Die Grenzen des Opportunitätsprinzips im heutigen deutschen Polizeirecht [1 ed.] 9783428413010, 9783428013012


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German Pages 228 Year 1966

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Die Grenzen des Opportunitätsprinzips im heutigen deutschen Polizeirecht [1 ed.]
 9783428413010, 9783428013012

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 40

Die Grenzen des Opportunitätsprinzips im heutigen deutschen Polizeirecht Von Hans Peter Schmatz

Duncker & Humblot · Berlin

HANS PETER SCHMATZ

Die Grenzen des Opportunitätsprinzips i m heutigen deutschen Polizeirecht

Schriften

zum

Off entlichen B a n d 40

Recht

Die Grenzen des Opportunitätsprinzips i m heutigen deutschen Polizeirecht

Von Dr. H a n s P e t e r S c h m a t z

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Alle Rechte vorbehalten © 1966 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1966 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany

Vorwort Die Arbeit lag i m Dezember 1965 der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität zu München als Dissertation vor. Referent war Herr Professor Dr. Siegfried Grundmann, Korreferent Herr Professor Dr. Theodor Maunz. Die mündliche Prüfung fand am 21. Dezember 1965 statt. Die i m März 1965 abgeschlossene Abhandlung wurde vor Drucklegung überarbeitet; Literatur und Rechtsprechung sind bis 15. August 1966 berücksichtigt. Meinem verehrten Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Grundmann, möchte ich an dieser Stelle nochmals für Anregung und Betreuung der Arbeit herzlich danken. Ebenso gilt mein Dank Herrn Ministerialrat a. D. Dr. Johannes Broermann, der die Drucklegung in seinem Verlag ermöglichte. Für die Übersendung von Gesetzesmaterialien und Erteilung von Auskünften schulde ich Dank dem Landtag Rheinland-Pfalz, dem Landtag Nordrhein-Westfalen, dem Abgeordnetenhaus Berlin und ganz besonders dem Archiv des Bayerischen Landtags. München, i m Dezember 1966 Hans Peter Schmatz

Inhaltsverzeichnis Einleitung

17

Erstes Kapitel Der Polizeibegriff heute

19

A . Der formelle Polizeibegriff

19

B. Der materielle Polizeibegriff

22

Zweites Kapitel Ermessen, unbestimmter Rechtsbegriff und Beurteilungsspielraum

25

A. Die Entwicklung der gerichtlichen Nachprüfung von Ermessensakten

25

B. Die heutige Lehre

27

I. Die konservative Richtung I I . Die moderne Richtung a) Die Unterscheidung von Tatbestand u n d Rechtsfolge b) Die Begründungen der Beurteilungsspielraums c) Der E i n w a n d der Identität von Beurteilungsspielraum Ermessen u n d seine Widerlegung

27 28 28 28 und

I I I . Die Verwaltungsrechtsprechung C. Stellungnahme u n d Ausgangsbasis

31 32 34

I. Gelöste u n d ungelöste Probleme der modernen Lehre I I . Die verschiedenartige S t r u k t u r Ermessen gewährender Rechtssätze I I I . Die Grenzen des Ermessens I V . Die Abgrenzung von „Ermessen" u n d „Rechtsanwendung" (d.h. Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs) V. Ermessen u n d Opportunitätsprinzip

34 35 36 38 41

Drittes Kapitel Erster

Hauptteil

Rechtsanwendung und Ermessensbetätigung auf Grund sicherheitsrechtlicher Ermächtigungsnormen Vorbemerkung: Die Rechtsgrundlagen

43 43

nsverzeichnis Α. Die Bindung der Sicherheitsorgane an die unbestimmten Rechtsbegriffe des § 14 I p r P V G u n d die ihnen durch diese N o r m eingeräumte Ermessensfreiheit I. Die Auslegung der i n § 1 4 1 P V G enthaltenen Begriffe u n d „notwendig"

46

„Gefahr" 46

a) Die „Gefahren f ü r die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung"

46

b) Der Begriff der „Notwendigkeit"

49

1. 2. 3. 4.

Die Der Der Das

„Möglichkeit" u n d „Geeignetheit" der Maßnahmen Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Verbot zeitlichen Übermaßes

49 51 63 70

c) Die gerichtliche Nachprüfbarkeit der bisher entwickelten Begriffe „Gefahr" u n d „notwendig" d) Fortsetzung der Auslegung des Begriffs „Notwendigkeit" des Einschreitens

„notwendig".

70

Die 78

e) Die „Aufgabe" der Gefahrenabwehr

84

f) Der Begriff „erforderlich" i n § 41 I prPVG. Die Begriffe „ n o t wendig" u n d „erforderlich" i m Sinne dieser Arbeit

86

I I . Die Entwicklung des Opportunitätsprinzips

87

a) Unter der Geltung des § 10 I I 17 des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794

87

b) Die Entwicklung des Opportunitätsprinzips unter der Geltung des § 14 p r P V G 98 1. Die Beratung des § 14 i m Ausschuß für Verfassungsfragen des Preußischen Landtags

98

2. Die Stellungnahmen i n L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung zu § 14 P V G u n d zu dessen Beratung i m Verfassungsausschuß 107 3. Die Entwicklung seit 1945

114

c) Ergebnis

116

I I I . Rechtsanwendung u n d Ermessensfreiheit innerhalb nach den heute vertretenen Auffassungen. K r i t i k a) Die „Gefahr" für die „öffentliche

§ 14 P V G 117

Sicherheit u n d Ordnung" 117

b) „Die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen" 118 1. Die Möglichkeit u n d die Geeignetheit der Maßnahmen

118

2. 3. 4. 5.

119 120 126 129

Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Der Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels Die Notwendigkeit des Ob-überhaupt Unbrauchbare Qualifizierungen des Begriffs „notwendig" . .

I V . Auslegung und Qualifizierung des Ausdrucks „ u m Gefahren abzuwehren" 130

nsverzeichnis

9

a) Das Wesen der Zweckbestimmung i n § 14 P V G

130

b) Die Einschränkung des Ermessens hinsichtlich des „ I n w i e w e i t " eines Einschreitens 133 1. Durch die Möglichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit 133 2. Die Einschränkung des Ermessens durch den Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels 134 c) Ausreichende und unzulängliche wendigem Einschreiten

Gefahrenabwehr

bei

not136

d) Die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Zweckwahl

137

1. Bei nicht-notwendigem Einschreiten

137

2. Die Nachprüfung der Zweckwahl bei notwendigem schreiten

Ein139

B. Ermessen und unbestimmte Rechtsbegriffe i n den von § 14 p r P V G abweichenden Ermächtigungsnormen 140 I. Das nordrhein-westfälische Ordnungsbehördengesetz und das hamburgische Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 140 I I . Das Polizeigesetz von Baden-Württemberg

144

I I I . Das bayerische Sicherheitsrecht a) Das P A G

146 147

1. Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen eingreifender licher Maßnahmen

polizei147

2. Das polizeiliche Ermessen u n d die Pflicht zu ausreichendem Einschreiten 150 3. Einige Besonderheiten des P A G

152

aa) A r t . 5 I I 3 c P A G : „soweit dies i m öffentlichen Interesse geboten erscheint" 152 bb) A r t . 6 P A G : „Die Polizei darf n u r die Maßnahmen treffen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig sind" 153 cc) A r t . 2 Satz 3 P A G : „Soweit es nötig ist und nicht andere Aufgaben vordringlicher sind, soll sie (seil, die Polizei) auch sonst Verletzten und Hilflosen Beistand leisten u n d ärztliche Hilfe verschaffen" 155 b) A r t . 5 AGStPO und die sicherheitsrechtlichen Ermächtigungen im LStVG 158 C. Die besonderen Befugnisse der Sicherheitsorgane meinen Sicherheitsgesetzen

nach den

D. Die „nicht-eingreifende" Tätigkeit der Sicherheitsorgane

allge160 162

nsverzeichnis

Viertes Zweiter

Kapitel Hauptteil

Die dem Staatsbürger gegenüber bestehende Pflicht der Sicherheitsorgane zur Gefahrenabwehr

165

Vorbemerkung

165

A. Die Amtspflichten der Sicherheitsorgane zum Tätigwerden I. Beispiele aus der Rechtsprechung des RG u n d des B G H I I . Die Würdigung der Zivilrechtsprechung unter Berücksichtigung der bisherigen Ergebnisse der Arbeit a) Die aus § 14 p r P V G folgende Amtspflicht zum Tätigwerden . . 1. „Unmittelbare Gefahren für wesentliche Rechtsgüter" als Fälle „notwendigen" Einschreitens

167 167 169 169 169

2. „Die an eine ordnungsgemäße V e r w a l t u n g zu stellenden Anforderungen" 171 3. Die bei einer Pflicht zum Einschreiten zu ergreifenden Maßnahmen 175 4. Der „ D r i t t e "

176

b) Amtshaftung wegen Unkenntnis eines zum Einschreiten verpflichtenden Sachverhalts 177 B. Die

verwaltungsgerichtliche

Erzwingbarkeit

eines

sicherheitsrecht-

lichen Tätigwerdens I. Die Klageart u n d ihre Voraussetzungen a) Die Klageart

180 180 180

b) Das Vorverfahren

181

c) Die formelle Beschwer

181

d) Die materielle Beschwer

181

1. K a n n § 14 P V G konkret bestimmbaren Individualinteressen zu dienen bestimmt sein? 183 2. Welchen Individualinteressen sind die sicherheitsrechtlichen Ermächtigungsnormen zu dienen bestimmt? 187 3. Die Generalklauseln als „zwingende Rechtssätze"

191

I I . Voraussetzungen und I n h a l t des subjektiven öffentlichen Rechts auf Tätigwerden der Sicherheitsorgane 191 a) Die primäre Voraussetzung: Das Vorliegen einer Gefahr, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung sowie ein durch ein Grundrecht geschütztes Individualrechtsgut des Klägers bedroht w i r d 192 b) Die „Notwendigkeit" eines Einschreitens

192

nsverzeichnis

11

c) Die Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr" d) Der I n h a l t des Anspruchs auf Tätigwerden I I I . Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r zum Anspruch auf Tätigwerden

193 195 polizeiliches 197

C. Die Einschränkung des polizeilichen Ermessens durch den Gleichheitssatz 201 D. Andere Rechtsgrundlagen f ü r einen Anspruch auf Tätigwerden der Sicherheitsorgane 207

Fünftes Kapitel Abschließende Bemerkungen Literaturverzeichnis

214 217

Abkürzungsverzeichnis aA ABL aE AGStPO ALR Anm. AöR AS Bad., bad. Bay., bay. BayBgm. BayBS BayGO BayObLGSt. BayVBl. BayVerfGH BayVerfGHG BayVGH BB BBauBl. Bd. Begründung

Bericht

Beri., beri. Brem., brem. BSGE BV BVerfG BVerfGG Bw., bw. BWVB1.

anderer Ansicht Amtsblatt am Ende (Bay.) Ausführungsgesetz zur Strafprozeßordnung v o m 17. November 1956 (BayBS I I I S. 149) Allgemeines Landrecht f ü r die Preußischen Staaten von 1794 Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts (Band der alten Folge und Seite) Amtliche Sammlung Baden Bayern Der Bayerische Bürgermeister (Jahr u n d Seite) Bereinigte Sammlung des bayerischen Landesrechts Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern v o m 25. Januar 1952 (BayBS I S. 461) Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts i n Strafsachen Bayerische Verwaltungsblätter (Jahr u n d Seite) Bayerischer Verfassungsgerichtshof Gesetz über den Verfassungsgerichtshof i n der Fassung v o m 26. Oktober 1962 (GVB1. S. 337) Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Der Betriebs-Berater (Jahr u n d Seite) Bundesbaublatt (Jahr u n d Seite) Band Begründung des Entwurfs eines (seil, des preußischen) Polizeiverwaltungsgesetzes. Abgedruckt bei Klausener, Verwaltungsgesetzes. Abgedruckt bei Klausener, PVG, PVG, S. 43 ff. Bericht des Ausschusses für Verfassungsfragen (seil, des preußischen Landtags) über den E n t w u r f eines Polizeiverwaltungsgesetzes. Abgedruckt bei Klausener, PVG, S. 92 ff. B e r l i n (West-Berlin) Bremen Entscheidungen des Bundessozialgerichts (Band und Seite) Verfassung des Freistaates Bayern v o m 2. Dezember 1946 (BayBS I S. 3.) Bundesverfassungsgericht Gesetz über das Bundesverfassungsgericht v o m 12. März 1951 (BGBl. I S. 243) Baden-Württemberg Baden-Württembergisches Verwaltungsblatt (Jahr und Seite)

Abkürzungsverzeichnis Das Recht

13

Das Recht, Rundschau f ü r den deutschen Juristenstand. (Später:) Juristisches Zentralblatt f ü r Praktiker, herausgegeben von Soergel u. a. (Jahr u n d Seite) Der Staat Zeitschrift f ü r Staatslehre, öffentliches Recht und V e r fassungsgeschichte (Jahr u n d Seite) Die Gemeinde Zeitschrift f ü r gemeindliche Selbstverwaltung (Jahr u n d Seite) Zentralorgan f ü r das Sicherheits- u n d Ordnungswesen, Die Polizei Polizei-Wissenschaft, -Recht, -Praxis. K ö l n Dissertation Diss. DÖV Die öffentliche V e r w a l t u n g (Jahr u n d Seite) Drucksachenabteilung DrucksAbt. DVB1. Deutsches Verwaltungsblatt (Jahr u n d Seite) DWW Deutsche Wohnungswirtschaft, Zentralorgan für das gesamte Haus- u n d Grundstückswesen. Düsseldorf (Jahr und Seite) Sammlung der Entscheidungen des vorher genannten GeE richts (Band u n d Seite) Entscheidung Entsch. Entscheidungen des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs ESVGH u n d des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Band u n d Seite) Fischers Zeitschrift: Fischers Zeitschrift für die Praxis u n d Gesetzgebung der Verwaltung, herausgegeben von Walter Scheicher, Leipzig (Band u n d Seite) Gaststättengesetz v o m 18. A p r i l 1930 GaststG Gesetzblatt GBl. GewArch. Gewerbearchiv (Jahr u n d Seite) GG Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland v o m 23. M a i 1949 (BGBl. I S. 1) GS Gesetzessammlung GVB1. Gesetz- u n d Verordnungsblatt Hamb., hamb. Hamburg HansOLG Hanseatisches Oberlandesgericht H a m b u r g Hess., hess. Hessen iS i m Sinne iVm. i n Verbindung m i t JöR Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart (Band der neuen Folge u n d Seite) JR Juristische Rundschau, Zeitschrift f ü r praktische Rechtskünde (Jahr u n d Seite) Juristische Schulung, Zeitschrift f ü r Studium und AusJuS b i l d u n g (Jahr u n d Seite) Juristische Wochenschrift (Jahr u n d Seite) JW Zeitschrift f ü r die gesamte kriminalistische Wissenschaft Kriminalistik u n d Praxis, H a m b u r g (Jahr u n d Seite) Lindenmaier/Möhring, Nachschlagewerk des BundesLM gerichtshofs LVG Landesverwaltungsgericht LStVG (Bay.) Landesstraf- und Verordnungsgesetz v o m 17. N o vember 1956 (BayBS I S. 327) MDR Monatsschrift f ü r Deutsches Recht (Jahr u n d Seite) Nds., nds. Niedersachsen

14

Abkürzungsverzeichnis

neue Folge Nordrhein-Westfalen Ordnungsbehördengesetz Entscheidungen des Obersten Gerichthofs für die Britische Zone i n Zivilsachen Oberverwaltungsgericht OVG (Gesetz über Ordnungswidrigkeiten v o m 25. März 1952 OWiG (BGBl. I S. 177) (Bay.) Polizeiaufgabengesetz i n der Fassung v o m 3. A p r i l PAG 1963 (GVB1. S. 95, ber. S. 120) Polizeigesetz PG Preußen Pr., pr. Preuß. Gem. Zeitung: Preußische Gemeindezeitung Preußisches Verwaltungsblatt PrVBl. Polizeiverwaltungsgesetz PVG Recht der Jugend, vereinigt m i t Recht u n d Wirtschaft der RdJ Schule. Berlin. (Jahr u n d Seite) Das Recht des Kraftfahrers (Jahr u n d Seite) RdK Reger/Oeschey, Entscheidungen der Gerichte u n d V e r Reger waltungsbehörden auf dem Gebiete des auf reichsgesetzlichen u n d gemeinrechtlichen Bestimmungen beruhenden Verwaltungs- u n d Polizeistrafrechts, München (Band u n d Seite) Reichshaushaltsordnung v o m 31. Dezember 1922 (RGBl. RHO 1923 I I S. 17) RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts i n Zivilsachen (Band u n d Seite) Rhpf., rhpf. Rheinland-Pfalz Das Recht i m A m t (Jahr u n d Seite) RiA Randnummer RNr. Reichsverwaltungsblatt u n d Preußisches Verwaltungsblatt RuPrVBl. siehe s. Seite S. SächsOVG Jahrb. Jahrbücher des Königlich Sächsischen Oberverwaltungsgerichts, Leipzig (Band u n d Seite) Schlh, schlh. Schleswig-Holstein SchlHA Schleswig-Holsteinische Anzeigen, Justizministerialblatt f ü r Schleswig-Holstein (Jahr u n d Seite) seil. scilicet (nämlich) SeuffArch. J. A . Seufferts Archiv f ü r Entscheidungen der obersten Gerichte i n den deutschen Staaten SOG Sicherheits- u n d Ordnungsgesetz StAnpG Steueranpassungsgesetz v o m 16. Oktober 1934 (RGBl. I S. 925) i n der Fassung des S t Ä n d G 1961 stRspr. ständige Rechtsprechung Stusev Staats- u n d Selbstverwaltung, Zeitschrift f ü r Staats- u n d Kommunalverwaltungen u n d -beamten, B e r l i n (Jahr u n d Seite) StZRhPf. Staatszeitung, Staatsanzeiger f ü r Rheinland-Pfalz Urt. Urteil VArch. Verwaltungsarchiv (Band u n d Seite) VersR Versicherungsrecht (Zeitschrift, Verlag C. F. Müller, K a r l s ruhe) VG Verwaltungsgericht nF NRW, n r w . OBG OGHZ

Abkürzungsverzeichnis VGH V G H nF

VkBl. VO VRS VRspr. VVDStRL VwGO Wahlp. WarnRspr. WV zit. ZMR

15

Verwaltungsgerichtshof Sammlung von Entscheidungen des Bayerischen V e r w a l tungsgerichtshofs m i t Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, des Bay. Dienststrafhofs und des Bay. Gerichtshofs für Kompetenzkonflikte (neue Folge) (Band und Seite) Verkehrsblatt Verordnung Verkehrsrechts-Sammlung, Entscheidungen aus allen Gebieten des Verkehrsrechts, herausgegeben von Weigelt, Berlin. (Band und Seite) Verwaltungsrechtsprechung (Band und Seite) Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (Heft u n d Seite) Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960 (BGBl. I S. 17) Wahlperiode Die Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts, herausgegeben von Otto Warneyer, (Jahr und Seite) Die Verfassung des Deutschen Reichs (Weimarer V e r fassung) v o m 11. August 1919 zitiert Zeitschrift f ü r M i e t - u n d Raumrecht. Düsseldorf (Jahr und Seite)

Einleitung Seit jeher waren sich Lehre und Rechtsprechung darüber einig, daß i m Polizeirecht grundsätzlich das Opportunitätsprinzip gelte. Man verstand darunter überwiegend das Recht der Polizeibehörden, über die Frage, ob und wie sie gegen Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorgehen wollen, nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Man war sich auch bewußt, daß dieses Ermessen nicht unbegrenzt sei, vielmehr, daß es Fälle gäbe, i n denen die Polizei einschreiten müsse, wie auch Maßnahmen, die nicht ergriffen werden dürften. Nachdem nun das Opportunitätsprinzip dem Wortlaut des § 10 I I 17 A L R nur schwerlich entnommen werden konnte, sollte es nach dem Willen der Regierung in § 14 des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes vom 1. Juni 1931 (GS S. 77) unzweideutig festgelegt werden. Der erhoffte Erfolg trat jedoch nicht ein. Die Erläuterungswerke zum preußischen PVG rätselten nicht nur über die Formulierung des § 14, sondern ebenso über die Beratungen i m Verfassungsausschuß des preußischen Landtags. Die politische Entwicklung setzte dieser Auseinandersetzung ein rasches Ende. Die Erneuerung rechtsstaatlichen Denkens nach 1945 führte zwar zu einem fast unübersehbaren Schrifttum über die Probleme des Ermessens und des unbestimmten Rechtsbegriffs, aber der Begründung und Begrenzung des Opportunitätsprinzips aus § 14 prPVG und den i h m entsprechenden Vorschriften der neueren Sicherheitsgesetzte wurde nur wenig Beachtung geschenkt. So herrscht noch heute Unsicherheit und Verwirrung, wenn es um die Auslegung des Begriffs „notwendig" in § 14 PVG geht oder um seine Qualifizierung als Ermessens- oder unbestimmten Rechtsbegriff. Eine bedeutsame Wandlung hat sich allerdings in jüngster Zeit insofern vollzogen, als die bisherige Doktrin, der einzelne habe kein subjektives öffentliches Recht auf ein Tätigwerden der Polizei zu seinen Gunsten, durch das Bundesverwaltungsgericht und das Schrifttum als mit dem heutigen Verhältnis von Staat und Bürger nicht mehr vereinbar angesehen w i r d und beide i n besonderen Fällen ein subjektives Recht des einzelnen auf fehlerfreie Ausübung polizeilichen Ermessens hinsichtlich der Frage, ob eingeschritten werden solle, anerkennen. Diese Ansicht birgt jedoch ein Reihe ungelöster Probleme, insbesondere rechtssystematischer und prozessualer Art. 2 Schmatz

18

Einleitung

Einen weiteren Kreis von Fragen bietet die Rechtsprechung der Zivilgerichte. Sie gewährt seit jeher einen Amtshaftungsanspruch, wenn jemand durch pflichtwidriges Untätigbleiben der Polizei bei unmittelbaren Gefahren für wesentliche Rechtsgüter einen Schaden erlitten hat, ohne sich m i t der rechtssystematischen Begründung ihrer Ansicht eingehend auseinanderzusetzen oder auf die verwaltungsrechtliche Ermessenslehre oder die Auslegung des § 14 PVG näher einzugehen. I n der vorliegenden Arbeit w i r d versucht, die Ermächtigungsgrundlagen des heutigen deutschen Polizeirechts, insbesonders § 14 PVG auszulegen, ihren normativen Inhalt zu ordnen und die Bereiche aufzuzeigen, i n denen Ermessenserwägungen möglich sind. Die Bindung der Polizei an das Gesetz w i r d dabei stets unter dem Blickwinkel verwaltungs- und zivilgerichtlicher Uberprüfbarkeit untersucht. Die Arbeit ist i n fünf Kapitel gegliedert. I m ersten w i r d kurz auf den Begriff der Polizei eingegangen, wie er i n den modernen Sicherheitsgesetzen zum Ausdruck kommt. I m zweiten Kapitel w i r d versucht, die Grundlage der Arbeit, die Lehre vom Ermessen, unbestimmten Rechtsbegriff und Beurteilungsspielraum darzulegen und das Wesen des Ermessens aufzuzeigen. Die Auslegung der sicherheitsrechtlichen Ermächtigungsnormen ist Thema des dritten Kapitels, des ersten Hauptteils. Schwerpunkt bilden die Grenzen eingreifender polizeilicher Tätigkeit. I m vierten Kapitel, dem zweiten Hauptteil der Arbeit, w i r d das Recht des einzelnen auf Einschreiten der Polizei und sein Anspruch auf Schadensersatz wegen unterlassenen Einschreitens erörtert. Das letzte Kapitel enthält abschließende Bemerkungen.

Erstes Kapitel

Der Polizeibegriff heute A . D e r f o r m e l l e Polizeibegriff Bis vor etwa fünfzehn Jahren gab es terminologisch kaum einen Zweifel, was unter „Polizei" zu verstehen sei. Alle Behörden, die allgemein oder auf speziellen Gebieten für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit oder den einzelnen zu sorgen hatten, waren „Polizeibehörden und bedienten sich materiellen „Polizei"rechts. Materieller und formeller Polizeibegriff waren somit weitgehend identisch 1 . Die amerikanische und britische Besatzungsmacht mißtrauten jedoch dieser Regelung und empfahlen den Ländern ihrer Zonen, bei der Neufassung von Polizeigesetzen das Wort „Polizei" nur mehr für die uniformierten Beamten des Polizeivollzugsdienstes zu gebrauchen. Unter diesem Einfluß wurde i n jenen Ländern die sogenannte Ordnungsverwaltung eingeführt 2 ; die übrigen Länder blieben bei der preußischen Regelung. Heute ergibt sich folgendes Bild: Rheinland-Pfalz 3 und das Saarland 4 behielten die Regelung des preußischen PVG vom 1. 6.1931 5 bei. Materieller und formeller Polizeibegriff decken sich also. Behörden, die nicht als Polizeibehörden bezeichnet werden, können sich des Polizeirechts nicht bedienen 6 . Das Verhältnis zwischen den ordentlichen Polizeibehörden, d. h. dem Bürgermeister als Orts-, dem Landratsamt als Kreis- und der Bezirksregierung als Bezirkspolizeibehörde 7 , und der uniformierten Polizeiexeku1

Vgl. dazu eingehend Drews/Wacke, S. 11 ff. 2 Drews/Wacke, S. 18. 3 §§73 ff. rhpfGVBl. (Polizeiverwaltungsgesetz v o m 26. März 1954, r h p f GVB1. S. 31); vgl. Gaiette, DVB1. 55, 313 (317 f.); Rasch, D Ö V 60, 81 (85 f.). 4 §§32 ff. des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung des Saarlandes v o m 13. J u l i 1950, A B l . S. 796. s Vgl. §2 p; PVG. 6 Drews/Wacke, S. 16. 7 Vgl. A n m . 3 u n d 4. 2*

20

1. Kap.: Der Polizeibegriff heute

tive 8 ist der internen Verwaltungsregelung überlassen 9 . Ein A k t eines Vollzugsbeamten ist grundsätzlich ein A k t der Behörde, der er zugeordnet ist 1 0 . Eine gewisse Differenzierung lassen Baden-Württemberg und Bremen erkennen. Sie untercheiden zwischen Polizeibehörden 11 und Polizeivollzugsdienst 12 und begrenzen dessen Aufgaben auf Vollzugshandlungen 1 3 und unaufschiebbare Maßnahmen 14 . Sie gebrauchen für beide Institutionen den Begriff „Polizei" 1 5 . Darunter w i r d aber nicht mehr eine Funktion, die Polizeigewalt, verstanden — wie früher i n Preußen —, sondern eine Einrichtung, die organisatorisch getrennt i n Polizeibehörden und Polizeivollzugsdienst ein und denselben materiellen Normen unterworfen ist 1 6 . Ähnlich ist die Regelung i n Hessen. Die Aufgaben der Gefahrenabwehr werden von den „Behörden der Gefahrenabwehr" und von der „Vollzugspolizei" wahrgenommen 17 . Allerdings ist das hessische Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung insofern inkonsequent, als es den Begriff „Polizei" einerseits i n der Bezeichnung „Behörden der Gefahrenabwehr" sowie insbesondere i n der Uberschrift des Gesetzes vermeidet 18 , ihn andererseits aber i n den Bezeichnungen „Polizei8 Vgl. § 77 rhpfPVG. 9 Gaiette, DVB1. 55, 313 (318). 10 Gaiette, DVB1. 55, 313 (317). 11 §§ 47, 49 ff. b w P G (Polizeigesetz v o m 21. November 1955, b w G B l . S. 249, nebst Änderungen v o m 23.1.1956, GBl. S. 3, v o m 30.1.1956, GBl. S. 6, u n d v o m 10.12.1956, GBl. S. 173); §§56 I I , 59 bremPG (Polizeigesetz v o m 5. J u l i 1960, bremGVBl. S. 73). « §§47, 58 ff. b w P G ; §§56 I I , 67 ff. bremPG. 13 §48 I I 1 b w P G ; §58 I I I bremPG. 14 §48 I I 2 b w P G ; § 58 I bremPG. ι * §47 b w P G ; §56 bremPG; vgl. Rasch, D Ö V 60, 81 (85), u n d die Begründung des brem. Entwurfs (DrucksAbt. I, Nr. 28, S. 1). iß Vgl. Reiff, S. 20. Nach Ule (BWVB1. 56, 83, 85) sind beide Einrichtungen unter den gleichen materiellen Polizeibegriff gestellt; ebenso auch Dahlinger (BWVB1. 56, 113). F ü r eine einheitliche Bezeichnung sprach sich auch die Begründung zum E n t w u r f des b w P G aus. M a n ging davon aus, daß das Polizeiwesen i n all seinen Erscheinungsformen eine innere Einheit darstelle und den gleichen Rechtsnormen unterstehen müsse (1. Wahlp., Beilagenband I I I , Beilage 1360, S. 1900). Dagegen erhob Abg. Dr. Brandenburg Bedenken: Das V o l k verstehe unter Polizei n u r die Exekutivpolizei (1. Wahlp., 66. Sitzung v o m 12. 5.1955, Protokoll, Bd. I V , S. 3094). Auch die Begründung des brem. Entwurfs „ h ä l t an dem überkommenen Begriff ,Polizei' fest" (DrucksAbt. I, Nr. 28 v o m 10. 5.1960, S. 1), weicht aber doch auf organisatorischem Gebiet von dem früheren B i l d ab. 17 s. die Überschrift des zweiten Abschnitts des zweiten Teils des hessSOG (Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung v o m 17. Dezember 1964, hessGVBl. I S. 209) sowie §65 hessSOG. ι 8 Ohne daß die Begründung des Entwurfs hierfür Gründe angibt.

Α. Der formelle Polizeibegriff behörden"19,

„polizeiliche Verfügungen"

und

21 „Polizeiverordnungen" 20

verwendet. A l l e ü b r i g e n B u n d e s l ä n d e r einschließlich W e s t - B e r l i n v e r s t e h e n u n t e r „ P o l i z e i " f o r m e l l n u r m e h r die P o l i z e i v o l l z u g s o r g a n e 2 1 . D i e z u r G e f a h r e n a b w e h r b e r u f e n e n B e h ö r d e n der i n n e r e n V e r w a l t u n g w e r d e n meist O r d n u n g s b e h ö r d e n oder A m t f ü r ö f f e n t l i c h e O r d n u n g g e n a n n t 2 2 . A u c h die B a u - u n d G e w e r b e p o l i z e i b e h ö r d e n w u r d e n u m b e n a n n t i n Bauordnungs- und Gewerbeamt 23»24. io § 58 hessSOG. 20 §§ 6, 34 hessSOG. 21 Bayern: A r t . 1, 72 P A G (Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei i n Bayern i n der Fassung v o m 3. A p r i l 1963, bayGVBl. S. 95, ber. S. 120). Nordrhein-Westfalen: § 14 n r w P V G (Preußisches Polizeiverwaltungsgesetz i n der f ü r den Aufgabenbereich der Polizei geltenden Neufassung v o m 27. November 1953, GS N R W S. 163) sowie §§ 2, 13, 51 n r w O B G (Gesetz über Aufbau u n d Befugnisse der Ordnungsbehörden — Ordnungsbehördengesetz (OBG) — v o m 16. Oktober 1956, GS N R W S. 155). Niedersachsen: §§1, 52 ff. ndsSOG (Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 21. März 1951, ndsGVBl. S. 79, i n der Fassung des Gesetzes v o m 23. A p r i l 1955, ndsGVBl. S. 175; ndsGVBl. Sb. I S. 89). Schleswig-Holstein: § 1 I I I schlhPG (Polizeigesetz für das L a n d SchleswigHolstein vom 23. März 1949, schlhGVOBl. S. 61, i n der Fassung der Gesetze vom 23.1.1950, GVOB1. S. 23, v o m 31.3.1951, GVOB1. S. 91, und v o m 22.12.1952, GVOB1. S. 185). Hamburg: §§ 1, 3 hambSOG (Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOG) v o m 14. März 1966, hambGVBl. I S. 77); unter V o l l zugspolizei iS des § 3 I I hambSOG sind die Personen zu verstehen, die i n der VO über die zum Polizeidienstvollzug gehörenden Beamtengruppen v o m 14. A p r i l 1964 (hambGVBl. S. 78) genannt sind, sowie deren Vorgesetzte (so die Begründung des hambSOG; Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft, M i t t e i l u n g Nr. 75 v o m 11. M a i 1965, S. 12). — s. ferner 3. Kap., Abschnitt Β I. West-Berlin: §§ 1 ff. berlPolZG (Gesetz über die Zuständigkeit der Berliner Polizei- u n d Ordnungsbehörden vom 2.10.1958, berlGVBl. S. 959). Vgl. dazu auch Rasch, D Ö V 60, 81 (85); Kreutzer, DÖV 60, 102 (106); Scheerbarth, DVB1. 58, 83. 22 A r t . 5 AGStPO ([Bay.] Ausführungsgesetz zur Strafprozeßordnung [AGStPO] vom 17. November 1956, BayBS I I I S. 149); A r t . 48, 62 L S t V G ([Bay.] Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiete der öffentlichen Sicherheit und Ordnung [Landesstraf- und V e r ordnungsgesetz — L S t V G ] v o m 17. November 1956, BayBS I S. 327, m i t mehreren Änderungen); § 1 n r w O B G ; §44 ndsSOG (vgl. dazu Böhrenz und Henke, DÖV 60, 111, 890; 61, 253, sowie Beinhardt, DVB1. 61, 608, 612 f.); § 1 ff. berlPOlZG; für Schleswig-Holstein s. den Runderlaß des Landesministers des Innern vom 10. 2.1951, A B l . S. 121. 23 Drews/Wacke, S. 22. 24 Hinsichtlich des bundesrechtlichen Polizeibegriffs vgl. Drews/Wacke, S. 36 ff., 535 ff.; Polizeigewalt w i r d hier sowohl von „Polizeibehörden", wie der Bahnpolizei u n d den Strom- und Schiffahrtspolizeibehörden, ausgeübt, wie auch von Behörden, die dies nicht nach außen erkennen lassen, wie ζ. B. das Luftfahrt-Bundesamt.

Β . D e r m a t e r i e l l e Polizeibegriff Der Begriff der Polizei i m materiellen Sinn stand nicht von jeher unverändert fest. Bis zum Ausgang des Mittelalters bezeichnete man mit Polizei die gesamte Staatsverwaltung. Erst am Beginn der Neuzeit begannen sich einzelne Verwaltungszweige, wie die Verwaltungen der auswärtigen Angelegenheiten, des Heereswesens, der Finanzen und der Justiz abzusondern 25 . Das 18. Jahrhundert brachte die Unterscheidung der inneren Staatsverwaltung i n Wohlfahrtspflege und Gefahrenabwehr. Sie fand ihren prägnantesten Ausdruck i n dem Satz Pütters: „politiae est cura avertendi mala futura; promovendae salutis cura non est proprie politiae 2 6 ." I n diesem Sinne wurde der Begriff Polizei auch i m Allgemeinen Landrecht für die Preußischen Staaten von 1794 gebraucht 27 . Allerdings hielt man i n der Folgezeit an dieser Auffassung nicht konsequent fest. Auch die „Mehrung und Beförderung der allgemeinen Wohlfahrt" 2 8 w i r d zum Inhalt der Polizeigewalt. Trotz alledem stellte sich i m letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts die Rechtsprechung des Reichsgerichts, des Preußischen Oberverwaltungsgerichts und des Kammergerichts auf den Standpunkt, daß nach preußischem Recht die Polizei i n ihrer Befugnis, den Staatsbürgern gegenüber zwangsverbindliche Anordnungen zu erlassen, auf die Gefahrenabwehr — i m Gegensatz zur Wohlfahrspflege — beschränkt sei 29 . Dieser i m preußischen Recht entwickelte Polizeibegriff, der darüber hinaus i n allen deutschen Ländern zur Herrschaft gelangt w a r 3 0 , wurde schließlich i m Preußischen Polizei Verwaltungsgesetz vom 1. 6.1931 festgelegt. Es beschränkte die Eingriffsbefugnis der Polizei nicht nur auf die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, sondern kodifizierte auch die von Rechtsprechung und Lehre entwickelten Grundsätze polizeilichen Handelns. 25 Drews/Wacke, S. 2 f. 26 Institutiones iuris publici Germanici, 1770, §331; zit. nach Drews/Wacke, S. 4. 27 Drews/Wacke, S. 4. 28 § 50 der zur Ausführung der K g l . (preuß.) V O v o m 26.12.1908 über die verbesserte Einrichtung der Provinzial-, Polizei- u n d Finanzbehörden ergangenen Geschäftsinstruktion v o m gleichen Tag; zit. nach Drews/Wacke, S. 5. 29 Drews/Wacke, S. 6; grundlegend w a r das „Kreuzberg-Erkenntnis" des P r O V G v. 14. 6.1882, PrOVGE 9, 353. so Drews/Wacke, S. 1 ff., 8.

Β . Der materielle Polizeibegriff

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Diese unter dem materiellen Begriff der Polizei oder der Polizeigewalt 3 1 zusammengefaßten Rechtsgrundsätze gelten auch heute noch für den gesamten Bereich der zur Gefahrenabwehr berufenen Verwaltung 3 2 . Allerdings üben i n einer Reihe von Bundesländern 33 diese Polizeigewalt nicht nur Polizei-, sondern auch Ordnungsbehörden aus, die sich dabei auf eigene Gesetze stützen. Aus diesem Grund w i r d i m Schrifttum gegen die Annahme eines i n ganz Deutschland einheitlich geltenden Begriffs der Polizei angegangen, an seine Stelle der Begriff Sicherheitsrecht 34 gesetzt, dieser i n Polizei- und Ordnungsbehördenrecht 35 eingeteilt und Polizei- und Ordnungsbehörden als Sicherheitsorgane 36 bezeichnet. Für die Darstellung dieses Streits 3 7 um die Berechtigung des materiellen Polizeibegriffs ist jedoch hier kein Platz. Aus dem Zusammenhang w i r d sich i m folgenden stets ergeben, was unter „Polizei" zu verstehen ist. Nur ein Gedanke sei hervorgehoben: Während sich der Begriff der Polizei i m materiellen Sinn für den Fachkundigen als eine prägnante Verdichtung mannigfaltiger Rechtssätze zu erkennen gibt, als „Abkürzung und zusammenfassende Bezeichnung für alles, was Rechtsprechung und Lehre i m Laufe der Zeit an Grundsätzen des Polizeirechts entwickelt haben" 3 8 , wie die Abgrenzung des Gefahrenbegriffs, den Begriff des Störers und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 3 9 , ist der Begriff „Polizei" für den Außenstehenden nur schwer zugänglich, ja er verengt vielfach den Blick: Er täuscht darüber hinweg, daß es auch Ordnungsbehördenrecht gibt, daß die Polizei nicht nur eingreifend, m i t Zwang und Gewalt tätig wird, und führt nicht zuletzt dazu, daß die einzelnen für die Rechtmäßigkeit polizeilichen Handelns maßgebenden Rechtsnormen durch den einfachen (materiellen) Begriff „Polizei" i n den Hintergrund gedrängt werden 4 0 . So geschah 31 Drews/Wacke, S. 11. 32 Drews/Wacke, S. 9. 33 s. oben A n m . 21, 22. 34 Emmerig, BayVBl. 55, 69 f. 35 Emmerig, aaO. 36 Mayer, Polizeirecht, S. 33 A n m . 73. 37 Gaiette hält den Polizeibegriff f ü r wertlos u n d überflüssig (DVB1. 55, 276, 280ff.); ferner kritisch Beinhardt, DVB1. 61, 608ff.; Werner DVB1. 57, 806 ff.; Becker, DRiZ 58, 109; Turegg, S. 444; Geiger, Diss. S. 12. — F ü r einen einheitlichen gesamtdeutschen Polizeibegriff setzen sich ein: Drews/Wacke, S. 9; ferner Bachof, D Ö V 55, 105; Ule, BWVB1. 56, 65 ff.; Jobst, Diss., S. V I . 38 Wacke, DÖV 55, 456 (457). 39 „der sich erst unter erheblichen zeitlichen Stockungen aus der V e r kettung m i t dem Polizeibegriff lösen mußte" (Lerche, S. 24); vgl. ferner Krauss, S. 6 ff., 18ff. m i t Nachweisen. 40 Dem begegneten manche moderne Sicherheitsgesetze damit, daß sie einzelne Grundsätze ausdrücklich erwähnen; vgl. 3. Kap. Abschnitt A l b .

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1. Kap.: Der Polizeibegriff heute

es auch mit dem Opportunitätsprinzip, einem ebenfalls zum Begriff der Polizei gehörigen Grundsatz: Seine Einfachheit und Vertrautheit verleitete dazu, daß man sich auf ihn berief, ohne sich über seinen Inhalt und seine rechtliche Systematik klar zu sein.

Zweites Kapitel

Ermessen, unbestimmter Rechtsbegriff u n d Beurteilungsspielraum A . D i e E n t w i c k l u n g der gerichtlichen N a c h p r ü f u n g v o n Ermessensakten I m Zeitalter des Absolutismus handelte das Staatsoberhaupt nach „freiem Ermessen" 1 . Jedem Untertan gegenüber war diese Gewalt absolut, d. h. an keine rechtlichen Schranken gebunden 2 . Die Verwaltung wurde nach Dienstvorschriften geführt 3 . Uber Verwaltungsstreitigkeiten hatten die Gerichte nicht zu entscheiden 4 . Nach der Trennung der Gewalten i m 19. Jahrhundert wurden mehr und mehr Lebensgebiete von der staatlichen Verwaltung umfaßt und durch spezielle Gesetze geregelt 5 . Die in den siebziger Jahren errichteten Verwaltungsgerichte übernahmen die Kontrolle der Verwaltung. Soweit die Verwaltungsgesetze Begriffe enthielten, die nicht eindeutig bestimmbar waren, sondern deren Auslegung zu mehreren Ergebnissen führen konnte, wie z. B. „öffentliches Interesse" und „Bedürfnis", sah man sie als Ermessensbegriffe an und beschränkte ihre gerichtliche Uberprüfung auf W i l l k ü r und Ermessensüberschreitung 6 . Die Besorgnis, die Verwaltungsgerichte könnten über die Kontrolle hinausgehen und in den Ermessensbereich der Verwaltung eindringen, suchte man dadurch zu vermindern, daß man die Anfechtung von Ermessensentscheidungen zu unüberprüfbaren Verwaltungsrechtssachen erhob, indem man entweder das Enumerationsprinzip einführte und dabei diese Angelegenheiten ausschloß oder die Zuständigkeit i n Ermessenssachen, also in Fragen der „Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit" einer Maßnahme, ausdrücklich verneinte 7 . Bald aber wurden — von Seiten der Wissenschaft 8 — Stimmen laut, die eine gerichtliche Uberprüfung von Ermessensakten insoweit forderten, als sie mit der Behauptung angefochten 1

Turegg, S. 441; Drews/Wacke, S. 3; vgl. zur geschichtlichen Entwicklung Ehmke, S. 7 ff. ; Mayer, Opportunitätsprinzip, S. 14 ff. 2 Drews/Wacke, S. 3. 3 Uebelacker, Diss., S. 73. 4 Anschütz: „ I n Polizeisachen gibt es keine Appellation"; zit. nach Uebelacker, Diss., S. 73. 5 Uebelacker, aaO; Turegg, S. 440 f. 6 Vgl. Loening, DVB1. 52, 197 (199 f.).

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2. Kap.: Ermessen, unbest. Rechtsbegriff u n d Beurteilungsspielraum

werden, daß gesetz- oder rechtswidrig verfahren worden sei. Die Rechtsprechung erkannte das Problem, berührte es jedoch nur nebenbei hl wenigen Entscheidungen 9 . Aus Vorsicht, die ihnen gesetzten Schranken nicht zu überschreiten, neigte sie dazu, bei Vorschriften mit unbestimmten Begriffen eine Uberprüfung überhaupt abzulehnen 10 . Der Gesetzgeber kam schließlich der Forderung der Wissenschaft nach und ließ die Klage gegen Ermessensfehler zu. Nunmehr überwog die Auslegung eines unbestimmten Begriffs als nachprüfbarer sogenannter „unbestimmter Rechtsbegriff" immer mehr 1 1 . Die Verwaltung verlor durch die Verschiebung vom Ermessen zum unbestimmten Rechtsbegriff viel Freiheit 1 2 . Diesen Prozeß der Verrechtlichung der Verwaltung förderte das Grundgesetz i n besonderem Maße 13 . Der i n Art. 19 I V GG geforderte umfassende gerichtliche Rechtsschutz 14 fand seine Ausprägung i n §114VwGO, der — wie schon die vorangegangenen Verwaltungsgerichtsgesetze der Länder — die Nachprüfung von Ermessensentscheidungen auf ihre Rechtmäßigkeit ermöglicht. I n der Literatur fand eine fast unübersehbare Auseinandersetzung mit den Problemen des Ermessens und des unbestimmten Rechtsbegriffs statt 1 5 . Sie erreichte 1957 i n einer Abhandlung von Jesch 16 ihren Höhepunkt, ist aber bis heute noch nicht abgeschlossen17. 7 Jellinek, Gesetz, S. 3 ff.; Uebelacker, Diss., S. 73 f. 8 s. Tezner, Die deutschen Theorien der Verwaltungsrechtspflege, VArch. 9 (1901), 515; Seydel, M a x von: Bayerisches Staatsrecht, Erster Band, zweite Auflage, Freiburg i. B. 1896, S. 590 ff.; ders., Bayerisches Staatsrecht, 2. Aufl., neu bearbeitet von Graßmann/Piloty, Tübingen 1913, S. 419 ff.; Jellinek, Gesetz, S. 333; Scheuner, VArch. 33, 68 ff.; Uebelacker, Diss., S. 74. 9 Plappert, Das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der V e r w a l t u n g und das freie Ermessen i n ihrer Bedeutung für den A r t . 13 des Württembergischen Gesetzes über die Verwaltungsgerichtsbarkeit v o m 16.12.1876, Stuttgart 1929, S. 81 f. 10 Bühler, S. 37. « Loening, DVB1. 52, 197 (199). 12 Bettermann, Der Staat 62, 79 (86). 13 Forsthoff, S. 80. 14 Forsthoff, S. 80. i s s . die Nachweise bei Jesch, AöR 82, 163; Klinger, S. 212 Anm. 84; Forsthoff, S. 72; Wolff I, S. 144 f.; ferner Gurland, Diss., S.58ff. ι 6 „Unbestimmter Rechtsbegriff u n d Ermessen i n rechtstheoretischer und verfassungsrechtlicher Sicht", AöR 82, 163—249. 17 Vgl. aus der neueren L i t e r a t u r : Müller-Tochtermann, SchlHA 62, 157; N J W 62, 1238; Czermak, N J W 61, 1225, 1905; JZ 63, 276; Obermayer, N J W 63, 1177; Menger, VArch. 54 (1964), 400; Schmitt, BayVBl. 64, 86; Schwankhart, BayVBl. 64, 133; Stern, S. 16 ff., 30 ff.; BayVBl. 64, 381; H ü t t l , Z u r Auslegung des Rechts, besonders des öffentlichen Rechts — Bahnt sich eine Wandlung des Rechtsstils an? DVB1. 65, 61 (65 ff.); Prahl, Der sogenannte Beurteilungsspielraum i m Prüfungsrecht u n d das Grundgesetz, RdJ 65, 217; Wehlitz, Verwaltungsermessen und Beurteilungsspielraum beim Einsatz des Einkommens i n der Sozialhilfe gem. § 84 I BSHG, D Ö V 65, 477; Rupp, S. 177 ff.; s. ferner A n m . 76.

Β . D i e heutige L e h r e Bei den heute vertretenen Anschauungen lassen sich eine konservative und eine moderne Richtung unterscheiden. I. Die konservative Richtung Sie gründet hauptsächlich auf Tezner 18 und Jellinek 1 9 . Ihre maßgeblichen Vertreter sind heute Forsthoff und Eyermann/Fröhler 2 0 . Forsthoff definiert Ermessen als „Wahl zwischen mehreren i n gleicher Weise möglichen Arten des Sichverhaltens" 21 . Es w i r d i n der Regel eingeräumt durch die Worte „kann", „darf" oder „ist befugt" 2 2 , jedoch auch durch sogenannte unbestimmte Begriffe, worunter solche verstanden werden, deren „Inhalt und Umfang weitgehend ungewiß ist" 2 3 . Es werden jedoch nicht alle derartigen Begriffe zu den Ermessensbegriffen gezählt. Man scheidet davon diejenigen, bei denen nur eine Entscheidung der Behörde richtig sein kann 2 4 , die also der vollen gerichtlichen Nachprüfung unterliegen, und bezeichnet sie als „unbestimmte Rechtsbegriffe". Ob ein unbestimmter Rechtsbegriff also ein Ermessensbegriff oder ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, muß seine Auslegung 2 5 ergeben. Man folgert allerdings aus A r t . 19 I V GG eine Vermutung für die Rechtsanwendung und gegen das Ermessen 26 . £ u welchem Bereich ein Begriff gehört, entscheidet „der gesamte Sinn und Zweck der Textstelle" 2 7 . Rein empirische Begriffe zählen zu den unbe18 Das freie Ermessen der Verwaltungsbehörden, Leipzig 1924. 19 Gesetz, S.36ff., 157, 190; Verwaltungsrecht, S.30ff. 20 §114 RNr.7, 9, 11. 21 Lehrbuch, S. 74; so auch Laun, Festschrift f ü r Herbert Kraus, S. 128 (146 ff.). 22 Allerdings räumt eine Kann-Vorschrift „nicht notwendigerweise eine Ermessensbefugnis ein" (BVerwGE 15, 251, 254); entscheidend k o m m t es vielmehr auf den aus dem Zusammenhang der Vorschrift zu ermittelnden Zweck der Ermächtigung an. M i t u n t e r sind Formulierungen wie „kann, wenn . . . " n u r mißverständliche Abkürzungen f ü r „darf nur, w e n n . . . , muß dann aber auch", s. hierzu Bachof, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, JZ 66, 439 Nr. 261. 23 Engisch, S. 108; s. alsbald! 24 Forsthoff, S. 79 m i t Nachweisen. 25 Jellinek, Gesetz, S. 157 ff., Verwaltungsrecht, S. 30 ff.; Forsthoff, S.76. 26 Forsthoff, S. 80. 27 Forsthoff, S. 84.

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2. Kap.: Ermessen, unbest. Rechtsbegriff u n d Beurteilungsspielraum

stimmten Rechtsbegriffen; Wertbegriffe unterliegen meist dem Ermessen 28 . Engisch teilt grundsätzlich diese Ansicht, unterscheidet aber zwischen unbestimmten, normativen und Ermessensbegriffen 29 . Er begreift unter Berufung auf Laun, Jellinek und Forsthoff das „freie Ermessen" dahin, daß „die persönliche Ansicht desen, der das Ermessen handhabt, als maßgeblich Geltung erlangen soll" 3 0 . I I . Die moderne Richtung a) Die Unterscheidung von Tatbestand und Rechtsfolge

Nach der modernen Lehre kann Verwaltungs,,ermessen" nur auf der Rechtsfolgeseite einer Norm auftreten 31 . Soweit die Behörde beurteilt, ob die rechtlichen Voraussetzungen für ihr Handeln gegeben sind — eine Prüfung, die immer stattfinden muß, bevor die Rechtsfolge gezogen werden kann —, interpretiert sie Rechtsbegriffe, wendet aber kein Verwaltungsermessen an 3 2 . Es gibt also kein „cognitives, Urteils-, Prüfungs- oder Subsumtions-Ermessen" 33 . Auf der Tatbestandsseite kann es nur Interpretation und Subsumtion geben 34 » 35 . b) Die Begründungen des Beurteilungsspielraums

Auf der Tatbestandseite können nun Begriffe auftreten, die so unbestimmt sind, daß eine eindeutige Auslegung und Nachprüfung durch ein Gericht i n manchen Fällen kaum möglich ist 3 6 . Vereinzelt w i r d die Ansicht vertreten, daß jeder unbestimmte Begriff einer eindeutigen Auslegung zugeführt und i n jedem Falle die richtige Lösung gefunden 28 Forsthoff, S. 76, 79 ff. (ohne nähere Angaben). 29 Einführung, S. 111 ff., 115; ausführlich dazu Reuß, DÖV 57, 584 (586); ähnlich Ule, Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 309. 30 Einführung, S. 114. 31 Jesch, AöR 82, 208; Reuß, DÖV 54, 55 ff.; Köhler, DÖV 56, 744 (746); Mayer, Opportunitätsprinzip, S. 16; Wolff I, S. 151; BayV G H V G H n F 8, I, 30. A.A.: Lerche, S. 326 A n m . 34, der aber die Vertretbarkeitstheorie (s. unten bei Anm. 48) anerkennt. 32 Jesch, AöR 82, 208. 33 Jesch, AöR 82, 204; Stern, S. 23; Lendi, S. 129 ff. 34 Reuß, DVB1. 53, 585 (589); 649 (651); StZRhPf., S. 10 ff.; Bachof, JZ 55, 97 (98); DVB1. 57, 788 ff.; Menger, VArch. 51 (1960), 70; Mayer, Opportunitätsprinzip, S. 16; Maunz/Dürig, A r t . 20 I I I RNr. 91. 35 Engisch kritisiert die Einteilung i n Tatbestands- und Rechtsfolgeseite: E i n Ermessensbegriff auf der Tatbestandsseite stelle zugleich die Rechtsfolge i n das Ermessen; es handle sich n u r u m eine Frage der Gesetzestechnik (Einführung, S. 116 ff. Anm. 137). — Darauf weist Bachof (DVB1. 57, 788, 789) zustimmend hin, ohne jedoch Folgerungen für seine abweichende Meinung zu ziehen. — Vgl. ferner Kellner, DÖV 62, 572 (574 Anm. 34a), und Lerche, S. 326 (Anm. 34), 341 (Anm. 84). 36 Die konservative Lehre würde hier zumeist Ermessensbegriffe annehmen.

Β . Die heutige Lehre

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werden könne 37 . Überwiegend w i r d aber der Verwaltungsbehörde in solchen Fällen ein „Beurteilungsspielraum" zuerkannt. Die Begründungen sind jedoch verschieden: Bachof 38 unterscheidet zwischen Wert- und Erfahrungsbegriffen, „sofern man sich bewußt bleibt, daß die Ubergänge durchaus fließend sind". Aus der Tatsache, daß der Gesetzgeber auf subjektive Wertvorstellungen gegründete Begriffe verwendet, folge, daß er dadurch der Behörde einen „gewissen Spielraum eigener Beurteilung" überlassen wolle. Bei den Erfahrungsbegriffen sei davon auszugehen, daß theoretisch nur eine Lösung als richtig anzusehen sei. I n der Praxis sei das aber nicht möglich. Nur die Probe könne zeigen, ob eine Entscheidung richtig gewesen sei 39 . Also müsse auch hier „von Fall zu Fall aus Sinn und Zweck der Vorschrift" ermittelt werden, ob der Gesetzgeber der Behörde einen unüberprüfbaren Beurteilungsspielraum zugestehen wollte. „Je geringer die . . . praktisch-konkrete Möglichkeit eindeutiger Beurteilung des einem unbestimmten Rechtsbegriff unterfallenden Sachverhalts einerseits, je größer die Verantwortung der Behörde andererseits ist, um so eher w i r d man geneigt sein dürfen, einen solchen Beurteilungsspielraum zu bejahen 40 ." Seine Grenzen seien vom Verwaltungsgericht festzulegen. Sie könnten verschieden weit sein und — ausnahmsweise — praktisch bis zur völligen Unüberprüfbarkeit führen 4 1 . — Diesen Ausführungen Bachofs schließt sich Becker an 4 2 . Menger 4 8 gewährt der Verwaltung einen Beurteilungsspielraum nur hinsichtlich der Wertbegriffe und der aus Erfahrungs- und Wertelementen zusammengesetzten Begriffe, da hier „innerhalb gewisser äußerer Grenzen eine Mehrzahl nicht nur subjektiv, sondern objektiv möglicher Wertungen nebeneinander stehen kann". Nach Ule liegt es i m Wesen der unbestimmten Rechtsbegriffe als normativer Begriffe, daß sie von der Behörde eine Wertung verlangen 44 und nicht i n jedem Fall zu einem eindeutigen Ergebnis führen 4 5 . Sie enthalten ihrem Wesen nach emotionale Elemente 46 . Ohne ein ergän37 Reuß, DVB1. 53, 585 (586 ff.), 649 (651 ff.); DVB1. 59, 265 (268); Klinger, S. 212 ff. 38 JZ 55, 97 (99 f.). 39 Vgl. 3. Kap., Abschnitt A I c. 40 JZ 55, 97 (99 ff.); aufrechterhalten i n JZ 66, 442 Nr. 273. 41 JZ 62, 705 (unter Hinweis auf B V e r w G E 12, 20, 26 f.). Vgl. auch DVB1. 57, 788 (Zustimmung zu Jesch, AöR 82, 163). 42 V V D S t R L 14, 96 (126 ff.). 43 Die Grundrechte III/2, S. 717 (751 ff.). 44 Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 309 ff., 319 ff.; Rechtmäßigkeit, S. 246. 45 StZRhPf., S. 12 ff. 46 StZRhPf., S. 12 ff.

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2. Kap.: Ermessen, unbest. Rechtsbegriff u n d Beurteilungsspielraum

zendes Werturteil sei eine Subsumtion des Sachverhalts unter den unbestimmten Rechtsbegriff nicht möglich. „ I n solchen Grenzfällen ist jede der hier möglichen Entscheidungen als vertretbar und damit als rechtmäßig anzusehen 47 (Vertretbarkeitstheorie) 48 ." Dieser Lehre entspricht auch die Auffassung Bettermanns 49 . Er gewährt einen Beurteilungsspielraum bei den normativen Rechtsbegriffen, „also dort, wo Werturteile zu fällen sind, . . . soweit es sich nicht u m rechtliche oder sittliche, sondern um politische oder fachliche Werturteile handelt" 5 0 . Die Prüfung durch das Gericht beschränke sich auf die Vertretbarkeit der Beurteilung. „Doch spricht i m perfekten Rechtsstaat die Vermutung gegen solchen Beurteilungsspielraum — wie gegen Ermessen überhaupt." Obermayer 51 schließt sich ohne Auseinandersetzung der „auf Bachof und Ule zurückgehenden h. M." an und bejaht einen Beurteilungsspielraum, „wenn die Subsumtion eines konkreten Sachverhalts unter den durch einen unbestimmten Rechtsbegriff geprägten Tatbestand i n Frage steht" 5 2 . W i r d ein Verhalten an die Tatbestandsvoraussetzung einer Rechtfertigung durch das öffentliche Wohl geknüpft, so genügt es, wenn der gesetzliche Tatbestand durch eine „subjektive Erkenntnisentscheidung der Behörde" verwirklicht wird, die freilich „sachverständig" bzw. „vertretbar" sein muß. „Das Verwaltungsorgan hat aber nicht die Wahl zwischen gleichermaßen rechtmäßigen Verhaltensweisen; es muß sich vielmehr zu einer i h m allein rechtmäßig erscheinenden Erkenntnis durchringen 53 ." Wolff 5 4 teilt die unbestimmten Rechtsbegriffe in „objektiv bestimmbare", „Typenbegriffe" und solche ein, die auf einen „außerrechtlichen Maßstab" verweisen. Hinsichtlich der Typenbegriffe, wie z. B. „Gefahr", „Störung", sind die Verwaltungsorgane „lediglich an den durch den unbestimmten Begriff umrissenen Typus-Bereich gebunden". „Sie handeln rechtswidrig, wenn sie diesen Bereich verkennen (Subsumtions47 Verwaltungsprozeßrecht, S. 6, 7; Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 388. 48 s. hierzu die ausführliche Abhandlung von Fellner (DVB1. 66, 161), der die unbestimmten Rechtsbegriffe als „Einschätzungsbegriffe" bezeichnet, u n d dazu Czermak, DVB1. 66, 366. Vgl. auch Schunck/De Clerck, S. 181; K o e l l reuther, S. 22. 49 Die Grundrechte III/2, S. 779 (797 ff.). so Die Grundrechte III/2, S. 779 (798); der Hinweis auf Jesch i n Anm. 98 ist allerdings unzutreffend: Jesch gewährt auch der Eingriffsverwaltung einen Beurteilungsspielraum (AöR 82, 230). 51 N J W 63, 1177. 52 N J W 63, 1177 (1178). 53 aaO. 54 I, S. 146 ff.

Β . Die heutige Lehre

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fehler)." Auch hinsichtlich der letzten A r t sei der Behörde ein gerichtsfreier Beurteilungsspielraum eingeräumt. Die eingehendste Untersuchung des Problems stammt von Jesch 55 . Nach i h m handelt es sich hier um das „Problem der begrenzten Auflösungsfähigkeit einiger Rechtsbegriffe", das „Problem der nichtmitteilbaren Imponderabilien". Die unbestimmten Rechtsbegriffe könnten i m konkreten Fall nur bis zu einem gewissen Grad i n Faktenbegriffe und diese i n kongruente Rechtsbegriffe aufgelöst werden. Die Subsumtion erfolge also, ehe eine vollständige Auflösung erfolgen könne. Der Restbestand an tatsächlichen Feststellungen werde summarisch durch einen allgemein gehaltenen Begriff ersetzt. Dem Gericht werde also anstelle von Tatsachen deren rechtliche Qualifikation vorgetragen. Eine Uberprüfung der richtigen Subsumtion könne nur dann vorgenommen werden, wenn man unterstelle, daß weitere, nicht mitgeteilte und praktisch nicht oder nur sehr schwer mitteilbare Gründe die Entscheidung tragen. „Die Grenzen eines solchen Beurteilungsspielraums können natürlich nur von Fall zu Fall durch das Gericht gezogen werden 5 6 ." c) Der Einwand der Identität von Beurteilungsspielraum und Ermessen und seine Widerlegung

Gegen diese Lehre w i r d eingewendet, die Freiheit des Beurteilungsspielraums bedeute nichts anderes als Ermessen 57 . Dem ist zu entgegnen: Mag i n beiden Bereichen die menschliche Tätigkeit ein Abwägen der Für und Wider und ein dementsprechendes Handeln sein 58 , so sind doch nicht alle Kriterien beider Bereiche identisch. Die unterscheidende Terminologie ist vielmehr angesichts der verschiedenen Erscheinungen gerechtfertigt: „Beurteilungsspielraum" und „Verwaltungsermessen" unterscheiden sich dadurch, daß i n der Gewährung von Ermessen der Behörde grundsätzlich eine Wahlfreiheit eingeräumt ist, was bei unbestimmten Rechtsbegriffen nicht der Fall ist 5 9 . Diese zielen der Idee nach 60 auf eine Entscheidung ab. So ss AöR 82, 163—249, bes. 230 ff. 56 AöR 82, 163 (232). Zustimmend Bachof, DVB1. 57, 788; JZ 58, 290; ausführlich Korbmacher, D Ö V 65, 696 (702); ähnlich Krauthausen, StZRhPf., S. 8. — Außerdem befürworten einen Beurteilungsspielraum: Haas, M D R 53, 651 (653); Meyer, D Ö V 54, 368; Jarosch, DVB1., 54, 521; Pötter, Der Staat 64, 183 (189). 57 Giese, JZ 52, 585 ff.; Redding, D Ö V 54, 365 ff.; Loppuch, DVB1. 55, 377 ff., 416 ff.; K l e i n R., JZ 56, 588 ff.; AöR 82, 75 ff., 103 ff.; JZ 61, 66; Lerche, S. 377 Anm. 71; Ehmke, S. 32 ff. 58 Jesch, AöR 82, 233. 59 Ebenso Korbmacher, D Ö V 65, 696 (702); vgl. auch Bettermann, Der Staat 62, 79 (85). 60 Ebenso Korbmacher, D Ö V 65, 696 (698).

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2. Kap.: Ermessen, unbest. Rechtsbegriff u n d Beurteilungsspielraum

zwingt der Begriff „Gefahr" zu der Entscheidung, ob ein Sachverhalt unter diesen Begriff subsumiert werden kann oder nicht. Nur i n den Ausnahmefällen, i n denen es zweifelhaft ist, ob diese Subsumtion noch vorgenommen werden kann, i n den Grenzfällen des „Begriffshofs" 6 1 ist Platz für einen „Spielraum" in der Beurteilung, ob die Subsumtion vorgenommen werden kann. Jesch 62 begründet die Unterscheidung von Ermessen und Beurteilungsspielraum damit, daß „jede Konkretisierung des Begriffshofs interpretativ w i r k t " , während die freie Ermessensentscheidung diese Folge nicht hat 6 3 . Er weist auf die frühere (konservative) Lehre hin, die das Ermessen weitgehend mit „individueller Abgrenzung eines unbestimmten Rechtsbegriffs" 64 identifizierte und daher nicht zu einer verschiedenen Struktur von Ermessen und unbestimmtem Rechtsbegriff kam 6 5 . I I I . Die Verwaltungsrechtsprechung Das Bundesverwaltungsgericht folgte anfangs der konservativen Lehre 6 6 . Zwar nahm schon das Urteil vom 29. 6.1957 67 auf die Abhandlungen von Bachof und Ule Bezug und hielt einen gerichtsfreien Beurteilungsspielraum gerade bei „unbestimmten Begriffen wertenden Inhalts, bei deren Beurteilung in Grenzfällen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit natürliche Schranken gesetzt sind", für zweckmäßig und auch verfassungsrechtlich vertretbar. Doch machten manche darauffolgende Entscheidungen i m Ergebnis zwischen Beurteilungsspielraum und Ermessen keinen Unterschied 68 . Erst die Urteile der letzten Jahre lehnten eine Gleichsetzung ausdrücklich ab 6 9 . Einen wesentlichen Beitrag für die rechtstheoretische Auseinandersetzung brachte diese Rechtsprechung allerdings nicht. I n der Ent61 Jesch, AöR 82, 172 ff., 176 ff. 62 AöR 82, 233 ff.; i h m folgend Larenz, S. 226 ff. 63 Ä h n l i c h schon Bachof, JZ 56, 590, der das „dezisionistische Element" der gerichtlichen Entscheidung betont. 64 So Jellinek, Gesetz, S. 36, 157, 190; Verwaltungsrecht, S. 30 ff.; vgl. auch Engisch, Einführung, S. 114. 65 AöR 82, 204. 66 Vgl. B V e r w G E 1, 92 (96); 4, 89 (91) („Ermessen" auf der Tatbestandsseite). 67 B V e r w G E 5, 153 (162) = JZ 58, 285; vgl. auch B V e r w G E 6, 177 (182) = JZ 58, 703 m i t A n m . von Jesch; B V e r w G E 8, 192 (195). 68 B V e r w G E 8, 272 (275); 9, 284, 288 (vgl. dazu Jesch, JZ 61, 624); B V e r w G E 11, 165 (166 f.). 69 s. Bachof, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, JZ 62, 704; B V e r w G E 8, 343 (350); 11, 139 ff.; 12, 20 (27); 12, 29 (34); 12, 359 (363); D Ö V 61, 547; BayVBl. 62, 320; E 15, 39 (41).

Β . Die heutige Lehre

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S c h e i d u n g vom 29. 6.1957 heißt es lediglich, ob ein solcher Beurteilungsspielraum bestehe, sei „für jedes Rechtsgebiet besonders zu entscheiden. Die Entscheidung hängt davon ab, ob . . . i n das Gesetz hineingelesen werden kann, daß die Behörde über das Vorliegen bestimmter Voraussetzungen nach pflichtmäßiger Beurteilung entscheiden darf" 7 0 .

Einen derartigen Beurteilungsspielraum erkennt die Behörde dann an, wenn die Behörde eine Wertung vorzunehmen hat, insbseondere bei Prüfungsentscheidungen 71 und bei der Beurteilung eines Beamten durch seinen Dienstvorgesetzten 72 . Es lehnt ihn jedoch ab bei den Begriffen „nötig" i m Sinne des § 9 I I I Bundesfernstraßengesetz 73 , „Dienstpflichtverletzung, ernstliche Gefährdung der militärischen Ordnung oder des Ansehens der Bundeswehr" (§ 55 V Soldatengesetz) 74 und bei dem Begriff eines „künstlerisch hochstehenden Konzerts" 7 5 » 7 6 . Die Verwaltungsgerichte der Länder folgten bis auf wenige Ausnahmen 7 7 der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 78 .

70 B V e r w G E 5, 153 (162); s. ferner B V e r w G D Ö V 63, 366 (367). 71 B V e r w G E 11, 165; 12, 359 (363); DVB1. 66, 35. 72 B V e r w G E 11, 139; 12, 29 (34); D Ö V 61, 547; BayVBl. 62, 320; DVB1. 63, 179; BayVBl. 64, 17. 73 E 16, 116 (128 f.). 74 E 17, 5 (8); vgl. dazu Menger, VArch. 55 (1964), 276. 75 E 21, 184 = D Ö V 65, 633 = DVB1. 65, 914; s. dazu Ule, DVB1. 66, 584. 76 Vgl. zur Rechtsprechung des B V e r w G die Abhandlungen von Kellner (DÖV 62, 572; N J W 66, 857), Korbmacher (DÖV 65, 696), Fellner (DVB1. 66, 161), Czermak (DVB1. 66, 366), K o p p (DÖV 66, 317) und Bachof (JZ 66, 441); ferner Eyermann/Fröhler, § 114 RNr. 9. 77 V G F r a n k f u r t / M JZ 61, 65; DÖV 62, 150; O V G Münster D Ö V 65, 208. 78 O V G Münster DÖV 61, 395; 61, 801; 61, 272; DVB1. 62, 341; 62, 568; AS 18, 252 (256 f.). — V G H Kassel DVB1. 62, 269; 62, 271. — O V G B e r l i n D Ö V 61,152. — OVG H a m b u r g DVB1. 65, 39. — B a y V G H BayVBl. 64, 228. — V G Oldenburg DÖV 61, 549; V G Minden DÖV 61, 551; V G H a m b u r g M D R 63, 531. 3 Schmatz

C. S t e l l u n g n a h m e u n d Ausgangsbasis I. Gelöste und ungelöste Probleme der modernen Lehre Gegenüber der konservativen Lehre hat die moderne klar erkannt, daß Begriffe wie „Gefahr" und „öffentliches Interesse" nicht nach Ermessen angewandt werden können, daß sie die Verwaltung nicht ermächtigen, ein öffentliches Interesse anzunehmen oder nicht, sondern daß diese Begriffe die Verwaltungsbehörden zwingen, den Sachverhalt festzustellen, den unbestimmten Rechtsbegriff auszulegen und i n der Subsumtion zu prüfen, ob der Sachverhalt durch den Begriff gedeckt w i r d oder nicht. Dort, wo derartige Begriffe beginnen unscharf zu werden, i n den Fällen des Begriffshofs, ist man überwiegend geneigt, der Behörde zuzugestehen, daß ihre Entscheidung nicht bis ins kleinste begründet werden kann, und räumt ihr einen Beurteilungsspielraum ein. Die verschiedenen Begründungen gehen mehr vom erstrebten und auch richtigen Ergebnis aus, als daß sie sich mit den rechtstheoretischen Problemen eingehend befaßten. Lediglich Jesch hat sich dieser Aufgabe unterzogen. Seine ausführliche und klare Darstellung i m Archiv des öffentlichen Rechts 79 überzeugt; ihr ist nichts Wesentliches hinzuzufügen. Hat die moderne Lehre viel zur Klärung des unbestimmten Rechtsbegriffs und des Beurteilungsspielraums beigetragen, so gibt ihre Abgrenzung des unbestimmten Rechtsbegriffs vom Ermessen doch zu manchen Fragen Anlaß: Die Unterscheidung von Tatbestands- und Rechtsfolgeseite, womit diese Abgrenzung gezogen werden soll 8 0 , führt nicht selten zu Schwierigkeiten 8 1 ; außerdem kann auch die Rechtsfolgeseite unbestimmte Rechtsbegriffe enthalten 8 2 . Die Formulierung von Jesch: „Soweit die Behörde beurteilt, ob die rechtlichen Voraussetzungen für ihr Handeln gegeben sind — eine Prüfung, die immer stattfinden muß, bevor die Rechtsfolge gezogen werden kann! — interpretiert sie Rechtsbegriffe, wendet aber kein Verwaltungsermessen an 8 3 ", stellt keine Abgrenzung 79 Bd. 82, S. 163 ff., insbesondere S. 211 ff., 230 ff. so Vgl. oben Abschnitt Β I I a. ei So bei §14 p r P V G (s. 3. Kap., Abschnitt A I d ) ; vgl. ferner Engisch, S. 117 ff. 82 s. unten Abschnitt C I I . ö3 AöR 82, 208.

C. Stellungnahme u n d Ausgangsbasis

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dar; sie setzt diese vielmehr voraus. Als Beispiele für die Einräumung von Ermessen w i r d zumeist auf die i n Ermächtigungsnormen 84 enthaltenen Worte „kann", „darf", „ist befugt" und „ist berechtigt" hingewiesen 85 , allerdings auch auf Wortverbindungen m i t unbestimmten Begriffen, wie „das Notwendige" zu tun, „das Erforderliche" zu veranlassen 86 . Andererseits w i r d der Begriff „notwendig" als Handlungsvoraussetzung und damit als unbestimmter Rechtsbegriff angesehen 87 . Die Auslegung und Qualifikation des Begriffs „notwendig" bildet zwar Gegenstand des ersten Hauptteils dieser Arbeit 8 8 , doch soll zuvor allgemein auf dieses Abgrenzungsproblem eingegangen werden. I I . Die verschiedenartige Struktur Ermessen gewährender Rechtssätze Gemäß § 30 I des Bundessozialhilfegesetzes 89 kann Personen, denen eine ausreichende wirtschaftliche Lebensgrundlage fehlt, Hilfe gewährt werden. Der Träger der Sozialhilfe kann also grundsätzlich nach Ermessen entscheiden, ob er einer Person, die die genannten Voraussetzungen erfüllt, Hilfe gewähren und — gegebenenfalls — welche Hilfeleistungen er aufbringen soll. I h m ist also sowohl ein „Entschließungs-" wie ein „Auswahlermessen" eingeräumt 90 . Würde es heißen: „Personen, . . . , ist Hilfe zu gewähren", dann hätte die Behörde lediglich ein Auswahlermessen. Was nun den auf der Rechtsfolgeseite stehenden Begriff „Hilfe" anbelangt, so ist nicht schwer zu erfassen, was darunter zu verstehen ist; außer dem enthält das Bundessozialhilfegesetz dafür mehrere Anhaltspunkte 9 1 . Darüber, daß er ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, gibt es w o h l keine Zweifel. Derartige Begriffe auf der Rechtsfolgeseite können nun auf den ersten Blick noch weniger bestimmbar erscheinen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Behörde zu einem bestimmten Zweck „geeignete Maßnahmen zu treffen hat". Für sich allein ist der Begriff „geeignet" unbestimmbar, er gewinnt einen Inhalt erst i n Verbindung mit einer Zweckbestimmung. Dann kann aber eindeutig — wenigstens der Idee nach — festgestellt werden, ob eine Maßnahme zu dem i m Gesetz 84 Vgl. Jesch, AöR 82, S. 211 u n d A n m . 180. 85 W o l f f I, S. 152, Jesch, AöR 82, 205 A n m . 166. Vgl. auch oben A n m . 22. 86 Wolff, aaO; Jesch, aaO. 87 Jesch, AöR 82, 208 A n m . 174; undeutlich W o l f f I, S. 152, 154 (s. 3. Kap. Anm. 562). 88 s. 3. Kap., Abschnitt A I b, d u n d Abschnitt A I I I b. 89 V o m 30. J u n i 1961, B G B l . I, S. 815. 9° Wolff I, S. 152. 91 §§8, 30 I I I Bundessozialhilfegesetz. 3*

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2. Kap.: Ermessen, unbest.

echtsbegriff u n d Beurteilungsspielraum

genannten Zweck geeignet ist oder nicht. Es handelt sich sonach um einen unbestimmten Rechtsbegriff auf der Rechtsfolgeseite einer Norm 9 2 . Allerdings schließt der Begriff allein nicht aus, daß zwischen mehreren geeigneten Maßnahmen nach Ermesen gewählt werden kann. Ebenso verhält es sich m i t dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Kommt dieser i n einem Gesetz zum Ausdruck, „hat" also eine Verwaltungsbehörde zu einem näher bezeichneten Zweck „die geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen zu treffen" 9 3 , so kann sie grundsätzlich unter den geeigneten verhältnismäßigen Maßnahmen nach Ermessen auswählen. Ob aber eine Maßnahme verhältnismäßig oder unverhältnismäßig ist 9 4 , ist eine Frage der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes 95 . Diese Beispiele zeigen also, daß Ermessen auf verschiedene A r t und Weise eingeräumt werden kann 9 6 . Es kann sich auch aus dem Zusammenhang oder der A r t der zu treffenden Maßnahmen ein Ermessensbereich ergeben; so, wenn eine Ermächtigung zur Rechtssetzung nur nach Sachgebiet oder Zweck bestimmt ist 9 7 . Ist dagegen zum Beispiel eine Behörde verpflichtet, das „billigste" Gebot anzunehmen, so gewährt dieser unbestimmte Rechtsbegriff auf der Rechtsfolgeseite kein Ermessen. I I I . Die Grenzen des Ermessens Bisher wurde stets betont, daß der Verwaltungsbehörde durch Worte wie „kann" oder „geeignet" nur grundsätzlich ein Ermessensbereich eingeräumt sei. Das liegt daran, daß die zu einer Ermessensentscheidung ermächtigenden Normen nur selten allein den Inhalt und die Grenzen des Ermessens bestimmen. Sie legen nämlich meist nur die Voraussetzungen fest, unter denen eine Ermessenstätigkeit überhaupt erst i n 92 Die Möglichkeit unbestimmter Rechtsbegriffe auf der Rechtsfolgeseite einer N o r m erwähnen auch Obermayer, N J W 63, 1177 (1178, 1179 ff.); W o l f f I, S. 146, 151; Loening, DVB1. 52, 193 ff.. 235 ff.; Zeidler, Gutachten, S. 46; Menger, S. 127 A n m . 8. 93 s. 3. Kap., Abschnitt A I b 1, 3. Vgl. hinsichtlich dieses Grundsatzes 3. Kap., Abschnitt A I b 3. 95 Bender (NJW 55, 938) hält den Grundsatz f ü r eine HandlungsVoraussetzung. Das t r i f f t zu, da eine Wahl, die Rechtsfolge, erst getroffen werden kann, w e n n alle unverhältnismäßigen Verhaltensweisen ausgeschieden sind. 96 Obermayer (NJW 63, 1177, 1178 ff.) teilt sie zutreffend ein i n aktuelle u n d potentielle Ermessensnormen: Z u den aktuellen gehören die K a n n Ermächtigungen, zu den potentiellen diejenigen, die die V e r w a l t u n g zu einem Handeln verpflichten, jedoch durch einen unbestimmten Rechtsbegriff die Möglichkeit eröffnen, i m Einzelfall zwischen mehreren (z. B. geeigneten) Maßnamen zu wählen. 97 Wolff I, S. 152.

C. Stellungnahme und Ausgangsbasis

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Frage kommt 9 8 und bestimmen die Rechtsfolge nur i n groben Zügen™. Der vorgegebene Ermessensraum w i r d i n den meisten Fällen durch eine Reihe weiterer unbestimmter Rechtsbegriffe eingeengt. Diese können i n dem ermächtigenden Gesetz selbst enthalten sein: So ordnet § 257 Lastenausgleichsgesetz 100 für die Ausübung des Ermessens hinsichtlich der Gewährung von Aufbaudarlehen an: „Die Reihenfolge der Gewährung von Aufbaudarlehen bestimmt sich nach der sozialen Dringlichkeit und nach der wirtschaftlichen Förderungswürdigkeit der Vorhaben 1 0 1 . Das Ermessen muß also mit diesen Richtlinien 1 0 2 i n Einklang stehen. Weitere, weniger leicht bestimmbare Richtlinien ergeben sich aus dem Zweck einer Vorschrift 1 0 3 . Zwar mag das i m Einzelfall zu Schwierigkeiten i n der Auslegung führen, aber § 114 VwGO verlangt die Nachprüfung, „ob von dem Ermessen in einem dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist". Ob sich also eine Ermessenserwägung oder -entscheidung innerhalb des Gesetzeszwecks hält, kann somit keine Ermessens-, sondern nur eine „Rechtsfrage" sein 1 0 4 . U m sie zu beantworten, muß das Gesetz ausgelegt und zu einem der Qualität eines unbestimmten Rechtsbegriffs entsprechenden verbindlichen Befehl des Gesetzgebers gelangt werden. Nur innerhalb der „erlaubten" Zwecke darf dann die Behörde den einen oder anderen Zweck verfolgen 1 0 5 . 98 Vgl. §30 BSHG: „Personen, denen eine ausreichende Lebensgrundlage fehlt."

wirtschaftliche

99 Vgl. die Beispiele „ k a n n Hilfe gewährt werden", „sind geeignete Maßnahmen zu treffen".

V o m 14. 8.1952, BGBl. I, S. 446. *oi Jesch (AöR 82, 210 A n m . 178a) hält diese Begriffe f ü r unbestimmte Rechtsbegriffe, das B V e r w G (E 3, 279) für Ermessensbegriffe. — Vgl. als weiteres Beispiel §30 I I B S H G : „Die Hilfe soll i n der Regel n u r gewährt werden, w e n n dem Hilfesuchenden sonst voraussichtlich Hilfe zum Lebensunterhalt gewährt werden müßte." 102 v g l . über die Bindung des Ermessens an derartige Richtlinien i m Steuerrecht: Becker/Riewald/Koch, §2 StAnpG; Judeich/Felix, §2 StAnpG; Felix, Ermessensausübung, S. 54, 64 u n d Messmer, StuW 60 I, Sp. 171 ff., der die Begriffe „ B i l l i g k e i t " und „Zweckmäßigkeit" i n § 2 StAnpG für unbestimmte Rechtsbegriffe hält. loa Vgl. § 30 I 2 B S H G : „Die Hilfe soll dazu dienen, ihnen den Aufbau oder die Sicherung einer Lebensgrundlage durch eigene Tätigkeit zu ermöglichen." 104 Der Sprachgebrauch läßt dies nicht k l a r erkennen: M a n bezeichnet nämlich die Ermessensfreiheit auch m i t dem Satz, die Behörde könne entscheiden, welches Verhalten „zweckmäßig" sei (so Drews/Wacke, S. 159; vgl. auch 3. Kap. Anm. 220), sieht also den Begriff „zweckmäßig" als E r messensbegriff an. Diese Ausdrucksweise ist ungenau: M a n setzt stillschweigend voraus, daß sich diese Abwägung verschiedener Zwecke innerhalb des durch den Gesetzeszweck Erlaubten abspielt.

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2. Kap.: Ermessen, unbest. Rechtsbegriff u n d Beurteilungsspielraum

Weitere, das Ermessen einschränkende Rechtsnormen enthalten die allgemeinen Rechtssätze 106 , wie sie i m Grundgesetz zum Ausdruck kommen — so zum Beispiel der Gleichheitsgrundsatz des A r t . 3 GG — 1 0 7 , oder das grundsätzliche Verbot, von einem Dritten etwas tatsächlich oder rechtlich Unmögliches zu verlangen 1 0 8 , oder der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 1 0 9 . Lehre und Rechtsprechung haben noch eine Reihe weiterer rechtlicher Forderungen aufgestellt, deren Verletzung allgemein als „Ermessensfehler" bezeichnet wird. So ist eine Maßnahme fehlerhaft und rechtswidrig, die getroffen wurde, weil die Behörde sich rechtlich gebunden glaubte, obwohl sie zu einer Ermessensentscheidung verpflichtet gewesen wäre 1 1 0 . Ferner verpflichtet eine Ermessensnorm die Verwaltungsbehörde, die i m Bereich des Ermessens möglichen Verhaltensweisen sorgfältig und i m Rahmen des Möglichen abzuwägen 111 ; der Ermessensentscheid muß ersehen lassen, welche Überlegungen zum Für und Wider die Behörde angestellt hat 1 1 2 . IV. Die Abgrenzung von „Ermessen" und „Rechtsanwendung" (d.h. Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs) 113 Der durch das Wort „kann" oder ähnliche Ausdrücke geschaffene Ermessensbereich ist also durch zahlreiche unbestimmte Rechtsbegriffe eingeengt. Unterfällt eine Ermessensentscheidung einer verwaltungsoder zivilgerichtlichen Nachprüfung, so ist festzustellen, ob die Entios Vgl. W o l f f I, S. 153. So sieht auch Felix (Ermessensausübung, S. 74) die gesetzliche Zweckbestimmung als unbestimmten Rechtsbegriff an. — s. insbesondere 3. Kap., Abschnitt A I V . 106 Vgl. Jesch, AöR 82, 209. 107 s. 4. Kap., Abschnitt C. Joe s. Drews/Wacke, S.284f. i ° 9 Lerche, S. 24 m i t zahlreichen Nachweisen, no W o l f f I, S. 154. i n Wolff I, S. 154; Forsthoff (S. 87) r ä u m t ein (und i h m ist darin zu folgen), daß den bisherigen Versuchen, die Ermessensfehler systematisch zu ordnen, kein nachhaltiger Erfolg beschieden war. Nach i h m laufen alle E r messensfehler auf folgende Möglichkeiten hinaus: 1. I r r t u m über das Vorliegen oder die Grenzen einer Ermessensbetätigung oder die bewußte Überschreitung, 2. I r r t u m über die erlaubten Motive oder absichtliches Außerachtlassen derselben, 3. Mängel i n der Würdigung der zu berücksichtigenden Tatsachen, us BVerwG, U r t . v. 8.12.1961 DVB1. 62, 562 (563). 113 Vgl. dazu Jesch, AöR 82, 208 ff.; Forsthoff, S. 74, 77; Wolff I, S. 150 ff.; Obermayer, N J W 63, 1177 ff. u n d die Ermessensliteratur i m Steuerrecht (s. A n m . 102).

C. Stellungnahme u n d Ausgangsbasis

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S c h e i d u n g als solche oder die ihr zugrunde liegenden Erwägungen und Motive — kurz: das gesamte Verhalten des Verwaltungsorgans — m i t den strikten Rechtsgeboten übereinstimmt und gegen keine Verbote verstößt. Der durch das Verhalten der Behörde gegebene sowie der diesem zugrunde liegende Sachverhalt w i r d also festgestellt und unter die gesetzlichen Vorschriften subsumiert 114 . Steht ein Verwaltungsorgan vor einer Ermessensentscheidung und w i l l es rechtmäßig verfahren, so hat es den bestehenden Sachverhalt und die ihr tatsächlich möglichen Verhaltensweisen zu erforschen, beide in Faktenbegriffe umzusetzen und diese unter die Rechtsbegriffe zu subsumieren. Soweit sich ergibt, daß mehrere Verhaltensweisen durch das Recht gedeckt sind und gegen kein Verbot verstoßen, kann sie daraus auswählen. Allerdings steht diese Wahl — und das macht die Darstellung des Ermessensproblems so schwierig — wiederum unter Ge- und Verboten: Der Verwaltungsbeamte darf nicht aus Bequemlichkeit, Begünstigung oder persönlicher Feindschaft ein bestimmtes an sich rechtlich zulässiges Verhalten wählen 1 1 5 .

