Die Königliche Bibliothek in Berlin [Aus (Preussisches Jahrbücher; 53). Reprint 2018 ed.] 9783111488219, 9783111121642


172 107 1MB

German Pages 27 [28] Year 1884

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Die Königliche Bibliothek in Berlin
Recommend Papers

Die Königliche Bibliothek in Berlin [Aus (Preussisches Jahrbücher; 53). Reprint 2018 ed.]
 9783111488219, 9783111121642

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

Die

Königliche Bibliothek in Berlin.

Von

Heinrich von Treitschke.

(Abdruck aus dem LIH. Bande der Preußischen Jahrbücher.)

Berlin. Druck und Berlag von Georg Reimer.

1884.

üDie Zeilen sind dahin, da man in Süddeutschland spottete, Preußen habe sich groß gehungert.

Die Wiederherstellung des deut­

schen Reichs hat unseren Staat mancher unnatürlichen Fesseln ent­ ledigt, seine mächtigen Glieder können sich endlich strecken und dehnen, der so

lange durch peinliche Sparsamkeit beengte Staatshaushalt

wirthschaftet aus

dem Vollen.

Im Jahre 1863 bestritt Preußen

seinen gesummten ordentlichen Staatsaufwand, einschließlich des Heer­ wesens, mit rund 400 Mill. Mark; heute genügt eine Milliarde schon langst nicht mehr, obgleich die Kosten des Heeres, des Aus­ wärtigen

Amts und

viele

andere

Deutsche Reich übergegangen sind.

Ausgaben inzwischen

auf das

Und doch fühlt sich Niemand

durch dies gewaltige Wachsthum beunruhigt, denn es findet seine natürliche Erklärung nicht blos in der Vergrößerung des Staatsge­ bietes und der Steigerung aller Preise, sondern vornehmlich in den neuen Aufgaben, welche von allen Seiten her, eine endlose Reihe, an unseren Staat herantreten.

Viele Leistungen für Volksbildung

und Gemeinwohl, die er einst verabsäumte oder nur kümmerlich er­ füllte, erscheinen heute, seit er zu seinen Jahren gekommen ist, als unerläßliche Ehrenpflichten. Es ist nur menschlich, daß die Nation sich in dem weiten Mantel des Großstaates noch nicht ganz heimisch fühlt und zuweilen erst nach einigem Besinnen erkennt, wie viel ihr noch zu thun bleibt, um den weiten Vorsprung älterer Culturvölker einzuholen.

In der Regel

zeigt sich die öffentliche Meinung wohlwollend und einsichtig, so oft für die Pflege von Kunst und Wissenschaft neue Mittel gefordert werden; der unverwüstliche Idealismus der Deutschen bleibt schließlich l*

4 doch stärker als die Gehässigkeit des Parteigeistes.

Die platten Nütz­

lichkeitslehren des alten kleinstaatlichen Liberalismus, der Alles waS über die nackte Nothdurft hinausging als Luxus verdammte, finden heute in den gebildeten Kreisen keine Gläubigen mehr und werden nur noch zur Aufwiegelung der Massen gemißbraucht.

Der bessere

Theil der Nation weiß, wie befruchtend das höchste.geistige Schassen bis in die Tiefen des socialen Lebens zurückwirkt; er weiß, daß wir uns selber untreu würden, wenn wir unsere neugewonnene politische Machtstellung nicht durch den Adel unserer Gesittung sittlich zu recht­ fertigen vermöchten.

Seit dem Jahre 1870 hat der Landtag, immer

unter lebhafter Zustimmung der Presse, die ordentlichen Ausgaben deS Cultusministeriums nach und nach von 6'/4 Mill. Thaler bis auf nahezu 53 Mill. Mark erhöht, wozu int laufenden Jahre noch mehr als 9 Mill. außerordentliche Ausgaben hinzutreten.

Für die

Berliner Museen allein sind soeben wieder über 1,2 Mill. bewilligt worden, und wir dürfen hoffen, daß diese der Wissenschaft und der Kunst gleich unentbehrlichen Sammlungen unter ihrer gegenwärtigen musterhaften Verwaltung bald auf einen Stand gelangen werden, der den berechtigten Ansprüchen der Reichshauptstadt genügt.

Aber

mit alledem sind die Unterlassungen früherer Jahre noch bei Weitem nicht gesühnt.

Noch manche andere unserer großen Bildungsinstitute

bedürfen dringend einer gründlichen Reform, vor allen die König­ liche Bibliothek, die für das geistige Leben der Hauptstadt mindestens ebenso viel bedeutet wie die Mlffeen.

Betrachten wir in kurzem

Ueberblick, wie diese schöne Stiftung der Hohenzollern sich gebildet hat, was wir an ihr haben und was ihr gebricht. Es

ist

ein

anspruchsloses aber lehrreiches Stück preußisch­

deutscher Geschichte.

Die Entwicklung des preußischen Staates und

der Charakter jedes einzelnen seiner Fürsten spiegelt sich in den Schicksalen

dieser Sammlung

Namen unserer Annalen,

treulich wieder;

viele der großen

Männer des Lagers und des Rathes,

Dichter und Denker halfen ihren Bücherschatz mehren.

Wie spät

und mühsam hat die zarte Pflanze der Wissenschaft Wurzeln ge­ schlagen

in dem

jungen

Colonialboden

der

Marken;

wie

viele

5 Schätze gelehrten Wissens lagen schon aufgespeichert in den Büchereien der romanischen Klöster, als an der Havel noch die Wenden hausten. Schon um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts entstand in Rom die große vatikanische Bibliothek, um dieselbe Zeit in Florenz die Laurentiana, und achtzig Jahre später erbaute Sansovino in Venedig für den literarischen Nachlaß Petrarcas und Bessarions jenen strahlen­ den Palast, dessen kühn gebogene Metopen die ganze Künstlerwelt Italiens in Aufruhr brachten.

In Frankreich stellte Franz I. die

Bücherei von Fontainebleau unter die Leitung des gelehrten Gräcisten Bude,

und schon sein Nachfolger betrachtete diese Sammlung als

eine Nationalanstalt, der alle die reichen literarischen Kräfte seines früh geeinten Volkes dienstbar werden sollten. fahl König Heinrich II.

Im Jahre 1556 be­

allen französischen Buchdruckern,

Exemplare ihres gesammten Verlags einzusenden,

Pflicht-

und also durch

die Nation selbst gefördert wuchs die königliche Bibliothek beständig an, znmal seit König Heinrich IV. sie nach Paris verlegt hatte; sie umfaßte schon vor der Revolution 150,000 Druckwerke und einen reichen Schatz von Handschriften, Aber auch in den oberdeutschen Landen war schon lange bevor das wissenschaftliche Leben in den Marken erwachte der Sammler­ fleiß thätig gewesen.

In Fulda, in Corvey und anderen Klöstern

des Westens hatten sich seit den Anfängen unseres Mittelalters kost­ bare Handschriftenschätze aufgehäuft. Jahrhunderts begann auch den Werth der

Seit der Mitte des sechzehnten

die erstarkende landesfürstliche Gewalt

Büchersammlungen zu

erkennen.

Kurfürst Otto

Heinrich ließ die Bibliothek der Pfalzgrafen mit der Bücherei der Heidelberger Heiligengeistkirche vereinigen; bald nachher gründete Herzog Albrecht V. die Münchener, Kurfürst August die Dresdener Bibliothek.

Vieles von diesen Schätzen ging freilich in den Stürmen

des dreißigjährigen Krieges zu Grunde; Jedermann weiß, wie Tilly mit seinem Helfershelfer Leo Allatius die Heidelberger Palatina nach Rom sendete und Gustav Adolf, um das unglückliche Deutschland schadlos zu halten, zur Vergeltung die Bibliothek der Würzburger Jesuiten nach seinem Upsala entführen ließ.

