Die Kompetenz zur Bildung von Gewinnrücklagen im Aktienkonzern: Eine Untersuchung unter Einschluß methodologischer und rechtshistorischer Aspekte [1 ed.] 9783428470594, 9783428070596


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Die Kompetenz zur Bildung von Gewinnrücklagen im Aktienkonzern: Eine Untersuchung unter Einschluß methodologischer und rechtshistorischer Aspekte [1 ed.]
 9783428470594, 9783428070596

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REINHARD KOHL

Die Kompetenz zur Bildung von Gewinnrücklagen im Aktienkonzern

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 67

Die Kompetenz zur Bildung von Gewinnrücklagen im Aktienkonzern Eine Untersuchung unter Einschluß methodologischer und rechtshistorischer Aspekte

Von Dr. Reinhard Kohl

Duncker & Humblot . Berlin

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kohl, Reinhard: Die Kompetenz zur Bildung von Gewinnrücklagen im Aktienkonzern: eine Untersuchung unter Einschluß methodologischer und rechtshistorischer Aspekte / von Reinhard Kohl. - Berlin: Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Wirtschaftsrecht; Bd. 67) Zugl.: Hagen, Femuniv., Diss., 1990 ISBN 3-428-07059-3 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Gennany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-07059-3

Dem Andenken meines Vaters

Vorwort Die vorliegende Arbeit verdankt ihre Entstehung meiner Beschäftigung mit konzernrechtlichen Fragestellungen am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Unternehmens- und Wirtschaftsrecht von Herrn Prof. Dr. Pet er Raisch an der FernUniversität in Hagen. Sie hat dem Fachbereich Rechtswissenschaft dort im Wintersemester 1989/90 als Dissertation vorgelegen. Im Rahmen ihrer Fragestellung erwies es sich - sollte die Argumentation vollständig sein - als unerläßlich, auf Fragen der juristischen Methodik wie auf solche der Aktienrechtsgeschichte näher einzugehen. Gleichwohl versteht sich die Arbeit nicht als Beitrag zu diesen Gebieten, die Anderen Entscheidendes verdanken. Sollten sich aus den betreffenden Kapiteln dem Leser trotzdem erwägenswerte Gesichtspunkte erschließen, mag das als willkommener Nebeneffekt gelten. Zu danken habe ich meinem verehrten Lehrer Prof. Dr. Peter Raisch für seine nachhaltige Unterstützung und stete Gesprächsbereitschaft. Dank gebührt ebenfalls dem Zweitgutachter Prof. Dr. Ulrich Eisenhardt für kritischen Rat. Wertvolle Anregungen ergaben sich speziell zu Methodenfragen auch aus dem Gesprächskreis am Lehrstuhl von Prof. Dr. Raisch, an dem neben diesem auch seine Assistenten Frau Dr. Beate Maasch und Herr Ass. Kurt Kühr teilnahmen. Dank gebührt schließlich auch Frau Lieselotte Schulz für die zuverlässige Besorgung von Manuskript und Druckvorlage. Hagen im August 1990 Reinhard Kohl

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung ................................... ........ .......................................................................................... 13 I. Der Problemzusammenhang....................................................................................................

13

11. Der Untersuchungsgegenstand..............................................................................................

16

III. Der bisherige Diskussionsstand ................................................................................................. 20 IV. Grundsätzliches zum Untersuchungsgang............................................................................. 32

B. Die Auslegung von § 58 Abs. 2 AktG......................................................................................... 39 I. Die Wortauslegung.................................................................................................................... 40 11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung..................................................... 1. Begriffsklärungen.............................................................................................................. 2. Insbesondere: die sytematische Auslegung......................................................................... 3. Äußere - innere Systematik................................................................................................... a) Die Stellung von § 58 im Aktiengesetz........................................................................... b) § 58 im Bedeutungszusammenhang des Aktiengesetzes.............................................. aa) Das Recht der ÜberschußveIWendung...................................................................... aaa) Systematisierung des Normenbestandes............................................................ bbb) Die Interessenkonstellation................................................................................ ccc) Der Interessenausgleich durch § 58 AktG......................................................... a') Periphere Regelungsinhalte............................................................................. b') Kembereich der Regelung............................................................................... bb) Rücklagenregelungen im Konzemrecht.................................................................... aaa) Gesetzliche Rücklage ............................................................................................ bbb) Gewinnabführung ................................................................................................. ccc) Verlustausgleich ..................................................................................................... ddd) Ausgleichszahlung............................................................................................... cc) Zwischenergebnis und weiterer Untersuchungsgang............................................... 111. Grundsätzliches zur historischen Auslegung........................................................................

45 46 47 52 54 63 64 64 66 69 69 71 72 73 74 74 75 77 79

C. Die Geschichte der Kompetenz zur Rücklagenbildung in der Aktiengesellschaft vor dem Hintergrund der Entwicklung der Stellung der Hauptversammlung................................................................................................ 90

I. Das Allgemeine deutsche Handelsgesetzbuch von 1861...................................................... 90 11. Die Novelle von 1870................................................................................................................

95

10

Inhaltsverzeichnis

III. Die Novelle von 1884................................................................................................................ 99 IV. Das Handelsgesetzbuch von 1897........................................................................................ 107 V. Die Entwicklung bis zum Aktiengesetz 1937...................................................................... 1. Die Aktiengesellschaft nach Krieg und Inflation............................................................ 2. Die Aktienrechtsdiskussion der Weimarer Jahre........................................................... 3. Das Aktiengesetz von 1937.................................................................................................

112 113 119 132

VI. Das Aktiengesetz von 1965................................................................................................... 1. Die Diskussion bis zum Referentenentwurf vom Oktober 1958.................................. 2. Der Referentenentwurf vom Oktober 1958 und seine Resonanz................................ 3. Der Regierungsentwurf vom April 1960 und seine Resonanz...................................... 4. Die parlamentarische Deratung.........................................................................................

150 153 161 171 179

VII. Gesetzesänderungen nach Inkrafttreten des AktG 1965................................................. 1. Das Mitbestimmungsgesetz vom Mai 1976...................................................................... 2. Das Publizitätsgesetz vom August 1969 ............................................................................ 3. Das Gesetz zur Durchführung der Zweiten EG-Richtlinie zum Gesellschaftsrecht............................................................................................................................ 4. Das Bilanzrichtlinie-Gesetz vom 19.12.1985....................................................................

184 184 186

D. Auslegungsergebnis und Schlußfolgerungen........................................................................

191

I. Das Ergebnis der historischen Auslegung im Hinblick auf die Aktiengesellschaft als

186 187

Konzernobergesellschaft.........................................................................................................

191

11. Formulierung einer Regelungshypothese............................................................................

195

111. Historische und systematische Auslegung........................................................................... 199 1. Die Begünstigung der Rücklagenbildung in der Tochtergesellschaft durch konzernrechtliche Vorschriftlichen.................................................................................... 199 2. Keine Berücksichtigung von Fehlbeträgen aus anderen Tochterunternehmen? ......... 202 IV. Der gegenständliche Anwendungsbereich der gewonnenen Regel................................ 1. Ausgründung - Unternehmenserwerb - Mehrheitsbeteiligung..................................... 2. Beherrschungstatbestände.................................................................................................. a) Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge........................................................ b) Beherrschung ohne Unternehmensvertrag.................................................................. c) Eingegliederte Gesellschaften........................................................................................ d) Beteiligungen ohne Leitungsausübung......................................................................... aa) Exkurs: Die Anwendung von § 58 Abs. 3 AktG in einer Tochteraktiengesellschaft............................................................................................................ bb) Ergebnis für die reine Mehrheitsbeteiligung........................................................ e) Leitungsausübung ohne Beteiligungsbesitz................................................................. f) Tochterunternehmen, die nicht in der Rechtsform der Aktiengesellschaft betrieben werden................................................................................................... aa) Gesellschaften mit beschränkter Haftung............................................................. bb) Personenhandelsgesellschaften...............................................................................

205 206 208 208 212 214 214 215 219 220 221 223 223

Inhaltsverzeichnis

11

g) Gleichordnungskonzerne und Gemeinschaftsunternehmen..................................... 226 h) Ausländische Tochterunternehmen............................................................................... 228 i) Konzerne mit tieferer als zweigliedriger Staffelung................................................... 231 V. Anwendungsmodalitäten der gewonnenen Rege!............................................................. 1. Die Bestimmung des Konzernjahresüberschusses.......................................................... a) Verluste in einzelnen Konzerngliedern........................................................................ b) Konzerninterne Zwischengewinne................................................................................ c) Gewinnausschüttungen von Tochtergesellschaften an die Obergeseilschaft.............................................................................................................. ................ 2. Die auf den Thesaurierungsspielraum der Verwaltung der Obergesellschaft anzurechnenden Beträge................................................................................... 3. Gewinnverwendungskompetenzen der Hauptversammlung der Obergesellschaft trotz Verlusten dieser Gesellschaft? ................................................................

232 233 233 23S 237 237 238

VI. Sanktionen bei Nichtbefolgung der gewonnenen Regel.................................................. 240 1. Nichtigkeit gem. § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG .......................................................................... 240 2. Anfechtungsldagen............................................................................................................... 243 3. Sonderprüfung...................................................................................................................... 245 4. Individualklagen................................................................................................................... 247 5. Anfechtung des Entlastungsbeschlusses? ........................................................................ 252 E. &:hIußbetrachtung ...................................................................................................................

255

I. Alternativen de lege ferenda.................................................................................................. 255 11. Die rechtspolitische Dimension des Untersuchungsgegenstandes.................................. 259 F. Zusammenfassung..................................................................................................................... 266 &:hrifttumsverzeichnis...............................................................................................................

269

Chronologische Zusammenstellung der wichtigsten erwähnten Gesetze, Verordnungen und Materialien mit Fundstellenachweis.....................................

291

A. Einleitung I. Der Problemzusammenhang

Mit dem Aktiengesetz 1%51 hat sich der Gesetzgeber der Bundesrepublik Deutschland erstmals nachhaltig dem Phänomen der verbundenen Unternehmen angenommen. Enthielt dessen Vorgänger, das Aktiengesetz 19372, nur vereinzelte Regelungen, die dem Sachverhalt "Konzern" Rechnung trugen3, so weist das AktG 1%5 mit den allgemeinen Vorschriften über verbundene Unternehmen in den §§ 15-19 und dem mit "verbundene Unternehmen" überschriebenen Dritten Buch Regelungen auf, die den Anspruch erheben, auf die rechtstatsächlich beobachteten Tendenzen zur Unternehmenskonzentration durch Unternehmensverbindungen durch Schaffung der "Grundzüge einer Konzernverfassung" umfassend zu reagieren4 . Daß mit diesen Vorschriften aber tatsächlich nicht mehr als Grundzüge gewonnen waren, zeigte sich in der Folgezeit in mehrfacher Hinsicht: einerseits sind die Begriffsbestimmungen der verschiedenen Arten verbundener Unternehmen in den §§ 15-18 AktG vom Wortlaut her rechtsformunabhängig konzipiert, sie bedienen sich des Begriffs "Unternehmen", während anderenfalls, wo das Gesetz ausschließlich Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien meint, der Begriff "Gesellschaft" Anwendung findet. Wurde anfangs gleichwohl angenommen, der eine Teil der Unternehmensverbindung müsse eine Aktiengesellschaft oder eine Kommanditgesellschaft auf Aktien sein, weil das Aktiengesetz nur für diese Unternehmensverbindung Rechtsfolgen vorseheS, so hat sich doch zunehmend die Erkenntnis durchgesetzt, zumindest diese Vorschriften stellten eine Art

1

2

BGBI I, S. 1089 ff. RGBI I, S. 107 ff.

3 Vid. etwa die §§ 15, 65 Abs. 5, 114 Abs. 6, 256 AktG 1937, daneben auch die §§ 101, 197 Abs. t: AktG 1937; zum Ganzen vgl. Emmerich/Sonnenschein, Konzemrecht, S. 21 ff.; Nörr, ZHR 150 (1986), 168 ff. 4 Vgl. die Begründung zum RegE, Vorbemerkung zum Dritten Buch, bei Kropf!, Aktiengesetz, S. 373 TC. 5 So noch Würdinger in Großkomm. zum AktG, § 15 Anm. 1; Geßler in Geßler/HefermehI/EckardtfKropff, AktG § 15 Rdnr. 7; vgI. aber schon [älter, AktIengesetz, § 15 Anm. 3 zum AktG 1937.

A. Einleitung

14

"Allgemeinen Teil" des Konzernrechts dar6, die - mindestens analog - auf Verbindungen aus Unternehmen beliebiger Rechtsform 7 angewandt werden müßten8. Dem stehen die Materialien nicht entgegen9, und auch die Rechtsprechung hat sich dem angeschlossen lO• Anderes gilt aber für die konzernrechtlichen Vorschriften des Dritten Buches des Aktiengesetzes. Dessen Vorschriften richten sich - entsprechend dem Regelungsgegenstand des Aktiengesetzes - nur an Aktiengesellschaften und Kommanditgesellschaften auf Aktien und zwar, je nach der konkreten Regelung, die einer erkannten, mit der Konzernierung einhergehenden Gefahr begegnen sollte, entweder in der Rolle der herrschenden (z.B. § 293 Abs. 2 AktG) oder der beherrschten Gesellschaft (z.B. § 293 Abs. 1, §§ 300-302 AktG). Entsprechende Regelungen für das Konzernrecht der GmbH wurden später zwar geplant11 , wurden aber nicht Gesetz l2 • Auch im Bereich der Personengesellschaften können konzernspezifische Interessengegensätze auftreten13, eine gesetzliche Regelung fehlt indes. Die höchstrichterliche Rechtsprechung hat gleichwohl aus dem Vorliegen von den §§ 15-18 AktG unterfallenden Sachverhalten Schlüsse auf konzernrechtliche Rechtsfolgen auch für Personengesellschaften14 und GmbHs 15 gezogen. Neben die Erkenntnis, daß konzernrechtlich zu bewältigende Sachverhalte auch außerhalb des Aktienrechts auftreten, tritt aber die weitere Feststellung, daß auch im Bereich des Aktienrechts mit Interessengegensätzen gerechnet werden muß, für die das Konzernrecht des Aktiengesetzes keine Lösung bereithält. Widmet sich das Dritte Buch des AktG nämlich vor6 So Schießt, Die beherrschte Personengesellschaft, S. 4. 7 Möglich selbst bei Körperschaften des öffentlichen Rechts: Für die Bundesrepublik Deutschland vgl. BGHZ 69, 334 ff. 8 Für originäre Anwendung Emmerich/Sonnenschein, Konzernrecht, S. 232; ebenso MonopoikommissIOn, Siebentes Hauptgutachten, Tz. 859. 9 V gI. die Begründung zum RegE des § 15 AktG bei Kropff, Aktiengesetz, S. 27; später ausdrückhch in diesem Sinne die Bege. zum RegE der 2. GWB-l'J'ovelle, BT-Drucksache VI/2520, S.26. 10 Vgl. nur BGHZ 80, 69, 72; 95, 330, 337 ff. 11 §§ 230-266 des Entwurfs der Bundesregierung eines neuen GmbH-Gesetzes von 1973, BT-Drucks. VI/3088, 7/253. 12 Dazu Assmann, JZ 1986, 882. 13 Dazu Baumgant, Die konzernbeherrschte Personengesellschaft, besonders S. 10 ff.; Schießt, Die beherrschte Personengesellschaft, bes. S. 5 Cf; Neuter, ZHR 146 (1982), 1 ff.; ders. Die AG 1986, 130 ff.; ferner Emmerich, FS Stimpel, S. 743 ff. 14 BGH LM Nr. 46 zu § 105 HGB; vgl. auch Reuter, Die AG 1986, 130 ff.

15

BGHZ 65, 15; 80, 69; 95, 330.

I. Der Problemzusammenhang

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dringlich dem Bestandsinteresse der abhängigen Gesellschaft, und schützen dessen Vorschriften damit dessen außenstehende Aktionäre und Gläubiger16, so vernachlässigt es damit, daß der Konzerntatbestand auch die Positionen der Aktionäre der Obergesellschaft nicht unberührt läßt17. Erwirbt eine Aktiengesellschaft Beteiligungen, die nicht reine Finanzanlagen sind, sondern dazu dienen, den Zweck des Unternehmens auch in dem erworbenen Unternehmen zu verfolgen, so bewirkt dies eine Zuständigkeitsverlagerung von der Hauptversammlung der Obergesellschaft zu deren Verwaltung18: Bezüglich der nun in der Tochtergesellschaft verfolgten Unternehmensaktivität werden Grundsatzentscheidungen, die in die Kompetenz der Anteilseigner fallen, von der Verwaltung der Obergesellschaft in Ausübung der Beteiligungsrechte an der Tochtergesellschaft getroffen. Deshalb sind erste Überlegungen schon zur Frage der Konzernbildungskontrolle durch die Anteilseigner der werdenden Muttergesellschaft angebracht 19. In diesen Kontext gehören etwa die Fragen des Bezugsrechtsausschlusses zum Nachteil der Aktionäre der werdenden Obergesellschaft, wenn der Erwerb einer Beteiligung mittels einer Kapitalerhöhung in der Obergesellschaft finanziert werden soll, und die jungen Aktien als Entgelt für die Beteiligung dienen sollen20 . Aber auch im bestehenden Konzern stellt sich die Frage der Organzuständigkeit für bestimmte Entscheidungen21 , die nach dem geltenden, vom Modell der unverbundenen Aktiengesellschaft ausgehenden Organisationsstatut des AktG 22 nach der Konzernierung der Zuständigkeit der Hauptversammlung der Obergesellschaft entzogen sind, in einem als einheitliche Aktiengesellschaft gedachten Unternehmen mit den Tochtergesellschaften als Betriebsabteilungen aber in ihre Zuständigkeit fallen würden. Die Diskussion nachhaltig angeregt hat in diesem Zusammenhang das sogenannte "Holzmüller"-Urteil des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofes

16 So die Begründung zum RegE, Vorbemerkung zum Dritten Buch bei Kropf[, Aktiengesetz, S. 373. 17 Dazu auch H.P. Westennann, FS Pleyer, S. 424; Lutter, ZGR 1987, 328 und 338; Wiede· mann, Die Unternehmensgruppe, S. 38 ff. 18 Dazu Lutter, FS H. Westennann, S. 347 ff. 19 Dazu vor allem Lutter, Die Rechte der Gesellschafter beim Abschluß fusionsähnlicher Unternehmensverbindungen, besonders S. 7 f.; Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, S. 47 ff. 20 Dazu BGHZ 71, 40 (Kali und Salz); 83, 319 (Ph. Holzmann); vgl. auch Timm, Die Aktiengesellschaft als Konzernspitze, S. 71 (f.; Hirte, Bezugsrechtsausschluß und Konzernbildung. 21 Dazu Schneider, BB 1981, 249 ff.; grundlegend auch Hommellwff, Die Konzernleitungspflicht. 22 So Lutter, FS H. Westennann, S. 349.

16

A. Einleitung

unter seinem damaligen Vorsitzenden Walter Stimpel aus dem Jahre 198223 , dessen Essenz, daß nämlich der Hauptversammlung der Obergesellschaft bestimmte ungeschriebene Mitwirku~befugnisse für Maßnahmen in der Tochtergesellschaft zustehen können ,vom Ergebnis her teils auf Ablehnun?, teils - abgesehen von Kritik an der Methode der Rechtsfortbildun~6 - auf Zustimmung gestoßen ist 27. Dem Gedanken, die Aktionäre der Obergesellschaft vor der mit der Konzernierung einhergehenden Gefahr der Aushöhlung ihrer Mitgliedschaftsrechte zu schützen, kommt auch insofern besonderes Gewicht zu, als der im Dritten Buch des AktG angelegte Schutz der Interessen von außenstehenden Aktionären der Tochtergesellschaft dann seine Relevanz verliert, wenn, was oft der Fall ist, die Tochtergesellschaft sich im Alleinbesitz der Mutter befindet28 . Die vorliegende Untersuchung befaßt sich mit einem speziellen Aspekt der Konzernierung von Aktiengesellschaften aus der Sicht der Aktionäre der Obergesellschaft: Es soll die Frage untersucht werden, welchem Organ im Aktienkonzern die Kompetenz zur Entscheidung über die Bildung von Gewinnrücklagen zusteht. 11. Der Untersuchungsgegenstand Die angesprochene Frage läßt sich wie fol, umreißen: Seit Inkrafttreten des AktG 1%5 bestimmt dessen § 58 Abs. 22 , daß Vorstand und Aufsichtsrat der Aktiengesellschaft bei der Feststellung des Jahresabschlusses30 höch23 BGHZ 83, 122 ff. 24 BGHZ 83, 122, 137 ff. 25 Wemer, ZHR 147 (1983), 433 ff.; Semler, BB 1983, 1573; MaTtens, ZHR 147 (1983), 404 ff.; Sünner, Die AG 1983, 170; Kropff, ZGR 1984,123; H.P. Westermann, ZGR 1984,371 ff.; Heinsius, ZGR 1984~ 395 ff.; Götz, DIe AG 1984, 92 ff.; Beusch, PS Wemer, S. 5 ff. (gegen ihn Hüffer, AcP 185, 376); Ebenroth, Die AG 1988, 1 ff.

26 Rehbinder, ZGR 1983, 98; MaTtens, ZHR 147 (1983), 383 ff.; Kropff, ZGR 1984, 123; H.P. Westermann, ZGR 1984, 363 ff. ff.

27 Grossfeld/Brondics, JZ 1982, 591; Rehbinder, ZGR 1983, 102; Lutter, PS Stimpel, S. 840

28 Lutter, PS Stimpel, S. 828; H.P. Westermann, PS Pleyer, S. 424; vgI. auch den Sachverhalt von BGHZ 83, 122, 124. 29 Vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte Kropf!, Aktiengesetz, S. 74 ff.; allgemein zu den das Gesetzgebungsverfahren bestimmenden Bestrebungen Maasch-Feisel, DIe Kompetenz zur Bildung von Aufsichtsratsausschüssen, S. 160 ff, zu § 38 AktG besonders S. 176 ff.

30 Die Pflicht zur Aufstellung des Jahresabschlusses ergibt sich seit Inkrafttreten des Bilanzrichtlinie-Gesetzes (v. 19.12.1985, BGBI I, S. 2355 ff.) am 1.1.1986 aus den §§ 242, 264 HGB; die Feststellung durch Billigung seitens des Aufsichtsrates ist gem. § 172 AktG die Regel, Feststellung durcli die Hauptversammlung dagegen die Ausnahme, vgI. § 173 AktG.