Man w i r d die Ermessenstätigkeit etwa folgendermaßen umschreiben können: Hat die Behörde, soweit es ihr möglich war, die tatsächlichen Möglichkeiten ihres Verhaltens erforscht und davon diejenigen ausgeschieden, die rechtlich nicht möglich sind, so darf sie unter den verbleibenden Verhaltensweisen nach sachlichen Gesichtspunkten auswählen. Das heißt, sie darf ihre Wahl auf Erwägungen stützen, die aus der Natur der Sache gerechtfertigt werden können. Ergibt sich hieraus kein eindeutiges Übergewicht für eine Verhaltensweise, so darf die Behörde ihrer subjektiven 1 1 6 Überzeugung Raum geben und die Maßnahme ergreifen, die ihren Vorstellungen, Erwartungen und Zwecken am ehesten entspricht 1 1 7 · 1 1 8 . Man w i r d nun einwenden, daß diese auf das K r i t e r i u m der Sachlichkeit oder der Natur der Sache bezogene Ermessenstätigkeit nichts H4 s. dazu Obermayer, N J W 63, 1183. us Das verbietet schon der Zweck der Vorschrift. Vgl. auch 3. Kap. A n m . 568 ne Vgl. dazu Stern, S. 30 ff. 117 So darf ein Polizeibeamter, der einen Kraftwagen bemerkt, der auf dem ungepflegten Rasenstreifen zwischen zwei Alleebäumen vorschriftsw i d r i g geparkt ist, von einem Einschreiten m i t der Begründung absehen, der fließende Verkehr werde dadurch weniger beeinträchtigt; ein anderer k a n n dagegen m i t der Begründung einschreiten, er halte den Schutz der G r ü n flächen f ü r wichtiger. — Über den Einfluß des A r t . 3 GG vgl. 4. Kap., Abschnitt C. ne Diese von persönlichen fehlerhaften Beweggründen freie, sachgerechte, pflichtgemäße W a h l zwischen mehreren tatsächlich u n d rechtlich möglichen Verhaltensweisen w i r d heute überwiegend als Wesen des Ermessens angesehen (vgl. Forsthoff, S.74; W o l f f I, S. 153; Jesch, AöR 82, 204 f.).

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2. Kap.: Ermessen, unbest. Rechtsbegriff und Beurteilungsspielraum

anderes sei als die Tätigkeit, die eine Behörde entfaltet, wenn sie einen Sachverhalt unter einen unbestimmten Rechtsbegriff subsumieren w i l l und ihr ein Beurteilungsspielraum eingeräumt wird, da der Rechtsbegriff i n seinem Begriffshof nicht vollkommen i n Fakten- und Erfahrungsbegriffe aufgelöst werden kann, die Behörde also nicht mitteilbare Imponderabilien verwertet und die Subsumtion nur daraufhin überprüft werden kann, ob sie zutreffend erscheint, und unterstellt wird, daß weitere nicht mitteilbare oder praktisch nicht mitteilbare Gründe die Entscheidung tragen 1 1 9 . I n der Tat besteht von der Denktätigkeit aus gesehen kein greifbarer Unterschied zwischen der Rechtsauslegung und -anwendung i m Bereich des Begriffshofs, der freien Interpretation i m Beurteilungsspielraum, und dem, was oben als Verwaltungsermessen bezeichnet wurde 1 2 0 . I n all diesen Fällen w i r d „erkannt" und auf Grund eines Willensentschlusses „gehandelt" 1 2 1 . Unter diesen Gesichtspunkten können die genannten Tätigkeiten also nicht unterschieden werden, wohl aber nach ihrem juristischen Gehalt: Bei der Auswahl zwischen mehreren rechtlich zulässigen Verhaltensweisen verwertet die Behörde metajuristische Maßstäbe und Normen. Bei der Interpretation findet jedoch eine Verknüpfung zwischen Rechtsbegriff und außerrechtlichen Begriffen (Maßstäben und Normen) statt; der meta juristische Begriff w i r d verrechtlicht. Das bedeutet, daß der außerrechtliche Maßstab, soweit er rezipiert wird, Bestandteil der Rechtsnorm w i r d und damit die Rechtsnorm inhaltlich auffüllt und bestimmt 1 2 2 . Die Verwertung metajuristischer Maßstäbe bei der Betätigung des Verwaltungsermessens dient demgegenüber i n keiner Weise der juristischen Begriffsbildung, der Interpretation von Rechtssätzen oder der inhaltlichen Konkretisierung von Rechtsbegriffen; vielmehr w i r d der außerrechtliche Maß119 Jesch, AöR 82, 232. Andere Autoren sprechen von „emotionalen Elementen" (Ule) oder „subjektiver Erkenntnisentscheidung" (Obermayer); vgl. oben bei Anm. 46, 51. 120 Klein, AöR 82, 75 (84 ff.); Jesch, AöR 82, 233. 121 Jesch, AöR 82, 233. Diese Tatsache, daß auch die Ermessensentscheidung auf Erkenntnisakten beruht (so auch deutlich Obermayer, N J W 63, 1181; Klein, AöR 82, 75, 84 ff.; Stern, S. 25), k o m m t sonst i n der Ermessensliteratur nicht deutlich zum Ausdruck. So scheinen Bachof ( W D S t R L 12, 37, 70) und Becker ( W D S t R L 14, 96, 126) bei der Ermessenstätigkeit allein auf den Willensentschluß abzustellen u n d damit die Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe — als Erkennnisakt — vom Ermessen abzugrenzen. Mag das Willensmoment bei der Ermessensentscheidung oft stärker i m Vordergrund stehen, so darf das nicht darüber hinwegtäuschen, daß „der Beschluß, der seinerseits maßgebend das Wollen und W i r k e n bestimmt, als etwas Zweites und Nachgeordnetes, sein Maß von der Erkenntnis empfängt" (Josef Pieper, Klugheit, S. 25). 122 Jesch, AöR 82, 209.

C. Stellungnahme u n d Ausgangsbasis

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stab unmittelbar angewendet und verwertet 1 2 3 . Während also jede Konkretisierung des Begriffshofs interpretativ w i r k t , hat die freie Entscheidung i m Ermessensbereich diese Folge nicht 1 2 4 . Freilich ist die Grenze zwischen dem gerade noch durch einen unbestimmten Rechtsbegriff erfaßten Sachverhalt oder Maßstab und dem der abwägenden Ermessenbetätigung zugehörigen Bereich oft unscharf. Durch Umstände sachlicher wie rechtlicher A r t kann nun der i m Regelfall eingeräumte Ermessensbereich derart zusammenschrumpfen, daß nur mehr eine einzige Verhaltensweise rechtmäßig ist. I n der Literatur bezeichnet man diese Erscheinung als „Ermessensschrumpfung" 125 oder „Ermessensreduzierung auf N u l l " 1 2 6 . V. Ermessen und Opportunitätsprinzip Während das Ermessen Thema einer fast unübersehbaren Zahl von Abhandlungen ist, w i r d sein Verhältnis zum „Opportunitätsprinzip" nur spärlich behandelt 1 2 7 . Zumeist w i r d der Begriff „Opportunitätsprinzip" i n Antinomie zu dem Begriff „Legalitätsprinzip" gesetzt und damit zum Ausdruck gebracht, daß eine Verwaltungsbehörde nicht zur Anwendung einer Ermächtigungsnorm rechtlich verpflichtet ist, sondern über die Frage, ob und wie sie von einer derartigen Norm Gebrauch machen w i l l , grundsätzlich nach ihrem Ermessen entscheiden kann 1 2 8 . So gilt das Legalitätsprinzip für die Strafverfolgungsbehörden 129 , das Opportunitätsprinzip für das Gebiet der Gefahrenabwehr 130 , der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten 1 3 1 und die Verfolgung von Dienststrafvergehen 132 . I m Polizeirecht versteht man unter Opportunitätsprinzip überwiegend die oben erwähnte Ermessensfreiheit 133 , setzt also Ermessen und Opportunität gleich 134 . Andere verstehen darunter das Fehlen eines Rechts123 Jesch, AöR 82, 209. 124 Jesch, AöR 82, 233 ff. ΐ2δ B V e r w G v. 18.8.60 E 11, 95 Abschnitt Β I I I . 126 Wolff I, S. 156. 127 Mayer, Opportunitätsprinzip, 128 Vgl. Wolff I, 5. Aufl., S. 146; 129 § 152 I I StPO. 1 3 0 s. 3. Kap., Abschnitt A I I b 131 § 8 OWiG. 132 Turegg, S. 552.

(97) = DVB1. 61, 125; vgl. auch 4. Kap. S. 11. Mayer, Opportunitätsprinzip, S. 10. 3.

1 3 3 s. 3. Kap., Abschnitt A I I b 3. Allerdings w i r d nicht immer scharf zwischen Ermessen und Beurteilungsspielraum unterschieden. 134 B V e r w G v. 18.8.1960 DVB1. 61, 125; Ule/Rasch, §14 p r P V G RNr. 59.

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2. Kap.: Ermessen, unbest. Rechtsbegriff u n d Beurteilungsspielraum

anspruchs des einzelnen auf ein Einschreiten der Polizei 1 3 5 . Man spricht auch von „beschränktem Opportunitätsprinzip"; damit soll ausgedrückt werden, daß die Polizei i n gewissen Fällen einschreiten muß 1 3 6 . Mayer 1 3 7 weist darauf hin, daß der Begriff Opportunitätsprinzip über den Bereich des Verwaltungsermessens hinausgreift und auch den ursprünglichen Freiheitsbereich der Verwaltung umfaßt, den Raum frei gestaltender Verwaltung. Aus diesem Grunde lehnt er eine Gleichstellung von Ermessen und Opportunitätsprinzip ab. Ob diese Auslegung des „Opportunitätsprinzips" zu Recht besteht, w i r d die folgende Untersuchung zeigen. Sie geht jedoch nicht von dem Begriff „Opportunitätsprinzip" aus, sondern von den gesetzlichen Bestimmungen des Sicherheitsrechts. Diese werden daraufhin untersucht, unter welchen Voraussetzungen die Polizei Maßnahmen treffen darf, wann sie einschreiten muß und welcher Bereich ihrem Ermessen anvertraut ist, sowie ob sie dem einzelnen einen Amtshaftungsanspruch wegen unterlassenen Einschreitens und ein subjektives öffentliches Recht auf Tätigwerden der Polizei gewähren.

135 Vgl. 4. Kap. A n m . 146. iss Vgl. 3. Kap. A n m . 472. Köhler (DÖV 56, 744) sieht das Opportunitätsprinzip als „Unterfall des Ermessens" an. Was darunter zu verstehen ist, bleibt unklar. iS7 Opportunitätsprinzip, S. 14; dazu Stern, S. 23 Anm. 64.

Drittes Erster

Kapitel Hauptteil

Rechtsanwendung u n d Ermessensbestätigung auf Grund sicherheitsrechtlicher Ermächtigungsnormen V o r b e m e r k u n g : D i e Rechtsgrundlagen Maßgebend für die Frage, ob und inwieweit den Sicherheitsorganen ein Ermessen zusteht, ist das materielle Sicherheitsrecht. I n Betracht kommen i n erster Linie die Generalermächtigungen der einzelnen Landesgesetze: Gerade ihre weitgefaßte Formulierung bereitet einer Grenzziehung die größten Schwierigkeiten. Ist aber für sie ein Ergebnis gefunden, so läßt es sich leicht auf die übrigen Vorschriften anwenden 1 . Bis auf Bayern und Baden-Württemberg 2 haben sämtliche Bundesländer, einschließlich West-Berlin, die Generalklausel des § 14 Abs. I des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes vom 1. Juni 19313 mehr oder weniger wörtlich übernommen. Zunächst der Wortlaut dieses Vorbilds: „Abschnitt I V . Die Aufgaben der Polizeibehörden §14 (1) Die Polizeibehörden haben i m Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, u m von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung bedroht w i r d . "

I n § 11 des Polizeiverwaltungsgesetzes von Rheinland-Pfalz 4 ist dieser Satz i n zwei Sätze zerlegt: „§ 1 Aufgaben der Polizei Die Polizei hat von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht ist. Sie hat hierzu i m Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen." 1 s. Abschnitt C. 2 s. Abschnitt Β I I . 3 GS S. 77. 4 V o m 26. 3.1954 (GVB1. S. 31).

44

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Man tat dies aus „stilistischen Gründen" 5 ; denn die Fassung des § 14 prPVG „war so, daß ein normaler Mensch kaum klug daraus wurde" 6 . Eine derartige Zerlegung des § 14 prPVG enthält auch § 11 des Polizeigesetzes für das Land Schleswig-Holstein 7 . Gegenüber § 14 prPVG wurde aber dadurch nichts geändert, da das „hierzu" i m zweiten Satz dem „ u m abzuwehren" i n § 14 prPVG entspricht und auch zwischen „pflichtgemäßen" — so § 1 rhpfPVG — und „pflichtmäßigem Ermessen" inhaltlich kein Unterschied besteht 8 . Das Polizeigesetz von Bremen 9 teilt § 14 I prPVG ebenfalls i n zwei Sätze, bezieht aber das Wörtchen „Aufgabe", das i n den beiden oben genannten Gesetzen lediglich i n der amtlichen Überschrift erscheint, i n den ersten Satz des § 1 ein: „§ 1 Allgemeines (1) Die Polizei hat die Aufgabe, von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, welche die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedrohen. Sie hat hierzu i m Rahmen der geltenden Gesetze die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen."

Dadurch ändert sich aber gegenüber § 14 prPVG nichts, denn das Wörtchen „Aufgabe" erscheint auch in dessen amtlicher Überschrift. Dem § 1 des Gesetzes über die Aufgaben und Befugnisse der Ordnungsbehörden des Landes Nordrhein-Westfalen (nrwOBG) 1 0 sowie dem § 3 des hamburgischen Gesetzes zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (hambSOG) 11 dient zwar § 14 prPVG als Vorbild, beide Gesetze enthalten jedoch Abweichungen, die eine gesonderte Erörterung erforderlich machen 12 .

5 So die Begründung zum E n t w u r f des r h p f P V G (II. Wahlp., DrucksAbt. I I , Nr. 682 vom 18. 9.1953, unter Β § 1). 6 So Oberregierungsrat Altmeyer i n der 37. Sitzung des Hauptausschusses des Landtags von Rheinland-Pfalz am 13.10.1953, Protokoll S. 11. 7 V o m 23. 3.1949 (GVOB1. S. 61). 8 Kratzer weist jedoch i n anderem Zusammenhang darauf hin, daß „pflichtmäßig" ein Eigenschaftswort (Adjektiv) u n d „pflichtgemäß" ein Umstandsw o r t (Adverb) ist (Besprechung von: Feigel/Keitel, Bayerische Landvolksschulordnung; BayVBl. 65, 216). » V o m 5. 7.1960 (GVB1. S. 73). 10 V o m 16.10.1956 (GS N R W S. 155).

11 V o m 14. 3.1966 (GVB1. S. 77). 12 s. Abschnitt Β I.

Vorbemerkung: Die Rechtsgrundlagen

45

Wörtlich wurde § 141 prPVG übernommen von Hessen 13 , Niedersachsen14, West-Berlin 1 5 , dem Saarland 16 und i m PVG von NordrheinWestfalen 17 . Ferner gilt das prPVG für die Ordnungsbehörden i n Schleswig-Holstein 18 . Somit kann i m folgenden außer für Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg und das nrwOBG § 141 prPVG zur Grundlage der Untersuchung gemacht werden.

13 § 1 I hessSOG v o m 17.12.1964 (GVB1. I S. 209). 14 § 1 I ndsSOG (ndsGVBl. Sb. I S. 89). 15 §8 berlPolZG (Gesetz über die Zuständigkeit der Berliner Polizei- und Ordnungsbehörden) v o m 2.10.1958 (GVB1. S. 959) iVm. §14 berlPVG (Bekanntmachung der Neufassung des PVG) v o m 2.10.1958 (GVB1. S. 961). iß §§ 36, 37 des Gesetzes über die allgemeine Landesverwaltung v o m 3. 7. 1950 (ABl. S. 796). 17 § 1 4 1 n r w P V G v o m 27.11.1953 (GS N R W S. 163). 18 Runderlaß des Landesministers des Innern v o m 10. 2.1951 (ABl. S. 121, unter I. Teil, A IV).

Α . D i e B i n d u n g der Sicherheitsorgane an d i e u n b e s t i m m t e n Rechtsbegriffe des § 14 I p r P V G u n d die i h n e n d u r c h diese N o r m eingeräumte Ermessensfreiheit I. Die Auslegung der in § 1 4 1 PVG enthaltenen Begriffe „Gefahr" und „notwendig" a) Die „Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung"

§ 14 I ermächtigt i n seinem Hauptsatz die Polizeibehörden „die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen". Erst der sich anschließende Nebensatz enthält die für das Verständnis des Hauptsatzes notwendige Ergänzung: „ u m von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht w i r d " . Die Maßnahmen müssen also von diesem Zweck der Gefahrenabwehr getragen sein, u m gültig zu sein. Sie können aber diesen Zweck der Gefahrenabwehr erst dann erfüllen, wenn Tatsachen vorliegen, die unter den Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung subsumierbar sind. Als erste Frage haben also der Polizeibeamte wie der eine polizeiliche Maßnahme überprüfende Richter zu beantworten, ob die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch eine Gefahr bedroht w i r d 1 9 . Was unter „öffentlicher Sicherheit und Ordnung" zu verstehen ist, w i r d heute allgemein folgendermaßen ausgedrückt: Die „öffentliche Sicherheit" umfaßt die Unversehrtheit von Gesundheit, Ehre, Freiheit und Vermögen sowie der Rechtsordnung und der Einrichtungen des Staates, die „öffentliche Ordnung" die Gesamtheit jener ungeschriebener Regeln für das Verhalten des einzelnen i n der Öffentlichkeit, deren Beobachtung nach den jeweils herrschenden Anschauungen als unerläßliche Voraussetzung eines geordneten staatsbürgerlichen Gemeinschaftslebens betrachtet w i r d 2 0 . Dieses weite Tätigkeitsfeld ist 19 § 14 P V G zielt als Ermächtigungsnorm (s. bei Anm. 227) i n erster L i n i e auf eingreifende Maßnahmen ab. So sind auch hier unter Maßnahmen solche eingreifender A r t zu verstehen. Über nicht eingreifende Maßnahmen s. Abschnitt D. 20 Vgl. die Begründung zum E n t w u r f des prPVG, Abschnitt I V zu § 14 (zit. bei Klausener, PVG, S. 43, 58); BayVerfGH, Entsch. v. 13.10.1951 V G H n F 4, I I , 194 (204); Drews/Wacke, S. 63, 64, 73 m i t weiteren Nachweisen; ferner PrOVGE 15, 427 (432); 91, 139; Peters, S.377; Jobst, Diss., S. 114ff.; Samper, A r t . 2 RNr. 12 ff.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

47

jedoch erheblich eingeschränkt: Zwar gehört der Schutz der öffentlichen Sicherheit durch Verfolgung strafbarer Handlungen zum Tätigkeitsbereich der Polizei, doch gilt dafür nicht das materielle Sicherheitsrecht, sondern § 163 I der Strafprozeßordnung, wonach die Polizeibehörden und -beamten verpflichtet sind, „strafbare Handlungen zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten". Hier gilt das Legalitätsprinzip 2 1 ; d.h. grundsätzlich 22 kann die Polizei nicht nach ihrem Ermessen entscheiden, ob sie eine Straftat verfolgen w i l l , sondern macht sich gemäß § 346 StGB der Begünstigung i m A m t schuldig, wenn sie jemanden wissentlich der vorgesehenen Strafe entzieht. Nicht nur der Bereich der Strafverfolgung scheidet aus vorliegender Untersuchung aus. Auch auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr sind Polizeiund Ordnungsbehörden dann nicht zum Eingreifen berechtigt, wenn der Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung anderen Behördenorganisationen übertragen ist 2 3 . Als solche kommen Verwaltungsbehörden wie Gerichte i n Betracht. So ist eine wichtige Voraussetzung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, daß jedermann i n seinen privatrechtlichen Rechtsansprüchen gegenüber dem anderen geschützt wird. Dieser Schutz obliegt aber grundsätzlich den Z i v i l - und Arbeitsgerichten 2 4 . Allerdings ist die Polizei dann zu Maßnahmen berechtigt, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht ist und die an sich zuständige Behörde oder das Gericht nicht rechtzeitig i n Tätigkeit gesetzt werden kann. Jedoch ist sie nur zu vorläufigen Maßnahmen berechtigt und verpflichtet, die zuständige Behörde zu benachrichtigen 25 . Dieser Grundsatz der Subsidiarität ist i m PVG nicht ausgesprochen; erst die neueren Polizeigesetze regeln ihn ausdrücklich 26 ; seine Geltung ist allgemein anerkannt 2 7 . Nicht gegen jede Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann die Polizei vorgehen, sondern nur dann, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch eine Gefahr bedroht wird. Erst von diesem Punkt an ist die Polizei überhaupt zu Maßnahmen gegen Dritte berechtigt. Jellinek 2 8 hat dies recht anschaulich dargestellt: si §152 I I StPO; Emmerig, DVB1. 58, 338; Gurland, Diss., S. 50 ff.; Drews/ Wacke, S. 112 ff. 22 Uber Ausnahmen vgl. §§ 153 I, 154 b StPO sowie Drews/Wacke, S. 158. 23 Vgl. die Einschränkung i n § 14 I p r P V G „ i m Rahmen der geltenden Gesetze" und Drews/Wacke, S. 109 ff. 24 Drews/Wacke, S. 109, 111. 2i» Drews/Wacke, S. 109 ff. 2« Vgl. §2 b w P G ; A r t . 7 bayPAG; §§ 1 I I , 2, 3 hessSOG; § 2 1 1 ndsSOG; §2 n r w O B G ; § 19 I a schlhPOG; §311 hambSOG. 27 Drews/Wacke, S. 110ff.; vgl. dazu ferner Baur, JZ 62, 73; Hellingrath, JZ 62, 244. 26 Verwaltungsrecht, S. 432 ff., 437 ff.

48

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Er trägt die Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf den negativen Teil einer Ordinate eines Koordinatensystems auf und läßt erst unterhalb des Punktes „ y = —2" eine „Gefahr" entstehen. Hier w i r d deutlich, daß die Eingriffsberechtigung der Polizei der Idee nach stets von einem Punkt an, dem Zustand, der gerade noch als Gefahr bezeichnet werden kann, beginnt. So systematisch einfach die Abgrenzung des Begriffes Gefahr ist, so schwierig ist die Auslegung und Subsumtion i m Einzelfall. Wacke hat dieses Problem treffend m i t folgenden Worten geschildert: „Eine befriedigende positive Definition dieses Begriffes der Gefahr läßt sich nicht aufstellen . . . Der Grund liegt darin, daß es sich i m Polizeirecht vielfach um Begriffe handelt, bei denen ein Werturteil die entscheidende Rolle spielt, das sich rationell überhaupt nicht fassen läßt; u m quantitative und qualitative Grenz- und Übergangsbegriffe, deren logische Präzisierung ebenso unmöglich ist wie die Beantwortung der bekannten eristischen Streitfrage, wieviele Körner dazu erforderlich sind, einen Haufen zu bilden 2 9 ." Nur negativ kann gesagt werden, daß eine Gefahr nicht vorliegt, wenn nur Nachteile, Belästigungen oder Unbequemlichkeiten i n Frage stehen 30 . Aber nicht nur die geringe Stärke einer Gefahr oder einer bereits zu einer Störung gewordenen Gefahr kann dazu führen, daß nur von eine Belästigung gesprochen werden kann; auch die geringe Wahrscheinlichkeit, daß eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung sich zu einer Gefahr ausweitet, kann dies bewirken 3 1 . Aber auch hier läßt sich wiederum nicht einwandfrei definieren, was unter Nachteil, Unbequemlichkeit und Wahrscheinlichkeit zu verstehen ist 3 2 . Als verläßlichste Quelle ist die Rechtsprechung zu nennen, insbesondere die des preußischen Oberverwaltungsgerichtes, die i n einer unübersehbaren Zahl von Entscheidungen den Begriff der Gefahr ausgeformt hat. Auf sie sowie die reichhaltige Literatur 3 3 muß verwiesen werden, da eine ausführliche Schilderung den hier gegebenen Rahmen sprengte. 29 Drews/Wacke, S. 51. 30 Drews/Wacke, S. 51; vgl. hinsichtlich der „Nachteile" usw. Jellinek, Gesetz, S. 75; Verwaltungsrecht, S. 437; dazu kritisch Teicher, Diss., S. 20 ff.; ferner Jebens, S. 308; Froelich, S. 54. Drews/Wacke, S. 52. 32 Drews/Wacke, S. 53; Teicher, Diss., S. 12. 33 Drews/Wacke, S. 51 ff.; Teicher, Diss., S. 11 ff.; Dröge, Diss., S. 3 ff. (jeweils m i t zahlreichen Nachweisen); ferner Jebens, S. 308; Froelich, S. 54; Franzen I, S. 163 ff.; Jobst, Diss., S. I l l ff.; Samper, A r t . 2 RNr. 25 ff.; O V G Lüneburg AS 10, 341.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

49

Hinzuweisen ist noch auf § 41 I prPVG und die entsprechenden Vorschriften der neueren Polizeigesetze 34 . Danach sind Polizeiverfügungen — Verwaltungsakte —, sofern sie nicht auf Grund einer Polizeiverordnung oder eines besonderen Gesetzes erlassen werden, nur gültig, soweit sie zur Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Abwehr einer i m einzelnen Falle bevorstehenden Gefahr erforderlich sind. Bei der polizeilichen Verfügung muß also eine Gefahr i m betreffenden Einzelfall tatsächlich bestehen („konkrete Gefahr"), während es bei einer auf Grund § 14 I PVG zu erlassenden Polizeiverordnung genügt, wenn die Gefahr nur „ i n abstracto" oder „potentia" bevorsteht, d. h. wenn Gefahren „aus bestimmten Arten von Handlungen oder Zuständen nach den Erfahrungen des täglichen Lebens m i t überwiegender Wahrscheinlichkeit fortdauernd zu entstehen pflegen" 35 . b) Der Begriff der „Notwendigkeit"

1. Die „Möglichkeit"

und „Geeignetheit"

der

Maßnahmen

„Die Polizeibehörden haben die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen, u m . . . Gefahren abzuwehren . . . " Die Maßnahmen 36 müssen also die „Not", die „Gefahr", „wenden", abwenden. U m dies zu vermögen, müssen sie geeignet 37 sein und zwar nicht nur theoretisch geeignet, sondern i m konkreten Fall praktisch durchführbar, also möglich. Diese beiden Erfordernisse erscheinen auch i n einigen modernen Sicherheitsgesetzen: „Die Polizei hat unter mehreren möglichen u n d geeigneten Maßnahmen diejenigen zu treffen, die . . . am wenigsten beeinträchtigen 3 8 ." „Polizeiliche Verfügungen dürfen k e i n rechtlich oder tatsächlich unmögliches Verhalten verlangen 3 9 ." 3 * § 6 1 2 hessSOG; §49 1 r h p f P V G ; § 1 4 1 n r w O B G ; § 4 1 1 n r w P V G ; § 3 0 1 ndsSOG; § 36 I b bremPG; § 3 I hambSOG; § 411 berlPVG. 35 Drews/Wacke, S. 390; vgl. ferner die dort angegebenen Entscheidungen und Gobrecht, Diss., S. 34. 36 M i t „Maßnahmen" bezeichnet hier das Gesetz die Gesamtheit aller möglichen formellen oder materiellen Schritte der Polizei. Zwischen Maßnahmen und M i t t e l n besteht k e i n Unterschied (Drews/Wacke, S. 281 ff.). 37 Friedrichs, P r V B l . Bd. 30 (1909), 369 (372); Bender, DVB1. 57, 278; Lerche, S. 346 Anm. 101; Ule/Rasch, §14 p r P V G RNr. 57. — Drews/Wacke (S.284f.) sprechen auch von „tauglich"; zwischen tauglich u n d geeignet besteht jedoch kein Unterschied. 38 § 5 I b w P G ; A r t . 8 I bayPAG; § 5 1 hessSOG; § 2 1 r h p f P V G ; § 15 2 n r w O B G ; § 3 1 bremPG. 39 § 36 I I I bremPG; § 4 8 1 r h p f P V G ; A r t . 1312 b a y P A G : „Es darf kein unzulässiges oder unmögliches Verhalten verlangt werden"; vgl. dazu Drews/ Wacke, S. 284 f. m i t Beispielen.

4 Schmatz

50

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Dabei zeigt sich die „Möglichkeit" nur dann deutlich als Vorfrage der „Geeignetheit", wenn die Polizei einem Dritten ein Verhalten auferlegt und dieses i h m nicht möglich ist. Denn dann braucht die Frage der Geeignetheit nicht mehr geprüft werden, wenn sich herausgestellt hat, daß die Maßnahme für den Dritten unmöglich ist. Diese Unterscheidung von Vor- und Hauptfrage w i r d schwieriger, wenn die Polizei m i t eigenen Mitteln vorgehen muß, da ein Dritter nicht i n Anspruch genommen werden kann, und wenn sie dabei ihre Maßnahmen daraufhin überprüfen w i l l , ob sie möglich und geeignet sind 4 0 . Hier stehen i h r zwei Möglichkeiten offen: Sie kann zunächst den Sachverhalt daraufhin untersuchen, welche Möglichkeiten eines Tätigwerdens überhaupt gegeben sind und von diesen Möglichkeiten die für die Gefahrenabwehr geeigneten aussondern. Sie kann aber auch zuerst erwägen, welche zur Gefahrenabwehr geeigneten Maßnahmen theoretisch i n Betracht kommen und daraufhin an Hand der Umstände des Einzelfalles prüfen, welche der theoretisch geeigneten Maßnahmen auch tatsächlich möglich sind. Wenn auch beide Methoden zum gleichen Ziele führen, so ist doch der ersten aus dem Grunde der Vorzug zu geben, da sie sich i n die Systematik des Begriffs „notwendig" besser einfügt: Die spätere Untersuchung w i r d zeigen, daß durch diesen Begriff die i n Betracht kommenden geeigneten Maßnahmen weiter eingeschränkt werden und zwar durch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des mildesten Mittels. Der Begriff führt also zu einer schrittweisen Verengung der tatsächlich gegebenen Verhaltensmöglichkeiten. Damit steht die „Möglichkeit" an erster Stelle und ist Vorfrage der Geeignetheit. Freilich kann unter „Möglichkeit" i n diesem Zusammenhang stets nur die „tatschliche Möglichkeit", die Durchsetzbarkeit, gemeint sein, nicht die „rechtliche Möglichkeit"; denn diese Frage ist an Hand der Rechtsnormen zu prüfen 4 1 . Die tatsächliche Möglichkeit beurteilt sich nach naturwissenschaftlichen Gesetzen, meta juristischen Normen 4 2 , die freilich durch den Begriff „notwendig" i m § 14 PVG „verrechtlicht" 4 3 sind. 40 Diese Frage untersteht gerichtlicher Nachprüfung nur dann, w e n n die Polizei einschreiten muß oder hätte einschreiten müssen. 41 Dies gilt auch n u r f ü r die Fälle, i n denen von einem D r i t t e n etwas rechtlich Unmögliches verlangt w i r d . — Auch der Begriff „notwendig" enthält Rechtsnormen, wie z.B. den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. Abschnitt A I b 3). 4 * Vgl. 2. Kap., Abschnitt C I V . — Dem Satz des PrOVG, das rechtlich Unerlaubte sei als tatsächlich Unmögliches anzusehen (PrVBl. Bd. 24 (1903), 489; vgl. auch Drews/Wacke, S. 284 u n d Ule/Rasch, §41 p r P V G RNr. 9) k a n n also nicht zugestimmt werden. 43 Vgl. 2. Kap., Abschnitt C I V .

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 141 p r P V G

51

Für die Prüfung der Geeignetheit einer Maßnahme sind naturwissenschaftliche, psychologische und sonstige metajuristische Maßstäbe und Gesetze maßgebend. Auch hier t r i t t durch § 14 PVG eine Verrechtlichung dieser metajuristischen Normen ein. Daß es oft schwierig ist, unter Anwendung dieser met a juristischen Maßstäbe und Erfahrungssätze zu entscheiden, ob eine Maßnahme geeignet ist, bedarf keines Nachweises. Hervorzuheben ist jedoch, daß es keine Frage der Geeignetheit ist, ob eine Maßnahme auch rechtlich zulässig ist, also ζ. B. gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt. Diese Frage läßt sich nicht mit dem Begriff „geeignet", sondern nur mit den Normen der Rechtsordnung beantworten 44 . Entscheidend für die Beantwortung der Frage der Geeignetheit ist die Zwecksetzung: Denn der Begriff „geeignet" allein hat keinen Inhalt. Er bedarf stets einer Zweck-Ergänzung 45 . Diese umschreibt § 14 PVG mit den Worten: „um . . . Gefahren abzuwehren". Beabsichtigt die Polizei nun, eine bestehende Gefahr so gut, wie es ihr möglich ist, abzuwehren, so ist der Zweck festgelegt und es kann bestimmt werden, ob und welche Maßnahmen dazu geeignet sind. Freilich w i r d diese Prüfung sehr erschwert, wenn die die Gefahr bildenden Umstände komplexer Natur sind. Aber dies spricht nicht dagegen, daß zumindest der Idee nach jeweils eindeutig bestimmt werden kann, ob eine Maßnahme zur Abwehr einer bestimmten Gefahr geeignet ist. I m Laufe der Untersuchung w i r d sich ergeben, daß die Zwecksetzung i n gewissem Umfang dem Ermessen der Sicherheitsorgane anheimgestellt ist 4 6 . Die damit verflochtenen Probleme können jedoch erst später i m Zusammenhang dargestellt werden. Zunächst sei also davon ausgegangen, daß die Zweckbestimmung in der vollständigen Gefahrenabwehr besteht, soweit dies natürlich möglich ist. 2. Der Grundsatz des geringsteingreifenden

Mittels

Der Begriff „notwendig" erschöpft sich nicht i n den Begriffsbestandteilen „möglich" und „geeignet". Stellt die Polizei i n einem Supermarkt 44 M a n k a n n allerdings den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als i n dem Begriff „geeignet" enthalten sehen m i t dem Argument, ein M i t t e l könne dann nicht mehr geeignet sein, w e n n es einen Schaden hervorruft, der größer als die zu beseitigende Gefahr ist (so Müller-Heidelberg, S. 32). Ob man n u n diesen Grundsatz aus dem Begriff der „Geeignetheit" herleitet oder aus dem Begriff „notwendig" (vgl. Abschnitt A I b 3), ist i m Ergebnis das gleiche. K l a r e r erscheint es jedoch, den Begriff der Geeignetheit allein auf die rein tatsächliche Fähigkeit der A b w e h r einer Gefahr zu beziehen. 4 5 Die Beantwortung der „Möglichkeit" erfordert keine derartige Zwecksetzung, sie richtet sich lediglich nach den tatsächlichen Umständen. 46 s. Abschnitt A I V .

4*

52

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

verdorbene Konserven fest, so erscheint die Anordnung, den Laden zu schließen, ebensowenig notwendig wie die Uberbringung dieser A n ordnung durch berittene Polizeibeamte. Man verbindet also m i t dem Begriff „notwendig" die stille Ergänzung „gerade noch" (notwendig) 47 . Dadurch kommt zum Ausdruck, daß „unter mehreren zur Zweckerreichung geeigneten Instrumenten nur dasjenige ausgewählt werden darf, das die geringsteinschneidenden Folgen hervorruft" 4 8 . Es kommt hier nicht auf eine Abwägung zwischen M i t t e l und Zweck an 4 9 , sondern lediglich auf die Feststellung, ob es eine Maßnahme gibt, die zur Gefahrenabwehr geeignet ist 5 0 und den Betroffenen so wenig wie möglich beeinträchtigt, seine Belange soweit beachtet, ohne aber die Zweckerreichung zu gefährden 51 . Diesen aus dem Begriff „notwendig" folgenden 52 Grundsatz des geringsteingreifenden oder des mildesten Mittels oder der Erforderlichk e i t 5 3 haben manche moderne Sicherheitsgesetze folgendermaßen formuliert: „Die Polizeibehörden haben unter mehreren möglichen u n d geeigneten Maßnahmen diejenigen zu treffen, die den einzelnen u n d (oder) 5 4 d i e A l l g e meinheit . . . am wenigsten beeinträchtigen 55 » 5 6 . "

I n dieser Form erscheint der Grundsatz recht einleuchtend und verständlich. A u f der Suche nach Maßstäben, Grenzen und allgemeingültigen Aussagen, insbesondere unter Berücksichtigung der verwaltungsgerichtlichen Klagemöglichkeit, treten jedoch erhebliche Schwierigkeiten auf. Zunächst bedarf es einer näheren Bestimmung der Sphäre, die durch den Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels geschützt werden soll. 47 Lerche, S. 19 A n m . 2. 48 Lerche, S. 19. 49 Lerche, S. 19; Schiedermair, S. 105. 50 Auch Lerche sieht die Geeignetheit als Vorfrage des Grundsatzes des geringsteingreifenden Mittels an (S. 346 A n m . 101); s. auch Lerche, S. 290 Anm. 118. Ebenso Krauss, S. 68. 5 > Vgl. Krauss, S. 15 ff. 52 So auch Müller-Heidelberg, S. 31; Pioch, S. 8; Altmeyer, § 1 P V G E r l . 6 b ; B a d V G H v. 31. 3.1952 VRspr. 5, 86 (92 f.); s. auch Friedrichs, P r V B l . Bd. 30 (1909), 369 (372). 53 Vgl. dazu die bei Lerche, S. 27 A n m . 24, angegebene L i t e r a t u r ; ferner Gaiette, DVB1. 55, 276 (280); Freund, S. 60; W o l f f I, S. 142. 54 § 2 1 rhpfPVG. 55 § 5 1 b w P G ; A r t . 8 1 b a y P A G ; §5 1 hessSOG; §15 2 n r w O B G ; § 3 1 bremPG; §411 hambSOG; ähnlich auch schon §41112 p r P V G (darüber s. Abschnitt A I I I b 3). 56 Über die Geltung dieses Grundsatzes i m allgemeinen Verwaltungsrecht vgl. Β GHZ 18, 366 und Bender, N J W 55, 938.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14 I p r P V G

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Weder § 14 PVG noch die genannten Vorschriften nennen sie. Es heißt lediglich, daß diejenigen Maßnahmen zu treffen sind, „die den einzelnen . . . am wenigsten beeinträchtigen". „Beeinträchtigen" sagt aber nicht mehr aus, als daß die Intensität des Eingriffs nicht den Grad einer Verletzung erreichen braucht, um die Maßnahme rechtswidrig zu machen. Der Grundsatz des mildesten Mittels nennt also ebensowenig wie der Gleichheitsgrundsatz sein Schutzobjekt 57 . So muß der Rechtsordnung entnommen werden, welche Sphären vor übermäßigen Eingriffen geschützt sind. W i l l sich ein Staatsbürger auf diesen Grundsatz berufen, so muß er gemäß § 42 VwGO geltend machen, daß er i n seinen Rechten durch eine mehr als notwendige Maßnahme verletzt ist. I n seinen Rechten kann der einzelne nur dann verletzt sein, wenn eine Rechtsnorm nicht nur der Allgemeinheit, sondern zumindest auch seinen Individualinteressen zu dienen bestimmt ist und dieses sein subjektives öffentliches Recht durch einen Hoheitsträger verletzt ist 5 8 . W i r d er i n einem bloßen Rechtsreflex durch eine polizeiliche Maßnahme mehr als erforderlich beeinträchtigt, so steht ihm ein Anfechtungsrecht nicht zu. Verneint man mit Marschall 59 ein subjektives öffentliches Recht auf Gemeingebrauch, so kann der durch eine mehr als notwendige Beschränkung des Gemeingebrauchs beeinträchtigte Anlieger keine Anfechtungsklage erheben, da seine in Mitleidenschaft gezogene Sphäre nicht zu den subjektiven öffentlichen Rechten zählt, die allein durch § 42 VwGO vor Verletzung geschützt sind. Richtet sich dagegen die Wirkung einer polizeilichen Maßnahme gegen den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Anliegers, so richtet sie sich gegen ein subjektives öffentliches Recht 60 . Freilich muß nach h. M . 6 1 der Kläger durch die mehr als notwendige Maßnahme stets unmittelbar i n seinen Rechten verletzt sein. Die Sphäre, die also für die Frage des Beeinträchtigens maßgeblich ist, w i r d infolgedessen durch die subjektiven öffentlichen Rechte, insbesondere die Freiheitsrechte 62 , bestimmt und abgegrenzt. I n diese darf zur Gefahrenabwehr eingegriffen werden, soweit es erforderlich ist. Geht die Maßnahme darüber hinaus, so ist der Träger 57 Krauss, S. 37. 58 Es w i r d hier den Ausführungen Bachofs zum subjektiven öffentlichen Recht gefolgt, diese jedoch, wie es der Schwerpunkt der A r b e i t erfordert, erst i m zweiten Hauptteil dargestellt (s. 4. Kap. A n m . 90). 59 S. 249. 60 Vgl. Marschall, S. 249. «ι Vgl. statt vieler Stich, Diss., S. 88 ff. 62 Wenn Krauss (S. 37, 39) n u r auf die Freiheitsrechte abstellt, so bedarf das der eben gemachten Ergänzung.

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3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

des subjektiven öffentlichen Rechts i n diesem seinem Recht verletzt. Der Inhalt des subjektiven öffentlichen Rechts w i r d also durch den Grundsatz des mildesten Mittels näher bestimmt. Stets muß aber i n erster Linie geklärt werden, ob sich die übermäßige Maßnahme überhaupt gegen ein geschütztes Recht des Klägers richtet. Die bloße Behauptung, der Grundsatz des mildesten Mittels sei verletzt, hat keinen Erfolg. Diesen Grundsatz, wie Krauss 6 3 , als ein „selbständiges, ein subjektives öffentliches Recht gewährendes Grundrecht" zu bezeichnen, entbehrt folglich der Berechtigung 64 . Muß doch primär geprüft werden, ob der Kläger durch eine Maßnahme überhaupt i n seiner geschützten Rechtsposition beeinträchtigt ist. Da von dem Bestehen eines subjektiven öffentlichen Rechts auszugehen ist, kann auch die Tatsache, daß der Grundsatz des mildesten Mittels den Individualinteressen des einzelnen zu dienen bestimmt ist, wie schon aus dem Wortlaut der gesetzlichen Bestimmungen ersichtlich ist 6 5 , nicht zu einem „selbständigen" subjektiven öffentlichen Recht auf Erforderlichkeit der Maßnahme führen; vielmehr bedingen sich beide. Man kann höchstens von einem „unselbständigen" subjektiven öffentlichen Recht sprechen. Da eine polizeiliche Maßnahme zur Abwehr einer Gefahr „gerade noch notwendig", „die am wenigsten beeinträchtigende" Maßnahme sein soll, kann sie i m konkreten Fall der Idee nach immer nur eine einzige sein 66 . Dagegen spricht nicht, daß es i m Einzelfall auch mehrere Maßnahmen geben kann, die alle dem Grundsatz des mildesten Mittels genügen 67 . Aber was heißt nun „beeinträchtigen"? Unter Beeinträchtigung ist nach Schiedermair 68 und König 6 9 „jede Beschränkung und Verpflichtung zu verstehen; dazu gehören polizeiliche Verbote ebenso wie Gebote und unmittelbare Auswirkungen ebenso wie mittelbare Auswirkungen polizeilicher Maßnahmen, ebenso gehört hierher auch die A r t des polizeilichen Auftretens. Der Begriff der Beeinträchtigung ist daher erheblich weiter als der der rechtlichen Inter65 S. 118 u n d i h m folgend das B V e r w G (Entsch. v. 7. 5.1957 E 5, 50, 52). 64 Gegen die Einstufung des Grundsatzes als Grundrecht haben sich, allerdings aus anderen Gründen, Gaiette (DVB1. 56, 312) u n d Bender (DVB1. 57, 278, 281) ausgesprochen. 65 „Die Polizeibehörden haben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die den einzelnen am wenigsten beeinträchtigen" ; vgl. Anm. 54 u n d 55. 66 Vgl. Lerche, S. 21. 67 Vgl. 2. Kap., Abschnitt C I I . 6® S. 104 f. 69 S. 323.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

55

essen oder der Rechte, er umfaßt auch Nachteile, Belästigungen und Unbequemlichkeiten". Diese Aufzählung mag nützlich sein für den täglichen Gebrauch der Polizeibeamten, ein Kläger w i r d damit nicht immer Erfolg haben: W i r d er i n einem subjektiven öffentlichen Recht nur „mittelbar" über das Maß des Erforderlichen hinaus beeinträchtigt, so fehlt es schon an einer unmittelbaren Beschwer und die Klage ist als unzulässig abzuweisen 70 . Unverständlich aber ist Schiedermairs Satz, der Begriff der Beeinträchtigung sei „erheblich weiter als der der rechtlichen Interessen oder Rechte". Gemeint ist wohl, daß der Begriff „Beeinträchtigung" weiter ist als der der „Verletzung". Erfolg w i r d ein Kläger aber auch nur dann haben, wenn sich die „Nachteile, Belästigungen und Unbequemlichkeiten" gegen seine durch subjektive öffentliche Rechte geschützte Rechtsposition richten. Ein Maßstab, an dem abgelesen werden kann, welche Maßnahme mehr und welche weniger beeinträchtigt, läßt sich generell nicht aufstellen. Nur soviel kann gesagt werden, als daß, da ja das „geringsteingreifende" M i t t e l zu nehmen ist, jede Maßnahme, die über die Grenze der zur Abwehr der Gefahr gerade noch erforderlichen Beeinträchtigung hinausgeht, gegen das Gesetz verstößt 71 . Wo diese Grenze verläuft, weiß am besten der Betroffene selbst anzugeben. Es mag i h m lieber sein, sein Haus wegen Baufälligkeit ganz abzureißen 72 als die i h m auferlegten Instandsetzungsarbeiten durchzuführen. Für die Beantwortung der Frage nach der Grenze des Grundsatzes ist also der Betroffene prädestiniert. Andererseits w i r d man für die Frage der Geeignetheit der Maßnahme zur Abwehr einer Gefahr, die grundsätzlich objektiv beantwortbare Vorfrage 7 3 der Erforderlichkeit, die Meinung der Sicherheitsorgane als Fachbehörden für maßgebend halten müssen. Die beste Lösung wäre demnach zu erreichen, wenn sich Polizei und Betroffener einigten. Da nun die Sicherheitsbehörden verpflichtet sind, die Maßnahmen i m Rahmen des Notwendigen zu halten, w i r d man sie für verpflichtet halten müssen, soweit es nach den Umständen möglich ist, dieser Pflicht dadurch nachzukommen, daß sie den Betroffenen befragen und durch Verhandlungen ergründen, welche Lösung für den Betroffenen die geringste Belastung nach sich zieht 7 4 . ™ Vgl. Stich, Diss., S. 88 ff. 7 * Vgl. Lerche, S. 19. 72 Der Betroffene k a n n sogar ein M i t t e l anbieten, das außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 29.12.1961 DÖV 62, 617). Freilich muß es geeignet sein (ebenso Krauss, S. 68) und darf nicht für andere einen unverhältnismäßigen Schaden herbeiführen. Vgl. unten S. 68 f. 73 Lerche, S. 346 A n m . 101.

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3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Kommt eine Einigung zustande, so ist der Idealfall erreicht. Einigt man sich nicht, so hat die Polizei ihrer Erkundigungspflicht Genüge getan und kann sich, soweit es geeignete Maßnahmen gibt, nach den Wünschen des Betroffenen richten. Schwieriger w i r d es, wenn die Umstände keine Verständigung erlauben, sei es, daß die Gefahr ein sofortiges Einschreiten erfordert, sei es, daß die Ordnungsbehörde wegen Arbeitsüberlastung nicht sämtliche i n Frage kommenden Betroffenen befragen kann. I n diesen Fällen hat sie dann nach objektiven Maßstäben, also vom Normalfall ausgehend, das mildeste M i t t e l zu bestimmen. Das w i r d allerdings oft nicht leicht sein, da auch die Geeignetheit einer „noch weniger eingreifenden" Maßnahme schwierig zu beurteilen sein w i r d 7 5 . So multiplizieren sich zwei Unsicherheitsfaktoren. Abschließend noch ein Blick auf die Praxis: Verletzungen des Grundsatzes des mildesten Mittels sind i n vielfältiger Form möglich 76 . Eine Maßnahme kann i n ihrem gesamten Umfang, aber auch teilweise, etwa durch eine Bedingung oder Auflage, gegen den Grundsatz verstoßen 77 . Eine Verletzung kann auch in dem polizeilichen Auftreten liegen 78 . Eine Prüfung des Grundsatzes des mildesten Mittels kommt jedoch immer erst in Frage, wenn feststeht, daß das Verhalten der Polizei zur Abwehr einer Gefahr geeignet ist 7 9 . 74 Vgl. das U r t e i l des P r O V G v. 1.10.1906 (E 49, 299, 302): Ein Gastwirt, der anläßlich eines Schützenfestes auf einem nichtöffentlichen Platz Lustbarkeiten unter lauter Musikbegleitung veranstalten wollte, wandte sich dagegen, daß die Polizeiverwaltung die tägliche Spielzeit auf die Zeit von 1/2 11 bis 1 U h r u n d von 4 bis 8 U h r festlegte, obwohl dem W i r t an einer längeren Spielzeit am Abend gelegen war. — Das Gericht führte dazu folgendes aus : „Hiernach muß die Verfügung . . . , soweit sie das Musizieren auf bestimmte Stunden des Tages einschränkt, deshalb aufgehoben werden, w e i l die Festsetzung dieser Zeiträume ohne vorheriges Benehmen m i t dem Kläger erfolgt u n d nicht ersichtlich ist, daß für die Festsetzung der erwähnten Stunden besondere, von der Polizei zu schützende Interessen maßgebend gewesen sind." — Vgl. ferner das Urt. des P r O V G v. 27. 5.1907 (E 51, 284, 288ff.): „Die Polizei darf n u r die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nötigen Beschränkungen bestehender Rechte vornehmen . . . Jedoch befreite dieser Umstand die Polizeibehörde nicht von der Verpflichtung, die gewerblichen Interessen des Klägers, deren Schädigung keinesfalls ausgeschlossen war, bei ihrem Vorgehen m i t i n Betracht zu ziehen und sie gegen die von i h r selbst wahrzunehmenden Interessen der Allgemeinheit abzuwägen . . . Sie ist i n betreff der streitigen Anordnung nicht zuvor an den Kläger herangetreten und hat sich überhaupt m i t i h m nicht i n Verbindung gesetzt." — Vgl. ferner Krauss, S. 107. 75 s. ferner unten S. 124 f. 76 Vgl. Reiff, § 5 b w P G A n m . I I , und alsbald. 77 Vgl. Krauss, S. 104, 97 ff. 78 Schiedermair, S. 104 ff.; König, S. 323. 79 Über die Geeignetheit als Vorfrage der Erforderlichkeit s. Lerche, S. 346 Anm. 101. — I n dem am Anfang dieses Abschnittes (A I b 2) geschilderten Beispiel w i r d man die Überbringung der polizeilichen Verfügung durch drei

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

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Die Polizeibehörden haben von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen nicht nur die den einzelnen, sondern auch die die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigenden Maßnahmen zu treffen 8 0 . Welche Bedeutung hier dem Wort „Allgemeinheit" zukommt, wurde bisher i n der Literatur nicht erörtert. Deshalb soll i m folgenden versucht werden, diese Frage zu beantworten. Zunächst ist zu unterscheiden zwischen Fällen, i n denen ausschließlich die Allgemeinheit als Adressat geeigneter Maßnahmen i n Frage kommt, und solchen, i n denen ein einzelner, mehrere oder die Allgemeinheit zur Abwehr einer Gefahr i n Anspruch genommen werden können. Bei der Behandlung dieser beiden Fragen ist wiederum von der gerichtlichen Durchsetzbarkeit des Grundsatzes des mildesten M i t tels auszugehen. Man w i r d die Allgemeinheit als betroffen ansehen, wenn die Interessen einer unbestimmten Vielzahl von Personen i n Mitleidenschaft gezogen werden. Eine derartige Wirkung üben Polizeiverordnungen aus. Sie enthalten „polizeiliche Gebote oder Verbote, die für eine unbestimmte Anzahl von Fällen an eine unbestimmte Anzahl von Personen gerichtet sind" 8 1 . Doch weder die Gesamheit der Betroffenen noch ein einzelner Repräsentant kann gegen eine Verordnung gerichtlich vorgehen, da es eine Popularklage nicht gibt 8 2 . Nur dann kann ein einzelner Klage erheben, wenn er selbst „ i n einem seiner Grundrechte oder i n einem seiner in Art. 33, 38, 101, 103 und 104 des Grundgesetzes enthaltenen Rechte verletzt" zu sein behauptet (§ 90 I BVerfGG) oder wenn er „durch die Anwendung der Vorschrift einen Nachteil erlitten oder i n absehbarer Zeit zu erwarten hat" (§ 47 VwGO). Unter „Nachteil" ist hierbei die Verletzung eines subjektiven öffentlichen Rechts zu verstehen 83 . Als Sphäre i n Betracht kommender mehr als erforderlicher Eingriffe kommt also auch soweit die „Allgemeinheit" betroffen wird, nur die berittene Polizeibeamte als geeignet f ü r den Schutz der Bevölkerung vor verdorbenen Konserven ansehen können, da sie dadurch vor einem K a u f gewarnt w i r d . Allerdings beeinträchtigt diese A r t des polizeilichen A u f tretens den Geschäftsinhaber i n seinem good w i l l mehr als erforderlich. E i n einfaches Verkaufsverbot oder eine Beschlagnahme (oder Sicherstellung) hätten ausgereicht. Auch die Schließung des gesamten Supermarktes beeinträchtigt den Gewerbebetrieb mehr als erforderlich. so §41 I I 2 p r P V G ; §5 I b w P G ; A r t . 8 I b a y P A G ; §5 1 hessSOG; §2 1 rhpfPVG; §15 2 n r w O B G ; §3 1 bremPG; §4 I I hambSOG. 81 § 24 prPVG. Drews/Wacke bezeichnen diesen „ i n d i v i d u e l l nicht bestimmten Personenkreis" als Allgemeinheit (S. 380). 82 Maunz/Dürig, A r t . 19 I V RNr. 38; hinsichtlch der Rechtslage i n Bayern s. Anm. 84. S3 Eyermann/Fröhler, § 47 RNr. 29 iVm. § 42 RNr. 84, 96.

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3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

durch subjektive öffentliche Rechte geschützte Rechtssphäre des einzelnen i n Frage 84 . Der Grundsatz des mildesten Mittels kann also z. B. keine Rolle spielen, wenn es darum geht, ob i n kulturelle Werte zur Abwehr einer Gefahr eingegriffen werden soll. Ebensowenig w i r d durch diesen Grundsatz das Ansehen des Staates oder das Interesse der Allgemeinheit an einer geordneten Staatsführung geschützt. Erst bei der Prüfung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit spielen solche Erwägungen eine Rolle 8 5 . Nachdem nun feststeht, daß unter „Allgemeinheit" die subjektiven öffentlichen Rechte der durch eine Verordnung betroffenen Einzelpersonen zu verstehen sind, taucht die weitere Frage auf, wessen Rechtssphäre für die Beurteilung des geringsteingreifenden Mittels maßgebend ist. Zunächst ein Beispiel: Der Eigentümer A eines Grundstücks, auf dem ein Weiher liegt, pflegt darin i m Winter zu baden. Dies insbesondere deshalb, weil an einer Stelle des Weihers eine warme Quelle vorhanden ist. Da der Teich von der Dorf jugend i m Winter zum Schlittschuhlaufen benutzt w i r d und wegen der trügerischen Eisdecke schon ein Unglück geschah, w i r d durch Polizeiverordnung das Betreten der Eisdecke verboten. Damit ist auch dem A das winterliche Baden verwehrt. Ist er dadurch mehr als erforderlich i n seinem Eigentumsrecht beeinträchtigt? Zunächst: Diese Frage ist keine Frage der „Erforderlichkeit", sondern eine Frage der „Gefahr". Für A besteht nämlich nicht die Gefahr, um deretwillen die Verordnung erlassen wurde. Es bestand auch nicht die Befürchtung, daß er jugendliche Nachahmer fände. Darüber, ob dem Betroffenen der Gegenbeweis gestattet werden müsse, es liege i n seinem Fall keine „Gefahr" vor, gehen die Meinungen auseinander. Eine neuerdings vertretene Ansicht w i l l die Frage „ i m Zeichen der Grundrechte" 8 6 bejahen 87 ; die herrschende Meinung verneint sie 88 — und das m i t Recht. „Wo käme man hin, wenn gegen jede Vorschrift einer Polizei V e r o r d n u n g der Gegenbeweis zulässig wäre, daß bei der Zuwiderhandlung i m einzelnen Fall keine konkrete polizei84 So auch bei der Popularklage nach A r t . 98 Satz 4 B V i V m . § 53 B a y V e r f G H G : „wegen unzulässiger Einschränkung eines Grundrechts". 85 s. unten S. 68 f. 86 zit. nach Drews/Wacke, S. 292. 87 Köhler, D Ö V 56, 774; DVB1. 57, 73 ff. und 417; Dürig, AöR 81, 117 (149); Maunz/Dürig, A r t . 2 I RNr. 81 (S. 72 Anm. 3). 88 BezVG Berlin-Zehlendorf DÖV 50, 556; 51, 560; VRspr. 3, 94, 219; O V G Münster AS 13, 280; Rietdorf, S. 130; Schroeter, DVB1. 57, 415; Drews/Wacke, S. 293; Ule/Rasch, §24 p r P V G RNr. 7 (mit weiteren Nachweisen).

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14 I p r P V G

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liehe Gefahr entstünde 89 ?" Diese praktische Erwägung w i r d ergänzt durch eine rechtssystematische: Der Begriff der Rechtsverordnung würde aufgelöst werden, die Rechtsstaatlichkeit geschwächt 90 . Die Nachprüfung einer Polizeiverordnung kann sich also nur darauf erstrecken, ob „Gefahren . . . , die aus bestimmten Arten von Handlungen oder Zuständen nach den Erfahrungen des täglichen Lebens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit fortdauernd zu entstehen pflegen", d. h. abstrakte Gefahren, die Verordnung rechtfertigen. Es kommt darauf an, ob „ i m Normalfall" eine Gefahr vorhanden ist. Individuelle Abweichungen werden nicht berücksichtigt. Nur dann, wenn auch eine derartige abstrakte Gefahr fehlt, ist die Verordnung ungültig 9 1 . Wenn nun der einzelne sich gegenüber einer Verordnung nicht darauf berufen kann, daß i n seinem Falle keine Gefahr bestehe, so muß ihm auch versagt werden, gegen eine Verordnung m i t der Begründung vorzugehen, gerade er sei i n seinen subjektiven öffentlichen Rechten mehr als erforderlich beeinträchtigt. Denn wenn bei der Beurteilung, ob eine Gefahr vorliegt, für den Erlaß einer Polizeiverordnung auf den Normalfall abzustellen ist, kann notwendigerweise für die Frage, ob die Grenze des gerade noch Erforderlichen eingehalten ist, ebenfalls nur der „Normalfall" maßgebend sein 92 . Was für den Normalfall gerade noch erforderlich ist, um die abstrakte Gefahr abzuwehren, kann die Behörde erst beurteilen, wenn sie weiß, welche Personen, welche Kreise von der zu erlassenden Verordnung betroffen werden. Freilich w i r d das oft m i t Schwierigkeiten verbunden sein. Kann sie aber ersehen, daß es zu Härtefällen kommen kann, so muß man sie für verpflichtet halten, diesem Umstand durch Aufnahme von Ausnahmeregelungen in die Verordnung Rechnung zu tragen. Die Beurteilung des gerade noch Erforderlichen ist bei Polizeiverordnungen also noch wesentlich schwieriger als bei Verfügungen, die nur an einen Adressaten gerichtet sind: Zu dem Unsicherheitsfaktor des objektiv gerade noch Erforderlichen t r i t t der Unsicherheitsfaktor des „Normalfalles" 9 3 . Bisher wurde nur von der Möglichkeit der Beeinträchtigung der Allgemeinheit durch Verordnungen gesprochen. Sie kann aber auch 89 Drews/Wacke, S. 293. 90 O V G Münster A S 13, 280. 91 Drews/Wacke, S. 390, 293. 92 Vgl. Geiger, § 90 B V e r f G G A n m . 6 a. Beschränkt eine VO ein Grundrecht, das überhaupt nicht verletzt werden darf, so hat eine Verfassungsbeschwerde stets Erfolg (Geiger, aaO). 93 Drews/Wacke gehen auf diese Besonderheit bei Polizeiverordnungen („Normalfall"!) nicht ein, sondern verweisen lediglich auf das Problem bei den Polizeiverfügungen (S. 391).

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3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

durch Verwaltungsakte und Allgemeinverfügungen geschehen. Unter letzteren versteht man Verwaltungsakte, die einen konkreten Sachverhalt für einen größeren, aber bestimmbaren Personenkreis regeln 94 . Es liegen soviele Verwaltungsakte vor, als von der Allgemeinverfügung betroffen sind 95 . Greift daher eine Allgemeinverfügung rechtswidrigerweise in die Rechtssphäre eines einzelnen ein, so ist sie nicht als solche aufzuheben, sondern nur insoweit sie gegenüber diesem einzelnen w i r k t 9 6 . Durch eine Allgemeinverfügung w i r d also nicht ein „individuell nicht bestimmter Personenkreis" angesprochen, sondern jeder Betroffene. Damit ist auch die Rechtssphäre eines jeden einzelnen für die Beurteilung des mildesten Mittels maßgebend und nicht der „Normalfall". Es gilt also das oben über die Beeinträchtigung des einzelnen Gesagte 97 . Man kann auch dann von einer Beeinträchtigung der Allgemeinheit sprechen, wenn z. B. durch einen Verwaltungsakt die Einstellung eines gemeinnützigen Betriebes, wie eines Elektrizitätswerkes, verfügt wird. I n diesem Fall haben aber die Betroffenen keine Möglichkeit, gegen diese Verfügung vorzugehen, da sie nicht unmittelbar beschwert sind 9 8 . Somit kommen diese Fälle für die Untersuchung des Begriffs „Allgemeinheit" nicht i n Betracht. Die Bedeutung des Begriffs „Allgemeinheit" liegt also darin, daß die Sicherheitsbehörden bei Erlaß von Verordnungen die subjektiven öffentlichen Rechte der einzelnen Betroffenen nicht mehr als i m Normalfall erforderlich beeinträchtigen dürfen. Die bisherige Untersuchung ging von der Voraussetzung aus, daß entweder nur ein einzelner oder nur die Allgemeinheit als Betroffene i n Frage kämen. Nunmehr ist zu prüfen, inwieweit der Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels auch für die Frage maßgebend ist, ob der einzelne oder die Allgemeinheit in Anspruch genommen werden soll. Voraussetzung ist natürlich, daß die Gefahr sowohl durch Inanspruchnahme eines einzelnen wie auch durch Inanspruchnahme der Allgemeinheit abgewehrt werden kann (Vorfrage der Geeignetheit). Wessen Sphäre beeinträchtigt werden darf, darüber geben die §§18 ff. prPVG und die entsprechenden Vorschriften der übrigen Sicher94

Eyermann/Fröhler, § 42 V w G O RNr. 31. 95 Eyermann/Fröhler, § 42 V w G O RNr. 32.

96 Eyermann/Fröhler, § 42 V w G O RNr. 32. 97 S. 52 ff. 98 Stich, Diss., S. 88 ff.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14 I p r P V G

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heitsgesetze" Auskunft: Die Polizei muß sich zunächst an den Störer 1 0 0 wenden. Ist das aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen 1 0 1 nicht möglich 1 0 2 , so hat die Polizei die Gefahr selbst oder durch vertraglich Beauftragte zu beseitigen. Ist dies wiederum nicht möglich oder reicht dieser Einsatz nicht aus 1 0 3 , so kann auch ein „Nichtstörer" 1 0 4 i n A n spruch genommen werden. Diese Reihenfolge gilt für Verwaltungsakte wie für Polizeiverordnungen 105 . Solange es also ein gegen einen Störer gerichtetes geeignetes und rechtlich mögliches Mittel gibt, muß er i n Anspruch genommen werden. I n diesem Fall kann also ein Nichtstörer einen gegen ihn ergangenen Verwaltungsakt m i t der Begründung anfechten, ein Einschreiten gegen den Störer wäre möglich gewesen. Die Reihenfolge: „Störer — Polizei — vertraglich Beauftragter — Nichtstörer" w i r d also durch den Grundsatz des mildesten Mittels nicht beeinflußt, sondern regelt sich lediglich nach den genannten Vorschriften. Diese enthalten aber keinen Maßstab für die Frage, welcher von mehreren i n Frage kommenden Störern, vertraglich zu Beauftragenden oder Nichtstörern in Anspruch zu nehmen ist. Diese Frage der Auswahl unter mehreren Störern oder Nichtstörern wurde seit jeher i n das Ermessen der Sicherheitsorgane gestellt 1 0 6 . Da 99 §§6 ff. b w P G ; A r t . 9 ff. bayPAG; §§ 11 ff. hessSOG; §§22 ff. rhpfPVG; §§18 ff. n r w P V G ; §§ 17 ff. n r w O B G ; §§4 ff. bremPG; §§8 ff. hambSOG; §§18 ff. berlPVG. 100 Über den Begriff des Störers vgl. statt vieler Drews/Wacke, S. 202 ff., 204 ff. u n d Ule/Rasch, §§ 18 ff. prPVG. 101 Ζ. B. wenn die Inanspruchnahme des Störers dem Grundsatz der V e r hältnismäßigkeit widerspräche (s. Abschnitt A I b 3); so ausdrücklich A r t . 11 I 2 bayPAG. 102 Vgl. A r t . 11 I bayPAG. 103 Bisweilen setzt der Haushaltsplan diesem Einsatz Grenzen. Die Polizei k a n n jedoch m i t der Begründung, die Haushaltsmittel reichten nicht aus, nicht ohne weiteres einen Nichtstörer i n Anspruch nehmen. Der Haushaltsplan ist nichts anderes als eine Zusammenstellung der für ein Rechnungsj a h r veranschlagten (!) Einnahmen u n d Ausgaben u n d enthält insoweit gegenüber dem Bürger keine Rechtsnormen (Drews/Wacke, S. 202). Er allein kann also nicht maßgebend für die Möglichkeit eigenen polizeilichen Einsatzes sein. Vielmehr k o m m t es i m einzelnen F a l l auf die jeweils objektive Leistungsfähigkeit des Polizeikostenträgers an (vgl. dazu Drews/Wacke, S. 202, 251 m i t Beispielen und Nachweisen; OVG Münster AS 14, 265, 270 = DVB1. 59, 473). Allerdings k a n n diese Belastbarkeit n u r schwer objektiv angegeben werden (vgl. Wolff I, S. 142: „Mangel an Haushaltsmitteln rechtfertigt nicht die Verweigerung der Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen"). Siehe auch das Urt. des B a y V G H v. 18. 3.1964 BayVBl. 64, 228 (231). 104 v g l . §21 p r P V G u n d Drews/Wacke, S. 281. los Drews/Wacke, S. 394 f. 106 Drews/Wacke, S. 229 f., 244 ff., 255 ff. — Es wurde allerdings i n neuerer Zeit erkannt, daß dieses Ermessen nicht v ö l l i g frei ist, u n d „Regeln über die Auswahl" entwickelt (Drews/Wacke, S. 229; s. auch Willigmann, DVB1. 65, 761): So hat sich die Polizei an den zeitlich letzten Störer zu halten

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3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

aber diejenigen Maßnahmen zu treffen sind, die „den einzelnen u n d 1 0 7 die Allgemeinheit" am wenigsten beeinträchtigen, muß auch bei mehreren Störern oder Nichtstörern oder vertraglich zu Beauftragenden jeweils derjenige oder diejenigen in Anspruch genommen werden, die am wenigsten beeinträchtigt werden 1 0 8 . Besteht also die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit, entweder einen einzelnen durch Verwaltungsakt oder die Allgemeinheit durch eine Polizeiverordnung i n Anspruch zu nehmen, dann ist die Frage nach der geringsteingreifenden Maßnahme durch Vergleich der Beeinträchtigung, die die Verordnung i m Normalfall m i t sich bringt, m i t der Beeinträchtigung des durch den Verwaltungsakt Betroffenen zu beantworten. Stehen mehere Störer oder mehrere Nichtstörer zur Verfügung, so ist durch Vergleich der Einzellagen festzustellen, wer i n seinen subjektiven öffentlichen Rechten durch die beabsichtigte Maßnahme am wenigsten beeinträchtigt wird. Auch i n diesen Fällen hat die Polizei die Pflicht, die Einzellagen so weit wie möglich zu erforschen 109 . Muß sie aber das mildeste M i t t e l objektiv bestimmen 110 , so t r i t t hier ein weiterer Unsicherheitsfaktor auf, da sie nicht nur die möglichen Folgen der Maßnahme in Richtung auf die subjektiven öffentlichen Rechte eines einzelnen, sondern einer Mehrzahl von Personen zu erwägen hat. Ebenso muß der Polizei bei ( B w V G H DVB1. 50, 475, 477). Ferner „sprechen immer gewisse allgemeine Gesichtspunkte, insbesondere solche der polizeirechtlichen Verhältnismäßigkeit, dafür, daß die Polizei denjenigen i n Anspruch n i m m t , der zeitlich u n d örtlich am nächsten am Schaden ist, i h n daher regelmäßig auch am leichtesten beseitigen kann" (Drews/Wacke, S. 230 unter Hinweis auf Wacke, N J W 53, 198). D a m i t w i r d w o h l der Grundsatz des mildesten Mittels angesprochen sein (vgl. Drews/Wacke, S. 245), eine Frage der Verhältnismäßigkeit ist jedoch der angesprochene Gesichtspunkt nicht (s. Abschnitt A I b 3). — Ob die Polizei unter mehreren Störern denjenigen i n Anspruch nehmen muß, den das größere Verschulden t r i f f t , z. B. durch besonderen M u t w i l l e n (Drews/Wacke sprechen von „berücksichtigen", S. 246; vgl. auch Ule/Rasch, § 19 p r P V G RNr. 16), k a n n nicht generell behauptet werden. M a n w i r d diesen Gesichtspunkt nicht als einen selbständigen, rechtlich relevanten bezeichnen können, da das Verschulden bei einem Störer keine Rolle spielt (Drews/ Wacke, S. 207). Seine Beachtung liegt somit grundsätzlich i m Ermessen. Er w i r d allerdings dann zu berücksichtigen sein, wenn seine Nichtbeachtung eine „ U n b i l l i g k e i t " darstellt (vgl. auch O V G Münster v. 3.10.1963 JuS 64, 330); denn dieser unbestimmte Rechtsbegriff gilt für jede Ermessenstätigkeit (vgl. §2 StAnpG und 2. Kap. Anm. 102). io? i n § 2 1 r h p f P V G heißt es statt „ u n d " „oder" (ebenso i n § 3 1 bremPG), i n § 49 I I 2 r h p f P V G aber wieder „ u n d " wie i n § 41 I I 2 prPVG. Die Gesetzesmaterialien enthalten jedoch hierzu keinen Hinweis. los v g l . hinsichtlich der Nichtstörer O V G Münster, Beschl. v. 19.10.1954 VRspr. 8, 212; Schiedermair, Praxis, S. 28; dagegen Drews/Wacke, S. 255. s. auch Willigmann, DVB1. 65, 761. io» s. S. 55 und S. 124 f. no s. S. 56.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

dem Vergleich der Beeinträchtigung eines einzelnen m i t der Beeinträchtigung der Allgemeinheit am „Normalfall" ein Unsicherheitsfaktor zugebilligt werden. Doch gibt es auch hier der Idee nach keine Wahlmöglichkeit, da ja das „am wenigsten beeinträchtigende Mittel" anzuwenden ist. W i r d nun der Störer A durch eine polizeiliche Maßnahme i n seinen Rechtspositionen ganz offensichtlich härter betroffen als der Störer B, gegen den Maßnahmen ebensogut möglich wären, so ist die Verfügung wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des mildesten Mittels rechtsw i d r i g 1 1 1 . Ebenso verhält es sich m i t einer Polizeiverordnung, wenn sie die i m Normalfall Betroffenen mehr beeinträchtigt als einen einzelnen, der die Gefahr auf ebenso gute Weise abwenden könnte. 3. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Die Auslegung des Wortes „notwendig" führt zu einem weiteren Grundsatz: „Notwendig" sind Maßnahmen nur dann, wenn sie die bestehende „Not" „wenden", nicht aber, wenn sie eine Gefahr, eine Störung oder einen Schaden hervorrufen, der größer als die zu beseitigende Gefahr ist 1 1 2 . Diesen seit jeher i m Polizeirecht und dann i m ganzen Verwaltungsrecht 113 geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit 1 1 4 haben die neueren Sicherheitsgesetze 115 folgendermaßen verdeutlicht: „ E i n durch eine Maßnahme der Polizei zu erwartender Schaden (Nachteil) darf nicht erkennbar außer Verhältnis (im Mißverhältnis) zu dem beabsichtigten Erfolg stehen."

Der Grundsatz geht von der Tatsache aus, daß polizeiliche Maßnahmen Veränderungen i n der Umwelt m i t sich bringen. Sie verurm Vgl. dazu Reiff (§ 5 b w P G A n m . I I 2 c), der den Beschl. des H a m b O V G v. 15. 6.1953 (DVB1. 53, 542) zitiert: Das O V G prüft, ob die Behörde i h r W a h l recht nach pflichtgemäßem Ermessen ausgeübt hat. Unter Berufung auf PrOVGE 95, 121 verneint es eine Auswahlmöglichkeit, „ w e n n die Erfüllung einer polizeilichen Forderung nicht n u r von dem W i l l e n des Polizeipflichtigen abhängt und m i t einer E r f ü l l u n g durch den Polizeipflichtigen nach den E r fahrungen des täglichen Lebens nicht m i t hinreichender Sicherheit gerechnet werden kann". Reiff sieht i n diesem Falle den Grundsatz des mildesten Mittels als verletzt an. Dies k a n n jedoch nicht sein, da es schon an der Geeignetheit eines zweiten Mittels fehlt. Da der Polizeipflichtige die Gefahr gar nicht beseitigen kann, k o m m t er als geeigneter Störer nicht i n Betracht, so daß eine „ W a h l " überhaupt entfällt. 112 v g l . Friedrichs, §14 Erl. 32 Nr. 2; Müller-Heidelberg, S.31; Rietdorf, S. 97. 113 Vgl. Lerche, S. 24 A n m . 12 (mit Nachweisen); Bender, N J W 55, 938; Drews/Wacke, S. 170. 114 Über sein Verhältnis zum Grundsatz des mildesten Mittels vgl. S. 67 ff. us §5 I I b w P G ; A r t . 9 I I b a y P A G ; § 5 2 hessSOG; §2 2 r h p f P V G ; §15 1 n r w O B G ; § 3 2 bremPG; § 4 1 hambSOG.

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3. Kap.: Rechtsanwendung und Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

sachen Kosten, verlangen persönlichen Einsatz und dringen i n Rechte Dritter ein. Diese Folgen müssen i n Kauf genommen werden, damit die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechterhalten werden kann. Der Schutz dieses Gutes ist aber nicht absolut. Auch die öffentliche Sicherheit und Ordnung ist ein Gut neben anderen. Kann sie nur mit Mitteln aufrechterhalten werden, die für andere Güter oder dasselbe Rechtsgut unverhältnismäßig schwere Schäden zur Folge haben, dann ist die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung i n diesem Fall nicht mehr gerechtfertigt. Die modernen Gesetze drücken dies so aus: Ein zu erwartender Schaden darf nicht außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg, nämlich der Abwehr der Gefahr stehen 116 . Die Begriffe „Schaden" und „Erfolg" bringen die zu vergleichenden Größen allerdings nur unvollkommen zum Ausdruck. Nicht nur auf die Stärke der Beeinträchtigung durch den Schaden 117 und auf die Größe der Gefahr kommt es an, sondern auch auf den Wert des gefährdeten Rechtsguts. Auf der einen Seite steht immer die öffentliche Sicherheit oder Ordnung; welches Rechtsgut auf der anderen Seite durch den Schaden bedroht werden kann, nennen die Sicherheitsgesetze nicht. Er herrscht also die gleiche Situation wie bei dem Grundsatz des mildesten Mittels: Das Schutzobjekt w i r d nicht genannt 1 1 8 . Wendet man die oben 1 1 9 erörterte Methode auch hier an und fragt nach der verwaltungsgerichtlichen Durchsetzbarkeit des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, so erhält man das gleiche Ergebnis: Als Schutzobjekt kommt die gesamte aus subjektiven öffentlichen Rechten bestehende Rechtssphäre des Staatsbürgers i n Betracht. Bei dem Vergleich zwischen „Erfolg" und „Schaden" ist auf der einen Seite das innerhalb der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung gefährdete Rechtsgut sowie die Intensität seiner Gefährdung oder Störung i n Betracht zu ziehen, auf der anderen Seite das innerhalb der subjektiven öffentlichen Rechte betroffene Rechtsgut sowie die Intensität des ihm drohenden Schadens. Handelt es sich um einen polizeilichen Verwaltungsakt, so ist auf den „Schaden" i m Einzelfall, handelt es sich u m eine Polizeiverordnung, so auf den „Schaden" i m „Normalfall" abzustellen 120 . U m nun beide Größen vergleichen zu können, bedarf es einer Einheit, i n der beide — jeweils der Wert des Rechtsguts und die Intensität 116 Auch hier ist zunächst von der bestmöglichen, vollständigen Gefahrenabwehr auszugehen. Uber das Ermessensproblem s. Abschnitt A I V . il? Der Schaden k a n n durch die Maßnahme selbst wie auch durch Nebenw i r k u n g e n eintreten (Drews/Wacke.. S. 168 ff.), us s. Abschnitt A I b 2. us s. Abschnitt A I b 2. 120 s. S. 59.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

der B e e i n t r ä c h t i g u n g — gemessen w e r d e n k ö n n e n . N u r d a n n k a n n festgestellt w e r d e n , ob sie z u e i n a n d e r i n e i n e m V e r h ä l t n i s stehen oder nicht. N i m m t m a n einen derartigen „ M i t t e l w i e Zweck umspannenden M a ß s t a b " 1 2 1 als gegeben an, so ist der „ S c h a d e n " „ i m V e r h ä l t n i s " z u m „ E r f o l g " , w e n n er k l e i n e r als dieser i s t ; er ist noch i m V e r h ä l t n i s , w e n n beide gleich groß sind, doch „ a u ß e r V e r h ä l t n i s " 1 2 2 , w e n n d e r Schaden größer als der E r f o l g ist. E i n e M a ß n a h m e ist also r e c h t s w i d r i g , w e n n das V e r h ä l t n i s zwischen Schaden u n d E r f o l g —6,61 : —6,60 b e t r ä g t . So einfach der G r u n d s a t z d e r V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t d e r Idee nach d a r z u l e g e n ist, so s c h w i e r i g w i r d seine D u r c h f ü h r u n g i n d e r P r a x i s 1 2 3 . N u r i n d e n F ä l l e n , i n denen Schaden u n d E r f o l g i n G e l d w e r t ausgedrückt werden können, hat m a n ein praktikables t e r t i u m comparat i o n i s 1 2 4 . G e h t es aber u m Leben, G e s u n d h e i t , F r e i h e i t , das A n s e h e n des Staates u n d andere ideelle w i e auch m a t e r i e l l e W e r t e ( z . B . K u n s t w e r k e ) , so ist e i n a l l g e m e i n e r , f ü r a l l e K o l l i s i o n s f ä l l e g ü l t i g e r M a ß stab n i c h t g e g e b e n 1 2 5 . A b e r auch i n diesen F ä l l e n gebietet das Gesetz 121 Lerche, S. 19; Krauss, S. 14. 122 Oder „ i m Mißverhältnis" (s. bei A n m . 115). 123 Vgl. Krauss, S. 16. 124 Vgl. dazu das U r t e i l des B w V G H v. 18.12.1956 (VRspr. 9, 492, 494): I n einer Nährmittelfabrik sollte gemäß einer polizeilichen Auflage eine Feuerschutzanlage eingebaut werden, u m das Gebäude zu schützen; f ü r die Beschäftigen und die Nachbarschaft bestand keine Feuergefahr. Der Einbau der Anlage hätte wie der Wiederaufbau des Gebäudes 240 000 bis 250 000 D M gekostet. Das U r t e i l f ü h r t hierzu aus: „Diese Angabe scheint etwas hoch gegriffen. Aber selbst, w e n n m a n davon ausgeht . . . , so stehen die A u f wendungen f ü r eine Sprinkler-Anlage ( = Feuerschutzanlage) . . . i n keinem Verhältnis zu dem Zweck, einen Totalschaden des Gebäudes . . . zu v e r hindern. Brennt nämlich das Gebäude ab, so entsteht i m ungünstigsten F a l l der genannte Gebäudeschaden. Der Zeitpunkt, ob u n d w a n n dieser Schaden eintritt, ist ungewiß; ja, der Schaden braucht überhaupt nicht eintreten . . . Muß die A n f K l . aber die Anlage anbringen, so entstehen i h r sofort Unkosten . . . Die E r f ü l l u n g der Auflage ist somit gegenüber der bloßen Gefahr, daß ein totaler Gebäudeschaden einmal entstehen könnte, zweifelsohne das größere Übel. Sind aber die Aufwendungen zur Erhaltung des feuersicheren Zustandes eines Objekts sogar größer als der W e r t des zu erhaltenen Objekts, so stehen sie außer Verhältnis zum erstrebten Zweck." — I n diesem F a l l f ü h r t also auch der Kostenvergleich zu keinem exakten Ergebnis, da der E i n t r i t t eines Brandes gegenüber der finanziellen Belastung durch den Einbau der Anlage ungewiß ist. Wegen dieses Unterschieds steht der Schaden „außer Verhältnis". Unrichtig ist also der Leitsatz Nr. 2 und das Zitat bei Drews/Wacke (S. 169), w o es heißt, der A u f w a n d der A n lage dürfe nicht ebenso hoch w i e der Wert des zu schützenden Objekts sein. Bei dieser Formulierung stände er noch im Verhältnis. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt aber ein „Außer-Verhältnis-Stehen", w i e es auch i n dem U r t e i l der F a l l war. 125 M a n überlege nur, w a n n Maßnahmen zur Rettung verschütteter K u m pel beginnen unverhältnismäßig zu werden. Grundsätzlich müssen hier geldliche Rücksichten weichen ( B w V G H VRspr. 9, 492, 494; P r O V G v. 14. 4. 1905 P r V B l . Bd. 27, 123).

5 Schmatz

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3. Kap. : Rechtsanwendung und Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

die Prüfung dieses Grundsatzes. So muß i m Einzelfall die Entscheidung unter Anwendung der heute geltenden Wertvorstellungen und -maßstäbe getroffen v/erden 1 2 6 . Bei der Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ist sonach m i t fünf Unsicherheitsfaktoren zu rechnen: Die Schwierigkeiten bei der Abschätzung des zu erwartenden Schadens und der sich entwickelnden Gefahr 1 2 7 , bei der Bewertung der beiden gefährdeten 12 6 M i t Recht stellt Krauss (S. 16) fest, daß sich die Abwägung innerhalb des Grundsatzes naturgemäß nicht auf scharfe Grenzen festlegen läßt, da die Rechtsgüter oft zu komplexer Natur sind. Wenn er aber fortfährt, daß weitgehend die Billigkeit, die wiederum m i t dem Begriff der Zumutbarkeit und der Härte i n engem Zusammenhang stehe, den Ausschlag gebe und diese Billigkeitserwägungen dem Ermessensbereich angehörten, so widerspricht das der Idee des Grundsatzes, wonach eine Linie die verhältnismäßigen Maßnahmen von den unverhältnismäßigen scheidet. Freilich w i r d der Beurteilungsspielraum dort seine Grenze finden, wo eine Maßnahme zum Erfolg i n einem Verhältnis steht, das „dem Gerechtigkeitsgefühl anständig und gerecht denkender Staatsbürger ins Gesicht schlägt" (OVG Hamburg, Entsch. v. 10. 3.1949 MDR 49, 314, 316; Krauss, S. 16). — Rietdorf (S. 98) verlangt eine Abwägung der Interessen. „Es dürfen nicht Interessen entgegenstehen, die vom Standpunkt der Allgemeinheit höher zu bewerten sind." Ebenso heißt es bei Drews/Wacke (S. 170) : „Hierbei hat die Polizei stets die Vorteile und Nachteile des Eingriffs sorgfältig gegeneinander abzuwägen (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit)." — Diese Formulierungen geben zu Mißverständnissen Anlaß: Die Beachtung des Grundsatzes erfordert zwar ein „Abwägen" der beiden Interessen, sie erschöpft sich jedoch darin nicht. Zunächst sind die sich gegenüberstehenden Rechtsgüter nach einem für die beiden verbindlichen Maßstab zu bewerten, ebenso auch die Intensität der Beeinträchtigung. (Diese Bewertung scheint wohl m i t der „Abwägung" gemeint sein.) Ergibt dann dieser Vergleich auf Grund eines gemeinsamen Maßstabes, daß der „Schaden" größer als der „Erfolg" ist, so darf die i n Aussicht genommene Maßnahme nicht ergriffen werden. Unter „Erfolg" ist hierbei die vollständige Abwehr der bestehenden Gefahr gemeint. Für den Fall, daß der beabsichtigte Erfolg nicht i n der v o l l ständigen Gefahrenabwehr besteht, s. Abschnitt A IV. (Freilich w i r d genau genommen nicht der „Erfolg", sondern die durch den Erfolg zu beseitigende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung m i t dem „zu erwartenden Schaden" verglichen.) 127

Unter „Gefahr" ist hier der gesamte tatsächliche Umfang des gefahrbringenden Sachverhalts zu verstehen, also nicht die Grenze, die der Begriff „Gefahr" i n § 14 PVG bildet, der die Gefahren von den bloßen, zum Einschreiten nicht berechtigenden Belästigungen trennt (vgl. oben Abschnitt A l a ) . Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlangt eine Feststellung, wie bedeutend die bestehende Gefahr ist. Er kann also erst geprüft werden, wenn feststeht, daß überhaupt ein Sachverhalt vorliegt, der innerhalb des Begriffs „Gefahr" iS des § 14 PVG liegt. — Dies beachtet Krauss (S. 16 f.) nicht: Nach i h m ist eine Maßnahme unverhältnismäßig, wenn überhaupt keine Gefahr vorliegt (S. 16 unten). Das widerspricht aber einer folgerichtigen Auslegung des § 14 PVG. Überdies enthält seine Begründung einen Trugschluß: Es heißt dort (S. 17): „Auch eine bloße Belästigung — i m Gegensatz zur polizeilichen Gefahr — verlangt nach Abhilfe. Aber wegen der Geringfügigkeit besteht kein hinreichendes öffentliches Interesse an der Änderung des bestehenden Zustandes; deswegen nicht, weil es nicht erforderlich wäre, darf die Behörde nicht eingreifen." — Der Begriff „erforderlich" sagt allein

Α . Die Ermächtigungsnorm des § 141 p r P V G

Rechtsgüter und bei der Anlegung eines beide Größen umfassenden Maßstabs. Insoweit ist der Verwaltung ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen 1 2 8 , der allerdings hier sehr weit gehen kann. Ein sicherer Verstoß gegen den Grundsatz kann nur bei offensichtlicher 129 Unverhältnismäßigkeit angenommen werden 1 3 0 . Wie schon erwähnt, sind die Grundsätze des mildesten Mittels und der Verhältnismäßigkeit i m Polizeirecht 131 und auch i m übrigen Verwaltungsrecht allgemein anerkannt 1 3 2 . Terminologisch und inhaltlich werden beide Prinzipien jedoch nicht immer unterschieden und auseinandergehalten. So w i r d der Grundsatz des mildesten Mittels teils unter den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit miteinbezogen 133 , teils werden die Inhalte beider Grundsätze miteinander vermengt 1 3 4 und mit dem Namen „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" bezeichnet 135 . Der Grund liegt darin, daß eine gerichtliche Nachprüfung beider Grundsätze nur i n denjenigen Fällen i n Frage kommt, i n denen ein einzelner i n seinen geschützten Rechtspositionen beeinträchtigt wird, der „Schaden" und die mehr als erforderliche „Beeinträchtigung" also nur bei i h m eintreten kann, so daß beide Grundsätze irgendwie zusammenzufallen scheinen. überhaupt nichts aus. Er bedarf stets einer Zweckbestimmung. Fügt man als Zweck die Gefahrenabwehr ein, so entscheidet, w i e oben Abschnitt A l a ausgeführt w i r d , der Begriff „Gefahr" darüber, ob ein Einschreiten überhaupt zulässig ist. Es entscheidet also über die Befugnis des Einschreitens der Begriff „Gefahr", nicht aber der Ausdruck „ob es (!) erforderlich ist". 128 Ebenso Samper, A r t . 8 RNr. 4. 129 Vgl. § 5 2 hessSOG. 13° Innerhalb des eben erwähnten Zahlenbeispiels also bei einem V e r hältnis v o n etwa — 7 : — 6,5. 131 Lerche, S. 24 m i t eingehenden Nachweisen; Arnstedt I, S. 52; F r a n z e n l , S. 145 ff.; I I , S. 132; Friedrichs, §14 Erl. 33. — Beide Grundsätze werden aus dem Begriff „nöthig" (§ 10 I I 17 A L R ) bzw. „notwendig" (§14 prPVG) abgeleitet von: Arnstedt I, S. 52; Fleiner, S. 404; Franzen I, S. 145; Peters, S. 379; Müller-Heidelberg, S. 31. — Vgl. auch B G H N J W 55, 258 (259); OVG Münster N J W 53, 1367 (1368). 132 Lerche, S. 24 (mit Nachweisen); Menger, VArch. 57 (1966), 176 f. 133 Vgl. Krauss, S. 18; Schiedermair, S. 107. — §5 hessSOG, §15 n r w O B G u n d § 4 hambSOG fassen beide Grundsätze unter der Überschrift „ V e r h ä l t nismäßigkeit" zusammen. 134 v g l . Fleiner, S.404; B w V G H v. 18.1.1952 VRspr. 5, 458. 135 So bringen unter der Bezeichnung „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit" Ausführungen zum Grundsatz des mildesten Mittels: Gurlt, Diss., S. 32; Altmeyer, Erl. zu §49 r h p f P V G ; Mayer, Polizeirecht, S. 61; W o l f f I, S. 124 (s. aber S. 142); OVG Münster, Bescheid v. 27.1.1953 N J W 53, 1367 (1368); BGH, Urt. v. 7.10.1954 N J W 55, 258 = DVB1. 54, 813 (814); B V e r w G , Entsch. V. 20.12.1960 DVB1. 61, 247.