Immerhin blieb den

6 alten Culturlanden des Reichs auch nach den Plünderungen dieser wilden Zeit noch ein ungleich reicherer Büchervorrath erhalten als dem armen Brandenburg.

Hier hatten die wackeren Cistercienser-

mönche mit dem Roden der Wälder und der Pflege ihrer Gärten immer vollauf zu thun gehabt und für die Wissenschaft wenig Muße behalten.

Außer der bescheidenen Bücherei des Havelberger Doms,

die erst im Jahre 1821 nach Berlin kam, ist der heutigen König­ lichen Bibliothek kein irgend namhafter märkischer Kirchenschatz zu­ gewachsen.

Als die evangelische Lehre in das Land einzog, beklagte

Melanchthon bitterlich die Roheit dieser märkischen Centauren, die Unwissenheit ihrer Clerisei, und auch das folgende Jahrhundert der theologischen Hahnenkämpfe war der ernsten Gelehrsamkeit wenig günstig.

Die kleine Bibliothek der Frankfurter Universität bezog

ihren bescheidenen Bedarf meist aus Leipzig.

In Berlin trieben die

Drucker und Buchbinder nebenbei einen Handel mit Bibeln, Postillen und wenigen gelehrten Werken.

Erst im Jahre 1659 wagte Ruprecht

Völker eine Buchhandlung in der Hauptstadt zu eröffnen. In demselben Jahre beginnt die Geschichte der Berliner Biblio­ thek.

Pufendorf hat es verschmäht den heroischen Stil seines Ge­

schichtswerks durch die Erwähnung solcher Kleinigkeiten zu entwür­ digen; uns Heutigen erscheint es als ein charakteristischer Zug aus den Zeiten der Neugründung unseres Staates, daß der Große Kur­ fürst,

fern der Heimath,

mitten

in den Wirren des

nordischen

Krieges noch Zeit behielt für das wissenschaftliche Leben seiner Haupt­ stadt zu sorgen.

Er hatte soeben seine Adler auf Düppel und Alfen

aufgepflanzt und rüstete sich die Schweden auch aus Fünen zu ver­ treiben, während Frankreich bereits jene Friedensvermittlung begann, welche den Marquis von Brandenburg um die Früchte seiner Siege betrügen sollte.

In diesem Augenblicke schwerer Sorge, drängender

militärischer und diplomatischer Arbeit,

erließ Friedrich Wilhelm

aus seinem Hauptquartier Viborg in Jütland, am 20. April 1659 den Befehl, die einzige werthvolle Büchersammlung seines Landes, die Hausbibliothek der Kurfürsten neu zu ordnen und betraute den neu ernannten Bibliothekar Rave mit der Ausführung.

Bald nach

7 dem Frieden von Oliva, 1661 wurde der Lesesaal der Sammlung der öffentlichen Benutzung übergeben.

Sie stand in dem Seiten­

flügel des Schlosses, dem heutigen Dome gegenüber, in denselben Gemächern wo einst Thurneyßer seine alchymistischen Künste getrieben. Nach Mäcenatenruhm

hatten die sparsamen Hohenzollern nie ge­

trachtet, doch war im Laufe der Zeit, zumal unter dem gelehrten Joachim I., manches gute Buch in den Besitz des Hauses gelangt. Neben den Büchern wurden auch naturwissenschaftliche Curiosa auf­ gestellt, wie sie dem Geschmacke der Zeit zusagten, vor allen die neu erfundene Luftpumpe des getreuen Bürgermeisters von Magdeburg, Otto v. Guericke, mitsammt den beiden wunverbaren Halbkugeln, die durch zwei starke Pferde nicht auseinandergerissen werden konnten und vor Kurzem

die

gerechte Verwunderung

Reichstags erregt hatten.

des Regensburger

Nach dem Finanzbrauche der Epoche, die

eben erst aus der Naturalwirthschaft zur Geldwirthschaft überging, wurde die junge Stiftung nicht mit einem festen Einkommen aus­ gestattet, sondern auf den Ertrag einiger kleinen Gebühren ange­ wiesen, namentlich auf die Dispensgelder der ungeduldigen Braut­ paare, welche sich mit einmaligem Aufgebot von der Kanzel begnügen wollten.

Daraus und

aus dem Verkauf ihrer Doubletten bezog

die Bibliothek ein Einkommen von etwa 324 Thaler jährlich. Sie blieb Sinn,

ein Liebling

des Kurfürsten; sein hausväterltcher

der sich so glücklich mit wagendem Heldenmuthe verband,

ward nicht müre für die Sammlung zu sorgen.

Bis zu seinem

Tode schenkte er ihr noch fast Alles was er an Büchern besaß, an 2000 Bände, selbst die Prachtexemplare der ihm gewidmeten Werke: so das Buch von Guericke über den leeren Raum und Pufendorfs Schrift über Staat und Kirche, die tapfere protestantische Antwort auf die Aufhebung des Edikts von Nantes.

Als

er das unbe-

zwingliche Stralsund erobert hatte und die theuere Beute im Frie­ den von St. Germain wieder an die Schweden zurückgeben mußte, ließ er sich zum Abschied noch eine Sammlung von Büchern und Handschriften für seine Berliner Bibliothek ausliefern. Helden und Staatsmänner halfen mit.

Auch seine

Sein Statthalter in Cleve,

8 Johann Moritz von Nassau, der Eroberer von Brasilien, schenkte der Bibliothek die Karten und die seltsamen Thierbilder, die er einst im fernen Westen gesammelt; der letzte Bischof von Kammin, Herzog Ernst Bogislav von Croy, der sich für den rechtmäßigen Erben des

alten pommerschen Greifenstammes hielt

aber

längst

seinen Frieden mit dem neuen Landesherrn geschlossen hatte, ver­ machte ihr seine gesammte Bücherei.

So kamen bis zum Tode des

Kurfürsten etwa 20,600 Drucke zusammen — eine stattliche Samm­ lung für ein Land, das dreimal nach einander den Jammer eines langen Schwedenkrieges überstanden hatte.

Hier wie in allen seinen

Unternehmungen zeigt sich ein königlicher Ehrgeiz, der in unschein­ baren Anfängen schon künftige Größe ahnt; es war dieselbe stolze Zuversicht, die ihn bestimmte, durch die Einöde seines Thiergartens die breite Prachtstraße der Linden schlagen zu lassen. Unter seinem prachtliebenden Nachfolger fehlte es der Bibliothek nicht an reichen Geschenken; sie erwarb unter Anderem den großen Bücherschatz ihres Direktors, des gelehrten Diplomaten Ezechiel von Spanheim, und die Musikalien der philosophischen Königin.

Die

Buchhändler der neuen französischen Getonte vermittelten den Ver­ kehr mit dem Büchermärkte ihrer alten Heimath, und nach Frank­ reichs Vorbild wurde im Jahre 1699 allen preußischen Verlegern die Einlieferung von Pflichtexemplaren anbefohlen, was freilich noch sehr wenig bedeutete. Aber auch die Schwächen der neuen Regierung, die Schlaffheit der Verwaltung und die Lust an planlosen Speculationen machten sich

bald

fühlbar.

Die Bibliothek wurde

mit

einem seltsamen buchhändlerischen Geschäfte belastet, das zugleich ihre Einkünfte vermehren und den aufgeklärten Christenglauben fördern sollte. Sie mußte zwei Bücher im Lande verbreiten: die Betrachtungen über dem Exorcismo von dem pommerschen Pastor Polius und Eisen­ mengers entdecktes Judenthum — das gefürchtete Buch, dessen Er­ scheinen die Juden schon dreimal bei Kaiser und Reich hintertrieben hatten.

König Friedrich schmeichelte sich mit der Hoffnung, Eisen­

menger werde die verstockte Judenschafl bekehren, Polius den langen Kampf der Hohenzollern wider die Teufelaustreibung siegreich been-

9 btflen.

