Die Flucht des Schuldners und die Reaktionstechniken eines Gesamtvollstreckungsrechts: Der fallitus fugitivus als Rechtsproblem 9783110340969

The book explains how German and European insolvency law created today's standardized debt relief programs in respo

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German Pages 554 [552] Year 2014

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Table of contents :
A. Einfuhrung
I. Die Flucht des Schuldners
1 Das Bild der Flucht
2 Enttauschung normativen Erwartens und Schuldnerflucht
3 Die Flucht im Haftungsrecht
II. Ziel und Wege der Untersuchung
B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution
I. Der Schuldner im alten Orient und Okzident
II. Die Haftungsverwirklichung im romischen Recht
1 Personalexekution und Infamie
2 Gesamtvollstreckung versus Einzelvollstreckung
3 Romische Wohltaten
4 Ausdifferenzierung des romischen Vollstreckungsrechts
III. Entwicklungslinien aus dem Mittelalter in die Neuzeit
1 Die private Selbsthilfe und die Friedlosigkeit
a) Fehderechtliche Wurzeln
b) Die Friedlosigkeit des Schuldners
c) Flucht als Verbrechen
2 Die Verfolgung und Festsetzung des Schuldners
a) Dingflucht
b) Prioritat des ersten Zugriffs
c) Kummer, Besetzung, Aufhalten
d) Die Rezeption des Arrestverfahrens
e) Die Flucht als causa arresti
f) Festnahme und Beschlagnahme
3 Schuldhaft und Schuldknechtschaft
a) Haftvollzug im carcer privatus
b) Personalexekution in offentlichen Haftraumen
4 Die Rezeption romisch-italienischen Rechts und die cessio bonorum
a) Das Phanomen der Rezeption
b) Die Statuten oberitalienischer Stadte
c) Die Prozeduren der cessio bonorum
5 Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577
6 Europaische Tendenzen und Einflusse
7 Die Anziehungskraft des Salgado de Somoza
IV. Die Schuldnerflucht seit der fruhen Neuzeit
1 Ausbildung eines Konkursverfahrens nach gemeinem Recht
2 Exemplarische Regelungen in den neuzeitlichen Stadtrechten
a) Der Stat Nurnberg verneute Reformation von 1564
b) Hamburgisches Fallitenrecht
c) Frankfurter Falliten-Ordnung von 1708
3 Der fluchtige Schuldner im sachsischen Haftungsrecht
a) Die altere chursachsische Prozess-Ordnung vom 28. Juli 1622
b) Die Resolutio gravaminum vom 22. Juni 1661
c) Die Handelsgerichtsordnung vom 21. Dezember 1682
d) Die Mandate wider die Banqueroutiers von 1724 und 1766
4 Der Kridar im bayerischen Gantprozess
a) Der Codex iuris Bavarici iudiciarii von 1753
b) Die bayerische Prozessordnung vom 29. April 1869
5 Die Schuldnerflucht im preusischen Recht
a) Preusische Landrechte von 1620 und 1685
b) Edikt wider die Banqueroutierer vom 14. Juni 1715
c) Friedrich Wilhelms .Verbessertes Land-Recht¡§ von 1721
d) Preusische Hypotheken- und Concursordnung vom 4. Februar 1722
e) Project des Codicis Fridericiani Marchici von 1748
f) Corpus Juris Fridericianum vom 26. April 1781
g) Allgemeine Gerichtsordnungen von 1793 und 1815
V. Die Preusische Konkursordnung vom 8. Mai 1855
1 Verfahrenseroffnung
2 Bekanntmachung und Sicherungsmasnahmen
3 Infamie und Akkord
C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde
I. Schuldnertypen
II. Rechtsbruch und Sanktion
III. Prioritatsprinzip, Konkurs und Praliminarverfahren
IV. Sicherungsmasnahmen
V. Personal- und Vermogensexekution
VI. Schuldnerschutz, Flucht und Chancen der Rechtswohltaten
D. Der Fugitivus im burgerlich-industriellen Zeitalter
I. Die individuelle Schuldnerverfolgung
1 Der dingliche Arrest
a) Arrestgrunde
b) Arrest bei Urteilsvollstreckung im Ausland
c) Subsidiaritat des Arrestes
2 Der personliche Arrest
a) Arrestgrunde
b) Glaubhaftmachung und Vollzug
3 Die Selbsthilfe des Glaubigers
II. Die Schuldnerflucht in der Konkursordnung
1 Die Flucht als Hinweis auf Zahlungseinstellung
2 Auskunfts-, Mitwirkungs- und Residenzpflichten des Gemeinschuldners
a) Auskunfts- und Mitwirkungspflichten
b) Residenzpflicht
c) Zwangsmittel
d) Vorfuhrung und Haft im Eroffnungsverfahren
e) Beteiligungsrechte des Gemeinschuldners
3 Auswirkungen auf die burgerliche Stellung des Schuldners
4 Zwangsvergleich
III. Krisenbewaltigungsstrategien seit dem 1. Weltkrieg
1 Die Geschaftsaufsicht vom 8. August 1914
2 Die Geschaftsaufsicht vom 14. Dezember 1916
3 Die Vergleichsordnung vom 5. Juli 1927
4 Die Vergleichsordnung vom 26. Februar 1935
5 Die Gesetze zur Bereinigung alter Schulden der Jahre 1938 und 1940
6 Kriegswirtschaft
7 Die Rechtslage nach dem Zweiten Weltkrieg
E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht
I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner
1 Verfahrensspezifische Wirkungen
a) Beschlagnahme
b) Entmachtung des Schuldners
c) Glaubigerschutz und Existenzsicherung
2 Indirekte Verfahrenswirkungen
a) Ausschluss von Ehrenamtern
b) Berufsrechtliche Konsequenzen
c) Auswirkungen auf das Privatleben
d) Datenerhebung und -ubermittlung
e) Straftaten und Verbindlichkeiten aus unerlaubter Handlung
f) Schuldnertypologie
II. Konsequenzen der Schuldnerflucht
1 Die Flucht als Zeichen der Zahlungseinstellung
2 Begrundung von Verbindlichkeiten durch den Fluchtigen
a) Neuglaubigeranspruche als Insolvenzforderungen?
b) Neuglaubigeranspruche als Masseverbindlichkeiten?
c) Neuglaubigeranspruche ohne (zunachst) greifbare Haftungsmasse
d) Schicksal der vom fallitus fugitivus begrundeten Verbindlichkeiten
3 Unterrichtung und Anhorung des Schuldners
a) Unterrichtung durch Zustellung
b) Anhorung des Schuldners
4 Auskunfts- und Mitwirkungspflichten
a) Auskunftspflicht
b) Mitwirkungspflicht
c) Bereithaltungspflicht
d) Unterlassungspflicht
e) Pflichtenkonzept und Schuldnerflucht
f) Erzwingung der Pflichterfullung
III. Enthaftung des Schuldners
1 Restschuldbefreiung nach den §§ 286ff. InsO
2 Versagungsgrunde
a) Die Versagung gemas § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO
b) Das Versagungsverfahren zu § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO
c) Die Obliegenheiten gemas § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO
d) Das Versagungsverfahren zu § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO
3 Flucht und Restschuldbefreiungsverfahren
4 Flucht und Insolvenzplanverfahren
a) Errichtung des Insolvenzplanes
b) Bestatigung des Insolvenzplanes
IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen
1 Universalitat, Territorialitat und Glaubigergleichbehandlung
2 In- und Auslandskonkurs im Recht der Konkurs- und Vergleichsordnung
a) Wirkungsreichweite in- und auslandischer Verfahren
b) Judikatur zur Anerkennung auslandischer Entschuldungsentscheidungen
3 Die Flucht im deutschen (autonomen) internationalen Insolvenzrecht
a) Universalitat und Anerkennung
b) Verortung des forum concursus
c) Beurteilungszeitpunkt der Zustandigkeitsentscheidung
d) Problem des forum shopping
e) Rechtsmissbrauch des forum shopping
f) Feststellung eines rechtsmissbrauchlichen forum shopping
4 Schuldnerflucht im europaischen internationalen Insolvenzrecht
a) Anerkennung europaischer Verfahrensentscheidungen
b) Europaische Universalitat und Zustandigkeit
c) .Flucht¡§ als Manipulation der Hauptverfahrenszustandigkeit
5 Rechtsfolgen einer (gescheiterten) Flucht
a) Versagung gemas § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO
b) Versagung gemas § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO
c) Versagung gemas § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO
d) Versagung gemas § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO
F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke
I. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchungen
1 Rechtswirkungen der Flucht
2 Fluchtmotive, Reaktionstechniken und Rechtsprobleme
II. Reformkonzept des deutschen Gesetzgebers
III. Erneuerung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000
G. Abkurzungsverzeichnis
H. Literaturverzeichnis
I. Stichwortverzeichnis
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Die Flucht des Schuldners und die Reaktionstechniken eines Gesamtvollstreckungsrechts: Der fallitus fugitivus als Rechtsproblem
 9783110340969

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Dirk Streuber Die Flucht des Schuldners und die Reaktionstechniken eines Gesamtvollstreckungsrechts Der fallitus fugitivus als Rechtsproblem

Schriften zum deutschen, europäischen und internationalen Insolvenzrecht

Herausgegeben von Professor Dr. Stefan Smid, Kiel Rechtsanwalt Professor Dr. Mark Zeuner, Hamburg Rechtsanwalt Michael Schmidt, Berlin

Band 25

Dirk Streuber Die Flucht des Schuldners und die Reaktionstechniken eines Gesamtvollstreckungsrechts Der fallitus fugitivus als Rechtsproblem

DE GRUYTER

ISBN 978-3-11-034090-7 e-ISBN 978-3-11-034096-9 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2014 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: jürgen ullrich typosatz, Nördlingen Druck und Bindung: CPI buch bücher.de GmbH, Birkach ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Vorwort Mitunter ist die Anstrengung zu beobachten, durch Flucht die Verwirklichung des Rechts abwenden zu wollen. Indessen gehört es von je her zur Synästhesie einer eskalierenden Haftungslage, dass Insolvente oder Zahlungsunwillige zuweilen ihr Vermögen und auch sich selbst dem Exekutionszugriff zu entziehen versuchen und dass das Recht zur Wahrung des Bürgerfriedens darauf antwortet. Dabei faszinieren nicht nur die Flucht und die unmittelbaren Reaktionen des Rechts an und für sich, sondern gleichermaßen die Wahrnehmung, wie die Semantik der Flucht zwischen einem verständlich erscheinenden Vermeidungsverhalten und einem Code für die individuelle Repudiation des Rechts irisiert. Überdies lässt sich am Beispiel der Flucht die These der vom Schuldner erwarteten Redlichkeit vorzüglich ergründen, wenn er abweichend vom Axiom der uneingeschränkten Rechtspflichterfüllung Wege zu seiner Enthaftung sondiert. Und so wird das Interesse an einer Untersuchung verständlich, ob und inwieweit es dem Fugitiven gelingen kann, die von ihm angesteuerten Ziele zu erreichen. Diese Arbeit lag im Sommersemester des Jahres 2013 der Juristischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation vor. Für ihre Veröffentlichung wurde sie unter Berücksichtigung von Gesetzgebung, Schrifttum und Rechtsprechung bis Ende Juli 2013 aktualisiert und erneut redigiert. Mein hochverehrter akademischer Lehrer, Herr Prof. Dr. Stefan Smid, hat das Thema angeregt und dessen Untersuchung mit großem Herzen und feinsinniger Kritik unermüdlich gefördert. Ihm gelten mein besonderer Dank und meine aufrichtige Verbundenheit. Herrn Prof. Dr.Werner Schubert danke ich für die überaus faire und äußerst zügige Zweitbegutachtung. Ich danke meinen lieben Eltern dafür, dass sie meiner Schwester und mir ein Universitätsstudium ermöglichten und uns mit Liebe, Fürsorge und Toleranz in jeder Hinsicht unterstützten. Diese Arbeit wäre aber nicht geschrieben worden ohne die sanfte Geduld, die verständige Nachsicht und die humorvolle Hilfe meiner Liebsten. Ihr gebührt mein größter Dank, sie ist mein ganzes Glück. Halle (Saale), im August 2013

Dirk Streuber

Inhaltsübersicht A. Einführung

1

B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen 19 Revolution C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde

159

D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter E.

Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

250

F.

Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

460

G. Abkürzungsverzeichnis H. Literaturverzeichnis I.

Stichwortverzeichnis

500 506 533

178

Inhalt A. Einführung 1 2 I. Die Flucht des Schuldners 3 . Das Bild der Flucht . Enttäuschung normativen Erwartens und Schuldnerflucht 12 . Die Flucht im Haftungsrecht 15 II. Ziel und Wege der Untersuchung

8

B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen 19 Revolution 19 I. Der Schuldner im alten Orient und Okzident 22 II. Die Haftungsverwirklichung im römischen Recht 23 . Personalexekution und Infamie 27 . Gesamtvollstreckung versus Einzelvollstreckung 30 . Römische Wohltaten 37 . Ausdifferenzierung des römischen Vollstreckungsrechts 40 III. Entwicklungslinien aus dem Mittelalter in die Neuzeit 41 . Die private Selbsthilfe und die Friedlosigkeit 42 a) Fehderechtliche Wurzeln 43 b) Die Friedlosigkeit des Schuldners 46 c) Flucht als Verbrechen 53 . Die Verfolgung und Festsetzung des Schuldners 53 a) Dingflucht 55 b) Priorität des ersten Zugriffs 56 c) Kummer, Besetzung, Aufhalten 57 d) Die Rezeption des Arrestverfahrens 59 e) Die Flucht als causa arresti 64 f) Festnahme und Beschlagnahme 66 . Schuldhaft und Schuldknechtschaft 68 a) Haftvollzug im carcer privatus 74 b) Personalexekution in öffentlichen Hafträumen . Die Rezeption römisch-italienischen Rechts und die cessio 78 bonorum 79 a) Das Phänomen der Rezeption 81 b) Die Statuten oberitalienischer Städte 85 c) Die Prozeduren der cessio bonorum 90 . Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 92 . Europäische Tendenzen und Einflüsse 96 . Die Anziehungskraft des Salgado de Somoza

X

Inhalt

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit 100 102 . Ausbildung eines Konkursverfahrens nach gemeinem Recht . Exemplarische Regelungen in den neuzeitlichen 108 Stadtrechten 108 a) Der Stat Nürnberg verneute Reformation von 1564 110 b) Hamburgisches Fallitenrecht 115 c) Frankfurter Falliten-Ordnung von 1708 116 . Der flüchtige Schuldner im sächsischen Haftungsrecht a) Die ältere chursächsische Prozess-Ordnung vom 28. Juli 116 1622 118 b) Die Resolutio gravaminum vom 22. Juni 1661 119 c) Die Handelsgerichtsordnung vom 21. Dezember 1682 d) Die Mandate wider die Banqueroutiers von 1724 und 121 1766 126 . Der Kridar im bayerischen Gantprozess 127 a) Der Codex iuris Bavarici iudiciarii von 1753 130 b) Die bayerische Prozessordnung vom 29. April 1869 133 . Die Schuldnerflucht im preußischen Recht 134 a) Preußische Landrechte von 1620 und 1685 135 b) Edikt wider die Banqueroutierer vom 14. Juni 1715 137 c) Friedrich Wilhelms „Verbessertes Land-Recht“ von 1721 d) Preußische Hypotheken- und Concursordnung vom 4. Februar 138 1722 140 e) Project des Codicis Fridericiani Marchici von 1748 143 f) Corpus Juris Fridericianum vom 26. April 1781 145 g) Allgemeine Gerichtsordnungen von 1793 und 1815 149 V. Die Preußische Konkursordnung vom 8. Mai 1855 151 . Verfahrenseröffnung 153 . Bekanntmachung und Sicherungsmaßnahmen 155 . Infamie und Akkord C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde 159 159 I. Schuldnertypen 161 II. Rechtsbruch und Sanktion 164 III. Prioritätsprinzip, Konkurs und Präliminarverfahren 167 IV. Sicherungsmaßnahmen 169 V. Personal- und Vermögensexekution VI. Schuldnerschutz, Flucht und Chancen der Rechtswohltaten

172

XI

Inhalt

D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter 178 179 I. Die individuelle Schuldnerverfolgung 181 . Der dingliche Arrest 182 a) Arrestgründe 186 b) Arrest bei Urteilsvollstreckung im Ausland 188 c) Subsidiarität des Arrestes 191 . Der persönliche Arrest 192 a) Arrestgründe 199 b) Glaubhaftmachung und Vollzug 201 . Die Selbsthilfe des Gläubigers 204 II. Die Schuldnerflucht in der Konkursordnung 205 . Die Flucht als Hinweis auf Zahlungseinstellung . Auskunfts-, Mitwirkungs- und Residenzpflichten des 210 Gemeinschuldners 211 a) Auskunfts- und Mitwirkungspflichten 214 b) Residenzpflicht 216 c) Zwangsmittel 217 d) Vorführung und Haft im Eröffnungsverfahren 219 e) Beteiligungsrechte des Gemeinschuldners 220 . Auswirkungen auf die bürgerliche Stellung des Schuldners 225 . Zwangsvergleich 227 III. Krisenbewältigungsstrategien seit dem 1. Weltkrieg 228 . Die Geschäftsaufsicht vom 8. August 1914 230 . Die Geschäftsaufsicht vom 14. Dezember 1916 233 . Die Vergleichsordnung vom 5. Juli 1927 236 . Die Vergleichsordnung vom 26. Februar 1935 . Die Gesetze zur Bereinigung alter Schulden der Jahre 1938 und 240 1940 244 . Kriegswirtschaft 247 . Die Rechtslage nach dem Zweiten Weltkrieg E.

Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht 250 I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner 251 . Verfahrensspezifische Wirkungen 252 a) Beschlagnahme 253 b) Entmachtung des Schuldners 254 c) Gläubigerschutz und Existenzsicherung 256 . Indirekte Verfahrenswirkungen 256 a) Ausschluss von Ehrenämtern 258 b) Berufsrechtliche Konsequenzen

251

XII

Inhalt

c) Auswirkungen auf das Privatleben 263 266 d) Datenerhebung und -übermittlung e) Straftaten und Verbindlichkeiten aus unerlaubter 271 Handlung 272 f) Schuldnertypologie 274 II. Konsequenzen der Schuldnerflucht 275 . Die Flucht als Zeichen der Zahlungseinstellung 277 . Begründung von Verbindlichkeiten durch den Flüchtigen 279 a) Neugläubigeransprüche als Insolvenzforderungen? 283 b) Neugläubigeransprüche als Masseverbindlichkeiten? c) Neugläubigeransprüche ohne (zunächst) greifbare 286 Haftungsmasse d) Schicksal der vom fallitus fugitivus begründeten 291 Verbindlichkeiten 295 . Unterrichtung und Anhörung des Schuldners 296 a) Unterrichtung durch Zustellung 300 b) Anhörung des Schuldners 303 . Auskunfts- und Mitwirkungspflichten 304 a) Auskunftspflicht 306 b) Mitwirkungspflicht 307 c) Bereithaltungspflicht 308 d) Unterlassungspflicht 308 e) Pflichtenkonzept und Schuldnerflucht 309 f) Erzwingung der Pflichterfüllung 312 III. Enthaftung des Schuldners 314 . Restschuldbefreiung nach den §§ 286 ff. InsO 318 . Versagungsgründe 319 a) Die Versagung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO 326 b) Das Versagungsverfahren zu § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO 330 c) Die Obliegenheiten gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO 334 d) Das Versagungsverfahren zu § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO 339 . Flucht und Restschuldbefreiungsverfahren 341 . Flucht und Insolvenzplanverfahren 343 a) Errichtung des Insolvenzplanes 349 b) Bestätigung des Insolvenzplanes 350 IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen 351 . Universalität, Territorialität und Gläubigergleichbehandlung . In- und Auslandskonkurs im Recht der Konkurs- und 356 Vergleichsordnung 357 a) Wirkungsreichweite in- und ausländischer Verfahren

XIII

Inhalt

b) Judikatur zur Anerkennung ausländischer 360 Entschuldungsentscheidungen . Die Flucht im deutschen (autonomen) internationalen 371 Insolvenzrecht 372 a) Universalität und Anerkennung 377 b) Verortung des forum concursus c) Beurteilungszeitpunkt der Zuständigkeitsentscheidung 384 d) Problem des forum shopping 390 e) Rechtsmissbrauch des forum shopping f) Feststellung eines rechtsmissbräuchlichen forum 397 shopping . Schuldnerflucht im europäischen internationalen 403 Insolvenzrecht a) Anerkennung europäischer Verfahrensentscheidungen 419 b) Europäische Universalität und Zuständigkeit c) „Flucht“ als Manipulation der 433 Hauptverfahrenszuständigkeit 453 . Rechtsfolgen einer (gescheiterten) Flucht 453 a) Versagung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO 454 b) Versagung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO 456 c) Versagung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO 457 d) Versagung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO F.

Schlussbetrachtungen und Reformausblicke 460 461 I. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchungen 463 . Rechtswirkungen der Flucht . Fluchtmotive, Reaktionstechniken und Rechtsprobleme 476 II. Reformkonzept des deutschen Gesetzgebers III. Erneuerung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 487 2000

G. Abkürzungsverzeichnis H. Literaturverzeichnis I.

Stichwortverzeichnis

500 506 533

382

407

468

A. Einführung Die nachstehende Untersuchung ist den Rechtsfolgen der Flucht des Schuldners gewidmet. Damit wird ein nahezu typisches Phänomen angesprochen, welches in Vergangenheit und Gegenwart immer wieder und in vielfacher Gestalt zu beobachten ist. Der plötzliche Weggang des Schuldners, der seine Verbindlichkeiten nicht mehr zu begleichen imstande ist, beschäftigt unablässig jede Gesellschaft. So verwundert es nicht, dass die Kodifikationen des Haftungsrechts zu allen Zeiten reich an Regelungen waren, die den Fall der Schuldnerflucht zum Gegenstand hatten – und sie sind es heute ebenso. Mit auf Normen gestützten Strategieprogrammen wurde schon immer nach Wegen gesucht, die Probleme in den Griff zu bekommen, die der Austritt des Schuldners für die zurückgebliebenen und infolgedessen zusammenlaufenden Gläubiger mit sich bringt. Das Regest einer aus dem Spätmittelalter überlieferten Urkunde kann als exemplarische Miniatur den Gegenstand dieser Arbeit – die Untersuchung der Flucht des Schuldners und der Reaktionstechniken eines Gesamtvollstreckungsrechtes – in einer ersten Annäherung illustrieren: 14. Mai 1470, [Furth] Mert Prugkner, Hofrichter des Abtes von Gotweig, beurkundet durch einen Gerichtsbrief, dass der Cellerar Erhart als oberster Amtmann des Stiftes zu Gottweig vor ihm erschien, als er in offm pantading zu Furt underm Gottweig an der schrann mit ainem edln und erbern geding zu gericht saß und durch seinen Sprecher erklären ließ, dass er durch seinen Sprecher seinen Holden Erhart Schodl zu Palt und dessen Frau, welche nächtlicherweile ohne sein Vorwissen mit ihrem Gute von ihrem Lehen daselbst abgezogen, deswegen und wegen versessenen Zinses und einer Geldschuld im Banntaiding klagen ließ, worauf dieselben zur Verantwortung im nachtading vorgeladen wurden. Da sie aber nicht erschienen, so spricht er dem Abte als Grundherrn das Lehen zu. Wegen der Flucht mag sie derselbe gemäß dem Landrechte und den Rechtssatzungen des Stiftes weiter verfolgen. Siegler: Mert Prugkner mit dem aufgedrückten Siegel

Datum: Gebn an montag nach Pangracii (1470)¹

 Fuchs, Göttweig III, S. 29 Nr. 1764; die in einem aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammenden Kopialband (Signatur Cod. ser- n. 549, vormals Codex F) auf fol. 37 v. und fol. 38 r. überlieferte Urkunde mit der Signatur 1470 V 14 befindet sich heute im Archiv des Benediktinerstiftes St. Göttweig. Für die freundliche Unterstützung bedanke ich mich bei Pater Franz Schuster OSB, Stiftsarchiv Göttweig, der mir unter anderem Lichtbilder des Urkundentextes zur Verfügung stellte. Historische Dokumente und Akten, die Fluchtfälle zum Gegenstand haben, sind in verschiedenen Bibliotheken und Archiven greifbar, wenn auch sicherlich viele Dossiers im Laufe der Zeit nicht nur infolge von Feuer, Unruhen oder Krieg verloren gingen. Das verfügbare historische Aktenmaterial unter dem Gesichtspunkt der Schuldnerflucht umfassend zu recherchieren und im Detail auszuwerten, soll und kann diese Arbeit nicht leisten.

2

A. Einführung

I. Die Flucht des Schuldners Die Flucht des Schuldners war und ist als Reaktion darauf angelegt, durch Entfernung der eigenen Person und (eines Teils) des Vermögens eine Minderung der bisher eingenommenen Rechtsstellung zu vermeiden. Mit der Flucht versucht(e) der Schuldner, dem drohenden Verlust von Ansehen und Besitz zu begegnen und zumeist die Befriedigung seiner Gläubiger zu vereiteln. Wie mit dieser Arbeit zu zeigen sein wird, resultiert die Flucht gewöhnlich entweder aus dem Verhängnis des Schuldners, objektiv nicht mehr in der Lage zu sein, alle (fälligen) Forderungen seiner Gläubiger aus seinem Vermögen sofort zu bedienen, oder subjektiv nicht (mehr) leisten zu wollen. Der davoneilende Schuldner verband und verbindet mit der Flucht immer die Hoffnung, seinem aus der Schuld entspringenden Schicksal entgehen zu können. Dabei betrifft die Frage nach der Flucht des Schuldners immer auch eine Staatsgrenzen überschreitende Exekution, die heute unter dem Schlagwort crossborder insolvency im internationalen Insolvenzrecht behandelt wird. In der historischen Perspektive konnten aber das Weichbild des Dorfes, die Mauern der Stadt oder der diffuse Rand der Herrschaft die Grenzen sein, die es auf der Flucht hinter sich zu lassen galt. Dem gegenüber gaben und geben die vorangegangenen und gegenwärtigen Rechtsordnungen den Gläubigern unterschiedlich wirkende Instrumente an die Hand, um den Schuldner aufzuhalten, zur Erfüllung zu bewegen und erforderlichenfalls zu zwingen. Denn allein die Verpflichtung des Schuldners zur Leistung im Sinne eines rechtlichen Sollens gewährt(e) den Gläubigern noch nicht die Rechtsmacht, zur Verwirklichung der Schuld sofort und unmittelbar Zugriff auf den Schuldner und sein Vermögen nehmen zu dürfen.² Von Interesse sind mithin die Phänotypizität der Schuldnerflucht als einem emotional und rational fundierten Vermeidungsverhalten angesichts einer sozio-ökonomischen Konfliktlage und die hierfür rechtlich verfügbaren Bewältigungsstrategien. Namentlich von der Beantwortung der zentralen Fragen, aus welchen Gründen die Flucht des Schuldners erfolgt(e) und wie die Rechtsordnungen hierauf normativ reagier(t)en, insbesondere welche Sanktionen dem Flüchtigen droh(t)en und welche Wohltaten ihn zu normgerechtem Verhalten motivieren soll(t)en, hängt die Beurteilung ab, ob sich die vom Schuldner in die Flucht gesetzten Hoffnungen in der Vergangenheit erfüllen konnten und heute noch können. Diesen Fragen will diese Arbeit nachgehen.

 v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 3, S. 9 ff.

I. Die Flucht des Schuldners

3

1. Das Bild der Flucht Unter einer Flucht³ wird generell das Zurückweichen vor einer Gefahr verstanden. Gefahren können von einem angreifenden Feind, einer Naturkatastrophe, Seuchen, einer technischen Einrichtung etc. ausgehen; Gefahrenquellen gibt es ihrer viele. Zumeist richtet sich die Gefahr als Bedrohung gegen Leib und Leben, die individuelle Freiheit, die Familie, die persönliche Ehre und Integrität oder gegen das Vermögen Einzelner oder Mehrerer. Ein Beweggrund kann darin liegen, mit der Flucht eine dem bisherigen Lebensstandard vergleichbare Existenz fortsetzen zu wollen, um nicht in Armut abzustürzen, um den Ruin und das eigene Scheitern zu verdecken, um sich nicht schämen zu müssen und an den Abgrund des Verlustes des Selbstwertgefühls zu geraten. Die Flucht mag ferner zur Verhinderung der Rechtsverfolgung nach einer Unrechtshandlung motiviert sein. Opfer und Täter fliehen gleichermaßen. Die in der Natur des fühlenden Menschen liegende, nicht selten verstörende Angst vor dem Erleiden von Nachteilen ist es, die den Geängstigten vor der sich wie auch immer darstellenden Gefahr davonlaufen lässt. In sozialpsychologischer und humanethologischer Hinsicht kann die Flucht als komplexe Form des sogenannten Vermeidungsverhaltens gegenüber unangenehmen Reizen (Angstvermeidung) begriffen werden.⁴ Ein jedes Vermeidungsverhalten dient der Verhinderung des Eintritts bestimmter sozialer Lagen, durch die – instinktiv-emotional sowie dank individueller oder kollektiver Erfahrungen – Risiken und Störungen für die körperliche, seelische oder soziale Integrität zu befürchten sind. Insbesondere aufgrund während der Entwicklung eines Menschen eintretender psychoanalytisch beschreibbarer Ereigniszusammenhänge erwachsen bestimmte, zuweilen „unbewusste Wunsch- und Glaubensvorstellungen“, die in konkreten Situationen „Angst und Panik auslösen“, so dass versucht wird, dahin führende Konstellationen zu umgehen und erfolgreiche Vermeidungsstrategien „durch den operanten Mechanismus der negativen Verstärkung, der »Belohnung« durch Reduktion von Angst“ beizubehalten.⁵ In der Unterscheidung zu anderen Verhaltensmustern der Konfliktlösung (zum Beispiel Unterwerfung, gezielte Abwehr- oder Angriffshandlungen) kann die Flucht als ein „Aus Die Worte Flucht und fliehen lassen sich bis in das 8. Jahrhundert n. Chr. auf das althochdeutsche fluht und fliohan sowie das mittelhochdeutsche vluht und vliehen zurückverfolgen, sie zeigen eine vokale Verwandtschaft zu den Wörtern Flug und fliegen und dennoch bleibt ihre Etymologie offen; s. hierzu Kluge, S. 301 und 304; HRG, Flucht, S. 1597.  Edelmann, S. 87 f.; Brunner/Zeltner, S. 229 (Vermeidungsverhalten), die jedoch Vermeidungsverhalten vom Fluchtverhalten zu unterscheiden scheinen  Kraiker, S. 263 f. in einer theoriekritischen Untersuchung des Handlungsbegriffs in den Verhaltenswissenschaften; Edelmann, S. 87

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A. Einführung

dem-Feld-Gehen“ typisiert werden.⁶ Die Flucht stellt sich so als eine reaktive Bewältigungsstrategie für eine unmittelbar drohende Gefahr dar, die sich in Gestalt von Zeichen ankündigt.⁷ Bildet sich mit anderen Worten das Bewusstsein, eine aversive Stimulierung durch eine Flucht beenden zu können, wird in der Folgezeit regelmäßig der Versuch unternommen, diese Reizung in gleicher Weise vollständig zu vermeiden.⁸ Die durch Angst ausgelöste Affektion mag erklären, weshalb so manche Flucht ungeordnete, ziellose, reflexartige, zuweilen panische Züge aufweist. Insoweit wirken die Antizipation einer Gefahr und die nachfolgende Flucht abschirmend und beschützend. Andererseits verhindert die Flucht womöglich neue Einsichten und damit das Lernen alternativer Bewältigungsstrategien,⁹ so dass es zur Limitierung der Lebensgestaltungschancen kommen kann.Wiederum kann einer Flucht ein wohlbedachtes Kalkül zugrunde liegen, ein Fluchtplan, auf dessen Basis ganz gezielt ein Gefahrenraum verlassen und ein Zufluchtsort aufgesucht wird.Von dieser Perspektive aus gesehen mag eine Flucht gerade Gestaltungspotentiale bieten, die ein angstfreies und selbstbestimmtes Leben (wieder) ermöglichen. Jedenfalls verspricht sich der Flüchtende von der räumlichen Entfernung Sicherheit vor der ihn aktuell bedrohenden Gefahr; die zu erreichende Raumdistanz gibt ihm Schutz vor dem Angriff. Die Flucht kann mithin als Vermeidungsverhalten ängstlich-emotional stimuliert, zugleich rational motiviert und räumlich dimensioniert begriffen werden. Die räumliche Komponente der Flucht tritt zu allen Zeiten und überall in Erscheinung. Seit Menschengedenken flüchten Individuen vor der dunklen, bedrohlichen Nacht in Höhlen, Hütten und Häuser, die Schutz und Sicherheit versprechen. Sie bauten ihre Unterkünfte in befestigte Anlagen aus, um sich vor wilden Tieren, Feinden oder Naturgewalten besser verbergen zu können. Mauern wurden schon immer gezogen und besonders gesicherte Zufluchtsorte wie Bergfriede, Wohn- und Wehrtürme¹⁰ oder Fluchtburgen verhießen noch mehr Protektion. Aus allen Schutzbauten fliehen Menschen, wenn sie in ihnen durch Feuer, Erdbeben oder andere Gewalten bedroht

 Brunner/Zeltner, S. 229 (Vermeidungsverhalten); Schwarz, S. 277 ff.; Edelmann, S. 88  zu den Zeichen als Elemente der Kommunikationsprozesse s. Eco, S. 3 ff  Schermer, S. 609; Kraiker, S. 262 beschreibt dieses Bewusstsein als Ergebnis von Vermeidungslernen; Brunner/Zeltner, S. 229  Pollmann, S. 220; Edelmann, S. 88  Die Vielzahl der in der heutigen Sprache immer noch gebräuchlichen Worte, mit denen die Flucht beschrieben werden kann, beweist, in welchen Zusammenhängen die Flucht Bedeutung hat: türmen, vor Furcht weglaufen, sich ängstigen, zurückziehen, erschrecken, scheuen, (dem Tode oder den Häschern) entrinnen, sich retten, aus dem Wege gehen, das Weite suchen, (ab)trünnig oder fahnenflüchtig werden, desertieren, in das Exil gehen, Fersengeld geben, abhauen, sich aus dem Staub machen, ausbrechen, durchbrennen, wegschleichen, fortstehlen, verduften, durch die Lappen gehen, losmachen, lösen, austreten, flötengehen, befreien; s. hierzu Uhlenbruck, FS Gerhardt, S. 980; zur Sprache im Insolvenzrecht s. Henckel, S. 343 ff..

I. Die Flucht des Schuldners

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werden. Fluchtwege dienen dann ihrer Rettung. Flüchtende begeben sich erforderlichenfalls an weit entfernte Orte. Sie fliehen vor (nicht notwendigerweise gewaltsamen) Konflikten, Epidemien, Hungersnöten, Revolten oder Kriegshandlungen. Mit der Flucht verbinden sie nicht nur das Bestreben, den herannahenden Gefahren für die Befriedigung ihrer Grundbedürfnisse zu entkommen, sondern auch die Hoffnung, anderswo gleichermaßen oder besser in Würde und vor allem in Frieden leben zu können. Die räumliche Dimension im Sinne einer objektiven Ortsveränderung ist für die Charakterisierung der Flucht indes nicht zwingend. Als Realitätsflucht wird der geistigmentale Rückzug aus der wirklichen in eine imaginäre Welt verstanden, ohne dass der so Flüchtende seinen topografischen Aufenthaltsort verlässt.¹¹

Zugleich wird die Flucht immer durch das Zeitmoment bestimmt. Es geht dem Flüchtigen darum, sich schnell, zumindest aber rechtzeitig vor der heraufziehenden Gefahr in Sicherheit zu bringen. Deswegen ist er darauf angewiesen, die Zeichen der Bedrohung beizeiten wahrzunehmen und zu deuten. Er muss die Gefahr antizipieren, um noch entwischen zu können. Dies setzt das Bewusstsein und den Willen voraus, zu flüchten, so dass hierin der Unterschied zur Vertreibung und Verbannung liegt. Der Flüchtende will der drohenden existenziellen Gefahr entgehen, der Vertriebene wird gegen seinen Willen zum Verlassen eines Ortes gezwungen. Die Flucht hat neben der räumlichen mithin eine zeitliche Dimension und ist zudem von der objektiven und subjektiven Handlungsfreiheit sowie dem darauf gerichteten Willen des Einzelnen geprägt. Die Flucht zeigt viele Facetten. Der Fugitivus kann allein oder gemeinsam mit anderen fliehen. Wird eine Vielzahl von Menschen durch (Natur‐) Katastrophen, Kriegshandlungen, obrigkeitliche Pression, Elend oder Gewalt bedroht, kommt es zu Massenfluchten.¹² Eingesperrte Menschen flüchten aus Gefängnissen, um ihre

 Der Eskapismus kann sich als vielfach bewusste Verweigerungshaltung und als geistiger Rückzug vor der Erkenntnis der realen Verhältnisse zeigen, so in der absichtlichen sozialen Isolation der eigenen Person, in der gesteigerten Zuwendung zum Esoterisch-Irrationalen oder Religiösen, in der Betätigung in abgeschirmten Sekten oder in der Anwendung von Ablenkungsund Betäubungsmitteln.  Angesichts der Wirren und Fluchtbewegungen des Zweiten Weltkrieges wurde am 28. Juli 1951 auf einer Sonderkonferenz der Vereinten Nationen in Genf das „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ (sogenannte Genfer Flüchtlingskonvention – GFK) verabschiedet, dem zwischenzeitlich 147 Staaten beigetreten sind und welches in Deutschland mit Gesetz vom 1. September 1953 verkündet wurde (BGBl. II S. 559) und am 22. April 1954 (BGBl. II S. 619) in Kraft trat. Die Konvention wurde am 31. Januar 1967 durch das „Protokoll über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ modifiziert, mit dem unter anderem jede zeitliche und räumliche Einschränkung beseitigt wurde. Ziel der Genfer Flüchtlingskonvention ist es, den Menschen weltweit rechtliche Anerkennung und Schutzrechte zu verschaffen, die gezwungen sind, ihr Land zu verlassen, um in einem anderen Staat Zuflucht zu suchen. Ausweislich Art. 1 lit. A Ziffer 2 GFK ist jede Person ein Flüchtling, die „aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer

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Freiheit wieder zu erlangen; von ihnen kann nicht erwartet werden, dass sie sich durch das Dulden ihrer Unfreiheit selbst erniedrigen und so auf ihr singuläres Lebensglück verzichten. Der Fliehende mag einstweilen weglaufen oder für immer. Er kann vollständig abtauchen, so dass niemand seinen Aufenthaltsort kennt, oder er geht für jedermann sichtbar in ein Exil. Oder er weiht nur bestimmte Personen über die Flucht, ihre Umstände und ihre Ziele ein. Die Flucht mag heimlich oder offenkundig geschehen, sich als einmaliger Vorgang der Ortsveränderung erschöpfen oder in einen Dauerzustand im Sinne eines ständigen Fliehens an immer wieder andere Orte eskalieren. Die Flucht ist stets dynamisch. Auf der Flucht muss der Fliehende seine Bedürfnisse außerhalb des Gewohnten befriedigen, was ihn bisweilen vor erhebliche Schwierigkeiten stellt. Vor allem wird ihn die Flucht emotional berühren, insbesondere, wenn er in der Heimat Angehörige und seine vertraute Umgebung zurücklässt.¹³ Die Flucht selbst verläuft nicht selten tragisch und strapaziös. Der Flüchtende bewegt sich stets in der Gefahr, infolge des durch die Angst vor Entdeckung und Aufgriff ausgelösten Fluchtstresses seelisch zu erkranken. Die Flucht weckt Emotionen und ruft Re-

Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung sich außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzt, und den Schutz dieses Landes nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Befürchtungen nicht in Anspruch nehmen will […]“. Insbesondere ist die Ausweisung oder Zurückweisung eines Flüchtlings grundsätzlich verboten und es darf kein Flüchtling in ein Gebiet abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht sind (Art. 33 Abs. 1 GFK). Zu den weiteren von der Konvention geschützten Rechten eines Flüchtigen zählen der Schutz vor Diskriminierung wegen Rasse, Religion oder Herkunftsland (Art. 3 GFK), die Religionsfreiheit (Art. 4 GFK) im Sinne einer Inländergleichbehandlung, ein Mindestschutz für Vermögen und Erwerbstätigkeit (Art. 13, 14 und 17 ff. GFK), der freie Zugang zu den Gerichten (Art. 16 GFK), Freizügigkeit (Art. 26 GFK) oder der Anspruch auf Ausstellung von Ausweisen (Art. 27, 28 GFK). Die Konvention sieht gleichermaßen Pflichten für die Flüchtigen vor, zu denen insbesondere gehört, die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates sowie die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung getroffenen Maßnahmen zu beachten (Art. 2 GFK). Alles in allem gewährt die Konvention jedem Flüchtling weitgehend den gleichen Status wie Ausländern im Allgemeinen. Erwähnung mag noch finden, dass am 4. Dezember 2000 die UN-Generalversammlung mit der Resolution A/RES/55/76 den 20. Juni zum internationalen Gedenktag für Flüchtlinge (Weltflüchtlingstag) erklärte.  Der gegenwärtig amtierende Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen António Guterres beschrieb anlässlich des World Refugee Day 2012 die Situation der weltweit ca. 42, 5 Millionen Flüchtigen und Vertriebenen mit den Worten: „Alles hinter sich zu lassen, was einem lieb und teuer war, bedeutet, sich in einer unsicheren Zukunft wiederzufinden, in einer fremden Umgebung. Stellen sie sich vor, welchen Mut es erfordert, mit der Aussicht fertig zu werden, Monate, Jahre, womöglich ein ganzes Leben im Exil verbringen zu müssen.“ (Mitteilung vom 20. Juni 2012 des United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) unter http://www. unhcr.de/presse/nachrichten, abgerufen am 20. Juni 2012).

I. Die Flucht des Schuldners

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aktionen hervor, sie eröffnet und verschließt Handlungsräume und gestaltet so in jedem Fall die sozialen Beziehungen des Flüchtenden zu seinem Umfeld.¹⁴ So verwundert es nicht, in der Geschichte und Literatur viele anregende Berichte und Erzählungen über mehr oder weniger berühmte Fluchten aufspüren zu können. Die Flucht bewegte schon immer die Menschen, ist sie doch gleichzeitig ein Sinnbild für die Selbstbefreiung und Selbstbestimmung des Einzelnen. Für kurzweiligen Unterhaltungsstoff sorgen vornehmlich spektakuläre Ausbrüche aus Hafträumen, wenn sie eine intellektuelle Raffinesse der Protagonisten offenbaren. Ein bekanntes Beispiel kann die Faszination beschreiben, welches die Flucht bei Betrachtern auszulösen vermag: Der Delfter Philosoph, Theologe und Rechtsgelehrte Hugo Grotius (*1583; †1645), der als Vater des Völkerrechts gilt,¹⁵ wurde während der inneren Konflikte der Vereinigten Niederlande im Jahr 1613 festgenommen und zu einer Gefängnisstrafe auf Lebenszeit verurteilt. Die Haft verbüßte er im Wasserschloss Loevestein. Dort war ihm die Fortsetzung seiner Studien erlaubt, so dass er sich Bücher schicken lassen konnte, durchgesehene zurücksandte und wieder neue bestellte. Im Jahr 1621 nutzte er die sich daraus ergebende Chance: Bei einem Besuch seiner unverzagten Ehefrau, die zum Büchertausch in das Schloss kam, stieg er in die Büchertruhe, ließ sich mit einigen Folianten bedecken und entkam – getragen von zwei Wachsoldaten – so seinen Aufpassern. Diese Flucht ermöglichte es ihm, später sein Meisterwerk De jure belli ac pacis mit dem (politischen) Bekenntnis zu Frieden, Treue und Redlichkeit zu schreiben und seine europäische Karriere als Schriftsteller, Humanist und rechtsgelehrter Diplomat fortzusetzen.¹⁶

 Auf seiner vom 22. September 1782 bis zum 7. Dezember 1782 währenden Flucht aus Stuttgart über Mannheim, Darmstadt, Frankfurt a. M., Worms, Oggersheim und Meiningen in das thüringische Bauerbach schrieb Friedrich Schiller dem Mannheimer Theaterintendanten v. Dalberg: „… Sobald ich Ihnen sage, ich bin auf der Flucht, so habe ich Ihnen mein ganzes Schicksal geschildert. Aber noch kommt das Schlimmste dazu. Ich habe die nöthigen Hülfsmittel nicht, die mich in den Stand setzten, meinem Mißgeschick Trost zu bieten. Ich habe mich von Stuttgart, meiner Sicherheit wegen, schnell, und zur Zeit des Großfürsten losreißen müssen. Dadurch habe ich meine bisherigen ökonomischen Verhältnisse plötzlich durchrissen und nicht alle Schulden berichtigen können […] Ich ging leer hinweg, leer in Börse und Hoffnung. Es könnte mich schamroth machen, daß ich Ihnen solche Geständnisse thun muß …“ (Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. 23, S. 43). Zuvor bat er wohl indirekt über Oberst Christoph Dionysius von Seeger den württembergischen Herzog Carl Eugen um Aufhebung des ihm gegenüber verhängten Schreibverbots sowie Absehen von drohenden Sanktionen mit den Worten: „… ich bin der unglücklichste Flüchtling, wenn mich Serenissimus nicht zurückkommen lassen. Ich kenne die fremde Welt nicht, bin losgerissen von Freunden, Familie und Vaterland, und meine wenigen Talente wären zu wenig in der Schaale der grosen Welt, als dass ich mich auf sie verlassen könnte …“ (Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. 23, S. 40 ff.; vgl. hierzu die Kommentierung S. 268 ff.). Sein Freund und Begleiter, Andreas Streicher, wies darauf hin, dass nicht nur die unzureichende Besoldung als Regimentsarzt und die vom Herzog geübte Pression, sondern auch die dadurch verursachte Unfähigkeit, seine Verbindlichkeiten sämtlich zu berichtigen, in Schiller den Entschluss zur Flucht reifen ließen (Streicher, S. 79).  Hilgendorf, S. 764; Vorländer, S. 328  Luden, S. 164 ff.; Vorländer, S. 329; Ebel/Thielmann, S. 246; HRG, Grotius, Hugo; andere mehr oder weniger prominente Flüchtlinge – gleich ob Opfer oder Täter – waren oder sind: Petrus, Mohammed mit seiner Hidschra aus Mekka, Martin Luther, Ludwig XVI. und Marie Antoinette,

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A. Einführung

2. Enttäuschung normativen Erwartens und Schuldnerflucht Wird der Blick vom vorstehend skizzierten allgemeinen Fluchtbild gelöst und auf den Untersuchungsgegenstand gerichtet, drängt sich die Frage auf, was die Eigenart der Flucht des Schuldners ausmacht. Das Besondere wird naheliegend in der Kombination von Nichterfüllung einer rechtlichen Leistungspflicht und der damit in Beziehung stehenden Flucht zu suchen sein, mithin im Zusammenhang von Pflichtverletzung und Weggang. Deshalb ist der Fokus dieser Arbeit darauf gerichtet, zu erkennen, welche soziale und rechtliche Bedeutung die nicht bewirkte Erfüllung der Schuld hat,welche Rechtswirkungen für den Schuldner damit verbunden sind und wie die darauf folgende Flucht juristisch zu begreifen ist. Hierfür bedarf es einiger einleitender Überlegungen zur sozialen Ausgangssituation, um ein erstes grundlegendes Verständnis für die der Schuldnerflucht zugemessene rechtliche Bedeutung zu gewinnen. Leistet ein Schuldner auf eine unzweifelhafte oder gerichtlich festgestellte Verbindlichkeit nicht, enttäuscht er in unterschiedlicher Weise an ihn gestellte normative Erwartungen.¹⁷ Dem Gläubiger wird die Illusion genommen, der Schuldner, auf dessen Integrität und Zusage er baute, würde sein gegebenes Versprechen einlösen und die Verbindlichkeit berichtigen. Er fühlt sich in seinem, dem Schuldner entgegengebrachten Vertrauen¹⁸ düpiert. Zugleich enttäuscht der

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, nachdem er in Jena die Weltseele zu Pferde vorbeireiten gesehen hatte, Heinrich Heine, Winston Churchill, Wladimir Iljitsch Uljanow genannt Lenin, Kaiser Wilhelm II. und Kronprinz Wilhelm, Albert Einstein, der preußische Ministerpräsident Otto Braun, Kurt Tucholsky, die gesamte Familie des Thomas Mann, Willy Brandt, Kunrat und Ludwig von Hammerstein-Equord nach dem misslungenen Attentat vom 20. Juli 1944, die AlcatrazInsassen Frank Morris, John und Clarence Anglin sowie John Paul Scott, der Hochstapler und Scheckfälscher Frank William Abagnale Junior, der bayerische Bäderkönig Eduard Zwick, der 14. Dalai Lama Tendzin Gyatsho, der frühere Aachener Konkursverwalter Wilhelm Dresse, Erich Honecker, die Filmfigur Dr. Richard Kimble, der britische Milliarden-Bankrotteur Asil Nadir, der Immobilienkaufmann Dr. Jürgen Schneider, der Football-Star O. J. Simpson, der Waffenlobbyist Karlheinz Schreiber, manche Diktatoren und ihre Anhänger wie Benito Mussolini, Martin Bormann, Adolf Eichmann und viele andere Nazi-Potentaten mehr, Nicolae und Elena Ceausescu, Saddam Hussein, der Clan des Mohamed Al Gadaffi und freilich viele Attentäter und Terroristen wie Carlos, Osama Bin Laden, Mitglieder von IRA, RAF, ETA – die Liste der Flüchtigen aller Couleur kann nahezu unerschöpflich fortgesetzt werden.  zum Verständnis normativen und kognitiven Erwartens: Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 1, S. 40 ff.  Einen für Österreich und Kaiser Leopold I. beachtlichen Fall enttäuschten Vertrauens in den Kredit eines Kaufmanns und seiner Firma beschreibt Grunwald, S. 83 f., 143 ff., mit dem Zusammenbruch der Firma Samuel Oppenheimers nach dessen Tod im Jahr 1703, der zur Leipziger

I. Die Flucht des Schuldners

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Schuldner die normativen Erwartungen der nicht unmittelbar beteiligten Mitmenschen, er würde sich normadäquat verhalten und den Gläubiger nicht enttäuschen. Müssen der Gläubiger und die Umstehenden feststellen, dass der Schuldner nicht oder nicht gehörig erfüllt, ist ihre Enttäuschung unausweichlich existent. Mit Luhmanns ¹⁹ Worten mag die Nichterfüllung der Erwartungen „negativ oder positiv überraschen“, aber „immer stellt sie unabhängig von den Wirkungen des Einzelfalles auch die betroffene Erwartung in Frage. Die Situation ist nicht mehr dieselbe wie zuvor. Es ist jetzt unabweisbar evident, dass die Erwartung nur eine Erwartung war.“ Aus dieser Erkenntnis wächst Verunsicherung für alle Beteiligten. Das durch die Enttäuschung hervorgerufene Empfinden muss verarbeitet werden: „Die über den Einzelfall hinausreichende Betroffenheit durch Enttäuschung normativer Erwartungen zeigt sich an der Stärke der Reaktion. Die Enttäuschung stimuliert Aktivität, man kann sie nicht einfach passieren lassen.“ ²⁰ Die Enttäuschung will bewältigt werden. Für den Gläubiger und die übrigen Mitbürger stellen sich damit viele Fragen – Fragen, die nach befriedigenden Antworten verlangen: Warum erfüllt der Schuldner nicht? Hat er betrogen? War es ein Versehen? Hat der Gläubiger etwas falsch gemacht? Kann der Schuldner überhaupt leisten, ist er dazu in der Lage? Ist er gar pleite?²¹ Zur Beantwortung dieser Fragen begeben sich die Enttäuschten auf eine Gedankenreise.²² Sie suchen nach plausiblen Erklärungen, die angesichts der sich nunmehr diskrepant erweisenden Verhältnisse ein weiteres Festhalten an ihren normativen Erwartungen prinzipiell ermöglichen.²³ Und sie forschen nach angemessenen Reaktionen. Jedem Enttäuschten eröffnen sich für die Bewältigung

Messe seinen Gläubigern nicht weniger als drei Millionen Gulden schuldete; hierzu Smid, Samuel Oppenheimer, S. 569 ff..  Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 1, S. 53; zur Leistung der Erwartung, die Komplexität und Kontingenz des Möglichen begreifbar zu reduzieren: Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 1, S. 31  Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 1, S. 54  Die Flucht des Schuldners, das Sichentziehen vor dem Gläubigerzugriff, hat sprachgeschichtliche Spuren hinterlassen: Das Wort Pleite ist seit dem 19. Jahrhundert bezeugt, über das Rotwelsche entlehnt und dort im 18. Jahrhundert mit „Blede machen“ belegt für „durchgehen, entfliehen“, ferner ableitbar aus dem Westjiddischen pleyte, was „Entrinnen, Flucht (vor den Gläubigern), Bankrott, fort, weg“ bedeutet, sowie abstammend vom hebräischen ‫[ ְּפֵלָטה‬pĕlētā(h)], worunter „Rest, Überbleibsel, Entrinnen, Rettung“ verstanden wurde; zu allem Kluge, S. 708.  In der Belletristik wird die in der Person des Schuldners verkörperte Enttäuschung immer wieder und in unterschiedlicher Weise thematisiert, so in allseits bekannten Werken wie Thomas Manns Buddenbrocks; Hugo von Hofmannsthals Jedermann oder Honoré des Balzacs Eugénie Grandet. Mit Blick auf den Gegenstand der Arbeit ist zudem Willibald Alexis Novelle Die Flucht nach Amerika, Urania Leipzig 1848, zu erwähnen.  Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 1, S. 58

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verschiedene Wege, wobei nicht jede Rückwirkung den Charakter einer Sanktion haben muss.²⁴ Vielmehr können die Reaktionen vielgestaltig von der passiven Akzeptanz der Nichterfüllung der Schuld oder Indolenz über die Verbalisierung der Enttäuschung bis zum aktiven Handeln zur Herbeiführung des ursprünglich erwarteten Erfolgs – die Erfüllung der Schuld – reichen. Alle Beteiligten wollen an der normativen Erwartung der Schulderfüllung grundsätzlich festhalten, so dass sie Mittel und Wege zur Sicherung und Verwirklichung des Erfolgseintritts ausloten. Es verwundert demzufolge nicht, dass seit jeher alle Gesellschaften auf die Nichtbedienung berechtigter Ansprüche empfindlich reagieren.²⁵ So mag sich der Gläubiger an zuschauende Dritte wenden, die ihm die Verletzung der normativen Erwartung bestätigen und gegenüber denen er seiner Enttäuschung zum Ausdruck verhilft. Womöglich können die Mitmenschen ihm Erklärungen geben. Oder er nimmt unmittelbar Kontakt zum Schuldner auf, um die Ursachen zu ergründen und ihn zur Erfüllung seiner Schuld anzuhalten. Vielleicht entschuldigt sich der Schuldner und es stellt sich alles als Versehen heraus, so dass es doch noch zur Leistung kommt und die Enttäuschung bezwungen werden kann. Andere Reaktionstechniken setzen auf Sanktionen. Der Gläubiger kann gemeinsam mit seinen Mitbürgern Bewältigungsstrategien verfolgen, die geeignet sind, den Schuldner sozial verächtlich erscheinen zu lassen. Ein Weg wäre, über sein Verhalten öffentlich zu debattieren, um ihn einer sozialen Kritik preiszugeben, die aufgrund des so aufgebauten kollektiven Drucks doch noch zur Erfüllung der Schuld führt. Naheliegend ist dann der Gedanke, den Schuldner in irgendeiner Form für sein nicht normgerechtes Verhalten privat oder öffentlich büßen zu lassen. Auch die Kombination mehrerer Verhaltensstrategien kommt in Betracht.

Typischerweise versucht der Gläubiger, die ihm sichtbare Ursache der Enttäuschung zu beseitigen. Er wird sich bemühen, den Schuldner zur Berichtigung seiner Verbindlichkeiten irgendwie zu zwingen. Will er den Schuldner zur Erfüllung bewegen, sieht sich der Gläubiger allerdings vor dem regelmäßig erhebliche Schwierigkeiten bereitenden Problem, seinen Anspruch effektiv durchzusetzen. Zwar kann sich der Gläubiger für die Realisierung seiner Forderung verfügbarer (Zwangs‐) Mittel bedienen, um den angestrebten Erfolg zu erreichen. Hin und wieder aber wird der Gläubiger mit der Tatsache konfrontiert, nicht einen zahlungsunwilligen, sondern einen zahlungsunfähigen Schuldner wegen der Erfüllung bedrängen zu müssen – und findet sich unversehens in einer Gesellschaft mit weiteren Gläubigern wieder. Eine Mehrheit an Gläubigern und die drohende Insuffizienz des Schuldnervermögens bringen dem Gläubiger zumeist die nächste Enttäuschung seiner Erwartung, dass sich sein Anspruch gegen den Schuldner doch noch, wenn auch zwangsweise, vollumfänglich erfüllt.

 Luhmann, Rechtssoziologie, Bd. 1, S. 60 ff.  Becker, KTS 2008, 3, 5

I. Die Flucht des Schuldners

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Mit der Zahlungsunfähigkeit offenbart sich das wirtschaftliche Scheitern des Schuldners. Der Verlust der ökonomischen Perspektive zwingt den Entkräfteten und seine Umwelt zu tiefgreifenden Umstellungen.²⁶ Der Schuldner muss sich eingestehen, einige Dispositionen letztlich so zum eigenen Nachteil getroffen zu haben, dass ihn nunmehr seine Gläubiger bedrängen und er keinen Ausweg mehr weiß. Die Gläubiger sehen in ihm einen Menschen, der ein Versprechen,welches er in Ansehung des Kredits seiner Person gab, nicht einlöste und damit das ihm entgegengebrachte Vertrauen enttäuscht. Das wahrnehmbare Schuldnerverhalten, dessen objektive und subjektive Umstände oftmals verborgen bleiben oder kein gesteigertes Interesse finden, macht ihn in den Augen der Gläubiger verächtlich. Der Vergleich mit anderen Personen, deren inkriminiertes Verhalten sie für ihr Umfeld niederträchtig erscheinen lässt, führt oft zu der Vorstellung, mit dem Schuldner gleich einem Dieb, Betrüger oder Räuber verfahren zu dürfen. Andererseits wird die (wenn auch oft illusorische) Erwartung des Schuldners enttäuscht, dass sich die Dinge wieder zum Guten wenden und er noch rechtzeitig zu ausreichendem Vermögen kommt. Ebenso lebt mancher Schuldner in der Hoffnung, die Gläubiger würden ihm zumindest Chancen zur gütlichen und angemessenen Schuldenbereinigung einräumen und mit ihm weiter als ehrbares Mitglied der Sozialgemeinschaft umgehen, ohne durch Zwang und Verachtung seine persönliche und wirtschaftliche Integrität anzugreifen. Diese Hoffnung nährt sich oft an der schuldnerischen Wahrnehmung, durch eine Verkettung unglücklicher Umstände in die wirtschaftliche Krise geschlittert zu sein. Wird der Schuldner dennoch mit Vollstreckungsakten bedrängt und droht er einem (institutionalisierten) negativen sozialen Werturteil preisgegeben und damit in seiner Würde und seinem Selbstbewusstsein erschüttert oder gar zugrunde gerichtet zu werden, löst diese Ernüchterung ihrerseits Reaktionen aus. Dann können sich die schuldnerischen Bewältigungsstrategien vom passiven Hinnehmen des Geschehens über einen aktiven Umgang mit den Gläubigern bis hin zum Sich-Entziehen durch Suizid oder Flucht erstrecken. Gerade die beiden zuletzt genannten Varianten – Freitod und Rückzug – waren im Fall des finanziellen Zusammenbruchs schon immer typische Verhaltensmuster. Das Bedürfnis der von der Vermögenskrise des Schuldners betroffenen Personen, die durch die Enttäuschungen stimulierten Aktivitäten auszuleben, wird von den nicht (unmittelbar) betroffenen Mitmenschen in dem Maß akzeptiert, wie die (direkt) Betroffenen ihrerseits die (allgemeinen) Erwartungen an den Rechtsfrieden und die soziale Ordnung nicht enttäuschen. Diese Erwartungen führen zur Ausbildung von gesellschaftlichen Normen, welche die Reaktionen der Beteiligten auf die Zahlungsunfähigkeit sublimieren sollen. Wiederum müssen die zu Rechtsord-

 Becker, KTS 2008, 3

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nungen ausgebauten gesellschaftlichen Regeln alle in Betracht kommenden Erwartungen an das Recht erfüllen. Kohler ²⁷ fragte mit aller Berechtigung: „Welche Mittel wendet die Rechtsordnung an, wenn Jemand sich weigert, seine Hand zu bieten, um das Recht zu verwirklichen?“ Die zur Verwirklichung des Rechts führenden Mittel und die Entscheidung, sie im Einzelfall anzuwenden, bedürfen daher der auf der Akzeptanz aller Beteiligten beruhenden Legitimation.²⁸ Diese Legitimation folgt mit Luhmann ²⁹ aus der mit erfolgreichem Lernen einhergehenden, notwendigen Verhaltensanpassung; die Legitimation von zu Entscheidungen führenden Verfahren wird von ihm als ein institutionalisierter Lernprozess begriffen, um komplexitätsreduzierte Sachverhalte zwischen den Subjekten zu übertragen. Freilich ist diese Legitimation als soziales Verfahren vom juristisch determinierten Begriff des Gerichts- und Verwaltungsprozesses gedanklich zu trennen.³⁰ Rechtsnormen, die als Rahmenbedingungen einerseits die Komplexität zu reduzieren helfen und andererseits ein ergebnisoffenes Verfahren ermöglichen, erleichtern in diesem Sinn aber die Konfliktregelung und eröffnen über Verfahrensrollen (bessere) Beteiligungsmöglichkeiten.³¹

3. Die Flucht im Haftungsrecht Bezogen auf das Haftungsrecht stellt sich damit die Frage, welche Rechtsnormen ein geordnetes und die Interessen aller Beteiligten beachtendes Verfahren gewährleisten, so dass es Akzeptanz und Legitimität erfährt. Es bedarf einer Antwort darauf, wie diese Vorschriften zum Einsetzen, zur Beteiligung, zur Gestaltung und zur Beendigung eines solchen Verfahrens führen und wie sie auf Störungen reagieren, die gegen die berechtigten Belange einzelner Verfahrensbeteiligter gerichtet sind. Dabei ist es für die vorliegende Untersuchung zunächst von Interesse, wie sich in der historischen Perspektive die Anschauungen über das Verfahren zur Haftungsverwirklichung mit dem Fokus auf die Schuldnerflucht entwickelten und welche Bedeutung dem Weggang des Schuldners zukam. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen: Nach dem gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Recht ist die objektiv vorliegende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners ein allgemeiner Grund für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 17 Abs. 1 InsO). Der unvoreingenommen zu untersuchende und festzustellende Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit ist aber erst seit der preußischen Konkursordnung des Jahres 1855 Anlass, ein Verfahren zur gemeinsamen Haf-

 Ungehorsam und Vollstreckung im Civilprozeß, S. 56  zur Problematik der wirksamen Begründung für die Verbindlichkeit des geltenden Rechts im pluralistisch verfassten, multikulturellen Rechtsstaat s. Smid, Rechtsphilosophie, S. 9 f., 26, 30 ff., 41 f. et passim  Legitimation durch Verfahren, S. 33 ff., 107 ff.  letztere werden als unterschiedlich ausgestaltete und rechtlich geordnete Verkehrsformen verstanden, in denen die Beteiligten auf die Funktion des Verfahrens hin miteinander kommunizieren, Pawlowski/Smid, Rz. 1 ff.; Smid, Instrumentarien des Insolvenzrechts, S. 11  Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 69 ff., 100 ff.

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tungsverwirklichung einzuleiten. Überhaupt sah ein Teil des in deutschen Städten und Territorien geltenden Rechts erst seit dem Ende des Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648), der mit seinen katastrophalen sozialen und wirtschaftlichen Folgen zahllose Familien in größtes Elend stürzte, die Eröffnung eines alle Gläubiger erfassenden Verfahrens vor,³² während der andere Teil der deutschen Partikularrechte zunächst dem althergebrachten Prioritätsprinzip individueller Interessenverfolgung treu blieb. In den vorangegangenen Jahrhunderten war nicht der objektiv festzustellende Zustand des schuldnerischen Vermögens der Grund für ein Verfahren zur Haftungsverwirklichung zugunsten aller Gläubiger. Nachfolgend wird aufzuzeigen sein, dass anfangs vielmehr das auf die Gläubiger wirkende Verhalten des Schuldners, vor allem dessen (beabsichtigte) Flucht, den Anstoß für rechtlich legitimierte Maßnahmen der zwangsweisen Anspruchsverfolgung gab. Im Weiteren wird dann begreifbar, weshalb erst in jüngerer Zeit der (alleinige) Zugriff auf die Person des flüchtenden Schuldners überwunden werden konnte.

Historische Anknüpfungspunkte für die gegen die natürliche Person des Schuldners gerichteten Maßnahmen der Haftungsverwirklichung sind, wie im Einzelnen darzustellen sein wird, die Schuldhaft und die Infamie, die sich durch das gegen den Rechtsfrieden gerichtete Verhalten des Schuldners rechtfertigten. Die volle Vollstreckungswirkung der Schuldhaft und Infamie konnte aber nur gegen den Schuldner erreicht werden, dessen Person man sich versichern konnte, der man habhaft wurde, die nicht flüchtig war. Anhand überlieferter Rechtsordnungen soll exemplarisch ermittelt werden, ob und inwieweit in der Vergangenheit eine effektive Exekution erlangter Ansprüche ohne die Person des Schuldners möglich erschien. Hierzu bedarf es eines Verständnisses der zurückliegenden Sozial- und Wirtschaftsstrukturen, in denen die antiken, mittelalterlichen und (früh‐) neuzeitlichen Rechtsbeziehungen zwischen den handelnden Personen und ihren Vermögen anders gestaltet waren, als in den jüngeren Epochen und in der Gegenwart. Hinzu kommen die jeweiligen (macht‐) politischen Verhältnisse sowie die geistesgeschichtlichen Auffassungen über das Individuum, die Gesellschaft und das Recht, die gleichfalls Einfluss auf die Rechtsentwicklung nahmen. Die vorliegende Arbeit versucht, diese Zusammenhänge in die Betrachtungen einfließen zu lassen. Die in den ersten Teilen der Untersuchung erfolgende Zuwendung zu den vergangenen Rechtsordnungen dient aber nicht einem vordergründig historischen Interesse. Die Flucht des Schuldners und seine Festsetzung sind weit mehr als ein Relikt überkommener Rechtsvorstellungen; sie sind heute ebenso Realität. Auch nach der seit dem 1. Januar 1999 geltenden Insolvenzordnung kann auf die Flucht des Schuldners mit der Anordnung der Haft geantwortet werden (vgl. § 98 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Sicherlich wird nach dem gegenwärtig geltenden Haftungsrecht eine

 Dabelow, S. 496 ff.; Kori, S. 20

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juristisch-sozialmoralische Verdichtung von Zahlungsunwilligkeit, Insolvenz, verwerflichem Verhalten, schändlichen Folgen und strafrechtlichen Sanktionen, welche die Flucht auslösen könnte, als weitgehend überholt angesehen.³³ Zum Glück ist eine so überlieferte Auffassung zugunsten stark strukturierter, nüchterner Bewältigungsverfahren mit dem Ziel der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung bei gleichzeitigem Schuldnerschutz gewichen, wird von den Verfahren zur Ahndung echter Insolvenzstraftaten der §§ 283 ff. StGB einmal abgesehen. Gleichwohl ist bis zum heutigen Tag immer wieder die Vorstellung anzutreffen, dass ein Offenbarungs- oder Insolvenzverfahren für den Schuldner ehrenrührig sei und dieses ihn in den Augen der Gesellschaft moralisch angreifbar mache.³⁴ Nachdem seit Menschengedenken der insolvente Schuldner geächtet und bestraft wurde, über ihn das soziale Werturteil des Makels des Konkurses ³⁵ mit Formeln wie „Falliti sunt fraudatores“³⁶ gefällt wurde, verwundert es nicht, wenn auch gegenwärtig die Geschädigten und Umstehenden oftmals nicht verstehen, weshalb mit dem Zusammenbruch dem Schuldner zugleich die Chance einer Sanierung und eines Neuanfangs eingeräumt werden soll.³⁷ Nicht nur, dass sich die Gläubiger – überspitzt formuliert – durch ein staatlich geregeltes, gerichtsförmiges Verfahren der Restschuldbefreiung wegen ihrer Forderungen enteignet und den Schuldner nach Ablauf der in § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO normierten sogenannten Wohlverhaltensphase dafür belohnt sehen, seine Verbindlichkeiten nicht bedient zu haben. Vielmehr müssen die Gläubiger, die sich mit Blick auf den Neuerwerb und eine gegenwärtig sechsjährige Wohlverhaltensphase mit der letzten Hoffnung auf eine aliquote Befriedigung trösten, im europäischen Kontext erfahren, dass zum Beispiel im französischen Elsass³⁸ oder in Großbritannien eine Restschuldbefreiung binnen eines Jahres zu erreichen ist, die nach dem in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Recht für und gegen die deutschen und alle anderen europäischen Gläubiger wirkt. Voraussetzung  Becker, KTS 2008, 3  Paulus, Kaleidoskop, S. 106  hierzu Gerhardt, S. 100 ff.; Uhlenbruck, FS Gerhardt, S. 979 ff.  Kohler, S. 14  Die nicht nachlassende Aktualität dieser Fragen beweist die Pressemitteilung vom 7. April 2011 des Bundesministeriums der Justiz, wenn darin zu lesen ist, dass die Bundesregierung den Weg für einen Mentalitätswandel im Insolvenzrecht bereiten will, da nach wie vor für viele Menschen die Insolvenz gleichbedeutend mit persönlichem Versagen und endgültigem Scheitern sei, weshalb mit einer mehrstufigen Insolvenzrechtsreform die Rahmenbedingungen so geändert werden sollen, dass die Insolvenz eine echte Chance zum Neuanfang biete (abgerufen unter http://www.bmj.de, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013).  vgl. zu Art. 102 Abs. 1 EGInsO a. F. die „berühmte“ Entscheidung des BGH vom 18. September 2001, IX ZB 51/00, ZIP 2002, 365

II. Ziel und Wege der Untersuchung

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hierfür scheint nur zu sein, dass der Schuldner sein centre of main interests im Bezirk des angerufenen französischen oder britischen Gerichts eingerichtet hat. Verständlich ist andererseits die Versuchung des schuldnerischen forum shopping, die sich in den Gläubigeraugen als moderne Flucht (in eine andere, vermeintlich bessere, im europäischen und internationalen Maßstab von deutschen Gerichten und Rechtsunterworfenen jedoch anzuerkennende Rechtsordnung) spiegelt. Wiederum nachvollziehbar ist, wenn die Gläubiger in einem solchen Verhalten einen „doppelten Betrug“ erblicken. Die vermeintlich vom Recht geduldeten Chancen der Flucht in anscheinend schuldnerfreundlichere Rechtsordnungen fördern nicht die Akzeptanz einer dem Schuldner im Inland in Aussicht gestellten Restschuldbefreiung, für die höhere Hürden zu nehmen sind. Den sich damit offenbarenden Konflikt gilt es beizulegen. Soll das Insolvenzrecht abseits einer moralisierenden und pönalisierenden Sanktionierung dem rechtlichen Ausgleich gegenläufiger Interessen und damit dem Gläubiger- und Schuldnerschutz gleichermaßen dienen, soll trotz der prinzipiellen Eigenverantwortlichkeit für die die Haftung auslösenden privatautonomen Entscheidungen den Gläubigern aufgrund volkswirtschaftlicher und sozialpolitischer Erwägungen sowie wegen der dem Schuldner entgegenzubringenden Achtung dessen Restschuldbefreiung zugemutet werden, dann muss durch ein legitimes Verfahren zwingend ermittelt werden, ob gegen den begreiflichen Wunsch des Schuldners nach seiner Enthaftung triftige Gründe vorgebracht werden können.³⁹ Oder mit anderen Worten: Erweist sich der flüchtige Schuldner einer Restschuldbefreiung als würdig ⁴⁰ und wie wird den zu einer Flucht führenden Anreizen im allseitigen Interesse effektiv begegnet? Die nachfolgenden Erkundungen versuchen dabei offen zu legen, dass vieles, was hierzu im gegenwärtigen Recht vorgefunden und diskutiert wird, von den zurückliegenden Generationen oft schon erkannt, beschrieben und in Normen zur besseren Gestaltung der Rechtswirklichkeit gefasst wurde.

II. Ziel und Wege der Untersuchung Die soeben angefertigte Skizze lässt erkennen, dass die Flucht des Schuldners ein in allen Gesellschaften und zu allen Zeiten auftretendes Phänomen ist. Dieses Phänomen offenbart in jedem Zeitalter und in jedem Kontext unterschiedliche Probleme der Rechtsdurchsetzung. Die nachfolgenden Untersuchungen und

 Häsemeyer, Rz. 26.02  Smid, Spanische Straße, S. 507

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A. Einführung

Überlegungen beschäftigen sich mit der Frage, wie unterschiedliche Rechtsmodelle der Vergangenheit und Gegenwart auf die Flucht des Schuldners reagier(t)en. Es wird nach rechtserhaltenden und rechtsgestaltenden Normen gesucht, nach Vorschriften, die an die Flucht Sanktionen knüpfen und damit abschreckend wirken sollen, und nach Regelungen, welche den Fortgang vermeiden wollen, indem sie dem Schuldner Fluchtmotive nehmen und attraktive Angebote unterbreiten, um ihn zum Bleiben und Mitwirken bei der Krisenbewältigung zu bewegen. Daneben werden Normen beleuchtet, die an die Schuldnerflucht noch in anderer Hinsicht anknüpfen. Die Arbeit verfolgt nicht die illusorische Absicht, eine (rechtshistorisch) vollständige, in sich geschlossene und durchweg mit Primärquellen belegte Darstellung aller mit der Schuldnerflucht einhergehenden Umstände zu geben. Schon der zeitliche Betrachtungshorizont, die Vielfalt und die Unzulänglichkeiten der überlieferten Partikularrechte, die Wandlungen in der Historiographie sowie die latente Unvollständigkeit der heute verfügbaren historischen Informationen würden ein derartiges Unterfangen zweifelhaft erscheinen lassen. Um im sogleich noch näher abzusteckenden Rahmen der Arbeit zu bleiben, vermögen nachfolgend zunächst nur einzelne Schlaglichter auf das stets etwas dunkel bleibende Bild der Geschichte Eindrücke darüber vermitteln, wie die vergangenen Rechtsordnungen die Schuldnerflucht begriffen und darauf antworteten. Je näher dann die Untersuchung der Neuzeit und der Moderne kommen wird, desto mehr werden sich diese Eindrücke zu einem helleren Panorama fügen, welches einen aufschlussreichen Blick auf das zurückliegende und gegenwärtige Schicksal des fallitus fugitivus – so kann der in die Vermögenskrise geratene, flüchtende Schuldner griffig genannt werden⁴¹ – erlaubt. Es wird auf diesem Weg der Versuch

 Der Neologismus lehnt sich an Endemann, S. 35 f. an, der die fallierenden Schuldner unter Hinweis auf historische Quellen decoctores, conturbatores, falliti, cessantes oder mercatoris cessantes et fugitives nannte, sowie Auerbach, der seine 1685 in Leipzig und Frankfurt a. M. erschienene Schrift unter den Titel „Mercator fallitus sive Der Bankerottierer“ stellte. Obgleich sich das Wort fallitus ausweislich der Erläuterung eines 1796 in Leipzig erschienenen Wörterbuchs (Adelung, S. 32) unter anderem auf das lateinische fallere (durch Nichterfüllung enttäuschen, täuschen, betrügen) zurückführen lässt, ebenso wie die Worte Fallit (ein bankrotter Kaufmann) und Fallimếnt (im gemeinen Leben die Unvermögenheit eines Kaufmannes zur Schuldenzahlung und dessen Ausbruch, der Bankerott), und obgleich in der Hamburgischen Fallitenordnung von 1753 zum Beispiel in Art. 26 Abs. 2 (vgl. Hasche, Bd. 2, S. 191) die Bezeichnung fallitus nachweisbar ist, meinte der sie im Jahr 1797 kommentierende Theodor Hasche (Bd. 1, S. 26): „Die Ausdrücke: der Fallite und Falliten-Ordnung, sind ursprünglich französische Wörter; von fallir, le failli und la faillite. Ein Kaufmann der durch Unglück genötigt ist zu brechen, – eine unglückliche Zahlungs-Unfähigkeit. Aus dem lateinischen fallere, können die Ausdrücke nicht hergeleitet werden, weil einmal, die böße Nebenbedeutung des Betruges dabey herrscht, und

II. Ziel und Wege der Untersuchung

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unternommen, typische Reaktionstechniken in einstigen und in der aktuell geltenden Rechtsordnung aufzuspüren, die auf die Flucht des Schuldners reflektieren. Hierzu werden sowohl einzelne Normtexte betrachtet, als auch Sekundärquellen, Rechtsprechungsnachweise und einschlägige Literatur bemüht. Im Zentrum steht die Sondierung des rechtlichen Feldes, auf dem in der Vergangenheit die Flucht geschah, um das sich darauf entwickelnde, gegenwärtige Gesamtvollstreckungsrecht der in die Europäische Union und die internationale Rechtsgemeinschaft integrierten deutschen Republik besser erkennen zu können. Ziel dieser Arbeit ist es mithin, vor dem Hintergrund der Schuldnerflucht verständlich zu machen, wie die historischen und gegenwärtigen Verfahrensvorschriften den Zugriff auf die Person des Schuldners und dessen Vermögen mit der Intention gewährleisten woll(t)en, die Gläubiger (gemeinschaftlich) zu befriedigen und dem redlichen Schuldner die Möglichkeit der Rekonvaleszenz und womöglich der Restschuldbefreiung zu geben. Wird die Entwicklung des Rechtes als immerwährende Abfolge von Bemühungen gedacht, es in seinen Strukturen und Wirkungen richtig zu begreifen, um es zur weitgehenden Wahrung von Frieden, Gerechtigkeit und Ausgleich erforderlichenfalls neu zu ordnen, lässt sich der Sinn der die Flucht thematisierenden Vorschriften des heutigen deutschen und europäischen Haftungsrechts eher ergründen, wenn ihre historischen Wurzeln, ihre gegenwärtigen Motive und die konkreten Ausformungen nachvollzogen und zueinander in einen gedanklichen Zusammenhang gebracht werden. Das Rechtsproblem der Schuldnerflucht mag besser zu verstehen sein, wenn seine ver-

zweytens, weil fallitus kein Wort ist.“ Dem steht jedoch entgegen, dass sich dieser Terminus in den Verfahrensakten des Reichskammergerichts des 17. und 18. Jahrhunderts belegen lässt, zum Beispiel in einem gegen Clemens Hartkop jun. geführten Zahlungsprozess nach dem Konkurs seines Vaters (Landesarchiv Nordrhein-Westfalens, Abteilung Rheinland, Standort Düsseldorf, Aktenzeichen H 410/1531, Signatur AA 0627 115.05.04, laufende Nummer 2340, Konspekt zuletzt abgerufen am 7. Juli 2013 unter http://www.archive.nrw.de) oder im Rechtsstreit zwischen dem königlich-spanischen Agenten Miguell Nicoletta gegen den Bürgermeister und Rat der Stadt Köln, Dietrich Maulard, der den Spanier wegen ausstehender Geldschulden arretieren ließ, worauf dieser nach seiner Freilassung den vorgeblichen Gläubiger Maulard auf Freizügigkeit, freies Geleit sowie Satisfaktion und Wiedergutmachung mit der Begründung in Anspruch nahm, sein guter Ruf („nomen bonum, fama et existimatio“) sei beschädigt, weil jener in diffamierender Weise („in libellis famosis“) in Frankfurt, Köln und Straßburg hatte verbreiten lassen, Nicoletta sei ein betrügerischer Bankrotteur („tamquam fallitus et bankrotista“), worauf Maulard im anschließenden Kontumazialverfahren und trotz sogenannter forideklinatorischer Einreden im Jahr 1646 schließlich zu „perpetuum silentium“ verurteilt wurde (Historisches Archiv der Stadt Köln, Bestand 310N, A 21a, Altsignatur N449/1222, jedoch wohl Verlust durch den tragischen Einsturz des Kölner Stadtarchivs am 3. März 2009, Konspekt zuletzt abgerufen am 7. Juli 2013 unter http://www.archive.nrw.de).

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A. Einführung

schiedenen Ansichten dargestellt und diskutiert werden. Angesichts dieses Zieles kann und muss sich die Untersuchung auf die Betrachtung des Schuldners als natürliche Person konzentrieren.⁴² In einem ersten Teil wird erkundet, wie sich der fallitus fugitivus im Kontext der antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Rechtsentwicklungen vom Zielobjekt des Vollstreckungszugriffs zu einem mit Rechten ausgestatteten Verfahrensbeteiligten wandelte. Im Anschluss daran wendet sich die Untersuchung der Frage zu, mit welchen Techniken die privatrechtlichen Verfahrensnormen des bürgerlich-industriellen Zeitalters auf die Schuldnerflucht reagierten und versuchten, den (fluchtbereiten) Schuldner in ein geordnetes Bewältigungsverfahren zur allseits interessenwahrenden Gläubigerbefriedigung einzubinden. Hiernach werden die Antworten des gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Rechts auf eine schuldnerische Flucht beleuchtet, auch in Bezug auf die im Inland bestehenden Aussichten für eine Enthaftung des Schuldners. Zum Schluss wird zu analysieren sein, wie die über die heutigen Staatsgrenzen hinweggehende Flucht des Schuldners juristisch zu begreifen ist und welche Konsequenzen die Anerkennung europäischer und internationaler Restschuldbefreiungsentscheidungen mit sich bringt. Die gewonnenen Ergebnisse werden am Ende zusammengefasst betrachtet, um letztlich einen Ausblick auf die momentan zu erwartenden Neuerungen des deutschen und europäischen Insolvenzrechts zu wagen. ***

 Soweit auf juristische Personen Bezug genommen wird, erfolgt ein entsprechender Hinweis.

B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution Die (drohende) Flucht des Schuldners und die damit verbundene Nichterfüllung gaben schon in früher Zeit für die Gläubiger Anlass, Maßnahmen zu ergreifen, um die dadurch hervorgerufenen Störungen des Leistungsaustauschs zu beseitigen. Die ältesten bekannten Rechtsordnungen hielten Regelungen für den Fall bereit, dass der Schuldner seine Verbindlichkeiten nicht beglich und sich den Gläubigern zu entziehen beabsichtigte. Rechtshistorisch und universalrechtlich lässt sich die Haftung des Schuldners mit seinem Leib, seiner Freiheit, seiner Ehre, seinem Vermögen und zuweilen seiner Familie erkennen. Die in frühen, teils archaischen Rechtssystemen vorgesehenen Folgen gaben dem zahlungsunfähigen Schuldner zumeist aber auch allen Grund, bei Einsicht in sein finanzielles Unvermögen das Weite zu suchen. Für den Untersuchungsgegenstand ist es deshalb von Interesse, wie sich die Beteiligung des Schuldners an den von den Rechtsordnungen bereitgestellten Verfahren der Haftungsverwirklichung inhaltlich entwickelte, welche Rolle er hierfür einnahm und welche Mechanismen zur Anwendung kamen, um eine Flucht zu vermeiden und die Befriedigung der Gläubiger zu gewährleisten.

I. Der Schuldner im alten Orient und Okzident Die antiken Rechtsordnungen sahen regelmäßig die individuelle Verwirklichung der Ansprüche durch Personal- und Vermögensexekution vor. Im pharaonischen Ägypten schien zwar keine private Eigenmacht erlaubt gewesen zu sein, weshalb nur der Gerichtsherr respektive das Gericht die Vollstreckungsmaßnahmen anordnen konnten.¹ Im Fall der Personalexekution wurde zur Pression jedoch unmittelbarer Zwang gegen den Körper des Schuldners ausgeübt, indem er zum Beispiel geprügelt und zur Leistung eines (religiösen) Eides angehalten wurde.² Zudem war die Schuldhaft akzeptiert, in die der Schuldner geriet, wenn er seine Verbindlichkeiten nicht erfüllte.³ Die Vermögensvollstreckung erfolgte unter gerichtlicher Einsetzung eines Exekutors, der zur Gläubigerbefriedigung Zugriff auf das schuldnerische Vermögen nehmen konnte.⁴

 Schafik, S. 36  Schafik, S. 36  Dabelow, S. 3; anders Kohler, Shakespeare, S. 19, der auf eine Haftung des Leichnams des verstorbenen Schuldners und eine Praxis der Leichenverpfändung verweist  Schafik, S. 37

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Ebenso kannte das antike Mesopotamien die Personal- und Vermögensexekution, schien aber im Codex Hammurabi die Vermögensvollstreckung verboten zu haben.⁵ Dem Codex Hammurabi liegt der Gedanke zugrunde, dass der Gläubiger den Schuldner und dessen Angehörige in Schuldhaft nehmen und ihn mit seinem Vermögen verkaufen konnte, wenn jener seine Verbindlichkeiten nicht berichtigte.⁶ Hieraus könnte geschlossen werden, dass die Erfüllung der Schuld mit der Person und der Familie des Schuldners untrennbar verbunden und die Flucht des Schuldners bei Nichterfüllung zu erwarten war. In diesem Fall durfte der Gläubiger den habhaft gewordenen Schuldner oder einen Hausangehörigen in Haft nehmen und wegführen. Hatte der Gläubiger jedoch Personen (Angehörige) des Schuldners zu Unrecht in die Schuldhaft genommen, musste er nach § 114 des Codex Hammurabi zum Ausgleich für jede einzelne gepfändete Person eine Drittel Mine Silber bezahlen. War hingegen eine Person des Schuldners vom Gläubiger wegen ausstehender Geld- oder Getreideleistung in Schuldhaft gebracht worden und verstarb sie unterdessen, entstanden deswegen keine Ansprüche (§ 115 Codex Hammurabi).Verstarb die gepfändete Person im Haus des Gläubigers aber infolge von Gewalteinwirkungen oder schlechter Behandlung und handelte es sich hierbei um ein Kind des Schuldners, musste der Gläubiger (sic!) die Tötung seines Kindes hinnehmen. War der Verstorbene wiederum ein Sklave des Schuldners, hatte der Gläubiger eine Drittel Mine Silber zu zahlen (§ 116 Codex Hammurabi). Das mesopotamische Recht schien zur Haftungsverwirklichung ferner die Möglichkeit der freiwilligen Selbstverpfändung und -veräußerung des Schuldners und seiner Angehörigen gekannt zu haben. Denn hatte der Schuldner wegen einer Schuld seine Gattin oder eines seiner Kinder für Geld verkauft oder in den Schulddienst gegeben, so sollten diese drei Jahre im Hause des Erwerbers oder Dienstherrn arbeiten, um im vierten Jahre wieder freigelassen zu werden (§ 117 Codex Hammurabi). Und hatte der Schuldner einen Sklaven in den Schulddienst gegeben und verkaufte der Gläubiger diesen, hatte der Schuldner insoweit keine Rechte (§ 118 Codex Hammurabi). Hieraus könnte aber auch geschlossen werden,

 Kohler/Ungnad/Koschaker, Bd. 1, S. 114 unter Hinweis auf § 113 Codex Hammurabi, vgl. aber auch Bd. 3, S. 258 Fn. 7, wonach im Neubabylonischen die Realvollstreckung durch Pfändung üblich gewesen sei  Dabelow, S. 3 und Kohler/Ungnad/Koschaker, Bd. 1, S. 114, die Bezug auf alttestamentarische Quellen nehmen, wie zum Beispiel das 5. Buch Mose Kapitel 24: „Wenn du deinem Nächsten irgend eine Schuld borgst, so sollst du nicht in sein Haus gehen und ihm ein Pfand nehmen, sondern du sollst außen stehen, und er, dem du borgst, soll sein Pfand zu dir herausbringen …“ oder zum flüchtigen Schuldner das 1. Buch Samuel Kapitel 22: „Und es versammelten sich zu ihm jeder Bedrängte, und jeder, der einen Gläubiger hatte, und jeder, der erbitterten Gemütes war …“

I. Der Schuldner im alten Orient und Okzident

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dass in Hammurabis Königreich nur hinsichtlich der Sklaven eine bis zum Verkauf reichende, zwangsweise Personalexekution zulässig war.⁷ Das so erkennbar gewordene Grundprinzip der personalexekutiven Haftungsverwirklichung war anderen antiken Völkern gleichermaßen bekannt. Kohler ⁸ beschrieb für die Hebräer, Griechen, Kelten, Iren, Iraner, Inder, Malaien, Chinesen und die afrikanischen Völker ein allgemein praktiziertes Verfahren der Personalexekution für öffentliche und private Schulden in Form der Schuldhaft und Schuldknechtschaft.⁹ Er erkannte in der „Haftung des Schuldners mit seinem Leib“ eine „universalrechtliche Institution.“ ¹⁰ Während der privat vollzogenen Schuldhaft durfte der (eingefangene) Schuldner zumeist gefesselt, körperlich und seelisch misshandelt und als Schuldknecht benutzt werden, bis er zahlte, seine Angehörigen ihn auslösten oder die Verbindlichkeit durch Arbeit abgetragen war.¹¹ Ein indischer oder irischer Schuldner konnte aber auch befastet werden, indem sich der Gläubiger vor dessen Tür setzte und sozusagen bis zur Zahlung mit einer „moralischen Belagerung“ pressierte.¹² Nach Dabelow¹³ war die in Athen verhängte Schuldhaft eine sehr „drückende Sclaverey“ und hauptsächlich Zwangsmittel: der Gläubiger konnte den Schuldner – „damit er nicht entflöhe“ – in Bande legen und zu sklavischen Arbeiten gebrauchen. Das Recht der griechischen Böotier sah die entehrende Prozedur des Körbens vor, wonach dem zahlungsunfähigen und damit potentiell flüchtigen Schuldner auf offenem Markt ein Korb über den Kopf geworfen wurde.¹⁴ Womöglich symbolisierte diese Handlung das Einfangen des wegen seiner Vermögensinsuffizienz potentiell fluchtbereiten Schuldners, der nunmehr der Schuldhaft zugeführt wurde. Für die Griechen wird zudem die Praxis beschrieben, dass neben dem Schuldner auch dessen Angehörige und Kinder zumindest für öffentliche Schulden hafteten und dass der griechische Handelsschuldner mit dem Tod bestraft werden konnte.¹⁵ Gleichwohl blieb der Schuldner ein freier Mensch und Bürger der Polis, bis er vom Gläubiger in die

 Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1, 2; dagegen Kohler/Ungnad/Koschaker, Bd. 1, S. 114 unter Hinweis auf § 54 Codex Hammurabi  Shakespeare, S. 13 ff. jeweils m. Nachw.  ebenso Dabelow, S. 5 ff. mit Hinweisen auf Vermögensvollstreckung bei den Hebräern und den Griechen  Breßler, S. 41 unter mit Kritik verbundenem Hinweis auf Kohler, Shakespeare, S. 14  Kohler, Shakespeare, S. 13  Kohler, Shakespeare, S. 14 f.  Dabelow, S. 9; Kori, S. 6  Kohler, Shakespeare, S. 49  Kohler, Shakespeare, S. 12 f.

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Fremde verkauft wurde und seiner Freiheit sowie Bürgerrechte verlustig ging und in „wirkliche Sclaverey“ geriet.¹⁶

II. Die Haftungsverwirklichung im römischen Recht Ob für die Ausbildung und frühe Entwicklung des römischen Rechts Rechtspraktiken und -institutionen benachbarter Völker und Stämme Vorbild waren, ist mit Blick auf die Quellenlage als ungewiss einzuschätzen.¹⁷ Eine nähere Beschäftigung mit dem römischen Exekutionsrecht ist indessen für das Verständnis der vollstreckungsrechtsgeschichtlichen Entwicklung in den europäischen Städten und Territorien von erheblicher Bedeutung, kann es doch als einer von mehreren Ausgangspunkten betrachtet werden. Mit der ab dem 12. Jahrhundert einsetzenden Rezeption des römisch-italienischen und kanonischen Rechts wurden wesentliche Gedanken des römischen Rechts in den europäischen Partikularrechten aufgegriffen und erlangten nahezu 1000 Jahre nach dem Untergang des weströmischen Reiches wieder Bedeutung. So ist auf das römische Recht die noch heute übliche Unterscheidung zwischen Erkenntnisprozess und der sich anschließenden Vollstreckung zurückzuführen. In beiden Verfahren erfolgte die Anrufung des Gerichts durch die Prozesshandlung der actio¹⁸ und beide Verfahren waren (zumindest anfangs) vom Prinzip der Parteiherrschaft geprägt.¹⁹ Das Exekutionsverfahren war dabei zunächst reine Urteilsvollstreckung.²⁰ Wie sogleich gezeigt werden wird, verlagerte sich mit der Zeit die Haftungsgewalt des Gläubigers von der reinen Personalexekution auf das gesamte Vermögen des Schuldners, um später auf Einzelgegenstände beschränkt zu sein.²¹ Ebenso wird zu erhellen sein, ob die wegen des Fehlens einiger für ein Gesamtvollstreckungsrecht typischer Bestimmungen zuweilen vertretene, etwas anachronistische Auffassung zutreffend ist, im römischen Recht könnten keine spezifisch gesamtvollstreckungsrechtlichen Normzusammenhänge nach heutigem Verständnis ausgemachen werden.²²

 Dabelow, S. 9, der für ein Recht des Gläubigers zur harten Behandlung oder gar Tötung des Schuldners keine Hinweise sah und unter Bezug auf Dionysios von Halikarnassos und Plutarch für die Zeit seit Solon die vorrangige Vermögensvollstreckung beschrieb  Spann, S. 3  zu den legis actiones vgl. Bethmann-Hollweg, I. Bd., S. 48  Vollmershausen, S. 8  Jaeger, Lehrbuch, S. 9  Zipperer, S.22  Hellmann, S. 3; Endemann, S. 33; Jaeger, S. 9; Kroppenberg, S. 62 f.; Nunner-Krautgasser, S. 206; dagegen Zipperer, S. 22; ambivalent Forster, Konkurs als Verfahren, S. 86

II. Die Haftungsverwirklichung im römischen Recht

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1. Personalexekution und Infamie Im frühen römischen Recht stand der Schuldner mit seinen persönlichen Gütern der Freiheit, Ehre, Leib und Leben für die Erfüllung der Schuld ein – er haftete mit diesen.²³ Das Verfahren der legis actio per manus iniectionem²⁴ diente der Verwirklichung der persönlichen Haftung eines römischen Bürgers gegenüber dem anderen.Voraussetzung für die Vollstreckung war ein auf Geldzahlung gerichteter, bezifferter Anspruch, der zuvor gewöhnlich in einem ordentlichen Erkenntnisverfahren mittels Urteil festgestellt (res iudicata) oder vom Schuldner anerkannt worden (aes confessum) war.²⁵ Wollte oder konnte der Schuldner den im Urteil titulierten Anspruch nicht erfüllen, bestand die Gefahr seiner Flucht, da mangels Gegenwart seiner Person kein Ansatz für die (Personal‐) Vollstreckung mittels Handanlegen gefunden werden konnte. Der Zugriff auf die Person des Haftenden diente anfangs vielleicht auch der Rache für erlittenes Unrecht, war später aber auf den Zweck beschränkt, durch mittelbaren Zwang eine Geldzahlung als Haftungslösung zu erreichen oder zumindest die Arbeitskraft des Schuldners zu verwerten.²⁶ Dabei unterlag das Verfahren der legis actio per manus iniectionem Normen, welche ebenso die Interessen des Schuldners berücksichtigten, auch wenn er zahlungsunwillig oder zahlungsunfähig und deshalb fluchtbereit war.²⁷ Das um 450 v. Chr. wohl auf der dritten Tafel der Zwölf-Tafel-Gesetze²⁸ wiedergegebene Prozessrecht billigte dem Schuldner zunächst eine Frist von 30 Tagen nach dem Urteil oder seinem Anerkenntnis zu,²⁹ um die Vollstreckung durch Geldbeschaffung und Zahlung oder anderweitige Erledigung zu verhindern.³⁰ Nach Ablauf dieser Frist konnte der Gläubiger den Schuldner vor den Prätor (in den Provinzen vor den Statthalter) laden und ihn im Fall der Flucht(‐gefahr)

 Kohler, S. 3; Uhlenbruck, 100 Jahre Konkursordnung, S. 7  Kaser/Hackl, S. 131 f.; Düll, S. 80; daneben sah das römische Recht weitere Möglichkeiten der Vollstreckung bestimmter anderer Ansprüche sowie gegen Personen, die nicht römische Bürger waren, vor, vgl. Bethmann-Hollweg, I. Bd., S. 155  Düll. S. 80; Kaser/Hackl, S. 132, 135; Spann, S. 5  Kaser/Hackl, S. 131 f.  Bethmann-Hollweg, I. Bd., S. 196; Düll, S. 80  vgl. die Textausgabe und Übersetzung von Düll, passim; zur Entstehung auch Christiansen, S. 38  Zwölf-Tafel-Gesetz, Tafel 3 Ziffer 1: „Aeris confessi rebusque iure iudicatis XXX dies iusti sunto“. – „Nach dem Recht der (gerichtlich) anerkannten Geldschuld und bei rechtskräftig entschiedenen Sachen sollen 30 Tage (Erfüllungsfrist) zu Recht bestehen.“; vgl. Düll. S. 80  Kaser/Hackl, S. 136; Zipperer, S. 25, verweist auf den im Titelerfordernis zum Ausdruck kommenden Schuldnerschutz sowie die Förderung der Streitbeilegung durch Vertagung um 30 Tage

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

notfalls persönlich festnehmen und dorthin schaffen.³¹ Mit dem Handanlegen (manus iniectio) und einem Formelspruch ergriff der Gläubiger die physische Gewalt an der Schuldnerperson und übte sie fortan aus.³² Hatte der Schuldner keine Möglichkeit, sich zum Beispiel mittels eines Bürgen (vindex) frei zu machen oder Gegenrechte auszuüben, erteilte der Prätor die addictio, wonach der Gläubiger ihn wegführen (ductio), für sechzig Tage in Haft nehmen und in Ketten legen konnte.³³ Damit diente der Körper des Schuldners dem Gläubiger als eine Art Pfand, um jenen zur Leistung der Geldschuld zu beugen.³⁴ In dieser Zeit hatte der Gläubiger den Schuldner erforderlichenfalls zu verpflegen.³⁵ Und natürlich konnten Versuche unternommen werden, die Sache durch eine Art von Vergleich oder Erlass (ius paciscendi) gütlich zu erledigen.³⁶ Nach Ablauf oder während dieser Frist³⁷ hatte der Gläubiger den Schuldner an drei aufeinander folgenden Markttagen zum Prätor auf das comitium zu führen und die Höhe der zu entrichtenden Lösesumme öffentlich zu verkünden.³⁸ Damit sollte in erster Linie sicherlich den Verwandten oder Freunden des Schuldners die Möglichkeit eingeräumt werden, ihn durch Zahlung eines Lösegeldes aus der Schuldhaft des Gläubigers zu befreien.³⁹ Gelang die Haftlösung indes nicht, gestattete das Gesetz dem Gläubiger schließlich, den Schuldner zu verkaufen (versklaven) oder gar zu töten.⁴⁰ Die Nichterfüllung der Verbindlichkeit führte folglich zum Ausschluss des Schuldners aus der (Rechts‐) Gemeinschaft.⁴¹ Bis dahin war der Schuldner personenrechtlich frei, rechts- und geschäftsfähig und Rechtsträger seines Vermögens. Erst mit seinem „Verkauf über den Tiber“ – der Versklavung ins Ausland – oder dem Tod endete seine juristische Existenz.⁴² Gelang dem Gläubiger der Verkauf des Schuldners, wird sich sein Zugriff auf den erlösten Kaufpreis und vielleicht das (noch) vorhandene Habe

 Bethmann-Hollweg, I. Bd., S. 197  Zwölftafelgesetz, Tafel 3 Ziffer 2; Kaser/Hackl, S. 137 f.  Kaser/Hackl, S. 142  Bethmann-Hollweg, I. Bd., S. 198  Zwölftafelgesetz Tafel 3, Ziffer 4; vgl. Düll, S. 80  Zwölftafelgesetz Tafel 3, Ziffer 5; Kaser/Hackl, S. 143; Düll, S. 81  Spann, S. 14  Zwölftafelgesetz Tafel 3, Ziffer 5; vgl. Düll, S. 81  Kaser/Hackl, S. 143  Zwölftafelgesetz Tafel 3, Ziffer 5: „Tertiis autem nundinis capite poenas dabant, aut trans Tiberim peregre venum ibant.“ – „Am dritten Markttag wurden die Schuldner entweder getötet oder nach jenseits des Tiber ins Ausland verkauft.“; vgl. hierzu Düll, S. 81; das Recht zur Tötung und zur Versklavung wurde mit der lex Poetelia im Jahr 313 v. Chr. aufgehoben, hierauf hinweisend Uhlenbruck, 100 Jahre Konkursordnung, S. 7  Becker, KTS 2008, 3, 5  Spann, S. 14

II. Die Haftungsverwirklichung im römischen Recht

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(familia) erstreckt haben, zu dem auch Ehefrau und Kinder gehörten.⁴³ Anderseits war der Gläubiger nicht verpflichtet, den Schuldner zu töten; er konnte – zumindest seit der lex Poetelia – den Schuldner auf der Basis eines zu vereinbarenden nexum solange in Schuldknechtschaft halten, bis dieser durch seiner Hände Arbeit die Schuld abgetragen hatte.⁴⁴ Damit hatte der Schuldner zumindest die freilich ungewisse Aussicht, Leib und Leben zu behalten und nach Ableistung der Schuld wieder freigelassen zu werden. Ansonsten blieb ihm nur noch die Flucht, bevor Hand an ihn gelegt wurde.⁴⁵ Wurde der Schuldner indes von mehreren Gläubigern bedrängt, sah der ZwölfTafel-Satz „tertiis nundinis partis secanto. si plus minusve secuerunt, se fraude esto.“ ⁴⁶ die Zerschneidung und Teilung (des Körpers des Schuldners?) vor. Wie diese erregend mythische Vorschrift⁴⁷ zu verstehen ist, ob sie bloß eine Drohkulisse⁴⁸ oder mehr war, beflügelte seit jeher die Phantasien und bleibt doch dunkel und umstritten.⁴⁹ Kaser und Hackl ⁵⁰ verweisen beispielsweise auf eine ihrer Ansicht nach wenig glaubhafte römische Überlieferung, wonach diese Regelung als Ermächtigung in dem ursprünglichen Sinn zu verstehen war, den Leichnam des vollstreckungshalber Getöteten zerstückeln zu dürfen, um auf dessen Angehörige und Freunde Druck auszuüben, damit diese die Leiche zur Bestattung entsprechend den religiösen Riten durch Begleichung der Schulden auslösen. Da ein konkreter Fall der Tötung eines Schuldners nicht überliefert zu sein scheint,⁵¹ favorisieren sie deshalb das Verständnis der (späteren) Auslegung, wonach sich die Vollstreckungsmöglichkeit auf die Versteigerung des Vermögens (des Getöte-

 Kaser/Hackl, S. 143 m. w. Nachw.; Kohler, Shakespeare, S. 9  Bethmann-Hollweg, I. Bd., S. 200; Kaser/Hackl, S. 145; Spann, S. 21; Becker, KTS 2008, 3, 6  Spann, S. 21  Zwölftafelgesetz Tafel 3, Ziffer 6: „Am dritten Markttag sollen (die Gläubiger) sich die Teile schneiden. Wenn einer zu viel oder zu wenig abgeschnitten hat, soll dies ohne Nachteil sein.“; vgl. Düll, S. 81  in Anlehnung an Forster, Konkurs als Verfahren, S. 86, der von einer „erregenden mythischen Kraft“ dieser Vorschrift spricht  Becker, KTS 2008, 3, 5  vgl. zum Streitstand Spann, S. 15; Bayer, S. 9; Dabelow, S. 46 ff.; Grimm, S. 615 ff.; Uhlenbruck, 100 Jahre Konkursordnung, S. 7; Zipperer, S. 23; Düll, S. 81; Ebel/Thielmann, S. 23; Paulus, Kaleidoskop, S. 108, scheint unter Hinweis auf weitere Quellen und mit Blick auf die Brutalität eines Kriegervolkes den Vollzug der gemeinschaftlichen Tötung für möglich zu halten  Kaser/Hackl, S. 144; Uhlenbruck, 100 Jahre Konkursordnung, S. 7 erwägt ebenfalls eine mögliche Haftung des Leichnams  Düll, S. 81; Ebel/Tiemann, S. 23

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

ten) zugunsten seiner Gläubiger einschränkte. Kohler ⁵² hielt hingegen eine milde Betrachtung des Zwölf-Tafel-Satzes für „völlig irrig, völlig gegen den furchtbar blutigen Geist des altes Schuldrechts“ gerichtet, während Zipperer ⁵³ mit Blick auf die Sorge um die Wehrkraft eines jeden Schuldners als Mitglied einer lokalen Wehrgemeinschaft und in der Annahme einer volkswirtschaftlichen Vernunft der Gläubiger in dieser Vorschrift eine letzte Warnung erblickt. Platschek ⁵⁴ und Forster ⁵⁵ äußern Zweifel daran, ob der heute angenommene, interpolierte Wortlaut mit dem Norminhalt der zwölf Tafeln überhaupt identisch ist, was angesichts der Entwicklung der lateinischen Sprache, der Überlieferung und Rekonstruktion sowie des traditionellen Verständnisses der Quelle in Frage stünde. Befriedigte jedenfalls der Schuldner den oder die Gläubiger nicht innerhalb der sechzigtägigen Frist, traten mit Ablauf zugleich die Rechtsfolgen der Infamie ein.⁵⁶ Die Infamie fand ihre Legitimation darin, dass sich der Schuldner wegen der Nichtbefriedigung seiner Gläubiger ehrenrührig verhielt, die Erwartungen seiner Rechtsgenossen an seine Rechtstreue enttäuschte, damit den (Rechts‐) Frieden störte und durch seine „schlechte Wirtschaftsweise verächtlich“ wurde.⁵⁷ Erfolgte die Verurteilung in eine Schuld wegen einer deliktischen Handlung oder wurde die Verletzung von Treuepflichten beobachtet, war gar arglistiges Handelns festzustellen oder gab der Einzelfall aus anderen Gründen dazu Anlass, konnten die Wirkungen der Infamie (durch Erklärung eines Gerichtes) ebenfalls eintreten.⁵⁸ Gleichwohl scheint es keinen eindeutigen und abschließenden Katalog für all die Fälle zu geben, in denen das Verdikt der Infamie zu verhängen war.⁵⁹ Gewiss scheint jedoch zu sein, dass der Schuldner mit Eintritt der Infamie von bestimmten Ehrenämtern ausgeschlossen wurde,⁶⁰ seine Postulationsfähigkeit verlor⁶¹ und „unehrenhaft entlassenen Soldaten, Kupplern, Schauspielern und Bigamisten“ ⁶²

 Kohler, Shakespeare, S. 8, der ergänzend auf S. 20 eine in vielen Völkern verbreitete Moralund Rechtspflicht der Söhne beschreibt, die Schulden des Vaters zu bezahlen; ebenso scheint Jacob Grimm, S. 615 ff. „ein solches recht über tod und leben“ anzunehmen  Zipperer, S. 24  Platschek, Rz. 2 f.  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 86  zu den Wirkungen der Infamie vgl. auch Christiansen, S. 146; zur Infamie im späteren Formularprozess Kaser/Hackl, S. 394  Kunkel/Wittmann, S. 58; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 88 m. w. Nachw.; Kroppenberg, S. 263 ff.  Becker, KTS 2008, 3, 8 m. Nachw.  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 88  Kunkel/Wittmann, S. 58  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 88  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 88

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gleichstand, mithin als Bürger Roms den gesellschaftlichen Niedergang fand (capitis deminutio).⁶³ Ferner musste der Schuldner in später gegen ihn geführten Prozessen (zusätzliche) Sicherheiten stellen, da er wegen des Verhängnisses der Infamie als debitor suspectus betrachtet wurde.⁶⁴ Insgesamt führte die Infamie weitgehend zum Verlust bürgerlicher Rechte und des Ansehens (status civitatis),⁶⁵ was in der von Ehre und Stand geprägten römischen Gesellschaft ruinöse Bedeutung hatte. Paulus ⁶⁶ spricht von einer „ehrpusseligen Umgebung“, in der die Infamie einer Art gesellschaftlichen Tod gleichkam, dem nicht selten der selbige realiter folgte. In den Wirkungen der Infamie kann in früher Form der Makel des Konkurses⁶⁷ erblickt werden, der seither den fallierenden Schuldnern anhaftet. Die Perspektive, sein gesamtes Vermögen, die Ehefrau, die Kinder und die persönliche Würde zu verlieren und womöglich auch noch getötet zu werden, dürfte zugleich überzeugendes Argument für einen Schuldner gewesen sein, sein Heil in der Flucht zu suchen und das ganze Habe mitzunehmen.

2. Gesamtvollstreckung versus Einzelvollstreckung Im späteren Formularprozess⁶⁸ erkannte der Schuldner die ausgeurteilte Schuld in aller Regel an oder war bei Zahlungsweigerung oder Flucht seiner Rechte gegen die Vollstreckung verlustig.⁶⁹ Nach der dreißigtägigen Urteilserfüllungsfrist ordnete der Prätor auf weitere Klage (actio iudicati) des Gläubigers Maßnahmen zur Personal- und Vermögensexekution an, unter denen der Gläubiger die Wahl hatte und deren kumulative Anwendung zulässig war.⁷⁰ So konnte sich der Gläubiger nach wie vor der Person des (fliehenden oder fluchtbereiten) Schuldners ermächtigen (addictio), ihn zwecks Beugung in Fesseln legen und hierdurch versuchen, die Befriedigung seiner Ansprüche durch Entgegennahme von Geld oder der Arbeitsleistungen des Schuldners oder seiner Familie zu erreichen. Mithin war

 Paulus, Kaleidoskop, S. 108; zu status civitatis, Infamie und capitis deminutio s. Savigny, 2. Bd., S. 60 ff. und S. 170 ff.  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 88  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 88  Paulus, Kaleidoskop, S. 108  Gerhardt, S. 100 ff.; Uhlenbruck, FS Gerhardt, S. 979 ff.  ab der Mitte des sechsten Jahrhunderts v. Chr.; Bethmann-Hollweg, II. Bd., S. 4; Ebel/ Thielmann, S. 45 ff.  zur Gefahr der Litiskreszens Kaser/Hackl, S. 385  Kaser/Hackl, S. 386

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

die Personalvollstreckung vor allem gegen die nicht (ausreichend) begüterten Schuldner von Bedeutung.⁷¹ Verfügte der Schuldner indessen über Vermögen, war die reine Vermögensvollstreckung freilich aussichtsreicher und effektiver. Über die gleichzeitige Personalexekution konnte der Gläubiger indes erreichen, dem Schuldner die Disposition über sein Vermögen faktisch unmöglich zu machen.⁷² Die parallel vollzogene Personalexekution wirkte auf diese indirekte Weise unterstützend und sichernd. Die Vermögensexekution war Generalexekution in das gesamte Vermögen des Schuldners. Sie wurde auf Antrag des Gläubigers durch den Prätor oder Statthalter mittels Dekret angeordnet, auch wenn der Schuldner an sich nicht zahlungsunfähig und die Verbindlichkeit vom haftenden Schuldnervermögen mehr als gedeckt war.⁷³ Leistete der Schuldner nach Ablauf der Urteilserfüllungsfrist nicht, war er insbesondere flüchtig, wurde auf Anordnung des Prätors das schuldnerische Vermögen zunächst beschlagnahmt.⁷⁴ Mit der missio in bona rei servandae causa wurden die Gläubiger in den Besitz des Schuldners eingewiesen.⁷⁵ Infolge der Ermächtigung der missio in bona konnten die Gläubiger zur Sicherung ihrer Ansprüche zunächst am schuldnerischen Vermögen Besitz ergreifen und es verwalten, und zwar auch dann, wenn der Schuldner inzwischen verstorben war.⁷⁶ Mit der den Gläubigern eingeräumten Verwaltungsbefugnis bestand gleichzeitig die Verwaltungspflicht, die sich unter anderem auf die Fruchtziehung aus dem schuldnerischen Vermögen erstreckte, weshalb für etwaige Pflichtverletzungen die Gläubiger wiederum dem Schuldner hafteten.⁷⁷ Die Erteilung der missio in bona wurde öffentlich bekanntgemacht (proscriptio).⁷⁸ Konnte nach Ablauf einer wohl verlängerbaren⁷⁹ 30- oder 15tägigen Proskripti-

 Kohler, Shakespeare, S. 10; Kaser/Hackl, S. 387  Bethmann-Hollweg, II. Bd., S. 661  Kaser/Hackl, S. 388  Bayer, S. 18, meinte, dass die bloße Abwesenheit nicht genügt habe, vielmehr musste sich der Schuldner fraudationis causa verborgen gehalten haben und nicht durch einen Defensor vertreten worden sein.  Kaser/Hackl, S. 390  Spann, S. 36, verweist darauf, dass bei Unmündigen und im Staatsinteresse abwesenden Bürgern die venditio bonorum verweigert wurde, bis die Volljährigkeit eintrat respektive der Abwesende wieder heimgekehrt war.  Kaser/Hackl, S. 391  Kaser/Hackl, S. 392  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 87

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onsfrist⁸⁰ nach Beschlagnahme des schuldnerischen Vermögens, für deren Dauer ein curator bonorum eingesetzt werden konnte, keine Befriedigung des oder der Gläubiger erreicht werden, kam es üblicherweise zur Verwertung des Schuldnervermögens (venditio bonorum).⁸¹ Die venditio bonorum erfolgte durch Veräußerung des gesamten Vermögens an einen Erwerber (bonorum emptor), der zur Befriedigung der Gläubiger einen Kaufpreis zahlte. Ansonsten wurde der Schuldner mit Ablauf der Proskriptionsfrist, insbesondere wenn er abwesend und flüchtig war, gleichermaßen infam,⁸² was sich historisch aus der legis actio per manus iniectionem erklären lässt.⁸³ Die sich so erweisende Totalität der drohenden Generalexekution bewirkte neben der Personalvollstreckung erhebliche Pression auf den Schuldner und zwang ihn gewissermaßen zu normgerechtem Verhalten. Damit war die generell wirkende Vermögensvollstreckung probates Mittel, um Ansprüche gegen säumige, zahlungs- und mitwirkungsunwillige (indefensus), in Verbannung befindliche oder flüchtige Schuldner effektiv zu verfolgen.⁸⁴ Nicht viel anders verhielt es sich, wurde der Schuldner von mehreren Gläubigern verfolgt. Alle durch die Bekanntmachung der missio in bona unterrichteten Gläubiger konnten dem Verfahren beitreten und aus ihrer Mitte einen magister bonorum wählen, auf den die Verwaltungsbefugnis überging und der insbesondere die Aufgabe hatte, die Bedingungen des Verkaufs des schuldnerischen Vermögens an den bonorum emptor festzulegen.⁸⁵ Hiernach kam es regelmäßig durch öffentliche Versteigerung zur Veräußerung des schuldnerischen Vermögens. Der bonorum emptor erwarb im Wege der Universalsukzession⁸⁶ das Schuldnervermögen und war den Gläubigern zur Zahlung einer festgelegten Summe⁸⁷ verpflichtet, die nicht notwendigerweise zur gleichmäßig quotalen Befriedigung der Gläubiger führen musste. Soweit die Gläubiger durch den Veräußerungserlös nicht vollständig befriedigt wurden, haftete der Schuldner weiter, insbesondere mit seinem später neu erworbenen Vermögen.⁸⁸ Eine bevorstehende oder bereits eingeleitete Vermögensexekution konnte aber jederzeit durch Zahlung oder Ver-

 Die 15tägige Frist galt in den Fällen der Beschlagnahme des Vermögens eines verstorbenen Schuldners; vgl. Kaser/Hackl, S. 393.  Spann, S. 35  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 88; Kaser/Hackl, S. 394; Spann, S. 37 m. w. Nachw.; Kroppenberg, S. 263 ff.  Kaser/Hackl, S. 388  Spann, S. 35  Kaser/Hackl, S. 396  Kohler, S. 5  kritisch hierzu Forster, Konkurs als Verfahren, S. 110 f.  Kaser/Hackl, S. 398

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gleich beendet werden, des Weiteren durch Beschwörung der Solvenz und dem Versprechen, später zu zahlen (Stundung), oder durch Offenbarung der Vermögensinsuffizienz bei Beschlagnahme oder freiwilliger Überantwortung des gesamten Vermögens auf den oder die Gläubiger (cessio bonorum).⁸⁹ Wegen der im vollständigen Vermögensverlust sowie in der Infamie zu erblickenden unerbittlichen Konsequenzen für die soziale, wirtschaftliche und rechtliche Stellung wurde die Gesamtvollstreckung bisweilen einigen für schutzwürdig erachteten oder privilegierten Schuldnern erspart und die Exekution auf einzelne Vermögensgegenstände (distractio bonorum) beschränkt.⁹⁰ Die distractio bonorum ex senatus consulto setzte jedoch einen Senatsbeschluss⁹¹ voraus, weshalb die Annahme naheliegend ist, dass die Beschränkung der Gesamtvollstreckung in erster Linie den Angehörigen der senatorischen Familien zu Gute kam, um die drastischen Folgen des vollständigen Vermögens- und Verwaltungsverlustes und der capitis deminutio, die Infamie sowie den mit ihr verbundenen bösen Schein auf die Familie, zu vermeiden und so der Flucht des Schuldners zuvor zu kommen. Durch die distractio bonorum ex edicto sollten hingegen der unmündige Erbe (pupillus) und andere schutzwürdige Personen geschont werden. Schließlich soll es die Möglichkeit der distractio bonorum ex privato consilio gegeben haben, wonach die Gläubiger absprachegemäß abweichend vom regulären Verfahren der Gesamtveräußerung an einen bonorum emptor einen curator mit dem Verkauf einzelner Vermögensgegenstände betrauten.⁹²

3. Römische Wohltaten Mit der lex Iulia de bonis cedendis räumten entweder Gaius Iulius Caesar (*100 v. Chr.; †44 v. Chr.) oder Kaiser Augustus (*63 v. Chr.; †14 n. Chr.)⁹³ den in Bedrängnis geratenen Schuldnern die Möglichkeit ein, durch freiwillige Überantwortung ihres gesamten Vermögens auf die Gläubiger zumindest den Härten der Personalexekution sowie der mit der missio in bona verbundenen Infamie zu entgehen.⁹⁴ Die Idee der Rechtswohltat (beneficium) der cessio bonorum prägte als

 Bethmann-Hollweg, II. Bd., S. 666; Kaser/Hackl, S. 145; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 90 m. Nachw.  Kaser/Hackl, S. 404  Strittig ist, ob die distractio bonorum durch Senatsbeschluss eingeführt wurde, so Kaser/ Hackl, S. 404, oder ob im jeweiligen Einzelfall ein solcher erforderlich war, so Kroppenberg, ZRG RA 123 (2006), 442 ff..  zum Ganzen Spann, S. 42 m. w. Nachw.; Kaser/Hackl, S. 511 bezweifeln, ob diese frühen Arten der Individualvollstreckung gegen einen überschuldeten Schuldner gestattet wurden, da hierdurch die anderen Gläubiger regelmäßig benachteiligt worden wären  vgl. hierzu die Literaturangaben bei Kroppenberg, S. 310 (Fn. 99) sowie bei Forster, Konkurs als Verfahren, S. 90 f. m. Nachw. dafür, dass zumeist die Einführung durch Kaiser Augustus favorisiert wird, aber auch mit beachtlichen Argumenten für die Einführung durch Caesar  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 89; Kohler, S. 6

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ein spezifisches Institut des römischen (Reichs‐) Rechts⁹⁵ über Jahrhunderte und bis in die jüngste Vergangenheit das europäische und deutsche Gesamtvollstreckungsrecht. Für das Verständnis der weiteren europäischen Rechtsentwicklung lohnt es sich, der cessio bonorum etwas mehr Aufmerksamkeit zu widmen. Die die cessio bonorum behandelnden Normen sind hauptsächlich in den im Jahr 533 n. Chr. von Kaiser Justinian I. (*482; †565) in Konstantinopel als Gesetzbuch verkündeten Digesten sowie im 7. Buch des codex Iustinianus als Teil des corpus iuris civilis überliefert.⁹⁶ Der Schuldner konnte der Inhaftierung und den schändlichen Folgen der Infamie entgehen, wenn er aus seinem Vermögen wich, es also als Ganzes aufgab und seinen Gläubigern zu Zwecken der Befriedigung überließ.⁹⁷ Hierzu war es nach Verurteilung oder Anerkenntnis erforderlich, dass der Schuldner die Aufgabe seines Vermögens zugunsten seiner Gläubiger erklärte und die cessio bonorum zugelassen wurde. Die Einleitung des Verfahrens der cessio bonorum erfolgte durch rechtzeitig gegenüber dem Magistrat abgegebene Erklärung des Schuldners „bonis cedere“.⁹⁸ Das zusätzliche Erfordernis eines Offenbarungseides, mit dem der Schuldner seine Zahlungsunfähigkeit erklärte und die Vollständigkeit und Richtigkeit seiner Angaben zum Vermögen bestätigte, scheint erst für die Mitte des 6. Jahrhunderts nach der Zeitenwende belegt zu sein.⁹⁹ Auch wenn die cessio bonorum an sich als freiwillige Erklärung des Schuldners konzipiert war, kann es nach v. Woeß ¹⁰⁰ und Forster ¹⁰¹ durchaus einen Zusammenhang zwischen der (vorläufigen) Inhaftierung des Schuldners, seiner Folter und der Abgabe der Erklärung gegeben haben. So soll die im Prozess der nachklassischen Zeit (ab 5. Jahrhundert n. Chr.) vorgesehene Gestellungshaft, mit der für die Dauer des Gerichtsverfahrens die Präsenz des Beklagten, welcher eine anderweitige Sicherheit nicht aufbringen vermochte, gewährleistet werden sollte, „in der Praxis zu einer wahren Schuldhaft ausgewachsen“ und „ein böses Pressionsmittel“ ¹⁰² gewesen sein, bei der unter Anwendung der Folter die cessio bonorum erzwungen wurde. Später konnte sich der Schuldner zumindest durch einen Offenbarungseid vor der drohenden körperlichen Gewalt zur Abgabe der Erklärung  Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 486 f.; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 89  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 89, der darauf hinweist, dass auch schon die Gesetzessammlung des oströmischen Kaisers Theodosius II. die cessio bonorum erwähnt  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 89  Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 510 ff. und 528; Kaser/Hackl, S. 406, Fn. 9 und S. 629  Bethmann-Hollweg, III. Bd., S. 325; Kaser/Hackl, S. 406 und 629 f.; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 104  Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 512  Konkurs als Verfahren, S. 92 ff.  Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 515 f. m. Nachw.; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 93

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

der cessio bonorum schützen,¹⁰³ nachdem ein Erlass aus dem Jahr 486 des oströmischen Kaisers Zeno (*~430; †491) die private Gefangenhaltung des Schuldners verbot.¹⁰⁴ Damit sollte die vorherige Personalexekution der cessio bonorum nicht entgegengestanden haben, während die bereits vollzogene missio in bona – wegen des mit ihr verbundenen Verlustes der Verfügungsbefugnis über das gesamte schuldnerische Vermögen – die Chancen einer nachfolgend erklärten cessio bonorum zunichte gemacht haben wird.¹⁰⁵ Neben der Erklärung der cessio bonorum bedurfte es noch ihrer Zulassung. Nicht endgültig scheint in diesem Zusammenhang die Frage beantwortet werden zu können, ob die Durchführung des Verfahrens der cessio bonorum die Existenz (nennenswerten) Schuldnervermögens voraussetzte. Die cessio bonorum war darauf gerichtet, den Gläubigern das vorhandene Vermögen des Schuldners hinzugeben, damit diese von ihm abließen, er keine Gewalt zu befürchten hatte und die Folgen der Infamie nicht eintraten. Gab es aber nichts hinzugeben, drängt sich freilich die Frage auf, ob der Mittellose für das beneficium der cessio bonorum ebenso würdig war. Die Quellen scheinen hierüber zu schweigen. Allerdings spricht für das Erfordernis eines nennenswerten schuldnerischen Vermögens der Umstand, dass die cessio bonorum gerade die Überantwortung selbigen vorsah, andernfalls ihr die wesentliche Legitimität fehlte.¹⁰⁶ Erst eine durch Kaiser Justinian I. verfügte Regel gestattete ausdrücklich auch den vermögenslosen „Haussöhnen“ die Wohltat der cessio bonorum, womit die ursprünglich semantische Verbindung zwischen cessio bonorum und Existenz von Vermögen aufgegeben sowie ein Vermögensnachweis entbehrlich wurde, so dass der Unvermögende von der Personalexekution ebenfalls verschont werden konnte.¹⁰⁷ Hieraus könnte geschlossen werden, dass zuvor für die Rechtswohltat der cessio bonorum vom Schuldner verwertbares Vermögen angeboten werden musste. Ebenso wenig kann unwiderleglich nachgewiesen werden, dass der Schuldner ohne sein Verschulden in die Vermögenskrise geraten sein musste, um in den Genuss des beneficium der cessio bonorum zu gelangen, obgleich gemeinhin

 Kaser/Hackl, S. 630  Becker, KTS 2008, 3, 7, der darauf hinweist, dass Kaiser Justinian dieses Verbot im Jahr 529 wiederholte  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 94  Kaser/Hackl, S. 406; Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 520; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 96; dagegen wohl Kroppenberg, S. 446  Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 528; Kaser/Hackl, S. 629; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 96

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vorgebracht wird:¹⁰⁸ „Dem leichtfertigen Bankrotteur ist sie versagt.“ ¹⁰⁹ Der leichtsinnige Verschwender oder der gar böswillig Handelnde hätten hiernach die Gnade der Gläubiger nicht erwarten können. Nur der durch Brand, Raub, Unwetter, Schiffbruch, Seuchen und anderes Unglück schuldlos zahlungsunfähig gewordene Schuldner sollte zur cessio bonorum zugelassen werden.¹¹⁰ Allerdings wird zugleich die Auffassung vertreten, aufgrund des Schweigens der Quellen könne der unverschuldete Vermögensverfall nicht als zwingende Voraussetzung für die Zulassung zur cessio bonorum unterstellt werden.¹¹¹ Jedenfalls soll aber bei betrügerischem Handeln des Schuldners eine cessio bonorum ausgeschlossen gewesen sein.¹¹² Denn die cessio bonorum sollte dem redlichen Schuldner die Infamie, die capitis deminutio sowie die Personalhaft ersparen und ihm ein Existenzminimum sichern. Damit war jedes die Gläubiger schädigende Verhalten inkriminiert. Als schädigendes Verhalten kam insbesondere das Verbergen oder Verheimlichen von Schuldnervermögen in Betracht,¹¹³ und sicherlich auch die Flucht, da es den Gläubigern dadurch unmöglich wurde, den Schuldner nach vorhandenem Vermögen zu befragen. Ebenso schädigend und gar betrügerisch wurde die Neuaufnahme eines Kredites bei bestehender Zahlungsunfähigkeit gewertet, da hierdurch sowohl die Altgläubiger als auch die Neugläubiger in ihren Befriedigungsaussichten gefährdet wurden.¹¹⁴ Die cessio bonorum wirkte für und gegen alle Gläubiger des Schuldners.¹¹⁵ Die Gläubiger wurden durch eine vom Prätor verfügte missio in bona in den überlassenen Besitz des Schuldners eingewiesen.¹¹⁶ Die nachfolgende Verwertung des Vermögens erfolgte durch die venditio bonorum. ¹¹⁷ Ob dies in genau der gleichen Art und Weise erfolgte wie bei der Vermögensvollstreckung, kann wohl anhand des verfügbaren Quellenmaterials nicht abschließend beurteilt werden, auch wenn manches dafür spricht.¹¹⁸

 Kohler, Shakespeare, S. 11; Kaser/Hackl, S. 405; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 96 ff. und Kroppenberg, S. 445 f.  Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 509  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 96 ff. m. Nachw. und Argumenten  Bethmann-Hollweg, II. Bd., S. 689; Kroppenberg, S. 310; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 98 f. m. w. Nachw.  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 102 ff.  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 103  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 103  Kaser/Hackl, S. 406  Seuffert, Konkursrecht, S. 48; Kaser/Hackl, S. 406  Bethmann-Hollweg, II. Bd., S. 687  Seuffert, Konkursrecht, S. 48; Kaser/Hackl, S. 406; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 105

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Wie bereits erwähnt, lag die Rechtswohltat der cessio bonorum hauptsächlich im Absehen von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen, insbesondere gegen die Person des Schuldners.¹¹⁹ In der lex Iulia de bonis cedens war diese Rechtsfolge notiert.¹²⁰ Trug dennoch ein Gläubiger auf die Verhängung der Schuldhaft an, konnte diesem Verlangen mit dem Hinweis auf die erklärte cessio bonorum und mit der Einrede „nisi bonis cesserit“ begegnet werden.¹²¹ Die Verhinderung des Eintritts der Infamie, die sonst mit der missio in bona und der sich anschließenden Vermögensverwertung einherging, wird als weitere wesentliche Rechtswohltat der cessio bonorum gerühmt.¹²² Dem Schuldner blieben die Schändlichkeit des Verlustes der Ehre, der Ämter und Bürgerrechte erspart, so dass er fortan hoffen konnte, wieder zu Vermögen und wirtschaftlicher Blüte zu gelangen. Neben dem Absehen von Personalexekution und den schändlichen Wirkungen der Infamie wurde dem Schuldner mit der Wohltat der cessio bonorum schließlich Gelegenheit zum Erwerb eines Schonvermögens als Existenzminimum (Notbedarf) gegeben.¹²³ Innerhalb einer Erholungsfrist war den Gläubigern jede Rechtsverfolgung verwehrt, soweit sie sich nicht gegen das aufgegebene Vermögen richtete, weshalb der Schuldner nur ausschließlich des Notbedarfs verurteilt werden konnte.¹²⁴ Im Rechtsinstitut der cessio bonorum ist die grundlegende Idee zu erkennen, alternativ zur Flucht oder eines anderen gläubigerfeindlichen Verhaltens dem Schuldner die Chance zu geben, durch eigenverantwortliches Handeln in Form eines eigenen Antrags ein Verfahren zur kooperativen Bewältigung der Vermögenskrise in Gang zu setzen, welches der Befriedigung der Gläubiger dient und welches zugleich dem Schuldner, sozusagen als Belohnung für sein gläubigerfreundliches Verhalten, die Gewährung der vorstehend erwähnten „Wohltaten“ in Aussicht stellt. Zugleich ermöglichte das Verfahren der cessio bonorum die Lösung von der Haftung der Person des Schuldners, den Übergang zu einer reinen Vermögensvollstreckung und die Normierung weitergehender Schuldnerschutzvorschriften, so dass es „in historischer Sicht einen der Grundpfeiler der weiteren Entwicklung des Insolvenzrechts“ ¹²⁵ bildet.

      

Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 510 ff.; Kaser/Hackl, S. 406 und S. 629 Kaser/Hackl, S. 406; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 106 Kaser/Hackl, S. 406; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 106 Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 527; Kaser/Hackl, S. 405 Kaser/Hackl, S. 630; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 107 Forster, Konkurs als Verfahren, S. 107 Forster, Konkurs als Verfahren, S. 106

II. Die Haftungsverwirklichung im römischen Recht

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Dennoch besaß die Personalexekution weiter ihre Berechtigung und blieb in Gebrauch.¹²⁶ Wie vorstehend beschrieben, war die Erklärung „bonis cedere“ Voraussetzung für die cessio bonorum und der damit verbundenen Wohltaten. Bethmann-Hollweg ¹²⁷ wies jedoch zutreffend darauf hin, dass Schuldner schon immer dazu neigten, sich selbst über ihre Vermögensverhältnisse zu täuschen „oder sonst irgendwie der Verfolgung ihrer Gläubiger zu entkommen hoffen“. Begab sich der Schuldner auf die Flucht und verweigerte er damit die Erklärung zur Vermögensaufgabe, standen den Gläubigern alle Vollstreckungswege offen. Konnte der Schuldner später ergriffen werden und war die missio in bona noch nicht vollzogen, blieben ihm indes die Chancen der cessio bonorum. ¹²⁸

Die in Zeiten des wirtschaftlichen Niedergangs des römischen Imperiums ausufernde Anwendung der cessio bonorum wurde von den Kaisern allerdings zunehmend missbilligt.¹²⁹ Gerade die mit dem Verfahren der cessio bonorum verbundene Gewissheit, Leben, Freiheit und Ehre sowie ein Existenzminimum im Fall des wirtschaftlichen Zusammenbruchs zu behalten, mag in gewisser Weise leichtfertiges und betrügerisches Handeln begünstigt haben. Zudem muss bedacht werden, dass die Gläubiger zu Zeiten des römischen Imperiums – verglichen mit heutigen Möglichkeiten – nur über rudimentäre Informationsmittel verfügten, so dass die Gefahr der Aufdeckung im Vorfeld unternommener, gläubigerbenachteiligender Handlungen als gering eingeschätzt werden kann. Jedenfalls scheinen die exzessive Ausübung der cessio bonorum sowie die dadurch auf Seiten der Gläubiger eingetretenen Verluste die Ursachen dafür gewesen zu sein, dass sich bereits in dieser Zeit ihre Wirkungen auf die Würde des Schuldners gewandelt und ihr den bitteren Beigeschmack der Ehrlosigkeit gegeben haben.¹³⁰ Die cessio bonorum wurde deshalb auf die Fälle des schuldlosen Vermögensverfalls infolge höherer Gewalt beschränkt, womit neben den betrügerischen nunmehr auch die leichtfertigen Schuldner fortan vom Segen der cessio bonorum ausgeschlossen waren.¹³¹ Für den bereits genannten Kaiser Justinian I., der das römische Recht im corpus iuris civilis versammelte, war die Ausübung der cessio bonorum angesichts der mit ihr bislang herbeigeführten Rechtsfolgen dennoch weiter beklagenswert und er-

 Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 487 und 522  Bethmann-Hollweg, II. Bd., S. 689 ff.; Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 497 ff.  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 106 f., der als weiteren Grund für das Fortbestehen der Personalexekution den Umstand sieht, dass der Schuldner zwar bis zur Erlangung neuen Vermögens geschont wurde, dann aber gegen ihn erneut vollstreckt werden durfte, wenn er Vermögen oberhalb des Notbedarfs erlangte  Kaser/Hackl, S. 629  Kohler, S. 7  Bethmann-Hollweg, III. Bd., S. 317; anders Seuffert, Deutsches Konkursprozessrecht, S. 7, wonach aus den römischen Quellen eine solche Annahmen nicht begründet werden könne

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

bärmlich.¹³² Er eröffnete im Interesse der Gläubiger den Schuldnern fortan die Möglichkeit, in ein vom Kaiser¹³³ und später von der Mehrheit der Gläubiger zu gewährendes Moratorium für die Dauer von fünf Jahren (quinquennale spatium) zu treten, wenn dadurch eine Besserung der Vermögens- und Liquiditätslage des Schuldners und eine höhere Befriedigung der Gläubiger erwartet werden konnte.¹³⁴ Die Formulierung im codex Iustinianus mache nach Auffassung Forsters ¹³⁵ deutlich, dass Voraussetzung eines solchen Zahlungsaufschubs die Erklärung der cessio bonorum durch den Schuldner und die darin enthaltende Bitte um Einräumung des Moratoriums war.Womöglich sah Kaiser Justinian I. in der Stundung ein milderes Mittel, bevor es zum stärker einschneidenden Eingriff in die Gläubigerrechte durch die cessio bonorum kam.¹³⁶ Anhand der Quellen ist allerdings nicht mit Gewissheit belegbar, ob nach Ablauf des Moratoriums die (erneute) Erklärung der cessio bonorum (im originären Sinne) noch zulässig war, wenn die Stundung nicht zur Entspannung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners hatte beitragen können.¹³⁷ Als Alternative zu cessio bonorum und Moratorium käme aus heutiger Sicht ein wie auch immer ausgestalteter Teilzahlungs- und Erlassvergleich zwischen Schuldner und Gläubiger(n) in Betracht. Allerdings war eine Einigung zwischen dem Schuldner und den Gläubigern auf einen Teil der Ansprüche dem römischen Recht so nicht bekannt.¹³⁸ Ein Erlass war nur für den Fall des Ablebens des Schuldners vorgesehen, wenn dieser einen überschuldeten Nachlass hinterließ und damit die Gefahr drohte, der Erbe würde andernfalls ausschlagen.¹³⁹ Ein solcher Nachlassvergleich musste durch den Magistrat bestätigt werden, der indes an den Willen der Gläubigermehrheit gebunden war.¹⁴⁰ Ob derartige Vergleiche in anderen Fällen ebenfalls geschlossen wurden, insbesondere mit dem in der Ferne weilenden Schuldner, ist nicht überliefert, auch wenn für die Gläubiger die Situation nach der Schuldnerflucht vergleichbar mit dem Ableben desselben war.

 Becker, KTS 2008, 3, 7 m. w. Nachw.  Kaser/Hackl, S. 630; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 123  vgl. zu Details Spann, S. 47 sowie Forster, Konkurs als Verfahren, S. 123 f., jeweils m. w. Nachw.  Konkurs als Verfahren, S. 124  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 124  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 125  Forster, Vom Schandstein zum Konkursverfahren, S. 7  Forster, Vom Schandstein zum Konkursverfahren, S. 7  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 125

II. Die Haftungsverwirklichung im römischen Recht

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4. Ausdifferenzierung des römischen Vollstreckungsrechts Urteile, mit denen im zur Zeitenwende neben dem Formularprozess aufkommenden klassischen Kognitionsprozess auf Geldzahlung erkannt worden waren, oder damit gleichstehende Anerkenntnisse konnten weiterhin mit der traditionellen actio iudicati im Wege der Schuldhaft und der missio in bona exekutiert werden. Die Besonderheit des seinerzeit neuen kognitionalen Vollstreckungsverfahrens war jedoch, anstelle einer weiteren actio allein aufgrund eines einfachen Gläubigerantrages die Exekution anzuordnen.¹⁴¹ Im Rahmen der Vermögensvollstreckung setzte sich zudem die effektive und zielgerichtete Einzelvollstreckung (distractio bonorum), die bis dahin nur ausnahmsweise zulässig war, allgemein durch und wurde als amtliches Verfahren ab dem 3. Jahrhundert n. Chr. zur Regel.¹⁴² Unanfechtbare Geldzahlungsurteile oder damit gleichstehende Anerkenntnisse wurden nach Ablauf einer Erfüllungsfrist in der Weise vollstreckt, dass einzelne Gegenstände des Schuldnervermögens gepfändet und verkauft wurden.¹⁴³ Auf Gläubigerantrag und nach Prüfung der Voraussetzungen nahm der durch den Gerichtsherren eingesetzte Vollstreckungsbeamte einzelne Vermögensgegenstände des Schuldners in Besitz, verkaufte diese nach Ablauf einer Auslösefrist (nicht notwendigerweise durch öffentliche Versteigerung), kehrte den Erlös an den Gläubiger aus und übergab einen etwaigen Überschuss dem Schuldner.¹⁴⁴ Ansonsten behielt die Personalexekution gegen nicht ausreichend begüterte Schuldner weiter ihre Bedeutung¹⁴⁵ wie für den sicherlich häufigen Fall, dass sich der Schuldner der Verfolgung durch Flucht zu entziehen versuchte. Und auch zu Zeiten des Kognitionsverfahrens konnte der Schuldner zur Abwendung der Personal- und Vermögensvollstreckung die Aufgabe seines Vermögens zugunsten der Gläubiger erklären (cessio bonorum).¹⁴⁶ Im späteren justinianischen Recht leitete der Gläubiger nach Ablauf einer auf zwei, später auf vier Monate verlängerten Urteilserfüllungsfrist das amtliche Vollstreckungsverfahren ebenfalls mit einem (schriftlichen) Antrag ein.¹⁴⁷ Wurde das Vorliegen der Vollstreckungsvoraussetzungen nach Prüfung festgestellt, hatte der

 Kaser/Hackl, S. 511  Kohler, S. 7; Kaser/Hackl, S. 512  Kaser/Hackl, S. 512  Kaser/Hackl, S. 513 f.  Kaser/Hackl, S. 511, zum Beispiel wurde in der römischen Provinz Ägypten die Personalexekution durch Festsetzung in öffentlichen Gefängnissen vollzogen  Kaser/Hackl, S. 511  Kaser/Hackl, S. 623, 624

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Gläubiger weiterhin die Wahl zwischen Personal- und Vermögensexekution.¹⁴⁸ Vollstreckten die Gläubiger im Wege der Personalexekution, sah sich der Schuldner in den Zeiten des Niedergangs des römischen Imperiums, der freilich von einem allgemeinen wirtschaftlichen Verfall begleitet wurde, neben der Infamie außerordentlichen Härten und körperlichen Misshandlungen ausgesetzt.¹⁴⁹ So wurden die Schuldner im Gefängnis bis zur Herausgabe ihres letzten Hab und Gut gefoltert oder zur Aufnahme von Wucherdarlehen gepresst.¹⁵⁰ Und kam der Schuldner irgendwie frei, irrte er unter ständiger Verfolgung durch das Land.¹⁵¹ Womöglich aus diesen Gründen entwickelte sich aus der distractio bonorum die Spezialexekution zu einer weiteren regulären Form der Vermögensvollstreckung, die sich auf das im Urteil ersichtliche Befriedigungsinteresse beschränkte.¹⁵² Hierzu pfändete der Exekutor einzelne schuldnerische Sachen in der für die Befriedigung voraussichtlich erforderlichen Menge, versteigerte sie und gab den Erlös dem Gläubiger.¹⁵³ Zur Generalexekution kam es hingegen nur noch, wenn der Schuldner „aus Grauen vor den Gläubigern“ ¹⁵⁴ flüchtete und sich verbarg oder wenn er überschuldet war und ihn mehrere Gläubiger bedrängten.¹⁵⁵ Als Indiz für die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung wurde die Flucht des Schuldners angesehen, worauf bereits im Gläubigerantrag hingewiesen werden konnte.¹⁵⁶ Bethmann-Hollweg ¹⁵⁷ vertrat hierzu die Auffassung, Kaiser Justinian habe mit seinem Regelwerk den eigentlichen Konkursprozess begründet, da nach öffentlicher Ladung des Schuldners die Gläubiger anzuhören waren und der Richter auch bei Säumnis des Schuldners nach seiner freien Überzeugung ein Urteil gefällt habe. Dem hält Forster ¹⁵⁸ entgegen, dass die Prüfung der einzelnen Gläubigerforderungen im Fall der nicht unternommenen Flucht ebenso erforderlich gewesen sein dürfte. Kam es zur Generalexekution, wurden sämtliche Gläubiger gemeinschaftlich in den schuldnerischen Besitz eingewiesen (missio in possessionem) und bestellten zur

          

Bethmann-Hollweg, III. Bd., S. 314; Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 490 ff.; Kaser/Hackl, S. 625 Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 493 ff.; Kaser/Hackl, S. 625 Spann, S. 60; Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 493 ff. Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 493 ff.; Kaser/Hackl, S. 625 (Fn. 18) Kaser/Hackl, S. 624 Kaser/Hackl, S. 626 Forster, Konkurs als Verfahren, S. 121 Bethmann-Hollweg, III. Bd., S. 316 f.; Kaser/Hackl, S. 626 Spann, S. 47 m. w. Nachw. Bethmann-Hollweg, III. Bd., S. 315 f. Forster, Konkurs als Verfahren, S. 123

II. Die Haftungsverwirklichung im römischen Recht

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Verwaltung gegebenenfalls einen curator bonorum.¹⁵⁹ Ob alle Gläubiger über die Generalexekution durch öffentlichen Anschlag informiert wurden, ist nicht eindeutig belegt.¹⁶⁰ Jedenfalls war eine Frist von zwei bzw.vier Jahren vorgesehen, innerhalb der die Gläubiger sich dem Verfahren anschließen konnten.¹⁶¹ Die Gläubiger, die nicht innerhalb dieser Fristen dem Verfahren beitraten, waren von der Erlösverteilung ausgeschlossen, behielten aber ihre Forderungen gegen den Schuldner.¹⁶² Nach Ablauf dieser Meldefristen und Gestattung durch den Richter (sententia iudicis) wurden sämtliche Gegenstände des Schuldnervermögens einzeln veräußert (distractio bonorum) und der Erlös quotal unter den Gläubigern verteilt.¹⁶³ Die Einzelveräußerung aller Gegenstände fand auch dann statt, wenn es für die Gläubigerbefriedigung nicht erforderlich war: der Mehrerlös wurde dann beim Kirchenschatz hinterlegt, um etwaig später hinzutretende Gläubiger zu befriedigen.¹⁶⁴ Die Ursache für diese grundsätzliche Abkehr von der Gesamtveräußerung (venditio bonorum) wird in der in den Zeiten des Niedergangs sicherlich öfter festgestellten Unmöglichkeit gesehen, einen kapitalstarken Aufkäufer für das gesamte Vermögen zu finden.¹⁶⁵ Der Schuldner wurde nunmehr erst mit der Verwertung seiner Vermögensgegenstände infam.¹⁶⁶ Eine attraktive Alternative gegenüber der drohenden Infamie bot sich dem Schuldner nach wie vor mit der cessio bonorum, die ihm zumindest die Flucht und Schuldhaft ersparte sowie ein Existenzminimum sicherte.¹⁶⁷ Die vorstehend skizzierten Rechtsnormen galten nach der Reichsteilung von 395 n. Chr. und in den Zeiten des sukzessiven Untergangs des weströmischen Reiches (im Jahr 476 n. Chr.) fort. Der schon mehrfach erwähnte oströmische Kaiser Justinian I. legte über mehrere Jahre hinweg aus privaten und öffentlichen Sammlungen das gesamte geltende römische Recht in einer Textsammlung an. Zunächst wurden im Jahr 529 n. Chr. mit dem codex Iustinianus die geltenden Kaisergesetze veröffentlicht.¹⁶⁸ Vier Jahre später erschien mit den Digesten (Pandekten) eine Auswahl von Schriften klassischer römischer Juristen und mit den Institutionen ein amtliches Rechtslehrbuch, welches auf älteren juristischen Lehrbüchern aufbaute.¹⁶⁹ Eine Novellensammlung, welche die nach dem codex Iustinianus erlassenen Verordnungen erfasste, rundete die Kompilation des rö-

 Forster, Konkurs als Verfahren, S. 89, S. 121 f.  Bethmann-Hollweg, III. Bd., S. 303 ff; Kaser/Hackl, S. 627; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 122  Kohler, S. 7; Kaser/Hackl, S. 628  Kohler, S. 7; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 121  Bethmann-Hollweg, III. Bd., S. 321; Kaser/Hackl, S. 628; differenzierter Forster, Konkurs als Verfahren, S. 122  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 121; Kaser/Hackl, S. 628  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 121; Kaser/Hackl, S. 627; Kroppenberg, S. 306  Kaser/Hackl, S. 629; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 89  Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 522 ff.; Kaser/Hackl, S. 630  Leppin, S. 460  Leppin, S. 461

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

mischen Rechts ab und wurde seit dem Mittelalter als corpus iuris civilis bekannt. Dieser corpus iuris civilis entfaltete weit reichende Wirkungen und bildete die Grundlage der ab dem 12. Jahrhundert einsetzenden Rezeption des römischen Rechts in der nahezu unüberschaubaren Vielfalt der europäischen Rechtsordnungen.

III. Entwicklungslinien aus dem Mittelalter in die Neuzeit Auf dem Gebiet des niedergehenden weströmischen Reiches gerieten mit den größeren Völkerwanderungen im fünften und sechsten Jahrhundert¹⁷⁰ und den sich abwechselnden Herrschaften das römische Recht und die Rechtssysteme der germanischen Stämme, der Vandalen, der West- und Ostgoten, der Burgunden, der Langobarden, der Alemannen und Bayern, der Thüringer, der Franken und der Sachsen sowie weiterer Völker, in Kontakt und beeinflussten einander, sicherlich auch unter dem Eindruck der sich immer stärker ausbreitenden christlichen Religion.¹⁷¹ Auf welchen Wegen sich bis dahin die Rechtsordnungen der germanischen Völker gebildet haben, wie von ihnen das Recht erkannt und überliefert worden ist, bleibt mit Blick auf die Quellenlage weitgehend im Dunklen.¹⁷² Die seit je her mündlich überlieferten Rechtsformeln und Rechtssätze wurden später als Volksrechte (leges barbarorum) überwiegend lateinisch niedergeschrieben.¹⁷³ Hinzu kam, dass seit dem Frühmittelalter die Rechtsentwicklung an den weltlichen Gerichten von verschiedenen lokalen und regionalen Gepflogenheiten geprägt wurde und sich die Rechtsmacht infolge vieler Auseinandersetzungen und territorialer Zersplitterungen zugunsten örtlicher Obrigkeiten wiederholt verschob, so dass sich die Verfahrensrechte (zunächst) unter dem Einfluss der fränkischen Monarchie, des kanonischen Prozessrechts sowie der Rezeption fremder Rechte nur nach und nach einander annäherten.¹⁷⁴ Nach dem Ende des fränkischen Imperiums im 10. Jahrhundert, dessen Recht beträchtlichen Einfluss auf die weitere europäische Rechtsentwicklung nahm, finden sich in den ab dem 12. und 13. Jahrhundert niedergeschriebenen Land- und Stadtrechten aussage Schulte, S. 48 gibt einen konzentrierten Überblick hierüber  Bethmann-Hollweg, IV. Bd., S. 119 ff.; Schulte, S. 60 ff.  Kroeschell, Bd. 1, S. 19 ff.  Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 1, S. 4 ff., 14 ff.; Schulte, S. 66 und Schröder, S. 243 ff. jeweils mit ausführlicher Darstellung zu den einzelnen Volksrechten; Kroeschell, Bd. 1, S. 21 ff.; Lück, S. 13, der zudem auf das Personalitätsprinzip verweist, wonach der in eine Rechtsordnung hineingeborenen Person diese unabhängig vom späteren Aufenthalt anhaftete  Becker, KTS 2008, 3, 8; Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, S. 7; Vollmerhausen, S. 23; Spann, S. 105

III. Entwicklungslinien aus dem Mittelalter in die Neuzeit

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kräftige Rechtsquellen.¹⁷⁵ So beinhalten der Sachsenspiegel, die hierauf zurückführbaren weiteren Rechtsbücher wie der Deutschenspiegel und Schwabenspiegel sowie die Stadtrechte als Partikularrechte eine nicht geringe Anzahl von Rechtssätzen, die für den Gegenstand dieser Untersuchung von Interesse sind.¹⁷⁶ Unmöglich können im Rahmen dieser Untersuchung die vielen zentraleuropäischen Partikularrechte mit ihren Eigenheiten im Detail beschrieben werden. Es soll vielmehr der Fokus auf ausgewählte Regelungen in den „deutschen“ Städten und Territorien gelegt und der Versuch unternommen werden, einzelne Ideen der Partikularrechte darüber zu erkennen, wie die mit der Flucht des Schuldners hervorgerufene Krise bewältigt wurde. Unter dem Eindruck der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in den Städten und den damit einhergegangenen Abhängigkeiten kommt den Stadtrechten mit ihren klar abgegrenzten Geltungsräumen für den Untersuchungsgegenstand erhebliche Bedeutung zu.¹⁷⁷ Zudem werden die Einflüsse benachbarter europäischer Rechtsordnungen zu beleuchten sein. Nicht aus den Augen verloren werden darf, dass die Ausbildung der vielen mittelalterlichen und neuzeitlichen „deutschen“ Rechtsordnungen im Vergleich zueinander keine Homogenität aufweist. Versuche, die einzelnen Entwicklungen mittels gegenwärtiger (und deshalb anachronistischer) juristischer Begriffs- und Denkkategorien zu analysieren, zu systematisieren oder gar vereinheitlicht in „Großtheorien“ einzubinden, werden kritischer rechtshistorischer Würdigung ausgesetzt sein.¹⁷⁸ Angesichts der Tatsachen, dass es keine einheitlichen, in allen mittelalterlichen und neuzeitlichen Rechtsordnungen jeweils wiederzuerkennenden Ausformungen gegeben hat und die Partikularrechte während der Jahrhunderte ihrerseits immer wieder Änderungen erfuhren, können nachfolgend allenfalls Ausschnitte gezeigt werden, wie das einzelne Recht auf die (drohende) Flucht des Falliten mancherorts typischerweise reagierte.

1. Die private Selbsthilfe und die Friedlosigkeit Erfüllte der Schuldner eine ihm obliegende Verbindlichkeit nicht und wandte er sich zur Flucht, ergab sich für den Gläubiger des Mittelalters wie ehedem die Notwendigkeit der Rechtsverfolgung, wollte er zur Verwirklichung seiner Ansprüche Zugriff auf den Schuldner und dessen Vermögen erlangen. Hierfür wurde für die Frühzeit der germanischen Völker die private Selbsthilfe durch eigenmächtige Inbesitznahme der Schuldnerperson und ihres Vermögens als Praxis der  Schröder, S. 665, 668 ff., 688 ff. und 694 ff.  zur Entstehung der Rechtsbücher Sachsenspiegel, Deutschenspiegel und Schwabenspiegel, zu den Verfassern, zum Verhältnis untereinander sowie zum europäischen und landesgeschichtlichen Kontext siehe neben vielen anderen Lieberwirth, S. 395 ff.; Kroeschell, Sachsenspiegel, S. 457 ff.; Eckhardt/Hübner, S. V ff.; Laßberg, S. VIII ff.; zur Wirkungsgeschichte des Sachsenspiegels insbesondere in den Glossen, im Weichbildrecht, in den Stadtrechten und im Schöffenrecht Lieberwirth, S. 427 ff. mit jeweils umfangreichen Nachweisen  Planitz, Vermögensvollstreckung Bd. 1, S. 162 ff.; Spann, S. 105  Breßler, S. 41 ff. sowie ab S. 49 mit jeweils ausführlichen Hin- und Nachweisen; Kroeschell, Bd. 1, S. 47 ff.

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

individuellen Interessenverfolgung angenommen,¹⁷⁹ deren Grundlagen und Ausgestaltungen näher zu untersuchen sind.

a) Fehderechtliche Wurzeln Planitz ¹⁸⁰ hielt es für möglich, das mittelalterliche Vollstreckungsrecht auf die außergerichtliche Inpfandnahme als fehderechtliche Eigenmacht des erstzugreifenden Gläubigers gegen den durch Ungehorsam friedlos gewordenen Schuldner zurückführen zu können.¹⁸¹ Für diese Hypothese mag sprechen, dass die Fehde die Urform der reaktiven Bewältigung von Rechtsbrüchen zwischen Verletzenden und Verletzten verkörperte¹⁸² und in dem religiös-kirchlichen Denken dieser Zeit nur als Folge der Sünde betrachtet werden konnte.¹⁸³ In der Genugtuung, welche die Fehde suchte, erkannte Heinrich Brunner ¹⁸⁴ die „Rache, die älteste in den Naturtrieben des Menschen begründete Reaktion gegen die Übeltat.“ Der Verletzte war aber nicht nur befugt, Rache¹⁸⁵ für den Rechtsbruch zu nehmen, um den Verletzenden auf eigene Faust zur Sühnung seines Vergehens zu zwingen und das gebrochene Recht wieder gut zu machen. Vielmehr entsprang die Rache nach dem mittelalterlichen Verständnis einer sittlichen und rechtlichen Pflicht.¹⁸⁶ Denn die Menschen des Mittelalters verstanden das Recht als göttliche Schöpfungsordnung, weshalb das Recht immer die Oberhand über das Unrecht gewinnen musste.¹⁸⁷ Dieses gottgegebene Recht galt es zu erkennen. Der gewaltsame Kampf um das Recht war – mit den Gedanken und Worten Rimmelspachers ¹⁸⁸ – keine Konfliktbewältigung außerhalb der Rechtsordnung, sondern legitimes Mittel, dem

 Planitz, Vermögensvollstreckung, Bd. 1, S. 7 ff.  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 52  kritisch zum Begriff der Friedlosigkeit Kroeschell, FS Thieme, S. 11 ff. m. Nachw.  zum zwischen Verletzenden und Verletzten entstehenden Verhältnis der Fehde s. Brunner, Heinrich, Bd. 1, S. 221 f.  Rimmelspacher, S. 19  Brunner, Heinrich, Bd. 1, S. 223; Heinrich Brunner gilt als der Begründer der sogenannten Friedlosigkeitslehre: dazu kritisch mit Blick auf das Strafrecht Nehlsen, S. 3 ff.; 16; Kroeschell, FS Thieme, S. 11 ff.; Breßler, S. 48 sieht die Friedlosigkeitslehre als überwunden an  zum genauen Inhalt und zur Unterscheidung der hier verwendeten Begriffe „Rache“, „Fehde“, „Feindschaft“, „Freundschaft“ und „Friede“ nach dem mittelalterlichen Verständnis vgl. Brunner, Otto S. 19 ff.; zur Funktion der Rache in archaischen Rechtskulturen als Ausgleich des Rechtsbruchs zwischen den Einzelnen s. Luhmann, Rechtssoziologie S. 150 ff.  Brunner, Heinrich, Bd. 1, S. 223; Brunner, Otto S. 22  Rimmelspacher, S. 20  Rimmelspacher, S. 20

III. Entwicklungslinien aus dem Mittelalter in die Neuzeit

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Recht gegen das Unrecht zum Sieg zu verhelfen: „Der Sieger hatte nicht recht, weil er stärker war, er war stärker, weil ihm das gute Recht zur Seite stand“. Jede Kränkung des Rechts forderte mithin zur Rache heraus: „Denn Unrecht dulden, auf Rache zu verzichten, würde den Verlust der Ehre bedeuten.“¹⁸⁹ Die durch die Rache begründete Fehde führte zu der von der Rechtsordnung anerkannten Feindschaft.¹⁹⁰ Otto Brunner¹⁹¹ beschrieb die Fehde als Feindschaft, als „Verneinung des Friedens, Friedlosigkeit.“ Diese Feindschaft und Friedlosigkeit traten relativ¹⁹² zwischen Verletzenden und Verletztem ein und konnten im Wege der Selbsthilfe unmittelbar zur Rachehandlung übergehen. Derartige Rachehandlungen zeigten sich zum Beispiel in der Gestalt der „Privatpfändung“¹⁹³ als formlose Inpfandnahme von Sachen, die dem Rechtsverletzer gehörten.¹⁹⁴ Ob die formlos-eigenmächtige Inpfandnahme neben der Erfüllung des Rachegedankens nur der Ausübung von (Eigen‐) Zwang auf den Schuldner bezweckte, indem ihm seine Freiheit und die Sachherrschaft an den weggenommenen Gütern vorenthalten wurde, oder auch die Funktion hatte, dem Gläubiger eine Befriedigungsmöglichkeit durch Verwertung des Pfandguts zu verschaffen, bleibt allerdings ungewiss.¹⁹⁵

b) Die Friedlosigkeit des Schuldners Jedenfalls trat das überkommene Recht der Fehde zunehmend in den Hintergrund.¹⁹⁶ In dem Bemühen, das durch seine Auswüchse verheerende Fehdewesen mittels eines Sühneverfahrens zurückzudrängen, sahen bereits die frühmittelalterlichen Volksrechte der Burgunden, Ost- und Westgoten und Franken Verbote der Selbsthilfe zur

 Brunner, Otto S. 23  Brunner, Heinrich, Bd. 1, S. 222  Brunner, Otto S. 27 und S. 31  Mit Blick auf die Rechtsfolgen wurde zwischen einer relativen Friedlosigkeit zwischen Verletzenden und Verletztem und seiner Sippe und der allgemeinen Friedlosigkeit, wonach der Friedlose als Feind des Friedens und des Volkes von jedermann verfolgt und getötet werden konnte und sollte, unterschieden: vgl. Brunner, Heinrich, Bd. 1, S. 219.  Brunner, Otto S. 32; Schildt, S. 41 ff. benennt Rechtsquellen zur Privatpfändung als Akt der zulässigen Selbsthilfe, die im Mittelalter, in der Neuzeit, in der Moderne und in der Gegenwart Geltung entfalten  v. Schwerin in Brunner, Heinrich, Bd. 2, S. 585, erhob Bedenken gegen die Schlüssigkeit einer solchen Argumentation, da es keineswegs sicher sei, ob die Fehde die einzige Form der Selbsthilfe gewesen war  Planitz, Vermögensvollstreckung, Bd. 1, S. 30 ff.; v. Gierke, S. 44 und S. 64; Spann, S. 89  vgl. zum Beispiel für die Burgunden Bethmann-Hollweg, IV. Bd., S. 164; Rimmelspacher, S. 19 ff.

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Verfolgung eines Rechts vor. Zwecks Eindämmung eigenmächtigen Handelns wurden Pfändungen unter den Vorbehalt der obrigkeitlichen und damit richterlichen Ermächtigung gestellt, über die aufgrund einer vom Gläubiger vor Gericht zu führenden Klage entschieden wurde.¹⁹⁷ Diese Pfändungen waren nach einigen Volksrechten nur durch bestimmte Personen wie den Graf, den Witeschalk oder den Schuldheiß zu vollziehen.¹⁹⁸ Aber zuvor war der zur Rechtsverfolgung auf den Weg zum Gericht verwiesene Gläubiger gehalten, den Schuldner an die Erfüllung der Schuld durch Mahnung zu erinnern.¹⁹⁹ Leistete der Schuldner nach Mahnung oder auferlegter Buße²⁰⁰ nicht, musste er vor das für ihn zuständige Gericht geladen werden. Um die ordnungsgemäße Durchführung des Gerichtsverfahrens und die sich anschließende Schulderfüllung gegen eine zu erwartende Flucht zu sichern, sah beispielsweise das burgundische Recht die Verpflichtung des Schuldners vor, mit seiner Ladung für die gesamte Dauer des Prozesses einen Bürgen zu stellen.²⁰¹ Folgte der Schuldner der Ladung nicht, begab er sich gar auf die Flucht oder beachtete er das gerichtliche Leistungsgebot nicht, verfiel er nach den fränkischen Volksrechten (pactus legis salicae und lex salica) der Acht und wurde wegen seiner Rechtsverweigerung für friedlos erklärt.²⁰² So verhielt es sich auch in dem sich bis zum 9. Jahrhundert ausbildenden fränkischen Herrschaftsgebiet.²⁰³ Der Schuldner, der gleich aus welchen Gründen seinen Verbindlichkeiten nicht nachkam und damit das Recht brach, wurde aus dem Schutz der Rechtsordnung ausgestoßen und durch die Obrigkeit in Bann gelegt – er wurde rechtlos.²⁰⁴ Contumax wurde der Schuldner ferner, wenn er zwar vor Gericht erschien, aber dennoch den gerichtlichen Anforderungen nicht genügte.²⁰⁵ Sein Vermögen

 Bethmann-Hollweg, IV. Bd., S. 168 und S. 473; Spann, S. 74 ff.; Schildt, S. 41 ff. weist aber auch auf sich bis in die Gegenwart erstreckende Ausnahmen hin  Spann, S. 80 ff.  Spann, S. 76 ff. mit Hinweis darauf, dass die streitige Schuld sich nicht auf die Zahlung von Geld, soweit es überhaupt schon im Umlauf war, zu beschränken brauchte, da es durchaus üblich war, mit wertmäßig zu schätzenden Naturalien wie zum Beispiel Tiere, Waren oder Unfreie zu erfüllen  Planitz, Vermögensvollstreckung, Bd. 1, S. 21 ff.; Bethmann-Hollweg, IV. Bd., S. 473; Spann, S. 77  v. Gierke, S. 175; Spann, S. 82  Planitz, Vermögensvollstreckung, Bd. 1, S. 40 ff.; Kohler, Ungehorsam und Vollstreckung im Civilprozeß, S. 58; Spann, S. 91 ff.  hierzu Schröder, S. 97 ff.; Schulte, S. 62 ff.  Spann, S. 92, der außerdem auf ähnliche und abweichende Regelungen der anderen Volksrechte eingeht  Kohler, Ungehorsam und Vollstreckung im Civilprozeß, S. 57

III. Entwicklungslinien aus dem Mittelalter in die Neuzeit

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wurde gebannt und beschlagnahmt,²⁰⁶ wobei nicht eindeutig ist, ob aus dem beschlagnahmten Vermögen eine Befriedigung des Gläubigers erfolgte, das Vermögen dem Fiskus mit der Befugnis zufiel, beliebig damit zu verfahren, oder die Beschlagnahme allein dazu diente, auf den Schuldner Druck auszuüben.²⁰⁷ Verwandte und Freunde, die dem friedlosen (flüchtigen) Schuldner Schutz und Unterkunft boten, wurden mit Bußen belegt.²⁰⁸ Die Recht- bzw. Friedlosigkeit konnte nach vielen frühmittelalterlichen Rechten sogar die (physische) Vernichtung von Person und Vermögen bedeuten.²⁰⁹ Denn der Friedlose stand außerhalb des Rechts und verfiel der Acht, er war des Volkes Feind und durfte verfolgt und getötet werden.²¹⁰ Und da er nicht im Kreis der Volksgenossen leben durfte, musste er (in den Wald) fliehen, um dem Tod zu entgehen.²¹¹ Dort aber drohte er in Einsamkeit ebenso unterzugehen. Freilich konnte der Schuldner versuchen, sich wegen seiner Verbindlichkeiten anderweitig zu refinanzieren. Ein Beispiel hierfür gibt eine von Kroeschell ²¹² benannte, um 813 datierte Urkunde aus der Abtei St. Gallen. Nach deren Inhalt flüchtete ein zur Zahlung zweier Wergelder verpflichteter Schuldner namens Cunzo von Holzhausen vor seinen Gläubigern in das dortige Kloster und suchte um Hilfe nach. Die Klostergemeinschaft beriet und gewährte ihm aus Barmherzigkeit, wie der Urkunde zu entnehmen ist, einen Kredit über 100 Schilling zur Ablösung der Bußschuld. Im Gegenzug verpflichtete sich der Fugitivus mit Wirkung für seine Erben, dem Kloster jährlichen Zins durch näher bestimmte Getreidelieferungen zu zahlen, bis seine dortige Schuld abgetragen war.

Im Laufe der Zeit und sicherlich unter dem Einfluss der christlichen Forderung nach Barmherzigkeit milderten sich die ehedem harten Konsequenzen der Rechtbzw. Friedlosigkeit auf Verbannung aus Land und Stadt, Schuldhaft, Schuldknechtschaft und Gefängnishaft. Unter der Regentschaft Kaiser Karl des Großen (*747; †814) wurden im frühen 9. Jahrhundert zur Angleichung und Ergänzung der im Frankenreich unterschiedlich wirkenden Volksrechte und Rechtsgewohnheiten an das Reichsrecht die so genannten Kapitularien²¹³ erlassen, zu denen die Weisung gehörte, dem mittellosen und damit potentiell flüchtigen Schuldner einen Ausweg aus der Ächtung durch Eingehung einer freiwilligen ablösbaren Schuld-

       

Spann, S. 91 unter Hinweis auf den Titel 56 des pactus legis salicae Kohler, S. 9; Spann, S. 92 f. Spann, S. 92 Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 63 Brunner, Heinrich, Bd. 1, S. 232 ff. Brunner, Heinrich, Bd. 1, S. 234 Der überlieferte Urkundentext ist abgedruckt bei Kroeschell, Bd. 1, S. 102. Schröder, S. 266 ff.; Schulte, S. 86 ff.; Kroeschell, Bd. 1, S. 69 ff.

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knechtschaft zu zeigen.²¹⁴ Dem Schuldner wurde damit die Chance eingeräumt, bis zur vollständigen Bezahlung die Schuld abzuarbeiten, wobei er mit seiner Person dem Gläubiger bis dahin als Pfand diente,²¹⁵ so dass er nicht mehr um Leib und Leben fürchten musste.

c) Flucht als Verbrechen Infolge der Teilung und Zersplitterung des Frankenreichs, der Entstehung neuer Herzogtümer und der zunehmenden Ausdifferenzierung des Feudalwesens, der Entwicklung der Territorien, Herrschaften und neuer Stände sowie der Auswirkungen vieler Kriege nahm die Bedeutung der (geschriebenen) fränkischen Volksrechte und Kapitularien seit dem 9. und 10. Jahrhundert ab und es entstanden aus Gewohnheit und Herkommen zugunsten regionaler und lokaler Autoritäten vielerorts (teil‐) autonome Land- und Stadtrechte.²¹⁶ Ungeachtet des mit der Territorialbildung einhergehenden Partikularismus sowie des massiven Rückgangs der Rechtsaufzeichnung erhielt sich dennoch ein Teil der alten Rechtssätze im fortan entstehenden gemeinen Recht (ius commune) der Herrschaften und des Reiches bis ins 12. Jahrhundert.²¹⁷ Grundlage und Ausgangspunkt des gemeinen Rechts waren die Ideen der alten Volksrechte und des fränkischen Amtsrechts, die sozialen und rechtlichen Gewohnheiten sowie die prinzipiell ähnlichen Anschauungen, Zustände und Bedürfnisse des gesellschaftlichen und religiösen Lebens im Mittelalter.²¹⁸ Wie bereits gesehen, leitete die mittelalterliche Rechtsauffassung das überlieferte Recht von Gott ab und betrachtete es damit als unabänderlich. Im Prolog des Sachsenspiegels findet sich der aufschlussreiche Satz: „Got is selve recht, darumme is em recht lef“. ²¹⁹ Der König und die von ihm mit der Gerichtsgewalt Beliehenen hatten traditionell das als unabänderlich angesehene Recht zu bewahren und zu behüten,²²⁰ weshalb es nur wichtig war, das

 Planitz, Vermögensvollstreckung, Bd. 1, S. 85; Spann, S. 98 f., beschreibt ferner einen Zusammenhang zwischen der mit den Kapitularien eingeführten Schuldknechtschaft und der langobardischen und fränkischen Wadiation (Wettvertrag)  Spann, S. 99 ff. erwähnt ferner das Vollstreckungsmittel der Fronung, mit dem der Gläubiger Zugriff auf die mobilen und immobilen Vermögensgegenstände zwecks Befriedigung erhielt, wobei jedoch ungewiss bleibt, ob damit eine Personalexekution ausgeschlossen war.  vgl. hierzu Schröder, S. 663 ff., und Schulte, S. 145 ff, die unter anderem die historische Entwicklung vom Personalprinzip zum Territorialprinzip des Rechts beschreiben  Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 1, S. 269 ff, 271; Schulte, S. 146  Schulte, S. 146; so im Sachsenspiegel Eike von Repgow in seiner Vorrede in Reimpaaren: „Das Recht habe ich mir nicht selbst ausgedacht. Es ist uns vielmehr seit alters her von unseren rechtschaffenen Vorfahren überliefert worden“, zitiert nach Schott, S. 17  Sachsenspiegel, Prolog, nach Schott, S. 372: „Gott ist selber Recht, darum ist ihm Recht lieb“  Sachsenspiegel, Landrecht, 3. Buch, Art. 54, vgl. Schott, S. 201

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Recht (wieder) zu finden und zu erkennen. Denn dieses gemeine Recht war bis zum 12. Jahrhundert im Wesentlichen ungeschrieben und lebte nur im kollektiven Bewusstsein der Menschen, womit sich freilich beträchtliche Unsicherheit und die Angst um das Vergessen des immer komplexer wirkenden Rechts verband.²²¹ Zugleich differenzierte das Recht nach den Ständen sowie den Verhältnissen in der Kirche, auf dem Land und in den Städten, unterschied zwischen Klerus, Adel, Bauern und Bürgern, Handwerkern, Kaufleuten, ehrlichem und unehrlichem Gewerbe, Ortsansässigen, Fremden und fahrendem Volk, Männern und Frauen. Aus diesen Gründen finden sich ab dem 11. Jahrhundert auch außerhalb des kanonischen Rechts allmählich Rechtsaufzeichnungen in Form von Rechtsbüchern, in denen primär die Land- und Stadtrechte, die Dorf-, Hof-, Dienstund Lehnrechte als geltendes Recht schriftlich fixiert wurden und mit denen allenfalls sekundär und nur in geringem Maß neues Recht zur Anpassung an die sich entwickelnden Lebensverhältnisse geschaffen wurde.²²² Vordringliches Ziel jener Rechtsaufzeichnungen war es mithin, das bestehende weltliche Recht darzustellen, es als Ab- und Vorbild zu spiegeln.²²³ Dabei entfaltete das schriftlich niedergelegte, gemeine Recht immer dann seine Geltung, wenn die vielfältigen Partikularrechtsaufzeichnungen Lücken zeigten, bewusst auf das ius commune bauten oder ausdrücklich darauf verwiesen.²²⁴

Insbesondere die zahlreich aufblühenden (teil‐)autonomen mittelalterlichen Stadtrechte²²⁵ enthielten Satzungen, deren Normen die private Vollstreckung ohne richterliche Ermächtigung eindämmen sollten,²²⁶ und – so Planitz ²²⁷ – in denen eine „ungeheure Fülle von Bestimmungen, die sich mit der Flucht des Schuldners befassen“ und sie als Verbrechen mit schweren Strafen ahndeten, niedergelegt waren. Dies erklärt sich vor dem Hintergrund des historischen Wirtschaftsgeschehens. Die antiken und mittelalterlichen Wirtschaftssysteme waren auf dem Land stark von Agrarwirtschaft, von Landrecht und lehnsrechtlichen Bindungen, grundherrlichen Haus- und Hofrechten und bäuerlicher Leibeigenschaft geprägt, in denen der Güteraustausch lokal begrenzt vordringlich durch Naturalabgaben und Dienstleistungen erfolgte,während der Umlauf von Geld zunächst nachrangig war.²²⁸ Unmittelbare Rechtsfolge der Nichterfüllung der Naturalverbindlichkeiten,

 Laufs, S. 7 f.; Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 1, S. 269 f.  Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 1, S. 270 f.; Laufs, S. 8; Schott, S. 373  so für den Sachsenspiegel Schott, S. 377 f.; Laufs, S. 15  Heger, S. 31  allgemein zur Entstehung der Stadt und der Stadtrechte in Form von Satzung, Statuten, Einungen, Willküren s. Laufs, S. 33 ff.  Spann, S. 109  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 64  zur Wirtschaftsgeschichte seit Christi Geburt gibt Kulischer, S. 1 ff. einen detaillierten und zugleich umfassenden Überblick; lesenswert ist des Weiteren die Darstellung Otto Brunners in seinem Buch „Land und Herrschaft“ zur territorialen mittelalterlichen Verfassungsgeschichte Österreichs und Bayerns; vgl. ebenso Cordes/Kroeschell/Nehlsen-von Stryk, S. 130 ff.

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der Felonie oder Quasifelonie, konnte zum Beispiel der Verfall des Lehens sein.²²⁹ Hingegen traten die durch Zahlungsunwilligkeit oder -unfähigkeit hervorgerufenen Probleme eher in den urbanen Wirtschafts- und Gesellschaftszentren auf, in den pulsierenden Städten, die wie Inseln der bürgerlichen Freiheit und Innovation mit klar abgegrenzten Territorien und eigenem Recht im umgebenden Land lagen²³⁰ und von Handwerk und Fernhandel, Zünften und Gilden dominiert wurden. Lokaler und regionaler Handel sowie Fernhandel fanden seit dem Hochmittelalter vermehrt auf städtischen Wochen- und Jahrmärkten und Messen statt, zu denen die Handwerker anreisten und ihre Waren gegen Geld verkauften.²³¹ In den städtischen Güterkreislaufsystemen war anfangs das Münzgeld in seinen vielen Erscheinungsformen universelles Tauschmittel. Aufgrund der zahlreichen Territorialherrschaften, der (Teil‐) Autonomie der Städte und der damit einhergehenden unüberschaubaren Fülle einzelner Münzregalien, der unterschiedlichen Münzwerte sowie infolge der zuweilen unzureichenden Prägungen, ihren ständigen Änderungen und der permanenten Fälschungsgefahr erlangte der seit der Antike bekannte Beruf der Geldwechsler im Mittelalter neue Bedeutung.²³² An Markt- und Messetagen stellten sie Tische und Bänke auf, um den aus der Ferne anreisenden Kaufleuten unterschiedliche Währungen entgeltlich zum Tausch anzubieten, da vor Ort regelmäßig die Bezahlung mit einer bestimmten Münze bedungen und der Umlauf anderer Münzen nicht selten verboten war.²³³ Da die Cambitores, Campsores, Bancherii oder Tabularii,wie die Geldwechsler auch genannt wurden, ihre Geldstücke und Edelmetalle natürlich besonders gut sicherten, gaben die Herrschaften, Kaufleute und Stadtbürger ihnen ihre Barschaften ebenfalls zur Verwahrung und erhielten hierüber eine Bescheinigung, mit der das Guthaben verbrieft wurde.²³⁴ Aus diesen Depotscheinen entwickelten sich alsbald Finanzinstrumente wie Anweisungen und Wechselbriefe, welche die Vorteile hatten, dass die Kaufleute einerseits ihre Tragetiere nicht mit Münzen oder Edelmetall belasten mussten und andererseits die Urkunden für die den Einwohnern und Reisenden nachstellenden Wegelagerer oftmals keinen eigenständigen Wert verkörperten.²³⁵ Mit derartigen Dokumenten konnte zugleich ein effektiver bargeldloser Geldtransfer eingerichtet werden, indem ein anderer Geldwechsler angewiesen wurde, einen konkret bezifferten Betrag einer namentlich genannten Person oder dem Inhaber des Papiers auf Rechnung des Ausstellers auszuzahlen (cambium per litteras).²³⁶ So entstanden weitere Techniken des Zahlungsverkehrs: Die wechselseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten der Kaufleute und Geld-

 Weber, Lehenrecht, S. 720 verweist wegen der Quasifelonie auf treuwidrige und ehrenrührige Handlungen; Schröder, S. 429  angelehnt an Cordes/Kroeschell/Nehlsen-von Stryk, S. 56  Cordes/Kroeschell/Nehlsen-von Stryk, S. 89 ff.  Hüllmann, S. 437 ff.; Kulischer, S. 330 ff.  Hüllmann, S. 437 ff.; nicht unerwähnt soll bleiben, dass sich der Begriff Bankrott vom italienischen banca rotta, dem Zerschlagen der Bänke der fallierten Geldwechsler, entlehnt, hierzu Smid, Samuel Oppenheimer, S. 569  Kulischer, S. 331; Hüllmann, S. 441  Kulischer, S. 331; zum Gebrauch von Wechseln in der Antike und im Mittelalter vgl. Jäger, Die ältesten Banken und der Ursprung des Wechsels, S. 1 ff.  Hüllmann, S. 442 ff.; Kulischer, S. 331 f.

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wechsler wurden über längere Zeiträume unbar verrechnet und nur noch die Saldi durch Münzgeld oder wieder durch Wechsel ausgeglichen.²³⁷ Überdies übernahmen die Geldwechsler für ihre Kunden die interterritoriale Abwicklung von Zahlungsgeschäften und den Forderungseinzug.²³⁸ Schließlich versorgten die Geldwechsler die Kaufleute über Wechselbriefe mit dem für die Zwischenfinanzierung ihres Waren- und Personaleinsatzes erforderlichen Kredit, so dass sie Waren produzieren oder erwerben und mit ihnen an anderen Orten Handel treiben konnten.²³⁹ Der Kredit war und ist damit eine Erscheinungsform wirtschaftlicher Tätigkeit, die eng mit dem Erfolg und dem Scheitern der daran Beteiligten verbunden ist.

Konnte der auf den mittelalterlichen Märkten und Messen handelnde Kaufmann, Handwerker oder Bürger eine Schuld wegen seines Vermögensverfalls nicht (mehr) begleichen, machte er sich nicht selten aus dem Staub. Die mittelalterlichen (Stadt‐) Rechte sahen in der Flucht des Falliten ein Verbrechen²⁴⁰ ähnlich dem Diebstahl²⁴¹ oder der Unterschlagung, ähnlich dem Raub²⁴² oder dem Betrug,²⁴³ gleich, ob er bei seiner Flucht Hab und Gut mitnahm und damit dem Zugriff seiner Gläubiger entzog. Die Flucht war deswegen verwerflich und strafbar, weil der Schuldner „seinen Leib vor den Gläubigern in Sicherheit brachte“ und „weil sie ein diebliches Entführen des Geschuldeten enthält“. ²⁴⁴ Planitz ²⁴⁵ formulierte es noch deutlich pointierter: Der Flüchtige wurde deshalb geächtet, „weil er die Schuld entführt hat“ und aus der Flucht auf den Willen des Schuldners geschlossen werden konnte, die Schulderfüllung zu vereiteln, so dass in ihr eine eindeutige Rechtsverweigerung zu erblicken sei. Mit der Flucht manifestierte der fallitus fugitivus seine Absicht, Schulderfüllung und Rechtsbefolgung zu entsagen.²⁴⁶ Jedes Bitten, Mahnen und Drohen, jede Rechtsverfolgung in einem Prozess wurden unnütz, wenn der Schuldner floh. Er entzog sich zugleich seiner Gehorsamspflicht, als Beklagter vor dem Richter auf der Gerichtsstätte zu erscheinen und an dem gegen ihn geführten Prozess mitzuwirken.²⁴⁷ Mit seiner Flucht „stahl“,

 Hüllmann, S. 444; Kulischer, S. 330 ff.  Kulischer, S. 330 f.; Hüllmann, S. 444  Kulischer, S. 331; Hüllmann, S. 450  Stobbe, Geschichte des Konkursprozessrechts, S. 67; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 62  so zum Beispiel die Stadtrechte von Braunschweig, Kiel und Stralsund: s. Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 64 m. w. Nachw.  vgl. Stobbe, Geschichte des Konkursprozessrechts, S. 62 ff. mit Nachweis der Stadtrechte, die in der Flucht einen Raub sahen  so zum Beispiel die spätere Falliten-Ordnung vom 3. Juli 1708 der Stadt Frankfurt am Main; vgl. Vollmershausen, S. 123  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 65  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 65  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 67  Spann, S. 139

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„unterschlug“ oder „raubte“ er dem Gläubiger das, was er ihm zu geben schuldig war.²⁴⁸ Nicht nur nach dem Augsburger Stadtrecht war es deshalb besonders inkriminierend, wenn der Schuldner bei seiner Flucht das ihm kreditweise überlassene Gut auch noch mitnahm.²⁴⁹ Die mittelalterlichen Rechte waren demnach von der Vorstellung beherrscht, dass die Schuld primär mit der Person des Schuldners verbunden ist und nicht nur als haftungstechnischer „Negativposten des Vermögens“ zu betrachten war.²⁵⁰ Die immer wieder beobachtete Kumulation von Schuldanhäufung und schimpflichem (Flucht‐) Verhalten führte im allgemeinen Bewusstsein der Menschen zu der Vorstellung, die nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch unternommene Flucht mit der Zerstörung der (Geschäfts‐) Ehre gleichsetzen zu dürfen.²⁵¹ Dem Gläubiger blieb nur noch die Klage, mit der er den Schuldner der Flucht wegen einer ihm zustehenden Forderung bezichtigte. Das Urteil lautete dann „auf Friedloslegung wegen des Verbrechens der Flucht“. ²⁵² Die aus der Friedlosigkeit resultierenden, konkreten Rechtsfolgen des Urteils ergaben sich aus dem jeweiligen Land- oder Stadtrecht. Nach dem Sachsenspiegel verfielen der Schuldner und der (Prozess‐) Bürge der Strafe des Gewetts oder Buße zugunsten der Gerichtsobrigkeit respektive des Gläubigers, die ihn zur Leistungserbringung anhalten sollte.²⁵³ Der dingflüchtige Schuldner war zugleich der Klage überführt und wurde geächtet.²⁵⁴ Viele Stadtrechte sahen die Inhaftierung des später ergriffenen Fugitivus vor.²⁵⁵ Härtere Straffolgen drohten, wenn sich zudem herausstellte, dass der Schuldner seine Gläubiger gezielt um ihre Ansprüche bringen wollte.²⁵⁶ Andere Stadtrechte verwiesen (verbannten) den Schuldner für ewig aus der Stadt, zuweilen mit Weib und Kind.²⁵⁷ Kehrte der Flüchtige vor Ablauf der Bannfrist ohne

 Stobbe, Geschichte des Konkursprozesses, S. 62 ff. m. Nachw.; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 68  vgl. hierzu Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 69  Spann, S. 139  Becker, KTS 2008, 3, 10  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 69  Planck, Bd. 2, S. 245 ff.; s. im Sachsenspiegel, Landrecht zum Beispiel: 1. Buch Art. 53, 3. Buch Art. 9, 3. Buch Art. 39, 3. Buch Art. 53, jeweils bei Schott, S. 75, S. 166, S. 187 und S. 200; zu weiteren Beispielen unter anderem im Deutschen- und Schwabenspiegel sowie in Stadtrechten und Urkunden s. DRW: Gewette  Sachsenspiegel, Landrecht, 2. Buch, Art. 45; Schott, S. 135  Planitz, Vermögensvollstreckung, S. 100 ff.  Stobbe, Geschichte des Konkursprozesses, S. 106 ff.; Spann, S. 138  so für die Städte Ulm, Augsburg, Zürich, Köln, Eisenach, Magdeburg, Verden, Braunschweig, Einbeck und Lübeck: vgl. Hellmann, Ulm, S. 5 ff.; Hellmann, Augsburg, S. 28; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 70; Loening, S. 207 ff.; Breßler, S. 105 ff. und S. 316 m. w. Nachw.

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Erlaubnis zurück, kam er ins Gefängnis oder musste eine Buße leisten – und in Dordrecht wurde ihm die rechte Hand abgeschlagen, wenn er mit Gut geflüchtet war.²⁵⁸ Wiederum andere Partikularrechte differenzierten zum Beispiel danach, ob es sich bei dem Schuldner um einen Bürger mit Erbe und Besitz im Stadtgebiet handelte oder um einen unbeerbten Schuldner oder um eine Frau. Je nachdem wurde der Betreffende verbannt (Schuldbann) oder konnte nach Wahl dem Gläubiger zur Privathaft überantwortet oder vom Fronboten (in öffentlicher Haft) gehalten werden, was zugleich eine Vollstreckungsfunktion hatte.²⁵⁹ In den Rechten der Städte Magdeburg und Halle an der Saale findet sich der den abwesenden Schuldner treffende Metebann, dessen konkrete Rechtsfolgen verschwommen zu sein scheinen, womöglich aber eine Art Verfestung beinhaltete, um den Schuldner zum Erscheinen zu zwingen.²⁶⁰ Die Verfestung, die an sich als Zwangsmittel bei Ungerichtsklagen gegen den dem Gerichtstermin fernbleibenden Beklagten gerichtet war, führte zu dessen Ausschluss aus der Rechtsgemeinschaft des Gerichtsbezirks – der Kläger konnte den Verfesteten innerhalb des Gerichtssprengels ergreifen, vor Gericht führen und das Todesurteil gegen ihn verhängen lassen.²⁶¹ Überdies wurden in den Stadtrechten weitere, gleich noch vorzustellende Rechtsfolgen normiert, so dass sich der flüchtende Schuldner einem ganzen Kanon von Sanktionen ausgesetzt sah, wenn er wieder zurückkehrte oder gefasst wurde. Allerdings hatte die Verbannung des zumeist ohnehin flüchtigen Schuldners oftmals kaum Pressionswirkung auf diesen, da er zumeist darauf aus war, nicht so schnell wieder heimzukommen und einstweilen andernorts sein Glück neu zu wagen. Deshalb versuchten viele Städte, die Bannwirkung durch Justizverträge auf jeweils weitere Stadtgebiete zu erweitern: im Jahr 1476 schlossen beispielsweise die Städte Lübeck, Stade, Uelzen, Magdeburg, Braunschweig, Halle an der Saale, Halberstadt, Goslar, Hildesheim, Göttingen, Stendal, Hannover und Einbeck einen solchen Vertrag.²⁶² Und die Stadtrechte Kölns, Lübecks und Braunschweigs sahen zudem vor, dass der Schuldner infolge des Banns von allen Städten der Hanse ausgeschlossen wurde.²⁶³ Diese Städtebündnisse deckten regelmäßig einen großen Raum ab, so dass die Fluchtmöglichkeiten stark eingeschränkt wurden und

 Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 74 m. Nachw.  so in Hamburg, Braunschweig, Eisenach, Breslau und Göttingen, Breßler, S. 105 ff. und S. 317; Planitz, ZRG GA 52 (1932), 134 ff.  Planck, Bd. 2, S. 250, 281; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 69 ff.; Breßler, S. 318  Lieberwirth, S. 369  Breßler, S. 318 und 379 jeweils m. Nachw.  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 71 und 73 m. Nachw.

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

der Schuldner gezwungen war, sich sehr viel weiter von seiner Heimatstadt entfernt niederzulassen und neu anzufangen.²⁶⁴ Viele Partikularrechte sahen als weitere unlösbare Folge der Friedlosigkeit (und Flucht) die Ächtung durch Eintragung in ein städtisches Achtbuch vor.²⁶⁵ Zumeist war dies mit dem ewigen oder temporären Verlust der Bürger- und Ehrenrechte verbunden.²⁶⁶ Der Schuldner verwirkte regelmäßig seine gesamten öffentlichen Würden und Ämter, seine Mann- und Bürgerrechte, das aktive und passive Wahlrecht, die Zeugnisfähigkeit und das Recht zum Waffentragen: in summa seine bürgerliche Ehre.²⁶⁷ Dritten wurde verboten, ihn zu hausen und zu bewirten.²⁶⁸ Zudem konnte der Schuldner von jedermann angegriffen und an Leib und Leben beschädigt werden, ohne seinerseits deswegen eine gerichtliche Verfolgung befürchten zu müssen, wobei manche Quellen die Vogelfreiheit des Schuldners zugunsten der Gläubiger beschränkten.²⁶⁹ Nicht wenige (zeitlich spätere) Stadtrechte boten wiederum dem verbannten Schuldner die Möglichkeit, gegen Bezahlung der Schuld und gegebenenfalls einer Strafbuße wieder in die Stadt gelassen und von der Acht der Friedlosigkeit gelöst zu werden.²⁷⁰ Der Gläubiger konnte aber auch die geistliche Gerichtsbarkeit bemühen, deren Zuständigkeit sich auf eidlich bekräftigte Verträge ebenso erstreckte.²⁷¹ Die geistliche Gerichtsbarkeit erfuhr im Hochmittelalter ohnehin einen Aufschwung. Neben innerkirchlichen Streitigkeiten, Disziplinar- und Ehesachen wurden vor den klerikalen Gerichtshöfen zunehmend Geldforderungen verhandelt, da dort erstmals summarische Verfahren geboten wurden.²⁷² Die geistliche Gerichtsbarkeit hielt mit der drohenden und vor allem kostengünstigen und schnellen Exkommunikation eine besonders wirksame Sanktion und ein beliebtes indirektes Vollstreckungsmittel bereit, zumal deren Gerichtssprengel meist größere Territorien umfassten, die kirchliche Vollstreckungsmacht nicht an städtischen oder territorialen Gerichtsgrenzen endete und ein effektives System der Rechtshilfe bestand.²⁷³ Regelmäßig vereinbarten die Parteien deshalb in Schuldurkunden, dass der Schuldner bei Säumigkeit mit der durch den geistlichen Gerichtshof dekretierten Exkommunikation rechnen musste; sie verabredeten

 Breßler, S, 379, der weiter auf die Möglichkeit der Flucht auf geistliches Territorium verweist  Spann, S. 138 unter Benennung Augsburger Stadtrechtsquellen  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 71 ff. m. Nachw.  Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 453; Kohler, Shakespeare, S. 47; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 71 ff. m. Nachw.; zwischen infamia iuris und infamia facti differenzierend Forster, Konkurs als Verfahren, S. 203 f.  z. B. das Eembrugger Stadtrecht von 1363; vgl. Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 72 m. Nachw.  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 74 m. Nachw.  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 71 m. Nachw.  Nehlsen-von Stryk, S. 314  Elsener, S. 71 f.; Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels, S. 264 ff.  Nehlsen-von Stryk, S. 314 ff. m. Nachw.; Elsener, S. 73; Kohler, Shakespeare, S. 108 ff.; Breßler, S. 319 m. Nachw.

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die Exkommunikation als Konventionalstrafe.²⁷⁴ Damit konnte den flüchtigen Schuldner die Exkommunikation auch außerhalb der Grenzen einholen, an denen die jeweilige weltliche Gerichtsmacht erstarb. Je nach Mentalität des Flüchtigen musste er ewiger Verdammnis gewärtig sein, die sich durchaus wirklichkeitsnah in seiner Einsicht zeigte, kein kirchliches Begräbnis zu erfahren.²⁷⁵ Allerdings ist zu beobachten, wie seit dem 13. und 14. Jahrhundert die Städte die kirchliche Justiz in bürgerlichen Streitigkeiten bekämpften und zurückdrängten.²⁷⁶

2. Die Verfolgung und Festsetzung des Schuldners Die Ächtung, Verfolgung, Verhaftung, Bestrafung, Verbannung und Exkommunikation des Schuldners waren für den Gläubiger dennoch unbefriedigend, wenn trotz des damit ausgeübten Zwangs die Forderungen nicht berichtigt wurden.²⁷⁷ Dabei unterschieden die germanischen Volksrechte und die aus ihnen erwachsenen mittelalterlichen Partikularrechte zunächst nicht die Gründe, die zur Nichtleistung führten.²⁷⁸ Sie fragten bei ihrer Rechtsfolgenanordnung nicht danach, ob der Schuldner in böswilliger Absicht handelte oder schlicht durch Zahlungsunfähigkeit,²⁷⁹ zum Beispiel infolge eines Unglücks, in seine missliche Lage geraten war. Entscheidend für den Eintritt der strafenden Ungehorsamsfolgen war auch nicht die Mehrheit von Gläubigern, sondern allein die Nichterfüllung der individuellen Schuld.²⁸⁰ Aber gerade wegen der mit der Nichterfüllung verbundenen harten Ungehorsamsfolgen, insbesondere der Friedlosigkeit und der unbarmherzigen Verfolgung, versuchte der Schuldner oftmals zu fliehen.²⁸¹

a) Dingflucht Um sich selbst effektiv vor den drohenden Ungehorsamsfolgen zu schützen, musste der Schuldner zumeist nur in das benachbarte oder in ein anderes Ge-

 Elsener, S. 83 ff.; Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels, S. 264 f.  Nehlsen-von Stryk, S. 314 ff.; vgl. Breßler, S. 319, der unter Benennung von Quellen weiter beschreibt, dass sich alsbald in einer Reihe von Partikularrechten das Verbot der Anrufung geistliche Gerichte fand  Elsener, S. 80  zur Bedeutung des Contumacialverfahrens für das Vollstreckungsrecht: Kohler, Ungehorsam und Vollstreckung im Civilprozeß, S. 57 ff.  Spann, S. 138  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 62 ff.  Spann, S. 81 und 138  Oertel, S. 37; Planitz, Vermögensvollstreckung, Bd. 1, S. 100 ff.; Schulte, S. 428; Spann, S. 138

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richtsgebiet (ding) entkommen (Dingflucht).²⁸² In diesem zumeist von einer anderen Obrigkeit beherrschten Gerichtssprengel waren die Zugriffsmöglichkeiten der Gläubiger auf den Schuldner eingeschränkt oder ausgeschlossen, zumal die Städte versuchten, ihre Bürger und Einwohner vor Klagen Auswärtiger zu schützen.²⁸³ Hinzu kam ein weitaus gravierenderes Problem: Der Gläubiger wusste oftmals nicht, wohin der Schuldner geflohen war. Wo sollte er angesichts der im Mittelalter spärlich verfügbaren Informationen anfangen, nach seinem Schuldner zu suchen? In einer anderen, dem Gläubiger unbekannten Stadt oder in einem anderen Territorium konnte sich der Schuldner effektiv und nicht selten für immer dem Zugriff seiner Gläubiger entziehen. Zumindest konnte er von dort – aus sicherer Distanz – mit ihnen verhandeln. Damit verwehrte der flüchtige Schuldner dem Gläubiger realiter die Möglichkeit, ihn vor ein Gericht zu bringen, um die ausstehende Schuld in einem ordentlichen Verfahren durch Anerkenntnis oder Urteil feststellen zu lassen und zu vollstrecken.²⁸⁴ Alle prozessualen Gebote und Erfüllungsfristen²⁸⁵ waren wirkungslos, wenn der Schuldner geflohen war. Die bevorstehende, begonnene oder vollendete Flucht des Schuldners war eine allseits erlebte Alltäglichkeit in mittelalterlichen Städten und Landschaften, von der die Rechtsgenossen durch aller Munde erfuhren und gleichermaßen bedroht waren.²⁸⁶ Es verwundert deshalb nicht, wenn – getrieben von einer durch kollektive Erfahrung begründeten Antizipation – auch der noch nicht inhaftierte, nicht geächtete, nicht stadtverwiesene und nicht entbürgerte Schuldner den Angriffen seiner Gläubiger ausgesetzt war, sobald er die Schuld bei Fälligkeit nicht erfüllte.²⁸⁷ Gleiches galt, wenn der Schuldner keine Sicherheiten stellte und deswegen die Flucht antreten wollte oder insoweit verdächtig wurde.²⁸⁸ Damit war die Flucht der wichtigste Grund der vorsorglichen und vorläufigen Festsetzung des Schuldners.²⁸⁹ Denn die mittelalterlichen Rechtsstatuten wollten ihren Bürgern nicht zumuten, wegen der Flucht des Schuldners ihr Recht auf einem (weit) entfernten Territorium²⁹⁰ und womöglich im

 Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 61; Spann, S. 139  Breßler, S. 307  Gleichwohl sah zum Beispiel das Nürnberger Stadtrecht die Ausstellung eines Bettbriefes oder litteras compassus an Gläubiger mit dem Ersuchen an die benachbarte Gerichtsobrigkeit vor, ihm Rechtshilfe zuteil werden zu lassen; s. Spann, S. 175.  vgl. hierzu Planck, Bd. 1, S. 24 ff. und Bd. 2, S. 240 ff.  Oertel, S. 37; Spann, S. 138  Planck Bd. 2, S. 360 ff.; Seuffert, Konkursrecht, S. 55  Fuchs, S. 2; Seuffert, Konkursrecht, S. 55  Seuffert, Konkursrecht, S. 55  Kisch, S. 25

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Machtbereich fremder Obrigkeiten, unter Geltung unbekannter Rechte und Gebräuche und dazu vielleicht noch in einer unverständlichen Sprache suchen und erkämpfen zu müssen.

b) Priorität des ersten Zugriffs Die Verfolgung und Festsetzung des flüchtenden oder fluchtverdächtigen Schuldners versteht sich aber auch unter einem weiteren Gesichtspunkt. Das mittelalterliche Vollstreckungsrecht war durch die dem erstzugreifenden Gläubiger zugebilligte Priorität (prior in petitione prior in iure) geprägt.²⁹¹ Verfolgten mehrere Gläubiger den Schuldner, erlangte derjenige vorrangige Befriedigung, der sich zeitlich zuerst seiner Person oder der ihm gehörenden Vermögensgegenstände bemächtigte, wobei der Schuldner die Priorität der Gläubiger nicht beeinflussen konnte.²⁹² Diese Priorität des ersten Zugriffs wird als Nachwirkung der ansonsten überwundenen fehderechtlichen Eigenmacht begriffen.²⁹³ Verfolgte der Gläubiger sein Recht aber nicht gehörig, ging ihm die anfangs zugebilligte Priorität wieder verloren.²⁹⁴ Im Gegensatz zum römischen Recht kannte keines der von Spann ²⁹⁵ untersuchten germanischen Volksrechte Regelungen für den Fall einer Gläubigermehrheit, da der Erfolg des Gläubigerzugriffs von der Priorität der Vollstreckungshandlung abhing. Den bis zum 15., 16. und 17. Jahrhundert verfolgbaren Rechtsquellen fränkischer, alemannischer, sächsischer und bayerischer Provenienz ist überwiegend die Maxime zu entnehmen, dass der erstzugreifende Gläubiger den Vermögensbeschlag für sich allein erlangte und allen nachfolgenden Gläubigern im Rang vorging.²⁹⁶ Deshalb sucht man ein Konkursverfahrensrecht im Sinne der Erfassung des gesamten schuldnerischen Vermögens zur Befriedigung mehrerer

 Hellmann, Lehrbuch des deutschen Konkursrechts, S. 58 m. w. Nachw.; Dabelow, S. 491; Kohler, S. 32 f.; v. Meibom, S. 454 ff.; Kori, S. 18 ff.; Schweppe, S. 21; Seuffert, Konkursrecht, S. 58; Planck, Bd. 2, S. 400; Stobbe, Geschichte des Konkursprozesses, S. 5; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 102  v. Meibom, S. 456 unter Hinweis auf die Spruchpraxis des Magdeburger Schöffenstuhls  jeweils mit unterschiedlichen Ansätzen und Schlussfolgerungen Wach, Der italienische Arrestprocess, S. 24 ff.; Oertel, S. 12; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 49 ff.; Seuffert, S. 7; Spann, S. 136; Breßler, S. 307 f.  v. Meibom, S. 457  Spann, S. 85  vgl. v. Meibom, S. 454 ff. und Kohler, S. 32, die unter anderem den Einfluss der Entscheidungen des Magdeburger Schöffenstuhls und des schweizerischen Rechts für erheblich halten; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 102; Dabelow, S. 491; Kori, S. 19

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oder aller Gläubiger in den meisten deutschen Rechtsbüchern (vor allem im Sachsenspiegel und Schwabenspiegel) und in den Stadtrechten vor der Mitte des 16. Jahrhunderts meist vergebens.²⁹⁷ Nur vereinzelt findet sich ab dem 13. Jahrhundert in den Statuten größerer Handelsplätze wie Hamburg, Bremen, Lübeck, Goslar und Frankfurt das disparate Prinzip der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung, insbesondere in den Fällen, in denen der verstorbene oder geflüchtete Schuldner Vermögen zurückließ.²⁹⁸

c) Kummer, Besetzung, Aufhalten Der Sachsenspiegel, das sächsische Weichbildrecht sowie zahlreiche mittelalterliche Stadtrechte beinhalten ähnliche und vergleichbare Regeln für den Fall, dass die Gefahr der Flucht des Schuldners bestand.²⁹⁹ Dem Gläubiger wurden bei Gefährdung seiner Forderungen Mittel des vorsorglichen Zwangs an die Hand gegeben, um den Schuldner zum Erscheinen vor Gericht zwecks Erfüllung seiner Verbindlichkeiten anzuhalten.³⁰⁰ Die mittelalterlichen Rechtsordnungen unterschieden aber in ihren Bestimmungen zur Festnahme und Inhaftierung des Schuldners ursprünglich nicht – dem heutigen Rechtsverständnis entsprechend – streng zwischen den Verfahren zur Feststellung, Sicherung und Vollstreckung von Ansprüchen. Die mittelalterliche Ad-hoc-Rechtsverfolgung darf vor allem nicht dem heutigen Arrestverfahren der §§ 916 ff. ZPO gleichgesetzt werden.³⁰¹ Ohnehin taucht der Begriff „Arrest“ in keiner mittelalterlichen deutschen Rechtsquelle zur Beschreibung eines vorläufigen Sicherungsverfahrens auf; tatsächlich lassen sich Worte wie „Kummer“, „Besetzung“, „verbieten“ und „aufhalten“ finden.³⁰²

 Schweppe, S. 8; Becker, KTS 2008, 3, 8; nach Dabelow, S. 491 und Kori, S. 19 soll dies nur dann anders gewesen sein, wenn mehrere Gläubiger von vornherein gemeinsam gegen den Schuldner drängten, weshalb sie sich später über das Erlöste zu einigen hatten  v. Meibom, S. 457, Stobbe, S. 16 ff.; Kohler, Leitfaden, S. 29 ff.; Oertel, S. 30 ff.; ausführlich Meier, S. 40 ff.  Dabelow, S. 487  Planitz, Grundlagen des deutschen Arrestprozesses, S. 12 ff.; Stern, S. 10; Planck, Bd. 2, S. 130 und 380; Meier. S. 35  Breßler, S. 306 f. mit dem methodenkritischen Hinweis darauf, dass die in der Privatrechtsliteratur zuweilen unreflektiert vorgenommene Abgrenzung zwischen Arrest und Vollstreckung rechtshistorisch ein Anachronismus ist und der moderne Arrest erst gegen Ende des Spätmittelalters aus Italien rezipiert wurde; Stern, S. 10; Spann, S. 136  Spann, S. 136; Breßler, S. 307

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Angesichts dieser Tatsachen erkennt Breßler³⁰³ in den im Sachsenspiegel wiedergegebenen Prinzip,³⁰⁴ aufgrund dessen es wegen der zu erwartenden Flucht mit richterlicher Ermächtigung zur Inhaftierung des Schuldners kommen konnte, sowohl eine Sicherungs- als auch eine Vollstreckungsfunktion, eben weil das sächsische Recht nichts von einer strikten Trennung zwischen Erkenntnis-, Arrest- und Vollstreckungsverfahren nach dem römischen und dem modernem Rechtsverständnis wusste. Auch das zwischen 1257 und 1261 in Magdeburg oder Halle an der Saale niedergeschriebene Weichbildrecht sowie die nachfolgende Weichbildvulgata berichteten von Rechtsgewohnheiten, die das universelle Bedürfnis der Gläubiger befriedigten, den Schuldner an der Flucht zu hindern, entweder um ihn für ein durchzuführendes Gerichtsverfahren festzuhalten (Bestätigung) oder dem Gläubiger zu Zwecken der Personalexekution in privater oder öffentlicher Schuldhaft zu übergeben (Überantwortung).³⁰⁵ Die Flucht war insgesamt gegen das Recht gerichtet, weshalb es nach dem mittelalterlichen Verständnis keiner weiteren Differenzierung für die Anordnung zur Festsetzung des Schuldners bedurfte.

d) Die Rezeption des Arrestverfahrens Erst später und unter dem Einfluss römisch-italienischen Rechts³⁰⁶ fand in den mittelalterlichen Rechtsstatuten nach und nach sowie lokal sehr verschieden eine Differenzierung der Inhaftierung des Schuldners sowie der Beschlagnahme seines Vermögens zu Zwecken der Sicherung und der Vollstreckung statt.³⁰⁷ So beschrieb Wach ³⁰⁸ eine Entwicklung auf dem Gebiet des heutigen Italiens, wonach aus dem langobardisch-fränkischen Recht der Privatpfändung als außergerichtlichem Selbsthilfeakt der gerichtliche Arrest entstanden sei.³⁰⁹ Er vertrat die Auffassung,

 Breßler, S. 64 und S. 67  vgl. den bei Teucher auf S. 226 abgedruckten Art. 39 des 3. Buchs des Landrechts des Sachsenspiegels mit einer Synopse der ursprünglichen und der neueren hochdeutschen Sprachfassung; eine weitere Übersetzung findet sich bei Schott, S. 186  Breßler, S. 72 ff.  der weitgehende Abschluss der Rezeption des römisch-italienischen Arrestes kann im Reichsdeputationsabschied von 1600 gesehen werden: hierzu Planitz, Grundlagen des deutschen Arrestprozesses, S. 90 ff.; Stern, S. 10; zur Rezeption später unter Teil B III 4  Spann, S. 136; Breßler, S. 306 f.; für das sächsische Zwickau des ausgehenden Mittelalters benennt Breßler, S. 119 ff., eine von gelehrter Hand des römisch-rechtlich gebildeten Magister Antonius Beuther gekennzeichnete Revision des dortigen Stadtrechts, die eine Trennung der Schuldnerhaft zu Zwecken der Sicherung und Vollstreckung erkennen lässt  Wach, Der italienische Arrestprocess, S. 24 ff.  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49 ff.; Kisch, S. 12 ff. und Seuffert, S. 7 jeweils unter Hinweis auf grundlegende Untersuchungen von Wach, Der italienische Arrestprocess, S. 24 ff.; Meier, S. 20

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dass der von den deutschen Partikularrechten rezipierte moderne Arrest auf einer unmittelbaren Fortgestaltung der germanischen außergerichtlichen Inpfandnahme beruhe, deren Zulässigkeit in späterer Zeit gerichtlich geprüft wurde.³¹⁰ Hingegen zog Endemann ³¹¹ unter anderem in Erwägung, dass sich das Arrestverfahren aus den römischen Rechtsnormen entwickelt habe. Planitz³¹² verwies darauf, dass die Arretierung ursprünglich eine Reaktion des Rechts auf das Verbrechen der Flucht, in der sich die Erfüllungsverweigerung manifestiere, gewesen sei und damit dem „Strafrechte“ entstamme. Danach sei der Arrest die Form, in der der Gläubiger die relative Friedlosigkeit des Schuldners geltend mache.³¹³ Mit der Zeit habe aber nicht mehr so sehr die Bestrafung des Schuldners im Vordergrund gestanden, sondern die Befriedigung des Gläubigers, so dass der Arrest zunehmend zu einem privatrechtlichen Sicherungsmittel gegen den flüchtigen, fluchtverdächtigen oder sonst unzuverlässig erscheinenden Schuldner geworden sei.³¹⁴ Diesem Gedanken tritt auch Spann³¹⁵ näher, der in der Arretierung ebenso die Befriedigungssicherung erkennt, während in den absehbaren Fällen, in denen das „besetzte“ Vermögen das allein noch greifbare ausmachte, weil eine reguläre Exekution wegen der Flucht und der damit unmöglichen Ladung vor ein Gericht unwahrscheinlich wurde, die reine Befriedigungsfunktion im Mittelpunkt gestanden habe. Breßler³¹⁶ betrachtet die Festsetzung des Schuldners als Haft mit Sicherungsfunktion, mit der je nach Zielrichtung zu verschiedenen Zeitpunkten, oftmals zeitlich ineinander gehend und nicht scharf voneinander trennbar, unterschiedliche (Sicherungs‐) Bedürfnisse des Gläubigers befriedigt wurden, sei es die Erfüllungs-, die Verfahrens- oder die Vollstreckungssicherung oder die Vollstreckung selber. Mit der seit dem Hochmittelalter eintretenden wirtschaftlichen Blüte der Städte, des schwunghaften Handels und des immer mehr aufkommenden Kreditwesens³¹⁷

 Wach, Der italienische Arrestprocess, S. 24 ff.; Stern, S. 10; Planitz, ZRG GA 39 (1918), 223 ff.  Endemann, S. 39  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 137  Planitz, ZRG GA 39 (1918), 223 ff.  Planitz, ZRG GA 39 (1918), 223, 224  Spann, S. 136  Breßler, S. 307 f. mit weiterer Methodenkritik zu den Systematisierungsversuchen früherer Forschungen, wobei ihm der gesellschaftlich-politische Hintergrund der rechtshistorischen Untersuchungen des 19. und 20. Jahrhunderts nicht verborgen geblieben zu sein scheint  Planck, Bd. 2, S. 370; v. Meibom, S. 150 ff.; Oertel, S. 11 ff.; Spann, S. 137

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wurden in vielen Stadtrechtsbüchern³¹⁸ sehr konkrete Regeln für die vorsorgliche und vorläufige Festsetzung des Schuldners niedergeschrieben.³¹⁹ Ebenso wurden, beeindruckt durch die Entwicklung der Stadtrechte, zunehmend vergleichbare Normen in den Landrechten notiert.³²⁰ Insbesondere die Ansprüche gegen den flüchtigen oder fluchtverdächtigen Schuldner galten unter den einheimischen Bürgern als ausfallgefährdet, da die Flucht symptomatisch Zahlungsunwilligkeit oder -unfähigkeit signalisierte.³²¹ Auch nicht mit Grundbesitz ausgestattete Bürger, Fremde und Gäste wurden oftmals per se für unsichere Schuldner gehalten,³²² da es für sie mangels biografischer Bindungen oftmals keinen wichtigen Grund gab, am gegenwärtigen Ort länger als nötig zu verweilen. So ergab sich mit der Zeit eine Anzahl von Sachlagen, welche die Festsetzung des Schuldners und seines Vermögens erforderlich machten. Die privatrechtshistorische Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts³²³ versuchte die je nach Blickwinkel in Betracht kommenden Konstellationen begrifflich in Kategorien zu fassen und unterschied den Fugitivenarrest als Arrest gegen den flüchtigen, fluchtverdächtigen oder sonst unsicheren Schuldner, den Nachlassarrest, den Fremden- und Repressalienarrest, den vereinbarten Arrest, den Personen- und Sacharrest, den Fahrnis- und Liegenschaftsarrest, den Verschollenheits- und Nachlassarrest, den Unmündigkeits- und Ächterarrest sowie den Spezial- und Generalarrest.³²⁴ Nach diesem Verständnis wurde regelmäßig der Generalarrest gegen den flüchtigen Schuldner verhängt, der, stellte sich der Fugitivus nach der Arretierung seines Vermögens nicht, in die Exekution überging.³²⁵

e) Die Flucht als causa arresti Im Fluchtfall konnte der Gläubiger beim Richter unter Nachweis seines Anspruchs und des Arrestgrundes gegen den Schuldner ein Mandat erhalten, aufgrund dessen er die Sicherung und die Vollstreckung gegen die Person des Schuldners oder dessen Vermögen, letzteres als Arrest auf das gesamte Vermögen oder ein-

 zum Beispiel in den Rechtsbüchern der Städte Magdeburg, Hamburg, Lübeck, Bremen, Goslar, Augsburg, München, Bamberg oder Frankfurt; vgl. hierzu die bei v. Meibom auf S. 151 unter Fußnote 9 genannten Quellen  v. Meibom, S. 150 ff.; Oertel, S. 11 ff.; Planck, Bd. 2, S. 370  Spann, S. 137, der als Beispiel das bayerische Landrecht von 1346 benennt  Seuffert, Konkursrecht, S. 55; Planck, Bd. 2, S. 372; Meier, S. 36  Meier, S. 36  v. Meibom, S. 154 ff.; Stobbe, Geschichte des Konkursprozesse, S. 14 ff.; Wach, Der italienische Arrestprocess, S. 38 ff., S. 47 ff., S. 72 ff., S. 157 ff.; Planck, Bd. 2, S. 374 ff.; Oertel, S. 14 ff.; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 54 f.; Planitz, ZRG GA 39 (1918), 223 ff. und ZRG GA 40 (1919), 87 ff.  kritisch zu dieser Kategorisierung und zur Verwendung des Arrestbegriffs Breßler, S. 308  Seuffert, S. 7

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zelne Gegenstände, einleiten konnte.³²⁶ Der Arrestgrund lag in der behaupteten Gefährdung des Anspruchs. Dabei genügte es regelmäßig, wenn der Gläubiger vortrug, dass der Schuldner flüchtete oder fluchtverdächtig war.³²⁷ Die Arretierung konnte erfolgen, wenn der Arrestgrund der Flucht oder Fluchtgefahr offenkundig gegeben war oder aufgrund von Anknüpfungstatsachen unterstellt werden konnte. Kaum zu beantworten ist allerdings die Frage, in welchem Maß der Richter die behauptete Fluchtgefahr vor Erlass des Arrestmandats prüfte. Zumindest scheinen die Partikularrechte eine Art summarischer Untersuchung vorgesehen zu haben, bevor die Entscheidung über den Arrestantrag getroffen wurde.³²⁸ Die (bevorstehende) Flucht wurde jedenfalls anhand sichtbarer Zeichen erkannt. Einige Rechtsquellen fokussierten insbesondere auf das Zeitmoment des Fluchtantritts. Nach manchen Land- und Stadtrechten³²⁹ durfte der Schuldner aufgegriffen werden, wenn er im Begriff war zu fliehen, mithin wenn er gerade weggehen oder wegfahren, also den Ort verlassen wollte, oder während der Flucht angetroffen wurde. Andere Stadtrechte³³⁰ verwiesen vielseitig auf typische Begleitumstände der Flucht, auf Heimlichkeiten, auf die Nachtzeit oder auf eigentümliches, die Absicht des dauerhaften Wegzugs offenbarendes Verhalten, wie zum Beispiel die Mitnahme persönlichen Hab und Guts und des Hausrats auf Wägen, Kutschen oder Pferden. Wieder andere Partikularrechte bestimmten, dass ein Bürger die Stadt nur „beim Scheine der Sonne“ oder stets nur dann verlassen darf, wenn er seine Gläubiger befriedigt hatte.³³¹ Das Augsburger und Münchner Stadtrecht unterstellten die Flucht des Schuldners, wenn jener als Handelstreibender nach „Jahr und Tag“ nicht wiederkehrte, während andere süddeutsche und schweizerische Statuten³³² kürzere oder relative Zeiträume bestimmten.Wegen der mit Beurteilung des schuldnerischen Verhaltens verbundenen Unsicherheit gaben diese Stadt- und Landrechte dem Schuldner aber Rechtsschutzmöglichkeiten,

 Seuffert, S. 7; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 68 ff.  Seuffert, Konkursrecht, S. 55; Fuchs, Concursverfahren, S. 6; Oertel, S. 14 ff.  v. Meibom, S. 163 mit Nachw. für das Stadtrecht Magdeburgs und Goslars; Spann, S. 140  zum Beispiel Zeeland, Braunschweig, Meißen, Danzig, Villingen, München und Jena, Quellen bei Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 78 ff.  zum Beispiel Hörde, Stralsund, Halberstadt und Westerwald, vgl. auch hier Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 78 ff.  so das Casseler Stadtrecht von 1413, Quellennachweis auch hier bei Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 80 f.  Bönnigheim, Überlingen, Wintherthur, Württemberg und Zürich, s. Spann, S. 141, 144 ff.; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 93

III. Entwicklungslinien aus dem Mittelalter in die Neuzeit

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wenn sich mit seiner Heimkehr offenbarte, dass er doch nicht flüchtig gewesen sondern regulär ausgereist war.³³³ Vor allem konnte der fluchtverdächtige, aber noch nicht flüchtige Schuldner von seinen Gläubigern festgesetzt werden. Der Schuldner erschien als der Flucht suspekt, wenn er seine Gläubiger offenbar benachteiligende Verfügungen vornahm oder generell als unsicher galt.³³⁴ Die generelle Unsicherheit konnte sich wiederum aus Indizien ergeben, zum Beispiel, wenn der (fremde) Schuldner kein Geld oder Gut mit sich führte,³³⁵ Schuldnachlass- oder Stundungsgesuche stellte oder seine Zahlungsfähigkeit sonst allgemein zweifelhaft war.³³⁶ Aber auch der auf dem Sterbebett dahinsiechende Schuldner wurde nach einigen Stadtrechten als fluchtbereiter behandelt³³⁷ – denn er kam seiner Pflicht, zu Lebzeiten zu zahlen, nicht nach. Hingegen genossen Grund und Boden besitzende Bürger und ortsansässige Mitbewohner, „die eigenen Rauch und Feuer besaßen, die städtischen Steuern und Dienste leisteten und ihren Gerichtsstand ausschließlich vor dem Stadtgerichte hatten“,³³⁸ nach vielen (aber nicht allen) mittelalterlichen Land- und Stadtrechten aus der Zeit vom 13. bis zum 16. Jahrhundert Arrestfreiheit. Mit einer Immobilie war zumeist hinlänglich haftendes Vermögen existent. Gegen diese Bürger und Mitbewohner war ein Arrest regelmäßig nur zulässig, wenn besondere Gründe vorlagen, zu denen die (bevorstehende) Flucht oder für die strittige Schuld nicht ausreichendes Grundvermögen gehörten.³³⁹ Die ausreichend belegenen Bürger mussten auch keine Prozessbürgen³⁴⁰ als Sicherheit stellen. War gleichwohl ein Bürge erforderlich, hatte jener – meist ein Verwandter oder Freund – die mit hohem Risiko verbundene Verpflichtung zu übernehmen, den Beklagten zu einem bestimmten Termin wieder vor Gericht zu bringen, so dass er seinerseits nur frei wurde, wenn ihm dieses Unterfangen gelang. Andernfalls musste er (je nach Bürgschaftsabrede) anstelle des Beklagten in den Prozess eintreten und unter Umständen die Schuld

 Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 95 mit Quellennachweis  Oertel, S. 16 ff.; Stobbe, Geschichte des Konkursprozesses, S. 22; v. Meibom, S. 158; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 115  Spann, S. 145  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 113 ff. verweist auf eine Vielzahl von Stadt- und Landrechten  Braunschweig, Magdeburg, Prag oder Basel; vgl. Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 140  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 57 f. sowie S. 119 ff.; Oertel, S. 16  so belegt für das Straßburger Stadtrecht von 1322 vgl. Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 123 ff.  Breßler, S. 363 mit dem weiteren Hinweis darauf, dass mobile Sicherheiten (Fahrhabe) wegen ihrer Flüchtigkeit weniger Bedeutung hatten; ausführlich Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 57 ff.