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3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Dies ist aber nicht der Fall. Der Grundsatz des mildesten Mittels fordert nicht mehr, als daß von allen tatsächlich und rechtlich möglichen geeigneten Maßnahmen diejenige ergriffen wird, die den Betroffenen am wenigsten beeinträchtigt, den Zweck der Gefahrenabwehr aber gerade noch erfüllt 1 3 6 . Gibt es z. B. zur Abwehr einer Gefahr drei mögliche und geeignete Verhaltensweisen, die alle Schäden herbeiführen, die größer sind als die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung drohenden Gefahr, so verbietet der Grundsatz des mildesten Mittels lediglich, daß diejenigen Maßnahmen ergriffen werden, die eine größere Beeinträchtigung darstellen als das gerade noch notwendige Mittel; aber dieses mildeste M i t t e l steht i n diesem Beispielsfall immer noch außer Verhältnis zu dem Erfolg, ohne daß der Grundsatz des mildesten Mittels dies verhindern kann 1 3 7 . So bildet eben der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine notwendige Ergänzung zu dem Grundsatz des mildesten Mittels. Er allein verhindert, daß ein Schaden entsteht, der größer ist als die drohende Gefahr. Den Unterschied der beiden Grundsätze verdeutlicht auch die hier verwandte Terminologie: Nur bei der Prüfung einer Maßnahme auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit h i n werden zwei Größen i n ein Verhältnis gesetzt und die außer Verhältnis stehenden Maßnahmen ausgeschieden 138 . „ F ü r die Frage des mildesten Mittels ist es gleich, i n welchem Verhältnis das M i t t e l zum erstrebten Zweck steht 1 3 9 ." Der Grundsatz stellt ein anderes Erfordernis auf: Unter mehreren möglichen zur Zweckerreichung geeigneten Instrumenten darf nur dasjenige angewendet werden, das die geringsteinschneidenden Folgen hervorruft 1 4 0 . So bildet der Grundsatz des mildesten Mittels eine notwendige Ergänzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit: Von mehreren verhältnismäßigen Maßnahmen darf nur das mildeste ergriffen werden 1 4 1 . Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Grundsätzen liegt i n folgendem: Wie oben 1 4 2 erörtert, t r i f f t der Grundsatz 136

Also noch geeignet ist. 137 Ebenso Bender, DVB1. 57, 278 (280); Ule/Rasch, §41 p r P V G RNr. 18 f. Lerche, S. 19. „Nicht nach dem Maßstab einer „verhältnismäßigsten" Beziehung soll ausgesiebt werden, sondern negativ danach, ob nicht ein T e i l der geeigneten M i t t e l „außer Verhältnis" zu dem Werte des Erstrebten steht" (Lerche, S. 22). Über die „Geeignetheit" (und „Möglichkeit") als V o r frage der Verhältnismäßigkeit vgl. auch B w V G H VRspr. 9, 492 ff. 139 Lerche, S. 19; Krauss, S. 15. 140 Lerche, S. 19. 141 Beide Grundsätze fallen n u r dann zusammen, w e n n es n u r ein einziges geeignetes u n d verhältnismäßiges M i t t e l gibt. Dieses Zusammentreffen ist jedoch n u r „zufälliger N a t u r und entspringt keiner strukturellen V e r b i n dung" (Lerche, S. 21 A n m . 5). 142 S. 53, 60. 138

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14 I p r P V G

des mildesten Mittels nur diejenigen Maßnahmen, die sich gegen subjektive öffentliche Rechte richten. Demgegenüber sind Maßnahmen auch dann unverhältnismäßig, wenn sie die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder andere öffentliche Interessen, an deren Erhaltung also keine subjektiven öffentlichen Rechte eines einzelnen bestehen können, unverhältnismäßig schädigen. So versteht auch K ö n i g 1 4 3 unter dem Begriff „Schaden" sowohl „die Einbuße an Vermögenswerten Rechten" und „die Schmälerung oder Verletzung ideeller Rechtsgüter (wie Ehre, Ansehen, Kredit, Wohlbefinden)" als auch „auf Seiten des Hoheitsträgers höhere finanzielle Lasten, Beunruhigung der Bevölkerung, Gefährdung der Rechtssicherheit, des Ansehens der Staatsautorität und seiner Institutionen, Mißtrauen i n die ordnungsmäßige Funktion der Sicherheitsorgane" 144 . Zwar kann sich der einzelne gegen Schäden der letztgenannten A r t nicht wehren. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist aber i n dieser Hinsicht dann von Bedeutung, wenn der einzelne von der Polizei ein Einschreiben oder Schadensersatz wegen eines Untätigbleibens verlangt. Hier entfällt nämlich die Pflicht zum Einschreiten, wenn die Gefahrenabwehr zu einem unverhältnismäßigen Schaden für die genannten Rechtsgüter führte oder geführt hätte 1 4 5 . Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des mildesten Mittels haben also verschiedene Inhalte und sind scharf voneinander zu scheiden 1 4 7 . Es ist jedoch zweckmäßig, beide unter der „Oberbezeichnung'' „Übermaßverbot" zusammenzufassen 148 . 143 s. 324. !44 Das O V G Münster, Beschl. v. 19.10.1954 VRspr. 8, 212, spricht von „Folgen . . . f ü r das Gemeinschaftsleben i n anderen Richtungen"; vgl. Reiff (S. 50) : „Es dürfen sich keine Nebenwirkungen ergeben, die so schädlich sind, daß die Endlage i m ganzen polizeiwidriger ist als die Ausgangslage." § 4 1 hambSOG nennt als geschützte Rechtsträger neben dem einzelnen die Allgemeinheit: „Maßnahmen zur Gefahrenabwehr dürfen f ü r den einzelnen oder die Allgemeinheit keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht." s. hierzu näher 4. Kap. Anm. 164. 145 s. 4. Kap. Anm. 164. 146 Hinsichtlich § 4 I hambSOG s. ebenfalls 4. Kap. Anm. 164. 147 So ausführlich Lerche, S. 19 ff., 76 (bes. A n m . 187); Bender, N J W 55, 938; DVB1. 57, 278 (280); Krauss, S. 14 ff.; O V G Lüneburg, U r t . v. 25.10.1956 D V B l . 57, 275 (277); Scheerbarth, DVB1. 58, 83; Freund, S.61; Reiff, S.49; Rietdorf, S. 97; Müller-Heidelberg, S. 141; Drews/Wacke, S. 285; König, S. 322 ff.; Scupin, H D S W Bd. 8, S.402; Wolff I, S. 142; Ule/Rasch, §41 p r P V G RNr. 18; Menger, VArch. 57 (1966), 176 f.; Bachof, Die Rechtsprechung des BVerwG, JZ 66, 516 Nr. 312. 148 Lerche, S. 21. „Dies ist zugleich Symptom dafür, daß beide Grundsätze i n einer Hinsicht auch begrifflich zusammentreffen — i n der Bewahrung des »Normalen' " (Lerche, S. 21). Jellinek (Gesetz, S. 268 ff.) hat diesen Ausdruck „Übermaß" zwar i m Polizeirecht heimisch gemacht; er läßt aber eine klare Scheidung zwischen Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit, W i l l k ü r usw. v e r missen (Lerche, aaO A n m . 6).

3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Die bisherige Auslegung des Begriffs „notwendig" führt also zu folgender Reihenfolge von Begriffsbestandteilen: Möglichkeit — Geeignetheit — Verhältnismäßigkeit — Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels 1 4 9 . 4. Das Verbot zeitlichen

Übermaßes

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I n der L i t e r a t u r w i r d eine Maßnahme auch dann nicht mehr als „notwendig" oder „erforderlich" 1 5 1 bezeichnet, wenn sie länger andauert als die Gefahr besteht. Diese Ableitung ist jedoch nicht korrekt. Da die Polizei nur einschreiten darf, wenn eine Gefahr vorliegt, auf der Skala 1 5 2 also der Punkt y = —2 überschritten ist, so erlischt diese Ermächtigung i n dem Zeitpunkt, i n dem die Abwehrmaßnahmen die Gefahr bis zu dieser Grenze zurückgedrängt haben. Das Verbot des zeitlichen Übermaßes folgt somit nicht aus dem Begriff „notwendig", sondern aus dem Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Nur solange ein derartiger Zustand herrscht, sind Maßnahmen zulässig. Das gilt auch für Polizeiverordnungen. I n Art. 8 Abs. I I I des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes ist das Verbot zeitlichen Ubermaßes folgendermaßen ausgedrückt: „Maßnahmen sind n u r zulässig, bis i h r Zweck erreicht ist oder bis sich zeigt, daß i h r Zweck nicht erreicht werden kann."

Diese Bestimmung ist jedoch an sich überflüssig. Ist der Zweck der vollständigen Gefahrenabwehr 153 erreicht, so fehlt es für weitere Maßnahmen an der primären Handlungsvoraussetzung der Gefahr. Zeigt sich, daß der Zweck 1 5 4 nicht erreicht werden kann, so darf nicht eingeschritten werden, da es an einer der sekundären Handlungsvoraussetzungen, sei es der Möglichkeit, der Geeignetheit oder der Verhältnismäßigkeit, fehlt. c) Die gerichtliche Nachprüfbarkeit der bisher entwickelten Begriffe „Gefahr" und „notwendig"

Die bisherige Auslegung des § 14 I PVG zeigte, daß ein Einschreiten der Sicherheitsorgane überhaupt erst in Frage kommen kann, wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegt. Ist 149 v g l . auch Maunz/Dürig, A r t . 2 1 GG RNr. 81a E; O V G Lüneburg, Entsch. v. 29. 9.1955 AS 10, 341 ff. 150 Müller-Heidelberg, S. 151; Freund, S. 60. 151 Drews/Wacke, S. 172. 152 s. oben bei A n m . 28. 153 F ü r den Fall, daß der Zweck nicht i n der vollständigen Gefahrenabwehr besteht, s. unten A n m . 579. 154 F ü r den Fall, daß der Zweck nicht i n der vollständigen Gefahrenabwehr besteht, s. Abschnitt A I V b 2.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

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das der Fall, so muß weiter geprüft werden, ob geeignete und verhältnismäßige Maßnahmen möglich sind. Kommen dabei mehrere in Betracht, so ist die geringsteingreifende anzuwenden. Eine „Gefahr" ist nun sowohl dann gegeben, wenn eine Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung schon eingetreten ist 1 5 5 , als auch dann, wenn eine Störung ernstlich — in nächster Z e i t 1 5 6 — bevorsteht. I m ersten Fall unterliegt der Subsumtion ein bereits abgeschlossener, i n der Vergangenheit liegender Sachverhalt. I m zweiten Fall kann die für die Subsumtion erforderliche Feststellung des Sachverhalts nicht allein auf i n der Vergangenheit — vom Zeitpunkt der Subsumtion aus gesehen — liegende Fakten gestützt werden, es muß vielmehr an Hand der bereits erkennbaren Tatsachen unter Zuhilfenahme der praktischen Lebenserfahrung und logischer Schlußfolgerungen eine Prognose gestellt werden, die ergeben muß, daß die „große Wahrscheinlichkeit besteht, daß ohne das polizeiliche Eingreifen die Störung sich verwirklichen w i r d " 1 5 7 . Ebenso beruht die Beurteilung, ob eine Maßnahme möglich, geeignet, verhältnismäßig und geringsteingreifend ist, auf einer Prognose, da diese Prüfung der Ergreifung der Maßnahme vorausgeht 158 und daher nie m i t Sicherheit festgestellt werden kann, daß diese unter den Begriff „notwendig" zu subsumierenden Sachverhalte gegeben sind, sondern lediglich die Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieser Sachverhalte angenommen werden kann. Obgleich dies oft sehr schwierig ist, so erfordert doch jeder dieser Begriffe der Idee nach eine eindeutige A n t w o r t 1 5 9 . Auch handelt es sich bei der Anwendung dieser Begriffe ausschließlich um Erkenntnisakte 1 6 0 . Wenn es also heißt: „Die Polizeibehörden haben die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen" 1 6 1 , oder „nach pflichtgemäßem Ermessen das am wenigsten beeinträchtigende M i t t e l iss Drews/Wacke, S. 56. 156 Drews/Wacke, S. 57. ist Drews/Wacke, S. 56; vgl. ferner PrOVG, 87, 301 (310); O V G Lüneburg AS 10, 341; B G H N J W 55, 258 (259); Anklänge auch bei Gobrecht, S. 34. — Hinsichtlich der Schwierigkeit der Prognose vgl. die Beispiele bei Holz, K r i m i n a l i s t i k 65, 431 ; s. auch die Beispiele bei Drews/Wacke, S. 56 ff. 158 v g l . 2. Kap. A n m . 121 (Pieper). 159 s. S. 48, 51, 54, 63, 65. 160 Freilich schließen die Begriffe „möglich", „geeignet" usw. nicht aus, daß die Polizei zwischen mehreren möglichen, geeigneten, verhältnismäßigen und gleichermaßen geringsteingreifenden Maßnahmen grundsätzlich nach Ermessen wählen kann. Vgl. 2. Kap., Abschnitt C I I u n d ferner 3. Kap., Abschnitt A I V b. i ß i § 14 p r P V G und die i h m folgenden modernen Gesetze (s. die V o r bemerkung).

3. Kap.: R e c h t s a n e n d u n g u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht z u w ä h l e n " 1 6 2 , so h a t d a m i t der Gesetzgeber d e m R e c h n u n g t r a g e n w o l l e n , daß h i e r e i n W a h r s c h e i n l i c h k e i t s u r t e i l zu f ä l l e n ist, aber z u gleich z u m A u s d r u c k gebracht, daß dies m i t bestmöglicher S o r g f a l t z u geschehen h a t . K e i n e s f a l l s k ö n n e n diese F o r m u l i e r u n g e n so v e r s t a n d e n w e r d e n , die Entscheidung, ob eine M a ß n a h m e m ö g l i c h , geeignet, v e r h ä l t n i s m ä ß i g u n d g e r i n g s t e i n g r e i f e n d ist, sei d e m Ermessen der P o l i z e i a n h e i m g e s t e l l t 1 6 3 . D e n n d a z u e r m ä c h t i g e n diese B e g r i f f e i h r e r N a t u r nach n i c h t 1 6 4 . A u c h aus d e m W ö r t c h e n „ t u n l i c h s t " k a n n k e i n Ermessen gefolgert w e r d e n : W e n n „ t u n l i c h s t das . . . a m w e n i g s t e n b e e i n t r ä c h t i g e n d e M i t t e l z u w ä h l e n i s t " 1 6 5 , so h e i ß t das nichts anderes, als daß die P o l i z e i dieses M i t t e l z u e r g r e i f e n hat, s o w e i t es „ g e t a n " w e r d e n k a n n 1 6 6 , s o w e i t es i h r m ö g l i c h ist, w o b e i aber a u f die S c h w i e r i g k e i t der Prognose u n d die m a n n i g f a l t i g e n U n s i c h e r h e i t s f a k t o r e n 1 6 7 angespielt w i r d 1 6 8 . I m Gegensatz z u diesen — m e i s t i n ä l t e r e n Gesetzen z u f i n d e n d e n — F o r m u l i e r u n g e n b r i n g e n die m o d e r n e n Gesetze z u w e i l e n t r e f f e n d z u m A u s d r u c k , daß es sich h i e r u m eine Prognose h a n d e l t : So h e i ß t es: Die Maßnahmen dürfen nicht „erkennbar" außer V e r h ä l t n i s 1 6 9 oder nicht i n „offenbarem" Mißverständnis 1 7 0 zu dem beabsichtigten Erfolg stehen. Die 162

§5 1 hessSOG; §2 1 r h p f P V G ; §15 2 n r w O B G ; §3 1 bremPG. 163 Franzen scheint dies zu meinen, w e n n er den Ausdruck „nach pflichtmäßigem Ermessen" folgendermaßen erklärt: „Es ist nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht Pflicht der Polizei, diejenigen Maßnahmen zu treffen, welche bei nachträglicher Prognose dem einsichtigsten Richter rückblickend als die objektiv notwendigen Maßnahmen erscheinen, sondern es genügt, daß die Maßnahmen i m Augenblick des polizeilichen Einschreitens bei A n stellung pflichtgemäßen Ermessens als notwendig erscheinen konnten" (I, S. 122). Nach i h m weist also das „pflichtmäßige Ermessen" auf die sorgfältige Prognose hin. — Franzen ist sich auch bewußt, daß die Tätigkeit der Polizei hier keine Ermessensausübung (in dem hier gebrauchten Sinn), sondern ein Erkenntnisakt ist, w e n n er fortfährt: „Es sind nicht die Worte gebraucht, ,nach ihrem pflichtmäßigem Ermessen'. Das pflichtmäßige E r messen ist also objektiviert. Es k o m m t bei der späteren gerichtlichen Nachprüfung der Maßnahme darauf an, ob eine Polizeibehörde, die den A n forderungen, welche man an sie zu stellen gewohnt ist, entspricht, bei A n stellung pflichtmäßigen Ermessens die Maßnahme für notwendig gehalten haben würde" (I, S. 122 ff.). 164 Darauf ist i n Abschnitt A I l l b noch näher einzugehen. §41112 p r P V G ; §49112 rhpfPVG; §30112 ndsSOG. „tunlichst" heißt soviel wie „geeignet zu t u n " ; das niederdeutsche „doonlig" soviel w i e „möglich" (Trübners Deutsches Wörterbuch, B e r l i n 1943, „tunlich"). 167 s. S. 56, 59, 62 f. s. auch unten S. 124 f. §5 I I b w P G ; A r t . 8 I b a y P A G ; §15 1 n r w O B G ; § 3 2 bremPG. 176 § 5 2 hessSOG; § 2 2 rhpfPVG. Vgl. B w V H G , Entsch. v. 28. 8.1956 VRspr. 9, 968 (972) u n d dazu A n m . 176. 166

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

Polizei hat das „voraussichtlich" am wenigsten beeinträchtigende Mittel zu wählen 1 ". Nicht so klar geht aus § 3 bwPG hervor, daß die Anwendung des Begriffs „notwendig" einen Erkenntnisakt erfordert. Nach dieser Vorschrift hat die Polizei diejenigen Maßnahmen zu treffen, „die ihr erforderlich 1 7 2 erscheinen". Doch kann auch hier das Wort „erscheinen" nur auf das Wahrscheinlichkeitsurteil hinweisen, nicht jedoch die Polizei ermächtigen, nach ihrer subjektiven Ansicht festzulegen, was geeignet, verhältnismäßig und geringsteingreifend sein soll und was nicht. Da § 14 PVG die Polizei zu Maßnahmen schon ermächtigt, wenn lediglich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung besteht, so ist ein Einschreiten solange rechtmäßig, als die große Wahrscheinlichkeit besteht, daß sich eine Störung ohne polizeiliches Eingreifen verwirklichen wird, auch wenn sich nachträglich herausstellen sollte, daß es zu einer Störung nicht hätte kommen können 1 7 3 . Ebenso ist auch ein Einschreiten nur solange zulässig, als eine Störung besteht 174 . Bei der Prüfung, welchen Einfluß nach dem Erlaß einer polizeilichen Maßnahme eintretende Umstände und Erkenntnisse auf die noch nicht vollzogene Maßnahme haben, treten zwei voneinander zu scheidende Fragen auf. Erstens: Von welchem Zeitpunkt an bemißt sich die Frage der Rechtmäßigkeit? Und zweitens: Hat die Polizei ihre Maßnahmen ständig auf ihre Rechtmäßigkeit h i n zu überprüfen oder hat sie dies nur auf Vorstellungen des Betroffenen h i n zu tun? Erlaß und Durchführung einer Maßnahme können fast i m selben Augenblick erfolgen, dazwischen kann auch ein mehr oder weniger langer Zeitraum liegen; so, wenn ζ. B. eine Ordnungsbehörde anordnet, ein Haus wegen Baufälligkeit zu räumen. Ändern sich die Umstände oder führt die technische Entwicklung zu neuen Erkenntnissen, so daß bei einer erneuten Prognose nach Erlaß der Maßnahme, aber noch vor ihrer Durchführung, die Maßnahme als ungeeignet erscheint, so kann sie selbst und ihre Durchführung, trotzdem sie zu einem früheren Zeitpunkt rechtmäßig war, nicht mehr als rechtens angesehen werden. Wollte man die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme allein daran prüfen, 171 § 5 I bwPG. § 4 I I hambSOG bestimmt, das voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigende M i t t e l sei nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen. Hier k a n n sich das „Ermessen" n u r auf das „voraussichtlich" beziehen u n d zum Ausdruck bringen, daß die Prognose hinsichtlich des geringsteingeifenden Mittels nach pflichtgemäßer Beurteilung zu treffen ist. 172 Die Begriffe „erforderlich" u n d „notwendig" sind identisch (s. Anm. 247, 248). 173 Was aber vorher nicht zu erkennen war. s. Abschnitt A I b 4.

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

ob sie i m Zeitpunkt ihres Erlasses den gesetzlichen Vorschriften entsprochen habe, so führte das zu höchst ungerechten Ergebnissen: Die Durchführung und Durchsetzung wäre dann noch rechtmäßig, wenn sich inzwischen einwandfrei herausgestellt hätte, daß die Maßnahme völlig ungeeignet oder unverhältnismäßig ist. So kann es auch nicht der Sinn der Worte „erkennbar" und „voraussichtlich" 1 7 5 sein, die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme auf den Zeitpunkt des Erlasses zu beschränken 176 . Eine derartige Beschränkung ist auch nicht notwendig, da ja die polizeilichen Maßnahmen solange als verbindlich von jedermann zu beachten sind, bis sie durch ein Gericht oder die Behörde selbst aufgehoben sind 1 7 7 . Demnach kann eine gerichtliche Uberprüfung einer Maßnahme die nach ihrem Erlaß eingetretenen Umstände nicht unberücksichtigt lassen. Maßgebend für die Rechtmäßigkeit ist der letzte Termin der mündlichen Verhandlung. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann sich die gerichtliche Uberprüfung nur darauf erstrecken, ob die Behörde, sofern sie vor dem Vollzug eine Prognose gestellt hat oder dies hätte tun können, die Umstände und Erfahrungen, die ihr zu diesem Zeitpunkt bekannt waren oder hätten bekannt sein können, unter die Begriffe „Gefahr" und „notwendig" richtig subsumiert hat, worunter auch die Tatsachenfeststellung fällt. Stellt sich erst nach Vollziehung des Verwaltungsakts heraus, daß seine Auswirkungen z. B. unverhältnismäßig sind, so kann das auf die Rechtmäßigkeit der Maßnahme keine Auswirkungen mehr haben. Die i n der Literatur zu diesem Problem vertretenen Meinungen halten sich die Waage: Die eine stellt die Rechtmäßigkeit auf den Zeitpunkt des Erlasses ab, die andere berücksichtigt Veränderungen der Sach- und Rechtslage auch nach dem Erlaß 1 7 8 . Der ersten ist aus den bereits erwähnten Gründen nicht beizutreten. Als Vertreter der zweiten Meinung, der hier gefolgt wird, seien Bachof 179 und Lerche 1 8 0 hervorgehoben 181 . Nach ihnen kommt eine Berücksichtigung nachträglicher 175 s. bei Anm. 169, 171. 176 Unrichtig also B w V G H , Entsch. v. 28. 8.1956 VRspr. 9, 968 (972), sowie die Begründung zum E n t w u r f des §4 hambSOG (Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft Hamburg v o m 11. M a i 1965, Nr. 75, S. 12). 177 Forsthoff, S. 231. F ü r Polizei Verordnungen gilt das gleiche. Werden sie aufgehoben, so sind sie von Anfang an unwirksam (Eyermann/Fröhler, §47 RNr. 38). 178 s. die umfangreiche Literaturübersicht bei Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 369 ff. 179 JZ 54, 416 ff.; aufrechterhalten i n JZ 58, 301 ff.; vgl. auch JZ 66, 398. 180 DVB1. 55, 776. 181 s. neuerdings Czermak, N J W 64, 1662; BayVBl. 66, 196; Schweiger, DVB1. 64, 205; Menger, VArch. 56 (1965), 294 f.; B V e r w G v. 5.8.1965 JZ 66, 138 (mit Anm. v. Bachof) = JuS 66, 206 (mit zahlreichen Nachweisen).

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

Umstände i n Betracht, wenn es sich entweder u m einen Verwaltungsakt m i t Dauerwirkung handelt, d. h. um einen Verwaltungsakt, dessen Rechtswirkungen sich nicht i n einem einmaligen Gebot oder Verbot oder i n einer einmaligen Gestaltung der Rechtslage erschöpfen, der also nicht mit seinem Erlaß alle möglichen Rechtswirkungen äußert und sich selbst mit dem Erlaß verzehrt, sondern der ein auf Dauer berechnetes Rechtsverhältnis (öffentlichen Rechts) zum Entstehen bringt, oder wenn es sich um einen Verwaltungsakt handelt, der noch nicht vollzogen ist oder um rechtsgestaltende Verwaltungsakte, deren Gestaltungswirkungen noch nicht eingetreten sind 1 8 2 . Von der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer polizeilichen Maßnahme ist streng zu unterscheiden die Prüfung der Frage, ob die Behörde auch verpflichtet gewesen wäre, eine nachträglich 183 rechtswidrig gewordene Maßnahme abzuändern oder aufzuheben. Während für jene Prüfung die Tatbestandsmerkmale der Rechtsnormen maßgebend sind, hängt die Verpflichtung zu einer nachträglichen Änderung oder Aufhebung, kurz: zur ständigen Überprüfung der Maßnahme, von anderen Umständen ab. Einerseits w i r d man aus dem Gesetzmäßigkeitsgrundsatz des Art. 20 I I I GG eine ständige Uberprüfung der polizeilichen Akte auf ihre Rechtmäßigkeit hin folgern müssen, zumal der einzelne nicht immer selbst beurteilen kann, ob der von der Polizei bezweckte Erfolg schon eingetreten ist oder ob eine Gefahr überhaupt noch besteht. Andererseits ist es den Sicherheitsorganen oft nicht möglich oder nicht zumutbar, ihre Maßnahmen laufend auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Untersucht man die gesetzlichen Vorschriften und die dazu erschienenen Erläuterungswerke auf eine derartige Überprüfungspflicht hin, so ergibt sich kein klares Bild. So schließt Wacke aus Art. 8 I I I PAG, nach dem „Maßnahmen nur zulässig sind, bis ihr Zweck erreicht ist oder bis sich zeigt, daß ihr Zweck nicht erreicht werden kann", daß sich die Polizei „niemals dabei beruhigen darf, daß sie einen Fall erledigt und einen A k t abgelegt h a t " 1 8 4 ; stellt sich heraus, daß der erstrebte Zweck nicht erreicht 182 Bachof JZ 54, 416 (419). Ist der Verwaltungsakt noch nicht vollzogen oder der V A m i t D a u e r w i r k u n g noch nicht beendet u n d liegt der letzte T e r m i n der mündlichen Verhandlung vor diesem Zeitpunkt, so ist der letzte Verhandlungstermin der „maßgebliche Zeitpunkt". Liegt der letzte T e r m i n nach jenem Zeitpunkt, ζ. B. bei Feststellungsklagen, so ist als maßgeblicher Zeitpunkt derjenige anzusehen, i n dem noch eine andere Entscheidung hätte getroffen werden können. 183 Also nach Erlaß u n d vor Vollzug. 184 Drews/Wacke, S. 172.

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3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

werden kann, „so hat sich das M i t t e l als ungeeignet erwiesen; es ist dann unzulässig und die Maßnahmen müssen aufgehoben werden" 1 8 5 . Diese Pflicht zur ständigen Uberprüfung hebt Wacke nochmals besonders hervor bei der Inanspruchnahme von Nichtstörern 1 8 6 und schließt dies aus § 21 Satz 2 prPVG, wonach diese Maßnahmen nur „getroffen und aufrechterhalten werden dürfen, soweit und solange die Polizeibehörden nicht andere zur Beseitigung der Gefahr führende Maßnahmen treffen k a n n " 1 8 7 . Eine Pflicht zur Uberprüfung und Aufhebung ist jedoch nach Wacke bei Verfügungen mit Dauerwirkungen nicht gegeben 188 . Dies folge aus § 43 PVG: „Fallen nach Erlaß einer polizeilichen Verfügung, die fortdauernde W i r k u n g ausübt, die Voraussetzungen für ihre Aufrechterhaltung fort, so k a n n der Betroffene die Aufhebung der Verfügung v e r l a n g e n ^ . "

Hier sei dem Betroffenen die Möglichkeit der Beseitigung der Verfügung eröffnet. I h m stehe sogar auf Grund dieser Vorschrift ein Rechtsanspruch auf Aufhebung zu 1 9 0 . Hierzu ist zu sagen, daß die genannten Vorschriften keine Rechtmäßigkeitserfordernisse aufstellen, sondern lediglich darauf hinweisen, daß eine Maßnahme nicht länger andauern darf, als der Begriff „Gefahr" dies erlaubt. Der „Rechtsanspruch auf Aufhebung" ergibt sich nicht erst aus § 43 PVG, sondern aus § 14 PVG: Sind für eine Maßnahme die gesetzlichen Grundlagen nicht oder nicht mehr gegeben, so ist sie rechtswidrig und der Kläger ist, seine Betroffenheit vorausgesetzt, i n seinen Rechten verletzt (§§ 42, 47 VwGO) 1 9 1 . Daß die Polizei verpflichtet ist, von sich aus rechtswidrig gewordene Maßnahmen abzuändern oder aufzuheben, muß w o h l für die Fälle eines Einschreitens gegen Nichtstörer aus § 21 PVG geschlossen werden, da hier der Schutz des an der Gefahr Unbeteiligten eine geringstmögliche Belastung i n jeder Hinsicht erfordert und eine derartige Uberwachungspflicht auch allgemein anerkannt w i r d 1 9 2 . Ob dies auch für Maßnahmen gegen Störer gilt, läßt sich aus § 43 PVG allein nicht entscheiden: Nach der Begründung zum Entwurf des prPVG 185 Drews/Wacke, S. 172. ΐ8β Drews/Wacke, S. 302, 247 ff. 187 v g l . auch § 9 1 1 b w P G ; §1511 hessSOG; §2711 r h p f P V G ; §1911 n r w B G B ; §8 2 ndsSOG; §8 I I bremPG. " 8 s . 302 f. 189 Vgl. auch §9 hessSOG; §51 r h p f P V G ; §32 ndsSOG; §38 bremPG; §5 hambSOG. 190 Drews/Wacke, S. 303. 191 Vgl. dazu Bachof, JZ 54, 416. 192 Drews/Wacke, S. 302.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

wollte man zwar „den Rechtsschutz der Bevölkerung erweitern" 1 9 3 . Diese „Erweiterung" erschöpft sich jedoch i n dem schon aus § 14 prPVG folgenden Rechtsanspruch auf Aufhebung der Verfügung. Dem § 43 PVG kann also hinsichtlich der Pflicht der Polizei, von sich aus ihre Maßnahmen den sich ändernden Umständen anzupassen, nichts entnommen werden. Auch Wacke verneint unter Hinweis auf § 43 eine Pflicht der Polizei, Maßnahmen gegen Störer auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überwachen 194 . Er bringt jedoch an anderer Stelle unter Hinweis auf das Verbot zeitlichen Übermaßes zum Ausdruck, daß die Polizei sich niemals beruhigen dürfe, daß sie einen Fall erledigt habe, daß sie vielmehr, wenn sich ein M i t t e l als ungeeignet erwiesen hätte, dies aufheben müsse 195 . Warum Wacke hier eine Uberwachungspflicht bejaht, sie aber bei Dauerverfügungen verneinen w i l l 1 9 6 , leuchtet nicht ein. Besteht doch zwischen Dauerverfügungen und solchen, bei denen zwischen Erlaß und Durchführung eine mehr oder minder große Zeitspanne liegt, kein wesentlicher Unterschied. Man w i r d das Problem wohl folgendermaßen lösen müssen: Geht die Polizei gegen Störer vor, so kann ihr nicht zugemutet werden, sämtliche Einzelfälle ständig i m Auge zu behalten und auch Veränderungen tatsächlicher und rechtlicher A r t zu überprüfen. Schließlich haben die Störer die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verursacht. Man w i r d die Sicherheitsorgane aber für verpflichtet halten müssen, die entsprechenden Änderungen vorzunehmen, sobald sie von einem Betroffenen oder zufällig erfährt, daß Umstände eingetreten sind, die eine Maßnahme rechtswidrig machen, sofern dies deutlich erkennbar ist. Diese Regelung w i r d beiden Teilen am ehesten gerecht. Kommt ein Sicherheitsorgan einem Änderungsantrag nicht nach, so kann der Betroffene Anfechtungsklage erheben 197 . War eine Ordnungsbehörde zur Überwachung verpflichtet, kam sie dieser Pflicht jedoch schuldhaft nicht nach und entstand dadurch dem Betroffenen ein Schaden, so kann dieser Amtshaftungsklage gemäß § 839 BGB iVm. A r t . 34 GG erheben. i» 3 194 195 196

Zit. nach Klausener, PVG, S. 73. Drews/Wacke, S. 302 f. Drews/Wacke, S. 172. Drews/Wacke, S. 302 f.

197 i n diesem F a l l ist die Anfechtungsklage, nicht Verpflichtungsklage zu erheben, da der Betroffene p r i m ä r durch die rechtswidrige Maßnahme u n d nicht durch das Unterlassen einer Aufhebung beeinträchtigt w i r d . Rechtsgrundlage ist, wie erwähnt, § 14 PVG.

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht d) Fortsetzung der Auslegung des Begriffs „notwendig" Die „Notwendigkeit" des Einschreitens

Die bisherige Betrachtung des § 14 PVG ging von der Frage aus: Unter welchen Voraussetzungen sind die Sicherheitsorgane überhaupt berechtigt, in Rechte des Staatsbürgers einzugreifen und welche rechtliche Anforderungen stellt § 14 an diese polizeilichen Maßnahmen? Die Antwort lautet: Primäre Voraussetzung ist das Vorliegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung. Entschließt sich die Polizeibehörde zu einem Handeln, dann hat sie die möglichen, geeigneten, verhältnismäßigen und geringsteingreifenden Maßnahmen zu treffen. Das Wörtchen „haben" i n § 14 verpflichtet sie also zur Einhaltung dieser normativen Begriffsbestandteile des Wortes „notwendig". Ob und inwieweit dagegen die Sicherheitsorgane verpflichtet sind, Gefahren mit geeigneten, verhältnismäßigen und geringsteingreifenden Maßnahmen abzuwehren, wurde noch nicht erörtert. Dies soll i m folgenden geschehen. Nach § 14 PVG „haben die Polizeibehörden . . . die . . . notwendigen Maßnahmen zu treffen, um . . . Gefahren abzuwehren . . . " , sie haben also Maßnahmen zu treffen, d. h. sie müssen einschreiten, wenn dies „notwendig" ist, d. h. dringend 1 9 8 , unbedingt erforderlich 199 , unentbehrlich, unerläßlich 2 0 0 » 2 0 1 , um die bestehende Gefahr abzuwehren. Eine Pflicht zum Handeln kann mehrfach ausgedrückt sein. So z. B. durch die Wendungen: Es ist Hilfe zu leisten; es muß Hilfe geleistet werden; es ist notwendig, Hilfe zu leisten. Diese Fälle unterscheiden sich i n keiner Weise voneinander. Stets ist die genannte Rechtsfolge zu ziehen; ein Grund dafür ist nicht angegeben. Ist die zu ziehende Rechtsfolge nicht i m einzelnen genannt, sondern lediglich ein Aufgabenkreis umschrieben, den eine Behörde wahrzunehmen hat, und soll sie dazu verpflichtet werden, die Maßnahmen zu treffen, die getroffen werden müssen, damit der durch den Aufgabenkreis umschriebene Zweck erfüllt wird, so „hat sie die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um die genannte Aufgabe zu erfüllen". Unter den erstgenannten Beispielsfällen hieß es: „es ist notwendig, Hilfe zu leisten." Ziel, Zweck oder Aufgabe waren nicht genannt, wohl aber die Rechtsfolge. I m 198 Grimm, Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1889, „ n ö t h i g " ; Fischer, Paul: Goethe-Wortschatz, Leipzig 1929, „notwendig". 199 Heyne, Moritz: Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1906, „nötig". 200 Kluge/Götze, Ethymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, B e r l i n 1951, „notwendig". 2°i Aus diesen Worterklärungen ergeben sich auch die oben gefundenen Begriffsbestandteile des Wörtchens „notwendig", nämlich die Möglichkeit, Geeignetheit, Verhältnismäßigkeit u n d der Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

zuletzt genannten Fall ist die Rechtsfolge auf den ersten Blick unbestimmt, jedoch aus der Aufgabe und dem Zweck jeweils bestimmbar. Bestehen z.B. Zweck und Aufgabe einer Behörde darin, begabten, aber hilfsbedürftigen Studenten Zuschüsse zu gewähren, so ist jedem, der diese Voraussetzungen erfüllt, die Hilfe zu gewähren, deren er bedarf, wenn die Behörde die „notwendigen" Maßnahmen zur Erfüllung dieser Aufgabe zu treffen hat; es besteht dann eine „Not", die abge„wendet" werden muß. Nach § 14 PVG besteht nun der Zweck der „notwendigen Maßnahmen" darin, „Gefahren abzuwehren". Eine abwehrende Maßnahme ist somit notwendig, sobald eine Gefahr vorliegt, und die Polizeibehörde „hat" sie zutreffen. Würde aber i n allen Gefahrenfällen eine Pflicht zum Einschreiten bestehen, so gälte i m Sicherheitsrecht das Legalitätsprinzip. Dies widerspräche aber dem Willen des Gesetzgebers 202 wie der seit jeher geltenden allgemeinen Uberzeugung 203 , daß die Sicherheitsorgane nicht gegen alle Gefahren einschreiten müssen, sondern nur bei schweren Gefahren für wesentliche Rechtsgüter 204 und daß sie i n den übrigen — leichten — Gefahrenfällen gemäß dem Opportunitätsprinzip nach Ermessen zu handeln berechtigt sind. So kann also die „Not" nicht sämtliche Gefahrenfälle umfassen und m i t dem Begriff „Gefahr" identisch sein. Vielmehr muß § 14 so verstanden werden, daß die Polizeibehörden nur die notwendigen Maßnahmen zu treffen haben, sie also nur eingreifen müssen, wenn eine „Not", eine besondere Gefahr, gegeben ist. Besteht somit eine „Gefahr", die den Grad der „Not" nicht erreicht, so sind Maßnahmen nicht notwendig und die Polizeibehörde kann — nach Ermessen — einschreiten oder auch nicht. Liegt es aber i n ihrem Ermessen, Abwehrmaßnahmen zu treffen oder untätig zu bleiben, dann muß ihr auch gestattet werden, die Gefahr nicht vollständig abzuwehren 2 0 5 oder Gegenmaßnahmen auf spätere Zeit zu verschieben. Sie entscheidet also zwischen den Grenzen der „Gefahr" und der „Not" über die Frage des „Ob" und „Inwieweit" ihres Tätigwerdens grundsätzlich 206 nach Ermessen 207 . Greift sie i n Rechte des Staatsbürgers ein, so müssen die Maßnahmen möglich, geeignet, verhältnismäßig und geringsteingreifend sein. 202 s. Abschnitt A I I b. °3 s. Abschnitt A l l . 204 v g l . darüber den zweiten Hauptteil, insbesondere 4. Kap., Abschnitt Aliai. 205 So auch Bender, DVB1. 57, 278 (279). 206 v g l . oben S. 36 ff. 207 s. dazu näher Abschnitt A I V . 2

. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Man w i r d gegen diese Auslegung des § 14 vorbringen, sie verbinde mit dem Begriff „notwendig" zwei verschiedene Zwecke, wo doch i n § 14 PVG nur ein einziger, die Abwehr von „Gefahren", genannt sei: einmal, die „Gefahr", auf die sich die Möglichkeit, Geeignetheit und das Ubermaßverbot, die oben aus dem Begriff „notwendig" abgeleiteten Begriffsbestandteile, beziehen, zum anderen die „Not", eine besonders schwere Gefahr, auf die sich die Notwendigkeit des Einschreitens beziehe. Dagegen ist zu erwidern: Daß sich die Elemente, die heute und seit jeher unter dem Begriff „beschränktes Opportunitätsprinzip" zusammengefaßt werden, aus § 14 PVG nur sehr schwer entnehmen lassen, zeigt die Literatur, deren Versuche, das Problem des Opportunitätsprinzips und seiner Grenze zu bewältigen, i m nächsten und übernächsten Abschnitt dargestellt werden 2 0 8 . Dort w i r d auch zu Einzelheiten Stellung genommen. Zunächst muß aber die hier vertretene Auffassung dargestellt werden, u m wenigstens ein einigermaßen klares und von Mißverständnissen und Begriffsverwirrungen ungetrübtes B i l d zu erhalten. Von den heute aufgezeigten Versuchen, aus § 14 PVG sowohl eine Ermessensfreiheit wie auch eine Pflicht zum Einschreiten i n bestimmten Fällen zu gewinnen, sei einer kurz dargestellt, u m die Grundlagen für eine weitere Auseinandersetzung zu schaffen und ihn mit der hier vertretenen Auffassung, insbesondere i m Hinblick auf den oben gemachten Einwand, zu messen. Dieser eben angesprochene Lösungsversuch hält die Notwendigkeit des Einschreitens für eine Ermessensfrage 209 . Das Ermessen könne i n besonderen Fällen derart zusammenschrumpfen, daß nur ein Einschreiten als einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung i n Betracht käme 2 1 0 . I n diesen Grenzfällen verlange das Recht ein Einschreiten 211 . M i t dieser Qualifikation des Begriffs „notwendig" als Ermessensbegriff w i r d ausgedrückt, daß die Polizei über das, was notwendig ist und ob i m konkreten Fall ein Einschreiten notwendig ist, nach Ermessen entscheiden kann, also die Wahlfreiheit hat, diese Fragen m i t Ja oder m i t Nein zu beantworten. Damit hat der Begriff „notwendig" jeglichen feststellbaren Inhalt verloren, denn die Polizei entscheidet, ob und was notwendig ist. Somit kann der Begriff auch keinen rechtst e Abschnitt A I I u n d I I I . 20» s. A n m . 546. 210 s. bei A n m . 551. 211 s. bei A n m . 553.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

1

normativen Charakter haben. Er sinkt vielmehr herab zu einem bloßen Hinweis, der angibt, auf welche Frage sich die Ermessensentscheidung der Polizei bezieht. Wie soll sich aber dann aus § 14 PVG ergeben, daß bei besonderen Gefahren die Polizei sich nicht mehr auf ihr Ermessen berufen kann, sondern einschreiten muß? Wenn sie eine derartige Pflicht trifft, dann muß dies aus Rechtsnormen entnommen werden können. I n Betracht kommt hier das Wort „pflichtmäßig"; die Polizeibehörden haben ja „die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen" zu treffen. Aber dieses Adjektiv weist lediglich darauf hin, daß die Ermessenstätigkeit pflichtgemäß ausgeübt werden soll; es setzt die Statuierung solcher Pflichten voraus, schafft aber selbst keine 2 1 2 . I h m kann somit über die Pflicht zum Einschreiten nichts entnommen werden. Ferner kommt i n Betracht der Begriff „notwendig". Wie soll aber ein Begriff, dessen inhaltliche Bestimmung i m Ermessen der Polizeibehörde steht, auf einmal rechtsnormativen Charakter erhalten? Eine derartige unmotivierte Umwandlung widerspricht jeglicher Systematik. Außerdem würde sich dann der Begriff „notwendig" auf besonders schwere Gefahren beziehen, also ebenfalls eine Zweiteilung der Zwecke erfolgen, die doch vermieden werden sollte. Aus dem gleichen Grunde kann eine Pflicht zum Einschreiten auch nicht aus dem Begriff „Gefahr" 2 1 3 entnommen werden, da dann das gleiche, aber verworfene Ergebnis wie bei der hier vertretenen Auffassung zustandekäme: Der Begriff „Gefahr" würde zerlegt i n die primäre Handlungsvoraussetzung „Gefahr" und i n die Fälle „besonders schwerer Gefahren". Nachdem also diese Lösung nicht möglich ist und jeder Auslegungsversuch, w i l l er das gesteckte Ziel erreichen, dem Wortlaut des § 14 PVG ein wenig Gewalt antun muß, erscheint die hier vertretene Lösung als die am ehesten gangbare: Indem dem Begriff „notwendig" rechtsnormative Kraft beigelegt wird, seine Zweckergänzung i n der Abwehr besonders schwerer Gefahren gesehen und für diese der i n „notwendig" enthaltene Begriff „Not" verwendet wird, ergibt sich eine aus § 14 PVG entnehmbare Pflicht zum Einschreiten i n besonders schweren Gefahrenfällen. Der Begriff ist auch genügend bestimmbar. Denn ebenso, wie der Begriff „Gefahr" i m Laufe jahrzehntelanger Rechtsprechung ausgefüllt wurde, ist die „Not" dadurch hinreichend konkretisiert, daß die Rechtsprechung i n einer Reihe von Entscheidungen festgestellt hat, 212 So auch Klein, AöR 82, 92; aA Stern, S. 18. 213 Vgl. Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 36 (zit. unten bei A n m . 291). 6 Schmatz

3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

wann die Pflicht zum Einschreiten verletzt ist 2 1 4 . Es muß aber auch hier, ebenso wie bei der Prüfung, ob eine Störung bevorsteht, eine Prognose gestellt werden 2 1 5 . Der Ermessensspielraum der Sicherheitsorgane ergibt sich nun daraus, daß eine „Not" verneint wird. So w i r d durch die Scheidung von „Gefahr" und „Not" ein zumindest der Idee nach scharf abgegrenzter Rahmen geschaffen, innerhalb dessen der Ermessensbereich der Sicherheitsorgane liegt. Setzt man auf der Skala der möglichen Beeinträchtigungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine „Gefahr" bei dem Punkt —2 an, so mag man vorerst die „Not" bei Punkt —7 annehmen. Liegt dann eine Beeinträchtigung oberhalb von —2, so darf die Polizei nicht einschreiten, da die primäre Handlungsvoraussetzung nicht gegeben ist. Liegt sie zwischen —2 und —7, so kann sie einschreiten. Liegt sie unterhalb —7, so besteht eine „Not" und sie muß Maßnahmen treffen. Eine nähere Konkretisierung der „Not" ist Aufgabe des zweiten Hauptteils 2 1 6 . Nachdem hier also die „Notwendigkeit" des Einschreitens als unbestimmter Rechtsbegriff qualifiziert wird, ist die Beifügung „nach pflichtmäßigem Ermessen" umzudeuten i n „nach pflichtgemäßer Beurteilung"217. Die Ursachen dafür, daß der Begriff „notwendig" 2 1 8 bislang als Ermessensbegriff angesehen wurde, dürfen wohl i n folgendem liegen: Der Beschreibung des polizeilichen Ermessens stellen sich manche Schwierigkeiten entgegen. Sagt man, die Polizei könne nach Ermessen entscheiden, ob sie einschreiten wolle, so läßt diese Formulierung unberücksichtigt, daß dem Willensakt Ermessenserwägungen vorangehen 2 1 9 . Sagt man, die Polizei könne über die Frage, ob es notwendig, zweckmäßig oder geboten sei 2 2 0 einzuschreiten, nach Ermessen entscheiden, so stellt man die Beantwortung einer Frage i n das Ermessen, läßt also die A n t w o r t Ja wie Nein zu, obwohl die Begriffe „notwendig, zweckmäßig und geboten" sowohl nach dem gewöhnlichen Sprachge214 s. 4.Kap., Abschnitte A I , B i l l ; ferner 4.Kap. A n m . 156. 215 s. Abschnitt A I c. 216 s. insbesondere Abschnitt A I I a 1. 217 Auch Bachof, JZ 55, 97 (98 A n m . 10) deutet § 14 P V G so um. Er läßt jedoch nicht erkennen, ob er die Notwendigkeit des Einschreitens meint oder die Begriffsbestandteile der Möglichkeit, Geeignetheit u n d des Übermaßverbots — w o h l letztere (s. auch unten A n m . 563). 218 Als „Notwendigkeit des Einschreitens". 219 s. oben S.40. 220 s. Drews/Wacke, S. 159, sowie 2. Kap. A n m . 104 u n d unten A n m . 467.

Α . Die Ermächtigungsnorm des § 141 p r P V G

brauch wie nach juristischen Auslegungsregeln auf eine einzige Entscheidung abzielen. Nur dann liegt die Bestimmung dessen, was notwendig, zweckmäßig oder geboten ist, i m Ermessen des Entscheidenden, wenn dieser den Zweck selbst festzusetzen berechtigt ist. Behauptet also jemand, „es ist notwendig, dies oder jenes zu tun", so setzt er selbst den Zweck nach freier Entscheidung fest 2 2 1 . So setzte auch früher 2 2 2 die Verwaltung ihre Zwecke nach Ermessen fest. Die „Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit" ihres Handelns war gerichtlicher Überprüfung nicht unterworfen 2 2 3 . Da das Ermessen als das Primäre angesehen wurde und seine Begrenzung durch Ermessensfehler nur sehr vage umschrieben wurde 2 2 4 , blieb die Vorstellung, auch die Notwendigkeit sei nach Ermessen zu bestimmen, unangetastet, wiewohl sie ihre Wurzel i m Absolutismus hatte. Obwohl die Verrechtlichung der Verwaltung immer mehr zunahm 2 2 5 , blieb man i m Polizeirecht bei den alten Vorstellungen. Angesichts der modernen Ermessenslehre, die auf eine genaue A b grenzung der Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffes von der Ermessensausübung abstellt, muß jedoch versucht werden, auch § 14 PVG nach Möglichkeit so auszulegen, daß sich aus i h m eine Pflicht zum Einschreiten ergibt. Wie nun schon erörtert, bietet sich dafür der Begriff „notwendig" an. Durch seine Beziehung auf besondere, noch zu konkretisierende Gefahrenfälle erhält er einen bestimmbaren Inhalt. Ergibt die Auslegung und Subsumtion, daß ein Einschreiten nicht notwendig ist, dann folgt daraus, daß ein Einschreiten nach Ermessen möglich ist, sofern eine Gefahr gegeben ist. Die hier aufgezeigte Lösimg gelangt also zu folgendem einfachen Schema für die Prüfung eines rechtmäßigen polizeilichen Verhaltens: W i r d die primäre HandlungsVoraussetzung einer Gefahr bejaht, so ist zu untersuchen, ob die Gefahr den Grad einer „Not" erreicht. Ist dies der Fall, so hat die Polizei die möglichen, geeigneten, verhältnismäßigen und geringsteingreifenden Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahr zu treffen. Liegt dagegen keine „Not" vor, so kann sie über ihr Verhalten, über die Frage des Ob und Inwieweit, grundsätzlich nach Ermessen entscheiden. W i l l sie Maßnahmen treffen, so müssen sie ebenfalls möglich, geeignet, verhältnismäßig und geringsteingreifend sein. 221 Gerade w e i l die Zweckbestimmung hier nicht zum Ausdruck k o m m t u n d dem W o r t „notwendig" etwas Zwingendes anhaftet, erfreut sich diese Wendung großer Beliebtheit. 222 s. 2. Kap., Abschnitt A . 223 Jellinek, Gesetz, S. 3 ff.; Uebelacker, Diss., S.73ff. 224 Vgl. dazu aus der Polizeirechtsliteratur unten Abschnitt A I I I b 4. 225 Vgl. 2. Kap., Abschnitt A .

6*

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Bevor also überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen werden kann, muß die Frage der Notwendigkeit entschieden werden. Diese ist allerdings unabhängig davon, ob auch tatsächlich oder rechtlich mögliche Maßnahmen vorhanden sind, da sie allein an der Schwere der Gefahr zu messen ist 2 2 6 . e) Die „Aufgabe" der Gefahrenabwehr

§ 14 prPVG trägt die amtliche Überschrift „Die Aufgaben der Polizeibehörden". Welche Bedeutung kommt dem zu? Durch die Wendung „Die Polizeibehörden haben die notwendigen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zu treffen" werden diese Behörden ermächtigt, unter den genannten Voraussetzungen in Rechte des Staatsbürgers einzugreifen. Es handelt sich somit um eine Befugnisnorm 2 2 7 . Unter „Maßnahmen" sind aber auch die „nicht-eingreifenden" zu verstehen, so daß durch diese Wendung ebenso die gesamte „nicht-eingreifende" Tätigkeit der Polizei umfaßt und geregelt w i r d 2 2 8 . Beide Tätigkeitsbereiche werden i n der Überschrift als „Aufgaben der Polizeibehörden" bezeichnet. Aus dem Begriff Aufgabe ergibt sich aber lediglich, daß derjenige, der eine Aufgabe hat, diese erfüllen muß, daß ihn eine allgemeine Pflicht trifft, i n Erfüllung der Aufgabe tätig zu werden 2 2 9 . Wieweit, m i t welchem Aufwand und Einsatz einer Aufgabe nachzukommen ist, läßt sich aus dem Begriff nicht entnehmen. Vielmehr ist hierfür allein der Inhalt der Aufgabe maßgebend. Das zeigt ein kurzer Blick i n die Tätigkeit der Verwaltung: Die Brandbekämpfung erfordert eine ganz andere A k t i v i t ä t als beispielsweise der Denkmalsschutz. Die Aufgabe der Polizei ergibt sich sonach allein aus dem Wortlaut des § 14 PVG; dem Begriff „Aufgabe" selbst kommt aber kein materiell-rechtlicher Inhalt, keine normative K r a f t zu. Dies gilt ebenso für die Generalklauseln, die unter der gleichen Überschrift den Wortlaut des § 14 PVG i n zwei Sätze zerlegt haben 2 3 0 : Auch für sie t r i f f t die Auslegung des § 14 PVG, insbesondere des Begriffs „notwendig" zu, da insoweit Satz 1 durch Satz 2 modifiziert wird. 226 Vgl. dazu 4. Kap., Abschnitt A I I a 1 und Β I I I . 227 Drews/Wacke, S.42, 281; Bachof, D Ö V 55, 105 (106). A . A . Mayer, Polizeirecht, S. 57; Emmerig, D Ö V 57, 616. 228 s. unten Abschnitt D. 229 v g l . Schiedermair, Widerspruchs- u n d Aufsichtsverfahren, BayVBl. 61, 357 (361). 230 § ι r h p f P V G ; § 1 schlhPG.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14 I p r P V G

§ 1 bremPG enthält insofern eine Besonderheit, als er i n Satz 1 die Abwehr von Gefahren als Aufgabe der Polizei bezeichnet und i n Satz 2 die Befugnis enthält, „hierzu die notwendigen Maßnahmen zu treffen" 2 3 1 . Hinsichtlich der Befugnisnorm besteht jedoch kein Unterschied zu § 14 prPVG 2 3 2 . Ein solcher besteht auch nicht i n bezug auf die „nichteingreifende" Tätigkeit: Diese kann aus Satz 2 ebenso wie aus Satz 1 entnommen werden. Sie reicht i m letzteren Fall auch nicht weiter, da eine Aufgabe auch nur mit geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen erfüllt werden kann 2 3 3 . Was den Umfang der Pflicht zum Tätigwerden anbetrifft, so scheint allerdings die Aufgabe der Gefahrenabwehr den Schluß zu rechtfertigen, das Ermessen hinsichtlich des „Ob" und „Inwieweit" eines Einschreitens sei ausgeschlossen, doch muß hier Satz 1 als durch Satz 2 modifiziert angesehen werden. Damit ist auch bei § 1 bremPG die zu § 14 prPVG entwickelte Auslegungsmethode anwendbar. I n der Literatur w i r d dem Begriff „Aufgabe" nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt 234 . Man bezeichnet allgemein die gefahrenabwehrende Tätigkeit der Polizei als deren Aufgabe und meint damit lediglich ihr „Tätigkeitsfeld" 2 3 5 oder ihren „Tätigkeitsbereich" 2 3 6 . Damit w i r d der durch die Abwehr von Gefahren umrissene Sachbereich der Sicherheitsorgane, also die organisationsrechtliche Seite des § 14 PVG angesprochen 237 . Wenn es aber bei Drews/Wacke 238 heißt: „Handeln die Polizeibehörden i m Rahmen dieser Aufgabe u n d 2 3 9 i n den Grenzen dieser Generalermächtigung, so sind ihre Handlungen rechtmäßige Akte der vollziehenden Gewalt", so w i r d hier dem Begriff Aufgabe anscheinend eine eigene rechtsnormative Wirkung beigelegt. Diese kann ihr aber, wie ausgeführt, nicht zukommen. 231 Nach der Begründung des Gesetzentwurfs (5. Wahlp., Drucksache Nr. 6, unter Α I I 3 b) sollte damit dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der V e r w a l t u n g Rechnung getragen werden, nach dem aus der Zuweisung bestimmter Aufgaben an eine Behörde noch keineswegs deren Befugnisse entnommen werden können. — Dieser K o r r e k t u r des § 14 p r P V G bedurfte es jedoch nicht, da § 14 P V G eine Befugnisnorm enthält, die zugleich den Inhalt der Aufgabe bestimmt. 232 233 234

s. die Vorbemerkung zu diesem Kapitel. s. unten Abschnitt D. Anders jedoch i n Bayern; s. A n m . 647.

235

Froelich, S. 53. Vgl. Drews/Wacke, S. 43; Müller-Heidelberg, S. 14 f. 237 v g l . Forsthoff, S.394; Wolff I I , S. 12 f. 236

258 S. 43. 239 Hervorhebung v o m Verfasser.

6

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht f) Der Begriff „erforderlich" in § 411 PVG. Die Begriffe „notwendig" und „erforderlich" i m Sinne dieser Arbeit

Wie schon oben 2 4 0 erwähnt, enthalten § 411 prPVG und die i h m entsprechenden Bestimmungen der übrigen Sicherheitsgesetze 241 für Polizeiverfügungen, sofern diese nicht auf Grund einer Polizeiverordnung oder eines besonderen Gesetzes erlassen werden, besondere Voraussetzungen. Sie sind nämlich „nur gültig, soweit sie zur Beseitigung einer Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung oder zur Abwehr einer i m einzelnen Falle bevorstehenden Gefahr . . . erforderlich sind". Primäre Handlungsvoraussetzung ist also hier das Vorliegen einer Störung oder einer i m einzelnen Falle bevorstehenden Gefahr, einer sogenannten „konkreten Gefahr" 2 4 2 . Ferner sind Verfügungen „nur gültig, soweit sie zur Abwehr einer . . . Gefahr . . . erforderlich sind". Wenn sie erforderlich sein müssen, dann müssen sie auch möglich und geeignet sein 243 , um die bestehende Gefahr abzuwehren. Sie dürfen auch nicht einen Schaden herbeiführen, der größer als die abzuwehrende Gefahr i s t 2 4 4 ; denn dann erfordert die Gefahr keine Maßnahme mehr. Ferner darf nur die „gerade noch erforderliche" Maßnahme ergriffen werden 2 4 5 . Somit stellt der Begriff „erforderlich" i n § 411 PVG für Polizeiverfügungen die gleichen Erfordernisse auf wie der Begriff „notwendig" i n dem oben 2 4 6 dargelegten Sinne. Aus welchem Grund allerdings der Gesetzgeber hier i m Gegensatz zu § 14 das Wort „erforderlich" gebraucht, geht aus den Beratungen nicht hervor. Doch sieht die Rechtsprechung 247 und das Schrifttum 2 4 8 beide Begriffe als gleichbedeutend an 2 4 9 . Aus dem Begriff „notwendig" ergibt sich aber auch, wann eingeschritten werden muß, nämlich i n besonders schweren Gefahrenfällen 250 . Legt man diese Bedeutung auch dem Begriff „erforderlich" i n § 14 PVG 24

bei A n m . 34. s. oben A n m . 34. 242 s. Abschnitt A l a am Ende. 243 v g l . Franzen I I , S. 132; Müller-Heidelberg, S. 140. 2 44 s. Anm. 243. 2 45 Lerche, S. 19. 2 46 Abschnitt A I b, d. 247 PrOVGE 106, 70; vgl. Drews/Wacke, S. 159. 248 Bender, DVB1. 57, 278 (280); Krauss, S. 14 A n m . 51; Lerche, S. 19; Drews/Wacke, S. 159; Ule/Rasch, §14 p r P V G RNr. 57. 249 Vgl. auch G r i m m , Deutsches Wörterbuch, Leipzig 1862, Band I I I , S. 805: „erfordern, unpers., es erfordert, ist erforderlich, nöthig". 241

250 s, oben Abschnitt A i d .

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

bei, so erhält man das Ergebnis, daß die Polizei nur i n schweren Gefahrenfällen zum Einschreiten berechtigt ist. Wenn aber die Polizei nach § 14 PVG schon bei leichten Gefahren einschreiten darf, dann kann für § 41 dieses Ergebnis nicht zutreffen. Also ist der Begriff „erforderlich" auf alle Gefahrenfälle bezogen und hat nur die Begriffsbestandteile der Möglichkeit, der Geeignetheit und des Übermaßverbots zum Inhalt. Aus diesem Grund sollen zur eindeutigen Unterscheidung der beiden Bedeutungen des Begriffs „notwendig" in § 14 PVG im folgenden unter „erforderlich" oder „Erforderlichkeit" nur die oben251 dargelegten Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Möglichkeit, Geeignetheit, Verhältnismäßigkeit und des geringsteingreifenden Mittels verstanden werden und unter „notwendig" soll im folgenden nur mehr die Notwendigkeit des Einschreitens gemeint sein, also die Fälle, in denen die Sicherheitsorgane die Gefahr abwehren müssen252. Die Auslegung des § 14 PVG ist nunmehr vorerst abgeschlossen. Die nächste Aufgabe besteht darin, die bisher angenommene Hypothese zu beweisen, daß die Sicherheitsorgane, sofern eine Gefahr vorliegt und eine Abwehr nicht notwendig ist, über das „Ob" und „Inwie^ weit" eines Einschreitens nach Ermessen zu entscheiden berechtigt sind. Dazu ist i m folgenden Abschnitt die Entwicklung des Opportunitätsprinzips aufzuzeigen. I I . Die Entwicklung des Opportunitätsprinzips a) Unter der Geltung des § 10 I I 17 des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten von 1794

Diese Vorschrift lautet: „Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit u n d Ordnung u n d zur Abwendung der dem Publico, oder einzelnen M i t gliedern desselben, bevorstehenden Gefahr zu treffen, ist das A m t der Polizey."

Sei der Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. Juni 1876 253 wurde § 10 I I 17 A L R als Rechtsgrundlage für das Einschreiten der Polizeibehörden herangezogen 254 . Nach i h m bestimmte 251

s. oben Abschnitt A l b . 52 s. oben Abschnitt A i d . 253 PrOVGE 1, 337. 2 54 Jesch, Gesetz, S. 162 Anm. 280. — Seitdem ständige Rechtsprechung (Jesch, aaO, S. 163 A n m . 281); aA Scheuner (Der Bereich der Verwaltung, i n : Festgabe für Smend, Göttingen 1952, S. 264), nach dem das P r O V G § 10 I I 17 A L R erstmals i m Kreuzberg-Erkenntnis v. 14.6.1882 (E 9, 353) heran2

3. Kap.: Rechtsanwendung und Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

sich, unter welchen Voraussetzungen und zu welchem Zwecke die Polizei einschreiten durfte 2 5 5 . Die Frage, ob die Polizei auch verpflichtet sei, bei Vorliegen der Voraussetzungen tätig zu werden, wurde unterschiedlich beantwortet: So kommt in der Entscheidung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts vom 21. September 190 0 2 5 6 deutlich zum Ausdruck, daß die Polizei hinsichtlich des „Ob" und „Wie weit" nach Ermessen verfahren kann. Es heißt nämlich dort: „Dem Gebiete des polizeilichen Ermessens gehört namentlich die Beurteilung der Größe der Gefahr, sowie die Frage an, ob und welche 2 5 7 Anstalten zur Beseitigung der Gefahr geboten sind 2 5 8 ." Andererseits betonen zahlreiche andere Entscheidungen, daß die Polizei nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet sei, gegen Gefahren einzuschreiten 259 . Die Formulierung, es sei Recht und Pflicht der Polizei, gegen Gefahren einzuschreiten, erscheint i n diesen Urteilen geradezu stereotyp. Da mit keinem Wort das polizeiliche Entschließungsermessen angesprochen w i r d und es i n all diesen Entscheidungen nur darum ging, ob die Polizei zum Einschreiten berechtigt war, w i r d man annehmen müssen, daß das Wort „Pflicht" lediglich die Bedeutung hatte, zu bekräftigen, daß die Polizei sehr wohl zum Einschreiten berechtigt gewesen sei 2 6 0 . Auch w i r d auf diese Pflicht i n den Entscheidungen nie eingegangen. Der Grund liegt darin, daß damals ein Einschreiten durch die Verwaltungsgerichte nicht erzwungen werden konnte 2 6 1 . gezogen habe; ebenso Mayer, DVB1. 59, 449. — Ursprünglich w a r diese V o r schrift jedoch nicht als Ermächtigungsnorm gedacht (Jesch, Gesetz, S. 163 A n m . 282 m i t Nachweisen; vgl. ferner Teicher, Diss., S. 23; Franzen I, S. 13 f.; Bachof, DÖV 55, 105, 106; Werner, DVB1. 57, 806, 807); aA Jellinek, V e r waltungsrecht, S. 428. 255 Loening, VArch. 2, 461; Rosin, VArch. 3, 293 Anm. 128, 324, 429; Schoen, VArch. 27, 114; Jellinek, AöR 32, 589; P r O V G E 9, 370. 256 P r V B l . Bd. 22, 214. 257 Also auch „ i n w i e w e i t " . 258 Vgl. auch Stier-Somlo, Festgabe für Paul Laband, S. 505. 259 PrOVGE 2, 406; 3, 216; 10, 266; 36, 406; 38, 258; 55, 433; 75, 341; P r V B l . Bd. 47, 429 Nr. 3; 51, 501. — Ferner P r V B l . Bd. 5, 93; 7, 317; 8, 271; 10, 506; 32, 681; 35, 89. — Ebenso auch das Königlich Sächsische O V G : SächsOVG Jahrb. Bd. 3, 306; 5, 204; 8, 198. Die Entscheidung i n Bd. 11, S. 215 spricht nur von einer Berechtigung. 260 So auch Teicher, Diss., S. 27; aA ohne Begründung Bühler, S. 182 Anm. 288 aE. 261 PrOVGE 2, 354; 3, 215; 4, 230; 5, 265; 6, 236; 9, 402; 12, 364; 14, 382; 18, 248; 22, 288; P r V B l . Bd. 6, 415; 12, 544; 14, 382; 14, 530; 18, 381; Arnstedt I, S. 69; Drews, l . A u f l . , S. 37; Friedrichs, Grundzüge, S. 52. — Anders: SächsQYQ Jahrb. 3Bdf 13, 4 (vgl. dazu 4. Kap. A n m . 94).

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14 I p r P V G

So behandeln auch die um die Jahrhundertwende erschienenen Werke von Otto Mayer 262, Biermann 263 und Arnstedt 264 ausschließlich die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Polizei Maßnahmen treffen darf. Nach Biermann hat der Verwaltungsrichter zu prüfen, „ob die Verfügung nöthig war zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit und Ordnung". Er versteht darunter die Prüfung, ob eine Gefahr für diese Rechtsgüter vorhanden war und ob das Vorgehen auch zweckmäßig 2 6 5 und verhältnismäßig 2 6 6 war. Auch Arnstedt geht auf das Opportunitätsprinzip nicht ein. Es heißt zwar einmal: „Ist eine Gefahr vorhanden und damit die Polizeiverwaltung zur Abwehr berufen, so hängt die Wahl der M i t t e l von ihrem Ermessen ab 2 6 7 ." Anschließend geht er jedoch auf die Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit des M i t tels e i n 2 6 8 ' 2 6 9 . Thoma 270 unterscheidet zwischen vollziehenden und verpflichtenden Verfügungen. Erstere vollziehen lediglich eine vorhandene Norm 2 7 1 , während verpflichtende Verfügungen und Verordnungen 2 7 2 dann möglich sind, „wenn der Untertan der öffentlichen Verwaltung gegenüber nicht ohnehin schon zu dieser Handlung oder Unterlassung verpflichtet gewesen wäre" 2 7 3 . Ihre verpflichtende Kraft beruht vielmehr auf der „allgemeinen Gehorsamspflicht". Nur für vollziehende Verfügungen soll nach Thoma das Legalitätsprinzip gelten; für verpflichtende Akte wollte er dieses Prinzip jedoch nicht aufstellen 274 . Gegen dieses „Legalitätsprinzip i m Polizeiverfügungsrecht" wandte sich Walter Jellinek 275. Er stellte i n seinem grundlegenden, i m Jahre 262 Deutsches Verwaltungsrecht, Leipzig 1895. 263 Privatrecht und Polizei i n Preußen, B e r l i n 1897. 2

®4 Das Preußische Polizeirecht, B e r l i n 1904/1905. „Es ist auch zuzugeben, daß eine gewisse Controle über die Angemessenheit und Zweckmäßigkeit des polizeilichen Vorgehens den V e r w a l tungsrichtern damit ebenfalls zuerkannt w i r d . " (S. 25). 265

266 s. 24 f.

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67 Arnstedt I, S. 59. 68 Ä h n l i c h auch I, S. 146. 269 Rosin versteht den Begriff „ A m t " i m Sinne von „Aufgabe" und sieht diesen i n erster L i n i e i n staatsrechtlichem Sinn „als einen ein für alle M a l abgegrenzten, organisatorisch verselbständigten A u f t r a g zur Besorgung öffentlicher, insbesondere staatlicher Angelegenheiten und Geschäfte" an (VArch.3, 290). 270 Der Polizeibefehl i m Badischen Recht, Tübingen 1906. 2 71 aaO, S. 77 ff., 69. 272 aaO, S. 59. 2 73 aaO, S. 53. 2 74 Vgl. aaO, S. 69 und dazu Teicher, Diss., S. 24 f. 2

275

Gesetz, S. 276 A n m . 38; ebenso Schultzenstein, VArch. 15, 304.

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

1913 erschienenen Werk „Gesetz, Gesetzesanwendung und Zweckmäßigkeitserwägung" als erster klar heraus, daß es einen Punkt gebe, wo die Polizei einschreiten müsse und einen Punkt, wo sie nicht mehr einschreiten dürfe. „Der erste Punkt liegt auf der Grenze der Schädlichkeit, der zweite auf der Grenze des Übermaßes 276 ." Er fügt jedoch gleich hinzu, daß die Grenze der Schädlichkeit die weitaus unwichtigere und daher wohl von der Literatur m i t Stillschweigen übergangen worden sei. Jellinek stellt heraus: Mag die Polizei noch so frei i n ihren Entscheidungen sein; bei wirklich dringenden Gefahren höre diese Freiheit auf. Das gelte auch für Polizeiverordnungen. Werde auf öffentlichen Wegen lebensgefährlich gerodelt, so dürfe die Polizei nicht mehr untätig bleiben. Sonst mache sie sich einer Überschreitung ihrer Amtsbefugnis schuldig und der Geschädigte habe einen Amtshaftungsanspruch 277 . A u f den Wortlaut des § 10 I I 17 A L R geht Jellinek allerdings nicht ein. Er stellt nur fest: „Bestimmt w i r d die Grenze der Schädlichkeit nach den Anschauungen der Gesellschaft 278 ." Ottmar Bühler, dessen Abhandlung „Die subjektiven öffentlichen Rechte und ihr Schutz i n der deutschen Verwaltungsrechtsprechung" ein Jahr nach Jellineks Werk erschienen 279 und dem dieses offenbar nicht zugänglich w a r 2 8 0 , ist der Ansicht, daß die Formulierung des § 10 I I 17 ALR, „ist das A m t der Polizey", w o h l eher zu einer Bejahung des Legalitätsprinzips führe 2 8 1 . Der Ansicht von Thoma sei der Vorzug zu geben. Innere Gründe sprächen unbedingt für sie. Ausschlaggebend sei eigentlich für sich allein schon das Folgende: Wenn die Polizei einen Angriff nur vornehmen dürfe, wenn es nötig sei, so sei mit der Bejahung der Zulässigkeit des Eingriffs immer gesagt, daß er vorgenommen werden müsse — w e i l nötig sein doch nichts anderes bedeute als eben das 282 . Es könne nicht w o h l i m Verhältnis der Polizei zum Publik u m etwa nötig sein (und daher die Polizei zum Einschreiten berechtigen) 283 , gleichzeitig aber für die Polizei vom Standpunkt ihrer inneren 276 Gesetz, S. 267. 277 Gesetz, S. 267 f. 278 Gesetz, S. 267. 279 B e r l i n 1914. 280 w a s sich aus S. 181 seiner Abhandlung ergibt. 281 Bühler, aaO, S. 181. 282 aaO, S. 182. 283 i m Gegensatz zu § 14 P V G zwingt § 10 I I 17 A L R i n seinem ersten Halbsatz („Die nöthigen Anstalten zur Erhaltung der öffentlichen Ruhe, Sicherheit u n d Ordnung . . . zu treffen"), die Eingriffsbefugnis (primäre Handlungsvoraussetzung) m i t dem Begriff „nöthig" abzugrenzen. Sie entspricht der „Gefahr" i n § 14 PVG.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

1

Verpflichtungen heraus doch wieder nicht nötig sein (und ihr daher die Wahl zwischen Vornahme und Nichtvornahme gestatten) 284 . Beim Vorliegen einer Polizeiwidrigkeit müsse also eingeschritten werden, für ein freies Ermessen gebe es überhaupt keinen Raum 2 8 5 . Daraus, daß die Polizei faktisch sehr oft i m Zweifel sein könne und auch tatsächlich ist 2 8 6 , ob sie einschreiten solle, dürfe nichts gegen das Legalitätsprinzip geschlossen werden 2 8 7 . Gegen Bühlers Auffassung wandten sich Jellinek und Schoen: Jellinek 288 erwiderte: „Daraus, daß ein Einschreiten zur Abstellung von Ordnungswidrigkeiten nötig sei, folgt noch nicht die Notwendigkeit des Einschreitens an sich." Wenn jemand nach Amerika fahren wolle, sei es nötig, daß er m i t dem Schiff hinüberfahre. Daraus könne jedoch nicht geschlossen werden, daß die Amerikafahrt an sich nötig sei 2 8 9 . Ferner weist Jellinek darauf hin, daß die Polizei Verwaltung sei und nicht Justiz, daß sie daher i m Zweifel nicht wie diese eindeutig gebunden sei 2 9 0 . I n seinem „Verwaltungsrecht" 2 9 1 verteidigte Jellinek das Opportunitätsprinzip jedoch m i t einer anderen Begründung: Verwaltungsermessen könne nicht nur auf der Rechtsfolgeseite einer Norm, sondern auf der Tatbestandsseite auftreten. So sei auch bei § 10 I I 17 A L R zwar nicht die Rechtsfolge i n das Ermessen der Behörde gestellt („ist das A m t der Polizey"), aber der Begriff „Gefahr", die gesetzliche Handlungsvoraussetzung, gehöre zu den „unbestimmten Begriffen" und könne daher innerhalb gewisser Schranken näher abgegrenzt werden. „Wohl gibt es einen Gefahrenpunkt, bei dem die Polizei einschreiten muß, w o h l gibt es einen Punkt, bei dem sie nicht mehr einschreiten darf, aber beide Punkte decken sich nicht, sondern lassen Spielraum für die Betätigung des freien Ermessens 292 ." Schoen weist ebenfalls darauf hin, Bühler habe den Umstand übersehen, daß die Frage, ob eine polizeiliche Anordnung nötig sei, i n einem zweifachen Sinne aufgeworfen werden könne 2 9 3 . Einmal könne man fragen, ob das Angeordnete „nöthig" gewesen sei, um den polizeilichen 284 aaO, S. 182. 285 aaO, S. 182 f. 286 Bühler erkennt also richtig, daß hier ein „Beurteilungsspielraum", aber k e i n „Ermessen" gegeben ist (vgl. Abschnitt I I I b 4). 287 aaO, S. 182 A n m . 288. 288 A Ö R 32, 580 (590 f.). 289 Ebenso Teicher, Diss., S. 24. 290 A Ö R 32, 590. 291 3. Aufl., B e r l i n 1931, S. 36. 292 aaO, S. 36; vgl. dazu unten die K r i t i k , S. 128 f. 293 VArch. 27, 121.

3. Kap.: Rechtsanwendung und Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Zweck zu erreichen, also unbedingt erforderlich 294 . Man könne aber auch fragen, ob ein polizeiliches Einschreiten i m Einzelfall „nöthig" i m Sinne von geboten und zweckmäßig gewesen sei, ob es sich „empfahl, überhaupt einzuschreiten, oder ob es . . . nicht vielleicht aus irgend einem Grund ratsam erschien, doch von der völligen Beseitigung der Störung Abstand zu nehmen und sich m i t der Herabminderung zu begnügen" 2 9 5 . Die erste Frage sieht Schoen als „Rechtsfrage" an, die zweite als „reine Ermessensfrage", auf deren Lösung i n einem bestimmten Sinne die Gewaltunterworfenen keinen Anspruch haben 2 9 6 . Eine derartige Zweiteilung des Begriffs „nöthig" vertreten auch Scholz 297 und Popitz 298. Scholz 299 bezeichnet die Prüfung, ob eine Gefahr vorgelegen hat und ob eine Maßnahme „nöthig" — i m Sinne von erforderlich — war, als „gebundene Ermessensfrage", die der gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Von „Ermessen" spreche man hier nur deshalb, „ w e i l die Voraussetzungen i m Gesetz nicht genau bestimmt sind und die Unterordnung der einzelnen Tatbestände unter die Begriffe des Gesetzes nicht i m wesentlichen durch eine logische Schlußfolgerung möglich ist, sondern ein Abmessen — Abwägen, Prüfen — der voraussichtlichen 300 Folgen der einzelnen Tatumstände nötig macht". Davon sei zu unterscheiden das freie, der Nachprüfung entzogene Ermessen, das darüber entscheidet, „ob, in welcher A r t und i n welchem Umfang innerhalb der Grenzen der . . . Ermächtigung ein Einschreiten i m öffentlichen Interesse zweckmäßig" sei. Drews ging auf diese Fragen in seinem 1927 erschienenen „Preußischen Polizeirecht" nicht ein. Er schließt ohne nähere Begründung aus dem Wort „das A m t " , daß die Polizei nach außen h i n berechtigt, aber nicht verpflichtet sei, i n Gefahrenfällen einzugreifen 301 . „Es herrscht also das Opportunitätsprinzip, nicht das Legalitätsprinzip". Die Polizei habe nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob ein Einschreiten nach Lage aller i n Betracht kommenden Umstände vom Standpunkt des öffentlichen Interesses aus zweckmäßig und geboten sei. Kein 294 Schoen sieht also i n dem Begriff „nöthig" n u r den Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels, während Jellinek i h n i m Sinne von „Gefahr" gebraucht. 2 95 VArch. 27, 121. 2 96 VArch. 27, 121 f. 2 97 VArch. 24, 184 (188 Anm. 7). 298 P r V B l . Bd. 36, 285.

299 VArch. 24, 184 (188 f.). 3 00 Vgl. Abschnitt A I c. sol 1. Aufl., (1927), S.35; 2. Aufl., (1929), S. 35 ff.; vgl. dazu Martens, JuS 62, 245 A n m . 5: „Die (seil. Drewssche) Ableitung des Grundsatzes aus dem W o r t laut des § 10 I I 17 überzeugt allerdings nicht."

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

Dritter habe ein Recht auf Einschreiten 302 . „Abgesehen hiervon", fährt Drews weiter unter fort 3 0 3 , „kann aber — unbeschadet der grundsätzlichen Geltung des Opportunitätsprinzips nach außen h i n — für gewisse Fälle eine innerdienstliche Pflicht der Polizei zum Einschreiten bestehen." Dies könne durch Gesetz oder Dienstanweisung vorgeschrieben sein. Werde sie verletzt, so bestehe ein Amtshaftungsanspruch aus § 839 B G B 3 0 4 . Fleiner 305 stellt den Grundsatz auf, für das Verwaltungsrecht gelte i m allgemeinen das sogenannte Legalitätsprinzip. Werde aber dem öffentlichen Interesse durch eine passive Haltung mehr gedient als durch eine aktive Tätigkeit, dann gewinne das Opportunitätsprinzip die Oberhand; so auch i m Polizeirecht 306 . Fleiner stellt damit das gesamte Verhalten der Verwaltung auf den unbestimmten Rechtsbegriff des öffentlichen Interesses ab. Doch gewährt er der Polizei ein echtes Verwaltungsermessen, da ihr vom Gesetz eingeräumt sei, bei Gefahren die „erforderlichen Maßnahmen" zu treffen 3 0 7 . Die Rechtsprechung des Reichsgerichts: Die einzige 308 Möglichkeit, die Frage, ob die Polizei in einem einzelnen Falle hätte einschreiten müssen, einem Gericht zur Entscheidung vorzulegen, bestand i n der Erhebung der Amtshaftungsklage vor den ordentlichen Gerichten. § 839 BGB iVm. Art. 131 W V gewährten einen Ersatzanspruch, wenn durch die Verletzung einer dem Kläger gegenüber 302 l . Aufl., S. 36; ebenso Drews/Lassar, 21. Aufl. (1928), S.21; vgl. auch Drews, P r V B l . Bd. 47 (1926), S. 571 ff. 303 1. Aufl., S. 38. 304 Drews hat diese seine Ansicht schon früher i n seinem Aufsatz „Polizei und Schadensersatz nach Preußischem Recht" i n P r V B l . Bd. 47 (1926), S. 571 ff., näher ausgeführt: „Diese Ersatzpflicht k a n n . . . auch durch negative Unterlassung (?) einer Handlung seitens der Polizei begründet werden, zu deren Vornahme sie rechtlich verpflichtet gewesen wäre. Doch ist dabei w o h l zu beachten, daß f ü r das Einschreiten der Polizei i m allgemeinen nicht das Legalitätsprinzip, sondern das Opportunitätsprinzip g i l t ; es ist der Regel nach i n das pflichtmäßige Ermessen der Polizei gestellt, ob u n d eventuell wie sie unter Berücksichtigung aller Umstände beim Vorliegen einer polizeilichen Gefahr einschreiten w i l l ; n u r wenn das Gesetz oder eine von der zuständigen Dienstbehörde erlassenen I n s t r u k t i o n beim Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (welcher?) ein Eingreifen der Polizei positiv vorschreibt, w i r d durch schuldhaftes oder (!) fahrlässiges Außerachtlassen dieser dienstlichen Verpflichtung ein Schadensersatzanspruch gemäß § 839 B G B begründet." 305 Institutionen des Deutschen Verwaltungsrechts, 8. Aufl., Tübingen 1928. 306 aaO, S. 140 A n m . 24. — Als Beispiel f ü h r t er an, die Polizei brauche sich nicht wegen jeder Bagatelle ins Zeug legen (aaO, S. 141 A n m . 25). 307 aaO, S. 142. Er hat w o h l § 10 I I 17 A L R i m Auge, ohne dies zum A u s druck zu bringen. 308 v g l . aber 4. Kap., Abschnitt B, sowie dort A n m . 94 (Bühler).