Und das Buch des wackeren Pohl hat allerdings manchem

lutherischen Eiferer die Augen geöffnet, doch die Juden blieben leider »»belehrt, und der Geldgewinn war bei beiden Büchern gleich un­ erfreulich, da der moralische Erfolg doch nur durch unentgeltliche Ver­ breitung der Bekehrungsschriften gesichert werden konnte.

Schlimmer

war, daß seit Spanheims Abgang die Bibliothekare ihre Pflicht ver­ säumten und aus Trägheit den Einkauf neuer Bücher unterließen. Die Gelver lagen muffig in der Kasse, im Jahre 1719 war ein Ueberschuß von mehr als 2600 Thaler vorhanden. Für eine Sammlung, die solche Ueberschüsse brachte,

konnte

der gestrenge Haushalter Friedrich Wilhelm I. sich unmöglich er­ wärmen; ihr Zustand schien Alles zu bestätigen was er über die Narrenspoffen der Gelehrten dachte. griff er durch und ließ dem

Nach seiner soldatischen Art

General

Glasenapp

Pension aus den Bibliotheksgeldern zahlen.

kümmerte unter seinem banausischen Regimente, deren mühsam Jahren

wie

gepflegten Keime feinerer Bildung.

unterblieb

der

Bücherkauf

gänzlich,

1000 Thaler

Die Bibliothek ver­

der

alle die an­ In dreizehn

Austausch

der

Doubletten mußte genügen; nur selten einmal bewilligte der König eine lächerliche Summe, vier, sieben oder 27 Thaler.

Mehrere Ab­

theilungen der Sammlung wurden an andere Institute, denen sie nützlicher schienen, abgetreten, und es scheint fast räthselhaft, daß die Bibliothek nach solcher Verwahrlosung beim Tode des Königs noch einei» Bestand von 72,000 gedruckten und 2000 Handschriftenbänden aufwies. In den bewegten drei ersten Jahrzehnten seiner Regierung kümmerte sich Friedrich

der Große wenig um die vernachlässigte

Sammlung, nur daß er ihr dann und wann ein Geschenk aus seiner eigenen Bibliothek zukommen ließ und auch den auswärtigen Verlegern, denen er Privilegien gegen den Nachdruck gewährte, die Lieferung von Pflichtexemplaren anbefahl.

Selbst in den späteren

ruhigen Zeiten hatte sie zuweilen noch unter den drängenden politi­ schen Aufgaben des Tages zu leiden; so mußte sie im Jahre 1776 vierhundert Thaler hergeben um vierzig Dorfschulmeister schleunigst

10 in das neugewonnene Westpreußen zu

befördern.

Indeß begann

der König doch im Aller den Werth der Sammlung zu würdigen und suchte durch ungewöhnliche Freigebigkeit das Versäumte nachzu­ holen.

Er bewilligte

mehrere Jahre

hindurch 8000 Thaler für

Bücherkäufe und ließ die Bibliothek im Jahre 1782 in ihren neuen Palast übersiedeln.

Der seltame Bau mit der seltsamen Inschrift,

die dem gelehrten Quintus Jcilius so viel Aerger bereitete, genügte damals vollkommen seinem Zwecke; in drei großen Sälen des Haupt­ geschosses

standen die Bücherreihen übersichtlich an den Wänden

entlang. Auch für die wissenschaftliche Leitung der Anstalt wurde erst spät der rechte Mann gefunden. Gelehrten — Jcilius,

Der König wünschte einen tüchtigen

nur keinen Pedanten, natürlich

— und Quintus

Winckelmanns alter Hallenser Commilitone,

auf den großen Archäologen in Rom aufmerksam.

machte

ihn

Aber es blieb

Friedrichs Schicksal, daß er zu den Helden der deutschen Literatur, die doch seinen Thaten einen guten Theil ihrer jungen Lebenskraft verdankte,

niemals

ein persönliches

Verhältniß

anknüpfen

sollte.

Da Winckelmann das hohe Gehalt von 2000 Thalern forderte, so meinte der König, für einen Deutschen sei die Hälfte genug, und — suchte nach einem Franzosen, der mit der Hälfte vorlieb nähme. Er fand ihn, aber spaßhafterweise einen falschen. Durch die Gaunerei eines seiner berüchtigten französischen Regie-Beamten wurde statt des geistreichen Domherrn Jakob Pernety ein beliebiger Benediktiner­ mönch Anton Joseph Pernety berufen; der trat in das Amt, das man zuvor dem ersten Gelehrten Preußens zugedacht hatte.

Sechzehn

Jahre lang mußte man den unbrauchbaren Franzosen ertragen; da zog er endlich von dannen, und an seine Stelle kam im Jahre 1784 I. E. Biester, der Herausgeber jener Berlinischen Monatsschrift, in deren Spalten die aufgeklärten Leute von der Spree ihre angeborene Verstandes-

und Naseweisheit

abzulagern

pflegten.

Trocken und

schwunglos, ohne Sinn für die genialen Kräfte der neuen Literatur, war Biester doch ein gründlicher Gelehrter, histor,

grade so weit Poly­

wie es der Beruf des Bibliothekars verlangt, und wartete

11 seines Amts so umsichtig, daß selbst sein nachmaliger Vorgesetzter, Minister Wöllner, der Todfeind der Berliner Aufklärer, den Unent­ behrlichen nicht zu entfernen wagte. In dem hoffnungsreichen Gnadenjahre König Friedrich Wil­ helms II.,

daS

so

manche Härten

des

fridericianischen Systems

milderte, wurde auf den Antrag des Grafen Hertzberg auch das Ausleihen der Bücher, daS schon früher einige Jahre lang üblich gewesen, wieder gestattet; der große König hatte seit der Eröffnung des

neuen Bibliothekgebäudes kein Buch

gehen

lassen.

Den

mehr

aus

dem Hause

offenen Händen Friedrich Wilhelms II. ver­

dankte die Anstalt die Erwerbung der Rolofsschen Sammlung; Biester aber stellte endlich

strenge Ordnung her und verschmolz die fünf

selbständigen Bibliotheken, die bisher neben emmiber bestanden, zu einer einzigen. Die eigenthümliche Unfruchtbarkeit der ersten Regierungsjahre Friedrich Wilhelms III. zeigte sich Bibliothek.

auch

tu der Verwaltung der

Es fehlte nicht an gutem Willen.

Der König zahlte

einen jährlichen Zuschuß von 1600 Thlr. aus seiner Dispositions­ kasse, doch die Mittel reichten nicht mehr aus gegenüber der an­ schwellenden Masse der Literatur.

Als die französischen Heere ein­

brachen, schwebte die Sammlung in großer Gefahr und sie verdankte es wohl nur ihrer Armuth an auffälligen Kostbarkeiten, daß sie vor den

Plünderungskünsten

blieb.

Bignon

der napoleoniscken Intendanten

bewahrt

versuchte zwar einmal schüchtern anzuzapfen,

be­

gnügte sich aber schließlich mit einem vollständigen Exemplar der Berichte der Akademie.