11. Der Untersuchungsgegenstand

17

stens die Hälfte des 1ahresüberschusses in andere Gewinnrücklagen31 einstellen können. Gegenüber dem Rechtszustand unter der Geltung des AktG 1937 wurde damit die Möglichkeit für Vorstand und Aufsichtsrat, nach ihrem alleinigen Ermessen Teile des lahresüberschusses in - seinerzeit noch sogenannte - freie Rücklagen einzustellen32, zu Gunsten einer Entscheidungskompetenz der Hauptversammlung über mindestens die Hälfte des lahresüberschusses eingeschränkt. Damit ist in der unverbundenen Aktiengesellschaft ein Kompromiß zum Ausgleich unterschiedlicher Interessen hergestellt: Erfordert es die finanzielle Lage der Aktiengesellschaft - etwa im Hinblick auf zukünftig vorzunehmende Investitionen - Mittel aus Eigenkapital33 vorzuhalten, so können Vorstand und Aufsichtsrat der Gesellschaft dem vorab bei Feststellung des lahresabschlusses bis zur Grenze des § 58 Abs. 2 AktG ohne Plazet der Hauptversammlung Rechnung tragen. Dem Interesse der Hauptversammlung als dem Aktionär-Organ an der Ermöglichung von Dividenden-Ausschüttungen wird durch die der Hauptversammlung zur Disposition belassene verbleibende Hälfte des lahresüberschusses Rechnung getragen34 . Dabei geht es allerdings vorerst nur um die Ennöglichung der Verteilung des Bilanzgewinnes als Dividende an die Aktionäre die Hauptversammlung kann auch eine andere Verwendung beschließen35 , etwa auf Vorschlag der Verwaltung weitere Beträge in Gewinnrücklagen einstellen, § 58 Abs. 3 AktG. Daß dieser Zuständigkeitsausgleich aus der Sicht der Aktionäre einer Aktiengesellschaft mit Tochteraktiengesellschaften nur formal, bezogen auf den lahresüberschuß der einzelnen Mutteraktiengesellschaft, erhalten 31 Durch diesen Bep-!ff ersetzt das Bilanzrichtlinie-Gesetz den früher verwendeten Begriff der "freien Rücklagen. Daneben war früher auch der Begriff "Offene Rücklagen" für solche Einstellungen von Gewinn in Rücklagen gebräuchlich, die die Hauptversammlung im Gewinnverwendungsbeschluß vornahm, vgl. § 51r Abs. 3 a.F. AktG. In der Bilanzgliederung war "offene Rücklagen" aber auch der 06erbegriff über alle Arten von Gewinnrücklagen, § 151 Abs. 1, Passivseite 11. Heute heißt der Obergriff "Gewinnrücklagen", § 266 Abs. 3 Lit. A III HGB und § 58 Abs. 3 n.F. AktG. Die Bezeichnung "andere" Gewinnrücklagen erklärt sich aus der Abgrenzung zu den übrigen Arten von Gewmnrücklagen, die in § 266 Abs. 3 Li!. A III HGB genannt sind. Vgl. zur Gesetzgebungsgeschichte der Vorschrift auch den Bericht der Abgeordneten Helmrich, Kleinert und Stiegler in BT-Drucks. 10/4268, S. 103 ff.; vgl. ferner zu Kapital- und Gewinnrücklagen Göllert/Ringling, Bilanzrichtlinien-Gesetz, S. 21. 32 Die unbeschränkte Möglichkeit ergab sich aus den §§ 125 Abs. 1, 131 Abs. 1 Li!. B 11. 2, Abs. 2 AktG 1937. 33 Zur begrifflichen Einordnung der Rücklage vgi. MelierOlllicz in Groß komm. zum AktG § 151Anm.97. 34 Barz in Groß komm. zum AktG § 58 Anm. 7; Hefermehl in Geßler/HefermehIjEckardt/Kropff, Aktiengesetz, § 58 Rdnr. 3; Lutter in Kölner Kommentar § 58 Rdnr. 16; vgI. auch die Begründung zum RegE und den Bericht des Rechtsausschusses bei Kropjf, Aktiengesetz, S. 74 ff. 35 Zu den einzelnen Möglichkeiten Lutter in Kölner Kommentar § 58 Rdnr. 34.

18

A. Einleitung

bleibt, inhaltlich aber eine Verschiebung der Kompetenzen in Richtung auf die Verwaltung (Vorstand und Aufsichtsrat) der Muttergesellschaft festzustellen ist, mag folgende Überlegung verdeutlichen: Verfolgt eine Aktiengesellschaft ihren Unternehmensgegenstand teilweise in einer Tochteraktiengesellschaft36, so führt die Regelung des § 58 Abs. 2 AktG - wenn sich alle Aktien der Tochtergesellschaft im Besitz der Muttergesellschaft befinden - zu folgender Konsequenz: Der durch die Aktivität der Tochtergesellschaft erwirtschaftete Jahresüberschuß kann von deren Vorstand und Aufsichtsrat zur Hälfte in andere Gewinnrücklagen eingestellt werden37 . Auf die Entscheidung hierüber hat die Verwaltung der Obergesellschaft kraft ausgeübter Konzernleitungsmacht Einfluß, im Vertragskonzero kann sie diesen durch Weisung gern. § 308 AktG geltend machen. Da die Verwaltung von Beteiligungen generell der Leitungsbefugnis bzw. pflicht38 des Vorstandes gern. § 76 Abs. 1 AktG unterfällt, kann dieser in Ausübung der Beteiligungsrechte über die verbleibende Hälfte des Jahresüberschusses vorbehaltlich etwaiger Bestimmungen eines Gewinnabführungsvertrages nach § 291 Abs. 1 AktG39 - in der Hauptversammlung der Tochtergesellschaft gern. den §§ 119 Abs. 2, 174 AktG beschließen. Bezüglich des an die Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinnanteils, der in das Jahresergebnis der Muttergesellschaft eingeht40, kann nun § 58 Abs. 2 AktG bei der Konzernmutter erneut angewendet werden. Von dem aus der Tochtergesellschaft beigetragenen Jahresüberschuß können Vorstand und Aufsichtsrat wiederum die Hälfte vorab in andere Gewinnrücklagen einstellen. Damit ergibt sich, daß es von der Organisationsstruktur des Unternehmens abhängt, welcher Teil des erwirtschafteten Ergebnisses den Aktionären der Muttergesellschaft zur Beschlußfassung verbleibt. In der Ein36 Die rechtstatsächlichen Erkenntnisse über den Konzernierungsgrad deutscher Aktiengesellschaften sind lückenhaft. EmmericlI/Sonnenschein nennen für das Jahr 1971 die Zahl von -'2l37 Beherrschungsverträgen (Konzern recht, S. 23 Fn. 63); die Erfassung von Konzernen, die auf rein faktischer Beherrschung beruhen, stößt auf praktische Schwierigkeiten. Immerhin nennen G(!/U/nIRiclller/Sleillmalln (Die Mitbestimmung 1982, 247) für den Bereich der mitbestimmten Aktiengesellschaften für das Jahr 1979 einen Konzernierungsgrad von 92,2 %; Ordelheide, BFuP 1986, 293 ff. kommt für das Jahr 1983 auf 75 % aller Aktiengesellschaften, die mehrheitlich an anderen Gesellschaften beteiligt und/oder an denen andere Gesellschaften mehrheitlich beteiligt sind. Das Grundkapital der In diesem Sinne konzernierten Gesellschaften beträgt nach dieser Untersuchung 93 % des Grundkapitals aller Aktiengesellschaften. 37 Wenn dies nicht durch einen Gewinnabführungsvertrag, der keine Bildung von Gewinnrücklagen in der Tochtergesellschaft gestattet, ausgeschlossen ist. Damit sei vorläufig aber die Frage dahinaestellt, ob mcht umgekehrt die Gestattung der Bildung von Gewinnrücklagen im Gewinnabfü'ftrungsvertrag die Beschränkung der VeJWaltung der Tochtergesellschaft nach § 58 Abs. 2 außer Kraft setzt, dazu unten Kap. D. IV. 2. a). 38 Eingehend dazu Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht passim, bes. S. 36 und 43 ff. 39 Dazu Geßler in GeßlerjHefermehljEckardtjKropff, Aktiengesetz, § 291 Rdnr. 73 ff.

40

§ 275 Abs. 2 Nr. 9 HGB bzw. Abs. 3 Nr. 8.

11. Der Untersuchungsgegenstand

19

heitsgesellschaft, deren Unternehmen sich in Betriebsabteilungen gliedert, gern. § 58 Abs. 2 AktG stets die Hälfte des Jahresüberschusses, im Unternehmen, das Aktivitäten auf rechtlich verselbständigte Tochtergesellschaften übertragen hat, gegebenenfalls weniger des (wirtschaftlichen) Gesamtergebnisses, und zwar tendenziell um so weniger, je tiefer der Konzern gegliedert ist, da sich der beschriebene Mechanismus ja auf jeder Konzernstufe wiederholt. Dies gilt im übrigen gleichermaßen im faktischen wie im Vertragskonzern, mit dem Unterschied, daß sich im faktischen Konzern die konzernleitende Einflußnahme des Vorstandes der Muttergesellschaft auf die Thesaurierungspolitik des Vorstandes der Tochter informell vollziehen muß, wohingegen andererseits in diesem Fall auch kein Gewinnabführungsvertrag weitere Rücklagenbildung durch die Hauptversammlung der Tochtergesellschaft beschränken kann. An dem Kompetenzverlust zu Lasten der Hauptversammlung der Obergesellschaft ändert auch nichts das Vorhandensein außenstehender Aktionäre in der Untergesellschaft, wenngleich sich dieser dann nur auf den auf die Beteiligungsquote der Obergesellschaft entfallenden Gewinnanteil bezieht. Schließlich tritt das gleiche Problem auch auf, wenn die Tochtergesellschaft keine Aktiengesellschaft ist, sondern eine andere Rechtsform aufweist, kann doch die - von der Verwaltung der Muttergesellschaft majorisierte - Gesellschafterversammlung etwa einer GmbH gern. § 29 Abs. 2 GmbHG Beträge des Ergebnisses in Gewinnrücklagen einstellen, soweit der Gesellschaftsvertrag dies gestattet. Die beschriebene Kompetenzverschiebung ist auch nicht nur von akademischem Interesse. Wie Linnhoff/Pe/lells empirisch nachgewiesen haben, führt in einer nicht zu vernachlässigenden Zahl von Fällen die Konzernorganisation tatsächlich zu geringeren Ausschüttungsquoten in Konzernobergesellschaften, als sie bei Betrachtung des gesamten Konzernergebnisses zu erwarten gewesen wären 41 . Dagegen stellt sich die Frage nach der Kompetenz zur Bildung von Gewinnrücklagen dort grundlegend anders, wo die Konzernobergesellschaft keine Aktiengesellschaft, sondern etwa eine GmbH oder Personengesellschaft ist. Wegen § 29 GmbHG bzw. den §§ 120-122 i.V.m. § 109 HGB und den §§ 167-169, 161 Abs. 2 LV.m. § 109 HGB sind hier breite Variationsmöglichkeiten durch Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag möglich42 . Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich deswegen auf die Situation, in der eine Aktiengesellschaft Konzernobergesellschaft ist. 41

ZtbF 1987, 987 ff., besonders 1000 Cf.

42 Dazu GOf!rdelf!r, WPg 1986, 229; zu Personengesellschaften auch Schneidf!r, FS Bärmann, S. 887 f. und ders., ZHR 143 (1979),514 f.

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A. Einleitung

III. Der bisherige Diskussionsstand Darüber, ob die beschriebene Verschiebung des Kompetenzgefüges hinsichtlich der Bildung von Gewinnrücklagen in einer Aktiengesellschaft, die Konzernobergesellschaft ist, de lege lata rechtens sei, ist in den letzten J ahren eine immer intensiver werdende kontroverse Diskussion geführt worden43 . Sie nahm ihren Ausgangspunkt von den Ausführungen Lutters innerhalb eines breit angelegten Aufsatzes "Zur Binnenstruktur des Konzerns,,44 aus dem Jahre 1974. Davon ausgehend, daß das AktG 1965 klare Regeln für die Berechnung des Jahresüberschusses, seine mögliche Minderung nach § 58 Abs. 2 und die Zuweisung des Bilanzgewinns in die Hoheit der Hauptversammlung treffe, kommt Lutter zu dem Schluß, es hieße das Gesetz mißzuverstehen, wenn man den Vorstand der Konzernobergesellschaft erlaube, diese Regeln durch Maßnahmen der Konzernorganisation zu unterlaufen. Zum zentralen Aufgaben- und Pflichtenkreis der Verwaltung gehöre es deshalb, die für die Einzelgesellschaft geltenden Regeln der Ergebnisverwendung für den Gesamtbereich der Gesellschaft und also auch für den Bereich der eigenen Konzernuntergesellschaften zu verwirklichen. Daraus folge, daß der Vorstand der Obergesellschaft - unter der Aufsicht seines Aufsichtsrates - verpflichtet sei, für eine volle Verlagerung des in Tochtergesellschaften erwirtschafteten - ggfs. anteiligen - Jahresüberschusses auf die Muttergesellschaft Sorge zu tragen45. Allerdings werde diese Pflicht durch Gegenkräfte aus dem eigenen Recht der Untergesellschaft und deren etwaigen Minderheitsgesellschaftern modifiziert: Gebe es auch kein eigenständiges Recht der Untergesellschaft als solcher, so seien doch die Interessen der an dieser Interessierten, wie etwaige Minderheitsgesellschafter, Gläubiger und Arbeitnehmer durch angemessene Rücklagenbildung zu berücksichtigen. In der Regel sei deren Interessen aber durch die gesetzlichen Vorschriften zur KapitalerhaItung, zur gesetzlichen Rücklage und zur Bewertung der Aktiva und Passiva Genüge getan. Sollte ausnahmsweise darüberhinaus die Bildung weiterer Gewinnrücklagen in Tochtergesellschaften angezeigt sein, setze das der Verwaltung der Obergesellschaft bei der Ausübung ihres Thesaurisierungsrechts aus § 58 Abs. 2 AktG Grenzen. Die danach vorgesehene Hälfte des Jahresüberschusses dürfe sie nicht ausschöpfen, vielmehr müsse sie dabei die Rücklagenbildung in Tochtergesellschaften angemessen berücksichtigen46 • Handele die Verwaltung der so beschriebenen Pflichtenlage zuwider, so berechtige dies zur 43 Einen Überblick bis zum Jahre 1986 findet sich u.a. bei Goerde/er, WPg 1986, 229 ff.

44 Festschrift für H. Westermann, S. 347 ff., 361; das Problem erkannt hatte allerdings schon Weber, JZ 1972, 487. 45 FS Westermann, S. 362. 46 Ebd. S. 363 f.

III. Der bisherige Diskussionsstand

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Versagung der Entlastung, in Ermangelung eines materiellen Schadens der Gesellschaft blieben aber die §§ 93, 116 AktG de facto unanwendbar47 . Lutter läßt an dieser Stelle die Frage offen, ob der schwache Sanktionenkatalog für die Lösung des konzerninternen Problems ausreichend sei, äußert aber die Vermutung, Vorstand und Aufsichtsrat würden sich nicht auf Dauer dem Vorwurf der Ptlichtwidrigkeit aussetzen wollen.

Lutters Thesen lassen sich mithin wie folgt zusammenfassen: (1) Grundsätzliches Gebot an Vorstand und Aufsichtsrat der Obergesellschaft, den auf die Mutergesellschaft entfallenden Jahresüberschuß der Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft abzuführen, wenn nicht Ausnahmesituationen Rücklagenbildung in der Tochter erfordert, (2) im letzteren Falle angemessene Berücksichtigung dieser Rücklagen durch Vorstand und Aufsichtsrat bei der Ausübung des Thesaurierungsrechts gern. § 58 Abs. 2 AktG in der Obergesellschaft, (3) bei Zuwiderhandlungen Möglichkeit der Versagung der Entlastung.

Lutters Thesen sind in der Folgezeit vorerst ohne durchgreifende Resonanz geblieben48, sieht man von der Befassung der im Jahre 1972 vom Bundesminister der Justiz einberufenen Unternehmensrechtskommission mit der Frage der Rücklagenbildung im Konzern ab, zu der im Abschlußbericht uneinheitIich - und überwiegend de lege ferenda - Stellung genommen wird49 . Es wurde die Meinung vertreten, der nach geltendem Recht möglichen Thesaurierung erheblicher Teile des lahresberschusses in Untergesellschaften gelte es mit einer Gesetzesänderung dahingehend zu begegnen, daß § 58 Abs. 2 und 3 AktG für die Untergesellschaft eines Vertragskonzerns "nicht gelte", im faktischen Konzern jedenfalls eine weitere Rücklagenbildung gern. § 58 Abs. 3 AktG durch die faktisch beherrschte Hauptversammlung der Tochtergesellschaft ausgeschlossen sei50 . Was § 58 Abs. 2 AktG anbelangt, so erschließt sich der materielle Gehalt des Vorschlags der Unternehmensrechtskommission heute unter Geltung des Bilanzrichtlinie-Gesetzes nicht mehr so leicht wie unter dem Aktiengesetz alter Fassung. Nach diesem hätte die "Nichtgeltung" des § 58 Abs. 2 in der Tochtergesellschaft bedeutet, daß bei der Aufstellung deren Bilanz von Vorstand und Aufsichtsrat im Rahmen der Vorschrift des § 151 Abs. 4 AktG a.F. Einstellungen in offene Rücklagen aufgrund von § 58 Abs. 2 nicht 47 Ebd. S. 364. 48 So Lutter selbst in PS Goerdeler, S. 329. 49 Bericht über die Verhandlungen der Vntemehmensrechtskommission, Tz. 1282-89. 50 Ebd. Tz. 1283; dazu auch V.H. Schneider, BB 1981, 249, 253.

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A. Einleitung

vorgenommen werden könnten. Also hätte die Hauptversammlung der Tochtergesellschaft zu entscheiden, die aber keine weiteren Rücklagen aufgrund des § 58 Abs. 3 bilden dürfte. Das läuft auf den Vorschlag Lutters hinaus, den Gewinn der Tochter auf die Mutter zu verlagern, die gern. § 58 Abs. 4 einen Anspruch auf Ausschüttung hätte. Nach dem Inkrafttreten des Bilanzrichtlinie-Gesetzes hat der Vorschlag der Unternehmensrechtskommission noch den gleichen Gehalt, rein rechtstechnisch erschließt sich seine Funktion nun aber aus verstreuten Vorschriften: Nach den Bilanzierungsvorschriften für alle Kapitalgesellschaften kann die Bilanz auch unter Berücksichtigung der vollständigen oder teilweisen Verwendung des Jahresergebnisses aufgestellt werden, § 268 Abs. 1 HGB. Man muß gedanklich hinzufügen: Wenn die speziellen Vorschriften über die einzelnen Gesellschaftsformen das gestatten oder vorschreiben. Das tut für die Aktiengesellschaft § 158 Abs. 1 AktG n.F., der aber seinerseits nur zum Zuge kommt, wenn der Verwaltung ein Recht zur Entscheidung über die teilweise Gewinnverwendung zukommt, etwa nach § 58 Abs. 2 AktG. Wird davon Gebrauch gemacht, gilt wiederum § 275 Abs. 4 HGB, der angibt, wie sich ein solcher Gewinnverwendungsbeschluß des Vorstandes in der Gewinn- und Verlust rechnung wiederzuspiegeln hat. Ins Gespräch gebracht wurde auch der Vorschlag, den Beteiligungsbesitz in der Bilanz der Obergesellschaft nach der Equity-Methode zu bewerten, nach der die Beteiligungen mit den Anschaffungskosten zuzüglich der anteiligen Gewinne der Gesellschaft, an der die Beteiligung besteht, und abzüglich der Verluste und Gewinnausschüttungen angesetzt werden51 . Angesichts der Bewerungsvorschrift des § 253 Abs. 1 HGB (vgl. auch § 153 Abs. 1 AktG a.F.) und des Ausnahmecharakters von Wertaufholungen (§ 280 Abs. 1 HGB) würde die Verwirklichung dieses Vorschlags aber ein tiefgreifendes Umdenken hinsichtlich durch lange Tradition gefestigter Prinzipien des Bilanzrechts erfordern. Der Vorschlag ist deswegen einstweilen solitär geblieben. Als Alternative zu einer Geltungsbeschränkung des § 58 Abs. 2 und 3 AktG wurde auch erwogen, den Aktionären der Obergesellschaft in analoger Anwendung von § 254 AktG ein Anfechtungsrecht für den Fall einzuräumen, daß aufgrund von Gewinnthesaurierungen in Tochtergesellschaften an die Aktionäre nicht die Mindestdividende von 4 v.R ausgeschüttet werden kann52 . Ferner wurde darauf hingewiesen, daß die Aus51 Ebd. Tz. 1284; zur ~uity-Methode vgl. auch Jonas, BFuP 1981,550 BB 1982, 2150 ce.; Küting/Zlindor[, BB 1986lkilage 7. 52 Bericht der Untemehmensrechtskommission, Tz. 1287.

ce.; Harms/Küting,

III. Der bisherige Diskussionsstand

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übung des Stimmrechts in der Hauptversammlung der Tochtergesellschaft durch den Vorstand der Muttergesellschaft oder seine Beauftragten, soweit es um die Entscheidung über die Verwendung des Jahresüberschusses geht, möglicherweise als ein Geschäft i.S.d. § 111 Abs. 4 AktG anzusehen sein könnte, zu dem damit die Zustimmung des Aufsichtsrats der Muttergesellschaft erforderlich sei53 . Da § 111 Abs. 4 AktG voraussetzt, daß der Aufsichtsrat die Initiative dazu ergreift, ein Geschäft von seiner Zustimmung abhängig zu machen - zumindest solange nicht die Satzung das Zustimmungserfordernis normiert54 -, würde die Begründung eines obligatorischen Zustimmungserfordernisses aus § 111 Abs. 4 AktG mindestens eine Anlogie zu den Vorschriften erfordern, die zwingende Aufsichtsratsmitwirkungen vorschreiben, wie etwa die §§ 59 Abs. 3 (Zustimmung zur Zahlung eines Dividendenabschlags), 84 (Bestellung und Abberufung des Vorstandes), 88 Abs. 1 (Befreiung von Vorstandsmitgliedern vom Wettbewerbsverbot), 111 Abs. 3 (Einberufung der Hauptversammlung zum Wohle der Gesellschaft), 114 Abs. 1 (Zustimmung zu Verträgen von Aufsichtsratsmitgliedern mit der Gesellschaft), 115 (Kreditgewährung an Aufsichtsratsmitglieder), 171 Abs. 1 (Prüfung des Jahresabschlusses), 314 AktG (Prüfung des Abhängigkeitsberichts), oder § 15 MitbestErgG. Auch wenn eine solche Analogie zu begründen wäre, ließe sie doch die Kompetenzverteilung zwischen Verwaltung und Hauptversammlung der Muttergesellschaft unberührt. Zusammenfassend läßt sich damit sagen, daß dem Bericht der Unternehmenskommission als Lösungsvorschlag zur Regelung der Kompetenz zur Rücklagenbildung in Tochterunternehmen auf der Basis des geltenden Rechts nur das erweiterte Anfechtungsrecht analog zu § 254 AktG zu entnehmen ist. Angesprochen wird das Problem der Rücklagenbildung in Tochterunternehmen sodann von Rehbillde?5, der es zutreffend im Spannungsfeld zwischen Konzernleitung durch die Verwaltung der Muttergesellschaft und den Rechten der Aktionäre ansiedelt, ohne aber vertieft auf Lösungsvorschläge einzugehen. Einen wesentlichen Impuls erhielt die Diskussion dann durch das sogenannte "Holzmüller-Urteil" des 11. Zivilsenats des BGH56 , das das Pro-

53 Ebd. Tz. 1288. 54 Vgl. Geßler in GeßlerjHefermehljEckardtjKropff, Aktiengesetz § 111 Rdnr. 62 ff.

55 Festschrift Coing, Bd. 11, S. 423, 438. 56 BGHZ 83, 122 ff.

A. Einleitung

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blem zwar nur in einem Nebensatz erwähnr57, dafür aber durch seine Tendenz, die Rechte der Hauptversammlung der Mutter~esellschaft in Bezug auf Maßnahmen in Tochtergesellschaften zu stärken 8, den Autoren, die sich in der Folgezeit der Frage der Rücklagenbildung im Konzern widmeten, Unterstützung für solche Thesen bot, die eine Ausweitung der Rechte der Hauptversammlung der Muttergesellschaft fordern. Der BGH hatte nämlich ausgesprochen, bei bestimmten schwerwiegenden Eingriffen in die Rechte und Interessen der Aktionäre durch Geschäftsführungsmaßnahmen, speziell, wenn sie Tochtergesellschaften beträfen, könnte der Vorstand nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet sein, gern. § 119 Abs. 2 AktG eine Entscheidung der Hauptversammlung herbeizuführen59 . Soweit ersichtlich, haben zuerst Hefennehl/Bungeroth die vom BGH entwickelten Gedanken in Zusammenhang mit der Frage der Rücklagenbildung im Konzern gebracht6O • Sie bezweifeln, daß durch die Gewährung eines erweiterten Anfechtungsrechts analog § 254 AktG dem KontrolldefIzit der Hauptversammlung der Muttergesellschaft bezüglich der Verwendung des im Konzern erwirtschafteten Jahresüberschusses wirksam begegnet werden könnte und sprechen sich im Anschluß an Lutter für eine Anknüpfung an die Pflichten der Verwaltung gegenüber den Aktionären aus, woraus sich eine Einschränkung der Befugnis der Verwaltung zur Rücklagenbildung gern. § 58 AktG in den Tochterunternehmen ergeben könnte. Sie weisen überdies darauf hin, daß sich das Problem verschärft dort stellt, wo an der Spitze eines Konzerns eine reine Holding-Aktiengesellschaft steht, aus deren eigener Geschäftstätigkeit Jahresüberschüsse nicht erwirtschaftet werden. Ebenfalls dem Grundgedanken Lutters zustimmend, aber in einer deutlichen Abkehr von dessen Lösungsansatz behandelt sodann Götz die Frage der Rücklagenbildung im Konzern61 . Erstmals wird nicht in Zweifel gezogen, daß § 58 Abs. 2 und 3 AktG auch in Tochtergesellschaften angewendet werden kann, so daß es der Konzernleitung unbenommen bleibt, ihren Einfluß dahingehend geltend zu machen, daß entsprechend geschäftspolitischer Zweckmäßigkeit Gewinnrücklagen in Tochterunternehmen gebildet werden. 57 Ebd. S. 136 f. 58 Dies hat eine lebhafte Diskussion ausgelöst. Vgl. dazu neben den oben Pn. 25-27 Genannten: Timm, Die AG 1980, 172 Cf. (zur Erstinstanz: LG Hamburg vom 1.10.1979, Die AG 1980, 199) und Rehbinder, PS Coing 11, S. 423 ff. (zur Vorinstanz: OLG Hamburg vom 5.9.1980, 1Z 1981, 231). 59 So sinngemäß Leitsatz a) BGHZ 83, 122.