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht o b l i e g e n d e n A m t s p f l i c h t e i n Schaden v e r u r s a c h t w u r d e . Ebenso w i e e i n u n g e r e c h t f e r t i g t e s E i n s c h r e i t e n k a m auch e i n N i c h t - oder n i c h t ausreichendes E i n s c h r e i t e n gegen eine G e f a h r als V e r l e t z u n g e i n e r Amtspflicht i n Betracht. E r s t m a l s beschäftigte sich das Reichsgericht m i t der e r w ä h n t e n F r a g e i n seiner E n t s c h e i d u n g v o m 2 6 . 1 . 1 9 1 2 3 0 9 . Es g i n g a l l e r d i n g s i n diesem F a l l n i c h t d a r u m , ob die P o l i z e i h ä t t e einschreiten müssen, s o n d e r n ob i h r e M a ß n a h m e r e c h t m ä ß i g w a r . H i e r z u f ü h r t e das R G aus: „ W a r e n die tatsächlichen V o r a u s s e t z u n g e n f ü r die A n w e n d u n g dieser V o r s c h r i f t (§ 10 I I 17 A L R ) v o r h a n d e n , so w a r die P o l i z e i z u d e r erlassenen A n o r d n u n g n i c h t n u r berechtigt, s o n d e r n auch v e r p f l i c h t e t . " Das G e r i c h t gebrauchte also h i e r die gleiche F o r m u l i e r u n g , w i e sie i n d e n E r k e n n t nissen des Preußischen O b e r v e r w a l t u n g s g e r i c h t s a u f t a u c h t 3 1 0 . V o n großer B e d e u t u n g f ü r die B e r a t u n g e n des § 14 P V G w a r das U r t e i l des R G v o m 15.11.1921, das u n t e r der B e z e i c h n u n g „Rodelfall" b e k a n n t w u r d e 3 1 1 . D a sich a n i h m einige M e i n u n g s v e r s c h i e d e n h e i t e n entzündeten, s o l l er a u s f ü h r l i c h geschildert w e r d e n . A m Abend des 2. Januar 1918 wurde der K a u f m a n n Κ auf einer Straße i n S von einem Rodelschlitten angefahren u n d umgestoßen. Er fiel so u n glücklich, daß er einen Schädelbruch e r l i t t u n d starb. Die W i t w e des Κ erhob Schadensersatzklage m i t der Behauptung, die Polizei habe ihre A m t s pflicht verletzt, w e i l sie geduldet habe, daß gerodelt wurde. Der Beklagte, der Preußische Staat, wies darauf hin, daß durch Verordnung das Rodeln auf den Straßen v o n S verboten worden sei, auf die V O hingewiesen u n d auch Zuwiderhandelnde angezeigt worden seien. Ferner sei es wegen der geringen Z a h l der Beamten nicht möglich gewesen, den Rodelunfug zu unterdrücken. — Das RG gab der Klage aus folgenden Gründen statt: Nach § 10 I I 17 A L R sei es „Amtspflicht der Polizei" gewesen, die Fußgänger vor den Gefahren des Rodelsports nach Möglichkeit zu schützen. Die Polizei habe „ihre Pflicht zum Einschreiten auch erkannt" u n d durch V O das Rodeln untersagt. Damit habe sie „jedoch noch nicht alles getan, was i h r zu t u n oblag". Nachdem, „sobald es schneite, i n der Stadt ganz allgemein von j u n g u n d alt gerodelt" worden sei u n d „ i n fast jeder Familie ein Rodelschlitten vorhanden" gewesen sei u n d sich „ a n geeigneten Stellen oft bis zu 100 Personen am Rodeln beteiligt" hätten, habe sich die Polizeiverwaltung „nicht damit begnügen dürfen, die V O i n Erinnerung zu bringen u n d gegen einzelne von Hunderten oder Tausenden, die täglich dem v e r botenen Sport huldigten", Strafverfügungen zu erlassen, sondern sie hätte „rücksichtslos dem gesetz- u n d ordnungswidrigen Zustand ein Ende bereiten müssen". „Statt dessen sah sie m i t verschränkten A r m e n zu, daß der Rodelunfug i n den Straßen von S sich weiter austobte, wie er sich ohne polizei30» RGZ 78, 202 (206); vgl. auch RGZ 120, 220 (222). 310 s. oben bei A n m . 259, 260. su Reger Bd. 42, 373 = P r V B l . Bd. 43, 394 = Fischers Zeitschrift Bd. 25, 203. — Fälschlich als RGZ 42, 373 zit. bei Scupin, S. 618 A n m . 1 u n d Klausener, Kommentar, S. 111 aE.

Α . Die Ermächtigungsnorm des § 14

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liches Verbot k a u m ärger austoben konnte." „Die jahrelange stillschweigende Duldung eines als verkehrsgefährlich anerkannten u n d unter Strafe gestellten Straßensports . . . zeugt von einer Ohnmacht u n d Schwäche, deren sich die Polizeibehörde nicht schuldig machen durfte." „ H a l f nicht eine strenge Bewachung der Straßen . . . , halfen nicht Massenanzeigen u n d Massenbestrafungen, half nicht die Wegnahme von Rodelschlitten,.,. dann hätte die Polizei für ein Unbrauchbarmachen der Fahrbahnen durch stellenweises Streuen v o n Asche oder stellenweises Fortschaufeln des Schnees sorgen müssen." Diesen Maßnahmen hätten auch keine Hindernisse entgegengestanden. — Abschließend stellt das Gericht fest, daß durch das Rodeln eine f ü r die Fußgänger „erhebliche Gefahr f ü r Leib u n d Leben" bestanden habe u n d daß die Polizei durch die Unterlassung „ernstlicher Versuche", diese Gefahr zu beseitigen, sich einer Verletzung einer i h r auch dem Ehemann der Klägerin gegenüber obliegenden Amtspflicht schuldig gemacht habe. Das G e r i c h t n i m m t h i e r also eine Pflicht z u m E i n s c h r e i t e n als selbstv e r s t ä n d l i c h an. O h l e 3 1 2 zog n u n aus der R o d e l e n t s c h e i d u n g d e n Schluß, das Reichsgericht e r k e n n e ohne E i n s c h r ä n k u n g das L e g a l i t ä t s p r i n z i p a n u n d der Satz „ i s t A m t der P o l i z e y " müsse gelesen w e r d e n w i e „ i s t A m t s p f l i c h t der P o l i z e y " . Dieser A u f f a s s u n g t r a t J e l l i n e k e n t g e g e n 3 1 3 . E r sieht auch i m R o d e l f a l l k e i n e A b l e h n u n g seiner T h e o r i e , sondern l e d i g l i c h e i n e n F a l l , der a u f der Grenze d e r S c h ä d l i c h k e i t liege oder d a r u n t e r . A u c h S c h e u n e r 3 1 4 v e r s t a n d die E n t s c h e i d u n g des R G d a h i n , daß i n diesem F a l l e die „GesetzesVerletzung f e s t s t e l l b a r " gewesen sei. V o n e i n e r „ g e n e r e l l e n A n e r k e n n u n g des L e g a l i t ä t s p r i n z i p s " k ö n n e „ n a t ü r l i c h dabei k e i n e Rede s e i n " 3 1 5 . I n e i n e m späteren F a l l e 3 1 6 w a r die P o l i z e i ebenfalls gegen das R o d e l n a u f städtischen S t r a ß e n n i c h t eingeschritten. E i n Passant w u r d e angef a h r e n u n d v e r l e t z t . A u f seine A m t s h a f t u n g s k l a g e h i n f ü h r t e das R G 312 P r V B l . Bd. 46, 361. 313 P r V B l . Bd. 46, 490. 314 VArch. 33, 68 (89 f.). 315 VArch. 33, 68 (90). Hierbei ist Scheuners Ermessenslehre zu berücksichtigen. Nach i h m liegt nämlich Ermessen n u r vor, „soweit aus dem Gesetz f ü r einen Vollzugsakt k e i n anderer Maßstab sich ergibt als der Zweck, unter dem der Staat das Lebensgebiet geregelt hat, das die N o r m behandelt" (aaO, S. 83 f.). Das Ermessen ist nach Scheuners Auffassung ein „Auslegungsproblem, die Schwierigkeit, den I n h a l t des Gesetzes zu ermitteln". Der Unterschied zwischen Ermessen u n d Gebundenheit sei n u r ein qualitativer; i n manchen Fällen, ζ. B. dem Begriff „öffentliches Interesse", habe sich eine feste Grenzziehung als unmöglich erwiesen; hier greife das Ermessen ein (aaO, S. 81). sie U r t . des R G v. 2.2.1925 JR 1925, Beilage, Sp. 947 Nr. 1314.

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3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

aus: „Bebaute oder sonst verkehrsreiche Straßen ohne entsprechende Maßnahme zur Sicherung des gewöhnlichen Straßenverkehrs als Rodelbahn zu benutzen ist ein Unfug. Derartiges zu verhindern ist Sache der Polizei . . . Dieser Fürsorgepflicht nachzukommen gehört zu den Amtspflichten, die den Beamten der Sicherheitspolizei . . . gegenüber dem einzelnen obliegen." Auch hier w i r d das Ermessensproblem m i t keinem Wort erwähnt 3 1 7 . I n den folgenden Urteilen beschäftigt sich das Reichsgericht m i t der Pflicht der Polizei, den Staatsbürger vor Gewalttaten zu schützen: I n der Entscheidung vom 27. 3.1923 318 heißt es: Wenn sich auch das Vorgehen der Polizei gegenüber Unruhen und Plünderungen nachträglich als falsch herausstellen sollte, so kann deshalb doch noch nicht ein Verschulden angenommen werden." — Das Gericht geht also davon aus, daß i n derartigen Gefahrenfällen ein Einschreiten selbstverständliche Pflicht der Polizei ist; allerdings w i r d anerkannt, daß hinsichtlich der Geeignetheit der Maßnahmen lediglich eine Prognose 319 gestellt werden könne. I n einem anderen Falle 3 2 0 war das Haus des Klägers von einer Bande geplündert worden. Da der leitende höhere Polizeibeamte lediglich deswegen nicht eingegriffen habe, w e i l er die nötige Energie nicht aufgebracht habe, gab das RG der Amtshaftungsklage statt. Ein späteres U r t e i l 3 2 1 enthält folgende Ausführungen: „Das Berufungsgericht erkennt an, daß die Polizeibeamten . . . durch Nichtverhütung des am 1. 6.1931 beim Kläger verübten Einbruchsdiebstahls . . . nach dem i m § 10 I I 17 A L R . . . umschriebenen Aufgabenkreis der Polizei an sich eine dem Kläger gegenüber obliegende Amtspflicht schuldhaft verletzt haben können, es lehnt jedoch die Auffassung ab, daß schon die Nichteinführung eines ununterbrochenen nächtlichen Streifendienstes mangels einer diesen anordnenden Vorschrift eine solche Amtspflichtverletzung darstellt. Dem ist beizutreten. Wie die Polizei den i h r anvertrauten Schutz der Bevölkerung vor nächtlichen Einbrüchen ausüben w i l l , unterliegt ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Ihre Anordnungen entziehen sich der richterlichen Nachprüfung."

Die zweite Entscheidung, an der i n den Beratungen des § 14 PVG die Praxis des Reichsgerichts illustriert wurde 3 2 2 , war das Urteil vom 3n Nicht einmal § 10 I I 17 w i r d erwähnt. — Das RG verweist jedoch auf eine frühere, nicht veröffentlichte Entscheidung v o m 31. 3.1913, die ebenfalls der Klage stattgab, w e i l die Polizei gegen das Rodeln auf öffentlichen Straßen nicht eingeschritten sei. sis Das Recht 1923, Nr. 885. 319 Vgl. oben Abschnitt A I c. 320 Urt. v. 23.10.1925, Das Recht 1925, S. 765 Nr. 2428. 321 v. 4. 5.1934, WarnRspr. 1934, S. 361 Nr. 177. 322 s. Klausener, PVG, S. 133 u n d unten S. 100.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

26.1.1927323. A n einer verkehrsreichen Straßenkreuzung w a r e n keine W a r n z e i c h e n aufgestellt. Es k a m z u e i n e m K r a f t w a g e n z u s a m m e n s t o ß . D e r A m t s h a f t u n g s k l a g e gab das R G m i t f o l g e n d e r B e g r ü n d u n g s t a t t : Der Befugnis der Wegebaupolizeibehörden, auf G r u n d der allgemeinen polizeilichen Vorschriften die Aufstellung von Warnungstafeln anzuordnen, „entspricht eine (diesen Behörden) auch einzelnen Staatsbürgern gegenüber obliegende Amtspflicht, von i h r den Gebrauch zu machen, der nötig ist, u m die dem P u b l i k u m oder seinen einzelnen Mitgliedern bevorstehenden Gefahren abzuwehren (vgl. § 10 A L R I I , 17)". Diese Amtspflicht sei dann verletzt, „ w e n n die Kreuzung der Landstraße Hamburg-Bremen m i t der v o m Dorfe S zum Bahnhof führenden Straße, als sich der U n f a l l ereignete, eine so gefährliche Wegstrecke bildete, daß zur ungehinderten A b w i c k l u n g des V e r kehrs u n d zur Vermeidung von Unglücksfällen ihre Kennzeichnung durch Warntafeln hätte erfolgen müssen". Dies sei „eine Frage i m wesentlichen tatsächlicher Natur". A n die „polizeiliche Fürsorge" dürfen jedoch „keine übertriebenen Ansprüche" gestellt werden. I n diesem F a l l hätten aber wegen des starken Verkehrs u n d der Unübersichtlichkeit der Kreuzung Warnungstafeln aufgestellt werden müssen 324 » 3 2 5 . I n e i n e m a n d e r e n F a l l 3 2 6 w a r e i n Provisionsreisender b e i m B e t r e t e n einer W o h n u n g d u r c h d e n schadhaften F u ß b o d e n h i n d u r c h g e b r o c h e n u n d h a t t e sich d e n F u ß gebrochen. Das Reichsgericht l e i t e t e aus § 10 I I 17 A L R die A m t s p f l i c h t der B a u p o l i z e i ab, „ i n A u s ü b u n g der i h r a n v e r t r a u t e n ö f f e n t l i c h e n G e w a l t nach e r l a n g t e r K e n n t n i s . . . r e c h t zeitig den Eigentümer zur Instandsetzung anzuhalten u n d nötigenfalls die R ä u m u n g der W o h n u n g z u veranlassen". Das B e r u f u n g s g e r i c h t habe n i c h t v e r k a n n t , daß es „ i n erster L i n i e d e m pflichtgemäßen Ermessen der P o l i z e i a n h e i m g e g e b e n " gewesen sei, „ w e l c h e M a ß n a h m e n u n d welche F r i s t f ü r die A u s f ü h r u n g der A n o r d n u n g z u setzen" gewesen sei. W e n n es ausspreche, „ e i n A b w a r t e n v o n e i n e m h a l b e n J a h r ü b e r steige b e i der a u ß e r o r d e n t l i c h e n G e f ä h r l i c h k e i t des Zustandes des F u ß bodens ohne Z w e i f e l die G r e n z e n eines p f l i c h t m ä ß i g e n Ermessens", so sei i h m d a r i n r ü c k h a l t l o s b e i z u t r e t e n . — A u c h i n diesem F a l l w i r d eine Pflicht z u m E i n s c h r e i t e n als s e l b s t v e r s t ä n d l i c h a n g e s e h e n 3 2 7 . 32

3 J W 1927, S. 1265 Nr. 21. Scheuner (VArch. 33, 68, 89) hält dieses U r t e i l i n gleicher Weise als m i t dem Opportunitätsprinzip vereinbar wie den Rodelfall. 32 $ I n einer weiteren Entscheidung (Urt. v. 27. 4.1934, Seuff Arch. Bd. 88 (1934), S. 234 Nr. 119) verweist das RG auf dieses U r t e i l u n d f ü h r t aus, daß die Polizei auch die Amtspflicht treffe, die Bürgersteige v o n Verkehrshindernissen freizuhalten. 32 * Urt. v. 25.1.1929 Seuff Arch. Bd. 83 (1929), S. 216 Nr. 134. 327 E i n vieldiskutiertes Problem w a r i n dieser Zeit auch die Frage, w i e weit die Polizei verpflichtet sei, zum Schutze der Straßenanlieger v o r Gebäudeschäden gegen den Straßen-, insbesondere den Lastwagenverkehr einzuschreiten (vgl. Gülde, R d K 1929, 48; Delius, P r V B l . 1930, 622, 752; Dömel, Stusev 1930, 331; v . d . L ü h e , P r V B l . 1930, 751; Delius, R d K 1932, 4 (6); Dömel, RuPrVBl. 1933, 807; Weigelt, R u P r V B l . Bd. 55, 419 u n d R d K 1935, 199). — 324

7 Schmatz

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Erstmals erwähnt das Reichsgericht den Begriff „Opportunitätsprinzip" i n dem Urteil vom 4.11.1932 328 , wobei es sich auf Drews und Lassar 329 beruft. Es betont jedoch, daß sich aus § 10 I I 17 A L R Dienstpflichten ergeben können, deren Verletzung Amtspflichtverletzungen darstellten. I n dem zur Entscheidung stehenden Falle nahm das Gericht als selbstverständlich an, daß § 10 I I 17 die Amtspflicht statuiere, von der Befugnisnorm des § 1 des preußischen Wassergesetzes, nach dem die Wasserpolizeibehörden „befugt" sind, unter gewissen Voraussetzungen Maßnahmen zu treffen, Gebrauch zu machen, wenn diese Voraussetzungen vorliegen 3 3 0 . Nach Teicher 331 und Helf ritz 332 weist der Wortlaut des § 10 I I 17 weder auf ein Legalitäts- noch ein Opportunitätsprinzip hin. Es gelte aber letzteres, da die Polizeipraxis seit jeher dieses Prinzip verwirklicht habe 3 3 3 . Ferner sei aus der Idee des früher herrschenden Polizeistaates wohl erklärlich, daß durch den Erlaß des § 10 I I 17 keineswegs das Legalitätsprinzip aufgestellt werden sollte 3 3 4 . Das Opportunitätsprinzip sei vielmehr eine „historische bedingte Tatsache", der i n § 14 PVG Rechnung getragen worden sei 3 3 5 . b) Die Entwicklung des Opportunitätsprinzips unter der Geltung des § 14 prPVG

1. Die Beratung

des §14 im Ausschuß für Verfassungsfragen des Preußischen

Landtags

Den Anstoß zum Erlaß des preußischen Polizeiverwaltungsgesetzes gab i n erster Linie der Ruf nach Vereinheitlichung des formellen Polizeirechts 336 . I m Zuge dieser Reform sollte auch das materielle PolizeiDas O L G Düsseldorf befaßte sich m i t dieser Frage i n seiner Entsch. v. 6. 4.1934 (RdK 1934, 120), die jedoch v o m RG nicht gebilligt wurde (RGZ 137, 179). Da beide Urteile zur Lösung der Frage weder § 10 I I 17 A L R noch § 14 P V G heranzogen, sondern von § 30 der V O über den Kraftfahrzeugverkehr v o m 16. 3.1928 (RGBl. I S. 91) ausgingen, soll auf diese Entscheidungen nicht eingegangen werden. 328 RGZ 138, 259 = J W 33, 844. 329 s. oben S. 92 f. 330 v g l . auch die Urteilsanmerkung von Herrmann, J W 33, 845. 531 Diss., Leipzig 1935. 332 Verwaltungsrecht, Hannover 1949. 333 Helfritz, S. 99. 334 Teicher, Diss., S. 33. 335 Teicher, Diss., S. 38. 336 M a n verstand darunter „die Regelung der Normen, die die Organisation der Polizeibehörden u n d die Rechtsinstitute regeln, deren sich die Polizeibehörden bei ihren Maßnahmen gegenüber dem P u b l i k u m zu bedienen

Α . Die Ermächtigungsnorm des § 141 p r P V G

99

recht erneuert werden. Es wurden jedoch nur die wichtigsten allgemeinen Grundsätze festgelegt 337 : Die Aufgaben der Polizeibehörden, die Voraussetzungen für die Verfügungen und Verordnungen überhaupt sowie für die polizeiliche Verwahrung, das Eindringen i n eine Wohnung und die Vorladung; ferner die Bestimmung der polizeipflichtigen Personen. Aber schon i n dieser „beschränkten Kodifikation" sah die Begründung des Entwurfs einen „wesentlichen Fortschritt" 3 3 8 . I n § 14 des Gesetzentwurfes, der den gleichen Wortlaut hatte wie die endgültige Fassung des § 14, jedoch m i t dem Unterschied, daß es statt „nach pflichtmäßigem Ermessen" „nach ihrem Ermessen" hieß, sollte i n erster Linie klargestellt werden, daß die Polizei allein zur Gefahrenabwehr berufen sei, nicht dagegen Wohlfahrtspflege zu betreiben habe 3 3 9 . I m übrigen sollte nach der Begründung des Entwurfs „die bewährte Begriffsbestimmung des § 10 I I 17 A L R sachlich unverändert, nur i m Wortlaut etwas modernisiert gesetzlich festgelegt" werden 3 4 0 . Die Worte „nach ihrem Ermessen" seien „ m i t Rücksicht auf die Rechtsprechung eingefügt, u m das Opportunitätsprinzip für die Polizeibehörden unzweideutig festzulegen" 341 . A n diesen Worten — „nach ihrem Ermessen" — entzündete sich bei der Beratung der Generalklausel im Ausschuß für Verfassungsfragen Zi2 ein lebhafter Meinungsstreit. Er soll kurz wiedergegeben werden, u m die späteren Auslegungsversuche des § 14 PVG verständlich zu machen. Die Staatsregierung wollte die Einschaltung der Worte „nach ihrem Ermessen" folgendermaßen verstanden wissen 3 4 3 : „Einmal habe das PVG den Zweck zu sagen, was die Polizei gegenüber dem Staatsbürger t u n dürfe. Daneben stehe die andere Frage, was die Polizei t u n müsse. Hier sei wieder zu unterscheiden, was die haben, sowie die Rechtsmittel" (so die Begründung des Entwurfs eines Polizeiverwaltungsgesetzes; abgedruckt bei Klausener, PVG, S. 43 ff., 44; s. auch den Bericht des Ausschusses f ü r Verfassungsfragen über den E n t w u r f eines Polizeiverwaltungsgesetzes, abgedruckt bei Klausener, PVG, S. 92 ff., 94 f.). 337 Begründung (Klausener, PVG, S. 44); Bericht des Verfassungsausschusses (Klausener, PVG, S. 94 ff.). 338 Begründung (Klausener, PVG, S. 45). 339 Der preuß. Gerichtshof zur Entscheidung von Kompetenzkonflikten zählte nämlich immer noch die Wohlfahrtspflege zu den Aufgaben der Polizei (Begründung, Klausener, PVG, S, 57; Bericht, Klausener, PVG, S. 99). 340 Begründung (Klausener, PVG, S. 58). 341 Begründung (Klausener, PVG, S. 58). 342 Der Bericht des Ausschusses f ü r Verfassungsfragen über den E n t w u r f eines Polizeiverwaltungsgesetzes ist abgedruckt bei Klausener, PVG, S. 92 ff. 343 Klausener, PVG, S. 132 f. 7·

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Polizei der Allgemeinheit gegenüber, vertreten durch die Polizeiaufsichtsbehörde oder die Disziplinarbehörde, t u n müsse, und was sie dem einzelnen Staatsbürger gegenüber zu t u n verpflichtet sei, um sich nicht auf Grund von A r t i k e l 131 der Reichsverfassung schadensersatzpflichtig zu machen." Dem Hauptzweck des PVG hätte zwar die Formulierung entsprochen: „Die Polizeibehörden können Maßnahmen treffen." Aber diese hätte w o h l nicht allseitigen Beifall gefunden, „da die allgemeine Empfindung bestehe, daß diesem Können eine irgendwie geartete Pflicht entspreche, von dieser Befugnis Gebrauch zu machen". Nach der Auffassung der Staatsregierung statuiere § 10 I I 17 A L R lediglich eine der Polizei gegenüber der Allgemeinheit obliegende Pflicht zur Gefahrenabwehr. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts folgere aber aus dieser Vorschrift eine der Polizei gegenüber dem einzelnen Staatsbürger obliegende Amtspflicht. „Damit komme man zu der polizeilich und auch allgemein staatlich gesehen sehr unerwünschten Konsequenz, daß über die Frage, ob eine Polizeibehörde diese oder jene Maßnahme hätte treffen müssen, nachher i m Zivilrechtswege entschieden werde, und das dürfte doch wohl von allen Rechtsmittelzügen der am wenigsten geeignetste sein." Wenn man eine Kontrolle der Polizei durch das RG wolle, wie sie i m Rodelfall und i n der Entscheidung vom 26.1.1927 344 erfolgt sei, dann müsse man die Worte „nach ihrem Ermessen" streichen 345 . Wolle man dies nicht, dann müsse man „ i n irgendeiner Form" Stellung nehmen. Sage man nicht lediglich: „die Polizeibehörden können", sondern wiederhole man § 10 I I 17 oder wähle die Formulierung: „die Polizeibehörden sind gehalten, sollen, müssen usw.", so werde das RG veranlaßt, auf dem beschrittenen Wege weiterzugehen. „Durch die Statuierung des Ermessens werde die Haftungspflicht der Polizei zwar gemindert, bei Pflichtverletzung und Fahrlässigkeit jedoch keineswegs beseitigt 3 4 6 ." „Man könne aber nicht dem Polizeibeamten, der i n einer bestimmten Gefahrenlage nach pflichtmäßigem Ermessen gehandelt habe, eine vermögensrechtliche Last aufbürden etwa m i t der Begründung, daß der Beamte i n dem betreffenden Augenblick etwas energischer hätte vorgehen müssen. Solche Fälle der allzuweitgehenden Ermessensprüfung würden durch die vorgeschlagene Fassung ausgeschlossen werden 3 4 7 ." Man solle „erwägen, ob man dem Polizeibeamten, der ganz unmöglich die ganze Unsumme von Paragraphen beherrschen 3 *4 345 34β 347

s. bei A n m . 311 u n d 323. Klausener, PVG, S. 133. aaO, S. 99. aaO, S. 148 ff.

101

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14 I p r P V G

könne, einen Strick daraus drehen wolle, wenn er in einer bestimmten Lage nicht das Notwendige getan habe" 3 4 8 . Freilich dürfe aus den Worten „nach ihrem Ermessen" nicht geschlossen werden, daß die Polizei alles dürfe, was sie für notwendig halte 3 4 9 . Die Voraussetzungen für das Tätigwerden der Polizei durch Verfügungen seien vielmehr i n § 41 PVG besonders normiert. § 14 habe „daneben noch die rechtliche Bedeutung, daß sich aus den Worten „nach ihrem Ermessen" . . . ergebe, daß der einzelne Staatsbürger nicht klagen könne, wenn eine Polizeibehörde etwas unterlasse, was er persönlich i n seinem Interesse für notwendig gehalten habe" 3 5 0 . Was die Polizeiverordnungen anlange, so werde ihr Erlaß stets an die Zustimmung eines Beschlußorgans geknüpft, wodurch genügend Sicherung gegen Ermessensmißbrauch geschaffen sei. Außerdem seien nach den Ausführungsbestimmungen die Polizeibehörden angewiesen, Polizeiverordnungen nur i n „unabweisbar notwendigen Fällen" zu erlassen 351 . Selbstverständlich solle das Ermessen pflichtmäßig ausgeübt werden. Man habe die Formulierung „nach ihrem Ermessen" gewählt, um mit Rücksicht auf die anderen Gesetze, die nur von Ermessen sprächen, keine Besonderheit zu statuieren, die zu Auslegungsschwierigkeiten führen könnte 3 5 2 . Lege man § 14 so aus, wie eben geschehen, dann sei auch die Behauptung Jellineks, die Worte „nach ihrem Ermessen" ständen an falscher Stelle, zurückzuweisen; vielmehr „gehörten sie selbstverständlich vor das Wort notwendig" 3 5 3 . Jellinek hatte nämlich i n einem Aufsatz 3 5 4 , auf den zu Beginn der Aussprache hingewiesen worden w a r 3 5 5 , bemängelt, daß die beabsichtigte Stellung der Worte „nach ihrem Ermessen" den Anschein erwecke, die Frage, ob eine polizeiliche Anordnung das Maß des Nötigen überschreite, sei eine Ermessensfrage, was der Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts widerspreche 356 . Er empfehle daher folgende Umstellung: Die Polizeibehörden haben nach Ermessen die notwendigen Maßnahmen zu treffen. 348 aaO, S. 153. 349 aaO, S. 134. 350 aaO, S. 134. 351 aaO, S. 135; vgl. ferner die Ausführungsbestimmung p r P V G (abgedruckt bei Schneider). 852 Klausener, PVG, S. 131, 135. 353 aaO, S. 35. 354 RuPrVBl. 1931, 121 ff. 355 Klausener, PVG, S. 93. 356 PrOVGE 76, 435; 77, 464; 78, 267.

Nr. 1 zu

§24

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Dem hatte Kerstiens, Referent für Polizeirecht und Beauftragter des Ministers des Innern i m Verfassungsausschuß, i n einem ebenfalls vom Berichterstatter zitierten 3 5 7 Aufsatz 3 5 8 entgegengehalten, daß gerade die Stellung des Entwurfs klarstelle, „daß der Staatsbürger keinen A n spruch auf Tätigwerden der Polizei habe, auf Grund dessen evtl. Schadensersatzansprüche wegen Amtspflichtverletzung gestellt werden können". Die Sonderregelung des § 41 I I wie auch die Zustimmungsbedürftigkeit bei Verordnungen gewähre „eine hinreichende Sicherheit gegen Ermessensüberschreitungen". Soweit die grundsätzlichen Ausführungen der Staatsregierung. Ein Ausschußmitglied der Deutschnationalen Volkspartei brachte daraufhin u. a. „sehr schwere Bedenken" vor, „ i n dieses Wespennest von Schwierigkeiten und Streitigkeiten der höchsten Gerichte hineinzustechen" 359 . Er halte die Rodelentscheidung für durchaus richtig. Die Fassung „nach pflichtmäßigem Ermessen" würde dem Gericht das Recht und die Pflicht geben, nachzuprüfen, ob wirklich die Pflicht erfüllt sei 3 6 0 . Ein Beauftragter des Ministers des Innern flocht daraufhin ein, nur die Fassung des Entwurfs könne ausschließen, daß bei einer politischen Versammlung das Reichsgericht „nachträglich genau nachprüfe, ob es nicht besser gewesen wäre, die Leute durch die und die Straßen umzuleiten" 3 6 1 . Ein Ausschußmitglied der Wirtschaftspartei sprach sich für die Fassung des Entwurfs aus 3 6 2 . Daraufhin wurde vom Berichterstatter des Ausschusses i m Einvernehmen m i t der Regierung 3 6 3 der Antrag 364 eingebracht, dem §14 folgenden Absatz III anzufügen: „ E i n Anspruch auf Tätigwerden der Polizeibehörden besteht nur i n den Fällen, i n denen ein solches gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben ist." 357 358 359 360

Klausener, PVG, S. 93. R u P r V B l . 1931, 310 ff.; vg. auch VArch. 36 (1931), 206 (214 f.). Klausener, PVG, S. 135. aaO, S. 136.

361 362 363 364

aaO, aaO, aaO, aaO,

S. 137. S. 137. S. 139. S. 138.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

10

Damit solle den bisher vorgebrachten Gesichtspunkten Rechnung getragen werden. Es habe sich als „zweckmäßig herausgestellt, das . . . Wort Ermessen zu vermeiden 3 6 5 ; es sei doppeldeutig, w e i l es einmal bei einem Zuwenig des Tätigwerdens . . . einen Entschädigungsanspruch Dritter ausschließe, jedoch auch ein Zuviel der polizeilichen Tätigkeit zulasse" 366 . Darauf habe schon Drews, der Präsident des OVG, hingewiesen und empfohlen, „das Opportunitätsprinzip noch klarer und bestimmter zum Ausdruck zu bringen" 3 6 7 . Diese Klarstellung sei nun erfolgt, „indem das doppeldeutige Wort Ermessen eindeutig durch den neu beantragten Absatz erläutert 3 6 8 sei". Ein Beauftragter des Ministers des Innern erklärte hierzu, die beantragte Formulierung sei bei der Abfassung des Gesetzesentwurfs eingehend erwogen worden, doch habe man die Gefahr, daß „dadurch die Stetigkeit der Rechtsprechung und die ganze Begriffsbildung des OVG irgendwie berührt werden könnte, für so groß gehalten", daß man sich von der Fassung des Entwurfs abzugehen nicht habe entschließen können. Die Regierung habe jedoch keine grundsätzlichen Bedenken gegen diese „Drewssche Fassung" 369 . Die Deutschnationale Volkspartei beharrte auf der Formulierung „nach pflichtmäßigem Ermessen", da sonst unter Ermessen auch W i l l k ü r verstanden werden könne. Somit sei jedoch den Gerichten die Möglichkeit gegeben, „festzustellen, ob die Polizei pflichtmäßig geprüft habe, daß das Notwendige zur Beseitigung der Gefahren geschehe" 370 . Sie widersetze sich insbesondere dem Absatz I I I , da sie unter allen Umständen wolle, „daß ein Schadensersatzanspruch gesichert sei, wenn durch ein Tätigwerden oder ein Unterlassen der Polizei, „das einer ruhigen Prüfung des Gerichts nicht standhalte", die Interessen des einzelnen verletzt seien" 3 7 1 . Ausführlich nahm der Vertreter der Deutschen Volkspartei Stellung. M i t diesem „krassen Opportunitätsprinzip", nach dem Dritten gegen365 s. A n m . 368. 366 Klausener, PVG, S. 138. 367 Drews, R u P r V B l . 1931, 2 ff. V o n einer Doppeldeutigkeit des Begriffs „Ermessen" ist darin jedoch nicht die Rede. Drews stellt lediglich die genannte Forderung auf. 368 Der Berichterstatter begründete m i t diesen Ausführungen gleichzeitig den A n t r a g der Sozialdemokratischen Partei, die Worte „nach ihrem E r messen" zu streichen (Klausener, PVG, S. 138). Daraus ist w o h l zu erklären, daß er einmal davon spricht, das „Ermessen zu vermeiden" (oben bei A n m . 365), andererseits davon, das Ermessen zu erläutern (s. Text). 369 Klausener, PVG, S. 140. 370 aaO, S. 141, 151. 371 aaO, S. 153 f.

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

über keine Pflicht bestehe, stelle sich Preußen außerhalb des allgemeinen Polizeirechts 372 und der Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts. Es bestehe keine Veranlassung, daß sich Preußen hier „eine fiskalische Extrawurst brate", nur um sich gegen Schadensersatzansprüche zu schützen 373 . Das Urteil des RG i m Rodelfall sei sehr vorsichtig abgewogen; es habe sich hier u m eine „haarsträubende Vernachlässigung der Polizeipflicht" gehandelt 374 . Auch i n dem anderen Urteil des R G 3 7 5 werde „als selbstverständlich angenommen, daß die Polizei hier Dritten gegenüber verpflichtet gewesen sei, was in der Tat ein immanenter Satz des gesamten Polizeirechts sei" 3 7 6 . „Er müsse davor warnen, irgendwelche Schranken gegen Polizeiwillkür auszuräumen. Dies könnte sich einmal rächen" 3 7 7 . Bei Annahme des Absatzes I I I würde sie sogar gegen Inanspruchnahme aus Willkürhandlungen geschützt sein. Das Erfordernis der Notwendigkeit solle ausgeräumt werden, ebenso wie die Verantwortung des Fiskus für Nichttätigwerden der Polizei 3 7 8 . Dem widersprach ein Beauftragter des Ministers des Innern: „ W i l l kürhandlungen brauche sich niemand gefallen zu lassen", da § 839 BGB nicht ausgeräumt werde. Nur Fälle allzuweitgehender Ermessensprüfung würden ausgeschlossen, da einem Polizeibeamten nicht vorgeworfen werden könne, er hätte i n einer Situation etwas energischer vorgehen müssen 379 . Ein Ausschußmitglied der Wirtschaftspartei sprach sich für die Fassung „nach pflichtmäßigem Ermessen" aus. „Man könne jedoch an den Begriff des pflichtmäßigen Ermessens nicht den strengen Maßstab anlegen wie das volksparteiliche Ausschußmitglied 380 ." Es sei ganz un372 Der Redner wies auf die Entsch. des B a y V G H v. 25.1.1922 (Reger 42, 375 ff.) hin. Dort heißt es: „ I n A r t . 71 pfälzGemO sind die Aufgaben des Bürgermeisters als Träger der ortspol. Gewalt näher bezeichnet. Er hat . . . für die Aufrechterhaltung der öff. Sicherheit u n d Ordnung zu sorgen . . . Diese pol. Fürsorgetätigkeit bezweckt insbesondere auch den Schutz jedermanns, der auf die Benützung öffentl. Wege angewiesen ist. Sie begründet daher auch Amtspflichten gegenüber Dritten." Eine Haftung wurde hier verneint, „da das Bestreben der Polizeiverwaltung, die Gefährdung des — Von Ermessen ist nicht die Rede. — V o m Ermessen ist nicht die Rede. 373 Klausener, PVG, S. 144 ff. 374 aaO, S. 146. 375 v. 26.1.1927; s. oben bei A n m . 323. 376 Klausener, PVG, S. 147. 377 „ i n d e m z. B. ein rechtsgerichteter Polizeipräsident seinen Parteigenossen alle möglichen Freiheiten i n bezug auf Plakatierung usw. gestatten würde, seinen politischen Gegnern dagegen nicht" (aaO, S. 147 f.). 378 aaO, S. 148. 379 aaO, S. 148 f. 380 aaO, S. 149.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14 I p r P V G

10

möglich, eine Polizeiverwaltung zu zwingen, eine stark berodelte Straße mit Asche zu streuen; das führe dazu, „daß beim Schneefall alle Schupobeamten i n Preußen m i t Aschestreuen beschäftigt werden müßten". Er habe nichts dagegen, wenn § 14 so scharf umrissen werde. „Die Streitfrage, wo die Grenze des pflichtmäßigen Ermessens zu setzen sei, brauche bei dieser Gelegenheit nicht geklärt zu werden 3 8 1 ." Ein Beauftragter des Ministers des Innern wies alsdann darauf hin, daß i n der Aussprache Ermessensmißbrauch i n positiver und negativer Hinsicht zusammengeworfen worden sei. „Nur die Unterlassung, also der Fall, i n dem der Polizeibeamte nicht das getan habe, was er, wie man nachher glaube, hätte tun müssen, sei von der Schadenersatzpflicht ausgeschlossen382." Der Berichterstatter erläuterte, daß es sich i n seinem Antrag nur um Unterlassungen handele 383 . Sein Antrag wolle nicht über die Regierungsvorlage hinausgehen, sondern wolle sie „nur klarer deklarieren, um Mißverständnisse zu entfernen" 3 8 4 . I m Falle der Ablehnung müsse dann das Ermessen wieder eingeführt werden. Seine Partei 3 8 5 würde dann der Fassung „nach pflichtmäßigem Ermessen" zustimmen. Inzwischen war von der Zentrumspartei der Antrag gestellt worden, den Ausdruck „nach ihrem Ermessen" zu ändern i n „nach pflichtmäßigem Ermessen"* 86. Daraufhin empfahl ein Mitglied der Deutschnationalen Volkspartei, diesen Antrag anzunehmen und Absatz I I I zu streichen 387 . Ein anderes Fraktionsmitglied glaubte, daß die Worte „nach pflichtmäßigem Ermessen" „eine ganz neue Rechtslage schaffen" würde, . . . „besonders nachdem der Inhalt, den der Gesetzgeber diesem Begriff geben wolle", „durch die Verhandlungen" nicht klargestellt, sondern eher noch unklarer geworden sei" 3 8 8 . Bleibe man jedoch bei dieser Formulierung, dann müsse man die von Jellinek geforderte Umstellung 3 8 9 vornehmen, was er hiermit beantrage. Sonst würde man bei den Polizeiverordnungen auch die Frage der Notwendigkeit vollständig i n das pflichtmäßige Ermessen stellen. sei 382 383 384 385 386 387 388 389

aaO, S. 149. aaO, S. 155. aaO, S. 155. aaO, S. 155. Welche das ist, geht aus dem Ausschußbericht nicht hervor. Klausener, PVG, S. 155. aaO, S. 156. aaO, S. 157. s. oben bei Anm. 354.

6 3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht N a c h dieser Aussprache zog der B e r i c h t e r s t a t t e r i m E i n v e r n e h m e n m i t der R e g i e r u n g seinen A n t r a g 3 9 0 „ a u f G r u n d des Ergebnisses der Aussprache" z u r ü c k 3 9 1 . D i e Abstimmung i n dieser ersten L e s u n g des § 14 ergab eine M e h r heit f ü r den Regierungsentwurf m i t den W o r t e n „nach pflichtmäßigem Ermessen"392. In der zweiten Lesung v e r l a n g t e die Deutsche V o l k s p a r t e i die S t r e i c h u n g des Ermessens, e v e n t u a l die U m s t e l l u n g nach J e l l i n e k 3 9 3 . Es b l i e b jedoch — ohne D e b a t t e — b e i d e m E r g e b n i s der ersten Lesung, n a c h d e m e i n B e a u f t r a g t e r des M i n i s t e r s des I n n e r n folgende Erklärung abgegeben h a t t e 3 9 4 : „Hinsichtlich der i n Klarstellung des § 10 I I 17 A L R i n dem § 14 des E n t wurfs eingefügten Worte „nach pflichtmäßigem Ermessen" w i r d folgendes erklärt: 1. Die Worte „nach pflichtmäßigem Ermessen" schließen jede W i l l k ü r der Polizeibehörden aus, u n d zwar sowohl bei einem Tätigwerden wie bei einem Nichttätigwerden. 2. a) Bei einem Tätigwerden der Polizeibehörden durch polizeiliche Verfügung ist hinsichtlich der Voraussetzungen i m § 41 Abs. 1 hinsichtlich der Frage des Mittels i m § 41 Abs. 2 eine klare rechtliche Grenze gezogen, die einen sicheren Schutz gegen Ermessensmißbräuche gewährt. b) Bei einem Tätigwerden der Polizeibehörden durch Erlaß einer Polizeiverordnung gilt hinsichtlich der Voraussetzungen der § 14 Abs. 1 (Abwehr einer . . . Gefahr, Erhaltung der öff. Sicherheit u n d Ordnung). Hinsichtlich der M i t t e l zur Gefahrenbekämpfung w i r d eine Überschreitung des pflichtgemäßen Ermessens insbesondere dadurch vermieden, daß allgemein die Zustimmung einer Beschlußbehörde . . . vorgeschrieben ist. Ermessensmißbrauch macht die PolizeiVO ungültig. 3. Aus der Stellung der Worte „nach pflichtmäßigem Ermessen" vor „ n o t wendigen" ergibt sich, daß die Polizeibehörden gehalten sein sollen, w e n n die Voraussetzungen des § 14 vorliegen, tätig zu werden. Hinsichtlich der W a h l der M i t t e l soll (richtig: sollen) sie insofern frei sein, als eine A m t s pflichtverletzung wegen Unterlassung nicht schon dann gegeben sein soll, w e n n sie jeweils nicht das objektiv sicherste M i t t e l zur Beseitigung der Gefahr oder Störung anordnen, sondern daß es genügt, w e n n sie je nach dem Grade ihrer Kenntnis der Gefahr oder Störung ein f ü r die Beseitigung objektiv i n Frage kommendes M i t t e l anwenden."

390 s. oben bei A n m . 364. 391 Klausener, PVG, S. 158. 392 aaO, S. 158. 393 aaO, S. 230. 394 aaO, S. 230 f.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

2. Die Stellungnahme in Literatur und zu dessen Beratung

prPVG

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und Rechtsprechung zu §14 PVG im Verfassungsausschuß

Der Kommentar der Referenten des Ministeriums des Innern 395 folgt der eben zitierten Erklärung und mißt den Worten „nach pflichtmäßigem Ermessen" die Bedeutung bei, „daß sie die Polizeibehörden vor zu weit gehenden Schadensersatzforderungen wegen angeblicher Amtspflichtverletzungen durch Nichttätigwerden i n Schutz nehmen" 3 9 6 . Die Rechtsauffassung des RG i m Rodelfall werde damit ausdrücklich geändert; ähnliche Entscheidungen seien i n Zukunft ausgeschlossen, w e i l sich die Polizeibehörden innerhalb des pflichtmäßigen Ermessens gehalten hätten 3 9 7 . Aus dem Wort „notwendig" ergebe sich, daß die Polizei nicht verpflichtet sei, „mehr als das nach ihrem pflichtmäßigem Ermessen Erforderliche zu t u n " 3 9 8 . Nach dem Kommentar der Referenten des Justizministeriums 399 sollte durch § 14 das schon bisher i n der Formulierung von Drews 4 0 0 geltende Opportunitätsprinzip, über das § 10 I I 17 nichts gesagt habe, gesetzlich festgelegt werden. Aus dem Wort „pflichtmäßig" ergebe sich jedoch „eine gewisse Einschränkung des Opportunitätsprinzips" 4 0 1 . Die Erklärung der Regierung 402 , die als authentische Interpretation anzusehen sei, habe „völlig klargestellt", daß das Opportunitätsprinzip nicht für die Frage gelte, ob die Polizei einschreiten solle — sie müsse vielmehr einschreiten, wenn die Voraussetzungen des § 14 gegeben seien —, sondern nur die Wahl der M i t t e l werde i n ihr pflichtmäßiges Ermessen gestellt 4 0 3 . Indem die Polizei die nach pflichtgemäßem Ermessen notwendigen Maßnahmen zutreffen habe, werde „freilich auch die Frage, ob Maßnahmen notwendig sind, i n ihr pflichtgemäßes Ermessen gestellt" 4 0 4 . Die Polizei könne jedoch nicht aus Zweckmäßigkeitserwägun395 Klausener/Kerstiens/Kempner, Das Polizeiverwaltungsgesetz vom 1. J u n i 1931. Erläutert auf Grund amtlichen Materials. 2. Aufl., B e r l i n 1932. 896 aaO, § 14 Anm. 4 (S. 111). 3 97 aaO, §14 Anm. 4 (S. 112). 3 98 aaO, § 14 Anm. 5 (S. 112). — I n Stusev 1931, 329 (330) hatte Kerstiens ausgeführt, daß durch die Einfügung des Ermessens vor dem W o r t „ n o t wendig" i n Verbindung m i t dem Wort „haben" zum Ausdruck gebracht sei, daß die Polizei gehalten sei, gegen Gefahren einzuschreiten, die i h r zur Kenntnis gebracht seien, daß sie aber hinsichtlich der W a h l der M i t t e l insofern frei sei, als eine Amtspflichtverletzung wegen Unterlassung nicht schon dann gegeben sei, w e n n sie i m Drange der Geschäfte einmal nicht das beste u n d sicherste M i t t e l angewandt habe. 39 9 Schäfer/Wichards/Wille, Das Polizei Verwaltungsgesetz, B e r l i n 1931. 400 s. oben bei A n m . 301. 401 Schäfer, S. 50. 402 s. oben bei A n m . 394. 403 Schäfer, S. 51. 404 aaO, S. 51.

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

gen von einem Einschreiten absehen 405 . Weiter unten heißt es i n diesem Kommentar: „Die Neufassung w i l l die zu treffende Feststellung, ob objektiv eine Amtspflichtverletzung vorliegt, erschweren, indem das Maß des Notwendigen nicht mehr objektiv, sondern durch das pflichtmäßige Ermessen der Polizei bestimmt wird. Aber das bedeutet praktisch wohl keinen sehr großen Unterschied 406 ." Friedrichs 407 versteht „das Ergebnis der Beratungen" so: „Die Polizei darf, kann, soll und muß tätig werden, wenn sie eine Gefahr erkennt; und wenn ihre Kräfte nicht ausreichen, . . . muß sie das wichtigste wählen. Festlegung und Opportunitätsprinzip sind damit allerdings nicht gegeben." Scheer* 08 glaubt die Lösung i n folgenden Worten gefunden zu haben: „ M i t dem W o r t ,haben' w i r d gesagt, daß die Behörden das Recht u n d die Pflicht haben, Maßnahmen zu treffen, wenn die erforderlichen Voraussetzungen vorliegen . . . ,Die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen' sind zu treffen. D a m i t ist das »Opportunitätsprinzip' für die Polizei k l a r u n d bestimmt zum Ausdruck gebracht, d. h. die Polizei hat nicht jedem D r i t t e n gegenüber eine gesetzliche Pflicht zum Einschreiten (Handeln) gegen alle möglichen i h n betreffenden Gefahren. Die Polizei hat vielmehr nach pflichtgemäßem Ermessen zu prüfen, ob ein Einschreiten erforderlich ist. Wenn auf Grund der Prüfung die Voraussetzungen des § 14 P V G vorliegen, muß die Polizei jedoch einschreiten. Die erforderlichen Maßnahmen hat die Polizei dann nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen."

Stier-Somlo 409 ist der Ansicht, durch § 14 werde ein Anspruch des Staatsbürgers auf polizeilichen Schutz, der zu Schadensersatzansprüchen führen könnte, ausgeschlossen. Die Worte „nach pflichtmäßigem Ermessen" sollten einerseits ausdrücken, daß es nicht mehr wie bisher darauf ankomme, ob eine Gefahr objektiv vorhanden sei, sondern „ob nach dem subjektiven Ermessen des eine PolizeiVO Erlassenden die Maßnahme notwendig" sei; andererseits sollten sie das Opportunitätsprinzip klarstellen 4 1 0 . Drews' Satz 4 1 1 sei von fundamentaler Bedeutung. Die Grenze für die Verantwortlichkeit der Polizei müsse da sein, wo der betreffende Beamte anfange, seine Pflicht zu versäumen 412 . Die 405 aaO, S. 51. 406 aaO, S. 52. 407 Friedrichs, Polizeiverwaltungsgesetz v o m 1.6.1931, B e r l i n 1932, § 14 A n m . 35. 408 Scheer, Polizeiverwaltungsgesetz, Lehrbuch, D o r t m u n d 1932, S. 44, 48; Scheer/Schwarz, Das Polizeiverwaltungsgesetz v o m 1.6.1931, Leitfaden, D o r t m u n d 1931, S. 15 f. 409 Stier-Somlo, Polizeiverwaltungsgesetz, Kommentar, B e r l i n 1932, § 14 A n m . 19 D. 410 aaO, § 14 A n m . 18 E. 411 s. bei Anm. 301. 412 Stier-Somlo, § 14 Anm. 18 E.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

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Gefahr, die i n der restlosen Anerkennung des Opportunitätsprinzips liege, werde dadurch gemindert, daß das pflichtmäßige Ermessen nach dem Grundsatz der Notwendigkeit abgesteckt werde. Stier-Somlo zitiert auch einige Stellen aus dem Bericht des Verfassungsausschusses. Seine Ausführungen hierzu sind jedoch unklar und verschwommen. Ausführlich würdigt Waldecker 413 die Beratung des Verfassungsausschusses. Aus der Begründung des Entwurfs 4 1 4 schließt er zunächst, daß auf das subjektive Ermessen abgestellt werde, also die i n der Vergangenheit maßgebenden objektiven Maßstäbe aufgegeben werden sollten 4 1 5 . Da es jedoch ein anderes als ein pflichtgemäßes Ermessen nicht gebe, habe sich nichts oder doch nicht viel geändert 416 . Den i m Verfassungsausschunß abgegebenen Erklärungen sei gemeinsam, daß „nur übertriebenen Schadensersatzansprüchen entgegengetreten werden solle, die das RG i m Falle eines angeblich pflichtwidrig falschen oder Nichttätigwerdens zugebilligt habe" 4 1 7 . Man habe einen Wortlaut gewählt, „von dem aus sachlich sich die Ersatzansprüche materiellrechtlich auf bestimmte Fälle beschränken" 418 . Die Regierungserklärung 419 ließe sich darauf zurückführen, daß die Polizeibehörden „von der A l l gemeinheit und dem einzelnen i n dem gesetzlich bestimmten Umfang 4 2 0 Gefahren abwehren sollen" 4 2 1 . Stets stehe hierbei der „objektive Maßstab eines pflichtmäßigen Tätigwerdens i n Frage" 4 2 2 . Andererseits heißt es bei Waldecker 4 2 3 : „Die Umschreibung der regelmäßigen polizeilichen Aufgabe i n § 14 Abs. I macht jetzt i m Rahmen des nach wie vor pflichtmäßigen Tätigwerdens die vom RG seither nicht zugelassene Konzession an das subjektive Element, insofern künftig das pflichtmäßige Ermessen der Polizeibehörden darüber entscheidet, welche Maßnahmen notwendig sind." Es entscheide, was bei „pflichtmäßiger Auffassung, d. h. auf Grund Gesetz, VO, allgemeiner Dienstvorschrift und bei vernünftiger Abwägung des Sachverhalts von den Polizeibehörden erwartet werden darf". Nach Münzesheimer 424 haben die Verhandlungen gezeigt, „daß man versuchte, zugunsten der Polizeibehörden i n die Formel des allgemeinen 413

Waldecker, Das neue preußische Polizeirecht, B e r l i n 1932. s. bei A n m . 341. 4 *5 Waldecker, S. 24. 4 16 aaO, S. 24. 417 aaO, S. 25. 4 *8 aaO, S. 26. 41 » s. bei A n m . 394. 420 Mehr w i r d über diesen „Umfang" nicht mitgeteilt. 42 1 aaO, S. 27. 422 aaO, S. 27. 423 aaO, S. 27. 424 Münzesheimer, Diss., K ö l n 1937. 414

. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Landrechts ein subjektives Element hineinzuspielen" 425 . Der vom Gesetz vorgeschlagene Weg, die Schadensersatzpflicht einzudämmen, habe jedoch nicht zum Ziele führen können, da schon bisher das RG das pflichtmäßige Ermessen berücksichtigt habe 4 2 6 . Die Einführung des Ermessens sei also bedeutungslos 427 . Auch die spätere Rechtsprechung des RG habe keinen Zweifel darüber gelassen, daß § 14 ebenso wie § 10 I I 17 auszulegen sei 4 2 8 . Richardt 429 glaubte hingegen, daß Schadensersatzansprüche i n Zukunft ausgeschlossen seien, da das Ermessen klarstelle, daß ein Schadensersatzanspruch ausgeschlossen sei. Thoma 430 wies darauf hin, daß der Landtagsausschuß nicht erkannt habe, daß es lediglich darauf ankomme, ob der Landesgesetzgeber die Polizeibehörden nur dem Staat gegenüber oder auch dem Publikum („einem Dritten") gegenüber zum pflichtmäßigen Einschreiten verpflichten wollte. Jedenfalls ließe § 14 hinsichtlich der Haftung alles beim alten. Sehr ausführlich setzte sich Franzen 431 m i t § 14, dem Landtagsausschuß und der Literatur auseinander. Nach i h m ergibt sich aus den Worten „haben zu treffen" m i t „aller nur wünschenswerten Deutlichkeit, daß die Polizeibehörde unter gewissen Voraussetzungen eine Pflicht t r i f f t einzuschreiten" 432 . „Haben sich die Polizeibehörden i n einem Falle zu einem Einschreiten entschlossen, so muß sich dieses auf die Anwendung der notwendigen Maßnahmen beschränken, während andererseits die Maßnahmen i n einem solchen Umfang getroffen werden müssen, wie dies die Umstände des Falles notwendig machen". Sowohl die Überschreitung des notwendigen Maßes wie auch die Unterschreitung des Notwendigen, die Anwendung nicht ausreichender Maßnahmen stelle eine Amtspflichtverletzung dar. Franzen unterscheidet also zwischen Notwendigkeit und Erforderlichkeit (in dem hier gebrauchten 425 aaO, S. 55. 426 aaO, S. 60. Außerdem habe es i n jeder Entscheidung den Ermessensfehler dargetan. Münzesheimer verweist hierbei auf die oben S. 93 f. angeführten Urteile. I n diesen ist jedoch n u r i n zwei Fällen v o n Ermessen die Rede. 427 aaO, S. 60; vgl. auch Teicher, Diss., S. 38. 428 Münzesheimer, Diss., S. 65; er verweist hierbei auf RGZ 147, 144 u n d RGZ 138, 289; s. hierzu unten A n m . 452 u n d 4. Kap. bei A n m . 6. 429 Preuß. Gem. Zeitung Bd. 24 (1931), S. 18 (vom 11.1.1931). 430 Thoma, Das System der subjektiven öffentlichen Rechte u n d Pflichten, i n : Anschütz/Thoma, Band I I , § 102, S. 622 A n m . 41. 431 Franzen, Lehrkommentar zum PVG, Band I, Greifswald 1932, S. 121 bis 143. 432 aaO, S. 122.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

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Sinn) 4 3 3 , setzt aber die Notwendigkeit mit der Gefahr gleich 434 . Nach Franzens Ansicht liegt i n dem Hauptsatz des § 14 PVG zweierlei: Es sei nicht Pflicht der Polizei, diejenigen Maßnahmen zu treffen, „die bei nachträglicher Prognose dem einsichtigsten Richter rückblickend als die objektiv notwendigen Maßnahmen erscheinen", sondern es genüge, „wenn die Maßnahmen i m Augenblick des Einschreitens bei Anstellung pflichtgemäßen Ermessens als notwendig erscheinen konnten". Durch das Wort „pflichtmäßig" sei das Ermessen objektiviert 4 3 5 . Bei der gerichtlichen Nachprüfung komme es darauf an, ob eine Polizeibehörde, die den gewohnten Anforderungen entspreche, bei Anstellung pflichtgemäßen Ermessens die Maßnahme für notwendig gehalten habe. I n Gefahrenfällen — „ausgenommen bei ganz leichten Ordnungswidrigkeiten" — bestehe die Pflicht zur Abwehr m i t ausreichenden M i t t e l n 4 3 6 . Die i n den Beratungen immer wieder gestellte Forderung, das Opportunitätsprinzip klarer zum Ausdruck zu bringen, sei nicht nur nicht erfüllt werden, sondern die Einfügung des Wortes „pflichtmäßig" und die Zurückziehung des Absatzes I I I 4 3 7 sei kein geringes Argument dafür, daß ein uneingeschränktes Opportunitätsprinzip keine Aufnahme i n das PVG gefunden habe 4 3 8 . Der Rodelentscheidung sei vielmehr v o l l und ganz zuzustimmen 439 . Abschließend bemerkt Franzen, u m der rechtlichen Klarheit w i l l e n könne man nicht behaupten, für die Polizei gelte das Opportunitätsprinzip ebenso wie für die Strafverfolgungsbehörden gemäß § 153 StPO; vielmehr könne man höchstens von einer „sehr abgeschwächten Form des Prinzips des nachprüfbaren pflichtmäßigen Ermessens" sprechen 440 . Nach Jellinek ul enthält der Begriff „Gefahr" zwei Grenzen: Einen Punkt, bei dem nicht mehr eingeschritten werden darf, und einen Punkt, bei dem eingeschritten werden muß. Zwischen beiden herrscht freies Ermessen. Hinsichtlich der Notwendigkeit müsse man unterscheiden zwischen der absoluten und der relativen 4 4 2 . Ob ein Einschreiten not433 s. oben S. 87. 434 Franzen I, S. 135. 435 aaO, S. 123. 436 aaO, S. 133. 437 s. oben bei Anm. 391. 438 Franzen I, S. 135 f. 439 aaO, S. 137 f. Den Erlaß der V O sieht Franzen als ungeeignetes M i t t e l an (aaO, S. 131). — Die „reichlich naive Erklärung", ein Aschestreuen sei unmöglich, w e i l dann alle preußischen Schupobeamten damit beschäftigt wären (s. oben bei A n m . 381), widerlege sich „bei einigem Nachdenken v o n selbst". Außerdem dürften Kostenfragen die Polizei nicht von ihrer Pflichterfüllung abhalten (aaO, S. 138). 440 aaO, S. 139. 441 Jellinek, Verwaltungsrecht, 3. Aufl., B e r l i n 1931, S. 36. 442 aaO, S. 34 f.

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

wendig ist, ist eine Frage der absoluten Notwendigkeit und nach freiem Ermessen zu entscheiden. Ist jedoch das Einschreiten beschlossene Sache, dann lasse sich genau feststellen, welche Maßnahmen — relativ — notwendig sind. I m Entwurf des PVG habe die preußische Bürokratie der unbequemen Rechtsprechung des RG entgegentreten wollen, aber diesen Zweck nicht erreicht, da der Landtag das Wörtchen „pflichtmäßig" durchgesetzt habe 4 4 3 . Drews 44* würdigte weder den Wortlaut des § 14 noch die Beratungen des Verfassungsausschusses. Er stellte lediglich fest, daß der Ausdruck „die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen" bedeute, daß die Polizei berechtigt, aber nicht ohne weiteres verpflichtet sein solle, i n jedem einzelnen Gefahrenfalle einzugreifen. Es solle also das Opportunitätsprinzip gelten 4 4 5 . Das Preußische Oberverwaltungsgericht habe i n ständiger Rechtsprechung 446 den Grundsatz vertreten, daß die Polizei i n jedem Falle, i n dem eine Gefahr i n Frage komme, nach pflichtmäßigem Ermessen zu verfahren habe, und zwar sowohl bezüglich der Frage, wie sie eingreife, wie bezüglich der Frage, ob sie überhaupt eingreifen wolle. I n letzter Hinsicht habe sie zu prüfen, ob ein polizeiliches Einschreiten nach Lage aller i n Betracht kommenden Umstände vom Standpunkt des öffentlichen Interesses aus zweckmäßig und geboten sei. Kein Dritter habe einen Rechtsanspruch auf polizeiliches Einschreiten zu seinen Gunsten. § 14 habe diese Judikatur legalisiert. Das pflichtmäßige Ermessen erfordere stets eine ernste sachliche Prüfung und sachliche polizeiliche Gründe für die Entschließung. Fehlten diese, so sei eine Amtspflichtverletzung gegeben 447 . Eine Pflicht zum Einschreiten könne nur bestehen, wenn eine Rechtsnorm dies ausdrücklich beinhalte, was i n § 14 nicht der Fall sei. Abgesehen hiervon könne aber eine innerdienstliche Pflicht zum Einschreiten bestehen, z. B. durch Dienstanweisungen 448 . Das RG nehme an, daß die Polizei nicht nur innerdienstlich, sondern auch nach außen unmittelbar jedem Mitglied des Publikums gegenüber die Pflicht zum sachgemäßen Einschreiten habe. Diese Pflicht könne sich aber nur darauf erstrecken, „die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen". Eine Amtspflichtverletzung sei also nur i n den beiden obigen Fällen und bei Nichtbefolgung einer ausdrücklichen Dienstanweisung gegeben449» 4 5 °. 443 AöR 60 (1932), 1 (34). 444 Drews, Preußisches Polizeirecht, Erster Band, Allgemeiner Teil, 4. Aufl., B e r l i n 1933, S.38ff. 445 aaO, S. 38. 44β Entscheidungen erwähnt Drews nicht. 447 aaO, S. 41. 448 aaO, S. 41; vgl. dazu die K r i t i k Teichers, Diss., S. 33, u n d unten S. 178 f. 449 Drews, 4. Aufl., S. 92 ff. Ferner liege i m Rodelfall eine unzulässige Nachprüfung der Zweckmäßigkeit vor. Verfolge das RG diese L i n i e weiter,

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

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Grüttner 451 w a r d e r A n s i c h t , daß f ü r die F r a g e des „ O b " das L e g a l i täts-, f ü r die F r a g e des „ W i e " das O p p o r t u n i t ä t s p r i n z i p gelte. A u c h w e n n es heiße, die P o l i z e i „ h a b e M a ß n a h m e n z u t r e f f e n " , so sei f r e i l i c h nicht unbedingt ein T u n erforderlich. E i n Z u w a r t e n könne i m Einzelf a l l n ü t z l i c h sein. D i e P o l i z e i habe die A m t s p f l i c h t , sich m i t der Sache z w e c k d i e n l i c h z u befassen. K e i n e s f a l l s stehe es i n i h r e m Ermessen, ob sie die Sache regele oder n i c h t . I n diesem S i n n e gelte das L e g a l i t ä t s prinzip. Das Reichsgericht hatte lediglich i n § 14 P V G S t e l l u n g z u n e h m e n :

d r e i F ä l l e n Gelegenheit,

zu

I n der E n t s c h e i d u n g v o m 26. 2 . 1 9 3 5 4 5 2 g i n g es a l l e i n d a r u m , ob die P o l i z e i auch d e m j e n i g e n gegenüber, dessen leer stehendes H a u s v o n e i n d r i n g e n d e m G e s i n d e l beschädigt w i r d , eine A m t s p f l i c h t z u e r f ü l l e n habe, w a s das R G b e j a h t e . I n d e m F a l l , der G e g e n s t a n d des U r t e i l s v o m 8 . 1 1 . 1 9 3 8 4 5 3 w a r , h a t t e der K l ä g e r eine schuldhafte U n t e r l a s s u n g d a r i n gefunden, „ d a ß die A n b r i n g u n g eines Schildes z u r U m l e i t u n g des V e r k e h r s rechts u m das D.-er T o r verabsäumt w u r d e " . Das RG stimmte dem Berufungsgericht darin zu, daß die Anordnung von Ge- u n d Verbotszeichen nach § 14 P V G i n den Kreis der polizeilichen Maßnahmen falle u n d „daß die aus Anlaß der genannten Umleitung des Durchgangsverkehrs am D.-er Tor zu treffenden Maßnahmen zur Sicherung des Verkehrs Sache des polizeilichen Ermessens" seien. Ermessensentscheidungen ständen i n Frage, „ w o die amtlichen Maßnahmen nicht durch gesetzliche Bestimmungen oder sonst geordnet" seien, „ w o es sich u m nach der Sachlage zu treffende freie Willensentscheidungen" handele. Diese seien i m allgemeinen der richterlichen Nachprüfung entzogen. Die Frage des schuldhaften Handelns könne hier n u r bei besonderer Sachlage entstehen, so w e n n die Handlung mehr der W i l l k ü r als dem freien Ermessen zuzurechnen sei oder wenn der Beamte i n so hohem Maße fehlsam gehandelt habe, daß sein Verhalten m i t den an eine ordnungsmäßige V e r w a l t u n g zu stellenden A n forderungen schlechterdings unvereinbar sei. Dem Berufungsgericht sei darin zuzustimmen, daß die Nichtanbringung des Verbotsschildes aus dem letzeren Grund eine Amstpflichtverletzung darstelle. so bedeute das „den finanziellen Bankrott der Polizei". Würde das RG seine Rechtsprechung nicht ändern, so würde „eine Gesetzesänderung notwendig" werden (4. Aufl., S. 92 ff.). 450 Ebenso die 5. Auflage (1936), S. 44, 45, 47, 132 f., 134. Drews bemerkt hier, es müsse erwartet werden, daß die Rechtsprechung dem Opportunitätsprinzip k ü n f t i g i n höherem Maße Rechnung trage (S. 134). 451 JW 1933, 1571; vgl. dazu auch Teicher, Diss., S. 32, 30. 452 RGZ 147, 144. Die v o n Münzesheimer (s. oben Anm. 428) zitierte E n t scheidung RGZ 138, 259 geht von § 10 I I 17 A L R aus u n d wurde schon bei Anm. 328 dargestellt. 453 J W 39, 239 Nr. 29. 8 Schmatz

3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Das Urteil des RG vom 15.12.1939 454 hatte sich m i t der Schadensersatzforderung eines Motorradfahrers auseinanderzusetzen, der i n der Dunkelheit gegen ein unbeleuchtetes, i n einer Straße stehendes Verkehrsschild gefahren war. Das Gericht führte dazu aus, es sei „doch die allgemeine Pflicht der Polizei, das Vorhandensein eines verkehrswidrigen Zustandes nicht zu dulden". Wenn sie diesen gleichwohl bestehen ließe, verletze sie damit die i h r nach § 14 P V G den Verkehrsteilnehmern gegenüber obliegende Amtspflicht. Das L a n d Preußen berief sich demgegenüber darauf, „daß es i n den Bereich des v e r w a l tungsmäßigen Ermessens der Polizeibehörden gehöre, ob sie einen vorgefundenen Zustand dulden w o l l e n oder nicht". Das RG erwiderte: „ E i n solches Ermessen besteht jedoch nicht gegenüber unzweifelhaft verkehrsgefährdenden Zuständen. Handelt es sich u m derartiges, so können i n den Rahmen des E r messens n u r die A u s w a h l u n d die Anwendung der zur Beseitigung der Gefährdung zu gebrauchenden M i t t e l fallen (vgl. § 14 PVG)." Dementsprechend sei i m Einzelfall die Frage, „ob eine Verkehrsgefährdung vorliege, die polizeiliches Einschreiten erforderlich" mache, „nach sachlichen Gesichtspunkten zu beantworten". Das schuldhafte Unterlassen der notwendigen A b h i l f e sei eine Amtspflichtverletzung.

3. Die Entwicklung

seit 1945

Entscheidend war hierfür das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. 6.1952 455 . Das Gericht führte darin aus, daß auch die Gefahrenabwehr i m Straßenverkehr zu den Aufgaben der Polizei gemäß § 14 prPVG gehöre, die „nicht nur ein Recht für die Polizei" schafften, sondern ihr auch „entsprechende Pflichten und Verantwortlichkeiten" aufbürdeten. Die Polizei sei jedoch nicht bei „jedem Gefahrenzustand, der sie nach § 14 PVG zum Einschreiten befugt, auch zum Einschreiten verpflichtet". Weder aus der Fassung des § 14, noch aus den dazu ergangenen Ausführungsbestimmungen 456 , noch aus der von der Regierung während der Ausschußberatungen abgegebenen Erklärung 4 5 7 lasse sich „ein Legalitätsprinzip i n dem Sinne herleiten, daß die Polizei stets dann, wenn die Voraussetzungen des § 14 PVG vorliegen, nicht nur einschreiten dürfe, sondern auch einschreiten müsse und daß insoweit für ein verwaltungsmäßiges Ermessen überhaupt kein Raum sei". M i t der herrschenden Meinung 4 5 8 sei vielmehr „davon auszugehen, daß nicht nur bei der Auswahl der Mittel, sondern auch schon bei der Ent454 RGZ 162, 273. 455 DVB1. 52, 702 = VRspr. 5, 78. 456 Des Ministers des I n n e r n v o m 1.10.1931 ( M i n B l i V 1931, 923), abgedruckt bei Friedrichs u n d Franzen I. 457 s. oben bei A n m . 394. 458 Der B G H zitierte hierzu: Drews, 5. Aufl., S. 44, 132 ff.; Drews/Lassar, S. 27; Stier-Somlo, §14 A n m . 19 D ; Scheer, Lehrbuch, S.48; Scheer/Trubel, P V G 1950, S. 37; Jellinek, P r V B l . Bd. 46 (1925), 490; Verwaltungsrecht, S. 36, 432 ff.; Forsthoff, 1. Aufl., S.72; Peters, S.378; Friedrichs, §14 Erl. 35.

Α . Die Ermächtigungsnorm des § 141 p r P V G

115

Scheidung, ob die Polizei überhaupt einschreiten w i l l , ,grundsätzlich' das ,Opportunitätsprinzip' gilt". Alle Vertreter des Opportunitätsprinzips anerkennten — „wenn auch m i t verschiedenen Formulierungen" —, daß es Gefahrenfälle gebe, i n denen die Polizei einschreiten müsse, ohne daß sie sich für ein Untätigbleiben auf ihr Ermessen berufen könne. Es gelte also ein beschränktes Opportunitätsprinzip. I m übrigen folgt der B G H der Jellinekschen Lehre 4 5 9 . Demgegenüber enthielt das Urteil vom 17.12.1953 460 weder derartige grundsätzliche Ausführungen noch wurde auf die eben genannten verwiesen. Der B G H führte lediglich aus, der Polizei habe auch gegenüber dem Kläger als Verkehrsteilnehmer die Amtspflicht obgelegen, i n ihrem Bereich „die Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig waren, um die aus der Ölspur dem Verkehr drohenden Gefahren abzuwehren". Welche Maßnahme die Polizeibeamten ergriffen, „lag i n ihrem pflichtmäßigen Ermessen". Der B G H gab der Klage statt, da er die Gefährdung des Straßenverkehrs als Abwehrmaßnahmen erheischend ansah und den Polizeibeamten vorwarf, sie hätten ihr Ermessen i n so hohem Maße fehlsam gehandhabt, daß ihr Verhalten, nämlich die unzulänglichen Maßnahmen, die sie ergriffen hatten, als mit den an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen schlechterdings unvereinbar angesehen werden mußten. Wacke, der Drews' „Preußisches Polizeirecht" fortführt 4 6 1 , folgt dessen Formulierungen 4 6 2 , begründet aber das Opportunitätsprinzip neuerdings aus Gewohnheitsrecht: „ A u f Grund langer Rechtsprechung steht gewohnheitsrechtlich fest, daß es beim Vorliegen einer Gefahr, i m Ermessen der Polizei steht, darüber zu entscheiden, ob sie ein Einschreiten für angebracht hält; sie ist bei Gefahr zum Einschreiten berechtigt, aber nicht stets dazu verpflichtet, insbesondere nicht bei geringen oder formellen Verstößen 463 ." U l e 4 6 4 leitet dieses Ergebnis aus der Begründung und der Entstehungsgeschichte des § 14 prPVG ab. Forsthoff 4 6 5 folgt Jellinek und unterscheidet die Notwendigkeit des „ob überhaupt", die Ermessenssache sei, von der Notwendigkeit des 459

s. oben bei A n m . 275. 460 VRS 7, 87 (ölspurfall) ; ebenso B G H v.7.10.1954 N J W 55, 258 (259); vgl. auch B G H v. 18.10.1956 L M § 839 B G B (Fg) Nr. 9. 461 Drews/Wacke, 6. A u f l . (1955), S. 74 ff., 206 f.; 7. A u f l . (1961), S. 159 ff., 461 ff. 462

s. oben bei A n m . 301. 463 Drews/Wacke, 7. Aufl., S. 159. 464 Ule/Rasch, § 14 p r P V G RNr. 59. 465 S. 82 f.; i h m folgt Bender, DVB1. 57, 278 (281).

8*

6 3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

„wie", die Sache der Rechtsanwendung sei; die Entscheidung zwischen mehreren gleich geeigneten notwendigen Maßnahmen sei wiederum Ermessenssache. Die übrige Literatur enthält demgegenüber keine weiteren Gesichtspunkte. Oft w i r d auf die erstgenannte Entscheidung des B G H verwiesen 4 6 6 oder der Formulierung von Drews gefolgt 4 6 7 ; teils heißt es lediglich, hinsichtlich des Ob und Wie entscheide das pflichtgemäße Ermessen der Polizei 4 6 8 oder das Opportunitätsprinzip 4 6 9 , das sich aus dem Wortlaut des § 14 prPVG ergebe 470 , teils w i r d bloß festgestellt, die Polizei handle nach pflichtmäßigeim Ermessen 471 . Es w i r d jedoch nicht verkannt, daß es eine Grenze dieses Ermessens gibt, nämlich daß die Polizei i n gewissen Fällen einschreiten müsse 472 . c) Ergebnis

I n diesem Abschnitt A I I sollte der Nachweis für die Richtigkeit der i m Abschnitt I aufgestellten Hypothese 473 erbracht werden, daß die Begriffe „Gefahr" und „Not" nicht identisch sind, sondern der Polizei 466 HansOLG M D R 62, 130; Müller-Heidelberg, S. 30; B G H v. 2.4.1962 DVB1. 62, 488 = VRspr. 14, 830. 467 O V G Münster v. 28.7.1952 VRspr. 5, 468 (474) = A S 6, 43 (51 f.) = DVB1. 53, 180 (183); O V G Münster v. 18. 5.1954 N J W 54, 1664 = D Ö V 55, 92; O V G L ü n e b u r g v. 30. 6.1960 DVB1. 60, 648; B a y V G H v. 18. 3.1964 BayVBl. 64, 228 (230 N r . 4 e ) ; B V e r w G v. 25.3.1965 DVB1. 65 525 (527); Altmeyer, § 1 A n m . 6; Scheer/Trubel, §14 Anm. C I V . 468 B G H v. 1.2.1954 N J W 54, 715 = VRspr. 6, 553; O V G Münster v. 18.5.1954 AS 8, 320; B V e r w G v. 18.8.1960 DVB1. 61, 125; O V G Lüneburg v. 2. 9.1964 D Ö V 64, 749; Pioch, S. 7; Müller-Heidelberg, S. 29; Bender, S. 117; Rietdorf, S. 34 ff.; Hurst, Die Gemeinde 59, 224; Turegg/Krau ss, S.453; Schneeberger, S. 77 (81); Mayer, Opportunitätsprinzip, S. 10. 469 O V G Münster v. 21. 6.1960 D Ö V 60, 798 (799); U r t . v. 18. 5.1965 JZ 66, 31; Begründung des Entwurfs des r h p f P V G (DrucksAbt. I I , Nr. 692 v. 18. 9. 1953, unter Β zu §1); Koellreuther, Grundfragen, S. 124; K a l l r a t h , Diss., S. 47; Bochalli, S. 77. 470 Gurland, Diss., S. 58, 77; Scupin, H D S W Bd. 8, S.401; s. dazu A n m . 472 aE. 471 V G Karlsruhe v. 24.11.1949 D Ö V 50, 158; O V G Münster v. 11. 5.1950 A S 2, 107; B G H v. 2. 4.1962 VRspr. 14, 830 (831) = DVB1. 62, 488; Wiethaup, DVB1. 61, 468 (472); Wolff I, S. 152; I I I , S. 51. 472 O V G Münster v. 21. 6.1960 D Ö V 60, 798; B a y V G H v. 18. 3.1964 B a y V B l . 64, 228 (230); Jobst, Diss., S. 123; Pioch, S.7; Rietdorf, S.34ff.; M ü l l e r Heidelberg, S. 29; Hurst, Die Gemeinde 59, 224 ff.; Gurland, Diss., S. 83 ff.; Drews/Wacke, S. 161 ff. (mit Nachweisen); Scupin, H D S W Bd. 8, S. 401 f. (mit dieser Veröffentlichung sind die widerspruchsvollen Ausführungen Scupins i m Handbuch der kommunalen Wissenschaften u n d Praxis, Bd. I I , S. 616 f., w o h l überholt; auf sie w i r d — auch i m Literaturverzeichnis — nicht mehr hingewiesen. 473 s.Abschnitt A l f , letzter Absatz.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

11

zwischen diesen Grenzen ein Handlungsermessen hinsichtlich des „Ob" und „Inwieweit" eines Einschreitens eingeräumt ist. Die Darstellung zeigte, daß ein derartiges Ermessen der Polizei zwar nicht immer zugebilligt, aber doch wiederholt verteidigt wurde, bis es endlich seit dem Urteil des B G H aus dem Jahre 1952 allgemein anerkannt wurde. I I I . Rechtsanwendung und Ermessensfreiheit innerhalb § 14 PVG nach den heute vertretenen Auffassungen. Kritik Die bisherigen Erörterungen waren der Auslegung des § 14 PVG gewidmet. Es wurde dabei zwar von der modernen Ermessenslehre 474 ausgegangen, doch fand noch keine abschließende Trennung der Rechtssatzbestandteile von den Ermessenräumen i n § 14 PVG statt. Dies soll nunmehr geschehen und dabei soll auf die heutige 4 7 5 — nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes erschienene — Literatur eingegangen werden. a) Die „Gefahr" für die „öffentliche Sicherheit und Ordnung"

Hat die Polizei Maßnahmen zu treffen, „ u m Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren", so ergibt sich aus dieser Zwecksetzung, daß jede abwehrende Eingriffsmaßnahme an die primäre Handlungsvoraussetzung des Bestehens einer derartigen Gefahr geknüpft ist 4 7 6 . Sobald ein Sachverhalt gegeben ist, der eine Beeinträchtigung des Rechtsguts der „öffentlichen Sicherheit oder Ordnung" darstellt, die die Intensität der „Gefahr" erreicht, darf die Polizei einschreiten; ist dies nicht der Fall, entfällt diese Berechtigung. Das Gesetz verlangt also eine Entscheidung, die nur i n einem Ja oder einem Nein bestehen kann. Eine Wahlmöglichkeit ist nicht eingeräumt. Die Begriffe „öffentliche Sicherheit und Ordnung" und „Gefahr" sind damit nach der modernen Ermessenslehre als unbestimmte Rechtsbegriffe zu qualifizieren, was auch heute allgemein anerkannt w i r d 4 7 7 . Die i m 474 s. 2. Kap., Abschnitt Β I I . 475 Da das Thema der Arbeit auf das „heutige Polizeirecht" beschränkt ist, k a n n von einer Darstellung älterer Auffassungen abgesehen werden. 476 s. oben Abschnitt A l a . 477 „öffentliche Sicherheit u n d Ordnung", „Gefahr": Kollreuther, Grundfragen, S. 124; Müller-Heidelberg, S. 38, 40; Hurst, Die Gemeinde 59, 224 f.; Gurland, Diss., S.70ff.; Wolff I I I , S. 44, 48; Ule/Rasch, §14 p r P V G RNr. 58. „Gefahr": B G H v. 7.10.1954 N J W 55, 258 = DVB1. 54, 813 = L M § 14 p r P V G Nr. 5; Jesch, AöR 82, 166; Drews/Wacke, S. 58, 161; K r a m m , BayVBl. 64, 385; Wolff I, S. 148. Vgl. hinsichtlich der früheren Auffassung: Teicher, Diss., S. 35 ff. m i t Nachweisen; Drews, 5. Aufl., S. 25: ferner die Ausführungen i m Verfassungsausschuß (Klausener, PVG, S. 231).

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht E i n z e l f a l l a u f t r e t e n d e S c h w i e r i g k e i t der Entscheidung, ob e i n Sachv e r h a l t noch u n t e r diese H a n d l u n g s v o r a u s s e t z u n g f ä l l t oder n i c h t , ist d a n n e i n P r o b l e m des B e u r t e i l u n g s s p i e l r a u m s 4 7 8 , w a s auch b i s w e i l e n i n der L i t e r a t u r e r w ä h n t w i r d 4 7 9 . N u r v o n w e n i g e n S t i m m e n der k o n s e r v a t i v e n Ermessenslehre w i r d h i e r noch v o n „ E r m e s s e n " gesprochen480. b) „Die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen" 1. Die Möglichkeit

und

die Geeignetheit

der

Maßnahmen

A u c h v o n der P o l i z e i r e c h t s l i t e r a t u r w i r d a n e r k a n n t , daß M a ß n a h m e n , u m n o t w e n d i g i m S i n n e v o n e r f o r d e r l i c h 4 8 1 sein z u k ö n n e n , zunächst m ö g l i c h 4 8 2 , d u r c h f ü h r b a r 4 8 3 — w a s das gleiche i s t — u n d „ i m H i n b l i c k a u f d e n b e a b s i c h t i g t e n E r f o l g " 4 8 4 g e e i g n e t 4 8 5 sein m ü s s e n 4 8 6 . D a also v o n 478 v g l . 2. Kap., Abschnitte Β I I , C I I I , C I V . 479 Bachof zählt den Begriff Gefahr zu den Erfahrungsbegriffen (JZ 55, 99 A n m . 10; V V D S t R L 12, 71), Ule zu den normativen Begriffen (JellinekGedächtnisschrift, S. 324 A n m . 98); Jesch hält i h n für einen typischen F a l l der nicht vollständig möglichen Auflösung i n Faktenbegriffe (AöR 82, 230). Der B w V G H räumt einen gewissen Spielraum ein (Beschl. v. 29.11.1956 VRspr. 9, 899, 901); ebenso Gurland, Diss., S. 72. Wacke spricht von einem „ q u a n t i t a t i v - q u a l i t a t i v e n Grenz- und Übergangsbegriff" (Drews/Wacke, S. 51), geht aber auf einen Beurteilungsspielraum nicht ein. Vgl. ferner Wolff I, S. 148. 480 So Scupin (S. 616) Huber (WVR I I , S. 655), Gobrecht (S. 34), die Begründung zum E n t w u r f des n r w O B G (Landtag NRW, 3. Wahlp., Bd. I, Drucks. Nr. 6, unter Β § 1 Ziff. 3) u n d die Durchführungsbestimmungen zu § 1 r h p f P V G (abgedruckt bei Altmeyer, S. 49). — Apelt bezeichnet das Begriffspaar „öffentliche Sicherheit u n d Ordnung" als „höheren Ermessensbegriff" (VVDStRL 12, 108). Dagegen wendet sich m i t Recht Mayer (BayVBl. 55, 13 f.), da m i t dieser Unterscheidung zwischen Ermessen u n d höheren E r messensbegriffen f ü r die Praxis nichts gewonnen werde. 481 s. oben S. 87. 482 O V G Lüneburg v. 29. 9.1955 AS 10, 341 (345); Müller-Heidelberg, S. 31 (Dieser bezieht allerdings auch die rechtliche Möglichkeit m i t ein, was jedoch abzulehnen ist, s. Abschnitt A l b i ) ; Maunz/Dürig, A r t . 2 I GG RNr. 81 (unter d, dd) ; Scupin, H D S W Bd. 8, S. 402. 483 OVG Lüneburg v. 29. 9.1955 AS 10, 341 (345). 484 Bender, DVB1. 57, 278 (281). s. dazu unten Abschnitt A I V . 485 O V G Lüneburg v. 29.9.1955 AS 10, 341 (345); Bender, DVB1. 57, 278 (281); Drews/Wacke, S. 282; Lerche, S. 346 u n d A n m . 101; vgl. dazu auch Lerche, S. 289 f. u n d A n m . 118. — Gobrecht (S. 34) u n d Vogel (S. 90) sehen den I n h a l t des Begriffs „notwendig" ausschließlich i n der „Geeignetheit". 486 i n dem Urt. des B w V G H v. 18.12.1956 VRspr. 9, 492, das auf § 30 bwPolStrafGB beruht, heißt es: „ I m vorliegenden F a l l geht es darum, ob die Auflage erforderlich (Geeignetheit des Mittels), u n d ob sie i m rechten Verhältnis zum erstrebten Erfolg (Verhältnismäßigkeit) steht." Das U r t e i l übersieht, daß die Geeignetheit nicht allein den I n h a l t des Begriffs erforderlich ausmacht u n d daß die Verhältnismäßigkeit sich aus der Erforderlichkeit ergibt (s.Abschnitt A l b 3). — Über andere Fälle, i n denen die Geeignetheit m i t dem Grundsatz des Übermaßverbots zusammengeworfen w i r d vgl. Lerche, S. 76 m i t Nachweisen.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

11

a l l e n e r d e n k l i c h e n V e r h a l t e n s w e i s e n n u r m ö g l i c h e u n d geeignete M a ß n a h m e n e r g r i f f e n w e r d e n d ü r f e n , m u ß , b e v o r eine M a ß n a h m e g e t r o f f e n w e r d e n darf, g e p r ü f t u n d entschieden w e r d e n , ob sie m ö g l i c h u n d geeignet ist oder n i c h t . I n s o w e i t ist f ü r eine Ermessensausübung k e i n Platz. Es h a n d e l t sich also b e i d e n i n d e m W ö r t c h e n „ n o t w e n d i g " e n t h a l t e n e n G e b o t e n der M ö g l i c h k e i t u n d der G e e i g n e t h e i t u m u n b e s t i m m t e Rechtsbegriffe. Das w i r d auch a l l g e m e i n a n e r k a n n t 4 8 7 . 2. Der Grundsatz

der

Verhältnismäßigkeit

B e n d e r sieht diesen G r u n d s a t z als „ H a n d l u n g s v o r a u s s e t z u n g " a n 4 8 8 , das B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t p r ü f t i h n „ i n g l e i c h e m U m f a n g w i e e i n e n u n b e s t i m m t e n R e c h t s b e g r i f f " 4 8 9 , seine N i c h t b e a c h t u n g w i r d auch als Ermessensfehler b e z e i c h n e t 4 9 0 . E i n e A b l e i t u n g aus d e m B e g r i f f „ n o t w e n d i g " f i n d e t n i c h t statt, da er h e u t e als e i n das gesamte V e r w a l t u n g s recht beherrschender G r u n d s a t z angesehen w i r d 4 9 1 . 487 Hinsichtlich der „Möglichkeit" s. O V G Lüneburg v. 29.9.55 AS 10, 341 (345); Maunz/Dürig, A r t . 2 I GG RNr. 81; Scupin, HDSW Bd. 8, S. 402. Hinsichtlich der „Geeignetheit" s. O V G Lüneburg aaO; B G H v. 29.10.1959 L M §839 B G B (Fg) Nr. 18; Krauss, S. 67 (mit Nachweisen aus der älteren Lehre); Bender, DVB1. 57, 278 (280); Drews/Wacke, S.349; Ule/Rasch, §41 p r P V G RNr. 8 ff., 12; Vogel, S. 90. Vgl. auch O V G Münster v. 9.2.1954 A S 8, 225 (226). 488 N J W 55, 938. 489 u r t . v. 7.5.1957 E 5, 50 ff.; so auch Mayer, BayVBl. 55, 13; Senger, S. 114; Samper, A r t . 8 RNr. 4. 4 90 B G H v. 1.2.1954 N J W 54, 715 = VRspr. 6, 553; Drews/Wacke, S. 168 ff. (170). K a l l r a t h (Diss., K ö l n 1959, S. 27) ist der Auffassung, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei als „Ausfluß", „Begriffsbestandteil" u n d „inhärente Größe" des pflichtgemäßen Ermessens anzusehen. „Wenn eine Behörde lediglich innerhalb der i h r durch das pflichtgemäße Ermessen gesetzten Schranken tätig w i r d " , sei „ f ü r einen unbestimmten Rechtsbegriff kein Raum mehr". Eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle habe sich auf die Feststellung zu beschränken, „ob die Behörde keine ermessensmißbräuchlichen Erwägungen angestellt habe". — K a l l r a t h übersieht erstens, daß aus dem Begriff „Ermessen" selbst keine rechtlichen Schranken hergeleitet werden können (s. hierzu A n m . 574 u n d oben bei A n m . 212). Diese sind v i e l mehr den unbestimmten Rechtsbegriffen und dem Gesetzeszweck zu entnehmen (s. 2.Kap., Abschnitt C H I ) . Zweitens verkennt K a l l r a t h , daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit n u r die unverhältnismäßigen Maßnahmen verbietet, die Frage der A u s w a h l zwischen mehreren verhältnismäßigen Maßnahmen jedoch nicht berührt. Endlich hat der Grundsatz der Verhältnißmäßigkeit m i t fehlerhafter Ermessenserwägung nichts zu t u n ; es handelt sich bei i h m u m eine Handlungsvoraussetzung. 491 s. oben bei A n m . 113. Lediglich die Begründung des hambSOG f ü h r t aus: „Die ausdrückliche Normierung dieser Grundsätze (seil, der Verhältnismäßigkeit und des geringsteingreifenden Mittels) empfiehlt sich i m I n t e r esse der Rechtsklarheit auch dann, wenn sie sich bereits aus dem i n § 3 Abs. 1 verwendeten Rechtsbegriff der Erforderlichkeit ergeben sollten." (Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft; M i t t e i l u n g v. 11. 5.1965, Nr. 75, S. 12).