Während des Krieges hörten die Einkäufe

von selber auf, und in diesem Zustande der Erstarrung schien die Sammlung, da der Staat am Rande des Bankerotts stand, noch jahrelang verharren zu müssen. Da wurde Wilhelm von Humboldt an die Spitze der neuge­ gründeten Cultusabtheilung gestellt, und mit ihm zog jener freie Geist humaner Bildung in die Unterrichtsverwaltung ein, der seit­ dem wohl zu Zeiten verdunkelt, doch niemals ganz verschwunden ist. Humboldt sah sofort, daß die neue Stiftung der Berliner Universität

12

ohne einen stetig wachsenden Bücherschatz nicht gedeihen konnte, und verschaffie der Bibliothek statt der unsicheren Gebühren-Einkünfte ein festes Einkommen von 3500 Thlr. jährlich. Ihre Jahresausgaben stellten sich nunmehr (nach einem handschriftlichen Aktenauszug von Willen) für 1810 und 11 wie folgt: Besoldungen und Pensionen 1650 Thlr., Unterhaltung des Gebäudes, Heizung u. s. w. 246 Thlr., blieben für Ankäufe 1604 Thlr., wovon aber noch einige hundert Thaler für die Anstellung eines zweiten Sekretärs abgehen sollten. Heutzutage verwendet mancher wohlhabende Privatmann ebenso viel auf die Vermehrung seiner Bücherei; und doch bezeichnen diese arm­ seligen Summen den Anfang einer neuen Epoche für die Sammlung. Denn der König hatte sich in den schweren Jahren der Prüfung endlich das Herz gefaßt, alle die guten Vorsätze, über denen er früher nur gebrütet, durchzuführen; er war entschlossen, die neue Universität zu einer Hochschule ersten Ranges zu erheben und auch für die Bibliothek in großem Stile zu sorgen, sobald die bittere Noth der Zeit eS nur irgend erlauben würde. Als Altenstein bald nach dem Frieden die Leitung deS neuen Cultusministeriums über­ nommen, wurden die Einkünfte (1818) auf 4000 Thlr. erhöht, neun Jahre später schon auf 8000 Thlr. Dazu kamen Jahr für Jahr sehr bedeutende Geschenke und außerordentliche Zuschüsse — 1827 allein 15000 Thlr.; und dies in einer Epoche, da der Staatshaus­ halt mit einem unüberwindlichen Deficit kämpfte und die sämmt­ lichen Zweige der Verwaltung, welche dem heutigen preußischen Budget noch geblieben sind, mit etwa 25 Mill. Thlr. auskommen mußten. Es waren die glücklichsten Zeiten der Sammlung; ein freund­ licher Stern stand über dem geistigen Leben Berlins. Wie Schinkel und Rauch mit dürftigen Mitteln das Kunstleben in der verarmten Hauptstadt von Neuem begrünbeten, wie die neue Universität rasch ihre Nebenbuhler überflügelte, so schritt auch die Bibliothek rüstig vorwärts. Sie erwarb die Büchereien von Friedrich Jacobi und Tralles; Freiherr von Diez, der langjährige Vertreter Preußens im Orient, vermachte ihr seine Sammlung von 17000 Bänden,

13 Wilhelm v. Humboldt seinen sprachwissenschaftlichen Nachlaß,

und

der blutarme Chamisso schenkte dankbar was er von seiner Weltumseglung heim gebracht.

Seit 1824 wurde allen Verlegern des

vergrößerten Staatsgebiets

die Einsendung

auferlegt.

Im Jahre 1828 besaß die Sammlung bereits 250,000

gedruckte und 4600 Handschriftenbände. Händen.

von Pflichtexemplaren

Die Leitung blieb in guten

1816, nach Biesters Tode, wurde Willen berufen, der

Heidelberger Historiker,

der

soeben

einen

Theil des

Tilly'schen

Raubes aus dem Vatikan in die Palatina zurückgeholt hatte.

Unter

ihm wirkte, wohl noch thätiger als er, der gelehrte Schalk Philipp Buttmann; dem war nirgends wohler als in seiner Gesetzlosen Ge­ sellschaft und unter dem Dache des Nutrimentum Spiritus; überall hatte

er seine Augen wo nur ein literarischer Schatz zu erspähen

war.

So ging es weiter bis der alte König starb; nachher wurde

noch der größte Theil seiner hinterlassenen Bücher der öffentlichen Bibliothek überwiesen.

Keiner der Hohenzollern hatte die Stiftung

des Großen Kurfürsten, nach dem Maße seiner Mittel, erfolgreicher gepflegt; unter den ungünstigsten Umständen war sie doch endlich in die Reihe der großen Bibliotheken Europas eingetreten. Nachdem diese Stufe erreicht war, konnte das weitere Fort­ schreiten ungleich rascher erfolgen.

Der gelehrteste aller preußischen

Könige widmete der Sammlung nach seiner enthusiastischen Weise die wärmste Theilnahme; er gebot auch, Dank den Segnungen des langen Friedens, über reichere Mittel, so daß er den Fonds für neue Erwerbungen sehr beträchtlich, zuletzt auf 10,000 Thlr. jährlich erhöhen

konnte.

Mehr als eine

halbe Million Thaler

unter seiner Regierung auf die Bibliothek verwendet.

wurden

Sie verdankt

ihm außer vielen anderen reichen Gaben die spanische Bibliothek Ludwig Tiecks und das wahrhaft königliche Geschenk der Meusebach'schen Sammlung, die, wie Uhland sagte, „so recht dem eigensten Leben des deutschen Volkes angehört".

Indeß die Hand Friedrich

Wilhems IV. war selten glücklich, am wenigsten in der Wahl der Personen.

Willens Nachfolger Pertz erwarb sich zwar manches Ver­

dienst um die Sammlung; unter seiner Verwaltung begann seit 1844

14 die schwierige Ausarbeitung nahezu beendet ist.

des großen Realkatalogs,

der heute

Aber so kräftig, wie es sich bei der günstigen

Gesinnung des Monarchen erwarten ließ, war der Aufschwung nicht; mit den gewaltig steigenden Bedürfnissen

der Leserwelt hielt die

Sammlung nicht mehr gleichen Schritt. Auch

die

ersten Jahre der Regierung

König

Wilhelms I.

brachten wieder viele werthvolle Erwerbungen; der Fonds für neue Anschaffungen Doch

in

wurde um die Hälfte,

auf 15000 Thaler erhöht.

jenen Zeiten welthistorischer Entscheidungen

konnten die

Musen ebenso wenig zu ihrem vollen Rechte gelangen wie einst in den Anfängen Friedrichs II.

Es lag damals wie ein Bann auf

dem Kunstleben und auf allen großen Bildungsanstalten Berlins; Nichts wollte recht vorwärts kommen, selbst die Universität begann zurückzugehen,

und zuweilen geschah es, daß neue Denkmäler in

Anwesenheit der Wittwe des Künstlers enthüllt wurden.

Erst seit

dem Frankfurter Frieden ist dieser Bann gebrochen, ein mächtiger Umschwung in allen Verhältnissen eingetreten, und dem freigebigen Wohlwollen, das seitdem über der Kunst und Wissenschaft waltei, hat auch die Bibliothek sehr viel zu danken.

Ihre ordentlichen Aus­

gaben stellen sich jetzt auf 289,159 Mark, davon entfallen 141,230 auf Besoldungen,

96,000 auf die Vermehrung der Sammlung.

Der Zuwachs betrug 19,783 Bände im Jahre 1882/83; die Zahl der auf dem Lesezimmer ausgelegten Zeitschriften stieg in den Jahren 1874—83, unter der Verwaltung des gegenwärtigen Oberbiblio­ thekars Geh.-Ralh Lepsius, von 701 auf 1152.

Mit einem Be­

stände von rund 900,000 Bänden ist sie heute neben der Münchener die bändereichste Sammlung Deutschlands, allerdings noch keines­ wegs die reichste schlechthin, denn mit den Schätzen der 35000 Hand­ schriften Münchens kann sie sich nicht entfernt vergleichen, und auch von anderen Bibliotheken wird sie in einzelnen Fächern noch weit übertreffen, so von der Göttinger im alten Reichsrecht und in der englischen Geschichte.

Ein Unkundiger mag das Institut leicht für

unersättlich halten, wenn er nur das gewaltige Anwachsen der Aus­ gaben betrachtet und etwa vergleicht,

wie unter W. v. Humboldt

15 insgesammt 1600 Thlr. für neue Erwerbungen genügen mußten, während heute allein für Buchbinderarbeiten 19716 Mark ausge­ geben werden.

Wer die Verhältnisse kennt wird nicht bestreiten, daß

die bescheidene Sammlung vom Jahre 1828 den Bedürfnissen der Zeit besser genügte als die heutige Bibliothek, trotz aller der großen und dankenswerthen Fortschritte seitdem.