60 In Geßler/HeferrnehI/Eckardt/Kropff, Aktiengesetz, 7. Lieferung 1983, § 58 Rdn. 8. 61 Die AG 1984, 85, 93 ff.

III. Der bisherige Diskussionsstand

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Zum Ausgleich soll aber § 58 Abs. 2 AktG in der Muttergesellschaft so angewendet werden, daß den Aktionären dieser Gesellschaft mindestens 50 v.H. des gesamten im Konzern erwirtschafteten Gewinns - nach Abzug der auf Fremdgesellschafter entfallenen Gewinnanteile - zur Beschlußfassung verbleibt. Dazu seien zur Ermittlung des Gesamtgewinns der J ahresüberschuß der Obergesellschaft und diejenigen Gewinne von Konzernuntergesellschaften, die in Rücklagen eingestellt oder als Gewinn vorgetragen wurden, zusammenzurechnen, eine Verrechnung mit Verlusten anderer Konzerngesellschaften solle nicht erfolgen. Auf die der Verwaltung der Obergesellschaft zur Disposition überlassene Hälfte des Jahresüberschusses der Muttergesellschaft seien die in Tochtergesellschaften gebildeten Rücklagen zur Hälfte anzurechnen, wodurch sich dieser Teil des Jahresüberschusses entsprechend vermindere. Werde gegen diesen Grundsatz verstoßen, führe das zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses gern. § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG. Für den Sonderfall, daß der bei der Konzernmutter ausgewiesene Jahresüberschuß wegen hoher Rücklagenbildung in Tochterunternehmen nicht 50 v.H. des Gesamtgewinns aller Konzerngesellschaften erreicht, schlägt Göfz die Bestellung von Sonderprüfern analog den §§ 258 ff. AktG vor, da auch hier, wie bei der unzulässigen Unterbewertung, eine Schmälerung des Gewinndispositionsrechts der Hauptversammlung vorliege62 . Zum Vergleich mit den Thesen Lutters vertritt Götz damit einen für die Möglichkeit der Bildung von Gewinnrücklagen in Tochtergesellschaften elastischeren, hinsichtlich der Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das von ihm entwickelte Konzept aber rigideren Standpunkt. Den Thesen von Göfz hat Wemer widersprochen63• Er kritisiert die Verwendung des Begriffs "Konzerngesamtgewinn", da dieser im geltenden Recht unbekannt und die Bestimmung seiner Größe also zusätzlichen und nur schwer tragbaren Bilanzierungsaufwand erfordere64 . Die von Göfz geforderte Nichtsaldierung von Verlusten aus Konzernunternehmen mit Gewinnen aus anderen Konzernunternehmen stelle die Aktionäre einer Konzernmutter hinsichtlich ihrer Gewinnverwendungskompetenz besser als die Aktionäre einer Einheitsgesellschaft, da dort Verluste aus Betriebsabteilungen ergebnismindernd wirkten65 • Insgesamt bestreitet Wemer das Vorliegen einer auszufüllenden Regelungslücke mit Argumenten der grammatischen und systematischen Interpretation, wobei letztere im wesentlichen auf der Feststellung fußt, daß die konzernrechtlichen Regelungen der 62 Ebd. S. 94. 63 In Festschrift für Walter Stimpel, 1985, S. 935 ff. 64 Ebd. S. 939. 65 Ebd. S. 940.

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A. Einleitung

§§ 300 ff. AktG die Bildu~ von Gewinnrücklagen in Tochterunternehmen gerade begünstigen sollten , ein Argument, das eher die Thesen Lutters als die Gölz's angreift. Die Interessen der Aktionäre der Konzernmutter hält Werner auch in der Praxis für nicht gefährdet67, ein erweitertes Anfechtungsrecht in analoger Anwendung von § 254 AktG für nicht begründbar, einen den Notwendigkeiten der Geschäftspolitik entsprechenden Thesaurierungsspielraum für die Verwaltung aller· Konzerngesellschaften dagegen im Interesse der Leistungsfähigkeit der Unternehmen für notwendig68 . Werner sieht damit für eine Auslegung des § 58 AktG im Sinne von Lutter und Gölz weder Raum noch Bedürfnis.

Konkrete Folgerungen aus dem "Holzmüller"-Urteil des BGH für die Frage der Rücklagenbildung im Konzern zieht Geßler69 • Nachdem er gegen Stimmen70 Stellung genommen hat71, die sich dafür aussprachen, daß die Beschränkung des § 58 Abs. 2 AktG in solchen Tochtergesellschaften nicht gelte, die der Muttergesellschaft durch einen Gewinnabführun~vertrag mit vorgesehener Möglichkeit der Rücklagenbildung verbunden sind72, dort also die Verwaltung der Tochtergesellschaft ein unbeschränktes Thesaurierungsrecht habe, geht Geßler auf der Grundlage anzunehmender ungeschriebener Mitwirkungsbefugnisse der Hauptversammlung der Muttergesellschaft für Maßnahmen in der Tochter einen Schritt weiter: Wollte die Verwaltung der Obergesellschaft, die de facto die Funktionen der Hauptversammlung in der Untergesellschaft wahrnehme, nach der Thesaurierung von Teilen des Jahresüberschusses nach § 58 Abs. 2 AktG weitere Beträge nach § 58 Abs. 3 AktG in Gewinnrücklagen einstellen, so bedürfte es dazu - den Gedanken des "Holzmüller"-Urteils des BGH folgend - zusätzlich eines Beschlusses der Hauptversammlung der Obergesellschaft, da durch solche Thesaurierungen in der Tochtergesellschaft in die Rechte der Hauptversammlung der Muttergesellschaft nachhaltig eingegriffen werde73 • Darüber hinaus folgt Geßler im Grundsatz den Thesen von Götz, was die Anwendung von § 58 Abs. 2 AktG in der Obergesellschaft betrifft: Es sei sicherzustellen, 66 Ebd. S. 942 ff. 67 Ebd. S. 946 Cf. 68 Ebd. S. 949 f., 952.

69 In PS für Heinz Meilicke, 19&5, S. 18 ff. 70 Vgl. etwa Adler/Düring/Schmalz, 4. Aufl. § 150 Rdn. 101. 71 PS Meilicke, S. 20 f.

72 Man verwechsle diese Ansicht nicht mit dem oben referierten Vorschlag der Untemehmensrechtskommission, die auch von einer "Nichtanwendung" von § 58 Abs. 2 AktG in der Konzerntochter sprach, aber im Gegenteil eine Beschränkung der Thesaurierungsmöglichkeit für deren Verwaltung anstrebte!

73 PS Meilicke, S. 26.

111. Der bisherige Diskussionsstand

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daß deren Hauptversammlung über die Verwendung mindestens der Hälfte des gesamten im Konzern erwirtschafteten Gewinns entscheiden könne. Dazu seien die um Verlustvorträge und Einstellungen in gesetzliche Rücklagen bereinigten Jahresberschüsse aller Konzerngesellschaften zusammenzurechnen. Auf die von der Verwaltung der Obergesellschaft noch in Gewinnrücklagen nach § 58 Abs. 2 AktG stellbaren Beträge seien die in Tochtergesellschaften schon in Rücklage gestellten voll anzurechnen74, so daß insgesamt nur die Hälfte des Gesamtkonzernjahresüberschusses zur Disposition der Verwaltung stehe. Zusammengefaßt ergibt der Beitrag Geßlers also eine neue These und die Bekräftigung einer bereits von Götz aufgestellten unter Modiflzierung des Anrechnungsmodus: (1) Notwendigkeit der Zustimmung der Hauptversammlung der Obergesellschaft zur Rücklagenbildung in der Tochter nach § 58 Abs. 3 AktG,

(2) volle Anrechnung der in Tochtergesellschaften schon thesaurierten Beträge auf die von der Verwaltung in der Obergesellschaft noch nach § 58 Abs. 2 AktG thesaurierbaren.

Auf gr:undsätzliche Ablehnung stoßen die Thesen von Götz und Geßler bei

Thomas 75, der alle rechtlichen Überlegungen, die Fragen der Selbstfinanzie-

rung deutscher Aktiengesellschaften berühren, vor dem Hintergrund der rückläuf~en Eigenkapitalausstattung deutscher Unternehmen gesehen wissen will7 • Indem er eine Verlagerung von Thesaurierungskompetenzen auf die Hauptversammlung mit einem Ausschüttungszwang gleichsetzt77 und Götz die These unterstellt, er habe sich gegen Thesaurierungskompetenzen der Verwaltu~ in Tochterunternehmen ausgesprochen78, kann er der "neuen Lehre" das "möglichst reibungslose ... Funktionieren des Rechtsstatus der Großunternehmen", an dem "ein vordringliches Allgemeininteresse" bestehe, gegenüberstellen80 und auf dieser Basis eine Entscheidungszuständigkeit der Hauptversammlung der Konzernmutter für Gewinnthesaurierungen in Tochterunternehmen - wie sie Geßler in seiner These (1) gefordert hatte - verneinen. Ebenso bestreitet 17lOmas eine Diskrepanz zwischen den in der bisherigen Diskussion hervorgehobenen Re74 Ebd. S. 28. 75 ZGR 3/1985, 365 ff. 76 Ebd. S. 367; vgI. dagegen zu Fragen der Eigenkapitalausstattung aber D. Schneider, OB 1986,2293 ff.

n ZGR 3/1985,369 f., insbes. 370,2. Abs. und 378.

78 Ebd. S. 372 oben; Götz hatte das Gegenteil vertreten: Die AG 1984,93 rechte Spalte; das hebt zu Recht Geßler, Die AG 1985, 261 hervor.

79 ZGR 3/1985, 373. 80 Ebd. S. 374 mit Berufung auf H.P. Westermann, ZGR 3/1984, 352 ff., 353.

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A. Einleitung

gelungszielen des § 58 Abs. 2 AktG speziell gegenüber dem Rechtszustand unter dem AktG 1937 und den Folgen einer Anwendung der Vorschrift ohne Rücksicht auf die Konzernsituation und damit eine zu schließende Lücke des AktG81, für welche Ansicht er auch eine Passage des "Holzmüller"-Urteils in Anspruch nimmt82 . Dagegen zeigt er an mehreren "kritischen Beispielsfällen,,83 die gravierenden Schwierigkeiten auf, die der Praxis bei Anwendung der Thesen von Gölz und Geßler erwüchsen. Zur Kritik von Thomas hat sich Geßler noch einmal zu Wort gemeldet84 . Er führt Gründe gegen die Ansicht an, die von ihm vertretenen Thesen führten in bestimmten von Thomas aufgezählten Beispielsfällen zu unerträglichen Ergebnissen85 . Im übrigen verteidigt er seine Thesen gegen die Kritik von Thomas 86 unter Hinweis auf das Vorliegen einer verdeckten Regelungslücke des AktG 1965 und erklärt die zwischen seiner und Gölz's Ansicht bestehende Diskrepanz der hälftigen87 oder vollen88 Anrechnung der in Tochtergesellschaften thesaurierten Beträge auf die von der Verwaltung der Obergesellschaft hier noch nach § 58 Abs. 2 AktG thesaurierbaren Beträge durch einen Unterschied in der Berechnungsweise, der keinen Unterschied in der Sache beinhalte89 . Er hebt hervor, daß eine so modifizierte Anwendung von § 58 Abs. 2 AktG in der Obergesellschaft nur im Vertragskonzern, nicht jedoch im faktischen Konzern gelte9O . Inwiefern seine Thesen auch im Falle einer bloßen Mehrheitsbeteiligung der Obergesellschaft anwendbar seien, läßt er offen91 . Als nächster wendet sich Goerdeler dem Fragenkreis zu92. Er hält § 58 Abs. 2 AktG in konzernvertragsgebundenen Tochtergesellschaften unter Hinweis auf Werner93 für unanwendbar, so daß dort Rücklagen ohne Betei81 ZGR 3/1985,377 ff. 82 Ebd. S. 373/374. Dies geschieht 1985,258 Fn. 16. 83 ZGR 3/1985, 380 ff. 84 Die AG 1985, 257 ff. 85 Ebd. S. 262 f. 86 Ebd. S. 259 ff. 87 So Götz, Die AG 1984, 93. 88 So Geßler, FS Meilicke, S. 28. 89 Ders., Die AG 1985, 261 Fn. 52. 90 Ebd. S. 261. 91 Ebd. S. 261 Fn. 49. 92 WPg 1986, 229 ff. 93 Siehe oben in diesem Kapitel.

zu Unrecht, vgl. BGHZ

83, 139

und Geßler, Die AG

III. Der bisherige Diskussionsstand

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ligung der Hauptversammlung der Tochtergesellschaft in dem Umfang gebildet werden könnten, den der Unternehmensvertrag zulasse94 . Für eine erweiterte Kompetenz der Hauptversammlung der Obergesellschaft für Thesaurierungsentscheidungen in Tochtergesellschaften wie auch in der Obergesellschaft sieht er kein Bedürfnis, da der Ermessensspielraum der Konzernverwaltung ohnehin durch Sachzwänge - insbesondere auch bei internationalen Konzernverflechtun~n95 - eingeengt sei, mithin ein Mißbrauch kaum zu befürchten sei . Insbesondere verbiete sich im faktischen Konzern eine Anrechnung von in Tochtergesellschaften thesaurierten Beträgen auf die nach § 58 Abs. 2 AktG in der Obergesellschaft noch thesaurierbaren, da die Konzernleitung in Vermeidung einer Nachteilszufügung zur Rücklagenbildung in der Tochter gezwungen sein könnte. Den Handlungsspielraum der Verwaltung in der Obergesellschaft dann einzuengen sei "rechtlich und wirtschaftlich falsch,m. Damit sei die Annahme einer Nichtigkeit des Jahresabschlusses der Obergesellschaft gern. § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG bei Verstoß gegen ein eingeschränktes Thesaurierungsrecht nicht angemessen und nicht zumutbar. Im Rahmen einer Untersuchung von Grundfragen der Rechtsfortbildung im Aktienkonzernrecht wird die Frage der Rücklagenbildung auch von H.P. Westenna1l11 behandelt 98 . Für ihn ist eine Lücke im Gefüge des Aktienkonzernrechts, die eine Rechtsfortbildung im Sinne einer eingeschränkten Anwendung des § 58 Abs. 2 AktG in der Obergesellschaft nahelegen würde, nicht ersichtlich99 • Er folgt insoweit den systematischen Überlegungen Werners, die zu dem Ergebnis kamen, daß der Gesetzgeber die Bildung von Rücklagen in Konzerntöchtern sogar begünstigen wollte 1OO und schließt daraus - das Argument Wemers verstärkend - daß dieser Intention jede Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG zuwiderlaufen müßte, die auch nur tendenziell die Verwaltung in der Obergesellschaft veranlassen könnte, Gewinne in der Obergesellschaft zu konzentrieren 101. Gegen erweiterte Zuständigkeiten der Hauptversammlung der Obergesellschaft sprächen auch Argumente der mangelnden Praktikabilität.

94 WPg 1986, 234.

95 Ebd. S. 232 f. 96 Ebd. S. 235 ff.; vgl. aber zum letzten Argument Geßkr, Die AG 1985,261. 97 WPg, 1986,236. 98 Festschrift für Klemens Pleyer, 1986, S. 421 ff., 437 ff. 99 Ebd. S. 442. 100 H.P. Westennann, FS Pleyer, S. 441. 101 Ebd. S. 442.

A. Einleitung

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In der Festschrift zum 65. Geburtstag von Reinhard Goerdeierl02 finden sich zwei - im Ergebnis einander ent~e~engesetzte - Stellungnahmen zum Thema. Die erste stammt von Beusch 0 . Beusch hält die Frage einer Beschneidung der Verwaltungskompetenz bezüglich der Rücklagenbildung für wenig praxisrelevant, da in der Vergangenheit die Ausschüttungsquoten durchschnittlich fast immer über der Hälfte des Konzernergebnisses gelegen hätten lO4 • Die Heranziehung der Summe der Einzelergebnisse der Konzerngesellschaften für die Bestimmung des Rahmens der Thesaurierungskompetenz der Verwaltung hält er für undurchführbar da diese nicht identisch mit einem konsolidierten Konzernergebnis sei105. Insbesondere ergäben sich aber auch beim Vorhandensein ausländischer Tochterunternehmen Diskrepanzen, weil etwa ausländische Bilanzierungsvorschriften von den deutschen abwichen lO6 und in manchen Fällen ein Gewinntransfer an die deutsche Mutterunternehmung durch Rechtsvorschriften ausgeschlossen sei, so daß die deswegen zwangsweise thesaurierten Gewinne auch nicht auf die nach § 58 Abs. 2 AktG bei der Obergesellschaft thesaurierten angerechnet werden könnten 107. Im übrigen gelte es, die Wettbewerbssituation deutscher Unternehmen im Auge zu behalten, die speziell gegenüber US-amerikanischen und japanischen Unternehmen nicht dadurch verschlechtert werden dürfe, daß die deutsche Thesaurierungspraxis gegenüber der insofern sehr weitgehenden dieser Unternehmen erschwert werde; zu Beanstandungen seitens der Aktionäre führe die Thesaurierungspraxis in den USA und Japan nicht 108. Für die dänische und schwedische Rechtsordnung zeigt Beusch, daß dort die Tendenz eher zu konzernrechtlichen Ausschüttungssperren geht lO9 . Auch eine alle seine Bedenken berücksichtigende 110 einschränkende Anwendung von § 58 Abs. 2 AktG in der Obergesellschaft hält er in der praktischen Anwendung für zu umständlich l11 . Als de lege ferenda anzustrebende Regelung empfiehlt Beusch dagegen die Aufgabe der seiner Ansicht nach zu schematischen 50:50-Teilung in § 58 Abs. 2 AktG und statt dessen die Einführung einer flexibleren Ermessensvorschrift, da sich nach Inkrafttreten des Bilanzrichtliniegesetzes mit seiner weiteren Einschränkung 102 Düsseldorf 1987. 103 Ebd. S. 25 ff. 104 Ebd. S. 29 und 36. 105 Ebd. S. 34. 106 Ebd. S. 34. 107 Ebd. S. 35 und 39.

108 Ebd. S. 37. 109 Ebd. S. 39. 110 Mit Bezug auf Lutter, FS Goerdeler, S. 327 ff.

111

Ebd. S. 41/42 und 43.

111. Der bisherige Diskussionsstand

31

stiller Rücklagen für alle Kapitalgesellschaften 112 der Thesaurierungsbedarf in Konzernobergesellschaften erhöhen werde 113. Der zweite Beitrag in der genannten Festschrift stammt von Lutter114 • Lutter hebt hervor, daß das AktG 1%5 im Vergleich mit dem AktG 1937 das Gewicht der Hauptversammlung vor allem durch Einräumung der Kompetenz zur Entscheidung über die Verwendung wenigstens der Hälfte des J ahresüberschusses stärken wollte 115 . Die so verstandene Funktion des § 58 Abs. 2 AktG zwinge dazu, bei seiner Anwendung eine etwa betehende Konzernlage zu berücksichtigen116 . Dabei gehe es in erster Linie um die Sicherung des Mitspracherechts der Hauptversammlung, nicht um die Erzwingung einer bestimmten Ausschüttungsquote 117. Wie schon früher 118 plädiert Lutter auch in diesem Beitrag dafür, eine Feststellung des Jahresabschlusses durch Vorstand und Aufsichtsrat ohne Berücksichtigung der in Tochterunternehmen gebildeten Rücklagen als Verstoß gegen deren Pflichten zur Geschäftsführung bzw. Überwachung anzusehen, ohne aber bei einem Verstoß gegen diese so verstandene Pflicht die - von ihm als unangemessen bezeichnete - Nichtigkeit des Jahresabschlusses gern. § 256 Abs. 1 Nr. 4 AktG anzunehmen 119. Allerdings legt Lutter seinem "Pflichtmodell" nun auch eine konkrete Anrechnung von in Tochtergesellschaften thesaurierten Gewinnen zugrunde 120, will aber Zwischenrcwinne und im Ausland zwangsthesaurierte Beträge außer acht lassen 12 . Bei Verstoß gegen die so verstandene Vorschrift des § 58 Abs. 2 AktG nimmt Lutter das Eingreifen der §§ 258 ff. AktG über die Sonderprüfung an122 , Der Überblick über den bisherigen Diskussionsstand zeigt damit, daß zur Bewältigung des eingangs skizzierten Problemkreises der Bildung von Gewinnrücklagen im Aktienkonzern folgende Fragen untcrsucht worden sind

112 Vgl. § 279 Abs. 1 S. 1 HGB, dazu Göllert/Ringling, S. 15. 113 FS Goerdeler, S. 43. 114 S. 329 CC. 115 Ebd. S. 329-331. 116 Ebd. S. 335 CC. 117 Ebd. S. 337. 118 Siehe oben zu ders., FS Westennann. 119 FS Goerdeler, S. 338 C. 120 Ebd. S. 340 Cf. 121 Ebd. S. 341 CC. 122 Ebd. S. 345; vgl. jetzt auch Lutter in Kölner Komm. zum AktG, 2. Aufl., § 58 Rdn. 38 Cf. im selben Sinne; kritisch dazu wiederum Wemer, Die AG 1990, 1,9 Cf.

32

A. Einleitung

und angesichts ihrer divergierenden Beantwortung auch vorliegend untersucht werden sollen: Ist § 58 Abs. 2 AktG in der Aktiengesellschaft die Konzernobergesellschaft ist, in anderer Weise anzuwenden als in der unverbundenen Aktiengesellschaft, ist also bei der Auslegung von § 58 Abs. 2 die Konzernverbundenheit zu berücksichtigen? (2) Sollte Frage (1) positiv zu beantworten sein, welche Folge zieht dann ein Verstoß gegen den so verstandenen § 58 Abs. 2 AktG nach sich? (3) Welche Befugnisse zur Thesaurierung von Gewinnen hat die Verwaltung einer Aktiengesellschaft, die Konzerntochter ist, nach § 58 Abs. 2 und welche die die Beteiligungsrechte wahrnehmende Verwaltung der Muttergesellschaft in der Hauptversammlung der Tochter nach § 58 Abs. 3 AktG? Stehen insoweit der Hauptversammlung der Muttergesellschaft ungeschriebene Mitwirkungsrechte zu?

(1)

Die folgende Untersuchung will zur Beantwortung der gestellten Fragen beitragen. Dazu bedarf es aber vorweg einiger Gedanken zu der dabei anzuwendenden Methode. IV. Grundsätzliches zum Untersuchungsgang Der Überblick über den Diskussionsstand zur Frage der Kompetenz zur Bildung von Gewinnrücklagen im Konzern hat gezeigt, daß die beteiligten Autoren zu teils graduell, teils grundsätzlich unterschiedlichen Ergebnissen gelangen. Es soll hier unterstellt werden, daß sich dieser Befund mindestens nicht mit offenen Widersprüchen im jeweiligen Argumentationsgang der referierten Beiträge erklären läßt. Zu den gefundenen Ergebnissen führen vielmehr unterschiedliche Argumentationsweisen, unterschiedliche Mittel der Auslegung des Gesetzes oder unterschiedliche Topoi, unter denen das Problem angegangen wird, ohne daß dies immer explizit deutlich gemacht würde. So sind etwa die die mangelnde Eigenkapitalausstattun der deutschen Unternehmen beklagenden Ausführungen von Thomas 12 , die er als den Kontext verstanden wissen will, in dem alle rechtlichen Überlegungen zu der Frage der Rücklagenbildung zu sehen seien, nur rechtspolitisch zu verstehen; das gleiche gilt für die Ausführungen Beusch's zur Wettbewerbssituation deutscher Unternehmen l24 . Wenn dagegen Lutterl25 dem Interesse der Aktionäre der Obergesellschaft an Gewinnausschüttungen das Interesse der Tochtergesellschaft an thesaurierten Gewinnen gegenüber-

f

123 ZGR 1985, 366 Cf.; ähnlich auch Beusch, PS Goerdeler, S. 28. 124 s.o., Kap. A. III.

125

PS Westennann, S. 362.