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Wie oben ausgeführt wurde 4 9 2 , ergibt aber gerade diese Ableitung einen klaren Einblick in das Wesen dieses Grundsatzes, dessen Inhalt in den meisten Fällen, wenn er nicht gerade mit dem Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels verwechselt w i r d 4 9 3 , nur undeutlich zum Ausdruck gelangt. Eine Maßnahme kann nicht mehr als die Gefahr „wendend" bezeichnet werden, wenn sie zur Folge hat, daß an anderer Stelle ein i m Vergleich zu der bestehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung größeres Übel entsteht. Dann steht der Schaden „außer Verhältnis" 4 9 4 zu der abzuwehrenden Gefahr. Bevor also eine Maßnahme ergriffen werden darf, muß untersucht werden, welches Rechtsgut durch die beabsichtigte Maßnahme beeinträchtigt w i r d und wie stark diese Beeinträchtigung ist; ferner muß die Größe der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung festgestellt werden; sodann ist an Hand eines Maßstabs, der beide Rechtsgüter und ihre Beeinträchtigungen umfaßt, zu prüfen und zu entscheiden, ob der zu erwartende Schaden größer als die abzuwehrende Gefahr ist. So zwingt das Gesetz auch hier zu einer positiven oder negativen Entscheidung. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist demnach ein unbestimmter Rechtsbegriff. Da gerade bei dieser tatsächlichen Wertung von Gefahr und Schaden erhebliche Unsicherheitsfaktoren auftauchen 495 , kommt dem Beurteilungsspielraum hier eine große Bedeutung zu. 3. Der Grundsatz des geringsteingreifenden

Mittels

Hinsichtlich der rechtlichen Qualifizierung dieses Grundsatzes stehen sich heute hauptsächlich zwei Meinungen gegenüber. Drews/Wacke 496 sind der Ansicht, der Grundsatz des mildesten M i t tels gelte zwar i m allgemeinen Verwaltungsrecht als Rechtssatz, für die Polizei sei er jedoch durch § 41 I I prPVG lediglich als „eine instruktioneile Zweckmäßigkeitsvorschrift" ausgeprägt, das PVG enthalte nur den „Gedanken des geringstmöglichen Eingriffs". Aus dem Wort „tunlichst" gehe nämlich hervor, daß die Polizei einem Störer gegenüber nur ein geeignetes M i t t e l zu bezeichnen brauche, das sie unter den verschiedenen möglichen nach Ermessen auswählen könne. Sie habe zwar „tunlichst", „wenn die Lage es zuläßt", das geringsteingreifende zu wählen, doch sei sie dazu nicht rechtlich verpflichtet, vielmehr komme ein Ermessensfehler nur in Betracht, „wenn die Wahl des Mittels in ganz besonders krassem Mißverhältnis zum erstrebten Erfolg steht". 492 Abschnitt A I b 3. 493 s. oben bei A n m . 133—135. 494 s. oben S. 65. 495 s. oben S. 66 f. 496 7. Aufl., S. 285 ff., 348 ff.; 6. Aufl., S. 110; 5. Aufl., S. 83.

Α. Die Ermächtigungsnorm des §

I prPVG

11

Dies sei auch erträglich, da dem Störer ja die Wahl eines anderen M i t tels zustehe. Lediglich i n Art. 8 bayPAG, § 5 bwPG und § 3 bremPG sei dieser Grundsatz als Rechtssatz angeordnet. — Dieser seit dem I n krafttreten des prPVG anerkannten 4 9 7 Auslegung des § 41 I I stimmen auch Wolff 4 9 8 , Müller-Heidelberg/Clauss 499 , Rietdorf 5 0 0 , Senger/Kurzmann 5 0 1 und Altmeyer/de Clerck 5 0 2 zu. Wie Drews/Wacke 503 und W o l f f 5 0 4 erkennen lassen, ist die Polizei somit nur an die Gebotsnormen der Möglichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit gebunden 505 . Demgegenüber sehen v. Krauss 5 0 6 , das OVG Lüneburg 5 0 7 und Sieveking 5 0 8 , die Krauss folgen, sowie Bender 5 0 9 den Grundsatz des mildesten Mittels, wie er i n § 41 I I PVG zum Ausdruck kommt, als unbestimmten Rechtsbegriff 510 an. Nach Krauss kann es „nicht Sinn des Wörtchens »tunlichst' sein, dem ,ist' seinen nach der allgemeinen Gesetzessprache zwingenden Charakter wieder zu nehmen". Vielmehr soll es nur soviel besagen, als i n der angegebenen Weise nach Möglichkeit zu verfahren sei, nämlich, sofern es die Umstände erlauben. Ob diese vorliegen, unterliege der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung 511 . Nach Bender könnte das Wörtchen „tunlichst" „zum Beispiel so gedeutet werden", daß es den Sinn hat: „Soweit den Behörden die 497 v g l . bei Krauss, S. 61; Bender, DVB1. 57, 278 (280 f.); O V G Lüneburg AS 10, 341 (345) (jeweils m i t Nachweisen); insbesondere Wipprecht, Diss., S. 32 ff.; ferner PrOVGE 95, 157 ff.; 96, 81 f.; 100, 143 f.; 102, 172 f.; 105, 277; 106, 70 ff.; Kerstiens, Polizeirecht, S. 66.

498 I, s. 155.

499 s . 33, 141. 500

S. 47. S. 114: „Die Ordnungsbehörde ist nicht schlechthin verpflichtet, von mehreren nach S. 1 (seil, des § 15 nrwOBG) zulässigen Maßnahmen diejenige herauszusuchen, die den Betroffenen objektiv am geringsten beeinträchtigt. Jedoch unterliegt diese Prüfung ihrem pflichtgemäßen Ermessen." 502 § 49 Erl. 1 e. 503 s. 285 unten, S. 170 oben. 501

504 ι , s. 155. 505 v g l . Abschnitt A I b 1, 3. 506 s. 67 f. — Dürig, der von Krauss zitiert w i r d , erwähnt lediglich, daß der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, worunter er den Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels versteht, „der verwaltungsgerichtlichen K o n trolle zugänglich" ist (JZ 53, 193, 199). 507 u r t . v.29.9.1955 AS 10, 341 (345); unentschieden: Urt. v. 25.10.1956 DVB1. 57, 275 (277). 508 M D R 56, 383 (384). 509 DVB1. 57, 278 (280 f.); ähnlich Pioch, S. 8. 510 So auch i m allgemeinen Verwaltungsrecht: B w V G H , Urt. v. 31.3.1952 VRspr. 5, 86 (92 f.); BVerwG, Urt. v. 7. 5.1957 E 5, 50 (Krauss folgend). su S. 67 Anm. 353; so w o h l auch Ule/Rasch, §14 p r P V G RNr. 10, 12, 13 ff.

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Ermittlung des für den Betroffenen voraussichtlich am wenigsten beschwerliche M i t t e l den Umständen nach zuzumuten ist." Seines Erachtens können „keine durchschlagenden Bedenken dagegen geltend gemacht werden, den Begriff der Notwendigkeit der polizeilichen Maßnahmen insoweit als unbestimmten Rechtsbegriff zu qualifizieren, als er die Geeignetheit des Mittels und das Gebot der Unterlassung einer vermeidbaren einschneidenderen Maßnahme beinhaltet". Die Ersetzungsbefugnis nach § 41 I I 3 PVG sei dann immer noch wirksam, da der Betroffene einer ihn objektiv mehr belastenden Maßnahme subjektiv den Vorzug geben könne 5 1 2 . v. Krauss und Bender gehen jedoch von verschiedenen Voraussetzungen aus: Jener 5 1 3 folgt Forsthoffs, dieser Ules Ermessenslehre 514 . Der Bundesgerichtshof, wohl auf dem Boden der konservativen Lehre, läßt es dahingestellt, ob es sich hier u m eine Ermessens- oder Rechtsfrage handle 5 1 5 . Daß „vom Standpunkt abstrakter Logik her die These kaum anfechtbar" sei, „daß zur Erreichung eines bestimmten Staats- oder Verwaltungszwecks nur eine Maßnahme, nur ein Belastungsgrad äußerstenfalls notwendig" sei, hat schon Gaiette 5 1 6 erkannt. Allerdings räumt er „ m i t Rücksicht auf die Grenzen der menschlichen Erkenntnisfähigkeit" der Polizei hier einen Ermessensspielraum ein. Mag man dies i m Hinblick darauf, daß Gaiette ein Verfechter der konservativen Ermessenslehre ist 5 1 7 , verstehen, so kann jedoch seiner weiteren Begründung — die Verpflichtung zur Annahme eines anderen Mittels beweise, „daß der Gesetzgeber die Nachprüfbarkeit eben nur auf die Abwägung der beiden Mittel, des angeordneten und des angebotenen beschränkt" habe und ohne ein solches Angebot eine Kontrolle des Ermessens, tunlichst den geringstbelastenden Grad zu wählen, nicht habe zulassen wollen — nicht beigepflichtet werden, da, wie auch Bender erwähnt 5 1 8 , § 41 I I 3 PVG seine Aufgabe und seinen Inhalt durchaus auch darin finden kann, dem Betroffenen zu ermöglichen, an Stelle des von der 512 D V B l . 57, 278 (281). 513 S. 11 f. 514 D V B l . 57, 278 (280). sis Urt. v. 7.10.1954 N J W 55, 258. Der B G H bezeichnet hier den Grundsatz des § 41 I I 2 p r P V G als „Grundsatz der Verhältnismäßigkeit". U n k l a r B G H v. 1.2.1954 VRspr. 6, 553; ebenso R G v. 22. 5.1928 RGZ 121, 225 (233). 516 D V B l . 56, 312 (313). 517 Was insbesondere aus seiner Bemerkung hervorgeht: „Die Lehre von der Eigenschaft der Notwendigkeit als unbestimmter Rechtsbegriff geht von der Gleichsetzung objektiver Bestimmbarkeit m i t rechtlicher Gebundenheit aus" (DVBl. 56, 313). bis Oben S. 121 f.

Α . Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

1

Polizei nach objektiven Gesichtspunkten ausgesuchten 519 mildesten M i t tels ein anderes geeignetes vorzuschlagen, das seinen subjektiven Wünschen eher entspricht 520 . Faßt man allerdings die Notwendigkeit — ihr Inhalt sei dahingestellt — als Ermessensfrage auf und bezeichnet man ein nicht-notwendiges Vorgehen als Ermessensfehler und somit als nachprüfbare Rechtsfrage, so entkommt man schwerlich Lerches entwaffnender K r i t i k : Denn wenn die Notwendigkeit i m Ermessen stehe, dann könne, so sagt er 5 2 1 , die Folgerung nur lauten, daß auch ein objektiv nicht notwendiges, aber von der Polizei für notwendig gehaltenes Verhalten rechtmäßig, also die Nicht-Notwendigkeit gerichtlich nicht nachprüfbar sei. Wenn aber die Nicht-Notwendigkeit als Ermessensfehler aufgefaßt werde, dann müsse auch die Notwendigkeit eine Rechtsfrage sein, da „ i n der Bestimmung des Noch-Maßvollen gleichzeitig die negative Bestimmung des Übermäßigen liegt und umgekehrt". Die Notwendigkeit, worunter Lerche die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des geringsteingreifenden Mittels versteht 5 2 2 , könne also nur eine Rechtsfrage sein und die „allgemeine materiell-rechtliche Handlungsfreiheit der Behörde" einschränken 523 . Wenn aber Lerche nebenbei vermerkt 5 2 4 , „die Sache" werde „logisch einwandfrei", wenn man einen näheren und einen weiteren Notwendigkeitsbegriff unterschiede — „etwa m i t Hilfe der Formeln ,erheblich', ,offenbar' nicht notwendig" — und dann die Notwendigkeit als Ermessensbegriff, die offenbare Nicht-Notwendigkeit als unbestimmten Rechtsbegriff auffasse 525 , dann kann dem nur zugestimmt werden, wenn man der konservativen Ermessenslehre folgt. Geht man nunmehr von der i n dieser Arbeit vertretenen (modernen) Ermessenslehre 526 aus, so kommt man zu folgendem Ergebnis: Die Auslegung des § 14 hat ergeben 527 , daß nur die Maßnahme getroffen werden darf, die „gerade noch notwendig" ist, um die be619 v g l . oben S. 55. 520 v g l . auch Lerche, S. 324 A n m . 29. 521 S. 323 f. m i t Hinweis auf die Ungereimtheiten bei W o l f f I (§311 c, I I c 1, I I d 1, I I d 2). 522 Das ergibt sich daraus, daß Lerche beide Grundsätze unter der Oberbezeichnung Übermaßverbot zusammenfaßt (Lerche, S. 21) u n d auf Wolff verweist (S. 324 A n m . 28), der dort auf den Grundsatz des mildesten Mittels eingeht (I, § 3 1 I I d 2 ) . 523 Lerche, S. 324 f. 524 s. A n m . 28. 525 Lerche meint, diese Ansicht scheine auch den Auffassungen von Drews/ Wacke (6. Aufl., S. 111) u n d Wolff (I, § 3 1 I I d 2 ) „ungeschrieben zugrundezuliegen" (Lerche, S. 324 Anm. 28). 526 v g l . 2. Kap., Abschnitt Β I I . 527 s. oben Abschnitt A I b 2.

3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

stehende Gefahr abzuwehren. Das kann der Idee nach nur eine einzige sein 5 2 8 . Der Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels ist also Handlungsvoraussetzung und unbestimmter Rechtsbegriff. Dem „pflichtmäßigen Ermessen" i n § 14 kann nur die Bedeutung eines „pflichtmäßigen Beurteilungsspielraums" beigemessen werden, da ein Handlungsermessen dort nicht gewährt sein kann, wo das Gesetz eine eindeutige Entscheidung fordert. Das wäre sonst ein Widerspruch 529 . Nach § 41 I I 2 PVG „ist" von mehreren i n Frage kommenden Mitteln, d. h. von mehreren möglichen, geeigneten und verhältnismäßigen, „das den Betroffenen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigende M i t t e l zu wählen". Hier geht noch deutlicher, nämlich aus dem Superlativ „am wenigsten" 5 3 0 , hervor, daß der Idee nach nur ein einziges M i t t e l rechtmäßig sein kann. Daß es sich hier u m einen Rechtssatz und keinen bloßen „Gedanken" 5 3 1 handelt, ergibt klar das Wörtchen „ i s t " 5 3 2 . Dem Wort „tunlichst" kommt folgende Bedeutung zu: Wie schon erörtert 5 3 3 und wie auch anerkannt 5 3 4 , heißt es soviel wie „möglich zu tun". Das am wenigsten beeinträchtigende M i t t e l ist also zu wählen, soweit dies möglich ist, so gut es möglich ist. Als Umstände, die dies unmöglich machen, kommen innere wie äußere i n Betracht. Innere wurden schon erwähnt, nämlich die Schwierigkeit der Prognose 535 , das objektiv mildeste M i t t e l auszumachen, wenn eine Verständigung m i t dem Betroffenen nicht möglich ist 5 3 6 . Äußere Umstände sind dann gegeben, wenn eine Gefahr eine sofortige Abhilfe notwendig macht und der Polizei nur Sekunden zum Überlegen verbleiben. Auch dann müssen die Abwehrmaßnahmen auf jeden Fall möglich, geeignet und verhältnismäßig sein. Auf diese Erfordernisse hat die Polizei ihr Augenmerk stets zu richten, — auf den Grundsatz des geringsteingreifenden M i t tels jedoch nur, wenn dies noch möglich ist: „Tunlichst" ist das mildeste M i t t e l zu wählen. Der Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels ist hier also ein relativer Rechtssatz, er ist abhängig von der Möglichkeit, die Pflicht zur Erforschung des mildesten Mittels zu erfüllen 5 3 7 . Ob diese 528 Dies schließt natürlich nicht aus, daß zwischen mehreren geringsteingreifenden M i t t e l n nach Ermessen ausgewählt werden k a n n (s. A n m . 160). 529 Vgl. auch Ule, Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 329. 530 Vgl. Lerche, S. 22 Anm. 8. 531 So Drews/Wacke (s. bei A n m . 496). 532 So auch Krauss (s. bei A n m . 511). 533 s. bei Anm. 165 ff. 534 v g l . Drews/Wacke (s. bei A n m . 496) und Bender (s. bei Anm. 512). 535 v g l . Abschnitt A I c. 536 Vgl. oben S. 56. 537 F ü r Polizeiverordnungen g i l t dies nicht, da auf sie §41 keine A n wendung findet (so Franzen I I , S. 23). Wacke verweist jedoch hinsichtlich der PolVO auf das i n den Polizeiverfügungen Gesagte (S. 391)! Vgl. h i n sichtlich der Überprüfung von PolVO auf ihre Erforderlichkeit: Franzen I, S. 134; P r O V G P r V B l . 1931, 330.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

1

Erfüllung möglich oder unmöglich ist, muß i m Einzelfall festgestellt werden. Das Gesetz verlangt i n dem Wort „tunlichst" eine Entscheidung. Es handelt sich also auch hier um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Allerdings w i r d man grundsätzlich einen weiten Beurteilungsspielraum einräumen müssen, da der Begriff sehr weit gespannt ist. Zudem w i r d sich auch bisweilen nicht mehr scheiden lassen, ob aus dem Grund ein Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist, weil nicht m i t Sicherheit festzustellen ist, welches das mildeste M i t t e l ist — hier geht es also u m die Subsumtion des Sachverhalts unter den Grundsatz des mildesten Mittels —, oder aus dem Grund, weil nicht m i t Sicherheit festgestellt werden kann, ob eine derartige Subsumtion überhaupt noch möglich ist — hier geht es u m die Subsumtion des Sachverhalts unter den Begriff „tunlichst". Einige Gesetze enthalten nun das Wörtchen „tunlichst" nicht 5 3 8 . I n diesen Fällen ist also der Grundsatz des mildesten Mittels absoluter Rechtssatz 539 . Man w i r d aber auch hier mit Hilfe des Beurteilungsspielraums 5 4 0 zu praktikablen Ergebnissen kommen. Es ist jedoch nicht zu übersehen, daß durch das Wörtchen „tunlichst" die Schlagkraft der Polizei erhöht wird, — allerdings nicht i n dem Maße, wie es von Drews/Wacke und anderen gewünscht w i r d 5 4 1 . Die hier vorgenommene Auslegung des § 41 I I PVG gewährt einerseits dem Staatsbürger den i h m auch nach dem allgemeinen Verwaltungsrecht zustehenden Rechtsschutz 542 und beseitigt andererseits die ungerechtfertigte Differenzierung i n der Behandlung eines Störers und eines Nicht-Störers: Da das Polizeirecht keinen Straf Charakter besitzt 5 4 3 , ist 538 So: § 5 I b w P G ; A r t . 8 I b a y P A G ; § 5 1 hessSOG; § 2 1 r h p f P V G ; § 15 2 n r w O B G ; §3 1 bremPG; § 4 I I hambSOG. Einige enthalten statt „tunlichst" die Formulierungen „voraussichtlich" ( § 5 1 bwPG) oder „nach pflichtmäßigem Ermessen" ( § 5 1 hessSOG; § 15 2 n r w O B G ; § 2 1 r h p f P V G ; § 3 1 bremPG) oder beide (§ 4 I I hambSOG). Diese können jedoch n u r dahin verstanden werden, daß der Polizei bei der Prüfung (Prognose; s.Abschnitt A l e ) des Grundsatzes ein Beurteilungsspielraum eingeräumt werden kann, nicht jedoch als gleichbedeutend m i t „tunlichst", da sonst alle sekundären Handlungsvoraussetzungen (vgl. „ n o t wendig" i n § 14!) davon abhängig wären, ob ihre Anwendung überhaupt „möglich" ist. Dies würde zu w e i t gehen. Der Schutz anderer Güter wäre i n Eilfällen nicht mehr gewährleistet (Grundsatz der Verhältnismäßigkeit!). 539 i n der Begründung zu §4 I I hambSOG heißt es hierzu lediglich: „ D a m i t ist das der Behörde i n § 3 Absatz 1 eingeräumte Auswahlermessen durch rechtliche Schranken eng begrenzt." (Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft; M i t t e i l u n g Nr. 75 v o m 11. M a i 1965, S. 12). 540 Vgl. Samper, A r t . 8 RNr. 4. 541 Vgl. bei Anm. 496. 542 Vgl. A n m . 510. 543 vgl. Drews/Wacke, S. 207 f.

3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

nicht einzusehen 544 , warum, wie von Drews/Wacke vertreten w i r d 5 4 5 , der Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels nur gegenüber dem Nicht-Störer als Rechtsgrundsatz gelten soll. 4. Die Notwendigkeit

des Ob-überhaupt

Daß die Polizei, sofern eine Gefahr vorliegt, über das „Ob" und „Inwieweit" eines Einschreitens nach Ermessen entscheiden darf, w i r d heute einesteils begründet, indem man den Begriff „notwendig" i n § 14 PVG als Ermessensbegriff qualifiziert 5 4 6 , andernteils abgeleitet aus 544 So auch Krauss, S. 66 A n m . 351. 545 Drews/Wacke, S. 286. 546 Forsthoff, S. 83 (der Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 34, folgt); Bender, D V B l . 57, 277 (280 f.), der sich wiederum Forsthoff anschließt u n d zwei N o t wendigkeitsbegriffe, die Notwendigkeit des Ob u n d des Wie unterscheidet (wie auch Lerche, S. 323 Anm. 25), jedoch, obwohl er Ules Vertretbarkeitstheorie folgt (vgl. 2. Kap., bei Anm. 48), die Notwendigkeit des Wie (d.h. die Geeignetheit u n d den Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels) zu den unbestimmten Rechtsbegriffen, die des Ob zu den Ermessensbegriffen zählt. Vgl. ferner Bachof, D Ö V 51, 389 (390). Aus der Rspr.: BezVerwGericht f. d. am. Sektor B e r l i n v. 20.10.1950 VRspr. 3, 445 (449 f.); V G Karlsruhe v. 24.11.1949 D Ö V 50, 158; O V G Münster v. 28. 7.1952 VRsp. 5, 468 (474) = D V B l . 53, 180 (183); B G H v. 11. 6. 1952 D V B l . 52, 702; B G H v. 22.12.1952 VRspr. 5, 319. Manche Ausführungen sind recht veschwommen: Vgl.: Scupin, S. 616 f. — Nach Pioch (S. 7) ergibt sich aus den Worten „nach pflichtmäßigem Ermessen" die grundsätzliche Geltung des Opportunitätsprinzips, wonach die Polizei nach pflichtmäßigem Ermessen selbst zu entscheiden hat, ob u n d gegebenenfalls v/ie sie einschreiten w i l l . „Daß die Polizei nach pflichtmäßigem Ermessen tätig werden soll, bedeutet aber andererseits i n Verbindung m i t dem W o r t »notwendig', daß sie vor unberechtigten Schadensersatzforderungen wegen angeblicher Amtspflichtverletzung durch Nichttätigwerden i n Schutz genommen werden soll". Diese „gesetzliche Haftungsbeschränkung" sei n o t wendig geworden, nachdem das R G i m Rodelfall eine Schadensersatzpflicht bejaht habe. Bei Scheer/Trubel (§ 14 A n m . C I V ) heißt es: „ ,Die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen' sind zu treffen. D a m i t ist das »Opportunitätsprinzip' f ü r die Polizei k l a r u n d bestimmt zum Ausdruck gebracht. Die Polizei hat nicht jedem D r i t t e n gegenüber eine gesetzliche Pflicht zum Einschreiten (Handeln) gegen alle möglichen i h n betreffenden Gefahren. Die Polizei hat vielmehr nach pflichtmäßigem Ermessen zu prüfen, ob ein Einschreiten nach Lage der Sache erforderlich ist. Wenn auf G r u n d der Prüfung die Voraussetzungen des § 14 P V G vorliegen" (welche?), „muß die Polizei jedoch einschreiten. Die erforderlichen Maßnahmen hat die Polzei dann nach pflichtmäßigem Ermessen zu treffen. Die W a h l der M i t t e l w i r d ebenfalls i n das pflichtmäßige Ermessen der Polizei gestellt." Gobrecht (S. 34 f.) f ü h r t die Erklärung i m Verfassungsausschuß (vgl. oben bei A n m . 394) an u n d fährt dann fort: „Sieht die Behörde das Vorliegen einer Gefahr als gegeben an, dann w i r d nicht verlangt, daß die objektiv notwendigen M i t t e l zur Gefahrenabwehr gewählt werden, sondern es genügt, w e n n sie das nach pflichtmäßigem Ermessen notwendige M i t t e l anwendet. Das pflichtmäßige Ermessen überträgt der Polizeibehörde die Entscheidung, w i e sie einschreitet und ob sie einschreitet (Opportunitätsprinzip)."

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 141 p r P V G

127

der „unbestrittenen Geltung des Opportunitätsprinzips" 5 4 7 oder „aus Gewohnheitsrecht" 548 . Jellinek 5 4 9 und i h m folgend der B G H 5 5 0 entnehmen dieses Ermessen dem Begriff „Gefahr", der innerhalb der Grenzen der „Schädlichkeit" und des „Übermaßes" nach freiem Ermessen abgegrenzt werden könne. Die Pflicht zum Einschreiten i n besonders schweren Gefahrenfällen w i r d folgendermaßen begründet: Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 551 hat die Polizei einzuschreiten, wenn ein Untätigbleiben ermessensfehlerhaft wäre. Die Behörde müsse sich bei der Prüfung, ob sie einschreite, „vom Sinn des Gesetzes leiten lassen". Für eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung könne „neben anderen Umständen 5 5 2 auch das Ausmaß oder die Schwere der Störung oder Gefährdung eine maßgebende Bedeutung haben". „Bei hoher Intensität der Störung oder Gefährdung" könne eine „Entschließung der Behörde zum Nichteinschreiten unter Umständen sogar als schlechthin ermessensfehlerhaft erscheinen". Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs 553 ist außerhalb der Grenze der „Schädlichkeit" „ f ü r die Betätigung von Ermessen kein Raum". Fange die Untätigkeit der Polizei an, „so schädlich zu werden, daß das Recht ein Einschreiten" erfordere, so könne sie sich nicht mehr auf ihr Ermessen berufen. Bei unzweifelhaft verkehrsgefährdenden Zuständen sei diese Grenze überschritten. Der B G H läßt es jedoch unentschieden, ob die Prüfung, ob diese Grenze überschritten sei, als Ermessens- oder Rechtsfrage anzusehen sei. Sei es eine Ermessensfrage, so sei sie daraufhin nachprüfbar, ob W i l l k ü r vorliege oder die Polizei 547 O V G Münster v. 18. 5.1954 N J W 54, 1664 = D Ö V 55, 92 = AS 8, 320; ähnlich, unter Berufung auf die „ h . M . " : B G H v. 11.6.1952 DVB1. 52, 702; vgl. auch O V G Lüneburg v. 30. 6.1960 DVB1. 60, 648. 548 Drews/Wacke, 7. Aufl., S. 159; Martens, JuS 62, 245 (246). 549 Verwaltungsrecht, S. 36, 432. Er unterscheidet aber auch die N o t wendgkeit des Ob als Ermessens- von der des Wie als Rechtsfrage (Verwaltungsrecht, S. 34). I n seinem früheren Werk (Gesetz, S. 75) heißt es: „Die Gesellschaft bestimmt, was öffentliche Ordnung ist u n d nicht die Polizeibehörde nach freiem Ermessen. Die Gesellschaft teilt die Erscheinungen des Lebens i n drei Teile. Der erste umfaßt die sicher nicht ordnungswidrigen Dinge: Hier darf die Polizei unter keinen Umständen vorgehen. Der dritte besteht aus unbedingten Ordnungswidrigkeiten, gegen die dl·» Polizei einschreiten muß. Der zweite T e i l bildet die Sphäre der möglichen Meinungsverschiedenheiten; hier darf die Polizei einschreiten, sie braucht es aber nicht." I n diesen Fällen ist also das U r t e i l der Polizei maßgebend. 550 U r t . v . 11.6.1952 DVB1. 52, 702. 551 Urt. v. 18. 8.1960 DVB1. 61, 125. 552 Diese werden nicht näher umschrieben. Vgl. jedoch dazu 4. Kap., A b schnitt B i l l . 553 U r t . v. 11. 6.1952 DVB1. 52, 702.

128 3. Kap.: Hechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

i n so hohem Maße fehlsam gehandelt habe, daß ihr Verhalten m i t den an eine ordnungsgemäße Verwaltung zu stellenden Anforderungen schlechterdings unvereinbar sei 5 5 4 . Daß das Opportunitätsprinzip seit jeher gilt, kann nicht mehr angezweifelt werden und die Begründung, es beruhe auf Gewohnheitsrecht, ist somit nicht anfechtbar. Freilich erweist diese Begründung der Aufgabe der modernen Ermessenslehre, § 14 PVG m i t ihrer Methode auszulegen, keinen Dienst. Wenn nun die frühere Meinung die Notwendigkeit als Ermessensbegriff auffaßt und ein Untätigbleiben i n ganz besonderen Gefahrenfällen als Ermessensfehler ansieht, so kann ihr aus ihrem System heraus kein Vorwurf gemacht werden 5 5 5 . Freilich ist die Formulierung des BGH, die Polizei könne sich nicht mehr auf ihr Ermessen berufen, wenn das „Recht" ein Einschreiten erfordere, nicht sehr glücklich, da nicht ausgeführt wird, wo dieses „Recht" zu suchen sei 5 5 6 . Geht man nun von der hier vertretenen Ermessenslehre aus, dann kann der Begriff „notwendig" i n § 14 PVG auch i n der Bedeutung der Notwendigkeit des Einschreitens nur als unbestimmter Rechtsbegriff qualifiziert werden, da sein Inhalt der Idee nach zu einer Entscheidung zwingt. Er kann dann allerdings nur auf besondere Gefahren bezogen werden, da, wenn man i h n auf alle „Gefahren" bezöge, das Legalitätsprinzip gälte, was aber nicht der Fall ist. Wie schon 557 erörtert, ist eine Lösung also nur möglich, wenn dem Begriff „notwendig" i n § 14 zwei verschiedene Zwecke zugeordnet werden. Aber auch die eben zitierten Auffassungen haben Schwierigkeiten, ihre Konstruktionen m i t dem Wortlaut des § 14 i n Einklang zu bringen: Soll die Polizei über die Frage, ob ein Einschreiten notwendig sei, nach Ermessen entscheiden dürfen, aber zum Einschreiten verpflichtet sein, wenn die Grenze der „Schädlichkeit" überschritten ist oder „das Recht es erfordert", dann können diese Grenzen aus § 14 nicht unmittelbar abgeleitet werden, höchstens über eine „besondere Notwendigkeit". Indem nun von dieser Notwendigkeit noch die Notwendigkeit des Wie — diese w i r d hier „Erforderlichkeit" genannt — geschieden w i r d 5 5 8 , unterstellt diese Konstruktion dem Wort „notwendig" i n § 14 drei 554 Vgl. z u dieser Formulierung näher 4. Kap., Abschnitt A I I a 2. s. aber die oben S. 80 f. gegen das System gerichteten Bedenken. 556 Die K r i t i k Schröers an dieser Formulierung des B G H (DÖV 62, 132 ff.) ist wenig ersprießlich. 557 Abschnitt A i d . 558 vgl. Forsthoff, S. 83. 555

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

129

verschiedene Bedeutungen 559 . Wenn Jellinek dem Begriff „Gefahr" die Grenzen des Ubermaßes und der Schädlichkeit entnimmt und dann noch den zwischen beiden Grenzen liegenden Ermessensbereich m i t dem Begriff der Gefahr umschreibt 560 , dann konstruiert er aus diesem Begriff — ebenfalls — drei verschiedene Bedeutungen. Die hier aufgezeigte Lösung stellt demgegenüber klar die unbestimmten Rechtsbegriffe, an die die Sicherheitsorgane gebunden sind, als das Primäre heraus und ermöglicht eine sprachlich klare Fassung des polizeilichen Ermessens, die dem Wortlaut des § 14 PVG sehr nahe kommt: Ist die Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gegeben und ein Einschreiten notwendig, dann hat die Polizei die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die bestehende Gefahr abzuwehren; ist die Notwendigkeit zu verneinen, dann kann sie einschreiten; beabsichtigt sie das, dann hat sie wiederum die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Anzufügen ist noch, daß der Begriff „notwendig" in § 14 PVG nicht darüber entscheidet, ob überhaupt eingeschritten werden darf. Die primäre Handlungsvoraussetzung ergibt sich einzig und allein aus dem Begriff der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Dies w i r d allerdings i n der Literatur wie i m Sprachgebrauch oft nicht beachtet 561 . 5. Unbrauchbare

Qualifizierungen

des Begriffs

„notwendig"

Eine Reihe von Autoren qualifiziert den Begriff „notwendig" i n § 14 PVG — die einen als Ermessens- 562 , die anderen als unbestimmten Rechtsbegriff 563 —, ohne daß sein Inhalt erläutert würde oder sich aus 559 Das polizeiliche Ermessen k a n n jedoch nicht allein auf das W o r t „Ermessen" i n § 14 gegründet und dieses durch den Begriff „notwendig" begrenzt werden (so anscheinend Wolff I, § 31 I I c 1), da nach der W o r t stellung die Notwendigkeit i n das Ermessen der Polizei gestellt ist. 5ß o Dies erscheint auch Teicher (Diss., S. 38) nicht einleuchtend. 661 Jedoch schon erkannt von Scholz (VArch. 24, 188 A n m . 6) u n d Friedrichs (PrVBl. 1930, 372 linke Spalte); vgl. ferner Lerche, S. 346 A n m . 102; Freund, S. 60; Bender, DVB1. 57, 278. 562 So die konservative Ermessenslehre: Nebinger, S. 225; Krauthausen, StZRhPf., S. 6; Scheerer/Trubel, §14 A n m . I V 2 a. Wolff, ein Anhänger der modernen Ermessenslehre, zitiert die Worte „die nach pflichtmäßigem E r messen notwendigen Maßnahmen" als Beispiel f ü r die Gewährung eines echten Handlungsermessens. Daß hier Ermessen herrsche, bringe die V o r schrift selbst zum Ausdruck (!) (I, S. 152). A n anderer Stelle (I, S. 153 f.) sieht er die „ A n w e n d u n g einer anderen als einer notwendigen Maßnahme" als Ermessensfehler an (vgl. hierzu Lerches K r i t i k , oben bei A n m . 521, u n d ferner A n m . 559). 563 So Drews/Wacke, S. 282, 349 u n d die moderne Ermessenslehre: Reuß, StZRhPf., S. 10; DVB1. 53, 585; Köhler, D Ö V 56, 744f.; Jesch, AöR 82, 208 Anm. 174. Bachof bezeichnet die Notwendigkeit als Handlungsvoraussetzung

9 Schmatz

130 3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

dem Zusammenhang eindeutig ergäbe. I n den Fällen, i n denen er für einen unbestimmten Rechtsbegriff angesehen wird, kann angenommen werden, daß i h m der Inhalt der Erforderlichkeit beigemessen w i r d 5 6 4 , aber auch dann ist noch nicht erwiesen, ob darunter die Möglichkeit, Geeignetheit, Verhältnismäßigkeit und der Grundsatz des mildesten Mittels verstanden werden oder nur einige dieser Begriffsbestandteile. Eine Verwertung dieser Qualifizierungen ist also nicht möglich 5 6 5 . I V . Auslegung und Qualifizierung des Ausdrucks „um Gefahren abzuwehren" Die bisherige Untersuchung hat ergeben, daß Maßnahmen von Sicherheitsorganen überhaupt erst i n Frage kommen können, wenn eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" besteht, daß sie einschreiten müssen, wenn dies „notwendig" ist, und daß sie von mehreren tatsächlichen möglichen, geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen die geringsteingreifende zu treffen haben. Eine Bestimmung dieser zuletzt genannten unbestimmten Rechtsbegriffe ist jedoch nur möglich, wenn der Zweck, zu dem die Maßnahmen „erforderlich" sein sollen, bekannt ist. I m folgenden soll daher der Zweckbestimmung des § 14 und ihrem Verhältnis zu den bisherigen Ergebnissen nachgegangen werden. a) Das Wesen der Zweckbestimmung in §14 P V G

Nach Jellinek 5 6 6 bildet der „Erfolg einer Handlung, sofern er gew o l l t ist, den Zweck einer Handlung". „Wenn jemand einen bestimmu n d übersetzt das W o r t „Ermessen" i n § 14 m i t „Beurteilungsspielraum" (JZ 55, 98 A n m . 10); ebenso Stern, S. 21; Lerche meint hierzu, „Bachof scheine n u r den Notwendigkeitsbegriff des Wie vor Augen zu haben" (S. 323 A n m . 25). Bei Menger heißt es: „ I m übrigen sei eingeräumt, daß das Problem deshalb i m Einzelfall oft besondere Schwierigkeiten bereitet, w e i l der Gesetzgeber gelegentlich — so auch i n § 14 p r V P G — auf der Rechtsfolgeseite zusätzlich noch m i t unbestimmten Rechtsbegriffen operiert, so daß Ermessensspielraum u n d unbestimmter Rechtsbegriff zusammentreffen" (S. 127 A n m . 8) ; vgl. auch Ehmke, S. 28. 564 Daß die Notwendigkeit des Ob zu den unbestimmten Rechtsbegriffen gezählt wird, ist unwahrscheinlich, da dies eine A b k e h r von der h. M. bedeutete und w o h l hervorgehoben würde. 565 Vgl. hinsichtlich der Qualifizierung des Begriffs „notwendig" aus der früheren L i t e r a t u r : Unter der Geltung des §10 I I 17 A L R : Friedrichs, P r V B l . Bd. 30 (1909), 369 ff.; Jellinek, Gesetz, S. 9 (mit zahlreichen Nachweisen); Bühler, S. 176; Schoen, VArch. 27, 120 ff.; Krauss, S . 4 f f . ; PrOVGE 53, 257 (258); 79, 371 (373). Nach dem Inkrafttreten des p r P V G : Jellinek, RuPrVBl. 1931, 121; StierSomlo, S. 139; Kastner, Stusev 1931, 95 (97); Froelich, S.56ff., 65 ff., 57 ff., 85; s. auch bei: Bender, D V B l . 57, 280; Krauss, S. 116 f.; O V G Lüneburg v.29.9. 1955 AS 10, 341 (348); Urt. v.25.10.1956 D V B l . 57, 275. see Gesetz, S. 76.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 141 prPVG

131

t e n E r f o l g z u m Z w e c k seiner H a n d l u n g erhebt, so beabsichtigt er i h n . Diese Absicht ist als inneres E r l e b n i s des H a n d e l n d e n e i n Stück W i r k lichkeit, das sich historisch feststellen l ä ß t 5 6 7 . " Welche Erfolge die Sicherheitsorgane n u n w o l l e n dürfen, umschreibt § 1 4 m i t den W o r t e n : „ u m G e f a h r e n a b z u w e h r e n " . I n j e d e m Falle, ob e i n Einschreiten n o t w e n d i g ist oder nicht, m u ß also der Z w e c k polizeilichen H a n d e l n s gefahrenabwehrender N a t u r sein. D e r beabsichtigte E r f o l g m u ß i n einer A b w e h r der bestehenden Gefahr l i e g e n 5 6 8 . Ob allerdings diese Absicht i n einer v o l l s t ä n d i g e n G e f a h r e n a b w e h r bestehen m u ß oder ob auch eine u n v o l l s t ä n d i g e G e f a h r e n a b w e h r ge567 Vgl. dazu auch Kelsen (S. 23 f.) : „Unter ,Zweck* kann man einen objektiven oder einen subjektiven Zweck verstehen. Ein objektiver Zweck ist ein Zweck, der verwirklicht werden soll. E i n subjektiver Zweck ist ein Zweck, den sich ein Mensch selbst setzt, den er zu verwirklichen wünscht . . . Das Urteil, ob etwas zweckmäßig ist, kann je nach dem subjektiven oder objektiven Charakter des Zwecks ein subjektives oder objektives Werturteil sein." see So Drews/Wacke, S. 280; vgl. ferner Gurlt, Diss., S. 25 f.; Jobst, Diss., S. 123; Reiff, S.42; Forsthoff, S. 86 (mit Nachweisen); Scheer/Trubel, §14 Anm. C I V ; Scupin, HDSW, Bd. 8 S.402; Ule/Rasch, §14 prPVG RNr. 63; OVG Münster v. 18. 5.1954 N J W 54, 1664 = DÖV 55, 92; vgl. auch die Entscheidung des B w V G H v. 31. 3.1952 VRspr. 5, 86 (87) über Sinn und Zweck eines Baugesetzes und des OVG RhPf. v. 3. 7.1958 AS 7, 56 (58) zu § 14 Gaststättengesetz. Das polizeiliche Zweckgebot w i r d jedoch zumeist negativ ausgedrückt: Die Polizei darf keine Maßnahmen treffen, u m dadurch ζ. B. ästhetische Ziele zu verfolgen oder u m unerwünschte wirtschaftliche Konkurrenz zu verhindern oder u m persönliche Zwecke zu verfolgen, etwa jemanden zu schikanieren oder u m einen persönlichen Vorteil zu gewinnen.

Das prPVG und einige andere Sicherheitsgesetze (§§ 311,41 I I I prPVG; § 6 I I hessSOG; §§ 20 I, 30 I I I ndsSOG; §§ 20 I I 2, 32 12 nrwOBG; §§ 37 I, 49 I I I rhpfPVG) stellen ein weiteres Zweckverbot auf: PolizeiVerfügungen und -Verordnungen „dürfen nicht lediglich den Zweck haben, den Polizeibehörden die ihnen obliegende Aufsicht zu erleichternBei Drews/Wacke heißt es dazu (S. 295): „Das Gesetz denkt hier vor allem an die Fälle, i n denen die Behörde Handlungen, aus denen sich nach ihrer Ansicht Gefahren entwickeln können (die aber zur Zeit noch nicht bestehen), verbietet, w e i l sie die Vorgänge schlecht überwachen kann." — Damit w i r d aber die primäre Handlungsvoraussetzung der Gefahr angesprochen, so daß die Vorschrift insoweit als Konkretisierung des Begriffs „Gefahr" anzusehen ist (vgl. dazu auch das Urteil des OVG RhPf. v. 12. 4.1956 VRspr. 8, 690, 692). — Nach Franzen (II, S. 57) ergibt sich aus dieser Vorschrift die Pflicht der Polizei, „wahrscheinlich eintretende Störungen m i t ihren eigenen sachlichen und persönlichen M i t t e l n zu erforschen, soweit ihnen dies irgendwie möglich ist. Eine Auskunftspflicht Unbeteiligter kann i n einer Polizeiverordnung nur dann gültig angeordnet werden, wenn die Erforschungen der P. m i t eigenen M i t t e l n nicht mehr möglich ist" (ähnlich Müller-Heidelberg, S. 109 und Drews/Wacke, S. 296). — Damit ist aber nichts anderes gesagt, als daß die Vorschriften der §§18 ff. PVG einzuhalten sind (vgl. dazu oben bei Anm. 99). — Auch die Motivation darf nicht darin bestehen, die der Polizei obliegende Aufsicht zu erleichtern; sogar ein derartiges Nebenmotiv ist nach Drews/Wacke (S. 259 f.) unzulässig. — Die genannten Vorschriften lassen sich somit mühelos i n das bisher entwickelte System des § 14 PVG einordnen. 9*

132 3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

nügt, läßt sich aus der Zweckbestimmung des § 14 allein nicht eindeutig entnehmen. Daß die Abwehr möglichst vollständig sein soll, mag als selbstverständlich erscheinen, es wehren aber auch Teilerfolge die Gefahr ab und erfüllen somit die Zweckbestimmung des § 14. — Die Lösung ergibt sich aus den bisherigen Überlegungen: Es kommt darauf an, ob ein Einschreiten notwendig ist oder nicht. I m ersten Fall hat die Polizei nicht nur geeignete und verhältnismäßige Maßnahmen zu treffen, sondern aus der Pflicht zur Gefahrenabwehr „die Not zu wenden", ergibt sich auch die Verpflichtung zur Erzielung ausreichender Erfolge 5 6 9 . Ist dagegen ein Einschreiten nicht notwendig, dann kann die Polizei über das Ob ihres Einschreitens nach Ermessen entscheiden. Wie aber schon erwähnt 5 7 0 , folgt daraus — wenn sie schon über das Ob nach Ermessen entscheiden kann —, daß sie dann auch über das „Inwieweit" ihres Vorgehens nach Ermessen entscheiden können muß, also ob sie einen die Gefahr vollständig abwehrenden Erfolg oder ob und welche Teilerfolge sie erreichen w i l l . Daß eine „PolizeiVerfügung nicht deshalb rechtswidrig ist, w e i l sie die Gefahr mindert, statt sie gänzlich zu beseitigen", w i r d auch allgemein anerkannt 5 7 1 . Wie nun dem Begriff „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" i n einem Koordinatensystem die negative y-Achse zugeordnet werden kann 5 7 2 , so kann die positive y-Achse der „Gefahrenabwehr" zugeordnet werden. Eine Gefahr, die i n ihrer Schwere dem Punkt —6 entspricht, bedarf dann zu ihrer vollständigen Abwehr eines Erfolges, der dem Punkt + 6 entspricht. Da nun der von der Polizei beabsichtigte Erfolg i n jedem Falle gefahrenabwehrend sein muß, ist die Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr" i n § 14 PVG als unbestimmter Rechtsbegriff 573 zu qualifizieren, der — ebenso wie der Grundsatz 569 s. Abschnitt A I V c. 570 Abschnitt A i d . 571 So O V G Lüneburg v. 25.10.1956 D V B l . 57, 275 (277) = AS 11, 360 (363); B w V G H v. 2. 7.1957 E S V G H 7, 60 (65); vgl. P r O V G P r V B l . Bd. 28 (1907), 104 (106); R u P r V B l . Bd. 56 (1935), 479; Jellinek, Gesetz, S. 298; Verwaltungsrecht, S. 440; Scupin, S.617; Bender, D V B l . 57, 279; Müller-Heidelberg, S. 32; Rietdorf, S.35; Drews/Wacke, S.282f.; Ule/Rasch, §41 p r P V G RNr. 9. U n k l a r Friedrichs, S. 97 f.; P r V B l . Bd. 30, 372; Franzen I I , S. 132 (unter 2 a). — Nicht bedacht w i r d freilich, daß diese Ermessensfreiheit auch hinsichtlich des Erlasses von Polizeiverordnungen gilt, aber i n allen Fällen i m m e r nur, soweit ein Einschreiten nicht notwendig ist. 572 s. Abschnitt A l a . 573 v g l . dazu Jellinek, Gesetz, S. 77; Felix, S. 74.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14 I p r P V G

133

der V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t eine Ermessensfreiheit h i n s i c h t l i c h der W a h l zwischen m e h r e r e n v e r h ä l t n i s m ä ß i g e n M a ß n a h m e n z u l ä ß t — eine E r messensfreiheit h i n s i c h t l i c h des Grades der G e f a h r e n a b w e h r zuläßt, sofern e i n E i n s c h r e i t e n n i c h t n o t w e n d i g ist, a u f der S k a l a also zwischen den P u n k t e n 0 u n d + 6 5 7 4 .

b) Die Einschränkung dieses Ermessens 1. Durch

die Möglichkeit,

Geeignetheit

und

Verhältnismäßigkeit

D i e beschriebene Ermessensfreiheit e r m ö g l i c h t also, zwischen v e r schiedenen, die G e f a h r v o l l s t ä n d i g oder t e i l w e i s e a b w e h r e n d e n E r f o l g s absichten z u w ä h l e n . 574 Vielfach w i r d das Verbot der Verfolgung nicht-gefahrenabwehrender Zwecke aus dem Begriff „pflichtmäßiges Ermessen" abgeleitet (Scheer/Trubel, §14 A n m . C I V I ; Forsthoff, S. 85f.). Dies ist jedoch nicht möglich, da, wie schon oben bei Anm. 212 erwähnt, das A d j e k t i v „pflichtmäßig" lediglich auf Gebote hinweist, ohne solche aufzustellen. Auch aus dem W o r t „Ermessen" kann das Verbot nicht abgeleitet werden, da m i t der Einräumung eines Ermessens höchstens die Verpflichtung zur Ausübung des Ermessens aufgestellt w i r d (vgl. 4. Kap., Abschnitt Β I I c), nicht aber normative Beschränkungen. Schon i m Jahre 1928 hat Scheuner festgestellt: „Es gibt für das freie Ermessen n u r die Schranken des positiven Rechts. Es gibt neben der Gesetzes Verletzung keine besonderen Ermessensfehler; was v o m Gesetz nicht erfaßt w i r d , bleibt unüberprüfbare Freiheit. Es gibt keine ,inneren' Schranken des Ermessens, es gibt keine Pflichtmäßigkeit des Ermessens; das ist ein Widerspruch i n sich." (VArch. 33, 74). Allerdings muß es heute i m Hinblick auf A r t . 20 I I I GG statt „Gesetz" „Gesetz u n d Recht" heißen; auch k a n n unter der Geltung des §114 V w G O von einer „unüberprüfbaren Freiheit" nicht mehr gesprochen werden.

Ferner versucht man, das Verbot der Verfolgung nicht-gefahrenabwehrender Zwecke durch die Formulierung zu umschreiben, die Polizei dürfe nicht willkürlich und nicht nach Belieben handeln (Franzen I, S. 126 ; Casparius, Stusev 1931, 419 ff.; Klausener, Kommentar, §14 A n m . 4; vgl. ferner die Übersicht über die ältere Rspr. des P r O V G bei Jellinek, Gesetz, S. 65 A n m . 114). Forsthoff (S. 86) versteht dabei unter „ W i l l k ü r " ein Handeln aus sachfremden Motiven, unter „Belieben" ein Handeln, das ausschließlich subjektiven Erwägungen ohne Zusammenhang m i t sachlichen Zwecken entspringt. Wolff (I, S. 153) legt den Begriff W i l l k ü r dahin aus, daß die Behörde nicht ohne G r u n d oder aus sachfremden Erwägungen handeln darf (vgl. ferner Leibholz, D V B l . 51, 193). Beeinflußt sind diese Ausführungen von dem A n fechtungsgrund des détournement de pouvoir des französischen Rechts (vgl. dazu Scheuner, VArch. 33, 79 ff.; Casparius, Stusev 1931, 419 ff.; Huber I I , S. 656; Forsthoff, S. 86; Drews/Wacke, S.280; Stern, S.28f.). F ü h r t m a n die Unterscheidung zwischen Ermessen u n d unbestimmten Rechtsbegriff konsequent durch, so sind die genannten Ungültigkeitsgründe ausschließlich aus dem Zweck der Ermächtigungsnorm abzuleiten, i n § 14 p r P V G aus den Worten „ u m Gefahren abzuwehren" (s. 2. Kap., Abschnitt C I I I . — Schon Franzen I, S. 130, hat sich gegen den Begriff „ W i l l k ü r " gewandt). Der Grund, w a r u m man bislang diese Zweckbestimmung nicht als einen unbestimmten Rechtsbegriff ansah, ist w o h l darauf zurückzuführen, daß man m i t dem Wort „Zweck" den Begriff „Zweckmäßigkeits-

134 3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

D i e P o l i z e i w i l l jedoch i h r e b e a b s i c h t i g t e n Z w e c k e auch e r r e i c h e n 5 7 5 . D a z u d a r f sie gemäß § 14 P V G „ M a ß n a h m e n t r e f f e n " — a l l e r d i n g s n u r solche, die z u r E r r e i c h u n g des v o n i h r i n n e r h a l b der „ G e f a h r e n a b w e h r " g e w ä h l t e n b e a b s i c h t i g t e n E r f o l g s „ n o t w e n d i g " sind, d. h. die d a z u tatsächlich m ö g l i c h u n d geeignet s i n d u n d k e i n e n Schaden h e r b e i f ü h r e n , d e r z u d e m „ b e a b s i c h t i g t e n E r f o l g " 5 7 6 außer V e r h ä l t n i s steht. Es e n t f a l l e n also alle, die G e f a h r v o l l s t ä n d i g oder u n v o l l s t ä n d i g a b w e h r e n d e n Erfolgsabsichten, die m i t k e i n e n tatsächlich oder rechtl i c h m ö g l i c h e n M a ß n a h m e n z u erreichen s i n d 5 7 7 .

2. Die

Einschränkung des Ermessens des geringsteingreifenden

durch den Mittels

Grundsatz

U n t e r d e n m i t geeigneten u n d v e r h ä l t n i s m ä ß i g e n M a ß n a h m e n e r r e i c h b a r e n E r f o l g e n k a n n die P o l i z e i n u n nach Ermessen w ä h l e n . D e r G r u n d s a t z des m i l d e s t e n M i t t e l s v e r p f l i c h t e t sie jedoch, b e i j e d e m E r f o l g u n t e r d e n geeigneten u n d v e r h ä l t n i s m ä ß i g e n die g e r i n g s t e i n greifende M a ß n a h m e a n z u w e n d e n . Es k a n n n u n sein, daß die V e r f o l g u n g eines g e f a h r e n a b w e h r e n d e n Zweckes m i t e i n e r „ e r f o r d e r l i c h e n " M a ß n a h m e d e n B e t r o f f e n e n m e h r b e e i n t r ä c h t i g t als die V e r f o l g u n g eines m i t „ e r f o r d e r l i c h e n " M a ß n a h m e n erwägung" verband, i n dem m a n das freie Ermessen geradezu verkörpert sah. Scheuner u n d Jellinek (Gesetz, S. 77) haben das erkannt. Scheuner wies schon 1928 darauf hin, daß eine Kontrolle polizeilicher Maßnahmen nicht möglich sei, befolge m a n streng die Vorschrift des § 17 des Gesetzes v. 11. März 1850, wonach die „Notwendigkeit u n d Zweckmäßigkeit" einer Maßnahme gerichtlicher Überprüfung nicht zugänglich ist (VArch. 33, 68, 86 f.). 575 Vgl. Jellinek, Gesetz, S. 77: „ W e r einen Zweck erreichen w i l l , w i l l auch die Mittel, die zum Zwecke führen." 576 § 5 I I b w P G ; A r t . 8 1 b a y P A G ; §52hessSOG; §2 2 r h p f P V G ; § 1 5 1 n r w OBG; § 3 2 b r e m P G ; § 4 1 hambSOG. 77 5 Zwischen dem „Zweck", der „Erfolgsabsicht", die unter den unbestimmten Rechtsbegriff der „Gefahrenabwehr" subsumiert werden können muß, u n d den „Maßnahmen", die zur Erreichung des Zwecks, des beabsichtigten Erfolgs, möglich, geeignet u n d verhältnismäßig sein müssen, muß k l a r unterschieden werden. Da jedoch nicht n u r die eine Gefahr nicht abwehrende Erfolgsabsicht gegen die Zweckbestimmung des § 14 verstößt, sondern auch die dazu getroffenen möglichen, geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen, werden der sprachlichen Einfachheit halber oft nur die Maßnahmen als zweckwidrig bezeichnet, obwohl p r i m ä r die Erfolgsabsicht zweckwidrig ist. — So heißt es z.B. bei Scupin (S. 617), durch die Möglichkeit der Anwendung geeigneter M i t t e l werde das weniger geeignete nicht etwa zwecklos (ähnlich auch Drews/Wacke, S. 282 f.). Genau genommen heißt dies: Durch die Erreichung eines die Gefahr i n größerem Umfang abwehrenden Erfolgs m i t geeigneten Maßnahmen w i r d ein m i t geeigneten Maßnahmen erreichbarer geringerer Erfolg nicht rechtswidrig, da auch er gefahrenabwehrender N a t u r ist.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

135

erreichbaren Erfolges, der die bestehende Gefahr i n größerem Umfang beseitigen würde. Kann sich hier der Betroffene auf den Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels berufen? Dem strengen Wortlaut des § 14 und des § 41 PVG nach nicht: Denn die Sicherheitsorgane können innerhalb der „Gefahrenabwehr" ihre Zwecke nach Ermessen bestimmen; eine vollständige Gefahrenabwehr ist ebenso zugelassen wie eine unvollständige. Nur die zur Erreichung eines gefahrenabwehrenden Erfolgs zu treffende Maßnahme muß erforderlich sein. W i l l man den Grundsatz nicht auf die Auswahl zwischen mehreren möglichen, geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen beschränken, sondern seine Geltung auf die Auswahl zwischen mehreren m i t „erforderlichen" Maßnahmen erreichbaren gefahrenabwehrenden Erfolgsabsichten ausdehnen, so würde dies bedeuten, daß die Beeinträchtigung i n allen durchführbaren Fällen den Grad nicht übersteigen darf, den sie bei Anwendung des geringsteingreifenden Mittels zur Erlangung des die Gefahr optimal abwehrenden Erfolgs erreicht. Alle Zwecke, die nur m i t Maßnahmen erreichbar sind, deren Beeinträchtigungsgrad diesen übersteigt, wären dann als gegen den Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels rechtswidrig. Damit wäre das polizeiliche Ermessen einerseits sehr stark eingeschränkt, — andererseits wäre dies ein ausreichender Schutz des Betroffenen, der sonst allein auf die oft nur schwer nachweisbaren Ermessensfehler der Schikane und der Bequemlichkeit sowie auf den Gleichheitsgrundsatz 578 angewiesen wäre. So sehr aber das Rechtsschutzinteresse des Betroffenen vor rechtswidriger staatlicher Machtentfaltung die erwogene Ausweitung des Grundsatzes des mildesten Mittels verlangen mag, — sie läßt sich doch aus dem Wortlaut der polizeilichen Bestimmungen nicht rechtfertigen. Damit verbleibt den Sicherheitsorganen die grundsätzliche Zweckwahl innerhalb der Gefahrenabwehr, die nur durch die Möglichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen eingeschränkt wird. Der Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels verengt die Zweckwahl nicht, sondern verpflichtet nur, unter mehreren für den gewählten Zweck geeigneten und verhältnismäßigen Maßnahmen die geringsteingreifende anzuwenden 579 . 578 Vgl. 4. Kap., Abschnitt C. 579 Das Ergebnis w i r d durch A r t . 8 I I I b a y P A G bestätigt, der i n beiden Alternativen auf den „Zweck" abstellt (s. oben Abschnitt A I b4). I m übrigen ist auch die Frage, ob eine Maßnahme das Verbot zeitlichen Übermaßes verletzt, an dem von der Polizei festgesetzten Zweck zu messen (hinsichtlich der vollständigen Gefahrenabwehr s. oben bei A n m . 153).

136 3. Kap.:

echtsanwendung und Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Auch die Literatur scheint den Grundsatz des mildesten Mittels nur auf den jeweils von der Polizei festgesetzten Zweck zu beziehen 580 . c) Ausreichende und unzulängliche Gefahrenabwehr bei notwendigem Einschreiten

Ist ein Einschreiten notwendig, so ist die Polizei zum Einschreiten verpflichtet. Worin besteht nun diese Pflicht? Ein Ermessen hinsichtlich des Ob scheidet aus. Z u untersuchen ist also, „inwieweit" die bestehende Gefahr („Not") abzuwehren ist. Zunächst w i r d man w o h l dem Wortlaut des § 14 eine Pflicht zu optimaler Gefahrenabwehr entnehmen müssen. Da aber i n den Fällen, i n denen die Gefahr den Punkt —7 nicht überschreitet, die Polizei über das „Inwieweit" nach Ermessen entscheiden kann, muß sie dazu auch dann berechtigt sein, wenn die Abwehr einer schweren Gefahr, bei der ein Einschreiten notwendig war, zu dem Erfolg geführt hat, daß nur mehr eine leichte, oberhalb des Punktes —7 liegende Gefahr übrig geblieben ist. Die Pflicht zum Einschreiten kann also nur darin bestehen, einen Erfolg zu erreichen zu suchen, der die Gefahr soweit abwehrt, bis keine „Notwendigkeit" mehr besteht 581 . Kann dieser Erfolg nicht erreicht werden, da es dazu keine tatsächlich oder rechtlich möglichen Maßnahmen gibt, so ist der nächst optimale Erfolg anzustreben. Die Sicherheitsorgane sind also i n notwendigen Gefahrenfällen zu „ausreichender" Gefahrenabwehr verpflichtet; d. h. zur Erreichung eines Erfolgs, der der Gefahr optimal ihre Notwendigkeit n i m m t 5 8 2 . Ist nun eine ausreichende Gefahrenabwehr — die es also nur bei der Notwendigkeit eines Einschreitens gibt — mit „erforderlichen" Maßnahmen erreichbar, sucht aber die Polizei mit „erforderlichen" Maßnahmen einen Erfolg zu erreichen, der die Gefahr i n geringerem Umfang abwehrt, dann ist zwar ihr Zweck, da er gefahrenabwehrender Natur ist, rechtmäßig und ebenso wegen der „Erforderlichkeit" die dazu getroffenen Maßnahmen; das Verhalten der Polizei, ihr Unterlassen, das „Zuwenig", ist aber unzulänglich, da sie zu ausreichender Gefahrenabwehr verpflichtet w a r 5 8 3 . 580 v g l . Krauss, S. 68 f. sei So auch Bender, D V B l . 57, 278 (280). 582 ist m i t zulässigen Maßnahmen überhaupt kein gefahrenabwehrender Erfolg erreichbar, so besteht dann die einzige mögliche Maßnahme i n einem Unterlassen. 583 Auch Jellinek (Gesetz, S. 298 f.) und Bender (DVBl. 57, 278, 279) verwenden den Begriff „unzulänglich" i n dieser Bedeutung. Allerdings k o m m t

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 141 p r P V G

137

d) Die gerichtliche Nachprüfbarkeit der Zweckwahl 1. bei nicht-notwendigem

Einschreiten

L i e g t eine G e f a h r v o r , aber k e i n e N o t w e n d i g k e i t des Einschreitens, d a n n steht die W a h l des Z w e c k s i m Ermessen der Polizei. D e r g e w ä h l t e Z w e c k m u ß i m R a h m e n d e r „ G e f a h r e n a b w e h r " liegen, die M a ß n a h m e z u r E r r e i c h u n g dieses Z w e c k s „ e r f o r d e r l i c h " sein. D e r Z w e c k m u ß also b e k a n n t sein, u m die R e c h t m ä ß i g k e i t der M a ß n a h m e b e u r t e i l e n z u können. D a es sich b e i d e m Z w e c k u m eine innere, i n der Person des H a n d e l n d e n liegende Tatsache h a n d e l t , ist er f ü r den A u ß e n s t e h e n d e n n u r feststellbar, w e n n er i h m w a h r h e i t s g e m ä ß m i t g e t e i l t w i r d . Geschieht dies n i c h t , so k a n n e i n G e r i c h t eine polizeiliche M a ß n a h m e n u r i n folgendem U m f a n g auf ihre Rechtmäßigkeit nachprüfen 584: bei Jellinek nicht k l a r zum Ausdruck, daß er eine Gefahr voraussetzt, die ein Einschreiten notwendig macht. Jellinek bringt i n seinem Verwaltungsrecht (S. 441) folgendes Beispiel für die Unzulänglichkeit: Eine Polizeibehörde setzte f ü r eine Wirtschaft, i n der auswärtige Gäste unerlaubterweise zu tanzen pflegten, die Polizeistunde von 24 U h r auf 22 U h r herab, „ u m den Unfug zu steuern". Da der letzte Zug, m i t dem die Tanzlustigen immer nach Hause fuhren, aber schon u m 22 U h r abging, sei diese Maßnahme unzulänglich gewesen. — Hierzu ist zu sagen: Die Herabsetzung der Polizeistunde w a r geeignet, ein i m m e r h i n mögliches längeres Verweilen der Gäste zu verhindern u n d damit die „Gefahr" wenigstens teilweise abzuwehren. Sie w a r jedoch nicht geeignet, u m den Erfolg herbeizuführen, der die Störung ausreichend beseitigt hätte. Lerche (S. 76 A n m . 185) hält Jellinek vor, dieser „als selbständig abgehobene Grundsatz der Unzulänglichkeit (des Nicht-Ausreichens)" sei „ n u r ein Unterfall des Grundsatzes der Geeignetheit". — Dem k a n n jedoch nicht beigepflichtet werden: Die Geeignetheit setzt irgend einen, noch zu bestimmenden gefahrenabwehrenden Zweck voraus. Die Unzulänglichkeit verbietet jedoch, einen Zweck zu wählen, der unter dem ausreichenden Erfolg liegt. M a n kann höchstens sagen, die für den unzulänglichen Erfolg geeigneten Maßnahmen sind für die Erreichung eines ausreichenden Erfolgs, für den sie geeignet sein sollten, ungeeignet. — Gurland (Diss., Stuttgart 1960, S. 74) f ü h r t aus: „ »Notwendig' sind solche Maßnahmen, die ,nach pflichtmäßigem Ermessen der Polizei a m besten geeignet sind, die Gefahren abzuwehren'. Ob eine Maßnahme geeignet ist, muß die Polizei . . . nach ihrem Menschenverstand u n d unter Zugrundelegung ihrer Erfahrung ermitteln, wobei i h r als Kanon einerseits die E r reichung des polizeilichen Zwecks, andererseits der . . Grundsatz der V e r hältnismäßigkeit dient." — Gurland geht also i n seinem ersten Satz davon aus, daß die Polizei stets zu optimaler Gefahrenabwehr verpflichtet ist u n d leitet dies aus dem Begriff „notwendig" her. M i t dieser Formulierung schließt er aber ungewollt (s. Anm. 470) die grundsätzliche Ermessensfreiheit der Polizei hinsichtlich der Frage des „ I n w i e w e i t " eines Einschreitens aus, denn der Gebrauch des Wortes „Ermessen" k a n n hier n u r i m Sinne v o n „Beurteilungsspielraum" verstanden werden. I m zweiten Satz bezieht er die Geeignetheit allerdings nicht mehr auf den Zweck der optimalen Gefahrenabwehr, sondern lediglich auf „die Erreichung des polizeilichen Zwecks". 584 Vgl. dazu auch Stern, S. 30 ff.

138 3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Ausgangspunkt ist die getroffene Maßnahme m i t all ihren Auswirkungen. Als erstes ist zu prüfen, ob sie überhaupt geeignet war, irgend eine polizeiliche Gefahr i n irgend einer Weise abzuwehren, was aus dem eingetretenen oder noch zu erwartenden Erfolg ersehen werden kann. Ist dies der Fall, so ist weiter zu prüfen, ob der durch die Maßnahme verursachte Schaden zu dem durch sie herbeigeführten Erfolg außer Verhältnis steht und ob dieser Erfolg auch durch eine weniger eingreifende Maßnahme hätte erreicht werden können. Äußert sich die Behörde zu ihrem Verhalten nicht, dann kann das Gericht auch einen eventuell einzuräumenden Beurteilungsspielraum nicht berücksichtigen. So w i r d die Polizei i n der Regel ihr Verhalten zu begründen versuchen, den von ihr beabsichtigten Erfolg bezeichnen und ausführen, worin sie die abzuwehrende Gefahr und die „Erforderlichkeit" ihrer Maßnahmen sah 5 8 5 . Hierbei besteht nun die Möglichkeit, daß nach dem Vorbringen der Polizei ihre Maßnahmen und die mit ihnen verfolgten Zwecke als durchaus rechtmäßig erscheinen, in Wahrheit jedoch m i t den getroffenen Maßnahmen unzulässige Zwecke verfolgt wurden, das „polizeiliche" Vorgehen also nur als Vorwand gebraucht wurde, u m z. B. den Betroffenen zu schikanieren oder eine unerwünschte wirtschaftliche Konkurrenz auszuschließen 586 . Ob dies erlaubt ist, w i r d bestritten 5 8 7 . Man kann zwar argumentieren, da ein derartiges Vorgehen auf rechtmäßige Zwecke begründet werden könne, sei nicht einzusehen, warum ein Nebenzweck das Verhalten rechtswidrig mache. Eine unbefangene Auslegung einer gesetzlichen Zweckbestimmung, wie sie auch § 14 PVG enthält, führt jedoch dazu, allein die unter die Zweckbestimmung subsumierbaren Zwecke als rechtmäßig anzuerkennen. Würde man der Verwaltung zugestehen, einen Vorwand zu gebrauchen, so würde man ihr ein unredliches, 585 Wolff (I, S. 153) hält die V e r w a l t u n g f ü r generell verpflichtet, bei Ermessensentscheidungen ihre Erwägungen „ersichtlich" zu machen, da sonst eine Nachprüfung nicht möglich sei. Wie erwähnt, überzeugt diese Begründung nicht: Eine Nachprüfung ist durchaus möglich; n u r fällt sie i n der Regel zu Ungunsten der Behörde aus. — Die von W o l f f zitierte E n t scheidung des B V e r w G (DVBl. 62, 562) n i m m t eine derartige Pflicht n u r i n bestimmten Fällen an. 586 Vgl. Drews/Wacke, S. 281 oben. 587 So bei Felix, S. 72 f.; Schlippe, JR 53, 212; vgl. auch Hurst, Die Gemeinde 58, 149 ff.

Α. Die Ermächtigungsnorm des § 14

prPVG

139

doppelzüngiges Verhalten erlauben, das das i n sie gesetzte Vertrauen zersetzte 588 . Allerdings spielt dieses Problem keine große Rolle: Einmal sind unerlaubte Zwecke, da sie innere Tatsachen sind, nur selten erkennbar und nur schwer nachweisbar 589 . Ferner spricht die Vermutung für rechtmäßigen Ermessensgebrauch; der Betroffene muß vielmehr die unrechtmäßige Erfolgsabsicht nachweisen 590 . W i r d außerdem eine Maßnahme wegen Verfolgung nicht-gefahrenabwehrender Zwecke auf eine Anfechtungsklage h i n aufgehoben, so hindert das die Polizei nicht, sie m i t dem gleichen Vorwand erneut zu erlassen. Auch eine Amtshaftungsklage kann keinen Erfolg haben, wenn die Polizei ihre Maßnahmen auch auf „polizeiliche" Erwägungen hätte stützen können. Bietet jedoch die rechtliche Würdigung des Vorwands Schwierigkeiten, so kann sich das Gericht einer genauen Prüfung entziehen und die Maßnahme wegen Verfolgung nicht-gefahrenabwehrender Zwecke aufheben. Freilich ist die Aufhebung wegen rechtlicher Unbegründetheit des Vorwands wirksamer 5 9 1 . 2. Die Nachprüfung

der Zweckwahl

bei notwendigem

Einschreiten

Hier geht es nicht um die Rechtmäßigkeit der getroffenen Maßnahme und des beabsichtigten Erfolgs — diese sind i n gleicher Weise nachprüfbar wie i n den Fällen nicht-notwendigen Einschreitens —, vielmehr kommt es hier i m Rahmen einer Verpflichtungsklage auf den Nachweis an, daß ein Einschreiten notwendig ist und daß es eine ausreichende Maßnahme gibt, i m Rahmen einer Amtshaftungsklage darauf, daß ein Einschreiten notwendig war und es eine ausreichende Maßnahme gegeben hätte. Darauf w i r d i m zweiten Hauptteil der Arbeit eingegangen 592 . 588 „Es liegt sogar i m richtig verstandenen Interesse der Polizei, daß nicht einmal der Anschein erweckt w i r d , als seien Entschließungen der Polizei durch andere als polizeiliche Beweggründe beeinflußt" (Köhler, D Ö V 56, 744, 745); s. ferner Stern, S. 36. 5S9 Felix, S. 74. 590 W o l f f I, S. 155. 591 K o m m e n ζ. B. zur Beseitigung einer Gefahr mehrere Adressaten i n Betracht u n d ist es zweifelhaft, w e r v o n diesen durch die Maßnahme am wenigsten beeinträchtigt w i r d (vgl. oben S. 61 f.), n i m m t aber die Polizei einen i n Anspruch, w e i l sie i h m schon längst einen Denkzettel geben wollte, so ist die Aufhebung der Maßnahme wegen nachweisbarer Verletzung des Grundsatzes des geringsteingreifenden Mittels wirksamer als wegen V e r folgung nicht-gefahrenabwehrender Zwecke, da die Maßnahme ein zweites M a l nicht mehr vorgenommen werden k a n n u n d eine Amtshaftungsklage Erfolg hätte. 592 s. 4. Kap., Abschnitte A I I a 3 u n d Β I I d.

Β . Ermessen u n d u n b e s t i m m t e Rechtsbegriffe i n d e n v o n § 14 p r P V G abweichenden E r m ä c h t i g u n g s n o r m e n Z u den Ländern, deren sicherheitsrechtliche Ermächtigungsnormen von der Formulierung des § 14 prPVG erheblich abweichen 593 , gehören Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Baden-Württemberg und Bayern. I. Das nordrhein-westfälische Ordnungsbehördengesetz und das hamburgische Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung Das nrwOBG vom 16. Oktober 1956 594 unterscheidet zwischen „ A u f gaben" (Teil I) und Befugnissen (Teil II) der Ordnungsbehörden. Nach den Befugnis- oder Ermächtigungsnormen der §§ 14, 29, 30 OBG „können" die Ordnungsbehörden durch Verfügungen und Verordnungen „ i n Rechte eingreifen", um Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren. Die Entscheidung hinsichtlich des „Ob" und damit 5 9 5 auch hinsichtlich des „Inwieweit" eines Einschreitens liegt also grundsätzlich i m Ermessen der Ordnungsbehörden. Eine derartige Ermessensfreiheit ergibt sich auch aus § 1 OBG. Er lautet: „Aufgaben der Ordnungsbehörden (1) Die Ordungsbehörden haben die Aufgabe, Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht w i r d (Gefahrenabwehr). (2) Die Ordnungsbehörden führen diese Aufgaben nach den hierfür erlassenen besonderen Gesetzen u n d Verordnungen durch. Soweit gesetzliche Vorschriften fehlen oder eine abschließende Regelung nicht enthalten, treffen die Ordnungsbehörden nach pflichtgemäßem Ermessen die notwendigen Maßnahmen nach diesem Gesetz.

Da sie also nicht „die nach pflichtmäßigem Ermessen notwendigen Maßnahmen zu treffen haben", sondern die notwendigen Maßnahmen nach pflichtmäßigem Ermessen treffen, also das „Ermessen" dem „tref593 s. auch die Vorbemerkung zum 3. Kap. s 0 4 GS N R W S. 155; für die Polizeivollzugsorgane gilt das n r w P V G , das dem p r P V G entspricht (vgl. 1. Kap. Anm. 21). 595 v g l . Abschnitt A i d .

Β. Die von § 14 p r P V G abweichenden Ermächtigungsnormen

141

fen" zuzuordnen ist, steht die Entscheidung, ob und inwieweit eine Gefahr m i t notwendigen Maßnahmen abgewehrt werden soll, i n ihrem Ermessen 596 . Unter dem Wort „Ermessen" i n § 1 OBG ist also nicht wie i n § 14 prPVG ein Beurteilungsspielraum zu verstehen 597 , sondern es bezeichnet ein echtes Handlungsermessen 598 . Da die Zweckbestimmung i n den §§ 1, 14, 29, 30 OBG die gleiche ist wie i n § 14 PVG, gilt das zu dieser Vorschrift Gesagte 599 ; ferner ergibt sich aus der Zweckbestimmung, daß der Begriff „Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" primäre Handlungsvoraussetzung und somit ein unbestimmter Rechtsbegriff ist 6 0 0 . Die Auslegung des Begriffs „notwendig" i n § 1 I I 2 OBG führt ebenso wie i n § 14 prPVG zu den Begriffsbestandteilen der Möglichkeit, Geeignetheit, Verhältnismäßigkeit und des Grundsatzes des mildesten Mittels. Die beiden letzten Grundsätze sind i n § 15 OBG nochmals ausgeführt. Diese Vorschrift wurde jedoch schon bei der Erörterung der „Erforderlichkeit" berücksichtigt 601 . Eine Auslegung des Begriffs „notwendig" i m Sinne der „Notwendigkeit eines Einschreitens" läßt § 1 I I 2 OBG allerdings nicht zu, da das Wörtchen „haben" fehlt 6 0 2 . Gleichwohl w i r d auch für die nordrheinwestfälischen Ordnungsbehörden i n besonderen Gefahrenfällen eine Pflicht zu ausreichender Gefahrenabwehr angenommen 603 . So muß auch für diese Pflicht eine Rechtsgrundlage gefunden werden. Nicht i n Betracht kommt der Begriff „Aufgabe", da er, wie schon erörtert 6 0 4 , 596 So auch Senger/Kurzmann (S. 51), die hervorheben, daß es „jetzt nicht mehr zweifelhaft sein kann, daß es i m . . . Ermessen der Ordnungsbehörde steht, a) ob sie überhaupt eingreifen und b) welche Maßnahmen sie i m Falle eines Eingreifens treffen w i l l " . — Ebenso K a l l r a t h (Diss., S. 26 f.) u n d Rietdorf, der aber den Unterschied zu § 14 p r P V G allein darin sieht, daß die Worte „nach . . . Ermessen" umgestellt wurden. Diese Auffassung ist dem Umstand zu entnehmen, daß Rietdorf bei der Zitierung des § 14 p r P V G das Wörtchen „haben" nicht miteinbezieht (S. 35, Zeile 6). Hurst (Die Gemeinde 59, 224) beruft sich zur Begründung eines Ermessens auf die hL, Schröer (DÖV 62, 132, 133) auf die Worte „nach pflichtgemäßem Ermessen". 597 s. auch bei Anm. 217 und 563. Aus § 1 I I 2 ergibt sich somit auch, daß es sich bei den Kann-Vorschriften nicht nur u m bloße Ermächtigungsnormen handelt (s. 2. Kap. A n m . 22). 598 Vgl. 2. Kap., Abschnitt Β I I a. 599 Abschnitt A I V . Vgl. dazu die Ver waltungsvorschrift des Innenministers von N R W zur Durchführung des n r w O B G v. 1.12.1956 (MinBl.f.NRW, S. 2342; abgedruckt bei Rietdorf, S. 26 u n d Senger, S. 34).

eoo eoi 602 603 604

Vgl. oben Abschnitt A I I I a. Abschnitt A I b, c und Abschnitt A I I I b 2, 3. s. Abschnitt A i d . Rietdorf, S. 35. Abschnitt A l e .

142 3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

seinen Inhalt durch die §§ 1 I I 2, 14, 29, 30 OBG erst erhält. I n diesen Paragraphen ist jedoch primär von „Ermessen" die Rede. Die einzige Beschränkung, die das Ermessen in Richtung auf die Pflicht zum Einschreiten erfährt, ist die Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr", denn auch ein Nicht-Einschreiten muß innerhalb dieser Zweckbestimmung begründet sein. Eine Pflicht zum Einschreiten besteht somit dann, wenn ein Untätigbleiben i m Hinblick auf die Zweckbestimmung der Gefahrenabwehr nicht mehr begründet werden kann. Hierüber w i r d noch i m zweiten Hauptteil zu sprechen sein 6 0 5 . Das am 1. A p r i l 1966 i n K r a f t getretene hambSOG 6 0 6 behandelt i n seinem ersten Teil (§§ 1 und 2) die „Verordnungen zur Gefahrenabwehr", i n seinem zweiten Teil (§§ 3—16) die (übrigen) „Maßnahmen zur Gefahrenabwehr". Dieser Teil enthält i n § 3 I die Generalklausel. Sie lautet: „Aufgaben (1) Die Verwaltungsbehörden treffen i m Rahmen ihres Geschäftsbereichs nach pflichtgemäßem Ermessen die i m Einzelfall zum Schutz der Allgemeinheit oder des einzelnen erforderlichen Maßnahmen, u m bevorstehende Gefahren f ü r die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren oder Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu beseitigen (Maßnahmen zur Gefahrenabwehr)."

Die Formulierung unterscheidet sich i n erster Linie insofern von § 14 prPVG, als sie nicht zugleich auch die sachliche Zuständigkeit regelt, indem sie die Gefahrenabwehr bestimmten Behörden zuweist. Entsprechend der i n Hamburg bestehenden Behördenorganisation geht die Bestimmung vielmehr davon aus, daß nicht nur die Polizei i m formellen Sinn, sondern auch andere Behörden i n ihrem Geschäftsbereich entweder i n erster Linie oder kraft Sachzusammenhangs Aufgaben der Gefahrenabwehr zu erledigen haben. Somit umfaßt der Begriff „Verwaltungsbehörden" alle m i t staatlichen Hoheitsbefugnissen ausgestatteten Einrichtungen, also alle Behörden der unmittelbaren und mittelbaren Verwaltung sowie die m i t Hoheitsrechten beliehenen Unternehmer 6 0 7 . Wie i n § 411 prPVG so enthält auch § 3 hambSOG die primären Handlungsvoraussetzungen der „konkreten" Gefahr und der Störung 6 0 8 , 605 4. Kap., Abschnitt Β I I I . 606 Gesetz zum Schutz der öffentlichen Sicherheit u n d Ordnung (SOG) v o m 14. März 1966, hambGVBl. I S. 77. 607 So die Begründung des hambSOG (Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft; M i t t e i l u n g Nr. 75 v o m 11. M a i 1965, S. 11). 608 s. oben Abschnitt A l a , am Ende.

Β . Die von §14 p r P V G abweichenden Ermächtigungsnormen

143

jedoch nicht allein für „polizeiliche Verfügungen" (wie § 411 prPVG), sondern für alle eingreifenden Maßnahmen m i t Ausnahme von Verordnungen 609 . Für diese Maßnahmen gelten auch die Grundsätze der Möglichkeit, Geeignetheit, Verhältnismäßigkeit sowie der Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels, da zwischen „erforderlich" und „notwendig" i m Sinne des § 14 prPVG kein Unterschied besteht 610 . Die Ermessensformulierung ist die gleiche wie i n § 1 I I 2 nrwOBG. Insoweit kann auf die obigen Ausführungen verwiesen werden 6 1 1 . Für den Begriff „Aufgabe" und die Zweckbestimmung der Vorschrift gilt das zu § 14 prPVG Gesagte 612 . Für diese „Verordnungen zur Gefahrenabwehr" bestimmt § 1 hambSOG: „Ermächtigung (1) Der Senat w i r d ermächtigt, durch Rechtsverordnung die zum Schutz der Allgemeinheit oder des einzelnen erforderlichen Bestimmungen zu erlassen, u m Gefahren f ü r die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren."

Die Zweckbestimmung ist die gleiche wie i n § 14 prPVG 6 1 3 . Aus ihr ergeben sich auch die primären Handlungsvoraussetzungen 614 . Nach der Gesetzesbegründung 615 ist jedoch unter Gefahr „ i n Anknüpfung an das bisherige Recht die abstrakte Gefahr gemeint". Nachdem der Begriff „erforderlich" auch hier dem „notwendig" i n § 14 prPVG entspricht, besteht der Unterschied zu dieser Vorschrift lediglich darin, daß es i n § 14 PVG heißt: „Die Polizeibehörden haben die notwendigen Maßnahmen zu treffen", während § 11 hambSOG lautet: „Der Senat w i r d 609 Die Begründung des hambSOG (s. Anm. 607) f ü h r t hierzu aus (S. 10): „Begriffe w i e Verwaltungsakt oder Verfügung sind i n dieser Vorschrift bewußt vermieden worden, w e i l auch ein Handeln i n anderer Weise als durch Verwaltungsakt i n Betracht kommt." βίο s. oben A n m . 247, 248. Die beiden letzten Grundsätze haben i n §4 hambSOG eine eigene Ausprägung erfahren, die jedoch schon bei der Auslegung des § 14 p r P V G berücksichtigt wurde (s. Abschnitt A l b , c sowie Abschnitt A U I b ) . en V g l hierzu auch die Begründung des hambSOG (s. A n m . 607) : „Die Vorschrift behält das Opportunitätsprinzip bei. Dies ergibt sich eindeutig aus der Formulierung ,treffen . . . nach pflichtgemäßem Ermessen' . . . Die pflichtgemäße Ermessensübung der Verwaltungsbehörde erstreckt sich auf die beiden Fragen, ob die Behörde überhaupt eingreifen w i l l (Entschließungsermessen) u n d welche von mehreren tauglichen u n d notwendigen Maßnahmen sie treffen w i l l (Auswahlermessen)." 612 s. Abschnitt A l e u n d Abschnitt A I V . eis s. Abschnitt A I V . 614 s.Abschnitt A l a . eis Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft; M i t t e i l u n g Nr. 75 v o m 11. M a i 1965, S. 10.

144 3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

ermächtigt, die erforderlichen Bestimmungen zu erlassen." Das kann aber nicht heißen, i n jedem Gefahrenfall müßten die erforderlichen Verordnungen erlassen werden. Vielmehr ist diese Ermächtigung als Ermessensvorschrift auszulegen, da für Hamburg nichts anderes gelten kann als für die übrigen Bundesländer. Wenn die Gesetzesbegründung zu § 3 hambSOG ausdrücklich betont, diese Vorschrift behalte das Opportunitätsprinzip bei 6 1 6 , dann muß dies auch für § 1 hambSOG gelten. Damit kann auf das zu § 3 Gesagte verwiesen werden. II. Das Polizeigesetz von Baden-Württemberg Wie das n r w O B G 6 1 7 so teilt auch das bwPG vom 21. November 1955 618 das „Recht der Polizei" 6 1 9 ein i n die „Aufgaben der Polizei" 6 2 0 und die „Maßnahmen der Polizei" 6 2 1 . Die Aufgabenzuweisung des § 1 lautet: „Die Polizei hat die Aufgabe, den Einzelnen u n d das Gemeinwesen vor drohender Verletzung von Recht oder Ordnung zu schützen u n d rechtsoder ordnungswidrige Zustände zu beseitigen, soweit es i m öffentlichen Interesse geboten ist. Sie hat insbesondere die verfassungsmäßige Ordnung u n d die ungehinderte Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte zu gewährleisten."