Preußen ist nicht mehr

ein verarmter, der Vernichtung kaum entgangener Staat, Berlin ist längst zur Millionenstadt geworden; eS wird hohe Zeit, diese Sammlung, die wie

keine andere

allen Gebieten der weitver­

zweigten wissenschaftlichen Arbeit gleichmäßig zu gute kommt, als ein großes National-Jnstitut zu behandeln. Was dies sagen will, lehrt ein Blick auf Frankreich.

Die

Pariser Nationalbibliothek verausgabte im Jahre 1873 (ohne die Münzsammlung) 479,050 fr.; ihr Bestand wird heute auf 2'/, Mill. Bände und mehr als 70,000 Manuskripte geschätzt; und obwohl ein starker Stamm sich schon seit Jahrhunderten angesammelt hatte, so ist doch ein sehr großer Theil dieser Schätze erst in den jüngsten fünfzig Jahren zusammengekommen, seit Guizot als Unterrichts­ minister der Sammlung eine methodische Pflege widmete und damit allen seinen Nachfolgern die Bahnen verzeichnete. spricht das Beispiel des Britischen Museums.

Noch beredter

Die dortige Biblio­

thek ist sogar noch jünger als die unsrige, erst im Jahre 1753 durch das Vermächtniß Sir Hans Sloane's begründet und erst seit 1823 durch die Vereinigung mit der Kings Library zu einer großen Sammlung angewachsen, aber seitdem unter Mitwirkung der gesammten Nation durch die mächtigen Mittel des reichsten Staates der Erde so nachhaltig vermehrt, daß heute jeder gebildete Eng­ länder mit Stolz auf sie blicken kann. Sie gebot im Jahre 1879/80 über ein Budget von 46000 Pfv. Stert, (mehr als 920,000 Mark) und verwendete 18000 Pfd. Sterl. auf neue Erwerbungen; ihr Be­ stand wuchs in demselben Jahre um 31,019 Bände abgeschlossener Werke und 39,145 noch unvollendete Theile und Hefte, ungerechnet die kleinern Drucksachen. Eine solche Ansammlung aller literarischen Bestände an einer

16

Stelle ist in unserem becentralifirten Vaterlande weder möglich noch wünschenswerth. Und noch weniger kann ein Unbefangener wünschen, daß wir, um fremden Borbildern nachzuahmen, das Einzige aufgeben sollten was unsere Büchereien vor dem Auslande voraus haben, die unvergleichliche Liberalität der deutschen Bibliotheksverwaltung. Da­ hinaus geht doch der Vorschlag, nach dem Muster des Britischen Museums einen prachtvollen Lesesaal einzurichten und dann das Aus­ leihen der Bücher gänzlich einzustellen. Dieser wunderbare Gedanke spukt bereits in verschiedenen Zeitschriften und findet gläubige Hörer; denn so weit sind wir bereits mit unserer unersättlichen Tadelsucht gekommen, es braucht Einer nur recht frech auf bewährte deutsche Einrichtungen zu schmähen, so fehlt es ihm nicht an Beifall. Ich weiß nicht, wer die Idee zuerst aufgebracht; vermuthlich jener alte Bibliothekdirektor, der einen seiner Custoden lesend fand und ihn anherrschte: „Wie, junger Mann, Sie lesen? Ein Bibliothekar, der liest, ist verloren!" Der Vorschlag erledigt sich durch die einfache Frage: sind die öffentlichen Büchersammlungen um der Biblio­ thekare willen da oder um der Leser willen? Gewiß wird der Dienst der Custoden sehr erleichtert und die Abnutzung des Büchervorraths verlangsamt, wo nur ein Lesezimmer besteht; noch größer ist der Vortheil, daß jeder Besucher jedes vorhandene Buch unfehlbar vor­ findet und es entweder sogleich erhalten oder sich mit einem anderen Leser darüber verständigen kann. Aber was wollen diese Vortheile bedeuten gegenüber dem unvergleichlich größeren Nutzen, den die nach Hause verliehenen Bücher stiften? Der öffentliche Lesesaal ge­ nügt zum Nachschlagen, zum Sammeln von Notizen oder auch zum raschen Durchgehen eines Buchs, dessen Inhalt man sich nur in Bausch und Bogen anzueignen denkt; wer sich in ein Werk ver­ tiefen, wer es kritisch verwerthen will, wird seinen Zweck nur in der Stille des Hauses vollständig erreichen. Wenn die Bibliotheken Englands, Frankreichs, Italiens die deutsche Sitte des Ausleihens gar nicht oder nur unter scharfen Beschränkungen kennen, so beweist dies nur, daß die deutsche Ver­ waltung auch auf diesem Gebiete, wie fast überall, gemeinnütziger,

17 humaner verfährt als das Beamtenthum der Nachbarländer.

Graf

Hertzberg beurtheilte unsere socialen Zustände ganz richtig, als er diesen im guten Sinne demokratischen Brauch in Preußen einführte. In dem reichen London mag der Lesesaal des Britischen Museums ausreichen;

dort

besitzt fast jedes

anständige Haus eine

leidliche

Bibliothek, und sehr viele gebildete Männer können über ihre Zeit ziemlich frei verfügen.

In Deutschland gilt seit langeher die Regel,

daß die Reichen selten gebildet, die Gebildeten selten reich sind, und das Wachsthum unseres Volkswohlstandes hat an dieser Thatsache bisher nur wenig geändert. markt seit

einigen

Jahren

Allerdings erfreut sich unser Bücher­ eines vermehrten

Absatzes,

aber die

wachsende Kauflust des Publikums richtet sich zumeist auf Bilder­ bücher und Prachteinbände, auf Eisenbahnliteratur, auf Conversationslexika und die ihnen verwandten schlechten Zeitschriften, ungleich seltener auf ernste wissenschaftliche Werke, und es wird noch sehrlange währen, bis sich in der Klasse der neuen Reichen literarische Anslandsgewohnheiten ausbilden.

Die meisten der

deutschen Ge­

lehrten sind in ihren jungen Jahren wirklich außer Stande,

sich

mehr als den unentbehrlichsten Büchervorrath anzuschaffen (und bei­ läufig, wenn Einer vielleicht etwas mehr für seine Bücherei thun könnte, aber seine Ersparnisse lieber in einigen Flaschen Wein als in einem Buche anlegt, so darf man über die alten Bräuche ger­ manischer Jugend doch nicht allzu splitterrichterlich aburtheilen); sie müssen also auch solche Bücher, die nur im Hause mit Erfolg benutzt werden können, von den öffentlichen Sammlungen verlangen.

Und

wie Viele werden den Tag über durch Berufsgeschäfte gefesselt, so daß sie nur die späte Nacht oder den frühen Morgen dem Studium widmen können.

In Berlin kommt durchschnittlich auf zwei ausge­

liehene Bücher erst eines, das auf dem Lesesaale gebraucht wird; in kleineren deutschen Städten pflegt man das Lesezimmer sogar noch weniger zu besuchen, und unzweifelhaft müßten sehr viele der Ent­ leiher auf die Benutzung der Bibliothek ganz verzichten, wenn ihnen nur noch der Lesesaal offen stände.

Mit diesen Verhältnissen hat

die deutsche Verwaltung zu rechnen; sie darf nicht

ausländischen 2

18 Mustern zu Liebe die Wirksamkeit unserer Bibliotheken gefährden, noch die lief eingewurzelten Gewohnheiten der deutschen Gelehrsam­ keit stören. Bestechender erscheint ein

anderer Vorschlag,

haften Männern mit guten Gründen empfohlen wird.

der von nam­ Soll die Ber­

liner Sammlung — so sagt man — zu einer großen Nationalanstalt werden, so muß sie als Reichsbibliothek in die Hände des Reichs übergehen.

Und gewiß würde sie dann auch dem Namen nach sein,

was sie der Sache nach werden soll.