IV. Grundsätzliches zum Untersuchungsgang

33

stellt, so erinnert dies schon von der Wortwahl her an die Sichtweise der Interessenjurisprudenzl26, deren Eingang in die Fssung des Gesetzes stillschweigend vorausgesetzt wird. Schließlich fehlt es auch nicht an ausdrücklichen Bezugnahmen auf die Mittel der Wortinterpretation127 sowie auf den Willen des historischen Gesetzgebers 128• Die nicht näher begründete Beschränkung einer Untersuchung auf eine unter mehreren möglichen Argumentationsweisen oder die nicht näher begründete Bevorzugung eines unter mehreren möglichen Ergebnissen nährt den Verdacht der Voreingenommenheit. Im schlechtesten Falle kann dann die Argumentation zu einer juristischen Sachfrage als Versuch erscheinen, ein je durch den rechtspolitischen Standpunkt des Autors bestimmtes Ergebnis nachträglich juristisch zu begründen. Dem Vorwurf der vom gewünschten Ergebnis bestimmten Argumentation kann deshalb nur entgehen, wer sich einer Rechtsfrage mit höchstmöglicher Unvoreingenommenheit nähert l29, die sich nur in einem methodisch umfassenden und lückenlosen Vorgehen manifestieren kann. Nur dann kann auch erwartet werden, daß eine Annäherung an das Erfordernis der Argumentationssättigung erreicht wird l3O, das heißt, alle Argumente aufgeführt werden, die für die Lösung des Problems in Betracht kommenl3l . Die Reflexion und Offenlegung jedes methodischen Schrittes gewährleistet dabei die Nachvollziehbarkeit und Kritisierbarkeit des beschrittenen Lösungsweges l32, ohne die dieser nicht den Anspruch erheben kann, auf rationaler Argumentation zu beruhen l33 . Mit der Beschreibung dieser Mindestanforderungen an eine rechtswissenschaftliche Untersuchung ist allerdings weder über die Art der Methode noch über den Punkt, an dem diese ansetzen soll, etwas gesagt. Dazu bedarf

126 Dazu Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 184 ff. im Anschluß an Philipp Heck, vgl. auch oie Darstellung bei Larenz, Methodenlehre, S. 53 ff. und 128 ff. 127 So bei Werner, FS Stimpel, S. 942. 128 Ebd. S. 945. 129 Allerdings darf nicht übersehen werden, daß der Unvoreingenommenheit insofern Grenzen gesetzt sind, als der Ansatz der Untersuchung von "Vorbewertungen" oder "Vorurteilen" über das möglicherweise rechtlich Richtige gesteuert sein kann. Solcbe Antizipationen können sich sowohl auf den zu beurteilenden sachverhalt als auch auf die auf ihn anzuwendende Norm beziehen. V2I. dazu Esser, Vorverständnis und Methodenwahl, passim, bes. S. 12, 23, 43 ff., 53 ff. und 136 fr.; ferner Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 209 Anm. 36; ein Beispiel bildet Pawlowski, ~ethodenlehre für Juristen, Rdn. 293; zur Notwendigkeit eines "Sachverständnisses" zum Textverstehen vgl. Hruschka, das Verstehen von Rechtstexten, S. 42 ff. 130 Zu diesem Erfordernis Alexy, Theorie der juristischen Argumentation, S. 293. 131 Raisch, Vom Nutzen der überkommenen Auslegungskanones, S. 23. 132 Ebenso Raisch, FS Stimpel, S. 46, Maasch, ZHR 150 (1986), 355. 133 Eine Forderung, die der 1. Senat des BVerfG etwa auch für die Entscheidungstätigkeit des Richters aufgesteßt hat, vgl. BVerfGE 34, 269, 287; vgI. auch BVerfG NJW 87, 1620.

34

A.

Einleitung

es im folgenden weiterer Überlegungen, zunächst zum Ansatzpunkt der Untersuchung. Das Ziel der anzustellenden Untersuchung muß es sein, die aufgeworfene Rechtsfrage der Kompetenz zur Bildung von Gewinnrücklagen im Aktienkonzern "gerecht" zu lösen, d.h. für den beschriebenen Konflikt eine angemessene und "gerechte" Lösung aufzuzeigen l34 . Daß dieser Forderung kaum widersprochen werden kann, liegt jedoch allein an ihrer Inhaltsarmut und an der unreflektierten Benutzung des Begriffes "gerecht", setzt doch die Beantwortung der Frage, was angesichts einer konkreten oder vorgestellten Sachverhaltsgestaltung die "gerechte Lösung" ist, voraus, den Inhalt von "Gerechtigkeit" zu definieren, ein Anliegen, das sogleich das Rechtsproblem in seiner ganzen Breite aufwirft und damit das Grundanliegen aller juristischer Tätigkeit kennzeichnet135 . Die Frage ist damit viel zu allgemein gestellt und deswegen nicht handhabbar. Es muß deswegen vorerst genügen, den Begriff der Gerechtigkeit negativ einzugrenzen, indem gefragt wird, welche Lösung jedenfalls nicht "gerecht" genannt werden kann. Nicht gerecht sind Problemlösungen, die gleichartige Sachverhalte nicht gleich behandeln l36 . Bezeichnet eine eine Rechtsfrage entscheidende Instanz zwei Sachverhalte als in allen entscheidungserheblichen Merkmalen gleich, entscheidet dann aber ungleich, so widerspricht sie sich selbst oder verschweigt, daß ihre Entscheidungen von Kriterien determiniert waren, die sie nicht als entscheidungserheblich offengelegt hat. Eine solche Entscheidung wäre willkürlich zu nennen137, da sie auf dem reinen Willen des Entscheidenden beruht, also nicht auf Kriterien, die in dem betroffenen Rechtssystem als entscheidungserheblich anerkannt sind. Die Gleichmäßigkeit der Entscheidung §!eichgelagerter Rechtsfälle ist deshalb ein Essentialium von Gerechtigkeitl . Eine Kontrolle darüber, daß Entscheidungen immer nur von Kriterien bestimmt werden, die als entscheidungserheblich anerkannt sind, kann aber nur erfolgen, wenn sich Entscheidungen ausdrücklich auf Normen berufen, die festlegen, was jeweils entscheidungserheblich sein soll und was gesollt

134 Vgl. Hruschka, Das verstehen von Rechtstexten, S. 68; Wüst, Prinzipienbildung, S. 227 135 Vgl. dazu Kettembeil, Jurisprudenz als Wissenschaft, S. 45. 136 Dazu Henkel, Rechtsphilosophie, S. 401. 137 Zuck, MDR 1986, 723. 138 So das BVerfG in ständiger Rechtsprechung, zuletzt BVerfG NJW 1986,2243; vgl. auch Larenz, Methodenlehre, S. 323 Cf.; ders. PS Olivecrona, S. 396; Pawlowski, Methodenlehre, Rdn.33O.

IV. Grundsätzliches zum Untersuchungsgang

35

ist, wenn diese entscheidungserheblichen Merkmale vorliegen 139. Die Gründung einer Entscheidung auf eine Norm gewährleistet also allein die Gleichmäßigkeit der Entscheidung, vorausgesetzt, dieselben Normen werden über einen gewissen Zeitraum kontinuierlich und von allen Rechtsanwendern angewendet. Es bedarf also auch noch der Festsetzung, auf welche Normen sich Rechtsentscheidungen gründen sollen. Für den Richter bei der Entscheidung eines konkreten Rechtsstreits und für den, der im Rahmen der vollziehenden Staatsgewalt Recht anwendet, wird diese Festlegung unter der Geltung des Grundgesetzes von Art. 20 Abs. 3 GG getroffen. Wenn dort von der Bindung des Richters an "Gesetz und Recht" die Rede ist, so bedeutet dies, daß der Richter bei der Fallentscheidung die anzuwendenden Normen in erster Linie den förmlichen Gesetzen zu entnehmen hat l40 . Indem der Richter dadurch auf einen festen Normenbestand, in dem Wertentscheidungen des Gesetzgebers gleichsam konserviert sind, verwiesen ist, bleibt es ihm im Idealfalle der Rechtsfrage, die von einer Gesetzesbestimmung klar und eindeutig geregelt wird, auch erspart, entsprechende Wertentscheidungen bei jeder konkreten Einzelfallentscheidung erneut zu treffen. Er kann vielmehr eine wertneutrale Begriffsarbeit leisten 14 1, ohne die die alltägliche Rechtspflege nicht durchführbar wäre l42• Damit ist dargelegt, daß jedenfalls der Richter bei seiner Entscheidungsfindung vom Gesetz auszugehen hat. Vom selben Ausgangspunkt soll auch die vorliegende rechtswissenschaftliche Untersuchung ausgehen, denn sie versteht sich als Versuch, die Arbeit des praktischen Rechtsanwenders, besonders des Richters, vorzubereiten l43, ihm durch die Erörterung abstrakt gedachter Sachverhaltsgestaltungen Hilfe bei der Entscheidung konkreter Rechtsfälle zu geben. Sie begreift sich insofern als Versuch, sich des Inhaltes des p,0sitiven Rechts durch das "Verstehen von Rechtstexten" zu vergewissern 44 und so der Rechtsanwendung zu dienen l45 . Nur so kann der Anspruch, mit den getroffenen Aussagen dem geltenden Recht nahezukommen 139 Fikentscher \...Methoden, Bd. IV, S. 181 ff., 191; Pawlowski, Methodenlehre, Rdn. 330 ff.; KochjRüssmann, mgrundungslehre, S. 112 ff.

140 Herzog in: MaunzjDürigjHerzog/Scholz, Grundgesetz, Kommentar, Art. 20 Abs. 3 Rdn. 49 ff.; Ipsen, J., Richterrecht und Verfassung, S. 117 ff.; Wank, Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung, S. 88 f., vgI. auch Larenz, Methodenlehre, 5. Aufl., S. 127. 141 Esser, AcP 172,103; dazu Larenz, Methodenlehre, S. 204 ff. 142 So Engisch, Einführung, S. 192.

143 Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 17 und 129; vgl. auch Larenz, PS Olivecvrona, S. 395; Krawietz, Juristische EntscheIdung, S. 195. 144 Larenz, JuS 1971, 450, 452 f. 145 VgI. dazu die Charakterisierung als "angewandte Geisteswissenschaft" bei Coing, Die juristischen Auslegungsmethoden, S. 23; vgI. auch ders., Grundzüge der Rechtsphilosophie, S. 309; ferner Burckliardi, Methode und System des Rechts, S. 16; dazu Raisch, JZ 1966,504.

36

A. Einleitung

und sie nicht der Einschätzung als bloße Meinungsbekundungen auszusetzen, erfüllt werden l46 . Mit diesem Ausgangspunkt der Untersuchung sind Weichen für das von ihr zu beobachtende methodische Vorgehen gestellt: Muß die Untersuchung das Gesetz zu ihrem Ausgangspunkt nehmen, dann verbieten sich Vorgehensweisen, die die Rechtsfindung unabhängig vom Gesetz betreiben wollen, indem sie sich dem Sachproblem rein topisch durch die Erörterung möglichst aller relevanten Gesichtspunkte nähern wollen l47. Würde eine solche Vorgehensweise schon die Gefahr des Verlustes der Gleichbehandlung in sich bergen, so läuft sie zusätzlich noch die Gefahr, die von ihr geforderte Sachgerechtigkeit der Entscheidung dadurch zu verfehlen, daß sie mögliche Gesichtspunkte der Problemerörterung übersieht 148 oder nicht anzugeben vermag, welcher unter den hera1ezogenen Topoi letztlich den Ausschlag bei der Problem lösung geben solll . Die einzige Gewähr, zur Beantwortung einer Rechtsfrage vom Gesetzestext auszugehen, bietet das Bemühen um das Verständnis des Textsinnes. Damit muß die Methode auch der vorliegenden Untersuchung eine solche der Textinterpretation sein l50 . Diese ist in der Rechtswissenschaft seit langem in der Form der wörtlichen, grammatikalischen, historischen und systematischen Auslegung - bei teilweise divergierender Terminologie - tradiert l51 . Sich dieser hergebrachten Auslegungskanones zu bedienen, führt mindestens zu einer nachvollziehbaren Kanalisierung des beschrittenen Denkwegesl52, mögen auch die Kritiker dieser Methode auf das Problem der Rangfolge der Kanones bei divergierenden Einzelergebnissen hinweisen i53, das letztlich das E~ebnis nicht als streng logisch in einem deduktiven Verfahren gewonnen l ,sondern als von Wertungen abhängig erscheinen läßt. Immerhin ist damit dem Interpreten die Möglichkeit eröffnet, die 146 Vgl. die diesbezüglichen Bedenken bei Mayer-Maly, JZ 1986, 562. 147 Viehweg, Topik und Jurisprudenz, passim, bes. S. 31 ff. 148 Das kann auch ein Katalog möglicher juristischer Topoi nicht gewährleisten, vgl. einen solchen bei Struck, Topische Jurisp'rudenz, S. 20 ff.; dazu auch Larenz, Methodenlehre, 5. Auft., S. 32 ff.; vgl. ferner Keuembell, Jurisprudenz als Wissenschaft, S. 29; Pawlowski, Methodenlehre, Rdn. 93.

149 Dazu Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, S. 141 ff. 150 Vgl. auch HIUSChka, Das Verstehen von Rechtstexten, S. 91.

151 Schon zusammenfassend für seine Zeit Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Bd. I, S. 212 ff.; vgl. dazu auch unten B. 11.

152 In diesem Sinne auch Maasch, ZHR 150 (1986), 355, ferner Raisch, FS Stimpel, S. 46. 153 Vgl. etwa Krawietz, Juristische Entscheidung und wissenschaftliche Erkenntnis, S. 196; ders. JuS 1970, 431. 154 So auch Larenz, JuS 1971, 452 ff.

IV. Grundsätzliches zum Untersuchungsgang

37

Stelle im Gedankengang, an der dieser eine Wertung beinhaltet, kenntlich zu machen und so zu belegen, daß der Pfad der Rationalität nicht zu früh verlassen wurde. Nicht zu übersehen ist, daß eine im Vordringen begriffene Theorie der Begründung juristischer Urteile - die Argumentationstheorie155 - über die herkömmlichen Auslegungskanones hinausgehende Möglichkeiten der Rationalisierung von Entscheidungen durch Aufstellung von Regeln eines wenn auch möglicherweise fiktiven - Diskurses zu gewinnen trachtet. Unterscheidet sich nach dieser Theorie die juristische Argumentation vom allgemeinen fraktischen Diskurs vor allem durch ihre Bindung an das geltende Recht 15 , so verwundert nicht, daß auch hier den traditionellen Auslegungskanones als Argumentform eine starke Stellung eingeräumt wird l57 . Überhaupt nehmen im Gesamtaufbau von Alay's Theorie der juristischen Argumentation die traditionellen Begründungselemente - außer den Auslegungskanones dogmatische Argumente, Präjudizienverwertung, Analogie, Argumentum e contrario und argumentum a forteriori - breiteren Raum als die allgemeinen praktischen Argumente ein. Dem entspricht es, daß die hergebrachten Kanones auch in der Praxis höchstrichterlicher Urteile aus jüngster Zeit - allerdings erst mit weitem Abstand hinter der Präjudizienverwertung158 - eine zentrale Rolle spielen i59 . Deshalb erscheint es als gerechtfertigt, auf die vorliegende Untersuchung der Kompetenz zur Bildung von Gewinnrücklagen im Aktienkonzern mit der Anwendung der hergebrachten Auslegungkanones auf den vorgefundenen Vorschriftenbestand zu beginnen. Auf diese Weise erscheint es am ehesten möglich, zu Aussagen zu gelangen, die zwar nicht gewiß im Sinne naturwi&senschaftlicher Wahrheit sein könneni deren Herleitung aber auf einem vom Konsens der Rechtswissenschaftler 60 getragenen Verfahren be-

155 Vgl. nur Alexy, Theorie der juristischen Argumentation; kritisch dazu Gröschner, JZ 1985, 170 ff. 156 Alexy, ebd. S. 262. 157 Ebd., S. 288 ff. 158 Die sich allerdings auch als Rationalisierung der VeIWertung älterer, aufgrund originärer Argumente gewonnener Erkenntnisse begreifen läßt. 159 Das ergibt eine im Jahre 1987 am Lehrstuhl von Raisch in Hagen durchgeführte Analyse von Entscheidungen des BGH in Zivilsachen der Jahre 1985-86, vgl. zu den Ergebnissen Raisch, Vom Nutzen der überkommenen Auslegungskanones, besonders Anhang, S. 83 ff. 160 Dafür, daß dieser bezüglich der neueren argumentationstheoretischen Ansätze noch nicht erreicht ist, vgl. Aamio, Alexy, Peczenik, Grundlagen der juristischen Argumentation, S. 12; zur Bedeutung des Konsenses der Rechtsgemeinschaft in anderem Zusammenhang auch Picker, JZ 1988, 1 Tf., 70 f.

38

A. Einleitung

ruht161 . Der Weg zur Kritik des Ergebnisses mit weiteren Argumenten ist damit nicht abgeschnitten. Angesichts dieses Ansatzes des Ausgehens vom Gesetzeswortlaut kann es hier dahinstehen, wie man sich die Subsumtion des Sachverhaltes unter einer Gesetzesvorschrift vorzustellen hat. Ob hier eine Annäherung von Fall und Norm im Wege der Konkretisierung beider162 die Bildung einer "Fallnorm" und deren Bestätigung durch das Gesetz163 oder die Bildung einer Normhypothese durch den Rechtsanwender und deren Kontrolle am Gesetz164 stattfindet, braucht hier deshalb nicht ausführlich erörtert zu werden, weil im Rahmen aller dieser Vorstellungen über die Rechtsfindung die Suche nach einer Gesetzesvorschrift165, die das Sachproblem zu behandeln scheint, nötig wird.

161 VgJ. den ähnlichen Ansatz bei Maasch-Feise/, Die Kompetenz zur Bildung von Aufsichtsratsausschüssen, S. 11; ferner Engisch, Einführung in das Juristische Denken, S. 11, und kürzlich wieder ders., Subsumtion und Rechtsfortbildung, S. 4.

162 Engisch, Einführung, S. 43 ff. und vor allem logische Studien zur Gesetzesanwendung, S. 13 ff. 163 Fikentscher, Methoden, Bd. IV, S. 217 ff. 164 Krie/e, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 157 ff., 162; ders., Gesetzestreue und Gerechtigkeit, S. 229.

165 Zur Begründung, warum in diesem Zusammenhang noch nicht von einer "Norm" gesprochen wird, ~. unten B. I. Das bedeutet nicht, daß damit der "strukturierenden Rechtslehre" von Friednch Mü/Ier gefolgt würde, VJtI. seine Schrift Richterrecht, besonders S. 46 ff.; zur Kritik an Müllers Nomenklatur, Send/er, NJW 87, 3240.

B. Die Auslegung von § 58 Abs. 2 AktG Die danach notwendige Suche nach einer Gesetzesvorschrift, die überhaupt etwas über die Kompetenzverteilung für die Bildung anderer Gewinnrücklagen in der Aktiengesellschaft aussagt, führt zu der oben erwähnten Vorschrift des § 58 Abs. 2 AktG, die Vorstand und Aufsichtsrat gestattet, höchstens die Hälfte des Jahresüberschusses bei der Feststellung des Jahresabschlusses in andere Gewinnrücklagen einzustellen1. Hiermit korrespondieren die §§ 119 Abs. 1 Nr. 2 und 174 Abs. 1 AktG, die das Recht der Hauptversammlung normieren, über die Verwendung des Bilanzgewinnes zu beschließen. Wie die §§ 266 Abs. 3 Lit. A V. und 268 Abs. 1 HGB zeigen, ist dabei Bilanzgewinn das, was vom Jahresergebnis der Aktiengesellschaft übrig bleibt, nachdem seine teilweise Verwendung zur Bedienung der gesetzlichen oder anderen Gewinnrücklagen von Vorstand und Aufsichtsrat beschlossen ist. Mithin enthält § 58 Abs. 2 AktG eine Normierung des Rechts von Vorstand und Aufsichtsrat, das Recht der Hauptversammlung zur Beschlußfassung über die Verwendung des Jahresergebnisses auf die Hälfte des Jahresüberschusses zu beschränken. Wie schon einleitend bemerkt, ist damit aber noch nicht die Frage beantwortet, ob der konzernleitende Vorstand eines Konzerns aus Aktiengesellschaften dieses Recht auf jeder Konzernstufe von neuem wahrnehmen - oder wahrnehmen lassen - darf. Ob § 58 Abs. 2 AktG auch eine Vorschrift für diese Sachlage beinhaltet, ist vorliegend problematisiert, erschließt sich also nicht auf den ersten Blick und muß deshalb durch explizite Auslegung ermittelt werden2.

1 Daneben gilt seit dem 1.1.1986 der § 58 Abs. 2 a AktG, der weitere Einstellun~en gestattet, falls nach § 280 Abs. 1 HGB Wertaufholungen bei den Ansätzen fur Vermögensgegenstände des Anlagevermögens deswegen vorgenommen wurden, weil die Gründe für außerplanmäßige AbschreIbungen gern. §§ 253 Abs. 2 S. 3 oder 254 HGB fortgefallen sind. Siehe dazu unten Kap. B. 11. 3. b) aal ccc) a'). 2 Nur scheinbar ist "Auslegung" dort unnötig, wo sich der Sinn eines Textes spontan erschließt. Ihre einzelnen Schntte mögen in diesem Falle allenfalls unbewußt bleiben, vltl. Hruschka, Das Verstehen von Rechtstexten und allgemein Gadamer, Wahrheit und Methooe, S. 37~; ferner auch Engisch, Einführung, S. 78 und"S. 232 Fn. 74 a. In der Rechtspraxis deckt der 1I..onsens unter den Normbetroffenen die Anwendung einer solcherart spontan verstandenen Vorschrift, vltl. dazu Rhinow, Rechtsetzung und Methodik, S. 178; das kann auch daran liegen, daß ein bestimmtes Auslegungsergebnis durch Dogmatik verfestigt ist, vgl. Sendler, Zur richterlichen Folgenberücksichtigung, S. 144, das erkennt auch Esser Vorverständnis, S. 89, 90 ff. an. Dagegen liegt hier eine "echte Auslegungssituation" im Sinne der EntscheIdung zwischen denkbaren Alternativen vor, vgl. Aamio, Alexy, Peczenik, Grundlagen der juristischen Argumentation, S. 75.

B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

40

I. Die Wortauslegung

Ist nach dem bisher Gesagten die Vorschrift des § 58 Abs. 2 AktG Gegenstand der Auslegung, so ist der erste Schritt des Verstehens dieser Vorschrift ein solcher des Textverstehens3, da § 58 Abs. 2 AktG Bestandteil der kodifIzierten Rechtsordnung ist und also einen Rechtstext darstellt. Soll die maßgebliche Norm durch Verstehen des Textes erkannt werden, so ist damit vorausgesetzt, daß der Text selbst nicht die Nonn ist4 , wie ein vielfach anzutreffender oberflächlicher Sprachgebrauch nahelegen könnte. Das erweist sich schon daraus, daß der "Text" seinem äußeren Erscheinungsbild nach als rein faktische Abfolge von Wörtern - im Geschriebenen dargestellt durch Druckerschwärze auf Papier - aufgefaßt werden kann5, während eine "Norm" das Abstraktum eines Imperativs, eines hypothetischen Sollensurteils6 bezeichnet. Damit liegt die Norm auch nicht im Text7, sondern gleichsam dahinter, sie ist das durch die Zeichen und Zeichenverbindungen des Textes Bezeichnete8, kurz der Sinn des Textes, den es aus dem Text als vorläufig - einziger Erkenntnisquelle zu erschließen gilt. Besteht der auszulegende Text nun seinerseits aus Sprache, so ist erstes Mittel der Sinnermittlung die Interpretation der Sprachbestandteile, also die Wortinterpretation9, die hinter der Sprache als dem "Träger" des Sinnes10 die Norm wieder sichtbar machen soll. Da sich dieser gedanklich Vorgang zum Zwecke seiner Vermittelbarkeit -wie der Begriff "Auslegung", wörtlich genommen, schon nahelegt - wiederum der Sprache bedienen muß ll , kann man mit Recht von der Auslegung als einem Übersetzungsvorgang sprechen12. Vorliegend muß also eine Auslegung des Textes von § 58 Abs. 2 S. 1 AktG versucht werden.