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erfüllen, für die er gleich dem Hauptschuldner voll haftete.³⁴¹ Da aber der ortsansässige Schuldner, der mehrere Gläubiger nicht bedienen und keinen Bürgen stellen konnte, ebenfalls flüchtig zu gehen pflegte,wurde später in aller Regel ein das ganze Vermögen ergreifender Generalarrest gegen zahlungsunfähige, noch nicht flüchtige aber fluchtverdächtige Schuldner verhängt.³⁴² War indes Gefahr im Verzug und konnte das Gericht nicht rechtzeitig erreicht werden, gestatteten einige Rechtsordnungen sogar die eigenmächtige Arretierung des Schuldners, zuweilen auch ohne Hinzuziehung des Fronboten.³⁴³ Denn floh der Schuldner, ohne dass zuvor die Schuld in einem Gerichtsverfahren festgestellt worden war, wurde dem Gläubiger mangels der Person des Schuldners die Haftungsverwirklichung nicht selten unmöglich. Die Festnahme des soeben flüchtigen Schuldners musste zur Rechtsdurchsetzung erlaubt werden, denn der Gläubiger konnte oftmals nur mit dessen Zwang die Sicherung seiner Befriedigung erreichen. In den Fällen der nach einer Partikularrechtsordnung ohne Beteiligung des Gerichtes oder des Fronboten erlaubten Arretierung des Schuldners schien eine richterliche Überprüfung aber im Nachgang erfolgt zu sein.³⁴⁴ So enthielten die mittelalterlichen Statuten und Rechtsbücher wie der Sachsenspiegel³⁴⁵ am häufigsten³⁴⁶ die Ermächtigung zur Festsetzung des Fremden. Unter einem Fremden verstanden die Partikularrechte zunächst den nicht mit Eigentum und Erbe im Stadtgebiet ausgestatteten Ansässigen (Nichtbürger oder Mitwohner), später nur noch den Ortsfremden.³⁴⁷ Der typische Fremde war der auswärtige, der fahrende Kaufmann.³⁴⁸ Die Partikularrechte stellten das Arrestverfahren gegen den Fremden aber nicht mit dem Arrestverfahren gegen den fallitus fugitivus auf eine Stufe. Vielmehr war der in der Stadt anwesende, nichtflüchtige Gast oder Kaufmann der Arrestgefahr bereits dann ausgesetzt, wenn er die fällige Schuld

 Planck, Bd. 2, S. 379; Breßler, S. 364 ff. verweist darauf, dass nach den Partikularrechten häufig nur der Bürge zugelassen wurde, der seinerseits ausreichend Vermögen hatte  Seuffert, S. 7; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 61 sowie S. 119 ff., der darauf hinweist, dass nach den Stadtrechten Hamburgs und Lübecks des 16. Jahrhunderts der Arrest gegen den besessenen Bürger nur dann nicht verhängt wurde, wenn er über ausreichendes in der Stadt belegenes Grundvermögen verfügte  v. Meibom, S. 163 mit Nachw. für das Stadtrecht Magdeburgs, Goslars, Lübecks, Glogaus, Braunschweigs, Augsburgs und Münchens  v. Meibom, S. 163  Planck, Bd. 2, S. 270 ff.  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 54  Planitz, ZRG GA 40 (1919), 87, 112 ff.  Breßler, S. 339

III. Entwicklungslinien aus dem Mittelalter in die Neuzeit

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nicht sofort beglich respektive nach Mahnung ihre Erfüllung nicht bewirkte.³⁴⁹ Dies galt oftmals auch im Verhältnis zwischen zwei fremden Gästen.³⁵⁰ Der Fremdenarrest fand seine Rechtfertigung in dem Umstand des stets fluchtbereiten und damit fluchtverdächtigen Gastes oder Fremden. Dem Gastwirt, der einen zu entweichen drohenden Fremden beherbergte und bewirtete, schuldete jener offenkundig die Vergütung, weshalb ihm der mancherorts ohne richterliche Ermächtigung privat³⁵¹ und erforderlichenfalls mit Gewalt vollzogene Arrest zugestanden wurde.³⁵² Der Fremdenarrest zielte insbesondere auf das vom Schuldner mitgeführte Vermögen, da eine Vollstreckung an der Person durch Schuldhaft oftmals wenig Sinn machte.³⁵³ Arrestfreiheit wurde einem Fremden andernorts nur dann zugebilligt, wenn er sich dort aufgrund besonderer Erlaubnis der Stadt oder des Gläubigers aufhielt, wenn ein die Arretierung verbietender bilateraler Vertrag zwischen den Heimatorten der Parteien bestand oder gerade ein Wochen- oder Jahrmarkt oder eine Messe stattfand, da hierfür gerade die Anwesenheit Fremder und Gäste erwünschte Voraussetzung war.³⁵⁴ Im letztgenannten Fall erstreckt sich die Arrestfreiheit aber nur auf Ansprüche, die vor dem Markttag entstanden waren, während über Forderungen und Straftaten anlässlich des Marktages sofort das Marktgericht zu entscheiden hatte.³⁵⁵ Unterlag der Schuldner nicht diesen Privilegien und konnte er weder ausreichende Sachsicherheiten noch einen Bürgen stellen,³⁵⁶ blieb er bis zum Gerichtstag in Haft, wobei das Gericht unverzüglich zusammenzutreten hatte.³⁵⁷ In der Anordnung des beschleunigten Zusammentretens des Gerichts kann ein Korrektiv dafür gesehen werden, dass der Gast unter geringen Voraussetzungen sehr schnell festgesetzt werden konnte.³⁵⁸ In diesem Zusammenhang soll der sogenannte Repressalienarrest kurze Erwähnung finden. Die mittelalterlichen Rechte konstituierten, soweit es nicht durch bi- oder multilaterale Verträge untersagt war, mit dem Repressalienarrest ein kraftvolles Verfahren, mittels dessen der Gläubiger

 Planitz, ZRG GA 40 (1919), 87, 88; Spann, S. 147  Planitz, ZRG GA 40 (1919), 87, 120 ff. m. Nachw.  Planitz, ZRG GA 40 (1919), 87, 88 ff. m. Nachw.  Stobbe, Geschichte des Konkursprozesses, S. 95; Planitz, Vermögensvollstreckung, Bd. 1, S. 324 ff.  Spann, S. 147 und S. 151 m. w. Nachw.  Planitz, ZRG GA 40 (1919), 87, 93 ff.; Oertel, S. 16  Planitz, ZRG GA 40 (1919), 87, 94 ff.  Planitz, ZRG GA 40 (1919), 87, 133 ff.; Spann, S. 150  Planitz, Grundlagen des deutschen Arrestprozesses, S. 25; Planitz, ZRG GA 40 (1919), 87, 133 ff.  Breßler, S. 339

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einen Gerichtsgenossen seines auswärtigen Schuldners festsetzen konnte. Sinn des Repressalienarrestes war es, durch die Festsetzung des Gerichtsgenossen Druck auf alle anderen Rechtsgenossen des Fugitiven und damit Druck auf diesen selbst auszuüben, damit es zur Begleichung der Schuld kam.³⁵⁹ Die Chance des Repressalienarrestes machte sich zum Beispiel Johann von Gutenberg (*1400; †1468) im März 1434 zu Nutze, als er in Straßburg weilend den durchreisenden Mainzer Stadtschreiber Nikolaus von Wörrstadt arretieren ließ. Seine Heimatstadt schuldete ihm 310 Gulden an Rentenzahlungen, die sie wegen seiner Weigerung zur Rückkehr gestrichen hatte. Gutenberg verlangte von Wörrstadt das eidliche Gelöbnis, dass die Stadt die Schuld begleichen werde. Später gab er dem Drängen der Straßburger Räte nach, die von ihren Mainzer Kollegen angegangen worden waren, ließ den Stadtschreiber frei und erhielt dennoch sein Geld.³⁶⁰

f) Festnahme und Beschlagnahme Wurde gegen den flüchtenden Schuldner ein Arrestmandat verfügt oder bedurfte es wegen des Gefahrenverzugs nicht der richterlichen Ermächtigung, konnte der Gläubiger gemeinsam mit einem Fronboten (Waibel) den Schuldner in personam festnehmen und festhalten.³⁶¹ Der Gläubiger war zuweilen sogar befugt, entweder allein oder unter Zuhilfenahme der Nachbarn, Mitbürger und Dorfgenossen den Schuldner festzusetzen. Zum Beispiel gestattete das Meißner Recht, zum Ende des 14. Jahrhunderts im Meißner Rechtsbuch nach Distinktionen niedergeschrieben, die Festnahme des Schuldners mit Hilfe der Nachbarn dann, wenn keine gerichtliche Hilfe zu erlangen war, während der die Hilfe versagende Nachbar beispielsweise nach dem Zwickauer Stadtrecht ein Strafgeld zahlen musste.³⁶² Der flüchtige Schuldner durfte gegen seinen Widerstand in Privathaft genommen und an den Gerichtsort zurückgebracht werden. Der so eingefangene Schuldner musste bis zum nächsten Gerichtstag in Haft bleiben, wenn das Gericht sein Erscheinen zu diesem Zeitpunkt weiter als gefährdet erachtete.³⁶³ Bis zur Festnahme galt der Schuldner stets als flüchtig, auch wenn zeitlich gesehen die Flucht, die eingeleitete Verfolgung und der Zugriff erst weitaus später (nach der Nichterfüllung) erfolgten. Denn solange der Schuldner nicht zugegen und auf der Flucht war, befand er sich in einem andauernden Zustand der Erfüllungsverweigerung und damit des Rechtsbruchs.³⁶⁴  Wach, Der italienische Arrestprocess, S. 47 ff.; Planck, Bd. 2, S. 388; Planitz, Vermögensvollstreckung, S. 179 ff.; Planitz, ZRG GA 40 (1919), 87, 168 ff.; v. Meibom, S. 60  siehe hierzu die Schilderung von Presser, S. 29 ff., unter Bezugnahme auf eine Urkunde vom 14. März 1434  Planck Bd. 2, S. 377; Meier, S. 36  Breßler, S. 92 und S. 117  Seuffert, Konkursrecht, S. 55; Planck, Bd. 2, S. 378; Meier, S. 36  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 75 ff.

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Flüchtete der Schuldner und konnte man seiner (zunächst) nicht habhaft werden, galt sein zurückgelassenes oder mitgeführtes Gut ebenfalls als „flüchtig“. Nicht anders war es, wenn dem Schuldner die Flucht vollends gelungen war.³⁶⁵ In diesen Fällen konnte nach den mittelalterlichen Stadt- und Landrechten der Gläubiger das zurückgelassene Vermögen inklusive der Immobilien in vollem Umfang und mancherorts ohne Unterschied in der Reihenfolge oder Vorrang bei der Befriedigung beschlagnahmen lassen.³⁶⁶ Erfasst wurde überdies das sonstige Vermögen innerhalb und außerhalb des Gerichtsbezirks.³⁶⁷ Zwischen der Festnahme des Schuldners und der Beschlagnahme seines Vermögens konnte der Gläubiger wie ehedem alternativ oder kumulativ wählen.³⁶⁸ Nach einigen Partikularrechten war die Beschlagnahme, wie bereits erwähnt, jedoch erst nach Ablauf einer bestimmten Zeit seit dem Verschwinden des Schuldners statthaft. Diese Regelungen verfolgten den erwähnten Zweck, infolge des Zeitablaufs Gewissheit darüber zu erlangen, ob der Schuldner nun tatsächlich flüchtig war oder seine Wiederkehr zum Beispiel nach „einer Kauffahrt“ erfolgte.³⁶⁹ Zudem sahen die verschiedenen Stadt- und Landrechte Rechtsschutzmöglichkeiten des Schuldners gegen Beschlagnahmehandlungen vor, sollte er heimkehren und sich damit herausstellen, dass er sich doch nicht auf flüchtigem Fuß befunden hatte.³⁷⁰ Die Beschlagnahme des zurückgelassenen Gutes erfolgte ebenfalls regelmäßig aufgrund gerichtlicher Ermächtigung oder unter richterlicher Beteiligung, zum Beispiel mittels eines Vogts, der Fronboten oder der Ratsknechte.³⁷¹ Sie wirkte im Falle der Flucht des Schuldners nach vielen (süddeutschen) Partikularrechten ausschließlich zugunsten des oder der erstzugreifenden³⁷² oder partiell zugunsten der nachfolgenden Gläubiger.³⁷³ Hingegen begriffen manche (norddeutsche) Stadtrechte die Beschlagnahme zugunsten aller Gläubiger, um deren anteilmäßige Befriedigung zu sichern.³⁷⁴ In wiederum anderen Rechtsquellen findet sich für den Fall der schuldnerischen  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 91  v. Meibom, S. 164; Oertel, S. 18; Planck, Bd. 2, S. 379 ff.; Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 89 ff. und S. 97 ff.; Meier, S. 36; Spann, S. 141  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 89 ff.; Spann, S. 141  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 90  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 93 mit Quellennachweis  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 95 mit Quellennachweis  Planck, S. 379; Spann, S. 141; Meier, S. 36  so für Augsburg, Hellmann, Augsburg, S. 29 ff.; Stobbe, Geschichte des Konkursprozesses, S. 88; Oertel, S. 34 ff.; v. Meibom, S. 453  so für Soest, Riga und Dortmund, vgl. Oertel, S. 14; v. Meibom, S. 151 ff. und S. 585 ff.  Es handelt sich hierbei um die Statuten der Städte Hamburg, Lübeck, Bremen, Goslar und Frankfurt: hierzu Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 103 ff.; vgl. im Weiteren v. Meibom, S. 457; Meier, S. 40 ff., die hierin eine frühe Abkehr vom Prioritätsprinzip erkennen.

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Flucht, des Fluchtverdachtes oder der Zahlungsunfähigkeit eine besondere Ausprägung des Arrestverfahrens in der „Klage auf Leib und Gut“.³⁷⁵ Mit ihr sollte ebenfalls dem Prioritätsprinzip Geltung verschafft werden.³⁷⁶ Selbst wenn der Fugitivus kein (verwertbares) Vermögen zurückgelassen hatte, bestand für den Gläubiger noch Hoffnung auf Befriedigung. Denn bediente sich der Schuldner bei der Vorbereitung oder Durchführung seiner Flucht der Hilfe Dritter, wurden die Helfer bußpflichtig: sie leisteten Beihilfe zu dem der öffentlichen Strafe unterliegenden Verbrechen der Flucht.³⁷⁷ Dabei war jede Hilfeleistung unter Strafe gestellt, sei sie auf die Person des Schuldners bezogen oder auf dessen Vermögen,welches mit Hilfe des Dritten beiseite geschafft werden sollte. Außerdem haftete der Helfer regelmäßig dem Gläubiger in voller Höhe wegen des nicht gezahlten Schuldbetrages.³⁷⁸ Sicherlich aus dem gleichen Gedanken geboren, haftete nach dem Ulmer Stadtrecht von 1437 die Ehefrau per se solidarisch den Gläubigern, wenn der Ehemann flüchtete oder wegen seiner langen Abwesenheit als geflohen behandelt wurde.³⁷⁹

3. Schuldhaft und Schuldknechtschaft Konnte oder wollte der Schuldner³⁸⁰ seine Verbindlichkeiten nicht berichtigen oder hierfür Sicherheiten geben und wurde man seiner habhaft,wurde er „zu Hand und Halfter“ des Gläubigers gegeben.³⁸¹ Dieses in vielen Rechtsquellen zu findende, alliterative Wortpaar hat seinen Ursprung wahrscheinlich in einer Glosse zum Landrecht des Sachsenspiegels und bedeutet sinngemäß, den Schuldner zum Zweck der Personalexekution „in die Hand“ des Gläubigers, mithin in dessen Gewalt mit der Befugnis zu geben, ihn fesseln (Halfter) zu dürfen.³⁸² Der Schuldner kam in mehr oder weniger strenge und zunächst privat vollzogene Schuldhaft oder Schuldknechtschaft³⁸³ und hatte nach einigen Rechtsordnungen seine Schuld

 hier die Stadtrechte von München, Wertheim, Nordheim, Zürich und Magdeburg: Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 130 ff.  Spann, S. 146  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 86 ff.  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 87  Spann, S. 169.  zur Person des „typischen“ Schuldners und entgegen dem Klischee des armen Schuldners im Turm vgl. Breßler, S. 338 m. Nachw.  Grimm, S. 614 verwies auf ein „stöcken“ und „blöcken“ der Schuldner, die ihren Gläubigern zu „hand und halfter“ überantwortet waren und gibt ferner Hinweise auf Quellen weiterer Partikularrechte.  vgl. hierzu Breßler, S. 140 und S. 292 ff.  Breßler, S. 50 ff. und S. 326 ff. weist darauf hin, dass die Begriffe Schuldhaft, Schuldknechtschaft und Personalarrest keinen terminus technicus darstellen können, in der rechts-

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abzuarbeiten.³⁸⁴ Die Schuldhaft diente einerseits als (indirektes) Vollstreckungsmittel der Ausübung von Druck auf den Schuldner, um seinen Willen zu beugen. Zudem sollten Verwandte und Freunde zur Auslösung des Schuldners bewogen werden. Andererseits fungierte die Schuldhaft als direktes Vollstreckungsmittel, indem es die Arbeitsleistung des Schuldners erzwang und sicherstellte.³⁸⁵ Die mittelalterlichen weltlichen Partikularrechtsordnungen befanden sich damit im Widerspruch zum kanonischen Recht, welches die Gefangenhaltung gegen den Willen des Schuldners gerade untersagte.³⁸⁶ Diese Diskrepanz fordert die Frage heraus, ob die (früh‐) mittelalterlichen Rechte zumindest eine freiwillige Schuldhaft kannten, zu deren Begehung sich der Schuldner insbesondere für den Fall verpflichten konnte, dass er nichts mehr als seinen eigenen Leib und die Kraft seiner Hände hatte. Bereits der römische Senator und Chronist Tacitus (* ca. 58 n. Chr.; † ca. 120 n. Chr.) erwähnte in seiner Germania eine bei den germanischen Volksstämmen verbreitete Praxis der vertraglichen Selbstverknechtung und berichtete darüber, dass es diesen Knechten nicht wesentlich schlechter ging als den Halbfreien.³⁸⁷ Unter dem Begriff Obnoxiation war die Selbstverknechtung im fränkischen Recht ebenfalls bekannt und ursprünglich wohl auch anerkannt.³⁸⁸ Demgegenüber lassen sich im pactus legis salicae, in der nachfolgenden lex salica (6. Jahrhundert), in der lex ribuaria (7. bis 8. Jahrhundert), in der burgundischen lex Gundobata (6. Jahrhundert), im pactus legis alamannorum (6. bis 7. Jahrhundert³⁸⁹), in der nachfolgenden lex alamannorum (ab. 8. Jahrhundert), in der lex baiuvariorum (8. Jahrhundert) und im Volksrecht der Westgoten und Langobarden Verbote der Verknechtung und des Verkaufs Freier finden.³⁹⁰ Einige Quellen sahen die nur bereits erwähnten Bußen und den Eintritt der Friedlosigkeit vor, wenn der Schuldner nicht zahlte,³⁹¹ was aber nicht zur Befriedigung des Schuldners beitragen musste. So ordnete das langobardische Recht die Schuldknechtschaft des Mittellosen zugunsten des bußgeldberechtigten Gläubigers an³⁹² und gab ihm dadurch die Möglichkeit, Schuld und zusätzlich verhängte Buße abarbeiten zu lassen. Unergründlich scheint allerdings zu bleiben, ob im frühen Mittelalter die genannten Verbote der Verknechtung und des Verkaufs Freier generell galten oder ob im Rahmen der Vollstreckung privater Ansprüche die vertraglich vereinbarte freiwillige

historischen Forschung immer wieder unterschiedlich und im Bemühen um Systematik anachronistisch benutzt wurden und letztlich in den Quellen kaum Halt finden.  Schweppe, S. 21 mit Quellennachweise im Sachsenspiegel und Schwabenspiegel; Dabelow, S. 487; Kori, S. 17; Stobbe, Geschichte des Konkursprozesses, S. 4 und S. 99; Kohler, Shakespeare, S. 21 f.  Loening, S. 91 ff.; Breßler, S. 305  Woeß, ZRG RA 43 (1922), 485, 529  Stobbe, Geschichte des deutschen Vertragsrechts, S. 178 ff.; Kohler, Shakespeare, S. 54; Spann, S. 70  Bethmann-Hollweg, V. Bd., S. 176; v. Meibom, S. 33, Stobbe, Geschichte des deutschen Vertragsrechts, S. 178 ff.  Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, S. 145 und S. 148  Kohler, Shakespeare, S. 21 ff.; Spann, S. 70 ff.  sicherlich war die Vollstreckung wegen einer Geldschuld der Hauptfall, jedoch nicht der einzige, vgl. hierzu Breßler, S. 350 ff.  Spann, S. 73

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Schuldhaft und die Schuldknechtschaft außerhalb eines formellen Vollstreckungsverfahrens zulässige Vollstreckungsmittel waren.³⁹³

a) Haftvollzug im carcer privatus War der Schuldner nicht zur Schulderfüllung bereit oder in der Lage, blieb dem Gläubiger der Weg, Vollstreckungshandlungen gegen seine Person auszubringen. Ob dabei die Schuldhaft erst vollstreckt werden durfte, wenn zuvor Bemühungen des Gläubigers, mittels Vermögensvollstreckungsmaßnahmen zur vollständigen Befriedigung zu gelangen, scheiterten, scheint nicht für alle Partikularrechte einheitlich beantwortet werden zu können. Eine Subsidiarität der Personalexekution sahen zumindest einige (spätere) Rechtsordnungen vor.³⁹⁴ So durfte der Schuldner nach einigen Rechten erst dann in private Haft genommen werden, wenn pfändbares Habe nicht zu finden war.³⁹⁵ Nach dem um 1300 aufgezeichneten Freiburger Stadtrecht sollte sich der Schuldner aber nicht durch vorherige Selbstübergabe der Vermögensvollstreckung entziehen können, es sei denn, der Gläubiger war damit einverstanden.³⁹⁶ Andererseits betrachtete beispielsweise der Sachsenspiegel ein zwischen Schuldner und Gläubiger formuliertes Treuegelöbnis als wirksam, mit dem sich der Schuldner im Fall der Nichterfüllung zur Schuldhaft (in öffentlichen Hafträumen) verpflichtete.³⁹⁷ Die Idee einer solchen Vereinbarung erschließt sich nur mit der Sinndeutung, dass dem Gläubiger – ohne zunächst auf die Vollstreckung in mobiles oder immobiles Hab und Gut angewiesen zu sein – sofort das schärfste Vollstreckungsmittel an die Hand gegeben wurde, um seine Forderungen unter Aufsicht der Obrigkeit durchzusetzen, wenn diese notleidend zu werden drohten.³⁹⁸ Deutlich wird, dass Schuldhaft und Schuldknechtschaft die wirkungsvollsten, zumeist aber auch die

 Spann, S. 73 m. w. Nachw. in Fn. 380  so nach Spann, S. 120 ff., S. 159 ff. und S. 176 ff. für das Recht des Sachsenspiegels, des Schwabenspiegels sowie der freien Reichsstädte Nürnberg und Augsburg; ebenso die kursächsischen Konstitutionen von 1572, s. hierzu Breßler, S. 135  beispielweise nach denen der Städte Nürnberg, Augsburg, Goslar, Eisenach, Freiburg und Zwickau oder nach dem Meißner Rechtsbuch der Distinktionen, s. hierzu Spann, S. 158 ff. und S. 180 sowie Breßler, S. 94  Breßler, S. 83  hierzu m. Nachw. Spann, S. 127 ff., der für die Nichtbefolgung des Treugelöbnisses die Treu-, Ehr- und Rechtlosigkeit des Schuldners beschreibt; Breßler, S. 132 ff. weist auf die Kontinuität dieses Rechtinstituts in den kursächsischen Konstitutionen von 1572 hin  Breßler, S. 132

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letzten Vollstreckungsmittel waren. Gewissermaßen kann in ihrem Vollzug die ultima ratio der Vollstreckungsmittel erblickt werden.³⁹⁹ Sicherlich auch deshalb sahen die mittelalterlichen Partikularrechte verschiedene, zuweilen dem Schutz des Schuldners dienende Regularien vor, wie die Schuldhaft zu vollziehen war. Nach dem im Sachsenspiegel⁴⁰⁰ wiedergegebenen Recht⁴⁰¹ durfte der Gläubiger den Schuldner „mit ener heldene“ zwar fesseln,⁴⁰² aber nicht peinigen. Gelang dem Schuldner dennoch die Flucht, hatte diese nach dem im Sachsenspiegel und Schwabenspiegel sowie in den meisten Statuten aufgezeichneten Recht keinen Einfluss auf den Bestand der Forderung und die Haftung des Schuldners.⁴⁰³ Der Gläubiger hatte deshalb das Recht, den wieder eingefangenen Schuldner erneut zu inhaftieren.⁴⁰⁴ Ebenso erlaubten das Weichbildrecht und die nachfolgende Weichbildvulgata dem Gläubiger, den Schuldner im Rahmen der in Privathaft vollzogenen Überantwortung an der Flucht (nach der Weichbildvulgata durch Fesselung) zu hindern.⁴⁰⁵ Nicht selten musste der Gläubiger im Fall der geglückten Flucht eine Buße an den Richter leisten.⁴⁰⁶ Er konnte den Schuldner aber ohne Fronboten aufhalten, ihn verfolgen und erneut festsetzen, weshalb die Flucht zuweilen ein blutiges Ende nahm.⁴⁰⁷ Ansonsten musste der Gläubiger den (gewöhnlichen) Schuldner gleich seinem Gesinde bei Speise und Getränk halten,⁴⁰⁸ womit diese Aufwendungen zunächst zu seinen Lasten gingen.⁴⁰⁹ Eingefangene Diebe und Räuber kamen indes in öffentliche Haft.⁴¹⁰  Spann, S. 159 ff. und S. 180 sowie Breßler, S. 135, der bei seinem tiefgehenden Quellenstudium herausarbeitet, dass die zeitgenössischen sächsischen Kommentatoren und Rechtspraktiker die Personalvollstreckung als ultima ratio im gesamten sächsischen Recht ansahen  vgl. den bei Teucher auf S. 226 abgedruckten Articulus XXXIX des dritten Buchs des Sachsenspiegels nach der Zobelschen Ausgabe mit einer Synopse der ursprünglichen und der neueren hochdeutschen Sprachfassung  Lück, S. 37 ff. gibt einen Überblick über das im Sachsenspiegel niedergelegte Recht  Breßler, S. 69  Planck, Bd. 2, S. 261, der in unzureichenden Sicherungsmaßnahmen gegen das Entlaufen eine Einwilligung des Gläubigers zu erblicken schien; andere Auffassung Spann, S. 130 und Breßler, S. 71 und S. 381; zum Beispiel sah das Freiberger Stadtrecht den Verlust der Forderung vor, vgl. hierzu Breßler, S. 84  Planitz, Vollstreckungsgeschichte, S. 364; Planck, Bd. 2, S. 261 f.; so insbesondere nach dem Recht des Sachsenspiegels und des Schwabenspiegels, hierzu Spann, S. 130  Breßler, S. 72 ff.  Breßler, S. 381 unter Benennung der Stadtrechte von Salzwedel und Freiberg  Breßler, S. 381 unter Benennung eines Magdeburger Schöffenspruchs und der Stadtrechte von Salzwedel, Glogau und Braunschweig  Kohler, Shakespeare, S. 38; Breßler, S. 69 f.  so nach dem Sachsenspiegel und dem Schwabenspiegel, vgl. Planck, Bd. 2, S. 261 sowie Spann, S. 131

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Freilich sahen viele Partikularrechte für die Überantwortung weiblicher Schuldner besondere Schutzbestimmungen vor. Mit Blick auf die Wahrung der Geschlechtsehre wurden Frauen und Mädchen gar nicht oder nur in bestimmten Fällen in Privathaft genommen oder durften nur in einem unverschlossenen Raum untergebracht werden. Ersatzweise wurden sie in öffentlicher Haft gehalten, mancherorts wurden sie verbannt und woanders konnten sie sich freischwören.⁴¹¹ Die mittelalterlichen Stadtrechte zeigen im Weiteren eine bunte Vielfalt an Normen über den Vollzug der Schuldhaft, von denen einige zur Illustration vorgestellt werden: Das Goslarsche Stadtrecht ordnete beispielsweise die Vollstreckung der Schuldhaft in den eigenen vier Wänden des Schuldners (sic!) an, solange er nur dort blieb, während nach dem Prager Stadtrecht der Schuldner gefesselt und lediglich mit Wasser⁴¹² und Brot ernährt werden durfte.⁴¹³ Gleichermaßen sahen viele andere Stadtrechte die Haftunterbringung des Schuldners durch den Gläubiger in Privaträumen (carcer privatus) vor.⁴¹⁴ Ein solches Privatgefängnis wurde gegebenenfalls im eigenen Haus eingerichtet, indem ein abschließbarer Raum (um‐) genutzt oder aber ein transportables, abschließbares Behältnis ähnlich einem Käfig aufgestellt wurde.⁴¹⁵ Dabei ist zu bedenken, dass die mittelalterlichen Wohneinheiten nicht mit den heutigen Wohnverhältnissen der Kleinfamilien und Einzelpersonen vergleichbar sind. Zu dieser Zeit wohnten in einem Haus viele Leute, die Familie, entfernte Verwandte, unter dem Dach das Gesinde oder die Lohnarbeiter, so dass sich bei Letzteren durchaus Platz für den Schuldner finden konnte.⁴¹⁶ Alternativ konnte der Schuldner in Frankfurt am Main in einer privat angemieteten Carcerwohnung festgesetzt werden.⁴¹⁷ Zwar gestatteten viele Stadt- und Landrechte dem Gläubiger, den Schuldner einzusperren oder zu fesseln, er musste jedoch angemessen untergebracht werden. Nicht erlaubt war seine Unterbringung in der Nähe stinkender Orte (etwa bei den Schweinen) oder unter einem (sich erhitzenden) Dach; er durfte „weder zu warm

 Breßler, S. 77 f.  zu alledem und mit zahlreichen Quellen s. Breßler, S. 103 f., S. 118 und S. 336; Stobbe, Geschichte des deutschen Vertragsrechts, S. 182  in Zwickau und in anderen Territorien wegen der im Mittelalter latenten Gefahr der Wasserverunreinigung alternativ mit Bier und Brot, vgl. Breßler, S. 115  Kohler, Shakespeare, S. 38  zum Beispiel die Stadtrechtsbücher Frankfurts, Freibergs, Goslars, Zwickaus und Eisenachs sowie das Meißner Rechtsbuch der Distinktionen, s. Breßler, S. 83 ff., S. 97 und S. 114 ff.; Kriegk, 1871, S. 43 ff.  Kriegk, 1871, S. 43  Breßler, S. 374  Kriegk, 1871, S. 43; Kohler, Shakespeare, S. 39

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noch zu kalt“ gehalten werden.⁴¹⁸ Und nicht selten wurde zwischen ortsansässigen und auswärtigen Gläubigern unterschieden: letztere durften den Schuldner nicht oder nicht ohne Sicherheiten aus seinem Gerichtsbezirk „entführen“ oder mussten den Schuldner in öffentliche Haft nehmen lassen.⁴¹⁹ Überhaupt hatte der Gläubiger den Schuldner so zu halten, dass er keinen Schaden an seiner Gesundheit nahm.⁴²⁰ Schließlich war der Schuldner, auch wenn er Missetäter war, ein wertvolles Mitglied der städtischen Wehrgemeinschaft, wenn es galt, die Gemeinde im Kriegsfall vor den Angriffen ihrer gemeinsamen Feinde zu verteidigen. Deshalb durfte der Schuldner nicht misshandelt werden und es waren ihm soziale Kontakte zu seinen Verwandten erlaubt.⁴²¹ Allerdings hatte der Schuldner für seinen Unterhalt nicht selten selbst aufzukommen.⁴²² Nach dem im Sachsenspiegel wiedergegebenen Recht konnte der Schuldner solange in Haft gehalten werden, bis die Schuld beglichen war.⁴²³ Zumindest enthält der Sachsenspiegel keine Fristenregelung.⁴²⁴ Der Schwabenspiegel sah hingegen die Freilassung des Schuldners nach acht Tagen vor, wenn der Schuldner ein eidliches Versprechen ablegte, dass er seine über der Notdurft liegenden Einkünfte dem Gläubiger schuldtilgend überlässt.⁴²⁵ Dem vergleichbar räumten manche Partikularrechte dem Schuldner die Möglichkeit ein, sich durch das Beschwören seiner Mittellosigkeit nach einer gewissen Zeit von der Personalhaft freizumachen.⁴²⁶ So konnte der Schuldner nach dem Eisenacher Stadtrecht einen Schwur leisten, dass er nichts über seine „notdurfft“ hinaus besitze und fortan seinem Gläubiger alle Einkünfte, die über seinen Mindestunterhalt respektive „über 30 Pfennig“ hinausgehen, aushändigen werde.⁴²⁷ Nach Ablauf einer bestimmten Zeit hatte der Gläubiger die Möglichkeit, den Schuldner wegen der Begleichung der Forderung erneut anzusprechen, so dass der Schuldner den Schwur der Mittellosigkeit abermals zu leisten oder aber den Gläubiger zu befriedigen hatte.⁴²⁸  beispielsweise in Goslar, Eisenach, Zwickau und in der Mark Meißen, s. Planitz, Vollstreckungsgeschichte, S. 365; Breßler, S. 97 ff. und S. 115  Breßler, S. 78 und S. 125  so allgemein formuliert im Freiberger Stadtrecht, Breßler, S. 85  Kohler, Shakespeare, S. 132 ff, der auf die Folge naheliegender Versuche hinweist, wenn die Verwandten und Freunde versuchten, den Schuldner aus der Schuldhaft zu befreien  so in Goslar, Eisenach und in der Mark Meißen, vgl. Planitz, Vollstreckungsgeschichte, S. 364 sowie Breßler, S. 97  Planck, Bd. 2, S. 261; v. Gierke, S. 69  Spann, S. 130  Planck, Bd. 2, S. 261  Kori, S. 18; nach Kohler, S. 47, mit der Erklärung, dass er weder Pfand noch Pfennig habe  Breßler, S. 110  Dabelow, S. 490; Breßler, S. 111

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Wollte der Schuldner jedoch fliehen, kam er nicht in den Genuss der Freischwurmöglichkeit und blieb weiter in Haft.⁴²⁹ Erwähnung verdient an dieser Stelle die auf den ersten Blick kurios erscheinende Rechtsfigur des Einlager (auch „obstagium“, das „Leisten“, „Einreiten“ oder „Geißelhaft“ genannt). Neben der Vollstreckung durch das Gericht war es bis in das späte Mittelalter üblich, in Vertragsurkunden Sicherungsklauseln aufzunehmen, die es dem Gläubiger für den Fall der Nichterfüllung gestatteten, unmittelbaren oder mittelbaren Zugriff auf die Person oder das Vermögen des Schuldners zu nehmen.⁴³⁰ Die Zulässigkeit einer solchen Konventionalexekution auf Person und Vermögen war vielfach anerkannt.⁴³¹ Der Gläubiger konnte bei Zahlungsrückstand und je nach Klauselinhalt entweder Vermögensgegenstände in Beschlag nehmen oder auf Kosten (Schaden) des Schuldners die nicht geleistete Schuldsumme bei Dritten aufnehmen (sogenanntes Schadennehmen⁴³²) oder mit der Einlagerabrede personalexekutiv gegen ihn selbst vorgehen. Die auf einer Einlagerabrede vereinbarte und vollzogene Personalexekution kam anfangs in den oberen gesellschaftlichen Schichten der Adligen, Geistlichen, Soldaten und Doktoren zur Anwendung und stand deshalb im Ruf eines milden Vollstreckungsmittels.⁴³³ Später fand es auch bei den Bauern als Sicherungsmittel Verwendung.⁴³⁴ Mit dem Einlager verpflichtete sich der Schuldner (oder wurde durch ein Gericht verpflichtet), bei Fälligkeit der Schuld oder nach Mahnung sich an einen vom Gläubiger zu bestimmenden Ort – meist ein Wirtshaus – zu begeben („einreiten“) und dort zu verweilen, wobei ein Dritter ebenso Subjekt der Abrede sein konnte.⁴³⁵ Die Verweildauer war in der Regel unbestimmt, konnte aber auch vertraglich verabredet oder partikularrechtlich determiniert gewesen sein.⁴³⁶ Während dieser Zeit durfte und musste sich der Schuldner respektive Dritte natürlich verpflegen, allerdings ohne den Ort zu verlassen. Die mit der Selbstverpflegung verbundenen Aufwendungen hatte der (Haupt‐) Schuldner – im Gegensatz zur Schuldhaft, bei der nach vielen Rechten der Gläubiger die Verköstigung des Schuldners zumindest vorfinanzieren musste – selbst aufzubringen, weshalb gerade Gasthöfe, Wein- oder Bierschenken als Verweilorte bestimmt wurden.⁴³⁷ Durch die steigenden Bewirtungskosten sollte ökonomischer Druck auf den Schuldner ausgeübt werden, auch wenn der Schuldner ursprünglich weniger über die entstehenden Kosten als über den Freiheitsverlust zur Zahlung bewegt werden sollte.⁴³⁸ Kam der Schuldner der Einlagerverpflichtung nicht

 Breßler, S. 112  Kisch, Schadennehmen, S. 479  Planitz, Vermögensvollstreckung, Bd. 1, S. 284 ff.; Wach, Der italienische Arrestprocess, S. 15 ff. und 54 ff.; v. Meibom, S. 465; Kisch, Schadennehmen, S. 479  Kisch, Schadennehmen, S. 479 ff.  Stobbe, Geschichte des deutschen Vertragsrechts, S. 183 ff. verstand hierunter eine „mildere, durch Vertrag verabredete Form der Schuldhaft“, die mit der „gerichtlich verfügten Haft in innigem Zusammenhang“ gestanden habe.  v. Gierke, S. 251; Puchta, S. 26; Spann, S. 132; vgl. ferner Breßler, S. 312 ff. und S. 340, der mit beachtlichen Argumenten und Quellenbelegen die Bedeutung des Einlager nicht in einer „milderen“ Vollstreckungsform für „Oberschichten“ sieht, sondern vielmehr als nüchterne Konsequenz der Bedingungen des mittelalterlichen Rechts  Planitz, Vermögensvollstreckung, S. 116 m. w. Nachw.; Spann, S. 132; Breßler, S. 315  Spann, S. 132  v. Gierke, S. 251 ff.; Spann, S. 133  Kohler, Shakespeare, S. 25; Breßler, S. 312 ff.

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nach, konnte der Gläubiger ihn bedingungsgemäß im Wege der Ehrenschelte (Schelmschelte) mit an Kirchen- und Rathaustüren angebrachten Schmähschriften und Schandgemälden in seiner adligen oder ritterlichen Standesehre ungestraft angreifen und als Schelm öffentlich verspotten, um durch Erhöhung des sozialen Drucks die Einlagerverpflichtung zu verstärken oder abzulösen.⁴³⁹ Solche Schandgemälde zeigten den Schuldner regelmäßig in ehrenrührigen Bildern als an Hals oder Füßen Gehängten, Geräderten, Gepfählten, Gevierteilten und Geschundenen, gewöhnlich unter Hinzufügung des Galgenvogels und Hervorhebung seines Namens, Wappens und Siegels.⁴⁴⁰ Zudem konnte der Gläubiger nach einigen Partikularrechten unmittelbaren Zwang gegen den Schuldner ausüben, damit jener der Einlagerabrede nachkommt, und weitere Exekutionsmittel wählen, um seinem Anspruch zum Erfolg zu verhelfen.⁴⁴¹

Im Kontrast zum Einlager sahen der Sachsenspiegel, das Weichbildrecht, das gemeine (auf den Sachsenspiegel zurückgehende) sächsische Recht,⁴⁴² der Schwabenspiegel und viele Stadtrechte vor, dass der Schuldner während seiner Haft durch von ihm verrichtete Arbeit seine Schulden abzudienen hatte oder die Möglichkeit dazu erhielt.⁴⁴³ Insbesondere wurden die Regeln des Schwabenspiegels, des Sachsenspiegels und der Stadtrechte zeitgenössisch dahin verstanden, dass mit seiner Überantwortung der Schuldner in die Lage versetzt wurde, zu arbeiten und damit seine Schuld abzuleisten.⁴⁴⁴ So erlaubten an vielen Orten die Rechtsordnungen, dass der Gläubiger den Schuldner zur Arbeit gebrauchen durfte, verbanden dies aber oft mit der Verpflichtung, ihn zu verköstigen und wie sein Gesinde, seine Arbeiter und seine Dienstboten zu halten.⁴⁴⁵ Planck ⁴⁴⁶ meinte, dass der Gläubiger deshalb den Schuldner üblicherweise solange halten durfte, bis er seine Verbindlichkeiten abgearbeitet oder anderweitig erfüllt hatte. Allerdings geben der Sachsenspiegel und so manches Stadtrecht keine Auskunft darüber, ob der zur Arbeit verpflichtete Schuldner mit seiner Leistung die Schuld auch

 Kisch, ZRG GA 51 (1931), 514 ff. nennt ferner Treuegelöbnis und Eidesleistung sowie Selbstverbannungs-, Strafgedinge-, Vertragsstrafe-, Pfändungs- und Schadennehmenklauseln als Rechtseinrichtungen der mittelbaren Haftungsverwirklichung; v. Gierke, S. 256 f.; Grimm, S. 612  Kisch, ZRG GA 51 (1931), 514, 518; v. Gierke, S. 256 f.  Kohler, Shakespeare, S. 152; Spann, S. 133; Breßler, S. 315 ff.  zum Verständnis des Begriffs des gemeinen sächsischen Rechts vgl. Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 4 ff.  Loening, S. 91 ff.; Planck, Bd. 2, S. 259 ff.; Spann, S. 131; Breßler, S. 298 f.  so auch für den Sachsenspiegel v. Gierke, S. 69, obgleich dieser hierzu schweigt, deshalb kritisch Spann, S. 131, der unter Bezugnahme auf Planck, Bd. 2, S. 261, eine Tilgungsfunktion der Arbeit verneint; vgl. weiter Breßler, S. 71  Planck, Bd. 2, S. 259 ff.; v. Gierke, S. 68 f.; Spann, S. 131; Breßler, S. 119 ff. und S. 123 benennen exemplarisch Magdeburg, Stendal, Augsburg, Zwickau, letztere erst nach der Reformation von 1539, und später die kursächsischen Konstitutionen von 1572  Planck, Bd. 2, S. 261

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

abtragen konnte.⁴⁴⁷ Andere Partikularrechte wie das Goslaer oder Zwickauer Stadtrecht untersagten hingegen ausdrücklich die Schuldknechtschaft und Arbeitsleistungen und ließen die Schuld um die Unterhaltungskosten steigen.⁴⁴⁸ Und wiederum andere Quellen schwiegen schlicht über die Verpflichtung zur Arbeit.⁴⁴⁹ Breßler ⁴⁵⁰ benennt überdies Rechtsquellen, nach denen die Schuld durch Arbeit ohne Haft abgeleistet werden konnte, was freilich wohl nur bei nicht fluchtverdächtigen Schuldnern mit fester Familien- und Ortsbindung in Frage kam.

b) Personalexekution in öffentlichen Hafträumen Unter dem Eindruck der sich entwickelnden städtischen Wirtschaft, der festeren Organisation der öffentlichen Gewalt und des kirchlichen Einflusses wurden mit der Zeit, jedoch nicht überall zeitgleich, in den verschiedenen Herrschaftsgebieten die private Schuldhaft und Schuldknechtschaft durch die öffentliche Schuldhaft (carcer publicus) als Vollstreckungsmittel abgelöst.⁴⁵¹ An die Stelle der privat vollzogenen Schuldhaft trat die Inhaftierung in öffentlichen Schuldgefängnissen oder Schuldtürmen. Ohnehin wird dem Gläubiger, wenn nicht der Platz, so doch oft die Muße gefehlt haben, gemeinsam mit seinem Schuldner unter einem Dach hausen und ihn auch noch verköstigen zu müssen.⁴⁵² Überdies war die in privater Schuldhaft vom Falliten erbrachte Arbeit für den Gläubiger angesichts der fortschreitenden Professionalisierung des städtischen Wirtschaftslebens kaum noch von Wert.⁴⁵³ Zudem verweisen Spann ⁴⁵⁴ und Breßler ⁴⁵⁵ – letzterer auch mit Blick auf die kursächsischen Konstitutionen von 1572 – auf ein im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit einsetzendes obrigkeitliches Bemühen, die immer noch stark von Selbsthilfeelementen geprägte und an die Fehde⁴⁵⁶ erinnernde privat voll-

 Breßler, S. 299, benennt Statuten von Zwickau, Eisenach, Lüneburg und Stade  Planitz, Vollstreckungsgeschichte, S. 364; Breßler, S. 113 ff.  so das Freiburger, Mühlhäuser, Burger, Lüneburger, Hamburger und Bremer Stadtrecht, vgl. Planck, Bd. 2, S. 259; Spann, S. 134; Breßler, S. 298 ff.  und zwar die Statuten der Städte Freiberg, Danzig und Breslau, s. Breßler, S. 301  Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 447; Breßler, S. 367  Kohler, Shakespeare, S. 39  Spann, S. 134  Spann, S. 134  Breßler, S. 133 und S. 142, der in der Einführung der öffentlichen Schuldhaft insbesondere das Interesse des frühneuzeitlichen Staates an einer staatlichen Gewaltkonzentration erkennt  Kaiser Maximilian I. hatte im Zuge der Landfriedensbewegung und im Einvernehmen mit den Reichsständen auf dem Reichstag zu Worms am 7. August 1495 einen Ewigen Landfrieden im Heiligen Römischen Reich und damit das definitive und unbefristete Verbot des mittelalterlichen Fehderechts konstituiert. Bereits Jahrhunderte zuvor gab es immer wieder territoriale Bestre-

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streckte Haft weitgehend zurückzudrängen und durch den unter hoheitlicher Aufsicht erfolgten Vollzug in öffentlichen Gefängnissen zu substituieren. Damit durfte die privat vereinbarte Haft ebenfalls nur noch öffentlich kontrolliert vollzogen werden. Dafür erhielt der Gläubiger Gewähr, dass der Vollzug effektiv und wirksam vonstatten ging.⁴⁵⁷ Zugleich hatte die in öffentlichen Haftanstalten vollstreckte Schuldhaft den Vorteil, dass nunmehr mehrere Gläubiger die Personalexekution anstrengen konnten, während der Schuldner bei der vormaligen Privathaft nur einem Gläubiger überantwortet wurde und gegebenenfalls nur ihm dienen konnte.⁴⁵⁸ Diese Entwicklung führte dazu, dass die unter öffentlichem Regime vollzogene Schuldhaft nach und nach zu der einzig zulässigen personalexekutiven Maßnahme wurde.⁴⁵⁹ Die öffentliche Haft wurde anfangs noch im Haus des Richters oder des Fronboten vollstreckt.⁴⁶⁰ Mit der Zeit wurden die öffentlichen Gefängnisse in den Teilen der Stadtbefestigung, in den Wehrtürmen, Tor- und Brückenbauwerken, in den Gewölberäumen der Ratshäuser, später in Schuldkammern, Schuldgefängnissen und Schuldtürmen untergebracht.⁴⁶¹ Die spätmittelalterlichen Rechte beschrieben die öffentliche Inhaftierung oftmals mit den Worten „Halten in der Frone“ oder „Frongewalt“; der Schuldner wurde „bei dem Fronboten“ oder „bei dem Büttel“ gehalten, man ließ ihn „in Gehorsam setzen“ oder später in die „Schuldkammer“ oder „Schuldkerker“ legen.⁴⁶² Zuweilen wurden die Gefängnisse an belebten Plätzen errichtet, einerseits zur öffentlichen Zurschaustellung und Abschreckung, andererseits, um den Gefangenen die Möglichkeit zu geben, sich durch Betteln bessere Kost oder die Mittel für die Begleichung der Geldschuld oder -buße zu beschaffen.⁴⁶³ Manche Gefängnisse waren, gleich denen der Burgverließe, so gebaut, dass sie weder über eine ebenerdige Tür- noch eine Fensteröffnung verfügten. Vielmehr wurden die Häftlinge und die ihrer Versorgung

bungen zur Fortsetzung der Gottesfrieden in den Landschaften; zu nennen sind der von Heinrich IV. im Jahr 1085 verkündete Mainzer Gottesfrieden sowie der Erste Mainzer Reichslandfriede des Jahres 1103, der von Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) 1152 für das ganze Reich verkündete Große Reichslandfrieden sowie von Friedrich II. im Jahre 1235 verkündete Reichslandfrieden (Mainzer Landfrieden). Die Landfriedensbewegung basierte nicht selten auf Landfriedensbünden, in denen sich die Territorialherren als Bundesmitglieder eidlich zu friedlichem Verhalten verpflichteten und so auf Fehdeführung und Entsetzung zugunsten einer friedlichen, schiedsgerichtlichen Streitbeilegung weitgehend verzichteten; vgl. hierzu Michelsen, S. 3 ff. mit Regesten; Goetz, S. 31 ff.; Gernhuber, S. 2 ff.; Engel, S. 111 ff.; beispielhaft zu einigen Landfriedensbünden des 16. Jahrhunderts, Komatsu, S. 24 ff..  Spann, S. 135  Breßler, S. 135  Stobbe, Geschichte des Konkursprozesses, S. 98; Planck, Bd. 2, S. 260 ff.; v. Gierke, S. 71  Breßler, S. 149 unter Hinweis auf das Weichbildrecht und die Stadtrechte von Lüneburg und Hamburg  Lück, Schauplätze, S. 153; Kriegk, 1871, S. 37 ff.; Breßler, S. 375  Breßler, S. 296  Kriegk, 1871, S. 49

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

dienenden Lebensmittel durch ein in der Decke eingefügtes Loch an einem Seil heruntergelassen.⁴⁶⁴ Wegen der jeweiligen baulichen Eigenarten waren nicht von ungefähr eine Vielzahl charakteristischer Bezeichnungen für die Schuldgefängnisse in Gebrauch: Schuldtürme, Schloss, Kerker, Käfig, Stockhaus und Loch.⁴⁶⁵ Dort wurden die Schuldner in Ketten gelegt (eingeschmiedet) oder in einen Stock⁴⁶⁶ gespannt und mussten zuweilen über Jahre hinweg, auf einfachem Stroh und in ihren Exkrementen liegend, in Gesellschaft der Ratten und Mäuse im (Halb‐) Dunkeln dahinvegetieren, so dass mancher den Verstand verlor.⁴⁶⁷

Dennoch sollte das öffentliche Schuldgefängnis, in welches an sich jedermann⁴⁶⁸ kommen konnte, für den Schuldner „ziemlichen und leidlich sein, damit ihme dadurch am Leben und Leibe keine sonderliche und hohe Beschwerung zugefügt werde“.⁴⁶⁹ Zwar konnten die Gefangenen unter Umständen von ihren Angehörigen und Freunden besucht werden und vereinzelt soll es sogar zu „Saufereien“ in den Schuldgefängnissen gekommen sein.⁴⁷⁰ Zumeist wird aber eine entbehrungsreiche, unter katastrophalen hygienischen Verhältnissen bei Kälte und Feuchtigkeit, Unrat, Ungeziefer und Getier, mangelnder Belüftung und Gestank, fehlender Bewegung, in Ketten und mit unzureichender Ernährung vollzogene Haft beschrieben, deren Folge nicht selten der Tod war.⁴⁷¹ Es verwundert deshalb nicht, dass die Gefangenschaft in den mittelalterlichen Schuldhaftanstalten als nach heutigem Verständnis – wenn auch oft romantisierend und klischeebehaftet – furchtbar, erniedrigend und menschenverachtend beschrieben wird. Allerdings darf dies nicht den Blick darauf verstellen, dass die Schuldhaft neben ihrer primären Erzwingungsfunktion zugleich der „Abscheu

 Kriegk, 1871, S. 44  Kriegk, 1871, S. 37 ff.; Frauenstädt, ZStW 10 (1890), 22  auch Block oder Klotz genannt: hierunter wurde eine hölzerne Vorrichtung verstanden, in welche die Füße und zuweilen auch die Hände des Gefangenen eingeschlossen wurden; vgl. Kriegk, 1871, S. 40, 45  Kriegk, 1871, S. 45; Frauenstädt, ZStW 10 (1890), 21 ff.  Nach der 22. Konstitution der kursächsischen Konstitutionen von 1572 wurde der Schuldner „wer der auch were“ ohne Ansehen seines Standes und seiner Herkunft (und damit auch Fremde) in den Schuldturm überantwortet, Frauen jedoch nur für eigene Schulden und aufgrund getroffener Vereinbarung, s. Breßler, S. 134 f..  Kohler, Shakespeare, S. 39 (Fn. 5 unter Hinweis auf die kursächsischen Konstitutionen von 1572)  so in Breslau, Leipzig oder Frankfurt, vgl. Kriegk, 1871, S. 50; Breßler, S. 377; Frauenstädt, ZStW 10 (1890), 23 beschrieb einen in Breslau, Leipzig und sicherlich auch anderswo üblichen Brauch, wonach bei Einbringen neuer Gefangener auf deren Rechnung dem Aufsichtspersonal ein Zechgelage gestattet war, während aber auch die Gefangenen selbst durch Angehörige und Freunde „reichlich, besonders mit geistigen Getränken“ versehen wurden  Frauenstädt, ZStW 10 (1890), 20 ff. beschrieb unter anderem die Verhältnisse in den Gefängnissen der Städte Nürnberg und Breslau; Breßler S. 378

III. Entwicklungslinien aus dem Mittelalter in die Neuzeit

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vieler leichtfertiger Personen“⁴⁷² diente. In diesen Behandlungen wohnte der nachvollziehbare Gedanke, dass der betrügerische Bankrotteur oder der leichtsinnige Fallit, der durch seine Missetat⁴⁷³ andere schädigte oder gar selber in den Ruin brachte, zur Abschreckung anderer hart zu behandeln und zu bestrafen ist. Auch das Motiv der Vergeltung wird manchen Gläubiger veranlasst haben, die Überantwortung seines Schuldners in den Schuldturm zu verlangen.⁴⁷⁴ Kohler⁴⁷⁵ machte deutlich, dass das historische Vollstreckungsrecht nicht präzise vom Strafrecht heutigen Verständnisses trennte, vielmehr „im alten Executionsrecht Keime des Strafrechts verborgen liegen“. Die öffentliche Schuldhaft kostete dem Gläubiger zuweilen und zunächst Geld, auch wenn er hierfür beim Schuldner Regress nehmen konnte. In Zwickau musste der Gläubiger dem Schuldner täglich einen Betrag von sechs deutschen Pfennigen für dessen Unterhalt zahlen und dem Gerichtsknecht weitere zwei Pfennig – und wurde der Gläubiger damit säumig, konnte der Schuldner nach fruchtloser Aufforderung des Gläubigers seine Freilassung beantragen.⁴⁷⁶ Andernorts mussten die Schuldner für ihre Ernährung selber sorgen, was oftmals nichts anderes bedeutete, auf die Mildtätigkeit Dritter angewiesen zu sein,⁴⁷⁷ und zwar oft auf endlos erscheinende Zeit.Wie lange der in den Schuldturm „geworfene“ Schuldner die Schuldhaft ertragen musste, war freilich in den vielen Rechtsordnungen unterschiedlich geregelt. Weil nach Loening ⁴⁷⁸ die Schuldhaft das Ziel verfolgt habe, die ausstehende Rechtserfüllung zu verwirklichen, sei ihr Ende (erst) mit Schulderfüllung eingetreten. So musste der Schuldner beispielsweise nach der Zwickauer Reformation von 1539 solange in öffentlicher Haft bleiben, bis er den Gläubiger befriedigt oder sich anderweitig mit ihm geeinigt hatte, weshalb eine Hafthöchstdauer nicht vorgesehen war.⁴⁷⁹ Die neuen Statuten im thüringischen Arnstadt von 1543 sahen hingegen das reine Absitzen der Schuld

 zitiert nach Breßler, S. 139, der auf S. 144 ferner darauf hinweist, dass die kursächsischen Institutionen die unverschuldet durch Unglück in Zahlungsunfähigkeit geratenen Schuldner von denen unterschied, die sich selbstverschuldet durch Verschwendungssucht in ihre Insolvenz gebracht haben, weshalb nur letztere für den Schuldturm vorgesehen waren  zum historischen Begriff der Missetat s. Brunner, Heinrich, Bd. 1, S. 211  Breßler, S. 322  Kohler, Shakespeare, S. 42; ebenso Breßler, S. 139 und S. 322, der mit Blick auf die kursächsischen Konstitutionen einen zeitgenössischen Streit zwischen den Schöffenstühlen und dem Hofgericht beschreibt, ob die Überantwortung „peinlich“ sei, und der ab S. 320 ausführlich unter Benennung zahlreicher Quellen zu den privat- und strafrechtlichen Mehrfachwirkungen der Schuldhaft Auskunft gibt und Stellung bezieht  Breßler, S. 125 unter Hinweis auf die Zwickauer Reformation von 1539 sowie S. 376, Fn. 156 unter Benennung weiterer Quellen über die Kosten der Schuldhaft  Kohler, Shakespeare, S. 40; Breßler, S. 137 f. mit Hinweis darauf, dass diese Härte in der Praxis oftmals nicht aufrechterhalten und von ihr später Abstand genommen wurde  Loening, S. 193 ff. wies ferner darauf hin, dass die Haft auch indirekt psychologisch auf Schuldner und Angehörige gewirkt habe, damit diese dazu bewogen werden sollten, den Gläubiger zu befriedigen; Breßler, S. 321  Breßler, S. 127

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ausdrücklich vor.⁴⁸⁰ Nach der Nürnberger Reformation von 1564 war der Schuldner zunächst in Eisen zu legen und nach drei Tagen in den Schuldturm zu führen, wo er bei Brot und Wasser verblieb, bis seine Schulden und die Kosten beglichen sind, jedoch nicht länger als fünf bzw. zehn Jahre, nach deren Ablauf der Schuldner zur Hälfte seiner Schulden befreit sein sollte.⁴⁸¹ Die kursächsischen Konstitutionen von 1572 wiederum verfügten die Haftdauer solange, bis der Gläubiger befriedigt war, so dass die Schuld ebenfalls nicht abgesessen werden konnte. Zudem konnte sich der Schuldner unter ihrer Geltung grundsätzlich nicht mit der cessio bonorum vor dem Schuldturm retten (es sei denn, die Gläubiger stimmten zu), womit dem Schuldturmverfahren besondere Schlagkraft gegeben und den Missbräuchen der cessio bonorum entgegengesteuert werden sollte.⁴⁸²

4. Die Rezeption römisch-italienischen Rechts und die cessio bonorum Die aus dem römischen Recht bekannte cessio bonorum wurde im Sachsenspiegel und im Weichbildrecht nicht erwähnt, weshalb die nachfolgenden Glossen ihr Fehlen im sächsischen Recht problematisierten.⁴⁸³ Hieran wurde die Auffassung geknüpft, dass die sächsischen Quellen des 13. Jahrhunderts die cessio bonorum nicht kannten, ihre Idee nicht zu den germanischen Ansichten passte, zumal gewöhnliches Mittel, sich der Strenge des Schuldrechtes zu entziehen und vorteilhafte Akkorde herbeizuführen, die Flucht gewesen sei.⁴⁸⁴ So meinte Wach, ⁴⁸⁵ dass in den Exekutionsordnungen, in denen die Schuldhaft und Schuldknechtschaft zur Befriedigung des Gläubigers zur Verfügung stand, „für die cessio bonorum die Lebenslust“ fehlte. Denn es wäre „Ungerechtigkeit und Härte gegen den Berechtigten [gewesen], diesen durch die einfache, freiwillige Abtretung des ihm ohnehin verfallenen Vermögens die Aussicht auf Befriedigung durch die Arbeit des debitor zu entziehen.“ ⁴⁸⁶ Zudem konnte der Schuldner selbst dann in Schuldhaft kommen, wenn ihn seine Vermögenskrise unverschuldet traf oder er kein pfändbares Vermögen mehr hatte. Wach ⁴⁸⁷ vertrat daraus schlussfolgernd die weitere Auffassung, das langobardisch-fränkische Recht habe (als germanisches Volksrecht) die cessio bonorum oder ein ihr vergleichbares Institut nicht gekannt, weshalb „das Aufleben derselben, wenigstens für die Lombardei und Tuscien, erst von dem Untergange der Schuldknechtschaft und allgemeinen Geltung der öffent       

Michelsen, Rechtsdenkmale, S. 78 Kohler, Shakespeare, S. 39 Breßler, S. 137 Breßler, S. 141 mit tiefgehenden Erläuterungen und Quellenangaben Seuffert, S. 10; Schweppe, S. 21; Breßler, S. 367 Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 447 Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 447 Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 447 unter Benennung von verschiedenen Quellen

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lichen Schuldhaft“ an datieren könne, diese Wandlung in den Territorien nicht gleichzeitig eingetreten und „der Sieg der modernen Ideen nicht vor dem Ende des 12. Jahrhundert“ entschieden gewesen sei.

a) Das Phänomen der Rezeption In der Tat scheint bis zum Einsetzen der Rezeption⁴⁸⁸ des römisch-italienischen und kanonischen Rechts eine mit der cessio bonorum vergleichbare Institution im Rechtsraum nördlich der Alpen nicht bekannt gewesen zu sein. Das römischitalienische und kanonische Recht (ius civile et canonicum) gelangte mit deutschen Rechtsgelehrten und Studenten, die an italienischen Universitäten Rechtskenntnisse erworben hatten, und infolge von Handelsbeziehungen mit (ober‐) italienischen Städten, dem Aufkommen deutscher Universitäten⁴⁸⁹ sowie dem zunehmenden Einfluss der Kirche erst ab dem 12. Jahrhundert in deutsche Städte und Länder.⁴⁹⁰ Die theoretische und praktische Rezeption beider Rechte (utrumque ius)⁴⁹¹ vollzog sich über Jahrhunderte vom Hochmittelalter bis weit in das 16. und 17. Jahrhundert hinein.⁴⁹² Das römisch-kanonische Recht drang nach und nach in die einheimischen Stadt-, Land- und Reichsrechte ein, trat zu ihnen in Wechselbeziehungen und beeinflusste sie, so dass sich unter seiner Wirkung das einheimische gemeine Recht (ius commune) weiter formte und seinerseits von den heimischen Gewohnheitsrechten der Städte und Länder modifiziert wurde.⁴⁹³ In der Rezeption kann mit Schildt ⁴⁹⁴ ein komplexes, bildungsgeschichtliches Phänomen gemeineuropäischer Dimension gesehen werden, welches als primär kulturgeschichtlicher und soziologisch erklärbarer Prozess durch Bildung grundlegend neuer Rechtsvorstellungen gekennzeichnet war.

 zum Begriff der Rezeption vgl. Wieacker, S. 124 ff.; zur Entwicklung Laufs, S. 48 ff.; zur Bedeutung Schildt, Jura 2003, 450 ff.  Laufs, S. 70; Schildt, Jura 2003, 450  Stobbe, Geschichte des Konkursprozesses, S. 20; Hellmann, S. 54, 57; Schulte, S. 147 ff.; Schlosser, S. 59 ff.; Carl, S. 36; Cordes/Kroeschell/Nehlsen-von Stryk, S. 12 ff.; Vollmershausen, S. 23; Laufs, S. 51 ff.; unter Hinweis auf die rechtswissenschaftsgeschichtliche Entwicklung kritisch Schanbacher, S. 257 ff. sowie Heger, S. 31  Cordes/Kroeschell/Nehlsen-von Stryk, S. 12 ff.; Laufs, S. 61  Schulte, S. 148 f.; Heger, S. 31 unter Hinweis auf die von Hermann Conring im 17. Jahrhundert vertretene Auffassung, wonach das römische Recht „nur“ als Gewohnheitsrecht durch Praxis und Lehre in deutschen Territorien rezipiert worden sei und somit auch durch das heimische Recht inhaltlich modifiziert werden konnte  Schulte, S. 149; Schildt, Jura 2003, 450 ff.; Laufs, S. 51 ff.; Heger, S. 31  Schildt, Jura 2003, 450

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Durch die Rezeption wurde das römische Recht in der Gestalt des mos Italicus⁴⁹⁵ im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit in deutschen Ländern und Städten zum gemeinen Recht.⁴⁹⁶ Indes wäre eine damit verbundene Vorstellung einer Rechtseinheit im regnum teutonicum unzutreffend. Der Rezeptionsprozess gestaltete sich „von Territorium zu Territorium, von Region zu Region, ja nicht selten sogar von Ort zu Ort überaus verschieden“. ⁴⁹⁷ Die Annahme, die Rezeption wäre allerorts gleichzeitig und gleichmäßig erfolgt, entspricht nicht den historischen Tatsachen. Denn die Rezeption hatte überall Förderer und Gegner: Das alte, heimische, lokale Recht stand dem neuen, landesherrlichen und allgemeinen Recht gegenüber; die ungelehrten ständischen Rechtsanwender trafen auf die an (anfangs) oberitalienischen Universitäten ausgebildeten und zumeist der Landesherrschaft oder den Stadträten dienenden Doktoren.⁴⁹⁸ Erst der Lauf der Zeit führte zur Akzeptanz und zur Transformation des fremden Rechts in das Jahrhunderte geübte Gewohnheitsrecht. Einhergehend mit der stofflichen Aufnahme des römischen Privatrechts hatte zudem die Rezeption der Methoden der wissenschaftlichen Bearbeitung des Rechts durch Glossen und Kommentare erhebliche Bedeutung; genau genommen war damit Gegenstand der (Voll‐) Rezeption die Rechtswissenschaft des ius commune, die „Verwissenschaftlichung des deutschen Rechtswesens und seiner fachlichen Träger“. ⁴⁹⁹ So drang das römische Recht nicht nur mit anderen Rechtsvorstellungen, sondern auch mit Fremdwörtern und Übersetzungslehnwörtern in die deutsche Sprache ein.⁵⁰⁰ Ihren Höhepunkt scheint die Rezeption des römisch-italienischen Rechts in der Errichtung des Reichskammergerichts im Jahr 1495 gehabt zu haben. Das Reichskammergericht hatte nach den verschiedenen Reichskammergerichtsordnungen zwar vordringlich das jeweilige von den Parteien vorzutragende und erforderlichenfalls zu beweisende lokale Gewohnheitsrecht anzuwenden.⁵⁰¹ Auch bedurften die notorischen und schriftlich niedergelegten Gewohnheitsrechte und Statuten regelmäßig keines Geltungsbeweises.⁵⁰² Da aber oftmals der Beweis der Existenz des zersplitterten und nicht selten nur sehr begrenzt notierten lokalen Gewohnheitsrechts nicht zu führen war, wurde über den Grundsatz „statua stricte sunt interpretenda“ das gemeine Recht den vom

 Wieacker, S. 133; Schildt, Jura 2003, 450, 451; Heger, S. 29  Heger, S. 29  Schildt, Jura 2003, 450, 451  Wieacker, S. 142  Wieacker, S. 131; Laufs, S. 54 ff.; Schildt, Jura 2003, 450, 451; Heger, S. 30  Laufs, S. 72  Schildt, Jura 2003, 450, 451; Laufs, S. 71; Laufs, JuS 1995, 665, 669; Oestmann, S. 56 ff. und S. 669  Laufs, JuS 1995, 665, 669; Oestmann, S. 663 und S. 680; Wieacker, S. 139

III. Entwicklungslinien aus dem Mittelalter in die Neuzeit

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Reichskammergericht zu fällenden Entscheidungen zugrunde gelegt.⁵⁰³ Ohnehin galt das römische Recht als ratio scripta, als geschriebene Vernunft, so dass sich jedermann auf dessen Geltungsvermutung (fundatam intentionem) sowie die Unvernünftigkeit des einheimischen Gewohnheitsrechts berufen konnte.⁵⁰⁴ Angesichts dessen lohnt ein Blick in den damaligen Süden des Heiligen Römischen Reiches, um der mittelalterlichen Idee der cessio bonorum näher zu kommen.

b) Die Statuten oberitalienischer Städte Dort, südlich der Alpen, fand sich nach dem Niedergang der römischen und fränkischen Imperien das römische Recht in den Statutarrechten der oberitalienischen Städte in grundlegenden und prägenden Zügen wieder und trat zu ihnen in Wechselbeziehung. Durch die Blüte des Handels, des wirtschaftlichen Lebens und der Kultur entwickelten sich indessen schnell weitere Mechanismen und Regeln (ius speciale), wie die städtische Gemeinschaft auf den Niedergang und die anschließende Flucht des Schuldners reagierte. Dies mag neben dem begrenzt lokalen Geltungsbereich der jeweiligen Gewohnheiten der Grund sein, weshalb sich die geschätzt mehr als 10.000 Statuten zum Teil vom gemeinen Recht unterschieden.⁵⁰⁵ Diese Statuten eröffneten gewöhnlich das Vollstreckungsverfahren auf Antrag oder von Amtswegen bei Zahlungseinstellung des Schuldners, die namentlich aufgrund der Flucht oder der auf die Fluchtgefahr deutenden Zeichen festgestellt wurde.⁵⁰⁶ Einige Rechte verlangten für die Verfahrenseröffnung ein bestimmtes Maß der Verschuldung, andere die Kaufmannseigenschaft des Schuldners.⁵⁰⁷ Üblicherweise war der Schuldner zu laden und wegen der Fluchtgefahr wurde oft Verhaftung angeordnet.⁵⁰⁸ Zudem wurde ein offener (General‐) Arrest befohlen, so dass jedermann den Besitz schuldnerischer Vermögensteile anzuzeigen hatte.⁵⁰⁹ Dieser Arrest scheint sich mancherorts auch auf Vermögensbestandteile erstreckt

 Wieacker, S. 38 ff.; Schildt, Jura 2003, 450, 451; Laufs, S. 71; Laufs, JuS 1995, 665, 669; Oestmann, S. 661 ff. verweist aber darauf, dass es seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zu einer prozessualen Aufwertung des Partikularrechts kam und die Kammergerichtsmitglieder seit 1713 die ihnen bekannten Rechtsquellen von Amtswegen anwenden mussten  Schildt, Jura 2003, 450, 451; Laufs, JuS 1995, 665, 669  Meier, S. 19, wobei zu erwägen ist, dass die Statuten, ähnlich wie nördlich der Alpen, regelmäßig neu gefasst wurden  Trunk, S. 34; Kohler, S. 11  Hellmann, Lehrbuch, S. 37 und S. 51; Fuchs, S. 17 und S. 19; Kohler, S. 11; anders Meier, S. 21  Seuffert, S. 8  Seuffert, S. 8; Kohler, S. 13; Meier, S. 22

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zu haben, die sich außerhalb des städtischen Machtbereiches befanden.⁵¹⁰ Der Schuldner verlor (nicht selten rückwirkend) die Verfügungsmacht über sein Vermögen, indem gewöhnlich ein Kurator zur Masseverwaltung und Prozessvertretung (des Schuldners) bestellt wurde.⁵¹¹ Für die Behandlung des Schuldners selbst galt: „Falliti sunt fraudatores.“⁵¹² Folter zur Offenbarung verborgenen Vermögens,⁵¹³ Entehrungen, Beschimpfungen, Berufsverbot und Verbannung, Schuldhaft und Schuldknechtschaft sowie Sippenhaft⁵¹⁴ der Familienangehörigen, Hausgenossen und Bediensteten waren an der Tagesordnung.⁵¹⁵ Der Schuldner hatte damit im mittelalterlichen Italien ebenso ausreichende Motive, sich dem Zugriff der Gläubiger durch Flucht zu entziehen. Andererseits wurden dem Flüchtigen gute Worte nachgerufen und Haftverschonung in Aussicht gestellt, wenn man sich von dessen Rückkehr eine Besserung der Befriedigungsaussichten versprach.⁵¹⁶ Mancherorts wurde einige Zeit zugewartet.⁵¹⁷ Trunk ⁵¹⁸ weist daraufhin, dass die Statutarrechte wegen der räumlich limitierten Gerichtsmacht und der Schuldnerflucht gerade grenzüberschreitende Normen wie den Einbezug von auswärtigem Vermögen oder die Auslieferung des flüchtigen Schuldners beinhalteten und in dieser Zeit Abkommen zwischen den verschiedenen Souveränen nachweisbar seien, die zumeist die gegenseitige Überstellung flüchtiger Schuldner zum Gegenstand hatten. Ließ sich jedoch der flüchtige Schuldner nicht zur Rückkehr bewegen und konnte man seiner nicht habhaft werden, war im Italien des 12. und 13. Jahrhundert der mit äußerster Strenge vollzogene Bann gegen den Schuldner allgemein in Gebrauch.⁵¹⁹ Der Schuldner wurde gleich einem flüchtigen Verbrecher für friedlos erklärt, er verlor weitgehend seine Rechte und nur die Tötung sollte nicht straflos an ihm verübt werden dürfen.⁵²⁰ Wurde der Schuldner gefasst, kam er regelmäßig in Schuldhaft oder Schuldknechtschaft. Im Laufe der Zeit wurde in den italienischen Stadtrechten und Territorien die privat vollzogene Schuldknechtschaft ebenfalls durch  Meili, S. 14 ff., der auf die unterschiedliche Anknüpfung an die Personal- und Realstatuten und den sich daraus ableitbaren Prinzipien der Universalität oder der Territorialität der Wirkungen des Arrestes hinweist  Fuchs, S. 18; Kohler, S. 12; Meier, S. 22  Kohler, S. 14  Uhlenbruck, 1oo Jahre Konkursordnung, S. 8  Meier, S. 24  Kohler, Shakespeare, S. 48 ff.; Endemann, S. 35  Kohler, S. 14  Hellmann, Lehrbuch, S. 42; Fuchs, S. 18; Meier, S. 24  Trunk, S. 34 m. w. Nachw.  Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 451  Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 451

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die öffentliche Schuldhaft abgelöst und prägte so das lokale gemeine Recht. Viele italienische Statuten, wie zum Beispiel die der Städte Nizza, Turin, Mailand, Padua, Parma, Modena, Pisa, Genua, Bologna, Rom oder Perugia, kodifizierten die Schuldhaft in Form öffentlicher Gefangenschaft.⁵²¹ Einige Stadtrechte sahen (mit der Zeit) Milderungen angesichts der Person des Schuldners oder der Höhe der Schuld vor: beispielsweise wurden in Genua Frauen von der Schuldhaft verschont.⁵²² Folgte der flüchtige Schuldner – oft nach Zusicherung freien Geleits (salvus conductus) – der Ladung vor das Gericht,wurde mit ihm verhandelt.⁵²³ Bestritt er in der Verhandlung seine Zahlungsunfähigkeit, musste er seine Gläubiger befriedigen; bekannte er sich zahlungsunfähig, konnte es zum Vergleich, zur Stundung oder zur cessio bonorum kommen.⁵²⁴ Die Gläubiger liefen infolge der Schuldnerflucht also zusammen, um die mit der Insolvenz des Schuldners eingetretene Krise zu bewältigen, während die durch Initiative zu nutzende Chance des Schuldners darin bestand, durch Vergleich, Stundung oder cessio bonorum zur Krisenbewältigung beizutragen.⁵²⁵ Den oberitalienischen Stadtrechten war schon frühzeitig das starke Bestreben zu entnehmen, den Konkurs durch einen Akkord zu erledigen,⁵²⁶ obschon im römischen Reichsrecht gerade diese Möglichkeit – abgesehen vom Nachlassakkord – an sich nicht vorgesehen war.⁵²⁷ Außerhalb der Statuten und entgegen der damals vorherrschenden Rechtsauffassung entwickelte wohl erst der italienische Jurist Raffael Fulgosius (*1367; †1427) zum Ende des 14. Jahrhundert systematische Überlegungen, wegen der vergleichbaren Interessenlage die Zulässigkeit des Akkords auf den lebenden, jedoch flüchtigen Schuldner zu erstrecken, da andernfalls die Gläubiger – wie angesichts des verstorbenen – beim flüchtigen Schuldner ebenso wenig Zugriff auf dessen Person (und sein mitgenommenes Vermögen) hatten.⁵²⁸ Forster ⁵²⁹ sieht hierin aber zu Kohler, Shakespeare, S. 26 ff. jeweils mit Quellennachweis  Kohler, Shakespeare, S. 37; zu den Frauen als Schuldnerinnen und den damit verbundenen speziellen Rechtsnormen vgl. Breßler, S. 336  Planitz, ZRG GA 40 (1919), 87, 98 ff.; Breßler, S. 379  Seuffert, S. 8  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 222 sieht in den mittelalterlichen Instrumenten Vergleich, Stundung, Rangstreit und cessio bonorum Verfahrensvarianten des Konkurses, der nicht notwendigerweise auf Masseliquidation hinauslief, sondern ergebnisoffen die Gläubiger zur Bewältigung der Vermögenskrise versammelte.  Seuffert, S. 10  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 212  Forster, Vom Schandstein zum Konkursverfahren, S. 8; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 214  Konkurs als Verfahren, S. 214 f.

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gleich einen Anreiz zur Flucht, da der mit der Gläubigermehrheit erzielte Vergleich nur mit dem fallitus fugitivus abgeschlossen werden konnte, nicht jedoch mit dem anwesenden Schuldner. Seiner Auffassung nach lasse sich damit erklären, weshalb es im Mittelalter so oft zur Schuldnerflucht kam: nur durch die Flucht konnten die Falliten den Vergleich herbeiführen und gegebenenfalls erzwingen. Eine berühmte Flucht mit späterem Vergleich stand bereits im Zusammenhang mit dem Bankrott der Ammanati-Bank im Jahr 1302. Die Gesellschaft der Ammanatis hatte ihren Hauptsitz im toskanischen Pistoia sowie europaweit Niederlassungen und Kontore. Zu ihren Kunden gehörten der Kaiser, die Könige von Frankreich und England, viele weitere Fürsten und Potentaten, Städte, Kaufleute – und die camera apostolica. ⁵³⁰ Ihre Engagements erstreckten sich vom traditionellen Bargeldwechsel über das Depot-,Verwahr- und Anlagegeschäft, die Vergabe von Darlehen bis hin zur überterritorialen Abwicklung bargeldlosen Verkehrs mittels Wechseln. Für die Finanzverwaltung des Heiligen Stuhls übernahmen die Ammanatis neben anderen Kaufmannsgesellschaften⁵³¹ zudem den Transfer des von den collectores apostoloci eingezogenen Kirchenzehnten nach Rom. Allerdings geriet die Republik von Pistoia in den immer wieder ausbrechenden oberitalienischen Konflikten zwischen den Ghibellinen (Waiblinger/Staufer) und Guelfen (Welfen) nach innerstädtischen Fehden in das kaiserfreundliche Lager der weißen Guelfen, so dass ihre auswärtigen Bürger – nach Verhängung von Sentenzen durch Kardinal Matteo d’Acquasparta (*1240; †1302) – Repressalien und Konfiskationen ausgesetzt waren. Hierunter hatten auch die an der Römischen Kurie domizilierten Angehörigen der Ammanatis zu leiden, weshalb sie unter Mitnahme ihres dort noch verbliebenen Vermögens und kurialer Gelder nach Pistoia flohen. Infolge der politischen Verwerfungen kam es zum Niedergang der Ammanatis, weshalb sich der Heilige Stuhl – sozusagen als grenzüberschreitende Autorität und vor allem in eigenem Interesse – in die Bewältigung dieses europaweiten Konkurses einmischte. Da der Zugriff auf die Ammanatis im unter kaiserlichen Schutz stehenden Pistoia nicht möglich war, verhängte der Apostolische Stuhl über deren in anderen Gebieten befindliches Vermögen eine Art Beschlag, ordnete ein Verfügungsverbot an, untersagte individuelle Vollstreckungen, verfügte Zahlungsmandate an Drittschuldner, übertrug die Abwicklung der Geschäfte anderen Bankhäusern und ließ das alles von den Kirchenkanzeln herunter bekanntgeben, um das greifbare Vermögen zu sichern. Unter Papst Benedikt XI (*1240; †1304) erhielten die Ammanatis später freies Geleit nach Rom, um sich mit ihren Gläubigern zu einigen.⁵³²

Gegenstand eines solchen Vergleiches war regelmäßig der teilweise Verzicht der Gläubiger auf ihre Forderungen gegen Leistung einer Quote. Die Verhandlungen darüber fanden unter gerichtlicher Leitung statt, nachdem das Falliment be-

 zum Kreditgeschäft oberitalienischer Kaufleute im Hochmittelalter s. Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels, S. 263 ff.  zum Beispiel die Frescobaldi, Alfani, Spillati, Spine, Abbati & Bacherelli, Mozzi und Chiarenti aus Florenz, Siena, Lucca und Pistoia  zum Ganzen Nadelmann, S. 58 bzw. S. 299; Hanisch, FS Merz, S. 160 ff.; Cardini, Spalten 1436 ff. und 1763 ff. sowie Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels, S. 273 ff. jeweils m. w. Nachw.

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kanntgemacht wurde, und regelmäßig genügte eine Mehrheit von 3/5 bis 7/8 der Gläubiger für die Zustimmung zum Vergleich.⁵³³ Ziel der mit den Gläubigern anzustrebenden Einigung konnte ebenso die Gewährung eines Zahlungsaufschubs sein. Die für die Dauer von fünf Jahren (quinquennale spatium) oder einen kürzeren Zeitraum gewährte Stundung war bereits aus dem römischen Recht der Kaiserzeit bekannt und konnte nach Mehrheitsentscheidung der Gläubiger durch die Obrigkeit verfügt werden.⁵³⁴ Solche Urkunden, die gewährte Zahlungsaufschübe verkörperten, wurden unter anderem literae induciales genannt⁵³⁵ und später in den deutschen Territorien als Quinquenellen, eiserner Brief, Eisenbrief, Anstandsbrief oder Stundungsbrief vor allem in der Zeit des Dreißigjährigen Kriegs bekannt. Die damit verbundene Belastung der Gläubiger fand in dem Sprichwort „Quinquenellen kommen aus der Höllen“ ihren Ausdruck.⁵³⁶

c) Die Prozeduren der cessio bonorum Besondere Bedeutung kam aber den Verfahren der cessio bonorum zu.⁵³⁷ Wohl infolge der Verdrängung der privaten Schuldknechtschaft konnte der Schuldner den drohenden Sanktionen entgehen, wenn er durch die cessio bonorum sein gesamtes Vermögen vollständig seinen Gläubigern zur Verwertung überließ.⁵³⁸ Eine Vielzahl italienischer Stadtrechte, zu denen die Veronas, Paduas, Venedigs oder Parmas gehörten, gestattete die cessio bonorum. Neben Kaufleuten, Händlern und Handwerkern sollten Frauen, Minderjährige, Mönche, Exkommunizierte, Arme, Juden und kaufmännische Gesellschaften ebenfalls befugt gewesen sein, die Vermögensaufgabe zu erklären.⁵³⁹ Andererseits waren die autonomen italienischen (und freilich auch die deutschen und anderen europäischen) Stadtstaaten nicht an das gemeine Recht gebunden, weshalb einige von ihnen in ihren Statuten die cessio bonorum ausdrücklich ausschlossen⁵⁴⁰ oder zumindest den Fremden,

 Seuffert, S. 10; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 214  Forster, Vom Schandstein zum Konkursverfahren, S. 7  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 211  Günther, S. 13; Forster, Vom Schandstein zum Konkursverfahren, S. 7; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 211  Meier, S. 20 vertritt unter Hinweis auf Endemann, S. 34, und Seuffert, Konkursrecht, S. 51, dass die cessio bonorum immer restriktiver angewendet wurde und zunehmend außer Gebrauch gekommen sei  Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 451  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 186 f.  Seuffert, S. 8; Kohler, Shakespeare, S. 44, benennt hierfür unter anderem Genua, Marseille, Lyon, Lüneburg; Breßler, S. 128 und S. 137, verweist auf die Zwickauer Reformation von 1539

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die ohnehin regelmäßig schlechter als Einheimische behandelt wurden, nicht gestatteten.⁵⁴¹ Grund hierfür war der nicht selten beobachtete Missbrauch dieses Rechtsinstituts sowie das mit der Ungewissheit über verborgenes Vermögen begründete Unbehagen, den Gläubigern in enteignender Weise ihre Ansprüche abzuschneiden. Wiederum andere Statuten knüpften den Ausschluss der cessio bonorum an persönliche Eigenschaften des Schuldners. So wurden nicht selten die gescheiterten Kaufleute, die falliti, oder Personen, die vorsätzlich zu Lasten der Gläubiger ihre Güter verschleuderten, von der cessio bonorum ausgeschlossen, weil ihnen betrügerisches Handeln per se unterstellt wurde: die cessio bonorum sollte Hilfe für die Unglücklichen und nicht Bollwerk der Arglistigen sein.⁵⁴² Der Schuldner wurde zur cessio bonorum regelmäßig nur dann zugelassen, wenn er zur Leistung verurteilt worden war oder die gegen ihn gerichteten Forderungen anerkannt hatte; ein Bestreiten der Verpflichtungen stand der Rechtswohltat entgegen.⁵⁴³ Erforderlich war des Weiteren, dass der Schuldner ein Vermögensverzeichnis, dessen Richtigkeit und Vollständigkeit er durch Eid zu bekräftigen hatte, erstellte, um seinen Gläubigern das aufzugebende Vermögen zwecks Identifizierung zu benennen.⁵⁴⁴ Ebenso hatte der Schuldner sein Versprechen zu beeiden, dass er bei Verbesserung seiner Vermögenslage seine restlichen Verbindlichkeiten begleichen werde.⁵⁴⁵ Die Erklärung der cessio bonorum war durch den Schuldner persönlich oder mittels Brief abzugeben.⁵⁴⁶ Ob die Erklärung gegenüber einem anwesenden Richter, den anwesenden Gläubigern oder in Abwesenheit Dritter erfolgen konnte, lässt sich kaum einheitlich beantworten. Dies mag angesichts der mit der Erklärung verbundenen Prozeduren jedoch dahinstehen. Denn obgleich zu Zeiten des antiken römischen Reichs mit der Ausübung der cessio bonorum die Rechtswohltaten der Befreiung von Schuldhaft und Infamie sowie der Gewährung eines Existenzminimums verbunden waren, umgaben in den italienischen Städten die mittelalterlichen Sitten und Gebräuche ihre Erklärung mit einer bunten Vielzahl schändlicher Formen und Folgen.⁵⁴⁷ Gerade die italienischen Städte, in denen Handel, Kredit und damit „Kreditbetrug“ blühten,

sowie die kursächsischen Konstitutionen von 1572, wonach die cessio bonorum grundsätzlich verboten war und nur ausnahmsweise zugelassen wurde, wenn die zu übertragenden Güter zur Begleichung der Schulden ausreichten oder alle Gläubiger die „cessio freiwillig annehmen“  Meili, S. 13  Meier, S. 20; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 187  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 192  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 193  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 194  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 197  Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 452; Planitz, ZRG GA 52 (1932), 134, 239 f.

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behandelten den Schuldner, der sich mit der cessio bonorum von der drückenden Schuldenlast lösen wollte, mit – wie sich Kohler ⁵⁴⁸ ausdrückte – „empörender Strenge“. Schmählich, den Schuldner für sein ganzes Leben traumatisierend und brandmarkend waren die ab dem 13. Jahrhundert mit der cessio bonorum einhergehenden, entwürdigenden Rituale.⁵⁴⁹ Der Schuldner musste fast überall auf einem öffentlichem Platz oder Markt, vor dem Stadtrat und den Augen des Stadtvolkes, zuweilen unter dem Geläut der Glocken seine Kleidung ganz oder teilweise ablegen, einen Schandstein oder eine Säule besteigen und diese(n) mit dem Hinterteil mehrfach berührend laut ausrufen: „cedo bonis“ („ich weiche aus den Gütern“). ⁵⁵⁰ Dergleichen Steine oder Säulen können noch heute in Padua oder im kroatischen Rab in Augenschein genommen werden.⁵⁵¹ In Mailand wurde der Schuldner zudem mit Eiern und Schmutz beworfen und musste durch diesen Geschosshagel fliehen.⁵⁵² Andernorts wurde der Schuldner in besonderer Kleidung oder unter Trompetenmusik durch die Stadt geführt.⁵⁵³ Außerdem verlor der Schuldner regelmäßig seine gesamten öffentlichen Würden und Ämter, seine Bürgerrechte, das aktive und passive Wahlrecht und das Recht zum Waffentragen.⁵⁵⁴ Überdies wurde er nach vielen italienischen Stadtrechten oft auf mehrere (zumeist fünf) Jahre aus dem Stadtterritorium verbannt.⁵⁵⁵ Und wenn er dennoch das Stadtgebiet betrat, wurde er nicht selten ergriffen, öffentlich mit drei Eimern kalten Wassers über den Schädel begossen und zurück in die Verbannung geschickt.⁵⁵⁶ Nach dem Florentiner Stadtrecht wurden Schandbilder von den Schuldnern, welche die cessio bonorum erklärt hatten, an deren Wohngebäuden angebracht und in gleicher Weise wurden am Palast des Podestà Schandbilder der

 Kohler, Shakespeare, S. 45  Forster, Deutsches Konkursrecht, S. 325; Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 451 m. w. Nachw.  Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 451; Kohler, Shakespeare, S. 21 und S. 121, der die Prozedur auf ein Reinigungsritual zurückführt; Forster, Vom Schandstein zum Konkursverfahren, S. 11; Paulus, Kaleidoskop, S. 109  in Padua findet sich der Stein im „Palazzo de Ragione“, der die Aufschrift trägt: „lapis vituperii et cessionis bonorum: Stein der Schande und Vermögensaufgabe“, wie Forster, Vom Schandstein zum Konkursverfahren, S. 13 und Paulus, Kaleidoskop, S. 109 berichten  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 198  Planitz, ZRG GA 52 (1932), 134, 238; Forster, Deutsches Konkursrecht, S. 325; Kohler, Shakespeare, S. 126  Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 452; Kohler, Shakespeare, S. 47; zwischen infamia iuris und infamia facti differenzierend Forster, Konkurs als Verfahren, S. 203 f.  Kohler, Shakespeare, S. 50 f. unter Hinweis auf die Stadtrechte von Rom und Belluno; Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 452  Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 453; Planitz, ZRG GA 52 (1932), 134, 235

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geflohenen Schuldner angenagelt, jeweils unter Nennung des Namens und Berufs.⁵⁵⁷ Mit diesen entehrenden Prozeduren, die zur vollständigen Zerstörung der bürgerlichen Ehre und Existenz des Schuldners führten, zeichnete sich das von Kohler ⁵⁵⁸ gerühmte, freie, formlose, individuell-interessenorientierte italienische Vollstreckungsverfahren aus.⁵⁵⁹ Die cessio bonorum hatte sich von einem ursprünglich schuldnerfreundlichen Verfahren der sofortigen Gesamtbereinigung zu einer die wirtschaftliche und soziale Existenz vernichtenden Verzweiflungstat gewandelt.⁵⁶⁰ Nur die bitterste Not, die sichere Aussicht auf schwere Strafen und langwierige Schuldhaft konnten einen Schuldner zu diesen entehrenden Prozeduren bewegen; wer es nur irgendwie vermochte und sich besseres versprach, flüchtete vor der Härte des Gesetzes.⁵⁶¹ Ebenso dekorierten andere europäische Statutarrechte die cessio bonorum mit allerlei Schändlichkeit. In Leyden und in Rotterdam musste sich der Schuldner an drei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils eine Stunde vor dem Rathaus, nur in Unterwäsche bekleidet, aufstellen.⁵⁶² Nach den in Lyon, Grenoble und Avignon geltenden Stadtrechten wurde der Schuldner, in wenige Kleider gehüllt, durch die Stadt gepeitscht – „und war es ein Jude oder eine Jüdin, so wurde das Gewand noch stärker reduciert“. ⁵⁶³ Dann wurde dem Schuldner in Avignon am steinernen Pranger auch noch der Lendenschurz zerrissen.⁵⁶⁴ Das Lübbische Recht sowie die Stadtrechte von Hamburg, Bremen, Stade, Riga und Visby sahen förmliche Entkleidungsprozeduren vor.⁵⁶⁵ Mit diesen schändlichen Behandlungen überantwortete der Schuldner sein gesamtes Vermögen bis auf das letzte Hemd seinen Gläubigern.⁵⁶⁶ Womöglich erklärt sich damit der immer wieder zu beobachtende Bezug auf zu entfernende Kleidungsstücke. Im niederländischen Lüttich musste sich der Schuldner zumindest dreimal barhäuptig präsentieren, in einigen Hansestädten und in Tirol wurde der Schuldner bei Geläut der Schandglocke an den Pranger gestellt, an anderen Orten zum Hunde- oder Steinetragen⁵⁶⁷ verdammt oder mit leerem Beutel durch die Straßen geführt oder mit einer leeren Tasche auf dem Markt ausgestellt oder musste auf dem Lasterstein an öffentlichen Plätzen niedersitzen.⁵⁶⁸ Vielerorts musste der Schuldner – auch wenn er nicht nackt aufzutreten brauchte – andere Zeichen der Be-

           

Forster, Konkurs als Verfahren, S. 199 Kohler, S. 31 Forster, Deutsches Konkursrecht, S. 336 Forster, Vom Schandstein zum Konkursverfahren, S. 13 Wach, ZfRG 7. Bd. (1868), 439, 453 Wessels, S. 665 Kohler, Shakespeare, S. 46 mit Quellennachweisen Forster, Konkurs als Verfahren, S. 199 Kohler, Shakespeare, S. 49 mit Quellennachweisen Forster, Konkurs als Verfahren, S. 200; ders. Vom Schandstein zum Konkursverfahren, S. 11 Kori, S. 19; kritisch Dabelow, S. 493 Kori, S. 19; Kohler, Shakespeare, S. 46 mit Quellennachweisen

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schämung hinnehmen, wie zum Beispiel das Tragen einer grünen,weißen oder gelben Mütze⁵⁶⁹ oder eines „gelben Scheibel“ auf dem Rücken, womit er ähnlich einem Aussätzigen oder einer Dirne gekennzeichnet war.⁵⁷⁰ Nach der Augsburger Strafordnung von 1571 musste der Schuldner „bei den Leichen und Hochzeiten hinten nachgehen und zu den Frauen gesetzt werden oder daheim bleiben; er muss sich des Tragens von Wehr und Waffen bei Strafe der Eisen gänzlich enthalten“. ⁵⁷¹ Viele deutsche, holländische, flandrische und schweizerische Stadtrechte verlangten ähnlich der italienischen Statuten eine Verbannung aus dem Stadtterritorium über mehrere Jahre.⁵⁷² Auch wenn einige Rechte zwischen dem unverschuldeten Ruin und dem boshaften oder leichtsinnigen Bankrott unterschieden oder nach dem Stadtrecht Antwerpens die schändlichen Prozeduren in das Ermessen des Gerichts gestellt waren, wurde die cessio bonorum regelmäßig zur cessio bonorum terribilis. ⁵⁷³ Und dennoch hatte die mit der cessio bonorum einhergehende Wohltat entscheidende Bedeutung für den Schuldner. Er wurde von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen (zunächst) verschont, auch wenn er sich durch die cessio bonorum nicht von seinen Verbindlichkeiten absolut befreien konnte.⁵⁷⁴ Kam er wieder zu Vermögen, konnte gegen ihn nur soweit vollstreckt werden, wie er über den erforderlichen Notbedarf (beneficium compententiae) hinaus Vermögen neu erworben hatte.⁵⁷⁵ Zudem sollten die für den notwendigen Unterhaltserwerb erforderlichen Arbeitswerkzeuge – und freilich – die Kleider dem Schuldner belassen werden.⁵⁷⁶

Was aber unternahmen die Gläubiger,wenn der Schuldner die Erklärung zur cessio bonorum nicht abgab und einfach floh? Was sollte jener auch anderes tun, wenn er kein Vermögen besaß oder noch vorhandenes nicht hergeben wollte, Verwandte oder Freunde nicht für ihn einstehen konnten oder wollten, ein Abarbeiten de facto oder de jure nicht möglich war und er Leib, Leben und Ehre retten wollte? Auch wenn der Schuldner in der Stadt seine Familie hatte und sie seinen Lebensmittelpunkt bildete, war er wegen der drohenden Gefahren für seine Gesundheit sowie angesichts der Tatsache, dass sein Ruf und Kredit ohnehin zerstört waren und damit ein Neuanfang unmöglich wurde, regelmäßig veranlasst, sein Heil in der Flucht zu suchen.⁵⁷⁷ In diesem Fall war zwar nach dem ius commune eine „missio in bonis venditionis causa“ wegen des mit der Flucht eintretenden

 Kohler, S. 14; Wessels, S. 665 benennt die grüne Mütze für französische Partikularrechte; grün auch im Kirchenstaat aufgrund einer Bulle Pius IV. vom 27. Oktober 1561, vgl. Forster, Konkurs als Verfahren, S. 200 mit Quellenangabe  Kohler, Shakespeare, S. 47 mit Quellennachweisen, die ferner auf Barfussgehen und kurze Kleider deuten  Hellmann, Lehrbuch, S. 61; Gerhardt, S. 100  Kohler, Shakespeare, S. 50 f. unter Hinweis auf die Stadtrechte von Landshut, Augsburg, Ulm, Verden, Zutpen, Gent, Zürich, Basel  Kohler, Shakespeare, S. 47 mit Quellennachweisen  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 202  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 202  Wessels, S. 665; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 202  Breßler, S. 380

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Ungehorsams möglich.⁵⁷⁸ Denn das gemeine Recht folgte hier der römischen Rechtstradition und gab die bekannten Vollstreckungsmittel der Vermögens- und Personalexekution vor.⁵⁷⁹ Forster ⁵⁸⁰ verweist aber darauf, dass spätere Autoren auf die missio in bona, mit der die Gläubiger in den schuldnerischen Besitz mit dem Ziel der Gesamtverwertung eingewiesen werden konnten, kaum noch eingingen. Zudem zeigt er mit Endemann ⁵⁸¹ auf die Möglichkeit der effektiveren Spezialexekution, so dass eine Generalexekution nicht mehr von Interesse war. Infolge des Prioritätsprinzips und einer sich ausdifferenzierenden Rangordnung mit der Möglichkeit des Drittwiderspruchs wurde die missio in bona funktional ersetzt.⁵⁸²

5. Reichspolizeiordnungen von 1548 und 1577 Obgleich die haftungsrechtlichen Bestimmungen traditionell in den lokal und territorial geltenden Partikularrechten verankert waren und auf dem Gebiet des Privatrechts nur sehr wenige reichsweite (Rahmen‐) Regelungen existierten, die als Inhalte und Instrumente der Sozialdisziplinierung verstanden wurden,⁵⁸³ beschäftigten neben Gotteslästerern, Kriegsleuten, Trinkern, Unzüchtigen, Wucherern, Fuhrleuten auch die Falliten den Kaiser und die Reichsstände⁵⁸⁴ auf den Reichstagen. Hintergrund hierfür war, dass seit dem Ende des 15. Jahrhunderts die europäische Wirtschaft durch einen Gleichlauf traditioneller feudaler Landwirtschaft, ständischem Gewerbe, jüdischer und christlicher Geld- und Kreditwirtschaft, vordringendem Frühkapitalismus und einem expandierenden Fern- und Welthandel geprägt wurde.⁵⁸⁵ Diese Wirtschaftsverfassung versprach einerseits beträchtliche Gewinnchancen, barg andererseits aber auch erhebliche Risiken in sich. Durch die begrenzte Geltung der einzelnen Stadt- und Landrechte ergab sich ein Interesse an einer reichsweiten Regelung zum Umgang mit flüchtigen Schuldnern, die freilich immer die Stadt- und Landgrenzen zu überwinden suchten und dabei gezielt die limitierte Rechtsmacht ihrer Souveräne sowie die Lücken der konkurrierenden Rechtsordnungen ausnutzten.

       

Forster, Konkurs als Verfahren, S. 223; Schulte, S. 428 Endemann, S. 34; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 223 Forster, Konkurs als Verfahren, S. 223 Endemann, S. 29; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 223 Forster, Konkurs als Verfahren, S. 224 Weber, S. 23; zur Entwicklung und Funktion der Policeygesetzgebung s. Härter, S. 61 ff. zum Begriff vgl. Schröder, S. 824 ff. Härter, S. 118

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Die infolge des Ewigen Landfriedens des Wormser Reichsabschieds von 1495⁵⁸⁶ auf dem Augsburger Reichstag am 30. Juni 1548 für das Heilige Römische Reich Deutscher Nation erlassene (erweiterte) Reichspolizeiordnung⁵⁸⁷ befasste sich neben anderen Fragen der Sozialdisziplinierung mit dem gefährlichen Verhalten, welches mit der Flucht der „verdorbenen Kauffleuthe“ verbunden war. So ordnete diese Reichspolizeiordnung an, dass solche „handtierer unnd gewerbs leüt“, wenn sie in „fürsetzlicher oder betrüglicher weise“ und „nit auß kündlichem zugestandem unfall auffstehen und Banckenrodt machen und außtrinnig werden“, von „keyner Herrschafft oder Oberkeyt auffgenommen“ oder geduldet werden dürfen.⁵⁸⁸ Diese waren vielmehr in Haft zu nehmen, den Klägern zu übergeben und zu bestrafen.⁵⁸⁹ Kamen sie indes versehentlich oder durch Unglück zu Not und Schaden, sollten sie in Land und Stadt aufgenommen und bemitleidet „unnd dem gemeynen Rechten nach“ behandelt werden.⁵⁹⁰ Nur den unglücklich in Ruin Geratenen sollten kaiserliche Moratorien oder Quinquenellen gewährt werden, nicht aber den Bancarottierern, die oftmals nur zum Schein mit gefälschten Urkunden diese Wohltaten betrügerisch zu erlangen versuchten.⁵⁹¹ Kaiser Karl V. (*1500; †1558) unterstrich die Bedeutung dieser Reichspolizeiordnung mit dem Hinweis darauf, dass ihre Missachtung die Strafe Gottes durch Teuerung, Krieg, Pest und anderen Plagen hervorriefe.⁵⁹² Unter anderen weisen Stobbe ⁵⁹³ und Becker ⁵⁹⁴ darauf hin, dass die Reichspolizeiordnungen von 1530 und 1548 aufgrund der Verfassungsverhältnisse des Alten Reiches unter einem „chronischen Mangel an Durchsetzungskraft“ litten. Kaiser Rudolph II. (*1552; †1612) sah sich deshalb veranlasst, die Regelungen über die „verdorbenen Kauffleuthe“ in der Reichspolizeiordnung vom 9. Februar 1577⁵⁹⁵ zu wiederholen und um die Aufforderung an alle Stände und Obrigkeiten zu ergänzen, von den flüchtigen Schuldnern mitgeführte Gelder, Schuldbriefe und Waren zu beschlagnahmen und in gerichtliche Verwahrung zu nehmen.⁵⁹⁶ Diese  Härter, S. 69  Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 203 ff.; Wieacker, S. 200 ff.; Weber, S. 25; die Reichspolizeiordnungen von 1530, 1548 und 1577 sind abgedruckt bei Weber, S. 129 ff.  Weber, S. 198 ff.; Becker, KTS 2008, 3, 11  Weber, S. 199; Becker, KTS 2008, 3, 11  Weber, S. 199; Becker, KTS 2008, 3, 11  Weber, S. 199; Becker, KTS 2008, 3, 11  Härter, S. 128; Becker, KTS 2008, 3, 11  Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 184 ff.  Becker, KTS 2008, 3, 12  abgedruckt bei Weber, S. 215 ff.  Puchta, S. 225 ff.; Meili, S. 24

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Schuldner sollten nicht in den Genuss kaiserlicher oder königlicher Moratorien und Quinquenellen kommen und fortan „zu keinen ämptern oder digniteten gezogen werden“ dürfen. Die 1577er Reichspolizeiordnung blieb immerhin bis zum Ende des Alten Reiches im Jahr 1806 unverändert in Kraft und wurde nach anfänglicher Geringschätzung zuletzt in den Rang eines der sogenannten „Reichsgrundgesetze“ erhoben.⁵⁹⁷ Die Reichspolizeiordnungen sahen jedoch keine dezidierten Bestimmungen zur weiteren Handhabe der Flucht des Schuldners und der Abwicklung des Verfahrens vor. Sie setzten punktuell ordnungspolitisch dort an, wo das örtliche Recht wegen der grenzüberschreitenden Flucht versagte.⁵⁹⁸ Ansonsten oblag es weiter den Stadt- und Landrechten sowie dem gemeinen Recht, legitime und effektive Normen zum Umgang mit der schuldnerischen Flucht und dem sich anschließenden Verfahren zu finden.

6. Europäische Tendenzen und Einflüsse Ebenso wie die bedeutenden deutschen und italienischen Handelsstädte waren die weiteren europäischen Handelszentren für den kaufmännischen Geschäftsverkehr auf ein funktionierendes Haftungsrecht angewiesen. Im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit waren die europäischen Handelsplätze derart eng wirtschaftlich miteinander verflochten und über ausgedehnte, über Jahrhunderte eingetretene Handelswege verbunden, dass überall ein Bedürfnis an Normen zum Umgang mit dem flüchtigen Schuldner bestand. Viele städtische und landesherrliche Rechtsakte widmeten sich deshalb der durch die Flucht ausgelösten Krise und versuchten, im Interesse der Gläubiger der damit verbundenen Folgen Herr zu werden. Im wirtschaftlich blühenden Antwerpen, in seinem Goldenen Zeitalter eine der größten und reichsten Handelsmetropolen jener Epoche, gingen bedeutende europäische Kaufleute und Geldverleiher wie die Fugger,Welser oder Ostetts ihren Geschäften nach und unterhielten dort ihre Dependancen.⁵⁹⁹ Paulus ⁶⁰⁰ gibt den

 Weber, S. 23; Härter, S. 85 f. berichtet über nachfolgende Ansätze zur Reformierung bis zum Ende des alten Reichs  Becker, KTS 2008, 3, 12  Strieder, S. II ff. gibt einen Überblick über die führende Stellung Antwerpens im europäischen Wirtschaftsleben des 16. Jahrhunderts; zu den Häusern der Fugger und Welser s. Otto, S. 119 ff. und Berdrow, S. 39 ff.  Paulus, Kaleidoskop, S. 116

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Hinweis darauf, dass sich die vielfältigen wirtschaftlichen Aktivitäten der Kaufleute in den hierüber aufgenommenen Urkunden der dort ansässigen Notare spiegeln. Die gesammelten Notularien zeigen allerdings auch eine Vielzahl an Beurkundungen im Zusammenhang mit zahlungsschwachen und flüchtigen Kaufleuten wie Mahnungen, Vollmachten zur Schuldbeitreibung, Schuldbekenntnisse, Akkorde etc., weshalb die Sammlung ebenso Fonds des Faillites genannt wurde.⁶⁰¹ Die Flucht des Schuldners war in Antwerpen wie überall eine Bedrohung für die Attraktivität des Handelsplatzes und Grund für die Eröffnung eines Verfahrens zur Haftungsverwirklichung.⁶⁰² Deshalb gestattete der schon erwähnte Kaiser Karl V. als 14jähriger Herzog von Burgund der Stadt Antwerpen den Erlass eines Gesetzes zum Schutz der Einwohner und Kaufleute vor flüchtigen Schuldnern.⁶⁰³ Und der gleiche Karl V. sah sich in den Jahren 1531, 1540 und 1541 für die burgundischen Niederlande wiederholt veranlasst, allerorts plakatierte Edikte unter anderem gegen betrügerische Bankrotteure und ihre Helfer zu erlassen, die sie mit gewöhnlichen Dieben und Straßenräubern gleichsetzten und für die drastische Rechtsfolgen angeordnet wurden.⁶⁰⁴ Der fallitus fugitivus war zu verhaften und die von ihm hinterlassenen Güter waren zur Befriedigung der Gläubiger zu arretieren, zu inventarisieren und zu verwahren.⁶⁰⁵ Auch die zwischen 1659 bis 1777 verfügten Amsterdamer Ordonanzen wollten der Schuldnerflucht begegnen: sie sahen unter anderem die Verpflichtung des Schuldners vor, sich im Falle der Zahlungsunfähigkeit obrigkeitlich zu melden.⁶⁰⁶ Hiernach hatte er eine gewisse Zeit, mit seinen Gläubigern zu akkordieren, andernfalls drohte Zerschlagung und Verwertung des schuldnerischen Vermögens.⁶⁰⁷ In Frankreich lagen die Dinge nicht viel anders. Bereits der französische König Ludwig der Heilige (*1214; †1270), der während seiner Regentschaft umfassende Justizreformen nach dem Vorbild des römischen Rechts einleitete,verfügte in einer  In den von Strieder, S. 1 ff. editierten Regesten der Notularien verschiedener zu Antwerpen ansässiger Notare finden sich plastische Beispiele für die wirtschaftlichen Schwierigkeiten einzelner Kaufleute, die sich in den hierzu getroffenen Vereinbarungen und abgegebenen eidlichen Erklärungen der Beteiligten spiegeln; hierauf verweisend Paulus, Kaleidoskop, S. 117; zum Antwerpener Fonds des Faillites s. Denucé, S. 372 ff..  Paulus, Kaleidoskop, S. 118; Meili, S. 26 ff. verweist mit Quellenangaben auf den Einfluss der niederländischen Juristen für die Entwicklung eines internationalen Konkursrechtes  Kohler, AcP 81 (1893), 329 ff.; Paulus, Kaleidoskop, S. 116 ff.  Diese Edikte richteten sich nicht nur gegen betrügerische Kaufleute, sondern dienten auch anderweitig der Sozialdisziplinierung: hierzu Stolleis, S. 437 ff; Forster, Deutsches Konkursrecht, S. 326; Kohler, S. 22; Paulus, Kaleidoskop, S. 119.  Paulus, Kaleidoskop, S. 117  zum weiteren Inhalt Wessels, S. 667 f.  Kohler, S. 23

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Ordonanz des Jahres 1256 die Freiheit des Schuldners, wenn er sein Vermögen seinen Gläubigern freiwillig übergab.⁶⁰⁸ In Lyon erließ der französische König François I. (*1497; †1547) im Jahre 1536 ein Edikt, welches Regelungen zur cessio bonorum und zu den banqueroutiers enthielt.⁶⁰⁹ Lyon war zu dieser Zeit ähnlich wie Antwerpen ein bedeutendes europäisches Handelszentrum und auf effektive Rechtsnormen für den Umgang mit potentiell fluchtbereiten Schuldnern angewiesen. Bereits im Jahr zuvor hatte der König wegen der vielen flüchtigen Schuldner ebenfalls in Lyon ein Edikt zum Schutz des Handels erlassen, da sich Schuldner mit dort erworbenen, aber unbezahlten Waren auf und davon gemacht hatten. Wegen der mit der ineffektiven Schuldnerverfolgung verbundenen erheblichen Mehrkosten wurde eine Marktgerichtsbarkeit mit ausschließlichen, umfassenden und gegen die Person des Schuldners und dessen Vermögen gerichteten Kompetenzen eingerichtet.⁶¹⁰ Der anwesende (unschuldige) Fallit konnte mit den Gläubigern zu Zwecken eines Vergleichs verhandeln. Der Vergleich kam zustande, wenn die Mehrheit der Gläubiger zustimmte; der flüchtige Schuldner erhielt für die Vergleichsverhandlungen wohl sicheres Geleit.⁶¹¹ Hingegen gab die von Heinrich IV. (*1553; †1610) verfügte Ordonanz von 1609, die sich unter anderem gegen benachteiligendes und betrügerisches Handeln der Gläubiger richtete, den Gläubigern das Recht, den flüchtigen Bankrotteur zu fangen und vor Gericht zu bringen.⁶¹² In England hatte König Edward III. (*1312; †1377) im Jahr 1350 eine Haftung der lombardischen Handelsgesellschaften für ihre plötzlich davongelaufenen Mitglieder statuiert. Im Jahre 1542 oder 1543 erließ König Heinrich VIII. Tudor (*1491; †1547) ein erstes Konkursgesetz, welches zwar nicht den Gedanken der cessio bonorum aufgegriffen zu haben scheint, dennoch deutlich den Einfluss des niederländischen Rechts zeigt und als Anfang der angloamerikanischen Konkursrechtsrechtsgeschichte gilt.⁶¹³ Dieses Konkursgesetz richtete sich ausdrücklich gegen „divers and sundry persons, craftily obtaining into their hands great substance of other men′s goods, and do suddenly flee to parts unknown or keep their houses, not minding to pay or restore to any their creditors, their debts and duties“. ⁶¹⁴

Das historische spanische Exekutionsrecht, welches die weitere europäische Rechtsentwicklung in ähnlicher Weise wie das römisch-italienische Recht stark  Kohler, Shakespeare, S. 43  Kohler, S. 19; Paulus, Kaleidoskop, S. 119; Forster, Deutsches Konkursrecht, S. 325  Paulus, Kaleidoskop, S. 119  Kohler, S. 19  Kohler, S. 20  Forster, Deutsches Konkursrecht, S. 328; Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1, 4; Paulus, Kaleidoskop, S. 119  Holdsworth, S. 236; hierauf verweisend Hanisch, FS Merz, S. 161

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beeinflusste, befasste sich ebenfalls mit der Schuldnerflucht und kannte ebenso die Idee der cessio bonorum. Dabei stand das spanische Vollstreckungsrecht einer Selbsthilfe der Gläubiger streng ablehnend gegenüber, denn die Gläubiger sollten ihr Recht vom Gericht holen.⁶¹⁵ Nachdem in den spanischen Stadtrechten und im Fuero Real die Schuldhaft und eine Art Einkommenspfändung nebst Abdienung (Arbeitshaft) die zulässigen Vollstreckungsmittel bildeten, sprachen die in der Mitte des 13. Jahrhunderts entstandenen Siete Partidas, über die in Kastilien das römisch-kanonische Recht rezipiert wurde, die cessio bonorum jedem freien Mann zu, gleich, ob er sich momentan in Freiheit oder in der Gewalt eines Fremden befand.⁶¹⁶ Bis zur Abgabe der auf die cessio bonorum gerichteten Erklärung war der Schuldner, der weder leistete noch freiwillig die Vermögensaufgabe erklärte, in ein Gefängnis zu bringen.⁶¹⁷ Eine im Jahr 1458 von Heinrich IV. (*1425; †1474) von Kastilien in Madrid erlassene Pragmática sah für die Vollstreckung und die Erklärung der cessio bonorum sogar die generelle neuntägige Inhaftierung des Schuldners vor.⁶¹⁸ Damit war die gegenüber einem Richter zu erklärende cessio bonorum paradoxerweise durch Haft zu erzwingen, obgleich im historischen Ursprung mit ihrer Erklärung gerade das Gegenteil bewirkt werden sollte.⁶¹⁹ Sicherlich auch deshalb werden für Spanien Prozeduren, wie sie in italienischen und anderen europäischen Städten die cessio bonorum umgaben, nicht beschrieben.⁶²⁰ Die spanischen Herrscher Ferdinand (*1452; †1516) und Isabella von Kastilien (*1451; †1504) gingen von diesem Prinzip etwas ab: sie verfügten in einer im Jahr 1490 bekanntgemachten und später mehrfach ergänzten Pragmática, dass der Schuldner zwar zum sichtbaren und dauerhaften Tragen eines fingerdicken eisernen Halsringes verpflichtet sei, jedoch keine Haft mehr erdulden müsse.⁶²¹ Hierin war ein prägnantes Haftzeichen zu sehen, welches einerseits die Vermögensinsuffizienz offenbaren und damit indirekten Druck auf den Schuldner und seine Familie ausüben sollte; andererseits wurde damit eine Warnung an alle potentiellen Neugläubiger gegeben, mit der auf die Insolvenz des Trägers hinge-

 Meier, S. 27; Kohler, S. 24  Kohler, Shakespeare, S. 43; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 186 und auf S. 227 ff. u. a. kritisch zur Urheberschaft Alfons des Weisen  Meier, S. 28; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 235  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 239 f. sowie erläuternd zur abweichenden Darstellung Kohlers, S. 25 ff.  Forster, Vom Schandstein zum Konkursverfahren, S. 13  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 200  Die Haftverschonung bestand freilich nur solange, wie der Schuldner den Halsring trug; andernfalls musste er mit regulärer Schuldhaft rechnen; vgl. Forster, Konkurs als Verfahren, S. 241 sowie Forster, Deutsches Konkursrecht, S. 330 m. w. Nachw..

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

wiesen wurde,⁶²² so dass etwaig mit dem Schuldner kontrahierende Personen sich auf diesen Umstand einstellen konnten. Nur wenn der Schuldner flüchtete und kein Richter zur Stelle war, durfte der einzelne Gläubiger den fugitivus selbst einfangen und ihm sein Habe wegnehmen, soweit es für die Begleichung der Schulden erforderlich war.⁶²³ Ansonsten oblag dem Gericht die Verwahrung, Verwaltung, Verwertung des schuldnerischen Vermögens und die Verteilung des Erlöses.⁶²⁴ Mit der durch Haft erzwungenen und vor dem Richter zu erklärenden, später fingierten cessio bonorum verpflichtete sich der Schuldner zugleich unter Eid, seinen künftigen Neuerwerb zur Zahlung an die Gläubiger zu verwenden – hiernach wurde der Schuldner aus der Personalhaft befreit.⁶²⁵ Befand sich der Schuldner indessen auf der Flucht und gelang einem Gläubiger nicht der Zugriff auf den Entfliehenden, wurde sein zurückgelassenes Vermögen vom Gericht inventarisiert und öffentlich versteigert.⁶²⁶

7. Die Anziehungskraft des Salgado de Somoza In der Mitte des 17. Jahrhunderts fand das spanische Konkursrecht mit dem Juristen Francisco Salgado de Somoza (*1591; †1665)⁶²⁷ und seinem berühmten Werk „Labyrinthus creditorum concurrentium at litem per debitorem communem accedit tractatus de libertate beneficiorum“ ⁶²⁸ beachtlichen Einfluss auf die europäischen Partikularrechtsordnungen.⁶²⁹ Auf Salgado de Somoza wird die Idee der Universalität des modernen Konkursprozesses, die vis attractiva concursus, die alle den Schuldner betreffenden Vermögensstreitigkeiten – auch über die Territorialgrenzen der Gerichtsherrschaften hinweg⁶³⁰ – zugunsten eines Verfahrens an sich zog,

 Forster, Konkurs als Verfahren, S. 242 f.  Kohler, S. 24  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 245; Kohler, S. 24  Kohler, S. 25 f.  Kohler, S. 25  das Geburtsjahr ist nicht eindeutig überliefert; hierzu und zur Person s. Forster, Konkurs als Verfahren, S. 7 ff.  hierzu ausführlich Forster, Konkurs als Verfahren, S. 295 ff.  zum historischen Kontext und der finanziellen Krise der spanischen Stände s. Smid, Spanische Straße, S. 498 ff., der auf S. 505 unter anderem darauf hinweist, dass Salgado de Somoza nur das von der Erklärung zur cessio bonorum abhängige Verfahren beschreibt, nicht jedoch die von einem Gläubiger betriebene Zwangsvollstreckung, der weitere Gläubiger beitreten konnten  Dabelow, S. 721 Fn. q; Meili, S. 19

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zurückgeführt.⁶³¹ Gleichwohl gehen die Ansichten der nach ihm geborenen Juristen über Inhalt und Bedeutung seines Werkes sehr auseinander. Ludovici ⁶³² meinte, Salgado de Somoza sei unter den Rechtslehrern, die über Konkurssachen geschrieben haben, „wol fast der grösseste und wichtigste“ und sein Buch „nicht ohne Nutzen zu gebrauchen“, während Gmelin ⁶³³ sein Werk den Ursprung des gemeinrechtlichen Konkursrechts nannte und Koch ⁶³⁴ in ihm „die Hauptautorität für den gemeinrechtlichen Konkurs“ erblickte. Hingegen bezeichnete Puchta ⁶³⁵ ihn als zwar den „ältesten Schriftsteller über Konkurssachen“, der jedoch vielleicht am wenigsten dazu beigetragen habe, aus dem Labyrinth des Konkursrechts zu finden. In die gleiche Richtung gehen die Einschätzungen von Fuchs ⁶³⁶, der seinem Werk einen entscheidenden Einfluss auf das (deutsche) Konkursrecht abspricht und Salgado de Somoza als Autorität nur für die Entscheidung einiger Streitfragen anerkennt, und natürlich von Kohler,⁶³⁷ welcher zwar auf wesentliche Inhalte seines Buches eingeht, dabei aber sehr kritisch dessen Wirkungen auf das gemeine Recht diskutiert. In jüngerer Zeit zeichnete Forster ⁶³⁸ ein differenziertes Bild über das von Salgado de Somoza entworfene Universalverfahren, welches sich von den überkommenen Rechtsinstituten löste und ein eigenständiges, kohärentes normatives Bewältigungsprogramm anbieten wollte. Ausgangspunkt war eine an den kastilischen Gerichten entwickelte Modifikation des bis dahin bekannten und praktizierten Verfahrens der cessio bonorum, die geeignet war, die in der Infamie und Schuldhaft liegenden Nachteile dieses Prozedere zu verdrängen.⁶³⁹ Hiernach leitete der Schuldner das Verfahren durch eine unwiderruflich abzugebende Erklärung extra carcerem ein, sein Vermögen fortan durch das Gericht bzw. durch einen von ihm ernannten Administrator verwalten zu lassen.⁶⁴⁰ Die Verwaltung des Schuldnervermögens war damit nicht mehr (ausschließlich) in die Hände respektive Autonomie der Gläubiger gelegt.⁶⁴¹  Endemann, S. 44; Jaeger, Konkursrecht, S. 2 Fn. 2; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 319 ff.; Smid, Spanische Straße, S. 505  Ludovici, Vorrede § V  Gmelin, S. 3  Koch, Recht der Forderungen, S. 475  Puchta, S. 69 Fn. k  Fuchs, S. 25 Anm. 1; ebenso Seuffert, S. 13 Fn. 1  Kohler, S. 27 ff.; hiergegen Forster, Deutsches Konkursrecht, S. 333 ff.; Smid, Spanische Straße, 492  Forster, Konkurs als Verfahren, passim  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 307 ff.; Smid, Spanische Straße, S. 497  Endemann, S. 41; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 343 ff.; Kohler, S. 28; Smid, Spanische Straße, S. 497  Smid, Spanische Straße, S. 497

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Zudem war der Schuldner verpflichtet, neben dem Verzeichnis seines Vermögens zugleich Aufstellungen über die Namen seiner Gläubiger zu übergeben und deren Richtigkeit zu beschwören.⁶⁴² Der Bestand der gegen den Schuldner gerichteten Forderungen wurde dadurch aber nicht zugestanden, sondern nur Gegenstand der im Konkursprozess aufzunehmenden Ermittlungen über sämtliche das Vermögen und die Verbindlichkeiten des Schuldners betreffenden Verhältnisse, so dass nicht titulierte Ansprüche ebenso Berücksichtigung fanden.⁶⁴³ Trotz der gerichtlichen Verwaltung blieb der Schuldner Eigentümer und (mittelbarer) Besitzer seiner Vermögensgegenstände, er war weiter rechts-, geschäftsund prozessfähig, weshalb die actiones in rem et in personam weiter gegen ihn zu richten waren. Die vis attractiva concursus führte indessen dazu, dass jene Klagen nunmehr ausschließlich vor dem Konkursgericht zu erheben waren, um unter anderem den weiteren Gläubigern die Chance zu geben, ihrerseits Einwendungen zu erheben.⁶⁴⁴ Das Verfahren war mit anderen Worten so konzipiert, dass über den im Zentrum stehenden Schuldner dem Gericht alle zu den Gläubigern und ihren Ansprüchen relevanten Informationen zuflossen, um diese mittels Individual- und Ediktalladungen⁶⁴⁵ für ein unter sich zu führendes Verfahren zusammen zu bringen, welches das gesamte schuldnerische Vermögen erfasste und dessen Ziel die gemeinschaftliche recht- und rangmäßige Befriedigung aus der greifbaren Vermögensmasse war.⁶⁴⁶ Der concursus creditorum wurde damit nicht mehr durch das individuelle Verhalten der Gläubiger ausgelöst, sondern allein durch eine vom Schuldner unwiderruflich abzugebende Erklärung.⁶⁴⁷ Die Gläubiger sollten also nicht mehr oder weniger zufällig durch die Schuldnerkrise aufgeschreckt zusammenlaufen. Vielmehr war beabsichtigt, sie infolge einer vom Schuldner ausgehenden Deklaration gezielt in ein gemeinsam zu absolvierendes, universelles Verfahren einzubinden. Und selbst wenn der zahlungsunfähige Kaufmann das Weite suchte, wurde gerade in seiner Flucht die Abgabe jener Erklärung gesehen und das Verfahren eröffnet.⁶⁴⁸ Diese Fiktion diente ebenso wie die expressis verbis abgegebene Anzeige dem Befriedigungsinteresse aller Gläubiger. Schließlich sollten sämtliche das Schuldnervermögen und Verfahren betreffenden Informa-

 Endemann, S. 42; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 316 ff.  Hellmann, S. 85; Endemann, S. 42; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 312 ff.; Smid, Spanische Straße, S. 497  Kohler, S. 29  Meier, S. 29  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 320  Forster, Vom Schandstein zum Konkursverfahren, S. 14; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 319  Hellmann, Lehrbuch, S. 85; Kohler, S. 30; Meier, S. 28; Forster, Konkurs als Verfahren, S. 312

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tionen gebündelt werden, woraus sich zugleich die Notwendigkeit eines einheitlichen Gerichtstandes des Sachzusammenhangs ergab.⁶⁴⁹ Überdies offenbarte sich eine weitere neue Idee: Mit der eigenen Antragstellung und der Erfüllung der ihm auferlegten Informationspflichten hatte der fallierende Schuldner alles getan, was von ihm angesichts seiner Vermögenskrise rational noch verlangt werden konnte.⁶⁵⁰ Im Gegenzug durfte er die Beibehaltung bzw. Wiederherstellung seiner bürgerlichen Existenz und Ehre erwarten.⁶⁵¹ Mit Smid ⁶⁵² modern ausgedrückt: „Das Verfahren sollte dazu dienen, dem Schuldner die Möglichkeit zu geben, die stigmatisierenden Wirkungen des Konkurses durch Eigenantragstellung abzuwenden.“ Das – gegenüber den andernorts praktizierten, repressiven und schändlichen Verfahren der cessio bonorum – wesentlich Neue, das „novum iudicium super nova“, war der vollständige Verzicht auf die Beuge- oder Schuldhaft und die universelle Kraft eines einheitlichen, unteilbaren und alle Gläubiger erfassenden Verfahrens der Gläubigerbefriedigung.⁶⁵³ Fortan trat der Schuldner seinen Gläubigern vornehmlich als Beteiligter eines Verfahrens zur Haftungsverwirklichung gegenüber und nicht mehr als Objekt und Ziel der Exekution.⁶⁵⁴ Bemerkenswert ist insbesondere die andersgeartete Ausgestaltung des spanischen Konkursverfahrens gegenüber den italienischen Statutarrechten, obgleich beide ihre Wurzeln im römischen Recht hatten. Zur Erklärung weist Meier ⁶⁵⁵ zutreffend auf die unterschiedlichen Ausgangslagen für die jeweilige Rezeption hin: dort, auf dem Apennin, die klar umrissenen, relativ kleinen Geltungsbereiche autonomer Stadtrechte und die damit einhergehende Fixierung auf die urbane Gemeinschaft und Wirtschaft – und da die Erstreckung des Rechts auf ganz anders dimensionierte, weitläufige Territorien und vielfältige Bedürfnisse einer heterogenen kastillischen Landund Stadtbevölkerung. Während sich das italienische Exekutionsrecht auf den städtischen Handels- und Kaufmannsverkehr mit seinen Erwartungen an Flexibilität, Schnelligkeit und Weltläufigkeit konzentrieren konnte, musste das spanisch-kastilische Haftungsrecht zudem und vielleicht sogar primär die agrarwirtschaftlichen Strukturen sowie die Interessen der adligen Stände beachten. Im Kernland des untergehenden spanischen Imperiums wurden durch das Nachlassen der Wirtschaftsleistung nicht nur Kaufleute, sondern und gerade die (Land‐) Adligen, die Handwerker und Händler, die Städte und Klöster insolvent.⁶⁵⁶ Und nicht zuletzt wird die unterschiedliche politische Verfassung und Tradition – hier die vielfältig autonomen, bürgerre-

 Forster, Vom Schandstein zum Konkursverfahren, S. 15, der weiter auf das Problem konkurrierender Gerichtsstände eingeht, insbesondere in Spanien  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 320  Smid, Spanische Straße, S. 498  Smid, Spanische Straße, S. 497  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 309 ff.; Endemann, S. 41; Smid, Spanische Straße, S. 498  Smid, Spanische Straße, S. 505; zum weiteren Verfahrensablauf s. Forster, Konkurs als Verfahren, S. 307 ff. sowie Meier, S. 28 ff.  Meier, S. 33  Smid, Spanische Straße, S. 503

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gierten, liberalen Stadtstaaten, die sich seit dem Hochmittelalter dem Einfluss des Kaisertums und auswärtiger Potenzen zu entziehen versuchten, und dort ein zentral und straff organisierter und von einem König regierter Flächenstaat mit Provinzialverwaltung – Einfluss auf die jeweilige Rechtsentwicklung genommen haben.⁶⁵⁷

Die kastilische Justiz sah sich vor der Aufgabe, mit Blick auf die konkrete wirtschaftliche und politische Verfassung ein maßgeschneidertes Verfahren zu gestalten, welches nicht nur die kaufmännischen Belange, sondern gleichermaßen die spezifischen rechtlichen Strukturen des verschuldeten Adels und seiner Gläubiger berücksichtigte.⁶⁵⁸ Vor diesem Hintergrund war Salgado de Somozas Werk von erheblichem – nach Meinung Kohlers ⁶⁵⁹ verhängnisvollen – Einfluss auf das gemeine Recht.⁶⁶⁰ Über die Positivität der Wirkung seines Buches mag leidenschaftlich gestritten werden. Unabhängig davon, in welcher Weise Salgado de Somozas Werk rezipiert und das von ihm entworfene Verfahren unter anderem wegen seiner Schwerfälligkeit kritisiert wurde, enthielt es doch die überaus bedeutende und wichtige These, mittels eines Gerichtsverfahrens die Stigmatisierung und Pression des Schuldners auch im Interesse der Gläubiger zu vermeiden, so dass jener nicht zur Flucht getrieben wird und die für die Krisenbewältigung nützlichen Informationen zur Verfügung stellt. Jedenfalls fanden Salgado de Somozas Ideen über Frankreich und die Republik Venedig in ganz Europa beachtliche Verbreitung und beeinflussten dort die weitere Rechtsentwicklung.⁶⁶¹ Die Rezeption eines Konkursprozesses, wie er von Francisco Salgado de Somoza in den 1640er Jahren ersonnen worden war, vollzog sich in den deutschen Partikularrechten bereits nach dem Westfälischen Frieden und unter dem Eindruck der katastrophalen wirtschaftlichen Folgen der damit beendeten europäischen Kriege, des Dreißigjährigen Krieges sowie des sich über achtzig Jahre erstreckenden Spanisch-Niederländischen Krieges.⁶⁶²

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit Die Rezeption fremder Rechte und die zunehmende Ausbildung der regionalen Landesherrschaften zu realen Staatsgewalten gab ab dem 16. Jahrhundert in den  Meier, S. 33  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 292 ff.; Smid, Spanische Straße, S. 503  Kohler, S. 32; dem folgend Jaeger, Lehrbuch, S. 10; Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1, 3; hingegen Forster, Konkurs als Verfahren, S. 1 ff. und Smid, Spanische Straße, S. 494  Endemann, S. 40; Meier, S. 59 ff.; Smid, Spanische Straße, S. 494  Forster, Konkurs als Verfahren, S. 297 ff.; Smid, Spanische Straße, S. 494  Smid, Samuel Oppenheimer, S. 584; Kohler, S. 41

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deutschsprachigen Territorien – und parallel zu den Stadtrechten – den Anlass zu vielfältigen Kodifikationen der Landrechte.⁶⁶³ Wie bereits dargestellt, fand die Vollrezeption des römisch-italienischen Rechts ihren Abschluss im 16. und 17. Jahrhundert, ohne dass hierdurch das gemeine (Privat‐) Recht in summa und allgemeinverbindlich für das gesamte Heilige Römische Reich Deutscher Nation gefasst wurde.⁶⁶⁴ Es wurde vielmehr gezeigt, dass diese Entwicklung von der weiteren Anwendung lokalen und richterlichen Gewohnheitsrechts ebenso beeinflusst war.⁶⁶⁵ Endemann ⁶⁶⁶ sah hierin einen Grund, warum es bis zur Verbreitung des Werks Salgado de Somozas im deutschsprachigen Raum kaum rechtswissenschaftliche Literatur gegeben habe, die das Haftungs- und Exekutionsrecht insgesamt behandelte. Die Städte schrieben vielfach ihre althergebrachten Rechtsbücher unter dem individuellen Eindruck der Rezeption auf die dort praktizierenden Juristen fort, so dass sich über die Jahrhunderte geübte Verhaltensmuster weiter erkennen lassen. Gleichwohl wandelten sich infolge der Einwirkungen der Rezeption, die durch das Studium fremder Rechte und das Ansehen der Doctores, durch die Rechtsgutachten der Schöffenstühle und juristischen Fakultäten sowie durch die Besetzung der Gerichte und Ämter mit Rechtsgelehrten befördert wurde, allgemein die Rechtsanschauungen.⁶⁶⁷ Dieser Wandel verlangte nach einer Reformation der bestehenden Rechtsordnungen, um die zahllosen Kontroversen unter den Rechtsgelehrten und Obrigkeiten über das richtige Recht zu kanalisieren und dem neu aufgekommenen Gedanken der Policey im Sinne einer hoheitlichen Fürsorge zum allgemeinen Wohle zu genügen.⁶⁶⁸ Unter dem Eindruck der Rezeption und einhergehend mit dem Aufkommen des Humanismus nördlich der Alpen kam es zunehmend zu Reformationen und (Neu‐) Kodifikationen der einzelnen Stadt- und Landrechte.⁶⁶⁹ Nicht selten wurden dabei fremde Stadt- oder Landrechte als Vorbild für eigene Satzungen und Verordnungen herangezogen oder gar einfach übernommen, wobei immer nur wesentliche, besonders wichtig erscheinende Gegenstände eine Regelung erfuhren und eine

 Schröder, S. 805 und S. 897; Rimmelspacher, S. 20 ff.  mit Ausnahme einiger privatrechtlicher Regelungen in den Reichspolizeiordnungen von 1520, 1548 und 1577 sowie reichsgesetzlicher Regelungen zur Erbfolge, vgl. Schröder, S. 895 sowie Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 2 ff.; Schulte, S. 149; Schildt, Jura 2003, 450 ff.; Laufs, S. 51 ff.; Heger, S. 31  Schröder, S. 895 und S. 897; Meier, S. 54 und S. 57  Endemann, S. 52; Meyer, S. 54  vgl. die sehr ausführliche Darstellung bei Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 9 ff.; Schröder, S. 805 ff.; Schildt, Jura 2003, 450, 451  Schröder, S. 897; Kroeschell, Bd. 3, S. 81 ff.  Heger, S. 31

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erschöpfende sowie konsistente Niederlegung allen Rechts (zunächst) nicht bezweckt war.⁶⁷⁰ Denn das gemeine Recht galt ohnehin subsidiär, soweit die jeweiligen Stadt- und Landrechte (bewusst) keine Normen bereitstellten oder hierauf verwiesen.⁶⁷¹ Seit der frühen Neuzeit kam dem rezipierten römischen Recht als gemeinem Recht in der Form des usus modernus pandectarum besonderes Gewicht im gesamten Reich zu.⁶⁷² So erstaunt es nicht, dass es weite Gebiete ohne in sich geschlossene Rechtsaufzeichnungen gab, in denen „sich eine Flut von Einzelgesetzen findet“, neben denen das ius commune galt.⁶⁷³ Andere Territorien kannten kohärente haftungsrechtliche Regelungen, entweder durch die Kodifikation des gemeinen Rechts oder in der Ausbildung besonderer, eigenständiger Rechtsvorschriften.⁶⁷⁴ Ein für das gesamte Alte Reich⁶⁷⁵ einheitliches Haftungs-, Vollstreckungs- und Konkursrecht hat es – abgesehen von einigen wenigen Normen der vorstehend skizzierten Reichspolizeiordnungen – nicht gegeben und wurde erst nach der Gründung des Deutschen Reichs mit der Einführung der Zivilprozessordnung vom 30. Januar 1877 und der Konkursordnung vom 10. Februar 1877 geschaffen. Es muss deshalb noch einmal erwähnt werden, dass sich in den verschiedenen deutschen Gebieten erst nach und nach und unter dem Eindruck der Gedanken des Absolutismus, des Naturrechts, der Aufklärung und des Vernunftdenkens⁶⁷⁶ sowie einhergehend mit den revolutionären Informationsmöglichkeiten eines effizienten Buchdruckes zueinander ähnliche Verfahrensweisen ausbildeten, die allesamt freilich Instrumente zur Reaktion auf die Flucht des Schuldners enthielten. Auf den folgenden Seiten sollen einige dieser Entwicklungslinien exemplarisch nachvollzogen werden, ohne damit den Anspruch zu erheben, eine chronologisch geordnete und vollständige Rechtshistoriographie zu zeichnen.Vielmehr lassen sich einzelne Tendenzen verfolgen, die im 19. Jahrhundert in die Rechtsetzung des ersten gesamtdeutschen Nationalstaats mündeten.

1. Ausbildung eines Konkursverfahrens nach gemeinem Recht Der Zeitpunkt, ab dem in den deutschen Territorien ein in wesentlichen Punkten ähnliches Haftungsrecht praktiziert wurde, liegt in der Spanne zwischen dem Ende des 16. Jahrhunderts und dem Anfang des 17. Jahrhunderts.⁶⁷⁷ Der von 1618 bis 1648 in den europäischen Landschaften tobende Dreißigjährige Krieg – von Mayer⁶⁷⁸ eingeordnet in die Epoche einer allgemeinen Krise, die sich zu einer Epoche eines all Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 2 ff.; Schröder, S. 898  Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 110 ff., 114 ff. sowie mit Quellenangabe ab S. 125; Schildt, Jura 2003, 450, 455; Heger, S. 31  Wieacker, S. 204 ff.; Kroeschell, Bd. 3, S. 2 ff.; Schildt, Jura 2003, 450, 453; Heger, S. 29  Vollmershausen, S. 53; Meier, S. 79; Schildt, Jura 2003, 450, 454  Meier, S. 79; Vollmershausen, S. 53; Schildt, Jura 2003, 450, 454  Freilich unter anderen verweist Heger, S. 29 auf die historische Bezeichnung des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation in der Zeit vom Wormser Reichstag 1495 bis zur Niederlegung der Deutschen Kaiserkrone durch Franz II. im Jahr 1806 infolge der französischen Aggression, mit der das Alte Reich zugunsten moderner souveräner Territorialstaaten unterging.  Kroeschell, Bd. 3, S.65 ff.  Bayer, S. 49; Seuffert, Konkursrecht, S. 69; Schweppe, S. 10; Kohler, Lehrbuch, S. 32  Mayer, S.49 ff. und S. 65

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gemeinen Krieges mit einem „unerhört zerstörerischen und barbarischen Charakter“ auswuchs und die „aus den dynamischen Instabilitäten der gesellschaftlichen und politischen Ordnung“ in der „Endphase des ideologischen Ringens zwischen Katholizismus und Protestantismus“ gespeist wurde – sowie die sich daran anschließende Depression werden vielfach als weiterer Impuls für die haftungsrechtliche Entwicklung angesehen.⁶⁷⁹ Die kriegsbeteiligten Herrschaften verfügten in ihren Territorien nicht über so effiziente Wirtschaftsordnungen und finanzielle Reserven, um die über lange Zeiträume zum Einsatz kommenden, großen stehenden Heere finanzieren zu können. So ziemlich alle Kombattanten kamen in chronische Geldnot. Friedrich Schillers⁶⁸⁰ Worte „Der Krieg ernährt den Krieg. Gehn Bauern drauf, Ei, so gewinnt der Kaiser mehr Soldaten“ beschreiben das Empfinden, welches sich vielerorts angesichts der permanent drohenden oder vorherrschenden Zahlungsunfähigkeit einstellte. Der Krieg vernichtete jede Prosperität und damit jeden Wohlstand einer grundsätzlich optimistisch orientierten Gesellschaft. Marodierende Söldnerhorden trieben in der Bevölkerung Kontributionen in Geld und Naturalleistungen ein, was mit anhaltender Dauer der Auseinandersetzungen zu willkürlichen Plünderungen, Raub und Mord führte.⁶⁸¹ Durch die Kriegshandlungen, durch die sie begleitenden Beraubungen und durch die damit verursachten Hungersnöte wurden ganze Landstriche verheert und entvölkert, so dass vielfach Vermögenszerrüttungen die Folge waren.⁶⁸² Hinzu kamen erhöhter Steuerdruck, Seuchen und Epidemien, Flucht der Landbevölkerung in die Städte sowie die Behinderung von Gewerbe, Handel und Landwirtschaft,⁶⁸³ die ihrerseits Gegenwirkungen zeigten. Becker⁶⁸⁴ erwähnt in diesen und nachfolgenden Jahren veröffentlichte Schriften, die sich mit der kaufmännischen Moral befassten und vor gefährlichen Falliten, mutwilligen Bancorottirern sowie ihren arglistigen Praktiken warnten. Sicherlich wird so mancher Niedergang in einem mehr oder weniger direkten Zusammenhang mit den politischen Ereignissen und Kriegsfolgen gestanden haben. Jedenfalls benötigten viele Territorien Jahrzehnte, um sich von dieser sozialen und wirtschaftlichen Tragödie zu erholen. Dieser Krieg war die existentielle Katastrophe, die viele Bauern, Händler, Kaufleute, Adlige und Kleriker in den wirtschaftlichen Ruin, in Armut und in den gesellschaftlichen Abgrund stürzte. Infolgedessen nahmen Konkurse zu, so dass ein Bedürfnis nach einem an die vielfach geänderten Verhältnisse angepassten Verfahren bestand.⁶⁸⁵

Vor diesem politischen Hintergrund veränderten sich an den Gerichten die Verfahren zur Haftungsverwirklichung. Auf der traditionellen Grundlage des jewei Schweppe, S. 11; Kori, S. 20; Wengler, S. 14; Kohler, S. 40; Thieme, 100 Jahre Konkursordnung, S. 45; Meier, S. 57  Wallenstein, S. 48  vgl. hierzu die Darstellung von Schmidt, Dreißigjähriger Krieg, S. 91. ff.  Schweppe, S. 11  Schmidt, Dreißigjähriger Krieg, S. 93  Becker, KTS 2003, 3, 13  Meier, S. 57 f.; Schweppe, S. 11

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ligen lokalen Rechts nahm, stimuliert durch die Rezeption des römisch-italienischen-kanonischen Rechts und beeinflusst durch andere Stadt- und Landrechte sowie die theoretischen Schriften der Rechtsgelehrten, eine weitreichend neue Rechtsentwicklung ihren Anfang.⁶⁸⁶ Denn obgleich das jeweilige Haftungsrecht durch lokale und regionale Gebräuche geprägt war, bestanden vielfach Gemeinsamkeiten. Zunehmend setzte sich die Ansicht durch, den concursus creditorum in einem eigenständigen summarischen Verfahren unter weitgehender Herrschaft eines Gerichtes und nach der Inquisitionsmaxime zu behandeln.⁶⁸⁷ Besonderen Eindruck hinterließ das schon beschriebene Werk Salgado de Somozas, dessen Ideen von vielen Praktikern und Rechtsgelehrten aufgenommen und weitergedacht wurden⁶⁸⁸ und welches Gmelin ⁶⁸⁹ als Ursprung des gemeinrechtlichen Konkursrechts rühmte. Dennoch kam der gemeinrechtliche Konkurs als iudicium universale wegen seiner rechtsdogmatischen Anfälligkeit, wegen der mit der vis attractiva concursus verbundenen Komplikationen und wegen seiner praktischen Schwerfälligkeit in Kritik.⁶⁹⁰ Thieme ⁶⁹¹ bezeichnete ihn als unförmig-endlos und gerichtsautoritär, als „Brontosaurus des Zivilverfahrensrechts“. Dieses gemeinrechtliche Konkursverfahren wurde regelmäßig auf Initiative eines oder mehrerer Gläubiger oder des Schuldners eingeleitet. Das Gericht konnte aber auch wegen der im „Interesse des öffentlichen Credits“ begründeten „polizeilichen Verpflichtung“ von Amtswegen (ex officio) einschreiten,⁶⁹² insbesondere wenn es wegen der Flucht des Schuldners und des Fluchtverdachtes Hinweise auf die Zahlungsunfähigkeit gab und deshalb die Eröffnung des Konkursverfahrens zweckmäßig erschien.⁶⁹³ Gleich, auf wessen Initiative hin das Verfahren angestrengt wurde, war fluchtverdächtig derjenige, der weder bewegliche noch unbewegliche Güter besaß, der trotz wiederholter Warnungen nicht zahlte, der eine Sache teuer einkaufte und wohlfeil wieder verkaufte, der oft und hoch spielte, der seine besten Sachen fortschleppte und sein Gewölbe verschlossen hielt.⁶⁹⁴ Als  Bayer, S. 8 und S. 49 ff.; Schweppe, S. 11; Meier, S. 58  Ludovici, S. 18; Schweppe, S. 181; Endemann, S. 66; Seuffert, S. 16; Meier, S. 58 f.  Hellmann, S. 84; Bayer, S. 50; Schweppe, S. 10; Kohler, S. 40; Uhlenbruck, 100 Jahre Konkursordnung, S. 8; Meier, S. 60  Gmelin, S. 3  allen voran Kohler, S. 44; Endemann, S. 68 ff.; Wilmowski, KO, S. 2; Jaeger, Lehrbuch, S. 10; Meyer, S. 74 ff.; Vollmershausen, S. 48 ff.  Thieme, 100 Jahre Konkursordnung, S. 45  Günther, S. 19  Seuffert, S. 14; Hellmann, S. 89; Günther, S. 79; Schmidt, Grundsätze vom Konkurs-Prozess, S. 14; Puchta, S. 265; Endemann, S. 68; Meier, S. 62 m. w. Nachw.; a. A. Bayer, S. 131, der auch in diesem Fall einen Antrag verlangte  Krafft, S. 76

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flüchtig wurde die Person angesehen, die sich der Gegenwart seiner Gläubiger heimlich zu entziehen trachtete, die Wohnung für immer verließ, wobei eine gewisse Zeit zugewartet werden musste, um diesen Umstand einigermaßen sicher beurteilen zu können.⁶⁹⁵ Der so vermutete Fugitivus wurde steckbrieflich gesucht und „in drei Herren Länder“ zu drei Terminen unter Strafandrohung öffentlich geladen, wobei letzteres auch in auswärtigen Zeitungen bekannt gemacht wurde.⁶⁹⁶ Konnte ein Gläubiger den Flüchtigen während des dadurch initiierten Verfahrens festsetzen und vorführen, erlangte er ein Vorrecht bei der Befriedigung.⁶⁹⁷ Selbstredend war die Sequestration des zurückgelassenen beweglichen Vermögens bei Fluchtverdacht möglich.⁶⁹⁸ Mit der Flucht lief der Schuldner Gefahr, dass ihm das beneficium der cessio bonorum versagt wurde.⁶⁹⁹ Dennoch wurde ihm zumindest sicheres Geleit (salvus conductus) zugebilligt, wenn er sich aus einer ersten Furcht vor seinen strengen Gläubigern zunächst sicheren Abstand verschaffte. Da die behauptete Vermögensunzulänglichkeit erst näher zu untersuchen war und durch die bloße Flucht weder eine Verschlechterung noch eine Verbesserung der Situation eintrat, sollten alle Möglichkeiten offen bleiben, die anfangs vermuteten, vermeintlich kriminellen Gründe des Vermögensverfalls durch den Schuldner entkräften zu lassen und eine Einigung mit den Gläubigern herbeizuführen.⁷⁰⁰ Das sichere Geleit wurde durch den Kaiser oder den jeweiligen Souverän (Landesherr, Regierung, Magistrat etc.) gewährt.⁷⁰¹ Wollte der (nichtflüchtige) Schuldner das Verfahren einleiten, begehrte er mit seinem Antrag meist die cessio bonorum,⁷⁰² um in den Genuss der bekannten Wohltaten der Verschonung von Haft⁷⁰³ und Infamie zu kommen. Ein weiteres beneficium wurde dahingehend in Aussicht gestellt, dass der Schuldner das nach der Vermögensaufgabe neu erworbenen Vermögen behalten durfte und nicht den Gläubigern zur Verfügung stellen musste.⁷⁰⁴ Mit der cessio bonorum konnte der Schuldner aber nur das seiner Verfügungsbefugnis unterliegende, eigene Vermögen den Gläubigern überlassen, nicht die bona feudalia, da alle Handlungen, die nicht zum Nutzen des Lehens,

 Krafft, S. 77  Schweppe, S. 59; Krafft, S. 78  Spann, S. 216 unter Hinweis auf das gleichgerichtete bayerische Landrecht  Spann, S. 217  Krafft, S. 79; a. A. wohl Meier, S. 62, die die Flucht als Erklärung der cessio bonorum gelten lässt; Dabelow, S. 679, sah in der Flucht die Preisgabe seines Vermögens zugunsten seiner Gläubiger, ohne dies mit der cessio bonorum in Verbindung zu bringen  Schweppe, S. 59; Krafft, S. 79  Krafft, S. 82  Seuffert, S. 14; Dabelow, S. 677; Günther, S. 20  und auch vom Wechselarrest, während einige Partikularrechte weiter den Wechselarrest gestatteten, hierzu Günther, S. 21  Dabelow, S. 516; Günther, S. 21; Meier, S. 62

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sondern zum Nachteil des Lehnsherrn oder anderer Berechtigter führten, verboten waren.⁷⁰⁵ In einem vorbereitenden (präparatorischen) Verfahren prüfte das Gericht, ob der Schuldner zahlungsunfähig war und ihn mehrere Gläubiger bedrängten.⁷⁰⁶ Während sich die Gerichte anfänglich darauf beschränkten, die Gläubiger ihre Forderungen und die Insolvenz des Schuldners eidlich bekräftigen zu lassen, begannen sie ab dem 18. Jahrhundert, den Vermögenstand des Schuldners inquisitorisch zu ermitteln.⁷⁰⁷ Der Schuldner und gegebenenfalls seine Angehörigen und Hausgenossen mussten ein Vermögensverzeichnis einreichen und dessen Vollständigkeit und Richtigkeit eidlich beschwören.⁷⁰⁸ Darüber hinaus musste der Schuldner während des Verfahrens zugegen bleiben, um notwendige Angaben, Aufklärungen und Nachrichten zu geben.⁷⁰⁹ Zudem waren den Umständen nach vorläufige Sicherungsmaßnahmen zu treffen, wie die Verwahrung, Siegelung und Inventarisierung des schuldnerischen Vermögens, die Beschlagnahme schuldnerischer Forderungen, die Gewährung eines salvus conductus gegen andrängende (Wechsel‐) Gläubiger, die den Schuldner in Arrest nehmen wollten, und die Bestellung eines „interimistischen Curators“. ⁷¹⁰ Neben weiteren Fragen hatte das Gericht gemeinsam mit den Beteiligten vor Eröffnung des Verfahrens zu prüfen, ob durch unter Umständen erzwingbaren Stundungs- oder Nachlassakkord das Konkursverfahren vermieden werden konnte.⁷¹¹ Zudem waren vom Souverän zu gewährende Moratorien (Anstandsbrief, eiserner Brief, literae induciales, dilatoria, respirationis, Quinquennell) in Betracht zu ziehen, in denen sich der Schuldner zu Zwecken einer späteren Gläubigerbefriedigung wirtschaftlich erholen sollte und für deren Dauer er unter Aufsicht der Gläubiger stand.⁷¹² So wurden in deutschen Ländern infolge von Kriegen und Hungersnöten bisweilen für ganze Schuldnerklassen oder Territorien (General‐) Moratorien bewilligt.⁷¹³ Kam es mit dem decretum de aperiundo concursu dennoch zur Verfahrenseröffnung, verlor der Schuldner die Verfügungshoheit über sein Vermögen, auch wenn er die cessio bonorum bereits erklärt hatte.⁷¹⁴

Wie schon in den vorangegangenen Rechtsordnungen wurden die Rechtswohltaten, die mit der cessio bonorum verbunden waren, in aller Regel nur den unschuldig in Unglück geratenen Schuldnern zugestanden.⁷¹⁵ Der Schuldner musste durch

 Dabelow, S. 516; Krafft, S. 33  Hellmann, S. 89; Bayer, S. 127 f.; Seuffert, S. 14; Günter, S. 20; Meier, S. 63 m. w. Nachw.  Seuffert, S. 14  Dabelow, S. 518; Gmelin, S. 49; Krafft, S. 31 ff.; Günther, S. 20; Scholz, 24; Endemann, S. 72; Hellmann, S. 89  Schweppe, S. 59; Scholz, S. 22  Bayer, S. 137 ff.; Dabelow, S. 678; Günther, S. 80  Schweppe, S. 203; Dabelow, S, 553; Schmidt, Grundsätze vom Konkurs-Prozess, S. 10; Günther, S. 15 ff.; Endemann, S. 72; Meier, S. 64  Dabelow, S. 504; Bayer, S. 99; Schweppe, S. 30; Günther, S. 13 f.; Schmidt, Grundsätze vom Konkurs-Prozess, S. 12: Meier, S. 64  Günther, S. 15, der allerdings auch darauf hinweist, dass zunehmend von dieser Praxis abgerückt wurde, bis später Moratorien gänzlich untersagt wurden; Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1, 3  Schweppe, S. 52; Bayer, S. 66 ff. und S. 126; Hellmann, S. 90; Seuffert, S. 14; Endemann, S. 72; Meier, S. 64 m. w. Nachw.  Bayer, S. 65; Günther, S. 20

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schweres und unvermutetes Unglück um sein Vermögen und „in Abfall der Nahrung“ gekommen sein, so dass jenes nicht mehr zur Befriedigung der Gläubiger ausreichte.⁷¹⁶ Namentlich wurden hierunter Krieg, Raub, Brand, schweres Unwetter, Viehseuche, Epidemien, Einbußen bei bösen Schuldnern, Missernten und langwierige Krankheiten verstanden.⁷¹⁷ Waren diese Unglücke nicht offenkundig, hatte der Schuldner ihren Eintritt und Ursache für den Vermögensverfall zumeist zu beweisen; idealiter durch beglaubigte Urkunden.⁷¹⁸ Denn nicht in den Genuss des beneficium cessionis bonorum sollten diejenigen mutwilligen und schuldhaft handelnden Schuldner kommen, die „lieber in den Zech- und Wirthäusern“ sitzen und „von andrer fleisiger und nahrsamer Unterthanen sauren Schweis und Blut sich nähren“ wollten.⁷¹⁹ Ebenso diejenigen, die sich durch unordentliches üppiges Leben, Großmannssucht und betrügerisches Verhalten selbst in die Krise gebracht hatten.⁷²⁰ Die Rechtswohltat der cessio bonorum war landläufig als Hilfe für die Unglückseligen gedacht, nicht jedoch als Freibrief für die fraudatores.⁷²¹ Im Hauptverfahren prüfte das Gericht die angemeldeten Forderungen (Liquidationsverfahren) sowie deren Rang (Prioritätsverfahren) und schritt hiernach zur Gläubigerbefriedigung (Distributionsverfahren).⁷²² Die weiteren Einzelheiten des Verfahrens nach dem gemeinen Recht wurden mehrfach anderweitig ausführlich und treffend beschrieben, sind jedoch für den weiteren Verlauf dieser Untersuchung nicht von Interesse.⁷²³ Hingegen soll, auch wenn nicht zum eigentlichen Konkursverfahren nach heutigem Verständnis gehörend, mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand nicht unerwähnt bleiben, dass als weitere Folge die „Criminalbehörde“ gegen den Schuldner ermitteln konnte, um einen etwaigen „muthwilligen Banquerott“ durch Deckung der Verlegenheit mithilfe von Fälschungen etc. aufzuklären und den Schuldner der körperlichen Bestrafung zuzuführen. Indes war die reine Kenntnis des Schuldners von seiner Insolvenz und dessen Hoffnung, dass sich die Dinge noch zum Guten wenden werden, wohl regelmäßig nicht strafbar. Schließlich ist zu erwähnen, dass ungeachtet der infamia facti der Konkurs nach gemeinem Recht nicht zwingend zum Verlust öffentlicher Ämter, Stellungen und Mitgliedschaften in Zünften und Gilden führte,⁷²⁴ was allerdings die Partikularrechte oftmals deutlich anders normierten.

        

Krafft, S. 24 Schmidt, Grundsätze vom Konkurs-Prozess, S. 14; Krafft, S. 39 Krafft, S 40 ff. Günther, S. 21; Krafft, S. 52; Dabelow, S. 516 Günther, S. 21; Krafft, S. 52 ff.; Dabelow, S. 516 Krafft, S. 53; Schmidt, Grundsätze vom Konkurs-Prozess, S. 14 Meier, S. 65 vgl. hierzu beispielsweise die Darstellung bei Seuffert, S. 15 ff.; Meier, S. 62 zu alledem Schweppe, S. 59 ff.

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

2. Exemplarische Regelungen in den neuzeitlichen Stadtrechten Neben oder zusätzlich zum gemeinen Recht sahen nach wie vor die lokal geltenden Stadtrechte spezifische Normen vor, wie mit dem Falliment und den damit verbundenen Wirkungen zu verfahren war. Beispielsweise lässt sich immer wieder feststellen, dass typischerweise die Flucht des Schuldners nach den neuzeitlichen Stadtrechten der Auslöser für die Ingangsetzung eines Verfahrens der Haftungsverwirklichung war. Vielerorts wurden den Falliten und Bankrotteuren zudem spezielle Satzungen gewidmet, woraus sich gewissermaßen die Bedeutung des Niedergangs einzelner Schuldner für die städtischen Wirtschaftsordnungen ermessen lässt. Drei dieser Stadtrechte werden nachfolgend unter den Gesichtspunkten der Schuldnerflucht und personalexekutiver Maßnahmen in Ausschnitten kurz vorgestellt.

a) Der Stat Nürnberg verneute Reformation von 1564 Die Stadt Nürnberg, im Mittelalter der Ort, an dem aufgrund der Bestimmungen der von Kaiser Karl IV. (*1316; †1378) erlassenen Goldene Bulle jeder neu gewählte deutsche Kaiser den ersten Reichstag nach seiner Wahl abhalten sollte, in dem die Reichsinsignien aufbewahrt wurden und der mit einer Vielzahl von Markt-, Münz-, Zoll- und Steuerprivilegien ausgestattet war, erlebte im ausgehenden 15. Jahrhundert den Beginn ihrer wirtschaftlichen und kulturellen Blüte, so dass sie in der Zeit zwischen 1470 und 1530 neben Köln und Prag zu einer der größten Handelsstädte und zu einem Zentrum des europäischen Handels und der metallurgischen Waffenproduktion des Heiligen Römischen Reiches wurde.⁷²⁵ Der Rat der Freien und Reichsstadt Nürnberg, der von führenden Kaufmannsfamilien dominiert wurde, fasste 1564 mit der „verneute Reformation“ das dortige Stadtrecht neu. Die Kontinuität dieses Stadtrechts zeigt sich darin, dass es in den Jahren 1594 und 1755 wiederholt gedruckt und publiziert wurde.⁷²⁶ Unter dem Titel 11 finden sich Vorschriften über die Vollstreckung ergangener Urteile. Nach dem dortigen VI. Gesetz konnte der verurteilte und festgesetzte Schuldner auf Gläubigerantrag zunächst „in die Eysen“ genommen und nach drei Tagen in den Schuldturm geführt werden, so er nicht über ausreichendes Vermögen zur Befriedigung des vollstreckenden Gläubigers verfügte. Dort war der  zur wirtschaftshistorischen Entwicklung Nürnbergs seit dem Mittelalter s. Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels, S. 656 ff.  hier fortan zitiert aus dem vom Universitäts-Buchhändler Lorenz Schüpfel verlegten, unveränderten Nachdruck des Jahres 1755

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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Schuldner solange bei der „notdurft des Prots und Wassers“ zu halten, bis der Gläubiger wegen aller Forderungen und Kosten befriedigt wurde. Betrug die Schuld nicht mehr als einhundert Gulden, musste der Schuldner bis zu fünf Jahre, bei einer darüber hinausgehenden Schuld längstens 10 Jahre im Schuldturm verbringen, „alsdann zu ausgang desselben iar, aus dem Thurn gelassen werden, auch hinfüro derselben schulden halb gefreit und ledig sein.“ Alternativ konnte dem Schuldner ein eidlicher Schwur auferlegt werden, sich solange fünf Meilen von der Stadt oder seinem ländlichen Anwesen entfernt zu halten, bis er den Gläubiger zufrieden stellte. Zudem hatte er zu schwören, dass er „ausserhalb der Klaider die Er an hat“ kein Vermögen besitze „und weder ligende oder varende güter noch anders hab, davon der gläubiger bezahlt werden möchte, Und ob Er uber kurz oder lang, zu pesserm glück oder narung kommen würde, das Er den gläubiger vergnügen wolle, getreulich und on geuerde.“ ⁷²⁷ Widersetzte sich aber der Schuldner einem solchen Eid, war er in den Schuldturm zu führen oder darin so lange zu verwahren, bis er den Eid geleistet hatte. Unter dem Titel 12 „Von trünnigen oder flüchtigen Schuldnern, und wie gegen iren Personen und gütern, gehandelt und Exequirt werden soll“ notierte das Nürnberger Stadtrecht spezielle Vorschriften, die in Zusammenhang mit der schuldnerischen Flucht standen. Im dortigen I. Gesetz wurde definiert, welche Personen für „trünnig“ angesehen wurden. Ergriff der Schuldner die Flucht oder machte ein solches Gerücht die Runde oder verbarg er sich oder hielt er ohne bekannten Grund seine Gewölbe und Läden geschlossen oder schaffte er Güter weg, konnten die Gläubiger hierüber Anzeige beim Bürgermeister unter Vorlage einer Bescheinigung ihrer Forderungen machen, um das Konkursverfahren einzuleiten.⁷²⁸ Zudem hatten zwei oder mehrere glaubwürdige Personen die Flucht oder das Fluchtgerücht mit der Folge zu bestätigen, dass der Schuldner für „trünnig“ erkannt wurde.⁷²⁹ In der Folge konnte es nach dem II. und III. Gesetz zur Verhängung eines Arrestes auf das schuldnerische Vermögen, des Weiteren zur öffentlichen Aufforderung, weiteres schuldnerisches Vermögen bei der Obrigkeit abzuliefern, sowie zur eidlichen Befragung von Hausfrau, Kindern und Bediensteten des Schuldners kommen. Auch andere Personen waren nach dem Verbleib des schuldnerischen Vermögens sowie dessen Rechnungen, Handelsbücher und weiterer Papiere zu befragen und hatten bei Strafandrohung und unabhängig von sonstigen Pflichten und Verwandtschaftsgraden wahrheitsgemäß auszusagen.

 Das Wort „geuerde“ oder „geverde“ steht für Betrug, List, Gefährde, Verheimlichung, böse Absicht; s. DRW: Gefährde.  Schmidt, Grundsätze vom Konkurs-Prozess, S. 9 und S. 14  Kohler, S. 36

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Hatte jemand gar Teile des schuldnerischen Vermögens zu Lasten der Gläubiger entzogen, wurde er peinlich oder durch Stadtverweisung bestraft und musste Wertersatz leisten. Verhalf hingegen die Ehefrau dem Schuldner zur Flucht oder unterstützte sie ihn beim Verbergen seines Vermögens, hatte sie für dessen Verbindlichkeiten einzustehen. Der geflohene Schuldner konnte nach dem VI. Gesetz beim Magistrat aber auf ein sicheres Geleit zum Zwecke von Vergleichsverhandlungen mit seinen Gläubigern antragen. Führten die Verhandlungen zum Erfolg und offenbarte sich, dass der Schuldner durch unverschuldetes Unglück in den Ruin geraten war, durfte er wieder in die Stadt kommen und blieb in seiner persönlichen Integrität unbeschädigt. Hierfür musste er eine ordentliche Bilanz seiner Kreditoren und Debitoren vorlegen und mittels seiner Haupt- und Handelsbücher nachweisen.⁷³⁰ Grundsätzlich war zwar kein Gläubiger nach dem VII. Gesetz zu einem Vergleich gezwungen. Indes wurde nach dem VII. Gesetz die Gläubigerminorität zur Annahme eines Vergleichsangebots verpflichtet, mit dem eine längstens fünfjährige Stundung sowie ein Teilerlass der Verbindlichkeiten erfolgen sollte. Die Gläubigerminorität musste in diesem Fall jedoch keine Abstriche an ihren Forderungen hinnehmen und konnte für die Dauer der Stundung Sicherheit für ihre Forderungen verlangen. Blieb der Schuldner jedoch auf der Flucht, durfte ihn jeder Gläubiger ergreifen und „in ains Raths Fronvest und Verwahrung“ übergeben. Die dem Verfolger hierfür entstandenen Kosten waren ihm „von des flüchtigen Gütern“ zu erstatten. Der fallitus fugitivus war nach dem IX. Gesetz wie ein Dieb zu bestrafen und selbst für den Fall eines Vergleiches sollte er „aller seiner Eern und Empter entsetzt, auch hinfüro zu keinen eerlichen sachen gepraucht werden.“

b) Hamburgisches Fallitenrecht Das mittelalterliche Hamburger Stadtrecht hatte seinen Ursprung in dem im Sachsenspiegel aufgezeichneten sächsischen Recht sowie in den Magdeburger Rechten und war im Gegensatz zu den süddeutschen Stadtrechten zunächst nicht dem Einfluss der Rezeption römischen Rechts ausgesetzt.⁷³¹ Das auf Drängen der Bürgerschaft von Revisoren überarbeitete Hamburger Stadtrecht aus dem Jahr 1603 war weiterhin dem sächsischen Recht (insbesondere der Kursächsischen Konstitutionen von 1572) und teils dem Nürnberger Stadtrecht sowie dem Lübecker

 Krafft, S. 81 f.  Conring, S. 188 m. w. Nachw.; Wieacker, S. 191; einen Überblick gibt Reincke, ZHambG 29 (1928), 219 ff.

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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Stadtrecht nachgebildet und normierte im TITULUS XLIII. des 1. Teils unter der Überschrift „Von Bancorotirern vnd flüchtigen Schuldenern / und wie gegen ihre Personen und Güter gehandelt und procedirt werden sol“ den Konkurs abweichend vom ius commune. ⁷³² Das Vermögen des Flüchtigen wurde umgehend arretiert, die Hausgenossen eidlich befragt und der Schuldner konnte für mit den Gläubigern zu führende Verhandlungen für die Dauer von 14 Tagen sicheres Geleit erhalten, um „sich mit denselben zu vertragen“. Vorrangig sollte die Vermögenskrise mithin durch Vergleich, erforderlichenfalls durch Zwangsvergleich bewältigt werden.⁷³³ Nur wenn es bei bestem Willen nicht zum Akkord kam, waren die Gläubiger ermächtigt, Hab und Gut des flüchtigen Schuldners einzuziehen und ihn zwecks Verhaftung zu verfolgen. Diese die Abneigung gegenüber einem förmlichen Konkursverfahren ausdrückenden Normen finden sich in der Neuen Falliten-Ordnung vom 31. August 1753 wieder, die mit Ergänzungen bis zur Konkursordnung von 1877 galt.⁷³⁴ Ein präparatorisches Verfahren zur Untersuchung des Eintritts des Konkurses war nicht vorgesehen. Vielmehr ordnete Art. 1 an, jemanden widerlegbar⁷³⁵ als „pro fallito“ unter anderem dann zu betrachten, wenn er nicht gepfändet werden kann, „FreyZettel, Schulden halber, auf ihn erkannt sind“, er sein Habe zur Fälligkeit „heimlich wegbringt … oder sonst durch andre Umstände zur rechtlichen Vermuthung einer Insolvenz begründeten Anlaß giebet“. ⁷³⁶ Unter „Frey-Zettel“ sind Erlaubnisscheine zu verstehen, die es dem Gläubiger gestatteten, wegen nicht beglichener Schulden den Falliten in Haft nehmen zu lassen.⁷³⁷ Der Umstand, dass mehrere solcher Zettel existent sind, begründete die Vermutung der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners. Dem schloss sich ein sehr strukturiertes Verfahren an, in welchem die Sache ebenfalls mittels Akkord zügig erledigt werden sollte.⁷³⁸ Nur wenn dies scheiterte, sahen die weiteren Vorschriften einen Konkursprozess vor, der jedoch „seit Menschengedenken nicht mehr zur Anwendung gelangt“ sei.⁷³⁹ Ein vom Gericht zu

 Vollmershausen, S. 201; die Normen galten auch für den Nachlass des verstorbenen Schuldners; der Text ist abgedruckt in einer vom Bürgermeister und Rat der Stadt Hamburg im Jahr 1680 unter dem Titel „Der Stadt Hamburg Statuta und Gerichts Ordnung“ verlegten Publikation  Kohler, S. 38  abgedruckt und erläutert durch Hasche, passim; Kohler, S. 38; Ackmann, S. 12; Vollmershausen, S. 208  Hasche, Bd. 1, S. 61 ff.  Meier, S. 80; Vollmershausen, S. 208  Hasche, Bd. 1, S. 123  Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1, 3; Vollmerhausen, S. 209  Vollmershausen, S. 209

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

bestellender Verwalter hatte die Masse zu sichern und zu verwahren. Der Schuldner war nach Art. 9 verpflichtet, sein Vermögen zu offenbaren und die Richtigkeit seiner Angaben zu beeiden. Verweigerte der Fallit die Eidesleistung, insbesondere weil er flüchtig war, ging er nach Art. 14 aller in Aussicht stehenden Rechtswohltaten verlustig und lief zudem Gefahr, solange mit Hausarrest belegt zu werden, bis die „nähere Untersuchung der Ursache seiner Widerspenstigkeit“ erfolgte. Hingegen wurde dem mitwirkungswilligen Schuldner sicheres Geleit für die Abgabe des Eides sowie für die Dauer der Verhandlungen mit den Gläubigern und des Konkursverfahrens gewährt, solange er seinen weiteren Pflichten nachkam.⁷⁴⁰ Der flüchtige Schuldner war zur Verhandlung zu laden und gemäß Art. 15 auf Verlangen der Kuratoren gegebenenfalls mit Steckbriefen zu suchen.⁷⁴¹ Zudem mussten dessen Familienangehörige und Gesinde Auskünfte über das Vermögen geben und die Richtigkeit durch Manifestationseid beschwören. Andernfalls drohten den nahen Angehörigen Gefängnisstrafe „auf Wasser und Brodt“ sowie den weiteren Personen Geldstrafen.⁷⁴² Nach Art. 16 der Hamburger Fallitenordnung machte sich der fallitus fugitivus durch seine Flucht zum „boshaften Schuldner“. Obgleich er sich dadurch nicht für einen salvus conductus würdig erwies, gestattete Art. 16 auf „der Curatorum bonorum Begehren, zum Besten der Massae“ dem Flüchtigen dennoch ein sicheres Geleit für die Dauer von zwei, drei oder mehr Monaten. Der Geleitbrief war am Rathaus anzubringen und dem flüchtigen Schuldner entweder mitzuteilen oder in den Zeitungen zu veröffentlichen.⁷⁴³ Folgte der Fugitivus dem Angebot, so konnte er alle Rechte und Vorteile erwarten, welche die Fallitenordnung vorsah. Ziel war es, mit dem fallitus fugitivus an die erforderlichen Informationen zu kommen, die für die bestmögliche Ermittlung des Umfangs der Masse erforderlich waren.⁷⁴⁴ Schlug er das Angebot eines freien Geleits aber aus, so sollte er auf das Eifrigste verfolgt werden. Mit Steckbriefen wurde er unter Benennung seines vollen Namens gesucht, als entwichener Betrüger in öffentlichen Zeitungen tituliert und als boshafter Fallit „auf einem dazu zu verfertigenden schwarzen Brette, mit großen Buchstaben“ an der Börse ausgerufen. Ziel war es dabei immer noch, den fallitus fugitivus in Arrest zu nehmen,⁷⁴⁵ um gleichwohl an die begehrten Informationen zu gelangen.

     

Hasche, Hasche, Hasche, Hasche, Hasche, Hasche,

Bd. 1, Bd. 1, Bd. 1, Bd. 1, Bd. 1, Bd. 1,

S. S. S. S. S. S.

355 ff. 363 ff. mit Wiedergabe des Textes einer Edictalladung 358 360 unter Wiedergabe des Textes eines solchen Geleitbriefes 366 362

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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Die Hamburgische Fallitenordnung gewährte in einer gewissen Weise Restschuldbefreiung und unterschied hierzu in Art. 101 zwischen dem bösartigen und vorsätzlichen Schuldner, dem leichtsinnigen Schuldner und dem unglücklichen Schuldner.⁷⁴⁶ Zu den vorsätzlichen und boshaften Falliten wurden nach Art. 102 unter anderem diejenigen gerechnet, die trotz der Möglichkeit der vollständigen Gläubigerbefriedigung „ihre Güter verhehlen, die Bücher an die Seite bringen, und wohl gar mit großen Summen Geldes davon laufen.“ Hierzu zählten ferner die Falliten, welche ihre Bücher fälschten, durch „üppiges, wollüstiges Leben, Spielen, und dergleichen, ins Verderben stürzen“ und kostbare Gebäude mit prächtigen Möbeln und herrlichen Gärten errichteten, sich Kutschen und Pferde zulegten und „ihren Frauen und Kindern die reichsten Juweelen und theuersten Spitzen und Kleider gegeben“ hatten. Ein boshafter Fallit war auch der, der während der Untersuchung seiner Vermögensverhältnisse durch die Kuratoren eidbrüchig wurde und davonlief, sowie der, der zum Zeitpunkt seiner Flucht seine Bücher und Journale nicht in guter Ordnung hatte.⁷⁴⁷ Freilich konnten diese bösartigen und vorsätzlich handelnden Schuldner keine positiven Erwartungen an ihre Behandlung hegen. Sie wurden nach Art. 103 „mit Gefängnis zu harter Arbeit, ewiger Verfestung, und mit anderer infamirender Leibes-Strafe belegt“. Gegen die flüchtigen Schuldner wurde ein Ungehorsamsverfahren eingeleitet, nach dessen Ende die Schandglocke über sie geläutet werden sollte. Zudem blieben sie für alle Schulden uneingeschränkt haftbar. Der leichtsinnige Schuldner war der sich unverantwortlich und fahrlässig betragende und daher ernstlich anzusehende. Hierunter waren nach Art. 104 die gefährlichen Spekulanten zu verstehen, die sich in sehr risikoreiche Geschäfte verstrickten, die „ohne Assekuranz, ihr Vermögen weit übersteigende Summen der See und Ungewitter“ anvertrauten, die ihre Bücher nicht ordentlich führten und die trotz Rückgangs ihrer Geschäfte sich nicht einschränkten und ihre gewohnte Lebensart beibehielten. Diese leichtsinnigen Schuldner hatten gemäß Art. 105 zwar keine peinliche Bestrafung, wie für die boshaften Falliten vorgesehen, zu befürchten, soweit sie ansonsten den ihnen nach der Fallitenordnung auferlegten Pflichten genügten. Sie wurden aber aller Ehrenämter und publiker Stadtdienste unwürdig sowie unfähig, den Mäklerberuf auszuüben. Ihren Frauen und Kindern war es bei schwerer Strafe verboten, Juwelen und seidene Kleider zu tragen, andernfalls konnten diese ihnen von den Gerichtsbedienten abgenommen werden. Des Weiteren mussten sie, je nach den Umständen des Einzelfalles, einige Zeit (meist sechs Monate) auf dem Winser-Baum, einem Gefängnis, auf Kosten der

 Uhlenbruck, DZWIR 2007, 1, 3  Hasche, Bd. 3, S. 92 ff.

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Stadt eine Haft in Ketten absitzen.⁷⁴⁸ Schließlich blieben sie ihren Schulden zumindest solange verhaftet, bis sie ihren Gläubigern eine Mindestquote zwischen 40 % bis 80 % bieten konnten. Hiernach wurden sie von den restlichen Verbindlichkeiten frei. Kam der Schuldner nach fünf Jahren oder später „zu besserem Glück“, verstand es Art. 105 der Fallitenordnung als Ehrenpflicht, die Verbindlichkeiten nachträglich entsprechend zu berichtigen.⁷⁴⁹ Solange war dem Schuldner jedoch jede weitere Prachtentfaltung wie Equipage, Livree-Bediente sowie das Eigentum an Haus und Garten untersagt.⁷⁵⁰ Geriet indes der unglückliche Schuldner unverschuldet in die Krise, wurde ihm nach Art. 107 die Wohltat der cessio bonorum mit anschließender Befreiung der restlichen Schulden zugebilligt.⁷⁵¹ Art. 106 der Fallitenordnung definierte die unglücklichen Schuldner als diejenigen, welche durch fatale Umstände wie anderer Leute Bankrotte, Wasser- und Feuerschäden oder anderweitiges Unglück trotz ihres Fleißes in Vermögensverfall gerieten, sich dieser Zustand nicht durch zu großen Lebensaufwand verschlimmert hatte und die ihre Bücher in gehöriger Richtigkeit führten. In diesen Fällen wurden die Unglücklichen nach der Aufgabe ihres Vermögens zugunsten der Gläubiger sowie eidlicher Versicherung nicht nur von allen Verbindlichkeiten frei, die nicht durch das überlassene Vermögen gedeckt werden konnten. Überdies durften sie die notwendigen Kleider für sich, ihre Frauen und Kinder, ihre Betten und Möbel sowie ihre Mäkler- und Stadt-Dienste behalten. Zudem wurden sie bei künftig zu vergebenden Stadt-Diensten bevorzugt und durch die Stadt überhaupt „mit einer Beyhülfe zum Wiederaufkommen“ unterstützt. Allerdings verloren auch die unglücklichen Schuldner ihre Ehrenämter. Die im Hamburger Fallitenrecht vorgenommene Unterscheidung in bösartige und vorsätzliche, leichtsinnige und unglückliche Schuldner wurde mit § 13 des Hamburger Einführungsgesetzes zum Strafgesetzbuch vom 30. April 1869 beseitigt. Fortan bestand eine unbeschränkte Haftung bei Verurteilung wegen betrügerischen Bankrotts sowie bei seiner „Entweichung“, während die übrigen Schuldner eine Restschuldbefreiung nur noch in der Weise erlangen konnten, wie sie zuvor für einen leichtinnigen Schuldner vorgesehen war.⁷⁵² Die Haftungsprivilegierung des „unglücklichen Schuldners“ kam vollständig zum Wegfall.⁷⁵³

     

Hasche, Bd. 3, S. 111 ff., S. 131 Ackmann, S. 11; Eckhardt, S. 7 Hasche, Bd. 3, S. 122 ff. Ackmann, S. 11; Eckhardt, S. 8 Seuffert, S. 387 (Fn. 16); Ackmann, S. 12 Seuffert, S. 387 (Fn. 16); Ackmann, S. 12

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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c) Frankfurter Falliten-Ordnung von 1708 Den Unmut der Stadtväter über Konkurse lässt die Vorbemerkung der Frankfurter Falliten-Ordnung von 1708⁷⁵⁴ erkennen. Sie sahen in den „muthwilligen Banquerottirer und Falliten … so Christen als Juden“ boshafte Betrüger, „ärger als Diebe“, die ihr Unwesen zum Nachteil ehrlicher Bürger und des öffentlichen Kredits trieben. Demnach verpflichteten sie jeden Schuldner in Ziffer I, von sich aus und sofort seine Zahlungsunfähigkeit bei Gericht oder dem Schöffenrat unter Vorlage aller Urkunden und Beweise der Unschuld anzuzeigen. Jedoch für den Fall der Flucht sollte der Schuldner öffentlich und mit Compassbriefen an allen Orten, an denen er sich vermutlich aufhielt, geladen werden (Ziffer III). Verstieß der Schuldner gegen die Anzeigepflicht oder flüchtete er, sollten „Laden und Gewölb ohne Anstand versperret, Geld, Güter, Waaren, Handels-Bücher und Brieffschaften in Beschlag genommen“ und verwahrt werden (Ziffer IV). Reichten die hinterlassenen Vermögenswerte nicht zur Befriedigung der Gläubiger und konnte man des Schuldners habhaftig werden, war er nach Ziffer VII inquisitorisch zu seinem Lebenswandel zu befragen, insbesondere, ob er durch Unglück in den „Abgang der Nahrung und Verderben gekommen“ war.Wenn ihm aber Nachlässigkeit, „prächtige Haushaltung“, „wollüstiges Leben“, Leichtfertigkeit oder Hinterziehung von Vermögen nachgewiesen werden konnte, musste er sich der Infamie, dem Verlust „ehrlicher Aemter und Gesellschaften“ sowie drastischer Leibes- und Zuchtstrafen vergegenwärtigen (Ziffer VIII bis XI). Auch sollte der Flüchtige nach Ziffer XII kein sicheres Geleit erwarten können, wenn er wegen eines Vergleiches Verhandlungen mit den Gläubigern aufnehmen wollte. Der fallitus fugitivus sollte sich durch seine Flucht nicht in die komfortable Situation bringen können, eine Enthaftung im Wege des Vergleiches zu initiieren. Ohnehin musste der Akkord genau den Anforderungen der Frankfurter Reformation von 1611 und ihrer Erneuerung von 1631 genügen, um anerkannt zu werden (Ziffer XIII). Überdies schien es eine Sache der Ehre und „wider die christliche Liebe“ gewesen zu sein, wenn der Schuldner zahlungsunfähig wurde, so dass der Schuldner zum Schutz Dritter von Markt und Messe verbannt werden konnte.⁷⁵⁵ Auch wegen des Verfahrens der cessio bonorum verwies die Falliten-Ordnung auf die Frankfurter Reformation von 1611 und ihrer Erneuerung von 1631. Schließlich stellte die Falliten-Ordnung in Aussicht, fürderhin gegen solche Betrüger mit Eifer und Nachdruck zu verfahren und die angesetzten Strafen weiter zu schärfen:

 abgedruckt bei Beyerbach ab S. 226  Vollmershausen, S. 123

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

„Wonach sich jeder zu richten, und für Schimpff und Bestraffung zu hüten wissen wird.“ ⁷⁵⁶

3. Der flüchtige Schuldner im sächsischen Haftungsrecht Ebenso wie die Mehrheit der überkommenen Stadtrechte stützten sich die neuzeitlichen Landrechte einstweilen noch auf das Prioritätsprinzip des ersten Gläubigerzugriffs.⁷⁵⁷ Erst nach und nach bildeten sich in den Rechtsbüchern und Kodifikationen der deutschen Landesherrschaften Regelungssysteme aus, die auf die schuldnerische Vermögenskrise je nach Situation punktuell oder universell und alle Gläubiger erfassend reagierten. Dabei wurden vielfach Versuche unternommen, die bekannten Nachteile des gemeinrechtlichen Verfahrens durch Reformen zu beseitigen.⁷⁵⁸ Waren diese Reformen zunächst darum bemüht, das geltende Recht in ein System zu ordnen und zuweilen neu zu gestalten, um Zweifel auszuräumen und Widersprüche aufzulösen, strebten die aufgeklärten absolutistischen Gesetzgeber alsbald eine tiefgreifende inhaltliche Veränderung des Rechts nach Vernunftprinzipien an.⁷⁵⁹ Diese Rechtsakte waren für einen Großteil der deutschsprachigen Bevölkerung von Bedeutung, bauten doch die Herrscher ihre Rechtsmacht immer stärker aus und erstreckten diese zunehmend auf die Städte. Auf den folgenden Seiten werden die haftungsrechtlichen Entwicklungslinien in den drei großen deutschen Territorien Sachsen, Bayern und Preußen vor der Reichseinigung im Jahr 1871 und den kurz darauf in Kraft getretenen Reichsjustizgesetzen mit Blick auf die Auswirkungen der schuldnerischen Flucht ausschnittsweise nachgezeichnet. In ihnen lassen sich Ansätze erkennen, die in der jüngeren Konkursrechtsgeschichte weiterverfolgt werden können.

a) Die ältere chursächsische Prozess-Ordnung vom 28. Juli 1622 In den verschiedenen sächsischen Territorialherrschaften fand überwiegend das gemeine sächsische Recht Anwendung.⁷⁶⁰ Die Rezeption des römisch-kanonischen

 Beyerbach, S. 229  Hellmann, Lehrbuch, S. 53 ff., S. 75; Seuffert, S. 10 ff; Uhlenbruck, 100 Jahre Konkursordnung, S. 9; Meier, S. 54  Meier, S. 79  Kroeschell, Bd. 3, S. 65 ff.  Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 4 ff.; zum Geltungsbereich sächsischen Rechts s. Vollmershausen, S. 127

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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Rechts und anderer fremder Rechte erfolgte dort spät und nur im geringen Umfang.⁷⁶¹ In den bereits erwähnten kurfürstlichen sächsischen Konstitutionen von 1572 schlug sich deshalb überwiegend einheimisches Recht nieder.⁷⁶² Womöglich aus diesem Grund finden sich in den kursächsischen Konstitutionen keine speziellen Regelungen für einen concursus creditorum.⁷⁶³ Haftungs- und insbesondere konkursrechtliche Regelungen enthielten indes die ältere chursächsische Prozess-Ordnung vom 28. Juli 1622, die sogenannte Resolutio gravaminum vom 22. Juni 1661, das Mandat wider die Banqueroutiers vom 7. Januar 1724, die erläuterte sächsische Prozessordnung vom 10. Januar 1724, das Geschärfte Mandat wider die Banquerouteur vom 20. Dezember 1766 sowie das Gesetz vom 8. Juli 1868 einige Bestimmungen über den Concurs der Gläubiger betreffend.⁷⁶⁴ Die Titel XXXIX bis LII der älteren chursächsischen Prozess-Ordnung vom 28. Juli 1622 versprachen in umfassenden Regelungen die Haftungsverwirklichung durch Vollstreckung gegen die Person des Schuldners und dessen Vermögen.⁷⁶⁵ Konkret befassten sich die Titel XXXIX bis XL mit der Exekution (Hülffe) in die „Fahrniß, Erb- und Lehngüter, sowohl wider des Schuldners Person“, die ein abgestuftes Vollstreckungskonzept erkennen lassen. Im Titel LI wurde das Arrest- und Kummerverfahren und im Titel LII unter der Überschrift „Wie des Schuldthurms halben wider den Schuldner zu procediren“ das Verfahren der Personalexekution notiert, mit dem letztlich die Vorgängerregeln der kursächsischen Konstitutionen von 1572 bestätigt wurden.⁷⁶⁶ Ab Titel XLI finden sich Vorschriften, wie „die Gläubiger ihrer Schulden nacheinander bezahlet werden sollen“. Nach der kursächsischen Prozess- und Gerichtsordnung von 1622 war es dem Gläubiger gestattet, notfalls mit Gewalt den flüchtigen Schuldner mit seiner Habe festzuhalten.⁷⁶⁷ Denn derjenige, der den fallitus fugitivus zuerst ergriff oder dessen Vermögen zuerst gerichtlich beschlagnahmen ließ, genoss gemäß Titel XLVIII und LI der 1622er Prozessordnung das (dingliche) Recht der vorrangigen Befriedigung.⁷⁶⁸ Das im sächsischen Haftungsrecht tief verwurzelte und durch „Arrestnormen“ ausgebaute Prioritätsprinzip behielt damit im Vergleich zum gemeinen  Kisch, S. 170; Schildt, Jura 2003, 450, 455  Schildt, Jura 2003, 450, 455  Wengler. S. 14  Hahn/KO, S. 442; Wengler, S. 18  Die ältere chursächsische Prozess-Ordnung vom 28. Juli 1622 ist gleichzeitig mit den Erweiterungen und Erläuterungen der erläuterten sächsischen Prozessordnung vom 10. Januar 1724 bei Schaffrath ab S. 663 und bei Freiesleben ab S. 66 abgedruckt.  Kisch, S. 176  Hellmann, S. 81  Freiesleben, S. 213 und S. 216 ff.

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Recht und zu anderen Partikularrechten des sächsischen Rechtskreises für einen deutlich längeren Zeitraum seine Bedeutung und wich erst nach und nach dem Gedanken der par conditio omnium creditorum. ⁷⁶⁹ Im Wettlauf mit seinen Konkurrenten war der Gläubiger noch immer gehalten, unverzüglich dem flüchtenden Schuldner nachzustellen, um dingliche Rechte an dessen Habe zwecks eigener vorrangiger Befriedigung zu erlangen. Die chursächsische Prozess-Ordnung vom 28. Juli 1622 blieb mithin dem Prioritätsprinzip im Wesentlichen treu, auch wenn sie bereits einige konkursrechtliche Regelungen für eine Mehrzahl den Schuldner bedrängender Gläubiger normierte.⁷⁷⁰

b) Die Resolutio gravaminum vom 22. Juni 1661 Knapp 40 Jahre später weichte die „Erledigung derer in Anno 1653 und 1657 bey gehaltenen Landes-Zusammen-künfften, von der Landschafft des Churfürstenthums Sachsen übergebenen Gebrechen (Resolutio gravaminum) publicirt den 22. Junii A. 1661“ das Prioritätsprinzip des sächsischen Haftungsrechts erstmals auf.⁷⁷¹ In dieser Entscheidungssammlung wurde unter § 10 eine Verfügung von grundlegender Bedeutung notiert: nach Aufforderung der Gläubiger zur Geltendmachung ihrer Forderungen und während des laufenden Konkursverfahrens durfte für einen einzelnen Gläubiger fortan „kein Arrest, noch etwas anders, in der Hauptsache bey Unseren Regierungen, oder andern Gerichten angenommen werden“. ⁷⁷² Die sich damit abzeichnende, partielle Abkehr vom bis dahin absolut geltenden Prioritätsprinzip spiegelte sich in der Vorschrift des § 78 wider, in der unter Berufung auf die zu Augsburg erreichte Reformation der Polizeyordnung des Jahres 1577 und auf das Leipzigische Marck-Rescript, d. 21. Julii 1660 straf- und zivilrechtliche Normen gegen schuldhafte Falliten verfügt worden waren.⁷⁷³ Konkret hieß es dort: „Im Fall die Falliten aber entwichen, sollen alles Geld, Fahrniß, Schuld-Bücher und andere Briefe und Güther, so sie hinterlassen, sämmtlichen Gläubigern zu gute, gerichtlich inventiret, hinterleget und verwahret, und da einer oder der andere Handels-Mann, in währenden Leipzigischen oder Naumburgischen Märkten, für abgehendem Nürnbergischen Geleite, ein Falliment begehen würde, auf solchen Fall soll kein Arrest denen Gläubigern verstattet, sondern dieselben (jedoch ausser denenjenigen, so etwa in specie eine sonderbare Hypothec oder ander dinglich Recht auf ein Stück

    

Kisch, S. 173 ff. und S. 176 Kisch, S. 175 Schaffrath, S. 338 ff; Kisch, S. 179 Schaffrath, S. 344; Kisch, S. 179 Kisch, S. 179

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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Guth oder sonsten erlanget) bey des Falliten Güthern der Priorität halber, gleich gehalten, außer denen Märckten aber, sowohl unter denen Kauff- und HandelsLeuten selbsten, als auch sonsten ingemein zwischen andern Partheyen, Unsere Landes-Constitution und üblicher Arrest und Hülffs-Process in acht genommen, und darnach verfahren.“ ⁷⁷⁴ Durch die zunehmende Anerkennung des von Kisch ⁷⁷⁵ so genannten „pro-rataPrinzipes“, der par conditio omnium creditorum, in der Resolutio gravaminum vom 22. Juni 1661 konnte es im sächsischen Haftungsrecht nunmehr zur gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger eines „entwichenen Handelsmannes“ – wenn auch nach Rangklassen für die einzelnen Gläubigergruppen – kommen, während die Priorität des ersten Gläubigerzugriffs mittels arretierend wirkender Normen für andere Fallgestaltungen beibehalten wurde. Ein erster Schritt zur Ausbildung eines modernen sächsischen Konkursrechtes war getan.

c) Die Handelsgerichtsordnung vom 21. Dezember 1682 In der Neuzeit brachte es die an der Kreuzung der ost-west-gerichteten Via Regia und der nord-süd-verlaufenden Via Imperii gelegene Reichsmessestadt Leipzig zu einem Stapelplatz europäischen Ranges. In gleichem Maß stieg dort das Bedürfnis, für den kaufmännischen Geschäftsverkehr ein effizientes Verfahren zu organisieren, um die regelmäßig aufkommenden Streitfälle zu bewältigen.⁷⁷⁶ Die für den kaufmännischen Warenverkehr im Leipziger Territorium von Kurfürst Johann Georg III. (*1647; †1691) erlassene Handelsgerichtsordnung vom 21. Dezember 1682 beinhaltete in ihrem § 1 die Errichtung eines Handelsgerichts, vor dem alle kaufmännischen Handelssachen zu verhandeln waren.⁷⁷⁷ Aufgabe dieses Handelsgerichtes war es, die Parteien „ohne Beysein der Advokaten“ ausführlich zu hören und die Sache beschleunigt und idealiter gütlich zu erledigen.⁷⁷⁸ Der sächsische Gesetzgeber wollte ersichtlich ein Eilverfahren zur schnellen und fachgerechten Bewältigung der Schuldnerkrise etablieren.

 Schaffrath, S. 353  Kisch, S. 179 f., der in diesem Zusammenhang auf die gleichzeitig veröffentlichten Decisiones Electorales Saxionicae v. J. 1661 hinwies  Grunwald, S. 83 f., 143 ff. und Smid, Samuel Oppenheimer, S. 569 ff. beschreiben beispielsweise den wirtschaftlichen Zusammenbruch der Firma des für Kaiser Leopold I. umfangreich tätig gewesenen Kaufmanns Samuel Oppenheimer nach dessen Tod im Jahr 1703, der zur Leipziger Messe seinen Gläubigern nicht weniger als drei Millionen Gulden schuldete.  abgedruckt bei Freiesleben ab S. 19  Freiesleben, S. 19; Vollmershausen, S. 138

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Aufgrund dessen war der beklagte Schuldner nach § 7 dieser Handelsgerichtsordnung verpflichtet, grundsätzlich persönlich vor Gericht zu erscheinen. Nur in Ausnahmefällen waren Advokaten, Prokuratoren und andere Bevollmächtigte – mit deren Auftreten offenbar eine potentielle Verfahrensverzögerung und die Gefahr der Tarnung unredlicher Absichten des Schuldners antizipiert wurde – gestattet. Der Schuldner sollte sich vielmehr seinen Gläubigern gegenüberstellen, um mit ihnen direkt und gemeinsam Wege aus dem verfahrensgegenständlichen Dilemma zu finden. Erschien der beklagte Schuldner trotz erneuter Ladung nicht vor Gericht oder war er gar der Flucht verdächtig, so war durch die Gerichtsdiener sofort nach ihm zu suchen, um ihn ohne Ansehen der Person auf das Rathaus zu bringen und in Haft zu nehmen (§§ 10, 24). Die weiteren Paragraphen der Handelsgerichtsordnung beschrieben das anschließende Verfahren bis zur Vollstreckung, wobei zuweilen Bezug auf frühere, nach wie vor geltende Dekrete genommen wurde. Schließlich konnte nach § 21 der Handelsgerichtsordnung gegen den Beklagten persönlich in der Weise vorgegangen werden, dass er zur Urteilserfüllung „durch Gefängnis oder durch zulängliche Strafpräzepte angehalten“ werden konnte. Das Falliment des in Leipzig ansässigen oder sich aufhaltenden Kaufmannes wurde nach den Vorschriften des § 22 in einem sehr straffen Verfahren auf der Grundlage des sächsischen Landesrechts und des gemeinen Rechts abgewickelt.⁷⁷⁹ Das Vermögen des Schuldners wurde beschlagnahmt und im Wege der öffentlichen Subhastation dem Meistbietenden zugeschlagen, so dass sich hiernach die Gläubiger über den Erlös entsprechend ihren Rechten auseinandersetzten. Rechtsbehelfsmöglichkeiten waren für dieses Verfahren nicht vorgesehen. Der seine Unschuld am Falliment nicht zu beweisen vermögende Kaufmann wurde von weiteren Geschäften, öffentlichen Ämtern, von der „Pörse und Wechselplatz“ und von allen „ehrlichen Zusammenkünften“ ausgeschlossen. Zudem regelte § 25 der Handelsgerichtsordnung sehr dezidiert das Verfahren zum Akkord und Forderungserlass. Da nach Auffassung des Kurfürsten bei diesen Vergleichsverfahren „öfters große Gefährde und Betrug mit vorzugehen pfleget“, vermochte ein mit Summenmehrheit zustande gekommener Akkord die anderen, ablehnenden Gläubiger (einer Rangklasse) nur dann binden, wenn der Schuldner alle Gläubiger vor das Handelsgericht geladen hatte, er bei der ersten Zusammenkunft nach „scharfer Verwarnung vor der Strafe des Meineids“ und nach der vor einem oder mehreren Geistlichen vollzogenen Eidesleistung sein Vermögen und die Verbindlichkeiten vollständig und detailliert offenbarte sowie jeder Gläubiger seine ihm zustehenden Forderungen summarisch darlegte und bescheinigte.  Freiesleben, S. 30; Vollmershausen, S. 139

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d) Die Mandate wider die Banqueroutiers von 1724 und 1766 Die Handelsgerichtsordnung vom 21. Dezember 1682 wurde ca. 40 Jahre später durch das Mandat wider die Banqeroutierers vom 7. Januar 1724 sowie die kursächsische Prozess-Ordnung vom 10. Januar 1724 ersetzt.⁷⁸⁰ Das im Jahr 1724 verfügte Mandat wider die Banqueroutiers war „gegen verdorbene Kaufleute und Banqueroutiers“ gerichtet, deren „übermäßige Pracht und unordentliches Leben […] viele um ihr Vermögen bringen“. ⁷⁸¹ Es enthielt detaillierte Anweisungen, wie mit dem Bankrottierer, insbesondere dem Flüchtigen, umzugehen sei. Zugleich wurde ein großer Teil der früheren Bestimmungen über das Verfahren gegen Schuldner „wegen des Schuldthurmes“ abgeändert.⁷⁸² Wiederum ungefähr 40 Jahre später wurden diese Weisungen im Geschärften Mandat wider die Banquerouteur vom 20. Dezember 1766 erneuert, modifiziert und erweitert, so dass beide Mandate in einem Zug untersucht werden können. Beachtung verdient dabei § 22 des 1766er Mandats, der im Wesentlichen die künftige Anwendung der eher auf Kaufleute zugeschnittenen Vorschriften auf Personen von „Adel, Gelehrte, Innungsverwandte und andere Unterthanen in Städten und auf dem Lande“ vorschrieb.⁷⁸³ Auch wenn das 1724er Mandat die notwendige Kreditaufnahme für Kaufleute anerkannte, appellierte es in seinem § 1 an die Vernunft, nicht mehr Kredit zu nehmen als zurückgezahlt werden könne und mit diesem „geborgten“ Geld nicht liederlich, unachtsam oder boshaft zu verfahren.⁷⁸⁴ Nach § 3 des 1724er Mandats sollte dem Schuldner, der „wes Standes, Geschlechtes oder Condition er sey […] dergestalt in Abfall der Nahrung“ kam, die Flucht „keinesweges nachgelassen seyn“. ⁷⁸⁵ Vielmehr blieb er weiter verpflichtet, seine Zahlungsunfähigkeit sofort der Obrigkeit unter Nennung der Gründe und Angabe seines Vermögens und seiner Verbindlichkeiten mitzuteilen. Im § 3 des 1766er Mandats wurde für den Kaufmann unter Androhung schwerster Strafen sogar die Pflicht statuiert, binnen vier Wochen seine Zahlungsunfähigkeit vor der Leipziger Messe anzuzeigen.⁷⁸⁶ Der Zweck dieser Vorschriften lag neben dem Schutz des Leipziger Stapelrechts auch hier darin, innerhalb kurzer Zeit die Masse zu ermitteln und einen Akkord nach

 Vollmershausen, S. 139  Schaffrath, S. 620; Vollmershausen, S. 135  Kisch, S. 181 wies darauf hin, dass der weiter existierende Schuldturmprozess erst durch das Mandat vom 15. Juni 1831 aufgehoben wurde.  Freiesleben, S. 281  Schaffrath, S. 620; Vollmershausen, S. 135; in ähnlicher Weise auch das 1766er Mandat, s. Freiesleben, S. 267  Schaffrath, S. 621  Freiesleben, S. 269; Vollmershausen, S. 128

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den Bestimmungen der §§ 3 bis 5 in dem Bestreben zu versuchen, „die Creditoren von einem beschwerlichen Concurs zu befreien, und folglich das ganze Commercium zu befördern.“ ⁷⁸⁷ Ergriff der Schuldner gleichwohl die Flucht und nahm er zudem seine Handelsbücher, Obligationen, Wechselbriefe, Barschaften und andere Dinge mit, war er nach § 6 beider Mandate steckbrieflich⁷⁸⁸ unter Benennung seines vollen Namens und Beschreibung seiner Statur und seines Aussehens zu suchen und zu inhaftieren. Verletzte der Fallit überdies die Anzeigepflicht und versuchte er sich abzusetzen, konnte er nach § 7 des 1724er Mandats sogar von jedermann verfolgt werden. Und leistete jemand dem Fugitiven Hilfe, war derjenige sogar ein Vasall oder Beamter, musste sich jener nach § 7 beider Mandate harter Leibesstrafe sowie des Regresses der Gläubiger vergegenwärtigen. Auswärtige Potenzen und Obrigkeiten und insbesondere die Reichsstände wurden nach § 8 beider Mandate ersucht, den Flüchtenden zu ergreifen, in Haft zu nehmen und auszuliefern. Der Fugitivus war nach § 10 beider Mandate eo ipso pro doloso decoctore und für ehrlos zu erachten. Er verlor alle Bürgerrechte und Ämter sowie die Aussichten auf die Rechtswohltaten der cessio bonorum und des Compententia, wobei alle diese (negativen) Konsequenzen ebenfalls öffentlich in Anschlägen und Zeitungen bekannt zu machen waren. Zugleich war amtlich bekannt zu geben, dass im Falle seines Ergreifens „wider ihn mit der Inquisition, ohne alle weiteren Anstand zu verfahren“ sei und ihn scharfe Strafen erwarteten. Ferner trat keine Verjährung der gegen ihn gerichteten Forderungen ein. Hingegen war der (nichtflüchtige) Schuldner gemäß § 11 beider Mandate aufgefordert, sich jederzeit bereit zu halten und zu Gerichtsterminen persönlich zu erscheinen, um erforderliche Informationen zu geben, andernfalls mit ihm gleichermaßen umgegangen werden würde.⁷⁸⁹ Dem Flüchtigen drohten nicht nur empfindliche Gefängnis- oder Zuchthausstrafen und der Verlust der Bürgerrechte. Ihm wurde außerdem nach § 12 beider Mandate jede Aussicht auf ein „ehrliches Begräbnis“ genommen.⁷⁹⁰ Ferner war der Kaufmann – der Tradition der vorangegangenen Regelungen folgend – nicht mehr zur Börse oder Handelsplätzen zugelassen und ihm wurden Mäkler- und ähnliche Geschäfte verboten.⁷⁹¹ Der betrügerische Banqueroutier (dolosus decoctur), der

 Freiesleben, S. 271; Vollmershausen, S. 135  Ein Beispiel für einen im Jahr 1808 in der Leipziger Zeitung veröffentlichten Steckbrief findet sich bei Teucher, S. 234.  zu alledem Schaffrath, S. 622; Freiesleben, S. 273 ff.; Kori, S. 53; Vollmershausen, S. 135 f.  Schaffrath, S. 622; Freiesleben, S. 275; Kori, S. 171; Kohler, Shakespeare, S. 47; Vollmerhausen, S. 135  Schaffrath, S. 622; Freiesleben, S. 275; Kori, S. 53

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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kurz vor seinem Falliment und der gerichtlichen Anzeige seiner Insolvenz erhebliche Verbindlichkeiten eingegangen war, wurde nach § 12 des 1766er Mandats mit einem gelben Hut an den Pranger gestellt und hart mit Zuchthaus bestraft.⁷⁹² Zudem wurden typische Begleittaten wie falsche Buchführung, Urkundenfälschung oder Gläubigerbegünstigung mit der Verurteilung zum jahrelangen Festungsbau bei Brot und Wasser oder mit dem Zuchthaus geahndet.⁷⁹³ Und der fallitus fugitivus, der vor seinem Austritt Gelder beiseite geschafft oder auf seiner Flucht Geld mitgenommen und hierdurch seine Gläubiger vorsätzlich und in boshafter Weise geschädigt hatte, musste nach § 12 beider Mandate mit jahrelanger bis lebenslänglicher Haft bei Festungsbau, mindestens jedoch mit Staupenschlag rechnen, und bei besonderer Schwere der Tat – gleich einem Dieb – mit Folter sowie schweren Leibes- und Lebensstrafen.⁷⁹⁴ Für den flüchtigen Schuldner und seine Angehörigen war es deshalb nur ein kleiner Trost, dass seine Ehefrau, die Kinder und die Erben wegen der in den Banqueroutier-Mandaten verordneten infamia nach § 12 beider Mandate ausdrücklich nicht in ihrer Ehre beschädigt wurden, so sie nicht selbst beteiligt waren. Der Schuldner, den die angedrohten Strafen nicht ereilten oder denen er einigermaßen heil entkam, wurde ausweislich § 13 des 1766er Mandat in den Schuldturm⁷⁹⁵ gelegt. Dabei wurde den Gläubigern nicht zugemutet, ihn dort auch noch zu verpflegen, weshalb er sich selbst zu alimentieren hatte oder aber einen täglichen Groschen aus dem ordentlichen Almosen erhielt.⁷⁹⁶ Zudem wurden alle, die den Fluchtplan des Schuldners kannten, nach § 14 des 1724er und 1766er Mandats verpflichtet, dies anzuzeigen, und taten sie es nicht, machten sie sich ebenso strafbar wie diejenigen, die dem Schuldner zur Flucht verhalfen oder gar mit ihm Vermögen beiseite schafften. Diesen Strolchen drohte ebenso Landesverweisung, Zuchthaus oder Festungsbau.⁷⁹⁷

Obgleich im spätmittelalterlichen gemeinen sächsischen Recht⁷⁹⁸ die cessio bonorum anfangs unbekannt bzw. nicht anerkannt war, nahm diese Idee immer mehr ihren Einfluss.⁷⁹⁹ Wie bereits gesehen, reagierte das sächsische Recht zunächst nur bei Flucht (oder Tod) des Schuldners mit einem anteiligen Befriedigungsverfahren.⁸⁰⁰ Seit der frühen Neuzeit fand ein Konkursverfahren auch bei  Freiesleben, S. 275; Kori. S. 53;  Freiesleben, S. 275; Kori, S. 53; Vollmershausen, S. 136  Freiesleben, S. 276; Vollmershausen, S. 136  eine Darstellung zur Entstehung und zum Verfahren des sächsischen Schuldturmprozesses findet sich bei Teucher, S. 12 ff.  Freiesleben, S. 276  Freiesleben, S. 276; Vollmershausen, S. 136  zum Verständnis des Begriffs des gemeinen sächsischen Rechts vgl. Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 4 ff.  Kisch, S. 170; Breßler, S. 311  Planitz, ZRG GA 34 (1913), 49, 101 ff.; Breßler, S. 312

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

nichtflüchtigen Schuldnern statt, nachdem die cessio bonorum im 16. Jahrhundert vom Leipziger Schöffenstuhl für Recht erkannt worden war.⁸⁰¹ Indes stellten die kursächsischen Konstitutionen von 1572 das Verfahren der cessio bonorum in das Belieben der Gläubiger, räumten dem Schuldner hierzu aber kein Recht ein.⁸⁰² Auch wenn manche sächsische Rechtsordnungen die cessio bonorum zunächst weiter ablehnten, war sie spätestens ab dem 18. Jahrhundert im sächsischen Haftungsrecht allgemein anerkannt.⁸⁰³ Vor diesem Hintergrund sehen die 1724er und 1766er Banqueroutiers-Mandate in den §§ 2 und 3 sehr spezifische Regelungen vor, unter denen der unschuldig in Ruin geratene Schuldner in den Genuss einiger Rechtswohltaten kommen konnte. So musste der Fallit neben der ausdrücklichen Erklärung sowie der Schilderung der Umstände, aufgrund derer der Vermögensverfall ohne sein Schuld eingetreten war, eine Vermögensbilanz übergeben, in der die einzelnen Vermögensstücke, Forderungen und Verbindlichkeiten aufgeführt waren. Des Weiteren musste er mindestens zwei Jahre zuvor eine ordentliche Inventur seines Vermögens gemacht haben.⁸⁰⁴ Die Richtigkeit dieser Vermögensbilanz hatte der Schuldner nach § 3 des 1724er und 1766er BanqueroutiersMandats eidlich zu versichern. Überdies hatte er zu versprechen, sich fortan über die Verfügung seines Vermögens zu enthalten und nicht ohne Benachrichtigung des Richters seinen Wohnort zu verlassen.⁸⁰⁵ Kam er in den Verdacht, gegen diese Pflichten zu verstoßen, waren bei Meidung persönlicher Haft die Ehefrau, die Kinder und die Hausgenossen zur Ableistung des Manifestationseides ebenso verpflichtet.⁸⁰⁶ Glückte dem Schuldner zunächst die Flucht, erhielt er nach dem 1766er Mandat nur dann ein befristetes salvus conductus, wenn er voraussichtlich wenigstens die Hälfte der Forderungen bedienen konnte.⁸⁰⁷ Kehrte er zurück, kamen ihm im weiteren Verfahren einige Beteiligungsrechte zu,⁸⁰⁸ die ansonsten von einem curator litis wahrgenommen wurden, wenn er abwesend war. Folge der Wohltaten war, dass ihm mit einem gewissen Maß an Lebensunterhalt sowie „durch Ertheilung weiteren Anstandes, oder sonst, geholfen werden“ sollte und ihm die Ehre erhalten blieb.⁸⁰⁹ Aber auch nach dem 1766er Mandat war der Schuldner aus Rats-

        

Breßler, S. 311 und S. 368 unter Quellenangabe Breßler, S. 368 Kori, S. 50; Breßler, S. 368 Freiesleben, S. 270; Kori, S. 171 sowie S. 51; Wengler, S. 80; Günter, S. 20 Kori, S. 179 Kori, S. 179 Freiesleben, S. 270; Günther, S. 21 und S. 80 Vollmershausen, S. 130 Schaffrath, S 621; Freiesleben, S. 272

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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und Gerichtsstühlen, öffentlichen Ämtern und aus den Positionen eines Handlungsdeputierten oder Kramermeisters zu entfernen oder wurde zu ihnen nicht mehr zugelassen. Zudem musste er bei öffentlichen Zusammenkünften hinten anstehen.⁸¹⁰ Und handelte es sich bei dem Schuldner um einen betrügerischen Banquerouteur oder hatte er sich schon einmal der Rechtswohltat bedient, war sie ihm (ein zweites Mal) verwehrt.⁸¹¹ In diesen wesentlichen Grundzügen entfaltete das in den Banquerouteur-Mandaten festgehaltene Fallitenrecht im kurfürstlichen und königlichen Sachsen mehr als 100 Jahre Geltung, bis es im Zuge der Reichseinigung durch die Konkursordnung von 1877 abgelöst wurde. Daneben galt die erläuterte (und erweiterte) sächsische Prozessordnung vom 10. Januar 1724, die in den ad Titeln XLI bis LI ausführliche Normen zum Konkursverfahren vorgab, auf die aber mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand nicht weiter eingegangen werden muss.⁸¹² Wenige Jahre vor der Verkündung der Konkursordnung brachte der sächsische Souverän noch das Gesetz, einige Bestimmungen über den Concurs der Gläubiger betreffend, vom 8. Juli 1868 auf den Weg. Dieses mit 15 Paragraphen zügig überschaubare Gesetz enthielt lediglich ergänzende und modifizierende Bestimmungen zu den Gläubigerrechten im sächsischen Konkursverfahren, die in diesem Rahmen ebenfalls keiner weiteren Untersuchung bedürfen. Im Großen und Ganzen blieb es bei den vorstehend beschriebenen Regelungen. Denn der Inhalt des § 13 des Gesetzes vom 8. Juli 1868 lässt erkennen, dass zum Bespiel das 1766er Banqueroutiers-Mandat sowie die sächsische Prozessordnung vom 10. Januar 1724 grundsätzlich weiter Geltung entfalteten.

