen. Zunächst der Leitgedanke: In postmigrantischen Gesellschaften (pmG) geht es nicht mehr darum, ob ein Land sich als Einwanderungsland beschreibt, sondern wie das Einwanderungsland gestaltet wird. Die pmG entsteht und formt sich nach der Migration – bzw. nach der Anerkennung der Migration als grundlegendem Bestandteil dieser Gesellschaft. Seitdem Deutschland politisch als ein Einwanderungsland bezeichnet wird, prägt die Aushandlung der Rechte und Pf lichten der Migrant*innen den politischen Diskurs in diesem Land. Migration steht nicht mehr für das temporäre Kommen, sondern für das langfristige Bleiben, für das, was nach der Einwanderung passiert – für eine postmigrantische Neuordnung etablierter Strukturen, Prämissen, Privilegien und Perspektiven. Migration entwickelt sich dadurch zu einer zentralen gesellschaftlichen Konf liktlinie. Fragen der Zugehörigkeit, des Ausschlusses und der Integration sind in der Lage, ganze Gesellschaften zu polarisieren und in nervöse Spannung zu versetzen. Die postmigrantische Gesellschaft ist geprägt von einer Omnipräsenz des Migrationsdiskurses, der andere zentrale Fragen der Ungleichheit verdeckt. Das »post-« ist hier
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kein zeitliches Präfix; es bedeutet, dass es in diesen Gesellschaften mittels neuer Allianzen zunehmend gelingt, hinter das Migrationsnarrativ zu schauen und Analogien der Ungleichheit zu erkennen. Dabei ist eine der zentralen Forderungen, die die postmigrantischen Gesellschaften normativ aushandeln, die nach der Überwindung der binären Codierung der Gesellschaft in Einheimische und Zugewanderte. Die pmG löst die etablieren binären Codes durch eine zunehmende Hybridisierung der Gesellschaft auf und gelangt somit immer wieder über die Hierarchisierung in Zugehörige und Nichtzugehörige hinaus und irritiert damit etablierte Sprachpraxen, Interpretationsmuster und nationale Identitätszuschreibungen. Ist Deutschland nun eine postmigrantische Gesellschaft? Abschließend bleibt eine letzte zu klärende Frage: Steht die postmigrantische Gesellschaft für eine Utopie oder beschreibt sie einen IstZustand? Sprich: Ist Deutschland eine postmigrantische Gesellschaft oder soll sie erst zu einer werden? Zunächst: Ein »post-« kann niemals eine Utopie beschreiben; ein »post-« definiert einen Transit – weg von etwas Vorherigem –, aber implizit deutet es auch schon auf ein zukünftiges Ziel. Insofern wäre die Utopie wohl: die gleichberechtigte Gesellschaft. Von der ist Deutschland noch weit entfernt – aber in der postmigrantischen Gesellschaft wird der Blick für die bestehenden Paradoxien und Ungleichheiten geschärft, die aus dem Weg geräumt werden müssen, um der Utopie ein Stück näher zu kommen. Das ist schon einmal ein erster Schritt. Dies können Sie für sich anhand der fünf zentralen Konstrukte, die in diesem Buch ausführlich beschrieben wurden, überprüfen. Die Konstrukte, die die Dynamik postmigrantischer Gesellschaften bestimmen, lauten: Anerkennung, Aushandlung, Allianz, Antagonismus und Ambivalenz. Sie wurden in diesem Buch theoretisch hergeleitet und empirisch anhand repräsentativer Datensätze überprüft. Folgende Fragen wurden dabei mit Bezug auf Deutschland gestellt: 1. Ist Migration eine Grundlage der gesellschaf tlichen Selbstbeschreibung und gibt es eine politische Anerkennung dessen? Ja. Seit der SüssmuthKommission 2001 ist es politisch anerkannt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Mittlerweile wird dies von einem Großteil der Bevölkerung für die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des Landes als positiv beschrieben. Bei der Frage, ob Migra-