Der Name des Deutschen

Reichs übt Gott sei Dank einen starken Zauber auf die Gemüther. Eine Reichssammlung kann, wie die Geschichte der Straßburger Bibliothek beweist, von der Nation eine freudige Mitwirkung er­ warten,

die einer preußischen Anstalt niemals in gleichem Maße

zu Theil werden wird; sehr reiche Geschenke würden ihr vom In­ land wie vom Ausland zuströmen.

Und dazu die gesetzliche Mit­

wirkung des gesammten deutschen Buchhandels; denn natürlich wäre eine Reichsbibliothek nur möglich durch ein Reichsgesetz, das allen deutschen Verlegern die Einlieferung von Pflicht-Exemplaren aufer­ legte. Der heutigen Berliner Bibliothek nützen diese Pflicht-Exemplare wenig, da die Cabinetsordre vom 28. December 1824 nur in den alten Provinzen gilt und blos ein großer Verlagsplatz, Berlin, dem preußischen Staate angehört.

Einer Reichsbibliothek dagegen würden

durch die Pflicht-Exemplare der Leipziger und Stuttgarter Verleger beträchtliche Ersparnisse erwachsen, und bei einiger Umsicht läßt sich die Verpflichtung also regeln, daß sie beiden Theilen erträglich wird. Niemand wird wünschen, die Berliner Sammlung mit der entsetz­ lichen Masse von 14802 Nummern, welche der neueste Jahreskatalog des deutschen Buchhandels aufweist, zu überschwemmen.

Es genügt,

wenn die Buchhändler angehalten werden, alljährlich das Verzeichniß ihres neuen Verlags einzusenden und die Bibliothekverwaltung dann nach ihrem Ermessen auswählt.

So beschränkt, wird die Verpflichtung

von den ehrenhaften Verlegern nicht als ungerecht empfunden werden. Der Buchhandel verdankt der neuesten Gesetzgebung sehr große Vor­ theile, die Preßfreiheit, den Schutz gegen Nachdruck, die Herabsetzung

19

der Postgebühren; cs ist nur billig, daß er dafür eine mäßige Ab­ gabe zahlt, die neben der Masse der alljährlich nutzlos verschwen­ deten Recensions-Exemplare gar nicht in Betracht kommt und schon durch die Porto-Ermäßigung reichlich gedeckt wird. Nur die kurz­ sichtige Selbstsucht sieht in den öffentlichen Bibliotheken die natür­ lichen Gegner des Buchhandels. Die wahren Feinde der Verleger sind die Leihbibliotheken. Die ernste wissenschaftliche Arbeit in den großen öffentlichen Sammlungen weckt vielmehr das Verlangen nach Büchern und fördert die Erzeugung neuer Werke. Die englischen und französischen Verleger ertragen die Pflicht-Exemplare ohne Murren; denn sie wissen, daß ihnen die Abgabe zehnfach ersetzt wird. Es läßt sich also nicht bestreiten, daß eine Reichsbibliothek über ungleich größere Mittel gebieten kann als eine preußische Samm­ lung. Trotzdem ist der Plan für jetzt unausführbar. In späteren Zeiten, wenn der Reichshaushalt dereinst durch die Reichseisenbahnen und das Tabaksmonopol ein festes Rückgrat erhalten hat, wird sich die Thätigkeit der Reichsgewalt sicherlich auch über das Gebiet deS Cultus und des Unterrichts erstrecken; eine Deutsche Akademie der Wissenschaften und andere große wissenschaftliche Institute, deren wir auf die Dauer nicht entbehren können, wird uns nur daS Reich schaffen. Aber so weit sind wir noch nicht. Die Pflege der Wissen­ schaften und Künste gehört nach der Verfassung nicht zu den Be­ fugnissen der Reichsgewall, und Niemand bestreitet, daß der Particularismus auf diesem Gebiete allein noch ein gewisses Recht hat. Niemand wird die sämmtlichen deutschen Universitäten jetzt schon unter die Aufsicht eines einzigen Ministers stellen wollen. DaS Reich be­ sitzt für so feine Aufgaben noch keine Organe und begnügt sich mit der Zahlung von Beiträgen für die Monumenta Germaniae, für die olympischen Ausgrabungen u. f. w. Man müßte also die Reichsbibliothek unter das vielgeplagte ReichSamt deS Innern stellen, das ursprünglich für handelspolitische Zwecke bestimmt, schon mit allzu vielen verschiedenartigen Aufgaben belastet ist; dann hinge eS ganz von unberechenbaren Zufällen ab, in welche Hände die Leitung der Sammlung fiele. Das preußische Cnltusministerium dagegen mit

20 seinen

alten

guten

wissenschaftlichen

Traditionen

ist

in

Fragen

solcher Art unzweifelhaft sachkundiger. Auch scheint es überaus zweifelhaft, ob der Reichskanzler in einer nahen Zukunft daran denken darf, dem Bundesrathe einen solchen Antrag vorzulegen.

Seit die Anarchie der alten deutschen Libertät

in dem Parteigezänk unseres neuen Reichstags wieder aufgelebt ist, sieht sich die Politik der nationalen Einheit wesentlich auf den Bundes­ rath angewiesen, und der Reichskanzler muß sich hüten an die kleinen Bundesgenossen ohne dringende Noth unwillkommene Zumuthungen zu stellen.

Und eine starke Zumuthung wäre der Plan einer Reichs­

bibliothek allerdings.

Denn trotz ihres gesammtdeutschen Namens

würde die Berliner Bibliothek doch immer in erster Linie den Ge­ lehrten der Hauptstadt zu gute kommen; die Reform liefe also darauf hinaus, daß die kleinen Staaten für ein bisher von Preußen allein erhaltenes müßten.

Institut

ohne

entsprechenden

Entgelt

Beiträge

leisten

Nun haben in Baiern Krone und Staat für die öffent­

lichen Büchereien sehr freigebig gesorgt.

Viele Jahre lang verfügte

die Münchener Hof- und Staatsbibliothek über größere Einkünfte als die Berliner Sammlung, und wenngleich dies Verhältniß sich neuerdings gänzlich geändert hat, so bleibt es doch immerhin eine achtungswerthe Leistung, wenn ein Staat von Baierns Größe für diese mit kostbaren

alten Werken

bereits sehr reich

ausgestattete

Sammlung jährlich (1883) 119,571 Mark (darunter 41,143 Mark für Anschaffungen) aufwendet.

Auch

in Sachsen,

Württemberg,

Gotha sind für die Landesbibliotheken beträchtliche Opfer gebracht worden, und man darf nicht über störrischen Particularismus schelten, wenn

diese Staaten

sich

gegen

den Plan

einer

Reichsbibliothek

ziemlich kühl verhalten sollten. Was wir brauchen läßt sich auch durch Preußens eigene Kraft erreichen, allerdings mit etwas größerem Aufwande. Sammlung

soll sich nicht auf Kosten

bibliotheken erweitern,

Die Berliner

der kleineren Universitäts­

die vielmehr alle ebenfalls einer reicheren

Ausstattung bedürfen; es ist aber eine billige Forderung, daß sie die anerkannt erste der deutschen Bibliotheken werden muß, schon weil

21 sie unter allen weitaus am stärksten benutzt wird.

Dazu gehört zu­

nächst eine sehr bedeutende Vermehrung der Mittel für neue Erwer­ bungen; und die hierzu erforderlichen Summen sind, wenn auch be­ scheiden im Vergleich zu den Ansprüchen der Kunstsammlungen, doch viel höher als man im großen Publicum glaubt. Von den 96000 Mk., welche heute für Anschaffungen bestimmt sind, bleiben — nach Abzug der Zeitschriften,

der Fortsetzungen,

der Einbände — nur

etwa

36000 Mark für neue Bücher und Handschriften Übrig, und dieser Betrag genügt auch bescheidenen Ansprüchen nicht.

Die Preise der

Bücher sind durchweg gestiegen, die der Handschriften und Selten­ heiten fast bis zum Unerschwinglichen seit die amerikanische Mitbe­ werbung macht.

sich

auch

auf

dem Büchermärkte

Bisher kaum beachtete Nationen

unliebsam

beginnen

bemerklich

sich jetzt ihre

eigene Literatur, die doch nicht ganz übersehen werden darf, zu bilden.

alten Hauptfächer sind

längst zu

selbständigen Disciplinen mit großem Bücherreichthum

Viele Nebenzweige der

geworden.