Aus historischen Gründen weicht diese Formulierung von § 14 prPVG ab 6 2 2 . Nach Reiff 6 2 3 umfaßt sie aber i m großen und ganzen den gleichen Bereich wie die „Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung". § 3 bildet die Befugnisnorm. Nach ihr „hat die Polizei . . . zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtmäßigem Ermessen erforderlich erscheinen". Verordnungen scheiden hier allerdings als „Maßnahmen" aus, da sie nur auf Grund spezieller Ermächtigungen ergehen dürfen 6 2 4 . Die Zweckbestimmung des § 3 liegt also i n der Wahrnehmung der i n § 1 aufgezählten Aufgaben. Ein Einschreiten kann somit überhaupt erst zulässig sein, wenn eine „drohende Verletzung von Recht und Ordnung" oder ein „rechts- oder ordnungswidriger Zustand" gegeben eie s. Anm. 611. 617 s. oben Abschnitt Β I. eis b w G B l . S. 249 nebst Änderungen (s. 1. Kap. Anm. 11). 619 Überschrift des ersten Teils. 620 i . Abschnitt des ersten Teils, §§ 1, 2. 621 2. Abschnitt des ersten Teils, §§ 3 ff. 622 s. Reiff, S. 24 (eingehend) und Drews/Wacke, S. 35. 623 S. 23 ff., 30 ff.; vgl. auch Drews/Wacke, S. 35; Ule, BWVB1. 56, 65 (66); 83 (85 ff.); B w V G H JZ 58, 446 (447). 624 Reiff, S. 66; Drews/Wacke, S. 35.

Β . Die von § 14 p r P V G abweichenden Ermächtigungsnormen

145

ist. Spielt sich ein derartiger rechtswidriger Zustand i m privaten Bereich ab, so darf nicht eingeschritten werden; denn wie § 14 prPVG („öffentliche Sicherheit oder Ordnung") verlangt auch § 1 bwPG eine „Ausstrahlung in die Öffentlichkeit" 6 2 5 . § 1 bwPG enthält also die primären Handlungsvoraussetzungen für das Tätigwerden der Polizei. Sie sind als unbestimmte Rechtsbegriffe zu qualifizieren 6 2 6 . Da i m übrigen die Zweckbestimmung des § 1 bwPG derjenigen i n § 14 prPVG entspricht, darf auf die obigen Erörterungen verwiesen werden 6 2 7 . Zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben hat nun die Polizei nach § 3 „diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ihr nach pflichtmäßigem Ermessen erforderlich erscheinen". Diese Formulierung stimmt m i t § 14 prPVG vollkommen überein: Der Ausdruck „die nach . . . Ermessen notwendigen Maßnahmen" ist lediglich i n einen Relativsatz aufgelöst, statt „notwendig" das Wörtchen „erforderlich" gesetzt — was aber, wie schon erwähnt 6 2 8 , keinen Unterschied macht — und das Wort „erscheinen" weist ja nur darauf hin, daß es sich bei der Beurteilung der „Erforderlichkeit" um ein Wahrscheinlichkeitsurteil handelt 6 2 9 . Nachdem nun auch für die Polizei i n Baden-Württemberg das Opportunitätsprinp 6 3 0 und eine Pflicht zum Einschreiten bei unmittelbaren Gefahren für wesentliche Rechtsgüter 631 anerkannt wird, t r i f f t auch hier die oben dargelegte Auslegung des Begriffs „notwendig" i n § 14 prPVG zu: Ist ein Einschreiten „erforderlich" in dem hier dem Begriff „notwendig" beigelegten Sinn 6 3 2 , dann muß die Polizei einschreiten. Ist 625 Reiff, S. 33 m i t Beispielen; vgl. ferner Drews/Wacke, S. 59 ff. 626 So auch Reiff (S. 35), der unter Berufung auf Bachof (JZ 55, 97, 100) ausführt, der Polizei müsse „jedoch ein gewisser Beurteilungsspielraum gewährt werden". 627 Abschnitt A I V . 628 Anm. 247, 248. 629 s.Abschnitt A l e . — Vgl. dazu Dahlinger (BWVB1. 57, 3, 4): „Da das pflichtgemäße Ermessen ausschlaggebend ist, können Maßnahmen, die dem einzelnen Polizeibeamten ζ. B. auf G r u n d unsachlicher Erwägungen erforderlich erscheinen, nicht rechtmäßig sein. Maßgebend ist also, was nach pflichtmäßigem Ermessen erforderlich ist." — Läßt man dahingestellt, welchen I n h a l t Dahlinger dem Begriff „erforderlich" geben w i l l , so ist dieses Zitat nach richtiger Auffassung dahin zu verstehen, daß ein Polizeibeamter nicht nach subjektiver freier Entscheidung behaupten darf, eine Maßnahme sei erforderlich oder nicht, sondern daß er den Sachverhalt feststellen u n d prüfen muß, ob er unter diesen Begriff subsumierbar ist. 630 So die Begründung zum E n t w u r f des b w P G (1. Wahlp., Beilagenband I I I , Beilage Nr. 1360, v. 31.3.1955, S. 1903, zu §3); Reiff (S.42): Ermessen hinsichtlich des „Ob" und des „Wie". 631 Reiff (S. 42), der sich auf das Urt. des B G H v. 22.12.1952 (DVB1. 53, 451 = VRspr. 5, 319) und Jellinek (Verwaltungsrecht, S. 432) beruft. 632 s. oben 87. 10 Schmatz

146 3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

dies nicht der Fall, dan kann sie einschreiten, sofern die primären Handlungsvoraussetzungen des § 1 bwPG vorliegen. I n jedem Fall müssen ihre Maßnahmen aber „erforderlich" sein, nämlich möglich, geeignet, verhältnismäßig und geringsteingreifend 633 , was hinsichtlich des Übermaßverbots § 5 bwPG besonders zum Ausdruck bringt 6 3 4 . Welche Folgerungen sich für die Pflicht zum Einschreiten aus § 1 Absatz I Satz 2 bwPG ergeben, wonach die Polizei „insbesondere die verfassungsmäßige Ordnung und die ungehinderte Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte zu gewährleisten hat", bleibt dem zweiten Hauptteil der Arbeit vorbehalten 6 3 5 . Hier sei lediglich darauf hingewiesen, daß auch die Gefährdung dieser Rechtsgüter die Polizei zum Einschreiten berechtigt 636 . I I I . Das bayerische Sicherheitsrecht Das materielle Recht der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist in Bayern i n drei Gesetzen enthalten: Für die Vollzugspolizei 637 gilt das Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei i n Bayern (Polizeiaufgabengesetz — PAG) vom 16. Oktober 19 5 4 6 3 8 in der Fassung vom 3. A p r i l 196 3 6 3 9 . Das Gesetz über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Landesstraf- und Verordnungsgesetz — LStVG) vom 17. November 195 6 6 4 0 enthält die Rechtsgrundlagen für den Erlaß von Verordnungen sowie Befugnisse für den Erlaß von Anordnungen für den Einzelfall. A r t . 5 des Ausführungsgesetzes zur Strafprozeßordnung (AGStPO) vom 17. November 1956 641 soll bis zum Erlaß eines Gesetzes 633 Nach Reiff (S. 42) „erscheint eine Maßnahme erforderlich, w e n n sie, soweit übersehbar, zur Erreichung des polizeilichen Zwecks beiträgt". β 3 4 s. dazu oben Abschnitt A I b 2,3. — Nach Drews/Wacke (S. 286) hat § 5 1 b w P G die Zweckmäßigkeitsvorschrift des § 41 I I 2 p r P V G „zu einem Rechtssatz verdichtet". Dabei gehe „allerdings . . . die Vorschrift des § 3 (bwPG) voran m i t dem allgemeinen Hinweis auf das ,pflichtmäßige E r messen', so daß eine polizeiliche Maßnahme hier w o h l n u r bei Nachweis des Ermessensmißbrauchs anfechtbar ist". — Abgesehen davon, daß sich Drews/ Wacke ihrer Ansicht selbst nicht sicher sind, ist sie aus der Sicht der modernen Ermessenslehre unhaltbar, da die Anwendung eines unbestimmten Rechtsbegriffs nicht dadurch i n das Ermessen gestellt werden kann, indem m a n vor i h n das W o r t „Ermessen" setzt (vgl. oben bei A n m . 521). ess s. 4. Kap., Abschnitt Β I d 2. 636 Vgl. Reiff (S. 34 f.), der diese Begriffe auch als unbestimmte Rechtsbegriffe qualifiziert u n d der Polizei einen „gewissen Beurteilungsspielraum" gewährt. 687 s. 1. Kap., bei A n m . 21. ess BayBS I S. 442. 689 GVB1. S. 95, ber. S. 120. 640 BayBS I S. 327. 641 BayBS I I I S. 149.

Β . Die von §14 p r P V G abweichenden Ermächtigungsnormen

147

ü b e r die A u f g a b e n u n d Befugnisse der B e h ö r d e n der a l l g e m e i n e n i n n e r e n V e r w a l t u n g a u f d e m G e b i e t der ö f f e n t l i c h e n S i c h e r h e i t u n d O r d n u n g ( A S G ) 6 4 2 R e c h t s g r u n d l a g e f ü r die T ä t i g k e i t dieser B e h ö r d e n a u f diesem T e i l g e b i e t des ö f f e n t l i c h e n Rechts s e i n 6 4 3 . a) Das P A G 2. Die Rechtsmäßigkeitsvoraussetzungen Maßnahmen

eingreifender

polizeilicher

A u c h das P A G unterscheidet zwischen A u f g a b e n u n d Befugnisse d e r Polizei. I n Rechte D r i t t e r d a r f n u r e i n g e g r i f f e n w e r d e n , w e n n die i n e i n e r B e f u g n i s n o r m gesetzten V o r a u s s e t z u n g e n v o r l i e g e n 6 4 4 . D i e A u f g a b e n z u w e i s u n g des A r t . 2 PAG

hat folgenden W o r t l a u t :

„Die Polizei hat die Aufgabe, als Vollzugsorgan der Behörden der allgemeinen inneren V e r w a l t u n g u n d als Hilfsorgan anderer Verwaltungsbehörden bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit u n d Ordnung durch A b w e h r von Gefahren u n d durch Unterbindung u n d Beseitigung von Störungen mitzuwirken. I m Rahmen dieser Aufgabe hat sie insbesondere die Verfassung u n d die Grundrechte zu schützen sowie bei Unglücksfällen u n d bei gemeiner Gefahr oder Not unbeschadet der Aufgaben anderer Einrichtungen die erforderliche Hilfe zu leisten. Soweit es nötig ist u n d nicht andere Aufgaben vordringlicher sind, soll sie auch sonst Verletzten u n d Hilflosen Beistand leisten u n d ärztliche Hilfe verschaffen." D e m g e g e n ü b e r l a u t e t d i e B e f u g n i s n o r m des Art.

5:

645

„(1) Maßnahmen nach Abschnitt I I I dieses Geseztes darf die Polizei n u r treffen, w e n n die dort vorgesehenen besonderen Voraussetzungen gegeben sind. (2) I m übrigen darf die Polizei Maßnahmen gegen Personen oder Sachen gegen den W i l l e n der Person oder des f ü r die Sache Verantwortlichen n u r treffen, 1. u m Handlungen, die m i t Strafe bedroht sind, zu verhüten; 2. u m Handlungen, die m i t Strafe oder als Ordnungswidrigkeiten m i t Geldbuße bedroht sind, zu unterbinden; 3. außer i n den Fällen der Ziffer 1 u n d 2 u m a) verfassungsfeindliche binden;

Handlungen zu verhüten oder zu

unter-

b) Gefahren abzuwehren, durch die das menschliche Leben bedroht wird; 642 643 644

Der E n t w u r f w i r d seit Jahren vorbereitet. König, S. 251. Η . M. Vgl. A r t . 5; König, S. 300 f.; Schiedermair, S. 4; Drews/Wacke,

S. 31 f. A r t . 14 ff.; vgl. dazu unten Abschnitt C. 10*

148 3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht c) Gefahren abzuwehren oder Störungen zu beseitigen, durch die die Unversehrtheit der Person, die Freiheit, das Eigentum oder der Besitz bedroht oder verletzt werden, soweit dies i m öffentlichen Interesse geboten erscheint." I m Gegensatz z u d e n a n d e r e n zwischen A u f g a b e u n d Befugnissen u n t e r s c h e i d e n d e n Sicherheitsgesetzen 6 4 6 v e r w e i s t h i e r d i e B e f u g n i s n o r m i n i h r e r Z w e c k b e s t i m m u n g n i c h t a u f die A u f g a b e n z u w e i s u n g , sondern besitzt eine Reihe eigener Z w e c k b e s t i m m u n g e n , die z w a r i n n e r h a l b der „ G e f a h r e n a b w e h r " liegen, jedoch spezielle Z w e c k e festsetzen. D a n u n Rechtseingriffe n u r auf die B e f u g n i s n o r m e n der A r t . 14 ff. u n d des A r t . 5 I I P A G gestützt w e r d e n d ü r f e n u n d diese a u f A r t . 2 w e d e r v e r w e i s e n noch dessen W o r t l a u t w i e d e r h o l e n , sondern selbständige Z w e c k b e s t i m m u n g e n e n t h a l t e n , k a n n A r t . 2 auch k e i n e n E i n f l u ß a u f die m a t e r i e l l e R e c h t m ä ß i g k e i t e i n g r e i f e n d e r p o l i z e i l i c h e r M a ß n a h men haben647. M a ß g e b e n d f ü r die m a t e r i e l l e R e c h t m ä ß i g k e i t e i n g r e i f e n d e r A k t e s i n d also a l l e i n die B e f u g n i s n o r m e n . A u s i h r e n e i n z e l n e n Z w e c k b e s t i m m u n g e n ergeben sich ebenso w i e i n § 14 p r P V G 6 4 8 die p r i m ä r e n H a n d l u n g s v o r a u s s e t z u n g e n p o l i z e i l i c h e n Einschreitens. So g e n ü g t z. B . nach A r t . 5 I I 1 P A G schon d e r V e r 646

s. die Vorbemerkung des 3. Kap. sowie Abschnitt Β I. I n der L i t e r a t u r w i r d die Bedeutung des A r t . 2 P A G folgendermaßen dargestellt: Nach der A m t l . Begründung des P A G umschreibt A r t . 2 „den Raum, i n dem sich die Polizei bewegen darf" (zit. nach König, S. 272) ; ebenso Samper (Art. 2 RNr. 1; s. auch RNr. 14). Nach K ö n i g (S. 272) w i r d durch diese Bestimmung „der Kreis gezogen, innerhalb dessen die Polizei überhaupt nur handeln u n d von den i h r eingeräumten Befugnissen Gebrauch machen darf". Nach Mayer (Polizeirecht, S. 58; i n : Mang u.a., S. 366) „steckt die polizeiliche Aufgabe den Bereich ab, i n dem eine polizeiliche Befugnis überhaupt ausgeübt werden kann". Emmerig (DÖV 57, 616, 617) spricht von einer „allgemeinen Umgrenzung des Tätigkeitsbereichs". M i t diesen Formulierungen ist allerdings nicht viel gewonnen. M a n w i r d vielmehr unterscheiden müssen: a) F ü r Rechtseingriffe sind allein die Befugnisnormen maßgebend. A r t . 2 hat für Rechtseingriffe n u r die Bedeutung einer Umschreibung der sachlichen Zuständigkeit der Polizei. Daran ändert auch A r t . 4 1 P A G nichts. Diese Vorschrift ist eine reine (an sich überflüssige) „Verweisungsvorschrift" (so König, S. 300). Sie sagt n u r aus, daß v o n den Befugnisnormen n u r i m Rahmen der Zuständigkeitsregelung des A r t . 2 Gebrauch gemacht werden darf. b) Ergreift die Polizei nicht-eingreifende Maßnahmen (vgl. darüber unten Abschnitt D), so ist i n erster L i n i e A r t . 2 maßgebend. A r t . 5 I I P A G hat dann die Bedeutung einer Konkretisierung der i n A r t . 2 angesprochenen „Gefahr f ü r die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung". c) Geht es u m die Frage, ob eingeschritten werden muß, so ist dafür wiederum die ausführliche Aufgabenbestimmung des A r t . 2 heranzuziehen (vgl. dazu alsbald sowie 4. Kap., Abschnitt Β I d 2). 68 s. Abschnitt A l a . 647

Β. Die von § 14 p r P V G abweichenden Ermächtigungsnormen

149

such 649 , eine mit Strafe bedrohte Handlung zu begehen, um die Polizei zu einem Einschreiten zu berechtigen 8 5 0 , 6 5 1 . Liegen diese als unbestimmte Rechtsbegriffe zu qualifizierenden 652 primären Handlungsvoraussetzungen vor, so „ d a r f " 6 5 3 die Polizei Maßnahmen treffen. Damit steht die Entscheidung, ob eingeschritten werden soll oder nicht, grundsätzlich 654 i m Ermessen der Polizei 6 5 5 . Ferner gebieten die Befugnisnormen der Polizei, für den Fall, daß sie sich zu einem Einschreiten entschließt, stets die i n ihnen vorgeschriebenen Zwecke zu verfolgen 6 5 6 ; ebensowenig wie durch § 14 prPVG w i r d die Polizei aber zu vollkommener (optimaler) Zweckerfüllung verpflichtet; vielmehr kann sie, da ja auch unvollkommene Erfolge „verhüten", „unterbinden" und „abwehren", hinsichtlich der Frage, „inwieweit" sie einschreiten soll, nach Ermessen entscheiden 657 . W i l l die Polizei nun einen bestimmten erlaubten Zweck verfolgen, so müssen die dazu ergreifenden Maßnahmen gemäß Art. 8 Abs. I und I I P A G 6 5 8 möglich 6 5 9 , geeignet, verhältnismäßig und geringstein649 König, S. 314. 650 So sagt also A r t . 5 I I 1 PAG, was eine „Gefahr" i m Sinne des A r t . 2 P A G ist. — I m übrigen werden die Begriffe „Gefahr" u n d „öffentliche Sicherheit u n d Ordnung" i n A r t . 2 allgemein als unbestimmte Rechtsbegriffe qualifiziert: Schiedermair, S. 91; Mayer, i n : Mang u.a., S. 364; König, S. 274; Samper, A r t . 2 RNr. 12, 34, 41. Die beiden letztgenannten gewähren hierbei der Polizei einen Beurteilungsspielraum. 651 Die i n A r t . 14 ff. bezeichneten Maßnahmen dürfen allerdings erst getroffen werden, wenn die dort genannten Voraussetzungen vorliegen (vgl. unten Abschnitt C). 652 Vgl. oben Abschnitte A I I I a, A I I I b 1—3. 653 So A r t . 511; vgl. „ k a n n " i n A r t . 14—18, 23, 24, 32—34, 37, 39, 43 PAG. I n A r t . 4 PAG, dem n u r die Bedeutung einer „Verweisungsvorschrift" (König, S. 300) zukommt (vgl. über seine Bedeutung f ü r die nichteingreifende Tätigkeit der Polizei unten A n m . 719), heißt es: „ist befugt". 654 s. 2. Kap., Abschnitt C I I I . 655 So auch Mayer (Polizeirecht, S. 65), Emmerig (DÖV 57, 616, 617). — Die Ansicht Königs, sobald der Raum des A r t . 2 eröffnet sei, könne die Polizei nach Ermessen bestimmen, ob sie von ihrer Befugnis Gebrauch machen wolle, übersieht, daß erst die primären Handlungsvoraussetzungen vorliegen müssen, u m eine Ermessensbetätigung zu ermöglichen. — Wie hier w o h l auch Mayer, BayVBl. 55, 13 (15). 656 s. Abschnitt A I V . 657 s. Abschnitt A I V . I m Gegensatz zur preußischen L i t e r a t u r (vgl. Drews/ Wacke, S. 282 und oben Anm. 571) erwähnt die bayerische m i t keinem Wort, daß auch eine Maßnahme, die die Gefahr nicht optimal abwehrt, aus diesem Grund nicht rechtswidrig ist. 658 Hinsichtlich A r t . 8 I I I b a y P A G s. oben Abschnitt A I b 4 sowie Anm. 579. 659 v g l . auch A r t . 1312 bayPAG: „Es darf k e i n unzulässiges oder u n mögliches Verhalten verlangt werden." s. dazu oben Abschnitt A l b i .

150 3. Kap.: Hechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht g r e i f e n d sein. H i n s i c h t l i c h I n h a l t 6 6 0 u n d R e c h t s n a t u r 6 6 1 dieser Rechtm ä ß i g k e i t s v o r a u s s e t z u n g e n g i l t das oben z u § 14 p r P V G G e s a g t e 6 6 2 . 2. Das polizeiliche Ermessen und die zu ausreichendem Einschreiten

Pflicht

W i e i m gesamten ü b r i g e n deutschen Sicherheitsrecht ist auch i n B a y e r n a n e r k a n n t , daß die P o l i z e i ü b e r das „ O b " u n d „ W i e " , d. h. ü b e r das „ O b " u n d „ I n w i e w e i t " 6 6 3 ihres Einschreitens g r u n d s ä t z l i c h nach Ermessen z u v e r f a h r e n h a t 6 6 4 , jedoch i n besonderen G e f a h r e n f ä l l e n z u ausreichender 665 Gefahrenabwehr verpflichtet ist666. A u c h hierfür bedarf es n u n e i n e r B e g r ü n d u n g aus d e m W o r t l a u t des Gesetzes. 660 s. Abschnitt A l b . 661 s. Abschnitt A l l i b i — 3 ; ferner König, S. 323 f.; Schiedermair, S. 105, 111; Drews/Wacke, S.286. 662 Daß sich die Beurteilung dieser Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen immer n u r an dem jeweils gewählten Zweck orientieren k a n n (Abschnitt A l V b ) bringt A r t . 8 I I m i t den Worten „zu dem beabsichtigten Zweck" k l a r zum Ausdruck. Absatz I weist demgegenüber n u r auf die „ E r f ü l l u n g ihrer A u f gaben" hin. 663 s.Abschnitt A i d . 664 Emmerig, D Ö V 57, 616 f.; Schiedermair, S. 92 (s. A n m . 666); Mayer, BayVBl. 55, 13 (16); Polizeirecht, S. 58; i n : Mang u.a., S. 366 Anm. 6 (Mayer bemerkt hier unter Hinweis auf das Urt. des B G H v. 11. 6.1952, DVB1. 52, 702, u n d das Urt. des B V e r w G v. 18. 8.1960, E 11, 95, lediglich die Tatsache, daß die Polizei i m Einzelfall auch einmal handeln müsse, bedeute keine Infragestellung des nach h. M. geltenden Opportunitätsprinzips) ; König, S. 284 ff. (König wiederholt Drews/Wackes Formulierung — s. oben bei A n m . 301 und dazu 2. Kap. A n m . 104 —; er v e r t r i t t die i n seinem Aufsatz DÖV 57, 329, 336, dargelegte Auffassung, aus A r t . 2 b a y P A G müsse das Legalitätsprinzip abgeleitet werden, damit nicht mehr); Samper, A r t . 4 RNr. 10; Berner, A r t . 2 Anm. 9; A r t . 4 A n m . 3. Auch die Begründung des Entwurfs eines P A G sprach sich f ü r die Weitergeltung des Opportunitätsprinzips aus (Landtagsdrucksachen, 2. Legislaturperiode, Beilage 4660, S. 15 f.). Der E n t w u r f sah sogar i n A r t . 4 1 2 den Satz vor: „Sie hat dabei nach pflichtmäßigem Ermessen zu verfahren." M i n i sterialdirektor Kääb erklärte dazu i m Landtagsausschuß f ü r Rechts- u n d Verfassungsfragen (in der 209. Sitzung v o m 4.5.1954; Protokoll S. 27 f.), m a n könne etwas, was an sich selbstverständlich sei, auch streichen. Er sei ganz sicher, daß die Polizei n u r nach pflichtmäßigem Ermessen handeln darf, u n d aus dieser Streichung dürfe nicht etwa gefolgert werden, daß die Polizei nicht nach pflichtmäßigem Ermessen zu verfahren habe. — Der M i t berichterstatter erklärte, durch die Streichung schalte m a n n u r aus, daß bei einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren schließlich zuungunsten des Staatsbürgers u n d zugunsten der Polizei entschieden werden könnte. — Aus diesem letzten Satz ist jedoch zu entnehmen, daß man hier weniger an ein Handlungsermessen gedacht hatte, sondern an die Schwierigkeiten der Beurteilung, ob i m Einzeilfall die primären Handlungsvoraussetzungen gegeben sind u n d ob die Maßnahme geeignet, verhältnismäßig u n d geringsteingreifend ist, also nach moderner Lehre an einen Beurteilungsspielraum. Vgl. ferner zum E n t w u r f : Mayer, B a y V B l . 55, 13 ff., der jedoch auf die eben geschilderte Problematik nicht eingeht. 665 s. Abschnitt A I V c.

Β . Die von § 14 p r P V G abweichenden Ermächtigungsnormen

151

A l s Ermessen e i n r ä u m e n d e B e s t i m m u n g e n k o m m e n i n erster L i n i e die „ K a n n " - u n d „ D a r f " - V o r s c h r i f t e n der B e f u g n i s n o r m e n i n B e t r a c h t . Sie g e w ä h r e n Ermessen h i n s i c h t l i c h des „ O b " u n d des „ I n w i e w e i t " , sofern sich aus der Z w e c k b e s t i m m u n g des Gesetzes nichts anderes e r g i b t 6 6 7 . H i e r k o m m t A r t . 2 Satz 1 P A G i n Frage. D i e a l l g e m e i n e F o r m u l i e r u n g „ M i t w i r k u n g b e i der A u f r e c h t e r h a l t u n g der ö f f e n t l i c h e n Sicherheit u n d O r d n u n g " ist jedoch n i c h t so z w i n g e n d , daß sie die genannte grundsätzliche Ermessensfreiheit ausschlösse 6 6 8 . B e i den B e f u g n i s n o r m e n h a n d e l t es sich also n i c h t u m bloße E r m ä c h t i g u n g s - , sond e r n u m echte E r m e s s e n s n o r m e n 6 6 9 . So s t a t u i e r t w i e das n r w O B G u n d das h a m b S O G 6 7 0 auch das b a y P A G die Ermessensfreiheit der P o l i z e i als das P r i m ä r e . D i e Grenze der N o t w e n d i g k e i t eines E i n s c h r e i t e n s 6 7 1 m u ß aber i n B a y e r n n i c h t (wie i n d e n g e n a n n t e n L ä n d e r n ) der Z w e c k b e s t i m m u n g der „ G e f a h r e n a b w e h r " a l l e i n e n t n o m m e n w e r d e n , v i e l m e h r e n t h ä l t das b a y P A G i n s o f e r n eine Besonderheit, als diese Grenze der N o t w e n d i g k e i t i n A r t . 2 Satz 2 666 Emmerig, DÖV 57, 616 (617); Mayer, Polizeirecht, S. 64; i n : Mang u.a., S. 366; Schiedermair, S. 92; König, S. 285 ff.; Samper, A r t . 4 RNr. 17; Berner, A r t . 2 Anm. 9; A r t . 4 Anm. 3. Nach Schiedermair (S. 92) hat die Polizei auf dem Gebiete der Gefahrenabwehr „grundsätzlich eine Ermessensentscheidung zu treffen; nach h. M. begründet die Zuweisung von Aufgaben . . . noch keine Verpflichtung der Polizei zum Eingreifen. Es handelt sich vielmehr u m eine Zweckmäßigkeitsfrage. Dieser Grundsatz, das sog. Opportunitätsprinzip, bedeutet, daß die Polizei n u r einschreiten muß, w e n n dies der Schutz der gefährdeten Rechtsgüter nach pflichtgemäßem Ermessen erfordert. Die Polizei muß daher abwägen. Insoweit liegt dann eine Ermessensentscheidung vor, die der verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung entzogen ist, sofern nicht Ermessensfehlgebrauch oder Ermessensmißbrauch gegeben ist. — Es gibt jedoch Gefahrenfälle, i n denen die Polizei einschreiten muß, ohne daß sie sich für ein Untätigbleiben auf das Opportunitätsprinzip berufen kann. Dabei k o m m t es i m wesentlichen darauf an, welche Rechtsgüter der Gefahr ausgesetzt sind u n d u m welchen Grad von Gefahr oder Störung es sich handelt." — Schiedermair widerspricht sich hier selbst: Oben stellt er die Prüfung, ob eingeschritten werden müsse, i n das Ermessen der Polizei, wobei er den Begriff „Ermessen" i m Sinne der modernen Lehre versteht (aaO, S. 91), während er später offenbar der Meinung ist, daß diese Frage durch Auslegung eines unbestimmten Rechtsbegriffs zu beantworten ist. 667 s. 2. Kap. Anm. 22. 668 s. auch Emmerig, D Ö V 57, 616 (617); König, S. 285; vgl. auch Schiedermair, S. 92. Denn würde man i n jedem Falle, i n dem die primären Handlungsvoraussetzungen einer Befugnisnorm vorlägen (die ja, da sie notwendigerweise von der Aufgabenzuweisung umfaßt werden, zugleich als „Gefahren für die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung" anzusehen sind), eine Pflicht zum Einschreiten bejahen, so wäre jegliches Ermessen hinsichtlich des „Ob" und des „ I n w i e w e i t " ausgeschlossen. 669 Das gleiche muß auch für die nicht-eingreifende Tätigkeit der Sicherheitsbehörden (s. Abschnitt D) gelten. 670 s. Abschnitt Β I. 671 s. Abschnitt A i d .

152 3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

konkretisiert ist: Nach dieser Bestimmung hat die Polizei i m Rahmen ihrer Aufgabe (Art. 2 Satz 1) insbesondere die Verfassung und die Grundrechte zu schützen sowie bei Unglücksfällen und bei gemeiner Gefahr oder Not unbeschadet der Aufgaben anderer Einrichtungen die erforderliche Hilfe zu leisten. Diese Hervorhebung 6 7 2 wichtiger Rechtsgüter und schwerer Gefahrenfälle zeigt, daß hier ein Einschreiten i n der Regel als notwendig 6 7 3 angesehen w i r d 6 7 4 . I m zweiten Hauptteil w i r d hierüber noch zu sprechen sein 6 7 5 . 3. Einige Besonderheiten

des PAG

Die bisherige Erörterung des PAG hat zur gleichen Systematik geführt wie sie die Auslegung des § 14 prPVG ergeben hatte. Nunmehr sind noch einige Formulierungen des PAG zu untersuchen und in diese Systematik einzufügen. aa) A r t . 5 I I 3 c PAG: „soweit dies i m öffentlichen Interesse geboten erscheint" Gefahren für die Unversehrtheit der Person, die Freiheit, das Eigent u m oder den Besitz darf die Polizei nur abwehren, soweit dies i m öffentlichen Interesse geboten erscheint. Sie ist also nicht schon dann zu Maßnahmen ermächtigt, wenn einem einzelnen derartige Gefahren drohen, sondern das öffentliche Interesse muß darüber hinaus ein Einschreiten gebieten 676 , was notwendigerweise voraussetzt, daß auch das öffentliche Interesse durch die dem einzelnen drohende Gefahr beeinträchtigt w i r d 6 7 7 . Diese durch das Wörtchen „geboten" charakteri672 Die Bedeutung des Wörtchens „insbesondere" liegt nach allgemeiner Auffassung i n einer beispielhaften Hervorhebung: Schiedermair, S. 94; König, S. 273; Mayer, i n : Mang u.a., S. 365; s. ferner die Literaturangaben i n Anm. 674. 673 Nachdem die Tatbestandsmerkmale des A r t . 2 Satz 2 allein nicht ausreichen, u m die Notwendigkeit eines Einschreitens zu begründen (so muß z. B. zur Notwendigkeit auch eine gewisse Intensität der Beeinträchtigung hinzukommen; s. 4. Kap. bei Anm. 186), k o m m t dem Begriff „erforderlich" i n A r t . 2 Satz 2 dieselbe Bedeutung zu wie i n § 14 p r P V G (s. oben S. 87). Sowohl i n den Fällen, i n denen ein Einschreiten notwendig ist, wie auch i n den Fällen, i n denen der Polizei noch ein Ermessensspielraum verbleibt, „ h a t " sie die „erforderliche Hilfe", d. h. tatsächlich mögliche, geeignete, verhältnismäßige und so wenig wie möglich eingreifende Hilfsmaßnahmen zu treffen. ®74 s. auch Emmerig, DVB1. 58, 338, (339); Samper, A r t . 2 RNr. 42. 675 s. 4. Kap., Abschnitt Β I d 2, I I , I I I .

« 7 6 Bei „Gefahren, durch die das menschliche Leben bedroht w i r d " , sieht es A r t . 5 I I 3 b P A G als selbstverständlich an, daß ein Einschreiten i m öffentlichen Interesse liegt. Vgl. auch König, S. 317. ®77 Vgl. hierzu auch Mayer, Polizeirecht, S. 70.

Β. Die von § 14 p r P V G abweichenden Ermächtigungsnormen

153

sierte Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses w i r d in § 14 prPVG und auch in Art. 2 PAG durch die Formulierung „Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" ausgedrückt und ist dieser daher gleichzusetzen 678 . Das Wörtchen „erscheint" weist wie in § 3 bwPG auf das Wahrscheinlichkeitsurteil h i n 6 7 9 . bb) Art. 6 PAG: „Die Polizei darf nur die Maßnahmen treffen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendig sind" Sie darf also nur die zur „Gefahrenabwehr" notwendigen Maßnahmen treffen, sie „hat die notwendigen Maßnahmen zu treffen, um . . . Gefahren abzuwehren". Art. 6 PAG entspricht also vollkommen der Formulierung des § 14 prPVG. Nur insoweit unterscheiden sie sich, als, sofern es um Eingriffsakte geht, nicht die Aufgabennorm des Art. 2 als Zweckbestimmung i n Frage kommt, sondern die Zweckbestimmungen der einzelnen Befugnisnormen. Wie nun die Auslegung des Begriffs „notwendig" in § 14 prPVG ergeben hat, enthält er die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der tatsächlichen Möglichkeit, der Geeignetheit, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit und des mildesten Mittels. Diese Erfordernisse sind i m PAG allerdings schon in A r t . 8 Absatz I und I I normiert. Insoweit kann also dem Art. 6 keine selbständige Bedeutung zukommen. Eine Auslegung in dem Sinne, daß Maßnahmen nur getroffen werden dürfen, wenn es notwendig ist, die Polizei also zum Einschreiten verpflichtet ist, kann nicht i n Frage kommen, da sonst für das polizeiliche Ermessen hinsichtlich des „Ob" und des „Inwieweit" kein Raum mehr bliebe. Noch ein weiterer Sinn kann dem Begriff „notwendig" beigelegt werden: Eine Maßnahme darf nur dann ergriffen werden, wenn die 678 Diese Formulierung schließt ja auch die Gefahren für die Unversehrtheit der Person usw. m i t ein (s. Abschnitt A l a sowie 4. Kap., Abschnitt A l d i , 2). Vgl. ferner Schiedermair, S. 152, und König, S. 317. Wenn K ö n i g ausführt, aus dem „geboten erscheint" folge, daß „dieses öffentliche Interesse ein polizeiliches Eingreifen zwingend notwendig (so auch Samper, A r t . 5 RNr. 35) machen muß, w e i l andere rechtlich zulässige Mittel, die einen hinreichenden und rechtzeitigen Schutz bieten können, nicht vorhanden sind oder nicht sofort angewandt werden können, obwohl die Gefahr konkret oder die Störung erheblich ist", so muß das so verstanden werden: Wären die genannten Maßnahmen durchführbar, so könnte sich der Bedrohte selbst helfen und es bestünde keine Gefahr f ü r die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung. Vgl. dazu auch die Beispiele bei Schiedermair, aaO. 679 s. Abschnitt A I c. — Daß „öffentliches Interesse" ein unbestimmter Rechtsbegriff ist, w i r d auch von K ö n i g (S. 317), Schiedermair (S. 153), Mayer (Polizeirecht, S. 70), Berner (Art. 4 Anm. 3) u n d Samper (Art. 5 RNr. 35) vertreten; a. A. ist Emmerig (Art. 5 Anm. 10 c).

154 3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Beeinträchtigung eines durch eine Befugnisnorm geschützten Rechtsguts dies notwendig macht, wenn sie einen Grad erreicht hat, der die Polizei nach den Befugnisnormen des PAG zu Maßnahmen ermächtigt. Bei dieser Auslegung käme Art. 6 allerdings wiederum keine selbständige Bedeutung zu, da er nicht mehr aussagte als die primären Handlungsvoraussetzungen der Befugnisnormen. So ist weiter zu prüfen, ob Art. 6 die genannten Handlungsvoraussetzungen nicht modifiziert, insbesondere nachdem seine Zweckbestimmung nicht auf die Befugnisnormen des PAG, sondern auf Art. 2 verweist. Nur zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Maßnahmen darf die Polizei nach Art. 6 treffen. Eine „Abwendung" einer „Not" kann also erst i n Frage kommen, wenn eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" — darin besteht nämlich die „Not" — vorliegt. Diese Voraussetzung schränkt aber die primären Handlungsvoraussetzungen der Befugnisnormen des PAG nicht ein, denn diese sind ja nichts anderes als „Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung". A r t . 6 PAG kann also auch bei dieser Auslegung keine eigenständige Bedeutung zukommen. Die Polizeirechtsliteratur glaubt jedoch, aus Art. 6 PAG einen selbständigen „Grundsatz der Notwendigkeit" folgern zu können, den sie als unbestimmten Rechtsbegriff qualifiziert 6 8 0 . Recht verstanden handelt es sich jedoch bei den Erläuterungen zu Art. 6 um Ausführungen über die primären Handlungsvoraussetzungen der Befugnisnormen 681 , über die Geeignetheit 682 oder den Grundsatz des mildesten Mittels 6 8 3 . eso König, S. 320; Schiedermair, S. 104; Mayer, BayVBl. 55, 13; i n : Mang u.a., S. 367; Berner, A r t . 4 A n m . 3. es1 So bei Schiedermair, S. 102 ff. 682 Vgl. K ö n i g (S. 319): „ »Notwendig' i n diesem Sinne ist eine Aufgabe u n d Befugnis dann, w e n n der polizeiliche Zweck, . . . die öffentliche Sicherheit und Ordnung . . . zu wahren oder wiederherzustellen (Art. 2) auf andere Weise nicht erreicht werden kann, sofort aber erreicht werden muß." — K ö n i g geht hier w o h l davon aus, daß ein F a l l vorliegt, i n dem die Polizei zum Einschreiten verpflichtet ist. — Ob eine Aufgabe oder eine Befugnis „notwendig" sein kann, sei dahingestellt; es k a n n w o h l die Erfüllung einer Aufgabe notwendig sein, nicht aber die Aufgabe selbst. Deutlicher Berner (Anm. zu A r t . 6 PAG): „Voraussetzung f ü r jedes Handeln der Polizei ist, daß der gesetzlich geforderte oder gerechtfertigte Zweck ihres Eingreifens auf andere Weise nicht oder nicht rechtzeitig . . . erreicht werden kann." 683 So wohl, w e n n K ö n i g (S. 319) sagt, eine auf eine Befugnisnorm gestützte Maßnahme sei nach A r t . 6 rechtswidrig, w e n n „dieser Eingriff f ü r die Erreichung des i m konkreten F a l l erforderlichen u n d zulässigen Zieles derzeit oder überhaupt unnötig oder überflüssig erscheint". König, (S. 320)

Β . Die von § 14 p r P V G abweichenden Ermächtigungsnormen

155

cc) A r t . 2 Satz 3 PAG: „Soweit es nötig ist und nicht andere Aufgaben vordringlicher sind, soll sie (seil, die Polizei) auch sonst Verletzten und Hilflosen Beistand leisten und ärztliche Hilfe verschaffen 684 ." Soll-Vorschriften verpflichten nach h. M . 6 8 5 eine Behörde dazu, i m Regelfall die vorgeschriebene Rechtsfolge zu verwirklichen, sofern die bezeichnet die Notwendigkeit i n A r t . 6 auch als „Teilaussage des v e r w a l tungsrechtlichen Ubermaßverbots". Ä h n l i c h auch Mayer (Polizeirecht, S. 61; in: Mang u.a., S. 367), i n dessen Formulierung auch der Grundsatz der Geeignetheit anklingt: „Der Grundsatz der Notwendigkeit besagt, daß von einer i m P A G niedergelegten polizeilichen Befugnis n u r dann Gebrauch gemacht werden darf, wenn die i n Aussicht genommene Maßnahme, gemessen an der polizeilichen Aufgabe, notwendig ist. Notwendig i n diesem Sinne ist eine Maßnahme dann, wenn der polizeiliche Zweck auf eine andere Weise nicht oder auch nicht teilweise erreicht werden kann. Dies bedeutet, daß eine polizeiliche Maßnahme, selbst w e n n sie sich auf eine i m P A G vorgesehene Befugnis stützt und i n E r f ü l l u n g einer polizeilichen Aufgabe vorgenommen w i r d , unzulässig ist, w e n n sie für die Erreichung des i m konkreten F a l l erforderlichen polizeilichen Zwecks unnötig oder überflüssig ist" (so auch Samper, A r t . 6 RNr. 3). — Dazu ist zu bemerken, daß der von der Polizei verfolgte Zweck nicht „ i n Erfüllung einer polizeilichen Aufgabe" liegen muß, sondern innerhalb der Zweckbestimmung einer Befugnisnorm (s. Abschnitt Β I I I a 1). Anscheinend versteht auch Mayer unter dem „ i m konkreten F a l l erforderlichen Zweck" den von der Polizei innerhalb der Zweckbestimmung der Befugnisnorm gewählten Zweck. Nach Berner (Anm. zu A r t . 6) ist eine Maßnahme dann nicht notwendig, wenn sie n u r wünschenswert ist oder lediglich der Polizei ihre Aufgaben erleichtert. M i t dieser Aussage ist nichts gewonnen. Denn die Begriffe „wünschenswert", „die Aufgaben erleichternd", „überflüssig" haben zu den gesetzlichen Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen keinen Bezug. Sie lassen nicht erkennen, ob eine Maßnahme rechtswidrig ist, w e i l entweder die primären Handlungsvoraussetzungen nicht gegeben sind oder der gewünschte Zweck nicht verfolgt werden darf oder w e i l sonst der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit oder des mildesten Mittels verletzt würde. — Hinsichtlich des Verbots der Erleichterung der polizeilichen Aufsicht siehe oben Anm. 568. Nach A. Mayer (Bay. Staatszeitung v. 17.10.1953, S. 2) „muß die Polizei zunächst beachten, daß Maßnahmen irgendwelcher A r t n u r dann getroffen werden dürfen, wenn sie notwendig sind. Dies gilt auch dann, w e n n E i n griffe i n fremde Rechtsbereiche i n Frage stehen". Hier ist nicht mehr gesagt als i n A r t . 6 P A G selbst. 684 Dieser Satz wurde eingefügt anläßlich der Neubekanntmachung des P A G v o m 3. A p r i l 1963 (GVB1. S. 95). Grund w a r die Angleichung des P A G an das Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes v o m 10.3.1961 (vgl. die Begründung des Entwurfs; Bay. Landtag, 4. Legislaturperiode, Beilage 3031). I n § 5 dieses Bundesgesetzes heißt es: „ W i r d unmittelbarer Z w a n g angewendet, ist Verletzten, soweit es nötig ist und die Lage es zuläßt, Beistand zu leisten u n d ärztliche Hilfe zu verschaffen." Der bayerische Gesetzgeber wollte jedoch diese Pflicht nicht auf den vorangegangenen unmittelbaren Zwang beschränken, sondern allgemein normieren (Begründung des E n t wurfs, Nr. 9 c; Staatssekretär Junker i n der 7. Sitzung des Senats — V e r handlungen des Bay. Senats, Bd. 15, Tagung 1962, Stenographische Berichte, Bericht Nr. 7 v. 28.6.1962, S. 184 f.). Streitig war, ob diese Vorschrift als Mußvorschrift (so der Rechts- u n d Verfassungsausschuß des Senats m i t 6 : 2 : 1 Stimmen; Bay. Senat, 8. Tagungsperiode, Anlage 56) oder als Soll-

156 3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

Voraussetzungen dazu gegeben sind. Nur aus „angebbaren, besonderen überwiegenden Gründen" 6 8 6 , i n sogenannten „atypischen Fällen" 6 8 7 darf sie davon absehen. Kein atypischer Fall kann allerdings dann vorliegen, wenn der durch die Soll-Vorschrift bezweckte Erfolg nicht erreicht werden kann, weil es an tatsächlich oder rechtlich möglichen Mitteln mangelt; denn i n solchen Fällen können nicht einmal Muß-Vorschriften erfüllt werden 6 8 8 . Man w i r d jedoch i n Berücksichtigung der weniger verpflichtenden Wirkung des „soll" die Behörde für berechtigt halten müssen, von einem Tätigwerden schon dann abzusehen, wenn nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, daß eine Maßnahme tatsächlich oder rechtlich durchführbar ist 6 8 9 . Als atypische Fälle w i r d man also hauptsächlich diejenigen bezeichnen müssen, i n denen die Erfüllung anderer Aufgaben und Pflichten der Vollziehung der Soll-Vorschrift entgegenstehen. W o l f f 6 9 0 sieht nun darin, daß die Behörde in diesen Fällen aus „angebbaren, besonderen überwiegenden Gründen" von der Verwirklichung der gesetzlichen Rechtsfolge absehen kann, die Einräumung eines Ermessens, allerdings in „seiner schwächsten Form". Wenn aber die Behörde nur dann von einer Soll-Vorschrift abweichen darf, wenn sie nachweisen kann, daß die Erfüllung anderer Aufgaben wichtiger ist, dann ist sie eben zur Auslegung des Begriffs „besondere überwiegende Gründe" und zur Subsumtion des Sachverhalts unter diesen Begriff verpflichtet 691 . Für ein Ermessen ist dann aber kein Platz. Vorschrift ausgebildet werden soll (so der Rechts- u n d Verfassungsausschuß des Landtags; 198. Sitzung am 25. 9.1962). 685 Wolff I, S. 151; BVerwG, Urt. v. 2.12.1959 DVB1.60, 252; auch der Rechts- und Verfassungsausschuß des Bayerischen Senats ging bei der Beratung des A r t . 2 Satz 3 P A G von dieser Meinung aus (Sitzung v o m 29. 5. 1962, Protokoll S. 6). 686 Wolff I, S. 151. 687 Wolff I, S. 151. 688 v g l . Abschnitt A i d (vorletzter u n d letzter Absatz). 689 Ministerialdirektor Dr. Mayer führte bei der Beratung des A r t . 2 Satz 3 P A G i n der Sitzung des Rechts- und Verfassungsausschusses des Senats (Protokoll S. 6) aus, grundsätzlich sei eine Soll-Vorschrift wie eine Muß-Vorschrift zu vollziehen und derjenige, der eine Soll-Vorschrift nicht vollziehe, müsse sich mehr oder weniger exkulpieren; eine Soll-Vorschrift sei jedoch vielleicht doch besser, w e i l ein ungeübter Polizeibeamter glauben könne, einen i n Bergnot Befindlichen retten zu müssen, obwohl er sich dabei vielleicht selbst i n Gefahr bringe. 690 ι , s. 151. 691 Das ergibt sich auch aus der Entscheidung des B V e r w G v. 2.12.1959 DVB1. 60, 252.

Β. Die von § 14 p r P V G abweichenden Ermächtigungsnormen

Das Problem liegt vielmehr darin, wann Gründe gegeben sind.

157

derartige überwiegende

Man w i r d darauf abstellen müssen, die Erfüllung welcher Aufgabe i m konkreten Fall vordringlicher ist. Kriterien dafür sind die Bedeutung der zu schützenden Rechtsgüter und das Maß ihrer Gefährdung. Unter Zugrundelegung eines gemeinsamen Maßstabes ist zu entscheiden, ob die Verwirklichung der Soll-Vorschrift vordringlicher ist oder die Erfüllung einer anderen i m konkreten Fall vorliegenden Aufgabe 6 9 2 . Eine derartige Prüfung, welche von mehreren Pflichten am vordringlichsten ist, gibt es aber nicht nur bei Soll-, sondern ebenso bei Muß-Vorschriften 6 9 3 . Man w i r d also auch hier, wie bei der Prüfung der Durchführbarkeit einer Soll-Vorschrift, dem — gegenüber dem „muß" schwächeren — „soll" dadurch Rechnung tragen, daß man der Behörde bei der Beurteilung, ob eine andere Aufgabe vordringlicher ist, einen besonders weiten Beurteilungsspielraum zubilligen und einen Verstoß gegen die Soll-Vorschrift nur dann annehmen, wenn die Vordringlichkeit ganz offensichtlich verkannt wurde. Wendet man diese Überlegung auf Art. 2 Satz 3 PAG an, so gelangt man zu folgendem Ergebnis: „Soweit es nötig ist" . . . soll die Polizei Verletzten und Hilflosen Beistand leisten und ärztliche Hilfe verschaffen. „Nötig" ist dies, wenn Verletzte dieser Hilfe bedürfen, wenn für ihre Gesundheit eine „Gefahr" besteht, die nur durch diese Maßnahme abgewendet werden kann 6 9 4 . Ist dies der Fall, dann soll die Polizei die genannten Maßnahmen ergreifen. Sie kann davon nur absehen, wenn „andere Aufgaben vordringlicher" sind. Sie muß sogar davon absehen, wenn die Erfüllung anderer vordringlicher Aufgaben „notwendig" i n dem Sinne ist, daß eine Pflicht zum Einschreiten besteht 695 , während die Hilfeleistung nicht „notwen692 Diese Prüfung gleicht derjenigen, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt ist (vgl. S. 64 f.). 693 Vgl. Drews/Wacke, S. 114. 694 Auch hier (vgl. dazu S. 153 f.) w i r d der Begriff „notwendig" als primäre Handlungsvoraussetzung verwandt, wenngleich er der „Gefahr f ü r die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung" entspricht. Das Besondere ist nur, daß hier die Rechtsfolge konkretisiert ist, worauf i n Abschnitt C noch einzugehen ist. 695 s. S. 87. — Ein Absehen von der E r f ü l l u n g der Soll-Vorschrift k a n n natürlich immer nur dann i n Frage kommen, w e n n die Erfüllung der v o r dringlichen Aufgabe die V e r w i r k l i c h u n g der Soll-Vorschrift ausschließt.

158 3. Kap.: Rechtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

dig" ist. Ist die Erfüllung beider Aufgaben „notwendig", so muß wiederum nach der „Vordringlichkeit" entschieden werden. Liegt jedoch eine andere vordringlichere Aufgabe ganz offenbar nicht vor, so muß die Polizei Verletzten und Hilflosen Beistand leisten und ärztliche Hilfe verschaffen, soweit dies nötig ist 6 9 6 . b) Art. 5 A G S t P O 6 9 7 und die sicherheitsrechtlichen Ermächtigungen i m L S t V G 6 9 8

Nach Art. 5 Absatz I Satz 2 AGStPO und den zu Rechtsverordnungen und Verwaltungsakten ermächtigenden Vorschriften des L S t V G 6 9 9 „können" die Sicherheitsorgane zur Verfolgung einzeln aufgezählter Zwecke Maßnahmen treffen. Primäre Handlungsvoraussetzungen und Zweckbestimmung sind damit gegeben 700 , die Entscheidung über das „Ob" und „Inwieweit" eines Einschreitens i n das Ermessen der Behörde gelegt 701 . Daß die zu treffenden Maßnahmen zu den erlaubten Zwecken möglich, geeignet, verhältnismäßig und geringsteingreifend sein müssen, w i r d i n beiden Gesetzen nicht erwähnt. Da es sich jedoch um Grundsätze des allgemeinen Verwaltungs- und Polizeirechts handelt, gelten sie auch i n diesem Bereich des Sicherheitsrechts 702 . Wann die Sicherheitsorgane eine Pflicht zu ausreichender Zweckverfolgung 7 0 3 trifft, muß, wie i m P A G 7 0 4 , aus der gesetzlichen Zweck6Q 6 Mayer (in: Mang u. a., S. 365) folgert aus dieser Bestimmung eine Wertung des P A G hinsichtlich der Reihenfolge der Erfüllung einzelner polizeilicher Aufgaben. „Es ist z. B. die vordringlichere Aufgabe, einem Verletzten Beistand zu leisten . . . , als i m Interesse der Strafverfolgung den Tatort unverändert zu lassen. So geht auch die Hilfeleistungspflicht der Polizei ihrer Berichterstattungspflicht vor." (ebenso Samper, A r t . 2 RNr. 65.) — Dem ist i m Ergebnis zuzustimmen; i n der Begründung k a n n beiden jedoch nicht gefolgt werden; denn A r t . 2 Satz 3 sagt j a nicht aus, welche Aufgaben v o r dringlicher sind. So k a n n diese Bestimmung auch keine Wertung hinsichtlich der Reihenfolge der E r f ü l l u n g polizeilicher Aufgaben enthalten. 697 (Bay.) Ausführungsgesetz zur Strafprozeßordnung v. 7. November 1956 (BayBS I I I S. 149). Nach seiner amtlichen Begründung (Landtagsdrucksachen, 3. Legislaturperiode, Beilage 1834) handelt es sich bei A r t . 5 nur u m eine Übergangsvorschrift bis zum Inkrafttreten eines allgemeinen Sicherheitsgesetzes (ASG). 698 Gesetz über das Landesstrafrecht u n d das Verordnungsrecht auf dem Gebiete der öffentlichen Sicherheit u n d Ordnung v. 17. Nov. 1956 (BayBS I S. 327, m i t Änderungen). 6 " A r t . 12—18, 20, 21, 26—28, 30—35, 36—45. 799 Vgl. Abschnitt A l a u n d A I V . 791 Die Geltung des Opportunitätsprinzips i m Rahmen des A r t . 5 AGStPO nehmen an: Mayer, BayVBl. 57, 81 (82 f.); Polizeirecht, S. 109; Bengl, S. 319; B a y V G H v. 18. 3.1964 BayVBl. 64, 228 (230). s. auch A n m . 655. 702 Vgl. auch Kääb/Rösch, Einführung RNr. 52; Bengl, S. 41 (cc). 793 s. Abschnitt A I V . 7 04 s. Abschnitt Β I I I a 2.

Β . Die von § 14 p r P V G abweichenden Ermächtigungsnormen

159

b e s t i m m u n g sowie d e m I n h a l t der A u f g a b e n z u w e i s u n g e n e n t n o m m e n w e r d e n 7 0 5 . E i n e besondere V e r p f l i c h t u n g e n t h ä l t A r t . 52 L S t V G . Danach s i n d die z u s t ä n d i g e n B e h ö r d e n verpflichtet, „ V e r o r d n u n g e n a u f G r u n d dieses Gesetzes z u erlassen, w e n n das W o h l d e r A l l g e m e i n h e i t es z w i n g e n d e r f o r d e r t " . Diese V o r s c h r i f t g e w ä h r t jedoch k e i n s u b j e k t i v e s öffentliches Recht auf E r l a ß e i n e r V e r o r d n u n g 7 0 6 .

705 I m L S t V G kommen die einzelnen Befugnisnormen i n Betracht. Daß auch hier der Schutz der öffentlichen Sicherheit u n d Ordnung bezweckt w i r d , ergibt sich aus dem Gesetzestitel sowie der Überschrift des 5. Abschnitts des zweiten Teils. I n A r t . 5 I AGStPO w i r d lediglich die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit u n d Ordnung genannt. — Die Wertung des A r t . 2 Satz 2 P A G w i r d aber auch hier maßgebend sein. Der B a y V G H hat hierzu ausgeführt: „Aus A r t . 5 1 1 AGStPO k a n n weder eine Rechtspflicht der allgemeinen inneren V e r w a l t u n g zum Einschreiten noch ebensowenig ein Rechtsanspruch D r i t t e r auf ein solches Einschreiten abgeleitet werden. Es muß daher n u r eingeschritten werden, w e n n der Schutz der gefährdeten Rechtsgüter nach pflichtmäßigem Ermessen das Handeln der V e r w a l t u n g erfordert." (Entsch. v. 18. 3.1964 B a y V B l . 64, 228, 230). — Der V G H hat sich hier die Ausdrucksweise der konservativen Ermessenslehre zu eigen gemacht (vgl. Abschnitt A i d ) . Vgl. hierzu die E r örterung i m 4. Kap., Abschnitt I I , I I I . 7 06 s. 4. Kap., A n m . 137.

C. D i e besonderen Befugnisse der Sicherheitsorgane nach d e n a l l g e m e i n e n Sicherheitsgesetzen Außer den in den Abschnitten A und Β erörterten sogenannten Generalklauseln 7 0 7 enthalten die Sicherheitsgesetze noch eine Reihe von Ermächtigungen zu bestimmten, besonders schwerwiegenden Eingriffen i n die Rechtssphäre des Staatsbürgers, wie die polizeiliche Verwahrung 7 0 8 , das Eindringen i n eine Wohnung 7 0 9 und dgl. Da der Aufbau dieser Befugnisnormen von dem der Generalklauseln abweicht, sei dieser Unterschied kurz dargestellt und i n die bisher entwickelte Systemat i k eingeordnet. Während die Generalklauseln die Sicherheitsorgane ermächtigen, die „erforderlichen" Maßnahmen zu treffen, um einen näher bezeichneten Erfolg zu erreichen — die Polizei also die zu treffenden Maßnahmen erst bestimmen muß —, bezeichnen die Spezialermächtigungen nicht nur den zu verfolgenden Zweck, sondern sie umreißen auch die dazu erlaubten Maßnahmen. So kann ζ. B. nach Art. 17 Ziff. 2 PAG die Polizei eine Person zur Rettung aus einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben i n Gewahrsam nehmen, wenn diese i m Begriffe ist, Selbstmord zu begehen. Wie nun i n § 14 prPVG, so ergeben sich auch hier aus der Zweckbestimmung der Vorschrift die primären Handlungsvoraussetzungen 710 sowie der Bereich, innerhalb dessen die Polizei ihre Zwecke festsetzen darf 7 1 1 . Indem das Gesetz nun eine Maßnahme zur Erreichung des festgelegten Zwecks bestimmt, setzt es voraus, daß diese Maßnahme i m Einzelfall auch tatsächlich möglich, geeignet, verhältnismäßig und geringsteingreifend ist; denn der Grundsatz der „Erforderlichkeit" gilt ja i m gesamten Polizeirecht. I n der Regel w i r d aber die i m Gesetz genannte Maßnahme 7 1 2 auch „erforderlich" kein. Die meisten Spezialermächtigungen nennen jedoch dieses Gebot der „Erforderlichkeit" ausdrücklich 713 : So heißt es z.B. i n § 1 5 1 prPVG: 707 Über die „partielle Generalklausel" des bayerischen Sicherheitsrechts vergleiche die ausführliche Darstellung von Drews/Wacke, S. 45. ™8 § 15 prPVG. § 16 prPVG. 710 s. Abschnitt A I a. 7 n s. Abschnitt A I V . 712 Vgl. §§231, 24, 25 I I b w P G ; A r t . 16, 17, 23, 33, 34, 37 bayPAG; §§18, 47 11, 51 hessSOG; §§4, 61, 9 1 r h p f P V G ; §§13, 14, 15 I I bremPG; §§111, 16 I hambSOG. 713 v g l . §§151, 161, 17 I I p r P V G ; §§201, 21, 22 1, 251, 261, 27 I b w P G ;

C. Die besonderen Befugnisse nach den allg. Sicherheitsgesetzen

161

„ P e r s o n e n i n polizeiliche V e r w a h r u n g z u n e h m e n , s i n d die P o l i z e i b e h ö r d e n n u r d a n n b e f u g t , w e n n diese M a ß n a h m e e r f o r d e r l i c h ist z u m Schutze dieser Personen." D a die P o l i z e i also n i c h t die e r f o r d e r l i c h e n M a ß n a h m e n z u t r e f f e n „ h a t " ( w i e i n § 14 p r P V G ) , sondern sie z u t r e f f e n „ b e f u g t i s t " , k a n n d e m B e g r i f f „ e r f o r d e r l i c h " n i c h t die B e d e u t u n g d e r N o t w e n d i g k e i t eines Einschreitens z u k o m m e n 7 1 4 . V i e l m e h r e n t h ä l t der B e g r i f f — gleichviel, ob e i n E i n s c h r e i t e n n o t w e n d i g ist oder n i c h t , w a s der G e n e r a l k l a u s e l z u e n t n e h m e n i s t 7 1 5 — d i e G r u n d s ä t z e d e r tatsächlichen M ö g l i c h k e i t , Geeignetheit, V e r h ä l t n i s m ä ß i g k e i t u n d des g e r i n g s t e i n g r e i f e n d e n M i t t e l s 7 1 6 . D i e S p e z i a l e r m ä c h t i g u n g e n lassen sich s o m i t m ü h e l o s i n die bisherige S y s t e m a t i k der R e c h t m ä ß i g k e i t s v o r a u s s e t z u n g e n p o l i z e i l i c h e n Handelns einordnen. §§161, 17 hessSOG; §§3, 51, 611, 17, 19, 21 r h p f P V G ; §§151, 161, 17 I n r w P V G ; §§ 31, 9 ndsSOG; §§4, 5, 6 schlhPG; §§ 91, 101, 111 b, c, 151, 17 1, 23 c bremPG; §§1111, 121, I I I , 13 I b , 13 I I , I V , 141 hambSOG; §§151, 161, 17 I I berlPVG. Der Grundsatz der „Erforderlichkeit" k o m m t i n folgenden Bestimmungen m i t anderen Worten zum Ausdruck: „ A u f andere Weise nicht" (seil, möglich): §§2011, 221 3, 30 b w P G ; A r t . 23 I bayPAG ; §§ 9 I I , l i l a , 23 a bremPG; §§ 12 I I , 13 I a, 16 I c hambSOG. — „Unerläßlich": §§ 47 I 2, 53 I hessSOG (vgl. dazu oben A n m . 200, 201). 714 s. Abschnitt A I d, ferner A n m . 716. 715 Für Bayern s. Abschnitt Β I I I a 2. 716 s. Abschnitt A l b . — Samper (Art. 4 RNr. 13) f ü h r t hierzu folgendes aus: „ W e n n das Gesetz — w i e etwa i n A r t . 14, 16, 17, 18 — formuliert ,Die Polizei kann, w e n n dies erforderlich ist', so bedeutet das, daß die Befugnis (,kann') überhaupt n u r dann besteht, w e n n die betreffende näher bezeichnete Erforderlichkeit vorliegt (Rechtsfrage; die ,Erforderlichkeit' ist ein unbestimmter Rechtsbegriff . . . ) ; liegt die Erforderlichkeit aber vor, so w i r k t sie auf die Befugnis zurück, d. h. von der Befugnis muß Gebrauch gemacht werden. Der Ermessensspielraum ist i n solchen Fällen sehr eng, . . . ja, er k a n n N u l l werden." Samper gebraucht hier den Begriff „erforderlich" anscheinend i. S. der Notwendigkeit eines Einschreitens. Dies ist jedoch nicht möglich. Denn dann dürfte von den Spezialbefugnissen, die den Begriff „erforderlich" enthalten, n u r Gebrauch gemacht werden, w e n n ein Einschreiten wegen der Bedeutung des gefährdeten Rechtsguts u n d der Intensität der Gefahr (s. 4. Kap., A b schnitt Β I I , I I I ) unumgänglich ist. D a m i t wäre aber f ü r die Spezialbefugnisse das „Opportunitätsprinzip" ausgeschlossen; den „Kann"-Vorschriften käme lediglich die Bedeutung reiner Befugnisnormen zu (s. 2. Kap., A n m . 22), f ü r ein Ermessen wäre k e i n Raum. Auch ein Auswahlermessen fiele weg, da die Rechtsfolge j a vorgegeben ist. Dem Begriff „erforderlich" k a n n also n u r die hier aufgezeigte Bedeutung beigelegt werden; insoweit t r i f f t auch Sampers erster Halbsatz zu. Der zweite Halbsatz k a n n dann n u r folgendermaßen verstanden werden: H a t sich die Polizei zu einem Einschreiten entschlossen oder ist ein Einschreiten notwendig u n d ist die i n der Befugnisnorm genannte Maßnahme möglich, geeignet, verhältnismäßig u n d geringsteingreifend, dann ist sie eben zu treffen. — Über den von Samper genannten F a l l der Ermessenschrumpfung s. 4. Kap., Abschnitt Β I I I .

11 Schmatz

D . D i e „ n i c h t - e i n g r e i f e n d e " T ä t i g k e i t der Sicherheitsorgane Der Schwerpunkt der bisherigen Erörterungen lag i n der Beantwortung der Frage, unter welchen Voraussetzungen die Sicherheitsorgane eine Tätigkeit überhaupt entfalten können, welche Zwecke sie verfolgen dürfen und welche Anforderungen das Gesetz an die Rechtmäßigkeit ihrer Maßnahmen stellt. Hierbei ging es ausschließlich u m solche Maßnahmen, die die Rechtssphäre des Staatsbürgers berühren, denn das Problem, wie weit die Polizei i n die durch subjektive öffentliche Rechte geschützte Rechtssphäre des einzelnen einwirken darf und wie weit sich dieser polizeilicher Eingriffe erwehren kann, ist das Zentralproblem des Polizeirechts schlechthin. Allerdings darf nicht übersehen werden, daß sich die Tätigkeit der Sicherheitsorgane nicht i n dem Erlaß von Eingriffsakten erschöpft; vielmehr ist sie heute i n erheblichem Maße „nichteingreifender" A r t 7 1 7 . Auf diesen Wirkungsbereich soll abschließend noch kurz eingegangen werden. Vorangestellt seien einige Beispiele: U m nicht-eingreifende Maßnahmen handelt es sich, wenn ein Polizeibeamter einem alten Mütterchen über die Straße hilft; wenn er einem Verletzten Erste Hilfe leistet; wenn die Polizei Verkehrsunterricht erteilt oder auf die Befolgung von Vorschriften hinweist. Auch die Auskunftserteilung, das Aufstellen von Tafeln für das Anschlagen von Wahlplakaten auf Gehsteigen, die Anbringung von Notrufsäulen, die Anschaffung von Funkstreifenwagen, die Durchführung von Streifengängen gehören dazu. Da es sich hier weder um belastende Verwaltungsakte noch um Rechtsverordnungen handelt, bedarf es nach noch h. M. auch keiner Rechtsgrundlage 718 . Gleichwohl bieten sich Rechtsgrundlagen an: Nämlich die Generalklauseln und die Aufgabenzuweisungen der einzelnen Sicherheitsgesetze. Denn wenn eine Norm zu Rechtsbegriffen ermächtigt, dann muß sie auch die Berechtigung zu nichteingreifender Tätigkeit enthalten, und wenn einer Behörde eine Aufgabe zugewiesen ist, dann muß sie sie wenigstens m i t nicht-eingreifenden Maßnahmen erfüllen können 7 1 9 . 717

Vgl. Mayer, Opportunitätsprinzip, S. 17 ff. Maunz/Dürig, A r t . 20 RNr. 141; B a y V G H v. 18. 3.1964 BayVBl. 64, 228 (zu A r t . 5 bayAGStPO). 719 I n § 14 p r P V G u n d den i h m gleichstehenden Vorschriften (s. die V o r bemerkung des 3. Kap.) ist die Ermächtigung zu nicht-eingreifenden Maß718

D. Die „nicht-eingreifende Tätigkeit der Sicherheitsorgane

163

Zwischen Aufgabenzuweisung und Befugnisnorm besteht jedoch hier kein Unterschied: Nach der einen haben die Polizeibehörden „die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren" 7 2 0 , nach der anderen „haben sie die dazu notwendigen Maßnahmen zu treffen". Die Zweckbestimmung ist also die gleiche. Auch kann eine Aufgabe nur mit notwendigen Maßnahmen, d. h. mit geeigneten und verhältnismäßigen 721 erfüllt werden. Eine Veränderung erfährt jedoch der Grundsatz des mildesten Mittels: Er kann hier nicht auf den geringstmöglichen Eingriff i n die Rechtssphäre des Staatsbürgers bezogen werden, sondern nur auf den geringstmöglichen Aufwand, der m i t einem nichteingreifenden Einschreiten verbunden ist 7 2 2 . So ist also auch die nichteingreifende Tätigkeit der Sicherheitsorgane an die „Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung", die Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr" und die „Erforderlichkeit" der Maßnahmen gebunden. Eine verwaltungsgerichtliche Nachprüfung kommt jedoch i n der Regel nicht i n Betracht, da die Polizeigewalt überwiegend von staatlichen Behörden ausgeübt w i r d und hier eine Überprüfung nur i m Rahmen der Verwaltungshierarchie erfolgen kann 7 2 3 . Nur wenn die polizeilichen Aufgaben von Körperschaften des öffentlichen Rechts, wie z. B. den Gemeinden, wahrgenommen werden, ist eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung möglich, wenn die Körperschaft eine aufsichtliche Weisung anficht 7 2 4 . I n der Regel w i r d sich jedoch die Überprüfung nicht auf die Rechtmäßigkeit einer nichteingreifenden Maßnahme erstrecken, sondern auf die Frage, ob die Behörde ihre Aufgabe erfüllt hat, also die Frage, nahmen aus der Befugnisnorm zu schließen, i m n r w O B G aus dessen § 1 Abs. I u n d I I , i m hambSOG aus § 31, i m b w P G aus § 3 i. V. m. § 1. I n Bayern ist sie aus der Aufgabenbestimmung des A r t . 2 P A G (allerdings über A r t . 4 PAG, der reine VerweisungsVorschrift ist — s. A n m . 647) u n d des A r t . 5 1 1 AGStPO zu entnehmen (vgl. dazu oben bei A n m . 668 u n d König, S. 252). Nach Mayer (Opportunitätsprinzip, S. 18) findet „die ,souverän frei' gestaltende Verwaltung . . . ihre endliche Schranke . . . i n ihrer Aufgabenstellung". 720 So alle Aufgabenzuweisungen außer § 1 b w P G ; vgl. dazu Abschnitt Β II. 721 Vgl. oben Abschnitt A l b 1—3. 722 v g l . dazu den Grundsatz der Sparsamkeit i m Haushaltsrecht (§17 R H O ; A r t . 78 B V ; A r t . 911 a, 96 BayGO; dazu Masson, A r t . 96 BayGO RNr. 2; Maunz/ Dürig, A r t . 110 GG RNr. 40; BVerfGE 1, 144, 161). 7 23 Drews/Wacke, S. 484 ff., 479 ff. 724 s. Drews/Wacke, S. 485; A r t . 2 I I P O G (Gesetz über die Organisation der Polizei i n Bayern v o m 20.10.1954, BayBS I S. 450 i n der Fassung des Gesetzes v o m 18. 7.1960, GVB1. S. 61) i. V. m. A r t . 109 BayGO; ferner §§ 7 bis 10 n r w O B G (dazu Rietdorf, S. 60 f.). 11*

164 3. Kap.:

echtsanwendung u n d Ermessensbetätigung i m Sicherheitsrecht

ob sie einer Pflicht zum Einschreiten nachgekommen ist 7 2 5 . Wie schon erörtert 7 2 6 , besteht eine derartige Pflicht dann, wenn ein Einschreiten „notwendig" ist 7 2 7 . Ist dies nicht der Fall, so kann die Polizei nach Ermessen verfahren 7 2 8 . Die Uberprüfung der Untätigkeit und der nichtausreichenden Gefahrenabwehr 7 2 9 ist dann von besonderer Bedeutung, wenn einem einzelnen ein subjektives öffentliches Recht auf Tätigwerden der Polizei zusteht; ferner wenn eine i h m gegenüber obliegende Amtspflicht zum Tätigwerden besteht. Der sich anschließende zweite Hauptteil der A r beit w i r d sich m i t diesen Fragen befassen.

725 726 727 728 729

Vgl. hierzu B a y V G H v. 18. 3.1964 BayVBl. 64, 228. Abschnitt A i d . F ü r Bayern s. Abschnitt Β I I I a 2 sowie bei A n m . 705. s. dazu auch Mayer, Opportunitätsprinzip, S. 30 ff. Vgl. Abschnitt A I V c.

Viertes Kapitel Zweiter

Hauptteil

Die dem Staatsbürger gegenüber bestehende Pflicht der Sicherheitsorgane zur Gefahrenabwehr Vorbemerkung Der erste Hauptteil war der Frage gewidmet, wie weit die sicherheitsrechtlichen Ermächtigungsnormen die Polizei- und Ordnungsbehörden an unbestimmte Rechtsbegriffe binden und wie weit sie ihnen eine Ermessensfreiheit einräumen. Dabei erfuhr die Grenze, die der eingreifenden polizeilichen Tätigkeit gesetzt ist, besondere Beachtung. I m zweiten Hauptteil soll nun die andere Grenze des polizeilichen Ermessens näher dargestellt werden, nämlich der Bereich, i n dem die Sicherheitsorgane zu einem Tätigwerden verpflichtet sind 1 . Wie i m ersten Hauptteil, so soll auch hier das Verhältnis zwischen Staat und Staatsbürger i m Mittelpunkt der Untersuchung stehen; d. h. auch die zweite Grenze des polizeilichen Ermessens soll nur insoweit untersucht werden, als der einzelne Staatsbürger sich auf sie berufen kann. Zwei Möglichkeiten stehen ihm hierzu zur Verfügung: Die Amtshaftungsklage und die verwaltungsgerichtliche Verpflichtungsklage 2 . I n der Praxis ist die erstere von größerer Bedeutung, da i n den meisten Fällen, i n denen die Sicherheitsorgane einschreiten müssen, nur wenig Zeit für die erforderlichen Maßnahmen zur Verfügung steht und, wenn diese Möglichkeit versäumt wurde, eine Verpflichtungsklage nicht mehr erhoben werden kann. So waren es auch die Zivilgerichte, die die Pflicht zum Einschreiten ausgestalteten 3 . Die Verwaltungsgerichte hatten daran bisher keinen Anteil, weil man ein subjektives öffentliches Recht auf ein Tätigwerden der Polizei allgemein verneinte 4 . Erst seit einigen 1 Jellinek (Gesetz, S. 267) bemerkt, daß diese Grenze die weitaus unwichtigere sei u n d deshalb von der L i t e r a t u r m i t Stillschweigen übergangen werde. Nach Teicher (Diss., S. 22) liegt dies i n dem „Übereifer unserer P o l i zei, die eher zu viel als zu wenig einschreitet", begründet.— Die U n t e r suchung w i r d zeigen, daß diese Grenze gar nicht so unwichtig ist. 2 A u f die Feststellungsklage braucht nicht eingegangen zu werden, da die materiell-rechtlichen Voraussetzungen die gleichen sind. 3 s. auch Drews/Wacke, S. 162 f. 4 s. A n m . 94.

166

4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

Jahren entwickelte sich die — heute herrschende — Auffassung, daß i n besonderen Ausnahmefällen ein Anspruch auf ordnungsbehördliches Einschreiten bestehe5. Der zweite Hauptteil der Arbeit ist i n vier Abschnitte gegliedert: Der erste ist den aus § 14 PVG sich ergebenden Amtspflichten zum Tätigwerden gewidmet. I m zweiten Abschnitt w i r d untersucht, ob den polizeilichen Generalklauseln heute ein subjektives öffentliches Recht auf Tätigwerden entnommen werden kann und welchen Inhalt dieses Recht hat. I m dritten w i r d der Einfluß des Gleichheitssatzes auf das polizeiliche Ermessen untersucht und i m vierten auf andere Anspruchsgrundlagen für ein Tätigwerden der Sicherheitsorgane hingewiesen.

5

s. unten Abschnitt Β I d 2 u n d Β I I I .

Α . D i e A m t s p f l i c h t e n der Sicherheitsorgane z u m T ä t i g w e r d e n I. Beispiele aus der Rechtsprechung des RG und des BGH Zur Einführung i n den Problemkreis und seine bisherige Lösung seien einige Entscheidungen i m Auszug wiedergegeben. I n dem der Entscheidung des RG vom 26. 2.1935 6 zugrunde liegenden Fall hatte sich eine große Anzahl obdachloser Personen m i t Gewalt Eingang i n eine Villa verschafft, deren Eigentümer sich seit Jahren i m Ausland aufhielt. Sie beschädigten das Gebäude durch Abreißen alter und Errichtung neuer Wände u. dgl. Das Gericht führte aus: Da hier fortlaufend Straftaten verübt worden seien, habe eine polizeiliche Gefahr bestanden. Da es sich u m Straftaten gehandelt habe, die gleichzeitig das Eigentum des einzelnen gefährdet u n d verletzt hätten, habe „das Eingreifen der Polizei zugleich der A b w e h r einer dem Eigentümer drohenden Gefahr" gedient. Es solle i h r nach seinem Zweck jedenfalls dann dienen, w e n n der Eigentümer nicht i n der Lage sei, sich selbst zu schützen. Dieser doppelte Zweck der Amtshandlung ergebe, daß die Pflicht zu ihrer Vornahme der Polizei nicht n u r zum Schutze der Allgemeinheit, sondern auch des einzelnen auferlegt sei. Diese Amtspflicht hätten die Polizeibeamten fahrlässig verletzt.

I n dem schon zitierten 7 Urteil des RG vom 8.11.1938 8 bejaht das Gericht den Schadensersatzanspruch eines Unfallgeschädigten m i t der Begründung, durch die Umleitung des starken Durchgangsverkehrs sei i n diesem Falle geradezu eine „Verkehrsfalle" entstanden, die Nichtanordnung eines die Umleitung anordnenden Gebotsschildes stelle „eine mit einer geordneten Verwaltung nicht zu vereinbarende Unterlassung der Polizeibehörde" dar. Die zu treffende Maßnahme sei nach § 14 P V G Sache des polizeilichen Ermessens gewesen u n d i m allgemeinen der richterlichen Nachprüfung entzogen. „Die Frage des schuldhaften Handelns der Beamten k a n n hier n u r bei besonderer Sachlage entstehen, so, wenn die Handlung mehr der W i l l k ü r als dem freien Ermessen zuzurechnen ist oder w e n n der Beamte i n so hohem Maße fehlsam gehandelt hat, daß sein Verhalten m i t den an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen schlechterdings unvereinbar ist." Eine derartige schuldhafte Amtspflichtverletzung habe hier vorgelegen. 6 RGZ 147, 144. 7 3. Kap., bei A n m . 453. 8 J W 39, 239 Nr. 29.

168

4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

Der BGH führt i n seiner Entscheidung vom 22.12.1952 9 aus: „Gemäß § 141 P V G hat die Polizeibehörde die notwendigen Maßnahmen zu treffen, u m auch von dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit u n d Ordnung bedroht w i r d . Es ist n u n zwar richtig, daß eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ausgeschlossen sein kann, w e n n sich die i n Betracht kommenden Vorgänge auf einem befriedeten Besitztum abspielen. Das gilt aber nicht, wenn, wie hier, unbeteiligten D r i t t e n durch dort befindliche gefährliche Sprengkörper schwere Schäden an Leib u n d Leben drohen, m i t denen sie nicht rechnen u n d die sie auch nicht auf sich zu nehmen bereit sind . . . Die von der Polizei verlangte Ausübung der Amtspflichten hat auch ihrem unmittelbaren Interesse gedient. Das Berufungsgericht hat daher m i t Recht angenommen, daß die Polizeiverwaltung gehalten gewesen sei, die geeigneten Maßnahmen zum Schutze etwaiger Besucher des Gartens zu treffen. Ihre Unterlassung stellt eine gemäß § 839 B G B zum Schadensersatz verpflichtende Amtspflicht Verletzung dar." Der B G H weist ferner auf die Entscheidung v o m 11. 6.1952 10 hin, wonach die Frage, „ob u n d inwieweit eine Entscheidung gemäß § 14 P V G notwendig ist, dem pflichtgemäßen Ermessen obliegt", u n d f ü h r t hierzu aus: „Der A u s übung dieses Ermessens sind jedoch Schranken gesetzt, die sich aus den Umständen des Einzelfalles ergeben können." Bei unmittelbaren Gefahren f ü r wesentliche Rechtsgüter müsse für Abwendung gesorgt werden u n d die Polizei könne „sich nicht mehr auf das i h r sonst zustehende Ermessen berufen".

I n einem anderen Fall waren Polizeibeamte gegen eine Räuberbande, deren Tätigkeit sie genau kannten, nicht eingeschritten. Die Bande brach später bei dem Kläger ein. I n seinem Urteil vom 30. 4.1953 11 setzte sich der B G H ausführlich mit der Frage auseinander, wer „ D r i t ter" i m Sinne des § 839 BGB sei. Unter anderem führte er aus: „Hauptgewicht ist auf den Zweck zu legen, dem die Amtspflicht dienen soll. Ist diese dem Beamten gerade i m Interesse einzelner Personen auferlegt, so ist D r i t t e r jeder, dessen Interessen nach der besonderen N a t u r des A m t s geschäfts durch dieses berührt werden. Ist der Zweck der Amtspflicht aber n u r die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder das Interesse des Staates an einer ordentlichen Amtsführung der Beamten, so handelt es sich nicht u m eine dem Beamten einem D r i t t e n gegenüber obliegende A m t s pflicht . . . Die Aufgabe, strafbare Handlungen zu verhüten, obliegt der Polizei . . . bei Sraftatbeständen, die gleichzeitig unmittelbar i n den geschützten Rechtskreis des einzelnen eingreifen, auch gegenüber den gefährdeten einzenen . . . Als D r i t t e r . . . ist nicht nur derjenige anzusehen, der sich aus der Vielzahl der Gefährdeten bereits durch eine bei i h m vorliegende besondere Gefährdung herausgehoben h a t 1 2 . Der Kreis der D r i t t e n ist vielmehr erheblich weiter zu fassen . . . Demzufolge muß auch die Pflicht der Polizei zur Verhütung strafbarer Handlungen als eine Amtspflicht angesehen werden, die gegenüber jedem besteht, dessen Rechtskreis durch eine Verletzung dieser Pflicht gefährdet ist." 9 VRspr. 5, 319 f. = L M § 14 p r P V G Nr. 4 = Kayser/Leiß, Nr. 2221. 10 D V B l . 52, 702 = VRspr. 5, 78; s. auch 3. Kap., bei A n m . 455. 11 L M § 839 B G B (Fg) Nr. 5 = VRspr. 5, 832 = Kayser/Leiß, Nr. 2223. 1 2 So auch Hurst, Die Gemeinde 59, 224 ff.

Α. Die Amtspflichten der Sicherheitsorgane zum Tätigwerden

169

Weiter f ü h r t der B G H aus, i m vorliegenden Falle habe das Nichteinschreiten durch keinerlei sachliche u n d polizeimäßige Erwägungen mehr gerechtfertigt werden können, es läge daher eindeutig außerhalb der Grenze der „Schädlichkeit".

I n dem Fall, den der B G H mit Urteil vom 17.12. 195313 entschied, war der Kläger m i t seinem Motorrad auf einer ölspur, die von einem auslaufenden Tankwagen herrührte, ausgerutscht. Der B G H erkannte an, daß der Polizei auch gegenüber den Verkehrsteilnehmern die Amtspflicht obliege, die notwendigen Maßnahmen zu treffen, u m die aus der ölspur dem Verkehr drohenden Gefahren abzuwehren. Welche Maßnahmen sie treffe, stehe i n ihrem Ermessen. Da sie hier aber lediglich auf einer Strecke von 60 m gestreut habe und nicht am Anfang und am Ende der 5 k m langen ölspur die Verkehrsteilnehmer gewarnt habe, sei ihr Verhalten mit den an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen schlechterdings unvereinbar. Dem letzten, hier anzuführenden Urteil des B G H 1 4 lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Kraftfahrer hatte sich bei Nacht und trübem, regnerischem Wetter auf der Suche nach einer Autobahnzufahrt auf das ehemalige Reichsparteitagsgelände bei Nürnberg verirrt und war i n eine Baugrube geraten und tödlich verunglückt. Der B G H gab der Schadensersatzklage der Hinterbliebenen statt und führte aus: „Auch w e n n es sich nicht u m so schwere Unglücksereignisse wie i m v o r liegenden F a l l gehandelt hat, w a r damit k l a r geworden, daß das ungesicherte Ende (seil, der Straße) f ü r unbestimmte viele Personen bei seiner Benutzung eine Gefahr f ü r Leib u n d Leben bedeuten konnte. Das ist f ü r die Polizeibehörde Anlaß genug, die Verkehrsteilnehmer . . . zu warnen, w e n n nicht überhaupt ein Betretungsverbot angezeigt war. Da die Polizeibehörde nichts getan hat, . . . ist von einer Verletzung ihrer Pflicht zu sprechen."

II. Die Würdigung der Zivilrechtsprechung unter Berücksichtigung der bisherigen Ergebnisse der Arbeit a) Die aus § 14 prPVG folgende Amtspflicht zum Tätigwerden

1. „Unmittelbare Gefahren für wesentliche Rechtsgüter" als Fälle „notwendigen" Einschreitens Die rechtstheoretische Begründung, mit der der B G H dem § 14 PVG eine Pflicht zum Einschreiten entnimmt, wurde schon i m ersten Hauptteil der Arbeit kritisch erörtert 1 5 . Wenn der B G H also ausführt: „Fängt 13 VRS 7, 87 = VkB1.54, 250; s. auch 3. Kap., bei A n m . 460. 14 V o m 20.10.1958 L M § 839 B G B (Fg) Nr. 12 = M D R 59, 190 = VRspr. 11, 462 = VRS 16, 165. is 3. Kap., Abschnitt A i d u n d A I I I b 4.