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tion gut für das soziale Miteinander ist, stimmen zwar nur noch 54 % der Bevölkerung zu (siehe Abb. 15), jedoch wird deutlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland nicht mehr über die Frage des ›ob‹, sondern über die Frage des ›wie‹ streitet – ein klarer Indikator für eine postmigrantische Gesellschaft. 2. Wurde die Aushandlung der Anerkennung von Gleichheit und Teilhabe auf rechtlicher, struktureller und symbolischer Ebene seitdem verstärkt? Ja. Das kann exemplarisch anhand von Gesetzgebungsprozessen zur doppelten Staatsangehörigkeit, zum Zuwanderungsrecht, zur Anerkennung ausländischer Abschlüsse usw. nachvollzogen werden. Auch Bildungsanstiege oder Hochschulzugänge migrantischer Studierender oder die Sichtbarkeit migrantischer Akteure in publikumszugewandten Berufen, wie bei der Deutschen Bahn oder an Flughäfen, aber auch in Nachrichtensendungen, Medien, Politik usw., verdeutlichen, dass strukturell und symbolisch mehr Teilhabe und Repräsentation erkennbar ist. Dabei geht es neben der Anerkennung von ungleichen Ausgangslagen und der Aushandlung von Antidiskriminierungsmaßnahmen zur Behebung von Ungleichheiten auch um die Aushandlung postmaterialistischer Anerkennungsebenen, wie Zugehörigkeit zur nationalen Erzählung oder zum deutschen »Wir«. 3. Gibt es postmigrantische Allianzen? Ja. Zunehmend alliieren sich Menschen entlang der Frage, wie sie in diverser werdenden Gesellschaften zusammenleben wollen. Dabei entstehen neue gesellschaftliche Lager jenseits der Migrations- und Herkunftsfrage. Das Spektrum ist sehr heterogen und umfasst Konservative, Liberale und Linke, Alte wie Junge, migrantische und nichtmigrantische Personen gleichermaßen entlang der Haltung, ob in Demokratien grundsätzlich allen Menschen die gleichen Rechte zukommen sollten. Die postmigrantischen Allianzen sind auch von der Erkenntnis geprägt, dass für die Umsetzung der Gleichheitsprämisse und der Teilhabegerechtigkeit etablierte Privilegien in Frage gestellt und mittelfristig abgebaut werden müssen und dass dafür systemrelevante Veränderungen und Ressourcenauf bau notwendig sind. 4. Sind die Antagonisten auch vielfältig? Ja. Auch hier gruppieren sie sich vor allem entlang einer Haltung gegenüber zentralen Normen der pluralen Demokratie: Gleichheit für alle oder vor allem für die Anhänger*innen des eigenen Kollektivs? Anerkennung von Differenz oder Abwehr von Vielfalt? Im antagonistischen Feld finden sich
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nicht nur Radikale, Islamisten oder Populisten, sondern auch jene, die mit Hybridität und Ambiguität hadern und sich nach klaren Ordnungsprinzipien sehnen, z. B. christlich Konservative, sozialdemokratische Mittelschicht und altfeministische Dogmatikerinnen. Das Spektrum der Antagonisten ist also ebenfalls sehr heterogen. 5. Welche Ambivalenzen sind sonst noch erkennbar? Die deutsche Gesellschaft ist ambivalent und vielstimmig. Auf der einen Seite werden Gleichheitsrechte garantiert, auf der anderen Seite ist die empirische Ungleichheit weiterhin präsent. Migrant*innen wird vorgeworfen, sich nicht mit Deutschland zu identifizieren – gleichzeitig werden sie als Fremde externalisiert. Integration wird erwartet, aber Aufstiege werden verwehrt. Es gibt eine Polarisierung entlang der Frage des Umgangs mit Pluralität. Die pmG verhandelt die Demokratiefrage entlang der Migrationsfrage. Migration dient dabei als Platzhalter für zentrale gesellschaftliche Debatten um Gleichheit, Anerkennung, Teilhabe – also die Versprechen der pluralen Demokratie. Dieses Versprechen der pluralen Demokratie umzusetzen, das ist es, was die postmigrantische Gesellschaft in Aussicht stellt – das, was sie dynamisch antreibt, das, worum sie in ihren Aushandlungs- und Anerkennungsbewegungen kreist. Dass die Aushandlungen von Gleichheit, Anerkennung und Teilhabe