Alle Wissenschaften aber stehen heute in einer Epoche der Special­ forschung; sie können schlechterdings nicht vorwärts kommen, wenn sie nicht den gesammten vorhandenen literarischen Stoff bis in die entlegensten Einzelheiten bewältigen. Unter solchen Umständen muß schon die Auswahl

aus

den

neuen Erscheinungen sehr weit bemessen werden, weil man selten wissen kann, ob nicht ein Buch, das heute noch wenig Belehrung bietet, dereinst vielleicht, sei es durch seinen Verfasser, sei es durch seinen

Inhalt,

eine noch ungeahnte Bedeutung

Weit schwieriger und Der Meusebach'sche

gewinnen wird.

kostspieliger ist die Ausfüllung

Nachlaß

kann

zu

der Lücken.

einer nahezu vollständigen

Sammlung aller älteren deutschen Literaturdenkmäler erweitert wer­ den, freilich

nur durch nachhaltigen Fleiß

und

großen Aufwand.

Manche Unterlassungen der früheren kargen Jahre lassen sich heute nur noch durch schwere Opfer sühnen.

Wenn es gelänge, vierzig

Jahrgänge der Times, des Journal deS DebatS und einiger an­ derer namhafter Zeitungen

des Auslands,

die

Bibliothek schlechterdings nicht fehlen dürfen,

auf einer großen

mit einem male zu

22 erwerben,

so

würden dafür allein 50,000 M. draufgehen.

Mißverhältniß zwischen dem Büchervorrathe

und

Das

der wachsenden

Nachfrage hat sich allmählich zu einem wirklichen Nothstände ge­ steigert.

Im Jahre 1873 wurden 66000 Bestellzettel abgegeben, im

Jahre 1882/83 schon mehr als daS Doppelte, 136,789 und, mit Hinzurechnung der in den Bibliothekräumen selbst eingereichten Zettel, insgesammt 147,000.

Im ersten der beiden Jahre konnte aber fast

ein Drittel der Bestellungen

nicht

ausgeführt werden.

Wünsche des Publicums kennen zu lernen,

Um

die

ließ die gegenwärtige

Verwaltung nunmehr die mit „nicht vorhanden" bezeichneten Zettel zurückbehalten und prüfen.

Seitdem hat sich die Lage etwas ge­

bessert; doch im Jahre 1882/83 mußte immer noch ein Viertel der Bestellzettel mit „verliehen", ein Vierzehntel mit „nicht vorhanden" bezeichnet werden. Das allzu häufige peinliche Warten auf die Rückgabe der aus­ geliehenen Bücher zählt freilich zu den vielen unvermeidlichen Ge­ duldproben des großstädtischen Lebens;

der Uebelstand kann nicht

ganz beseitigt werden, wenn man nicht auch auf die ungleich größeren Vortheile des Ausleihens verzichten und das Publicum allein auf den Lesesaal verweisen will.

Darum wird auch die Berliner Biblio­

thek von auswärtigen Gelehrten sehr wenig in Anspruch genommen; sie ziehen es vor, ihr Glück bei einer minder reichen, aber minder stark benutzten Provinzialsammlung zu versuchen.

Die Bibliothek

ließ im Jahre 1882/83 nur 250 Sendungen mit 588 Werken nach auswärts abgehen.

Jeder nach Berlin berufene Gelehrte muß im

Voraus wissen, daß er hier zwei- oder dreimal mehr als an einer kleinen Universität für seine eigene Bücherei auszugeben hat. Immer­ hin läßt sich der Mißstand einigermaßen mildern, wenn die beson­ ders gangbaren guten Bücher in mehreren Exemplaren angeschafft werden, von denen dann eines immer für den Lesesaal im Hause bleiben müßte.

Auch scheint es dringend geboten, die Bibliothek

von einer unwillkommenen und unberufenen Kundschaft zu entlasten. Unter allen Büchern werden die juristischen am meisten verlangt. Dies mag auf den ersten Blick räthselhaft scheinen; denn die jungen

23 Juristen stehen bekanntlich nicht in dem Rufe ungewöhnlichen wissen­ schaftlichen Eifers, und von jedem erfahrenen Buchhändler kann man hören: „Philologen und Historiker kaufen am meisten gelehrte Werke, weit weniger schon die Mediciner

und Naturforscher, weil

theueren Bücher so schnell veralten, Juristen."

am allerwenigsten

Die erstaunliche Nachfrage erklärt sich

ihre

aber

die

auch nur aus

der großen Zahl der jungen Leute, die sich in der Hauptstadt auf die juristischen Prüfungen vorbereiten.

Es sind immer wieder die­

selben wohlbekannten Examentröster, die von sechs Candidaten zu­ gleich bestellt und natürlich nur von einem erlangt werden.

Im

Spätherbst pflegt diese juristische Strebsamkeit ihren Siedepunkt zu erreichen; im November 1881 wurden 2265 juristische Werke ver­ langt, aber nur etwa 1400 ausgeliefert.

Warum sorgt die Justiz­

verwaltung nicht dafür, daß die Fachbibliotheken des Kammergerichts und des Justizministeriums und vielleicht auch die für solche Zwecke wohl geeignete Universitätsbibliothek in den Stand gesetzt werden, diesen Bedürfnissen des Beamtennachwuchses zu genügen? Die große Königliche Bibliothek ist zunächst für die productive Wissenschaft be­ stimmt; man darf ihr nicht zumuihen,

etwa den Ankauf eines

theueren

um

allen

Werkes

zu unterlassen,

dafür

ein

Dutzend

Exemplare der Riesencompendien von Rönne, Lette und Simon an­ zuschaffen. Wenn gegenwärtig Vermerk

„nicht

ein Vierzehntel der Bestellzettel mit dem

vorhanden" versehen wird, so giebt diese Ziffer

leider noch kein Bild von den vorhandenen Lücken.

Man darf sie

vielmehr getrost verdoppeln; denn seltene Bücher werden zumeist von den Fachgelehrten gesucht, und diese Pflegen nicht auf gut Glück Bestellungen zu schreiben, sondern selber in den Katalogen nachzu­ sehen.

Mögen immerhin unter den vergeblichen Bestellungen viele

thörichte oder

ganz unerfüllbare Wünsche mit unterlaufen:

eine

Sammlung, die einem vollen Siebentel der gestellten Anforderungen nicht zu entsprechen vermag, ist doch sicherlich noch weit von ihrem Ziele entfernt Mängel.

und

bedarf

großer Mittel

zur Ergänzung

ihrer

24 Ebenso nöthig erscheint die Vermehrung und bessere Besoldung der Beamten.

In die Bestellkästen unserer Bibliothek wurden im

Jahre 1881/82 täglich 440 Zettel eingeworfen, also mit Einschluß der im Hause selbst geschriebenen täglich 540 Zettel erledigt.

Auf

dem Lesesaale des Britischen Museums arbeiteten im Jahre 1879/80 täglich 430 Personen, die zugleich.

meisten natürlich in mehreren Büchern

Eine genaue Vergleichung ist bei der großen Verschieden­

heit der Benutzungsweise allerdings unmöglich.