3 So Betti, Ergänzende Rechtsfortbildung, S. 384; Schlüchter, Präjudizien, S. 5; vgl. auch Aamio, Alexy, Peczenik, Grundlagen der juristischen Argumentation, S. 61.

4 Hassold, Strukturen der Gesetzesauslegung, S. 214; Müller, Richterrecht, S. 46 ff. 5 HruschJro, Das Verstehen von Rechtstexten, S. 28. 6 Pawlowski, Methodenlehre, Rdn. 60; Engisch, Einführung, S. 21; Larenz, Methodenlehre,

S. 232 ff.

7

Hassold, Strukturen, S. 214.

8 Esser, Vorverständnis, S. 75; HruschJro, Das Verstehen von Rechtstexten, S. 30; Betti,

Grundlegung einer allgemeinen Auslegungslehre, S. SO.

9 Zippelius, Auslegung als Legitimationsproblem, S. 742; Coing, Die juristischen Auslegungsmethoden, S. 7. 10 Vgl. HruschJro, Das Verstehen von Rechtstexten, S. 19. 11 HruschJro, ebd. S. 6 ff., 53 u.ö.; vgl. Gadamer, Wahrheit und Methode, S. 362 ff. 12 So Hassold, Strukturen der Gesetzesauslegung, S. 215.

1. Die Wortauslegung

41

Lautete die Problemstellung, daß fraglich ist, welchen Teil der im Aktienkonzern erwirtschafteten Jahresüberschüsse Vorstand und Aufsichtsrat in andere Gewinnrücklagen einstellen können, so konzentrieren sich die Überlegungen auf den Sinn des Begriffes "Jahresüberschuß". Zu fragen ist mithin, welche Sache dieses Wort bezeichnet. Gemeinhin wird als Maßstab zur Beurteilung des Sinnes eines Wortes der Sprachgebrauch herangezogen l3, in dem sich manifestiert, für welche Sache ein Begriff im Regelfalle als Bezeichnung verwendet wird, von dem damit vorerst auch vermutet werden kann, daß sich der Gesetzestext seiner bedient14. Zur Ergründung des Sprachgebrauchs sind die Erkenntnisse der traditionellen Semantik heranzuziehen15. Für den Begriff "Überschuß", der von seiner näheren Eingrenzung "Jahres"-Überschuß wegen deren erkennbarem Bezug auf den Zeitraum Jahr abgelöst werden kann, ergibt sich danach folgendes: Die Umgangssprache bezeichnet durch den Begriff alles das, was über ein bestimmtes Maß, insbesondere den eigentlichen Bedarf, hinausgeht, also "überschüssig" ist 16 . Eine speziellere Bedeutung hat der Begriff in der Kaufmannssprache. Dort bezeichnet er den Ertra einer Unternehmung nach Abzug der Unkosten, mithin den Reingewinn 1 . Darüber hinaus findet sich aber auch der Hinweis, daß bestimmte Standes- und Berufsgruppensprachen Sonderverwendungen entwickelt hätten 18 . Damit wird zweierlei deutlich:

f

Der Gebrauch des Wortes "Überschuß" in der Umgangssprache leistet zum Verständnis des § 58 Abs. 2 AktG nichts, denn sofern die Umgangssprache mit diesem Begriff nur ein unscharfes Mehr an Erträgen als an Aufwendungen bezeichnet, ist in ihr das Bedeutungsfeld des Begriffes größer als in § 58 Abs. 2 AktG, in dem immerhin der Jahresüberschuß in Bezug genommen wird, der sich aus dem Jahresabschluß einer Aktiengesellschaft ergibt. Zweitens zeigt sich, daß das Recht, das den Begriff "Jahresüberschuß" in einem bestimmten engeren Sinne als die Umgangs13 Statt vieler: Hassold, Strukturen, S. 222; Larenz, Methodenlehre, S. 307. 14 So Schroth, Philosophische und juristische Hermeneutik, S. 295. 15 Schl"ucIlIer, P raJu .. , d"IZlen, S. 9. 16 So übereinstimmend: Duden, Universalwörterbuch; ders., Das große Wörterbuch der deutschen Sprache; BrockiumsjWahrig, Deutsches Wörterbuch; Wörterbuch der deutschen q~genwartssprache; Grimm, Deutsches Wörterbuch, jeweils unter dem Stichwort "Uberschuß". 17 Übereinstimmend die Vorgenannten ebd. 18 Grimlll, Deutsches Wörterbuch, ehd. Zirr. 5.

42

B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

sprache verwendet, damit "seine eigene Sprache spricht,,19. Diese zum Ausgangspunkt der Wort auslegung und der Suche nach der aktuellen Bedeutung eines Gesetzesbegriffs zu nehmen, erschiene da bedenklich, wo ein Gesetz Befolgung durch Jedermann, also auch den verlangt, der damit nur ausnahmsweise in Berührung kommt, etwa auf dem Gebiet des Strafrechts. Wo aber, wie im vorliegenden Fall des Aktienrechts, ein Gesetz im wesentlichen von Juristen für Juristen20, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater und im Bilanzwesen tätige Unternehmensangehörige gemacht ist, also für Verkehrskreise, die mit seinem Umgang vertraut sind, kann Ausgangspunkt der Wortauslegung und damit Mittel der Zuweisung des Bedeutungsgehaltes an einen Begriff deren spezieller Sprachgebrauch sein, der damit eine weitere Einengung ermöglicht. Ist damit die "Rechtssprache" Ausgangspunkt der Auslegung, ist eine weitere Differenzierung vorzunehmen: Es kommen Gesetzesbegriffe vor, deren Bedeutung in der Rechtssprache sich zwar von der Bedeutung in der Umgangssprache abhebt, die aber im Recht weitgehend einheitlich verwendet werden, wie etwa der Begriff des Besitzes in § 54 BGB, dem in der Umgangssprache eine weitere Bedeutung als in der Rechtssprache zukommt. Demgegenüber gibt es Begriffe, die an verschiedenen Stellen der Rechtsordnung in verschiedenem Sinne gebraucht werden, man vergleiche den Begriff des "Unternehmens" in § 15 AktG mit dem in § 1 GWB oder gar mit dem in § 11 Abs. 1 Nr. 6 StGB. Sollte letztere Art der mehrdeutigen Bedeutungsbelegung für den Begriff "Jahresüberschuß" zutreffend sein, würde das zu weiteren Differenzierungen hinsichtlich des die Auslegungsbasis bildenden Sprachgebrauchs zwingen. Rechtsmaterien neben dem Handelsrecht und Aktienrecht, in denen der Begriff "Jahresüberschuß" überhaupt in einem abweichenden spezifischen Sinne gebraucht würde, sind indes nicht ersichtlich. Das noch am sachnächsten liegende Gebiet des Steuerrechts verwendet nämlich statt dessen die Begriffe "Einkommen", "Einkünfte" (§§ 1, 2 EStG), bzw. "Gewinn" (§ 4 EStG). Einzig § 4 Abs. 3 EStG bedient sich des Begriffes des "Überschusses der Betriebseinnahmen über die Ausgaben". Da hiermit aber der Begriff des Gewinns für die Steuerpflichtirfen substituiert werden soll, die keiner Buchführungspflicht unterliegen 2 , für die also der durch die Rechtssprache eingeengte Gewinnbegriff unanwendbar wäre, handelt es sich dabei um einen Rekurs auf die Umgangssprache. 19 Engisch, Einführung, S. 78. 20 Hassold, Strukturen der Gesetzesauslegung, S. 223. 21 Blümich/Falk, Einkommensteuergesetz, § 4, S. 20.

I. Die Wortauslegung

43

Auch im Körperschaftssteuergesetz begegnet der Begriff "J ahresüberschuß" in keiner spezifischen Bedeutung: Spricht § 1 KStG von "Einkünften", § 7 KStG von "Einkommen" und § 8 KStG von "Gewinn", so kommt der Begriff "Jahresüberschuß" immerhin in § 14 Nr. 5 KStG vor. Dort dient er allerdings der Entscheidung einer Vorfrage, die die Steuerpflicht determiniert, nämlich unter welchen Bedingungen Gesellschaften in den Genuß der steuerrechtlichen Organschaft gelangen können. Macht dabei § 14 Nr. 5 KStG Vorschriften über die steuerunschädliche Rücklagenbildung aus dem Jahresüberschuß, dann ist mit dem Jahresüberschuß der handelsrechtliehe gemeint22 • Eine vom Handelsrecht abweichende Bedeutung kommt dem Begriff also auch hier nicht zu. Damit bleibt als sprachliche Basis zur Bestimmung der Bedeutung des Begriffs "Jahresüberschuß" nur der Sprachgebrauch des Handels- und Aktienrechts, für den also in concreto zu entscheiden ist, ob "Jahresüberschuß" ein Phänomen nur der einzelnen Gesellschaft oder auch ein solches eines Konzerns bedeuten kann. Wesentlich erleichtert wird diese Entscheidung dadurch, daß sich der Inhalt des Begriffes "Jahresüberschuß" aus quasi definitorischen Vorschriften ergibt: Indem §§ 266 Abs. 2 und 3 HGB ein Gliederungsschema für die Bilanz und § 275 Abs. 2 und 3 HGB solche für die Gewinn- und Verlustrechnung aller Kapitalgesellschaften vorschreiben23, ist der Jahresüberschuß nach § 266 Abs. 3lit. A V HGB und nach § 275 Abs. 2 Nr. 20 und Abs. 3 Nr. 19 HGB immer eine sich aus den Rechenwerken ergebende bestimmte Rechnungsgröße, nämlich der Überschuß der ordentlichen und außerordentlichen Erträge über die entsprechenden Aufwendungen nach Abzug von Steuern24 • Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung sind dabei die der einzelnen Kapitalgesellschaft, wie § 264 Abs. 1 HGB, der deren gesetzlichen Vertretern die Pflicht zur Aufstellung auferlegt, einerseits, und ferner die §§ 290 ff. HGB, die Sondervorschriften für den Konzernabschluß enthalten, andererseits, zeigen. Im Sinne der §§ 266 und 275 HGB ist "Jahresüberschuß" also der der einzelnen Kapitalgesellschaft. Damit ist aber der Bedeutungsgehalt des Begriffes "Jahresüberschuß" nicht erschöpft25 . Gemäß § 290 HGB 26 müssen die gesetzlichen Vertreter 22 Frotsc~t in: Frotscher/Maas, Körperschaftssteuergesetz, § 14 Rdn. 126; vgl. auch KleinjLaube, Handbuch des I(örperschaftssteuerrechts, § 14 Anm. 5 c.

23 Ebenso für den Rechtszustand vor dem Inkrafttreten des Bilanzrichtliniegesetzes die §§ 151 und 157 AktG a.F. 24 Vgl. Göllert/Rjngling, Bilanzrichtliniengesetz, S. 23 ff.; zum alten Recht Mellerowicz in Großkommentar zum Akhengesetz, § 157 Anm. 74; s. auch Wemer, FS Stimpel, S. 941.

25 Wemer, FS Stimpel, S. 939.

44

B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

eines Mutterunternehmens in der Form einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Inland einen Konzernabschluß und einen Konzernlagebericht aufstellen, sofern Tochterunternehmen unter der einheitlichen Leitung des Mutterunternehmens stehen und Beteiligungen an den Tochterunternehmen dazu bestimmt sind, dem Geschäftsbetrieb des Mutterunternehmens durch die Herstellung einer dauernden Verbindung zwischen den Unternehmen zu dienen (Beteiligung i.S.d. § 271 Abs. 1 HGB). Der Gesetzgeber des AktG 1%5 verfolgte mit der erstmaligen zwingenden AnordnunEr 7 einer konzernumfassenden Rechnungslegung den Zweck, die Vermögens- und Ertragslage des Konzerns als wirtschaftliche Einheit transparent zu machen28 und damit den bereits in den 20er Jahren dieses Jahrhunderts29 erkannten Gefahren der Verschleierung der Lage einzelner Konzernunternehmen durch konzerninterne Vermögensverschiebungen, etwa durch nicht publizierte Kreditverhältnisse oder Leistungsaustauschvorgänge zwischen Konzernunternehmen, zu begegnen. Der dabei im Mittelpunkt stehende Gedanke, der Konzern sei als wirtschaftliche Einheit aufzufassen3O, führte zu der Konsequenz, für den Konzern als Ganzem die Aufstellung einer Bilanz wie für ein Einzelunternehmen vorzuschreiben. Unter Ausschaltung der die Summe der Einzelbilanzen in der Aussagekraft verfälschenden Umstände durch Kapitelkonsolidierung (§ 301 HGB), Schuldenkonsolidierung (§ 303 HGB) und Eliminierung konzerninterner Gewinne und Verluste (§ 304 HGB)31 muß eine Bilanz erstellt werden, auf die gem. § 298 HGB die Vorschriften für die Bilanz des Einzelunternehmens anzuwenden sind. Das bedeutet, daß die Konzernbilanz nach § 266 HGB zu gliedern ist, so daß dort gem. Abs. 3lit. A V ggfs. ein Jahresüberschuß auszuweisen ist. Das gleiche gilt für die Gewinn- und Verlustrechnung. Gemäß § 275 Abs. 2 Nr. 20 (bei Anwendung des Gesamtkostenverfahrens) oder Abs. 3 Nr. 19 (bei Anwendung des Umsatzkostenverfahrens) ist ggfs. ein Jahresüberschuß auszuweisen32 .

26 Vor dem 1.1.1986 fanden sich entsprechende Regelungen für die AG und KGaA in den 329 ff. AktG. Die gegenwärtig verfügbare Kommentarliteratur zur Konzernrechnungslegung findet sich dort. 27 Vgl. die Überblicke bei Kronstein/lurchner, in Kölner Komm. zum AktG, Vorb. vor § 329 und Barz in Großkommentar zum AktG, Vorb. vor § 329; zum AktG 1937 ferner Hommelhojf in Schubert/Hommelhoff, Die Aktienrechtsrefonn, S. 81 f. 28 Vgl. die Begründung des RegE bei Kropff, AktG 1965, S. 435 ff. 29 Die Aktienrechtsnovelle vom 19.9.1931 zog erste Konsequenzen: RGBII931 I, S. 439. 30 Der Begriff scheint in der Begründung des ReitE immer wieder auf, vgl. bei Kropff, AktG 1965 vor § 329 S. 436, zu § 331, S. 441, 442 und 44~; zu § 332 S. 446. 31 Einzelheiten etwa bei Emmrnch/Sonnenschein, Konzernrecht, S. 271 f. 32 Vor dem 1.1.1986 galt das gleiche, vgl. §§ 331 Abs. 4, 333 Abs. 2 Nr. 14 AktG a.F. §§

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

45

Damit steht fest, daß der Sprachgebrauch des Aktienrechts unter dem Begriff "Jahresüberschuß" jedenfalls nicht ausschließlich einen solchen der einzelnen Aktiengesellschaft versteht. Es gibt auch einen "Jahresüberschuß" im Konzern. Vergegenwärtigt man sich die Ausgangsfrage, ob nämlich § 58 Abs. 2 AktG Vorstand und Aufsichtsrat einer Aktiengesellschaft, die Konzernobergesellschaft ist, Beschränkungen hinsichtlich der Thesaurierung eines auf den Gesamtkonzern bezogenen Jahresüberschusses auferlegt, so bleibt die Frage, was mit dem Ergebnis der Wortauslegung für die Auslegung der genannten Vorschrift gewonnen ist. Das läßt sich am besten dadurch beschreiben, daß man sich vorstellt, die Untersuchung der Bedeutung des Begriffes "Jahresüberschuß" im Sprachgebrauch des Aktiengesetzes hätte ergeben, daß damit stets nur der der einzelnen Gesellschaft gemeint sein könnte. Dann wären mindestens Zweifel angebracht, ob eine Interpretation, die dem Begriff die Bedeutung "Konzernjahresüberschuß" beilegt, noch Auslegung genannt werden könnte, oder ob man von Rechtsfortbildung sprechen müßte, die ggfs. einer eigenständigen Legitimation bedürfte33 . Dann hätte die Wort auslegung einen ersten Rahmen abgesteckt, innerhalb dessen das Interpretationsergebnis liegen müßte. Ist dieser Rahmen aber, wie vorliegend, so weit, daß er die verschiedenen Bedeutungsalternativen, auf deren Eingrenzung es gerade ankommt, umfaßt, so ist zur Beantwortung der aufgeworfenen Frage mit der Wortauslegung nur die Erkenntnis gewonnen, daß sie zu einer hinreichenden Konkretisierung des auszulegenden Normtextes nicht ausreicht 34 . Also muß nach weiteren Konkretisierungsmitteln gesucht werden. 11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung Wurde eingangs angedeutet, daß die vorliegende Untersuchung sich bestimmter in der Rechtswissenschaft tradierter Mittel des Textverstehens bedienen wi1l35 , von denen die Wort auslegung das erste und sich aufdrängende war, so ergibt eine Sichtung der vorgeschlagenen Auslegungskanones neben dem historischen die Begriffe "grammatische", "logische" und "systematische" Auslegung36 • Über deren Inhalt muß vorab Klarheit geschaffen werden, 33 So Zippelius, Methodenlehre, S. 43 und 55; Larenz, Methodenlehre, 5. Aufl., S. 197 und 200; Coing, Rechtsphilosophie, S. 314; Hasso/d, Strukturen der Gesetzesauslegung, S. 218,219, einschränkend aber S. 223; ebenso Engisch, Einführung, S. 83. 34 Kriete, Theorie der Rechtsgewinnung, S. 82: "Das Wortsinn -Kriterium ist im Einzelfall oft unergiebig." 35 s.o. unter B. 36 Savigny, System, Bd. I, S. 213, dessen Ausführungen zur Auslegung weitgehend als

46

B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

mindestens muß dargestellt werden, in welchem Sinne die Begriffe in der vorliegenden Untersuchung gebraucht werden sollen. 1.

Begriffsklärungen

Bezeichnet Savignj. als Gegenstand des grammatischen Elements der Auslegung das Wort 7, so ist damit das abgedeckt, was oben unter dem Begriff der Wortauslegung behandelt wurde. Dem stellt Savigny das "logische Element" gegenüber, das sich mit der Gliederung des Gedankens und mit dem Verhältnis, in welchem seine einzelnen Teile zueinander stehen, befaßt 38 • Darunter wird man einerseits Phänomene zu verstehen haben, die unter dem Begriff "Grammatik" fallen, also die syntaktischen Zusammenhänge innerhalb des einzelnen Normtextsatzes oder -abschnitts betreffen39, ferner aber auch die logischen Zusammenhänge, die dadurch bestehen, daß ein auszulegender Normtext eine Bedeutungskonkretisierung durch eine Zusammenschau mit Legaldefinitionen und ergänzenden Bestimmungen erfährt. Deshalb kann Coing in diesem Zusammenhang zutreffend von grammatisch-logischer Auslegung sprechen40 . Schließlich ist "logisch" aber ein so weiter Begriff, daß Engisch ihn in die Nähe des systematischen Auslegungselements rücken kann, wenn er vom "logisch-systematischen Zusammenhang" spricht, in den eine Norm eingebunden ist4 1, und damit sowohl den konkreten Gedankenzusammenhang im einzelnen Rechtssatz, die äußere Stellung im Gesetz, wie auch das Verhältnis des einzelnen Rechtsgedankens zu anderen Bestandteilen des gesamten Rechtssystems bezeichnen kann. Zur Kennzeichnung des Wesens des systematischen Auslegungselements, auf das unten näher einzugehen sein wird, erscheint die Beifügung des Begriffs "logisch" aber entbehrlich und soll deshalb im folgenden unterbleiben. Damit bleibt für die logische Auslegung das oben bezeichnete: Klärung syntaktischer Zusammenhänge innerhalb des einzelnen Rechtssatzes und des Zusammenhangs mit Legaldefinitionen und ergänzenden Bestimmungen. Letzteres ist vorliegend schon mit der Wortauslegung abgehandelt: In-

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

47

dem nach dem spezifischen Fachsprachgebrauch des Begriffes "Jahresüberschuß" im Aktiengesetz gefragt wurde, mußte auf die Definitionen der §§ 266, 275 HGB zurückgegriffen werden, ohne die der Begriff nicht mit Sinn erfüllt werden kann. Ergänzende Bestimmungen, die den Begriff rein sprachlich weiter klären, ohne damit gleich in ein systematisches Auslegungselement vorzudringen, sind nicht ersichtlich. Ebenfalls nicht ersichtlich ist, daß etwa eine Untersuchung des syntaktischen Baus des § 58 Abs. 2 AktG etwas zur Klärung der Ausgangsfrage beitragen könnte42 . Damit bleibt von der in der Kapitelüberschrift genannten Trias nur noch die systematische Auslegung weiter zu verfolgen und vorab zu klären, was der Begriff bezeichnen soll.

2. Insbesondere: die systematische Auslegung Nach Savigny bezieht sich das systematische Element der Auslegung "auf den inneren Zusammenhang, welcher alle Rechtsinstitute und Rechtsregeln zu einer großen Einheit verknüpft,.43. Damit werden zwei Dinge in Bezug genommen, die vom in der europäischen Rechtstradition stehenden Juristen mühelos mit dem Stichwort "Einheit der Rechtsordnung" assoziiert werden44 , daß nämlich zwischen den einzelnen Rechtssätzen insofern ein innerer Zusammenhang besteht, als diese sich ergänzen45 und sich vor allen Dingen nicht widersprechen46, um auf diese Weise eine "große Einheit" zu bilden. Auf einen solchen Zusammenhang und eine solche Einheit lassen sich Auslegungsargumente aber nur stützen, wenn sie tatsächlich vorgefunden werden können. Inwieweit das der Fall ist, muß also vorher hinterfragt werden47. Ausgehend von dem oben48 aufgestellten Postulat, daß die Mindestbedingungen für die "Gerechtigkeit" einer juristischen Entscheidung die Gleichbehandlung wertungsmäßig gleichgelagerten Sachverhalte ist, ergibt 42 Zur Verdeutlichung: Ein Lehrbeispiel logischer Auslegung ist lange Zeit § 266 Abs. 1 StGB gewesen. Hier war Gegenstand lOgischer Auslegungen die Frage, ob das Vorliegen einer Vermbgensbetreuun~pflicht Tatbestandsmerkmal nicht nur des Treubruchstatbestandes, sondern auch des MIßbrauchstatbestandes ist; dafür, daß sich letzteres "schon aus dem Wortlaut ergibt", BGHSt 24, 386, 387; vgI. aber zu früher vertretenen Auffassungen Hübner, in: Leipziger Kommentar, § 266, Rdn. 5-15; Beispiel auch bei Savigny, System, Bd. I, S. 227 Note

e).

43

System, Bd. I, S. 214.

44 VgI. unter diesem Titel etwa die Heidelberger Antrittsvorlesung Engischs aus dem Jahre

1935.

45 Beispiele bei Larenz, Methodenlehre, 5. Aufl., S. 200 ff. 46 Hassold, Strukturen der Gesetzesauslegung, S. 225: "Postulat der Widerspruchsfreiheit". 47 Canaris, Systemdenken, S. 14. 48 Kap.A. IV.

48

B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

sich außer der Forderung, daß sich Entscheidungen auf bestimmte vorher aufgestellte Normvorgaben stützen müssen, desweiteren auch, daß sich die Einzelbausteine innerhalb der Gesamtheit der Normvorgaben - also die einzelnen Rechtssätze - nicht widersprechen dürfen. Täten sie dies, wäre die Gleichheit der Rechtsanwendung deshalb nicht mehr gewährleistet, weil das gleiche Verhalten von derselben als verbindlich aufgefaßten Rechtsordnung im Extremfall gleichzeitig als erlaubt und verboten, rechtsmäßig und rechtswidrig, geboten und nichtgeboten beurteilt werden könnte49 . Dann könnten nämlich rechtliche Entscheidungen gleicher Sachverhalte unterschiedlich ausfallen, obwohl sie sich jeweils auf den verbindlichen Normtextbestand berufen können. Um dies zu vermeiden, ging mit jeder Bestrebung, rechtliche Regeln zu kodifizieren das Bemühen einher, dies geordnet und in sich widerspruchsfrei zu tun, um auf diese Weise schon auf der Seite der Gesetzgebung die Voraussetzungen einer gleichmäßigen Rechtsanwendung zu schaffen. Dieser Gedanke beherrschte etwa schon die Gesetzgebung lustinians aus dem Jahre 53350, wenn dort die Rede davon ist, daß der Oberhofmeister Tribonian und seine Mitarbeiter Theophilus und Dorotheus51 es sich angelegen sein lassen sollten, Unrichtigkeiten aus den älteren Gesetzen und Constitutionen zu verbessern und in eine passende Ordnung zu bringen52, damit in keinem Teile des Rechtsbuches eine Antinomie eintrete, sondern ein Einklang und eine Konsequenz stattfinde, der niemand widersprechen könne53 . Dieses Ziel ist entgegen der Ansicht lustinians54 zwar nicht erreicht worden55 • Trotzdem ist sein - später so genanntes56 - Corpus iuris civilis im Mittelalter - initiiert durch das Wiederauffmden der J ustinianischen Digesten in Pisa im 11. Jh.57 - erneut zur Grundlage der Systematisierung 49 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 46; ders. Sinn und Tragweite juristischer Syste-

matik, S. 177.