Im Laufe der Zeit setzten sich nichtsdestoweniger einige neue Gedanken in der sächsischen Gerichtspraxis durch. Zur Eröffnung des Konkursverfahrens kam es insbesondere, wenn der Schuldner seine Insolvenz anzeigte und etwa zugleich die cessio bonorum erklärte oder aber die Gläubiger unter Bescheinigung der Zahlungsunfähigkeit hierauf antrugen. Zudem konnte der Richter von Amtswegen das Konkursverfahren eröffnen, wenn sich der Schuldner heimlich entfernt hatte und glaubwürdige Nachrichten über die Vermögensinsuffizienz des Schuldners vorlagen. Indes war die Flucht des Schuldners nur noch ein (starkes) Indiz. Sie konnte für die richterliche Eröffnungsentscheidung zwar von einiger Bedeutung gewesen sein, allein die Flucht genügte für die Verfahrenseröffnung jedoch nicht mehr.⁸¹³ Maßgeblich war vielmehr die Zahlungsunfähigkeit, die sich den konkreten Umständen entsprechend in unterschiedlicher Weise zeigen konnte. Diesen Gedan-

 Freiesleben, S. 272; Kori, S. 52; Wengler, S. 217 f.  Freiesleben, S. 270; Kori, S. 52; zu weiteren Kodifikationen in den verschiedenen sächsischen Territorien s. Vollmershausen, S. 140 ff.  abgedruckt von Schaffrath ab S. 623  zu alledem Kori, S. 169; Wengler, S. V (Vorwort), S. 79 ff. und S. 90

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

ken griffen später die Väter der Konkursordnung auf.⁸¹⁴ Schließlich konnte das Gericht vor der Eröffnung des Konkursverfahrens vorläufige Sicherungsmaßnahmen wie ein Verfügungsverbot, vorläufige Inventarisierung oder Arretierung leicht flüchtiger Gegenstände und Pretiosen verfügen.⁸¹⁵ Ansonsten richtete sich das weitere Verfahren im Wesentlichen nach den bereits benannten Regelwerken.⁸¹⁶

4. Der Kridar im bayerischen Gantprozess Anfänglich unterschied sich der bayerische Gantprozess⁸¹⁷ ebenfalls vom Verfahren des ius commune.⁸¹⁸ Mit seiner Etablierung kam in den bayerischen Territorien der einstweiligen Festsetzung des fluchtbereiten Schuldners und Arretierung seines Vermögens in Ausformung des auch in den anderen europäischen Partikularrechten verankerten Prioritätsprinzips erhebliche Bedeutung zu. Entsprechende Regelungen finden sich in den bayerischen Landrechten der Jahre 1346, 1501, 1518, 1578 und 1616.⁸¹⁹ Derjenige, der den flüchtigen Schuldner ergriff oder dessen Vermögen zuerst gerichtlich beschlagnahmen ließ, genoss das Recht der vorrangigen Befriedigung.War der Schuldner festgesetzt, musste er umgehend dem Richter vorgeführt werden. Ebenso war das beschlagnahmte Vermögen vorzulegen. Zudem war der Fremdenarrest solange zulässig, bis der Gast die Forderung berichtigt hatte oder die Schuld als nicht erwiesen galt.⁸²⁰ Hingegen lässt sich eine Gesamtvollstreckung im Sinne einer gemeinschaftlichen Liquidation erstmals in Gestalt des bayerischen Gantprozesses des 1616er Landrechts für den Fall nachweisen, dass der Schuldner das Verfahren der cessio bonorum betrieb.⁸²¹ Ansonsten war ein allgemeines Konkursverfahren mit dem  Die 1877er Konkursordnung stellte für die Verfahrenseröffnung ebenfalls nicht mehr allein auf die Flucht ab, sondern sah hierin lediglich ein Zeichen der sich damit offenbarenden Zahlungsunfähigkeit; s. hierzu die Darstellungen unter Titel C II 1.  Wengler, S. 90 ff  Allerdings soll nach dem Inkrafttreten des sächsischen Bürgerlichen Gesetzbuches vom 2. Januar 1863 das beneficium compententiae „stillschweigend“ aufgehoben worden sein, nachdem von der Beschlagnahme des schuldnerischen Vermögens gewisse Bestandteile freizulassen waren; hierzu Wengler, S. 186.  wegen der genauen, sich mit der Zeit veränderten Bestimmung des Begriffs der Gant s. Vollmershausen, S. 158 und Spann, S. 200 ff.  Vollmershausen, S. 157  Kohler, Lehrbuch S. 39; Spann, S. 187 ff. und S. 215 ff.; Meier, S. 54 ff.  vgl. Spann, S. 215 ff.  Hellmann, Lehrbuch, S. 77; Spann, S. 203 ff.; Meyer, S. 54

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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Ziel der Verwertung des gesamten Vermögens zur Befriedigung aller Gläubiger dem bayerischen Landrecht des Jahres 1616 noch fremd; Leitbild war vielmehr eine Art Partikularverfahren.⁸²² Die cessio bonorum war nur in den Fällen der infolge Unglück und unvermeidlicher Not eingetretenen Zahlungsunfähigkeit zulässig. Allein der achtbare Fallit, der aufgrund unvorhergesehenen Schicksals ohne Verschulden in Armut geraten war, sollte in bayerischen Ländern – alternativ zu einem von einer Gläubigermehrheit zu beschließenden Moratorium oder Erlass – die cessio bonorum mit dem Ziel erklären dürfen, wegen seiner Verbindlichkeiten nicht weiter bedrängt zu werden – eine Restschuldbefreiung war damit aber nicht verbunden.⁸²³ Dagegen erwarteten den leichtsinnigen sowie absichtlich handelnden und hiernach flüchtigen⁸²⁴ Schuldner harte Bestrafung, Gefängnis, Verbannung, öffentliche Verwarnung und amtliche Beobachtung sowie gegebenenfalls Brandmarkung als Verschwender.⁸²⁵

a) Der Codex iuris Bavarici iudiciarii von 1753 Unter dem Wittelsbacher Kurfürsten Max III. Joseph (*1727; † 1777), einem Sohn von Kaiser Karl VII. (*1697; †1745), der nach dem für Bayern desaströsen Ende des Österreichischen Erbfolgekrieges zugunsten der Habsburger von allen Großmachtavancen Abstand nehmen musste, kam es zu einer inneren Konsolidierung, die sich unter anderem in einem wirtschaftlichen und kulturellen Aufschwung, einer gemäßigten Regierungsreform sowie einer umfassenden Kodifikation des bayerischen Rechts durch den Geheimen Ratskanzler Wiguläus Xaver Aloys von Kreittmayr (*1705; †1790) zeigte.⁸²⁶ Der unter seiner Ägide gemeinsam mit dem Codex Maximilianeus Bavaricus Civilis und dem Codex Maximilianeus Bavaricus Criminalis geschaffene Codex iuris Bavarici iudiciarii des Jahres 1753⁸²⁷ nahm Ideen des ius commune ⁸²⁸ auf und trennte erstmals zwischen einem Verfahren der Zwangsvollstreckung (18. Kapitel) sowie des Konkurses (19. und 20. Kapitel).

 Puchta, S. 34 ff; Spann, S. 204, der ab S. 202 den Gantprozess des 1616er Landrechts beschreibt  Spann, S. 212 ff.  Spann, S. 218  Kohler, S. 39; Spann, S. 213 f.  Schmid, S. 485 ff.; Rall, S. 741 ff.  abgedruckt in v. Kreittmayr; das bayerische Landrecht erfuhr drei Jahre später mit dem Codex Maximilianeus Bavaricus civilis (1756) ebenfalls eine Erneuerung, wobei beide Werke auf den kurfürstlichen Berater Wiguläus Xaver Aloys von Kreittmayr zurückgehen; s. Kroeschell, Bd. 3, S. 68; Vollmershausen, S. 160  Vollmershausen, S. 157 und S. 178

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Freilich sah er auch ein Arrestverfahren vor. Im 1. Kapitel, in dem die Gerichtsstände geregelt wurden, findet sich in § 8 ein Norm des Inhaltes: „Hat jemand, aus was Ursachen es immer seyn mag, eine rechtmäßige Foderung, und stehet in billicher Sorg, daß er vor ordentlicher Obrigkeit das Seinige ohne sonderbarer Beschwernuß nicht erlangen werde, so mag er den Gegner an Hab oder Leib durch die Obrigkeit des Orts, wo sich dessen Person oder Gut immer befindet, so lang anhalten lassen, bis man von ihm vergnügt, oder daß er in foro arresti antworten, und dem Judicato nachkommen wolle, durch Pfand oder Bürgen gnugsam gesichert ist.“ ⁸²⁹ Dem mutmaßlich berechtigten Gläubiger wurde mithin ausdrücklich das Festhalten und Einsperren des Schuldners nebst Hab und Gut für den Fall gestattet, dass der Schuldner das Beschreiten des Rechtsweges durch seine Flucht vereiteln würde.⁸³⁰ Weitere Voraussetzung war nach dieser Vorschrift, dass sich der Anspruch entweder gegen Fremde oder Ausländer richtete. Gegen Inländer war der Arrest nur zulässig, wenn der Schuldner entweder die Bezahlung am Arrestort versprochen hat, nicht ortsansässig „oder sonst gnugsam vercautionirt“ oder „ein Specialprivilegium loci darum vorhanden“ war. Ansonsten bedurfte es zur Vollstreckung eines Urteils nach § 1 des 18. Kapitels eines binnen maximal sechs Wochen anzuberaumenden Termins. Die Vorschriften der §§ 3 bis 7 des 18. Kapitels befassten sich mit dem Verfahren der Vermögensexekution.⁸³¹ Des Weiteren hielt der Codex iuris Bavarici iudiciarii die bereits aus anderen Rechtsordnungen bekannten Instrumente zum Schutz der „verunglückten und erbarmungswürdigen Schuldner“ (18. Kapitel, § 9) bereit, namentlich das beneficium competentiae (18. Kapitel, § 10), das datio in solutum (18. Kapitel, § 11), das landesherrliche Moratorium (Eisenbriefe; 18. Kapitel, § 12), die Stundung und den Nachlass (18. Kapitel, § 13) sowie die cessio bonorum (18. Kapitel, § 14).⁸³² Das datio in solutum befasste sich mit der Frage, ob sich der Gläubiger zwangsweise mit einem anderen Verwertungsergebnis als Geld zufrieden geben musste, was durch den Codex iuris Bavarici iudiciarii aber verneint wurde.⁸³³ Die landesherrlichen Moratorien konnten ebenfalls nur im Fall des unverschuldeten Unglücks sowie bei vollständiger Offenlegung der wirtschaftlichen Verhältnisse in Anspruch genommen werden.  Im 8. Kapitel unter § 6 finden sich weitere Regelungen zum Arrest.  Spann, S. 234 m. Nachw.  zu den weiteren Einzelheiten s. Spann, S. 221 ff.  vgl. auch hier Spann, S, 225 ff.; wegen des weiteren Verfahrens darf auf die Untersuchung von Vollmershausen, S. 161 ff. verwiesen werden, die zudem über einen vor dem Stadtgericht München verhandelten Fall aus den Jahren 1769 bis 1774 berichtet  Die Ideennähe zum in letzter Zeit diskutierten debt equity swap lässt sich nicht leugnen; ansonsten zum datio in solutum Spann, S. 226.

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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In § 13 waren die Voraussetzungen normiert, unter denen Stundung und Nachlass gewährt werden konnte. Bemerkenswert ist, dass das Gericht bei einer Gläubigermehrheit ex officio und gegen den Willen einer Gläubigerminorität eine Stundung und einen Teilerlass verfügen konnte, wenn der Schuldner schuldlos nicht imstande war, „alles auf einmal zu bezahlen“ und sein Vermögen wahrheitsgemäß und eidlich offenbarte. Weitere Voraussetzung war, dass keine privilegierten oder vorrangigen Forderungen bestanden. Die Nachlässe sollten aber nur die Zinsen erfassen, nicht jedoch die Hauptforderungen, und die Stundung sollte sich nicht länger als auf 15, 20 oder einige Jahre mehr erstrecken. Für das alles durfte „auf Seiten des Debitoris kein Verdacht von einer Flucht, oder Verthuung des noch übrigen Vermögens, wohl hingegen wahrscheinliche Hofnung obhanden seyn, daß derselbe auf solche Weis ohne Ruin seiner Glaubigern bey häuslichen Ehren erhalten, und ihme mithin werkthätig dadurch ausgeholfen werden möge“. Für die in § 14 des 18. Kapitel normierte cessio bonorum wurde ebenfalls die vollständige und eidliche Offenbarung des Vermögens sowie die Bereitschaft verlangt, aus dem neu erworbenen Vermögen den Gläubigern den Ausfall unter Beachtung eines angemessenen Unterhalts zu ersetzen. Erfüllte der Schuldner nicht binnen einer Frist die Schuld oder brachte er keine tauglichen Güter zur ausreichenden Verwertung bei und erhärtete sich der Verdacht seiner Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zur Gewissheit, kam es nach §§ 2 und 3 des 19. Kapitels zum universellen oder partikulären Konkursverfahren. Vollmershausen ⁸³⁴ benennt eine seinerzeit vertretene Auffassung, wonach das Gericht das Konkursverfahren auch bei Flucht des Schuldners eröffnen konnte. Hierfür findet sich zwar im Wortlaut des 19. Kapitels keine unmittelbare Stütze, der Gedanke ist jedoch mit Blick auf die in den übrigen Bestimmungen zum Ausdruck kommenden Prämissen durchaus nachvollziehbar. Die Gläubiger waren hierzu gemäß § 4 mittels Edictalcitation öffentlich an allen geeigneten Stellen zu laden, während „der Schuldner selbst, oder da er nicht mehr bey Leben ist, seine Erben um bemeldten Edictstägen beyzuwohnen gleichfalls, jedoch nicht edictaliter, sondern wo man seinen Aufenthalt weiß, entweder unter Augen oder bey seinem häuslichen Anwesen“ vorgeladen werden sollte. Blieben der Schuldner oder Gläubiger den Edictsterminen fern, hatte dies zur Folge, dass der Jeweilige mit seinen Einwendungen in der „Haupt- und Prioritätserkenntnis gänzlich ausgeschlossen“ war. Auch die §§ 10 bis 12 des 19. Kapitels zeigen, dass es sich bei diesem Konkursverfahren um ein von einem Gericht geführtes, kombiniertes Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren handelte, in dem

 Vollmershausen, S. 160 f.; vgl. auch Spann, S. 220 und S. 229 ff.

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

der Schuldner und die Gläubiger als Parteien beteiligt waren und der Beibringungsgrundsatz Bedeutung hatte. In § 13 wird in gewisser Weise eine vis attractiva concursus sowie eine perpetuatio fori normiert, so dass eine Ortsveränderung des Schuldners keinen Einfluss auf das Verfahren hatte. Die Norm des § 20 statuiert die Verpflichtung des Schuldners, nicht nur sein ganzes Vermögen nebst Forderungen und ihm bestellten Sicherheiten bei der Errichtung des Inventars richtig anzuzeigen, sondern dessen Richtigkeit und Vollständigkeit durch Manifestationseid zu beschwören. Unterließ er dies wissentlich oder in „gefährlicher Weise“, sollte gegen ihn criminaliter verfahren werden. Schließlich konnten die nichtbeteiligten und ausgefallenen Gläubiger dann wieder gegen den Schuldner vorgehen, wenn jener mit der Zeit wieder zu Kräften gekommen war. In nachfolgenden Jahrzehnten wurde der Codex iuris Bavarici iudiciarii wiederholt novelliert, ohne jedoch die wesentlichen Strukturen aufzugeben, weshalb hierauf nicht weiter eingegangen wird.⁸³⁵

b) Die bayerische Prozessordnung vom 29. April 1869 Keine zwei Jahre vor der Proklamation des preußischen Königs Wilhelms I. (*1797; †1888) zum Deutschen Kaiser im Versailler Spiegelsaal und der damit einhergegangenen Errichtung des ersten deutschen Nationalstaates auf kleindeutschem Fundament erteilte der bayerische König Ludwig II. (*1845; †1886) der Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Königreich Bayern im Landtag vom 29. April 1869 seine Sanktion.⁸³⁶ Obgleich diese Prozessordnung auf die vorangegangenen bayerischen Verfahrensrechte aufbaute, trennte diese noch schärfer zwischen dem individuellen Vollstreckungsrecht und dem Konkurs.⁸³⁷ Die Prozessordnung enthielt in den Art. 605 ff. sogenannte Vorsichtsverfügungen, die dem Arrest der heutigen §§ 916 ff. ZPO ähnlich sind. Nach Art. 611 konnte ein Arrest verfügt werden, wenn nach den Umständen anzunehmen war, dass die wirksame Geltendmachung des Anspruchs ohne eine solche Maßregel unmöglich oder doch erheblich erschwert sein werde. Dies war insbesondere bei Klagen von Inländern anzunehmen, wenn die Vollstreckung im Ausland stattfinden müsste. Hingegen konnte die Verhaftung des Schuldners ausweislich Art. 612 nur wegen einer bereits klagbaren Forderung und nur unter der Voraussetzung verfügt werden, dass der Schuldner Ausländer war und in Bayern kein dem Wert der Klageforderung entsprechendes unbewegliches Vermögen besaß. Dem Ausländer

 eine Übersicht gibt Spann, S. 235 ff.  Bornhorst, S. 43; zur Mitwirkung des Königreichs Bayern an der Schaffung der Konkursordnung s. ebenfalls Bornhorst, S. 56 ff.; dem ging 1822 eine Neuordnung des bayerischen Hypothekenrechts voraus, hierzu Vollmershausen, S. 180  Spann, S. 245; anders Vollmershausen, S. 181, die kaum Ähnlichkeiten mit den vorangegangen Verfahrensordnungen, sondern eher eine Nähe zum preußischen und französischen Konkursrecht sieht; s. hierzu aber auch Bornhorst, S. 56 ff.

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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stand insoweit der Inländer gleich, der auf der Flucht befindlich oder derselben dringend verdächtig war oder der dauernden Aufenthalt im Ausland genommen hatte oder zu nehmen im Begriff war. Des Weiteren konnten gemäß Art. 614 für den Fall der Nichtbefolgung einer Vorsichtsverfügung sowie nach den Umständen des Einzelfalls Geldstrafen und selbst eine Verhaftung angedroht werden. Statt der Verhaftung des Schuldners kam auf dessen Gesuch die „Beigebung einer Wache“ oder die einfache Polizeiaufsicht in Betracht, wenn dadurch hinreichende Sicherheit geboten war und der Schuldner die Kosten vorschoss (Art. 616). Allerdings war nach Art. 617 der aufgrund dieser Bestimmungen Verhaftete auf seinen Antrag zu entlassen, wenn er glaubhaft dartat, dass er keine Mittel zur Befriedigung seines Gläubigers besaß. Auffallend ist, dass sich die in den Art. 901 bis 1138 normierten Vollstreckungsmittel nunmehr fast ausschließlich auf das Vermögen des Schuldners beschränkten.⁸³⁸ Nur in ganz bestimmten Fällen kam überhaupt noch die Personalhaft, die zuvor schon ultima ratio war, als Zwangs- und Vollstreckungsmittel in Frage. Die Personalexekution war lediglich in drei Konstellationen zulässig, und zwar (1.) gegen Ausländer, die in Bayern keinen wertentsprechenden unbelasteten Grundbesitz ihr eigen nennen konnten, weiterhin (2.) unter ansonsten gleichen Voraussetzungen gegen den flüchtigen oder dringend fluchtverdächtigen Inländer oder denjenigen, der sich dauerhaft außerhalb des Königreichs aufhielt, und schließlich (3.) gegen den Inländer, der vollstreckungstaugliches Vermögen verborgen hielt (Art. 1139). Für diese Fälle bedurfte es nach Art. 1140 und 1141 einer besonderen richterlichen Erlaubnis zur Exekution der Personalhaft. Weitgehend ausgeschlossen war gemäß Art. 1143 und Art. 1144 der bayerischen Prozessordnung die Inhaftierung von im aktiven Dienst stehende Militärpersonen (für Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften natürlich graduell unterschiedlich), von Staats- oder Gemeindebeamten und von Geistlichen. Ebenso wenig konnten gesundheitlich angeschlagene Schuldner in Haft genommen werden (Art. 1146). Schließlich schränkte Art. 1147 situativ die Inhaftierung des Schuldners ein: Der Schuldner durfte nicht während eines Gottesdienstes oder Leichenbegängnisses, einer Amtshandlung, während des Waffendienstes oder auf dem Weg zu Gericht festgesetzt werden. Die weiteren Regelungen der Art. 1148 bis Art. 1172 befassten sich mit der Art und Weise der Verhaftung durch Gerichtvollzieher und Polizei- oder Gemeindebeamte, der Vollstreckung im Schuldgefängnis, der Finanzierung derselben, der Verwaltung, der Freilassung (spätestens nach sechs Monaten) und anderen Einzelfragen, auf die einzugehen sich für den Untersuchungsgegenstand nicht lohnt.

 zu den abweichenden Neuerungen der Bayerischen Prozeßordnung gegenüber dem Codex iuris Bavarici iudiciarii s. Spann, S. 245 ff.

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

In den Art. 1173 ff. der Prozeßordnung in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten für das Königreich Bayern wurde der bayerische Gantprozess⁸³⁹ als Konkursverfahren mit Gesamtvollstreckung und anteiliger Gläubigerbefriedigung normiert.⁸⁴⁰ Deutlich wird aus Art. 1175, dass der Gant von Amts wegen eröffnet werden konnte, erstens „wenn der Gemeinschuldner flüchtig ist und bei einem gegen ihn eingeleiteten Vollstreckungsverfahren die Unzulänglichkeit des Vermögens sich herausgestellt hat“; zweitens „bei einem Kaufmann, wenn er seine Zahlungen eingestellt hat und flüchtig ist“ und schließlich drittens im Fall der Nachlassunzulänglichkeit. Vollmershausen ⁸⁴¹ zitiert hier aus den Motiven, wonach die Legitimität für die amtswegige Verfahrenseröffnung im „Schutz, welchen die Regierung den eigenen Staatsangehörigen schuldig ist“ und in der „Rücksicht auf den allgemeinen Kredit“ gesehen wurde. Es ist zu erkennen, dass auch in bayerischen Ländern dem Austritt des Kridar besondere Bedeutung hinsichtlich des Kredit- und Gemeinwesen zugemessen wurde. Ansonsten konnte das Verfahren nur auf Schuldner- oder Gläubigerantrag eröffnet werden. Veranlasste der Schuldner selber die Verfahrenseröffnung, so hatte er nach Art. 1190 ein Vermögensverzeichnis mit Kreditoren- und Debitorenliste und – wenn er Kaufmann war – auch die Handelsbücher zu übergeben. Zugleich konnte er damit dem Verdacht entgehen, böswillig die Gläubiger benachteiligen zu wollen.⁸⁴² Andererseits konnte das Gantgericht nach Art. 1231 vor Eröffnung und während des Verfahrens die Personalhaft des Gantschuldners solange verfügen, solange es der Sicherung des Verfahrenszweckes diente und er den Verpflichtungen zur Feststellung der Masse nicht nachkam. Hiergegen wurde dem Schuldner das Rechtsmittel der Beschwerde zugebilligt. Der antragstellende Gläubiger musste indessen die Vermögensinsuffizienz nachweisen (Art. 1191). Nach richterlicher Prüfung wurde die Entscheidung über die Verfahrenseröffnung gefällt (Art. 1193, 1195).⁸⁴³ Die Eröffnung des Verfahrens führte zu einem umfassenden Beschlag des vollstreckungsfähigen Vermögens und erfasste auch den während des Verfahrens hinzukommenden Neuerwerb (Art. 1206 bis 1208). Dem Schuldner konnte nach Art. 1209 durch das Gericht der erforderliche Unterhalt bewilligt werden.

 einen Überblick über das gesamte Verfahren gibt Vollmershausen, S. 181 ff.  Spann, S. 251  Vollmershausen, S. 182  Spann, S. 252, der zugleich auf die Strafbarkeit der Nichtanzeige des Konkurses nach den bayerischen Strafgesetzbüchern von 1813 und 1861 hinweist; ebenso Vollmershausen, S. 183  wegen des weiteren Verfahrenslaufs vgl. die Untersuchungen von Spann, S. 252 ff. und Vollmershausen, S. 181 ff.

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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Die Chance für eine Enthaftung von seinen Verbindlichkeiten und damit für einen Neuanfang lag auch für den bayerischen Schuldner im Akkord, denn es bestand die Möglichkeit, das Konkursverfahren jederzeit durch einen solchen zu beenden (Art. 1316). Unterbreitete der Gantschuldner oder ein Gläubiger vor oder in der Gläubigerversammlung Vergleichsvorschläge, hatte der Commissär diese Vorschläge in der Gläubigerversammlung zur Erörterung und Abstimmung zu bringen. Dabei konnte der Commissär selbst ebenfalls Vorschläge machen. Für das Zustandekommen des Akkords war die Zustimmung des Gantschuldners und sämtlicher im Verfahren aufgetretenen Gläubiger erforderlich, sofern damit Einfluss auf die Befriedigung genommen werden sollte. Wurde der Vergleichsvorschlag von sämtlichen in der Gläubigerversammlung persönlich erschienenen oder vertretenen Gläubigern gutgeheißen, waren die nicht erschienenen Gläubiger durch den Commissär aufzufordern, an einem von ihm bestimmten Tage vor ihm zu erscheinen und ihre Erklärung darüber abzugeben, „widrigenfalls sie als zustimmend würden betrachtet werden“. Das Gesetz knüpfte damit an das Schweigen bzw. an die Passivität der Gläubiger die Rechtsfolge der Zustimmungsfiktion. Kam der Akkord zustande, war der nach Art. 1231 in Personalhaft genommene Schuldner auf Verfügung des Commissärs sofort frei zu lassen. Es ist naheliegend, dass im Fall der Flucht des Schuldners ein Akkord von vornherein nicht in Frage kam, weshalb das Gesetz diesbezüglich keine weiteren Bestimmungen vorsah.

5. Die Schuldnerflucht im preußischen Recht Dem preußischen Vollstreckungsrecht kommt angesichts der seit dem 17. Jahrhundert einsetzenden brandenburgischen Dominanz eine besondere Bedeutung für das deutsche Haftungsrecht zu.⁸⁴⁴ Wiewohl herrschte in den verschiedenen preußischen Ländern in der frühen Neuzeit eine heterogene Rechtslage. Einige Territorien hatten Haftungsregelungen, die sich am ius commune orientierten. Andere Regionen kodifizierten Regelungen eigenen Charakters und nicht wenige Rechtssysteme wurden infolge der Napoleonischen Okkupation vom französischen Code de Commerce beeinflusst.⁸⁴⁵ Bestrebt einen einheitlichen preußischen Staat zu schaffen, intendierten die brandenburgischen und preußischen Regenten seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts dazu, in ihrem Machtbereich das geltende Recht in einem universellen Gesetzbuch zu fassen.⁸⁴⁶ Zudem bestand der Bedarf

 ebenso Meier, S. 80  einen Überblick gibt Vollmershausen, S. 54 ff.  Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 447; Meier, S. 81

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

nach einem klaren, verständlichen und vor allem akzeptablen Recht, welches von den Rechtsunterworfenen und Rechtsanwendern nachvollzogen werden konnte.⁸⁴⁷ Meier ⁸⁴⁸ sieht im generellen Bestreben nach Vollkommenheit und Erneuerung in der Epoche des Naturrechts⁸⁴⁹ und der Aufklärung zutreffend einen weiteren Impuls für das Bemühen um eine systematische Ordnung des vorhandenen Rechtsstoffs, die in umfassenden Justizreformen zu weit reichenden Kodifikationen führte.

a) Preußische Landrechte von 1620 und 1685 Johann Sigismund, Markgraf von Brandenburg (*1572; †1620), wollte mit dem von ihm in Auftrag gegebenen, nach seinem Tod erstmals 1620 in Königsberg gedruckten Landrecht für das Herzogtum Preußen das in seinem Herrschaftsbereich geltende, alte kaiserliche, sächsische, lübische und kulmische Recht ablösen und aufgrund eigener Machtvollkommenheit eine vollständige Kodifikation des gemeinen und des sächsischen Rechts einheimischer Art fassen.⁸⁵⁰ Dabei sollen Rechtsideen der Kursächsischen Konstitutionen von 1572 ebenso Eingang gefunden haben, wie das Kurpfälzische Landrecht von 1582.⁸⁵¹ Das sieben Teile umfassende Gesetzes- und Lehrbuch behandelte im ersten Teil den Zivilprozess. Zwar erfuhr dieses Rechtsbuch im Jahr 1685 auf Weisung des Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Brandenburg (*1620; †1688) eine Revision unter dem Titel Churfürstliche Brandenburgische Revidirte Landrecht. Von dieser Revision wurde die hier interessierende Materie in den Titeln 47 bis 49 jedoch nicht wesentlich berührt,⁸⁵² weshalb die die Schuldnerflucht betreffenden Normen in einem Zuge kurz vorgestellt werden können. Dem Schuldner wurde nach Verurteilung eine Zahlungsfrist eingeräumt, nach deren fruchtlosem Ablauf der Gläubiger auf die Zulassung der Vollstreckung durch den Richter antragen konnte. Interessant ist, dass im Gesetzeswerk die Vollstreckung auf dem Land anders geregelt wurde, als in den Städten. Verlief die Vollstreckung in das

 Schulte, S. 295; Meier, S. 81  Meier, S. 81  hierzu Kroeschell, Bd. 3, S. 54  Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 354; Holzborn, S. 91, beschreibt die Details der Rechtsentstehung  Holzborn, S. 92  Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 354; Vollmerhausen, S. 54 und Holzborn, S. 93 geben unter Hinweis auf den Quelleninhalt als Grund für die Revision und Erweiterung unter anderem den Umstand an, dass der Rechtstext von 1620 vergriffen war

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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Vermögen ohne Ergebnis, kam es zur Personalexekution, so dass der Schuldner in den Schuldturm musste. Hiervon konnte sich der Schuldner befreien, indem er die cessio bonorum erklärte. In den Städten wurde die Erklärung der cessio bonorum jedoch als misslich angesehen,weshalb dort zunächst ein Stundungsvergleich auf der Basis einer Mehrheitsentscheidung angestrebt wurde.⁸⁵³ Überdies hielt der 49. Titel besondere Regelungen für das Zusammentreffen mehrerer Gläubiger parat. Hiernach konnte der Richter dem Schuldner auferlegen, sich nicht zu entfernen und seine Güter nicht zu veräußern oder fortzuschaffen. Zudem wurde der Schuldner aufgefordert, einen Status seiner Aktiven und Passiven anzufertigen und diesen zu beeiden. Folgte der Schuldner dem nicht, war er gar geflüchtet, hatte das Gericht die Befugnis, die Bestandsaufnahme in der Wohnung des Fugitiven durchzuführen und etwa zurückgelassenes Habe zu beschlagnahmen.⁸⁵⁴

b) Edikt wider die Banqueroutierer vom 14. Juni 1715 Der Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. (*1688; †1740) musste „mit besonderem Mißfallen vernemmen, daß eine Zeithero in Unserem Königreich und Landen, sonderlich auch in Unseren hiesigen Residentzien verschiedene Banqueroutes, entstanden, die Falliten mehr, als sie im Vermögen gehabt, an Geld und Waaren aufgeborget, zum Theil auch wohl an die Seite gebracht, oder wohl mehr, als sie erwerben können, depentiret, und dadurch zurück kommen, so dann ausgetreten und dadurch ihren Nächsten unverschuldet in Schaden, ja gar in Ruin, und die Commercia, so von Unseren Unterthanen getrieben werden, in üblen Ruff gesetzet.“ ⁸⁵⁵ Er befahl deshalb mit dem Edikt wider die Banqueroutierer vom 14. Juni 1715 die Bestrafung des betrügerischen Bankrotteurs je nach den Umständen des Einzelfalls mit Pranger, ewiger Gefängnisarbeit, Staupenschlag und Landesverweisung, damit fortan „ehrliche Leute“ nicht mehr in „gottloser und diebischer Weise“ betrogen werden. Und „wenn das Verbrechen gar enorm“ war, behielt sich der Hohenzoller vor, den betrügerischen Spitzbuben „mit dem Strange vom Leben zum Tode bringen zu lassen“. ⁸⁵⁶

 Vollmershausen, S. 62  vgl. zu allem Vollmershausen, S. 56 ff. mit weiterer Beschreibung des Verfahrens  Mylius, II. Teil, II. Abt. S. 52  der vollständige Wortlaut des Edikts ist abgedruckt bei Mylius, II. Teil, II. Abt. S. 52 ff.; Kohler, Shakespeare, S. 42

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Für den Fall des Austritts des Schuldners wurden die Regierungen und Gerichte angewiesen, sämtliche „Bücher, Briefschafften und Effecte“ in Verwahrung zu nehmen und zu inventarisieren, Arreste zu verfügen und den Flüchtigen mittels Proklamation zu einem Prozess zu laden. Stellte sich hiernach heraus, dass das zurückgelassene Vermögen nicht zur Schuldentilgung genügte, sollte der Name des Fugitiven an den Galgen geschlagen, gegen ihn – freilich in seiner Abwesenheit – der Kriminalprozess wie gegen „einen offenbahren Dieb“ eingeleitet und die erkannte Strafe „allenfalls an dessen Bildniß exequiret“ sowie dies alles in den Zeitungen und Anzeigern öffentlich bekannt gemacht werden.⁸⁵⁷ Überdies wurde die steckbriefliche Fahndung erlaubt und jeder Gläubiger ermächtigt, den fallitus fugitivus überall, wo er ihn fand, anzuhalten und gefangen nehmen zu lassen. Da dem Soldatenkönig die menschlichen Schwächen seines eigenen Gerichtspersonals und seiner Beamten nicht fremd gewesen zu sein schienen, sah er unter Ausschluss der Begnadigung harte Strafen für die Amtspersonen vor, welche den festgesetzten Schuldner nicht gehörig und fluchtverhindernd verwahrten oder ihm gar zur Flucht verhalfen. Ebenso musste derjenige harter Strafe und anteiliger Haftung gegenüber den Gläubigern gewärtig sein, der Kenntnis vom Aufenthalt des Schuldners hatte, diese Tatsache aber nicht bei der Obrigkeit meldete. Zudem wurden andere Reichsstände⁸⁵⁸ ersucht, den Flüchtigen „den Reichs-Constitutionen gemäß“ zu fassen und auszuliefern. Den auswärtigen Ministern und Beamten erteilte er die Order, bei den ausländischen Regierungen wegen des Erlasses entsprechender Traktate nachzusuchen, „als wie ohnlängst mit der Stadt Amsterdam geschlossen“. ⁸⁵⁹ Das Edikt lässt hier das schon immer festzustellende Bemühen erkennen, den Nachteilen einer grenzüberschreitenden Flucht ebenfalls Herr zu werden. Und um die Ernsthaftigkeit seines Willens ein weiteres Mal zu unterstreichen, verfügte Friedrich Wilhelm I. – der ansonsten den durch Unglück „um ihr Vermögen in Abgang der Nahrung“ gekommenen Schuldnern die Rechtswohltaten zubilligte – den sofortigen Verlust aller solcher „beneficiorum Juris“, wenn der (an sich unschuldige) Schuldner auf flüchtigen Fuß war und „auf das vorgehende Proclama ungehorsamlich ausbleibet“. Obendrein verlor der fallitus fugitivus die Fähigkeit, Ehrenämter zu bekleiden sowie Mitglied in „ehrlichen Gesellschaften, Innungen, Gilden und dergleichen“ zu sein. Gleiches sollte mit denen geschehen, die bei der Anfertigung ihres Vermögensverzeichnisses betrügerisch handelten

 Mylius, II. Teil, II. Abt. S. 53  zum Begriff vgl. Schröder, S. 824 ff.  Mylius, II. Teil, II. Abt. S. 53

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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und Vermögen verschleierten sowie als Kauf- und Handelsleute liederlich wirtschafteten, in Jahresfrist vor dem Verfall keine Bilanz gezogen und den Vermögensniedergang nicht rechtzeitig angezeigt hatten. Schließlich befahl der preußische König in diesem Edikt, dass sich die Kommissare in jeder Provinz mit den Kaufmannschaften und ähnlichen Vereinigungen immerfort verständigten, um die Ursachen für den Bankrott zu untersuchen und zu erkennen, so dass sie folglich Vorschläge unterbreiten konnten, wie jenes „dieses Land verderblichen Wesens am füglichsten aus dem Weg zu räumen“ wäre.⁸⁶⁰

c) Friedrich Wilhelms „Verbessertes Land-Recht“ von 1721 Jedoch schien dem absolutistischen König das bestehende Recht alsbald nicht mehr auszureichen. 1721 wurde ein im Wesentlichen von Samuel Freiherr von Cocceji (*1679; †1755), Direktor der Regierung zu Halberstadt, entworfenes Friedrich Wilhelms, Königes in Preussen, Verbessertes Land-Recht, Des Königreichs Preussen auf den Weg gebracht, welches Elaborate und Neuerungen des Verfahrensrechts sowie Normen zur Beschleunigung der Prozesse beinhaltete.⁸⁶¹ Dieses Landrecht galt als Provinzialrecht für Preußen auch nach dem Erlass des subsidiären allgemeinen Landerechts von 1794 bis in die napoleonische Zeit hinein.⁸⁶² Wie im 1685er Landrecht befassten sich die Titel 47 bis 49 mit dem Recht der Haftungsverwirklichung. Nach § 3 des Titels 48 wurde eine Zahlungsunfähigkeit des Schuldners unter anderem dann vermutet, wenn er sich als „boßhaffter Banqueroutierer“ erwies. Seine Boshaftigkeit wurde nach § 5 unterstellt, wenn der Schuldner flüchtete.⁸⁶³ In diesem Fall wurden in bekannter Weise die Handelsbücher, Korrespondenzen und Geschäftspapiere sowie die Güter beschlagnahmt und an anderen Orten unter Arrest gebracht. Nach richterlicher Anordnung eines Verfügungsverbots sowie Anfertigung und Beeidung einer Vermögensbilanz durch den inzwischen heimgekehrten oder gefassten Schuldner sollte ein Akkord versucht werden. Gelang dies nicht, weil zum Beispiel das Vermögen hierfür nicht ausreichend war, kam es zum Konkursverfahren. Blieb der Schuldner der Verhandlung infolge Flucht fern, eröffnete der Richter das Verfahren sofort.⁸⁶⁴ Ansonsten verwies das Landrecht in § 24 auf das bereits vorgestellte Edikt vom 14. Juni

    

vgl. zu allem Mylius, II. Teil, II. Abt. S. 52 ff. Holzborn, S. 94; Vollmerhausen, S. 63 Holzborn, S. 94 Vollmershausen, S. 65 Vollmershausen, S. 66

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

1715 sowie in § 25 auf das Schuldturmverfahren verbunden mit der Last der Schuldknechtschaft.⁸⁶⁵

d) Preußische Hypotheken- und Concursordnung vom 4. Februar 1722 Kurz darauf trat die preußische Hypotheken- und Concursordnung vom 4. Februar 1722 in Kraft.⁸⁶⁶ Dieses sehr weit gefasste Gesetz erstreckte sich über das aus dem gemeinen Recht stammende materielle und Verfahrensrecht und enthielt Normen zur Hypothek, zur Zwangsversteigerung und zum Konkurs.⁸⁶⁷ In den §§ 76 bis 93 finden sich Regelungen zu den teils aufwendig gestalteten Verfahren des Moratoriums (Induld), des Vergleichs und des beneficium cessionis bonorum. Alle Verfahren wurden inquisitorisch vor einem Gericht geführt und dienten – wie auch § 93 zeigt – alle der Vermeidung des förmlichen Konkursverfahrens. Zugleich baute es weiter auf das 1715er Edikt wider die Banqueroutierer, wie die §§ 83 und 86 deutlich werden lassen. Diesen Normen kann ebenfalls der bekannte Gedanke entnommen werden, dass nur der durch unverschuldetes Unglück in Vermögensinsuffizienz geratene Schuldner die Wohltaten erlangen konnte. So stellte § 86 klar, dass der zunächst aus Furcht vor seinen Gläubigern ausgerissene Schuldner sich gleichwohl vor Gericht zur Verhandlung einzufinden und die einzelnen Vorschriften zu beachten hatte, wenn er die Segnungen der Wohltaten erreichen wollte. Beherzigte der entwichene Schuldner dies nicht, blieb er trotz gerichtlicher Ladung weiter auf flüchtigem Fuß, wurde er nach § 87 einem „vorsetzlicher Betrüger“ gleichgesetzt und verlor ohne jede weitere richterliche Untersuchung der Umstände seines Falliments die Aussichten auf die Vorteile des Indults, Vergleichs oder der cessio bonorum. War hingegen der Schuldner im Gerichtstermin zugegen und konnte er glaubhaft machen, tatsächlich durch Brand- oder Wasserschaden, Schiffbruch, Raub oder Forderungsausfall ins Verderben geraten zu sein und diese Umstände nicht nur vorgetäuscht zu haben, durfte er nach Belehrung und Eidesleistung auf die Wohltaten sowie das nach dem gemeinen Recht zu gewährende Beneficium Competentiae hoffen.⁸⁶⁸ Immerhin konnte der Schuldner gemäß § 91 nicht nur das Behaltendürfen seiner am Leib getragenen Kleider sowie (nach richterlichem Ermessen) sonstigen persönlichen Dinge erwarten, sondern auch – wenn er

    Teil,

Vollmershausen, S. 69 Mylius, II. Teil, II. Abt. S. 104 ff. Bauer, S. 96 §§ 88 ff. der preußischen Hypotheken- und Concursordnung vom 4. Februar 1722; Mylius, II. II. Abt. S. 140

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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„Handwerks- oder Bauers-Mann“ war – seiner notwendigen Werkzeuge, Instrumente sowie der Hofwehr, um auch künftig für sich und die Seinigen den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Mit den §§ 94 ff. ordnete die 1722er Hypotheken- und Concursordnung das Verfahren des concursus creditorum, welches das Gericht nicht ohne Not zu veranlassen hatte.⁸⁶⁹ Nach § 95 war unter anderem der „Concursus Creditorum aber ungesäumt zu eröffnen“, „falls ein boshafftiger Banqueroutier ausgetreten“ war.⁸⁷⁰ In § 97 verweist die Hypotheken- und Concursordnung auf das Edikt wider die Banqueroutierer vom 14. Juni 1715, weshalb sogleich ex officio mit der Inventur und der Proklamation zwecks Ladung des Fugitiven fortzufahren war.⁸⁷¹ Stellte sich aber wider Erwarten der Schuldner oder bot er die Überlassung seines Vermögens an, war nach § 98 das (voran beschriebene) ordentliche Verfahren fortzusetzen. War der Fugitivus hingegen ein „Handelsmann“ und hatte er anderswo Vermögen oder bestand der Verdacht, dass er eben solches heimlich zur Seite gebracht hatte, um es seinen Gläubigern zu entziehen, so war hierüber sofort der Arrest zu verhängen und dieses öffentlich bekanntzumachen (§ 103). Zugleich wurde jedermann aufgefordert, dem Schuldner gehörende Vermögensgegenstände gegenüber dem Gericht zu offenbaren, andernfalls er diesbezüglicher Rechte (zum Beispiel Pfandrechte) verlustig ging und Bestrafung erwarten musste. Die Vorschrift des § 104 verlangte vom Curator, die zurückgelassene Ehefrau, Diener, Buchhalter oder andere Domestiquen wegen „des entwichenen oder verstorbenen Schuldners Haab und Güter, Rechnung und Handels-Bücher, ausstehende Schulden, und was ihnen von eines flüchtigen Debitoren Anschlag und Vorhaben bestand“ zu befragen und sich versichern zu lassen, dass alles „ihres Wissens getreulich angegeben, und davon weder zum Nachtheil der Creditoren etwas verschwiegen, oder selbst unterschlagen, noch Händen gebracht“ zu haben, „So war Ihnen Gott helffen solle, durch seinen Sohn Jesum Christum“. In der „Deklaration der Hypotheken- und Concursordnung, damit selbige nunmehro auf alle königlichen Lande, wohin sie gerichtet ist, applicable sey vom 14. Juni 1726“ ließ der Soldatenkönig unter § 16 schließlich klarstellen, dass das Edikt wider die Banqueroutierer vom 14. Juni 1715

 Mylius, II. Teil, II. Abt. S. 104 ff.; Bauer, S. 99 ff. unter Hinweis auf rechtsgeschichtliche Bezüge des Insolvenzplanverfahrens  Mylius, II. Teil, II. Abt. S. 142  Vollmershausen, S. 71 meint hierzu, dass ohne weitere Prüfung der Voraussetzungen das Verfahren zu eröffnen war, insbesondere der Nachweis der Zahlungsunfähigkeit nicht zu erbringen war.

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

ohne Unterschied, ob die Falliten Kaufleute sind oder nicht, weiter „observiret werden“ soll.⁸⁷²

e) Project des Codicis Fridericiani Marchici von 1748 Friedrich II. (*1712; †1786) ließ als aufgeklärter, absolutistischer Monarch, der sich selbst als „ersten Diener“ des Staates⁸⁷³ verstand und der „auf dem Gebiet des Zivilprozesses Gesetze vorgefunden [hatte], die, statt den Parteien zu helfen, die Rechtshändel verwirrten und die Prozesse in die Länge zogen“,⁸⁷⁴ ebenfalls ein starkes Streben nach weitreichender Normierung der Gerichtsverfahren erkennen. Insbesondere hatte der König „bey denen Concurs-Processen mit dem höchsten Misfallen wahrgenommen, daß solche in der größten Confusion bishero tractiret worden, und kein Ende davon abzusehen gewesen: wann er aber endlich nach langen Jahren geendiget worden, so hat sich nicht allein gefunden daß verschiedene neue Processe daher entstanden, sondern auch daß die Richter und Advocaten, vornemlich aber der Contradictor das Meiste davon prosistiret haben, und den Creditoribus mehrentheils, nach Abzug derer Kosten, das leere Nachsehen gelassen worden“ war. Er fand es deshalb „nöthig auch diesen unverantwortlichen Mißbräuchen einmal Ziel und Maasse zu setzen, und durch eine besondere Ordnung vorzuschreiben.“⁸⁷⁵ Bereits in den Jahren zuvor hatten Friedrich der Große, der entschlossen war, „niemals in den Lauf des gerichtlichen Verfahrens einzugreifen“ und „die Aufführung der Richter“ ⁸⁷⁶ zu überwachen, sowie sein Vater, der Soldatenkönig, in einer Vielzahl von Edikten ihren jahrzehntelangen Feldzug gegen pflichtvergessene Richter, Advokaten und Prokuratoren begonnen.⁸⁷⁷ Mit dem von vornherein als Interimsrecht konzipierten, dennoch sehr umfangreichen Project des Codicis Fridericiani Marchici vom 3. April 1748 sollten die in den preußischen Territorien unterschiedlichen Verfahrensrechte zugunsten eines im ganzen Königreich Preußen einheitlichen Regelungswerkes abgeschafft werden.⁸⁷⁸ Im vierten Teil des Codex finden sich unter dem Titel IX die Normen „Vom Concurs-Process, und von dem Moratorio, auch von Behandlung derer Creditoren, Cessione bonorum, und dem Beneficio competentiae.“ Anders als in der vorangegangenen Hypotheken- und

 Mylius, II. Teil, II. Abt. S. 236  Anti-Machiavell, übersetzt und abgedruckt bei Volz, S. 7  Politisches Testament von 1752, übersetzt und abgedruckt bei Volz, S. 118  zitiert nach Project des Codicis Fridericiani Marchici, Vierter Theil, Titel IX; ebenso Vollmershausen, S. 75  beide Zitate aus dem Politischen Testament von 1752, übersetzt und abgedruckt bei Volz, S. 118  Einen umfassenden Überblick hinsichtlich der Advokatur gibt mit detaillierten Quellenangabe Wiedemann, S. 3 ff..  Durch Edikt vom 15. Oktober 1748 wurde es den Untergerichten in allen preußischen Ländern als Prozessordnung vorgeschrieben, vgl. Wiedemann, S. 26 und Vollmershausen, S. 74.

IV. Die Schuldnerflucht seit der frühen Neuzeit

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Concursordnung wurden die Bestimmungen über den Konkurs, das Moratorium, die cessio bonorum und das Beneficio competentiae in einem Titel gefasst, womit ihr Regelungszusammenhang stärker hervortrat.

Bestand nach § 2 dieses Codex der Verdacht der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung, hatte der Richter einen Termin binnen vier Wochen anzusetzen, um den Schuldner anzuhören und ihn hiernach gegebenenfalls – insbesondere wenn er nicht ansässig „oder sonst ein übler Haushalter wäre“ – zu verpflichten, „eine eydliche Specification seines Vermögens, und, wann er ein Handelsmann ist, die Production seiner Handlungs-Bücher“ vorzulegen. Erschien der Schuldner nicht oder gab er nicht die geforderten Auskünfte oder bestanden Zweifel an deren Richtigkeit, konnte zur Sicherheit ein von den Gläubigern zu wählender Aufseher oder ein Curator bonorum bestellt werden.⁸⁷⁹ Zwar sollte das Verfahren nach den §§ 4 bis 6 unter anderem dann nicht eröffnet werden, wenn der Schuldner um ein erfolgversprechendes Moratorium nachsuchte. Das Konkursverfahren war jedoch durchzuführen, wenn der „Schuldner, insonderheit ein Handelsmann, sich zur Verfall-Zeit des Wechsels, oder wann eine Execution gegen ihn vorgenommen werden soll, absentiret, und keine Anstalt zur Bezahlung macht, auch kein ander Objectum Executionis vorhanden ist: und soll keine Entschuldigung, daß er auf die Messen, oder ex alia justa causa verreiset ist, gelten.“ Neben der Flucht war das Konkursverfahren zu eröffnen, wenn der Schuldner zahlungsunfähig war, auf die cessio bonorum oder ein wenig aussichtsreiches Moratorium antrug oder starb. Nach Verfahrenseröffnung hatte der Gerichtspräsident „zweyen von denen geschicktesten Räthen die Direction des Process“ ⁸⁸⁰ zu übergeben, die unter anderem verpflichtet waren, sich der Person des Schuldners zu bemächtigen oder im Fall der Flucht diesen steckbrieflich suchen zu lassen. Zudem waren Gläubiger und Schuldner zu laden, bei großen Konkursen durch Anschlag der Edictales „in dreyer Herren Landen“. ⁸⁸¹ In § 155 widmete sich das Gesetz den vorsätzlichen und betrüglichen Banqueroutirern. Friedrich der Große und seine Räte sahen wie ihre Vorfahren die Ursache der meisten Vermögenskrisen offenbar im üppigen Leben der Falliten, in dem sie „mehr als sie erwerben können, verzehret, grosse Häuser gebauet, kostbare Gärten sich zugelegt, ihre Familie über ihren Stand mit Kleidung unterhalten, und en general mehr als sie in Vermögen gehabt an Geld und Waaren aufgeborget“ hatten, um sodann die Flucht zu ergreifen und ihre Nächsten im Ruin zurückzulassen, was –  ebenso Vollmershausen, S. 76  Project des Codicis Fridericiani Marchici, Vierter Theil, Titel IX, § 9  Vollmershausen, S. 77; Project des Codicis Fridericiani Marchici, Vierter Theil, Titel IX, § 10 lit. c

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wie die Jahrzehnte zuvor auch – die Wirtschaft, den Kredit, mithin Handel und Wandel schwächte und in Verruf brachte. Solche Falliten sollten ohne Ansehen von Person und Stand als Dieb und Falsarius angesehen werden, weshalb sie ihrer Ämter oder Innungen verlustig gingen und für diese auf ewig unfähig werden sollten (§ 156). Gleich dem 1715er Edikt lief der Banqueroutirer ausweislich des § 157 zudem Gefahr, sehr peinlich bestraft zu werden, im schlimmsten Fall mit dem Tod. Ebenso hatten im Fluchtfalle das Cammer-Gericht, die Justiz und die Gerichte jedes Orts, an denen der Entlaufene gesessen hatte, sofort dessen Bücher, Korrespondenzen und Papiere in Verwahrung zu nehmen, die auswärtigen Dinge mit Arrest zu belegen, das ganze Vermögen „in ein richtiges Inventarium zu bringen“ und den Schuldner öffentlich zu laden (§ 160). Dieser Regelung ist überdies zu entnehmen, dass das alles auch dann gelten sollte, wenn bei der Wiederkehr des Schuldners ansonsten die Voraussetzungen zur Verfahrenseröffnung nicht vorgelegen hatten. Schließlich wurde der Schuldner nach § 161 in gleicher Weise criminaliter verfolgt, wie im 1715er Edikt, und durfte neben den Gerichtspersonen von jedem Gläubiger gestellt und in Haft gebracht werden (§ 162). In Fall der Säumigkeit und Nachlässigkeit oder gar der Beihilfe, die zur Flucht des bereits festgesetzten Delinquenten führten, mussten die Gerichtspersonen mit der gebührenden Satisfaktion (§ 163) und strengster Bestrafung ohne Aussicht auf Gnade (§ 164) rechnen. Zudem bestand nach § 165 eine strafbewehrte, sofortige Anzeigepflicht für jedermann, der von einem bevorstehenden Falliment und Austritt wusste. Setzte sich der „diebische Schuldner“ in andere Gebiete „auch wohl ausser Reichs“ ab, wurde in § 166 die Aufforderung an die anderen Reichsstände erneuert, den Reichs-Constitutionen gemäß einen solchen Banqueroutirer auszuliefern. Zudem sollten alle Mittel darauf gerichtet werden, den Entlaufenen zurückzubringen, um die Retirade des Schuldners „unter einer fremden Potentz“ nicht dulden zu müssen. Demgemäß wurden alle auswärtigen Bediensteten aufgefordert, „dergleichen flüchtige Creditores überall aufsuchen zu lassen, und zu arretiren“ (§ 167). Schließlich bekräftigte § 168 noch einmal den Rechtssatz, dass selbst der unschuldig in Unglück geratene Schuldner dann infam, allen Verheißungen der in Aussicht stehenden Rechtswohltaten sowie aller Ämter in „ehrlichen Gesellschaften, Innungen, Gülden“ verlustig wurde, wenn er floh und der Ladung des Gerichts zum Termin keine Folge leistete. Auch die weiteren Verfügungen des 1715er Edikts finden sich inhaltlich im Project des Codicis Fridericiani Marchici wieder. Zudem wurden umfangreiche Vorschriften zu den Moratorien (§§ 172 ff.), zum Beneficio cessionis bonorum (§§ 190 ff.) und Beneficio competentiae (§§ 201 ff.) gefasst, denen im Wesentlichen die bereits bekannten Erwägungen und Norminhalte zugrunde lagen. Diesen Bestimmungen ist immer wieder zu entnehmen, dass der offenbare und flüchtige Banqueroutirer keine Wohltaten zu erwarten hatte. Selbst wenn sich die Gläubiger mit dem

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„betrüglichen Spitzbuben“ vergleichen wollten, „so soll solches dem Fisco nicht praejudiciren, weil dem Publico daran gelegen, daß dergleichen Betrüger nicht andern ein Exempel geben durch die Flucht ihre Creditores zum Vergleich zu zwingen“ (§ 194).⁸⁸²

f) Corpus Juris Fridericianum vom 26. April 1781 Friedrich der Große beließ es in der Tat nicht bei dem Project des Codicis Fridericiani Marchici. Mit dem am 26. April 1781 verkündeten Corpus Juris Fridericianum wurde der Zivilprozess im Königreich Preußen mit der Absicht abermals vollständig neu gefasst, „die Prozesse in einem Jahre zu Ende zu bringen.“ ⁸⁸³ Die Prokuratoren waren endgültig vom Prozessgeschehen ausgeschlossen und vor den Untergerichten sollte fortan ohne Advokaten verhandelt werden.⁸⁸⁴ Der Prozess hatte primär der Tatsachen- und Wahrheitsfindung zu dienen, wozu der Richter die Parteien, die zum persönlichen Erscheinen verpflichtet waren, selbst zu hören hatte.⁸⁸⁵ Der Weg zu einem von Amts wegen herbeizuführenden Interessenausgleich zwischen den Beteiligten sollte über die Inquisition und Darstellung ihrer Motive erreicht werden. Ähnlich der preußischen Hypotheken- und Concursordnung vom 4. Februar 1722 wurden im 23., 24. und 25. Titel des 1. Buchs des 2. Teils des Corpus Juris Fridericianum – in dem die Untergerichts- und summarischen Prozesse behandelt wurden – umfassende Bestimmungen zum Verfahren in Moratoriensachen, der Cessione bonorum und der Rechtswohltat der Competenz den konkursrechtlichen Regelungen vorangestellt. Nach § 3 des 23. Titels konnte unter anderem der Schuldner kein Moratorium erwarten, welcher sich auf „flüchtigen Fuß“ setzte oder von einem unbekannten oder auswärtigen Aufenthaltsort aus einen Induld provozierte, weil er sich dadurch dem Verdacht unlauterer Absichten,Verheimlichung seines Vermögens usw. aussetzte. Die Bestimmungen des § 2 des 24. Titels zur Cessione Bonorum offenbaren, dass trotz Überlassens des gesamten Vermögens der Schuldner wegen seiner Wechselverbindlichkeiten nach wie vor der Schuldhaft nicht entgehen konnte.Vielmehr sollte er in diesen Fällen gemäß den Vorschriften des 1. Teils, Titel 24, § 134 mit all seinen körperlichen und geistigen Kräften das zur vollständigen Befriedigung

 zum weiteren Verfahren s. Vollmershausen, S. 76 ff.  so Ziffer 2 der Allerhöchste Königliche Cabinets-Ordre vom 14. April 1780 die Verbesserung des Justiz-Wesens betreffend, abgedruckt in Corpus Juris Fridericianum, Teil 1, S. III  Wiedemann, S. 28 unter Hinweis auf Corpus Juris Fridericianum, Teil 3, IV. Titel, §§ 9 ff.  Vollmershausen, S. 82 ff.

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Erforderliche herbeischaffen, womit andererseits die Flucht geradezu provoziert wurde. Nur im Falle eines wahren, nachweisbaren Unglücks konnte der Schuldner nach § 3 auch wegen seiner Person und Arbeitskraft frei werden, um „ihren verfallen Umständen durch Fleiß und Arbeitsamkeit nach und nach wieder aufzuhelfen“. Weitere Voraussetzungen waren gemäß § 4 die zutreffende, umfassende Anzeige allen Vermögens sowie ein Betragen, um sich „des Schutzes und der Wohlthaten des Staats, so wie des Mitleidens seiner Gläubiger nicht unwürdig“ zu machen. Verschwenderische, leichtfertige oder betrügerische Schuldner, die Vermögen verheimlichten, konnten ebenso wenig auf das Beneficio cessionis bonorum hoffen, wie gemäß § 7 lit. b) diejenigen, die „sich den Ansprüchen der Gläubiger und der ihnen sowohl, als dem Staat, von ihrem Betragen zu gebenden Rechenschaft durch die Flucht entziehen“ wollten. Schließlich konnte nach den Regularien des 25. Titels der Schuldner nur dann mit der Unterstützung des Gerichts bei Verhandlungen mit den Gläubigern über konkursvermeidende Vereinbarungen rechnen, soweit er sich im Sinne der Voraussetzungen zur Zulassung der Wohltat der cessio bonorum redlich verhielt. Grundsätzlich war das Konkursverfahren einzuleiten, wenn der Vermögensverfall eingetreten war und ein Gläubigerantrag vorlag (vgl. §§ 2 und 3 im 26. Titel).⁸⁸⁶ Zur Verfahrensinitiation ex officio war der Richter nur dann ermächtigt, wenn er Grund zu der Vermutung hatte, dass die Gläubiger eigennützig bewusst den Konkursantrag meiden oder wenn nach § 4 eine „Verwirrung und Verdunklung der Masse“ zu besorgen war. Ebenso kam es zur Verfahrenseröffnung nach fruchtloser Bitte um einen Generalindult oder wenn der Schuldner sich zur Cessione bonorum offerierte oder vermögensinsuffizient verstorben war (§§ 5 und 6). Nach § 8 hatten die Gläubiger in einem Präliminarverfahren auf Befragen zu Protokoll zu erklären, inwieweit Tatsachen für die Eröffnung vorlagen, damit die Eröffnungsvoraussetzungen untersucht werden konnten. § 9 sah insoweit eine Beweiserleichterung zugunsten der Gläubiger vor, wonach eine „Provokation der Gläubiger auf Concurseröffnung fundiert werden kann“, wenn der „Kaufmann zu einer Zeit, wo Wechsel gegen ihn ablaufen, sich entfernt, und weder Anstalten zur Bezahlung, noch einen Bevollmächtigten zum Betrieb der Sache zurückläßt; desgleichen, wenn ein anderer Schuldner zur Zeit, wo Exekution wider ihn vollstreckt werden soll, sich auf flüchtigen Fuß setzt, und kein Objekt der Exekution bey ihm vorgefunden wird.“ Das Gericht hatte nach § 10 einen Gerichtstermin zu bestimmen und den Gemeinschuldner unter Hinweis darauf zu laden, „daß, wenn er ungehorsam aussen bleiben sollte, die von den Gläubigern behauptete Insufficienz seines Vermögens für zugestanden geachtet, und mit der Eröffnung des Concurses in

 Corpus Juris Fridericianum, Teil 2, S. 279 ff.

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contumaciam würde verfahren werden.“ Meldete sich der Schuldner im Termin nicht, war nach § 14 eine Contumacialresolution abzufassen und das Verfahren zu eröffnen. Bemerkenswert ist an diesen Normen, dass die Annahme des Eintritts der Zahlungsunfähigkeit an die Flucht des Schuldners und dessen Nichterscheinen vor Gericht geknüpft wurde.⁸⁸⁷ Im Übrigen sehen zwar die §§ 251 ff. Vorschriften „vom Versuch der Sühne in Concursen“ vor, die an das heutige Insolvenzplanverfahren denken lassen, in ihrer Konzeption indes – und sicherlich mit Blick auf die systematische Stellung der Regelungen zu Moratorien, cessio bonorum und beneficium compentatiae in den Titeln 23 bis 25 – restriktiv angelegt waren. Die Möglichkeit der vergleichsweisen Erledigung war demnach nur unter eingeengten Voraussetzungen im ausschließlichen Gläubigerinteresse (vgl. §§ 253, 254) möglich. Damit wurde sicherlich der schon immer gemachten Erfahrung Rechnung getragen, wonach der Schuldner gerade durch seine Flucht Vergleichsverhandlungen anstrebte, sogar diese den Gläubigern gewissermaßen aufzwang.⁸⁸⁸

g) Allgemeine Gerichtsordnungen von 1793 und 1815 Gerade einmal 12 Jahre dauerte es, bis das Prozessrecht im königlichen Preußen mit der Allgemeinen Gerichtsordnung vom 6. Juli 1793 abermals eine Neukodifikation erfuhr. Diese Prozessordnung ließ Friedrich Wilhelm III. (*1770; †1840) nach der Befreiung von der napoleonischen Besatzung am 4. Februar 1815 in Wien erneut mit den Worten⁸⁸⁹ proklamieren: „Die Wiedereinführung unserer Gesetze in die von unserer Monarchie getrennt gewesenen, mit derselben wieder vereinigten Provinzen hat nicht allein das Bedürfniß einer neuen Auflage der Allgemeinen Gerichtsordnung für die Preußischen Staaten herbei geführt, sondern auch eine vollständige Publikation aller seit dem Jahre 1793 erfolgten Abänderungen, Ergänzungen und Erläuterungen der auf das Verfahren in Prozessen und bei den Handlungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit, so wie auf die allgemeine Verfassung der gerichtlichen Behörden Bezug habenden Vorschriften nöthig gemacht. Wir haben daher Veranstaltung treffen lassen, daß jene Abänderungen, Ergänzungen und Erläuterungen verkürzt gesammelt, der neuen Auflage der allgemeinen Gerichtsordnung, welche mit der frühern wörtlich übereinstimmt, gehörigen Orts eingeschaltet ….“

 Vollmershausen, S. 88  wegen des weiteren Verfahrens, späterer Ergänzungen und der Kritik darf auf Vollmershausen, S. 84 ff. verwiesen werden  hier zitiert nach der 1822 abgedruckten vorangegangenen, wörtlich übereinstimmenden Auflage aus dem Jahre 1816

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Angesichts dessen können die 1793er und die 1815er Gerichtsordnungen, die abgesehen von den erwähnten Verordnungszusätzen identisch sind,⁸⁹⁰ gleichlaufend untersucht werden. Die Regelungen zum Einzelvollstreckungsrecht, Arrest, Moratorien, cessio bonorum und Konkurs wurden – wie bereits in der preußische Hypotheken- und Concursordnung vom 4. Februar 1722 und im Corpus Juris Fridericianum – in getrennten Titeln des ersten Teils niedergelegt. Aufbau und Inhalt der Gerichtsordnung ähneln in den hier interessierenden Teilen dem Corpus Juris Fridericianum⁸⁹¹ und zuweilen gleichen sich die Rechtssätze. Der 24. Titel handelte von den Exekutionen, der 27. Titel vom Wechselprozess, der 28. Titel vom exekutivischen Prozess, der 29. Titel von den Arresten, der 47.Titel von den Moratorien, der 48.Titel vom Beneficio cessionis bonorum, der 49. Titel vom Beneficio competentiae und der 50. Titel vom Konkursprozess. Die Allgemeine Gerichtsordnung kennt immer noch die Schuldhaft und Schuldknechtschaft, deren Vollzug im 24. Titel ab § 142 im Detail geregelt ist. Spezifische Regelungen, die die Flucht des Schuldners zum Gegenstand hatten, finden sich vor allem ab dem 47. Titel.

Das Verfahren zur Erlangung der Rechtswohltat des Moratoriums (Indults) war im 47. Titel beschrieben. Ein solches Moratorium hatte nach § 1 die Absicht, „einen Schuldner, welcher an sich noch des Vermögens ist, seine Gläubiger zu befriedigen, den aber gewisse vorübergehende Umstände, ihnen sofort baar und auf Einmal Zahlung zu leisten, verhindern, durch Gestattung einer gewissen Nachsicht in den Stand zu setzen, daß er den Forderungen dieser seiner Gläubiger, ohne seinen Ruin, ein Genüge leisten könne“. Indes waren einige Voraussetzungen zu beachten. So war das Moratorium nur wegen Geldschulden zulässig (§ 2). Zudem musste der Schuldner gemäß § 3 nachweisen, dass er an und für sich hinlängliches Vermögen besaß, um seine Verbindlichkeiten zu erfüllen, allerdings Umstände vorlagen, „die es ihm unmöglich machen, ohne seinen Ruin sogleich prompte und baare Zahlung zu leisten“ sowie „daß gegründete Hoffnung und Aussichten vorhanden sind, daß er durch Verstattung der gebetenen Nachsicht in den Stand kommen werde, seine Gläubiger zu befriedigen, und sich zugleich in seinem Nahrungsstande zu erhalten“. § 4 stellte klar, dass derjenige, der mehr Verbindlichkeiten sein eigen nannte als Vermögen, zum Moratorium nicht zugelassen werde konnte. Und der Schuldner, „der sich auf flüchtigen Fuß setzt, und aus seinem unbekannten oder auswärtigen Aufenthalte auf einen Indult anträgt, soll damit nicht eher gehört werden, als bis er zurückkehrt, und sich zur persönlichen Vernehmung darstellt“ (§ 5). Die Flucht stand – wie ehedem – den vom Gesetz in Aussicht gestellten Rechtswohltaten entgegen.

 Stobbe, Geschichte der deutschen Rechtsquellen, Bd. 2, S. 457; a. A. womöglich Vollmershausen, S. 89 ff.  Vollmershausen, S. 89

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Ebenso finden sich im 48. und 49. Titel Tatbestände, welche das Beneficio cessionis bonorum und das Beneficio competentiae ausschlossen. Das Verfahren des Beneficio cessionis bonorum diente ausweislich des § 1 des 48. Titels der Überlassung des gesamten Vermögens an eine Mehrheit von Gläubigern, wenn der Schuldner sich nicht für ein Moratorium qualifizieren konnte, damit diese sich daraus befriedigen. Die Norm des § 2 machte allerdings deutlich, dass hierdurch der Schuldner von seinen persönlichen Verbindlichkeiten nicht frei wurde, weshalb sowohl diejenigen Gläubiger, welche aus den überlassenen Gütern nicht befriedigt werden konnten, als auch die Wechselgläubiger berechtigt waren, den Schuldner in Personalarrest bringen zu lassen, um ihn dort anzuhalten, „daß er, nach der Vorschrift Tit. XXIV. §. 142., durch Arbeit und Anstrengung seiner körperlichen oder Seelenkräfte das zu ihrer vollständigen Befriedigung Fehlende herbeischaffe“. Die eigentliche Rechtwohltat zeigte § 3, wonach die infolge Unglücks in Vermögensverfall gekommenen Schuldner mit Hilfe der cessio bonorum von der Schuldhaft frei wurden, jedoch mit der Maßgabe, nicht nur für sich und ihre Angehörigen den Lebensunterhalt zu verdienen, sondern auch „ihren verfallenen Umständen durch Fleiß und Arbeitsamkeit nach und nach wieder aufzuhelfen“. Wie schon in anderen vorangegangenen Rechtsordnungen waren die Schuldner, die durch übermäßig aufwendigen Lebenswandel, durch „offenbar unbesonnene und tollkühne Unternehmungen“ oder durch Übeltaten ihre Vermögenskrise herbeigeführt hatten, nach § 5 vom Beneficio ausgeschlossen. Nicht anders erging es gemäß § 6 den Schuldnern, die ihre Vermögen verschleierten, heimlich beiseite brachten und durch Angabe erdichteter Gläubiger die zu überlassene Masse teilweise den realen Gläubigern zu entziehen versuchten. „Unwürdig des Schutzes der Gesetze und des Mitleidens ihrer Gläubiger“ waren nach § 7 schließlich unter anderem diejenigen, welche sich „den Ansprüchen der Gläubiger, und der ihnen sowohl, als dem Staate, von ihrem Betragen zu gebenden Rechenschaft“ durch Flucht entziehen wollten. Die nachfolgenden, sehr detaillierten Regeln bestimmen das weitere Verfahren, wonach sich der Schuldner vollständig, wahrheitsgemäß und unter Vorlage von Urkunden und anderen Beweismitteln hinsichtlich der Umstände seines Unglücks im Einzelnen offenbaren musste. Ferner finden sich Vorschriften zu einzelnen Verfahrensfragen und Rechtsmitteln, auf die hier nicht weiter einzugehen ist. Schließlich lief der Schuldner Gefahr, durch seine Flucht auch das Beneficio competentiae zu verlieren. Den Regelungen der §§ 3 ff. ist die Idee zu entnehmen, eine Einigung mit den Gläubigern über den Eigenbedarf zu finden. Nur in den Fällen, in denen der Schuldner durch Unglück in die Vermögenskrise gelangt war, erhielt er vom Gericht dahingehende Unterstützung, dass der „Deputirte des Kollegii“ alle Mühe aufzuwenden hatte, durch Vorstellung der unglücklichen

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Umstände und der Gründe, „welche Menschenliebe und Religion an die Hand geben“, die Gläubiger zur Annahme der schuldnerischen Vorschläge über Art und Umfang der erstrebten Erleichterungen zu bewegen. Indes konnte kein Gläubiger zur Annahme der Vorschläge gezwungen werden, so dass bei Weigerung selbst nur eines Gläubigers die Verhandlungen über das Beneficio competentiae scheiterten und das Konkursverfahren anzustreben war. Die Normen des § 4 des 50. Titel befolgend musste der Richter das Konkursverfahren auf Antrag oder ex officio unter anderem dann eröffnen, „wenn der Gemeinschuldner sich entfernt hat, ohne jemanden mit der nöthigen Vollmacht und Anweisung zur Besorgung seiner Angelegenheiten zurück zu lassen, und bei einem im Wege der Exekution auf sein Vermögen ausgebrachten Beschlage sich ergiebt, daß dasselbe zur Befriedigung der auf ihn andringenden Gläubiger nicht hinreichend sey“. War der Gemeinschuldner Kaufmann oder hatte er ein Gewerbe unterhalten, welches ihn mit außerhalb seines gewöhnlichen Wohnorts ansässigen Gläubigern allem Anschein nach in Verbindung gebracht hatte, war das Verfahren ex officio einzuleiten. Zudem musste in jeder Konkurssache „der Decernent prüfen und dem Kollegio darüber Vortrag halten, ob Gründe zur Eröffnung der Untersuchung wegen Bankeruts vorhanden sind“. Hatte nach § 9 der Richter Anlass zu vermuten, dass einzelne Gläubiger mit der Vollstreckung gegen den Schuldner wegen dessen schlechten Vermögenszustandes vorsätzlich und zur Gefährdung der übrigen Gläubiger von einem Konkursantrag absahen, so sollte „er diesen von der Lage der Sache Nachricht geben; auch einen Termin anberaumen, in welchem die Gläubiger sich über die ihnen geschehene Bekanntmachung, und etwa nöthige fernere Einleitung der Sache, zu erklären haben“. Die gleiche Befugnis stand dem Richter gemäß § 10 zu, wenn er zu der Erkenntnis kam, „daß durch längern Aufenthalt der Sache Verwirrungen und Verdunkelungen der Masse zu besorgen sind“. Zudem musste das Gericht nach § 11 in einem Präliminarverfahren die Gläubiger zu Protokoll vernehmen, ob Tatsachen und Beweismittel für die Beantwortung der Frage vorlagen, ob das Vermögen des Schuldners zur Befriedigung seiner Gläubiger unzureichend war, soweit nach den vorangegangenen Vorschriften noch Zweifel bestanden. In gleicher Weise war zu verfahren, „wenn ein Kaufmann zu einer Zeit, wo Wechsel gegen ihn ablaufen, sich entfernt, und weder Anstalten zur Bezahlung, noch einen Bevollmächtigten zum Betriebe der Sache zurück läßt; desgleichen, wenn ein anderer Schuldner zur Zeit, wo eine Exekution wider ihn vollstreckt werden soll, sich auf flüchtigen Fuß setzt, und kein Objekt der Exekution bei ihm vorgefunden wird“. Inhaltlich bekannt ist auch der Stoff des § 13, wonach der Gemeinschuldner zu einem möglichst nahen Termin unter der Warnung vorzuladen war, „daß, wenn er ungehorsam außen bleiben sollte, die von den Gläubigern behauptete Insufficienz seines Vermögens für zugestanden geachtet, und

V. Die Preußische Konkursordnung vom 8. Mai 1855

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mit Eröffnung des Konkurses in contumaciam würde verfahren werden“. Kam der Schuldner zu dem Gerichtstermin und „provocirte“ er auf ein Moratorium, musste das Gericht das Verfahren nach dem 47. Titel einleiten (§ 15). Erbot der Schuldner die Überlassung seiner Güter, bedurfte es nach § 16 keiner weiteren Erörterung, so dass der Termin aufgehoben und der Konkurs durch Dekret eröffnet wurde. Erschien jedoch der Schuldner im Termin nicht, war ausweislich des § 17 ein Kontumacialbescheid zu erlassen und „der Konkurs dadurch, der ergangenen Warnung gemäß, in contumaciam eröffnet“. ⁸⁹² In den §§ 663 ff. des 50. Titels der Allgemeinen Gerichtsordnungen wurden ferner wichtige Vorschriften niedergelegt, die sich mit grenzüberschreitenden Konkursen befassten. So nahm das am inländischen Gerichtsstand des (flüchtigen) Schuldners eröffnete Konkursverfahren universale Wirkungen für sich in Anspruch, so dass hiervon im Ausland belegenes Vermögen ebenso erfasst werden sollte. Die Vorschrift des § 670 hielt den inländischen Richter an, seinem ausländischen Kollegen, in dessen Sprengel sich das Schuldnervermögen befand, die Durchführung des Universalkonkursverfahrens im Inland vorzuschlagen. Andernfalls war der Kurator verpflichtet, die Interessen der inländischen Konkursmasse im auswärtigen Spezialkonkursverfahren dergestalt wahrzunehmen, dass keine Ungleichbehandlung der Gläubiger eintrat und ein etwaiger nach Befriedigung der auswärtigen Gläubiger verbleibender Rest der Inlandsmasse zugutekam.⁸⁹³

V. Die Preußische Konkursordnung vom 8. Mai 1855 Die bislang vorgestellten preußischen Prozessordnungen, die mit ihren eingeflochtenen konkursrechtlichen Regeln allesamt noch das gemeine Recht zum Vorbild hatten, standen wegen der sich in der Rechtspraxis offenbarenden Dauer, Schwerfälligkeit und Formlosigkeit der Verfahren sowie wegen daraus resultierender Willkür und Vielschreiberei unter deutlicher Kritik.⁸⁹⁴ Eine Ursache war das Diktat der Wahrheitsfindung, welches zu einer Überlastung der Richter führte.⁸⁹⁵ Im Zeitalter der zunehmenden Industrialisierung wuchs vielmehr der Bedarf nach einem einfach handhabbaren, klar verständlichen und weitgehend vorherseh-

 In den §§ 588 bis 629 finden sich gleich dem Corpus Juris Fridericianum Vorschriften über den Sühneversuch in Konkurssachen, die in weiten Teilen miteinander identisch sind, weshalb auf das weiter oben Ausgeführte verwiesen werden darf.  vgl. hierzu Meili, S. 38 ff.; Trunk, S. 36  Vollmershausen, S. 95 ff.; Meier, S. 84  Vollmershausen, S. 96

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

baren Bewältigungsprogramm, weshalb sich die Ausgestaltung des Verfahrens vom überkommenen Ziel der unerbittlichen Wahrheitsforschung entfernte und sich weitgehend einem nüchternen Prozess der Krisenüberwindung annäherte, in dem das verwertbare Vermögen unter den Gläubigern unter Beachtung ihrer Rangklassen gleichmäßig verteilt wurde.⁸⁹⁶ Nach diesen modernen Erwartungen hatte das Konkursrecht geeignete Mittel bereit zu stellen, um den wirtschaftlichen Kollaps zu bewältigen, der die Wirtschaftsordnung und damit den Wohlstand sowie den sozialen Frieden bedrohte.⁸⁹⁷ Der effiziente und zügige Interessenausgleich zwischen Gläubiger und Schuldner stand nunmehr im Mittelpunkt des Verfahrens. Unter dem starken Eindruck des französischen Code de Commerce von 1807, der während der Zeit der napoleonischen Okkupation und selbst danach noch in einigen preußischen Provinzen unmittelbare Geltung entfaltete⁸⁹⁸ und der bis zu seiner Neuregelung im Jahr 1838 einen harten Umgang mit dem Schuldner, seine unbedingte Verhaftung sowie Hürden für dessen Rehabilitierung vorsah, wandte sich der preußische Gesetzgeber mit der Konkursordnung vom 8. Mai 1855 von den gemeinrechtlich geprägten Vorgängerkodizes aus der Zeit des Absolutismus ab und normierte ein vollständig neu konzipiertes Konkursrecht.⁸⁹⁹ Zwar war der Einfluss des französischen Konkursrechts in mancher Hinsicht so gewaltig, dass mehrere Vorschriften des Code de Commerce in wörtlicher Übersetzung in die preußische Konkursordnung übernommen worden waren.⁹⁰⁰ Demgegenüber enthielt die preußische Konkursordnung aber auch eigene gesetzgeberische Ideen,⁹⁰¹ die das Gesamtwerk – wie es Thieme ⁹⁰² treffend formulierte – als kopernikanische Wende erscheinen ließen. Die Bedeutung dieses neuen Verfahrensrechts kann nicht unterschätzt werden: Immerhin war die preußische Konkursordnung Vorbild für die Konkursordnung des Jahres 1877, die mit ihren Vorschriften im modernen

 Meier, S. 86  Vollmerhausen, S. 97  zur Verbreitung des Code Napoleon s. Kroeschell, Bd. 3, S. 125 f.; das Verfahren nach dem Code de Commerce wird von Meier, S. 87 ff. und von Vollmershausen, S. 98 ff. beschrieben  Kohler, Lehrbuch des Konkursrechts, S. 22; Seuffert, S. 21; zur Entstehung Meier, S. 86 ff.; Vollmershausen, S. 97 ff.  Hellmann, Lehrbuch, S. 107; Uhlenbruck, 100 Jahre Konkursordnung, S. 12; Meier, S. 86; Vollmershausen, S. 98  Seuffert, S. 21  Thieme, 100 Jahre Konkursordnung, S. 40

V. Die Preußische Konkursordnung vom 8. Mai 1855

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Industriezeitalter mehr als 100 Jahre lang die Rechte und Pflichten der am Falliment beteiligten Personen für das gesamte deutsche Reich einheitlich regelte.⁹⁰³ Dass sich die preußische Konkursordnung vom 8. Mai 1855 von ihren gemeinrechtlichen Vorgängern deutlich distanzierte, kann insbesondere aus dem zugehörigen Einführungsgesetz erschlossen werden. Sie ersetzte nach Artikel II und III des Einführungsgesetzes die konkursrechtlichen Bestimmungen der Allgemeinen Gerichtsordnung vollständig, die sich bislang in den Titeln 47 bis 51 des ersten Teils mit dem Induld, der cessio bonorum, dem beneficium compentatiae und dem eigentlichen Konkursverfahren befasst hatten. Artikel XVII des Einführungsgesetzes beendete sogar expressis verbis die nahezu 2000 Jahre lang geübte Institution der cessio bonorum. Die konkursrechtlichen Regelungen wurden aus dem traditionellen Kontext des Zivilprozessrechts herausgelöst und in ein eigenständiges Gesetz gefasst, während die übrigen Bestimmungen der Allgemeinen Gerichtsordnung weiter Geltung behielten. Ersichtlich wurde damit zugleich dem Bemühen Ausdruck verliehen, die Eigenständigkeit des Konkursprozesses stärker herauszustellen.

1. Verfahrenseröffnung Anders als der französische Code de Commerce, der sich als traditionelles Handelsrecht an die Kaufmannschaft richtete und für Nichtkaufleute keine Bestimmungen vorsah, unterschied die preußische Konkursordnung zwischen dem kaufmännischen und dem gemeinen Konkurs, deren Verfahren in §§ 113 ff. prKO und §§ 319 ff. prKO normiert wurden.⁹⁰⁴ Dabei waren nach § 333 prKO die Vorschriften für das kaufmännische Konkursverfahren grundsätzlich auch auf das gemeine Konkursverfahren anzuwenden, soweit wegen der regelmäßig geringeren Masse zwecks Vereinfachung nicht etwas anderes vorgeschrieben war.⁹⁰⁵ Der kaufmännische Konkurs fand gemäß § 113 prKO statt, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hatte.⁹⁰⁶ Nach dieser Vorschrift wurde die Zahlungseinstellung angenommen, wenn der Kaufmann seine Zahlungsunfähigkeit selbst erklärte, wegen derselben sein Geschäft schloss oder andere Umstände vorlagen, aus denen sich erhellte, dass sich der Gemeinschuldner im Zustand der Zahlungsunfähigkeit befand. Der kaufmännische Konkurs fand nach § 114 prKO ferner statt, wenn der Handelsmann, Schiffsreeder oder Fabrikbesitzer sein Geschäft aufgegeben hatte und von ihm während des Geschäftsbetriebes oder binnen eines Jahres danach die Zahlungen eingestellt worden waren. Der Gemeinschuldner war

 Seuffert, Konkursrecht, S. 76; Uhlenbruck, 100 Jahre Konkursordnung, S. 11; Thieme, 100 Jahre Konkursordnung, S. 45 ff.  Hellmann, Lehrbuch, S. 107; Uhlenbruck, 1oo Jahre Konkursordnung, S. 12; Meier, S. 94  Uhlenbruck, 1oo Jahre Konkursordnung, S. 12; Meier, S. 94  Kohler, Lehrbuch, S. 63; Hellmann, Lehrbuch, S. 107

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

gemäß § 116 prKO verpflichtet, seine Zahlungsunfähigkeit binnen drei Tagen nach Zahlungseinstellung dem zuständigen Gericht unter Vorlage der Handelsbücher und der Bilanz anzuzeigen. Das Konkursverfahren war entsprechend § 118 prKO durch das Gericht zu eröffnen, sobald es von der Zahlungseinstellung durch die Anzeige des Schuldners, einen mit ausreichenden Beweisen untersetzten Antrag des Gläubigers oder auf andere zuverlässige Art und Weise Kenntnis nehmen konnte. Nach §§ 118, 119 prKO stand es im freien Ermessen des Gerichts, Untersuchungen über die Eröffnungsgründe durch Vernehmung des Schuldners und weitere Maßnahmen anzustellen. Die objektiv festzustellende Tatsache der Zahlungseinstellung war damit die alleinige notwendige Bedingung der Konkurseröffnung. Nicht mehr zwingend erforderlich waren ein Antrag oder eine allgemeine Vermögensunzulänglichkeit, wie auch die Regelungen der §§ 321, 322 prKO es zeigen. Höinghaus und Simon ⁹⁰⁷ hoben mit Blick auf die gesetzgeberischen Motive insbesondere den Umstand der Kreditwürdigkeit der Handelsleute hervor, bei denen es nicht so sehr auf das sich stets verändernde Vermögen ankäme, sondern auf den Erhalt von Kredit, für den wiederum die pünktliche Erfüllung einer unzweifelhaften Verbindlichkeit die absolute Grundvoraussetzung sei: „Denn der Kredit – dieses unerläßliche Bedürfnis eines jeden kaufmännischen Verkehr – kann nicht bestehen, wenn nicht jeder darin Begriffene mit Gewißheit darauf rechnen kann, daß die Zahlungen pünktlich eingehen, da er sonst nicht die Sicherheit hat, seine eigenen Verbindlichkeiten gehörig zu erfüllen.“⁹⁰⁸ Erfüllte der Kaufmann nicht mehr (pünktlich), enttäuschte er die Erwartungen seiner Geschäftspartner, die nunmehr – eingedenk der mit der Nichterfüllung gewonnenen Einsicht – aus der (allgemeinen) Zahlungseinstellung auf die Zahlungsunfähigkeit und damit auf den ihnen drohenden Forderungsausfall schließen konnten. Den weiteren Umständen, insbesondere der Schließung des Geschäfts kam nur indizielle Bedeutung zu. Denn die Geschäftsschließung war nicht immer eindeutig; ihre Ursache musste die aus der Zahlungseinstellung ableitbare Zahlungsunfähigkeit gewesen sein, um die Verfahrenseröffnung legitimieren zu können. Berichtigte der Schuldner eine unzweifelhafte Verbindlichkeit nicht und hielt er sein Geschäft geschlossen und konnte er oder ein Stellvertreter nicht ausfindig gemacht werden, so waren diese Umstände in ihrer Gesamtschau zwar grundsätzlich geeignet, dem Gericht die Überzeugung über die Tatsache der Zahlungseinstellung zu geben.⁹⁰⁹ Hierzu wurde dem Gericht trotz des Eilcharakters des Eröffnungsverfahrens und der damit verbundenen summarischen Erkenntnisgewinnung jedoch eine umfassende Untersuchungskompetenz eingeräumt, um die die Annahme einer Zahlungseinstellung und Zahlungsunfähigkeit typischerweise rechtfertigenden Tatsachen festzu-

 Höinghaus, S. 4; Simon, S. 20  Simon, S. 20  Koch, S. 92 unter Hinweis auf die Motive des Gesetzgebers

V. Die Preußische Konkursordnung vom 8. Mai 1855

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stellen.⁹¹⁰ Damit korrelierte die Verpflichtung des kaufmännischen Schuldners zur Selbstanzeige. Unterließ er diese, drohte nach §§ 137 ff. prKO die Verhaftung.⁹¹¹ Die Verhaftung des Schuldners diente mit anderen Worten den Aufklärungsbemühungen des Konkursgerichts.

Etwas anders sah es im gemeinen Konkursverfahren aus. Die §§ 321, 322 prKO forderten für die Eröffnung des gemeinen Konkurses einen Gläubigerantrag und die Vermögensunzulänglichkeit, die den Umständen nach zu beweisen war. In § 323 prKO findet sich indes eine Beweiserleichterung für die Tatsache der Vermögensinsuffizienz. Danach war die Unzulänglichkeit des Vermögens unter anderem dann als erwiesen anzusehen, wenn der Gemeinschuldner sich entfernte, ohne einen Bevollmächtigten zur Besorgung seiner Angelegenheiten zu bestellen, und sich bei der Exekution in sein Vermögen die Unzulänglichkeit desselben zur Befriedigung der andringenden Gläubiger ergab.⁹¹² Die Flucht des Schuldners und die bei Gelegenheit der Individualvollstreckung getroffene Feststellung der Vermögensinsuffizienz führten damit direkt zur Verfahrenseröffnung. Über § 333 prKO galten, wie bereits erwähnt, die Regelungen des kaufmännischen Konkursverfahrens über die Verhaftung des Schuldners auch im gemeinen Konkursverfahren, so dass auf das unter nachfolgender Ziffer 2 zu untersuchende Verfahren verwiesen werden kann.

2. Bekanntmachung und Sicherungsmaßnahmen Dem kaufmännischen und dem gemeinen Konkursverfahren war gemeinsam, dass das Konkursgericht gemäß § 123 prKO die Verfahrenseröffnung nach Ermessen des Gerichts in Zeitungen und durch Anschlag an Gerichtsstelle sowie an anderen geeigneten Orten wie der Börse öffentlich bekannt zu machen hatte. Ferner war die Staatsanwaltschaft über die Eröffnung des Konkursverfahrens zu informieren, um Ermittlungen wegen des etwaigen Vorliegens typischer Begleitstraftaten aufzunehmen. Der Schuldner blieb trotz der Verfahrenseröffnung Eigentümer und Rechtsinhaber seines Vermögens, verlor aber die Dispositionsbefugnis. Das Gericht hatte schon vor Verfahrenseröffnung von Amtswegen über die sofortige Siegelung, die Verhängung eines offenen Arrests, die Beschlagnahme der Immobilien und die Verhaftung des Schuldners zu beschließen (§ 137 prKO).

 Höinghaus, S. 4; Simon, S. 56; Meier, S. 95  Simon, S. 12; Koch, S. 94  Kohler, Lehrbuch, S. 63; Hellmann, Lehrbuch, S. 107

154

B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

Die Verhaftung musste nach § 138 prKO verfügt werden, wenn der Schuldner der Flucht verdächtig war, sich bereits in Schuldhaft befand, seinen Anzeige- und Vorlagepflichten entsprechend § 116 prKO nicht Genüge getan hatte oder Wechselklagen erhoben worden respektive Wechsel zu Protest gegangen waren. Entgegen der strengeren Regelung des Code de Commerce sowie des französischen Fallimentsgesetzes von 1838, die eine unbedingte Verhaftung des Schuldners vorschrieben, differenzierte die preußische Konkursordnung, um ein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Gläubiger und des Schuldners zu schaffen. So kann den Motiven⁹¹³ des preußischen Gesetzgebers die Überlegung entnommen werden, dem unglücklichen, aber redlichen Kaufmann nicht mit einer nicht zu rechtfertigenden Härte an den Leib zu gehen, denn es sollte nicht dessen Flucht provoziert und somit das eigentliche Ziel vereitelt werden, dem Verwalter die für die Masseermittlung und -verwertung erforderlichen, wertvollen Auskünfte des Schuldners zukommen zu lassen. Nach Ansicht des preußischen Gesetzgebers war nur in den in § 138 prKO genannten Fällen die Verhaftung des Schuldners unentbehrlich, um einerseits erforderliche Informationen über die Masse sicherzustellen und andererseits bereits in Personalarrest befindliche Schuldner nicht zur Flucht in den Konkurs zu bewegen, welche die Rechte der Gläubiger vereiteln könnte sowie „eine unerwünschte Vermehrung der Konkurse und eine Schwächung des Wechselkredits zur Folge haben würde“.⁹¹⁴ Die (drohende) Verletzung der Informations- und Auskunftspflichten war angesichts der „Frivolität und Gewissenlosigkeit, mit welcher die Schuldner nur zu häufig gegen ihre Gläubiger verfahren“ der hinreichende Grund, um den (fluchtverdächtigen) Schuldner in Haft nehmen zu lassen.⁹¹⁵ Mit anderen Worten: In der Regel sollte der Schuldner verhaftet werden, wenn er die Verpflichtung zur Anzeige der Zahlungseinstellung und Übergabe der Handelsbücher und der Bilanz verletzte oder gegen ihn Wechselsachen anhängig waren. Der Richter durfte hiervon aber absehen, wenn im Einzelfall eine böse Absicht, grobes Verschulden und ein gläubigerbenachteiligendes Verhalten „mit der Wahrheit fern liegen könne“, insbesondere im Falle einer gescheiterten, aber wohlgemeinten vorkonkurslichen Sanierung.⁹¹⁶ Die als Schuldhaft zu vollziehende Haft wurde solange aufrechterhalten, wie es das Gericht zur Verfahrensförderung notwendig hielt (§ 138 Abs. 3 und 4 prKO). Die Norm des § 139 prKO ermächtigte zur jederzeitigen Verhaftung bzw. Wiederverhaftung aus gleichen Gründen. Insbesondere konnte der Schuldner in Haft genommen werden, wenn er

   

Höinghaus, S. 1 ff.; Koch, S. 111 Koch, S. 111; Meier, S. 96 Höinghaus, S. 9; Koch, S. 112 Koch, S. 112

V. Die Preußische Konkursordnung vom 8. Mai 1855

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sich Anordnungen des Gerichts, des Kommissars oder Verwalters widersetzte. Die Kosten der Schuldhaft fielen der Masse als Kommunkosten zur Last.⁹¹⁷ Und im Fall der Haftentlassung war die Staatsanwaltschaft zu benachrichtigen.

3. Infamie und Akkord Die Eröffnung des Verfahrens bewirkte nach den Bestimmungen der preußischen Konkursordnung ebenfalls die Infamie des Schuldners. Ausweislich der Norm des § 310 prKO wurde er wie zu allen Zeiten bestimmter Ehren- und Bürgerrechte – wie das Recht zum Erscheinen auf der Börse, der Mitgliedschaft in einer Kaufmannschaft und kaufmännischen Kooperation oder das Recht, als Makler und Vertreter einer Partei in Handelssachen tätig zu werden – verlustig. Zudem verlor er regelmäßig das Stadtbürgerrecht, das Mitgliedschaftsrecht in einer Innung, die Befugnis zur Lehrlingsausbildung, das Wahlrecht zum Gewerberat und Gewerbegericht sowie die Mitgliedschaft in der Handelskammer und in einem Handelsgericht.⁹¹⁸ Für diese Rechte konnte er nach §§ 311 ff. prKO die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nur dann erlangen, wenn er unter anderem die vollständige Erledigung sämtlicher Verbindlichkeit durch Zahlung, Erlass oder ähnliches nachweisen konnte. Gelang ihm dies nicht, kamen ihm diese Rechte auf Dauer abhanden. Der kaufmännische Schuldner war mithin gehalten, alles Erforderliche zu unternehmen, um auch nach Beendigung des Konkurses seine Gläubiger zu befriedigen. Dies wurde für die Festigung und Erhaltung des gegenseitigen Vertrauens im Handelsstande für unerlässlich angesehen. Der Kaufmann sollte solange nicht wieder in Genuss seiner kaufmännischen Ehre kommen, bis er seine Verbindlichkeiten nicht voll getilgt hatte. Das Bemühen um die Legitimität der gesamten Konzeption fand beispielsweise in folgenden Zeilen einer zeitgenössischen Gesetzeskommentierung seinen Ausdruck: „Diese Strenge ist von einer hohen sittlichen Bedeutung: Sie ist eine Genugtuung für den ehrenhaften Theil des Handelstandes; sie ist aber auch zugleich für den Gemeinschuldner ein Antrieb, sich von dem Makel zu reinigen, der in Folge des Konkurses auf ihn haftet; sie nimmt billige Rücksicht auf Denjenigen, welcher sich einer milden Behandlung nicht unwürdig gemacht hat. Der hierdurch herbeigeführte sittliche Ernst wird gewiß der Integrität des Handelsstandes eine neue erwünschte Stütze gewähren.“ ⁹¹⁹

Erhebliche Bedeutung hatte deshalb für den Schuldner das Akkordverfahren, wollte er die Aufhebung des Konkursverfahrens erreichen und seine Ehren- und Bürgerrechte zurückerhalten.⁹²⁰ Allerdings hatte sich das bis dahin in der Allge   

Koch, S. 113 Gerhardt, S. 102; Meier, S. 96; Vollmershausen, S. 102 zu allem Koch, S. 112; Höinghaus, S. 10 Hartmann, S. 3

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B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

meinen Gerichtsordnung von 1815 enthaltene Vergleichsverfahren als äußerst unpraktisch erwiesen, da nach dem dortigen § 589 grundsätzlich kein Gläubiger verpflichtet war, durch einen Vergleich eine Kürzung seiner Forderung hinnehmen zu müssen.⁹²¹ Dies gab dem Schuldner kaum Anreiz, zur Krisenbewältigung aktiv beizutragen, wenn er doch damit rechnen musste, kein Entgegenkommen seiner Gläubiger zu erfahren und sein neu erworbenes Vermögen weiter den Angriffen der Gläubiger ausgesetzt zu sehen.⁹²² Bestanden für ihn angesichts seiner Verbindlichkeiten keine Chancen, eine abschließende Regulierung herbeiführen zu können, blieb ihm nur noch die Flucht und der dauerhafte Fortgang, um für sich und die Seinen eine bessere Zukunft gestalten zu können. Aber auch unter der Ägide der preußischen Konkursordnung musste der Schuldner nach der Beendigung des Konkursverfahrens mit weiteren Zugriffen seiner nicht (vollständig) befriedigten Gläubiger rechnen. Denn die mit der Verteilung des verwertbaren Vermögens eingetretene Beendigung desselben bewirkte nicht die Enthaftung des Schuldners wegen der insoweit nicht erfüllten Verbindlichkeiten. Vielmehr waren die Gläubiger nach § 280 prKO befugt, sich am (späteren) Neuerwerb des Schuldners im gewöhnlichen Verfahren zu befriedigen. Diese Befugnis konnte trotz des durchlaufenen und abgeschlossenen Konkursverfahrens (erneut) zum Personalarrest des Schuldners führen, so dass für seine persönliche Freiheit mit dem Konkursverfahren nichts gewonnen war. Nur wenn der Schuldner für den Konkurs als entschuldbar angesehen und durch das Gericht mittels Beschluss für daran unschuldig erklärt wurde, war es den Gläubigern wegen ihrer bei Verfahrenseröffnung bestandenen Forderungen verwehrt, die Exekution durch Personalarrest zu betreiben (§ 280 prKO). Im Falle eines Akkordes bedurfte es eines solchen Beschlusses jedoch nicht, da in diesem Fall ein Recht der Gläubiger, ihren Ausfall ersetzt zu verlangen, regelmäßig nicht bestand.⁹²³ Die in der preußischen Konkursordnung enthaltenen Normen über den Akkord orientierten sich ebenfalls am französischen Vorbild.⁹²⁴ Nach Abhaltung des ersten Prüfungstermins konnte gemäß § 181 prKO ein gerichtlich zu bestätigender (Zwangs‐) Vergleich zwischen dem Gemeinschuldner und den Konkursgläubigern abgeschlossen werden, der zugleich rechtsverbindliche Wirkungen für und gegen die widersprechenden oder nicht teilnehmenden Gläubiger entfaltete.⁹²⁵ Soweit

 Hartmann, S. 3; Meier, S. 106  Hartmann, S. 3  Hartmann, S. 4  Vollmershausen, S. 103  sehr kritisch hierzu Koch, S. 142, der auch unter Hinweis auf etwaige (damals durchaus bedeutende) räumliche Entfernungen zwischen Gläubiger und Gerichtsort einen widerrechtli-

V. Die Preußische Konkursordnung vom 8. Mai 1855

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nichts anderes vereinbart worden war, befreite der rechtskräftig bestätigte Akkord den Gemeinschuldner von der (rechtlichen) Verpflichtung gegenüber allen Konkursgläubigern, den durch Konkurs und Akkord entstehenden Ausfall zu ersetzen (§ 198 prKO).⁹²⁶ Die preußische Konkursordnung gewährte dem Schuldner mithin den Anreiz und die Chance, im Rahmen der Privatautonomie eine abschließende Regulierung mit seinen Gläubigern zu erreichen und gab hierzu das Verfahren vor. Gemäß § 182 prKO hatte der Kommissar einen Termin zur Verhandlung und Beschlussfassung über den Akkord anzuberaumen, sobald Gewissheit über die am Verfahren teilnehmenden Gläubiger und ihre Forderungen bestand. Dieser Termin war dem Schuldner anzuzeigen und er war verpflichtet, an diesem Termin persönlich teilzunehmen; er konnte sich nur bei Krankheit oder ähnlich gewichtigen Gründen vertreten lassen (§ 183 prKO). Diese Verpflichtung ist – neben der Förderung durch Auskunftserteilung und Präsenz – angesichts der Erkenntnis zu verstehen, dass selbst für die Gläubiger bessere Befriedigungsaussichten bestehen konnten, wenn sie sich mit dem Schuldner einigten und jener über die Kombination von Stundung, Teilzahlung und Teilerlass womöglich höhere Erträge für sie erwirtschaftete, als wenn es bei der unbeschränkten Haftung geblieben und so ein späterer Fortgang, das Abgleiten in desolate Verhältnisse oder der Freitod provoziert worden wäre. Nach Unterrichtung der geladenen Gläubiger über den Stand des Verfahrens und die Befriedigungsaussichten bei Fortsetzung des Konkursverfahrens konnten die Gläubiger über den Abschluss eines Vergleiches verhandeln und bei (qualifizierter) Kopf- und Summenmehrheit sich mit dem Schuldner einigen (§§ 184, 186 prKO). Es oblag mithin dem Verhandlungsgeschick des Schuldners und der Gläubigerautonomie, einen Beitrag zur Bewältigung der Vermögenskrise zu eigenem Nutzen zu leisten. Um die rechtliche Wirkung des (Zwangs‐) Akkords gegenüber allen Konkursgläubigern zu erlangen, bedurfte es gemäß § 190 prKO der gerichtlichen Bestätigung desselben. Das Gericht hatte die Bestätigung des Akkords jedoch zu versagen, wenn die für das Akkordverfahren zu beobachtenden Vorschriften verletzt worden waren (§ 193 prKO). Dies war unter anderem dann der Fall, wenn der Antrag auf Abschluss eines Akkordes nach § 189 prKO unzulässig gewesen war, weil der Schuldner sich „auf flüchtigen Fuß gesetzt“ hatte oder wenn er wegen

chen Eingriff in die Gläubigerrechte rügte und die Rücksichtslosigkeit bemängelte, die eintreten könnte, dass womöglich „unbedeutende“ Gläubiger über die Rechte „bedeutender“ aber nicht repräsentierter Gläubiger entscheiden und ihnen hierbei empfindliche Verluste verursachen können; Hartmann, S. 4  Hartmann, S. 4

158

B. Die Ausgestaltung der Schuldnerrolle bis zur industriellen Revolution

„betrügerlichen Bankerrutts“ angeklagt worden war.⁹²⁷ Zwar konnte der Akkord gegen den Willen der qualifizierten Mehrheit der Gläubiger nicht erzwungen werden. Indes vergab sich der Schuldner mit der Flucht die Chance, mittels Akkord die Befreiung von den restlichen Verbindlichkeiten zu erfahren und seine bürgerliche und kaufmännische Ehre wiederzuerlangen. Kam es hingegen zum rechtskräftig bestätigten Akkord und erfüllte der Schuldner seine Verpflichtungen gleichwohl nicht, konnten die akkordmäßigen Verpflichtungen gemäß § 201 prKO durch Personalarrest gegen den Schuldner vollstreckt werden. Die §§ 421 prKO enthielten schließlich Bestimmungen zur gerichtlichen Stundung und der Rechtswohltat der Kompetenz.⁹²⁸ Die gerichtliche Stundung und die Kompetenz konnten nur unter engen Voraussetzungen erlangt werden. Ein Anspruch hierauf bestand nur insoweit, als das der Richter hierüber in einem beschleunigten Verfahren nach billigem Ermessen unter Würdigung der vorgelegten Beweise und Beachtung der jeweiligen Interessen entschied (§§ 425, 436 prKO). Die gerichtliche Stundung sollte der Vermeidung des Konkursverfahrens dienen (§§ 421, 431 prKO). Der Schuldner wurde nach § 431 prKO der bereits gewährten Stundung aber verlustig, sobald ein anderer Gläubiger im Wege der Exekution gegen ihn drang. Das Verfahren der Kompetenz beabsichtigte wie ehedem die Sicherung des notwendigen Unterhalts des Schuldners, seiner Ehefrau und seiner unversorgten Kinder (§ 434 prKO). Die preußische Konkursordnung verzichtete – anders als ihre Vorgängerinnen – sowohl für das Stundungs- als auch für das Kompetenzverfahren auf explizite Normen bezüglich der schuldnerischen Flucht und räumte dem Gericht über die Vorschriften der §§ 425, 436 prKO einen Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum ein. Freilich wird die (vorangegangene) Flucht des Schuldners keine Tatsache gewesen sein, die sich günstig für die richterliche Entscheidung ausgewirkt hatte, soweit das Gericht (mangels Antrag) überhaupt veranlasst war, hierüber zu entscheiden.

***

 zur Frage, ob die Vorschrift des § 189 prKO zur Anwendung kam, wenn im Fall des Konkurses einer Handelsgesellschaft nur ein Gesellschafter flüchtete oder wegen betrügerischen Bankerutts in den Anklagestand versetzt wurde, s. Hartmann, S. 27 ff.  starke Kritik äußerte auch hier Koch, S. 257, indem er die System- und Rechtswidrigkeit einer gerichtlich verordneten Stundung rügte, obgleich der preußische Gesetzgeber sich hier ebenfalls am französischen Code de Commerce orientierte; Hartmann, S. 4

C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde Wird der Versuch unternommen, typische normative Merkmale des historischen Haftungsrechts in Bezug auf die Flucht des Schuldners aufzuspüren, können durchaus in den Grundlinien ähnliche Strategien beobachtet werden, die in ihrer jeweils eigenartigen Ausgestaltung dem Bemühen der jeweiligen Rechtsgemeinschaft Ausdruck geben, die damit verbundenen Probleme der Rechtsdurchsetzung zu bewältigen.Verführerisch ist es freilich, in allen historischen Rechtsordnungen vermeintlich universell geltende und weitgehend gleiche Prinzipien der Haftungsverwirklichung erkennen zu wollen. Hier ist in Erinnerung zu rufen, dass die vorangegangenen (Partikular‐) Rechte nur zum Teil gemeinsame Wurzeln hatten, seitdem unter dem Eindruck lokaler und regionaler Traditionen und Bräuche ihre eigene Entwicklung genommen haben und durch die Rezeption fremder Rechte sowie die seit dem 17. Jahrhundert geübte landesherrliche Rechtssetzung immer wieder überformt und zuweilen stark verändert und erweitert wurden. Dennoch scheint es möglich und für den Gegenstand dieser Untersuchung förderlich zu sein, aus den untersuchten Normen einige wiederkehrende Grundgedanken und Reaktionstechniken ungeachtet ihrer Provenienz zu extrahieren.

I. Schuldnertypen Die untersuchten Rechtsordnungen lassen in der Zweckverfolgung ihrer jeweiligen Normen zunächst verschiedene Schuldnertypen erkennen. Die typischen Schuldner waren nicht, worauf Breßler ¹ zutreffend hinwies, die armen Bürger und Einwohner, nicht die Mittellosen und die Bettler, nicht die Waisen und Witwen, die Alten und Gebrechlichen, die auf Almosen² und Barmherzigkeit ihrer Mitmenschen angewiesen waren; denen hätte von vornherein niemand Kredit gegeben. Vielmehr mussten sie ihre geringen Verbindlichkeiten zur Deckung der Grundbedürfnisse sofort und in bar begleichen, denn andernfalls hätten sie keine Leistungen erhalten. Typische Schuldner waren vielmehr der große Patrizier und Kaufmann, der Geldwechsler und Kreditor, jeder Fremde und Handelsreisende, die Angehörigen der Handelsgesellschaften, der Reeder und der Fabrikant, aber auch der freie Bauer und Bürger, der Handwerker, zuweilen der Tagelöhner, die Hausangestellten und das Gesinde, der Söldner und der Soldat, ganz bestimmt der Adlige und auch der Kleriker. Kurzum jeder, dem mit einer nicht sofort zu be-

 Breßler, S. 338 ff. sowie zu den nachfolgend benannten typischen Schuldnern  zum kirchlichen, gemeindlichen und privaten Almosenwesen s. Kriegk, 1868, S. 161 ff.

160

C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde

wirkenden Gegenleistung Vertrauen in der Hoffnung entgegengebracht wurde, hierin nicht enttäuscht zu werden. Typisch für den nicht bedingungsgemäß erfüllenden Schuldner ist die von ihm ausgelöste Enttäuschung, er würde sich erwartbar normadäquat verhalten. Der typische fallitus fugitivus war insbesondere der (fremde) Kaufmann, der zu Handelszwecken Kredit aufnahm, durch die (nach heutigem Verständnis) gefährliche Welt zog, auf weiten und langen Reisen allen möglichen Risiken (Unwetter, Raub, Krieg, Diebstahl, Seuchen und obrigkeitliche Willkür) ausgesetzt war, enorme wirtschaftliche Wagnisse in der Erwartung hoher Gewinne einging und seine Verbindlichkeiten oft mit Wechseln beglich. Wegen der reisebedingten temporären Ortsabwesenheit bestand für die Gläubiger des Kaufmanns immer die latente Gefahr, mit ihren Ansprüchen auszufallen. Diese Gefahr wurzelte in der relativen Unkenntnis der Gläubiger, an welchem Ort sich der Kaufmann zu einer bestimmten Zeit aufhalten wird, ob er zu bestimmten Messe- oder Markttagen erscheint und ob er überhaupt jemals zurückkehrt und seine Pflichten erfüllt. Endemann ³ bezeichnete diese Kaufleute ganz treffend als mercatoris cessantes et fugitives. Die Wahrscheinlichkeit, dass der schuldnerische Handelsreisende dauerhaft ausblieb oder nach seinem Eintreffen gleich wieder Reißaus nahm, weil ihn die Gläubiger bedrängten, wird in der historischen Perspektive als nicht gering eingestuft werden müssen. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass es ein amtliches Personenstands- und Meldewesen in den zurückliegenden Jahrhunderten nicht erlaubt hätte, vermittels eindeutiger, unabänderlicher Merkmale die Identität, die Herkunft und den Verbleib eines Schuldners zweifelsfrei festzustellen. Kirchenbücher konnten, wenn sie überhaupt (sorgfältig) geführt wurden, nicht immer und erst recht nicht sofort eingesehen werden und gaben ohnehin nur rudimentäre Informationen. Präzise bildgebende Verfahren waren ebenso wenig existent wie die (relative) Sicherheit, Urkunden und dergleichen nicht nachahmen oder verfälschen zu können. Hinzu kam die permanente Gefahr, dass wichtige Urkunden durch Brand, Raub oder Diebstahl abhandenkamen. Die Identität einer Person lebte vielmehr im kollektiven Bewusstsein der Sozialgemeinschaft. Vermisst oder verstorben geglaubte Menschen tauchten zuweilen nach Jahren zur Überraschung vieler in der Heimat wieder auf oder kehrten unter fremden Namen unerkannt zurück. Diese Umstände ermöglichten es dem betrügerisch agierenden Schuldner in der Fremde, die Merkmale zu seiner Identifizierung wie Namen, Stand, Beruf und Wohnort beliebig und weitgehend unentdeckt zu verändern. Verschwanden sie

 Endemann, S. 36

II. Rechtsbruch und Sanktion

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dann wieder, war die Haftungsverwirklichung nahezu aussichtslos. Ohnehin war es den potentiellen Gläubigern regelmäßig unmöglich, hinsichtlich eines ihnen fremden Schuldners belastbare Anhaltspunkte über dessen Vermögensverhältnisse ausfindig zu machen. Ganz entscheidend kam es also auf den guten Leumund und auf die ihn begleitenden Empfehlungen, mithin auf seinen Kredit an, um ausgedehnte Wirtschaftsbeziehungen eingehen und unterhalten zu können. Der typische fallitus fugitivus war aber auch der am Heimatort fallierende Kaufmann, der seinen wirtschaftlichen Zusammenbruch aufgrund seines Sonderwissens antizipierte und deshalb in andere Orte, an denen er noch über Kredit verfügte, floh. Derartige Zufluchtsorte lagen regelmäßig in anderen Städten, an den Höfen und in den Territorien auswärtiger Obrigkeiten, auf eigenen, außerhalb des Gerichtsbezirks liegenden Landgütern oder in den Freiungen der Klöster oder in der Immunität geistlicher Institutionen.⁴ Dorthin begab sich der fallitus fugitivus, um temporären oder dauerhaften Schutz vor seinen Gläubigern zu erreichen. Denn zumeist wussten die Gläubiger nicht, wohin der Schuldner floh. Zudem erschöpfte sich die Rechtsmacht des Gerichtes an den Grenzen seines Sprengels, so dass es auf die Hilfe auswärtiger Herrschaften angewiesen war. Zwar bemühten sich die lokalen Souveräne um Vermittlung und Rechtshilfe. Die Tatsache, dass dennoch weitreichende Vorschriften im Zusammenhang mit der sofortigen Arretierung des Schuldners und seines Vermögens in den Partikularrechten aufzufinden sind, offenbart, dass nicht (immer) auf effektive Hilfe von fremden Obrigkeiten gebaut werden konnte. Die Flucht eröffnete dem Schuldner damit den Gestaltungsspielraum, sich auf Dauer seinen Gläubigern zu entziehen oder zumindest solange, bis diese zu einer Einigung bereit waren.

II. Rechtsbruch und Sanktion Die mit dem (einstweilen gewollten) Ausbleiben der schuldnerischen Leistung einhergehende Unsicherheit der Gläubiger, ob sie ihre Forderungen gegen den Schuldner (zur rechten Zeit am richtigen Ort) zu erlösen vermögen, konnte sich schnell zur bitteren Feststellung des Gegenteils entwickeln. Dem historischen Rechtsverständnis gemäß machte sich der Schuldner mit der Nichterfüllung der Schuld des Bruchs des (Rechts‐) Friedens schuldig. Ein weiterer, dem ersten Rechtsbruch folgender war die Flucht, zu welcher der Schuldner ansetzte, um sich den Wirkungen der von den Rechtsordnungen zur Anspruchsverwirklichung be-

 Häberlein, S. 287 f., der sehr anschauliche Fluchtbeispiele aus der Augsburger Kaufmannschaft des 16. Jahrhunderts gibt

162

C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde

reitgestellten Mittel zu entziehen. Wegen dieser Missetaten⁵ – der Nichterfüllung einer Schuld und der nachfolgenden Flucht – wurde er verfolgt. Die Städte, die Landesherren und die Könige und selbst die Kaiser reagierten auf die durch das Falliment und die Schuldnerflucht eingetretenen Rechtsbrüche mit immer ausdifferenzierteren Normenwerken, mit Markt- und Messeordnungen, mit Polizeiordnungen, mit besonders ausgeprägten Verfahrensordnungen sowie mit speziellen Edikten gegen Bankrotteure. Denn die historischen Souveräne verstanden die vom Schuldner ausgehenden Rechtsbrüche wie alle anderen Rechtsverletzungen als allgemeine Gefahr für den städtischen und den Landfrieden und als Bedrohung für die Wohlfahrt der Untertanen. Zumeist enthielten die Rechtsordnungen neben Ermächtigungsnormen zur reaktiven Schuldnerverfolgung scharfe Sanktionen zur Sühnung des Rechtsbruchs. Zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung des Markt-, Stadtund Landfriedens wurden Betrügerei, Gaunerei,Wucher und andere Delikte, zu denen das Falliment und die Flucht zählten, durch allgemeine oder spezielle (Markt‐) Gerichte sofort, hart und vor allem sichtbar vor den Augen der Rechtsgemeinschaft geahndet. Für die Rechtsunterworfenen war es naheliegend und durchaus nachvollziehbar, dass der (schuldhafte) Schuldner, der Bankrotteur, oftmals in gleicher Weise belangt wurde wie ein Dieb, Betrüger oder Räuber: und zwar mit vielerlei Leibesstrafen und nicht selten mit dem Tod. Andere Normen ließen nur bestimmte auswärtige Kaufleute zu Markt- und Messetagen zu und wirkten damit präventiv. Der Prävention und Reaktion diente gleichermaßen die regelmäßig in Aussicht gestellte Infamie, welche den Verlust der Bürger-, Kaufmanns- und Ehrenrechte mit sich brachte und die einen zu vermeidenden Angriff auf die Würde und Selbstachtung des Schuldners darstellte. Dabei darf die Bedeutung der Infamie in einer jeden von Stand, Ansehen, Ehre und Religiosität geprägten Zivilgesellschaft nicht unterschätzt werden: Der drohende Verlust der bürgerlichen Rechte und Ehre zeigte stets durchschlagende Wirkung. Diese seit der römischen Antike nachweisbare Folge der schuldnerischen Vermögensinsuffizienz zieht sich wie ein roter Faden durch die mittelalterlichen, neuzeitlichen und modernen Rechtsordnungen bis in die Gegenwart. Noch heute gilt vielen Menschen die infamia facti als Kainsmal des persönlichen Scheiterns und des Verlustes der Ehrbarkeit. Der (vermeintliche) Makel des Konkurses wird heute wie ehedem empfunden. Insgesamt zeigt sich, dass die historischen Normengebäude sowohl reaktive als auch präventive Elemente zur Bewältigung der durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch ausgelösten Krise beinhalteten.

 zum historischen Begriff der Missetat s. Brunner, Heinrich, Bd. 1, S. 211

II. Rechtsbruch und Sanktion

163

Die bunte Vielfalt der (städtischen) Partikularrechte offenbart zugleich, dass der Forderungsausfall infolge Flucht an der Tagesordnung war. Eine Ursache lag im räumlich-limitierten Geltungsbereich der Partikularrechte, die bei einer Dingflucht oftmals keine effektive Rechtsverfolgung hinter ihren Grenzen gewährleisteten. Denn die Verfolgung eines oder mehrerer Ansprüche bedingte zumeist die (öffentliche) Ladung des Schuldners vor das für den betroffenen Rechtsraum zuständige Gericht. Folgte der Schuldner der Ladung nicht, indem er sich passiv verhielt oder die Flucht ergriff, schloss sich in aller Regel ein Ungehorsamsverfahren an. Zweck dieses Ungehorsamsverfahrens war aber nicht so sehr die Verwirklichung der gläubigerseits erhobenen Ansprüche als vielmehr die Wahrung, Wiederherstellung und Sicherung der Rechtsordnung und damit des sozialen Friedens. Indem der flüchtige Schuldner nicht vor Gericht erschien, zeigte er seine Nichtachtung gegenüber dem Recht und der ihm Unterworfenen; er machte sich mit seinem Ungehorsam in den Augen seiner Rechtsgenossen verächtlich. Folge dessen waren die Ächtung und zumeist die dauerhafte oder zeitweilige Verbannung, mit der ihm der (Rechts‐) Schutz der Heimat, der „sichere Hafen“ genommen wurde. Wurde der Schuldner während seiner Flucht ergriffen, drohte ihm wegen des Ungehorsams ebenso die zuweilen scharf vollzogene Haft, leibliche Strafe und der Verlust bürgerlicher (Ehren‐) Rechte. Eine im gemeinen Recht feststellbare Rechtsfolge des schuldnerischen Ungehorsams bewirkte zudem, dass der säumige Schuldner – im Gegensatz zum römischen Recht – ohne weiteres mit seinen Einwendungen gegen den erhobenen Anspruch abgeschnitten war und dem Gläubiger das eingeforderte Recht zugestanden wurde. Die Legitimation der an die Säumnis geknüpften Verurteilung des Schuldners hat sich bis in unsere Tage erhalten. Angesichts der Tatsache, dass die vergangenen Rechtsordnungen dem Schuldner mit harten pönalen Sanktionen drohten, die bis zum vollständigen Verlust des sozialen Standes sowie der Selbstachtung führen und bis zur Todesstrafe reichen konnten, ist es nicht weiter verwunderlich, dass der zahlungsunfähige Schuldner oftmals keinen anderen Ausweg wusste und von sich aus in den Tod flüchtete. Der durch die Ehrlosigkeit infolge Bankrotts motivierte Selbstmord war wie die Flucht eine typische Reaktion, die seitens der Gesellschaft vom Bankrotteur geradezu erwartet wurde.⁶ Lag dem Schuldner die Selbstentleibung nicht, entzog er sich der drohenden Ehrlosigkeit und den weiteren Sanktionen durch die Flucht. Deshalb verwundert es nicht, dass manche Rechtsordnungen den durch den Freitod und die Flucht hervorgerufenen concursus creditorum mit ähnlichen oder denselben

 Uhlenbruck, FS Gerhardt, S. 981 ff.; Paulus, Kaleidoskop, S. 109; Beispiele aus dem 20. Jahrhundert nennt Merten, S. 256 ff.

164

C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde

Normen abzuwickeln versuchten. Zu beobachten ist des Weiteren, dass die mit der wirtschaftlichen Entwicklung der Städte einhergegangene Professionalisierung und die dadurch verursachte Bedeutungslosigkeit der Schuldknechtschaft (hier gemeint im Sinne eines Abarbeitens der Schuld) immer mehr das Bedürfnis entfallen ließen, für die Anspruchsverwirklichung zwingend Zugriff auf die Person des Schuldners nehmen zu müssen. Im Fall der Flucht und des Freitodes des Schuldners konnten ohnehin nur die von ihm zurückgelassenen Vermögenswerte, die Reste, unter den Gläubigern verteilt werden. Die Person des Schuldners hatte im Laufe der Jahrhunderte für die Anspruchsverwirklichung nur noch insoweit Bedeutung, als die in seinem Wissen stehenden Informationen über verborgene oder auswärtige Vermögenswerte zur bestmöglichen Befriedigung von Belang waren; er wurde in personam vornehmlich zur tätigen Mithilfe benötigt. Dennoch blieb die Schuldhaft, oft als ultima ratio, noch in Gebrauch, um über die Angehörigen und Dritte sozialen Druck aufbauen zu können, damit jene ihn aus einer Schuldhaft – auch durch Preisgabe vermögensrelevanter Informationen – erlösen. Die Flucht war aber gleichzeitig die Chance des zahlungsunfähigen Kaufmanns, die drohenden Sanktionen leerlaufen zu lassen. Nicht selten werden die nach den einzelnen Partikularrechten vorgesehenen Reaktionen für den Schuldner unerträglich gewesen sein, wenn er überwiegend unschuldig – sei es durch ein typisches Unglück oder sei es durch das Verhalten Dritter – in den Ruin gelangt war und sich gleichwohl verfolgt sah. Bot für diese Fälle die Rechtsordnung keine oder nur unzureichende Anreize, ihn zum Bleiben zu bewegen, damit er mit seinen Gläubigern Wege aus dem Dilemma finden konnte, machte es für viele Schuldner nur noch Sinn, mit dem Ziel zu fliehen, anderswo als unbescholtener Bürger ihr Leben fortzusetzen und einen Neuanfang zu wagen.

III. Prioritätsprinzip, Konkurs und Präliminarverfahren Die Nichterfüllung der Schuld provoziert die Reaktion des Gläubigers, die Erfüllung erzwingen zu wollen. Die aktive Selbsthilfe war in den weniger ausdifferenzierten Rechtsordnungen akzeptiert. Es resultierte aus der fehderechtlichen Tradition der erlaubten Selbsthilfe, dass der Gläubiger exklusive Befriedigung erfuhr, der zuvorderst den Zugriff auf den Schuldner und sein Vermögen nehmen konnte. Erst mit den vermehrt obrigkeitlichen Bemühungen um ein Zurückdrängen der Fehde zur Erreichung eines dauerhaften Friedens wurde die hoheitliche, durch Richter kontrollierte Rechtsdurchsetzung die allein zu akzeptierende Form der Anspruchsverwirklichung. Das Prioritätsprinzip wurde hierdurch aber nicht beschränkt. Auch wenn mehrere Gläubiger gegen den Schuldner drangen, galt

III. Prioritätsprinzip, Konkurs und Präliminarverfahren

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dennoch viele Jahrhunderte strikt das Recht des ersten Zugriffs. Der Gläubiger, der zuerst den Schuldner aufspürte und sein Vermögen in Beschlag nehmen konnte, genoss absoluten oder relativen Vorrang gegenüber den anderen Gläubigern. Dieser Wettlauf der Gläubiger wurde von den antiken und mittelalterlichen Rechtsordnungen grundlegend respektiert. Erst nach und nach setzte sich in den Partikularrechten der Gedanke durch, im Falle des Todes oder der Flucht ein alle Gläubiger erfassendes, kombiniertes Erkenntnis- und Haftungsverwirklichungsverfahren einzurichten. Die historischen Rechtsordnungen knüpften zunehmend an Schuldnertod und Flucht die Einleitung eines Verfahrens der Gesamtvollstreckung zugunsten mehrerer oder aller Gläubiger. Der Tod des Schuldners und sein Weggang waren miteinander vergleichbare Krisensituationen mit dem gemeinsamen Symptom, seiner Person, die bislang Ansatzpunkt für die Haftungsverwirklichung war, nicht mehr habhaft werden zu können. Während diese Erkenntnis nach dem Schuldnerexitus für die Beteiligten evident war, bestand im Fall der Flucht allerdings die Ungewissheit, ob der Fortgang des Schuldners endgültig sein wird. Diese Ungewissheit konnte jedoch keine Rechtfertigung dafür geben, die Haftungsverwirklichung auf unbestimmte Zeit auszusetzen. Überdies mussten die Gläubiger damit rechnen, dass der fallitus fugitivus aus der Ferne über Verwandte und Freunde im Gerichtsbezirk noch vorhandene Vermögenswerte beiseiteschafft, so dass ihr Schaden zuzunehmen drohte. Der durch die Flucht erfolgte Abgang des Schuldners wurde deshalb wie bei seinem Tod als zunächst endgültig betrachtet, so dass das Verfahren der Haftungsverwirklichung seinen Anfang nehmen konnte. Dabei bildeten die zurückgebliebenen Gläubiger eine Verlustgemeinschaft, die sich nach der Flucht oder dem Tod des Falliten an den von ihm hinterlassenen Vermögen zu befriedigen suchte. In diesen Fällen nahmen die Partikularrechte nach und nach vom strikten Prioritätsprinzip Abstand, unterschieden mehrere Gläubiger gegebenenfalls in verschiedene Rangklassen und wandten sich dem Gedanken der par conditio omnium creditorum innerhalb gleicher Rangklassen zu. Diese Maxime auf alle Fälle der Vermögensinsuffizienz auszuweiten, gelang erst mit der zunehmenden Aufgabe des Prioritätsprinzips, machte aber in einigen Partikularrechten bereits früh den Weg zu einem spezifischen Konkursrecht frei.⁷ Andere Partikularrechte

 In gewisser Weise ist der Prioritätsgedanke in den nicht selten sehr tief gestaffelten Rangordnungen der historischen Verfahrensnormen wiederzufinden. Und selbst das moderne deutsche Insolvenzrecht, welches prinzipiell der gemeinschaftlichen und gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung dienen will (§ 1 Satz 1 InsO), unterscheidet zwischen Massegläubigern,

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C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde

behielten noch bis in das 17. Jahrhundert hinein das strikte Prioritätsprinzip des ersten Gläubigerzugriffs auch im Fall der Gläubigermehrheit bei. Seit dieser Zeit bildeten sich in allen deutschen Territorien mehr oder weniger geschlossene Normenwerke heraus, die sich später nicht selten zu eigenständigen Konkursverfahrensordnungen weiterentwickelten. Ungeachtet dessen behauptete das Prioritätsprinzip in den historischen Rechtsordnungen weiter seine Legitimation. Der einzelne Gläubiger konnte im Falle der zwangsweisen Anspruchsverfolgung zunächst auf das Prioritätsprinzip vertrauen, solange er von einer bloßen Zahlungsunwilligkeit des Schuldners ausgehen durfte, keine Anzeichen einer Vermögensinsuffizienz bestanden und sich nicht weitere Gläubiger einfanden. Das entgegenstehende Axiom der par conditio omnium creditorum hatte lediglich in den Fällen der (durch den Tod oder die Flucht angezeigten) etwaigen Vermögensunzulänglichkeit Bedeutung. Ob die Nichterfüllung auf der Zahlungsunwilligkeit des Schuldners beruhte oder auf dessen objektiver Unfähigkeit, war für den Gläubiger mangels stichhaltiger Informationen zumeist nicht sofort zu erkennen. Bedrängten jedoch mehrere Gläubiger den Schuldner und floh dieser, wurde im Mittelalter die Schuldnerflucht regelmäßig als Grund und Auslöser eines sofort einsetzenden Verfahrens zur Beschlagnahme und Verwertung des zurückgelassenen Vermögens betrachtet. In den neuzeitlichen Partikularrechten ist indes zu erkennen, dass die Flucht – wegen der Ungewissheit über die sie auslösenden Gründe – oftmals nur noch als widerlegbares Indiz der Vermögensinsuffizienz wahrgenommen wurde. Dies beruhte auf der Erfahrung, dass so mancher Schuldner wiederkehrte und seine Verbindlichkeiten ohne weiteres berichtigte. Ob ein Falliment eingetreten und ob infolge dessen ein Abreiseverhalten als darauf beruhende Flucht zu qualifizieren war, konnte zumeist nur aufgrund äußerer Umstände erahnt werden. Die Flucht war damit nur noch ein Zeichen einer möglichen, aber nicht gewissen Vermögensunzulänglichkeit. Sie gab aber den Anlass zur Erforschung dessen, ob ein alle Gläubiger erfassendes Verfahren der Haftungsverwirklichung wegen eingetretener Vermögensunzulänglichkeit zu eröffnen sei. Gegenstand der Untersuchung solcher Präliminarverfahren war mithin die Frage, ob sich die durch die Flucht angedeutete Vermögensunzulänglichkeit als Tatsache erweist oder ob diesem Verhalten andere Gründe zuzuschreiben sind. Für das präpositorische Verfahren waren Schuldner und Gläubiger zu laden, um sie am (weiteren) Verfahren teilhaben lassen zu können. Angesichts der Flucht des

absonderungsberechtigten (Insolvenz‐) Gläubigern, einfachen Insolvenzgläubigern und nachrangigen Insolvenzgläubigern.

IV. Sicherungsmaßnahmen

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Schuldners und der Ungewissheit, wer sich zu den Gläubigern des Schuldners zählen lässt und welche Vermögensgegenstände noch zusammengetragen werden können, erfolgten die Ladungen durch öffentliche Bekanntmachung. Geladen wurde mit an öffentlichen Türen und Toren angeschlagenen Edikten, in Zeitungen und in anderer, die Öffentlichkeit erreichender Weise sowie durch Bekanntmachungen in anderer Herren Länder. In den neuzeitlichen Verfahrensordnungen ist regelmäßig die Fahndung nach dem Schuldner mittels Steckbriefen und dergleichen als Mittel zu beobachten, um seiner Person habhaft zu werden. Denn für das Eröffnungsverfahren sollte durch Befragen des Schuldners ergründet werden, welche Ursachen zu seinem Niedergang führten und inwieweit er noch über verwertbares Vermögen verfügte.

IV. Sicherungsmaßnahmen Die drohende Flucht rief weitere Reaktionen des historischen Haftungsrechts hervor. Der sich auf Handelsreisen befindliche Kaufmann wurde als potentiell flüchtig angesehen. An für ihn fremden Orten gab es zumeist keinen besonderen Reiz, länger zu verweilen, wenn die Geschäfte erledigt waren. Zudem wurde – unabhängig vom sozialen Stand – jeder von auswärts kommende Reisende, jeder Fremde und jeder Gast, der Verbindlichkeiten vor Ort einging, als potentiell fluchtverdächtig betrachtet. Im Gegensatz zum ortansässigen Bürger, Bauern oder Einwohner, der im Gerichtsterritorium mit Grundbesitz oder eigener Wohnung ausreichend belegen und in der städtischen oder ländlichen Gesellschaft integriert war, konnte der fremde Gast und Reisende jederzeit aufbrechen und sich damit dem Zugriff seiner Gläubiger entziehen, ohne seine Heimat, Vermögen und Liebgewordenes zurücklassen zu müssen. Dieser Fremde verfügte aus der Sicht der Gläubiger nur über das von ihm mitgeführte und insoweit greifbare Vermögen, welches für die vor Ort begründeten Ansprüche haftete, so dass eine Haftungsverwirklichung nur an – oder besser – mittels seiner Person möglich war. Dabei zeigte sich dieses Vermögen nicht (nur) in Buchwerten, sondern real in mitgeführten geschlagenen oder ungeschlagenen Münzen sowie Waren. Nur über die sofortige Festsetzung des Fremden und seines mitgeführten Vermögens hatte der Gläubiger die Aussicht,wegen seiner Forderungen befriedigt zu werden.War der Gast bereits über die Gerichtsgrenzen entschwunden und war mit seiner Wiederkehr nicht mehr zu rechnen, drohte der Totalausfall. Deshalb musste der Gläubiger nicht erst ein aufwendiges Gerichtsverfahren zur Feststellung und Titulierung seines Anspruchs durchlaufen, um anschließend vollstrecken zu dürfen, sondern konnte den Schuldner festhalten und einstweilen arretieren lassen. Im Gegenzug war in

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C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde

einem sofort einzuleitenden, beschleunigten Verfahren über die behaupteten Forderungen zu entscheiden. Aber auch der ortsansässige, in die wirtschaftliche Krise schlitternde Kaufmann kam in Fluchtverdacht. Auch jener konnte Münzen, Waren, Pretiosen, Papiere und sonstige wertverkörpernde Sachen mitnehmen und damit dem Gläubigerzugriff entziehen. Sein Verhalten wurde von den vergangenen Rechtsordnungen ebenfalls kritisch beobachtet. Typische Verhaltensweisen, die auf eine gläubigerschädigende Flucht deuteten, waren hier gleichermaßen geeignet, den Schuldner und sein Vermögen vorläufig arretieren zu lassen und ein Verfahren zur Untersuchung dessen einzuleiten, ob Vermögensunzulänglichkeit eingetreten war. In Ermangelung effizienter Rechtshilfe für den Fall des durch die Flucht drohenden Forderungsausfalles blieb auch den Gläubigern des ortsansässigen Schuldners regelmäßig nur dessen (vorläufige) Festsetzung, um Vermögensmassen zu sichern. Schickte sich der Schuldner mithin an, vor gerichtlicher Feststellung seiner Schuld die Flucht zu ergreifen, war es dem Gläubiger gewöhnlich gestattet, Person und Vermögen des Schuldners einstweilen zu arretieren, um den späteren Vollstreckungszugriff zu sichern. Die eigenhändige Verfolgung und Ergreifung des flüchtigen Schuldners durch die Gläubiger wurde explizit erlaubt, wenn keine rechtzeitige obrigkeitliche Hilfe zu erreichen war. Sie waren neben den hoheitlichen Gewaltträgern ermächtigt, den Schuldner festzusetzen, um ihn in private und später obrigkeitliche Verwahrung zu nehmen. Zudem wurden sie ermächtigt, mitgeführtes Vermögen zu beschlagnahmen, um es (zugunsten aller Gläubiger) dem Gericht oder einem zu bestellenden Treuhänder zu übergeben. Bei beiden Varianten – fremder oder ortsansässiger Schuldner – waren es gewöhnlich die mercatoris cessantes et fugitives, also diejenigen Kaufleute, die sich durch die Flucht dem Zugriff ihrer Gläubiger zu entziehen trachteten, die in Haft genommen und von denen gegebenenfalls unter Folter rechtmäßiges Handeln erzwungen wurde.⁸ Hieraus erklärt sich, weshalb ein Konkurs im Sinne des Zusammenlaufens mehrerer Gläubiger typischerweise im kaufmännischen Sektor eintrat. Der concursus creditorum war ursprünglich in den entwickelten Wirtschaftszentren der antiken und mittelalterlichen Städte zu beobachten und blieb bis in die jüngste Vergangenheit sichtbares Zeichen für den Vermögensverfall. Zugleich offenbart sich, weshalb viele historische Legislativen den kaufmännischen Vermögensverfall besonderen Verfahrensnormen unterwarfen, während es für andere Schuldner oftmals bei überkommenen Regelungen geblieben ist oder sie nach anderen Kriterien behandelt wurden. Nur einige Verfahrensordnungen unterschieden nicht streng zwischen dem kaufmännischen und dem gewöhnlichen Falliment.

 Smid, Samuel Oppenheimer, S. 583

V. Personal- und Vermögensexekution

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V. Personal- und Vermögensexekution Seit der Antike reagierten die Rechtsordnungen auf die Nichterfüllung der Schuld und die deshalb drohende Flucht des Schuldners mit dem Mittel der Inhaftierung. Die Inhaftierung hatte zum einen die Funktion, die nachfolgende Ahndung des Rechtsbruchs zu ermöglichen, wofür die Verfügung über die Schuldnerperson erforderlich war. Regelmäßig sollte die mit der Nichterfüllung und Flucht zum Ausdruck kommende Missetat durch Freiheitsentzug oder drastischere Strafen geahndet werden. Der Schuldner wurde aber auch inhaftiert, damit er sich nicht (wieder) dem exklusiven Exekutionszugriff seiner Gläubiger auf seine Person entzog. An das Verfahren zur gerichtlichen Feststellung der Schuld schloss sich (wenn von Rechtsbehelfsmöglichkeiten abgesehen wird) die Vollstreckung an. Der Gläubiger konnte zuweilen aus Rechtsgründen nur über die Person des Schuldners Zugriff auf dessen Vermögen nehmen. Sinn der Inhaftierung war es mithin, die spätere Personalexekution einzuleiten und zu sichern, deren Wirkung darin bestand, auf den Schuldner und dessen Angehörige psychischen und physischen Druck auszuüben, damit sichtbar vorhandenes oder etwaig verborgenes Vermögen zur Gläubigerbefriedigung eingesetzt wird. War der Schuldner selbst illiquide, sollten die Familie und Freunde des Schuldners dazu bewegt werden, ihn gegen Zahlung der Schuld auszulösen. Von der vom Freiheitsentzug ausgehenden direkten und indirekten Pression auf Schuldner und Angehörige versprachen sich die antiken und mittelalterlichen Rechtsordnungen die Anspruchsbefriedigung. Einige historische Rechtsordnungen räumten überdies dem Gläubiger den Zugriff auf die Person des Schuldners zu dem Zweck ein, dessen Arbeitskraft zum Abdienen der Schuld verwerten zu können. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass es bereits zu Zeiten des römischen Imperiums partiell zur Auflösung der vormals untrennbaren haftungsrechtlichen Verbindung zwischen Person und Vermögen kam. Ebenso unterschieden die sich aus den Stammes- und Volksrechten entwickelnden Rechtsordnungen zwischen der Personal- und der (isolierten) Vermögensexekution. Zunehmend vollzog sich eine Trennung der Vermögensexekution von der Personalexekution. Um zur Befriedigung zu gelangen, musste der Gläubiger nur noch Zugriff auf das schuldnerische Vermögen nehmen und es zur Verwertung bringen. Die für ihn aufwendige Personalhaft konnte er sich ersparen, wenn er doch leichter und ziemlicher in das Schuldnervermögen liquidieren konnte. Seit dem Hochmittelalter konnte der Gläubiger deshalb oftmals wählen, ob er nur personalexekutiv gegen den Schuldner vorging oder nur in dessen Vermögen vollstreckte oder aber beide Strategien miteinander verband. Ab dem Spätmittelalter und vor allem seit

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C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde

der Neuzeit schienen viele Partikularrechte die Personalexekution indes nur noch als ultima ratio für zulässig zu erachten. Regelmäßig war es für den bürgerlichen oder bäuerlichen Gläubiger aber unmöglich, gegen seinen adligen Schuldner, gegen Kleriker und andere Angehörige höherer Stände oder gegen Militärpersonen in der vorbeschriebenen Weise personalexekutiv vorzugehen. Diese Subjekte waren oftmals nicht der städtischen oder dörflichen Gerichtsbarkeit unterworfen, so dass es für die Gläubiger undenkbar war, vor ihren Gerichten Rechtsschutz zu erhalten. Zudem verliefen Rechtsverfolgungs- und Vollstreckungsversuche gegen diese Schuldnertypen in einer stark von direkten Abhängigkeiten geprägten Gesellschaft nicht selten ergebnislos, weil hierin schnell ein Aufbegehren gegen die Obrigkeit erblickt oder als solches missdeutet werden konnte. Hier behalfen sich die mittelalterlichen und neuzeitlichen Rechtsordnungen mit Rechtsinstituten wie des Einlagers und des Schadennehmens, die verbunden mit Schandbildern und Schmähbriefen durchaus erheblichen emotionalen und sozialen Druck auf derartige Schuldner ausüben konnten. Nicht aus den Augen verloren werden darf nämlich, dass der einzelne Schuldner in den antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Gesellschaften nicht allein und anonym stand. Sein Rechtsungehorsam und sein Falliment strahlten auf die Ehre und das Ansehen seiner Familie, seiner Freunde, Geschäftspartner und vor allem seiner Standesangehörigen ab. Deren Interesse war der Rechtsfrieden, der ihnen ihr Ansehen bei den Untertanen und ihre Macht sicherte. Ermöglichten sie nicht in einer gewissen Weise die Rechtsdurchsetzung, liefen sie insgesamt Gefahr, nicht mehr auf die Leistungen des Bürger- und Bauerntums vertrauen zu können.

Ferner ist festzuhalten, dass der Personalexekution in den Partikularrechten weiterhin eine besondere Bedeutung zugemessen wurde, und zwar unabhängig davon, dass oftmals in Verträgen neben Realsicherheiten die Personalhaft als zusätzliches Druckmittel vereinbart worden war. Die Personalexekution konnte den bereits dargelegten Sinn haben, Pression auf den Schuldner, dessen Familie und Freunde zu üben, damit bislang verborgene Vermögensgegenstände herausgegeben werden. Von dieser Sinngebung war der Gedanke nicht mehr weit, den Schuldner immer dann in Haft zu nehmen, wenn die Gefahr bestand, dass er bestimmtes Vermögen verheimlichte, nicht herausgab oder durch eigenes Handeln oder über Dritte beiseiteschaffen wollte. Der nächste Schritt war die Haftandrohung für den Fall, dass der Schuldner die für die bestmögliche Gläubigerbefriedigung elementar erforderlichen Informationen nicht oder nicht wahrheitsgemäß preisgab. Gerade beim concursus creditorum, der von vornherein eine Verlustgemeinschaft war und ist, wurde der Informationsgewinnung besonderer Rang eingeräumt. In einer Zeit einer – verglichen mit heutigen Möglichkeiten – rudimentären Informationsbeschaffung, -speicherung und -verarbeitung hatte die Besorgung von Auskünften über präsentes, verborgenes und auswärtiges Vermögen in Gestalt von Forderungen, Warenbeständen, Zahlungsmitteln und sonstigen Ansprüchen und Rechten des Schuldners besonderen Stellenwert. Gab der Schuldner zudem Auskunft über vorkonkursliche Verfügungen, konnten die Gläubiger ihre Befriedigungsaussichten durch die Erhebung der Paulianischen Klage deutlich verbessern.

V. Personal- und Vermögensexekution

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Wenn es also vormals primäres Ziel war, mit der Haft Druck auf den Schuldner und seine Angehörigen zwecks Auslösung auszuüben sowie mancherorts schuldnerische Arbeitsleistungen zu liquidieren, diente spätestens seit dem 17. Jahrhundert die Inhaftierung zunehmend der Informationsgewinnung durch Preisgabe von Daten zwecks Feststellung und Sicherung des haftenden Vermögens. Die Schuldhaft wandelte sich damit von einem direkten und indirekten Vollstreckungsmittel zu einem Instrument, mit dem der Schuldner (bei Bedarf) zur wahrheitsgemäßen Auskunftserteilung gezwungen werden konnte. Diese Informationsbeschaffungsfunktion hatte insbesondere in den Konkursverfahren, die strukturell immer massearm waren und sind, erhebliche Bedeutung, weil die Gläubiger für die bestmögliche Befriedigung auch auf die Angaben des Schuldners angewiesen waren. Die (drohende) Flucht des Schuldners war gegen dieses Informationsinteresse der Gläubiger gerichtet. Nicht von ungefähr verlangte noch die preußische Konkursordnung von 1855 in ihren §§ 137 ff. die von Amtswegen herbeizuführende Beschlussfassung über die Verhaftung des Schuldners, wenn dieser der Flucht verdächtig war. Gleichermaßen trat der einst mit der Personalhaft verfolgte Zweck, durch Pression und Dienstleistung Vermögensansprüche zu exekutieren, bis zum 19. Jahrhundert immer mehr in den Hintergrund. Der vom preußischen Königreich dominierte Norddeutsche Bund hob schließlich mit dem Gesetz vom 29. Mai 1868 die Schuldhaft auf.⁹ Forsblad ¹⁰ weist zutreffend darauf hin, dass die Aufhebung der Schuldhaft nicht nur aus Gründen der Billigkeit und Humanität erfolgt sei, sondern in einem engen Zusammenhang mit der Freigabe der Zinsen und dem Schutz der Lohnpfändung stand sowie mit Blick darauf zu sehen ist, dass die Personalexekution kaum noch praktischen Erfolg hatte und ihre Abschaffung der „Wiederherstellung gesunder Kreditverhältnisse“ dienen sollte. Fortan haftete den Gläubigern nur noch das Vermögen des Schuldners, auf welches sie im Rahmen von rechtlich erlaubten Exekutionshandlungen zugreifen konnten. Zwar schuldete der Schuldner seinen Gläubigern weiter die Erfüllung ihrer Ansprüche, er haftete jedoch nicht mehr mit seiner Person.¹¹

 BGBl. des Norddeutschen Bundes 1868, Nr. 16, S. 237; zur Entstehungsgeschichte Bezold, S. 47 ff.  Forsblad, S. 326  zur Unterscheidung von Schuld und Haftung: Häsemeyer, FS Henckel, S. 360 ff.; Forsblad, S. 310 ff.

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C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde

VI. Schuldnerschutz, Flucht und Chancen der Rechtswohltaten Die in den historischen Rechtssystemen normierten Ungehorsamsfolgen sowie die Verwirklichung privatrechtlicher Ansprüche durch Schuldhaft waren gegen die Freiheit des Schuldners gerichtet. Durch den konkreten Vollzug wurden aber nicht nur dessen Freiheit und Lebensqualität beschränkt, sondern die Gesundheit und das Leben des Schuldners beträchtlichen Risiken ausgesetzt. Der Fallit wurde einst in privaten, später in öffentlichen Gefängnisses in Schuldhaft genommen. Dort musste er unter einfachsten, wenn nicht sogar schauderhaften Bedingungen und unter der Willkür seiner Gläubiger oder amtlichen Bewacher seine Tage fristen, bis die Schuld erfüllt oder eine normative Haftzeit abgelaufen war. Zwar verlangten die Partikularrechte die angemessene Verwahrung des Schuldners, so dass er keinen Schaden an seiner physischen und psychischen Gesundheit nehmen sollte. Es existierte so manche detaillierte Norm, wie der Schuldner unterzubringen und zu verpflegen war und welche unziemlichen Handlungen unterlassen werden sollten. Die Realität schien in den privaten oder öffentlichen Gefängnissen aber meist ein andere gewesen zu sein. Der Schuldner hatte ohne Gnade der Gläubiger und Obrigkeit kaum eine Chance, vorzeitig aus der langen Haft entlassen zu werden. Einige Rechte sahen noch nicht einmal eine Hafthöchstdauer vor. Die Chance, durch die Verrichtung von Diensten die Schuld abzutragen und dadurch die Haftdauer zu verkürzen, gewährte nicht jede Rechtsordnung. Und selbst wenn eine Möglichkeit der Arbeitsleistung zum aktiven Schuldenabbau bestand, war mit der zunehmenden arbeitsteiligen Ausdifferenzierung der entwickelten städtischen Wirtschaft die Dienstverrichtung durch den Schuldner für den Gläubiger nicht mehr von (vorrangigem) Interesse. Dem mit der Schuldhaft verfolgten Befriedigungsinteresse stand das vitale Verlangen des Schuldners nach Erhalt seiner körperlichen Integrität und Freiheit gegenüber. Obgleich die historischen Rechtsordnungen diesen Interessengegensatz durch austarierte Regelungen aufzulösen versuchten, in dem sie zu seinen Gunsten Schutznormen vorhielten, konnte sich der Schuldner nie sicher sein, vielleicht doch Opfer überbordender Gläubigerangriffe oder hoheitlicher Willkür zu werden. Obendrein dürfen die Zustände in den Gefängnissen nicht ignoriert werden, die eine besondere Gefahr für die Gesundheit des Schuldners bedeuteten. Wurde der Schuldner dann noch peinlich bestraft, musste er Folter und Erniedrigung erwarten und waren seine Ehre und sein Stand in der lokalen Gesellschaft ohnehin ruiniert, sahen viele nur noch im Suizid oder in der Flucht einen Ausweg aus ihrer hoffnungslos erscheinenden Lage. Die Flucht erwies sich als probates Mittel, um den drohenden Sanktionen und Gefährdungen zu entgehen. So wird

VI. Schuldnerschutz, Flucht und Chancen der Rechtswohltaten

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verständlich, dass seit der Antike die Flucht neben der Selbstentleibung die typische Reaktion des mit der Schuldhaft bedrängten Schuldners war. Angesichts der dem Schuldner drohenden Gefahren ist die Beantwortung der weiteren Frage von Bedeutung, unter welchen Bedingungen für den Schuldner außer der Flucht andere Wege offen standen, allen rigorosen Sanktionen zu entkommen, sich von seinen Schulden zu befreien und damit zu resozialisieren. Insbesondere in den Fällen, in denen der Schuldner keinen, im Rahmen des sozial Adäquaten vorwerfbaren Beitrag zu seiner Vermögenskrise geleistet hatte, will es aus damaliger und heutiger Sicht wenig nachvollziehbar sein, weshalb solchen unglücklichen Schuldnern das gleiche Schicksal ereilen sollte, wie den böswilligen oder leichtsinnigen Falliten. Vorderhand schienen die antiken und mittelalterlichen Rechtsordnungen aber nicht danach zu fragen, welche Umstände zum schuldnerischen Unvermögen führten. Indem der Schuldner die unstreitige oder gerichtlich festgestellte Schuld nicht erfüllte, galt er als dem Recht gegenüber ungehorsam. Für die der Haftungsverwirklichung dienende Personalexekution war das individuelle Verschulden des Schuldners an seiner Vermögenskrise grundsätzlich nicht beachtlich. Gleichwohl kannten das antike römische Recht sowie viele mittelalterliche und neuzeitliche Rechtssysteme einen Unterschied zwischen den betrügerischen, leichtfertigen und verschwenderischen Bankrotteuren und den Falliten, die durch unverschuldetes Unglück, durch Kriege und dadurch ausgelöste Wirrnisse, Unwetter, Havarien, Missernten, Krankheiten, Seuchen oder anderer Schuldner Vermögensverfall niedergegangen waren. Diesen schuldlosen Schuldnern begegneten viele historische Rechtsordnungen mit Nachsicht, Mitleid und Hilfe, sicherlich beeinflusst durch die Leitgedanken der jüdisch-christlichen Barmherzigkeit. Sie mussten keine Verfolgung, keine Bestrafung und keinen Ehrverlust befürchten. Vielmehr konnte der redliche Schuldner auf privilegierte Behandlung hoffen, wenn er seinen Gläubigern bei deren Befriedigung Unterstützung bot. An der Idee der cessio bonorum zeigt sich über viele Jahrhunderte das Bemühen aller Gesellschaften, zwischen den – wenn man so will – bösen und den guten Schuldnern zu unterscheiden. Für diese schuldlosen Schuldner hielten die historischen Rechtsordnungen immer Wege offen, um aus dem aussichtslos erscheinenden Labyrinth des wirtschaftlichen Ruins und sozialen Niedergangs herauszufinden. Begünstigt durch die Entwicklung des Schuldners vom bloßen Exekutionsobjekt zum Verfahrensbeteiligten wurden verschiedentlich konkursabwendende Strategien normiert, um es von vornherein nicht zu einer (vollständigen) Vermögensliquidation kommen lassen zu müssen. Freilich standen insoweit auch die Interessen der Gläubiger im Fokus, die sich von der wirtschaftlichen Erholung des Schuldners bessere Befriedigungsaussichten versprachen. So versuchten einige Rechtsordnungen mit

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C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde

Vergleich, Stundung und Moratorium Perspektiven zur vorkonkurslichen Schuldenbereinigung zu bieten. Insbesondere der Akkord diente dem Schuldner als Anreiz, gemeinsam mit seinen Gläubigern eine autonome und aktive Bewältigung der sich abzeichnenden oder eingetretenen Krise zu versuchen. Die historischen Rechtsordnungen verstanden diese angebotenen Bewältigungsstrategien als Rechtswohltaten, eröffneten sie doch den Beteiligten privatautonome Chancen zur Krisenüberwindung unter Berücksichtigung ihrer Interessen. Und so stellt sich der dem fallitus fugitivus regelmäßig normativ angebotene salvus conductus als ein Teil dieser Bewältigungsstrategien dar. Die Zusage freien Geleites hatte für den Fugitiven elementare Bedeutung, war sie doch erforderlich, um dem Schuldner angesichts drohender Festsetzung überhaupt eine auf freiem Willen basierende Verfahrensbeteiligung zu ermöglichen. Damit reichten die historischen Rechte dem Flüchtigen, der womöglich nur aus diffuser Angst oder aus Scham davongestürzt war, eigentlich keine Gläubigerbenachteiligungsabsicht hatte und nach der Flucht zur Besinnung gekommen war, die Hand, um zur Rechtsgemeinschaft zurückkehren zu können. Freilich setzte eine derartige Krisenbewältigung bei Gläubigern und Schuldnern gleichermaßen Transparenz, Sachverstand, Vernunft und Einigungsbereitschaft voraus. Mangelte es daran, blieben diese Mittel weitgehend fruchtlos. Kam es – aus welchen Gründen auch immer – dennoch zur Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens, offerierte die vom Schuldner zu erklärende cessio bonorum mit der vollständigen Aufgabe des Vermögens zugunsten der Gläubiger eine andere Gelegenheit, eine Regulierung seiner Verbindlichkeiten herbeizuführen. Allerdings sahen die historischen Partikularrechte für die cessio bonorum unterschiedliche Ausübungsvoraussetzungen und Rechtsfolgen vor, während manche sie sogar versagten. Seit der römischen Antike kann dennoch eine dahingehende Tendenz erkannt werden, an sich nur dem durch unverschuldetes Geschehen in Vermögensverfall geratenen Schuldner die Rechtswohltat der cessio bonorum gewähren zu wollen. Dem betrügerischen Falliten und dem nachlässig Handelnden wurde nicht selten das beneficium cessionis bonorum vorenthalten, erwies er sich den versprochenen Milderungen doch nicht als würdig. Alle Handlungen, die den Gläubigerinteressen zuwider liefen, die insbesondere den Vermögensverfall durch vorwerfbar leichtsinniges, verschwenderisches oder betrügerisches, mit anderen Worten gläubigerschädigendes und unredliches Verhalten verursacht hatten, waren geeignet, den Schuldner als für diese Rechtswohltat nicht gebührend zu qualifizieren. Insbesondere die Rechtsfolgen der cessio bonorum waren vielfach unterschiedlich gestaltet. Bis weit in die Neuzeit hinein konnte mit ihrer wirksamen Ausübung die Schuldhaft vermieden werden. Damit wurde dem vordringlichen Interesse des

VI. Schuldnerschutz, Flucht und Chancen der Rechtswohltaten

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Schuldners entsprochen, nicht seiner Freiheit beraubt und in einen Karzer genommen zu werden, in welchem das beträchtliche Risiko bestand, Schaden an Leib und Leben zu nehmen. Mancherorts war weitere Funktion der cessio bonorum die Erhaltung von Ehre und Stand des Schuldners. Vielerorts wurde gerade das Gegenteil mit ihrer Ausübung verbunden – die Folgen waren die infamia facti und die infamia iuris. Nach vielen Partikularrechten verschaffte die ausgeübte cessio bonorum neben der Haftverschonung dem Schuldner eine gewisse Zeit zur wirtschaftlichen Genesung und garantierte mancherorts ein Mindesteinkommen, so dass er wegen der (noch) nicht erledigten Verbindlichkeiten einstweilen nicht weiter bedrängt werden durfte. Hingegen knüpfte zum Beispiel das Hamburgische Fallitenrecht an die cessio bonorum bemerkenswerterweise die Restschuldbefreiung, wenn der Schuldner eine Mindestquote aufbrachte und sich ansonsten tadellos verhielt. Die von der cessio bonorum ausgehenden Rechtsfolgen waren in den Partikularrechten mithin nicht einheitlich – insgesamt kann aber das jeweilige Bemühen festgestellt werden, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem grundsätzlich zu akzeptierenden Gläubigerinteresse auf vollständige Befriedigung der Ansprüche und dem verständlichen Interesse des Schuldners, wieder zu wirtschaftlichen Kräften zu kommen, ohne durch Haft, ständige Gläubigerangriffe und auf Lebenszeit lastende,voraussichtlich nicht mehr abtragbare Schulden jede Lebensfreude und Perspektive zu verlieren. Diesem Interessenausgleich diente eine weitere Rechtswohltat. So sollte neben der cessio bonorum mit dem beneficium compentatie dem Schuldner der Teil seines Vermögens respektive Einkommens erhalten werden, um sich und seine Familie angemessen ernähren und versorgen zu können. Diese Wohltat hatte wie alle anderen Rechtswohltaten gleichzeitig die Funktion, den Rechtsfrieden zu gewährleisten. Denn andernfalls musste damit gerechnet werden, dass der sich vom Recht ungerecht behandelt fühlende Schuldner ihm zuwiderhandelte, indem er nicht nur flüchtete, sondern in die Kriminalität versank, um sich und die Seinen zu unterhalten und seine Erwartungen an das Leben und seine Vorstellungen vom Glück auf eigene Faust zu realisieren.

Nahezu alle historischen Rechtssysteme versagten die in Aussicht gestellten Rechtswohltaten im Falle eines gläubigerschädigenden Verhaltens. Ein den Gläubigern gegenüber illoyales Verhalten wurde insbesondere in der Flucht erkannt. Für jede Form der Krisenbewältigung – ob in einem „freien autonomen“ oder einem stark strukturierten, gerichtsförmigen Verfahren – ist die Ungewissheit über die Erfüllungsaussichten kontraproduktiv, in welcher der flüchtende Schuldner seine Gläubiger zurücklässt. Diese Ungewissheit ruft Verunsicherung, Angst, Ärger und Wut hervor. Wenn schon die schuldnerische Krise unausweichlich existent erscheint, dann verlangt die dadurch hervorgerufene Enttäuschung zu ihrer Bewältigung wenigstens nach Informationen, wie es zum Vermögensverfall kam und welche Reste noch vorhanden sind. Die Gläubiger woll(t)en wissen, ob Vermögen

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C. Zusammenstellung der bisherigen Befunde

wenigstens in einem Umfang existent ist, um sich teilweise befriedigen zu können. Mit dem durch die Flucht herbeigeführten Informationsdefizit verweigert(e) der Schuldner den Gläubigern diesen Bewältigungsprozess. Erkennen jedoch die Gläubiger den Umfang des noch vorhandenen Vermögens und hilft der Schuldner bei der Aufklärung und Massemehrung, so bleibt zwar der Vermögensverlust für die Gläubiger schmerzlich. Das Wissen um die Situation versetzt aber alle Beteiligten in den Stand, die Krise zu meistern und das Bestmögliche zu gewinnen. Die vom Schuldner in der Krise geforderte Beteiligung durch Wissensvermittlung kann mehr schlecht als recht erzwungen werden. Der Schuldner mag sich äußerlich formal beteiligen und in dem Umfang Informationen zur Krisenbewältigung zur Verfügung stellen, wie es nötig ist, um Repressalien zu entgehen. Die aktive, wertvolle Schuldnerbeteiligung wird aber nur dann von Mehrwert sein, wenn dem Schuldner ein Motiv gegeben wird, für das es sich lohnt, über das Notwendige hinaus im Sinne der Gläubiger beizutragen.Wichtig erscheint hierbei, dem Schuldner nicht durch soziale Herabsetzung von der Beteiligung an der Krisenbewältigung abzuhalten. Erkennbar verfolgten die historischen Rechtsordnungen zwei normative Hauptstrategien: Einerseits drohten sie dem Schuldner körperliche Repressalien und Haft an, um ihn zur Informationspreisgabe zu bringen. Andererseits offerierten sie ihm die Vorzüge der Rechtswohltaten. Hinsichtlich des sozialen Werturteils ist indes festzustellen, dass ursprünglich die „römische“ cessio bonorum den Eintritt der Infamie verhindern wollte, während die mittelalterlichen Partikularrechte an ihre Ausübung gerade schändliche Folgen für Ehre, Bürgerechte und Ämter knüpften. Seitdem verfolgt das Gespenst der Ehrlosigkeit den Schuldner, weshalb sich zum Beispiel der preußische Gesetzgeber veranlasst sah, in der preußischen Konkursordnung von 1855 mit den Vorschriften der §§ 311 ff. ein besonderes Verfahren zu statuieren, durch das dem Schuldner coram publico die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Sinne einer sozialen Rehabilitation ermöglicht werden sollte. Die historischen Sanktionen und Rechtswohltaten sind vor dem jeweiligen Rechtstraditionshorizont der den Normenwerken Unterworfenen zu sehen. Begründete in der Antike und im Frühmittelalter die Nichterfüllung der Schuld und die nachfolgende Flucht des Schuldners das Verdikt des Rechtsbruchs und des Ungehorsams, welche seine Friedlosigkeit und damit das ungehemmte, bis zum Äußersten reichende Fehderecht der Geschädigten legitimierten, so sahen die Regularien der jüngeren Partikularrechte zuweilen „nur noch“ die Verbannung aus Stadt und Land, „nur noch“ die Schuldhaft, „nur noch“ die Acht und Pein durch ehrenrührige Prozeduren vor und gewährten dem redlichen Schuldner einen Mindestschutz sowie Perspektiven für einen Neuanfang. Freilich enthielten die Reaktionstechniken des mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Vollstre-

VI. Schuldnerschutz, Flucht und Chancen der Rechtswohltaten

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ckungsrechts weiterhin das Unwerturteil des Rechtsungehorsams. Sie gingen in ihren Sanktionen zumeist aber nicht mehr auf das Äußerste der leiblichen Bestrafung und Vergeltung. Auch die bis in die Zeit der Industrialisierung sich entspinnende Verfeinerung der Verfahren, welche zusehends die These vom Ungehorsam des Schuldners in Verschmelzung mit Insolvenz und Betrug zugunsten bürgerlich-moralischer Wertungen in weitgehend nüchternen Abwicklungsverfahren aufgab,¹² milderte immer weiter die belastenden Konsequenzen der Vermögensinsuffizienz. Gleichwohl konnte diese über die Jahrhunderte zu beobachtende Entschärfung der Sitten und Rechtsgebräuche die Anreize zum Entrinnen nicht vollends beseitigen, was sich in den die Flucht nach wie vor thematisierenden Normen spiegelte. ***

 Gerhard, S. 100

D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter Im Zuge der Reichseinigung, die mit der Erhebung des preußischen Königs zum deutschen Kaiser und der Gründung des Deutschen Reichs am 18. Januar 1871 einen Höhepunkt fand, setzte angesichts der viel beklagten deutschen Rechtszersplitterung ein Prozess der Rechtsvereinheitlichung ein, der zu den ersten, im Jahr 1877 verabschiedeten Reichsjustizgesetzen führte.¹ Diese Reichsjustizgesetze (Gerichtsverfassungsgesetz, Civilprozeßordnung, Konkursordnung, Strafprozessordnung, Rechtsanwaltsordnung sowie zugehörige Einführungs- und Nebengesetze) traten zum 1. Oktober 1879 in Kraft und normierten das in den deutschen Ländern bis dahin unterschiedliche Verfahrensrecht.² Ab diesem Zeitpunkt existierten im Deutschen Reich homogene Gerichtsstrukturen und es galt für alle Reichsbürger gleiches, von den Ideen des Liberalismus getragenes Prozessrecht.³ Dabei folgte der Reichsgesetzgeber der teilweise bereits den unmittelbar vorangegangenen Prozessordnungen zugrundeliegenden Anschauung, das Vollstreckungsrecht in zwei Verfahrensordnungen zu fassen, um den jeweiligen Besonderheiten der Individualexekution und der Gesamtvollstreckung zu genügen. Eine zweite Gruppe Reichsjustizgesetze wurde anlässlich der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches in den Jahren 1897 und 1898 verkündet. Die Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches sowie des Handelsgesetzbuchs zum 1. Januar 1900 machte zugleich Änderungen unter anderem der Civilprozeßordnung und der Konkursordnung mit den Novellen vom 17. Mai 1898 erforderlich.⁴ Die Novellierung der am 20. Mai 1898 neu bekanntgemachten Civilprozeßordnung und Konkursordnung führte zu Erweiterungen der Gesetzestexte und zu einer Neunummerierung, die nachstehend Berücksichtigung findet.⁵

 Petersen/Kleinfeller, S. XI f.; Jaeger, DJZ 1904, 903, 905  zur Entstehung der Konkursordnung s. die Darstellungen von Fuchs, Concursprozeß, S. 34; Jaeger, Konkursordnung, S. XIV ff.; Hellmann, Lehrbuch S. 108 ff.; Seuffert, S. 22; Wilmowski, KO, S. 6 ff.; Kohler, S. 62 ff.; Uhlenbruck, 100 Jahre Konkursordnung, S. 6 ff.; Thieme, 100 Jahre Konkursordnung, S. 35 ff., Meier, S. 115 ff.; Bohnhorst, S. 34 ff.  zur Entstehung und Entwicklung der Zivilprozessordnung s. unter anderem die Darstellungen von Hellweg, S. 78 ff., insbesondere ab S. 103 ff.; Stein/Jonas, vor § 1 Rz. 137; Wieczorek/Schütze/ Prütting, Einl. Rz. 2 ff.; MünchKomm-ZPO/Lüke, 2. Auflage, Rz. 40 ff.; zur Entwicklung im 20. Jahrhundert s. ferner Book, S. 31 ff.; zur Rechtsentwicklung der Arrestvorschriften bis zur CPO, insbesondere in den CPO-Entwürfen s. Weinert, S. 134 ff.; zur deutschen Gerichtsverfassung s. Schubert, passim  zum Umfang der Änderungen der Konkursordnung durch die Novellen: s. Meier, S. 202 ff. und Vollmershausen, S. 254  Wieczorek/Schütze/Prütting, Einl. Rz. 4 mit Hinweis auf die sprachliche Umwandlung in Zivilprozeßordnung (ZPO) zum 1. Januar 1903

I. Die individuelle Schuldnerverfolgung

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In diesem Teil der Arbeit werden zunächst die Vorschriften der Zivilprozessordnung und des Bürgerlichen Gesetzbuches untersucht, die dem einzelnen Gläubiger sofort wirkende Mittel für den Fall zur Verfügung stell(t)en, dass der Schuldner im Begriff ist, wegen seiner nicht erfüllten Verbindlichkeiten die Flucht vor ihm anzutreten. Hiernach sind die Normen der Konkursordnung zu beleuchten, die einen Zusammenhang zwischen Vermögensinsuffizienz, Schuldnerflucht und dem daraufhin zu beobachtenden Zusammenlaufen der Gläubiger aufweisen. Dabei ist es für das Verständnis der den Schuldner bewegenden Fluchtmotive von besonderem Interesse, welche Wirkungen die Eröffnung des Konkursverfahrens auf den Schuldner entfachte, mit welchen Mitteln das Konkursrecht auf die Schuldnerflucht reagierte und welche Angebote dem Schuldner unterbreitet wurden, um ihn zwecks Beteiligung am Verfahren zu binden.Überdies wird sich in diesem Kontext zeigen,wie die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingetretenen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen maßgeblichen Einfluss auf das Gesamtvollstreckungsrecht nahmen. Im Fokus dieses Abschnittes steht weiterhin die Frage, mit welchen Bewältigungsstrategien die angesichts der Vermögenskrise divergierenden Interessen der Gläubiger und des Schuldners in der Zeit vor der Insolvenzordnung zum Ausgleich gebracht werden sollten. Ihre Beantwortung erleichtert das Verständnis des heute geltenden Insolvenzrechts, dem sich die Untersuchung im Anschluss an dieses Kapitel zuwenden wird.

I. Die individuelle Schuldnerverfolgung Dem einzelnen Gläubiger, der seine Ansprüche gegen den fluchtbereiten oder flüchtenden Schuldner ad hoc zu verfolgen hat(te), standen und stehen die in der Zivilprozessordnung vorgesehenen Instrumente des vorläufigen Rechtsschutzes – Arrest und einstweilige Verfügung – zur Seite. Der Gläubiger soll nicht darauf angewiesen sein, erst das Ergebnis eines zeitraubenden Hauptsacheprozesses⁶ abwarten zu müssen, in dessen Verlauf der Schuldner womöglich Vermögen beiseiteschafft, vollendete Tatsachen herbeiführt oder sich in persona entzieht.⁷ Oftmals beginnen die Probleme schon damit, dass mangels Kenntnis einer aktuellen ladungsfähigen Anschrift dem Schuldner zunächst keine Klage zugestellt werden kann und der Gläubiger infolge des von ihm anzustrengenden Verfahrens für die öffentliche Zustellung (§§ 185 ff. ZPO) weiter Zeit verliert. Was nützt selbst

 zum Zeitmoment der Rechtserkenntnis und Rechtsdurchsetzung sowie der damit verbundenen Legitimitätskrise s. MünchKomm-ZPO/Heinze, 2. Auflage, Vor § 916, Rz. 2  Stein/Jonas/Grunsky, vor § 916 Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Thümmel, Vor § 916 Rz. 1

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

ein schnell erreichtes, vorläufig vollstreckbares Versäumnisurteil, wenn der Schuldner mit seinem (ganzen) beweglichen Habe und dem Wissen über das übrige Vermögen dem Gläubiger noch schneller davon eilt und nichts Verwertbares zurücklässt? In diesem Fall wäre die spätere Möglichkeit, aus einem Vollstreckungstitel des Hauptsacheprozesses – abgesehen von den weiteren Vollstreckungsbarrieren nach Titelerhalt⁸ – zu exekutieren, für den Gläubiger ohne Wert. In der Zeitdimension des ordentlichen Gerichtsverfahrens mit sich anschließender Vollstreckung hatte Gönner ⁹ bereits für den gemeinen Prozess eine Gefahr für die Rechtserkenntnis und Rechtsverwirklichung gesehen. Andererseits müssen die rechtlichen Interessen des (vermeintlich) Flüchtenden gebührend berücksichtigt werden, dessen Leistungspflicht gerade noch nicht feststeht, dem durch die Sicherung der Verwirklichung des erhobenen Anspruchs womöglich irreparabler, nicht zu ersetzender Schaden drohen kann und dessen Fortgang sich nur in den Augen des Gläubigers als Flucht darstellt, tatsächlich aber von ganz anderen Motiven getragen wird. Hierfür gilt es, anknüpfend an das subjektive Recht des Antragstellers, eine Prognose bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu wagen und eine vorläufige Balance der widerstreitenden Interessen durch jederzeit abänderbaren und aufhebbaren vorläufigen Rechtsschutz in einem summarischen Erkenntnis- und Vollziehungsverfahren zu finden.¹⁰ In diesem Zweck, trotz des immer währenden Zeitablaufs die Legitimität des ordentlichen Hauptsacheprozesses einschließlich der Zwangsvollstreckung aufrechtzuerhalten, indem die dortige momentane verfahrensrechtliche Situation weiter entscheidungs- und durchsetzungsfähig gehalten wird, liegt die Legitimation der Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes.¹¹ Mit den in §§ 916 ff. ZPO (§§ 796 ff. CPO) gestalteten Verfahren des dinglichen und persönlichen Arrests und der einstweiligen Verfügung können Ansprüche vorläufig gesichert respektive einstweilen geordnet werden. Voraussetzungen hierfür sind ein Arrest- bzw. Verfügungsanspruch und ein Arrest- bzw. Verfügungsgrund. Das Verhältnis des Arrestes gegenüber der einstweiligen

 insbesondere der Zeitverlust wegen der weiteren Erfordernisse einer mit Vollstreckungsklausel versehenen Titelausfertigung, der zu erbringenden Sicherheitsleistung, der faktischen Vollstreckungshindernisse aufgrund von Informationsdefiziten, der ab Antragstellung bis zur Vollstreckungswirkung verstreichenden Zeit sowie wegen etwaiger Rechtsbehelfe des Schuldners; hierzu Weinert, S. 12 ff.  Gönner, Bd. IV, S. 105 ff., 108 ff.; MünchKomm-ZPO/Heinze, 2. Auflage, Vor § 916 Rz. 3  Stein/Jonas/Grunsky, vor § 916 Rz. 5; Zöller/Vollkommer, Vor § 916 Rz. 3; Baumbach/Lauterbach, Grundz § 916 Rz. 1– 5; MünchKomm-ZPO/Drescher, Vor §§ 916 ff. Rz. 1– 5; Wieczorek/Schütze/ Thümmel, Vor § 916 Rz. 1, kritisch hinsichtlich der Qualifikation als summarisches Verfahren  MünchKomm-ZPO/Heinze, 2. Auflage, Vor § 916, Rz. 4 unter Bezug auf Luhmann, Legitimation durch Verfahren, S. 57 ff.; hierzu Weinert, S. 149 ff.

I. Die individuelle Schuldnerverfolgung

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Verfügung kann in der Weise aufgefasst werden, dass ersterer gegenüber letzterem spezieller ist. Richtet sich der Anspruch des Gläubigers auf Geldzahlung oder kann jener in eine Geldforderung übergehen, ist zur Sicherung der Zwangsvollstreckung in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen der dingliche oder persönliche Arrest nach den Vorschriften der §§ 916 Abs. 1, 917, 918 ZPO (§§ 796 Abs. 1, 797, 798 CPO) statthaft. Begehrt der Gläubiger im Übrigen die Bewahrung eines gegenwärtigen Zustandes, dessen Veränderung die Verwirklichung des Rechtes vereiteln oder wesentlich erschweren würde, oder die vorläufige Regelung eines streitbefangenen Rechtsverhältnisses, wird er gemäß §§ 935, 940 ZPO (§§ 814, 819 CPO) um den Erlass einer einstweiligen Verfügung nachzusuchen haben.

Die nachfolgenden Erkundungen dienen dem Verständnis der die Schuldnerflucht berührenden Normen an der Schnittstelle des Individual- zum Gesamtvollstreckungsrecht und werden sich mit Blick auf den Gegenstand der Arbeit auf das Arrest- und Selbsthilferecht konzentrieren. Dabei ist unter anderem den Fragen nachzugehen, welche Probleme die Flucht des Schuldners für die Haftungsverwirklichung zugunsten des einzelnen Gläubigers aufwirft, welchen Gegenstand das heutige Arrestverfahren hat, welche Bedeutung ihm zukommt und wo die Grenzen zum Gesamtvollstreckungsrecht zu sehen sind. So wird auch mit Rückblick auf den vielfach in den früheren Verfahrensrechten anzutreffenden Arrestbegriff deutlich werden, wie der seit dem Inkrafttreten der Zivilprozessordnung verwendete Rechtsbegriff des dinglichen und persönlichen Arrestes in Abgrenzung zum Konkurs- und Insolvenzbeschlag sowie zu den in Gesamtvollstreckungsrechten normierten vorläufigen Sicherungsmaßnahmen heutzutage richtig zu verstehen ist.

1. Der dingliche Arrest Muss der einzelne Gläubiger befürchten, dass die Vollstreckung eines (von ihm noch zu erwirkenden) Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde, ist nach § 917 Abs. 1 ZPO (§ 797 Abs. 1 CPO) der dingliche Arrest statthaft. Die erforderliche Konkretisierung dieser unbestimmten Tatbestandvoraussetzungen birgt nicht selten die Unsicherheit, unter welchen Voraussetzungen ein Arrest verhängt werden darf. Sie kann behoben werden, wenn die mit dem Arrestverfahren verfolgten Zwecke gegenwärtig sind. Der dingliche Arrest rechtfertigt sich grundlegend mit der Gefährdung der Verwirklichung des Befriedigungsinteresses auf Geldzahlung.¹² Er soll in erster Linie den Gläubiger vor unlauterem Handeln

 OLG München, Urt. v. 13. Januar 1981, 17 U 3742/80, NJW 1983, 2577

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

des Schuldners schützen.¹³ Daneben lässt der Gesetzeswortlaut weitere Umstände zu, die zur wesentlichen Erschwernis der Vollstreckung führen können. Ob eine solche Gefahrenlage besteht, ist durch das Gericht vom Standpunkt eines verständigen, gewissenhaft prüfenden Dritten aus zu beurteilen; auf die Einschätzung des einzelnen Gläubigers kommt es nicht an.¹⁴

a) Arrestgründe Voraussetzung für die Anordnung eines Arrestes ist stets, dass sich das für die Gesamtheit der Gläubiger zur Verfügung stehende Vermögen insgesamt zu verringern droht.¹⁵ Keinen Arrestgrund stellt deshalb die unverändert schlechte Vermögenslage des Schuldners dar.¹⁶ Vielmehr muss für den dinglichen Arrest eine Minderung des schuldnerischen Vermögens konkret bevorstehen; sie muss zu besorgen, sie brauch aber noch nicht eingetreten und darf nicht abgeschlossen sein.¹⁷ Damit bildet die bereits existente (konstante) Vermögensinsuffizienz in Gestalt der Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung keinen Grund für einen Arrest.¹⁸ Andererseits steht eine drohende Gesamtvollstreckung¹⁹ dem Erlass eines Arrestes nicht entgegen, auch wenn mit Blick auf die Regelungen zur Rückschlagsperre (§§ 28, 87, 104 VerglO 1935, § 7 Abs. 1 Satz 3 GesO, § 88 InsO) und Anfechtung (§§ 22 ff. KO a. F.; §§ 30 ff. KO; § 10 GesO; §§ 129 ff. InsO) die Gefahr der nachträglich eintretenden Unwirksamkeit der mit einem Arrestes erzielten Rechtswirkungen lauert.²⁰

 Zöller/Vollkommer, § 917 Rz. 5; Foerste, S. 145 weist auf die Arrestgründe in den Partikularrechten vor dem Inkrafttreten der CPO hin  RG, Urt. v. 31. Januar 1908, Rep. II 330/07, RGZ 67, 365, 369; BGH, Urt. v. 7. Juni 1988, IX ZR 278/ 87, WM 1988, 1352, 1354; OLG Düsseldorf, Beschl. 20. April 1998, 21 W 19/98, OLGR 1998, 313; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 917 Rz. 1; Zöller/Vollkommer, § 917 Rz. 4; Schuschke/Walker/ Walker, § 917 Rz. 2; Stein/Jonas/Grunsky, § 917 Rz. 4  BGH, Urt. v. 19. Oktober 1995, IX ZR 82/94, NJW 1996, 321; Stein/Jonas/Grunsky, § 917 Rz. 4, 5; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 917 Rz. 4  RG, Urt. v. 25. Februar 1881, Rep. II 428/80, RGZ 3, 416; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 917 Rz. 4; Zöller/Vollkommer, § 917, Rz. 9; BGH, Urt. v. 1. März 2007, IX ZR 261/03, NJW 2007, 2485; BGH, Urt. v. 19. Oktober 1995, IX ZR 82/94, NJW 1996, 321  OLG Karlsruhe, Urt. v. 17. Oktober 1996, 2 UF 140/96, NJW 1997, 1017; Schuschke/Walker/ Walker § 917 Rz. 3  Walker, Rz. 234; a. A. Knothe, S. 205, der in der Abwärtsspirale der vorkonkurslichen Krise eine Erschwerung der Vollstreckung erblickt  hier allgemein im Sinne der Verfahren nach der Konkurs-,Vergleichs-, Gesamtvollstreckungsoder Insolvenzordnung gemeint  Stein/Jonas/Grunsky, § 917 Rz. 11

I. Die individuelle Schuldnerverfolgung

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Die Rückschlagsperre und die Anfechtung mögen zwar den dinglichen Arrest erfassen. Auch mag die Gefahr der Vermögensminderung durch den Erlass eines allgemeinen Verfügungsverbots gegenüber dem Schuldner während des Verfahrens auf Eröffnung des Konkurs-, Vergleichs- oder Insolvenzverfahren (§ 106 Abs. 1 Satz 2 KO, § 12 VerglO 1935; § 22 Abs. 1 InsO) entfallen.²¹ Und freilich war und ist der Arrest unzulässig für die Dauer eines Konkursverfahrens (§ 11 KO a. F.; § 14 Abs. 1 KO), eines Vergleichsverfahrens (§§ 47, 48 VerglO 1935), eines Gesamtvollstreckungsverfahrens (§ 2 Abs. 3 GesO) und eines Insolvenzverfahrens (§ 89 InsO).²² Allerdings ist der Zeitpunkt der Eröffnung des alle Gläubiger erfassenden Verfahrens zur Generalsexekution des Schuldnervermögens aus der Sicht ex ante des antragstellenden Arrestgläubigers stets ungewiss. Es ist noch nicht einmal sicher, dass es überhaupt zur Einleitung eines Eröffnungsverfahrens kommt, besteht doch für die natürliche Person keine Antragspflicht. Überdies kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein konkret angestrengtes Verfahren mangels einer die Kosten deckenden Masse nicht eröffnet wird, so dass der dingliche Arrest womöglich die Chance für den einen Gläubiger ist, seine Forderung (zumindest teilweise) zu realisieren.²³

Die drohende Minderung des Schuldnervermögens wird regelmäßig in konkreten Vereitelungshandlungen – dahinstehend, ob rechtswidrig, fahrlässig oder absichtlich begangen²⁴ – oder in Straftaten des Schuldners gesehen, die zum Beispiel im Zusammenhang mit einer Flucht²⁵ geeignet sind, dem Gläubiger den Zugriff auf haftbares Vermögen dauerhaft zu entziehen oder zu erschweren.²⁶ Mithin gibt jedes Beiseiteschaffen von Vermögensstücken²⁷ oder Verschieben ins Ausland,²⁸ insbesondere anlässlich der eigenen Flucht, das Verschleudern unter Wert oder die Vermögensverschwendung²⁹ einen Grund für einen dinglichen Arrest. Ebenso erlauben alle auf die Verdunklung der Vermögenslage zielenden Handlungen die

 Musielak/Huber, § 917 Rz. 4  KG, Beschl. v. 6. Juli 2005, 2 AR 85/05, ZIP 2005, 2126, 2128; vgl. auch OLG Nürnberg, Beschl. v. 15. März 2013, 2 Ws 561/12 und 2 Ws 590/12, NZI 2013, 552 zur Aufhebung des sogenannten strafprozessualen dinglichen Arrestes in „Platzhalterfunktion“  Stein/Jonas/Grunsky, § 917 Rz. 11  Zöller/Vollkommer, § 917 Rz. 5; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 917 Rz. 4; Musielak/Huber, § 917 Rz. 3  OLG Karlsruhe, Beschl. v. 21. Januar 1969, 10 W 3/69, MDR 1969, 401 im Falle eines ausländischen Gastarbeiters, der außer einem inländischen Arbeitsverhältnis keine weiteren Bindungen besaß und gegen den ein Strafverfahren angestrengt und damit zusammenhängend Schadenersatzansprüche erhoben wurden  KG, Beschl. v. 6. Juli 2005, 2 AR 85/05, ZIP 2005, 2126; OLG Köln, Beschl. v. 2. Juni 1999, 16 W 14/99, MDR 2000, 49; BGH, Urt. v. 11. März 1975, VI ZR 231/72, WM 1975, 641; BGH, Urt. v. 24. März 1983, III ZR 116/82, WM 1983, 614; Schuschke/Walker/Walker § 917 Rz. 3  KG, Urt. v. 14. Oktober 2005, 6 U 217/04, ZInsO 2005, 508; OLG Düsseldorf, Urt. v. 18. Juni 1993, 3 UF 192/92, NJW-RR 1994, 453, 454; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 917 Rz. 5; Stein/Jonas/ Grunsky, § 917 Rz. 7  OLG Köln, Urt. v. 18. Mai 1988, 16 U 29/88, ZIP 1988, 967, 969  OLG München, Urt. v. 13. Januar 1981, 17 U 3742/80, NJW 1983, 2577

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

Annahme eines Arrestgrundes.³⁰ Hierbei können gerade die Aufgabe des Wohnsitzes, häufige Aufenthaltswechsel des Schuldners oder die wiederholte Änderung des Wohnortes einen dinglichen Arrest rechtfertigen.³¹ Das Kammergericht sah sogar in dem (bloßen) Verlegen des Wohnsitzes in das Ausland einen Arrestgrund.³² Demgegenüber wird aber eingewandt, dass allein das Niederlassen im Ausland für die Anordnung eines dinglichen Arrestes dann nicht genügen könne, wenn im Inland ausreichendes Vermögen zur Haftungsverwirklichung zurückgeblieben ist.³³ Auch sei der bloße Wegzug des Schuldners mit unbekanntem Ziel an sich nicht geeignet, einen dinglichen Arrest verhängen zu dürfen.³⁴ Die Motive für den Wegzug können beliebiger Art sein und müssen nicht zwingend eine unlautere Gesinnung des Schuldners zum Ausdruck bringen. Ebenso wenig soll die isolierte Straftat für die Annahme eines Arrestgrundes ausreichen. Vielmehr muss der Schuldner durch zusätzliche Handlungen den Anspruch des Gläubigers gefährden, so dass zu befürchten ist, dass die spätere Vollstreckung vereitelt oder erschwert werden wird.³⁵ Aus dem gleichen Grund rechtfertigt das bloße vertragswidrige Verhalten des Schuldners zum Beispiel in der Gestalt der Nichterfüllung der Schuld keinen dinglichen Arrest.³⁶ Hingegen kann dem Gläubiger der Arrest nicht mit dem Hinweis darauf abgesprochen werden, er habe sich schließlich mit einem unsicheren Schuldner eingelassen.³⁷ Wiederum kann aber die Ungewissheit über die Vermö-

 OLG Celle, Beschl. v. 16. Juli 2007, 13 W 77/07, OLGR 2007, 703; OLG Frankfurt, Urt. v. 12. September 1995, 3 UF 172/95, FamRZ 1996, 747, 749; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 917 Rz. 5; Schuschke/Walker/Walker § 917 Rz. 3  OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7. Januar 1985, 18 WF 138/84, FamRZ 1985, 507; Zöller/Vollkommer, § 917 Rz. 5; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 917 Rz. 5; Musielak/Huber, § 917 Rz. 3  KG, Urt. v. 27. März 1985, 18 UF 6755/84, FamRZ 1985, 730 im Falle einer beabsichtigten Flucht unter Mitnahme von Kind und Bargeld  OLG Stuttgart, Beschl. v. 5. Januar 1996, 11 UF 223/95, NJW-RR 1996, 775  OLG Koblenz, Beschl. v. 28. September 2001, 5 W 665/01, NJW-RR 2002, 575  BGH, Urt. v. 11. März 1975, VI ZR 231/72, VersR 1975, 753; BGH, Beschl. v. 24. März 1983, III ZR 116/82, WM 1983, 614; OLG Hamm, Urt. v. 16. August 2006, 20 U 84/06, NJW-RR 2007, 388; OLG Rostock, Urt. v. 23. Februar 2005, 6 U 159/04, OLGR 2005, 969; OLG Koblenz, Beschl. v. 28. September 2001, 5 W 665/01, NJW-RR 2002, 575; OLG Köln, Beschl. v. 2. Juni 1999, 16 W 14/99, NJWRR 2000, 69; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20. Oktober 1998, 22 W 53/98, NJW-RR 1999, 1592; OLG Düsseldorf, Urt. v. 18. September 1979, 4 U 119/79, VersR 1980, 50; a. A. OLG Dresden, Beschl. v. 13. Februar 1998, 9 W 197/98, MDR 1998, 795; OLG München, Beschl. v. 9. Januar 1970, 12 W 1707/ 69, MDR 1970, 934  BGH, Urt. v. 11. März 1975, VI ZR 231/72, VersR 1975, 753; OLG Köln, Beschl. 19. Juli 2002, 16 W 24/ 2002, OLGR 2002, 433; OLG Saarbrücken, Urt. v. 1. April 1998, 1 U 945/97, NJW-RR 1999, 143; Stein/ Jonas/Grunsky, § 917 Rz. 8; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 917 Rz. 6  Zöller/Vollkommer, § 917 Rz. 8; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 917 Rz. 4

I. Die individuelle Schuldnerverfolgung

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genslage des Schuldners und damit der Vollstreckungsaussichten keinen eigenständigen Arrestgrund geben.³⁸ Desgleichen ist die drohende Konkurrenz anderer Gläubiger, die ebenfalls gegen den Schuldner drängen, nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts³⁹ und einer vielfach in der Literatur⁴⁰ vertretenen Auffassung keine Legitimation des Arrestes. Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgebracht, der Arrest solle vor der Verschlechterung der Befriedigungsaussichten schützen, nicht jedoch zu einer Verbesserung zugunsten eines einzelnen Gläubigers führen, indem ihm ein Vorsprung gewährt werde.⁴¹ Die Legitimation des Arrestes läge nicht in der durch den Vorsprung verschafften Priorität des Zugriffs, sondern in der Abwendung der Vollstreckungsvereitelung.⁴² Ferner bestünde bei der uneingeschränkten Akzeptanz der Gläubigerkonkurrenz als Arrestgrund die Gefahr, den Schuldner in den Konkurs zu treiben,was insgesamt zu einer Verschärfung des Vollstreckungsrechts führen würde.⁴³ Hiergegen wird freilich eingewandt, dass die wesentliche Erschwernis in der für den Gläubiger sich ergebenden Gefahr läge, wegen der Konkurrenz der anderen Gläubiger eine ausreichende Haftungsgrundlage für seinen Anspruch zu verlieren.⁴⁴ Zudem könnten die von der überwiegenden Meinung angeführten konkursrechtlichen Überlegungen zur (vermeintlichen) Gläubigergleichbehandlung solange nicht überzeugen, bis ein Konkurs- respektive Insolvenzverfahren eröffnet wird, da das Arrestverfahren nicht einer Verteilungsgerechtigkeit im Sinne der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung diene.⁴⁵ Denn das Gesetz unterscheide nicht danach, worauf die Erschwernis beruht, zumal es zu einem Gläubigerwettlauf ebenso komme, wenn jeder Gläubiger nach den jeweiligen Hauptsacheverfahren die Zwangsvollstreckung betreibe, die gerade vom (althergebrachten) Prioritätsprinzip des § 804 Abs. 3 ZPO geprägt ist.⁴⁶

 MünchKomm-ZPO/Drescher, § 917 Rz. 5; Musielak/Huber, § 917 Rz. 4  RG, Urt. v. 25. Februar 1881, II 428/80, RGZ 3, 416, 417; RG, Urt. v. 30. Oktober 1907, VI 81/07, RGZ 67, 22, 26  Zöller/Vollkommer, § 917 Rz. 9; Buciek, S. 1063 f.; Foerste, S. 143; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 917, Rz. 8; Baumbach/Lauterbach, § 917 Rz. 7  RG, Urt. v. 25. Februar 1881, Rep. II 428/80, RGZ 3, 416, 417; Buciek, S. 1063 f.; Zöller/Vollkommer, § 917 Rz. 9  LG Augsburg, Beschl. v. 29. September 1975, 4 T 223/75, NJW 1975, 2350  Buciek, S. 1063 f.; anders Foerste, S. 150, der diese Argumente nicht für sehr überzeugend hält  Grunsky, S. 553 f; Stein/Jonas/Grunsky, § 917 Rz. 1; Berger, ZZP 121 (2008), 407, 422; Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 917 Rz. 16 f., alle m. w. Nachw.  Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 917 Rz. 16 f.  Walker, Rz. 235 f.; Schuschke/Walker/Walker, § 917 Rz. 5; Knothe, S. 208

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

Der Bundesgerichtshof ⁴⁷ und mit ihm ein Teil der Instanzgerichte⁴⁸ folgen diesen Einwendungen bislang nicht. Nach der von ihnen vertretenen Auffassung sei zwar die Vollstreckung auch dann wesentlich erschwert, wenn andere Gläubiger dem den Arrest beantragenden Gläubiger bei insgesamt nicht ausreichendem Vermögen des Schuldners zuvorkommen. Zudem gelte der konkursrechtliche Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung für die Einzelvollstreckung nicht. Dennoch decke der Wortlaut des § 917 Abs. 1 ZPO ebenso das herkömmliche Verständnis der Bestimmung, wonach der vorzeitige Zugriff im Wege des Arrestes erst dann gerechtfertigt sei, wenn das der Gesamtheit der Gläubiger zur Verfügung stehende Schuldnervermögen durch Abflüsse – und nicht nur durch Umschichtung, etwa durch Tilgung einzelner Verbindlichkeiten des Schuldners – insgesamt verringert zu werden droht. Eine solche Auslegung entspräche dem Willen des historischen Gesetzgebers und verhindere eine ungesunde Verschärfung des Gläubigerwettlaufs sowie unter Umständen eine dadurch künstlich herbeigeführte, vorzeitige Illiquidität des Schuldners.

b) Arrest bei Urteilsvollstreckung im Ausland Einen besonderen Arrestgrund nennt § 917 Abs. 2 ZPO (§ 797 Abs. 2 CPO),⁴⁹ wonach es für den dinglichen Arrest als zureichend angesehen wird, wenn das Urteil im Ausland vollstreckt werden müsste. Wegen der mit einer Auslandsvollstreckung verbundenen abstrakten Schwierigkeiten wird eine unwiderlegbare gesetzliche Vermutung für das Vorliegen eines Arrestgrundes begründet, weshalb es in diesen Fällen nicht auf die Existenz konkreter Gefährdungstatsachen ankommt.⁵⁰ Nachvollziehbare Grundlage dieser Vermutung ist zum einen die Sorge, dass es bei einem im Ausland anzustrengenden Verfahren auf Anerkennung und Vollstreckbarerklärung des deutschen Titels zu (unüberwindbaren) Hindernissen und Verzögerungen kommt, welche die Rechtsverwirklichung de facto vereiteln kön-

 BGH, Urt. v. 19. Oktober 1995, IX ZR 82/94, NJW 1996, 321  OLG Frankfurt, Urt. v. 11. November 2003, 11 U 40/03, ZIP 2004, 777; zuvor schon LAG Hamm, Beschl. v. 31. März 1977, 8 Ta 48/77, MDR 77, 611; LG Augsburg, Beschl. v. 29. September 1975, 4 T 223/75, NJW 1975, 2350; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 7. Januar 1985, 18 WF 138/84, FamRZ 1985, 507; a. A. LG Bremen, Urt. v. 6. August 1997, 4 O 1479/97, WM 1997, 2081  zu den Fassungen ab dem 1. Oktober 1998 und ab dem 1. Januar 2004 vgl. Zöller/Vollkommer, § 917 Rz. 15  OLG Frankfurt, Beschl. v. 10. August 1998, 24 W 31/98, OLGR 1999, 11; Schuschke/Walker/ Walker, § 917 Rz. 6

I. Die individuelle Schuldnerverfolgung

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nen.⁵¹ Zum anderen wird die Vermutung mit der lebensnahen und zumeist zutreffenden Annahme gerechtfertigt, der Schuldner versammle seine wesentlichen Vermögensgüter an seinem ausländischen Wohnsitz oder wird sie mit der Zeit dorthin bringen.⁵² Verfügt der Schuldner hiernach im Inland nicht (mehr) über hinreichendes Vermögen oder droht die Verbringung von Vermögensbestandteilen ins Ausland, wird der Arrestgrund als gegeben angesehen werden können.⁵³ Andererseits ist es für den Arrestgrund des § 917 Abs. 2 ZPO unbeachtlich, ob der Schuldner im Ausland wohnt oder sich dort aufhält und welcher Nationalität die Beteiligten sind.⁵⁴ Soweit allerdings die Vollstreckung im EU-Ausland nach § 917 Abs. 2 Satz 2 ZPO a. F.⁵⁵ gesichert war, konnte der dingliche Arrest nur nach Maßgabe des § 917 Abs. 1 ZPO begründet werden. Gleiches gilt nach der gegenwärtigen Rechtslage, wenn die sogenannte Gegenseitigkeit verbürgt ist.⁵⁶ Dennoch können Schwierigkeiten rechtlicher oder tatsächlicher Art bei der Vollstreckung im Ausland bestehen, die trotz der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 (EuGVVO)⁵⁷ und des Lugano-Übereinkommens⁵⁸ einen Arrestgrund nach § 917 Abs. 1 ZPO zu geben geeignet sind.⁵⁹

 OLG Hamburg, Urt. v. 4. Mai 1972, 6 U 167/71, VersR 1972, 1115; OLG Hamburg, Beschl. v. 11. Dezember 1989, 6 W 109/89, NJW 1990, 1425; Kropholler/Hartmann, FS Drobnig, S. 342 m. w. Nachw.  Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 917 Rz. 34  OLG Stuttgart, Beschl. v. 5. Januar 1996, 11 UF 221/95, NJW-RR 1996, 775; OLG Frankfurt, Urt. v. 18. August 2009, 8 U 68/09, juris; Kropholler/Hartmann, FS Drobnig, S. 343 m. w. Nachw.  Zöller/Vollkommer, § 917 Rz. 16  in der Fassung bis zum 31. Dezember 2003; vgl. Gesetz v. 4. November 2003, BGBl. I S. 2166  OLG Frankfurt, Urt. v. 18. August 2009, 8 U 68/09, juris; die Gegenseitigkeit kann sich aus der Gestaltung des innerstaatlichen Rechts des Vollstreckungszielstaats, völkerrechtlichen Verträgen oder die Zugehörigkeit zu einer inter- oder supranationalen Organisation ergeben, BT-Drucks. 15/ 1062, S. 8  Amtsblatt 2001 Nr. L 12, S. 1 (Brüssel I); die Geltung dieser Verordnung wurde mit dem Abkommen vom 19. Oktober 2005 (Amtsblatt 2005 Nr. L 299, S. 62) auch für das Königreich Dänemark völkerrechtlich vereinbart  Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 (LGVÜ), Amtsblatt 1988 Nr. L 319, S. 9, für die Länder Schweiz, Norwegen und Island, welches nahezu inhaltsgleich dem vormaligen Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 (EuGVÜ), Amtsblatt 1998 Nr. C 27, S. 1, entspricht  BT-Drucks. 15/1062, S. 8; OLG Dresden, Urt. v. 7. Dezember 2006, 21 UF 410/06, NJW-RR 2007, 659; OLG Köln, Beschl. v. 23. Juli 2002, 16 W 25/02, OLGR 2002, 469

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

c) Subsidiarität des Arrestes Der Arrestgrund entfällt freilich, wenn der Gläubiger einen anderweitigen Schutz durch (auch im Ausland befindliche) dingliche Sicherheiten wie Sicherungs- oder Vorbehaltseigentum, Sicherungszession, Grundpfandrechte oder Hinterlegung (unter Verzicht auf das Rücknahmerecht nach § 376 Abs. 2 Nr. 1 BGB) erfährt, der den gesamten Anspruch wirtschaftlich vollständig deckt.⁶⁰ Dieser anderweitige Schutz muss die effektive Sicherung des Anspruchs bis zum Eintritt des angestrebten Vollstreckungserfolges aber tatsächlich gewährleisten. Insbesondere bei Sicherungsmitteln, auf die der Gläubiger keinen unmittelbaren Zugriff hat, bei denen ihm der Gewahrsam am Sicherungsgut fehlt oder welche der Schuldner ihm durch wie auch immer gestaltete Angriffe zu entziehen vermag, kann der beabsichtigte Schutz leerlaufen. Deshalb darf das den Schiffsgläubigern nach §§ 754 Abs. 1, 755 HGB zugebilligte (besitzlose) Pfandrecht an einem Schiff einem dinglichen Arrest an demselben nicht entgegenstehen, wenn mit der Vollziehung des Arrestes das Auslaufen des Schiffes und die damit eintretende Gefährdung der Pfandrechtsverwirklichung durch Verlassen des Herrschaftsgebiets der deutschen Gerichtsbarkeit verhindert werden kann.⁶¹ Zwar soll trotz fehlendem Inlandsvermögen einer ausländischen (Linien‐) Reederei der Arrestgrund des § 917 Abs. 2 ZPO dann nicht gegeben sein, wenn diese mit einem oder mehreren eigenen Schiff(en) aufgrund eines feststehenden Fahrplans oder sonst regelmäßig einen deutschen Hafen anläuft und somit „wiederkehrendes“ Inlandsvermögen (auch durch Begründung von Forderungen gegenüber inländischen Drittschuldnern) bestünde.⁶² Ob die wegen eines einfachen Fahrplanes erhoffte Rückkehr eines Schiffes aber generell die Versagung eines dinglichen Arrestes zu rechtfertigen vermag, darf angesichts der gleichwohl bestehenden Ungewissheit zu Recht als zu weitgehend angesehen werden, so dass Zweifel hinsichtlich der künftigen Entwicklung des Liniendienstes eine Vollstreckungsgefährdung und damit einen dinglichen Arrest begründen.⁶³ Nicht anders verhält es sich, wenn der Schuldner mit einem dem Gläubiger zwar sicherungsübereigneten, aber ihm überlassenen Fahrzeug flüchten will und im

 BGH, Urt. v. 22. Februar 1972, VI ZR 135/70, NJW 1972, 1044; Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 917 Rz. 10; Zöller/Vollkommer, § 917 Rz. 11; Musielak/Huber, § 917 Rz. 8; MünchKomm-ZPO/ Drescher, § 917 Rz. 13; Stein/Jonas/Grunsky, § 917 Rz. 22; Schuschke/Walker/Walker, § 917 Rz. 6  anders das OLG Hamburg, Urt. v. 13. Oktober 1966, 6 U 94/66, MDR 1967, 51; OLG Hamburg, Urt. v. 2. März 1967, 6 U 177/66, MDR 1967, 677, welches die einstweilige Verfügung als zulässiges Verfahren ansah, da der Arrest nur der Sicherung künftiger Geldvollstreckung „im Rahmen des erwirkten Arrestpfandrechts“ diene; dem widersprechend Liesecke, MDR 1967, 625 ff.; Stein/ Jonas/Grunsky, § 917 Rz. 22  OLG Bremen, Urt. v. 17. März 1955, 2 U 407/54, MDR 1955, 749; OLG Hamburg, Urt. v. 6. Mai 1971, 6 U 25/71, MDR 1971, 767; OLG Bremen, Urt. v. 23. September 1971, 2 U 59/71, OLGZ 1972, 247; OLG Hamburg, Urt. v. 12. Februar 1981, 6 U 150/80, VersR 1982, 341; AG Hamburg, Urt. v. 5. März 1987, 33 C 41/87, VersR 1987, 1236; Schuschke/Walker/Walker, § 917 Rz. 6  OLG Bremen, Urt. v. 23. September 1971, 2 U 59/71, OLGZ 1972, 247; AG Hamburg, Urt. v. 5. März 1987, 33 C 41/87, VersR 1987, 1236; Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 917 Rz. 33

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Übrigen nichts Verwertbares zurücklässt. In diesen Fällen erwächst mit der Flucht die Besorgnis, dass dem Gläubiger der tatsächliche Zugriff auf das Sicherungsgut durch dessen Inbesitznahme entzogen oder zumindest erschwert wird, womit die effektive Verwirklichung des mit dem anzustrebenden Urteil zu vollstreckenden Anspruchs in Gefahr gerät.⁶⁴ Ebenso wenig können das besitzlose Vermieterpfandrecht,⁶⁵ eine Bürgschaft⁶⁶ oder Garantiezusagen einem dinglichen Arrest abträglich sein, wenn diese keinen wirtschaftlich gleichwertigen Schutz zu vermitteln vermögen.⁶⁷

Allerdings soll das Sicherungsbedürfnis entfallen, wenn der Gläubiger über einen rechtskräftigen oder zumindest ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbaren Titel verfügt. Für diese Fälle wird dem Gläubiger ein Rechtsschutzinteresse mit dem Argument der (materiellen) Rechtskraft sowie dem Hinweis darauf abgesprochen, er könne sich schließlich aus dem ihm ausgehändigten (Hauptsache‐) Titel mit sofort ausgebrachten Vollstreckungsmaßnahmen effektiv befriedigen.⁶⁸ Ein zusätzlich begehrter dinglicher Arrest wird nur dann als zulässig angesehen, wenn der Gläubiger lediglich über einen gegen Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbaren Titel verfüge.⁶⁹ Ansonsten sei für einen weiteren Vollstreckungstitel kein Raum. Mit beachtlichen Argumenten wird hingegen von Weinert ⁷⁰ die Auffassung vertreten, das selbst die Existenz eines rechtskräftigen Vollstreckungstitels solange dem Erlass eines Arrestes nicht entgegensteht, bis das mit der Zwangsvollstre vgl. zu einem ähnlichen Sachverhalt OLG München, Beschl. v. 15. Juni 1983, 25 W 1560/83, NJW 1983, 2778  LG Augsburg, Beschl. v. 29. September 1975, 4 T 223/75, NJW 1975, 2350; Zöller/Vollkommer, § 917 Rz. 11  OLG Hamm, Urt. v. 27. Oktober 1992, 26 U 132/92, OLGZ 1993, 331 im Falle einer einstweiligen Verfügung; anders unter Umständen bei einer Bankbürgschaft: OLG Köln, Urt. v. 27. November 1974, 16 U 124/74, NJW 1975, 454  Schuschke/Walker/Walker, § 917 Rz. 7; Stein/Jonas/Grunsky, § 917 Rz. 22  RG, Urt. v. 30. April 1890, 14/90, JW 1890, 191; BGH, Beschl. v. 26. April 1957, I ZR 35/57, LM § 719 ZPO Nr. 14; BGH, Urt. v. 27. Oktober 1999, XII ZR 239/97, BGHZ 143, 65; OLG Hamm, Urt. v. 12. November 1987, 4 U 131/87, OLGZ 1988, 321 für einstweilige Verfügung; OLG Celle, Beschl. v. 24. Juli 1957, 4 W 195/ 57, NdsRpfl. 1958, 93; OLG Hamburg, Urt. v. 18. Februar 1958, 2 U 33/57, NJW 1958, 1145; Zöller/ Vollkommer, § 917 Rz. 12 einschränkend, soweit der Titel auf künftig fällig werdende Ansprüche geht; generell auch Walker, Rz. 233; weitere Nachweise bei Weinert, S. 73 ff.; anders aber das LG Berlin, Urt. v. 15. April 1955, 92 S 2/55, JR 1955, 344; Merkel, S. 31  BGH, Beschl. v. 26. April 1957, I ZR 35/57, LM § 719 ZPO Nr. 14; OLG Karlsruhe, Urt. v. 24. Januar 1996, 6 U 88/95, NJW-RR 1996, 960; Stein/Jonas/Grunsky, § 917 Rz. 24; Zöller/Vollkommer, § 917 Rz. 13; wegen der Möglichkeit der Sicherungsvollstreckung nach § 720a ZPO aber einschränkend MünchKomm-ZPO/Drescher, § 917 Rz. 15; Schuschke/Walker/Walker, § 917 Rz. 8; OLG Frankfurt, Urt. v. 2. Dezember 1998, 13 U 175/98, OLGR 1999, 74  Weinert, S. 152 ff., S. 158 ff., S. 164 ff., S. 172 ff., S. 242 ff. und S. 251 ff. für das Folgende

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ckung wirklich verfolgte Ziel – nämlich die tatsächlich eingetretene Befriedigung des Gläubigers durch Abschluss des Verwertungsverfahrens und Auskehr des Vollstreckungserlöses – noch nicht erreicht ist. Den Grund hierfür sieht er in der originären Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes: der Sicherung der Zwangsvollstreckung. Ausgehend von einem qualitativ weitergehenden Verständnis des Zivilprozesses, welches die an das Erkenntnisverfahren anknüpfenden Verfahren des gesamten Individualvollstreckungsrechts ebenso als Hauptsacheverfahren begreift, könne der Sicherungszweck seiner Auffassung nach erst dann als erfüllt angesehen werden, wenn der Anspruch des Gläubigers durch Auszahlung des Vollstreckungserlöses befriedigt wird. Die auf dem Weg dorthin zu durchlaufenden Verfahrensstadien, insbesondere der Eintritt der formellen Rechtskraft, seien deshalb für die Frage des Rechtsschutzinteresses für einen (zusätzlichen) Arrest unbeachtlich. Vielmehr müsse für die Zulässigkeit des Arrestes neben einem (im Erkenntnisverfahren zu erstreitenden) Hauptsachetitel das vom Sicherungszweck geprägte Verständnis einer „zeitlich-funktionalen Ausrichtung“ des vorläufigen Rechtsschutzes der alleinige Maßstab sein. Für diese Auffassung spricht in der Tat, dass das Erreichen eines (vorläufig) vollstreckbaren Hauptsachetitels nicht mit dem Vollstreckungsziel gleichgesetzt werden darf. Den Gläubiger interessiert im Ergebnis nur der tatsächlich eingetretene Vollstreckungserfolg in Form der vollständigen Befriedigung seines Anspruchs. Jede Zeit, die bis dahin verstreicht, trägt das Kraft der Vollstreckungsvereitelung. Ob es sich hierbei um im Vollstreckungsverfahren angelegte Verzögerungspotentiale, Informationsdefizite des Gläubigers oder andere verfahrensrechtliche oder faktische Barrieren handelt, ist letztlich irrelevant.⁷¹ Zudem stehen dem Schuldner und jedem Dritten nach Eintritt der formellen Rechtskraft verschiedene Wege offen, um die Vollstreckung aus dem Hauptsachetitel zumindest zu verzögern.⁷² In der damit gewonnenen Zeit liegt die Gefahr, dass vollstreckbares Vermögen mehr oder weniger zufällig untergeht oder durch gezielte Handlungen des Schuldners oder (mit ihm alliierter) Dritter dem Gläubigerzugriff entzogen wird.Vor allem aber die verhängnisvolle Kombination von Schuldnerflucht, gleichzeitig (drohendem) Beiseiteschaffen von Vermögen, vollstreckungsverfahrensrechtlichen Barrieren, Informationsdefiziten des Gläubigers sowie Eingriffsmöglichkeiten Dritter offenbart, warum mit Blick auf das Vollstreckungsziel die These von der sofortigen Zwangsvollstreckung als ein zu wenig differenzierendes Argument nicht überzeugt.⁷³ Kann indessen mit einem Arresttitel die parallel eingeleitete Zwangsvollstreckung aus einem rechtskräftigen Hauptsachetitel effektiv gesichert werden, darf einem hierauf gerichteten Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Legitimation nicht abgesprochen werden.

 zu den einzelnen Vollstreckungsbarrieren ausführlich Weinert, S. 14 ff.  Zu denken ist an die Verfahren nach § 766 ZPO, § 767 ZPO und § 771 ZPO, jeweils verbunden mit Anträgen nach §§ 769, 770 ZPO.  ebenso Weinert, S. 73 f. unter Hinweis auf zeitliche Vorteile der Vollziehung von Maßnahmen des vorläufigen Rechtsschutzes

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2. Der persönliche Arrest Neben dem dinglichen Arrest erlaubt die Zivilprozessordnung nach § 918 (§ 798 CPO) den persönlichen Arrest, wenn er für die Sicherung der gefährdeten Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners erforderlich ist. Der persönliche Sicherheitsarrest wird nach § 933 Satz 1 ZPO (§ 812 CPO) durch Haft oder sonstige Beschränkungen der persönlichen Freiheit vollzogen. Unbefangenen Blickes könnte die Vorschrift dahingehend verstanden werden, den persönlichen Arrest anordnen zu dürfen, sobald sich der Schuldner seinen Gläubigern durch Flucht zu entziehen versucht oder anderweitig seine Zahlungsunwilligkeit – berechtigt oder nicht – zeigt. Der Gläubiger hätte damit eine äußerst scharfe Waffe in der Hand, um den Schuldner zur gehörigen Erfüllung – sei es durch Offenbarung verborgenen Vermögens, sei es durch Herbeischaffung desselben (auch aus dem Ausland) oder durch emotionale Pression seiner Angehörigen – anzuhalten. Die im Raum stehende Möglichkeit, wegen einer Verbindlichkeit die persönliche Freiheit sowie Ruf und Ehre zumindest einstweilen zu verlieren, könnte gleich den historischen Rechtsordnungen taugliches Mittel zur Gläubigerbefriedigung sein. Nicht vergessen werden darf aber, dass für das Gebiet des Norddeutschen Bundes⁷⁴ auf der Grundlage des Art. 4 Nr. 11 der Bundesverfassung bereits mit Gesetz vom 29. Mai 1868⁷⁵ die Schuldhaft aufgehoben wurde.⁷⁶ In § 1 dieses Gesetzes wurde der Personalarrest nicht mehr als ein in bürgerlichen Rechtssachen statthaftes Exekutionsmittel bezeichnet, soweit damit „die Zahlung einer Geldsumme oder die Leistung einer Quantität vertretbarer Sachen oder Werthpapiere erzwungen werden“ sollte. Nur diejenigen gesetzlichen Vorschriften, welche den Personalarrest gestatten, „um die Einleitung oder Fortsetzung des Prozeßverfahrens, oder die gefährdete Exekution in das Vermögen des Schuldners zu sichern (Sicherungsarrest)“, blieben hiervon unberührt (§ 2). Ansonsten wurden alle entgegenstehenden Vorschriften aufgehoben (§ 3). Die Motive des zugrundeliegenden Gesetzesentwurfes erkannten „aus den gegenwärtigen Rechtsanschauungen“ und „aus dem Wesen des Rechts“ nicht mehr die Verpflichtung des Schuldners, „mit seiner Person für die Erfüllung der vermögensrechtlichen Verpflichtungen in der Art einzustehen, dass der Gläubiger befugt sei, ihn seiner persönlichen Freiheit zu berauben“. ⁷⁷ Fürderhin sollte sich der Schuldner auch nicht mehr wirksam durch ausdrückliche Vertragsstipulation der Schuldhaft unterwerfen

 zur Entstehung und Konstitution s. beispielsweise Kotulla, S. 487 ff.; Kotulla, Dokumente, Bd. 1, S. 189 ff.  BGBl. des Norddeutschen Bundes 1868, Nr. 16, S. 237; zur Entstehungsgeschichte Bezold, S. 47 ff.; durch völkerrechtliche Verträge und Überleitungsgesetze galt dieses Gesetz später für das gesamte Gebiet des Deutschen Reiches, vgl. hierzu Bezold, S. 70 ff.  ähnliche Regelungen hatten Bayern und Württemberg im Jahr 1869 sowie Baden im Jahr 1870 erlassen; Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 139  Bezold, S. 72, der auch eine Rede des Abgeordneten Reichensperger zur generellen Abschaffung des Personalarrestes wiedergibt

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können.⁷⁸ Vom Verbot der Schuldhaft unterschied das Gesetz in seinem § 2 jedoch ausdrücklich den so genannten Sicherungsarrest, welcher die Durchführung des Erkenntnisprozesses vor der drohenden Flucht- und Verschleppungsgefahr sowie die Vollstreckung vor der böswilligen Vereitelung durch den Schuldner bewahren sollte.⁷⁹ Deutlich wird, dass der Arrest als Exekutionsmittel mit dem Ziel der Erzwingung der Vornahme von Leistungshandlungen des Schuldners beseitigt, jedoch als Sicherungsmittel zum Zwecke der Ermöglichung der Rechtsverfolgung beibehalten werden sollte. Das Bundesgesetz erlaubte damit den einzelnen Länderprozessordnungen die Anordnung des Sicherungsarrestes zur Begründung des Gerichtsstandes, zur Erzwingung einer Klageerwiderung, allgemein zur Verhinderung von Prozessvereitelungshandlungen, zur Vermeidung von Vermögensverdunklungen und -verschiebungen, insbesondere durch Flucht oder bei Fluchtverdacht, sowie in Verfahren gegen Ausländer, wenn von deren Heimatgerichten keine Rechtshilfe zu erwarten war, obwohl die Gewissheit oder hohe Wahrscheinlichkeit bestand, dass jene dort Vermögen besaßen.⁸⁰ Hierin zeigt sich, dass der persönliche Sicherungsarrest nur noch als zeitlich beschränkt zulässig angesehen wurde, solange dessen Verhängung für den Schutz des Gläubigerinteresses an der Rechtsverwirklichung durch Erkenntnisverfahren und Vollstreckung in das Schuldnervermögen erforderlich war.⁸¹ Dieses zu schützende Interesse setzte notwendigerweise voraus, dass der Schuldner überhaupt über exekutionsfähiges Vermögen verfügte, weshalb der Sicherungsarrest gegen den Vermögenslosen ebenfalls als nicht (mehr) statthaft angesehen wurde.⁸²

a) Arrestgründe Diese Gedanken griff die Civilprozeßordnung im Kern auf und grenzte den Anwendungsbereich des persönlichen Arrestes weiter ein. Zwar wurde § 2 des Gesetzes vom 29. Mai 1868 über die Aufhebung der Schuldhaft durch § 13 Nr. 1 des Gesetzes betreffend die Einführung der Civilprozeßordnung (EGZPO)⁸³ unter dem 30. Januar 1877 ersatzlos gestrichen. Gleichwohl sahen die Bestimmungen der §§ 796 ff. CPO den Arrest nur noch als Sicherungs- und nicht mehr als Exekutionsmittel vor.⁸⁴ Nicht nur, dass die fortan als einzig noch zulässigen Haftanordnungsmöglichkeiten zur Vollstreckung von Ansprüchen auf Vornahme unvertretbarer Handlungen (§ 774 CPO) und zur Erzwingung des Offenbarungseides (§ 782 CPO) ausdrücklich nicht als Arrest bezeichnet wurden und wegen der Sicherungsfunktion des Arrestes überhaupt die (Wahrscheinlichkeit der) Existenz

 Bezold, S. 75  Bezold, S. 75 unter vergleichender Betrachtung mit dem englischen Recht  Bezold, S. 82  Reichs-Oberhandelsgericht, Urt. v. 4. Mai 1872, II 117/72, Entscheidungssammlung Bd. 6, S. 5 ff.  Reichs-Oberhandelsgericht, Urt. v. 4. Mai 1872, II 117/72, Entscheidungssammlung Bd. 6, S. 5 ff.; Bezold, S. 83  RGBl. Nr. 6, S. 244  Hahn/ZPO, S. 470 (Motive, S. 448); Werner, S. 10; Merkel, S. 7 ff.