170

4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

die U n t ä t i g k e i t der P o l i z e i an, so schädlich z u w e r d e n , daß das Recht e i n E i n s c h r e i t e n f o r d e r t , k a n n sie sich n i c h t m e h r a u f i h r Ermessen b e r u f e n " u n d : „ A u ß e r h a l b d e r Grenze d e r S c h ä d l i c h k e i t ist f ü r die B e t ä t i g u n g v o n Ermessen k e i n R a u m 1 6 " , so i s t h i e r m i t die Grenze der „ N o t w e n d i g k e i t " angesprochen. So h a n d e l t es sich auch i n d e n F ä l l e n , i n denen die Z i v i l r e c h t s p r e c h u n g , der ü b r i g e n s das S c h r i f t t u m i m w e s e n t l i c h e n f o l g t 1 7 , diese Grenze der S c h ä d l i c h k e i t m i t d e n F o r m u l i e rungen „erhebliche Gefahr f ü r Leib u n d L e b e n " 1 8 , „unmittelbare Gef a h r e n f ü r wesentliche R e c h t s g ü t e r " 1 9 , „ G e f a h r e n f ü r L e i b u n d L e b e n " 2 0 , „ u n m i t t e l b a r e G e f a h r e n f ü r Leben, Gesundheit, F r e i h e i t u n d V e r mögen"21, „unzweifelhaft verkehrswidrige U m s t ä n d e " 2 2 umschreibt, u m F ä l l e „ n o t w e n d i g e n " Einschreitens. Ebenso w i e die h i e r v e r t r e t e n e A u f f a s s u n g f o l g e r t auch der B G H diese Pflicht n i c h t aus i n n e r d i e n s t l i c h e n V o r s c h r i f t e n , sondern aus § 14 P V G . 16 B G H v. 11. 6.1952 D V B l . 52, 702 = L M § 839 B G B (Fg) Nr. 3. 17 Drews/Wacke, S. 161 ff.; Reiff, S. 42; Rietdorf, S. 35; Hurst, Die Gemeinde 59, 244 ff. — Forsthoff (BB 52, 931) meint dazu: „ M a n w i r d dem Fußgänger den Anspruch darauf, auch die belebteste Straße bei Beobachtung der verkehrspolizeilichen Vorschriften gefahrlos passieren zu können, nicht vorenthalten dürfen. Wo dieser Gefahr n u r m i t besonderem A u f w a n d von polizeilichen M i t t e l n geboten werden kann, muß dieser A u f w a n d eben geleistet werden. Geschieht das nicht, so bedeutet das eine Unterlassung, f ü r welche die Behörde i m Rahmen des § 839 B G B verantwortlich ist." Das O V G Lüneburg (v. 30. 6.1960 D V B l . 60, 648) läßt es dahingestellt, ob die Formel „unmittelbare Gefahren f ü r wesentliche Rechtsgüter" die Grenze der Pflicht zum Einschreiten hinreichend bestimme. Schröer (DÖV 62, 132) hält diese Formel f ü r „unbrauchbar und fraglich". Drews/Wacke (S. 163, 463) vertreten eine Einschränkung der Pflicht zum Einschreiten auf „krasse Fälle" u n d „offenkundig schwerste Gefahren". Martens (JuS 62, 245, 247) bewertet die Judikatur n u r als „wertvolles Anschauungsmaterial". F ü r die Frage, w a n n eine Pflicht zum Einschreiten i n Betracht kommt, läßt er n u r die genaue Prüfung aller Umstände des Einzelfalls gelten (vgl. hierzu unten Abschnitt Β I I b). 18 RG v. 15.11.1921 Reger 42, 373 (zit. i m 3. Kap., bei A n m . 311). 19 B G H v. 22.12.1952 VRspr. 5, 319 (320) (zit. bei Anm. 9); B G H v. 2. 4.1962 D V B l . 62, 488 = VRspr. 14, 830 (831). 20 B G H v. 22.12.1952 VRspr. 5, 319 (320); B G H v. 20.10.1958 VRspr. 11, 462 (zit. bei A n m . 14); vgl. auch B G H v. 23.2.1959 N J W 59, 767 (768) (Einschreiten nach § 11 GaststättenG). 21 HansOLG v. 8. 9.1961 M D R 62, 130. 22 B G H v. 11.6.1952 D V B l . 52, 702; B G H v. 17.12.1953 VRS 7, 87; B G H v. 20.10.1958 VRspr. 11, 462; vgl. auch RG JW39, 239 Nr. 29, u n d RGZ 162, 273, 275 („erhebliche Gefahrenquelle"); RGZ 147, 144; RG JW 35, 3369 Nr. 2 (Amtspflicht, f ü r die Verkehrssicherheit einer Brücke zu sorgen u n d u. U. bei einem zu erwartenden Massenverkehr Erkundigungen über die Tragfähigkeit einzuziehen u n d die entsprechenden Sicherungsmaßnahmen zu treffen). s. auch B G H v. 30. 4.1953 L M § 839 (Fg) Nr. 5 (Pflicht zum Einschreiten bei Straftatbeständen, die gleichzeitig i n den geschützten Rechtskreis des einzelnen eingreifen).

Α. Die Amtspflichten der Sicherheitsorgane zum Tätigwerden

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2. „Die an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen" Der BGH begründet die Pflicht zum Einschreiten noch auf eine andere Weise. Er läßt dahingestellt, ob die Prüfung der Notwendigkeit eines Einschreitens als Rechts- oder Ermessensfrage zu qualifizieren sei 23 , fährt aber dann fort, auch wenn es sich um eine Ermessensfrage handele, so sei diese daraufhin nachprüfbar, ob W i l l k ü r vorliege oder die Polizei in so hohem Maße fehlsam gehandelt habe, daß ihr Verhalten mit den an eine ordnungsmäßige Verwaltung zu stellenden Anforderungen schlechterdings — d. h. jedem sachlichen Beurteiler ohne weiteres einleuchtend — unvereinbar sei. Soweit jedoch die Verwaltungsentscheidung i m Rahmen des Ermessens auf Grund sachlicher Abwägung von Gründen und Gegengründen getroffen worden sei, scheide eine Amtspflichtverletzung auch dann aus, wenn dem Richter die getroffene Entscheidung unrichtig oder unzweckmäßig erscheine 24. Eine Untätigkeit, die aber nicht auf sachliche Erwägungen beruht habe, sondern „Folge eines Mangels an Energie" gewesen sei, unterliege der richterlichen Nachprüfung 25 . I n den genannten Urteilen führt der BGH dann aus, daß eben diese Grenzen des Ermessens überschritten worden seien. Diese, der konservativen Ermessenslehre folgenden Formulierungen 26 bedürfen nach den bisherigen Ergebnissen der Arbeit einer Klarstellung: Versteht man unter „ W i l l k ü r " ein Handeln aus „polizeiwidrigen" Zwecken 27 und hat die Polizei z.B. aus Schikane ein Einschreiten unterlassen oder hat sie „aus Mangel an Energie" überhaupt keine „Ermessenserwägungen" angestellt, stellt sich aber bei der gerichtlichen Nachprüfung heraus 28 , daß ein Einschreiten aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen gar nicht möglich gewesen wäre, oder hat die Polizei zwar aus polizeifremden Motiven ein Einschreiten unterlassen, ist sie aber dafür an anderer Stelle tätig geworden und stellt sich dann heraus, 23 B G H v. 11. 6.1952 DVB1. 52, 702; B G H v. 30. 4.1953 VRspr. 5, 832. 24 So, außer den i n A n m . 23 genannten Urteilen, auch B G H v. 17.12. 1953 VRS 7, 87; Urt. v. 29.11.1956 B G H Z 2 2 , 258 (262 f.); Urt. v. 20.10.1958 VRspr. 11, 462. — Der B G H übernahm diese Formel der stRspr. des R G : Vgl. Urt. v. 26.1.1927 JW 27, 1265 Nr. 21; Urt. v. 4.11.1932 RGZ 138, 259 (262) m i t zahlreichen Nachweisen; U r t . v. 26.2.1935 RGZ 147, 144; Urt. v. 2.8.1935 J W 35, 3369 Nr. 2; Urt. v. 8.11.1938 J W 39, 239 Nr. 29; Urt. v.15.12.1939 RGZ 162, 273. 25 B G H v. 17.12.1953 VRS 7, 87. 26 s. 2. Kap., Abschnitt Β I. 27 s. 3. Kap., Abschnitt A I V a. 28 Über den Zeitpunkt dieser Feststellung s. unten S. 174.

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

daß dieses Tätigwerden „vordringlicher" 2 9 war, dann kann eine Amtshaftungsklage keinen Erfolg haben 30 ; die Polizei hätte ja zu diesem Ergebnis des Nichteinschreitens auch kommen müssen, wenn sie sich nicht willkürlich verhalten hätte, sondern den Sachverhalt geprüft und unter die unbestimmten Rechtsbegriffe der Gefahr, der Erforderlichkeit und der Vordringlichkeit subsumiert hätte 3 1 . Andererseits kann die Polizei „die Gründe und Gegengründe eines Einschreitens w o h l abgewogen", aber zu Unrecht angenommen haben, eine Gefahr oder die Notwendigkeit eines Einschreitens liege nicht vor, ausreichende Maßnahmen seien nicht möglich oder andere Gefahren vordringlicher. I n diesen Fällen hat sie unbestimmte Rechtsbegriffe unrichtig ausgelegt, den Sachverhalt nicht richtig erkannt oder falsch subsumiert, und ihr Verhalten ist rechtswidrig. Eine Amtshaftungsklage muß — ein Verschulden vorausgesetzt — Erfolg haben, wenn eine Pflicht zum Einschreiten bestanden hatte, sei es, daß ein Einschreiten notwendig war oder daß, wie i m nächsten Abschnitt noch darzulegen sein w i r d 3 2 , eine derartige Notwendigkeit nicht bestand, aber ein Untätigbleiben oder eine nicht-optimale Gefahrenabwehr aus der Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr" mit keinem Argument mehr hätte gerechtfertigt werden können 3 3 . Liegt keine dieser beiden Voraussetzungen einer Pflicht zum Einschreiten vor, so kann die Polizei polizeiwidrige Erwägungen angestellt oder falsch subsumiert haben: Eine Amtshaftungsklage wegen Unterlassung oder nicht ausreichender oder nicht optimaler Gefahrenabwehr kann keinen Erfolg haben, denn auch bei richtiger Rechtsanwendung und korrekter Ermessensausübung hätte sie zum gleichen Ergebnis, 2(J Vgl. S. 157 u n d A n m . 31. Anders jedoch bei der Verpflichtungsklage; s. 3. Kap., Abschnitt A I V d 1 u n d unten A n m . 165. 31 War ein Einschreiten notwendig gewesen, w a r aber die A b w e h r einer anderen Gefahr vordringlicher u n d hat die Polizei gegen diese auch Maßnahmen ergriffen, so k a n n auch das Unterlassen eines Einschreitens gegen die erstgenannte Gefahr aus Schikane oder ähnlichen Beweggründen einen Amtshaftungsanspruch nicht begründen. Hat die Polizei n u n auch gegen die vordringlichere Gefahr nichts unternommen, so hätte sie die notwendige Gefahr abwehren können. Gleichwohl w a r sie dazu angesichts des Bestehens einer noch bedeutenderen Gefahr nicht verpflichtet. Also k a n n auch i h r Nichteinschreiten gegen die nicht-vordringlichere, aber notwendige Gefahr nicht zu einem Amtshaftungsanspruch führen. ss s. Abschnitt Β I I c. 33 Daß es i n Fällen notwendigen Einschreitens auf die Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe der „ausreichenden Gefahrenabwehr" u n d der „Erforderlichkeit" ankommt u n d insofern nicht von einem „Erwägen" gesprochen werden kann, k l i n g t auch i m U r t . des RG v.22.5.1928 (RGZ 121, 225, 232) an, sowie bei Drews/Wacke (S. 162), Hurst (Die Gemeinde 59, 246), Altmeyer (§ 65 Erl. 3) u n d deutlich bei Teicher (Diss., S. 29). 30

Α. Die Amtspflichten der Sicherheitsorgane zum Tätigwerden

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nämlich zu einem Nichteinschreiten oder zu unzulänglicher Gefahrenabwehr kommen können 3 4 . Unter den „Anforderungen", m i t denen nach der Formulierung des BGH das polizeiliche Verhalten vereinbar sein muß — sonst wäre es ermessensfehlerhaft — ist also nichts anderes als die aus § 14 PVG folgende Pflicht zum Einschreiten zu verstehen. Wie die Rechtsprechung des B G H zeigt, werden durch diese Formel i n erster Linie die Fälle der Notwendigkeit umfaßt 3 5 . Aus der Tatsache, daß i n der Entscheidung vom 30.4.1953 36 ein Hinweis auf „unmittelbare Gefahren für wesentliche Rechtsgüter" oder ähnliche Wendungen 37 fehlen, sondern lediglich ausgeführt wird, daß das „Nichteinschreiten durch keinerlei sachliche und polizeiliche Erwägungen mehr gerechtfertigt werden" konnte, w i r d man aber auch die erwähnte zweite Begründung einer Pflicht zum Einschreiten aus der Zweckbestimmung der Gefahrenabwehr unter die Formel des B G H einordnen können 3 8 . I m übrigen darf hinsichtlich der Problematik dieser beiden Begründungen einer Pflicht zum Einschreiten auf die Darlegungen i m nächsten Abschnitt verwiesen werden 3 9 . Zu erörtern ist noch der Begriff „schlechterdings, d. h. jedem sachlich Beurteilenden ohne weiteres v o l l einleuchtend" 40 . Das Verhalten der Polizei ist ja nach dem B G H nur dann ermessensfehlerhaft, wenn es m i t den „Anforderungen" schlechterdings unvereinbar ist. Der B G H mißt hier die Erkenntnisfähigkeit des handelnden Polizeibeamten an dem Maßstab eines sich i n gleicher Lage befindlichen durchschnittlichen Beurteilers. Dieser Maßstab spielt nun innerhalb der Prüfung der Begründetheit eines Amtshaftungsanspruchs eine doppelte Rolle: Einmal bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des polizeilichen Verhaltens und zum anderen bei der Prüfung der Vorwerfbarkeit des rechtswidrigen Verhaltens. 34 So auch Teicher (Diss., S. 33, vierter Absatz), die sich gegen Drews' frühere Auffassung (3. Aufl., S. 41, 92) wendet, nach der ein Schadensersatzanspruch schon immer dann besteht, wenn die Polizei aus unpolizeilichen Motiven nicht eingeschritten ist. — N u r bei einer Verpflichtungsklage k a n n ein Untätigbleiben aus unpolizeilichen Motiven zu einem Bescheidungsurteil führen (s. Abschnitt Β I I d). 35 Vgl. B G H v. 17.12.1953 u n d v. 20.10.1958, zit. oben bei A n m . 13 u n d 14. 36 Zit. bei A n m . 11. 37 s. Abschnitt A I I a 1. 38 Es handelte sich allerdings auch i n dem genannten F a l l u m eine Gefahr f ü r wesentliche Rechtsgüter. 39 S. Abschnitt Β I I b u n d Β I I I . 4 0 Urt. v. 11.6.1952 DVB1. 52, 702; ferner B G H Z 22, 258 (263).

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

Wie schon oben bei der Erörterung der gerichtlichen Nachprüfbarkeit sicherheitsrechtlicher Maßnahmen erkannt wurde 4 1 , muß bei der Prüfung, ob eine Gefahr oder eine Notwendigkeit eines Einschreitens vorliegt oder ob ausreichende oder optimal abwehrende Maßnahmen möglich sind, eine Prognose hinsichtlich der künftigen Entwicklung des Sachverhalts gestellt werden. A n diese Prognose und damit an die Rechtmäßigkeit des zu überprüfenden Verhaltens ist der Maßstab des Urteils eines „sachlich Beurteilenden" anzulegen. Hierbei kommt es auf das Urteil an, das dieser abgegeben hätte, wenn er an der Stelle des handelnden Poilzeibeamten gestanden hätte 4 2 . Wäre er auf Grund seiner Erkenntnisfähigkeit zu der Prognose gekommen, die Umstände würden sich so entwickeln, daß eine Subsumtion unter § 14 PVG zur Folge hätte, daß die Polizei hätte einschreiten und einen bestimmten Erfolg hätte erreichen müssen, so stellt das Untätigbleiben bzw. die Nichterreichung dieses Erfolgs 43 eine Amtspflichtverletzung dar. War aber diese Prognose nicht „jedem sachlich Beurteilenden ohne weiteres einleuchtend", so konnte auch der handelnde Polizeibeamte keine Amtspflichtverletzung begehen 44 . Ferner kommt es auf die Erkenntnisfähigkeit eines sachlich Beurteilenden an, wenn geprüft wird, ob der Polizeibeamte die von i h m durch Unterlassen oder unzulängliche Gefahrenabwehr begangene Amtspflichtverletzung fahrlässig verletzt hat. Fahrlässig hat er nur dann gehandelt, wenn einem sachlich Beurteilenden ohne weiteres eingeleuchtet hätte, wie er sich normgerecht hätte verhalten müssen 45 » 46 . 41 3. Kap., Abschnitt A I c. 42 Dies ergibt sich unschwer aus den bisher zitierten Urteilen des B G H (s. Abschnitt A I ) . 43 Vgl. 3. Kap., Abschnitt A I V c. 44 Hierzu ein Beispiel (nach Noelle/Werner, S. 77) : E i n ängstlicher älterer Rentner f ü h l t sich f ü r vieles verantwortlich u n d hat die Polizei schon oft i n Bagatellfällen alarmiert. Eines Nachts r u f t er wiederum an u n d behauptet, aus der Wohnung über i h m dringe Brandgeruch. Der Polizeibeamte hält dies wieder f ü r einen falschen A r l a r m u n d t u t nichts, u m nicht einige Wachtmeister i n die große Kälte hinauszuschicken. Diesmal brannte es aber. — Hier hätte sich der Wachhabende sagen müssen, daß ein B r a n d nicht außer Wahrscheinlichkeit ist. M i t Noelle/Werner (S. 78) ist eine Pflicht zum E i n schreiten zu bejahen. 45 Vgl. über den „objektiven Fahrlässigkeitsbegriff" der h. M. Soergel/ Siebert, §276 B G B RNr. 14 ff. 46 Der Beitrag des Schrifttums zu der eben erörterten Formulierung des B G H ist gering: Weimar (RÌA62, 7) glaubt, durch die Worte „ i n so hohem Maße fehlsam" wolle der B G H eine Amtspflichtverletzung n u r bei grober Fahrlässigkeit annehmen, obwohl nach § 276 B G B Fahrlässigkeit schlechthin genüge. Unter Berufung auf Wolff (I, S. 391) hält er die Formel f ü r „unglücklich u n d zu eng". Drews/Wacke (S. 462 f.) begrüßen es, daß der B G H „ n u r i n krassen Fällen offensichtlichen Versagens der Polizei eine Amtspflichtverletzung

Α. Die Amtspflichten der Sicherheitsorgane zum Tätigwerden

3. Die bei einer Pflicht zum Einschreiten zu ergreifenden

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Maßnahmen

Auch wenn es bisweilen heißt, welche Maßnahmen die Polizei ergreife, liege i n ihrem „pflichtmäßigem Ermessen" 47 , so läßt die Rechtsprechung des RG und des B G H erkennen, daß i n Gefahrenfällen, i n denen eingeschritten werden muß, auch die Wahl des Erfolgs 4 8 an gewisse Normen gebunden ist 4 9 . So heißt es i m „Rodelfall" 5 0 , die Polizei hätte die Fahrbahn streuen müssen oder für das stellenweise Fortschaufeln des Schnees Sorge tragen müssen, um die Gefahren des Rodeins zu bannen, und i m „Ölspurfall" 5 1 rügt der BGH, das Streuen habe nicht genügt, vielmehr hätten die beiden Polizeibeamten am Anfang und am Ende der ölspur die Verkehrsteilnehmer warnen müssen. Ebenso genüge es nicht, wenn die Polizei lediglich die vorgesetzte Dienststelle davon unterrichtet, daß i n einem Garten sich Sprengkörper befänden 52 . Andererseits stellte der B G H i n einem Falle 5 3 fest, daß die Aufstellung des amtlichen Schildes „Schleudergefahr" zur Abwehr der bestehenden Gefahr genügt habe 54 . Übertragen i n die hier entwickelte Systematik des § 14 PVG heißt das: I n Fällen notwendigen Einschreitens muß die Gefahrenabwehr ausreichend sein. Liegt eine Gefahr vor, die ein Einschreiten nicht k r a f t Unterlassung angenommen hat". Vgl. ferner B G B - R G R K , § 839 B G B Anm. 35 a. E. Anzufügen ist noch, daß der B G H bei eingreifenden Maßnahmen eine Amtspflicht Verletzung (z.B. wegen Verletzung des Grundsatzes der V e r hältnismäßigkeit) n u r annimmt, w e n n ein „besonders schwerer Ermessensfehler" vorliegt (Urt. v. 7.10.1954 DVB1. 54, 813 = N J W 55, 258 m i t Nachweisen; U r t . v. 17.1.1952 B G H Z 4, 302, 311 f.). — Dem kann nicht zugestimmt werden, da die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme nach § 14 P V G von den Z i v i l - u n d Verwaltungsgerichten nicht verschieden beurteilt werden kann. (So auch Loppuch, N J W 52, 1037; Bettermann, Die Grundrechte III/2, S. 779, 834). Vgl. auch Becker/Luhmann (S. 91): „ E i n Verstoß gegen Ermessensgrenzen hat . . . keine andere Rechtsqualität als ein Verstoß gegen eindeutige V o r schriften." 47 B G H V. 17. 12.1953 VRS 787. 48 s. 3. Kap., Abschnitt A I V . 49 Vgl. auch B G H v. 2. 4.1962 DVB1. 62, 488: Ist ein Einschreiten notwendig, so steht „ i n ihrem Ermessen die A u s w a h l der zu ergreifenden Maßnahmen, aber n u r insoweit, als diese noch geeignet sind, den angestrebten Zweck der Gefahrenabwehr hinreichend zu erfüllen". so s. 3. Kap., bei Anm. 311. si s. oben bei Anm. 13. 52 s. oben A n m . 9. — Hurst (Die Gemeinde 59, 244, 246) bemerkt hierzu: „ H i e r hätte mehr getan werden müssen." 53 Urt. v. 9. 3.1959 VRS 16, 338. 54 Das U r t e i l des B G H v. 11. 6.1952 (DVB1. 52, 702) läßt allerdings nicht erkennen, aus welchem G r u n d die Klage abgewiesen w i r d , wegen Fehlens der Notwendigkeit eines Einschreitens, w e i l die getroffenen Maßnahmen ausreichend waren oder mangels Verschuldens.

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

notwendig macht, und zwingt die Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr" zu einem Einschreiten, da eine andere Ermessensentscheidung aus ihr nicht zu rechtfertigen ist, so muß ein bestimmter Erfolg angestrebt werden, wenn dieser wiederum der einzige unter die Zweckbestimmung subsumierbare i s t 5 5 · 5 6 . 4. Der „Dritte" I n welchen Fällen den Sicherheitsorganen die Amtspflicht zum Einschreiten Dritten gegenüber obliegt, ergibt sich aus den oben zitierten Beispielen aus der Rechtsprechung: Dritter i m Sinne des § 839 BGB ist derjenige, dessen Leben, Freiheit, Gesundheit oder Vermögen so gefährdet ist, daß nach § 14 PVG eingeschritten werden muß. W i l l die Polizei also den ihr durch § 14 PVG auferlegten Amtspflichten nachkommen, so muß sie sämtliche Sachverhalte, die ihr bekannt werden 5 7 daraufhin überprüfen, ob sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung enthalten 5 8 und ob diese Gefahr auch einem einzelnen, der ihr allerdings nicht bekannt sein muß 5 9 , droht 6 0 . Ist dies der Fall, so hat sie zu prüfen, ob ein Einschreiten notwendig ist und gegebenenfalls die Gefahr ausreichend abzuwehren. Steht sie mehreren Gefahren gegenüber, die ein „Einschreiten notwendig" machen, so hat sie nach der Vordringlichkeit zu entscheiden. Unter gleichen 55

s. dazu näher Abschnitt Β I I c. Nach alledem k a n n folgender Satz aus den Beratungen des Verfassungsausschusses des pr. Landtags, der auch heute noch zitiert wird, nicht mehr aufrechterhalten werden: „Hinsichtlich der W a h l der M i t t e l soll (richtig: sollen) sie (seil, die Polizeibehörden) insofern frei sein, als eine Amtspflichtverletzung wegen Unterlassung nicht schon dann gegeben sein soll, w e n n sie jeweils nicht das objektiv sicherste M i t t e l zur Beseitigung der Gefahr oder Störung anordnen, sondern daß es genügt, w e n n sie je nach dem Grade ihrer Kenntnis der Gefahr oder Störung ein f ü r die Beseitigung objektiv i n Frage kommendes M i t t e l anwenden." (s. 3. Kap., bei A n m . 394; ferner die Ausführungsbestimmung zu § 14 PVG, zit. bei Scheer/Trubel, S. 32, u n d die Nr. 3 der Durchführungsbestimmungen zu § 1 rhpfPVG, zit. bei Altmeyer, S. 50). — Hier w i r d nicht zwischen Ermessensausübung u n d der A n w e n d u n g unbestimmter Rechtsbegriffe, zwischen der objektiven Tatbestandsmäßigkeit einer Amtspflichtverletzung nach § 14 p r P V G u n d ihrer Vorwerfbarkeit (§§ 839, 276 BGB) unterschieden. 57 Uber das Kennen-Müssen von Sachverhalten s. den folgenden A b schnitt b. 58 Über den Subsidiaritätsgrundsatz vgl. 3. Kap., Abschnitt A l a , u n d unten A n m . 150 59 B G H v. 30.4.1953 VRspr. 5, 832; Reinhardt, S.251; vgl. auch RGZ 147, 144; O G H Z 4 , 263 (272 f.) u n d dazu HansOLG v. 8.9.1961 M D R 62, 130 (131); ferner Hurst, Die Gemeinde 59, 245 f. 60 Hinsichtlich der Rechtsgüter, die hier i n Betracht kommen können, s. Abschnitt A l i a i . I n seinem Urt. v. 30.4.1953 (VRspr. 5, 832) spricht der B G H v o m „Rechtskreis" des einzelnen, Hurst von „seinen Rechts- u n d Lebensgütern" (Die Gemeinde 59, 245). Vgl. auch unten Abschnitt Β I d 2. 56

Α. Die Amtspflichten der Sicherheitsorgane zum Tätigwerden

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Gefahren solcher A r t muß sie nach Ermessen eine (oder mehrere) auswählen. Ist ein Einschreiten nicht notwendig, so kann sie nach Ermessen verfahren. Dieses muß sich jedoch innerhalb des Gesetzeszwecks der „Gefahrenabwehr" halten. b) Amtshaftung wegen Unkenntnis eines zum Einschreiten verpflichtenden Sachverhalts

Die bisherige Untersuchung setzte voraus, daß der Polizei der Sachverhalt, auf Grund dessen sie eine Pflicht zum Einschreiten trifft, bekannt ist. Auch nach Drews/Wacke 61 besteht diese Pflicht nur dann, wenn der Sachverhalt der Polizei „zur Kenntnis" gekommen ist; „gegen unbekannte Gefahren kann ein Einschreiten ja überhaupt nicht gefordert werden". Auf die Frage, ob der Polizei ein Sachverhalt, der sie zum Einschreiten verpflichtet hätte, hätte bekannt sein müssen und ob diese Unkenntnis zu einer Amtshaftung führen kann, w i r d nicht eingegangen. Wolff bejaht jedoch diese Frage. Er sieht eine Amtspflichtverletzung schon darin, wenn ein Polizeibeamter „eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit übersieht, w e i l er den vorgeschriebenen Reviergang aus Bequemlichkeit versäumt" hat 6 2 . Man w i r d hier unterstellen müssen, daß es sich u m eine „Gefährdung" handelte, die den Polizeibeamten zum Einschreiten verpflichtet hätte. Wolff erkennt also eine Pflicht der Polizei zur Durchführung von Reviergängen an, deren Verletzung einen Amtshaftungsanspruch begründet, wenn die — übersehene — Gefahr hätte abgewehrt werden müssen. Zur Überprüfung dieser Ansicht ist zunächst zu untersuchen, ob eine derartige Pflicht aus § 14 PVG entnommen werden und ob ihre Verletzung zu einem Amtshaftungsanspruch führen kann. Wie die Verwaltungspraxis zeigt, brauchen die Sicherheitsorgane nicht zu warten, bis ihnen eine Gefahr zur Kenntnis gelangt. Sie sind vielmehr zur Erfüllung ihrer Aufgaben dazu berufen, auch von sich aus, wie etwa durch Streifengänge, nach Gefahren Ausschau zu halten. Diese Tätigkeit dient auch dem Schutze der einzelnen Staatsbürger. Sie steht aber vollkommen i m Ermessen der Polizei. Denn Anhaltspunkte dafür, wann und auf welchen Strecken ζ. B. Streifenbeamte einzusetzen sind, gibt es nicht. Jedenfalls soll hier nicht der Fall behandelt werden, daß die Polizei den Verdacht einer Gefahr hat und ihr 61 7. Aufl., S. 461; 6. Aufl., S.205; 5. Aufl., S. 132. 62 I, S. 154. 12 Schmatz

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

deshalb nachgeht. Darüber w i r d weiter unten zu sprechen sein 63 . Freilich kann dieses Ermessen verletzt werden, z. B. indem die Polizei aus Bequemlichkeit überhaupt keine Streifengänge durchführt. Aber einen Amtshaftungsanspruch kann dieser Ermessensfehler nicht begründen: Der Nachweis der Kausalität zwischen Schaden und Amtspflichtverletzung kann nämlich nicht erbracht werden. Da die Amtspflichtverletzung hier in einem Unterlassen besteht, kann ein Ursachenzusammenhang nur bejaht werden, wenn ein pflichtmäßiges Handeln den Eintritt des schädigenden Erfolgs verhindert hätte 6 4 . Kommt es nun darauf an, „wie eine Verwaltungsbehörde i m Rahmen ihres Ermessens entschieden haben würde", so ist nach der Rechtsprechung des R G 6 5 und des B G H 6 6 „darauf abzustellen, wie die Behörde ihr Ermessen nach ihrer Übung i n gleichen oder ähnlichen Fällen auszuüben pflegte". Die Polizei kann hier aber immer sagen, sie wäre auch bei korrekter Ermessensausübung zu dem Ergebnis gekommen, das nicht zu tun, was sie bisher tat. Sieht z. B. ein Dorfpolizist regelmäßig abends gegen 22 Uhr auf einer bestimmten Route nach dem Rechten, unterläßt er es aber an einem Tage, w e i l er sich eine Fernsehsendung ansehen w i l l , und w i r d gerade an diesem Tag jemand auf der Strecke, die er sonst begeht, überfallen, so kann dieser keinen Amtshaftungsanspruch geltend machen, da der Polizist auch bei pflichtmäßiger Ermessensausübung zu dem Entschluß hätte kommen können, an diesem Abend seinen Rundgang erst später zu machen oder einen anderen Weg einzuschlagen 67 . Anders ist es jedoch, wenn ein Polizeibeamter durch eine Dienstvorschrift verpflichtet ist, zu bestimmter Zeit einen vorgeschriebenen Streifengang durchzuführen. Nach der heute noch herrschenden Auffassung 68 können sich nämlich auch aus innerdienstlichen Vorschriften Amtspflichten i m Sinne des § 839 BGB ergeben, wenn sie zumindest auch den Schutz des einzelnen zu dienen bestimmt sind, was hier der Fall ist. Liegt also ein Sachverhalt vor, der eine Pflicht zum Einschreiten begründete, gelangt dieser aber dem Polizeibeamten nicht zur Kenntnis, w e i l er seinen vorgeschriebenen Reviergang — pflichtwidrig — unterlassen hat, so hat der Geschädigte einen Amtshaftungsanspruch. Denn hätte der Beamte seine Dienstpflicht erfüllt, so wäre der Schaden nicht eingetreten. 63 64 65 66 67 68

S. 179. B G B - R G R K , §839 A n m . 50; RGZ 147, 129. JW 36, 813 Nr. 29. N J W 59, 1125 u n d 1316. Vgl. dazu auch das U r t e i l des R G v. 4. 5.1934, zit. i m 3. Kap., A n m . 321. Soergel/Siebert, § 839 B G B RNr. 131; Forsthoff, S. 119 ff.; Kayser/Leiß,

Α. Die Amtspflichten der Sicherheitsorgane zum Tätigwerden

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Bettermann 6 9 und Wacke 70 sind allerdings der Ansicht 7 1 , durch innerdienstliche Vorschriften und Weisungen könnten Pflichten nur i m Innenverhältnis zwischen Dienstherrn und Beamten, nicht aber i m Außenverhältnis gegenüber einem Dritten begründet werden. Dieser Ansicht ist wegen ihrer einwandfreien Dogmatik beizupflichten, aber auch aus dem Grunde, weil sonst das Bestehen eines Amtshaftungsanspruchs von dem zufälligen Bestehen einer Weisung i m Einzelfall oder einer generellen Verwaltungsanordnung abhängig wäre. Nach all dem kann also Wolffs Ansicht, die pflichtwidrige Unterlassung eines Streifengangs könne einen Amtshaftungsanspruch begründen, nicht zugestimmt werden. Man w i r d die Polizei jedoch dann als zum Schadensersatz verpflichtet ansehen müssen, wenn sie einen Sachverhalt, der sie zu einem Einschreiten verpflichtet hätte, nicht kannte, aber hätte wissen müssen — auf Grund ihrer Erfahrung, die sie haben sollte —, daß diese Gefahr an dieser Stelle zu jener Zeit zu entstehen pflegt. Auch der B G H sieht darin eine Amtspflichtverletzung, wenn eine Gemeinde nicht regelmäßig nachprüft, ob die aufgestellten Hydranten auch „zugriffsbereit" sind 7 2 . Ein Amtshaftungsanspruch setzt also i n jedem Fall einen Sachverhalt voraus, gegen den die Polizei hätte einschreiten müssen. Hat die Polizei diesen Sachverhalt nicht gekannt, so ist zu unterscheiden: Hatte sie einen Anhaltspunkt oder einen Verdacht, so kommt es darauf an, ob ihre Prognose richtig war. Waren ihr derartige Anhaltspunkte nicht bewußt, so ist zu prüfen, ob sie die Gefahr nach der Erfahrung einer durchschnittlichen Polizei hätte kennen müssen. S. 31, 41; Menger, VArch. 51 (1960), 72. 69 Die Grundrechte III/2, S. 779 (841). 70 Drews/Wacke, S. 164. 71 Früher schon Teicher (Diss., S. 33), ferner Buschlinger (DÖV 64, 797, 798), Schwarz (Diss., S. 170 f.) u n d w o h l auch Martens (Jus 62, 245, 249). 72 L M §839 B G B (C) Nr. 26; vgl. B G H v. 18.10.1956 L M § 839 B G B (Fg) Nr. 9. — A n anderer Stelle (in zwei nicht veröffentlichten Urteilen aus dem Jahre 1953, zit. i n B G B - R G R K , §839 A n m . 35, sowie i n der Entscheidung v. 2. 4.1962, VRspr. 14, 830) f ü h r t der B G H jedoch aus, die Bestimmung des Umfangs der Untersuchung darüber, ob eine bestimmte Gefahr (ζ. B. gefahrdrohender Zustand eines Gebäudes) bestehe, sei Ermessenssache der Polizei. — Diese Ausdrucksweise ist mißverständlich. M a n muß hier vielmehr fragen, w a n n die Polizei durch die mangelhafte Untersuchung einer Gefahr eine Amtspflichtverletzung begangen hat. Dies ist der Fall, w e n n die Prognose eines „sachlich Beurteilenden" auf G r u n d der bekannten Tatsachen u n d der Erfahrung ergeben hätte, daß die Wahrscheinlichkeit bestehe, daß sich bei näherer Erforschung des Sachverhalts eine Pflicht zum Einschreiten ergibt u n d daß dieser auch nachgekommen werden kann. Es k o m m t also auch hier wieder auf die unbestimmten Rechtsbegriffe des § 14 P V G an.

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ß . D i e verwaltungsgerichtliche E r z w i n g b a r k e i t eines sicherheitsrechtlichen Tätigwerdens I. Die Klageart und ihre Voraussetzungen a) Die Klageart

Bekanntlich können die Sicherheitsorgane auf sehr verschiedene A r t und Weise tätig werden 7 3 . I n der Hauptsache w i r d man ihre Tätigkeit wohl einteilen können i n eine eingreifende und eine nicht-eingreifende. Erläßt sie Verwaltungsakte 7 4 oder Rechtsverordnungen 75 , so sind diese eingreifender Natur; bannt sie eine Gefahr m i t eigenen Mitteln, belehrt sie nur oder h i l f t sie sonstwie, so gehört diese Tätigkeit dem nichteingreifenden Bereich an. Als Klagearten, m i t denen ein Tätigwerden der Verwaltung erzwungen werden kann, kommen nach der VwGO die allgemeine Leistungsklage nach § 40 I und die Verpflichtungsklage nach § 42 i n Betracht. Hinsichtlich ihres Verhältnisses zueinander bestehen zwei A u f fassungen: Nach der einen kann wegen des Wortlauts des § 42 VwGO die Verpflichtungsklage nur erhoben werden, wenn ein Verwaltungsakt begehrt wird; i m übrigen w i r d auf die Leistungsklage nach § 40 verwiesen 76 . Nach der anderen kann i n einem Über-Unterordnungsverhältnis, wie es auch hier zwischen Staatsbürger und Polizei besteht, nur 73 Drews/Wacke verstehen unter „Maßnahmen" „die Gesamheit aller möglichen formellen u n d materiellen Schritte der Polizei" (S. 281); ähnlich Mayer, Polizeirecht, S. 67 f. 74 Als Verwaltungsakt ist nach h. L. „jede als Hoheitsakt erlassene V e r fügung, Anordnung, Entscheidung oder sonstige Maßnahme anzusehen, die von einer Verwaltungsbehörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiete des öffentlichen Rechts getroffen w i r d " (Klinger, S. 179 f.; B V e r w G v. 3. 5.1956 E 3, 258 = D V B l . 56, 517). Α. A. Eyermann/Fröhler (§42 RNr. 14: „ A l l e hoheitlichen Amtshandlungen, die den Verwaltungsgerichten zur Nachprüfung auf ihre Rechtmäßigkeit unterbreitet werden können", sind Verwaltungsakte); nach Maunz/Dürig (Art. 19 I V GG RNr. 11) ist Verwaltungsakt „jede Einzelmaßnahme eines Trägers öffentlicher Gewalt". Vgl. auch Schweickhardt, D Ö V 65, 795. ™ Als Definition vgl. § 24 prPVG. 76 Menger, System, S. 193, 199; i n : Die Grundrechte III/2, S. 717 (761); Obermayer, N J W 56, 361; i n : Mang u.a., S. 236; Hegel, JZ 63, 15; D Ö V 65, 413; vgl. ferner die bei Eyermann/Fröhler (§ 42 RNr. 17) angegebene Literatur. Aus der Rspr. s.: B V e r w G E 2, 273, (274) = JZ 56, 341; O V G Lüneburg AS 8, 484; O V G Münster AS 10, 93; O V G H a m b u r g VRspr. 10, 225; B a y V G H V G H n F 7, I, 71; BayVBl. 61, 58.

Β. Die verwaltungsgerichtliche Erzwingbarkeit eines Tätigwerdens

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die Verpflichtungsklage i n Betracht kommen. Die Möglichkeit, dann aber nicht nur den Erlaß von Verwaltungsakten, sondern auch anderer Maßnahmen, selbst Rechtsverordnungen 77 , zu erzwingen, entnimmt diese Auffassung der Tatsache, daß §113 I V VwGO nicht mehr von einem „Verwaltungsakt", wie § 42, sondern von einer „Amtshandlung" spricht 78 . Der zweiten Auffassung ist einmal wegen ihrer einleuchtenden Systematik zuzustimmen. Zum anderen bietet sie, worauf Martens hingewiesen hat, dem Kläger die Möglichkeit, seinen Antrag auf den Erlaß der „erforderlichen Maßnahme" zu beschränken. Es läßt sich ja oft zunächst nicht absehen, ob zur Abwehr einer zum Einschreiten verpflichtenden Gefahr nur eine einzige Maßnahme und nur ein Verwaltungsakt in Frage kommt 7 9 . b) Das Vorverfahren

Bevor Verpflichtungsklage erhoben werden kann, muß gemäß § 68 VwGO bei dem zuständigen Sicherheitsorgan ein Antrag auf Erlaß der begehrten Maßnahme gestellt werden. W i r d dieser abgelehnt, so muß Widerspruch erhoben werden. W i r d über den Antrag auf Vornahme der Amtshandlung 8 0 ohne zureichenden Grund i n angemessener Frist nicht entschieden, so braucht das Widerspruchsverfahren nicht durchgeführt werden. Es kann sogleich Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO erhoben werden. c) Die formelle Beschwer

Die Verpflichtungs- wie die Untätigkeitsklage ist nur dann zulässig, wenn der Kläger auch „formell" beschwert ist; d. h. wenn einem A n trag i m Verwaltungsverfahren nicht oder nicht voll entsprochen wurde 8 1 . d) Die materielle Beschwer

Die formelle Beschwer allein reicht nicht aus, die Zulässigkeit der Klage zu begründen. Man käme ja sonst zur Popularklage 82 . Der K l ä 77 Bachof, Vornahmeklage, S. 30; V G F r a n k f u r t / M v. 3.5.1960 DÖV 61, 313 (Der i n dieser Entscheidung enthaltene Hinweis auf Wolff ist allerdings verfehlt). A.A. Ule/Rasch, § 14 p r P V G RNr. 72 (vgl. dazu A n m . 168). 78 Eingehend Eyermann/Fröhler, §42 RNr. 17; Bachof, Vornahmeklage, S. 30; JZ 62, 702; Bettermann, N J W 60, 649 (650); Forsthoff, S. 496; Menger, VArch. 52 (1961), 305 (318); König, S.441; Martens, JuS 62, 245 (252); B V e r w G V. 18. 8.1960 DVB1. 61, 125 (127). 79 JuS 62, 245 (252). Α. A . Ule/Rasch, § 14 p r P V G RNr. 72. so Klinger, S. 373. 81 Stich, Diss., S. 133 ff.; B V e r w G v. 5. 4. 1960 D Ö V 61, 145 f. 82 Eyermann/Fröhler, §42 RNr. 92; Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 128; Stich, Diss., S. 135.

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

ger muß daher gemäß § 42 I I VwGO behaupten, durch die Ablehnung der beantragten Maßnahme oder ihre Unterlassung i n seinen Rechten verletzt zu sein. Dies bedeutet, daß der Vortrag des Klägers Anhaltspunkte 8 3 dafür ergeben muß, daß das Verhalten der Verwaltungsbehörde geeignet ist 8 4 , einen gerade ihm zustehenden Vornahmeanspruch oder sein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung zu verletzen 85 . Dies setzt voraus, daß die Rechtsordnung überhaupt einen Rechtsanspruch der vom Kläger behaupteten A r t kennt 8 6 . Ob dagegen ein solcher Anspruch auch gerade dem Kläger i n concreto zusteht, ist Frage der Begründetheit 87 . Zunächst ist also zu prüfen, ob § 14 prPVG — die entsprechenden Vorschriften i n Bayern und Baden-Württemberg werden weiter unten behandelt 88 — einem einzelnen überhaupt einen Anspruch auf ein Tätigwerden, d.h. nach der heutigen Terminologie 8 9 ein subjektives öffentliches Recht auf irgend ein Tätigwerden verleihen kann. Dies kann nach der heute herrschenden Ansicht 9 0 nur dann der Fall sein, wenn § 14 PVG „— zwar nicht ausschließlich, aber auch — konkret bestimmbaren Individualinteressen zu dienen bestimmt ist" 9 1 . Die Frage lautet also 83 Vgl. Lüke, AöR 84, 185 (221 f.); Stich, Diss., S. 136; Martens, JuS 62, 245 (252). 84 Stich, Diss., S. 136. 85 Vgl. Lüke, AöR 84, 185 (221 ff.); B V e r w G E 7, 89. 86 Stich, Diss., S. 136; Lüke, aaO. 87 i m einzelnen sind die Ansichten über die Klagebefugnis recht differenziert; die Frage k a n n hier jedoch nicht vertieft werden. Es sei verwiesen auf: Lüke, AöR 84, 221 f.; K a m m , JuS 61, 146; Engelhardt, JZ 61, 588 ff.; Stich, Diss., S. 136; Bernhardt, JZ 63, 302 (307 f.) m i t zahlreichen Nachweisen; Bettermann, Klagebefugnis, S. 449; Bachof, Rechtsprechung, S. 201 ff.; Eyermann/Fröhler, §42 RNr. 84 ff.; OVG Münster v. 18.9.1963 D V B l . 64, 41; B V e r w G v. 30.10. 1963 JZ 64, 301 = D Ö V 64, 205 = D V B l . 64, 191. 88 Abschnitt Β I d 2. 89 Vgl. hierzu Maunz/Dürig, A r t . 19 I V GG RNr. 34. 90 Da i n Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r heute i m wesentlichen den A u s führungen von Bachof gefolgt w i r d , w e n n auch m i t geringen, meist t e r m i nologischen Abweichungen, sei auch den folgenden Erörterungen Bachofs Ansicht zugrundegelegt: Bachof, Vornahmeklage, S. 62; Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 287 ff.; W D S t R L 12, 37 (72 ff.); JZ 57, 433 f.; Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, JZ 66, 436 f. Vgl. ferner: Huber I, S. 676 ff.; Bühler, Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 269; Forsthoff, S. 170 ff.; Klinger, S. 172; Koehler, S.301; Kohlmann, S. 12 ff. (mit Nachweisen aus der älteren Literatur), ferner S. 69 ff. (dazu Mayer, D V B l . 65, 923); Obermayer, i n : Mang u.a., S. 146 ff.; Eyermann/Fröher, §42 RNr. 96; Maunz/Dürig, A r t . 19 I V G G RNr. 34 ff.; Wolff I, S. 231 ff.; Evers, JuS 62, 88 ff.; Martens, JuS 62, 245 (248); Theuerkauf, D V B l . 64, 386 ( I I 1) m i t Nachweisen; Henke, D V B l . 64, 649 (651 ff.); V G Minden v. 13.5.1964 D V B l . 65, 780 (781). 91 Bachof, Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 287 (296).

Β. Die verwaltungsgerichtliche Erzwingbarkeit eines Tätigwerdens

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1. Kann §14 PVG konkret bestimmbaren Individualinteressen zu dienen bestimmt sein? Welchen Interessen § 14 PVG zu dienen bestimmt ist, ergibt sich aus seiner Zweckbestimmung: „Die Polizeibehörden haben . . . Maßnahmen zu treffen, um von der Allgemeinheit oder dem einzelnen Gefahren abzuwehren, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht wird." Sie hat also die Allgemeinheit und den einzelnen zu schützen. Ob dieser Erwähnung des „einzelnen" entnommen werden kann, daß er um seiner selbst willen geschützt wird, ist fraglich, denn das Wort „öffentlich" bezieht sich sowohl auf die „Allgemeinheit" wie auf den „einzelnen" und führt doch eher zu der Auslegung, der einzelne werde — neben der Allgemeinheit — lediglich um des öffentlichen Interesses willen geschützt 92 . So bleibt für die Untersuchung, ob § 14 überhaupt Individualinteressen zu dienen bestimmt sein kann, lediglich der Begriff „öffentliche Sicherheit und Ordnung" übrig, das Rechtgut, das die Polizei vor Gefahren zu schützen hat. Nach der üblichen Definition 9 3 fällt unter dieses Begriffspaar auch der Schutz vor Gefahren für Leib und Leben. Damit dient § 14 Individualinteressen. Ob er allerdings auch dazu bestimmt ist, diese Rechtsgüter als Individualinteressen zu schützen, ist noch nicht gesagt. Es kann ja durchaus sein, daß Leib und Leben nur geschützt werden, w e i l ihre Verletzung Gemeininteressen zuwiderläuft. Aus dem Begriff „öffentlich" wurde nun seit jeher gefolgert, daß die i n dem Begriffspaar „Sicherheit und Ordnung" enthaltenen Rechtsgüter — also auch Leib und Leben — allein i m öffentlichen Interesse geschützt werden 9 4 . Da es aber nach Bachof 95 für die Beantwortung 92 Die bisherige Lehre sah i n dem „einzelnen" einen „Repräsentanten der Allgemeinheit" (Klausener, Kommentar, §14 A n m . I V 6; Friedrichs, §14 Erl. 14; Scheer, Lehrbuch, S. 55; Froelich, S. 55; Müller/Heidelberg, S. 36 f.; Drews/Wacke, S. 59 ff.j. — Martens u n d (ihm folgend) Buschlinger (DÖV 65, 374, 375) halten dagegen die Erwähnung des einzelnen i n § 14 p r P V G f ü r ein „ i m m e r h i n beachtliches Indiz dafür, daß dieser nicht lediglich faktisch Begünstigter sein soll" (JuS 62, 245, 249). Nach Reiff (S. 30) f ü h r t das Gesetz „den einzelnen u n d das Gemeinwesen nebeneinander an, u m zum Ausdruck zu bringen, daß der einzelne nicht n u r als T e i l der Allgemeinheit, sondern als solcher, d. h. als Person, geschützt w i r d " . 93 Vgl. 3. Kap., Abschnitt A l a , sowie die Rechtsprechung der Zivilgerichte (Abschnitt A I). 94 s. bei Bachof (DVB1. 61, 128, 130) u n d Martens (JuS 62, 245, 248). Vgl. aus der älteren L i t e r a t u r : Arnstedt I, S. 69 f.; Drews, 1. Aufl., S. 36; 5. Aufl., S. 45; 6. Aufl., S. 75; Drews/Lassar, in: Brauchitsch, Bd. I, §147 L V G

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

der Frage, ob eine N o r m auch I n d i v i d u a l i n t e r e s s e n z u d i e n e n b e s t i m m t ist, n i c h t a u f die I n t e r e s s e n w e r t u n g z u r Z e i t des Erlasses der N o r m a n k o m m t , s o n d e r n auf die g e g e n w ä r t i g e , insbesondere auf die I n t e r e s s e n w e r t u n g des Grundgesetzes 9 6 , s t e l l t sich die F r a g e : I s t es m i t d e r A u f f a s s u n g des Grundgesetzes ü b e r das V e r h ä l t n i s des Menschen z u m S t a a t v e r e i n b a r , w e n n das L e b e n oder die G e s u n d h e i t des einzelnen v o n d e n Sicherheitsorganen n u r deswegen v o r G e f a h r e n geschützt w i r d , w e i l dies i m ö f f e n t l i c h e n Interesse liegt? Z u n ä c h s t w i r d m a n h i e r die G r u n d s ä t z e a n f ü h r e n , die das B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t i n seiner E n t s c h e i d u n g v o m 24. 6.1954 a u f s t e l l t e 9 7 , b e i der es d a r u m ging, ob der einzelne aus d e n f r ü h e r e n , i m Interesse d e r ö f f e n t l i c h e n O r d n u n g erlassenen Fürsorgegesetzen e i n s u b j e k t i v e s öffentliches Recht a u f die d o r t g e w ä h r t e n L e i s t u n g e n habe. Das G e r i c h t f ü h r t e h i e r z u aus: „Der einzelne ist zwar der öffentlichen Gewalt unterworfen, aber nicht Untertan, sondern Bürger. D a r u m darf er i n der Regel nicht lediglich Gegenstand staatlichen Handelns sein. Er w i r d vielmehr als selbständige, sittlich verantwortliche Persönlichkeit u n d deshalb als Träger von Rechten u n d Pflichten anerkannt. Dies muß besonders gelten, w e n n es u m seine Daseinsmöglichkeit geht." — Dieser Grundsatz spiegele sich i n mehreren Vorschriften des Grundgesetzes wider: „Die unantastbare, von der staatlichen Gewalt zu schützende Würde des Menschen (Art. 1) verbietet es, i h n lediglich als Gegenstand staatlichen Handelns zu betrachten, soweit es sich u m die Sicherung des ,notwendigen Lebensbedarfes' (§ 1 der Reichsgrundsätze), also seines Daseins überhaupt, handelt. Das folgt aus dem Grundsatz der freien Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1). . . . Endlich ist auch das Grundrecht auf Leben u n d Gesundheit (Art. 2 Abs. 2) Ausfluß jenes Grundgedankens." A n m . 8; Kerstiens, R u P r V B l . 1931, 310 f.; VArch. Bd. 36, 206 (214 f.); Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 207; s. auch die Beratungen des Verfassungsausschusses des pr. Landtags (s. 3. Kap., Abschnitt A I I b 1). Franzen (I, S. 127) bemerkt hierzu: Die Ansicht des pr. Innenministers, eine Pflicht zum Einschreiten bestände nur gegenüber der Allgemeinheit u n d nicht dem einzelnen Bürger gegenüber, klinge zwar „zunächst sehr überzeugend", dürfe aber „nicht darüber hinwegtäuschen, daß sie v ö l l i g aus der L u f t gegriffen u n d f ü r sie keine Grundlage i m Gesetz zu finden ist". Weitere Folgerungen zieht F r a n zen allerdings nicht. — Vgl. ferner PrOVGE 2, 351 (354f.); 3, 214ff.; 4, 226 (230). Allerdings vertrat Bühler, ein Verfechter des Legalitätsprinzips (3. Kap., bei A n m . 281), schon 1914 unter Berufung auf die Entscheidung des Königl. Sächsischen O V G v. 14.10.1908 (Jahrb., Bd. 13, 4 ff. u n d 26 ff.) die Auffassung, „daß unter gewissen Umständen der Bürger ein subjektives öffentliches Recht auf Einschreiten der Polizei gegen Störungen der guten Ordnungen" habe (S. 436 A n m . 247, S. 445). Vgl. ferner über die Hintergründe der bisherigen Auffassung Henke, DVB1. 64, 649. 95 Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 287 (297). 96 Bachof, aaO; vgl. auch Henke (DVB1. 64, 649, 654) u n d — insbesondere auch zum Folgenden — Martens (JuS 62, 250 f.) u n d Buschlinger (DÖV 65, 374 ff.). 97 B V e r w G E 1, 159 (161); vgl. ferner V G Düsseldorf v. 26.4.1962 DVB1. 62, 559 m i t Anm. v. Ule.

Β. Die verwaltungsgerichtliche Erzwingbarkeit eines Tätigwerdens

185

Ferner ist auf Bachof 98 hinzuweisen, nach dem durch einen Rechtssatz faktisch begünstigte Interessen dann, wenn sie nach allgemeiner Auffassung als schutzwürdig anzusehen sind, auch rechtlich geschützt sind. „ M i t anderen Worten: Es besteht eine Vermutung dafür, daß schutzwürdige Interessen auch geschützte Interessen sind". Hierin w i r d Bachof allgemein beigepflichtet 99 . Schützt also eine Norm Leben und Gesundheit des Menschen, so ist diese Vorschrift nach den Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts wie nach Bachofs These diesen Individualinteressen zu dienen bestimmt. Daß diese Rechtsgüter schutzwürdig sind, bedarf keiner Begründung. I m besonderen zu § 14 PVG hat nun Bachof ausgeführt, „es widerspräche dem Menschenbild des Grundgesetzes und damit der von diesem B i l d bestimmten heutigen Sicht des Verhältnisses von Staat und Bürger, wollte man annehmen, die Polizei solle bei ihrem Einschreiten stets und ausnahmslos nur i m Interesse der Allgemeinheit und nicht auch — und i n manchen Fällen sogar primär — i m Interesse der zu schützen den Einzelperson tätig werden. Die ähnlichen Erwägungen des erwähnten Fürsorgerechtsurteils können mutatis mutandis auch für das Polizeirecht fruchtbar gemacht werden" 1 0 0 . Martens 1 0 1 , Schneeberger 102 , das OVG Lüneburg 1 0 3 , Schwarz 104 , Henke 1 0 5 , Buschlinger 106 , Rupp 1 0 7 und Menger 1 0 8 haben sich dem angeschlossen und Bachofs Ausführungen noch vertieft 1 0 9 . 98 Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 296; s. auch D Ö V 53, 417 (421); JZ 57, 433 Nr. 62 ff.; JZ 62, 701 f. 99 Hamann, S. 24; Forsthoff, S. 172; Schack, JuS 61, 269 (271, Nr. 4); Martens, JuS 62, 245 (250); Bernhardt, JZ 63, 304; Buschlinger, Diss., S. 110 f.; K o h l mann, S. 34; Rupp, S. 272; Maunz/Dürig, A r t . 19 I V GG RNr. 36; Wolff I, S. 234; OVG B e r l i n v. 6.2.1961 JR 62, 116. Vgl. ferner Huber I, S. 684; Kaufmann, W D S t R L 9, 4. 100 D V B l . 61, 130 (rechte Spalte). Schon 1951 wies Bachof darauf hin, die Frage des subjektiven Rechts auf polizeiliches Tätigwerden sei „ i m H i n blick auf die veränderte Auffassung über das Verhältnis des Einzelnen zur Staatsgewalt . . . einer erneuten grundlegenden Untersuchung w e r t " (DÖV 51, 389, 390). ιοί JuS 62, 245 (250 f.). ι 0 2 S. 92. 103 Urt. v. 10. 5.1963 DÖV 63, 769 = JuS 64, 77. 104 Diss., S. 165 f. los D V B l . 64, 649 (654); D V B l . 65, 783. 106 D Ö V 65, 374, (375 f.). 107 S. 270 ff. (272). los VArch. 57, (1966) 182. 109 A. A. V G Minden, Urt. v. 13. 5.1964 D V B l . 65, 780 (s. hierzu Anm. 120). Ule (Ule/Rasch, § 14 p r P V G RNr. 68) ist der Ansicht, aus der polizeilichen Generalklausel lasse sich ein Rechtsanspruch auf Einschreiten nicht ableiten, da den Polizeibehörden die Gefahrenabwehr n u r i m öffentlichen I n t e r -

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

§ 14 PVG ist also eine Norm, die auch Individualinteressen zu dienen bestimmt sein kann; welchen Individualinteressen i m einzelnen, w i r d weiter unten zu erörtern sein 1 1 0 . Dieses Ergebnis w i r d bestätigt durch das Urteil des OVG Lüneburg vom 30. 6. I960 1 1 1 und das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. 8. I960 1 1 2 . Beide Gerichte erkennen ein subjektives öffentliches Recht des einzelnen auf fehlerfreie Ermessensbetätigung der Polizei an, ohne allerdings auf die Sachurteilsvoraussetzung der materiellen Beschwer einzugehen 113 . Ferner w i r d dieses Ergebnis durch die Rechtsprechung der Z i v i l gerichte zur Amtshaftung bestätigt. Eine Amtspflicht obliegt nämlich Beamten einem Dritten gegenüber nur dann, wenn sie ihnen ausschließlich oder wenigstens auch i m Interesse einzelner Personen auferlegt ist, wenn sie deren Schutz bezweckt oder mitbezweckt 1 1 4 . Keine Amtspflicht i m Sinne des § 839 BGB besteht dort, wo Ziel und Zweck der hoheitlichen Tätigkeit die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder das Interesse des Staates an einer geordneten Geschäftsführung seiner Beamten ist 1 1 5 . Besteht eine Amtspflicht nur der Allgemeinheit gegenüber, so ist jemand auch dann nicht Dritter, wenn ihn die Amtstätigkeit schädigend betroffen hat 1 1 6 . Das Bestehen einer einem Dritten gegenüber obliegenden Amtspflicht und eines subjektiven öffentlichen Rechts sind also insoweit an dieselben Voraussetzungen geknüpft 1 1 7 . „Indem nun RG und B G H wiederesse auferlegt sei. E i n solcher Anspruch lasse sich vielmehr „ n u r durch die Erwägung rechtfertigen, daß der einzelne i m sozialen Rechtsstaat . . . nicht bloßes Objekt . . . sein darf, sondern als Rechtssubjekt behandelt werden u n d deshalb auch subjektive öffentliche Rechte gegen den Staat haben muß". — Dieser Begründung ist nicht zu folgen, da ein solcher Anspruch nicht aus dem Grundgesetz, sondern besser aus der verfassungskonform ausgelegten polizeilichen Generalklausel zu entnehmen ist. no Abschnitt Β I d 2. i n D V B l . 60, 648. us D V B l . 61, 125. 113 Vgl. die K r i t i k Bachofs (DVBl. 61, 128, 129) und Martens' (JuS 62, 245, 249 A n m . 51). 114 B G H Z 1 0 , 55; 10, 122; 18, 110 (113); 26, 232 (234); 32, 145 (147); VersR 60, 980; 61, 564; Pagendarm, L M §839 B G B (C) Nr. 17; Soergel/Siebert, §839 RNr. 148. us Kayser/Leiß, S. 34 sowie Nr. 318 ff. ne B G H VersR 61, 944; 62, 260. 117 Martens, JuS 62, 245 (249); Schwarz, Diss., S. 172 f.; Buschlinger. D Ö V 64, 797 (799); Henke, D V B l . 65, 783 (784); O V G Lüneburg v. 10.5.1963 D Ö V 63, 769 = JuS 64, 77; vgl. auch B V e r w G v. 13.1.1961 BayVBl. 61, 185 (zu § 111 b GaststG). — Α. A . Rupp, S. 21 A n m . 24; Ule/Rasch, § 14 p r P V G RNr. 65 (vgl. jedoch RNr. 68 Mitte!); ferner V G Minden v. 13.5.1964 D V B l . 65, 780 (782) (s. dazu Anm. 120).

Β . Die verwaltungsgerichtliche Erzwingbarkeit eines Tätigwerdens

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h o l t e i n polizeiliches N i c h t e i n s c h r e i t e n als V e r l e t z u n g e i n e r e i n e m D r i t t e n gegenüber o b l i e g e n d e n A m t s p f l i c h t q u a l i f i z i e r t h a b e n 1 1 8 , h a b e n sie i m p l i z i t e e r k a n n t , daß die V o r s c h r i f t e n d e r Polizeigesetze auch d e m Schutze i n d i v i d u e l l e r Interessen d i e n e n k ö n n e n 1 1 9 » 1 2 ° . " D i e nächste F r a g e l a u t e t n u n : 2. Welchen

Individualinteressen Ermächtigungsnormen

sind die zu dienen

sicherheitsrechtlichen bestimmt?

Was u n t e r „ I n d i v i d u a l i n t e r e s s e " z u v e r s t e h e n ist, setzt die L e h r e v o m s u b j e k t i v e n ö f f e n t l i c h e n Recht als b e k a n n t voraus. O b es a l l g e meine K r i t e r i e n gibt, m i t deren H i l f e Individualinteressen v o n GemeinU8 Abschnitt A I . us Martens, Jus 62, 245 (249). Er hat diese Parallelität als erster k l a r erkannt u n d herausgestellt. Die überwiegende L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung folgt i h m darin (s. A n m . 117). — Wenn allerdings Ule (Ule/Rasch, § 14 p r P V G RNr. 68) die „Rechtsordnung", „die dem einzelnen" einen Amtshaftungsanspruch wegen unterlassenen Einschreitens „zubilligt", zur Begründung eines Rechtsanspruch auf polizeiliches Einschreiten heranzieht, so ist darauf h i n zuweisen, daß weniger die Rechtsordnung als vielmehr die Rechtsprechung des RG und B G H (s. Abschnitt A) zu diesem Ergebnis führen. Soweit sich die übrige L i t e r a t u r m i t diesem Problem befaßt, enthält sie n u r recht vage Hinweise: Bühler (S. 55 Anm. 72) behandelt lediglich den umgekehrten Fall: E i n Beamter, der schuldhaft eine Norm, die ein sub. öff. Recht f ü r einen D r i t t e n begründe, falsch oder nicht anwende, begehe auch stets eine Amtspflichtverletzung. K a l l r a t h (Diss., S. 48) verneint eine Parallelität: „Der Pflicht zum Tätig werden steht kein materielles Recht auf Tätigwerden gegenüber." Schiedermair (S. 245 f.) verkennt, daß beide Ansprüche zwar verschiedene Inhalte haben, aber i n ihren Voraussetzungen weitgehend parallel laufen. Nach Schneeberger (S. 89) handelt es sich „hier wie dort u m das gleiche Rechtsproblem". Nach Mayer (in: Mang u.a., S. 386 A n m . 30; Opportunitätsprinzip, S. 37) dürfen beide Fragen nicht „verwechselt" werden. Bettermann (Die Grundrechte III/2, S. 797) weist darauf hin, daß A r t . 19 I V GG auch auf Unterlassungen anzuwenden sei u n d daß hierbei — „ w i e bei der Amtshaftung" — die nichterfüllte Verpflichtung des Amtsträgers nicht n u r gegenüber der Allgemeinheit, sondern auch u n d gerade dem Kläger gegenüber bestehen muß. Menger hat seine frühere Ansicht (VArch. 50 (1959), 204; 52 (1961), 104) nunmehr i n obigem Sinne revidiert (VArch. 57 (1966), 183). ι 2 0 Heute w i r d das bisherige Ergebnis verneint von Bettermann (NJW 61, 1097, 1099, w o er sich gegen die Ansicht des B V e r w G u n d von Bachof i n DVB1. 61, 125 ff. wendet; s. auch Jellinek-Gedächtnisschrift S. 371); ferner von Verwaltungsgerichtsrat Hans Peters (DÖV 65, 744, 747), der Bettermann folgt, u n d w o h l auch von Samper (Art. 4 RNr. 19 ff.; s. dazu unten A n m . 180 a. E.). — Die ebenfalls ablehnende, jedoch schon 1953 geäußerte Meinung von Jobst (Diss., S. 122 f.) u n d D ü r i g (AöR 79, 57) darf als überwunden angesehen werden. Neuerdings hat das V G Minden (Urt. v. 13. 5.1964 DVB1. 65, 780 = N J W 65, 2220) ein i m Klageweg durchsetzbares Recht des einzelnen auf T ä t i g werden der Ordnungsbehörden gemäß § 14 n r w O B G verneint. Seine Ausführungen wurden jedoch von Henke (DVB1. 65, 783 ff.) u n d Menger (VArch. 57 (1966), 180 ff.) treffend widerlegt. Folgendes ist noch anzufügen: Die E n t scheidung k a n n nicht darauf gestützt werden, daß i n § 14 n r w O B G „der einzelne" nicht genannt ist. Z u m einen beruht das bisherige Ergebnis nicht auf

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

interessen abgegrenzt werden können, läßt die Lehre unerörtert 1 2 1 . Die Untersuchungen erstrecken sich stets nur auf die Frage, ob eine Norm Individualinteressen zu dienen bestimmt sein kann 1 2 2 . Man w i r d jedoch unter Individualinteresse ganz allgemein jedes Interesse verstehen müssen, das ein einzelner an einem Zustand oder Verhalten haben kann; also z. B. auch sein Interesse an der A u f recht erhaltung der öffentlichen Ordnung. Ob ein solches Individualinteresse jedoch zu einem subjektiven öffentlichen Recht erstarkt, kommt darauf an, ob eine Norm diesem Interesse des einzelnen zu dienen bestimmt ist. Daß § 14 PVG dem Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit des einzelnen zu dienen bestimmt ist, wurde bereits dargelegt. Welche Individualinteressen darüber hinaus i n Frage kommen, ist nunmehr zu prüfen. Zunächst ist daran zu erinnern, daß die Sicherheitsorgane grundsätzlich i m öffentlichen Interesse tätig werden, dagegen für den Schutz von Individualansprüchen i n der Regel die Zivilgerichte zuständig sind. Der Schutz von Individualinteressen durch Sicherheitsorgane bildet also die Ausnahme 1 2 3 . I n der Regel werden außer „Leben und körperliche Unversehrtheit" die Freiheit und das Eigentum des einzelnen als Individualrechtsgüter genannt, zu deren Schutz § 14 PVG bestimmt ist 1 2 4 . Die gleichen Rechtsgüter nennt auch die oben zitierte Zivilrechtsprechung 125 . diesem Wort, sondern auf dem Schutzzweck der Vorschrift, der A b w e h r von Gefahren für die öffentliche Sicherheit. Z u m anderen k a n n aus der Fassung ebensowenig wie aus der Begründung des § 14 n r w O B G entnommen werden, daß ein subj. öff. Recht auf Tätigwerden ausgeschlossen werden sollte. Ferner hindert die Verabschiedung des n r w O B G unter der Geltung des G r u n d gesetzes eine Auslegung dieses Gesetzes nach der Wertordnung des GG keineswegs (vgl. auch Buschlinger DÖV 65, 374, 375). 121 Nach Henke (DVBl. 64, 649, 652) sind „Interesse u n d besonders P r i v a t oder Einzelinteresse . . . keine Begriffe, die klare Unterscheidungen ermöglichen, u n d das weniger, w e i l sie zu allgemein wären, sondern vielmehr, w e i l sie überhaupt keinen Rechtsgehalt besitzen". Er versucht, über die Grundrechte zu einem subjektiven öffentlichen Recht zu gelangen: „ A n die Stelle des vagen Begriffs des Interesses u n d der noch vageren Feststellung, ein Gesetz sei einem Privatinteresse zu dienen bestimmt . . . , t r i t t eine A n wendung der Grundrechte. Die A r t dieser Anwendung müßte freilich noch genauer entwickelt werden." (aaO, S. 654) — Siehe dazu weiter unten. ι 2 2 Freilich bemerkt hierzu Bachof (Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 297), daß sich eine allgemeine Regel nicht aufstellen lasse; vielmehr müsse jeder einzelne, eine Begünstigung enthaltende Rechtssatz . . . auf die i h m zugrunde liegende Interessenwertung untersucht werden. 123 v g l . OVG Lüneburg v. 10. 5.1963 D Ö V 63, 769. 124 Bachof, D V B l . 61, 130; Wiethaup, S. 41 ff.; Henke, D V B l . 64, 649 (655); Buschlinger, D Ö V 65, 374 (377); Wolff I I I , S. 52; Ule/Rasch, §14 p r P V G RNr. 72; O V G Lüneburg v. 30.6.1960 DVBl. 60, 648 (gesundheitsstörender L ä r m ) ; B V e r w G v. 18. 8.1960 D V B l . 61, 125 (unerträgliche Lärmbelästigung). 125 s. Abschnitt A I.

Β. Die verwaltungsgerichtliche E r z w i n g b r k e i t eines Tätigwerdens

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Auf der Suche nach weiteren derartigen Individualrechtsgütern stößt man auf die von § 14 PVG abweichenden Tatbestände der Sicherheitsgesetze i n Bayern und Baden-Württemberg. So gehört nach Art. 2 P A G 1 2 6 zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auch der Schutz der Verfassung und der Grundrechte 127 . Welche Grundrechte hier gemeint sind, erläutern die Kommentare nicht 1 2 8 . Die Polizei kann jedoch nur die Grundrechte — innerhalb und außerhalb der Kataloge des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung 129 — schützen, deren Verletzung auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellte 1 3 0 . Denn „nicht alle Grundrechte haben Bezug auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung" 1 3 1 . Er fehlt z.B., wenn ein Gericht den Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 I G G ) verletzt. Eine Beeinträchtigung dieser Grundrechte ist allerdings nur durch Störer oder Naturereignisse möglich, nicht durch einen Hoheitsträger; denn gegen Hoheitsträger kann die Polizei grundsätzlich nicht einschreiten 132 . Ist aber gleichwohl der Schutz der Grundrechte — der am höchsten, nämlich durch die Verfassung geschützten Individualrechtsgüter — Aufgabe der Polizei, so ist ihre Tätigkeit auch ihnen zu dienen bestimmt 1 3 3 . Das gleiche ergibt sich aus § 112 bwPG. Hiernach hat die Polizei „insbesondere die verfassungsmäßige Ordnung", worunter nach Reiff 1 3 4 auch die Grundrechte fallen, „und die ungehinderte Ausübung der staatsbürgerlichen Rechte zu gewährleisten". Auch hinsichtlich dieser Rechte handelt es sich um Grundrechte 135 . 126 s. den Wortlaut des A r t . 2 P A G auf S. 147. 127 Über die Bedeutung des Wörtchens „inbesondere" s. 3. Kap., A n m . 672. 128 Auch Henke (DVB1. 64, 653) spricht n u r von „Grundrechten". 129 Vgl. Maunz, Staatsrecht, S. 91. ι 3 0 So auch Samper (Art. 2 RNr. 48, 49). — Über das Subsidiaritätsprinzip siehe oben S. 47 und unten Anm. 150. 131 Henke, DVB1. 64, 649 (655), jedoch ohne weitere Konkretisierung. 132 Drews/Wacke, S. 125 f.; Ule/Rasch, §14 p r P V G RNr. 52 ff.; Folz, HansErnst: Polizeiliche Zuständigkeit u n d kollidierende Kompetenzen anderer Hoheitsträger, JuS 65, 41 ; ausführlich Rudolf, S. 9 ff. 133 Vgl. hierzu K ö n i g (DÖV 57, 329, 336): „ A r t . 99 B V ist nicht ein bloßer Programmsatz, er schafft vielmehr unmittelbar verbindliches Recht. Z u den Aufgaben der Polizei gehört es nicht nur, eingetretene Grundrechtsstörungen zu beseitigen, sondern auch die Grundrechte vor Störungen zu bewahren, d.h. den einzelnen vor Beeinträchtigungen seiner Grundrechte zu bewahren. Die Grundrechte sind aber Rechtsansprüche, sie sind subjektive öffentliche Rechte u n d zwar die stärksten . . . Ihrer Rechtsnatur als Rechtsansprüche, die die Polizei zu schützen hat, k a n n n u r gleichzeitig ein erzwingbarer Rechtsanspruch gegen die Polizei zu ihrem Schutz entsprechen." 134 S. 35. 135 Reiff (S. 35) zählt zu den staatsbürgerlichen Rechten auch das W a h l u n d Stimmrecht, das Recht auf den gesetzlichen Richter, das Petitionsrecht u n d das Recht der Verfassungsbeschwerde. — Ob u n d inwieweit die drei zuletzt genannten Rechte durch D r i t t e beeinträchtigt werden können, erscheint allerdings fraglich.

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

D a n u n einerseits die o b e n g e n a n n t e n Rechtsgüter: L e b e n , k ö r p e r liche U n v e r s e h r t h e i t , F r e i h e i t u n d E i g e n t u m auch als G r u n d r e c h t e geschützt s i n d u n d andererseits nach D r e w s / W a c k e 1 3 6 u n t e r die „ ö f f e n t liche Sicherheit u n d O r d n u n g " die „gesamte R e c h t s o r d n u n g " f ä l l t , k a n n m a n a l l g e m e i n sagen: D i e sicherheitsrechtlichen G e n e r a l k l a u s e l n s i n d d e n I n d i v i d u a l i n t e r e s s e n z u d i e n e n b e s t i m m t , die auch d u r c h G r u n d rechte g e w ä h r l e i s t e t w e r d e n 1 3 7 » 1 3 8 . Die jüngste L i t e r a t u r nennt neben Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit u n d E i g e n t u m 1 3 9 Würde, ungestörte Religionsausübung, Unverletzlichkeit der W o h n u n g 1 4 0 , Ehre u n d P i e t ä t 1 4 1 . 136 s. 64 137 Dieser Satz gilt auch f ü r § 1 1 n r w O B G (s. 3. Kap., Abschnitt Β I) (a. Α. V G Minden; s. A n m . 120), A r t . 5 I bayAGStPO u n d das b a y L S t V G (s. 3. Kap., Abschnitt Β I I I ) , auch wenn i n diesen Vorschriften der „einzelne" nicht erw ä h n t ist, denn das Ergebnis wurde j a aus dem Begriff der „öffentlichen Sicherheit u n d Ordnung" abgeleitet. Er gilt auch f ü r den Erlaß von V e r ordnungen u n d modifiziert somit A r t . 521 bayLStVG. Z w a r gewährt diese Vorschrift unmittelbar keinen Anspruch auf Erlaß einer Verordnung oder einen entsprechenden Amtshaftungsanspruch (so auch Bengl, RNr. 5, 6 u n d König, S. 186). Sind jedoch Grundrechte gefährdet, so ist auch diese V o r schrift Individualinteressen zu dienen bestimmt. 138 Vgl. zum Grundrechtsschutz insbes. Henke, D V B l . 64, 649 (653 ff.): „Das Wesen der Polizei bleibt Eingriffsverwaltung . . . Zwischen i h r u n d dem Gestörten, d. h. dem durch i h r Einschreiten Begünstigten besteht grundsätzlich kein gesetzlich geregeltes Verhältnis. Aber das Verfassungsrecht gewährt heute Positionen, auf die der Bürger i n gewissen äußersten Grenzen, sozusagen auf das Existenzminimum beschränkt, einen klagbaren Anspruch hat, w e i l und soweit er ohne sie Unrecht i n einem elementaren Sinne erleiden würde, nämlich eine Verletzung seines Rechts auf Leben u n d körperliche Unversehrtheit, seiner Freiheit und seines Eigentums, i n denen die jahrhundertealte Erfahrung des Unrechts niedergelegt . . . ist" (aaO, S. 655). Henke fährt fort: „Freilich ist m i t einem pauschalen Hinweis auf die Grundrechte noch nicht v i e l gewonnen, aber i m Polizeirecht ist theoretischen Erörterungen ohnehin eine enge Grenze gesetzt." A u f diese Grenze hat sich die L i t e r a t u r bisher auch beschränkt: Nach Bengl/Berner/Emmerig (S. 319) k o m m t das Opportunitätsprinzip nicht i n Betracht, w e n n es sich u m den m i t Verfassungskraft vorgeschriebenen Schutz der Grundrechte handelt (Art. 1 I I I GG). — Nach K ö n i g (S. 287) „ w i r d gerade der Grundrechtsbereich häufigster Anlaß f ü r die Lösung der Frage sein, ob die Polizei einschreiten k a n n oder einschreiten muß". — Mayer (in: Mang u.a., S. 386) bejaht ein sub. öff. Recht des einzelnen auf Handeln der Polizei, w e n n der Rechtseingriff der einzig wirksame Schutz einer einem D r i t t e n von der Rechtsordnung ausdrücklich zuerkannten Rechtsposition ist, und f ü h r t als Beispiel die Grundrechte an. — Ebenso heißt es bei Schiedermair (S. 92): „Solche Fälle der Verpflichtung zum Einschreiten sind i n der Regel dann gegeben, wenn der Grundrechtsschutz . . . auf dem Spiele steht." Als Beispiel f ü h r t er an (S. 93) : „Das ,Recht auf Leben u n d körperliche Unversehrtheit' gehört gemäß A r t . 2 Abs. 2 GG zu den G r u n d rechten und fällt damit unter den Grundrechtsschutz des A r t . 1 Abs. 1 GG u n d des A r t . 99 BV. Die Polizei muß daher tätig werden." — A u f die G r u n d rechte verweist auch Schwarz, Diss., S. 165 f. 139 s. Anm. 124, 125. Statt „Eigentum" nennt Wolff „Vermögen" ( I I I , S. 52). 140 Buschlinger, D Ö V 65, 374 (377). 141 Wolff I I I , S. 52.

Β . Die verwaltungsgerichtliche E r z w i n g b r k e i t eines Tätigwerdens

3. Die Generalklauseln

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als „zwingende Rechtssätze"

Ein subjektives öffentliches Recht ergibt sich nicht allein daraus, daß eine Norm Individualinteressen zu dienen bestimmt ist. Vielmehr muß sie „zwingender Natur" sein 1 4 2 . Das heißt die Behörde muß unter bestimmten Voraussetzungen zu bestimmten Maßnahmen verpflichtet, also an unbestimmte Rechtsbegriffe gebunden sein. Dies ist hier der Fall: I n „notwendigen" Gefahrenfällen ist die Polizei zu „ausreichender Gefahrenabwehr" verpflichtet. Liegt eine Notwendigkeit nicht, sondern nur eine leichte Gefahr vor, so entscheidet sie über das Ob und Inwieweit nach Ermessen. Hierin ist sie aber wiederum an die Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr" 1 4 3 gebunden 144 . Sie darf keine „unpolizeilichen" Zwecke verfolgen. Insoweit 1 4 5 sind also die Generalklauseln zwingender N a t u r 1 4 6 . I I . Voraussetzungen und Inhalt des subjektiven öffentlichen Rechts auf Tätigwerden der Sicherheitsorgane Nachdem unter Β I die Sachurteilsvoraussetzungen einer Klage auf sicherheitsrechtliches Tätigwerden erörtert wurden, ist nunmehr zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen ein inhaltlich noch näher zu bestimmender Anspruch eines einzelnen auf polizeiliches Tätigwerden begründet ist. !42 Bachof, Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 295. 143 s. 3. Kap., Abschnitt A I V . 144 i n diesem Sinne müssen folgende Ausführungen i n der Begründung des §3 hambSOG verstanden werden: „Die Vorschrift behält das Opportunitätsprinzip bei. Dies ergibt sich eindeutig aus der Formulierung »treffen . . . nach pflichtgemäßem Ermessen'. Die i n ähnlichen Vorschriften übliche Ausdrucksweise ,haben . . . nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen' ist nicht übernommen worden, u m klarzustellen, daß ein D r i t t e r aus der Generalklausel i n aller Regel keinen klagbaren Anspruch f ü r sich herleiten kann." (Mitteilungen des Senats an die Bürgerschaft Hamburg; M i t t e i l u n g Nr. 75 v o m 11. 5.1965, S. 11). 145 Bachof, Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 295. 146 Aus der Tatsache, daß den Polizei- u n d Ordnungsbehörden ein E r messen eingeräumt ist, k a n n also nicht gefolgert werden, daß damit ein Anspruch auf Tätigwerden ausgeschlossen ist (ebenso Buschlinger, DÖV 65, 374, 377; Menger, VArch. 57 (1966), S. 181 Anm. 30). — Der Trugschluß ist jedoch w e i t verbreitet: Senger/Kurzmann, S. 52 f.; Drews/Wacke, 7. Aufl., S. 159 f.; Ule/Rasch, §14 p r P V G RNr. 65 (gleichwohl w i r d ein Anspruch auf Tätigwerden bejaht; s. oben Anm. 119. Vgl. zu den Widersprüchen bei Ule/ Rasch auch Menger, aaO, A n m . 31). Aus der älteren L i t e r a t u r vgl. Schoen, VArch. 27, 121 f.; Kerstiens, RuPrVBl. 1931, 310; VArch. 36, 206 (2141); Lehmann, Stusev 1931, 429; StierSomlo, §14 A n m . 19 D; Scheer, Lehrbuch, S. 48; Jellinek, Verwaltungsrecht, S. 207; Drews/Wacke, 6. Aufl., S. 75.