50 Im Einzelnen: Der "Codex lustinianis", eine ausJ:ewählte Sammlung von Kaisergesetzen und Reskripten römischer Kaiser seit Trajan in 12 Bilchern, in kraft getreten 529, die 50 Bücher der Dlgesten oder Pandekten als Sammlung von Exzerpten aus Werken der klassischen römischen Juristen, 533; und ein einführendes offIZielles Lebrbuch in 4 Büchern (Instituti0nes, 533); vgl. im einzelnen Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 14; Eisenhardt, Deutsche RechtsgeschIchte, S. 76 f. 51 Siehe die Vorrede zu den Institutionen bei Otto/Schilling/Sintenis, Bd. I, S. XXXI. 52 Codex liber I, Titel 17, Kap. 1, § 7, bei Otto/Schilling/Sintenis, Bd. 5, S. 178. 53 Codex liber I, Titel 17, Kap. 1, § 8, bei Otto/Schilling/Sintenis, Bd. 5, S. 179. 54 Ebd. Titel 17, Kap. 2, § 15: "Irgendein Widerspruch wird aber in diesem Rechtsbuch nicht vorkommen .. .", bel Otto/SchillingjSintenis, Bd. 5, S. 188.

5~ Raisch, Zur Bedeutung einer systematisch angelegten Kodifikation, S. 888; Beispiele bei Savlgny, System, Bd. I., S. 275, Note d-g. 56 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 75. 57 Vgl. dazu Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 14 ff.

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

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des Rechtsstoffes genommen worden, und zwar durch die Glossatoren und Postglossatoren, die das Werk zu vervollkommnen gedachten, indem sie in der Form der Distinktion aus den Quellen eine Hierachie von Ober- und Unterbegriffen entwarfen, in die sich der Rechtsstoff in einem widerspruchsfreien System einordnen lassen sollte. Ohne auf Einzelheiten der weiteren Entwicklunf rechtswissenschaftlicher Arbeitsweisen hier näher eingehen zu könnenS , muß im vorliegend interessierenden Zusammenhang hervorgehoben werden, daß sich das Bemühen um die Systematisierung des Rechtsstoffes bis zu den Kodifikationswerken des 19. Jh. weiterverfolgen läßt. Einen wesentlichen Anstoß hierzu gab nämlich das Naturrechtsdenken der Aufklärungszei~9, dessen spezifische Ausprägung für die Jurisprudenz u.a. von dem Vernunftrechtssystem Pufendorffs repräsentiert wird6O • Als Produkt dieses Denkens können die Gesetzeskodifikationen um die Jahrhundertwende vom 18. zum 19. Jh., nämlich das ALR von 1794, der Code Civile von 1804 und das Österreichische ABGB von 1811, ferner das Sächsische BG von 1865 angesehen werden61 • Entstand zwischen den Fortführern von Pufendorffs Gedanken und den Vertretern der von Savigny begründeten historischen Schule, die das geschichtliche Denken als die das gesamte Rechtsleben mitgestaltende Kraft ansah und deswegen unter Eliminierung der das klassische römische Recht entstellenden Arbeiten der Glossatoren und Kommentatoren zu den römisch-rechtlichen Quellen zurückkehren wollte62, zwar der sogenannte "Kodifikationsstreit" um die Neukodifikation des Privatrechts63 für alle deutschen Staaten, so mündeten beide Denkrichtungen doch in weitere Systematisierungsbestrebungen, da auch Savignys Betonung des historisch Gewordenen sich nur in einer formal-begrifflichen, systematisch-konstruktiven Denkweise darstellen ließ64. Die hieraus folgende Begriffsjurisprudenz ver58 Dazu vor allem Raisch, Zur Bedeutung einer systematisch angelegten Kodifikation, S. 888 ff.; Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 17 ff.; Wesenberg, Privatrechtsgeschichte, S. 105 Cf.; Mitteis/Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 295 ff.; StintzingjLandsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, S. 37 ff.; Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 72 ff., 142 Cf. 59 Dazu Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 71 ff.; im weiteren Zusammenhang auch FriedelI, Kulturgeschichte der Neuzeit, S. 563 ff., bes. S. 595 f., 651 ff. 60 Raisch, Zur Bedeutung einer systematisch angelegten Kodifikation, S. 893 f.

61 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, S. 171. 62 Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 72 ff. 63 Siehe dazu einerseits Thibauts Schrift "Über die Notwendigkeit eines allgemeinen bürgerlichen Rechts für Deutschland" und andererseits Savigny, "Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft", in: Thibaut und Savigny, S. 61 ff. und 95 ff.; dazu Eisenhardt, Rechtsgeschichte, S. 300 ff.

64 Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 76; Coing, Die juristischen Auslegungsmethoden, S. 9; Eisenhardt, Rechtsgeschichte, S. 306.

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B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

stand sich als Verwalterin eines den Naturwissenschaften verwandten axiomatisch-deduktiven Systems der Rechtssätze65 • Diese Denkweise war Z.Zt. der Arbeit an den Entwürfen zum BGB noch durchaus lebendig, wie sich am Aufbau des Gesetzes mit seinem Fortschreiten vom Allgemeinen zum Besonderen, das ein ausgefeiltes Begriffsinstrumentarium voraussetzt66, ablesen läßt. Der allgemeine Teil des BGB mit seiner Distinktion Rechtsnormen-Personen-Rechtsgeschäfte-Fahrlässigkeit-Irrtum -Zeitbestimmungen-Anspruchsverjährungen usw. 67 kann deswegen als nahtlos auf das Vernunftrecht zurückführbar bezeichnet werden68 • Ist damit - wenn auch in sehr geraffter Form - aufgezeigt, daß für den Bereich des BGB das Ideal der Systematisierung und Widerspruchsfreiheit herrschend ist69 , so gilt für den hier interessierenden Bereich des Aktienrechts dasselbe. Schon die Beratungen über den Erlaß des ADHGB ab 1857 zeigen, daß die KodifIkationsbemühungen um den Bereich des Handelsrechts in der gleichen Tradition der Bemühungen um eine Systematisierung standen wie die um das übrige Privatrecht70 • Sein Nachfolger, das HGB von 1897, verstand sich hauptsächlich als Anpassung der handelsrechtlichen Vorschriften an das System des nun vorliegenden BGB71 • Die Aktienrechtsnovelle von 1937 versteht die Einheitlichkeit und Systematisierung des Aktienrechts als eine solche Selbstverständlichkeit72, daß sich die Frage ob hier Konsistenz und Widerspruchsfreiheit angestrebt ist, kaum noch stellen kann. Das gleiche gilt für die Aktienrechtsnovelle von 1965, die einerseits, wie sich schon aus der Anordnung der Vorschriften mit ihrer Gliederung in Allgemeine Vorschriften - Gründung - Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter-Verfassung der Aktiengesellschaft usw. zeigt, einen in sich systematischen Aufbau des Gesetzes anstrebt, andererseits aber auch die konsistente Einfügung des Aktienrechts

65 Raisch, Zur Bedeutung einer systematisch angelegten Kodifikation, S. 894. 66 Schlosser, Privatrechtsgeschichte, S. 102. 67 Vgl. die Übersicht zum ersten Entwurf bei Schubert, Die Vorentwürfe, S. 41 ff.

68 Raisch, Zur Bedeutung einer systematisch angelegten Kodifikation, S. 894. 69 So auch die Ansicht der Mitglieder der ersten Kommission, vgI. Mot. I, S. 16. 70 Dazu Schumacher, Die Entwicklung der inneren Organisation der Aktiengesellschaft, S. 64 ff.; Raisch, Die Abgrenzung des Handelsrechts vom bürgerlichen Recht, S. 116 ff. 71 BTÜggemann, in HGB, Großkommentar, Allgemeine Einleitung, Anm. 8. 72 Vgl. etwa die Ausführungen Hachenburgs im Protokoll der 1. Sitzung des Arbeitsausschusses bei SChubert/Hommelhoff, Die Aktienrechtsreform am Ende der Weimarer Republik, S. 833 ff. und die erläuternden Bemerkungen des Reichsjustizministeriums zum Entwurf von 1931, ebd. S. 907 ff.

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

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insgesamt in die Rechts- und Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland erreichen will73 • Damit kann folgendes festgestellt werden: Von dem hier in erster Linie interessierenden Aktienrecht kann gesagt werden, daß seine Kodifikation von dem Ideal der Systematisierung sowohl der Darstellung als auch der inhaltlichen Widerspruchsfreiheit geleitet ist. Damit ist das Anliegen, aus einem inneren Zusammenhang zwischen Rechtsinstituten oder Rechtsregeln Argumente für die Auslegung einer Einzelregelung herleiten zu wollen, mindestens nicht dem Auslegungsobjekt unangemessen. Indes wäre es verfehlt anzunehmen, man könne sich des Systems des Aktienrechts wie eines naturwissenschaftlichen durch logisch-deduktive Schlußfolgerungen bedienen. Dafür, daß dies nicht möglich ist, können hier wiederum nur stellvertretend einige Gedanken aufgezeigt werden. Die Handhabung eines Normensystems in deduktiver Weise setzt voraus, daß es sich auf Axiome gründet, deren Inhalt gewiß und unwandelbar ist. Es müßten also rechtliche Grundbegriffe defIniert werden können, aus denen sich alle weiteren Schritte der Normkonkretisierung rein logisch ableiten ließen. Daß dies nicht möglich ist, ergibt sich schon aus der Wandelbarkeit der sozialen Wirklichkeit und der daraus folgenden Wandelbarkeit auch der Grundbewertungen der Rechtsordnungen, weswegen auch der Inhalt von etwa aufgestellten Grundpostulaten Wandlungen unterworfen ist74 . Zudem steht die zu bewältigende Fülle von begriffsdeterminierenden Merkmalen schon der sinnvollen Konstruktion von Grundbegriffen entgegen, wie Engisch eindrucksvoll gezeigt hat75. Hinzu kommt die Erkenntnis, daß die Tätigkeit des Deduzierens aus wie auch immer postulierten Grundbegriffen in der juristischen Entscheidungsfmdung gleichsam nur als der Rahmen der Ableitung der Entscheidung erscheint, nicht aber als deren Träger, weil auf jeder Stufe Bewertungen hinzutreten, deren Einordnung in ein deduktives System kaum plausibel gelingen kann76. Das liegt nicht zuletzt daran, daß ein vollständiges juristisches System auch die Kenntnis aller denkbaren Lebenssituationen, auf die das Gesetz Anwendung fInden kann, voraussetzen müßte 77. Daß das unmöglich ist, haben etwa die Entwurfsverfasser des BGB 73 Vgl. nur die Begr. zum RegE, Allgemeines, bei Kropf!, AktG, S. 14. 74 Canaris, Systemdenken, S. 63 f.

75 Sinn und Tragweite juristischer Systematik, S. 174 ff. 76 Engisch, ebd. S. 176.

77 Coing, Rechtsphilosophie, S. 242.

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B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

deutlich gesehen78 • Deshalb kann die Auffassung vom Recht als einem geschlossenen, axiomatisch-deduktiven System heute als überholt bezeichnet werden79. Das macht aber Auslegung aus dem Sinnzusammenhang des Gesetzes und ggfs. weiterer Teile der Rechtsordnung nicht überflüssig. Läßt sich auch das Ziel eines in sich geschlossenen und damit im Ganzen widerspruchsfreien Systems der Rechtsordnung nicht erreichen, so wird dies doch - wie oben gezeigt - vom Gesetzgeber des Aktienrechts erstrebt und - so kann unterstellt werden - mindenstens in Teilbereichen der zu ordnenden Rechtsmaterie erreichtso. Dies bei der Auslegung einer Vorschrift außer acht zu lassen, würde die Gefahr beinhalten, sich mit dem Auslegungsergebnis in Widerspruch zu anderen Regelungen mindestens aus dem näheren Umkreis zu begeben. Systematische Auslegungsarbeit ist also unter dem Gebot möglichster Widerspruchsfreiheit der Normaussagen, die ihrerseits im Dienst der Rechtsanwendungsgleichheit steht, geboten81 • Zu erörtern bleibt aber, wie eine solche systematische Auslegung praktisch verfahren kann.

3. Äußere - innere Systematik Phillipp Heck unterschied bei seinen Erörterungen, die die systematische Arbeit der Rechtswissenschaft behandeln, zwischen dem äußeren System, das der Darstellung der gewonnenen Erkenntnisse dient, und dem inneren System, das - der eigentlichen Konfliktentscheidung dienend - die in sich widerspruchsfreie Ordnung der Norminhalte beinhaltet82 . Die gleiche Unterscheidung läßt sich sinnvollerweise auch da treffen, wo es um die systematische Auslegung von Normtexten geht, die Bestandteil eines kodifizierten Gesetzeswerks sind. Wie schon hervorgehoben83, war der Gesetzgeber des AktG 1965 um die Herstellung eines in sich möglichst widerspruchsfreien Regelwerks bemüht. Dieses darzustellen erfordert mithin auch ein äußeres System der sinnvollen Anordnung der Texte der Einzel78

Mot. I, S. 6, 7, 16.

79 Canaris, Systemdenken, S. 21; Raisch, Zur Bedeutung einer systematisch angelegten Kodifikation, S. 904. SO Peine, Das Recht als System, S. 114 Cf., 122. 81 Raisch, Zur Bedeutung einer systematisch angelegten Kodifikation, S. 894 f.; vgl. ferner auch Canaris, Systemdenken, S. 62 Cf.; Coing, RechtsphiTosophie, S. 343. 82 BegriCfsbildung und Interessenjurisprudenz, S. 139 Cf., besonders S. 142, 143. 83 Soeben oben 2.

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

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normen84 , wie ein Blick auf die Inhaltsübersicht zum AktG zeigt. Daß die Bemühung um eine solche äußere Ordnung während des Gesetzgebungsverfahrens stets präsent war, läßt sich an vielen Stellen der Materialien belegen85 • Da die so geordnet dargestellten Sachentscheidungen des Gesetzgebers zugleich dessen Mittel sind, aus Normtexten im Einzelfall die Gewinnung verbindlicher Entscheidungsnormen zu ermöglichen, kann erwartet werden, daß das äußere System der Darstellung bis zu einem gewissen Grade das innere System der Bedeutungszusammenhänge widerspiegelt86, aus dem äußeren System also Rückschlüsse auf das innere möglich sind. Als Beispiel87 einer Interpretation aus dem äußeren Darstellungssystems eines Gesetzeswerks mag die Erkenntnis dienen, daß die Vorschriften der §§ 842 ff. BGB über den Umfang der Ersatzpflicht, insbesondere § 847 über das Schmerzensgeld, nur für solche Schadensersatzpflichten gelten, die aus einer unerlaubten Handlung herrühren, nicht aber für solche aus Vertragsverletzungen88 . Letzteres wäre dagegen anzunehmen, wenn diese Vorschriften im Allgemeinen Teil des Schuldrechts bei den Vorschriften über den Inhalt von Schadensersatzansprüchen (§§ 249 ff. BGB) eingeordnet worden wären. Also wird vorliegend zu untersuchen sein, ob aus der Stellung des § 58 Abs. 2 im Darstellungssystem des AktG Schlüsse auf seinen Bedeutungsgehalt gezogen werden können. Als mehr formales Auslegungsargument tritt die Interpretation aus dem äußeren System aber hinter die aus dem inneren System zurück und zwar auch deshalb, weil die Möglichkeiten des Gesetzgebers, über ein inhaltlich möglichst widerspruchsfreies System hinaus auch noch ein ebensolches der Darstellung zu schaffen, begrenzt ist. Also wird das Hauptaugenmerk auf der Auslegung auf dem inneren System liegen müssen. Es muß also festgestellt werden, in welcher möglichen Auslegungsvariante sich § 58 Abs. 2 möglichst widerspruchslos in dem Zusammenhang verwandter Regelungen des AktG einfügen läßt89 . Dazu ist es notwendig, nach Möglichkeit zu erkennen, welchem übergeordneten Regelungsprinzip sich die Einzelregelungen im Recht der verbundenen Unternehmen und im Recht der Überschuß-

84 Heck, Begriffsbildung, S. 143; Engisch, Sinn und Tragweite juristischer Systematik, S. 180. 85 Vgl. nur die Begr. des RegE bei Kropff, AktG 1965, S. 19 zu §§ 1 und 2, S. 27 zu § 15, S. 32 zu § 18, S. 47 zu § 27 u.s.w.

86 Engisch, Sinn und Tragweite, S. 180; ders., Einführung, S. 79; Zippe/ius, Methodenlehre, S. 51; Ltirenz, Methodenlehre, 5. Aufl., S. 201. 87 Nach, Larenz ebd. S. 201. 88 Soweit ersichtlich unstreitig, vgI. nur Themas in Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, § 847 Anm.l. 89 So auch Wüst, Prinzipienbildung, S. 228.

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B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

verwendung unterordnen lassen90, bzw. welches Auslegungsergebnis des § 58 diesen Prinzipien am ehesten gerecht wird. Als Beispiel der Erkenntnis eines erkannten Regelungsprinzips mag der Gedanke der Schadensteilung aus § 254 BGB dienen: Der Gedanke der Verteilung der Schadenstragung nach Verursachungsbeiträgen bzw. nach dem Grad des Verschuldens wird über den Bereich des BGB hinaus überall da angewandt, wo solche Beiträge mehrerer Personen gegeneinander abzuwägen sind, etwa auch auf Gewährleistungsansprüche nach der VOB, wenn ein Mangel des Vertragsgegenstands zum Teil vom Unternehmer zu vertreten ist, zum Teil aber auch auf Mängeln der vom Bauherrn gelieferten Baustoffe beruht, und zwar auch dann, wenn der Anspruch des Auftraggebers auf Nachbesserung, Kostenerstattung oder Minderung (§ 13 Nr. 5 Abs. 1,2, Nr. 6 VOBjB), also nicht auf Schadensersatz geht91 . Auf solche Weise vermag ein erkanntes Regelungsprinzip Wirkungen auf die Auslegung auch darstellungsmäßig entfernter Vorschriften zu entfalten. Im folgenden sollen deshalb sowohl Aspekte des äußeren wie des inneren Systems beleuchtet werden. a) Die Stellung von § 58 im Aktiengesetz Das Aktiengesetz 1965 wählt bei der Form seiner Darstellung eine Einteilung in fünf Bücher. Die letzten beiden sind mit den Überschriften Verschmelzung - Vermögensübertragung - Umwandlung bzw. Sonder-, Strafund Schlußvorschriften versehen. Sie bilden deswegen offensichtlich einen Appendix zum Kernbereich der Regelungen in den ersten drei Büchern, was sich am Vierten Buch auch daran zeigt, daß mindestens die Darstellung der Regelungen über die formwechselnde Umwandlung auch an anderer Stelle in einem gesonderten Gesetz denkbar wäre, wie es für die Umwandlung von Kapital- in Personengesellschaften und einzelkaufmännische Unternehmen und umgekehrt auch durch das Umwandlungsgesetz vom 12. November 195692 geschehen ist. Das Vierte und Fünfte Buch des Aktiengesetzes können deshalb hier außer Betracht bleiben. Sind die ersten drei Bücher mit Aktiengesellschaft - Kommanditgesellschaft auf Aktien - verbundene Unternehmen überschrieben, dann fragt sich also, welche Schlüsse daraus gezogen werden können, daß § 58 AktG im Ersten Buch steht, insbesondere, ob seine Auslegung unter Be90 vgl. Raisch, Zur Bedeutung einer systematisch angelegten Kodifikation, S. 899.

91 Daub/Piel/Soergel/Ste!fani, Kommentar zur VOB, § 13 Anm. 73; BGH NJW 72, 447. 92

BGBI. I, S. 844, Neubekanntmachung vom 6. November 1969, BGBI. I, S. 2081.

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

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rücksichtigung einer Konzernverbundenheit der Gesellschaften, in denen die Vorschrift angewandt werden soll, daran scheitert, daß sie nicht im Dritten Buch über verbundene Unternehmen steht. Ein solcher Schluß läge dann nahe, wenn das Erste, mit "Aktiengesellschaft" überschriebene Buch ausschließlich und abschließend Regelungen über die unverbundene Aktiengesellschaft enthielte, und das Dritte mit "Verbundene Unternehmen" überschriebene, etwas davon wesensmäßig Verschiedenes behandelte, so daß § 58 AktG ausschließlich in isolierter Betrachtung der jeweils einzelnen Aktiengesellschaft Bedeutung erlangen könnte93 . Das ist aber nicht der Fall. Einerseits behandelt auch das Dritte Buch Aktiengesellschaften, wenn auch ausschließlich solche, die mit anderen Unternehmen - auch solchen anderer Rechtsformen - verbunden sind. Andererseits finden sich auch im Ersten Buch Regelungen über verbundene Unternehmen, etwa schon die Defmitionsnormen der §§ 15-19 AktG. Ferner finden sich Vorschriften, die an den Sachverhalt verbundener Unternehmen Rechtsfolgen knüpfen, auch in den §§ 20 Abs. 2 und 4, 21 Abs. 2, 56 Abs. 2, 71 Abs. 1, 71 a Abs. 1 und 2, 71 d, 89 Abs. 2 und 4, 90, 97 Abs. 1, 100 Abs. 2, 104 Abs. 1, 115 Abs. 1 und 3, 131 Abs. 1, 134 Abs. 1, 136 Abs. 2, 145 Abs. 3 und 160 Abs. 1. Damit wird deutlich, daß die Überschrift über dem Ersten Buch keinen Ausschließlichkeitsanspruch auf unverbundene Gesellschaften erhebt. Das erklärt sich aus der Gesetzgebungsgeschichte. Das Aktiengesetz 1937 war in vier Bücher eingeteilt. Das im Aktiengesetz 1965 an dritter Stelle stehende Buch über verbundene Unternehmen ist eingefügt worden und enthält mit den Regelungen über den Unternehmensvertrag (§§ 291 ff.), über Leitungsmacht und Verantwortlichkeit (§§ 308 ff.) und über eingegliederte (§ 319 ff.) und wechselseitig beteiligte Gesellschaften (§ 328) materiell neues Recht. Verstreute Vorschriften über verbundene Unternehmen fanden sich dagegen auch schon im Ersten Buch des AktG 1937, vgl. etwa die §§ 15, 51, 65 Abs. 5 und 6, 80 Abs. 95 Abs. 2, 112 Abs. 1, 114 Abs. 4, 128 Abs. 2, 131 Abs. 1 und 6, 134 Ziff. 2 . Die neuen Vorschriften in einem eigenen Buch darzustellen, war nach der Begründung des Regierungsentwurfs angesichts ihres Umfanges aus Gründen der Übersichtlichkeit geboten95 , eine Verwirklichung der durch die Neuregelung angestrebten Ziele hätte sich nach Ansicht der Entwurfsverfasser aber auch erreichen lassen, wenn die Änderungen bei den Vorschriften über die Verfassung der Aktiengesellschaft (§§

i4

93 Die Möldichkeit dieser Sichtweise deuten an Lutter, FS Goerdeler, S. 334 und Wemer, FS Stimpel, S. 941 f. 94 Vld. daneben noch § 256 im Dritten Buch. Zum Konzernrecht unter dem AktG 1937 vgl. Ritter, Aktiengesetz, § 15; TeichmannjKoehler, Aktiengesetz, § 15; v. GodinfWilhelmi, AktG 1937, § 15; eine Gesamtdarstellung bietet Rasch, Deutsches Konzernrecht, 2. Aufl.