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haftbaren Vermögens verlangt wurde.⁸⁵ Vielmehr musste ein zusätzliches Bedürfnis für die Anordnung des persönlichen Arrestes bestehen, so dass der persönliche Arrest gegenüber dem dinglichen subsidiär wurde. Neben den für den dinglichen Arrest unerlässlichen Gründen bedurfte es der weiteren Voraussetzung, dass der dingliche Arrest zur Sicherung der Zwangsvollstreckung allein nicht ausreicht. Nach Auffassung Werners ⁸⁶ war die Anordnung des persönlichen Arrestes deshalb gerechtfertigt, „wenn sich der Schuldner durch Flucht der Manifestation seines Vermögens zu entziehen, wenn er sein Vermögen mit in′s Ausland zu nehmen sucht, wenn er seine Freiheit zur Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Zwangsvollstreckung mißbraucht. Dagegen darf zu dem Zwecke, um den Schuldner zur Herbeischaffung seines im Ausland befindlichen Vermögens zu zwingen, nicht Personal-Arrest verhängt werden, weil es sich hier nicht um die Sicherung der Zwangsvollstreckung, sondern um die Möglichmachung derselben handeln würde“. Mit dem Personalarrest sollte mithin eine bestehende Chance der Vollstreckung erhalten, nicht jedoch eine nicht existente erst geschaffen werden.⁸⁷ Diese Ansichten werden im Wesentlichen noch heute geteilt. Die Anordnung des persönlichen Sicherheitsarrestes kommt von vornherein nicht in Betracht, wenn die Vollstreckung anderer Ansprüche als Geldforderungen im Sinne des § 916 ZPO gesichert werden soll. Der persönliche Sicherheitsarrest dient als Sicherungsmittel der Vollstreckung in das Vermögen des Schuldners. Sein Zweck ist es aber nicht, unmittelbaren Zwang gegen den Schuldner auszuüben, um ihn zur Bezahlung irgendwie zu bewegen.⁸⁸ Der Arrest ist kein Mittel, eine bloße Disziplinierung fauler oder schwieriger Schuldner zu bewirken.⁸⁹ Mit anderen Worten ist der Arrest unzulässig, wenn der Schuldner dazu bestimmt werden soll, Vermögen – von wo auch immer – heranzuschaffen, Sachen herauszugeben, anderweitig Darlehen aufzunehmen oder sonstige Handlungen auszuüben oder zu unterlassen.⁹⁰ Ebenso wenig kommt eine moderne Form der Schuldknechtschaft in Frage, mittels des persönlichen Arrestes den arbeitsunwilligen Schuldner zur Aufnahme oder Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit zwecks Erlangung des Zugriffs auf pfändbare

 Merkel, S. 9; Werner, S. 15  Werner, S. 14; ähnlich Merkel, S. 11  Hahn/ZPO, S. 472 (Motive, S. 450), Merkel, S. 11  Gaul, S. 336  Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 133  RG, Entsch. v. 10. Juni 1899, 142/99, JW 1899, 490; LG Frankfurt, Beschl. v. 31. März 1960, 2/2 Q 6/60, NJW 1960, 2006; OLG Bamberg, Urt. v. 3. Juli 2003, 2 UF 48/03, OLGR 2005, 206; Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 138, 140; Walker, Rz. 239; Gaul/Schilken/Becker-Eberhardt, S. 1218; Zöller/Vollkommer, § 918 Rz. 1; Stein/Jonas/Grunsky, § 918 Rz. 1; Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 918 Rz. 1; Schuschke/Walker/Walker, § 918 Rz. 1

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

Entgelte anzuhalten.⁹¹ Die Sicherungsfunktion des persönlichen Arrestes setzt vielmehr voraus, dass überhaupt zu sicherndes Schuldnervermögen existent ist. Steht indes fest, dass der Schuldner vollstreckungsfähiges Vermögen nicht sein eigen nennen kann, scheidet die für die Anordnung des persönlichen Arrestes gebotene Erforderlichkeit desselben aus.⁹² Walker ⁹³ weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass der Tatbestand der Zahlungsfähigkeit des Schuldners begrifflich nur deshalb nicht in den Gesetzestext aufgenommen wurde, weil in den Beratungen der Reichstagskommission dieses Merkmal für überflüssig gehalten wurde. Ob sich das existente Vermögen im In- oder Ausland befindet, ist indes ohne Belang.⁹⁴ Aufgrund der Subsidiarität des persönlichen gegenüber dem dinglichen Arrest muss also gerade die Anordnung des persönlichen Arrestes erforderlich sein, um die gefährdete Zwangsvollstreckung zu sichern.⁹⁵ Neben der für den dinglichen Arrest notwendigen Gefahr der Vollstreckungsvereitelung ist mithin weitere Voraussetzung, dass allein der dingliche Arrest die Zwangsvollstreckung nicht zu sichern vermag.⁹⁶ Wenige Sachverhalte scheinen hierfür in Frage zu kommen. Allein die Sorge oder der Verdacht, der Schuldner würde die Flucht antreten, soll die Anordnung des persönlichen Arrestes nicht erforderlich machen, da für die bei Geldansprüchen allein zulässige Vermögensexekution die Anwesenheit und Person des Schuldners nicht notwendig wäre.⁹⁷ Auch die Befürchtung, der Schuldner könnte (mit seiner Flucht) Vermögen, dessen Belegenheit dem Gläubiger bekannt ist, in das Ausland verschieben, soll nicht genügen, weil insoweit

 Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 140; Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 918 Rz. 8; Stein/Jonas/ Grunsky, § 918 Rz. 1; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 918 Rz. 2  OLG Karlsruhe, Urt. v. 7. Mai 1996, 2 UF 59/60, NJW-RR 1997, 450; Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 138; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 918 Rz. 2; Schuschke/Walker/Walker, § 918 Rz. 2  Schuschke/Walker/Walker, § 918 Rz. 2 unter Benennung des Protokolls der 34. Sitzung der Reichstagskommission vom 7. Juni 1875, abgedruckt bei Hahn/ZPO, S. 869 ff. (Motive, S. 425 ff.); zuvor schon Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 138 m. w. Nachw.  Stein/Jonas/Grunsky, § 918 Rz. 4; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 918 Rz. 2  OLG Karlsruhe, Urt. v. 7. Mai 1996, 2 UF 59/60, NJW-RR 1997, 450; Walker, Rz. 239; Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 140; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 918 Rz. 1; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 918 Rz. 1; Stein/Jonas/Grunsky, § 918 Rz. 6; Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 918 Rz. 1; Zöller/ Vollkommer, § 918 Rz. 1  Hahn/ZPO, S. 472 (Motive, S. 450); RG, Entsch. v. 10. Juni 1899, 142/99, JW 1899, 490; LG Frankfurt, Beschl. v. 31. März 1960, 2/2 Q 6/60, NJW 1960, 2006; Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 140; Schuschke/Walker/Walker, § 918 Rz. 3  Gaul/Schilken/Becker-Eberhardt, S. 1218; Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 147 unter Hinweis auf die rechtsgeschichtlichen Wurzeln des Arrestes

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die Anordnung des dinglichen Arrestes ausreichend wäre.⁹⁸ Andererseits wird der Zweck des § 918 ZPO darin gesehen, eine (drohende) Verschiebung, Verschleuderung oder gar Vernichtung der glaubhaft existenten, inländischen Vermögensstücke durch den Schuldner zu verhindern, um die Pfändung im Wege des dinglichen Arrestes überhaupt zu ermöglichen.⁹⁹ Der persönliche Sicherheitsarrest soll genau dann „zulässig sein, wenn die Gefahr besteht, dass der Schuldner seine persönliche Freiheit zur Vereitelung oder wesentlichen Erschwerung der Zwangsvollstreckung benutzen werde“. ¹⁰⁰ Insbesondere die durch das schuldnerische Verhalten bedingte Unmöglichkeit, den genauen örtlichen Verbleib oder Einzelheiten der Zusammensetzung des inländischen Vermögens ermitteln zu können, soll den persönlichen Arrest rechtfertigen dürfen.¹⁰¹ Hiergegen wird indes eingewandt, der Gläubiger könne im Offenbarungsverfahren (vormals §§ 807, 899 ff. ZPO, nunmehr §§ 802a Abs. 2, 802c ff. ZPO n. F.)¹⁰² die erforderlichen Informationen vom Schuldner beschaffen, um darauf aufbauend einen dinglichen Arrest auszubringen, so dass der persönliche Arrest nicht erforderlich wäre.¹⁰³ Mithin bliebe die Sicherung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung als der einzige den persönlichen Arrest legitimierende Grund.¹⁰⁴ Die zuletzt genannte, vor allen auf Ritter zurückgehende Auffassung überspannt allerdings den Maßstab des im Einzelfall nach § 918 ZPO Erforderlichen, wenn sie den Haftarrest gemäß §§ 918, 933 Satz 1 Var. 1 ZPO allein für die Sicherung des Offenbarungseides nach §§ 899 ff. ZPO a. F. (nunmehr Vermögensauskunft nach  Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 144 ff.  Hahn/ZPO, S. 472 (Motive, S. 450); RG, Entsch. v. 10. Juni 1899, 142/99, JW 1899, 490; KG, Beschl. v. 22. September 2005, 12 W 44/05, KGR 2005, 1009; OLG Koblenz, Beschl. v. 31. Mai 1991, 5 W 316/91, JB 1992, 191; Gaul/Schilken/Becker-Eberhardt, S. 1218; Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 918 Rz. 5; Stein/Jonas/Grunsky, § 918 Rz. 4; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 918 Rz. 3  Hahn/ZPO, S. 472 (Motive, S. 450)  OLG München, Beschl. v. 19. Oktober 1987, 5 W 2977/87, NJW-RR 1988, 382; OLG Karlsruhe, Urt. v. 7. Mai 1996, 2 UF 59/96, FamRZ 1996, 1429; OLG Karlsruhe, Urt. v. 7. Mai 1996, 2 UF 59/60, NJW-RR 1997, 450; Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 144 ff.; Gaul/Schilken/Becker-Eberhardt, S. 1218; Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 918 Rz. 7; Schuschke/Walker/Walker, § 918 Rz. 3; Stein/Jonas/ Grunsky, § 918 Rz. 7; Zöller/Vollkommer, § 918 Rz. 1  Nach dem zum 1. Januar 2013 in Kraft tretenden Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2258 ff.) wurde das Verfahren zur Auskunftserteilung über das Vermögen und die Abnahme der eidesstattlichen Versicherung vollständig neu geordnet (vgl. §§ 802c ff. ZPO n. F.), wodurch die bisherigen Vorschriften der §§ 899 bis 915h ZPO a. F. vollständig zum Wegfall gekommen sind.  Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 145 ff.; dem wohl folgend Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 918 Rz. 7  so im Ergebnis Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 152; dem mit zutreffenden Argumenten entgegentretend Weinert, S. 175

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§§ 802c ff. ZPO n. F.) für zulässig hält. Sicherlich mag die Absicht, sich dem Verfahren zur Abgabe des Vermögensverzeichnisses unter eidesstattlicher Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit (vormals §§ 807, 899 ZPO a. F., nunmehr §§ 802a Abs. 2, 802c ff. ZPO n. F.) entziehen zu wollen, auch ein die Anordnung des persönlichen Arrestes rechtfertigender Grund sein.¹⁰⁵ Dann müsste mit anderen Worten das Erscheinen des Schuldners zum Termin der Abgabe der Vermögensauskunft nebst eidesstattlicher Versicherung gefährdet sein. Dabei kann bereits das Erfordernis, mittels geeigneten Sachvortrags die schuldnerische (Flucht‐) Absicht als sogenannte innere Tatsache (die sich durch keine äußeren Zeichen zweifellos zeigt) glaubhaft darlegen zu müssen, den Gläubiger ungeachtet der Möglichkeit des § 921 Satz 1 ZPO vor erhebliche, wenn nicht sogar unüberwindbare Schwierigkeiten stellen.¹⁰⁶ Ferner wird verlangt, dass neben den Voraussetzungen eines persönlichen Arrests auch die des Manifestationseides (§§ 807, 899 ff. ZPO a. F.; §§ 802a Abs. 2, 802c ff. ZPO n. F.) vorliegen müssen, um den entsprechenden Arrestbeschluss fassen zu können.¹⁰⁷ Ritters Einwendungen verlieren aber etwas aus den Augen, dass es sich bei dem Arrestprozess um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, welches gerade wegen der Eilbedürftigkeit dem Gläubiger ein effektives Instrument zur Vollstreckungssicherung an die Hand geben soll. Ungeachtet der mehrfachen Warnung des zur Vereitelung bereiten Schuldners durch Zustellungen, Ladungen, Benachrichtigungen etc. im womöglich parallel laufenden Hauptsache(vollstreckungs) verfahren zeigt die Praxis, dass die Durchführung eines vorherigen Verfahrens nach §§ 807, 899 ff. ZPO a. F. (§§ 802a Abs. 2, 802c ff. ZPO n. F.) mit all seinen Verzögerungsrisiken zeitlich oft zu spät erfolgt, um eine sofort drohende Verschlechterung der

 OLG München, Beschl. v. 19. Oktober 1987, 5 W 2977/87, NJW-RR 1988, 382; OLG Karlsruhe, Urt. v. 7. Mai 1996, 2 UF 59/60, NJW-RR 1997, 450; OLG Bamberg, Urt. v. 3. Juli 2003, 2 UF 48/03, OLGR 2005, 206; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 918 Rz. 3; Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 918 Rz. 3; Stein/Jonas/Grunsky, § 918 Rz. 7; Walker, Rz. 239; Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 918 Rz. 7; Zöller/Vollkommer, § 918 Rz. 1; Musielak/Huber, Rz. 3  MünchKomm-ZPO/Drescher, § 918 Rz. 4; Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 918 Rz. 7  OLG München, Beschl. v. 19. Oktober 1987, 5 W 2977/87, NJW-RR 1988, 382; Wieczorek/ Schütze/Thümmel, § 918 Rz. 7, der verwirrend auch das Verfahren nach §§ 883, 899 ff. ZPO benennt; ohnehin stellt sich hier die Frage, ob eine solche Konstellation überhaupt denkbar ist, wird auch angesichts § 928 ZPO die Vollziehung des Arrestes richtigerweise nicht als ein auf die Befriedigung ausgerichteter Versuch der Zwangsvollstreckung im Sinne des § 807 Abs. 1 ZPO, sondern der Sicherung bestehender Vollstreckungschancen dienend verstanden, vgl. Weinert, S. 175 ff. (Fn. 159 bis 162)

I. Die individuelle Schuldnerverfolgung

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Zugriffsmöglichkeiten des Gläubigers durch den Schuldner zu verhindern.¹⁰⁸ Die dem Schuldner bis zum Vollstreckungserfolg für Vereitelungshandlungen zur Verfügung stehende Zeit ist es, welche die Eilbedürftigkeit rechtfertigt. Freilich könnte der Gläubiger sogleich versuchen, einzelne Vereitelungshandlungen durch Pfändungen von Rückgewähransprüchen und deren Einziehung, Anfechtungen etc. zu bekämpfen. Voraussetzung hierfür ist jedoch seine Kenntnis über derartige Vereitelungsabsichten, ihre Umstände und die beteiligten Personen, über die er in den seltensten Fällen verfügen wird. Besitzt der Gläubiger diese Informationen nicht, bedürfte es mithin ihrer Offenbarung durch den Schuldner, die wiederum erst durch das zeitverschlingende Manifestationsverfahren nach §§ 807, 899 ff. ZPO a. F. (§§ 802a Abs. 2, 802c ff. ZPO n. F.) erzwungen werden kann. Regelmäßig müsste der Gläubiger in diesen Fällen den Abschluss des einzuleitenden Verfahrens zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung und die Vorlage der Vermögensauskunft (Vermögensverzeichnis) durch den Gerichtsvollzieher abwarten, um jenes in der Hoffnung auf Vollständigkeit, Richtigkeit und noch bestehende Aktualität wegen des Verbleibs einzelner Vermögensgegenstände auszuwerten und hiernach geeignete Vollstreckungsmaßnahmen zu ergreifen oder Rechtshandlungen wie Anfechtungen etc. vorzunehmen. Ein solches Unterfangen, welches das Zeitproblem des Gläubigers verschärft, kann mit dem Anspruch auf Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 20 Abs. 3 GG)¹⁰⁹ nicht vereinbart werden. Der vom Gericht zu gewährende vorläufige Rechtschutz muss vor der Schaffung vollendeter, irreversibler Tatsachen, die auch durch die Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig zu machen sind, erlangt werden können. Ausgehend von der Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes, den Zeitraum bis zum Eintritt des im Hauptsachevollstreckungsverfahren zu erreichenden Vollstreckungserfolges im Sinne der vollständigen Gläubigerbefriedigung zu überbrücken und bis dahin störende Schuldnerhandlungen zu unterbinden, vermag der weitere Arrestgründe negierende Hinweis auf die Möglichkeit der Informationsgewinnung im Manifestationsverfahren nicht zu befriedigen. Zudem ist es eine Illusion zu glauben, der

 zu den im Zwangsvollstreckungsverfahren bestehenden Verzögerungspotentialen und Beschleunigungsmöglichkeiten s. Weinert, S. 12 ff., 71; Stein/Jonas/Grunsky, § 918 Rz. 7; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 918 Rz. 3  BVerfG, Beschl. v. 19. Oktober 1982, 1 BvL 34, 55/80, BVerfGE 61, 126, 136; BVerfG, Beschl. v. 27. April 1988, 1 BvR 549/87, NJW 1988, 3141; BVerfG, Beschl. v. 9. August 1999, 1 BvR 2245/98, NVwZ 1999, 1330; BVerfG (Plenum), Beschl. v. 30. April 2003, 1 PBvU 1/02, BVerfGE 107, 395, 401 ff.; zum Vollstreckungsanspruch und Anspruch auf effektiven Rechtsschutz Gaul/Schilken/ Becker-Eberhardt, S. 102 ff.; Walker, Rz. 39 ff., 48 ff., allerdings einschränkend bis zum Zeitpunkt des Abschlusses des Erkenntnisverfahrens; kritisch Weinert, S. 147

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(fraudulöse) Schuldner würde existentes Vermögen erst verbergen, um sodann über dessen Schicksal im nachlaufenden Offenbarungsverfahren freigiebig Auskunft zu erteilen. Ist ein solcher Schuldner bereit, die Vollstreckungschancen des Gläubigers durch gezieltes Handeln zu vereiteln, bedarf es nicht mehr viel Phantasie für die Überlegung, dass jener die Umstände der Vermögensvereitelung nicht ohne weiteres preisgeben wird. Selbst das Manifestationsverfahren gibt keine Gewähr dafür, der Schuldner würde die verborgenen Vermögensstücke offenbaren. Die mit der Haft traditionell schärfste Waffe des Zivilprozesses wird am Ende stumpf: spätestens nach sechs Monaten ist der Freiheitsentzug des bis dahin standhaft gebliebenen Schuldners ohne weiteres zu beenden (§§ 933, 913 ZPO a. F. bzw. § 802j ZPO n. F.). Da aber nicht jeder schlitzohrige Schuldner die Entbehrungen der Haft auf sich zu nehmen bereit sein wird, muss eher die Flucht unter Mitnahme der einfach zu transportierenden und zu verbergenden Gegenstände wie Bargeld, Wertpapiere, Urkunden über Forderungen, Pretiosen etc. erwartet werden, um sich den Genuss des beiseite geschafften Vermögens zu sichern und nicht in die Verlegenheit zu geraten, anlässlich der Leistung des Offenbarungseides entweder wahre und vollständige Tatsachenangaben zu machen (und den Zugriff auf das hinterzogene Vermögen wieder zu verlieren) oder sich aber strafrechtlicher Verfolgung wegen des Vorwurfs der falschen Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB)¹¹⁰ auszusetzen. Der gegenwärtige Gesetzgeber hat sich des Informationsbeschaffungsproblems des Gläubigers noch in anderer Weise angenommen. Zum 1. Januar 2013 trat ein im Jahr 2009 verabschiedetes Reformwerk in Kraft, welches die Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung verbessern soll.¹¹¹ Der Gesetzgeber erhofft mit dieser Reform, die unter anderem das Verfahren zur Auskunftserteilung über das Vermögen mit Abnahme der eidesstattlichen Versicherung neu ordnet (vgl. §§ 802c ff. ZPO n. F.) und dadurch die bisherigen Vorschriften der §§ 899 bis 915h ZPO vollständig zum Wegfall kommen lässt, eine Steigerung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Zwangsvollstreckung zur Anpassung an die modernen Verhältnisse.¹¹² Konkret sollen die Gläubiger besseren Zugang zu Informationen über den Aufenthaltsort des Schuldners sowie taugliche Vollstreckungsobjekte auch durch Einholung von Fremdauskünften erlangen. So wird der Gerichtsvollzieher nach § 802c ZPO n. F. wie ehedem ermächtigt, zum Zwecke der Vollstreckung einer

 LK/Ruß, § 156 Rz. 19 ff.; zur Entstehungsgeschichte ebenfalls LK/Ruß, vor § 153; vgl. die frühere Rechtsprechung des BGH zum Meineid (§ 154 StGB): BGH, Urt. v. 14. Juni 1955, 5 StR 170/ 55, BGHSt 7, 375; BGH, Urt. v. 15. Dezember 1955, 4 StR 447/55, BGHSt 8, 399; BGH, Urt. v. 21. Februar 1957, 4 StR 27/57, BGHSt 10, 149; BGH, Urt. v. 1. April 1960, 4 StR 450/59, BGHSt 14, 345; BGH, Urt. v. 29. Oktober 1963, 5 StR 286/63, BGHSt 19, 126  Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2258 ff.)  amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, BT-Drucks. 16/10069, S. 20

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Geldforderung vom Schuldner Auskunft über dessen Vermögen und die Versicherung der Richtigkeit derselben an Eides statt zu verlangen. Ist aber zum Beispiel infolge der Flucht der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthaltsort des Schuldners nicht bekannt, wird der Gerichtsvollzieher auf Grund des ihm erteilten Vollstreckungsauftrags bei zu vollstreckenden Ansprüchen größer 500,00 Euro ermächtigt, bei der Meldebehörde die gegenwärtigen Anschriften sowie Angaben zu Haupt- und Nebenwohnung des Schuldners zu erheben (§ 755 Abs. 1 ZPO n. F.). Genügt dies nicht, um den Aufenthalt des Schuldners zu ermitteln, ist er ferner zur Datenerhebung (1.) aus dem Ausländerzentralregister sowie bei der aktenführenden Ausländerbehörde über den Zuzug oder Fortzug des Schuldners sowie seinen hiernach bekannten Aufenthaltsort, (2.) bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung über die dort bekannte derzeitige Anschrift, den derzeitigen oder zukünftigen Aufenthaltsort sowie (3.) bei dem Kraftfahrt-Bundesamt über die Halterinformationen eines Fahrzeuges nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVG ermächtigt (§ 755 Abs. 2 ZPO n. F.). Kommt der Schuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht nach oder ist bei einer Vollstreckung in die darin aufgeführten Vermögensgegenstände eine vollständige Befriedigung des Gläubigers voraussichtlich nicht zu erwarten, darf der Gerichtsvollzieher zusätzlich (1.) bei den Trägern der gesetzlichen Rentenversicherung die Kontaktdaten des gegenwärtigen Arbeitgebers eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses des Schuldners erheben, (2.) das Bundeszentralamt für Steuern um Abruf der in § 93b Abs. 1 AO bezeichneten Daten bei den Kreditinstituten ersuchen sowie (3.) beim Kraftfahrt-Bundesamt die Fahrzeug- und Halterinformationen nach § 33 Abs. 1 StVG zu einem vom Schuldner gehaltenen Fahrzeug abrufen (§ 802 l ZPO n. F.). Überdies sollen die Führung des Schuldnerverzeichnisses sowie die Verwaltung der Vermögensverzeichnisse automatisiert und zentralisiert werden (vgl. §§ 802k, 882b ff. ZPO n. F.), um den Verwaltungsaufwand zu reduzieren, die Effektivität von Vollstreckungsmaßnahmen zu erhöhen sowie den Rechtsverkehr vor illiquiden Wirtschaftsteilnehmern besser warnen zu können.¹¹³ Es wird abgewartet werden müssen, ob sich die Rechtsdurchsetzungschancen der Gläubiger hierdurch signifikant erhöhen werden.

b) Glaubhaftmachung und Vollzug Der antragstellende Gläubiger hat die Voraussetzungen für den persönlichen Sicherheitsarrest gemäß § 920 Abs. 2 ZPO in seinem Gesuch in geeigneter Weise glaubhaft zu machen.¹¹⁴ Ist ihm der Verbleib einzelner Vermögensteile bekannt, anderer, deren Existenz gewiss ist, aber nicht, und besteht die konkrete Gefahr, der Schuldner werde sie (gelegentlich gleichzeitiger Flucht) beiseiteschaffen, kommt ein kombinierter Antrag auf Anordnung des dinglichen und persönlichen Arrestes in Betracht.¹¹⁵ Der durch Beschluss oder Urteil angeordnete persönliche Sicherheitsarrest wird entsprechend § 933 Satz 1 ZPO mittels Haft (vormals §§ 901, 904 bis

 amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung, BT-Drucks. 16/10069, S. 20  MünchKomm-ZPO/Drescher, § 918 Rz. 2; Schuschke/Walker/Walker, § 918 Rz. 2  Stein/Jonas/Grunsky, § 918 Rz. 6; Zöller/Vollkommer, § 918 Rz. 1

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913 ZPO, nunmehr §§ 802g bis 802j ZPO n. F.) oder durch sonstige Beschränkung der persönlichen Freiheit vollzogen. Die Verhaftung des Schuldners darf als schwerer Eingriff in die Rechtsposition und Grundrechte des Schuldners gegenüber milderen Mitteln der Freiheitsbeschränkung mit Recht nur ultima ratio sein (Art. 11 GG und Art. 1, 2 GG).¹¹⁶ Regelmäßig ist die Rede von der doppelten Subsidiarität des Haftarrestes. Zu fordern ist die unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls nach beiden Seiten ausgerichtete, interessengerechte Prüfung der Verhältnismäßigkeit des konkret beabsichtigten Eingriffs in die persönliche Freiheit, der zur Beseitigung der Vollstreckungsgefährdung erforderlich ist.¹¹⁷ Weniger belastende Freiheitsbeschränkungen werden im Einzug der Ausweispapiere, in der Auferlegung von Meldepflichten, in der Anordnung eines Orts- oder Hausarrestes oder der Überwachung des Schuldners erblickt.¹¹⁸ Nur wenn diese Maßnahmen nicht geeignet oder ausreichend sind, kommt die Inhaftierung in Betracht. Beabsichtigt der ernsthaft fluchtbereite Schuldner die Mitnahme oder das Verbergen pfändbarer Gegenstände, wird er sich von Meldepflichten oder dergleichen allerdings nicht abhalten lassen. Selbst der Einzug von Ausweispapieren kann unter Umständen nicht ausreichend sein, die Flucht und die damit einhergehende Vermögensvereitelung zu verhindern, wenn der Schuldner (für den Gläubiger und das Gericht unbekannt) neben dem Bundespersonalausweis im Besitz eines weiteren oder mehrerer Reisepässe ist und somit jederzeit die Möglichkeit hat, nicht nur die Republik und die Staaten der Europäischen Union zügig zu verlassen. Bestehen konkrete Anhaltspunkte für die ins Ausland führende Flucht des Schuldners und die Gefahr einer damit einhergehenden Vermögensvereitelung, wird die Anordnung seiner Inhaftierung als angemessen angesehen werden müssen.¹¹⁹ Ferner wird erörtert, ob (dem Rechtssatz de minimis non curat praetor folgend) die Verhaftung des Schuldners noch angemessen ist, wenn lediglich Bagatellansprüche verfahrensgegenständlich

 Gaul, S. 334, 347 ff., 352 ff.; RG, Entsch. v. 10. Juni 1899, 142/99, JW 1899, 490; Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 140 ff.; OLG München, Beschl. v. 19. Oktober 1987, 5 W 2977/87, NJW-RR 1988, 382; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 918 Rz. 1; BVerfG, Urt. v. 16. Januar 1957, 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32 ff.  Walker, Rz. 239; Stein/Jonas/Grunsky, § 918 Rz. 6; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 918 Rz. 1; Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 140 ff., 155 ff.  Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 142 m. w. Nachw.  LG Frankfurt, Beschl. v. 31. März 1960, 2/2 Q 6/60, NJW 1960, 2006; OLG München, Beschl. v. 19. Oktober 1987, 5 W 2977/87, NJW-RR 1988, 382; Stein/Jonas/Grunsky, § 918 Rz. 7; Wieczorek/ Schütze/Thümmel, § 918 Rz. 7; Zöller/Vollkommer, § 918 Rz. 1; kritisch hierzu Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 144 ff., der aber auch zugeben muss, dass in diesen Fällen die Inhaftierung des Schuldners die Vermögensdispositionen des Schuldners faktisch erschweren, wenn auch nicht absolut verhindern können

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sind. Überwiegend wird hierzu die Auffassung vertreten, Bagatellforderungen könnten eine Freiheitsbeschränkung bis hin zur Haft aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nicht rechtfertigen.¹²⁰ Darauf ist zu antworten, dass es regelmäßig schwierig zu beurteilen und letztlich willkürlich ist, eine Bagatellgrenze für alle Gläubiger allgemein zu definieren: liegt sie bei 5 Euro, 50 Euro, 500 Euro oder 5.000 Euro oder irgendwo dazwischen oder gar höher? Der Gesetzeswortlaut gibt keinen Anhaltspunkt für eine derartige Grenze. Da eine bloße Zahlungsunfähigkeit respektive Vermögensunzulänglichkeit des Schuldners dem dinglichen und persönlichen Arrest ohnehin entgegensteht, wird diese Frage mit Blick auf eine (anzunehmende) Zahlungsunwilligkeit des Schuldners interessengerecht zugunsten des Gläubigers beantwortet werden müssen.¹²¹ Zudem darf nicht übersehen werden, dass das Gesetz für den sein Vermögen heimlich beiseite schaffenden (flüchtigen) Schuldner keine Privilegierung einrichten, sondern dem Gläubiger angesichts des aus Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 20 Abs. 3 GG abgeleiteten Grundrechts effektiven Rechtsschutz bieten will und muss.¹²² Andernfalls würden sich in Bagatellfällen die Arrestvorschriften in grotesker Weise gegen den Gläubiger richten. Sollte bei einer Bagatellforderung der aus berechtigten Gründen zahlungsunwillige, jedoch solvente Schuldner wegen vermeintlicher Vereitelungsabsichten von einem persönlichen Arrest überrascht werden, wird es ihm in aller Regel noch während seines Gesprächs mit dem Gerichtsvollzieher oder kurz darauf möglich sein, den weiteren Vollzug durch Hinterlegung zur Sicherung der Bagatelle abzuwenden (§ 923 ZPO).¹²³ Überdies kann er seine Rechte im weiteren Verfahren nach §§ 924 ff., 765a, 900 ZPO verfolgen.

3. Die Selbsthilfe des Gläubigers Dem vorstehend geschilderten Zeitproblem des Gläubigers kann oftmals noch nicht einmal mit sofort nachgesuchtem und von einem Gericht vorläufig gewährtem Rechtsschutz begegnet werden. Selbst wenn der Gläubiger angesichts der unmittelbar bevorstehenden Schuldnerflucht sofort einen Arrestantrag ein-

 OLG Karlsruhe, Urt. v. 7. Mai 1996, 2 UF 59/60, NJW-RR 1997, 450; Stein/Jonas/Grunsky, § 918 Rz. 6; Walker, Rz. 241; Wieczorek/Schütze/Thümmel, § 918 Rz. 11; Zöller/Vollkommer, § 918 Rz. 2; Musielak/Huber, Rz. 4; Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 136 mit Nachweisen aus der älteren Rechtsprechung und Literatur sowie einem Lösungsansatz (dort Fn. 29)  Das Bundesverfassungsgericht hatte in einem Beschluss vom 20. Juni 1978 (1 BvL 30 – 35/78, BVerfGE 48, 396 ff.) – wenn zwar nicht explizit und mit eingehender Begründung, so doch unter Hinweis auf eine frühere Entscheidung – darauf hingewiesen, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch bei Forderungen zwischen 16,00 DM und 46,50 DM die Haftanordnung zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht allein wegen der Geringfügigkeit verbietet. Hiernach sei die Erzwingungshaft zur Offenbarung der Vermögensverhältnisse zulässig, um einem Gläubiger gegenüber einem solventen, aber zahlungsunwilligen Schuldner zu seinem Recht zu verhelfen; zur Verfassungsmäßigkeit des § 901 ZPO s. auch BVerfG, Beschl. v. 19. Oktober 1982, 1 BvL 34/80; 1 BvL 55/80, BVerfGE 61, 126.  Gaul, S. 362; MünchKomm-ZPO/Drescher, § 918 Rz. 7  s. aber auch die von Ritter, ZZP 88 (1975), 126, 128 ff. geschilderten Beispiele, in denen der Arrestschuldner die Chance gerade nicht erhielt

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

zureichen in der Lage ist und ein dienstbereiter Richter den begehrten Arrestbeschluss umgehend ausfertigt, wird zuweilen bereits die Dauer bis zum Wirken der hiernach unverzüglich eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen dem Schuldner genügend Zeit geben, die Rechtsverwirklichung durch Flucht zu vereiteln. Hinzu kommt nicht selten die Ungewissheit des Gläubigers über die Personalien des fluchtbereiten Schuldners. Zu denken ist an die typischen Wirtshaus- und Beförderungsfälle. Der dem Wirtshausinhaber und seiner Kellnerschaft namentlich unbekannte, aber trink- und speisefreudige Gast entschließt sich (vielleicht unter Alkoholeinfluss), mehr und oder weniger heimlich die Zeche zu prellen und die Gaststube unbekannten Zieles zu verlassen. Würde der Gastwirt in diesen Fällen zur Verwirklichung seines Vergütungsanspruchs ausschließlich auf den gerichtsförmigen Zivilrechtsweg verwiesen werden, käme dies der Verweigerung effektiven Rechtsschutzes gleich. Der Gläubiger weiß zumeist nicht um die Identität des Gastes. Er kann in einem an ein Gericht zu richtenden Antrag den Namen und die Adresse seines Schuldners nicht benennen.¹²⁴ Nicht viel anders verhält es sich, will der gewöhnlich unbekannte Bahn- oder Taxifahrgast oder der unter falschem Namen logierende Hotelgast ohne Bezahlung entfliehen.¹²⁵ Nicht nur, dass die Bahn- oder Taxiunternehmer oder Hoteliers um die Identität des Gastes und damit um die Möglichkeit der Rechtsverfolgung auf dem Zivilrechtsweg „betrogen“ werden – der Hotelier verliert unter Umständen auch den Zugriff auf das ihm nach § 704 BGB zugebilligte Pfandrecht an dem vom Gast eingebrachten, pfändbaren Sachen.¹²⁶

Die vorstehend genannten Fluchtbeispiele zeichnen sich dadurch aus, dass selbst ein sofort eingeleitetes (Eil‐) Gerichtsverfahren keinen effektiven Rechtsschutz bieten kann. In der mit der Schuldnerflucht zum Ausdruck kommenden Gegenwärtigkeit des gegen die Gläubigerrechte gerichteten Angriffs offenbart sich in gewisser Weise die Unvollkommenheit des mit staatlichen Verfahrensentscheidungen erreichbaren Rechtsschutzes. Aber auch in diesen Fällen der temporär unzureichenden Leistungsfähigkeit der für den Rechtsstaat handelnden Gerichte besteht das nachvollziehbare individuelle Bedürfnis des Gläubigers zur Rechtsverfolgung. Dieses Be-

 BayObLG, Beschl. v. 18. Oktober 1990, 5 St 92/90, JZ 1991, 681; MünchKomm-BGB/Grothe, § 229 Rz. 3  OLG Karlsruhe, Beschl. v. 8. Juni 1979, 3 Ss 113/79, VRS 1980, 393 f.; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 24. Juli 1991, 2 Ss 223/91, NJW 1991, 2716 f.; AG Grevenbroich, Urt. v. 26. September 2000, 5 Ds 6 Js 136/00, NJW 2002, 1060, 1061 f.; zur Flucht bei rechtswidrigen Filmaufnahmen LG Hamburg, Urt. v. 20. September 1995, 317 S 121/95, ZUM 1996, 430 f.; zuvor AG Hamburg-Mitte, Urt. v. 6. März 1995, 6 C 219/94, ZUM 1996, 428 ff.; zur Taschenkontrolle wegen eines (angenommenen) Ladendiebstahls OLG Frankfurt, Urt. v. 1. Oktober 1993, 10 U 181/92, NJW 1994, 946; BGH, Urt. v. 3. November 1993, VIII ZR 106/93, NJW 1994, 188; BGH, Urt. v. 3. Juli 1996, VIII ZR 221/95, BGHZ 133, 184  vgl. den ähnlich gelagerten Fall in BGH, Urt. v. 22. September 1983, 4 StR 376/83, NJW 1984, 500

I. Die individuelle Schuldnerverfolgung

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dürfnis kann durch die sofort einsetzende Selbsthilfe befriedigt werden. Die eigenmächtige Selbsthilfe des Einzelnen kollidiert allerdings grundlegend mit dem den (modernen) Rechtsstaat voraussetzenden Gewaltmonopol.¹²⁷ Jedoch gilt dies nicht unter allen Umständen. Gerade weil das dem Staat für die Rechtsverwirklichung vorbehaltene Gewaltmonopol der Sicherung von Recht und Frieden dient, muss seine Durchbrechung ausnahmsweise dann gestattet sein, wenn obrigkeitliche Hilfe zur Durchsetzung eines subjektiven Rechts nicht oder nicht rechtzeitig erreichbar ist.¹²⁸ Hierin zeigen sich Zweck und Legitimität des in den §§ 229, 230 BGB festgehaltenen Selbsthilferechts.¹²⁹ Der Gläubiger ist mithin in den Fällen, in denen hoheitliche Hilfe nicht oder nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde, zum Zwecke der Selbsthilfe berechtigt, den der Flucht verdächtigen Schuldner anzuhalten und nach seinen Personalien zu fragen (§§ 229, 230 BGB). Im Fall der Weigerung oder bei Zweifeln über die Wahrhaftigkeit der Aussage berechtigen sie ihn, den Schuldner gegen seinen Widerstand festzunehmen und solange festzuhalten, bis zumindest seine Identität festgestellt werden kann.¹³⁰ Dieses Selbsthilferecht kann sich zudem auf die Beseitigung des Widerstands des insoweit verpflichteten Schuldners gegen eine von ihm zu duldende Handlung erstrecken. Die Überwindung des Widerstandes rechtfertigt erforderlichenfalls sogar Gewaltanwendung, so sich der Gläubiger einen Kampf mit dem Schuldner zumuten will. Ebenso ist der Gläubiger ermächtigt, dem Flüchtigen mitgeführte Sachen wegzunehmen, wenn die Voraussetzungen des dinglichen Arrestes vorliegen. Die Gewaltanwendung und damit das Selbsthilferecht finden ihre Grenze aber in den Mitteln, die auch dem Rechtsstaat nur zur Seite stehen; sie können und dürfen nicht darüber hinausgehen.¹³¹ Die nach dem Selbsthilferecht zulässigen Maßnahmen sind mithin solange gerechtfertigt, solange sie der Sicherung der Anspruchsverwirklichung dienen und die Voraussetzungen für die Erreichung des dinglichen oder persönlichen Arrestes gegeben sind. Die Selbsthilfe ist freilich auf das unbedingt Erforderliche beschränkt, um die drohende Gefahr abzuwenden und ein danach sofort einset-

 BVerfG, Beschl. v. 13. März 1990, 2 BvR 94/88, BVerfGE 81, 347, 356; Schünemann, S. 1 ff.  Schünemann, S. 1 ff.; Staudinger/Repgen, § 229, Rz. 1;  Staudinger/Repgen, § 229, Rz. 1; MünchKomm-ZPO/Heinze, 2. Auflage, Vor § 916 Rz. 7; Schünemann, S. 7 ff.  MünchKomm-BGB/Grothe, § 229 Rz. 8; Staudinger/Repgen, § 229, Rz. 27  RG, Urt. v. 14. Oktober 1902, 2953/02, RGSt 35, 403; OLG Köln, Urt. v. 25. Juli 1995, Ss 395/94, NJW 1996, 472

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

zendes Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes zu ermöglichen (§ 230 Abs. 1 BGB). Sobald hoheitliche Hilfe erreicht werden kann, endet die Befugnis zur Selbsthilfe. Die Selbsthilfe ist in ihrer Vorläufigkeit dem ebenfalls nur temporär wirkenden Arrest sozusagen zeitlich vorgelagert: Selbsthilfe, Arrest (bzw. einstweilige Verfügung) sowie (Hauptsache‐) Erkenntnisverfahren mit anschließender Zwangsvollstreckung können in ihrem „zeitlich-funktionalen Verlauf“ als teilweise tief ineinandergreifende Staffelung eines lückenlosen Rechtschutzsystems begriffen werden.¹³² Sie gewähren dem Gläubiger, dessen Anspruchsbefriedigung vom flüchtigen Schuldner in Frage gestellt werden soll, ausnahmslosen und damit effektiven Rechtschutz. Hierin liegt zugleich die ultima ratio des Selbsthilferechts, wie die Vorschriften der § 230 Abs. 1 bis 3 BGB erkennen lassen. Das bürgerlich-rechtliche Selbsthilferecht ermächtigt den den flüchtenden Schuldner verfolgenden Gläubiger nicht zur Haftungsverwirklichung in der Weise, dass sich der Gläubiger anstelle eines Gerichtes sein Recht selbst nehmen kann. Die Selbsthilfe gestattet dem Gläubiger nur die unbedingt erforderlichen Maßnahmen zur Sicherung der späteren, durch ein Gericht in einem ordentlichen Verfahren noch festzustellenden Ansprüche (§ 230 Abs. 1 BGB). Sie erlaubt dem Gläubiger aber nicht die Selbstbefriedigung seiner Ansprüche.¹³³ Ebenso wenig berechtigen die §§ 229, 230 BGB zu Akten der Vergeltung und Rache, Anprangerung, Sozialdisziplinierung oder zur Sicherung von Beweisen.¹³⁴

II. Die Schuldnerflucht in der Konkursordnung Wurde auf den letzten Seiten der Frage nachgegangen, welche Instrumente des Individualvollstreckungsrechts in ihrer konkreten Anwendung dem einzelnen Gläubiger halfen, auf eine bevorstehende oder bereits angetretene Flucht des Schuldners und einer damit einhergehenden Vollstreckungsgefährdung angemessen zu antworten, wendet sich die Untersuchung nunmehr den diesbezüglichen Techniken des Gesamtvollstreckungsrechts zu.Während die Vorschriften der Zivilprozessordnung und des Bürgerlichen Gesetzbuches darauf angelegt waren und sind, einen Ordnungsrahmen für die individuelle Haftungsverwirklichung zugunsten eines einzelnen Gläubigers unter Beachtung des Prioritätsprinzips abzustecken, erfasst das Konkursrecht die Gesamtheit der Gläubiger mit dem Ziel der gemeinsamen und gleichmäßigen Befriedigung unter Beschlagnahme des

 MünchKomm-ZPO/Heinze, 2. Auflage, Vor § 916 Rz. 8, kritisch hierzu Weinert, S. 149 ff.  MünchKomm-ZPO/Heinze, 2. Auflage, Vor § 916 Rz. 9  Staudinger/Repgen, § 229, Rz. 26; vgl. zur Schuldnerverfolgung durch „schwarze Schatten“ oder „schwarze Männer“ LG Leipzig, Urt. v. 31. August 1994, 6 O 4342/94, NJW 1995, 3190; LG Bonn, Beschl. v. 29. November 1994, 4 T 742/94, NJW-RR 1995, 1515; Edenfeld, JZ 1998, 645 ff.

II. Die Schuldnerflucht in der Konkursordnung

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gesamten schuldnerischen Vermögens. Dieser grundlegende Unterschied zeigt sich auch in den allgemeinen Verfahrenswirkungen für den Schuldner, die ihrerseits Reaktionen hervorrufen. Obgleich der Schuldner in den vorangegangenen Haftungsordnungen nicht mehr Objekt des Haftungsansatzes war und ihm für einige Verfahrensfragen im bestimmten Umfang subjektive Teilnahmerechte eingeräumt wurden, blieb die ihm von der Konkursordnung zugewiesene Verfahrensrolle dennoch weitgehend von Passivität geprägt.¹³⁵ So verwundert es nicht, dass das nach dem Recht der Konkursordnung eröffnete Gesamtvollstreckungsverfahren als „partielle Entmündigung“ des Schuldners beschrieben wurde.¹³⁶ Dieses Urteil wurde durch die nicht von der Hand zu weisende Tatsache gerechtfertigt, dass die gesamte Konzeption der Konkursordnung primär auf die Zerschlagung des schuldnerischen Vermögens sowie dessen Versilberung ausgerichtet war, um einen möglichst hohen Vermögenswert zur Befriedigung der Gläubiger zu erlangen. Zugleich wurde die Auffassung vertreten, die schuldnerischen Interessen würden im Allgemeinen vom Konkursverwalter gewahrt werden,¹³⁷ was natürlich nichts anderes zum Ausdruck brachte, dass für eine besondere und vor allem eigenständige Beteiligung des Schuldners, die ihm die Leistung eigener Verfahrensbeiträge oder seine wirtschaftliche Sanierung ermöglichen würde, zunächst keine Notwendigkeit gesehen wurde. Vor diesem programmatischen Hintergrund sind die mit der Schuldnerflucht befassten Normen der Konkursordnung zu sehen, denen augenblicklich nachzugehen ist.

1. Die Flucht als Hinweis auf Zahlungseinstellung Das nach den Vorschriften der Konkursordnung – jene oft als „Perle der Reichsjustizgesetze“ und „von Meisterhand entworfen“ gepriesen¹³⁸ – zu eröffnende Verfahren setzte in § 102 Abs. 1 KO (§ 94 Abs. 1 KO a. F.) die Zahlungsunfähigkeit des

 Zu nennen sind die Benachrichtigung und Beteiligung des Schuldners bei den in §§ 133, 134 KO genannten Rechtsgeschäften sowie im Falle eines beabsichtigten Zwangsvergleiches der Widerspruch gegen eine beabsichtigte Geschäftsschließung; Senst/Müller, S. 21.  Oetker, FS Windscheid, S. 5; hierauf verweisend Smid, Handbuch, S. 94  Senst/Müller, S. 21  Wolff, S. XV; Jaeger, DJ 1930, 33, 34; Jaeger, Lehrbuch, S. 15 ff.; Uhlenbruck, 100 Jahre Konkursordnung, S. 3; Smid, Handbuch, S. 1 und 11; zu den der Konkursordnung vorangegangenen Bemühungen zur Vereinheitlichung des Insolvenzrechts im Deutschen Bund und Norddeutschen Bund in Gestalt eines Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches sowie einer Gemeinschuldordnung, s. Bornhorst, S. 49 ff.

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

Gemeinschuldners voraus. Unter Zahlungsunfähigkeit wurde das auf dem Mangel von Zahlungsmitteln beruhende, andauernde Unvermögen des Schuldners verstanden, seine sofort zu erfüllenden Geldschulden noch im Wesentlichen zu berichtigen.¹³⁹ Um diese Zahlungsunfähigkeit feststellen zu können, musste sie durch wahrnehmbare Zeichen in äußere Erscheinung getreten sein.¹⁴⁰ Dabei konnte es sich um Vorgänge handeln, die abhängig oder unabhängig vom Willen des Schuldners geschahen.¹⁴¹ Ihre Interpretation als Hinweise auf die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners oblag der Erkenntnis des Konkursrichters.¹⁴² Die Zahlungsunfähigkeit war nach § 102 Abs. 2 KO insbesondere dann anzunehmen, wenn der Schuldner die Zahlungen einstellte. Die Einstellung der Zahlungen sollte „als eine in die äußere Erscheinung getretene Tatsache […] den Beweis derselben erübrigen.“ ¹⁴³ Sie konnte freilich in der den tatsächlichen Umständen entsprechenden wahren Erklärung des Schuldners gesehen werden, nicht mehr zahlen zu können.¹⁴⁴ Ebenso konnten andere Tatsachen die Zahlungseinstellung des Schuldners offenbaren, wenn anzunehmen war, dass sie ihren Grund in der Unfähigkeit, Zahlung zu leisten, hatten.¹⁴⁵ Insbesondere die Flucht des Schuldners vor dem Drängen seiner Gläubiger war geeignet, einen wichtigen Hinweis auf die Einstellung der Zahlungen zu geben.¹⁴⁶ Kohler ¹⁴⁷ erinnerte in seinem Lehrbuch daran, dass die Flucht „ehemals das Gewöhnliche angesichts der zu erwartenden harten Behandlung der Zahlungsunfähigen war“, weshalb der decoctus zumeist  RG, Urt. v. 7. April 1892, 15/92, JW 1892, 238; RG, Urt. v. 17. Dezember 1901, Rep. VII 386/01, RGZ 50, 39, 41; RG, Urt. v. 28. September 1920, VII 93/20, RGZ 100, 62, 65; BGH, Urt. v. 30. April 1959, VIII ZR 179/58, WM 1959, 891; Kohler, S. 92; Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 102 Anm. 2; Hess, § 102 Rz. 5; Petersen/Kleinfeller, S. 359  Petersen/Kleinfeller, S. 113 und S. 359; Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 102 Anm. 2  Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 102 Anm. 2; Petersen/Kleinfeller, S. 359 und Kohler, S. 94 wiesen darauf hin, dass eine erschöpfende Aufzählung aller sogenannten Bankerotthandlungen unmöglich sei und die Anführung von Beispielen als entbehrlich angesehen wurde, weshalb nur der häufigste Fall des Hervortretens der Zahlungsunfähigkeit, die Zahlungseinstellung, in Form einer Beweisregel in den Gesetzestext aufgenommen worden sei, so dass mit ihrem Beweis auch der Beweis der Zahlungsunfähigkeit geführt werden konnte.  Kohler, S. 87; Petersen/Kleinfeller, S. 359; Hess, § 102 Rz. 15; Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 102 Anm. 2; OLG Celle, Beschl. v. 5. Juli 1962, 8 W 120/62, NJW 1962, 1970; OLG Hamm, Beschl. v. 3. Juli 1970, 15 W 282/70, KTS 1971, 54  Hahn/KO, S. 294 (Motive, S. 323); Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 102 Anm. 2; BGH, Urt. v. 10. Januar 1985, IX ZR 103/90, WM 1991, 152  Kohler, S. 93; Petersen/Kleinfeller, S. 113 f.; BGH, Urt. v. 10. Januar 1985, IX ZR 4/84, WM 1985, 396; BGH, Urt. v. 15. November 1990, IV ZR 92/90, WM 1991, 150  Petersen/Kleinfeller, S. 113; Kohler, S. 93  Petersen/Kleinfeller, S. 114  Kohler, S. 93 (Fn. 2)

II. Die Schuldnerflucht in der Konkursordnung

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auch ein fugitivus gewesen sei und für (partiell) friedlos erklärt wurde. Weitere Hinweise, welche für sich oder in der Gesamtschau mit anderen Umständen (wie die Kaufmannseigenschaft des Schuldners) auf die Zahlungseinstellung deuteten, waren das Schließen der Geschäftsräume, zunehmende Wechselproteste, erfolglose Individualzwangsvollstreckungsakte, die Unterbreitung von Sanierungsvorschlägen, die Bitte um Stundungen und (Teil‐) Erlasse, die Verschleuderung des Vermögens, aber auch dessen Verbergen oder die passive Hinnahme von Vollstreckungsversuchen.¹⁴⁸ Indes vermögen der Flucht des Schuldners (ebenso wie den anderen soeben genannten Geschehensabläufen) auch andere Motive zugrunde gelegen haben, so dass insoweit eine unreflektierte Schlussfolgerung auf die Einstellung der Zahlungen und damit auf die Zahlungsunfähigkeit nicht gerechtfertigt war.¹⁴⁹ Denn ebenso konnte die Furcht vor Strafverfolgung, die Sorge vor persönlicher Belästigung durch Gläubiger und Dritte oder die Angst vor einer Seuche den Schuldner zur Flucht veranlassen.¹⁵⁰ Anders als die deutsche Konkursordnung normiert das noch heute geltende Schweizer Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) vom 11. April 1889¹⁵¹ in Art. 190 Abs. 1 Nr. 1 die Eröffnung des Konkursverfahrens ohne vorherige Individualvollstreckungshandlungen (Betreibung) gegen jeden Schuldner, dessen Aufenthaltsort unbekannt ist oder der die Flucht ergriffen hat, um sich seinen Verbindlichkeiten zu entziehen. Gleiches gilt, wenn der Schuldner betrügerische Handlungen zum Nachteil der Gläubiger begangen oder zu begehen versucht oder bei einer Pfändung Bestandteile seines Vermögens verheimlicht hat. Der Schweizer Gesetzgeber benennt damit die Schuldnerflucht expressis verbis – und wie es mit Blick auf die Reihenfolge in Art. 190 SchKG scheint – als primären materiellen Konkursgrund, bei dessen Vorliegen die Eröffnung des Konkursverfahrens von einem Gläubiger verlangt werden kann.¹⁵² Erst an zweiter Stelle sieht Art. 190 Abs. 1 SchKG die Zahlungseinstellung eines der Konkursbetreibung unterliegenden Schuldners als Verfahrenseröffnungsgrund. Das Konkursverfahren ist nach Art. 54 SchKG gegen den flüchtigen Schuldner an dessen letztem Wohnsitz zu eröffnen, wobei alle erwachsenen Personen, die mit dem Flüchtigen in gemeinsamem Haushalt gelebt haben, unter Strafandrohung

 Seuffert, S. 139; Petersen/Kleinfeller, S. 114; Kohler, S. 93  Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 102 Anm. 2; Kohler, S. 93  Petersen/Kleinfeller, S. 359 (Fn. 3), verwiesen auf eine Entscheidung des OLG Hamburg vom 10. Dezember 1887, nach welcher die Flucht des Schuldners wegen Wechselfälschung an sich keinen Beweis dafür lieferte, dass eine Zahlungseinstellung stattgefunden habe.  amtliche Sammlung Nr. 11, S. 529; hier zitiert nach dem Stand am 1. Februar 2011; zu den zuvor in den Schweizer Kantonen geltenden Konkursgesetzen siehe die Sammlung von Leuthy, S. 4 ff.  Hunziker/Pellascio, S. 205; die Flucht des Schuldners ist nach Art. 271 Abs. 1 Ziffer 2 SchKG zugleich Arrestgrund, „wenn der Schuldner in der Absicht, sich der Erfüllung seiner Verbindlichkeiten zu entziehen, Vermögensgegenstände beiseite schafft, sich flüchtig macht oder Anstalten zur Flucht trifft“

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

verpflichtet sind, dem Konkursamt alle schuldnerischen Vermögensgegenstände anzugeben und zur Verfügung zu stellen (Art. 222 Abs. 2 SchKG).

Während die Ermittlung und die Bewertung der zu Tage tretenden Umstände, die auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit deuteten, für den Konkursrichter bei dessen Entscheidung über die Eröffnung des Konkursverfahrens von Einfluss waren, stellte sich die Frage der schuldnerischen Flucht in einem weiteren, für die Beteiligten ebenfalls wichtigen Zusammenhang. Die für das Konkursanfechtungsrecht bedeutende Vorschrift des § 30 KO (§ 23 KO a. F.) hob desgleichen auf die Zahlungseinstellung und deren Zeitpunkt ab, wenn die Frage zu beantworten war, ob der Anfechtungsgegner in Kenntnis der Zahlungseinstellung schuldnerische Leistungen gläubigerbenachteiligend erlangt hatte. Dazu rekurrierten die in § 30 KO aufgezeichneten Anfechtungstatbestände stets auf die Kenntnis des Anfechtungsgegners von der Zahlungseinstellung des Schuldners. Infolgedessen war es für den Konkursverwalter und die (potentiellen) Anfechtungsgegner regelmäßig von Interesse, ob die Kenntnis von der Zahlungseinstellung bzw. die Unkenntnis über dieselbe bewiesen werden konnte. Der (allgemein) bekannt gewordenen Flucht des Schuldners kam als Indiz insofern etliche Bedeutung zu. So hatte das Reichsgericht¹⁵³ in dem gleich geschilderten Streit bereits wenige Jahre nach Inkrafttreten der Konkursordnung Gelegenheit, sich unter anderem zur Auslegung des Rechtsbegriffs der Zahlungseinstellung im Sinne des § 23 Nr. 1 und 2 KO a. F. zu äußern. Die spätere Beklagte und Revisionsklägerin hatte am 19. Dezember 1879 einige Sachen des Kaufmanns Karl Sch., des späteren Gemeinschuldners, gepfändet, welche am 27. Dezember desselben Jahres verkauft worden waren. Den Verwertungserlös erhielt die Beklagte. Am 30. Dezember 1879 wurde das Konkursverfahren über das Vermögen des Kaufmanns eröffnet und der spätere Kläger und Revisionsbeklagte zum Konkursverwalter bestellt. Dieser focht die Vollstreckungshandlungen der Beklagten mit der Behauptung an, der Gemeinschuldner habe bereits vor dem 19. Dezember 1879 seine Zahlungen eingestellt. Das Berufungsgericht sah in der damit einher gegangenen Flucht des Kaufmanns einen Hinweis auf die Zahlungseinstellung, die spätestens zum Zeitpunkt der Pfändung am 19. Dezember 1879 eingetreten und der Beklagten am 27. Dezember 1879 bekannt gewesen sei. Hiergegen richtete sich der Revisionsangriff der Beklagten, die meinte, dem Berufungsgericht sei es verwehrt gewesen, aus der nachfolgenden Flucht auf eine spätestens am 19. Dezember 1879 eingetretene Zahlungseinstellung schließen zu dürfen. Das Reichsgericht folgte dem nicht und führte aus: „Es steht nichts im Wege, aus der Flucht des Gemeinschuldners in Verbindung mit anderen Umständen zu schließen, daß derselbe sich bereits früher im Zustande der Zahlungsunfähigkeit befunden habe; die Thatsache der Flucht als ein Beweismoment hierfür zu benutzen.“

 RG, Urt. v. 19. April 1882, 446/82, Beiträge zur Erläuterung des deutschen Rechts, 1882, S. 831 ff.

II. Die Schuldnerflucht in der Konkursordnung

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In gleicher Weise erkannten der Bundesgerichtshof ¹⁵⁴ und zuvor das Oberlandesgericht München¹⁵⁵ mehr als einhundert Jahre später im Fall der Aufsehen erregenden Flucht des Immobilienkaufmanns Dr. Jürgen Schneider und dessen Ehefrau. Auch hier war im Rahmen eines Anfechtungsprozesses die Frage zu beantworten, ob die dem Anfechtungsgegner bekannt gewordene Schuldnerflucht als Indiz für dessen Wissen über die Zahlungseinstellung im Sinne des § 30 KO gewertet werden konnte. Der Immobilenunternehmer Dr. Jürgen Schneider war in den 1980er und frühen 1990er Jahren vor allem durch die aufwendige, kreditfinanzierte Sanierung historischer Immobilien in deutschen Großstädten bekannt geworden. Nachdem vier Banken Kreditforderungen im Umfang von knapp 270 Mio. DM fällig gestellt hatten, setzten sich die Eheleute Schneider mit unbekanntem Ziel aus Deutschland ab. Die Flucht der Schneiders wurde am 11. April 1994 öffentlich bekannt, ebenso, dass durch deren Rückzug sämtliche finanziellen Mittel der Firmengruppe Schneider blockiert wären. Seitdem berichteten Rundfunk, Fernsehen und Presse über die Schneider’sche Flucht, sintemal die Staatsanwaltschaft ermittelte und ein (internationaler) Haftbefehl wegen des Vorwurfs des Betruges erlassen worden war. Die vormaligen Rechtsanwälte der Eheleute Schneider, die späteren Anfechtungsgegner und Beklagten, hatten wegen ausstehender Gebührenforderungen über knapp 400.000 DM unter dem 15. April 1994 einen Arrest- und Pfändungsbeschluss erwirkt, in dessen Vollziehung Mietzinsforderungen der Eheleute Schneider gepfändet wurden. Am 18. April 1994 eröffnete das Amtsgericht Königstein die Konkursverfahren über die Vermögen der Eheleute Schneider. Der die Pfändungen angreifende und erstinstanzlich unterlegene Konkursverwalter trug vor, bereits vor dem 15. April 1994 habe Zahlungsunfähigkeit durch Zahlungseinstellung vorgelegen und ungeachtet des Tatbestandes des § 30 Nr. 1 KO würden die erlangten Pfandrechte inkongruente Sicherheiten im Sinne des § 30 Nr. 2 KO darstellen, so dass die Beklagten ihre Unkenntnis über die Zahlungsunfähigkeit der Eheleute Schneider zu beweisen hätten. Das Oberlandesgericht München begründete seine der Berufung stattgebende Entscheidung damit, dass zum Zeitpunkt der Zustellung der Pfändungsbeschlüsse bereits die Zahlungseinstellung der Eheleute Schneider vorgelegen habe und die Beklagten ihre Unkenntnis hierüber nicht nachgewiesen hätten. Überdies sei die Anfechtung der ausgebrachten Pfändungen nach § 30 Nr. 2 KO schon deshalb begründet gewesen, weil die Beklagten trotz des Bestreitens des Konkursverwalters nicht ausreichend Beweise dafür angeboten hätten, dass sie zum Zeitpunkt des Erlasses des Arrest- und Pfändungsbeschlusses und dessen Vollziehung der Überzeugung gewesen waren, das gemeinschuldnerische Vermögen reiche zur vollen Befriedigung aller Gläubiger aus oder die Gemeinschuldner würden die dafür erforderlichen Mittel in absehbarer Zeit erhalten. Selbst wenn eine solche Überzeugung seitens der Beklagten anfangs existent gewesen sein mochte, so das Oberlandesgericht, konnte sie gerade wegen der seit dem 11. April 1994 erfolgten medialen Berichterstattung über die Schuldnerflucht bei vernünftiger Betrachtung nicht mehr länger aufrechterhalten werden, zumal die Beklagten gerade deswegen die Sicherung durch Vollziehung beantragt hatten. Vielmehr sei zum Zeitpunkt der Erwirkung der Vollstreckungsmaßnahmen die Zahlungseinstellung für die Beklagten wie für jedermann erkennbar gewesen.

 BGH, Beschl. v. 18. April 1996, IX ZR 268/95, ZIP 1996, 1015 m. Anm. Mennenöh, EWiR 1996, 709  OLG München, Urt. v. 28. Juli 1995, 23 U 6535/94, KTS 1996, 444

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

Zwar sei die Beurteilung der Zahlungseinstellung in jedem Einzelfall Tatfrage, die sich nur aus der Gesamtlage und dem Gesamtverhalten des Schuldners im kritischen Zeitpunkt und in der Zukunft bewerten lässt. Dabei könne eine Zahlungseinstellung aber schon allein aufgrund der Tatsache vermutet werden, dass sich die Gemeinschuldner auf der Flucht befanden. Angesichts der Tatsachen, dass Konkursforderungen im Umfang von mehr als sechs Milliarden DM angemeldet worden waren und für eine ruckartige Verschlechterung der Vermögenslage der Eheleute Schneider keine Anhaltspunkte bestanden, sprächen alle Anzeichen eindeutig dafür, dass die finanziellen Schwierigkeiten mindestens auf den Zeitpunkt der Flucht der Eheleute Schneider zurückgingen.

Der Bundesgerichtshof ¹⁵⁶ konnte im Hinblick auf ein eigenes Judikat vom 15. Dezember 1994¹⁵⁷ in der Entscheidung des Oberlandesgerichtes München keine Rechtsfehler erkennen. Nach seiner Überzeugung hatte das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass die Eheleute Schneider bei Erlass des Arrestund Pfändungsbeschlusses ihre Zahlungen bereits eingestellt hatten. In Anbetracht der Höhe der fälligen Kreditforderungen und der zwischenzeitlichen Flucht der Schuldner ins Ausland war nicht mehr mit deren Erfüllung zu rechnen. Selbst unter Berücksichtigung der von den Flüchtigen ins Ausland gebrachten 245 Mio. DM könne für den maßgeblichen Zeitpunkt der Tatbestand der Zahlungsunfähigkeit und der Zahlungseinstellung mit Blick auf die Flucht nicht in Abrede genommen werden. Auch der Umstand, dass die beklagten Rechtsanwälte über die persönlichen Verbindlichkeiten der Gemeinschuldner nichts wussten, rechtfertigte angesichts des Zusammenbruchs des Schneider-Konzerns und der Flucht der Eheleute Schneider ins Ausland nach Auffassung des IX. Senats nicht die Annahme der Überzeugung, deren Privatvermögen würde zur vollen Befriedigung ihrer Gläubiger ausreichen oder sie würden die dafür erforderlichen Mittel in absehbarer Zeit erlangen. Die bekannt gewordene Flucht der Schneiders war damit ein streitentscheidendes Kriterium gewesen, den die Schuldnerflucht nicht explizit erwähnenden Tatbestand der Zahlungseinstellung im Sinne des § 30 KO näher zu bestimmen.

2. Auskunfts-, Mitwirkungs- und Residenzpflichten des Gemeinschuldners Dem Drang des Schuldners, sich dem Konkursverfahren entziehen zu wollen, begegnete die Konkursordnung des Weiteren mit der in § 101 Abs. 1 KO (zuvor § 93

 BGH, Beschl. v. 18. April 1996, IX ZR 268/95, ZIP 1996, 1015 m. Anm. Mennenöh, EWiR 1996, 709  BGH, Urt. v. 15. Dezember 1994, IX ZR 24/94, BGHZ 128, 196

II. Die Schuldnerflucht in der Konkursordnung

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Abs. 1 KO a. F.) notierten Residenzpflicht. Nach dieser Vorschrift durfte sich der Gemeinschuldner von seinem Wohnort nur mit Erlaubnis des Konkursgerichts entfernen. Diese Bestimmung verstand sich angesichts der in der Konkursordnung für den Gemeinschuldner als Verfahrensbeteiligten verschiedentlich vorgesehenen Mitwirkungspflichten, welche die Förderung des Verfahrensziels der gemeinsamen Gläubigerbefriedigung bezweckten.¹⁵⁸ Mithin diente die für das Eröffnungsverfahren (bei angeordneter Sequestration) in § 106 Abs. 1 KO statuierte Ermächtigung zur Vorführung und Inhaftierung des Schuldners sowie die für das eröffnete Verfahren normierte Residenzpflicht dem gleichen Zweck: der Ermittlung und Sicherung der Konkursmasse.¹⁵⁹ Die Residenzpflicht war als Aufenthaltsbeschränkung geboten, um von vornherein zu verhindern, dass sich der Gemeinschuldner den ihm obliegenden Mitwirkungspflichten durch Flucht verweigerte. Es sollte die Möglichkeit, mit dem Gemeinschuldner zu verkehren und von ihm Mitwirkungsleistungen zu erhalten, gewährleistet und aufrechterhalten werden, so dass es nicht infolge seiner Absenz zur Verschärfung der Konkurslage kommt.¹⁶⁰ Eng mit dieser Residenzpflicht war die in § 141 Abs. 2 KO (§ 129 KO a. F.) enthaltene Pflicht zum persönlichen Erscheinen des Schuldners im Prüfungstermin zwecks Auskunftserteilung verbunden.

a) Auskunfts- und Mitwirkungspflichten Konkret war der Schuldner nach § 100 KO (§ 92 KO a. F.) dem Verwalter, dem Gläubigerausschuss und (auf Anordnung des Konkursgerichts) der Gläubigerversammlung zur Auskunft über alle das Konkursverfahren betreffenden Verhältnisse verpflichtet.¹⁶¹ Die in dieser Vorschrift enthaltene Auskunftspflicht wurde allerdings nur für das eröffnete Konkursverfahren gesehen, nicht jedoch für das Konkursantragsverfahren.¹⁶² Daneben stand die Amtsermittlungsmacht des Konkursgerichtes, in dessen Rahmen der Schuldner ebenfalls Auskunft zu erteilen hatte.¹⁶³ Die Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Auskunft erstreckte sich über alle irgendwie das Konkursverfahren betreffenden Umstände.¹⁶⁴ Folglich hatte der

 Kuhn/Uhlenbruck, § 101 Rz. 1; Jaeger, Konkursordnung, § 101 Anm. 1  Hess, § 101 Rz. 1; Jaeger, Konkursordnung, § 101 Anm. 2  Kohler, S. 312  zu den einzelnen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten nach der KO, VerglO, GesO und InsO siehe Uhlenbruck, KTS 1997, 371, 375 ff.  Kuhn/Uhlenbruck, § 100 Rz. 7; Schmidt, Insolvenzgesetze, § 101 Anm. 2 (unter Hinweis auf die abweichende Meinung von Kilger in der bis zur 15. Auflage erfolgten Kommentierung)  Jaeger, Konkursordnung, § 100 Anm. 1; Uhlenbruck, JR 1971, 445 ff.  Hess, § 100 Rz. 1; Jaeger, Konkursordnung, § 100 Anm. 1

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

Gemeinschuldner Auskünfte zu erteilen über die Gründe des wirtschaftlichen Zusammenbruchs, die Geschäftsbeziehungen, die Aktiven und Passiven im Inund Ausland,¹⁶⁵ die absonderungs- und aussonderungsbehafteten Vermögensbestandteile, die Rechtsstreitigkeiten und Prozesse sowie über anfechtungsrelevante Vorgänge.¹⁶⁶ Grundsätzlich war der Gemeinschuldner verpflichtet, die Auskünfte persönlich und in mündlicher Form zu geben; ihm konnte jedoch die schriftliche Auskunftserteilung gestattet werden.¹⁶⁷ Des Weiteren war der Schuldner zur Mitwirkung bei der Inbesitznahme der Konkursmasse verpflichtet,¹⁶⁸ insbesondere bei der Sicherung und Inbesitznahme im Ausland.¹⁶⁹ Andererseits bestand für den Gemeinschuldner keine allgemeine Pflicht, für die Masse unentgeltliche oder entgeltliche Dienstleistungen zu erbringen; eine dahingehende Verpflichtung konnte aber zwischen dem Verwalter und dem Schuldner vereinbart werden.¹⁷⁰ Ferner war der Gemeinschuldner gemäß § 123 Abs. 1 Satz 4 KO (§ 113 KO a. F.) zur Mitwirkung an der Aufnahme des Massebestandes gehalten, dessen Vollständigkeit und Richtigkeit er nach § 125 KO (§ 115 KO a. F.) an Eides statt zu versichern hatte. Überdies war der Gemeinschuldner nach § 141 Abs. 2 KO (§ 129 KO a. F.) verpflichtet, sich im Prüfungstermin „über die Forderungen zu erklären“ und in jeder Hinsicht Auskunft zu geben. Eine missliche Lage trat für den Gemeinschuldner ein und gab ihm zugleich ein Fluchtmotiv, wenn er wegen der in § 100 KO normierten umfassenden Auskunftspflicht zugleich sein eigenes strafbares Handeln offenbaren sollte. Denn nach überwiegender Meinung¹⁷¹ erfasste die konkursrechtliche Auskunftspflicht auch die Offenlegung der von dem Gesamtschuldner begangenen Straftaten. Begründet wurde dies mit dem Vorrang der Interessen der Gläubiger gegenüber dem Interesse des Gemeinschuldners an einem Schutz gegen Selbstbezichtigungen. Dieser Rechtsansicht wurde entgegengehalten, dass in der uneingeschränkten Aussageverpflichtung, die mit den in § 101 Abs. 2 KO vorgesehenen

 vgl. hierzu BGH, Urt. v. 10. Dezember 1976, V ZR 145/74, BGHZ 68, 16; BGH, Urt. v. 13. Juli 1983, VIII ZR 246/82, ZIP 1982, 961  Kuhn/Uhlenbruck, § 100 Rz. 1; Jaeger, Konkursordnung, § 100 Anm. 1  Hess, § 100 Rz. 4  Hess, § 101 Rz. 2; Kuhn/Uhlenbruck, § 117 Rz. 13a ff. m. w. Nachw.  BVerfG, Beschl. v. 6. Juni 1986, 1 BVR 574/86, ZIP 1986, 1336; OLG Köln, Beschl. v. 28. April 1986, 2 W 34/86, WM 1986, 682; OLG Koblenz, Beschl. v. 30. März 1993, 4 W 91/93, WM 1993, 1938; LG Köln, Beschl. v. 17. September 1996, 19 T 192– 193/96, EWiR 1998, 77; LG Köln, Urt. v. 31. Oktober 1997, 16 O 197/97, ZIP 1997, 2161  Senst/Müller, S. 23; Kuhn/Uhlenbruck, § 100 Rz. 2a  vgl. die Darstellung von Zirpius, S. 205; LG Hamburg, Beschl. v. 16. Dezember 1974, KTS 1975, 242; Bömelburg, S. 50

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Beugemitteln zudem zwangsweise durchgesetzt werden könne, eine Verletzung des durch Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG geschützten Persönlichkeitsrechts zu sehen sei.¹⁷² Dieses Grundrecht statuiere ein gegenüber dem Strafverfolgungsinteresse der Allgemeinheit vorrangiges Verbot des Zwangs zur Selbstbezichtigung, weshalb der Beschuldigte frei darüber entscheiden könne, ob er als Werkzeug zur Überführung seiner selbst benutzt werden dürfe.¹⁷³ In der Folge sah sich das Bundesverfassungsgericht¹⁷⁴ veranlasst, ausgehend von dem althergebrachten Schweigerecht des Beschuldigten (nemo tenetur se ipsum accusare) zunächst auf das strafprozessuale Verwertungsverbot hinzuweisen, welches Zeugen, Prozessparteien oder Beschuldigte als Abwehrrecht gegen eine Selbstbezichtigungsaufforderung schütze. Es wies daraufhin, dass der Schutz gegen den Zwang zur Selbstbezichtigung in Zivilprozessen und vergleichbaren Verfahren ebenso bestünde. Indes gälten diese Aussageverweigerungsrechte nicht in gleicher Weise für solche Personen, die aus besonderen Rechtsgründen verpflichtet seien, einem anderen oder einer Behörde die für diese notwendigen Informationen zu erteilen. Denn das Grundrecht gewähre keinen lückenlosen Schutz gegen Selbstbezichtigung, vielmehr müsse es zum Beispiel gegen das berechtigte Interesse privater Dritter an der Erfüllung ihrer Informationsbedürfnisse abgewogen werden. Der Gemeinschuldner solle durch seine Aussage nicht wie ein Beschuldigter zu seiner Strafverfolgung beitragen. Vielmehr müsse er als eine der wichtigsten Auskunftspersonen die Informationen zur Verfügung stellen, die zur ordnungs- und zweckgemäßen Abwicklung des Konkursverfahrens im Interesse seiner Gläubiger erforderlich sind. Nur durch eine uneingeschränkte Auskunftspflicht könne der Gemeinschuldner daran gehindert werden, Teile der Konkursmasse dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. Diese uneingeschränkte Auskunftspflicht gälte aber nur im Rahmen des Konkursverfahrens und dürfe als unter Zwang erfolgte Selbstbezichtigung nicht gegen den Willen des Gemeinschuldners für dessen Strafverfolgung zweckentfremdet verwertet werden. Da die vorkonstitutionelle Konkursordnung kein strafrechtliches Verwertungsverbot vorsehe und eine Auslegung des Gesetzes einem solchen Verwertungsverbot nicht entgegenstünde, sei es Aufgabe des Bundesverfassungsgerichtes dahingehend

 Uhlenbruck, JR 1971, 445, 455 m. w. Nachw.  Bömelburg, S. 50 m. Nachw.  BVerfG, Beschl. v. 13. Januar 1981, 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 mit Sondervotum Dr. Heußner

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gewesen, die Gesetzeslücke mit der Erweiterung um ein strafrechtliches Verwertungsverbot bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber zu schließen.¹⁷⁵ Mit dem späteren § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO wurde diese Vorgabe in einfaches Gesetzesrecht umgesetzt. Tatsächlich schienen die Strafverfolgungsbehörden die Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts aber restriktiv zu interpretieren und nahmen ein über die direkte Verwertung der Angaben des Gemeinschuldners hinausgehendes Verwendungsverbot nicht an. Vielmehr zogen die Strafverfolger die im Konkursverfahren abgeschöpften Informationen des Gemeinschuldners zur Begründung eines Anfangsverdachts heran, um im Rahmen des damit eingeleiteten Ermittlungsverfahrens strafprozessual verwertbare Beweise zu erheben.¹⁷⁶ Letztlich zwang die gesetzlich normierte Auskunfts- und Mitwirkungspflicht den Schuldner indirekt, ihn belastende Informationen preiszugeben, so dass er neben dem Druck der Vermögenskrise gegebenenfalls den zusätzlichen Druck der Strafverfolger zu spüren bekam.

b) Residenzpflicht Dem Schuldner war es prinzipiell untersagt, sich von seinem Wohnort eigenmächtig zu entfernen.¹⁷⁷ Die Residenzpflicht des § 101 Abs. 1 KO (§ 93 Abs. 1 KO a. F.) diente freilich dazu, das Erscheinen des Schuldners vor Gericht, Verwalter und Gläubigern zu Zwecken der Erfüllung seiner Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zu sichern.¹⁷⁸ So sollte von vornherein gewährleistet werden, dass sich der Schuldner nicht durch Flucht den ihm obliegenden Pflichten entzieht. Hierzu wurde dem Schuldner mit der in § 101 Abs. 2 KO (§ 93 Abs. 2 KO a. F.) niedergelegten Ermächtigung zur zwangsweisen Vorführung und Inhaftierung sogleich aufgezeigt, welche Sanktionen bei einer Verletzung dieser Pflichten – insbesondere bei Flucht – drohen. Unter dem Tatbestandsmerkmal Wohnort wurde indes weder die konkrete Wohnung noch der Wohnsitz im Sinne des § 7 BGB verstanden.¹⁷⁹ Den Wohnsitz musste der Schuldner im Hinblick auf die §§ 71, 238 KO auch nicht unbedingt im Bezirk des

 An dieser Rechtsauffassung, die freilich auf die anderen Rechtsgebiete ausstrahlte, hat das Bundesverfassungsgericht in einer Reihe von nachfolgenden Kammerentscheidungen festgehalten: BVerfG, Beschl. v. 7. Juli 1995, 2 BvR 1778/94, NJW 1996, 916; Beschl. v. 16. November 1989, 2 BvR 510/06, NJW 1999, 779; Beschl. v. 13. Oktober 2003, 2 BvR 1321/02, wistra 2004, 19; Beschl. v. 15. Oktober 2004, 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 352; Beschl. v. 31. März 2008, 2 BvR 467/08, WM 2008, 989.  im Einzelnen hierzu Bömelburg, S. 55 f.  zur Residenzpflicht des Trägers der Gemeinschuldnerrolle einer juristischen Person s. Jaeger, Konkursordnung, § 101 Anm. 5; Kuhn/Uhlenbruck, § 101 Rz. 1  Wilmowski, KO, § 101 Anm. 1  Uhlenbruck/Delhaes, Rz. 497; Jaeger, Konkursordnung, § 101 Anm. 1

II. Die Schuldnerflucht in der Konkursordnung

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Konkursgerichts haben.¹⁸⁰ Zudem war der Schuldner nicht an seine Wohnung im Wohnort gebunden, denn die Residenzpflicht wurde nicht als allgemeiner Hausarrest verstanden.¹⁸¹ Die Residenzpflicht des § 101 Abs. 1 KO meinte vielmehr den Ort der politischen Gemeinde, in der sich der Schuldner zum Zeitpunkt des Verfahrensbeginns zu Wohnzwecken gewöhnlich aufgehalten hatte.¹⁸² Jede Ortsveränderung und jede Abreise des Schuldners, einerlei zu welchem Zweck und mit welcher Dauer, standen als Entfernen unter dem Erlaubnisvorbehalt des Konkursgerichts – nur kleine Ausflüge oder kurze auswärtige Besuche sollten dem Gemeinschuldner ohne richterliche Erlaubnis gestattet gewesen sein.¹⁸³ Von dieser grundsätzlichen Residenzpflicht konnte nur das Konkursgericht – nicht der Konkursverwalter, nicht der Gläubigerausschuss und nicht die Gläubigerversammlung – Ausnahmen zulassen.¹⁸⁴ Das Konkursgericht durfte beispielsweise den Wegzug, das heißt die Verlegung des schuldnerischen Wohnsitzes an einen anderen Gemeindeort, oder eine (Urlaubs‐) Reise gestatten. Die Erlaubnis konnte mit Bedingungen (zum Beispiel mit der Verpflichtung zur Mitteilung des momentanen Aufenthaltsorts oder der Beschränkung auf einen bestimmten Ort) und dem Recht des jederzeitigen Widerrufs versehen werden.¹⁸⁵ Gegen die Versagung stand dem Gemeinschuldner das Recht der sofortigen Beschwerde (§ 73 KO) oder der Erinnerung (§ 11 RPfIG) zu.¹⁸⁶ Unter der Geltung des Bonner Grundgesetzes wurde die Verfassungsmäßigkeit des § 101 Abs. 1 KO im Hinblick auf das Grundrecht der Freizügigkeit in Art. 11 GG teilweise in Frage gestellt, obgleich § 918 ZPO ebenso Aufenthaltsbeschränkungen und sogar die Arretierung des Schuldners zuließ.¹⁸⁷ Demgegenüber wurde die Auffassung vertreten, dass eine verfassungskonforme Auslegung des § 101 Abs. 1 KO dazu führen müsse, dem Gemeinschuldner die Genehmigung zur Entfernung von seinem Wohnort während des Verfahrens nur dann erteilen zu dürfen, wenn er im Rahmen der Verfahrensabwicklung nicht dringend benötigt würde und solange keine konkreten und zwingenden Anhaltspunkte dafür bestünden, der Gemeinschuldner würde die beabsichtigte Reise zur Flucht oder zu verfahrensschädigenden Manipulationen (wie zum Beispiel für den Einzug von Außenständen „auf eigene Rechnung“) nutzen.¹⁸⁸ Demnach war das Konkursgericht nur solange und nur in dem Umfang zur Aufrechterhaltung der Einschränkung des Grundrechts der Freizü-

 Jaeger, Konkursordnung, § 101 Anm. 1  Jaeger, Konkursordnung, § 101 Anm. 1  Wolff, § 101 Ziffer 1; Jaeger, Konkursordnung, § 101 Anm. 1  Uhlenbruck/Delhaes, Rz. 497; Wolff, § 101 Ziffer 1; Jaeger, Konkursordnung, § 101 Anm. 1  Wilmowski, KO, § 101 Anm. 1; Uhlenbruck/Delhaes, Rz. 497  Wolff, § 101 Ziffer 1; Wilmowski, KO, § 101 Anm. 1  Uhlenbruck/Delhaes, Rz. 500  Kuhn/Uhlenbruck, § 101 Rz. 1 m. Nachw.  Senst/Eickmann/Mohn, Rz. 160; Kuhn/Uhlenbruck, § 101 Rz. 5; Schmidt, Insolvenzgesetze, § 101 Ziffer 1

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gigkeit befugt, wie es zur Erreichung des Verfahrenszwecks (zum Beispiel im Konkurseröffnungsverfahren oder in der Gläubigerversammlung) unbedingt erforderlich war.¹⁸⁹

c) Zwangsmittel Entfernte sich der Gemeinschuldner gleichwohl unerlaubt von seinem Wohnort, flüchtete er gar, war der Konkursrichter ermächtigt, von den in § 101 Abs. 2 KO genannten Zwangsmitteln nach pflichtgemäßem Ermessen Gebrauch zu machen.¹⁹⁰ Hiernach konnte der Konkursrichter die zwangsweise Vorführung und nach Anhörung des Gemeinschuldners dessen Haft anordnen (§ 4 Abs. 2 Nr. 2 RPflG).¹⁹¹ Die zwangsweise Vorführung und Inhaftierung des Schuldners war zur Sicherung der Masse ferner zulässig, wenn der Verdacht begründet war, der Schuldner würde massezugehöriges Vermögen beiseiteschaffen, Forderungen gegen Drittschuldner für sich einziehen, der Masse (zum Beispiel durch Verdunkelungshandlungen) anderweitig schaden, die ihm auferlegten Pflichten nicht erfüllen oder sich der Inbesitznahme seines Vermögens durch den Verwalter widersetzen.¹⁹² Indes war die Anordnung der Beugehaft zur Erzwingung der Herausgabe von Wohnräumen oder beweglichen Sachen unzulässig.¹⁹³ Die Haft war damit immer nur Zwangsmittel zur Verwirklichung der konkursspezifischen Pflichten des Gemeinschuldners – und nie Beugemittel zur Erzwingung konkursverfahrensfremder Handlungen oder Strafe für eine vorwerfbare Schuld.¹⁹⁴ Nach dem Gesetzeswortlaut war der Schuldner vor der Haftanordnung grundsätzlich anzuhören. Die Beachtung dieses wesentlichen Verfahrensrechts wurde jedoch unmöglich, wenn sich der Gemeinschuldner gerade den gerichtlichen Feststellungen und seinen Mitwirkungsverpflichtungen durch die Flucht zu entziehen versuchte. Deshalb wurde die Auffassung vertreten, das Gericht genüge

 AG Hamburg, Beschl. v. 3. Mai 1975, 65 N 540 – 542/74, KTS 1976, 156; Kuhn/Uhlenbruck, § 101 Rz. 5; Hess, § 101 Rz. 1  Wolff, § 101 Ziffer 2  Schmidt, Insolvenzgesetze, § 101 Anm. 2  Wilmowski, KO, § 101 Anm. 3; Kuhn/Uhlenbruck, § 101 Rz. 3; Jaeger, Konkursordnung, § 101 Anm. 2  OLG Stuttgart, Beschl. v. 25. Juli 1952, 2 W 7/52, NJW 1953, 389; zuvor LG Stuttgart, Beschl. v. 23. Mai 1952, 13 T 61/52, NJW 1952, 1421; Kuhn/Uhlenbruck, § 101 Rz. 4a; Hess, § 101 Rz. 2  Hierauf weisen – sicherlich wegen der von Hahn/KO, S. 290, verwendeten Formulierung in den von ihm zusammengestellten Materialien – nach Kohler (Lehrbuch, S. 312) und Wilmowski (KO, § 101 Anm. 3) auch noch Jaeger in seiner Kommentierung (§ 101 Anm. 3) aus dem Jahr 1936 sowie Schmidt in seiner Kommentierung zu den Insolvenzgesetzen (§ 101 Anm. 2) aus dem Jahr 1997 ausdrücklich hin.

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bereits der Anhörungspflicht, wenn es den Haftanordnungsbeschluss dem Schuldner zustelle.¹⁹⁵ War dies wegen der bereits angetretenen Flucht nicht möglich und konnte der fallitus fugitivus später gefasst werden, wurde die Anhörung und Bekanntgabe des Haftanordnungsbeschlusses dadurch gewährleistet, dass er dem Konkursrichter vorgeführt und in diesem Moment auch hinsichtlich der Inhaftierung Gelegenheit zur Äußerung bekam.¹⁹⁶ Gleichzeitig mit dem nach § 73 Abs. 2 KO dem Schuldner zuzustellenden Haftanordnungsbeschluss wurde zu dessen Vollzug ein Haftbefehl ausgefertigt. Der zur Erzwingung von Auskunftspflichten oder zur Sicherung der Konkursmasse gegen unberechtigte Verfügungen, Verdunkelungen oder Behinderungen des Konkursverwalters zu erlassende Haftbefehl beinhaltete die Befugnis zum Betreten der Wohnung des Gemeinschuldners zu dessen Festnahme.¹⁹⁷ Von seinem Vollzug war abzusehen, wenn weniger einschneidende Maßnahmen den Sicherungszweck gewährleisteten, insbesondere durch Einzug des Reisepasses oder Eintrag eines Vermerkes im Personalausweis.¹⁹⁸ Im Übrigen war die Haft nur solange aufrecht zu halten, wie es nach den konkreten Umständen unbedingt erforderlich war.¹⁹⁹ Die Vorführung des Flüchtigen und dessen Verhaftung erfolgten durch den Gerichtsvollzieher oder einen Justizbeamten.²⁰⁰ Den Haftanordnungsbeschluss konnten der Schuldner und – wegen der Kosten der Festnahme und Inhaftierung, die nach § 58 Nr. 1 KO der Konkursmasse zur Last fielen²⁰¹ – auch der Konkursverwalter mit der sofortigen Beschwerde nach § 73 Abs. 3 KO anfechten, die aus naheliegenden Gründen keinen Suspensiveffekt hatte.²⁰²

d) Vorführung und Haft im Eröffnungsverfahren Während die Vorschrift des § 101 KO ihre normativen Wirkungen im eröffneten Konkursverfahren entfaltete, kam der Bestimmung des § 106 Abs. 2 KO (§ 98 KO a. F.) im Konkurseröffnungsverfahrens Bedeutung zu. Hiernach war das Konkurs-

 Kuhn/Uhlenbruck, § 101 Rz. 2c  Wolff, § 101 Anm. 4  Kuhn/Uhlenbruck, § 101 Rz. 2a  LG Memmingen, Beschl. v. 20. Januar 1983, 4 T 1971/82, KTS 1983, 317; LG Hamburg, Beschl. v. 16. Dezember 1970, 76 T 93/70, MDR 1971, 309; Kuhn/Uhlenbruck, § 101 Rz. 3; Häsemeyer, 1. Auflage, S. 147  Hahn/KO, S. 290  Hess, § 101 Rz. 4; Kuhn/Uhlenbruck, § 101 Rz. 2  Schmidt, Insolvenzgesetze, § 101 Anm. 2; Hess, § 101 Rz. 5  Hess, § 101 Rz. 6

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gericht in der Zeit zwischen zulässigem Konkursantrag und Entscheidung über denselben²⁰³ ermächtigt, die zwangsweise Vorführung und Haft des Schuldners anzuordnen sowie alle zur Sicherung der Masse dienenden einstweiligen Anordnungen zu treffen,²⁰⁴ insbesondere ein allgemeines Veräußerungsverbot an den Schuldner zu erlassen. Von dieser Ermächtigungsgrundlage hatte das Konkursgericht in pflichtgemäßer Weise Gebrauch zu machen, vor allem mit Blick darauf, dass nach Stellung des Konkursantrages regelmäßig und unter Umständen zeitraubende Ermittlungen erforderlich waren.²⁰⁵ Der Konkursrichter durfte die Inhaftierung des flüchtigen oder fluchtverdächtigen Schuldners deshalb auch ohne dessen vorherige Anhörung anordnen.²⁰⁶ Eine dem § 101 Abs. 1 KO vergleichbare Residenzpflicht des Schuldners wurde durch die Anordnung der Sequestration indes nicht begründet.²⁰⁷ Anstelle der Verhaftung kam als ultima ratio eine mildere Beschränkung seiner Freiheit dergestalt in Betracht, dass dem Schuldner zum Beispiel ein Haus- oder Ortsarrest auferlegt wurde.²⁰⁸ Zudem sollten die Anordnung und Aufrechterhaltung der Haft mit Blick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip nur solange geschehen, bis andere Anordnungen zur Sicherung des Schuldnervermögens wirksam umgesetzt werden konnten.²⁰⁹ Ansonsten galten für den Vollzug der Haft die Vorschriften der §§ 904 bis 910, 913 ZPO, wonach unter den dort genannten Voraussetzungen die Inhaftierung unzulässig, zu unterbrechen, aufzuschieben und anzuzeigen war und nicht länger als sechs Monate anhalten durfte.²¹⁰

Gegen den sich in das Verfahren hineindrängenden Schuldner, der mit seiner Präsenz in bestimmten Räumlichkeiten zweckwidrigen Einfluss auf den Verfahrensgang nehmen wollte, war andererseits das Verbot des Zutritts zu bestimmten Lokalitäten und die Siegelung möglich.²¹¹ Effektive Mittel zur Massesicherung waren ferner ein vom Konkursgericht gegen den (flüchtigen) Schuldner zu verhängendes besonderes oder allgemeines Verfügungsverbot, um wirksame Vermögensminderungen zum Beispiel während der schuldnerischen Flucht zu ver Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 106 Anm. 1; Hess, § 106 Rz. 1; Kuhn/Uhlenbruck, § 106 Rz. 1  OLG Köln, Beschl. v. 29. Februar 1988, 2 W 9/88, ZIP 1988, 664  Häsemeyer, 1. Auflage, S. 146 ff.; Hess, § 106 Rz. 1; Kuhn/Uhlenbruck, § 106 Rz. 1; Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 106 Anm. 1  Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 106 Anm. 1; Kuhn/Uhlenbruck, § 106 Rz. 1b; BVerfG, Beschl. v. 24. Juli 1957, 1 BvR 535/53, BVerfGE 7, 95, 99 für die Inhaftierung im Arrestverfahren  Hess, § 106 Rz. 47  Kuhn/Uhlenbruck, § 106 Rz. 1 und 1a; Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 106 Anm. 1  Häsemeyer, 1. Auflage, S. 146  Kuhn/Uhlenbruck, § 106 Rz. 1a  die Zielsetzung war mit einer nach §§ 106 Abs. 1 Satz 2, 121 Abs. 1 KO verhängbaren Postsperre vergleichbar; Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 106 Anm. 1; Hess, § 106 Rz. 40

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hindern,²¹² kombiniert mit einer Postsperre (§ 121 KO) und der Anordnung der Sequestration, so dass die vorhandenen Vermögenswerte eine vorläufige Sicherung, Verwahrung und Verwaltung erfuhren.²¹³ Der Sequester war vor allem berechtigt, die im Besitz des Schuldners befindlichen und dem Konkursbeschlag unterfallenden Gegenstände wegzunehmen.²¹⁴ Diese Anordnungsbefugnisse erstreckten sich dabei sowohl auf das im Inland belegene als auch auf das im Ausland befindliche Vermögen,²¹⁵ so dass die vom Fugitivus mitgenommenen oder verschobenen Werte nicht nur de jure sondern auch de facto dem Gläubigerzugriff nicht entzogen werden konnten. Gegen die auf der Grundlage des § 106 Abs. 1 KO getroffenen Anordnungen konnte der Schuldner sofortige Beschwerde erheben (§ 73 Abs. 3 KO). Ansonsten waren die Maßnahmen zu beenden, sobald das Sicherungsbedürfnis weggefallen war oder der Eröffnungsantrag abgewiesen wurde.²¹⁶

e) Beteiligungsrechte des Gemeinschuldners Abgesehen von den soeben untersuchten Verfahrenspflichten blieb der Schuldner im Konkursverfahren überwiegend passiv. Wie bereits dargestellt, war die Wahrnehmung der Schuldnerinteressen im Konkursverfahren weitgehend dem Konkursverwalter zugewiesen.²¹⁷ Ein Widerspruch des Schuldners gegen angemeldete Forderungen hatte nur für seine Haftung nach Beendigung des Verfahrens Bedeutung; er verhinderte nicht die Teilnahme der bestrittenen Forderungen an der Verteilung (§§ 144, 152, 164 KO). Wie noch zu sehen sein wird, war es nach dem Recht der Konkursordnung im Übrigen belanglos, ob der Schuldner freiwillig und eigenverantwortlich zusätzliche Verfahrensbeiträge leistete, die zu einer Mehrung der Konkursmasse und so zur Besserung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger führten. Zwar konnte er insoweit seine ohnehin nach Verfahrensbeendigung fortbestehende Haftung, die sich an seinem dem Konkursbeschlag nicht unterliegenden Neuerwerb fortsetzte, reduzieren. Eine Befreiung von den nicht erfüllten oder nicht erfüllbaren Verbindlichkeiten war damit aber nicht verbunden, auch nicht zwangsläufig im noch zu betrachtenden Zwangsvergleichsverfahren der §§ 173 KO (§§ 160 ff. KO a. F.). Er konnte auf diesem Weg allenfalls versuchen, seine  Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 106 Anm. 3; BGH, Beschl. v. 13. Januar 1956, V ZB 49/ 55, BGHZ 19, 355, 359  BGH, Urt. v. 30. April 1992, IX ZR 233/90, ZIP 1992, 781; Hess, § 106 Rz. 4d und 39  Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 106 Anm. 12  BGH, Urt. v. 30. April 1994, IX ZR 233/90, WM 1992, 1040  Häsemeyer, 1. Auflage, S. 146; Kuhn/Uhlenbruck, § 106 Rz. 31  so Senst/Müller, S. 21

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

Gläubiger insgesamt milde zu stimmen, damit sie ihm gegenüber nachsichtig sind und einer vergleichsweisen Schuldenregulierung nähertreten. Eine aktive Verfahrensbeteiligung des Gemeinschuldners in Form von gestaltenden Teilnahmerechten sah die Konkursordnung nur in wenigen Fällen vor. Wollte der Konkursverwalter eines der in §§ 133, 134 KO (§§ 121, 122 KO a. F.) genannten Rechtsgeschäfte vornehmen, so hatte er nach § 135 Abs. 1 KO (§ 123 KO a. F.) zuerst den Gemeinschuldner zu informieren, soweit er ohne weiteres erreichbar war. Aufgrund dieser Informationen sollte der Schuldner darüber befinden können, ob die vom Verwalter in Aussicht genommenen Handlungen unzweckmäßig oder nachteilig sind oder ihn an einem beabsichtigten Zwangsvergleich hindern oder diesen erschweren. In diesen Fällen wurde es dem Schuldner zugebilligt, seine Einwendungen gegen die beabsichtigten Maßnahmen gegenüber dem Verwalter, dem Gläubigerausschuss und in der Gläubigerversammlung vorbringen zu dürfen.²¹⁸ Zudem konnte nach § 135 Abs. 2 KO (§ 123 Abs. 2 KO a. F.) das Gericht die vorläufige Vornahme der betreffenden Rechtshandlung bis zur Beschlussfassung der Gläubigerversammlung untersagen. Unterließ der Verwalter die Mitteilung, konnte er sich dem Schuldner gegenüber sogar schadenersatzpflichtig machen. War der Schuldner indessen flüchtig, erübrigte sich nach dem Wortlaut des Gesetzes die Mitteilungspflicht des Verwalters.

3. Auswirkungen auf die bürgerliche Stellung des Schuldners Weshalb sich der Schuldner dem Verfahren auch zu Zeiten der Konkursordnung zu entziehen versuchte, wird (ungeachtet strafrechtlicher Motive) mit einem Blick auf die damit einhergegangenen drastischen Konsequenzen für seine bürgerliche Stellung deutlich. Sicherlich verband sich auch deswegen mit der Flucht – und in nicht seltener Unkenntnis des Rechts – die illusorische Hoffnung, ein Konkursverfahren irgendwie vermeiden und so dem Makel des Konkurses, den die deutsche Haftungsordnung des 19. und 20. Jahrhunderts weiterhin wie selbstverständlich gegeben hinnahm, sowie dem damit drohenden Schicksal entrinnen zu können. Die Konkursordnung selbst, die anders als die preußische Konkursordnung vom 8. Mai 1855 keinen Unterschied zwischen kaufmännischen und gemeinen Schuldnern machte und damit alle Schuldnertypen erfasste, enthielt – abgesehen von § 25 KO (§ 20 KO a. F.) – keine Bestimmungen hinsichtlich der allgemeinen Auswirkungen des

 Senst/Müller, S. 21

II. Die Schuldnerflucht in der Konkursordnung

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Verfahrens auf die Person des Schuldners und seine Rechtsstellung.²¹⁹ Sie normierte in Einzelvorschriften lediglich verfahrenszweckbestimmte Rechtsfolgen wie den Verlust der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Schuldners über das zur Konkursmasse zugehörige Vermögen (§ 6 Abs. 1 KO) oder die erleichterte Beendigung von Miet-, Pacht-, Dienst-, Geschäftsbesorgungs- und Auftragsvertragsverhältnissen (§§ 19 bis 23 KO; §§ 17 bis 19 KO a. F.). Handlungen des Schuldners, die jener nach Eröffnung des Konkursverfahrens gegenüber seinen Gläubigern vornahm, blieben nach § 7 KO (§ 6 KO a. F.) unwirksam. Bereits vor der Verfahrenseröffnung konnte ihm nach § 106 KO (§ 98 KO a. F.) ein allgemeines Veräußerungsverbot auferlegt werden. Die vorstehend beschriebenen Auskunfts-, Mitwirkungs-, Residenz- und Erscheinenspflichten des Schuldners waren ebenfalls durch den in § 3 Abs. 1 KO (§ 2 KO a. F.) festgehaltenen Verfahrenszweck der gemeinschaftliche Gläubigerbefriedigung bedingt. Zudem waren nach §§ 111, 76 KO (§§ 103, 68 KO a. F.) die Eröffnung des Konkursverfahrens, der offene Arrest, die Anmeldefristen und Termine in Zeitungen sowie im Reichs- bzw. Bundesgesetzblatt öffentlich bekannt zu machen, während das Konkursgericht nach § 107 Abs. 2 KO in Verbindung mit § 915 Abs. 2, § 915a Abs. 1 , 2 Nr. 2, §§ 915b bis 915 h ZPO a. F. ein Verzeichnis derjenigen Schuldner zu führen hatte, bezüglich deren der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen worden war (Schuldnerverzeichnis). Allerdings entfalteten sich über andere Rechtsvorschriften besondere Wirkungen des Konkursverfahrens auf die Person des Schuldners, die von ihm und seiner Umwelt wie ehedem als Makel des Konkurses empfunden wurden. So verlor der Gemeinschuldner nach § 3 Nr. 2 und § 4 des für die Verfassung des Deutschen Kaiserreichs geltenden Reichstagwahlgesetzes vom 31. Mai 1869 das aktive und passive Wahlrecht zum Reichstag.²²⁰ Dieser Verlust eines der elementarsten Staatsbürgerrechte wurde zwar durch die Weimarer Reichsverfassung und das auf seiner Basis novellierte Reichstagwahlgesetz beseitigt. Bemerkenswert ist jedoch die von Gerhardt²²¹ in diesem Zusammenhang beschriebene Resonanz Jaegers zur Eindämmung der Folgen der Konkurseröffnung, die sich in der von ihm in Weimarer Zeit vorgenommenen Kommentierung des § 25 KO niederschlug: „Während bis zum Umsturz ein Gemeinschuldner des aktiven und passiven Wahlrechts für Reichstag und Landtage ermangelte […], zeigt das neue Verfassungsrecht sich unempfindlich gegenüber dem Makel des Konkurses.“²²² Diese Einschätzung eines der bedeutendsten Konkursrechtslehrer des 20. Jahrhun-

   

Gerhardt, S. 103 BGBl. des Norddeutschen Bundes 1869 S. 145; Gerhardt, S. 105 Gerhardt, S. 105 Jaeger, Konkursordnung, § 25 Anm. 34

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

derts²²³ bezeugt eindrucksvoll,wie selbstverständlich und im kollektiven Bewusstsein tiefsitzend der Makel des Konkurses sowie der mit ihm einhergehende Rechts- und Ehrverlust zu Zeiten des zweiten Kaiserreichs sowie der Weimarer Republik verwurzelt war. Damit kann zugleich die Erklärung dafür gefunden werden, weshalb sich unbeschadet des Verfassungswandels die nichtverfassungsrechtlichen Normen weiterhin als sehr empfänglich gegenüber dem Vermögensverfall und der gerichtlichen Beschränkung der Vermögensverfügung präsentierten: Der Schuldner wurde auch fürderhin als für das Amt eines Schöffen, eines Geschworenen, eines Handelsrichters, eines Beisitzers im Seeamte, in Mietkammern oder Mieteinigungsämtern, eines ehrenamtlichen Richters in Spruchkörpern der Arbeits-, Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichte sowie für den Beruf eines Rechts- und Patentanwaltes unfähig angesehen.²²⁴ Hieran hat sich – abgesehen von der Überholung einzelner Gesetze – während der gesamten Geltungsdauer der Konkursordnung und bis in die Gegenwart nichts Grundlegendes geändert.²²⁵ Die bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Normen des § 32 Nr. 3 GVG a. F., des § 21 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG a. F., des § 21 Nr. 3 VwGO a. F., des § 17 Abs. 1 Nr. 3 SGG a. F. und des § 18 Nr. 3 FGO a. F. enthielten Bestimmungen, wonach der in Vermögensverfall geratene Schuldner für das Amt eines Laienrichters unfähig und ausgeschlossen war. Heute sollen gemäß § 33 Nr. 6 GVG sowie § 109 Abs. 3 Satz 2 GVG Personen, die in Vermögensverfall geraten sind, nicht in das Amt eines Schöffen und Handelsrichters berufen werden. Gleiches gilt nach § 21 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, § 21 Abs. 2 VwGO, § 17 Abs. 1 Satz 2 SGG und § 18 Abs. 2 FGO für die Berufung in das Amt eines Laienrichters in Spruchkörpern der Arbeits-,Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit. Einem Rechtsanwalt ist die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 7 Nr. 9 BRAO zu versagen und nach § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO die Zulassung zu widerrufen, wenn er in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Ein Vermögensverfall wird vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Rechtsanwalts eröffnet oder der Rechtsanwalt in das vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 InsO, § 915 ZPO a. F., §§ 882b ff. ZPO n. F.) eingetragen ist.Vergleichbares gilt für Patentanwälte (§§ 14 Nr. 9, 21 Abs. 2 Nr. 8 PatAnwO), Notare (§ 50 Abs. 1 Nr. 6 BNotO), Steuerberater (§§ 40 Abs. 2 Nr. 1, 46 Abs. 1 Nr. 4 StBerG) und Wirtschaftsprüfer (§§ 16 Abs. 1 Nr. 7, 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO).

Ferner konnte der Fallit nach der Reichsversicherungsordnung, dem Versicherungsgesetz für Angestellte und dem Reichsknappschaftsgesetz nicht in die Organe der Versicherungsträger gewählt werden, er verlor das Wahl- und Stimmrecht für die Innungsversammlung, den Innungsvorstand und weiterer Innungsorgane, für die Wahl der Gesellenausschüsse und Handwerkskammern und konnte –  vgl. hierzu Bernhardt, ZZP 64 (1951), 1 ff.; Zahn, S. 275  Gerhardt, S. 106; Jaeger, Konkursordnung, § 25 Anm. 35 unter Benennung der einzelnen Vorschriften  Gerhardt, S. 106

II. Die Schuldnerflucht in der Konkursordnung

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wenn er bereits Mitglied war – aufgrund einzelner Satzungen ausgeschlossen werden.²²⁶ Ihm waren mit Konkurseröffnung oder Abweisung mangels Masse die Ausübung von Depot- und Depositengeschäften sowie der Börsenbesuch untersagt.²²⁷ Die Eröffnung des Konkursverfahrens strahlte sogar bis tief in die Familie des Gemeinschuldners ein: sie führte unter der Geltung des Bürgerlichen Gesetzbuches nach §§ 1419, 1427 ff. BGB a. F. zur Beendigung der Verwaltungs- und Nutznießungsbefugnis am Vermögen der Ehefrau und zum Eintritt des Güterstandes der Gütertrennung.²²⁸ Des Weiteren verlor der Schuldner gemäß §§ 1670, 1647 Abs. 1, 1667 BGB a. F. die Verwaltungsbefugnis über das Vermögen seiner Kinder; ihm blieb zwar das Nutznießungsrecht, er konnte es aber nicht mehr ausüben.²²⁹ Ferner sollte der Gemeinschuldner nach § 1781 Nr. 3 BGB a. F. nicht zu einem Vormund bestellt werden und war nach § 1886 BGB a. F. aus einem solchen Amt zu entlassen; gleiches galt über §§ 1915, 1909 BGB a. F. für die Pflegschaft. Nicht unerwähnt können die Auswirkungen des Konkurses auf den Lebensunterhalt des Schuldners und seiner Familie bleiben. Ziel des Konkursverfahrens war ausweislich § 3 KO (§ 2 KO a. F.) die maximale Haftungsverwirklichung aus dem schuldnerischen Vermögen zur gemeinschaftlichen Befriedigung der Konkursgläubiger. Eine Entschuldung des Schuldners, wie sie § 1 Satz 2 InsO als Verfahrensziel anbietet, war dem Reichsgesetzgeber fremd.²³⁰ Reichte das Schuldnervermögen zur vollständigen Befriedigung der Konkursgläubiger nicht aus, eröffnete die Konkursordnung in § 164 KO jedem Gläubiger ein freies Nachforderungsrecht, wobei die Eintragung in der Konkurstabelle als Vollstreckungstitel diente. Der Schuldner sah sich also nach Beendigung des Konkursverfahrens dem uneingeschränkten Gläubigerzugriff auf seinen vom Konkursbeschlag nicht erfassten Neuerwerb ausgesetzt, was zu einer Schuldnerverfolgung schlimmstenfalls bis an das Lebensende führen konnte. Auch die nachfolgend noch zu untersuchenden Vergleichsverfahren boten wegen ihrer Bedingungen in vielen Fällen keine reale Chance zu einer zeitnahen und abschließenden Regulierung aller Verbindlichkeiten. Für den Schuldner verschloss sich damit jede Aussicht auf eine wirtschaftliche Erholung und Besserung seiner Lebensverhältnisse. Er erfuhr lediglich Schutz durch Pfändungsbeschränkungen, um den notwendigsten Unterhalt zu sichern. Freilich sahen die §§ 129 Abs. 1, 132 Abs. 1 Satz 1 KO die Mög Jaeger, Konkursordnung, § 25 Anm. 36 und 37 unter Benennung der einzelnen Vorschriften  Jaeger, Konkursordnung, § 25 Anm. 37 und 38 unter Benennung der einzelnen Vorschriften  Senst/Müller, S. 20  Senst/Müller, S. 20  Den Vätern der Konkursordnung war die in der Hamburger Fallitenordnung von 1753 vorgesehene Restschuldbefreiung selbstredend bekannt, wie die Wiedergabe dieser Rechtsquelle auf S. 464 der von Hahn editierten Materialien zur Konkursordnung zeigt.

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

lichkeit der Gewährung eines notdürftigen Unterhalts an den Schuldner und dessen Familie aus der Konkursmasse vor. Hierunter fiel auch das Belassen der Wohnung. Allerdings stand dem Schuldner deswegen kein Rechtsanspruch zur Seite,²³¹ so dass er letztlich auf die Vernunft und Gnade des Verwalters und der Gläubiger angewiesen war. Die im Übrigen drohende lebenslange Stigmatisierung erhöhte die Fluchtmotivation, um zu retten, was noch zu retten war. Sicherlich war die Minderung der meisten bürgerlichen Rechte, die capitis deminutio, auf die Dauer des Konkursverfahrens beschränkt und endete mit der Verfahrenseinstellung, ohne dass es eines weiteren Rechtsaktes bedurfte.²³² Denn die Konkursordnung kannte kein mit §§ 311 ff. prKO oder mit Art. 26 Abs. 2 des Schweizer Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs vergleichbares Verfahren zur Rehabilitation des Gemeinschuldners zwecks seiner Wiedereinsetzung in die (staats‐) bürgerlichen Rechte, welches den vorherigen Verlust noch einmal vor aller Augen führte. Das sittliche Unwerturteil über den Gemeinschuldner war für die Umstehenden mit der öffentlich bekannt gemachten Verfahrenseröffnung dennoch gebildet und haftete ihm weiter an, auch wenn das Verfahren zwischenzeitlich erledigt worden war.²³³ Der Makel des Konkurses blieb für den Gemeinschuldner gerade wegen seiner Publizität und der damit bewirkten kollektiven Erinnerung dauerhaft fühlbar.

Gerhardt ²³⁴ legte vor über 40 Jahren überzeugend dar, dass das Ziel des eröffneten Konkursverfahrens und der damit wie selbstverständlich hingenommene Ausschluss vom Amt eines Laienrichters an sich keinen nachvollziehbar objektivrechtlichen Einfluss auf die Befähigung und Fähigkeit des Schuldners zur Amtsführung hatte, vielmehr vom Makel des Konkurses ein historisch überliefertes, sittliches Unwerturteil ausging (und immer noch ausgeht), so dass es – kann eine allgemeine Abkehr von diesem „unkritisch tradierten Relikt überholten Denkens“ nicht alsbald erreicht werden – nur konsequent wäre, wenn durch ein Verfahren förmlich festgestellt werden würde, dass die Grundlagen des sittlichen Unwerturteils beseitigt sind. Er machte deutlich, dass die sittlich-moralische Bewertung nach wie vor – wegen des für die Gläubiger stets aufkommenden schmerzlichen Verlustempfindens – an dem schnell entwickelten Verdacht ansetze, der Schuldner habe in betrügerischer Weise gehandelt oder er sei kaufmännisch oder handwerklich unfähig oder er müsse in einer individuell vorwerfbaren Art und Weise nachlässig gehandelt haben. Viele Gläubiger vermochten und vermögen nicht zu vergegenwärtigen, dass oft ein nicht vorwerfbares unternehmerisches

 Senst/Müller, S. 24  Jaeger, Konkursordnung, § 25 Anm. 39  Jaeger, Konkursordnung, § 25 Anm. 41 beschrieb seinerzeitige Initiativen und rechtspolitische Diskussionen, welche die Einrichtung eines förmlichen Verfahrens zur Wiedererlangung der bürgerlichen Rechte durch Entscheidung des Konkursgerichtes zum Ziel hatten.  Gerhardt, S. 106 ff.

II. Die Schuldnerflucht in der Konkursordnung

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Wagnis und wirtschaftliches Engagement zur Vermögensinsuffizienz führten, mithin Gründe, die einer kapitalistisch geprägten, marktorientierten Wirtschafsordnung immanent sind. Eine Differenzierung nach den Ursachen fiel und fällt nach wie vor den Gläubigern mangels Informationen und Interesses nicht selten schwer, ebenso wie die Erkenntnis, dass persönliches Unglück, Schicksalsschläge, Mithaftungstatbestände, Wirtschaftskrisen, Kriege und eben auch sehr individuelles, aber nicht kriminelles Unvermögen und Versagen für den Vermögensverfall kausal sein können. Auch für den zu Zeiten der Konkursordnung lebenden Schuldner bedurfte es demnach einer Alternative zur Flucht, mithin einer Möglichkeit, sich von der dauerhaft drückenden Last der Schulden zu befreien – und um sich vom Makel des Konkurses reinigen zu können.

4. Zwangsvergleich Anknüpfend an die §§ 181 ff. prKO wurde in der Konkursordnung ebenso der Versuch unternommen, den Beteiligten mit den §§ 173 KO (§§ 160 ff. KO a. F.) ein Verfahren an die Hand zu geben, welches dem Schuldner die Aussicht bot, durch Abschluss eines Zwangsvergleiches eine Regulierung von den ansonsten nach Verwertung der Konkursmasse verbleibenden, weiter verfolgbaren Restverbindlichkeiten (§ 164 Abs. 1 KO, § 152 Abs. 1 KO a. F.) zu erlangen und so zumindest mittelbar und teilweise eine Wiederherstellung seiner bürgerlichen Ehre zu erreichen. Legitimiert wurde der Zwangsvergleich unter anderem mit dem Argument, dass andernfalls die Lähmung der wirtschaftlichen Initiative des Schuldners drohe.²³⁵ Außerdem konnte für die Mehrheit der Gläubiger ein zügig vereinbarter, kostensparender Vergleich von größerem Nutzen sein, wenn dadurch höhere Werterlöse erwartet werden konnten, als bei einer Zerschlagung. Das auf den Abschluss eines Zwangsvergleichs gerichtete Verfahren diente folgerichtig sowohl den Schuldner- als auch den Gläubigerinteressen. Der Zwangsvergleich konnte auf Vorschlag des Schuldners zwischen ihm und den nicht bevorrechtigten Konkursgläubigern zustande kommen, sobald der allgemeine Prüfungstermin abgehalten und solange die Vornahme der Schlussverteilung noch nicht genehmigt worden war (§ 173 KO, § 160 KO a. F.). Der vom Schuldner zu unterbreitende Vergleichsvorschlag musste nach § 174 KO (§ 161 KO a F.) darstellen, in welcher Weise die Befriedigung der Gläubiger erfolgen und wie die Bewirkung sichergestellt werden sollte. Zur Annahme des Vergleichs kam es, wenn die Mehrzahl der im Vergleichstermin anwesenden, stimmberechtigten Gläubiger den Vergleich ausdrücklich billigten und die Gesamtsumme der Forderungen der zustimmenden Gläubiger wenigstens drei

 Ackmann, S. 115

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

Viertel der Gesamtsumme aller zum Stimmen berechtigenden Forderungen betrug (§ 182 Abs. 1 KO, § 169 Abs. 1 KO).

Ein so vorgetragener Zwangsvergleich war indes nach § 175 Nr. 1 KO (§ 162 Nr. 1 KO a. F.) unzulässig, solange der Gemeinschuldner flüchtig war oder die Abgabe der in § 125 KO (§ 115 KO a. F.) bezeichneten eidesstattlichen Versicherung verweigerte. Gleiches galt gemäß § 175 Nr. 2 und 3 KO (§ 162 Nr. 2 und 3 KO a. F.), solange gegen den Gemeinschuldner wegen des Vorwurfs des betrüglichen Bankerutts ermittelt wurde oder wenn er wegen desselben rechtskräftig verurteilt worden war. Nach den Gesetzesmotiven²³⁶ sollte der Zwangsvergleich insbesondere solange unzulässig sein, solange der Schuldner die Ableistung des Offenbarungseides verweigerte, da ohne Kenntnis des Inventars und der Bilanz sowie ihrer eidlichen Bekräftigung eine umfassende sachliche Beurteilung der Vergleichsofferte als ausgeschlossen und die Weigerung als Argwohn und Verdacht erregend angesehen wurde. Nicht viel anders verhielt es sich, solange der Schuldner auf der Flucht war. Auch die Flucht begründete den Verdacht der unlauteren Verschleierung des Vermögens und damit die Besorgnis, der Schuldner könnte die Übervorteilung seiner Gläubiger versuchen.²³⁷ Die durch die Flucht hervorgerufene Unsicherheit der Beurteilung der Sachlage wurde als Rechtsfertigung dafür gesehen, in diesen Fällen eine Bindung der Gläubiger nicht eintreten zu lassen, zumal ein so zustande gekommener Vergleich als Gefahr für die öffentliche Ordnung angesehen wurde.²³⁸ Das Konkursgericht war also gehalten, die Existenz eines solchen Ausschlussgrundes von Amts wegen zu prüfen und erforderlichenfalls den Vergleichsvorschlag durch Beschluss zurückzuweisen oder gemäß § 186 Nr. 2 KO (§ 172 Nr. 2 KO a. F.) zu verwerfen, wenn nachträglich ein Versagungsgrund bekannt wurde. Dabei hatte der Konkursrichter im Einzelfall unter Würdigung aller Begleitumstände zu beurteilen, ob der Schuldner auf der Flucht oder aber unfreiwillig fern seines Wohnortes war.²³⁹ Die Unzulässigkeit eines Zwangsvergleiches bestand aber nur, solange der Schuldner auf der Flucht war. Ihm wurde zugebilligt, dass seine Flucht eine spontane, nur menschliche Reaktion (gewesen) sein mochte, die sich angesichts des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und der damit verbundenen emotionalen Belastung verstand. Der Fallit, der „unter dem ersten Eindruck des eingebrochenen Unglücks sich auf flüchtigen Fuß gesetzt“ hatte, sollte mit seiner

   

Hahn/KO, S. 363 (Motive, S. 409) Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 175 Anm. 2 Wilmowski, KO, § 175 Anm. 1; Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 175 Anm. 2 AG Schweinfurt, Beschl. v. 1. August 1956, N 23/55, KTS 1956, 142

III. Krisenbewältigungsstrategien seit dem 1. Weltkrieg

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Flucht nicht absolut jedes Vertrauen verwirkt haben, weshalb sein Vergleichsvorschlag als zulässig erachtet wurde, sobald er seine Flucht beendet hatte und zurückgekehrt war.²⁴⁰ Anders wurde indessen der fallitus fugitivus behandelt, der auf seiner Flucht von der Strafverfolgungsbehörde festgenommen wurde. Jener konnte – trotz des Tatbestandsmerkmals solange – nicht darauf bauen, ein von ihm (später) unterbreiteter Vergleichsvorschlag würde als zulässig angesehen werden. Die Flucht wurde wie zu allen Zeiten als eigenmächtige und vor allem als böswillige Entfernung des Schuldners verstanden.²⁴¹ War der Schuldner flüchtig (§ 175 Nr. 1 KO), manifestierte sich seine unlautere, gegen die Gläubigerinteressen gerichtete Gesinnung. Und wurde die Flucht nur deshalb beendet, weil der Schuldner (zufälligerweise) von der Polizei aufgegriffen wurde, musste damit keine Änderung seiner gläubigerfeindlichen Gesinnung einhergehen.²⁴² Nur der freiwillig von der Flucht zurückgekehrte und künftig mitwirkungsbereite Schuldner, der mit seiner Heimfahrt die Aufgabe seiner gläubigerfeindlichen Haltung demonstrierte, sollte in den Genuss der Wohltat des Zwangsvergleichs kommen.²⁴³

III. Krisenbewältigungsstrategien seit dem 1. Weltkrieg Das in der Konkursordnung angelegte Verfahren zur Erzielung eines Zwangsvergleichs zeigte sich spätestens in den Jahren der ersten großen europäischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts, in der Zeit des 1.Weltkriegs, als nicht ausreichend. Mittels eines nach §§ 173 ff. KO angestrebten Zwangsvergleiches konnte das bereits eingeleitete Konkursverfahren zwar beendet werden (§ 190 Abs. 1 KO). Auch wirkte nach § 193 KO der gerichtlich bestätigte Vergleich für und gegen alle nicht bevorrechtigten Konkursgläubiger, auch wenn dieselben am Konkursverfahren oder an der Beschlussfassung über den Vergleich nicht teilgenommen oder gegen den Vergleich gestimmt hatten. Jedoch waren die mit der Eröffnung des Konkursverfahrens verbundenen Makelfolgen durch die öffentliche Bekanntmachung bereits eingetreten und standen einer gesellschaftlich-sittlichen und wirtschaftlichen Rehabilitation des Schuldners regelmäßig entgegen. Im Grunde existierende Chancen einer zugunsten der Gläubiger wirkenden Sanierung des Schuldners

 Hahn/KO, S. 363 (Motive, S. 408); Wilmowski, KO, § 175 Anm. 2; Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 175 Anm. 6  Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 175 Anm. 6  AG Schweinfurt, Beschl. v. 1. August 1956, N 23/55, KTS 1956, 142  so wohl auch Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, § 175 Anm. 6

228

D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

wurden auf diese Weise vertan: Potentielle Geldgeber und Bürgen aus dem Angehörigen- und Freundeskreis zogen sich zurück, das noch vorhandene Vermögen wurde unter Wert verschleudert und der Schuldner – wenn er nicht floh und sein Lebensglück zum Beispiel in Nordamerika suchte – verlor sich womöglich in Trübsal und Schicksalsergebenheit, womit sein Arbeits- und Geistespotential verschwendet wurde.²⁴⁴ Hier offenbarte sich der Nachteil, dass die Konkursordnung, die ohnehin bald nach ihrem Inkrafttreten dem Vorwurf ausgesetzt war, ein „Spätprodukt des Manchesterliberalismus“ ²⁴⁵ zu sein, die Möglichkeit eines das Konkursverfahren abwendenden (Vergleichs‐) Verfahrens nicht vorsah.²⁴⁶ Sicherlich zeigte sich ein Ausweg über außergerichtliche Vergleichsverhandlungen, um im Schutz der Anonymität und recht zügig einen rechtlich anzuerkennenden Sanierungs-, Stundungs- oder Liquidationsvergleich auf den Weg zu bringen.²⁴⁷ Der Schuldner war in diesen Fällen aber immer auf die Vernunft, den Sachverstand, das Wohlwollen und letztlich auf die Zustimmung aller Gläubiger angewiesen. Ein von der Mehrheit mit dem Schuldner abgeschlossener Vergleich vermochte einzelne Akkordstörer nicht zu binden.²⁴⁸ Gerade die Enttäuschung der a limine absurden Erwartung, alle Gläubiger würden angesichts des ihnen drohenden Verlustes den Informationen des Schuldners (absolut) trauen und auch noch freiwillig und gemeinschaftlich auf erhebliche Teile ihrer Forderungen gleichmäßig verzichten, sowie der Einfluss unterschiedlicher, zuweilen vergleichszweckfremder Interessen (zum Beispiel der Wettbewerbsinteressen der mit dem Schuldner konkurrierenden Marktteilnehmer) gefährdeten regelmäßig die außergerichtlichen Vergleichsbemühungen. Da halfen anfangs auch nicht die Hinweise des Schrifttums,²⁴⁹ dass der Konkurs einer der schlimmsten Wertvernichter sei und europäische Nachbarländer andere Wege zur Konkursvermeidung gefunden hatten.

1. Die Geschäftsaufsicht vom 8. August 1914 Mit Ausbruch des 1. Weltkrieges, der gewissermaßen als Beginn eines in Europa wütenden „Zweiten Dreißigjährigen Krieg“²⁵⁰ gelten kann, ergab sich das Bedürfnis, einem nur infolge des Krieges notleidend gewordenen, aber an sich lebens-

 Jaeger, Keime, S. 141  Thieme, 100 Jahre Konkursordnung, S. 40; zum deutschen Liberalismus und „Manchestertum“ s. Raico, S. 9 ff.  Jaeger, DJZ 1904, 903, 911 empfahl bereits im Jahr 1904 die Einführung eines gerichtlichen Konkursabwendungsvergleiches.  Ebenroth, S. 865; Bley/Mohrbutter, Einleitung S. 1 ff.  RG, Urt. v. 11. Oktober 1940, VII 36/40, KT 1941, 54, 55; Künne, S. 25; BGH, Urt. v. 12. Dezember 1991, IX ZR 178/91, ZIP 1992, 191; Ebenroth, S. 865  Jaeger, ZZP 48 (1920), 139, 140 benennt konkret die Rufe nach einem konkursabwendenden Zwangsvergleich  Mayer, S. 50 und S. 65; Wehler, S. XIX; Stern, Der zweite Dreißigjährige Krieg, S. 9 ff.

III. Krisenbewältigungsstrategien seit dem 1. Weltkrieg

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fähigen Unternehmen des Schuldners einen gewissen Schutz vor den harten Folgen des Konkursverfahrens zu geben, ohne – wie in früheren Jahrhunderten bei Kriegsereignissen – ein generelles Zwangsmoratorium verfügen zu müssen.²⁵¹ Die wesentlichen Gründe lagen darin, dass infolge der allgemeinen Mobilmachung und der frühen Kriegsbegeisterung schlagartig eine Vielzahl an männlichen Arbeitskräften den Unternehmen nicht mehr zur Verfügung stand und sicherlich auch so mancher (Klein‐) Unternehmer seinem Betrieb den Rücken kehrte, um an die Front zu gehen. Hinzu kam eine zunehmende Rohstoffverknappung infolge des durch die alliierte See- und Wirtschaftsblockade verursachten Importrückgangs sowie der allmählichen Umstellung auf kriegswichtige Produktionen.²⁵² Für die nicht kriegswichtigen (Klein‐) Betriebe, Handwerker und Händler konnte sich bald eine existenzbedrohende Situation entwickeln, so dass von Anfang an das Erfordernis eines rechtlich fundierten Interessensausgleichs zwischen den verschiedenen Akteuren zum Erhalt des inneren, sozialen Friedens absehbar war. Angesichts dessen wurde bereits wenige Tage nach Kriegsausbruch auf der Basis des Gesetzes vom 4. August 1914 über die Ermächtigung des Bundesrates zu wirtschaftlichen Maßnahmen²⁵³ mit der Verordnung vom 8. August 1914²⁵⁴ das Verfahren der „Geschäftsaufsicht zur Abwendung des Konkursverfahrens“ zur Verfügung gestellt. Wurde demnach der Schuldner infolge des Krieges zahlungsunfähig, konnte er mit einem von ihm zu stellenden Antrag das gerichtlich überwachte Verfahren der Geschäftsaufsicht einleiten und so ein an sich unausweichliches Konkursverfahren vermeiden (§ 1 GA 1914). Über den Antrag hatte das Konkursgericht nach freiem Ermessen zu entscheiden, wenn die Behebung der Zahlungsunfähigkeit nach Beendigung des Krieges in Aussicht genommen werden konnte (§ 3 GA 1914). Erkennbar waren die Vorschriften dieser Verordnung von der Vorstellung getragen, der Krieg würde in Kürze sein Ende finden. Für die Dauer des Verfahrens, für das keine öffentlichen Bekanntmachungen vorgesehen und mit dem keine Minderung der bürgerlichen Rechte des Schuldners verbunden war, unterstützte und überwachte eine Aufsichtsperson den Schuldner in einer Art Vermögenspflegschaft, aufgrund der die Geschäftsführung auch auf einen Dritten übertragen

 Nörr, S. 235  vgl. allgemein zu 1. Weltkrieg und Kriegswirtschaft zum Beispiel Michalka, S. 169 ff. und Fischer, S. 108 ff.  RGBl. S. 327; vollständiger Titel: „Gesetz über die Ermächtigung des Bundesrates zu wirtschaftlichen Maßnahmen und über die Verlängerung der Fristen des Wechsel- und Scheckrechts im Falle kriegerischer Ereignisse“  RGBl. S. 363; die Verordnung wird fortan mit GA 1914 abgekürzt

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

werden konnte.²⁵⁵ Insbesondere sollten die beim Schuldner verfügbaren Mittel gemäß § 8 GA 1914 – soweit sie nicht zur Geschäftsfortführung und einer bescheidenen Lebensführung nötig waren – für die Befriedigung der Gläubiger eingesetzt werden, wobei Umfang und Reihenfolge durch die Aufsichtsperson(en) nach billigem Ermessen zu bestimmen waren. Dafür wurden während des Verfahrens Einzelvollstreckungsmaßnahmen sowie die Einleitung eines Konkursverfahrens im Typus eines Spezialmoratoriums verhindert (§§ 4 bis 6 GA 1914). Unter dem Schild dieses nichtöffentlichen Verfahrens konnte der Schuldner zudem versuchen, sich mit seinen Gläubigern zu einigen oder andere Wege zu ihrer Befriedigung zu finden. Eine Zwangseinigung sah die Verordnung allerdings nicht vor, so dass Vergleiche nach wie vor an einzelnen Akkordstörern scheitern konnten.²⁵⁶ Freilich war der Schuldner gegenüber der Aufsichtsperson verpflichtet, Einsicht in seine Geschäftsbücher zu geben und Auskünfte über sein Vermögen und seine Geschäfte zu erteilen (§ 7 Abs. 1 GA 1914). Diese Verpflichtung zur Auskunftserteilung hatte erkennbar den Zweck, der Aufsichtsperson die für ihre Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen verfügbar zu machen. Handelte der Schuldner jedoch seinen Verpflichtungen zuwider oder standen sonstige wichtige Gründe der Fortsetzung entgegen, war das Verfahren gemäß § 10 GA 1914 aufzuheben. Mit Blick auf die inhaltliche Anlehnung der Verordnung an die Konkursordnung mag manches (arg. §§ 175 Nr. 1, 186 Nr. 2 KO) dafür sprechen, in der Flucht einen wichtigen Grund gesehen zu haben,welcher zur Versagung der im Gläubigerschutz liegenden Rechtswohltat²⁵⁷ und damit zur Verfahrensbeendigung führen konnte. Denn die gegenüber der Aufsichtsperson bestehenden Auskunftsund Vorlagepflichten dienten gleichzeitig dem Schutz und der Verwirklichung der Gläubigerinteressen²⁵⁸ und konnten gewöhnlich nur dann sachgerecht erfüllt werden, wenn sich der Schuldner redlich und kooperativ verhielt.

2. Die Geschäftsaufsicht vom 14. Dezember 1916 Einen konkursabwendenden Zwangsvergleich brachte aber die Verordnung vom 14. Dezember 1916²⁵⁹ über die „Geschäftsaufsicht zur Abwendung des Konkurses“, wenn sich die Vermögensinsuffizienz als unmittelbare Folge des Krieges eingestellt

    

Jaeger, ZZP 48 (1920), 139, 141; Jaeger, Konkursrecht, S. 161; Kipp, DJZ 1914, 1024, 1031 Nörr, S. 235; Jaeger, ZZP 48 (1920), 139, 140 Kipp, DJZ 1914, 1024, 1031 Kipp, DJZ 1914, 1024, 1032 RGBl. S. 1363; die Verordnung wird fortan mit GA 1916 abgekürzt

III. Krisenbewältigungsstrategien seit dem 1. Weltkrieg

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hatte und ein Vergleich zu erwarten war. Sie ersetzte ab Weihnachten 1916 mit immerhin 80 Paragrafen die 1914er Verordnung und kann als Vorgängerin der in den Jahren 1927 und 1935 erlassenen Vergleichsordnungen angesehen werden. Diese Verordnung diente ebenfalls der Konkursvermeidung und sah desgleichen keine öffentlichen Bekanntmachungen vor (§ 18 Abs. 1 GA 1916), um dem Empfinden eines Makels und den damit einhergehenden Konsequenzen vorzubeugen.²⁶⁰ Ihr größerer Umfang sowie die damit verbundene normative Strukturierung offenbaren, dass angesichts der weiteren kriegswirtschaftlichen Entwicklungen das Bedürfnis nach einem rechtssicheren und interessengerechten Krisenbewältigungsverfahren gewachsen war.²⁶¹ Der nach dieser Verordnung vom Schuldner zu stellende Antrag war unter anderem dann zulässig, wenn jener ein vollständiges Gläubiger- und Vermögensverzeichnis dem Aufsichtsgericht vorlegte (§ 20 GA 1916). Zwar diente das nach § 1 Abs. 2 GA 1916 einzuleitende Verfahren der Geschäftsaufsicht nicht ausschließlich dazu, dem Schuldner einen Zwangsvergleich zu ermöglichen. Allein die in der 1916er Verordnung zu entdeckende Fülle der Regelungen zum konkursabwendenden Zwangsvergleich zeigt aber, dass hierin – angesichts der im dritten Kriegsjahr eingetretenen Ungewissheit über die Kriegsdauer – der Schwerpunkt des Verfahrens der Geschäftsaufsicht gelegt wurde. So konnte auf weiteren Antrag zwischen dem Schuldner und den erfassten Gläubigern ein Zwangsvergleich geschlossen werden, der auf Erlass oder Stundung oder beides sowie auf Sicherung der Vergleichserfüllung gerichtet war. Ein solcher Zwangsvergleich wirkte im Falle der gerichtlichen Bestätigung gegenüber allen einbezogenen Gläubigern, selbst wenn sie gegen den Vergleich gestimmt hatten (§§ 35, 60 GA 1916). Auch für das nach dieser Verordnung konzipierte Verfahren der Geschäftsaufsicht sowie des mit ihm zu erreichenden Zwangsvergleichs war es Voraussetzung, dass sich der Schuldner redlich verhielt. Lagen Tatsachen vor, welche die Vertrauenswürdigkeit des Schuldners in Frage stellten, musste der Antrag auf Abschluss eines Zwangsvergleichs zurückgewiesen werden (§ 42 Abs. 2 Nr. 1 GA 1916). Einen von den Gläubigern bereits angenommenen Vergleich hatte das Gericht unter anderem dann zu verwerfen, wenn der Schuldner in erheblichem Maß seine Verfahrenspflichten verletzt oder den Interessen der Gläubiger zuwidergehandelt hatte (§ 54 Nr. 2 GA 1916). Aus gleichen Gründen waren das Vergleichsverfahren (wenn es noch nicht zum Vergleichsabschluss gekommen war) sowie das Ver Henschel, DJZ 1917, 191, 193  Die volkswirtschaftliche Bedeutung des Verfahrens der Geschäftsaufsicht beweist die in der DJZ 1917, 97 ff. veröffentlichte Konkursstatistik für die Jahre 1914 und 1915, die einen signifikanten Rückgang der Konkursverfahren belegt.

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fahren der Geschäftsaufsicht einzustellen (§§ 57 Abs. 1, 66 Abs. 2 Nr. 1 GA 1916). Obgleich der 1916er Verordnungstext ebenfalls keine Regelbeispiele nannte, wurden zu den groben, das weitere Verfahren hindernden Pflichtverstößen die Flucht und die Eidesverweigerung gezählt.²⁶² Des Weiteren war der Vergleich zu verwerfen, wenn infolge unredlichen oder leichtsinnigen Verhaltens des Schuldners die Gläubiger nicht zumindest ein Fünftel ihrer Forderungen erhielten (§ 55 GA 1916). Wurde der Schuldner nach rechtskräftig bestätigtem Vergleichsabschluss gar wegen „betrügerischen Bankerotts“ bestraft, kam es zur Vergleichsaufhebung (§ 65 GA 1916). Die alsbald nach Hyperinflation und Währungsumstellung auf Rentenmark²⁶³ verkündeten Ergänzungsverordnungen vom 8. Februar 1924²⁶⁴ und 14. Juni 1924²⁶⁵ erlaubten die Einrichtung einer Geschäftsaufsicht ferner, wenn die Ursachen der Insolvenz in den wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges lagen. Die Verordnung vom 8. Februar 1924 reagierte damit auf die Entwertung der Papiermark und der Kapitalanlagen infolge der politischen Ereignisse an Rhein und Ruhr.²⁶⁶ Von der Rechtswohltat der Geschäftsaufsicht schloss die Verordnung vom 8. Februar 1924 weiterhin den unzuverlässigen, gegen die Gläubigerinteressen agierenden Schuldner aus. Zwar erwähnten die insgesamt vier Verordnungen den Tatbestand der Flucht oder andere Pflichtverletzungen nirgends expressis verbis, was angesichts der normativen Nähe zur Konkursordnung womöglich für nicht vordringlich erachtet worden war. Durch den im Februar 1924 in den 1916er Verordnungstext neu eingefügten § 1 Abs. 3 sollte jedoch gesetzespositiv sichergestellt werden, dass der unredliche Schuldner oder der Schuldner, der durch sein bisheriges oder gegenwärtiges Verhalten die Besorgnis begründete, er würde während der Geschäftsaufsicht den Interessen seiner Gläubiger zuwiderhandeln, nicht in den Genuss dieser Privilegierung kam. Ob dieser Tatbestand als gegeben zu erachten war, hatte das Gericht von Amts wegen unter Hinzuziehung von Sachverständigen, Berufsvertretungen und „glaubhaft erscheinenden Pressemeldungen“ zu ermitteln.²⁶⁷ Da die Flucht stets gegen die Informations- und Haftungsinteressen der Gläubiger gerichtet war, liefen der Fugi-

 Jaeger, Konkursrecht, S. 164  zu den Auswirkungen der Inflation auf den Wert der Gläubigerforderungen und das damit verbundene Absinken der Zahl der Konkursverfahren sowie zum Anwachsen der Konkurse infolge der Deflation im Jahr 1926 s. Jaeger, DJZ 1930, 33, 35  RGBl. I S. 51; die Verordnung erging aufgrund des Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezember 1923, RGBl. I S. 1179; Nörr, S. 235  RGBl. I S. 641; diese Verordnung erging aufgrund des Gesetzes vom 12. Juni 1924, RGBl. I S. 641; Nörr S. 235  Jaeger, Konkursrecht, S. 161  Weinberg, § 1 Anm. 9

III. Krisenbewältigungsstrategien seit dem 1. Weltkrieg

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tivus und auch der Zurückgekehrte Gefahr, den Vorteilen der Geschäftsaufsicht und des Zwangsvergleiches entsagen zu müssen. Derweil beseitigte die Ergänzungsverordnung vom 14. Juni 1924 mit der Streichung des § 18 Abs. 1 GA 1916 die bisherige Anonymität des Verfahrens, um angesichts der Wirkungen des Geschäftsaufsichtsverfahrens und des konkursabwendenden Zwangsvergleichs die Gläubiger über die Verfahrenseinleitung durch öffentliche Bekanntmachung zu informieren und (potentielle) Neugläubiger über den Status des Schuldners aufzuklären.²⁶⁸

3. Die Vergleichsordnung vom 5. Juli 1927 Trotz der Existenz der Geschäftsaufsichtsverordnungen bestand angesichts der in der Weimarer Zeit eingetretenen volkswirtschaftlichen Verwerfungen weiter das rechtspolitische Bedürfnis nach einem ausgewogenen, verfahrensrechtlich geordneten und gerichtlich überwachten Verfahren zur Schuldenbereinigung. Der Abschluss eines die Schulden endgültig regulierenden Vergleiches war innerhalb des Verfahrens der Geschäftsaufsicht zum eigentlichen Ziel geworden.²⁶⁹ Allerdings kam das Verfahren der Geschäftsaufsicht infolge der nach der Hyperinflation einsetzenden Deflation zunehmend in den Verdacht, den Schuldnern eine nur allzu leichte Möglichkeit zu bieten, sich schnell ihrer Verbindlichkeiten zu entledigen.²⁷⁰ Die beiden erwähnten Ergänzungsverordnungen aus dem Jahr 1924 limitierten zwar die Voraussetzungen für die Anordnung der Geschäftsaufsicht und boten die Möglichkeit, deren Dauer für den Fall des Scheiterns der Vergleichsverhandlungen auf ein Jahr bzw. später auf drei Monate zu beschränken sowie einen Gläubigerbeirat einzusetzen. Dennoch erhob sich grundlegende Kritik gegen das Verfahren der Geschäftsaufsicht, die sich unter anderem gegen gewissenlose und skrupellose Schuldner richtete und deshalb die Beschränkung der Zulässigkeit des konkursabwendenden Vergleichs auf „würdige Schuldner“ forderte.²⁷¹ Kritiken und Reformrufe mündeten in der ersten Vergleichsordnung vom 5. Juli 1927,²⁷² welche die Verordnungen über die Geschäftsaufsicht ablöste. Nach § 1 VerglO 1927

 Jaeger, Konkursrecht, S. 162; zur Öffentlichkeit und künftigen Entwicklung mit nahezu prophetischer Kunst Jaeger, ZZP 48 (1920), 139, 145 ff.  Cahn, S. 7  Flessner, S. 11  Kiesow, 4. Auflage, Einl. S. XIII. ff.; Flessner, S. 12 jeweils mit Darstellung der Kritiken und Reformforderungen; Cahn, S. 7  RGBI. I S. 139 (fortan VerglO 1927 abgekürzt)

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

konnte ein zahlungsunfähiger oder überschuldeter Schuldner zur Abwendung des Konkurses die Eröffnung ein gerichtliches Vergleichsverfahren beantragen. Auf flankierende politische oder gesamtwirtschaftliche Umstände kam es nach dem Gesetzeswortlaut nicht mehr an. Damit wurde seit der (Wieder‐) Gründung des (zweiten) deutschen Reichs erstmals ein reichsweit einheitliches, gerichtsförmiges Verfahren zur Konkursabwendung und Schuldenbereinigung bereitgestellt, welches nicht unmittelbar an die das gesamte Gemeinwesen treffende Plagen wie Krieg, Epidemien, Inflation oder dergleichen anknüpfte, auch wenn seine Wurzeln in den volksökonomischen Spätfolgen des 1. Weltkrieses liegen. Die Eröffnung des Vergleichsverfahrens war nach § 22 Nr. 2 VerglO 1927 jedoch abzulehnen, wenn (oder besser solange) der Schuldner flüchtig war oder sich verborgen hielt oder auf eine an ihn ergangene Ladung ohne ausreichende Entschuldigung ausblieb. Gleiches galt nach § 22 Nr. 4 VerglO 1927, wenn sich der Schuldner unter anderem dadurch unredlich verhielt, dass er den Antrag auf Eröffnung des Vergleichsverfahrens böswillig verzögert hatte. Die gegen die Verfahrenseröffnung stehenden Gründe wurden als zwingendes Recht verstanden.²⁷³ Als flüchtig betrachtet wurde der Schuldner, der seinen Wohnsitz in der Absicht verlassen hatte, sich der Verantwortung gegenüber den Gläubigern und dem Gericht gegenüber zu entziehen, wobei die Unkenntnis seines Aufenthaltes unbeachtlich war.Verborgen hielt sich der Schuldner,wenn das Gericht seinen tatsächlichen Aufenthalt aufgrund seines Willens nicht kannte, so dass die Unzustellbarkeit von Postsendungen allein nicht genügte. Auf den konkreten Grund oder Anlass der Flucht oder des Verborgenhaltens kam es nicht an. Erschien der Schuldner aufgrund einer ihn erreichten Ladung ohne genügende Entschuldigung nicht vor Gericht, war das Verfahren ebenfalls nicht zu eröffnen.²⁷⁴ Blieb der Schuldner flüchtig und wies das Gericht nach §§ 21, 22 VerglO 1927 den Eröffnungsantrag zurück, hatte es nach § 24 Abs. 1 Satz 1 VerglO 1927 zugleich über die Eröffnung des Konkursverfahrens zu entscheiden. Denn nach der gesetzlichen Fiktion des § 24 Abs. 1 Satz 2 VerglO 1927 galt der Vergleichsantrag zugleich als aufschiebend bedingter und nicht zurücknehmbarer Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens. Stand der Eröffnung des Vergleichsverfahrens kein Grund entgegen, wurde die Eröffnung öffentlich bekannt gemacht (§ 27 VerglO 1927). In diesem Fall hatte der schuldnerische Kaufmann bis zur Verfahrensbeendigung seiner Firma den ausgeschriebenen Zusatz „im Vergleichsverfahren“ beizufügen (§ 37 Abs. 1 VerglO 1927).

Flüchtete der Schuldner nach Verfahrenseröffnung, war das Vergleichsverfahren nach § 79 Nr. 2 VerglO 1927 einzustellen und ebenfalls über die Eröffnung des

 Levy, § 22 Anm. 1; Kiesow, 3. Auflage, § 22 Rz. 4  zu alledem Kiesow, 3. Auflage, § 22 Rz. 2 ff.

III. Krisenbewältigungsstrategien seit dem 1. Weltkrieg

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Konkursverfahrens zu entscheiden (§ 80 VerglO 1927).²⁷⁵ Damit korrelierend traf den Schuldner nach § 61 Abs. 1 VerglO 1927 die Pflicht zum persönlichen Erscheinen im Vergleichstermin, in dem er auf Verlangen eines verfahrensbeteiligten Gläubigers den Offenbarungseid zu leisten hatte. Die Offenlegung des Vermögens und die Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der hierzu vom Schuldner gemachten Angaben dienten den teilnehmenden Gläubigern als einigermaßen verlässliche Grundlage für die Entscheidung, ob sie der Vergleichsofferte des Schuldners näher treten sollten. Nahm der Schuldner den Vergleichstermin aus nicht entschuldbaren Gründen indes nicht wahr und konnte er zwingende Gründe für seine Abwesenheit nicht zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft machen, kam es zur Verfahrenseinstellung.²⁷⁶ Nicht viel anders verhielt es sich, wenn der Schuldner anfangs präsent blieb, dem Verfahren durch Unterbreitung eines Vergleichsvorschlags zunächst beiwohnte und es zur Annahme des Vergleichs durch die Mehrheit der Gläubiger gekommen war. Denn der mit der nötigen Gläubigermehrheit angenommener Vergleichsvorschlag bedurfte nach § 67 Abs. 1 VerglO 1927 der Genehmigung des Gerichts. Die richterliche Bestätigung des Vergleichs war nach § 68 Nr. 2 VerglO 1927 indessen zu verwerfen, wenn der Schuldner flüchtig war oder sich verborgen hielt oder gegen ihn wegen des Vorwurfs des betrügerischen Bankrotts ermittelt wurde oder wenn er wegen desselben bereits rechtskräftig verurteilt worden war. Zugleich hatte der Richter über die Eröffnung des Konkursverfahrens zu entscheiden (§ 71 VerglO 1927). War der Schuldner zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits zurückgekehrt, durfte die Bestätigung allerdings nicht verworfen werden.²⁷⁷ Die 1927er Vergleichsordnung, welche die Unzulänglichkeiten der Geschäftsaufsichtsverordnungen sowie den Einfluss potentieller Akkordstörer beseitigen sollte, litt allerdings darunter, dass der Schuldner vor der Verfahrenseröffnung die Aufgabe hatte, den in Aussicht genommenen Vergleich vorzubereiten und die erforderlichen Zustimmungserklärungen der Gläubiger zu beschaffen.²⁷⁸ Hierzu musste sich der Schuldner offenbaren, was wiederum die Konkurrenz der Gläubiger in Form von Arresten und Vollstreckungszugriffen schärfte und oftmals den Vergleich verhinderte.²⁷⁹ Zudem waren die Gläubiger allein auf die vor der Verfahrenseröffnung erteilten Informationen des Schuldners angewiesen, weshalb sie mangels Richtigkeitsgewähr keine belastbare Tatsachengrundlage für ihre

    

auch insoweit handelte es sich um zwingendes Recht, Levy, § 79 Anm. 2 Kiesow, 3. Auflage, § 61 Rz. 7 bis 9, 12 Kiesow, 3. Auflage, § 68 Rz. 4 Levy, KT 1927, 151, 155; Maas, S. 34; Scherbel, S. 165 Levy, KT 1927, 151, 155; Maas, S. 34; Scherbel, S. 165

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Entscheidung zur Teilnahme am Vergleichsverfahren erhielten. Überdies konnte nach § 78 VerglO 1927 wegen der Nichterfüllung des Vergleiches eine Aufhebung desselben nicht bewirkt werden und schließlich war ein ausreichender Schutz gegen die Verflüchtigung des Vermögens, aus dem der Vergleich erfüllt werden sollte, nicht vorgesehen.²⁸⁰ Aus diesen Gründen wurden bald Rufe nach einer Novellierung der Vergleichsordnung laut.²⁸¹

4. Die Vergleichsordnung vom 26. Februar 1935 Die zu Zeiten des Niedergangs der Weimarer Republik entwickelten und später unter der Herrschaft der Nationalsozialisten überarbeiteten Reformentwürfe führten zur Vergleichsordnung vom 26. Februar 1935.²⁸² Hierbei darf nicht aus den Augen verloren werden, dass die anfangs nicht nur von den Nationalsozialisten getragene Regierung Hitler ohne jede erkennbar eigenständige und ausgebildete wirtschafts- und sozialpolitische Ordnungsvorstellung an die Macht gekommen war.²⁸³ Vielmehr standen die im (frühen) NS-Staat verfügten Gesetze und Verordnungen in einem Kontinuum der fortschreitenden Reaktionen auf die ökonomischen Probleme, deren Ausgangspunkte in den durch die desaströse Kriegswirtschaft verursachten volkswirtschaftlichen Verwerfungen, in den Reparationsverpflichtungen des Versailler Vertrages sowie in den politischen Bedingungen der Weimarer Zeit zu finden sind.²⁸⁴ Zudem hatte die frühe Regierung Hitler ebenso wie die vorangegangenen Regierungen Brüning, Papen und Schleicher gegen die die deutsche Volkswirtschaft besonders hart treffenden Folgen der seit 1929 grassierenden Weltwirtschaftskrise zu kämpfen, die infolge des Abzugs ausländischen und inländischen Kapitals²⁸⁵ und des damit verbun-

 Vogels, DJ 1935, 373  eine Zusammenfassung der wesentlichen Kritiken findet sich bei Röding, S. 135 ff.  zur Entstehung der Vergleichsordnung vgl. Flessner, S. 15 ff.; Nörr, S. 238 f.  Hentschel, S. 59  zur volkswirtschaftlichen und sozialpolitischen Lage bis zum Ende der Weimarer Republik s. Hentschel, S. 29 ff.; Prollius, S. 45 ff.; Anlauf, S. 17 ff.; zur Frage der (Dis‐) Kontinuität des Wirtschaftsrechts im Übergang zum Nationalsozialismus s. Gosewinkel, S. LIII ff.  Mit der „Vierten Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen und zum Schutze des inneren Friedens“ (RGBl. 1931 I, S. 699 ff.) wurde am 8. Dezember 1931 unter anderem die sogenannte Reichsfluchtsteuer zur Eindämmung der Kapital- und Steuerflucht eingeführt. Die Reichsfluchtsteuer wurde bei Aufgabe des inländischen Wohnsitzes mit einem Steuersatz von 25% fällig, sofern das Vermögen die Schwelle von 200.000 Reichsmark (RM) überstieg oder das Jahreseinkommen mehr als 20.000 RM betrug. Obgleich die Verordnung zunächst bis zum Ende des Jahres 1932 befristet war, wurde sie einstweilen bis zum 31. Dezember

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denen Einbruchs des Außenhandels sowie der Binnennachfrage zu einem bedrohlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit und zur Verarmung großer Bevölkerungsteile führte.²⁸⁶ Die in jener Zeit zur Vergleichs- und Konkursordnung veröffentliche (Aufsatz‐) Literatur offenbart, dass ungeachtet der verführerischen Propaganda eines seit der „Machtergreifung“ vorgeblich eingetretenen Wirtschaftsaufschwungs weiterhin das Bedürfnis blieb, die zur Bewältigung einer Schuldnerkrise vorhandenen Rechtsinstrumente zu verbessern.²⁸⁷ Bereits in den späten 1920er Jahren zeigten sich immer wieder die strukturellen Schwächen des bestehenden Haftungsrechts. Infolge einer seit 1927 einsetzenden und ihren Höhepunkt im Jahr 1932 erreichenden Agrarkrise, die wegen einer jahrelang verfehlten, später von den Nationalsozialisten gleichwohl fortgesetzten Agrarpolitik zu einem drastischen Preisverfall für landwirtschaftliche Erzeugnisse und zu einer bitteren Verschuldung vieler Bauernhöfe geführt hatte, standen die Berliner Regierungen angesichts drohender Versorgungslücken vor gravierenden ernährungspolitischen Problemen.²⁸⁸ Nach den in der Weimarer Zeit jahrelang an ostelbische und bayerische Landwirtschaftsbetriebe ausgereichten Subventionen sowie nach diversen Entschuldungsbemühungen²⁸⁹ beschloss die Reichsregierung das am 1. Juni 1933 verkündete Gesetz zur Regelung der landwirtschaftlichen Schuldverhältnisse.²⁹⁰ Zweck dieses Gesetzes war die Eta-

1934 verlängert (RGBl 1932 I, S. 572), in der Zeit des Nationalsozialismus mit dem „Gesetz über Änderung der Vorschriften über die Reichsfluchtsteuer“ vom 18. Mai 1934 (RGBl. 1934 I, S. 392) in erheblichem Umfang geändert und sechsmal verlängert, um schließlich am 9. Dezember 1942 auf unbestimmte Zeit angeordnet zu bleiben (RGBl. 1942 I, S. 682). Infolge der zu Ungunsten der Emigranten vorgenommenen Änderungen der Gesetzesnormen sollte die Reichsfluchtsteuer, die ursprünglich auf die freiwillig zur Minderung der eigenen Steuerlast ins Ausland Weggehenden zielte, nunmehr in erster Linie der Expropriation der Vermögen der Juden und Angehörigen anderer Völker, Kommunisten und weiteren Verfolgten dienen, die aus berechtigter Furcht vor Gewalt, Haft und Einbuße ihrer Erwerbstätigkeit Deutschland verlassen wollten. Der nationalsozialistische Gesetzgeber verband die Begrifflichkeit der Reichsfluchtsteuer zielgerichtet mit der in der Bevölkerung tief verwurzelten Assoziation, die Flucht als Zeichen eines rechtlichen und damit sozial verächtlichen Fehlverhaltens zu deuten. Die an sich legitime Reaktion der Verfolgten wurde so zum Anlass ihrer weiteren Diskriminierung in Gestalt einer systematischen rechtlichen Bedrohung, für die es de jure keinen Ausweg geben sollte. Diese Normen wurden nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches durch das Gesetz zur Aufhebung überholter steuerrechtlicher Vorschriften vom 23. Juli 1953 (BGBl. I S. 689) beseitigt.  Prollius, S. 47 ff., S. 54 ff.; Anlauf, S. 41 ff.; Hentschel, S. 54 ff.  siehe u. a. Höber, DJ 1935, 513 ff.; Vogels, DJ 1935, 373 ff.; Schumann, DJ 1935, 1210 ff.; eine weitere Übersicht gibt Anlauf, S. 394 ff.  vgl. hierzu Anlauf, S. 49 ff. und Münkel, S. 53 ff. und S. 280 ff. mit Hinweisen auf die historischen, soziologischen, politischen und wirtschaftlichen Bedingungen  insbesondere durch die Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Ernte und der landwirtschaftlichen Entschuldung im Osthilfegebiet vom 17. November 1931, RGBl. I S. 975 (Sicherungsverordnung); hierzu Anlauf, S. 143 ff.  RGBl. I S. 331 (fortan LWSG zitiert); zu den Vorgängerregelungen s. Anlauf, S. 73 ff. und Münkel, S. 280 ff.

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blierung eines auf Schuldnerantrag hin zu eröffnenden und alle Gläubiger erfassenden Entschuldungsverfahrens, mit dem die Verschuldung bis auf das Niveau der Mündelsicherheit (Beleihungsgrenze) zurückgeführt werden sollte (§ 1 Abs. 1 und 2 LWSG).²⁹¹ Das Gesetz setzte die Fortführung des landwirtschaftlichen Betriebs durch den Inhaber angesichts des wirtschaftspolitischen Ziels der Stabilisierung der Ernährungswirtschaft voraus, weshalb es freilich keine ausdrücklichen Bestimmungen zur Flucht enthält. Allerdings kann den Gedanken der §§ 3 Abs. 1 Nr. 4, 21 Abs. 2, 44 Abs. 2, 45 Nr. 3 LWSG entnommen werden, dass die Durchführung des Verfahrens eine Würdigkeit des Schuldners in Gestalt seiner Bereitschaft zur Mitwirkung, Betriebsfortführung und Auskunftserteilung voraussetzte. Verletzte der Schuldner seine Pflichten zur Auskunftserteilung sowie anderer im Gesetz enthaltenden Verpflichtungen, wie zum Beispiel die Befolgung von Anordnungen der sogenannten Entschuldungsstelle,war das Verfahren einzustellen (§ 45 Nr. 3 LWSG). In der Folge konnte es dann zu weiteren Individualvollstreckungshandlungen oder zur Eröffnung des Konkursverfahrens kommen (arg. § 26 Abs. 1 LWSG).

Mit der Vergleichsordnung vom 26. Februar 1935²⁹² sollten die vorstehend beschriebenen Missstände der 1927er Vergleichsordnung beseitigt werden. Insbesondere wurde ein gerichtliches Vorverfahren installiert, um den eigentlichen Verfahrenszweck zu sichern. So musste sofort nach Antragseingang ein vorläufiger Verwalter eingesetzt und die Verfahrenseinleitung öffentlich bekannt gemacht werden (§ 11 Abs. 1 VerglO 1935). Das Gericht war zudem gehalten, vorläufige Sicherungsmaßnahmen anzuordnen, insbesondere dem Schuldner Verfügungsverbote aufzuerlegen, um eine Verflüchtigung der potentiellen Vergleichsmasse zu verhindern (§ 12 VerglO 1935). Und erfüllte der Schuldner die Vergleichsleistungen nicht, lebten die (bereits) erlassenen oder gestundeten Ansprüche wieder auf (§ 9 VerglO 1935). Im Übrigen lassen sich in der 1935er Vergleichsordnung die für die 1927er Vergleichsordnung beschriebenen Reaktionen auf die Flucht des Schuldners wiederfinden. Nach § 17 Nr. 2 VerglO 1935 war die Eröffnung des Vergleichsverfahrens zwingend²⁹³ abzulehnen, wenn der Schuldner flüchtig war oder sich verborgen hielt oder auf eine an ihn ergehende Ladung des Gerichts ohne genügende Entschuldigung ausblieb. Die Legitimation für diesen Ablehnungsgrund wurde nicht nur in dem Verdacht unlauterer Machenschaften des Flüchtenden gesehen, sondern ebenso in der gesetzlichen Ausgestaltung des Vergleichsverfahrens, welches die freiwillige, kooperative und aktiv tätige Mitwirkung des Schuldners zur Beschleunigung des Verfahrens voraussetzte. Nur der Schuldner wurde für die Wohltat des Vergleichsverfahrens als würdig befunden, der die damit verbunde-

 zu allen Einzelheiten des Gesetzes, der Ergänzungen und Durchführungsverordnungen s. die Untersuchung von Anlauf, S. 203 ff.  RGBl. I S. 321  Bley/Mohrbutter, § 17 Anm. 1; a. A. wohl Berges, KTS 1955, 2, 6 unter Hinweis auf § 3 Nr. 4 LWSG und ders., KTS 1958, 31, 32

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nen Prozesslasten, zu denen das persönliche Erscheinen und die Mitwirkung zählten, übernahm.²⁹⁴ Zwar sah die 1935er Vergleichsordnung im Gegensatz zu § 101 Abs. 1 KO keine allgemeine Residenzpflicht des Schuldners am Wohnort vor. Floh der Schuldner aber in der Absicht, sich seiner Verantwortung gegenüber Gläubigern und Gericht zu entziehen, offenbarte sich damit seine Unwürdigkeit für die Rechtswohltat des Zwangsvergleichs. Kehrte indessen der Fugitivus noch vor Erlass der Ablehnungsentscheidung des Gerichtes zurück, sollte die vorangegangene Flucht nicht zu seinem Nachteil gereichen.²⁹⁵ Weitere Ablehnungsgründe waren unter anderem die drohende oder bereits erfolgte Verurteilung des Schuldners wegen betrügerischen Bankrotts (§ 17 Nr. 3 VerglO 1935), ein binnen fünf Jahren zuvor eröffnetes oder mangels Masse abgelehntes Vergleichs- oder Konkursverfahren oder die Ableistung des Offenbarungseides (§ 17 Nr. 4 und 5 VerglO 1935), die Verweigerung von Auskünften, Aufklärungen und Geschäftspapiereinsichtnahmen (§ 17 Nr. 7 VerglO 1935), das Herbeiführen des Vermögensverfalls durch Unredlichkeit, Preisschleuderei oder Leichtsinn (§ 18 Nr. 1 VerglO 1935), die schuldhaft verzögerte Antragstellung (§ 18 Nr. 2 VerglO 1935) oder wenn die Fortführung des Unternehmens infolge des Vergleichs offenbar nicht zu erwarten war (§ 18 Nr. 4 VerglO 1935).

Erachtete das Gericht einen der Ablehnungsgründe für gegeben, hatte es nach § 19 Abs. 1 VerglO 1935 zugleich über die Eröffnung des Konkursverfahrens zu entscheiden. Andernfalls war das Vergleichsverfahren zu eröffnen, ein Vergleichsverwalter zu bestellen, der Vergleichstermin anzuberaumen und der Eröffnungsbeschluss öffentlich bekannt zu machen (§§ 20 Abs. 1, 22 VerglO 1935). Die Eröffnung des Vergleichsverfahrens führte nach §§ 46, 47 VerglO 1935 zu einem (vorläufigen) Konkurs- und Vollstreckungsverbot. Der Schuldner war nach § 56 VerglO 1935 zu bescheidener Lebensführung verpflichtet. Ihm konnten für die Dauer des Verfahrens Verfügungsbeschränkungen auferlegt werden (§§ 57 bis 65 VerglO 1935). Der Schuldner war grundsätzlich verpflichtet, zum Vergleichstermin, in dem über den Vergleichsvorschlag verhandelt wurde, persönlich anwesend zu sein (§ 68 Abs. 1 VerglO 1935). Er konnte sich im Vergleichstermin nur vertreten lassen, wenn er wichtige, seinem Erscheinen entgegenstehende Gründe glaubhaft machen konnte (§ 68 Abs. 2 VerglO 1935). Diese Anwesenheitspflicht des Schuldners korrespondierte mit seinen nach § 69 VerglO 1935 begründeten Pflichten zur Erteilung von Auskünften über seine Vermögenslage und die Angemessenheit und Erfüllbarkeit des Vergleichsvorschlages sowie zur eidlichen Versicherung seiner Angaben. Ferner hatte sich der Schuldner über die Forderungen zu erklären (§ 70 VerglO 1935).

 Bley/Mohrbutter, § 17 Anm. 6  Bley/Mohrbutter, § 17 Anm. 7 lit. c) und § 100 Anm. 10

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

Erteilten die Gläubiger mit den erforderlichen Mehrheiten ihre Zustimmung zur Annahme des Vergleichsvorschlags (§§ 74, 75 VerglO 1935), bedurfte es für die Wirksamkeit des Vergleiches noch der gerichtlichen Bestätigung (§ 78 Abs. 1 VerglO 1935). Die Bestätigung war durch das Gericht unter anderem nach § 79 Nr. 2 VerglO 1935 zu versagen, wenn der Schuldner flüchtig war oder sich verborgen hielt oder gegen ihn wegen des Vorwurfs des betrügerischen Bankrotts eine gerichtliche Untersuchung anhängig oder wenn er wegen desselben rechtskräftig verurteilt worden war. Weitere Versagungsgründe waren der Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften sowie unlauteres Verhalten anlässlich der Vergleichsverhandlungen (§ 79 Nr. 1 und 3 VerglO 1935). Standen solche Gründe der gerichtlichen Bestätigung entgegen, war sogleich über die Eröffnung des Konkursverfahrens zu entscheiden (§ 80 Abs. 1 VerglO 1935). Wurde der Schuldner während des Vergleichsverfahrens flüchtig, hielt er sich verborgen oder folgte er gerichtlichen Ladungen ohne ausreichende Entschuldigung nicht, war das Vergleichsverfahren einzustellen (§ 100 Abs. 1 Nr. 2 VerglO 1935). Gleiches galt, wenn der Schuldner im Vergleichstermin nicht erschien oder sich nicht in zulässiger Weise vertreten ließ, die verlangten Auskünfte und Aufklärungen oder die Eidesleistung grundlos verweigerte oder die Pflicht zur bescheidenen Lebensführung und die Beschränkungen seiner Verpflichtungs- und Verfügungsfähigkeit verletzte (§ 100 Abs. 1 Nr. 3 bis 7 VerglO 1935).War der Schuldner jedoch durch ein auch bei äußerster Sorgfalt nicht zu vermeidendes Ereignis am Erscheinen im Vergleichstermin verhindert und konnte der Schuldner sein Ausbleiben zuvor nicht rechtzeitig anzeigen, unterblieb die Verfahrenseinstellung (§ 100 Abs. 2 VerglO 1935).

5. Die Gesetze zur Bereinigung alter Schulden der Jahre 1938 und 1940 Die Vergleichsordnung verlangte für die Schuldenregulierung dennoch eine Stimmenmehrheit (§§ 74, 75 VerglO 1935), weshalb der Vergleich gegen die Gläubigermajorität, die den Akkord aus welchen Gründen auch immer ablehnte, nicht durchgesetzt werden konnte. Eine weitere Schwäche der Vergleichsordnung lag darin, dass die gesicherten und bevorrechtigten Gläubiger befriedigt werden mussten, was in Fällen geringfügiger Massen aussichtslos war.²⁹⁶ Diese normativen Bedingungen ließen etliche Vergleichsverfahren scheitern. Hiervon war nicht nur eine Vielzahl der (neuen) Anhänger der „Bewegung“ betroffen, die in der wirtschaftlichen Krise vor der „Machtergreifung“ in Vermögensverfall geraten waren und trotz des volkswirtschaftlichen „Aufschwungs“ seit 1933 ihre Vermögensverhältnisse nicht zu verbessern vermochten. Vor diesem Hintergrund erließ

 Smid, Handbuch, S. 2

III. Krisenbewältigungsstrategien seit dem 1. Weltkrieg

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die Reichsregierung unter dem 17. August 1938 auf der Grundlage des sogenannten Ermächtigungsgesetzes vom 24. März 1933²⁹⁷ das Gesetz über eine Bereinigung alter Schulden.²⁹⁸ Dieses in der seinerzeitigen Diktion notierte Reichsgesetz wollte Schuldnern, „die infolge der Wirtschaftsnot vor der Machtübernahme oder infolge ihres Einsatzes für die Bewegung bei der Ausübung eines selbständigen Berufes vor dem 1. Januar 1934 wirtschaftlich zusammengebrochen“ waren, die Möglichkeit eröffnen, durch gütliche Einigung und gegebenenfalls mit richterlicher Vertragshilfe eine abschließende Regulierung so genannter „alter Schulden“ zu finden (§ 1 Abs. 1 GBS 1938). Dieselbe Chance wurde nichtselbstständigen Schuldnern geboten, die aus gleichen Gründen vor dem 1. Januar 1934 ihren Grundbesitz im Wege der Zwangsversteigerung verloren hatten (§ 1 Abs. 2 GBS 1938). In der Fassung der Neubekanntmachung vom 3. September 1940²⁹⁹ wurde der personelle Anwendungsbereich des Gesetzes zudem auf alle sonstigen nichtselbstständigen und selbstständigen Schuldner erstreckt, die infolge der vor der „Machtübernahme“ herrschenden Wirtschaftskrise oder wegen ihres in der „Kampfzeit“ für die NS-Bewegung erfolgten Einsatzes in „Schuldennot“ geraden waren (§ 3 GBS 1940).³⁰⁰ Mit den „alten Schulden“ waren jedoch nur die Geldverbindlichkeiten gemeint, die aus der Zeit vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch des Schuldners stammten, der wiederum vor dem 1. Januar 1934 bzw. in den seit 1938 hinzugekommenen Reichsgebieten vor jeweils jüngeren Zeitpunkten eingetreten sein musste (§ 1 Abs. 3 GBS 1938, §§ 1 bis 3 GBS 1940). Ein alle Verbindlichkeiten des Schuldners erfassendes Bereinigungskonzept wurde mit diesem Verfahren nicht geboten.³⁰¹ Und solange ein Konkurs- oder Vergleichsverfahren das Vermögen des

 Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, RGBl. I S. 141  RGBl. I S. 1033 (fortan GBS 1938 genannt); zudem wurde eine „Amtliche Erläuterung“ (fortan AE-GBS 1938 abgekürzt) gegeben und drei „Allgemeine Verfügungen“ des Reichsjustizministers bekannt gemacht: alle abgedruckt in DJ 1938, 1334 ff.  Neubekanntmachung des Gesetzes vom 3. September 1940, RGBl. I S. 1209 (GBS 1940), mit geändertem Aufbau und einigen Erweiterungen, aber mit im Wesentlichen beibehaltenem Regelungscharakter; Abdruck der geänderten „Allgemeinen Verfügungen“ in DJ 1940, 1056 ff. und S. 1112 ff.; Ergänzung des Gesetzes durch Verordnung vom 19. Dezember 1941, RGBl. I S. 798  Die 1940er Gesetzesfassung erweiterte den zeitlichen und räumlichen Anwendungsbereich des Gesetzes mit Blick auf die seit 1938 erfolgten Gebietszuwächse und präzisierte die Verfahrensvoraussetzungen weiter. Eine ausführliche Beschreibung beider Gesetze, ihrer wirtschaftshistorischen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen sowie der mit ihnen verfolgten Ziele findet sich bei Anlauf, S. 172 ff. und S. 309 ff..  Dennoch sieht Anlauf, S. 201, in diesen Gesetzen ein Novum in der neueren deutschen Rechtsgeschichte, da es eine Schuldenbereinigung nicht mehr auf bestimmte Berufsgruppen beschränkte.

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

Schuldners betreffend schwebte, konnte jener den Schutz des Gesetzes ohnehin nicht in Anspruch nehmen (§ 14 Abs. 3 GBS 1938, § 24 Abs. 1 GBS 1940).³⁰² Die Normen zielten primär auf die Ausgestaltung eines Verfahrens mit dem Ziel einer abschließenden gütlichen Einigung zwischen Gläubiger und Schuldner über die aus der Zeit vor 1934 stammenden Altverbindlichkeiten (§ 4 GBS 1938, § 11 GBS 1940). War jene nicht zu erreichen, konnte der Schuldner die Vertragshilfe eines Amtsrichters unter Offenbarung seiner gesamten Verbindlichkeiten, seines Aktivvermögens und seines Einkommens beantragen (§ 5 GBS 1938, § 12 GBS 1940). Das Verfahren der Vertragshilfe war ebenso auf eine einvernehmliche Schuldenbereinigung – nunmehr unter Beteiligung einer Richterautorität – gerichtet. Führte sie nicht zum erstrebten Erfolg, konnte die Schuldenregulierung durch eine die Rechtsverhältnisse der Parteien gestaltende Entscheidung des Amtsrichters verwirklicht werden (§ 5 Abs. 3 GBS 1938, § 15 GBS 1940). Erforderlichenfalls konnte das Gericht gegen den Willen der Gläubigermehrheit die Höhe des Zinses bestimmen, Stundung gewähren und Teilzahlungen festlegen.³⁰³ Zudem war der Richter ermächtigt, den Erlass derjenigen Verbindlichkeiten durch rechtsgestaltenden Akt zu verfügen, die der Schuldner in zehn Jahren voraussichtlich nicht abzutragen vermochte (§ 5 Abs. 3 GBS 1938). Eine gleichgerichtete Regelung findet sich im 1940er Gesetz zwar nicht mehr, dafür jedoch die an den Richter gerichtete Vorgabe, grundsätzlich eine auf Dauer ausgelegte rechtsgestaltende Regelung zu treffen. Vermochte indes das Gericht die weitere wirtschaftliche Entwicklung einstweilen nicht abzusehen, konnte eine befristete Anordnung ergehen, die bei sich später ändernden Verhältnissen anzupassen war (§ 15 Abs. 3 GBS 1940).

Die Schuldner allerdings, die sich wegen „unehrenhaften oder leichtfertigen Verhaltens“ eines Gläubigerschutzes nicht würdig erwiesen oder bei denen aus anderen Gründen ein Schutz „dem gesunden Volksempfinden widersprechen würde“, waren ebenso wie jüdische Schuldner vom Anwendungsbereich des Gesetzes ausgeschlossen (§ 1 Abs. 4 GBS 1938, § 5 Nr. 1 GBS 1940).Wann dieses unehrenhafte Verhalten eingetreten war, ob in der Zeit vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch oder danach, war unerheblich.³⁰⁴ Konkrete Tatbestände wie beispielsweise die Flucht waren in die Gesetzestexte nicht explizit aufgenommen worden. In der amtlichen Erläuterung zu § 1 Abs. 4 GBS 1938 findet sich (abgesehen von politischen Motiven) ebenfalls kein Hinweis. Zwar verhielt sich eine der drei Allgemeinen Verfügungen vom 18. August 1938 des Reichsjustizministers³⁰⁵ über das

 OLG München, Beschl. v. 25. September 1940, 8 Wx 215/40, DJ 1940, 1223; hatte der Schuldner in einem vorangegangenen Konkursverfahren mit seinen Gläubigern bereits einen Zwangsvergleich erreicht, war eine weitere Reduzierung im Wege des Schuldenbereinigungsgesetzes grundsätzlich nicht mehr möglich: KG, Beschl. v. 9. Mai 1940, 1 Wx 60/40, DJ 1940, 942  vgl. z. B. den Beschl. v. 20. Juni 1940 des KG, 1 Wx 235/40, DJ 1940, 879  AE-GBS 1938, DJ 1938, 1336  Allgemeine Verfügung vom 18. August 1938 (3420 – IV. b4 1607), DJ 1938, 1339 ff.; ebenso die wegen der Gesetzesnovellierung geänderte Allgemeine Verfügung vom 14. September 1940 (3420 – IV. b4 1859), DJ 1940, 1056

III. Krisenbewältigungsstrategien seit dem 1. Weltkrieg

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Verfahren zur Beurteilung der Person des Schuldners im Sinne des § 1 Abs. 4 GBS 1938, indem sie den Richter anhielt, Auskünfte von Verwaltungsbehörden, ParteiDienststellen, Kammern und Konkurs- und Vollstreckungsgerichten über das Vorliegen von Tatsachen einzuholen, die einer Schuldenbereinigung hinderlich entgegenstanden. Weitergehende Erklärungen darauf, in welcher konkreten Form sich ein unehrenhaftes Verhalten im Sinne der Norm zeigen konnte, wurden aber auch dort nicht geboten. Indessen eröffnete sich über die unbestimmten Rechtbegriffe des „unehrenhaften oder leichtfertigen Verhaltens“ und des „gesunden Volksempfindens“ der Weg, auf ein irgendwie unredliches, unanständiges oder unwürdiges Verhalten des Schuldners zu erkennen.³⁰⁶ In erster Linie waren mit Blick auf die Unehrenhaftigkeit die Person des Schuldners und seine konkreten Handlungsweisen der Kritik ausgesetzt.³⁰⁷ Jedes Schuldnerverhalten, welches auf Arbeitsscheu, Trägheit, Liederlichkeit, Unsittlichkeit, Trunk- oder Verschwendungssucht deutete, war ebenso wie strafrechtliche Verfehlungen, Verstöße gegen geltende Gesetze und Standesrecht sowie freilich eine partei- und vaterlandsfeindliche Gesinnung von der Norm erfasst.³⁰⁸ Hingegen wurde unter dem Tatbestand der Leichtfertigkeit jedes sorglose oder nachlässige Verhalten im beruflichen oder privaten Bereich verstanden, durch welches der Schuldner in den Ruin gekommen war.³⁰⁹ Durch den mit der NS-Ideologie aufgeladenen Rechtsbegriff des „gesunden Volksempfindens“ ³¹⁰ sollte jede Handlungsweise erfasst werden, welche für sich nicht unehrenhaft oder leichtfertig bewertet werden konnte, aber nach der damaligen „allgemein gültigen Auffassung“ dem Schutz des Gesetzes entgegenstand.³¹¹ Die nähere Inhaltsbestimmung oblag damit der Rechtspraxis. Neben der in der amtlichen Erläuterung erwähnten kommunistischen Betätigung nach der „Machtübernahme“ ³¹² wurde ein Mangel an Offenheit während des Verfahrens, welcher sich im Verschweigen von Einkunftsquellen im Verwandtenkreis oder begründeter Besserungsaussichten der wirtschaftlichen Verhältnisse zeigen

 zur Problematik zivilrechtlicher Generalklauseln im Dritten Reich van Look, JR 2000, 89 ff.; der Wandel der Rechtsanschauung unter dem Einfluss des Nationalsozialismus lässt sich an der Biografie von Justus Wilhelm Hedemann nachvollziehen, hierzu Wegerich, S. 103 ff.  Gerken/Vogel, S. 61  Henning, S. 26; Gerken/Vogel, S. 61 ff.  Gerken/Vogel, S. 63; Hennig, S. 27  s. hierzu Rückert, ZRG GA 103 (1986), 199 ff.; Landau, ZNR 1994, 373, 376; Anlauf, S. 197 ff. m. w. Nachw.  Gerken/Vogel, S. 63  AE-GBS 1938, DJ 1938, 1336

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

konnte, als nicht mit dem „gesunden Volksempfinden“ vereinbar angesehen.³¹³ Vor allem das (frühere) Verhalten des Schuldners gegenüber seinen Gläubigern konnte den Vorwurf der Unehrenhaftigkeit und des Widerspruchs gegen das „gesunde Volksempfinden“ rechtfertigen.³¹⁴ Versuchte zum Beispiel der Schuldner, Vermögen gegenüber seinen Gläubigern zu verheimlichen oder gar beiseite zu schaffen, stellte dies einen Grund dar, ihn nicht in den Genuss des Entschuldungsverfahrens kommen zu lassen.³¹⁵ Hatte der Schuldner in einem vorangegangenen Offenbarungseidverfahren Haftbefehl gegen sich ergehen lassen, obgleich er beispielsweise unter der Geltung der sogenannten Sicherungsverordnung³¹⁶ gefahrlos und unter Gläubigerschutz die eidesstattliche Versicherung hätte abgeben können, wurde hierin ebenfalls ein Grund für die Ablehnung der Schuldenbereinigung gesehen, wenn der Schuldner insoweit seine Pflichten zur loyalen Manifestation böswillig verletzt hatte.³¹⁷ Und schließlich wird die Flucht des Schuldners, gleich ob dabei Vermögen mitgenommen wurde, dem Verfahren zur Bereinigung alter Schulden regelmäßig entgegengestanden haben, da sie – auch mit Blick auf die Verpflichtung zur Leistung des Offenbarungseides sowie auf §§ 175 Nr. 1 KO und §§ 79 Nr. 2, 100 Abs. 1 Nr. 2 VerglO 1935 – als unehrenhaftes Verhalten und dem „gesunden Volksempfinden“ widersprechend betrachtet werden konnte.³¹⁸

6. Kriegswirtschaft Mit dem Überfall auf Polen erließ der Ministerrat für die Reichsverteidigung am 1. September 1939 die Verordnung über Maßnahmen auf dem Gebiete des bürgerlichen Streitverfahrens, der Zwangsvollstreckung, des Konkurses und des bürgerlichen Rechts.³¹⁹ War hiernach eine Partei durch die sich ergebenden besonderen Verhältnisse der „gegenwärtigen politischen Lage“ betroffen, wurde nach Art. 1 Abs. 1 dieser Verordnung das Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten unterbrochen. Zu den Betroffenen wurden neben den Wehrmachtsangehörigen alle wegen der politischen Ereignisse außerhalb ihres Aufenthaltsortes im stän Grund, DJ 1938, 1902, 1903; Gerken/Vogel, S. 63  Gerken/Vogel, S. 62  AE-GBS 1938, DJ 1938, 1336  Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung der Ernte und der landwirtschaftlichen Entschuldung im Osthilfegebiet vom 17. November 1931, RGBl. I S. 975  Grund, DJ 1938, 1902  in diese Richtung deutend Gerken/Vogel, S. 62; Grund, DJ 1938, 1902, 1903 hinsichtlich des sich mit böswilliger Absicht der Verpflichtung zur Abgabe des Offenbarungseides entziehen wollenden Schuldners, gegen den Haftbefehl erlassen worden war  RGBl. I S. 1656

III. Krisenbewältigungsstrategien seit dem 1. Weltkrieg

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digen Dienst stehenden Personen sowie diejenigen gezählt, die sich kriegsbedingt im Ausland aufhielten oder als Gefangene oder Geißeln in fremder Gewalt befanden (Art. 1 Abs. 2). Die Verordnung beinhaltete zum Schutze der von den Kriegsereignissen betroffenen Schuldner und Gläubiger Modifikationen des Verfahrens in bürgerlich-rechtlichen Streitsachen, hemmte die Zwangsvollstreckung hinsichtlich der Verwertung schuldnerischen Vermögens und traf Bestimmungen zur Verjährung.³²⁰ In Art. 7 dieser Verordnung verfügte der Ministerrat, dass die Eröffnung eines Konkursverfahrens bis auf weiteres nur auf Antrag des Schuldners zulässig war. Damit sollte verhindert werden, dass Gläubiger, die aufgrund der übrigen Bestimmungen der Verordnung in den Vollstreckungsmöglichkeiten eingeschränkt waren, über den Umweg des Konkursverfahrens versuchten, gleichwohl ihr Vollstreckungsziel zu erreichen.³²¹ Die Regelung nahm damit die Funktion eines Spezialmoratoriums ein und sollte erreichen, dass der Schuldner nicht durch Wirkungen eines Vollstreckungszugriffs in seinen kriegsbedingten Pflichten beeinträchtigt wurde. Infolge dieser in wenigen Artikeln vorgenommenen Einschränkungen war die Haftungsverwirklichung für die Gläubiger weitgehend suspendiert. Das Vermögen des von den Kriegsereignissen betroffenen Schuldners war im Schutze dieser Verordnung einstweilen vor Gläubigerzugriffen sicher, so dass zunächst wenig Flucht- und Verdunklungsanreize bestanden und der Schuldner im Kriegsinteresse von den mit dem Konkursverfahren verbundenen Lasten vorübergehend verschont wurde. Die Bestimmung in Art. 7 der Verordnung vom 1. September 1939, wonach das Konkursverfahren nur auf Schuldnerantrag eröffnet werden konnte, wurde aber bereits durch die Verordnung über das Kriegsausgleichsverfahren vom 30. November 1939 abgelöst.³²² Erklärtes Ziel dieser Kriegsausgleichsverordnung war es, in den Fällen, in denen eine „verständige Haltung der Gläubiger, nötigenfalls unterstützt durch die Vertragshilfe des Richters“ nicht dazu führte, die Zahlungsfähigkeit der durch Kriegsauswirkungen in Mitleidenschaft gezogenen Betriebe zu erhalten, deren Rechtsträger mittels „durchgreifender Hilfe“ vor dem Konkurs zu

 Die Beschränkungen der Verordnung vom 1. September 1939 wurden mit der Verordnung über weitere Maßnahmen auf dem Gebiet der Zwangsvollstreckung vom 31. Oktober 1939 (RGBl. I S. 2139, auch Lockerungsverordnung genannt) teilweise wieder gelockert. Auf der Grundlage dieser Lockerungsverordnung wurde unter dem 4. Dezember 1943 (RGBl. I S. 665 ff.) eine sogenannte Schutzverordnung bekannt gemacht, welche den Wortlaut der bis dahin geltenden Verordnungen vom Herbst 1939 in geänderter Form neu bekannt machte.  Merten, DJ 1939, 1484, 1486  RGBl. I S. 2338 ff., im Folgenden Kriegsausgleichsverordnung (KAVO) genannt; dort § 8

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

bewahren. Diese Kriegsausgleichsverordnung bot den betroffenen Schuldnern ein besonderes Ausgleichsverfahren an, welches in angemessenem Umfang eine Gesamtstundung und einen teilweisen Erlass der nicht dinglich gesicherten Gläubigerforderungen ermöglichte. Hierzu erklärte der Verordnungsgeber, dass sich gegenüber dem „gewöhnlichen Vergleichsverfahren“ das Kriegsausgleichsverfahren namentlich dadurch unterscheide, jedes „kreditschädigenden Charakters entkleidet“ zu sein. Das wegen kriegsbedingter Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung auf Schuldnerantrag zu eröffnende Verfahren richtete sich unter Verwendung neu formulierter Begrifflichkeiten vornehmlich nach den Normen der Vergleichsordnung (§§ 1 und 2 KAVO).³²³ Zugleich wurden bestimmte Beschränkungen zu Stundungshöchstfristen, welche die Vergleichsordnung aufwies, durch die Verordnung aufgeweicht, wie § 3 KAVO zeigt. § 5 KAVO bestimmte, dass das Gericht in einem Kriegsausgleichsverfahren von der öffentlichen Bekanntmachung absehen konnte, insbesondere, wenn keine Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit des vom Schuldner einzureichenden Gläubigerverzeichnisses bestanden und das Unterbleiben der öffentlichen Bekanntmachung „nach der gesamten Sachlage der Billigkeit“ entsprach. Der Richter konnte nach § 6 KAVO mittels rechtsgestaltenden Beschluss einen Ausgleich mit der Wirkung eines angenommenen und gerichtlich bestätigten Vergleichs nach eigenen Ermessensgesichtspunkten für verbindlich erklären, wenn die für eine Stundung nach der Vergleichsordnung erforderlichen Gläubigermehrheiten nicht erreicht wurden.³²⁴

Bemerkenswert ist an dieser Verordnung, dass sie im absolut vorrangigen Kriegsinteresse sogar die zwingenden Ablehnungsgründe der Vergleichsordnung in das richterliche Ermessen stellte. Das Gericht wurde in § 4 Abs. 1 KAVO ausdrücklich ermächtigt, nach billigem Ermessen darüber zu entscheiden, ob die Eröffnung des Kriegsausgleichsverfahrens wegen der Erfüllung eines der in §§ 17, 18 VerglO 1935 genannten Tatbestände abzulehnen sei. Damit standen die von § 17 Nr. 2 VerglO 1935 erfasste Schuldnerflucht sowie die weiteren bekannten Kriterien, welche die Unredlichkeit des Schuldners anzeigten, nicht schon per se der Durchführung des Kriegsausgleichsverfahrens entgegen. Gleichwohl setzte der Kriegsverordnungsgeber mit § 4 Abs. 2 KAVO ein Korrektiv, indem er als stete Voraussetzung für ein Kriegsausgleichsverfahren forderte, „daß der Schuldner nach seinem Verhalten im geschäftlichen Verkehr sowie nach seiner Persönlichkeit Schonung verdient.“ Diese Generalklausel erlaubte es allerdings auch, dass selbst der illoyale oder gar flüchtige Schuldner im Interesse der Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft in dem dafür geschaffenen Verfahren unter Umständen einen

 Aus dem Vergleichsschuldner wurde der Ausgleichsschuldner, aus dem Vergleichsgläubiger der Ausgleichsgläubiger etc.  Vogels, Vertragshilfe und Kriegsausgleichsverfahren, § 6 KAV Rz. 4

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richterlichen Ausgleichsbeschluss erreichen konnte, wenn er bzw. sein Betrieb für für (besonders) „kriegswichtig“ und deshalb schonungswürdig erachtet wurde. Eine derart ausufernde richterliche Gestaltungsmacht wird nur in Anbetracht der in der nationalsozialistischen Ideologie herrschenden Auffassung von der Unterordnung der Privatautonomie des Einzelnen unter die (vorgeblichen) Ziele der Volksgemeinschaft verständlich,³²⁵ die realiter allein der unbedingten Aufrechterhaltung der Kriegswirtschaft diente. Die mit der weiteren Kriegsentwicklung zunehmend eintretende Zwangsbewirtschaftung aller Unternehmen unter Kontrolle von Reichsregierung, Wehrwirtschaftsführern, NSDAP, Wehrmacht und SS sowie der Einsatz von Zwangsarbeitern und Häftlingen ließ schließlich bald vollständig das wohlverstandene Bedürfnis nach einem gerichtsförmigen Verfahren zur Haftungsverwirklichung und Schuldenbereinigung im kollabierenden, totalitären deutschen Staat entfallen.³²⁶

7. Die Rechtslage nach dem Zweiten Weltkrieg Nach dem Untergang des Dritten Reichs und dem ersten Wiederaufbau der stark zerstörten wirtschaftlichen Strukturen kam mit der Wiederbelebung der deutschen Gerichtsbarkeit das Konkurs- und Vergleichsrecht in beiden Teilen Deutschlands langsam wieder zur Geltung. In der Bundesrepublik wurden die sogenannten Vertragshilfegesetze, die nach Kriegsende in den westdeutschen Ländern eine kurze Restauration erfuhren,³²⁷ mit dem Gesetz über die Vertragshilfe vom 26. März 1952 (Vertragshilfegesetz)³²⁸ weitgehend aufgehoben. Ein Schuldner konnte nur noch wegen einer vor der 1948er Währungsreform begründeten Verbindlichkeit durch richterliche Vertragshilfe Stundung oder Teilerlass erwarten, wenn ihm die fristgerechte oder volle Leistung „bei gerechter Abwägung der Interessen und der Lage beider Teile nicht zugemutet werden konnte“. Ansonsten blieb es im westlichen Teil Deutschlands bis zum Inkrafttreten der Insolvenzordnung bei den in der Konkurs- und Vergleichsordnung normierten Verfahrenswegen. Auch auf dem Gebiet der vormaligen Deutschen Demokratischen Republik galten bis zum Ende des Jahres 1975 die Konkurs- und Vergleichsordnung unter An-

 vgl. Geiger, S. 87 ff.  zur Kriegswirtschaft der Industrie siehe unter anderen die Untersuchung von Kahn, S. 387 ff.  vgl. hierzu Madaus, S. 81; einen Überblick über die enorme Vielzahl dieser Vertragshilfegesetze gibt Geiger, S. 32 ff.  BGBl. I S. 198

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D. Der Fugitivus im bürgerlich-industriellen Zeitalter

passung an die sozialistischen Verhältnisse weiter.³²⁹ Infolge der Enteignungswellen in den frühen 1950er Jahren und während der 1970er Jahre³³⁰ nahm ihre Bedeutung mit der weitgehenden Überführung privaten Eigentums und Betriebsvermögens in das sogenannte Volkseigentum unter Bildung Volkseigener Betriebe und Kombinate (VEB), Volkseigener Güter (VEG), Landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften (LPG) und Produktionsgenossenschaften des Handwerks (PGH) zusehends ab, da nach dem seinerzeitigen ökonomischen Verständnis die in das DDR-Wirtschaftssystem integrierten volkseigenen Betriebe keine Vermögensinsuffizienz offenbaren konnten.³³¹ Dennoch wurde das alte Recht der Konkurs- und Vergleichsordnung durch die Gesamtvollstreckungsverordnung vom 18. Dezember 1975³³² abgelöst. Diese Gesamtvollstreckungsverordnung, die in erster Linie auf die Behandlung der Vermögenskrise des Inhabers eines kleinen Privatbetriebes, des Privatschuldners und der Nachlässe ausgerichtet war,³³³ enthielt mit Blick auf die gesellschaftlichen, rechtlichen und wirtschaftlichen Gesamtstrukturen, die von einer nahezu ausschließlich volkseigenen Wirtschaft geprägt waren, keine Bestimmungen, die sich mit einer haftungsrechtlich veranlassten Flucht des Schuldners befassten. Ohnehin scheint für den Fall der Schuldnerflucht in diesem Staat kein Regelungsbedürfnis bestanden zu haben, weil sich für den Schuldner mit seinem Weggang kaum bessere Gestaltungsräume eröffneten und eine gleichwohl (westwärts) unternommene Flucht spätestens an der militärisch gesicherten Staatsgrenze endete. Nach dem Fall der Mauer und der Annäherung beider deutscher Staaten erfuhr die Gesamtvollstreckungsverordnung auf der Basis des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion vom 18. Mai 1990³³⁴ eine fast neunjährige Renaissance mit der dahingehenden Änderung der Grundausrichtung, dass ab dem 1. Juli 1990 die Vermögensexekution von Unternehmen unter marktwirtschaftlichen Bedingungen ermöglicht wurde.³³⁵ Diese so modifizierte Gesamtvollstreckungsordnung galt ab dem 3. Oktober 1990 in den beigetretenen Bundesländern bis zum Inkrafttreten

 Lübchen/Landfermann, S. 829 ff.; Smid, GesO, Einleitung Rz. 1  auf der Basis der Verordnung vom 6. September 1951 über die Verwaltung und den Schutz ausländischen Eigentums in der Deutschen Demokratischen Republik, der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952, des Ministerratsbeschlusses vom 12. Januar 1956, der Anordnung Nr. 2 vom 20. August 1958 über die Behandlung des Vermögens von Personen, die die Deutsche Demokratische Republik nach dem 10. Juni 1953 verlassen haben, sowie der Beschlüsse des Ministerrats der DDR vom 16. Februar 1972, 9. Juli 1972 und 23. Dezember 1976  Smid, GesO, Einleitung Rz. 8  GBl. DDR I 1976 Nr. 1, S. 5  Lübchen/Landfermann, S. 829; Smid, GesO, Einleitung Rz. 8 ff.  BGBl. II S. 537 ff., S. 554  BGBl. I S. 1186; Lübchen/Landfermann, S. 829; Smid, GesO, Einleitung Rz. 11 ff.

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der Insolvenzordnung³³⁶ und erlangte insbesondere dadurch Bedeutung, dass unter ihrer Geltung viele von der Treuhandanstalt in die Marktwirtschaft überführten, vormals volkseigenen Betriebe liquidiert, verkauft oder saniert wurden. Aber auch in dieser Gesamtvollstreckungsordnung finden sich keine Regelungen, welche sich explizit mit der Schuldnerflucht befassen. Allenfalls § 18 Abs. 2 Satz 3 GesO gibt einen Hinweis darauf, dass nur der redliche Schuldner einen weitgehenden Vollstreckungsschutz erwarten konnte. Inwieweit angesichts der Lückenhaftigkeit der Gesamtvollstreckungsordnung und des Prinzips der Einheit der Rechtsordnung seinerzeit die Vorschriften der Konkurs- und Vergleichsordnung oder der bereits verkündeten, aber noch nicht in Kraft getretenen Insolvenzordnung zur (ergänzenden) Auslegung oder zu einer analogen Anwendung herangezogen werden durften, soll hier nicht weiter untersucht werden.³³⁷

***

 mit weiteren Änderungen zum Beispiel durch Art. 5 des Gesetzes zur Beseitigung von Hemmnissen bei der Privatisierung von Unternehmen und zur Förderung von Investitionen vom 22. März 1991 (BGBl. I S. 766), durch Art. 5 des Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze vom 24. Juni 1994 (BGBl. I S. 1374)  hierzu Smid, GesO, Einleitung Rz. 42 ff. m. w. Nachw.

E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht Die Flucht des Schuldners zeitigt unter der Herrschaft des gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Insolvenzrechts ebenfalls beachtliche Rechtswirkungen. Die derzeitige Wirtschaftsverfassung und Rechtsordnung bieten dem Schuldner wie ehedem Anreize und Motive, sich im Falle der Vermögensinsuffizienz dem Gläubigerzugriff in Gestalt eines Insolvenzverfahrens durch Flucht entziehen zu wollen. Nicht nur, dass die Verschuldung der privaten Haushalte immer mehr zunimmt und sich damit für viele Bürger hoffnungslose Verhältnisse zu ergeben scheinen.¹ Auch die immer komplexeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen bergen zunehmend größere und zuweilen unüberschaubare Risiken für Unternehmer, infolge der Nichtbeachtung gesetzlicher Vorschriften sowie der Fehleinschätzung kaufmännischer und rechtlicher Wagnisse in Vermögensverfall zu geraten.² Hinzukommen für alle Bürger, dahinstehend ob Unternehmer oder Verbraucher, alltägliche biografische Gefahren wie Krankheit, Unfall, Trennung vom oder Tod des Partners, Erwerbslosigkeit oder Sucht, die zum wirtschaftlichen Niedergang führen können.³ Andererseits eröffnen sich heutzutage – nicht nur infolge der inländischen und europäischen Freizügigkeit und (Aus‐) Reisefreiheit, sondern vor allem aufgrund der fortschreitenden Globalisierung – für immer breitere Bevölkerungsteile schnell verfügbare Reisemöglichkeiten zu immer erschwinglicheren Preisen, weshalb ein Schuldner nahezu zu jedem Zeitpunkt und von jedem inländischen Ort sofort und mit hoher Geschwindigkeit die Flucht antreten kann. Diese Flucht muss nicht nur eine von Emotionen getragene Spontanreaktion mit dem Ziel des kurz- oder langfristigen Untertauchens zur vermeintlichen Vermeidung eines Gläubigerzugriffs sein. Sie kann vielmehr ganz gezielt hinter die deutschen Staatsgrenzen führen, um sich unter dem Regime einer anderen Rechtsordnung Schutz vor und zügige Befreiung von den Gläubigern zu erhoffen. Die Flucht des Schuldners kann aber auch in der Weise begriffen werden, dass er sich zwar weiterhin am Ort seines bisherigen Lebensmittelpunktes aufhält, jedoch resignierend in sich zurückzieht und aufgrund seiner Passivität und Verweigerung nicht mehr zielorientiert und sozialadäquat am Leben teilnimmt, so dass er für die Beteiligten ebenso unerreichbar wird.

 Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 11/2008, S. 964 ff.  Seit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung im Jahr 1999 hat sich die Zahl aller eingeleiteten Insolvenzverfahren (inklusive Verbraucherinsolvenzverfahren) bis einschließlich des Jahres 2010 nahezu vervierfacht, vgl. Statistisches Bundesamt, Insolvenzstatistik 11/2011, S. 4.  Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 11/2008, S. 966 ff.

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner

251

In diesem Teil der Arbeit werden die Normen der Insolvenzordnung,⁴ des Einführungsgesetzes zur Insolvenzordnung (EGInsO)⁵ sowie der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO)⁶ untersucht, die einen Bezug zur Schuldnerflucht aufweisen. Von Interesse ist, welche Motive mit Blick auf die rechtlichen Wirkungen eines Insolvenzverfahrens einen Schuldner zur Flucht bewegen können, wie die aktuelle Rechtsordnung auf die Schuldnerflucht reagiert und inwieweit dem Schuldner Anreize zum Bleiben und zur aktiven Teilnahme am Verfahren gegeben werden können.

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner Wie in den vorangegangenen Rechtsordnungen stellt die nach dem aktuellen Recht erfolgende Initiierung eines Insolvenzverfahrens eine tiefe Zäsur im Leben des Schuldners dar; das gilt für das Regelinsolvenzverfahren gleichermaßen wie für das Verbraucherinsolvenzverfahren. Fortan gestalten sich seine rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen unter dem Eindruck des nunmehr zu bewältigenden Verfahrens. Die Folgen der Verfahrenseröffnung für den Schuldner und dessen Vermögen sind mannigfaltig: sie lassen sich in unmittelbar verfahrensspezifische sowie in mittelbare, außerhalb des eigentlichen Insolvenzverfahrens eintretende Wirkungen unterscheiden. Ihre Untersuchung dient der näheren Erforschung, welche Beweggründe die Flucht des Schuldners heutzutage auslösen können.

1. Verfahrensspezifische Wirkungen Die ersten, unmittelbar verfahrensspezifischen Wirkungen treffen den Schuldner bereits mit der durch die Antragstellung erfolgenden Einleitung des Insolvenzeröffnungsverfahrens. Der Schuldner hat dem Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren nach § 20 Abs. 1 Satz 1 InsO Auskünfte zu geben, welche für die Entscheidung über einen Insolvenzantrag notwendig sind, sowie das Insolvenzgericht bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Zudem kann das Insolvenzgericht zur Massesicherung geeignete Maßnahmen anordnen, insbeson-

 Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994, BGBl. I S. 2866; zur Entstehung neben vielen anderen Jaeger/Henckel, InsO, Einführung Rz. 23 ff.; Kreft/Kreft, InsO, Einleitung Rz. 1 ff. sowie amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 102 ff.  Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung vom 5. Oktober 1994, BGBl. I S. 2911  veröffentlicht im Amtsblatt EG Nr. L 160 v. 30. Juni 2000, S. 1 ff., seitdem wiederholt ergänzt und geändert, zuletzt durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 583/2011 des Rates vom 9. Juni 2011, Amtsblatt EU Nr. L 160 v. 18. Juni 2011, S. 52 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

dere einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellen, dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegen, hinsichtlich seiner Verfügungen einen Zustimmungsvorbehalt verhängen sowie eine vorläufige Postsperre verfügen (§ 21 InsO). Soweit diese Sicherungsmaßnahmen nicht ausreichend sind, ist das Insolvenzgericht nach § 21 Abs. 3 Satz 1 InsO sogar ermächtigt, den Schuldner zwangsweise vorführen und gegebenenfalls in Haft nehmen zu lassen. Alle diese Anordnungen haben vorläufigen Charakter und dienen lediglich der Bewahrung des status quo sowie der Vorbereitung des eigentlichen Insolvenzverfahrens, über dessen Eröffnung das Gericht zu entscheiden hat.

a) Beschlagnahme Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens stellt den zeitlichen Scheidepunkt dar, ab dem der Schuldner die eigenverantwortliche Verwaltung seines (pfändbaren) Vermögens zugunsten einer kollektiven Rechtsdurchsetzung und Haftungsverwirklichung verliert.⁷ Mit der Eröffnung des Verfahrens bleibt der Schuldner zwar weiter rechts-, geschäfts- und prozessfähig.⁸ Auch verbleiben ihm einstweilen die materiell-rechtlichen Rechtspositionen als Eigentümer der ihm gehörenden Sachen und als Inhaber der ihm eingeräumten Rechte.⁹ Jedoch gilt sein gesamtes zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung pfändbares Vermögen einschließlich aller in seinem Besitz befindlichen Sachen und der von ihm genutzten Grundstücke oder Gebäude mit Wirksamkeit des insolvenzgerichtlichen Eröffnungsbeschlusses (§ 27 InsO) als beschlagnahmt und den beteiligten Gläubigern haftungsrechtlich zugewiesen.¹⁰ Dabei wird das Ausmaß der Beschlagnahme nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO von den zivilprozessualen Vorschriften der Individualzwangsvollstreckung definiert. Demnach unterfallen der Beschlagnahme alle Vermögenswerte, die Gegenstand der Individualvollstreckung sein können, wie bewegliche Sachen, Grundstücke und grundstücksgleiche Rechte, freilich alle dem schuldnerischen Betrieb zuordenbaren Vermögensbestandteile, überhaupt alle Ansprüche, die dem Schuldner nicht höchstpersönlich geschuldet sind, wie Bankguthaben, Wertpapiere, Arbeitsvergütung, sonstige Forderungen wie zum Beispiel Steuererstattungsansprüche, Freistellungsansprüche (vgl. § 45 InsO), Ansprüche auf Leistungen aus bestimmten Versicherungsverträgen (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V. m. §§ 850b Abs. 1, 850c ZPO), unter Umständen Gegenstände des Hausrates (§ 36 Abs. 3 InsO), der Erbteil (vgl. § 859 Abs. 2 ZPO) sowie übertragbare (anerkannte oder rechtshängig gemachte) Pflichtteilsansprüche (vgl. § 852 Abs. 1 ZPO). Kurzum,

 Smid, Handbuch, S. 95  Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 9.03; Jaeger/Windel, InsO, § 80 Rz. 261  Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 35 Rz. 2; MünchKomm-InsO/Lwowski/Peters, § 35 Rz. 22; Jaeger/Henckel, InsO, § 35 Rz. 3  MünchKomm-InsO/Lwowski/Peters, § 35 Rz. 22; Jaeger/Henckel, InsO, § 35 Rz. 2

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner

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weite Teile des schuldnerischen Vermögens geraten mit Verfahrenseröffnung unter den Insolvenzbeschlag und werden Gegenstand der sogenannten Soll-Masse.¹¹

Zwar unterliegt die Arbeitskraft des Schuldners seit der endgültigen Abschaffung der Schuldknechtschaft im Jahr 1868¹² weiterhin nicht der Beschlagnahme, weshalb der Insolvenzverwalter das Befähigungspotential des Schuldners zur Arbeit nicht zugunsten der Gläubiger direkt verwerten und den Schuldner nicht zur Arbeitsleistung zwingen kann.¹³ Vom Insolvenzbeschlag wird aber gemäß § 35 Abs. 1 InsO – und anders als nach der Konkursordnung – der sogenannte Neuerwerb des Schuldners erfasst. Hierunter fallen alle Vermögenswerte des Schuldners, die jener nach Eröffnung und während des Insolvenzverfahrens erlangt, weshalb das künftige und nach §§ 850 ff. ZPO pfändbare Erwerbseinkommen aus selbstständiger und nichtselbstständiger Tätigkeit¹⁴ sowie Vermögenszuflüsse infolge von Schenkungen, Ehescheidungen (Zugewinnausgleich gemäß § 1378 Abs. 3 Satz 1 BGB nach Maßgabe des § 852 Abs. 2 ZPO) oder letztwilligen Verfügungen unter den Neuerwerb fallen.¹⁵ Denn der Gesetzgeber wollte im Spannungsfeld zu der in Aussicht stehenden Restschuldbefreiung (§ 1 Satz 2 InsO) den Gläubigern mit der für die Dauer des Insolvenzverfahrens zeitlich befristeten Einbeziehung des Neuerwerbs bestmögliche Befriedigungschancen einräumen (§ 1 Satz 1 InsO).¹⁶

b) Entmachtung des Schuldners Der Schuldner verliert mit der Verfahrenseröffnung gemäß § 80 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein dem Insolvenzbeschlag unterfallendes Vermögen an den Insolvenzverwalter. Infolge der Inbesitznahme der Massegegenstände durch den Insolvenzverwalter wird der Schuldner mittelbarer Besitzer (§ 868 BGB), während der Insolvenzverwalter unmittelbaren Fremdbesitz im (umgekehrten) Sinne des § 872 BGB erlangt.¹⁷ Der Schuldner hat dem Insolvenzverwalter alle massezugehörigen Gegenstände herauszugeben, andernfalls

 Jaeger/Henckel, InsO, § 35 Rz. 7 ff., Rz. 101; Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 9.06; Uhlenbruck/ Uhlenbruck, InsO, § 35 Rz. 5  durch Gesetz vom 29. Mai 1868, BGBl. des Norddeutschen Bundes 1868, Nr. 16, S. 237  hierzu ausführlich Runkel, S. 315 und S. 330  zum Beispiel auch Forderungen aller Art und in vollem Umfang, hierzu BGH, Beschl. v. 18. Mai 2004, IX ZB 189/03, NZI 204, 444 in BGH, Beschl. v. 20. März 2003, IX ZB 388/02, NZI 2003, 389, 392; Jaeger/Henckel, InsO, § 35 Rz. 118 ff.  BGH, Beschl. v. 15. Juli 2010, IX ZB 229/07, DZWIR 2010, 426; Jaeger/Henckel, InsO, § 35 Rz. 118  vgl. amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 108  Smid, Handbuch, S. 96

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

geht der Insolvenzverwalter gegen ihn nach Maßgabe der §§ 883, 885 BGB vor, wobei der Eröffnungsbeschluss wie ein Vollstreckungstitel wirkt (§ 148 Abs. 2 Satz 1 InsO). Sämtliche vom Schuldner über Massegegenstände vorgenommene Verfügungen sind nach Verfahrenseröffnung unwirksam (§ 81 Abs. 1 Satz 1 InsO; allein der Insolvenzverwalter übt insoweit die massebezogenen Rechte des Schuldners nach Maßgabe der Normen der Insolvenzordnung aus. Hinzu kommt, dass es zu den originären Pflichten des Insolvenzverwalters gehört, Rechtshandlungen des Schuldners, die zu Zwecken der objektiven Gläubigerbenachteiligung in der vorkonkurslichen Krise unternommen worden sind, nach den Vorschriften der §§ 129 ff. InsO anzufechten. Damit verliert der Schuldner auch den (indirekten) Zugriff auf Vermögensmassen, die er gerade zum Zwecke der Beschlagsvereitelung – um zu retten, was noch zu retten ist – vor Verfahrenseröffnung verschoben hatte. Er muss sich deshalb der Tatsache vergegenwärtigen, infolge des Insolvenzverfahrens zusätzlich Friktionen innerhalb der Familie und des Freundes- und Bekanntenkreis ausgesetzt zu sein, verlangt der Insolvenzverwalter in Ausübung der Anfechtungsrechte die Rückgewähr der aus dem Schuldnervermögen weggegebenen Vermögensteile von diesen Personen.

Dem Schuldner werden die nachfolgend noch zu untersuchenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten auferlegt, die ebenfalls erzwungen werden können. Ferner kann der Insolvenzverwalter bestehende Rechts- und Vertragsverhältnisse unter erleichterten Bedingungen beenden bzw. erlöschen diese automatsch mit der Verfahrenseröffnung (§§ 103 ff. InsO). Der Schuldner wird also in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht weitgehend von den Positionen seines beschlagnahmefähigen Vermögens entmachtet und mit nicht unerheblichen Pflichten zur Verfahrensbeteiligung angehalten. Nur im beschlagsfreien, personenrechtlichen und höchstpersönlichen Bereich bleiben dem Schuldner alle Befugnisse, soweit diese das Insolvenzverfahren nicht tangieren.¹⁸

c) Gläubigerschutz und Existenzsicherung Andererseits wird die individuelle Rechtsverfolgung einzelner Gläubiger gegen den Schuldner eingefroren, indem die Individualzwangsvollstreckung durch § 89 Abs. 1 InsO weitgehend ausgeschaltet wird. Die (Insolvenz‐) Gläubiger können mit Verfahrenseröffnung ihre Ansprüche nur noch nach den Bestimmungen des Insolvenzverfahrens geltend machen (§ 87 InsO).¹⁹ Damit sind alle Vollstreckungshandlungen, welche vermögensrechtliche Ansprüche betreffen, für die Dauer des

 Jaeger/Windel, InsO, § 80 Rz. 261  Jaeger/Windel, InsO, § 87 Rz. 3 ff.; LSZ/Smid, § 89 Rz. 3 m. w. Nachw.

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner

255

Insolvenzverfahrens ebenso unzulässig, wie die Verhängung von Arresten oder einstweiligen Verfügungen oder die Ausübung von Anfechtungsrechten nach dem Anfechtungsgesetz.²⁰ Durch die in § 88 InsO normierte Rückschlagsperre werden überdies die in der vorkonkurslichen Krise infolge von Vollstreckungsmaßnahmen erlangten Sicherungsrechte zugunsten der par conditio omnium creditorum unwirksam. Der Schuldner genießt somit weitreichenden Gläubigerschutz und muss sich nicht mehr einzelner Zugriffe erwehren. Zudem unterliegt das Vermögen, welches nicht in die Insolvenzmasse im Sinne der §§ 35, 36 InsO fällt, weiter seiner Disposition. Ferner kann der selbstständig erwerbstätige Schuldner, dem die Fortsetzung seiner Berufsausübung durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens per se nicht untersagt ist und der, will er nicht in Trübsal oder in die Illegalität abgleiten, weiter für die wirtschaftlichen Grundlagen zur Finanzierung des Lebensunterhalts seiner Familie sorgen muss, vom Insolvenzverwalter unter Umständen gemäß § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO die Freigabe des Vermögens erwarten, welches einschließlich der damit verbundenen Rechtsverhältnisse der selbstständig ausgeübten Erwerbstätigkeit gewidmet ist.²¹ Mit der Freigabe erlangt der Schuldner die Befugnis wieder, über dieses Vermögen nach seinem Belieben zu verfügen. Überdies wird das Existenzminimum des Schuldners zum einen über § 36 Abs. 1 InsO durch die Pfändungsschutzvorschriften der ZPO sichergestellt. Zum anderen kann der Insolvenzverwalter mit Zustimmung eines etwaigen Gläubigerausschusses dem Schuldner, seinem (früheren) Ehegatten oder Lebenspartner und den minderjährigen unverheirateten Kindern sowie dem anderen Elternteil den notwendigen Unterhalt gewähren, bis hierüber die Gläubigerversammlung entscheidet (§ 100 InsO). Gleichwohl sind die direkten Nachteile, welche die Insolvenzrechtsordnung dem Schuldner bezüglich seines Vermögens im Interesse der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung und damit zur Erreichung des Verfahrenszweckes auferlegt, in der Summe gravierend. Sie stoßen nicht bei jedem Schuldner auf Verständnis und Akzeptanz. Insbesondere unzureichend informierte oder ängstliche und freilich uneinsichtige Schuldner versuchen nicht selten, einem Insolvenzverfahren aus dem Weg zu gehen, da sie zuweilen – nicht selten von Klischees geleitet – die rechtlichen Konsequenzen eines derartigen Verfahrens nicht zutreffend einschätzen oder nicht hinnehmen wollen. Dabei begeben sie sich in den Glauben, sie fänden noch einen anderen, besseren Weg der Krisenbewältigung.

 MünchKomm-InsO/Breuer, § 89 Rz. 9 ff.  BGH, Beschl. v. 20. März 2003, IX ZB 388/02, NZI 2003, 390; vgl. amtliche Begründung für ein Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens, BT-Drucks. 16/3227, S. 17

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Gerade der drohende Verlust des Vermögens, welches dem Schuldner trotz vorangegangener Einzelzugriffe seiner Gläubiger noch gebliebenen ist oder welches er bislang geschickt verbergen konnte, durch die vom Verwalter zu unternehmende Sicherstellung und Verwertung sowie die Aussicht darauf, künftige Vermögenzuwächse zumindest für die erhebliche Dauer des Insolvenzverfahrens und der sogenannten Wohlverhaltensphase (Laufzeit der Abtretungserklärung gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO) ebenfalls der Gläubigerbefriedigung überlassen zu müssen, sind starke Motive für eine Flucht unter Mitnahme der „gefährdeten“ transportablen Vermögensteile. Für eine Fluchtentscheidung mag es in diesem Zusammenhang zudem von Bedeutung sein, dass der Schuldner als Privatperson einerseits nicht einer Insolvenzantragspflicht unterliegt und andererseits Gläubiger erfahrungsgemäß nicht selten von einem Eröffnungsantrag Abstand nehmen, weil sie sich bessere Chancen in der wiederholten Individualvollstreckung versprechen oder ihre Forderungen nach erfolglosen Vollstreckungsversuchen schlicht abschreiben und nicht mehr länger verfolgen.