zu Polarisierungen führen, weil sie Positionen und Privilegien hinterfragen und von manchen nur für die eigene soziale Gruppe beansprucht und nicht allen gleichermaßen zugestanden werden, ist in diesem Buch ausgiebig besprochen worden. Allerdings soll es nicht damit enden, diese Polarisierung als fatalistische Zwangsläufigkeit stehen zu lassen. Die Feministin und Rassismuskritikerin bell hooks schrieb schon 1994, »daß Personen mit vielen Privilegien, die in keiner Weise Opfer sind, sich aufgrund ihrer politischen Entscheidung für die Unterdrückten einsetzen können. Diese Solidarität muß nicht unbedingt auf gemeinsamen Erfahrung beruhen. Sie kann sich auf das politische und ethische Verständnis von Rassismus und die Absage an Dominanz gründen.« (bell hooks 1994: 23) Sie ging davon aus, dass die Erziehung zu einem kritischen Bewusstsein auch jene Menschen, die direkt davon profitieren, in die Lage versetzen kann, sich der Herrschaftsstrukturen zu entledigen, in denen sie verwurzelt sind, ohne dass sie dies als Selbstaufgabe oder als Opfer sehen.
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Das Bewusstsein, dass das Versprechen der Gleichheit nicht nur ein universales und abstraktes ist, sondern auch ein nationales und konkretes und dass es eingefordert werden muss, nimmt in der postmigrantischen Gesellschaft zu. Es wird am Beispiel der Migrationsfrage verhandelt – aber nur exemplarisch. Dahinter stehen bereits vielschichtige Allianzen, die darüber hinausweisen: Indem sie die Migrationsfrage als einen Teil der Fragen um Gerechtigkeit neben anderen, wie z. B. Klima-, Feminismus-, Bildungs- oder Klassenfragen verhandeln, machen sie deutlich, dass eine postmigrantische Perspektive sich dem Versprechen der Gerechtigkeit zuwendet und nur gemeinsam und mit vielschichtigen Allianzen ausgehandelt und anerkannt werden kann.
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Soziologie Michael Volkmer, Karin Werner (Hg.)
Die Corona-Gesellschaft Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft Juli 2020, 432 S., kart., 2 SW-Abbildungen 24,50 € (DE), 978-3-8376-5432-5 E-Book: PDF: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5432-9 EPUB: 21,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5432-5
Naika Foroutan
Die postmigrantische Gesellschaft Ein Versprechen der pluralen Demokratie 2019, 280 S., kart., 18 SW-Abbildungen 19,99 € (DE), 978-3-8376-4263-6 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4263-0 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4263-6
Bernd Kortmann, Günther G. Schulze (Hg.)
Jenseits von Corona Unsere Welt nach der Pandemie – Perspektiven aus der Wissenschaft September 2020, 320 S., 1 SW-Abbildung 22,50 € (DE), 978-3-8376-5517-9 E-Book: PDF: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5517-3 EPUB: 19,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5517-9
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Soziologie Detlef Pollack
Das unzufriedene Volk Protest und Ressentiment in Ostdeutschland von der friedlichen Revolution bis heute September 2020, 232 S., 6 SW-Abbildungen 20,00 € (DE), 978-3-8376-5238-3 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5238-7 EPUB: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-5238-3
Ingolfur Blühdorn, Felix Butzlaff, Michael Deflorian, Daniel Hausknost, Mirijam Mock
Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet Juni 2020, 350 S., kart. 20,00 € (DE), 978-3-8376-5442-4 E-Book: PDF: 17,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-5442-8
Juliane Karakayali, Bernd Kasparek (Hg.)
movements. Journal for Critical Migration and Border Regime Studies Jg. 4, Heft 2/2018 2019, 246 S., kart. 24,99 € (DE), 978-3-8376-4474-6
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