95 Kropf!, Aktiengesetz, S. 375.

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B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

76 ff.~ angesetzt hätten% , weil ja nach der Ansicht des Regierungsentwurfs 7 durch die Konzernbildung gerade die Verfassung der Gesellschaft tangiert wird. Somit widerspricht es nicht der Buchüberschrift "Aktiengesellschaft", wenn in diesem Buch auch Regelungen enthalten sind, die Konzernsachverhalte betreffen. Also ergeben sich darstellungssystematische Argumente gegen eine konzerndimensionale Auslegung von § 58 AktG zumindest nicht aus seiner Stellung im Ersten Buch. Allerdings steht § 58 AktG innerhalb des Ersten Buches nicht im Vierten Teil, der mit "Verfassung der Aktiengesellschaft" überschrieben ist, sondern im Dritten Teil unter der Überschrift "Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter". Zu fragen ist also, ob dies zu dem Schluß zwingt, die durch ihn getroffene Regelung sei nur in der einzelnen Aktiengesellschaft anwendbar. Dazu gilt es zunächst zu klären, in welchem Verhältnis dieser Dritte Teil des Ersten Buches zu den übrigen Teilen steht, und welche Merkmale die unter diesem Titel vereinigten Vorschriften gegenüber den der anderen Teile kennzeichnen. Keine Schwierigkeiten bereiten dabei der zweite Teil ("Gründung der Gesellschaft"), der Fünfte Teil ("Rechnungslegung, Gewinnverwendung"), der Sechste Teil ("Satzungsänderung, Maßnahmen der Kapitelbeschaffung und Kapitalherabsetzung"), der Siebente Teil ("Nichtigkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen und des festgestellten Jahresabschlusses. Sonderprüfung wegen unzulässiger Unterbewertung") und der Achte Teil ("Auflösung und Nichtigerklärung der Gesellschaft"). Die Überschriften zu diesen Teilen kennzeichnen jeweils genau den Inhalt der unter ihnen dargestellten Vorschriften. Dabei ist hinsichtlich des Fünften Teils, soweit er die Gewinnverwendung betrifft, hervorzuheben, daß § 174 Abs. 1 AktG die Zuständigkeit der Hauptversammlung zur Beschlußfassung über den Teil des Jahresüberschusses betrifft, der als Gewinn verbleibt, nachdem der Jahresabschluß nach den §§ 172, 173 AktG festgestellt und damit über die Verwendung des Jahresüberschusses entschieden ist98 . Das wird durch § 174 Abs. 1 S. 2 hervorgehoben. Damit stehen diese Vorschriften zwar mit § 58 AktG in sachlichem Zusammenhang, grenzen sich diesem gegenüber aber hinsichtlich ihres Regelungsgehaltes auch klar ab, weil sie einen zeitlich nachfolgenden Vorgang behandeln. Als Ausnahme hiervon mag im näheren Umfeld allerdings § 173 Abs. 2 S. 2 AktG erscheinen, der für den Fall, daß die Hauptversammlung % So die Begr. d. RegE bei Kropf!, S. 374.

97 Kropf!, Aktiengesetz, S. 373 ff., vgI. auch oben, Einleitung. 98

Kölner Komm., § 174 Rdn. 2-4; Kropf( in Geß174 Rdn. 11; Brönner in Großkomm. zum MiO § 174 Anm. Wilhelmi In v. Godln/wllhelmi, AktG 1%5 § 174 Anm. 3. Vgl.

Claussen

in

ler/HefermehIjEckardt/~'p'ff, §

1; S.

57

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

den Jahresabschluß feststellt, deren Befugnis zur Einstellung von Beträgen in die Gewinnrücklagen begrenzt. Insoweit berühren sich zwar § 173 und § 58 in ihrer Thematik, doch dient § 173 Abs. 2 S. 2 keiner Abgrenzung zwischen Zuständigkeiten verschiedener Organe, sondern nur der Zuweisung von Beschlußinhalten zu gesonderten Beschlußverfahren: Indem durch § 173 Abs. 2 S. 2 sichergestellt wird, daß die Hauptversammlung nur im eigentlichen Gewinnverwendungsbeschluß über eine höhere als die gesetzlich oder satzungsmäßig bestimmte Rücklagendotierung entscheiden kann, wird für diese Maßnahme die Anfechtungsmöglichkeit nach § 254 AktG mit der dort vorgesehenen kaufmännischen Beurteilung ihrer Notwendigkeit eröffnet99, während die Anfechtung des von der Hauptversammlung festgestellten Jahresabschlusses gem. § 257 nur unter den engen Voraussetzungen des § 243 möglich ist. Also berührt § 173 Abs. 2 S. 2 keine Organzuständigkeiten, sondern dient dem Schutz des Dividendenanspruches des Aktionärs. Dies konnte darstellungsmäßig im Fünften Teil geschehen, ohne daß damit seine Geschlossenheit und thematische Abgegrenztheit unter der zutreffenden Überschrift leidet. Damit bleibt der Erste, Dritte und Vierte Teil des Ersten Buches zu betrachten. Unter diesen wiederum offenbart am ehesten der Vierte, mit "Verfassung der Aktiengesellschaft" überschriebene Teil seinen Inhalt aus der Überschrift. Indem in diesem Teil die Organe der Aktiengesellschaft, Vorstand, Aufsichtsrat und Hauptversammlung in ihrer Struktur beschrieben und der Kernbereich ihrer Kompetenzen zwingend normiert wurde (vgl.§ 23 Abs. 5 AktG und das Fehlen der Gestattung abweichender Satzungsbestimmungen etwas in § 76 Abs. 1, 78 Abs. 1, 111 Abs. 1, 119 Abs. 1 und 2 AktG), läßt sich mit Recht davon sprechen, daß dieser Teil die Grundstruktur der inneren Ordnung der Aktiengesellschaft, die Verfassung ihrer werbenden Tätigkeit beschreibt100 . Dazu gehören auch die Vorschriften über die Verantwortlichkeit der Mitglieder von Vorstand und Aufsichtsrat (§§ 93 und 116 AktG) als Korrelat ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen in der Aktiengesellschaft101 • Innerhalb dieses Vorschriftenkomplexes kann allerdings der Dritte Abschnitt, der den § 117 über die Schadensersatzpflicht bei Benutzung des Einflusses auf die Gesellschaft enthält, als Fremdkörper erscheinen, da die 99 Krop.ff in GeßlerjHefennehljEckardtjKropff , § 174 Anm. 11, § 173 Anm. 11; vgl. die

Begr. zum"RegE bei Kropff, Aktiengesetz, S. 280.

100 Vld. dazu Hefermehl in GeßlerjHefennehl/Eckardt/Kropff, Aktien~esetz, Vorbem. vor § 76, Ronr. 1-3; Schmalz, Die Verfassung der Aktiengesellschaft, S. 1 u.6.; zum AktG 1937 TeichmannjKoehler, Aktiengesetz, § 70, Anm. 1. 101 SchillinK. in AktG Großkomm. § 93 Anm. lerjHefennehlftiCkardtjKropff, § 93 Rdn. 2.

9,

10; Hefermehl

in

Geß-

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B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

Schadensersatzpflicht nach dieser Vorschrift iede Person treffen kann, auch solche, die außerhalb der Gesellschaft stehen 02 und von der Verfassung der Aktiengesellschaft an sich nicht berührt werden. Die Stellung dieser Vorschrift im Vierten Teil des Ersten Buches ist aber historisch erklärbar. § 117 AktG 1965 entspricht in seinen Grundzügen dem § 101 AktG 1937. Unter der Geltung dieses Gesetzes, dem Vorschriften über den Verlustausgleich im Vertragskonzern (§ 302 AktG 1965) und über die Verantwortlichkeit im faktischen Konzern (§ 317 AktG 1965) fehlten, war diese Vorschrift die einzige Handhabe zur Beurteilung der Ausübung von Leitungsmacht im Konzern, soweit diese zu einer Benachteiligung der beherrschten Gesellschaft führte 103 • Insofern handelte es sich dabei um eine notwendige Ergänzung der Haftungsvorschriften der §§ 84 und 99 des AktG 1937, die dem Einfluß der Konzernlage auf das Kompetenzgefüge in der Aktiengesellschaft, das nicht mehr in jedem Fall dem von den Vorschriften dieses Abschnitts über die "Verfassung" der unverbundenen Aktiengesellschaft vorgestellten Idealtyp entspricht, Rechnung trägt. So gesehen war die Aufnahme der Vorschrift in den Vierten Teil des Ersten Buches darstellungssystematisch konsequent. Bei der Aktienrechtsnovelle von 1965 ist die Vorschrift an dieser Stelle verblieben, auch wenn ihr Hauptanwendungsbereich durch die Vorschriften des neuen Dritten Buches erheblich eingeengt worden ist 104 und sie im wesentlichen nur noch die Einflußnahme seitens eines Nichtunternehmens auf die Aktiengesellschaft betrifft105, wobei zudem die Stimmabgabe in der Hauptversammlung vom Anwendungsbereich ausgenommen ist (§ 117 Abs. 7 AktG). Damit ist die thematische Verbindung zur "Verfassung" der Aktiengesellschaft weitgehend gelockert, so daß die Vorschrift auch im Ersten Teil ("Allgemeine Vorschriften") darstellbar wäre. Der Erste Teil seinerseits enthält Vorschriften ganz unterschiedlichen Charakters. Einerseits fmden sich so grundlegende Vorschriften wie § 1 Abs. 1 S. 1 über die Rechtsfähigkeit der Aktiengesellschaft, § 1 Abs. 2 über das Grundkapital, § 3 über die Eigenschaft der Aktiengesellschaft als Handelsgesellschaft, die nach § 6 HGB die Vorschriften über die Kaufleute zur Anwendung bringt, ferner § 12 über das Stimmrecht. Können diese Vorschriften - neben anderen - als grundlegend für die Struktur der Rechtsform 102 Mertens in Kölner Komm. § 117 Rdn. 9. 103 Mertens in Kölner Komm. § 117 Rdn. 8; v. Godin/WilhelmiJ.. Aktiengesetz 1937, § 101 Anm. 11 2; Ritter, Aktiengesetz § 101 Anm. 2-2 b; Begr. zum AktG 1'J37 Beilage S. 1. 104 VIÖ. d. Begr. zum ReitE bei Kropff, Aktiengesetz, S. 163; zum Verhältnis von § 117 zu § 317 AktG vgI. BrUggemeier, Die AG 19S8;93 ff. und Lutter, ZGR 1982, 259.

105 Mertens in Kölner Komm. § 117 Rdn. 8.

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

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Aktiengesellschaft angesehen werden, so fmden sich daneben auch Vorschriften mit rechtstechnischem Charakter: § 5 über den Gesellschaftssitz, § 13 über die Unterzeichnung von Aktienurkunden, § 14 über die Gerichtszuständigkeit. Die Vorschriften der §§ 7 und 8 über die Mindestnennbeträge des Grundkapitals und der Aktien sind greifbarer Ausdruck rechtspolitischer Erwägungen, entsprechend &"oBen Schwankungen sind die Mindestnennbeträge ausgesetzt gewesen1 . Das Verbot der Unter-Pari-Emission des § 9 Abs. 1 dient der Sicherung des Anfangsvermögens und steht in sachlichem Zusammenhang mit den Vorschriften, die der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung dienen, wie etwa auch § 54, § 57 und § 58 Abs. 5, §§ 66, 71, 71 d, wird andererseits aber auch bei Gründung einer Aktiengesellschaft relevant und steht deswegen darstellungssystematisch konsequent bei den allgemeinen Vorschriften. Daß hier auch die defmitorischen Vorschriften über die verbundenen Unternehmen (§§ 15-18 AktG) stehen, ist oben107 schon hervorgehoben worden. Insgesamt stellt der Erste Teil des Ersten Buches also ein Konglomerat aus Vorschriften dar, deren Stellung am Anfang des Aktiengesetzes sich aus ganz unterschiedlichen Gründen rechtfertigt. Inhomogen sind schließlich auch die Regelungsinhalte des Dritten Teils des Ersten Buches, der mit "Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter" überschrieben ist. Dabei bietet zunächst die Überschrift Anlaß zu Zweifeln darüber, welche Rechtsverhältnisse gemeint sind. Im ADHGB von 1861108 lautete die Überschrift über dem Zweiten Abschnitt des Dritten Titels ("Von der Aktiengesellschaft") des Zweiten Buchs ("Von den Handelsgesellschaften") noch "Rechtsverhältnisse der Aktionäre". Das kennzeichnete in Abgrenzung gegenüber dem Ersten Abschnitt ("Allgemeine Grundsätze"), dem Dritten Abschnitt ("Rechte und Pflichten des Vorstandes") und dem Vierten Abschnitt ("Auflösung der Gesellschaft") den Inhalt dieses Abschnittes zutreffend, insofern dort die Rechtsstellung, die Rechte und Pflichten des Aktionärs gegenüber der Gesellschaft beschrieben waren, etwa sein Anteil an dem Vermögen der Gesellschaft (Art. 216 Abs. 1), das Verbot der Einlagenrückgewähr (Art. 216 Abs. 2), das Zinsverbot (Art. 217), der Ausschluß der Rückgewährpflicht des in gutem Glauben Empfangenen (Art. 218), der Ausschluß der Nachschußpflicht (Art. 219), 106 Bei Erlaß des AktG 1937: Mindestnennbetrag der Aktie DM 1.000,-, Mindestnennbetrag des Grundkapitals DM 500.000,-. Zur Entwicklung vgI. Meyer-Landrut in AktG, GroSkomm., § 7 Anm. 1 ff. und § 8 Anm. 1 CC.; zum AktG 1965 VgI. Begr. zum RegE und Ausschußbericht zu §§ 7 und 8, bei Kropff, AktG 1965, S. 22 C.; vgI. auch unten Kap. C. 11.

107

Kap.A. I.

108 Abgedruckt bei Schuhen, Protokolle zum ADHGB, Bd. 11, Abschnitt (3).

B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

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die Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen auf die säumige Einlage (Art. 220), das Stimmrecht in der Hauptversammlung und deren Kompetenz (Art. 224), das Recht auf Berichterstattung durch den - für die Aktiengesellschaft fakultativen 109 -Aufsichtsrat (Art. 225 Abs. 2), daneben noch Vorschriften über Rechte und Pflichten des Aufsichtsrats (Art. 225 Abs. 1 und 3, 226). Letztere werden aber deswegen von der Abschnittsüberschrift noch getragen, weil es einen gesonderten Abschnitt über den Aufsichtsrat für die Aktiengesellschaft, wie auch überhaupt weitere Kompetenzvorschriften für diesen noch nicht gab, das Recht des Aufsichtsrates noch sehr unkonturiert war llO und dieser noch in erster Linie als Sondereinrichtung der Generalversammlung betrachtet werden konnte, mithin als Aktionärsrecht erschien. Die Aktienrechtsnovellen von 1870111 und von 1884112 änderten an der Abschnittsüberschrift nichts, allerdings war 1870 der Aufsichtsrat auch für die Aktiengesellschaft obligatorisch geworden113, Art. 209 Nr. 6; im Zweiten Abschnitt finden sich nun in den Art. 225-225 b nähere Bestimmungen zu seinen Rechten und Pflichten. Daß 1884 durch Art. 222 a das Recht auf Sonderprüfung eingeführt wurde, paßt aber wieder gut unter die Abschnittsüberschrift, weil es ein Aktionärsrecht gegenüber der Gesellschaft darstellt. Das HGB von 1897114 brachte dann eine durchgreifende Umgliederung, die u.a. die Aktiengesellschaft nicht mehr als Annex der Kommanditgesellschaft auf Aktien behandelte, sondern die sie betreffenden Regelungen voranstellte 115. Der Zweite Titel des Dritten Abschnitts im Zweiten Buch (§§ 210-230) erhielt nun die Überschrift "Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter,,116. Diese ist deswegen zutreffend, weil in diesem Titel nun auch Vorschriften erscheinen, die die Aktiengesellschaft an sich und nicht ihre Aktionäre oder das Verhältnis zwischen bei den betreffen: § 210 HGB regelt die Eigenschaft der Aktiengesellschaft als juristi109 Anders für die Kommanditgesellschaft auf Aktien, Art. 175 Nr. 6 ADHGB; zu den Gründen hierfür Schumacher, Die Entwicklung der inneren Organisation, S. 72. 110 Zur Entwicklung V21. Maasch-Feiset, Die Kompetenz zur Bildung von Aufsieh tsra tsa ussch üssen, S. 70 ff. 111

BGBI. des Norddeutschen Bundes, S. 375 ff.

112 RGBI. S. 123 ff. 113 Als Kompensation für den Wegfall des Konzessionssystems, vgl. Raisch, Unternehmensrecht 2, S. 23. 114 RGBI. S. 219 ff. 115 Vgl. die Denkschrift zur Reichstagsvorlage, bei Schuhen/Schmiedet/Krampe, Bd. 2/2, S.

1048.

116 Erklärungsversuche unternimmt Flechlheim in Düringer/Hachenburg, HGB, Anm. 1 vor§ 210.

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

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sche Person und als Handelsgesellschaft, was unter dem ADHGB beides zutreffender unter "Allgemeine Grundsätze" geregelt war (Art. 208, 213i117. Die Materialien geben keine Auskunft darüber, warum das so geschah ll , in den Beratungen ist hierzu nichts angemerkt worden119. Ebenfalls in diesen Teil aufgenommen wurde nun auch das Verbot des Erwerbs eigener Aktien (§ 226 HGB), das bei der Novelle von 1884 im Allgemeinen Teil Platz gefunden hatte (Art. 215 d ADHGB). Auch dazu findet sich keine nähere Begründung120• Außerdem wurde erstmals für die Aktiengesellschaft121 in § 217 eine Außenhaftung der Aktionäre, die verbotswidrig Zahlungen seitens der Gesellschaft empfangen hatten, gegenüber den Gesellschaftsgiäubigern eingeführt122. Wie § 226 so betrifft auch diese Vorschrift nicht das Verhältnis des Aktionärs zur Gesellschaft, so daß der mit "Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter" überschriebene Teil also schon unter dem HGB von 1897 multifunktional geworden war. Die veränderte Überschrift läßt sich also nur in der Weise als zutreffend begreifen, daß nunmehr verschiedene Aspekte der die Gesellschaft und die Aktionäre betreffenden Rechtsverhältnisse, sei es gesellschaftsintern, sei es nach außen, unter diesem Titel geregelt werden. Die Aktienrechtsnovelle von 1937123 verstärkte diese Tendenz. Es blieb sowohl bei der Überschrift über den nun als Dritten Teil des Ersten Buches erscheinenden Komplex, wie auch bei den dort angesiedelten Vorschriften über die Natur der Aktiengesellschaft als juristische Person (§ 48), die Haf117 Die AktiengesellSChaft unter dem ADHGB dabei als ·juristische Person" zu bezeichnen, ist nur unter Vorbehalt statthaft, auch wenn Art. 213 nach modernem Verständnis dies nahelegt. Die Mitltlieder der Nürnberger Kommission konnten sich auf dem Boden der Societätslehre (dazu Sc1wmacher, Die Entwicklung der inneren Organisation, S. 33 ff.) zu dieser Betrachtungsweise noch nicht durchringen, vgt. Protokolle S. 1039 f.; dazu Schumacher, S. 66. Erst Endemann kann sagen ·dem Aktienverein (werde) ... eigene Persönlichkeit zugestanden, ...• , Deutsches Handelsrechtl-,.S. 252 mit vielen Nachweisen in Fn. 21, 22; vgl. auch S. 284; in seinem Sinne auch schon Fick, LHR 5 (1862), 9; vorsichtig auch noch die Motive zu Art. 80 des Entwurfs eines allgemeinen Handelsgesetzbuchs für Deutschland (1848/49) bei Baums, S. 157. 118 Vgl. die Denkschrift zum Entwurf eines HGB (1895, RJA-E I), bei Schuben/Schmiedel/Krampe, Bd. 2/1, S. 118, die Denkschrift zum Bntwurf von 1896 (RJA-E 11), S. 131 und die Denkschrift zur Reichstagsvorlage, bei Schuben/SchmiedetjKrampe, Bd. 2/2, S. 1058. 119 Vltl. die Beratungen der ·Kommission Handel· bei Schuben/Schmiedet/Krampe, Bd. 2/1, S. 40'2; die Beratungen des Deutschen Handelstags von 1896, ebd. S. 611 f.; die Beratungen im Preußischen Staatsministerium vom Oktober 1896, ebd. S. 697 ff. 120 Vgl. die Denkschrift zur Reichstagsvorlage, bei Schuben/Schmiedel/Krampe, Bd. 2/2, S. 1064. 121 Anders vorher schon für die KGaA: Art. 198 ADHGB. 122 Vgl. die Denkschrift zur Reichstagsvorlage bei SChuben/Schmiedel/Krampe, Bd. 2/2, S. 1061 f.

123 RGBt. I, S. 197 ff.

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B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

tung der Aktionäre nach außen bei unrechtmäßigem Zahlungsempfang (§ 56) und den Erwerb eigener Aktien durch die Gesellschaft (§ 65 Abs. 1-3), dessen Verbot allerdings schon durch die Notverordnung vom 19. September 1931124 gelockert worden war. Diese Notverordnung hatte andererseits einen weiteren Regelungsgegenstand in den Gesetzesabschnitt eingebracht: Nach § 226 Abs. 4 wurde der Erwerb von Aktien einer Gesellschaft durch eine von dieser abhängigen Gesellschaft den gleichen Beschränkungen wie der Erwerb eigener Aktien unterworfen, wobei dieser Absatz auch gleich noch die Definition des abhängigen Unternehmens enthielt. Außerdem ordnete § 226 Abs. 5 das Ruhen der Rechte aus eigenen Aktien an. Die Novelle von 1937 differenzierte sodann zwischen originären und abgeleitetem Erwerb125 durch eine abhängige Gesellschaft und verbot den ersteren in § 51 Abs. 3, den letzteren in § 65 Abs. 5, ergänzt durch das Verbot treuhänderischen Erwerbs für solche Gesellschaften durch Dritte in Abs. 6. Damit sind zusätzliche konzernrechtliche Aspekte in diesen Teil aufgenommen worden, die Überschrift muß von nun an noch allgemeiner aufgefaßt werden 126. Das gleiche gilt auch nach der Novelle von 1965127. Zwar findet sich nun die Bezeichnung der Aktiengesellschaft als juristische Person in § 1, und die Haftung des Aktionärs gegenüber Gesellschaftsgläubigern entfällt zu Gunsten eines Anspruchs der Gesellschaft, den aber gegebenenfalls auch die Gläubiger geltend machen können (§ 62), der originäre Aktienerwerb durch die Gesellschaft selbst oder durch abhängige Unternehmen bleibt aber weiterhin durch eine Vorschrift aus dem Dritten Teil des Ersten Buches verboten (§ 56). Ebenso finden sich die Vorschriften über den abgeleiteten Erwerb eigener Aktien nach wie vor dort (§ 71 Abs. 1-3), wie auch über den durch abhängige Unternehmen (Abs. 4) und den treuhänderischen Erwerb (Abs. 5). Dieser Regelungskomplex ist durch das Gesetz vom 13.12.1978128, das die §§ 71 a-71 e einfügte, noch beträchtlich ausgebaut worden. Daneben brachte aber schon die Novelle von 1965 durch § 58 Abs. 1 eine Regelung zur Verwendung des Jahresüberschusses für den Fall, daß die Hauptversammlung den Jahresabschluß feststellt, in Abs. 2 Zuständigkeitsregelungen für Vorstand und Aufsichtsrat wenn diese dies tun und in Abs. 3 eine Kompetenznorm für die Hauptversammlung. Deswegen

124

RGBI. I, S. 493.

125 Vgl. die Amtliche Begründung, S. 3. 126 Die Bep-!ffe "he1T5Chende" und "abhängige Gesellschaft" sowie der der "Konzemgesellschaft finden sich außerdem im Recht der Rechnungslegung, vgl. §§ 260 a, 261 a, 261 d HGB. 127 BGBI. I, S. 1089.