2. Indirekte Verfahrenswirkungen Neben den sich unmittelbar für das Schuldnervermögen ergebenden rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen bringt die Einleitung eines Insolvenzverfahrens zugleich rechtliche und faktische Konsequenzen für den Schuldner mit sich, die außerhalb des eigentlichen Verfahrens liegen. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens, die Abweisung eines hierauf gerichteten Antrags mangels Masse oder die Einstellung eines eröffneten Verfahrens mangels Masse greifen auf unterschiedliche Art und Weise und in so erheblichem Umfang in die Lebens- und Rechtspositionen des Schuldners ein, dass sich aus den daraus resultierenden indirekten Wirkungen Motive und Momente zugunsten einer Fluchtentscheidung ergeben können.

a) Ausschluss von Ehrenämtern Nach wie vor hat die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die bürgerliche Stellung des Schuldners Konsequenzen, wenn auch nicht in dem einschneidenden Charakter der vorangegangenen Rechtsordnungen. Er muss heutzutage keine Minderung seiner staatsbürgerlichen Rechte befürchten, soweit es um die Teilnahme an der politischen Willensbildung im demokratisch verfassten Rechtsstaat

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner

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geht; er bleibt trotz Verfahrenseröffnung weiter aktiv und passiv zu Bundes- und Landtagen und kommunalen Organen wahlberechtigt.²² Indessen wird die Vermögenszerrüttung gegenwärtig immer noch zum Anlass genommen, den Schuldner von einigen öffentlichen Ämtern ausschließen zu wollen. So sehen – anknüpfend an frühere Normeninhalte²³ – gegenwärtig alle Gerichtsverfassungsgesetze Gebote vor (§§ 33 Nr. 6, 52 Abs. 1 Nr. 2, 109 Abs. 3 Satz 2, 113 Abs. 1 Nr. 1 GVG, §§ 21 Abs. 2 Satz 2, 37 Abs. 2, 43 Abs. 3 ArbGG, §§ 21 Abs. 2, 34 VwGO, §§ 17 Abs. 1 Satz 2, 35 Abs. 1, 47 SGG und §§ 18 Abs. 2, 21 Abs. 1 Nr. 1, 23 Abs. 2 FGO), nach denen der Insolvenzschuldner nicht in das Ehrenamt eines Laienrichters in Spruchkörpern der Straf-, Zivil-, Arbeits-, Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit berufen werden soll. Obschon diese Normen im Vergleich zu ihren Vorgängerregelungen mit der Einführung der Insolvenzordnung durch Art. 12 Nr. 2 bis 4 EGInsO und Art. 25 bis 27 EGInsO „entschärft“ wurden und obgleich der Gesetzgeber die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht (mehr) als diskriminierenden Tatbestand ansieht,²⁴ sollen diese Schuldnerpersonen dennoch – nach der gesetzlichen Idealvorstellung – kein Recht sprechen. Begründet wird der in den derzeit geltenden Soll-Vorschriften enthaltene Appell damit, dass die mit der Verfahrenseröffnung indizierte Unordnung der Vermögensverhältnisse geeignet sei, dem Ansehen und dem Vertrauen in die Integrität der Richterschaft zu schaden.²⁵ Als weiteres Argument wird angeführt, der Schöffe müsse unter Umständen über Personen richten, denen Insolvenzstraftaten vorgeworfen oder die anderweitig wegen ihrer zerrütteten wirtschaftlichen Verhältnisse mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind,²⁶ weshalb ein Schöffe, der ebenfalls in schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen lebe, womöglich nicht die erforderliche innere Unabhängigkeit für die Urteilsfindung gewährleiste.²⁷ Somit könne für Vorschriften, welche diese Überlegungen unberücksichtigt lassen würden, die allgemeine Akzeptanz der Rechtsunterworfenen fehlen.²⁸

Mithin sieht der Gesetzgeber nach wie vor Personen als für das Laienrichteramt grundsätzlich ungeeignet an, die im Schuldnerverzeichnis eingetragen sind oder über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet oder mangels Masse ab Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 24.06; MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, § 80 Rz. 13  gemeint sind die bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Vorschriften des § 32 Nr. 3 GVG a. F., des § 21 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG a. F., des § 21 Nr. 3 VwGO a. F., des § 17 Abs. 1 Nr. 3 SGG a. F. und des § 18 Nr. 3 FGO a. F.  amtliche Begründung zum RegE EGInsO, BT-Drucks. 12/3803, S. 63  Germelmann/Matthes/Müller-Glöke/Prütting/Schlewing, § 21 Rz. 17 m. w. Nachw.; amtliche Begründung zum RegE EGInsO, BT-Drucks. 12/3803, S. 64  amtliche Begründung zum RegE EGInsO, BT-Drucks. 12/3803, S. 63  Kissel/Mayer, § 33 Rz. 7  amtliche Begründung zum RegE EGInsO, BT-Drucks. 12/3803, S. 63

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

gewiesen bzw. eingestellt worden ist.²⁹ Nach seinem Willen können – infolge der Konzeption als Soll-Vorschrift – deshalb nur dann Schuldner zu ehrenamtlichen Richtern bestellt respektive nicht von ihrem Amt abberufen werden, wenn sie völlig unverschuldet (etwa durch betrügerisches Handeln eines Geschäftspartners oder infolge eines unabwendbaren Schicksalsschlages) in wirtschaftliche Notlage geraten sind oder wenn sie selbst die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem Ziel der Neuordnung ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse mittels Restschuldbefreiung oder Insolvenzplan beantragt haben.³⁰ Der Gesetzgeber arbeitete diese Normen demnach in einer Weise aus, dass der Vermögensverfall die Unwürdigkeit des Schuldners zum Laienrichteramt als Regel indiziert, der Schuldner ausnahmsweise dennoch in das Ehrenamt berufen oder dort belassen werden kann, wenn er unverschuldet in die Vermögenskrise gelangte oder einen Eigenantrag gestellt hat. Diese Gestaltung ändert freilich nichts an der grundlegenden Ausrichtung der Vorschriften, trotz der soeben erwähnten rechtspolitischen Überlegungen den Schuldner durch die Verfahrenseröffnung als prinzipiell immer noch in seiner bürgerlichen Ehre gemindert anzusehen. Die in diesen Vorschriften a priori kundwerdende Stigmatisierung des Schuldners wird mit Rücksicht auf in der Öffentlichkeit zirkulierenden, tradiert-diffusen Bilder nach wie vor nicht überwunden.

b) Berufsrechtliche Konsequenzen Der Ausschluss von einem richterlichen Ehrenamt infolge der Vermögenszerrüttung mag ungeachtet der Frage der Legitimation³¹ für so manchen Schuldner noch hinnehmbar sein. Für viele Schuldner jedoch, die in bestimmten (freien) Berufen abhängig beschäftigt oder selbstständig erwerbstätig sind und damit ihren Lebensunterhalt bestreiten, kann die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zum Verlust der berufsrechtlichen Zulassung³² und damit zu einem zumindest vorübergehend

 vgl. hierzu auch die amtliche Begründung zum RegE EGInsO, BT-Drucks. 12/3803, S. 71  amtliche Begründung zum RegE EGInsO, BT-Drucks. 12/3803, S. 64  hierzu Gerhardt, S. 106 ff.  Die Relevanz dieser Überlegungen, die sich auch noch an anderer Stelle erweisen soll, erhellt sich, wenn die Entwicklung der Zulassungszahlen vergegenwärtigt wird: Zum 1. Januar 2012 waren in der Bundesrepublik Deutschland ca. 160.000 Rechtsanwälte mit einer Steigerungsrate zum Vorjahr von 1,76 % (BRAK Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer 3/2012, Juni 2012, S. 118, abgerufen unter http://www.brak.de, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013), ca. 90.000 Steuerberater, Steuerbevollmächtigte und Steuerberatungsgesellschaften mit einer Steigerungsrate von durchschnittlich 1,8 % (Jahresbericht 2011 der Bundessteuerberaterkammer, S. 28, abgerufen unter http://www.bstbk.de, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013), ca. 7.700 Notare (Notar-

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner

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wirkenden Berufsverbot führen.³³ So ist einem Rechtsanwalt die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft gemäß § 7 Nr. 9 BRAO zu versagen oder eine erteilte Zulassung gemäß § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO zu widerrufen, wenn er in Vermögensverfall geraten ist, es sei denn, dass dadurch die Interessen der Rechtsuchenden nicht gefährdet sind. Dabei wird der Vermögensverfall vermutet, wenn ein Insolvenzverfahren eröffnet oder der Rechtsanwalt in das vom Insolvenzgericht oder vom Vollstreckungsgericht zu führende Verzeichnis (§ 26 Abs. 2 der InsO, § 915 ZPO a. F., künftig § 882b ZPO n. F.) eingetragen ist.³⁴ Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt ist seit der zum 1. September 2009 eingetretenen Änderung des Verfahrensrechts allein der Abschluss des behördlichen Widerrufsverfahrens durch Erlass des Widerspruchsbescheids oder – wenn das nach neuem Recht grundsätzlich vorgeschriebene Vorverfahren entbehrlich ist – der Ausspruch der Widerrufsverfügung, während die Beurteilung danach eintretender Entwicklungen einem Wiederzulassungsverfahren vorbehalten ist.³⁵ Für die Frage der Interessengefährdung der Rechtssuchenden ist es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs³⁶ unbeachtlich, welche Ursachen zum Vermögensverfall führten und ob der betroffene Rechtsanwalt einen Eigenantrag gestellt hat. Irrelevant ist ebenso, ob der Insolvenzverwalter den Weiterbetrieb der Kanzlei genehmigt hat oder die Bankkonten kontrolliert, weil die Mandanten die Rechtsanwaltsvergütung eben nicht schuldbefreiend an den Betroffenen zahlen können.³⁷ Der Verlust der Zulassung droht selbst dann, wenn der Insolvenzverwalter den Kanzleibetrieb nach Maßgabe des § 35 Abs. 2 InsO freigibt, da die Freigabe als solches weder den Tatbestand des durch die Insolvenz ausgelösten Vermögensverfalls noch die in § 14 Abs. 2 Nr. 7

statistik der Bundesnotarkammer, abgerufen unter http://www.bnotk.de, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013), genau 17.600 Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer mit einer Steigerungsrate von 0,9 % (Mitgliederstatistik der Wirtschaftsprüferkammer, S. 2, abgerufen unter http://www. wpk.de, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013) sowie ca. 2.300 Patentanwälte (Mitteilung auf der Internetseite der Patentanwaltskammer unter http://www.patentanwalt.de, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013) zugelassen. Auch wenn nicht alle Berufsträger selbstständig erwerbstätig sind, ist zu berücksichtigen, dass sich die selbständigen Berufsträger zumeist sozialversicherungspflichtig beschäftigter Angestellter bedienen, deren Arbeitsplätze, auch wenn die Berufsträger soziiert sein sollten, durch den Verlust der Zulassung zumindest gefährdet werden.  ausführlich hierzu Grau, S. 78  BGH, Beschl. v. 22. Juni 2011, AnwZ (Brfg) 12/11, BRAK-Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer 5/2011, 246; BGH, Beschl. v. 25. Juni 2007, AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924, BGH, Beschl. v. 5. Dezember 2005, AnwZ (B) 13/05, NJW-RR 2006, 559; BGH, Beschl. v. 13. März 2000, AnwZ (B) 28/99, NJW-RR 2000, 1228  BGH, Beschl. v. 29. Juni 2011, AnwZ (Brfg) 11/10, NJW 2011, 3234  BGH, Beschl. v. 27. Mai 2013, AnwZ (Brfg) 14/13, juris  BGH, Beschl. v. 21. März 2013, AnwZ (Brfg) 71/12, juris

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

BRAO indizierte Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden beseitigt.³⁸ Vergleichbares gilt für Patentanwälte (§§ 14 Nr. 9, 21 Abs. 2 Nr. 8 PatAnwO), Notare (§ 50 Abs. 1 Nr. 6 BNotO),³⁹ Steuerberater (§§ 40 Abs. 2 Nr. 1, 46 Abs. 1 Nr. 4 StBerG),⁴⁰ Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer (§§ 16 Abs. 1 Nr. 7, 20 Abs. 2 Nr. 5 WPO) oder Insolvenzverwalter (§§ 56 Abs. 1 Satz 1, 59 Abs. 1 Satz 1 InsO).⁴¹ Indes bedeutet die Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die vorgenannten Berufsträger nicht sogleich das absolute Ende ihrer bislang ausgeübten beruflichen Tätigkeit. Denn die berufsrechtlichen Vorschriften der Rechts- und Patentanwälte, Notare, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer enthalten zunächst nur eine widerlegbare gesetzliche Vermutung des Vermögensverfalls, die an die Verfahrenseröffnung geknüpft ist. Damit führt allein die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen dieser Berufsträger zwar noch nicht zu einer Ordnung der Vermögensverhältnisse.⁴² Geordnete Vermögensverhältnisse können sie aber dadurch wieder erreichen, dass vom Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung angekündigt (§ 291 InsO) oder ein vom Insolvenzgericht bestätigter Insolvenzplan (§ 248 InsO) oder ein angenommener Schuldenbereinigungsplan (§ 308 InsO) vorgelegt wird, bei deren Vollzug der Schuldner von seinen restlichen Verbindlichkeiten Enthaftung erreicht.⁴³ Die Gefährdung der Interessen der Rechtssuchenden kann ferner ausgeschlossen werden, indem bei angeordneter Eigenverwaltung (§§ 270 ff. InsO) von der Möglichkeit des § 275 Abs. 2 InsO dahingehend Gebrauch gemacht wird, dass Mandantengelder nur vom Sachwalter entgegengenommen werden. In diesen Fällen besteht die hinreichend konkrete Erwartung, dass nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens nicht auf unabsehbare Zeit Forderungen offen bleiben.⁴⁴ Schließlich kann in seltenen Ausnahmefällen eine Gesamtwürdigung der Person des Rechtsanwalts, der Umstände des Insolvenzverfahrens und der Beschränkungen, denen er sich für seine weitere Berufsausübung unterworfen hat, die Annahme recht-

 BGH, Beschl. v. 23. Juni 2012, AnwZ (Brfg) 23/12, juris; BGH, Beschl. v. 21. März 2011, AnwZ (B) 37/10, NZI 2011, 464; BGH, Beschl. v. 28. September 2011, AnwZ (Brfg) 29/11, ZInsO 2012, 140; BGH, Beschl. v. 26. November 2007, AnwZ (B) 96/06, juris  BGH, Beschl. v. 15. November 2010, NotZ 6/10, ZVI 2011, 370; vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 8. März 2012, IX ZB 178/11, NZI 2012, 377; BGH, Beschl. v. 17. November 2008, NotZ 130/07, ZIP 2009, 675; BGH, Beschl. v. 20. November 2006, NotZ 26/06, NJW 2007, 1287; BVerfG, Beschl. v. 31. August 2005, 1 BvR 912/04, NJW 2005, 3057  BFH, Beschl. v. 4. Dezember 2007, VII R 64/06, ZIP, 2008, 657; BFH, Beschl. v. 4. März 2004, VII R 21/02, BStBl. II 2004, 1016  MünchKomm-InsO/Graeber, § 59 Rz. 1; festzuhalten ist, dass Träger anderer freier Berufe, die keine Vermögensbetreuungsfunktion innehaben, regelmäßig nicht allein wegen des Vermögensverfalls um ihre Berufszulassung fürchten müssen, wie zum Beispiel Ärzte, Zahnärzte und andere Angehörige der Heilberufe, problematisch indes bei Apothekern: hierzu Jaeger/Windel, InsO, § 80 Rz. 269 ff.  BGH, Beschl. v. 13. März 2000, AnwZ (B) 28/99, ZIP 2000, 1018; BGH, Beschl. v. 7. Dezember 2004, AnwZ (B) 40/04, ZVI 2005, 324; BGH, Beschl. v. 16. April 2007, AnwZ (B) 6/06, ZVI 2007, 619; BGH, Beschl. v. 31. Mai 2010, AnwZ (B) 27/09, ZInsO 2010, 1380  BGH, Beschl. v. 31. Mai 2010, AnwZ (B) 27/09, ZInsO 2010, 1380; BGH, Beschl. v. 16. September 2011, AnwZ (Brfg) 26/11, juris; BGH, Beschl. v. 28. Oktober 2011, AnwZ (Brfg) 20/11, juris  BGH, Beschl. v. 18. Juli 2011, AnwZ (B) 28/10, ZInsO 2011, 2234

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner

261

fertigen, dass die nach der Wertung des § 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO durch den Vermögensverfall indizierte Gefährdung der Interessen der Rechtsuchenden ausgeschlossen ist. Hierzu muss der Rechtsanwalt zum Schutz der Interessen der Rechtsuchenden Vorkehrungen treffen, die regelmäßig die Aufgabe seiner etwaig vorangegangenen selbstständigen Tätigkeit als Einzelanwalt und den Abschluss eines Anstellungsvertrags mit einer Rechtsanwaltskanzlei erfordern, der nach der Organisation der Kanzlei, dem Umfang der vom Rechtsanwalt eingegangenen Tätigkeitsverpflichtung gegenüber dieser Kanzlei und den weiter getroffenen Maßnahmen einen effektiven Schutz der Interessen der Rechtsuchenden erwarten lässt. Zu diesen besonderen Voraussetzungen, die im Rahmen der Gesamtwürdigung zu beurteilen sind, gehört ferner, dass der Rechtsanwalt seinen Beruf bisher ohne jede Beanstandung, mithin „tadellos“ geführt und gegebenenfalls den Insolvenzantrag selbst gestellt hat.⁴⁵

Aber auch für gewerblich tätige Schuldner besteht die Gefahr, infolge der Verfahrenseröffnung empfindliche Einschnitte bei der Berufsausübung zu erfahren. Zwar bestimmt § 12 GewO, dass die Vorschriften der Gewerbeordnung, welche wegen ungeordneter Vermögensverhältnisse die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder den Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden ermöglichen (zum Beispiel §§ 35 Abs. 1, 59, 70a Abs. 1 GewO und §§ 48 ff. VwVfG in Verbindung mit §§ 30 Abs. 1 Nr. 1, 33c Abs. 2 Satz 1 GewO), während eines Insolvenzverfahrens keine Anwendung in Bezug auf das Gewerbe finden, welches zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde. Denn der Gesetzgeber will verhindern, dass die zwecks Sanierung unternommene Fortführung des schuldnerischen Unternehmens an Maßnahmen der Gewerbeaufsicht scheitert.⁴⁶ Aus dem Regelungszusammenhang des § 12 GewO wird indessen deutlich, dass die durch das Insolvenzverfahren indizierte Vermögenszerrüttung anlässlich der Prüfung von Untersagungs-, Rücknahme- oder Widerrufstatbeständen durchaus dann eine Rolle spielt, wenn der Schuldner eine andere gewerbliche Tätigkeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausüben will bzw. ausübt. Die Norm des § 12 GewO will es dem Schuldner, dessen mangelnde wirtschaftliche Leistungsfähigkeit mit dem

 BGH, Beschl. v. 4. April 2012, AnwZ (Brfg) 62/11, juris; BGH, Beschl. v. 18. Oktober 2010, AnwZ (B) 21/10, juris; BGH, Beschl. v. 25. Juni 2007, AnwZ (B) 101/05, NJW 2007, 2924; BGH, Beschl. v. 18. Oktober 2004, AnwZ (B) 43/03, NJW 2005, 511; in gleiche Richtung gehend die Bewertung der von einem überschuldeten Berufssoldaten geleisteten, sicherheitsrelevanten Dienste für die im Rahmen der Beurteilung seiner Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG erforderliche prognostische Einschätzung des Sicherheitsrisikos (§ 14 Abs. 3 SÜG), inwieweit die finanzielle Überforderung die Empfänglichkeit für Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste ermöglicht oder erhöht, durch BVerwG, Beschl. v. 24. April 2012, 1 WB 62.11, juris; BVerwG, Beschl. v. 15. Dezember 2009, 1 WB 58.09, DÖV 2010, 663; BVerwG, Beschl. v. 30. Januar 2001, 1 WB 119.00, NVwZ-RR 2001, 520  Jaeger/Windel, InsO, § 80 Rz. 265; amtliche Begründung zum RegE EGInsO, BT-Drucks. 12/ 3803, S. 103

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Insolvenzverfahren zu Tage tritt, demgemäß nicht ermöglichen, einen neuen Gewerbebetrieb zu eröffnen oder einen bereits eröffneten fortzusetzen.⁴⁷ Mithin bleibt dem Schuldner, der an einem selbstständigen Erwerb festhalten will, nur die weitere Ausübung der bisherigen gewerblichen Tätigkeit unter der Aufsicht des Insolvenzverwalters, soweit dieser die Fortsetzung gestattet oder den Gewerbebetrieb ganz oder teilweise freigibt (§ 35 Abs. 2 InsO).⁴⁸ Wird abgesehen davon der Schuldner für öffentliche Auftraggeber tätig bzw. nimmt er an öffentlichen Auftragsvergaben nach Maßgabe der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) und der Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen (VOL) teil, werden von ihm zum Nachweis seiner Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit auf der Basis des § 6 Abs. 3 VOB/A⁴⁹ bzw. § 6 Abs. 5 VOL/A⁵⁰ regelmäßig Angaben darüber verlangt, ob in der Vergangenheit ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares gesetzlich geregeltes Verfahren eröffnet oder die Eröffnung beantragt worden ist oder der Antrag mangels Masse abgelehnt oder ein Insolvenzplan rechtskräftig bestätigt wurde und ob die Verpflichtung zur Zahlung von Steuern und Abgaben sowie der Beiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung ordnungsgemäß erfüllt wurde. Hierzu sind neben Eigenerklärungen sogenannte Negativatteste der Finanzverwaltung sowie der Krankenkassen (als Einzugsstellen der Sozialversicherungsträger für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag, vgl. §§ 28 h, 28i SGB IV) vorzulegen. Muss der Schuldner das Vorliegen einer dieser Tatsachen offenbaren, kann hierin ein Grund gesehen werden, sein Gebot bei der Leistungsvergabe nicht zu berücksichtigen, wie insbesondere § 6 Abs. 5 VOL/A zeigt.

Hingegen bringt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. die Ablehnung eines solchen nicht mehr die Konsequenz mit sich, dass dem Schuldner das aktive und passive Wahlrecht in Gremien (Vollversammlungen, Vorstände und Ausschüsse) der Industrie- und Handelskammern, der Handwerkskammern oder der Innungen

 amtliche Begründung zum RegE EGInsO, BT-Drucks. 12/3803, S. 103 ff.; MünchKomm-InsO/ Ott/Vuia, § 80 Rz. 17; vgl. auch OVG Niedersachsen, Beschl. v. 11. August 2009, 7 LA 232/07, NZI 2009, 782, wonach die Begehung von Vermögensdelikten keine wesensnotwendige Begleiterscheinung wirtschaftlich ungeordneter Vermögensverhältnisse darstellt, so dass die Sperrwirkung des § 12 GewO bei einer auf die Verurteilung wegen derartiger Straftaten gestützten Gewerbeuntersagung, die dem Schutz potentieller Kunden dient, nicht eintritt  vgl. hierzu Antoni, NZI 2003, 246; VG Neustadt (Weinstraße), Beschl. v. 15. Januar 2013, 4 L 1076/12.NW, juris; VGH Bayern, Urt. v. 5. Mai 2009, 22 BV 07.2776, ZInsO 2009, 1588; a. A. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 19. Mai 2011, 4 B 1707/10, ZInsO 2011, 1359; differenzierend OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 3. November 2010, 6 A 10676/10.OVG, NVwZ-RR 2011, 229  Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen in der Bekanntmachung v. 31. Juli 2009, BAnz. Nr. 155a v. 15. Oktober 2009, geändert durch Bekanntmachung v. 19. Februar 2010, BAnz. Nr. 36 v. 5. März 2010  Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Leistungen in der Bekanntmachung v. 20. November 2009, BAnz. Nr. 196a v. 29. Dezember 2009

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner

263

entzogen wird.⁵¹ Wegen des mit der Verfahrenseröffnung indizierten Vermögensverfalls ist der Insolvenzschuldner jedoch gemäß § 51 Abs. 6 Nr. 3 SGB IV nicht in die Selbstverwaltungsorgane der Sozialversicherungsträger wählbar.

c) Auswirkungen auf das Privatleben Überdies strahlt die Verfahrenseröffnung nach wie vor tief und vielschichtig in das Privatleben des Schuldners ein. Die Auswirkungen erstrecken sich von familienrechtlichen Konsequenzen über soziale und psychologische Symptomatiken bis hin zu ernsthaften Krankheitsbildern. Im Rahmen dieser Untersuchung können diese Aspekte nur holzschnittartig umrissen werden, um weitere mögliche Motive einer Schuldnerflucht aufzuspüren. Übt der Schuldner die Vermögenssorge für seine Kinder aus, endet sie zwar nicht mehr automatisch mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, da der vormalige § 1670 BGB a. F. durch Art. 33 Nr. 28 EGInsO aufgehoben wurde. Dem unverschuldet in Not geratenen Elternteil soll allein wegen der Insolvenzverfahrenseröffnung nicht mehr die Befugnis abgesprochen werden, in Ausübung seines Elternrechtes die Vermögensangelegenheiten seiner Kinder zu ordnen.⁵² Besteht dennoch Anlass für begründete Befürchtungen, es könne zur Gefährdung des Kindesvermögens kommen, ermächtigen die Vorschriften des §§ 1666 Abs. 1 und 2, 1667 BGB das Familiengericht zum Ergreifen geeigneter Maßnahmen, die bis zum Entzug des Vermögensfürsorgerechts des Schuldners führen können. Allerdings bezeichnete es Häsemeyer⁵³ zutreffend als trügerische Hoffnung, zu glauben, die Folgen unwirksamer Verfügungen könnten stets durch Vindikation oder Kondiktion bereinigt werden, weshalb er mit § 35a FGG (nunmehr § 22a FamFG) die Verpflichtung des Insolvenzgerichts zur Benachrichtigung des Familien- oder Betreuungsgerichts sah. Zudem kann der Vermögensniedergang des Schuldners Anlass dafür sein, ihn nicht mehr zum Vormund, Betreuer, Pfleger oder Nachlassverwalter zu bestellen bzw. aus derartigen Ämtern zu entlassen, wie die Bestimmungen der §§ 1778 Abs. 1 Nr. 4, 1779 Abs. 2 Satz 1, 1886, 1897 Abs. 1, 1908b Abs. 1, 1915 Abs. 1, 1960 Abs. 2, 1975 BGB anzeigen. Auch hier kann die aus § 22a FamFG resultierende Verpflichtung des Insolvenzgerichtes bestehen, entsprechende Informationen an das Familien-, Betreuungs- oder Nachlassgericht zu geben.

 MünchKomm-InsO/Ott/Vuia, § 80 Rz. 19 zur Frage der Wählbarkeit in Organe der Handwerkskammern und Innungen; amtliche Begründung zum RegE EGInsO, BT-Drucks. 12/3803, S. 104  amtliche Begründung zum RegE EGInsO, BT-Drucks. 12/3803, S. 79  Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 24.03 (Fn. 5)

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Der Schuldner soll nach dem Willen des Gesetzgebers heutzutage von Rechts wegen keine öffentliche Herabwürdigung seiner Person erfahren, wird von der Informationswirkung der gemäß § 9 InsO⁵⁴ im Internet zu veröffentlichenden Bekanntmachungen und den daraus resultierenden Reflexen Dritter abgesehen.⁵⁵ Dennoch wird im kollektiven Gedächtnis weiter Teile der Bevölkerung eine „Privatinsolvenz“ nach wie vor als persönliche Niederlage, als Schmach und sichtbares Zeichen eines individuell-vorwerfbaren Versagens erinnert, was angesichts der rechtshistorisch überlieferten Anschauungen nicht weiter verwunderlich ist. Gestützt wird dieses Empfinden von eigenen Wahrnehmungen der Beteiligten und Umstehenden, von den Berichten Betroffener an ihre Umwelt sowie von Mediendarstellungen.⁵⁶ Der mit der Verfahrenseröffnung einhergehende Verlust der Sachherrschaft über das (restliche) Vermögen wird von vielen – über das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen nicht ausreichend und zutreffend informierten – Schuldnern und Beteiligten als Erniedrigung, Beschämung und Entmündigung wahrgenommen, als bedrohlichen Angriff auf die persönliche Ehre, auf ihre Identität und auf ihr Vermögen. Zudem regiert die Angst vor dem Reputationsverlust im gewohnten familiären, beruflich-wirtschaftlichen und weiteren sozialen Umfeld. Manche Schuldner fühlen sich vor allem von institutionellen Gläubigern wie Banken, Finanzverwaltung oder Krankenkassen „verraten“, verwechseln und verwirren diese mit einem diffusen Verständnis vom „bösen und ungerechten Staat“, machen gar die gegenwärtige Staats- und Wirtschaftsverfassung für ihr Scheitern verantwortlich, erleben das Insolvenzverfahren als Zerstörung ihres Lebenswerkes und sind in der Folge desillusioniert, destruktiv und mutlos oder hin und wieder aggressiv und feindselig. Nicht wenige Schuldner durchleben in diesen Momenten Gefühle der Hilflosigkeit, der Schuld, der Scham oder der Rache. Sie empfinden die Verfahrensgestaltung als  unter https://www.insolvenzbekanntmachungen.de; s. hierzu die Verordnung zu öffentlichen Bekanntmachungen in Insolvenzverfahren im Internet vom 12. Februar 2002 (BGBl. I S. 677) in der ab dem 1. Juli 2007 geltenden Fassung (BGBl. I S. 509)  Anders als in früheren Zeiten, in denen zumindest die Chance bestand, dass sich die in Zeitungen, Anzeigern etc. vorgenommenen öffentlichen Bekanntmachungen alsbald in der Flut und Anonymität der Informationsmassen verloren, ist mit der Veröffentlichung im Internet und den damit permanent verfügbaren Recherchemöglichkeiten jederzeit ein schneller Informationszugriff gewährleistet.  Exemplarisch können die am 12. Mai 2011 in FAZ.net oder am 9. Oktober 2011 in Spiegel Online im Zusammenhang mit den Aktivitäten des von Attila von Unruh initiierten BV INSO – Bundesverband Menschen in Insolvenz und neue Chancen e. V. veröffentlichten Artikel genannt werden. Als ein Beispiel immer wieder anzutreffender negativer Berichterstattung kann der Beitrag „Pleiten, Recht und Pannen“ in Der Spiegel, Nr. 11/2005, S. 64 gelten, ganz zu schweigen von den anspruchslosen „Doku-Soaps“ auf verschiedenen Fernsehsendern.

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner

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Bedrohung ihrer Existenz, als erniedrigenden Absturz in sozial schwierige Verhältnisse, als schwerwiegenden Einschnitt bei der Teilhabe am wirtschaftlichen und sozialen Leben. Durch die Wirkungen des Insolvenzverfahrens fühlen sie sich ausgegrenzt, abgelehnt und zuweilen wie Straftäter behandelt. Hinzu kommt, dass nicht wenige selbstständige Schuldner erleben müssen, wie Insolvenzverwalter (in ihren Augen) mögliche Fortführungs- und Sanierungschancen ungenutzt lassen, anfangs zur Motivation gegebene Versprechen nicht einlösen, den persönlichen Kontakt nicht suchen, geschweige denn halten, vielmehr Sachbearbeitern oder „Schattenverwaltern“ weitgehend die Abwicklung überlassen, das Anlagevermögen schnell und zuweilen weit unter Wert versilbern und auf Anfragen oder Hinweise mit Ignoranz, Unverständnis oder Drohungen reagieren.⁵⁷ Gegenüber (wissenden) Dritten verspüren Schuldner Unsicherheit, Schwäche, Angst und Einbußen des Selbstbewusstseins und Selbstwertgefühls, während oftmals Dritte sich gegenüber sich offenbarenden Schuldnern irritiert, ablehnend, arrogant oder gar niederträchtig verhalten. Der von Gerhard ⁵⁸ vor 40 Jahren so treffend problematisierte Makel des Konkurses lebt auch heute noch in der Gedankenwelt großer Teile der Bevölkerung fort. Dem Insolvenzverfahren haftet in einer stark erfolgs- und glückorientierten Informations- und Konsumgesellschaft nach wie vor das Stigma des persönlichen Scheiterns und des Ehrverlustes an. Viele Schuldner empfinden die Insolvenz sogar als gesundheits- und lebensgefährdend und erleiden hierdurch Traumata. Der (drohende) Verlust des Vermögens, das sprichwörtliche „Verlieren von Haus und Hof“, löst bei Schuldnern erheblichen Stress und Angstgefühle aus.⁵⁹ Die Folge können unter anderem seelische Erkrankungen sein, die den Schuldner weiter zu isolieren drohen. Diese These wird durch die in der sozialmedizinischen Studie „Armut, Schulden und Gesundheit“ (ASG-Studie) des Instituts für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz statistisch erhobenen Daten gestützt.⁶⁰ Im Rahmen dieser Studie wurde durch anonyme Befragung von 666 in Rheinland-Pfalz wohnenden Probanden im Alter zwischen 18 und 79 Jahren festgestellt, dass ca. 80 % der insolventen Personen an mindestens einer, durchschnittlich jedoch an zwei Krankheiten litten. Dabei waren psychische Erkrankungen wie Angstzustände, Depressionen oder Psychosen sowie Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen mit jeweils rund 40 % die häufigsten Beeinträchtigungen. Nur ca. 20 % der Erkrankten schlossen aus, dass ihre Insolvenz die (Mit‐) Ursache ihrer Leiden sein könne.⁶¹ Personen, die die Schuldensituation als stark belastend empfanden, wiesen zu ca. 50 % eine psychische Erkrankung auf, während dies bei lediglich 30,3 % bzw. 17,6 % derjenigen Probanden der Fall war, die ihre Schulden

 vgl. zu alledem Reuter, S. 8 ff.  Gerhardt, S. 100 ff.  Münster/Rüger/Ochsmann/Alsmann/Letzel, S. 629 unter Hinweis auf im Ausland unternommene sozialwissenschaftliche Studien  die Erkenntnisse wurden veröffentlicht von Münster/Letzel, S. 55 ff. und Münster/Rüger/ Ochsmann/Alsmann/Letzel, S. 628 ff.  Münster/Rüger/Ochsmann/Alsmann/Letzel, S. 628 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

als mäßig oder nur etwas bedrückend empfanden.⁶² Als zusätzliche Belastung wurde erkannt, dass sich bei etwa der Hälfte der Betroffenen Freunde oder Familie wegen des Vermögensverfalls zurückzogen. Hinzu kam, dass die Mehrheit der Probanden angebotene medizinische Leistungen wegen ihrer geringen finanziellen Leistungsfähigkeit nicht annehmen konnte und ungefähr die Hälfte sich infolge der Schuldenproblematik weniger gesund ernährte und weniger Sport trieb.⁶³ Damit erweist sich der Vermögensverfall nicht nur als juristisches, ökonomisches und soziales Problem, sondern zugleich als Gefahr für die Gesundheit der Betroffenen.

d) Datenerhebung und -übermittlung Dieser Eindruck von den negativen Wirkungen eines „Privatinsolvenzverfahrens“ wird durch eine weitere (kollektive) Wahrnehmung der typischerweise mit einem Insolvenzverfahren verbundenen Begleiterscheinungen gestärkt.⁶⁴ Will beispielsweise der Schuldner zur Befriedigung seiner Grundbedürfnisse einfache Ersatzanschaffungen an Hausgeräten wie etwa eines Kühlschrankes für wenige hundert Euro tätigen und ist er hierzu auf einen Warenkredit angewiesen, dessen monatliche Annuität er über zwei oder drei Jahre aus seinem pfandfreien Erwerbseinkommen ohne weiteres bedienen könnte, wird er angesichts der damit einhergehenden Probleme zuweilen heftige Enttäuschungen erfahren. Kaum eine Bank wird nach einer negativen Schufa-Auskunft den Kreditantrag bewilligen. Auch die große Warenhauskette, welche selbst oder über verbundene Unternehmen einen Ratenzahlungskauf oder ähnliche Finanzierungsinstrumente zur Absatzförderung anbietet, wird sich unter Umständen ablehnend zurückziehen, wenn sie Kenntnis von der Vermögenszerrüttung des Schuldners nimmt; ganz zu schweigen von größeren Finanzierungen wie zum Beispiel eines Eigenheimes, von längerfristigen Dauerschuldverhältnissen, wie zum Beispiel der Abschluss eines Mobilfunkvertrages, oder von der Teilnahme an Bestellsystemen der im Internet agierenden Anbieter. Und selbst die „eigene Hausbank“ wird ihre Geschäftsbeziehung zum Schuldner zu beschränken versuchen, ausgegebene Kredit- und ECKarten zügig einziehen, ihn von der Teilnahme am Internetbanking ausschließen und möglicherweise die Beendigung der Kundenverbindung anstreben.⁶⁵

 Münster/Letzel, S. 90  Münster/Letzel, S. 116 ff.  Diese kollektiven Erfahrungen finden ihren Niederschlag auch in der gegenwärtigen (Umgangs‐) Sprache: viele, nicht selten abfällige Sentenzen beschreiben den Zustand des wirtschaftlichen Niedergangs, es ist von „Pleite machen“, „Privatpleite“, „eine Pleite hinlegen“ oder „Bankrott machen“ die Rede sowie doppeldeutig vom „Heben der Finger“ oder „Zeigen der Hamburger Gabel“.  Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 15. Januar 2013, XI ZR 22/12, NJW 2013, 1519) müssen die allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken für die ordentliche Kündigung eines

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner

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Um diesen Entwicklungen in Zeiten des bargeldlosen Zahlungsverkehrs zu begegnen, hatte der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1. Juli 2010 das so genannte Pfändungsschutzkonto („P-Konto“) eingeführt, auf dem der monatliche Pfändungsfreibetrag automatisch vor Pfändungen geschützt werden soll (§ 850k Abs. 1 ZPO).⁶⁶ Hierzu normierte er den Anspruch, ein bereits existentes Girokonto in ein Pfändungsschutzkonto wandeln oder ein neues Girokonto als Pfändungsschutzkonto einrichten lassen zu können (§ 850k Abs. 7 ZPO). Der Schuldner soll so vor Kontokündigungen und damit vor Kontolosigkeit infolge auf dem Bankkonto dauerhaft lastender Pfändungen bewahrt und ihm die weitere Teilnahme am bargeldlosen Zahlungsverkehr trotz seiner Vermögenskrise ermöglicht werden. Zudem verfolgte der Gesetzgeber damit die Intention, einen garantierten, einheitlichen und von der Art der Einkünfte unabhängigen Pfändungsschutz des auf dem Girokonto gebuchten Einkommensguthabens zu gewähren.⁶⁷ Der vom institut für finanzdienstleistungen e.V. für das Jahr 2011 veröffentlichte Überschuldungsreport⁶⁸ verweist jedoch auf Untersuchungen, wonach die Einrichtung eines P-Kontos, welches vom Kreditinstitut an die Auskunftei der Schufa Holding AG gemeldet wird, in der Regel mit Leistungseinschränkungen (Kündigung der Kreditkarte etc.) und mit einer beachtlichen Kostensteigerung verbunden ist,⁶⁹ andererseits das P-Konto nur zu einem geringen Teil von den Überschuldeten angenommen wird, während der Rest der Betroffenen es wegen der bestehenden Nachteile und der Kosten oder einfach aus Unkenntnis bislang nicht nutzt und zuweilen auf Fremdkonten ausweicht.

Für den Schuldner nicht unproblematisch ist deshalb die Rolle der Auskunfteien, wie etwa der Schufa Holding AG (kurz Schufa), der Creditreform Unternehmensgruppe oder der Bürgel Gruppe. Aktionäre der Schufa sind zum Beispiel Kredit-, Privat- und Genossenschaftsbanken, Sparkassen und weitere Unterneh-

Girovertrags nicht voraussetzen, dass die Bank eine Abwägung ihrer Interessen an einer Beendigung des Vertragsverhältnisses mit den Interessen des Kunden an dessen Fortführung vornimmt. Ob die Ausübung des Kündigungsrechts im konkreten Fall verbots- oder treuwidrig, rechtsmissbräuchlich oder schikanös sein könnte, sei überdies vor dem Hintergrund zu beurteilen, dass das vom Grundsatz der Privatautonomie beherrschte bürgerliche Recht keine über eine mittelbare Drittwirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes begründbare allgemeine Pflicht zur gleichmäßigen Behandlung – hier bei der Ausübung eines vertraglich vereinbarten ordentlichen Kündigungsrechts – vorsehe. Deshalb obliege es der Bank nicht, eine Ungleichbehandlung im Verhältnis zu anderen Kunden mittels einer Angemessenheits- oder Verhältnismäßigkeitsprüfung sachlich zu rechtfertigen.  durch Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 7. Juli 2009 (BGBl. I S. 1707)  amtliche Begründung zum RegE eines Gesetzes zur Reform des Kontopfändungsschutzes, BT-Drucks. 16/7615, S. 9 ff.  Knobloch/Reifner/Laatz, S. 27 ff.  vgl. zu den Missständen bei der Einführung des Pfändungsschutzkontos insbesondere hinsichtlich der Konditionen die Antwort der Bundesregierung vom 7. April 2011 auf eine Kleine Anfrage mehrerer Bundestagsabgeordneter (BT-Drucks. 17/5411) sowie BGH, Urt. v. 13. November 2012, XI ZR 500/11, ZIP 2012, 2489; BGH, Urt. v. 13. November 2012, XI ZR 145/12, juris; BGH, Urt. v. 16. Juli 2013, XI ZR 260/12, juris zu Fragen des Entgelts sowie des Nutzungsumfangs von Bankund Kreditkarten

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

men aus dem Handelsgewerbe.⁷⁰ Zu ihren Vertragspartnern zählen zurzeit ca. 7.000 Unternehmen, die im Rahmen ihrer Leistungen Finanz-, Waren- oder Dienstleistungskredite anbieten (Banken und Sparkassen, Versicherer, Telekommunikationsunternehmen, Handelshäuser etc.) und von der Schufa kreditrelevante Informationen über Privatpersonen und Unternehmen beziehen und ihr wiederum zur Verfügung stellen.⁷¹ Die so ausgetauschten Informationen speichert die Schufa in eigenen Datenbeständen, in die auch Informationen aus öffentlichen Verzeichnissen und amtlichen Bekanntmachungen (wie zum Beispiel aus den Schuldnerverzeichnissen, Handelsregistern oder aus dem nach § 9 InsO eingerichteten Internetportal www.insolvenzbekanntmachungen.de) einfließen, um den angeschlossenen Unternehmen für die Entscheidung über die Eingehung einer Kundenbeziehung und die Gewährung eines Kredites belastbare Grundlagen (unter anderem durch ein Scoring-System⁷²) zu vermitteln. Die Speicherung der gewonnenen kreditrelevanten Informationen ist der privatrechtlich organisierten Schufa aufgrund der vorherigen Einwilligung des Schuldners (§§ 4 Abs. 1, 4a Abs. 1 BDSG) durch Unterzeichnung sogenannter Schufa-Klauseln⁷³ bei Gelegenheit früherer Geschäftsabschlüsse sowie auf der Basis des §§ 4 Abs. 2, 28 BDSG regelmäßig gestattet.⁷⁴ Zudem kann sich die Zulässigkeit der Datenerhebung und -speicherung aus §§ 28a Abs. 1, 29 Abs. 1 BDSG ergeben, wonach unter anderem aus öffentlichen Quellen abrufbare Daten geschäftsmäßig verwertet werden dürfen. Für den Insolvenzschuldner bedeutet dies, dass die Schufa neben Personen- und Vertragsinformationen auch Daten erfasst, die infolge von Vollstreckungsmaßnahmen öffentlich zugänglich sind, mithin anlässlich der Abgabe der Vermögensauskunft (eidesstattlichen Versicherung), des Erlasses eines diesbezüglichen Haftbefehls, der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder der Abweisung mangels Masse sowie der Ankündigung und Gewährung der Restschuldbefreiung erhoben werden. Neben der öffentlichen Bekanntmachung ergründet sich durch diese Art der Datenspeicherung eine für die

 Schufa-Jahresbericht 2011, S. 31; die Schufa wurde im Jahr 1927 als „Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung“ in Berlin errichtet, nach dem Krieg neugegründet und im Jahr 2000 zur Schufa Holding Aktiengesellschaft umgewandelt, s. hierzu Schufa-Jahresbericht 2010, S. 24  Schufa-Jahresbericht 2011, S. 31  hierzu Korczak/Wilken, S. 6 ff.  Die Zeichnung der vorgedruckten Erklärung erfolgt freilich unter Ausnutzung der Marktstellung der Klauselverwender und der negativen Vertragsfreiheit, so dass andernfalls das Angebot des Kunden auf Abschluss des begehrten Vertrages schlichtweg abgelehnt wird.  BGH, Urt. v. 19. September 1985, III ZR 213/83, BGHZ 95, 362; BGH, Urt. v. 7. Juli 1983, III ZR 159/ 82, NJW 1984, 436; BGH, Urt. v. 15. Dezember 1983, III ZR 207/82, NJW 1984, 1889; BGH, Urt. v. 20. Juni 1978, VI ZR 66/77, NJW 1978, 2151

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner

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angeschlossenen Unternehmen jederzeit verfügbare Informationsquelle, welche die Vermögensinsuffizienz des Schuldners sofort offenbart und ihn aufgrund unternehmensinterner Richtlinien regelmäßig von bestimmten, auf Kredit basierenden Geschäften ausschließt. Die Datenfassung durch Auskunfteien hat für den Schuldner aber noch eine weitere Dimension. Nicht nur, dass die von den Auskunfteien gespeicherten Daten über die Tatsache der Verfahrenseinleitung für die Dauer des Insolvenzverfahrens und einer sich gegebenenfalls anschließenden Wohlverhaltensphase jederzeit sichtbar sind. Selbst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens und nach Erteilung der Restschuldbefreiung gemäß den §§ 286 ff. InsO bleiben die insoweit „negativ“ besetzten Daten für die abrufenden Unternehmen weiterhin sichtbar. Denn nach § 35 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 BDSG sind diese personenbezogenen Daten erst dann zu löschen, wenn eine Prüfung jeweils am Ende des vierten oder – soweit es sich um Daten über erledigte Sachverhalte handelt und der Betroffene der Löschung nicht widerspricht – am Ende des dritten Kalenderjahres, beginnend mit dem Kalenderjahr, welches der erstmaligen Speicherung folgt, ergibt, dass eine länger währende Speicherung nicht erforderlich ist. Dies hat zur Konsequenz, dass die Daten aus den Schuldnerverzeichnissen (über eidesstattliche Versicherung und Haftbefehl) sowie über die Eröffnung oder Beendigung des Insolvenzverfahrens und die Ankündigung und Erteilung der Restschuldbefreiung jeweils – von der Eintragung des Erledigungsmerkmals an – frühestens nach drei Jahren zum Jahresende zu löschen sind, was im schlechtesten Fall eine Frist von fast vier Jahren bedeuten kann. Das insoweit nachteilig konnotierte Datenmerkmal der Erteilung der Restschuldbefreiung wird demgemäß erst neun oder zehn Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens eliminiert, obgleich der Schuldner schon drei Jahre zuvor Restschuldbefreiung erhalten und davor im Rahmen der Wohlverhaltensphase seine Redlichkeit unter Beweis gestellt hatte. Für den Schuldner werden mithin erst neun bzw. fast zehn Jahre nach Verfahrenseröffnung in den Datenspeichern der Auskunfteien keine direkten Merkmale ausgewiesen, die auf eine vormalige Vermögenszerrüttung deuten.⁷⁵ Wird indes der Eröffnungsantrag mangels Masse abgewiesen und der Schuldner in das Schuldnerverzeichnis nach § 26 Abs. 2 InsO eingetragen, beträgt die Löschungsfrist fünf Jahre nach Eintragung. Angesichts dieser unausgewogenen Konstellationen wird deutlich, dass der Insolvenzschuldner deutlich länger als die gesetzlich vorgesehene Wohlverhal Knobloch/Reifner/Laatz, S. 36, weisen in dem vom institut für finanzdienstleistungen e. V. für das Jahr 2011 herausgegebenen Überschuldungsreport darauf hin, da selbst nach der Löschung der direkten Daten der sogenannte Scorewert der Betroffenen noch weiter niedrig bleibt, weil die Vergangenheitsdaten trotz des Datenschutzes indirekt weiter genutzt werden.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

tensphase (§ 287 Abs. 2 Satz InsO) in seiner wirtschaftlichen Integrität sowie Kreditwürdigkeit und damit in seiner persönlichen und wirtschaftlichen Handlungsfreiheit behindert ist.⁷⁶ Ihm bleibt trotz erteilter Restschuldbefreiung paradoxerweise für mindestens weitere drei Jahre der Stempel der vormaligen und de jure abschließend bewältigten Insolvenz aufgedrückt, ohne eine frühere Möglichkeit zu erhalten, sich auch insoweit von diesem Makel zu befreien.⁷⁷

 Zu sehen ist in diesem Zusammenhang freilich die Vorschrift des § 303 Abs. 2 InsO, wonach binnen eines Jahres nach rechtskräftiger Entscheidung über die Restschuldbefreiung aufgrund eines Gläubigerantrags noch der Widerruf derselben möglich ist, wenn glaubhaft gemacht wird, nachträglich habe sich herausgestellt, dass der Schuldner eine seiner Obliegenheiten vorsätzlich verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger erheblich beeinträchtigt hat, und dass der Gläubiger bis zur Rechtskraft der Restschuldbefreiungsentscheidung keine Kenntnis davon hatte. Hingegen wird den Schuldner die Nachstundungsphase des § 4b InsO nur insoweit berühren, als nach Erteilung der Restschuldbefreiung das Insolvenzgericht die Entscheidung über die Verfahrenskostenstundung jederzeit ändern und die zu zahlenden Monatsraten neu festsetzen kann, wenn sich die dafür maßgeblichen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich geändert haben. Dabei ist eine Änderung zum Nachteil des Schuldners nicht mehr möglich, wenn seit der Beendigung des Verfahrens vier Jahre vergangen sind (§ 4b Abs. 2 Satz 4 InsO). Diese Regelungen zeigen ebenfalls, dass das gesamte „Privatinsolvenzverfahren“ mit der Verfahrensaufhebung bzw. Erteilung der Restschuldbefreiung noch lange nicht sein Ende gefunden hat und den Schuldner weiter in seine Wirkungen einbezieht.  Inwieweit diese Rechtslage mit dem im Grundgesetz verankerten Gleichbehandlungsgrundsatz noch weiter vereinbart werden kann, wird in Zukunft kritisch hinterfragt werden müssen. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages sprach sich jedenfalls am 28. März 2012 (vgl. Pressemitteilung des Deutschen Bundestages hib Nr. 162 vom 28. März 2012, abgerufen unter http://www.bundestag.de/presse/hib/ 2012_03/2012_162/02.html, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013) für eine Änderung der durch das Bundesdatenschutzgesetz geregelten Speicherfristen für bonitätsbezogene Daten aus und beschloss, eine dahingehende Petition dem Bundesministerium des Inneren zur Erwägung zu überweisen und den Fraktionen zur Kenntnis zu geben. Dabei nahm er auch Bezug auf in der Rechtsprechung (vgl. BGH, Urt. v. 17. Dezember 1985, VI ZR 244/ 84, ZIP 1986, 220; BGH, Urt. v. 24. Juni 2003, VI ZR 3/03, ZIP 2003, 1498; BGH, Urt. v. 22. Februar 2011, VI ZR 120/10, NJW 2011, 2204; OLG Frankfurt, Beschl. v. 1. September 2009, 21 U 45/09, juris; OLG Frankfurt, Urt. v. 18. Juni 2008, 23 U 221/07, NJW-RR 2008, 1228) vorzufindende Argumente, wonach den Interessen der von der Eintragung Betroffenen „schützenswerte Belange der Kreditinstitute und der kreditgebenden gewerblichen Wirtschaft“ gegenüberstünden. Diese Interessen würden es gebieten, infolge der Länge der Speicherfrist das Zahlungsverhalten des Betroffenen verlässlich beurteilen zu können, da diese Informationen zur Bonitätsprüfung und zur Einschätzung des Geschäftsrisikos benötigt würden. Dabei sei nach Auffassung des OLG Frankfurt (Beschl. v. 1. September 2009, 21 U 45/09, juris) zu berücksichtigen, dass die Restschuldbefreiung einen erheblichen wirtschaftlichen Vorteil für den Schuldner bedeute, während die Gläubiger oft erhebliche Einbußen erleiden, so dass Kreditinstitute ein erhebliches und schützenswertes Interesse an der Einschätzung einer etwaigen Wiederholungsgefahr hätten, der sie unter anderem auch durch einen höheren Zinssatz (sic!) Rechnung tragen können. Angesichts dessen wiesen die im Petitionsausschuss tätigen Abgeordneten ebenfalls darauf hin, dass eine Restschuldbe-

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner

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e) Straftaten und Verbindlichkeiten aus unerlaubter Handlung Ein weiteres starkes Motiv für die Fluchtentscheidung kann sein, dass sich der Schuldner typischer (Begleit‐) Straftaten schuldig gemacht hat, so dass er – auch mit Blick auf die Offenbarungspflicht nach § 97 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO – seine Strafverfolgung befürchten muss. Denn die Vorschrift des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO hindert die Verfolgungsbehörden nicht daran, ihrerseits weitere Ermittlungen anzustellen, auch wenn sie die Auskunft an sich, zu deren Erteilung der Schuldner im Rahmen des Insolvenzverfahrens verpflichtet ist, gegen dessen Willen nicht verwerten darf.⁷⁸ In Betracht kommen hierbei nicht nur die Insolvenzstraftaten der §§ 283 ff. StGB, sondern alle anderen begleittypischen Straftatbestände, insbesondere des Betruges (§ 263 StGB) und des Kreditbetruges (§ 265b StGB), der Untreue (§ 266 StGB), der Urkundenfälschung (§ 267 StGB), der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) oder des Vorenthaltens und Veruntreuens der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteile zur Gesamtsozialversicherung (§ 266a StGB). Fluchtauslösend muss nicht allein die zu erwartende Strafverfolgung mit der etwaigen Verurteilung zu einer Geld- oder Freiheitsstrafe sein. Die Flucht stimulieren kann zudem die Überlegung, dass sich der Schuldner wegen der mit der Begehung der Straftat verbundenen Schäden Ersatzansprüchen nach den §§ 823 ff. BGB ausgesetzt sieht, die als Verbindlichkeiten aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung gemeinsam mit etwaigen Geldstrafen gemäß § 302 Nr. 1 und 2 InsO nicht von einer Restschuldbefreiungsentscheidung erfasst werden würden.⁷⁹ Überdies kann die Vorahnung des Schuldners, im Rahmen des Insolvenzverfahrens gläubigerbenachteiligende Verfügungen der Vergangenheit oder verborgene Massegegenstände aufdecken zu müssen, deren Offenlegung notfalls mittels Haft zwangsweise durchgesetzt werden kann, zur Flucht motivieren. Des Weiteren können von vornherein bestehende Versagungsgründe, wie zum Beispiel die Verschwendung erheblichen Vermögens und die Begründung unangemessener

freiung erst nach einer sogenannten Wohlverhaltensperiode von sechs Jahren erteilt werde und mit Blick auf die Kritik des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit zum sogenannten Daten-Scoring die derzeit geltende Rechtslage nicht angemessen sei.  RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 142; hierzu Bömelburg, S. 121 ff. m. w. Nachw.; BVerfG, Beschl. v. 13. Januar 1981, 1 BvR 116/77, NJW 1981, 1431 mit Sondervotum Dr. Heußner; BVerfG, Beschl. v. 7. Juli 1995, 2 BvR 1778/94, NJW 1996, 916; BVerfG, Beschl. v. 16. November 1989, 2 BvR 510/06, NJW 1999, 779; BVerfG, Beschl. v. 13. Oktober 2003, 2 BvR 1321/02, wistra 2004, 19; BVerfG, Beschl. v. 15. Oktober 2004, 2 BvR 1316/04, NJW 2005, 352; BVerfG, Beschl. v. 31. März 2008, 2 BvR 467/08, WM 2008, 989; LG Stuttgart, Beschl. v. 21. Juli 2000, 11 Qs 46/2000, ZInsO 2001, 135  Voraussetzung ist nach BGH, Urt. v. 7. Mai 2013, IX ZR 151/12, WM 2013, 1518, freilich, dass die Anmeldung der Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung spätestens bis zum Ablauf der sechsjährigen Abtretungsfrist erfolgte.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Verbindlichkeiten (§ 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO) oder die drohenden Verurteilung wegen einer Insolvenzstraftat (§ 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO), zu der Erkenntnis des Schuldners führen, im Rahmen des Insolvenzverfahrens ohnehin keine Restschuldbefreiung erfahren zu können. Ferner mag die Überlegung dem Schuldner den Anlass für eine Flucht geben, bereits in den letzten zehn Jahren vor dem Eröffnungsantrag eine Restschuldbefreiung erreicht zu haben, weshalb eine erneute Restschuldbefreiung gegenwärtig nicht in Frage kommt (§ 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO).

f) Schuldnertypologie Wird der Versuch unternommen, eine moderne Typologie der Schuldner zu erkennen, lassen sich folgende Feststellungen treffen. Die Insolvenzordnung unterscheidet hinsichtlich der als natürliche Personen in Betracht kommenden Schuldner in § 304 InsO dahingehend, ob sie eine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit ausüben oder ausgeübt haben und wenn dies der Fall ist, in welchem Maß Verbindlichkeiten begründet worden sind. Übt(e) der Schuldner keine selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit aus oder sind seine Vermögensverhältnisse überschaubar im Sinne des § 304 Abs. 2 InsO (keine Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen und weniger als zwanzig Gläubiger), eröffnet sich der Anwendungsbereich des in §§ 304 ff. InsO normierten Verbraucherinsolvenzverfahrens, welches gegenüber dem Regelinsolvenzverfahren einige Verfahrensvereinfachungen in den §§ 312 bis 314 InsO vorsieht. So gesehen wird lediglich mit Blick auf die Verfahrensökonomie zwischen Verbrauchern (§ 13 BGB) sowie im geringen Umfang wirtschaftlich Selbstständigen einerseits und den übrigen Unternehmern (§ 14 BGB) andererseits differenziert. Eine weitergehende Unterscheidung der Schuldner erfolgt nicht. Abgesehen von den Verbindlichkeiten aus Arbeitsverhältnissen und der Anzahl der Gläubiger ist es demnach irrelevant, wie sich im Einzelnen die Gläubigergemeinschaft zusammensetzt, wie hoch die Verbindlichkeiten sind, welchem Rechtsgrund sie jeweils entspringen, ob und wie viel verwertbares Vermögen zur Befriedigung bereitsteht oder ob der Schuldner noch über Erwerbseinkünfte verfügt. Restschuldbefreiung nach den §§ 286 ff. InsO oder nach den Vorschriften des Insolvenzplanverfahrens bzw. des (außergerichtlichen) Schuldenbereinigungsplanverfahrens (§§ 305 ff. InsO) kann jeder Schuldner erfahren, so im Einzelnen die (teilweise) noch zu untersuchenden Voraussetzungen gegeben sind. Entgegen früherer Verfahrensordnungen ist es unerheblich, ob es sich bei dem einzelnen Schuldner um einen Kaufmann im Sinne des § 1 HGB, einen selbstständigen Handwerker oder Gewerbetreibenden, einen Freiberufler (Arzt, Zahnarzt, Notar, Rechts- und Patentanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Architekt etc.), einen

I. Auswirkungen des Insolvenzverfahrens auf den Schuldner

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Land- oder Forstwirt, einen Beamten, Richter oder Soldaten, einen abhängig Beschäftigten, einen Gesellschafter einer Personen(handels)gesellschaft, um das Vertretungsorgan (Geschäftsführer, Vorstand) oder um den Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft oder um einen Erwerbslosen handelt. Dennoch lassen sich unter einem anderen Betrachtungswinkel moderne Schuldnertypen klassifizieren, wenn danach gefragt wird, welche Ursachen der Vermögensinsuffizienz zugrunde liegen. Eine von Lechner⁸⁰ in den Jahren 2009 und 2010 unter Beteiligung von 754 Personen unternommene Längsschnittstudie zur Evaluation des (Verbraucher‐) Insolvenzverfahrens benennt aus vornehmlich soziologischer Sicht verschiedene Wurzeln der untersuchten Vermögenskrisen und entwickelte darauf aufbauend eine Schuldnertypologie. Hiernach wurden alltägliche biografische Risiken wie Arbeitslosigkeit, Trennung und Scheidung, gescheiterte Selbstständigkeit, Verlust des Überblicks über die eigene finanzielle Situation sowie naives Konsumverhalten als häufigste von insgesamt 18 für die Vermögensunzulänglichkeit genannten Gründe ermittelt.⁸¹ Unter Berücksichtigung weiteren Datenmaterials (Angaben der Betroffenen zu Einkommen, Arbeitsmarktsituation und Arbeit, sozialem Umfeld, subjektivem Wohlbefinden und Lebenszufriedenheit, Gesundheit, stressbedingten psychosomatischen Krankheiten und Anomia, Vertrauen in Institutionen), welches unter anderem den möglichen Erfolg einer Enthaftung abzuschätzen helfen sollte, konnten im Ergebnis drei Schuldnertypen bestimmt werden: Der von Lechner so genannte Typ 1 verkörpert als Opfer moderner biografischer Risiken das allgemeine Daseinsrisiko in der Moderne, welches er mit den treffenden Worten umschreibt: „Überschuldung ist hier kein biografisches Ereignis außerhalb der Norm, sondern ein Betriebsunfall des Alltags.“ ⁸² Diese Schuldner hätten aufgrund ihres vergleichsweise defensiven Wertegerüsts hinsichtlich der Erfüllung materieller Bedürfnisse, guter Arbeitsmarktaussichten, durchschnittlich hohem Einkommen und guter sozialer Inkludierung beste Aussichten, nach einer Restschuldbefreiung einen fresh start erfolgreich zu gestalten und von neuerlicher Überschuldung verschont zu bleiben. Beim sogenannten Typ 2 – von Lechner ⁸³ bezeichnet als Insolvente mit Orientierungsproblemen – treten familiäre Probleme sowie finanziell naives (Konsum‐) Verhalten hinzu, so dass angesichts einer stärker an individueller Bedürfnisverwirklichung orientierten Wertestruktur und geringerer Einkommensressourcen ein erhöhtes Risiko der Wiederverschuldung    

Lechner, Lechner, Lechner, Lechner,

S. 6 ff. S. 51 ff. S. 67 S. 68

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

besteht, dem mit Zeit und externer Hilfe begegnet werden könne. Der von Lechner ⁸⁴ beschriebene Typ 3 – der sogenannte Insolvente mit andauerndem Beratungsbedarf – charakterisiert indes die vielfach überforderten Schuldner, bei denen sich zu den für Typ 1 und 2 für die Vermögenskrise relevanten Ursachen ein zunehmender Kontrollverlust, nachhaltiger Ressourcenmangel und alltägliches Durcheinander gesellen. Für diese Schuldner bestünde angesichts der Defizite in der Ursachenwahrnehmung und der sozialen Inklusion nach seiner Einschätzung die höchste Gefahr der Neuverschuldung, weshalb sie anhaltend kompetente Hilfe benötigten. Lechner ⁸⁵ fordert wegen der nicht zu bestreitenden Tatsachen, dass alle Schuldner zwar ein normativ gleich strukturiertes Entschuldungsverfahren durchlaufen, aber von unterschiedlichen sozialen Ausgangspunkten in dieses eintreten und demzufolge in verschiedener Weise von der Verfahrensausgestaltung profitieren, flankierende Hilfsangebote für die Schuldner des Typs 2 und 3, um für diese das Risiko des Wiedereintritts einer Vermögenskrise zu minimieren. Abseits der Fragen, worin auf Risikominimierung zielende Angebote zur Beratungshilfe konkret gesehen und wie sie begleitend zum Insolvenzverfahren nicht nur in finanzieller Hinsicht verwirklicht werden können, lassen die dieser Studie zugrundeliegenden Erkenntnisse zugleich ahnen, dass es womöglich nicht allein einzeln identifizierbare Motive sind, die nachgerade eine Flucht des Schuldners infolge seiner Vermögensinsuffizienz auslösen können. Vielmehr spielen die in ihrer Gesamtheit zum Ausdruck kommenden individuellen Fähigkeiten und Werteinstellungen, das persönliche Maß an Belastbarkeit und Frustrationstoleranz, der Grad der sozialen Inklusion und Integration, kognitive und emotionale Möglichkeiten sowie die Erwartungen an die künftige Gestaltung der eigenen Lebensumstände wesentliche Rollen für die vom Schuldner zu treffende Entscheidung, sich seinen Gläubigern in einem geordneten Verfahren zu stellen oder wegzugehen.

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht Die im vorangegangenen Abschnitt geschilderten Wirkungen und Konsequenzen erweisen sich als bunter Strauß an Motiven für eine Flucht. Sie mögen einzeln und für sich gesehen für viele Schuldner noch hinnehmbar und ertragbar sein, so dass sie isoliert sicherlich nur in manchen Fällen geeignet sind, die psychologische Hemmschwelle für eine Fluchtentscheidung zu überwinden. Aber je nach den Umständen

 Lechner, S. 68 f.  Lechner, S. 69

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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des Einzelfalles, der Neigungen und der Akzeptanzbereitschaft sowie der Erwartung des Schuldners an ein selbstbestimmtes Leben kann eine Summe der genannten Einzelwirkungen und Konsequenzen den entscheidenden Moment für die Flucht geben, die dann nicht selten in das Ausland führt. In der Insolvenzordnung finden sich nicht wenige Normen, die einen direkten oder indirekten Bezug zur Schuldnerflucht aufweisen. Sie zeigen unterschiedliche Regelungsinhalte und -ziele; einige dienen der Gestaltung der Beteiligungsrechte und -pflichten des Schuldners, andere beinhalten Definitionen, die auf die Flucht reflektieren. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie angesichts der Schuldnerflucht in die privatautonomen Rechtsbeziehungen zwischen Schuldner und Gläubiger erheblich eingreifen. Auf den nächsten Seiten werden diese Vorschriften näher zu betrachten sein.

1. Die Flucht als Zeichen der Zahlungseinstellung Ebenso wie nach den Bestimmungen der Konkursordnung kann unter der Geltung der Insolvenzordnung die Flucht des Schuldners einen Hinweis auf dessen Vermögensinsuffizienz geben, so dass Anlass für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens besteht. § 17 Abs. 1 InsO statuiert die Zahlungsunfähigkeit als allgemeinen Eröffnungsgrund, die nach der Legaldefinition des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO besteht, wenn der Schuldner zur Erfüllung der fälligen Zahlungsverbindlichkeiten nicht in der Lage ist. Der Konkretisierung des Tatbestandes, welcher auf den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit deutet, dient (in Anlehnung an § 102 Abs. 2 KO⁸⁶) die in § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO enthaltene widerlegbare Vermutung, wonach bei Einstellungen der Zahlungen in der Regel die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners angenommen werden kann.⁸⁷ Der Gesetzgeber wollte mit der gesetzlichen Definition der Zahlungsunfähigkeit im Wesentlichen an die unter der Herrschaft der Konkursordnung von der Rechtsprechung und Literatur entwickelten Merkmale anknüpfen.⁸⁸ Dabei hat die gesetzliche Vermutungsregelung des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO nicht nur Bedeutung für die Beantwortung der Frage, ob ein Insolvenzgrund für die Verfahrenseröffnung besteht. Ihr ist zugleich Beachtung im Rahmen des Anfechtungsrechts der §§ 129 ff. InsO zu schenken, soweit dort auf den Umstand der Zahlungseinstellung Bezug genommen wird.⁸⁹ Die nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO und § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO mögliche Insolvenzanfechtung setzt die Zahlungsunfähigkeit als

 amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 114  Kreft/Kirchhof, InsO, § 17 Rz. 26 ff.  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 114; Jaeger/Müller, InsO, § 17 Rz. 28; Smid, Handbuch, S. 76  BGH, Urt. v. 11. Februar 2010, IX ZR 104/07, ZIP 2010, 682; BGH, Urt. v. 9. Januar 2003, IX ZR 175/02, ZIP 2003, 410

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Tatbestandsmerkmal voraus. Für eine auf § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO gestützte Anfechtung bedarf es zusätzlich der Kenntnis des Anfechtungsgegners über die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners, während bei einer Anfechtung auf der Basis des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO das Wissen des Anfechtungsgegners um die drohende Zahlungsunfähigkeit eine Beweislastumkehr zu seinen Lasten begründet.⁹⁰

Unter einer Zahlungseinstellung im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 InsO wird ein nach außen tretendes Verhalten des Schuldners gesehen, in welchem sich typischerweise eine Zahlungsunfähigkeit ausdrückt und den beteiligten Verkehrskreisen der berechtigte Eindruck der Illiquidität aufdrängt.⁹¹ Die diesen Eindruck begründenden Hinweise müssen hinreichend konkret und erheblich sein, um einen Rückschluss auf die Illiquidität zu legitimieren.⁹² Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs⁹³ kann die Überzeugung von der Zahlungseinstellung, und damit von Zahlungsunfähigkeit, auch mittelbar durch Indizien gewonnen werden, wobei für die Feststellung des Eröffnungsgrundes „ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit“ ausreiche. So können eigene Erklärungen des Schuldners⁹⁴ oder sein (nonverbales) nach außen sichtbares Verhalten relevante Zeichen verkörpern, die einen Rückschluss auf die Zahlungseinstellung des Schuldners erlauben.⁹⁵ Ob dem Schuldner indes die Bedeutung seines Verhaltens bewusst ist, bleibt ohne Belang.⁹⁶ Wie schon in den historischen Rechtsordnungen geben in der Vermögenskrise eintretende typische Geschehensabläufe oder schlüssiges Verhalten Hinweise auf die Zahlungseinstellung, wie zum Beispiel wiederholte Wechselproteste, das „Platzen“ hingegebener Schecks, die Nichtbezahlung von Grundversorgungslieferungen (Strom, Wasser, Telefon etc.), der Löhne, Gehälter, Sozialversicherungsbeiträge oder Steuern an mehr als einem Zahltermin hintereinander, die Einstellung des Geschäftsbetriebes ohne ordnungsgemäße Abwicklung, die Häufung von Individualvollstreckungsmaßnahmen oder der Erlass mehrerer Haftbefehle zur Erzwingung der Abgabe der eidesstattlichen Versiche-

 hierzu Hölzle, ZIP 2006, 101 ff.  BGH, Urt. v. 20. November 2001, IX ZR 48/01, BGHZ 149, 178, 184; BGH, Urt. v. 9. Januar 2003, IX ZR 175/02, ZIP 2003, 410; BGH, Urt. v. 12. Oktober 2006, IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222; Kreft/ Kirchhof, InsO, § 17 Rz. 26 ff.  Jaeger/Müller, InsO, § 17 Rz. 31  BGH, Beschl. v. 13. April 2006, IX ZB 118/04, WM 2006, 1215  BGH, Urt. v. 4. Oktober 2001, IX ZR 81/99, ZIP 2001, 2097  Smid, Handbuch, S. 77 unter Hinweis auf ein Urteil des BGH v. 22. November 1990, IX ZR 103/ 90, ZIP 1991, 39  Jaeger/Müller, InsO, § 17 Rz. 29

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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rung.⁹⁷ In diesen Beispielkatalog reiht sich die Flucht des Schuldners vor seinen Gläubigern traditionell ein und kann auf die Zahlungseinstellung und somit auf die Zahlungsunfähigkeit deuten.⁹⁸ Die Schuldnerflucht erscheint demnach als mögliches Indiz und Auslöser des Insolvenzverfahrens. Sie begründet eine widerlegbare Vermutung für die Zahlungseinstellung.⁹⁹ Hingegen genügt die bloße „böswillige“ oder infolge eines Rechtsirrtums geschehene Verweigerung der Zahlung nicht, um den Tatbestand der Zahlungseinstellung für gegeben anzusehen.¹⁰⁰ Deshalb wird die bloße Flucht des Schuldners dann kein ausreichendes Anzeichen für eine Zahlungseinstellung sein, wenn sie nicht wegen der Verbindlichkeiten motiviert wird, sondern ausschließlich andere Gründe hat.

2. Begründung von Verbindlichkeiten durch den Flüchtigen Die Flucht des Schuldners mag unter anderem von der vagen Hoffnung getragen sein, sich den einschneidenden Folgen des eröffneten Insolvenzverfahrens dauerhaft entziehen zu können. Hat der Fallitus die Flucht angetreten und führte sie an einen für die zurückgebliebenen Verfahrensbeteiligten (zunächst) unbekannten Ort, stellt sich für ihn alsbald die Frage, auf welche Weise er seinen künftigen Lebensunterhalt bestreiten will. Zwar kann er von mitgenommenen Vermögenswerten sowie von Zuwendungen zugeneigter Verwandter und Freunde vielleicht eine Zeit lang leben. Indes verfügt nicht jeder fallitus fugitivus über ausreichende finanzielle Reserven und persönliche Kontakte, um auf unbestimmte Zeit die Kosten des Daseins bestreiten zu können. Gleich dem daheimgebliebenen Schuldner ist der Fugitivus deshalb zumeist darauf angewiesen, durch irgendeine selbstständige oder nichtselbstständige Erwerbstätigkeit seine künftige wirtschaftliche Existenz zu gestalten, will er strafbaren Handlungen entsagen und sich nicht in die Abhängigkeit sozialstaatlicher Fürsorge begeben. Abgesehen von den vorstehend untersuchten Wirkungen der Verfahrenseröffnung, welche im Einzelfall der Fortsetzung einer zum Zeitpunkt des Eröffnungsbeschlusses

 Kreft/Kirchhof, InsO, § 17 Rz. 32 ff.; Jaeger/Müller, InsO, § 17 Rz. 32; BGH, Beschl. v. 13. April 2006, IX ZB 118/04, WM 2006, 1215  BGH, Beschl. v. 13. April 2006, IX ZB 118/04, WM 2006, 1215; Kreft/Kirchhof, InsO, § 17 Rz. 34; Jaeger/Müller, InsO, § 17 Rz. 32  Kübler/Prütting/Bork/Pape, § 17 Rz. 16; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 17 Rz. 27  Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 17 Rz. 27; Nerlich/Römermann/Mönning, § 17 Rz. 27; Smid, Handbuch, S. 77

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

ausgeübten Erwerbstätigkeit entgegenstehen mögen, verbietet das Insolvenzrecht dem Schuldner freilich nicht, sich weiter beruflich und erwerbswirtschaftlich zu betätigen. Vielmehr erwartet der Gesetzgeber – und nicht nur mit Blick auf eine etwaige Restschuldbefreiung – geradezu, dass der Schuldner einen weiteren, eigenen finanziellen Beitrag zur Krisenbewältigung leistet.¹⁰¹ Der in § 35 Abs. 1 InsO definierte Umfang der Insolvenzmasse, welche den Neuerwerb ebenso erfasst, zeigt gerade, dass der Schuldner grundsätzlich zu weiterer Erwerbstätigkeit befugt sein soll. Das nachvollziehbare Interesse des Schuldners, sich nach dem finanziellen Zusammenbruch durch selbstständige oder nichtselbstständige Erwerbstätigkeit wieder eine wirtschaftliche Existenz aufzubauen, kollidiert allerdings mit dem Interesse der Verfahrensgläubiger und so des Insolvenzverwalters, alle Erwerbseinkünfte zur Masse zu ziehen und jene wiederum nicht mit sie schmälernden Verbindlichkeiten belastet zu sehen. Ein Beispiel kann das Problem weiter verdeutlichen: Nachdem das Insolvenzgericht dem Schuldner einen vom Finanzamt eingereichten Eröffnungsantrag wegen rückständiger Einkommen- und Umsatzsteuerforderungen zustellte, rafft dieser alle Habseligkeiten sowie die Barschaft zusammen und begibt sich mit Frau und Kind – ohne irgendeine Information über seinen Verbleib zu hinterlassen – in eine weitab gelegene südwestdeutsche Kleinstadt. Dort gelingt es ihm, mithilfe ansässiger Verwandtschaft Fuß zu fassen und zunächst im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses den laufenden Unterhalt seiner Familie sicherzustellen. Nach einiger Zeit eröffnet sich für den Fugitivus die Chance, seine vormals ausgeübte selbstständige Tätigkeit als Autohändler wieder aufzunehmen. Hierzu mietet er eine Gewerbefläche an, stellt einen Bürocontainer auf und beschafft sich über Kredit junge Gebrauchtfahrzeuge, die er einstweilen erfolgversprechend mit (vermeintlichem) Gewinn verkauft. Der Insolvenzverwalter erfährt von diesem „fresh start“ des Insolvenzschuldners und dessen Verbleib, nachdem dieser einige seiner neuen Gläubiger nicht bediente und jene überraschend von dem in der norddeutschen Großstadt seit einiger Zeit anhängigen Insolvenzverfahren Kenntnis nehmen mussten. Da der Insolvenzschuldner erneut flüchtig ist, stellt sich für die Neugläubiger die Frage, wie sie ihre Ansprüche befriedigen können, während sich der Insolvenzverwalter noch ganz andere Gedanken macht.

Seit dem Inkrafttreten der Insolvenzordnung wurde die soeben skizzierte Problematik kontrovers diskutiert.¹⁰² Einigkeit bestand weitgehend darüber, dass die während des Insolvenzverfahrens entstehenden Vermögenswerte, die aufgrund der mit Zustimmung des Insolvenzverwalters erfolgten Fortsetzung der bislang ausgeübten selbstständigen Erwerbstätigkeit erwirtschaftet werden, kraft Surrogation zur Insolvenzmasse gehörend zu qualifizieren sind, während die hierfür eingegangenen Verbindlichkeiten gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO Masseschulden

 vgl. amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 122  einen Überblick über den Streitstand gibt Grau, S. 150 ff.

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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darstellen.¹⁰³ Auch die vom Schuldner mit Mitteln des insolvenzfreien Vermögens (vgl. § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO) erwirtschafteten Vermögensgegenstände fallen – dahinstehend, ob mit oder ohne Einwilligung des Insolvenzverwalters geschehen – als Neuerwerb unter die Insolvenzmasse; eine negative dingliche Surrogation dergestalt, dass die auf diese Weise geschaffenen Werte nicht vom Insolvenzbeschlag umfasst wären, kennt die Insolvenzordnung nicht.¹⁰⁴ Die sich somit aufdrängende Frage war, wie die nach Verfahrenseröffnung vom destruktiv agierenden, insbesondere flüchtigen Insolvenzschuldner begründeten Verbindlichkeiten zu qualifizieren sind. Denn der Gesetzgeber hatte hierzu keine eigenständigen Bestimmungen formuliert.¹⁰⁵

a) Neugläubigeransprüche als Insolvenzforderungen? Naheliegend war zunächst die Untersuchung, ob die Neugläubiger mit ihren Ansprüchen gleichwohl als Insolvenzgläubiger im Sinne des § 38 InsO angesehen oder ob die ihnen gegenüber eingegangenen Verpflichtungen unter den Begriff der sonstigen Masseverbindlichkeiten subsumiert werden konnten. Die Neugläubiger können ihre Ansprüche aber nicht als Insolvenzforderungen im Sinne des § 38 InsO im Rahmen des Insolvenzverfahrens geltend machen. Denn nach der Legaldefinition des § 38 InsO zählen zu den Insolvenzgläubigern die persönlichen Gläubiger des Schuldners, die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben, gleichviel, ob es sich um privat- oder öffentlich-rechtliche Ansprüche handelt oder der Gläubiger In- oder Ausländer¹⁰⁶ ist. Unter vermögensrechtliche Ansprüche sind dabei alle geldwerten Rechte zu verstehen, die aus dem haftenden Vermögen des Schuldners vollstreckungsrechtlich beitreibbar sind.¹⁰⁷ Damit sind Forderungen, die nicht auf Geldzahlung gerichtet sind und die nicht nach § 45 InsO in Geldwert umgewandelt werden können (wie zum Beispiel Freistellungsansprüche),¹⁰⁸ keine Insolvenzforderungen im Sinne der Norm. Hierzu gehören beispielsweise gegen den Schuldner gerichtete

 amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 122; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 12. Auflage, § 35 Rz. 36 m. w. Nachw.; a. A. wohl Dahms, ZInsO 2005, 794; Grau, S. 150  Runkel, S. 318 ff.  Tetzlaff, ZVI 2002, 309 ff.; Henning, ZInsO 2004, 586 ff.; Smid, WM 2005, 625 ff.; Grau, S. 150  vgl. Art. 39 EuInsVO für deren Geltungsbereich  Jaeger/Henckel, InsO, § 38 Rz. 63; BAG, Urt. v. 23. Juni 2004, 10 AZR 495/03, NJW 2005, 460 m. w. Nachw.  BAG, Urt. v. 23. Juni 2004, 10 AZR 495/03, NJW 2005, 460; LAG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 21. März 2013, 2 TaBV 43/12, juris oder beispielsweise Ansprüche auf Vornahme bestimmter Handlungen BGH, Urt. v. 13. Dezember 2012, IX ZR 9/12, NJW 2013, 1243

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Unterlassungsansprüche, Auskunftsansprüche, bestimmte familienrechtliche Ansprüche (zum Beispiel die Anerkennung der Vaterschaft) oder Ansprüche auf Vornahme unvertretbarer Handlungen im Sinne des § 888 ZPO.¹⁰⁹ Die Gläubiger derartiger Ansprüche können diese ungeachtet des Insolvenzverfahrens individuell verfolgen und sind nicht auf das Feststellungs- und Verteilungsverfahren der §§ 176 ff. InsO und §§ 187 ff. InsO verwiesen.¹¹⁰ Denn für die Erfüllung dieser Ansprüche haftet der Schuldner nur persönlich und nicht das ihm zugeordnete, aber beschlagnahmte Vermögen.

Für die zu treffende Einordnung der Neugläubigeransprüche maßgebliches Abgrenzungskriterium ist, dass eine Forderung zum Zeitpunkt des Erlasses des Eröffnungsbeschlusses unter Beachtung der §§ 41 ff. InsO bereits begründet gewesen sein muss, um sie als Insolvenzforderung qualifizieren zu können. Entscheidend ist mithin, dass der Rechtsgrund ihrer Entstehung bei Verfahrenseröffnung schon bestand.¹¹¹ Hingegen ist es irrelevant, ob die Forderung erst später fällig wird (vgl. § 41 Abs. 1 InsO),¹¹² unverzinslich (vgl. § 41 Abs. 2 InsO), auflösend oder aufschiebend bedingt ist (vgl. §§ 42, 77 Abs. 3, 95 Abs. 1 Satz 1, 191 InsO) oder zunächst (nicht) beziffert werden kann.¹¹³ Selbst wiederkehrende Ansprüche sind nach § 46 InsO kapitalisiert im Insolvenzverfahren geltend zu machen. Hieraus wird ersichtlich, dass es für die Qualifizierung eines Anspruchs als Insolvenzforderung nicht so sehr darauf ankommt, ob er vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits durchsetzbar entstanden war. Maßgeblich ist allein, dass der Schuldgrund vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt wurde. Demnach können vom Schuldner verursachte Vermögensansprüche, deren sie jeweils erschaffender Rechtsgrund erst nach Erlass des Eröffnungsbeschlusses entstanden ist, nicht als Insolvenzforderungen im Insolvenzverfahren verfolgt werden.¹¹⁴  Jaeger/Henckel, InsO, § 38 Rz. 69 ff., 78 m. w. Nachw.  instruktiv und wiederholt grundlegend zur Rechtsverfolgung der Insolvenzgläubiger im Insolvenzverfahren und zur Notwendigkeit der hinreichenden Individualisierung des angemeldeten Vermögensanspruchs BGH, Urt. v. 21. Februar 2013, IX ZR 92/12, NZI 2013, 388 sowie BFH, Urt. v. 19. März 2013, II R 17/11, NZI 2013, 706  BGH, Beschl. v. 6. Dezember 2007, IX ZR 215/06, ZIP 2008, 183; BFH, Urt. v. 16. Mai 2013, IV R 23/11, NZI 2013, 709  vgl. LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10. Mai 2013, 10 Sa 2241/12, juris, wenn auch hinsichtlich der Passivlegitimation ungenau; interessant der Kontext bei OLG Frankfurt, Beschl. v. 4. Dezember 2012, WpÜG 4/12, DB 2013, 451; BGH, Urt. v. 6. Dezember 2012, VII ZR 189/10, NZI 2013, 200 zur Frage der Fälligkeit von Steuerforderungen; s. aber auch OLG Karlsruhe, Urt. v. 4. Februar 2013, 1 U 168/12, juris  zum arbeitsrechtlichen Wiedereinstellungsanspruch als Insolvenzforderung LAG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 2. Mai 2013, 2 Sa 423/12, juris  Jaeger/Henckel, InsO, § 38 Rz. 81 ff.; OLG Celle, Urt. v. 7. Januar 2003, 16 U 156/02, NZI 2003, 201; zuvor hatte LG Lüneburg, Urt. v. 9. Juli 2002, ZInsO 2002, 941, eine nach Verfahrenseröffnung ohne Verwaltermitwirkung begründete Forderung als Insolvenzforderung eingeordnet

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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Gleichwohl wurde die Auffassung vertreten, zum Schutze der Vertragspartner des Insolvenzschuldners müsse diesen die Forderungsverfolgung im Insolvenzverfahren durch eine analoge Anwendung der § 38 InsO bzw. § 174 Abs. 1 InsO ermöglicht werden.¹¹⁵ Dem entgegnete Grau ¹¹⁶ mit den überzeugenden Argumenten, dass eine analoge Anwendung dieser Normen methodisch eine planwidrige Regelungslücke voraussetze, die Intention des Gesetzgebers aber gerade gewesen sei, die „Altgläubiger“ mit der Teilnahme am Insolvenzverfahren auf eine gemeinschaftliche Haftungsverwirklichung zu verweisen, wofür freilich eine eindeutig definierbare Haftungsmasse unerlässliche Bedingung sei. Trennungsmoment für die den Altgläubigern zugewiesene Haftungsmasse sei die Eröffnung des Verfahrens und das damit verbundene Ende der Individualvollstreckung (§ 89 Abs. 1 InsO) sowie der Verfügungsmacht des Schuldners (§ 80 Abs. 1 InsO), weshalb es wegen der damit vom Gesetzgeber bewusst gesetzten Zäsur an einer Regelungslücke fehle. Zudem sei die Vergleichbarkeit der Regelungssachverhalte nicht gegeben, weil die Forderungen der Neugläubiger erst nach der Eröffnung des Verfahrens entstünden und diese vor der Begründung ihrer Ansprüche durch die öffentliche Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung – im Gegensatz zu den Altgläubigern – vor der Vermögensunzulänglichkeit gewarnt werden würden. Aber auch die schon erwähnten Normen der §§ 41 bis 46 InsO zeigen, dass die Zäsur der Verfahrenseröffnung maßgebliches zeitliches Kriterium für die Bestimmung der Insolvenzforderungen sein muss. Alle bis dahin begründeten Vermögenansprüche sollen abschließend bezifferbar werden, um den Umfang der der Haftungsmasse gegenüberstehenden Schuldenmasse ermitteln zu können. Hierzu ist dem nach § 151 Abs. 1 Satz 1 InsO zu errichtenden Masseverzeichnis ein gemäß § 152 InsO anzufertigendes Gläubigerverzeichnis gegenüber zu stellen. In dieses vom Insolvenzverwalter unter Zuhilfenahme der Geschäftspapiere und der Schuldnerauskünfte zu entwerfendes Gläubigerverzeichnis sind neben den (einfachen) Insolvenzgläubigern, die ihre Forderung nicht oder noch nicht angemeldet haben, auch die absonderungsberechtigten Gläubiger aufzunehmen, die keine persönlichen Ansprüche gegen den Schuldner erheben (können). Gläubigerverzeichnis und Masseverzeichnis dienen der Vermittlung eines möglichst vollständigen Überblicks über die vorhandenen Verbindlichkeiten und das für die Gläubigerbefriedigung zur Verfügung stehende Vermögen,¹¹⁷ weshalb bei der Registrierung der Verbindlichkeiten etwaige Mitverpflichtete oder Regresspflichtige ebenfalls berücksichtigt werden.

 Kübler/Prütting/Bork/Heizer, Stand 10. Lieferung, § 35 Rz. 36, 38  Grau, S. 157 f.  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 171

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Unter Verwendung der nach §§ 151, 152 InsO aufzustellenden Masse- und Gläubigerverzeichnisse entwickelt der Insolvenzverwalter eine auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bezogene geordnete Vermögensübersicht, in der die Massegegenstände und die Verbindlichkeiten des Schuldners aufgeführt werden (§ 153 Abs. 1 Satz 1 InsO) und deren Richtigkeit und Vollständigkeit der Schuldner erforderlichenfalls eidesstattlich zu versichern hat.¹¹⁸ Die Verbindlichkeiten sind nach Maßgabe der § 152 Abs. 2 Satz 1 InsO zu gliedern und die nach § 151 Abs. 2 InsO relevanten Werte der Massegegenstände zu benennen.¹¹⁹ Da das Gesetz in § 153 Abs. 1 Satz 1 InsO von einer „geordneten Übersicht“ spricht, können die Vermögensgegenstände und Verbindlichkeiten ähnlich einer Handelsbilanz gespiegelt werden.¹²⁰ Die Vermögensübersicht muss als Erkenntnisgrundlage für die von den Gläubigern über die weitere Verfahrensgestaltung zu fällenden Entscheidungen¹²¹ eine rasche Beurteilung der Vermögenslage erlauben und Aufschluss über die zu erwartende Quote geben können.¹²² Die Vermögensübersicht mit Masse- und Gläubigerverzeichnis dient mithin der Unterrichtung der am Verfahren beteiligten Personen zur Vorbereitung des nach § 156 InsO abzuhaltenden Berichtstermins sowie der weiteren Entscheidung der Gläubiger, weshalb sie spätestens eine Woche zuvor in der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsicht der Beteiligten niederzulegen ist (§ 154 InsO).

Die Insolvenzordnung hält ersichtlich keine den §§ 41 bis 46 InsO vergleichbaren Regelungen für Neugläubigeransprüche bereit. Eine den §§ 38, 174 ff. InsO entsprechende Behandlung der Neugläubigeransprüche würde zudem die Konsequenz haben, dass die gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 InsO zu entwerfende Vermögensübersicht nie fertiggestellt und damit eine gesicherte und vor allem abschließende Erkenntnisgrundlage für die von den Gläubigern nach § 157 InsO über den Fortgang des Verfahrens zu treffenden Entscheidungen nie geschaffen werden könnte. Das Verfahren würde ad absurdum geführt werden. Deshalb bedarf es gerade der temporären Scheidung der Gläubiger, um den Kreis der am Insolvenzverfahren zu beteiligenden Insolvenzgläubiger präzise und abschließend definieren zu können. So wird begreiflich, dass sich eine Gleichbehandlung der Neugläubiger mit den Insolvenzgläubigern auf der Rechtsfolgenseite verbietet.

 Smid, Handbuch, S. 550; s. hierzu BGH, Beschl. v. 24. Mai 2012, IX ZB 275/10, NZI 2012, 560 sowie AG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 3. Januar 2013, 3 IK 825/12, NZI 2013, 150 im Zusammenhang mit der Frage, ob nach Verfahrenseröffnung das Offenbarungsverfahren noch zulässig ist  Smid/Rattunde/Martini, Rz. 4.19 f.  Möhlmann, DStR 1999, 163, 168; amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 172; LSZ/Smid, § 153 Rz. 1; Smid/Rattunde/Martini, Rz. 4.20; BGH, Beschl. v. 21. Oktober 2010, IX ZB 24/10, ZIP 2010, 2306 m. w. Nachw.  zum Beispiel über einen vom Schuldner vorgelegten Insolvenzplan; vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 19. Juli 2012, IX ZB 250/11, WM 2012, 1640  BGH, Beschl. v. 21. Oktober 2010, IX ZB 24/10, ZIP 2010, 2306; LSZ/Smid, § 153 Rz. 2 m. w. Nachw.

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b) Neugläubigeransprüche als Masseverbindlichkeiten? Im Weiteren wurde der Frage nachgegangen, ob es sich bei den vom Schuldner geschaffenen Verbindlichkeiten, deren jeweiliger Rechtsgrund nach Verfahrenseröffnung anlässlich einer von ihm unternommenen selbstständigen Erwerbstätigkeit entstanden ist, um sonstige Masseverbindlichkeiten im Sinne der §§ 53, 55 Abs. 1 InsO handeln könnte. Denn für die Massegläubiger gilt die Vorschrift des § 87 InsO, welche den Insolvenzgläubigern die Forderungsverfolgung nur nach den Vorschriften der Insolvenzordnung gestattet, nicht. Sie sind vielmehr in der Lage, im Rahmen des § 90 InsO ihre (titulierten) Forderungen notfalls im Wege der Individualzwangsvollstreckung gegen die Masse durchzusetzen. Damit stünde den Neugläubigern die Insolvenzmasse (ebenfalls) als Haftungsobjekt zur Verfügung. Nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO entstehen sonstige Masseverbindlichkeiten infolge von Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Geeigneter Anknüpfungspunkt schien einerseits das etwas unbestimmt wirkende Tatbestandsmerkmal „in anderer Weise“ in § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu sein.Wegen der Variantengestaltung dieser Norm wurde es für möglich gehalten, dass auch ohne Handeln des Insolvenzverwalters eine Verpflichtung der Insolvenzmasse durch den Schuldner begründbar sei.¹²³ Begünstigt wurde diese Auffassung durch eine zur Konkursordnung ergangene Entscheidung des Bundesfinanzhofs,¹²⁴ wonach es für Entstehung einer Umsatzsteuerforderung (konkret eines Vorsteuerberichtigungsanspruchs der Finanzverwaltung gemäß § 15a UStG 1980) als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 58 Nr. 2 KO nicht auf das Handeln des Konkursverwalters ankäme. Erwirtschafte der Schuldner in den Neuerwerb fallende Vermögensgegenstände, müssten alle dafür eingegangenen Verbindlichkeiten auch zur Haftung der Masse führen.¹²⁵ Andererseits wurde die Auffassung vertreten, dass eine Haftung der Insolvenzmasse bereits deswegen aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO resultiere,weil diese im Gegenzug durch den uneingeschränkten Neuerwerb profitiere.¹²⁶ Zumindest müsse der Verwalter analog § 333 BGB entscheiden, ob er den Neuerwerb für die Masse zurückweise, so dass erst in diesem Fall die Verpflichtung der Masse zum Wegfall käme.¹²⁷ Eine weitere Literaturmeinung sah die Insolvenzmasse als ungerechtfertigt bereichert an, wenn ihr der Neuerwerb zufließe, ohne dass die damit ver-

    

Maus, ZIP 2004, 389 ff. BFH, Urt. v. 6. Juni 1991, V R 115/87, ZIP 1991, 1080 Maus, ZIP 2004, 389, 391 (Fn. 21) FK-InsO/Schumacher, 5. Auflage, § 55 Rz. 20 Windel, KTS 1995, 367 ff.; HK-InsO/Eickmann, 4. Auflage, § 35 Rz. 40

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

bundenen Verbindlichkeiten reguliert werden, weshalb sich die Haftung aus § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO ergäbe.¹²⁸ Diesen Ansichten wurde jedoch zu Recht entgegengehalten, dass es bei einer Qualifikation als Masseverbindlichkeit die Neugläubiger allein in der Hand hätten, zu Lasten der Altgläubiger die ihnen haftungsrechtlich zugewiesene Insolvenzmasse zu schmälern, hingegen der Verwalter – nicht nur angesichts Art. 12 GG – nicht in der Lage sei, dem Schuldner die weitere selbstständige Berufsausübung wirksam zu untersagen.¹²⁹ Vielmehr müsse die Entstehung der Schuld auf eine vom Insolvenzverwalter in Bezug auf die Insolvenzmasse unternommene Verwaltungsmaßnahme zurückzuführen sein, damit sie als Masseverbindlichkeit qualifiziert werden könne.¹³⁰ Hieraus folge, dass die Arbeitstätigkeit des Insolvenzschuldners für sich gesehen keine dem Verwalter zurechenbare Verwaltungsmaßnahme darstellen könne, zumal die Arbeitskraft des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehöre und damit kein Bezug zur Masse, welche allein der Insolvenzverwalter zu betreuen habe (§ 80 Abs. 1 InsO), bestünde.¹³¹ Auch stelle das reine Zulassen der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners keine Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar, denn ein Unterlassen des Insolvenzverwalters genüge als „Verwaltung“ im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO nur, wenn eine Amtspflicht zum Tätigwerden verletzt wurde.¹³² Eine Pflicht zum Handeln könne für den Insolvenzverwalter aber deswegen nicht statuiert werden, weil er nicht die Rechtsmacht habe, die Erwerbstätigkeit des Schuldners zu unterbinden oder zu beeinflussen.¹³³ Ansonsten sei eine Erklärungspflicht des Insolvenzverwalters zum Schicksal der damit begründeten Verbindlichkeiten gesetzlich nicht geregelt (gewesen), weshalb in seinem bloßen Schweigen keine Verwaltungsmaßnahme gesehen werden könne, die eine Masseverbindlichkeit entstehen lasse.¹³⁴ Somit genügte (nach der bis zum 30. Juni 2007 geltenden Rechtslage) die bloße Kenntnis von der selbstständigen Erwerbstätigkeit des Schuldners für die Annahme einer Verwaltungstätigkeit

 MünchKomm-InsO/Lwowski, 1. Auflage, § 35 Rz. 65  Runkel, S. 327; Pape, ZInsO 2002, 917, 919; Andres/Pape, NZI 2005, 141, 144; Olbrich, ZInsO 2005, 860, 861; Gerke/Sietz, NZI 2005, 373, 376; s. auch AG Köln, Beschl. v. 15. April 2003, 71 IN 25/02, NZI 2003, 387; Grau, S. 158  BFH, Urt. v. 24. Februar 2011, VI R 21/10, ZIP 2011, 873  BGH, Beschl. v. 18. Dezember 2008, IX ZB 249/07, DZWIR 2009, 204; BGH, Urt. v. 11. Mai 2006, IX ZR 247/03, ZIP 2006, 1254  Grau, S. 158 m. w. Nachw.; BFH, Urt. v. 18. Mai 2010, X R 11/09, ZIP 2010, 2014; BFH, Urt. v. 21. Juli 2009, VII R 49/08, NZI 2010, 37; alle freilich für die Rechtslage zu § 35 InsO a. F.  BFH, Urt. v. 24. Februar 2011, VI R 21/10, ZIP 2011, 873  BFH, Urt. v. 21. Juli 2009, VII R 49/08, NZI 2010, 37

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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ebenso wenig, wie der Umstand, dass das Erwerbseinkommen des Insolvenzschuldners als Neuerwerb zur Masse gelangt und diese dadurch (zumindest nominell) Mehrung erfuhr.¹³⁵ Vor allem wurde die These verworfen, allein aufgrund der Massezugehörigkeit einer vom Schuldner erwirtschafteten Forderung den Schluss ziehen zu können, dass die mit ihr rechtlich und wirtschaftlich verbundenen Verbindlichkeiten zugleich Masseschulden sein müssten. Einer derart weiten Auslegung des § 55 InsO, der lediglich bestimmt, welche Ansprüche als Masseverbindlichkeiten zu begreifen sind, stünde nicht nur der Wortlaut der Norm, sondern auch das Verständnis des § 35 InsO (a. F.) entgegen, wonach der Neuerwerb zur Masse gezogen werden kann, den Neugläubigern jedoch nur das insolvenzfreie Vermögen des Schuldners verbleiben soll(te).¹³⁶ Angesichts des in § 1 Satz 1 InsO normierten Ziels des Insolvenzverfahrens, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird, bestünde das Interesse, den Radius der Insolvenzmasse möglichst weit zu gestalten; eine umgekehrte, aber dennoch gleichgerichtete Zielsetzung verfolge indes die Norm des § 55 InsO, deren Anwendungsbereich bewusst eng gefasst ist, um eine Begrenzung der Masseschulden zu erreichen.¹³⁷ Diese Regelung diene primär der Definition der aus der Insolvenzmasse vorweg zu befriedigenden Verbindlichkeiten, da sich anderenfalls niemand auf Geschäfte mit dem Insolvenzverwalter einlassen und diesem dadurch die Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse unmöglich gemacht würde.¹³⁸ Auch der Zusammenhang zwischen § 55 InsO und den §§ 80, 81 InsO spreche gegen eine Qualifikation der Neuverbindlichkeiten als Masseschulden. Denn nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens habe nur noch der Insolvenzverwalter die Verfügungsmacht über die Insolvenzmasse. Wenn die mit einem Neuerwerb zusammenhängenden Verbindlichkeiten ohne sein Zutun zu Masseverbindlichkeiten werden könnten, hätte es der Schuldner in der Hand, die Masse durch Eingehen von Verbindlichkeiten zu mindern – genau das soll jedoch nicht gegen den Willen des Insolvenzverwalters möglich sein.¹³⁹

Gegen eine Anknüpfung über das in § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO normierte Tatbestandsmerkmal „in anderer Weise“ wurde außerdem mit Recht eingewandt, die Begründung der Neugläubigerverbindlichkeit könne bereits begrifflich nicht mit den weiteren Tatbestandsmerkmalen „Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse“ in einen sinnstiftenden Bezug gesetzt werden, zumal Zweck der Norm allein die Festlegung der verfahrensrechtlichen Behandlung der Verbindlichkeiten sei, welche der Verwalter im Interesse der Verfahrensabwicklung eingeht, und die Neugläubigeransprüche nicht zwingend im Interesse der Masse BFH, Urt. v. 27. Juli 2011, VI R 9/11, ZInsO 2011, 2186 m. Anm. Roth; BFH, Urt. v. 24. Februar 2011, VI R 21/10, ZIP 2011, 483  Jaeger/Henckel, InsO, § 35 Rz. 122; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, 12. Auflage, § 35 Rz 38  BGH, Urt. v. 2. Februar 2006, IX ZR 46/05, ZIP 2006, 583; Uhlenbruck/Sinz, InsO, § 35 Rz. 3  Kübler/Prütting/Bork/Pape/Schaltke, InsO, § 55 Rz. 12; FG Münster, Urt. v. 29. März 2011, 10 K 230/10, juris  BFH, Urt. v. 24. Februar 2011, VI R 21/10, ZIP 2011, 483; FG Köln, Urt. v. 19. Januar 2011, 7 K 3529/07, ZIP 2011, 726

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

verwaltung stehen müssen.¹⁴⁰ Auch der über die analoge Anwendung des § 333 BGB vorgeschlagene Weg sei nicht nur wegen des damit verbundenen Schwebezustandes problematisch, denn zudem fehle es an einer für die Analogie erforderlichen Vergleichbarkeit der zu regelnden Sachverhalte.¹⁴¹ Schließlich wurde gegen die Idee, über die Konstruktion einer ungerechtfertigten Bereicherung im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 3 InsO die Neugläubigeransprüche als Masseverbindlichkeiten einzuordnen, zutreffend vorgebracht, dass der den Neuerwerb erfassende Insolvenzbeschlag die von Gesetzes wegen zu beachtende Rechtfertigung darstelle.¹⁴² Ohnehin stünde nicht die Verität des Neugläubigeranspruchs in Frage, sondern lediglich die Bonität des Insolvenzschuldners.¹⁴³

c) Neugläubigeransprüche ohne (zunächst) greifbare Haftungsmasse Bereits bevor es zu der zum 1. Juli 2007 wirkenden Novellierung des § 35 InsO durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens¹⁴⁴ kam, wurde deshalb überwiegend die Anschauung vertreten, dass der ohne Verwaltungs- und Verfügungsmacht agierende Schuldner durch sein eigenes Handeln allein die Insolvenzmasse nicht verpflichten könne.¹⁴⁵ Zur Begründung wurde im Wesentlichen vorgetragen, dass zwar der Neuerwerb grundsätzlich in die Masse falle, der Neuerwerb aber eben nur die erworbenen Aktiva und nicht die damit verbundenen Passiva umfasse. Das zum Zeitpunkt des Insolvenzbeschlages existente Vermögen einschließlich des Neuerwerbs diene allein den zum gleichen Zeitpunkt festzustellenden Verbindlichkeiten. Die mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem

 Pape/Uhlenbruck, ZIP 2005, 417, 420; Olbrich, ZInsO, 1292, 1296; Grau, S. 159; BFH, Urt. v. 21. Juli 2009, VII R 49/08, NZI 2010, 37; VG Niedersachsen, Urt. v. 20. Januar 2010, 5 A 2615/08, ZInsO 2010, 917; FG Köln, Urt. v. 19. Januar 2011, 7 K 3529/07, ZIP 2011, 726  Grau, S. 159, auch unter Hinweis auf Windel, KTS 1995, 367, 405  Pape, ZInsO 2002, 917, 919; Gerke/Sietz, NZI 2005, 373, 377  in gleiche Richtung weisend Grau, S. 160  BGBl. I S. 509  Runkel, S. 327; Pape, ZInsO 2002, 917, 920; Olbrich, ZInsO 2004, 1294, 1296; Andres/Pape, NZI 2005, 141, 142; Ries, ZInsO 2005, 298, 300; Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 396; Smid, WM 2005, 625, 628; Andres, NZI 1996, 198, 199; LG Erfurt, Urt. v. 30. Oktober 2002, 3 O 2992/01, NZI 2003, 40, 41; OLG Celle, Urt. v. 7. Januar 2003, 16 U 156/02, NZI 2003, 201; Niedersächsisches FG, Beschl. v. 9. September 2003, 14 V 103/03, ZVI 2003, 479 zum Schicksal einer Kraftfahrzeugsteuerschuld für ein nach Verfahrenseröffnung vom Schuldner ohne Kenntnis des Verwalters angemeldetes Kraftfahrzeug; FG Thüringen, Urt. v. 11. September 2003, IV 966/02, ZInsO, 2004, 392 zu Umsatzsteuerverbindlichkeiten aus nicht abgesprochener selbstständiger Tätigkeit des Schuldners, im Nachgang BFH, Urt. v. 7. April 2005, V R 5/04, ZIP 2005, 1376; AG Köln, Beschl. v. 5. November 2003, 71 IN 25/02, NZI 2004, 155; Grau, S. 152 m. w. Nachw.

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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Schuldner zugunsten des Insolvenzverwalters entzogene Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das vom Insolvenzbeschlag erfasste Vermögen (§ 80 Abs. 1 InsO) müsse perpetuiert werden, da es dem Schuldner, dem der Verwalter Handlungen zur Berufsausübung angesichts Art. 1 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 12 GG nicht allgemein untersagen könne, nach Verfahrenseröffnung andernfalls möglich wäre, die Masse durch neue Rechtsakte zu mindern. Die Neugläubiger, welche durch die öffentliche Bekanntmachung der Verfahrenseröffnung hinreichend gewarnt werden, seien deshalb auf das insolvenzfreie Vermögen verwiesen und könnten sich vor dem Ausfallrisiko durch Erfüllung mittels Bargeschäft schützen.¹⁴⁶ Die Verfahrenseröffnung stellt den Schuldner, wie bereits gesehen, nicht rechtlos und beraubt ihn auch nicht seiner Rechts-, Geschäfts- und Prozessfähigkeit.¹⁴⁷ Sie hindert ihn mithin nicht daran, durch eigenes Handeln neue vermögensrechtlich relevante Verbindlichkeiten zu begründen. Zudem können kraft Gesetzes neue Forderungen gegen den Schuldner entstehen. Deshalb wurden zum Schutze der Neugläubigerinteressen, aber auch im Erwerbsinteresse des Schuldners, von einigen Autoren Wege ausgelotet, inwieweit angesichts der strengen Beschränkung auf das insolvenzfreie Vermögen gleichwohl eine Besserung der Befriedigungsaussichten der Neugläubiger möglich erscheint. So wurde ein Verständnis des Neuerwerbs dahingehend diskutiert, diesem lediglich das sogenannte Netto(neu)vermögen zuzurechnen, mithin das nach der Verfahrenseröffnung erworbene Bruttovermögen abzüglich der hierzu neu begründeten Verbindlichkeiten.¹⁴⁸ Überdies sollte der Kreis der so abzuziehenden Neuverbindlichkeiten dahin erweitert werden, als dass auch der Wert der eingesetzten Arbeitskraft mindernd zu berücksichtigen sei¹⁴⁹ und so dem Schuldner eine Art Unternehmerlohn verbliebe. In eine ähnliche Richtung ging der Vorschlag einer zu § 295 Abs. 2 InsO in Betracht zu ziehenden Analogie, wonach der Schuldner von dem mit seiner selbstständigen Tätigkeit erwirtschafteten Nettoneuerwerb (Gewinn) nur so viel den „Altgläubigern“ zur Verfügung zu stellen habe, wie er im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung an Entgelt vereinnahmen könnte, während ein übersteigender Betrag den Neugläubigern als Haftungsmasse zur Verfügung gestellt werden sollte.¹⁵⁰ Eine weitere Idee billigte den Neugläubigern in teleologischer Reduktion des § 96 Abs. 1 Nr. 4 InsO eine erweiterte Aufrechnungsbefugnis zu, um ihnen die Chance der Aufrechnung mit ihren konnexen Forderungen einzuräumen.¹⁵¹ Andere wiederum sahen mit Blick auf § 263 StGB eine nicht freigegebene, selbstständige Erwerbstätigkeit

 zu allem Ries, ZVI 2004, 221, 226; Pape, ZInsO 2002, 917, 920; Voigt/Gerke, ZInsO 2002, 1054, 1060; Gerke/Sietz, NZI 2005, 373, 377; Schmerbach, ZVI 2003, 256, 267; Tetzlaff, ZVI 2002, 309, 311; Grau, S. 153 m. w. Nachw.  Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 9.03; Jaeger/Windel, InsO, § 80 Rz. 261  Tetzlaff, ZVI 2002, 309, 312; LG Erfurt, Urt. v. 30. Oktober 2002, 3 O 2992/01, NZI 2003, 40, 41; FG Thüringen, Urt. v. 11. September 2003, IV 966/02, ZInsO, 2004, 392; Grau, S. 153 m. w. Nachw.  Roellenbleg, NZI 2004, 176 ff. spricht von einer Leibeigenschaft des Schuldners, wäre § 35 InsO a. F. wörtlich zu verstehen  Jaeger/Henckel, InsO, § 35 Rz. 128 m. w. Nachw.  Häsemeyer in Kölner Schrift, 2. Auflage 2000, S. 664

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

des Schuldners als ihm verboten an.¹⁵² Der Bundesgerichtshof ¹⁵³ kam hingegen zu der Erkenntnis, dass von dem in § 35 InsO a. F. normierten Begriff des Neuerwerbs der gesamte Bruttoneuerwerb umfasst sei und eine Reduzierung um damit in Zusammenhang stehende Aufwendungen nicht in Betracht komme. Hierzu wurde vertreten, dass der Schuldner dann aber nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO i. V. m. §§ 850i, 850 f Abs. 1 lit. b) ZPO die Freigabe der für die Deckung des betrieblichen Aufwands erforderlichen Mittel beantragen könne.¹⁵⁴

In der Folge sah der Gesetzgeber die Veranlassung für eine Klarstellung, die mit dem Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens¹⁵⁵ zu einer Novellierung des § 35 InsO führte. Dabei verstand er die von ihm vormals geschaffene und bis dato geltende Gesetzeslage in der Weise, dass die vom selbstständig erwerbstätigen Schuldner nach der Verfahrenseröffnung erwirtschafteten Einnahmen in vollem Umfang und damit ohne Abzug für beruflich bedingte Ausgaben zur Insolvenzmasse gehören, was eine selbstständige Berufstätigkeit nahezu unmöglich mache.¹⁵⁶ Mit der in § 35 Abs. 2 und 3 InsO n. F. normierten Freigabe soll der Insolvenzverwalter seitdem ermächtigt und verpflichtet sein, durch eine gegenüber dem selbstständig erwerbstätigen Insolvenzschuldner abzugebende Erklärung Gewissheit darüber zu schaffen, ob Vermögen aus der selbstständigen Tätigkeit zur Insolvenzmasse gehört und ob Ansprüche aus dieser Tätigkeit im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Zugleich ordnet der Gesetzgeber mit § 35 Abs. 2 Satz 2 InsO n. F. die entsprechende Anwendung des § 295 Abs. 2 InsO an, um abhängig beschäftigte und selbstständig erwerbende Schuldner gleich zu behandeln.¹⁵⁷ Der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nach § 80 Abs. 1 InsO gab dem Insolvenzverwalter bereits vor dem 1. Juli 2007 die Freiheit, massezugehörige Vermögensteile freizugeben, wie bis dahin insbesondere aus § 32 Abs. 3 InsO entnommen werden konnte. Sowohl der Bundesge-

 Schmidt, FS Kruse, S. 687 ff.; Maus, ZInsO 2005, 363  BGH, Beschl. v. 20. März 2003, IX ZB 388/02, NZI 2003, 389; bestätigt durch BGH, Beschl. v. 18. Mai 2004, IX ZB 189/03, NZI 2004, 444 m. Anm. Hölzle EWiR § 35 InsO 1/04, 987; BGH, Beschl. v. 1. Februar 2007, IX ZR 178/05, ZIP 2007, 1020; BGH, Beschl. v. 3. Juli 2008, IX ZB 182/07, ZIP 2008, 1976; hieran anschließend BFH, Urt. v. 21. Juli 2009, VII R 49/08, ZIP 2009, 2208; SG Düsseldorf, Urt. v. 25. Mai 2005, S 14 KA 61/04, ZInsO 2005, 828, zustimmend Rattunde, jurisPRInsR 7/2006 Anm. 6; Olbrich, ZInsO 2004, 1292, 1295; ders. ZInsO, 2005, 850, 861; Sternal, NZI 2006, 185; Grau, S. 155 m. w. Nachw.  Hölzle, Anmerkung zu BGH, Beschl. v. 18. Mai 2004, IX ZB 189/03, NZI 2004, 444 in EWiR § 35 InsO 1/04, 987, 988  BGBl. I S. 509; zu den vorangegangenen Reformvorschlägen s. Grau, S. 168 f.  s. amtliche Begründung zu RegE, BT-Drucks. 16/3227, S. 17  zur Frage einer damit verbundenen Zahlungspflicht des Schuldners s. OLG Brandenburg, Urt. v. 17. April 2013, 7 U 77/12, NZI 2013, 650

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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richtshof ¹⁵⁸ als auch das Bundesverwaltungsgericht¹⁵⁹ und das Schrifttum¹⁶⁰ sahen den Insolvenzverwalter als zur Freigabe einzelner Vermögensbestandteile berechtigt an. Sie legitimierten das Freigaberecht mit dem Ziel des Insolvenzverfahrens, die Gläubiger des Schuldners gemeinschaftlich bestmöglich durch Verwertung seines Vermögens und Verteilung des Erlöses zu befriedigen.¹⁶¹ Demnach bestünde regelmäßig „dort ein rechtlich schutzwürdiges Bedürfnis, dem Verwalter die Möglichkeit der Freigabe einzuräumen“, wo zur Masse Vermögensteile gehören, die wertlos sind oder Kosten verursachen, welche den zu erwartenden Veräußerungserlös womöglich übersteigen, wie zum Beispiel wertausschöpfend belastete oder beträchtlich kontaminierte Grundstücke, denn es wäre „mit dem Zweck der Gläubigerbefriedigung nicht zu vereinbaren, wenn der Insolvenzverwalter in solchen Fällen gezwungen wäre, Gegenstände, die nur noch geeignet sind, das Schuldnervermögen zu schmälern, allein deshalb in der Masse zu behalten“, weil sie anfangs dazu gehörten.¹⁶²

Der Insolvenzverwalter wird durch das novellierte Gesetz mithin in die Lage versetzt, durch eigene Erklärung Teile des Vermögens und damit zusammenhängende Rechtsverhältnisse von der ihm obliegenden Verwaltungspflicht frei zu machen. Ähnlich der in § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO zur Schuldnerwohnung gefassten Regelung stehen den Neugläubigern nach Abgabe der Freigabeerklärung allein die durch die selbstständige Tätigkeit erzielten Einnahmen als Haftungsmasse zur Verfügung, so dass eine Verpflichtung der Insolvenzmasse durch die Tätigkeit des Schuldners von vornherein ausscheidet.¹⁶³ Gibt der Insolvenzverwalter eine derartige Freigabeerklärung aber nicht ab oder erklärt er sich explizit gegen die Freigabe und – genau hier besteht der Unterschied zur Rechtslage nach § 35 InsO a. F. – duldet er die Fortsetzung der ihm bekannt gewordenen selbstständigen Erwerbstätigkeit des Schuldners, sollen die vom Insolvenzschuldner begründeten Verbindlichkeiten infolge Verwaltungshandelns gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu Masseverbindlichkeiten werden, und zwar auch dann, wenn sie mit nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbaren Gegenständen begründet wurden.¹⁶⁴ Vom Insolvenzverwalter wird mithin eine Prognose über die Chancen und Risiken der künftigen selbstständigen Erwerbstätigkeit des Schuldners für die Masse verlangt.¹⁶⁵ Ersichtlich ist die nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO zu treffende Entscheidung über die Freigabe zugleich eine insolvenzspezifische

 BGH, Urt. v. 26. Januar 2006, IX ZR 282/03, ZInsO 2006, 260; BGH, Urt. v. 2. Februar 2006, IX ZR 46/05, ZIP 2006, 583; BGH, Urt. v. 21. April 2005, IX ZR 281/03, DZWIR 2005, 387; BGH, Urt. v. 5. Juli 2001, IX ZR 327/99, ZIP 2001, 1469  BVerwG, Urt. v. 23. September 2004, 7 C 22.03, DZWIR 2005, 25  Voigt/Gerke, ZInsO 2002, 1054, 1061; Maus, ZIP 2004, 389, 393; Uhlenbruck, ZInsO 2005, 505, 508; Smid, WM 2005, 625 ff.  vgl. amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks.12/2443, S. 108  BGH, Urt. v. 21. April 2005, IX ZR 281/03, DZWIR 2005, 387 m. w. Nachw.  LSZ/Smid/Leonhardt, § 35 Rz. 36  vgl. amtliche Begründung zu RegE, BT-Drucks. 16/3227, S. 17  Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 35 Rz. 97

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Pflicht des Insolvenzverwalters im Sinne des § 60 Abs. 1 InsO, deren Verletzung zu Schadenersatzansprüchen führen kann.¹⁶⁶ Der Insolvenzverwalter hat sorgfältig abzuwägen, „ob der Behalt des Neuerwerbs in der Masse“ für die Gläubiger vorteilhaft ist; er muss gründlich prüfen, ob und in welchem Umfang er den vom Schuldner angestrebten Neuerwerb freigibt.¹⁶⁷ Zu beachten ist insbesondere, dass das Gesetz eine teilweise Freigabe des Netto-Neuerwerbs erlaubt und so beispielsweise ein bestimmter monatlicher oder vierteljährlicher Geldbetrag aus den Einnahmen zur Masse gezogen werden könnte und dass zudem die teilweise Freigabe der für die selbstständige Tätigkeit erforderlichen Gegenstände gegenüber einer vollständigen Freigabe den Vorzug hat, diese Massegegenstände der Verwertungsbefugnis der Altgläubiger nicht vollständig zu entziehen, was im Falle des erneuten Scheiterns der selbstständigen Erwerbstätigkeit von Vorteil sein kann.¹⁶⁸

Der Gesetzgeber maß dem neu eingefügten § 35 Abs. 2 InsO in erster Linie eine klarstellende Funktion zu.¹⁶⁹ Hingegen habe nach Auffassung von Grau ¹⁷⁰ die Neuregelung der § 35 Abs. 2 und 3 InsO konstitutive Wirkung, da diese nicht nur die Rechte des Verwalters erweitere, sondern den Neugläubigern mehr Haftungsmasse als nach der vorherigen Rechtslage zur Verfügung stelle. Denn gebe der Insolvenzverwalter den Neuerwerb nicht frei, werde den Neugläubigern der Zugriff auf die Insolvenzmasse eröffnet, während sich im Falle der Freigabe durch die Einnahmen das insolvenzfreie Vermögen vergrößere und den Neugläubigern Aussichten einer effektiven Befriedigung böten. Ob die Novellierung wirklich konstitutiven Charakter trägt oder die sich für die Neugläubiger zeigenden Befriedigungschancen nur die Konsequenz einer zutreffenden rechtlichen Einordnung ihrer Ansprüche bezüglich der Insolvenzmasse ist, mag dahinstehen. Jedenfalls werden die Einnahmen, welche der Schuldner von der Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters an im Rahmen seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit erzielt, den Neugläubigern als „neue“ Haftungsmasse zur Verfügung gestellt, weshalb nach überwiegender Auffassung des Schrifttums¹⁷¹ und der Rechtspre-

 Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 35 Rz. 96; LSZ/Smid/Leonhardt, § 35 Rz. 38; amtliche Begründung zu RegE, BT-Drucks. 16/3227, S. 17  amtliche Begründung zu RegE, BT-Drucks. 16/3227, S. 17  zu alledem LSZ/Smid/Leonhardt, § 35 Rz. 37, 41 m. w. Nachw.  amtliche Begründung zu RegE, BT-Drucks. 16/3227, S. 17  Grau, S. 170; ihr zustimmend BFH, Urt. v. 18. Mai 2010, X R 11/09, ZIP 2010, 2014 und BGH, Beschl. v. 30. September 2010, IX ZR 236/09, juris  Holzer, ZVI 2007, 289, 292; Zipperer, ZVI 2007, 541, 542; Berger, ZInsO 2008, 1101, 1106; Schmerbach ZInsO 2009, 2078, 2086; Uhlenbruck/Hirte, InsO, § 35 Rz. 107; MünchKomm-InsO/ Lwowski/Peters, § 35 Rz. 75; Kübler/Prütting/Bork/Holzer, § 35 Rz. 116; Kohte/Ahrens/Grote/ Busch/Ahrens, § 287 Rz. 37; Jaeger/Henckel, InsO § 35 Rz. 131 weist aber auf den Grundgedanken der Insolvenzordnung hin, dass über das Vermögen einer Person nicht mehr als ein Insolvenzverfahren eröffnet werden könne

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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chung¹⁷² in diesen Fällen eine Belastung der „Altmasse“ entfällt und auch ein gesondertes zweites Insolvenzverfahren, welches allein der Befriedigung der Neugläubiger dient, rechtlich zulässig wird.

d) Schicksal der vom fallitus fugitivus begründeten Verbindlichkeiten Für die vom fallitus fugitivus nach der Verfahrenseröffnung begründeten Verbindlichkeiten offenbart sich damit folgendes Schicksal: Zu unterscheiden ist zunächst zwischen den Verbindlichkeiten, die der Schuldner zur Bestreitung seines Lebensunterhalts und anlässlich seiner Flucht begründet, und den Verbindlichkeiten, die der Fortsetzung respektive (Wieder‐) Aufnahme einer selbstständigen Erwerbstätigkeit dienen. Die Verbindlichkeiten, welche wegen der Bestreitung des Lebensunterhalts und der Flucht vom Schuldner eingegangen werden, stehen erkennbar nicht im Zusammenhang mit einem Neuerwerb mittels einer selbstständigen Tätigkeit. Für sie muss es bei der von der herrschenden Auffassung für zutreffend erkannten Rechtsfolge bleiben, dass allein das Handeln des Schuldners, dem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis entzogen wurde und dessen gleichwohl vorgenommene Verfügungen unwirksam sind (§§ 80 Abs. 1, 81 Abs. 1 Satz 1 InsO), die Masse in keiner Weise zu verpflichten und zu binden vermag. Die Gläubiger dieser Ansprüche bleiben auf das insolvenzfreie Vermögen und die Hoffnung verwiesen, dass sie der Schuldner freiwillig bedient. Verfügt nach Verfahrenseröffnung der Schuldner auf der Flucht über massezugehörige Vermögensgegenstände (Geld, Pretiosen, Forderungen etc.), um beispielsweise Reiseaufwendungen oder andere Verbindlichkeiten zu decken, sind diese Rechtshandlungen gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO ohnehin unwirksam. Der Insolvenzverwalter kann die vom fallitus fugitivus hingegebenen Vermögensgegenstände von den Empfängern nach den Vorschriften der §§ 985, 812 ff. BGB zurück bzw. Wertersatz verlangen. Der jeweilige Empfänger wird sich in diesen Fällen vor allem nicht damit verteidigen können, er habe von der Insolvenz des Schuldners zum Zeitpunkt der Verfügung nichts gewusst. Denn in den in § 81 Abs. 1 Satz 2 InsO sowie § 91 Abs. 2 InsO niedergelegten Beschränkungen wird deutlich, dass der Gutglaubensschutz im Insolvenzverfahren gegenüber der Regel aus § 135 Abs. 2 BGB auf den gutgläubigen Erwerb von Rechten an Immobilien reduziert ist und darüber hinaus nicht besteht. Nach dem Willen des Gesetzgebers hat bei im Insolvenzfall über bewegliche Sachen erfolgenden Verfügungen der Schutz der Masse Vorrang vor dem Schutz des

 BGH, Beschl. v. 9. Juni 2011, IX ZB 175/10, ZIP 2011, 1326; BFH, Urt. v. 18. Mai 2010, X R 11/09, ZIP 2010, 2014; AG Göttingen, Beschl. v. 26. Februar 2008, 74 IN 304/07, NZI 2008, 313; AG Hamburg, Beschl. v. 18. Juni 2008, 67g IN 37/08, ZVI 2008, 295; AG Trier, Beschl. v. 21. September 2009, 23 IN 91/09, WM 2009, 1967; AG Köln, Beschl. v. 7. Juni 2010, 71 IN 509/09, NZI 2010, 743; a. A. AG Oldenburg, Beschl. v. 9. Februar 2009, 69 IN 3/09, ZVI 2009, 195; AG Oldenburg, Beschl. v. 11. November 2008, 65 IN 30/08, ZVI 2009, 196; AG Dresden, Beschl. v. 25. März 2009, 531 IN 459/ 09, ZVI 2009, 289; LG Dresden, Beschl. v. 14. März 2011, 5 T 74/11, ZVI 2011, 179

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

redlichen Geschäftsverkehrs. Einer zusätzlichen Anfechtung nach Maßgabe der §§ 129 ff. InsO bedarf es insoweit nicht, zumal gemäß § 129 InsO ohnehin nur vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Rechtsgeschäfte anfechtbar sind.¹⁷³

Hinsichtlich der Verbindlichkeiten, die der Schuldner während oder nach seiner Flucht im Zuge einer selbstständigen Erwerbstätigkeit begründet, ist weiter zu differenzieren. Da seit dem 1. Juli 2007 die Qualifikation als Masseverbindlichkeit an ein durch Dulden begründetes Verwaltungshandeln („in anderer Weise“ in § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) angeknüpft wird, kommt es im Wesentlichen darauf an, ob der Insolvenzverwalter von der konkreten, die Verbindlichkeiten hervorrufenden Erwerbstätigkeit des flüchtigen Schuldners Kenntnis nimmt.¹⁷⁴ Denn das Dulden eines wahrnehmbaren Zustandes setzt gedanklich das Wissen um die Existenz desselben voraus. Eine vom fallitus fugitivus abseits der Wahrnehmungen des Insolvenzverwalters aufgenommene selbstständige Erwerbstätigkeit kann für sich gesehen keine Verpflichtung der Masse auslösen. Der Insolvenzverwalter wird mangels Kenntnis der für eine Beurteilung erforderlichen Tatsachen nicht in die Lage versetzt, sich diesbezüglich der ihm nach §§ 80 Abs. 1 Satz 1, 35 Abs. 1 Satz 1 InsO obliegenden Verwaltungspflicht bewusst zu werden und diese dahingehend auszuüben, über die Freigabe der Erwerbstätigkeit zu entscheiden.¹⁷⁵ Die hiervon betroffenen Neugläubiger sind ebenso auf das insolvenzfreie Vermögen verwiesen. Erfährt der Insolvenzverwalter indes von der selbstständigen Erwerbstätigkeit des flüchtigen Schuldners sowie von den Tatsachen, die ihm eine abschließende Bewertung der Chancen und Risiken für die Masse erlauben, muss er ohne schuldhaftes Zögern eine Entscheidung darüber treffen, ob er von der Freigabemöglichkeit Gebrauch macht.¹⁷⁶ Denn es ist, wie bereits gesehen, eine insolvenzspezifische Amtspflicht des Insolvenzverwalters (auch im Sinne des § 60 Abs. 1 InsO), hier zu handeln und über die Freigabe zu entscheiden. Die Bestimmung des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO gibt dem Verwalter zwar einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der von ihm aufzustellenden Prognose, jedoch keinen Ermessensspielraum auf der Rechtsfolgenseite, wie der Gesetzeswortlaut  zu allem Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 10.13; Jaeger/Windel, InsO, § 81 Rz. 54; BGH, Urt. v. 15. April 2010, IX ZR 62/09, ZIP 2010, 935; OLG Frankfurt, Beschl. v. 17. Februar 2003, 25 W 9/03, juris  FK-InsO/Schumacher, § 35 Rz. 23; anders noch nach der bis zum 30. Juni 2007 geltenden Rechtslage BFH, Urt. v. 18. Mai 2010, X R 11/09, ZIP 2010, 2014 unter Hinweis auf BFH, Urt. v. 21. Juli 2009, VII R 49/08, ZIP 2009, 2208, wonach „selbst im Fall der (wissentlichen) Duldung“ (sic!) einer Geschäftsführertätigkeit durch den Insolvenzverwalter das Tatbestandsmerkmal des Verwaltens der Insolvenzmasse nicht erfüllt war  Nerlich/Römermann/Andres, § 35 Rz. 104  Smid, DZWIR 2008, 133, 137; LSZ/Smid/Leonhardt, § 35 Rz. 38

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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(„hat“) unmissverständlich offenbart.¹⁷⁷ Aus der Ermächtigung zur Freigabe erwächst für den Insolvenzverwalter mithin die Pflicht zu derselben, wenn die Fortsetzung der selbstständigen Erwerbstätigkeit des (flüchtigen) Schuldners für die Masse schädliche Konsequenzen haben könnte. Hieraus folgt, dass der Verwalter nach Kenntnis von Umständen, die auf eine ihm nicht bekannte selbstständige Erwerbstätigkeit des Schuldners deuten, alle ihm zumutbaren Ermittlungen aufzunehmen hat, um belastbare Informationen über Art und Umfang dieses Engagements zu beschaffen. Denn der Insolvenzverwalter kann die von ihm verlangte Prognose und Freigabeentscheidung nur auf sicherer Erkenntnisgrundlage treffen. Hierzu darf und muss er insbesondere den Schuldner befragen und sich von ihm Geschäftsbücher,Verträge und alle sonstigen Urkunden und Unterlagen vorlegen lassen.¹⁷⁸ Der Schuldner ist dem Insolvenzverwalter zur wahrheitsgemäßen und vollständigen Auskunftserteilung verpflichtet, die erforderlichenfalls erzwungen werden kann (vgl. §§ 97, 98 InsO; hierzu später). Der Insolvenzverwalter kann ferner Zeugen anhören, Sachen in Augenschein nehmen und im Übrigen alle sonstigen zulässigen Erkenntnisquellen abschöpfen, die ihm eine sachgemäße Beurteilung der Chancen und Risiken der selbstständigen Erwerbstätigkeit des Schuldners für die Masse erlauben.

Hat der Verwalter die Sache aufgeklärt, muss er seine Entscheidung über die Freigabe unverzüglich treffen. Da sich das Dulden eines bekanntgewordenen Zustandes gegenüber Dritten letztlich in Passivität ausdrückt und der Verwalter im Falle von Ressentiments ob des Gelingens des schuldnerischen Unternehmens zu zügigem Handeln verpflichtet ist, kommt es nicht darauf an, ob er in Kenntnis der selbstständigen Erwerbstätigkeit diese auch noch zusätzlich durch Verlautbarung billigt. Ist der Verwalter im Gläubigerinteresse mit der selbstständigen Erwerbstätigkeit des Schuldners einverstanden, muss er insoweit nichts weiter unternehmen.¹⁷⁹ Ist er es nicht, muss er sich ohne schuldhaftes Zögern erklären. Gibt der

 Der Gesetz gewordene Wortlaut des § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO geht auf einen Änderungsvorschlag des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages zurück, der im Gegensatz zu dem im Regierungsentwurf vorgesehenen Ermessen vom Insolvenzverwalter eine gebundene Entscheidung über eine dahingehende Erklärung verlangt, ob die vom Schuldner begründeten Verbindlichkeiten von der Masse zu erfüllen sind. Denn der Rechtsausschuss hatte die Befürchtung, dass wegen des im Regierungsentwurf vorgesehenen Ermessens in den Fällen, in denen der Verwalter sich einer Erklärung schlicht enthält, Zweifel darüber begründet werden, ob überhaupt Masseverbindlichkeiten entstehen sollen. Mit der Verpflichtung zur Abgabe einer Erklärung soll für alle Beteiligten Gewissheit darüber erreicht werden, ob im Rahmen der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners begründete Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind; vgl. BT-Drucks. 16/4194, S. 14; hierzu BGH, Urt. v. 9. Februar 2012, IX ZR 75/11, NJW 2012, 1361.  FK-InsO/Schumacher, § 35 Rz. 23  Nerlich/Römermann/Andres, § 35 Rz. 98 ff. bemüht für die Zurechnung die Grundsätze über die Anscheinsvollmacht

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Insolvenzverwalter demnach die Einnahmen aus der selbstständigen Tätigkeit frei, erlischt der sich darauf erstreckende Insolvenzbeschlag und die Masse wird nicht verpflichtet. Die Freigabeerklärung, so urteilte der Bundesgerichtshof,¹⁸⁰ „zerschneidet das rechtliche Band zwischen der Insolvenzmasse und der durch den Schuldner ausgeübten selbständigen Tätigkeit und leitet die der selbständigen Tätigkeit dienenden Vertragsverhältnisse von der Masse auf die Person des Schuldners über“. Den Neugläubigern erwächst dann eine außerhalb des Insolvenzverfahrens zu beachtenden Haftungsmasse, an die sie sich zu ihrer Befriedigung halten können.¹⁸¹ Bleibt der Insolvenzverwalter hingegen passiv und kommt damit sein Dulden der selbstständigen Erwerbstätigkeit des Schuldners zum Ausdruck, werden die dadurch begründeten Schulden zu Masseverbindlichkeiten, deren Erfüllung die Neugläubiger vom Insolvenzverwalter verlangen können. Die Freigabeerklärung ist angesichts dessen eindeutig formuliert gegenüber dem Schuldner abzugeben.¹⁸² Auf ihren Zugang kann nicht verzichtet werden, da sie als einseitig gestaltende Willenserklärung zwingend empfangsbedürftig ist, um die mit ihr im Einzelnen konkret beabsichtigten Rechtswirkungen für die Zukunft¹⁸³ herbeizuführen.¹⁸⁴ Aus diesem Grund sollte der Insolvenzverwalter die idealiter schriftlich abzufassende Freigabeerklärung nicht nur einfach zur Post aufgeben, sondern ihren Zugang am sichersten gegen Empfangsbekenntnis oder durch förmliche Zustellung bewirken (§ 132 BGB).¹⁸⁵ Ist der Schuldner womöglich erneut auf der Flucht und damit nicht erreichbar, kann die öffentliche Zustellung der Freigabeerklärung beantragt werden (§ 4 InsO i. V. m. §§ 185 ff. ZPO). Da es wegen der zukunftsbezogenen Gestaltungswirkung der Freigabeerklärung auf deren Zugang ankommt, haben ihr späterer Widerruf gemäß § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB oder eine Irrtumsanfechtung nach den §§ 119 ff. BGB wenig Aussicht auf Erfolg.¹⁸⁶ Zudem ist sie als einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung bedingungsfeindlich; mithin kann sie nicht befristet¹⁸⁷ oder mit (anderen) Bedingungen versehen erklärt werden. Jedoch können zwischen Insolvenzverwalter und Schuldner Vereinbarungen über die Freigabe einzelner Massegegenstände gegen Zahlung von Ablösebeträgen¹⁸⁸ oder Erfüllung bestimmter Konditionen

 BGH, Urt. v. 9. Februar 2012, IX ZR 75/11, ZIP 2012, 533 unter Hinweis unter anderen auf Holzer, ZVI 2007, 289, 292; Haarmeyer, ZInsO 2007, 696, 697 und Zipperer, ZVI 2007, 541, 542  BGH, Urt. v. 18. April 2013, IX ZR 165/12, NZI 2013, 641 m. w. Nachw.  vgl. hierzu BGH, Urt. v. 18. April 2013, IX ZR 165/12, NZI 2013, 641 sowie Smid, Handbuch, S. 224 ff. und S. 230  BAG, Urt. v. 16. Mai 2013, 6 AZR 556/11, DB 2013, 1795 m. w. Nachw.  FK-InsO/Schumacher, § 35 Rz. 16; BGH, Urt. v. 18. April 2013, IX ZR 165/12, NZI 2013, 641 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 9. Februar 2012, IX ZR 75/11, ZIP 2012, 533  LSZ/Smid/Leonhardt, § 35 Rz. 51  LSZ/Smid/Leonhardt, § 35 Rz. 49 m. w. Nachw.  BGH, Urt. v. 7. Dezember 2006, IX ZR 161/04, NZI 2007, 173  BGH, Urt. v. 18. April 2013, IX ZR 165/12, NZI 2013, 641; Smid, Handbuch, S. 231 m. w. Nachw.

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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getroffen werden, wie die Beteiligung der Insolvenzmasse an Erlösen¹⁸⁹ oder die Ermächtigung des Schuldners zum Einzug massezugehöriger Forderungen im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft.¹⁹⁰ Indes begründet § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO keinen individuell durchsetzbaren Rechtsanspruch auf Freigabe der Erwerbseinnahmen und der damit verbundenen Verbindlichkeiten für Schuldner, Gläubiger oder Dritte; ebenso wenig besteht nach §§ 35 Abs. 2 Satz 2, 295 Abs. 2 InsO eine Zahlungsverpflichtung des Schuldners, da § 295 Abs. 2 InsO lediglich eine Obliegenheit normiert.¹⁹¹ Im Übrigen werden die Rechte der Insolvenzgläubiger durch die Bestimmung des § 35 Abs. 2 Satz 3 InsO gewahrt, wonach die Freigabeerklärung auf Antrag des Gläubigerausschusses bzw. der Gläubigerversammlung durch gerichtliche Entscheidung ihre Rechtswirksamkeit nachträglich verlieren kann.¹⁹² Nicht nur deshalb hat der Insolvenzverwalter die Freigabeerklärung dem Insolvenzgericht anzuzeigen (§ 35 Abs. 3 Satz 1 InsO), welches wiederum nach § 35 Abs. 3 Satz 2 InsO zu ihrer öffentlichen Bekanntmachung verpflichtet ist. Die öffentliche Bekanntmachung hat gleichzeitig die Funktion, den Rechtsverkehr und damit potentielle Neugläubiger darüber zu unterrichten, dass die Masse für die aus der selbstständigen Tätigkeit resultierenden Verbindlichkeiten des Schuldners nicht haftet.¹⁹³

3. Unterrichtung und Anhörung des Schuldners Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird nach §§ 9, 30 Abs. 1 InsO im Internet öffentlich und damit jedermann bekannt gemacht. Im Grundbuch wird gemäß § 32 Abs. 1 InsO die Verfahrenseröffnung vermerkt, ferner im Schifffahrts- und Luftfahrzeugregister (§ 33 InsO). Bevor es jedoch zur Entscheidung über die Verfahrenseröffnung kommt, ist das Insolvenzgericht von Amts wegen zu der Feststellung verpflichtet, ob ein Insolvenzgrund gegeben und eine die Verfahrenskosten deckende Masse vorhanden ist (§§ 5 Abs. 1, 16 ff. InsO). Hierzu – und auch im weiteren Verfahren – sind unter anderem Verfahrenshandlungen erforderlich, welche die Unterrichtung des Schuldners in Form von Zustellungen und seine Beteiligung durch Entgegennahme von Aussagen zum Gegenstand haben. Denn der Schuldner hat in den sein Vermögen betreffenden Verfahren nach der Insolvenzordnung grundsätzlich Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103

 BGH, Urt. v. 10. Januar 2013, IX ZR 172/11, NZI 2013, 347 (auch zur Frage der Insolvenzzweckwidrigkeit und Nichtigkeit derartiger Vereinbarungen); BAG, Urt. v. 16. Mai 2013, 6 AZR 556/11, DB 2013, 1795; LSZ/Smid/Leonhardt, § 35 Rz. 54  BGH, Urt. v. 19. März 1987, III ZR 2/86, ZIP 1987, 793 zur Rechtslage nach der KO; zur Frage der Prozessführungsbefugnis nach Freigabe s. BGH, Urt. v. 18. April 2013, IX ZR 165/12, NZI 2013, 641 m. w. Nachw.; kritisch zur Frage der Verlagerung des Prozesskostenrisikos Smid, Handbuch, S. 231  OLG Brandenburg, Urt. v. 17. April 2013, 7 U 77/12, NZI 2013, 650 m. w. Nachw. (Revision zugelassen)  vgl. hierzu Smid, Handbuch, S. 224 f.  amtliche Begründung zu RegE, BT-Drucks. 16/3227, S. 17

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Abs. 1 GG).¹⁹⁴ Dies gilt freilich für den vor Ort präsenten Schuldner ebenso wie für den auswärtigen. Wird das Recht des Schuldners auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, ist hierin regelmäßig ein schwerwiegender Verfahrensfehler zu erblicken, der die darauf ergangene Entscheidung angreifbar machen kann.¹⁹⁵

a) Unterrichtung durch Zustellung Zur Verwirklichung des Verfahrenszweckes, zur Ermöglichung der Verfahrensteilnahme und damit zur Wahrung der Beteiligungsrechte sind bestimmte insolvenzgerichtliche Verfügungen, ungeachtet der Bekanntmachungsmöglichkeit des § 9 InsO, dem Schuldner und den weiteren Beteiligten zwecks Verlautbarung nach Maßgabe des § 8 InsO zuzustellen.¹⁹⁶ Die Insolvenzordnung definiert in Einzelvorschriften, wann einem Beteiligten insolvenzgerichtliche Entscheidungen im Wege der Zustellung mitzuteilen sind.¹⁹⁷ Zur effektiven Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG ist die Kenntnis des Schuldners von Beschlüssen über die Verfügungsbeschränkungen und deren Aufhebung (§ 23 Abs. 1 Satz 1, 25 Abs. 1 InsO), über die Eröffnung des Verfahrens (§ 30 Abs. 2 InsO) oder über einen Schuldenbereinigungsplan (§ 308 Abs. 1 Satz 3 InsO) bedeutsam. Die nach den Einzelvorschriften erforderlichen Zustellungen werden im Amtsbetrieb durch das Gericht bewirkt, wofür ein lizensiertes Postunternehmen beauftragt werden kann (§ 8 Abs. 1 Satz 2 InsO). Dabei hat das Gericht nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden, ob die Zustellung „förmlich“ oder durch Aufgabe zur Post erfolgen soll.¹⁹⁸ Wird die Zustellung durch Aufgabe zur Post bewirkt, beinhaltet die Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 3 InsO die rechtliche Fiktion, dass bei einer im Inland vorzunehmenden Zustellung dieselbe binnen drei Tagen nach Aufgabe zur Post als erfolgt gilt. Ansonsten gilt über § 8 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 InsO in Verbindung mit § 184 Abs. 2 Satz 1 ZPO das Schriftstück zwei Wochen nach Aufgabe zur Post als zugestellt.¹⁹⁹ Diese Normen sind mit Blick auf das Verfahrensziel der schnellen gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung (§ 1 Satz 1 InsO) zu verstehen. Nach dem Willen des

 Vallender in Kölner Schrift, 3. Auflage, S. 250 ff.  MünchKomm-InsO/Ganter, § 10 Rz. 24; Vallender in Kölner Schrift, 3. Auflage, S. 255  Kreft/Kirchhof, InsO, § 8 Rz. 2; die Norm des § 8 Abs. 1 InsO wurde seit Inkrafttreten zweimal geändert  Eine Aufstellung der Einzelnormen findet sich bei Jaeger/Gerhardt, InsO, § 8 Rz. 3.  BGH, Beschl. v. 13. Februar 2003, IX ZB 368/02, ZInsO 2003, 216  Das Gericht kann nach § 8 Abs. 1 Satz 2 Hs. 2 InsO in Verbindung mit § 184 Abs. 2 Satz 2 ZPO auch eine längere Frist bestimmen.

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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Gesetzgebers erfolgt die Zustellung bereits dadurch, dass die Entscheidung zur Post aufgegeben, also zum Versand durch ein Postunternehmen aus dem Machtbereich des Gerichtes in den des Postunternehmens gegeben wird, weshalb es schon nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht darauf ankommt, ob und wann das Schriftgut dem Adressaten tatsächlich zugeht.²⁰⁰ Dies muss für die Zustellung verfahrenseinleitender Beschlüsse (zum Beispiel gemäß § 21 InsO oder § 27 InsO) gegenüber dem mit unbekanntem Ziel geflüchteten Schuldner ebenso gelten, selbst wenn dessen Rückkehr an seine letzte Wohnanschrift nicht mehr erfolgt oder zu erwarten ist, da andernfalls durch dessen plötzliche oder heimliche Flucht die rechtssichere Initiierung des Insolvenzverfahrens verhindert werden könnte. Ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung dieser Norm ist es aber, dass das Schriftstück an die letztbekannte Adresse gerichtet wird und dem Gericht keine Hinweise vorliegen, welche begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser Anschrift begründen können.²⁰¹ Geht das Schriftstück tatsächlich nicht oder erst nach Ablauf der Notfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO (vgl. § 6 InsO) zu und erfolgt auch keine öffentliche Bekanntmachung nach § 9 InsO, ist es dem Schuldner unbenommen, gemäß § 4 InsO in Verbindung mit §§ 233 ff. ZPO um Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nachzusuchen.²⁰² Die mit der Zugangsfiktion gemäß § 8 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO verknüpfte Zustellung hat – anders als nach der Rechtslage der Konkursordnung – entscheidende Bedeutung für die Ingangsetzung der Rechtsmittelfristen (§ 6 Abs. 2 InsO in Verbindung mit §§ 567, 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Unter der Geltung des § 76 Abs. 3 KO war eine frühere Einzelzustellung für die Berechnung der Beschwerdefrist bedeutungslos, da erst die öffentliche Bekanntmachung als Zustellung galt. Nach dem Wortlaut des § 9 Abs. 3 InsO genügt jedoch die öffentliche Bekanntmachung zum Nachweis der Zustellung an alle Beteiligten. Damit dient die Norm des § 9 Abs. 3 InsO den Interessen der Verfahrensbeschleunigung und der Beweiserleichterung, denn sie schließt den Nachweis einer früheren Zustellung an einzelne Beteiligte nicht aus.²⁰³ Maßgeblich für den Fristbeginn und -ablauf zur Erhebung einer sofortigen Beschwerde ist damit der Zeitpunkt, zu dem die anzufechtende, nicht verkündete Entscheidung zuerst als zugestellt gilt, sei es auf der Grundlage der Zustellungsfiktionen des § 8 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO oder nach Maßgabe des § 9 Abs. 1 Satz 3 InsO.

 MünchKomm-InsO/Ganter, § 8 Rz. 21; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 8 Rz. 8  Jaeger/Gerhardt, InsO, § 8 Rz. 8; FK-InsO/Schmerbach, § 8 Rz. 19 ff.; Nerlich/Römermann/ Becker, § 8 Rz. 17; enger MünchKomm-InsO/Ganter, § 8 Rz. 18  BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010, IX ZB 83/06, ZIP 2010, 395 unter Hinweis auf BGH, Beschl. v. 24. Juli 2000, II ZB 20/99, NJW 2000, 3284: vgl. auch BGH, Beschl. v. 16. Mai 2013, IX ZB 272/11, WM 2013, 1232  BGH, Beschl. v. 20. März 2003, IX ZB 140/02, ZIP 2003, 768; OLG Köln, Beschl. v. 3. Januar 2000, 2 W 270/99, ZIP 2000, 195 m. Anm. Bork EWiR 2000, 181; diese Entscheidungen ergingen zu der bis zum 31. März 2005 geltenden Fassung des § 8 Abs. 1 InsO

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Wendet sich der Schuldner indes zur Flucht und ist infolgedessen sein Aufenthalt und damit seine zustellungsfähige Anschrift unbekannt, ordnet die Bestimmung des § 8 Abs. 2 Satz 1 InsO an, dass an ihn – angesichts der offenbaren Aussichtslosigkeit – von vornherein keine Zustellungen vorzunehmen sind. Das Insolvenzgericht soll zumindest über maßvolle Anstrengungen zur Anschriftenermittlung hinaus nicht genötigt werden, trotz der Unkenntnis über den Aufenthalt des Schuldners weitere zeitaufreibende Untersuchungen dahingehend führen zu müssen.²⁰⁴ Der Gesetzgeber sieht insoweit die Zustellung an den fallitus fugitivus für nicht erforderlich an,²⁰⁵ zumal jener die Ursachen seiner Nichterreichbarkeit für die ihn unterrichtenden Zustellungen durch seine Flucht selbst setzt und durch sein damit zum Ausdruck kommendes Desinteresse der ungehinderte Verfahrensfortgang nicht beeinträchtigt werden soll. Damit kann die für den am unbekannten Ort weilenden Schuldner unterbleibende Zustellung dramatische Folgen haben, wie ein vom Bundesgerichtshof ²⁰⁶ judizierter Fall zeigt. Denn der IX. Senat hielt das Insolvenzgericht auch im Lichte der in § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO normierten Amtsermittlungspflicht zumindest während der Wohlverhaltensperiode des Restschuldbefreiungsverfahrens nicht für verpflichtet, überhaupt Nachforschungen zum Schuldnerwohnsitz anzustellen. Jener Schuldner verzog nach Eigen- und Restschuldbefreiungsantrag zur Arbeitsaufnahme nach Dubai, ohne eine ladungsfähige Anschrift zu hinterlassen. Die Insolvenzverwalterin konnte lediglich eine Postfachadresse des Schuldners in Dubai sowie eine e-mailAdresse in Erfahrung bringen. Nach Ankündigung der Restschuldbefreiung und Bestellung der Verwalterin zur Treuhänderin wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben. Während der Wohlverhaltensphase wurde der Schuldner wiederholt mit an die Dubaier Postfachanschrift gerichteten Schreiben zur Zahlung der Mindestvergütung (vgl. § 298 Abs. 1 Satz 1 InsO) aufgefordert; eine Reaktion erfolgte nicht. Zirka fünf Jahre später kehrte der Schuldner zurück und teilte via e-mail seine neue Nürnberger Adresse an die Treuhänderin und das Insolvenzgericht mit, jedoch kamen diese e-mails bei den Adressaten nicht an. Über den Zugang der von ihm versandten e-mails vergewisserte sich der Schuldner nicht. In der Folge beantragte die Treuhänderin die Versagung der Restschuldbefreiung,²⁰⁷ worauf das Insolvenzgericht den Schuldner unter seiner Dubaier Postfachadresse erneut anschrieb und unter Fristsetzung Gelegenheit zur Stellungnahme gab; dieses Schreiben kam mit dem Hinweis zurück, dass das Postfach geschlossen worden sei. Der Versagungsbeschluss des Insolvenzgerichts wurde in der Annahme, der Schuldner sei unbekannten Aufenthalts, öffentlich bekannt gemacht. Nahezu sieben Monate später erhob der Schuldner sofortige Beschwerde, beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und behauptete, erst kurz zuvor von der öffentlichen Bekanntmachung der Versagungsentscheidung erfahren zu haben. Der IX. Senat hielt mit Blick auf die Zustellungswirkung der öffentlichen Bekanntmachung (§ 9 Abs. 1 Satz 3 InsO in Verbindung mit § 4 InsO, § 187 Abs. 1 BGB, § 222 ZPO) das Rechtsmittel für verfristet (sowie den Wiedereinsetzungsantrag für unbegründet)

   

Nerlich/Römermann/Becker, § 8 Rz. 28 LSZ/Smid, § 8 Rz. 8 BGH, Beschl. v. 16. Mai 2013, IX ZB 272/11, WM 2013, 1232 vgl. hierzu auch BGH, Beschl. v. 7. Mai 2013, IX ZB 51/12, WM 2013, 1516

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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und verwies darauf, dass die Versagungsentscheidung öffentlich bekanntmacht werden durfte, weil der Schuldner unbekannten Aufenthalts war. Entgegen einiger Literaturstimmen²⁰⁸ sei das Insolvenzgericht während der Wohlverhaltensperiode nicht verpflichtet, zuvor Nachforschungen zum Wohnsitz des Schuldners anzustellen, da jenen im Eröffnungsverfahren, im eröffneten Verfahren und während des Restschuldbefreiungsverfahrens die in §§ 20 Abs. 1, 97 Abs. 1, § 290 Abs. 1 Nr. 5, 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO normierten besonderen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten bzw. -obliegenheiten treffen (hierzu später). Wenn aber Sinn der nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO bestehenden Auskunftsobliegenheit die Gewährleistung jederzeitiger Erreichbarkeit des Schuldners sei, bestünde dann keine besondere Ermittlungspflicht, wenn der Schuldner diese Obliegenheit nicht erfüllt, zumal es sich bei den mit dem Ziel der Restschuldbefreiung initiierten Insolvenzverfahren um Massenverfahren handele, deren reibungsloser Ablauf nur sichergestellt werden könne, wenn zumindest dieser Obliegenheit nachgekommen werde.

Sein gleichwohl anzuerkennendes Informations- und Rechtsschutzbedürfnis wird durch die Einzelvorschriften gewahrt, die eine öffentliche Bekanntmachung nach § 9 InsO vorschreiben, so dass sich der Schuldner an seinem unbekannten Aufenthaltsort jederzeit über die im Internet recherchierbaren Veröffentlichungen unterrichten kann. Sie geben ihm fürderhin die Chance zur aktiven Verfahrensteilnahme, ohne dass das Insolvenzgericht (weitere) Zustellungshandlungen veranlassen müsste.²⁰⁹ Dennoch hat das Gericht die Wahl, nach Maßgabe des § 4 InsO in Verbindung mit §§ 185 Nr. 1 und 3, 186 ff. ZPO die öffentliche Zustellung zu bewirken. Schließlich ermöglicht § 8 Abs. 2 Satz 2 InsO die Vornahme von Zu-

 Der IX. Senat skizzierte den Meinungsstand, wonach angesichts der Amtsermittlungspflicht des § 5 Abs. 1 InsO teilweise vertreten werde, die Annahme des unbekannten Aufenthalts einer Person wäre erst dann gerechtfertigt, wenn die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung im Sinne des § 185 Nr. 1 ZPO gegeben seien, mithin alle geeigneten und zumutbaren Nachforschungen unternommen wurden, um den Aufenthalt desjenigen zu ermitteln (so FK-InsO/ Schmerbach, 7. Aufl., § 8 Rz. 28 sowie unter Hinweis auf die Voraussetzungen einer öffentlichen Zustellung bei unbekanntem Aufenthalt in BGH, Urt. v. 4. Juli 2012, XII ZR 94/10, NJW 2012, 3582 und BGH, Beschl. v. 6. Dezember 2012, VII ZR 74/12, Rpfleger 2013, 223). Nach anderer Auffassung würden Nachforschungen genügen, die sich beispielsweise auf die Einholung aktueller Auskünfte bei dem für den letzten bekannten Schuldnerwohnort zuständigen Einwohnermeldeamt oder auf Nachfragen beim Arbeitgeber oder (letzten) Vermieter erstrecken (so beispielsweise MünchKomm-InsO/Ganter, § 8 Rz. 27; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 8 Rz. 5 sowie unter Hinweis auf BGH, Beschl. v. 14. Februar 2003, IXa ZB 56/03, NJW 2003, 1530 zur öffentlichen Zustellung in der Einzelvollstreckung).  Die öffentliche Bekanntmachung wirkt allerdings nur dann als Zustellung, wenn die öffentlich gemachte Entscheidung richtig bezeichnet ist; andernfalls entfaltet sie keine Zustellungswirkung, so dass die Beschwerdefrist für den Schuldner, dem die Entscheidung nicht individuell mitgeteilt worden ist, auch nicht fünf Monate nach dem Erlass der Entscheidung beginnt; vgl. BGH, Beschl. v. 10. November 2011, IX ZB 165/10, DB 2011, 6; MünchKomm-InsO/ Ganter, § 9 Rz. 17.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

stellungen, wenn der flüchtige Schuldner einen Zustellungsbevollmächtigten, zum Beispiel einen Rechtsanwalt, benannt hat.

b) Anhörung des Schuldners Gleichermaßen kann eine nach den Vorschriften der Insolvenzordnung vorgeschriebene Anhörung des Schuldners (zum Beispiel gemäß § 14 Abs. 2 InsO oder § 296 Abs. 2 Satz 1 InsO) unterbleiben, wenn er sich entweder im Ausland aufhält und die Anhörung das Verfahren übermäßig verzögern würde oder wenn der Aufenthalt des Schuldners unbekannt ist (§ 10 Abs. 1 Satz 1 InsO). Die Normen des § 10 InsO nehmen damit ebenfalls nicht so sehr darauf Rücksicht, den (flüchtigen) Schuldner über die Anhörung verfahrensrechtlich zu beteiligen. Sie begründen insbesondere keine allgemeine oder spezielle Pflicht zur Anhörung des Schuldners.²¹⁰ Vielmehr soll in diesen Fällen der weitere Fortgang des Verfahrens nicht davon abhängig sein, ob der Schuldner gehört werden konnte und sich tatsächlich geäußert hat.²¹¹ Ein Beispiel mag auch hier die Konsequenzen einer unterbliebenen Anhörung deutlicher werden lassen: Das Amtsgericht Duisburg²¹² hatte im Jahr 2009 über einen auf § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO gestützten Antrag auf Versagung der Erteilung der Restschuldbefreiung zu entscheiden. Der Schuldner, ein ehemals selbstständiger Industrieinstallateurmeister, war, nachdem ihm die Restschuldbefreiung angekündigt und ein Treuhänder bestellt worden war, während der Wohlverhaltensphase gemeinsam mit seiner Familie nach Kanada ausgereist, um dort einer vielversprechenden Erwerbstätigkeit nachzugehen. Diese Ausreise kündigte er dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder mit dem Versprechen an, alsbald seine genaue Wohnanschrift mitzuteilen. In der Folge meldete sich der Schuldner weder bei dem Gericht noch beim Treuhänder. Zwar reichte er in Deutschland noch eine Steuererklärung ein, untersagte jedoch seiner Steuerberaterin, seine aktuelle Adresse der Finanzverwaltung weiterzugeben. Eine schriftliche Anfrage des Insolvenzgerichts bei der Steuerberaterin nach der Anschrift des Schuldners blieb aus nicht näher bekannten Gründen unbeantwortet; eine Meldeanfrage des Gerichts bei der Gemeinde ergab, dass der Schuldner dort als mit unbekanntem Ziel verzogen registriert war. Das Finanzamt und eine Bank beantragten, dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen, weil er entgegen seiner Obliegenheit gemäß §§ 295 Abs. 1 Nr. 3, 296 Abs. 1 Satz 2 und 3 InsO seine neue Anschrift nicht mitgeteilt habe. Das Amtsgericht Duisburg sah in der Folge wegen des unbekannten Aufenthalts von der gebotenen Anhörung des Schuldners ab. Wäre es gleichwohl und auf welchem Weg auch

 MünchKomm-InsO/Ganter, § 10 Rz. 3; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 10 Rz. 1; die Anhörung des Schuldners wird in den Einzelbestimmungen der §§ 14 Abs. 2, 20 Satz 2, 98 Abs. 2, 99 Abs. 1 Satz 2 und S. 3, 101 Abs. 1, 248 Abs. 2, 272 Abs. 2 Satz 2, 296 Abs. 2 Satz 1, 298 Abs. 2 Satz 1, 332 Abs. 1, 333 Abs. 2 Satz 2 InsO normiert, zudem ist der Schuldner vor allen gerichtlichen Entscheidungen anzuhören, hierzu Nerlich/Römermann/Becker, § 10 Rz. 2  BGH, Beschl. v. 13. April 2006, IX ZB 118/04, WM 2006, 1215  AG Duisburg, Beschl. v. 13. Januar 2009, 62 IN 147/03, NZI 2009, 399

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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immer zu einer Anhörung gekommen, hätte sich vielleicht herausgestellt, dass der Schuldner entsprechende Post mit seiner aktuellen Adresse ordnungsgemäß (an das Insolvenzgericht) versandt hatte, diese jedoch aufgrund von nicht vom Schuldner zu vertretenden Umständen nicht zur Akte gelangt war. Zudem hätte sich womöglich gezeigt, dass der Steuerberaterin nur die Weisung gegeben worden war, lediglich dem Finanzamt keine weiteren Auskünfte zu erteilen. Der Schuldner hätte mithin entlastende Umstände vortragen können, die dem Gericht möglicherweise eine andere Entscheidung erlaubt hätten. So wurde ihm die Restschuldbefreiung mit der Konsequenz versagt, dass die Gläubiger ihre Ansprüche weiter gegen den Schuldner verfolgen können (§ 201 Abs. 1 InsO).

Durch die Regel des § 10 Abs. 1 InsO wird der aus Art. 103 Abs. 1 GG erwachsene Anspruch des Schuldners auf rechtliches Gehör als unmittelbar geltendes Verfahrensrecht indessen nicht beseitigt.²¹³ Allein die Flucht des Schuldners in das Ausland lässt die Pflicht zur Anhörung noch nicht entfallen.²¹⁴ Vielmehr dient § 10 Abs. 1 InsO ebenfalls dem Zweck, in Ansehung des in § 1 Satz 1 InsO erklärten Ziels, die Gläubiger gleichmäßig zu befriedigen, das darauf gerichtete Verfahren zu beschleunigen. Mithin soll jede übermäßige Verfahrensverzögerung, die durch die Flucht des Schuldners oder die Unkenntnis über seinen Aufenthalt verursacht werden würde, normativ ausgeschaltet werden.²¹⁵ Die Vorschriften des § 10 InsO formulieren deshalb Ausnahmetatbestände, bei deren Vorliegen die grundsätzlich gebotene Verfahrensbeteiligung des flüchtigen Schuldners partiell und temporär unterbleiben kann.²¹⁶ Das Insolvenzgericht hat anhand erkennbarer Tatsachen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO von Amts wegen festzustellen, ob der Schuldner tatsächlich unbekannten Aufenthaltes ist respektive sich im Ausland befindet und seine Anhörung den Verfahrensfortgang übermäßig verzögert. Für seine Ermittlungen kann es sich aller Erkenntnismittel bedienen, die ihm in rechtlich zulässiger Weise zugänglich sind. So kann es beispielsweise Verfahrensbeteiligte und Zeugen (letzter Vermieter, Nachbarn oder Verwandte) anhören, Auskünfte von Meldebehörden einholen, Urkunden einsehen oder glaubhaft erscheinende Berichte aus den Medien verwerten. Auch eigene (erfolglos gebliebene) Versuche des Gerichtspersonals, innerhalb einer angemessenen Zeit via (Mobil‐) Telefon, Post oder e-mail Kontakt zum Schuldner aufzunehmen, können als Erkenntnisgrundlage für die zu treffende Entscheidung herangezogen werden. Soweit der konkrete örtliche Aufent-

 Hess/InsO, § 10 Rz. 8  BGH, Beschl. v. 13. April 2006, IX ZB 118/04, WM 2006, 1215; MünchKomm-InsO/Ganter, § 10 Rz. 11; Vallender in Kölner Schrift, 3. Auflage, S. 259 ff.  LSZ/Smid, § 10 Rz. 6; BGH, Beschl. v. 13. April 2006, IX ZB 118/04, WM 2006, 1215  Jaeger/Gerhardt, InsO, § 10 Rz. 1

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

halt des Schuldners im Ausland bekannt ist, muss es Maßstab für die Beantwortung der Frage nach der übermäßigen Verzögerung sein, ob es – angesichts des grundlegenden Eilcharakters des Insolvenzverfahrens²¹⁷ – durch die vorgesehene Anhörung in der jeweiligen Situation zu einer mit den Zielen des Verfahrens nicht mehr vereinbarenden Hemmung kommt. Denn das Gesetz geht mit der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 InsO allgemein von einer Verfahrensverzögerung durch die Anhörung des im Ausland befindlichen Schuldners aus; es akzeptiert nur das Übermaß nicht.²¹⁸ Kann der Schuldner über moderne Kommunikationsmittel im Ausland zeitnah erreicht werden, darf das Gericht hierüber nicht hinwegsehen. Muss jedoch im Wege der Rechtshilfe eine förmliche Benachrichtigung des im Ausland befindlichen Schuldners erfolgen, ist der Tatbestand der übermäßigen Verfahrensverzögerung erfüllt, wenn erfahrungsgemäß mit einer erheblichen Dauer eines anzustrengenden Rechtshilfeverfahrens zu rechnen ist.²¹⁹ Auf der Rechtsfolgenseite obliegt es dem Ermessen des Insolvenzgerichts, ob und inwieweit es von der Anhörung des Schuldners absieht.²²⁰ Dabei sind die rechtlichen Folgen des Unterlassens einer Anhörung für den Schuldner zu beurteilen. Zwar ist das Insolvenzgericht grundsätzlich gehalten, dem Anhörungs- und Beteiligungsinteresse des Schuldners zu genügen und diesem gegenüber dem weiteren Verfahrensfortgang Vorrang einzuräumen. Da die Anhörung aber nicht durch persönliche Einvernahme des Schuldners erfolgen muss, sondern insbesondere fernmündlich, schriftlich oder via e-mail bzw. Social-Network-Plattformen geschehen kann, ist seitens des Gerichts zu prüfen, ob nicht auf diesen Wegen dem Anhörungs- und Beteiligungsinteresse des Schuldners zügig entsprochen werden kann.²²¹ Des Weiteren wird das Gericht bei seiner Ermessensentscheidung den Aufwand einer Anhörung des (auswärtigen) Schuldners mit dem erwartbaren Informationsertrag abzuwägen haben.²²² Für die sachgerechte Ermessensausübung ist es überdies erforderlich, dem jeweiligen Zweck, dem die in den einzelnen Vorschriften festgelegten Anhörungsrechte dienen, Beachtung zu schenken. Sicherlich dienen die Anhörungsrechte generell dazu, dem Schuldner eine Chance zur Einflussnahme auf die Entscheidungen des Insolvenzgerichtes durch Äußerungen über Tatsachen zu geben, um sachgerechte Verfahrensgestaltungen zu ermöglichen und verfahrensfremde Motive zu eliminieren. Gleichwohl können  hierzu im Zusammenhang mit der Bestellung des Insolvenzverwalters BVerfG, Beschl. v. 23. Mai 2006, 1 BvR 2530/04, NZI 2006, 453; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 4 Rz. 41  Vallender in Kölner Schrift, 3. Auflage, S. 259 ff.  LSZ/Smid, § 10 Rz. 6  MünchKomm-InsO/Ganter, § 10 Rz. 9  Jaeger/Gerhardt, § 10 Rz. 2; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 10 Rz. 4  MünchKomm-InsO/Ganter, § 10 Rz. 12

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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die durch die Anhörung des Schuldners zu berücksichtigenden Umstände für die Entscheidung des Gerichts nur insoweit von Bedeutung sein, soweit dem Schuldner verfahrensrechtliche Befugnisse durch die Normen der Insolvenzordnung überhaupt zugestanden werden. Schließlich ist immer zu berücksichtigen, dass es im Rahmen der Anhörung nicht um die Erzwingung einer Äußerung des Schuldners geht und der Schuldner mit seiner Flucht wie ehedem die Legitimation dafür gibt, dass das Gesetz dem Richter das Recht einräumt, von seiner Anhörung abzusehen. Kommt das Gericht unter Beachtung aller Umstände hiernach zu der Erkenntnis, durch die Anhörung drohe die Vereitelung oder erhebliche Gefährdung des Verfahrenszweckes, entspricht es pflichtgemäßer Ermessensausübung, von der Anhörung des fallitus fugitivus abzustehen.²²³ Unterbleibt infolge der Flucht des Schuldners seine Anhörung, formuliert die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 2 InsO die Vorstellung des Gesetzgebers, zumindest einen Vertreter des Schuldners oder dessen Angehörige anzuhören, wenn das Gericht gleichwohl Informationsbedarf hat und dieser dadurch befriedigt werden könnte.²²⁴ Bereits der Wortlaut der Norm offenbart, dass das Gericht hierzu aber nicht verpflichtet ist, insbesondere dann nicht, wenn nicht zu erwarten ist, dass ersatzweise anzuhörende Angehörige zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen des Schuldners in der Lage oder bereit sind.²²⁵ Abgesehen davon gebietet es aber Art. 103 Abs. 1 GG als elementares Verfahrensgrundrecht, die Anhörung des zuvor flüchtigen Schuldners nachzuholen, wenn dessen Aufenthalt nachträglich bekannt wird oder er im Ausland zügig erreicht werden kann und die darauf bezogene Entscheidung des Gerichtes noch nicht gefällt wurde oder noch korrigiert werden kann.

4. Auskunfts- und Mitwirkungspflichten Ungeachtet der dem Schuldner zugebilligten Anhörungs- und Beteiligungsrechte formuliert die Insolvenzordnung umfangreiche Auskunfts- und Mitwirkungspflichten, zu deren Erfüllung der Schuldner im Interesse des Verfahrenszweckes angehalten wird. Diese Auskunfts- und Mitwirkungspflichten gelten sowohl im eröffneten Verfahren als auch (gemäß §§ 20 Satz 2, 22 Abs. 3 Satz 3 InsO) im Insolvenzeröffnungsverfahren.²²⁶ Sie sollen mittels der vom Schuldner verlangten Kooperation gewährleisten, dass sich die Verfahrensbeteiligten schnell und effektiv in dessen wirtschaftlichen und rechtlichen Verhältnissen orientieren kön-

 Jaeger/Gerhardt, InsO, § 10 Rz. 2  MünchKomm-InsO/Ganter, § 10 Rz. 16a  Vallender in Kölner Schrift, 3. Auflage, S. 260; MünchKomm-InsO/Ganter, § 10 Rz. 18; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 10 Rz. 3  Uhlenbruck, NZI 2002, 401 m. w. Nachw.; BGH, Beschl. v. 9. Oktober 2008, IX ZB 212/07, ZIP 2008, 2276; BGH, Beschl. v. 16. Dezember 2004, IX ZB 72/03, ZInsO 2005, 207

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

nen. Während die Konkursordnung mit der in § 101 Abs. 1 KO normierten allgemeinen Residenzpflicht die Erfüllung der nach § 100 KO dem Schuldner auferlegten Auskunftspflichten sicherstellen wollte, beinhaltet § 97 InsO die (an sich ortsungebundenen) Pflichten, dem Insolvenzgericht, dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter, dem Gläubigerausschuss und auf Anordnung des Gerichts der Gläubigerversammlung über alle das Verfahren betreffenden Verhältnisse Auskunft zu geben, den Insolvenzverwalter zu unterstützen, sich hierzu jederzeit zur Verfügung zu stellen und diesen Pflichten nicht zuwider zu handeln.

a) Auskunftspflicht Die in der Insolvenzordnung normierte Auskunftspflicht des Schuldners ist allumfassend. Der Tatbestand ist wegen des damit verfolgten Verfahrensziels der zügigen, weitreichenden und gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung extensiv auszulegen und erstreckt sich auf alle rechtlichen, wirtschaftlichen und tatsächlichen Themen, die für den Erfolg des Insolvenzverfahrens im Sinne der gleichmäßigen und weitgehenden Gläubigerbefriedigung von irgendeinem Interesse sind.²²⁷ Dabei hängt die Auskunftsverpflichtung nicht von an den Schuldner gerichteten Fragen ab; er ist vielmehr gehalten, die maßgeblichen Informationen von sich aus und „ohne besondere Nachfrage offen zu legen, soweit sie ersichtlich für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sein können und nicht klar zu Tage liegen“. ²²⁸ Besteht diese umfassende und vorbehaltlose Auskunftspflicht, so ist der Schuldner erst recht verpflichtet, konkrete Fragen des Gerichts nach seinen Vermögensverhältnissen stets zutreffend zu beantworten.²²⁹ Der Schuldner hat die begehrten Auskünfte gegenüber dem Insolvenzgericht und dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter grundsätzlich persönlich, wahrheitsgemäß und vollständig zu erteilen.²³⁰ Das Gesetz steht aber einer fernmündlichen,

 Jaeger/Schilken, InsO, § 97 Rz. 17 m. w. Nachw.; BGH, Beschl. v. 7. Oktober 2010, IX ZA 29/10, NZI 2011, 66  BGH, Beschl. v. 8. März 2012, IX ZB 70/10, juris; BGH, Beschl. v. 17. März 2011, IX ZB 174/08, WM 2011, 760; BGH, Beschl. v. 11. Februar 2010, IX ZB 126/08, WM 2010, 524; BGH, Beschl. v. 15. April 2010, IX ZB 175/09, WM 2010, 976; BGH, Beschl. v. 8. Januar 2009, IX ZB 73/08, WM 2009, 515; MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz. 72  BGH, Beschl. v. 17. März 2011, IX ZB 174/08, WM 2011, 760; BGH, Beschl. v. 3. Februar 2011, IX ZB 3/10, juris; MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz. 72; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 67  Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 67; MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz. 72; BGH, Beschl. v. 17. März 2011, IX ZB 174/08, NZI 2011, 330; BGH, Beschl. v. 3. Februar 2011, IX ZB 3/10, juris; BGH, Beschl. v. 11. Februar 2010, IX ZB 126/08, WM 2010, 524

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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schriftlichen oder elektronisch via e-mail übermittelten Auskunft nicht entgegen. Die vom Schuldner verlangten Informationen können sich in erster Linie auf das unter den Insolvenzbeschlag fallende Vermögen, die Insolvenzmasse, beziehen, insbesondere auf Art, Umfang und Verbleib von Massegegenständen sowie auf Bestand und Höhe von Forderungen.²³¹ Hierzu gehört es, die Banken erforderlichenfalls vom sogenannten Bankgeheimnis zu befreien.²³² Des Weiteren ist der Schuldner zu Auskünften verpflichtet, die es dem Insolvenzverwalter ermöglichen, Anfechtungsansprüche nach den §§ 129 ff. InsO zur Massemehrung zu prüfen und gegebenenfalls zu verfolgen.²³³ Überdies hat sich der Schuldner über die Tatsachen zu erklären, die für die Bewertung seiner Verbindlichkeiten von Bedeutung sind, insbesondere über Rechtsgrund, Höhe und etwaige Einwendungen bezüglich der von den Gläubigern geltend gemachten Insolvenzforderungen, der nachrangigen Forderungen im Sinne des § 39 InsO sowie der (oktroyierten) Masseverbindlichkeiten. Ferner hat sich der Schuldner über Sicherungsrechte der Gläubiger sowie die Ursachen der Krise zu erklären. Selbstredend muss der Schuldner jeden Wohnsitzwechsel von sich aus mitteilen, damit die weiteren Verfahrensbeteiligten in der Lage sind, bei Bedarf mit ihm in Kontakt treten zu können.²³⁴ Schließlich ist der Schuldner verpflichtet, bereits erteilte Auskünfte unverzüglich und in eigener Initiative zu ergänzen oder richtigzustellen, wenn er erkennt, dass sich nicht unwesentliche Änderungen ergeben haben, weshalb hierfür ein besonderes Auskunftsverlangen des Insolvenzverwalters oder des Gerichts nicht erforderlich ist.²³⁵ Die Verpflichtung zur Auskunftserteilung wird nicht dadurch suspendiert, dass sich der Insolvenzverwalter die begehrten Informationen auf andere rechtlich zulässige Weise ebenso zu beschaffen vermag, zum Beispiel von Behörden auf der Basis der Informationsfreiheitsgesetze des Bundes²³⁶ und der Länder oder aufgrund vertraglicher Anspruchsgrundlagen. Denn ein derartiges Unterfangen könnte dem Zweck der Vorschrift, mit Blick auf die Verfahrensziele dem Insolvenzverwalter zügig die relevanten Informationen zugänglich zu machen, entgegenstehen.²³⁷ Die

 BGH, Beschl. v. 17. Februar 2005, IX ZB 62/04, DZWIR 2005, 336 m. Anm. Smid, jurisPR-InsR 5/2005, Anm. 5  Uhlenbruck, NZI 2002, 401, 402  FK-InsO/App, § 97 Rz. 13; Jaeger/Schilken, InsO, § 97 Rz. 17; BGH, Beschl. v. 11. Februar 2010, IX ZB 126/08, WM 2010, 524  BGH, Beschl. v. 16. Mai 2013, IX ZB 272/11, WM 2013, 1232  BGH, Beschl. v. 11. Februar 2010, IX ZB 126/08, WM 2010, 524; BGH, Beschl. v. 17. November 2008, NotZ 130/07, ZIP 2009, 675  Gesetz zur Regelung des Zugangs zu Informationen des Bundes (Informationsfreiheitsgesetz) v. 5. September 2005, BGBl. I S. 2722  BVerwG, Beschl. v. 9. November 2010, 7 B 43.10, ZIP 2011, 41; OVG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 15. Juni 2011, 8 A 1150/10, juris

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Auskunftspflicht des Schuldners geht sogar so weit, dass er selbst Tatsachen zu offenbaren hat, welche die Aufnahme von Ermittlungen wegen des Vorwurfs einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit gegen ihn verursachen können (§ 97 Abs. 1 Satz 2 InsO). Dabei sollen er und seine Angehörigen über die Vorschrift des § 97 Abs. 1 Satz 3 InsO geschützt werden, aufgrund der die Verfolgungsbehörden daran gehindert sind, gegen den Willen des Schuldners die erteilten Auskünfte für die weitere straf- und bußgeldrechtliche Verfolgung zu verwenden.²³⁸

b) Mitwirkungspflicht Neben dieser umfassenden Auskunftsverpflichtung obliegt es dem Schuldner gemäß § 97 Abs. 2 InsO, den Insolvenzverwalter bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Hierzu zählt insbesondere die Pflicht, dem Verwalter bei der Massesicherung durch Herausgabe von Schlüsseln und Passwörtern für den Zugriff auf schuldnereigene EDV behilflich zu sein und bei der Fortführung des schuldnerischen Betriebes durch Einsatz von Arbeitskraft und Sonderwissen zur Seite zu stehen. Zu den gesetzlich dem Schuldner zugemuteten Mitwirkungspflichten gehört es ferner, dem Insolvenzverwalter bei der Errichtung der nach §§ 151 ff. InsO aufzustellenden Verzeichnisse zu helfen, indem er beispielsweise geordnete schriftliche Aufzeichnungen über seine laufenden Geschäfte anfertigt und sie dem (vorläufigen) Insolvenzverwalter in bestimmten Zeitabständen zur Verfügung stellt.²³⁹ Der Erfüllung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten dient es außerdem, dass der Schuldner alle erforderlichen Geschäftsunterlagen wie die Grundaufzeichnungen der Finanz- und Lohnbuchhaltung, Jahresabschlüsse und sonstige Gewinnermittlungen, betriebswirtschaftliche Auswertungen aller Art, die zugehörigen elektronischen Daten sowie Korrespondenzen und alle weiteren relevanten Dokumente zugänglich macht. Überdies ist der Schuldner verpflichtet, dem Insolvenzverwalter eine umfassende und anerkennungswürdige Auslandsvollmacht zu erteilen, wenn er diese im Ausland zur Durchsetzung der ihm nach dem deutschen Recht zustehenden Wegnahmebefugnis benötigt.²⁴⁰ Nach dem Zweck der dem Schuldner auferlegten Unterstützungspflichten, ihn zur aktiven Beteiligung an der zügigen Krisenbewältigung zu bestimmen, ist er – ebenso wie bei der Erteilung von Auskünften – auch ohne konkrete Aufforderung zur Mitwirkung gehalten. Davon zu unterscheiden ist freilich, inwieweit der Insolvenzverwalter auf die konkrete Mitwirkung des Schuldners überhaupt angewiesen ist und dessen Unterstützungshandlungen in Anspruch nimmt. Die ge RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 142; LG Stuttgart, Beschl. v. 21. Juli 2000, 11 Qs 46/2000, ZInsO 2001, 135; Bömelburg, S. 121 ff.; Uhlenbruck, NZI 2002, 401, 403 ff.  LG Duisburg, Beschl. v. 2. Mai 2001, 7 T 78/01, ZIP 2001, 1065  BGH, Beschl. v. 18. September 2003, IX ZB 75/03, NZI 2004, 21

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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setzliche Mitwirkungspflicht geht jedenfalls nicht soweit, dass der Schuldner – abgesehen von den später noch zu untersuchenden Obliegenheiten – zur (dauerhaften) Arbeit für seine Gläubiger verpflichtet werden kann. Wie bereits konstatiert, kann seit der Abschaffung der Schuldknechtschaft im Jahr 1868²⁴¹ die Arbeitskraft des Schuldners zugunsten der Gläubiger nicht direkt dadurch verwertet werden, dass jener zur Arbeitsleistung gezwungen wird. Die vom Gesetz geforderte Unterstützung verlangt, dass der Schuldner bei einzelnen Abwicklungshandlungen aktive Hilfe leisten muss, sie erstreckt sich jedoch nicht auf die Erbringung von Diensten in Form von Arbeit.²⁴²

c) Bereithaltungspflicht Um diesen Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zum Erfolg zu verhelfen, statuiert § 97 Abs. 3 Satz 1 InsO die Pflicht des Schuldners, sich auf gerichtliche Anordnung jederzeit zur Verfügung zu stellen. Auf den ersten Blick scheint diese etwas unbestimmt wirkende Norm mit Rücksicht auf die Grundrechte der Freizügigkeit (Art. 11 Abs. 1 GG) und allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) in der Beschränkung der persönlichen Freiheit des Schuldners nicht so weit zu gehen, wie ihre Vorgängerregelung in der Konkursordnung, die eine generelle Residenzpflicht des Schuldners vorsah und damit eine relativ starre Aufenthaltsbeschränkung beinhaltete.²⁴³ Sie dient indes dem gleichen Zweck, nämlich der Erfüllung des Informations- und Mitwirkungsinteresses des Insolvenzverwalters und des Insolvenzgerichts zugunsten der Gläubigergemeinschaft. Danach ist der Schuldner auf konkrete orts- und zeitbezogene Anordnung des Insolvenzgerichts²⁴⁴ hin verpflichtet, sich zu Auskünften und Mitwirkungen bereit zu halten. Diese Bereithaltungspflicht kann in ihrer konkreten Ausgestaltung durch richterlichen Beschluss aber dazu führen, dass der Schuldner eben doch zur Residenz vor Ort – wenn auch temporär – verpflichtet ist, um auf Verlangen des Verwalters seinen Mitwirkungspflichten zu genügen.²⁴⁵ Mithin ist der Schuldner gehalten, sich in seinem Verhalten so zu disponieren, dass er jederzeit vom Insolvenzverwalter für Auskunft und Tat erreicht werden kann. Hierzu gehört es,

 durch Gesetz vom 29. Mai 1868, BGBl. des Norddeutschen Bundes 1868, Nr. 16, S. 237  Runkel, S. 315 und S. 330; a. A. AG Duisburg, Beschl. v. 6. April 2004, 62 IK 27/02, NZI 2004, 516  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 142; Uhlenbruck, KTS 1997, 371, 384  LG Göttingen, Beschl. v. 21. August 2000, 10 T 105/99, ZIP 2000, 2174  Jaeger/Schilken, InsO, § 97 Rz. 33 ff.; MünchKomm-InsO/Passauer/Stephan, § 97 Rz. 35 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

jeden Wohnsitzwechsel von sich aus mitzuteilen und sicherzustellen, dass die diesbezüglich gegebenen Informationen den Verwalter und das Gericht tatsächlich auch erreichen.²⁴⁶ Freilich besteht diese Bereithaltungsverpflichtung außerhalb des Wohnortes ebenso und ist so gesehen in der räumlichen Dimension weitreichender als die vormalige Residenzpflicht des § 101 Abs. 1 KO.²⁴⁷

d) Unterlassungspflicht Die in § 97 Abs. 3 Satz 1 InsO niedergelegte Bereitschaftsverpflichtung des Schuldners wird durch den an ihn gerichteten Appell des § 97 Abs. 3 Satz 2 InsO untermauert, alles zu unterlassen, was der Erfüllung des Informations- und Mitwirkungsinteresses der Gläubigergemeinschaft zuwiderlaufen könnte.²⁴⁸ Damit sind alle Handlungen angesprochen, die dem in § 1 Satz 1 InsO formulierten Verfahrensziel der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung entgegenstehen; insoweit kann diese Vorschrift gleichfalls als Normierung einer Mitwirkungspflicht verstanden werden.²⁴⁹ Insbesondere wollte der Gesetzgeber verfahrenswidrige Handlungen, wie die Vernichtung von Unterlagen und das Beiseiteschaffen von Massegegenständen mit dieser Bestimmung verhindert sehen.²⁵⁰

e) Pflichtenkonzept und Schuldnerflucht Die Normen des § 97 InsO erweisen sich als ein ineinander greifendes Pflichtenkonzept. Der Insolvenzverwalter ist zur Erfüllung der ihm obliegenden Aufgaben auf den (schnellen) Zugang zu den Informationen angewiesen, die es ihm erlauben, im Interesse der Gläubigergemeinschaft die Ist-Masse²⁵¹ weitgehend verlustfrei in Beschlag zu nehmen, die Soll-Masse²⁵² zwecks Verwertung zu identifizieren, etwaige Fortführungschancen, die Möglichkeit einer übertragenden Sanierung und die Aufstellung eines Insolvenzplanes zu prüfen sowie das Verfahren allgemein so zu ge-

 vgl. BGH, Beschl. v. 16. Mai 2013, IX ZB 272/11, WM 2013, 1232  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 142  LSZ/Smid, § 97 Rz. 16  BGH, Beschl. v. 9. Juni 2011, IX ZA 21/11, juris  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 142; Jaeger/Schilken, InsO, § 97 Rz. 37; MünchKomm-InsO/Passauer/Stephan, InsO, § 97 Rz. 40; Uhlenbruck, InsO, § 97 Rz. 21; BGH, Beschl. v. 19. Mai 2011, IX ZB 94/09, ZInsO 2011, 1412  Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 35 Rz. 5; Jaeger/ Henckel, InsO, § 35 Rz. 2, 101; MünchKomm-InsO/Lwowski/Peters, § 35 Rz. 20  Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 9.06; Jaeger/Henckel, InsO, § 35 Rz. 7 ff., 101

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

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stalten, dass sich die Befriedigungschancen der Gläubiger maximieren. Entscheidend für den Erfolg des Verfahrens ist die schnelle Verfügbarkeit von Informationen über das Vermögen des Schuldners, die Ursachen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und alle Umstände, die für die sachgerechte Bewältigung der Vermögenskrise von Interesse sind.Um diese Informationen bergen, auswerten und zur Grundlage von das Verfahren gestaltenden Entscheidungen machen zu können, bedarf es der umfassenden Mitwirkung des Schuldners. Die Informationsgewinnung und -vermittlung wird durch die Verpflichtung des Schuldners zur Auskunft und Mitwirkung mithin ermöglicht und gestützt. Der Erfüllung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten dient wiederum die Bereithaltungsverpflichtung, die ihrerseits von der Pflicht des Schuldners sekundiert wird, alles der Informationsgewinnung Entgegenstehende zu unterlassen. Mit diesem viergliedrigen Pflichtenkonzept ist die Flucht des Schuldners nicht zu vereinbaren. Die Schuldnerflucht steht der Pflicht zur Unterlassung aller Handlungen entgegen, welche die Erfüllung der Auskunfts-, Mitwirkungs- und Bereitschaftsverpflichtungen konterkarieren. Infolge der Flucht vermag zudem eine nach § 97 Abs. 3 Satz 1 InsO zu treffende Anordnung des Gerichtes, sich zwecks Erfüllung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten vorzustellen, den Schuldner nicht (mehr) zu erreichen. Die Tatsache der Flucht hindert gewissermaßen das Insolvenzgericht daran, den Schuldner zur Pflichterfüllung anzuhalten. Schließlich kann die Schuldnerflucht als unmittelbare Verletzung der in § 97 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO normierten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten begriffen werden. Während und nach der Flucht ist es dem Schuldner mangels Wissen um den Verfahrensstand zumeist objektiv unmöglich, die ihm auferlegten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten sachgerecht zu erfüllen, zumal er unaufgefordert zur Informationsvermittlung und Unterstützung verpflichtet bleibt.

f) Erzwingung der Pflichterfüllung Da der an den Schuldner gerichtete Appell für die Rechtsbefolgung zuweilen nicht ausreicht, ermächtigen die Vorschriften der §§ 98, 20 Satz 2, 22 Abs. 3 Satz 3 InsO das Gericht zur Ergreifung von verschiedenen Zwangsmaßnahmen, um die Erfüllung der Pflichten des Schuldners Wirklichkeit werden zu lassen. Die Insolvenzordnung bedient sich hierfür traditioneller Instrumente, damit die dem Schuldner in § 97 InsO auferlegten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten im Gläubigerinteresse und notfalls gegen seinen Widerstand durchgesetzt werden. So kann – der Idee vieler früherer Normen, beispielsweise des § 69 Abs. 2 Satz 1 VerglO 1935, folgend – das Insolvenzgericht zunächst nach § 98 Abs. 1 Satz 1 InsO die vom Schuldner abzu-

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

gebende Versicherung an Eides statt anordnen, er habe die von ihm gegebene Auskunft nach bestem Wissen und Gewissen richtig und vollständig erteilt, wenn es der Herbeiführung wahrer Aussagen dient und hierzu erforderlich erscheint. Diese Vorschrift dient in erster Linie der Sicherstellung der Wahrheitsgewähr der vom Schuldner bereits (freiwillig) gegebenen Auskünfte unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit.²⁵³ Es liegt mithin im Ermessen des Gerichts, ob die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung der Wahrheitsfindung dienlich und hierfür angemessen ist. Haben das Insolvenzgericht, der Insolvenzverwalter oder der Gläubigerausschuss Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit von eingeholten Informationen, kann das Gericht von Amts wegen oder auf Anregung des Verwalters oder des Gläubigerausschusses den Schuldner zwecks Abgabe der eidesstattlichen Versicherung laden. Sinn und Zweck dieser Norm ist es, den Schuldner angesichts der Drohung der Strafbarkeit der falschen eidesstattlichen Versicherung (§ 156 StGB) freiwillig zu wahren und vollständigen Tatsachenangaben zu bewegen. Das weitere Verfahren richtet sich hierzu nach §§ 478 bis 480, 483 ZPO, wie § 98 Abs. 1 Satz 2 InsO zeigt.

Folgt der Schuldner der ordnungsgemäß angebrachten Ladung²⁵⁴ zum Termin zwecks Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nicht, verweigert er die ihm obliegenden Auskunfts- und Mitwirkungshandlungen oder will er sich diesen Pflichten aktiv entziehen, indem er sich insbesondere auf die Flucht begibt, ermächtigen die Norm des § 98 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InsO das Gericht zur Vorführung und erforderlichenfalls – nach Anhörung des Schuldners – zur Inhaftierung desselben. Beide Zwangsmaßnahmen, die Vorführung und die Inhaftierung des Schuldners, die freilich niemals Strafe sind, können voneinander autonom, aber auch kumulativ ergriffen werden, um den pflichtwidrig handelnden Schuldner zu normgerechtem Verhalten zu bestimmen. Will sich mithin der Schuldner auf flüchtigen Fuß begeben und erfährt das Gericht von darauf hindeutenden Handlungen, die beispielsweise in der Auflösung des Haushalts, im Buchen einer Flugreise (insbesondere in das nichteuropäische Ausland), in der Kündigung des Wohnraummietvertrages oder in einer anhaltenden Nichterreichbarkeit liegen können, kann der Richter (wegen § 4 Abs. 2 Nr. 2 RPflG jedoch nicht der Rechtspfleger) durch Beschluss die Verhaftung des fallitus fugitivus zwecks seiner Vorführung anordnen (§ 98 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Ziel des zur Vorführung erlassenen Haftbeschlusses ist es vorerst, dem Schuldner die Bedeutung der Pflichterfüllung und die Konsequenzen ihrer Verweigerung vor Augen zu führen, um mit dieser Warnung auf seine ablehnende Haltung positiven Einfluss zu nehmen. Erweist sich die Vorführung als nicht ausreichend, ist das Gericht nach Anhörung des vorgeführten Schuldners (Art. 103 Abs. 1 GG) und unter Beachtung der § 802g Abs. 2, §§ 802h und 802j Abs. 1 ZPO n. F. (vormals §§ 904 ff. ZPO; vgl. § 98 Abs. 3 Satz 1 InsO) ermächtigt, ihn auf der Basis eines weiteren Beschlusses gegebe-

 LSZ/Smid, § 98 Rz. 2  OLG Celle, Beschl. v. 10. Januar 2001, 2 W 1/01, ZInsO 2001, 322

II. Konsequenzen der Schuldnerflucht

311

nenfalls durch den Gerichtsvollzieher in Haft nehmen zu lassen.²⁵⁵ Mit der aufgrund der Inhaftierung erheblichen Einschränkung seiner Freiheitsrechte soll der Schuldner zur ordnungsgemäßen Pflichterfüllung zwangsweise angehalten werden. Die Haftanordnung ist aber nur dann erforderlich, wenn die vorherige Vorführung nicht zum erwünschten Erfolg geführt hat oder – wegen einer angekündigten Verweigerung zur Mitwirkung – aller Voraussicht nach nicht führen wird; die Haftentscheidung steht im Ermessen des Gerichtes, welches unter Beachtung der Einzelfallumstände pflichtgemäß auszuüben ist.²⁵⁶ Da die Anordnung des persönlichen Vorführens und der Haft nach § 98 Abs. 2 Nr. 1 und 2 InsO allein der Erzwingung der vom Schuldner verweigerten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten dienen darf, ist ein konkretes Auskunfts- und Mitwirkungsbedürfnis erforderlich. Dem Schuldner muss detailliert bekanntgemacht worden sein, welche einzelnen Handlungen zur Erfüllung der ihm obliegenden Pflichten verlangt werden. Hat der Schuldner die geforderten Informationen gegeben oder die geforderte Mitwirkungshandlung unternommen, entfallen die Tatbestandsvoraussetzungen der Vorführung und Inhaftierung, so dass eine bereits vollzogene Haft amtswegig (§ 5 Abs. 1 InsO) zu beenden und der entsprechende Haftbefehl aufzuheben ist (§ 98 Abs. 3 Satz 2 InsO). Zudem ist dem Schuldner anlässlich der Vorführung und während des Haftvollzugs jederzeit Gelegenheit zu geben, die von ihm verlangten Handlungen vorzunehmen, so dass unter Umständen der weitere Vollzug des Haftbefehls auszusetzen ist (vgl. § 802i Abs. 1 und 2 ZPO n. F.).²⁵⁷ Hierbei ist es nur konsequent, wenn der Bundesgerichthof ²⁵⁸ darauf hinweist, dass bei teilweiser Erfüllung der vom Schuldner verlangten Auskünfte und Mitwirkungshandlungen von Amts wegen permanent zu überprüfen ist, ob der weitere Haftvollzug wegen der restlichen, noch nicht erledigten Pflichten mit Blick auf das Gebot der Verhältnismäßigkeit gerechtfertigt ist. Für den Schuldner und außenstehende Dritte muss nach Auffassung des IX. Senats immer erkennbar sein, durch welche (weiteren) konkreten Handlungen er den von ihm geforderten Pflichten genügen kann, so dass er es in der Hand hat, den weiteren Vollzug der Haft zu vermeiden. Hierzu sind im Haftbefehl grundsätzlich die geforderten Handlungen im Einzelnen konkret zu benennen, „sprachlich sowie optisch hervorzuheben und ähnlich einer Tenorierung voranzustellen“; ferner sind im Zweifel durch das Insolvenzgericht klarstellende Beschlüsse zu fassen, so dass dem Schuldner und dem Beschwerdegericht (vgl. § 98 Abs. 3 Satz 3 InsO) stets die Möglichkeit der Überprüfung des mit der Haftanordnung verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in seine von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG geschützten Freiheitsrechte gegeben wird.²⁵⁹

 Jaeger/Schilken, InsO, § 98 Rz. 24  OLG Naumburg, Beschl. v. 24. August 2000, 5 W 08/00, NZI 2000, 594; Uhlenbruck, NZI 2002, 401, 402  MünchKomm-InsO/Passauer, § 98 Rz. 28  BGH, Beschl. v. 17. Februar 2005, IX ZB 62/04, DZWIR 2005, 336 m. Anm. Smid, jurisPR-InsR 5/2005, Anm. 5  BGH, Beschl. v. 17. Februar 2005, IX ZB 62/04, DZWIR 2005, 336 m. Anm. Smid, jurisPR-InsR 5/2005, Anm. 5

312

E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Von der Vorschrift des § 98 Abs. 2 Nr. 3 InsO werden die mit einer Schuldnerflucht typischerweise verbundene Begleithandlungen erfasst. Derartige der Massesicherung und damit dem Befriedigungsinteresse der Gläubigergemeinschaft zuwiderlaufenden Handlungen sind regelmäßig im Verbergen, Verheimlichen und Verschieben von massezugehörigem Schuldnervermögen (in das Ausland) zu sehen, ebenfalls in dem Versuch, massezugehörige Forderungen am Insolvenzverwalter vorbei einzuziehen oder massezugehöriges Vermögen auf eigene Faust zu verwerten. Diese Norm gibt zugleich den Maßstab für alle Fälle der Vorführungs- und Haftanordnungen vor: sie dienen allein der Massesicherung und damit der Erreichung des in § 1 Satz 1 InsO genannten Verfahrensziels der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung. Können diese Ziele anderweitig erreicht werden, indem zum Beispiel die begehrten Auskünfte oder (Mitwirkungs‐) Handlungen ohne weiteres und sofort von einem Dritten besorgt werden können, ist für eine Vorführung oder Inhaftierung bzw. für einen weiteren Vollzug derselben kein Raum. Ebenso wenig ist die Vorführung und Verhaftung des Schuldners unzulässig,wenn masseschädigendes Verhalten des Schuldners nicht zu befürchten ist.²⁶⁰ Gegen die die Haft verhängende Anordnung sowie gegen die einen Haftaufhebungsantrag abweisende Entscheidung steht dem Schuldner ansonsten nach § 98 Abs. 3 Satz 3 InsO der Rechtsbehelf der sofortigen Beschwerde zur Seite; gegen die Anordnung zur zwangsweisen Vorführung jedoch nicht.²⁶¹

III. Enthaftung des Schuldners Neben dem soeben untersuchten Pflichtenkorsett und den Konsequenzen seiner Verweigerung bietet die Insolvenzordnung dem Schuldner in § 1 Satz 2 InsO gleichzeitig den Anreiz, Befreiung von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu erfahren, wenn er sich seinen Gläubigern gegenüber redlich verhält. Die Insolvenzordnung baut zusätzlich zu den unmittelbar sanktionierend wirkenden Rechtsnormen auf einen Regelungsmechanismus, der bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen dem Schuldner ein für ihn positives Verfahrensergebnis in Aussicht stellt, so dass er zur aktiven Verfahrensbeteiligung motiviert wird. Die Chance zur Enthaftung steht neben der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung, ist eigenständiges Verfahrensziel und soll – wenn eine konsensuale Schuldenregulierung auf dem Weg des Insolvenzplanverfahrens nach den §§ 217 ff. InsO nicht

 LSZ/Smid, § 98 Rz. 13  BGH, Beschl. v. 8. September 2010, IX ZA 34/10, juris; BGH, Beschl. v. 18. Mai 2009, IX ZA 17/ 09, juris

III. Enthaftung des Schuldners

313

erreicht werden kann – für den redlichen Schuldner zu einer durch richterlichen Rechtsakt zu bewirkenden Restschuldbefreiung führen (§ 286 InsO).²⁶² Indessen lassen die Bestimmungen § 1 Satz 2 InsO und § 201 InsO deutlich erkennen, dass der Insolvenzschuldner nicht per se die Erteilung der Restschuldbefreiung erwarten kann. Die Vorschrift des § 201 Abs. 1 InsO verweist auf das nach wie vor herrschende Grundprinzip der freien Nachforderung, wonach die Gläubiger nach Verfahrensaufhebung ihre restlichen Forderungen unbeschränkt geltend machen können. Für dieses freie Nachforderungsrecht erhalten sie mit dem Tabellenauszug einen vollstreckbaren Titel, wenn der Schuldner die zur Tabelle angemeldete Forderung im Prüfungstermin unbestritten ließ, so dass sie mittels diesem künftig die Individualzwangsvollstreckung betreiben können (§ 201 Abs. 2 Satz 1 InsO). Hieraus folgt, dass allein die Abwicklung und Aufhebung des Insolvenzverfahrens das in § 1 Satz 2 InsO postulierte Ziel des wirtschaftlichen Neuanfangs noch nicht herbeiführt.²⁶³ Es bedarf vielmehr des zusätzlichen Verfahrens der Restschuldbefreiung, wie es in den §§ 286 ff. InsO niedergelegt ist, oder des in den §§ 217 ff. InsO normierten Insolvenzplanverfahrens, um den Schuldner aus dem so oft zitierten „modernen Schuldturm“ zu führen.²⁶⁴

Der Gesetzgeber verstand es als ein „soziales und freiheitliches Bedürfnis“, dem redlichen Schuldner nach Absolvierung eines Insolvenzverfahrens eine endgültige Befreiung von seinen verbleibenden Verbindlichkeiten zu bieten, um ein Abgleiten in Desillusion, Schattenwirtschaft und Schwarzarbeit für die Zukunft zu vermeiden.²⁶⁵ Das legitime Interesse des Schuldners, sich wirtschaftlich erholen zu dürfen, kollidiert freilich mit dem (vorrangigen) Interesse der Gläubiger, ihren verfassungsrechtlich geschützten Ansprüchen (Art. 14 Abs. 1 GG) zum wirtschaftlichen Erfolg zu verhelfen,²⁶⁶ wenn diese nicht zu einer einvernehmlichen Schuldenregulierung mittels Insolvenzplan bereit sind. Denn durch die im Restschuldbefreiungsverfahren der §§ 286 ff. InsO verwirklichte Enthaftung wird das

 zur Einordnung der Restschuldbefreiung in das System von Schuld und Haftung: Häsemeyer, FS Henckel, S. 360; Forsblad, S. 315  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 100 und S. 188  Uhlenbruck, MDR 1990, 4 ff.; Smid, BB 1992, 501, 511; Vallender, VuR 1997, 155 ff., um nur einige zu nennen  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 81; zur Schuldenbereinigung in anderen Rechtsordnungen: Trendelenburg, S. 109 ff.; Forsblad, S. 89 ff.; Kothe/Ahrens/Grote/ Busch/Ahrens, S. 47 ff.  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 188; zur Frage der Verfassungsmäßigkeit des Restschuldbefreiungsverfahrens: BVerfG, Beschl. v. 22. Dezember 2005, 1 BvL 9/05, ZVI 2006, 125; Trendelenburg, S. 219 ff.; Forsblad, S. 275 ff. m. w. Nachw.; Rothammer, S. 16 f., sieht die Haftungsverwirklichung zur Gläubigerbefriedigung gegenüber der Restschuldbefreiung als vorrangig; Prütting/Stickelbrock, ZVI 2002, 305 f. zu den Befriedigungschancen des Nachforderungsrechtes

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

freie Nachforderungsrecht der Gläubiger beschränkt.²⁶⁷ Diese widerstreitenden Interessen soll das Restschuldbefreiungsverfahren ausgleichen und in ein ausgewogenes Verhältnis zueinander bringen, indem es den glücklos-ehrenhaften Schuldner ²⁶⁸ mit der Aussicht auf Schuldenerlass motivieren will, während einer konkret definierten Zeitdauer einer zumutbaren Erwerbstätigkeit nachzugehen, den pfändbaren Teil seines Einkommens der weiteren Gläubigerbefriedigung zur Verfügung zu stellen und sich in dieser Zeit redlich zu verhalten.²⁶⁹ Zugleich verfolgt der Gesetzgeber mit dem Restschuldbefreiungsverfahren das volkswirtschaftliche Ziel, den Schuldner wieder als leistungs- und konsumfähigen Verbraucher, Steuerzahler und Marktteilnehmer zurückzugewinnen.²⁷⁰ Und nicht zuletzt soll die in Aussicht gestellte Restschuldbefreiung die Achtung vor der Person des Schuldners zum Ausdruck bringen.²⁷¹

1. Restschuldbefreiung nach den §§ 286 ff. InsO Prinzipiell sind nach der Insolvenzordnung zwei Wege gangbar, auf denen der Schuldner in einem gerichtsförmig ausgestalteten Verfahren Restschuldbefreiung in der Gestalt des endgültigen Erlasses der aus der Insolvenzmasse nicht mehr erfüllbaren Verbindlichkeiten erreichen kann. Zum einen bietet das Restschuldbefreiungsverfahren der §§ 286 ff. InsO die Aussicht der abschließenden und für alle Insolvenzgläubiger verbindlichen Schuldenregulierung. Zum anderen eröffnet das Insolvenzplanverfahren der §§ 217 ff. InsO dem Schuldner die Möglichkeit, abweichend von den (sonstigen) Vorschriften der Insolvenzordnung und gegebenenfalls

 Kothe/Ahrens/Grote/Busch/Ahrens, § 286 Rz. 2  zu diesem Begriff: Ackmann, S. 56, der aber auch vom „klischeehaften Jammerbild“ spricht; einen kritischen Überblick über das Schuldner- und Gläubigerbild gibt Trendelenburg, S. 35 ff.; zum Schuldnerbild vgl. ferner Heilmann, KTS 1975, 18 ff.; Antrag vom 3. Oktober 1988 der SPDFraktion im Bundestag, BT-Drucks. 11/3047, S. 4 und S. 7; amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 100; Gesetzesantrag der Freien und Hansestadt Hamburg, BR-Drucks. 346/ 84, S. 3  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 82 und S. 187 ff.  Kothe/Ahrens/Grote/Busch/Ahrens, § 286 Rz. 3; Rothammer, S. 24, der von der „Flucht aus dem modernen Schuldturm“ spricht; zur vielfältigen Kritik am Restschuldbefreiungsverfahren zum Beispiel Ackmann, S. 127 ff.; Stellungnahme des Bundesrats zum Reg-E InsO, BT-Drucks. 12/ 2443, Anlage 2, S. 255; Stellungnahme des Bundesrats, BT-Drucks. 14/5680, S. 37 sowie Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/5680, S. 40; Smid, Restschuldbefreiung, S. 139, 162; Uhlenbruck, BB 1992, 1734, 1737; Uhlenbruck, MDR 1990, 4, 9; Schmerbach/Stephan, ZInsO 2000, 541  Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 26.02; Kothe/Ahrens/Grote/Busch/Ahrens, § 286 Rz. 3

III. Enthaftung des Schuldners

315

eingebettet in einem Verfahren der Eigenverwaltung nach Maßgabe der §§ 270 ff. InsO²⁷² eine Regelung zu seiner Haftung gegenüber den absonderungsberechtigten Gläubigern und den Insolvenzgläubigern herbeizuführen (vgl. § 227 Abs. 1 InsO). Für die Untersuchung ist es zunächst von Interesse,wie sich die Flucht des Schuldners auf seine Chancen zur Restschuldbefreiung nach dem Verfahren der §§ 286 ff. InsO auswirkt; die zum 1. Juli 2014 eintretenden Änderungen durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013²⁷³ werden nachstehend bereits berücksichtigt. Ein Beispiel soll die Ausgangslage beschreiben: Der bislang solide wirtschaftende, aber infolge erheblicher Forderungsausfälle unerwartet in die Vermögenskrise geratene Kaufmann, gegen den mehrere Gläubiger zunächst individuell vorgegangen sind und für den nunmehr Insolvenzeröffnungsanträge zweier Krankenkassen wegen rückständiger Gesamtsozialversicherungsbeiträge vorliegen, ist mit der gesamten Situation vollständig überfordert. Er nimmt von Scham und Furcht getrieben Reißaus, verbirgt sich an einem für das Gericht unbekannten Ort und ist einstweilen für niemanden erreichbar. Der vom Gericht bestellte Sachverständige legt zügig sein Gutachten vor, es kommt schnell zur Verfahrenseröffnung. Der wieder besonnene Schuldner, der im Exil von der Möglichkeit der Restschuldbefreiung gehört hat, nimmt nach seiner Rückkehr Kontakt zum Insolvenzverwalter auf und bittet ihn diesbezüglich um Auskunft, da er diese Chance freilich nutzen möchte. Zu seinem Entsetzen erfährt er, dass es für ein Verfahren nach den §§ 286 ff. InsO zu spät ist.

Das in den §§ 286 ff. InsO normierte Restschuldbefreiungsverfahren ist ein eigenständiges, zweistufiges Antragsverfahren,²⁷⁴ welches nur verbunden mit einem unbedingten²⁷⁵ Eigenantrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Gang gesetzt wird, wie § 287 Abs. 1 Satz 1 InsO zeigt. Für das Verbraucherinsolvenzverfahren ergibt sich dies zusätzlich aus §§ 305 Abs. 1 Nr. 2, 306 Abs. 3 InsO.²⁷⁶ Da der Eigenantrag des Schuldners nur bis zur Eröffnung des

 hierzu Smid, Handbuch, S. 676 ff. m. w. Nachw.  BGBl. I S. 2379; vgl. BT-Drucks. 17/13535, BR-Drucks. 380/13 und BR-Beschl. v. 7. Juni 2013, BR-Drucks. 380/13 (Beschluss)  Kothe/Ahrens/Grote/Busch/Ahrens, § 286 Rz. 29, 32, 57  BGH, Beschl. v. 11. März 2010, IX ZB 110/09, ZIP 2010, 888; vgl. aber BGH, Beschl. v. 9. Februar 2012, IX ZB 86/10, ZInsO 2012, 545, wonach nur ein für den Fall, dass das Insolvenzgericht seine internationale und örtliche Zuständigkeit bejaht, gestellter Eigenantrag gleichwohl zu beachten ist, da es sich hierbei um eine zulässige innerprozessuale Bedingung handelt  Auf die dem eigentlichen Restschuldbefreiungsverfahren vorgeschalteten Verfahren zum außergerichtlichen und gerichtlichen Schuldenregulierungsversuch nach Maßgabe der §§ 304 ff. InsO wird hier nicht weiter eingegangen.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Insolvenzverfahrens²⁷⁷ zulässig ist, hat das Gericht den Schuldner nach Eingang eines Gläubigerantrags darauf hinzuweisen, dass er zur Erreichung der Restschuldbefreiung nicht nur einen darauf gerichteten Antrag, sondern darüber hinaus einen Eigenantrag auf Verfahrenseröffnung stellen muss (§§ 20 Abs. 2, 287 Abs. 1 InsO). Hierzu ist ihm eine (richterliche) Frist zu setzen, die jedoch keine Ausschlussfrist ist.²⁷⁸ Die Fristsetzung dient neben dem Interesse der Verfahrensbeschleunigung der frühzeitigen Erkenntnis, ob der Schuldner die Restschuldbefreiung anstrebt.²⁷⁹ Stellt der Schuldner den erforderlichen Antrag auch auf gerichtlichen Hinweis hin nicht, wird er durch das Insolvenzgericht keine Restschuldbefreiung erlangen.²⁸⁰ Dem kann er innerhalb einer dreijährigen Sperrfrist analog § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO nicht damit begegnen, dass er nach Aufhebung des (ersten) Insolvenzverfahrens (§ 200 Abs. 1 InsO) oder im Fall der Gläubigerantragsabweisung mangels Masse ein weiteres Insolvenzverfahren durch Eigenantrag in Gang setzt, in dem er dann rechtzeitig einen Restschuldbefreiungsantrag stellt.²⁸¹ Denn andernfalls würde die Hinweispflicht des Insolvenzgerichts ihrer verfahrensökonomischen Funktion, die zugleich der Verhinderung weiterer aufwändiger und kostenintensiver Insolvenzverfahren binnen kurzer Zeiträume dient, beraubt, wenn die Nichtbefolgung der erteilten Hinweise aufgrund einer weiterhin existenten Befugnis zur abermaligen Verfahrensinitiierung ohne fühlbare Konsequenzen bliebe²⁸² – der Schuldner könnte das Insolvenzgericht sofort mit einem weiteren Verfahren befassen, obwohl er bereits zuvor Gelegenheit zur eigenverantwortlichen Schuldenregulierung hatte. Der flüchtige Schuldner, gegen den gläubigerseitige Eröffnungsanträge vorliegen und der weder im Rahmen der Anhörung nach § 14 Abs. 2 InsO (soweit sie gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 InsO überhaupt erfolgt) noch auf die Fristsetzung des Insol-

 Nach § 287 Abs. 1 Satz 2 InsO a. F. konnte der Antrag auf Restschuldbefreiung noch im Berichtstermin gestellt werden.  BGH, Beschl. v. 3. Juli 2008, IX ZB 182/07, ZIP 2008, 1976; BGH, Beschl. v. 7. Mai 2009, IX ZB 202/07, ZInsO 2009, 1171; BGH, Beschl. v. 17. Februar 2005, IX ZB 176/03, NZI 2005, 271; BGH, Beschl. v. 8. Juli 2004, IX ZB 209/03, ZInsO 2004, 974  RegE InsOÄndG, BT-Drucks. 14/5680 S. 24; BGH, 17. Beschl. v. 17. Februar 2005, IX ZB 176/03, NJW 2005, 1433  BGH, Beschl. v. 17. Februar 2005, IX ZB 176/03, NZI 2005, 271; BGH, Beschl. 3. Juli 2008, IX ZB 182/07, ZIP 2008, 1976  BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010, IX ZB 174/09, ZInsO 2010, 344, vor allem mit verfahrensökonomischen Erwägungen begründet; LG Düsseldorf, Beschl. v. 27. März 2013, 25 T 122/13, NZI 2013, 446; zur Zulässigkeit erneuter Insolvenz- und Restschuldbefreiungsanträge s. Sessig/Fischer, ZInsO 2013, 760 ff.; zu beachten ist, dass die Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO ab dem 1. Juli 2014 zum Wegfall kommt und mit § 287a Abs. 2 Nr. 1 InsO n. F. teilweise neugefasst wird  LG Düsseldorf, Beschl. v. 27. März 2013, 25 T 122/13, NZI 2013, 446

III. Enthaftung des Schuldners

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venzgerichtes nach § 20 Abs. 2 InsO mit einem Eigen- und Restschuldbefreiungsantrag reagiert, verliert schon in diesem frühen Stadium des Insolvenzverfahrens jede Aussicht auf die Erteilung der Restschuldbefreiung. Er trägt danach das Risiko, dass ihn wegen seiner Flucht der nach § 20 Abs. 2 InsO zu erteilende Hinweis nicht erreicht und das Verfahren auf einen Gläubigerantrag hin eröffnet wird. Nach dem Gesetz kann der Schuldner diesen Zulässigkeitsmangel auch nicht mehr heilen, insbesondere nicht mithilfe der Regelungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 4 InsO in Verbindung mit §§ 233 ff. ZPO)²⁸³ oder mittels einer erneuten Antragsstellung nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens oder Antragsabweisung mangels Masse, so dass sich sein Fluchtverhalten gegen ihn selbst richtet und ihm die Chance der Restschuldbefreiung zumindest zeitweise (arg. e. § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO analog)²⁸⁴ nimmt. Hat der Schuldner hingegen einen zulässigen Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt und die nach § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO erforderliche Abtretungserklärung vorgelegt, entscheidet das Gericht hierüber im Schlusstermin, nachdem es die Insolvenzgläubiger und den Insolvenzverwalter hierzu gehört hat (§ 289 Abs. 1 InsO; künftig aber nach Maßgabe des § 287a Abs. 1 Satz 1 InsO n. F.). In dem nach § 289 Abs. 1 Satz 2 InsO (künftig § 287a Abs. 1 Satz 1 InsO n. F.) zu fassenden Beschluss hat das Insolvenzgericht darauf zu erkennen, ob die in § 290 Abs. 1 InsO näher genannten, die begehrte Restschuldbefreiung versagenden Gründe vorliegen. Andernfalls hat es die Feststellung zu treffen, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlangt, wenn er den Obliegenheiten nach § 295 InsO nachkommt und die weiteren Versagungstatbestände der §§ 297, 298 InsO nicht erfüllt werden (§ 291 Abs. 1 InsO, künftig § 287a Abs. 1 Satz 1 InsO n. F.). Bis dahin unterliegt der Schuldner einem Vollstreckungsschutz (§ 294 Abs. 1 InsO). Die Normenkonzeption sieht mithin ein abgestuftes Verfahren vor, in dem zunächst durch das Insolvenzgericht zu prüfen ist, ob das beantragte Restschuldverfahren überhaupt weiter zu beobachten ist. Kommt das Insolvenzgericht hiernach zu der Erkenntnis, dass kein Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 InsO gegeben ist, kündigt es die Restschuldbefreiung den Beteiligten gemäß § 291 Abs. 1 InsO (künftig § 287a Abs. 1 Satz 1 InsO n. F.) an. Später hat das Insolvenzgericht auf Gläubigerantrag darüber zu befinden, ob ein Versagungsgrund nach §§ 296 bis 298 InsO vorliegt (§ 296 Abs. 1 Satz 1 InsO). Wird daraufhin die Restschuldbefreiung versagt, enden die Laufzeit der Abtretungserklärung, das Amt des Treuhänders und die Beschränkungen der Rechte der Gläubiger (§ 299 InsO), so das letztere ungehindert ihre Ansprüche gegenüber dem Schuldner individuell verfolgen können (§ 201 Abs. 2 Satz 1 InsO). Verläuft indes die Wohlverhaltensphase insoweit ereignislos, entscheidet das Gericht nach Anhörung über die Erteilung der Restschuldbefreiung, die dann gegenüber allen Insolvenz-

 Nerlich/Römermann/Römermann, § 287 Rz. 17 m. w. Nachw.; OLG Köln, Beschl. v. 4. Oktober 2000, 2 W 198/00, ZIP 2001, 252  vgl. noch BGH, Beschl. v. 6. Juli 2006, IX ZB 263/05, MDR 2007, 176 sowie BGH, Beschl. v. 11. Oktober 2007, IX ZB 270/05, ZInsO 2007, 1223; nunmehr aber BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010, IX ZB 174/09, ZInsO 2010, 344; ferner BGH, Beschl. v. 16. Juli 2009, IX ZB 219/08, BGHZ 183, 13, hierzu Hackländer, EWiR 2009, 681 f.; BGH, Beschl. v. 3. Dezember 2009, IX ZB 89/09, NZI 2010, 153; beachtlich zudem BGH, Beschl. v. 22. November 2012, IX ZB 194/11, ZInsO 2013, 207; eine Übersicht geben Sessig/Fischer, ZInsO 2013, 760, 762 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

gläubigern (mit Ausnahme der in § 302 InsO genannten) wirkt (§§ 300 Abs. 1, 301 Abs. 1 InsO). Selbst danach besteht noch für die Dauer eines Jahres die Möglichkeit des Widerrufs der bereits erteilten Restschuldbefreiung, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Schuldner eine seiner Obliegenheiten vorsätzlich verletzt und dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger erheblich beeinträchtigt hat (§ 303 Abs. 1 InsO; der künftige § 303 Abs. 1 InsO n. F. erwähnt zudem die vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten während des Insolvenzverfahrens). Erst nach Ablauf dieser Frist kann sich der Schuldner seiner Restschuldbefreiung absolut gewiss sein.