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

a) Die primären Voraussetzungen: Das Vorliegen einer Gefahr, durch die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung sowie ein durch ein Grundrecht geschütztes Individualrecht des Klägers bedroht wird

Nach den Sicherheitsgesetzen setzt jegliche „abwehrende" Tätigkeit der Polizei notwendigerweise das Bestehen einer „Gefahr" für die „öffentliche Sicherheit oder Ordnung" voraus 1 4 7 . W i l l also jemand eine Tätigkeit der Polizei erzwingen, so muß eine derartige Gefahr bestehen. Sie muß aber nicht nur der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung drohen, sondern, da ein einzelner einen Anspruch nur haben kann, wenn durch die öffentliche Sicherheit und Ordnung mitgeschützte Individualinteressen (Grundrechte) auf dem Spiele stehen, muß auch die Beeinträchtigung des geltend gemachten oder i n Frage kommenden Individualrechtsguts den Grad einer „Gefahr" erreichen 148 . Eine gerichtliche Nachprüfung des unbestimmten Rechtsbegriffs „Gefahr" kommt also nicht nur dann i n Frage, wenn es um die Rechtmäßigkeit einer eingreifenden sicherheitsrechtlichen Maßnahme geht 1 4 9 , sondern audi dann, wenn die Pflicht zum Einschreiten (mit eingreifenden oder nichteingreifenden Maßnahmen) den Gegenstand der Prüfung bildet. Ein Anspruch auf irgendeine Tätigkeit ist also von vornherein ausgeschlossen, wenn z. B. die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht gefährdet ist, w e i l der Kläger eine einstweilige Verfügung erwirken könnte 1 5 0 , oder wenn keine Gefahr für ein Individualrechtsgut besteht, weil sich der Kläger selbst helfen könnte 1 5 1 . b) Die „Notwendigkeit" eines Einschreitens

Die Auslegung der Generalermächtigungen ergab, daß die Sicherheitsorgane i n Gefahrenfällen, i n denen ein Einschreiten „notwendig" und andere Aufgaben nicht vordringlicher sind 1 5 2 , zu ausreichender Gefah147

Vgl. 3. Kap., Abschnitt A l a . So auch Martens (JuS 62, 245, 250 f.): „ M a n muß den Anspruch . . . v o m Vorliegen einer Gefahr f ü r ein Individualrechtsgut abhängig machen und i h n darüber hinaus auf den Rechtsträger selbst begrenzen." 149 s. 3. Kap., Abschnitt A l a . 1 5 0 s. über das Subsidiaritätsprinzip: Wiethaup, D V B l . 59, 240; Z M R 61, 1; Menger, VArch. 52, 103 Anm. 37; Drews/Wacke, S. 109 ff., insbesondere S. 112; Schneeberger, S. 93; O V G Koblenz v. 12.4.1954 AS 2, 6 (11); ferner 3. Kap., Abschnitt A l a . Es handelt sich hier u m eine Rechts- und nicht u m eine Ermessensfrage, w i e Martens (JuS 62, 245, 247 A n m . 36) und das O V G Lüneburg (Urt. v. 30. 6.1960 D V B l . 60, 648; Urt. v. 10. 5.1963 D Ö V 63, 769) es anscheinend annehmen. 151 Die Selbsthilfe w i r d i n der L i t e r a t u r als selbständiger Grund f ü r den Ausschluß einer Pflicht zum Einschreiten angesehen (Martens JuS 62, 245, 247; vgl. auch die oben 3. Kap., A n m . 683 angegebenen Zitate zu dem Begriff „überflüssig"). Systematisch ist dies jedoch nicht gerechtfertigt. Denn k a n n sich jemand selbst helfen, so besteht keine Gefahr. 152 s. oben S. 157. 148

Β. Die verwaltungsgerichtliche E r z w i n g b r k e i t eines Tätigwerdens

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r e n a b w e h r v e r p f l i c h t e t sind. M a ß g e b l i c h f ü r die B e a n t w o r t u n g der N o t w e n d i g k e i t eines Einschreitens ist einerseits der W e r t des g e f ä h r d e t e n Rechtsguts, andererseits die I n t e n s i t ä t der G e f a h r oder S t ö r u n g 1 5 3 . D a h i e r e i n einzelner die i n den G e n e r a l k l a u s e l n e n t h a l t e n e Pflicht z u m E i n s c h r e i t e n i n A n s p r u c h n i m m t , m u ß die N o t w e n d i g k e i t n i c h t n u r i m H i n b l i c k a u f die öffentliche Sicherheit u n d O r d n u n g , sond e r n auch i m H i n b l i c k a u f die geschützten I n d i v i d u a l r e c h t s g ü t e r des Klägers bestehen154. D i e Frage, w a n n e i n E i n s c h r e i t e n n o t w e n d i g ist, l ä ß t sich g e n e r e l l ebensowenig b e a n t w o r t e n , w i e die, w a n n eine G e f a h r v o r l i e g t 1 5 5 . E i n e n M a ß s t a b g i b t jedoch die Rechtsprechung, u n d z w a r die o b e n z i t i e r t e J u d i k a t u r des R G u n d des B G H 1 5 6 . A l l g e m e i n k a n n m a n n u r m i t J e l l i n e k 1 5 7 sagen: „ B e s t i m m t w i r d die Grenze der S c h ä d l i c h k e i t n a c h d e n A n s c h a u u n g e n der Gesellschaft. S o b a l d nach diesen A n s c h a u u n g e n d i e P o l i z e i u n b e d i n g t v o r g e h e n m u ß , h a b e n die Ereignisse d e n Z u s t a n d d e r S c h ä d l i c h k e i t auch bereits e r r e i c h t 1 5 8 ' 1 5 9 . " c) Die Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr" I s t e i n E i n s c h r e i t e n gegenüber d e m K l ä g e r n i c h t n o t w e n d i g , l i e g t aber eine G e f a h r f ü r die öffentliche Sicherheit oder O r d n u n g w i e auch 153 v g l . 3. Kap., Abschnitt A I d, sowie 4. Kap., Abschnitt A I I a 1 u n d Abschnitt Β I I I . 154 Dies berücksichtigt Hurst nicht, nach dem bei der Beurteilung der Notwendigkeit lediglich auf die „Nachteile die . . . der Allgemeinheit drohen", abzustellen ist. (Die Gemeinde 59, 224 ff.). Auch Scheer/Trubel (§14 P V G Anm. C I I 4) stellen n u r auf das „öffentliche" Interesse ab. iss Vgl. 3. Kap., Abschnitt A I a. 156 s. Abschnitt A I . Martens (JuS 62, 247 A n m . 39 a) hält diese Rechtspechung lediglich für ein „durchaus wertvolles Anschauungsmaterial". Diese Geringschätzung ist angesichts der Tatsache, daß es sich u m Fälle notwendigen Einschreitens handelt (s. Abschnitt A I I a l ) nicht gerechtfertigt. 157 Gesetz, S. 268, 75. 158 ist die A b w e h r einer anderen Gefahr ebenso notwendig wie die begehrte, so hat die Polizei nach Ermessen eine auszuwählen. 159 Als ein F a l l notwendigen Einschreitens ist auch A r t . 2 Satz 3 b a y P A G anzusehen (s. oben S. 155 ff.), obgleich diese Vorschrift nach dem W i l l e n des Gesetzgebers n u r eine Dienstpflicht begründen sollte (vgl. Nr. 9 d der Begründung des Entwurfs, Bay. Landtag, 4. Legislaturperiode, Beilage 3031; ferner die Auffassungen des Berichterstatters sowie von Ministerialdirektor Dr. Mayer i m Rechts- und Verfassungsausschuß des Senats, Protokoll der 8. Sitzung v o m 29. 5.1962, S. 5; ebenso Dr. M e r k i m Rechts- u n d Verfassungsausschuß des Landtags, 198. Sitzung v o m 25.9.1962). I m Rechts- u n d V e r fassungsausschuß des Landtags wurde ferner hervorgehoben, daß ein Rechtsanspruch auf polizeiliches Handeln nicht bestehe (Dr. M e r k i n der 198. Sitzung). Berichterstatter Bezold bemerkte ferner: „ M a n möge auch die optische, beruhigende W i r k u n g der Vorschrift bedenken, selbst, w e n n m a n bei der Soll-Vorschrift bleibe." 13 Schmatz

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

f ü r e i n geschütztes I n d i v i d u a l r e c h t s g u t v o r , d a n n entscheidet die P o l i z e i ü b e r das O b u n d das I n w i e w e i t ihres Einschreitens nach Ermessen. W i e n u n die A u s l e g u n g der E r m ä c h t i g u n g s n o r m e n gezeigt h a t , ist dieses Ermessen a n die Z w e c k b e s t i m m u n g der „ G e f a h r e n a b w e h r " g e b u n d e n 1 6 0 . Das heißt, die P o l i z e i h a t z u m e i n e n die Pflicht, sobald eine d e r a r t i g e G e f a h r v o r l i e g t , ü b e r das O b u n d das I n w i e w e i t i h r e s Einschreitens eine Ermessensentscheidung z u f ä l l e n 1 6 1 , z u m a n d e r e n m u ß i h r e E n t scheidung i m R a h m e n d e r Z w e c k b e s t i m m u n g liegen. O b letzteres der F a l l ist, k a n n i m E i n z e l f a l l o f t sehr schwer z u b e u r t e i l e n sein. M a n w i r d jedoch angesichts des w e i t e n A u f g a b e n b e r e i c h s der Sicherheitsorgane d e n B o g e n sehr w e i t spannen d ü r f e n 1 6 2 . So w i r d m a n beispielsweise der P o l i z e i gestatten müssen, v o n a n sich m ö g l i c h e n „ e r f o r d e r l i c h e n " 1 6 3 M a ß n a h m e n abzusehen, w e n n sie andere A u f g a b e n f ü r w i c h t i g e r h ä l t — w o b e i diese n i c h t „ v o r d r i n g l i c h e r " z u sein b r a u c h e n — , w e n n sie i h r e B e a m t e n f ü r e i n e n späteren Einsatz schonen w i l l oder w e n n sie angesichts der F o l g e n „ e r f o r d e r l i c h e r " M a ß n a h m e n e i n U n tätigbleiben vorzieht 164. «o s. 3. Kap., Abschnitt A I V . 161 Das B V e r w G entnimmt diese Pflicht der Tatsache der Ermessenseinräumung: „ B e i Ermessensnormen, welche i m Interesse des Einzelnen geschaffen sind, hat der Einzelne einen öffentlich-rechtlichen Anspruch gegen die zuständige Behörde, daß diese bei Vorliegen der Voraussetzungen überhaupt prüfe, ob und wie von dem Ermessen Gebrauch zu machen ist" (Leitsatz c der Entsch. v. 28.10.1955 N J W 56, 155). 162 Uber die Erweislichkeit von Ermessensfehlern vgl. Obermayer N J W 63, 1177 (1185). 163 s. die Definition S. 87. 164 w i e schon oben S. 69 ausgeführt, k a n n die Polizei hier auch angesichts der Folgen des polizeilichen Einschreitens für öffentliche Interessen von Maßnahmen absehen. Sie muß dies, w e n n der zu erwartende Schaden „ u n verhältnismäßig" wäre. Anlaß zur Erörterung bietet hier § 4 I hambSOG, nach dem Maßnahmen der Gefahrenabwehr „ f ü r den einzelnen oder die Allgemeinheit" nicht unverhältnismäßig sein dürfen (s. 3. Kap. A n m . 144). Während diese F o r m u lierung bisher (außer i n § 14 prPVG, wo sie sich aber auf die Gefahren bezieht) n u r i n den gesetzlichen Ausprägungen des Grundsatzes des m i l desten Mittels üblich w a r (s. 3. Kap. A n m . 54, 55), taucht sie i n der N o r mierung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hier zum ersten M a l auf. — So stellt sich die Frage, ob innerhalb dieses Grundsatzes die Begriffe „einzelner" u n d „Allgemeinheit" ebenso zu interpretieren sind wie i n den Bestimmungen über den Grundsatz des geringsteingreifenden Mittels (s. 3. Kap., Abschnitt A I b 2). Die beiden Grundsätze des Übermaßverbots (3. Kap. A n m . 148) unterscheiden sich darin wesentlich, daß beide Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen sicherheitsrechtlicher Maßnahmen sind, bei einer Verpflichtungsklage auf Tätigwerden der Polizei aber allein der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum Tragen kommt. So ist Voraussetzung des klägerischen Begehrens, daß die beantragte Amtshandlung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt (s. oben); auch eine beantragte Ermessensentscheidung muß i h n beachten. Beruft sich aber die Sicherheitsbehörde darauf, die beantragte

Β. Die verwaltungsgerichtliche Erzwingbärkeit eines Tätigwerdens

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d) Der Inhalt des Anspruchs auf Tätigwerden

Liegt eine Gefahr vor, die ein Einschreiten nicht notwendig macht, so hat der Gefährdete einen Anspruch auf eine i m Rahmen der Zweckbestimmung liegenden Ermessensentscheidung. Es ergeht gemäß § 113 I V 2 VwGO ein Bescheidungsurteil. Die Umstände können allerdings so gerartet sein, daß der gesetzlichen Zweckbestimmung nur eine einMaßnahme sei zwar verhältnismäßig, belaste aber die Finanzen (und damit die Allgemeinheit) mehr als zur A b w e h r der bestehenden Gefahr erforderlich, so spricht sie zwar den Wortlaut des Grundsatzes des m i l desten Mittels aus, sie k a n n den Grundsatz aber nicht geltend machen, da der Kläger keinen Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten hat, das innerhalb des zwischen den Grenzen der Geeignetheit u n d Verhältnismäßigkeit liegenden Ermessensbereichs liegt. Unabhängig davon, ob ein Einschreiten notwendig ist oder die einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung i n einem Einschreiten liegt: Der Kläger k a n n zur ausreichenden Gefahrenabwehr (s. 3. Kap., Abschnitt A I V c) n u r geeignete u n d verhältnismäßige Maßnahmen verlangen. Wie erörtert (3. Kap., Abschnitt A I b 2) kann, soweit die Polizei i n den Rechtskreis des einzelnen eingreift, das Gebot, n u r die die „Allgemeinheit" am wengsten beeinträchtigende Maßnahme zu ergreifen, n u r auf die Fälle bezogen werden, i n denen die Polizei eine Polizeiverordnung erläßt. Soweit sie nicht-eingreifend tätig w i r d , hat sie zwar auch die Allgemeinheit so wenig wie möglich zu beeinträchtigen; die Einhaltung dieses Gebots k a n n jedoch v o m Staatsbürger nicht erzwungen werden (s. 3. Kap., Abschnitt D). Aber auch bei den eingreifenden Maßnahmen k a n n der Begriff „ A l l g e m e i n heit" lediglich auf die Tatsache bezogen werden, daß durch die V O mehrere Personen betroffen werden. Maßgebend für die Beurteilung, ob das geringsteingreifende M i t t e l gewählt ist, ist aber, wie erörtert, nicht die Gesamtbeeinträchtigung der Allgemeinheit, sondern die Beeinträchtigung des einzelnen i m „ N o r m a l f a l l " ; auch k a n n nicht die Allgemeinheit, sondern n u r ein einzelner gegen eine V O vorgehen (s. 3. Kap., Abschnitt A I b 2). Somit steht nichts i m Wege, auch den Erlaß von Polizeiverordnungen unter das Gebot zu subsumieren, daß von mehreren möglichen, geeigneten u n d verhältnismäßigen Maßnahmen die den „einzelnen" am wenigsten beeinträchtigende zu treffen ist, zumal sich aus der N a t u r der VO ergibt, daß hierbei auf den „ N o r m a l f a l l " abzustellen ist (s. 3. Kap., aaO). Das eben Gesagte gilt auch f ü r den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; denn auch hier ist bei der Prüfung ob eine V O verhältnismäßig ist, auf den „ N o r m a l f a l l " abzustellen (s. 3. Kap., bei A n m . 120). I m Gegensatz zum Grundsatz des mildesten Mittels hat der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aber einen echten Bezug zur Allgemeinheit insofern, als durch i h n Rechtsgüter der Allgemeinheit i n umfassender Weise geschützt werden, w i e ζ. B. kulturelle Werte, das Ansehen der Staatsautorität, Wirtschaftsgüter, die f ü r die Allgemeinheit von Bedeutung sind (vgl. 3. Kap., bei A n m . 143). Eine gerichtliche Nachprüfung dieses Schutzes ist, wie erwähnt, i m Rahmen einer Klage auf polizeiliches Tätigwerden möglich. Somit führen I n h a l t u n d Wesen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dazu, i n § 4 I hambSOG den Begriff „Allgemeinheit" auf den eben genannten F a l l zu beziehen, den Begriff „einzelner" aber den Fällen zuzuordnen, i n denen ein einzelner von polizeilichen Maßnahmen (und damit auch von Verordnungen) betroffen w i r d . Daß § 4 1 hambSOG trotz seiner Stellung i m Gesetz auch f ü r die Verordnungen zur Gefahrenabwehr gelten soll, wurde i n den Beratungen festgestellt (Bürgerschaft der Freien u n d Hansestadt Hamburg, Gemeinsamer Bericht des Innen- u n d des Rechtsausschusses über den A n t r a g des Senats Nr. 75 v o m 11. 5.1965, Februar 1966, Nr. 11). 13*

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

zige Entscheidung entspricht und daß diese i n der optimalen Gefahrenabwehr liegt. I n diesem Falle ergeht dann ein Verpflichtungsurteil gemäß § 113 I V 1 V w G O 1 6 5 . Ist ein Einschreiten notwendig, so ist die Polizei verpflichtet, die „erforderlichen" Maßnahmen zu treffen, um die Gefahr „ausreichend" abzuwehren, d. h. bis die „Notwendigkeit" nicht mehr besteht 166 . Soweit darüber hinaus noch eine Gefahr zwischen den Punkten —2 und —7 verbleibt 1 6 7 , hat die Polizei wiederum nach Ermessen zu verfahren. Zu einem Verpflichtungsurteil kommt es also hier nur dann, wenn auch hinsichtlich dieser Gefahr nur eine einzige Entscheidung rechtsfehlerfrei ist. Sind allerdings mehrere „erforderliche" Maßnahmen zur ausreichenden oder optimalen Gefahrenabwehr gegeben, so liegt die Auswahl der Maßnahmen wiederum i m Ermessen der Polizei und es kann nur ein Bescheidungsurteil ergehen. Das subjektive öffentliche Recht auf Tätigwerden der Sicherheitsorgane besteht also entweder i n einem Anspruch auf eine rechtsfehlerfreie Ermessensentscheidung oder i n einem Anspruch auf Vornahme einer bestimmten Maßnahme 1 6 8 » 1 6 9 . 165 s. über die prozessualen Fragen näher Martens (JuS 62, 245, 251 f.) u n d Bettermann (DÖV 62, 151). — Maßgeblich für die Beurteilung der Sachu n d Rechtslage ist der letzte T e r m i n der mündlichen Verhandlung (Ule, Verwaltungsgerichtsbarkeit, S. 370 f. m i t Nachweisen; vgl. ferner Czermak, BayVBl. 65, 93). 166 s. 3. Kap., Abschnitt A I V c. 167 s. oben S. 82. 168 Als Maßnahme k a n n auch der Erlaß einer Verordnung i n Frage kommen, z. B. die Anordnung eines allgemeinen Verkehrsverbots (s. Anm. 77). Über die Rechtsnatur von Verkehrszeichen vgl. OVG Münster v. 9.2.1961 D V B l . 61, 456 = D Ö V 61, 431; B a y V G H V G H n F 8, I, 132; Sasse, DÖV 62, 321 m i t einer Übersicht über den Stand der Meinungen; ferner Bouska, BayVBl. 63, 39; HessVGH JZ 64, 714; O L G Stuttgart JZ 64, 716; Menger, VArch. 55 (1964), 275 ff.; Hoffmann, Reinhard: Rechtsprobleme der V e r kehrszeichen, JZ 64, 702; Czermak, N J W 65, 93; B G H v. 4.12.1964 N J W 65, 308 = DÖV 65, 98 = D V B l . 65, 198 m i t A n m . v. Menger, VArch. 56 (1965), S. 375 f.; V G H Mannheim v. 31.3.1965 D V B l . 65, 610; Hagedorn, Manfred: Rechtsmittel gegen amtliche Verkehrszeichen, DÖV 65, 186; O V G Koblenz v. 17.8.1965 N J W 65, 2170; Hust, Gerhard: Die amtlichen Gebots- u n d Verbotszeichen nach der Anlage zur Straßenverkehrsordnung als hoheitliche Maßnahmen besonderer A r t , M D R 66, 634. — Ules Ansicht (Ule/Rasch § 14 p r P V G RNr. 72), der Erlaß von Polizeiverordnungen käme nicht i n Betracht, w e i l sie keine geeignete Maßnahme zur A b w e h r einer unmittelbar bevorstehenden schweren Gefahr f ü r Freiheit, Leben, Gesundheit und Eigentum sein könne, k a n n demnach i n dieser allgemeinen Fassung nicht zugestimmt werden, da als Maßnahme auch eine Verkehrsregelung i n Betracht kommen kann. 169 Ule (Ule/Rasch, § 14 p r P V G RNr. 68) f ü h r t hierzu aus: „Jedoch besteht der Anspruch auf fehlerfreie Handhabung des Ermessens n u r f ü r den, i n dessen

Β. Die verwaltungsgerichtliche Erzwingbarkeit eines Tätigwerdens

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I I I . Rechtsprechung und L i t e r a t u r z u m Anspruch auf polizeiliches Tätigwerden S o w e i t die neuere Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r e i n e n A n s p r u c h des einzelnen a u f polizeiliches T ä t i g w e r d e n a n e r k e n n t , g e w ä h r t sie i h m a u f G r u n d des i n § 14 P V G z u m A u s d r u c k k o m m e n d e n „ O p p o r t u n i t ä t s p r i n zips" e i n f o r m e l l e s s u b j e k t i v e s öffentliches Recht auf f e h l e r f r e i e E r messensausübung h i n s i c h t l i c h des O b u n d W i e ihres E i n s c h r e i t e n s 1 7 0 . I s t die P o l i z e i aus ermessensfehlerhaften G r ü n d e n n i c h t e i n g e s c h r i t t e n oder h a t sie i h r Ermessen ü b e r h a u p t n i c h t b e t ä t i g t , so k a n n nach dieser A u f f a s s u n g der B e t r o f f e n e v e r l a n g e n , daß die B e h ö r d e d u r c h e i n B e s c h e i d u n g s u r t e i l v e r p f l i c h t e t w i r d , v o n d e m i h r e i n g e r ä u m t e n Ermessen einen fehlerfreien Gebrauch zu machen171. Z u der Frage, w a n n e i n solcher Ermessensfehler v o r l i e g t , h e i ß t es b e i H u r s t 1 7 2 : E i n Ermessensfehler liege v o r , w e n n die P o l i z e i „ d e n B o d e n

Rechte die Entscheidung der Verwaltungsbehörde eingreift. Gegen eine polizeiliche Verfügung i m Sinne des § 40 Abs. 1 . . . k a n n der Adressat dieser Verfügung geltend machen, daß er i n seinem Recht auf fehlerfreie H a n d habung des Ermessens verletzt sei. Die Entscheidung der Polizeibehörde, nicht einzuschreiten, ist jedoch keine polizeiliche Verfügung, die i n die Rechte eines D r i t t e n eingreift. Z w a r legt Abs. 1 der Verwaltungsbehörde i n den Fällen, i n denen nur eine Entscheidung einen fehlerfreien Gebrauch des Ermessens darstellt, die Verpflichtung auf, eine bestimmte Maßnahme zu treffen, so daß hier von einem Ermessen eigentlich keine Rede mehr sein kann, aber diese Verpflichtung ist keine Rechtspflicht gegenüber dem Dritten, der von dieser Entscheidung der Polizeibehörde betroffen w i r d . " — Abgesehen davon, daß Ule sich insofern widerspricht, als er einige Zeilen weiter einen Rechtsanspruch auf Einschreiten bejaht, übersieht er, daß es hinsichtlich einer Verpflichtungs- oder Leistungsklage gar nicht darauf ankommt, ob die Entscheidung der Behörde, nicht einzuschreiten, eine V e r fügung i m Sinne des § 40 p r P V G ist oder nicht. Vgl. hierzu auch 5. Kap., Anm. 2. 170 Müller-Heidelberg, S. 29 f.; Hurst, Die Gemeinde 59, 224 (226); Bachof, DVB1.61, 128 (129); JZ 62, 702; Martens, JuS 62, 245 (248); Schneeberger, S. 95; Obermayer, N J W 63, 1177 (1183); Scupin, H D S W Bd. 8, S.402; B V e r w G v. 18. 8.1960 D V B l . 61, 125 (126); O V G Lüneburg v. 10. 5.1963 DÖV 63, 769. Vgl. hinsichtlich A r t . 2 bayPAG König, S. 286. 171 Hurst, Die Gemeinde 59, 224, (226); Martens, JuS 62, 245 (251); B V e r w G D V B l . 61, 125 (127). K a l l r a t h (Diss., K ö l n 1959, S. 45—56) bejaht die Erzwingbarkeit eines Einschreitens i n dem Ausnahmefall, daß „die Behörde ein Tätigwerden aus offensichtlich ermessensmißbräuchlichen, w i l l k ü r l i c h e n Erwägungen ablehnt" (S. 56) ; er ist aber der Auffassung, die Generalklausel könne nicht I n d i v i d u a l interessen zu dienen bestimmt sein (S. 46 f.). E i n formelles subjektives öffentliches Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung lehnt er m i t der Begründung ab, dies sei m i t §§ 24, 75 I I I der Verordnung Nr. 165 der Militärregierung (Britische Zone) (Amtsblatt der MilReg. 1948 Nr. 24 S. 799) unvereinbar (S. 54). 172 Die Gemeinde 59, 224.

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

sachlicher E n t s c h e i d u n g v e r l ä ß t " , u n d das

Bundesverwaltungsgericht

f ü h r t dazu aus173: „Die Behörde muß sich von dem Sinn des Gesetzes leiten lassen, das i h r ein Ermessen einräumt. Andernfalls w i r d ihre Entschließung ebenso rechtsw i d r i g (Ermessensmißbrauch) wie bei der Verkennung der Grenzen des eingeräumten Ermessens (Ermessensüberschreitung oder Nichtgebrauch des Ermessens). Das hier i n Rede stehende polizeiliche Ermessen zum Einschreiten hat sich nach der leitenden Aufgabe der Polizei, der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit u n d Ordnung, zu richten." E i n A n s p r u c h a u f eine b e s t i m m t e M a ß n a h m e w i r d d a n n g e w ä h r t , w e n n jedes andere V e r h a l t e n ermessensfehlerhaft w ä r e . Diesen i n a n d e r e n Rechtsgebieten seit l a n g e m a n e r k a n n t e n T a t b e s t a n d d e r „ E r messensreduzierung a u f N u l l " 1 7 4 h a t das B u n d e s v e r w a l t u n g s g e r i c h t i n seinem U r t e i l v o m 18. 8.1960 auf das Polizeirecht ü b e r t r a g e n , n a c h d e m diese M ö g l i c h k e i t schon v e r e i n z e l t angesprochen w o r d e n w a r 1 7 5 . Das Gericht führte aus176: „ F ü r eine rechtsfehlerfreie Ermessensausübung k a n n neben anderen U m ständen auch das Ausmaß oder die Schwere der Störung oder Gefährdung eine maßgebende Bedeutung haben. Bei hoher Intensität der Störung oder Gefährdung k a n n eine Entschließung der Behörde zum Nichteinschreiten unter Umständen sogar als schlechthin ermessensfehlerhaft erscheinen. P r a k tisch k a n n dieserhalb die rechtlich gegebene Ermessensfreiheit derart zusammenschrumpfen, daß n u r eine einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung, nämlich die zum Einschreiten denkbar ist u n d höchstens f ü r das Wie des Einschreitens noch ein ausnutzbarer Ermessensspielraum der Behörde offenbleibt." I n diesem F a l l besteht d a n n e i n „ s t r i k t e r R e c h t s a n s p r u c h " 1 7 7 a u f e i n b e s t i m m t e s V e r w a l t u n g s h a n d e l n u n d es e r g e h t e i n V e r p f l i c h t u n g s urteil178. Dieser E n t s c h e i d u n g des B V e r w G ist die Rechtsprechung u n d L e h r e überwiegend gefolgt 179. 173 DVB1. 61, 125 (126). 174 H a m b O V G v. 11. 5.1950 M D R 50, 570; B V e r w G E 4, 283 (285); E 5, 50 (53) = N J W 57, 1648; OVG Lüneburg AS 7, 383 (389 f.); O V G Münster AS 9, 218 (220 ff.); 13, 259 (261); B a y V G H v. 28.10.1957 V G H n F 10, I, 110; BSGE 5, 239 (245f.); 9, 233 (239f.); Bachof, Vornahmeklage, S.94f.; Stern, BayVBl. 59, 147 (148); Wolff I, S. 156. 175 O V G Münster v. 11. 5.1950 AS 2, 107; i h m folgend Senger/Kurzmann, S. 53; Müller-Heidelberg, § 1 SOG A n m . 2 c; Hurst, Die Gemeinde 59, 224 (226); vgl. auch Schiedermair, S. 246, u n d Bengl/Berner/Emmerig, A r t . 5 AGStPO Anm. 4 b, d. — Die Anwendung dieses Tatbestandes erfolgte also nicht zum ersten M a l durch das BVerwG, w i e es Martens (JuS 62, 245, 247) anzunehmen scheint. 176 DVB1. 61, 125 (126) = B V e r w G E 11, 95 (96). 177 B V e r w G aaO; nach Martens (JuS 62, 251) erstarkt hier der Anspruch auf Einhaltung der Ermessensgrenzen „praktisch (nicht dogmatisch-konstruktiv!) zum Vornahmeanspruch". (Vgl. auch König, S. 287). 178 B V e r w G aaO; Martens, aaO. 179 Bachof, DVB1. 61, 127; JZ 62, 702 (Nr. 99—102); Wiethaup, L ä r m -

Β. Die verwaltungsgerichtliche E r z w i n g b r k e i t eines Tätigwerdens

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Gleichwohl wurde in den meisten Fällen übersehen 180 oder nur am Rande erwähnt 1 8 1 , daß das subjektive öffentliche Recht auf fehlerfreie Ermessenausübung zur Voraussetzung hat, daß § 14 PVG — von dieser Bestimmung gingen die Erörterungen stets aus — auch Individualinteressen und zv/ar den jeweils geltend gemachten zu dienen bestimmt ist 1 8 2 . bekämpfung, S. 43, 79; Z M R 62, 36 (37 f.); N J W 65, 142; Scheer/Trubel, §14 P V G A n m . C I I 3, 4 (Der Hinweis, schon Scheer, Lehrbuch, S. 44, hätte w i e das B V e r w G einen Rechtsanspruch des einzelnen anerkannt, überzeugt jedoch nicht; s. das Z i t a t oben S. 108!); Martens, JuS 62, 245 (247); König, S. 285 ff.; Evers, JuS 62, 87 (91); Scheer, S. 32 f.; O V G Lüneburg v. 10.5.1963 DÖV 63, 769; Obermayer, JuS 63, 110 (112 f.); Mayer, Opportunitätsprinzip, S. 32 ff.; Scupin, HDSW Bd. 8, S. 402; Berner, A r t . 4 Anm. 3; Reigl, BayBgm. 65, 21. s. auch Drews/Wacke, S.463; W o l f f I I I , S.52; Ule/Rasch, §14 p r P V G RNr. 68, die aber anscheinend n u r den F a l l eines „strikten Rechtsanspruchs" i m Auge haben (vgl. den ersten und letzten Satz der RNr. 68, ferner RNr. 72!). s. ferner unten Anm. 217, 232. — Uber die abweichende Meinung s. Anm. 120. 180 So von: O V G Münster AS 2, 107; Müller-Heidelberg, S.29f.; OVG Lüneburg DVB1. 60, 648; B V e r w G DVB1. 61, 125 (diesen Mangel stellt Bachof i n seiner A n m e r k u n g heraus); Drews/Wacke, S. 162, 463; Scheer/ Trubel, §14 P V G A n m . C H 3,4; Scheer, S. 32 f.; Mayer, Opportunitätsprinzip, S. 32 ff.; OVG Lüneburg v. 10. 5.1963 DÖV 63, 769 (es f ü h r t lediglich aus: „Wenn auch das Vorliegen eines die Staatshaftung gem. A r t . 34 GG i. V. m. § 839 B G B auslösenden Tatbestands nicht identisch ist m i t demjenigen eines Tatbestands, der einen Rechtsanspruch eines D r i t t e n auf polizeil. oder ordnungsbehördliches Eingreifen einräumt, so ist dieser Rechtsprechung jedoch jedenfalls insoweit zu folgen, daß dann, w e n n das Nichthandeln der Verwaltungsbehörde ermessensfehlerhaft wäre, der durch den polizeilichen Zustand Gefährdete einen Rechtsanspruch auf E i n greifen der Behörde hat; ebenso Martens, JuS 62, 245, 246 f."); Berner, A r t . 4 P A G A n m . 3. Samper verneint ein subj. öff. Recht des einzelnen auf E i n schreiten der Polizei (Art. 4 RNr. 19), bejaht aber den Erfolg einer V e r pflichtungsklage nach §42 VwGO, wenn die Polizei aus ermessensfehlerhaften Erwägungen nicht eingeschritten ist (Art. 4 RNr. 20). 181 So Hurst, Die Gemeinde 59, 224, 226; Die Polizei 62, 58; Schröer, D Ö V 62, 132, 134; Scupin, H D S W Bd. 8, S. 402. Dieser stellt darauf ab, ob „die allgemeine polizeiliche Eingriffsermächtigung auch dem Schutz von I n d i v i d u alinteressen zu dienen bestimmt ist", u n d bejaht dies für den Fall, daß „die öffentliche Sicherheit oder Ordnung durch Angriffe auf schutzwürdige Rechtsgüter einzelner Bürger gefährdet ist; denn bei dieser Sachlage repräsentiert der einzelne gleichsam die Allgemeinheit". — Dieses letzte Argument ist verfehlt: Der einzelne ist hier nicht Repräsentant der A l l g e meinheit, sondern macht sein Recht geltend (§42 V w G O ) ! (s.Abschnitt B i d ) . — I m übrigen scheint Scupin seine frühere Auffassung (Handbuch, S. 616), § 14 enthalte n u r einen „Reflex objektiven Rechts" aufgegeben zu haben. Die dort enthaltenen Widersprüche sind allerdings noch nicht geklärt. — Mayer (in: Mang u.a. 386): „Es k a n n aber eine einzelne Befugnisnorm zumindest gleichzeitig auch den Schutz eines Individualinteresses bezwecken" (vgl. auch Mayer, Opportunitätsprinzip, S. 35, u n d Schneeberger, S. 95). 182 K l a r dargestellt w i r d das Problem von Martens (JuS 62, 245, bes. Anm. 51) u n d Bachof (DVB1. 61, 127 ff.), dem Evers (JuS 62, 87, 91) u n d Obermayer (JuS 63, 110, 112) folgen; ferner von K ö n i g (S. 286) u n d Jesch (Gesetz, S. 229) sowie v o m V G Minden (DVB1. 65, 780; s. jedoch A n m . 120).

200

4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

Die genannte Auffassung geht also von einem subjektiven öffentlichen Recht auf fehlerfreie Ermessensentscheidung aus und reiht die Fälle notwendigen Einschreitens unter diejenigen ein, i n denen „nach dem Sinn des Gesetzes" ein Einschreiten die einzige ermessensfehlerfreie Entscheidung darstellt. Sie hält also das polizeiliche Ermessen für das Primäre. Diese Konsruktion paßt allerdings nur für § 1 I I 2 nrwOBG, §§ 11, 3 I hambSOG 1 8 3 und die Ermächtigungsnormen des bayerischen Sicherheitsrechts 184 . Denn allein dort ist das Ermessen als das Primäre genannt: Die Polizei t r i f f t die Maßnahmen „nach Ermessen" — sie „darf", „kann", „ist befugt", Maßnahmen zu treffen. I n § 14 PVG ist aber das Ermessen nicht das Primäre. Das hat die Auslegung i m ersten Hauptteil der Arbeit deutlich gezeigt. § 14 PVG muß ja nach richtiger Terminologie folgendermaßen gelesen werden: „Die Polizeibehörden haben . . . die nach pflichtmäßiger Beurteilung notwendigen Maßnahmen zu treffen, um . . . Gefahren abzuwehren . . . " Z u einem Ermessen kommt man nur, wenn man den Begriff notwendig auf zwei verschiedene Gefahrengrößen, die „Gefahr" und die „Not" bezieht 185 . Die „Notwendigkeit" in dem hier gebrauchten Sinn umfaßt somit die Fälle, in denen die Polizei wegen des Wertes des gefährdeten Rechtsguts und der Intensität der Gefahr einschreiten muß. Die übrigen Fälle, in denen die Polizei einschreiten muß, ergeben sich aus der das Ermessen einengenden Zweckbestimmung der Gefahrenabwehr. Diese Zweiteilung findet sich auch i n Rechtsprechung und Lehre: Auch hier w i r d eine Pflicht zum Einschreiten einesteils aus der Größe der Gefahr begründet 1 8 6 , zum anderen bejaht, weil sich für eine Untätigkeit kein sachlicher Grund mehr finden lasse 187 . !83 Zit. i m 3. Kap., Abschnitt Β I. i84 Zit. i m 3. Kap., Abschnitt Β I I I a. iss s. 3. Kap., Abschnitt A i d . 186 B V e r w G D V B l . 61, 125; Bachof, D V B l . 61, 128 (130); Martens JuS 62, 245 (247); Buschlinger, D Ö V 65, 374 (377); Berner, A r t . 4 A n m . 3; ausführlich König, S. 287: „ A l s Haupterscheinungsformen v o m grundsätzlich gegebenen Ermessen zur echten Rechtspflicht sind folgende anzusehen: (1) Ausmaß u n d Schwere der Gefährdung oder Störung . . . Fälle dringender u n d u n mittelbarer Gefahren . . . (2) Die Bedeutung des zu schützenden Rechtsguts, sein inneres Gewicht f ü r die Allgemeinheit oder den konkret Betroffenen." — Allerdings müßte es hier statt „oder" „ u n d " heißen (s. bei Anm. 154). — Wenn K ö n i g ferner unter Nr. (3) ausführt, auch der „drohende Schaden, den ein Nichteinschreiten verursachen könnte", könne ein polizeiliches Vorgehen zur Pflicht machen, so übersieht er, daß der „Schaden" i n W i r k l i c h k e i t eine „Gefahr" ist. 187

So Martens, JuS 62, 251 ("kein vernünftiger Grund mehr ersichtlich").

C. D i e E i n s c h r ä n k u n g des p o l i z e i l i c h e n Ermessens d u r c h d e n Gleichheitssatz Soweit die Voraussetzungen für ein subjektives öffentliches Recht auf rechtsfehlerfreie Ermessenausübung gegeben sind, ist dieses Ermessen nicht nur an die Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr" gebunden. Vielmehr gewährt Art. 3 1 GG dem einzelnen, bei dem die Voraussetzungen für eine innerhalb der „Gefahrenabwehr" liegenden Ermessensentscheidung gegeben sind 1 8 8 , auch ein subjektives öffentliches Recht auf Einhaltung des Gleichheitsgrundsatzes innerhalb der Ermessensausübung 189 . Die Anwendung des Art. 3 I GG auf das Verwaltungsermessen hat zur Lehre von der Selbstbindung der Verwaltung geführt 1 9 0 , die sich m i t folgendem Satz umschreiben läßt 1 9 1 : „ H a t ein Verwaltungsorgan — auf Grund von Verwaltungsvorschriften oder aus eigener I n i t i a t i v e — beim Vollzug einer Ermessensnorm bisher unter gewissen Voraussetzungen ein bestimmtes Verhalten gewählt, so ist es durch den Gleichheitssatz gezwungen, die für dieses Verhalten sprechenden Gründe als überwiegend anzuerkennen, sofern nicht neue sachliche Gesichtspunkte ein anderes Verhalten rechtfertigen."

Daraus ergibt sich zunächst, daß i n den Fällen, in denen sich aus der „Notwendigkeit" oder aus einer durch die „Gefahrenabwehr" hervorgerufenen Ermessensschrumpfung eine Pflicht zu einem bestimmten Verhalten ergibt, kein Platz sein kann für die Anwendung des Gleiches s. Abschnitt Β I, I I . 189 Daß eine Berufung auf den Gleichheitssatz n u r dort i n Frage kommen kann, w o die zu treffende Ermessensentscheidung zumindest auch I n d i v i d u a l interessen zu dienen bestimmt ist, darf heute als allgemein anerkannt angesehen werden; vgl. Huber I I , S. 658 ff.; Bachof, Jellinek-Gedächtnisschrift, S. 295 ff.; JZ 57, 434 = Rechtsprechung, S. 65 f.; Forsthoff, S. 173 ff.; Koehler, §114 V w G O Anm. A . I I 15; Martens, JuS 62, 245 (248); Kohlmann, S. 8; V G H Bremen v. 3. 7.1956 M D R 56, 635; B V e r w G v. 28.10. 1955 N J W 56, 155 = D V B l . 56, 135; B w V G H ν. 1. 2.1957 VRspr. 9, 694 (698). !9o Rinck, JöR Bd. 10, 269 (287). 191 Obermayer N J W 63, 1177 (1182) unter Hinweis auf Menger, VArch. 51, 71 f.; vgl. ferner Forsthoff, S. 85; Bachof, Rechtsprechung, S. 226 Nr. 103; JZ 57, 338; JZ 62, 401 f.; Bettermann, Der Staat 62, 79 ff.; W o l f f I, S. 155; Eyermann/Fröhler, §114 RNr. 22; Rinck, JöR 10 (1961), 269 (268 ff.) unter Angabe der höchstrichterlichen Rechtsprechung; O V G Münster v. 25.11.1952 AS 6, 197; B V e r w G v. 8.12.1959 D Ö V 61, 473; v. 27. 6.1955 JZ 56, 33 (35) m i t A n m . v. Bachof; Kohlmann, S. 82 ff.; Oswald M D R 60, 20; Mertens, Die Selbstbindung der Verwaltung, S. 7 ff.

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

heitsgrundsatzes 192 . Ferner sei hier noch erwähnt, daß Art. 3 Absatz I I und I I I GG keiner weiteren Erörterung bedürfen, da die dort genannten Differenzierungs verbo te schon in der Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr" enthalten sind. Nur „polizeiliche" Zwecke dürfen verfolgt werden. Sind also i m konkreten Fall zwei oder mehrere Verhaltensweisen tatsächlich und rechtlich möglich, also „erforderlich", liegen sie insbesondere innerhalb der polizeilichen Zweckbestimmung und hat das Sicherheitsorgan i n früheren gleichgelagerten Fällen bestimmte — rechtmäßige 193 — Ermessenserwägungen als überwiegend anerkannt, so zwingt der Gleichheitssatz dazu, auch in dem zu entscheidenden Fall dieser Praxis zu folgen. Diese Pflicht t r i f f t die Polizei jedoch nur dann, wenn es sich u m „wesentlich gleiche Sachverhalte" 194 handelt und „nicht neue sachliche Gesichtspunkte ein anderes Verhalten rechtfertigen" 1 9 5 . Einen wesentlich gleichen Sachverhalt w i r d man dann als gegeben annehmen, wenn der zu entscheidende Fall die gleichen Umstände aufweist wie die nach der bisherigen Praxis entschiedenen Fälle, ohne daß allerdings die durch die Praxis selbst hervorgerufenen Folgen berücksichtigt werden. Hat z.B. die Polizei i n einer Reihe von Fällen Gefahren mit eigenen Mitteln abgewehrt, ohne daß dazu eine Verpflichtung bestanden hätte, so kann einem neuerdings Gefährdeten nicht entgegengehalten werden, es läge kein gleichartiger Sachverhalt vor, weil schon zuviel Kosten entstanden seien. Dieser Einwand fällt vielmehr unter die zweite Voraussetzung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf Gleichbehandlung, nämlich das Fehlen neuer sachlicher Gesichtspunkte. Unter diesen w i r d man sowohl die durch die Verwaltungspraxis entstandenen Folgen 1 9 6 wie auch Ereignisse außerhalb dieser Praxis verstehen müssen. Ob nun diese beiden — speziellen — Voraussetzungen des Anspruchs auf Gleichbehandlung vorliegen, muß das Verwaltungsgericht prüfen. Dies w i r d oft nicht leicht sein, doch lassen sich diese Voraussetzungen 192

Vgl. dazu die Beispiele bei Kohlmann, S. 82 und 90. Daß die bisherige Praxis rechtmäßig sein muß, ist h. M.; vgl. Rinck, JöR 10, 288 m i t Nachweisen; B V e r w G M D R 57, 56 (57); Drews/Wacke, S. 166 f.; W o l f f I, S. 155; Ule/Rasch, §14 p r P V G RNr. 64. — Z u r Verwaltungspraxis auf G r u n d einer ungültigen Verordnung s. Bachof, JZ 66, 441 (Nr. 266). W o l f f I, S. 139. 195 Obermayer, N J W 63, 1177 (1182). 19 6 z. B. w e n n „die Praxis zu einer polizeilichen Unordnung geführt hat" (Drews/Wacke, S. 166); vgl. O V G Münster DVB1. 55, 294 ff. 193

C. Die Einschränkung des Ermessens durch den Gleichheitssatz

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allgemein nicht näher bestimmen 1 9 7 . Auch die Z i v i l - und Verwaltungsrechtsprechung hatte bisher noch nicht über den Fall zu entscheiden, daß ein einzelner geltend macht, er habe einen Anspruch auf sicherheitsrechtliches Einschreiten — nicht aus § 14 P V G 1 9 8 —, sondern aus dem Gleichbehandlungsgebot des A r t . 3 I GG 1 9 9 . W i l l die Behörde allerdings die h. M. einen Anspruch auf der Voraussetzung, daß „nur gleich behandelt werden" 2 0 0 . Willen der Behörde 201 .

eine neue Praxis einschlagen, so Gleichbehandlung ab, und zwar i n Zukunft wiederum alle neuen Man verläßt sich hier auf den

lehnt unter Fälle guten

Die bisherige Untersuchung war auf die Beantwortung der Frage beschränkt, unter welchen Voraussetzungen der einzelne ein polizeiliches Einschreiten unter Berufung auf den Gleichheitssatz erzwingen kann. Der Gleichheitssatz ist jedoch auch noch i n einer anderen Beziehung für das polizeiliche Ermessen von Bedeutung, nämlich für die Frage, ob sich ein von einer sicherheitsrechtlichen Maßnahme Betroffener darauf berufen kann, i n gleichartigen Gefahrenfällen sei bisher nicht eingeschritten worden und es fehlten auch neuere, ein Abweichen von dieser Praxis rechtfertigende sachliche Gesichtspunkte. Bevor dieses Vorbringen geprüft werden kann, ist zu untersuchen, ob überhaupt die Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung vorliegen, ob also eine Gefahr besteht 202 , ob die Maßnahme „erforderlich" ist, ob keine Pflicht zum Einschreiten besteht und ob die Polizei die Maßnahme aus polizeilichen Gründen getroffen hat. Erst dann kann geprüft werden, ob die behauptete Verwaltungspraxis auch durchgeführt wurde. Es muß sich hierbei um i m wesentlichen gleichartige Gefahrenfälle gehandelt haben, i n denen die Polizei Maßnahmen wie die angefochtene hätte treffen können, aber nicht müssen 203 , und i n denen sie aus polizeilichen Erwägungen heraus nicht eingeschritten ist 2 0 4 . 197 v g l . dazu Rinck, JöR 10, 289 f. !98 A u f Grund einer „Notwendigkeit" oder einer Ermessensschrumpfung i m Rahmen der „Gefahrenabwehr". 199 E r w ä h n t ist dieser F a l l jedoch bei Schiedermair (S. 92) u n d Samper (Art. 4 RNr. 20). 200 B w V G H v. 9.3.1956 VRspr. 9, 471 u n d i h m folgend Rinck, JöR 10, 288; vgl. auch A n m . 205. 201

Vgl. die unten A n m . 205 zit. Entscheidungen. 202 Vgl. B a y V e r f G H v. 29. 4.1963 BayVBl. 63, 247 (249). 203 Vgl. OVG Münster v. 28. 7.1952 D V B l . 53, 180 (183); Hess V G H v. 6.4.1955 D V B l . 55, 742 (744); B a y V e r f G H v. 29. 4.1963 BayVBl. 63, 247 (249). 204 sie w i r d dies auch d a n n tun, wenn sie über ihre Berechtigung zum Einschreiten i m Zweifel ist, ein Einschreiten aber noch i m Rahmen des Beurteilungsspielraums gerechtfertigt werden könnte.

204

4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

I s t dies alles z u bejahen, l i e g e n auch k e i n e n e u e n sachlichen Gesichtsp u n k t e v o r , die e i n A b w e i c h e n v o n der b i s h e r i g e n P r a x i s r e c h t f e r t i g t e n , u n d w i l l die P o l i z e i i h r e bisherige P r a x i s f ü r die Z u k u n f t auch n i c h t ä n d e r n 2 0 5 , d a n n v e r s t ö ß t die getroffene M a ß n a h m e , o b w o h l sie i n E i n k l a n g m i t § 14 P V G steht, gegen das G l e i c h b e h a n d l u n g s g e b o t des A r t . 3 G G u n d ist s o m i t r e c h t s w i d r i g . A n f e c h t u n g s - u n d A m t s h a f t u n g s k l a g e haben, w e n n d i e ü b r i g e n V o r a u s s e t z u n g e n gegeben sind, E r f o l g 2 0 6 , 2 0 7 . Es g i b t n u n e i n i g e w e i t e r e Fälle, i n denen eine B e r u f u n g auf A r t . 3 I G G nahe l i e g t : 1. Der von einer polizeilichen Maßnahme Betroffene macht geltend, die Maßnahme verstoße gegen den Gleichheitssatz, da die Polizei die zu beseitigende Gefahr i h m gegenüber bisher geduldet habe. H i e r k a n n der G l e i c h h e i t s g r u n d s a t z n i c h t herangezogen w e r d e n , da k e i n — v e r g l e i c h b a r e r — F a l l v o r l i e g t , i n d e m gegenüber e i n e m andern n i c h t e i n g e s c h r i t t e n w u r d e . F ü r die R e c h t m ä ß i g k e i t der g e t r o f f e n e n M a ß n a h m e k o m m t es v i e l m e h r a l l e i n auf die polizeiliche E r m ä c h t i g u n g s n o r m an. A u c h Rechtsprechung u n d L i t e r a t u r e r k e n n e n an, daß selbst nach j ä h r e - oder j a h r z e h n t e l a n g e r D u l d u n g gegen p o l i z e i w i d r i g e Zustände, z. B . D i r n e n p e n s i o n e n , e i n g e s c h r i t t e n w e r d e n k ö n n e 2 0 8 . Dies w i d e r s p r e c h e auch n i c h t d e m G r u n d s a t z v o n T r e u u n d Glauben209. 205 Vgl. dazu BezVG Berlin v. 20.10.1950 VRspr. 3, 445 (449); V G H Bremen v. 23. 4.1952 DVB1. 53, 176 (180); O V G Münster v. 23.11.1954 DVB1. 55, 294 (296); OVG Münster v. 12.2.1964 D Ö V 64, 559; ausführlich O V G Lüneburg v. 2. 9.1964 DÖV 64, 749 und Samper (Art. 4 RNr. 14 ff.); ferner Forsthoff, S. 84; Ule/Rasch, §14 p r P V G RNr. 64. 206 Die genannten Voraussetzungen waren anscheinend i n dem dem Beschluß des O V G Münster v. 12.2.1964 (DÖV 64, 559) zugrunde liegenden F a l l gegeben. 207 I n der L i t e r a t u r w i r d zuweilen das Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung aus A r t . 3 GG abgeleitet und übersehen, daß die Ermessensnorm Individualinteressen zu dienen bestimmt sein muß (so Maunz/Dürig, A r t . 19 I V RNr. 36; Mayer, Opportunitätsprinzip, S. 32; DVB1.65, 923). — Ferner glaubt man, aus A r t . 3 GG sämtliche Ermessensfehler ableiten zu können (BezVG Berlin VRspr. 3, 445 (450); B w V G H VRspr. 4, 688 (695); B V e r w G JR 59, 193; Köhler, DÖV 56, 744 (745); Forsthoff, S.464; Rinck, JöR 10, 287; Drews/Wacke, S. 166 f.). Hierbei w i r d übersehen, daß zuerst geprüft werden muß, ob sich das Ermessen innerhalb der Zweckbestimmung der Ermächtigungsnorm hält. Erst dann k a n n untersucht werden, ob der Grundsatz der Selbstbindung eingehalten wurde. Allerdings kann der Nachweis der V e r letzung des Gleichheitssatzes oft leichter geführt werden als die Verletzung der Zweckbestimmung (z. B. Schikane). Vgl. 3. Kap., Abschnitt A I V d 1. 2 08 Vgl. OVG Münster v. 24.11.1953 DVB1. 54, 509; O V G Münster v. 18. 5.1954 N J W 54, 1664 = AS 8, 320; B w V G H v. 27.3.1958 JZ 58, 446; B w V G H v. 29.3.1960 ESVGH10, 67 ff.; Froelich, S. 37; Drews/Wacke, S. 166 f. s. allgemein zum Einschreiten gegen Bordelle Gurland, Harro: Das Opportunitätsprinzip beim Einschreiten der Polizei gegen Bordelle. Soziologischer Befund u n d juristische Problematik. Diss, jur., Stuttgart I960. 209 P r O V G R u P r V B l . Bd. 50, 301; O V G Münster v. 28.7.1952 A S 6, 37

C. Die Einschränkung des Ermessens durch den Gleichheitssatz

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2. Die Polizei w i l l eine von mehreren Störern verursachte Gefahr lediglich reduzieren und deshalb nicht gegen alle Störer einschreiten. Die Betroffenen wenden n u n ein, da gegen die anderen nicht eingeschritten worden sei, könne auch gegen sie nichts unternommen werden, da sonst der Gleichheitssatz verletzt werde.

Der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung kann hier nicht i n Betracht kommen, da eine Verwaltungsübung noch gar nicht besteht. Die Polizei hat ihr Auswahlermessen noch gar nicht i n irgendeiner Weise gebunden. Auch der allgemeine Gleichheitssatz: „Sachverhaltlich Gleiches ist rechtlich gleich, sachverhaltlich Ungleiches (Verschiedenes) ist je nach seiner Eigenart rechtlich ungleich (unterschiedlich) zu behandeln" 2 1 0 , kann nicht i n Frage kommen. Zwar sind die Sachverhalte gleich und ein Einschreiten gegen einen oder einige Störer würde diese i m Verhältnis zu den anderen benachteiligen. Aber wie der Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung nicht absolut gilt, sondern nur, soweit nicht neue sachliche Gesichtspunkte ein Abweichen von der bisherigen Praxis rechtfertigen, so kann auch hier der Gleichheitssatz nicht absolut gelten. Wie die ausschließliche Geltung des Selbstbindungssatzes die Polizei hindern würde, von einer einmal eingeführten Praxis wieder abzuweichen, so würde die absolute Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes die Polizei vor die Entscheidung stellen, entweder gegen alle oder gegen keinen Störer vorzugehen. Damit wäre ihr Ermessen hinsichtlich des „Inwieweit" und demnach eine Differenzierungsmöglichkeit in der Abwehr einer Gefahr ausgeschlossen. Man mag nun einwenden, Art. 3 GG lasse eben eine derartige Differenzierung nicht zu, beseitige vielmehr insoweit das Ermessen der Polizei. Die Entscheidung der Frage läuft jedoch auf eine Interessenabwägung hinaus. Das Interesse des einzelnen an einem Entweder-Oder steht dem Interesse des Staates an einer Differenzierungsmöglichkeit gegenüber. Man w i r d jedoch das Interesse des Staates und der Allgemeinheit an einer praktikablen Durchführung der Aufgabe der Gefahrenabwehr höher bewerten und eine Berufung des einzelnen auf A r t . 3 I GG daher verneinen müssen 211 . Das Verbot der Verfolgung polizeiwidriger Zwekke gewährt dem einzelnen einen ausreichenden Schutz. (40) = N J W 53, 79; O V G Münster v. 9.10.1953 VRspr. 6, 305; B w V G H v. 17.3.1955 D Ö V 55, 412; Forsthoff, S. 157; Wolff I, S. 141. 210 Mangold/Klein, A r t . 3 GG A n m . I U I ; BVerf GE 9, 137 (150). 211 Vgl. A n m . 213.

206

4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

3. Die Polizei sieht sich einer Mehrzahl von Störern gegenüber. Sie ist zu einem Einschreiten entschlossen, k a n n aber nicht gegen alle gleichzeitig einschreiten. Sie greift daher einen oder einige heraus. Diese machen geltend, A r t . 3 GG sei verletzt, da gegen die anderen nicht eingeschritten worden sei.

Dieses Beispiel ist dem zweiten insoweit ähnlich, als auch hier eine Verwaltungspraxis fehlt; es unterscheidet sich jedoch darin, daß hier die Polizei zunächst entschlossen ist, gegen alle Störer vorzugehen. Sie w i l l oder kann dies jedoch nicht tun, sie geht vielmehr, und zwar aus polizeilichen Erwägungen, erst einmal schrittweise vor, sei es, daß sie zunächst eine gerichtliche Klärung anstrebt 2 1 2 oder sich erst vergewissern w i l l , ob es nicht genügt, wenn sie nur gegen einige Störer Maßnahmen trifft. Auch hier werden gleiche Sachverhalte ungleich behandelt. Aber eine Durchführung des Gleichheitssatzes liefe auch hier darauf hinaus, daß entweder gar nicht oder nur gegen alle gleichzeitig eingeschritten werden dürfte. Es t r i t t also das gleiche Problem auf wie i m zweiten Beispiel. Hier hat sich jedoch die Literatur eindeutig auf die Seite der Polizei gestellt 2 1 3 . Eine Berufung auf den Gleichheitssatz des Art. 3 GG ist also i m Sicherheitsrecht nur i n den erstgenannten Fällen der Selbstbindung der Verwaltung möglich. Darüber hinaus hat A r t . 3 keine Bedeutung, u m so mehr jedoch die Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr" 2 1 4 .

212 Dieser F a l l stammt von Drews/Wacke (S. 167). 213 v g l . SächsOVG Jahrb. Bd. 42 (1940), 1; V G Kassel v. 17.12.1958 B B 59, 135; O V G Lüneburg v. 2.9.1964 D Ö V 64, 749; Köhler, D Ö V 56, 744 (745); Drews/Wacke, S. 167; Wolff I, S. 142 (dessen Z i t a t einer Entsch. des B V e r w G jedoch nicht zutrifft). Vgl. auch B a y V e r f G H BayVBl. 61, 245 (hinsichtlich Enteignung). si 4 So verstanden bedarf es weder einer Eliminierung des Verwaltungsermessens, u m den Gleichheitssatz aufrechtzuerhalten, w i e es Bettermann vorschlägt (Der Staat 62, 79, 85), noch einer Qualifizierung des A r t . 3 GG als bloßer „Leitidee", w i e es Kohlmanns (S. 93) Auffassung ist.

D. Andere Rechtsgrundlagen für einen Anspruch auf Tätigwerden der Sicherheitsorgane I n d e n A b s c h n i t t e n A u n d Β w u r d e die aus d e n sicherheitsrechtlichen G e n e r a l k l a u s e l n folgende, i n A b s c h n i t t C die aus d e m Gleichheitssatz abzuleitende d e n Sicherheitsorganen d e m e i n z e l n e n gegenüber o b l i e gende Pflicht z u m T ä t i g w e r d e n b e h a n d e l t . N u n m e h r s o l l abschließend e i n B l i c k a u f andere R e c h t s g r u n d l a g e n g e w o r f e n w e r d e n , die d e m einzelnen e i n e n d e r a r t i g e n A n s p r u c h g e w ä h r e n u n d eine entsprechende Amtspflicht enthalten. A l s erste k o m m t h i e r i n B e t r a c h t der

Folgenbeseitigungsgrundsatz:

„ H a t ein Hoheitsträger i m Zuge der Hoheitsverwaltung durch eine rechtswidrige, weder unwiderrufliche noch unanfechtbare Handlung zum Nachteil eines Rechtsträgers einen rechtswidrigen, nicht mehr legalisierbaren t a t sächlichen Zustand verursacht, so ist er i m Rahmen des Möglichen gegenüber dem Benachteiligten zur Wiederherstellung des früheren Zustandes verpflichtet 2 15." Diesen G r u n d s a t z e n t n i m m t m a n d e m P r i n z i p der G e s e t z m ä ß i g k e i t der V e r w a l t u n g ( A r t . 20 I I I GG). S i n d ζ. B . die V o r a u s s e t z u n g e n f ü r die E i n w e i s u n g eines Obdachlosen i n eine W o h n u n g w e g g e f a l l e n , so k a n n der W o h n u n g s e i g e n t ü m e r d e n e i n w e i s e n d e n V e r w a l t u n g s a k t anfechten. D a m i t e r r e i c h t er jedoch noch n i c h t , daß der Obdachlose auszieht. V i e l m e h r m u ß er seinen Folgenbeseitigungsanspruch gegen die einweisende Behörde geltend machen216»217. 21

5 Obermayer, JuS 63, 110 (113), auf dessen Ausführungen besonders h i n gewiesen w i r d . Vgl. ferner Siehoff, Diss., S. 8, 28, 40, 45, 89; B V e r w G v. 20.3.1963 D V B l . 63, 677; Theune, Werner: Der Folgenbeseitigungsanspruch, BayVBl. 63, 103; Rupp, S. 259; sowie die folgenden Literaturhinweise. 2ie ü b e r die Klageart s. V G Neustadt v. 3.4.1964 (NJW 65, 833) u n d Obermayer (JuS 63, 110, 115) — jeweils m i t weiteren Nachweisen; s. auch O V G Münster v. 29. 7.1954 AS 9, 65. 21 ? Der Umfang des Folgenbeseitigungsanspruchs i m Obdachlosenrecht sowie sein Verhältnis zum Anspruch auf pol. Tätigwerden lassen sich allerdings aus L i t e r a t u r u n d Rechtsprechung nicht immer k l a r ersehen: Das O V G Lüneburg (Urt. v. 14.3.1951 AS 4, 235, 238 f.) begründet den Folgenbeseitigungsanspruch damit, daß das pol. Ermessen dann, w e n n die Polizei nach Ablauf der Einweisungsfrist weder die Einweisungsverfügung verlängert noch den Obdachlosen anderweitig unterbringt, eine Einschränkung erfährt. Dadurch, daß die Polizei ihrem Ermessen durch die Einweisungsverfügung feste Grenzen gezogen habe, entstehe eine Pflicht zum Handeln; sie würde sich sonst m i t ihrem eigenen Verhalten i n Widerspruch setzen. Somit erwachse eine Pflicht zum Handeln aus vorangegangenem Tun. — Nach Drews/Wacke (S. 260 f.) hat die Polizei die Pflicht einzugreifen, w e n n der Eigentümer nach Aufhebung der Verfügung von den aus der

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

A l s w e i t e r e A n s p r u c h s g r u n d l a g e f ü r e i n polizeiliches E i n s c h r e i t e n k o m m t die T ä t i g k e i t s p f i i c h t „aus vorangegangenem, G e f a h r schaffendem oder v e r s t ä r k e n d e m T u n " 2 1 8 i n B e t r a c h t . A u s i h r k a n n jedoch k e i n s t r i k t e r A n s p r u c h auf A b w e h r der v e r u r s a c h t e n G e f a h r abgeleitet w e r d e n , da die P o l i z e i sonst p r a k t i s c h g e l ä h m t w ü r d e . Gerade w e i l die B e k ä m p f u n g einer G e f a h r a n anderer Stelle w i e d e r B e e i n t r ä c h t i g u n g e n u n d G e f a h r e n h e r v o r r u f t 2 1 9 , ist d e r P o l i z e i i n d e n Grenzen, die d u r c h das V e r b o t des Übermaßes u n d die „ N o t w e n d i g k e i t " gezogen sind, g r u n d s ä t z l i c h e i n Ermessen e i n g e r ä u m t . D e r A n s p r u c h „aus v o r a n gegangenem T u n " f ü h r t s o m i t f ü r sich a l l e i n z u k e i n e n ü b e r § 14 p r P V G h i n a u s g e h e n d e n B e s c h r ä n k u n g e n des p o l i z e i l i c h e n E r m e s s e n s 2 2 0 . Verfügung erwachsenen Lasten noch nicht freigestellt ist, da der Zustand des weiteren Wohnens dann eine Störung der öff. Ordnung sei. — So auch Schröer (DÖV 66, 288, 230); doch lehnt dieser einen Anspruch auf T ä t i g werden ab (S. 232). A n anderer Stelle (ZMR 64, 165, 167) weist er jedoch darauf hin, daß das Opportunitätsprinzip durch die Verpflichtung der Ordnungsbehörde gegenüber dem Dritten, die Folgen der Beschlagnahmeverfügung zu beseitigen, verdrängt werde. — Nach dem Bescheid des O V G Münster v. 25. 3.1954 (AS 8, 252, 254 f.) hat der Wohnungsinhaber einen A n spruch auf Herausnahme der Eingewiesenen, da § 21 p r P V G eine Inanspruchnahme n u r auf das sachlich u n d zeitlich unbedingt Notwendige zulasse. So w o h l auch i n AS 8, 212; ferner Hegel (S. 80 ff., 89) u n d Drews/Wacke (S. 261). — Eine Entfernung der unbefugt verbleibenden Eingewiesenen auf G r u n d des Folgenbeseitigungsanspruchs w i r d bejaht v o m O V G Lüneburg (v. 24. 9. 1954, AS 8, 484), V G Neustadt (v. 3.4.1964 N J W 65, 833), Ule/Rasch (§21 p r P V G RNr. 14); ferner v o m B a y V G H (Urt. v. 15.4.1965 BayVBl. 65, 246) f ü r den F a l l der Einweisung ohne Rechtsgrundlage. — Nach Reigl (BayBgm. 66, 61, 62) ist die Polizei zum Einschreiten gegen den unbefugt verweilenden Eingewiesenen „mittelbar aus A r t . 8 I I I u n d 121 P A G " verpflichtet. — F ü r den F a l l des Ablaufs der Einweisungsfrist lehnen Schröer (ZMR 64, 165, 166) u n d Obermayer (in: Mang u. a., S. 214) einen Folgenbeseitigungsanspruch ab. Obermayer begründet dies damit, daß hier nicht die Behörde, sondern der Eingewiesene die Rechtswidrigkeit der Tatsachenlage zu verantworten habe. Stehe die öff. Sicherheit u n d Ordnung auf dem Spiel, so könne der Wohnungsinhaber gegenüber der Polizei „ein (subj. öff.) Recht auf Vornahme der Vollziehung geltend machen". U m hier zu einer Lösung zu kommen, muß man zunächst den Folgenbeseitigungsanspruch v o m Anspruch auf pol. Tätigkeit trennen. Von beiden ist wiederum die den Nichtstörer schützende Vorschrift des §21 p r P V G zu unterscheiden. Diese bindet die Einweisungsverfügung an bestimmte Voraussetzungen. Treffen diese nicht mehr zu, so ist der Verwaltungsakt aufzuheben. Davon zu unterscheiden ist aber die Frage der Folgenbeseitigung. Als „Folgen" ist hierbei auch das Verbleiben des Eingewiesenen nach abgelaufener Einweisungsverfügung anzusehen; denn es ist hierbei auf die „natürliche Betrachtungsweise" abzustellen (VG Neustadt N J W 65, 833, 835). Neben diesem strikten Folgenbeseitigungsanspruch, der aber auch n u r i m Rahmen des Möglichen v e r w i r k l i c h t werden k a n n (s. 3. Kap., Abschnitt A I b), kommt, je nach den Umständen, auch ein Anspruch auf pol. Tätigwerden aus § 14 p r P V G i n Betracht. 218 Kayser/Leiß, S. 40. 219 s. 3. Kap., Abschnitt A I b 3, sowie B G H v. 1.2.1954 B G H Z 12, 206 = N J W 54, 715. 220 Liegen jedoch die (engeren) Voraussetzungen des Folgenbeseitigungsanspruchs vor (s. oben bei A n m . 215), so muß auf diesen abgestellt werden.

D. Andere Hechtsgrundlagen f ü r einen Anspruch auf Tätigwerden

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I n einer 1965 veröffentlichten Entscheidung hat das V G Neustadt 2 2 1 einem Wohnungseigentümer den Anspruch gegen die Polizei zuerkannt, daß diese gegen den Freund der Tochter einer eingewiesenen Familie, der von dieser aufgenommen wurde, gemäß § 1 rhpfPVG vorzugehen habe. Dies ergebe sich aus dem öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnis zwischen der Polizei und dem Wohnungseigentümer, wonach dieser als Nicht-Störer gemäß §§ 2, 27, 49 I, I I 2, 65 I, 66 rhpfPVG vor allen Beeinträchtigungen zu bewahren sei, die über das polizeilich unbedingt Notwendige hinausgingen. Gegen dieses Ergebnis sowie die Begründung ist an sich nichts einzuwenden, doch kann die Begründung nicht als selbständige Grundlage für einen derartigen Anspruch angesehen werden. Die genannten Vorschriften gewähren lediglich einen Schutz vor polizeilichen Maßnahmen. Unter Berufung auf sie 2 2 2 können Verwaltungsakte und Verordnungen der Polizei als gegen das Ubermaßverbot 2 2 3 verstoßend für rechtswidrig erklärt werden. Einen Anspruch auf polizeiliches Tätigwerden enthalten sie jedoch nicht. Auch ein Folgenbeseitigungsanspruch ist hier nicht gegeben, da die Polizei für das Verhalten des Freundes bei vernünftiger Betrachtungsweise nicht als Verursacher angesehen werden kann 2 2 4 . So kommt als Anspruchsgrundlage nur die polizeiliche Generalklausel i n Frage 2 2 5 . Die Erwägungen des Gerichts müssen als Eine zusätzliche Begründung des Folgenbeseitigungsanspruchs „aus vorangegangenem T u n " (vgl. O V G Lüneburg, Urt. v. 14.3.1951 AS 4, 235, 239) schafft Verwirrung, w e n n nicht i m einzelnen ein Anspruch auf Einschreiten aus § 14 P V G oder aus dem Folgenbeseitigungsgrundsatz abgeleitet w i r d . I n dem genannten Urt. des O V G Lüneburg wurde eine Pflicht der Polizei gegenüber einem Wohnungsinhaber auf Einschreiten gegen einen Eingewiesenen auch auf den „allgemeinen Rechtsgrundsatz" gestützt, daß „niemand, der durch eigene Maßnahmen eine bestimmte rechtliche Lage herbeiführt, sich m i t seinem eigenen Verhalten i n Widerspruch setzen darf". Die Polizei hatte nämlich nach A b l a u f der Einweisungsverfügung diese weder verlängert noch den Eingewiesenen anderweitig untergebracht. — Eines Heranziehens dieses allgemeinen Rechtsgrundsatzes bedurfte es nicht, da i n dem erwähnten F a l l die Voraussetzungen des Folgenbeseitigungsanspruchs vorlagen. Es ist nicht einzusehen, w a r u m der Folgenbeseitigungsanspruch nicht auch dann gegeben sein soll, w e n n eine Rechtfertigung des rechtswidrigen Zustandes (s. oben bei Anm. 215) zwar möglicht ist, z. B. durch die Verlängerung der Einweisungsverfügung, die Polizei diese aber — wie hier — nicht vornehmen w i l l . (Ebenso Siehoff, Diss., S. 28, 89, der den Folgenbeseitigungsanspruch stets bei A b l a u f eines befristeten Verwaltungsakts bejaht). 221 Urt. V. 3. 4.1964 N J W 65, 833 (835). 222 i n Betracht kommen n u r §§ 2, 27, 49 I I 2 rhpfPVG. 223 s. 3. Kap., Abschnitte A I b 2, 3 u n d I I I b 2, 3. 224 Das Gericht bejaht jedoch einen Folgenbeseitigungsanspruch, w e n n der Freund die Tochter heiratet u n d die Einweisungsverfügung abgelaufen ist (aaO, S. 835 rechte Spalte), da dann ein Verweilen des Ehemannes als Vollzugsfolge der Einweisung der Tochter anzusehen ist. 225 s. Abschnitt B. 14 Schmatz

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4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

B e g r ü n d u n g d a f ü r angsehen w e r d e n , daß e i n E i n s c h r e i t e n als einzige ermessensfehlerfreie M a ß n a h m e i n B e t r a c h t k a m . E i n B l i c k ist noch auf die S t e l l u n g des N a c h b a r n i m B a u - u n d G e w e r b e r e c h t z u w e r f e n 2 2 6 . Gegen eine B a u g e n e h m i g u n g , eine E r l a u b n i s oder e i n e n D i s p e n s 2 2 7 k a n n der N a c h b a r n u r vorgehen, w e n n diese gegen o b j e k t i v e s B a u r e c h t verstoßen u n d die v e r l e t z t e N o r m seinen I n d i v i d u a l i n t e r e s s e n zu d i e n e n b e s t i m m t i s t 2 2 8 . H a n d e l t es sich u m eine Ermessensnorm, so k a n n n u r e i n r e c h t s f e h l e r h a f t e r Ermessensgebrauch gerügt werden 229. 226 s. hierzu Drews/Wacke, S. 306 f.; Kallrath, Diss., S. 41 f.; Bernhardt, Zur Anfechtung von Verwaltungsakten durch Dritte, JZ 63, 302 ff.; Sellmann, Entwicklung u n d Problematik der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage i m Baurecht, DVB1. 63, 273 ff.; ders., Die Problematik der Verwaltungsakte m i t D r i t t w i r k u n g , N J W 64, 1545 (a. A. B V e r w G v. 5.10.1965 DVB1. 66, 269); Schwarz, Diss., S. 84 ff.; Peters, DÖV 65, 744 ff.; Geizer, DÖV 65, 793 ff.; Schröer, D Ö V 66, 228 ff.; ferner Meyer, D W W 62, 133 ff.; Kniestedt, D Ö V 62, 89; Wiethaup, DVB1. 61, 468 (471). 227 Daß sich hier das Vorgehen gegen den Verwaltungsakt u n d nicht gegen den dadurch erlaubten Zustand richtet, hebt Menger (VArch. 51 (1960), S. 262, 264) zutreffend hervor. 228 s. dazu Obermayer, Jus 63, 110 ( I I I , insbes. Anm. 6) u n d Peters, DÖV 65, 744 ff., sowie die i n A n m . 226 genannte Literatur. Anlaß zu ergänzenden Hinweisen gibt die Entscheidung des OVG Lüneburg v. 15.4.1959 (DÖV 60, 143 f.; aufrechterhalten v o m BVerwG, Entsch. v. 13.1.1961 N J W 61, 1129). Es ging u m die Anfechtungsklage eines Nachbarn gegen die Festsetzung der Sperrstunde für eine Gastwirtschaft. Das Gericht f ü h r t aus: Rechtsgrundlage hierfür sei § 2 b der nds.VO v. 14.7.1953 (ndsGVBl. S. 50), wonach die Gemeinden befugt sind, i m Falle eines öffentlichen Bedürfnisses den Beginn der Sperrstunde f ü r einzelne Gaststätten über 1 U h r nachts bis 5 U h r morgens widerruflich hinauszuschieben. Diese E r mächtigung, die auf § 14 GaststG beruhe, sei auch Individualinteressen zu dienen bestimmt, da gemäß §§ 111 b, 14 GaststG auf die Nachtruhe der Nachbarn Rücksicht zu nehmen sei. Daraus folgt: Der Nachbar k a n n gegen eine Sperrstundenfestsetzung m i t der Begründung Anfechtungsklage erheben, die Behörde habe die i h r durch Ermächtigungsnormen gezogenen Grenzen ihres Ermessen, zu deren Einhaltung sie auch i m Interesse des Klägers verpflichtet ist, überschritten. Wann diese Grenzen überschritten sind, läßt sich allerdings dem GaststG sowie der VO unmittelbar nicht ohne weiteres entnehmen. M a n w i r d jedoch allgemein sagen können, daß die Grenze dann überschritten ist, wenn durch die Festsetzung eine Ruhestörung hervorgerufen w i r d , die unter Anlegung der Maßstäbe des § 14 P V G ein Einschreiten „notwendig" machen würde. — Das OVG Lüneburg zog jedoch auch die Ermächtigungsnorm des § 1 ndsSOG heran u n d operierte m i t einem Anspruch auf polizeiliches Einschreiten. Beides ist zu verneinen: Die Rechtmäßigkeit der Sperrstundenfestsetzung ist primär an der genannten VO und am GaststG zu messen. Der erwähnte Anspruch ist i m Rahmen der Anfechtungsklage verfehlt (ebenso Menger, VArch. 51 (1960), S. 262, 265). Diese Ausführungen zur Sperrstundenfestsetzung gelten ebenso für die Befreiung von nachbarschützenden Vorschriften des Bauordnungsrechts. 229 Pietzonka, N J W 57, 1582 ff.; Wiethaup, DVB1.61, 468 (471 ff.); O V G Lüneburg v. 15. 4.1959 DÖV 60, 143 (aufrechterhalten v o m BVerwG, Entsch. v. 13. 1.1961 N J W 61, 1129); B V e r w G v. 10.1.1961 VRspr. 13, 497 = GewArch.

61, 68.

D. Andere Rechtsgrundlagen f ü r einen Anspruch auf Tätigwerden

211

Auch hier hilft die Beseitigung der rechtswidrigen Bauerlaubnis 2 3 0 nicht viel. W i l l der Nachbar erreichen, daß die Bauordnungsbehörde gegen den ordnungswidrigen Zustand vorgeht, so muß er seinen Folgenbeseitigungsanspruch geltend machen. Daneben kann er sich auf die polizeiliche Generalklausel 231 berufen, sofern deren Voraussetzungen gegeben sind 2 3 2 . 230 Gegen die Bauerlaubnis hält die w o h l h. M. die Anfechtungsklage f ü r die richtige Klageart (BVerwG v. 5.10.1965 D V B l . 66, 269, 270; O V G Lüneburg v. 22.3.1962 D V B l . 62, 418, 420; Beschl. v. 25.11.1965 D V B l . 66, 275, 276; jeweils m i t weiteren Nachweisen), Obermayer weist jedoch m i t Recht darauf hin, daß m i t der Verpflichtungsklage der Behörde „die Möglichkeit genommen werden kann, dem Bauwerber nochmals — w e n n auch unter Vermeidung der v o m Gericht gerügten Mängel — eine Baugenehmigung zu erteilen" (JuS 63, 110, 111). 231 Sofern nicht Sondervorschriften eingreifen; vgl. alsbald! 232 Das Bestehen eines Folgenbeseitigungsanspruchs sowie sein Verhältnis zum Anspruch auf pol. Einschreiten gem. § 14 P V G sind allerdings u m stritten. Bejaht w i r d ein Folgenbeseitigungsanspruch v o m O V G Lüneburg (Entsch. v. 22. 3.1962 D V B l . 62, 418, 420 = D Ö V 62, 467) u n d von Obermayer i n seiner Besprechung dieses Urteils (JuS 63, 110, 115). Schröer (DÖV 66, 228 ff.) verneint unter Berufung auf eine Entscheidung des OVG Münster entgegen O V G Lüneburg einen Folgenbeseitigungsanspruch m i t der Begründung, daß hier keine Vollziehung eines Verwaltungsakts vorliege, da die Baugenehmigung nicht von der Bauordnungsbehörde durchgesetzt werde, sondern die Inangriffnahme des Bauwerks i m Belieben des Bauherrn stehe (S. 230 f.). Nach Schröer könne m i t dem Folgenbeseitigungsanspruch n u r der W i d e r r u f der Baugenehmigung erreicht werden; h i e r durch werde das hinsichtlich der Frage des Widerrufs der Baugenehmigung bestehende Opportunitätsprinzip ausgeschlossen (S. 229 f.). Schröers Ausführungen k a n n nicht gefolgt werden. Die Frage, ob die Baugenehmigung rechtswidrig ist, ist nach den Vorschriften des Bauordnungsrechts zu beurteilen. W i r d diese Frage bejaht, so schließt sich die Prüfung des Folgenbeseitigungsanspruchs an. Dieser setzt zunächst voraus, daß der baurechtswidrige Zustand von der Behörde verursacht ist. Dies ist hier der Fall, da auf die „natürliche Betrachtungsweise" abzustellen ist (VG Neustadt N J W 65, 833, 835). Weitere Voraussetzung ist, daß eine Folgenbeseitigung tatsächlich u n d rechtlich möglich ist. Hier ist zu prüfen, ob der rechtswidrige, den Bauherrn begünstigende Verwaltungsakt zurückgenommen werden k a n n (vgl. hierzu Kimminich, Rücknahme u n d Widerruf begünstigender Verwaltungsakte, JuS 65, 249 ff.). I m Hinblick auf § 4 2 1 a p r P V G ist dies grundsätzlich zu bejahen (so auch Schröer; vgl. ferner Drews/Wacke, S. 321 ff.). Ferner ist bei der Prüfung der rechtlichen Möglichkeit zu untersuchen, ob durch die Folgenbeseitigung nicht der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt w i r d . Sind auch die übrigen Voraussetzungen gegeben (vgl. Obermayer, JuS 63, 110, 111 f.), so hat der Nachbar einen Anspruch auf Erlaß einer Beseitigungsanordnung gegenüber dem Bauherrn u n d gegebenen" falls einen Anspruch auf zwangsweise Durchsetzung dieser Anordnung (Obermayer, aaO A n m . 43). Daneben können die Voraussetzungen f ü r einen Anspruch auf Einschreiten gemäß § 14 P V G vorliegen (so auch Schwarz, Diss., S. 167 f.). Geizer (DÖV 65, 793, 794) hält dem entgegen, auch i m Rahmen des Folgenbeseitigungsanspruchs müsse das Vorgehen gegen den baurechtswidrigen Zustand i m Ermessen der Behörde stehen, da der gutgläubige (auf die Baugenehmigung vertrauende) Bauherr nicht schlechter gestellt werden könne als der Schwarzbauer, gegen den vorzugehen die Behörde n u r gemäß § 14 P V G 14»

212

4. Kap.: Die Pflicht zur Gefahrenabwehr

Hat der Bauherr jedoch ohne Genehmigung oder entgegen einer Genehmigung gebaut, so entfällt ein Folgenbeseitigungsanspruch, da die Behörde an dem rechtswidrigen Zustand gar nicht mitgewirkt hat. Dem Nachbar verbleibt jedoch der Anspruch aus der polizeilichen Generalklausel 2 3 3 . verpflichtet werden könne. — Entscheidend ist jedoch der Schutz des Nachbarn. Daß der Schwarzbauer besser steht, ist v o m Gesetz nicht beabsichtigt, sondern notwendige Folge des f ü r die Sicherheitsorgane geltenden Opportunitätsprinzips. Diese Nebenfolge kann den aus A r t . 20 I I I GG abgeleiteten Folgenbeseitigungsanspruch nicht abändern. I n Betracht käme jedoch eine gewollte Modifizierung des Folgenbeseitigungsanspruchs durch die baurechtlichen Vorschriften, die das Einschreiten gegen baurechtswidrige Zustände i n das Ermessen der Behörde stellen (s. A n m . 234, 235). Dieser Frage k a n n jedoch hier nicht weiter nachgegangen werden. 233 So auch Obermayer (JuS 63, 110, 113 f.) u n d O V G Lüneburg (v. 25.11. 1965 DVB1.66, 275, 276 f.). — Pietzonka (BBauB1.58, 67) w i l l bei rechtswidrigen Bauwerken ohne Bauerlaubnis § 14 P V G anwenden, „es sei denn, es lägen die Voraussetzungen f ü r einen Folgenbeseitigungsanspruch v o r u . Er verweist dann auf das O V G Münster v. 29. 7.1954 A S 9, 65. I n diesem F a l l lag aber ein positiver Verwaltungsakt der Behörde vor. — Vgl. ferner das Urt. des O V G Lüneburg v. 22. 3.1962 DVB1. 62, 418, 420, das die Sanktionierung einer Abweichung v o m Bauschein durch eine formlose A k t e n notiz als Verwaltungsakt ansah und, da sie rechtswidrig w a r u n d den Betroffenen i n seinen subj. öff. Rechten verletzte, einen Folgenbeseitigungsanspruch bejahte. Daneben bemerkte das Gericht, daß sich das „Einschreiten gegen das illegale Bauwerk nach ordnungsrechtlichen (polizeirechtlichen) Grundsätzen" richte, ohne allerdings beide Ansprüche säuberlich zu trennen. — Evers (JuS 62, 87, 90) geht auf den Folgenbeseitigungsanspruch nicht ein, bejaht jedoch hier einen Anspruch aus der polizeilichen Generalklausel, allerdings m i t nicht einwandfreier Begründung. 234 i n der Fassung v o m 21.11.1958 (GVB1. S. 1104). 235 v. 1. 8.1962 (GVB1. S. 179). Vgl. hinsichtlich A r t . 78 b a y L S t V G (s. 3. Kap. A n m . 640) Stern, B a y V B l . 59, 147 (148). 236 Dörffler (NJW 63, 14, 18) läßt nicht k l a r erkennen, ob er von einem Anspruch auf Einschreiten gegen illegales Bauen oder einem Anspruch auf Einschreiten nach Anfechtung eines rechtswidrigen Baubescheides ausgeht. Es ist w o h l ersteres anzunehmen, da er auf die Entsch. des B V e r w G v. 18. 8.1960 (DVB1. 61, 125) verweist. — Dörffler lehnt einen Folgenbeseitigungsanspruch ab, w e n n der Bauherr ohne Genehmigung oder abweichend von i h r gebaut hat (aaO, A n m . 71, unter Hinweis auf O V G Lüneburg v. 22. 3.1962 DVB1. 62, 418, das dies allerdings nicht ausdrücklich erklärt). Nach Dörffler k o m m t es vielmehr darauf an, ob die spezielle Ermächtigungsnorm, wie § 35 Nr. 6 der Bauordnung f ü r Berlin, dem einzelnen ein subj. öff. Recht auf Einschreiten gewährt. Er weist hierbei darauf hin, daß das OVG B e r l i n i n dem Urteil, das der Entsch. des B V e r w G v o m 18. 8.1960 zugrunde lag, den Anspruch des i n geschützten Rechten verletzten Nachbarn auf ermessensfehlerfreie Entschließung über das Einschreiten nicht aus der nachbarschützenden Wohngebietsbestimmung ableitete, wie Bachof (DVB1. 61, 128) meint, sondern aus § 38 I I I der alten Berliner Bauordnung, dem nunmehr § 35 Nr. 6 entspricht. Das O V G B e r l i n habe die genannte Bestimmung dem § 14 P V G vorgehen lassen (so w o h l auch Drews/Wacke, S. 160). — Die K r i t i k an Bachof ist jedoch nicht gerechtfertigt (vgl. DVB1. 61, 129 f.). 237 Das polizeiliche Ermessen hinsichtlich eines Einschreitens gegen illegale Bauwerke k a n n auch nicht dadurch ausgeschlossen werden, daß eine auf G r u n d § 14 P V G ergangene Bauordnung bestimmt, daß gegen illegale Bauten einzuschreiten ist (OVG Lüneburg v. 2. 9.1964 D Ö V 64, 749).

D. Andere Rechtsgrundlagen für einen Anspruch auf Tätigwerden

213

Ferner kommen als Anspruchsgrundlagen diejenigen Vorschriften des Baurechts in Betracht, die die Bauaufsichtsbehörde ermächtigen, gegen baurechtswidrige Zustände einzuschreiten, wie z. B. § 35 Nr. 6 der Bauordnung für B e r l i n 2 3 4 und A r t . 99, 100 der Bayerischen Bauordnung 2 3 5 . Diese Vorschriften sind dann ebenso wie § 14 PVG daraufh i n zu untersuchen, ob und inwieweit sie dem einzelnen einen Anspruch auf behördliches Tätigwerden gewähren 2 3 6 » 2 3 7 .

Fünftes Kapitel

Abschließende Bemerkungen Das Thema der vorliegenden Arbeit lautete: Die Grenzen des Opportunitätsprinzips i m heutigen deutschen Polizeirecht. Nachdem unter „Opportunitätsprinzip" sowohl das polizeiliche Ermessen hinsichtlich des Ob und des Wie eines Einschreitens als auch das grundsätzliche Fehlen eines Rechtsanspruchs auf polizeiliches Tätigwerden verstanden w i r d 1 , waren zum einen die Grenzen dieses Ermessens, zum andern die Frage zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen der einzelne einen Einfluß auf ein Untätigbleiben der Polizei haben kann. Maßgebend für diese Untersuchung war das materielle Sicherheitsrecht, insbesondere die Generalklauseln. Ihre Auslegung hat nunmehr gezeigt, daß Verwaltungsakte, Rechtsverordnungen und Realakte der Sicherheitsorgane nur dann rechtmäßig sind, wenn eine „Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung" besteht, wenn der verfolgte Zweck i n der Abwehr der Gefahr liegt und wenn die getroffene Maßnahme dazu „tatsächlich möglich, geeignet, verhältnismäßig und geringsteingreifend" (d. h. „erforderlich") ist. Ferner ergab sich: Besteht eine Gefahr nicht nur für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, sondern auch für Grundrechte eines einzelnen und ist ein Einschreiten gegenüber dem Gefährdeten „notwendig", so ist die Polizei zu „ausreichender Gefahrenabwehr" verpflichtet; ist ein Einschreiten nicht „notwendig", so hat sie i m Rahmen der Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr" über ihr Verhalten nach Ermessen zu entscheiden. Wie groß dieser Ermessensspielraum ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab: Die Polizei kann nur zwischen den Zwecken wählen, die noch unter den unbestimmten Rechtsbegriff der „Gefahrenabwehr" subsumiert und m i t „erforderlichen" Maßnahmen erreicht werden können. W i l l also jemand gegen eine polizeilichen Verwaltungsakt Anfechtungsklage erheben, so muß er geltend machen, daß der Verwaltungsakt unmittelbar auf seinen durch subjektive öffentliche Rechte geschützten Rechtskreis einwirkt und dadurch, daß er den Rechtmäßigkeitserfordernissen des § 14 PVG nicht entspricht, ihn i n seinen Rechten verletzt. W i l l er erreichen, daß die Polizei durch Bescheidungsklage verpflichtet wird, über ihr Einschreiten nach Ermessen zu entscheiden, 1

s. Drews/Wacke, S. 159 f., ferner 2. Kap., Abschnitt C V.

5. Kap. : Abschließende Bemerkungen

215

so muß er geltend machen, daß eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung sowie für eines seiner Grundrechte besteht und daß die bisherige Reaktion der Polizei auf diese Gefahr m i t der Zweckbestimmung der „Gefahrenabwehr" nicht vereinbar ist 2 . Man w i r d nun gegen dieses Ergebnis vorbringen, die Erhebung einer Verpfüchtungsklage werde durch den Nachweis einer bloßen Gefahr für die genannten Rechtsgüter so sehr erleichtert, daß zu befürchten sei, die Verwaltungsgerichte würden mit derartigen Klagen geradezu überhäuft werden. Außerdem würde durch die Vielzahl der genannten unbestimmten Rechtsbegriffe die Entschlußfreudigkeit der Verwaltung gehemmt, wenn nicht gar gelähmt. Darauf ist folgendes zu erwidern: Wenn man mit der heute nun herrschenden Meinung dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. 8. I960 3 folgt und anerkennt, daß § 14 PVG auch Individualinteressen zu dienen bestimmt sein kann, dann führt das notwendigerweise zu der hier aufgezeigten Konsequenz. Es kann dann freilich jeder unter den genannten Voraussetzungen eine Bescheidungsklage erheben. Ob er jedoch auch Erfolg hat, hängt von der Zweckbestimmung des § 14, der „Notwendigkeit" und der „Erforderlichkeit" ab; ferner handelt es sich hier u m Begriffe, die so weit gefaßt sind, daß der Polizei ein beachtlicher Beurteilungsspielraum verbleibt. Nur wenn offen zutage tritt, daß sie ihre aus § 14 PVG folgenden Pflichten nicht erfüllt hat, kann eine Verurteilung i n Frage kommen. Außerdem hat sich die Befürchtung eines sprunghaften Anstiegs von Verpflichtungsklagen bisher noch nicht erwiesen. Dem Vorwurf der Lähmung der Verwaltung ist i n erster Linie ebenfalls entgegenzuhalten, daß die genannten unbestimmten Rechtsbegriffe einen weiten Beurteilungsspielraum gewähren. Ferner w i r d i m Amtshaftungsprozeß — i m Rahmen der Schuldprüfung — berücksichtigt, daß dem Polizeibeamten für seine Entscheidung unter Umständen nur 2 Über die Klagemöglichkeit i m Falle einer „Notwendigkeit" eines E i n schreitens s. 4. Kap., Abschnitt Β I I d. — Anzumerken ist, daß das Problem der Unmittelbarkeit der Beeinträchtigung bei der Verpflichtungsklage entfällt. Wie Stich (Diss., S. 91 ff., 100) überzeugend nachgewiesen hat, ist die Frage der Unmittelbarkeit an Hand der Verursachung zu prüfen. Unmittelbar ist jede Wirkung, die e i n t r i t t ohne das Dazwischentreten einer Zwischenursache. E i n Unterlassen k a n n aber niemals eine mittelbare oder u n m i t t e l bare W i r k u n g haben, da es ein Nichts ist, das keine W i r k u n g hervorruft. Das Unterlassen k a n n n u r v o m Normativen her begründet werden (vgl. Schönke/Schröder, S. 47). Eine Unterlassung setzt eine gedachte Handlung voraus. Diese ist f ü r den Begriff u n d das Wesen der Unterlassung konstitutiv. Rechtswidrig w i r d eine Unterlassung aber erst, wenn die erwartete Handlung auch vom Recht geboten w i r d . 3 D V B l . 61, 125.

216

5. Kap.: Abschließende Bemerkungen

kurze Zeit zur Verfügung steht. Außerdem darf nicht übersehen werden, daß ein einzelner eine gerichtliche Überprüfung einer polizeilichen Maßnahme nicht herbeiführen kann, wenn diese nicht-eingreifender Natur ist, und daß er auch keinen Einfluß auf das polizeiliche Entschließungsermessen hat, wenn ausschließlich die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bedroht ist. A m Ende der Arbeit sei daran erinnert, daß der Verfasser seine Aufgabe nicht darin sah, die „Grenzen des Opportunitätsprinzips" minutiös zu beschreiben. Eine derartige Fallsammlung hätte nicht weitergeführt. Enthält doch die Polizeirechtsliteratur und die Rechtsprechung eine Fülle von Beispielen. Die moderne Ermessenslehre erforderte vielmehr den Versuch einer Auslegung der sicherheitsrechtlichen Generalklauseln nach ihren Erkenntnissen.

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