Erwägt man jedoch,

daß in London jeder Besteller Zeichen und Nummer des gewünschten Buches selber auf dem Zettel angeben muß und das halbmechanische Geschäft des Herbeiholens mithin auch durch gutgeschulte Diener be­ sorgt werden kann, während bei uns in den meisten Fällen das Nachsuchen und Nachschlagen den Bibliothekaren allein zufällt; be­ denkt man ferner, daß unsere Beamten auch noch die Katalogisirung fortzuführen haben, während dem Britischen Museum ein Realkatalog ganz fehlt: so liegt die Vermuthung nahe, daß die Berliner Beamten Tag für Tag eine fast ebenso große Arbeitsmasse bewältigen müssen wie das Bibliothekspersonal des Britischen Museums.

Die Lon­

doner Bibliothek hat aber 8 Oberbeamte, 47 Assistenten, 82 Diener; die Berliner zählt nur 18 ständige Beamte,

12 außerordentliche

Assistenten, 18 Diener — wobei zu beachten ist, daß die Londoner Assistenten fast sämmtlich

fest angestellte Beamte sind

mit guten

Gehalten (bis zu 9000 Mark), während die Berliner nur für einige Jahre zur Dienstleistung berufen werden. Unsere Bibliotheksbeamten sind unzweifelhaft überbürdet, obgleich das große Publicum, Dank ihrer unerschöpflichen Gefälligkeit, wenig davon bemerkt.

Namentlich

ist eine Vermehrung der dauernd angestellten Custoden zu wünschen; denn eine große Sammlung bedarf fester Traditionen für ihre Fort­ führung, ein einseitiger, aber streng eingehaltener Plan schadet hier immer noch weniger als wechselnde Experimente. Dazu kommt als ceterum censeo die Nothwendigkeit eines Neubaus.

Wenn der sparsame große König schon hundert Jahre

nach der Stiftung die alten Räume für ganz unzureichend hielt, um wie viel weniger kann sein Palast jetzt genügen, nachdem ein zweites

25 Jahrhundert der Sammlung unvergleichlich größere Vermehrung ge­ bracht hat.

Die Wohnungsnoth der Bibliothek, die Finsterniß ihrer

zum Brechen gefüllten Säle ist leider sprichwörtlich geworden. Schon im Jahre 1853 erhielt Pertz den Auftrag, sich nach einer Baustelle umzusehen,

und seitdem schleppt sich der leidige Handel durch ein

volles Menschenalter unentschieden dahin,

obgleich jeder Berliner

mit Fingern auf den passenden Bauplatz weist.

Neuerdings ist

endlich in dankenswerther Weise der dringendsten Noth worden.

gesteuert

Der Landtag hat 2,6 Mill. für den Ankauf des Nieder­

ländischen Palastes, 410,000 Mark für den Umbau bewilligt, und wir dürfen nunmehr hoffen, einen schönen Lesesaal, menschenwürdige Beamtenzimmer, einen besonderen Arbeitsraum für die Benutzung der Handschriften,

endlich Platz für neuen Zuwachs

zu

erhalten.

Aber daS Alles bleibt nur ein Nothbehelf für wenige Jahre. neuen Räume sollen für reichlich

150,000 Bände Platz

Die bieten.

Wächst die Sammlung wie bisher um 20,000 Bände jährlich oder, wie wir hoffen, bald noch schneller, so kehrt in einer nahen Zukunft der alte unerträgliche Zustand wieder. radikaler Entschluß.

Hier hilft nichts als ein

Nicht ohne Beschämung kann ein Preuße das

schöne Münchener Bibliothekgebäude, daS schon vor mehr als vierzig Jahren eröffnet wurde,

betreten.

Damals freilich war Preußen

nicht in der Lage, wie daS kleine Baiern, sein Heerwesen zu Gunsten der Bauten zu vernachlässigen.

Heute stehen wir längst nicht mehr

vor einer so peinlichen Wahl.

Das neue Gebäude muß aber, selbst

wenn man allen Prunk verschmäht, sehr groß werden.

Denn eine

Bibliothek ist nicht eine Gallerie, die auf einer gewissen Höhe an­ gelangt sich mit mäßigen Erwerbungen begnügen kann; ihre Be­ stimmung ist zu wachsen, in steigender Progression zu wachsen; auch die Kataloge unserer Sammlung sind mit ihren springenden Nummern von vornherein auf eine fast unbegrenzte Vermehrung angelegt. Ist die Bibliothek der Hauptstadt erst angemessen ausgestattet und untergebracht, dann kann auch das gefammte deutsche Bibliothek­ wesen zu dem Maße der Centralisation gelangen, daS unter deutschen Verhältnissen erreichbar und heilsam ist.

Die Zerstreuung unserer

3

26 öffentlichen Bücherschätze über so viele kleine Bildungscentren bleibt ein unschätzbares Glück, trotz allen Unbequemlichkeiten, die sie mit sich führt; sie entspricht dem Charakter unserer Cultur.

Aber eine

Stelle in Deutschland muß es doch geben, wo jeder Forscher erfahren kann, was er in diesen Sammlungen zu suchen hat. solche Stelle läßt sich

schaffen,

Und eine

wenn man zunächst die größeren

Provinzialbibliotheken Preußens auffordert, Abschriften ihrer Kataloge in der Berliner Sammlung aufzustellen — was nicht unerschwinglich theuer wäre;

dann werden die anderen großen deutschen Biblio­

theken, schon in ihrem eigenen Interesse, bald und gern nachfolgen. Dadurch würde unseren Gelehrten eine unglaubliche Masse nutzloser Schreiberei erspart.

Die Wissenschaft verbreitert sich ins Unendliche.

Es ist heute sehr leicht,

eine Monographie über die Läuse des

Diogenes oder eine ähnliche Specialschrift, die nur von zehn Menschen auf dem Erdball gelesen wird, zu verfassen, aber sehr schwer, in einem umfassenden Buche zugleich neue Gedanken aufzustellen und den peinlich strengen Anforderungen moderner Einzelforschung genügen.

zu

In solcher Lage muß jede Ersparniß an Zeit und Kraft

hoch angeschlagen werden.

Die Centralisation der Bücherkataloge

giebt den deutschen Bibliotheken die Gelegenheit, bisher für die gegenseitige Ergänzung

gründlicher als

ihrer Bestände zu sorgen,

und mit der Zeit wird dann auch noch eine andere, schwerere und wichtigere Aufgabe gelöst werden: die Katalogisirung schriften.

An schönen Anfängen fehlt es nicht.

der Hand­

Unsere Bibliothek

hat soeben durch namhafte Gelehrte Verzeichnisse ihrer orientalischen und lateinischen Manuscripte anfertigen lassen, die für den Druck bestimmt,

theils

beendigt

theils dem Abschluß

nahe sind.

Doch

ebenso wichtig wäre ein Katalog aller der Handschriften und Brief­ schaften aus der deutschen Geschichte, die in unseren Bibliotheken vergraben liegen; und so riesig die Arbeit scheint, unausführbar ist sie nicht, wenn Plane

sie an vielen Orten zugleich und nach demselben

begonnen

wird.

romanischen Zwang, unserer freien

So

kann die Berliner Bibliothek

ohne Benachtheiligung

der Provinzen,

ohne nach

deutschen Weise dereinst eine Centralstelle der na-

27 tionalen

Gelehrsamkeit

werden,

ähnlich

der

Pariser

National­

bibliothek. Engländer und Franzosen pflegen unS vorzuwerfen, die deutsche Gelehrsamkeit stehe zwar hoch, doch daS lebendige Verständniß dafür sei unter uns seltener

als im Westen.

DaS Verhalten deS preu­

ßischen Landtags während der jüngsten Jahre bestätigt diese Anklage nicht.

Er ist der Wissenschaft stets mit warmem Herzen und offener

Hand entgegengekommen; er wird sich auch nicht versagen, wenn eS gilt, diese unter

dem bescheidenen

Kurhute

würdig der Kaiserkrone neuzugestalten.

aufgeblühte

Stiftung

Je länger die Reform sich

verzögert, um so schwieriger wird sie durchzuführen sein. — 20. April.