2. Versagungsgründe Die Möglichkeit der Versagung der Restschuldbefreiung nach dem vorstehend skizzierten Verfahren korrespondiert mit dem in § 1 Satz 2 InsO benannten Verfahrensziel, nur dem redlichen Schuldner die Restschuldbefreiung zu gewähren. Gleich den historischen Rechtsordnungen liegt erkennbar in der Beurteilung dessen, ob sich ein Verhalten als in den Augen der Rechtsgenossen redlich erwiesen hat, die die gesamte Schuldnerenthaftung beherrschende Kernfrage. Im Allgemeinen wird dabei ein Schuldner als redlich betrachtet, der sich gegenüber seinen Gläubigern nichts zuschulden kommen lassen hat,²⁸⁵ der sich ehrlich, zuverlässig und pflichtbewusst verhält und „dessen Verhalten man verantworten kann“. ²⁸⁶ Die nähere Ausgestaltung dessen, was das gegenwärtige Recht unter einem redlichen Schuldner versteht, beinhalten die §§ 290, 295, 296, 297 InsO²⁸⁷ (künftig §§ 287a Abs. 2, 287b, 290, 295, 296, 297, 297a InsO n. F.). Die Restschuldbefreiung wird zur Vermeidung von Missbräuchen an „scharfe Voraussetzungen“ geknüpft, zu denen es allgemein gehört, gläubigerschädigende Handlungen vor der Verfahrenseröffnung zu unterlassen, im Verfahren konstruktiv mitzuwirken und in der Wohlverhaltensphase das pfändbare Einkommen der Gläubigerbefriedigung zur Verfügung zu stellen.²⁸⁸ Mithin soll gegenüber den Gläubigern illoyales Verhalten vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, während seiner Abwicklung und bis zum Ablauf der Wohlverhaltensphase zur Versagung der Restschuldbefreiung führen können. Hierzu fasst das Gesetz die an den Schuldner gestellten Erwartungen in abschließende Fallgruppenkataloge zusammen, in denen sämtliches unredliches Verhalten niedergelegt ist, so dass jeder Beteiligte von vornherein zügig feststellen kann, unter welchen Bedingungen die moderne Rechtswohltat der Restschuld   

amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 100, 190 Wahrig, Stichwort: „redlich“; Kluge; S. 750; Kothe/Ahrens/Grote/Busch/Ahrens, § 290 Rz. 2 Kreft/Landfermann, InsO, § 290 Rz. 1; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 2 amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 1, 100

III. Enthaftung des Schuldners

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befreiung Wirklichkeit wird.²⁸⁹ Dabei hat der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtsicherheit ganz bewusst von einer Generalklausel – wie sie noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einigen Regelwerken Verwendung fanden²⁹⁰ – zur Bestimmung der Redlichkeit abgesehen.²⁹¹ Auch erfolgt keine allgemeine Würdigkeitsbeurteilung der Schuldnerperson dahingehend, ob er sich gesetzeskonform oder sozialadäquat verhält.²⁹² Vielmehr werden dem Schuldner transparent und konkret die Rechtstatsachen aufgezeigt, die der Restschuldbefreiung entgegenstehen, so dass er sein Verhalten hieran ausrichten kann. Das Restschuldbefreiungsverfahren dient damit der Prüfung konkreter, subjektiver Würdigkeitsvoraussetzungen, um die Überzeugung von der Redlichkeit des Schuldners als Legitimation für die Restschuldbefreiung herbeiführen zu können. Wie aus der Norm des § 286 InsO entnommen werden kann, gilt dabei jeder Schuldner solange als redlich, bis das Gegenteil glaubhaft behauptet, erforderlichenfalls bewiesen und zur Überzeugung des Insolvenzgerichtes festgestellt worden ist.²⁹³

a) Die Versagung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO Begibt sich der Schuldner nach Stellung des Eigen- und Restschuldbefreiungsantrages auf die Flucht, kommt der in § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO aufgezeichnete Versagungsgrund in Betracht. In dieser Vorschrift wird die Flucht zwar nicht expressis verbis als Versagungsgrund benannt, sondern die vorsätzliche oder grob fahrlässige Verletzung der dem Schuldner während des Insolvenzverfahrens auferlegten Auskunft- und Mitwirkungspflichten. Dass der Gesetzgeber mit der Norm die Schuldnerflucht aber nicht nur mittelbar erfassen wollte, zeigt der Vergleich mit § 98 Abs. 2 Nr. 2 InsO: Dort erwähnt er im Zusammenhang mit der Vorführungs- und Haftanordnungsermächtigung des Insolvenzgerichtes explizit die Flucht als evidentes Zeichen dafür, sich der Erfüllung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten entziehen zu wollen. Die Regel des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO

 Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 2  vgl. § 10 GA 1914, § 42 Abs. 2 Nr. 1 GA 1916, § 54 Nr. 2 GA 1916, §§ 57 Abs. 1, 66 Abs. 2 Nr. 1 GA 1916, § 55 GA 1916, § 1 Abs. 3 GA 1916 in der Fassung der Änderungsverordnung vom 8. Februar 1924, § 1 Abs. 4 GBS 1938, § 5 Nr. 1 GBS 1940  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 190; BGH, Beschl. v. 22. Mai 2003, IX ZB 456/02, NZI 2003, 449; MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz 3; Kreft/Landfermann, InsO, § 290 Rz. 1; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 2; hiergegen Rothammer, S. 117 ff., der unter Bezugnahme auf § 1 Satz 2 InsO für eine Generalklausel zur Herbeiführung von Einzelfallgerechtigkeit votiert; in gleiche Richtung deutend Trendelenburg, S. 230 ff.  Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 2  Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 26.17

320

E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

reagiert somit auf die fehlende Kooperationsbereitschaft des Schuldners,²⁹⁴ die mit der Flucht nicht deutlicher zum Ausdruck gebracht werden kann. Zu untersuchen ist, unter welchen konkreten Bedingungen die Schuldnerflucht zur Versagung der Restschuldbefreiung führt. Der Tatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO enthält das Erfordernis einer schuldhaft vorwerfbaren objektiven Pflichtverletzung. Hiernach kommt die Versagung der Restschuldbefreiung in Betracht, wenn der Schuldner gegen die ihm auferlegten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten objektiv verstoßen hat. Verlangt wird die Missachtung der sowohl für das Eröffnungsverfahren als auch für das eröffnete Verfahren gesetzlich normierten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten, auch wenn der Gesetzeswortlaut etwas missverständlich auf die Zeit „während des Insolvenzverfahrens“ verweist.²⁹⁵ Denn zugleich fordert der Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO eine Verletzung von Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten „nach diesem Gesetz“, so dass alle in der Insolvenzordnung statuierten Pflichten erfasst sind, mithin auch die in §§ 20 Abs. 1 Satz 1, 22 Abs. 3 Satz 2 und 3 InsO erwähnten. Aus dieser temporalen Bestimmung ist zu schließen, dass nur Pflichtverletzungen von Bedeutung sind, die nach Stellung des Eigen- und Restschuldbefreiungsantrages eingetreten sind. Eine vor diesem Zeitpunkt liegende Verletzung vereinbarter oder gesetzlicher Auskunfts- oder Mitwirkungspflichten wird von dieser Norm sachlich nicht erfasst. War der Schuldner auf der Flucht, weil einzelne Gläubiger ihn mittels legaler Zwangsmittel oder in Ausübung vermeintlicher Selbsthilfe- oder Faustrechte²⁹⁶ bedrängten, und besann er sich während seines Rückzugs eines Besseren, so dass er zurückkehrte und noch rechtzeitig einen Eigen- und Restschuldbefreiungsantrag stellte, ist die Tatsache der zuvor beendeten Flucht für die Beurteilung der Redlichkeit des Schuldners unbeachtlich. Aus dem objektiven Tatbestandsmerkmal „nach diesem Gesetz“ ist in qualitativer Hinsicht ferner zu schlussfolgern, dass eine Verletzung von außerhalb der Insolvenzordnung stehenden Informations- und Teilnahmepflichten eine Versagung der Restschuldbefreiung nicht zu rechtfertigen vermag. So fallen rechtsgeschäftlich begründete Auskunfts- und Mitwirkungsverpflichtungen, die beispielsweise mit dem Insolvenzverwalter oder dem Treuhänder vereinbart wurden, nicht unter den Tatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO.²⁹⁷ Zudem können nur die vom Schuldner nach der

 Kothe/Ahrens/Grote/Busch/Ahrens, § 290 Rz. 54  BGH, Beschl. v. 16. Dezember 2004, IX ZB 72/03, ZInsO 2005, 208; BGH, Beschl. v. 15. November 2007, IX ZB 159/06, juris  vgl. zur eigenmächtigen „außerrechtlichen“ Schuldnerverfolgung LG Leipzig, Urt. v. 31. August 1994, 6 O 4342/94, NJW 1995, 3190; LG Bonn, Beschl. v. 29. November 1994, 4 T 742/94, NJW-RR 1995, 1515; Edenfeld, JZ 1998, 645 ff.  AG Regensburg, Beschl. v. 6. Juli 2004, 2 IN 337/02, ZInsO 2004, 1214; BGH, Beschl. v. 20. März 2003, IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167; Runkel, S. 315, 331

III. Enthaftung des Schuldners

321

Insolvenzordnung rechtmäßig verlangten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten die Verweigerung der Restschuldbefreiung rechtfertigen. Die Nichterfüllung einer gerichtlichen Anordnung ist demnach für die Redlichkeitsbeurteilung unbeachtlich, wenn die an den Schuldner erteilte Auflage ihrerseits nicht den Vorschriften der Insolvenzordnung genügte.²⁹⁸

Nicht ganz einheitlich wurde in der Rechtsprechung und Literatur die Frage beantwortet, ob neben der objektiven Pflichtverletzung über den Gesetzeswortlaut hinaus eine (konkrete) Gläubigerbeeinträchtigung als weiteres, ungeschriebenes objektives Tatbestandsmerkmal erforderlich war. So kann die durch die Schuldnerflucht eintretende Pflichtverletzung für die Gläubiger bedeutungslos sein, wenn hierdurch ihre Befriedigungschancen objektiv messbar nicht gemindert werden. Es wurde deshalb die Auffassung vertreten, die Verletzung von Auskunfts- und Mitwirkungspflichten müsse zu einer Minderung der Befriedigungsaussichten führen.²⁹⁹ Dem stand die überwiegende Ansicht, der sich der Bundesgerichtshof anschloss, gegenüber, wonach es für diesen Versagungsgrund unerheblich sei, ob sich die Pflichtverletzung zum Nachteil der Gläubiger ausgewirkt habe, da bereits die Gefährdung der Befriedigungschancen genüge.³⁰⁰ Zutreffend kommt es nicht darauf an, ob die Pflichtverletzung zu einer konkreten Minderung der Befriedigungsaussichten führt. Der Gesetzgeber konkretisiert in § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO eine seiner Erwartungen an die Redlichkeit des Schuldners. Vom Schuldner wird verlangt, dass er die Informationsbedürfnisse der Gläubiger peinlich genau befriedigt,wozu es prinzipiell gehört, seine Vermögensverhältnisse unverzüglich, vollständig und zutreffend offenzulegen, alle nach dem Gesetz verlangbaren Auskünfte zu erteilen, im Interesse der Gläubigerbefriedigung mitzuwirken und sich hierzu stets bereit zu halten.³⁰¹ Die Norm gibt damit zum Ausdruck, dass jede Verletzung der Auskunfts-, Mitwirkungs-, Bereitschafts- und Unterlassungspflichten stets als Gefährdung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger angesehen wird. Gemessen daran, dass die festzustellende Redlichkeit des Schuldners Grundlage der Restschuldbefreiung ist, kann die Einschätzung nicht in seinem Belieben stehen, ob eine Information oder Mitwirkungshandlung die Befriedigungschancen der Gläubiger erhöht. Insoweit müsste dem Schuldner ein Beurteilungsspielraum eingeräumt werden, der es ihm unter Umständen erlauben könnte, Informationen über sein Vermögen mit dem Hinweis darauf zurückzuhalten, diese seien

 BGH, Beschl. v. 20. März 2003, IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167  AG Memmingen, Beschl. v. 27. November 2003, IN 106/01, ZInsO 2004, 52; FK-InsO/Ahrens, 4. Auflage, § 290 Rz. 7; offengelassen noch in BGH, Beschl. v. 7. Dezember 2006, IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96  MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz. 74; BGH, Beschl. v. 16. Dezember 2010, IX ZB 63/09, NZI 2011, 114; BGH, Beschl. v. 8. Januar 2009, IX ZB 73/08, MDR 2009, 529 m. w. Nachw.  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 1, 190

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

seiner Meinung nach irrelevant.³⁰² Die sich damit eröffnende Missbrauchsmöglichkeit ist begreiflicherweise nicht im Interesse der Gläubiger, zumal sich ferner der (soeben erörterte) schwer zu bewältigende Streit daran entzünden könnte, ob sich eine zurückgehaltene Information oder unterlassene Mitwirkungshandlung nachweisbar kausal auf die Befriedigungsaussichten auswirkte. Angesichts des Umstandes, dass der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtsklarheit ganz bewusst davon abgesehen hatte, die Versagung der Restschuldbefreiung durch Generalklauseln zu normieren, deren Konkretisierung von Fall zu Fall in ein weites Ermessen des Gerichts gestellt werden müsste,³⁰³ ist es verfehlt, über die Annahme eines ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals dem Schuldner einen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zu geben. Deshalb ist es grundsätzlich nicht Sache des Schuldners, „seine Aktiva zu bewerten und vermeintlich »für die Gläubiger uninteressante« Positionen zu verschweigen“.³⁰⁴ Ein derartiges Unterfangen verlöre aus den Augen, dass die Restschuldbefreiung keinen vom Gesetz vorgesehenen Automatismus darstellt, sondern eine privilegierende Rechtswohltat, welche sich der Schuldner durch redliches Verhalten erst verdienen muss.³⁰⁵ Hierzu gehört die für die Gläubiger absolut transparente und bedingungslose Erfüllung der auferlegten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten. Ebenso wie in früheren Zeiten kann der heutige Schuldner die Befreiung von seinen Verbindlichkeiten nur dann erwarten, wenn er sich den berechtigten Gläubigerinteressen vollständig und vorbehaltlos unterwirft – jede andere Ausgestaltung des Verfahrens kann nicht auf die Akzeptanz der Gläubiger bauen. Und dennoch wäre es unbillig, eine geringe Verletzung der Auskunfts- und Mitwirkungspflichten mit dem scharfen Schwert der Versagung der Restschuldbefreiung zu ahnden. Hier weist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit den Weg zu einer richtigen Entscheidung: Der Gesetzgeber geht davon aus, dass ganz unwesentliche Verstöße nicht dazu führen dürfen, die Restschuldbefreiung zu versagen.³⁰⁶

Wie bereits aufgezeigt, beinhalten die Bestimmungen des § 97 InsO ein mehrgliedriges Pflichtenkonzept. Dieser Pflichtenkreis rechtfertigt sich dadurch, dass das mit dem Insolvenzverfahren angestrebte Ziel der geordneten gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung (§ 1 Satz 1 InsO) regelmäßig nur dann erreicht werden kann, wenn die hierfür erforderlichen Informationen über das Vermögen

 vgl. beispielsweise den vom AG Frankfurt/Oder, Beschl. v. 10. April 2012, 3 IN 709/07, juris, entschiedenen Sachverhalt  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 1, 190  BGH, Beschl. v. 8. März 2012, IX ZB 70/10, juris; näher BGH, Beschl. v. 10. Februar 2011, IX ZB 250/08, WM 2011, 503; BGH, Beschl. v. 7. Dezember 2006, IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96; BGH, Beschl. v. 23. Juli 2004, IX ZB 174/03, WM 2004, 1840; MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz. 76a  BGH, Beschl. v. 8. Januar 2009, IX ZB 73/08, MDR 2009, 529  BGH, Beschl. v. 16. Dezember 2010, IX ZB 63/09, NZI 2011, 114; BGH, Beschl. v. 3. Juli 2008, IX ZB 181/07, ZInsO 2008, 975; BGH, Beschl. v. 15. November 2007, IX ZB 159/06, juris; BGH, Beschl. v. 7. Dezember 2006, IX ZB 11/06, ZInsO 2007, 96; BGH, Beschl. v. 9. Dezember 2004, IX ZB 132/04, ZInsO 2005, 146; BGH, Beschl. v. 20. März 2003, IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167; BGH, Beschl. v. 23. Juli 2004, IX ZB 174/03, MDR 2005, 170 unter Hinweis auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 12/7302, S. 188; FK-InsO/Ahrens, § 290 Rz. 7; MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz. 74; LSZ/Kiesbye, § 290 Rz. 36; Nerlich/Römermann/Römermann, § 290 Rz. 97

III. Enthaftung des Schuldners

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des Schuldners, die Ursachen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und aller weiteren Umstände ungehindert verfügbar sind. Für die effektive und vollständige Informationsgewinnung, -sicherung und -auswertung bedarf es der jederzeitigen kooperativen Mitwirkung des Schuldners.³⁰⁷ Mit seiner Flucht verletzt der Schuldner unmittelbar die in § 97 Abs. 3 Satz 2 InsO niedergelegte Pflicht, alle Handlungen zu unterlassen, die der Erfüllung der Auskunfts-, Mitwirkungs- und Bereitschaftsverpflichtungen zuwiderlaufen. Zugleich verletzt er mittelbar die in § 97 Absatz 3 Satz 1 InsO aufgenommene Bereitschaftspflicht, da das Insolvenzgericht den flüchtigen Schuldner freilich nicht zu erreichen vermag, um ihm Anordnungen zur Erfüllung konkreter Auskunfts- und Mitwirkungsverlangen bekanntzugeben.³⁰⁸ Denn Ausfluss der Bereitschaftsverpflichtung ist es, dem Gericht und Insolvenzverwalter bzw. Treuhänder umgehend Mitteilung über den Wohnsitzwechsel zu machen.³⁰⁹ Der Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO ist mithin erfüllt, wenn sich ein Schuldner an einen unbekannten Ort (im Ausland) absetzt und zu seinem Verbleib keine Nachrichten gibt.³¹⁰ Die Schuldnerflucht kann wiederum als unmittelbare Verletzung der in § 97 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 InsO normierten Auskunfts- und Mitwirkungspflichten begriffen werden, weil der Schuldner unaufgefordert zur Informationsvermittlung und Unterstützung angehalten ist. Die vom Schuldner begehrten Informationen und Unterstützungsleistungen dienen der nüchternen Krisenbewältigung. Müssen die Gläubiger erfahren, dass zur Erfüllung ihrer Ansprüche das haftende Vermögen des Schuldners nicht ausreicht, soll der Schuldner ihnen zumindest alle Infor-

 nach dem Willen des Gesetzgebers soll mit § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO die Kooperationsbereitschaft des Schuldners gestärkt werden: vgl. amtliche Begründung zum RegE InsO, BTDrucks. 12/2443, S. 190 ff.  Kreft/Landfermann, InsO, § 290 Rz. 24; dem Beschl. v. 16. Dezember 2004 des BGH, IX ZB 72/03, ZInsO 2005, 207, kann aber auch die Auffassung entnommen werden, dass die Flucht als direkte Verletzung der Bereitschaftsverpflichtung anzusehen sei  MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz. 71; Kothe/Ahrens/Grote/Busch/Ahrens, § 290 Rz. 59; BGH, Beschl. v. 3. Juli 2008, IX ZB 181/07; ZInsO 2008, 975; AG Charlottenburg, Beschl. v. 14. September 2011, 36c IN 3726/09, ZInsO 2012, 297; hierzu Martini, ZInsO 2012, 531; AG Duisburg, Beschl. v. 22. Januar 2007, 62 IN 212/03, NZI 2007, 596; LG Verden, Beschl. v. 18. September 2006, 6 T 181/06, ZVI 2006, 469; AG Königstein, Beschl. v. 4. Juli 2003, 9a IK 21/00, ZVI 2003, 365 bei „nachrichtenloser Wohnsitzverlegung ins Ausland“; nimmt der Schuldner indes eine Berufstätigkeit in einem Staat (zum Beispiel im Irak) auf, in dem anerkannt schlechte Kommunikationsverhältnisse herrschen, kann eine Pflichtverletzung durch Nichtangabe der dortigen Adresse dann nicht begründet werden, wenn der Schuldner über seinen Verfahrensbevollmächtigten problemlos erreichbar ist, so AG Göttingen, Beschl. v. 13. August 2005, 74 IN 41/04, NZI 2006, 116  vgl. auch BGH, Beschl. v. 16. Mai 2013, IX ZB 272/11, WM 2013, 1232 hinsichtlich § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

mationen für die Beurteilung geben, in welchem Umfang verwertbares Vermögen zur Verfügung steht, um auf dieser Informationsbasis die erforderlichen Entscheidungen im Rahmen der Gläubigerautonomie sachgerecht treffen zu können. Von den in § 97 InsO postulierten Informationspflichten werden aber auch Angaben zu allen „das Verfahren betreffenden“ Verhältnissen erfasst, zu denen die aktuell zutreffende Wohnanschrift des Schuldners gehört.³¹¹ Durch die Flucht verweigert der Schuldner dieses legitime Informationsbedürfnis. Die Schuldnerflucht kann sogar zu einem erheblichen Informationsdefizit führen, aufgrund dessen die Gläubigerbefriedigung beeinträchtigt werden kann.Vom gemeinsamen Telos der in § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO in Verbindung mit §§ 97, 20 Abs. 1, 22 Abs. 3 Satz 2 und 3 InsO notierten Normen ist mithin die während des Verfahrens unternommene Flucht des Schuldners umfasst, die als Zuwiderhandlung deutliches Zeichen für den gegen die dem Schuldner auferlegten Pflichten stehenden Willen ist. Die Verletzung der in §§ 290 Abs. 1 Nr. 5, 97 InsO normierten Auskunfts-, Mitwirkungs-, Bereithaltungs- und Unterlassungspflichten führt nur dann zur Versagung der Restschuldbefreiung, wenn sie durch den Schuldner in vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Weise erfolgte. Das Gesetz verlangt also schuldhaftes Handeln. Die Begriffe des Vorsatzes und der groben Fahrlässigkeit sind Rechtsbegriffe, die mangels einer in der Insolvenzordnung enthaltenen Legaldefinition der näheren Auslegung bedürfen. Vorsatz wird als das „Wissen und Wollen“ des Erfolges in Form der Erfüllung der objektiven Tatbestandselemente und das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit definiert.³¹² Unter grober Fahrlässigkeit wird ein Handeln des Schuldners verstanden, bei dem er „die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße dadurch verletzt“, dass er ganz nahe liegende Überlegungen nicht anstellt oder beiseite schiebt und deshalb dasjenige unbeachtet bleibt, was im gegebenen Fall sich jedem aufdrängt; grobe Fahrlässigkeit ist auch subjektiv eine schlechthin unentschuldbare Pflichtverletzung.³¹³ Dass der Schuldner in Bezug auf die von ihm unternommene Flucht wissentlich und willentlich handelt, wird regelmäßig nicht weiter problematisch sein; der fallitus

 AG Duisburg, Beschl. v. 22. Januar 2007, 62 IN 212/03, NZI 2007, 596; AG Charlottenburg, Beschl. v. 14. September 2011, 36c IN 3726/09, ZInsO 2012, 297; hierzu Martini, ZInsO 2012, 531; vgl. auch BGH, Beschl. v. 16. Mai 2013, IX ZB 272/11, WM 2013, 1232  Kothe/Ahrens/Grote/Busch/Ahrens, § 290 Rz. 28, 63  BGH, Beschl. v. 8. März 2012, IX ZB 70/10, juris; BGH, Beschl. v. 17. März 2011, IX ZB 174/08, WM 2011, 760; BGH, Beschl. v. 19. März 2009, IX ZB 212/08, NZI 2009, 395; BGH, Beschl. v. 27. September 2007, IX ZB 243/06, NZI 2007, 733; BGH, Beschl. v. 9. Februar 2006, IX ZB 218/04, MDR 2006, 1188 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 13. Dezember 2004, II ZR 17/03, NJW 2005, 981; MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz. 45

III. Enthaftung des Schuldners

325

fugitivus nimmt zumeist billigend in Kauf, mit der Flucht die ihm obliegenden Auskunfts- und Mitwirkungspflichten zu verletzen. Auch ein etwaiger Irrtum des Schuldners darüber, mit seiner Flucht die nach §§ 97, 20 Abs. 1, 22 Abs. 3 Satz 2 und 3 InsO bestehenden Pflichten zu verletzen, bleibt im Ergebnis unbeachtlich. Zwar mag eine vorsätzliche Pflichtverletzung bereits bei einem bloßen Rechtsirrtum entfallen.³¹⁴ Indes ist ein mit (grober) Fährlässigkeit begründeter Pflichtwidrigkeitsvorwurf nur bei einem unvermeidbaren Rechtsirrtum ausgeschlossen.³¹⁵ Denn an das Vorliegen eines unvermeidbaren Rechtsirrtums sind strenge Maßstäbe anzulegen, weshalb der Schuldner die Rechtslage sorgfältig zu prüfen, erforderlichenfalls Rechtsrat einzuholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung genau zu beachten hat.³¹⁶ Deshalb trifft grundsätzlich den Schuldner das Risiko, die Rechtslage zu verkennen; er handelt schuldhaft, wenn er mit der Möglichkeit rechnen musste, dass das zuständige Gericht einen anderen Rechtsstandpunkt einnimmt.³¹⁷ Hier liegt der Fall einfach: Allein der bloße Blick in das Gesetz offenbart dem Schuldner, dass eine Flucht mit den in §§ 97, 20 Abs. 1, 22 Abs. 3 Satz 2 und 3 InsO normierten Auskunfts-, Unterstützungs-, Bereitschafts- und Unterlassungspflichten ganz augenscheinlich nicht vereinbar ist, so dass zumindest der Vorwurf des grob fahrlässigen Handelns begründet werden kann. Das tatbestandliche Vorliegen von Versagungsgründen hat nicht nur für das Restschuldbefreiungsverfahren Bedeutung, sondern wirkt bereits in einem sehr frühen Stadium des Eröffnungsverfahrens. Der die Restschuldbefreiung begehrende Schuldner kann darauf angewiesen sein, dass ihm gemäß § 4a Abs. 1 Satz 1 InsO die Verfahrenskosten gestundet werden. Hierzu hat er sich gemäß § 4a Abs. 1 Satz 3 InsO zu erklären, ob einer der Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO vorliegt, der dann nach § 4a Abs. 1 Satz 4 InsO zum Ausschluss der Stundung führt. Die Stundung kann darüber hinaus abgelehnt werden, wenn ein Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 4 bis 6 InsO in diesem Verfahrensstadium bereits zweifelsfrei gegeben ist, auch wenn der Gesetzgeber im Interesse der Beschleunigung des Eröffnungsverfahrens zunächst nur die leicht feststellbaren Gründe im Stundungsverfahren berücksichtigen wollte.³¹⁸ Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs³¹⁹ folgt daraus jedoch nicht, dass bei der Entscheidung über den Stundungsantrag bereits offenkundige Tatsachen außer Acht gelassen werden müssen, da die Bestimmung des § 4a Abs. 1 Satz 4 InsO insoweit keine abschließende Regelung träfe. Deshalb sei

 vgl. BGH, Urt. v. 19. Dezember 2006, XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226; BGH, Urt. v. 16. Juni 1977, III ZR 179/75, BGHZ 69, 128  hierzu BGH, Urt. v. 12. Mai 1992, VI ZR 257/91, BGHZ 118, 201  vgl. BGH, Urt. v. 11. Januar 1984, VIII ZR 255/82, BGHZ 89, 296; BGH, Urt. v. 14. Juni 1994, XI ZR 210/93, WM 1994, 1613; BGH, Urt. v. 4. Juli 2001, VIII ZR 279/00, WM 2001, 2012  vgl. BGH, Beschl. v. 21. Dezember 1995, V ZB 4/94, BGHZ 131, 346 m. w. Nachw.  RegE InsOÄndG BT-Drucks. 14/5680, S. 12  BGH, Beschl. v. 16. Dezember 2004, IX ZB 72/03, MDR 2005, 711

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

eine Stundung dann nicht zu gewähren, wenn die Restschuldbefreiung aus anderen Gründen offensichtlich nicht erreicht werden kann; denn Sinn und Zweck des Stundungsverfahrens sei es gerade, dem Schuldner die Möglichkeit zu eröffnen, Restschuldbefreiung zu erlangen. Stehe jedoch von Anfang an zweifelsfrei fest, dass einer der Versagungstatbestände erfüllt ist, sei für die Stundung kein Raum mehr.Verletzt der Schuldner die aus § 97 Abs. 1 bis 3 InsO ihm erwachsenden Auskunfts-, Mitwirkungs-, Bereithaltungs- und Unterlassungspflichten, weil er beispielsweise die Flucht angetreten, Unterlagen oder Massegegenstände verschoben oder Auskünfte verweigert hat, kann ihm deswegen bereits die Stundung der Verfahrenskosten versagt werden,³²⁰ zumal es unter anderem Zweck des Pflichtenkanons ist, das Gericht bei der Information der Gläubiger über die Grundlagen der begehrten Enthaftung zu entlasten und vom Schuldner angesichts der von ihm angestrebten Enthaftung insoweit nichts Unzumutbares verlangt wird.³²¹

b) Das Versagungsverfahren zu § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO Wird die Verwirklichung des Tatbestandes des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO angenommen, muss der Versagungsantrag ausweislich des in § 290 Abs. 1 und 2 InsO beschriebenen Verfahrens im Schlusstermin von einem Insolvenzgläubiger gestellt und glaubhaft gemacht werden. Eine Versagung der Restschuldbefreiung von Amts wegen oder auf Bestreben des Insolvenzverwalters ohne zulässigen Gläubigerantrag sieht das Gesetz (gegenwärtig) nicht vor.³²² Martini ³²³ weist zutreffend darauf hin, dass das Erfordernis eines Gläubigerantrages ebenfalls Ausdruck der Gläubigerautonomie sei und ein etwaiges Abweichen davon einen Paradigmenwechsel darstellen würde. Es soll in Ausgestaltung der Gläubigerautonomie der Entscheidungshoheit und Verantwortung jedes einzelnen Insolvenzgläubigers obliegen, ob er auf die Versagung der Restschuldbefreiung antragen will. Zulässig ist der Versagungsantrag bislang nur, wenn er im Schlusstermin (§ 197 InsO) gestellt worden ist. Ein zuvor schriftlich oder mündlich geäußertes Gläubigerbegehren ist nach gegenwärtiger Rechtslage³²⁴ allenfalls als Ankündigung eines im Schlusstermin noch zu stellenden Antrages zu verstehen, welches bei

 BGH, Beschl. v. 9. März 2010, IX ZA 7/10, NZI 2010, 445; BGH, Beschl. v. 16. Dezember 2004, IX ZB 72/03, MDR 2005, 711  LG Memmingen, Beschl. v. 28. Januar 2013, 43 T 106/13, juris  Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 26.17; BGH, Beschl. v. 20. März 2003, IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167  Martini, ZInsO 2012, 531  Das zum 1. Juli 2014 in Kraft tretende Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (BGBl. I S. 2379; vgl. BT-Drucks. 17/13535, BRDrucks. 380/13 und BR-Beschl. v. 7. Juni 2013, BR-Drucks. 380/13 (Beschluss)) sieht in § 290 Abs. 1 und 2 Satz 1 InsO n. F. vor, künftig den Versagungsantrag jederzeit vor dem Schlusstermin bzw. vor der Verfahrenseinstellung wegen Masseunzulänglichkeit im Sinne des § 211 Abs. 1 InsO schriftlich stellen zu können.

III. Enthaftung des Schuldners

327

Versäumnis der mündlichen Antragstellung im Termin hinfällig wird.³²⁵ Wird der Antrag nicht oder erst nach dem Schlusstermin gestellt, ist der sich darauf berufende Gläubiger mit seinen vorgebrachten Versagungsgründen präkludiert.³²⁶ Stellt der einzelne Insolvenzgläubiger den Antrag in statthafter Weise, ist weitere Zulässigkeitsvoraussetzung, dass er den betreffenden Lebenssachverhalt konkret darlegt und die maßgeblichen Versagungsgründe nach den zivilprozessualen Bestimmungen (§ 290 Abs. 2 InsO) glaubhaft macht.³²⁷ Aus den Zulässigkeitserfordernissen der Antragstellung und Glaubhaftmachung wird ersichtlich, dass das Verfahren über die Versagung der Restschuldbefreiung weitgehend kontradiktorisch ausgestaltet ist.³²⁸ Damit soll verhindert werden, dass das Insolvenzgericht allein auf die bloße Behauptung eines Gläubigers hin zu umfangreichen Ermittlungen verpflichtet ist.³²⁹ Da es die autonome Entscheidung eines jeden einzelnen Gläubigers ist, ob er den Versagungsantrag stellt, ist diese Verfahrensausgestaltung nur konsequent. Nach §§ 4, 290 Abs. 2 InsO in Verbindung mit § 294 ZPO ist es für die Glaubhaftmachung erforderlich, dass der antragende Insolvenzgläubiger, welcher die Last der Glaubhaftmachung trägt, die geeigneten Beweismittel dergestalt beschafft, dass sie in der mündlichen Verhandlung präsentiert werden können. Hierfür darf er sich grundsätzlich aller Beweismittel bedienen und zusätzlich zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung zugelassen werden.³³⁰ Für die Glaubhaftmachung kann sich der Antragsteller beispielsweise auf Tatsachen beziehen, die in konkret benannten und vorgelegten Urkunden festgehalten sind, wie zum Beispiel im Bericht des Insolvenzverwalters³³¹ oder in einer schriftlichen Erklärung eines Insolvenzverwalters oder Treuhänders.³³² Für die richterliche Überzeugungsbildung ist ein Versagungsgrund glaubhaft gemacht, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass er zutrifft; Gewissheit ist noch nicht erforderlich.³³³ Das Erfordernis der Glaubhaftmachung entfällt, wenn der maßgebliche Sachverhalt unstreitig ist. Hierzu kann es kommen,wenn der Schuldner im Schlusstermin die vorgetragenen Versagungsgründe nicht bestreitet oder – infolge einer Flucht – schlichtweg nicht erscheint. Denn nach Auffassung des

 Kothe/Ahrens/Grote/Busch/Ahrens, § 290 Rz. 85 m. w. Nachw.  Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 5b; Kothe/Ahrens/Grote/Busch/Ahrens, § 290 Rz. 86 jeweils m. w. Nachw.  s. hierzu Martini, ZInsO 2012, 531 zu AG Charlottenburg, Beschl. v. 14. September 2011, 36c IN 3726/09, ZInsO 2012, 297  Kothe/Ahrens/Grote/Busch/Ahrens, § 290 Rz. 89; BGH, Beschl. v. 11. September 2003, IX ZB 37/03, NJW 2003, 3558; BGH, Beschl. v. 16. Februar 2012, IX ZB 113/11, NJW 2012, 1215, auch zur Beteiligtenstellung des Insolvenzverwalters  Trendelenburg, S. 218; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 9  Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 10  BGH, Beschl. v. 11. September 2003, IX ZB 37/03, NJW 2003, 3558  BGH, Beschl. v. 17. Juli 2008, IX ZB 183/07, ZInsO 2008, 920  BGH, Beschl. v. 11. September 2003, IX ZB 37/03, NJW 2003, 3558; BGH, Beschl. v. 15. Juni 1994, IV ZB 6/94, NJW 1994, 2898

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Bundesgerichtshofs³³⁴ ist dem Schuldner ein Bestreiten der schlüssig dargelegten Versagungsgründe nach der Aufhebung des Schlusstermins nicht mehr möglich, weshalb es ihm zuzumuten sei, im Termin anwesend zu sein und durch Bestreiten der vorgebrachten Gründe die Amtsermittlungspflicht des Gerichts auszulösen. Hiergegen erhebt Vallender³³⁵ Bedenken, der es angesichts der weitreichenden Folgen einer „Säumnis im Schlusstermin“ dem Schuldner ohne einen vorher gegebenen Hinweis grundsätzlich gestatten will, die behaupteten Versagungsgründe nachträglich bestreiten zu dürfen, zumal jener auch unverschuldet an der Terminteilnahme verhindert sein könne. Dem ist nur für den Fall zuzustimmen, in dem der Schuldner an der Terminteilnahme durch nicht von ihm zu vertretende Gründe, die er dem Gericht glaubhaft zu machen hat, unverschuldet gehindert war. Ansonsten ist es dem Schuldner in der Tat zuzumuten, sich im eigenen Interesse am Verfahren selbst aktiv zu beteiligen, im Schlusstermin präsent zu sein und sich mit seinen Gläubigern auseinanderzusetzen.

Gelingt dem antragenden Gläubiger die Glaubhaftmachung, hat das Insolvenzgericht zur Feststellung der Begründetheit den Sachverhalt – nunmehr von Amts wegen (§ 5 Abs. 1 InsO) – weiter aufzuklären, wozu es die ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel auszuschöpfen hat.³³⁶ Angesichts der Amtsermittlungspflicht ist das Insolvenzgericht freilich gehalten, auch für den Schuldner günstige Umstände zu erforschen und in seine Entscheidung einzubeziehen. Kann das Insolvenzgericht den Schuldner zwecks seiner Anhörung nicht erreichen, weil sich dieser auf der Flucht befindet, wird es diese Tatsache ebenso berücksichtigen müssen, wie den Umstand, dass jener im Rahmen seiner Anhörung keine entlastenden Umstände vorträgt. Verbleiben nach der Ausschöpfung aller Erkenntnismittel vernünftige Zweifel am Wahrheitsgehalt des zu beurteilenden Geschehens, trifft den Gläubiger die Feststellungslast, so dass im Ergebnis der Versagungsantrag als unbegründet zurückzuweisen ist.³³⁷ Kommt das Insolvenzgericht hingegen zu der Erkenntnis und vollen Überzeugung (§ 286 ZPO), dass der Tatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO erfüllt worden ist, hat es dem Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung stattzugeben. Seine Entscheidung darf es jedoch nur auf die Umstände stützen, die im Versagungsantrag konkret genannt wurden; eine amtswegige Versagung der Restschuldbefreiung, die nur mit an-

 BGH, Beschl. v. 5. Februar 2009, IX ZB 185/08, NZI 2009, 256; BGH, Beschl. v. 11. September 2003, IX ZB 37/03, NJW 2003, 3558  Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 5c m. w. Nachw.  BGH, Beschl. v. 11. April 2013, IX ZB 170/11, NZI 2013, 648; BGH, Beschl. v. 11. September 2003, IX ZB 37/03, NJW 2003, 3558  MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz. 83; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 13a; BGH, Beschl. v. 21. Juli 2005, IX ZB 80/04, WM 2005, 1858

III. Enthaftung des Schuldners

329

deren als den im Gläubigerantrag im Einzelnen angeführten Tatsachen begründet werden kann, ist dem Insolvenzgericht freilich verwehrt.³³⁸ Wird die Erteilung der Restschuldbefreiung dem Schuldner versagt, besteht für die Gläubiger nach Maßgabe des § 201 Abs. 1 und 2 InsO fortan die Möglichkeit, nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens ihre Forderungen gegen Schuldner individuell weiter zu verfolgen und diesen im Wege der Individualzwangsvollstreckung zum Erfolg zu helfen. Dem kann der Schuldner nach der gegenwärtig noch bestehenden Rechtslage binnen einer vom Bundesgerichtshof ³³⁹ im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung entwickelten Sperrfrist von drei Jahren nicht mit einem weiteren Eigen- und Restschuldbefreiungsantrag begegnen. Diese Sperrfrist tritt auch dann ein, wenn der in einem früheren Verfahren zunächst gestellte Schuldnerantrag auf Erteilung der Restschuldbefreiung zurückgenommen wird, um eine abschlägige Entscheidung des Insolvenzgerichts über einen Versagungsantrag zu verhindern,³⁴⁰ oder wenn der Schuldner, der vom Gericht bei Vorliegen eines Fremdantrages auf die Möglichkeit zur Stellung eines verbundenen Eigen- und Restschuldbefreiungsantrages ordnungsgemäß hingewiesen worden ist, die zur Antragstellung gesetzte Frist verstreichen ließ,³⁴¹ oder wenn die Zurücknahme des vom Schuldner in einem vorherigen Insolvenzverfahren gestellten Insolvenzeröffnungsantrags wegen der Nichtbehebung solcher Mängel fingiert wurde, die innerhalb der Frist des § 305 Abs. 3 Satz 2 InsO hätten behoben werden können.³⁴² Diese über den gesetzespositiven Regelungszusammenhang bislang hinausgehende Rechtsprechung hat der Gesetzgeber teilweise aufgegriffen und in dem ab dem 1. Juli 2014 geltenden § 287a Abs. 2 Nr. 2 InsO notiert, dass der Restschuldbefreiungsantrag unzulässig ist, wenn dem Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag

 BGH, Beschl. v. 8. März 2012, IX ZB 70/10, juris; BGH, Beschl. v. 8. Februar 2007, IX ZB 88/06, WM 2007, 661; BGH, Beschl. v. 25. Oktober 2007, IX ZB 187/03, WM 2007, 2252  BGH, Beschl. v. 16. Juli 2009, IX ZB 219/08, BGHZ 183, 13; BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010, IX ZB 174/09, ZInsO 2010, 344; BGH, Beschl. v. 4. Februar 2010, IX ZA 40/09, ZInsO 2010, 491; BGH, Beschl. v. 18. Februar 2010, IX ZA 39/09, ZInsO 2010, 587; beachte aber BGH, Beschl. v. 22. November 2012, IX ZB 194/11, ZInsO 2013, 207; eine Übersicht geben Sessig/Fischer, ZInsO 2013, 760, 762 ff.  BGH, Beschl. v. 12. Mai 2011, IX ZB 221/09, ZInsO 2011, 1127  BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010, IX ZB 174/09, ZInsO 2010, 344; LG Düsseldorf, Beschl. v. 27. März 2013, 25 T 122/13, NZI 2013, 446  AG Essen, Beschl. v. 28. März 2012, 166 IK 64/12, juris; unter Hinweis auf das Erfordernis eines lauteren und auf die effiziente Verfahrensförderung bedachten Verhaltens des Schuldners; ähnlich AG Hamburg Beschl. v. 9. November 2011, 68c IK 891/11, ZInsO 2012, 195

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

die Restschuldbefreiung nach § 290 Abs. 1 Nr. 5, 6 oder 7 InsO n. F. oder nach § 296 InsO n. F. versagt worden ist, und zwar auch dann, wenn eine nachträgliche Versagungsentscheidung auf die in § 290 Abs. 1 Nr. 5, 6 oder 7 InsO n. F. benannten Gründe gestützt worden ist (§ 297a InsO n. F.).³⁴³

c) Die Obliegenheiten gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO Wird dem Schuldner im Schlusstermin gemäß §§ 289 Abs. 1, 291 InsO (vgl. jedoch den künftigen § 287a Abs. 1 InsO n. F.) die Erteilung der Restschuldbefreiung angekündigt, muss er fortan die Obliegenheiten des § 295 Abs. 1 InsO beachten. Ebenso wie die Vorschrift des § 290 Abs. 1 InsO dient die Norm des § 295 InsO der näheren Bestimmung dessen, was das gegenwärtige Recht unter einem redlichen Schuldner versteht. Sie enthält ähnlich des § 290 Abs. 1 InsO einen enumerativen Katalog an geforderten Verhaltensweisen, deren Befolgung die Redlichkeit des Schuldners offenbar werden lassen soll. Der Gesetzgeber sieht die während der Wohlverhaltensphase vom Schuldner zu erfüllenden Obliegenheiten als zentrale Regelungen der Restschuldbefreiung; der Schuldner soll sich nach Kräften bemühen, seine Gläubiger während der „Bewährungsfrist“ so weit wie möglich zu befriedigen, bevor er in den Genuss der Schuldbefreiung kommt.³⁴⁴ Hierzu gehört es, für ein angemessenes Erwerbseinkommen zu sorgen, um den pfändbaren Teil über den Treuhänder an die Gläubiger abzuführen (vgl. § 287b InsO n. F.), Vermögenszuwächse von Todes wegen zum hälftigen Wert den Gläubigern zukommen zu lassen, keine sonstigen Einkommens- und Vermögensmehrungen zu verschweigen, Auskünfte zur Erwerbstätigkeit sowie über seine Bezüge und sein Vermögen³⁴⁵ zu erteilen und alle Gläubiger durch exklusive Zahlungen an den Treuhänder gleichmäßig zu bedienen. Der Schuldner hat nach bisherigem Recht die Obliegenheiten des § 295 InsO erst von der Aufhebung oder der Einstellung des Insolvenzverfahrens und rechtskräftiger Ankündigung der Restschuldbefreiung an zu erfüllen (§ 289 Abs. 2 und 3 InsO), auch wenn „die Laufzeit der Abtretungserklärung“ gemäß § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO bereits mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt.³⁴⁶ Bis dahin sind allein die in § 290 InsO normierten Pflichten vom Schuldner zu

 durch Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15. Juli 2013 (BGBl. I S. 2379; vgl. BT-Drucks. 17/13535, BR-Drucks. 380/13 und BR-Beschl. v. 7. Juni 2013, BR-Drucks. 380/13 (Beschluss)); vgl. hierzu auch BGH, Beschl. v. 7. Mai 2013, IX ZB 51/12, WM 2013, 1516  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 192; LSZ/Kiesbye, § 295 Rz. 1  vgl. hierzu LG Paderborn, Beschl. v. 6. März 2012, 5 T 237/11, juris  BGH, Beschl. v. 3. Dezember 2009, IX ZB 247/08, NZI 2010, 111; BGH, Beschl. v. 18. Dezember 2008, IX ZB 249/07, NZI 2009, 191; LG Göttingen, Beschl. v. 24. August 2004, 10 T 94/04, NZI 2004,

III. Enthaftung des Schuldners

331

beachten. Eine Vorverlagerung des Anwendungsbereiches des § 295 InsO auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung oder noch früher war und ist trotz der zwischenzeitlichen Änderung des § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO³⁴⁷ nicht gewollt. Das in der Vergangenheit liegende Verhalten des Schuldners wird ausweislich § 291 Abs. 1 InsO allein nach Maßgabe des § 290 InsO überprüft.³⁴⁸ Durch das zum 1. Juli 2014 in Kraft tretende Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte ³⁴⁹ wird an diesem Grundprinzip zwar festgehalten, jedoch mit einem § 287b InsO n. F. eine spezifische Erwerbsobliegenheit normiert, welche sich fortan auf eine als Abtretungsfrist (§ 287 Abs. 2 Satz 1 InsO n. F.) genannte Zeit von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zur Beendigung desselben ausdehnt.

Nach der Ankündigung der Restschuldbefreiung hat der Schuldner bis zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung (Abtretungsfrist) unter anderem die in § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO aufgenommenen Informationspflichten zu erfüllen. Die Bestimmung des § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO dient dazu, das Verhalten des Schuldners mit Blick auf die ihn in diesem Verfahrensabschnitt treffenden Obliegenheiten effektiv und ohne besonderen Aufwand überwachen und überprüfen zu können.³⁵⁰ Deshalb hat der Schuldner jeden Wechsel seines Wohnsitzes und seines Beschäftigungsortes von sich aus und unverzüglich, mithin ohne schuldhaftes Zögern, dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder anzuzeigen.³⁵¹ Insbesondere kann die monatelange Nichtanzeige einer Wohnsitzverlegung die Versagung der Restschuldbefreiung rechtfertigen, wobei der Schuldner bei mangelnder Zugangskontrolle das Risiko trägt, dass von ihm diesbezüglich versandte Nachrichten die Beteiligten nicht erreichen.³⁵² Während die Mitteilung des Beschäftigungswechsels der Sicherung der Abführung der pfändbaren Bezüge dient,³⁵³ soll mit Ver-

678; AG Köln, Beschl. v. 9. März 2004, 71 IK 116/01, NZI 2004, 331; AG Mönchengladbach, Beschl. v. 7. Januar 2005, 32 IK 104/02, NZI 2005, 174; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 287 Rz. 44 f.  durch das Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom 26. Oktober 2001, BGBl. I S. 2710  BGH, Beschl. v. 29. Juni 2004, IX ZB 90/03, NZI 2004, 635  BGBl. I 2013 S. 2379; vgl. BT-Drucks. 17/13535, BR-Drucks. 380/13 und BR-Beschl. v. 7. Juni 2013, BR-Drucks. 380/13 (Beschluss)  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 192; Kreft/Landfermann, InsO, § 295 Rz. 19; Ohle, ZfgK 1993, 398 weist auf eine hohe Mobilität unredlicher Schuldner hin  Kreft/Landfermann, InsO, § 295 Rz. 19; nach Auffassung des BGH, Beschl. v. 16. Mai 2013, IX ZB 272/11, WM 2013, 1232 sowie BGH, Beschl. v. 11. Februar 2010, IX ZA 46/09 , NZI 2010, 489, etwa binnen zwei Wochen; FK-InsO/Ahrens, § 295 Rz. 53  BGH, Beschl. v. 16. Mai 2013, IX ZB 272/11, WM 2013, 1232; BGH, Beschl. v. 11. Februar 2010, IX ZA 46/09, NZI 2010, 489  Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 295 Rz. 46; nach BGH, Beschl. v. 26. Februar 2013, IX ZB 165/ 11, WM 2013, 579 hat der selbständig erwerbstätigen Schuldner auf Verlangen lediglich Auskünfte zu erteilen, aus denen die ihm mögliche abhängige Tätigkeit bestimmt und das anzunehmende fiktive Nettoeinkommen ermittelt werden kann, nicht jedoch Auskünfte über die von

332

E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

pflichtung zur Kundgabe eines Wohnortwechsels die ständige Erreichbarkeit des Schuldners gewährleistet werden.³⁵⁴ Unter Wohnanschrift ist mithin allein der Ort zu verstehen, an dem das Gericht oder der Treuhänder den Schuldner aufgrund seines tatsächlichen Wohnaufenthaltes bestimmt und zügig per Post oder persönlich erreichen kann, weshalb auch der Wechsel innerhalb der Gemeinde anzeigepflichtig ist.³⁵⁵ Ebenso ist die Veränderung des Wohnortes aufgrund des Wechsels des Arbeits- oder Studienortes oder wegen der Unterbringung in einer Justizvollzugsanstalt vom Schuldner anzuzeigen,³⁵⁶ während ein kurzzeitiger Aufenthalt an einem Urlaubsort oder in einem Krankenhaus nicht mitgeteilt werden muss.³⁵⁷ Verlässt der Schuldner seinen letzten Wohnort und wandert er aus, ohne dem Gericht und dem Treuhänder seine künftige Wohnadresse mitzuteilen, ist der Tatbestand des § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfüllt.³⁵⁸ Der Schuldner verstößt mit einer nach der Ankündigung der Restschuldbefreiung unternommenen Flucht gegen die in § 295 Abs. 1 Nr. 3 normierte Auskunftsobliegenheit, wenn er dem Gericht und dem Treuhänder in der Folge keine Informationen über seinen künftigen Aufenthalt und sein Erwerbseinkommen gibt. Allein die bloße Obliegenheitsverletzung rechtfertigt aber noch nicht die Versagung der Restschuldbefreiung. Denn nach den Worten des § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO führt ein Verstoß gegen eine der in § 295 InsO genannten Obliegenheiten nur dann zur Versagung der Restschuldbefreiung, wenn dadurch die Befriedigung der Insolvenzgläubiger beeinträchtigt wird. Anders als bei der Nichterfüllung der in § 290 InsO normierten Pflichten muss eine Schlechterstellung der Gläubiger durch die Obliegenheitsverletzung konkret messbar sein; eine bloße Gefährdung der Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger reicht hier nicht aus.³⁵⁹ Demnach

ihm tatsächlich erzielten Gewinne; maßgebend soll mithin ein hypothetisches Einkommen aus einem angemessenen, nicht notwendigerweise der selbständigen Tätigkeit entsprechenden Dienstverhältnis sein, so BGH, Beschl. v. 17. Januar 2013, IX ZB 98/11, NZI 2013, 189  Nerlich/Römermann/Römermann, InsO § 295 Rz. 30; FK-InsO/Ahrens, § 295 Rz. 54  BGH, Beschl. v. 8. Juni 2010, IX ZB 153/09, NZI 2010, 654; AG Hannover, Beschl. v. 1. November 2006, 74 IN 117/06, ZInsO 2007, 48; Kreft/Landfermann, InsO, § 295 Rz. 19  Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 295 Rz. 45  MünchKomm-InsO/Ehricke, § 295 Rz. 78  AG Duisburg, 13. Januar 2009, 62 IN 147/03, NZI 2009, 399 für den Fall einer mit dem Versprechen angekündigten Auswanderung nach Kanada, die Wohnanschrift später mitzuteilen; AG Göttingen, Beschl. v. 12. Juni 2008, 71 IN 23/00, ZVI 2009, 405; vgl. auch BGH, Beschl. v. 16. Mai 2013, IX ZB 272/11, WM 2013, 1232  BGH, Beschl. v. 5. April 2006, IX ZB 50/05, NZI 2006, 413; BGH, Beschl. v. 8. Februar 2007, IX ZB 88/06, NZI 2007, 297; BGH, Beschl. v. 14. Mai 2009, IX ZB 116/08, ZInsO 2009, 1268; BGH, Beschl. v. 8. Oktober 2009, IX ZB 169/08, ZInsO 2009, 2162; BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010, IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391

III. Enthaftung des Schuldners

333

muss die Unterlassung der unverzüglichen Anzeige des Wohnungswechsels die Befriedigung der Insolvenzgläubiger bestimmbar beeinträchtigen. Weitere Voraussetzung ist mithin, dass die Obliegenheitsverletzung kausal zur Gläubigerbeeinträchtigung führt.³⁶⁰ Ein derartiger Kausalzusammenhang liegt vor, wenn die Insolvenzgläubiger ohne die Obliegenheitsverletzung eine bessere Befriedigung ihrer zur Tabelle angemeldeten Forderungen hätten erzielen können.³⁶¹ Auch wenn nicht eine erhebliche Beeinträchtigung verlangt wird, muss die Schlechterstellung der Insolvenzgläubiger bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise dennoch konkret messbar sein; eine bloß abstrakte Gefährdung der Befriedigungsaussichten der Insolvenzgläubiger reicht nicht aus.³⁶² Es bedarf mithin in einer Vergleichsbetrachtung der Ermittlung einer Vermögensdifferenz zwischen der Tilgung der Verbindlichkeiten mit und ohne Obliegenheitsverletzung. Verbleibt nach Abzug aller vorrangig zu befriedigenden Verbindlichkeiten eine pfändbare Summe und wurde dieser als an die Insolvenzgläubiger zu verteilender Betrag durch die Obliegenheitsverletzung verkürzt, ist die Gläubigerbenachteiligung messbar.³⁶³

Verstößt der Schuldner gegen die nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO ihm zugemutete Obliegenheit, in der Wohlverhaltenszeit jeden Wechsel des Wohnsitzes oder der Beschäftigungsstelle unverzüglich dem Insolvenzgericht und dem Treuhänder anzuzeigen und keine von der Abtretungserklärung erfassten Bezüge zu verheimlichen, kann die Befriedigung der Insolvenzgläubiger dadurch messbar beeinträchtigt werden, dass der Treuhänder aufgrund des Verschwindens des Schuldners objektiv nicht in der Lage ist, den Umfang der gegenwärtigen und künftigen schuldnerischen Einkünfte zu ermitteln und den abgetretenen Teil einzuziehen.³⁶⁴ Insbesondere kann er den Schuldner mangels Erreichbarkeit nicht anhalten, Auskunft über sein Erwerbseinkommen durch Vorlage entsprechender Urkunden zu erteilen (vgl. § 287b InsO n. F.). Führt der bloße Verstoß gegen die Melde- und Auskunftspflichten hingegen nicht zu einer messbaren Auswirkung auf die Gläubigerbefriedigung, bleibt er für die Versagung der Restschuldbefreiung bedeutungslos.³⁶⁵

 Nerlich/Römermann/Römermann, InsO § 296 Rz. 9  Döbereiner, S. 201; LSZ/Kiesbye, § 296 Rz. 4  BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010, IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391 m. w. Nachw.; BGH, Beschl. v. 5. April 2006, IX ZB 50/05, NZI 2006, 413; kritisch MünchKomm-InsO/Stephan, § 296 Rz. 14, 15  MünchKomm-InsO/Stephan, § 296 Rz. 15; BGH, Beschl. v. 1. Juli 2010, IX ZB 148/09, NZI 2010, 911; AG Göttingen, Beschl. v. 13. Januar 2006, 74 IK 59/99, ZInsO 2006, 384  AG Göttingen, Beschl. v. 18. Juli 2007, 74 IK 130/00, ZInsO 2007, 1001 ff.; AG Gera, Beschl. v. 21. November 2005, 8 IN 446/01, InVo 2006, 142 f.; a. A. FK-InsO/Ahrens, § 295 Rz. 5  BGH, Beschl. v. 8. Februar 2007, IX ZB 88/06, NZI 2007, 297; Nerlich/Römermann/Römermann, InsO § 296 Rz. 9

334

E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Ein zur Gläubigerbeeinträchtigung führender Obliegenheitsverstoß kann ferner nur dann zur Versagung der Restschuldbefreiung führen, wenn den Schuldner ein Verschulden hieran trifft (§ 296 Abs. 1 Satz 1 a. E. InsO). Hierfür genügt unter Zugrundelegung eines objektiven Sorgfaltsmaßstabs einfache Fahrlässigkeit.³⁶⁶ Unternimmt der Schuldner in diesem Verfahrensstadium einen Wohnortwechsel, ohne ihn dem Gericht und dem Treuhänder anzuzeigen, ist angesichts der Normgestaltung ein Verschulden indiziert. Denn nach weit überwiegender Auffassung trifft den Schuldner (anders als bei § 290 InsO) die Beweislast dafür, dass er nicht schuldhaft handelte. Er muss sich exkulpieren, womit durch Missbrauch hervorgerufene Schwierigkeiten bei der Beweisführung vermieden werden sollen.³⁶⁷ Kann die Frage des Verschuldens nicht abschließend beantwortet werden, geht diese Ungewissheit zu Lasten des Schuldners.³⁶⁸

d) Das Versagungsverfahren zu § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO Wird eine Verletzung der während der Wohlverhaltensphase zu beachtenden Obliegenheiten offenbar, sollen die in ihren Rechten beschränkten Gläubiger auf deren Ablauf nicht länger warten müssen, wie § 299 InsO zeigt.Vielmehr endet das Verfahren der Restschuldbefreiung, wenn eine Obliegenheitsverletzung durch das Insolvenzgericht festgestellt worden ist. Das Verfahren zur Ahndung einer Obliegenheitsverletzung nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO kommt nur auf Antrag eines Insolvenzgläubigers in Gang (§ 296 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Antrag ist des Weiteren nur dann zulässig, wenn er binnen eines Jahres nach Erlangung der Kenntnis über die der Obliegenheitsverletzung zugrunde liegenden Tagsachen gestellt worden ist. Weiteres Zulässigkeitskriterium ist gemäß § 296 Abs. 1 Satz 3 InsO, dass die Verletzung der Obliegenheit, die darauf beruhende Beeinträchtigung der Gläubiger und die fristgerechte Antragstellung glaubhaft gemacht werden. Zur Glaubhaftmachung der infolge der Obliegenheitsverletzung eingetretenen Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung bedarf es insbesondere geeigneten Vortrags, dass bei wirtschaftlicher Be-

 Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 296 Rz. 25; kritisch zu diesem weiten Verschuldensspektrum Döbereiner, S. 203 ff.; nach anderer Auffassung soll es sich hier um ein „Verschulden gegen sich selbst“, orientiert an § 254 BGB, handeln, weil die Erfüllung der Obliegenheiten im Schuldnerinteresse erfolge: MünchKomm-InsO/Stephan, § 296 Rz. 16; FK-InsO/Ahrens, § 296 Rz. 10 m. w. Nachw.  MünchKomm-InsO/Stephan, § 296 Rz. 17; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 296 Rz. 24; AG Duisburg, Beschl. v. 29. Januar 2002, 62 IN 53/00, ZInsO 2002, 384  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 193; Nerlich/Römermann/ Römermann, InsO § 296 Rz. 13

III. Enthaftung des Schuldners

335

trachtung eine konkret messbare Schlechterstellung der Gläubiger wahrscheinlich ist.³⁶⁹ Hierfür kann sich der Gläubiger konkret auf einen Treuhänderbericht beziehen, wenn jener den diesbezüglichen Anforderungen genügt.³⁷⁰ Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs³⁷¹ könne die an sich erforderliche Glaubhaftmachung einer konkret messbaren Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung unter Umständen bereits bei Bejahung einer Obliegenheitsverletzung angenommen werden. Denn weigere sich beispielsweise der Schuldner zur Vorlage von Einkommensnachweisen oder vereitele er den Zugang einer entsprechenden Aufforderung des Treuhänders, indem er seinen Wohnsitz unbekannterweise verlegt, lässt es allein dieser Umstand als wahrscheinlich erscheinen, dass er den Insolvenzgläubigern pfändbare Einkünfte vorenthält. Indes sind „ins Blaue hinein“ gestellte Versagungsanträge, mit denen eine Gläubigerbenachteiligung lediglich pauschal und spekulativ vermutet wird, ebenso wenig ausreichend wie der bloße Vortrag über eine Gefährdung der Gläubigerbefriedigung.³⁷² Der Glaubhaftmachung des Verschuldens des Schuldners bedarf es von vornherein nicht, da es – wie bereits gesehen – Sache des Schuldners ist, sich zu exkulpieren.³⁷³

Sind demnach die Voraussetzungen des Versagungsgrundes hinreichend glaubhaft gemacht und damit der Antrag zulässig, ist das Insolvenzgericht von Amts wegen zur unbeschränkten Prüfung des geltend gemachten Versagungsgrundes sowie der entscheidungsrelevanten Umstände verpflichtet (§ 5 InsO). Hierzu kann sich das Gericht aller ihm zur Verfügung stehenden Erkenntnismittel bedienen. Neben dem Treuhänder und den Insolvenzgläubigern ist insbesondere der Schuldner zu den ihm vorgeworfenen Obliegenheitsverletzungen anzuhören (§ 296 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die sowohl der Sachverhaltsaufklärung als auch der Gewährung rechtlichen Gehörs dienende Anhörung der Beteiligten kann mündlich oder in einem schriftlichen Verfahren erfolgen. Zur Ermöglichung der zügigen und vollständigen Sachverhaltserforschung treffen insbesondere den Schuldner weitere, sogenannte Verfahrensobliegenheiten: Er ist nach § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO zur vollständigen und wahrheitsgemäßen Auskunft über die Erfüllung seiner nach § 295 InsO erwachsenen Obliegenheiten verpflichtet, deren Richtigkeit er auf Gläubigerantrag an Eides Statt zu versichern hat. Zudem ist er gehalten, auf ordnungsgemäße Ladung persönlich zu einem Anhörungstermin zu erscheinen (§ 296 Abs. 2 Satz 3 InsO). Holt das Gericht die Auskünfte schriftlich ein, setzt es dem Schuldner eine Erklärungsfrist.³⁷⁴ Soll der Schuldner mündlich angehört

 BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010, IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391 m. w. Nachw.  BGH, Beschl. v. 17. Juli 2008, IX ZB 183/07, ZInsO 2008, 920, m. w. Nachw.; BGH, Beschl. v. 8. Januar 2009, IX ZB 73/08, NZI 2009, 253; BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010, IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391  BGH, Beschl. v. 14. Mai 2009, IX ZB 116/08, ZInsO 2009, 1268  BGH, Beschl. v. 12. Juni 2008, IX ZB 91/06, VuR 2008, 434  LSZ/Kiesbye, § 296 Rz. 9; AG Duisburg, Beschl. v. 29. Januar 2002, 62 IN 53/00, ZInsO 2002, 384  FK-InsO/Ahrens, § 296 Rz. 42; MünchKomm-InsO/Stephan, § 296 Rz. 25

336

E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

werden, können alle Verfahrensbeteiligten in einem anzuberaumenden Anhörungstermin die erforderlichen Auskünfte von ihm verlangen.³⁷⁵ Die Versicherung an Eides statt kann ebenfalls entweder mündlich oder schriftlich innerhalb einer vom Insolvenzgericht gesetzten Frist geleistet werden.³⁷⁶ In jedem Fall kann das Gericht den Schuldner zu allen Umständen befragen, die für die Beurteilung der Erfüllung aller Obliegenheiten erheblich sind. Dabei soll nach Stimmen in der Literatur³⁷⁷ die Auskunftspflicht nicht auf den Gegenstand des Versagungsantrags beschränkt sein. Der Bundesgerichtshof ³⁷⁸ vertritt jedoch die zutreffende Auffassung, dass es dem Insolvenzgericht nicht erlaubt ist, seine noch zu treffende Entscheidung auf durch die Befragung gewonnenen Erkenntnisse zu stützen, die nicht Gegenstand eines Gläubigerantrages sind. Verstößt der Schuldner gegen diese besonderen Verfahrensobliegenheiten, indem er nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist die geforderten Informationen oder die verlangte eidesstattliche Versicherung ohne genügende Entschuldigung gibt, ist das Insolvenzgericht nach § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO ausnahmsweise von Amts wegen ohne weiteren Gläubigerantrag ermächtigt und auch verpflichtet, die Restschuldbefreiung zu versagen.³⁷⁹ Gleiches gilt nach dieser Norm, wenn der Schuldner trotz ordnungsgemäßer Ladung ohne hinreichende Entschuldigung nicht zu einem vom Gericht zur Auskunftserteilung und Eidesleistung anberaumten Termin erscheint. Damit wird (wie auch in den historischen Partikularrechten) die Missachtung der gegenüber dem Gericht zu erfüllenden Auskunftspflicht als weiterer, selbstständiger Versagungsgrund ausgestaltet. Die Verletzung der besonderen Verfahrensobliegenheiten ist demnach evident, wenn der Schuldner im schriftlichen Verfahren oder im Anhörungstermin ernstlich und endgültig die Auskunft verweigert.³⁸⁰ Nichts anderes gilt, wenn der Schuldner erst gar nicht zum Anhörungstermin erscheint oder im schriftlichen Verfahren kein Antworten gibt. Welche Motive dazu führen, ist unbeachtlich; allein die Absenz  MünchKomm-InsO/Stephan, § 296 Rz. 25  Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 296 Rz. 36  Nerlich/Römermann/Römermann, InsO § 296 Rz. 27; Uhlenbruck/Vallender, InsO § 296 Rz. 30; a. A. MünchKomm-InsO/Stephan, § 296 Rz. 24, der eine Auskunftspflicht nur im Rahmen der mit dem Versagungsantrag konkret vorgeworfenen Obliegenheitsverletzung sieht  BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010, IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391; im Ergebnis so schon MünchKomm-InsO/Stephan, § 296 Rz. 24  Kreft/Landfermann, InsO, § 296 Rz. 11; FK-InsO/Ahrens, § 296 Rz. 41; MünchKomm-InsO/ Stephan, § 296 Rz. 30; BGH, Beschl. v. 19. Mai 2011, IX ZB 274/10, NZI 2011, 640; BGH, Beschl. v. 14. Mai 2009, IX ZB 116/08, NZI 2009, 481; BGH, Beschl. v. 25. Januar 2007, IX ZB 156/04, NZI 2007, 534  BGH, Beschl. v. 25. Januar 2007, IX ZB 156/04, NZI 2007, 534 f.; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 296 Rz. 39

III. Enthaftung des Schuldners

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oder die Passivität des Schuldners führt zur Sanktion. Denn Sinn und Zweck der in § 296 Abs. 2 InsO normierten Obliegenheiten ist es, dem Gericht die schnelle Sachaufklärung mit der Androhung zu erleichtern, andernfalls auf die Auskunftsverweigerung mit der Versagung der Restschuldbefreiung zu antworten.³⁸¹ Hieraus erschließt sich im Weiteren, dass für diesen Versagungsgrund eine messbare Gläubigerbeeinträchtigung, wie sie für die Versagung nach § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO noch erforderlich ist, nicht mehr notwendig ist.³⁸² Die Restschuldbefreiung kann mithin allein aufgrund der Tatsache, dass der Schuldner ohne genügende Entschuldigung seinen Verfahrensobliegenheiten nicht nachkommt, verweigert werden. Angesichts dieser weitreichenden Sanktion ist der Schuldner zuvor regelmäßig durch das Insolvenzgericht ausdrücklich und hinreichend klar über die Konsequenzen eines Verstoßes gegen seine Mitwirkungsobliegenheiten, die nicht erzwungen werden können, zu belehren.³⁸³ Grundlegende Voraussetzung für eine Versagung nach § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO ist aber stets ein nach § 296 Abs. 1 InsO statthafter Gläubigerantrag, auch wenn die Verletzung der Verfahrensobliegenheiten zweifelsfrei vorliegt und hierfür kein weiterer Gläubigerantrag erforderlich ist.³⁸⁴ Weiteres, ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für die Versagung nach § 296 Abs. 2 Satz 3 InsO ist, dass der Schuldner schuldhaft die besonderen Verfahrensobliegenheiten verletzt. Ihn muss deshalb – auch als Korrektiv zur nicht erforderlichen Gläubigerbeeinträchtigung und anders ausgestaltet als nach § 296 Abs. 1 Satz 1 InsO – bei der Verletzung der Mitwirkungsobliegenheiten ein ihm nachweisbares Verschulden treffen.³⁸⁵ Aber auch hier genügt einfache Fahrlässigkeit. Gleichwohl hat das Insolvenzgericht mit Blick auf den Amtsermittlungsgrundsatz sämtliche Entschuldigungsgründe zu beachten.³⁸⁶ Ist das Insolvenzgericht nach Ausschöpfung aller ihm verfügbaren Erkenntnismittel vom unentschuldigten Ausbleiben des Schuldners überzeugt, muss

 amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 193  BGH, Beschl. v. 14. Mai 2009, IX ZB 116/08, NZI 2009, 481; BGH, Beschl. v. 5. März 2009, IX ZB 162/08, juris  MünchKomm-InsO/Stephan § 296 Rz. 25; Döbereiner, S. 206 f.; FK-InsO/Ahrens, § 296 Rz. 44; Kreft/Landfermann, InsO, § 296 Rz. 11; BGH, Beschl. v. 14. Mai 2009, IX ZB 116/08, NZI 2009, 481; Beschl. v. 21. Januar 2010, IX ZB 67/09, ZInsO 2010, 391  BGH, Beschl. v. 19. Mai 2011, IX ZB 274/10, NZI 2011, 640; FK-InsO/Ahrens, § 296 Rz. 39, 45; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 296 Rz. 31; MünchKomm-InsO/Stephan, § 296 Rz. 24, 33; a. A. AG Mannheim, Beschl. v. 29. April 2010, IK 323/04, NZI 2010, 490; AG Hamburg, Beschl. v. 19. Februar 2010, 67g IN 127/06, NZI 2010, 446 für den Fall des „Abtauchens“ eines Schuldners nach Neuseeland  Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 296 Rz. 41 f.; BGH, Beschl. v. 25. Januar 2007, IX ZB 156/04, NZI 2007, 534; BGH, Beschl. v. 14. Mai 2009, IX ZB 116/08, NZI 2009, 481; a. A. MünchKomm-InsO/ Stephan, § 296 Rz. 30  Nerlich/Römermann/Römermann, InsO § 296 Rz. 31

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

es die Restschuldbefreiung versagen.³⁸⁷ Kann indes nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts (§ 286 ZPO) festgestellt werden, dass den Schuldner bei der Verletzung seiner Mitwirkungspflichten ein Verschulden trifft, geht dies nicht zu seinen Lasten: ihm darf deswegen die Restschuldbefreiung nicht verweigert werden.³⁸⁸

Der zunächst nicht kooperationsbereite Schuldner, der nach einer Flucht zurückgekehrt ist, kann die drohende Verweigerung der Restschuldbefreiung grundsätzlich nicht dadurch verhindern, dass er während des Verfahrens die von ihm geforderten Informationen nachreicht. Der Bundesgerichtshof ³⁸⁹ vertritt hierzu die Auffassung, dass die Versagungstatbestände weitgehend leerlaufen würden und ihren Zweck nicht erfüllen könnten, unredliche Schuldner von der Privilegierung der Restschuldbefreiung auszuschließen, wenn fehlende, unrichtige oder unvollständige Angaben nachgereicht, korrigiert oder ergänzt werden könnten, nachdem das unredliche Verhalten des Schuldners bereits aufgedeckt wurde. Dem sich unredlich verhaltenden Schuldner ist es mithin nicht möglich, sein zu Tage getretenes illoyales Verhalten nachträglich zu heilen. Das mit den jeweiligen Versagungstatbeständen verfolgte Ziel würde verfehlt werden,wenn der Schuldner seine Obliegenheiten ohne Risiko für die von ihm angestrebte Restschuldbefreiung noch im Nachhinein erfüllen könnte.³⁹⁰ Nur so wird die vom Gesetz beabsichtigte Wirkung konsequent erreicht, lediglich den würdigen Schuldner mit der modernen Rechtswohltat der Restschuldbefreiung zu belohnen. Anders liegt jedoch der Fall, wenn der Schuldner sein unredliches Verhalten von sich aus offenbart und etwaig vorenthaltene Beträge an den Treuhänder zahlt, bevor es zu einem Versagungsantrag kommt.³⁹¹ Dann gibt das Gesetz dem Reumütigen weiter die Chance, Restschuldbefreiung zu erfahren, weil er durch die freiwillig selbst vorgenommene Aufdeckung seiner vorangegangenen Obliegenheitsverletzung und der in absehbarer Zeit zu bewirkenden Kompensation ihrer Folgen den Beteiligten kundgibt, fortan wieder die legitimen Gläubigerinteressen respektieren zu wollen.

 Döbereiner, S. 207 f.  Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 296 Rz. 41 f.  BGH, Beschl. v. 24. April 2008, IX ZB 115/06, ZInsO 2008, 753 zu § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO; BGH, Beschl. v. 17. September 2009, IX ZB 284/08, ZInsO 2009, 1954, vgl. aber auch BGH, Beschl. v. 14. Mai 2009, IX ZB 116/08, NZI 2009, 481 zu § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO; BGH, Beschl. v. 17. Juli 2008, IX ZB 183/07, NZI 2008, 623 und BGH, Beschl. v. 3. Februar 2011, IX ZB 99/09, WM 2011, 416 m. w. Nachw. zu § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO; BGH, Beschl. v. 14. Mai 2009, IX ZB 116/08, NZI 2009, 481 zu § 296 Abs. 2 Satz 2 InsO  BGH, Beschl. v. 14. Mai 2009, IX ZB 116/08, NZI 2009, 481  BGH, Beschl. v. 18. Februar 2010, IX ZB 211/09, NZI 2010, 350

III. Enthaftung des Schuldners

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Da das nach § 296 Abs. 1 InsO zu beobachtende Verfahren zur Versagung der Restschuldbefreiung der Gläubigerautonomie unterliegt, darf das Gericht – wie schon gesehen – seine Entscheidung nur auf die Erkenntnisse stützen, die Gegenstand des (jeweiligen) Antrags eines Insolvenzgläubigers sind.³⁹² Anträge und Vorträge Dritter, wie die des Treuhänders oder anderer Personen, sind für die Entscheidung des Gerichts unbeachtlich; es darf von Amts wegen keine anderen Gründe als die im Gläubigerantrag glaubhaft gemachten seiner Entscheidung zugrunde legen. Hat der Schuldner nicht gegen die ihm nach § 296 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO auferlegten Verfahrensobliegenheiten verstoßen und ist das Gericht im Rahmen der Sachaufklärung zu der Überzeugung gelangt, der nach §§ 296 Abs. 1, 295 InsO glaubhaft gemachte Versagungsgrund besteht nicht, ist der Versagungsantrag durch zu begründenden Beschluss zurückzuweisen. Andernfalls ist dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu versagen und der entsprechende Beschluss öffentlich bekannt zu machen (§ 296 Abs. 3 Satz 2 InsO).

3. Flucht und Restschuldbefreiungsverfahren In einer kleinen Zwischenbilanz lässt sich feststellen, dass die untersuchten Bestimmungen des in §§ 286 ff. InsO normierten Restschuldbefreiungsverfahrens dem redlichen Schuldner die Chance eröffnen, unter weitgehender Wahrung seiner staatsbürgerlichen (Freiheits‐) Rechte in einem mit Bedingungen und Obliegenheiten strukturierten und auf die konkrete Dauer einer „Bewährungszeit“ angelegten Verfahren eine vollständige Enthaftung von seinen nichtinkriminierenden restlichen Verbindlichkeiten zu erreichen. Dieses Verfahren ist grundlegend geeignet, dem gestrauchelten Schuldner wiederaufzuhelfen und ihm den Weg zu einem Neuanfang zu weisen. Die hiernach gewährte Restschuldbefreiung kann als moderne Rechtswohltat betrachtet werden, die nach heutigen Wertvorstellungen in einem nüchtern ausbalancierenden Prozess einen weitgehend gerechten Interessenausgleich schaffen und so dem Rechtsfrieden dienen will. Die Insolvenzordnung verlangt vom Schuldner hierfür jedoch, dass er sich im Mindestmaß an dem zu seinen Gunsten eingerichteten Enthaftungsverfahren beteiligt und nicht den berechtigten Gläubigerinteressen zuwiderhandelt. Neben den in dieser Arbeit nicht untersuchten weiteren Bedingungen und Obliegenheiten wird vom Schuldner vor allem seine unbedingte Kooperationsbereitschaft erwartet, die es den Gläubigern ermöglicht, die Gründe und Folgen seines Vermögensniedergangs bestmöglich zu erkennen und zu bewältigen. Die hierzu gefassten Normen lassen es deshalb zu, empfindlich gegen jede Art der Unredlichkeit des Schuldners zu reagieren.

 MünchKomm-InsO/Stephan, § 296 Rz. 4; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 296 Rz. 3; BGH, Beschl. v. 8. Februar 2007, IX ZB 88/06, NZI 2007, 297

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Gegenüber dem besonderen Ausdruck eines unredlichen Schuldnerverhaltens – der Flucht – antwortet das Gesetz angesichts der angebotenen Restschuldbefreiung mit einem lückenlosen Sanktionsprogramm. Begibt sich der Schuldner noch vor Verfahrenseröffnung auf die Flucht und stellt er dadurch keinen Eigenund Restschuldbefreiungsantrag, wird ihm für die Dauer des Verfahrens sowie auf eine bestimmte Zeit danach die Restschuldbefreiung kraft Gesetzes verweigert. Stellt der Schuldner rechtzeitig einen Eigen- und Restschuldbefreiungsantrag und wird er danach flüchtig, kann ihm auf Gläubigerantrag die Restschuldbefreiung versagt werden, wenn er infolge seines Austritts die ihm im Eröffnungsverfahren oder im eröffneten Verfahren nach der Insolvenzordnung auferlegten Auskunftsund Mitwirkungspflichten vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Setzt sich der Schuldner nach der Ankündigung der Restschuldbefreiung (und freilich während der Laufzeit der Abtretungserklärung bzw. Abtretungsfrist) ab und verletzt er dadurch unter anderem die in § 295 Abs. 1 Nr. 3 InsO aufgenommenen Informationsobliegenheiten sowie die in § 295 Abs. 2 InsO normierte Zahlungsobliegenheit,³⁹³ gefährdet er die ihm bereits in Aussicht gestellte Restschuldbefreiung ebenso. Gleiches gilt, wenn er gegenüber dem Gericht die nach § 296 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO geforderten Auskünfte über die Erfüllung seiner Obliegenheiten nicht erteilt oder hierzu nicht vor Gericht erscheint. Erkennbar ist zudem, dass die Insolvenzordnung hinsichtlich der Verweigerung der Restschuldbefreiung im Wesentlichen auf das Erfordernis eines Antrages sowie die Beachtung unterschiedlicher Anforderungskataloge in zwei aufeinanderfolgenden Verfahrensabschnitten zur Bestimmung der Redlichkeit abstellt, und zwar bis zum Schlusstermin bzw. Verfahrenseinstellung gemäß § 211 Abs. 1 InsO und danach bis zur Restschuldbefreiungsentscheidung. Die Unterschiedlichkeit der Redlichkeitskataloge rechtfertigt sich mit den im jeweiligen Verfahrensabschnitt bestehenden Bedürfnissen an der Beteiligung des Schuldners.

 hierzu OLG Brandenburg, Urt. v. 17. April 2013, 7 U 77/12, NZI 2013, 650 (Revision zugelassen); vgl. zur Obliegenheit des selbständig erwerbstätigen Schuldners, dem die Restschuldbefreiung angekündigt ist, zur Leistung von Zahlungen an den Treuhänder in regelmäßigen, zumindest jährlichen Abständen: BGH, Beschl. v. 19. Juli 2012, IX ZB 188/09, WM 2012, 1597; zur nach gegenwärtigem Recht bestehenden Verpflichtung des die Restschuldbefreiung anstrebenden Schuldners, bei mangelndem wirtschaftlichem Erfolg seiner freigegebenen selbständigen Tätigkeit vor Aufhebung des Insolvenzverfahrens ein abhängiges Dienstverhältnis einzugehen und Auskunft über die Einnahmen aus der freigegebenen Tätigkeit zu geben, wenn er geltend macht, keine oder nur wesentlich niedrigere Beträge als die nach dem fiktiven Maßstab des § 295 Abs. 2 InsO gebotenen an die Insolvenzmasse abführen zu können: BGH, Beschl. v. 13. Juni 2013, IX ZB 38/10, juris

III. Enthaftung des Schuldners

341

Damit soll in allen Verfahrensstadien angemessen auf die jederzeit erfolgende Schuldnerflucht reagiert werden können.

4. Flucht und Insolvenzplanverfahren Neben den in der Insolvenzordnung vorgesehenen Regelbewältigungsprogrammen zur Gläubigerbefriedigung und Restschuldbefreiung bietet das Gesetz mit dem Insolvenzplanverfahren der §§ 217 ff. InsO – gegebenenfalls verbunden mit der schuldnerinitiierten Eigenverwaltung nach Maßgabe der §§ 270 ff. InsO³⁹⁴ – den Beteiligten die Option, eingebettet in einem einheitlichen Verfahren von den Regelvorschriften abweichende Bewältigungsstrategien zur Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, zur Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse, zur Verfahrensgestaltung sowie zur (Ent‐) Haftung des Schuldners nach Verfahrensbeendigung zu entwickeln. Dabei kann § 227 Abs. 1 InsO der zulässige Regelungsgehalt entnommen werden, in den gestaltenden Teil des Insolvenzplanes Bestimmungen aufzunehmen, welche dem Schuldner eine Restschuldbefreiung zubilligen, ohne dass er hierfür beispielsweise eine langjährige Wohlverhaltensphase zu überstehen oder überhaupt bestimmte Würdigkeitskriterien zu erfüllen hat. Insbesondere können mit einer im Rahmen eines Insolvenzplanes erfolgenden Bereitstellung von Kapital durch Dritte – typischerweise von Angehörigen oder Freunden des Schuldners – den Gläubigern die gleichen Befriedigungsaussichten gegeben werden, wie bei der Absolvierung des gesetzlich vorgegebenen „gewöhnlichen“ Regelinsolvenzverfahrens mit Restschuldbefreiung nach den Vorschriften der §§ 286 ff. InsO. Der Gesetzgeber verbindet mit dem Insolvenzplanverfahren die Erwartung, eine weitgehend flexible und privatautonome Gestaltung der Beteiligten zur vergleichsweise schnellen und kostengünstigeren Bewältigung der Schuldnerkrise zu ermöglichen.³⁹⁵ Und er offeriert dem Schuldner mit dem Insolvenzplanverfahren und seiner etwaigen Einbettung in eine Eigenverwaltung eine ernsthafte sowie  Nach der gesetzgeberischen Vorstellung (amtliche Begründung zum RegE InsO, BTDrucks. 12/2443, S. 86, 222 ff.) soll die Alternative der Eigenverwaltung (§§ 27 Abs. 1 Satz 2, 270 InsO) – als „Gegenmodell“ zum verwalterdominanten „Regelinsolvenzverfahren“ – die in einem gerichtlich überwachten Insolvenzverfahren organisierte Krisenbewältigung für den Schuldner attraktiver werden lassen, indem dessen Entmachtung hinsichtlich seines haftenden Vermögens unterbleibt, die in seinem Wissen und seiner Fachkompetenz liegenden Ressourcen im allseitigen Interesse genutzt werden und ihm ein Sachwalter an die Seite gestellt wird, welcher ihn unter anderem bei der Ausarbeitung eines Insolvenzplanes zu unterstützen hat (§ 284 InsO); hierzu im Einzelnen Smid, Handbuch, S. 38 ff., 120 ff. und 676 ff..  vgl. amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 90

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

vielversprechende Alternative zur Flucht,³⁹⁶ zumal mit dem zum 1. Juli 2014 in Kraft tretenden Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte ³⁹⁷ das Insolvenzplanverfahren (nicht jedoch die Eigenverwaltung) auch in der Verbraucherinsolvenz statthaft wird. Über die Rechtsnatur des Insolvenzplans herrschen unterschiedliche Vorstellungen.³⁹⁸ Obgleich die Normen der §§ 217 ff. InsO in ihrer Zielrichtung an frühere Bestimmungen über konkursabwendende oder konkursbeendende Akkorde erinnern, wollte der Gesetzgeber den Insolvenzplan nicht als Vergleich verstanden wissen. Vielmehr sah er im Insolvenzplan eine „privatautonome, den gesetzlichen Vorschriften entsprechende Übereinkunft der mitspracheberechtigten Beteiligten über die Verwertung des haftenden Schuldnervermögens unter voller Garantie des Werts der Beteiligtenrechte“. ³⁹⁹ Gleichwohl wird im Schrifttum die Auffassung vertreten, der Insolvenzplan sei ein bürgerlich-rechtlicher Vertrag und Vergleich im Sinne des § 779 BGB,⁴⁰⁰ während andere in ihm ein Rechtsinstitut sui generis,⁴⁰¹ einen privatrechtlichen Vertrag sui generis ⁴⁰² oder einen gemischten materiell- und verfahrensrechtlichen Vertrag erblickten.⁴⁰³ Der Bundesgerichtshof ⁴⁰⁴ versteht den Insolvenzplan als „spezifisch insolvenzrechtliches Instrument, mit dem die Gläubigergesamtheit ihre Befriedigung aus dem Schuldnervermögen organisiert“, da sich die Gläubigergemeinschaft als durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners zusammengefügte Schicksalsgemeinschaft nicht aus freiem Willen zusammengefunden habe, so dass innerhalb der Gläubigergemeinschaft der Wille einzelner Gläubiger durch Mehrheitsentscheidungen überwunden werden könne. Nicht nur die vom Bundesgerichtshof gefundene Einordnung des Insolvenzplanes hat im Blick, dass es für das Zustandekommen eines Insolvenzplanes letztlich nicht auf eine konkrete (Mitwirkungs‐) Handlung des Schuldners ankommt.

 zur besonderen Bedeutung des Insolvenzplans für natürliche Personen s. Smid/Rattunde/ Martini, Rz. 24.1 ff.  BGBl. I 2013 S. 2379; vgl. BT-Drucks. 17/13535, BR-Drucks. 380/13 und BR-Beschl. v. 7. Juni 2013, BR-Drucks. 380/13 (Beschluss)  einen Überblick gibt Bauer, S. 22 und S. 317 ff.; zur Entstehungsgeschichte und zur Adaption des US-amerikanischen Rechts (Chapter 11 of Title 11 of the United States Code; US bankruptcy code) s. Uhlenbruck/Lüer, InsO, Vor § 217 Rz. 7 ff.; MünchKomm-InsO/Eidenmüller, Vor §§ 217 bis 269, Rz. 4 ff.; Nerlich/Römermann/Braun, vor § 217 Rz. 24 ff.  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 91  Madaus, S. 433; hierzu kritisch Smid, DZWIR 2011, 446 ff.; Breutigam/Blersch/Goetsch/ Breutigam, § 254 Rz. 13; wohl auch Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 28.66; Bauer, S. 344  Schiessler, S. 21; Foerste, Insolvenzrecht, Rz. 474; Happe, S. 115 und S. 214 ff.; Smid/Rattunde/Martini, Rz. 7.1 ff. (Planverfahren als Normsetzungsakt); Becker, Insolvenzrecht, Rz. 1610; Leipold, KTS 2006, 109, 122 ff.  Kübler/Prütting/Otte, InsO § 217 Rz. 65; Uhlenbruck/Lüer, § 254 Rz. 1; Braun/Frank, 2. Auflage, vor § 217, Rz. 1  MünchKomm-InsO/Eidenmüller, § 217 Rz. 31; Bauer, S. 354; Gaul, FS Huber, S. 1197 ff.  BGH, Urt. v. 6. Oktober 2005, IX ZR 36/02, ZIP 2006, 39

III. Enthaftung des Schuldners

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a) Errichtung des Insolvenzplanes Der Insolvenzplan kommt nach Maßgabe der §§ 235 ff. InsO durch Mehrheitsbeschluss der stimmberechtigten Gläubiger und nachfolgende gerichtliche Bestätigung zustande. Für die Annahme des Insolvenzplanes bedarf es dabei nicht der expressis verbis erklärten Zustimmung des Schuldners, wie § 247 Abs. 1 InsO zeigt. Vielmehr gilt die Zustimmung des Schuldners zum Insolvenzplan als erteilt, wenn er ihm spätestens im nach §§ 235, 236, 241 InsO abzuhaltenden Abstimmungstermin nicht schriftlich widerspricht oder der erhobene Widerspruch unbeachtlich bleibt (§ 247 Abs. 2 InsO). Die vom Gesetzgeber gewählte Gestaltung einer Zustimmungsfiktion mit Widerspruchsvorbehalt soll der Rechtssicherheit dienen⁴⁰⁵ und versteht sich einerseits vor dem Hintergrund, dass ein Insolvenzplan dem Schuldner gegenüber dem Regelverfahren überobligatorische Beiträge zur Krisenbewältigung abverlangen kann. Derartige überobligatorische Beiträge können der Verzicht des Schuldners auf einen nach § 199 InsO an ihn auszukehrenden Übererlös aus der Masseverwertung sein, der Eingriff in das beschlagsfreie Vermögen, die Verschärfung der gesetzlichen determinierten Voraussetzungen der Restschuldbefreiung nach den §§ 286 ff. InsO oder deren vollständige Suspendierung (vgl. § 227 Abs. 1 InsO).⁴⁰⁶ Für diese Fälle, in denen der Schuldner nach dem Planinhalt voraussichtlich schlechter gestellt wird, als er bei der Absolvierung eines Regelverfahrens inklusive einer Restschuldbefreiungsentscheidung nach § 300 InsO stünde, muss er die Möglichkeit zur Verhinderung des Insolvenzplanes erhalten (arg. § 247 Abs. 2 InsO), will er die Minderung seiner Rechte nicht akzeptieren.⁴⁰⁷ Andererseits wird mit der Fiktion der Schuldnerzustimmung gewährleistet, dass der obstruktiv agierende Schuldner das Zustandekommen des Insolvenzplanes nicht boykottieren und sich damit nicht gegen die Gläubigerautonomie stellen kann.⁴⁰⁸ Da es für die Initiierung und das Zustandekommen eines Insolvenzplanes mithin nicht notwendigerweise auf eine Handlung des Schuldners ankommt (vgl. §§ 218 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, 247 Abs. 1 InsO), ist es denkbar, dass ein Insolvenzplan auch bei einer Flucht des Schuldners aufgestellt wird und Geltung entfaltet. Zwar könnte in einer Zusammenschau der §§ 218 Abs. 3, 231 Abs. 1 Nr. 1, 250 Nr. 1 InsO die Vorstellung des Gesetzgebers erblickt werden, dass der Schuldner bei der Aufstellung des Planes beratend mitwirke, weshalb eine Nichtbeachtung des Mitwir-

 amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443 S. 211; BGH, Beschl. v. 22. März 2007, IX ZB 10/06, NZI 2007, 522  LSZ/Rattunde, § 247 Rz. 7  vgl. hierzu amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 91 und S. 210  Smid, Handbuch, S. 654

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

kungsrechtes des Schuldners zur Versagung der gerichtlichen Bestätigung führen könne.⁴⁰⁹ Jedoch besagen diese Normen nicht, dass ein Insolvenzplan ohne eine beratende Mitwirkung des passiven, unwilligen oder flüchtigen Schuldners generell nicht entworfen, beschlossen und bestätigt werden könne. Denn andernfalls hätte es der Schuldner in der Hand, durch pure Abwesenheit jedes Planvorhaben zu stören. Eine derartige Sinndeutung der Norm des § 218 Abs. 3 InsO wäre nicht nur dem Wortlaut nach contra legem, sondern würde überdies nicht dem erklärten Willen des Gesetzgebers genügen, vor allem den Gläubigern ein alternatives Instrument zur Krisenbewältigung zu offerieren.⁴¹⁰ Demgemäß gestaltete der Gesetzgeber das Verfahren für die Errichtung eines Insolvenzplanes in der Weise, dass es auf eine Mitwirkung und ausdrücklich erklärte Zustimmung des Schuldners letztlich nicht ankommt⁴¹¹ und sich ferner die Idee des Obstruktionsverbotes des § 245 Abs. 1 InsO in der Vorschrift des § 247 Abs. 2 InsO wiederfindet.⁴¹² Zudem räumt § 218 Abs. 1 Satz 1 InsO dem Schuldner ein eigenes Initiativrecht ein, so dass eine fehlende Mitwirkung des Schuldners dadurch kompensiert wird, dass es jenem freisteht, einen eigenen Plan zur Beratung und Beschlussfassung vorzulegen. Dann muss es für die Planerrichtung aber unschädlich sein, wenn der fallitus fugitivus an den Beratungen zum Insolvenzplan nicht teilnimmt. Der Fugitivus wird über den Termin, in dem der Planentwurf und das Stimmrecht der Beteiligten diskutiert werden und in dem anschließend über den Plan abgestimmt wird (Erörterungs- und Abstimmungstermin), durch die nach §§ 235 Abs. 2 Satz 1, 9 Abs. 1 Satz 1 InsO im Internet vorzunehmende öffentliche Bekanntmachung informiert. Er erhält damit die Chance, von der Existenz eines Planentwurfs und dessen Inhalt – letzteres durch Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichtes (§§ 234, 235 Abs. 2 Satz 2 InsO) – Kenntnis zu nehmen, auch wenn die nach § 235 Abs. 3 Satz 1 InsO erforderliche besondere Ladung wegen der Unerreichbarkeit des Schuldners durch öffentliche Zustellung gemäß § 4 InsO in Verbindung mit §§ 185 Nr. 1 und 3, 186 ff. ZPO erfolgt und ihn faktisch meist nicht erreichen wird. Der Schuldner kann sich gleichwohl in Eigeninitiative darüber vergewissern, inwieweit der Planentwurf in seine Rechte eingreift und entweder sein in § 247 Abs. 1 InsO vorbehaltenes Widerspruchsrecht ausüben oder einen eigenen Planentwurf vorlegen (§ 218 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nimmt er die Chance zur Verfahrensbeteiligung – gleich aus welchen Gründen – nicht wahr, läuft der fallitus fugitivus allerdings Gefahr, dass ein seine Rechte berührender Insolvenzplan errichtet wird, der mit Rechtskraft der gerichtlichen Bestätigung die im gestaltenden Teil festgelegten

 Haarmeyer/Wutzke/Förster, Kapitel 5 Rz. 365; dagegen sieht LSZ/Rattunde, § 218 Rz. 10 mit Blick auf die Entstehungsgeschichte der Norm hierin allerdings kein Mitwirkungsrecht, sondern eher eine aus § 97 InsO resultierende, konkretisierte Mitwirkungspflicht des Schuldners; ebenfalls ablehnend Hess/Obermüller, S. 9; Kreft/Flessner, InsO, § 218 Rz. 12 ff.; Uhlenbruck/ Lüer, § 218 Rz. 50; differenzierend MünchKomm-InsO/Eidenmüller, § 218 Rz. 55 und Rz. 61  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 90 ff.  Hess/Obermüller, S. 9; Smid/Rattunde/Martini, Rz. 16.1  Smid, Handbuch, S. 647 ff. und 654; Smid/Rattunde/Martini, Rz. 16.4

III. Enthaftung des Schuldners

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Wirkungen für und gegen ihn entfaltet (§ 254 Abs. 1 InsO). Ein derartiger Insolvenzplan muss beispielsweise keine Restschuldbefreiung vorsehen (§ 227 Abs. 1 InsO), so dass der Schuldner nach Verfahrensbeendigung der freien Nachforderung der Gläubiger gemäß § 201 Abs. 1 InsO ausgesetzt wird.

Damit stellt sich die Frage, inwieweit durch den Insolvenzplan in die Rechte des Schuldners eingegriffen werden kann, nachdem es für dessen Errichtung ausweislich der §§ 218 Abs. 3, 247 Abs. 1 InsO seiner Mitwirkung und seiner ausdrücklich erklärten Zustimmung nicht bedarf. Gegenüber den in der Konkurs- und Vergleichsordnung untersuchten Normen ist die in § 247 Abs. 1 InsO gewählte Gestaltung einer Zustimmungsfiktion mit Widerspruchsvorbehalt grundlegend neu.Während die Vorschriften der Konkursordnung und der Vergleichsordnungen (vgl. § 173 KO, § 1 Abs. 1 VerglO 1927 und § 2 Abs. 1 Satz 2 VerglO 1935) für das Zustandekommen eines konkursbeendenden respektive konkursvermeidenden Akkords den Vorschlag bzw. den Antrag des Schuldners und damit dessen ausdrücklich erklärte Zustimmung zwingend verlangten, bedarf es für die Errichtung des Insolvenzplanes infolge einer Verwalterinitiative nunmehr nur keines Widerspruchs des Schuldners. Der Gesetzgeber nahm offenbar an, dass der gestaltende Inhalt eines Insolvenzplan nicht zu Lasten des Schuldners gehen könne, weshalb seine Zustimmung im Regelfall entbehrlich sei.⁴¹³ Zugleich gehen aber die Regelungen der §§ 218 Abs. 2, 237 ff. InsO und die hierzu vertretenen Theorien über die Rechtsnatur des Insolvenzplanes von einer primär erforderlichen Willensbildung der Gläubigermehrheit aus, so dass die Gefahr rechtsverletzender Planinhalte zu Lasten des Schuldners besteht, die im Rahmen einer Vollstreckung aus dem Insolvenzplan während der Überwachungsphase unmittelbare Konsequenzen hätte.Wären demnach so weitgehende Einschränkungen der Schuldnerrechte in einem Insolvenzplan denkbar, dass der Schuldner beispielsweise verpflichtet werden soll, überobligatorische Leistungen aus dem insolvenzfreien Vermögen zu erbringen, ohne jemals Restschuldbefreiung zu erlangen? Den für den Insolvenzplan zulässigen Gestaltungshorizont gibt § 217 InsO vor: Danach darf Gegenstand eines Insolvenzplans die Befriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger und der Insolvenzgläubiger, die Verwertung der Insolvenzmasse und deren Verteilung an die Beteiligten sowie die Haftung des Schuldners nach Beendigung des Insolvenzverfahrens sein. Zwar soll der Insolvenzplan den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit geben, im Interesse der optimalen Befriedigung der Gläubiger das Verfahren flexibel zu gestalten.⁴¹⁴ Zulässiger Planinhalt können aber immer

 vgl. amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 78, 91, 210  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 195

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

nur sogenannte plandispositive Regelungsgegenstände sein, weshalb von planfesten Vorschriften ohne Vorliegen ausdrücklicher Ausnahmevorschriften nicht abgewichen werden darf.⁴¹⁵ Denn der Gesetzgeber wollte den Verfahrensbeteiligten einen „Rechtsrahmen für die einvernehmliche Bewältigung der Insolvenz“ geben,⁴¹⁶ so dass außerhalb dieses Rahmens liegende Materien der Disposition der Beteiligten grundsätzlich entzogen sind. Der Bundesgerichtshof ⁴¹⁷ kam in einem anderen Zusammenhang zu der Erkenntnis, dass in einem Insolvenzplan nicht festgelegt werden könne, nach welchen Kriterien die Forderungen der Gläubiger zu berechnen sind. Voraussetzung für die Zulässigkeit des Planinhalts sei immer, dass nur plandispositive Gegenstände geregelt werden, weshalb von planfesten Vorschriften, die auch dann zwingend zu beachten seien, wenn die Befriedigung der Insolvenzgläubiger über einen Insolvenzplan erfolgen soll, grundsätzlich nicht abgewichen werden dürfe, es sei denn, es bestünden Abweichungen ausdrücklich zulassende Sondervorschriften. Zu den Vorschriften, die nicht Gegenstand der Regelungen in einem Insolvenzplan sein können, gehörten die Vorschriften über die Feststellung der Forderungen der Gläubiger (§§ 174 bis 186 InsO). Die Vorschriften über die Feststellung des Forderungsrechts der Gläubiger seien nicht disponibel; die Gläubiger dürften nicht durch Mehrheitsbeschluss bestimmen, in welchem Umfang die angemeldeten Forderungen in die Insolvenztabelle aufgenommen werden. Vielmehr garantierten die §§ 174 ff. InsO den Gläubigern das Recht, ihre Forderungen in einem formalisierten Prüfungsverfahren feststellen zu lassen und im Fall des Widerspruchs gerichtlich verfolgen zu dürfen. Diese rechtlichen Garantien könnten den Gläubigern nicht durch einen Insolvenzplan entzogen werden. Denn andernfalls wäre es möglich, durch Mehrheitsbeschluss einzelnen Gläubigern ihre Forderung vollständig oder teilweise zu entziehen, zumal das dem Insolvenzverwalter und den anderen Gläubigern eingeräumte Widerspruchsrecht nicht ausgeübt werden könne, weil die Regelungen des Insolvenzplans dem entgegenstehen. All dies sei mit den verfahrensrechtlichen Garantien der §§ 174 ff. InsO nicht zu vereinbaren.

Diese Erwägungen können für die Beantwortung der vorstehend aufgeworfenen Frage fruchtbar gemacht werden. Gegenstand der Bestimmungen eines Insolvenzplans können demnach grundsätzlich keine Regelungen sein, die dem Schuldner eine weitergehende Haftung auferlegen, als der Insolvenzbeschlag reicht. Prinzipiell unzulässig sind folglich Bestimmungen eines Insolvenzplanes, wonach der Schuldner zum Beispiel unpfändbares Erwerbseinkommen zur Gläubigerbefriedigung bereit zu stellen habe. Die Vorschriften über den Umfang der Insolvenzmasse sind im Allgemeinen nicht disponibel; den Gläubigern ist es verwehrt, vom Gesetzgeber für grundlegend erachtete Verfahrensnormen, die

 vgl. vor allen MünchKomm-InsO/Eidenmüller, § 217 Rz. 98 ff., Rz. 126 ff.; Braun/Frank, 4. Auflage, § 217 Rz. 2 f.; HamK-InsO/Thies, § 217 Rz. 2 ff.; Kreft/Flessner, InsO, § 217 Rz. 6; FKInsO/Jaffé, § 217 Rz. 68; Uhlenbruck/Lüer, § 217 Rz. 7 ff.; Graf-Schlicker/Kebekus, § 217 Rz. 6  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 90  BGH, Beschl. v. 5. Februar 2009, IX ZB 230/07, ZIP 2009, 480

III. Enthaftung des Schuldners

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(auch) dem Schuldnerschutz dienen, durch Mehrheitsbeschluss zu suspendieren. Die Vorschrift des § 36 Abs. 1 InsO garantiert dem Schuldner, dass ihm die Mittel der Existenzsicherung belassen werden. Diese Gesetzesgarantie kann dem Schuldner nicht durch einen auf Gläubigermajorität beruhenden Insolvenzplan entzogen werden – er soll von seinen Gläubigern nicht wie im Mittelalter bis auf das sprichwörtlich „letzte Hemd“ ausgezogen werden dürfen. Legt der Insolvenzverwalter einen gegen diese gesetzliche Garantie verstoßenden Insolvenzplan vor, hat das Gericht ihn wegen der Nichtbeachtung der Vorschriften über den Inhalt des Plans vom Amts wegen gemäß § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO zurückzuweisen respektive ihm die Bestätigung zu versagen (§ 250 Nr. 1 InsO). Gleichwohl kann es im Interesse des Schuldners liegen, sich gegenüber seinen Gläubigern zu überobligatorischen Leistungen aus dem insolvenzfreien Vermögen zu verpflichten, wenn ihm diese dafür eine Restschuldbefreiung in Aussicht stellen, die nach einer kürzeren Zeit als der in § 287 Abs. 2 Satz 1 InsO (künftig auch i. V. m. § 300 Abs. 1 Satz 2 InsO n. F.) genannten eintritt oder die trotz nach § 290 Abs. 1 InsO bestehender Versagungsgründe gewährt wird oder die zugleich Forderungen aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen im Sinne des § 302 Nr. 1 InsO umfasst. Insoweit ist es fraglich, ob diese Regelungsgegenstände mit Blick auf die dem Schuldner von Gesetzes wegen gewährten Rechtsgarantien generell der Privatautonomie der Beteiligten entzogen sein sollen. Denn der Gesetzgeber will mit dem Insolvenzplanverfahren gerade die inhaltlich flexible Gestaltung von Bewältigungsmechanismen fördern, die einem friedensstiftenden Interessenausgleich zwischen Gläubiger und Schuldner dienen. Um derartige Gestaltungsspielräume den Beteiligten nicht zu verwehren, indem das Gericht einem in dieser Weise gefassten Insolvenzplan von Amts wegen die Bestätigung versagen muss, bedarf es hinsichtlich der in § 217 Satz 1 InsO dem Schuldner gegebenen Rechtsgarantien einer teleologischen Reduktion der §§ 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 250 Nr. 1 InsO. Die Norm des § 247 Abs. 1 InsO fingiert eine Zustimmung des Schuldners, wenn er dem vorgelegten Planentwurf nicht spätestens im Abstimmungstermin schriftlich widerspricht. Wenn aber die Zustimmung an das Ausbleiben eines Widerspruchs des Schuldners geknüpft wird, dann muss der Insolvenzplan erst Recht wirksam errichtet werden können, wenn der Schuldner seine Zustimmung expressis verbis verlautbart. Erklärt sich der Schuldner mithin ausdrücklich mit von ihm aus dem insolvenzfreien Vermögen zu erbringenden überobligatorischen Leistungen einverstanden, gibt er für jedermann und insbesondere für das Insolvenzgericht zu erkennen, aus freiem Willen die zu seinem Schutz angeordneten Rechtsgarantien aufzugeben. Nur in diesem Fall der erkennbar nach außen tretenden Willensäußerung des Schuldners bestehen keine Zweifel, ob er des Schutzes der zu seinen

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Gunsten in das Gesetz aufgenommenen Rechtsgarantien bedarf. Gibt der Schuldner indes keine ausdrückliche Erklärung ab, wird einem Insolvenzplan nur dann die gerichtliche Bestätigung nicht zu versagen sein, wenn jener mit dem gestaltenden Teil lediglich im nach § 217 InsO zulässigen Rahmen in die Schuldnerrechte eingreift. Derartige Eingriffe können sich im Umkehrschluss auf die Bestimmungen der Insolvenzordnungen erstrecken, deren Bestand dem Schuldner nicht über § 217 Satz 1 InsO garantiert werden. Hierzu gehören insbesondere die Regelungen der §§ 286 ff. InsO zur Restschuldbefreiung. Wie bereits gesehen, gewährt die Insolvenzordnung dem redlichen Schuldner nur die Aussicht einer Restschuldbefreiung, sie ist ihm keineswegs sicher und kann vor allem nicht als Automatismus verstanden werden.

Der Schuldner ist im Falle der Vorlage eines ihn (im zulässigen Rahmen) benachteiligenden Planes gut beraten, Widerspruch gemäß § 247 Abs. 1 InsO einzulegen. Hat er trotz seiner Flucht Kenntnis von einem derartigen Plan, kann er ungeachtet der damit verbundenen Erfolgsaussichten zunächst formal Widerspruch erheben. Er wird sich mit seiner Flucht aber regelmäßig die Chance nehmen, mittels eines eigenen Insolvenzplanes eine verlässlich planbare, schnelle Enthaftung zu erreichen, die nicht vom Ablauf einer Wohlverhaltensphase sowie den Unwägbarkeiten der Erfüllung subjektiver Würdigkeitsvoraussetzungen abhängig ist, wie sie im Restschuldbefreiungsverfahren der §§ 286 ff. InsO angelegt sind,⁴¹⁸ und die auch Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung umfassen könnte.⁴¹⁹ Auch wenn der Gesetzgeber mit dem Planverfahren keine weitere Rechtswohltat für den Schuldner schaffen wollte,⁴²⁰ offenbart die Bestimmung des § 227 Abs. 1 InsO dem Schuldner eine attraktive Alternative, gemeinsam mit den Gläubigern schnell und ohne empfindliche Nebenwirkungen eines regulären Restschuldbefreiungsverfahrens die Krise zu meistern und zu einem unlimitierten fresh start zu kommen. Begibt sich der Schuldner indes auf die Flucht, wird die Bereitschaft des Insolvenzverwalters zur Aufstellung eines Insolvenzplanes, der eine für den Schuldner vorzügliche Restschuldbefreiungsoption inkludiert, und die Neigung der Gläubiger, hierüber positiv abzustimmen, kaum zu erwarten sein.

 so muss der Schuldner in dem von ihm vorgelegten Insolvenzplan grundsätzlich keine Versagungsgründe für die Restschuldbefreiung darlegen: BGH, Beschl. v. 19. Mai 2009, IX ZB 236/ 07, ZIP 2009, 1384; vgl. auch BGH, Beschl. v. 13. Oktober 2011, IX ZB 37/08, NZI 2012, 139 zum Erfordernis der Darstellung begangener Insolvenzstraftaten  vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 13. Januar 2011, IX ZB 29/10, ZIP 2011, 781  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 91

III. Enthaftung des Schuldners

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b) Bestätigung des Insolvenzplanes Um die im gestaltenden Teil des Insolvenzplanes niedergelegten Rechtswirkungen Realität werden lassen zu können, bedarf es nach der Annahme des Planes durch die beteiligten Gläubiger und der (fingierten) Zustimmung des Schuldners gemäß § 248 Abs. 1 InsO noch der Bestätigung durch das Insolvenzgericht. Bevor das Insolvenzgericht seine Entscheidung hierüber trifft, soll es den Insolvenzverwalter, den gegebenenfalls errichteten Gläubigerausschuss sowie den Schuldner hören (§ 248 Abs. 2 InsO). Die Verfahrensbeteiligten sollen mithin Gelegenheit haben, sich zum Verfahren der Aufstellung und Annahme des Planes zu äußern, insbesondere darüber, ob einer der von Amts wegen zu berücksichtigenden Versagungsgründe der §§ 249, 250 InsO gegeben ist. Zugleich besteht für die Gläubiger Gelegenheit, auf die Gewährung von Minderheitenschutz gerichtete Anträge nach Maßgabe des§ 251 InsO zu stellen. Hatte ein Gläubiger zuvor im Abstimmungstermin dem Insolvenzplan wirksam widersprochen und stellt er den Antrag, die Bestätigung des Insolvenzplanes zu versagen, hat das Insolvenzgericht hierüber eine Entscheidung herbeizuführen. Die Bestätigung des Insolvenzplans ist vom Insolvenzgericht gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 2 InsO zu versagen, wenn der antragende Gläubiger spätestens im Abstimmungstermin zunächst glaubhaft macht und hiernach zur Überzeugung des Gerichtes nachweist, durch den Insolvenzplan voraussichtlich schlechter gestellt zu werden, als er ohne den Plan stünde. Zulässig ist der Versagungsantrag mithin nur dann, wenn der Gläubiger die Verletzung seines wirtschaftlichen Interesses durch Tatsachenvortrag begreiflich macht, aus denen sich die überwiegende Wahrscheinlichkeit seiner Schlechterstellung durch den Insolvenzplan ergibt.⁴²¹ Demnach ist die Prüfung des Insolvenzgerichts auf die vom Gläubiger vorgebrachten und glaubhaft gemachten Tatsachen und Schlussfolgerungen beschränkt. Um eine Verletzung des wirtschaftlichen Interesses zu erkennen, ist die Rechtsstellung des Gläubigers bei Abwicklung des Insolvenzverfahrens nach den Vorschriften der Insolvenzordnung gegenüber seiner Rechtsstellung im Fall der Verwirklichung des Insolvenzplans zu vergleichen. Lässt der Plan für den widersprechenden Gläubiger wirtschaftliche Nachteile erwarten, ist die Bestätigung zu versagen.⁴²²

 BGH, Beschl. v. 17. Dezember 2009, IX ZB 124/09, ZIP 2010, 292; BGH, Beschl. v. 22. März 2007, IX ZB 10/06, ZInsO 2007, 442  BGH, Beschl. v. 29. März 2007, IX ZB 204/05, ZInsO 2007, 491; BGH, Beschl. v. 19. Mai 2009, IX ZB 236/07, ZInsO 2009, 1252

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Die für die Versagung der Planbestätigung erforderliche überwiegende Wahrscheinlichkeit der Schlechterstellung des Gläubigers kann sich dann ergeben, wenn der Schuldner durch den Insolvenzplan nach Maßgabe des § 227 Abs. 1 InsO eine Befreiung von seinen restlichen Verbindlichkeiten erfahren soll, die er andernfalls nicht erhalten würde. Begibt sich der Schuldner vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Flucht und sieht der vom Verwalter oder Schuldner initiierte Insolvenzplan einen Teilerlass der Schuldnerverbindlichkeiten vor, so folgt aus den bereits untersuchten Bestimmungen der §§ 287 Abs. 1, 290 Abs. 1 Nr. 5, 295 Abs. 1 und 2, 296 Abs. 2 Satz 2 und 3 InsO die Möglichkeit der Schlechterstellung der Gläubiger dahingehend, dass sie im Falle des Regelverfahrens und einer Ablehnung der (begehrten) Restschuldbefreiung ihre Ansprüche gegenüber dem Schuldner gemäß § 201 Abs. 1 und 2 InsO weiter frei verfolgen könnten. Die rechtliche und wirtschaftliche Schlechterstellung der Gläubiger bei Bestätigung des Planes liegt auf der Hand: ihnen wird das Potential genommen, zu einem späteren Zeitpunkt, zu dem der Schuldner, aus welchen Gründen auch immer, wieder zu Vermögen gekommen ist, ihre Ansprüche (wenigstens teilweise) zu befriedigen. Auch insoweit offenbart sich die Flucht als für eine nach inländischen Rechtsvorschriften herbeizuführende Enthaftung des Schuldners abträglich.

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen Die Untersuchungen in Teil B haben unter anderem gezeigt, dass der Schuldner zu allen Zeiten die Flucht gerade deswegen antrat, um sich der räumlich begrenzten Rechtsmacht des (weltlichen) Gerichtsherrn seines gegenwärtigen Aufenthaltes zu entziehen, weil er angesichts der ihn erwartenden Rechtsfolgen mit empfindlichen Nachteilen für sein Vermögen und seine Person rechnen musste. Der flüchtende Schuldner ahnte oder wusste, dass der Einfluss „seines“ Souveräns und damit die Wirkungen eines Exekutionsverfahrens gewöhnlich an den Grenzen des Gerichtsbezirkes endeten, die zumeist mit den Grenzen der (teil‐) autonomen Stadt oder des Territoriums des Landesherrn identisch waren. Die seit dem Westfälischen Frieden (1648) in Europa sich verstärkende Ausbildung des Nationalbewusstseins und dessen Verfestigung seit dem Wiener Kongress (1815) begünstigten die nationalstaatlichen Rechtsentwicklungen, die freilich auf das durch die Landesgrenzen abgesteckte Staatsgebiet limitiert waren. An diesen Grenzen erstarb gemeinhin die Hoheitsgewalt eines jeden Staates, so dass der Schuldner in den „Schutz“ einer anderen Rechtsordnung flüchten und dorthin Vermögensteile verbringen konnte, um die Wirkungen eines im Inland gegen ihn eröffneten Verfahrens prinzipiell leerlaufen zu lassen.

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Angesichts dieses Befundes ist es von einigem Interesse, ob und inwieweit sich der Schuldner nach dem gegenwärtig geltenden Recht mit einer Flucht hinter die Staatsgrenzen Deutschlands den Wirkungen eines im Inland eröffneten Insolvenzverfahrens verweigern kann. Zudem soll untersucht werden, ob eine gezielte Flucht in ein anderes europäisches oder nichteuropäisches Land berechtigte Hoffnungen auf eine Entschuldung zu erwecken vermag, die auf schnellere und einfachere Art und Weise erreicht wird, als nach den Normen der Insolvenzordnung. Zu denken ist insbesondere an die Fälle des gezielten forum shopping, in denen unter Geltung eines ausländischen materiellen Insolvenzrechts eine Enthaftung von den Restverbindlichkeiten in Angriff genommen wird, die wegen der inländisch angeordneten Akzeptanz ausländischer Restschuldbefreiungsentscheidung die Ansprüche inländischer Gläubiger ebenso erfasst. Mithin ist der Frage nachzugehen, ob sich die Flucht in einen anderen Staat für den Schuldner auch heutzutage noch „lohnt.“

1. Universalität, Territorialität und Gläubigergleichbehandlung Die europäische Wirtschafts- und Privatrechtsgeschichte wurde in Anbetracht der nahezu unüberschaubaren Vielzahl an lokal und territorial beschränkt geltenden Partikularrechten zu allen Zeiten von der Realität eines grenzüberschreitenden Waren- und Dienstleistungsverkehr geprägt. An das kaufmännische Geschäft war im Mittelalter und in der Neuzeit nicht ohne das alltägliche und selbstverständliche Passieren städtischer und territorialer Schranken, Pässe und Zollstellen zu denken.⁴²³ Wie bereits in Teil B gesehen, befassten sich viele historische Partikularrechte mit den interterritorialen Aspekten des Konkurses, insbesondere im Zusammenhang mit der Schuldnerflucht und der Reichweite des Konkursbeschlages.⁴²⁴ An diesen Problemlagen hat sich unter der Geltung der Konkursordnung und des heutigen Insolvenzrechtes nichts Grundlegendes geändert. Gerade in den Zeiten eines immer stärker zusammenwachsenden europäischen Marktes und der zunehmenden Globalisierung der Wirtschaftskreisläufe, beschleunigt nicht nur durch die in den letzten Jahren anwachsende ökonomische Kraft fernöstlicher Staaten, wird nach über 100 Jahren stark nationalstaatlich

 Schulte, Geschichte des mittelalterlichen Handels, passim, gibt einen detaillierten Einblick in den mittelalterlichen Verkehr und Handel  einen Überblick über die rechtsgeschichtliche Entwicklung des internationalen Konkursrechtes bieten unter anderem Meili, S. 8 ff.; Hanisch, FS Merz, S. 159 ff., Trunk, S. 34; Meili, S. 43 ff. beschreibt zudem übersichtsartig die seit Anfang des 19. Jahrhunderts aufkommende deutsche Literatur zum internationalen Konkursrecht

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

geformter Staats- und Wirtschaftsverfassungen dem grenzübergreifenden Insolvenzrecht (wieder) besondere Beachtung zuteil.⁴²⁵ Die Gründe hierfür liegen auf der Hand: In den durch die Industrialisierung hochentwickelten europäischen und nordamerikanischen Wirtschaftsräumen nahmen mit steigender Mobilität, die dank der seit dem 19. Jahrhundert eingetretenen enormen technischen Fortschritte auf den Gebieten des Schifffahrts-, Eisenbahn-, Kraftfahrzeugs- und Luftverkehrs für immer breitere Bevölkerungsteile verfügbar wurde, der grenzüberschreitende Waren- und Dienstleistungsaustausch einerseits und die internationale Vernetzung der Geschäftsbeziehungen und Unternehmen andererseits stetig zu. Hinzu kamen der Reiz, im Zuge der fortschreitenden globalen Industrialisierung in weniger entwickelten Ländern zu niedrigeren Kosten zu produzieren, sowie die Vorstellung, auf allen in Betracht kommenden Handelsplätzen transnationale Marktmacht entfalten und weltweit die eigenen Produkte und Leistungen absetzen zu wollen. Hierbei häuften sich freilich die Vermögenskrisen, deren Wirkungen sich nicht nur im Inland, sondern auch in den auswärtigen nationalen Wirtschafts- und Rechtsordnungen offenbarten. Der über alle Staatsgrenzen führende Waren-, Geld- und Rechtsverkehr erlaubte es den Schuldnern zudem, Vermögensgüter zu transferieren und dem Zugriff der jeweiligen inländischen Gläubiger zu entziehen. Dem sich daraus ergebenden Bedürfnis zur geordneten und effektiven Krisenbewältigung konnten sich die nationalen Insolvenzrechtsordnungen nicht verschließen.

Die bei grenzüberschreitenden Konkursen⁴²⁶ immer wieder aufkommende Frage ist, ob sich die rechtlichen Wirkungen eines Gesamtvollstreckungsverfahrens auf das Staatsgebiet des angerufenen Konkursgerichtes beschränken oder ob sie sich auf die im Ausland befindlichen Teile des schuldnerischen Vermögens erstrecken (sollen).⁴²⁷ Ausgehend von der Funktion des Insolvenzrechts, ein für alle Gläubiger chancengleiches Verfahren zur Haftungsverwirklichung für den Fall bereitzustellen, dass der Schuldner objektiv nicht (mehr) in der Lage ist, jeden seiner Gläubiger im vollen Umfang zu befriedigen, erhebt der Konkursbeschlag an sich den Anspruch, universelle Wirkungen für das Schuldnervermögen zu entfalten.⁴²⁸ Allein auf diese Weise können Verfügungen des (flüchtigen) Schuldners und außerhalb des Konkursverfahrens unternommene Vollstreckungszugriffe einzelner Gläubiger verhindert werden, um das Ziel der bestmöglichen und gleichmäßigen

 So beschreibt Konecny, S. 106, das internationale Insolvenzrecht als eines der gegenwärtig dynamischsten und zugleich problembeladensten Gebiete des Zivilverfahrensrechtes.  Hierunter werden nach Ziffer 1 des 1997 verabschiedeten Guide to enactment of the UNCITRAL model law on cross-border insolvency Insolvenzverfahren verstanden, in denen der Schuldner über Vermögen in mehr als einem Staat verfügt oder einige Gläubiger ihren Sitz nicht in dem Staat haben, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wird.  Jaeger, Lehrbuch, S. 159; zu den Begriffen der Universalität, Territorialität, Einheit und Pluralität s. Hohmann, S. 60 ff. m. w. Nachw.  Spahlinger, S. 51 ff.

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Gläubigerbefriedigung zu verwirklichen.⁴²⁹ Zweifelsohne würde die universelle Geltung eines eröffneten Einheitskonkursverfahrens, welches nicht nur alle inund ausländischen Gläubiger, sondern sämtliches Schuldnervermögen unabhängig von der örtlichen Belegenheit (sogenanntes Weltvermögen) erfassen würde und welches unter für alle Beteiligten einheitlichen Regeln zu durchlaufen wäre, dem Ideal einer nüchternen, grenzenlosen und einigermaßen zügigen Krisenbewältigung am nächsten kommen.⁴³⁰ Es würde die Verwerfungen ausschließen, die mit einer Mehrheit an Partikularverfahren unter der Geltung unterschiedlicher Rechtskreise einhergehen (können).⁴³¹ Die universelle Geltung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens vermag aber nur immer so weit zu reichen, wie die Rechtsmacht des Staates und der von ihm eingesetzten Gerichte greift. Denn der mit dem hoheitlichen Eröffnungsakt bezweckte Konkursbeschlag ist immer zugleich Zeichen staatlicher Machtbefugnis, die angesichts der grundsätzlich zu respektierenden Souveränität anderer Staaten an den eigenen Grenzen Einhalt findet.⁴³² Die nationale Rechtsmacht kann zudem durch entgegenstehende Bestimmungen des Zweitstaates eingedämmt werden, soweit dessen nationales Recht für sich in Anspruch nimmt, über die Grenzen des eigenen Territoriums Wirkungen entfalten zu wollen und demzufolge fremde Rechtswirkungen im Inland nicht zu akzeptieren.⁴³³ Das so beschriebene Prinzip der Territorialität⁴³⁴ kann zur Konsequenz haben, dass die Eröffnung eines Konkursverfahrens keine unmittelbaren Folgen auf das außerhalb des Eröffnungsstaates belegene Schuldnervermögen zeitigt. Der im Zweitstaat befindliche Teil des Schuldnervermögens wird vom Konkursbeschlag nicht erfasst und steht damit für die insolvenzverfahrensgemäße Verwertung und Verteilung nicht zur Verfügung. Dem Schuldner würde hinsichtlich des auswärtigen Vermögens die Verfügungsmacht nicht von Rechts wegen entzogen werden, womit seine Gläubiger auf diese Vermögensteile zugleich den uneingeschränkten individuellen Vollstre-

 Hanisch, ZIP 1994, 1, 4; diese Ziele schon früher anerkennend Kohler, S. 606 f.  in diese Richtung weisend Savigny, 8. Bd., S. 282 ff.; Jaeger, Lehrbuch, S. 159; Spahlinger, S. 270 ff.; Aderhold, S. 66; vgl. zudem amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 234  Hanisch, ZIP 1989, 273 ff. weist indes zutreffend auf die Konkurrenz des Universalitätsanspruchs des Konkursbeschlags hin, welche durch den jeweiligen Geltungsanspruch der nationalen Rechte hervorgerufen wird; Kohler, S. 607 f.  Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 35.05 ff.; LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Einl. Rz. 5  Hanisch, ZIP 1994, 1 ff.; Spahlinger, S. 48  zur begrifflichen und historischen Begründung des Territorialprinzips und dessen Entwicklung s. v. Bar, S. 488 ff.; v. Bar, Theorie und Praxis, S. 553 ff.; Kohler, S. 601 ff.; Meili, Moderne Staatsverträge, S. 82 ff.; Aderhold, S. 29 ff. und S. 38 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

ckungszugriff behalten.⁴³⁵ Wird in dem Zweitstaat kein weiteres Insolvenzverfahren nach dem dortigen Recht eingeleitet, offenbaren sich für den Schuldner und einzelne Gläubiger Handlungsspielräume, die dem international anerkannten⁴³⁶ Verfahrenszweck des inländisch eröffneten Insolvenzverfahrens, die Gleichbehandlung aller Gläubiger in Anbetracht der schuldnerischen Vermögensinsuffizienz zu gewährleisten, zuwiderlaufen.⁴³⁷ Darüber hinaus beschränkt das Territorialitätsprinzip den etwaigen Universalitätsanspruch eines Konkursbeschlages in umgekehrter Richtung. So wie dem inländischen Konkursbeschlag universelle Geltung im Ausland zugemessen wird, mag der Zweitstaat für sein Konkursrecht seinerseits Universalität im Inland fordern. Würde dem ausländischen Hoheitsakt, mit dem die Eröffnung eines ausländischen Konkursverfahrens verfügt wird, im gleichen uneingeschränkten Maß universelle Bedeutung für das im Inland befindliche Schuldnervermögen zugebilligt werden, wären die inländischen Gläubiger gehalten, sich wegen ihrer Ansprüche an einem im Ausland zu durchlaufenden Konkursverfahren zu beteiligen.⁴³⁸ Damit sind nicht nur die mit einer fremden Sprache und Mentalität sowie der Entfernung zum Konkursgericht verbundenen Schwierigkeiten angesprochen. Vor allem das nach dem lex fori concursus anzuwendende Sachrecht würde die inländischen Gläubiger womöglich vor Probleme stellen, mit denen sie zum Zeitpunkt der Begründung der nach dem inländischen Sachrecht zum Schuldner geknüpften Rechtsbeziehung nie gerechnet hätten.⁴³⁹ Andererseits wird es als originäre Aufgabe des Staates verstanden, seinen inländischen Bürgern Rechtsinstrumentarien an die Hand zu geben, mit denen sie die Haftung des inländisch belegenen Schuldnervermögens effektiv verwirklichen können, ohne auf die Aktivitäten einer ausländischen Macht warten zu müssen.⁴⁴⁰ Dem Verständnis der Universalität und Territorialität würde es mithin nicht gerecht werden, in ihnen einen unüberwindbaren Gegensatz im Sinne einer „Prinzipienscholastik“ ⁴⁴¹ zu erblicken, der angesichts der internationalen Verflechtungen zugunsten der Universalität zu entscheiden wäre. Die mit den Schlagworten Universalität und Territorialität umschriebenen Wirkmechanismen

 Spahlinger, S. 49 m. w. Nachw.  Hanisch, KTS 1978, 193 ff.; Otte, RabelZ 58 (1994), 292, 293; Spahlinger, S. 52 m. w. Nachw.  Häsemeyer, 4. Auflage, Rz. 35.07  Kohler, S. 607; LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Einl. Rz. 4  Trunk, S. 13 und S. 290 ff.; LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Einl. Rz. 8  LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Einl. Rz. 4  Hanisch, 1oo Jahre Konkursordnung, S. 143; zu den Grundstrukturen eines modernen internationalen Insolvenzrechts Aderhold, S. 64 ff.

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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können eher als „Strukturelemente“ begriffen werden, die in ihrer konkreten Ausprägung innerhalb einer nationalen Insolvenzrechtsordnung zeigen, wie das nationalstaatliche Recht mit dem Geltungsanspruch ausländischer Hoheitsakte verfahren will, die auf die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens im Ausland gerichtet sind.⁴⁴² Das Begriffspaar der Universalität und Territorialität veranschaulicht mithin die grundlegende Einstellung des nationalen Gesetzgebers, in welchem Maß er unter Berücksichtigung der fremden staatlichen Souveränität die universelle Wirkung des Konkursbeschlages jeweils für das inländische und ausländische Gesamtvollstreckungsverfahren eintreten lassen will. Seit dem 19. Jahrhundert versuchten die weltweit erstarkenden Nationalstaaten angesichts der technisch-industriellen Revolution und der damit einhergehenden Zunahme grenzübergreifender Wirtschaftsbeziehungen über den Abschluss von Staatsverträgen Regelungsmechanismen zu etablieren, die einerseits die Idee der Einheit des Universalkonkurses favorisierten und andererseits die landeshoheitlichen Rechte gebührend berücksichtigten. Für die deutschen Länder sind beispielsweise der Jurisdiktions-Vertrag zwischen den Königreichen Bayern und Württemberg vom 7. Mai 1821, die Konkursabkommen der preußischen Krone mit den angrenzenden sächsischen Fürstentümern, beginnend im Jahr 1824 mit dem ernestischen Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisennach und nachfolgend mit den Häusern Altenburg, Coburg-Gotha, Reuß-Gera, Sachsen, Rudolstadt, Bernburg, Braunschweig, das Abkommen zwischen dem Großherzogtum Baden und dem Königreich Württemberg im Jahr 1825 oder der Konkursvertrag zwischen der Krone Württembergs und der Mehrzahl der schweizerischen Kantone aus den Jahren 1825 und 1826 zu nennen.⁴⁴³ So heißt es beispielsweise im bayerisch-württembergischen Vertrag unter § 10, dass grundsätzlich in dem Staat, in dem der Untertan seinen Wohnsitz hat, das dortige Gericht als allgemeines Gant-Gericht anerkannt werde.⁴⁴⁴ Für die im Norddeutschen Bund vereinten Länder brachte das Bundesgesetz vom 21. Juni 1869 über die Rechtshülfe⁴⁴⁵ wesentliche Erleichterungen bei grenzüberschreitenden Konkursen, sollten doch die Landesgrenzen tunlichst verwischt werden,⁴⁴⁶ indem der Verfahrenseröffnung universelle Kraft in allen Bundesländern zukam.⁴⁴⁷ Hierzu gesellten sich ab dem Ende des 19. Jahrhunderts verschiedene Bemühungen in internationalen Konferenzen und Kongressen, durch Entwürfe multilateraler Abkommen das Primat der Universalität der in europäischen Ländern eröffneten Konkursverfahren zu erreichen, die jedoch nicht die gewünschten Ergebnisse in der Umsetzung brachten.⁴⁴⁸ Schließlich

 LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Einl. Rz. 2  Savigny, 8. Bd., S. 291 f.; Meili, Moderne Staatsverträge, S. 22 f.; Hanisch, FS Merz, S. 170; Blaschczok, ZIP 1983, 141 ff.; Trunk, S. 37 ff.; Graf, S. 171 ff. jeweils m. w. Nachw.; zur Rechtshilfe im Norddeutschen Bund s. Endemann, Rechtshülfe, S. 62 ff.  Kletke, S. 8  BGBl. des Norddeutschen Bundes 1869, Nr. 29, S. 305  Endemann, Rechtshülfe, S. 4  Meili, S. 64 ff. mit Abdruck der entsprechenden Normen sowie dem Hinweis, dass auf der Grundlage dieses Gesetzes in der Folge mit Kronen Badens und Württembergs entsprechende Rechtshilfeverträge abgeschlossen wurden  Die in den Jahren 1925 und 1928 einberufene fünfte und sechste Haager Konferenz für Internationales Privatrecht, das Institut de Droit International und die International Law As-

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

traten in Europa gegen Ende des 19. und im Laufe des 20. Jahrhunderts eine gewisse Anzahl bi- und multilateraler Konkursabkommen zwischen verschiedenen Staaten in Kraft.⁴⁴⁹

2. In- und Auslandskonkurs im Recht der Konkurs- und Vergleichsordnung Die von 1879 bis Ende 1998 mehr als 100 Jahre geltende Konkursordnung bezog in der Frage der Universalität und Territorialität mit ihren Normtexten keine eindeutigen Positionen. Die in erster Linie in Betracht kommenden Vorschriften der §§ 237, 238 KO waren sprachlich und inhaltlich so gefasst, dass aus ihnen kein unmissverständliches Bekenntnis abzuleiten war.⁴⁵⁰ Die aus dem Jahr 1935 stammende Vergleichsordnung enthielt über die Wirkung ausländischer Vergleichsverfahren gar keine Vorschriften; die amtliche Begründung schweigt zu internationalen Bezügen.⁴⁵¹ Lediglich § 37 VerglO 1935 ordnete die Gleichstellung der ausländischen Gläubiger mit den inländischen im deutschen Vergleichsverfahren an. So zeigt denn die sogleich dargestellte Entwicklung, wie sich die Auffassungen über die Frage grenzübergreifender Wirkungen in- und ausländischer Konkurs- und Vergleichsverfahren nach Maßgabe der Konkurs- und Vergleichsordnung im Laufe eines Jahrhunderts wandelten.

sociation publizierten Leitlinien für bi- und multilaterale Konkursabkommen, welche die internationale Zuständigkeit in Konkurssachen, die vis attractiva concursus, die Konkursfähigkeit, die Gleichbehandlung inländischer und ausländischer Gläubiger sowie die Anerkennung ausländischer Gerichtsentscheidungen sowie Zwangsvergleiche normieren sollten; hierzu Meili, Moderne Staatsverträge, S. 59 ff.; hierauf verweisend Hanisch, FS Merz, S. 175; Aderhold, S. 57 ff.; insbesondere zu den Haager Konferenzen und deren Ergebnissen s. Trunk, S. 40 ff..  Zu nennen sind zum Beispiel das französisch-schweizerische Abkommen vom 15. Juni 1869, das französisch-belgische Abkommen vom 8. Juli 1899, das belgisch-niederländische Abkommen vom 28. März 1925, das französisch-italienische Abkommen vom 3. Juni 1930, das nordische Konkursübereinkommen vom 7. November 1933 zwischen Dänemark, Finnland, Schweden, Island und Norwegen, das britisch-belgische Abkommen vom 2. Mai 1934, der nicht in Kraft getretene Benelux-Vertrag vom 24. November 1961, der deutsch-niederländische Vertrag vom 30. August 1962, das österreichisch-belgische Abkommen von 1969, das österreichisch-italienische Abkommen vom 12. Juli 1977, das österreichisch-französische Abkommen vom 27. Februar 1979 und der deutsch-österreichische Konkursvertrag vom 25. Mai 1979. Eine Darstellung eines Teils dieser Abkommen und ihrer wesentlichen Inhalte unternehmen Trunk, S. 68 ff., Graf, S. 165 ff. und Aderhold. S. 148 ff.; zu den vielen Vorschlägen zur Bewältigung der Konkursprobleme des europäischen Marktes s. beispielsweise Houin, KTS 1961, 177 ff. oder zu einem Konkursabkommen der EWG-Staaten s. Böhle-Stamschräder, KTS 1964, 65 ff.  zur historischen Begründung der §§ 237, 238 KO und zur Diskussion um das Territorialitätsprinzip s. Aderhold, S. 41 ff.  Reinhart, S. 70 (Fn. 21) m. w. Nachw.; zur 1927er Vergleichsordnung Kiesow, 4. Auflage, § 1 Rz. 1

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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a) Wirkungsreichweite in- und ausländischer Verfahren Einerseits wurde den §§ 1 Abs. 1, 5, 238 Abs. 1 KO der Gedanke entnommen, die Beschlagskraft des inländischen Eröffnungsaktes entfalte universelle Geltung und erfasse damit grundsätzlich ausländisches Vermögen.⁴⁵² Danach zählte zur Konkursmasse im Sinn von § 1 Abs. 1 KO das Auslandsvermögen des Schuldners und wurde vom Konkursbeschlag umfasst, soweit es nach ausländischem Recht der Zwangsvollstreckung unterlag.⁴⁵³ Allein für den Fall, dass der Schuldner im Inland lediglich eine Niederlassung oder einen Gutshof als Eigentümer, Nutznießer oder Pächter hatte, sollte sich der Konkursbeschlag auf das inländische Vermögen beschränken. Dem inländisch initiierten Konkursverfahren konnte damit grundsätzlich die uneingeschränkte Universalität seiner Rechtswirkungen im Ausland zugestanden werden. Trunk⁴⁵⁴ nennt dies die universelle Sollgeltung des Domizilkonkurses. Der Konkursverwalter sah sich indessen vor dem realen Problem, diesem universellen Geltungsanspruch im Ausland zum Erfolg zu verhelfen. Auch wenn er mit Eröffnungsbeschluss und Bestallungsurkunde ausgestattet und nach Auffassung des Bundesgerichtshofs⁴⁵⁵ verpflichtet war, dass im Ausland befindliche Vermögen des Schuldners sicherzustellen, in Verwahrung zu nehmen und zu verwerten, konnte er mit diesen Urkunden dort regelmäßig wenig bewirken. War der Schuldner flüchtig, vermochte der Konkursverwalter ihn nicht zu befragen, geschweige denn von ihm eine Vollmacht oder sonstige Legitimationspapiere für das Auslandsvermögen erhalten. Hatte der Konkursverwalter gleichwohl Anhaltspunkte für ausländisches Vermögen des Schuldners und begab er sich in das Ausland, eilte er gar dem fallitus fugitivus nach, begegnete er zumeist der Schwierigkeit, dass die Wirkungen des inländischen Konkursverfahrens von der dortigen Justiz nicht anerkannt wurden.⁴⁵⁶

 BGH, Urt. v. 13. Juli 1983, VIII ZR 246/82, ZIP 1983, 961; vgl. zudem amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 233; beachte allerdings die Kosmos-Entscheidung des RG, Urt. v. 28. März 1903, Rep I 420/02, RGZ 54, 193; vgl. hierzu Hanisch, 100 Jahre Konkursordnung, S. 139 ff.; Hanisch, KTS 1978, 193, 197; Lüer, KTS 1978, 200 ff.; Nadelmann, KTS 1979, 221 ff.  BGH, Urt. v. 30. April 1992, IX ZR 233/90, ZIP 1992, 781  Trunk, S. 10 und S. 94 ff.  BGH, Urt. v. 10. Dezember 1976, V ZR 145/74, WM 1977, 453  Lüer, S. 103; Nadelmann, KTS 1979, 221, 223 berichtete in diesem Zusammenhang über das Scheitern des deutschen Konkursverwalters über das Vermögen des Stuhlfabrikanten Gerhard Terlinden, der 1901 unter Mitnahme eines erheblichen Geldbetrages von Deutschland nach Wisconsin geflohen war und dort das Geld unter falschem Namen auf einem amerikanischen Bankkonto deponierte, welches zunächst im Einverständnis mit dem Konkursverwalter von einem Großgläubiger gepfändet wurde, später sich jedoch die Wirkungslosigkeit dieser Pfändung herausstellte, weil ein amerikanischer Gläubiger, der dortige Rechtsanwalt des Gemeinschuldners Terlinden, das Gut-

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Überdies konnte die Anerkennung des inländischen Konkursverfahrens vom Gemeinschuldner im Zweitstaat mit dem durchaus beachtlichen Argument bestritten werden, selbst das deutsche inländische Konkursrecht würde nur einen beschränkten extraterritorialen Geltungsanspruch erheben, zumal es dem deutschen Konkursverwalter keine effektiven Instrumente zur Rechtsverfolgung gegenüber dem Gemeinschuldner im Ausland an die Hand gebe.⁴⁵⁷ Damit eröffnete sich für den Schuldner die reale Chance, nach einer Flucht in einen Staat, in dem die Auslandswirkungen der deutschen Verfahrenseröffnung nicht anerkannt wurden, dass dorthin mitgenommene und daselbst bereits befindliche Vermögen vor dem Gläubigerzugriff effektiv zu schützen. Allerdings war der flüchtige Schuldner in diesen Fällen dem individuellen Einzelvollstreckungszugriff seiner Konkursgläubiger weiter ausgesetzt. Denn wurde das inländische Insolvenzstatut durch die Justiz des Zweitstaates nicht anerkannt, bereiteten die Normen der §§ 12, 14 KO und § 47 VerglO 1935 einem Gläubiger keine Hindernisse, mittels vorläufiger Sicherungsmaßnahmen, Klagen und Vollstreckungshandlungen bis hin zur Einleitung eines ausländischen Insolvenzverfahrens seine Befriedigung zu Lasten der inländischen Gläubigergemeinschaft zu suchen. Das Reichsgericht gestand dem auf diese Weise agierenden Konkursgläubiger mangels einschlägiger Normen der Konkursordnung die Früchte seiner Bemühungen in der sogenannten Kosmos-Entscheidung⁴⁵⁸ sogar ausdrücklich zu. Erst nach jahrzehntelangem Ringen des Schrifttums⁴⁵⁹ um eine – angesichts der par conditio creditorum und des Universalitätsanspruchs – wünschenswerte andere Beurteilung rückte der Bundesgerichtshof ⁴⁶⁰ von dieser Rechtsauffassung ab. Danach war der im Ausland erfolgreich in das Schuldnervermögen vollstreckende Konkursgläubiger zur Herausgabe des Nettoerlöses (unter Abzug der Rechtsverfolgungskosten) nach den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung verpflichtet.

haben für sich beanspruchte und vor dem U. S. Supreme Court mit dieser Rechtsauffassung letztlich obsiegte (Disconto Gesellschaft v. Umbreit, 208 U.S. 570 (1908)).  Es entsprach bis zur Entscheidung des BGH im Urt. v. 13. Juli 1983, VIII ZR 246/82, ZIP 1983, 961 der herrschenden Auffassung, dass die Vorschrift des § 14 KO nur auf inländisches Vermögen anzuwenden sei; vgl. RG, Urt. v. 28. März 1903, Rep I 420/02, RGZ 54, 193; OLG Köln, Urt. v. 9. März 1978, 18 U 193/77, KTS 1978, 249; OLG Hamm, Urt. v. 14. Juli 1982, 5 U 192/81, ZIP 1982, 1343; ausführlich Lüer, KTS 1978, 200 ff. m. w. Nachw.; vgl. ferner Paulus, FS Humboldt-Universität, S. 1133 ff. zu Josef Kohlers Auffassung zum Territorialitätsprinzip  RG, Urt. v. 28. März 1903, Rep I 420/02, RGZ 54, 193 (Kosmos-Entscheidung); hieran anschließend BGH, Urt. v. 30. Mai 1962, VIII ZR 39/61, NJW 1962, 1511; BGH, Urt. v. 2. April 1970, VII ZR 128/68, NJW 1970, 1187 rechtsvergleichend im Zusammenhang mit einer Maßnahme nach dem KWG; BGH, Urt. v. 20. Juni 1979, VIII ZR 228/76, NJW 1979, 2477  Müller-Freienfels, S. 360 ff.; Hanisch, 100 Jahre Konkursordnung, S. 139 ff.; Hanisch, KTS 1978, 193, 197; Lüer, KTS 1978, 200 ff.; Nadelmann, KTS 1979, 221 ff.; s. auch Graf, S. 212 ff.  BGH, Urt. v. 13. Juli 1983, VIII ZR 246/82, ZIP 1983, 961; BGH, Urt. v. 30. April 1992, IX ZR 233/ 90, ZIP 1992, 781

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Auf der anderen Seite schien § 237 Abs. 1 KO dem im Ausland eröffneten Konkursverfahren dessen Wirkungen im Inland versagen zu wollen. Nachdem das Reichsgericht⁴⁶¹ zunächst die Universalität des Auslandskonkurses im Inland anerkannte, änderte es seine Auffassung kurze Zeit später⁴⁶² und prägte damit nahezu ein Jahrhundert lang das deutsche internationale Insolvenzrecht. Der Auslandskonkurs hatte mithin für das inländische Schuldnervermögen keine Bedeutung, entzog insbesondere dem Schuldner im Inland nicht dessen Verfügungsmacht über sein Vermögen und hinderte die in- und ausländischen Gläubiger nicht daran, gegenüber dem Schuldner ihre Ansprüche individuell zu verfolgen.⁴⁶³ Der ausländische Schuldner konnte – vorbehaltlich nicht existenter Konkursabkommen der beteiligten Staaten – mithin in das Reichs- bzw. Bundesgebiet flüchten, wollte er den Wirkungen des ausländischen Konkursverfahrens in seinem Heimatland aus dem Weg gehen. Erst mit dem weiteren „Wende-Urteil“ vom 11. Juli 1985⁴⁶⁴ gab der Bundesgerichtshof, nachdem in der Literatur⁴⁶⁵ Überzeugungsarbeit geleistet worden war, die überkommene Ansicht auf und billigte dem Auslandskonkurs im Inland ebenfalls universelle Wirkungen zu. Er verwies darauf, dass das deutsche Konkursrecht für die Eröffnung eines Konkursverfahrens schon bisher vom Universalitätsprinzip ausgegangen sei, wobei die Norm des § 237 Abs. 1 KO keine dahingehende Auslegung gebiete, die Inlandswirkungen eines Auslandskonkurses auszuschließen. Die bis dato kundgegebene Auffassung, dass der staatliche Hoheitsakt der Verfahrenseröffnung nicht über den Jurisdiktionsbereich des Eröffnungsstaates hinauswirken könne, gehe fehl.Vielmehr seien die Rechtswirkungen eines Hoheitsaktes, den der erlassende Staat nicht auf sein Gebiet beschränkt sehen will,⁴⁶⁶ nach dem Recht des Staates zu beurteilen, auf dessen Territorium die Rechtsfolgen Wirksamkeit für sich beanspruchen. Demnach wären für das deut RG, Urt. v. 28. März 1882, Rep. III 241/82, RGZ 6, 400; RG, Urt. v. 13. Januar 1885, Rep. II 429/ 84, RGZ 14, 424; RG, Urt. v. 6. Juli 1886, Rep. II 228/86, RGZ 16, 61  RG, Urt. v. 11. Dezember 1884, Rep. I 346/84, RGZ 14, 405; RG, Urt. v. 20. März 1888, Rep. II 346/87, RGZ 21, 7; RG, Urt. v. 11. Juli 1902, Rep. II 130/02, RGZ 52, 155; RG, Urt. v. 21. Oktober 1920, VI 271/20, RGZ 100, 241; RG, Urt. v. 5. Januar 1937, VII 138/36, RGZ 153, 200; vgl. hierzu ebenfalls Paulus, FS Humboldt-Universität, S. 1133 ff.  Jaeger, Lehrbuch, S. 160 m. Nachw.  BGH, Urt. v. 11. Juli 1985, IX ZR 178/84, WM 1985, 1004 m. Anm. Merz, EWiR 1985, 605; ebenso Buchner, ZIP 1985, 1114; Hanisch, ZIP 1985, S. 1233 sowie Lüke, KTS 1986, 1 ff.; Summ, S. 30 ff.; zur dahin führenden Entwicklung s. Graf, S. 212 ff.  Jaeger, Konkursordnung, 8. Auflage, §§ 237, 238 Rz. 135 ff.; Lüer, KTS 1979, 12 ff.; Merz, ZIP 1983, 136 ff.  zum Erfordernis des extraterritorialen Geltungsanspruchs des Auslandskonkurses im Inland s. Aderhold, S. 169

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

sche Rechtsgebiet ausländische Hoheitsakte dann anzuerkennen, wenn es sich dabei um privatrechtsgestaltende Maßnahmen handele. Obgleich die Vergleichsordnung bis auf § 37 VerglO 1935 keine Normen mit ausdrücklich internationalen Bezügen enthielt, erfasste auch das im deutschen Inland eröffnete Vergleichsverfahren nach einhelliger Auffassung zugleich das Auslandsvermögen des Vergleichsschuldners,⁴⁶⁷ wenn das inländische Vergleichsgericht gemäß § 2 Abs. 1VerglO 1935 in Verbindung mit § 71 Abs. 1 KO örtlich zuständig war, mithin wenn der Vergleichsschuldner seine gewerbliche Niederlassung oder seinen allgemeinen Gerichtsstand in Deutschland hatte. Für den umgekehrten Fall, dass ein ausländisches Vergleichsverfahren inländische Wirkungen beanspruchte, finden sich in der Vergleichsordnung keine Regelungstatbestände. Der Bundesgerichtshof ⁴⁶⁸ schloss diese Gesetzeslücke in entsprechender Anwendung der §§ 237, 238 KO mit dem Argument, beide Gesetze würden einander ergänzen. Denn die Vergleichsordnung sähe ein Verfahren zur Abwendung des Konkurses vor, der Eröffnungsantrag sei unter den gleichen Voraussetzungen zulässig wie der Konkursantrag und schließlich regele der nach der Vergleichsordnung angestrebte Vergleich die Folgen der schuldnerischen Insolvenz in einer von der Gläubigermehrheit favorisierten Weise und diene damit ebenso wie das Konkursverfahren der Bewältigung der schuldnerischen Vermögenskrise.

b) Judikatur zur Anerkennung ausländischer Entschuldungsentscheidungen Angesichts der vorstehend skizzierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. Juli 1985⁴⁶⁹ eröffneten sich für aus- und inländische Schuldner fortan Chancen, in anderen Staaten Konkursverfahren nach dem jeweiligen lex fori concursus zu durchlaufen, die mit einem restschuldbefreienden Ergebnis und dem Anspruch endeten, im deutschen Inland Rechtswirkungen zu entfalten. Für den Gegenstand dieser Untersuchung ist es mithin von besonderem Interesse, inwieweit der Schuldner sich durch Flucht oder Umzug in den Geltungsbereich eines anderen nationalen Rechtskreises in die Lage versetzen konnte, auf einfacheren und kürzeren Wegen eine vollständige Befreiung von seinen Verbindlichkeiten zu erreichen. Entscheidende Impulse gaben im Anschluss an das Judikat vom 11. Juli 1985 drei näher zu untersuchende Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die zum Teil noch in der Ära der Konkursordnung ergingen, auf die weitere inländische Rechtsentwicklung jedoch erheblichen Einfluss nahmen. In dem mit Urteil vom 27. Mai 1993⁴⁷⁰ entschiedenen Rechtsstreit hatte der Bundesgerichtshof die Rechtsfrage zu beantworten, inwieweit die restschuldbefrei   

Bley/Mohrbutter, § 2 Rz. 61; Westermann, FS Werner, S. 989 ff. BGH, Urt. v. 14. November 1996, IX ZR 339/95, WM 1997, 42 BGH, Urt. v. 11. Juli 1985, IX ZR 178/84, WM 1985, 1004 BGH, Urt. v. 27. Mai 1993, IX ZR 254/92, ZIP 1993, 1094

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

361

ende Wirkung eines schweizerischen Konkursverfahrens im deutschen Inland anzuerkennen ist. Die dortige Schweizer Klägerin, ein Kreditinstitut, nahm einen in Deutschland wohnhaften Schweizer Staatsangehörigen vor einem deutschen Gericht auf Rückzahlung gewährter Kredite in Anspruch, nachdem am 31. März 1981 in der Schweiz das Konkursverfahren über das Vermögen des Beklagten eröffnet worden war. Wegen eines Teils ihrer Ansprüche erhielt die Klägerin einen sogenannten Verlustschein, nachdem sie diese im Schweizer Konkursverfahren geltend gemacht hatte. Der restliche Teil war nicht zur Tabelle angemeldet worden, da der Beklagte die zugrundeliegenden Kredite unter falschem Namen erschlichen hatte, weswegen er in der Schweiz strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wurde. Später verzog der Beklagte nach Deutschland. Im Rechtsstreit negierte die Klägerin die vollstreckungshemmenden Wirkungen des Schweizer Konkursrechts in Deutschland und behauptete zudem neues Vermögen des Beklagten. Jener berief sich auf Art. 265, 267 und 149 des Schweizer Bundesgesetzes über Schuldbetreibung und Konkurs (SchKG) vom 11. April 1889.⁴⁷¹ Der Bundesgerichtshof erkannte unter Hinweis auf die mit der Wende-Judikatur geänderte Rechtsprechung die vollstreckungsbeschränkende Wirkung des Art. 265 Abs. 2 Satz 2 SchKG als eine aus deutscher Sicht zu beachtende insolvenzrechtliche Folge des ausländischen Konkursverfahrens an. Dabei machte er deutlich, dass es nach dem deutschen internationalen Konkursrecht nicht nur darauf ankäme, ob das jeweilige ausländische Konkursrecht universelle Geltung im Inland beanspruche. Zudem müsse untersucht werden, ob das fremde Recht die Auslandswirkung für jede einzelne Rechtsfolge beanspruche, die im jeweiligen Zusammenhang eintreten soll, da es Unterschiede hinsichtlich der einzelnen Folgewirkungen vorsehen könne. Da der Beklagte zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung noch in der Schweiz sesshaft gewesen war, musste sich der Senat nur mit der Rechtsfrage befassen, ob er durch den späteren Weggang nach Deutschland die ihm aus Art. 265 Abs. 2 Satz 2 SchKG zunächst zugestandene Einrede verloren haben könnte. Diese Frage beantwortete er zugunsten des Beklagten, da eine territorial beschränkende Wirkung der Vollstreckungsbeschränkung dem Schweizer Gesetz nicht zu entnehmen sei. Überdies sprächen Sinn und Zweck des § 265 Abs. 2 Satz 2 SchKG dagegen, will diese Vorschrift dem Schuldner beim Wiederaufbau seiner Existenz doch helfen. Die vom Schweizer Gesetzgeber vorgesehene Restschuldbeschränkung könne die beabsichtigte Wirkung aber nur dann erreichen, wenn sie gegenüber allen Gläubigern wirke, was zugleich deren Gleichbehandlung diene. Im Ergebnis biete die allseitige Kollisionsnorm zuverlässige Grundlagen, wonach sich der Umfang der schuldbefreienden Wirkung  amtliche Sammlung Nr. 11, S. 529; hier zitiert nach dem Stand am 1. Februar 2011

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

eines gegenständlich unbeschränkten Konkursverfahrens regelmäßig nach dem Recht desjenigen Staates richtet, vor dessen Gerichten das Verfahren betrieben werde. Schlussendlich erkannte der IX. Senat nach eigener Anschauung, dass nach dem Schweizer Recht der spätere Wegzug des Schuldners aus der Schweiz der restschuldbeschränkenden Wirkung des dort absolvierten Konkursverfahrens keinen Abbruch getan habe. Im Weiteren setzte sich der Senat mit der Frage auseinander, inwieweit die Anerkennung der vollstreckungshemmenden Wirkung des Art. 265 Abs. 2 Satz 2 SchKG gegen die deutsche öffentliche Ordnung (ordre public) verstoße. Er bekannte unter Fingerzeig auf § 164 KO, dass eine Restschuldbefreiung oder -beschränkung im Recht der Konkursordnung nicht vorgesehen sei. Einhergehend mit Stimmen aus dem Schrifttum⁴⁷² sah er die Enthaftung des Schuldners mit der Konkursordnung aber auch nicht als schlechterdings unvereinbar an, zumal die seinerzeitige deutsche Rechtsordnung den (Teil‐) Erlass bei Zustimmung der Gläubigermehrheit im Vergleichswege kannte. Der Staat könne nach Auffassung des Bundesgerichtshofs gesetzliche Regelungen zum Schutz einkommens- und vermögensschwacher Personen anordnen, so dass unter objektiv vertretbarer Berücksichtigung der berechtigten Gläubigerinteressen dem Schuldner kraft eigener Verantwortung die Befreiung oder Beschränkung seiner restierenden Verbindlichkeiten gewährt werde.⁴⁷³ Ergänzend konnte das Gericht auf die in § 18 Abs. 2 Satz 3 GesO normierten sowie im Regierungsentwurf der Insolvenzordnung vorgesehenen Bestimmungen zur Limitierung des Vollstreckungszugriffs bzw. zur Restschuldbefreiung verweisen, um zu begründen, dass die Anerkennung der vollstreckungshemmenden Wirkung des Art. 265 Abs. 2 Satz 2 SchKG nicht mit den Grundrechten oder mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sei (Art. 6 EGBGB, § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO). In der Norsk-Data-Entscheidung vom 14. November 1996⁴⁷⁴ hatte der Bundesgerichtshof Gelegenheit zu der Prüfung, ob die soeben vorgestellten Rechtssätze ebenso gelten, wenn ein im Ausland abgeschlossener (Zwangs‐)Vergleich auch Forderungen fremdstaatlicher Gläubiger – hier konkret eines deutschen Gläubigers – einbezieht. In diesem Fall erhob der Kläger Ansprüche aus InhaberTeilschuldverschreibungen, die ein in Norwegen residierendes Unternehmen im Jahr 1987 an der Frankfurter Wertpapierbörse emittierte. Das im Jahr 1993 nach norwegischem Recht initiierte Vergleichsverfahren, in dem der Kläger seine Ansprüche anmeldete, endete mit einem gerichtlich bestätigten und die Forderungen der nicht bevorrechtigten Gläubiger auf 25 % herabsetzenden tvandsakkord, den der Kläger jedoch ablehnte. Die in Deutschland erhobene Klage blieb letztlich erfolglos, soweit mit ihr der über die Vergleichsquote hinausgehende Betrag begehrt wurde. Der

 Ackmann/Wenner, IPrax 1990, 209, 213; Flessner, ZIP 1989, 749, 757; Summ, S. 148  insoweit auf Ackmann, S. 101 verweisend  BGH, Urt. v. 14. November 1996, IX ZR 339/95, WM 1997, 42; hierzu Reinhart, ZIP 1997, 39

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Bundesgerichtshof führte seine Rechtsanschauung fort, wonach die Wirkungen eines im Ausland abgeschlossenen und die Forderungen fremdstaatlicher Gläubiger erfassenden (Zwangs‐)Vergleichs in Deutschland anerkannt werden, wenn es sich (1.) bei dem Auslandsverfahren – gemessen nach inländischen Rechtsgrundsätzen – um ein Insolvenz- (Konkurs- oder Vergleichs‐) Verfahren handelt, wenn (2.) die das Verfahren eröffnende ausländische Stelle international zuständig ist, wenn (3.) der fremde Vergleich Auslandsgeltung beansprucht und wenn (4.) dessen Anerkennung nicht die inländische öffentliche Ordnung verletzt und ihr im Einzelfall keine zwingenden inländischen Vorschriften entgegenstehen. Die Unterschiede des Vergleichs- zum Konkursverfahren bedingten nach Auffassung der Karlsruher Richter keine grundsätzlich abweichenden internationalen Kollisionsregeln. Im Übrigen verlange das deutsche internationale Insolvenzrecht keine Gegenseitigkeit, weshalb die fehlende Anerkennung deutscher Hoheitsakte durch den Zweitstaat nicht die Anerkennung seiner hoheitlichen Rechtsakte hindere.

Eine gewisse Berühmtheit hat schließlich der Beschluss vom 18. September 2001 des Bundesgerichtshofs⁴⁷⁵ im Zusammenhang mit dem Phänomen des sogenannten forum shopping erfahren. Obschon der zugrunde liegende Sachverhalt in die Zeit des Übergangs vom Recht der Konkurs- und Vergleichsordnung zum Recht der Insolvenzordnung fällt und vor dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (EuInsVO)⁴⁷⁶ am 31. Mai 2002 und der §§ 335 bis 358 InsO am 20. März 2003 entschieden wurde, wird von Anbietern eines organisierten Insolvenztourismus⁴⁷⁷ (nach wie vor) der Eindruck von einer im aktuell geltenden Recht bahnbrechend wirkenden Entscheidung erweckt, indem im gleichen Atemzug zumeist der Normenzusammenhang der EuInsVO erwähnt und so eine rechtliche Verkettung durch eine Art Präzedenz-Fall suggeriert wird, dessen Begründung von der deutschen Justiz⁴⁷⁸ als

 BGH, Beschl. v. 18. September 2001, IX ZB 51/00, ZIP 2002, 365  veröffentlicht im Amtsblatt EG Nr. L 160 v. 30. Juni 2000, S. 1 ff., seitdem wiederholt ergänzt und geändert, zuletzt durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 583/2011 des Rates vom 9. Juni 2011, Amtsblatt EU Nr. L 160 v. 18. Juni 2011, S. 52 ff.  so beispielsweise im Internet unter http://www.insolvenzinfrankreich.de, http://ibc-advi sors.com, http://www.insolvenz-hilfe.eu, http://www.pacemark-finance.eu/privatkunden/priva tinsolvenzen-im-ausland, http://www.insolvenzschutzring.de, http://www.firma-lsf.eu und http://www.verbraucherinsolvenz-frankreich.de (alle zuletzt besucht am 7. Juli 2013) – freilich wird zumeist unterlassen, die potentielle Kundschaft auf die „Risiken und Nebenwirkungen“ eines im Ausland zu absolvierenden Gesamtvollstreckungsverfahrens nicht nur hinsichtlich der Anerkennung der auswärtigen Restschuldbefreiungsentscheidung (zutreffend und ausreichend) hinzuweisen; Hölzle, ZVI 2007, 1 ff. beschreibt die Werbung einer Bankgesellschaft (sic!) für die Übernahme der „Formalien“ einer französische Restschuldbefreiung; Ehricke, ZVI 2005, 285 ff. gibt einen Überblick über die Regelungsansätze zur Verbraucherinsolvenz und Restschuldbefreiung in den Staaten der Europäischen Union  Indessen wurden auch in jüngerer Vergangenheit Erkenntnisse deutscher Gerichte (zum Beispiel VG Leipzig, Urt. v. 13. September 2011, 6 K 86/08, Deutsches Notarinstitut, Dokument-

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

zwingendes Recht zu beachten und apodiktisch zu befolgen sei. Eine nähere Analyse der die Entscheidung tragenden Gründe soll zeigen, ob die hierdurch bei den angesprochenen Verkehrskreisen ausgelösten Erwartungen berechtigt sind. Der Beschluss verdient aber auch unter einem weiteren Gesichtspunkt gesteigerte Aufmerksamkeit: Er gab dem Bundesgerichtshof nicht nur die Gelegenheit, die zur Konkurs- und Vergleichsordnung seit der Wende-Judikatur entwickelten Rechtssätze in das neue Recht der Insolvenzordnung und ihres Einführungsgesetzes überzuleiten, sondern auch die Okkasion, seine Rechtsprechung auszubauen und somit in gewisser Weise einer Kontinuität auf dem Gebiet des deutschen internationalen Insolvenzrechts zum Ausdruck verhelfen. Dem Bundesgerichtshof lag folgender, kurz skizzierter Sachverhalt zur Entscheidung vor: Nachdem der deutsche Schuldner 1992 im Inland einen Kredit aufgenommen und nicht zurückgezahlt hatte, verzog er in einen grenznahen Ort im französischen Elsass-Lothringen – erzielte aber in Deutschland weiter Arbeitseinkünfte von monatlich knapp 4.000 DM netto. Die Gläubigerin erlangte am 6. Dezember 1994 bei einem französischen Gericht einen Zahlungsbefehl über 134.813 Franc nebst Zinsen und Kosten. Am 28. Februar 1996 wurde vom Tribunal de Grande Instance de Strasbourg das konkursmäßige Liquidationsverfahren⁴⁷⁹ über das schuldnerische Vermögen eröffnet, welches am 18. Mai 1999 mangels (weiterer) Masse mit einer restschuldbefreienden Entscheidung beendet wurde. Die deutsche Gläubigerin fand sich damit nicht ab und beantragte beim Landgericht Baden-Baden die Erteilung einer deutschen Vollstreckungsklausel zum französischen Zahlungsbefehl vom 6. Dezember 1994, mit dem sie Vollstreckungsmaßnahmen in Deutschland ausbringen wollte. Auf die vom Schuldner erhobene Beschwerde wies das Oberlandesgericht Karlsruhe den Klauselerteilungsantrag ab und begründete dies mit der entgegenstehenden schuldbefreienden Wirkung der Abschlussentscheidung vom 18. Mai 1999 des französischen Konkursgerichts, die im Ausland Geltung beanspruche und anzuerkennen sei. Hintergrund dieser Entscheidung ist eine regionale Spezialität des in den ostfranzösischen Departements Haut-Rhin (Oberelsass), Bas-Rhin (Unterelsass) und Moselle (Lothringen) geltenden Insolvenzrechts (droit local alsacien mosellan). Diese linksrheinischen Territorien gehörten infolge des Versailler Präliminarfriedens, durch den der deutsch-französische Krieg von 1870/71 beendet

nummer: 6k86_08 oder LG Köln, Urt. v. 14. Oktober 2011, 82 O 15/08, ZIP 2011, 2119) zumeist unreflektiert und wie ein Präjudiz behandelt auf diese Entscheidung gestützt, obgleich sie unter Geltung eines vergangenen materiellen Gesetzesrechtes erging, welches mit den aktuell geltenden Normenstrukturen, insbesondere der EuInsVO, nicht identisch ist.  liquidation judiciaire nach Art. 148 bis 170 des loi n° 85-98 vom 25. Januar 1985 in der Fassung des loi n° 94-475 vom 10. Juni 1994

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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wurde, seit dem 2. März 1871 als Reichsland Elsaß-Lothringen zum Deutschen Kaiserreich.⁴⁸⁰ Die dortige Geltung der Reichsjustizgesetze basierte auf dem Gesetz vom 8. Juli 1879 zur Ausführung der Zivilprozessordnung, der Konkursordnung und der Strafprozessordnung.⁴⁸¹ Mit dem Inkrafttreten des Versailler Friedensvertrages am 10. Januar 1920 gingen diese Gebiete, die bereits nach dem Waffenstillstand von Compiègne von französischen Truppen besetzt worden waren, wieder an Frankreich zurück. Gleichwohl galt unter anderem die Konkursordnung in diesen Gebieten zunächst weiter, bis mit Gesetz vom 1. Juni 1924 das französische Recht ab dem 1. Januar 1925 eingeführt wurde. Die Art. 22 bis 24 des Gesetzes vom 1. Juni 1924 sahen zur Harmonisierung des bisherigen mit dem künftigen Recht unter anderem die Beibehaltung eines Grundsatzes der Konkursordnung vor, wonach natürliche Personen, die nicht Kaufleute waren, weiterhin bzw. ebenfalls das (französische) Konkursverfahren der faillite civile durchlaufen konnten, wenn sie ihren Wohnsitz in diesen Grenzdépartements hatten.⁴⁸² Dieser Grundsatz wurde mit den Reformen des handelsrechtlichen Konkursverfahrens nach dem loi n° 67-563 vom 13. Juli 1967 und dem loi n° 85-98 vom 25. Januar 1985, die Eingang in den Code de commerce fanden, in Art. L. 628-1 Code de commerce als Ausnahme beibehalten.⁴⁸³ Anknüpfend an das alte Recht gelten seither als Partikularrecht (droit local alsacien mosellan) die Vorschriften über das Insolvenzverfahren nach französischem Handelsrecht auch für natürliche Personen, die nicht Kaufmann, Handwerker, Landwirt oder (seit der Reform des Jahres

 Gemäß § 1 des Gesetzes vom 9. Juni 1871, betreffend die Vereinigung von Elsaß und Lothringen mit dem Deutschen Reiche (RGBl. 1871 Nr. 2, S. 212) wurden die von Frankreich durch Artikel I des Präliminarfriedens vom 26. Februar 1871 abgetretenen Gebiete Elsaß und Lothringen in den durch Artikel I des Frankfurter Friedensvertrages vom 10. Mai 1871 festgestellten Begrenzungen „mit dem Deutschen Reiche für immer vereinigt“.  GBl. für Elsaß-Lothringen, S. 67; für das Reichsland Elsaß-Lothringen konnten – nach Einführung der Bismarck’schen Reichsverfassung durch das Gesetz vom 25. Juni 1873 über die Einführung der Verfassung des Deutschen Reichs in Elsaß-Lothringen (RGBl. 1873, Nr. 18, S. 161) – nach Maßgabe des Gesetzes, betreffend die Landesgesetzgebung von Elsaß-Lothringen vom 2. Mai 1877 (RGBl. 1877, Nr. 20, S. 491) durch den Kaiser Landesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates erlassen werden, wenn der durch Kaiserlichen Erlass vom 29. Oktober 1874 eingesetzte Landesausschuss denselben zugestimmt hatte  Köhler, ZVI 2003, 632 ff. m. w. Nachw.; das Insolvenzverfahren einer natürlichen Person, die nicht Kaufmann war, kannte das französische Recht, anknüpfend an den napoleonischen Code de commerce vom 12. September 1807 bis dahin nicht, hierzu MünchKomm-InsO/Ehricke, 1. Auflage, vor §§ 286 bis 303, Rz. 42  Ehricke, IPRax 2002, 505, 506 m. w. Nachw.; Köhler, ZVI 2003, 626, 632 benennt Art. L. 628-5 Code de Commerce als Ausnahmevorschrift; Graeber, ZInsO 2002, 920; Schmidt/Niggemann, RIW 1986, 246; die Normen über das französische Regelinsolvenzverfahren waren zum maßgeblichen Zeitpunkt der BGH-Entscheidung im Unternehmenssanierungsgesetz loi n° 85-98 vom 25. Januar 1985 in der Fassung des loi n° 94-475 vom 10. Juni 1994 niedergelegt, hierzu Klopp, KTS 1988, 267 ff. und Dammann, ZIP 1996, 300 ff.; seit der Neukodifizierung des französischen Handelsrechts im Jahre 2000 ist das französische Insolvenzrecht als Sechstes Buch des Code de Commerce in dessen Art. L. 611-1 ff. neu gefasst, Dammann/Undritz, NZI 2005, 198; einen Überblick über das gegenwärtig geltende französische (Unternehmens‐) Insolvenzrecht geben unter anderen MünchKomm-InsO/Niggemann, Anhang Frankreich in Bd. 3, Rz. 1 ff.; Dammann/ Undritz, NZI 2005, 198 ff.; Ulrich/Poertzgen/Pröm, ZInsO 2006, 64 ff.; Delzant/Schütze, ZInsO 2008, 540 ff. und Mehring, ZInsO 2012, 1247, 1248

366

E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

2005) Freiberufler respektive anderweitig unabhängig berufstätig sind, so dass unter den Anwendungsbereich des handelsrechtlichen Insolvenzverfahrens insbesondere Verbraucher fallen können.⁴⁸⁴ Für diese Schuldner tritt, anders als im übrigen Frankreich, mit Beendigung eines nach französischem Handelsrecht zügig zu bewältigenden Insolvenzverfahrens, welches eine Ablehnung der Verfahrenseröffnung mangels Masse nicht kennt, eine Enthaftung in der Weise ein, dass die nicht befriedigten Forderungen künftig nicht mehr verfolgt bzw. im Wege der Einzelzwangsvollstreckung durchgesetzt werden können.⁴⁸⁵ Das französische Insolvenzrecht beansprucht für die Entscheidungen französischer Gerichte über die Aufhebung der Insolvenzverfahren und der damit einhergehenden suspension des poursuites universelle Geltung.⁴⁸⁶

Der Bundesgerichtshof blieb mit der Entscheidung vom 18. September 2001– gestärkt durch Art. 102 EGInsO a. F.⁴⁸⁷ – auf der Linie der seit der Wende-Judikatur von ihm vertretenen Rechtsauffassung,⁴⁸⁸ wonach die Wirkungen eines im Ausland eröffneten Insolvenzverfahrens im Inland grundsätzlich anzuerkennen seien, wenn (1.) das ausländische Insolvenzverfahren mit dem deutschen Verfahren funktionell vergleichbar sei, wenn (2.) für das deutsche Gericht eine internationale Anerkennungszuständigkeit besteht, wenn (3.) das fremde Verfahrensrecht einen konkreten Anspruch auf Auslandswirkung erhebt und wenn (4.) die fremden Rechtswirkungen mit dem deutschen ordre public vereinbar sind, insbesondere das ausländische Verfahren nicht ganz offensichtlich rechtswidrig eröffnet worden ist. Es schloss sich der Begründung des zweitinstanzlichen Oberlandesgerichts Karlsruhe an und vermochte im Konkreten (mangels darauf bezogenen Sachvortrags) nicht erkennen, dass

 Für das übrige Frankreich ergriff der französische Gesetzgeber erst Ende der 1970er Jahre Maßnahmen gegen die zunehmende Überschuldung privater Haushalte, die über das loi n° 891010 vom 31. Dezember 1989 (loi Neiertz), geändert durch die loi n° 95-125 vom 08. Februar 1995 und loi n° 98-657 vom 29. Juli 1998, schließlich in den Bestimmungen über ein Verbraucherinsolvenzverfahren im Verbrauchergesetzbuch (code de consommation) mündeten, die mit dem loi n° 2003-710 vom 1. August 2003 abermals reformiert wurden; hierzu Köhler, ZVI 2003, 626 ff.; Graeber, ZInsO 2002, 920 ff. und Hölzle, ZVI 2007, 1 ff. jeweils m. w. Nachw.  App, DGVZ 1991, 180 ff.; Köhler, ZVI 2003, 626, 632 m. w. Nachw.; zum maßgeblichen Zeitpunkt der BGH-Entscheidung vom 18. September 2001, IX ZB 51/00, ZIP 2002, 365 ergab sich der enthaftend wirkende, umfassende Verfolgungsschutz aus Art. 169 Abs. 1 des loi n° 85-98 vom 25. Januar 1985, der später in Art. L. 622-33 Code de Commerce gefasst wurde und sich gegenwärtig in Art. 643-11 Code de Commerce wiederfindet; hierzu Klopp, KTS 1988, 267, 279 mit Abdruck der deutschen Übersetzung des vorgenannten Art. 169 Abs. 1; Flessner, ZIP 1989, 749, 756; Summ, S. 237 f.; Köhler, ZVI 2003, 626, 632; MünchKomm-InsO/Niggemann, Anhang Frankreich in Bd. 3, Rz. 48; Delzant/Schütze, ZInsO 2008, 540, 546 sowie Mehring, ZInsO 2012, 1247, 1248  Ehricke, IPrax 2002, 505, 506 f. m. w. Nachw.  Hier ist nachfolgend die Fassung des Art. 102 EGInsO in der Zeit vom 1. Januar 1999 bis zum 19. März 2003 gemeint.  insbesondere unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 27. Mai 1993, IX ZR 254/92, ZIP 1993, 1094

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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der Schuldner nur zum Schein oder zum Zwecke der Haftungsvereitelung seine Wohnung ins Elsass verlegt hatte. Angesichts der seitdem vergangenen Zeit und einer etwaigen,von der Gläubigerin nicht in Zweifel gezogenen Absicht, dort womöglich auf Dauer wohnhaft zu bleiben, vermochte der Senat den weiteren Umständen, die freilich fortwährende Bezüge des Schuldners zum deutschen Inland offenbarten, keine durchschlagende Bedeutung für eine dahingehende Überzeugung beilegen, dass das französische Konkursgericht für die Verfahrenseröffnung nicht international zuständig gewesen sein sollte. In dieser Hinsicht machte der Bundesgerichtshof deutlich, dass eine Entscheidung eines ausländischen Konkursgerichtes, mit der es sich für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens für zuständig hält, aus deutscher Sicht prinzipiell hinzunehmen sei. Damit respektierte der Senat das im Anerkennungsrecht grundsätzlich zu beachtende Verbot der révision au fond ebenso für die im Zusammenhang mit Insolvenzverfahren ergehenden Entscheidungen.⁴⁸⁹ Auch wenn mit Blick auf Art. 102 Abs. 1 Nr. 1 EGInsO a. F. die Anerkennung der Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens im Fall einer nach inländischem Recht zu beurteilenden fehlenden Zuständigkeit des ausländischen Insolvenzgerichts zu versagen wäre,⁴⁹⁰ sei es grundsätzlich unbeachtlich, „ob die ausländische Rechtsordnung Vorkehrungen gegen die rechtsmissbräuchliche Erschleichung eines Gerichtsstandes oder gegen die Ausnutzung eines »forum non conveniens« trifft, sowie aus welchen Gründen das ausländische Gericht im Einzelfall davon keinen Gebrauch gemacht hat“. ⁴⁹¹ Vielmehr reiche es für die internationale Zuständigkeit des ausländischen Gerichtes der Verfahrenseröffnung, wenn sich nach der Sachlage dessen Zuständigkeit im Regelfall ergäbe. Für hiernach gleichwohl bestehende Bedenken gegenüber der Wirksamkeit der Eröffnungsentscheidung und des daraus resultierenden grundsätzlichen Akzeptanzanspruchs verwies der Senat auf das Erfordernis einer weitergehenden Prüfung unter dem Aspekt des ordre public.

In zeitlicher Dimension entfalteten sich die vom französischen Insolvenzverfahren ausgehenden Wirkungen sowohl unter der Geltung der Konkursordnung (Eröffnungsentscheidung) als auch des Art. 102 Abs. 1 EGInsO a. F. (Abschlussentscheidung); auf die dazwischen liegende Verfahrensdauer wird der Schuldner nur bedingt Einfluss genommen haben können. Im Rahmen der Prüfung, ob der Schuldner im Zeitpunkt der Eröffnung des französischen Konkursverfahrens seinen Wohnsitz tatsächlich im Elsass hatte und deshalb das französische Insolvenzgericht international zuständig gewesen sei oder ob ein forum non conveniens ausgenutzt wurde, zog der Senat unter anderem das Zeitmoment heran, indem er ausführte, die Gläubigerin habe nicht in Frage gestellt, dass der Schuldner seine Wohnung dorthin verlegt habe, „um dort – soweit absehbar – auf

 Ehricke, IPRax 2002, 505, 506 m. w. Nachw.  zum „Spiegelbildprinzip“ s. Uhlenbruck/Lüer, InsO, 12. Auflage, Art. 102 EGInsO, Rz. 135; vgl. BGH, Urt. v. 3. Dezember 1992, IX ZR 229/91, BGHZ 120, 334 m. w. Nachw.  BGH, Beschl. v. 18. September 2001, IX ZB 51/00, ZIP 2002, 365, 367

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Dauer zu bleiben; immerhin wohnt er jetzt seit mehr als sechs Jahren dort“. Dem Gericht ist zuzustimmen, dass eine Betrachtung des zeitlichen Ablaufs durchaus geeignet sein kann, Aufschluss über die „wahren“ Absichten eines wegziehenden Schuldners zu geben. Nicht unerhebliche Bedeutung kommt insbesondere der zwischen dem Weggang und der Antragstellung verstrichenen Zeit zu. Hingegen kann das spätere Verhalten für die Beurteilung nur im geringeren Umfang ausschlaggebend sein, da jenes nicht unbedingt auf Gründe hindeutet, die für oder gegen eine Zuständigkeitserschleichung sprechen. Freilich wird der alsbaldige Wegzug nach einer Antragstellung in gewisser Weise gegen eine ursprünglich geplante, dauerhafte Begründung des Lebensmittelpunktes und damit für ein beabsichtigtes forum shopping votieren⁴⁹² – zwingend ist eine dahingehende Würdigung jedoch nicht. Andererseits kann aus dem Umstand, dass der Schuldner in den Sprengel eines ausländischen Forums verzieht und nach alsbaldiger Antragstellung dort auf Dauer verbleibt, nicht der unumstößliche Rückschluss darauf gezogen werden, der Schuldner habe zuvor nicht die Zuständigkeit des für ihn günstigen Gerichtsstandes erreichen wollen. Die zeitliche Nähe zwischen Weggang und Antragstellung rechtfertigt mithin allenfalls eine widerlegbare Vermutung dahingehend, der Schuldner habe sich dem Geltungsbereich der bisherigen Rechtsordnung durch Flucht in einen ihm genehmen Rechtskreis entziehen wollen. Es lassen sich damit mehrere Konstellationen denken: zum einen die zeitnah nach dem Wegzug erfolgende Antragstellung sowie die dauerhafte Begründung eines neues Lebensmittelpunktes aufgrund von Umständen, die mit der schuldnerischen Vermögensinsuffizienz in keinem Zusammenhang stehen, etwa infolge eines Arbeitsplatzwechsels. Hingegen kann ein derartiges Umzugsgeschehen gerade (auch) mit der Absicht motiviert sein, ein vermeintlich schuldnerfreundliches lex fori concursus zur Anwendung kommen zu lassen. Überdies mag der kurz darauf erfolgende erneute Fortgang des Schuldners vom Zufluchtsort dem Streben entspringen, nur übergangsweise oder zum Schein – und damit in Wahrheit gar nicht – den Wohnsitz verlegt zu haben, um in den Genuss der angeblich besseren Rechtsordnung zu kommen. Der zeitnahe erneute Weggang kann seinen Grund aber auch darin haben, dass dem Schuldner nach dem Arbeitsplatzwechsel alsbald gekündigt worden ist und er sich um eine neue, wiederum auswärtige Arbeitsstelle erfolgreich bemüht hatte. Dieses für den Betrachter, insbesondere den Richter, zu bewältigende Dilemma, wie er das Verhalten des Schuldners im Einzelnen würdigen und ob er es insbesondere als rechtsmissbräuchliches forum shopping auffassen soll, ist – wie die historische Betrachtung zeigte – kein Novum und war den zurückliegenden Rechtsordnungen bekannt. Die historische Untersuchung hat ergeben, dass auf verschiedene normative Weise versucht wurde, dieses Beurteilungsproblem in den Griff zu bekommen, indem beispielsweise auf typische Begleitumstände abgestellt wurde (Flucht zur Nachtzeit unter Mitnahme von Familie, Hab und Gut nach Wechselprotesten, Schließung der Kontore, keine Wiederkehr des Kaufmanns nach Jahr und

 so Hölzle, ZVI 2007, 1, 5

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

369

Tag etc.). Eine zur Reduktion der Komplexität normierte typengerechte Betrachtungsweise garantiert jedoch nicht die richtige und gerechte Einzelfallentscheidung. Die Schwierigkeit liegt nach wie vor darin, dass der Betrachter aufgrund von an sich wertneutralen Zeichen,⁴⁹³ denen er mehr oder weniger eine (vorgefasste) Bedeutung zumisst, auf die für ihn im Verborgenen liegenden Absichten des Schuldners schließen soll, obgleich ihm nicht alle für die zutreffende Einordnung des Geschehens erforderlichen Informationen bekannt sind. Ein Mangel an (zutreffenden) Informationen kann allemal zu Fehlurteilen führen. An anderer Stelle wird dieser Problemkreis noch einmal aufzugreifen sein.

Im Weiteren nahm der Bundesgerichtshof den Sachverhalt zum Anlass, sich hinsichtlich der Entschuldungswirkung fremder Insolvenzverfahren und der deutschen öffentlichen Ordnung (noch einmal) grundlegend zu positionieren. Er gab zu erkennen, dass die grundsätzliche Anerkennung ausländischer Restschuldbefreiungsentscheidungen durch die Wertungen des inländischen ordre public limitiert werden können.⁴⁹⁴ Gleichwohl stünden fehlende Mindestbefriedigungsquoten als Ergebnis eines konkursmäßigen Verfahrens zu den Grundgedanken der deutschen Normen und den in ihnen enthaltenen inländischen Gerechtigkeitsvorstellungen nicht in einem untragbaren Widerspruch, zumal in inländischen, nach den Bestimmungen der Insolvenzordnung geführten Verbraucherinsolvenzverfahren sogenannte „Nullpläne“ akzeptiert werden würden. Zudem verwies der Senat auf das deutsche Verfahren der Restschuldbefreiung nach den §§ 286 ff. InsO, weshalb er es für allgemein zweifelhaft hielt, „ob die Wohnsitzverlegung in einen anderen Staat zu dem Zweck, unter erleichterten Bedingungen von Schulden befreit zu werden, rechtsmissbräuchlich“ sei.⁴⁹⁵ Zwar hob das Gericht eine womöglich in der (seinerzeit noch) siebenjährigen Wohlverhaltensphase liegende Erschwernis hervor, vermochte hierin jedoch noch keine gravierenden strukturellen Unterschiede der konkurrierenden Verfahrensordnungen mit der Konsequenz einer unabweisbaren Besserstellung der Befriedigungsaussichten für an einem deutschen Insolvenzverfahren teilnehmenden Gläubiger erkennen, die es erlauben würden, einen Verstoß gegen die deutsche öffentliche Ordnung ausmachen zu können. Freilich existierte zum Zeitpunkt der Verkündung dieses Beschlusses die hiernach ausdifferenzierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Instanzgerichte zu den Voraussetzungen eines inländischen Restschuldbefreiungsverfahrens und den Versagungsgründen noch nicht.Wie

 Eine aufschlussreiche Einführung in den Irrgarten der Zeichen als Elemente der Kommunikationsprozesse gibt Eco, S. 3 ff..  Ehricke, IPRax 2002, 505, 507; zur „Guillotine des ordre public“ Müller-Freienfels, S. 384; Lüke, KTS 1986, 1, 16; Spellenberg, S. 183 ff.  BGH, Beschl. v. 18. September 2001, IX ZB 51/00, ZIP 2002, 365, 367 (Unterstreichung aus dem Urteil übernommen)

370

E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

die hierzu nur ausschnittsweise unternommenen Untersuchungen bereits zeigten, ergeben sich für den die Restschuldbefreiung anstrebenden Schuldner eines deutschen Insolvenzverfahrens unter Beachtung der entwickelten Judikatur schnell hohe Hürden, die seine Enthaftung auf nicht unerhebliche Dauer verhindern können. Inwieweit deshalb mit der vom Bundesgerichtshof seinerzeit gegebenen Begründung eine signifikante Schlechterstellung der (deutschen) Gläubiger in einem französischen Insolvenzverfahren nach dem droit local alsacien mosellan gegenwärtig noch verneint werden könnte, mag womöglich anders gesehen werden, wenn im französischen Verfahren an die Ermittlung der Redlichkeit des Schuldners nicht vergleichbare Anforderungen gestellt werden würden.⁴⁹⁶ Ehricke ⁴⁹⁷ gab jedenfalls zu bedenken, dass ein tieferer Blick in das seinerzeit maßgebliche französische Sachrecht unter anderem den weiteren Normentatbestand zu Tage fördert, wonach von dem enthaftend wirkenden Vollstreckungsverbot des Art. 169 Abs. 1 des loi n° 85-98 vom 25. Januar 1985 in Absatz 2 desselben Artikels unter anderem eine Ausnahme zugunsten der Gläubiger formuliert ist, die einen Anspruch wegen Gläubigerbenachteiligung geltend machen können. Angesichts der zwischenzeitlichen Änderungen des französischen Sachrechts und des Inkrafttretens der EuInsVO am 31. Mai 2002 in beiden Staaten soll von einer weiteren Untersuchung dieser Frage jedoch abgesehen werden.⁴⁹⁸

Schließlich vermochte der IX. Senat im konkreten Fall eine rechtsmissbräuchliche Verlegung des Wohnsitzes aufgrund des Prozessvortrags der Gläubigerin nicht erkennen. Die von der Gläubigerin in diesem Verfahren vorgetragenen Besonderheiten des Grenzgängerverkehrs zwischen beiden Staaten (nicht unerhebliche Unterschiede bei Einkommen, Vorsorge, Besteuerung und Lebenshaltungsaufwand) qualifizierte er als allgemein rechtlich anerkennenswerte Gründe, die jedermann bewegen könnten, den Wohnsitz ins Ausland zu bewegen. Allein unter Zugrundelegung dieser Umstände konnte (mangels weiteren geeigneten Prozessvortrags, wie aus den Entscheidungsgründen zu entnehmen ist) auf einen mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht motivierten Wegzug in den Schutz einer für den Schuldner günstigeren Rechtsordnung, die ihm eine vergleichsweise zügige und unproblematische, aber als rechtswidrig anzusehende Entledigung von seinen Verbindlichkeiten erlauben würde, nicht geschlossen werden. Dass der Senat  Soweit erkennbar, sah das der Entscheidung des BGH noch zugrundeliegende französische Insolvenzrecht nach dem loi n° 85-98 vom 25. Januar 1985 in der Fassung des loi n° 94-475 vom 10. Juni 1994 zwar einige Ausschluss- und Missbrauchstatbestände vor, die jedoch zum damaligen Zeitpunkt mit dem Umfang der in §§ 290, 295 InsO notierten Anforderungen zur Feststellung der Redlichkeit des Schuldners nicht vergleichbar gewesen zu sein scheinen, zumal wohl erst durch eine Gesetzesänderung vom 1. August 2003 als weitere Voraussetzung für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (sic!) die sogenannte Gutgläubigkeit (bonne foi) – gemeint im Sinne einer Redlichkeit – des Schuldners normiert worden war; vgl. Klopp, KTS 1988, 267, 279; Delzant/Schütze, ZInsO 2008, 540, 543; Mehring, ZInsO 2012, 1247 ff.  Ehricke, IPRax 2002, 505, 508  eine zu den Normen der EuInsVO rechtsvergleichende Untersuchung des „Elsaß-Falles“ unternimmt Koch, FS Jayme, S. 437 ff.; zum gegenwärtigen Verfahrensrecht nach dem droit local alsacien mosellan vgl. Delzant/Schütze, ZInsO 2008, 540 ff.

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

371

dieser Frage dennoch Bedeutung zumaß, zeigt, dass er unter anderen Umständen die in einen anderen Staat mit dem Ziel unternommene Wohnsitzverlegung, dort unter erleichterten Bedingungen eine Enthaftung zu erfahren, für rechtsmissbräuchlich und gegen den ordre public verstoßend hätte ansehen können, so dass der fremden Restschuldbefreiungsentscheidung womöglich die Anerkennung zu versagen gewesen wäre.⁴⁹⁹ Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der Bundesgerichtshof mit dieser Entscheidung erneut den Maßstab offenlegte, anhand dessen während der relativ kurzen Geltungsdauer des Art. 102 EGInsO a. F. einerseits die Anerkennung ausländischer Verfahrenseröffnungsentscheidungen und andererseits ein etwaiges rechtsmissbräuchliches Verhalten, welches sich in der bewussten Flucht in einen fremden Rechtskreis mit Auslandswirkungsanspruch offenbart, zu beurteilen war. Danach bestanden keine Zweifel mehr, dass Restschuldbefreiungsentscheidungen eines international zuständigen ausländischen Gerichts im Inland grundsätzlich anzuerkennen sind, wenn sie in einem mit dem inländischen Insolvenzverfahrensrecht funktionell vergleichbaren Gesamtvollstreckungsverfahren (weitgehend) rechtmäßig judiziert worden sind und die Ausgestaltung und Entscheidungen des fremden Verfahrens nicht grundlegend mit der deutschen öffentlichen Ordnung kollidierten. Zeigte sich im Einzelfall eine rechtsmissbräuchliche Wahl des Gerichtsstandes, eröffnete der allgegenwärtig zu beachtende Grundsatz des deutschen ordre public den benachteiligten Gläubigern den Weg, der den Schuldner von seinen Verbindlichkeiten befreiende Entscheidung die inländische Anerkennung versagen zu lassen. Schlussendlich lässt die nähere Betrachtung der Entscheidung vom 18. September 2001 erkennen, dass sie gerade kein taugliches Werbemittel eines organisierten forum shopping zum Nachteil der Gläubiger sein kann.

3. Die Flucht im deutschen (autonomen) internationalen Insolvenzrecht Wie aus den Gründen der soeben untersuchten BGH-Entscheidung⁵⁰⁰ bereits entnommen werden konnte, hält das seit dem 1. Januar 1999 geltende deutsche (autonome) internationale Insolvenzrecht an der Idee einer gemäßigten oder kontrollierten Universalität⁵⁰¹ fest. Sowohl dem inländischen als auch dem aus-

 Ehricke, IPRax 2002, 505, 507  BGH, Beschl. v. 18. September 2001, IX ZB 51/00, ZIP 2002, 365  hierzu Hanisch, ZIP 1994, 1 ff.; Hanisch, FS Nakamura, S. 221 ff.; Aderhold, S. 64 ff. und S. 147; Spahlinger, S. 47 und S. 299 ff.; Homann, S. 67; Graf, S. 14 ff.; kritisch Dawe, S. 87 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

ländischen Insolvenzverfahren soll – außerhalb des Anwendungsbereichs der später noch zu untersuchenden EuInsVO – universelle Wirkung in einem bestimmten Rahmen zukommen. Damit stellt das deutsche (autonome) internationale Insolvenzrecht das inländische und ausländische Insolvenzverfahren im Streben nach internationaler Gerechtigkeit grundsätzlich gleich und erhofft sich hierdurch die Anerkennung des Universalitätsanspruchs der deutschen Insolvenzverfahren, ohne dafür Gegenseitigkeit oder ein vergleichbares Entgegenkommen (comitas) zu verlangen.⁵⁰² Mit anderen Worten begrenzt der deutsche Gesetzgeber den Geltungsanspruch des deutschen Insolvenzrechts nicht auf das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland. Vielmehr wird es gezielt in Konkurrenz zu den im Ausland geltenden Rechtsnormen gebracht. Zugleich erklärt der Bundesgesetzgeber unter partieller Aufgabe seiner diesbezüglichen Souveränität die prinzipielle Akzeptanz fremder hoheitlicher Verfahrensakte und ordnet die grundsätzliche Beachtung der von ihnen ausgehenden Rechtwirkungen im Inland an. Er behält sich jedoch die Kontrolle der Wirkungen ausländischer Verfahrensentscheidungen nach dem deutschen ordre public vor.

a) Universalität und Anerkennung Gleichwohl hatte der Gesetzgeber den Anspruch auf Erzielung von Auslandswirkungen eines im Inland eröffneten Insolvenzverfahrens in der Insolvenzordnung und im zugehörigen Einführungsgesetz zunächst nicht näher geregelt. Die ursprünglich im Regierungsentwurf ⁵⁰³ vorgesehenen Normen wurden infolge der vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages vorgebrachten Hinweise,⁵⁰⁴ einstweilen die europäische Rechtsentwicklung abwarten zu wollen, zunächst nicht Gesetz. Lediglich in Art. 102 EGInsO a. F. wurden interimistisch und sozusagen als Platzhalter einige wenige Grundsätze in der Absicht normiert, nach Inkrafttreten eines seinerzeit in Angriff genommenen europäischen Rechtsaktes – gemeint ist das letztlich von Großbritannien nicht ratifizierte Europäische Übereinkommen über Insolvenzverfahren⁵⁰⁵ – ein deutsches autonomes internationales Insolvenzrecht zu setzen.⁵⁰⁶

 vgl. amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 234 ff.  RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 68 ff.  BT-Drucks. 12/7302, S. 143 und S. 154  s. hierzu Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 535; Becker, ZEuP 2002, 287, 290; Ehricke/Ries, JuS 2003, 313 ff.  Leipold, FS Henckel, S. 533 ff.; Smid, InsO, Anhang 1 (EGInsO Art. 102), Rz. 1; Liersch, NZI 2003, 302

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

373

Der Universalitätsanspruch des im Inland eröffneten Insolvenzverfahrens artikulierte sich gleichwohl in der Vorschrift des § 35 Abs. 1 InsO, aus der sich – wie bereits schon aus § 1 Abs. 1 KO und § 1 Abs. 1 Satz 2 GesO – die Forderung ermitteln lässt, dass das ausländische Vermögen des Schuldners ebenfalls zum Gegenstand des inländischen Insolvenzverfahrens wird.⁵⁰⁷ Vom Insolvenzbeschlag des von einem deutschen Gericht verfügten Eröffnungsbeschlusses wird generell das weltweite Vermögen des Schuldners erfasst, um es zur Verwertung zugunsten aller Gläubiger bringen zu können, gleich welcher Nationalität Schuldner und Gläubiger sind und gleich welcher nationalen Rechtsordnung ihre Forderungen entspringen. Der im deutschen Inland bestellte Insolvenzverwalter soll auf allen Kontinenten tätig werden können, um die in § 1 InsO normierten Ziele des deutschen Insolvenzverfahrens Wirklichkeit werden zu lassen. Das deutsche (autonome) internationale Insolvenzrecht strebt demzufolge danach, sämtliche Wirkungen der inländischen Verfahrenseröffnung im Ausland zur Geltung zu bringen. Flüchtet der Schuldner beispielsweise nach Neuseeland, hat das Verbringen seiner Person auf die insolvenzrechtlichen Konsequenzen der Verfahrenseröffnung wegen der haftungsrechtlichen Trennung von Vermögen und Person prinzipiell keinen Einfluss. Aus dem universellen Geltungsanspruch des deutschen (autonomen) internationalen Insolvenzrechts folgt die Beschlagnahmewirkung für das ausländische Schuldnervermögen. Dieser Insolvenzbeschlag umfasst gemäß § 35 Abs. 1 InsO unter anderem den Neuerwerb des Fugitivus, so dass künftige ausländische Erwerbseinkommen ebenso der Beschlagnahmewirkung unterfallen, wie sonstige Vermögenswerte, die nach Verfahrenseröffnung von ihm empfangen werden.⁵⁰⁸ Unerheblich ist, ob und in welchem Maß die ausländische Rechtsordnung den Insolvenzbeschlag anerkennt und die daraus resultierenden Ansprüche durchsetzbar sind.⁵⁰⁹ Infolge der Eröffnungswirkungen verliert der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsmacht über das dem Insolvenzbeschlag unterliegende Vermögen und ist zur Herausgabe aller massezugehörigen Gegenstände verpflichtet. Der Verwalter wird mit seiner Bestellung grundsätzlich in die Lage versetzt, aus dem Eröffnungsbeschluss im Ausland zu vollstrecken (§ 148 Abs. 2 Satz 1 InsO). Die vom Schuldner über Massegegenstände vorgenommenen Verfügungen sind und bleiben unwirksam (§ 81 Abs. 1 Satz 1 InsO). Er ist trotz seiner Flucht weiter verpflichtet, Auskünfte zu erteilen und den Insol-

 amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 235  BGH, Beschl. v. 18. September 2003, IX ZB 75/03, NZI 2004, 21  MünchKomm-InsO/Lwowski/Peters, § 35 Rz. 36; Oberer, ZVI 2009, 49, 50 empfiehlt insoweit einen klarstellenden Hinweis im Eröffnungsbeschluss, wonach das Auslandsvermögen vom Insolvenzbeschlag ebenfalls umfasst sei

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

venzverwalter bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Ferner wird die auf §§ 97, 98 InsO gestützte Entscheidung, den Schuldner zwangsweise vorzuführen und gegebenenfalls in Haft nehmen zu lassen, durch dessen Flucht von Rechts wegen nicht unmöglich. Eine andere Frage ist freilich, ob die damit erhofften Verfahrensbeiträge des Schuldners dem insolvenzrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzip genügen, wenn bedacht wird, dass die Verfahren zur Anerkennung und Vollziehung einer inländischen Vorführungsanordnung im nichteuropäischen Ausland unter Berücksichtigung der Bedingungen der bilateralen Rechtshilfe regelmäßig sehr umständlich, kostenträchtig und – vor allem – zeitintensiv verlaufen. Zudem wurden in Art. 102 EGInsO a. F. einige Kollisionsvorschriften niedergelegt, so die bereits untersuchte Normierung des Anerkennungsgrundsatzes hinsichtlich der Wirkungen ausländischer Insolvenzverfahren in Art. 102 Abs. 1 EGInsO a. F.. Im Weiteren fand sich im zweiten Absatz eine Kollisionsnorm, aufgrund der sich das Recht zur Anfechtung in erster Linie nach dem ausländischen Statut der Verfahrenseröffnung und in zweiter Linie nach dem inländischen Anfechtungsrecht richtete, während sich der dritte Absatz über die Zulässigkeit von Partikularinsolvenzverfahren verhielt. Der erst mit dem Gesetz zur Änderung insolvenzrechtlicher und kreditwesenrechtlicher Vorschriften vom 8. Dezember 1999⁵¹⁰ eingefügte vierte Absatz beinhaltete kollisionsrechtliche Vorschriften für Finanzsysteme.

An dieser grundlegenden Ausrichtung des deutschen autonomen internationalen Insolvenzrechts hat sich mit der Einführung der §§ 335 bis 358 InsO durch das Gesetz vom 14. März 2003 zur Neuordnung des internationalen Insolvenzrechts⁵¹¹ nichts geändert. Vielmehr kodifizieren die seit dem 20. März 2003 (neben den Bestimmungen der EuInsVO) geltenden Vorschriften der §§ 335 ff. InsO im Großen und Ganzen den bis dahin durch Richterrecht erreichten und im Gesetzestext der § 35 Abs. 1 InsO und Art. 102 EGInsO a. F. nur unvollkommen zum Ausdruck gebrachten Rechtszustand der Universalität der inländisch und ausländisch eröffneten Insolvenzverfahren. Nach der amtlichen Begründung des zugrundeliegenden Gesetzesentwurfs⁵¹² dienen die §§ 335 bis 358 InsO deshalb zuvörderst der Rechtsklarheit. Hierbei hat der Gesetzgeber die ursprünglich im Regierungsentwurf der Insolvenzordnung⁵¹³ enthaltenen Bestimmungen zum internationalen Insolvenzrecht weitgehend übernommen. Von einem naheliegenden Globalverweis auf die Vorschriften der später noch zu untersuchenden EuInsVO wurde bewusst abgesehen, da jene Normen „für einen eng verflochtenen Wirtschaftsraum

   

BGBl. I 1999 S. 2384 BGBl. I 2003 S. 345 BT-Drucks. 15/16, S. 1 f. und S. 13 f. BT-Drucks. 12/2443, S. 5 ff.

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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mit transparentem Rechtssystem konzipiert“ worden sind. Bei einer entsprechenden Geltung der europäischen Normen im Verhältnis zu Drittstaaten befürchtete der nationale Gesetzgeber unter Umständen Friktionen, weshalb die Vorschriften des deutschen autonomen internationalen Insolvenzrechts in Teilen weniger kooperationsfreundlich angelegt wurden.⁵¹⁴ Die Grundnorm des § 335 InsO formuliert als allseitig wirkende Kollisionsregel des deutschen autonomen internationalen Insolvenzrechts die grundsätzlich universelle Geltung der Wirkungen eines Insolvenzverfahrens nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (lex fori concursus).⁵¹⁵ Die Befugnisse des Konkursgerichtes, des Verwalters, der Gläubiger und des Schuldners sollen sich auch fürderhin prinzipiell nach dem nationalen Recht des Eröffnungsstaates richten.⁵¹⁶ Dabei erstreckt sich die lex fori concursus grundsätzlich über die Eröffnung, Durchführung und Beendigung des Verfahrens und umfasst materielles wie Verfahrensrecht sowie die davon ausgehenden Wirkungen, soweit nicht Sonderanknüpfungen vorgesehen sind.⁵¹⁷ In der Grundnorm des § 335 InsO sind mithin der Universalitätsanspruch für die Auslandswirkungen eines im deutschen Inland eingeleiteten Insolvenzverfahren sowie die prinzipielle Anerkennung der Universalität der im Ausland eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahren im Inland gefasst. Neben der allseitigen Kollisionsnorm des § 335 InsO hat der Gesetzgeber für die inländische Geltung der Wirkungen eines ausländischen Insolvenzverfahrens mit § 343 Abs. 1 InsO eine weitere zentrale Vorschrift des deutschen autonomen internationalen Insolvenzrechts anstelle des bisherigen Art. 102 Abs. 1 EGInsO a. F. gesetzt. Hiernach werden ein von einem international zuständigen, ausländischen Gericht eröffnetes Insolvenzverfahren und dessen Wirkungen im Inland grundsätzlich automatisch und unmittelbar, mithin ohne zusätzliches Exequaturverfahren anerkannt, soweit dem nicht die Nomen der §§ 344 bis 353 ff. InsO entgegenstehen und die Anerkennung mit dem deutschen ordre public vereinbar ist.⁵¹⁸ Dies gilt gleichermaßen für nach Antragstellung im Eröffnungsverfahren ergriffene (Sicherungs‐) Maßnahmen⁵¹⁹ sowie Entscheidungen und Anordnungen, die zwecks Durchführung und Beendigung des Verfahrens ergehen (§ 343 Abs. 2 InsO), auch wenn ihr Vollzug im Inland ein besonderes Vollstreckungsurteil voraussetzt (§ 353 InsO). Dabei unterliegen gemäß § 335

     

amtliche Begründung zum RegE, BT-Drucks. 15/16, S. 13 f. BT-Drucks. 15/16, S. 18; Liersch, NZI 2003, 302, 304 LSZ/Smid, § 335 Rz. 8 Liersch, NZI 2003, 302, 304; LSZ/Smid, § 338 Rz. 5 f. amtliche Begründung, BT-Drucks. 15/16, S. 21 Liersch, NZI 2003, 302, 306

376

E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

InsO die Wirkungen des ausländischen Konkursverfahrens prinzipiell dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung.⁵²⁰ Der in einen Drittstaat verzogene Schuldner kann mithin auf der Basis des dort geltenden Insolvenzrechtes, dessen Wirkungen im Inland ipso iure anzuerkennen sind, ein Verfahren einer gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung durchlaufen, welches mit den Zielen eines inländischen Insolvenzverfahrens im Sinne des § 1 InsO in etwa vergleichbar ist.⁵²¹ Hierin sind Verfahren zu erkennen, die sowohl auf die alsbaldige Liquidation des Schuldnervermögens ausgerichtet sind, als auch solche, durch die der Bestand des schuldnerischen Unternehmens trotz bestehender Insolvenzgründe erhalten werden soll, sofern mit diesem Verfahren auch das Ziel der Befriedigung der Gläubiger verfolgt wird.⁵²² Sieht ein derartiges Verfahren indes eine Enthaftung des Schuldners als Verfahrensziel nicht vor⁵²³ oder erreicht der Schuldner dieses Ziel aufgrund der Bedingungen des ausländischen Verfahrens nicht, werden die inländischen Gläubiger künftig nicht gehindert, ihre Ansprüche gegenüber dem Schuldner weiter zu verfolgen; insoweit liegt mit Blick auf § 201 Abs. 1 InsO eine vergleichbare Rechtslage vor. Endet das ausländische Verfahren jedoch mit einer schuldbefreienden Entscheidung, erstreckt sich deren Wirkung prinzipiell im Inland zulasten der dortigen Gläubiger. Verfolgen diese dennoch ihre Ansprüche im Inland individuell (weiter), kann der Schuldner ihnen den Mangel des Rechtsschutzbedürfnisses als Sachurteilsvoraussetzung entgegenhalten.

Elementar für das deutsche autonome internationale Insolvenzrecht ist freilich, dass die Anerkennung einer ausländischen Gerichtsentscheidung nicht zu einem Ergebnis führt, welches mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich nicht vereinbart werden kann, insbesondere soweit sie mit den Grundrechten unverträglich ist (§ 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO). Mit dem deutschen ordre public wäre eine Entscheidung eines ausländischen Insolvenzgerichts nicht in Einklang zu bringen, wenn das Ergebnis der Anwendung des ausländischen Rechts zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stünde, dass seine Geltung nach inländischer Vorstellung untragbar erscheint.⁵²⁴ Mit Blick auf  Graf-Schlicker/Kebekus/Sabel, § 343 Rz. 1  amtliche Begründung, BT-Drucks. 15/16, S. 21; BGH, Urt. v. 20. Dezember 2011, VI ZR 14/11, juris; BGH, Urt. v. 13. Oktober 2009, X ZR 79/06, ZIP 2009, 2217; ferner BAG, Urt. v. 27. Februar 2007, 3 AZR 618/06, ZIP 2007, 2047  BGH, Urt. v. 20. Dezember 2011, VI ZR 14/11, juris; BGH, Urt. v. 13. Oktober 2009, X ZR 79/06, ZIP 2009, 2217; BAG, Urt. v. 27. Februar 2007, 3 AZR 618/06, ZIP 2007, 2047; Prütting/Gehrlein/ Anders, § 240 Rz. 4; vgl. zudem BT-Drucks. 12/2443, S. 236 sowie BGH, Urt. v. 14. November 1996, IX ZR 339/95, BGHZ 134, 79  Hergenröder, DZWIR 2009, 309 ff. benennt zum Beispiel Länder wie Bosnien, Kroatien (freilich vor dem EU-Beitritt) oder die Türkei  BGH, Urt. v. 13. Oktober 2009, X ZR 79/06, ZIP 2009, 2217 unter Hinweis auf BGH, Beschl. v. 16. September 1993, IX ZB 82/90, BGHZ 123, 268 m. w. Nachw.; vgl. BAG, Urt. v. 27. Februar 2007, 3 AZR 618/06, ZIP 2007, 2047

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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das in § 1 Satz 2 InsO normierte (weitere) Ziel des deutschen Insolvenzverfahrens, wonach „lediglich“ dem redlichen Schuldner Gelegenheit zur Restschuldbefreiung gegeben werden soll, scheinen ausländische Gesamtvollstreckungsverfahren (so sie existent sind), an deren Ende es zur vollständigen Enthaftung des Schuldners ohne Erfüllung (nennenswerter) Redlichkeitsvoraussetzungen oder vergleichbarer Bedingungen (wie zum Beispiel Mindestquoten) käme, geeignet zu sein, gegen den inländischen ordre public zu verstoßen. Die bisherige Untersuchung der historischen Wurzeln sowie der Grundgedanken des gegenwärtig geltenden deutschen Insolvenzrechts hat ganz deutlich werden lassen, dass der Schuldner von seinen Gläubigern nur dann Entgegenkommen in Form einer wie auch immer erfolgenden Enthaftung erwarten kann, wenn er sich seinerseits hierfür würdig zeigt. In dieser Formel liegt der Kern der im Insolvenzrecht zum Ausdruck kommenden Gerechtigkeitsvorstellung, nur dem Schuldner, der es „verdient“ hat, die Hand reichen und von der Haftung befreien zu wollen. Ein Mindestmaß an prüfbarer Aufrichtigkeit legitimiert die Schuldenbereinigung. Würde der Schuldner ohne weiteres von seinen Verbindlichkeiten befreit werden, könnte der Fraudulöse nicht mehr vom Redlichen unterschieden werden; jedwedem Missbrauch wäre Tür und Tor geöffnet und würde zu katastrophalen Folgen einer auf Kredit beruhenden Wirtschaft führen.

b) Verortung des forum concursus Damit es zur universell wirkenden Eröffnung eines inländischen Insolvenzverfahrens durch die Entscheidung eines deutschen Amtsgerichts⁵²⁵ kommen kann, hat es unter anderem seine internationale Zuständigkeit festzustellen. In gleicher Weise muss gemäß § 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO das im Ausland angerufene Gericht nach deutschem Recht für Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners zuständig (gewesen) sein, sollen seine Wirkungen im Inland grundsätzlich anerkannt werden. Dennoch wurde die internationale Zuständigkeit der zur Entscheidung berufenen Insolvenzgerichte im inländischen Recht nicht – auch nicht durch die mit Gesetz vom 14. März 2003 zur Neuordnung des internationalen Insolvenzrechts angefügten §§ 335 bis 358 InsO – normiert.⁵²⁶ Darauf gerichtete Vorschriften wurden für entbehrlich gehalten, weil den deutschen Gerichtsstandsvorschriften grundsätzlich eine Doppelfunktionalität mit der Folge zukomme, dass die internationale Zuständigkeit eines deutschen Gerichts durch

 im Beschwerdeverfahren nach §§ 34 Abs. 1 und 2, 6 Abs. 1 InsO sind freilich auch die Landgerichte als volle Tatsacheninstanz zur Verfahrenseröffnung entscheidungsbefugt, vgl. BGH, Beschl. v. 29. Juni 2006, IX ZB 245/05, ZIP 2006, 1452; BGH, Beschl. v. 27. März 2008, IX ZB 144/07, ZIP 2008, 1034; hierzu Flöther/Morgner, jurisPR-InsR 13/2008, Anm. 2  zur „Kardinalfrage“ der internationalen Zuständigkeit s. Pfeiffer, S. 3 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

dessen örtliche Zuständigkeit indiziert werde⁵²⁷ und diese im internationalen Privatrecht anerkannte Maxime für Insolvenzverfahren ebenfalls gelte.⁵²⁸ Soweit nicht ein internationales Abkommen oder ein bilateraler Vertrag außerhalb des Anwendungsbereiches der EuInsVO eine anderweitige Regelung trifft, richtet sich demnach die internationale Zuständigkeit der deutschen Insolvenzgerichte allein nach der lex fori, so dass die Bestimmungen des § 3 Abs. 1 InsO zur Anwendung kommen. Sie bilden zugleich das Richtmaß für die im Rahmen des § 343 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 InsO spiegelbildlich⁵²⁹ zu prüfende internationale Zuständigkeit des im Ausland angegangenen Gerichts, denn in Ermangelung vorrangiger Kollisionsnormen zur Prüfung der internationalen Zuständigkeit eines ausländischen Insolvenzgerichtes fragt der Bundesgerichtshof ⁵³⁰ danach, „ob unter gleichsam „spiegelbildlicher“ Zugrundelegung deutscher Zuständigkeitsnormen ein Gericht des Staats, in dem die Entscheidung ergangen ist, international zuständig wäre“. Für beide Teile des deutschen autonomen internationalen Insolvenzrechts ist mithin die unter Beachtung des § 3 InsO vorzunehmende Bestimmung des international zuständigen Insolvenzgerichts von zentraler Bedeutung. Hiernach ist das Insolvenzgericht ausschließlich örtlich zuständig, in dessen Bezirk der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat (§ 3 Abs. 1 Satz 1 InsO). Liegt hingegen der Mittelpunkt einer selbstständig ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners an einem anderen Ort, ist das dortige Insolvenzgericht zu Verfahrenshandlungen befugt (§ 3 Abs. 1 Satz 2 InsO). Nach dem eindeutigen Wortlaut ist die Norm des § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO lex specialis gegenüber § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO.⁵³¹ Folglich ist das Insolvenzgericht in erster Linie zur Entscheidung über den Eröffnungsantrag berufen, in dessen Bezirk die generellen Entscheidungen der Unternehmensleitung in laufende Geschäftsführungsakte nach außen

 so beispielsweise OLG Köln, Beschl. v. 23. April 2001, 2 W 82/01, NZI 2001, 380 unter Hinweis auf BGH, Urt. v. 17. Dezember 1998, IX ZR 196/97, ZIP 1999, 196 m. w. Nachw.; LSZ/Rechel, § 3 Rz. 23, 33  FK-InsO/Schmerbach, § 3 Rz. 53; LSZ/Rechel, § 3 Rz. 33  Kreft/Stephan, InsO, § 343 Rz. 8; Graf, S. 289 m. w. Nachw.  BGH, Urt. v. 20. Dezember 2011, VI ZR 14/11, juris; BGH, Urt. v. 13. Oktober 2009, X ZR 79/06, ZIP 2009, 2217 je m. w. Nachw.  OLG Köln, Beschl. v. 22. März 2000, 2 W 49/00, NZI 2000, 232; OLG Frankfurt, Beschl. v. 14. Juli 2005, 14 UH 13/05, ZInsO 2005, 822; OLG München, Beschl. v. 12. März 2009, 31 AR 158/09, ZInsO 2009, 838; OLG Schleswig, Beschl. v. 11. Februar 2010, ZInsO 2010, 574; Kreft/Kirchhof, InsO, § 3 Rz. 15

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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erkennbar umgesetzt werden.⁵³² Übt der Schuldner eine vormals begründete selbstständige Tätigkeit jedoch nicht (mehr) aus, ist die örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts begründet, in dessen Sprengel der Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.⁵³³ Jener wird gemäß § 4 InsO i. V. m. § 13 ZPO und § 7 Abs. 1 BGB durch den Wohnsitz und dieser wiederum durch die ständige Niederlassung an einem Ort definiert. Die Niederlassung im Sinne des § 7 Abs. 1 BGB erfordert eine eigene (zumindest behelfsmäßige) Unterkunft sowie einen darauf gerichteten Domizilwillen, den Ort zum fortwährenden räumlichen Mittel- oder Schwerpunkt der gesamten Lebensverhältnisse zu machen.⁵³⁴ Was unter einem Wohnsitz des Schuldners im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO konkret zu verstehen ist, wird bei der Betrachtung eines vom Amtsgericht Hamburg⁵³⁵ entschiedenen Sachverhalts verständlicher. Der im Februar 2007 einen Eigenantrag stellende Schuldner, ein Architekt, hatte nach eigenen Angaben im September 2006 ein unbefristetes Anstellungsverhältnis in Kanada begründet und seine unselbstständige Tätigkeit dort zum 1. November 2006 aufgenommen. Im Verfahren legte er eine gültige Meldebescheinigung nebst Mietvertrag für eine Hamburger Wohnung vor, in welcher nach seiner Darstellung die Ehefrau mit dem gemeinsamen Kind lebte. Der Schuldner war der Auffassung, sein Lebensmittelpunkt läge in Hamburg; er komme „immer wieder – soweit er Arbeitsbefreiung habe – zu Besuch“. Das Insolvenzgericht vermochte seine Zuständigkeit gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO i. V. m. §§ 12, 13 ZPO, 7 BGB nicht zu erkennen, da bei der Beurteilung, ob der Schuldner zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen allgemeinen Wohnsitz in Hamburg hatte, in einer Gesamtschau der maßgeblichen Umstände auf den räumlichen Mittelpunkt der gesamten Lebensverhältnisse abzustellen sei. Hieran ändere der fortbestehende Mietvertrag nichts, da der Schuldner den rechtsgeschäftlichen Domizilwillen haben müsse, den Ort zum ständigen Schwerpunkt seiner Lebensverhältnisse zu machen. Aus der weder direkt noch analog anwendbaren Bestimmung des § 15 ZPO sei zu entnehmen, dass der Gesetzgeber Auslandsaufenthalte zur Arbeitsaufnahme aus dem Bereich des deutschen Gerichtsstandes ausschließen wollte. Das Amtsgericht kam deshalb zutreffend zu der Erkenntnis, dass der Schuldner infolge seines freiwillig in das Ausland verlegten Aufenthalts und trotz der vorgetragenen engen sozialen Bindungen zu seiner in Hamburg zurückgebliebenen Familie seinen räumlichen Lebensmittelpunkt im Ausland gefunden hatte, da nicht davon ausgegangen werden konnte, dass er in Kanada keinen Wohnsitz begründet und keinen Hausstand mit Wohnung, Möbeln, Bankverbindung etc. errichtet habe.