128 BGBI. I, S. 1959.

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

63

kann Lutter zu Recht sagen129, daß "der Dritte Teil des Aktiengesetzes mit seinen §§ 54-75 ... weder alle Bestimmungen zum rechtlichen Verhältnis des einzelnen Aktionärs zur AG noch auch nur Bestimmungen aus diesem Bereich" enthielte. Wie gezeigt, kann die Überschrift ihrer Genese zufolge auch gar nicht so verstanden werden. Vielmehr hat sich dieser Teil zu einem Sammelbecken für Regelungen aus den verschiedensten Bereichen des Aktienrechts entwickelt, worunter auch konzernrechtliche sind. Aus der Stellung des hier interessierenden § 58 Abs. 2 AktG in diesem Teil des Ersten Buches kann also nicht gefolgert werden, daß eine Auslegung, die ihm einen Regelungsgehalt auch im Konzerngefüge beilegt, der Darstellungssystematik des Aktiengesetzes zuwiderliefe, weil konzernrechtliche Regelungen ausschließlich anderswo zu finden seien, oder eine solche Auslegung der Überschrift widerspräche. Freilich ist eine positive Aussage zum Auslegungsergebnis damit ebensowenig gewonnen. Wie schon oben bemerkt130 muß nun also nach der Darstellungs- (der "äußeren") Systematik die innere Systematik befragt werden. b) § 58 im Bedeutungszusammenhang des Aktiengesetzes Wenn, wie oben ausgeführt 13l, eine Mindestbedingung der "Gerechtigkeit" einer juristischen Entscheidung die Gleichbehandlung wertungsmäßig gleich gelagerter Sachverhalte ist, und es deshalb ein Hauptanliegen jeden bekannten Kodifikationswerkes ist, Widersprüche zwischen seinen Einzelteilen, die diese Gleichbehandlung gefährden würden, zu vermeiden 132, so ergibt sich daraus die Forderung, daß die Auslegung eines Einzelnormtextes nicht zu einem Ergebnis führen darf, das einen Widerspruch zu höher- oder gleichrangigem Recht erzeugt133. Auch mit der Auslegung muß also das Ziel der "Einheit der Rechtsordnung" angestrebt werden 134. Dazu muß versucht werden, den "inneren Zusammenhang" der alle "Rechtsregeln zu einer großen Einheit verknüpft" zu erkennen, um damit bestimmen zu können, "in welchem Verhältnis dieses Gesetz zu dem ganzen Rechtssystem steht, und wie es in dieses System wirksam eingreifen soll,,135. 129 In Kölner Komm., Vorbem. vor § 54, Rdn. 1. 130 Kap. B. 11. 3. a.E. 131 Kap.A IV. 132 Kap. B. 11. 2. 133 VgI. auch Coing,

Rechtsphilosophie, S. 313.

134 Zippelius, Methodenlehre, S. 48.

135 Savigny, System, Bd. I, S. 214.

B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

64

Wenn Savigny im Abschnitt über die Analogie vorschlägt, die innerhalb eines Rechtsinstituts neu auftretende einzelne Rechtsfrage mit Hilfe der inneren Verwandtschaft der diesem Institut angehörenden Rechtssätze zu beantworten 136, dann wird damit die praktische AufgabensteIlung der Auslegung aus dem inneren System zutreffend beschrieben: Wird hinsichtlich § 58 Abs. 2 nach dem Umfang zulässiger Rücklagenbildung im Konzern gefragt, so gilt es zu untersuchen, wie das Gesetz sonst Rücklagen im Konzern behandelt wissen will und wie sich dies mit den allgemeinen Regelungen der Überschußverwendung vereinbaren läßt. Damit soll die Auslegungsalternative von § 58 Abs. 2 AktG herausgearbeitet werden, die weder den allgemeinen Regeln der Überschußverwendung noch den sonstigen konzernrechtlichen Regeln des Aktiengesetzes widerspricht, sondern sich mit beiden Bereichen systemkonform vereinbaren läßt. Es wird damit also versucht, ein Einzelnes aus dem Ganzen zu erkennen, eine Denkweise, die, durch die Hermeneutik entwickelt, in der traditionellen kuristischen Methodik der heutigen Zeit vor allem bei Coing137 und Larenz1 anklingt. aa) Das Recht der ÜberschußvelWendung aaa) Systematisie1Ullg des Nonnenbestandes

Betrachtet man zunächst das Recht der Überschußverwendung nach geltendem Aktien- und Handelsrecht so ergibt sich folgendes: Der gesamte Regelungskomplex läßt sich gedanklich in vier Stränge gliedern, die ihrerseits einen systematischen Zusammhang bilden139 und mit den Oberbegriffen: Rechnerische Definition - Verfahren - Fehlersanktion - Kompetenz zur Rücklagenbildung gekennzeichnet werden können. Unter den ersten Oberbegriff sind einerseits die §§ 252-256, 274 -283 HGB zu rechnen, die Bewertungsvorschriften zu den Posten des Jahresabschlusses aufstellen und damit die rechnerische Größe des Postens "Jahresüberschuß" determinieren. Die begriffliche Definition dieses Postens liefern daneben die §§ 266 Abs. 2, 3 und 275 Abs. 2, 3 HGB, die bestimmen, wie sich dieser Posten rechnerisch aus der Bilanz bzw. der Gewinn- und

136

System, Bd. I, S. 291.

137 Rechtsphilosophie, S. 309.

138

Methodenlehre, 5. Aufl., S. 87 CC., 200 CC.

139 Ähnlich Lutter in Kölner Komm. zum AktG, § 58 Rdn. 2.

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

65

Verlustrechnung ergibt 140. Zusammen legen diese Vorschriften mithin für jede Rechnungslegungsperiode die Höhe des Jahresüberschusses fest. Zum zweiten Oberbegriff ("Verfahren") zählen die Vorschriften der §§ 172-174 AktG. Diese handeln einerseits von der Feststellung des Jahresabschlusses, worunter die Billigung (§ 172) des in Übereinstimmung u.a. mit den Vorschriften des ersten Oberbegriffs vom Vorstand (§§ 264, 242 HGB) aufgestellten Jahresabschlusses durch das dazu berufene Organ der Gesellschaft zu verstehen ist. Das berufene Organ ist bei der Aktiengesellschaft regelmäßig der Vorstand zusammen mit dem Aufsichtsrat (§ 172), ausnahmsweise auch die Hauptversammlung (§ 173)141. Daneben legt § 174 fest, daß die Hauptversammlung über die Verwendung des Bilanzgewinns beschließt, dessen Größe sich aber aus dem Jahresabschluß ergibt (§ 174 Abs. 1 S. 2 AktG). Aus den schon oben142 genannten Gründen gehört hierher auch § 173 Abs. 2 S. 2, weil er keinen Interessengegensatz zwischen verschiedenen Organen der Gesellschaft entscheidet, sondern der Verfahrensaspekt im Interesse des Dividendenschutzes im Vordergrund steht. Das Verhältnis der Vorschriften des ersten und zweiten Oberbegriffs ist einerseits ein zeitlich nachgeordnetes, insofern nämlich die Vorschriften des ersten Oberbegriffs bereits für die Aufstellung des erst danach festzustellenden Jahresabschlusses gelten, andererseits aber ein logisch gleichgeordnetes, weil der gleiche Gegenstand einmal technisch-rechnerisch, einmal betreffend das Verfahren der Organe der Gesellschaft beschrieben wird. Dies betont auch § 173 Abs. 2 S. 2, der vorschreibt, daß für die Feststellung des Jahresabschlusses durch die Hauptversammlung die Vorschriften über die Aufstellung gelten 143. Die Vorschriften unter dem dritten Oberbegriff ("Fehlersanktion") sind denen der ersten beiden logisch nachgeordnet, weil sie - abgesehen von § 254 AktG - die Reaktionen des Gesetzes auf Fehler bei der Anwendung der Vorschriften dieser Oberbegriffe darstellen. Zu diesem Oberbegriff zählen folgende Vorschriften: § 173 Abs. 3 S. 2 AktG, der die Nichtigkeit der Beschlüsse der Hauptversammlung über die Feststellung des Jahresabschlusses und die Gewinnverwendung anordnet, wenn die zweiwöchige Frist zur Nachprüfung versäumt wurde. Ferner gehören hierher die Nichtig140 141

142

Vgi. schon oben, Kap. B. I. Vgi. schon oben, Kap. A. 11. Kap. B. 11. 3. a).

143 1n erster L·· . d·lese V · · 1 d· Hauptversamm Iung den I·hr InJe Ist erwelsung notwendIg,·welle

vorgelegten lahresabschluß abändern kann. Dazu muß sie die Regeln beachten, die für den Regelfall der Aufstellung durch den Vorstand gelten, Vld. die Begr. d. RegE bei Kropft, AktG, s. 180 und Claussen in K'6lner Komm. z. AktG, § 173 Ran. 4.

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B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

keitsgründe des § 256 AktG. Anfechtbar ist der Beschluß über die Verwendung des Bilanzgewinns außerdem aus dem besonderen Grund des § 254 AktG wegen zu hoher, kaufmännisch nicht begründeter Bildung von Gewinnrücklagen oder Gewinnvorträgen. Schließlich ist dieser Beschluß auch aus den allgemeinen Gründen des § 243 AktG anfechtbar. Hat die Hauptversammlung den Jahresabschluß festgestellt, so kann dies nach § 257 AktG angefochten werden. Die Vorschriften unter dem vierten Oberbegriff ("Kompetenz zur Rücklagenbildung") gehen dagegen denen der übrigen Oberbegriffe logisch vor, weil sie - teilweise schon auf der Ebene von Vorschriften für die Satzung grundsätzliche Fragen der Rücklagenbildung - soweit solche nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, vgl. dazu § 150 - als einer Spezialmaterie innerhalb des Rechts der Überschußverwendung regeln. Sie stehen alle im § 58 AktG. bbb) Die Interessenkonstellation

Von grundlegender Bedeutung sind diese Vorschriften deswegen, weil sie einen Ausgleich zwischen typischerweise divergierenden Interessenl44 schaffen sollen, die sich wie folgt beschreiben lassen: Die Aktiengesellschaft ist ein selbständiges Rechtssubjekt, dessen Kapital von einer Vielzahl verschiedener Personen - den Aktionären - aufgebracht wird. Sieht man von solchen Aktiengesellschaften ab, die, aus Personengesellschaften hervorgegangen, die Rechtsform der Aktiengesellschaft wählen, um zusätzliches Kapital zur E~ansion durch Ausgabe meist stimmrechtsloser Vorzugsaktien einzuwerben 45, so ist das Bild der Aktiengesellschaft typischerweise dadurch geprägt, daß das von den Aktionären bereit gestellte Kapital durch Personen verwaltet wird, die selbst nicht oder nur in geringem Umfang Aktionär der Gesellschaft sind. So sagte schon Thöl für die Verhältnisse unter den RHGB I46, daß "für verschiedene passive Personen ... verschiedene active Personen die Leiter" der Aktiengesellschaft seien, denen man wegen ih-

144 Vgl. auch oben Kap. A. 11.; zum schweizerischen Aktienrecht hat Locher (Die GewinnveIWendung in der Aktiengesellschaft) eine lesenswerte Analyse zu den an der Gewinnverwendung bestehenden Interessen geliefert, S. 20 ff.. Die von der deutschen sehr abweichende Rechtslage in der Schweiz (vgl. S. 210 ff.), die eher der unter dem AktG 1937 ähnelt, erschwert aber einen Vergleich. 145 Vgl. aus neuerer Zeit etwa Raspe + Paschen, Stotmeister (Die AG 1988, R 14), Bopp

+ Reuter, Duravid (Die AG 1988, R 38), Kunert-Werke (Die AG 1988, R 128); Schröder +

Bake (Die AG 1988, R 174).

146 Das ADHGB von 1861 wurde seit den Reichsgesetzen vom 16./22.4.1871 (RGBI. S. 63, 87), die seine Geltung als formelles Reichsrecht begründeten, Reichshandelsgesetzbuch genannt.

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

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rer Vertrauenswürdigkeit die Verwaltung des Vermögens überantworte l47 . Diese Passivität des Aktionärs gehört nach Wiethölter 148 deshalb zum System des Aktienrechts, weil für diesen die Aktienanlage Hobby oder jedenfalls nur Möglichkeit mühelosen Einkommensbezugs sei, während sein berufliches Hauptinteresse auf anderem Gebiet liege, so daß ihm in der Regel das räumliche funktionale Verhältnis zu dem in der Aktiengesellschaft verfolgten Zweck fehle. Diese abstrakte Vermögensbindung entfalte keinen Anreiz zur Aktivität. Zusammen mit dem Depotstimmrecht der Banken149 führt das zu einer zunehmenden auch faktischen Selbständigkeit der Aktiengesellschaft als solcher, sie scheint nicht Unternehmer-Aktienverein, sondern "Unternehmen an sich,,150 zu sein. Größe, Finanzkraft, wirtschaftliche und soziale Bedeutung lassen sie - von den genannten kleineren Unternehmen abgesehen - als dauernd, unabhängig und ausschließlich eigeninteressiert erscheinen i51 . Dieses Eigeninteresse geht einerseits auf den Erhalt des Unternehmens, andererseits aber auch auf die Verstärkung seiner Stellung durch Expansion. An beidem sind die Mitglieder der Verwaltung der Gesellschaft auch im Hinblick auf ihre persönliche Stellung interessiert. Zum Erhalt des Unternehmens sind aber, um mögliche Rückschläge in der Unternehmensentwicklung auffangen zu können, Rücklagen nötig. Ebenso wird die Unternehmerverwaltung auch bei Expansionsvorhaben nicht allein Fremdmittel in Anspruch nehmen wollen, sondern auf ein ausgewogenes Verhältnis dieser zu Eigenmitteln bedacht sein 152 • Eigenkapital durch Kapitalerhöhungen zu beschaffen, kann auf Widerstände der Altaktionäre wie auf solche der Kapitalmarktsituation stoßen. Also bietet sich

147 Das Handelsrecht, Bd. 1, S. 412; ebd. S. 417 erwähnt Thöl "Die hülllose Lage der einzelnen Aktionäre", allerdings mit Blick auf einen Einzelfall. Mißverständlich deshalb das Zitat bei Groß/eId, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration und Kleinaktionär, S. 21; vgl. zum Ganzen auch Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt, S. 3 ff. 148 Interessen und Organisation der Aktiengesellschaft, S. 316; vgl. auch Pross, Manager und Aktionäre, S. 121 ff.

149 Groß/eId, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration, S. 19.

150

Dieser Begriff erscheint zuerst bei Haussmann, Vom Aktienwesen und vom Aktienrecht, vgI. dort besonders S. 27 ff., in Auseinandersetzung mit Gedanken Rathenaus, Vom Aktienwesen, bes. S. 38 ff., 50 ff; der das Eigenleben der Großunternehmen unter des Herrschaft der Verwaltung mit Blick auf deren Leistungsfähigkeit besonders hinsichtlich der raschen Umstellung auf die Rüstungsproduktion (a.a.O. S. 40) nach 1914 hervorgehoben und gerechtferti21 hatte. Diese Gedanken dienten in der Folgezeit der Perpetuierun9 der Verwaltungsherrscliaft, insbesondere der RechtfeI1igung der 1Jegebung von "Schutz -, "Vorrats"oder "Verwaltungsaktien" zur Abwehr der "U6erfremdung" der deutschen Industrie während der Zeit des Währungsverfalls zu Beginn der zwanziger Jahre, so Netter in PS Pinner, S. 507 Cf. und sehr kritisch Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt, S. 13 ff., ferner Raisch, Unternehmensrecht Bd. 2, S. 58; Immenga, Aktiengesellschaft, Aktionärsinteressen und institutionelle Anleger, S. 10 ff.; näheres zum "Unternehmen an sich" unten, Kap. C. V. 2.

151 Lutter in Kölner Komm. zum AktG, § 58 Rdn. 3. 152 Barz in Großkomm. zum AktG, § 58 Anm. 2; vgl.aber auch Dieter Schlleider, DB

2293 ff.

1986,

B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

68

auch aus diesem Gesichtspunkt die Selbstfinanzierung durch Rücklagenbildung an. Hinzu kommt, daß in den Fällen, in denen Vorstandsmitgliedern Gewinnbeteiligungen gern. § 86 AktG gewährt sind, sich die Höhe der jährlichen Tantiemen gern. § 86 Abs. 2 nach dem Jahresüberschuß ohne Berücksichtigung freiwilliger Bildung von Gewinnrücklagen bemißtl53 • Damit schmälert die Bildung solcher Rücklagen den Tantiemenanspruch der Vorstandsmitglieder nicht. All dies führt dazu, daß die Mitglieder der Verwaltung des Unternehmens tendenziell eher an den Bedürfnissen des Unternehmens an sich als an den Interessen der Aktionäre interessiert sind. Das wird sie eher zur Bildung von Rücklagen als zum Ausweis von Gewinn veranlassen I54 , soweit nicht das Image des Unternehmens auch im Hinblick auf seinen Zugang zum Kapitalmarkt letzteres erfordert l55 • Diesem Interesse der Unternehmensverwaltung steht das Interesse des Aktionärs an einer möglichst hohen Verzinsung des vom ihm eingesetzten Kapitals gegenüber. Zwar steigt auch bei der Bildung von Rücklagen der innere Wert seiner Aktie und damit tendenziell ihr Kurswert, wodurch ebenfalls ein Vermögenszuwachs beim Aktionär eintritt. Die freie Verfügung über diesen Vermögenszuwachs wird dem Aktionär auf diese Weise aber genommen, denn er kann nicht darüber entscheiden, ob er diesen zu Anlage- oder konsumtiven Zwecken nutzen, oder ihn gegebenenfalls einer weniger risikobehafteten oder erfolgversprechenderen Anlage zuführen will156• Hefenneh/jBungeroth sprechen in diesem Zusammenhang vom "Zwangssparen" des Aktionärs in der Aktiengesellschaft l57• Nebenbei sei angemerkt, daß verschiedene Autoren auf die volkswirtschaftliche Bedenklichkeit dieser Beschränkung der freien Kapitalallokation hingewiesen haben I58 . Einen kurssteigernden Effekt hat in der Regel aber auch eine hohe Dividendenausschüttung, so daß diese als das 153 Dazu Hefermehl in GeßlerjHefermehljEckardtjKropff, AktG, § 86 Rdn. 1, vgl. auch die Begründung zum RegE bei Kropf!, Aktiengesetz, S. 109 f. 154 Großfeld, Aktiengesellschaft, Unternehmenskonzentration, S. 23.

155 Den letzten Gesichtspunkt heben Wemer, PS Stimpel, S. 649 und Westermann, PS Pleyer, S. 443 hervor.

156 Lutter in Kölner Komm. zum AktG, § 58 Rdn. 3.

157

In GeßlerjHeferrnehljEckardtjKropff, Komm. zum AktG, § 58 Rdn. 6.

158 Vor allem im wirtschaftswissenschaftlichen Schrifttum: Schüller, OROO-Jahrbuch 1979, 330; Wagner, ZfbF 1982, 765 ff.; V1d. daneben auch Reuter, Privatrechtliche Schranken, S. 441 f.; Wiedeman,!~ ZGR 1975, 408 C.; Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt, S. 32 ff.; vgl. auch das Siebente uauptgutachten der Monopolkommission, Tz. 806, 807; dazu noch unten Kap. E.

11.

11. Grammatikalische - logische - systematische Auslegung

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zentrale Anliegen des Aktionärs und maßgeblicher Grund seiner Beteiligung an der Gesellschaft erscheint l59 . ccc) Der Interessenausgleich durr:h § 58 AktG

Die Regelungen in § 58 AktG versuchen, einen angemessenen Ausgleich der geschilderten divergierenden Interessen herbeizuführen. Der Schwerpunkt der Regelungen liegt dabei in den Absätzen 1, 2 und 3, während die Absätze 2 a, 4 und 5 anderes regeln, worüber vorweg einige Anmerkungen angebracht sind. a') Periphere Regelungsinhalte

§ 58 Abs. 4 AktG normiert zunächst den konkreten Dividendenanspruch des Aktionärs als die Konkretisierung des aus der Mitgliedschaft folgenden Rechts auf Teilhabe am Gewinn der Gesellschaftl60. Nach dem Verteilungsmaßstab aus § 60 Abs. 1 geht dieser für die Gesamtheit der Aktionäre auf den gesamten Bilanzgewinn, wie er sich aus den Vorschriften zu dessen bilanzmäßiger Errechnung ergibt, formal also der positive Überschuß der Aktiv- über die Passivposten der Bilanz nach der etwaigen Auflösung von Rücklagen und nach der Bildung der vorgeschriebenen oder erlaubten Rücklagen l61 . Die Entstehung des Anspruches setzt deswegen die Feststellung des Jahresabschlusses und einen Gewinnverwendungsbeschluß der Hauptversammlung (§ 174) voraus l62. Hiermit korrespondiert § 58 Abs. 5, der mit dem Bilanzgewinn die absolute Obergrenze dessen markiert, was vor der Auflösung der Gesellschaft - an die Aktionäre verteilt werden darfl63 . Damit ist Abs. 5 neben der Vorschrift des § 57 Abs. 1 der "tragende Grundpfeiler"l64 für das Prinzip der Kapitalerhaltung in der Aktiengesellschaft, dem man allerdings neben § 57 Abs. 1 nur dann einen eigenen Aussagegehalt zusprechen kann, wenn man bereit ist, sich neben der Einlagenrückgewähr nach § 57 Abs. 1 und der Gewinnverteilung nach § 58 Abs. 5 noch Arten von Leistungen der Gesellschaft an die Aktionäre vorzustellen,

159 Lutter in Kölner Komm. zum AktG, § 58 Rdn. 40; Beusch, FS Werner, S. 16. 160 Ban in Großkomm. zum AktG, § 58 Anm. 27. 161 Lutter in Kölner Komm. zum AktG, § 58 Rdn. 42 ff. 162 Ban in Großkomm. zum AktG, § 58 Anm. 28. 163 HefermehJjBungeroth in GeßlerjHefermehljEckardtjKropff, AktG, § 58 Rdn. 115. 164 Ban in Großkomm. zum AktG, § 58 Anm. 27.

70

B. Die Auslegung des § 58 Abs. 2 AktG

die von beiden wesensverschieden sind165 . Jedenfalls behandeln die Abs. 4 und 5 des § 58 nicht den Ausgleich zwischen den Interessen an Rücklagenbildung und Gewinnausweis. Das ist aber - wenn auch nur für einen Sonderfall - bei § 58 Abs. 2 ader Fall. Diese Vorschrift ist durch das Bilanzrichlinie-Gesetz vom 19.12.1985 in das Aktiengesetz eingefügt worden. Sie betrifft die Passivierungsfähigkeit von vorzunehmenden Wertaufholungen für Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens und solcher Passivposten, die in der Steuerbilanz zulässig sind. Das hat seinen Grund einerseits in dem neuen § 280 Abs. 1 HGB, der gegenüber dem Rechtszustand vor dem Bilanzrichtlinie-Gesetz erstmals ein Wertaufholungsgebot normiert, falls die Gründe für außerplanmäßige Abschreibungen auf Wertansätze für Gegenstände des Anlage- und Umlaufvermögens gern. §§ 253 Abs. 2 S. 3 oder 254 HGB wieder fortfallen. Hiervon macht allerdings § 280 Abs. 2 HGB eine Ausnahme für die Fälle, in denen der niedrigere Wertansatz in der Steuerbilanz beibehalten werden kann, falls er in der Handelsbilanz beibehalten wird. Wo das nicht der Fall ist, kann der Betrag der Wertaufholung nun gern. § 58 Abs. 2 a jedenfalls durch Passivierung ergebnisunwirksam gemacht werden166• Der andere Grund liegt im neuen § 273 HGB: danach sind für Kapitalgesellschaften Rückstellungen, die in der Steuerbilanaz zulässig sind, in der Handelsbilanz nur noch zulässig, wenn das Steuerrecht für ihre Anerkennung den Ausweis in der Handelsbilanz fordert. Wo sie danach also in der Handelsbilanz nicht mehr gebildet werden dürfen, ist nach § 58 Abs. 2 a nun ihre Passivierung als andere Gewinnrücklage möglich167.

165 Das verneint Lutter in Kölner Komm. zum AktG, § 58 Rdn. 18: ·Schon lange ist anerkannt, daß bei Kapitalgesellschaften nur Gewinnausschüttungen oder Kapitalrückzahlungen in Betracht kommen; Tertium non datur.· Dann muß man die erlaubten Zahlungen nach §§ 55 Abs. 1 S. 2 (Vergütung für Nebenverpflichtungen), § 57 Abs. 3 (Bauzinsen, aufgehoben durch Gesetz vom 13.12.1978), § 59 Abs. 1 (Abschlagszahlungen auf den Bilanzgewinn), § 71 Abs. 1 (Entgelt beim Erwerb eigener Aktien), § 225 Abs. 2 (Zahlungen aufgrun