Damit wird deutlich, dass es für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit auf die objektiv feststellbaren, tatsächlichen Lebensverhältnisse ankommt,  MünchKomm-InsO/Ganter, § 3 Rz. 10; Graf-Schlicker/Kexel, § 3 Rz. 7; Kreft/Kirchhof, InsO, § 3 Rz. 9; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 3 Rz. 4; AG Essen, Beschl. v. 1. September 2009, 166 IN 119/09, ZIP 2009, 1826; BGH, Urt. v. 21. März 1986, V ZR 10/85, ZIP 1986, 643  BGH, Beschl. v. 8. Oktober 2009, IX ZB 83/09, juris  Prütting/Gehrlein/Wern, § 13 Rz. 3 m. w. Nachw.; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 3 Rz. 3; BGH, Beschl. v. 14. Januar 2010, IX ZB 76/09, ZInsO 2010, 347  AG Hamburg, Beschl. v. 2. März 2007, 67c IN 65/07, ZVI 2007, 182

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

die einen Rückschluss auf den Domizilwillen des Schuldners erlauben.Verlegt der Schuldner seinen Wohnsitz hingegen nur zum Schein oder mit dem Vorbehalt, sehr zeitnah an seinen bisherigen räumlichen Lebensmittelpunkt wieder zurückzukehren, bleibt ein solches Vorgehen für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit außer Betracht. Derartige Scheinwohnsitzverlegungen – die nicht selten im gleichen Atemzug mit dem noch näher zu untersuchenden Phänomen des forum shopping Erwähnung finden und zuweilen damit gleichgesetzt werden,⁵³⁶ jedoch davon zu unterscheiden sind – werden oftmals vorgenommen, indem Briefkastenadressen als Wohnungsanschriften benannt, bloße ordnungsrechtliche An- und Abmeldungen vorgenommen oder einzelne, kleine (Gemeinschafts‐) Zimmer gemietet werden, in denen der Schuldner allein oder mit anderen, ihm bislang fremden Personen ständig zu leben vorgibt. In diesen Fällen kann ein Wohnsitz und Aufenthalt schon deshalb nicht begründet werden, weil sich der objektiv zu bestimmende räumliche Mittelpunkt der gesamten Lebensverhältnisse des Schuldners gerade nicht dort, sondern nach wie vor am Ursprungsort befindet: der Schuldner hält sich schließlich am Scheinwohnsitz zumeist nicht auf. Nicht nur Haubold ⁵³⁷ und Mankowski ⁵³⁸ weisen für den Geltungsbereich der EuInsVO zutreffend darauf hin, dass der Scheinwohnsitz gar kein Wohnsitz ist. Nichts anderes kann – abgesehen von der jeweiligen Definition des centre of main interests (COMI) in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO und des Tätigkeits- und Lebensmittelpunkts im Sinne des § 3 Abs. 1 InsO – für das deutsche autonome internationale Insolvenzrecht gelten. Das vorübergehende Fingieren einer im Ausland gelegenen Wohn- oder Geschäftsadresse bleibt angesichts der gebotenen objektiven Betrachtungsweise unbeachtlich, wenn nach wie vor der räumliche Schwerpunkt der geschäftlichen, beruflichen und sozialen Beziehungen des Schuldners (überwiegend) im Ursprungsstaat zu finden ist. Gerade die Absicht des Schuldners, über den Schwerpunkt der tatsächlichen Lebensverhältnisse täuschen zu wollen, offenbart die Absenz des für die Wohnsitzverlegung erforderlichen Domizilwillens. Die Schwierigkeit besteht für den Tatrichter in diesen Fällen „lediglich“ darin, anhand der ermittelbaren Informationen darüber zu entscheiden, ob eine scheinbare oder reale Verlegung des Wohnsitzes bzw. des Mittelpunktes der selbstständig ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit eingetreten ist.

 so zum Beispiel LG Leipzig, Beschl. v. 27. Juni 2006, 12 T 1207/05, ZInsO 2006, 380 oder LG Köln, Urt. v. 14. Oktober 2011, 82 O 15/08, ZIP 2011, 2119; für Kapitalgesellschaften AG Köln, Beschl. v. 19. Februar 2008, 73 IE 1/08, NZI 2008, 260 (PIN II), jeweils für den Anwendungsbereich der EuInsVO  Haubold, Rz. 52 und Rz. 73e  Mankowski, NZI 2005, 368, 372

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Ist ein Wohnsitz aufgrund der Schuldnerflucht allerdings nicht existent oder nicht aufklärbar, mithin unbekannt, kommt die internationale Zuständigkeit der deutschen Insolvenzgerichte gemäß § 16 ZPO in Betracht. Hiernach wird der allgemeine Gerichtsstand einer Person, die im Inland keinen Wohnsitz hat, durch den Aufenthaltsort im Inland und, wenn ein solcher nicht bekannt ist, durch den letzten Wohnsitz bestimmt. Der letzte Wohnsitz ist indes nur erheblich, wenn der Schuldner überhaupt keinen Wohnsitz hat, mithin weder im Inland noch im Ausland.⁵³⁹ Ist der ausländische Zufluchtsort des Schuldners, der zugleich seinen Wohnsitz bildet, bekannt, ist die internationale Zuständigkeit deutscher Insolvenzgerichte nicht gegeben. Befindet sich der Schuldner zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt unter Aufgabe seines inländischen Wohnsitzes auf der Flucht, richtet sich die Zuständigkeit nach dem inländischen Aufenthaltsort; ist dieser aufgrund der Dynamik der Flucht dem Gericht unbekannt, kann sich die internationale Zuständigkeit des deutschen Insolvenzgerichtes nach dem letzten inländischen Wohnsitz bestimmen. Im Fall der Schuldnerflucht kommt ansonsten eine (analoge) Anwendung des § 15 ZPO, mit dem ein Gerichtsstand für Deutsche, die als Beamte, Soldaten, Richter, Angestellte des Bundes und der Länder etc. das Recht der Exterritorialität genießen, aufgrund ihres besonderen Status begründet werden soll, nicht in Betracht.⁵⁴⁰ Hat der Schuldner den Mittelpunkt seiner selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit respektive seinen Wohnsitz bzw. Aufenthalt tatsächlich außerhalb des Geltungsbereiches der deutschen Gesetze verlagert und liegen keine belastbaren Anhaltspunkte für ein (rechtsmissbräuchliches) forum shopping vor, ist mangels internationaler Zuständigkeit der deutschen Insolvenzgerichte für eine rechtmäßige inländische Eröffnungsentscheidung kein Raum. Der Schuldner begibt sich mit dem Wegzug freiwillig und eigenverantwortlich aus dem räumlichen Geltungsbereich der deutschen Gerichtsbarkeit und der darin zu seinem Schutz und seiner Entschuldung bereit gehaltenen Normen.⁵⁴¹ Ebenso wenig kann ein derartiger Schuldnerantrag in einen Antrag auf Eröffnung eines Partikularinsolvenzverfahrens im Sinne der §§ 354 ff. InsO umgedeutet werden, da ihm hierfür die Antragsbefugnis deswegen fehlt, weil Ziel eines Partikularinsolvenzverfahrens der Schutz inländischer Gläubigerinteressen am inländischen Vermögen des im Ausland weilenden Schuldners ist.⁵⁴² Zugleich eröffnet sich damit die internationale Zuständigkeit des ausländischen Gerichts, in dessen Bezirk der Schuldner nach dem dortigen lex fori die für Zuständigkeitsbe-

 BGH, Beschl. v. 14. Januar 2010, IX ZB 76/09, ZInsO 2010, 347; Kreft/Kirchhof, InsO, § 3 Rz. 15; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 3 Rz. 3  OLG Köln, Beschl. v. 23. April 2001, 2 W 82/01, NZI 2001, 380; Oberer, ZVI 2009, 49, 50  vgl. BGH, Beschl. v. 8. Oktober 2009, IX ZB 83/09, juris  amtliche Begründung zum RegE, BT-Drucks. 15/16, S. 25; Kreft/Stephan, InsO, § 354 Rz. 2; LG Stuttgart, Beschl. v. 30. Dezember 1999, 10 T 326/99, ZIP 2000, 1122; OLG Köln, Beschl. v. 23. April 2001, 2 W 82/01, NZI 2001, 381, jeweils noch zu Art. 102 Abs. 3 EGInsO; Oberer, ZVI 2009, 49, 50

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

gründung maßgeblichen Tatsachen verwirklicht, so dass eine für die Anerkennung ausländischer Entscheidungen erforderliche Voraussetzung erfüllt wird.

c) Beurteilungszeitpunkt der Zuständigkeitsentscheidung Vorstehend wurde untersucht, nach welchen raumbezogenen Kriterien die internationale Zuständigkeit zu bestimmen ist. Eine andere Frage ist, zu welchem Zeitpunkt die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts erfüllt sein müssen. Die Normen des § 3 InsO geben hierfür keine ausreichende Antwort. In Frage kommen der Zeitpunkt der Antragstellung, das Datum der Entscheidung des Insolvenzgerichts über den Eröffnungsantrag oder jeder andere Moment, wie zum Beispiel der Zeitpunkt des Eintritts der Insolvenzreife. Auch wenn zwischen Antragstellung und Eröffnungsentscheidung oftmals kein besonders langer Zeitraum liegen mag, ist für alle Fälle, in denen der Schuldner vor oder nach der Antragstellung den Mittelpunkt seiner selbstständig ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit bzw. seinen Wohnsitz oder Aufenthalt in einen Drittstaat verlegt hat, ein geeignetes Beurteilungskriterium zu definieren. Sicherlich drängt sich über die Verweisung des § 4 InsO die Norm des § 263 Abs. 3 Nr. 2 ZPO als Lösungsansatz auf, wonach die Rechtshängigkeit einer Streitsache unter anderem die Wirkung hat, dass die Zuständigkeit des Prozessgerichts durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht (mehr) berührt wird.⁵⁴³ Demgegenüber könnte allerdings eingewandt werden, dass die Anknüpfung an die Rechtstatsache der zivilprozessualen Rechtshängigkeit bei Insolvenzverfahren, die als nichtstreitige Verfahren mit Elementen und vergleichbar der freiwilligen Gerichtsbarkeit ausgestaltet sind,⁵⁴⁴ angesichts einer nicht vorzunehmenden Zustellung des Eröffnungsantrages nicht so recht überzeugen will.⁵⁴⁵ Gleichwohl ist es herrschende Meinung,⁵⁴⁶ dass die Zuständigkeit im Zeitpunkt des Eingangs

 zur perpetuatio fori im Zivilprozess s. Löser, S. 35 ff.  BVerfG, Beschl. v. 3. August 2004, 1 BvR 135/00, 1 BvR 1086/00, ZIP 2004, 1649; BGH, Beschl. v. 4. März 2004, IX ZB 133/03, ZIP 2004, 914; Smid, Handbuch, S. 28 f. m. w. Nachw.  HamK-InsO/Rüther, § 3 Rz. 7; dagegen vertrat das OLG Düsseldorf, Beschl. v. 2. Januar 2004, I 19 Sa 111/03, ZVI 2004, 31, die Auffassung, dass es für die Bestimmung der örtlichen und damit internationalen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts beim Gläubigerantrag grundsätzlich auf die Umstände zur Zeit der Zustellung des Eröffnungsantrags an den Schuldner ankäme und der Tatbestand bei Antragstellung nur beim Eigenantrag des Schuldners maßgeblich sei; gleicher Auffassung ist wohl auch Oberer, ZVI 2009, 49, 50  Trunk, S. 100 f.; Jaeger/Gerhardt, InsO, § 3 Rz. 40; MünchKomm-InsO/Ganter § 3 Rz. 5; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 3 Rz. 6; FK-InsO/Schmerbach § 3 Rz. 25; Kreft/Kirchhof, InsO, § 3 Rz. 5; Klockenbrink, S. 97; BGH, Beschl. v. 2. März 2006, IX ZB 192/04, ZIP 2006, 767; OLG Frankfurt,

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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des (ersten) Insolvenzantrags beim angerufenen Gericht zu beurteilen ist und etwaige nach Antragseingang eintretende Veränderungen ohne Belang sind, so dass bei festgestellter örtlicher und damit internationaler Zuständigkeit die in § 263 Abs. 3 Nr. 2 ZPO normierte Rechtsfolge der perpetuatio fori eintritt.⁵⁴⁷ Die Rechtsauffassung, nach der maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt die Antragstellung ist und später eintretende Ereignisse nicht zum Wegfall der einmal begründeten Gerichtszuständigkeit führen, verdient Zustimmung. Sicherlich würde ein noch weiter vorverlagerter Zeitpunkt die Gefahr des sogleich zu untersuchenden Missbrauchs des forum shopping stärker eindämmen, indem zum Beispiel auf den Eintritt der Vermögenskrise rekurriert werden würde. Ein derartiges Unterfangen wäre jedoch mit dem Eilcharakter des Insolvenzeröffnungsverfahrens⁵⁴⁸ nicht zu vereinbaren, müsste doch das Gericht ex officio sehr umfangreiche Untersuchungen unternehmen und hierzu erforderlichenfalls ein aufwendiges Sachverständigengutachten darüber in Auftrag geben, zu welchem Zeitpunkt die Vermögensunzulänglichkeit eingetreten ist, um festzustellen, ob zu diesem seine Zuständigkeit im Sinne des § 3 Abs. 1 InsO begründet war. Es liegt auf der Hand, dass dahingehende Ermittlungen äußerst streitanfällig sind, zu mehr oder weniger zufälligen Ergebnissen führen können und die damit einhergehenden Verzögerungen, Erschwernisse und Kosten nicht im Gläubigerinteresse liegen. Dagegen ist der Zeitpunkt der Antragstellung mit einem kurzen Blick auf den Posteingangstempel sehr einfach ermittelbar, so dass lediglich die aufzuklärende Unwägbarkeit bleibt, ob zu diesem Datum die internationale Zuständigkeit des befassten Gerichts bestanden hat. Ein späterer Beurteilungszeitpunkt als der der Antragsstellung birgt die Gefahr, dass das Gericht nachfolgende Änderungen der maßgeblichen Umstände stets zu beobachten hätte und seine Eröffnungsentscheidung im Rechtsmittelverfahren ständig dem Angriff ausgesetzt wäre, die zuständigkeitsbegründenden Merkmale hätten sich nach Antragstellung gravierend geändert. Das inländische Eröffnungsverfahren dient in seiner Eilbedürftigkeit in erster Linie der Ermittlung, ob

Beschl. v. 21. Mai 2002, 21 AR 113/01, ZIP 2002, 1956; AG Düsseldorf, Beschl. v. 25. Mai 2000, 503 IK 28/99, NZI 2000, 555 für den Fall der unmittelbar nach Antragstellung erfolgenden Wohnsitzverlegung ins Ausland; OLG Naumburg, Beschl. v. 28. März 2001, 5 AR 1/01, ZIP 2001, 753; OLG Celle, Beschl. v. 24. Januar 2001, 2 W 124/00, ZIP 2001, 468; AG Göttingen, Beschl. v. 27. November 2009, 74 IN 271/09, ZIP 2010, 640  mit gleichem Ergebnis hat der EuGH, Urt. v. 17. Januar 2006, Rs. C-1/04, DZWIR 2006, 196 (Staubitz-Schreiber) zu Art. 3 Abs. 1 EuInsVO entschieden  hierzu im Zusammenhang mit der Bestellung des Insolvenzverwalters BVerfG, Beschl. v. 23. Mai 2006, 1 BvR 2530/04, NZI 2006, 453; Uhlenbruck/Pape, InsO, § 4 Rz. 41

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

ein Insolvenzgrund gegeben ist und eine kostendeckende Masse (vom Weg des § 4a InsO, der ohnehin einen Schuldnerantrag voraussetzt, einmal abgesehen) noch vorhanden ist. Die Eventualität der späteren Verschiebung des Mittelpunktes der selbstständig ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit oder des Wohnsitzes würde die diesbezüglichen Untersuchungen immer in Frage stellen, erhebliche Ressourcen binden und dem Schuldner den Weg zeigen, durch illoyale Maßnahmen die Verfahrenseröffnung zu behindern. Insbesondere in den Fällen, in denen ein (institutioneller) Gläubiger einen Eröffnungsantrag an das Insolvenzgericht richtet, würde ein späterer Beurteilungszeitpunkt als der Moment der Antragstellung es dem Schuldner erlauben, seine Zelte umgehend abzubrechen und die Flucht in ein anderes Land anzutreten, um dort seinen Wohnsitz zu begründen und hiernach die fehlende Zuständigkeit des angerufenen Gerichts erfolgversprechend zu rügen.

d) Problem des forum shopping Eine andere Frage ist, wie es sich verhält, wenn der Schuldner in einer gewissen zeitlichen Nähe vor der Antragstellung im Drittstaat den Mittelpunkt seiner selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit bzw. seinen Wohnsitz oder Aufenthaltsort verlegt, um sich ganz bewusst dem Regiment der deutschen Insolvenzgerichtsbarkeit zu entziehen und in einer anderen nationalen Rechtsordnung nach einer für ihn günstigeren Verfahrensgestaltung zu suchen. Damit wird das bereits wiederholt erwähnte Phänomen des schuldnerischen forum shopping als eine moderne Form der Schuldnerflucht angesprochen, dessen Dogmatik und Behandlung einer näheren Untersuchung bedarf. Auch wenn die in § 335 InsO notierte Universalität des inländischen und ausländischen Insolvenzrechts und die grundsätzliche Akzeptanz fremder Verfahrensrechte beabsichtigt sind (§ 343 InsO) und infolgedessen die nationalen Insolvenzrechtsordnungen zueinander im globalen Wettbewerb stehen, bedarf es angesichts der damit offerierten Vielfalt an Bewältigungsprogrammen und der Gefahr des Rechtsmissbrauchs des forum shopping einer für alle Beteiligten vorhersehbaren und transparenten Zuständigkeitsordnung,⁵⁴⁹ welche eine Prognose über das anzuwendende Recht im Fall der Vermögenskrise erlaubt und den Verwerfungen, die durch einen Wettlauf um die Verfahrenseröffnung, etwaige Parallelverfahren und widersprüchliche Entscheidungen eintreten können, entgegenwirkt. Angesichts dessen erstaunt es, dass weder das deutsche autonome noch das europäische internationale Insolvenzrecht spezielle Normen für die Fälle bereitstellen, in denen der Schuldner vor der Initiierung des Insolvenzverfahrens den Mittelpunkt seiner selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit bzw. seinen Wohn- oder Aufenthaltsort (respektive sein centre of main interests) verlegt. Insbesondere

 Schack, Rz. 233; Reuß, S. 12 m. w. Nachw.

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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wurde die in Art. 6 Ziffer 1 des 1980er Entwurfs eines EG-Konkursabkommens⁵⁵⁰ vorgeschlagene Normidee – eine vor der Antragstellung liegende periode suspecte, in der eine Verlegung des Tätigkeitsbzw. Lebensmittelpunkts respektive des centre of main interests zu einer anticipatio fori führt⁵⁵¹ – sowohl vom deutschen als auch vom europäischen Gesetzgeber nicht weiter verfolgt, während beispielsweise die französische oder die amerikanische Legislative Regelungen schufen, nach der ein Sitzwechsel innerhalb von sechs Monaten vor Antragstellung für die Bestimmung des forum concursus unbeachtlich ist.⁵⁵²

Weit gefasst wird unter einem forum shopping das systematisch-gezielte Herbeiführen oder Meiden der Zuständigkeit eines bestimmten Gerichtes unter Ausnutzung eines positiven Kompetenzkonfliktes um einzelner rechtlicher oder tatsächlicher Vorteile willen verstanden, sei es über eine gesetzlich erlaubte Wahl des Gerichtsstandes, sei es durch Prorogation oder sei es durch das Erwirken des Forums mittels Manipulation der zuständigkeitsbegründenden Tatsachen.⁵⁵³ Ein forum shopping kann sich auf die im Staatsterritorium befindlichen Gerichte beschränken oder auf die internationale Zuständigkeit der weltweit in Betracht kommenden Foren zielen. Für internationale Sachverhalte mögen die erstrebten Vorteile verfahrensrechtlicher Natur sein, im wirtschaftlichen oder sozialen Umfeld des Rechtsstreits zu finden sein oder materiell-rechtliche Gründe haben.⁵⁵⁴ In grenzüberschreitenden Insolvenzangelegenheiten liegen die (vermeintlich) rechtlichen Vorteile in erster Linie in dem mit der „Wahl“ des Gerichtsstands zum Einsatz kommenden Sachrecht, welches das angegangene Gericht aufgrund der von ihm zu befolgenden Kollisionsnormen anzuwenden hat.⁵⁵⁵ Hiervon verspricht

 abgedruckt in ZIP 1980, 582 ff.  kritisch hierzu Thieme, S. 268; Klöhn, KTS 2006, 259, 278  Klockenbrink, S. 99; zum französischen internationalen Insolvenzrecht Dostal, ZIP 1998, 969 ff.; nach dem in Titel 28 United States Code (USC) niedergelegten § 1408 richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach dem Ort, in dem der Schuldner seinen Wohnsitz, seine Niederlassung, seine Hauptverwaltung oder den Großteil seines Vermögens seit mindestens 180 Tagen vor der Verfahrenseröffnung hatte, hierzu Klöhn, KTS 2006, 259, 266; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 149 verweist auf vergleichbare Regelungen im italienischen und spanischen Insolvenzrecht  Schack, Rz. 250 ff.; Schütze, S. 40; Thole, ZZP 122 (2009), 423, 425; Knof/Mock, ZInsO 2008, 253, 254; Knof, ZInsO 2005, 1017; Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 469; Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183, 184; Weller, IPRax 2004, 412, 413 (Fn. 9); Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 320; Reuß, S. 6 f. jeweils m. w. Nachw.  Kropholler, S. 635 f.; Schack, Rz. 254 ff.; Schütze, S. 41 ff.; Reuß, S. 8 f. m. w. Nachw.  Geimer/Geimer/Geimer, Rz. 1099 verweisen hierzu auf den „fehlenden internationalen Entscheidungseinklang“, der Anreize auf den Rechtssuchenden ausstrahlt; ebenso Benecke, S. 317 ff.; vgl. in diesem Zusammenhang die explizit vom europäischen Normgeber kodifizierten Rechtswahlmöglichkeiten in Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

sich der Schuldner zumeist eine für ihn günstigere Gestaltung der eigenen Rechtsposition zur Bewältigung der auch ihn quälenden Vermögenskrise, die er in „seinem“ Forumstaat so nicht zu erreichen vermag.⁵⁵⁶ Dabei ist das im Insolvenzrecht so verpönte⁵⁵⁷ forum shopping zunächst nicht illegal oder illegitim.⁵⁵⁸ Nur ein kurzer Blick von der Brücke des § 4 InsO in das benachbarte Recht der Zivilprozessordnung zeigt, dass der inländische Gesetzgeber dem Kläger respektive Antragssteller außerhalb des Insolvenzrechts ausdrücklich die Wahl unter mehreren Gerichtsständen lässt, wie in § 35 ZPO unmissverständlich zu lesen ist. Im In- und Ausland spielt die freie Gerichtsstandwahl für die Verfolgung deliktischer, quasinegatorischer, presserechtlicher, urheberrechtlicher oder wettbewerbsrechtlicher Ansprüche zuweilen eine gewichtige Rolle. Zum Beispiel prozessieren im Medien- und Persönlichkeitsrecht erfahrene Rechtsanwälte gezielt vor bestimmten Gerichten,⁵⁵⁹ deren Rechtsprechung ihnen vertraut ist und mit dem erstrebten Verfahrensziel voraussichtlich im Einklang steht; es wird sogar als anwaltliche Pflicht begriffen, das für das Mandat günstigste Forum zu wählen.⁵⁶⁰ Ebenso werden für internationale Streitigkeiten deutsche Gerichte angerufen, auch wenn bis auf inländisches Vermögen die Parteien und der Streitgegenstand keinen

Recht (Rom I, Amtsblatt EG Nr. L 177 v. 4. Juli 2008, S. 6, berichtigtes Amtsblatt EG Nr. L 309 v. 24. November 2009, S. 87) oder in Art. 14 der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II, Amtsblatt EG Nr. L 199 v. 31. Juli 2007, S. 40)  interessant hierzu die auf Deutschland und England bezogene rechtsvergleichende Untersuchung v. Jasper, S. 20 ff. und S. 93 ff; Reuß, S. 8  vgl. zum Beispiel die negativ wirkende Konnotation bei Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 179; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 320; Knof/Mock, ZInsO 2008, 253 ff.; Vallender, NZI 2007, 129, 130; AG Göttingen, Beschl. v. 27. November 2009, 74 IN 271/09, ZInsO 2010, 254; AG Hildesheim, Beschl. v. 18. Juni 2009, 5 I IE 2/09, ZInsO 2009, 1544; ebenso der 4. Erwägungsgrund der EuInsVO; vgl. Reuß, S. 9 f. m. w. Nachw.  Kropholler, S. 636; Schack, Rz. 252; Thole, ZZP 122 (2009), 423, 425; Benecke, S. 320 f.; Sander/Breßler, ZZP 122 (2009), 157, 162; Reuß, S. 10 f. jeweils m. w. Nachw.; Schütze, S. 47 zu Reaktionen anderer Rechtsordnungen auf ein forum shopping  So wurde im Fall der individualisierenden Berichterstattung über den Mord an dem bekannten Schauspieler Walter Sedlmayr gezielt das Landgericht Hamburg angerufen, welches für seine Rechtsprechung zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen (vgl. hierzu die sogenannte Caroline-Rechtsprechung: LG Hamburg, Urt. v. 4. Februar 1994, 324 O 537/93, juris; OLG Hamburg, Urt. v. 8. Dezember 1994, 3 U 64/94, NJW-RR 1995, 790; BGH, Urt. v. 19. Dezember 1995, VI ZR 15/95, NJW 1996, 1128; BVerfG, Urt. v. 15. Dezember 1999, 1 BvR 653/96, NJW 2000, 1021; BVerfG, Beschl. v. 13. April 2000, 1 BvR 2080/98, NJW 2000, 2192; EGMR, Urt. v. 24. Juni 2004, 59320/00, NJW 2004, 2647; BGH, Urt. v. 6. März 2007, VI ZR 51/06, NJW 2007, 1977; BVerfG, Beschl. v. 26. Februar 2008, 1 BvR 1626/07, NJW 2008, 1793; EGMR, Urt. v. 7. Februar 2012, 40660/08 und 60641/08, NJW 2012, 1053) europaweit bekannt geworden ist; s. hierzu LG Hamburg, Urt. v. 18. Januar 2008, 324 O 548/07, juris; OLG Hamburg, Urt. v. 29. Juli 2008, 7 U 22/08, juris; im Nachgang EuGH, Urt. v. 25. Oktober 2011, Rs. C-509/ 09, NJW 2012, 137; BGH, Urt. v. 8. Mai 2012, VI ZR 217/08, NJW 2012, 2197.  Geimer/Geimer/Geimer, Rz. 1095 ff.; Kropholler, FS Firsching, S. 165; Siehr, ZfRV 25 (1984), 124 ff.; Schütze, S. 47

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Bezug zur Bundesrepublik Deutschland aufweisen.⁵⁶¹ Überdies vermögen nach §§ 38 ff. ZPO zulässige Gerichtsstandvereinbarungen die internationale Zuständigkeit deutscher oder ausländischer Gerichte zu begründen. Und freilich ist forum shopping kein deutsches oder europäisches Phänomen, vielmehr kann es weltweit in nationalen und internationalen Rechtsstreitigkeiten beobachtet werden.⁵⁶² Der das Verfahren initiierende Beteiligte will es aus materiell- oder prozessrechtlichen Gründen an dem ihm am günstigsten erscheinenden Ort führen, so dass sich sein Verhalten lediglich als Optimierung der Prozesschancen darstellt, die aus der Existenz rivalisierender Foren und Sachrechte resultiert und in der zunächst nichts Unrechtmäßiges liegt.⁵⁶³ Dieses nachvollziehbare Bestreben schafft für die Staaten zugleich Anreize, ihre Rechtsordnungen durch Reformen weiterzuentwickeln und so zu verbessern, dass es für die beteiligten Verkehrskreise attraktiv erscheint, dort das „beste Recht“ zu finden, zumal dadurch der nationale Rechtsberatungsmarkt gestärkt wird.⁵⁶⁴ Insoweit wird forum shopping nicht nur als grundsätzlich zulässig angesehen, sondern von staatlichen Normgebern sogar ausdrücklich gewünscht.

Welche Merkmale rechtfertigen es gleichwohl, ein an sich zulässig erscheinendes forum shopping⁵⁶⁵ im Insolvenzrecht als unerwünschte Gerichtsstandbegründung qualifizieren zu dürfen? Welche Faktoren führen zu dem von Kropholler⁵⁶⁶ beschriebenen Unbehagen, welches gegenüber dem schuldnerischen forum shopping empfunden wird? Denn zu bedenken ist, dass sich die zuständigkeitsrelevanten Tatsachen bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung aus verschiedenen, insbesondere verfahrensfremden sowie vollkommen anerkennungswürdigen Gründen verändern können, so dass eine Verlegung des Mittelpunktes der selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit respektive des Lebensmittelpunktes noch kurz vor der Antragstellung grundsätzlich zu berücksichtigen ist. Zudem sind die frühere oder gegenwärtige Belegenheit der Vermögenswerte, der Ort einer vormals ausgeübten, nunmehr aufgegebenen selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit, die bisherige Arbeitsstelle, der bisherige Wohnort und Aufenthalt des Schuldners, sein melderechtlicher Status oder die Ansässigkeit der Gläubigermehrheit nach deutschem autonomen internationalen Insolvenzrecht für die Bestimmung der internationalen

 vgl. die zu § 23 ZPO benannten Beispiele bei Jasper, S. 98 ff. m. w. Nachw.  zum Beispiel beschreibt Jasper, S. 20 ff. die Anziehungskraft englischer Gerichte; Schütze, S. 44 nennt bekannte forum-shopping-Streitigkeiten; Köster, passim, untersucht die Haftung nach deutschem Recht infolge eines forum shopping in den USA; hierzu auch Paulus, FS Georgiades, S. 511 ff.; Klöhn, KTS 2006, 259, 265 ff., Vallender, NZI 2007, 129, 130 und Eidenmüller, KTS 2009, 137, 142 benennen das forum shopping zu Insolvenzgerichten in New York und Delaware in den 1980er und 1990er Jahren; zu den Anreizen und Gefahren im Insolvenzrecht Eidenmüller, ZGR 2006, 467 ff.; Reuß, S. 63 f. und Klöhn, KTS 2006, 259, 263  Siehr, ZfRV 25 (1984), 124, 133 ff.  Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 477  Schack, Rz. 252, 555 unterscheidet hier zwischen forum shopping und Zuständigkeitserschleichung; Geimer/Geimer/Geimer, Rz. 1095 ff.  Kropholler, FS Firsching, S. 165 ff.; diese Formulierung aufgreifend Reuß, S. 9 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Zuständigkeit eines Insolvenzgerichtes an sich unbeachtlich und vermögen nur in Ausnahmefällen eine andere Beurteilung erlauben. An dieser Stelle soll daran erinnert werden, dass ein forum shopping von der betrügerischen Simulation der für die Gerichtsstandbegründung maßgeblichen Anknüpfungstatsachen zu unterscheiden ist. Wie Eidenmüller ⁵⁶⁷ und Reuß ⁵⁶⁸ für das (europäische) Insolvenzrecht zutreffend veranschaulichen, stellen „Betrugsfälle“ ein Problem der korrekten Sachverhaltsermittlung dar, während – wie im Folgenden noch aufzuzeigen sein wird – der Missbrauch eines Rechtes eine Frage der Anwendung einer Norm auf einen in tatsächlicher Hinsicht zutreffend ermittelten Tatbestand ist. Bei der betrügerischen Simulation verlegt der Schuldner seinen Wohnsitz lediglich zum Schein und täuscht so die räumliche Verlegung seines bisherigen räumlichen Lebensmittelpunktes vor. Ein derartiges Verhalten ist für die Frage nach dem Rechtsmissbrauch des forum shopping von vornherein unbeachtlich. Die Fälle des Rechtsmissbrauchs erstrecken sich mithin nicht auf die Täuschung über den objektiven Tatbestand, sondern auf das Ausnutzen der von der Norm vorgesehenen Rechtsfolge bei formeller Erfüllung ihrer Tatbestandsvoraussetzungen zur Verwirklichung eines zu missbilligenden Ziels.⁵⁶⁹

Wird der Blick auf die den Schuldner bewegenden Motive geworfen, erhellt sich der Grund des unbehaglichen Empfindens. Ausgangspunkt für das im Insolvenzrecht auftretende forum shopping ist, dass sich der bereits in der Vermögenskrise befindliche Schuldner durch gezielte Abwanderung den Wirkungen eines (drohenden) inländischen Insolvenzverfahrens entziehen will, so dass es mangels internationaler Zuständigkeit der inländischen Insolvenzgerichte nicht zur Verfahrenseröffnung nach deutschem Recht kommt. Ein weiteres Kalkül kann in der Hoffnung des Schuldners erblickt werden, die Gläubiger würden wegen der zu erreichenden räumlichen Distanz, den Erschwernissen und Unwägbarkeiten der auswärtigen Rechtsdurchsetzung und der damit verbundenen Kosten von der weiteren Verfolgung ihrer Ansprüche absehen und diese „als Verlust ausbuchen“, so dass womöglich ein Insolvenzverfahren gänzlich vermieden werden kann und die Forderungen mit der Zeit verjähren. Lassen die Gläubiger dennoch nicht ab, hilft unter Umständen die Drohung mit einem ausländischen Insolvenzverfahren, um – ähnlich wie in früheren Zeiten, in denen der Schuldner außerhalb des Machtbereichs einer Obrigkeit floh und von dort aus Verhandlungen mit seinen Gläubigern anstrebte – die Gläubiger von einem stringenten Vorgehen abzuhalten und zum Abschluss eines (außergerichtlichen) Vergleiches zu bewegen. Wenn ein Gesamtvollstreckungsverfahren dennoch unumgänglich ist, wird zudem die Erwägung eine Rolle spielen, zumindest unter der Geltung des fremden Sachrechtes

 Eidenmüller, KTS 2009, 137, 143 f. m. w. Nachw., so auf Fleischer, JZ 2003, 865, 870  Reuß, S. 222; allgemein für das internationale Zivilverfahrensrecht Schack, Rz. 251  Schack, Rz. 251, 555; Reuß, S. 223

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

389

ein wie auch immer gelagertes Gesamtvollstreckungsverfahren zu erleichterten Konditionen zu durchlaufen, dessen Wirkungen im Ausland und damit in Deutschland Anerkennung beansprucht und damit zu einer Enthaftung führt.⁵⁷⁰ Diesen Motiven ist gemeinsam, dass der Schuldner gegenüber seinen Gläubigern einen strategischen Vorteil zu erreichen anstrebt, indem er ihnen – obgleich Insolvenzreife eingetreten ist – mit seinem Weggang und der damit verbundenen Begründung eines anderen Forums die für die Aufklärung der Vermögenskrise erforderlichen Informationen und die im Inland gesetzlich vorgesehenen Bewältigungsprogramme vorenthalten und sie auf das für sie unbekannte Terrain einer fremden Rechtsordnung locken will. Besonders problematisch wird der vom Schuldner erstrebte Vorteil empfunden, seinen Gläubigern mit der von ihm herbeigeführten Bestimmung des forum concursus zugleich das anwendbare Insolvenzsachrecht für die Bewältigung der Vermögenskrise aufzuzwingen. Denn den Gläubigern stehen dem infolge des forum shopping für den Schuldner sich eröffnenden, weitreichenden Gestaltungsspielraum keine positiv normierten, limitierenden Rechte zur Verfügung.⁵⁷¹ Der Schuldner macht damit von einer von Rechts wegen existenten, vom (nationalen) Gesetzgeber jedoch nicht bewusst geschaffenen Gestaltungsmöglichkeit in der zu missbilligenden Weise Gebrauch, dass den Gläubigern in der Verfolgung ihrer Rechte ein Nachteil einzutreten droht, den sie anlässlich der Entstehung des Rechtsverhältnisses im Vertrauen auf die Maßgeblichkeit des inländischen Rechts nicht erwartet und nicht kalkuliert haben.⁵⁷² Hiervon sind insbesondere die Gläubiger betroffen, die auf die Gestaltung des die Haftung begründeten Rechtsverhältnisses kaum oder keinen Einfluss nehmen konnten, entweder weil ihre Ansprüche deliktischer oder nichtvertraglicher Natur sind oder weil sie mangels Ressourcen oder angesichts des geringen Umfangs ihres Anspruchs von Regularien absehen, die einen wirksamen Schutz gegenüber den Nachteilen eines forum shopping bieten könnten.⁵⁷³ Mithin wird ein an sich zulässiges und mancherorts sogar erwünschtes forum shopping im Insolvenzrecht zum Rechtsproblem, wenn die darin liegende Wahr hierzu Hergenröder, DZWIR 2009, 309 ff. mit Blick auf die Rechtslage nach der EuInsVO  Kropholler, FS Firsching, S. 165 ff., erkennt in dem Mangel effektiver Gegenrechte und der damit einhergehenden Verletzung der Prinzipien der Waffen- und Chancengleichheit den Grund für „das Unbehagen am forum shopping“; Geimer/Geimer/Geimer, Rz. 1108 ff. und Benecke, S. 319 f. benennen im „allgemeinen“ internationalen Zivilverfahrensrecht verfolgbare Abwehrstrategien, die den Gläubigern in der Insolvenz des Schuldners gerade nicht zur Seite stehen; Thole, ZZP 122 (2009), 423, 427; Schack, Rz. 251; Reuß, S. 13  Schack, Rz. 258; Carstens, S. 14; Reuß, S. 14  Eidenmüller, KTS 2009, 137, 141 mit Hinweis auf den im anglo-amerikanischen Rechtsraum geprägten Begriff des non-adjusting creditor

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

nehmung von Gestaltungsmöglichkeiten im Widerspruch zu den Zielen des (nationalen) Insolvenzrechts steht und die Gerichtsstandwahl zu gläubigerschädlichen Zwecken und damit zu Lasten der Interessengerechtigkeit missbraucht wird. Der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung droht dadurch Gefahr, dass sich die Gläubiger plötzlich veränderten rechtlichen Rahmenbedingungen gegenüber sehen und ihnen aufgrund der Überraschung die Chance zu wohlüberlegten angemessenen Entscheidungsreaktionen genommen wird. Im forum shopping wird deshalb ein nicht legitimer Eingriff in die Zuständigkeitsgerechtigkeit gesehen, kann doch die vom Schuldner einseitig initiierte Einflussnahme auf den Gerichtstand die Waffengleichheit unter den Parteien beeinträchtigen und insoweit die Befriedigungsinteressen der Gläubiger verletzen.⁵⁷⁴ Schließlich gilt in rechtspolitischer Hinsicht das Phänomen des forum shopping als ökonomisch ineffizient, weil durch die mit der Gerichtsstandbegründung herbeigeführte Anwendung des fremden Sachrechts den Beteiligten, insbesondere den Gläubigern, höhere Verfahrenskosten aufgezwungen werden und insgesamt das Risiko gesteigert wird, die künftige Gewährung von Krediten zu erschweren und beträchtlich zu verteuern.⁵⁷⁵

e) Rechtsmissbrauch des forum shopping Damit stellt sich die weitere Frage, auf welchem Weg dem vom schuldnerischen forum shopping ausgehenden Unbehagen nach Maßgabe inländischer Vorschriften effektiv begegnet werden kann. Bereits beleuchtet wurde die Idee, im Rahmen der Auslegung den maßgeblichen Zeitpunkt für die Gerichtsstandbegründung vorzuverlegen, etwa auf den Eintritt der Vermögenskrise. Hiergegen sprechen jedoch der Eilcharakter des Eröffnungsverfahrens sowie die Streitanfälligkeit, die Erschwernisse und die Kosten der Zeitpunktbestimmung. Ein anderer Lösungsansatz geht auf den in Art. 6 Ziffer 1 des 1980er Entwurfs eines EG-Konkursabkommens⁵⁷⁶ vorgeschlagenen Gedanken einer vor der Antragstellung liegenden periode suspecte zurück, in der eine Verlegung des Tätigkeits- bzw. Lebensmittelpunkts respektive des centre of main interests zu einer anticipatio fori führt.⁵⁷⁷

 eingehend Pfeiffer, S. 199 ff. und S. 487 ff.; Kropholler, FS Firsching, S. 166 ff.; Schwemmer, NZI 2009, 355, 357  Klöhn, KTS 2006, 259, 263 ff., 285; Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 478; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 140  abgedruckt in ZIP 1980, 582 ff.  vgl. MünchKomm-BGB/Kindler, 4. Auflage, IntInsR Rz. 157; Carstens, S. 124; Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 481; Knof, ZInsO 2005, 1017, 1023; Klöhn, KTS 2006, 259, 261, 278; Duursma-

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Hiernach sollte sowohl für das Gericht des Wegzugsstaates als auch für das Gericht des Zielstaates die Möglichkeit bestehen, das Verfahren zu eröffnen, wobei nach einem sogenannten Prioritätsprinzip der Eröffnungsakt des zuerst entscheidenden Gerichts maßgeblich gewesen wäre (vgl. Art. 13 Ziffer 2 des Entwurfs).⁵⁷⁸ Abgesehen davon, dass für eine dahingehende Auslegung keine Stütze im Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 InsO zu finden ist, können derart starre Fristen nur bedingt zur Vermeidung eines unwillkommenen forum shopping beitragen, würde doch ein zielgerichtet handelnder Schuldner die Änderung des für die Gerichtszuständigkeit maßgeblichen Anknüpfungspunkts schlichtweg vor die periode suspecte legen.⁵⁷⁹ Zudem käme es in gewisser Weise gleichwohl zu einem race to the courthouse, ⁵⁸⁰ versucht der Schuldner, vor seinen Gläubigern und vor dem Beginn der periode suspecte die Zuständigkeit des von ihm favorisierten Gerichtes zu begründen. Lassen sich tatbestandsseitig keine geeigneten Ansatzpunkte ausmachen, kommt im Weiteren der in § 343 Abs. 1 Nr. 2 InsO normierte ordre-public-Vorbehalt in Betracht. Die Beurteilung, ob ein schuldnerisches forum shopping zu den Grundgedanken der deutschen Regelungen und den in ihnen enthaltenen Gerechtigkeitsvorstellungen in so starkem Widerspruch stünde, dass dessen Folge als nach inländischer Vorstellung untragbar erschiene,⁵⁸¹ ist zwar im Zusammenhang mit der Anerkennung von nach ausländischem Recht getroffenen Entscheidungen von Relevanz, passt jedoch nicht für die Situation, dass ein deutsches Gericht seine internationale Zuständigkeit nach Maßgabe des inländischen Rechts zu prüfen hat. Zudem setzt die Prüfung eines Verstoßes gegen den ordre public tatbestandlich die bereits getroffene Entscheidung eines Gerichtes über seine internationale Zuständigkeit voraus, deren Voraussetzungen es jedoch erst noch zu untersuchen gilt. Eine weitere Möglichkeit wäre, über ein nach Maßgabe der §§ 354 ff. InsO zu eröffnendes Partikularverfahren dem missbräuchlichen forum shopping entgegenzuwirken.⁵⁸² Abgesehen davon, dass bei natürlichen Personen als Schuldner der Tatbestand der Niederlassung oft nicht (mehr) gegeben und im Übrigen das verwertbare Vermögen zumeist mitgenommen sein wird, ist

Kepplinger, ZIP 2007, 896, 900; Reuß, S. 160 ff. m. w. Nachw.; kritisch bereits Thieme, S. 268, der für diese Entwurfsregelungen keinen Anwendungsbereich erblicken konnte  Stummel, S. 70; Klockenbrink, S. 99  Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896, 900; Oelschlegel, S. 277 f.; Reuß, S. 161  Klockenbrink, S. 99 sowie in Anlehnung an Reuß, S. 66 f.  BGH, Urt. v. 13. Oktober 2009, X ZR 79/06, ZIP 2009, 2217 unter Hinweis auf BGH, Beschl. v. 16. September 1993, IX ZB 82/90, BGHZ 123, 268 m. w. Nachw.; vgl. BAG, Urt. v. 27. Februar 2007, 3 AZR 618/06, ZIP 2007, 2047  vgl. Thole, ZEuP 2007, 1137, 1144; Weller, ZIP 2009, 2029, 2034; Reuß, S. 193

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

diese Bewältigungsstrategie nicht geeignet, da durch die Trennung der Verfahren der Schuldner gleichwohl in der Lage ist, nach dem im Ausland geltenden Sachrecht auf womöglich einfachere Weise eine Enthaftung herbeizuführen. Dies gilt in gleicher Weise für die Idee, die Verlegung des Tätigkeits- oder Lebensmittelpunktes im Partikularverfahren innerhalb einer kritischen Zeit nach Maßgabe der §§ 129 ff. InsO anzufechten, zumal die Rechtsfolgen nur Wirkungen hinsichtlich des im Inland belegenen Vermögens entfalten könnten.⁵⁸³ Den nach der hier vertretenen Auffassung geeigneten rechtsdogmatischen Anknüpfungspunkt für die Qualifikation eines missbilligenswürdigen forum shopping sowie dessen Bewältigung bildet der in §§ 227, 826 BGB und insbesondere in § 242 BGB lokalisierbare Gedanke des Verbots des Rechtsmissbrauchs respektive der unzulässigen Rechtsausübung.⁵⁸⁴ Verstanden als Ausdruck der Redlichkeit dient insbesondere das Gebot von Treu und Glauben (in einer Sonderverbindung) der inhaltlichen Begrenzung subjektiver Rechte, Rechtsinstitute und Rechtsnormen (sogenannte Innentheorie)⁵⁸⁵ und zugleich der Ausübungskontrolle (Au Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89, 91 (Fn. 32); Reuß, S. 194, der ab S. 123 ff. vor dem Hintergrund der EuInsVO weiter in Betracht kommende Lösungsansätze untersucht, die sich vornehmlich auf juristische Personen beziehen, wie zum Beispiel die (britisch-französische) command-and-control-Idee, die business-activity-Theorie, unterschiedliche sachen- und kollisionsrechtliche Anknüpfungen in nationalen Rechtsordnungen europäischer Länder, die aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum stammenden Lehren einer anti-suit injunction und eines forum non conveniens sowie in der Literatur vorgeschlagene Konzepte de lege ferenda, die jedoch für die Bewältigung eines zu missbilligenden forum shopping natürlicher Personen nicht geeignet sind und auch deshalb im Rahmen des deutschen autonomen internationalen Insolvenzrechts nicht näher in Betracht gezogen werden müssen  die Begriffe Rechtsmissbrauch und unzulässige Rechtsausübung werden zumeist synonym verwandt, ohne dass damit eine Divergenz verbunden ist, vgl. Mader, S. 20; Reuß, S. 203; zu § 226 BGB s. Staudinger/Repgen, § 226 Rz. 10 ff.; zu § 242 BGB s. Staudinger/Looschelders, § 242 Rz. 214 ff.  RG, Urt. v. 22. Januar 1935, II 198/34, RGZ 146, 385; BGH, Urt. v. 23. Mai 1951, II ZR 71/50, BGHZ 2, 184 („Höher als der Wortlaut des Gesetzes steht sein Zweck und Sinn. Diesen im Einzelfall der Rechtsanwendung nutzbar zu machen und danach unter Berücksichtigung von Treu und Glauben den Streitfall einer vernünftigen und billigen Lösung zuzuführen, ist die Aufgabe des Richters“); BGH, Urt. v. 12. Juli 1951, III ZR 168/50, BGHZ 3, 94 („Jedes Recht geht seinem Inhalt nach nur so weit, wie die guten Sitten und Treu und Glauben dies gestatten.“); BGH, Urt. v. 29. April 1959, IV ZR 265/58, BGHZ 30, 140, 145 („Denn es kann niemandem gestattet sein, einen Rechtserfolg herbeizuführen, der zwar für sich betrachtet von der Rechtsordnung nicht mißbilligt wird, sich aber im Gesamtgefüge der Handlung dessen, der ihn herbeiführen will und in der Gesamtheit und der mit ihm bezweckten Auswirkung als Triumph einer sittlich verwerflichen Gesinnung darstellt. Die Zurücksetzung der berechtigten Interessen anderer um dieses legalen Rechtserfolgs willen würde so in den Dienst eines sittlich verwerflichen Bestrebens gestellt und ihm dadurch für die Betroffenen zu einem unzumutbarem Opfer. Daß ein aus einer solchen Gesinnung Handelnder

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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ßentheorie),⁵⁸⁶ durchzieht die ganze deutsche Rechtsordnung und berührt so das autonome internationale Insolvenzrecht⁵⁸⁷ und ist international (auch im Völkerrecht) anerkannt.⁵⁸⁸ Obgleich sich in der nahezu unübersehbaren Kasuistik des Verbots des Rechtsmissbrauchs bislang keine einheitliche Theorie, Systematik und Terminologie durchgesetzt zu haben scheint,⁵⁸⁹ kann die hier interessierende Konstellation des missbräuchlichen forum shopping unter den Typus des unredlichen Erwerbs einer Rechtsstellung eingeordnet werden. Vornehmlich das Gebot von Treu und Glauben geht auf die römisch-rechtliche Vorstellung einer bona fides zurück.⁵⁹⁰ Die mit der im römischen Formularprozess entwickelten Klageformel „in quidquid Nm. Nm. Ao. Ao. dare facere oportet ex fide bona“ geschützten Obligationen zählen – mit Kasers ⁵⁹¹ Worten – „zu den wichtigsten Einrichtungen des römischen Rechtslebens, ihre Schöpfung ist eine der bedeutendsten Leistungen des römischen Rechtsgeistes“. Diese Klagen wurden mangels einer einschlägigen lex auf die bona fides gestützt, mithin auf eine ethische und damit zunächst außerrechtliche Verhaltensbindung, die aber kraft Jurisdiktionsgewalt von den Prätoren in einer Reihe von zu beachtenden Rechtsgeboten konkretisiert wurde.⁵⁹² Später wurde die gute Treue – mit der sich insbesondere die „Rechtstugenden des Worthaltens, der Verlässlichkeit und der Loyalität“ verbinden⁵⁹³ und die zum Fundament weiterer Rechtssätze wurde⁵⁹⁴ – wegen ihrer Verpflichtung für jedermann den geschriebenen Gesetzen gleichgestellt und wandelte sich in

ihnen dieses Opfer auferlegen kann, ist deshalb vor dem sittlichen Bewusstsein aller gerecht und billig Denkenden nicht zu rechtfertigen. Würde man das zulassen, so würde das Vertrauen auf die Macht des Rechtes erschüttert werden“); die sogenannte Innentheorie geht auf v. Gierke, Deutsches Privatrecht, Bd. 1, S. 319 f. zurück, wonach „die Rechtsordnung dem Mißbrauch der Rechte dann nicht mit verschränkten Armen zusehen [könne], wenn derselbe entweder durch ein Uebermaß von selbstsüchtiger Ausnutzung seiner Befugniß das Gemeinwohl gefährdet oder durch nutzlose Schädigung Anderer dem Zwecke des Rechtes Hohn spricht.“; MünchKomm-BGB/Roth, § 242 Rz. 63; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rz. 217; Staudinger/Repgen, § 226 Rz. 11; Mader, S. 112 f.; Haferkamp, S. 290 ff. zu den zur Lehre von den Innenschranken vertretenen Auffassungen  Mader, S. 111; Haferkamp, S. 74 f., S. 147 ff., S. 186 ff., S. 352 ff.; Reuß, S. 215 ff. m. w. Nachw.  Klockenbrink, S. 100  zum Beispiel vergleichbar in Art. 6:2 Burgerlijk Wetboek (Niederlande), Art. 1134 Code Civil (Frankreich), Art. 1337 Codice Civile (Italien), Art. 30 der Resolution 217 A (III) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1948 über die allgemeine Erklärung der Menschenrechte oder Art. 17 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (Europäische Menschenrechtskonvention)  Mader, S. 132  Strätz, S. 22 ff.; Zeller, S. 148 und S. 157; Meyer, S. 48 ff. zu den Entwicklungslinien in der Handelsrechtsgeschichte; Weller, S. 305  Kaser, S. 485 ff.  Kaser, S. 485 f. m. w. Nachw.; Meyer, S. 51 ff.; Weller, S. 305  Wieacker, Präzisierung des § 242 BGB, S. 20 (Fn. 39); Weller, S. 305  Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rz. 7 ff.; zu den Funktionen der bona fides im lex mercatoria des Mittelalters s. Meyer, S. 56 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

einen Maßstab, anhand dessen der Richter ein Rechtsverhältnis zu beurteilen hatte.⁵⁹⁵ Im Zuge der Rezeption wurde der Begriff der bona fides in das im Wesentlichen sinnverwandte Wortpaar Treu und Glauben als Bedeutungslehnwort transformiert⁵⁹⁶ und in den deutschsprachlichen Quellen unter anderem als strenge, allgemeine und prozessuale Verhaltenspflicht sowie allgemein zur Charakterisierung der Kaufmannstugenden und zur Begründung spezifischer (Handels‐) Rechtsnormen benannt.⁵⁹⁷

Das Rechtsmissbrauchsverbot kann als eigenständiges Korrektiv verstanden werden, welches der Verwirklichung des Normzwecks dient und die Ausübung des Rechts in seine teleologischen Grenzen weist.⁵⁹⁸ Damit gewährleistet das Rechtsmissbrauchsverbot, dass das Recht seine friedenstiftenden Funktionen der Gleichbehandlung wesentlich gleicher Sachverhalte, der Lenkung und Ordnung sowie des gerechten Ausgleichs widerstreitender Interessen erfüllt, und befördert so die materielle Gerechtigkeit.⁵⁹⁹ Steht die Unzulässigkeit der Rechtsausübung fest, darf der Richter – der das Rechtsmissbrauchsverbot methodisch im Rahmen von Auslegung und Analogie auf Tatbestands- und Rechtsfolgenseite zu beachten hat⁶⁰⁰ – eine sich ausdrücklich aus dem Gesetz ergebende Rechtsfolge nicht (nur) durch eine vermeintlich billigere oder angemessenere Rechtsfolge ersetzen, sondern er muss gegebenenfalls das in Frage stehende Recht kassieren, denn der in der Norm des § 242 BGB zum Ausdruck kommende grundlegende Gedanke von Treu und Glauben dient der inhaltlichen Konkretisierung und stellt nicht nur eine allgemeine Billigkeitsvorschrift dar.⁶⁰¹ Unzulässig ist die Rechtsausübung jedoch nur dann, wenn sie zu einer groben, unerträglichen Ungerechtigkeit führen würde. Ein Beteiligter muss nicht schon deshalb von der Durchsetzung seiner Rechte absehen, weil die Rechtsausübung einen anderen Beteiligten hart treffen würde, sondern es müssen Umstände hinzukommen, welche die Rechtsausübung im Einzelfall als grob unbillige, mit der Gerechtigkeit nicht mehr zu vereinbarende Benachteiligung einer Partei erscheinen lassen, die so zu einem schlechthin un-

 Kaser, S. 487 m. Nachw.; s. Meyer, S. 69 ff.  Wieacker, Präzisierung des § 242 BGB, S. 20 (Fn. 39); Zeller, S. 148; Weller, S. 305 m. w. Nachw.  Meyer, S. 68  Reuß, S. 205 ff. m. w. Nachw.  Mader, S. 84; Reuß, S. 205 f.; zur Friedensfunktion des Rechts Smid, Rechtsphilosophie, S. 145 ff.; Pawlowski, S. 31 f.; Zippelius, S. 8 f.  Flume, S. 350 f. unter Hinweis auf die von den Vätern des Bürgerlichen Gesetzbuches dem Richter bewusst eingeräumte Auslegungsfreiheit bei der Beurteilung von Umgehungshandlungen der Beteiligten; vgl. Benecke, S. 179; weitergehend für eine gewisse Eigenständigkeit Reuß, S. 207 ff. m. Nachw.; a. A. Mader, S. 84  RG, Urt. v. 15. Januar 1931, VI 272/30, RGZ 131, 158, 177

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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zumutbaren Ergebnis führt.⁶⁰² Zur Bestimmung dessen kommt es in unterschiedlichem Maß auf subjektive Elemente an, deren Vorliegen anhand objektiv feststellbarer Tatsachen zu ermitteln ist.⁶⁰³ Hiernach ist unter anderem die gegen Treu und Glauben verstoßende Ausnutzung einer „Rechtslage“ als institutioneller Rechtsmissbrauch in Form der Überschreitung der jedem Recht immanenten Schranken missbräuchlich.⁶⁰⁴ Der Rechtsmissbrauch wird mithin dadurch gekennzeichnet, dass eine Norm ihrem (formalen) Wortlaut nach, nicht jedoch hinsichtlich ihres Zweckes erfüllt ist, sowie, dass die Erfüllung der formalen Voraussetzungen der Norm auf ein die relevanten Tatsachen manipulierendes Verhalten desjenigen zurückgeht, der sich auf die Wirkungen dieser Norm beruft.⁶⁰⁵ Für diese ebenfalls auf das römische Prozessrecht (exceptio doli praeteriti)⁶⁰⁶ zurückführbare Fallgruppe genügt ein objektiv unredliches Verhalten, welches einer Partei Vorteile und der anderen Nachteile bringt, die bei redlichem Verhalten nicht eingetreten wären, so dass zwar Arglist nicht erforderlich ist, jedoch in gewisser Weise ein Mindestmaß an Subjektivität der Rechtsausübung.⁶⁰⁷ Denn nur über die Existenz eines subjektiven Elements ist es in diesen Fällen möglich, das mit Missbrauchsintention unternommene und somit unzulässige Handeln vom zulässigen Gestalten abzugrenzen.⁶⁰⁸ Werden die soeben skizzierten Grundlinien für die Beurteilung dessen bemüht, ob gegenüber einem schuldnerischen forum shopping der Rechtsmissbrauchsvorwurf zu Recht erhoben werden darf, zeichnet sich folgendes Bild ab: Die Apologie des Rechtsmissbrauchsvorwurfs eines forum shopping des Schuldners ist darin zu

 BGH, Urt. 27. April 1977, IV ZR 143/76, BGHZ 68, 299, 304; BAG, Beschl. v. 19. April 1989, 7 ABR 6/88, NJW 1990, 358  Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rz. 223; Mader, S. 102; Reuß, S. 224 ff. und S. 229 m. w. Nachw.  Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rz. 217; zur Unterscheidung von individuellem und institutionellen Rechtsmissbrauch vgl. Reuß, S. 223 f. m. w. Nachw., der sie jedoch nicht überbewertet sehen will  Eidenmüller, KTS 2009, 137, 144  Honsell, S. 175, weist darauf hin, dass es sich bei den beiden im römischen Recht von Gaius zum Rechtsmissbrauch überlieferten, gegenläufigen Aussagen „nullus videtur dolo facere, qui suo iure utitur – wer sein Recht ausübt, handelt nicht arglistig“ (Gai. D. 50, 17, 55) und „… male enim nostro iure uti non debemus – in schlechter Weise dürfen wir unser Recht nicht ausüben“ (Gai. 1, 53) nicht um allgemeingültige Rechtssätze oder punktuelle Argumente (so Mader, S. 25) gehandelt habe, sondern um rhetorische Topoi, die je nachdem zum Einsatz kamen, welchen Standpunkt der Advokat zu vertreten hatte.  MünchKomm-BGB/Roth § 242 Rz. 218; vgl. auch Benecke, S. 333 ff.  Reuß, S. 227 ff.; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 144 hält eine spezifische Missbrauchsabsicht für nicht erforderlich

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

erkennen, dass jener mit seiner Flucht in eine andere Rechtsordnung den nationalen Rechtskreis, in dem seine Haftung begründet wurde, allein in der Absicht verlassen will, um im Schatten der Universalität und der grundsätzlichen Anerkennung ausländischer Entscheidungen – erst die grundsätzliche Anerkennung ausländische Entscheidungen ermöglichte im Insolvenzrecht das forum shopping – und unter Ausnutzung der nicht (ausreichend) aufeinander abgestimmten nationalen Rechtsordnungen gegenüber seinen Gläubigern einen für jene unvorhergesehenen Vorteil zu erlangen, der ihnen zum unmittelbaren Nachteil werden kann. Er beruft sich hierzu auf die Ausreisefreiheit als Ausfluss der durch Art. 2 Abs. 1 GG innerhalb der Schranken der verfassungsmäßigen Rechtsordnung gewährleisteten allgemeinen Handlungsfreiheit,⁶⁰⁹ um von dieser vermeintlich gedeckt seinen Tätigkeits- oder Lebensmittelpunkt zu verlagern. Die im forum shopping zum Ausdruck kommende Flucht offenbart eine fehlende Treue und Loyalität des Schuldners gegenüber der seiner Haftung angestammten Rechtsordnung und den auf ihre Geltung bauenden Gläubigern. Der fallitus fugitivus begibt sich – zur Vermeidung der nach dem innerstaatlichen Recht zu realisierenden Haftung – außerhalb der Rechtsgemeinschaft, in der er sich bislang befunden hat und welche bisher das originäre Korsett der Gläubiger-SchuldnerBeziehungen bildete – mit der Flucht zerreißt er diese Bande. Die Gefahr und das Rechtsmissbräuchliche des im Insolvenzrecht unternommenen forum shopping ist mithin darin zu sehen, dass aufgrund eines Startvorteils des Schuldners der von der nationalen Rechtsordnung konzipierte gerechte Ausgleich der inländisch lokalisierten Gläubiger- und Schuldnerinteressen unterlaufen werden soll.⁶¹⁰ Der Rechtsmissbrauch des forum shopping liegt mit anderen Worten darin, dass der Schuldner seine fehlende Rechtstreue zum Ausdruck bringt, wenn es für seinen Weggang und dem damit einhergehenden Wechsel des Forums keine anderen rationalen Gründe als den der Gläubigerbenachteiligung anzuerkennen gibt. In diesem Fall stellt das forum shopping ein Verhalten dar, welches die Gläubiger bei der Begründung der Haftung nicht erwarten mussten, da sie grundsätzlich auf die Rechtsstreue des Schuldners vertrauen dürfen. Der Schuldner versucht mit dem forum shopping die Gläubiger im Nachhinein zu benachteiligen, in dem er seine Enthaftung in einer Weise zu erreichen versucht, welche mit dem Vertrauen der Gläubiger in das Funktionieren des (nationalen) Haftungsrechts kollidiert. Folglich birgt das forum shopping die Gefahr der Rechtsunsicherheit und das Potential daraus resultierender vermeidbarer Enttäuschung von Erwartungen – vermeidbar deshalb, weil sie nicht der dem (internationalen) Marktgeschehen anhaftenden latenten Ungewissheit über

 vgl. BVerfG, Urt. v. 16. Januar 1957, 1 BvR 253/56, BVerfGE 6, 32 (Elfes-Entscheidung)  Schack, Rz. 258 ff.; Reuß, S. 14

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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das künftige Verhalten anderer Beteiligter entspringt, sondern der Unzulänglichkeit der einer menschlichen Gestaltung an sich zugänglichen Rechtsordnung. Aufgrund der kulturellen, wirtschaftlichen und rechtlichen Pluralität der weltweit existenten Sozialgemeinschaften scheint es jedoch nahezu unmöglich, auch nur annähernd aufeinander abgestimmte Regelungssysteme zu schaffen, die die Tücken des forum shopping bannen würden. Und genau darauf zielt der das Forum manipulierende fallitus fugitivus. Oder mit wieder anderen Worten: Der weggehende Schuldner nutzt die Schwächen und Lücken der konkurrierenden Rechtsordnungen aus, um sich gegenüber seinen Gläubigern einen strategischen Vorteil zu verschaffen, dem sie sich nicht erwehren können. Er, der den Gläubigern schuldet und von dem Redlichkeit (§ 1 Satz 2 InsO) für seine Enthaftung zu erwarten ist, zwingt den Gläubigern mit dem von ihm allein nach seinen Vorteilsgesichtspunkten vermittels forum shopping gewählten Sachrecht das auf die Vermögenskrise anzuwendende Bewältigungsprogramm auf. Savigny⁶¹¹ erkannte in dem Umstand, „dass der Richter in der Regel nach den Gesetzen seines Landes zu entscheiden habe, wo ihm ein Collisionsfall vorkommt“, die Gefahr, „dass das anwendbare Recht von der einseitigen Willkür einer Partei“ abhängt und meinte: „Ein Grundsatz aber, dessen Anwendung zu diesem Erfolg führt, kann unmöglich als gerecht anerkannt werden.“ Die so beschreibbare Absicht des fallitus fugitivus widerspricht dem Gedanken der bona fides, die sich heute in der Wertung des § 1 Satz 2 InsO wiederfindet. Auch wenn der Gesetzgeber mit der Norm des § 1 Satz 2 InsO angesichts der Gesetzesgenese in erster Linie die Enthaftung des Schuldners nach den Bestimmungen über das Restschuldbefreiungsverfahren (§§ 286 ff. InsO) und das Insolvenzplanverfahren (§§ 217 ff. InsO) im Auge gehabt haben wird, kann diese Vorschrift nach der Erweiterung der Insolvenzordnung um die §§ 335 ff. InsO in der Weise interpretiert werden, dass die aufgrund einer ausländischen Verfahrensentscheidung zugunsten des Schuldners gewährte Restschuldbefreiung im Inland nur dann Akzeptanz und Anerkennung erfahren wird, wenn sich der Schuldner hinsichtlich der Begründung der Tatsachen, welche zur Einleitung des Gesamtvollstreckungsverfahrens nach fremden Recht führten, redlich verhalten hatte. Manipulierte indessen der Schuldner die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen mit der Intention, so auf einfachere lastenärmere Weise von seinen restlichen Verbindlichkeiten befreit zu werden und damit die rechtmäßige Gläubigerbefriedigung zu gefährden oder zu vereiteln, ist für die Anerkennung einer diesbezüglichen ausländischen (Enthaftungs‐) Entscheidung kein Raum.

f) Feststellung eines rechtsmissbräuchlichen forum shopping Besteht hiernach mehr Einsicht über die dogmatische Einordnung des rechtsmissbräuchlichen forum shopping, bleibt noch aufzuklären, anhand welcher Beweiszeichen sich das Gericht im konkret zu entscheidenden Einzelfall von seiner Gegenwart überzeugen kann. Es stellt sich mithin die Frage, welche einzelnen Kriterien gegeben sein müssen, um den Einwand des Rechtsmissbrauchs vorbringen zu können. Verlegt der Schuldner vor der Antragstellung seinen Lebensmittel- bzw. Tätigkeitsmittelpunkt auf ein anderes Staatsgebiet, wird es – wie  Savigny, 8. Bd., S. 129

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

gesehen – wegen der Vielzahl und Komplexität der die Wegzugsentscheidung tragenden Gründe und Interessen (Stellenwechsel, Heirat und Familie, Religion etc.) auf eine Bewertung ankommen, ob der Schuldner die ihm gebührende allgemeine Handlungsfreiheit und das sich daraus ergebende Gestaltungpotential in missbilligender Weise zu Lasten der Gläubigergemeinschaft ausnutzen will. Denn ein gegenüber dem Schuldner zu erhebender Missbrauchsvorwurf kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn dieser sich über die legitimen Erwartungen und Interessen der Gläubigergemeinschaft an eine konkursmäßige Befriedigung in unredlicher Weise hinwegsetzt und er sie gerade durch seinen Weggang im eigenen Interesse benachteiligen will⁶¹² und diese Absicht anhand von Beweisanzeichen sicher festgestellt werden kann. Eine gewisse Parallelität zur Flucht des Schuldners und einer damit verbundenen rechtsmissbräuchlichen Zuständigkeitserschleichung kann in dem Spuk der im In- und Ausland agierenden gewerbsmäßigen Firmenbestatter gesehen werden.⁶¹³ In diesen Fällen kommt den zur Beurteilung des Geschehens ermittel- und auswertbaren Indizien ausschlaggebende Bedeutung zu. Diese Fälle sind typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass die Begründung eines forum non conveniens am zumeist weit entfernt gelegenen Wohnsitz eines neu bestellten Geschäftsführers einer GmbH erreicht werden soll, nachdem in der vorkonkurslichen Krise die Einstellung der werbenden Tätigkeit der Gesellschaft, die Veräußerung der Geschäftsanteile, die Sitzverlegung, die Firmenänderung und die Abberufung der alten sowie die Ernennung der neuen Geschäftsführung in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der Stellung des Insolvenzantrags erfolgt. So soll die Aufmerksamkeit der Gläubiger getrübt werden, um einem Haftungszugriff zu entgehen, der sich bei einer Verfahrenseröffnung mitunter auch auf Gesellschafter und Geschäftsführer erstrecken kann, würden vom Insolvenzverwalter Ansprüche aus Stammeinlagenverpflichtung, Gesellschafterkonto, Pflichtverletzung oder Anfechtung geprüft und verfolgt werden. In diesen Fällen kommt eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, in dessen Bezirk der neu bestellte Geschäftsführer seinen Sitz hat, nicht in Betracht, weil es sich um eine rechtsmissbräuchliche Zuständigkeitserschleichung handelt.⁶¹⁴ Dabei hat das zuerst angegangene Amtsgericht gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO von Amtswegen die Umstände zu ermitteln und zu würdigen, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind und seine Zuständigkeit begründen oder in Frage stellen könnten.⁶¹⁵

 Klockenbrink, S. 100 f.  hierzu Rattunde, DZWIR 1998, 271 ff.; Kleindieck, ZGR 2007, 276 ff.; Weller ZIP 2009, 2029 ff.; Oelschlegel, S. 33 ff.; Uhlenbruck/Uhlenbruck, InsO, § 3 Rz. 12; MünchKomm-InsO/Ganter, § 3 Rz. 40; Klockenbrink, S. 101; BGH, Beschl. v. 13. Dezember 2007, IX ZB 238/06, IPRspr 2007, 722; BGH, Beschl. v. 20. März 1996, X ARZ 90/96, ZIP 1996, 847 für die Zuständigkeitsbegründung nach der bis zum 31. Dezember 1998 in den neuen Bundesländern geltenden Gesamtvollstreckungsverordnung  BayObLG, Beschl. v. 25. Juli 2003, 1Z AR 72/03, NZI 2004, 88; OLG Celle, Beschl. v. 9. Oktober 2003, 2 W 108/03, NZI 2004, 258; OLG Stuttgart, Beschl. v. 27. November 2003, 8 AR 16/03 OLGR 2004, 184; OLG Schleswig, Beschl. v. 4. Februar 2004, 2 W 14/04, NZI 2004, 264; a. A. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 30. Mai 2005, 15 AR 8/05, ZIP 2005, 1475  BGH, Beschl. v. 13. Dezember 2005, X ARZ 223/05, ZIP 2006, 442

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Ob der Schuldner vor der Antragstellung seinen Lebensmittel- bzw. Tätigkeitsmittelpunkt auf ein anderes Staatsterritorium in unredlicher Absicht entgegen der Gläubigerinteressen verlegt hat, hängt mithin davon ab, welche Merkmale dafür objektiv festgestellt werden können und ob sie als ausschlaggebend für seine Wegzugsentscheidung anzusehen sind. Hierbei ist auf das Gesamtbild des Wegzugsgeschehens abzustellen, welches sich nach den tatsächlichen Verhältnissen bestimmt. Tatsächliche Verhältnisse in diesem Sinne sind die rechtlich relevanten Umstände, die im Einzelfall eine wertende Zuordnung zum Typus des rechtsmissbräuchlichen forum shopping erlauben. Anhand von Beweiszeichen muss ermittelt werden, welche Interessen und Intentionen des Schuldners für den Wegzug ausschlaggebend waren, wobei sicherlich nur ein bunter Strauß von Indizien zur Herbeiführung einer dahingehenden richterlichen Überzeugung geeignet sein kann. Diese so festgestellten Interessen und Intentionen des Schuldners sind sodann den Zielen und Zwecken des vom (heutigen) Gesetzgeber gewollten Rechts gegenüber zu stellen und zu bewerten.⁶¹⁶ Klöhn⁶¹⁷ hat für den Anwendungsbereich der EuInsVO und die Auslegung des dort maßgeblichen centre of main interests ein bewegliches System vorgeschlagen, wonach die (Zuständigkeits‐) Interessen der Beteiligten (Schuldner, Gläubiger und Dritte) in einem „System von Wertungskriterien mit Ranggleichheit und wechselseitiger Austauschbarkeit, […] zu einem optimalen Ausgleich gebracht werden“. Rechtsmethodisch geht diese Art der Interessenbewertung und -abwägung auf das von Wilburg⁶¹⁸ ursprünglich für das Schadensrecht entwickelte Modell eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht zurück. Es beruht auf der Erkenntnis, dass eine Lebenswirklichkeit mit in Gesetzesnormen fest determinierten Tatbestandsmerkmalen oftmals nur unvollständig und damit unzutreffend erfasst wird und häufig erst das Zusammenspiel der sich aus verschiedenen Normen, Prinzipien und Rechtsanschauungen entwickelnden „bewegenden Kräfte“ eine Antwort darauf geben kann, ob und welche Rechtsfolgen zur angemessenen Bewältigung eines Konflikts erforderlich sind, wobei die Antwort vornehmlich in den betreffenden Normen selbst gesucht wird, um nicht allein auf Generalklauseln oder Billigkeitserwägungen verwiesen sein zu müssen.⁶¹⁹ Hieran anknüpfend wird die Bewertungsfrage aufgeworfen, ob und inwieweit die mit der Insolvenzgerichtsstandbegründung zum Ausdruck kommenden Schuldnerinteressen schützenswert sind und

 zu den Ansätzen und methodischen Mitteln der Wertungsjurisprudenz Pawlowski, Einführung in die juristische Methodenlehre, Rz. 171 ff.; Pawlowski, DZWIR 2001, 45, 46, 48, der darauf hinweist, dass sich das Recht freilich nicht nur in den Gesetzestexten wiederfindet, sondern in allen gegenwärtig geltenden Normen, auch wenn es zu deren (Neu‐) Formulierung und Feststellung der Tätigkeit des Gesetzgebers, der Gerichte und der Rechtswissenschaft bedarf, hierzu Pawlowski, Rz. 453 ff.  Klöhn, KTS 2006, 259, 282 ff.  in seiner 1950 in Graz veröffentlichten Schrift Entwicklung eines beweglichen Systems im bürgerlichen Recht, S. 4 ff.; dazu Pawlowski, Rz. 228  Wilburg, S. 5; Bydlinski, S. 529; Larenz/Canaris, S. 298 ff., S. 306; Lothar, S. 50 ff.; Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 331 ff. m. w. Nachw.; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rz. 159, 223

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

ein etwaig prinzipiell zu gewährender Schutz durch legitime Gläubiger- und Drittinteressen eingeschränkt wird.⁶²⁰ Die hierzu entwickelte Idee kann für das deutsche autonome internationale Insolvenzrecht in ähnlicher Weise fruchtbar gemacht werden: Die im Rahmen der Rechtsmissbrauchskontrolle für die Interessenbestimmung in Betracht kommenden Indizien sind zu ordnen und zu werten, ohne dass alle denkbaren Beweisanzeichen vorhanden sein müssen oder unter ihnen ein besonderes Rangverhältnis bestünde.

Für ein rechtsmissbräuchliches forum shopping sprechende Indizien können darin erblickt werden, dass freilich der Schuldner den Gedanken im Freundes- und Bekanntenkreis oder in mit seinen Gläubigern im Vorfeld geführten Verhandlungen (drohend) verlautbarte, nur allein wegen der Vermögenskrise weggehen zu wollen, um in einem anderen Land seine Enthaftung herbeizuführen. Weitere in der Gesamtschau zu würdigende Indizien mögen die überraschende Begründung eines Wohnsitzes in unmittelbarer Grenznähe bei Beibehaltung der inländischen Erwerbstätigkeit und sozialen Bezugspunkte sein, der kundgegebene Wille, alsbald wieder zurückzukehren, Besuche der zurückgebliebenen nahen Angehörigen wie Ehegatten, Verlobten oder minderjährigen Kinder in kurzen Intervallen, fehlende Erwerbstätigkeit am neuen Wohnort, mangelnde Kenntnisse der im Zuzugsstaat gebräuchlichen Sprache, unzureichende soziale Integration, zum Zeitpunkt des Weggangs feststellbare Vermögensinsuffizienz durch untrügliche Zeichen wie vorangegangene Unpfändbarkeitsbescheinigungen des Gerichtsvollziehers, Abgabe der eidesstattlichen Versicherung (Vermögensauskunft) oder Verweigerung derselben, häufiger und kurzfristiger Wechsel des Wohnsitzes im Inland vor Wegzug in das Ausland, der plötzlich-unerwartete und heimliche Fortgang des Schuldners ohne Zurücklassung einer Nachricht, der erneute Wegzug nach Antragstellung, die Verschiebung oder Verschleuderung verwertbarer Vermögensbestandteile, die Existenz „günstigerer“ Normen des fremden Anfechtungsrechtes und eben die kurzfristig erreichbare, belastungsärmere Restschuldbefreiung im Vergleich zum nationalen Haftungsrecht. Zweifelsohne sind bei einigen dieser Indizien die Grenzen zu einer nur vorgetäuschten Verlagerung des Lebensmittelpunktes bzw. des Zentrums der selbstständig wirtschaftlichen Tätigkeit fließend; dennoch sind sie zur Beurteilung der Schuldnerabsichten geeignet. Gegen ein anzunehmendes Interesse des Schuldners, in rechtsmissbräuchlicher Absicht die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen zu manipulieren, können offen zu Tage tretende Umstände sprechen. So mögen typische biografische Ereignisse wie Heirat oder Begründung einer Lebensgemeinschaft, Arbeitsplatzwechsel, Trennung und Scheidung, Pflege naher Angehöriger, Übernahme von  Klöhn, KTS 2006, 259, 282

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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bebautem und unbebautem Grundbesitz durch Erbfolge, religiös oder ethnisch durchdrungene Motive und dergleichen beachtliche Gründe für eine Wegzugsentscheidung sein. Ebenso wird zu berücksichtigen sein, wenn der Schuldner von vornherein mehrere Domizile oder verschiedene geschäftliche Niederlassungen in verschiedenen Staaten unterhält. Zudem wird der Umstand Beobachtung finden müssen, ob der selbstständige Schuldner einer ortsgebundenen Erwerbstätigkeit nachgeht oder von vornherein Geschäften mit internationalem Bezug, die einem steten Wandel unterliegen und vielfache Ortsveränderungen des schuldnerischen Lebensmittel- bzw. Tätigkeitsmittelpunktes mit sich bringen.⁶²¹ Überdies kommt der ins Ausland erfolgenden Verlegung des zuständigkeitsbegründenden Anknüpfungspunktes in einer kritischen Zeit vor der Antragstellung einige Bedeutung zu.Wie bereits dargestellt, schlagen Carstens,⁶²² Eidenmüller ⁶²³ und Klockenbrink ⁶²⁴ hierfür bestimmte Fristen (zum Beispiel von drei oder sechs Monaten) als eine vor der Antragstellung liegende periode suspecte vor, innerhalb der die Motivation des Schuldners genauer zu untersuchen sei. In der Tat scheint eine enge zeitliche Relation zwischen Fortgang und Eigenantragstellung eine Vermutung dafür legitimieren zu können, dass der Schuldner allein zur Begründung eines auswärtigen Forums weggezogen ist, wenn keine anderen rational nachvollziehbaren Gründe dafür existent sind und am Ende des eigeninitiierten Insolvenzverfahrens eine umfassende Enthaftung in Aussicht steht, die im Vergleich zum inländischen Recht für den Schuldner leichter zu erreichen ist. Indes soll nicht „über die Hintertür“ zugunsten einer bereits als für nicht tauglich befundenen periode suspecte votiert werden, würde doch die Beurteilung innerhalb einer starren Frist nur dazu führen, dass die Schuldner – ähnlich wie in den Fällen der gewerblichen Firmenbestattung ⁶²⁵ – eben zu einem früheren Zeitpunkt die zuständigkeitsbegründenden Merkmale gestalten. Gleichwohl bedarf es einer zeitlich begrenzten Retrospektive, innerhalb der die Beweggründe des Schuldners zu untersuchen sind, damit das Insolvenzgericht im Rahmen der gebotenen Eile anhand greifbarer Beweiszeichen eine auf Sachgründen beruhende Entscheidung fällen kann. Eine zeitlich unlimitierte Ausdehnung des retrospektiven Beurteilungszeitraums birgt hingegen die Gefahr, dass ein vom Schuldner angegangenes Gericht seine Zuständigkeit verneint, weil er – überspitzt ausgedrückt – irgendwann einmal seinen Lebens- bzw. Geschäftsmittelpunkt in den Gerichtsbezirk verlegt hat. Zudem würden zunehmend die Gläubiger, die nach der Verlegung des Lebens- bzw. Geschäftsmittelpunktes Rechtsbeziehungen zum Schuldner eingegangen sind, in ihren legitimen Erwartungen und Interessen düpiert werden, dass ein unvermeidlich werdendes Gesamtvollstreckungsverfahren nicht nach dem Recht des Zuzugsstaates, sondern nach den Vorschriften des Wegzugsstaates zu durchlaufen ist.

 Klöhn, KTS 2006, 259, 283  Carstens, S. 124 für den Anwendungsbereich der EuInsVO  Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 481  Klockenbrink, S. 102 f.  Oelschlegel, S. 277 ff. für die Sitzverlegung einer GmbH innerhalb des Geltungsbereich der EuInsVO

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Für die Bewertung der beteiligten Interessen wird letztlich das relative Maß der zeitlichen Ausdehnung zwischen Wegzug und Antragstellung zu beachten sein. Umso kürzer dieser Zeitraum ist, desto schutzwürdiger sind die Zuständigkeitsinteressen der zurückgebliebenen „Altgläubiger“ an einem Verfahren im Wegzugsstaat, zumal angesichts einer relativ kurzen Dauer die Ansprüche der „Altgläubiger“ einen wesentlichen, wenn nicht sogar den überwiegenden Teil der Gesamtverbindlichkeiten ausmachen werden. Umso mehr Zeit jedoch zwischen der Verlegung des Lebens- bzw. Geschäftsmittelpunktes und der Antragstellung im Zuzugsstaat vergangen ist, desto mehr müssen die Zuständigkeitsinteressen der Gläubiger Berücksichtigung finden, die nach dem Weggang des Schuldners Ansprüche gegen ihn erworben haben, zumal die „Altgläubiger“ nicht auf eine unabänderliche Beständigkeit der maßgeblichen Schuldnerverhältnisse vertrauen können.⁶²⁶ In diesem Zusammenhang wird weiter von Bedeutung sein, wie sich die Gruppe der Gläubiger, die vor dem Wegzug Ansprüche erwarben, gegenüber der Gruppe der Gläubiger mit nach dem Weggang begründeten Ansprüchen im Hinblick auf die jeweilige Personenanzahl verhält und wie sich in Abhängigkeit davon die finanziellen und zeitlichen Aufwendungen der Beteiligten für die Verfahrensbeteiligung gestalten.⁶²⁷ Lassen sich nach Ordnung und Bewertung der vorstehend genannten Indizien die Interessen des Schuldners an der Verlegung seines Lebens- bzw. Geschäftsmittelpunktes ermitteln, wird es schließlich darauf ankommen, ob und inwieweit ein verfahrensrechtlicher Bezug zu dem vom Schuldner angegangenen forum concursus besteht und wie dieser abschließend zu beurteilen ist. Erfolgte die Verlegung aus verfahrensfremden Gründen oder ohne eindeutig erkennbaren Zusammenhang mit der späteren Insolvenzantragstellung, wird der Weggang des Schuldners als von der allgemeinen Handlungsfreiheit geschützt und mit der Folge anzuerkennen sein, dass die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen forum shopping nicht gerechtfertigt ist. Können jedoch plausible Gründe für den Wechsel der den Gerichtsstand begründenden Anknüpfungstatsachen nicht benannt werden oder verweigert der Schuldner die Sachaufklärung, sprechen zudem die individuellen Verhältnisse des Schuldners bezüglich sozialer Bindung, Erwerbstätigkeit, Gläubigerstruktur und Integration im Zuzugsstaat vielmehr gegen die Existenz verfahrensfremder Umzugsmotive und besteht überdies eine zeitliche

 vgl. zum Ganzen für den Geltungsbereich der EuInsVO Klöhn, KTS 2006, 259, 283; Mankowski, NZI 2005, 368, 69  Klöhn, KTS 2006, 259, 284 ff., der zutreffend darauf hinweist, dass die Höhe des jeweiligen Verbindlichkeitsvolumens beider Gläubigergruppen kein geeignetes Bewertungskriterium sein kann

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Nähe zwischen Weggang und Antragstellung, kann eine wertende Gesamtbetrachtung aller Umstände die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen forum shopping rechtfertigen.

4. Schuldnerflucht im europäischen internationalen Insolvenzrecht Wurden bisher die Normen des deutschen autonomen internationalen Insolvenzrechts bezüglich einer über die Staatsgrenzen hinweggehenden Flucht des Schuldners untersucht, werden nachstehend die im europäischen Rechtsraum geltenden Vorschriften einer näheren Betrachtung unterzogen. Noch vor den Vorschriften der §§ 335 ff. InsO ist am 31. Mai 2002 die Verordnung (EG) Nr. 1346/ 2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren⁶²⁸ – kurz die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO) – in fast allen Länder der Europäischen Union (die Ausnahme ist Dänemark⁶²⁹) in Kraft getreten. Sie bildet seitdem den Ordnungsrahmen für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren im Unionsgebiet und löste in ihrem Anwendungsbereich überkommene Konkursverträge⁶³⁰ und abweichende nationale Kollisionsnormen ab. Nach dem Beitritt weiterer euro veröffentlicht im Amtsblatt EG Nr. L 160 v. 30. Juni 2000, S. 1 ff., seitdem wiederholt ergänzt und geändert, zuletzt durch Durchführungsverordnung (EU) Nr. 583/2011 des Rates vom 9. Juni 2011, Amtsblatt EU Nr. L 160 v. 18. Juni 2011, S. 52 ff.  Die EuInsVO ist in Bezug auf das Königreich Dänemark nicht anzuwenden, da jenes Vorbehalte gegenüber den Vorschriften des EGV erhob, die zu Maßnahmen der Mitgliedstaaten ermächtigen. Gemäß Art. 2 des Protokolls (Nr. 5) über die Position Dänemarks vom 2. Oktober 1997 (Amtsblatt EG Nr. C 340 v. 10. November 1997, S. 101; ergänzt um Anhang 1 infolge des Vertrages von Lissabon) sind unter anderem Maßnahmen, Vorschriften und internationale Übereinkünfte, die nach Titel IV des EG-Vertrages respektive des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) be- oder geschlossen werden, für Dänemark nicht anwendbar, berühren nicht die Rechte des Königsreiches und sind nicht Teil des Unionsrechts, soweit es auf Dänemark Anwendung findet. Deshalb ist in der 33. Begründungserwägung der EuInsVO festgehalten, dass gemäß den Art. 1 und 2 des Protokolls über die Position Dänemarks sich das Königsreich nicht an der Annahme dieser Verordnung beteiligt und sie auf diesen Mitgliedstaat keine Anwendung findet. Mangels gegenwärtiger bi- oder multilateraler Abkommen gilt mithin gegenüber dem Königreich Dänemark das autonome deutsche internationale Insolvenzrecht; vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 24. Januar 2005, 20 W 527/04, NJOZ 2005, 2532; Wimmer NJW 2002, 2427 ff..  vgl. Art. 44 Abs. 1 EuInsVO, in der die einzelnen Übereinkünfte aufgezählt werden, wie zum Beispiel der am 25. Mai 1979 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich auf dem Gebiet des Konkurs- und Vergleichs- (Ausgleichs‐) rechts geschlossene Vertrag (BGBl. II 1985 S. 410, deutsch-österreichischer Konkursvertrag) oder die Insolvenzrechtsverträge der Republik Österreich mit dem Königreich Belgien, der Französischen Republik und der Italienischen Republik

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

päischer Staaten zum supranationalen Staatenverbund⁶³¹ der Europäischen Union erstreckt sich der Geltungsbereich der EuInsVO auf gegenwärtig 27 von 28 Unions-Ländern (seit dem Beitritt Kroatiens am 1. Juli 2013) mit mehr als einer halben Milliarde Einwohnern. Die EuInsVO gilt für alle in ihren Anhängen A und B genannten, grenzüberschreitenden Gesamtverfahren, die eine Insolvenz eines Schuldners – gleich ob es dabei um eine natürliche oder juristische Person, einen Kaufmann oder eine Privatperson handelt⁶³² – voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner sowie die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben (Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 lit. a) und c) EuInsVO).⁶³³ Die EuInsVO fußt auf Art. 61 lit. c), Art. 65 und Art. 67 Abs. 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV)⁶³⁴ und wurde als Maßnahme des Rates der Europäischen Union zum schrittweisen Aufbau eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen normiert.⁶³⁵ Sie geht auf langjährige Bemühungen zurück, die nationalen Konkursrechte der Staaten der vor-

 vgl. BVerfG, Urt. v. 12. Oktober 1993, 2 BvR 2134, 2159/92, BVerfGE 89, 155 (Maastricht-Urteil)  Erwägungsgrund 9 der EuInsVO, jedoch mit Ausnahme der in Art. 1 Abs. 2 EuInsVO genannten Unternehmen  In einigen Unionsstaaten halten dortige nationale Rechtsordnungen auch Schuldbefreiungsverfahren bereit, die nicht vom sachlichen Anwendungsbereich der EuInsVO erfasst sind, wie zum Beispiel das englische solvent scheme of arrangement (vgl. hierzu BGH, Urt. v. 15. Februar 2012, IV ZR 194/09, DZWIR 2012, 256 ff.; Cranshaw, DZWIR 2012, 224, 232) oder das schwedische Skuldsaneringslag (Gesetz 2006:548; vgl. hierzu EuGH, Urt. v. 8. November 2012, C 461/11, EuZW 2013, 72 (Radziejewski); hierzu Cranshaw, ZInsO 2013, 153 ff.). Verfahren, die nicht explizit in die Anhänge A und B aufgenommen sind, werden nicht als Insolvenzverfahren im Sinne von Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 lit. a) und c) EuInsVO anerkannt, so dass diese nicht die unmittelbare und verbindliche Wirkung in den anderen Unionsstaaten nach Maßgabe der EuInsVO entfalten können (so zuletzt EuGH, Urt. v. 22. November 2012, C-116/11, NZI 2013, 106).  in der Fassung vom 2. Oktober 1997, Amtsblatt Nr. C 340 v. 10. November 1997  Weitere Maßnahmen sind die Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, Amtsblatt EG Nr. L 12 v. 16. Januar 2001, S. 1), die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I; Amtsblatt EG Nr. L 177 v. 4. Juli 2008), die Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II; Amtsblatt EG Nr. L 199 v. 31. Juli 2007, S. 40) und die Verordnung (EG) Nr. 1259/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2010 über das auf die Ehescheidung und Trennung ohne Auflösung des Ehebandes anzuwendende Recht (Rom III, Amtsblatt EU Nr. L 343 v. 29. Dezember 2010). Für das Ehegüterrecht, Erbrecht sowie das Unterhaltsrecht sind weitere Verordnungen in Vorbereitung (Rom IV bis VI).

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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maligen Europäischen Gemeinschaft auf europarechtlicher Ebene zu vereinheitlichen.⁶³⁶ Nachdem in den 1960er Jahren für das Gebiet der EWG damit begonnen wurde, ein gemeinsames europäisches Konkursübereinkommen auszuarbeiten,⁶³⁷ führten diese Bemühungen im Jahr 1980 zur Vorstellung eines ersten Entwurfs eines EG-Konkursübereinkommens,⁶³⁸ dem ein im Jahr 1990 vom Europarat vorgelegter Entwurf eines Istanbuler Konkursabkommens folgte.⁶³⁹ Ein weiterer, im Jahr 1990 auf den Weg gebrachter Entwurf eines Europäischen Übereinkommens über Insolvenzverfahren⁶⁴⁰ scheiterte 1995 wohl infolge der BSE-Krise und des Streits um die Gibraltar-Frage an der Weigerung Großbritanniens.⁶⁴¹ Nachdem das Europäische Parlament im Frühjahr 1999 eine Entschließung aufgrund des positiv votierenden Malangré-Berichtes zu diesem Übereinkommen⁶⁴² verabschiedet hatte, intensivierten sich die Harmonisierungsbemühungen, die zu einem von Finnland und Deutschland initiierten Verordnungsvorschlag und schließlich zur der am 29. Mai 2000 erlassenen EuInsVO führten.⁶⁴³ Nach Art. 288 Abs. 2 AEUV⁶⁴⁴ (vormals Art. 249 Abs. 2 EGV) ist die EuInsVO, die den Inhalt des 1995 gescheiterten Europäischen Insolvenzübereinkommens nahezu wortlautidentisch übernommen hat, in allen ihren Teilen verbindlich und gilt als sekundäres Europarecht unmittelbar in jedem Mitgliedstaat, so dass es nationaler Umsetzungsakte an sich nicht bedurfte.⁶⁴⁵ Der deutsche Gesetzgeber hat mit der Novellierung des Art. 102

 zu den europäischen Bemühungen bis zum Erlass der EuInsVO s. Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky, Geschichte Rz. 1 ff.  vgl. Houin, KTS 1961, 177 ff.; Böhle-Stamschräder, KTS 1964, 65 ff.; Stummel, S. 18 ff.  Lemountey-Bericht (EG – Dok – III D 222/80 de), ZIP 1981, 547, 673, 791; Martini, ZInsO 2002, 905, 906; LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Vor Art. 1 EuInsVO Rz. 1  Stummel, S. 137 ff.  abgedruckt in ZIP 1996, 976; erläutert von Virgos/Schmit, S. 34 ff.  Balz, ZIP 1996, 948; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 535; Becker, ZEuP 2002, 287, 290; Ehricke/Ries, JuS 2003, 313 ff.  Bericht vom 23. April 1999 des Ausschusses für Recht und Bürgerrechte zum Übereinkommen über Insolvenzverfahren vom 23. November 1995 (Berichterstatter Kurt Malangré) nebst Entschließungsantrag (A4– 0234/99) sowie Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7. Mai 1999, Amtsblatt EG Nr. C 279 v. 1. Oktober 1999, S. 493, 499; Martini, ZInsO 2002, 905, 906  Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Geschichte Rz. 8 ff.; Initiative der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland – dem Rat am 26. Mai 1999 vorgelegt – im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des Rates über Insolvenzverfahren (Amtsblatt EG Nr. C 221 v. 3. August 1999, S. 8); RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, BR-Drucks. 715/02, S. 11  Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union; die aufgrund des am 1. Dezember 2009 in Kraft getretenen Vertrages von Lissabon erfolgte Umbenennung und Neuordnung des vormaligen EG-Vertrages wurde in einer konsolidierten Fassung im Amtsblatt EG Nr. C 115 v. 9. Mai 2008, S. 47 ff. bekanntgemacht und ist darauf zurückzuführen, dass mit dem Vertrag von Lissabon die Europäische Gemeinschaft aufgelöst und all ihre Funktionen von der Europäischen Union als Rechtsnachfolgerin übernommen wurden (Art. 1 Abs. 3 Satz 2 des Vertrages über die Europäische Union – EUV, die konsolidierte Fassung wurde im Amtsblatt EU Nr. C 83 v. 30. März 2010, S. 13 ff. bekanntgemacht)  RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, BR-Drucks. 715/ 02, S. 1 und S. 11 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

EGInsO⁶⁴⁶ Vorschriften zur Durchführung und Anpassung des nationalen Rechts an die EuInsVO normiert, die jedoch – ebenso wie die §§ 335 ff. InsO⁶⁴⁷ – gegenüber dem Unionsrecht nachrangig und nur dann von Bedeutung sind, wenn der europäische Rechtsakt, der keine abschließende Regelung darstellt, diesbezüglich keine Bestimmungen vorsieht.⁶⁴⁸ Vornehmes Ziel der EuInsVO ist es, durch ein harmonisierendes Koordinationsrecht die Rechtssicherheit für alle auf dem europäischen Binnenmarkt handelnden Personen zu befördern.⁶⁴⁹

Die wichtigsten Regelungsgegenstände der EuInsVO betreffen die Zuständigkeit der Insolvenzgerichte, die Frage des anwendbaren Rechts sowie die Anerkennung von Entscheidungen ausländischer Insolvenzgerichte.⁶⁵⁰ Weitgehend sollen die nationalen Insolvenzrechte ihrem Inhalt nach unangetastet bleiben und im Sinne einer modifiziert universalen Geltung⁶⁵¹ über durch Verfahren legitimierte Entscheidungen im übrigen Unionsgebiet verfahrens- und materiell-rechtliche Wirkungen nach dem Recht des Staates der Verfahrenseröffnung entfalten (lex fori concursus). Der EuInsVO liegen unter anderem die Erwägungen⁶⁵² zugrunde, dass für einen reibungslos funktionierenden europäischen Binnenmarkt (Art. 26 Abs. 1 und 2 AEUV)⁶⁵³ gemeinschaftsrechtliche Normen erforderlich sind, welche angesichts der nachteiligen Auswirkungen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Schuldners eine effiziente und wirksame Krisenbewältigung durch Koordinierung der in Bezug auf dessen Vermögen zu ergreifenden Maßnahmen in Gestalt grenzüberschreitender Insolvenzverfahren ermöglichen. Hierdurch soll vermieden werden, dass das Risiko der grenzübergreifenden Schuldnerinsolvenz die europäischen Marktteilnehmer von Handlungen auf dem Binnenmarkt abhält und insoweit binnenmarktschädlich wirkt.⁶⁵⁴ Zudem erklärt der vierte Erwägungsgrund das Ziel, im Interesse eines ordnungsgemäß funktionierenden Binnenmarktes ein (rechtsmissbräuchliches) forum shopping zu verhindern, mit dem eine Verlagerung von Vermögensgegen-

 durch Art. 1 des Gesetzes vom 14. März 2003 zur Neuordnung des internationalen Insolvenzrechts, BGBl. I 2003 S. 345  MünchKomm-InsO/Reinhart, Vor §§ 335 ff. Rz. 84 m. w. Nachw.; BGH, Beschl. v. 3. Februar 2011, V ZB 54/10, ZIP 2011, 926; vgl. auch OLG Stuttgart, Urt. v. 15. Januar 2007, 5 U 98/06, ZInsO 2007, 611; hierzu Smid, jurisPR-InsR 7/2007, Anm. 4  RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, BR-Drucks. 715/ 02, S. 13  Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 537; Huber ZZP 114 (2001), 133, 134; Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky, Vorbem. Rz. 10 ff.; Carstens, S. 17 ff.  Erwägungsgrund 6 der EuInsVO  Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 537 ff.; LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Vor Art. 1 EuInsVO Rz. 9 ff.  Erwägungsgrund 2, 3 und 5 der EuInsVO  ausführlich zu den Zielen des europäischen Binnenmarktes Reuß, S. 25 ff.  hierzu Rauscher/Mäsch, Einl. EG-InsVO Rz. 1, 3; Reuß, S. 59 ff., S. 73

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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ständen und Rechtsstreitigkeiten in andere Mitgliedstaaten im Streben nach einer Verbesserung der Rechtsstellung erreicht werden soll. Dieser vom europäischen Verordnungsgeber zum Ausdruck gebrachte Regulierungswille steht in einem Spannungsfeld zu dem weiteren (ungeschriebenen) Axiom, wonach im Falle positiver Kompetenzkonflikte der Grundsatz der Priorität – abgeleitet aus dem im 22. Erwägungsgrund genannten Prinzip des gegenseitigen Vertrauens – Geltung erfahren soll.⁶⁵⁵ Im Nachfolgenden wird zu untersuchen sein, ob die „Flucht“ des Schuldners in einen anderen Mitgliedstaat die von ihm damit verbundenen Hoffnungen erfüllt, sich den Wirkungen eines im heimatlichen Unionsstaat angestrengten Insolvenzverfahrens entziehen und gegebenenfalls die europaweite Anerkennung einer in einem anderen Unionsstaat herbeigeführten Enthaftung realisieren zu können.

a) Anerkennung europäischer Verfahrensentscheidungen Das in der 22. Begründungserwägung der EuInsVO genannte gegenseitige Vertrauen ist die Basis für den in Art. 16 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 und Art. 25 Abs. 1 EuInsVO normierten Grundsatz der automatischen Anerkennung der in einem Unionsstaat von einem zuständigen Gericht getroffenen Verfahrensentscheidungen. Die Rechtsordnungen aller anderen Mitgliedstaaten haben die von einem nationalen Insolvenzgericht erreichten Erkenntnisse grundsätzlich zu respektieren und ipso iure zu akzeptieren, ohne dass es hierfür innerstaatlicher Exequaturverfahren über die Anerkennung und die Vollstreckbarerklärung bedarf. Sie sollen mithin die Entscheidung dieses Gerichts grundsätzlich keiner Überprüfung unterziehen dürfen. Bestünden ausnahmsweise gleichwohl Gründe für eine Nichtanerkennung, sollen diese auf das unbedingt notwendige Maß beschränkt sein.⁶⁵⁶ Dabei richtet sich das für das zu gestaltende Insolvenzverfahren und seine Entscheidungen maßgebliche Sachrecht gemäß Art. 4 Abs. 1, Art. 28 EuInsVO grundlegend

 Pannen/Pannen, Art. 3 Rz. 7; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rz. 29; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 545; Herchen, ZIP 2005, 1401, 1402; Reuß, S. 75; BGH, Beschl. v. 29. Mai 2008, IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338; hierzu Gruber, DZWIR 2008, 464 ff.; Mankowski, NZI 2008, 575 ff.; Eckard, ZZP 122 (2009), 345 ff.; Fehrenbach, IPRax 2004, 51 ff.  In diesem Zusammenhang ist nach Auffassung des EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907 (Eurofood), der in Art. 26 EuInsVO normierte ordre-public-Vorbehalt dahin auszulegen, dass – ausgehend vom allgemein anerkannten gemeinschaftlichen Rechtsanspruch auf ein faires Verfahren – ein Mitgliedstaat einem in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Insolvenzverfahren die Anerkennung versagen kann, wenn die Eröffnungsentscheidung unter offensichtlichem Verstoß gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör einer von einem solchen Verfahren betroffenen Person ergangen ist (hierauf wird später zurückzukommen sein).

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

nach dem Recht des Unionsstaates, in dem das Verfahren wirksam eröffnet worden ist (lex fori concursus). Gegenstand der Anerkennung gemäß Art. 16 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 EuInsVO ist mithin die Gestaltungswirkung des Eröffnungsbeschlusses durch Unterwerfung des Schuldnervermögens unter die Sachvorschriften des nationalen Insolvenzrechts.⁶⁵⁷ Auf diese Weise entfaltet die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens in jedem anderen Mitgliedstaat grundsätzlich die Wirkungen, die das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung dem (eigenen) Insolvenzverfahren beilegt, sofern die Verordnung nichts anderes bestimmt und solange in diesem anderen Mitgliedstaat kein Partikularverfahren im Sinne des Art. 3 Abs. 2 EuInsVO eingeleitet wird (Art. 17 Abs. 1 EuInsVO). Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung setzt gegenseitiges Vertrauen zwischen den Unionsstaaten voraus. Der Europäische Rat hatte nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Amsterdam zum 1. Mai 1999 auf dem im Oktober 1999 im finnischen Tampere stattgefundenen Gipfeltreffen die Schaffung eines „Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ an die Spitze der politischen Tagesordnung gesetzt und im Hinblick auf dieses Ziel unter anderem den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen innerhalb der Europäischen Union erklärt.⁶⁵⁸ Die Intention des europäischen Normgebers ist es seitdem, dass gerichtliche Entscheidungen überall in der Europäischen Union als gleichwertig anerkannt und vollzogen werden, unabhängig davon, in welchem Unionsstaat sie ergangen sind. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass die (Zivil‐) Rechtssysteme in der Europäischen Union zwar nicht identisch, aber zumindest gleichwertig sind. Sollen gerichtliche Entscheidungen in einem anderen Unionsstaat anerkannt werden, muss das dortige Gericht indessen angehalten sein, ihre formellen und materiellen Wirkungen bei seiner Rechtserkenntnis zu beachten. Denn eine vorangegangene Entscheidung anerkennen bedeutet, sie zu akzeptieren und anzuwenden, entweder direkt, indem dem Judikat eine vollständige unmittelbare Wirkung in der gesamten Union zukommt, oder indirekt, so dass es der inhaltsgleichen Umsetzung der ausländischen Entscheidung in eine innerstaatliche Erkenntnis bedarf. Hierfür muss sich das jeweilige Gericht sicher sein können, dass die anzuerkennende, im anderen Unionsstaat gefällte Entscheidung unter fairen Bedingungen zustande gekommen ist, insbesondere die Rechte der betroffenen

 MünchKomm-InsO/Reinhart, Art. 17 EuInsVO Rz. 1  vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Tampere zu dem Treffen vom 15. und 16. Oktober 1999, Rz. 28 ff. (http://www.europarl.europa.eu/summits/tam_de.htm, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013) sowie die Entschließung vom 27. Oktober 1999 des Europäischen Parlaments zum Europäischen Rat von Tampere (Amtsblatt EG Nr. C 154 v. 5. Juni 2000, S. 63 f.)

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Personen auf dem Weg zu diesem Judikat nicht verletzt wurden und damit ihre Rechte bei der nunmehr anstehenden Entscheidungsfindung als voll und ganz gewahrt betrachtet werden dürfen. Ohne gegenseitiges Vertrauen in die Rechtserkenntnis der nationalen Gerichte können die auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung beruhenden europäischen Normen, die Auswirkungen auf die Rechte und Pflichten im Insolvenzverfahren haben, nicht funktionieren, weil ansonsten ein Gericht eines Mitgliedstaats Bedenken gegen die Anerkennung und Vollziehung einer gerichtlichen Entscheidung eines anderen Mitgliedstaats anmelden könnte.⁶⁵⁹ Das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege innerhalb der Europäischen Union ist eines der Grundprinzipien, welche neben den Harmonisierungsmaßnahmen die Beseitigung von Hemmnissen, die durch unterschiedliche mitgliedstaatliche Rechtsordnungen bedingt sind, ermöglichen sollen und als unabdingbar für das reibungslose Funktionieren des europäischen Binnenmarktes (Art. 26 Abs. 1 und 2 AEUV) erachtet werden.⁶⁶⁰ Das wechselseitige Vertrauen und die gegenseitige Anerkennung der in einem Unionsstaat nach dem dortigen Verfahrensrecht herbeigeführten Eröffnungsentscheidung führen nach dem Inhalt des Art. 16 Abs. 1 EuInsVO dazu, dass sich ihre Wirkungen in allen anderen Unionsstaaten entfalten, sobald die Eröffnungsentscheidung im Staat der Verfahrenseröffnung nach dem dortigen Recht in dem Sinne wirksam ist, dass zwar noch keine formelle Rechtskraft eingetreten sein muss, jedoch diese Entscheidung bereits Folgen für das schuldnerische Vermögen zeitigt.⁶⁶¹ Der Europäische Gerichtshof ⁶⁶² leitet aus der 22. Begründungserwägung

 vgl. zu allem EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907 (Eurofood); hierzu Smid, DZWIR 2006, 45 ff.; Thole, ZEuP 2007, 1140 ff.; Saenger/Klockenbrink, EuZW 2006, 363 ff.; Hess/ Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 ff.  In diesem Zusammenhang darf auf die in den Rechtssachen Centros (EuGH, Urt. v. 9. März 1999, Rs. C-212/97, ZIP 1999, 438), Überseering (EuGH, Urt. v. 5. November 2002, Rs. C-208/00, ZIP 2002, 2037) und Inspire Art (EuGH, Urt. v. 30. September 2003, Rs. C-167/01, ZIP 2003, 1885) ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hingewiesen werden, die mit Blick auf die europäische Niederlassungsfreiheit der nach dem Recht der Unionstaaten errichteten Kapitalgesellschaften in gewisser Weise Parallelen zum Untersuchungsgegenstand aufweist.  Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 16 Rz. 10; Pannen/Riedemann, Art. 25 Rz. 14; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 319; vgl. hierzu den von Smid, DZWIR 2006, 45, 47, vorgestellten positiven Kompetenzkonflikt zwischen dem Stadtgericht Prag, Beschl. v. 26. April 2005, 78 K 6/05 – 127, ZIP 2005, 1431, und dem Landgericht Hamburg, Beschl. v. 18. August 2005, 326 T 34/05, ZIP 2005, 1697, der daher rührte, dass die deutschen Gerichte sich keine Kenntnisse über das tschechische Konkursrecht verschafften, vielmehr die aus dem deutschen Recht bekannten Strukturen unterstellten und so einem fatalen Irrtum über die Voraussetzungen und Wirkungen einer nach tschechischem Recht eintretenden Verfahrenseröffnung unterlagen; vgl. hierzu auch Herchen, ZIP 2005, 1401 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

eine europäisch autonome Auslegung des Art. 16 EuInsVO dahingehend ab, dass infolge des Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens ein für die Gerichte verbindliches Zuständigkeitssystem geschaffen wurde und so der zuerst getroffenen Eröffnungsentscheidung generelle Priorität zukommt, die von allen anderen Unionsstaaten zu akzeptieren ist.⁶⁶³ Denn dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, so der Europäische Gerichtshof, sei es inhärent, dass das Gericht eines Mitgliedstaats, bei dem ein Antrag auf Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens anhängig gemacht wird, seine Zuständigkeit im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 EuInsVO überprüft und diese Prüfung unter Beachtung der wesentlichen, ein faires Verfahren gewährleistenden Garantien erfolgt. Dafür verlange der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, dass die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten die Entscheidung zur Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens anerkennen, ohne die vom ersten Gericht hinsichtlich seiner Zuständigkeit angestellte Beurteilung ihrerseits überprüfen zu können. Der Europäische Gerichtshof bestätigt damit für den räumlichen und sachlichen Anwendungsbereich der EuInsVO das im Verordnungstext ersichtliche und im internationalen Zivilverfahrensrecht weit verbreitete Verbot einer révision au fond. Die zeitlich frühere Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens schließt folglich die spätere Eröffnung weiterer Hauptinsolvenzverfahren in anderen Unionsstaaten grundsätzlich aus. Hier ist ein wesentlicher Unterschied zum deutschen autonomen internationalen Insolvenzrecht festzustellen, welches eine Anerkennung von dem in § 343 Abs. 1 Satz 2 lit. a) InsO normierten Zuständigkeitsvorbehalt abhängig macht und insoweit den Weg weist, etwaigen Zuständigkeitsmanipulationen zu begegnen. Zwar zeigt der Europäische Gerichtshof in der soeben zitieren Eurofood-Entscheidung auf die Möglichkeit, die im nationalen Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen Rechtsbehelfe gegen die Eröffnungsentscheidung ergreifen zu können, wenn ein Beteiligter der Auffassung ist, das angegangene Insolvenzgericht habe seine internationale Zuständigkeit irrig angenommen und das Hauptinsolvenzverfahren müsse vielmehr in einem anderen Mitgliedstaat eröffnet werden. Indes kann dieser Hinweis nicht den Umstand verbergen, dass angesichts der jedem Insolvenzverfahren innewohnenden Eilbedürftigkeit und der damit verbundenen Kürze der Rechtsbehelfsfristen die Gläubiger des fallitus fugitivus oftmals erst dann von der Verfahrenseröffnung in einem anderen Uni-

 hier fortan gemeint im Sinne des Art. 19 Abs. 1 Satz 1 EUV  EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907 (Eurofood); Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 27. September 2005, C-341/04, ZIP 2005, 1878; hierzu Smid, DZWIR 2006, 45 ff.; Thole, ZEuP 2007, 1140 ff.; Saenger/Klockenbrink, EuZW 2006, 363 ff.; Hess/Laukemann/Seagon, IPRax 2007, 89 ff.; Klockenbrink, S. 105 f.

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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onsstaat erfahren, wenn die dortige Eröffnungsentscheidung unanfechtbar in Rechtskraft erwachsen ist, so dass die in den nationalen Verfahrensvorschriften eingeräumten Rechtsbehelfsmöglichkeiten zur Erlangung effektiven Rechtsschutzes nicht selten faktisch leerzulaufen drohen. Zudem müsste den im Rechtsbehelfsverfahren angerufenen Obergerichten nach dem nationalen Verfahrensrecht eine effektive Kontrollkompetenz eingeräumt sein, an der es fehlen wird, wenn die erstinstanzliche Entscheidung nur noch auf Rechtsfehler überprüft werden kann und die zuständigkeitsbegründeten Tatsachen vom Vordergericht nicht ausreichend oder nur tendenziell ermittelt und festgestellt worden sind.⁶⁶⁴ Dieser Wirkungsmechanismus erstreckt sich in gleicher Weise auf die im nationalen Insolvenzverfahren herbeigeführten Entscheidungen der europäischen Gerichte oder Gläubiger über eine Enthaftung des Schuldners hinsichtlich seiner nicht zur Erfüllung gebrachten Restverbindlichkeiten.⁶⁶⁵ Der sachliche Anwendungsbereich der EuInsVO erfasst neben den eigentlichen nationalen Insolvenzverfahren sowie den meisten im Unionsgebiet bekannten Sanierungs- und Restrukturierungsverfahren auch die Verfahren der Restschuldbefreiung (Art. 2 lit. a) EuInsVO in Verbindung mit Anlage A); lediglich Schuldenregulierungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens werden von der Verordnung nicht berührt.⁶⁶⁶ Obgleich mit Art. 4 Abs. 1 EuInsVO der prinzipielle Gleichlauf zwischen Eröffnungszuständigkeit und anzuwendendem nationalen Sachrecht normiert ist, weist Art. 4 Abs. 2 Satz 2 lit. k) EuInsVO klarstellend darauf hin, dass sich die Rechte der Gläubiger nach Beendigung des Insolvenzverfahrens nach dem Recht des Eröffnungsstaates richten. Hiermit sind insbesondere die nationalen Bestimmungen über eine nach Beendigung des Insolvenzverfahrens anstehende Restschuldbefreiung gemeint.⁶⁶⁷

 vgl. Kübler, S. 560; zum Annullierungsverfahren nach englischen Recht s. Goslar, NZI 2012, 912 ff.  Nach Hergenröder, DZWIR 2009, 309 und Vallender, ZInsO 2009, 616 kennen allerdings die Konkursrechtsordnungen der europäischen Länder Bulgarien, Griechenland, Italien, Lettland (bis 2010), Litauen, Portugal, Slowenien, Spanien und Ungarn keine mit einer Restschuldbefreiung vergleichbaren Normkomplexe, während in Belgien, England, Estland, Finnland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweden, Tschechien und Slowakei für den Schuldner Chancen zur Enthaftung mit freilich sehr unterschiedlichen Voraussetzungen bestehen (allerdings differieren die Angaben etwas).  Ehricke/Ries, JuS 2003, 313, 314; Hergenröder, ZVI 2005, 233, 235; Vallender, ZInsO 2009, 616, 617; zur internationalen Zuständigkeit für Restschuldbefreiungsentscheidungen vgl. Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 313; Vallender, ZInsO 2009, 616, 618; Pannen/Riedemann, Art. 25 Rz. 14 jeweils m. w. Nachw.  Koch, FS Jayme, S. 440; Hergenröder, ZVI 2005, 233, 238; Oberer, ZVI 2009, 49, 51; Vallender, ZInsO 2009, 616, 617; Schulte, Restschuldbefreiung, S. 129 ff. und S. 209 (zum gescheiterten

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Die auf diese nationalen Vorschriften gestützten Enthaftungsentscheidungen sind von den in Deutschland urteilenden Gerichten entweder über Art. 16 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1 EuInsVO oder über Art. 25 Abs. 1 EuInsVO anzuerkennen. Knüpft das nationale Recht die Restschuldbefreiung als gesetzlich angeordnete Rechtsfolge unmittelbar an die Entscheidung über die Verfahrenseröffnung im Sinne des Art. 17 Abs. 1 EuInsVO an, basiert die Anerkennung auf Art. 16 Abs. 1 EuInsVO in Verbindung mit Art. 4 Abs. 2 Satz 2 lit. f) und k) EuInsVO.⁶⁶⁸ Wird die Enthaftung indes von einer weiteren selbständigen Entschließung des Insolvenzgerichts getragen, erfolgt die Anerkennung über Art. 25 Abs. 1 EuInsVO, womit die zur Durchführung und Beendigung eines Insolvenzverfahrens ergangenen Entscheidungen eines Gerichts, dessen Eröffnungsdekret nach Art. 16 EuInsVO anzuerkennen ist, sowie ein von einem solchen Gericht bestätigter Vergleich und Entscheidungen, die unmittelbar aufgrund des Insolvenzverfahrens ergehen und in engem Zusammenhang damit stehen, erfasst werden.⁶⁶⁹ Mit der Anerkennung der formellen Wirkungen der Restschuldbefreiungsentscheidungen sind zugleich die materiell-rechtlichen Konsequenzen im Anerkennungsstaat grundsätzlich zu beachten, weshalb es auch keiner gesonderten Prüfung der lex causae hinsichtlich der einzelnen Forderungen im Anerkennungsstaat bedarf.⁶⁷⁰ Mit Blick auf den Untersuchungsgegenstand wird damit schnell der Reiz sichtbar, den das im europäischen Insolvenzverfahrensrecht verankerte Prinzip der automatischen Anerkennung von Verfahrensentscheidungen auf den gestrauchelten Schuldner ausstrahlt. Es beflügelt seine Gedanken, die nach einem schnellen und belastungsarmen Ausweg aus der Vermögenskrise suchen. Die Inhalte der hierzu bislang ergangenen Gerichtsentscheidungen⁶⁷¹ sowie der veröffentlichten Lite-

Europäischen Insolvenzübereinkommen); Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 316; für Vergleiche verweist Art. 4 Abs. 2 lit. j) EuInsVO auf die lex fori concursus  Vallender, ZInsO 2009, 616, 618; Goslar, NZI 2012, 912, 913; a. A. Mehring, ZInsO 2012, 1247, 1249  Hergenröder, DZWIR 2009, 209, 318; Vallender, ZInsO 2009, 616, 618  Vallender, ZInsO 2009, 616, 618; Ehricke, RabelsZ 62 (1998), 713, 725  zum Beispiel AG Celle, Beschl. v. 18. April 2005, 29 IN 11/05, NZI 2005, 410; BGH, Beschl. v. 2. März 2006, IX ZB 192/04, ZIP 2006, 767; High Court of Justice London, Beschl. v. 22. Juni 2007, No. 1338/07, ZVI 2008, 168; LG Göttingen, Beschl. v. 4. Dezember 2007, 10 T 146/07, ZInsO 2007, 1358; AG Göttingen, Beschl. v. 7. Mai 2008, 74 IN 391/07, ZVI 2008, 388; AG Mannheim, Beschl. v. 5. November 2008, 1 IN 244/08, juris; AG Köln, Beschl. v. 6. November 2008, 71 IN 487/07, NZI 2009, 133; BGH, Beschl. v. 17. September 2009, IX ZB 51/09, ZInsO 2009, 1955; BGH, Beschl. v. 17. September 2009, IX ZB 81/09, juris; BGH, Beschl. v. 19. November 2009, IX ZB 81/09, juris; BGH, Beschl. v. 15. November 2010, NotZ 6/10, ZIP 2011, 284; LG Köln, Urt. v. 14. Oktober 2011, 82 O 15/08, ZIP 2011, 2119; OLG Nürnberg, Beschl. v. 15. Dezember 2011, 1 U 2/11, NJW 2012, 862; BGH, Beschl. v. 8. März 2012, IX ZB 178/11, NZI 2012, 377; vgl. aber auch High Court of Justice

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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ratur⁶⁷² lassen erkennen, welche besondere Bedeutung das Ausweichen in eine andere europäische Rechtsordnung offenbart: Ein zweifelhafter Insolvenztourismusmarkt verheißt den in Bedrängnis geratenen Schuldnern vermeintlich attraktive Lösungen für ihre finanziellen Probleme und wirbt offen mit entsprechenden Beratungs- und Geschäftsbesorgungsangeboten, die auf in kurzer Zeit erreichbare und europäisch anzuerkennende Enthaftungsentscheidungen zielen.⁶⁷³ Gerade das aus dem 22. Erwägungsgrund ableitbare Prinzip der Priorität der zuerst von einem europäischen Insolvenzgericht getroffenen Eröffnungsentscheidung kann in Gestalt eines unerwünschten forum shopping eine rasante „Flucht“ des Schuldners unter das Herrschaftsschild einer anderen nationalen Insolvenzrechtsordnung provozieren, die eine aus seiner Sicht bessere Behandlung seines an sich legitimen Interesses an einer einen fresh start ermöglichenden Restschuldbefreiung verspricht.⁶⁷⁴ Wollen die Gläubiger diese „Flucht“ des bislang in Deutschland ansässigen Schuldners vermeiden, werden sie mehr oder

Birmingham, Beschl. v. 29. August 2012, [2012] EWHC 2432 (Ch.), teilweise auf S. 156 ff. abgedruckt im Anlagenband III der von den Repräsentanten der Universitäten Heidelberg und Wien vorgelegten Studie „External Evaluation of Regulation N° 1346/2000/EC on Insolvency Proceedings“ (JUST/2011/JCIV/PR/0049/A4; abgerufen unter http://ec.europa.eu/justice/civil/docu ment/index_en.htm; zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  beispielsweise Mankowski, NZI 2005, 368 ff.; Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183 ff.; Klöhn, KTS 2006, 259 ff.; Knof, ZInsO 2006, 754 ff.; Hölzle, ZVI 2007, 1 ff.; Andres/Grund, NZI 2007, 137 ff.; Pel, ZVI 2008, 152 ff.; Delzant/Schütze, ZInsO 2008, 540; Eidenmüller, KTS 2009, 137 ff.; Vallender, ZInsO 2009, 616 ff.; Hergenröder, DZWIR 2009, 309 ff.; Vallender, VIA 2010, 6 ff.; d’Avoine, NZI 2011, 310 ff.; Goslar, NZI 2012, 912 ff. oder die Monografien von Carstens, Attinger und Reuß  Insbesondere erscheint im europäischen Kontext seit einiger Zeit der englische Insolvenzrechtsmarkt für Schuldner attraktiv zu sein, nachdem die französischen Gerichte zunehmend restriktiv ihre Verfahrenseröffnungszuständigkeit beurteilen und dem schuldnerischen forum shopping entgegentreten (z. B. Cour d’appell Colmar, Urt. v. 13. Dezember 2011, I A I 1/ 01869, ZInsO 2012, 441, wonach noch vier Jahre nach Beendigung des elsässischen Insolvenzverfahrens der Widerruf der Restschuldbefreiung gerechtfertigt sei, wenn die Begründung des Wohnsitzes für die Herbeiführung der Zuständigkeit des angerufenen Insolvenzgerichts vorgespiegelt wurde; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 311 (Fn. 22) unter Hinweis auf die von Delzant/ Schütze, ZInsO 2008, 540, 541 ff. zitierten Entscheidungen), weshalb die gegenwärtig im Internet abrufbaren Offerten verstärkt auf die Anwendung des englischen Insolvenzrechts gerichtet sind; vgl. zum Beispiel http://www.privatinsolvenz-uk.de, http://www.englandinsolvenz24.de (mit der Behauptung einer 100 %igen Erfolgsquote und dem Versprechen einer „Geld-zurück-Garantie“!), http://www.insolvenzinengland.eu, http://www.insolvenz-in-england.co.uk (immerhin zum Festpreis von 700,00 £), http://www.insolvenzinengland.de, http://www.england-insolvenz.com (ebenfalls mit „Geld-zurück-Garantie“) oder http://www.insolvenz-agentur.com/de/das-eng lische-insolvenzverfahren (alle zuletzt geprüft am 7. Juli 2013).  Huber, ZZP 114 (2001), 133, 142 f.; MünchKomm-InsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rz. 45 f.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

weniger zu einem race to the courthouse gezwungen, da es im Hinblick auf Art. 102 § 3 Abs. 1 EGInsO nunmehr an ihnen liegt, ihrerseits schnellstmöglich die Eröffnung des Verfahrens im Inland zu beantragen.⁶⁷⁵ Auch hierdurch kommt es zu einem in diesem Sinne zumeist unerwünschten europäischen Wettbewerb der nationalen Insolvenzrechtsordnungen.⁶⁷⁶ Das folgende Beispiel illustriert ganz anschaulich, welche Chancen sich für die Schuldner durch die Anerkennung von Enthaftungsentscheidungen europäischer Insolvenzgerichte bieten: Der beklagte Schuldner hatte als Erschließungsträger im Jahr 2000 zwei städtebauliche Verträge abgeschlossen, jedoch nicht vollständig erfüllt. Daraufhin begehrte die klagende Gemeinde die Zahlung von insgesamt 46.230,00 Euro und verfolgte ihre Ansprüche mit einer am 18. Januar 2008 erhobenen Klage. Der beklagte Schuldner trat dem entgegen und trug vor, am 20. Mai 2008 bei den königlichen Gerichten in London die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt und die klägerischen Forderungen dort angegeben zu haben. Daraufhin habe der High Court of Justice am gleichen Tag das Insolvenzverfahren mit einer Bankruptcy Order on a Debtor‘s Petition eröffnet. Gerade einmal neun Monate später beendete der High Court of Justice das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom 27. Februar 2009 und der beklagte Schuldner erfuhr Restschuldbefreiung, über die ein Certificate of Discharge ausgestellt wurde.⁶⁷⁷ In der mündlichen Verhandlung vom 13. September

 Vallender, VIA 2010, 6, 7 mit dem Praxistipp, dass durch gerichtliche Anordnung einer „starken“ vorläufigen Insolvenzverwaltung nach Maßgabe des § 21 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1 InsO die im Ausland anstehende Verfahrenseröffnung vereitelt werden könne, solange dort die Eröffnungsentscheidung noch nicht ergangen ist (OLG Innsbruck, Beschl. v. 8. Juli 2008, 1 R 176/08d, ZIP 2008, 1647; AG Köln, Beschl. v. 6. November 2008, 71 IN 487/07, NZI 2009, 133), da mit dem Eintritt des Vermögensbeschlags (§ 22 Abs. 1 InsO) die gerichtliche Entscheidung die Qualität einer Eröffnungsentscheidung erlange, vgl. EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907 (Eurofood)  hierzu Klöhn, KTS 2006, 259, 265; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 139 ff.; Reuß, S. 48 ff.; zur „Flucht“ von Kapitalgesellschaften nach England und zur Eröffnung eines europäischen Wettbewerbs der Insolvenzrechtsordnungen s. Vallender, NZI 2007, 129 ff.; Andres/Grund, NZI 2007, 137 ff.; Schmittmann/Hesselmann, ZInsO 2008, 957 ff.; eine empirische Untersuchung zum Unternehmensinsolvenzrecht stellen Eidenmüller/Frobenius/Prusko, NZI 2012, 545 ff. vor  Im anglo-amerikanischen Rechtskreis hat die Restschuldbefreiung eine lange Tradition, die in ihren Anfängen bis in das 16. und 17. Jahrhundert zurückreicht und die neben der kollektiven Haftungsverwirklichung dem honest but unfortunate debtor schnell zu einem fresh start verhelfen will (Geroldinger, JAP 2006/2007, 167, 171). Mit der Eröffnung des englischen Insolvenzverfahrens fällt das gesamte Schuldnervermögen (mit Ausnahme von Kleidung, Hausrat sowie Gegenständen zum Erwerb des Lebensunterhalts) sowie der nach der Verfahrenseröffnung erlangte Neuerwerb in die Insolvenzmasse, über die der Verwalter die Verfügungsbefugnis innehat und der das Schuldnervermögen unter Aufsicht des Gerichts und gegebenenfalls eines Gläubigerausschusses zur Gläubigerbefriedigung verwertet. Genau ein Jahr nach Verfahrenseröffnung kommt ein first-time bankrupt in den Genuss der automatic discharge. Der Schuldner wird durch automatic discharge grundsätzlich von allen zu diesem Zeitpunkt rechtlich entstandenen und nicht durch das Verfahren erfüllten Verbindlichkeiten befreit, denen er zum Zeitpunkt des Erlasses der bankruptcy order ausgesetzt war, und zwar unabhängig von ihrer Fälligkeit sowie

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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2011 erklärte der beklagte Schuldner unwidersprochen, im Jahr 2006 arbeitsbedingt nach Großbritannien gegangen zu sein und im Jahr 2007 seinen Wohnsitz dorthin verlegt zu haben. Im Rahmen des in England durchgeführten Insolvenzverfahrens hätten 16.000 £ zur Befriedigung der Gläubiger zur Verfügung gestanden, worüber er die Klägerin informiert habe, die es jedoch versäumte, ihre Forderungen anzumelden. Das Verwaltungsgericht Leipzig⁶⁷⁸ wies die Klage ab und führte hierzu (mit einigen Mängeln in der Begründung, aber nach dem Tatbestand im Ergebnis zutreffend) aus, aufgrund der schuldbefreienden Wirkung der erlangten Restschuldbefreiung (discharge) könne die Klägerin ihre Ansprüche gegen den Beklagten nicht mehr geltend machen. Das Insolvenzverfahren unterläge von der Eröffnung bis zur Beendigung dem Recht des Staates, in dem das Verfahren eröffnet worden sei, weshalb sich die Wirkung einer im Ausland erteilten Restschuldbefreiung nach dem Recht des Staats bestimme, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Diese Entschuldungswirkung der von einem englischen Insolvenzgericht bestätigten Restschuldbefreiung sei nach dem in Deutschland geltenden Recht anzuerkennen. Dabei sei das englische Insolvenzgericht für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO zuständig gewesen, da der Beklagte den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen nach der in der mündlichen Verhandlung gewonnenen richterlichen Überzeugung im Jahr 2006 arbeitsbedingt nach England

davon, ob sie als Forderungen im Insolvenzverfahren angemeldet worden sind (Section 279 Insolvency Act 1986). Im Unterschied zur Regelung des § 301 InsO, wonach die auf Antrag durch das Gericht zu gewährende Restschuldbefreiung zur Wandlung in eine unvollkommene, ergo freiwillig weiterhin erfüllbare, aber nicht erzwingbare unvollkommene Verbindlichkeit respektive Naturalobligation führt (amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 195; BGH, Beschl. v. 25. September 2008, IX ZB 205/06, WM 2008, 2219), gehen die vom englischen Insolvenzverfahren erfassten Verbindlichkeiten – abgesehen von einigen Ausnahmen – endgültig unter (Section 281 Abs. 1, Section 282 Abs. 1 Insolvency Act 1986); infolge der Entschuldungswirkung des englischen Verfahrens sind sie nicht mehr durchsetzbar (vgl. OLG Brandenburg, Urt. v. 25. Mai 2011, 13 U 100/07, juris). Diese Enthaftung tritt durch Zeitablauf automatisch ein und ist zugleich Grund der Verfahrensaufhebung. Indessen kann das englische Gericht den Schuldner über die discharge hinaus zur Zahlung bestimmter Beträge verpflichten oder ihm im Falle persönlicher Verfehlungen bestimmte bankruptcy restrictions orders oder bankruptcy restrictions undertakings auferlegen. Diese durchaus auf mehrere Jahre bestehenden Beschränkungen werden mit Gründen veröffentlicht, ihre Verletzungen durch den Schuldner können strafrechtlich geahndet werden. Überdies kann nach Section 375 Abs. 1 Insolvency Act 1986 das englische Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung jederzeit nachträglich beseitigen, wenn ihm hinsichtlich des Schuldnervermögens Tatsachen bekannt werden, die auf eine Verschleierung oder dergleichen deuten. Im Falle einer erneuten Vermögenskrise entfällt die Enthaftung mittels automatic discharge; es kommt dann nur noch eine discharge by order of the court in Betracht, mit der frühestens fünf Jahre nach der letzten discharge die Restschulden beseitigt werden können. Daneben sind das individual voluntary arrangement sowie die county court administration order zu erwähnen, die alternative Krisenbewältigungstechniken bieten; zu den Privatinsolvenzrechten in England und Wales, Schottland, Nordirland sowie Irland siehe unter anderen die Darstellungen von Hergenröder/Alsmann, ZVI 2007, 337 ff.; Dimmling, ZInsO 2007, 1198 ff.; Geroldinger, JAP 2006/2007, 167, 171; Goslar, NZI 2012, 912 ff. und Mehring, ZInsO 2012, 1247.  VG Leipzig, Urt. v. 13. September 2011, 6 K 86/08, Deutsches Notarinstitut, Dokumentnummer: 6k86_08

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

verlegt habe. Zwar könne die Verlegung eines Wohnsitzes ins Ausland rechtsmissbräuchlich sein, wenn ein Schuldner dies nur tue, um in den Genuss der Anwendung ausländischen Rechts zu kommen. Die Klägerin habe jedoch den Wohnsitzwechsel des Beklagten weder in Frage gestellt, noch dessen Rechtsmissbräuchlichkeit gerügt, und auch für die Kammer seien Anhaltspunkte hierfür nicht ersichtlich gewesen. Allein unter dem Gesichtspunkt, dass nach englischem Recht eine deutlich schnellere Restschuldbefreiung zu erreichen sei, könne ein Verstoß gegen den ordre public nicht angenommen werden. Zwar bildet die mehrjährige Wohlverhaltensperiode eine wesentliche Erschwernis des deutschen Systems der Restschuldbefreiung. In welchem Umfang die deutschen Regelungen die Befriedigungsaussichten der Klägerin tatsächlich verbessert hätten, lasse sich aber nicht erkennen. Überdies hätte sich die Klägerin am englischen Insolvenzverfahren beteiligen können. Schließlich dürfe das englische Insolvenzgericht die Restschuldbefreiung nachträglich widerrufen oder abändern, wenn ihm hinsichtlich des schuldnerischen Vermögens neue relevante Tatsachen bekannt werden würden.⁶⁷⁹

Diesem so deutlich werdenden Wirkungsmechanismus zwischen der grundsätzlichen Anerkennung und der Priorität europäischer Verfahrenseröffnungsentscheidungen in Insolvenzsachen können sich die europäischen Gläubiger grundsätzlich nicht entziehen. Insbesondere löst der auf Antrag des fallitus fugitivus zuerst erlassene Eröffnungsbeschluss die im nationalen Insolvenzrecht vorgesehenen Verfahrenswirkungen aus, in erster Linie den universellen Insolvenzbeschlag, so dass ein nachfolgender, von den Gläubigern initiierter Eröffnungsbeschluss im Wegzugsstaat, der sich ebenfalls auf ein Hauptinsolvenzverfahren mit universellen Anspruch richtet, schwebend unwirksam ist und allenfalls bei Aufhebung der zuerst ergangenen Eröffnungsentscheidung Rechtsfolgen eintreten lassen könnte.⁶⁸⁰ Denn wie bereits gesehen, geht die EuInsVO davon aus, dass nur ein einziges Hauptinsolvenzverfahren existent sein kann, weshalb die  Ein weiterer in Judikatur und Schrifttum untersuchter Fall ist der des so genannten Londoner Radiologen, nach dessen Tatbestand die Gläubigerbenachteiligungsabsicht greifbar ist: OLG Koblenz, Urt. v. 15. März 2006, 1 U 855/05, ZVI 2008, 166; High Court of Justice London, Beschl. v. 22. Juni 2007, No. 1338/07, ZVI 2008, 168; Pel, ZVI 2008, 152 ff.; vgl. aber auch High Court of Justice London, Beschl. v. 30. Juni 2011, No. 1338/07, teilweise auf S. 198 ff. abgedruckt im Anlagenband III der von den Repräsentanten der Universitäten Heidelberg und Wien vorgelegten Studie „External Evaluation of Regulation N° 1346/2000/EC on Insolvency Proceedings“ (JUST/ 2011/JCIV/PR/0049/A4; abgerufen unter http://ec.europa.eu/justice/civil/document/index_en. htm; zuletzt geprüft am 7. Juli 2013).  Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 290; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 545; Smid, DZWIR 2003, 397, 401; LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3 EuInsVO, Rz. 32 und 33 unter Hinweis auf die Bestimmungen des Art. 102 § 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 EGInsO, wonach im Fall des in einem anderen Mitgliedstaat eröffneten Hauptinsolvenzverfahren ein nachfolgend bei einem deutschen Insolvenzgericht gleichgerichtet gestellter Eröffnungsantrag unzulässig ist bzw. ein bereits eröffnetes Verfahren nicht fortgesetzt werden darf, solange das erste Insolvenzverfahren anhängig ist; vgl. hierzu auch das von Smid, DZWIR 2006, 45, 47 vorgestellte Beispiel eines positiven Kompetenzkonflikts; BGH, Beschl. v. 29. Mai 2008, IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Verordnung angesichts des in Art. 3 Abs. 1, Art. 16 Abs. 1 EuInsVO lokalisierbaren Prioritätsprinzips konsequent keine expliziten Regelungen enthält, wie im Falle der (irrigen oder beabsichtigten) Eröffnung mehrerer Hauptinsolvenzverfahren mit den kollidierenden universellen Wirkungsansprüchen zu verfahren ist.⁶⁸¹ Das zeitlich später eröffnete Verfahren könnte allenfalls als Sekundärverfahren gemäß Art. 3 Abs. 2, Art. 27 ff. EuInsVO fortgeführt werden.⁶⁸² Indes steht den innerstaatlichen Gläubigern kein uneingeschränkter Ausweg über die Fortsetzung oder Anstrengung eines Sekundärinsolvenzverfahrens offen, wollen sie eine frühzeitige und erleichterte Enthaftung des „flüchtenden“ Schuldners verhindern. Ein solches Partikularverfahren setzt nach Art. 3 Abs. 2 EuInsVO eine gegenwärtig existente Niederlassung des Schuldners im Sinne des Art. 2 lit. h) EuInsVO voraus,woran es beim fallitus fugitivus nicht selten fehlen wird.⁶⁸³ Ansonsten wirkt die in Art. 17 Abs. 2 Satz 2 EuInsVO genannte und infolge des Sekundärinsolvenzverfahrens gewährte Stundung oder Schuldbefreiung wegen des territorialen Vorrangs des Sekundär- vor dem Hauptinsolvenzverfahren zwar nur hinsichtlich des Vermögens, welches im Mitgliedstaat des Sekundärverfahrens belegen ist.⁶⁸⁴ Damit wird aber eine im universell wirkenden Hauptinsolvenzverfahren in Aussicht stehende Enthaftung des Schuldners und deren Anerkennung nicht in Frage gestellt. Das nach Art. 288 Abs. 2 AEUV in jedem Unionsstaat unmittelbar geltende Recht der EuInsVO nimmt auf diesem Weg unmittelbaren Einfluss auf die nationalen Haftungsordnungen und gestaltet im Rahmen seiner Regelungsmaterie tiefgreifend die zwischen Gläubiger und Schuldner bestehenden rechtlichen Beziehungen. Die Gläubiger

 Virgos/Schmit, S. 63; Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 289; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 545; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 144 f.; Smid, DZWIR 2003, 397, 401; EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/ 04, ZIP 2006, 907 (Rz. 52); BGH, Beschl. v. 29. Mai 2008, IX ZB 102/07, ZIP 2008, 1338  Huber, ZZP 114 (2001), 133, 147  Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 180; vgl. BGH, Beschl. v. 8. März 2012, IX ZB 178/11, NZI 2012, 377; als für die Gläubiger „positives“ Beispiel kann die vom LG Hannover, Beschl. v. 10. April 2008, 20 T 5/08, NZI 2008, 631 verfügte Eröffnung eines Sekundärinsolvenzverfahrens über das im Inland belegene Vermögen eines in England lebenden Chefarztes einer deutscher Klinik benannt werden; nach Auffassung des EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2011, 2153 (Interedil), hierzu Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 10. März 2011, C-396/09, ZIP 2011, 918, zeige die Verknüpfung der in Art. 2 lit. h) EuInsVO definierten Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit dem Vorhandensein von Personal, dass ein Mindestmaß an Organisation und eine gewisse Stabilität erforderlich sind, um auf der Grundlage objektiver und durch Dritte erkennbarer Umstände eine Niederlassung in diesem Sinne feststellen zu können, weshalb im Umkehrschluss die bloße Existenz einzelner Vermögenswerte grundsätzlich nicht ausreiche  LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 17 EuInsVO Rz. 12 ff.; Vallender, ZInsO 2009, 616, 619

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

werden sich nach dem gegenwärtig geltenden Unionsrecht immer wieder der mit dem forum shopping aufkommenden Gefahr der „Flucht“ des Schuldners in andere europäische Rechtsordnungen, die ihm eine vermeintlich bessere Rechtsstellung bieten, vergegenwärtigen müssen, auch wenn der europäische Normgeber ausweislich der 4. Begründungserwägung der EuInsVO gerade diesem Phänomen den Kampf angesagt hat. Die Anerkennung der im europäischen Ausland erreichten Restschuldbefreiung erfolgt in praxi freilich im inländischen Erkenntnisverfahren infolge einer vom Schuldner vorzutragenden, rechtshemmenden oder rechtsvernichtenden Einwendung, sollte der ihn weiter bedrängende Gläubiger über die von ihm beanspruchte Forderung noch nicht über einen Vollstreckungstitel verfügen. Andernfalls ist der (zurückgekehrte) Schuldner gehalten, Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO zu erheben, will der Gläubiger die Wirkungen der auswärtig herbeigeführten Enthaftung nicht akzeptieren und aus einem existenten Titel die Zwangsvollstreckung betreiben.⁶⁸⁵ In diesen Verfahren sind die formellen und materiellen Wirkungen der vor einem europäischen Insolvenzgericht erreichten Entschuldung zu klären, insbesondere, in welcher Weise die nach dem anzuwendenden nationalen Recht erlangte Restschuldbefreiung auf den Bestand und die Durchsetzbarkeit der Gläubigeransprüche Einfluss nimmt. Hierzu hat sich das Gericht gemäß § 293 ZPO die für die Anwendung des ausländischen Insolvenzrechts erforderliche Sachkunde zu beschaffen, erforderlichenfalls hierüber Beweis zu erheben und anschließend seiner Erkenntnis zugrunde zu legen.⁶⁸⁶

Andererseits gewährleistet die Anerkennung europäischer Verfahrensentscheidungen, dass die in den nationalen Insolvenzrechten niedergelegten Wirkungen der dort initiierten Insolvenzverfahren zumindest im gesamten Unionsgebiet universelle Geltung beanspruchen können. Für das deutsche Recht bedeutet das, dass vom Insolvenzbeschlag des von einem deutschen Gericht verfügten Eröffnungsbeschlusses grundsätzlich das im europäischen Ausland befindliche Vermögen, welches der Schuldner womöglich im Zuge seiner Flucht dorthin verbracht hat, erfasst wird. Die Vorschriften der EuInsVO ermöglichen dem in Deutschland bestellten Insolvenzverwalter grundsätzlich die europaweite Verwirklichung der in § 1 InsO normierten Ziele des deutschen Insolvenzverfahrens.Wie noch zu sehen sein wird,wirkt sich die Flucht des Schuldners in einen anderen Unionsstaat nicht zu Lasten des auch den Neuerwerb erfassenden Vermögensbeschlages aus, wenn der Schuldner sein centre of main interests nur scheinbar oder rechtsmissbräuchlich verlegt. Den Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsmacht über das dem Insolvenzbeschlag unterliegende

 BGH, Beschl. v. 25. September 2008, IX ZB 205/06, WM 2008, 2219  Vallender, ZInsO 2009, 616, 620; BGH, Urt. v. 21. Januar 1991, II ZR 50/90, NJW 1991, 1418; BGH, Urt. v. 8. Mai 1992, V ZR 95/91, WM 1992, 1510; BGH, Urt. v. 13. Mai 1997, IX ZR 292/96, WM 1997, 1245; BGH, Urt. v. 30. Januar 2001, XI ZR 357/99, ZIP 2001, 675; BGH, Urt. v. 10. Juni 2009, VIII ZR 108/07, NJW 2009, 2824; BGH, Beschl. v. 30. April 2013, VII ZB 22/12, WM 2013, 1225

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Vermögen kann der Insolvenzverwalter in jedem Unionsstaat den Beteiligten vorhalten und die Herausgabe der massezugehörigen Gegenstände durchsetzen. Gleiches gilt für die Verfolgung von Anfechtungsansprüchen nach Maßgabe der §§ 129 ff. InsO; hierfür sind im Sinne einer europäischen vis attractiva concursus sogar die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Gebiet das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, wenn der Anfechtungsgegner seinen (satzungsmäßigen) Sitz in einem anderen Unionsstaat hat.⁶⁸⁷ Überdies sind und bleiben die vom Schuldner auf der Flucht über Massegegenstände vorgenommenen Verfügungen unwirksam (§ 81 Abs. 1 Satz 1 InsO). Gegenüber dem fallitus fugitivus befindet sich der Insolvenzverwalter grundsätzlich in der Lage, aus dem Eröffnungsbeschluss im europäischen Ausland zu vollstrecken (§ 148 Abs. 2 Satz 1 InsO). Zudem ist der Flüchtige weiter verpflichtet, Auskünfte zu erteilen und den Insolvenzverwalter bei der Erfüllung seiner Aufgaben zu unterstützen. Allerdings sind die Unionsstaaten ausweislich Art. 25 Abs. 3 EuInsVO nicht verpflichtet, eine auf §§ 97, 98 InsO gestützte Entscheidung, mit der der Schuldner zwangsweise vorgeführt und gegebenenfalls in Haft genommen werden soll, anzuerkennen und zu vollstrecken. Insoweit wird die Erzwingung der schuldnerischen Mitwirkungspflichten erschwert, wenn hierzu eine Einschränkung der persönlichen Freiheit erforderlich zu sein scheint.

b) Europäische Universalität und Zuständigkeit Für die zu beantwortende Frage, wie das europäische internationale Insolvenzrecht auf die „Flucht“ des Schuldners reagiert, ist die auf den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (centre of main interests – COMI) weisende Vorschrift des Art. 3 EuInsVO von herausragender Bedeutung. Wie bereits gesehen, werden an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch eine hierzu berufene Stelle (vgl. Art. 2 lit. d) EuInsVO) eines Mitgliedstaates weitreichende Konsequenzen geknüpft: Das für das zu gestaltende Insolvenzverfahren und seine Wirkungen maßgebliche Sachrecht richtet sich gemäß Art. 4 Abs. 1 EuInsVO und Art. 28 EuInsVO grundlegend nach dem Recht des Eröffnungsstaates (lex fori concursus). Zugleich erfahren die Verfahrungseröffnung sowie die weiteren Verfahrensent EuGH, Urt. v. 12. Februar 2009, C-339/07, ZIP 2009, 427 (Seagon/Deko Marty) m. Anm. Fehrenbach, IPRax 2009, 492 ff. und Mörsdorf-Schulte, ZIP 2009, 1456 ff.; Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 16. Oktober 2008, C-339/07, ZIP 2008, 2082; zuvor BGH, Beschl. v. 21. Juni 2007, IX ZR 39/06, ZIP 2007, 1415 m. Anm. Klöhn/Berner, ZIP 2007, 1418 ff. und MörsdorfSchulte, NZI 2008, 282 ff.; OLG Frankfurt, Urt. v. 26. Januar 2006, 15 U 200/05, ZIP 2006, 769; hierzu Smid, DZWIR 2006, 325, 328; im Nachgang BGH, Urt. v. 19. Mai 2009, IX ZR 39/06, ZIP 2009, 1287 m. Anm. Mock, NZI 2009, 534 ff.; vgl. aber auch EuGH, Urt. v. 19. April 2012, C-213/10, NZI 2012, 469

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

scheidungen eines nach Art. 3 EuInsVO zuständigen Gerichts die automatische Anerkennung in allen übrigen Mitgliedstaaten und entfalten in jedem anderen Mitgliedstaat, ohne dass es hierfür irgendwelcher Förmlichkeiten bedürfte, grundsätzlich die Wirkungen, die das Recht des Eröffnungsstaates den Entscheidungen zumisst (Art. 16 Abs. 1, Art. 17 Abs. 1, Art. 25 Abs. 1 EuInsVO). Damit ist das richtige Verständnis des mit der EuInsVO geschaffenen Tatbestands des centre of main interests zugleich für den Problemkreis des rechtsmissbräuchlichen forum shopping elementar. Die EuInsVO wird von der Idee einer gemäßigten oder modifizierten Universalität der Verfahrenseröffnung und des Insolvenzbeschlags beherrscht, ohne zugleich ein Modell der Einheitlichkeit verwirklichen zu wollen.⁶⁸⁸ Sie stellt einen Kompromiss zwischen der These der Einheitlichkeit und Universalität eines Gesamtvollstreckungsverfahrens dar, dessen Auswirkungen von sämtlichen Unionsstaaten anerkannt werden, und der Antithese der Partikularität und Pluralität der Konkurse, wonach ein Verfahren in jedem Staat eröffnet werden kann, in dem Vermögensgegenstände des Schuldners belegen sind, und die Auswirkungen des Verfahrens auf diesen Staat beschränkt sind.⁶⁸⁹ Der weltweite Wirkungsanspruch eines Hauptinsolvenzverfahrens wird durch die in der Verordnung normierten Sonderanknüpfungen, die bezüglich einiger Materien (dingliche Rechte, Aufrechnung, Arbeitsverhältnisse etc.) Abweichungen von dem im Übrigen anwendbaren lex fori concursus vorsehen, eingeschränkt. Überdies wird die mit dem universalen Geltungsanspruch des Hauptinsolvenzverfahrens beabsichtigte Einheitlichkeit der Krisenbewältigung durch die Zulassung von zwei Territorialverfahrenstypen – dem Sekundärinsolvenzverfahren und dem Partikularverfahren – durchbrochen.⁶⁹⁰ Die Verordnung kombiniert so die Vorteile eines grundsätzlich universell wirkenden Hauptinsolvenzverfahrens mit der Einsicht in die Notwendigkeit, unter bestimmten Voraussetzungen Partikularverfahren zur Krisenbe Virgos/Schmit, S. 36; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 537 ff.; Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221, 223; LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3 EuInsVO Rz. 1 und 5; Trunk, SZIER 2004, 531, 534, der von einer „gemilderten oder kontrollierten Universalität“ spricht; Vogler, S. 59 f. gibt einen Überblick über die Begriffsvarianten dafür, wie die Wirkungen eröffneter Hauptinsolvenzverfahren durch Sonderanknüpfungen, die Abweichungen von dem ansonsten maßgeblichen Insolvenzrecht des Eröffnungsstaats vorsehen, und durch Sekundärinsolvenzverfahren eingeschränkt und modifiziert werden können  Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Initiative der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland – dem Rat am 26. Mai 1999 vorgelegt – im Hinblick auf die Annahme einer Verordnung des Rates über Insolvenzverfahren“ (Amtsblatt EG Nr. C 75 v. 15. März 2000, S. 1)  RegE eines Gesetzes zur Neuregelung des Internationalen Insolvenzrechts, BR-Drucks. 715/ 02, S. 11

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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wältigung bereitstellen zu müssen.⁶⁹¹ Die damit zum Ausdruck kommende Vielfalt möglicher Verfahrensgestaltungen ist mit Blick auf die in der europäischen Union trotz wirtschaftlicher Verflechtungen nach wie vor bestehenden Unterschiede in den nationalen Sachrechten zu sehen.⁶⁹² Aus diesen Gründen enthält die Norm des Art. 3 EuInsVO sowohl für das Hauptinsolvenzverfahren als auch für das Sekundärinsolvenzverfahren und das Partikularinsolvenzverfahren Regelungen über die europäische internationale Zuständigkeit. Der räumliche Anwendungsbereich des Art. 3 EuInsVO setzt freilich einen grenzüberschreitenden Sachverhalt privatrechtlicher Art sowie den Mittelpunkt der Interessen des Schuldners innerhalb des Unionsgebiets voraus.⁶⁹³ Erforderlich ist ein grenzübergreifender Bezug zu mindestens einem weiteren Mitgliedstaat, der gegeben ist,wenn das Verfahren in einem anderen Unionsstaat als dem der Verfahrenseröffnung rechtliche Wirkungen entfaltet, insbesondere wenn schuldnerisches Vermögen in einem anderen Mitgliedstaat belegen ist, ausländische Gläubiger existent sind oder der Schuldner (scheinbar) seinen centre of main interests dorthin verlegt hat.⁶⁹⁴ Rein nationale Tatbestände eröffnen den Geltungsbereich der EuInsVO ebenso wenig, wie grenzüberschreitende Vermögenskrisen, die sich lediglich auf die Territorien eines EU-Staates und eines oder mehrerer Drittstaaten erstrecken.⁶⁹⁵ Aus der Tatsache, dass die EuInsVO keine Bestimmungen über das Verhältnis zu Drittstaaten enthält, kann nicht geschlossen werden, dass die Normen der EuInsVO heranzuziehen sind, sobald nur ein Unionsstaat in irgendeiner Weise beteiligt ist. Denn für crossborder insolvencies im Verhältnis zu einem Drittstaat ist nach wie vor das jeweilige nationale autonome internationale Insolvenzrecht maßgeblich.⁶⁹⁶ Insoweit kann der vor allem mit dem Wortlaut des Art. 3 EuInsVO begründeten Auffassung des englischen High Court of Justice in seiner Entscheidung vom 7. Februar 2003⁶⁹⁷ nicht nähergetreten werden, in der es über seine Zustän-

 Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 546  LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3 EuInsVO, Rz. 5; zu den Grundproblemen der EuInsVO s. Konecny, S. 108  Erwägungsgrund 14 der EuInsVO; Balz, ZIP 1996, 948 ff.; Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 538 f.; Pannen/Riedemann, NZI 2004, 646, 651; Hergenröder, ZVI 2005, 233, 235; Reuß, S. 113; AG Köln, Beschl. v. 19. Januar 2012, 74 IN 108/10, NZI 2012, 379  Pannen/Pannen, Art. 1 Rz. 119; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 1 Rz. 3 und 5; Koch, FS Jayme, S. 437; AG Köln, Beschl. v. 6. November 2008, 71 IN 487/07, NZI 2009, 133; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 312  Carstens, S. 28, S. 33 ff. und S. 121 ff. m. w. Nachw.; Virgos/Schmit, S. 38; LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 1 EuInsVO Rz. 6 f. m. w. Nachw.; Pannen/Pannen, Art. 1 Rz. 115, 117; Reuß, S. 113; Konecny, S. 109 (Fn. 10) weist zutreffend darauf hin, dass der 2. Erwägungsgrund für ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarktes das Erfordernis effizienter und wirksamer grenzüberschreitender Insolvenzverfahren nennt und der 3. Erwägungsgrund auf den zunehmenden Einfluss des Gemeinschaftsrechts Bezug nimmt sowie auf nachteilige Auswirkungen von Insolvenzen auf das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes, weshalb es eines gemeinschaftlichen Rechtsakts bedürfe  Martini, ZInsO 2002, 905, 907  High Court of Justice Chancery Division Companies Court, Urt. v. 7. Februar 2003, 0042/ 2003, ZIP 2003, 813; zustimmend Krebber, IPRax 2004, 540 ff.; kritisch Carstens, S. 28 ff. m. w.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

digkeit für die Eröffnung eines Hauptinsolvenzverfahrens über das Vermögen einer in den Vereinigten Staaten errichteten und eingetragenen Gesellschaft zu erkennen hatte, die ihre Geschäftstätigkeit nahezu ausschließlich in Großbritannien entfaltete, und hierzu seine Erkenntnis auf die Anwendung der EuInsVO stützte.

Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO definiert als Anknüpfungspunkt für die internationale Eröffnungszuständigkeit der Gerichte der Unionsstaaten den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Insolvenzschuldners. Der europäische Verordnungsgeber installierte damit ein vollkommen neues Konzept für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit in europäisch-grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren,welches den besonderen Interessenlagen der Beteiligten genügen will.⁶⁹⁸ Zwar gibt für eine erste Annäherung an diesen Rechtsbegriff die 13. Begründungserwägung die Richtung vor, wonach der Ort als der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen gelten soll, „an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und damit für Dritte feststellbar ist“.⁶⁹⁹ Eine weitere Erläuterung dafür,wie im Einzelnen dieses so umschriebene centre of a debtor′s main interests zu ermitteln sei und unter welchen Bedingungen es zu beachtlichen Veränderungen kommen kann, gibt die Verordnung jedoch nicht,⁷⁰⁰ so dass manches umstritten ist.⁷⁰¹ Nach Auf-

Nachw. (insbesondere Fn. 219); a. A. Pannen/Pannen, Art. 1 Rz. 120 ff.; Konecny, S. 109 ff.; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 312 sowie Reuß, S. 76 (Fn. 22 m. w. Nachw.) halten unter Hinweis auf den Erwägungsgrund Nr. 14, die Rechtslage nach der EuGVVO sowie die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH (z. B. Urt. v. 1. März 2005, C-281/02, Slg. 2005, I-1383) das Vorhandensein des Interessenmittelpunktes in einem Mitgliedstaat als für die Anwendung (des Art. 3 Abs. 1) der EuInsVO ausreichend, zumal es sich hierbei um supranationales Unionsrecht zur Harmonisierung der nationalen Verfahrensrechte sowie des internationalprivatrechtlichen Kollisionsrechts „auch nach außen“ (Reuß, S. 77 Fn. 22) handele. Abgesehen von der Frage, wie eine „nach außen“ wirkende Harmonisierung ohne völkerrechtlich bindende Beteiligung der Drittstatten zu begreifen ist, würde diese Auffassung zur Konsequenz haben, dass es für einen Großteil der Normen der nationalen autonomen internationalen Insolvenzrechte der Unionsstaaten keinen Anwendungsbereich (mehr) gäbe und die nach dem Inkrafttreten der EuInsVO in Deutschland erlassenen §§ 335 ff. InsO eine weitaus geringere Regelungsmaterie hätten, ergo in Teilen von Anfang an sinn- und bedeutungslos gewesen wären.  Attinger, S. 56; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 139; Reuß, S. 91  zurückgehend auf die Beschreibung von Virgos/Schmit, S. 60 zum 1995 gescheiterten Europäischen Insolvenzübereinkommen  Carstens, S. 43 f. übt hieran Kritik, da seiner Auffassung nach die so umschriebenen Merkmale nur eingeschränkt subsumierbar seien; ebenso Eidenmüller, KTS 2009, 137, 140; Kübler, S. 551 ff. und Reuß, S. 83 erwähnen zwei letztlich nicht verwirklichte Definitionsvorhaben in der dem Rat der Europäischen Union am 26. Mai 1999 vorgelegten Initiative der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Finnland (Amtsblatt EG Nr. C 221 v. 3. August 1999, S. 8) sowie in der parlamentarischen Stellungnahme vom 28. Januar 2000 des Ausschusses für die Freiheiten und Rechte der Bürger, Justiz und innere Angelegenheiten für den Ausschuss für

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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fassung des Europäischen Gerichtshofes⁷⁰² ist der Begriff des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen der EuInsVO eigen, habe daher eine autonome Bedeutung und müsse deshalb einheitlich und unabhängig von nationalen Rechtsvorschriften sowie übergeordneten nationalen Gerichten ausgelegt werden.⁷⁰³ Zudem sei der 13. Begründungserwägung die Forderung zu entnehmen, dass der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen nach objektiven und zugleich für Dritte feststellbaren Kriterien bestimmt werden müsse, um die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit bei der Bestimmung des für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts zu garantieren.⁷⁰⁴ Dieses Erfordernis der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit verstehe sich angesichts der an die Eröffnungszuständigkeit gekoppelten Anwendung des für das Insolvenzverfahren grundsätzlich zum Einsatz kommenden

Recht und Binnenmarkt über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über Insolvenzverfahren (9178/99 – C5 – 0069/99 – 1999/0806(CNS) – enthalten im Bericht vom 23. Februar 2000 über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über Insolvenzverfahren, Berichterstatter Kurt Lechner, Europäisches Parlament A5 – 0039/2000, kurz Lechner-Bericht), S. 16 ff. – wonach im Entwurf eines 13. Erwägungsgrundes (Satz 3 und 4) bzw. eines Art. 2 lit. i) mit dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ein Ort bezeichnet wurde, zu dem der Schuldner regelmäßig die engsten Beziehungen unterhalte, an dem sich seine vielfältigen Geschäftsbeziehungen konzentrieren, an dem zumeist der Schwerpunkt seines Vermögens belegen und der den Gläubigern bestens bekannt sei (letzteres nur in der Initiative).  MünchKomm-InsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rz. 2; Pannen/Pannen, Art. 3 Rz. 15 ff.; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 139 f.  EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907 (Eurofood); hierzu Smid, DZWIR 2006, 45, 46; Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177 ff.; Smid, DZWIR 2006, 325 ff.; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 314; bestätigt durch EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2011, 2153 (Interedil), mit dem weiterführenden Obersatz, aus den Anforderungen sowohl der einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch des Gleichheitsgrundsatzes folge, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Bestimmung, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen, die unter Berücksichtigung des Kontextes der Bestimmung und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziels gefunden werden muss (unter Hinweis auf EuGH, Urt. v. 29. Oktober 2009, C-174/08, Slg. 2009, I-10567 m. w. Nachw.); hierzu Cranshaw, DZWIR 2012, 53 ff.; zuvor Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 10. März 2011, C-396/09, ZIP 2011, 918  vgl. Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 179, die unter Hinweis auf die Schlussanträge vom 27. September 2005 des Generalanwalts Jacobs (C-341/04, ZIP 2005, 1878) in der Rechtssache Eurofood die denkbare Einbeziehung nationaler Vorschriften ebenso verwirft  EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907 (Eurofood); BGH, Beschl. v. 22. März 2007, IX ZB 164/06, NZI 2007, 344; Reuß, S. 84 erkannte hierin die zwei wesentlichen Elemente „gewöhnliche Verwaltung der Interessen“ und „Feststellbarkeit für Dritte“, die in zwei Prüfungsschritten (von ihm Filter genannt) näher zu bestimmen sind

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Sachrechts (Art. 4 Abs. 1 EuInsVO).⁷⁰⁵ Die richtige Auslegung und Anwendung des Tatbestands centre of main interests dient damit der geordneten und verfahrensökonomisch effizienten Bewältigung der Schuldnerkrise mit dem Ziel der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung durch Errichtung eines für jedermann transparenten Zuständigkeitssystems.⁷⁰⁶ Denn es soll Gewissheit darüber bestehen, an welchem Ort der Schuldner am ehesten lokalisiert und kontaktiert werden kann und welches Sachrecht in der Folge für die Bewältigung der Vermögensinsuffizienz heranzuziehen ist.⁷⁰⁷ Zugleich wird der durch die allgemeine Lebenserfahrung gestärkten Vermutung Rechnung getragen, im centre of main interests die höchste Konzentration des schuldnerischen Vermögens vorfinden zu können.⁷⁰⁸ Zurückgehend auf die Erläuterungen von Virgos und Schmit ⁷⁰⁹ wurden zur näheren Konkretisierung dessen, wie der Tatbestand des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen aufzufassen ist, Parallelen zu den für internationale Zuständigkeitsbegründungen bislang maßgeblichen Kriterien gezogen und die Auffassung vertreten, dass die Lage der hauptsächlichen Interessen für selbstständig und unselbstständig erwerbstätige Schuldner voneinander abweichend bestimmt werden müsste.⁷¹⁰ Demnach falle nach weit verbreiteter Rechtsauffassung bei nicht selbstständig tätigen, natürlichen Personen der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen (regelmäßig) mit dem gewöhnlichen Aufenthaltsort⁷¹¹ oder

 EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907 (Eurofood); BGH, Beschl. v. 22. März 2007, IX ZB 164/06, NZI 2007, 344  Reuß, S. 81, der das COMI als das „Gravitationszentrum“ sieht, in dem sich „die Elemente des schuldnerischen Daseins“ verdichten würden  Pannen/Pannen, Art. 3 Rz. 18; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rz. 12; Carstens, S. 51; Reuß, S. 82  Oberhammer, KTS 2009, 27, 36 f.; Knof, ZInsO 2005, 1017, 1020; Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896, 898 ff.; Reuß, S. 83  zum 1995 gescheiterten Europäischen Insolvenzübereinkommen, Virgos/Schmit, S. 60  MünchKomm-InsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rz. 40; Schmittmann/Hesselmann, ZInsO 2008, 957, 960; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 314  Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 543; Huber ZZP 114 (2001), 133, 140; Duursma-Kepplinger/ Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rz. 19 ff.; Mankowski, NZI 2005, 368, 369; Knof, ZInsO 2005, 1017, 1021; Pannen/Pannen, Art. 3 Rz. 20, 23, 28 m. w. Nachw.; Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 179 (sowohl Aufenthaltsort als auch Wohnort benennend); Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 314; Carstens, S. 53 ff. und S. 59; BGH, Beschl. v. 13. Juni 2006, IX ZA 8/06, juris; BGH, Beschl. v. 22. März 2007, IX ZB 164/06, NZI 2007, 344; BGH, Beschl. v. 17. September 2009, IX ZB 51/09, ZInsO 2009, 1955; AG Köln, Beschl. v. 6. November 2008, 71 IN 487/07, NZI 2009, 133; LG Göttingen, Beschl. v. 4. Dezember 2007, 10 T 146/07, ZInsO 2007, 1358; AG Hildesheim, Beschl. v. 18. Juni 2009, 51 IE 2/09, ZIP 2009, 2070 (gewöhnlicher Aufenthalt und Wohnsitz); OLG Hamm, Urt. v. 15. September 2011, 18 U 226/10, juris; zu den Indizien für die Bestimmung des ge-

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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dem Wohnsitz⁷¹² zusammen, während für Kaufleute, Gewerbetreibende und Freiberufler der Ort der wirtschaftlichen oder gewerblichen Tätigkeit maßgeblich sei,⁷¹³ und zwar deswegen, weil bei diesem Personenkreis oftmals gerade die berufliche Tätigkeit Anlass für die Insolvenz wäre. Dieser Grund rechtfertige es zugleich bei Schuldnern, die einer selbstständigen wirtschaftlichen Tätigkeit nachgehen, angesichts der Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO primär auf den Ort zu rekurrieren, an dem sie diese Tätigkeit ausüben, so dass es regelmäßig keines Rückgriffs auf den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthaltsort bedürfe.⁷¹⁴ Leipold ⁷¹⁵ und Smid ⁷¹⁶ halten hingegen eine derartige Unterscheidung für nicht unproblematisch und sehen gegenüber den in § 3 InsO normierten Regelungen in Art. 3 Abs. 1 EuInsVO ein „Klarheitsdefizit“, zumal der bloße Verweis auf wirtschaftliche Interessen nicht weiterhelfe und es verwirrend sei, bei gegenwärtig selbstständig beruflich tätigen natürlichen Personen auf den Tätigkeitsort abzustellen, während für die übrigen natürlichen Personen gewöhnlich der Wohn- und Aufenthaltsort maßgeblich sein solle. Dies umso mehr, als die vor Stellung des Insolvenzantrags bereits beendete selbstständige Tätigkeit einer natürlichen Person grundsätzlich weder als Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit nationaler Insolvenzgerichte noch für die Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen im Sinne von Art. 3 EuInsVO fortwirken könne, da nicht nur der vor Antragstellung erfolgende dauerhafte Wechsel des Aufent-

wöhnlichen Aufenthaltsorts sowie des Orts der wirtschaftlichen oder gewerblichen Tätigkeit s. AG Köln, Beschl. v. 19. Januar 2012, 74 IN 108/10, NZI 2012, 379  Balz, ZIP 1996, 948, 949 (für den Regelfall); Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 289; Kemper, ZIP 2001, 1609, 1612; Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183, 184; Hergenröder, ZVI 2005, 233, 235 f.; LG Wuppertal, Beschl. v. 10. April 2002, 6 T 495/02, juris; AG Celle, Beschl. v. 18. April 2005, 29 IN 11/05, NZI 2005, 410; kritisch hiergegen Mankowski, FS Heldrich, S. 879 ff.; Koch, FS Jayme, S. 437, 440; AG Göttingen, Beschl. v. 7. Mai 2008, 74 IN 391/07, ZVI 2008, 388; Reuß, S. 90 unter Hinweis auf AG Köln, Beschl. v. 18. Februar 2008, 71 IK 585/07, NZI 2008, 390; s. auch VG Leipzig, Urt. v. 13. September 2011, 6 K 86/08, Deutsches Notarinstitut, Dokumentennummer: 6k86_08, wonach den Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen der allgemeine Gerichtsstand bestimme, der bei natürlichen Personen der Wohnsitzgerichtsstand bilde und der sich wiederum nach der ständigen Niederlassung und dem Lebensmittelpunkt entscheide  Carstens, S. 59; Rauscher/Mäsch, Art. 3 EG-InsVO, Rz. 13; Mankowski NZI 2005, 368, 370; BGH, Beschl. v. 13. Juni 2006, IX ZA 8/06, IPRspr 2006, Nr. 265, 616; BGH, Beschl. v. 22. März 2007, IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878; BGH, Beschl. v. 17. September 2009, IX ZB 51/09, ZInsO 2009, 1955; BGH, Beschl. v. 15. November 2010, NotZ 6/10, ZIP 2011, 284; BGH, Beschl. v. 6. Oktober 2011, IX ZB 249/10, juris; OLG Hamm, Urt. v. 15. September 2011, 18 U 226/10, juris  Pannen/Pannen, Art. 3 Rz. 27 f.  Leipold, S. 190  LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3 EuInsVO Rz. 12; ebenso Eidenmüller, KTS 2009, 137, 140

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

haltsortes, sondern auch die endgültige Aufgabe einer selbstständigen Tätigkeit im Inland den ursprünglichen Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen verändere.⁷¹⁷ Deshalb komme es für natürliche Personen nicht zwingend auf den Ort der Ausübung einer selbstständigen Tätigkeit an, sondern oftmals auf den Wohnsitz oder den Ort des gewöhnlichen Aufenthalts, weil regelmäßig dort die hauptsächlichen Interessen lägen, die es zu verwalten gilt.⁷¹⁸ Allerdings zeigt ein vom Bundesgerichtshof ⁷¹⁹ entschiedener Sachverhalt, dass selbst der Wohnort des Schuldners nicht zwingend den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen spiegeln muss. Der dortige Schuldner war Inhaber eines unter anderem aus inländischen Immobilien bestehenden Vermögens, welches er durch mehrere zu diesem Zweck gegründete Gesellschaften verwalten ließ und die bis in das Jahr 2004 ihren Sitz im hessischen Rodenbach hatten. Am Sitz der Gesellschaften war eine Reihe von hochwertigen Fahrzeugen des Schuldners zugelassen und zum Zeitpunkt der Antragstellung wohnten dort die Ehefrau des Schuldners und der gemeinsame eheliche Sohn. Der Schuldner behauptete im Eröffnungsverfahren, von seiner Ehefrau getrennt zu leben und seinen Lebensmittelpunkt bereits im Jahre 2002 nach Italien verlegt zu haben, weshalb er die vom Insolvenzgericht ergriffenen Maßnahmen zur vorläufigen Massesicherung angriff. Der IX. Senat bestätigte die vom Beschwerdegericht vertretene Auffassung, wonach die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen zwar grundsätzlich einen zulässigen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetze und dafür die internationale und die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gegeben sein müssen. Jedoch bräuchten die Zuständigkeitsfragen im Zeitpunkt der Anordnungen zur Massesicherung noch nicht abschließend beantwortet zu sein. Denn trete ein Sicherungsbedürfnis schon im Prüfungsstadium hervor, habe das Insolvenzgericht die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, dass es bis zu einer abschließenden Entscheidung über die Zuständigkeit zu nachteiligen Veränderungen der Vermögenslage des Schuldners komme. Dies gelte insbesondere, wenn die Zulässigkeitsvoraussetzungen mit überwiegender, auf gesicherter Grundlage beruhender Wahrscheinlichkeit gegeben sind, der Schuldner zur Sachverhaltsaufklärung keinen Beitrag leistet und sich das Insolvenzgericht die letzte Gewissheit erst im weiteren Verfahrensablauf verschaffen könne. Im Rahmen der Wahrscheinlichkeitsbetrachtung wurde es vom Senat für zulässig gehalten, als centre of main interests den Schwerpunkt der wirtschaftlichen Interessen abweichend vom Wohnort des Schuldners an dem Ort zu lokalisieren, an dem das Vermögen (von Dritten) verwaltet wird.⁷²⁰

 AG Hildesheim, Beschl. v. 18. Juni 2009, 51 IE 2/09, ZIP 2009, 2070; AG Celle, Beschl. v. 18. April 2005, 29 IN 11/05, NZI 2005, 410, hierzu Mankowski, NZI 2005, 368 ff. und Knof, ZInsO 2005, 1017 ff.; BayObLG, Beschl. v. 25. Juli 2003, 1Z AR 72/03, NZI 2004, 88; BayObLG, Beschl. v. 13. August 2003, 1Z AR 83/03, NZI 2004, 90; a. A. AG Hamburg, Beschl. v. 1. Dezember 2005, 67a IN 450/05 ZIP 2005, 2275 (für britische private company limited by shares)  LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3 EuInsVO, Rz. 14; Pannen/Pannen, Art. 3 Rz. 28; High Court of Justice London, Beschl. v. 20. Dezember 2006, No 9849/02, NZI 2007, 361; kritisch zur Anknüpfung an Wohnsitz und Aufenthaltsort Reuß, S. 89 ff.  BGH, Beschl. v. 22. März 2007, IX ZB 164/06, NZI 2007, 344  einen vergleichbaren Sachverhalt hatte zuvor das LG Leipzig, Beschl. v. 27. Februar 2006, 12 T 1207/05, ZInsO 2006, 378 entschieden

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Damit wird verständlich, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen bei natürlichen Personen nicht allein auf starre, unumstößliche Kriterien wie den Ort der selbstständigen Erwerbstätigkeit oder den Wohn- bzw. Aufenthaltsort reduzieren oder gar durch diese substituieren lässt. Das Tatbestandsmerkmal der hauptsächlichen Interessen, welches dem Bemühen nach einem sowohl für natürliche als auch juristische Personen gleichermaßen geltenden, bedürfnisgerechten Anknüpfungspunkt geschuldet ist,⁷²¹ eröffnet vielmehr ein weites Beurteilungsspektrum, welches einen gewissen Bezug zu den im Insolvenzverfahren relevanten Vermögenswerten und zur sozialen Integration der Schuldnerperson aufweist⁷²² und sich über gewerbliche, freiberufliche und weitere erwerbswirtschaftliche Interessen hinaus auf allgemeine, wirtschaftlich relevante Tätigkeiten und Handlungen erstreckt, die wiederum für Dritte – gemeint sind damit alle potentiell von der Krise des Schuldners berührten Personen⁷²³ – erkennbar an einem Ort als Mittelpunkt mit einer gewissen Dauerhaftigkeit verwaltet werden.⁷²⁴ Dabei soll die Konzentration auf den Ort der Interessenverwaltung dem Bedürfnis nach der Kalkulation des spezifischen Risikos der Gläubiger genügen, dass im Fall der Schuldnerinsolvenz das Recht des Forums zur Anwendung kommt, in dessen Gebiet der Schuldner wahrnehmbar hauptsächlich wirtschaftlich agiert(e).⁷²⁵ Ohnehin kontrolliert weitgehend der Schuldner – worauf Carstens⁷²⁶ und Klöhn⁷²⁷ zutreffend hinweisen – die Entfaltung und Verlegung seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten, weshalb nur ein in der Gegenwart zu ermittelnder Hauptinteressenmittelpunkt mit der europarechtlichen Aufenthaltsfreiheit, (Arbeitnehmer‐) Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit (Art. 20 Abs. 2 lit. a AEUV und Art. 21 Abs. 1 AEUV,vormals Art. 18 Abs. 1 EGV sowie Art. 45 ff. und 49 ff. AEUV,vormals

 Koch, FS Jayme, S. 440; Mankowski, NZI 2005, 368, 371  Mankowski, NZI 2005, 368, 371; Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183, 184; Virgos/ Schmit, S. 32 zum 1995 gescheiterten Europäischen Insolvenzübereinkommen  AG Köln, Beschl. v. 19. Februar 2008, 73 IE 1/08, NZI 2008, 260 (PIN II); Reuß, S. 86 f. m. w. Nachw.  Fritz/Bähr, DZWIR 2001, 221, 224; Huber ZZP 114 (2001), 133, 140; Leipold, S. 190; DuursmaKepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rz. 12 f.; Pannen/Pannen, Art. 3 Rz. 18; Smid, DZWIR 2003, 397, 399; Carstens, S. 47 ff.; Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896, 899; LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3 EuInsVO Rz. 18; Reuß, S. 91 f.; Virgos/Schmit, S. 60 zum 1995 gescheiterten Europäischen Insolvenzübereinkommen  Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rz. 12; Kübler, S. 551; Virgos/Schmit, S. 32 und S. 60; LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3 EuInsVO Rz. 18  Carstens, S. 119  Klöhn, KTS 2006, 259, 276 unter Hinweis auf Court of Appeal, Urt. v. 27. Juli 2005, [2005] EWCA Civ 974 m. Anm. Mankowski, NZI 2005, 576 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Art. 39 ff. und 43 ff. EGV)⁷²⁸ und dem international anerkannten Prinzip des actor sequitur forum rei (vgl. Art. 2 Abs. 1 EuGVVO) in Einklang gebracht werden kann. Der 13. Begründungserwägung ist die gerade angesprochene Forderung zu entnehmen, dass nur der Ort als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen gelten soll, der für Dritte feststellbar ist. Diesen so formulierten Bedingungen der Objektivität und der Möglichkeit der Feststellung wird nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs⁷²⁹ dann Genüge getan, wenn die zur Bestimmung des Ortes, an dem der Schuldner gewöhnlich seine Interessen verwaltet, zu berücksichtigenden konkreten Umstände bekannt gemacht wurden oder zumindest so transparent sind, dass Dritte und insbesondere die Gläubiger davon Kenntnis nehmen konnten. Damit wird nur der Ort für die Zuständigkeitsbestimmung beachtlich sein, der von Dritten – und so auch für die Gerichte – objektiv wahrnehmbar beobachtet werden kann. Vor dem Hintergrund, gemäß Art. 27 EuInsVO Sekundärinsolvenzverfahren parallel zum Hauptinsolvenzverfahren in anderen Unionsstaaten eröffnen zu können, für die ausweislich Art. 3 Abs. 2 EuInsVO und der 17. Begründungserwägung jedoch eine Niederlassung des Schuldners im Sinne des Art. 2 lit. h) EuInsVO Voraussetzung ist und deren Wirkungen sich gemäß Art. 27 Satz 3 EuInsVO auf das Schuldnervermögen beschränken, welches im Gebiet des das Sekundärverfahren durchführenden Mitgliedlandes belegen ist, kommt der objektiven Erkennbarkeit des COMI erhebliche Bedeutung zu. Das Erfordernis der objektiven Erkennbarkeit für Dritte soll in zweierlei Hinsicht Vertrauensschutz und damit Rechtssicherheit gewähren: Zum einen kommen auf diese Weise bloße Verschleierungs- und Täuschungshandlungen, lediglich formale Aspekte (zum Beispiel amtliche Wohnsitz- und Gewerbesitzanmeldungen ohne tatsächliche COMI-Veränderung) oder innere Vorbehalte des Schuldners von vornherein als Beurteilungskriterien zum Wegfall. Zum anderen deutet die 4. Begründungserwägung auf ein rechtlich zu schützendes Vertrauen der Gläubiger  Hiernach kann sich jeder Unionsbürger grundsätzlich frei in der Europäischen Union bewegen, darf in jeden Unionsstaat einreisen und sich dort aufhalten und hat zudem das Recht, sich in jedem Unionsstaat wirtschaftlich zu betätigen und einer unselbständigen oder selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen; zur näheren Konkretisierung der Freizügigkeit vgl. aber auch Art. 6 und Art. 7 Abs. 2 lit. b der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/ 360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/ 96/EWG – kurz Freizügigkeitsrichtlinie oder Unionsbürgerrichtlinie – veröffentlicht in Amtsblatt EG Nr. L 158 v. 30. April 2004, S. 77, berichtigt in Amtsblatt EG Nr. L 229 v. 29. Juni 2004, S. 35.  EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2001, 2153 (Interedil); Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 10. März 2011, C-396/09, ZIP 2011, 918

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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hin, wonach der Schuldner daran gehindert werden soll, durch manipulative Eingriffe seinen centre of main interests zum Nachteil der Gläubiger zu ändern. Insoweit wird allerdings eine gewisse Dauerhaftigkeit des Interessenmittelpunkts erforderlich sein müssen, die von einer retrospektiven und zukunftsorientierten Betrachtung der maßgeblichen Tatsachen ausgehend eine gegenwartsbezogene Beurteilung erlaubt. Nur eine so verstandene Flexibilität bei der Bestimmung des centre of main interests ist geeignet, der bunten Vielfalt des Lebens zu genügen und etwaigen Manipulationsversuchen des fallitus fugitivus zu begegnen.⁷³⁰ Zur Bewältigung der sich damit darbietenden Komplexität der für die Mittelpunktbestimmung in Betracht kommenden Aspekte kann ein Kriterium allein nicht geeignet sein und den Ausschlag geben.⁷³¹ Vielmehr kommt es auf die Gesamtwürdigung aller wirtschaftlich relevanten Umstände des Einzelfalls an, die für Dritte ohne weiteres erkennbar sind.⁷³² Zur ersten Annäherung einer COMIBestimmung bietet sich zwar die Bildung typischer Fallgruppen an, die einen vermuteten Regelfall beschreiben. Ein so gestaltetes Fallgruppenkonzept muss aber gleichzeitig für Ausnahmen aufgrund atypischer Lebenswirklichkeiten durchlässig sein. Ausgehend von den weit verbreiteten Meinungen wird der abhängig beschäftigte oder erwerbslose Schuldner sein centre of main interests in der Regel am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts eingerichtet haben, da sich mit seiner Person typischerweise dort die Verwaltung seiner wirtschaftlich relevanten Interessen befindet und dieser Ort für Dritte feststellbar ist.⁷³³ Für den selbstständig wirtschaftlich tätigen Schuldner wird typischerweise der Ort seiner beruflichen Niederlassung oder des wirtschaftlichen Schwerpunktes seiner Tätigkeit das centre of main interests darstellen,⁷³⁴ wenn dort die wirtschaftlichen Interessen erkennbar verwaltet werden. Indes führen atypische Lebenssachverhalte wie beispielsweise die Haft des Schuldners in einer Justizvollzugsanstalt nicht zu einer Verlegung des COMI an den Ort des Haftvollzugs und rechtfertigen die Lokali-

 vgl. hierzu Reuß, S. 87 f.  Kübler, S. 551  EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2001, 2153 (Interedil); Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 10. März 2011, C-396/09, ZIP 2011, 918; BGH, Beschl. v. 22. März 2007, IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 314  Reuß, S. 91  Balz, ZIP 1996, 948, 949; Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rz. 19, 22; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 140; Carstens, S. 59, Reuß, S. 92; BGH, Beschl. v. 13. Juni 2006, IX ZA 8/06, IPRspr 2006, Nr. 265, 616, 618; BGH, Beschl. v. 22. März 2007, IX ZB 164/06, ZIP 2007, 878; BGH, Beschl. v. 17. September 2009, IX ZB 81/09, juris; BGH, Beschl. v. 15. November 2010, NotZ 6/10, ZIP 2011, 284

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

sierung an einem anderen Ort, wie zum Beispiel den vorherigen Aufenthaltsort.⁷³⁵ Gleiches gilt für den Fall, dass der Schuldner sowohl selbstständig als auch unselbstständig erwerbstätig ist, zugleich über Immobilien- und Barvermögen verfügt oder europaweit seinen Geschäften nachgeht und im hohen Tempo mit häufigen Ortswechseln agiert. Für die Bestimmung des centre of main interests des wirtschaftlich aktiven Schuldners kommen mithin als Kriterien und Faktoren alle Orte, an denen der Schuldner eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt, und alle Orte, an denen er Vermögenswerte besitzt, in Betracht, sofern diese Orte für Dritte erkennbar sind.⁷³⁶ Zu berücksichtigen sind mithin der Ort der Vermögensverwaltung in Gestalt der im Zahlungsverkehr beauftragten konto- oder depotführenden Bank,⁷³⁷ die Lage von selbst und fremd genutzten Immobilienvermögen,⁷³⁸ der Ort des Geschäftszweckes⁷³⁹ und der Abwicklung der Geschäftsbeziehungen durch Vollzug der prägenden Vertragsleistungen, der Ort und das Recht der von Dritten bereitgestellten Kreditsicherheiten, die Lage von Büro- und Gewerberäumen, von denen aus der Schuldner gegebenenfalls unter Mitwirkung seiner Arbeitnehmer tatsächlich wahrnehmbar handelt,⁷⁴⁰ der Arbeitsplatz bei abhängiger Beschäftigung, der typische Aufenthaltsort des Schuldners unter Berücksichtigung von Aufenthaltsdauer und -grund, seine hauptsächlich genutzte Wohnung, die internationale Rechtswahl der für das Schuldnervermögen maßgeblichen Geschäftsbeziehungen sowie der räumliche Schwerpunkt seiner sozialen Beziehungen zu Familie etc.⁷⁴¹ Diese für Dritte wahrnehmbaren Anknüpfungstatsachen sind geeignet, den Interessenmittelpunkt des Schuldners als Ort seiner wirtschaftlichen und sozialen Verwurzelung objektiv festzustellen.⁷⁴² Um hiernach das Zentrum der hauptsächlichen Interessen zu bestimmen, bedarf es in einer Gesamtbetrachtung der

 vgl. BGH, Beschl. v. 8. November 2007, IX ZB 41/03, NZI 2008, 121  EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2001, 2153 (Interedil); Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 10. März 2011, C-396/09, ZIP 2011, 918  AG Köln, Beschl. v. 6. November 2008, 71 IN 487/07, NZI 2009, 133; ebenso EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2001, 2153 (Interedil); Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 10. März 2011, C-396/09, ZIP 2011, 918  LG Leipzig, Beschl. v. 27. Februar 2006, 12 T 1207/05, ZInsO 2006, 378; BGH, Beschl. v. 22. März 2007, IX ZB 164/06, NZI 2007, 344; High Court of Justice London, Beschl. v. 20. Dezember 2006, No 9849/02, NZI 2007, 361; ebenso EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2001, 2153 (Interedil); Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 10. März 2011, C-396/09, ZIP 2011, 918  Pannen/Pannen, Art. 3 Rz. 83  LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3 EuInsVO Rz. 22  zu einzelnen Beispielen Kübler, S. 556 unter Benennung von in der europäischen Rechtsprechung in Erwägung gezogenen Kriterien  vgl. Knof, ZInsO 2005, 1017, 1022; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 314

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Gewichtung, Bewertung und Beurteilung aller im Einzelfall zu erwägenden Anknüpfungstatsachen im Hinblick auf die konkreten schuldnerischen Verhältnisse, ohne dass hierfür eine Rangfolge oder starre Maßstäbe vorzugeben sind.⁷⁴³ Eng mit der Frage verbunden, wie das centre of main interests in räumlicher und zeitlicher Dimension ermittelt werden kann, ist die weitere Frage, auf welchen konkreten Zeitpunkt gerichtet die Beurteilung erfolgen muss. Bereits anlässlich der Untersuchung des maßgeblichen Zeitpunkts für das deutsche autonome internationale Insolvenzrecht wurde festgestellt, dass unterschiedliche Momente in Betracht kommen.⁷⁴⁴ Der Europäische Gerichtshof hat in der bekannten StaubitzSchreiber-Entscheidung vom 17. Januar 2006⁷⁴⁵ als maßgeblichen Zeitpunkt für das Vorliegen der Anknüpfungsmerkmale zur Bestimmung der europäischen internationalen Zuständigkeit des Insolvenzgerichts den Augenblick des einfach feststellbaren Eingangs des Eröffnungsantrags bei Gericht erkannt. Zuvor hatte bereits Mankowski ⁷⁴⁶ diesen Moment als maßgeblich angesehen, da es unter Vertrauensschutz- und Kostenaspekten geboten sei, „eine Flucht des Schuldners rechtlich auszutarieren“. Das im Augenblick der Antragstellung feststellbare, gegenwärtige centre of main interests ist für die internationale Eröffnungszuständigkeit grundsätzlich ausschlaggebend.⁷⁴⁷ Hiernach bleibt das in der Minute des Eingangs des Insolvenzantrags international und örtlich zuständige Insolvenzgericht für die Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens und die zuvor erforderlichenfalls zu verfügenden Sicherungsmaßnahmen⁷⁴⁸ auch dann kom-

 EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2001, 2153 (Interedil); Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 10. März 2011, C-396/09, ZIP 2011, 918; MünchKomm-InsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rz. 43; Mankowski, NZI 2005, 368, 370; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 315  zu den in Frage kommenden Zeitpunkten s. Pannen/Pannen, Art. 3 Rz. 70; Weller, IPRax 2004, 412, 416; Mankowski, NZI 2005, 368 ff.; Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 179; MünchKomm-InsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rz. 52; Schwemmer, NZI 2009, 355, 358; Reuß, S. 88  EuGH, Beschl. v. 17. Januar 2006, C-1/04, DZWIR 2006, 196; zuvor LG Wuppertal, Beschl. v. 10. April 2002, 6 T 495/02, juris; LG Wuppertal, Beschl. v. 14. August 2002, 6 T 495/02, juris; BGH, Beschl. v. 27. November 2003, IX ZB 418/02, ZIP 2004, 94; Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 6. September 2005, C-1/04, ZIP 2005, 1641; sich anschließend BGH, Beschl. v. 9. Februar 2006, IX ZB 418/02, ZIP 2006, 529; hierzu Smid, DZWIR 2006, 45, 47; Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183 ff.; Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177 ff.; Schmidt, ZInsO 2006, 88 ff.; Knof/Mock, ZIP 2006, 188 ff.; Hess/Laukemann, JZ 2006, 671 ff.; Kindler, IPRax 2006, 114 ff.; Mankowski, NZI 2006, 154 f.  Mankowski, NZI 2005, 368, 369  Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 180; Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183 ff.; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 315  Die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen kann dabei notwendig sein, bevor das Insolvenzgericht seine Zuständigkeit abschließend geprüft und bejaht hat, vgl. BGH, Beschl. v.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

petent, wenn der Schuldner nach Antragstellung, aber vor der Eröffnungsentscheidung den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen in einen anderen Unionsstaat verlegt. Durch das für europäische Insolvenzverfahren anerkannte Prinzip der perpetuatio fori wird sowohl für die Gläubiger als auch für die Gerichte Rechtssicherheit zur Verbesserung der Verfahrenseffizienz und -wirkung geschaffen, indem die Gläubiger das Risiko der Insolvenz ihres Schuldners zumindest mit Blick darauf (teilweise) kalkulieren können, dass sich das anwendbare Recht nach der Stellung des Antrags nicht ändert, und die Gerichte nicht gezwungen werden, fortwährend bis zur Verfahrenseröffnung ihre Zuständigkeit zu überprüfen.⁷⁴⁹ Hierzu verweist der Europäische Gerichtshof auf den 4. Erwägungsgrund und hebt damit die Bedeutung der perpetuatio fori für die Fälle hervor, in denen der Schuldner unter das Regime eines für ihn günstigeren Insolvenzrechts flüchten will.⁷⁵⁰ Schließlich widerspräche ein nach Antragstellung herbeigeführter Zuständigkeitswechsel in seinen Augen dem in der 2. und 8. Begründungserwägung genannten Ziel der Verbesserung und Wirksamkeit grenzüberschreitender Verfahren, würde doch der fortreisende Schuldner andernfalls die Gläubiger zwingen können, immer wieder nur an dem Ort gegen ihn vorgehen zu dürfen, an dem er sich gerade für kürzere oder längere Zeit niederlässt.⁷⁵¹ Eine so „quer durch Europa“ ⁷⁵² verlaufende „Flucht“ des Schuldners würde nicht nur zu der vom Europäischen Gerichtshof befürchteten Verschleppung des Verfahrens führen, sondern es drohte sogar dessen faktischer Stillstand, insbesondere wenn die weiteren Verfahrensbeteiligten keine Informationen über die den aktuellen COMI begründenden Tatsachen haben, weil der fallitus fugitivus schlichtweg abgetaucht ist und die Gerichte deswegen keine validen Feststellungen treffen können.

14. Dezember 2006, IX ZA 38/06, juris; Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge vom 06. September 2005, C-1/04, ZIP 2005, 1641; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 155.  Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge vom 06. September 2005, C-1/04, ZIP 2005, 1641; EuGH, Beschl. v. 17. Januar 2006, C-1/04, ZIP 2006, 188; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 155  Kindler, IPRax 2006, 114, 115; zuvor schon Mankowski, EWiR 2004, 229, 230  In gleicher Weise machte Mankowski, NZI 2005, 368, 369 schon deutlich, dass jedweder andere Zeitpunkt dem fluchtbereiten Schuldner beträchtliches Manipulationspotential verschaffen würde, mit dem er seine Gläubiger „zu einer Jagd durch ganz Europa zwingen“ könne, und betitelte diese abstruse Situation – vielleicht in Anspielung auf einen gleichnamigen Spielfilm über den realiter viele Jahre auf einer Dauerflucht gewesenen Frank William Abagnale Junior – mit „Catch me if you can“.  Eidenmüller, KTS 2009, 137, 155 bemüht ferner die Allegorie des Spiels von „Katz und Maus“.

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

433

Wurde damit geklärt, dass nach Antragstellung die internationale Zuständigkeit durch den Weggang des Schuldners nicht mehr beeinflusst werden kann, stellte sich die weitere Frage, ob dies auch gilt, wenn nach dem Wegzug ein Insolvenzantrag erledigt wurde und danach weitere Anträge eingingen. Der Bundesgerichtshof ⁷⁵³ hatte wenige Wochen später Gelegenheit, die Luxemburger Erkenntnisse über die Auslegung des Art. 3 Abs. 1 EuInsVO fortzuentwickeln: Nachdem beim Amtsgericht München ein Fremdantrag über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin, eine bis dahin selbstständige Architektin mit Wohnsitz und Büro in München, eingegangen war, verlegte sie Anfang Februar 2004 ihre Wohnung und ihren Aufenthalt nach Salzburg. Weitere Gläubiger reichten am 4. März, 23. März und 30. März 2004 ebenfalls Insolvenzanträge ein, während das Insolvenzgericht am 18. März 2004 einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellte und bezüglich der schuldnerischen Verfügungen den Zustimmungsvorbehalt anordnete. Die den ersten Insolvenzantrag stellende Gläubigerin erklärte am 29. März 2004 dessen Erledigung. Das Insolvenzgericht hielt den Antrag nicht für erledigt,weil die Zahlungen der Schuldnerin nach Anordnung der vorläufigen Verwaltung ohne die erforderliche Zustimmung des vorläufigen Verwalters erfolgt seien, und eröffnete am 8. Juni 2004 aufgrund der weiteren Fremdanträge das Insolvenzverfahren. Die Schuldnerin vertrat die Ansicht, das Amtsgericht München sei für die nach ihrem Umzug nach Salzburg eingegangenen Anträge nicht mehr zuständig; der Bundesgerichtshof teilte diese Auffassung nicht. Hierzu nahm er nach einer Darstellung der Rechtslage bei reinen Inlandfällen auf die Staubitz-Schreiber-Entscheidung Bezug und erkannte in dem Verhalten der Schuldnerin, nach Eingang des ersten Insolvenzantrags den Wohnsitz zu verlegen und die dem Erstantrag zugrunde liegende Forderung mit dem Ziel der Erledigung begleichen zu wollen, die offenbare Absicht, auch den nach ihrem Weggang beim Insolvenzgericht München eingegangenen Insolvenzanträgen die Grundlage zu entziehen, indem dessen örtliche Zuständigkeit beseitigt wird. Dem Versuch, auf diese Weise die Verfahrenseröffnung zu verhindern oder hinauszuzögern, hielt der Bundesgerichtshof die in der 4. Begründungserwägung formulierte Missbilligung eines forum shopping entgegen. Deshalb müsse die einmal gemäß Art. 3 Abs. 3 EuInsVO begründete Zuständigkeit des ersten mit der Sache befassten Gerichts zugleich diejenigen Anträge erfassen, die bis zur rechtskräftigen Erledigung des Erstantrags dort eingegangen sind, „und zwar auch und gerade dann, wenn der Schuldner den Mittelpunkt seiner hauptsächlichen Interessen zwischenzeitlich in einen anderen Mitgliedstaat verlegt hatte“. ⁷⁵⁴ Nur so könne das Ziel der Verbesserung der Effizienz und Wirksamkeit grenzüberschreitender Insolvenzverfahren verwirklicht werden.

c) „Flucht“ als Manipulation der Hauptverfahrenszuständigkeit Liegen bis hierher Antworten auf die Frage vor, wie sich die Veränderungen des centre of main interests durch die schuldnerische „Flucht“ nach Stellung eines Insolvenzantrages auf das weitere Verfahren auswirken, ist der weiteren Frage

 BGH, Beschl. v. 2. März 2006, IX ZB 192/04, ZIP 2006, 767; hierzu Smid, DZWIR 2006, 325, 327; Flitsch/Hinkel, DZWIR 2006, 254 ff.; kritisch Knof, ZInsO 2006, 754 ff., der die Auffassung vertrat, der BGH hätte wegen der besonderen Konstellation in diesem Verfahren ebenfalls eine Vorabentscheidung des EuGH herbeiführen müssen  BGH, Beschl. v. 2. März 2006, IX ZB 192/04, ZIP 2006, 767

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

nachzugehen, inwieweit einem schuldnerischen forum shopping vor der Antragstellung wirksam begegnet werden kann. Während der 1980er Entwurf eines EGKonkursübereinkommens⁷⁵⁵ hierfür in Art. 6 Ziffer 1 noch Bestimmungen in Gestalt einer vor der Antragstellung liegenden periode suspecte vorsah, in der eine Verlegung des damals maßgeblichen Tätigkeits- bzw. Lebensmittelpunkts zu einer anticipatio fori führte,⁷⁵⁶ halten die Normen der EuInsVO für diese Konstellation keine Regelungen bereit.⁷⁵⁷ Aus der Staubitz-Schreiber-Entscheidung vom 17. Januar 2006⁷⁵⁸ des Europäischen Gerichtshofs folgt, dass allein der zum Antragszeitpunkt feststellbare COMI für die internationale Eröffnungszuständigkeit entscheidend sein soll. Damit ist grundsätzlich eine zeitnahe Verlegung des Zentrums der hauptsächlichen Interessen vor der Antragstellung für die Gerichtsstandbestimmung beachtlich. Begibt sich der Schuldner in ein anderes Mitgliedsland der Europäischen Union und ist damit eine tatsächlich, für Dritte feststellbare Verlagerung des centre of main interests verbunden, wäre das im Zuzugsstaat befindliche Insolvenzgericht prinzipiell international zuständig, auch wenn die COMI-Verlagerung kurz vor Antragstellung und mit dem Ziel der einfacheren Enthaftung unternommen wurde.⁷⁵⁹ Freilich ist im europäischen Kontext die tatsächliche COMI-Verlegung ebenso von der vorgetäuschten Änderung des Interessenmittelpunktes zu unterscheiden. Die von Schuldnern in der trügerischen Hoffnung unternommenen Versuche, durch bloße Abmeldung in ein anderes europäisches Land oder Anmeldung einer (tatsächlich nicht ausgeübten) Tätigkeit oder einer Wohnung im Zuzugsstaat eine Verlegung des COMI mit dem Ziel zu simulieren, dadurch die internationale Zuständigkeit zum Beispiel eines englischen Insolvenzgerichtes zu erreichen, sollte regelmäßig daran scheitern, dass bei objektiver Beurteilung damit keine Veränderung des centre of main interests einhergeht.⁷⁶⁰ Die nur vorgetäuschte Verlegung des COMI stellt sich als Streben nach einer

 abgedruckt in ZIP 1980, 582 ff.  kritisch hierzu Thieme, S. 268; Klöhn, KTS 2006, 259, 278; Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896, 900  Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 178; EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2001, 2153 (Interedil); Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 10. März 2011, C-396/09, ZIP 2011, 918  EuGH, Beschl. v. 17. Januar 2006, C-1/04, DZWIR 2006, 196  Mankowski, NZI 2005, 368, 373; Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 180; Mankowski, NZI 2006, 154 f.; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 315; bestätigt durch EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2001, 2153 (Interedil); Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 10. März 2011, C-396/09, ZIP 2011, 918  So hatte das AG Köln, Beschl. v. 6. November 2008, 71 IN 487/07, NZI 2009, 133, über eine scheinbare Wohnsitzverlegung eines (vormaligen) Steuerberaters nach Frankreich unter gezielter Zuhilfenahme professioneller „Berater“ zu entscheiden, die nicht zu einer Verlagerung des centre of main interests führte. Die ausführlich begründete Entscheidung ist auch im Hinblick auf die Details der Würdigung der den Sachverhalt bildenden Umstände sowie bezüglich der

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Gerichtsstanderschleichung dar und schafft angesichts der gebotenen objektiven Erkennbarkeit für Dritte nicht die Tatsachen, die für die Ermittlung der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts von Belang sind.⁷⁶¹ Das vorübergehende Fingieren eines im europäischen Ausland gelegenen COMI bleibt unbeachtlich, wenn der Interessenmittelpunkt nach wie vor im Wegzugsstaat zu finden ist. Wie schon andernorts erwähnt, besteht die Schwierigkeit allein darin, anhand der feststellbaren Tatsachen die Entscheidung darüber treffen zu müssen, ob eine scheinbare oder reale Verlegung des centre of main interests eingetreten ist.⁷⁶² Allerdings sind diese Fälle von erheblicher praktischer Bedeutung, wenn bedacht wird, dass eine révision au fond nach dem Willen des europäischen Verordnungsgebers nicht statthaft ist, mithin die Eröffnungsentscheidung eines europäischen Gerichts grundsätzlich anzuerkennen ist und manche europäische, um nicht zu sagen englische Gerichte eine extensive „Zuständigkeitspolitik“ zu verfolgen glaub(t)en.⁷⁶³

Der vielfach beschworenen Gefahr des forum shopping durch tatsächliche Verlagerung des COMI kurz vor Eigenantragstellung wurde entgegengehalten, dass eine Veränderung des Interessenmittelpunkts in der Vermögenskrise nicht so einfach zu bewerkstelligen sei, wären doch damit erhebliche finanzielle Aufwendungen verbunden, für die der Schuldner regelmäßig kaum noch liquide Mittel haben wird.⁷⁶⁴ Zudem wurde darauf hingewiesen, dass die durch Wegzug herbeizuführende Umgestaltung des Interessenmittelpunktes unter Aufgabe sozialer Bindungen den Schuldner emotional belasten würde und niemand ohne weiteres bereit sei, alle Brücken hinter sich abzubrechen.⁷⁶⁵ Ohnehin würden die Betroffenen in der Hoffnung, aufgelaufene Verluste doch noch irgendwie kompensieren zu können, dazu neigen, ihr bisheriges Engagement an ihrem centre of main interests eher zu intensivieren, anstatt es aufzugeben.⁷⁶⁶ Diese zunächst einleuchtenden Argumente können jedoch nicht den Blick darauf verstellen, dass in einem Europa der Frei-

Beantwortung der Frage nach einem im Insolvenzeröffnungsverfahren zu beachtenden Beweisverwertungsverbot für durch die Steuerfahndung aufgefundene Unterlagen lesenswert.  vgl. die Tatbestände in den Entscheidungen des LG Leipzig, Beschl. v. 27. Juni 2006, 12 T 1207/05, ZInsO 2006, 380 oder LG Köln, Urt. v. 14. Oktober 2011, 82 O 15/08, ZIP 2011, 2119; Haubold, Rz. 52 und Rz. 73e; Mankowski, NZI 2005, 368, 372; Koch, FS Jayme, S. 440, DuursmaKepplinger, DZWIR 2006, 177, 180; Geroldinger, JAP 2006/2007, 167, 172; MünchKomm-InsO/ Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rz. 54; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 143 f.; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 315; vgl. zudem Fleischer, JZ 2003, 865, 870  hierzu AG Mannheim, Beschl. v. 5. November 2008, 1 IN 244/08, juris, mit. Anm. Vallender, VIA 2010, 6 ff.; nachfolgend BGH, Beschl. v. 17. September 2009, IX ZB 51/09, ZInsO 2009, 1955  Klöhn, KTS 2006, 259, 272 f.  Smid, DZWIR 2004, 397, 398; LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 3 EuInsVO Rz. 16 (auch in Bezug auf juristische Personen); Mankowski, NZI 2005, 368, 372; Mankowski, NZI 2006, 154, 155; Klöhn, KTS 2006, 259, 271  Mankowski, NZI 2005, 368, 372  Klöhn, KTS 2006, 259, 271 m. w. Nachw. unter Hinweis auf Erkenntnisse der Kognitions- und Sozialpsychologie

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

zügigkeit, in dem die Entfernungen zwischen den Ländern durch die heutigen Reisegeschwindigkeiten in kurzer Zeit und nahezu alltäglich bewältigt werden können, die Schuldner von einem forum shopping nicht abgehalten werden können, solange der Reiz der belastungsarmen Enthaftung in England oder Frankreich oder neuerdings in Lettland lockt. Zudem empfindet jeder Schuldner die Beschwernisse der Vermögenskrise und die gesellschaftlich von der Insolvenz nach wie vor ausgehende Schmach auf seine höchstpersönliche Weise, so dass allein dieses individuelle Fühlen unterschiedlich ausgeprägt ist und ein starkes „Fluchtmotiv“ darstellen kann. Die bereits zitierten Beispiele des „Londoner Radiologen“⁷⁶⁷ oder des „Birminghamer Sportfotografen“⁷⁶⁸ offenbaren, dass oftmals freiberuflich oder gewerblich Selbständige mit hohem Bildungsniveau und entsprechenden Einkommenschancen, die sie infolge der zunehmenden Europäisierung fast überall in der Union realisieren können, den Weg zu einer belastungsarmen und schnellen Schuldenbefreiung im europäischen Ausland suchen, um alsbald danach wieder in den Heimatstaat zurückkehren und dort in vertrauter Umgebung ihrer bisherigen Berufstätigkeit nachgehen zu können. Diese Schuldner verfügen zumeist in der Familie und im Freundeskreis über Ressourcen, die ihnen einen zeitweiligen Aufenthalt in einem anderen Unionsstaat erlauben, um dort die für die Verfahrensgestaltung nötigen Handlungen vorzunehmen und die dafür erforderlichen Mittel aufzubringen. Für die Chance der schnellen Entschuldung nehmen diese Schuldner, die natürlich die emotionalen Bedrückungen der (vorübergehenden) Trennung vom sozialen Umfeld gegenüber den Lasten der Vermögenskrise und der im Inland für die Restschuldbefreiung notwendigen Obliegenheiten inklusive Verfahrensdauer abwägen, ein zeitlich überschaubares („Bildungs-“) Exil gern in Kauf, zumal

 OLG Koblenz, Urt. v. 15. März 2006, 1 U 855/05, ZVI 2008, 166; High Court of Justice London, Beschl. v. 22. Juni 2007, No. 1338/07, ZVI 2008, 168; Pel, ZVI 2008, 152 ff.; vgl. aber auch High Court of Justice London, Beschl. v. 30. Juni 2011, No. 1338/07, teilweise auf S. 198 ff. abgedruckt im Anlagenband III der von den Repräsentanten der Universitäten Heidelberg und Wien vorgelegten Studie „External Evaluation of Regulation N° 1346/2000/EC on Insolvency Proceedings“ (JUST/ 2011/JCIV/PR/0049/A4; abgerufen unter http://ec.europa.eu/justice/civil/document/index_en. htm; zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  OLG Köln, Beschl. v. 12. April 2010, 2 X (Not) 17/09; juris; BGH, Beschl. v. 15. November 2010, NotZ 6/10, ZIP 2011, 284; AG Wuppertal, Beschl. v. 14. März 2011, 145 IE 5/10, juris; LG Wuppertal, Beschl. v. 9. Mai 2011, 6 T 246/11; 6 T 248/11, juris; BGH, Beschl. v. 8. März 2012, IX ZB 178/11, NZI 2012, 377; High Court of Justice Birmingham, Beschl. v. 29. August 2012, [2012] EWHC 2432 (Ch.), teilweise auf S. 156 ff. abgedruckt im Anlagenband III der von den Repräsentanten der Universitäten Heidelberg und Wien vorgelegten Studie „External Evaluation of Regulation N° 1346/ 2000/EC on Insolvency Proceedings“ (JUST/2011/JCIV/PR/0049/A4; abgerufen unter http://ec. europa.eu/justice/civil/document/index_en.htm; zuletzt geprüft am 7. Juli 2013), hierzu Goslar, NZI 2012, 912 ff.

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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dieses ihnen in heutigen Zeiten nicht die Interaktion zu Familie, Freunden, Bekannten und Geschäftspartnern versperrt und die Rückkehr nach verhältnismäßig kurzer Zeit gesichert ist. Erkennbar ist jedenfalls, dass durch die Anbindung der internationalen Zuständigkeit an die Bestimmung des centre of main interests der Schuldner lediglich auf die dafür relevanten Anknüpfungstatsachen Einfluss nehmen muss, um sich die Aussichten eines forum shopping und damit des für ihn günstigeren Sachrechts zu eröffnen. Dabei darf er grundsätzlich von den europäischen Grundfreiheiten (Art. 20 Abs. 2 lit. a AEUV und Art. 21 Abs. 1 AEUV, vormals Art. 18 Abs. 1 EGV sowie Art. 45 ff. und 49 ff. AEUV, vormals Art. 39 ff. und 43 ff. EGV) Gebrauch machen und sich insbesondere in einem anderen Mitgliedstaat niederlassen und dort einer Erwerbstätigkeit nachgehen.⁷⁶⁹ Dem gegenüber hat es sich der europäische Normgeber ausweislich der 4. Begründungserwägung der EuInsVO zur Aufgabe gemacht, binnenmarktschädliches forum shopping zu verhindern. Um den damit entstehenden Zielkonflikt zu bewältigen, wurden verschiedene Lösungsansätze vorgeschlagen, wie einer einseitigen Gestaltung der für die Beurteilung des COMI relevanten Anknüpfungstatsachen durch den Schuldner begegnet werden kann. Ein Teil der Lösungsansätze zielt auf das Bemühen, den Inhalt des centre of main interests im Wege der Auslegung weiter zu konkretisieren, um so ein missbräuchliches forum shopping bei der Gerichtsstandbestimmung bekämpfen zu können. Mehrfach erwähnt wurde bereits die Idee einer vor der Antragstellung liegenden periode suspecte, in der eine Verlegung des centre of main interests inkriminiert ist und zu einer anticipatio fori führt, so dass trotz der Verlegung das bis dahin feststellbare Interessenzentrum für die internationale Zuständigkeit weiter maßgeblich bliebe.⁷⁷⁰ Danach kämen bestimmte vor der Antragstellung liegende Zeiträume (zum Beispiel von drei oder sechs Monaten) in Frage, innerhalb der die Motivation des Schuldners genauer zu untersuchen wäre.⁷⁷¹ Hierzu wurde ebenfalls schon festgestellt, dass mehr oder weniger starre Fristen nur bedingt zur Vermeidung eines unwillkommenen forum shopping beitragen können, würde doch ein zielgerichtet handelnder Schuldner die Änderung des COMI

 vgl. EuGH, Urt. v. 8. November 2012, C 461/11, EuZW 2013, 72 (Radziejewski); hierzu Cranshaw, ZInsO 2013, 153 ff.  MünchKomm-BGB/Kindler, 4. Auflage, IntInsR Rz. 157; Carstens, S. 124; Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 481; Knof, ZInsO 2005, 1017, 1023; Klöhn, KTS 2006, 259, 261, 278; Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896, 900; MünchKomm-InsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rz. 52; Klockenbrink, S. 101 ff.; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 149; Reuß, S. 160 ff. m. w. Nachw.; kritisch bereits Thieme, S. 268  Carstens, S. 124; Eidenmüller, ZGR 2006, 467, 481; Klockenbrink, S. 102 f.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

schlichtweg vor die periode suspecte legen, was wiederum in einem gewissen Sinne zu einem race to the courthouse führen könnte, versucht der Schuldner, vor seinen Gläubigern und vor dem Beginn der periode suspecte den Interessenmittelpunkt in einem anderen Unionsstaat in rechtserheblicher Weise zu begründen.⁷⁷² Überdies käme die richterliche Statuierung derartiger in der EuInsVO nicht vorgesehener Fristen in Konflikt mit den europäischen Grundfreiheiten der Art. 20 Abs. 2 lit. a AEUV, Art. 21 Abs. 1 AEUV, Art. 45 ff. und 49 ff. AEUV.⁷⁷³ Die Idee einer periode suspecte kann im Lichte der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ohnehin nicht mehr länger gehalten werden. Dieser hatte in der sogleich skizzierten Rechtssache Interedil Srl⁷⁷⁴ Gelegenheit, zu der Frage Stellung zu beziehen, wie es sich auf die Bestimmung des centre of main interests auswirkt, wenn der satzungsmäßige Sitz einer juristischen Person vor Insolvenzantragstellung in einen anderen Unionsstaat verlagert wurde: Der Satzungssitz jener in der italienischen Rechtsform einer società a responsabilità limitata errichteten und ursprünglich in Monopoli ansässigen Interedil Srl wurde am 18. Juli 2001 nach London verlegt. Am selben Tag wurde die Gesellschaft im italienischen Unternehmensregister gestrichen und im Register des companies house eingetragen. Nach Veräußerung des Gesellschaftsvermögens wurde die Interedil Srl ein Jahr später, am 22. Juli 2002, im Gesellschaftsregister des Vereinigten Königreichs gelöscht. Wieder etwas mehr als ein Jahr später beantragte am 28. Oktober 2003 eine Gläubigerin beim italienischen Tribunale di Bari die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens („fallimento“) über das Vermögen der Interedil Srl. Trotz einer Zuständigkeitsrüge eröffnete das Gericht am 24. Mai 2004 das Insolvenzverfahren. Aufgrund einer Besonderheit des italienischen Verfahrensrechts sollte das in der Folge angerufene Beschwerdegericht an das Präjudiz des parallel angegangenen Corte suprema di cassazione gebunden sein, nach dessen Auffassung die in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO normierte Vermutung dadurch widerlegt worden sei, dass sich in Italien Immobilien der Schuldnerin befänden, ein Gewerbemietvertrag sowie ein Vertrag mit einem Geldinstitut bestünden und die Verlegung des satzungsmäßigen Sitzes dem Unternehmensregister in Bari nicht mitgeteilt worden wäre. Der vom Beschwerdegericht gebetene Europäische Gerichtshof bekräftigte zunächst seine bisherige Rechtsprechung, wonach es grundsätzlich darauf ankomme, wo sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners zum Zeitpunkt der Stellung des Eröffnungsantrags befunden habe. Im weiteren führte er aus, dass dieselben Regeln, die für die Widerlegung der in Art. 3 Abs. 1 Satz 2 EuInsVO niedergelegten Vermutung gelten, auch dann Anwendung finden müssten,wenn der satzungsmäßige Sitz vor Antragstellung verlegt wurde, die Schuldnergesellschaft zum Zeitpunkt der Antragstellung im Gesellschaftsregister gelöscht war und jede Geschäftstätigkeit eingestellt wurde. Dies begründete der Gerichtshof mit dem Anliegen des COMI-Begriffs, „eine Verknüpfung mit dem Ort herzustellen, mit dem die Gesellschaft objektiv und für Dritte erkennbar die engsten Beziehungen

 Oelschlegel, S. 277 f.; Reuß, S. 161; Klockenbrink, S. 99  Ehricke, IPRax 2002, 505, 507; Geroldinger, JAP 2006/2007, 167, 173; MünchKomm-InsO/ Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rz. 52; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 315  EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2001, 2153 (Interedil); Generalanwalt beim EuGH, Schlussanträge v. 10. März 2011, C-396/09, ZIP 2011, 918; hierzu Cranshaw, DZWIR 2012, 53 ff.

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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unterhält.“ ⁷⁷⁵ Es sei daher folgerichtig, in einem solchen Fall dem Ort den Vorzug zu geben, an dem die Schuldnergesellschaft zum Zeitpunkt ihrer Löschung und der Einstellung jeglicher Tätigkeit den letzten Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen hatte.Werde demnach der satzungsmäßige Sitz einer Schuldnergesellschaft verlegt, bevor ein Eröffnungsantrag gestellt wird, bestehe die (widerlegbare) Vermutung, dass sich der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen dieser Gesellschaft am Ort ihres neuen satzungsmäßigen Sitzes befindet.

Obgleich eine gewisse Parallelität zur COMI-Verlegung der natürlichen Person vor Antragstellung nicht verleugnet werden kann, lässt sich die EuGH-Rechtsprechung in Sachen Interedil für die hier interessierende Rechtsfrage nicht weiter ausbeuten. Die Normen des Art. 3 Abs. 1 Satz 1 und 2 EuInsVO unterscheiden hinsichtlich der Bestimmung des centre of main interests zwischen natürlichen und juristischen Personen. Nur bei juristischen Personen ist es wegen der möglichen Divergenz eines formellen Geschäftssitzes vom Ort der für sie handelnden natürlichen Personen denkbar, dass der Interessenmittelpunkt für Dritte wahrnehmbar vom statuarisch bestimmten Sitz abweicht. Zudem hilft die InteredilEntscheidung nicht weiter, als sie die Eurofood- und Staubitz-Schreiber-Rechtsprechung zwar konsequent fortsetzt und keine bestimmte Dauer des COMI vor Antragstellung im Zuzugsstaat postuliert. Jedoch enthält sie zu der Frage keine Aussage, wie einem Missbrauch der unionsrechtlichen Grundfreiheiten durch gezielte Verlegung des COMI vor Eigenantragstellung begegnet werden kann, insbesondere wenn der Schuldner von Anfang an die Absicht hat, tatsächlich – aber eben nur vorübergehend – sein centre of main interests zwecks Initiierung eines Insolvenzverfahrens mit anschließender Enthaftung in einem anderen Unionsstaat zu begründen, um ihn alsbald danach dort wieder aufzugeben und entschuldet (oder zumindest mit der Erwartung der Restschuldbefreiung) in seine Heimat zurückzukehren. Gerade diese Fälle sind es, welche bei den Gläubigern, wie es d’Avoine ⁷⁷⁶ ausdrückt, „die juristische Seele mitunter hochkochen lässt“.

 EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2001, 2153 (Interedil) Rz. 58; womöglich ließ sich der EuGH von den bereits erwähnten, letztlich nicht Gesetz gewordenen Definitionsvorhaben leiten, die während des Gesetzgebungsverfahrens zur EuInsVO (wiedergegeben im sogenannten Lechner-Bericht vom 23. Februar 2000 über den Vorschlag für eine Verordnung des Rates über Insolvenzverfahren, Europäisches Parlament A5 – 0039/2000, S. 16 ff.) vorgetragen wurden, wonach mit dem Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen ein Ort bezeichnet werden kann, zu dem der Schuldner regelmäßig die engsten Beziehungen unterhalte, an dem sich seine vielfältigen Geschäftsbeziehungen konzentrieren, an dem zumeist der Schwerpunkt seines Vermögens belegen und der den Gläubigern bestens bekannt ist.  d’Avoine, NZI 2011, 310

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Einen weiteren, am Tatbestand des COMI ansetzenden Lösungsvorschlag unterbreitete Klöhn,⁷⁷⁷ der die vor Antragstellung unternommene Verlegung des Interessenmittelpunkts anhand der beteiligen Zuständigkeitsinteressen unter Berücksichtigung der „Nachwirkungen der Vergangenheit“ beurteilen lassen will. Hierfür benennt er – durch teleologische Auslegung des in Art. 3 Abs. 1 Satz 1 EuInsVO normierten Interessenbegriffs zu gewinnende – Wertungskriterien, die Aufschluss über die in der Zeit vor und nach der Antragstellung feststellbaren Interessen der Gläubiger und des Schuldners geben sollen. In Betracht zu ziehen seien der Zeitraum zwischen COMI-Verlegung und (Eigen‐) Antragstellung, die Erkennbarkeit eines etwaigen Weggangs für die im Wegzugsstaat ansässigen „Altgläubiger“ bei Geschäftsabschluss, die Natur und räumliche Dimension der wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners, die Kenntnisse der im Zuzugsstaat befindlichen „Neugläubiger“ über den früheren Interessenmittelpunkt sowie die vormalige Tätigkeit des Schuldners, die personelle Größe dieser beiden Gläubigergruppen, die Motive des Schuldners sowie verfahrensbezogene Aspekte. Rechtsmethodisch sollen diese Kriterien seiner Idee nach in einem „beweglichen System“ ⁷⁷⁸ der Ranggleichheit und wechselseitigen Austauschbarkeit bewertet, gegeneinander abgewogen und „zu einem optimalen Ausgleich gebracht werden“. Hiergegen wurde vorgebracht,⁷⁷⁹ die Komplexität der vorzunehmenden Bewertung würde wegen der schweren Kalkulierbarkeit dem Interesse an der Vorhersehbarkeit des forum concursus nicht genügen, da das angerufene Gericht hierfür umfangreiche Ermittlungen unter anderem zu den Erwartungen der Gläubiger sowie zu den Motiven des Schuldners führen und eine Vielzahl von Gesichtspunkten abwägen müsse. Vielmehr solle sich die internationale Zuständigkeit an möglichst eindeutigen Kriterien orientieren. In der Tat steht diesem Entwurf – der vor dem EuGH-Judikat in Sachen Interedil konzipiert wurde – im Hinblick auf die Eilbedürftigkeit der Eröffnungsentscheidung, die Komplexität der unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten sowie die bei diesem Ansatz regelmäßig zu erwartenden Unwägbarkeiten der richterlichen Entscheidungsgrundlagen die in der 13. Begründungserwägung formulierte und vom Europäischen Gerichtshof ⁷⁸⁰ geforderte (unzweifelhafte und leichte) Erkennbarkeit für Dritte entgegen, die für die Garantie der Rechtssicherheit und Vor-

 Klöhn, KTS 2006, 259, 275 ff., 282 ff.  hierzu Wilburg, S. 4 ff.; Bydlinski, S. 529; Pawlowski, Rz. 228; Larenz/Canaris, S. 298 ff., 306; Lothar, S. 50 ff.; Bydlinski, AcP 204 (2004), 309, 331 ff.; Staudinger/Looschelders/Olzen, § 242 Rz. 159, 223  Schwemmer, NZI 2009, 355, 358  EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907 (Eurofood); EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2011, 2153 (Interedil)

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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hersehbarkeit der Bestimmung des für die Eröffnung des Hauptinsolvenzverfahrens zuständigen Gerichts erforderlich ist. Abgesehen von weiteren Lösungsvorschlägen⁷⁸¹ ist zudem der (bislang) einzige von der europäischen Verfahrensordnung anerkannte Versagungsgrund des in Art. 26 EuInsVO normierten ordre-public-Vorbehalts nicht geeignet, um gegen ein missbräuchlich erscheinendes forum shopping verwendet zu werden.⁷⁸² Nach dieser Vorschrift kann die automatische Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat infolge eines eröffneten Verfahrens ergangenen Entscheidungen versagt werden, wenn sie zu einem Ergebnis führt, welches mit der eigenen öffentlichen Ordnung, insbesondere mit den Grundprinzipien oder den verfassungsmäßig garantierten Rechten und Freiheiten des Einzelnen, offensichtlich unvereinbar ist. Begreiflicherweise ist diese als Ausnahmevorschrift konzipierte Norm restriktiv auszulegen, um die mit der EuInsVO verfolgten Ziele einer Erleichterung der grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren innerhalb der Europäischen Union und der in ihnen ergangenen Entscheidungen nicht generell zu konterkarieren.⁷⁸³ Insbesondere dient Art. 26 EuInsVO nicht der allgemeinen Kontrolle der Rechtmäßigkeit der in einem anderen europäischen Insolvenzverfahren herbeigeführten Entscheidungen.⁷⁸⁴ Konsequenterweise sieht der Euro-

 Reuß, S. 123 ff. untersuchte weiter in Betracht kommende Lösungsansätze, die sich vornehmlich auf juristische Personen beziehen, wie zum Beispiel die (britisch-französische) command-and-control-Idee, die business-activity-Theorie, in der Literatur vorgeschlagene Konzepte de lege ferenda, unterschiedliche sachen- und kollisionsrechtliche Anknüpfungen in nationalen Rechtsordnungen europäischer Länder sowie die aus dem anglo-amerikanischen Rechtsraum stammenden Lehren einer anti-suit injunction und eines forum non conveniens, die jedoch für die Bewältigung eines zu missbilligenden forum shopping natürlicher Personen im Ergebnis nicht geeignet sind und hier – ohnehin von der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht abgesehen – nicht weiter untersucht werden müssen.  so aber Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rz. 17; später distanzierend Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 180; zuvor Leipold, S. 192; ebenso die Versagungsmöglichkeit annehmend AG Nürnberg, Beschl. v. 16. August 2006, 8004 IN 1326 – 1331/06, ZIP 2007, 81 sowie AG Nürnberg, Beschl. v. 1. Oktober 2006, 8034 IN 1326/06, ZIP 2007, 83 m. zustimmender Anmerkung Kebekus, ZIP 2007, 84 ff.; einschränkend Weller, ZGR 2008, 835, 852; mit inkonsistenter Begründung LG Köln, Urt. v. 14. Oktober 2011, 82 O 15/08, ZIP 2011, 2119 m. Anm. Vallender, EWiR 2011, 775; vgl. ferner Balz, ZIP 1996, 948, 949, Mankowski, KTS 2011, 185, 205 f.  EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907 (Eurofood); Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183, 185; Vallender, ZInsO 2009, 616, 619; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 319; LSZ/ Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 26 EuInsVO Rz. 3  Leible/Staudinger, KTS 2000, 533, 568; Carstens, S. 94; Vallender, KTS 2005, 283, 317; Herchen, ZIP 2005, 1401, 1404; Pannen/Pannen/Riedemann, Art. 16 Rz. 15; Pannen/Riedemann, Art. 26 Rz. 18; Knof, ZInsO 2007, 629, 635; Vallender, ZInsO 2009, 616, 619; Reuß, S. 195; OLG Wien, Beschl. v. 9. November 2004, 28 R 225/04w, NZI 2005, 56; AG Köln, Beschl. v. 23. Januar

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

päische Gerichtshof ⁷⁸⁵ die Vorschrift des Art. 26 EuInsVO als ultima ratio und nur dann als erfüllt an, „wenn die Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Unionsstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats stünde. Bei dem Verstoß muss es sich um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln“. Im selben Judikat nennt er für das Verfahrensrecht die Versagung des rechtlichen Gehörs in Ausgestaltung des jedermann zustehenden Anspruchs auf ein faires Verfahren, welcher eine ordnungsgemäße Teilnahme der Beteiligten am Verfahren gewährleisten soll (Art. 6 EMRK; Art. 47 Abs. 2 Satz 1 EU-GrundrechteCharta⁷⁸⁶). Werden diese, die Legitimität der durch Verfahren herbeizuführenden Entscheidung sicherstellenden Rechte nachhaltig verletzt, muss die Anerkennung versagt werden dürfen.⁷⁸⁷ Gleiches gilt, wenn nach dem nationalen Recht gegen die anzuerkennende Entscheidung (generell) keine Rechtsbehelfe zur Korrektur etwaiger Verfahrensfehler eingelegt werden können.⁷⁸⁸ Ferner kommen eine etwaige Ausländerdiskriminierung⁷⁸⁹ in Betracht oder der Umstand, dass die anzuerkennende Restschuldbefreiungsentscheidung auch Forderungen aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung erfassen soll.⁷⁹⁰ Allein der Umstand, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu einer Enthaftung des Schuldners binnen kürzerer Zeit, unter ansonsten erleichterten Bedingungen oder ohne nennenswerte Gläubigerbefriedigung führen kann, rechtfertigt indes die „Guillotine des ordre public“ ⁷⁹¹ nicht, handelt es sich hierbei doch nur um graduelle Unterschiede in der Verfahrensausgestaltung, die innerhalb der

2004, 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471; AG Düsseldorf, Beschl. v. 12. März 2004, 502 IN 126/03, ZIP 2004, 623; dies nicht hinreichend beachtend LG Köln, Urt. v. 14. Oktober 2011, 82 O 15/08, ZIP 2011, 2119  EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907 (Eurofood); Smid, DZWIR 2006, 45, 47  Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Amtsblatt EU Nr. C 83 v. 30. März 2010, S. 389 ff.; seit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon zum 1. Dezember 2009 ist die Charta als rechtsverbindlich zu beachten, wenn Organe oder Einrichtungen der Union tätig werden oder in den Unionsstaaten EU-Recht durch dortige Legislative, Behörden und Gerichte angewendet wird; im Protokoll (Nr. 30) wurden in Bezug auf die Anwendung der Charta für das Vereinigte Königreich und Polen Ausnahmeregelungen (opt-out) aufgenommen  Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 180; Smid, DZWIR 2006, 325, 326; Vallender, ZInsO 2009, 616, 620  Andres/Grund, NZI 2007, 137, 141; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 319; vgl. hierzu Goslar NZI 2012, 912, 915 ff.  Pannen/Riedemann, Art. 26 Rz. 9  Vallender, ZInsO 2009, 616, 620; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 320  hierzu Müller-Freienfels, S. 384

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Europäischen Union zu akzeptieren sind.⁷⁹² Ohnehin ist es nach Auffassung des Europäischen Gerichtshofs⁷⁹³ den Unionsbürgern grundsätzlich gestattet, die innerhalb der Union existenten Rechtsordnungen zu eigenen Zwecken bestmöglich zu nutzen. Ebenso wenig sind höhere Verfahrenskosten, die räumliche, sprachliche und rechtliche Distanz zum auswärtigen Forum und damit eintretende Schwierigkeiten der Informationsbeschaffung sowie ein daraus resultierender größerer Aufwand der Gläubiger für die Teilnahme am ausländischen Verfahren geeignet, den Einwand der Unvereinbarkeit mit dem ordre public zu begründen.⁷⁹⁴ Und schließlich kann die irrtümliche oder unbegründete Annahme der internationalen Eröffnungszuständigkeit wegen des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung und dem daraus folgenden Verbot einer révision au fond von vornherein nicht als Argument herangezogen werden,⁷⁹⁵ und zwar auch dann nicht, wenn die Verfahrenseröffnung infolge eines gezielten forum shopping des Schuldners zustande kam.⁷⁹⁶ Denn es ist davon auszugehen, dass die in jedem Unionsstaat existenten Rechtsmittelwege sowie das europarechtliche Vorabentscheidungsverfahren eine ausreichende Richtigkeitsgarantie bieten, weshalb die fehlende internationale Zuständigkeit nur im Entscheidungsstaat selbst zu rügen ist.⁷⁹⁷ Selbst wenn die unter Schädigungsabsicht mittels forum shopping erfolgende COMI-Verlagerung einen Verstoß gegen den ordre public darstellen würde, wäre dies gemäß Art. 26 EuInsVO nur mit der Befugnis für jeden einzelnen Mitgliedstaat verbunden, die Anerkennung der auf diesem Weg herbeigeführten

 Schulte, Restschuldbefreiung, S. 160; Koch, FS Jayme, S. 443; Saenger/Klockenbrink, DZWIR 2006, 183, 185; MünchKomm-InsO/Reinhart, Art. 26 EuInsVO Rz. 16; Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 320; Vallender, ZInsO 2009, 616, 620; Reuß, S. 196; vgl. auch Ehricke, IPRax 2002, 505, 507  EuGH, Urt. v. 9. März 1999, Rs. C-212/97, ZIP 1999, 438 (Centros); EuGH, Urt. v. 5. November 2002, Rs. C-208/00, ZIP 2002, 2037 (Überseering); EuGH, Urt. v. 30. September 2003, Rs. C-167/01, ZIP 2003, 1885 (Inspire Art); hierauf hinweisend Reuß, S. 197  Duursma-Kepplinger, DZWIR 2006, 177, 180; Vallender, ZInsO 2009, 616, 620  Lüke, ZZP 111 (1998), 275, 287, 291; Huber, ZZP 114 (2001), 133, 145; Smid, DZWIR 2003, 397, 401; Duursma/Duursma-Kepplinger, DZWIR 2003, 447, 449; Vallender, KTS 2005, 283, 298; Herchen, ZIP 2005, 1401, 1404; Knof/Mock, ZIP 2006, 188 ff.; Klöhn, KTS 2006, 259, 271; Klockenbrink, S. 108; Reuß, S. 195; OLG Wien, Beschl. v. 9. November 2004, 28 R 225/04w, NZI 2005, 56; OGH, Beschl. v. 17. März 2005, 8 Ob 135/04, NZI 2005, 465; OLG Nürnberg, Beschl. v. 15. Dezember 2011, 1 U 2/11, NJW 2012, 862  Koch, FS Jayme, S. 443; Klöhn, KTS 2006, 259, 272; Pannen/Riedemann, Art. 26 Rz. 19; Reuß, S. 196 f.; Mehring, ZInsO 2012, 1247, 1249 f.; Goslar, NZI 2012, 912, 915; OGH, Beschl. v. 17. März 2005, 8 Ob 135/04, NZI 2005, 465; a. A. Weller, ZGR 2008, 835, 853  OLG Wien, Beschl. v. 9. November 2004, 28 R 225/04w, NZI 2005, 56; Pannen/Riedemann, Art. 26 Rz. 11 ff.; Reuß, S. 195

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Entschuldungswirkungen zu versagen.⁷⁹⁸ Eine automatische Versagung mit gleichzeitiger Wirkung im ganzen Unionsgebiet tritt damit nicht ein, so dass sich die gerade zu vermeidenden Zuständigkeitskonflikte ergeben könnten.⁷⁹⁹ Einen Verstoß gegen den ordre public scheint gleichwohl d’Avoine ⁸⁰⁰ für die Fälle der mit „offenkundiger Rückkehroption“ vorübergehend in das europäische Ausland emigrierenden Schuldner anzunehmen, die durch gezielte, tatsächliche Verlegung des COMI von Anfang an die Absicht verfolgen, dort ein Insolvenzverfahren mit anschließender Enthaftung in Gang zu setzen, um einige Zeit danach den soeben verlegten Interessenmittelpunkt wieder aufzugeben und entschuldet – oder zumindest mit der begründeten Erwartung der Enthaftung – in die Heimat zurückzukehren. In einer solchen Taktik sieht er „manipulatives Verhalten“ und „evidenten Missbrauch“, die infolge der Anwendung des ausländischen Insolvenzrechts zu einer erheblichen Verschlechterung der Situation der Gläubiger führen und deshalb den Einwand des ordre public rechtfertigen würden. Bestehen gegen diese Begründungslinie angesichts des bereits festgestellten Inhalts des Art. 26 EuInsVO Bedenken, so wird von ihm dennoch zutreffend darauf hingewiesen, dass das Moment der zukünftigen Reintegration in einen funktionierenden Wirtschaftsverkehr bereits bei der Einleitung des Insolvenzverfahrens mitschwinge und der Schuldner die Erwartung hege, sich hierauf verlassen zu können, während er mit seiner „Flucht“ keine Verlässlichkeit hinsichtlich seiner Redlichkeit offenbare. Eine so herbeigeführte Entschuldung hält d’Avoine deshalb für „unbillig bzw. unzulässig“, es sei denn, der Schuldner würde bei Eigenantragstellung gegenüber dem ausländischen Gericht die Erklärung abgeben, dort seinen Wohnsitz für einen Zeitraum zu behalten, der dem der Dauer eines Regelverfahrens in seinem Heimatland entspräche. „Zur Vermeidung von Rechtsmissbräuchen muss dieses dem Entschuldungssuchenden zugemutet werden können“, sei doch diese Forderung „quasi ein Reflex auf den Vertrauensschutz, den Gläubiger wie Schuldner gleichermaßen benötigen“ würden. Die Teilnehmer am Wirtschaftsverkehr sollen ein Mindestmaß an Verlässlichkeit vom Schuldner fordern dürfen, die er dadurch zeige, dass er mit einer solchen Erklärung die Merkmale beseitige, „die ihn als Insolvenztouristen entlarven“ würden.⁸⁰¹ Indessen erschließt sich der Sinn dieses Lösungsvorschlages nicht vollständig, wäre doch eine solche Erklärung zumeist nur Lippenbekenntnis und bliebe ohne Sanktion, wenn der Schuldner – in Ausübung seiner Grundfreiheiten – dennoch den Zuzugsstaat zeitnah wieder verlässt, wie es d’Avoine ⁸⁰² für bestimmte Ausnahmesituationen oh-

 Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896, 901  Andres/Grund, NZI 2007, 137, 141; Knof, ZInsO 2007, 629, 633; Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896, 901  d’Avoine, NZI 2011, 310, 313 f., wobei die hierzu vorgebrachten Argumente eher auf Missbrauchserwägungen hinauslaufen  Hierzu fordert d’Avoine, NZI 2011, 310, 314 eine gesetzgeberische Initiative, solange die europäischen Insolvenzrechte unterschiedlich lange Verfahrenszeiten für die Restschuldbefreiung vorsehen, da er für die von ihm verlangte Erklärung freilich keine Grundlage in der EuInsVO ausmachen kann.  Gemeint sind besondere oder neu hinzutretende Umstände, wie zum Beispiel die Rückkehr zu erkrankten Familienmitgliedern oder in persönlichen Notfällen anderer Art, in denen der Verbleib im Ausland unzumutbarer Zwang wäre; d’Avoine, NZI 2011, 310, 314. Freilich bestünde

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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nehin für zulässig hält. Zudem findet sich keine befriedigende Antwort darauf, warum zum Beispiel der aus Deutschland stammende und allein aus verfahrensfremden Gründen nach England verzogene Schuldner für die Dauer von sechs Jahren dort verweilen müsse, wenn er doch bereits nach zwölf Monaten die automatic discharge zertifiziert erhält und die deutschen Gläubiger von seiner darüber hinaus gehenden „Verbannung“ keine Verbesserung ihrer Befriedigungsaussichten erfahren.

Die bisherigen Untersuchungen zeigen mithin folgende Befunde: Einem forum shopping in der Gestalt, dass der Schuldner nach Antragstellung seinen centre of main interests in einen anderen Unionsstaat verlegt, wird mit dem Prinzip der perpetuatio fori effektiv begegnet – maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Eröffnungszuständigkeit ist der Moment der Antragstellung, spätere Änderungen sind ohne Belang. Hinsichtlich der COMI-Verlegung vor Antragstellung ist es aufgrund der europarechtlichen Grundfreiheiten grundsätzlich unverdächtig, wenn der Schuldner damit die Anwendung eines für ihn günstigen Sachrechts herbeiführt. Spätestens seit der Interedil-Entscheidung herrscht die für die alltägliche Rechtsanwendung zu beachtende Auffassung des Europäischen Gerichtshofs (vgl. Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV sowie Art. 267 AEUV),⁸⁰³ dass für die Bestimmung des Mittelpunkts der hauptsächlichen Interessen allein die gegenwärtigen Verhältnisse maßgeblich sind und die zuvor unternommene Verlegung des Interessenmittelpunktes an sich unbeachtlich ist. Für die noch verbleibende Konstellation, dass der Schuldner allein wegen eines schuldnerfreundlichen Insolvenzrechts eines anderen Unionsstaates seinen COMI mit der von vornherein bestehenden Absicht verlegt, alsbald danach von seinen Schulden befreit in sein Heimatland zurückzukehren und wieder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, wurde allerdings offenbar, dass diesem Phänomen mit der Auslegung des Tatbestandes des centre of main interests aufgrund dessen Wandelbarkeit,⁸⁰⁴ Faktensensitivität und der daraus folgenden Manipulationsanfälligkeit⁸⁰⁵ sowie wegen der unmöglichen Vorhersehbarkeit des konkreten Schuldnerverhaltens nach Antragstellung nur bis zu einem gewissen Maß und keineswegs sicher und zweifelsfrei beigekommen werden kann. Überdies scheint die weitere Korrekturoption des ordre public wegen der in Art. 26 EuInsVO zum

in diesem Punkt erhebliches Gestaltungs- und damit Missbrauchspotential, welches diesem Vorschlag den Erfolg versagen muss.  vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 8. April 1987, 2 BvR 687/85, NJW 1988, 1459; Reuß, S. 237 m. w. Nachw.  Weller, ZGR 2008, 835, 849  Eidenmüller, KTS 2009, 137, 139 f.; Schwemmer, NZI 2009, 355, 357

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Ausdruck kommenden Zielrichtung nicht geeignet zu sein, einem so gestalteten forum shopping erfolgreich zu begegnen. Als geeignetes Mittel zur effektiven Bekämpfung eines binnenmarktschädlichen forum shopping könnte sich aber die Idee eines europäischen Rechtsmissbrauchseinwands erweisen. Ausgehend von der durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs⁸⁰⁶ anerkannten Existenz eines allgemeinen unionsrechtlichen Verbots des Rechtsmissbrauchs, das sich zudem in einigen primärund sekundärrechtlichen Vorschriften konkret spiegelt⁸⁰⁷ und vom Schrifttum⁸⁰⁸ ebenfalls gesehen wird, entwickelten in jüngerer Zeit hauptsächlich Eidenmüller ⁸⁰⁹ und Reuß ⁸¹⁰ auf der Basis ihrer Untersuchungen der im gesamten Unionsrecht feststellbaren Grundlinien sowie anhand der mit der EuInsVO verfolgten Ziele Rechtsmissbrauchskonzepte für das europäische Insolvenzrecht. Zentrales Prüfungselement des Reußschen Ansatzes ist die aus der EuGH-Rechtsprechung aufgenommene Frage, ob sich die Wahrnehmung der dem Schuldner zustehenden europäischen Grundfreiheiten als eine „rein künstliche Gestaltung“ erweist, die bar  Explizit wird das Rechtsmissbrauchsverbot in EuGH, Urt. v. 5. Juli 2007, Rs. C-321/05, Slg. 2007, I-5785 benannt, nachdem der Europäische Gerichtshof in einer langen Reihe von Entscheidungen, zu denen die Rechtssachen Centros (EuGH, Urt. v. 9. März 1999, Rs. C-212/97, ZIP 1999, 438), Überseering (EuGH, Urt. v. 5. November 2002, Rs. C-208/00, ZIP 2002, 2037) und Inspire Art (EuGH, Urt. v. 30. September 2003, Rs. C-167/01, ZIP 2003, 1885) gehören, bereits mehr oder weniger deutlich die Existenz eines unionsrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbots anerkannt hatte (weitere Nachweise bei Eidenmüller, KTS 2009, 137, 142 ff. und Reuß, S. 243, Fn. 222). Indessen liegt eine namentlich auf den Rechtsmissbrauch im europäischen Insolvenzrecht gerichtete Erkenntnis des Europäischen Gerichtshofs noch nicht vor; die Judikate in Sachen Staubitz-Schreiber (EuGH, Beschl. v. 17. Januar 2006, C-1/04, DZWIR 2006, 196), Eurofood (EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907), Seagon/Deko Marty (EuGH, Urt. v. 12. Februar 2009, C-339/07, ZIP 2009, 427), Interedil (EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2001, 2153) und FTex (EuGH, Urt. v. 19. April 2012, C-213/10, NZI 2012, 469) betreffen zwar Probleme der internationalen Zuständigkeit und des forum shopping, gehen jedoch auf Fragen zur Rechtsnatur, den Elementen, der Wirkungsweise und zur Feststellung eines Rechtsmissbrauchsverbots im europäischen Insolvenzrecht nicht ein.  Art. 36 Satz 2 AEUV, Art. 65 Abs. 1 lit. b AEUV, Art. 102 AEUV, Art. 108 Abs. 2 AEUV, Art. 263 Abs. 2 AEUV, Art. 54 Grundrechtscharta, Art. 6 Nr. 2 EuGVVO, weitere Nachweise bei Reuß, S. 232 ff.  So wurde eine Lösung über ein Rechtsmissbrauchsvotum ebenso von anderen Autoren in Betracht gezogen, zum Beispiel von Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896, 900; MünchKommInsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rz. 53 ff.; Klockenbrink, S. 100 ff., S. 103; angedeutet bei Hergenröder, DZWIR 2009, 309, 315; Thole, ZZP 122 (2009), 423, 434; Schwemmer, NZI 2009, 355, 358; weitere Nachweise zum deutschen und europäischen Schrifttum sowie zu den Gegenmeinungen bei Reuß, S. 246 (Fn. 225) und S. 243 f. (Fn. 173 bis 176).  Eidenmüller, KTS 2009, 137, 142 ff.  Reuß, S. 318 ff.

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jeder wirtschaftlichen Realität lediglich auf die (formale) Erfüllung von Tatbestandsvoraussetzungen gerichtet ist, um damit verbundene Rechtsfolgen zum eigenen Vorteil erreichen zu können.⁸¹¹ Dahinter steht der Gedanke, dass Art. 26 Abs. 1 und 2 AEUV nur einen realen Markt ermöglichen soll und deshalb vom Regelungszweck des jeweiligen Unionsrechts nur die binnenmarktrelevanten Gestaltungen umfasst werden, die auf „reale, marktintegrative Wirkungen“ abzielen.⁸¹² Nicht aber geschützt würden durch die Norm des Art. 26 Abs. 1 und 2 AEUV diejenigen „künstlichen Gestaltungen“, die ohne reale Marktteilnahme allein auf die Erzielung eines Vorteils respektive Vermeidung eines Nachteils gerichtet sind.⁸¹³ Demgegenüber verfolgt Eidenmüller ⁸¹⁴ – wegen der in den einzelnen Rechtsgebieten mit ihren Besonderheiten jeweils unternommenen Einzelfallbetrachtungen von der EuGH-Rechtsprechung (etwas) gelöst – ein nach seiner Anschauung eigenständiges konsistentes Konzept, welches sich an den von ihm näher bestimmten Zielen der EuInsVO – die Gewährung von Effizienz und Wirksamkeit der grenzüberschreitenden Insolvenzverwaltungen und die Verhinderung des forum shopping – orientiert und welches sowohl den Missbrauch durch Privatpersonen als auch durch Personen des öffentlichen Rechts erfasst. Obgleich in der Mehrzahl der bislang betrachteten Fälle von den Schuldnern in Missbrauchsabsicht unternommene Versuche, im europäischen Ausland eine Enthaftung herbeizuführen, an der zu Tage tretenden Scheinbarkeit der COMIVerlegung oder der zutreffenden Bestimmung des Interessenmittelpunktes durch das angerufene Gericht scheitern (sollten), können in bestimmten Konstellationen „künstliche Gestaltungen“ erkannt werden, die ein forum shopping als rechtsmissbräuchlich erscheinen lassen. So wird eine „künstliche Gestaltung“ in dem wiederholt erörterten Tatbestand zu erblicken sein, in dem der (vorübergehende) Wegzug in einen anderen Unionsstaat lediglich zur Erzielung einer belastungsarmen Restschuldbefreiung und mit der von vornherein bestehenden Intention erfolgte, alsbald danach von den Schulden befreit in das Heimatland zurückzukehren und der früheren Erwerbstätigkeit mit hohen Einkünften nachzugehen.⁸¹⁵ Ähnlich gelagert sind die Fälle, in denen der Schuldner im Zuzugsstaat eine (vom

 vgl. EuGH, Urt. v. 12. September 2006, Rs. C-196/04, ZIP 2006, 1817; EuGH, Urt. v. 8. November 2007, Rs. C-251/06, Slg. 2007, I-9689; EuGH, Urt. v. 13. März 2007, Rs. C-524/04, ZIP 2007, 968; weitere Nachweise bei Reuß, S. 262  Reuß, S. 263 und S. 329; auf die Relevanz der Künstlichkeit einer Gestaltung im Zusammenhang mit sogenannten „gewerblichen Firmenbestattungen“ bereits verweisend BGH, Beschl. v. 13. Dezember 2007, IX ZB 238/06, IPRspr 2007, 722  Reuß, S. 263  Eidenmüller, KTS 2009, 137, 143, 147 ff.  Eidenmüller, KTS 2009, 137, 154; Reuß, S. 331

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

bisherigen Beruf fremde) Erwerbstätigkeit aufnimmt, nach kurzer Zeit wieder einstellt und hiernach die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt.⁸¹⁶ Die Artifizialität dieser Gestaltungen ist daran zu erkennen, dass es den in Wahrnehmung ihrer europäischen Grundfreiheiten so operierenden Schuldnern nicht darum geht, wegen ländertypischer und jedem Insolvenzverfahren fremder Vorteile (wie bessere Lebens- und Erwerbsbedingungen, geringere Abgabenlasten, konkrete berufliche oder familiäre Gründe etc.) im englischen oder französischen Ausland ihren Wohnsitz zu nehmen oder sich dort aufzuhalten und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, mithin um auf dem europäischen Binnenmarkt frei, ungehindert und (rechts‐) sicher zu agieren, sondern allein um eine gegenüber den Rechtsnormen ihres Herkunftslands günstigere, vor allem schnellere Befreiung von ihren Verbindlichkeiten. Die vorübergehende Gestaltung des Interessenzentrums durch den Schuldner ist in diesen Fällen ausschließlich von der Absicht getragen, die Gesamtheit der Gläubiger zu benachteiligen und ihnen dadurch Schaden zu bereiten, denn dieses Handeln trägt nicht zur Massemaximierung, sondern zu deren Reduzierung bei.⁸¹⁷ Indizien, die in diesen Fällen auf den künstlichen Charakter der Gestaltung zu Lasten einer Massemaximierung und damit auf eine Rechtsmissbrauchsintention deuten, sind die fehlende oder unzureichende (natürliche) soziale Integration des Schuldners im Zuzugsstaat, fehlende frühere Kontakte geschäftlicher oder privater Natur dorthin, die anderweitig nicht erklärbare Trennung von der Familie, mangelnde Sprachkompetenz, die zwischen COMI-Verlegung und Eigenantragstellung verstrichene Zeit sowie die Zeit bis zur Aufgabe des Interessenmittelpunkts und seiner Rückverlegung in das Heimatland, der Eintritt der Insolvenzreife (soweit bestimmbar), die Mitnahme etwaigen Vermögens in den Zuzugsstaat, das Ausmaß der Unterschiede zwischen den beiden konkurrierenden Insolvenzrechtsordnungen anhand der Gradmesser des Umfangs des Insolvenzbeschlags und der Konditionen einer Enthaftung, die Aufnahme einer Voll- oder Teilzeitbeschäftigung, der nach wie vor erfolgende Bezug von Tätigkeitseinkünften aus dem Herkunftsland oder die Subvention des Schuldners durch das in der Heimat

 Reuß, S. 331; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 150 führt ferner an, dass ein Verstoß gegen das Rechtsmissbrauchsverbot vorliegen könnte, wenn es durch die (künstliche) Gestaltung der schuldnerischen Verhältnisse nicht zur Maximierung der der Gläubigerbefriedigung dienenden Masse komme; ablehnend Reuß, S. 332 ff.  Eidenmüller, KTS 2009, 137, 146, 150, 152 ff.; vgl. BGH, Beschl. v. 13. Dezember 2007, IX ZB 238/06, IPRspr 2007, 722, der für den Fall einer in Spanien beabsichtigten „Firmenbestattung“ einer GmbH von „einem künstlich hergestellten abweichenden Verwaltungssitz“ spricht

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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verbliebene soziale Umfeld.⁸¹⁸ Diese Umstände werden neben anderen in Frage kommenden Beweisanzeichen in eine Gesamtbetrachtung einzubeziehen, zu bewerten und zu gewichten sein, um im Ergebnis das Verdikt des Gestaltungsrechtsmissbrauchs verhängen zu können.⁸¹⁹ Wird die Erkenntnis eines rechtsmissbräuchlichen forum shopping gewonnen, ist der (künstlichen) Gestaltung des COMI die Akzeptanz zu versagen. In erster Linie ist hier an die Beurteilung durch das vom Schuldner im „Zufluchtsstaat“ angegangene Insolvenzgericht zu denken.⁸²⁰ Jenes ist aufgefordert, die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen genau zu prüfen, gegebenenfalls seine Unzuständigkeit festzustellen und das Eröffnungsbegehren des Schuldners zurückzuweisen.⁸²¹ Indes sind die hier interessierenden Fälle zumeist darauf angelegt, dass die künstliche Gestaltung des Interessenmittelpunktes bis zur (rechtskräftigen) Entscheidung über die Verfahrenseröffnung unerkannt aufrechterhalten wird, so dass sich der Rechtsmissbrauch erst zu einem späteren Zeitpunkt offenbart.⁸²² Es besteht dann die Gefahr, dass dem angegangenen Insolvenzgericht aufgrund des anzuwendenden nationalen Insolvenzverfahrensrechts die Revision seiner Eröffnungsentscheidung nicht mehr möglich ist, weshalb nach weiteren prozessualen Wegen gesucht werden muss, dem Schuldner die nach der lex fori concursus in Aussicht gestellte Enthaftung wegen der rechtsmissbräuchlichen Begründung der Eröffnungszuständigkeit gleichwohl versagen zu können. Hierfür kommen nationale Normen in Betracht, die vergleichbar den Vorschriften der §§ 290, 295, 296, 297 InsO dem ausländischen Gericht die Beurteilung ermöglichen, ob der Schuldner zuvor in redlicher oder rechtsmissbräuchlicher Absicht sein Interessenzentrum in den Zuzugsstaat verlegte.⁸²³ Aber auch dann besteht die Gefahr, dass die künstliche Gestaltung des centre of main interests bis zum Eintritt der Entschuldungswirkungen und für eine etwa danach erforderliche Zeit  Reuß, S. 331; Eidenmüller, KTS 2009, 137, 154; MünchKomm-InsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rz. 55; Klockenbrink. S. 103  MünchKomm-InsO/Reinhart, Art. 3 EuInsVO Rz. 53 und 55  Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896, 900, zugleich auf die Gefahr negativer Kompetenzkonflikte hinweisend; auf die nach dem englischen und französischen Recht im Nachhinein bestehenden Kassationsmöglichkeiten weisen Goslar, NZI 2012, 912, 915 ff. und Mehring ZInsO 2012, 1247, 1250 hin  Eine europäisch-internationale Verweisung an ein anderes europäisches Gericht sieht die EuInsVO nicht vor und würde eine (inzidente) Beurteilung des COMI durch das erstangerufene Gericht beinhalten, deren Bindungswirkung für das Zweitgericht nicht normativ angeordnet und sehr ungewiss ist; vgl. Pannen/Pannen, Art. 3 Rz. 80; Rauscher/Mäsch, Art. 3 EG-InsVO Rz. 45; Reuß, S. 337 (Fn. 603).  vgl. Duursma-Kepplinger/Duursma/Chalupsky, Art. 3 Rz. 46; Reuß, S. 337  hierzu Mehring, ZInsO 2012, 1247, 1250 sowie Goslar, NZI 2012, 912, 915 ff.

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

durchgehalten wird. Nicht von Ungefähr sind die bekanntgewordenen Fälle eines schuldnerischen forum shopping oftmals dadurch gekennzeichnet, dass der Schuldner zumindest für die Zeit bis zum Erhalt der Restschuldbefreiung im Zuzugsstaat verweilt. Eine nachträgliche Korrektur der zuerkannten Restschuldbefreiung durch das erstangerufene Gericht scheidet dann grundsätzlich aus, wenn das jeweilige nationale Insolvenzrecht keine entsprechenden Normen bereithält oder ihre Tatbestandvoraussetzungen nicht (rechtzeitig) vorgetragen und bewiesen werden können. Sicherlich wird in diesem Zusammenhang betont, dass den zur Verfahrenseröffnung angerufenen Gerichten eine besondere Verantwortung zukomme, die eigene internationale Zuständigkeit sorgfältig zu prüfen.⁸²⁴ Es wurden Forderungen laut, die in Frage kommenden Gerichte sollten vor Verfahrenseröffnung stärker miteinander kommunizieren, um Rechtsmissbräuche aufzudecken und zu verhindern.⁸²⁵ Diese Postulate können allerdings nicht die Gewähr dafür bringen, dass – aus welchen Gründen auch immer – eine künstliche Gestaltung nicht (rechtzeitig) erkannt wird. Eine Verpflichtung zur europäisch-internationalen Kommunikation sieht die EuInsVO gegenwärtig nicht explizit vor. Sie könnte sich womöglich aus den mit der Anwendung der EuInsVO verfolgten Ziele sowie aus nationalen Vorschriften über die Sachverhaltsaufklärung ergeben, wie zum Beispiel aus der für deutsche Gerichte angeordneten Amtsermittlungspflicht des § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO. Die Tatsachenermittlung findet indessen ihre natürliche Grenze dort, wo die künstliche Gestaltung des COMI für die Gerichte zunächst schlichtweg nicht wahrgenommen wird. Zudem erschweren sprachliche Differenzen, die Herkunft aus unterschiedlichen Rechtstraditionen und divergierende Auffassungen über die für die Bestimmung des Interessenmittelpunktes maßgeblichen Tatsachen die interjustizielle Kommunikation. Überdies wird nicht in Abrede stehen, dass gerade der Wettbewerb der europäischen Rechts- und Wirtschaftsordnungen – und damit national ausgerichtete Interessen – Einfluss auf die einzelne Beurteilung nehmen kann.

Erweist sich damit die Beachtung des europäischen Rechtsmissbrauchsverbots durch das erstangerufene Gericht als nicht ausreichend, um allen künstlichen Gestaltungen entgegenzuwirken, kommt nur noch die Beurteilung aus der Sicht des im Anerkennungsstaat angerufenen Gerichtes in Betracht, welches auf den (zu erwartenden) Einwand des Schuldners hin zu entscheiden hat, ob die im Eröffnungsstaat erreichte Enthaftung wegen des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung ohne weiteres hinzunehmen ist. Hierfür könnte das Argument sprechen, dass das Konzept eines europäischen Rechtsmissbrauchsverbots bei allen Entscheidungen europäischer Gerichte Berücksichtigung finden soll, mithin auch in Verfahren, die (als Vorfrage) die Anerkennung einer in einem anderen Unionsstaat erlangten Restschuldbefreiung zum Gegenstand haben. Zudem würde das Aner-

 EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907 (Eurofood); Siehr, ZfRV 25 (1984), 124, 136; Reuß, S. 338  Reuß, S. 338 (Fn. 607) m. w. Nachw. benennt einige Fälle

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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kennungsgericht wegen einer retrospektiv-wertenden Betrachtung des Geschehens und aufgrund konkreten Vortrags der Gläubiger zumeist leichter künstliche Gestaltungen feststellen können. Hiergegen könnte jedoch das grundlegende europäische Prinzip des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung stehen, welches dem Anerkennungsgericht untersagt, die im Eröffnungsstaat getroffene Entscheidung nachzuprüfen. Deshalb wird die Auffassung vertreten, dass letztlich auch das Konzept eines europäischen Rechtsmissbrauchsverbots nicht geeignet sei, positiven Kompetenzkonflikten und schuldnerischem forum shopping effektiv zu begegnen.⁸²⁶ Dies würde zu der Konsequenz führen, dass letztlich intelligent gestaltenden Schuldnern nicht beigekommen werden kann und die in der 4. Begründungserwägung gestellte Aufgabe nicht vollständig zu lösen ist. Allerdings kann im ordre-public-Vorbehalt des Art. 26 EuInsVO ausgemacht werden, dass dem europäischen Insolvenzrecht bei bestimmten Sachlagen die Durchbrechung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung als ultima ratio nicht fremd ist, weshalb dennoch die Frage erlaubt sein muss, ob nicht in den ohnehin als Exzeptionen zu bewertenden Fällen eine Prüfung der Anerkennung der im europäischen Ausland erlangten Enthaftung unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs ebenso ausnahmsweise statthaft ist. Eine allein gesetzespositivistische Sichtweise⁸²⁷ wird dem nicht entgegengehalten werden können, erscheint das europäische Rechtsmissbrauchsverbot doch sowohl in kodifizierten Normen als auch in der Gestalt einer ungeschriebenen Grundwertung, die vom Europäischen Gerichtshof als allgemeiner Rechtsgrundsatz des Unionsrechts anerkannt wird, wie es insbesondere Reuß ⁸²⁸ eindrucksvoll gezeigt hat. Zudem ist daran zu erinnern, dass der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung – beruhend auf dem wechselseitigen Vertrauen und zum innereuropäischen Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen erklärt⁸²⁹ – der Intention des europäischen Normgebers entspringt, wegen der angenommenen Ebenbürtigkeit der in der Europäischen Union eingebundenen (Zivil‐) Rechtsysteme gerichtliche Entscheidungen in allen Unionsstaaten als gleichwertig anerkennen und vollziehen zu lassen. Eine europäische Rechtsmissbrauchskontrolle stellt dieses, dem reibungslosen  Weller, ZGR 2008, 835, 850 f.; Reuß, S. 337  so beispielsweise Huber, ZZP 114 (2001), 133, 146; AG Köln, Beschl. v. 23. Januar 2004, 71 IN 1/04, ZIP 2004, 471; Kübler, S. 558; Duursma-Kepplinger, ZIP 2007, 896, 901; Klockenbrink, S. 109  Reuß, S. 231 ff., S. 237 ff., S. 318 ff.  vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Tampere zu dem Treffen vom 15. und 16. Oktober 1999, Rz. 28 ff. (http://www.europarl.europa.eu/summits/tam_de.htm, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013) sowie die Entschließung vom 27. Oktober 1999 des Europäischen Parlaments zum Europäischen Rat von Tampere (Amtsblatt EG Nr. C 154 v. 5. Juni 2000, S. 63 f.)

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Funktionieren des Binnenmarktes (Art. 26 Abs. 1 und 2 AEUV) dienende Grundprinzip nicht in Frage. Sie will ihm zur Seite stehen und soll deshalb nur ein allerletztes Korrektiv sein, welches als ultima ratio und in Verfolgung des im 4. Erwägungsgrund genannten Ziels, ein binnenmarktschädliches forum shopping verhindern zu wollen, allen Gerichten – auch denen in den Anerkennungsstaaten – als Instrument der Rechtserkenntnis zur Verfügung gestellt wird, um den Zwecken des Unionsrechts zum Erfolg zu verhelfen.⁸³⁰ Dabei mag sich die Entscheidung des im Anerkennungsstaat urteilenden Gerichtes darauf beschränken, lediglich die Entschuldungswirkung der im Eröffnungsstaat erwirkten Restschuldbefreiung zu suspendieren, ist das Rechtsmissbrauchsverdikt doch mit dem allein vom Schuldner zu verantwortenden Gestaltungsexzess des in unredlicher Absicht unternommenen, binnenmarkt- und damit gläubigerschädlichen forum shopping begründet. Die übrigen Wirkungen des im anderen Unionsstaat eröffneten Insolvenzverfahrens blieben dann erhalten, so dass die in ihm zugunsten der Gläubiger bereits erreichten Ergebnisse nicht durch eine rückwirkende Revision der Eröffnungsentscheidung in Frage gestellt werden. Nicht vollends in Abrede gestellt werden können hiergegen zu erwartende Einwürfe, die eine Erosion des Grundsatzes des wechselseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung der getroffenen Entscheidungen befürchten. Die damit prophezeite Rechtsunsicherheit⁸³¹ ist nicht so einfach von der Hand zu weisen, soll doch in Europa ein Raum „der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ ⁸³² geschaffen werden, in dem es allen Unionsbürgern freisteht, von den ihnen gewährten Grundfreiheiten Gebrauch zu machen. Zwischen den insoweit widerstreitenden (europäischen) Prinzipien gilt es abzuwägen, um sie in einer Weise zu einem Ausgleich zu bringen, dass jedes von ihnen Wirklichkeit wird und optimale Wirksamkeit entfaltet. Kann sich im Ergebnis das europäische Rechtsmissbrauchsverbot als weiteres Korrekturinstrument für die Gerichte der Anerkennungsstaaten behaupten, ist es geeignet, dem binnenmarktschädlichen forum shopping des in einen anderen Unionsstaat „flüchtenden“ Schuldners effektiv entgegenzutreten. Bleibt es jedoch bei einem insoweit undurchlässigen Grundprinzip der gegenseitigen Anerkennung, welches den Gerichten der Anerkennungsstaaten außerhalb der Norm des Art. 26 EuInsVO die Nachprüfbarkeit unter

 Reuß, S. 248 ff., S. 253 ff. mit einer Vielzahl an Nachweisen in Rechtsprechung und Literatur  Eidenmüller, KTS 2009, 137, 150  vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Tampere zu dem Treffen vom 15. und 16. Oktober 1999, Rz. 28 ff. (http://www.europarl.europa.eu/summits/tam_de.htm, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013) sowie die Entschließung vom 27. Oktober 1999 des Europäischen Parlaments zum Europäischen Rat von Tampere (Amtsblatt EG Nr. C 154 v. 5. Juni 2000, S. 63 f.)

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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dem Gesichtspunkt des europäischen Rechtsmissbrauchs (letztlich) weiterhin untersagt, muss konstatiert werden, dass das europäische Insolvenzrecht seinem selbst gesteckten Ziel, binnenmarktschädliches forum shopping wirksam zu bekämpfen und zu verhindern, nicht in jeder Hinsicht genügt.

5. Rechtsfolgen einer (gescheiterten) Flucht Scheitert die Verlegung des centre of main interests bzw. des Tätigkeits- oder Lebensmittelpunktes an einer Rechtsmissbrauchskontrolle oder wird sie als simuliert erkannt, ist damit nicht nur die beabsichtigte Entschuldung auf der Basis des ausländischen Rechts ausgeschlossen. Der Schuldner läuft mit seiner gescheiterten „Flucht“ zudem Gefahr, in einem nachfolgend in Deutschland von seinen Gläubigern respektive von ihm selbst – freilich mit einem rechtzeitig gestellten Eigenantrag – angestrengten Insolvenzverfahren die Chance der Restschuldbefreiung nach Maßgabe des Verfahrens der §§ 286 ff. InsO aufs Spiel zu setzen. Insoweit ist es noch von Interesse, ob die Versagungstatbestände der §§ 290 ff. InsO dadurch verwirklicht werden können, dass der Schuldner mit der rechtsmissbräuchlichen Manipulation der für die Eröffnungszuständigkeit maßgeblichen Anknüpfungstatsachen respektive mit der Erregung eines Irrtums hierüber letztlich keinen Erfolg hatte.

a) Versagung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO So wird die Auffassung vertreten, dass das Vortäuschen eines in einem anderen Staat befindlichen Interessen-, Tätigkeits- oder Lebensmittelpunktes mit der Absicht, nach dem dortigen Recht unter erleichterten Bedingungen die Enthaftung herbeizuführen, den Bankrottstraftatbestand des § 283 Abs. 1 Nr. 8 StGB erfüllen und damit einen Versagungsgrund nach § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO darstellen könne.⁸³³ Dabei soll das Verheimlichen oder Verschleiern der wirklichen geschäftlichen Verhältnisse durch die im ausländischen Verfahren zur Frage des Interessen-, Tätigkeits- oder Lebensmittelpunktes gemachten Tatsachenangaben zur Tatbestandsverwirklichung führen, da hierdurch für die Teilnahme am Wirtschaftsverkehr wesentliche Umstände objektiv unzutreffend dargestellt wurden. Freilich kann dies nur die Fälle betreffen, in denen der Schuldner die Verlegung seines Interessen-, Tätigkeits- oder Lebensmittelpunktes in einen anderen Staat vortäuschte, ohne ihn tatsächlich zu verändern. In den Fällen, in denen der  Hölzle, ZVI 2007, 1, 6

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

Schuldner tatsächlich – wenn auch rechtsmissbräuchlich – seine Lebensverhältnisse offen und für jedermann erkennbar so gestaltete, dass der Interessen-, Tätigkeits- oder Lebensmittelpunkt als in das Ausland verlegt angesehen werden musste, dürfte es mangels Verschleierungshandlungen an der Tatbestandsverwirklichung fehlen. Indessen droht die Bestrafung wegen eines Bankrottdeliktes und in der Folge die Versagung der Restschuldbefreiung, wenn der Schuldner auf seiner gescheiterten Flucht in eine andere Rechtsordnung Bestandteile seines Vermögens, die im Falle der späteren Eröffnung des inländischen Insolvenzverfahrens dem Insolvenzbeschlag unterliegen und zur Insolvenzmasse gehören, beiseiteschaffte oder verheimlichte (§ 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB), um beispielsweise seinen Lebensunterhalt am Ort des neu, aber rechtsmissbräuchlich begründeten Interessen-, Tätigkeits- oder Lebensmittelpunktes mangels dortiger Erwerbseinkünfte finanzieren zu können. Voraussetzung für den Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist allerdings, dass der Schuldner diesbezüglich rechtskräftig verurteilt worden ist; allein die Tatbestandsverwirklichung reicht nicht aus, um dem Schuldner die Enthaftung verweigern zu dürfen.⁸³⁴

b) Versagung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO Zudem wird die Ansicht vertreten, im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Verlegung des Interessen-, Tätigkeits- oder Lebensmittelpunktes könne der Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO einschlägig sein.⁸³⁵ Hiernach wäre auf Gläubigerantrag hin die Restschuldbefreiung zu versagen, wenn der Schuldner in den letzten drei Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorsätzlich oder grob fahrlässig schriftlich unrichtige oder unvollständige Angaben über seine wirtschaftlichen Verhältnisse gemacht hat, um einen Kredit zu erhalten, Leistungen aus öffentlichen Mitteln zu beziehen oder an öffentliche Kassen zu vermeiden.

 vgl. BGH, Beschl. v. 16. Februar 2012, IX ZB 113/11, NJW 2012, 1215, zur Verurteilung zu einer Verwarnung mit Strafvorbehalt sowie zur Frage einer Bagatellgrenze; Uhlenbruck/Vallender, § 290 Rz. 21; MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz. 24; FK-InsO/Ahrens, § 290 Rz. 15; zur zeitlichen Limitierung der Vorschrift BGH, Beschl. v. 24. März 2011, IX ZB 180/10, NZI 2011, 424; BGH, Beschl. v. 18. Februar 2010, IX ZB 180/09, NZI 2010, 349; BGH, Beschl. v. 18. Dezember 2002, IX ZB 121/02, NJW 2003, 974  Hölzle, ZVI 2007, 1, 6

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Mag die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals der unzutreffenden Angaben über die wirtschaftlichen Verhältnisse im Hinblick auf die räumliche Lage des Interessen-, Tätigkeits- oder Lebensmittelpunktes noch greifbar sein, bestehen erhebliche Zweifel daran, inwieweit in der Erteilung der Restschuldbefreiung die Gewährung eines Kredites gesehen werden kann.⁸³⁶ Zwar mag mit der Umschreibung „Kredit zu erhalten“ jede Form der Kreditierung in Gestalt von Darlehen, Stundungen, Ratenzahlungen und anderen Finanzierungshilfen verstanden werden. Diesen Finanzierungshilfen ist jedoch immanent, dass der Schuldner das im Vertrauen in seine Bonität und Redlichkeit hingegebene Kapital zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich zurückgewährt. Mit der Entscheidung über die Restschuldbefreiung wird der redliche Schuldner indes gerade von der Verpflichtung befreit, seine Verbindlichkeiten zu erfüllen.⁸³⁷ Wird zudem in Erwägung gezogen, dass der Bundesgesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit davon absah, die Versagung der Restschuldbefreiung durch eine Generalklausel auszugestalten, vielmehr mit einer gesetzespositiven Typisierung der Unredlichkeit in verschiedenen Fallgruppen – um den jeweiligen Eigentümlichkeiten zu genügen – der Gerechtigkeit dienen und gerade dadurch verhindern wollte, die Entscheidung über Schuldbefreiung oder fortwährende Haftung in ein weites Ermessen des Insolvenzgerichts zu stellen, muss deutlich werden, dass ein derart extensives Verständnis dieses Tatbestandsmerkmals die durch den Wortlaut, den Sinn und Zweck der Vorschrift sowie den Willen des Gesetzgebers gesetzten Grenzen der Auslegung überschreitet. Ebenso wenig kann die im Ausland vergeblich angestrebte Restschuldbefreiung als Verwirklichung des in § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO vorzufindenden Tatbestandsmerkmals „Leistungen aus öffentlichen Mitteln beziehen“ begriffen werden.⁸³⁸ Hier hatte der Bundesgesetzgeber in erster Linie Sozialleistungen und vergleichbare Zuwendungen der öffentlichen Hand im Auge.⁸³⁹ Damit sollte der Schuldner als unredlich eingeschätzt werden dürfen, der durch unwahre Tatsachenangaben öffentliche Leistungen beansprucht und somit seine Unaufrichtigkeit und Unlauterkeit gegenüber der Rechtsgemeinschaft zum Ausdruck bringt. Angesichts des enumerativen Charakters der in § 290 Abs. 1 InsO notierten Versagungsgründe kann die im Laufe eines ausländischen Insolvenzverfahrens herbeigeführte Ent so aber Hölzle, ZVI 2007, 1, 6  Nach § 301 InsO wandeln sich die von der Restschuldbefreiung erfassten Verpflichtungen in unvollkommene, fürderhin freiwillig erfüllbare, aber nicht erzwingbare Verbindlichkeiten; vgl. amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 195; BGH, Beschl. v. 25. September 2008, IX ZB 205/06, WM 2008, 2219.  so ebenfalls Hölzle, ZVI 2007, 1, 6  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 190

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

haftung des Schuldners bei diesem Verständnis keine zweckbestimmte Zuwendung aus (inländischen) öffentlichen Ressourcen darstellen, da sie freilich das Vermögen privater Gläubiger ebenso berührt. Allein der Fakt, dass die Entscheidung über die Restschuldbefreiung womöglich durch einen Richter oder eine andere hierzu berufene Person gefällt wird und diese ersichtlich ein öffentliches Amt wahrnimmt, rechtfertigt es nicht, die so ausgelöste Enthaftung als Bezug öffentlicher Mittel qualifizieren zu können. Lediglich die dritte Tatbestandsvariante „Leistungen an öffentliche Kassen zu vermeiden“ kommt in Bezug auf eine im Ausland unter erleichterten Bedingungen ursprünglich angesteuerte Entschuldung in Frage, wenn öffentlich-rechtliche Verbindlichkeiten in Gestalt von Steuern, Beiträgen, Gebühren, Zinsen, Sonderabgaben, Zwangs- und Ordnungsgeldern, Geldstrafen und -bußen oder Auflagen im Sinne des § 153a StPO vom ausländischen Verfahren erfasst sind.⁸⁴⁰ Insoweit ist es zutreffend, wenn darauf hingewiesen wird, dass im Vergleich zum deutschen Insolvenzrecht eine im Ausland vorzeitig oder unter anderen erleichterten Bedingungen bewirkte Restschuldbefreiung zu einer Minderung der Befriedigungsaussichten der öffentlich-rechtlichen Gläubiger führen kann.⁸⁴¹

c) Versagung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO Darüber hinaus wird eine analoge Anwendung der Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO (künftig als Zulässigkeitskriterium nach § 287a Abs. 2 InsO n. F.) – auch im Zusammenhang mit der Stundungsnorm des § 4a Abs. 1 Satz 4 InsO – für vertretbar gehalten, wenn dem Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem in Deutschland gestellten Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Restschuldbefreiung im Ausland aus den Gründen versagt worden ist, die mit den in §§ 296, 297 InsO erfassten vergleichbar sind.⁸⁴² Die hierfür notwendige Regelungslücke wird darin gesehen, dass der Gesetzgeber bei Inkrafttreten der Insolvenzordnung eine gesetzliche Grundlage für die Anerkennung einer ausländischen Entschuldungsentscheidung nicht geschaffen habe, zumal sich erst mit dem Inkrafttreten der EuInsVO zum 31. Mai 2002 und der ab dem 20. März 2003 wirkenden Erweiterung der Insolvenzordnung um die

 vgl. zur Versagung der Restschuldbefreiung wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung etwa BGH, Beschl. v. 13. Januar 2011, IX ZB 199/09, NZI 2011, 149; BGH, Beschl. v. 12. Januar 2006, IX ZB 29/04, NZI 2006, 249; BGH, Beschl. v. 11. September 2003, IX ZB 37/03, BGHZ 156, 139; Uhlenbruck/Vallender, InsO, § 290 Rz. 28; Graf- Schlicker/Kexel, § 290 Rz. 13  Hölzle, ZVI 2007, 1, 6  Vallender, ZInsO 2009, 616, 621

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Bestimmungen der §§ 335 ff. InsO wegen des seitdem in Europa zu beobachtenden Insolvenztourismus ein Bedürfnis hierfür ergeben habe. Deshalb sei dem seinerzeitigen Bundesgesetzgeber die Problematik der Sperrwirkung einer im Ausland vorangegangenen Restschuldbefreiung bzw. Versagung derselben nicht bewusst gewesen, so dass anzunehmen sei, er hätte bei Kenntnis solcher Gestaltungsmöglichkeiten ausländische Enthaftungsentscheidungen ebenfalls vom Regelungsgegenstand des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO erfassen sehen wollen. Mögen diese Erwägungen zutreffend und in rechtspolitischer Hinsicht ein Regelungsbedürfnis anzunehmen sein, ergeben sich in der Folge jedoch erhebliche Probleme, wenn die Vergleichbarkeit der Gründe einer ausländischen Versagungsentscheidung mit den in §§ 295, 296, 297 InsO genannten zu untersuchen wäre.⁸⁴³ Angesichts der Unwägbarkeiten und Wertungsbandbreiten, die mit einer insoweit zu unternehmenden Rechtsvergleichung der aus unterschiedlichen nationalen Rechtstraditionen stammenden Insolvenzrechte verbunden sind, wird eine analoge Anwendung des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO (§ 287a Abs. 2 InsO n. F.) auf ausländische Versagungsentscheidungen mit dem gesetzgeberischen Willen, in § 290 Abs. 1 InsO (sowie in § 287a Abs. 2 InsO n. F.) aus Gründen der Vorhersehbarkeit und damit der Rechtssicherheit einen abschließenden Katalog zu normieren,⁸⁴⁴ kaum zu vereinbaren sein. Hier bedarf es legislativen Handelns, um die im Ausland erfolgte Verweigerung der Enthaftung mit einer inländischen Versagungsentscheidung insoweit gleichzustellen.

d) Versagung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO Schließlich könnte in einem nachgelagerten Insolvenzverfahren die Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO zur Debatte stehen, wenn in der zuvor gescheiterten „Flucht“ des Schuldners unter das Regiment eines ausländischen Insolvenzrechts eine Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung darin zu erkennen wäre, dass der Schuldner hierdurch ohne Aussicht auf eine Besserung seiner wirtschaftlichen Lage die Eröffnung des inländischen Insolvenzverfahrens verzögert hatte. Wie bereits mehrfach hervorgehoben, sollen nach den Gesetzesmaterialien missbräuchliche und befriedigungsschädliche Verhaltensweisen des Schuldners die Versagung der Restschuldbefreiung legitimieren, da sie dessen fehlende Redlichkeit offenbaren.⁸⁴⁵ Voraussetzung hierfür wäre zunächst, dass

 Vallender, ZInsO 2009, 616, 621  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 190  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 190

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E. Die aktuelle Bedeutung der Schuldnerflucht

der Antrag auf Eröffnung des deutschen Insolvenzverfahrens binnen eines Jahres (bzw. binnen drei Jahren in der ab dem 1. Juli 2014 wirkenden Fassung des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO) nach der die Gläubigerbefriedigung beeinträchtigenden Handlung gestellt werden würde. Des Weiteren bedarf es der vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Beeinträchtigung der Gläubigerbefriedigung, wofür im Gesetz unter anderem die Verzögerung der Verfahrenseröffnung ohne Aussicht auf eine Besserung der wirtschaftlichen Lage genannt wird. Dabei muss es sich dem Schuldner zumindest geradezu aufdrängen, dass sein Verhalten missbräuchlich und geeignet ist, den Gläubigerinteressen zu schaden.⁸⁴⁶ Für den unbestimmten Begriff der Verzögerung kommt es darauf an, ob ein redlicher Schuldner im eigenen und im Gläubigerinteresse den Antrag bereits früher gestellt hätte.⁸⁴⁷ Ein sich als Verzögerung erweisendes Schuldnerhandeln wird in der amtlichen Begründung des Regierungsentwurfes⁸⁴⁸ als missbräuchlich und damit unredlich qualifiziert, wenn der Schuldner – ohne eine dem § 15a InsO vergleichbare Insolvenzantragspflicht statuieren zu wollen – „durch eine Täuschung der Gläubiger über seine Vermögensverhältnisse oder in ähnlicher Weise“ die rechtzeitige Eröffnung eines unvermeidlichen Insolvenzverfahrens verhindert.⁸⁴⁹ Der Gesetzgeber will damit erreichen, dass sich die der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung dienende Insolvenzmasse nicht durch die Verfahrensverschleppung mindert. Eine solche Minderung würde zum Beispiel eintreten, wenn der Schuldner durch sein (aktives) Verhalten die Gläubiger davon abhält, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen, oder wenn er bewusst den eigenen Antrag so lange hinausschiebt, bis alle verwertbaren Vermögensgegenstände verbraucht oder übertragen und die Anfechtungsfristen abgelaufen sind.⁸⁵⁰ Verlegt der Schuldner unter rechtsmissbräuchlicher Gestaltung seinen Interessen-, Tätigkeits- oder Lebensmittelpunkt ins Ausland und verwendet er zu dessen Etablierung beschlagnahmefähiges Vermögen, welches nach dem Scheitern des dort angestrengten Insolvenzverfahrens den Gläubigern nicht mehr zur Verfügung steht, wird der Tatbestand der Verzögerung wegen der Vermögensminderung unter Umständen als erfüllt angesehen werden können.

 BGH, Beschl. v. 13. März 2008, IX ZB 157/06, juris  MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz. 62  amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 190; AG Oldenburg, Beschl. v. 26. Mai 2003, 60 IN 24/01, ZVI 2003, 483; AG Göttingen, Beschl. v. 13. August 2005, 74 IN 41/04, ZVI 2005, 504  BGH, Beschl. v. 16. Februar 2012, IX ZB 209/11, juris  FK-InsO/Ahrens, § 290 Rz. 47; Kreft/Landfermann, § 290 Rz. 20; HamK-InsO/Streck, § 290 Rz. 25; MünchKomm-InsO/Stephan, § 290 Rz. 61, 63

IV. Die Schuldnerflucht in fremde Rechtsordnungen

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Nimmt der Schuldner anlässlich der vorübergehenden Verlegung seines Interessen-,Tätigkeits- oder Lebensmittelpunktes Vermögen mit, um seinen Lebensunterhalt am fremden Ort zu finanzieren, und scheitert in der Folge die Erlangung der Restschuldbefreiung nach ausländischem Insolvenzstatut, wäre noch zu prüfen, inwieweit die alternativ in § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO normierten Tatbestandsmerkmale der Begründung unangemessener Verbindlichkeiten oder der Vermögensverschwendung Beachtung finden müssen. Der Gesetzgeber wollte damit vor allem Ausgaben für Luxusaufwendungen erfassen.⁸⁵¹ Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs⁸⁵² ist eine Verschwendung in diesem Sinne aber auch dann anzunehmen, wenn Werte außerhalb einer sinnvollen und nachvollziehbaren Verhaltensweise verbraucht werden oder Ausgaben im Verhältnis zum Gesamtvermögen und dem Einkommen des Schuldners als grob unangemessen und wirtschaftlich nicht nachvollziehbar erscheinen. Hingegen wird die Frage, ob ein Beiseiteschaffen oder Verheimlichen von Vermögensgegenständen vom Regelungsgegenstand des § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO umfasst wird, teilweise dahingehend beantwortet, dass der Tatbestand dieser Norm bereits dann erfüllt sei, wenn der Schuldner die Einzelzwangsvollstreckung erschwert, um die Befriedigung der Gläubiger zu beeinträchtigen.⁸⁵³ Jedoch kann ein schlichtes Verbergen von Vermögensgegenständen nicht als Verschwendung im Sinne von § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO begriffen werden, selbst wenn dadurch der Zugriff von Gläubigern behindert oder sogar vereitelt wird.⁸⁵⁴ Ebenso wenig wird hierunter die Verwendung des vom weggehenden Schuldner mitgenommenen Vermögens zur Finanzierung angemessener Lebensaufwendungen zu subsumieren sein, die allerorts entstehen.

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 amtliche Begründung zum RegE InsO, BT-Drucks. 12/2443, S. 190  BGH, Beschl. v. 30. Juni 2011, IX ZB 169/10, WM 2011, 1481; BGH, Beschl. v. 9. Juli 2009, IX ZB 199/08, ZVI 2009, 453; BGH, Beschl. v. 21. September 2006, IX ZB 24/06, ZVI 2006, 511; zur schenkweisen Hingabe von Vermögensteilen BGH, Beschl. v. 5. März 2009, IX ZB 141/08, NZI 2009, 325; zur unentgeltlichen Nutzungsüberlassung BGH, Beschl. v. 10. Dezember 2009, IX ZB 20/08, juris  Kübler/Prütting/Bork/Wenzel, § 290 Rz. 17; ablehnend Uhlenbruck/Vallender, § 290 Rz. 52  BGH, Beschl. v. 30. Juni 2011, IX ZB 169/10, WM 2011, 1481

F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke Diese Arbeit hatte es sich zum Ziel gesetzt, Untersuchungen darüber zu führen, mit welchen Techniken die Rechtsordnungen der Vergangenheit und der Gegenwart auf die Flucht des Schuldners typischerweise reagier(t)en und mit welchen präventiven Angeboten sie ihn zum Bleiben motivieren konnten bzw. können. Außerdem sollte ventiliert werden, mit welchen weiteren Inhalten und Zwecken einzelne Rechtsnormen ebenfalls an die Schuldnerflucht anknüpf(t)en. Zurückschauend auf die antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Entwicklungslinien konnte nachvollzogen werden, wie sich die Beteiligung des fallitus fugitivus während der verschiedenen Verfahren zur Haftungsverwirklichung gestaltete, welche Sanktionen bei seiner Flucht drohten und in welcher Weise er Gelegenheit bekam, Rechte auszuüben und Einfluss auf die Verfahrensentscheidungen zu nehmen. Die so gewonnenen Ergebnisse erlauben eine Einsicht, weshalb die Schuldnerflucht (dennoch) immer wieder zu beobachten war. In Kapitel C wurden die Untersuchungsresultate für die Zeit bis zum Inkrafttreten der sogenannten Reichsjustizgesetze dargestellt, worauf nachstehend gelegentlich Bezug zu nehmen sein wird. Im Anschluss daran war aufzuklären, mit welchen normativen Techniken im bürgerlich-industriellen Zeitalter versucht wurde, den potentiell fluchtbereiten Schuldner in ein geordnetes Prozedere zur Bewältigung seiner Vermögenskrise einzubinden, in dem sowohl die maximale Gläubigerbefriedigung als auch die Wahrung seiner legitimen Interessen erreicht werden können. Schließlich ist es von besonderer Relevanz, welche Antworten das gegenwärtig in der Bundesrepublik Deutschland geltende Recht auf eine schuldnerische Flucht bereit hält, die entweder durch das Inland führt oder über die heutigen Staatsgrenzen hinweg das Ziel ansteuert, die Akzeptanz einer in einem ausländischen Insolvenzverfahren erreichbaren Restschuldbefreiungsentscheidung zu Lasten der zurückgebliebenen Gläubiger zu bewirken. Auf diesen Wegen sollte jeweils das soziale, wirtschaftliche und rechtliche Feld sondiert werden, auf dem in der Vergangenheit die Flucht unternommen wurde, um das sich darauf entwickelnde, gegenwärtige Haftungsrecht der in die Europäische Union und die internationale Rechtsgemeinschaft integrierten deutschen Republik besser verstehen zu können. Die hierzu erzielten wesentlichen Ergebnisse werden auf den folgenden Seiten zusammenhängend dargestellt, um am Ende einen Ausblick auf anstehende Reformvorhaben zu geben.

I. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchungen

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I. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchungen Die im Verlauf dieser Arbeit unternommenen Erkundungen haben zu Tage gefördert, dass dem unausweichlich in einer Vermögenskrise befindlichen Schuldner im Wesentlichen vier typische Verhaltensvarianten offenstehen. Entweder er bleibt passiv, lässt die Dinge ihren Lauf nehmen und besorgt schlichtweg nichts, um die anstehende Krisenbewältigung in seinem Interesse günstig zu gestalten. Oder er stellt sich den rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen seiner Vermögensinsuffizienz, beteiligt sich aktiv-konkret an den verfügbaren Bewältigungsprogrammen und versucht mit den normativen Angeboten der Insolvenzordnung seine baldige Enthaftung als befreiende Voraussetzung für einen fresh start herbeizuführen. Die vierte Variante ist – abgesehen von der auch heute noch vorkommenden Verzweiflungstat des Suizids – freilich die im weitesten Sinne verstandene (grenzüberschreitende) Flucht, um sich dem Zugriff der Gläubiger und den Wirkungen eines im Inland drohenden Insolvenzverfahrens zu entziehen. Die Flucht kann dabei in der Form angetreten werden, dass der Schuldner unter Mitnahme des ihm verbliebenen Vermögens bestenfalls auf Dauer untertaucht, um so der in seiner Verantwortlichkeit wurzelnden Haftung zu entkommen und anderweitig sein Lebensglück zu finden. Oder der Schuldner verlässt ganz bewusst und offenkundig den ihm angestammten, nationalen Rechtraum und sucht einen anderen auf, in dem er mithilfe eines dort angestrengten Gesamtvollstreckungsverfahrens unter ihn womöglich weniger belastenden Bedingungen für eine Befreiung von seinen Verbindlichkeiten kämpft. Letztere Strategie des Schuldners, die Flucht vor der haftungsrechtlichen Verantwortung, stellt(e) sich in allen Rechtsordnungen als treuwidriges, gläubigerschädigendes und unredliches Handeln par excellence dar, welches empfindliche Reaktionen der sozialen Umwelt hervorruft. Die im Laufe dieser Arbeit untersuchten Reaktionstechniken des modernen Gesamtvollstreckungsrechts auf die Flucht des Schuldners lassen sich im Wesentlichen wie folgt zusammenfassen: Als Zeichen kann die Flucht ein typischer, rechtlich beachtlicher Hinweis auf die etwaige Unzulänglichkeit des schuldnerischen Vermögens zur Befriedigung aller Gläubiger sein. Die Wahrnehmung der Flucht führt deshalb zur Einleitung eines Vorverfahrens, dessen Ziel die Feststellung ist, ob sich der dadurch hervorgerufene Verdacht der Vermögensinsuffizienz bestätigt und ein Gesamtvollstreckungsverfahren, dessen Rechtswirkungen alle Gläubiger erfasst, zur gleichmäßigen Haftungsverwirklichung zu eröffnen ist. Während der Dauer des Vorverfahrens verhindern vorläufige Sicherungsmaßnahmen, wie zum Beispiel die Bestellung eines vorläufigen Verwalters oder die Verhängung eines allgemeinen Verfügungsverbotes bzw. die Anordnung eines Zustimmungsvorbehalts, sowie mit Verfahrenseröffnung der Vermögensbeschlag, dass es infolge der schuldnerischen Flucht zu gläubigerbenachteiligenden Vermögensminderungen kommt. Diese

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

Maßnahmen wirken gegenüber jedermann und finden im eröffneten Verfahren ihre Fortsetzung im Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Verwalter, in einem umfassenden Verfügungsverbot sowie in der prinzipiellen Anordnung, dass Drittschuldner nur noch gegenüber dem Verwalter wirksam erfüllen können. Hinzu kommen die Vorschriften des Anfechtungsrechts, welche zur Stärkung der allen Gläubigern zugutekommenden Verteilungsmasse die Flucht als deutliches Zeichen für die Kenntnis des einzelnen Gläubigers um die Zahlungsunfähigkeit identifizieren. Sekundiert werden diese Techniken durch weitgehende, während des gesamten (Vor‐) Verfahrens zu beobachtende Amtsermittlungsbefugnisse des Gerichtes und des Verwalters, welche ihrerseits durch die dem Schuldner auferlegten Informations- und Kooperationspflichten befördert werden sollen, die erforderlichenfalls durch Vorführung und Haft zwangsweise durchzusetzen sind. Andererseits soll das summarische Eilverfahren der Gesamtvollstreckung nicht dadurch behindert werden können, dass vorbehaltlose Rücksicht auf die an sich gebotene Verfahrensbeteiligung des fallitus fugitivus in Form seiner Anhörung und der an ihn zu richtenden Zustellungen von Verfahrensentscheidungen genommen werden muss. Weisen die im vorhergehenden Absatz aufgeführten Techniken repressive Züge auf, um dem Ziel eines jeden Gesamtvollstreckungsverfahrens gegen den Willen des (flüchtigen) Schuldners zum Erfolg zu verhelfen, verfolgen andere Normen eine konziliante und damit präventiv-motivierende Strategie, um ihn mit attraktiven Angeboten zur Beteiligung an der Krisenbewältigung zu bewegen und an das Verfahren zu binden. Der Schuldner kann einen Mindestschutz vor seinen enttäuschten Gläubigern erwarten, welcher ihm zunächst ein Existenzminimum garantiert und damit ein bescheidenes Leben in seiner Heimat erlaubt, so dass er seine Grundbedürfnisse befriedigen und wieder Mut schöpfen kann. Zugleich werden dem Schuldner Beteiligungsrechte eingeräumt, um im Eigen- und Gläubigerinteresse auf die Gestaltung des Verfahrens eigenverantwortlich Einfluss nehmen lassen zu können. In besonderer Weise drücken sich die Beteiligungsmöglichkeiten in dem Angebot aus, eine Schuldenregulierung durch ein Enthaftungsverfahren (beispielsweise Zwangsvergleich, richterliche Vertragshilfe oder Restschuldbefreiungs- und Insolvenzplanverfahren nebst Eigenverwaltung) zu erreichen. Die sich somit bietende Chance besteht jedoch nur für den redlichen, vor allem kooperationsbereiten und eben nichtflüchtigen Schuldner, der in rechtlich nicht vorwerfbarer Weise gestrauchelt ist und dem aus sozial-ethischen, volkswirtschaftlichen und rechtlichen Gründen zu Lasten der Gläubiger wiederaufgeholfen werden soll. Erweist sich allerdings der Schuldner dem Entschuldungsangebot gegenüber nicht als würdig, muss er mit seiner fortwährenden Haftung rechnen.

I. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchungen

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Die Perspektive eines im Inland erreichbaren fresh start scheint jedoch einigen Schuldnern angesichts jüngerer Rechtsentwicklungen nicht mehr zu genügen. Vielmehr folgen sie vor allem im europäischen Rechtsraum den Verlockungen eines fremden nationalen Insolvenzsachrechtes, welches ihnen trotz bisheriger europäischer Harmonisierungsbemühungen eine Enthaftung gegen Übernahme geringerer Verfahrenslasten als im Heimatstaat erlaubt und dessen restschuldbefreiende Entscheidungen in ihren rechtlichen Wirkungen europaweit anzuerkennen sind. Hierzu müssen sie nur den für die Gerichtsstandwahl maßgeblichen Anknüpfungspunkt durch eine Art moderne „Flucht“ in Gestalt des Insolvenztourismus simulieren oder manipulieren, weshalb die Jurisprudenz gegenwärtig darum bemüht ist, dem mittels einer autonomen Auslegung des Rechtsbegriffs des centre of main interests zu begegnen sowie weitere effektive Techniken zur Vermeidung eines rechtsmissbräuchlichen forum shopping zu entwickeln. Sind damit die wichtigsten Reaktionsroutinen eines Gesamtvollstreckungsrechts bezogen auf die Flucht des Schuldners aufgezählt, soll nachfolgend in einer zusammenfassenden Querschnittsbetrachtung dargestellt werden, inwieweit diese Techniken ausreichend erscheinen und worin heute noch mit dem Fortgang des fallitus fugitivus verbundene Rechtsprobleme zu sehen sind, die einer befriedigenden, gesetzespositiven Lösung bedürfen.

1. Rechtswirkungen der Flucht Die Untersuchungen haben gezeigt, dass zu allen Zeiten die vom Schuldner angetretene Flucht die Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens und die sich daraus ergebenden Beschlagswirkungen für sein Vermögen in normativer Hinsicht nicht verhindern konnte. Vielmehr sahen die historischen Insolvenzrechtsordnungen in der Flucht regelmäßig den Grund für die Verfahrenseröffnung oder – seit dem Inkrafttreten der preußischen Konkursordnung vom 8. Mai 1855 – zumindest den Anlass dafür, den Eintritt der Bedingungen für dieselbe einer näheren Prüfung zu unterziehen. Die Flucht offenbarte gewissermaßen die Vermögensinsuffizienz und war das Startsignal für das Zusammenlaufen der Gläubiger, den concursus creditorum. Hieran hat sich unter der Geltung der Konkursordnung und der Insolvenzordnung nichts Elementares geändert. Die Flucht des Schuldners ist als ein auf die Zahlungseinstellung deutendes Zeichen auch heute noch ein ernstzunehmender Hinweis darauf, dass ein Insolvenzgrund eingetreten sein kann, dessen Bedingungen im gläubigerinitiierten Eröffnungsverfahren näher zu untersuchen sind und bei dessen Existenz (sowie einer kostendeckenden Masse) es zur Verfahrenseröffnung kommt. Insoweit bestätig(t)en sich die wie auch immer

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

motivierten, letztlich paradoxen Erwartungen des fallitus fugitivus nicht, mit der Flucht den in der Vermögensinsuffizienz begründeten Reaktionen der Gläubiger zumindest in rechtlicher Hinsicht generell entkommen zu können. Nur wenn es dem Schuldner gelingt, mit seiner Flucht sein ganzes Vermögen mitzunehmen und den Gläubigern keine verwertbaren Reste (selbst in Gestalt von Forderungen gegenüber Drittschuldnern oder Anfechtungsansprüchen) zu hinterlassen, und nur wenn keiner der Gläubiger zur Leistung eines Massekostenvorschusses bereit ist, mag er vielleicht eine Verfahrenseröffnung vermeiden zu können. Allerdings muss der geflohene Schuldner stets damit rechnen, dass es zu einem späteren Zeitpunkt doch noch zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt. Ohnehin werden einzelne Gläubiger ihre Ansprüche durch Versäumnisurteil und etwaige öffentliche Zustellung titulieren, um sie vor der Verjährung (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 und 6 BGB)¹ zu retten und sich zumindest die Chancen der späteren Haftungsverwirklichung zu erhalten. Bis zur Verfahrenseröffnung versuchen sie freilich, mit Maßnahmen des Individualvollstreckungsrechts ihre Ansprüche in Erfüllung zu bringen. Durch das dort geltende Prioritätsprinzip des ersten Gläubigerzugriffs besteht ein nachvollziehbares, paralleles Bedürfnis nach Sicherung exekutionsfähiger Bestandteile des von der Schuldnerflucht bedrohten Vermögens. Die in der Zivilprozessordnung und im Bürgerlichen Gesetzbuch zur Verfügung stehenden Mittel des dinglichen und persönliches Arrestes sowie der erlaubten Selbsthilfe – deren historische Wurzeln bereits den engen Zusammenhang zwischen nicht erfüllter Schuld, Flucht und sich unmittelbar anschließender Rechtsverfolgung offenbarten – können aussichtsreiche Möglichkeiten bieten, Vermögensverschiebungen oder -verdunklungen des Schuldners, insbesondere in Form einer hinter die deutschen Grenzen führenden oder sofort angetretenen Flucht, zu eigenen Gunsten verhindern, wenn es nicht in absehbarer Zeit zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kommt und der vollstreckende Gläubiger infolgedessen Gefahr läuft, wegen einer in vorkonkurslicher Krise erreichten Deckung etwaigen Anfechtungsansprüchen ausgesetzt zu sein. Als Arrestgrund wird zwar nicht (mehr) die bereits bestehende Vermögensunzulänglichkeit anerkannt, jedoch die (weiter) drohende Minderung des (noch) existenten Schuldnervermögens. Eine derartige Schmälerung kann speziell in der bevorstehenden Flucht hinter die Staatsgrenzen vergegenwärtigt werden, bei der die Mitnahme verwert-

 zur Problematik des Verjährung in Fällen der unbekannten Anschrift des Schuldners vgl. Peters, NJW 2012, 2556 ff. (zugleich Anmerkungen zu BGH, Urt. v. 28. Februar 2012, XI ZR 192/11, NJW 2012, 645) sowie BGH, Beschl. v. 6. Dezember 2012, VII ZR 74/12, NJW-RR 2013, 307; BGH, Urt. v. 4. Juli 2012, XII ZR 94/10, FamRZ 2012, 1376; BGH, Urt. v. 19. Dezember 2001, VIII ZR 282/00, BGHZ 149, 311

I. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchungen

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barer Vermögensreste oder die Verdunklung der Vermögenslage zu erwarten ist, ohne dass dem Gläubiger etwas Exekutionsfähiges oder zumindest Informationen über das Schuldnervermögen hinterlassen werden. In Bezug auf die Gefahr der Vermögensverdunklung sind als ultima ratio sogar der persönliche Arrest und die Selbsthilfe zulässig, obgleich mit der Aufhebung der Schuldhaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nur noch die Vermögensexekution zur Realisierung vermögenrechtlicher Ansprüche statthaft ist. In den seit der Neuzeit sich herausbildendenden Verfahrensordnungen kann zugleich eine zunehmende Trennung zwischen Gesamtvollstreckungs- und Individualvollstreckungsrecht beobachtet werden, die zu eigenständigen Kodifikationen der jeweiligen Normen führte. Diese Tendenz nahm im Zuge der Reichseinigung und Rechtsvereinheitlichung der Reichsgesetzgeber auf und schuf mit der Zivilprozessordnung und der Konkursordnung erstmals ein für alle deutschen Länder einheitliches Recht. Die Untersuchungen haben gezeigt, dass hinsichtlich der rechtlichen Wirkungen der Flucht und der normativ zur Verfügung stehenden Instrumente infolgedessen zwischen Zahlungsunwilligkeit und Zahlungsunfähigkeit unterschieden wird. Im ersten Fall sind die Gläubiger in wechselseitiger Konkurrenz gehalten, mit den Mitteln der Zivilprozessordnung (dinglicher und persönlicher Arrest) und des Bürgerlichen Gesetzbuchs (Selbsthilfe) ihre Forderungen zu sichern und so Realität werden zu lassen; hier mag sich die Flucht als auf Zahlungsunwilligkeit zurückführbares Vermeidungsverhalten darstellen, ohne dass (bereits) die Vermögensunzulänglichkeit eingetreten ist. Im Fall der Zahlungsunfähigkeit ist hingegen für die Sicherungsmittel des vorläufigen Rechtsschutzes kein Raum mehr; hier gibt die Flucht des Schuldners einen Hinweis auf die Existenz eines objektiv zu ermittelnden Grundes für die Eröffnung eines Gesamtvollstreckungsverfahrens, welches alle Gläubiger erfasst und das beschlagnahmte Vermögen zur gleichmäßigen Verteilung bringt. So gesehen lässt die Flucht des Schuldners als Symbol illoyalen Verhaltens verschiedene Interpretationsmöglichkeiten zu. Sie ist ein äquivokes Zeichen der Zahlungsunwilligkeit oder der Zahlungsunfähigkeit, so dass ihr – im hier interessierenden Kontext – zwei verschiedene, gleichermaßen als grundlegend anerkannte Bedeutungen zugemessen werden können.² Unter der Herrschaft der Insolvenzordnung bewirkt die Flucht des Schuldners nicht nur die Provokation der Verfahrenseröffnung infolge eines daraufhin gestellten Gläubigerantrags. Vielmehr zeitigt die Schuldnerflucht weitergehende Wirkungen. So sind die auf der Flucht vom Schuldner vorgenommenen Verfü-

 vgl. Eco, S. 53 zur Einteilung von Zeichen nach ihrem Bedeutungsgehalt

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

gungen über massezugehörige Vermögensteile nach der Anordnung entsprechender Sicherungsmaßnahmen (§ 21 InsO) bzw. nach Verfahrenseröffnung von Rechts wegen unwirksam, da der Gläubigergesamtheit selbstredend kein Schaden drohen soll. Der Vermögensbeschlag sowie der Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Verwalter dienen der Entmachtung des Schuldners und damit dem Erhalt der verbliebenen Haftungsmasse. Ebenso wenig wird die Insolvenzmasse von den durch den fallitus fugitivus begründeten Verbindlichkeiten belastet, die insbesondere im Zusammenhang mit der Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit anfallen und über die der Insolvenzverwalter keine Nachricht hat. Die sogenannten Neugläubiger sind wegen ihrer Ansprüche auf das vom Insolvenzbeschlag nicht erfasste freie Vermögen verwiesen und müssen ihre Rechte außerhalb des bereits angestrengten (ersten) Insolvenzverfahrens und nach dessen Beendigung verfolgen, wenn der Insolvenzverwalter unverzüglich nach Kenntnis die Freigabe der selbständigen Erwerbstätigkeit erklärt. Durch die öffentlichen Bekanntmachungen werden die betroffenen Rechtskreise über die im Insolvenzverfahren herbeigeführten Entscheidungen informiert, so dass sie ihr Verhalten gegenüber dem Schuldner einstellen können. Die durch die Flucht ausgelösten Rechtswirkungen vermögen sich auch gegen die wohlverstandenen Interessen des Schuldners selbst richten. Denn kommt es zur Einleitung und Eröffnung des Insolvenzverfahrens und kann der Schuldner aufgrund der Unkenntnis über seinen Aufenthalt durch das Insolvenzgericht mit zumutbarem Aufwand nicht erreicht werden, läuft er im Interesse der Verfahrensbeschleunigung Gefahr, dass er über wichtige, sein Vermögen und seine Rechte betreffende Entscheidungen des Insolvenzgerichts nicht mittels Zustellung informiert wird. Ebenso kann auf seine Anhörung zeitweilig verzichtet werden, wenn es hierdurch zu einer übermäßigen Verfahrensverzögerung kommen würde. Liegen dem Insolvenzgericht jedoch Hinweise darauf vor, dass der nicht näher lokalisierbare, flüchtige Schuldner indes über moderne, ortsunabhängige Kommunikationswege wie Mobilfunk, e-mail oder Social-Network-Plattformen erreicht werden kann, hat es diese Umstände bei seinen Bemühungen um eine Kontaktaufnahme sowie bei seiner Ermessensentscheidung, ob es mit Blick auf die jeweilige Verfahrenssituation, den konkreten Zweck der gebotenen Schuldnerbeteiligung und den verfassungsrechtlichen Anspruch auf Gewährung auf rechtliches Gehör von der Anhörung absieht, gebührend zu berücksichtigen. Hierdurch kann der Schuldner Chancen verlieren, auf Verfahrensentscheidungen im eigenen Interesse Einfluss zu nehmen, so dass er mit den ohne seine Beteiligung erreichten Ergebnissen fortan wird leben müssen. Andererseits wird der fallitus fugitivus auf dem Weg der öffentlichen Bekanntmachung (§ 9 InsO) – wenn auch eingeschränkt – über wesentliche Verfahrensentwicklungen informiert, so

I. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchungen

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dass ihm die Möglichkeit bleibt, sich über die im Internet recherchierbaren Entscheidungen zu unterrichten und von sich aus Kontakt zu den weiteren Verfahrensbeteiligten aufzunehmen. Eine weitere, wesentliche Rechtswirkung ist, dass sich der flüchtige Schuldner – ungeachtet der dem Gericht zugebilligten Möglichkeit, von Zustellungen und seiner Anhörung absehen zu dürfen – einer gewissen Verfolgung zur zwangsweisen Realisierung der ihm obliegenden, umfassenden Auskunfts-, Mitwirkungs-, Bereithaltungs- und Unterlassungspflichten aussetzt, die sich bis zur Anordnung seiner Vorführung und erforderlichenfalls seiner längeren Inhaftierung steigern kann. Im Vergleich zur Konkursordnung und vorangegangenen Partikularrechten hat sich gezeigt, dass der Schuldner nach dem Recht der Insolvenzordnung zwar nicht mehr zur unabrückbaren Residenz am Wohnort verpflichtet ist, er mithin in seiner Freizügigkeit nicht behindert wird. Dafür beinhaltet die Vorschrift des § 97 InsO ein viergliedriges, kohärentes und weitreichendes Pflichtenkonzept, mit dem der schnelle Zugang des Insolvenzverwalters, des Insolvenzgerichts und der Gläubiger zu den für die Verfahrensgestaltung wichtigen Informationen gewährleistet werden soll. Der Schuldner verletzt mit seiner Flucht die ihm auferlegten Informations- und Mitwirkungspflichten, zu deren Erfüllung er für die Dauer des gesamten Verfahrens angehalten ist, und behindert damit die Verfahrensbeteiligten, dem in § 1 Satz 1 InsO normierte Ziel der gemeinschaftlichen Gläubigerbefriedigung effektiv nachzugehen. Da die Fülle der vom Schuldner erlangbaren Informationen als eine seiner wichtigsten Verfahrensbeiträge gelten können, nimmt es nicht Wunder, dass zu deren Ausbeutung notfalls seine Freiheit vorübergehend beschränkt werden darf. Zugleich sind in diesem Zusammenhang für den Schuldner die Wirkungen besonders nachteilig, die seine Flucht auf die im inländischen Verfahren angebotene Entschuldung hervorruft. Die Untersuchungen haben deutlich werden lassen, dass die (anhaltende) Flucht dem Schuldner die Chance der Enthaftung – wie ehedem durch Akkord, Zwangsvergleich und richterliche Vertragshilfe – im Wege des Restschuldbefreiungsverfahrens nach Maßgabe der §§ 286 ff. InsO oder des Insolvenzplanverfahrens nehmen kann. Der Schuldner vergibt sich durch sein eigenes Verhalten (mangels Antragstellung oder Mitteilung seines Aufenthaltsortes) die Aussicht, eine abschließende Regulierung seiner Verbindlichkeiten zu erreichen, welche Grundvoraussetzung für einen befreienden fresh start ist. Nur der redliche Schuldner, der sich der Vermögenskrise und seinen Gläubigern stellt und sich nicht den Wirkungen eines eigenverantwortlich angestrengten Verfahrens entzieht, wird mit der Rechtswohltat der Befreiung von den restlichen Verbindlichkeiten und der damit verbundenen Hoffnung auf einen erfolgversprechenden Neuanfang belohnt. Nur auf dem Weg der in einem Gerichtsverfahren unter Beteiligung der Gläubiger und des

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

Schuldners herbeigeführten Enthaftung kann er sich von der Last und dem Stigma seiner Vermögensinsuffizienz dauerhaft befreien, wenn eine außergerichtliche Einigung nicht möglich ist. Die in § 1 Satz 2 InsO dem Schuldner als weiteres Verfahrensziel in Aussicht gestellte Restschuldbefreiung ist mithin in Gefahr, wenn er sich nicht (aktiv) am Verfahren beteiligt und die ihm zugewiesenen Verfahrenslasten nicht freiwillig und eigenverantwortlich übernimmt. Die Gläubiger haben es im Rahmen der ihnen zustehenden Autonomie dann in der Hand, entweder durch Stellung von Versagungsanträgen oder durch Ablehnung von schuldnerinitiierten Insolvenzplanvorschlägen auf die mangelnde Redlichkeit des Schuldners mit empfindlichen Sanktionen effektiv zu reagieren. Insoweit sind die Folgen der Flucht dieselben, die eintreten, wenn der Schuldner aus anderen Gründen am Verfahren nicht in einem Mindestmaß redlich mitwirkt, passiv bleibt oder bewusst unzutreffende Informationen gibt und auf diese Weise seine Illoyalität den Gläubigern gegenüber ausdrückt.

2. Fluchtmotive, Reaktionstechniken und Rechtsprobleme Zusätzlich zu den rechtlichen Folgen, die durch den schuldnerischen Weggang ausgelöst werden, verdienen die im Recht angelegten Motive besondere Beachtung, um die Fluchtentscheidung eines Schuldners verstehen und ihr künftig besser begegnen zu können. Während in den antiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Haftungssystemen die Reaktionen des Rechts neben vermögensexekutiven Zügen insbesondere personalexekutive Elemente dergestalt aufwiesen, dass der Schuldner durch Arretierung, Schuldhaft und Schuldknechtschaft einerseits an der Flucht gehindert und andererseits – wird von den pönalisierenden Zwecken abgesehen – zur Haftungsverwirklichung angehalten werden sollte, wandelte sich im Zuge der Aufklärung und der Industrialisierung allmählich das Rechtsverständnis und führte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Abschaffung der leiblichen Haftung. Fortan wurden Normen gesetzt, die zwar weiterhin mit vorwiegend repressiven Rechtsfolgenanordnungen eine Mindestbeteiligung des Schuldners am Verfahren zur Sicherstellung der für die bestmögliche Gläubigerbefriedigung notwendigen Informationen gewährleisten sollten. Wie aber schon zu allen Zeiten wurden zugleich Bewältigungsstrategien normativ unterstützt, die eine autonome Einigung aller Beteiligten über die Regulierung der Verbindlichkeiten ermöglichten. Allerdings konnten aufgrund des im Individualvollstreckungsrecht geltenden Prioritätsprinzips des ersten Exekutionszugriffs, welches der par conditio omnium creditorum strukturell entgegensteht, sowie aufgrund überkommener Grundentscheidungen vieler historischer Gesetzgeber, ein hoheitlich legitimiertes Verfahren zur Enthaftung des Schuldners gegen den Willen der Gläubigermehrheit nicht bereit zu stellen, selbst bei erdrückender und

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voraussichtlich zu Lebzeiten nicht mehr abtragbarer Schuldenlast redlich unternommene Enthaftungsbemühungen schnell an Akkordstörern scheitern. In diesen Fällen blieb der Schuldner oftmals der lebenslangen Gläubigerverfolgung ausgesetzt und musste sein Leben am Rand des Existenzminimum fristen, wenn er nicht anderweitig zu neuem Vermögen kam – oder einfach floh und sein Leben andernorts, vielleicht in einem benachbarten Land, neu gestaltete. Gab es in den historischen Verfahrensordnungen freilich immer wieder Appelle des jeweiligen Souveräns an die Potentaten angrenzender Territorien, die Gläubiger und eingesetzten Verwalter bei der Verfolgung des flüchtigen Schuldners und der Bewältigung der Vermögenskrise nach Maßgabe des eigenen Rechts zu unterstützen, konnten im Laufe der Untersuchung keine Hinweise auf einen in der Vergangenheit allgemein verbreiteten, grenzüberschreitend-verbindlichen Rechtssatz festgestellt werden, wonach eine im Ausland durch Akkord herbeigeführte Enthaftung mit ihren Wirkungen die im Inland ansässigen Gläubiger binden konnte, wenn diese sich daran nicht beteiligt hatten. Erst in Folge der nationalstaatlichen Entwicklungen des 19. Jahrhunderts stellten sich internationale Bemühungen ein, grenzüberschreitende Regularien zu errichten, die sich hauptsächlich in bilateralen Konkursverträgen und Kollisionsnormen des nationalen Rechts niederschlugen. Dennoch blieb das jüngere deutsche Konkursrecht gegenüber einer allgemeinen Anerkennung ausländischer Verfahrensentscheidungen nach einer anfänglichen Liberalität für die Dauer von fast genau 100 Jahren distanziert.³ Erst durch die bemerkenswerte Wende-Judikatur⁴ des Bundesgerichtshofs in den 1980er Jahren öffnete sich das innerstaatliche Konkursrecht generell für ausländische Verfahrensentscheidungen, die auch restschuldbefreiende Wirkungen im Inland entfalten konnten, und schien mit der grundsätzlichen Anerkennung ausländischer Verfahrensakte gleichzeitig den Weg für eine moderne Form der Schuldnerflucht freizulegen: das gezielte forum

 RG, Urt. v. 28. März 1882, Rep. III 241/82, RGZ 6, 400; RG, Urt. v. 13. Januar 1885, Rep. II 429/84, RGZ 14, 424; RG, Urt. v. 6. Juli 1886, Rep. II 228/86 RGZ 16, 61; die Auffassung ändernd RG, Urt. v. 11. Dezember 1884, Rep. I 346/84, RGZ 14, 405; RG, Urt. v. 20. März 1888, Rep. II 346/87, RGZ 21, 7; RG, Urt. v. 11. Juli 1902, Rep. II 130/02, RGZ 52, 155; RG, Urt. v. 21. Oktober 1920, VI 271/20, RGZ 100, 241; RG, Urt. v. 5. Januar 1937, VII 138/36, RGZ 153, 200 sowie RG, Urt. v. 28. März 1903, Rep I 420/ 02, RGZ 54, 193 (Kosmos-Entscheidung); hieran anschließend BGH, Urt. v. 30. Mai 1962, VIII ZR 39/61, NJW 1962, 1511; BGH, Urt. v. 2. April 1970, VII ZR 128/68, NJW 1970, 1187; BGH, Urt. v. 20. Juni 1979, VIII ZR 228/76, NJW 1979, 2477  BGH, Urt. v. 13. Juli 1983, VIII ZR 246/82, ZIP 1983, 961; BGH, Urt. v. 11. Juli 1985, IX ZR 178/84, WM 1985, 1004

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

shopping zur Eröffnung eines im Ausland nach dem dort geltenden Recht zu gestaltenden Gesamtvollstreckungsverfahrens.⁵ Die im Laufe der Untersuchung im Wesentlichen festgestellten Verhaltensmuster, wie der Schuldner von je her auf die über ihn hereinbrechende Vermögenskrise reagiert, lassen den mehrfach erwähnten Zusammenhang zwischen der Vermögensunzulänglichkeit, den Wirkungen der Verfahrenseröffnung, der (fortdauernden) Haftung und der Flucht(gefahr) erkennen. Die rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen eines der geordneten Gläubigerbefriedigung dienenden Gesamtvollstreckungsverfahrens sind zugleich die Faktoren, die das Verhalten des Schuldners bestimmen und ihn in seinen Gestaltungsentscheidungen positiv oder negativ stimulieren. Ist ein derartiges Verfahren zu einseitig zugunsten der Gläubiger ausgestaltet, enthält es eine Vielzahl von nachteiligen Wirkungen, die der Gläubigerbefriedigung nicht unmittelbar dienen, und bietet es keine attraktiven Chancen für den Schuldner, eigene vorteilhafte Verfahrensergebnisse durch freiwillige Übernahme der ihm zugewiesenen Beteiligtenrolle und Lasten zu erzielen, wird dieses lediglich oder vorwiegend auf Sanktionen bauende Bewältigungsprogramm eine nur unzureichende Bindung des Schuldners bewirken können. Vielmehr müssen in einem kohärenten Gesamtkonzept Regelungen konstruiert werden, welche den erforderlichen Vermögensbeschlag, Rechte, Pflichten, Sanktionen sowie Anreize zur aktiven Verfahrensbeteiligung gleichermaßen beinhalten und deren Wirkungen in ein normatives Gleichgewicht bringen. Hierzu gehört es, dass die dem Schuldner zur aktiven Beteiligung gegebenen Anreize einem internationalen, zumindest aber einem europäischen Vergleich standhalten können. Bieten ausländische Verfahrensordnungen dem Schuldner attraktive Aussichten, auf signifikant einfachere Art und Weise seine Enthaftung herbeizuführen, die im Inland anzuerkennen ist und für welche die mit einer temporären Ausreise verbundenen Lasten noch erträglich erscheinen, muss dieser Umstand bei der Gestaltung des inländischen Rechts ausreichende Berücksichtigung finden. Die seit dem 1. Januar 1999 geltende Insolvenzordnung behielt die Verwendung sanktionierender Normen bei, mit denen die Informationsgewinnung zur Massemaximierung gesichert werden soll. Gleichzeitig wurden in diesem Regelwerk die Lehren aus den im 19. und 20. Jahrhundert gewonnenen Erfahrungen bei der Anwendung der Vorschriften über den konkursbeendenden und konkursabwendenden Vergleich sowie der richterlichen Vertragshilfe gezogen, die allesamt von

 vgl. BGH, Urt. v. 27. Mai 1993, IX ZR 254/92, ZIP 1993, 1094; BGH, Beschl. v. 18. September 2001, IX ZB 51/00, ZIP 2002, 365

I. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchungen

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dem Bemühen getragen waren, dem Schuldner aus dem Antagonismus von Schuldenlast und Gläubigermacht einen rechtlich gesicherten Ausweg zu weisen. Die Insolvenzordnung stellt (unabhängig von Insolvenzplan und Eigenverwaltung) mit den Vorschriften der §§ 286 ff. InsO nunmehr ein Verfahren zur Schuldnerenthaftung zur Verfügung, welches nicht mehr auf eine zu erreichende Gläubigermajorität baut und dennoch alle Beteiligten gleichermaßen bindet. Maßgebliches Kriterium ist „nur noch“, inwieweit sich der Schuldner gegenüber seinen Gläubigern redlich verhalten hat und wie er ihnen während des Verfahrens begegnet. Insoweit liegt das Restschuldbefreiungsverfahren der Insolvenzordnung nach wie vor auf der Linie einer seit der römischen Antike zu beobachtenden Entwicklung, die immer nur dem gläubiger- und rechtsloyalen, kooperativen Schuldner Chancen auf die Segnungen der nach dem jeweiligen Haftungsrecht verfügbaren Rechtswohltaten einräumt. Hierfür gibt die Insolvenzordnung den Anreiz, sich an einem gerichtlich überwachten Krisenbewältigungsprogramm zu beteiligen, um so zu einer legitimierten Entschuldung, die sich allein als rechtlich beachtliche und anerkannte Alternative zur Flucht erweist, zu gelangen. Unverkennbar verfolgt die Insolvenzordnung gegenüber der Schuldnerflucht damit eine zweiteilige Strategie, welche gleichermaßen auf Sanktion und Motivation baut: Jeder Schuldner wird zunächst als potentiell redlich angesehen, weshalb ihm grundsätzlich die Restschuldbefreiung – unter gleichzeitiger Benennung der Verhaltenspflichten sowie verbunden mit einem Appell zwecks ihrer vorbehaltslosen Erfüllung – angeboten wird. Begibt sich der Schuldner dennoch auf die Flucht, können die Vorführung und Inhaftierung als Beugemittel angekündigt und erforderlichenfalls vollzogen werden. Als schärfste Sanktion droht die gläubigerinitiierte Versagung der Restschuldbefreiung, so dass es nach der Verfahrensbeendigung zur weiteranhaltenden Haftung kommen kann. Das „Anti-FluchtKonzept“ der Insolvenzordnung beruht mithin auf repressiven und präventivwohlwollenden Elementen, wobei die Androhung der Sanktionen der Freiheitsbeschränkung und Restschuldbefreiungsversagung als negative Restriktionen zu den ohnehin mit der Verfahrenseröffnung verbundenen Nachteilen hinzutreten sollen, um die schuldnerische Akzeptanz der auf aktive Verfahrensbeteiligung gerichteten Normen zu erreichen. Derweil ist die Flucht des Schuldners gerade vor dem Hintergrund der rechtlichen und tatsächlichen Wirkungen der Eröffnung eines jeden gerichtsförmigen Verfahrens zu sehen, mit dem die geordnete Realisierung der Haftung des schuldnerischen Vermögens zur anteiligen Gläubigerbefriedigung herbeigeführt werden soll. Wurde begreiflich, dass bis tief in die Moderne hinein die Angst des Schuldners vor den für Leib und Leben hervorgerufenen Gefahren sowie vor der mit dem Ehrverlust einhergehenden capitis deminutio ein starkes Fluchtmotiv

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

bildete, kann angesichts der heute immer noch festzustellenden Auswirkungen der Verfahrenseröffnung die im geltenden Recht – und in der es spiegelnden Lebenswirklichkeit – angelegte Existenz nachvollziehbarer Fluchtgründe nicht in Abrede gestellt werden. Kommt es heutzutage zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, unterliegt der Schuldner einer Vielzahl verfahrensspezifischer und anderer, mittelbarer Auswirkungen. Er wird hinsichtlich seines mit weltweitem Wirkungsanspruch beschlagnahmten Vermögens weitgehend entmachtet. Zudem treffen ihn negative Konsequenzen wie den Ausschluss von Ehrenämtern oder die Einschränkungen bei der Ausübung bestimmter Berufe. Die Verfahrenseröffnung strahlt überdies tief in das Privatleben des Schuldners ein. Er erfährt im Umgang mit seinem sozialem Umfeld, Verfahrensbeteiligten und Dritten zuweilen herbe Enttäuschungen, empfindet Gefühle der Erniedrigung und der Scham und hat schlicht Angst vor einem Ansehens- und Selbstwertverlust. Die emotionalen Lasten des Insolvenzverfahrens können sogar ernsthafte physische und psychische Erkrankungen mit sich bringen, die seitens des Schuldners nachhaltig gesundheitsgefährdend wahrgenommen werden. Ersichtlich hat auch der heutige Schuldner mit dem Makel des Konkurses zu kämpfen, der ihn auszugrenzen droht, der ihn zutiefst verunsichert, der ihn in seinem Selbstwertempfinden beeinträchtigt und der zusätzlich zu Krankheitsbildern führen kann. Diese Schuldner drohen nicht nur in volkswirtschaftlicher und sozialpolitischer Hinsicht auszufallen, sondern mitunter in Resignation und Schattenwirtschaft abzugleiten. Des Weiteren wurde offenbar, dass überwiegend viele Schuldner wegen der Realisierung typischer biografischer und unternehmerischer Risiken in wirtschaftliche Bedrängnis geraten, die zum Einen jedermann treffen können und ohne die zum Anderen keine Gesellschaft mit einem zukunftsorientierten Wettbewerbsmarkt gedacht werden kann. Diese Schuldner sind in die sie selbst schwer belastende Krise oftmals nicht infolge einer vorwerfbaren Unredlichkeit oder gar aufgrund einer gläubigerschädigenden Straftat geraten. Schärfend tritt die in den vergangenen Jahrzehnten revolutionäre Entwicklung der Informationserhebung und -verarbeitung hinzu, die es einer Vielzahl an sich organisierenden Gläubigern zwar erlaubt, jederzeit zu Schutzzwecken kreditrelevante Daten zu erheben, auszutauschen und auswertbar zu machen. Allerdings stehen diese einmal gespeicherten Daten den vom Schuldner verfolgten wirtschaftlichen Aktivitäten nicht nur für die Dauer des Insolvenzverfahrens entgegen, sondern wirken trotz Verfahrensbeendigung und erfolgreichem Restschuldbefreiungsverfahren bzw. Enthaftung infolge eines Insolvenzplanes aufgrund ihrer jederzeitigen, schnellen Verfügbarkeit noch viele Jahre negativ nach und behindern weiterhin sein sozio-ökonomisches Fortkommen. Der Schuldner wird mit anderen Worten durch die Erhebung, Verarbeitung und Übermittlung von kre-

I. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchungen

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ditrelevanten Daten durch Auskunfteien, Banken sowie Waren- und Dienstleistungsanbietern auch nach abschließender Schuldenregulierung effektiv an der künftigen Teilnahme am Wirtschaftsleben behindert, was selbst aus Gläubigersicht wenig nachvollziehbar und verständlich erscheint, jedoch den Schuldner zusätzlich negativ stimuliert. In Anbetracht dieser Umstände wurde während der Untersuchung unübersehbar, dass den gestrauchelten Schuldnern primär – aber mit Bedacht auf die in Art. 14 GG geschützten Eigentumsrechte der Gläubiger – mit einem schnellen fresh start in eine wieder prosperierende Zukunft am besten geholfen werden kann. Gegenwärtig scheint allerdings ein besonderer Faktor die zeitliche Dimension des in Deutschland nach Maßgabe der §§ 286 ff. InsO zu absolvierenden Restschuldbefreiungsverfahrens zu sein, so eine vorzeitige Enthaftung über den Weg des Insolvenzplanverfahrens nicht erreicht werden kann. Dieses „Regelverfahren“ erstreckt sich mit (gegenwärtig) mindestens sechs Jahren auf einen relativ langen Zeitraum, in dem der pfändbare Neuerwerb des Schuldners zur weiteren Gläubigerbefriedigung einzusetzen ist und in dem sich der Schuldner zu bewähren hat. Wurde dieses Verfahren vom Reformgesetzgeber des ausgehenden 20. Jahrhunderts sowohl unter dem Eindruck der nationalen Rechtstradition als auch mit Blick auf fortschrittliche Konkursrechtsordnungen anderer Staaten konzipiert, um einen Ausgleich der Gläubigerinteressen nach einer weitmöglichen Befriedigung und dem Schuldnerinteresse nach einer in absehbarer Zeit erreichbaren Entschuldung zu gestalten, musste im Zuge der voranschreitenden europäischen Integration die Erfahrung gemacht werden, dass nicht jeder Schuldner bereit ist, die damit verbundenen Verfahrenslasten auf sich zu nehmen. Die weiteren Analysen haben verständlich werden lassen, dass im europäisch-internationalen Kontext die Verlockung für den im Inland ansässigen Schuldner besteht, mit seinem Weggang eine Milderung der durch das notwendige Insolvenzverfahren ausgelösten Lasten zu erfahren. Im europäischen Raum ist es vor allem die Divergenz der nationalen Insolvenzrechte hinsichtlich der Restschuldbefreiungsvoraussetzungen, die den Schuldnern – unter dem Schutz des europarechtlichen Prinzips der gegenseitigen Anerkennung – die Chance einer belastungsarmen Bewältigung der Vermögenskrise bietet. Es ist den Betroffenen nicht zu verdenken, dass sie die sich damit eröffnenden Gestaltungsmöglichkeiten zum eigenen Wohl nutzen wollen. Wird durch die gesetzgeberischen Grundentscheidungen der §§ 335 ff. InsO sowie der Bestimmungen der EuInsVO die (bedingungsgemäße) Anerkennung der nach ausländischem Sachrecht herbeigeführten Enthaftungsjudikate angeordnet, stellt sich gegenwärtig das Problem, wie auf das hierdurch begünstigte Phänomen des Insolvenztourismus in Gestalt eines missbräuchlich erscheinenden forum shop-

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

ping in jeder Hinsicht wirksam zu reagieren ist. Gerade die anziehende Kraft elsass-lothringischer oder englischer Restschuldbefreiungsverfahren verursacht im europäischen Kontext erhebliche Schwierigkeiten für eine ausgewogene Antwort des Rechts auf diese moderne Form der Schuldnerflucht, die sich in einer gezielten Verlegung des centre of main interests vor Verfahrenseröffnung unter dem Schutzschild der europaweit garantierten Grundfreiheiten zeigt. Die Untersuchung der einschlägigen Vorschriften des europäischen Rechts sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung führte zu der Erkenntnis, dass der im Spannungsfeld zwischen den Grundfreiheiten und dem mit der EuInsVO verfolgten Ziel, schuldnerisches forum shopping bekämpfen zu wollen, mit Gläubigerschädigungsabsicht vollzogenen COMI-Verlegung nicht mit den bislang vorgeschlagenen Lösungen in einer rundum zufriedenstellenden Weise begegnet werden kann. Während im deutschen autonomen internationalen Insolvenzrecht mit dem Rechtsmissbrauchseinwand ein effektives Abwehrinstrument gegenüber der unlauteren Mittelpunktverlegung bereit steht, droht der aussichtsreiche Ansatz eines europäischen Rechtsmissbrauchskonzepts zur lückenlosen Bekämpfung binnenmarktschädlichen forum shopping daran zu scheitern, dass wegen des grundlegenden Prinzips der gegenseitigen Anerkennung nur den im Eröffnungsstaat angerufenen Gerichten die abschließende Prüfungskompetenz zugebilligt wird und eine Überprüfung durch ein Gericht im Anerkennungsstaat generell verboten bleibt. Indessen ist der EuInsVO eine Durchbrechung des Prinzips der gegenseitigen Anerkennung als ultima ratio nicht fremd, wie der in Art. 26 EuInsVO normierte ordre-public-Vorbehalt erkennen lässt. Würde die allseitige Beachtung eines europäischen Rechtsmissbrauchsverbots als letztes Korrektiv akzeptiert werden, könnte sich die Entscheidung des im Anerkennungsstaat urteilenden Gerichtes auf die Suspension der Entschuldungswirkung der im Eröffnungsstaat erwirkten Restschuldbefreiung beschränken, weil sich das Rechtsmissbrauchsverdikt allein mit dem vom Schuldner zu verantwortenden, gläubigerschädigenden Gestaltungsexzess rechtfertigen würde. Kann wegen der geschilderten Gegenargumente ein europäisches Rechtsmissbrauchsverbot den Gerichten in den Anerkennungsstaaten jedoch nicht dienen, muss konstatiert werden, dass das europäische Insolvenzrecht gegenwärtig keinen lückenlosen Schutz gegen intelligentes, gläubigerschädigendes forum shopping bietet. Aber nicht nur der europäische Vergleich der nationalen Insolvenzrechte, der die in Deutschland verhältnismäßig lange Zeit für die Enthaftung offenbarte, gibt Anlass für eine kritische Sicht auf das gegenwärtig geltende Recht. Auch im Inland wird das Erfordernis einer sechsjährigen Dauer der Restschuldbefreiung immer wieder in Frage

I. Wesentliche Ergebnisse der Untersuchungen

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gestellt. Die im Zuge der Untersuchung vorgestellte Lechner-Studie⁶ ließ deutlich werden, dass ein Großteil der heute im postmodernen, friedlichen Europa lebenden Schuldner durch die schon erwähnten typisch-biografischen Risiken (Arbeitslosigkeit, Krankheit, Trennung und Scheidung oder Tod des Lebenspartners) in die Vermögenskrise gerät. Zudem scheitern Schuldner, die den Schritt in die Selbständigkeit gewagt haben, oft in den ersten Jahren und dann vor allem an mangelhafter Kapitalausstattung, fehlenden Refinanzierungsmöglichkeiten, nicht marktgerechten Geschäftsideen, ausbleibender Flexibilität gegenüber Marktvolatilitäten, strategischen Fehlentscheidungen, Mithaftungstatbeständen und unzureichenden internen unternehmerischen Kompetenzen.⁷ Für diese Schuldner stellt eine lange Zeit des Wohlverhaltens, innerhalb der sie ihre Redlichkeit unter Beweis stellen und pfändbares Erwerbseinkommen abführen sollen, ein erhebliches Hindernis für einen baldigen Neuanfang dar. Überdies lässt ein zu rigides Insolvenzrecht vor typischen unternehmerischen Wagnissen zurückschrecken und kann insoweit hemmend gegenüber den für jeden lebendigen Markt so wichtigen Innovationen wirken. Die nach einem persönlichen Schicksalsschlag oder nach einem unternehmerischen Misserfolg gestrandeten (redlichen) Schuldner benötigen nach dem Niedergang vornehmlich eine ermutigende Perspektive, um sie nicht in die Illegalität und Depression oder als Insolvenztouristen zu verlieren. Unter diesen Aspekten betrachtet nützt den Gläubigern eine langjährige Entschuldungsdauer zur Quotenmaximierung zumeist wenig, zumal sie Gefahr laufen, den Zugriff auf schuldnerische Erwerbseinkünfte (weitgehend) zu verlieren, wenn der Schuldner mit Blick auf die mit der Verfahrensdauer verbundenen Frustration seine wirtschaftlichen Aktivitäten im Verborgenen gestaltet oder im ausländischen Insolvenzrecht sein Glück versucht. Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch einmal auf die nach wie vor bestehende Tendenz in der Wahrnehmung des Insolvenzverfahrens als stigmatisierendes Zeichen des persönlichen Scheiterns zu verweisen, aufgrund der es für so manche Schuldner immer noch so fernliegend zu sein scheint, einen Eigenantrag zu stellen und sich im Schutze eines gerichtlich überwachten Verfahrens mit den Gläubigern – bestenfalls im Rahmen eines Insolvenzplans und der Eigenverwaltung – zu verständigen. Hinzu kommen eine für juristische Laien sich in gewisser Weise darstellende Intransparenz des zuweilen komplexen gerichtlichen

 Lechner, S. 6 ff.  Im Jahr 2011 entfielen nach Angaben in der von der Auskunftei Bürgel herausgegebenen Studie „Firmeninsolvenzen Gesamtjahr 2011“ ein Anteil von 26,4% aller Unternehmensinsolvenzen auf sogenannte Jungunternehmen, die wiederum zu 44,3% in Form von Einzelunternehmen am Markt auftraten (abgerufen unter http://www.buergel.de/presse/studien-analysen/ 562-firmeninsolvenzen-gesamtjahr-2011.html, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013).

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

Verfahrens, die daraus resultierenden klischeebeladenen Vorurteile, welche ein beträchtliches Misstrauen gegenüber Gläubigern, Insolvenzgerichten und Insolvenzverwaltern schüren, die diffuse Angst vor dem vollständigen Kontrollverlust sowie die für den Schuldner spärlichen Möglichkeiten, den Verfahrensablauf und die sich daraus ergebenden Gestaltungsvarianten sicher zu kalkulieren, um hierauf durch aktive Beteiligung effektiven Einfluss zu nehmen und so Chancen zu eigenem Vorteil zu realisieren. Werden diese Grundprobleme des aktuell geltenden Insolvenzrechts erkannt, müssen notwendige Reformen selbstredend an ihrer Beseitigung ansetzen und neben Sanktionen sowie einer unter bestimmten Bedingungen in Aussicht gestellten Entschuldung dem Schuldner weitere attraktive Anreize bieten, die Bewältigung der Krise im eigenen und zugleich im Gläubigerinteresse eigenverantwortlich-gestaltend zu forcieren. Nur auf diesem Weg scheint es möglich zu sein, den nachvollziehbaren Ängsten des Schuldners vorbehaltslos zu begegnen, nachhaltig Vertrauen gegenüber dem Insolvenzverfahren und den Beteiligten zu schaffen und dem Schuldner eigenen Gestaltungsraum zu geben. Gelingt es, den Schuldner mit attraktiven Verfahrensangeboten und Sanktionen gleichermaßen zu binden, wird sich seine so geformte Verfahrensbeteiligung zugunsten der Befriedigungsinteressen der Gläubigergemeinschaft auswirken.

II. Reformkonzept des deutschen Gesetzgebers Vor diesem Hintergrund stehen gegenwärtig zwei Reformkonzepte in der Diskussion, die auf nationaler und europäischer Ebene zu Verbesserungen der insolvenzrechtlichen Normen führen sollen und die für eine im weitesten Sinne verstandene Flucht des Schuldners von Bedeutung sind. Der deutsche Gesetzgeber verfolgt – zurückgehend auf eine im Koalitionsvertrag vom 26. Oktober 2009 von CDU/CSU und FDP niedergelegte Übereinkunft⁸ – eine dreistufige Reform des nationalen Insolvenzrechts, mit der der Weg zu einem „Mentalitätswandel im deutschen Insolvenzrecht“ bereitet und die Rahmenbedingungen so geändert werden sollen, dass das Insolvenzverfahren „eine echte Chance zum Neuanfang“ bietet.⁹ Nachdem auf der ersten Stufe mit dem weitgehend zum 1. März 2012 in Kraft getretenen Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unterneh-

 Koalitionsvertrag v. 26. Oktober 2009, S. 18 und S. 25 (abgerufen unter http://www.cdu.de, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  Bundesministerium der Justiz, Pressemitteilung v. 7. April 2011 (abgerufen unter http://www. bmj.de, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)

II. Reformkonzept des deutschen Gesetzgebers

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men vom 7. Dezember 2011 (ESUG)¹⁰ die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für die Restrukturierung notleidender Unternehmen insbesondere durch Stärkung der Gläubigerautonomie und Ausbau des Insolvenzplanverfahrens verbessert werden sollen, wird auf der zweiten Stufe eine Reform des Verbraucherinsolvenzund des Restschuldbefreiungsverfahrens konzipiert. Dazu – und zurückgehend auf einen vom Bundeskabinett unter dem 18. Juli 2012 vorgelegten Regierungsentwurf ¹¹ – verabschiedeten der Bundestag am 16. Mai 2013 sowie der Bundesrat am 7. Juni 2013 das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte nach Maßgabe der vom federführenden Rechtsausschuss empfohlenen Änderungen.¹² Bereits mit dem Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen vom 7. Dezember 2011 (ESUG) wurden in die Insolvenzordnung Normen aufgenommen, die eine stärkere Beteiligung und Einbindung des Schuldners bei wichtigen im Verfahren zu treffenden Entscheidungen vorsehen. Zum Beispiel soll gemäß § 21 Absatz 2 Nr. 1a InsO das Insolvenzgericht im Eröffnungsverfahren unter anderem auf Antrag des Schuldners einen vorläufigen Gläubigerausschuss einsetzen, wenn Personen benannt werden, die als Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen und die sich hierzu ausdrücklich bereits erklärt haben (§ 22a Abs. 2 InsO). Zudem soll der Schuldner auf Anforderung des Gerichts Personen benennen, die als Mitglieder des vorläufigen Gläubigerausschusses in Betracht kommen (§ 22a Abs. 4 InsO). Des Weiteren kann aus dem neu eingefügten § 56 Abs. 1 Satz 3 lit. a) InsO die Zulässigkeit eines vom Schuldner unterbreiteten Vorschlags zur Bestellung des Insolvenzverwalters durch das Insol-

 BGBl. I 2011 S. 2582  Bundesministerium der Justiz, Pressemitteilung v. 18. Juli 2012 (abgerufen unter http://www. bmj.de, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013); der Regierungsentwurf v. 18. Juli 2012 (zugleich auf BTDrucks. 17/11268 v. 31. Oktober 2012), der vorangegangene Referentenentwurf sowie die zugehörige Pressemitteilung v. 23. Januar 2012 wurden ebenfalls unter http://www.bmj.de abgerufen (zuletzt geprüft am 7. Juli 2013). Eine bereits im Jahr 2007 unternommene Initiative der Bundesregierung für ein Gesetz zur Entschuldung mittelloser Personen, zur Stärkung der Gläubigerrechte sowie zur Regelung der Insolvenzfestigkeit von Lizenzen (BT-Drucks. 16/7416) wurde seinerzeit nicht weiterverfolgt.  BGBl. I 2013 S. 2379; vgl. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 15. Mai 2013, BT-Drucks. 17/13535 (zugleich BR-Drucks. 380/13), Plenarprotokoll 17/240 des Deutsches Bundestages (Stenografischer Bericht der 240. Sitzung v. 16. Mai 2013), S. 30296 f. sowie Beschluss des Bundesrates v. 7. Juni 2013, BR-Drucks. 380/13 (Beschluss) – der Regierungsentwurf wurde von Herbst 2012 bis Frühjahr 2013 in Bundestag und Bundesrat diskutiert (vgl. Plenarprotokoll 17/183 des Deutschen Bundestages, Stenografischer Bericht der 183. Sitzung v. 13. Juni 2012, S. 21802 ff.); danach erklärte der Bundesrat in seiner Stellungnahme v. 21. September 2012 (BR-Drucks. 467/12) seine grundsätzliche Zustimmung zum RegE; der Bundestag beschloss in seiner 211. Sitzung v. 29. November 2012 die Überweisung des Gesetzentwurfs in den Rechtssowie Finanzausschuss (Plenarprotokoll 17/211, Stenografischer Bericht, S. 25798), worauf der Rechtsauschuss am 14. Januar 2013 neun Sachverständige anhörte, die mehrheitlich verschiedene Nachbesserungen forderten

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

venzgericht abgeleitet werden, so dass die berechtigten Interessen des Schuldners auch auf diesem Wege Berücksichtigung finden. Bis dahin war ein Vorschlagsrecht des Schuldners nicht ausdrücklich bestimmt gewesen, weshalb durch die neue Vorschrift klargestellt wird, dass solche Anregungen zulässig und beachtlich sind und den Vorgeschlagenen nicht per se für das Amt des Insolvenzverwalters disqualifizieren. Ebenso wenig soll es verfänglich sein, dass der spätere Insolvenzverwalter den Schuldner vor dem Eröffnungsantrag in allgemeiner Form über den Ablauf eines Insolvenzverfahrens und dessen Folgen beraten hat (§ 56 Abs. 1 Satz 3 lit. b) InsO). Damit soll nicht jede Art von Kontakt vor dem Eröffnungsantrag zwischen dem Schuldner und dem vorgeschlagenen Verwalter Zweifel an dessen Unabhängigkeit nähren, wenn die von ihm zuvor gegebene Beratung half, Ängste gegenüber dem Insolvenzverfahren ab- und Vertrauen gegenüber der Verwalterpersönlichkeit und dem Insolvenzgericht aufzubauen. Zugleich wird damit die Möglichkeit geschaffen, etwaige Erwartungen des Schuldners an die Bestellung des ihn zuvor beratenden Verwalters von Rechts wegen nicht enttäuschen zu müssen, wenn dieser weiterhin als objektiv geeignet und unabhängig angesehen werden kann.¹³

Ein wesentlicher Inhalt des jüngsten, weitgehend zum 1. Juli 2014 in Kraft tretenden Reformwerkes ist eine Umgestaltung der Vorschriften zur Restschuldbefreiung nach den §§ 286 ff. InsO.¹⁴ Neben zahlreichen Modifikationen des Verfahrensablaufs, die der Verfahrensstraffung und so der Steigerung der Verfahrenseffizienz sowie der gesetzespositiven Umsetzung der vom Bundesgerichtshof im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung entwickelten Rechtssätze¹⁵

 RegE ESUG, BR-Drucks. 127/11, S. 35 sowie RegE ESUG, BT-Drucks. 17/5712, S. 37. Allerdings wies der Bundesrat in seiner Stellungnahme vom 15. April 2011 (BR-Drucks. 127/11, S. 6.) auf die latente Ungewissheit hin, ob der spätere Verwalter zuvor weitergehend als nur allgemein beratend tätig geworden ist. Insbesondere sei die Gefahr einer vom späteren Verwalter nicht offenbarten Interessenkollision groß, zumal dieser beispielsweise kaum ein Interesse an der Prüfung haben werde, ob die Zahlung der Beratungsvergütung womöglich anfechtbar ist. Überdies müsse in Erwägung gezogen werden, dass ein zum Insolvenzverwalter bestellter ehemaliger Berater eigene Beratungsfehler nicht erkennt und dadurch Sanierungsmöglichkeiten vertan werden. Insoweit könnten Interessenkonflikte vorprogrammiert sein, die bei der Verwalterauswahl zu beachten sind.  vgl. im Einzelnen RegE v. 18. Juli 2012 bzw. 31. Oktober 2012 eines Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte, BT-Drucks. 17/11268, in der Fassung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Rechtsausschusses v. 15. Mai 2013, BT-Drucks. 17/13535 (zugleich BR-Drucks. 380/13); Beschluss des Bundesrates v. 7. Juni 2013, BR-Drucks. 380/13 (Beschluss)  vgl. zum Beispiel BGH, Beschl. v. 16. Juli 2009, IX ZB 219/08, BGHZ 183, 13; BGH, Beschl. v. 21. Januar 2010, IX ZB 174/09, ZInsO 2010, 344; BGH, Beschl. v. 12. Mai 2011, IX ZB 221/09, ZInsO 2011, 1127; BGH, Beschl. v. 18. Januar 2010, IX ZA 39/09, ZInsO 2010, 587; BGH, Beschl. v. 4. Februar 2010, IX ZB 40/09, ZInsO 2010, 491; BGH, Beschl. v. 14. Januar 2010, IX ZB 257/09, ZInsO 2010, 347; BGH, Beschl. v. 3. Dezember 2009, IX ZB 89/09, ZInsO 2010, 140; ferner BGH, Beschl. v. 9. Oktober 2008, IX ZB 212/07, ZIP 2008, 2276; BGH, Beschl. v. 16. Dezember 2004, IX ZB 72/03, ZInsO 2005, 207; BGH, Beschl. v. 22. November 2012, IX ZB 194/11, ZInsO 2013, 207

II. Reformkonzept des deutschen Gesetzgebers

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dienen sollen, neben der Ausdehnung der Versagungsgründe sowie neben weiteren Änderungen zur Stärkung der Gläubigerrechte sieht die beschlossene Reform eine stufenweise Verkürzung der Wohlverhaltensphase unter bestimmten Bedingungen vor. Danach soll jedem Schuldner – gleich ob selbständiger Unternehmer oder Verbraucher – der Anreiz gegeben werden, das weiterhin prinzipiell auf die Dauer einer sechsjährigen Wohlverhaltenszeit angelegte Restschuldbefreiungsverfahren durch eigenes Handeln vorzeitig nach drei oder fünf Jahren beenden zu können. Voraussetzung hierfür soll zukünftig sein, dass er innerhalb dieses Zeitraums eine Befriedigung der Gläubiger von mindestens 35 % der im Schlussverzeichnis vermerkten Ansprüche erreicht oder zumindest die Kosten des Verfahrens (vgl. § 53 InsO) decken kann.¹⁶ Die Neufassung des § 300 InsO behält mithin als Grundsatz die vom Gericht zu treffende Entscheidung über die Erteilung der vom Schuldner beantragten Restschuldbefreiung nach Ablauf der fortan „Abtretungsfrist“ genannten, sechsjährigen Wohlverhaltensphase bei. Für dieses Regelverfahren bestimmt das zukünftige Gesetz drei Ausnahmetatbestände, die eine vorzeitige Entscheidung des Gerichts ermöglichen sollen. Vor Ablauf dieser Abtretungsfrist soll das Gericht auf Schuldnerantrag über die Restschuldbefreiung entscheiden, wenn der Schuldner die Verfahrenskosten berichtigt hat und (1.) kein Insolvenzgläubiger eine Forderung angemeldet hat oder die Forderungen der Insolvenzgläubiger voll befriedigt sind und der Schuldner die sonstigen Masseverbindlichkeiten erfüllt hat oder (2.) wenn drei Jahre der Abtretungsfrist verstrichen sind und dem Insolvenzverwalter oder Treuhänder innerhalb dieses Zeitraums ein Betrag zugeflossen ist, der eine Befriedigung der Forderungen der Insolvenzgläubiger in Höhe von mindestens 35% ermöglicht oder (3.) wenn fünf Jahre der Abtretungsfrist verstrichen sind. Bei der Ermittlung des Prozentsatzes nach dem künftigen § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO sollen die Ansprüche berücksichtigt werden, die in das Schlussverzeichnis aufgenommen wurden bzw. die bei Fehlen eines Schlussverzeichnisses als festgestellt gelten oder deren Gläubiger entsprechend § 189 Abs. 1 InsO Feststellungsklage erhoben oder das Verfahren im bereits anhängigen Rechtsstreit aufgenommen haben. Dabei soll es dem Schuldner obliegen, den Eintritt der Voraussetzungen für eine vorzeitige Restschuldbefreiungsentscheidung glaubhaft zu machen. Außerdem wird der nach § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO n. F. vorzeitig mögliche Schuldnerantrag nur dann zulässig sein, wenn Angaben über die Herkunft der Mittel, die an den Treuhänder geflossen sind und die über die von der Abtretungserklärung erfassten Beträge hinausgehen, gemacht werden und der Schuldner ihre Richtigkeit und Vollständigkeit erklärt. Mittels des geforderten Herkunftsnachweises soll ein unredliches Verhalten des Schuldners in Gestalt einer „geplanten kurzen Insolvenz“ verhindert werden. Parallel dazu statuiert ein neuer § 287b InsO eine erweiterte Erwerbsobliegenheit des Schuldners, welche sich künftig von der Eröffnung bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens erstreckt und insoweit der bereits nach § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO existenten Erwerbsobliegenheit vorangeht. Flankierend sollen der sogenannte „Motivationsrabatt“ des § 292 Abs. 1 Satz 4 InsO sowie die Vorschrift des § 114 InsO¹⁷ zum Wegfall kommen und die Versagungs- und Widerrufsvorschriften verschärft werden, um gleichzeitig die Befriedigungsaussichten der Gläubiger zu verbessern. Andererseits ermöglicht das Reformgesetz zukünftig die Auf-

 RegE v. 18. Juli 2012 bzw. 31. Oktober 2012, BT-Drucks. 17/11268, S. 1 und S. 20 ff.  kritisch hierzu Köchling, ZInsO 2013, 316, 319 ff.

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

stellung eines Insolvenzplans in Verbraucherinsolvenzverfahren, so dass jene Schuldner ebenso die Chance erhalten, mit ihren Gläubigern Bedingungen für eine baldige Enthaftung autonom auszuhandeln, ohne an Mindestquoten, eine bestimmte Verfahrensdauer oder etwaige Versagungsgründe zwingend gebunden zu sein. Zudem nahm der Bundesgesetzgeber Abstand von der im Regierungsentwurf noch vorgesehenen Streichung des in §§ 305 ff. InsO notierten Schuldenbereinigungsplanverfahrens, da jenem ein gewisses Potential zur Förderung der Einigung zwischen Gläubigern und Schuldnern zugemessen wird.¹⁸

Das Reformgesetz will zusätzlich zu erweiterten verfahrensrechtlichen Sanktionsmitteln und anstelle des „Motivationsrabatts“ des § 292 Abs. 1 Satz 4 InsO „erstmals“ ¹⁹ ein abgestuftes Anreizsystem zum differenzierten Ausgleich zwischen dem Schuldnerinteresse an einem fresh start und den Gläubigerinteressen an einer möglichst umfassenden Befriedigung einrichten, von dem sowohl Schuldner als auch Gläubiger profitieren sollen.²⁰ Es erkennt an, dass die momentane wirtschaftliche Entwicklung und der moderne Unternehmens- und Arbeitsmarkt für jeden Einzelnen erhebliche wirtschaftliche Gefährdungspotentiale mit sich bringt, die Schuldner – wie die Lechner-Studie²¹ zeigt – oftmals „Opfer moderner biographischer Risiken“ werden und die Chance einer schnellen Entschuldung sowohl in sozialpolitischer als auch in volkswirtschaftlicher Hinsicht von Nutzen ist.²² Daneben offenbart die amtliche Begründung die Auffassung, dass eine bloße Halbierung der gegenwärtigen Wohlverhaltensphase ohne jedwede Kompensation

 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses v. 15. Mai 2013, BT-Drucks. 17/ 13535, S. 36; Pape/Pape, ZInsO 2013, 265 f.  Dieses in der Begründung zum Regierungsentwurf mehrfach zu lesende Prädikat bezieht sich sicherlich auf die Qualität der zeitlichen Abstufung und eine bis zum Inkrafttreten der Konkursordnung im Jahr 1879 reichende Retrospektive, die zudem die „klassischen“ Gesamtvollstreckungsnormen der Konkurs-, Vergleichs- und Insolvenzordnungen im Auge zu haben scheint. Die im Rahmen dieser Arbeit unternommenen Untersuchungen haben indessen gezeigt, dass das Prinzip der Befreiung von den Restverbindlichkeiten mit Erreichen einer bestimmten Befriedigungsquote bereits einigen historischen Rechtsordnungen bekannt war. So versprach beispielsweise Art. 105 der aus dem Jahre 1753 stammenden und bis zum Inkrafttreten der Konkursordnung geltenden Hamburger Fallitenordnung dem „leichtsinnigen“ Schuldner eine Entledigung von seinen verbleibenden Schulden, sobald er seine Gläubiger mit einer individuell in einer Spanne von 40 % bis 80 % festzulegenden Quote befriedigt hatte. Und bemerkenswerterweise wurden dem unglücklichen Schuldner, der unverschuldet in die Vermögenskrise geraten war, nicht nur die restlichen Verbindlichkeiten erlassen, sondern ihm wurden seitens der Obrigkeit auch noch verschiedene Hilfen zuteil, damit er sich wirtschaftlich alsbald wieder aufrichten konnte; vgl. zu alledem Hasche, Bd. 3, S. 111 ff. und S. 129 ff.; Ackmann, S. 11; Eckhardt, S. 7 f..  RegE v. 18. Juli 2012 bzw. 31. Oktober 2012, BT-Drucks. 17/11268, S. 16  Lechner, S. 6 ff.  RegE v. 18. Juli 2012 bzw. 31. Oktober 2012, BT-Drucks. 17/11268, S. 16 f.

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als verfassungsrechtlich problematisch angesehen werde und in der (Kredit‐) Wirtschaft auf zu wenig Verständnis stoßen könnte.²³ Deshalb zielt das künftige Gesetz auf vom Schuldner zu unternehmende Anstrengungen, für die vorzeitige Enthaftung neben den Verfahrenskosten den Gläubigern binnen drei Jahren eine Mindestquote von 35%²⁴ zu bieten, die sich – abgesehen von den Erlösen der regulären Masseverwertung – durch von ihm aktivierte, entgeltliche oder unentgeltliche Zahlungen aus Drittmitteln (zum Beispiel aus dem sozialen Umfeld des Schuldners), durch Beiträge aus dem unpfändbaren Einkommen und Vermögen sowie durch Erträge aus überobligatorischen Erwerbsbemühungen finanzieren und die außerdem durch eine frühzeitige Antragstellung begünstigt werden sollen.²⁵ Der Bundesrat brachte zuvor in einer Stellungnahme vom 21. September 2012²⁶ seine grundsätzliche Zustimmung zum Regierungsentwurf vom 18. Juli 2012 zum Ausdruck und schlug einige

 RegE v. 18. Juli 2012 bzw. 31. Oktober 2012, BT-Drucks. 17/11268, S. 17; hierzu mit deutlicher Kritik May, ZInsO 2012, 165, 168; der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum RegE im Rechtsausschuss eingebrachte, aber zurückgewiesene Änderungsantrag wurde damit begründet, dass eine Mindestbefriedigungsquote nur den aufgrund ihrer Einkommens- und Vermögenssituation privilegierten Schuldnern zugutekommen würde, was eine Ungleichbehandlung der Mehrzahl der „Verbraucherschuldner“ bedeute (BT-Drucks. 17/13535, S. 33 ff.)  In diesem Punkt räumte der Regierungsentwurf (S. 17) ein, dass in Deutschland mangels statistischer Erhebungen bislang keine validen empirischen Erkenntnisse über die Höhe der erzielten Befriedigungsquoten nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens und Ankündigung der Restschuldbefreiung verfügbar gewesen seien, weshalb ein Wert von zunächst 25 % unter allgemeiner Abwägung der Kriterien der Realisierbarkeit für eine (angenommene) breite Masse der Schuldner und den berechtigten Befriedigungserwartungen der Gläubiger zur Diskussion gestellt wurde. Der Rechtsausschuss (BT-Drucks. 17/13535, S. 39 f.) verwies auf die vom Mittelstand und der Kreditwirtschaft verbalisierte Befürchtung, „eine Verkürzung der Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens um die Hälfte gegenüber einer Mindestbefriedigungsquote, die nur eine Schuldentilgung von 25 Prozent vorschreibe, schmälere erheblich die Eigentumsrechte der Gläubiger, die mit 75 Prozent ihrer Forderungen leer ausgingen.“ . Auch im Schrifttum finden sich Stimmen, welche die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Eingriffs in die von Art. 14 GG grundsätzlich geschützten Gläubigerrechte durch eine kombinierte, gleichwohl starre Fristenund Quotenregelung problematisieren, so z. B. Hingerl, ZInsO 2013, 21, 22 ff. und Köchling, ZInsO 2013, 316, 318, oder auf die Gefahr der Ungleichbehandlung der Schuldnergruppen im Hinblick auf Unterhaltspflichten, Vergütung des Insolvenzverwalters bzw. Treuhänders sowie soziales Umfeld hinweisen, so z. B. Koark, ZInsO 2013, 64 ff..  Der Regierungsentwurf (S. 18) verwies hier auf die von Knobloch/Reifner/Laatz im Überschuldungsreport 2011 (S. 34 ff.) wiedergegebene Feststellung einer im Jahr 2009 begonnenen Erhebung, wonach in 225 untersuchten Fällen die Überschuldeten durchschnittlich eine Zeit von 66 Monaten vom ersten Überschuldungsanzeichen bis zur Einholung professioneller Beratungsleistungen und weitere vier Monate bis zum Eröffnungsantrag vergehen ließen.  BR-Drucks. 467/12

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

Änderungen vor. Er teilte die Auffassung, die künftige Länge der Abtretungsfrist „auf der Grundlage eines entsprechenden Anreizsystems“ vom jeweiligen Engagement des Schuldners abhängig zu machen. Zugleich wies er darauf hin, dass das Schuldnerinteresse „an einer frühzeitigen schuldenfreien Rückkehr in das Wirtschaftsleben den nicht minder berechtigten Interessen und ebenso gewichtigen Grundrechten der Gläubigerschaft an einer möglichst umfassenden Regulierung ihrer Forderungen“ gegenüberstünde, weshalb bei jeder diesbezüglichen Lösung bedacht werden müsse, welches Signal von ihr „für die generelle Zahlungsmoral“ ausginge und welche Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft zu erwarten seien. Deshalb empfahl der Bundesrat eine Evaluation der Erfahrungen bei der Gesetzesanwendung nach Ablauf von wenigstens fünf Jahren, zumal „die Wahl einer jeden Mindesttilgungsquote der Höhe nach zwangsläufig auf einer prognostischen Einschätzung“ beruhe und aufgrund dessen zu überprüfen sei, „ob sich die angesetzten Bezugsgrößen als grundsätzlich richtig und zweckmäßig erwiesen haben.“ Im Beschluss vom 7. Juni 2013²⁷ gab der Bundesrat seine Befürchtung kund, dass das Gesetz angesichts der vom Bundestag auf 35 % angehobenen Mindestbefriedigungsquote „die selbst gesteckten Ziele verfehlen wird, nämlich einerseits redlichen Schuldnern alsbald einen unbelasteten Neustart zu ermöglichen und andererseits durch die Belohnung besonderen Engagements diese zu überobligationsmäßigen Anstrengungen zu motivieren“, da es seiner Einschätzung nach kaum eine nennenswerte Anzahl von Schuldnern geben wird, welche die vorzeitige Restschuldbefreiung nach drei Jahren werden erreichen können.

Es wird abzuwarten sein, ob die mit dem Reformwerk erhofften Wirkungen in praxi eintreten werden.²⁸ Der Empfehlung des Bundesrates folgend wurde ein neuer Art. 107 EGInsO normiert, wonach die Bundesregierung zu einem bis zum 30. Juni 2018 vorzulegenden Bericht aufgefordert ist, der Auskunft über die Anzahl der von den Insolvenzgerichten zugunsten der Schuldner bereits nach drei Jahren gefällten Restschuldbefreiungsentscheidungen sowie über die in diesen Verfahren erzielten Befriedigungsquoten geben soll und der gegebenenfalls mit Vorschlägen zu erforderlich erscheinenden gesetzgeberische Maßnahmen verbunden ist. Anhand dieser empirischen Daten wird bewertet werden können, ob die auch im Schrifttum verschiedentlich vorgetragenen Bedenken sich bestätigen werden. Denn es wurde teilweise eingewandt, die geplante Verkürzung der Wohlverhaltenszeit auf drei Jahre sowie die vorgeschlagene Mindestquote würde zu Lasten der Gläubiger gehen und könne sich negativ auf die Akzeptanz des gesamten Verfahrens auswirken, zumal der unerwünschte Effekt eintreten könnte, dass fortan nur noch die Mindestquote und „kein Cent mehr“ erzielt werden würde.²⁹ Andere meinten, die Neuregelung zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens auf drei Jahre würde wenig praktische Bedeutung entfalten und allenfalls eine

 BR-Drucks. 380/13 (Beschluss)  Die unter http://www.bundestag.de hierzu abrufbaren Stellungnahmen der Sachverständigen lassen verschiedentliche Kritik erkennen.  Jäger, ZVI 2012, 177, 189 zum Referentenentwurf v. 23. Januar 2012; Hingerl, ZInsO 2013, 21, 22 f.; Köchling, ZInsO 2013, 316, 317 ff.

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Erleichterung in den Fällen herbeiführen, in denen durch unvorhergesehene Erbschaften oder Verwandtenhilfe die Quote erreicht werden könne.³⁰ Ohnehin böte sich in den Verfahren, in denen eine Befriedigung der Gläubiger in dieser Größenordnung möglich erscheint, das Insolvenzplanverfahren an.³¹ Zudem könne es bereits nach der bisherigen Rechtsprechung³² zu einer Verkürzung der Restschuldbefreiung kommen, wenn sich der Schuldner mit seinen Gläubigern einigt. Überdies werden praktische Probleme der Verfahrensgestaltung erwartet, beispielsweise wenn der Schuldner für seine Anstrengungen Informationen über den schon erreichten Befriedigungsstand benötigt,³³ der wiederum angesichts der kurzen Zeitdauer mit beträchtlichen Unwägbarkeiten versehen sein kann, weil noch Forderungsfeststellungsprozesse oder andere Rechtsstreitigkeiten schweben, die Einfluss auf die Schulden- oder Teilungsmasse haben. Dass der Reformgesetzgeber freilich den Fall sah, so manches Insolvenzverfahren nach Ablauf von drei Jahren noch nicht beenden zu können, beweist die künftige Vorschrift des § 300a Abs. 1 Satz 1 und 2 InsO n. F.. Hiernach sollen die Vermögensbestandteile, die infolge einer Anfechtung noch an die Insolvenzmasse zurück zu gewähren sind oder die vermittels eines vom Insolvenzverwalter geführten Rechtsstreits oder aufgrund von Verwertungshandlungen zur Insolvenzmasse gehören, von dem nach Ablauf der (verkürzten) Abtretungsfrist eintretenden Fortfall des Insolvenzbeschlags ausgenommen sein. Damit ist aber nicht gesagt, ob die vom Insolvenzverwalter für die Masse verfolgten Ansprüche innerhalb der Dreijahresfrist des § 300 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO n. F. auch einbringlich sind, um zur Befriedigung der Gläubiger beizutragen. So besteht die Gefahr, dass die rechtzeitige Erreichung der vorgesehenen Mindestbefriedigungsquote mehr oder weniger von Zufällen abhängig ist, je nachdem, mit welchem Geschick und welcher Geschwindigkeit es dem Verwalter gelingt, Ansprüche zu realisieren, Massegegenstände bestmöglich zu verwerten und bestrittene Insolvenzforderungen im Forderungsfeststellungsverfahren nach §§ 174 ff. InsO weiter abzuwehren. Dem Reformgesetz ist zugute zu halten, die Voraussetzungen, unter denen eine Enthaftung erwartet werden kann, auch insoweit neu ausrichten zu wollen, dass

 Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZInsO 2012, 558, 561; Grote/Pape, ZInsO 2012, 409, 419; Frind, ZInsO 2012, 668, 673; Schmerbach, NZI 2012, 161, 165; Koark/du Carrois/ Haarmeyer, ZInsO 2012, 469 ff., jeweils noch zum Referentenentwurf v. 23. Januar 2012; ebenso Hingerl, ZInsO 2013, 21, 22 f.; Koark, ZInsO 2013, 64, 65; Pape/Pape, ZInsO 2013, 265, 266, jeweils zum RegE  Grote/Pape, ZInsO 2012, 409, 419; Hingerl, ZInsO 2013, 21, 22 ff.  BGH, Beschl. v. 29. September 2011, IX ZB 219/10, ZInsO 2011, 2100 m. w. Nachw., selbst bei einem „Gläubigertausch“  Grote/Pape, ZInsO 2012, 409, 419

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

neben der Androhung von Sanktionen bei Pflicht- und Obliegenheitsverletzung dem Schuldner attraktive Angebote unterbreitet werden, um entsprechend motiviert aktiv und verstärkt eigenverantwortlich an der Krisenbewältigung im eigenen und im Gläubigerinteresse mitzuwirken. Hierin können richtungsweisende Impulse gesehen werden, den Schuldner intensiver in die Verfahrensgestaltung einzubeziehen. Zugleich lässt die Gesetzesnovelle das Bemühen um eine Annäherung an diejenigen europäischen Insolvenzrechtsordnungen sichtbar werden, mit denen das deutsche Insolvenzrecht im Hinblick auf den sogenannten Insolvenztourismus gegenwärtig im Wettbewerb steht. Ob allerdings die Gefahr einer „modernen Flucht“ des Schuldners in Gestalt eines rechtsmissbräuchlichen forum shopping durch die Halbierung der Verfahrensdauer bei gleichzeitiger Forderung nach einer starren, vergleichsweise hohen und vor allem nicht näher evaluierten Mindestquote sowie angesichts einer signifikanten Erhöhung des Sanktionsdrucks effektiv eingedämmt werden kann, muss letztlich abgewartet werden. Solange beispielsweise in England die schnelle Enthaftung binnen eines Jahres durch eine automatic discharge – abgesehen von den auch für den Schuldner gefährlichen Untiefen des englischen Insolvenzrechts³⁴ – erreichbar erscheint, müssen die Gläubiger in Zukunft immer wieder mit seinem Weggang rechnen.³⁵ Als Alternative hierzu wurde vorgeschlagen, die Abtretungsfrist generell und vorbehaltlos auf drei Jahre abzusenken.³⁶ Zum Ausgleich würden die in Aussicht genommene ersatzlose Streichung des § 114 InsO und des § 292 Abs. 1 Satz 4 InsO, die Vorverlagerung des Beginns der Erwerbsobliegenheit auf den Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung sowie der neue Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 7 InsO n. F., mit dem eine Verletzung der Erwerbsobliegenheit bereits ab Verfahrenseröffnung (§ 287b InsO n. F.) geahndet werden könne, beitragen, die Befriedigungsquoten zu erhöhen. Durch die schiere Verkürzung der Abtretungsfrist würden sich zwar die Lasten des Schuldners insgesamt mindern und eine noch stärkere Annäherung an konkurrierende europäische Insolvenzrechtsordnungen erreicht werden. Jedoch würden dem Schuldner keine weitergehenden Gelegen-

 vgl. zur Durchsetzung von Ansprüchen trotz einer nach englischem oder französischem Recht erlangten Restschuldbefreiung mit den von diesen Rechtsordnungen zur Verfügung gestellten Mitteln die Darstellungen von Mehring, ZInsO 2012, 1247 ff. und Goslar, NZI 2012, 912 ff.  Zweifel hieran äußern auch Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZInsO 2012, 558, 561 sowie Pape/Pape, ZInsO 2013, 265, 266; a. A. Köchling, ZInsO 2013, 316, 317  Laroche/Pruskowski/Schöttler/Siebert/Vallender, ZInsO 2012, 558, 561; Frind, ZInsO 2012, 1455, 1457; wohl auch May, ZInsO 2012, 165, 168 ff.; ebenso der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum RegE im Rechtsausschuss eingebrachte, aber zurückgewiesene Änderungsantrag, BT-Drucks. 17/13535, S. 33 ff.; vgl. auch die dort abgedruckten weiteren Stellungnahmen der Oppositionsfraktionen

II. Reformkonzept des deutschen Gesetzgebers

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heiten und Anreize gegeben werden, sich in einer aufgewerteten Verfahrensrolle aktiv gestaltend am Verfahren zu beteiligen, um eigene überobligatorische Beiträge zur Minderung der ihn ohnehin treffenden Verfahrenslasten leisten zu dürfen. Er müsste während der dreijährigen Dauer nur den sanktionsbewehrten Obliegenheiten und Pflichten genügen, was mit dem von der Reform in Wirklichkeit anzustrebenden Ziel, die Motivation und Eigenverantwortlichkeit des Schuldners im Verfahren der Restschuldbefreiung zu stärken, nicht im Einklang stünde. Deshalb sollte die von der Gesetznovelle eingeschlagene Richtung konsequent weiter verfolgt und nach Normen gesucht werden, die es erlauben, ein dynamisches Anreiz-und-Belohnungssystem zu errichten, welches eine Minderung der Verfahrensdauer in Abhängigkeit von den vom Schuldner nach Verfahrenseröffnung mit seinen überobligatorischen Anstrengungen aufgebrachten Befriedigungsbeiträgen ermöglicht. Zudem könnte darüber nachgedacht werden, inwieweit es mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG zulässig und mit weitgehend einfachen Normen sachgerecht umsetzbar erscheint, die jeweilige Dauer des Restschuldbefreiungsverfahrens abhängig von der Relation der Höhe der Gesamtverbindlichkeiten zu den nach Verfahrenseröffnung individuell vom Schuldner überobligatorisch geleisteten Befriedigungsbeiträgen gestalten zu können. Indes fehlen der Gesetznovellierung weitere wichtige Elemente, um das mit der Reform augenscheinlich zu verfolgende Ziel, die Akzeptanz des inländischen Restschuldbefreiungsverfahrens zu steigern, zu erreichen. Eine Reduktion der Komplexität des Restschuldbefreiungsverfahrens wird mit der beschlossenen Umgestaltung des Verfahrensablaufs, der Ausdehnung der Versagungsgründe und ihrer Geltendmachung sowie der Einführung neuer Widerrufstatbestände (vgl. § 303 InsO n. F.) mutmaßlich nicht bewirkt werden können.³⁷ Außerdem liegt es auf der Hand, dass ein stark ineinander verästeltes und mit einer Vielzahl von Rechtsgrund- und Rechtsfolgenverweisungen ausgestattetes Normenwerk wenig zu seinem Verständnis beiträgt. Insoweit besteht das Risiko, dass die angesprochenen Schuldnerkreise das Zusammenwirken der einzelnen Vorschriften weiterhin als schwer durchschaubar und damit das gesamte Verfahren als wenig kalkulierbar wahrnehmen, so dass die infolge der Vermögenskrise ohnehin hervorgerufene Verunsicherung des Schuldners sowie sein Misstrauen bestätigt oder sogar angefacht werden. Hingegen würden die Normierung eines für das gesamte Verfahren einheitlich geltenden Katalogs an Versagungsgründen in einer klaren, verständlichen Sprache verbunden mit der für die Gläubiger notierten Möglichkeit, jederzeit mittels Antrag über einen vorgebrachten Versagungsgrund eine

 ebenso Grote/Pape, ZInsO 2012, 409, 417; Frind, ZInsO 2012, 1455, 1458 f.; Pape/Pape, ZInsO 2013, 265, 267

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

Entscheidung herbeiführen zu können,³⁸ für jeden Schuldner erkennbar werden lassen, unter welchen grundsätzlichen Bedingungen eine Enthaftung in einem einfach zu handhabenden Verfahren erlangt werden kann. Freilich steht der Gesetzgeber mit Bedacht auf Art. 14 Abs. 1 GG vor dem immerwährenden Problem, den unbestimmten Rechtsbegriff der (Un‐)Redlichkeit in mehr oder weniger ausdifferenzierten Einzeltatbeständen zu fassen, will er nicht auf das Abstraktum einer Generalklausel mit allen ihren Unwägbarkeiten zurückgreifen, die erst durch die Rechtsprechung zu beseitigen wären. Es muss aber gleichermaßen in Erwägung gezogen werden, dass eine zunehmende gesetzespositive Ausweitung der Versagungsgründe, welche die vom Schuldner verlangte Redlichkeit facettenreich spiegeln sollen, zu einer Erhöhung des Sanktionsdruckes führt und damit eine Gefahr für die Akzeptanz durch die angesprochenen Schuldnerkreise darstellt. An dieser Stelle muss befürchtet werden, dass das Reformgesetz sein in der Verfahrenskürzung liegendes Verbesserungspotential einbüßt. Wird weiter bedacht, dass andere europäische Insolvenzrechtsordnungen weitaus geringere (temporale) Bedingungen an die Restschuldbefreiung (zu) knüpfen (scheinen), ist nicht so recht nachvollziehbar, weshalb mit der Chance der Verkürzung der Verfahrensdauer bis zur befreienden Enthaftung eine Ausuferung der Versagungsgründe sowie der nachträglichen Widerrufstatbestände einhergehen soll.³⁹ Sie bietet Gläubigern breite Angriffsflächen, um die (endgültige) Restschuldbefreiung doch noch zu verhindern, obgleich ihnen damit in den meisten Fällen ebenso wenig gedient sein wird. Denn entweder kommen die betroffenen Schuldner nie wieder in geordnete wirtschaftliche Verhältnisse, fristen ihr weiteres Leben an der Pfändungsfreigrenze und versuchen, in der Schattenwelt Perspektiven für eine ihren Bedürfnissen gerecht werdende Lebensgestaltung zu gewinnen. Oder sie begeben sich unter das Regiment eines ausländischen Verfahrens, um sich von den sie bedrängenden Gläubigern zu befreien. Eine spürbare Erhöhung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger wird auf diesem Weg aller Voraussicht nach nicht erreicht; jede zu kleinliche Formulierung einzelner Redlichkeitsvoraussetzungen droht ein normatives Ungleichgewicht zu schaffen und letztendlich den Verfahrenszielen des § 1 InsO nicht gerecht zu werden.

 so auch Frind, ZInsO 2012, 1455, 1456 f. mit weiterer Kritik; Pape/Pape, ZInsO 2013, 265, 267  ebenso kritisch Grote/Pape, ZInsO 2012, 409, 417; Pape/Pape, ZInsO 2013, 265, 267, die zugleich in der Ausweitung des Kreises der von der Enthaftung nach § 302 Nr. 1 InsO n. F. ausgenommenen Verbindlichkeiten die Gefahr einer sukzessiven Aushöhlung der Restschuldbefreiung zugunsten privilegierter Rechtsstellungen des Fiskus sowie der Unterhaltsgläubiger (inklusive der Unterhaltsvorschusskassen) sehen

III. Erneuerung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000

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Andererseits ist es erstaunlich, dass im Rahmen der generellen Überarbeitung der Versagungsnormen kein Augenmerk auf eine zuvor im (europäischen) Ausland erreichte Enthaftung oder deren Verweigerung genommen wurde. So bot es sich an, den Versagungstatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 3 InsO entsprechend neu zu fassen; er wird nun künftig wegfallen und durch die Normen des § 287a Abs. 2 InsO n. F. ersetzt. Positiv zu bewerten ist, dass die im Regierungsentwurf noch geplante Streichung des Schuldenbereinigungsplanverfahrens der §§ 305 ff. InsO nicht Realität wurde und – im Gegensatz zur gegenwärtigen Rechtslage und zum vorangegangenen Referentenentwurf – das Insolvenzplanverfahren nunmehr im Verbraucherinsolvenzverfahren im Sinne der §§ 304 ff. InsO statthaft werden soll. Allerdings bleiben der Insolvenzplan nach Beendigung des Insolvenzverfahrens, aber während der Dauer der Abtretungsfrist (Restschuldbefreiungsphase)⁴⁰ sowie die Eigenverwaltung gemäß §§ 270 ff. InsO ausweislich des § 270 Abs. 1 Satz 3 InsO n. F. im Verbraucherinsolvenzverfahren (nach wie vor) ausgeschlossen. Der Gesetzgeber versäumte es im Weiteren, in Ansehung des § 303a InsO n. F. Bestimmungen zu schaffen, welche die Auskunfteien zwingend und sanktionsbewehrt verpflichten, innerhalb eines kurzen Zeitraums von vielleicht sechs Monaten nach Erteilung der Restschuldbefreiung sämtliche mit dem Insolvenzverfahren verbundene Negativdaten zu löschen und auch nicht mehr indirekt (zum Beispiel in Scoring-Systemen) zu verwerten.⁴¹ Nur so wird dem Schuldner, der in einem der Restschuldbefreiung dienenden Verfahren seine Redlichkeit bereits unter Beweis gestellt hat, die sozio-ökonomische Reintegration in einer immer mehr auf schnellen und jederzeit möglichen Informationsaustausch basierenden Wirtschaft realiter ermöglicht.

III. Erneuerung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000 Auf europäischer Ebene richtet sich gegenwärtig die Aufmerksamkeit auf Maßnahmen, die der Verbesserung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000 dienen sollen. Art. 46 EuInsVO besagt hierzu, dass die Europäische Kommission dem Europäischen Parlament, dem Rat und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss bis zum 1. Juni 2012 (und danach alle fünf Jahre) einen Bericht über

 Der Schuldner kann auch künftig nur bis zum Schlusstermin einen Insolvenzplan vorlegen, hierzu Hingerl, ZInsO 2013, 21, 24.  In die gleiche Richtung geht die Forderung von Grote/Pape, ZInsO 2012, 409, 424, die eine qualitative und zeitliche Begrenzung der sogenannten Negativmerkmale durch gesetzliche Vorschriften für erforderlich hält.

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

die Anwendung der Verordnung gibt. Dieser Bericht wird als Mittel zur Evaluierung der Handhabung der EuInsVO verstanden und kann gegebenenfalls Änderungsvorschläge enthalten.⁴² Ziel ist es, die Effizienz der Verordnung durch eine Bewertung der Zweckerreichung und Feststellung unerwünschter Nebenwirkungen zu beurteilen, um erforderlichenfalls die Qualität der normativen Maßnahmen zu erhöhen. Das in Art. 46 EuInsVO genannte Datum wurde zwar nicht gehalten, jedoch wurden zuvor die Arbeiten aufgenommen⁴³ und unter dem 12. Dezember 2012 der Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren,⁴⁴ eine Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss,⁴⁵ ein Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und Rates zur Änderung der Verordnung (EG)

 LSZ/Smid, Internationales Insolvenzrecht, Art. 46 EuInsVO, Rz. 1  Die Kommission hatte Ende Oktober 2011 die External Evaluation of Regulation N° 1346/2000/EC on Insolvency Proceedings (Study JUST/2011/JCIV/PR/0049/A4) in den Mitgliedstaaten ausgeschrieben und nach Abschluss des Wettbewerbs im Frühjahr 2012 das Institut für ausländisches und internationales Privat-und Wirtschaftsrecht der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und das Institut für Zivilverfahrensrecht der Universität Wien mit der Evaluation beauftragt; s. hierzu Open invitation to tender JUST/2011/JCIV/PR/0049/A4 – External Evaluation of Regulation N° 1346/2000/EC on Insolvency Proceedings vom 28. Oktober 2011 (abgerufen unter http://ec.europa.eu/justice/news-room/ contracts/files/2011s208-337887/invitation_en.pdf, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013) sowie die Ausschreibungsdokumentation zum service contract – 140788 – 2012 (abgerufen unter http://ted.europa. eu, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013). Die Ausschreibungsbedingungen sahen die Vorlage eines Berichtsentwurfs binnen neun Monaten nach Unterzeichnung des dem Evaluationsprojekt zugrundliegenden Vertragswerkes vor; vgl. hierzu Open invitation to tender JUST/2011/JCIV/PR/0049/A4 – External Evaluation of Regulation N° 1346/2000/EC on Insolvency Proceedings vom 28. Oktober 2011, S. 14 (abgerufen unter http://ec.europa.eu/justice/newsroom/contracts/files/2011s208-337887/invitation_en. pdf, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013).  Der Bericht trägt die Dokumentennummer COM(2012) 743 final und wurde unter http://ec. europa.eu/justice/civil/document/index_en.htm abgerufen; die deutschsprachige Fassung war über die Plattform InterParliamentary EU information eXchange (IPEX) unter http://www.ipex. eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120743.do abrufbar (jeweils zuletzt geprüft am 7. Juli 2013).  Die Mitteilung trägt die Dokumentennummer COM(2012) 742 final und wurde unter http://ec. europa.eu/justice/civil/commercial/insolvency/index_en.htm abgerufen; die deutschsprachige Fassung war über die Plattform InterParliamentary EU information eXchange (IPEX) unter http:// www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120742.do abrufbar (jeweils zuletzt geprüft am 7. Juli 2013).

III. Erneuerung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000

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Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren ⁴⁶ sowie mehrere Begleitunterlagen⁴⁷ zum Änderungsvorschlag vorgelegt.⁴⁸ Die Evaluierung und die auf der Basis des Vorschlags in Aussicht gestellte Überarbeitung der EuInsVO sind vor dem Hintergrund des vom Europäischen Rat im Dezember 2009 verabschiedeten Stockholmer Programms⁴⁹ sowie der vom Europäischen Rat im Juni 2010 angenommenen Wirtschaftsstrategie Europa 2020⁵⁰ zu sehen. Aufbauend auf den im europäischen Integrationsprozess bisher erreichten Ergebnissen soll zukünftigen Herausforderungen begegnet und der europäische „Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts“ weiter gestärkt werden. Angestrebt wird fortan die Schaffung eines Rechtsraums in der gesamten Europäischen Union, in dem der Zugang zur Justiz erleichtert und die Zusammenarbeit der Justizbehörden sowie die gegenseitige Anerkennung von gerichtlichen Entscheidungen in der Union sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen weiter ausgebaut wird. Zur Stärkung des gegenseitigen Vertrauens sollen die Mitgliedstaaten gemeinsame Mindestnormen zwecks Angleichung der nationalen Zivil- und Strafrechtsordnungen setzen, moderne Informations- und Kommunikationstechnologien im Bereich der Justiz (Stichwort E-Justiz) nutzen und Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft verfolgen. Der zum Stockholmer Programm entwickelte Aktionsplan formuliert für die Jahre 2010 bis 2014 konkrete Zielsetzungen zur Realisierung dieser politischen Prioritäten.⁵¹ Im Anhang des Aktionsplans ist neben vielen anderen Vorhaben ein von der Kommission

 Der Vorschlag trägt die Dokumentennummer COM(2012) 744 final sowie 2012/0360 (COD) und wurde unter http://ec.europa.eu/justice/civil/commercial/insolvency/index_en.htm abgerufen; die deutschsprachige Fassung war über die Plattform InterParliamentary EU information eXchange (IPEX) unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120744.do abrufbar (zuletzt geprüft am 7. Juli 2013).  Hierbei handelt es sich um ein „Commission staff working document – impact assessment“ (Dokumentennummer: SWD(2012) 416 final, abgerufen unter http://ec.europa.eu/justice/civil/ document/index_en.htm), um eine „Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen – Zusammenfassung der Folgenabschätzung“ (Dokumentennummer SWD(2012) 417 final, ebenfalls abgerufen unter http://ec.europa.eu/justice/civil/document/index_en.htm; die deutschsprachige Fassung war über die Internet-Plattform InterParliamentary EU information eXchange (IPEX) unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/SWD20120417.do abrufbar) sowie um die von den Repräsentanten der Universitäten Heidelberg und Wien vorgelegte Studie „External Evaluation of Regulation N° 1346/2000/EC on Insolvency Proceedings“ (JUST/2011/JCIV/PR/0049/ A4) nebst Anlagen (abgerufen unter http://ec.europa.eu/justice/civil/document/index_en.htm; jeweils zuletzt geprüft am 7. Juli 2013).  Der Stand des legislativen Verfahrens kann unter http://www.europarl.europa.eu abgerufen werden (zuletzt geprüft am 7. Juli 2013).  Amtsblatt EU Nr. C 155 v. 4. Mai 2010, S. 1 ff.  Mitteilung vom 3. März 2010 der Kommission zu EUROPA 2020 – Eine Strategie für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum (abgerufen unter http://ec.europa.eu/eu rope2020/index_de.htm, Dokument KOM(2010) 2020 endgültig, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013); s. allgemein zu EUROPA 2020 unter http://ec.europa.eu/europe2020/index_de.htm  Mitteilung vom 20. April 2010 der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts für die Bürger Europas – Aktionsplan zur Umsetzung des Stockholmer Programms (abgerufen unter http://eur-lex.europa.eu, Dokument KOM(2010)

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

zu unterbreitender Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der EuInsVO im Anschluss an den nach Art. 46 EuInsVO vorzulegenden Bericht für die Jahre 2012 und 2013 vorgesehen.

Vorangegangen war der vom Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments unter dem 6. Juni 2011 entworfene Bericht mit Empfehlungen an die Kommission zu Insolvenzverfahren im Rahmen des EU-Gesellschaftsrechts,⁵² der am 15. November 2011 mit einer Entschließung des Europäischen Parlaments verabschiedet wurde und sich unter anderem für eine Überarbeitung der EuInsVO aussprach.⁵³ Zur Begründung verwies das Europäische Parlament auf die nach wie vor bestehenden Unterschiede zwischen den nationalen Insolvenzrechtsordnungen, die zu Wettbewerbsnachteilen und Schwierigkeiten für Unternehmen mit grenzüberschreitenden Tätigkeiten führen und das forum shopping begünstigen. In diesem Zusammenhang identifizierte das Europäische Parlament bestimmte Bereiche des Insolvenzrechts, in denen eine weitere Harmonisierung lohnenswert und erreichbar sei, selbst wenn die Schaffung einer materiellen Insolvenzrechtsordnung auf europäischer Ebene in absehbarer Zeit nicht möglich wäre.⁵⁴ So müssten unter anderem Maßnahmen zur Vermeidung von Missbrauch und Verbreitung des forum shopping sowie zur Verhinderung konkurrierender Hauptverfahren ergriffen werden. Deshalb forderte das Europäische Parlament mit dieser Entschließung die Kommission auf, ihm entsprechend den darin 171 endgültig, 52010DC0171, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013) sowie Entschließung des Europäischen Parlaments vom 25. November 2009 zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Ein Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im Dienste der Bürger – Stockholm-Programm (abgerufen unter http://www.europarl.europa.eu, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013, Dokument P7_TA(2009)0090)  abgerufen unter http://www.europarl.europa.eu (zuletzt geprüft am 7. Juli 2013, Dokument PE467.008v02– 00)  Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. November 2011 mit Empfehlungen an die Kommission zu Insolvenzverfahren im Rahmen des EU-Gesellschaftsrechts (abgerufen unter http://www.europarl.europa.eu, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013, Dokument P7_TA(2011)0484); vgl. den vorbereitenden Bericht v. 17. Oktober 2011 des Rechtsausschusses (Dokument A7– 0355/2011, abgerufen ebenda)  Die hierfür vom Europäischen Parlament in Auftrag gegebene Studie Harmonisation of insolvency law at EU level (abgerufen unter http://www.europarl.europa.eu/committees/de/stu dies.html, Dokument PE 419.633, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013), die auf eine von INSOL EUROPE unternommene Untersuchung zurückgeht, identifiziert Harmonisierungsbedarf unter anderem hinsichtlich der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, bei einzelnen Aspekten der Verfahrensdurchführung, der Vorlage eines Reorganisierungsplans und der Insolvenzanfechtung. Zudem empfiehlt die Studie unter anderem die Harmonisierung der Insolvenzeröffnungsgründe, der Normen zur Forderungsanmeldung und -prüfung und -feststellung sowie der Vorschriften über den Umgang mit nichterfüllten Verträgen. Schließlich sieht die Studie Gestaltungsbedarf für ein grenzüberschreitendes Konzerninsolvenzrecht sowie zugunsten der Vereinheitlichung der Geschäftsführer- und Gesellschafterhaftung.

III. Erneuerung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000

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unterbreiteten „ausführlichen Empfehlungen einen oder mehrere Legislativvorschläge zur Frage eines EU-Rahmens zur Unternehmensinsolvenz zu unterbreiten, um gleiche Ausgangsbedingungen zu sichern, die auf einer gründlichen Analyse aller praktikabler Alternativen basieren“.⁵⁵ In dieser parlamentarischen Entschließung wurde zur weiteren Harmonisierung der nationalen Sachrechte und in Bezug auf die Überarbeitung der EuInsVO unter anderem die Empfehlung ausgesprochen, den Geltungsbereich der Verordnung zu erweitern, um Insolvenzeröffnungsverfahren mit vorläufigen Insolvenzverwaltern sowie unterschiedliche nationale Verfahren der Eigenverwaltung einzubeziehen. Des Weiteren vertrat das Europäische Parlament die Ansicht, dass die Verordnung eine Definition des Begriffs Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen enthalten sollte, die so zu formulieren sei, dass „betrügerisches forum shopping“ verhindert werde. Hierzu wurde vorgeschlagen, in Anlehnung an den Wortlaut des 13. Erwägungsgrunds eine Legaldefinition in den Verordnungstext aufzunehmen, die auf die objektive Erkennbarkeit für Dritte abstellt und auf den Interessenmittelpunkt deutende Kennzeichen benennt, wie zum Beispiel die nach außen wahrnehmbare hauptsächliche Abwicklung der Geschäftstätigkeiten, die Belegenheit der Vermögenswerte, den Mittelpunkt der operativen Tätigkeiten oder der Produktionstätigkeiten oder den Aufenthalt der Arbeitnehmer.⁵⁶ Überdies sollten in Art. 31 EuInsVO eindeutige Ermittlungs-, Unterrichtungs- und Kooperationspflichten nicht nur zwischen den Insolvenzverwaltern, sondern auch zwischen Gerichten normiert werden, die es ermöglichen würden, missbräuchliche Gestaltungsabsichten leichter und eher aufzudecken.⁵⁷ Schließlich wurde die Schaffung eines EU-Insolvenzregisters im Rahmen des Europäischen Justizportals angeregt, in dem für jedes eröffnete grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zumindest das anzuwendende Sachrecht, die einschlägigen Gerichtsentscheidungen, der Name des Verwalters und seine Kontaktdaten sowie die Bekanntgabe der Frist für die Forderungsanmeldungen in der nationalen Amtssprache und in

 Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. November 2011 mit Empfehlungen an die Kommission zu Insolvenzverfahren im Rahmen des EU-Gesellschaftsrechts (abgerufen unter http://www.europarl.europa.eu, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013, Dokument P7_TA(2011)0484)  ebenso Carstens, S. 43, S. 117 ff.; Attinger, S. 294; Reuß, S. 347 ff. mit weitgehenden Formulierungsvorschlägen  sich hierfür ebenfalls aussprechend Paulus, NZI 2008, 1, 6; Vallender, KTS 2008, 59, 61; Reuß, S. 355 ff. unter Hinweis auf die in Art. 25 bis 27 UNCRITAL model law vorgeschlagene Kooperationspflicht

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

Englisch enthalten sind.⁵⁸ Dabei soll die Übermittlung dieser Daten an das EURegister durch die nationalen Gerichte obligatorisch sein.⁵⁹ Die Europäische Kommission richtete zudem in der Zeit vom 30. März 2012 bis zum 21. Juni 2012 ein Internet-Portal zur Konsultation über die Zukunft des europäischen Insolvenzrechts ein. Bürger, Institutionen, Organisationen und Unternehmen waren aufgefordert, anhand eines Fragebogens ihre Stellungnahmen und Anregungen einzubringen. Mit der Konsultation sollte erkundet werden, mit welchen Zielrichtungen nach Meinung der beteiligten Verkehrskreise die EuInsVO überarbeitet werden sollte, um die Unternehmen und den europäischen Binnenmarkt zu stärken. Die Auswertung der insgesamt 134 gegebenen Antworten floss ebenfalls in die Beurteilung über das Ausmaß der vorzunehmenden Änderungen der Verordnung ein.⁶⁰

Unter der Leitidee einer „Justiz für Wachstum“ verfolgt die Kommission mit der Reforminitiative die Ziele, „die Abwicklung grenzüberschreitender Insolvenzverfahren durch die offizielle Anerkennung und die Koordinierung nationaler Insolvenzverfahren“ zu erleichtern, dabei die Beteiligten davon abzuhalten, „Vermögen oder Gerichtsverfahren von einem Mitgliedstaat in einen anderen zu verlagern, um so eine günstigere Rechtsstellung zu erlangen (sog. Forum Shopping)“, den Unternehmen beim wirtschaftlichen Überleben in der gegenwärtigen Wirtschafts- und Sozialkrise zu helfen und die Unternehmer – in Ausgestaltung eines neuen europäischen Insolvenzansatzes – zu ermutigen, im Fall des Scheiterns „es ein zweites Mal zu versuchen“.⁶¹ Mit diesen Zielen sollen unternehmerfreundlichere Rahmenbedingungen geschaffen und das Vertrauen der Binnenmarktteilnehmer in die europäischen Wirtschaftsstrukturen gestärkt werden. Zu Erreichung dieser Ziele wird ein weitergehender Harmonisierungsbedarf für die nationalen Insolvenzrechtsordnungen erkannt, der unter ande-

 zuvor schon Vallender, KTS 2005, 283, 298; sich anschließend Oelschlegel, S. 282; Reuß, S. 361 unter Hinweis auf die Internetportale european justice (Europäisches Justizportal) unter https://e-justice.europa.eu sowie Europäisches Justizielles Netz für Zivil- und Handelssachen unter http://ec.europa.eu/civiljustice, dessen Migration in das Europäische Justizportal gegenwärtig geplant ist  vgl. zu alledem die Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. November 2011 mit Empfehlungen an die Kommission zu Insolvenzverfahren im Rahmen des EU-Gesellschaftsrechts (Dokument P7_TA(2011)0484, abgerufen unter http://www.europarl.europa.eu, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  Bericht vom 12. Dezember 2012 der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, S. 3 (Dokument COM(2012) 743 final, abgerufen unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120743.do, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  Mitteilung vom 12. Dezember 2012 der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, S. 2 f. (Dokument COM(2012) 742 final, abgerufen unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120742.do; zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)

III. Erneuerung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000

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rem im Zusammenhang mit der Einräumung einer zweiten Chance – insbesondere angesichts der unterschiedlich langen „Entschuldungsfristen“ (gemeint als Zeitraum zwischen der Zahlungsunfähigkeit und dem Moment, in dem enthaftet Geschäfte wieder aufgenommen werden können) – und den im jeweiligen nationalen Recht angelegten Hindernissen für einen fresh start steht. Einhergehend mit der anzustrebenden Entstigmatisierung des Scheiterns⁶² wird eine dreijährige „Tilgungs- und Entschuldungsfrist“ als „vernünftige Obergrenze für einen redlichen Unternehmer“ genannt, wobei nur der „redliche insolvente Unternehmer“ eine Erleichterung durch eine zweite Chance erfahren soll. Überdies werden in divergierenden nationalen Bestimmungen zur Verfahrenseröffnung, Forderungsanmeldung und -prüfung und Gestaltung von Sanierungsplänen sowie in den besonderen Bedürfnissen kleiner und mittelständischer Unternehmen Aspekte der Rechtsunsicherheit und Wachstumsfeindlichkeit gesehen, deren künftige Berichtigung binnenmarktförderlich wäre.⁶³ Der unter dem 12. Dezember 2012 vorgelegte Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren greift die soeben skizzierten (Kritik‐) Punkte und Erwägungen auf. So wird unter anderem⁶⁴ das in Art. 3 EuInsVO normierte centre of main interests einerseits als weitgehend taugliches Anknüpfungskriterium für die Bestimmung der Eröffnungszuständigkeit befunden, andererseits auf die Schwierigkeiten verwiesen, welche mit der Anwendung der Vorschrift – trotz der EuGH-Rechtsprechung in Sachen Eurofood⁶⁵ und Interedil⁶⁶ – in der Praxis verbunden sind. Dabei wird mit Hinweis auf die Evaluationsstudie⁶⁷ das Problem der missbräuchlichen Manipulation der für die Eröffnungszuständigkeit maßgeblichen Tatsachen in Form der (vorübergehenden) Verlegung des Interessenmittelpunktes vor Antragstellung verbalisiert, welche allein dem Zweck dient, eine  vgl. hierzu die Mitteilung vom 5. Oktober 2007 der Kommission „Die Stigmatisierung des unternehmerischen Scheiterns überwinden – für eine Politik der zweiten Chance“ (Dokument KOM (2007) 584, abgerufen unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20070584. do, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  zu alledem siehe die Mitteilung vom 12. Dezember 2012 der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, S. 4 ff. mit Hinweisen auf weitere Mitteilungen, Entschließungen und Berichte (Dokument COM(2012) 742 final, abgerufen unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120742.do; zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  soweit es für den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit von Interesse ist  EuGH, Urt. v. 2. Mai 2006, C-341/04, ZIP 2006, 907  EuGH, Urt. v. 20. Oktober 2011, C-396/09, ZIP 2011, 2153  External Evaluation of Regulation N° 1346/2000/EC on Insolvency Proceedings (abgerufen unter http://ec.europa.eu/justice/civil/document/index_en.htm; zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

(vorzeitige) Restschuldbefreiung in einem belastungsärmeren Verfahren zu erreichen. Der Bericht benennt als „Zielstaaten“ die bereits im Rahmen dieser Arbeit mehrfach erwähnten ostfranzösischen Departments Bas-Rhin, Haut-Rhin und Moselle, das Vereinigte Königreich sowie die Republik Lettland. Vor allem deutsche und irische Schuldner würden mit einem missbräuchlichen forum shopping versuchen,Vorteile aus dem englischen Schuldenbefreiungsverfahren zu ziehen.⁶⁸ Zudem wird darauf verwiesen, dass sich zum einen die nationalen Insolvenzgericht nicht einer einheitlichen Methodik zur amtswegigen Feststellung ihrer Eröffnungszuständigkeit bedienen, obgleich diese Prüfung angesichts der Prinzipien des gegenseitigen Vertrauens und der wechselseitigen Anerkennung der Verfahrensentscheidungen besonderer Sorgfalt bedürfe, und zum anderen für die ausländischen Gläubiger oftmals keine effektive Rechtsbehelfsmöglichkeit gegenüber der Eröffnungsentscheidung mangels rechtzeitiger Kenntnis besteht.⁶⁹ In diesem Zusammenhang wird die unzureichende europaweite Publizität der Verfahrensinformationen thematisiert.⁷⁰ Im Ergebnis gibt der Bericht die Auffassung der Kommission kund, dass die Verordnung zwar „im Allgemeinen ordentlich und zufriedenstellend“ funktioniere, es dennoch Probleme gäbe, die durch punktuelle Änderungen beseitigt werden könnten.⁷¹ Die hierzu unterbreiteten Änderungsempfehlungen werden im ebenfalls auf den 12. Dezember 2012 datierten Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren konkretisiert. Danach sollen unter anderem der sachliche Anwendungsbereich der Verordnung erweitert, das Zuständigkeitskriterium des centre of main interests durch eine Legaldefinition für natürliche Personen prä-

 Bericht vom 12. Dezember 2012 der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, S. 10f. (Dokument COM(2012) 743 final, abgerufen unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120743.do, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  Bericht vom 12. Dezember 2012 der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, S. 11f. (Dokument COM(2012) 743 final, abgerufen unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120743.do, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  Bericht vom 12. Dezember 2012 der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, S. 18f. (Dokument COM(2012) 743 final, abgerufen unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120743.do, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  Bericht vom 12. Dezember 2012 der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, S. 20 (Dokument COM(2012) 743 final, abgerufen unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120743.do, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)

III. Erneuerung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000

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zisiert, die amtswegige Ausgestaltung des Eröffnungsverfahrens stärker strukturiert, die grenzüberschreitende Veröffentlichung von Verfahrensinformationen via Internet ermöglicht und hierdurch die Beteiligungsmöglichkeiten der Gläubiger in anderen Unionsstaaten dahingehend verbessert werden, dass ihnen effektiver Rechtsschutz im Falle eines missbräuchlichen forum shopping eröffnet wird.⁷² Diese normativen Änderungsvorschläge spiegeln sich in den hierzu formulierten Erwägungsgründen, indem zum Beispiel mit einem neuen Erwägungsgrund 9a dem legislativen Willen Ausdruck verliehen werden soll, unter den Geltungsbereich der Verordnung insbesondere Verfahren einzubeziehen, welche die Sanierung, Restrukturierung und Enthaftung des Schuldners zum Gegenstand zu haben, „um auf diese Weise gesunden Unternehmen aus der Krise zu helfen und Unternehmern eine zweite Chance zu bieten“. Ein neuer Erwägungsgrund 12a soll hingegen die Gerichte dafür sensibilisieren, die Eröffnungszuständigkeit von Amts wegen und sorgfältig zu prüfen sowie Schuldner und Gläubiger vor der Entscheidung ausreichend zu beteiligen.⁷³ Neben der Modifizierung und Schaffung weiterer Artikelvorschriften und Erwägungsgründe ist insbesondere der Normvorschlag eines künftigen Art. 3 EuInsVO für den Untersuchungsgegenstand noch von Interesse. Dessen erster Absatz soll im zweiten Satz dahingehend neu gefasst werden, dass als Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen fortan der Ort angesehen werde, „an dem der Schuldner gewöhnlich der Verwaltung seiner Interessen nachgeht und der für Dritte feststellbar ist“. Zudem soll der erste Absatz dahingehend ergänzt werden, dass bei natürlichen Personen, die eine selbstständige oder freiberufliche Tätigkeit ausüben, künftig ihre Hauptniederlassung als Mittelpunkt ihrer hauptsächlichen Interessen gilt, während bei allen anderen natürlichen Personen der Ort ihres gewöhnlichen Aufenthalts maßgeblich sei.⁷⁴ Eine erste Kritik findet ihre Veran vgl. hierzu den Vorschlag vom 12. Dezember 2012 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, S. 6 ff. (Dokument COM(2012) 744 final, abgerufen unter http://www.ipex.eu/ IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120744.do; zuletzt geprüft am 7. Juli 2013); hier müsste der deutsche Gesetzgeber angesichts des § 34 Abs. 2 InsO definieren, welcher Rechtsbehelf statthaft sei, so Prager/Keller, NZI 2013, 57, 59 und Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 552  s. zu alledem Vorschlag vom 12. Dezember 2012 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, S. 13 ff. (Dokument COM(2012) 744 final, abgerufen unter http://www.ipex.eu/ IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120744.do; zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  Vorschlag vom 12. Dezember 2012 für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates über Insolvenzverfahren, S. 23 (Dokument COM(2012) 744 final, abgerufen unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/do cument/COM20120744.do; zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)

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F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

lassung darin, dass normativ voraussichtlich wenig bewirkt wird, wenn der Erklärungsinhalt des bisherigen Erwägungsgrundes 13 nunmehr – und nahezu wortlautidentisch – zur Legaldefinition des Interessenmittelpunktes erhoben wird. Auch wenn es bloßer Zweck der Erwägungsgründe ist, die normativen Elemente eines europäischen Rechtsaktes in knapper Form zu begründen, ohne deren Wortlaut wiederzugeben, zu paraphrasieren oder Bestimmungen mit normativem Gewicht zu enthalten,⁷⁵ wird ein derart inhaltsneutrales „Avancement“ nichts dazu beitragen, das Tatbestandsmerkmal des Interessenmittelpunktes besser zu umschreiben und für die in praxi angesprochenen Rechtskreise verständlicher und greifbarer erscheinen zu lassen. Hinzu kommt, dass nach dem weiteren Normvorschlag für die Mittelpunktbestimmung natürlicher Personen auf Kriterien zurückgegriffen wird, die bislang in der Rechtspraxis zwar breite Anwendung fanden, aber sich in mancherlei Hinsicht als manipulationsanfällig erwiesen haben.⁷⁶ Dabei lässt der weitere Normvorschlag erkennen, dass nicht nur eine widerlegbare Vermutung statuiert werden soll, die zwecks zutreffender COMIBestimmung für atypische Lebenssachverhalte durchlässig wäre. Angesichts der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt für die Eröffnungsentscheidung,⁷⁷ auf die auch der Bericht vom 12. Dezember 2012 ausdrücklich Bezug nimmt⁷⁸ und die durch den Kommissionsvorschlag nicht in Frage gestellt zu sein scheint,⁷⁹ sowie der im Rahmen der Evaluierung festgestellten Problemursachen ist es nicht so recht nachvollziehbar, weshalb der Verordnungsgeber diesen Normvorschlägen ohne weiteres nähertreten sollte. Zwar sieht der Kommissionsvorschlag beispielsweise in einem Art. 3b Abs. 3 eine Rechtsbehelfsmöglichkeit gegen die Eröffnungsentscheidung vor. Er  vgl. Leitlinie 10 des Gemeinsamen Leitfadens des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission für Personen, die in den Gemeinschaftsorganen an der Abfassung von Rechtstexten mitwirken (abgerufen unter http://eur-lex.europa.eu/de/techleg/10.htm; zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  ebenso Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 552  EuGH, Urt. v. 17. Januar 2006, Rs. C-1/04, DZWIR 2006, 196 (Staubitz-Schreiber); hierzu Prager/ Keller, NZI 2013, 57, 59  Bericht vom 12. Dezember 2012 der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, S. 11 (Dokument COM(2012) 743 final, abgerufen unter http://www.ipex.eu/IPEXL-WEB/dossier/document/COM20120743.do, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)  Thole/Swierczok, ZIP 2013, 550, 552 meinen hierzu, dass die zu novellierende EuInsVO einer periode suspect ausdrücklich eine Absage erteilen sollte. Bemerkenswerterweise regte der Bundesrat in seiner nach §§ 3 und 5 EUZBLG abgegebenen Stellungnahme vom 22. März 2013 (BR-Drucks. 777/12) unter Ziffer 6 an, im Rahmen der Erwägungsgründe eine Einschränkung hinsichtlich der COMI-Bestimmung zu formulieren, wenn eine (Sitz‐) Verlegung innerhalb kurzer Frist vor Antragstellung erfolgt sei.

III. Erneuerung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000

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scheint jedoch nicht zu berücksichtigen, dass sich ein Rechtsbehelfsverfahren nach der in Art. 4 Abs. 1 EuInsVO notierten lex fori concursus richten müsste, allerdings nicht jedes nationales Insolvenzrecht eine Anfechtungsmöglichkeit (der Gläubiger) vorsieht (vgl. § 34 Abs. 2 InsO). Deshalb vertritt der Bundesrat⁸⁰ die Auffassung, dass in der EuInsVO der Beschwerdegegenstand präzisiert und das vorgeschlagene Rechtsbehelfsverfahren einheitlich normiert werden sollten. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) befürwortete in seiner Stellungnahme vom 22. Mai 2013⁸¹ zur Kommissionsmitteilung vom 12. Dezember 2012 und zum damit einhergegangenen Verordnungsvorschlag für die EuInsVO zwar die in Aussicht genommenen Ziele und Maßnahmen, hielt aber die beabsichtigten Änderungen für nicht ausreichend ambitioniert, da sie nicht darauf ausgerichtet seien, die einzelstaatlichen (Unternehmens‐) Insolvenzrechte zu harmonisieren. Seiner Ansicht nach wäre „die systematische Anrufung der Gerichte“ nicht immer der beste Weg, vielmehr solle über die Schaffung neuer (zusätzlicher) Gremien nachgedacht werden, die beispielsweise durch eine Koppelung an den Wirtschaftssektor und interdisziplinäre Zusammensetzung gewährleisten, dass die Krisenursachen besser erfasst werden und dadurch die Betroffenen schneller Hilfe erfahren. Überdies sei – neben weiteren Kritikpunkten – eine Angleichung der Entschuldungsfristen auf eine angemessen kurze Dauer für redliche Schuldner sinnvoll, jedoch im Falle betrügerischer Insolvenzen „eine Eingliederung des Insolvenzrechts in das Strafrecht nicht wünschenswert“, weil durch eine stärkere Justizialisierung (infolge diesbezüglicher Redlichkeitsuntersuchungen) den Insolvenzverfahren „ein strafrechtlicher Charakter verliehen“ werden würde. Denjenigen Schuldnern solle zügig eine „zweite Chance“ eingeräumt werden, die ihre Lehren aus dem Scheitern gezogen hätten und in der Lage seien, auf der Grundlage eines überdachten unternehmerischen Konzepts wieder auf die Beine zu kommen. Dabei wies der Ausschuss darauf hin, dass zumeist interne Mängel (wie ein unzureichendes Management), aber auch zuweilen externe Gründe, wie ein Übermaß an Vorschriften oder deren Unangemessenheit, krisenursächlich seien, weshalb auch der Staat eine gewisse Verantwortung „für diese Pleiten, nämlich als Gesetzgeber, aber auch als öffentlicher Auftraggeber“ trage.

Die bis hierher geführten Untersuchungen haben gezeigt, dass die bislang geltenden Normen der EuInsVO grundsätzlich geeignet sind, grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu koordinieren. Insbesondere ist das Anknüpfungsmerkmal des centre of main interests für eine interessengerechte Bestimmung der Hauptverfahrenszuständigkeit für Insolvenzverfahren natürlicher Personen prinzipiell

 Stellungnahme vom 22. März 2013, BR-Drucks. 777/12, S. 5 mit weitergehenden Vorschlägen  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss – Ein neuer europäischer Ansatz zur Verfahrensweise bei Firmenpleiten und Unternehmensinsolvenzen, COM(2012) 742 final, und dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 über Insolvenzverfahren COM(2012) 744 final – 2012/0360 (COD), Dokument INT/673 – 680, Insolvenzverfahren, (abgerufen unter http://eescopinions.eesc.europa.eu/eescopiniondocument.as px?language=de&docnr=472&year=2013, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013)

498

F. Schlussbetrachtungen und Reformausblicke

zweckdienlich. Eine gegebenenfalls inhaltlich neue Legaldefinition der für die Zuständigkeitsbeurteilung maßgeblichen Kriterien würde als ein Element für die Rechtsanwendung förderlich sein, um Unschärfen künftig besser begegnen zu können. Die gesetzespositive Verpflichtung zur Amtsermittlung sowie ausreichenden Verfahrensbeteiligung der Gläubiger und des Schuldners, die Normierung gegenseitiger Unterrichtungs- und Kooperationspflichten sowie die Schaffung eines europäischen Internetportals, in dem Informationen über die einzelnen Verfahren sowie das Insolvenzrecht der Unionsstaaten für die Beteiligten verfügbar gemacht werden, mögen als weitere Bausteine helfen, rechtsmissbräuchliches forum shopping einzudämmen. Insbesondere die internetbasierte Errichtung einer europäischen Kommunikationsstruktur wäre ein probates Mittel, um den zur Entscheidung über die Verfahrenseröffnung berufenen Insolvenzgerichten sowie den Beteiligten die für die Beurteilung und Verfahrensteilnahme erforderlichen Informationen schnellstmöglich zur Verfügung zu stellen. Soll rechtsmissbräuchliches forum shopping aber mit der nötigen Sicherheit durch gesetzespositives Recht wirksam und in jeder Hinsicht bekämpft werden (soweit letzteres überhaupt möglich erscheint), bedarf es entweder der weitgehenden Harmonisierung der nationalen Vorschriften hinsichtlich der Befreiung von den restlichen Verbindlichkeiten, um jedweden Anreiz zu einer „europäischen Schuldnerflucht“ zu beseitigen. Oder aber es werden in die EuInsVO explizite Vorschriften aufgenommen, die unter Wahrung der europäischen Grundfreiheiten empfindliche Rechtsfolgen für die Fälle der (zunächst unerkannten) Simulation der COMI-Verlegung oder des manipulativen Rechtsmissbrauchs bereit halten und so dem fallitus fugitivus die Früchte seiner Illoyalität – die im Ausland erschlichene Enthaftung – verwehren. Dass den europäischen Regelwerken in anderen Rechtsgebieten die ausdrückliche Normierung eines Rechtsmissbrauchsverbots nicht fremd ist, haben die Untersuchungen gezeigt. Und bereits die Tatsache, dass die Simulation des centre of main interests oder ein Rechtsmissbrauch der Grundfreiheiten zur künstlichen Gestaltung des Interessenmittelpunktes mit im Verordnungstext ausdrücklich notierten Regulativen zu ahnden ist und damit für jedermann nachlesbar wird, würde beträchtliche normative Kraft entfalten und könnte im Zusammenspiel mit den weiteren Reformelementen dazu beitragen, die Schuldner über die potentielle Aussichtslosigkeit ihres „Flucht-Vorhabens“ aufzuklären und den Anbietern eines „organisierten Insolvenztourismus“ entgegenzuwirken.⁸²

 a. A. wohl Reuß, S. 342, der die Aufnahme eines speziellen Rechtsmissbrauchsverbots im Verordnungstext für entbehrlich hält

III. Erneuerung der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 vom 29. Mai 2000

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Ansonsten liegt in der EuInsVO sicherlich das Potential, aus ursprünglich dem Kollisionsrecht dienenden Normen zunehmend ein weitgehend harmonisiertes europäisches Insolvenzrecht zu entwickeln. Für die Zukunft wird freilich im Auge zu behalten sein, dass das Insolvenzrecht als Querschnittsmaterie in den Kern einer Vielzahl materieller Rechtsgebiete eingreift. Die Verfahrenseröffnung berührt und gestaltet viele Rechtskreise und zeitigt auch mittelbar für die Beteiligten beträchtliche Konsequenzen. Zwischen jedem nationalen Insolvenzrecht und den weiteren nationalen Rechtsnormen besteht gewissermaßen ein materielles Gleichgewicht, welches das Ergebnis einer jahrhundertlangen Entwicklung der nationalen Rechtsinhalte und -methodik ist und wegen seiner Eigenheiten mit anderen europäischen Rechtssystemen nicht ohne weiteres verglichen und gleichgesetzt werden kann. Einem unionalen Eingriff in diese materiellen Gleichgewichte wird nur dann der gewünschte, uneingeschränkte Erfolg im Sinne einer Stärkung des europäischen Binnenmarktes und Rechtsraumes beschieden sein, wenn zuvor die vom Insolvenzrecht berührten nationalen Rechtsmaterien in materiell-rechtlicher Hinsicht ebenfalls eine weitgehende Harmonisierung erfahren haben.⁸³ ***

 So lässt bereits der in der Studie Harmonisation of insolvency law at EU level (abgerufen unter http://www.europarl.europa.eu/committees/de/studies.html#studies, Dokument PE 419.633, zuletzt geprüft am 7. Juli 2013) identifizierte Harmonisierungsbedarf erkennen, dass dahingehende unionale Normierungsvorhaben zu tiefgreifenden Veränderungen in den davon betroffenen nationalen Rechtsmaterien führen würden.

G. Abkürzungsverzeichnis * †

geboren verstorben

a. A. a. E. a. F. Abs. AcP AE-GBS AEUV AG ÄndG Anm. AnwBl. AO ArbGG Art. Az.

anderer Ansicht am Ende alte Fassung Absatz Archiv für die civilistische Praxis Amtliche Erläuterung zum Gesetz über eine Bereinigung alter Schulden Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Aktiengesellschaft bzw. Amtsgericht Änderungsgesetz Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Arbeitsgerichtsgesetz Artikel Aktenzeichen

BAG BAnz. BayObLG BB Beschl. Bd. Begr. BFH BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BMJ BNotO BR-Drucks. BRAK BRAO BT-Drucks. BVerfG BVerfGE BVerwG bzw.

Bundesarbeitsgericht Bundesanzeiger Bayerisches Oberstes Landgericht Betriebs-Berater Beschluss Band Begründung Bundesfinanzhof Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof amtliche Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen amtliche Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesministerium der Justiz Bundesnotarordnung Bundesratsdrucksache Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht amtliche Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht beziehungsweise

G. Abkürzungsverzeichnis

501

COMI CPO

centre of main interests Civilprozeßordnung

DB DDR ders. DGVZ dies. DJ DJZ DÖV DRW DStR DZWIR

Der Betrieb Deutsche Demokratische Republik derselbe Deutsche Gerichtsvollzieher Zeitung dieselbe, dieselben Deutsche Justiz Deutsche Juristenzeitung Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Rechtswörterbuch Deutsches Steuerrecht Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

e. V. EDV EG EGInsO EGZPO Einl. EMRK Entsch. etc. EU EuGH EuGVÜ

eingetragener Verein Elektronische Datenverarbeitung Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention Entscheidung et cetera Europäische Union Europäischer Gerichtshof Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27. September 1968 Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 22. Dezember 2000 Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren Vertrag über die Europäische Union Gesetz über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern in Angelegenheiten der Europäischen Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Court of Appeal London (Entscheidungssammlung) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft High Court of England and Wales (Entscheidungssammlung) Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht

EuGVVO

EuInsVO EUV EUZBLG EuZW EWCA EWG EWHC EWiR f. ff. FamFG FamRZ

folgend folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht

502

G. Abkürzungsverzeichnis

FAZ FGG FGO FK-InsO Fn. FS

Frankfurter Allgemeine Zeitung Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Frankfurter Kommentar zur Insolvenzordnung Fußnote Festschrift

GA 1914

GesO GewO GFK GG GmbH GVG

Verordnung vom 8. August 1914 über die Geschäftsaufsicht zur Abwendung des Konkursverfahrens Verordnung vom 14. Dezember 1916 über die Geschäftsaufsicht zur Abwendung des Konkurses Gesetz über eine Bereinigung alter Schulden vom 17. August 1938 Gesetz über eine Bereinigung alter Schulden vom 17. August 1938 in der Fassung der Neubekanntmachung vom 3. September 1940 Gesamtvollstreckungsordnung Gewerbeordnung Genfer Flüchtlingskonvention Grundgesetz Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gerichtsverfassungsgesetz

HamK HGB HK-InsO HRG Hrsg.

Hamburger Kommentar zur Insolvenzordnung Handelsgesetzbuch Heidelberger Kommentar zur Insolvenzordnung Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Herausgeber

i. V. m. InsO InsOÄndG InVo IPrax IPRspr

in Verbindung mit Insolvenzordnung Insolvenzrechtsänderungsgesetz Insolvenz und Vollstreckung Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des Internationalen Privatrechts

JA JAP JB JR juris jurisPR-InsR JuS JW JZ

Juristische Arbeitsblätter Juristische Ausbildung und Praxisvorbereitung Juristisches Büro Juristische Rundschau JURIS – Das Rechtsportal (Internetdatenbank) juris PraxisReport Insolvenzrecht Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

KG KO KT

Kammergericht Konkursordnung Konkurs- und Treuhandhandwesen

GA 1916 GBS 1938 GBS 1940

G. Abkürzungsverzeichnis

503

KTS KWG

Konkurs-, Treuhand-, Schiedsgerichtswesen Zeitschrift für Insolvenzrecht Gesetz über das Kreditwesen

LG LGVÜ

Landgericht Luganer Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 16. September 1988 litera Leipziger Kommentar (Strafgesetzbuch) Leonhardt/Smid/Zeuner (Kommentar Insolvenzordnung, Internationales Insolvenzrecht)

lit. LK LSZ

m. Anm. m. Nachw. m. w. Nachw. MDR Mio. MünchKomm

mit Anmerkung mit Nachweisen mit weiteren Nachweisen Monatsschrift für Deutsches Recht Millionen Münchener Kommentar (Bürgerliches Gesetzbuch, Zivilprozessordnung, Insolvenzordnung)

n. Chr. n. F. NdsRpfl. NJW NJW-RR Nr. NSDAP NVwZ NVwZ-RR NZI

nach Christus neue Fassung Niedersächsische Rechtspflege Neue Juristische Wochenschrift Neue Juristische Wochenschrift Rechtsprechungs-Report Nummer Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Rechtsprechungs-Report Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung

OGH OLG OLGR OVG

Oberster Gerichtshof (Österreich) Oberlandesgericht OLG-Report Oberverwaltungsgericht

PatAnwO prKO

Patentanwaltsordnung preußische Konkursordnung

RabelZ RegE RG RGBl. RGSt RGZ RIW Rpfleger

Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Gesetzesentwurf der Bundesregierung (Regierungsentwurf) Reichsgericht Reichsgesetzblatt amtliche Entscheidungssammlung des Reichsgerichtshofs in Strafsachen amtliche Entscheidungssammlung des Reichsgerichtshofs in Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft Der deutsche Rechtspfleger

504

G. Abkürzungsverzeichnis

Rz.

Randziffer

s. S. SchKG SGB SGG SS StBerG StGB StPO SÜG SZIER

siehe Seite Schweizer Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs Sozialgesetzbuch (in römischer Ziffer das betreffende Buch) Sozialgerichtsgesetz Schutzstaffel Steuerberatungsgesetz Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht

u. a. U. S. Urt. UStG usw.

unter anderem, und andere United States Urteil Umsatzsteuergesetz und so weiter

v. v. Chr. Var. VerglO VersR VG VGH vgl. VIA VOB/A VOL/A VRS VuR VwGO VwVfG

vom, von, versus vor Christus Variante Vergleichsordnung Versicherungsrecht – Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht Verwaltungsgericht Verwaltungsgerichtshof vergleiche Verbraucherinsolvenz aktuell Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A Vergabe- und Vertragsordnung für Leistungen Teil A Verkehrsrechtssammlung Verbraucher und Recht Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz

WM WPO

Wertpapiermitteilungen Wirtschaftsprüferordnung

z. B. ZEuP ZfgK ZfRG ZfRV ZGR

zum Beispiel Zeitschrift für das Europäische Privatrecht Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen Zeitschrift für Rechtsgeschichte Zeitschrift für Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht

G. Abkürzungsverzeichnis

ZHambG ZInsO ZIP ZJS ZNR ZPO ZRG GA ZRG RA ZStW ZUM ZVI ZZP

Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte Zeitschrift für das ganze Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für das Juristische Studium Zeitschrift für Neue Rechtsgeschichte Zivilprozessordnung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Romanistische Abteilung Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für Urheber- und Medienrecht Zeitschrift für Verbraucherinsolvenzrecht Zeitschrift für Zivilprozess

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I.

Stichwortverzeichnis

Abdienung 95 Acht, Achtbuch 44 f., 52, 163 actio iudicati 27, 37 actor sequitur forum rei 428 addictio 24, 27 aes confessum 23 Akkord; siehe auch Zwangsvergleich – Frankfurter Fallitenordnung 115 – gemeines Recht 106 – Hamburger Fallitenrecht 111 – oberitalienische Statute 83 ff. – preußische Konkursordnung 155 – sächsisches Haftungsrecht 120 Akkordstörer 228, 230, 235, 469 Allgemeine Gerichtsordnungen von 1793 und 1815 145 Almosen 123, 159 ältere chursächsische Prozess-Ordnung vom 28. Juli 1622 116 Ammanati 84 Anfechtung 182 – Insolvenzordnung 254 – Konkursordnung 208 ff. Anhörung des Schuldners 295, 300 Anstandsbrief 85 anticipatio fori 385, 390, 434, 437 Anweisungen 48 Apostolischer Stuhl 84 Arbeitskraft; siehe auch Personalexekution – Insolvenzordnung 253, 284, 287, 307 – römisches Recht 23 Arrest – bayerischer Gantprozess 128 – dinglicher Arrest (ZPO) 181 – Hamburger Fallitenrecht 112 – mittelalterliche Rechte 56 ff., 81 – persönlicher Arrest (ZPO) 191 – preußisches Haftungsrecht 139, 153 – Zivilprozessordnung 179 ff. Aufenthaltsfreiheit 427 Aufhalten 56, 69 außergerichtliche Vergleichsverhandlungen 228 Auskunfteien 267

Auskunfts- und Mitwirkungspflichten – Insolvenzordnung 303 – Konkursordnung 210 ff. – Versagung der Restschuldbefreiung 320 Auslandskonkurs, Auslandsvermögen 356 ff. Ausschluss von Ehrenämtern 222, 256 Auswirkungen des Verfahrens auf den Schuldner 220, 251, 263 automatic discharge 445, 484 Bankruptcy Order on a Debtor‘s Petition 414 bayerische Prozessordnung vom 29. April 1869 130 ff. bayerischer Gantprozess 126 ff. Begründung von Neuverbindlichkeiten 277 ff. beneficium compententiae, beneficium compentatie 89, 175 Bereithaltungspflicht 307 berufsrechtliche Konsequenzen 258 ff. Beschlagnahme 357, 373, 404, 418, 461, 466, 470 – gemeines Recht 106 – Insolvenzordnung 252 ff. – internationales Insolvenzrecht 373 – Konkursordnung 204, 221 – mittelalterliche Rechte 45, 55, 64 ff. – neuzeitliche Rechte 117, 126 – preußische Konkursordnung 153 – Reichspolizeiordnungen 91 – römisches Recht 29 Besetzung 56 Bestätigung 57 Binnenmarkt 406 bona fides 393 bonorum emptor 29 Bürge 50 Bürgerrechte 52, 87 Buße 44, 50 cambium per litteras 48 camera apostolica 84

534

I. Stichwortverzeichnis

capitis deminutio 27, 30, 33, 224 carcer privatus; siehe auch Privathaft 68 carcer publicus; siehe auch Gefängnis 74 centre of main interests (COMI) 384, 390, 418 ff., 424 Certificate of Discharge 414 cessio bonorum 174 – bayerischer Gantprozess 126 – Frankfurter Fallitenordnung 115 – gemeines Recht 105 – Hamburger Fallitenordnung 114 – mittelalterliche Rechte 78 ff. – oberitalienische Statute 83, 85 ff. – preußisches Haftungsrecht 135, 143 – römisches Recht 30 ff. – sächsisches Haftungsrecht 123 – spanisches Recht 95 ff. Code de Commerce 150 ff., 154 Codex Hammurabi 20 Codex iuris Bavarici iudiciarii 127 Codex Iustinianus 39 comitas 372 comitium 24 contumax 45, 145, 149 corpus iuris civilis 40 Corpus Juris Fridericianum 143 curator bonorum 29, 39 Datenerhebung und -übermittlung 266 ff. datio in solutum 128 DDR-Recht 247 f. debitor suspectus 27 decretum de aperiundo concursu 106 deutsches (autonomes) internationales Insolvenzrecht 371 ff. Dingflucht 53 ff. distractio bonorum 30, 37, 39 Dreißigjähriger Krieg 85, 100, 102 droit local alsacien mosellan 364 ductio 24 EG-Konkursübereinkommen 405 Ehre 50, 52, 88, 99 Ehrenamt 113 ff., 136, 257 ff. Ehrenschelte 73 Eid 86, 96, 109 Eigenverwaltung 341

Einlager, Einreiten 72 Eisenbrief 85 Entkleidungsprozeduren 88 Entmachtung des Schuldners 205, 253 ff., 264 ESUG 477 Europäischen Übereinkommen über Insolvenzverfahren 405 europäisches internationales Insolvenzrecht 403 ff. europäisches Konkursübereinkommen 405 Exequaturverfahren 375, 407 Exkommunikation 52 faires Verfahren 407, 410, 442 familia 25 Fehde, Feindschaft 42 ff., 74 Felonie 48 Fesseln 21, 27, 66, 69 ff. Festnahme 56, 62, 64 ff., 217 Folter 82 forum concursus 377, 389 forum non conveniens 367 forum shopping 363, 368 ff., 381, 384 ff., 413, 434, 446 Frankfurter Falliten-Ordnung von 1708 115 freies Geleit; siehe salvus conductus Freigabe 255, 288, 292, 294 Freitod 11 Freizügigkeit 6, 215, 250, 307, 427 ff., 435, 467 Fremdenarrest 63 Frey-Zettel 111 Friedlosigkeit 41 ff., 50, 52 Friedrich Wilhelms „Verbessertes LandRecht“ 137 Fronboten 51, 62, 64, 65, 69, 75 Gant 126 Gast 62 ff., 126, 167, 202 Gefängnis 5, 38, 51, 74 ff., 95, 113, 120, 122, 127 gegenseitige Anerkennung 408 ff., 443, 450 ff., 473 ff., 489 gegenseitiges Vertrauen 407 ff., 451, 489, 494 Geißelhaft 72

I. Stichwortverzeichnis

535

geistliche Gerichtsbarkeit 52 Geldwechsler 48, 159 Generalexekution 28 ff., 38, 90 Gesamtvollstreckungsverordnung 248 Geschäftsaufsicht vom 8. August 1914 228 Geschäftsaufsicht vom 14. Dezember 1916 230 Gesetze zur Bereinigung alter Schulden 240 ff. Gewährung rechtlichen Gehörs; siehe Anhörung des Schuldners Gewerbeaufsicht 261 Gewett 50 Glaubhaftmachung einer Obliegenheitsverletzung 334 Glaubhaftmachung eines Versagungsgrundes 327 Gläubigerschutz 230, 244, 254 ff. Gläubigerverzeichnis 281 ff. Grundfreiheiten 437 ff., 444 ff., 448, 452, 474, 498

Inpfandnahme 42 Insolvenzantragspflicht 256 Insolvenzforderungen 279 ff. Insolvenzplanverfahren 341 ff. Insolvenztourismus 363, 413 internationale Zuständigkeit 377 ff. Istanbuler Konkursabkommen 405 ius paciscendi 24

Haft; siehe auch Gefängnis 20, 24, 51, 58, 63 ff., 66 ff., 71 ff., 91, 95 ff., 105, 111, 114, 120 ff., 131, 142, 154, 163, 168 ff., 191, 198 ff., 216 ff., 252, 271, 311 ff., 374, 419, 429, 462 Haftbefehl 311 Haftverschonung 82, 175 Halsring 95 Hamburger Fallitenrecht 110 Hand und Halfter 66 Handelsgerichtsordnung vom 21. Dezember 1682 119 Hanse 51, 88 Heiliger Stuhl 84

Lebensunterhalt 34, 79, 89, 124, 139, 147, 223, 258, 277, 454, 459 Lechner-Studie 273, 475, 480 leges barbarorum 40 legis actio per manus iniectionem 23, 29 Lehen 48 Lemountey-Bericht 405 lex fori concursus 354, 360, 368, 375, 406, 408, 419 ff. lex Iulia de bonis cedendis 30 lex Poetelia 25 literae induciales 85 Lösegeld 24

Infamie 13, 162, 176 – Frankfurter Fallitenordnung 115 – gemeines Recht 105 – oberitalienische Statute 86 – preußische Konkursordnung 155 – römisches Recht 23, 26, 30 ff. – spanisches Recht 97 Inhaftierung; siehe auch Haft 31, 50, 56 ff., 74 ff., 95, 131, 169, 171, 200, 211, 214, 216 ff., 310 ff., 467, 471

kanonisches Recht 67 Kirchenzehnt 84 Klage auf Leib und Gut 66 Kognitionsprozess 37 Konkursverfahren nach gemeinem Recht 102 ff. Konkursverträge 355, 403, 469 Konventionalstrafe 53 Kridar 126 ff. Kriegsausgleichsverfahren 245 Kriegswirtschaftsrecht ab 1939 244 ff. Kummer 56

magister bonorum 29 Makel des Konkurses 27, 162, 220 ff., 224, 265, 472 Malangré-Bericht 405 Mandate wider die Banqueroutiers von 1724 und 1766 121 Manifestationseid; siehe Versicherung an Eides statt und Vermögensauskunft Markt 21, 48, 87 ff., 115, 162, 447, 475 Marktgericht 63 Marktgerichtsbarkeit 94

536

I. Stichwortverzeichnis

Masseverbindlichkeiten 278, 283 Messe 63, 115, 121, 160 Metebann 51 Missetat 77, 169 missio in bona 28, 37 missio in possessionem 38 Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen; siehe centre of main interests Mitwirkungspflicht – Insolvenzordnung 303, 306 – Konkursordnung 210 Moratorium 91, 174 – bayerisches Recht 127 ff. – gemeines Recht 106 – preußisches Haftungsrecht 138, 141, 143, 146, 149 – römisches Recht 36 mos Italicus 80 Nachforderungsrecht – Insolvenzordnung 314, 345 – Konkursordnung 223 Neuerwerb 96, 132, 156, 219, 223, 253, 278, 283 ff., 290 f., 373, 418, 473 Neugläubiger 33, 95, 233, 279 ff., 286 ff., 291 ff. nexum 25 Niederlassung 357, 360, 379, 391, 417, 428 ff. Niederlassungsfreiheit 409, 427 Notbedarf; siehe auch Lebensunterhalt 34, 71, 89 Nürnberger Stadtrecht 108 Obliegenheiten des Schuldners 330 ff. Obliegenheitsverletzung 334 ff. Obnoxiation; siehe Selbstverknechtung Obstagium 72 Obstruktionsverbot 344 Offenbarungseid; siehe Versicherung an Eides statt und Vermögensauskunft öffentliche Bekanntmachung 166, 227, 229, 231, 233, 246, 264, 281, 287, 295, 297, 299, 344, 466 ordre public 362, 366, 369, 371, 372, 375 ff., 391, 416, 441 ff., 451, 474

Partikularinsolvenzverfahren 381, 420 Paulianische Klage 170 periode suspecte 385, 390, 393, 401, 434, 437 f. perpetuatio fori 130, 382 f., 432, 445 Personalexekution, Schuldhaft, Schuldknechtschaft 13, 169, 173, 468 – ägyptisches Recht 19 – Athen 21 – bayerische Prozessordnung vom 29. April 1869 131 – Codex Hammurabi 20 f. – mittelalterliche Rechte 45, 57, 66 ff., 77, 82 – neuzeitliche Rechte 117, 135 – römisches Recht 23 f., 28, 30 f., 34, 37 ff. – ZPO 191 Pfändungsschutzkonto 267 Postsperre – Insolvenzordnung 252 – Konkursordnung 219, 253 Pragmática 95 Präliminarverfahren 144, 148, 164 ff. Pranger 88, 123, 135 Prätor 23 ff., 27 ff., 33, 393 Preußische Hypotheken- und Concursordnung 138 Preußische Konkursordnung vom 8. Mai 1855 149 preußische Landrechte von 1620 und 1685 134 Prioritätsprinzip 164 ff., 464, 468 – internationales Insolvenzrecht 391, 407, 410, 413, 417 – mittelalterliche Rechte 55, 66, 90 – neuzeitliche Rechte 116 ff., 126 – ZPO 185 Privathaft; siehe auch carcer privatus 51 Privatpfändung 43 Project des Codicis Fridericiani Marchici von 1748 140 proscriptio 28 Quasifelonie 48 Quinquenellen 85, 91 quinquennale spatium 36

I. Stichwortverzeichnis

Rache 23, 42 f., 204, 264 Ratsknecht 65 Rechtsbücher 41, 47, 56, 62, 101, 116 Rechtsmissbrauch des forum shopping 370, 388, 390 ff., 397 ff., 446 Reform der EuInsVO 487 Reformkonzept des deutschen Gesetzgebers 476 Reichsjustizgesetze 178 Reichskammergericht 80 Reichspolizeiordnungen 90 Repressalienarrest 63 res iudicata 23 Residenzpflicht – Insolvenzordnung 307 – Konkursordnung 210 Resolutio gravaminum vom 22. Juni 1661 118 révision au fond 367, 410, 435 Rezeption des Arrestverfahrens 57 Rezeption des römischen Rechts 22, 78, 101 richterliche Vertragshilfe 241, 245 Römisches Recht 22 ff. Rückschlagsperre 182 Sachsenspiegel 41, 47, 50, 56, 62, 66, 68 ff., 71, 73, 78, 110 sächsisches Haftungsrecht 116 ff. Salgado de Somoza 96 ff. salvus conductus 83, 94, 105 ff., 112, 124, 174 Schadennehmen 72 Schandgemälde, Schandbilder 73, 87 Schandglocke 88, 113 Schandstein 87 Scheinwohnsitz 380 Schelmschelte 73 Schmähschrift 73 Schufa 267 Schuldbann 51 Schuldgefängnis, Schuldturm; siehe Gefängnis Schuldhaft, Schuldknechtschaft; siehe Personalexekution Schuldheiß 44 Schuldnerschutz 172 ff.

537

Schuldnertypologie 159 ff., 272 ff. Schwabenspiegel 41, 56, 69, 71, 73 Schweizer Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs 361 Sekundärinsolvenzverfahren 417, 420, 428 Selbsthilfe – BGB 201 – mittelalterliche Rechte 41, 74 Selbstverknechtung, Selbstverpfändung 20, 67 Sequestration 105, 211, 218 ff. sicheres Geleit; siehe salvus conductus Siete Partidas 95 Sippenhaft 82 Spezialexekution 38, 90 Staatsbürgerrechte 221 Stat Nürnberg verneute Reformation von 1564 108 Statthalter 23, 28 status civitatis 27 Statuten oberitalienischer Städte 81 ff. Steckbrief 105 Straftaten 271 ff. Stundung 30, 36, 61, 83, 85, 106, 110, 128 ff., 135, 157 ff., 174, 207, 228, 231, 242, 246 ff., 325, 417, 455, 456 Stundung der Verfahrenskosten 325 Stundungsbrief 85 Sühneverfahren 43 Tätigkeits- bzw. Lebensmittelpunkt 385, 390, 434 Territorialitätsprinzip 351, 354 Tötung des Schuldners 22, 25, 51, 82 Treu und Glauben 392 Überantwortung 57, 69 Ungehorsam; siehe auch contumax 42 Ungerichtsklage 51 Universalitätsprinzip 351, 354, 371, 374, 419 ff. Universalsukzession 29 Unterlassungspflicht 308 Unterrichtung des Schuldners 295 usus modernus pandectarum 102 venditio bonorum

29, 33, 39

538

I. Stichwortverzeichnis

Verbannung 51, 82, 87, 89 Verbindlichkeiten aus unerlaubter Handlung 271 ff. Verfahrensobliegenheiten des Schuldners 335 ff. Verfestung 51 Verfolgung 53 Verfügungsverbot 84, 126, 137, 183, 218, 238, 252, 461 Vergleich; siehe Akkord und außergerichtliche Vergleichsverhandlungen Vergleichsordnung vom 5. Juli 1927 233 ff. Vergleichsordnung vom 26. Februar 1935 236 ff., 360 Verhaftung 53, 81, 111, 130 ff., 150, 153 ff., 171, 200, 217 ff., 310, 312 Verhältnismäßigkeitsprinzip 374 Verknechtung; siehe Selbstverknechtung Vermeidungsverhalten 3 Vermögensaufgabe; siehe cessio bonorum Vermögensauskunft 192, 195 ff., 268, 276, 400 Vermögensbeschlag; siehe Beschlagnahme Vermögensverzeichnis – gemeines Recht 106 – Insolvenzordnung 282 – oberitalienische Statute 86 – ZPO 196 Versagung der Restschuldbefreiung 318 ff., 331, 336, 453 ff. Versagung des Insolvenzplanes 349 Versäumnisurteil 180, 464 Versicherung an Eides statt; siehe auch Eid – Insolvenzordnung 282, 310, 327 – Konkursordnung 226 – neuzeitliche Rechte 112, 124, 130 – Restschuldbefreiungsverfahren 336 – römisches Recht 31 – Vergleichsordnung 235, 239, 244 – ZPO 192, 195 ff. Vertragshilfegesetze (Aufhebung) 247 Verwahrung 91, 96, 106, 110, 136, 142, 168, 172, 219, 357

vindex 24 vis attractiva concursus 96, 98, 104, 130, 356, 419 Vogelfreiheit 52 Vogt 65 Volksrechte 40, 46 Vorführung – Insolvenzordnung 310 – Konkursordnung 216 Wahlrecht 52, 87 Waibel 64 Wechselbriefe 48 Weichbildrecht 56, 69, 73, 78 Westfälischer Frieden 100 Witeschalk 44 Wohlverhaltensphase 14, 256, 269, 298 ff., 317 f., 330, 334, 340 f., 348, 369, 416, 475, 479 ff. Zahlungsunfähigkeit 11, 462, 465, 493 – Frankfurter Fallitenordnung 115 – gemeines Recht 103 f. – Hamburger Fallitenrecht 111 – Insolvenzordnung 275 ff. – Konkursordnung 205 ff. – mittelalterliche Rechte 53, 66, 77, 81, 83 – preußische Konkursordnung von 1855 151 f. – preußisches Haftungsrecht 137 – römisches Recht 31, 33, 38 – ZPO 182, 201 Zahlungsunwilligkeit 14, 48, 59, 166, 191, 201, 465 Zustellungen an den Schuldner 296 Zwangsvergleich; siehe auch Akkord – Geschäftsaufsicht vom 14. Dezember 1916 230 ff. – Hamburger Fallitenrecht 111 – Konkursordnung 205, 219 f., 225 ff. Zwölf-Tafel-Gesetze 23, 25